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SPRACHVERGLEICHUNG
UND
URGESCHICHTE.
LINGUISTISCH-HISTORISCHE BEITRÄGE
ZUR
ERFORSCHUNG DES INDOGERMANISCHEN ALTERTUMS
VON
O. SCHRADER.
DRITTE NEUBEARBEITETE AUFLAGE.
JENA,
HERMANN COSTENOBLE
1907.
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Vorwort der ersten Auflage.
Der Gedanke, welchen schon Leibniz in dem Satze aus-
gesprochen hatte : nihil maiorem ad antiquas populorum origines
indaganda^ lucem praebere quam collationem linguarum^ hat erst
in nnserem Jahrhundert seine Verwirklichung gefunden. Nicht
nur, dass durch die seit Entdeckung des Sanskrit neu aufblühende
Sprachvergleichung nie geahnte Völkerzusamnienhänge, wie der
eines indogermanischen oder semitischen Spraclistammes, erkannt
worden sind, sondern auch in prähistorischer und kulturhistorischer
Beziehung hat die junge Wissenschaft der Linguistik neue Bahnen
wandeln gelehrt. Wie der Archäologe mit Hacke und Spaten
iu die Tiefe der Erde hinabsteigt, um in Knochen, Splittern,
Steinen die Spuren der Vergangenheit zu enthüllen, so hat
der Sprachforscher den Versuch gemacht, aus den Trtlmmem
der Wörter, welche aus ungemessener Zeiten Ferne an das
Gestade der Überlieferung gerettet worden sind, das Bild der
Urzeit wiederherzustellen. Es gibt mit einem Worte eine
linguistische Paläontologie.
I^aum erscheint mehr die Geschichte eines der indogerma-
nischen Völker, ohne dass nicht in einem einleitenden Kapitel
darauf*hingewiesen würde, wie dieses betreflFende Volk vor grauen
Zeiten, noch vereint mit seinen indogermanischen Brüdern, in
ferner — gewöhnlich heisst es ja, asiatischer — Heimat gesessen
ond bereits hier Viehzucht und Ackerbau fast in heutiger Aus-
dehnung gepflegt habe, wie es schon damals mit der Gewinnung
ond Verarbeitung der Metalle vertraut, von Königen regiert, in
Dörfern and umwallten Städten angesiedelt gewesen sei usw. usw.
Scheinen so die Lehren der linguistischen Paläontologie
schnell Gemeingut der wissenschaftlichen Welt geworden zu sein,
80 kann es für den, welcher mit Aufmerksamkeit der Entwicklung
IV
der Sprachvergleichung einer-, der prähistorischen Forschung
andererseits gefolgt ist, doch nicht zweifelhaft sein, dass zahl-
reiche jener lingnistisch-historischen Aufstellungen auf dem heutigen
Standpunkt der Wissenschaft nicht mehr oder so nicht mehr
haltbar sind. Neue sprachliche Tatsachen sowie neue Gesichts-
punkte, von denen aus dieselben beurteilt werden, haben die
sprachliche Grundlage, auf welcher jenes historische Gebäude
beruht, wesentlich umgestaltet. Dazu kommt, dass dasjenige, was
man neuerdings auf philologisch-historischem oder archäologischem
Wege über die Urzeit der Indogermanen ermittelt hat, keines-
wegs immer mit jenen Lehren der linguistischen Paläontologie
übereinstimmt, so dass Gefahr vorhanden ist, die Sprach-
vergleichung möchte durch eine immer breitere Kluft von den-
jenigen Wissenschaften getrennt werden, denen sie, richtig be-
nutzt, die vorzüglichsten Dienste zu leisten imstande ist.
Bei so bewandten Dingen schien es dem Verfasser eine
nicht undankbare Aufgabe, die Frage, inwieweit die Sprach-
wissenschaft für prähistorische und kulturhistorische Zwecke zu
verwerten sei, einer erneuten und eingehenderen Prüfung, als sie
bis jetzt vorgenommen worden ist, zu unterziehen.
Zu diesem Behuf e gibt die erste der vier Abhandlungen,
in welche das vorliegende Buch zerfällt, eine geschichtliche Ent-
wicklung der bisher über diesen Gegenstand vorgetragenen Auf-
stellungen und Meinungen. Da die hierauf bezügliche Literatur
in umfangreichen Werken und kleinen Broschüren eine überaus
zerstreute ist, welche sich oft bis in die Tagespresse verliert,
80 hofft der Verfasser durch ihre Zusammenstellung den für diese
Seite der Linguistik sich Interessierenden einen Dienst erwiesen
zu haben. Manches Unwesentliche ist dabei absichtlich über-
gangen worden.
Eine eigentliche Kritik der mitgeteilten Ansichten, soweit
dieselbe nicht mit der Anordnung und Darstellung des Stoffes
selbst verbunden ist, gibt dieser Aufsatz, welcher das pro und
contra möglichst objektiv zum Ausdruck zu bringen wünscht,
im einzelnen nicht. Nur bei solchen Punkten sind berichtigende
oder erläuternde Bemerkungen hinzugefügt worden, auf welche
der Verfasser im weiteren Verlaufe seiner Arbeit zurückzukommen
nicht hoffen durfte.
Statt dessen sind in einer besonderen (zweiten) Abhandlung
die sprachlicben Tatsachen rücksichtlich ihrer Tragweite für
kalturhistorische Schlüsse kritisch und methodisch geprüft worden.
Was darf, and was darf der Geschichtsforscher nicht aus der
Sprache schliessen, diese Fragen bilden den Mittelpunkt dieser
Untersuchungen.
Von diesen geschichtlichen und theoretischen Betrachtungen
wendet sich das Buch der Erforschung der Urzeit selbst zu, indem
es einen der Haupt- und Kardinalpunkte der indogermanischen
Urgeschichte, die Frage, ob die Metalle den Indogermanen vor
ihrer Trennung bekannt gewesen seien oder nicht, eingehend
behandelt. Auf das engste verknüpft mit dieser Untersuchung^
während welcher der Verfasser zu einem verneinenden Resultat
gelangt, erwies sich aber die weitere Frage, wann, von wo und
auf welchem Wege die Kenntnis der Metalle, wenn sie der Ur-
zeit noch fremd war, sich in späterer Zeit bei den indogermanischen
Völkern verbreitet habe. Was sich für die Lösung dieses schwie-
rigen Problems an sprachlichen Anhaltspunkten ergibt, glaubt
der Verfasser vollständig gesammelt zu haben, ohne dabei die
Ergebnisse der Geschichte und Prähistorie ausser Augen zu
lassen.
So schien sowohl in theoretischer als auch in sachlicher Be-
ziehung eine zuverlässige Basis geschaflfen, von welcher aus der Ver-
fasser es wagen durfte, keckeren und zuversichtlicheren Schrittes
weitere Streifztige über die Grenzen der geschichtlichen Überlie-
ferung hinaus zu unternehmen. Der Versuch eines Gesamtbildes
der indogermanischen Urzeit nach ihren charakteristischen Seiten
(Viehzucht, Ackerbau, Speise und Trank, Familie, Sittlichkeit,
Staat, Fertigkeiten, Künste, Kenntnisse, Sprache, Religion, Heimat)
bildet daher den Schluss des vorliegenden Buches.
Jena, Anfang Mai 1883.
VI
Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage.
Die zweite Auflage von Sprachvergleichong and Urgeschichte
tritt in vieler Beziehung als ein neues Buch an die Öffent-
lichkeit.
Die Nötigung hierzu lag einerseits in den Fortschritten,
welche die auf die vorliegenden Untersuchungen bezüglichen
Wissenschaften seit dem ersten Erscheinen des Buches gemacht
haben. Vor allem aber erweckten die eigenen Erfahrungen und
Studien des Verfassers während des verflossenen Zeitraumes in
ihm das Bedürfnis, alles, was er bisher zerstreut über die Ur-
geschichte unseres Stammes vorgetragen hatte, hier, wie er
hofft in gebesserter und gereinigter Gestalt, zu einem Gesamt-
bild der vorgeschichtlichen Gesittung der Indogermanen zu
vereinigen.
Es kann meine Absicht nicht sein, an dieser Stelle auch
nur auf die wichtigsten Punkte der Erweiterungen, Zusätze,
Streichungen etc. der neuen Auflage einzugehen; doch möchte
ich zweierlei in Kürze hervorheben.
In etymologischer Hinsicht begnügte sich die erste
Auflage im wesentlichen mit den dem Verfasser damals richtig
erscheinenden Znsammenstellungen anderer. Allein bei einem
tieferen Eindringen in seinen Gegenstand erkannte der Verfasser
bald, dass das Dunkel, welches gerade über dem kulturhistorisch
bedeutsamen Teile des indogermanischen Wortschatzes lastet,
noch ein so grosses ist, dass der Versuch, zu der Aufhellung
desselben beizutragen, gewagt werden musste. Der Verfasser ist
hierbei zu der Überzeugung gekommen, dass eine sorgfältigere
Beobachtung des Bedeutungswandels, zu welcher sachliche Studien
den unmittelbaren Anlass geben, besonders für die Erkenntnis
bisher unbemerkter, lautlich gesicherter etymologischer Znsammen-
hänge geeignet sei.
Der zweite Punkt betrifft die Frage nach der Urheimat
der Indogermanen, welche der Verfasser in der ersten Auflage
unbeantwortet gelassen hatte. Die Anschauung, zu welcher er
vn
nnnmehr gekommen ist, macht anf Nenheit keinen Ansprach.
Ea ist die zuerst von Th. Benfey anf gestellte, neuerdings nament-
lich von W. Tomaschek vertretene Ansicht von den Ursprüngen
der Indogermanen im enropäischen Süd-Russland. Der Verfasser
verschweigt sich nicht, dass die Lösung dieses ganzen Problems
kaum jemals über die Aufstellung einer mehr oder minder
glaublichen Hypothese hinauskommen wird. Er ist aber doch
der Meinung, durch eine Reihe teils allgemein kulturgeschicht-
licher, teils speziell sprachlich-historischer Kombinationen für seine
Überzeugung eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit — nicht mehr
und nicht minder — erzielt zu haben. E% wäre dem Verfasser
erwünscht, wenn man das Kapitel, welches direkt von der Hei-
mat handelt, und in welchem die durch das ganze Buch ge-
sponnenen Fäden zusammenlaufen, an derjenigen Stelle lesen
wollte, an welcher es steht, an letzter.
Jena, am 9. Oktober 1889.
Vorwort zur dritten Auflage.')
Der Verfasser möchte nicht eine gewisse Befriedigung über
die Tatsache verhehlen, dass es diesem Buche, nachdem fast
25 Jahre seit seinem ersten Erscheinen verflossen sind, wiederum
vergönnt ist, in verjüngter Gestalt auf dem Kampfplatze zu
erscheinen. In diesem Zeitraum hat er Lob und Tadel „ertragen"
gelernt und hofft, dass beide dem Buche in seiner gegenwärtigen
Fassung zugute gekommen sind.
In der Anlage des Werkes, wie sie in dem Vorwort zur
ersten Auflage geschildert worden ist, brauchte eine Veränderung
nicht einzutreten. Indessen würde der geschichtliche Überblick
über die Entwicklung der linguistisch-historischen Forschung
1) Für wirksame Beihilfe bei der Korrektur des vorliegenden
Werkes bin ich Herrn Dr. W. Heuschkel in Jena zu lebhaftem Danke
TerpfKchtet.
Vfll
(Abhandlnng I: Znr Geschichte der lingnistischen Paläontologie)
nngebührlich angeschwollen sein, wenn es nicht möglich gewesen
wäre, durch erhebliche Kürzungen nnd Ausschaltungen Raum für
den neuen Stoff zu gewinnen, der sich seit dem Erscheinen der
zweiten Auflage angehäuft hat. Auf die Darstellung der älteren
Epochen unserer Wissenschaft ganz zu verzichten, schien dem
Verfasser nicht anzugehen, da einerseits die geschichtliche Ent-
wicklung eines Wissenszweiges von seinen ersten Anfängen an,
von so viel Irrtümern dabei auch immer die Rede sein muss, für
jeden geschichtlich Denkenden an sich einen nicht geringen Reiz
bietet, und andererseits es sich, namentlich auf dem Gebiet der
Heimatfrage, nicht selten zeigt, wie die Neueren (zuweilen ohne
es zu wissen) in den Spuren der Älteren wandeln. In der eben
genannten Frage nach der Urheimat der Indogermanen ist das
Jahr 1905 besonders reich an Veröffentlichungen gewesen, die
in dieser ersten Abhandlung nur eben noch genannt werden
konnten. Dafür bot das Schlusskapitel des ganzen Werkes
(Kap. XVI: Die Urheimat) reichliche Gelegenheit, auch auf die
neueste Entwicklung der Heimatfrage des näheren einzugehen.
Während die erste Abhandlung des ersten Teils dieses
Werkes trotz des Hinzutretens des neuen Stoffes gegenüber der
2. Auflage an Umfang verloren hat, stellt die zweite (Zur Methodik
und Kritik der linguistisch-historischen Forschung) einen wesentlich
erweiterten und fast durchaus neu ausgearbeiteten Versuch dar,
die aus der linguistischen Paläontologie hervorgegangene Wissen-
schaft der indogermanischen Altertumskunde in ihrer Methode und
in ihren Zielen tiefer und ausführlicher, als es bis jetzt geschehen
ist, zu begründen. Hier schien dem Verfasser auch der Platz,
sich mit einer Reihe von Einwendungen, die gegen seine An-
schauungen erhoben worden sind, auseinanderzusetzen.
Was die beiden Abhandlungen des zweiten Teils (III: Die
Metalle, IV: Die Urzeit) anbetrifft, so waren für ihre Neu-
gestaltung, die für Abhandlung IV von einer wesentlichen Er-
weiterung ihres Umfangs begleitet sein musste, namentlich zwei
Umstände dem Verfasser von Vorteil. Einmal die Ausarbeitung
seines Reallexikons der indogermanischen Altertumskunde (Strass-
burg 1901), durch die sich ihm die Gelegenheit bot, die grosse
Masse der altidg. Kulturerscheinungen in ihre Grandbegriffe auf-
zulösen und diese im einzelnen sprachlich und sachlich zu unter
IX
suchen. Damit war zugleich eine festere Basis als bisher auch
für die zusammenfassende Darat eilung gewonnen, welche die
Aufgabe des vorliegenden Buches ist.
Bei den kritischen Besprechungen des eben genannten
Werkes ist, namentlich von A. Brückner im Archiv für slavische
Philologie, darauf hingewiesen worden, dass die slavische Welt,
deren Bedeutung für die Rekonstruktion des idg. Altertums schon
V. Hehn mit Entschiedenheit betont hatte, in dem Reallexikon
zu kurz gekommen sei. Der Verfasser hat die Berechtigung
dieses Vorwurfs nicht verkannt und schon im Jahre 1902, zunächst
in Rassland, damit begonnen, sich in die slavische Volks- und Alter-
tumskunde einzuarbeiten. Seine seit dieser Zeit trotz der Un-
gunst der Arbeitsbedingungen, unter denen der Verf. andauernd
zu leiden hat, eifrig gepflegten russischen Studien haben hoffent-
lich auch dem vorliegenden Buche nicht unerheblichen Gewinn
gebracht.
In etymologischer Beziehung ist der Verfasser in dieser
dritten Auflage im ganzen zurückhaltender als in der zweiten
gewesen, einmal weil er den mit sprachlichen Dingen weniger
vertrauten Lesern dieses Buches nur die sichereren Ergebnisse der
etymologischen Forschung bieten wollte, andererseits weil ihm die
richtige Stelle, um in grösserem Umfang neue etymologische Vor-
schläge zu machen, nunmehr in seinem Reallexikon gegeben zu
sein schien. So tritt die sachliche Seite der Untersuchung in
dieser Auflage noch mehr als in den früheren hervor.
Auch in seiner gegenwärtigen Gestalt wird dem vorlie-
genden Buche vermutlich ein kampfloses Dasein nicht beschieden
sein. Immer deutlicher taucht am Horizont eine Vorstellung auf,
der der Begriff des Indogermanentums in dem des Germanentums
zerfliesst. Von den sturmgepeitschten Gestaden der Nordsee oder
aus den Urwäldern an den Küsten der Ostsee haben nach diesem
patriotischen und darum willig aufgenommenen Glauben die Ger-
manen oder Prägermanen schon in unvordenklicher Zeit zu Wasser
und zu Land die Welt bis zum Oxus und Ganges überflutet. Hand
in Hand mit dieser Lehre geht, auf angebliche Zeugnisse der Prä-
historie gestützt, eine immer mehr sich steigernde Vorstellung von
der einstigen Höhe der urindogermanischen Kultur ebenso in ma-
terieller wie in gesellschaftlicher und sittlicher Hinsicht. Bald
wird man wieder bei dem einstmals durch sprachliche Gleichungen
gewonnenen „indogermanischen Paradies'' angekommen sein, nur
dass man seinen Schauplatz nicht mehr „anf dem Dach der
Welt^, sondern in Schonen, Schleswig-Holstein oder auch in Berlin
und Umgegend sucht.
Solchen, wie mir scheint, in keiner Weise begründeten Vor-
stellungen tritt das vorliegende Buch im Sinne der V. Hehnschen
Kultur- und Weltanschauung mit Entschiedenheit entgegen, jener
Kultur* und Weltanschauung, die, indem sie uns durch das Dunkel
einer barbarischen oder halbbarbarischen Vergangenheit zu den
von den flutenden Lichtwellen des Orients getroffenen, historischen
Anfängen der indogermanischen Einzelvölker geleitet, allein eine
wirklich entwicklungsgeschichtliche Erkenntnis unserer Kultur-
verhältnisse gestattet.
Jena, Pfingsten 1907.
O. Schrader.
Inhaltsverzeichnis des I. Teils.
Seite
Yorwort zu Aufl. I, II und III III— X
I.
Zur Geschichte der ÜDguistischen Paläontologie . 1—229
I. Kap. DieAnfänge der linguistisch-historischen Forschung 3—21
n. Kap. Die Erschliessung der indog. Kultur 22 — 52
in. Kap. Die Annahmen indog. Völkertrennungen in ihrer
kulturhistorischen Bedeutung. Mit einem Anhang
über die Erforschung der Lehnwörter in den
indog. Sprachen 53—84
IV. Kap. Die Untersuchungen über die Urheimat des indog.
Volkes 85-129
II.
Zur Methode und Kritik der linguistisch-historischen
Forschung 131—232
I. Kap. Die indogermanische Spracheinheit 133—146
II. Kap. Die indogermanische Völkereinheit 147—159
III. Kap. Der Verlust alten Sprachguts 160—165
IV. Kap. Geographische Verbreitung und Chronologie der
indog. Gleichungen 166—176
V. Kap. Wortform 177—182
VI. Kap. Wortbedeutung 183—190
VII. Kap. Das Lehnwort 191—199
VIII. Kap. Die kulturhistorische Begriffsentwicklung .... 200—207
IX. Kap. Sprach- und Sachforschung 208—227
X. Kap. Die indogermanische Altertumskunde 228—232
Autorenverzeichnis zu Abh. I und II 233—235
Nachträge und Berichtigungen 236
Inhaltsverzeichnis des ersten Abschnitts des IL Teils.
III.
Das Auftreten der Metalle, besonders bei den
indogermanischen Völkern 1-120
I. Kap. Einleitung 3—9
II. Kap. Die Namen der Metalle im allgemeinen 10—12
ni. Kap. Der Schmied in Sage und Sprache 13—28
XII
Seite
IV. Kap. Das Gold 29-44
V. Kap. Das Silber 45-57
VI. Kap. Das Kupfer und seine Legierungen (Bronze,
Messing) 58—75
VII. Kap. Das Eisen 76—90
VIII. Kap. Zinn und Blei 91-99
IX. Kap. Altindogermanische Waffen und Werkzeuge . . 100—116
X. Kap. Ergebnisse : Die Metalle in ihrer historischen Auf-
einanderfolge 116-120
Inhaltsverzeichnis des zweiten Abschnitts
des IL Teils.
IV.
Die Urzeit 121—629
I. Kap. Einleitung 123—132
IL Kap. Aus der Tierwelt 138—161
III. Kap. Die Haustiere 152—169^
IV. Kap. Waldbäume 170—184
V. Kap. Die Kulturpflanzen 185—200
VI. Kap. Viehzucht und Ackerbau 201—221
VII. Kap. Die Zeitteilung . 222—240
VIII. Kap. Speise und Trank 241—256
IX. Kap. Kleidung 257—270
X. Kap. Wohnung 271—28»
XI. Kap. Handel und Wandel 290—302
XII. Kap. Die Familie 803-369
Xin. Kap. Sippe und Stamm 370—392
XIV. Kap. Das Recht (Strafrecht) 393-414
XV. Kap. Die Religion 415—458
XVI. Kap. Urheimat 459—529
Nachträge und Berichtigungen zu Abh. I— IV 530—532
Wörterverzeichnisse der idg. Sprachen zu Abh. IIIu. IV (II.Teii) 538—65»
I.
ZUR GESCHICHTE
DER
LINGUISTISCHEN PAUEONTOLOGIE
Citius emergit veritas ex eirore quam ex confusione.
8 ehr Ader, BpraebYerflrleichnnflr und Urgeschichte. S. Aufl.
I. Kapitel.
Die Anfänge der linguistisch-historischen Forschung.
Die Anscbaaungen des XVIII. Jahrhunderts über die sprach-
lichen und ethnographischen Verwandtschaftsverhältnisse der Völker
lassen sich in ihrer Gesamtheit nirgends besser übersehen als in
den zahlreichen Schriften, die einen der gelehrtesten und nam-
haftesten Sprachforscher dieser Zeit, Johann Christoph Adelung,
zum Verfasser haben. Sein Hauptwerk, Mithridates oder all-
gemeine Sprachenkunde (1806—16, von Teil II an aus Adelungs
Papieren von J. S. Vater fortgesetzt, 3 Bände Berlin), das an
-der Grenzscheide älterer und neuerer Sprachwissenschaft steht,
kann als eine methodischere und gründlichere Weiterführnng der
schon von Leibniz angeregten und in dem Petersburger Wörter-
bach der Kaiserin Katharina zuerst zur Ausführung gekommenen
Idee eines Universal-Glossariums bezeichnet werden, dem der für
die damals fast ausschliesslich im Dienste der Ethnologie stehende
Sprachforschung charakteristische Gedanke zu Grunde liegt, durch
eine Vergleichung der Sprachen das gegenseitige Verhältnis der
Völker zu ergründen. Aber nicht, wie es im Petersburger
Wöiierbuche und sonst geschehen war, werden hier als Massstab
dieser Vergleichungen Sammlungen einzelner Wörter, gegen die
Adelung seine ernsten Bedenken nicht verhehlt (vgl. Vorrede
p. VIII), herangezogen, sondern auf Grund der reichlich vor-
handenen Sammlungen*) wird das Vater Unser „in beinahe fünf-
hundert Sprachen und Mundarten" als Sprachprobe gegeben; denn
nur an der Hand eines zusammenhängenden Stückes menschlicher
Rede könne man in den Gang und Geist und, worauf es beson-
ders ankomme, in den inneren und äusseren Bau einer Sprache
eindringen (vgl. p. XII).
1) Der erste, der auf den Gedanken kam, das V. U. als Sprach-
probe zu benutzen, war J. Schildberge r um 1477. Über die Samm-
lungen des V. U. vgl. Mithridates I, 646 f.
1*
- 4 —
Uns interessieren in diesem Werke, das man auch heute
nicht ohne Nutzen lesen wird, in erster Linie die Anschauungen
des Verfassers über die verwandtschaftlichen Beziehungen der
europäisch-asiatischen und unter ihnen wieder derjenigen Völker,
die man später mit dem Namen der indogermanischen zusammen-
gefasst hat. Zunächst kann einer der verhängnisvollsten Irrtümer
früherer Jahrhunderte, den zuerst Leibniz mit Energie bekämpft
hatte, dass nämlich die Sprache der Bibel als die Ursprache der
Menschheit anzusehen sei, als überwunden gelten. Schon in seiner
1781 in Leipzig erschienenen Schrift Über die Geschichte der
Deutschen Sprache etc. sagt Adelung Einleit. p. 10: ^Man hat
sich von jeher sehr viele unnötige Mühe gegeben, ausfindig zn
machen, welches die erste Sprache in der Welt gewesen, weil
man geglaubt, alle übrigen Sprachen müssten sich alsdann sehr
leicht aus dieser herleiten lassen. . . . Die hebräische Sprache
ist freilich die älteste, von welcher wir die beträchtlichsten Über-
bleibsel haben; allein sie ist um deswillen nicht die ursprünglichste^,
und fügt dann Mithrid. Vorrede p. XI hinzu: „Ich leite nicht
alle Sprachen von einer her; Noahs Arche ist mir eine verschlossne
Burg und Babylons Schutt bleibt vor mir völlig in seiner Ruhe."
Trotzdem ist indessen Adelung von nichts fester als von
dem asiatischen Ursprung der europäischen Völker überzeugt.
Auch war eine Begründung dieser Ansicht für die damalige Zeit
nicht nötig. „Asien", sagt Adelung in der Einleitung zum
L Teil des Mithridates, „ist zu allen Zeiten für denjenigen Welt-
teil gehalten worden, in welchem das menschliche Geschlecht
seinen Anfang genommen, wo es seine erste Erziehung genossen,
und aus dessen Mitte es seine Fülle über die ganze übrige Welt
verbreitet hat," und in der Einleitung zum II. Teil desselben
Werkes heisst es: „Derjenige Weltteil, welchen wir nach dem
Vorgange der Phönicier Europa nennen, ist eigentlich nur die
westliche Fortsetzung von Asien. ... Es hat daher auch seine
Einwohner diesem Weltteile unmittelbar zu danken, und zwar
zunächst dem hohen Mittel-Asien (lag doch das Paradies nach
Adelung a. a. 0. I, 6 f. in Kaschmir) in demselben, dieser alten
und grossen Pflanzschule des menschlichen Geschlechts für das
nördliche Asien, Europa und Amerika."
Auch über die Reihenfolge und die Wanderungsrichtung der
in Europa einziehenden Völker machte sich Adelung bereits Ge-
- 6 -
danken^ vgl. Älteste Geschichte der Deutschen etc. Leipzig 1806
p. 12 f. Er unterscbeidet in Earopa von Westen nach Osten
sechs verschiedene Sprach- und Völkerstämme, Iberier, Kelten^
Gennanier, Thracier (genauer den „Thraeisch-Pelasgisch-Griechisch-
Lateinischen^ Sprachstamm), Finnen und Slaven, von denen die
Iberier, weil am westlichsten wohnend, auch wohl am frühesten
eingewandert seien. Jedenfalls ergebe die Lage dieser Völker-
stämme zu einander für ihre Einwanderung zwei grosse Zug-
linien: die eine für Kelten und Thracier (vgl. aber Mithrid. II,
340) im Süden, die andere für Germanen, Slaven und Finnen im
Norden der Donau.
Fragen wir nun, bis zu welchem Grade Adelung und seine
Zeit die etymologische Verwandtschaft der indog. Sprachen er-
kannt hatte, so sei zunächst erwähnt, dass die wichtigen Be-
rührungen des Sanskrit mit anderen Sprachen, namentlich durch
die Schriften des Frater Paulinus a S. Bartholomaeo^),
keineswegs unbekannt waren. Adelung gibt Mithrid. I, 149 f.
ein Kapitel „Übereinkunft vieler Wörter des Sanskrit mit den
Wörtern anderer alter Sprachen^', das mit dem Satze beginnt:
„Das hohe Alter dieser Sprache erhellet unter andeim auch aus
der Übereinkunft so vieler ihrer Wörter mit anderen alten Sprachen,
welches wohl keinen anderen Grund haben kann, als dass alle
diese Völker bei ihrem Entstehen und vor ihrer Absonderung zu
einem gemeinschaftlichen Stamme gehöret haben.'' Dass indessen
hiermit nicht die Erkenntnis des Begriffes einer indog. Völker-
familie ausgesprochen ist, geht aus den folgenden Wörterverzeich-
nissen hervor, in denen zur Vergleichung mit dem Sanskrit auch
Hebräisch, Syrisch, Türkisch usw. herangezogen werden.
Im Übrigen sind es, was die indog. Völker betrifft, beson-
ders zwei nähere Berührungen, die in der damaligen Zeit be-
hauptet und verteidigt werden: es ist dies erstens das nähere
Verhältnis, in dem das Lateinische zu dem Griechischen und
zweitens dasjenige, in dem das Persische zu dem Deutschen
stehen sollte. Namentlich über diesen letzteren Punkt hatte
«ich seit dem Jahre 1597 eine sehr zahlreiche Literatur an-
1) 1798 Diss. de antiquitate et affinitate Linguae Zendicae, Sam-
scridamicae, et Germanicae, Padua. 1802 Disa. de Latini sermonis
origine et cum orientalibus Unguis connexione, Rom.
— 6 —
gehäuft^), und noch Leibniz (vgl. Mithrid. I, 277) war der
Meinung^ die Verwandtschaft zwischen Deutsch und Persisch sei*
so gross, dass integri versus Persice scribi possunt, quos Ger-
manus inteUigat.
Die Erklärung derartiger Verwandtschaftsverhältnisse wurde
in damaliger Zeit ausschliesslich in Mischungsprozessen gesucht,
die die betreffenden Völker in historischen oder vorhistorischen
Epochen durchgemacht haben sollten. So erklärt Adelung- Vater
Mithrid. II, 457 das Lateinische fttr eine Mischung keltischer
(Aborigines) und gi'iechischer (Pelasgi) Elemente, und die „deutschen
Bestandteile im Persischen" werden mit dem Aufenthalt der Goten
am schwarzen Meere, in der Nähe Persiens verknüpft. „Denn
da diese ein wildes, unruhiges und eroberungssüchtiges Volk
waren, welches sich immer auf Kosten seiner Nachbarn auszu-
breiten suchte, so wird es das nahe Persien gewiss nicht verschont
haben"*), vgl. Älteste Geschichte der Deutschen 1806 p. 350).
Auch die „griechische Sprache enthält zum Verwundem viele
germanische Wurzelwörter, vielleicht ein Fünftel ihres ganzen
Reichtums, ohne dass deswegen die eine Sprache die Matter der
andern sein dürfte. Sind die Germanen aus Osten gekommen,
so haben sie gewiss auch lange Zeit im Norden von Thracien
gewohnt, ehe sie nach und nach weiter nordwärts gedrängt wurden.
Da barbarische Völker nicht lange ruhige Nachbarn bleiben, so
können sie die südlicheren Gegenden mehrmals überschwemmt und
beherrscht, und ihnen zum Andenken einen Teil ihrer Sprache
hinterlassen haben.^ Bo urteilte Adelung über diese Verhältnisse
noch in der kurze Zeit vor dem ersten Teil des Mithridates er-
schienenen Ältesten Geschichte der Deutschen etc. p. 352 f. E&
ist daher sehr merkwürdig, dass derselbe Verfasser an derjenigen
Stelle des Mithridates, an der er über denselben Gegenstand
1) Mitgeteilt von Adelung Älteste Geschichte der Deutschen etc.
Leipzig 1806 p. 360 f. Vgl. auch Th. Benfey Geschichte der Sprach^
Wissenschaft p. 228 f.
2) Ganz ähnlich hatte man die im Anfang des XVII. Jahrh. zu-
erst bemerkten Übereinstimmungen des Litauischen und Lateinischen
mit der Annahme erklärt, dass bei der Überfahrt Caesars nach Bri-
tannien verschlagene römische Soldaten nach Litauen gekommen seien.
Vgl. Michalonis Lituani De moHbtis Tartarorum, Lituanorum et
Moschorum fragmina ed. Grosser^ Basileae, 1615 p. 23.
zu reden hat, m einer ganz anderen, dem wirklichen Sachverhalt
ziemlich nahe kommenden Auffassnng der Dinge gelangt. Eb ist
ihm Mithridates I, 379 doch sehr anffalleud, dass die germaniscben
Bestandteile im Persiecheu daselbst nicht als Fremdlinge, sondern
„als tier in den ursprünglichen Ban der Sprache und ihrer
Formen verwebt" erscheinen. Aas diesem Grunde scheint ihm
vielmehr folgende Erklärung die Überwiegende Wahrscheinlichkeit
för sich zu haben: „Die Oermanen stammen, so wie alle west-
lichen Vfllker, aus Asien her, und wenn man gleich jetzt die
Gegend nicht mehr bestimmen kann, welche sie vor ihrer Au»-
Wanderung bewohnt haben, so gibt es doch keine Gründe, wanuii
mau sie nicht in das an Persien und Tibet unmittelbar grenzende
Mittel-Asien sollte setzen können, welches durch seine unslüten
Horden Europa teils bevölkert, teils mehr al» einmal erschüttert hat.
Der German (nie), der Slave. der Thraeier, der Kelle u. s. f.
können also mit dem Perser gleichzeitig ans einer und der-
selben Sprachquelle geschöpft und sich nur durch Zeit,
Klima und Sitten wieder von ihm entfernt haben."
So war denn der gelehrte deutsche Sprachforscher kurz vor
«einem Tode, wie es scheint, selbständig zu demselbt^'U Resultat
gekommen, das der berUbnite Engländer W. Junes, auf seine
bessere Kenntnis des Sanskrit gestützt, schon im Jahre 17SH
ansgesprochcu*) hatte, dass sieh nämlich die Übereinstimmungen
«lieser Sprache in erster Linie mit dem Griechischen und Lateini-
Mhen, sodann aber auch mit dem Germauischen und Keltischen
(Persisch und Slavisch wird an der bclrcffeuden Stelle von Jones
nicht genannt) nicht erklären Hessen ohne die Annahme,
dieselben seien von einer gemeinsamen Quelle, die
vielleicht nicht mehr existiere, ausgegangen.
Erst dem XIX, Jahrhundert war es vorbehalten, den Beweis
fllr die Einheit Indogermanischer') Zunge in wissenschaftlichem
Sinne /.u erbringen. Durch Franz Hopps unsterbliches Ver-
dienst beginnt der Kreis der indog. Sprachen sich l'ester und
enger zu schlingen. Ein Zweifel an der gemeinsamen Abstammung
der in Bopps Vergleichender Granmiatik (1833—35) behandelten
1} Tgl. Th. Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft p. 847 f.
3) Der ÄTisdruck ^indof^erataniscb" scheint zuerst von EInprotli
hl seiner Asia polygloUa Paris 1823 gebraucht worden zu sein. Vgl.
O. M(?er I. F. It. 125 ff.
— 8 -
Sprachen, des Sanskrit; Zend, Griechischen; Lateinischen, Litau-
ischeu; AltslavischeU; Gotischen und Deutschen, denen in besonderen
Abhandlungen das Keltische (1839), das Altpreussische (18&3);
das Albanesische (1854 und 55) und in einer zweiten Auflage
(1856 — 61) das Armenische hinzugefügt wird, ist nun nicht mehr
gestattet. Aber während für Bopp die Annahme einer prähistorischen
Einheit der indog. Völker nur als Hintergrund für die Erklärung
sprachlicher Tatsachen dient, beginnt auf der von ihm geschaffenen
Basis jener Gedanke allmählich auch in seiner eminent histori-
schen Bedeutung sich Bahn zu brechen.
Auf das engste verbunden mit der Erklärung des Verwandt-
schaftsverhältnisses der indog. Sprachen war aber in erster Linie
die Frage nach dem Ausgangspunkt, der Urheimat der indog.
Völker. Überblickte man eine verwandte Wortsippe wie etwa
got fadar, lat. pater, griech. naxriQj skrt. pitä, altiran. pita, so
waren für die Erklärung dieses Verhältnisses von vornherein zwei
Möglichkeiten gegeben: Entweder musste eine der aufgezählten
Formen als Mutterform der übrigen betrachtet werden, oder alle
zusammen stammten von einer nicht mehr erhaltenen, sondern
nur durch Sprachvergleichung zu erschliessenden Urform ab. Von
der Entscheidung für eine dieser beiden Eventualitäten musste
die Bestimmung der Lage der indog. Urheimat zunächst abhängen;
und obgleich schon W. Jones das Richtige geahnt hatte, fehlte
es doch nicht an solchen, die eine der indog. Sprachen als
die Muttersprache der übrigen in Anspruch zu nehmen geneigt
waren. Die Ehre einer solchen Stellung wurde entweder dem
Sanskrit, dem man ja die Entdeckung des indog. Sprachstammes
zumeist verdankte, oder aber der Zendsprache zuerteilt, die in
dem Rufe einer um so grösseren Heiligkeit und Ursprünglichkeit
stand, je weniger sie den Forschem im Anfang unseres Jahr-
hunderts bekannt war.
Die Herleitung des indog. Stammes aus Indien vertritt
F. V. Schlegel in seinem epochemachenden Werke Sprache und
Weisheit der Inder 1808 (vgl. B. III, K. III, 173 f.). Er erklärt
sich den Zusammenhang der indog. Völker in Sprache, Mythologie
und Religion historisch durch Kolonien entstanden, die vor grauen
Zeiten aus dem völkerreichen Indien nach Asien und Europa
geführt, daselbst mit den Ureinwohnera des Landes verschmolzen
wären und ihnen Sprache und Sitte aufgedrückt hätten. Zu-
weilea, ineint Selilegel, mocliteii aucli eiuzelne, besonders Priester,
als Missinuäre in die Fremde zielieii iiud die Sprache ihrer
Heimat verbreiten. Die grössere Uraprftngliclikcit der Zeiid-
Sprache selbst dem Sauskrit gegenüber Iteliauptet dagegen
H. K, Link in seinem ebeufalls für jene Zeit sehr Bchäl/.baren
Ituche Die Urwelt und das Altertum, erläutert durch die Natur-
kunde 2 Teile Berlin IH2I und 22. Da aber nacb seiner Meinung
„die nralte Zendsprache", die Mutter des Sanskrit, aus dem
Griechisch, Lateinisch und Slaviscb hervorgegangen sind — Deutsch
ist ihm noch die Tochter des Peitschen, das wiederum aus einer
«igentUmlicIien Mischung zendspraolilieher und barbarischer (d. h.
germautscher) Bestandteile hervorgegangen ist — in Medien und
in den angrenzenden Ländern gesprochen vrard, so zweifelt er
nicht, dass auf dem Hochland von Medien, Armenien und Georgien
die Ureitze der Indogermaneti zu suchen seien, eine Ansicht, die
im Anfang unseres Jahrhunderts überhaupt bei den namhaftesten
Forechern wie Anquetil-Dupemm, Herder, Heeren u. a.
die berrflcliende war. Hierher sei, wie dies ebenso Adelungs
Meiunng (vgl. Mithrid. 1, 5) war, auch die Heimat der Hanstiere
und Kulturpflanzen, wie Itberhaupt „der besseren Ausbildung des
MeiiacbengescIilGcliteB, welche auf uns Hbergiug", zu verlern
(vgl. p. 243).
Dicee bypotbeiischen Anuahnien einer tudog. Crheimat ver-
lorcu indessen den Boden unter den Fttssen, sobald die Über-
zeugung durchdrang, dass Htimtliche indogermanisehe Sprachen,
nko auch das Sanskrit und Zend, zu etnauder in dem gleich-
berccbtigten Verhältnis von Schwestern stunden. Kur Indien
ward noch von einigen eine Zeit lang, zuletzt vou A, Curztin
<Oti the original extenaion of the tynnukrit language over certain
portionn of Asia and Europe, Journal of the Rotfol Atiatic
Society XVI, 172 f.) 1^56 als Ausgangspunkt der Irdogermauen
festgehalten [vgl. J. Mnir Original Sanskrit Tej-ts II *, 301 f.).
Der erste, der für die Lage der indog. Urheimat Anhalte-
pnnkte zu gewinnen suchte, ohne in der falschen Vorstellung
befangen zu sein, dass eines der indog. Vülker als das Urvolk
der Qbrigen anzusehen sei, war J.G.Rhode in seinem Buche
Die heilige Sage des Zendvolkes Frankfurt 1820 (vgl. F. Spiegel
im Ausland 1871 p. 55 f.). Kr war es zugleich, der zuerst auf
ilenjeuigen Teil des inneren Hoehasiens hinwies, der von einigen
— 10 —
Gelehrten noch beute als die Urheimat der Indogermanen an-
gesehen wird.
Rhode geht von dem Versache aus, den geographischen Aus-
gangspunkt des Zendvolkes, unter dem er Baktrer, Meder und
Perser zusammenfasst, zu bestimmen und knüpft zu diesem Zweck
an den berühmten ersten Fargard des Vendidäd an, in dem
bekanntlich sechzehn Landschaften als Schöpfungen des Ahura-
mazda und ebensoviel Plagen als Oppositionen des Angramainyu
gegen dieselben aufgeführt werden. In der Aufzählung dieser
Landschaften erblickt nun Rhode die Spuren der allmählichen
Ausbreitung des Zendvolkes, als dessen Ausgangspunkt er das
an jener Stelle zuerst genannte Airyana Vaijanh betrachtet. Da
nun auf dieses Airyana Vaejanh an zweiter Stelle Sugdha
folgt, das ohne Zweifel das griechische Hoydiavi^ (altp. Suguda,
heute Samarkand) ist, so „müssen Eeriene {sie) und Sogdiana
unmittelbar an einander grenzen, und das Volk musste unmittel-
bar aus dem ersteren in das zweite wandern können. Eeriene
V4edjo {sie) ist daher nirgends zu suchen, als auf der allgemeinen
Höhe von Asien, woher, soweit die Geschichte reicht, immer
Völkerwanderungen geschahen: auf den hohen und kalten Berg-
flächen und an den mit ewigem Schnee bedeckten Gipfeln der
Gebirge an den Quellen des Jaxartes und Oxus" (p. 86).
Da nun nach sprachlichem Ausweis Zend und Sanskrit sich zu
einander verhalten „wie zwei Schwestern, die von einer Mutter
abstammen", so müssen einstmals auch die Brahmanen von den
hohen Flächen oder Gebirgsabhängen des mittleren Asiens an
die Ufer des Ganges und Indus herabgezogen sein (p. 96). Ja,
auch den Grund der plötzlichen Auswanderung des ürvolks aus
der ursprünglichen Heimat glaubte Rhode in den Schriften des
Avesta wiederzufinden. Eine rasche Erkältung der frühereu
wärmereu Temperatur Hochasiens (vgl. Vend. Farg. I v. 3 u. 4)
nötigte es, sein kaltes Bergland zu verlassen und in die wärmeren
Gegenden von Sogdiana, Baktrien, Pei-sis u. s. w. zu ziehen.
In ähnlichem Sinne wie Rhode und zwar gleichzeitig mit
ihm sprach sich auch A. W. von Schlegel in einer lateinisch
geschriebenen Vorrede zu einem grossen von ihm beabsichtigten,
aber nicht herausgegebenen Werke Etymologicum novum sive
Synopsis linguarum (vgl. Indische Bibliothek I, 274 f.) aus.
Quid igitur? heisst es daselbst p. 291, num origines linguartim
- 11 -
Pelasgicarum et Germanicarum ah Indo et Gange repetere
moUmurf Minime quidem. Nullara harum ab altera derivatam
dici pesse cens^o, sed omnes deductis in contraria rivulis ab
eodem fönte fluxisse, und weiter p. 293 : Neque tarnen Ger-
manos indigenas cum Tacito crediderim, sed olim in Asia
interiore, unde et Pelasgl sunt profecti, vicinas his sedea
incoluisse. Des genaueren entscheidet sich A. W. von Schlegel
für das Gebiet zwischen dem kaspischen Meer and den zentral-
asiatischen Hochgebirgen in einem späteren Aufsatz De Vorigine
des Hindous (vgl. Transactions of the Royal Society of Literature
London 1834 u. Essais Littiraires et Historiques Bonn 1842).
Auch einer Bemerkung des verdienten Julius v. Klaproth
sei hier gedacht, insofern sie der erste Versuch ist, mit Hilfe der
Sprachvergleichung und Pflanzengeographie etwas über die Ur-
heimat der Indogermanen zu ermitteln. Schon im Jahre 1830
(vgl, Nouveau Journal Asiat, V, 112) zog dieser Gelehrte aus
dem umstand, dass der Name der Birke der einzige indische
Baumname sei, der eich in anderen indog. Sprachen wiederfinde
(skrt. bhürja = russ. beräza etc.), den Schluss, dass die sanskritische
Bevölkerung Indiens von Norden her gekommen sein müsse.
„Diese Völker fanden in ihrem neuen Vaterland die Bäume nicht
vor, die sie im alten gekannt hatten, mit Ausnahme der Birke^
die an den südliehen Abhängen des Himälaya wächst.^'
Über die geographisch-ethnographische Verbreitung der indog.
Völker äusserte sich ferner F. A. P o 1 1 sowohl in den Vorreden
seiner Etymologischen Forschungen (1833 u. 36), als auch in
seiner späteren Abhandlung Indogermanischer Sprachstamm (AUg.
Enzyklop. v. Ersch u. Gruber 1840 II, 1 — 112). In Asien, darüber
kann auch nach Potts Meinung kein Zweifel sein (Enzykl. p. 19),
hat die Wiege des indog. Stammes gestanden. Denn y^ex Oriente
lux, und der Gang der Kultur ist im grossen stets dem Laufe
der Sonne gefolgt. An Asias Brüsten haben einst die Völker
Europas gelegen und sie, die Mutter, als Kinder umspielt; dafür
brauchen wir uns jetzt nicht mehr bloss auf dunkle, fast ver-
klnngene Erinnerungen, wir können uns auf den faktischen, in
europäischen und asiatischen Sprachen geschichtlich vorliegenden
Beweis berufen. Dort oder nirgends ist der Spielplatz, dort das
Gymnasium der ersten leiblichen und geistigen Kräfte der Mensch-
heit zu suchen" (Etym. Forsch. I p. XXI). In Asien entscheidet
- 12 -
auch er sich für das Gebiet des Oxus und Jaxartes an den Nord-
abfällen des Himälaya zum kaspischen Meere bin. Hier lasse
sich am siebersten der Scbeidepunkt denken, von wo ab ^sich in
divergenter Richtung die beiden Hauptströmungen der indog.
Völker fortbewegt zu haben scheinen" (Enzykl. p. 19).
Während Pott somit von denselben allgemeinen Gesichts-
punkten aus, wie sie schon Adelung ausgesprochen hatte, die
zentralasiatische Abstammung der Indogermanen behauptete, suchte
Ch. Lassen in seiner Indischen Altertumskunde 1847 1, 511 — 31
die Rhodesche Beweisführung durch neue Kombinationen zu
stützen. Schon die Verteilung Indiens unter die verschiedenartigen
Völker, die dasselbe bewohnen, spreche dafür, dass die. Ein-
wanderung der auch durch ihre Komplexion von den Ureinwohnern
unterschiedenen „Arier" von Nordwesten her stattgefunden habe^).
Hierher aber könne aus dem Oxuslande der Weg nur durch die
westliehen Pässe des Hindukusch, durch Kabulistan nach dem
Penjäb geführt haben. Dass ferner das AiryanaVaejafih des
Avesta wirklich da liege, wo es Rhode suchte, im Norden von
Sogdiana, auf dem kalten Hochland an dem Westgehänge des
Belurtag und Mustag, und dass hier das Urland nicht nur der
Iranier, sondern des ganzen indog. Stammes (vgl. Altertumsk. I,
527) zu suchen sei, findet Lassen weiterhin bestätigt durch den
Umstand, dass die Persisch redenden Tadschiks, die alten an-
sässigen Einwohner Khasgars, Jarkands, Khotens, Aksus u. s. w.
zu beiden Seiten jenes hohen Gebirges sich finden und von da
sich in das innere Hochasien verbreiten, Völker, auf die als zu der
persischen Abteilung des indog. Stammes gehörig schon Klaproth
1) Einen neuen Beweis für die Herkunft der Inder aus dem
Transhimftlaya-Land, den sich später auch Lassen (vgl. Indische Alter-
tumskunde n 638) und andere aneigneten, glaubte im Jahre 1850
A. Weber (Indische Stud. I, 161 f.) zu bringen. Dieser wies nämlich
zuerst auf die uralte Flutsage des Qatapathahrdhmana 1, 8, l, 1 hin, in
der erzählt wird, wie ein Fisch dem Manu rät, sich ein Schiff zu bauen,
weil die Flut kommen würde. „Als die Flut sich erhob, bestieg er
<Manu) das Schiff. Der Fisch schwamm zu ihm heran, an dessen Hörn
band er das Tau des Schiffes, damit setzte er über diesen nörd-
lichen Berg^ (Himaiaya). Von dort steigt Manu dann, Nachkommen
erschaffend, nach Indien herab. Vgl. dagegen Zimmer Altindisches
Leben 1879 p. 101.
18
in Beiner Asia poli/ghlta * p. 243 «ntt K, Ritter, durch den
H^'pntfaese von dem reiitrniastaliscbcii Ui-9|irnng der ludo-
Uen in die ^engraphiKche Wissens cliaft eing^ef Uhrt
ist (Tgl. Erdkunde II, 435 f.). RUsftihrlicb hingewiesen
hatten. Dazc kam, das» man auch In mehreren ans chinesiBCben
Quellen zuerst von Abel Renipsat nachgewiesenen Stttranien, die
nm daa i, Jahrh. v. Chr. in feindliche Berllhrung mit den nord-
iranischen Reichen von Osten her treten, in den Yuefi, Yaetsthi,
Yeta. den Szu, Se, Sai, besonders aber in den ah blanäugig
und blondhaarig gescbilderten Usun (vgl. Rilter Erdkunde II n.
VII bei den im Register nnter Umn nnd Ytieti angegeb. Stellen)
die letzten Ansströraangen der zentralasiatischen Iiidogermanen
erblicken wollte, ja dass man sich, wie e» KInproth nnd Ritter
taten, nicht scbeute, die Namen der Ycta mit den Geten, die
Se mit den Sairen, die i'sun mit den Sühnen, ihren Fllrstea
Kuenmi mit dem germ. Kunig (Erdkunde II, 432) u. 8. w. zu
verg'leichen. In den Südwesten des im weitesten Sinne genommenen
Iran war nun aber nach Lassens Meinung auch die Urheimat des
zweiten grossen Spracbstammes der „kaukasischen" Rasse, de»
8 e m i t i B e h e n, zu verleben. Denn hierher führe die hebräisclie
Sage von Eden, und was der fielurtag für die Arier, sei der
Araral Itlr die Semiten gewesen. Ein gemeineames Stamndand,
eine vorgosebiehtlicbe Berllhrung der Semiten und Indogermanen
werde aber dnrch den „Ober die grammatische Bildnng" hinans
gebenden Zusammenhang ihrer Sprachen bezeugt.
So schien denn in der Tat alles die Meinung zu hestütigen,
das« in Asien die Worzeln der indog. Volker und Sprachen
bafteten, und .I.Grimm hatte Recht, in seiner Geschichle der
deutschen Sprache (1848) zu behaupten, Anm diese Ansicht nur
noch wenige Gegner zähle. „.\lle Völker Europas", heisst es
\\. 162 f., „sind in ferner Zeit ans Asien eingewandert, vom Osten
nach dem Westen setzte sich ein unhcmmbarer Trieb, dessen
Dmche uns verborgen liegt, in Bewegung. Je weiter gegen
Abend wir ein Volk gedrungen finden, desto früher hat es seinen
Anslanf begonnen, desto tiefere Spuren kann es unterwegs hinter-
lasacu haben." Der geringe und schlecht begründete Widerspruch
ge^n diese von den ersten Antoritäten vertretene Meinung (vgl.
bei Th. Poesche Die Arier 1878 p. tiü) verhallte bald gänzlicb.
Nar bei den Naturforschern erhielten sieb, wie wir spÄter sehen
- u -
werden, ernstere Zweifel an der von den Historikern und Philo-
logen einstimmig angenommenen Lehre.
Wenn so gleich das erste Auftreten der vergleichenden Sprach-
wissenschaft die wichtigsten historischen und ethnographischen
Fragen anregte, die nun schon zu einem definitiven Abschluss
gekommen zu sein schienen, sollte das weitere Aufblühen jener
Wissenschaft noch für einen anderen, der Aufklärung dringend
bedürftigen Zweig des menschlichen Wissens, für die prä-
historische Kulturgeschichte bedeutungsvoll werden.
Schon im Jahre 1820 hatte auf einem der neuen ver-
gleichenden Methode ziemlich entfernt liegenden Gebiete, dem der
malayisch-polynesischen Sprachen, J. Crawfurd in seinem um-
fangreichen Werke History of the Indian Archipelago einer all-
gemeinen Besprechung der polyuesischen Sprachen ziemlich aus-
gedehnte Vokabularien hinzugefügt, in denen er die Verwandtschaft
der wichtigsten Kulturwörter auf dem genannten Sprachgebiet zu
verfolgen strebt. Ja, auf Grund seiner linguistischen Beobachtungen
hatte er sogar schon ein detailliertes Bild der ältesten Zivilisation
dieser Völker entworfen.
Auch auf indogermanischem Boden fehlte es nicht an ähn-
lichen Versuchen*). Den Anfang zu einer kulturhistorischen An-
ordnung indog. Gleichungen hatte schon der gelehrte und scharf-
sinnige K. K. Rask in einer Kopenhagen 1818 erschienenen
Vreisschrift gemsLcht {Undersögelse om des gamle Nordiske eller
Islandske Sprogs OprindeUe^ ins Deutsche übersetzt von J. S. Vater
in den Vergleichungstafeln der Europäischen Stamm-Sprachen etc.
Halle 1822, vgl. das. p. 109—132), welche allerdings nur Etymo-
logien des europäischen Sprachgebietes enthält, die sich aber
durch eine verhältnismässig grosse Korrektheit auszeichnen^).
1) Der erste Ansatz eines solchen findet sich merkwürdiger Weise
auf dem Gebiet der im übrigen spät näher bekannt gewordenen kel-
tischen Sprachen. Hier hatte schon im Jahre 1707 Eduard Lhuyd in
seiner Archaeologia Britannica einen gemeinsamen Wortschatz der
keltischen Sprachen zusammengestellt. In diesem für seine Zeit höchst
beachtenswerten Buch ist p. 290 auch ein appendix voces aliquot quo-
tidiani et maxime antiqui usus plerisque Europae Unguis complectenSy
gegeben, der meistenteils kulturhistorisch wichtige Wörter behandelt.
Dasselbe Buch enthält Tit. VIII a British Eiymologicon or the Welsh
collated with the Greek and Latin and some other European languages
(hy David Parry) u. a.
2) Derartige vergleichende Wörterverzeichnisse waren übrigens
- 15 -
Linguistisch-kulturhistorischen Charakter tragen auch zwei
kleine Aufsätze A. W. v. Schlegels Über Tiernamen und Namen
der Metalle (Indische Bibliothek I, 238 — 245), in denen zuerst
wichtige Kapitel der Kulturgeschichte mit Hilfe der Sprachwissen-
schaft aufgehellt werden sollen. In beiden Aufsätzen erörtert
Schlegel die Übertragung gewisser Tier- und Metallnamen auf
andere Tier- und Metallarten, wie das Verhältnis von griech.
iXicpag: got, ulbandus ^Kamel*', ein Wort, das er ^für eine
uralte asiatische Erinnerung^ hält, von got. vulfs : lat. vulpes, von
skrt. äyas, germ. eisen: lat. aes ^Kupfer" etc. Eine allgemeine
Zusammenstellung der Tiernamen wollte Schlegel in Beinev Synopsis
ünguarum (vgl. oben) geben.
Nicht weniger machte H. F. Link in seinem oben genannten
Werk, in den Abschnitten über die Verbreitung des Menschen,
die Sprache als Kennzeichen der Verbreitung, die Heimat ge-
zähmter Tiere und gebauter Pflanzen, das Auffinden der Metalle etc.
häufig von linguistischen Argumenten Gebrauch.
Einen weiteren Schritt vorwärts tat F. G. Eich hoff in
seinem Werke ParalUle des langues de VEurope et de VInde 1836
(ins Deutsche übersetzt von Kaltschmidt 2. Ausg. Leipzig 1845;
vgl. A. Höfer Berliner Jahrb. f. wiss. Krit. Dez. 1836 Nr. 104—110
und F. Pott Hallische Jahrb. f. deutsche Wissenschaft u. Kunst
1838 Nr. 310—12). „Philologie und Geschichte", heisst es in
der VoiTcde, „gehen Hand in Hand und die eine leiht ihren
Beistand der anderen; denn das Leben der Völker offenbart sich
in ihrer Sprache, dem treuen Spiegel ihres Wechsels, und wenn
die nationale Zeitrechnung stehen bleibt, wenn der Faden der
Überlieferung reisst, dann beginnt der alte Stammbaum der
Wörter, welcher den Fall der Reiche überlebt, ihre Wiege zu
beleuchten." In diesem Sinne bringt er, wie dies vorher schon
Rask getan hatte, seine Wörtervergleichungen unter kultur-
historische Rubriken, deren er acht (Mond und Elemente, Tiere
und Pflanzen, Körper und Glieder, Familie und Gesellschaft,
Stadt und Wohnungen, Künste und Geräte, Handlungen und
Wirkungen, Eigenschaften und Attribute) unterscheidet. So denkt
er nachzuweisen, wie „von den ufern des Ganges, ihrem alten
schon um 1801 von H. Th. Colebrooke, dem Begründer der indischen
Philologie, angelegt, wenn auch nicht herausgegeben worden, vgl.
M. Mfiller Essays IV, 466 f.
— 16 —
und geheimnisvollen Vaterland, diese so zähe und reiche Kultur
unter tausend verschiedenen Abstufungen, aber an immer gleichen
Stämmen und mit regelmässigen Verzweigungen sich fortgepflanzt
hat über den unermesslichen Raum, welchen sie jetzt bedeckt und
dessen Grenzen sie täglich hinausschiebt^ (p. 145).
Allein so anerkennenswert auch die Grundideen der Eich-
hoffschen Zusammenstellungen sind, so sind doch diese Zusammen*
Stellungen selbst fast gänzlich wertlos, da sie ausschliesslich auf
einer äusseren Ähnlichkeit der verglichenen Wörter beruhen und
nur selten und dann zufällig das Richtige treffen. Auch die
übergrosse Schätzung der Altertümlichkeit des Sanskrit, die
ihn dazu verleitet, die Heimat des Urvolkes nach Indien zu ver-
legen, trägt dazu bei, dem ganzen Werke eine falsche Richtung
zu geben.
Eine wahrhaft wissenschaftliche Etymologie, dasheisst
eine Vergleichung der Wörter auf Grund fester, aus der Be-
obachtung der Sprachlaute gewonnener Lautgesetze, ist erst durch
die auf Eichhoff sichtlich noch ohne Einfluss gebliebenen Etymo-
logischen Forschungen F. A. Potts (1833 u. 1836), denen sich
in den Jahren 1839—42 Th. Benfeys Griechisches Wurzel-
lexikon anschloss, begründet worden. Zum ersten Mal ward jetzt
ein verhältnismässig sicheres Sprachmaterial dem Kulturforscher
an die Hand gegeben.
Einen festeren Boden hatte daher A. Kuhn unter den
Füssen, als er im Jahre 1845 in einem epochemachenden Auf-
satz Zur ältesten Geschichte der indogermanischen Völker (Oster-
programm des Berliner Real-Gymnasiums) aufs neue die Sprach-
vergleichung auf die Erschliessung der indogermanischen Urzeit
anzuwenden versuchte. Die Frage, von der Kuhn in seiner
Abhandlung, die ^nichts als ein Versuch sein wilP, ausgeht,
lautet, „ob es nicht mittelst ebenderselben Sprachvergleichung
möglich sei, von jenem Resultate der Verwandtschaft all' dieser
grossen Völker zu einem weiteren zu gelangen, nämlich zu einer
Feststellung der Grundzüge, welche den Zustand jenes
Urvolkes zur Zeit, da es noch vereinigt war, gebildet
haben*" (p. 2). Der Gedanke einer linguistischen Paläontologie
ist hiermit deutlich ausgesprochen.
Kuhn gibt zunächst eine Zusammenstellung der in den indog.
Sprachen bis in die ziemlich entfernten Grade z. B. eines Schwagers
- 17 -
und Schwiegervaters übereinstimmenden Verwandtschaftswörter,
nni so die Ausbildung eines geordneten Familienlebens, des
Keimes und der Grundlage des Staates, für die Urzeit zu er-
weisen. Denn bis zu der über patriarchalische Zustände hinaus-
gehenden Entwicklung staatlicher Gemeinschaft war nach Kuhn
das Urvolk bereits vorgeschritten, als es seine ursprüngliche Heimat
verliess (p. 7). Dafür sprechen ihm Gleichungen wie skrt. räjany
lat. reo?, got. reik8\ skrt. pdti, griech. nöoig, got. -fatha (skrt.
tiqpäti = lit. wiiszpats) u. a. m. Weiterhin findet er das Hirten-
leben der ältesten Indogermanen durch die übereinstimmende
Benennung der meisten Haustiere reichlich bewiesen. So kommt
er zu dem Resultate, „dass der Reichtum unserer Urväter an
Vieh und Geflügel im ganzen aus denselben Bestandteilen gebildet
war, wie heute" (p. 12). Nur die Zähmung der Katze, in deren
Benennungen keine auf Urverwandtschaft beruhende Überein-
stimmung bemerkbar ist, spricht er der Urwelt ab; dagegen hält
er die Bekanntschaft mit Hahn und Huhn, obgleich sie fast bei
allen indog. Völkern verschieden benannt sind, wegen der grossen
Heiligkeit des Tieres bei Indern, Römern und Deutschen für
möglich (p. 10). Aber die Indogermanen waren nach Kuhn nicht
nur Hirten, sie waren auch bereits zum Ackerbau übergegangen.
Allerdings könne die Sprachvergleichung die Bekanntschaft der
indog. Völker vor ihrer Trennung mit den Begriffen Pflug und
Ackerbau nur wahrscheinlich machen, da die in den europäischen
Sprachen zur Bezeichnung des Pflügens verwendete Wurzel ar
(griech. &q6o), lat. arare etc.) in diesem Sinne nur hypothetisch
im Sanskrit, nach Kuhn z. B. in drya „Pflüger" (?), sich nach-
weisen lasse (p. 12), und das europäische Wort für „Pflug" griech.
nooTQovy lat. aratrum etc., das Kuhn direkt dem skrt. aritra
gleichsetzt, hier noch „Ruder" bedeute. Andererseits aber stelle
die Sprache entschieden fest, „dass das Getreide und die Be-
nutzung desselben als Brotfrucht bereits bekannt gewesen sein
müsse, ehe die verschiedenen Völker sich trennten" (p. 14). Der
allgemeine Name für Getreide sei in der Urzeit yava (skrt. ydva,
griech. l^ed, WLjawai) gewesen. Bezüglich der einzelnen Getreide-
arten findet Kuhn, dass in allen verglichenen Sprachen Ausdrücke
für verschiedene Getreidearten übereinstimmen, und dass sonach
das Getreide bereits dem Urvolke bekannt gewesen sein müsse,
„dagegen lässt sich nichts darüber entscheiden, ob die später
Schrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte. 3. Aufl. 2
— 18 -
damit bezeichneten Arten darunter zu verstehen seien; Gerste
und Weizen haben, wie es scheint, den Anspruch auf das höchste
Alter, und zumal die erste möchte, da sie vorzugsweise bei
Griechen, Römern und Indern zu Opfergebräuchen verwandt
wird, den Vorrang in Anspruch nehmen" (p. 16). Wenn so durch
die Ausübung des Ackerbaues feste Niederlassungen des ürvolks
von vornherein wahrscheinlich gemacht würden, so, meint Kuhn,
würden dieselben durch eine reichliche Menge gemeinschaftlicher
Wörter für Haus und Hof, Wohnung, Dorf, Stadt etc. noch aus-
drücklich bewiesen. „Die Ahnen der indog. Völker waren also
bereits ein sesshaftes Volk" (p. 18).
Somit war zum ersten Male der Versuch gemacht, ein
Kulturgemälde der indog. Vorzeit auf sprachvergleichender Basis
zu entwerfen; doch scheint die Kuhnsche Abhandlung erst dann
für weitere Kreise fruchtbringend geworden zu sein, als der Ver-
fasser im Jahre 1850 sie in dem ersten Bande der von A. Weber
herausgegebenen Indischen Studien (p. 321— 363) durch reich- *
liehe Zusätze, besonders aus dem Gebiete der keltischen und
slavischen Sprachen, erweitert noch einmal erscheinen Hess. War
doch inzwischen das Interesse an der Vereinigung sprachlicher
und historischer Forschung durch den Altmeister der historischen
Sprachwissenschaft, durch Jakob Grimm aufs mächtigste ge-
fördert worden, der sein 1848 erschienenes Werk Geschichte der
deutschen Sprache von einem Standpunkt aus schrieb, den er
selbst (Vorrede p. XIII) so charakterisiert: „Sprachforschung, der
ich anhänge, und von der ich ausgehe, hat mich doch nie in
der Weise befriedigen können, dass ich nicht immer gern von
den Wörtern zu den Sachen gelangt wäre; ich wollte nicht bloss
Häuser bauen, sondern auch darin wohnen. Mir kam es ver-
suchenswert vor, ob nicht der Geschichte unseres Volks
das Bett von der Sprache her stärker aufgeschüttelt
werden könnte, und wie bei Etymologien manchmal Laien-
kenntnis fruchtet, umgekehrt auch die Geschichte aus dem un-
schuldigeren Standpunkt der Sprache Gewinn entnehmen sollte.**
Für uns kommen zumeist die sieben ersten Abschnitte des
Grimmschen Werkes in Betracht : Zeitalter und Sprachen, Hirten
und Ackerbauer, das Vieh, die Falkenjagd, Ackerbau, Feste und
Monate, Glaube, Recht, Sitte, durch die „aus dem unermessnen
Vorrat des Altertums mannigfalte Züge allem, was folgen soll.
rglcicliaam als Vordeigriiud iinlcrbreitct wird" (p. 161). Denn
ei! kommt Orium nicht eigentlich darauf an. ein klares uud
präzises Bild der indog. Uraeit zu geben, wie es Kuhn versucht
halle; er will vor allem (tic gemeinsanien Punkte znsauimengtelleo,
Ldorcli welche die europäiBchen Völker uud Sprachen unter
•'«inniider und mit Asien verbunden werden. Die bewnnderungs-
Werte FllUe seincB historiBchen und sprachlichen Wissens soll
libm die Vorgeschichte des Germanentums entrollen, und um ihre
Phase» zn erkennen, verfolgt er die Spuren der Verwandtschaft
liDit gleichem Interesse, niOgen sie ihn nun in die Nähe oder Ferne
I fuhren. Dabei aber drängen sieh ihm Fragen Über die engere
»der weitere Verwandisohaft der indog. Sprachen unter einander
lof, die für den weiteren Verlauf der linguistisch-hisIoriseheB
Stadien von Bedeutung werden mussteu. Er selbst urteilt hier-
über p. 1030, wie folgt: „Unsere deutsche Sprache schliesst sich
r demnach, und das ist aller meiner Forschungen Ergebnis, leiblich
rtunächst an die slaviscbe und litauische, in etwas fernerem
lAbstand an die grieehisehe und lateinische an, doch so, dass sie
Imii jeder derselben in cin>:elncn Trieben zusammenhängt." Zu
I einer »charfen Scheidmig bestimmter Kullurperioden, wie sie später
1 versucht weiden, sehreitet das Werk noi;h nicht vor, im Gogen-
■leil ist es oft sehr scliwierig, die bistorisohen SehlUese Grimms
laus den partiellen Übereinstimmungen der Sprachen za er-
I kennen.
Im allgemeinen ist Grimm der Ansicht, dass die ans Asien
Inach Europa einziehenden Indogermanen — ihrer Einwanderung
list Kap. VIII gewidmet — noch Hirten und Krieger gewesen
lacien. „Jenes nnaufbaltsami.- Einrflfken der Völker aus Asien
Iw Europa", heisst es p. 15. „setzt kUlme, kampflustige .^charen
1 loraus, die sich zuweilen Ruhe und Rast gOnnten, im Drange
idcr Fortbewegung von ihrer Herde, Jagd und Beute lebten.
[ Bevor sie sich friedlichem Ackerbau ergaben, mtlssen sie Jäger,
Binen und Krieger gewesen sein. . . . Die ausziehenden Hirten
hallen noch manches gemein, wofür die späteren Ackerbauer
schon besondere Wörter wählen mussten" (p. 69). „Dennoch
I bleiben", fügt er unter dem Einfluss der Knhnschen Arbeit hinzu,
fffdra, jaical, Cf»; l'd'ka (skrt. „Wolf", vgl. r;'fr« „Wolf und
[i*flog"i, hdka IgoU „Pflug"), fiHoho (Vgl. Kuhn a. a. 0. p. 13—15)
(»ichlige Ausnahmen, so wie, wenn die wunderbare Analogie allen
- 20 —
Zweifel besiegen kann, aritraj aratrum^ ägotgov] plavd (skrt^
„Fahrzeug"), nioiov, pliügas (lit. „Pflug").**
So ward durch die Arbeiten Kuhns und Grimms die erste
Grundlage einer methodischen Erforschung des indog. Altertums-
an der Hand der Sprachvergleichung geschaffen. Wenn, sagte
man sich, ein Wort in gleicher Form und gleicher Bedeutung^
(beides cum grano salis verstanden) in allen oder mehreren<
Sprachen des indog. Stammes wiederkehrt, so muss dieses Wort
schon in der indog. Ursprache gegolten und mithin der von ihm>
bezeichnete Begriff schon in der Urzeit existiert haben. Weil
skrt. gvdn dem griech. xvcov, lat. canis u. s. w. entspricht, müssen,
so schloss man, die Indogermanen schon vor ihrer Trennung den*
Hund als Haustier besessen, und weil skrt. pur „Stadt"
sieh dem griech. jzökig vergleicht, müssen sie schon in Städtei^
zur Zeit ihres ungetrennten Beisammenseins gewohnt haben (vgL
Kuhn a. a. 0. p. 9 u. 17).
Aber während Kuhn auf die Erschliessung der indog. Urzeit
selbst sein Hauptaugenmerk richtet, geht Grimm von dem spezi-
elleren Standpunkt des Germanischen aus und verfolgt die Züge
der Verwandtschaft dieses Sprachzweiges, auch wenn sie ih»
über das Gebiet der europäischen Sprachen nicht hinausführen.
So kommt er dazu, zwischen den historisch beglaubigten Epochen
der Einzelvölker und der Zeit des ungetrennten Beisammenseina
aller Indogermanen, wenn auch noch nicht scharf geschiedene,
kulturhistorische Mittelstufen zu konstruieren. Dieser Gedanke
lag aber um so näher, als bereits die rein grammatikalische
Seite der Sprachvergleichung, auf sprachliche Argumente gestützt,
zu der Annahme gekommen war. dass die indog. Völker nicht
auf einen Schlag sich aus dem Schosse der Urheimat losgelöst
haben könnten.
Schon Bopp hatte in der ersten Auflage seiner Grammatik
die Ansicht ausgesprochen, dass in Asien das Indische und Medo-
persische, in Europa einerseits das Griechische und Lateinische,
andererseits das Litauische, Slavische und Germanische durch«
eine engere Verwandtschaft verknüpft seien. Grimms eigene An-
schauung über diesen Gegenstand haben wir bereits kennen ge-
lernt. Auch Kaspar Zeuss äussert sich schon 1837 in seinem*
ausgezeichneten Werke Die Deutschen und die Nachbarstämme
sehr entschieden für die näheren Beziehungen des Deutschen und
SlaWstrben und sucbt (lieselbeii durch eine Reibe spraeliHcher
Orllndc zu erharten (a. a. 0. p. 18—20).
Eine neue Hypothese, der sich 1863 auch Bopp (Über die
, Sprache der alten l'reuBseu, Abb. d. Berl. Ak, d. W.) anachloss,
r Blellte ISnO A. Kuhn in dem schon erwähnten Abdruck seines
] Anfsatzes Über die älteste Geschichte der indog. Völker p. 324
l«ur, indem er aus einer Reihe eiprachlicher und knlturhintorieeher
Gründe folgerte, „dass die slavischen Sprachen mit der iudischen
«der wahrscbeinlichi^r noch mit dem Zend und der persischen
lAngere Zeit in Vorbindung geblieben seien als mit den übrigen
I indogermanischen". DoL-h weicht Hopp insofeni von Kuhn ab,
I er die Absonderung der lettisch-sla vischen Idiome vor die
Spaltung des asiatischen tiprachzweigs in eine indische und
iranische Hälfte setzt.
Daneben liefen freilich die abentenerlichsten Vorstellungen
über die Gruppierung der indog Völker unter einander her.
Noch im Jahre 1853 konnte z. B. H. Leo (J. W. Wolfs Zeitschrift
f. deutsche Mythologie und Sitteukunde I, 51) behaupten, dnss
I die Germanen sich später als die Perser von tlen Indern getrennt
1 bxtteu, und zwar sei diese Trennung erst nach der Ansiedelung
[■der Inder in Indien selbst erfolgt usw. (vgl. A. Weber Z. d.
I D. M. G. VIII. 389).
Nachdem wir so die Anfänge der lingnistisch-historischen
I Forschnng im Zusauimenhaug bis hierher (etwa bis Kum Jahre
\ 1850) verfolgt haben, werden wir, gemäss den iu unserer Dar-
ItleUung selbst uns entgegen getretenen Richtungen derselben, gut
die Weitercntwickeinng dieser wissenschaftlichen Disziplin
I in gesonderten Abschnitten zu behandeln, und zwar werden wir,
" iu leicht versländlieher Anordnung, in
Kap. II. Über die Erschliessung der indogermanischen Kultur,
Kap. III. Über die Frage der indog. Völkertrennungen in
ihrer kulturhistorischen Bedeutung,
Kap. IV. Über die Forschungen nach der Dr h e j ni a t der indog. Völker
«preehen. — Arbeiten ausschliesslich mythologischen Inhalts
|, iind im allgemeinen von dieser geschichtlichen Betrachtung aus-
geschlossen worden, weil sie mit der eigentlichen „linguislisehen"
faUontoIogic nur lose zusammenhängen. Doch wird sich später
Gelegenheit bieten, auch der geschichtlichen Entwicklung der ver-
(leicbciiden Mythologie in KDrze gerecht zu werden.
II. Kapitel.
Die Erschliessung der indog, Kultur,
Dem Kuhlischen Gedanken, die Vorgeschichte der indog.
Völker mit Hilfe der Sprachvergleichung zu erschliessen, wurden
die Pforten der Geschichtsschreibung durch Th. Mommsens
Römische Geschichte (1854) geöffnet. Der Verfasser, dem Ge-
schichte nichts anderes als „Entwicklung der Civilisation'* be-
deutet, ergreift mit Eifer und Zuversicht die Möglichkeit, die
Anfänge des italischen Kulturlebens bis in eine gräcoitalische
oder indogermanische Urzeit zu verfolgen. In seinen materiellen
Aufstellungen stimmt Mommsen im ganzen mit seinen Vorgängern
ttberein. Die Entwicklung des Hirtenlebens in der Urzeit findet
er „durch die unabänderlich fixierten Namen der Tiere" (bos,
pecusy tauruSj ovisy equus, anser, anas I. Aufl. p. 13), den Ge-
brauch des Wagens durch iugum, axis^ die Bekanntschaft mit
den Metallen durch aes, argentuniy ensis, mit dem Salze durch
sali dem Hüttenbau durch domus, vicus usw. bewiesen. Da-
gegen unterscheidet er sich von Kuhn durch die Annahme, dass
die Halmfrucht von den Indogermanen noch nicht gebaut worden
sei. Dem Beweise dieser Behauptung sind in den späteren Auf-
lagen einige Bemerkungen gewidmet, aus denen hervorgeht, dass
Mommsen in der Gleichung griech. C£<^ = skrt. ydva „höchstens
einen Beweis dafür sieht, dass man vor der Scheidung der Stämme
die in Mesopotamien^) wildwachsenden Gersten- und Speltköraer
sammelte und ass, nicht aber dafür, dass man schon Getreide
baute" (VIL Aufl. p. 16, auch schon II, 16). Mommsen schliesst
1) Hier war nach Mommsen die älteste Heimat der Indogermanen,
vgl. III. Aufl. p. 31; auch noch VII, 30. Dieselbe Meinung hatte schon
früher Vanns Kennedy vertreten in seinen Researches into the origin
and affinity of the principal länguages of Asia and Europe 1828,
Ifleiiit' Eröiteniiig der Jmiog. ZiistäDile, imlem er der linguislistli-
BbUtoriscIieii Pnrsclinng eine gläuKonde Perspektive J.e\^t.
Znnäcbet gnlt es eioe reichliche und »nrgfültige Hammlung
iBpracblicli-kultQrhiBtorigehei) Materials.
Einen he(|Ueinen Pktz bierfftr bot die im Jabre 18r)l /.ueret
|er<ebeinende und von A, Kuhn Lerauegegfhene Zeitachrift fllr ver-
I gleichende Spracliforaeliung auf dem Gebiete des Deutschen,
Griechiscbcn und Lateiniscben. äebon der Name deB Ileraus-
rebeni liess die Weilerveifolgung der zuerst von ihm angebabnten
Ifio^iiitiseb-bistoriscfaen Richtung der Sprachvergleiehong erhoffen.
I-Adch irendete sich derselbe bereits im IV. Bande (I8ö5) in einer
(oudereu Abhandlnng Die Sprachvergleiehnrg und die Ur-
Igescbicbte der indog. Völker Art. I unBerem Gegenstand wieder
Diese Arbeit hat ein besonderes Interesse dnrch die metlin-
l^disclien Ueuierknngen. mit denen sie eingeleitet wird, und dureb
4ie offenbar das Bestreben hindurchkliugt, straffere Gesel/e als
l^bisher fUr die Feststellung historischer Tatsflchen aus spraeh-
l'KcbvD Argnnienten zu gewinnen. Zum ersten Male wird hier,
l'weun auch nur von ferne, auf die Schwierigkeiten auf-
laierksam geiuaclit, die, wie sich im Verlaufe unserer Darstellung
Ijiunier deutlicher heransstellen wird, der rein lingiiisliac-lien Ei^
■«chliessuug der Urzeit gegenüberstehen. VerliJlltnismässig einfach,
bs ist der Gedankengang des Verfassers, liegen die Verhältnisse,
Kvenn die Benennung eines Begriffes in allen indogermanischen
Sprachen oder wenigstens in denen, welche „uns in einer lungeren
»Selbe liternrisclier Denkniüler überliefert sind", nach Wurzel nnd
Suffix identitich ist; allein der Nachweis einer Ühereinsthiinmng
der Bildnngssilbeii oder die Feststellung einer bestimmten Suffix-
fomi för die Urzeit ist oft nur hypothetisch nißgliuh.
Auch geliürt der Fall, dass ein Wort dnrch alle oder nnr
Mnrcb die wichtigsten der verwandten Sprachen verbreitet ist,
aicUt zu den häufigsten. Das ist auf der einen Seite hegreiflich;
„auf ihren Zügen durch wilde Gebirgstäler, öde Steppen
and fruchtbares Land, im Verkehr mit anderen, barbarischen oder
Itivilisierteu Völkern verengerte und erweiterte sich der Gedankeii-
rcis je nach ihrem verschiedenen Charakter, ebenso wie sich manche
Bitle und Gewohnheit aus dem sich anders gestaltenden Lehen
Krlnr." So hat es nichts auffallendes, wenn Tier- nml Pfbinzen-
latneti »ich hei Ijrieclii'n, Römern und Deutschen getneiiisnni finden.
- 24 -
bei den Indern dagegen mangeln, denen in ihrer neuen Heimat
eine so eigenartige Natar entgegentrat. Andererseits aber lässt
sieh ans diesem Grunde das Vorhandensein eines bestimmten
Begriffs in der ür/eit oft nur bis zu einer gewissen Wahrschein-
lichkeit erheben. Auch die häufige Verschiedenheit lautlich
übereinstimmender Wörter in ihrer Bedeutung macht historische
Schlüsse unsicher. Als Beispiel dient griech. q)r}y6g „Eiche** =
lat. fagus „Buche", ahd. puohha. Bedeutete das Wort in der
Urzeit „Eiche" oder „Buche"? Das einzige, was sich an der
Hand der Etymologie ermitteln lässt, ist, „dass in der Urheimat
ein Baum mit essbaren Früchten ((pt]y6g : (paysTv) vorhanden war.**
Ja, zuweilen lässt die Etymologie den Forscher ganz im Stich,
wie bei skrt. dru „Holz, Zweig, Baum", got. triu „Baum",
griech. dgvg „Eiche", so dass nur das Resultat bleibt, dass „die
indogermanischen Stammeltern in einer Gegend wohnten, die
keine baumlose Steppe war".
Wenn so die Frage nach der Kultur der indog. Urzeit durch
A. Kuhn gewissermassen auf die Tagesordnung der Sprachver-
gleichung gesetzt war, und fast von Tag zu Tag neue Verwandt-
schaften und Beziehungen in dem Wortschatz der indog. Sprachen
sich nachweisen iiesHcn, so musste der Gedanke naheliegen, unter
Herbciziebung des ganzen einschlägigen Materials an die Ent-
werfung eines Gesamtbildes der indog. Zivilisation zu gehen.
Dieser Aufgabe unterzog sich in der ausführlichsten, eingehendsten,
leider aber auch in der unkritischsten Weise der Genfer Gelehrte
Adolphe Pictet, der schon in kleineren Abhandlungen (Ety-
mologische Forschungen über die älteste Arzneikunst bei den
Indogermanen K. Z. V, 24 — 29 und Die alten Krankheitsnamen
bei den Indogernmnen K. Z. V, 321—354 etc.) sein Interesse
an den linguistischhistoriselien Studien bewiesen hatte. Sein
Werk Les origines Indo-europiennes ou les Aryas primitifSy
essai de paUontologie linguintique (ein Ausdruck, der hier zum
ersten Male gebraucht wird) Paris 1859 — 63 (zweite Ausgabe
Paris 1877) sucht in zwei starken Bänden den gesamten Wort-
schatz der indog. Sprachen mit Rücksicht auf die Erschliessung
der indog. Urzeit zu prüfen. Es zerfällt in fünf Bücher, von
denen das erste geographische und ethnographische Erörterungen
enthält, das zweite die Naturgeschichte (Mineralien, Pflanzen,
Tiere) der indog. Vorzeit bespricht (Band I 1 859), das dritte die
9ß —
Baterielle Zivilisation der alten Arier, das vierte die sozialen
PTertiältuisAe. <Ir8 fünfte emilieb ilas geistige, moralische und
eligiOee Leben der Urzeit erörtert (Band II 1863i.
Schon diese Anordnung des Stoffes war verfehlt. Nachdem
der Verfasser nämlich einmal ans Gründen, die wir in unserem
Kap. IV näher kelenchten werden, für das alte Baktrieu als L'r-
^^— beiniat des indog. Stammes sich entschieden hatte, bildet diese
^^beographiscbe Annahme für ihn ftlrderhiD die Basis der weiteren
^^Rrschliesßung der Urxeit. Was ihm der Besehaffenheit ilieseH
^^BrdstrieheB in geographischer oder natnrhistorischer Hinsicht zu
^^Hpntspi'cchen scheint, wird unbedenklich in die Ur/eit binein-
^^netragen, selbst wenn die linguistischen Beweise, auf denen doeb
diese paUontoloijie Uni/uint/que beruht, v'Mlig fehlen sollten.
Selbstverständlich kann es meine Aufgabe niebt sein, das
umfangreiche Werk in seinen Einzelheiten zu besprechen. lob
werde mich vielmehr darauf beschranken, die Methode Pictels,
die sich an einem ausgewählten Beispiel besser als aus dem ihrer
Darstellung gewidmeten §2 d, 11—25) erkennen lassen wird,
1 Kfirae darzulegen, da sieb so die auf diesem Wege erzielten
esuhate des Verfassers 'vgl. das letzte Kapitel H^sumi gen^ral
i eoHclusiom) am besten beurteilen laseeu worden. Eine eolebe
Darlegnug des Pictetscbeu Verfahrens ist auch heute nicht Uber-
uig, da die Bedeutung des genannten Gelehrten auch jetzt
?ar nicht von dem Gramnintiker von Fach, wohl aber von
reiteren Kreisen (vgl. ■/,. B. Krek Einleitung in die slav.
Literatnrgesch. ' p. 52, 65 usw.) sehr überschätzt wird, und
'sein Werk, bei allen Mangeln, immerhin den Höhepunkt der rein
lingnistiscben Versuclie, die indog. Urzeit zu ei'schliessen, bildet.
■ Wie es der llauptgrundsatz der Plctctscben Forschung ist:
^^^i^artir toujourt du mut sanscrit, s'U tJ'isfe, aoit pour arriver
^^B^ la restittition du thäme primilif, goit pour en decouvrir
^^Ktitj/tHologie probable'^ (1, 23), so galt es, um die Bekanntschaft
der Indogermanen mit dem Ackerbau, von der l'ictet über-
sesgt ist, zn beweisen, vor allem die curupäiseben Namen der
Zerealieu im Sanskrit wiederzufinden. Alleiu während der beste
Kenner des Sanskrit in jener Zeit, Ch. Lassen, schon im Jahre
1947 tu der Ansicht gekommen war: „Ydca möchte als die
Biilteste von den arischen Völkern angebaute Koniart angeseben
rerden, weil dieser Name einer Koniart allein in den ver-
- 26 -
wandten Sprachen sich erhalten hat" (Ind. Altertumskunde I^
247), verspricht uns Pictet als Resultat seiner Vergleich ungen
(I, 258): ^dass die alten Arier bereits die meisten Kulturpflanzen
besessen hätten, welche noch heute die Basis unserer Agrikultur
bilden." Hierbei beruft er sich für Weizen und Gerste auf
folgende angeblich im Sanskrit und in den europäischen Sprachen
übereinstimmende Benennungen: I. Weizen 1) griech. acrog =
skrt. ftitagimbiJcay sitoQüka oder sitya p. 262, 2) got. hvaiteis =
skrt. gvetagunga p. 263, 3) irisch mann = skrt. sumana p. 264,
4) irisch arhha, lat. robus = skrt. arbha (!) p. 265, 5) nvgög =
skrt. püra p. 266, 6) yvlbb, psenica = skrt psäna p. 266. II. Gerste
1) griech. C^d = skrt. ydva p. 267, 2) lit, müüei = skrt. medhya
p. 268, 3) ahd. gersta = skrt. gras-tdj 4) griech. xgi&i^ = ^QH-dhä,
5) xooTT^ (Hesych) = skrt, gas-td, 6) lat. hordeum = skrt. hfdya^
7) cymr. haidd = skrt. sädhü p. 269 — 71.
Als völlig bedeutungslos für die Rekonstruktion der Urzeit
müssen von diesen Gleichungen, deren lautliche Schwierigkeiten
und Unmöglichkeiten ganz auf sich beruhen mögen, zunächst die-
jenigen Wörter ausgeschlossen werden, die im Indischen die Be-
deutung einer Getreideart nie gehabt haben, wie z. B. hfdya
{hordeum), das nichts anderes als „im Herzen befindlich, lieblich"
bedeutet, und mehrere andere. Ebenso müssig ist die Zurück-
führung alleinstehender Wörter auf Urformen, in deren Konstruktion
der Verfasser eine wunderbare Virtuosität besitzt. Vor allem
wird von der Form des Kompositums Gebranch gemacht. Wie
ihm xoi^ „die Reichtum spendende" = *grt-dhä ist, so riefen
die alten Arier „Was für eine Speise!" (quel aUmentl) y*ka-hhara^ j,
da benannten sie den Hafer (ahd. habaro); „was für eine Nahrung!"
(quelle nourriturel) ^^Tcarasa^y da entstand der Name der Hirse
(ahd. hirsi).
Und wenden wir uns zu denjenigen Sanskritwörtern unserer
Zusammenstellung, die wirklich als Bezeichnungen von Getreide-
arten in der indischen Literatur angeführt werden: sitagimbikay
sttya, gvetagunga, sumana, medhya, so tritt uns gerade hier am
deutlichsten derjenige Fehler der Pictetschen Methode entgegen,
der die Resultate derselben fast von der ersten bis letzten
Seite des Werkes in Frage stellt. Es ist dies die völlige ün-
berücksichtigung der historischen Entwicklung, die die Sans-
kritsprache, namentlich in der Bedeutungsentfaltung ihrer Wörter,
- 27 —
dnrcbgemacht h^it. „Ob ein Wort alt ist oder neu, ob seine
Existenz überhaupt gesichert und belegt ist, ob ferner die Be-
deutung eine ursprüngliche ist, oder ob sie sich auf irgend welchem,
sei es bildlichem, symbolischem oder gar mythologischem Wege,
erst im Laufe der drei Jahrtausende, welche die indische Literatur
nmfasst, gebildet hat, oder ob sie etwa gar bloss eine von den
Scholiasten zur Erklärung erfundene ist, das alles kümmert Herrn
Pictet nicht" (A. Weber). So kommen denn auch alle die «m-
geführten Benennungen des Weizens und der Gerste als solche
in der Sprache des Veda nicht vor und können auch in der
späteren Literatur nur in Wörterbüchern wie in dem des Hemacandra
(XIL Jahrh. n. Chr.), in dem Qäbdakalpadruma (erst im vorigen
Jahrhundert verfasst) und dem Amarakösha nachgewiesen werden.
Aber sollte selbst ein oder das andere Wort in der Bedeutung
einer Getreideart im Munde des Volkes wirklich gegolten haben,
80 liegt doch die sekundäre Entwicklung dieser Bedeutung (vgl.
z. B. me'dhya L a) saftig, kräftig, frisch, unversehrt; b) zum
Opfer geeignet, opferrein etc.; 2) neben anderen Bedeutungen
„Gerste" im Qahddkalpadruma) so klar vor Augen, dass an eine
Benutzung zu urzeitlichen Konstruktionen nicht zu denken ist.
Dass Pictet zu dieser Einsicht nie gekommen ist, erscheint um so
auffallender, als bis zum Jahre 1859 schon die beiden ersten
Teile des Böhtlingk-Rothschen Sanskritwörterbuchs und bis zum
Jahre 1863 auch der dritte Teil erschienen war, aus denen der
Verfasser, wenn auch nicht gerade über die von uns angezogenen
Namen der Zerealien, so doch über die Bedeutungsentwicklung
nnd den Quellenwert der Sanskritsprache überhaupt die reichste
Belehrung hätte gewinnen können. Wie wenig aber Pictet aus
diesem für die gesamte Sprachwissenschaft so überaus folgen-
reichen Werke Nutzen zu ziehen verstand, möge zum Scbluss die
Gleichung (I, 4):
irisch arbha^), arbhaSy lat. robus (?), skrt. arbha (!)
beweisen. Das letztgenannte sanskritische Wort setzt Pictet, an-
geblich nach Wilsons Wörterbuch, in der allgemeinen Bedeutung
1) Das irische Wort wird von Stokes {Irish glosses 1038) nebst
weUch erw ^acre^ dem lat. arvum zugesellt. Dasselbe ist übrigens
gut bezeugt, vgl. Windisch Irische Texte p. 372 arbar „Korn** und O'R.
8uppl. arbaim „com'*. Irisch mann „Weizen* habe ich dagegen nur
l>ei O^Reiily gefunden.
— 28 -
von „Gras'' an. Er bemerkt, dass diese im Petersburger Wörter-
buch nicht angegeben ist, knüpft aber trotzdem an sie die weit-
gehendsten Kombinationen und fügt nur, naiv genug, hinzu:
„ . . . Ze sens des herbes en g^n^ral, qu'omettent, je ne sais
pourquoi, les auteurs du dictionaire de P^tersbourg"' (p. 196).
So bleibt denn in der Tat, wie Lassen es wollte, das einzige
skrt. ydva = ^ed etc. als für historische Schlüsse auf die Urzeit
geeignet zurück.
Trotz der ernsten Bedenken, die von sachkundiger Seite,
von A. Weber (Beiträge z. vergl. Sprachf. II u. IV, s. o.),
aber auch von A. Kuhn (Beiträge II, 369 — 382), sofort gegen
das Pictetsche Werk erhoben wurden, fanden doch die An-
schauungen, die der Genfer Gelehrte über den Urzustand der
Indogermanen ausgesprochen hatte, bald bei einem weiteren
wissenschaftlichen Publikum Eingang, und namentlich fran-
zösische Anthropologen und Ethnologen gingen bei ihren Unter-
suchungen häufig von den Pictetschen Aufstellungen wie von
einer festen Basis aus. Ich will hier nur auf zwei namhafte
Kulturforscher Frankreichs, F. Lenormant in seinem Werke
Die Anfänge der Kultur, deutsche Ausgabe Jena 1875, und
F. V. Rougemont Die Bronzezeit oder die Semiten im Occident,
deutsch Güteraloh 1869, hinweisen, deren beider Arbeiten auf
das bedenklichste durch Pictets Werk beeinflusst werden. Dasselbe
gilt aber auch von dem bekannten Buche AlphonsedeCandolles
Der Ursprung der Kulturpflanzen (übersetzt v. E. Goeze, Leipzig
1884), durch das sich die unrichtigsten Aufstellungen Pictets, die
als bare Münze angesehen werden, unheilvoll hindurchziehen.
Auch in Deutschland aber suchten bald fast alle hervor-
ragenden Sprachforscher die neuentdeckte Bedeutung der ver-
^^leichenden Sprachforschung für die Kulturgeschichte auszubeuten.
Ungefähr gleichzeitig mit dem 2. Bande des Pictetschen Werkes
erschienen zwei deutsche Aufsätze linguistisch-paläontologischen
Inhalts: Über die Urzeit der Indogermanen von F. Justi
(Raumers bist. Taschenbuch IV. Folge, III. Jahrgang 1862
p. 301 — 342) und Der wirtschaftliche Kulturstand des indog.
Urvolkes von A. Schleicher (Hildebrauds Jahrbücher f. National-
ökonomie I 1863 p. 401— 411). Das Bild, das Justi von der
indog. Urzeit entwirft, unterscheidet sich im wesentlichen nicht
von der Darstellung Pictets, durch die es offenbar beeinflusst
— 9<* —
Dasiäclbe einfache, aher ftl">'kli(-'lio Hasfin eiiieä jugeiullicli
kräftigen. Ton Viehzucht nud Ackerbnii lehendcn, durch ein reiches
Familien lebe» und die Anfäuge staatlicher Ofduuuf,' au Bfrezei ebneten
Volksstammes wird hier in farbenvoller Sprache uns geschildert.
kleines Paradies entrollt sich unseren Blicken. Ein Oefilhl
pes Neides heschleicht uns vieigeplagte Epigonen, wenn wir von
B)»eren Abncn lesen, „denen <lic Wnnden, welche man im Kriege
Dipfing, neben der Altersschwüelie die einzigen Krankbetten ge-
hresen zn nein scheinen, von denen diese glücklichen Menschen
■eimgesiiobt wurden" (p. 323). Auf die Wui"/.el wird von Justi
Erklärung des Wortsinncs ein besonderes Gewicht gelegt:
IgDafl Wort Vater bedeutet den Scbütxenden, Gebietenden, die
hitter JBl die schaffende, ordnende Hansfran, die ihren Gemahl
LHerr, Gebieter" nennt; der Sohn heisst der Erzeugte, der
_Sproa3, die Tochter aber „die Melkerin"; sie steht der ordnenden
Uatter hilfreich zur Seite; dafür liebt sie der Bruder und nennt
«e „die mit ihm wolniende", Schwester, während sie ihn mit
_ dem dankbaren Wort „Ernilhrer", Bruder beehrt (ji. 318)."
jBeschickler als hei Pictet ist die Anordnung des Stoffes insofern
, JuBti, als die Frage nach der Urheimat, dem „Paradiese"
ier Indogermaneu eretiiach derScIiildei'UDgdergeBellschaftlicheii
IVerhättnisse nnd der indog, Fauna und Flora erörtert wird.
Skeptischer verhält sich Schleicher, der schon in seinem
IBnehe Die deutsche Sprache 1860 p. 71 f. die Kultur des indog.
Rirvolkes nicht uubesprochen gelassen hatte. Da nach der Stamni-
taumtheorie Schleichers, auf die wir unten des näheren zu sprechen
[Omnten werden, von dem Grundstock der Ursprache sich zuerst
8 älRvisch-Litauiscb-DeutPche ablöste, und erst später der zurück-
[ebliehene Teil der Ursprache in zwei Hälften: Iranisch-Indisch
I Griechisch-Italisch Keltisch sich spaltete, so legt er bei der
teknnBiruiermig der Urzeit mit Recht nur auf solche Wörter ein
bewiclil, die entweder in allen drei Sprachgruppen oder doch
■renigstens im Slavisch-Lttanisch-Deutschen und ausserdem im
ranisch-lndischen sieb nachweisen lassen. Entsprechungen, die
kb nnr auf das Gebiet der curopäiseben Sprachen beschränken,
haben für ihn deshalb keine vollgiltjge Beweiskraft, weil er eine
starke Entlehnung bestimmter Kulturwörter von Volk
gnVolk rilr möglich hält, wie auf dem Gebiete der Märchen
bd Erzälilungen dergleichen Entlehnungen in uralter Zeit nach-
- 30 -
gewiesen seien. Auch ist Schleicher der Ansicht, dass man nicht
aus dem Fehlen bestimmter Entsprechungen negative Schlüsse
auf die Kultur der Urzeit machen dürfe; „denn gar manches
Wort mag im Laufe der Jahrtausende verloren gegangen sein,
manches mag sich nur in einer einzigen Sprache erhalten haben
und somit für uns des Beweismittels seiner ürsprünglichkeit ver-
lustig geworden sein. Dafür wird aber unser Kulturbild auch
nichts enthalten können, was ihm nicht zukommt. Wir sind vor
der Gefahr sicher, unserem Urvolke zu viel zuzuschreiben, während
wir des Fehlers gewiss sein dürfen, manche Seite seines Kultur-
lebens nicht mehr ermitteln zu können" (404). So kommt es,
dass Schleicher manchen wichtigen Kulturbegriff, den Pictet der
Urzeit zugesprochen hatte, ihr beizulegen sich nicht entschliessen
kann, wie Pflug und Mühle, Gold und Silber etc.
Der Ausgang der 60 er Jahre brachte weitere Beiträge für
die Erforschung der indog. Urzeit von M. Müller (in einem Essay
Vergleichende Mythologie^), Essays II 18 — 42 der deutschen
Ausgabe 1869, W. D. Whitney (Langtiage and the study of
language 1867, übersetzt von J. JoUy 1874; vgl. p. 308 f. der
deutschen Ausgabe) und Th. Benfey (Einleitung zu A. Ficks
Wörterbuch der indog. Grundsprache in ihrem Bestände vor der
Völkertrennung 1868 und die Geschichte der Sprachwissenschaft
1869 p. 597 — 600). Hierzu tritt dann noch eine Reihe kleinerer
Aufsätze, die einzelne Seiten der ältesten Zivilisation der Indo-
germanen in Betracht ziehen. Besonders häufig ist in ihnen die
indog. Tierwelt behandelt worden, so von E. Förstemann
Sprachlich-naturhistorisches K. Z. I, 491—506 und III, 43-62,
von F. Pott in mehreren Aufsätzen der Beiträge zur vergleichenden
Sprachwissenschaft (II — IV), von A. Bacmeister im Ausland
(1866 und 1867), von Franz Misteli, vgl. Bericht über die
Tätigkeit der St. Gallischen naturwissenschaftlichen Gesellschaft
1865 — 66. Auch eine Abhandlung F. C. Pauli 's Über die Be-
nennung der Körperteile bei den Indogermanen, Programm Stettin
1867 sei hier genannt. Indessen bedarf es eines Eingehens auf
alle diese Arbeiten nicht, da sie sich im wesentlichen in den
Geleisen der Früheren bewegen.
1) In englischer Sprache wurde diese Abhandlung in den Oxford
Essays schon 1856 veröffentlicht. Vgl. M. Müller Biographits ofvxrrds
p. 129 f.
- 31 -
Eioe vülliguene Seite der imlog. Kultur hob dagegiii K. IVest-
plial in einer Abhandlung Zar vergleicheudeu Metrik tier imlog.
ViilkiT (K. Z. IX, 437 — 4nS) hervor. Wenn, so fragte er sich,
fauuilertfältige Zilge in Oßtterglauben, Sagen- und Mvihenhildnng
Ach bi» in die Urzeit der indog. Völker zurüfikverfolgen Insten,
i »ich nieht atieb nouh die Form ersehliessen lassen, in die
wiese älteste Poesie ihre Stoffe fasste? Dnd wirklich glaubt
l'^'cstpbnl in der Übereinsttuinmng der drei alteu jainbiseben
Lilien bei den Griechen iDinieter.akatalektiscberund katalektischer
Trimeter) mit den drei Reihen der Vedenlieder {Anushfabk und
Otijfalri, Jagati, Virflj und Trishtitbhj nnd weiterhin mit den
PtbylhiniBcUen Reihen der Iranier diese alte Form wieder zu er-
kennen. Diese älteste indog. Poesie sei weder eine qnantitierende
tOfb eine aceentnierende, sondern eine rein silhenzJihlende ge-
wesen. Sie sei in den Metren des Avesta unversehrt erballen
und spiegle sieb auch in den vedischen Gesängen noch insofern
wieder, als hier nur die zweite HälFle der .jambischen Dipodie
ijtiantitierend, d. h. rein janihiscb sei. Auch in der griechischen
VUetrik komme dies uralle sithenzH blende Prinzip z, B. in der
meodiscben Freiheit des Anfangs einer rhythmischen Reibe nocb
^mveilen zum Durcbbrucli fvgl, p, 440 1. Das Schema dcs ur-
l-epiachen Verses der Indogeniianen wllrde sicli nach diesen Cnter-
lebungen so darstellen:
Die Arbeit Westpbals ist der Grundstein einer vergleichenden
Metrik der indog. Vfllker geworden, die in neuerer Zeil nament-
£cb fOr das Verständnis der Ursprünge des Hexameters von
f fiedentung geworden ist, worüber ich anf Frederic Allen Über
l-den Ursprung des homerischen Versmasses K. Z. XXIV, 556 ff.
1 and H. Usencr Altgrieehiscber Versbau Bonn Ißt* 7 verweise.
Nocb einen Schritt weiter geht A, K u h n in einem Aufsatz
I «einer Zeitschrift {XIII, 49 f.), indem er ganze Formeln bis
* b die Anfänge der indog, Dichtung znrUckznverfolgen veraucbt.
Und zwar unterscheidet er zwei Überreste der ältesten Poesie,
Vttinlich erstens Rätsel, hinimliche Dinge. Weltscbflpfung etc. lie-
■itreftend, nnd zweitens Segenefonneln zur Banuung von Krankheiten
und bfisem Zauber. Als ein Beispiel dieser zweiten Kategorie
- 32 -
wird die bekannte Zauberformel des Merseburger Heilspruchs auf
ein erlahmtes Pferd:
b€n zi bena, hliiot zi bltioda,
lid zi giliden, söse gellniida sin
einer sehr ähnlichen des Atharvaveda (IV 12):
„Zusammen werde Mark mit Mark und auch zusammen
Glied an Glied.
Was Dir an Fleisch vergangen ist, und auch der Knochen
wachse Dir.
Mark mit Marke sei vereinigt, Haut mit Haut erhebe sich^ etc.
gegen übergestellt.
Werfen wir hier, ehe wir zu einer neuen, für die linguistiscb-
historische Forschung höchst bedeutungsvollen Arbeit übergehen,
einen kurzen Rückblick auf den bisherigen Gang unserer Dar-
stellung, so kann bei allen Abweichungen im einzelnen eine Über-
einstimmung aller Forscher in ihrer Anschauung von dem ver-
hältnismässig hohen Stande der indog. Kultur
konstatiert werden.
Ein Volk, wohlgeordnet in Familie, Staat und Gemeinde,
mit Viehzucht und Ackerbau wohl vertraut, im Besitze fast aller
der Haustiere, die noch heute die Begleiter des Menschen sind,
in der Ausbeutung und Bearbeitung der wichtigsten, wenn nicht
aller Metalle erfahren — ein solches Volk schien passend die
Urzeit einer Rasse zu repräsentieren, die eine so hervorragende
Rolle in der Kulturentwicklung der Menschheit zu spielen hatte.
Es war natürlich, dass einem solchen Gemälde gegenüber die
Zustände, welche die immer mehr aufblühende anthropologische
und prähistorische Forschung in den ältesten Denk-
mälern Europas aufdeckte, in einem grellen und unvermittelten
Gegensatz sich befanden. Die einzige Erklärung derselben schien
in der Annahme einer doppelten Bevölkerungsschicht Europas zu
liegen, einer vorindogermanischen, wie sie etwa den
Pfahlbauten der Schweiz und den Kjökkenmoeddingern Dänemarks
angehören mochte, und einer indogermanischen, die als
der Apostel höherer Gesittung auf europäischem Boden auftrat.
Diese Anschauung wurde z. B. von A. S c h 1 e i c h e r (a. a. 0. S. 41 1)
ausdrücklich ausgesprochen, und auch F. M i s t e li (s. o.) war
im Hinblick auf die Fauna der Schweizer Pfahlbauten, der in
der ältesten Zeit nach Rütimeyers Untersuchungen die Zähmung
88 —
iewis^er HaDstieie, wie des Pferdes, r>i?liweine8 und siinitlichen
kflUgels noch unbekannt war, der gleiclien Meinung.
Mehr gehen die Forscher in ihrer Methode, auf gprach-
lehcm Wcfi^c /.n der Urzeit der indog. Völker zu gelangen, ans-
ainauder, waa nin so begreiflicher ist, ala eifreiitlicb keiner
derselben sie naeh allen linguistischen und historischen Gesichts-
Iankten einer ernsthaften Prüfung unterwarf. Schon die Ver-
shicdcnhcit der Ansichten Über die ältesten Spaltuitgeu der Ur-
pracbe liätte /.ti einer solchen Anlasa geben sollen; denn es lag
Bf der Hand, dass die Annahme einer ursprünglichen Zweiteilung
es Dr%-oiks in eine arisch-sildeuropäische und eine nord-europÄischc
ibteilmig eine ganz, andere linguistische Grundlage fllr die Er-
Kbliessnng der Urzeit abgeben niusste als eine andere in eine
asiatische und eine europäische Hälfte. Dieser keineswegs ge-
schiichteten Streitfrage gegenüber wäre es das vorsichtigste und
tiiclierKle gewesen, nur solche Gleichungen für die Kultur der
Drzeit auszuhenteu, welche durch die Übereinslinmiung des arischen,
sord- und sUdeuropäischen Zweiges sicher gestellt werden. Eine
^eich sorgfältige Prüfung hätte sieb auf den verglichenen Wort-
icbatzin forineller Hc/.ieliung erstrecken niflssen. Schon A. Kuh»
^^_^tie bervnrgehobeu, dass die Identität der Wui7,ei kciiieswegB
^^MenOfce, um den einer Wortreihe inuewohnenden Begriff der
^^Hrzeit zu vindizieren, dass vielmehr die Übereinstininmng der
^^^Snffixe nicht weniger wie die der VVurxel zu verlangen sei.
Doch hatten sieh Forscher wie Pietet, Jnsti, M. Müller und
andere «n diese Forderung kaum gekehrt, und das oben Cp. 30) ge-
^H^nnte Wörterbuch A. Fickskann daher insofern als ein Forlsciiritt
^^■ttzeiclinet werden, ala es nach Wurzel- und Ableitungssilben
^^■tbereinstininiende Wörter der indog. .Sprachen zusammenzustellen
^^hpd detu Kultnrfnrs<thcr als Grundlage seiner Zusammenstellungen
^^^■trzu bieten hestrebl war.
^^y ÜbereiDStimmuug dagegen herrschte, wenigstens prinzipiell,
in dem Grundsatz, Begriffe, die sieh etymologisch in dem Kreise
der indog. Sprachen nicht nachweisen Hessen, zn negativen
^^Sehltbwen auf die Urzeit nicht auszubeuten, wenn man auch in
^^■iffirklichkoit denselben nicht selten verliess.
^^H Am allerwenigsten aber hatte man sich bisher um die Fest-
^^itclliuig der nrg]irtlnglicben Bedeutung einer etymologisch ver-
äehradcr. Spiw-hvcrKlelchune und t:rg:i:9ctii>^)iie, s. Aufl. 3
— 84 —
wandten Wortreihe bekümmert, sondern sich in den meisten Fällen
damit begnügt, den in historischen Epochen tiberlieferten Sinn
einer Gleichung schlankweg auf die Urzeit zu übertragen. Da
skrt. pwr = griech. jiohg „Stadt" bedeutet, mussten die Indo-
germanen in Städten gewohnt, da skrt. dQva, griech. ijrjiog etc.
das gezähmte Pferd bezeichnen, mussten sie schon in der Urzeit
das Pferd als Haustier benutzt haben u. s. f.
Das Verdienst, diese schwächste Seite der linguistischen
Paläontologie erkannt und bekämpft zu haben, gebührt dem aus-
gezeichneten, in jeder Beziehung die linguistisch-historische For-
schung in neue Bahnen leitenden Werke V. Hehns Kulturpflanzen
und Haustiere in ihrem Übergang von Asien nach Griechenland
und Italien sowie in das übrige Europa, Historisch-linguistische
Skizzen L Aufl. Berlin 1870,' II. Aufl. 1874, III. Aufl. 1877,
IV. Aufl. 1883, V. Aufl. 1887, VI. Aufl. (neu herausgegeben von
0. Schrader, mit botanischen Beiträgen von A. Engler) 1894,
VII. Aufl. 1902. Vgl. auch meine Biographie V. Hehns (V. H.,
ein Bild seines Lebens und seiner Werke, Berlin 1891).
Die Hauptaufgabe V. Hehns besteht, wie der Titel des
Buches aussagt, nicht in dem Erschliessen vorhistorischer Kultur-
Perioden, sondern darin, den Nachweis zu führen, wie eine An-
zahl der wichtigsten Kulturpflanzen und Haustiere, zum Teil
noch unter dem vollen Licht der Geschichte, aus dem Kultur-
kreis des Orientes zu den noch in der Nacht des Barbarentums
verharrenden Völkern Europas wandert, um überall, wohin sie
kommen, als vornehmste Hebel einer höheren Gesittung zu wirken.
„Was ist Europa, als der für sich unfruchtbare Stamm, dem
alles vom Orient her eingepfropft und erst dadurch veredelt
werden mussteV** Diese Worte Schellings sind das Motto und
der Beweis ihrer Richtigkeit das eigentliche Ziel des Werkes.
Allein indem der Verfasser diese Aufgabe durch die Kombination
einer Bewunderung erregenden Fülle historischer, linguistischer
und naturwissenschaftlicher Kenntnisse in glänzender Weise löst,
kann er nicht umhin, sich die Frage vorzulegen: Wie beschaffen
war also die Kultur der indog. Völker, ehe sie mit der höheren
Zivilisation des Orients in Berührung traten, wie war ihre Gre-
sittung zu der Zeit, als sie zuerst in die europäischen Wildnisse
eindrangen, wie, als sie noch zusammen mit ihren östlichen Brüdern
in Asien wohnten? Diejenigen Stellen des Buches, die der Be-
35 —
K'Sntwortutig (licHer Frag'eii gewidmet sind, werdeu biei' unsere
besoodere A uruierksaiiikeit io An»priich nehuieti.
V. Heliii basiert seine AiiBcliauimgeii über die Ur-^eit der
tIndogermaDeo nicht in erster Linie auf spraebwisseiisebaft-
licbe Kombiiialioneu, wie denu Beine rnter»ucbung:en aucb als
■iflloriflch-Iiii^uistisebe. nicbt linguiBtisch^histomcbe Skizzen be-
seiebnet werden. Alle ZUge, die unter der schimmernden Decke
des kiaasischen Altertums als Zeugen einer weniger sonnigen Vor-
gesehiebte hervorscbanen, werden eifrig gesammelt und in Ver-
gleicbauf? gebracht mit den zerstreuten Nachrichten, welche die
griechischen nnd lateinischen Schnfrsteller des Altertums und
Mittelalters über Gebräuche und Sitten, Sprache und Geschiclite
des nichtklassischen Europas, vor allem der indog. Nordstämnie,
der Kelten, Germanen und Siaveu überliefert haben. Nur selten
dient ihm die Sprache als Ausgangspunkt; aber wo sie nur
immer dazu geeignet ist. ergänzt, erweitert, begrQndei er seiu
Bild durcb sie. Philologie und Sprach wisaensc ha ft sind hier in
«iner grossartigen Weise vereinigt. Auf einer solchen Grundlage
entrollt \'. Hebn ein Gemälde der Urzeit, das von dem der bis-
herigen Forscher, die wir als die einseitigen Sprachvergleicber
»ItOzeicbneu können, verschieden ist wie die dunkle Nacht vom
liebten Tag. Hebn ist sich dieses Gegensalzes wohl liewusst
«tid lässt es nicht an einer scharfen Kriegsftihrung gegen die
t)iaberige Methode, die Sprachvergleichung zu kalturbistorischen
fichtflsseii zu verwerten, fehlen. Namentlich aber sind e.-i, wenn
ich nicht irre, zwei Einwendungen, die er gegen sie erbebt:
„Wer", 80 sagt V", Hebn, „mit den alten Wörtern neue
Kolturbegriffe verbindet, der wird freilich in der Zeit der frühesten
Anfänge ohne Mithe unser heutiges Leben wiederfinden." Haben
wir oben gesehen, dass keiner der (ruberen Sprachforscher Be-
denken getragen hatte, z. B. die Domestikation des Pferdes der
Urzeit zuzuschreiben, da die Gleichung skrt. ä^ra und^ seine Sippe
sprachlich nichts zu wünschen übrig liess, so urteilte V. Hebn
weit anders über die ßeweisfähigkeit des letzleren Punktes: Aus
^^er «ngeflibrien Gleichung folgt ihm nichts anderes, als dass die
pndogerroanen vor ihrer Trennung ein Wort akva besassen und
jtlaiuit das Pferd („das schnelle": W. ak) benannten. Die Domesti-
natiun dieses Tieres liegt in der Sprache nicht einmal angedeutet,
md sollte es daher der Kulturgeschichte gelingen, nachzuweisen,
— 36 —
dass erst in einer verhältnismässig späten Zeit das gezähmte
Pferd bei den indog. Völkern auftritt, so würde hieraus mit
Sicherheit folgen, dass die Gleichung akva etc. für die indog. Urzeit
eben nur das wilde Pferd bezeichnet haben kann. Hören wir
die eignen Worte V. Hehns ttber ein anderes gewöhnlich mit
Gewissheit als eine Begleiterin der indog. Wanderzüge betrachtetes
Tier, die Ziege: „Das griechische äff, alyog Ziege findet sich
im Sanskrit und im Litauischen wieder und geht also in die Zeit
vor der Völkertrennung hinauf. Daraus folgt übrigens noch nicht
ohne weiteres, dass das Urvolk die Ziege schon als Haustier
besessen habe; es konnte irgend ein springendes Jagdtier mit
einem Namen benennen, der später bei Bekanntwerden mit der
zahmen Ziege auf diese ttberging — eine Möglichkeit, deren
sich diejenigen, die so sicher aus dem Vorhandensein
gewisser gemeinsamer Wörter auf den Kulturstand de&
primitiven Stammvolkes schliessen, in ähnlichen Fällen
häufiger erinnern sollten." In gleicher Weise werden die
sprachliehen Argumente für den Ackerbau der Indogermanen in
Zweifel gezogen. „Dass sie (die Indogermanen Griechenlands und
Italiens) vor der Einwanderung, zur gräkoitalischen Epoche, ja
wohl gar schon im Herzen Asiens den Acker bestellt und sich
von der Frucht der Demeter genährt, ist eine oft mit mehr oder
minder Sicherheit aufgestellte Behauptung, deren Stützen aber
grösstenteils wenig haltbar sind. Griechisch C««, Spelt, CslScogog
ägovga, der getreidespendende Acker, litauisch jawäs, Getreide-
korn, Plur. jawai, Getreide im allgemeinen, so lange es noch auf
dem Halme steht, jatcienäy die Stoppel, ist zwar eine richtige
Gleichung, beweist aber nur, dass zur Zeit, wo die Griechen
und Litauer noch ungesehieden waren, irgend eine Grasart, viel-
leicht mit essbarem Korn in der Ähre, mit diesem Namen be-
zeichnet wurde (vgl. Th. Mommsen oben p. 22). Ähnlich verhält
es sich mit^ xQi^, lat. hordeum, ahd. gersta\ die Sprache eines
Volkes, dessen Beschäftigung es war, Tiere zu weiden, musste
an Gras- und Pflanzennamen besonders reich sein" etc. Auch
äygdg und seine Sippe bedeutete ursprünglich nur „Feld". Fast
gegen seine persönliche, entgegengesetzte Ansicht gibt Hehn „bei
einer Materie, die überhaupt nur schwankende Vermutungen ge-
stattet", wie es scheint, wegen der Verwandtschaft von griech.
&q6coj lat. arare etc., die wegen des Ausweichens des Sanskrit
ler
r die Urzeit aucli uicht beweiskräftig ist, eine Art liallt-
imadischen AokerbKiics, dessen verliasstes GeseliUft, wenn der
mc Wsndertrieh erwachte, wieder aufgegeben wurde, bei Gräko-
liern zu. Die gebauten Pflanzeu kennten Hirse, Hohne und
be gewesen Bein.
Von gleichem Oesifbtspmikt ans warnt V. Hehn davor, in
[te Verbal wurzeln, die durch ihre Ühereinslimniuug bei den ver-
lUiedeiieii iudog. Vfilkcru die Ausübung einer gewissen Fertigkeit
liuu in dei' Urzeit zu beziMigen seidenen, einen zn modernen
zu lege». „Für das Weben", heisat es, „scheint es alte
Ipmcherzeugnisse zu geben, die auf eine AusIlbuDg dieser Kunst
iir lier Vßlkertrenuung und den VV'auderzIlgen deuten würden.
Wltsstcn wir nur gewiss, dass diese Wiirter in der Urzeit nicht
auf das kniistreiciie Stricken, Flechten nnd Nähen, Kondem auf
das Drehen des Fadens an der Spindel nnd auf das eigentliche
JPeben am Webstuhl gingen. Wer dem Urvolke die Kenntnis
ir Weberei zuschreibt, sollte niclit vergessen, dass diese Knnst-
Ttigkeit von sehr rohen Anfängen durch viele Stufen bis zur
Vollendung in historisehi-r Zeit sich entwickelt hat. Wie leicht
«cbiebt sich der Phantasie des Sprach vcrgleichers oin jetziger
Webstuhl, i>iu hiudurühfliegendeR Schiffchen etc. unter (v^l. iineh
ffh. Monimsen Röniiechc Geschichte' p. 17).
I Der zweite Punkt, darch den sich V. Helin von den
froheren linguistischen Paläontolog;en unterscheidet, liegt in der
grossen Ausdehnung, die er dem Begnffe Lehnwort einräumt.
Wir meinen hier nicht den Umstand, dass V. Hehn in Fällen,
wg die lautliche F'orm, wie z. B. bei griech. olvns nnd griech.
niclit definitiv auf Urverwandtschaft oder Entlehnung
iuznweiseu scheint, auf allgemeine kultmhistorische Gründe
((estatzt, sich gern für letztere zn entscheiden pflegt. Neu
bingegen, wenn anch schon vorher, namentlich von August
i^ehleieher (vgl. oben p. 29), angedeutet, ist die Auffassung, dass
le Cberetnstimmung gewissi-r, auf die europäischen Spraetien
thränkter Kulturw^irter, die man bisher durch ihre Zurtlek-
legnng in eine europäische Urzeit und in eine europäische
Irsprache erklärt halte, auch in der Weise entstanden gedacht
rden könne, dass noch zur Zeit räumlicher und geographischer
iffereiizierung der europäischen Völker sich bei irgend einem
olhsHlitDim für eine Wurzel allgemeineren Sinns eine mehr
- 38 -
Bpezielle Bedeutung fixiert habe, und dieselbe alsdann durch
Entlehnung von Volk zu Volk gewandert sei. V. Hehn drückt
diesen Gedanken so aus: „Man bedenke^ dass in jener frühen
Epoche die Sprachen sich noch sehr nahe standen und dass, wenn
eine Technik, ein Werkzeug etc. von dem Nachbarvolke ttber-
nommen wurde, der Name, den es bei diesem hatte, leicht und
schnell in die Lautart der eigenen Sprache übertragen werden
konnte. Wenn z. B. ein Verbnm molere in der Bedeutung zer-
reiben, zerstückeln, ein anderes severe in der Bedeutung
streuen in allen Sprachen der bisherigen Hirtenstämme bestand,
und der eine von dem andern allmählich die Kunst des Säen»
und Mahlens lernte, so musste er auch von den verschiedenen
Wortstämmen ähnlicher, aber allgemeinerer Bedeutung gerade
denjenigen für die neue Verrichtung individuell fixieren, mit dem
der lehrende Teil dieselbe bezeichnete. Die Gleichheit der Aus-
drücke beweist also nur, dass z. B. die Kenntnis des Pfluge»
innerhalb der indoeuropäischen Familie in Europa von Glied zu
Glied sich weiter verbreitet hat, und dass nicht etwa der eine
Teil sie südöstlich aus Asien, durch Vermittelung der Semiten
ans Ägypten, der andere südwestlieh von den Iberern an den
Pyrenäen und am Rhonefluss, ein dritter von einem dritten un-
bekannten ürvolke etc. erhalten hat." Versuchen wir nunmehr
den Gemälden der indog. Kultur gegenüber, die wir bisher kennen
gelernt haben, ein Bild der Urzeit zu entwerfen, wie es sieb
V. Hehn denkt! Vorauszubemerken ist, dass derselbe bestimmte
prähistorische Epochen nicht unterscheidet, vorwiegend aber bei
seinen Schilderungen die Epoche der grossen „arischen Wanderung**
im Auge hat.
Die Indogermanen jener Zeit sind ein wanderndes Hirten-
volk, dessen Einzug nach Europa etwa mit der kriegerischen
Einwanderung semitischer Hirtenvölker in Palästina verglichen
werden kann. Ihre Herden können aus Rindvieh, Schafen und
Schweinen bestanden haben, noch fehlt ihnen das Pferd (dessen
Geschichte seit der 2. Auflage ein besonderer Abschnitt gewidmet
ist), der Esel, das Maultier, die Ziege, sämtliches Geflügel, die
Katze. Die Rasse der Haustiere ist eine geringere. Die Wolle
des Schafes wird ausgerupft und zu Filzdecken und Filztüchem
zusammengestampft, nicht verwebt; dagegen verstehen sich die
Weiber darauf, aus dem Bast der Bäume, besonders der Linde,
' und ;ine den Fasern dei' Stepgpl maucher Ptlauzeii, besonders der
neHselarligeD, Matten und gewebeartige Zenge, Jagd- nnd Fiscber-
uelze Ml fteebten, wie aucli das robe Leder der Jagd- und Herden-
tiere mit Rteioerneu oder hölzernen Nadeln zusaniDieD/.unäben.
Die Künste nnd Gewohnheiten des Ackerbaues, die erst
I mit dem Ende der Wanderungen ihren Anfang nehmen, sind
I Doch röUig nnbekannt. Einer noch späteren Epoche gcbürt die
I Znoht nnd Pflege der Obstbäume an.
Die Nahrung der Urzeit bestfht ans Fleisch und Milcb,
\ welche letztere zu Käse und Butter noch nicht verarbeitet wird,
lOer Met, ein Honigtrank, der von den wilden Bienen der un-
I geheuren Wahlnngen gewonnen wird, ist das älteste berauschende
I Getränk der in Europa einwandernden Indogeiinauen. Bier und
I Wein sind unbekannt. Die Würze des Salzes fehlt in der asialisehen
I I/Theiaiat, doch lernen sie die nach Europa wandernden Stämme
I fiemeinsam kennen (vgl. V. Hehn Das Salz, eine kulturhisiorische
I Studie, Berlin 1873, äte Auflage 1901). Zur Wohnung für den
kücnseben dient im Winter die unterirdische, künstlich gegrabene
I Bohle, von oben mit einem Rasendach oder mit Mist verdeckt,
lim Sommer di-r Wagen selbst oder in der Waldrcgion die leichte,
[ms Hul7. und Klechtwcrk errichtete leltälinliche Hütte. Je weiter
rsach Süden, desto leichter wurde es, das Vieh zu überwintern,
bdas im hrdioren Xorden während der rauben Jahreszeit nur
■'kümmerlich unter dem Schnee seine Xabrung fand nnd unter
linngliiisligen Umständen massenhaft zu Grunde gehen musste —
■denn der Herde ein Obdach zn schaffen und getrocknetes Gras
Ifttr den Winter aufzubewahren, sind Künste späteren Ursprungs,
rdie sieb er^t im Gefolge des ausgebildeten Ackerbaues einfanden.
I Von Metailen war den einwandernden Hirten nur das Kupfer
IbekHiinl, ohne dass sie es indes zu Werkzeugen etc. ku verarbeiten
iTentaudeii halten. Die indogernianische Urzeit gehOrt vielmehr
pdem Steinaller au. Zum Bogen dient besonders das Holz der
Eibe, zum Schaft des Speeres das der Esche, auch des Holunders
nnd Hartriegels, zum .Schilde ein Geflecht aus Ruten der Weide;
die Bäume des Urwalds, von riesenhaftem Wachstum, werden
tdnrcb Feuer und mit der steinernen Axt zu ungeheuren Böten
4D^ehdblt. Auf dem Räderwagen, einer frith erfundenen Ma-
ichine, die ganz ans Holz zusammengefügt war, und nn welcher
Bolzpfl^ickc die Stelle der späteren eisernen N'ägc! vertreten,
- 40 -
wird die Habe der Wanderer, ihre Melkgefässe, Felle etc.,
mitgeführt.
Auch aus dem Familienleben der Urzeit blicken uns
finstere Züge entgegen. Greise, wenn sie zum Kampfe kraftlos
geworden, gehen freiwillig in den Tod oder werden gewaltsam
erschlagen; ähnlich auch unheilbare Kranke. Dem Häuptling
folgen seine Knechte, Weiber, Pferde, die später in halbwildem
Zustand in Herden gehalten werden, und Hunde in das Grab
nach; die Frau wird geraubt oder gekauft, das Neugeborene vom
Vater aufgehoben oder verworfen und ausgesetzt. Aus dem
Familienverbande und der Herrschaft des Patriarchen geht in
weiterem Wachstum der erst engere, dann umfassendere des
Stammes hervor; aber erst als aus dem halbnomadischen Acker-
bauer der ansässige Baumgärtner geworden ist, bildet sich der
Begriff des vollen Eigentums, erheben sich Rechts- und Eigeu-
tumsfragen mit dem Nachbar, gestaltet sich eine feste politische
Ordnung.
Die Sinnesweise eines viehschlachtenden Hirtenvolkes ist
blutig und grausam, von Aberglauben erfüllt, von Zauberei ge-
leitet. Die Naturgewalten haben noch keine menschlich-persönliche
Gestalt angenommen: der Name Gottes bedeutete noch Himmel.
Eine erste Regung der Abstraktion offenbart sich in der Aus-
l)ildung des Dezimalsystems, dem aber der Begriff tausend noch
fehlt. Im übrigen bildet die Sprache einen verhältnismässig
intakten, vielgegliederten, von lebendigen Gesetzen innerlich be-
herrschten Organismus, wie er nach Jahrtausenden die Freude
und Bewunderung des Grammatikers ist, und wie er nur im
Dunkel eingehüllten Geistes und unmittelbaren Bewusstseins wächst
und sich entfaltet.^
Die schroffe Stellung, die das Hehnsche Werk gegenüber
den bisherigen Aufstellungen der Sprachvergleicher über die indog.
Urzeit einnimmt, wird in der öffentlichen Kritik, die sich vor-
wiegend auf die Besprechung und fast einstimmige Anerkennung
der in dem Titel des Buches gestellten eigentlichen Aufgabe und
ihrer Lösung erstreckt, in ihrer Bedeutung für die Weiter-
entwicklung der linguistischen Paläontologie nicht scharf genug
hervorgehoben. Neben G. Curtius, der im Literarischen Zentral-
blatt 1870 p. 553 die angeblich häufige Nichtberücksichtigung
des Sanskrit seitens Hehns, wie bei der Besprechung des Hanfes
ätrl. ^(inrfi, dcEäaUes (skrt, sani?i, der Weherei tW.gfä, ari'i/ioiy,
loTOs etc.) tailelt und ebeiid. 1S74 p. ITöl sieb von der Beweie-
fnbnmg des Verfassers, „dass das Ross unsere Vorfaliren auf
Jiireni grosseu Zup;e dnrch die Welt noc-li uicht begleitete", nicht
irxcngt füblt, sind es nur G. Gerland in der Jenaer Literatur-
luinng 1875 N. 641 und W. Tnniascbi'k Z. f. d. fi. G. 1875
I; 520 ff-, die der vnn uns charakterisierten Seite der Hebnachen
brgcbnn^ ihre volle Aiil'merksainkeit zuwenden. Auch hier fehlt
uicht au Einreden. Eraterer findet, „dass der Verfasser gegen
\Be Indof^crmanen überhaupt niebt gerecht «-erde" nnd den un-
sweifeUiaft richtigen Gedanken, dass vieles, was jet/t allgemeines
Eigenluni seheine, diieh nur Entlehnung sei, auf die Spitze treibe.
Cbaraktcristisc^b for die sehr ausführliche Bespi'eehung
omaschek» iet der Versuch, zahlreiebe Bestandteile des indog.
pnlttirwürlerschatzes nicht sowohl an die semitischen Sprachen,
! es Hehn mit Vorliebe tut, als vielmehr an die Idiome der
rdlicbcn Volker, Finnen, ügrier und Tataren anituknUpfen.
soll die Sprache Zeugnis ablegen „f(tr ein uralte» Neben-
Unnnderbausen mid für gegenseitigen Kulturaiisiauseh der uor-
tftieu und iiidogermauisehen Stämme" (p. .^32^.
In) Ubrigeu lässt «ich ein Einflflss des Hehnscbeti Wöi'kes
I den nächstfolgenden Arbeiten der linguistiaciien Paläontologie
Kicb oiebt erkennen. Zwar ist dies kaum zu verwundern bei
"dem der ersten Auflage des Hehnsclien Werkes fast gleichzeitigeu
Buche J. G. C'unos Forscbuugcn im Gebiete der alten Völker-
kunde Teil I 1871, in dem p. 22—27 die Frage eriVrtert wird,
IOb das indog. Urrolk schon Ackerbau trieb. Cuno beantwortet
ISe mit grosser Zuversiebt in bejahendem Sinne. Seilsamer ist
Im, da^s noch mehrere Jabre nach dem entsebeidendeu Angriff
fiebna anf ilie ganze Methode der linguistischen Paläontologie
fia Werk crsclieinen konnte, welches das alte Thema wieder
|anz in alter Weise behandelt, ohne die Hchnseheu Gedanken
auch UDr mit einem Worte zu berücksichtigen. Es ist dies das
im Jalire IrilA erschienene Buch A. Ficks Die ehemalige Sprach-
^^-.«iaheit der Indogermauen Europas, in dem von p. 266—385 auch ein
^^falemlich ausftlhrlicbes Bild der nrzeitlicben Zivilisation entworfen
^Hbrird. Doeb bat das Ficksche Buch durch die sorgfältige Samm-
^^hng des sich auf die europäischen Sprachen besehrankenden
KnltorwörlerBcbatzes, wie wir noch weiter sehen werden, ein
- 42 —
nicht zu unterschätzendes Verdienst um das Verständnis der indog.
Urgeschichte sich erworben.
Interessant ist es, die neueren Ansichten Th. Benfeys
(vgl. oben p. 30 ff.) ttber Sprachvergleichung und Urgeschichte
kennen zu lernen. Sie lassen sich aus drei kleinen Arbeiten
dieses Gelehrten zusammenstellen, einer Rezension in den Göttinger
Gelehrten Anzeigen 1875 p. 208 f. (ttber ein Schriftchen Der
Hopfen, seine Herkunft und Benennung; zur vergleichenden Sprach-
forschung 1874. Vgl. Literarisches Zentralblatt 1875 Nr. 12>
und zwei Aufsätzen in den Beilagen zur Allgemeinen Zeitung 1875,
die betitelt sind : Rasiermesser in indogermanischer Zeit Nr. 96
und Die Indogermanen hatten schon vor ihrer Trennung sowohl
Salz als Ackerbau Nr. 208. Bemerkenswert durch seine metho-
dischen Betrachtungen ist der Aufsatz über das Rasiermesser in
indog. Zeit. Die Veranlassung zu demselben bot ein von W. Heibig
in Rom gehaltener Vortrag Eine uralte Gattung von Rasiermessern
(Ein Referat darüber findet sich in der Allgemeinen Zeitung 1874
Beil. Nr. 352 und der Vortrag selbst in Im neuen Reich 1875
p. 14 f.), in dem unter anderem aus dem Umstand, dass in der
Nekropole von Alba Longa, die uns ^einen Begriff von dem
indoeuropäischen Zustand der Prisci Latini^ zu geben geeignet
ist, Rasiermesser nicht gefunden worden sind, der Schluss ge-
zogen wird, dass diese auch dem Bildungskapital „der indo-
europäischen Rasse vor ihrer Trennung" gefehlt haben müssten.
Da nun gerade Benfey früher auf die Ficksche Gleichung skrt.
Jcshurä = ivgciv hin das Rasiermesser den Indogermanen zuge-
sprochen hatte, so lag es ihm nahe, dasselbe als ein schon ur-
zeitliches Verschönerungsmittel dem Angreifer gegenüber in Schutz
zu nehmen. Benfey ist nicht geneigt, auf die blosse Tatsache
hin, dass ein Wort nach Form und Bedeutung in mehreren indog.
Sprachen übereinstimme, den von ihm bezeichneten Hegriff ohne
jede weitere Untersuchung der Urzeit zuzuweisen. Er nimmt
dafür zunächst nur das Präjudiz seiner Ursprünglichkeit in An-
spruch, das aber durch drei Möglichkeiten schon vom rein sprach-
lichen Standpunkt aus sich als ein irriges oder zweifelhaftes er-
weisen könne: nämlich erstens, wenn nachzuweisen sei^ dass die
eine Sprache das Wort aus der anderen entlehnt habe; zweitens
wenn beide es einer dritten entlehnt hätten, und schliesslich als
zweifelhaft, wenn sich erweisen lasse, dass die Bildung unabhängig
I VOD einamicr niic!i der ^Hesonderniif,'" geRlallel werden konote.
I Diese letztere Möglichkeil träte bei allen Wörtern ein, „welche
I einerseits aus Dageu und FormatioNseleuientea gebildet sind, die
i sieh in den betreffenden .Sprachen so lebensvoll erhalten haben,
IdasH sie aneh nach der Trennung sich zn verbinden vermochten,
I lodrerseits zugleii^b die etymologische Bedeutung einer derartigen
IVerbiudnng bewahrt oder wenigstens sich nicht sehr wesentlich
rTon ihr entfernt haben." Als Beispiel eines solchen Falles fHhrt
iBenfej die Gleichuug von griecb. rent/'/s- laus rfn:r-ri) und skrt.
I tjrpli an, die deshalb nicht als notwendiges Erbgut indog.
I Vorzeit gelten kOnne, weil sich sowohl die ursprungliche Verbal-
I wtimel ttirp als anch das Abstrakta bildende Suffix -ti lebens-
\ krUftig im Griechischen nnd im Sanskrit (rf^.T(rj, tfpnö'mi) er-
l'ballen habe. Keine dieser drei MCgUcbkeiten sei nun auf die
fGleichutig skrt. ktihurd = griech. ^vo6v anwendbar; denn was die
I dritte, hier einzig zu erwfigende anbetreffe, so sei die zu Grnnde
I liegende Verbalwurzel ksu nur noch im Griechischen fe'o»
I {yF-vA bewahrt, das Suffix -ru l-oo) aber in keiner von beiden
rächen mehr mit lebendiger Bildungskraft begabt,
.\ber lienfey macht sich noch einen weiteren Einwand. „Bei
Ider Länge der Zeit nämlich, welche nach der Trennung der
Ifiriechen und des Sanskritvolkes vom Grundstamm verflossen ist,
Ibt die Möglichkeit keineswegs auegeschlossen, dass auch noch
rBach derselben im Sanskrit oder dessen nächster Grundlage, dem
1 Arischen, der Reflex des Vcrbums ^v- und im Griechischen so-
I wohl als Sanskrit auch das Affix -ra in seiner kategorischen Be-
Bdeatuug einige Zeit fortbestand und ihr die unabhängige Bildung
■beider Wörter nngeliöre." Allein dieser Einwand wird nach
IBenfey bet^eitigt durch die vfliltge Bedeutungsidcutität der beiden
I Wörter; denn „die Bedeutung „Rasiermesser" oder ursprllngliclt
VTielleicht nur ^Instruiueut zum Bartscheren" liegt von der kate-
Igorigeben oder etymologischen „geschabt" (^i.i'i „schaben") so weit
|ab, dass es der wunderbarste nnd nnerklitrbarsie Zufall wäre,
renn beide Sprachen unabhängig von einander von dieser za
Jener gekommen wären" ').
I) H*?ibig hält iii seiner Antwort auf dun Benfeystheii Vortrag-
^Allgemeine ZeitnufC 1*^^^ Beil- I^r. IIT) dieser Beweiatütirung mit Recht
Hie von B. nicht beachtete Möglichkeit entgegen, da^a das Wort ur-
IprUnglich ein scharfeä, aum Abecllaben heetitomies Instrumetii — etwa
— 44 —
Aber trotz der Argumente, die für die Bekanntschaft der
Indogermanen mit dem Rasiermesser sprechen, ist Benfey keines-
wegs geneigt, den ^linguistischen Standpunkt ftlr den einzigen
zu halten, von welchem aus derartige Fragen vollständig ent-
schieden werden können.^ Ja, er würde sogar seinen sprachlichen
Beweisen gegenüber einen Zufall für möglich halten, wenn ^sich
z. B. durch historische Dokumente unabwcislich feststellen Hesse,
dass die Indogermanen vor ihrer Spaltung noch keine Instrumente
zum Bartschereu hatten." Was aber soll, so fährt seine Argu-
mentation fort, der Umstand beweisen, dass bei den Ausgrabungen
von Alba Longa keine Rasiermesser gefunden worden sind?
Sind diese Denkmäler altitalischer Kultur nicht von jener grauen
indog. Voraeit durch einen Zeitraum getrennt, der „laug genug
war, um von der indogermanischen Kultur so viel einzubüssen
und durch Schöpfung einer neuen so viel zu gewinnen, dass diese
Reliquien nichts weniger als die Zustände der indogermanischen
Einheit darzustellen vermögen?"
Hiermit aber sind wir bei einer für die Weiterentwicklung
der linguistischen Paläontologie verhängnisvollen Grundanschauung
Benfeys angekommen. Derselbe hat mit Aufmerksamkeit, wie
aus seinen Schriften hervorgeht, die Angriffe verfolgt, die
V. Hehn, gestützt auf die geschichtlich überlieferte niedere
Gesittung vieler indogermanischer Völker, gegen die von ihm und
anderen vertretene Annahme einer verhältnismässig schon hoch
kultivierten Urzeit richtet, verfolgt und versucht dieselben zu
])arieren, indem er die Behauptung aufstellt: Die historische
Überlieferung über die geschichtlichen Anfänge der Einzelvölker
kann gar nicht massgebend sein für die Epoche der Urzeit, die
von jenen durch Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende getrennt
ist, d. h. durch einen Zeitraum, innerhalb dessen durch Eiubusse
des alten und Erwerbung neuen Kulturkapitals ein völliger Um-
schwung der Dinge möglich war. Namentlich wird die Möglich-
keit des Verlustes alten Kulturguts hervorgehoben. „Wem",
heisst es in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1875 p. 210,
„gegen die Annahme jener uralten verhä'ltnismässig hohen
Kultur der Umstand zu sprechen scheint, dass wir sie (die
das primitive Werkzeug, mit dem man die Haare von dem Tierfell
entfernte — bezeichnete und erst später auf den verwandten Begriff
des Rasiermessers übertragen wurde.
lucioeevnmncnt, inübtsondere den niinlliolien Zweig der eiiropäiselien
Indoifernianeu, im Aiifnng; ihrer Ciesebielite in (.'iiieiii, im Ver-
bAltuis daxn, keinesweg:» bervorragfiideu Kultai'zastaod fiuden,
der tufige liedeiiken, diircb welche unwirtliche Länder sie nach
I ihrer Abtrennnng zu wandern und welche Kämpfe sie ?m besteben
I baben iiiocblen, bis sie sich neue und steti|;e Sitze angeeignet
IhaUen. DasB sie dadurch viel von ihrem mitgebrachten Kultur-
I Torrftt einbüsBec mussten, lilsst sich schon vornweg vermuten :
I Über manche dieser Einbassen geben ans aber ancb die Sprachen
1 envei'IlisMgen Nai^hweis.^ Als Beispiele eines solchen Herabsinkens
T Ton einer einst büheren Sttife der Gesittung fuhrt Benfey zwei
I Fälle an. So sei, wie au» der Vergleichiing von griech. yßiw
I mit ^krt. sii-häsra hervorgehe, der Begriff „tausend" schon dem
l'Crvolk aufje;egangen. Diejenigen indog- Völker aber, die das
I jesen Begriff bezeichnende Wort eiugebUsst hätten, sfien „iiacli
I ihrer Abtrennung in Zustände geraten, in denen sie so selten
I oder endlich so gar keine Veranlassung fanden, sich dieses Zahl
I Wortes zu bedienen, dass sie das alte Wort ganz aus dem Ge-
I tiftchtnis verloren,"
Auch das Gold und Silber war nach Beufeys Meiuung^
licboii dem Urvülk bekannt. Jenes hien8 gharta, (iieees nannten
ft^ie arg-anta oder arg-ura. Aus dem Lmstand aber, dasH
Idie Griechen nnd Italer nnr die Xamen FUr Silber iüoyvooi;-
miirgentum), die Germanen und .Slaven nur den für Gold {gulp-
I üato) iKwahrt haben, folge das allein, dass jene auf ihrer
rlFandening zwar Silber, aber nicht Gold, diese umgekehrt Gold,
|(ber nicht Silber antrafen. „So verloren sie die alten Namcu
t dem Gedächtnis und niussten, als sie wieder häufiger, jene
jnil Gold, diese mit Silber in Berührung kamen, für deren ver-
Ifeasene Bezeichnungen sich andere verschaffen, gerade wie dies
tei den Kömern asw. mit der Bezeichnung der Zahl „Tausend"
Ifetcbah."
In derartigen Ertirternngen, die beweisen, wie wenig die
iGnindgedanken des Hehnecben Buches damals noch durchgedrungen
■waren, schien das Interesse der vergleichenden Spracb forscher an
nräbistonscheu oder Überhaupt knltnrhistorischen Fragen ftlr ge-
lanuie Zeit verklingen zn wollen. Je mehr die siebziger Jahre
ijch ilireni Ende zuneigten, in um so höherem Grade wurden
klle auf dem Gebiete der vergleichenden Grammatik verfügbaren
- 46 -
Kräfte durch den Kampf in Anspruch genommen, den die Be-
handlung neu auftauchender, weittragender, aber zunächst nur
rein grammatische Dinge betreffender Fragen namentlich in
Deutschland entzündete. Das erhöhte Interesse an der Sprach-
form drängte naturgeniäss dasjenige am Sprachinhalt für einige
Zeit in den Hintergrund. Dazu kam, dass die Ergebnisse, die
sich allmählich aus diesem Streit der Meinungen abklärten, die
Annahme einer grösseren Ursprüngliehkeit des bunten europäischen
Vokalismus vor dem einfarbigen der beiden arischen Sprachen,
das immer mehr an Anhängern gewinnende Axiom ausnahmslos
wirkender Lautgesetze, die Entdeckung neuer Grundlaute in dem
System der Ursprache, wie die verschiedener k-Reihen oder der
siibenbildenden Nasale und Liquiden, die Ermittlung der Ablauts-
gesetze auch in den nicht-germanischen Sprachen und anderes die
Etymologie, auf der doch alle linguistische Paläontologie beruht,
in neue Bahnen drängten. Die Wörterbücher von Pott und
Benfey, ja selbst die von Fick und G. Curtius (Grundzüge
der griechischen Etymologie), begannen rasch zu veralten. Wie
überall, ging aber auch hier das Einreissen schneller als das
Aufbauen und erst ganz allmählich begannen zuverlässige Zu-
sammenstellungen desjenigen etymologischen Wissens, das nach
den heutigen Anschauungen als gesichert gelten kann, für die
einzelnen indog. Sprachgebiete zu erscheinen^).
l) Gute vergleichende Wörterbücher sind auf indischem Gebiet:
Uhlenbeck C. C. Kurzgefasstes etymologisches Wörterbuch der alt-
indischen Sprache, Amsterdam 1898/99 ; auf iranischem :BarthoIomae,
AltiraniRchesWörterbuch,Stra8sburgl904; auf armenisch em: Hübsch-
mann H., Armenische Grammatik I. Teil Armenische Etymologie, Leipzig
1897; auf griechischem: PrellwitzW., Etymologisches Wörterbuch
der griechischen Sprache, Göttingen 1892 ; auf lateinische m:A. Wa 1 d e,
Lat. etym. Wörterbuch, Heidelberg 1905 (im Erscheinen); auf ger-
manischem: Kluge F. Etymologisches Wörterbuch der deutschen
Sprache, 6 te Auflage, Strassburg 1 899 ; U h 1 e n b e c k C. C. Kurzgefasstes
etymologisches Wörterbuch der gotischen Sprache, Amsterdam 1896,
5te Aufl.; auf slavischem: Miklosich F., Etymologisches Wörter-
buch der slavischen Sprachen, Wien 1886; auf altpreussischem:
Berneker E., Die preussische Sprache. Texte, Grammatik, Etymo-
logisches Wörterbuch. Strassburg 1896; auf albanesischem: G.Meyer,
Etymologisches Wörterbuch der albanesischen Sprache, Strassburg 1891;
auf keltischem: Stokes Wh. und A. Bezzen berger. Urkeltischer
Sprachschatz (II. Teil der 4ten Auflage des Vergleichenden Wörter-
buchs der indog. Sprachen von A. Fick), Göttingen 1894.
47
«11
DenigegciiUber versucbte der Verfaswer in der ersten Auf-
lage des vorliegenden Werkes, die 1883 eiachieii und der 1890
«ine zweite folgte, »ich den bracliliegenden linguistiseti-historlsolien
Stadien wieder zuzuwenden. Sein BucU stellte sicli durebaus
auf den ron V. Helm eiiigennmiiieuen Standpunkt, dass es nn-
RiGgiicti 8ei, alleiu mit Hülfe der S|iraehvergleichiing nirbistoriselie
Kolturepocheu ersL-liliessen zu wollen. Aber während V. Hebu
lediglich die historisclicn Nachrichten der antiken Schriftsteller
uebeD der Sjirnche als Hilfsmittel bei seiner Rckougtruktion der
Urzeit verwendet liatlo, wurde hier zum ersten Mal in weiterem
Umfange der Versueb getuacbt, die Ergebnisse der iniuier mehr
herange blühten prähistorischen Forsehung zur Erläuterung
und Riclitigstelluiig der sprachliehen Tatsachen heranzuziehen.
V. Hehn selbst hatte dieser Seite der Wissenschaft ein starkes
Misstranen entgegengebracht. Ein Hauptergebnis, zu dem der
Verfasser auf diesem Wege gelangte, und das seitdem all-
gemeine Zustimmung gel'undeu hat, war, dass diejenige Knltur-
Ijtnfe, die wir an der Hand der sprachlichen OIcichungen als
die indogermanische bezeichuen, derjenigen entspricht, die
die Prähisturiker die neolitbische oder die jüngere Steinzeit
meo.
Ein wichtiger Unterschied gegenüber Hehn bezo^ sieb auch
lof die Wirtschaftsform der Indogermanen. V. Hehn hatte diese
noch als Xomaden in ihre historischen Wohnsitze einwandern
liBseti. Der Verfasser aber versuchte, namentlich an der Hand
der von Angust Fick (oben s. p. 41 1 gesauimelteu gemein-
earopäischen Ackerbaugleicbungen, den Nachweis zu führen, dass
die europäischen Indngeruianen schon in vorhistorischer Zeit zu
«inem, wenn auch primitiven Ackerbau übergegangen sein müssten.
Dieser Gesichtspunkt zeigte sich auch fftr die spezielle Geschichte
^ier in V. Hebns Uucb beLandelteu Kulturpflanzen uicht unwichtig,
der Verfasser in seiner Neubearbeitung des Hehn'sehen
Werkes (o. p. 34) mehrfach gezeigt hat.
Vor allem aber wurden in Spracbvergleiehnng und Ür-
.^eschichte zahlreiche Seiten des Kulturlebens der indogermanisehen
Volker behandelt, die V. Hehn entweder übergangen oder nur
streift hatte, z, B. die Zeitteilung, die Familie, der Staat, das
Jtccbt, die Religion, Bei dem allen wurde versucht, die sprach-
iche Gntndlage des Buches den Lautgesetzen, dereu Handhabung,
- 48 -
selbst vom Standpunkte der damaligen Zeit, die schwächste Seite
V. Hehns gewesen war, sorgfältiger anzupassen.
Die Aufnahme von Sprachvergleichung und Urgeschichte
in der wissenschaftliehen Kritik war eine zustimmende, wie die
Besprechungen der ersten Auflage^) durch K. Brugmann,
G. Meyer, W. Geiger, W. Tomaschek und viele andere,,
die der zweiten durch Bartholomae (Wochenschr. f. klass.
Phil. 1890 Nr. 41), Bezze n berger (Deutsche Litz. 1891 Nr. 46).
Meringer (Z. f. d. österr. Gymn. 1891 H. 4j, Streitberg (Lit.
Zentralbl. 1890 Nr. 13), Stolz (Neue Phil. Rundschau 1890 Nr. 8)
usw. zeigen. Ein erbitterter Gegner entstand dem Werke in
P, V. Bradke, der ein besonderes Buch Über Methode und Er-
gebnisse der arischen Altertumswissenschaft, Giessen 1890, gegen
die erste Auflage von Sprachvergleichung und Urgeschichte und
eine ausführliche Rezension in den Göttingischen Gelehrten An-
zeigen (15. Nov. 1890) gegen die zweite Auflage desselben Buches
schrieb. Ob und inwiefern durch ihn der linguistisch-historischen
Forschung ein bleibender Nutzen entstanden ist, mögen andere
entscheiden*).
Wie man nun auch immer über den Wert oder Unwert
von Sprachvergleichung und Urgeschichte denken mochte, auf
jeden Fall darf dieses Buch das Verdienst für sich in An-
spruch nehmen, an seinem Teil zur Wiederbelebung der linguistisch-
historischen Forschung beigetragen zu haben.
Eine einzelne Seite indogermanischer Kulturgeschichte „Die
Ursprünge des Handels und Wandels in Europa" stellte zunächst
der Verfasser selbst in dem ersten Teil seines Buches Handels-
geschichte und Warenkunde, Jena 1886, dar. Die indogermanische
Familienorganisation behandelte B. Delbrück in seiner Arbeit
Die indogermanischen Verwandtschaftsnamen, ein Beitrag zur
vergleichenden Altertumskunde, Leipzig 1890. Er kam hierin
u. a. zu dem gleichen Ergebnis wie der Verfasser in der zweiten
Auflage von Sprachvergleichung und Urgeschichte, dass nämlich
in vorhistorischer Zeit bei den Indogermanen das Verschwägerungs-
1) Eine ziemlich vollständige Zusammenstellung der kritischen
Besprechungen der I. Auflage von Sprachvergleichung und Urgeschichte
findet man in Bursians Jahresbericht LVI, 199 ff.
2) Ich selbst habe mich über das Buch v. Bradkes in der
Wochenschrift für klassische Philologie 1890 Nr. 50 ausgesprochen.
*9
verliailnifl nur tiiiisichtiicli der Bezieh uugen der juD^t-n Krau mi
den Angehüriseii ihres Mannes ausgehildet gewesen sei. Haupt-
H&cblicb dieWirtBebaftBform derürzeit iiiachle H.Hirt in einer
Keilie vnn AuMtzen d. F. V, 39;"» it., JalirbHchcr fUr National-
ökotiomic nml Statialik Ul. Folge XV. 462 tf., Geographiecbe
Zeitgcbrift, herausgegeben von A. Hettuer IV, 1898 S. 369 ff.)
xuni OL'genatand seiner Betracbtitngeu. Er glaubt hier den
Nacbweiit führen zu können, dase. der Aekerhiin bei den Indo-
germanen in eine noch höhere Voraeit zurückgebe, als von dem
Verfnwer angenommen wurde, und dasg aucb die Vorfabren der
loder lind Iranier ursprünglich an demselben Teil gehabt bätlen.
Üie archäologisch- prähistorische Seite der ganzen Frage suchte
M. Mach in seinem Bncbe Die Kupferzeit Jena 1886. zweite
Anflage 1893, weiter aiiszubanen. Er erkannte durebaus das in
Sprach vergleiebung und Urgescbiebte gewonnene Resultat, dass
die indogermanische Kultur neotilliiscben Cbarakter getragen habe,
aq; aber indem er einei-seits nachwies, dass innerhalb oder am
»ehiasse dieser neolithisctien Kultur eine reine Kupferzeit, d. h.
I Benulxnng unvermiscbten Kupfere .auftrete, und er anderer-
Sts mit V. Hcbu und dem Verfasser bei den Indogermanen die
ikwintscbaft mit dem Kupfer voraussetzte, suchte er die indo-
inaniflclie Urzeit des genaueren als eine Kupferzeit zu cbarak-
isieren.
Nahe lag es auch, dass die vergleicliende Recb tswisseu-
Mjfaaft, die seit 1878 über eine eigene Zeitschrift verfügte, sich all-
Ifthlich des Gedankens der pr<^>ethnisoben Einheil der indog.
FSlker hemäcbligte, um durch Vergleiebung der Reehtsz-usliinde
I den Einzelvölkern bis zu einem indog. Urrechl vorzudringen.
_ lerat tritt dieses Bestreben in einem Aufsatz F. Bcrnhöfts
Über die Grundlagen der Rec-btsentwicklnng hei den indog.
Vfilkem iZeitsehrift II. 2.'>3 ffj im Zusammenhang und deutlicher
hervor. Später ist dieser Gegenstand namentlich von B. W. Leist
in ieinen Büchern Grüco-italische Kecbtsgeschicbte (1884J, Altar-
isebes Jas gentium (1889), Altari^chcs Jus eivile 1 (1892), Altar-
lebea Jus eivile II <1896i behandelt worden, und wenn man
ich vielfach zweifelhaft sein kann hinsichtlich der Berechtigung
r Schlüsse, die Leist auf die vorhistorische Rcchtsgeataltnng
' Indogermanen zieht, so ist doch in den genannten Werken
I atueerordeutlieh reiches juristisches .Material vergleichend zn-
scbrailsr , üi'iMlivrritlelchuiiR unil (.'rsiuFliiebii'. a. Auri, 4
- 50 -
saiomengestellt worden. Genannt sei endlich im Zusammenhang
hiermit ein aus demNaehlass Rudolf v. Iherings herausgegebenes
Buch Vorgeschichte der Indoeuropäer (1894). Es will eine
Art von Ethnogenie der Indogermanen geben und folgende drei
Fragen behandeln: 1. Wodurch ward der Charakter des indo-
germanischen Muttervolkes anderen prähistorischen Einheiten^ vor
allem den Semiten gegenüber, bestimmt? 2. Wie erklären sich
die den europäischen Indogermanen den Indern und Iraniem
gegenüber gemeinsamen Eigenschaften? 3. Wie erklärt sich die
neben aller Übereinstimmung des europäischen Volkscharakters
doch bestehende Verschiedenheit der einzelnen europäischen Völker?
Doch bricht die Veröffentlichung bei der Behandlung der zweiten
Frage ab.
Werfen wir hier einen Blick auf den bisherigen Gang
unserer Darstellung, so kann seit V. Hehn die Vorstellung, als
ob sich lediglich auf sprachliche Gleichungen eine Kulturgeschichte
der Indogermanen aufbauen Hesse, für aufgegeben gelten. Dieser
Wandel der Anschauung zeigt sich nicht am wenigsten in dem
Umstand, dass man mehr und mehr die von Pictet erfundene
Bezeichnung „linguistische Palaeontologie" fallen Hess und dafür
das treffendere „Indogermanische Altertumskunde" wählte. Gleich-
wohl bezweifelte man nicht, dass sich den sprachlichen Gleichungen
im einzelnen wichtige prähistorische Erkenntnisse entnehmen
Hessen. Dies drücken die im Jahre 1892 zuerst erscheinenden,
von Brugmann und Streitberg herausgegebenen „Indoger-
manischen Forschungen", die, wie der weitere Titel der Zeitschrift
besagt, zugleich ein Sammelplatz für Arbeiten auf dem Gebiete
der indogermanischen Altertumskunde sein sollten, folgend ermassen
aus: „Aber noch nach einer andern Seite hin ist die indoger-
manische Sprachwissenschaft zu wirken berufen, bei der Er-
schliessung der indogermanischen Kulturgeschichte. Allerdings
kann sie hierbei nur den Rang einer Hilfswissenschaft bean-
spruchen, doch einer Hilfswissenschaft von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Denn seit vor Jahren Jakob Grimm und Ad albert
Kuhn zum ersten Male den Gedanken fassten, das Sprachmaterial
zur Aufhellung der Lebensverhältnisse längst vergangener Ge-
schlechter zu verwenden, sind die Probleme der indoger-
manischen Altertumskunde kaum von einer anderen
Seite so mächtig gefördert worden, als von der Sprach-
- 51 -
Wissenschaft.^ Indessen ist es eine überall sich bestätigende
Erfahrung, dass das Richtige erst dann erkannt oder festgehalten
wird, wenn die Extreme nach beiden Seiten zuerst behauptet
und dann als irrig erwiesen worden sind. Somit ist es
nicht verwunderlich, dass auch in der Frage nach der Heran-
ziehung der Sprachvergleichung für prähistorische Zwecke eine
rein nihilistische Richtung hervortrat. Hatte man früher
alles von der Sprachwissenschaft erwartet, so warnte man jetzt
davor, wie man sich ausdrückte, „aus sprachlichen Gleichungen
Kulturgeschichte herausdestillieren zu wollen.'^ Wie wir oben
sahen, hatten schon Schleicher (p. 29) und namentlich V. Hehn
(p. 37) eine Reihe von indogermanischen Gleichungen, die man
sonst als urverwandt bezeichnet hatte, als auf uralter Entlehnung
beruhend aufgefasst. Dieser Gedanke wurde nun in jüngster
Zeit von zwei Gelehrten, G. Kossinna (Z. des Vereins für Volks-
kunde VI, 1 ff.) und P. Kretschmer (Einleitung in die Ge-
schichte der griechischen Sprache, Göttingen 1896, Kap. 2 u. 3)
dahin erweitert, dass überhaupt alle indogermanischen Gleichungen
im Grunde nichts als Entlebnungsreihen seien, und da nun diese
Entlehnungsreihen zu ganz verschiedenen Zeiten und in ganz ver-
schiedener geographischer Ausdehnung sich über das vor^esehicht-
liche Sprachgebiet verbreitet haben könnten, so sei es unmöglich,
durch Addition derselben einheitliche vorhistorische Kulturznstände
zu erschliessen. Die Anschauungen Kretschmers berühren sich
dabei vielfach mit denen eines dänischen Forschers, H. S. Vodskov
(Sjoßledyrkehe og naturdyrkelse. Bidrag fil hestemmelsen af den
mytologiske metode, Kjohenhavn 1890), nach dessen Ansieht die
Indogermanen in völlig kulturloser Urzeit sich von dem Persischen
Hochland aus allmählich bis in ihre historischen Wohnsitze aus-
gebreitet hatten, wo sie unter dem Einfluss der verschiedenen
Örtlichkeiten sich differenziert haben und zu den geschichtlichen
Individualitäten geworden sind. Seine Stellung zu diesen Ein-
wendungen, die auch auf W. Wundt Völkerpsychologie I ^, 2
einen starken Eindruck gemacht zu haben scheinen, hat der
Verfasser in der Vorrede zu seinem Reallexikon M der iudoger-
1) Von inhaltreicheren Besprechungen dieses Werkes nenne ich die
von M. Förster, Beiblatt zur Anglia XIII Nr. VI; von R. Much.
Deutsche Litz. 1902, Nr. 34; R. Meringer, Z. f. d. österr. Gymn. 1903
H. V; B. Symons, Museum X, Nr. 4; E. Zupitza, Z. d. Vereins f.
4»
- 52 -
manischen Altertumskunde, Strassburg 1901 dargelegt, and da
dieselben Fragen uns in dem zweiten Abschnitt dieses Buche»
ausführlich beschäftigen werden, braucht an dieser Stelle nicht
auf sie eingegangen zu werden. Das genannte Reallexikon selbst
will alles auf dem Gebiete der indogermanischen Altertumskunde
Geleistete zusammenfassen; doch handelt es sich dabei weniger
um die Erschliessung zusammenhängender prähistorischer Epochen^
als um eine Entwicklung der einzelnen kulturhistorischen Be-
griffe in sprachlicher und sachlicher Hinsicht.
Volkskunde XI, 89 ff . und 342 ff.; A.Brückner, Archiv f. slavische
Phil. XXIII, 622 ff.; F.Stolz, Neue Phil. Rundschau 1901 Nr. 8 u.
1902 Nr. 2; V. Henry Revue critique 1901 Nr. 4 u. Nr. 33; 0. Hof fmaniv
z. f. Sozialwissenschaft 1902 p. 983 ff.; R. M. Meyer, Z. f. Kultur-
geschichte, herausg. v. Steinhausen, IX, 1 ff. Am eingehendsten aber hat
sich mit dem Reallexikon M.Wintern itz in einer Serie von Artikeln „Was
wissen wir von den Indogermanen?* beschäftigt, die im Okt. und
Nov. 1903 in der Beilage zur Allgemeinen Z. erschienen sind. Genannt
sei endlich eine Kritik H. Hirts, I. F. Anz. XIII, 5 ff., obgleich mir
seine Einwendungen, wie sich noch zeigen wird, wenig begründet er-
scheinen. Ahnliches gilt auch von W. Streitbergs Ausführungen im
Lit. Zentralblatt 1902 Nr. 50.
III. Kapitel.
Die Annahmen indog. Völkertrennungen in ihrer
kulturhistorischen Bedeutung.
(Mit einem Anhang über die Erforschung der Lehn-
wörter in den indog. Sprachen.)
Es ist schon in unserem ersten Kapitel gezeigt worden, wie
der Entdeckung des indog. Sprachstammes die Beobachtung auf
dem Fusse folgte, dass innerhalb des Kreises der indog. Sprachen
einige durch die treuere Bewahrung alten oder durch die gemein-
same Schöpfung neuen Sprachgutes zu einer engereu Einheit
verbunden würden. Zu einer entscheidenden Beantwortung dieser
mehr im Vorübergehn behandelten Frage war man indessen noch
Dicht vorgedrungen. Es war daher wünschenswert, dass man
diesem für Sprach- und Völkergeschichte gleich wichtigen Gegen-
stand seine volle Aufmerksamkeit zuwendete. A. Schleicher
war es, der sich in einer stattlichen Reihe von Abhandlungen,
deren erste 1853 in der Kieler Allgemeinen Monatsschrift für
Wissenschaft und Literatur p. 786 — 787 (Die ersten Spaltungen
des indog. ürvolks) erschien, dieser Aufgabe unterzog. Wir
werden nun zunächst ein Bild von den Ansichten dieses Forschers
gewinnen müssen, und zwar in der Weise, dass es uns in erster
Linie auf die Darstellung der geographisch-ethnographischen An-
schauungen ankommt^ die den Schleicherschen Sprachgruppierungen
zugrunde liegen.
Zuvörderst ist hervorzuheben, dass Schleicher den Anfang
der sprachlichen Differenzierung bereits in die indog. Urzeit
hineinverlegt. Er beschreibt dies in seinem Schriftchen Die
Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaf 1 1863 p. 15 wie folgt:
- 54 -
„Nachdem sie (die Ursprache) von einer Reihe von Generationen
gesprochen ward, während dem wahrscheinlich das sie redende
Volk sich mehrte und ausbreitete, nahm sie auf verschiedenen
Teilen ihres Gebietes ganz allmählich einen verschiedenen Cha-
rakter an, so dass endlich zwei Sprachen aus ihr hervorgingen.
Möglicherweise könnten es auch mehrere Sprachen gewesen sein,
von denen aber nur zwei am Leben blieben und sich weiter
entwickelten." Es ist hiernach zu betonen, dass Schleicher die
Entstehung zweier (oder mehrerer) neuer Spracharten aus der
einheitlichen Grundsprache sich allein durch den im Wesen der
Sprache liegenden Differenzierungstrieb herbeigeführt
denkt, ohne zunächst die Annahme einer räumlichen Trennung
des ürvolks zu Hilfe zu nehmen. Nach diesem ersten Aus-
einandergehen der Sprachen habe allerdings auch ein Auseinander-
gehen der Völker in geographischer Beziehung stattgefunden.
Als Ursachen betrachtet Schleicher (Hildebrands Jahrb. I, 404)
„die Zunahme der Bevölkei-ung, die Entwaldung und Verödung
des Bodens, die Verschlechterung des Klimas, kurz, jene un-
glücklichen Folgen, welche bis jetzt noch stets die als Raubbau
betriebene Kultur hatte." Die durch die räumliche Trennung der
Völker in die Ferne getragenen Sprachgattungen der Ursprache
gehen dann wieder in sich durch allmähliche Differenzierung
(,, durch die fortgesetzte Neigung zur Divergenz des Charakters^
wie es bei Darwin heisst") auseinander. Inwieweit Schleicher
die Spracbdifferenzierung innerhalb der einzelnen Sprachgattungen,
Sprachen, Mundarten, Dialekte von Unterbrechung der geo-
graphischen Kontinuität durch Völkerwanderungen etc. sich be-
gleitet denkt, lässt sich mit völliger Gewissheit nicht erkennen.
Jedenfalls kann man sich nach Schleicher die Differenzierung
etwa der germanischen Grundsprache in ihre Mundarten in gRUZ
derselben Weise verlaufend vorstellen, wie es oben bei der ur-
indogermanischen Grundsprache geschildert ist (vgl. Die deutsche
Sprache * p.94 f.). Die geographische Nachbarschaft hebt Schleicher
an verschiedenen Stellen (vgl. z. B. Compendium ^ p. 4) als zu-
sammenhängend mit näherer Sprachverwandtschaft hervor; e&
wird ihm nicht einfallen, wie Lottner (vgl. unten) es tut, etwa
das Italisch den nordischen Sprachen näher als dem Griechischen
zu stellen. Dagegen gruppiert er Germanisch und Litu-Slaviscb^
Griechisch und Lateinisch, Indisch und Iranisch zu einander.
- 55 -
Das relative Alter der indog. Völker- und Sprachtrennungen
sacht Schleicher von zwei Grundsätzen aus zu bestimmen, die er
in folgender Weise formuliert:
1. „Je östlicher ein indogermanisches Volk wohnt, desto
mehr Altes hat seine Sprache erhalten, je westlicher, desto
weniger Altes und desto mehr Neubildungen enthält sie" (Com-
pendium ^ p. 6) und
2. „Je westlicher eine Sprache (oder Volk) ihren Sitz hat,
desto früher riss sie sich von der Ursprache (dem ürvolke) los''
(Kieler Allg. Monatsschrift f. Wissenschaft u. Literatur 1853
p. 787).
Nach diesen Grundsätzen haben also zuerst die Slavo-
Germanen, als zweite die Graeco-Italer, zuletzt die Indo-Iranier
ihre Wanderungen angetreten. In einer kritischen Lage befindet
sich Schleicher dem Keltischen gegenüber. Wegen der am weitesten
westlich befindlichen Wohnsitze dieses Volkes ist er genötigt an-
zunehmen, dasselbe habe am frühesten die Urheimat verlassen.
Eine sorgfältigere Betrachtung des Keltischen veranlasst ihn aber
schon im Jahre 1858 (vgl. Beiträge zur vergleichenden Sprach-
forschung I, 437), dasselbe dem Italischen näher zu rücken, wo-
durch wieder die angeführten Prinzipien Schleichers in bedenk-
licher Weise durchbrochen werden.
Bekanntlich hat Schleicher versucht, seine Ansichten über
die Spaltungen der Ursprache durch eine Zeichnung zu veran-
schaulichen, zu der er sich anfangs des Bildes eines „sich
verästelnden Baumes" (Fig. A), später eines einfachen Linien-
systems (Fig. B) bediente. In beiden Fällen sollen die sich ver-
zweigenden Äste oder Linien den nach verschiedenen Richtungen
verlaufenden Differenzierungstrieb der Sprache darstellen, ohne
dass zunächst ein Urteil über Völkertrennungen in geographischer
Beziehung abgegeben werden sollte. Der Ausdruck „Stammbaum",
der im Verlauf der Forschung von der Auffassung Schleichers
und derer, die ihm folgen, gebraucht wird, scheint erst in dem
genannten Schriftchen Die Darwinsche Theorie und die Sprach-
wissenschaft, aus der Ausdrucksweise der Naturforscher entlehnt
zum ersten Male im Munde Schleichers vorzukommen.
Ich erlaube mir, die beiden Figuren im Texte abzubilden,
um die Ergebnisse der Schleichorschen Forschung in concreto
dem Leser vorznfubren. Zu Fig. B *) ist zu bemerken, dasa die
versehiedcoe Lftuge der Linien „die grossere oder geringere
Länge des Weges -zwischen der Ursprache und den hier als Ende
aitgenomnicnen Entwicklungspnnkten" anzudenten sucht.
1 ) Diuse ist aussisr in der Deutsclieu Sprache noch im Compen-
diiim > |i. 7 und in Die Darwingche Theorie und die SprachwiEseoBclutft
am Ende Hbgehildet.
— 57 -
Genau in demselben Jahre (1853)^ in dem Schleicher
seine oben dargestellte Ansicht ttber die Spaltungen der indog.
Ursprache veröffentlichte, sprach M. Müller in seinem Essay
Der Veda und Zendavesta (Essays I, 60 f.) hinsichtlich der
indog. Völkertrennungen eine sowohl der Schleicherschen als
auch der früher (vgl. p. 21) geschilderten Bopp-Kuhoschen An-
schauung entgegenstehende Meinung aas, der er auch in seinen
späteren Schriften (vgl. 1859 A history of ancient Sanscrit
literature p. 12 f., 1863 Vorlesungen über die Wissenschaft der
Sprache p. 176 f., 1872 Über die Resultate der Sprachwissenschaft,
Strassburger Antrittsvorlesung p. 18 f., 1888 Biographies of
worcUf p. 85flf., 137 flf.) treu geblieben ist.
Er nimmt hier überall eine uralte Spaltung des indog.
Volkes in eine nördliche (nordwestliche) und südliche Abteilung
an, von denen die erstere die heutigen europäischen, die letztere
die iranischen und indischen Völkerschaften indog. Ureprungs
umfasse. Diese Trennung sei durch eine „weltweite Wanderung"
der europäischen Indogermanen in nordwestlicher Richtung ent-
standen, deren Ursachen zwar verborgen seien, die aber ein grelles
Streiflicht auf die ursprünglichen Naturanlagen der scheidenden
ond bleibenden Völkerschaften werfe. Den Europäern sei die
Hauptrolle in dem grossen Drama der Geschichte zugedacht, „sie
repräsentieren den Arier in seinem geschichtlichen Charakter".
Und die Zurückbleibenden '? „Es fordert eine starke Willenskraft
oder einen hohen Grad von Trägheit, dem Anprall so nationaler
oder vielmehr so vöikererschtitternder Bewegungen zu widerstehen.
Wenn alle gehen, wollen wenige bleiben. Aber seine Freunde
ziehen zu lassen und dann sich selbst auf die Reise zu machen —
einen Weg einzuschlagen, der, wohin er immer führe, uns nimmer-
mehr zu einer Vereinigung mit denen führen kann, deren Sprache
wir reden, deren Götter wir ehren — das ist ein Weg, welchen
nur Leute von stark ausgeprägter Individualität und grossem
Selbstvertrauen zu verfolgen im stände sind. Es war die Strasse,
die der südliche Zweig der arischen Familie, die brahmanischen
Arier Indiens und die Zoroastrier Irans einschlugen"^).
1) Diese Vorstellung von elDem bewussten Trennungsprozess der
indog. Völker tadelte mit Recht bereits W. D. Whitney {Oriental and
Linguistic Mtudieif, Neic-Yoi'k 1873 p. 95 f.): „Had not our author,
— 58 —
Einer weiteren Gruppierung der europ. Abteilung der Indo-
germanen in Sprachfamilien steht M. Müller sehr skeptisch gegen-
über. Interessant, weil einer später von uns zu besprechenden
Auffassung der indog. Verwandtschaftsverhältnisse nahe liegend,
ist die Erklärung, die Müller für die spezielleren Überein-
stimmungen z. B. zwischen den slavischen und teutonischen
Sprachen in der Annahme sucht, „dass die Vorfahren dieser
Rassen von Anfang an gewisse dialektische Besonder-
heiten beibehielten, welche sowohl vor als nach der
Trennung der arischen Familie vorhanden waren** (Vor-
lesungen ^ p. 178).
Die so von M. Müller zuerst aufgestellte Idee einer euro-
päischen Grundsprache wurde dann weiter vonC. Lottner
1858 (Über die Stellung der Italer innerhalb des indoeuropäischen
Stammes K. Z. VII, 18—49 und 160—193) durch sprachliche
und kulturhistorische Gründe, auf die wir noch zurückkommen
werden, gestützt. Lottner versucht auch noch eine weitere
Gruppierung der europäischen Grundsprache, an der das be-
merkenswerteste ist, dass er die Lateiner zum ersten Mal von
einem näheren Zusammenhang mit den Griechen loslöst. Seine
Ansicht von den engeren Verwandtschaftsbeziehungen der euro-
päischen Sprachen unter einander würde sich, in der Weise des
Schleicherschen Stammbaums ausgedrückt, so ausnehmen (vgl.
dazu Lottner Keltisch-italisch, Beiträge zur vergleichenden Sprach-
forschung II, 321 ff.):
Earo/iäis€he,p
Urrvlk,
ichfn he ivrote this paragraph, half xmconsciously in raind the famous
aml striking pictiire of Kaulbach at Berlin, representing the scattering
— 59 -
Den energischsten Verfechter aber bat die Ansicht von einer
ursprünglichen Zweiteilung der Indogermaiien in eine europäische
and eine asiatische Hälfte in A. Fick gefunden, der die seinem
Vergleichenden Wörterbuch der indog. Sprachen zugrunde liegende
Auffassung der indog. Völkertrennungen in folgendem Schema
zusammenfasst ^) (vgl. Wörterbuch^ 1051):
Urvolk
Europäer Arier
Nordeuropäer Südeuropäer Iranier Inder
Germanen Lituslaven {Kelten) GräcoitaÜker
,0/^
Skandinavier Deutsche Litauer Slaven Italiker Gmechen
So war man denn trotz der darauf verwendeten Mühe zu
einem abschliessenden Resultat in diesen Fragen nicht gekomnien.
Nur in zwei Punkten stimmten alle Forscher überein: in der
Annahme einer näheren Verwandtschaft einerseits zwischen Iranisch
und Indisch, andererseits zwischen Slavisch und Litauisch. Die
Schwierigkeiten begannen, sobald man eine scharfe Scheidung
zwischen den Sprachen Europas und Asiens vornehmen wollte.
Im Norden erhob sich die Frage, ob man die lituslavischen
Sprachen näher an ihre östlichen, arischen oder an ihre west-
lichen, germanischen Nachbarn rücken sollte. Im Süden waren
die vStinimen über das Griechische geteilt. Während A. Schleicher,
F. Justi (Hist. Taschenbuch herausg. v. F. v. Raumer IV. Folge,
III. Jahrg. p. 316) u. a. die ganze südeuropäische Abteilung dem
Arischen für näher verwandt hielten als dem Nordeuropäischen,
behaupteten H.Grassmanu (1863 K. Z. XII, 119), C. Pauli
(Über die Benennung der Körperteile bei den Indog. 1867, p. 1),
of the human race from the foot of the ruined tower of Babel ; nhere
we see each separate nationality, ivith the impress of its after character
and fortunes already stamped an every limb and feature^ taking up
its line of march toward the quarter of the earth which it is destined
to occupyf^
1) Etwas verändert hat A. Fick seine Ansicht in der IV. Auflage
seines Vergleichenden Wörterbuchs (1891). Auch jetzt noch lösen sich
von dem Urvolk zuerst die Arier ab, die Europäer aber gehen in West-
europäer (Griechen, Römer, Germanen, Kelten) und Osteuropäer (Slaven,
Litauer etc.) auseinander.
- 60 -
W. Sonne^) (1869 Zur ethnologischen Stellang der Griechen,
Wismar, Programm), F. Spiegel (Eranische Altertumskunde I,
443) u. a. eine engere Verwandtschaft speziell des Griechischen
mit den asiatischen Sprachen. Im Inneren Europas bereitete vor
allem das Keltische Verlegenheiten. Bald sollte es dem Norden,
bald dem Süden näher stehen. Im Jahre 1861 fasste H. Ebel,
damals nach Zeuss der gründlichste Kenner des Keltischen in
Deutschland (Beiträge zur vergl. Sprachforschung II, 137 — 194),
das Ergebnis seiner Untersuchungen über die Stellung des
1) Interessant ist die Art, wie sich Sonne a. a. 0. p. 6 die Spaltung
der Indogernianeu entstanden und verlaufen denkt: „Dass die indog.
Völkertrennungen nur allmählich, nur stufonweis stattgehabt, ist oft
bemerkt worden, und es ist gewiss, dass Scheidungen wie z. B. die der
Germanen in Deutsche und Skandinavier, die der letzteren in Schweden
und Dänen sich nur allmählich vollziehn. Dies aber ist ohne Wan-
derung, eine Scheidung auf g-leichem Grund und Boden,
das stilleWerk derZeit. Mit der ersten Zerklüftung unseres
Urvolks möchte es anders hergegangen sein.
Das Urvolk muss, überaus zahlreich, denn die Vollendung der
Sprachform zeugt für eine mehr denn tausendjährige Einheit, nicht
bloss im Süden, sondern auch im Norden des Oxus sich über weite
Ländermavsson Zentralasiens nomadisch gebreitet haben. In diesen
letzteren Landen aber sind geschichtlich nur Turanier heimisch, und
wie später Attila, wie Dschingiskhan die Welt durchstürmen, ein ge-
waltsamer Andrang der Turanier war es wohl, welcher die nördliche
Hälfte unseres Urvolks nach Westen trieb, eine Flucht zunächst über
<lie Wolg-a in die pontischen Steppen hinein. Aber im Westen ist gut
wohnen, sagt der Russe, dort lasst uns Hütten bauen — und gen
Westen rücken die Massen, die Donau weist den Weg; Germanien,
Gallien, endlich in südlicher Schwenkung über die Alpen, Italien wird
erreicht. Die Massen zerfallen sodann in zwei Hälften, deren westliche
i^ich als Kelten und Italiker, deren östliche sich als Germanen und
Slaven weiter individualisiert.
So die eine, die nördliche Hälfte unseres Urvolkes; die andere,
daheim geblieben, behauptet sich im Süden des Oxus, und wenn ihr
gleich der Norden durch Turan verschlossen ist, beweist sie nach Ost
und West die höchste Expansionskraft. Von Baktrien aus, dem eigent-
lichen Mutterland dieser Arier, gen Osten wird das Pendschab, das
Gangestal besiedelt, und Indien bildet eine arische Welt in sich: gen
Westen Medien, Persis, weiter Armenien, Phrygien besetzt, endlich
Thracien, Macedonien, Hellas in den gleichen Kreis gezogen. So bilden
sich die mäehtigrn Parallelen: die südliche (orientalische) von der
Adria zum G;ir.2*es, die nördliche (cccidentalische) von der Wolga zum
westlichen Weltmeer reichend.**
Hl
'■ Kellisclii'ii in folgt-mlci- Weise zusnmDicn: „Üljcrall aluo liaben
Hcli mindestens ebenso beileuiBaine Analogen desselben (des
KelllBcben) zum Deutsch eit (und in zweiter Linie zum Litu-
Bslavisclieni ergeben als zum Italiseben (und sodann zum Orie-
cbiscben); eine Art Mittelstellung wird somit kaum zq
Jeu gn e n sein; docb scheint es, als ob es gerade die Er-
leheiunngen, die am meisten auf das geistige Leben, den inneren
Charakter der Sprache hindeuten, mit dem Deutschen geraeinsam
hfttte." Wie sieb freilieb Ebel diese Mittelstellung der keltischen
Sprachen, aa deren Annahme er bis zu seinem Tode festhielt
(vgl. Zeitschrift f. Völkerpsychologie iind Sprachw. VIII, 472),
historiseb entstanden denkt, wird nicht gesagt.
I.So verschieden man nun aber auch im einzelnen itber die
lengeren Verwandtsehaflsverhßltnisse der iudog. Sprachen denken
mochte, im allgenieinen hatte sich docb die Überzeugung fest-
gesetzt, dass die speziellen Cbcreinstimraungen zweier oder
iDchrerer Sprachen im kleinen genau in derselben Weise zu er-
ijllären sein wie die indog. Sprachverwandtschaft im grossen,
©er Gedanke eines europäischen, eines gräco-italischen, eine»
j^vo-germanischen etc. Urvolkes halte nichts Hefremdenderes al»
iie Idee des indog. Urvolkes selbst. Aach die dialektische Ver-
mcigang der einzelnen iudog. Sprachen wurde in gleicher
Weise aufgefasst. So entwarf z, B. Schleicher in seinem
Werke Die deutsche Sprache ' einen Stammbaum der germanischen
Sprachen, der auf eine ursprOnglicbe Dreiteilung der germanischen
Ursprache in Gotisch, Deutsch und Nordisch hinauslief, während
K. MQlk-nhoff uud nach ihm W. Scberer Zur Geschichte der
Oeatschen Sprache 1868/78 uud H. Zimmer (Haupts Z. XIX.
39.^ ff.) einer Zweiteilung in Ost- und Westgermanisch das Wort
redeten. Anch von den elavischen .Sprachen wurden ähnliche
■Stammbäume entworfen.
Sollte es nun nicht aneb möglich sein, die Kultnrver-
hlltnisse dieser Zwischenstufen mit Hilfe ehenderselheu Spraeh-
Tergleichnng aufzuhellen, mit der man die Kultur der Urzeit
gtnichlowen hatte, und konnte so nicht mit der Zeit ein ganzes
fiebände vorhistorischer Kulturgeschichte aufgeführt werden?
Diese Frage lag um so näher, als der Sebleiebersche Grund-
htz, DQr den grammatischen Bau als Massstab der engeren Ver-
pantltscliaft zweier oder mehrerer Sprachen gelten zu lassen.
- 62 —
«eit LottDcr und Ebel aufgegeben worden war, und nunmehr
auch der Wortschatz mehr und mehr als massgebend für die
Ermittelung der indog. Völkertrennungen herangezogen wurde.
So wurde die Kultur der angeblichen europäischen Urzeit
von C. Lottner K. Z. VII, 18 ff. und vor allem von A. Fick
Die ehemalige Spracheinheit der Indogermanen Europas, Göttingen
1873 dargestellt. Über das Kulturkapital der graeco-italischen
Periode handelten Tb. Mommsen bereits in der ersten Auflage
seiner Römischen Geschichte (1854) p. 12—21 und B. Kneisel
Über den Kulturzustand der indog. Völker vor ihrer Trennung
mit besonderer Rücksicht auf die Gräco-Italiker (Programm
Naumburg 1867). Vor allem wohl durch die gewichtige Stimme
Th. Mommsens ist der Glaube an eine engere Verwandtschaft
der Griechen und Italer, der, wie wir gesehen haben (oben p. 5),
schon in vor-Boppscher Zeit wurzelte, bei Historikern und Ethno-
graphen immer heimischer geworden, worüber ich nur auf die
bekannten Werke von Ernst Curtius, Max Duucker, Fried-
rich Muller (Allgemeine Ethnographie 1871), Heinrich Kie-
pert u. a. zu verweisen brauche.
Die angebliche slavo- deutsche Einheit wurde zuerst im
Zusammenhang erörtert von E. Forste mann in seiner Geschichte
des deutschen Sprachstamms 1874 1, 239 ff. (vgl. dazu Germania
XV, 385 ff.), sodann von R. Hassencamp in seiner Schrift
Über den Zusammenhang des letto-slavischen und germanischen
Sprachstammes 1876 S. 54 ff. Über die arische Urzeit haben
zuletzt W. Geiger La civil iHation desAvi/aSy Museon 1884 und
F. Spiegel Die Arische Periode und ihre Zustände, Leipzig
1887 gehandelt.
Ich glaube indessen bei dem heutigen Standpunkte der
Wissenschaft darauf verzichten zu dürfen, diese und andere Ver-
suche, die Kulturverhältnisse jener hypothetischen Völkergmppen
mit Hilfe der Sprachvergleichung zu erschliessen, hier im einzelnen
darzustellen.
Einen bleibenderen Wert hatte es, wenn einzelne Forscher
aus den Dialekten der Einzelsprachen den gemeinsamen
Wortschatz derselben und aus diesem wieder die älteste Kultur
der betreffenden Einzelvölker zu erschliessen bestrebt waren, da
ja hier zweifellos geschichtliche Einheiten vorlagen. So ver-
suchte Förstemann (Germania XVI, 415 und Geschichte des
- 63 -
<leutschen Spracbstamins I, 399) den urgermanisclien Sprach-
schatz in kulturhistorischer Beziehung zu rekonstruieren und an
der Hand desselben die angeblichen Fortschritte, die die Ur-
germanen gegenüber den Slavo-Germanen gemacht hätten, fest-
zustellen. Von ähnlichem Gesichtspunkt aus hat F. Kluge in
der Einleitung zu seinem Etymologischen Wörterbuch einen Über-
blick über den urgermanischen Wortschatz gegeben. Gesammelt
ist derselbe in A. Ficks Vergleichendem Wörterbuch IIP. Be-
sonders eifrig ist in dieser Beziehung auf dem Boden der sla-
vischen Sprach- und Völkereinheit gearbeitet worden. Der
erste, der die Methode der Sprachvergleichung auf die slavische
Urgeschichte anzuwenden versuchte, war J. E. Wocel, in
seinem Werke Pravek zeme cesM v Praze 1868 p. 245 — 260
(ein Auszug davon in den Sitzungsberichten d. k. böhm. Gesell-
schaft der. W. 1864 H. 2). Nach ihm hat Gregor Krek auf
dem Wege „der linguistischen Archäologie" die slavische Urzeit
zu erforschen gesucht in seinem Werke Einleitung in die slavische
Literaturgeschichte, Graz 1874 (2. Auflage 1887). Besonders
aber ist hier der Name eines russischen Gelehrten A. A. Kotlja-
revskij (1837 — 1881) zu nennen, dessen Schriften von der kaiserl.
Akademie der W. in Petersburg neuerdings gesammelt und heraus-
gegeben worden sind (Sbornik der Abt. für russ. Spr. und Lit.
Bd. 47—50). In einer für jene Zeit höchst beachtenswerten Weise
vereinigen sich in ihnen Sprachwissenschaft, Prähistorie, Geschichte
und Volkskunde, um gemeinsam in die älteste Welt der Slaven
einzudringen. Den gemeinslavischen Wortschatz findet man ge-
sammelt in F. Miklosichs Etymologischem W. der slav. Spr.
Wien 1886.
Die Aufstellung prähistorischer, aber zeitlich nach der indog.
Urzeit liegender Völkereinheiten war, wie wir oben ausgeführt
haben, von der Ansicht ausgegangen, dass die speziellen Über-
einstimmungen zweier oder mehrerer Sprachen sich nur durch
die Annahme einer ihnen zugrunde liegenden gemeinsamen Ur-
sprache erklären Hessen. Wirklich war diese Anschauung die
allein herrschende, bis im Jahre 1872 einer der scharfsinnigsten
imd gelehrtesten der neneren Sprachforscher, J. wSchmidt, zuerst
in einem Vortrag auf der Leipziger Philologen Versammlung d. J.
(vgl. Verliaudl. dei-selben p. 220 ff.), sodann in einer eigenen
tSebrift Die Verwandtschaftsverhältnisse der indog. Sprachen (vgl.
— 64 —
dazu auch Zur Geschichte des indog. Vocalismus 11^ 183 ff.) eine
neue Hypothese aufstellte, die für den von uns behandelten
Gegenstand so wichtig ist, dass wir derselben eine ausführlichere
Darstellung widmen müssen.
J. Schmidt unterscheidet sich dadurch von seinen Vorgängern,
dass er seine Untersuchungen nicht auf eine bestimmte Gruppe
der indog. Sprachen beschränkt, sondern seinen Blick zu gleicher
Zeit auf allen speziellen Übereinstimmungen des gesamten
Sprachgebietes ruhen lässt. Ist doch zunächst einleuchrend, dass
nach der Theorie des Stammbaums nicht alle die linguistischen
Gründe, auf denen die Aufstellung der von uns aufgezählten
Spracheinheiten beruht, beweiskräftig sein können. Sind wirklich
die slavisch-litauischen Sprachen mit den arischen durch eine
engere Verwandtschaft verbunden, so ist dem gegenüber der Ge-
danke einer europäischen Spracheinheit hinfällig, oder entscheidet
man sich etwa für eine nähere Stellung des Griechischen zu den
arischen Sprachen, für eine ario-hellenische Periode, so müssen
die Koinzidenzpnnkte des Lateinischen und Griechischen auf Zu-
fall oder Schein beruhen. Der grosse Vorzug der Schmidtschen
Hypothese besteht nun von vornherein darin, dass sie die Mög-
lichkeit bietet, allen sprachlichen Tatsachen auf einmal gerecht
zu werden.
Dieselbe lässt sich etwa folgendermassen zusammenfassen :
Auf dem noch durch ununterbrochene geographische Kontinuität
verbundenen indog. Sprachboden treten schon in der ältesten
Vorzeit an verschiedenen Stellen als erste Anfänge der beginnen-
den Dialektbildung gewisse Lautveränderungen oder überhaupt
gewisse sprachliche Neubildungen hervor, die sich von ihrem
Ausgangspunkte aus in teils beschränkterer, teils weiterer Aus-
dehnung über die benachbarten Gebiete — man könnte sagen
„wellenförmig" verbreiten. — So bilden sich in dieser früher
einheitlichen Sprachmasse allmählich Differenzierungen, in diesen
Differenzierungen aber Zusammenhänge, die das Prototyp der
späteren Sprachcharaktere bilden. Um gleich zu konkreten Bei-
spielen überzugehen, so tritt an einer Stelle des indog. Sprach-
gebietes die Lautneigung auf, die gutturale Tennis k in gewissen
Wörtern in Zischlaute zu verschieben. Diese Lautneigung er-
streckt sich über das von den Vorfahren der Arier, Armenier
und slavo-litauischen Völker bewohnte Gebiet, so dass nun die
— 65 —
Sprachen derselben mit skrt. gatä, iran. sata, altsl. süto, lit.
szfhtias scheinbar als eine geschlossene Einheit griechischem
biatovy altir. cetj lat. centum, got. hund (= Jcunt) gegenüber-
stehen. Zu gleicher Zeit aber ist vielleicht an einer andern
Stelle des Sprachgebietes der Anfang gemacht worden^ das hh
der Casussnffixe -bhi, -bhis, 'bhya{m)8 in m zu verwandeln, eine
sprachliche Veränderung, welche sich nur über das alte Ver-
breitungsgebiet der slavo-germanischen Stämme erstreckt. Got.
vulfa-rriy altsl. vlüko-rnüy lit. wilka-mus entspricht griech. Evvr\'
(piv, altir. fera-iby lat. hosfi-bus. An einem dritten Punkte setzt
sich der Gebrauch eines vielleicht auch anderweitig sporadisch
vorhandenen suffixalen r zur Bildung eines Passivums und
Deponens fest. Hiervon wird das Keltisch und Lateinisch be-
troffen; vgl. altir. nom berarifero-r etc. Andere Sprach-
erscheinungen wieder, wie der Gebrauch sonst masculiner a (o)-
Stämme als Feminina (^ ödog, fagus) beschränken sich aus-
schliesslich auf griechisch-italisches Gebiet. Die Sprachen endlich
aller europäischen Stämme (und auch einer asiatischen, des
Armenischen) umfasst die Verwandlung des in den iranischen
nnd indischen Idiomen scheinbar rein erhaltenen a in einer ganzen
Reihe von Wörtern in ei lat. feroj griech. tp^gio, irisch berinty
ahd. beruy altsl. berq, armenisch berem: indisch bhar (vgl.
J. Schmidt Was beweist das e der europäischen Sprachen für
die Annahme einer einheitlichen europäischen Grundsprache?
K. Z. XXIII, 373). Wollte man die Verbreitungsgebiete dieser
gnippenweis auftretenden Übereinstimmungen auf indog. Boden
graphisch darstellen, so würde man sich etwa folgenden Bildes
bedienen können:
I o/ » e
Wr imPafrw
V'O ftvi.ytn/.
Schrader, Sprachvergleichaoff und Crgescliichte. 3. Aufl.
7i
— 66 —
In Worten aber würde diese schematische Zeichnung folgen-
des besagen: Gleichwie es nicht möglich ist, in derselben das
von irgend einer der fünf dargestellten Linien umschlossene Ge-
biet herauszugreifen, ohne zugleich in den von einer anderen
Linie begrenzten Bezirk einzugreifen, so ist es auch im Bereiche
der indog. Sprachen nicht statthaft, eine bestimmte Gruppe der-
selben behufs ihrer Zurückführung auf eine ihnen gemeinsame
Ursprache aus dem ganzen loszulösen, weil dann notwendiger
Weise die Fäden zerschnitten werden müssten, die jene Gruppe
mit anderen Seiten des Sprachgebiets verwandtschaftlich ver-
binden. Wollte man die slavo-litauischen Sprachen mit den
germanischen auf eine besondere Spracheinheit zurückführen, so
würde man die Verwandtschaftspunkte ignorieren (Linie 11), die
jene mit den arischen Sprachen verbinden. Wollte man sich
nun aber damit helfen, dass man die nordeuropäischen Sprachen
insgesamt näher an die arischen rückte, so würde man wieder
das Band zerreissen (Linie Ij, durch das alle europäischen (und
die armenische) Sprache umschlungen werden u. s. w.
Wenn so nach J. Schmidt das gesamte Sprachgebiet der
Indogermanen ursprünglich durch eine Kette ^kontinuierlicher
Varietäten" mit einander verbunden war, so bleibt ihm nun
noch die Frage zu beantworten : Wie kommt es, dass dieses Ver-
hältnis heute nicht mehr besteht, wie kommt es, dass statt der
allmählichen Übergänge zwischen Sprachgebieten wie dem sla vischen
und germanischen, dem keltischen und italischen etc. scharfe
Sprachgrenzen vorhanden sind, dass aus ^der schiefen vom Sans-
krit zum Keltischen in ununterbrochener Linie geneigten Ebene^
eine „Treppe" geworden ist (Verwandtschaftsverh. p. 28)?
J. Schmidt erklärt sich dies durch das Aussterben gewisser ver-
mittelnder Varietäten. Waren ursprünglich zwei Dialekte des
Sprachgebietes A und X durch die Varietäten B, C, D u. s. w.
kontinuierlich mit einander verknüpft, so konnte es leicht ge-
schehen, dass ein Geschlecht oder ein Stamm, der z. B. die
Varietät F sprach, durch politische, religiöse, soziale oder sonstige
Verhältnisse ein Übergewicht über seine nächste Umgebung ge-
wann. Dadurch wurden die zunächst liegenden Varietäten 0,
H, I, K nach der einen, E, D, C nach der andern Seite hin von
F unterdrückt und durch F ersetzt. Nachdem dies geschehen
war, grenzte F auf der einen Seite unmittelbar an B, auf der
G7
mderen unuittelbar an L/ Die SpraL'hgrenze nnr gewounea.
IAIb auf bJHtoriBcbe Beispiele zu dem Gesagten weist J. Sclimidt
inf die erdrückende Macbt der altiecLen, rumischen und ncn-
•' boclidentsfiieu Sprache gegenüber den übrigen grietbischen, ita-
Üechen und deutscbeu Dialekten bin.
Allein die J. Scbmidtscbe Theorie bat ausser für die Kr-
kenotnifi nnd hiBtorisclie Erklüruug der iudog. Verwandtscbafts-
rerhSltuisse noch eine andere nicht uiiuder gmsse Bedeutung fllr
die gAuze Grundlage der linguistischen Ki'scbliessnng der Urzeit,
fflr die Rekonstruktion der Ursprache. Die Frage, in
wie viel Sprachen ein Wort vorhanden sein uidsae, um Anspruch
Äof iudog. Adel zn gewinnen, würde sich vom Standpunkt des
^^Lfitamnibaunia, vorausgeget/.t, dass derselbe zu einem wisseuachaft-
^H liehen Abschluss gekommen wäre, nicht schwer l)eantwort£n
^Blassen. Entschiede man sieb für eine ursprüngliche Teilung der
^Hlndogenuaucu in eine westliche und tistliche Hälfte, so würde ein
^^B«ncb nur in einer europäiecben und in einer asiatischeu Sprache
^^Ketymologiscb verwandtes Wort (z.B. lat. ciim+skrt. (ui „Schwert",
^^■fit. dä'na „Brot" -(- »^''t- d/uhtd's „GetreidekJiruer") die Über*
^HfvraguDg de» vou ihm be/.eichi)eteu Begriffes in die L'rzeit ge-
stalten. Oder entschiede mau sich für ein längeres Ziisammeu-
hleiben der arischen Sprachen mit einer uordeuropäischeu oder
flQdeuropäischeu Gruppe, so würde schon ein in nur zwei euro-
p&iachen Sprachen, einer nord- und einer südeuropäischeu be-
legbares Wort (z. B. ;(i;.if); + nbd. huoba oder if ii'tyoi + ahd.
bakhu „backe") auch für die Urzeit seine Geltung haben. In
den beiden Fällen würden also alle Sprachen, welche zu den
Gleiohnugen emis + asi, du na + rfArfniJ'j*. x(J.-t'v + hiioba,
^^ ipdiyio + habku keine» Beitrag liefern, die entsprechenden Wörter
^K ursprünglich besessen, aber später verloren haben, ein Vorgang,
^^Bder ja an uml fUr sich nichts Auffallendes hat.
^^m Demgegeuflber sehwindet vor der J. Schmidlschen Über-
^^Kangsthcorie „auch die mathematische Sicherheit, welche man
^^P'ftlr die Bekoustruktiuu der iudog. Ursprache schon gewonnen
tu haben glaubte". Denn es ist offenbar, dass bei denjenigen
Wftrtreihen, die nur iu gruppen weisen Übereinstimmungen in
.den indog. Sprachen sich finden, für den Anhänger jener Theorie
[ilie Mfiglichkcit aufhört, zu erweisen, ob die übrigen Sprachen die
Wreffenden Entsprechungen verloren oder niemals besessen haben.
- 68 —
Die 80 in kurzem geschilderte Wellen- oder Übergangs-
theorie J. Schmidts fnsst aber aaf Anschanungen von dem all*
mählichen Differenzierungstrieb der indog. Sprachen, die keines-
wegs völlig neu und bis dahin unerhört waren. Hatten doch
schon vorher M. Müller (p. 58), Ebel (p. 61), Sonne (p. 60),
ja sogar A. Schleicher (p. 54), besonders aber A. Pictet^)
und F. Spiegel (vgl. Kap. IV) dem Schmidtschen Gedanken
überaus konforme Ansichten mehr oder minder deutlich entwickelt*
Immerhin war es natürlich, dass dieselben, von J. Schmidt nun-
mehr in ein System gebracht und auf die konkreten Verhältnisse
der indog. Sprachen angewendet, eine überaus stürmische Dis-
kussion hervorriefen.
Den ungeteiltesten Beifall fand J. Schmidt bei denjenigen
Forschern, welche die Verwandtschaftsverhältnisse der neueren
Sprachen zum Gegenstand ihrer Studien machten.
Hier hatte schon geraume Zeit vor J. Schmidt Hugo
Schnchardt in seinem Buche Vocalismus des Vulgärlatein»
Leipzig 1866 (vgl. besonders Kap. IV Die innere Geschichte der
1) Vgl. Origines Indo-europ. §5 p. 48:
Ce qui est certain, dans V4tat actuel des choses^ c'esf que Von
remarque, entre les peuples de la famiUe arienne, comme une chatne
continue de rapports linguistiques speciaux qui courtj pour ainsi dirtr
paralUlement d Celles de leurs positions geographiques . . .
Leu emigrations lointaines auront ete prec4d4es par une extension
graduelle^ dans le cours de laquelle se seront formes peu ä peu des
dialecfes distincts, mais toujours en contact les uns avec les autres, ei
d'autant plus analogues quHls ätaient plus voisins entre eux.
Seine Anschauung illustriert er durch folgende Zeichnung:
Lithuano Slaves
Jhdienj
Grecs
Der Kreis in der Mitte der Ellipse bezeichnet die indog. Ursprache^
— 69 —
römischen Volkssprache 1. Dialekte) die neuere Auffassung für die
romanischen Sprachen angebahnt.
Am deutlichsten zeigte sich dieselbe aber auf dem Felde
der deutschen Dialektforschung, um die sich in dieser Be-
ziehung W. Braune in mehreren Aufsätzen der Zeitschrift Paul
u. Braune Beitr. z. Gesch. d. deutschen Sprache (vgl. besonders
I, 1 ff. und IV, 540 ff.) ein besonderes Verdienst erworben hat.
Um das Gesagte zu veranschaulichen, gestatte ich im Anschluss
an die genannten Untersuchungen auch hier mir eine kleine
Zeichnung zu entwerfen, welche die Resultate darstellen soll, die
auf althochdeutschem Boden einige der wichtigsten, etwa seit
dem VI. oder VII. Jahrhundert wirkenden Lautveränderungen am
Ende des IX. oder Anfang des X. Jahrhunderts für die Ver-
wandtschaftsverhältnisse der ahd. Dialekte hervorgebracht haben.
Von den in unserer Zeichnung eingetragenen Zahlen bezeichnen
— n^
B airisch'
OsUrrtichisdi
IE mir
— 70 —
I — IV und zwar in chronologischer Reihenfolge die 4 Stufen, in
denen die sogenannte IL oder althochdeutsche Lautverschiebung
sich über die deutschen Dialekte ausgebreitet^) hat. Zahl V
kennzeichnet das Verbreitungsgebiet des aus altem 6 hervor-
gegangenen ua gegenüber sonstigem uo {muat : muot), Zahl VI
den Kreis der fränkischen Dialekte mit Rücksicht auf die völlige
Durchführung des Umlautes, der in den oberdeutschen Dia-
lekten durch gewisse Eonsonantenverbindungen wie l + Eons,
aufgehalten wird (f rank, balg : belgi, oberd. palg : palgi).
Ich glaube, dass unsere Darstellung keines ausführlichen
Eommentars bedarf. Sie zeigt, dass sich auch hier nirgend»
scharfe Trennungsstriche zwischen den einzelnen Dialekten machen
lassen. So werden die beiden oberdeutschen Dialekte zwar durch
Zahl III scheinbar zu einem Ganzen verbunden, aber mit ein-
zelnen Teilen des Fränkischen doch wieder durch die Zahlen II
und V aufs engste verflochten. Auch gegen das Sächsische
(Niederdeutsche) gibt es keine feste Abgrenzung gegenüber der
Wirkung der von uns geschilderten Lautverschiebungen. Zwar
nimmt noch das Mittelfränkische teil an der wichtigsten, Ober-
deutschland, Ost-, Rhein- und Südfranken ergreifenden I. Stufe
der Lautverschiebung, wenn auch schon mit wichtigen Ausnahmen
(dat, icat, dity allet); aber bereits das Niederfränkische (Nieder-
ländische) hat ganz niederdeutschen Eonsonantenstand. Die
IV. Stufe der Lautverschiebung endlich erstreckt sich gleichmässig
über alle Dialekte.
Was aber unser besonderes Interesse an den geschilderten
1) Diese vier Schichten der Lautverschiebung sind:
I. t — z; p und k nach Vokalen — f und ch
(ahd. ztt : engl tidey kouffen : engl, keep, suohhan : engl, setk)
II. p im Anlaut, Inlaut nach Kons. etc. — pÄ, /'; d^t
(oberdeutsch u. ostfr. pfad^ pfiamOn^ tat, Huri : rheinfr. etc. päd, plnn-
zöriy dag, diuri; im Innern der Wörter ward auch ein rheinfränk. etc.
d — t ddtun : oberd.-ostfr. tätun, engl, did)
III. k im Anl., Inl. nach Kons. etc. — ch\ h —p\ g — k
(nur oberd. chind, chuning : fränk. kind, kuning, oberd. kepan : fränk.
geban)
IV. sich auch über Niederfränkisch (Niederländisch) und Sächsisch
erstreckend
th — d
{drei : engl, three, dieb : thief).
I
Vorgängeu erregt, igt, dass wir hier wirklich iu der Lage sind,
bei einigen der hervorgehobenen Lau tit hergange den ei-sten Aus-
gangspnukt und ihre allmAhtiehe Aaslireitung festznäti?llen nnd
ta verfoljren. So tritt in Alemannien die Vevschiehuiig dea
th — rf schon in der Mitte des VIIL Jahrhunderts auf. In dieser
Zeit bewahrt aber das gesamte Fränkisch, im Anlaut wenigstens
BbereiDstimmend, die alte Spirans, Erst im Ausgang des
IX. .lahrhnnderts verschwindet th ans Franken nnd d tritt an
eciiie Stelle. In Mittelfranken und weiter nördlich erhält sich
tk noch Ittoger. Es tritt also die allmähliche Anshreitnng einer
Laatversehiebnng, in diesem Falle von Ölld nach Nord, in ein
helles Licht.
Die Verwandtschaftsverhältnisse der slavischen Dialekte
endlich suchte J. Schmidt selbst in seinem Buche Zur Geschichte
des idg. Vokaiismus II, 199 ff. vom Standpunkt der Wellen- oder
Dberfrangstheorie darzustellen.
Die .Angriffe gegen die Schmidtsche Theorie, an denen
lieh besonders Whitney, G. Curtius, Havet, L. Meyer,
Jolly, A. Fick nnd andere beteiligten, richteten sich, wenn wir
T«n den mehr prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten absehen, vor
llleni auf den Punkt (vgl. unsere Zeichnung p, 65, Linie li),
den J. Schmidt als Hauptargunient für die vermittelnde .Stellung
der litn-slavischen Sprachen zwischen Europa nnd .Asien hcrvor-
gehobea hatte, auf die den litn-slavischen nnd arischen Sprachen
in einer grossen Zahl von Wörtern gemeinsame Verwandlung
eines nrsprllngliclien A- in einen Zischlaut (^, s, sz), vgl. gkrt.
Iran, dä^nn, altsl. dfs^tl, lit. deszimtvi: griech. dexa, lat. decem
Die Kraft dieses Beweises suchte nun A. Fick (Die
intcheinbeit der Indogermaneu Europas) dadurch aufzuheben,
er, wie es schon Ascoti vorher gewollt hatte, zu beweisen
iTsnobte, es hätten von jeher in der indog. Ui-sprache zwei
irecbiedene Ä-Lante, ein palaial affiziertes kj <k) und ein
ittarsl affiziertes kr iq) neben einander gelegen, von denen
erstere ehen durch jene Zischlaute der litu-slavischen und
iechen Sprachen reflektiert werde, das letztere aber in den
ingenanulcn Sprachen durch k (c), in den übrigen durch k, p,
repräsentiert sei.
Ee lägen also von Anfang an neben einander: z. B.
(k) skrt, i^vdn, lit. »^«, gricch. xvwr, lat. canh, ir. cü,
— 72 -
kv (q) skrt. fca, lit. käSj altsl. küto, griech. xöregog, Tioregogy lat.
quO'd, altir. ca-te.
Das Gleiche gelte auch von der Media g und der As-
pirata gh.
So unzweifelhaft es nun auch ist, dass die Anfstellang
zweier AvLaute für die indog. Urzeit trotz der anfänglichen Ein-
wendungen J. Schmidts die Billigung der meisten Forscher ge-
funden hat, so berechtigt scheint mir doch die Erklärung J. Schmidts
(Jenaer Literatur-Zeitung 1875 Nr. 201), dass auch die Annahme
zweier Gutturalreihen nicht die Tragweite seines Argumentes für
die Übergangs- und gegen die Stammbaumtheorie abzuschwächen
imstande sei. Denn entscheide man sich für ein kj und ein kVf
so bleibe doch die Zusammengehörigkeit der litu-slavischen und
arischen Sprachen in der Verschiebung des in den übrigen Sprachen
als k erlialtenen kj zu g, s, sz unangetastet bestehen.
In den Kreis der arisch-slavo-litauischen Sprachen moss
übrigens in dieser Beziehung auch das Armenische, wie schon
bemerkt, gestellt werden. Vgl. arm. tasn = altsl. des^tl, skrt.
dd<*an, arm. sun „Hund" = lit. szu, skrt. qvdn u. s. w. Auf
diesen und ähnliche Gründe gestützt, betrachtet H. Hübsch-
mann, einer der besten Kenner dieser Sprache, das Armenische
als einen „zwischen Iranisch und Slavo-lettisch zu stellenden selb-
ständigen Sprachzweig" (K. Z. XXIII, 5 ff.). Das gleiche gilt,
wie die albanesischen Studien G. Meyers (Wien 1883 u. 1884,
B. B. VIII, 186 ff.) dargetan haben, vom Albanesischen, dem
der genannte Gelehrte deshalb eine Stellung näher dem Litu-
Slavischen als den südeuropäisclieu Sprachen zuweist.
In ähnlicher Weise warf man die Frage auf, ob denn wirk-
lich das einheitliche a der arischen Sprachen gegenüber dem o,
e, 0 der europäischen (skrt. aj = griech. äyco^ skrt. dsti = griech.
iöt/, skrt. dvh = griech. oVs) den ursprünglichen Zustand reprär
sentiere, und nicht am wenigsten durch eine Arbeit J. Schmidts
(Zwei arische «-Laute und die Palatalen K. Z. XXV, 1 f.) ist es
gelungen, ein dem europäischen e entsprechendes d mit völliger
EWdenz in der indog. Grundsprache nachzuweisen. Ein Einwand
gegen die Übergangstheorie würde sich aber auch so nicht er-
geben. Die Bewahrung des Alten w^ürde dann eben auf selten
des Europäischen und Armenischen liegen, und in dem Zusammen-
werfen des ursprünglichen a und ä würde eine gemeinsame
— 73 —
Nenerang der iranischen nnd indischen Sprachen zu verzeichnen
sein *).
Von einem neuen Gesichtspunkt aus betrachtete A. Leskien
(Die Deklination im Slavisch -Litauischen und Germanischen,
Leipzig 1876) die Hypothese J. Schmidts. Nachdem er hervor-
gehoben hat (Einleitung p. X), dass er sich die Ausbreitung der
indog. Völker bis zur Okkupation des heute von ihnen besetzten
Gebietes nicht ohne wirkliche geographische Trennungen vor-
stellen könne, meint er, dass die von J. Schmidt postulierten und
auf geographischer Kontinuität des indog. Gebietes basierenden
Übergangsstufen nur dann verstanden werden könnten, wenn diese
Kontinuität vor jede Ausbreitung in ein verhältnismässig enges
Gebiet verlegt würde. Hierdurch aber eingebe sich die Möglich-
keit einer Kombination der Übergangs- und Stamm-
baumtheorie. Bezeichne man z. B. innerhalb der indog. Ein-
heit die Vorfahren der Slaven und Litauer mit 6, die der Arier
mit c, die der Germanen mit a,
so hätten b und c durch gewisse dialektische Eigentümlichkeiten
miteinander verbunden werden können (z. B. arisch g (tf) = slavo-
lit. s, sz). Nachdem dies geschehen war, konnte es sieh er-
eignen, dass durch Auswanderung von c oder durch gemeinsame
Abzweigung von a und h die geographische Kontinuität der Linie
a— c unterbrochen wurde, und sich nun auf der Strecke a—h
neue gemeinsame Eigentümlichkeiten (etwa gcrm. m -\- slavo-lit.
m = sonstigem hh im Suffix) herausbildeten. So würden sich
die Besonderheiten, welche h (das Slavisch-Litauischc) mit c (dem
Arischen) teilt, erklären lassen, und doch würde man noch das
Recht besitzen, „den Versuch zu machen, ob das Litauisch-Sla-
vische sich mit dem Germanischen ' «) zu einer besonderen Gruppe
mit einer vom Ganzen des Sprachstammes oder anderen Teilen
desselben getrennten Entwicklung vereinigen lasse" (p. XXVII).
1) Neben dem Armenischen teilt noch eine andere asiatisch-indog.
Sprache, das Phrygische, die Bewahrung des alten e (vgl. Fick Die
Spracheioheit der Indog. Europas p. 416;. Hübschmann K. Z. XXIII, 49
hält es für wahrscheinlich, dass diese Sprache am nächsten mit dem
Armenischen verwandt sei, eine Annahme, die allgemeine Zustimmung
gefunden hat.
- 74 —
Die Wichtigkeit der Leskienschen Auffassung besteht ohne
Zweifel in der Betonung der für die Erklärung der vorhandenen
Sprach- und Völkergrenzen notwendig anzunehmenden geogra-
phischen Trennung der einzelnen indog. Völker, die J. Schmidt
neben dem an sich auch möglichen Aussterben der vermittelnden
Varietäten aus anderen Gründen (vgl. p. 66) nicht genügend
hervorgehoben hatte, und mit dieser Einschränkung kann die
Übergangstheorie J. Schmidts, wenigstens in theoretischer Be-
ziehung, gegenwärtig wohl für durchgedrungen gelten.
Dies tritt in allen folgenden Arbeiten mit grösserer oder ge-
ringerer Deutlichkeit hervor. So hält es K. Brugmann in seinem
Grundriss der Vergleichenden Grammatik der idg. Sprachen I, 290
(Strassburg 1886) genau wie J. Schmidt für „möglich und nicht
unwahrscheinlich^, dass die vielgenannte Verschiedenheit der indog.
Sprachen in der Behandlung der palatalen Ar-Reihe „eine urindo-
germanische Artikulationsdifferenz widerspiegelt, dass die ursprüng-
lichen Verschlusslaute in einem Teile des Gebietes der indog.
Grundepoche spirantisch affiziert wurden, während sie in dem
anderen Teile rein blieben. Dieser dialektische Unterschied
pflanzte sich dann in die Einzelentwicklungen fort". Vgl. auch
p. 308 bezüglich der velaren Ä'-Reihe. Was aber die Frage der
indog. Ver\vandt8chaftsverhältnisse im einzelnen anbetrifft, so
macht Brugmann an einer andern Stelle (Internationale Zeitschrift
für allgemeine Sprachwissenschaft I, 226) mit grosser Schärfe
einen Einwand geltend, der sich sowohl gegen die Übergangs-
wie gegen die Stammbaumtheorie richtet, indem er darauf hin-
weist, dass die speziellen Übereinstimmungen zweier oder mehrerer
Sprachen sehr oft lediglich auf Zufall beruhen. „Der Gesamt-
habitus der indog. Sprachen blieb ja auch nach dem Auseinander-
gehen des Urvolks im wesentlichen derselbe und die psychische
und leibliche Organisation der Träger und Vererber der Sprache
im ganzen die gleiche, die Anlässe zu Neubildungen waren viel-
fach dieselben: warum also bei gleichen Ursachen nicht auch
gleiche Wirkungen?" p. 31 und ebendaselbst: „Nimmt man es
nicht z. B. als ein Spiel des Zufalls hin, dass im Germanischen
und Armenischen die ursprünglichen Mediae in gleicher Weise
zu Tenues verschoben sind, wie in got. taihun, armen, tasn
gegenüber aind. ddga, gi'iech. dixQf u. s. w.? Warum sollte man
es also /. B. nicht ebenso als ein zufälliges Zusammentreffen be-
75
^ dtlrfen, (iaas die nriiiciog. Metiiae aspirütae im Grieclii-
scben and Italischen zu Tenues aspiratae vt^rscboben wurden,
irie in griecli. itv/tö;, niital. ^thumos tfümuni gegenüber aind.
1. 8. IT. ? Bei 8<j bewandteu Dingen sind es p. 253
picht eine einzelne und nicbt einige wenige auf zweiten oder
^reren Gebieten zugleich auftretende Spraelierseheinnngen, die
f Beweis der näheren Gemeinschaft erbringen, somlern nur
: grosse Kasse von Übereinstimmungen in lautlichen, flesivi-
syntaktiscben und lexikalischen Neuerungen, die grosse
, welche den Gedanken an Zufall ausschliesst. "
Den L e 8 k i e n sehen Gedanken überträgt, wenn ich ihn
Rcbt verstehe, zunächst P. v. Bradke, Beiträge zur Kenntnis
der vorhistorischen Entwicklung unseres Spracbstammes, Giessen
1888, auf die Verwandtschaftsverhältnisse einiger indog. Sprachen,
idem er die sprachlichen nnd kulturgeschichtlichen Übereinstim-
tngen des griechischen und italischen Völkerzweigs in eine gr;ii-'i-
■lische Epoche verlegt, aus dieser dann die Italer sich loslösen
nni im Verein mit den Kelten eine kelto- italische Epoche
durchleben. Ebenso steht H. Hirt, Die Verwandtschafts-
"litlltiiisgc der Iiidogeruianeu, 1. F. IV, 36 ff., im ganscn Auf
Boden der Schniidt-Leskicnschen Anschauungen, trägt
worin ihm übrigens schon K. Pcuka (vgl. u.) vorans-
teangen war, insofern ein neues Moment in die Erörtening dieser
Mgcu, als er die Verschiedenheiten der einzelnen idg. Sprachen
lentlicb mit aus angeblichen Vermischungen mit vor- nnd
ichtidg. Idiomen zu erklären versueht.
Am ausführlichsten aber hat P. Kretschmer in seiner
Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache, GOttingen
den J. 8chmidtschen Gedanken der wellenförmigen Ver-
bitang der idg. Spracherscheinungen über ein geographisch zu-
roeohängendes Sprachgebiet auszubauen versucht. Indessen
hei der Beurteilung der Verwandtschaftsverhältnisse der
.Sprachen die Wellentbeorie nicht den einzig möglichen,
Indern nur den normalen Verlauf der Diateklentwicklung an.
ineben seien als Aufnahmen auch die Sprachspaltnng im
ttie Schleichers und die SprachnriBchung zu betrachten.
In älmlichcm Sinne äussern sich auch K. Urugmann in
r xn-eireii Auflage seines Grundrisses (1897) I, 21 ff., R. Me-
bger, Indogeriuanische Sprachwissenschaft, Leipzig 1897, p. 64,
— 76 —
R. Mach, Deutsche Stamnieskunde , Leipzig 1900, p. 18 ff.,
B. Delbrück, Einleitung in das Studium der idg. Sprachen,
4. Aufl., Leipzig 1904 (p. 137: ,,Die Völkertrennungen") u. a.
Anhang: Über die Erforschung der Lehnwörter In den
indog. Sprachen.
Neben dem direkten Weg, mit Hilfe der Sprachvergleichung
vorhistorische Kulturperioden zu erschliessen, zieht sich aber ein
zweiter indirekter, doch zu demselben Ziele führender. In dem
Leben einer jeden Sprache gesellt sich bekanntlich allmählich zu
dem aus der Urzeit ererbten Teil ihres Wortschatzes ein anderer,
aus der Fremde hereingetragener. Keine Sprache ist im Verlauf
ihrer Geschichte von Lehnwörtern frei geblieben. Da nun aber,
wenigstens im allgemeinen wird mau dies sagen können, die Ent-
lehnung eines Wortes zugleich auch die Entlehnung eines Be-
griffes bedeutet, so ist klar, dass die Sammlung der Lehn- oder
Fremdwörter einer Sprache zugleich wichtige Winke über die
einem Volk von aussen gewordenen, also nicht aus der Urzeit
mitgebrachten Kulturmomente enthalten muss. Es dürfte daher
hier am Platze sein, der wichtigsten wissenschaftlichen Arbeiten,
welche die Lehnwörter der indog. Sprachen behandeln, in kurzem
zu gedenken. Nichts zusammenhängendes ist auf dem Gebiete
der arischen Sprachen hier zu nennen. Auch würde das
Wörterbuch des Rigveda (wie überhaupt des ältesten Sanskrit),
das reinste und uuvermischteste auf dem ganzen indog. Völker-
gebiet, kaum eine irgendwie erhebliche Ausbeute in dieser Be-
ziehung gewähren. Mehr und wichtigeres dürfte schon das
Avesta bieten, worüber sich manche Bemerkungen in Justis
Handwörterbuch der Zendsprache und bei Bartholomae, Alt-
iranisches Wörterbuch (1904) finden. Reichlich durchsetzt mit
semitischen, türkischen u. s. w. Bestandteilen sind natürlich die
modernen iranischen Dialekte; doch ist mir eine erschöpfende
Behandlung derselben nicht bekannt geworden *). Für das Ar-
1) Hinsiclitlich des Neupersischen vgl. P. Hörn, Grundriss der
neupersiscbon Etymologie, Strassbnrg 1893, und dazuH. Hübsch mann,
Persische Studien, Strassburg.
;^tiKiien.
166—188 eine
dieser Sprache
vor aüem auf
ICDi&cbe ist auf Paul de Lagarde
lIt)ng«D 1^77, zu verwoisen, in denön von p.
be Huri sehe Übersicht llber die Übereinstinimungeii
cb mit dem äeniitischen gegeben wird, und
n. Hdhsphmann '), Armenische Grammatik 1897, I. Teil, Ar-
meDisvlie Etymologie (1,2: Persische W. I. 3: Neupergische ood
^^uahischc W. II, 2 .Syrische W. Ul, 2 Orieeliist-lie W. IV Ar-
^^■ftenische Leliimrirter UDsieherer Herkunft).
^^ft 8elir frOh liat hingegen das Sindiuni der Lelinwiirtei' in
^^Beri enropäiselicn S)irni-lien begonnen.
^^A 8clion seit dem Wiedcraufbluben der philologischen Studien
^^Rb Deutschland waren die Beziehungen des Hebräischen znni
1 Griechischen ein Gegenstand gelehrter Spekulationen gewesen.
üeu fmcfatlfisen Versuchen, die mannigfaltigen Übereinstimmungen
l| beider Sprachen aus einem gemeinsamen Crspniiig derselben zu
^HllfclftreD 'vgl. z. B. birnesti. De »restigiia tingiiat hebrakae in
^^■Rj^a graeca, Opuitc. pfiil. p. 177 ff.) folgte, nachdem das ge-
^^kalogittche Verhültuis der beiden Sprachen durch r|ie verglei-
^^Abcnde SprachwissenBchaft endgiltig festgestellt war. die richtige
^^bnff»68nng der semitischen BeBtandtcile des alteren griechiscbeii
^^^ortseliatzes als dem phönizischen KultureinFluss in Grieebeulaud
entsprnngener Lehnwörter. Eine erste Sammlung derselben bietet
Oesenius, der Begründer der semitischen Sprachwissenschaft,
in seiner Geschichte der hehräiseben Sprache I § If. Ihm schliesst
sich G. Kenan, Hisfnire des laHgues »imitiquen, p. 192, an.
Kleinere, zerstreute Beitrüge liefern Benfey , Fr. Müller,
P. <!e Lsgarde n, a. In nenererZeit hat in zusammenhängender
Darstellung zuerst F. Lenormaiit die kullurbistoriscbe Beden-
tnng der semitisch-griechischen Lehnwttrtei' darzulegen versucht
in einem Aufsatz Die Kadmossage und die phöniziseben Niedei-
lasiniDgcn in Griechenland (Annales de phdofophie chretteniw
1867, dann in Die Anfange der Kultur, Jena 1870^ Es muss
indi'iaen bemerkt werden, dass die Lenormantsehe Arbeit eine
»ehr unsolide Basis fllr weitere kulturhistorische Forschungen
.ibgebcn wllrde, da der französische Anthropologe und Orientalist,
mit einer selbsIÄndigen sprachwissenschaftlichen Methode auf
1) Ebenderselbe GelehrlB gibt in Etymologie und Lanilchre dpr
oueiiHchen Sprache (1887) eine vorläufige Übersicht Über die Lehti-
W'Vtrr im OMetischen (p. 1)8—136],
- 78 —
indog. Boden nicht vertraut (vgl. oben p. 28), völlig kritiklos die
früheren Zusaiumenstelluhgen des Semitischen und Grieebischen
wiederholt und neue produziert.
Es war daher eine sehr dankenswerte Aufgabe, der sich
Ä. Müller in einem Aufsatz Semitische Lehnwörter im älteren
Griechisch (Bezzenbergers Beitr. z. Kunde d. indog. Spr. I, 273
bis 301) unterzog, an der Hand unzweifelhafter semitischer Lehn-
wörter im Griechischen (p. 281) bestimmte Lautentsprecbnngen
für die Übertragungen der einen Sprache in die andere festzu-
stellen, an denen er die Ahnenprobe der bisher für semitisch er-
klärten Bestandteile des griechischen Wortschatzes vornehmen
konnte. Allerdings schmolz durch diesen Läuternngsprozess die
Anzahl von 102 auf ihren Semitismus geprüfter Wörter um
ein beträchtliches zusammen (vgl. p. 299 ff.). Eine Anzahl grie-
chischer Wörter, die in den semitischen Sprachen wieder-
kehren, hält Müller allerdings für Fremdlinge auf griechischem
Boden, ohne sich aber über ihre eigentliche Heimat entscheiden
zu können. So xdgjtaoog „feiner Flachs'', skrt. kdrpäsa, aram.
Jcarpasj arab. kirbds; xijßoi;^ xijjiog „Affe", Qkrt. kapi, hebr. qdf'^
odjtfpEiQo^, skrt. qaniprijja, hebr. sappir; ajudgaydog, skrt. mara-
hataj hebr. bareqet u. a. m. Die Bestrebungen A. Müllers sind
dann von W. Muss-Arnolt, Semitic icords in Greek and Latin
{Transactions of the American philological association XXIII,
1892) und H. Lewy, Die semitischen Fremdwörter im Grie-
chischen, Berlin 1895, weiter geführt worden.
Eine sehr kühne und heterodoxe Ansicht hat über mehrere
der hierhergehörigen Wörter F. Hommel in seinem Werk Die
Namen der Säugetiere bei den südsemitischen Völkern, p. 260
u. 414 ff. Er fasst dieselben nämlich nicht als verhältnismässig
späte Entlehnungen aus den semitischen Sprachen, sondern ab
uralte, den Ursemiten und Urindogermanen gemeinsame Kaltor-
wörter auf, durch welche die Nachbarschaft der ürsitze beider
Völker (vgl. unten Kap. IV) auf das deutlichste bewiesen werde.
So urteilt er über xavQog (indog. staura = ursem. taura), il&,
Xicov (indog. liw, laiwa = ursem. IdbfatUj liVatu), XQ^^^^ (indog.
gharata = ursem. harüdu), olvog (indog. tcaina = ursem. icainu) u.a.
Eine wichtige Kontrovei*se über die Frage, ob ägyptische
Lehnwörter (wie ägypt. hari-t = griech. ßägig „eine Schiffsart")
im Griechischen volkstümlich geworden sind, hat sich in Bezzen-
LiKrgerB ßeitrUgen VII zwischen Ermanu iiuil 0. Wc
Eine Saminlnn^ flgyptiseber Wrtrter bei kUssistlieii Aiiloroii
ietet A. Wiedcluanii (Leipzig 1883).
Von den innniii^ralli^en KullureinflUssen, denen die its-
hscheti Bewohner der Apenninhalbinsel im Laufe ihrer
Utefiten Ge»e]it(;hte atisg;eset/t gewesen sind, hat nur der g^rie-
Bbisclie als der liistorisi^b spHteste tiud iiiten^iivste in der latei-
icheii Sprache deDilicb erkennbare Spuren ziirackgeiasaeu. Zwar
t CS an Kich buchst wabrscheinlich, dass, um von den Italien
Btrcifeodeu Seefahrten der Phönizier ivgl. Th. Momnisen,
»mische Geschichte H, 128 und 0, Weise. Rhein. Mus, 1883)
schweigen, das beuachbarte Etrnrien anf den Gebieten, wo es
i Lebrmeisterin Italiens anftritt, im Banwesen, in gottesdienst-
Ichen Zeremonien, in Volksbelustigungen a. s. w. mit den neuen
p-itTen auch die tuskigclien Bezcichnnngen derselben den ita-
ichen Stfluimen übermittelt habe; doch kfnmen dieselben, so
hnge die Sprache der etruskischen Inschriften noch uuentziffert
ist, nur Termiilet, nicht erwiesen werden. Einer verhältnismässig
spSien Zeit gehören die in das Lateinische eingedrungenen Wörter
Jteltiscbeii oder tiberbanpt nordeuropäischen Ursprungs an, die
TOD L. Diefenbach in dem Lexikon der von den Alten aul-
bewabrten Spracbreste der Kelten nnd ihrer Nachbarn, insbeson-
^Biere der Germanen und Hispauier, Origenen Europaeae, Frank-
^^Hirt 1861, gesammelt sind.
^^^ Die Bedeutung aber der griechischen Lehnwörter im
^^Ksteioischcn tftr die BenrteiliiDg des von Griechenland durch die
^^M^ermittelnng seiner Kolonien ausgehenden Einflusses auf die
^^Hftliflcbe Kntt urentwicklnn^ tritt zuerst in T h. M o m m s en s
Eöoiischer Geschichte 11854 vgl. I. 130 u. P, 194 ff.) in ihr rechtes
Licht. Nach diesem Gelehrten machte auf die grosse Wichtig-
-keit dieses Gegenstandes G. Curtiue iu einem V'ortrag auf der
Bambarger Philologenvei'sammlnng 1855, Andeutungen über das
Yerfaähnis der lateinischen Sprache zur griechiächcu, aufmerksam.
It j^ht in demselben namentlich anf die Ausdrucke des römischen
tohiffswesens ein, in denen er 3 Schichten unterscheidet, welche
! Entwicklung des römischen Seewesens darstellten:
1. eine urindog. Schicht (Wörter wie navU, remug),
IL eine grosse Schicht griechischer Fremdwörter (z. lt.
- 80 —
gubernare, ancora, prora, aplustre, anquina, nausea, antennüy
faselusy contus u. s. w.),
in. eine beschränkte Zahl echt römischer, doch nicht indog.
Wörter (telum, malus). Das erste grössere Verdienst um die
Sammlung der griechischen Lehnwörter im Lateinischen erwarb
sich A. Saalfeld in zwei Abhandlungen, Index Graecorum
vocabulorum in linguam latinam franslatorum (Berlin 1874),
und Griechische Lehnwörter im Lateinischen (Programm, Wetzlar
1877). Hieran schliesst sich eine Arbeit E. Beermanns, Grie-
chische Wörter im Lateinischen (Sprachwissensch. Abhandl. her-
vorg. aus G. Gurt ins' grammatischer Gesellschaft, Leipzig 1874
p. 95 — 110), in der ein kurzer Überblick über die griechischea
Kulturelemente des römischen Altertums gegeben wird.
Alle diese Arbeiten aber sind ttbertroffeu worden durch das-
grUndliche und besonnene Werk 0. Weises Die griechischen
Wörter im Latein (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen
Gesellschaft, Leipzig 1882). Es zerfällt in drei Teile, von denea
der erste besonders von den Erkennungszeichen der Lehnwörter
handelt, der zweite die Frage beantwortet: „Auf welchen Gebieten
machen sich die Anregungen Griechenlands bemerkbar?" der
dritte ein sorgfältiges Verzeichnis der aus dem Griechischen ins
Latein entlehnten Wörter gibt. Hierzu ist im Jahre 1884 der
Tenaaurus Italo-graecus, ausführliches historisch-kritisches Wörter-
buch der Griechischen Lehn- und Fremdwörter im Lateinischen
von A. Saalfeld, Wien gekommen. Vgl. auch dessen Italo-
graeca I. Heft (Vom ältesten Verkehr zwischen Hellas und Rom
bis zur Kaiserzeit) 1882, II. Heft (Handel und Wandel der
Römer) 1882.
Der umgekehrte, von Italien auf die Balkanhalbinsel aus-
gehende Kulturstrom zeigt sich, wenn wir von dem Rumänischen
hier absehen, am mächtigsten indemAlbanesischen, das^während
der Dauer der römischen Herrschaft in lUyrien um ein Haar das
Los anderer nicht-römischer Sprachen in anderen Provinzen
geteilt hätte und der Romanisierung gänzlich erlegen wäre**.
(Vgl. G. Meyer Die lat. Elem. im Älbanesischen, Gröber»
Grundriss I; p. 804 ff. und Et. W. d. älbanesischen Spr., Strass*
bürg 1891.)
Im Norden Europas lässt sich von vornherein annehmen,
dass der germanische Sprachboden zahlreiche und bedeutsame:
— SI —
öilartit^i.' Elfiiieiile luifzuweiseii liai)eii werde. Die (:eniiniii^rlicii
Iker, im Herzen unseres Erdteils gelegen und dnrcli ihre nalUr-
^e Veranlapiitng für die Vorzüge wie fllr die Scliallenseileii
mder Kultur enijifäiiglii'li, bilden gleiclisani ein grusses Bassin,
in da?i di« KulUuslrümiingen Europas, von welelier Seite sie;
auch kouiiiieii mügen, eich Bammeln. Ein treuer Spie^l dieKei*
E" bältuisses ist der Letuiwörlerschalx der gemiaiiiselien Sprai-lien.
die Literatur Über die ältesten Hestand teile desselben hat
hier zu heächäftjgen.
Keine grössere Arbeit liegt bi«ber tllwr die Entlehnungen
germ an i sehen Spracbeu aus dem Keltischen vor. Auch
es, da dieselben meistens auf sehr frübzoitige Bcrlllirungeu
beider Völker zurilekgeben, schwer, zwischen Urverwandtscbaft
und Entlehnung in den einzelnen P'ällen zu untersebeideu. Ein
jfaug ist gemacht von R. Much Deutsche titamnieekunde,
^ipzig liKJO (S. 41 fr.: Verhältnis zu den Kelten). Grössere
1 frQbere Anfnierksainkeit hat man den germanisch-Blavischen
äntaprechungen (Wörtern wie got. kintus, altsl. c^la „Heller";
gerni. pftug, slav. plagii, lit, pliügaa; got. dtdgs, altsl, dlügü
„Sehnld"; got. pUnsjan, altsl. plqaati „tanzen" und vielen
P deren I zugewendet, ohne dass man freilich auch hier einerseits
B [Urverwandte von dem Entlehnten zn sondern, andrerseits
n Ausgangspunkt einer Entlehnung (ob auf slavischem, oh anf
germaniscbeui Buden) überall mit 8ioberbeit festzustellen ver-
uiuobt hätte. Vgl. H. Ehel Über die Lehnwörter der deutschen
Sprache p. 9, Lottner K. Z, XI, Hlff., sowie die unten zu
nennenden äammlnngen der slavischen Lehnwjirter ').
.\lier diese Bertlhrungen der Germanen mit ihren nördlichen
Nachharn stehen an Bedeutung weit zurück hinler dem Einfluss.
die Kultur des südlichen Europa, seitdem dieselbe mit
1 Germaueulum in nähere Berührung getreten ist. auf das
llbe ausgeübt bat. Verhältnismässig gering und in grösserem
nfang nur im Gotischen nachweisbar, sind die direkten Be-
Airangeo des Griechischen mit dem Germanischen. Hingegen
lernimmt das römische Volk die weltgeschichtliche Aufgabe,
die ScbUtce, die es zum teil selbst erst ans weiter Fremde
1) Vgl. auch meine Bemerkungen über slavische od^r durch
»D vermittelte Lehnwörter im älteren Deutsch, I. K. XVII. 29 tf.
- 82 -
empfangen hat, dem Volke zu überliefern, von dem es einst anf
dem Schauplatz der Geschichte verdrängt zu werden bestimmt
war. und so gleichartig in seinen Wirkungen ist der von seinen
beiden gewaltigen, Germanien umklammernden Grundlinien des
Rheines und der Donau auf alle germanischen Stämme sich er-
streckende Einfluss Roms, dass ihm gegenüber die Germanen,
doch schon damals dialektisch zergliedert, in sprachlicher Be-
ziehung noch ein grosses einheitliches Ganze auszumachen scheinen.
Was das heidnische Rom begonnen, vollendet das christliche^
das dem Andrang der lateinischen Sprache am weitesten die
Tore öffnet.
Nach diesen Bemerkungen beschränke ich mich darauf, die
wichtigste Literatur über die Lehnwörter der germanischen Sprachen
in kurzem mitzuteilen:
1845 R. v. Raum er Die Einwirkung des Christentums auf
die althochdeutsche Sprache, Stuttgart.
1856 H. Ebel Über die Lehnwörter der deutschen Sprache
(Programm des Erziehungs-Instituts Ostrowo bei Filehne).
1861 W. Wackernagel Die ümdeutschung fremder Wörter
(zuerst Programm zu der Promotionsfeier des Pädagogiums in
Basel, später Kleinere Schriften III, 252 ff.).
1884 W. Franz Die Lateinisch-Romanischen Elemente im
Althochdeutschen. Strassburg.
1888 A. Pogatscher Zur Lautlehre der Griechischen,
Lateinischen und Romanischen Lehnworte im Altenglischen.
Strassburg.
1889, bezw. 1901 F. Kluge Lateinische Lehnworte im Alt-
germanischen (in Pauls Grundriss d. germ. Phil. I*).
1895, 1900 F. S ei 1 er Die Entwicklung der deutschen Kultur
im Spiegel des deutschen Lehnworts I, IL
Wenden wir uns nunmehr zu den östlichen Nachbarn der
germanischen Völker, so finden sich die fremden Bestandteile
der slavischen Sprachen gesammelt von F. Miklosich Die
Fremdwörter in den slavischen Sprachen (Denkschriften der phil.-
hist. Klasse der Kaiserl. Akademie d. Wissenschaften XV, 71 — 140,
Wien 1867) und Die christliche Terminologie der slav. Spr.
(Wien 1876, Denkschr. XXIV). Indem wir das alphabetisch an-
gelegte, stattliche Verzeichnis des ersteren Werks durchlaufen,
zeigen sieh uns für die ältere Zeit folgende Richtungen, in denen
- 83 -
sich der Einflnss der Fremde auf die slavischen Sprachen voll-
zieht. Zunächst gehört der grössere Teil dieser Fremdlinge dem-
jenigen Eulturkreis an, der von dem klassischen Boden der
Mittelmeerländer ausgehend, den germanisch-slavischen (zum Teil
auch keltischen) Norden umschliesst (vgl. Wörter wie griech.-lat.
didßoXog, ahd. tiuval, altsl. djavolü\ griech. xdioag, lat. caesaVy
ahd. kaisavy altsl. cäsarl »u. s. w.). Dabei ist es nicht selten
zweifelhaft, ob die Entlehnung in das Slavische direkt aus dem
Griechisch-Lateinischen oder durch die Vermittlung der Germanen
erfolgt sei. Bei einigen Wörtern ist beides zugleich der Fall.
So ist das altsl. Jcaleäl „Becher" direkt = lat. calix, während
neusl. Jcdthy russ. Jceljüchü mit ihrem auslautenden h unmittelbar
aus dem Deutschen (ahd. chelih = calix) stammen. Ferner ist
in das Altslavische eine nicht unbeträchtliche Menge griechischer
Kultnrwörter direkt vom byzantinischen Boden eingedrungen,
die sich auf die slavischen Sprachen beschränken (vgl. altsl.
plinäta „Ziegelstein", jiUvdog; altsl. kositerä „Zinn", xaoöl-
regog; altsl. izvisti „Kalk", äaßeörog; altsl. Jcadi „Krug", xädog,
lat. cadtiSj korabli „Schiff", griech. xdgaßog und andere).
Scharf unterschieden von dieser eben besprochenen Gattung
von Fremdwörtern, die ihren Ursprung im Süden Europas haben,
sind die älteren Entsprechungen, welche die slavischen Sprachen
mit den germanischen, zum teil auch mit den keltischen
(altsl. lekariy got. lekeis, ir. liaig „Arzt" ; russ. jahednikü „ma-
gistratus quidam^, got. andbahts, kelt. ambactus etc.) gemein
haben. Auf die Schwierigkeiten, welche dieselben bieten, haben
wir schon oben hingewiesen. Vgl. zuletzt ühlenbeck im Archiv
für slavische Sprachen Bd. XV und F. Braun Untersuchungen
auf dem Gebiet der gotisch-slavischen Beziehungen (russisch), I.
Petersburg 1899.
Endlich lassen sich auch östliche, namentlich turko-
tatarische (z. B. russ. kaznä, ttirk. quazän „Schatz", vgl.
H. Vimbery Die primitive Kultur des turko-tatarischeu Volkes
p. 25) Einflüsse in dem slavischen Wortschatz nicht verkennen.
Diese werden beleuchtet von F. Miklosich Die türkischen
Elemente in den Südost- und osteuropäischen Sprachen Wien
1884 und 1888 (Denkschr. d. Kaiserl. Ak. d. W. philos.-
bist. KI. XXXIV, XXXV). Hierbei unterscheidet dieser Gelehrte
drei Perioden der Wortentlehnung: erstens die ersten Jahr-
6*
- 84 -
hunderte unserer Zeitrechnung, bevor die slavischen Völker von
dem Wandertrieb nach dem Westen ergriffen wurden, zweiten»
den mit der Unterjochung der slavischen Bewohner des rechten
Ufers der unteren Donau durch die türkischen Bulgaren be-
ginnenden Zeitabschnitt und drittens die Periode der bleiben-
den Festsetzung der Türken in Europa (XIV. Jahrb.).
Die slavischen Bestandteile des litauischen Wortschatzes
sind gesammelt in dem Buche Ä. Brückners Die slavischen
Fremdwörter im Litauischen, Weimar 1877.
Verweilen wir endlich noch einige Augenblicke bei den
Kelten, so ist hier für die Sammlung des entlehnten Sprach-
guts noch wenig geschehen. Die wichtigsten lateinischen Lehn-
wörter des Altirischen sind zusammengestellt bei Ebel (Beiträge
II, 139 f.) und in den Three Irish glosses hy W. S(tokes)
London 1862, preface p. XX f. Zu beachten ist femer Bruno
Güter bock Bemerkungen über die lateinischen Lehnwörter im
Irischen, Leipzig 1882. Wichtig auch in dieser Beziehung ist
Holde rs Altkeltischer Sprachschatz, Leipzig 1896 ff.
Für die fremden Bestandteile des Wortschatzes der roma-
nischen Sprachen sind die Hauptquellen das etymologische
Wörterbuch von Diez (V. Aufl.) und G. Körting Lateinisch-
romanisches Wörterbuch, Paderborn 1891 (II. Aufl. 1901). Mass-
gebend für die Beurteilung der keltischen Einflüsse in denselben
ist R. Thurneysen Keltoromanisches, Halle 1884, wichtig für
die Wechselbeziehungen zwischen Germanen und Romanen
F. Kluge in Gröbers Grundriss der romanischen Philologie 1887 I^
p. 383 ff. (II. Aufl. 1904) und E. Mackel Die Germanischen
Elemente in der französischen und provenzalischen Sprache, Heil-
bronn 1887. Über die Arabische Sprache in den romanischen
Ländern handelte zuletzt Chr. Seybold (Gröbers Grundriss I,
p. 398 ff.).
IV. Kapitel.
Die Untersuchungen über die Urheimat des
indog. Volkes').
Die Frage nach der ursprünglichen Heimat des indog. Ur-
volkes schien, wie wir in unserem ersten Kapitel gezeigt haben,
bereits vor einem halben Jahrhundert zu einer definitiven Ent-
scheidung gelangt zu sein. Die Gründe, welche die Forscher in die
Täler des Oxus oder auf die Abhänge des Mustagh und Belur-
tagh als zu dem ersten Ausgangspunkt der Indogeimanen ge-
führt hatten, waren teils allgemeiner Natur, hervorgegangen aus
der Auffassung Asiens als der Geburtsstätte der Menschheit und
menschlichen Gesittung überhaupt, teils waren sie eine Verall-
gemeinerung gewisser Fingerzeige, die die älteste mythische Ge-
schichte der indisch-iranischen Völker für das ürland derselben
zu enthalten schien, auf die übrigen indog. Stämme.
Seitdem man damit begonnen hatte, durch die Hilfe der
vergleichenden Sprachwissenschaft in die Eulturwelt des indog.
Altertums einzudringen, verfehlte man auch hier nicht, nach
Gründen zu forschen, die geeignet wären, jene Hypothese über
den Ursprung der Indogermanen zur geschichtlichen Gewissheit
zu erheben. Der erste, der diesen Versuch machte, war wiederum
Adolphe Pictet, dessen Origines Indo-europ^enneSf wie wir
schon oben sahen, in ihrem ganzen ersten Bande (1859) der
Beweisführung gewidmet sind, dass die Heimat der Indogermanen
in dem alten Baktrien oder genauer in den Gegenden zwischen
dem Hindukusch, Belurtagh, dem Oxus und dem Kaspischen
Meer zu suchen sei ^).
1) Vgl. Salomon Reinach, Vorigine des AryaSj histoire d'une
controverse, Paris 1892.
2) Bis in die hohen Täler des Belurtagh und Mustagh lässt Pictet
nur Zweige des arisch-iranischen Stammes hinaufrücken, von wo sie,
— 86 —
Die allgemeinen Gesichtspunkte, von denen aus Pictet sich
für diese Länder entscheidet, sind im wesentlichen die schon
früher besprochenen. Nur darauf wird von Pictet noch ein be-
sonderes Gewicht gelegt, dass gerade die geographische Aas-
breitung der Indogernianen, wie sie historisch vor-
liege, auf Baktrien als anf den gemeinsamen Ausgangspunkt
der zerstreuten Stämme hinweise. Wir haben oben p. 68 ge-
sehen, wie sich derselbe die ältesten Berührungen und das all-
mähliche Auseinandergehen der indog. Völker theoretisch vorstellt.
Dies auf die geographischen Verhältnisse Baktriens und der an-
grenzenden Länder übertragen, würden nach Pictet (vgl. p. 51 ff.)
die Vorfahren der Iranier im Nord-Osten bis zu der Grenze
Sogdianas gegen den Belurtagh, die Vorfahren der Inder dagegen
im Süd-Osten bis zu den Abfiillen des Hindukusch ihre Wohn-
sitze gehabt haben. Diese von hohen Gebirgsketten umrahmte
Lage der beiden Stämme soll zugleich erklären, warum dieselben
länger als die übrigen ungetrennt bei einander geblieben sind.
Im Süd-Westen des genannten Gebietes stellt sich dann weiter
Pictet die späteren Gräco-ltaler vor, welche ihre Wanderungs-
richtung über Herat, durch Chorasan, Masenderan nach Klein-
asien und dem Hellespont zu nahmen. Am weitesten westlich
wohnten auch in der Urheimat die keltischen Stämme, die um
den Süden des Kaspischen Meeres herum nach dem Kaukasus
zo<;en, hier in den fruchtbaren Landschaften Iberiens und Alba-
niens ^) eine längere Rast machten, dann den Kaukasus durch-
brachen und nördlich um das Schwarze Meer herum donauanf-
wärts nach Europa einzogen. Den Norden der Urheimat müssen
endlich die Vorfahren der Germanen und Slavo-Litauer mit ihren
Sitzen längs dem Laufe des Oxus eingenommen haben. Ihr Weg
nach Europa führte dieselben durch die weiten Flächen Scythiens
zum Pontus Euxinus.
Wenn so unser Autor durch Erwägungen aller Art nach
nachdem die Auswanderung anderer arischer Volkszweige Platz ge-
schaffen hatte, wieder in glücklichere Gep:enden hinabzogen (vgl. p. 37).
1) Der Zusammenklang des kaukasischen Iheria^ spanischen
Iberia, irischen Ivernia {^liovrj^ altir. Eriu,, Krend?), ebenso wie der des
kauk. Albania und britischen "A/.ßiovj auf dem die obige Hypothese
beruht, ist ohne Zweifel ein zufälliger. Vgl. H. Kiepert Lehrbuch d.
alten Geographie p. 86, 481, 528.
- 87 -
Baktrien als nach dem Ausgangspunkt der Indogermanen ge-
führt wird, so findet er diese seine Ansieht weiterhin auf das
„glänzendste^ bestätigt durch eine ganze Reihe anderer Gründe,
die er der linguistischen Erschliessung des indog. Kulturlebens
entnimmt.
Als von besonderer Wichtigkeit zunächst für die allge-
meine Bestimmung der Breitengrade, unter denen die Lage
der indog. Urheimat zu suchen sei, betrachtet Pictet die Be-
nennungen, die bereits das Urvolk für die Jahreszeiten und
mit ihnen zusammenhängendes hatte. Da er nun für die Urzeit
eine dreifache Teilung des Jahres annimmt: den Winter (hiems)
mit Schnee (nix) und Eis (ahd. ts = iran. isi), den Frühling
(rer), den Sommer (ahd. sumar, cymr. Äam, iran. hama, skrt.
sämä), so wird er nach der von Jakob Grimm in seiner deutschen
Mythologie gemachten Bemerkung, dass je weiter nach Norden
zwei Jahreszeiten, Sommer und Winter, hervortreten, je weiter
nach Süden drei, vier oder fünf unterschieden werden, zu einem
gemässigten Klima und einer mittleren Breite geführt. Dies
stimme aber aufs beste mit den klimatischen Verhältnissen des alten
Baktriens überein, das, obwohl unter gleichen Breiten wie
Griechenland und Italien gelegen, doch vermöge seiner Erhebung
über den Meeresspiegel in klimatischer Hinsicht dem mittleren
Europa entspreche und einen so kalten Winter habe, dass der
Oxus oft von einem Ufer zu dem anderen gefriere (p. 89 — 109).
Eine weitere Bestätigung seiner Ansicht glaubt Pictet
aus denjenigen Wortreihen zu gewinnen, die für die Topo-
graphie des indog. Urlandes beweiskräftig seien. Zwar können
die zahlreichen Übereinstimmungen der indog. Sprachen in den
Benennungen der Begriffe Berg und Tal, Strom und Bach etc.
nur darauf einen Schhiss gestatten, dass die Heimat der Indo-
germanen kein berg- und wasserarmes Land gewesen sei. Von
grösster Wichtigkeit aber ist ihm der Umstand, dass die Indo-
germanen schon vor ihrer Trennung das Meer kannten, was
Pictet aus der Vergleichung von lat. mare^ irisch rnuiVf got.
marei, lit. märes, altsl. morje mit skrt. mira „Meer, Ozean" (?j
folgert. Ja, indem er diese Wortsippe auf die Wurzel mr {mar,
cf. mors) ,,sterben" zurückführt und zu ihr auch das skr. marü
^Wüste** stellt, glaubt er zugleich den Nachweis führen zu
können, dass das Meer, das in dem Horizont der Indoger-
— 88 —
nianen lag, dasKaspische gewesen seiu müsse. Dieses durch
weite Sandfläcben von dem Kulturboden Baktriens getrennte
Meer konnte in der Vorstellung des ürvolkes leicht mit dem
Begriff der WUste {mira? : maru) zusammenf Hessen.
Es folgt nun weiter die Besprechung der drei Naturreiche,
immer mit besonderer Rücksicht auf die Punkte, die geeignet
sein könnten, die Hypothese des baktrischen Ursprunges der
Indogeniianen zu unterettttzen, und wer die oben (p. 24 ff.) aus-
führlich geschilderte Methode unseres Forschers bedenkt, wird
nicht erstaunt sein zu sehen, dass es ihm ohne Schwierigkeiten
gelingt, au Mineralien, Pflanzen und Tieren dasjenige in die
Urzeit zu übertragen, was ihm für die geographische Fixierung
derselben nützlich erscheint.
Trotzdem schliesst sich der Pictet'schen Argumentation auch
F. Justi in dem oben (p. 28) genannten Aufsatz über die Urzeit
der Indogermanen rückhaltlos an, und nicht weniger entschieden
sprechen sich die auf Pictet folgenden Forscher für Asien als
den Ausgangspunkt der Indogermanen aus, indem sie sich mehr
oder weniger den von Pictet bestimmten Gegenden nähern So
A. Schleicher, so F. Misteli, so M. Müller, der indes aus
mare und seiner Sippe gerade den entgegengesetzten Schluss als
Pictet zieht, dass nämlich die Indogermanen vor ihrer Trennung
das Meer nicht gekannt hätten (vgl. Essays II, 41 ff.), so
W. Sonne, der die Indogermanen noch im Urland vi^eit über die
Grenzen des Oxus nordwärts sich ausbreiten lässt (vgl. oben p. 60)
u. a. m.
Am eingehendsten hat nach Pictet die Frage der indog.
Urheimat J. Muir in seinen Original Sanskrit Texte II. Band,
1860, zweite Auflage 1871 in dem dritten Kapitel Affinities of
the Indians icith the Persians, Greeks and Romans^ and deri-
vation of all these nations from Central Asia behandelt. Aller-
dings enthalten die Ausführungen dieses Gelehrten, nachdem in
Sekt. VI eine ausführliche Widerlegung der oben (p. 9) er-
wähnten Curzonschen Ansicht von dem indischen Ursprung
der Indogermanen gegeben ist, ausschliesslich Referate aus den
Werken anderer, für Zentral-Asien eintretender Gelehrten (vgL
Sekt. VII Central Asia the cradle of the Arians), ohne dass
die Hypothese, zu der sich Muir selbst bekennt, durch neue
Argumente gestützt würde. Hingegen verdient unser Interesse
— 89 -
Sekt. VIII des Mairscheu Werkes {on the national traditions
of the Indians regarding their own original country), insofern
hier die Punkte zusammengestellt und besproeben werden, die
für die Herkunft der Inder aus dem Trans-Himälaya-Land zu
sprechen scheinen. Und zwar sollen für die in Indien fort-
lebende Erinnerung eines nördlichen Heimatlandes beweisend sein :
erstens die Rolle, welche in der Terminologie der Jahreszeiten
in den ältesten Hymnen des Rigveda der Winter spielt, der
später allmählich von dem Herbste abgelöst wird, zweitens die schon
von Lassen (vgl. Zeitschrift für die Kunde d, M. II, 62 ff.)
betonte Sage von dem glückseligen, durch die Tradition in den
änssersten Norden versetzten Volke der Uttarakuravah ^) (den
^OtxaQoxoQai des Ptolemäus), drittens eine Stelle des Atharvaveda,
nach der die Heilpflanze küshfa {xoorog) auf der andeni
^nördlichen) Seite des Himälaya wächst, und viertens ein Passus
des Kaushttaki'brähmanu, in dem von der grösseren Rein-
heit der nördlichen Sprachen die Rede ist. Die schon oben
<p. 12 Anm.) erwähnte Flutsage des Qatapathabrähmana hält
Muir in der zweiten Auflage seines Buches, besonders aus sprach-
lichen Gründen (die Lesart atidudräca „er setzte über'^ sc. diesen
nördlichen Berg, ist zweifelhaft) nicht mehr für stichhaltig (vgl.
p. 323 Anm. 96).
Die Sekt. IX des Muirschen Werkes (Wether anij tradifion
regarding the earliest abodes of the Arian race is contained
in the first fargard of the Vendidad) behandelt, hier wieder
durchaus referierend, die Frage, ob die bekannte Aufzählung
der 16 Landschaften in dem genannten Abschnitt des Avesta
«Schlüsse auf die Ausbreitung der ältesten Indogermanen im all-
gemeinen und der Iranier im besonderen zulasse. Wir sehen,
dass sich in diesem Punkte die Anschauungen der Forscher seit
Rhode und Lassen (vgl. oben p. 9 und 12) wesentlich verändert
haben. Bereits im Jahre 1866 hatte H. Kiepert in den Monats-
berichten der Berliner Akademie d. W. p. 621 — 647 die späterhin
besonders von M. Hang vertretene Ansicht von der Beweisfähigkeit
des ersten Fargards des Vendidad für die Ausbreitung der Indo-
1) Von H. Zimmer (Altind. Leben p. 101 ff.) sind dieselben viel-
mehr nach Kashmir verlegt worden. Vgl. dagegen W. Geiger Ostiran.
Kultur p. 41.
— 90 —
germanen (vgl. Das erste Kapitel des Vend. übersetzt und erläutert,
in Bunsens Ägyptens Stelle in der Weltgeschichte, Schlussband
p. 104 — 137) bedenklich erschttttert, indem er nachwies, dass die
Erwähnung der 16 Landschaften, von so grosser historischer
und geographischer Wichtigkeit sie sonst sei, doch nur den Um-
fang der geographischen Kenntnisse der Verfasser des Zendavesta
darstelle, . von Wanderungen und allmählicher Ausbreitung der
Iranier, oder gar der Arier oder Indogermanen dabei absolut
nicht die Rede sei. Diese ohne Zweifel richtige Auffassung der
Stelle teilten aber mit Kiepert auch namhafte Orientalisten wie
M. Müller und M. Breal (Muir a. a. 0. p. 314 und 334), ja selbst
Spiegel, der in dem ersten Band seines Avesta p. 59 sich noch
für die Auffassung Rhodes und Lassens entschieden hatte, trat
schon in dem zweiten Band des genannten Werkes p. CIX zu den
Bekämpfem derselben über.
Indessen konnte es auf dieses eine Argument für die zentral-
asiatische Herkunft der Indogermanen mehr oder weniger nicht
ankommen. Schienen doch noch ausserdem eine Menge ethno-
graphischer, historischer und linguistischer Momente sich zu einer
erdrückenden Beweismasse für dieselbe zu vereinigen. So standen
die Dinge, als plötzlich der erste Zweifel an dieser fast schon
zu geschichtlicher Gewissheit gewordenen Hypothese von dem
asiatischen Ursprung der Indogermanen in England auftauchte.
R. 6. Latham war es, der in seinem an heterodoxen Ansichten
reichen Werke Elements of comparative philology London 1862"
die schon früher ausgesprochene (vgl. The native races of the
Russian empire London 1854 und noch früher Lathams Ausgabe
der Germania 1851 LXVII p. CXXXVII) Behauptung wieder-
holte und näher begründete, dass vielmehr in Europa die
ursprünglichen Sitze der Indogermanen zu suchen seien
(vgl. Z. c. p. 611 ff.).
Latham geht von der Annahme einer näheren Verwandtschaft
des Sanskrit mit den litu-slavischen Sprachen aus, die er be-
sonders in der Lautlehre durch das oben (p. 65) erörterte Ver-
hältnis der indog. Gutturalreihen für erwiesen erachtet. Dem*
gemäss müsse die ursprüngliche Lage des Sanskrit sich mit der
des Slavisch-Litauischen berührt, und das Sanskrit entweder
Indien von Europa, oder Litauisch, Slavisch, Lateinisch, Griechisch
und Deutsch Europa von Indien aus erreicht haben. Zu einer
- 91 -
Entscheidnug fflr eine dieser beiden Möglichkeiten, die an sich
gleich denkbar seien, fehle nun jede Spur eines Beweises.
„ What I Tiave found in its stead is a tadt assumption that
as the East is the probable quarter in tchich either the human
species, ar the greater part of our civilization, originatedj
evertfthing came from it. But sureli/y in this, there is a con-
fusion between the primary diffusion of manJcind over the
World at large and those secondary movements by tvhich, ac-
cording to even the ordinary hypothesis, the Lithuanic etc. came
from Äsia into Europe^ (p. 612). Es komme daher allein auf
eine Erwägung ihrer allgemeinen Wahrscheinlichkeit an. Da nun,
so fährt Latham in seinem Raisonnement fort, a priori die Wahr-
scheinlichkeit dafür spreche, dass die kleinere Klasse dem Ver-
breitungsgebiet der grösseren entstamme, da auch in der Natur-
wissenschaft die Species von der Area des Genus und nicht das
Genus von der Area der Species abgeleitet zu werden pflege;
da ferner nicht das Germanische aus dem Englischen und nicht
das Finnische aus dem Magyarischen, sondern umgekehrt hervor-
gehe, so müsse auch der Ausgangspunkt des Sanskrit in Europa
und zwar an der östlichen oder süd-östlichen Grenze des Litau-
ischen gesucht werden. Oder, wie es schon in der angeführten
Ausgabe der Germania heisst: „Wenn wir zwei Zweige derselben
Sprachklasse besitzen, die getrennt von einander sind, und von
denen einer ein grösseres Gebiet hat und mehr Varietäten zeigt,
während der andere geringern umfang und grössere Homogenität
besitzt, so ist anzunehmen, dass der letztere von dem ersteren
abstammt, und nicht umgekehrt. Die Indo-Europäer Europas
von den Indo-Europäera Asiens ableiten, ist in der Ethnologie
dasselbe, als wenn man in der Herpetologie die Reptilien Gross-
britanniens von denen Irlands ableiten wollte."
Einen nicht minder starken Zweifel an der Tragkraft der
für die asiatische Herkunft der Indogermanen aufgestellten Ar-
gumente äusserte im Jahre 1867 W. D. Whitney (Language
and study of language p. 201 ff.; vgl. auch 1876 Leben und
Wachstum der Sprache, übers, v. A. Leskien p. 203). Er ist
der Meinung, dass weder Geschichte noch Sage noch Sprache
irgend einen Aufschluss über die Lage der indog. Heimat ge-
statte. Besonders kann er nicht begreifen, wie man die geo-
graphischen Erinnerungen des Avesta (vgl. oben p. 89 f.) als
- 92 -
cineu Hinweis auf die Richtnug der indog. Wanderung habe
ansehen können ^).
Den Zweiflern schloss sich schon im folgenden Jahre Th.
B e n f e y an, nur dass er nicht den skeptischen Standpunkt
Whitneys teilt, sondern mit Entschiedenheit für die Abstammung
der Indogermanen aus Europa eintritt. (Vgl. Vorwort zu dem
Wörterb. d. indog. Grundsprache von A. Fick 1868 p. VIII ff.
und Geschichte der Sprachwissenschaft 1869 p. 597 — 600.)
„Seitdem es", sagt er Vorwort p. IX, „durch die geologischen
Untersuchungen feststeht, dass Europa seit undenkbaren Zeiten
der Wohnsitz von Menschen war, zerfallen alle Gründe, welche
man bisher für die Einwanderung der Indogermanen von Asien
aus geltend gemacht hat, und die wesentlich auf den mit unserer
frühsten Bildung uns eingeprägten Vorurteilen beruhen, in ihr
Nichts." Bestimmt aber soll gegen Asien und für Europa die
linguistische Tatsache sprechen, dass sich in der urindog. Fauna
Namen für die grossen asiatischen Raubtiere Löwe und Tiger
ebensowenig auffinden Hessen wie für das asiatische Transport-
tier, das Kamel. „Aus dem Umstand", wird Geschichte der
Sprachwissenschaft p. 600 Anm. hinzugefügt, „dass die Inder
den Löwen durch ein Wort bezeichnen {siriihä), welches nicht
aus einer indog. Wurzel gebildet ist, die Griechen aber ent-
schieden durch ein Lehnw^ort {ITg, ke(ov aus hebr. lajiS etc.),
darf man schliessen, dass beide ihn in der Ursprache gar nicht
kannten, sondern ihn erst nach ihrer Entferaung von da kennen
lernten und ihm höchst wahrscheinlich den Namen Hessen, unter
welchem er ihnen bei nicht-indog. Völkern bekannt wurde."
Beufey stellt ein genaueres Eingehen auf die Frage nach
den Ursitzeu der Indogermanen in Aussicht, das aber unter-
blieben ist. Nur aus späteren Andeutungen (vgl. AUgemeine
Zeitung 1875 p. 3270) erfahren wir, dass des genaueren Benfey
den Schauplatz der indog. Entwicklung fast an die Grenzen
Asiens, in die Gegend nordwärts des Schwarzen Meeres,
von den Mündungen der Donau bis zum Kaspisee verlegt.
1) Der Übersetzer und Herausgeber J. Jelly (1874) erklärt sich
dagegen bestimmt für die östliche Urheimat der Indogermanen, be-
sonders wegen de»< nimmer wahrscheinlicher werdenden ursprünglichen
Zusammenhangs ilor Indoj^ermanen und Semiten" (vgl. p. 304 ff. d.
deutschen Aus^:.).
- !>3
erklftre ?ich so diireli die „reirlieii Snl/,slliui)fe" hii tk'ii
üfcm des Aral-Sees and des Kaspiäclieii Meeres lieqiieui die
von Benfey schon dem ürvolk xnfe'escbrieleiie Hekannisciiaft mit
(dem SalKc.
Einen beredten Anwalt fand die Latliam-Benfeysche Polemik
(gen die Annahme, dass in Asien die Heimat der liidogcrmanen
suchen sei, in L. Geiger, der in einem 1860 — 7u geschrie-
eo Aufsatz Cber die üiaiUe der indogernianen (heransg;. in
;r Entwickltingsgeschiehte der Mensthheit 1871 p. 113 ff.) den
.cbweis Kl) führen strebt, dass Deutschland als die Urheimat
Indn^ermanen, besoiiders daa mittlere mid westlichere, be-
ihtet werden mnsse. Unter den Argnraenten. die Geiger für
Hypothese anführt, nimmt der Charakter der B a n m -
G^etation, wie er sich für das Urland der Indogermanen
ibe, eine hervorragende Stelle ein. Neben Fiehte, Weide,
Escbe, Erle, Haseintaudc treten nämlich nach Geiger besonders
drei Waidbänme, die Birke (skrt. hkürju, lit. birias, russ. bertza,
:ut8ch birke), die Bache (lat. fagus. griech. <f>iy6: „Eiebe",
tBch buchef und die Eiche (skrt. dru, got. triu „Baum,
'la", griecb, dQv:: „Eiche", altir. daar desgl.) besonders dent-
ih in der Lbereinatimnuuig der Sprachen hervor. Von diesen
imeii sei nnn die Bnche besonders geeignet für die Be-
iimnng der indug. Urheimat. Da nämlich die Heimat dieses
iiunes im Westen der prenssischen Oatseeprovinz zn suehen sei,
lererseitR aber „die Buche um den Anfang der nhristlicbcn
ntrecbuung Holland (vgi. Geiger a. a. 0. p. 136} und England
{Caesar de hello gall. V. Kap. 12) noch nicht erreicht hatte, und
in der indog. Urzeit wahrscheinlich noch weit weniger nürdlich
gekommen war, so müssen wir wohl bis in die nnbestrittene alte
Region dieses Banmes nach Süden hinaufschreiten, was fflr
Dentschland etwa bis zum Thüringerwalde führen würde." Mit
r Hypothese stimme auch überein, dass die „beiden einzigen
ireidearten, deren Anban die Urzeit kannte", Gerste und
iggen gewesen seien. Diese Ansicht fnsst, was den Roggen
ibetrifft, auf ahd. rocco, preuss. rugis, lit. rtigie}, russ. rozi
etc., das nach Grimms und Pictets Vorgang mit skrt. vrikl „Reis"'
Tergltcben wird. Dass aber die ursprüngliche Bedentung dieser
Wvrtreibc „Roggen" gewesen sei. gehe aus der Bedeutungsüber-
letjmmnng der nordeuropSischen Sprachen unter »ich und mit
l^entt
^betre
^Tobet
— 94 —
dem thrakiscbeD ßgiCa {Galenus de älim. facult. 1, 13) hervor,
„Ein Strich, auf welchem Roggen und Gerste, und nicht auch
Weizen gedeiht, möchte nur in Nordeuropa zu suchen sein ;
aber für eine sehr frühe Zeit müssen wir ohne Zweifel auch
eine südlichere Zone von der Kultur des Weizens ausschliessen^
(p. 140).
Hochgeschätzt war in der indog. Urzeit nach Geiger auch
das „echt europäische Färbekraut", die Waid pflanze (griech,
lodrig, lat. vitrum, germ. waid, aus tcaisd), die den Indogermanen
zum Tätowieren des Körpers diente, eine Vermutung, auf die
Geiger durch den Bericht des Caesar {de hello galt. V Kap. 14)
über die indog. Britanner: se vitro inficiunt, quod caeruleum
efficit colorem gebracht wird ^).
Für Deutschland spricht unserem Autor ferner das, worauf
schon Pictet hingewiesen hatte, dass nämlich die indog. Sprachen
nur für Frühling, Sommer und W' inter einheitliche Benennungen
haben, nicht aber für den Herbst. Da nun nach Tacitus Genn. :
hiems et ver et aestas intellectum ac vocabula habent; auctumni
perinde nomen ac bona ignorantur, so wird daraus gefolgert;
„Schon um dieser merkwürdigen Stelle willen dürfen wir wohl
sagen: wenn der Sitz des indog. ürvolkes nicht Deutschland war,
so muss er wenigstens in Beziehung auf Temperatur und Eindruck
der Jahreszeiten dem Deutschland des Tacitus ganz ähnlich ge-
wesen sein" (p. 146).
Auch die Fauna der Urzeit sei eine nordische gewesen.
Am Meere, das sie vielleicht nur durch Hörensagen kannten, lässt
Geiger die Indogermanen nicht wohnen. Ihr Nichtvertrautsein
mit demselben werde durch den Mangel eines gemeinsamen Worts
für das Salz, für die Muschel, die Auster, das Segel, für Fisch-
arten (ausser der Benennung des Aales) etc. erwiesen.
Schliesslich sei erwähnt, dass auch der bei den Germanen
am deutlichsten hervortretende lichte Typus, der als urindogerma-
nisch in Anspruch genommen wird, für Deutschland als Urheimat
der Indogermanen sprechen soll.
Auch der bekannte Sprachforscher und Ethnograph F. Müller
(vgl. E. Behm, Geographisches Jahrbuch IV, 1872, Probleme der
1) Eingebender wird von Geiger über die Tätowierung der indog.
Völker in sachlicher und sprachlicher Beziehung gehandelt in Zur
Entwicklungsgeschichte der Menschheit p. 71 ff.
I
ljiigui»ti8chtii Etbiiograpliie tmd Allgemeine Etbiiograpbie, 1873,
p. 69) ist mit deii GrUnden, die Benfey und Geiger fUi' Europa
als Urheimat der Indogermaneu aufstellteu, vülüg einverstanden
und verlegt mit Bi'ufey den Schauplatz der Trennung der iudog.
Völker nach dem sfldßstliclien Europa. Kur will er aucli auf
«liceeni Terrain die Indogermaueu uiclit als Autochtliouen gelten
Iftsxeu. Dieselben seien vielniebr dorthin vom arnjenischen
Hucblaud in unvordenklicber Zeit eingewandert- Diese Annahme
werde durch die Rasaeneinbeit der Indogeruiauen mit Hamito-Se-
luilen und Knnkasiei-n notwendig gefordert')-
Am ausflibrlichsteD aber hat Friedrich Spiegel die Hin-
fälligkeit der Geaiebriipunkte beleuchtet, auf denen die asiatische
Hypothese beruhe. Vgl. Ausland 1869 p. 2T2(f., Ausland 1871
p. ÖÖ3 ff. {Das L'rland der Indogermanen). Ausland 1872 p. 961 ff.,
EraniHche Altertumskunde! 1871 p, 42t>ff. Um aus diesen lehr-
reiobcu Aufsätzen nur das wichtigste hervormheben, so ist, wie
wir schon oben sahen, auch Spiegel der Meinung, dass in dem
«rsten Kapitel des VendidAd reu einer Wanderung durchaus keine
Rede sei, und dass auch in dem Yima (Dschemechid) des zweiten
Kapitels nur eine mythische Persönlichkeit vorliege. Besonders
eingehend beleuchtet unser Autor den Einfall der in chinesischen
<2iiellen erwähnten Yueti in das grieehisch-baktrische Reich im
2. Jahrhundert v. Chr., deren Wanderungen von früheren Forschem
(Tgl. oben p, 13) als die letzten Ausströmungeu der Indogermanen
ans Zentralasien anfgefasst und deren späterer Name Yetti als
GeteH oder gAr Goten gedeutet worden war. Demgegentlber
wird DUD von S. mit Recht hervorgehoben, dass die Yueti von
den Chinesen selbst als Tibetaner angesehen werden, tmd dass
die Usun. deren nach chinesischen Berichten hlaue Augen und
blonde Barte den ersten Anlass zu jener Hypothese boten, an
der Zerstörung des griechisch-baktriachen Reiches gar nicht be-
teiligt waren, sondern rnhig in ihren Wohnsitzen in der Dsungarei
1) Für Armeiik-n überhaupt als tlrsitz der Indogermanen trat
I «pOtflr H. Brnnnhofer (Über den Ursicz der Indog. BAsel 1884) ein,
, Indetn er unmenüich von den auf indog. Boden weitverbreiteien Fluas'
, aam«n Kur und Araxes ausging, deren UrsjiruDg' nur in Armenien,
beide Flüsse geBchwi^ierlioh vereinigt vorkommen, gesuctil
t werden könne. Vgl, sutb Veriiandl. d. Berliner GesellEchafi f. Ur-
I g««chlehl« U»9 S. 4T8.
- 96 —
verblieben. Ebensowenig können nach S. die persisch redenden
und Ackerbau treibenden Tadschiks um Khasgar, Jarkand etc.
etwas für die zcntralasiatische Herkunft der Indogermanen be
weisen ; denn alles spreche dafür, dass diese Tadschiks von Iran
aus nordwärts sich verbreitet haben.
Das aus der grösseren Ursprünglichkeit des Altindischen
und Altiranischen für die Heimat der Indogermanen entnommene
Argument weist Spiegel mit denselben Gründen wie Whitney
zurück.
Besonders aber wird hervorgehoben, dass die Hochebene
Pamir, die später besonders noch von Monier Williams (Nhie-
teenth Century 1881, vgl. Van den Gheyn a. u. a. 0. p. 26) und
F. Lenormant, Les Origines de Vhistoire d'apris la Bible et
les traditions des peuples orientaux II, 40) als Urheimat der
Indogermanen angenommen wird, in ihrer Erhebung von 15000'
und mit Randgebirgen, die noch um 7uOO' höher sind, kein
passender Aufenthalt für ein Urvolk sei. „Und wie hätte jene
Gegend es vermocht, die unzählbare Menge Volkes zu fassen,
welche wir voraussetzen müssen, wenn wir annehmen, dass diese
indog. Völkermassen nicht nur Eran, sowie einen grossen Teil
von Indien und Europa den Urbewohnern entrissen, sondern auch
diese ungeheuren Landstrecken besetzt und die unterworfenen
Urbewohner in der Art mit sich verschmolzen haben, dass kaum
eine Spur ihres Volkstums zurückblieb" *). Obgleich nun dem
gegenüber Spiegel auch die Herkunft der Indogermanen aus
Europa nur als Hypothese gelten lassen will, so ist er doch der
Meinung, dass das südliche Europa zwischen dem 45. und 60.
Breitengrad zur Erziehung eines Urvolkes geeignet erscheine. In
diesem nur von niedrigen Höhen durchzogenen Tiefland gediehen
Weizen und Roggen unter einem im ganzen einheitlichen Klima
trefflich. Von hier ans lasse sich auch die Ausbreitung der
1) Vgl. auch Van den G h eyn Xe berceau des Aryas (1881) p. 28:
7i(nis pouvons bien accorder que les Aryas primitifs etaient repandus
dans les contries avoisinant le Pamir; mais ü nous sera taujours
difficüe d^admettre que sur ce plateau si desMriti une race ait pu «6
d^elopper. Cette manUre de voir est confirmäe par les recits de taus
les voyageurs modernes und von demselben NouveUes Eecherches sur
le Berceau des Aryas (Extrait de la revue Precis historiques 1882) und
Le Plateau de Pamir d'apr^s les räcentes explorations {Extrait de la
revue des Questions scientifiques 1883).
97
idogcrniRiiCu nach Ost und West am bedien deokeD, bei
lenen eigcut liehe Wandern nf^eii nur eine verhältnis-
lässig geringe Rolle spielten. „Indem das indogerma-
nische Urvolk", heisst es Anslaiid 1871, p. Ö5T, „sich immer mehr
ausdehnte, aa verschiedenen Stellen seiner Grenzen andere Völiier
oielit bloss in sieh aufnahm, sondern auch deren Anschauungen
sich aneignete, inussten Verschiedenheiten entstehen, welche sich
znerHt iu der Bildung von Dialekten zeigten; im Verlaufe der
Zeit erhielten diese eine selhständige Existenz, welche sich hei
dem Mangel einer Schriftsprache und dem geringen Verkehr mit
anderen Stämmen, namentlich mit den entfernter wohnenden,
iuDier fester begründete und die einzelnen Teile endlich gaar.
•a der nrsprDnglichen Mutter abKiste. "
tu demselben Jahre, iu dem die oben genannte Arbeit
"Geigers erschien, machte endlich J. G. Cuno (Forschungen im
Gebiete der Volkerkunde, I. Teil: Die Scythen) Front gegen die
herkömmliche Ansicht von der zentralasiatischen Herkunft der
ludogeruianen. Cuno geht von der Voraussetzung ans, dass das
indog. ürvolk ein nach vielen Millionen zählendes gewesen
aein mfisse, eine Anschauung, auf die er durch seine vOlljg allein-
Stebeode Auffassung der indog. Sprachverwandtschaft und ihrer
lOmnde geffihrt wird. Denn nicht durch die Annahme einer
gemeiusamen Abstammung der indog. Sprachen von einer einheit-
lichen Ursprache erklart er dieselbe, sondern ist der Ansicht,
da«s auf einem grossen und gleich müssigen Räume von Ur-
anfang an verschiedene Idiome mit grösserer oder geringerer
Ähnlichkeit unter einander emporgewachsen seien. Daher kommt
ee, dass er in einer Reihe „der tieferen Unterschiede zwischen
den Individuen der indog. Sprachfamilie " nicht ^Modifikationen
des nreprllngllch identischen", sondern „selbständige Arten der-
aelbeu Gattung" erblickt (p. 671. Unter diesen UmBtänden nun
bimdeU es sich für ihn „um die Auffindung eines grossen,
BTcbweg bewohnbaren, geographisch und klitnatiscli möglichst
Iflcicbartigen Räume», innerhalb dessen keine Völkcracheiden vor-
inden sind, auf dem also ein in sieb gleichartiges Volk ent-
JMteben und organisch wachsen konnte" {p, 31i. Ein solcher
ist nun nach Cunos Meinung nur einmal auf unserem
-Plaoeten vorbandeu, und zwar nmfasst er den Osten Europas im
'Zasamuienüang mit dem nördlichen Deutschland nnd dem nürd-
8*lirad«r, SiJnFhveruUicbunB utid Utgetclilchii^. 3. Aon. 7
— 98 -
liehen and westlichen Frankreich, d. h. das ganze nngehenre
Gebiet zwischen dem 45. nnd 60. Breitengrad vom Ural bis zum
Atlantischen Ozean. Seien so Litauer, Slaven, Germanen und
Kelten als Antochthonen des Bodens zu betrachten, den sie
bewohnen, so sollen die ürsitze der Hellenen nach Ausweis grie-
chischer Sage und Sprache nicht weniger im Norden und zwar
den Litauern benachbart zu suchen sein. Dies gehe nicht nur
hervor aus den Berichten der Alten, besonders des Herodot
(IV, Kap. 108), der von einer griechischen Kultus und grie-
chische Sprache gebrauchenden Stadt der Gelonen im Lande der
Budinen zu erzählen weiss, sondern besonders aus der näheren
Verwandtschaft des Griechischen mit dem Litauischen, die von
Cuno fälschlich behauptet wird (p. 42 — 45).
Aber Cuno hat noch einen weiteren Beweis fttr seine Hypo-
these über den Ursprung der indog. Völker, den ihm die Sprach-
wissenschaft selbst zu bieten scheint. „Ist nämlich die Urheimat
des Volkes und der Sprache der Indogermanen wirklich das
Tiefland und das niedrige Gebirgsland von Mittel- und Osteuropa,
sind Sprache und Volk dort entstanden, so müssen sich zahlreiche
Berührungspunkte zeigen zwischen dem indogermanischen und
dem ihm unmittelbar benachbarten finnischen Sprachstamme''
p. 50. Und in der Tat weiss Cuno auf dem Gebiete der Zahl-
wörter, des Fürwortes, der Verwandtschaftswörter eine ganze An-
zahl finnisch-indogermanischer Entsprechungen zusammenzustellen,
die nicht auf Entlehnung beruhen, sondern in der Periode der
Entstehung beider Sprachen Gemeingut geworden sein sollen.
Wenn nun hieraus hervorgehe, dass der finnische und indog.
Sprachstamm von Anfang an benachbart waren, und es anderer-
seits absurd wäre, etwa eine gemeinschaftliche Einwanderung
der Finnen und Indogermanen aus Asien anzunehmen, so folge
hieraus mit Bestimmtheit, „dass die ältesten Indogermanen da
lebten, wo wir noch heute ihre Hauptmasse finden, und dass
von dem südöstlichen Russland durch die turanischen Steppen
Einbrüche nach Eran, nicht umgekehrt von Eran nach dem süd-
östlichen Russland stattgefunden haben. ^
Mochte man nun über die Gründe, die fttr die Abstammang
der Indogermanen aus Europa vorgebracht worden waren, urteilen,
rie mau wollte, .jetleufalls ist zu kougtalieren, dass liuieh die
EimvendntiiEien der ^enaniiteu Gelehrten die Alleiulierrschaft der
Hypothese von dem nsiatisolieii L'reprung der ladogeniiaiieu
Iaf dafl heftipsle erschtlttert wordeu ist. So kann das ganze
!t]!ie Menschenalter als eiue Zeit des Kampfes der beiden gegen-
berAtehenden Ansichten bezeichnet werden.
Wir verweilen zunächst bei denjenigen Forschern, die die
Itere Meinung aufrecht zu erhalten, nnd durch neue Gesichte
Bukte KH unterstützen bestrebt sind.
Cnter ihnen iät zeitlich zuerst A. Fick zu nennen, der in
er 2. Auflage seines Vergleichenden Wörterbuchs (1870 — 71),
tdeui er itlillschweigend gegen die Bemerkungen Benfeys der
. Auflage Protest erhebt, die Heimat der Indogennanen in die
weiten Gründe Tnrans „zwischen Ural, Bolor und Hindukusch"
verlegt.
Eine eigentliche Polemik gegen die Anhänger der neuen
»bre eröffnet A. Hüfer (K. Z. XX, 379— .S84 Die Heimat des
tdog. Drvolkes). Der ehrwürdige Mitbegründer der vergleichen-
len Sprachwissenschaft in Deutschland kann sie ttberhaupt nur
erstehen „hei dem Drängen der heutigen Wissenschaft", jeden
[atz, „wenn auch nur vergiichsweiae und gleichsam zur Ah-
Irechslung" einmal auf den Kopf xu stellen. Während er von diesem
tandpunkt aus die fllr Europa vorgebrachten Argumente beur-
eilt, scheint ihm für die asiatische Heimat der Indogernianen
^hon das eine hinreichend beweiskräftig zu sein, dass Sanskrit
Eod Zend, weil sie die reinsten und ursprünglichsten Formen
bewahrt hätten, auch in der nächsten Nähe der indo^'. Ursilze
leblieben sein müssten').
Einen einzelnen der gegen die Abstammung der Indo-
{ertnanen aus Asien vorgebrachten Grilnde sucht Carl Pauli
1 widerlegen in einer besonderen Schrift Die Benennung des
wen bei den Indogermaneu, ein Beitrag zur Lösung der Streit-
! über die Heimat des iudog. ürvolkes, Münden 1873.
Den energischsten Anwalt aber fand die asiatische Hypothese
I keinem geringeren als in Victor Hehn. Dieser vertritt in
I] DiSfiern Argument ^e^enüber halle Whitney {iMtiguage and
iHy of tanguage) bcIiod 1S67 aaf dnti Armenische einerseits, auf das
Libiaitehe und IslHadiHChi-' andererseits liingewieeen, die sHiDtlicli in
Merapruch zu demsellieii stehen.
— 100 —
dem Schriftchen Das Salz (1873) die Ausicht, dass die
Gleichung lat. sdl^ griech. äXg etc. keine indogermanische sei,
da sie sich auf die europäischen Sprachen beschränke. Hieraas
zieht nun Hehn p. 16 den Schlnss, dass die Indogermanen, „als
sie noch in ihrem ürsitz, auf dem Scheitel und an den Abhängen
des nach dem Meridian streichenden Bolur-Tagh weidend umher-
zogen ^S noch nichts von dem Salze wussten. Erst die westlichen
Glieder des Muttervolkes^ die nach der Abendsonne zogen^
lernten, als sie in die an Salzsümpfen und halbtrockenen Salz-
seen reichen Steppen das Aralsees und Kaspischen Meeres kamen,
das bis dahin unbekannte Mineral benennen. Auch von der
weiteren Wanderung gibt Hehn eine anziehende Schilderung, die
unter dem Text folgen möge^).
Die zweite Auflage der Kulturpflanzen und Haustiere (1874)
benutzt V. Hehn, um über die Anhänger der europäischen Hypo-
these die ganze Lauge seines Spottes auszugiessen. ^Da geschah
es'*, heisst es Vorrede VIII, „dass in England, dem Lande der
Sonderbarkeiten, ein origineller Kopf es sich einfallen Hess, den
ürsitz der Indogermanen nach Europa zu verlegen; ein GOttinger
Professor eignete sich aus irgend einer Grille den Fund an, ein
geistreicher Dilettant in Frankfurt stellte die Wiege des arischen
1) ^Die weitere Wanderung führte von der aralokaspischen
Niederung auf dem von der Natur selbst für alle Zeiten vorgezeichneten
Völkerwege durch die südrussischen Steppen, wo gegen Nordwesten
dichter Fichtenwald, an den Abhängen der Rarpathen üppige undurch»
dringliche Laubwaldung begann. Hier, wo das Gebirge sich vorlagerte,,
trat eine Zweiteilung ein: am schwarzen Meer, an der Niederdonau,
wo das Weideland sich fortsetzte, drängten die Scharen weiter, aus
denen später Pelasger-Hellenen und Italer, Thraker und Illyrier wurden»
weiter in das heutige Polen, an das baltische Meer, durch die ungeheure
Ebene, die sich bis Holland fortsetzt, verbreiteten sich die nachmaligen
Reiten, die auch über den Ranal zu den britischen Inseln übersetzten,,
die nachmaligen Germanen, die über Belt und Sund auch Skandinavien
erreichten, endlich die Litauer und Slaven, die letzten Nachzügler, die
dem Trennungspunkt am nächsten verblieben. Im Rücken der Fort-
gezogenen ergoss sich nun auf den freigewordenen unermesslichen
Flächen der iranische Strom von den Massageten und Saken bis zn.
den Sarmaten und Scythen, den Jazygen und Alanen, indes südlich
vom kaspischen Meer nach Rleinasien zu ein anderer Arm dieser
iranischen Flut die kompakte semitische Masse sprengte, ihre grössere
Hälfte südlich liess und in einzelnen Ausläufern bis an die Propontis-
und das ägäische Meer gelangte. '^ Das Salz, p. 21 u. 22.
101
I au den Fuss des Taunus und malte die äxenerie weiter
2t». '^ Ee folgen dann die Gesiebtspunkte, von denen aus dieses
absprecbende Drieil gefällt wird, Freilicli sind es dieselben,
ilcneu wir gerade bei den älteren Forsebern, die für Asien ein-
traten, von Pott (vgl. oben p. 11), ja ton Adelung au, bäufig
begegnet sind. „Danacb also hat Asien, der ungebeure Weltteil,
die officina gentium, einen grossen Teil seiner Bevölkerung von
einem seiner vorgestreckten Glieder, einer kleinen, an Natur-
^ben Annen, iu den Ozean hinansreicbenden Halbinsel erhalten 1
ifle (?> flbrigen Wanderungen, deren die Gescbicbte gedenkt,
Igen von Ost nach West nnd brachten neue Lebensformeu,
leb wobi Zei'StOrung ins Abendland, nur die älteste nnd grösste
- in umgekehrter Richtung und Überschwemmte Steppen und
VBHten, Gebirge und Sonnenländer in unermesslicher Erstreckungl
|pd die Stillte der ersten Ursprünge, zu der uns wie in die
[nderzeit unseres Geschlechts dunkle Erinnerungen zurUckfUbreu,
) Statte der frtlbesten, sich regenden Fertigkeiten und nocb
"uaaicberen .Schritte, wo, wie wir ahnen, Arier und Semiten
neben einauder wobuten, ja vielleicht eins waren, sie
i&g nicht etna im Quellgebiet des Oxus, am asiatischen TauruB
oder indischeu Kaukasus, sondern in den sumpfigen, spur- nnd
wegloaen, nur von den Fährten der Elene und Auerochsen durch-
bmcbenen Wäldern Germaniens. Auch die älteste Form der
Sprache durften wir nicht mehr in den Denkmälern Indiens uud
Baktriens suchen, — da ja die Völker dortbin erst durch eine
;e, lerriltlende Wanderung gelaugt wären, — sie klänge uns
mehr aus dem Miiudc der Kelten und Germanen entgegen,
i anbowegl nnd regungslos auf dem Boden ihrer Entstehung
liarrten."
Erwähnt sei jedoch, dass die Vorrede, in der diese Aus-
itDgen enthalten sind, iu den spätereu Auflagen des Hebnscheu
Krkes fehlt').
Dem bedeutendsten Kultnrforscber schüesst sich in setner
techeidung für die asiatische Herkunft der Indogermanen dei
namhafteste Vertreter der historigeben Geographie in Deutsch-
land, H. Kiepert, an. Dieser (vgl. Lehrbuch der alten Geo-
^Apbie 1H7», p. 23 ff.) erblickt iu der, namentlich vor der
1) In der VII. Auflage liabe ich eie am Schloss nieder ab-
1 laweu.
— 102 —
nördlichen Ausbreitung der Germanen nnd Slaven, zn „ausser
ordentlicher Länge gedehnten^ Gestalt des indog. Wohngebietes
die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch die Ausbreitung der
Indogennanen in dieser Längenrichtung erfolgt sei. Dass diese
Ausbreitung von Ost nach West und nicht umgekehrt erfolgt sei,
dafür spricht auch ihm „die allgemeine Analogie^ anderer Wan-
derungen. War doch auch der Trennungspunkt der arischen
Familie mit Sicherheit am östlichen Ende des historischen Ver-
breitungsgebietes der Indogermanen, in den Tälern des Indus und
Oxus.
Was die weitere Wanderung anlangt, so ist Kiepert der
Meinung, dass die Völkermasse der Indogermanen dem Zuge der
Tauros-Kette gefolgt sei und erst im westlichen Asien sich in
eine Hälfte südlich und eine nordöstlich vom Kaukasus gespalten
habe. Auch er findet es wahrscheinlich, dass die europäischen
Indogermanen als kompakte Masse auf mitteleuropäischem Boden
eine lange Zeit gewohnt haben, „da dieselben schon in ältester
Zeit viel vollständiger die Mitte und im westlichen Teil selbst
den Norden des Erdteils bewohnt haben als die südlichen Halb-
inseln.^ Die Ausdehnung der italischen und griechischen Stämme
von Nord nach Süd lasse sich auch in historisch beglaubigten
Zeiten verfolgen. Die ersten der aus Mittel- nach Südeuropa
eingewanderten Stämme seien aber lUyrier (letzter Rest die
heutigen Albaneseu) und Ligurer, von denen erstere dann später
durch die Griechen, letztere durch die Italiker durchbrochen
worden seien.
Die im bisherigen geschilderten Beweisversuche für den
asiatischen Ursprung der Indogermanen gingen im wesentlichen
von den indogermanischen Völker-, Kultur- und Sprachverhält-
nissen selbst aus, und es bleibt uns nun noch einer Argumentation
zu gedenken, die zu demselben Ergebnis zu führen schien, indem
sie an das angebliche nähere Verhältnis der Indogermanen zu
einem anderen Sprach- und Völkerstamm anknüpfte.
Schon in den bisherigen Erörterungen über die Ursprünge
der Indogermanen sind wir öfters (vgl. p. 13, 92) der Meinung
begegnet, die Indogermanen müssten deshalb aus Asien nach
Europa uml nicht umgekehrt gewandert sein, weil sie durch
eine uralte Sprachverwandtschaft mit dem zweiten Haupt-
stamm der weissen Rasse, deren Ursitze doch niemand Id
I
Europa werde sticljen wolleu, mit den Seiniteo, verbunden
würden.
Diese Annahme einer aeniitisch-indogermanischenDrverwandt-
scLaft muas nnn freilich trotz. F. Delitzsch Studien llber iudo-
genDaoisch-scmitiBche Wurzelverwandtsehaft Leipzig 1873 (wo
p. 3 — 21 eine gesehichtliehe Übersieht über diese wichtige Kontro-
verse gegeben wird) anch heute noch als nnbegritudet bezeichnet
werden, und go würden die altsemitischeu Volkerverhältnisse für
die Heurteiinng der indogernianiscfaen kaum von Interesse sein,
wenn man nicht die Ursitze der Semiten denen der ludoger-
raanea noch auf einem anderen Wege nahe zn bringen ver-
BUcbt hätte.
Während uämlieb nach der Ansicht namhafter Semitisten
(E. ächrader und Sprenger) der Ausgangspunkt der semitischen
Völker nach dem Süden ihres historischen Verbreitungsgebietes
und zwar nach Arabieu zu verlegen wäre, versuchte A. v. Krenier
in seinem Aufsatz Semitische Kultnrentlebnnugen aus dem Tier-
und Pflanzenreiche (Ausland lt^75 Nr. 1, 2, 4, 5) durch die Ver-
ciuigong spracbvergleichender, sowie pflanzen- und tiergeographi-
Bcher Forschung darzutuu, dass die Einwanderung der Semiten
vielmehr von Norden her in die von ihnen besetzten Länder er-
folgt sein müsse. Aus der Vergleichnng der semitiscbeit Sprachen
biiuiehtlich der Benennungen ihrer Flora und Fauna gehe näm-
lich hervor: 1. dass die Semilen schon vor ihrer Trennung das
Kamel kannten und 2. dass ihnen /.u dieser Zeit noch die Pidme
nnd der Siranss unbekannt waren, die doch, Arabien als ür-
faeimat der Semiten vorausgesetzt, ihrer Kenntnis nicht hätten
entgehen können. „Das Land aber'', schliesst er weiter, „wo
Palme und Strauss febleu, aber das Kamel seit der Urzeit heimisch
ist, kann nur in Zentralasiens unerniessUchen Hochebenen gesucht
werden, die westlich von der Pamirterrasse zwischen Oxus und
Jftsartes liegen nnd von einem ganz vorurteilsfreien Naturforscher
(Scbmarda, Geograph. Verbreitung der Tiere) als der Entstehuugs-
herd der ^Spezies eijuina bezeichnet werden." Von hier sei die
Wanderung der Semiten, zunächst dem Laufe des Oxus folgend,
ia südwestlicher Richtung, am Südrand des Kaspischen Meeres
bin, durch einen der Elbur/.-I'äs«e nach Medien gegangen, von
bier aber „durch die Eiubruebslelle aller ViilkerBiiinmie vnn und nach
Medien, dnrch die Felscnschluebt vnn Holwän" in das liefe Hecken
— 104 —
der assyriscli-mesopotamischen Niedernng, wo nun erst allmählich
die Differenzierung der semitischen Stämme erfolgt sei.
An die Beweisführung Kremers schliesst sich, dieselbe be-
richtigend und erweiternd, Fritz Hommel an, sowohl in einem
Aufsatz Die ursprünglichen Wohnsitze der Semiten (Beilage z. Allg.
Zeitung 1878, Nr. 263) als auch in seinem Werke Die Namen der
Säugetiere bei den stidsemitischen Völkern 1879, p. 406 f.
Für ihn handelt es sich vor allem darum, ^die Existenz
von Tieren für die ursemitische Fauna nachzuweisen, welche es
in Arabien entweder gar nie gab, oder die doch wenigstens nur
ganz vereinzelt daselbst vorkommen.'' Zu dieser Kategorie zählt
er die ursemitisclie Benennung des Bären (dubhu), des wilden
Ochsen irFmu), des Panthers {namiru). Erst in zweiter Linie
beweisend ist ihm das Fehlen solcher Tiernamen in der ursemi-
tischen Fauna, deren Träger allein der arabischen Fauna eigen
sind, wie des Strausses, der Springmaus und des Wüstenluchses;
denn „es kann ja nur Zufall sein, dass das betreffende Wort in
der einen semitischen Sprache erhalten blieb, in der andern aber
aufgegeben und dann gewöhnlich durch neue, von anderen Stämmen
gebildete Wörter ersetzt wurde ^.
Die ursprüngliche Verzweigung der Ui*semiten stellt sich
F. Honnncl (vgl. Die sprachgeschichtliche Stellung des Babylonisch-
Assyrischen S. A.) in der Weise vor, dass sich aus dem Schosse
des ürsemitischen (I) in sehr früher Zeit das Babylonisch- Assy-
rische loslöste, während Syro-phönico-arabisch (Ursemitisch II)
noch geraume Zeit vereinigt blieben. Dies folge, ausser aus der
Betrachtung des semitischen Perfectums, aus den Benennungen
des Weinstocks, Ölbaums, Fei;renbaunis, der Dattelpalme und
des Kamels, die nur in dem ürsemitischen II übereinstimmten.
Zuletzt sassen die Syro-phönico-araber noch in Mesopotamien ver-
eini^^t beisammen. Hier fand auch die künstliche Züchtung der
vorher nur wild bekannten Dattelpalme statt.
Wenn somit Hommel auf diesem Wege nur bis nach Meso-
potamien als zur letzten Station der Ursemiten vor ihrer Trennung
geführt wird, so schliesst er sich doch der Ansicht Kremers von
der vorgeschichtlichen Wanderung der Semiten aus Zentralasien in
das Zweistroniland nicht am wenigsten deswegen an, weil er die
ursprüngliche Berührung der Indogermanen und Semiten, die auch
er im übrigen sprachlich nicht für verwandt hält, durch eine
libe seiiier MeiuuDg; Dacb beiden Vr>iker- uud SpracbBtäniiueu
meineniuer Kulturwörler flir erwieapu hält. Über diese ür-
nileo nnd Ürindogermanen gemeiusameii, d. ii. durch Entlehnung
den einen zu den anderen gewanderleu Kulturbcgiiffe bat
HoQiniel in einem Aufsatz Arier nnd .Semiten (Korrespondenz-Blatr
der deniseben Gesellschaft fUr Anthropologie, Ethnologie uud ür-
eechichte 1879 Nr. 7 u. Ü) eingehender gebandelt. Es siud nach
iner Meinnng folgende:
urindog.
1. staura
2. kani<i
. gharata
. airpara
. traiva
ursemitisc)!
fatirii
karnu
labi'afv
llb'dtu
hiirtulu
farpu
Bfidputung'.
Stier
die Waffe des Stieres,
das Hörn
Löwe
Silber
Wein'Btock).
An dieser Anschauung halt Hnnimel auch noch in einem
mfsatz Neue Werke llber die L'riietmat der Indogenuanen (Archiv
^Anthrop. XV Siippl. 163 ff.) im weseutlieben fest. Besondere
Dichtigkeit legt er iu demselben der Ü bereinst iiiimuiig des ur-
Bkitischeu (II) irahia mit dem griecb. J^oTvo-;, lat. vinam, alb.
! bei. r>ieäe8 Wort hätten aus gemeinsamer Quelle die west-
)hcu Indogermanen kennen gelernt, als sie ans dem Innern
piene nordwürts des Kaukasus, eines uralten Weiulandes,
^Überzogen, ebenso wie die Semiten, als sie ebenfalls auf dem
Wege aus Innerasien nach .\blösung der ßabvionier elldtvitrts
I geuaunicn Gebirges sassen.
An die Beweisführung F. Hommels scbliesst sich eine Arbeit
. Schmidts an „Die Urheimat der Indogcrraanen und das
eurupäisehe Zablsystem" Berlin \S90. Es ist die letzte Arbeit,
die mit ausführlicher Begriindung für Asien als Urheimat der
iianen eintrat. Ausser den oben augeführten angeblieben
«litiscb indogeniianischen Knlturwörtern, die Joh. Schmidt
liebt für beweiskräftig erachtet, hatte nümlich F. Honiniel noch
' Kwei Kultnrwilrter hingewiesen, die nach ihm aus der .Sprache
Sumerer, der Vorgiliiger der Sendten in dem Besitz der
»Dpotamiscben Lander, iu das Indogermanische übergegangen
I. skr. Ii'ihtis, löhilm „Kupfer", pebl. tvW. altsl. ruda
- lOG —
„metallum'*, lat. raudus, altn. raudi „rotes Eisener//* = snmer.
urud „Kupfer". 2. skrt. paragüs^ griech. niXenv^ „Beil** = sum.
balag, babyl.-assyr. pilakku „Beil". In diesen beiden Wörtern
erblickt J. Schmidt den einzigen, vielleicht nicht trügerischen
Anhalt, der in der gesamten Literatnr fttr die Bestimmung der
Urheimat der Indogermanen bisher beigebracht worden sei.
Den eigentlichen Beweis aber fttr seine Ansicht, dass diese letztere
in Asien und im Bereich der mesopotamischen Knltnrsphäre zu
suchen sei, sieht J. Schmidt in dem eingehend von ihm ver-
suchten Nachweis, dass das ursprünglich dezimale Zahlensystem
der Indogermanen in den europäischen Sprachen durch die Ein-
wirkung des von den Sumerern erfundenen und von den Baby-
loniern übeinommenen Sexagesimalsystems durchbrochen werde.
So zeige sich z. B. bei der Zählung der Zehner in den genannten
Sprachen überall ein scharfer Einschnitt hinter der Zahl 60, wie
griechisch iitjxovra gegenüber ißdojLn^xovta oder gotisch saihs-
tigjus gegenüber sihtintihun beweise. Diese Spuren „lassen sich
mit der alten, freilich ganz unbewiesenen Annahme, dass unser
ürvolk einst weit im Nordosten von Babylon, etwa auf der Hoch-
ebene von Pamir gesessen hat, vereinigen. Dann wären die nach
Westen wandernden nachmaligen Europäer auf ihrem Zuge ia
die Sphäre des babylonischen Einflusses geraten, welcher die
nach Süden rückenden Arier damals noch fem blieben. Sie
lassen aber ebensowohl die Möglichkeit offen, dass das Urvolk.
nicht allzu fern von Babylon heimisch war, aber, als die baby-
lonische Kultur seinen Sitz erreichte, sich schon nach Osten aus-
gebreitet hatte und nur noch die westlichen Stämme den Aus-
strahlungen der fremden Kultur ausgesetzt waren. Die Antwort,
welche das Zahlsystem auf die Frage nach unserer Heimat gibt,
ist also zwar sehr unbestimmt, engt aber das Gebiet, auf welchem
zu suchen ist, erheblich ein. Wo bisher gar nichts fest stand,
ist wenigstens ein sicherer Halt gewonnen.^ Zustimmung hat
die Beweisführung J.Schmidts auch bei denen, die sich von
seiner Annahme einer sumerisch-babylonischen Beeinflussung des
europäischen Zahlensystems überzeugt fühlten, nicht gefunden^).
Der nächstliegende Einwand war der, dass, wenn, worauf
J. Schmidt selbst hinweist, jene Ausstrahlungen der sumerisch-
1) Vgl. auch die Polemik zwischen Fr. Müller und J. Schmidt
im Ausland 1891 Nr. 23, 27, 31.
107
haliylonisclieii Kultui' sicli aueli in vim Mesi>|iolaiiiioii weit eut-
feniteu Läuderu, z. B. bei den im liüctiBten Nordosten Europns
woliuend«n finnischen Syrjftnou, eeigen, nicht ah/.useUcii ist, warain
, jene Durclikreuzung des nrsprllngliclien De/,iiiml Systems durch
dRssutufriscbeyexagepiinalsyslem bei de» europäischen Indogermanen
nicht auch irgendwo iu Europa selbst gtattgefunden haben könnte.
War es somit immerhin eine stHttliclje Anzahl von Oelclirten,
die an der alten Lehre V(m der asiatischen Urheimat der Indo-
* gcrmanen festhielt, 8>i ist doch andererseits nicbt /.u verkennen,
I dft89 die Zahl derjenigen, die die Indogermanen in Europa oder
I Wenigstens an den Grenzen von Asien und Europa lokalisieren
I wollten, von Jahr zu Jahr gewachsen ist, so dass diese Ao-
' Behauung gegen wart ig für die verbreite lere gelten kann.
Um Über diese Arbeiten eine Chersicht 7.u geben, wird es gut sein,
dieselben nach dem Charakter der Argnuieutc zu gruppieren, mit
t deuen die einzelnen Forscher das unbekannte Land zn bestimniea
i versuchten. Und zwar lassen sich hierbei drei Richtungen
nnterscbeiden: eine anthropologische, eine prähistorisch-
archäologische and eine linguistisch-historische. Natür-
lich soll damit nicht gesagt sein, dass die diesen Gruppen zu-
gewiesenen Forscher ihre Hauptargumente nicbt aaeh gelegentlich
mit anderen Gründen ku stützen versuchen.
Mit grosser Warme und nicht geringerer Bestimmtheit trat
ZODfichst die mächtig aufhliUiende anthropologische Forschung
I für den europäischen ürsprnng der Indogermanen ein.
Die Zweifel der Naturforscher an der von den Philologen
und Historikern allgemein angenommenen Lehre von der asiatischen
Herkunft der Indogermanen gehen in sehr frühe Zeiten zurück,
^ and schon im Jahre llS4ä hatte der belgische Geologe J. d'Oraalins
■d'Halloy ivgl. Bulletin de l'Acad4mie de Behjique 1848,
I. XV, p. 549) sehr energischen Widei-sprnch gegen dieselbe er-
lioben. Im Anfang des Jahres 1864 legte dann derselbe Gelehrte
der Pariser anthropologischen Gesellschaft folgende drei Frageu
xox Beantwortung vor: 1. Welches sind die Beweise für den
isiatifichen Ursprung der Europäer. 2. Haben sieh die flektierenden
Sprachen, statt von Asien uach Europa überzugehen, nicht viel-
Ittebr von Kuropa nach Asien verbreitet? 3, Sind die heutigen
IPOIker mit keltischen (d- h. indog.) Sprachen, die man infolge-
1 als aus Asien eingewandert ansieht, nicht vielmehr Ab-
— 108 ~
kömmlinge einer autochtbonen Bevölkerung des westlieben Europa?
Wäbrend der Diskussion, die über diese Fragen eröffnet wurde
(vgl. Bulletin de la SocUte d'anthropologie 1864), und an der
sieb ausser d'Omalins Männer wie Broea, Bertillon, Pruner-
Bey und andere beteiligten, trat im Munde Brocas mit be-
merkenswerter Deutlicbkeit der Gedanke bervor, dass man die
beiden Fragen: „Wober stammen die europäischen Völker?** und
„Wober stammen die europäischen Sprachen?^ von einander
trennen müsse. Die ersteren seien zweifellos autochtbon, die
letzteren durch eine asiatische Einwanderung von vielleicht wenigen
Tausenden von Menschen nach Europa verpflanzt worden.
D'Omalius selbst vertrat sehr entschieden die Meinung, dass, da
in Europa eine blonde Bevölkerungsschicht neben einer dunkel
gefärbten lebe, wirklich Blonde in Asien aber nur in dürftigen
Spuren gefunden würden, während sie von jeher das Zentrum
Europas bevölkert hätten, hier die officina gentium des indo-
germanischen Stammes zu suchen sei.
Im Jahre 1879 beschäftigte sich die Pariser anthropolo-
gische Gesellschaft erneut mit der Frage nach der Urheimat und
dem Urtypus der Indogermauen, ohne dass mau auch jetzt zu
einem feststehenden Ergebnis gekommen wäre. Doch ging aus
diesen Verhandlungen^) eine Arbeit C. A. Pietrement's Les
Aryas et leur premiere patrie {Revue de linguistique et de
Philologie compar^e, 1879, auch besonders erschienen, Orleans
und Paris) hervor, der es vorbehalten blieb, unsere Vorfahren
dahin zurückzuführen, von wo sich eine Auswanderung derselben
allerdings ohne weiteres erklärt — nach Sibirien. Pi^trement
geht wiederum von dem Atryana-Vaejanh des Vendidäd aus,
auf das er (völlig willkürlich) eine Stelle des Bundehesh (XXV)
bezieht, wo es heisst: ^Der längste Sommertag ist dort gleich
zwei kürzesten Wiutertagen, die längste Winternacht ist dort
gleich zwei kürzesten Sommernächten.^ Diese Angabe soll nun
ausschliesslich auf den 49^ 20' nördlicher Breite passen, was in
Zentralasien in das russische Turkestau, in den Distrikt von
Alatau führe.
Doch fand die Hypothese Pietrement's, wie natürlich, wenig
Anerkennung, sondern wurde vielmehr in Frankreich selbst in
1) Näheres über dieselben siehe bei Penka Origines Ariacae p.9, 11
und bei S. Keinach L'origine des Aryens S. 59 ff.
a c
K
ei besonderen Anfsiity-eii, erstens von Arceliu L'Orig'me deH
[ri/aa iReiue des Quentions sneniifiqttefi, Jansier 1880, p. 331),
eitens von De Harlez {Leg Änjit" et leur prejni^re patrie.
\ifutation de M. Pii-trement) auf das entsebiedeDSte bekämpft.
^L'Avtata'^, sehliesst der bekannte Zendisl seinen Aufsatz sehr
ricbttg, „ne petit fournir aucun renaeignement pr4cis
Ttlaiivement rt la patrie primitive des Art/ns. Tout y
Uranien ou irania^; tout meme y est approprte au zoroasl-
cest-ä-dire au dualisme mazdeen. On pourrait y d^-
peut-etre l'indication de l'Eran primitif; mais on y
chercherait fn vain celh de la patrie des premiera Aryaa asia-
iiques, bien plus vainemenf encore celle deit Ar ya« primitif a'^ ^).
Bedenlsamev »Is die bistier genannten greifen in die 6e-
gcbiehle des Problems der indogermanischen Urbciniat üwei
deutsche, von anlbropolngiscbcn GesicbtspnnkteD ansgcbeiide
'orsclier ein. Eine ganz bestimmte örlliebkeil des fistlicben
npas sncble Theodor Pflsche in seinem Bucbe Die Arier,
Beitrag zur historischen Anthropologie Jena 1878, p. 58 bis
74, als Crbeimnt der Indogermanen zu erweisen, indem er ihre
üraprilnge in die sUdlicb des west-ruBsischen Landröekens in un-
gehenrer Ansdehnung sieh erstreeltemlen, vom Pripet, der Berc-
sina und dem Dnipr dnrcbfloBsenen — Rokitnosümpfe zurQck-
fOhrte. Diese wunderliche Hypothese beruht im weeentlichen
physiologischen Argumentation. In jenen Gegenden
lU nämlich nach den Mitteilungen eines russischen Gelehrten'),
) Trotüdetn feiert der oftmals ^vgl. auch oben p. p. 90, 91) wider-
legte Gedanke, aU ob im Avesta oder Rljrveda EriDuerungeii an die
Urheimat der Indo^ennaiten. ja nn die Urheimat der Mensirhhelc ent-
balieo sein könnten, immer wieder seine Auferstehung. Ich verweise
iliaMT Beziehung auf W. F, Warren Paradine found, fhe cradle af
human race at thenorth-pole. London 1885. und aul BAIGangtdhar
lak 771« ardic homt in the Vediu, being aho a neu- kf.y to (Ae
■rprttiition of many Vtdtc texti and legenda, Bombay 1903.
Mainow auf dem inlemat. Geographenkonyri'ss zu Paria 1875
für Anthropologie VIII, S). Merkwürdig ist, dass v. Fischer,
liogehenden Bericht über die Rokitnosümpfe (Mitteil, der naturf.
lellach. iu Bern 1843 u. 44) Pösche mitteilt, nichts von Albiniamue
jenen Gegenden weiss. Er berichtet nur von der Hdufigkeii dos
^eictutelzopres daselbst. Natürlich beeilt sich Pöache, einen Zusammen-
ig «wiachen Albinismoi« und Weichsebopf zu vermuten. Vgl, auch
iche Archiv filr Anthropologie XIV, 143 ff.
- 110 -
(vgl. p. 67) die Erscheiniiag der DepigmentatioD oder des Albiois-
mus eine sehr häufige seiu nnd daselbst an Menschen, Tieren
und Pflanzen deutlich hervortreten. Nur in einer solchen Ört-
iichkeit aber lasse sich das Entstehen der grossen blonden
Menschenrasse, d. h. nach Pösche der Indogermanen, denken.
Aus diesen prähistorischen Sumpfwohnungen erkläre sich auch
die bei den ältesten ludogermanen in der Schweiz, in Italien etc.
hervortretende Neigung, ihre Hütten auch dann auf Pfahlwerk
zu errichten, wenn die Bodenbeschaffenheit des Terrains es nicht
erforderte. Neben der von allen lebenden indog. Sprachen
^grössten Ursprünglichkeit^ des Litauischen spricht ihm
auch der Umstand für die eher nord östlichen als sttd-östlicben
Ursitze der ludogermanen in Europa, dass die Kunst des Reitens
bei denselben nachweislich eine verhältnismässig späte sei. ;,Rücken
wir nun die ürsitze weiter nach den Steppen des Südostens, so
müsste eine sehr frühe Bekanntschaft mit den mongolischen Turk-
stämmen, den ältesten bekannten Reitern, eingetreten sein, und
das Reiten würde dann wohl bei den Ariern weiter zurück da-
tieren" (p. 73).
Die Arbeit Pösches erfuhr in der Presse eine überaus ver-
schiedene Beurteilung. Während die allerdings unzweifelhaft
äusserst lückenhafte philologisch-historische, in der Benutzung der
Sprachwissenschaft nicht über Grimm hinausgehende Seite des
Werkes von den Philologen sehr ungünstig beurteilt wurde (vgl.
Literar. Zentralbl. 1878, p. 1221 ff.), wurden die Aufstellungen
Pösches dagegen von seiten der Anthropologen mit Freude be-
grüsst. In diesem Sinne äusserte sieh A. Ecker (Archiv für
Anthropologie XI, 365 ff.), der zwar auch seine Bedenken gegen
das ^ weichselzopfige Kakerlakengeschlecht^ der Indogermanen
und ihren Ursprung aus der Rokitnosümpfen nicht verhehlt,
aber doch der Meinung ist, dass folgende zwei Sätze des
Pöschescheu Buches einen grossen Fortschritt der Wissenschaft
bezeichneten :
1. dass die Blonden, nenne man sie nun Arier (wie Pösche)
«der bezeichne sie einfach, wie ich (Ecker) vorziehen würde, als
Blonde (Xonthochroi), einen besonderen, wohl charakterisierten
Mensehcnstamni bilden, und
2. dass die Heimat dieses Stammes nicht in Asien, sondern
in Osteuropa zu suchen ist.
Auch Liiiileiischinit (ilaadbucb der deiitscheu Alterlums-
ptnnde I, 1680, Einleitung), einer der iinge^eheusten der demsclien
jilbropologen und Präbistorikcr, äusserte sicli in dem Sinne,
i der nrti|irUngIic)ie Typus der Indo^ermnnen sicher nicht bei
kp asiatischeu Vfilkern zu sncheu wäre. „Selbst bei dem noch
I beschränkten Dmlange der üntersnchungen über die Stämme
lod Geechleebter der Menschen dtlrfeu wir doch so viel als gewiss
letrachten, dass, wenn ein ursprünglicher Znsnmmenhang der
iptitch verwandten, westöstlichen Völker unfehlbar auch eine über-
■^nstimniende Körperbildung derselben bedingt, der Urtypus der
Uxteren sicher nicht bei den Hindus und Tadschiks, Buchareu.
kindecben, Parsen nnd Osseten xu suchen ist." Im übrigen ist
, uit Benfey der Meinung, dass <ler iudog. Wortschiitx wegen
SÜeit Maugels einer gemeinsamen Benennung fitr den Elephanlea,
«as Katuel, den Löwen und Tif:er keinen ,, unbedingt orientalischen
ibarakter" zeige. Während ferner der vermeintliche Völkerzug
' Indogermanen nach dem Aliendlande jedes historischen An-
talts entbehre, werde der Grundtricb der indog. Wanderungen
nnrch unzweideutige geschichtliche Tatsachen als nach Osten und
Bflden gerichtet erwiesen. Hierher zählt er den auf der Inschrift
pon Karuak erwähnten Zug von Weatvölkem nach Ägypten im
XlV. Jahrhundert, hierher die Wanderungen der Kelten in der
ftichtmig auf Gemianieu, Italien, Griechenland, Kleinasicn, bier-
Jher, wie es auch Spiegel getan hatte {Ausland 1871 p. ööt),
nie Züge der Scythen nach Kleinasien und Iran, hierher die
Stammsage der gotischen Völker von ihrer Wanderung ans den
>8tseeUlnderu in die des Pontus Eusinus n. a. m. Diese Es-
Min^ionskraft der europäischen Indogermanen aber habe sich
bis auf den heutigen Tag erhalten, während die „bis nach Arien
Md Indien vnrgcdrangenen Stämme" durch Vermischung mit
luderen bis zur Cnkenntlichkcil entfremdet worden seien. „Eine
Lehenedaner nnd Lebenskraft von gleich nachhaltiger Unver-
RTlUtliebkeit zeigen so wenig die spraehverwandteu Völker Asiens,
i bei der Frage, wo die mächtigsten, ältesten und am tiefsten
[cbenden Wurzeln des gemeinsamen Stammes zu suchen sind, das
Gewicht der Tatsachen unbedingt zu gunsten des westlieben Welt-
^L-ils entscheiden mnss."
Nicht weniger bekannte R. Virehow, der in seinem Vtjr-
HrAg Die Crbevi>1kcruug Europas 16~4 noch sehr entschieden
— 112 -
den Satz betont hatte, „dass alle ans arischer Wurzel hervor-
gegangenen europäischen Stämme von Osten her eingewandert
seien^ (p. 17), sich mehr und mehr zu der Ansicht, dass ^eine
Art von Autochthonie der nach germanischem Typus gebildeten
Völker im Norden aufzustellen sei" (Verb. d. Berl. Gesellschaft
f. Anthropologie, Ethnographie und Urgeschichte 1884, p. 210).
Wenn aber Th. Pösche hauptsächlich in der lichten Rom-
plexion ein Hauptcharakteristikum des indog. Typus gefunden zu
haben glaubte^), so fügte Karl Penka in zwei umfangreichen
Werken Origines Ariacae 1883 und Die Herkunft der Arier 1886
(vgl. dazu auch die 1893 erschienene Abb. P.s über die Heimat
der Germanen, Mtlg. d. anthrop. Ges. in Wien XXIII, 72ff.) auf
Grund der neueren kraniologischen Studien die Dolichokephalic-
(Langschädligkeit) als das den ursprünglichen Habitus des Ur-
Volks charakterisierende Merkmal hinzu, indem er zugleich den
Nachweis zu führen unternahm, dass die Heimat der Indogermanen
nur da gesucht werden dürfte, wo Blondheit und Dolichokephalio
noch heute am reinsten und schärfsten ausgebildet seien, — in
Skandinavien.
Die in diesen Büchern niedergelegten Ansichten lassen sich
zu folgendem Bilde vereinigen:
Die einheitlichen Ursprünge des gesamten Menschenge-
schlechtes sind während der Meiocenperiode in Mitteleuropa zu
suchen. Da nahte die Eiszeit, und vor der allmählich sich voll-
ziehenden Vergletscheruug des Nordens und der Mitte unseres
Erdteils wichen alle übrigen Menschenrassen nach Afrika, Asien,
Amerika in angenehmere Wohnsitze. Nur die Urahnen der Arier
blieben, und sie brauchten es nicht zu bereuen; denn dem Klima.
1) Einen scharfen Widerspruch erhob hiergegen W. Tomas chek
Z. f. d. östr. G. XXIX, 859: „Wir unserseits fassen die Blondheit, den
Mangel an Farbstoff in Haut, Haar und Auge, als eine Abnormität im
menschlichen Typus auf, die sich auf mehreren, von einander weit
entlegenen Gebieten der Erde unter geeigneten klimatischen Verhält-
nissen und unter gewissen Lebensbedingungen, die noch weiter erforscht
werden müssen, im Laufe der Zeit ausbilden konnten, ohne dass damit
ein besonders inniger Zusammenhang aller blonden Stämme in Rasse
und Deszendenz sich aussprechen musste. Der Satz Linn^s nimium ne
crede colori gilt auch für den Menschen; namentlich die Farbe der
Augen kann im geringsten Grade Anspruch darauf machen, einen
Rassencharakter darzustellen.''
— 113 —
der Eisperiode und dem Kampf mit ihren Lebensbedingungen
verdankten sie die blonden Haare, die blauen Augen, die riesigen
Leiber, den dolichokephalen Sehädelban. Aber auch die Eis-
periode ging vorüber, und vor dem milder werdenden Klima
wanderten die Jagdtiere der alten Arier, namentlicb das Ren,
nach dem Norden aus. Ihnen folgten die Arier — denn wober
sollten sie nun ihre Nahrung nehmen ? — selbst. In Skandinavien
eröffnete sich ihnen eine neue Heimat, und hier entwickelte sich
nun diejenige Kultur, die wir mit Hilfe der Sprachvergleichung
als nrarisch erschliessen können, und die wunderbar mit dem
übereinstimmt, was die geographischen Verhältnisse, die Fauna
und Flora Skandinaviens uns erwarten lassen. Nur hier lässt
sich, und zwar in den Kjökkenmöddinger, ein Übergang nach-
weisen von der paläolithischen Kultur (etwa der belgischen Höhlen-
bewohner) zu der neolithischen (etwa der Schweizer Pfahlbauten),
während im ganzen übrigen Europa zwischen beiden Perioden ein
„Hiatus'' klafft.
Während dies im Norden vor sich ging, waren in das ent-
völkerte Mitteleuropa zwei grosse Völkereinbrüche erfolgt: von
Südwesten her die Einwanderung der Völker des dolichokephalen,
aber dunkelen Cro-Magnon-Typus, zu dem die Ureinwohner
der pyrenäischen Halbinsel, Italiens, Siziliens, Griechenlands,
aber auch die Bevölkerung Nord-Afrikas und die Semiten ge-
hörten, von Osten her der Einbruch einer brachykephalen, dunklen,
mongolenartigen Menschenrasse. Auf französischem und belgischem
Boden waren beide zusammengetroffen und hatten sich mit ein-
ander gekreuzt.
So standen die Dinge, als vom Norden her der Siegeszug
der „weissen Kasse^ — das bedeutet nämlich Arya — erfolgte.
Überall traten sie als Herren und Meister auf, bauten Burgen
und zwangen den unterworfenen Stämmen ihre Sprache und ihre
Kultur auf. Aber je weiter sich das arische Element von seinem
nordischen Ausgangspunkt entferate, um so mehr unterlagen seine
charakteristischen Eigenschaften in dem Mischungsprozess mit
den allophylen Völkern. So entstand das Völkergemisch, das
durch die Einheit seiner Sprache so lange die Welt über die
Verschiedenheit seiner Leibesbeschaffenheit getäuscht hat. Die
Slaven sind nichts als arisierte Mongolen, die Griechen nichts als
pelasgische Haraito-Semiten, die arisch gelernt haben u. s. w.
Schrader. Sprach verfcleichunf^ und Urgeschichte. S. Aufl. K
— 114 -
Andererseits gibt es auch Arier, die ihre Sprache aufgegeben,
aber ihre körperlichen Merkmale bewahrt haben, wie die blonden
und dolichokephalen Finnen.
Wenn nun auch die von Penka^) vorgetragenen Gedanken
keineswegs durchaus neue waren, und wenn auch, ganz wie bei
dem Poescheschen Buch, die historisch-philologischen Anschauungen
des Verfassers vielfach gänzlich hinfällige waren ^), so muss doch
gesagt werden, dass das von ihm aufgestellte, in klarer und über-
zeugender Sprache entwickelte anthropologische System eines ge
wissen Eindrucks bei den Mitforschern nicht verfehlte, ja zum
Teil begeisterte Anhänger fand, unter ihnen nenne ich Rendall
The cradle of the Aryans, London 1889, L. Wilser Herkunft
und Urgeschichte der Arier, Heidelberg 1899, De Lapo rxgeL'Aryen,
iion röle socialy Paris 1899. Unter den Philologen fand Penka
Zustimmung für seine skandinavische These wohl nur beiA.H.Sayce
{Deport of the British association for the odvancement of
science 1887, p. 889) und F. Justi (Berl. phil. W. 1884, p. 36;
1887, p. 652). In gewissem Sinne kann man sagen, dass die
Penkaschen Bücher den Höhepunkt der auf die Erschliessung
der indog. Urheimat gerichteten anthropologischen Bestrebungen
darstellen, den Höhepunkt, — freilieh auch zugleich den Wende-
punkt.
Lag es doch auf der Hand, dass die Penkasche Theorie
von der Herkunft der Indogermanen aus Skandinavien nur für
diejenigen etwas überzeugendes haben konnte, die an die Wahr-
heit der beiden Sätze glaubten:
1) Ganz ähnliche Anschauungen wie Penka hatte im Jahre 1875
R6gis Gery (vgl. S. Reinach a.a.O. p. 59) und noch viel früher
J. Kruger, Urgeschichte des indogermanischen Völkerstammes in ihren
Grundztigen wiederhergestellt, Bonn 1855 (vgl. P. Kretschmer, Ein-
leitung in die Geschichte der griech. Spr. p. 33) ausgesprochen.
2) Von bedeutsameren Besprechungen des Penkaschen Baches
Origines Ariacae nenne ich diejenige von A. Bezzen berger (Deutsche
Lz. 1883, Nr. 44), von A. H. Sayce (Academy 1883 Nr. 605), von
W. Tomaschek (Literaturbl. f. Orient. Phil. I, 133), von F. Hommel
(Archiv f. Anthrop. XV Suppl, p. 163), von van den Gheyn Bevue
fies Quentious scientifiques 1884), von A.Kirch hoff (Literar. Zentr.
1884, p. 427). Am schärfsten äussert sich gegen die linguistischen Aus-
führungen Penkas J. Schmidt in seiner oben genannten Schrift über
die Urheimat der Indogermanen, p. 13 ff.
— 115 —
1 . Der homo europaeus dolichocephalus ßavus ist eine von
anderen scbarf nnterscbiedene nördliche Menschenrasse,
2. die ältesten Indogermanen waren blond nnd dolichokephal,
so dass die unter den historischen Indogennanen sich findenden
dunklen und brachykephalen Elemente von jenen ältesten Indo-
germanen unterworfene ürvölker darstellen.
Nun stiess aber dieser letztere Satz doch auf sehr ent-
schiedenen Widerspruch, namentlich bei französischen Gelehrten,
die nicht ohne eine gewisse nationale Empfindlichkeit gegenüber
der Penkaschen Lehre gerade umgekehrt in den Brachykephalen
die echten Indogermanen und die wahren Träger aller indo-
germanischen Kultur erblickten, unter den hierher gehörigen
Schriften will ich die von Ch. de üjfalvy, Le berceau des
Aryas d' apres des ouvrages recents, Paris 1884, nennen.
Die besonderen Verdienste dieses Forschers bestehen darin,
eine zuverlässigere Kenntnis der nordiranischen, an das Pamir
grenzenden Länder und Völker durch eigene Reisen in diese
Gegenden uns vermittelt zu haben. Er findet p. 13 unter den
arisch redenden Stämmen zwei ganz verschiedene Rassen vertreten :
jfCe peuple irano-hindou etait avant sa Separation une race
m^lang^e de deux types bien distincts: un type chätaifi, petit
(Ott moyen) et brachyc^phalique et un type brun^ grand et
dolichocepJialique. Les brachycephales sont encore aujourd'hui
au nord de V Hindou-Kouchy tandis que les dolichoc^phales
occupent les valUes au sud de ce massif montagneux,^ Gegen-
über der oben p. 111 mitgeteilten Anschauung Lindenschmits, der
in seiner Begründung eines westlichen Ursprungs der Indogermanen
sich auf die starken bei Hindns, Tadschiks, Parsis, Osseten etc.
008 entgegentretenden Völkermischungen bemfen und dem Typus
dieser Völker gegenüber den nordeuropäischen als den ursprüng-
lichen bezeichnet hatte, weist Cjfalvy auf die nach seiner Meinung sehr
wenig gemischten, brachykephalen, kastanienbraunen Galtschas^)
des Pamir hin, die ^occupent depuis une haute antiquit^.
leur patrie actuellej le d^part en tout cas des Irano-lndiens.^
Im übrigen hält er p. 11 die dem Pamir benachbarten Täler für
1) Vgl. auch Quelques observations sur les Tadjiks des montagnes
appeUs aussi Galtschas par Cfi. E. de Üjfalvy {Extrait des b. de la
socüU^ d'anihrapologie 1887).
8*
— 116 —
im Besitz aller Bedingungen, welche die lingnistiscbe Paläontologie
an die Urheimat der Indogermanen stelle.
Auf den Schultern dieses Gelehrten steht der italienische
Anthropologe G. 8ergi in seinem Buche Gli Arii in Europa e
in Asia, Torino 1903 (vgl. auch Arii e Italiciy Torino 1898).
Er hält Kelten, Germanen und Slaven für rassenhaft verwandt
mit den von Ujfalvy, wie wir sahen, als kastanienbraun, mittel-
gross und brachykephal geschilderten Tadjiks und Galtschas, von
denen sie sich in prähistorischer Zeit getrennt hätten, um indo-
germanische Sprache und Kultur in das von anderen vorindo-
germanischen Rassen (darunter eine den blonden Dolichokephalen
Penkas entsprechende) bewohnte Europa einzuführen. Auch jene
mongolischer Herkunft verdäehigten Tadjiks und Galtschas aber
hätten ihre indogermanische Sprache erst von jenem zweiten von
Ujfalvy als braun, gross und dolichokephal beschriebenen Völker-
element, den Vorfahren der Perser und Inder, übernommen. Diese
seien somit die „echten^ Arier. Einen schrofferen Gegensatz zu
Penka kann man sich also nicht denken.
Ganz und gar nicht von den Ausführungen dieses Gelehrten
überzeugt fühlten sich auch vandenGheyn L'origine europienne
des AryaSy Anvers 1885 (1881: Le berceau des AryaSy Müde de
g^ograpkie historique, Bruxelles) und Max Müller Biographies
of loords and the home of the Aryas, London 1888.
Wichtiger als alles dieses aber ist es, dass, was den ersten
der beiden oben angeführten Penkascheu Leitsätze anbetrifft^ die
Anthropologie und vor allem die Kraniologie selbst immer mehr
zu der Überzeugung gekommen ist, dass sie mit ihren Mitteln
überhaupt nicht imstande sei, scharf umgrenzte Menschenrassen
in der Geschichte oder Vorgeschichte Europas zu unterscheiden,
sondern dass vielmehr, wohin wir uns auch in der Gegenwart oder
Vergangenheit wenden, überall uns Übergangs- und Mischungsverhält-
nisse entgegentreten, eine Entwicklung, über die P. Kretschmer
in seiner Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache
1896, p. 29 ff. eine vortreffliche Übersicht gegeben hat. Ja, es ist
hinzuzufügen, dass eine anthropologische Richtung immer mehr
an Boden zu gewinnen scheint, die in den Verschiedenheiten des
menschlichen Schädels überhaupt nicht uralte RaBseneigentümlich-
keiten, sondern durch mehr oder weniger äusserliche Umstände
herbeigeführte Veränderungen erblickt. Vgl. zuletzt A. Ny ström
117 —
FonneiiverändeMiiigeii des mciigclilicheii Schädels und dereii Ur-
saclieii, Arcliir für AutLropologie XXVII, 1902.
Au die Stelle der Anlliropologie, die somit den Selian|ilatit
der iiido^ermanischeu Frage fnst kämpf unfähig rcrlasHcn hat,
nicht ohne jediich klarere VorBteilungen von den Begriffen
..Völkerverwandtschaft" nnd „Sprach verwandt eehaft" zu hinter-
lassen, iHt nun in neuerer Zeit eine ihr nah verwandte Die-
zipiin, die prähistorische Archäologie, getreten. Ihre Be-
ziebuDgen zu der indogermanischeu Altertnmeknnde Bind bereits
an mehreren Stellen dieses Buche« (p. 32, 42. 47] hervorgehoben
worden, und niemand wird bezweifeln, dass die Präliistorie, im
richtigen Maee und in der richtigen Weise herbeigezogen, der
Erforschung des indog. Altertums vorzügliche Dienste leisten
kOune. Der Gedanke musstc daher nahe liegen, ob nicht eben
die«e prähistorische Archäologie auch imstande sein werde, das
riet umstrittene Problem der indogermanischen Urheimat endgiltig
XU lOsen. Und in der Tat sind in einem nnd demselben Jahre
zwei Arbeiten erachienen, die dieser Absicht dienen: M. Mach,
Die Heimat der Indogermanen im Lichte der urgeeehichtlichen
Forsfbniig, Beriiu 1902 i2. Auflage Berlin 1904i,nndG Kosainna.
Die indogevnianieehe Frage arehäologieeh beantwortet, Z. f. Ethno-
logie 19u2. Beide F^orscher kommen zu dem Ergebnis, dass die
Heimat der Indogermanen identisch mit derjenigen der Germanen sei,
„nnd in den westlichen Küstenländern der Ostsee sowie in den
angrenzenden Gebieten der Nordsee, also in Slldskaudinarien,
Dänemark und Norddeutechland bis zur Aller, Magdeburg und
Odermlindung zn suchen sei"'). Dieses Ergebnis ist an sich nicht
Dca. Schon .1. d'Onialius d'Halloy (oben p. 108) hatte auf die
germanischen Länder als officina gentium hingewiesen. L. Geyer
(oben p. 93| hatte diesen Gedanken weiter anegeaponnen. Auch
TonL'Jher, überAlter, Herkunft nnd Verwandtschaft der Germanen
(Sitznngsb. d. philo8.-philol.-hiet. Klaasc d. k. b. Ak. d. W. München
18J^3) liees die Indogermanen aus dem Herzen Deutschlands hervor-
\ qaellen. Ernst Krause (Garns Sterne) hatte in einem phantastischen
1) Früher tintte Kossinna da£ Gebiet der iniltlereu Donau für
diu UrsprnnKsUnd der Indogermanen erklUrt (vf^l. Z. des Vereins f.
Valkfkunde VI, 1 (f. Ili95). Es ist daher ei» Unikuin in der Gesctiichte
de« PrioritHt«iieankB, dass K. die vor der seinen erschienene Atbeit
MDchs kam gesagt des Ptagjals hei^chutdigt. Vgl. darüber Much Z.
r. Ethnologie 1M3. H. 1.
- 118 -
Buche ,,Tuisko-LaDd, der arischen Stämme und Götter Urheimaf^
(1891) die Mythen der Ilias und Odyssee auf die Einwanderung ger-
manischer Stämme im Süden zurückgeführt. Über Penka und
seine Anhänger, die sich auf das südliche Schweden beschränkten^
ist oben ausführlich gesprochen worden.
Neu ist an den Arbeiten Muchs und Kossinnas also nicht
das Ergebnis, sondern die Methode, mittels deren sie zu ihrem
Ergebnis gekommen sind, und in der beide Forscher insofern
übereinstimmen, als sie der Ansicht sind, dass gewisse in prä-
historischer Zeit in Europa hervortretende Kulturerscheinungen
ihre geographische Verbreitung nicht dem Handel oder anderer
Kulturübcrtragung, sondern Völkerwanderungen verdanken,
die ihren Ausgangspunkt eben in Norddeutschland
gehabt hätten.
So sei nach dem ei*sten Abschnitt des Much sehen Buches,
zu dem wir uns zunächst wenden, die Hinterlassenschaft des
jüngeren Steinalters an Waffen und Werkzeugen in ganz Europa
so gleichartig, dass sie einen einheitlichen Ausgangspunkt haben
müsse. Dieser sei da zu suchen, wo neben den einfachsten, auch
schon vollkommenere und formschöne, vor allem aber, wo die
meisten derartigen Artefakte gefunden würden. Es bestehe kein
Zweifel, dass „dies die Küsten sind, welche Festland und Inseln
des westlichen Ostseebeckens umsäumen". Hierher führe auch
(Abschnitt HI) die in Europa häufig erscheinende Spiraldekoration
der Gefässe zurück, die nicht aus dem Orient entlehnt sei, sondern
sich organisch aus der vonM. als indogermanisch bezeichnetenBand-
verzierung der Tongefässe entwickelt habe. Wiederum aber
würden die einfachsten und darum ältesten dieser Spiralverzierungen
in den Ländern nördlich und östlich des Harzes gefunden. Von
Norddeutschland aus sei durch die wanderadeu Scharen der Indo-
germanen ferner der Bernstein (Abschnitt IV) über Europa ver-
breitet worden, von hier (Abschnitt V) stamme auch die Sitte,
den Toten jene grossen Steingräber zu errichten, die unter den
Namen der Dolmen, Hünenbetten, Riesengräber usw. bekannt
sind, und die sich bis Syrien und Palästina, bis Nordpersien und
Indien verfolgen lassen; denn die Indogermanen waren nach Much
auch kühne Seefahrer, und wenn es heisst, dass die Wikinger
Amerika erreicht haben, warum sollten da die Indogermanen
nicht zu Schiff bis Indien gelangt sein? Den IL Abschnitt
- 119 -
(Nephrit, Jadeit, Chloromelanit und Türkis) und deu au sich sehr
lehrreichen VI. Abschnitt (die Haustiere) übergehe ich, weil sie
höchstens für einen europäischen Ursprung der Indogermanen im
allgemeinen, nicht für ein bestimmtes Land beweisend sein können.
Abschnitt VII handelt von der Rasse, Abschnitt VIII von der
geographischen und physikalischen Besehaffenheil des Heimat-
landes und ihrem Einfluss auf die Bewohner.
Schwieriger ist es, in Kürze ein Bild der Kossinnaschen
Anschauungen zu geben:
Zwischen Nord- und Mitteldeutschland bestehen in deu
ersten Perioden der jüngeren Steinzeit sowohl im Hinblick auf
die Grabanlagen wie auch in der Ornamentik der Tongefässe die
schroffsten Gegensätze, die nur auf einer Verschiedenheit der
Bevölkerungen beruhen könneu. Die Träger der ersteren Kultur
waren die Vorfahren der Germauen, d. h. die Indogermanen (vgl.
auch den Aufsatz Kossinnas, Die vorgeschichtliche Ausbreitung der
Germanen in Deutschland, Z. d. V. f. Volkskunde VI, 1), die
Träger der letzteren allophyle Völker. In den letzten Perioden
der jüngeren Steinzeit ist nun eine starke Stidwärtsbewegung
jener nordisch-indogermanischen Kultur zu bemerken, die in zwei
Zügen, einem westlichen die Saale aufwärts und einem öst-
lichen zwischen der Oder und Weichsel von der Küste bis nach
Galizien und weiter östlich verläuft. Jener westliche Zug
zwischen Harz und Saale oder Mulde wird durch die geographische
Verbreitung dreier Gefässarten, der sog. Kugelamphoren, der
Gefässe des Bernburger und derjenigen des Rösseuer Typus be-
wiesen. Die letztere Kulturgruppe ist durch die Einwanderung
von Indogermanen in das von Kossinna im Gegensatz zu Much
als nichtindogermanisch angenommene Gebiet der Bandkeramik
Nord-Thttringens entstanden und erobert von Thüringen aus das
westliche Mittel-Deutschland und das Land aufwärts zu beiden
Seiten des Rheins bis zum Bodensee. Aus den Trägern dieser
westmitteldeutschen und süddeutschen Gruppe des Rössener Ge-
fässtypus haben sich die Vorväter der Kelten und Italiker
entwickelt, von denen die letzteren, zunächst mit dem Stamm
der Umbrer, in späterer Zeit Italien besiedelten. Der östliche
Zug der Indogermanen geht von dem Gebiet zwischen unterer
Elbe und Oder aus und wird wiederum durch die Kugelamphoren
charakterisiert, die sich in Hinterpommern, Westpreussen und
— 120 -
Posen finden, sich aber auch die Oder aufwärts bis 0st-6alizien
und wenigstens in einem Exemplar bis an den Dnepr erstrecken.
Diese Kugelamphoren träger waren die Vorväter der Slaven (die
Litauer sprechen nach Kossinna nur ein verdorbenes Slawisch)
und Arier (Inder und Iranier).
Soweit war die Ausbreitung der Indogermanen während
der jüngeren Steinzeit gediehen.
In dem Anfang der Bronzezeit, etwa zu Beginn des 2. Jahr-
tausends V. Chr., setzt alsdann eine neue Völkerbewegung von
Norden nach Süden ein. Sie betrifft die Vorväter der Illyrier
und Griechen und verläuft von der Elbe und Saale her über Nord-
Österreich (Böhmen, Mähren, Niederösterreich) südwärts bis nach
Bosnien. Ihr Charakteristikum bilden die Gräber des Aunjetitzer
Typus, der so nach einem bekannten Fundort Böhmens benannt
ist. Das eigentliche Stammvolk der Indogennanen, die Germanen,
haben ihre Eigenart in den Sitzen zwischen Weser und Oder
herausgebildet und nach dem Ende der ersten Periode der Bronze-
zeit zunächst keine weiteren Scharen ausgeschickt; denn das
Land östlich der Oder ist erst zum Beginn der Eisenzeit von aus
Skandinavien herübergekommenen Germanen (vgl. auch Kossinna
I. F. VII, 276) besetzt worden.
Doch hatten Indogermanen während der ersten Periode der
Bronzezeit auch in Schlesien, Posen, Westpreussen, Hinterpomraern
und der Neumark gesessen, wo sie aber in der zweiten Periode
der Bronzezeit verschwunden sind. Es scheint, dass Teile der-
selben sich in Ungarn mit anderen Siedelungsgebieten entstam-
menden Volksbestandteilen zusammengefunden haben, um das noch
ausstehende Volk der Thraker, der nächsten Stammverwandten
der Phryger und Armenier, zu bilden.
So sehen wir in der Muchschen und Kossinnaschen Arbeit
ein ganzes Gebäude prähistorischer Ethnologie auf urgeschicht-
licher Grundlage errichtet. Wird es sich dauerhafter erweisen
«ils das von Penka auf anthropologischer Basis erbaute?
In dieser Beziehung könnte es zunächst ein günstiges Vor-
urteil erwecken, dass beide Forscher auf dem gleichen Wege der
Urgeschichte zu dem gleichen Ergebnis gekommen sind. Allein
der Wert dieser Übereinstimmung verschwindet, wenn wir sehen,
dass Kossinna, und zwar zum Teil in überzeugender Weise, sämt-
liche Beweismittel seines Vorgängers für hinfällig zu erweisen
- 121 -
«acht, ja der Meinung ist, ^dass die Mnchsche Art der Forschung
den unfruchtbaren und beschränkten Spötteleien über archäologische
Ethnologie neue Nahrung geben werde". Auch M. Winternitz,
der in seiner schon oben p. 52 genannten Reihe von Artikeln
über die Frage: „Was wissen wir von den Indögermanen?" auch
die Arbeiten Muchs und Kossinnas ausführlich besprochen hat^
hält das Buch Muchs „für ganz und gar verfehlt". Namentlich
erhebt er Widerspruch gegen die von Much vorgenommene Gleich-
setzung von „neolithischer" und „indogermanischer" Kultur, für die
CS an jeder Unterlage fehle. Mir will scheinen, dass selbst, wenn
man diese Gleichsetzung zugeben würde, für die deutsche Her-
kunft dieser neolithisch-indogermanischen Kultur keineswegs der
Umstand spräche, dass in den Ländern der Ostsee die zahl*
reichsten und schönsten Feuersteinwaffen und -Werkzeuge gefunden
werden, denn dieser Reichtum dürfte in ganz natürlicher Weise
einerseits in dem häufigen Vorhandensein des Rohmaterials,
andererseits in der längeren Dauer der mctallosen Zeit in diesen
Gegenden wurzeln. Doch darf nicht verschwiegen werden, dass
das Muchsche Buch auch, namentlich in nicht- philologischen
Kreisen^), warme Aufnahme gefunden hat, selbst wenn man von
der geradezu enthusiastischen Aufnahme desselben seitens Schrift-
»teuer wie Dr. Georg Biedenkapp, Babylonien und Indo-
germanien, ein Geistesflug um die Erde, Berlin 1903, absieht.
Anerkennung verdient es, dass Much seine Erörterung des
indogermanischen Problems von allen Seiten der Urgeschichte
und Anthropologie aus in Angriff nimmt, während Kossinna
seine Beweise fast ausschliesslich auf prähistorische Töpfe, ihre
Form und Omamentierung stellt. Töpfe aber dürften denn doch
noch zerbrechlicher als Köpfe sein.
Allerdings ist bei der Behandlung der Frage über die
Unterscheidung und Eingliederung der prähistorischen Artefakte
in bestimmte Gruppen wesentlich durch das Verdienst A. Goetzes
l) Ich nenne die Besprechungen von K. Penka, Mitteilungen
d. anthrop. Ges. in Wien 1902 Bd. XXTI, 168 ff., von 0. Ammon,
Deutsche Welt 16. Nov. 1902, vonH. Schurtz, Peterraanns Mitteil. 1902
H. 5, von C. Michaelis Archiv f. Rassen- und Gesellschaftsbiologie, I,
Heft 4. Ziemlich ablehnend verhält sich F. Ratzel, Petermanns Mitteil.
1904, Nr. 5. Von Philologen hat sich, abgesehen von Winternitz
(s. o.), so viel ich sehen kann, nur H. Hirt (Liter. Zentralbl. 1902, Nr. 50)
— und zwar günstig — über das Buch ausgesprochen.
— 122 -
(Über die Gliederung und Chronologie der jüngeren Steinzeit,
Verl), d. Berliner Gesellschaft f. Urgeschichte 1890) die Keramik
in neuerer Zeit mehr und mehr als für diese Zwecke bedeutungs-
voll hervorgetreten. Aber die Diskussion, die über die von Götze
unterschiedenen keramischen Kulturgruppen sich entsponnen bat,
zeigt doch, mit welcher Unsicherheit die Forschung hier auf
jeden Schritt zu kämpfen hat. Ist es schon überaus schwierig,
mit irgend welcher Bestimmtheit zu behaupten, ob ein gewisse
Abweichungen des schematischen Typus zeigendes Gefäss in
diese oder jene Gruppe einzugliedern ist, so wächst die Schwierig-
keit, sobald man versucht, die relative Chronologie der unter-
schiedenen Kulturgruppen festzustellen. So basiert z. B. ein Teil
der Kossinnaschen Ausführungen auf der Anschauung, dass die
sogenannte Schnurkeramik (Gefässe mit Schnurverzierung) älter
wie die sogenannte Bandkeramik (Gefässe mit Bandverzierung)
sei: aber schon eine Nachschrift des Vf.s zu seiner Arbeit be-
lehrt uns, dass nach seiner neueren Ansicht vielmehr das um-
gekehrte Verhältnis anzunehmen sei. Am allerschwierigsten aber
ist die Frage nach der historischen Entstehung jener Kultur-
gruppen zu entscheiden. An und für sich sind drei Fälle möglich:
die geographische Verbreitung eines keramischen Typus kann
durch den Handel herbeigeführt worden sein, der z. B. unzählige
Namen südlicher Gefässformen über den Norden verbreitet bat
(griech. djtKfooEvg, lat. amphora^ ahd. amhaVy altsl. qhorü). Er
kann zweitens durch Kulturübertragung entstanden sein;
d. h. eine neue Mode tritt an einer bestimmten Stelle eines ge-
wissen (jebictes auf. um sich von da „wellenförmig" von Stamm
zu Stamm zu verbreiten, ohne an bestimmte Völkergrenzen irgend-
wie gebunden zu sein. Er kann drittens allerdings auch die
Folge von Völkerbewegungen und Völkerschiebungen sein.
Während nun für Kossinna alles darauf angekommen wäre, den
zwingenden Nachweis zu führen, dass bei den von ihm heran-
gezogenen Kulturgruppen ausschliesslich an die letzte der drei
hervorgehobenen Möglichkeiten gedacht werden könne, wie die&
A. Götze (Z. f. Ethm>logie 1900, S. 154) hinsichtlich der Kugel-
amphoren zu zeigen wenigstens versucht hat, ist das einzige, was
wir bei Kossinna in dieser Beziehung finden der folgende Satz:
„Einer der klarst erkennbaren methodischen Leitsätze war für
mich, dass die von Süden nach Norden eilenden Ausbreitung»-
- 123 —
wellen einer Kultur im allgemeinen nur für Kulturwellen, dagegen
die umgekehrt von Norden nach Süden gerichteten Verpflanzungen
zusammenhängender Kulturen oder charakteristischer Teile der-
selben für Ergebnisse von Völkerwanderungen zu halten sind."
Also eine Behauptung, und noch dazu eine sehr unwahrscheinliche
Behauptung an Stelle eines Beweises oder des Versuchs eines
soldhen.
Ein weiterer Mangel der Kossinnascheu Arbeit ist der Um-
stand, dass die weittragendsten Hypothesen über Völkerwande-
rungen und Völkerzusammenhänge oft auf einer geradezu ver-
blüffend geringen Zahl von Fundgegenständen aufgebaut ist. So
hatte A. Götze die Ausbreitung der Kugelamphoren östlich der
mittleren und der oberen Oder noch bezweifelt. Nun scheint es,
dass einige vielleicht hierhergehörige Gefässe wirklich in Posen,
Galizien und bis zum Dnepr, etwas über V2 Dutzend auf diesem
beträchtlichen Gebiet, nachgewiesen worden sind. Sie müssen
die Annahme der steinzeitlichen Ausbreitung der Slaven und
Arier bis zum Dnepr tragen. Jener „Aunjetitzer Typus", mit
dem, wie wir sahen, die Griechen und Illyrier in Verbindung
gebracht werden, erstreckt sich in südöstlicher Richtung nur bis
Niederösterreich nördlich der Donau und in ein angrenzendes
ungarisches Komitat. Von hier bis zur Balkanhalbinsel ist noch
immer ein hübscher Sprung. Um diese Kluft zu überbrücken
und zu den historischen Illyriern und Griechen zu gelangen,
dienen vier angeblich auf den Norden hinweisende sogenannte
Manscbettenarmbänder, die in Glasinac in Bosnien gefunden
wurden usw.
Unter solchen Umständen werden wir uns nicht wundern,
wenn sowohl Urgeschichtsforscher wie Philologen die Auf-
stellungen Kossinnas, mit so ungewöhnlichem Selbstvertrauen sie
auch auftreten, mit ungeteiltem Misstrauen aufnehmen. In diesem
Sinne erklärt M. Hoernes in einer durchaus ablehnenden Be-
sprechung der K.schen Schrift (Globus Bd. 83, Nr. 10, p. 161):
„Es wäre der Ruin der Prähistorie, wenn sie der ohnehin starken
Versuchung, statt von den wirklichen Gegenständen ihrer Forschung
überall gleich von Rassen und Völkern zu reden, nicht mannhaft
widerstünde", und M. Winternitz a. 0. a. 0. bemerkt: „In dieser
ganzen Abhandlung ist eigentlich nur von prähistorischen Ton-
gefässen und deren Ornamentik, von Schnurkerauiik, Bandkeramik
— 124 —
und Kugelamphoren und deren Verbreitung in neolithisehen Fund-
stätten Europas die Rede^ und in geradezu grotesk-komischer
Weise werden diese Dinge mit Völkern gleichgesetzt. Dabei
ninmit er in unglaublich naiver Weise das, was er erst beweisen
soll, dass nämlich die von ihm behauptete Heimat der Germanen
auch die Heimat der Indogermanen sei, als selbstverständlich
oder — wie er sich ausdrückt — als ^methodischen Leit-
satz" an."
Soviel ist über diesen ersten Ausflug d^r prähistorischen
Archäologie nach dem unbekannten Land der indogermanischen
Heimat zu berichten.
Wenn es aber somit weder der Anthropologie noch der
Urgeschichte bis jetzt gelungen ist, irgend welche entscheidende
Gesichtspunkte für die Beantwortung der Frage nach der Urheimat
der Indogermanen beizubringen, so bleibt als der einzig^ Weg,
auf dem man sich z. Z. mit der Hoffnung auf Erfolg der Lösung
des schwierigen Problems nähern kann, immer noch der lin-
guistisch-historische, d. h. die Verbindung sprachwissenschaft-
licher mit historischen und geographischen Erwägungen übrig.
Da ich von diesem Standpunkt aus die Frage nach der Heimat
-der Indogermanen, die ich in dem Steppengebiet des südöstlichen
Europa lokalisiere, ohne besonderes Gewicht darauf zu legen, ob
sie sich nicht auch in benachbarte Teile Asiens erstreckt habe,
wiederholt behandelt habe (1890 in der zweiten Auflage von
^Sprachvergleichung und Urgeschichte, 1901 in meinem Reallexikon
der indogermanischen Altertumskunde, s. u. Urheimat), und dies
auch in dem vorliegenden Buche tun werde, wobei sich Gelegen-
heit bieten wird, der Arbeiten Mitforschender ausführlicher zu
gedenken, wird es an dieser Stelle genügen, nur eine kurze
Übersicht über die neuere linguistisch-historische Literatur auf
-dem Gebiet der Heimatsfrage zu geben.
Zunächst wenden wir uns zu einer Reihe von Bestrebungen,
die indog. Urheimat von einem ähnlichen Gesichtspunkt aus in
Europa zu fixieren, wie es andere (vgl. oben p. 103 ff.), ge-
stützt auf einen angeblichen Zusammenhang der Semiten und
Indogermanen, für Asien versucht hatten.
Mit besonderer Wärme trat nämlich der als Ethnograph
und Sprachforscher wohlbekannte W. Tomaschek für den Ge-
danken ein, die Heimat der Indogermanen sei in den Osten
125
Europaü ZQ verlegeu, und dies folf*e aus eiuer uralteil Nachbai-
icbaft, i]uR-li welche die IndugerDianen mit deu Finoen ver-
■Iwndvn würden; diese wieder ergebt- sieb ans /^blreicbeii prä-
■fcUiQriäcben Kntlebnungen, die aus dem Indoj^erntaniscben iu
^as KiuuiBcti-L'grisehc stattgefunden butteu. Uiese Ant^cbauung
Begegnete uns scboD in der p. 41 erwäbnten Besprccbuug de»
■'Hehnscben Bncbes dnreh Tomasehek. Sie tritt deutlicher ber-
^irur in der ebenfalls schon erwäbnleu ßt-zenäiou der Pöscbeseben
Arbeit, wo es p. H62 heJSBt: ^Icb getraue mir, speziell ans der
Sprache der Mordwas an der mittlem Wolga, den Nachweis zu
ieFera, dass unmittelbar au den slldliehen Grenzmarken dieser
Innischcii Vulkei-schaft die meisten Arier, zumal die Litauer und
Sanskrit sprechende Stamm, ihre Heimat gehabt haben."
Eadlieh ist Tomascbek dieser Anecbauung auch in einem lebr-
iviohen .\ufeatz Cthnologiscb-Iiugnistische Forschungen über den
Osten Europas (Ausland 181^3 No. 36) treu gebliehen,
Einen kühnen Schritt Eiber diese Argumentation fDr dei>^
MteDrf)päischen Ursprung der Indogermanen hinaus, worin ihm
Ibri^us schon Cuno (vgl. oben p. 9Hj vorausgegangen war,
ttt Cnnou Isaak Taylor in einem Vortrag 'The origin and
^prtmiiiee aeai of Ihe Aryans {Journal of the Aiitkropological
Instiluti', Februar;/ 1868), in dem er die Hypothese einer Cr-
verwandtschaFt der Finnen und Indogermanen sowohl in
lanthropologischer wie linguistischer Hinsicht aufstellte. Zu dieser
Auoahnie Führte ihn einmal die Übereinstimmung iu dem körper-
icben Habitus der Finnen, Livcn und Esthcn mit dem blonden,
lolicbokcphalen Typus der Indogermanen, den also auch Taylor als
[den arsprUnglichen anzuerkennen scheint, das andere Mal die von ver-
lehiedenen .Schriftstellera, namentlich von Donner (Vergleichendes
Wörterbuch der Finnischen Sprachen, 1874 uud 76) und An-
tfcrsoD (Studien zur Vergleichung der indogermanischen und
lÜHch-ugrisehen Sprachen, 1879) gemachten Versuche, einen
pverwandt schaftlichen Zusammenhang zwischen finuischen und indo-
^nnaniseheu Sprachen nachzuweisen.
Denselben Gedanken erörtert Taylor auch in seinem Buch
; origin of the Artftmg (1889), nur dass hier, so viel ich
lebeu kamt, die Braehykephaten als echte Träger des indoger-
un«ich«n Typus angenommen werden. Die gleiche Tendenz
perfvlgl ferner die Schrift Tb. KOppens, Beiträge zur Frage
- 126 -
nach der Urheimat und der Urverwandtschaft des indo-euro-
päischen und finnisch-ugrischen Volksstarames, St. Petersburg 1886
(russisch), in der ein grosses sprachliches Material zusammengebracht,
und über die ausführlich von Stieda im Archiv für Anthropo-
logie B. XX berichtet worden ist. Leider stehen aber sowohl
Taylor wie Koppen den Anforderungen sprachwissenschaftlicher
Methode fast durchaus als Laien gegenüber. Bedeutsamer ist
es daher, dass neuerdings ein bekannter englischer Sprachforscher
Henry Sweet The history of language (1899) mit voller Ent-
schiedenheit für den gemeinsamen Ursprung des Finnisch-ugri-
schen und Indogermanischen eingetreten ist, und auf jeden Fall
dürfte die endgiltige Ermittlung der Beziehungen zwischen den
genannten Sprachen und Völkern zu den wichtigsten Aufgaben
gehören, die der vergleichenden Sprachwissenschaft noch be-
vorstehen.
Eine zweite Gruppe von Arbeiten geht von gewissen
Tatsachen der Pflanzen- und Tiergeographie aus, ein
Weg, den, wie wir gesehen haben, die linguistische Paläonto-
logie von jeher mit Vorliebe eingeschlagen hatte. Eine besonders
wichtige Rolle haben dabei die Baumnamen gespielt. Hier ist
zunächst H. Hirt, Die Urheimat der Indogermanen in den
I. F. I, 464 ff. (vgl. dazu derselbe: Die Urheimat und Wande-
rungen der Indogermanen, Geogr. Z. herausg. v. Hettner I,
649 ff.) zu nennen. Er sucht nachzuweisen, dass den Indo-
germanen die Weide, Birke, Fichte und Eiche bekannt gewesen
seien. Bäume, die vergesellschaftet nur in dem europäischen Wald-
gebiet gefunden würden. Hinsichtlich der Buche (lat. fagus =
ahd. buohha) schwankt er, ob dieses Wort schon dem urindo-
germanischen Wortschatz zugewiesen werden dürfe. Da aber die
Ostgrenze dieses Baums von Königsberg nach der Krim verlaufe,
so müsse die Urheimat entweder östlich oder westlich oder zu
beiden Seiten dieser Grenze, jedenfalls aber im nordenro-
päischen Waldland gesucht werden. Beifall haben die Aus-
führungen Hirts bei W. Streitberg, Die Urheimat der Indo-
germanen (Feuilleton der Frankfurter Z. v. 8., 10. und 15. März
1903), gefunden, der wegen der Altertümlichkeit des Litauischen
namentlich an Litauen als Ausgangspunkt der Indogermanen
denkt, Widerspruch dagegen bei C. C. Uhlenbeck Waar werd
de Indogermaansche stamtoal gesproken ( Tijdschrift voor Neder-
— 127 -
landsche Taalen LetterJcunde 1895, S. 69 ff.). Eine vermittelnde
Stellong nimmt F. Seiler Die Heimat der Indogermanen, Ham-
burg 1894, ein, der einerseits von den Folgerungen Hirts aus den
europäischen Baumnamen, andererseits aber auch durch meine
Ausführungen über die südosteuropäische Steppenheimat der
Indogermanen überzeugt, ihren Ausgangspunkt in das Übergangs-
gebiet zwischen Steppe und Waldland des östlichen Europa ver-
legt. Auf eine interessante tiergeographische Einzelheit
macht femer der schon oben genannte Fr. Th. Koppen in
einem Aufsatz Ein neuer tiergeographischer Beitrag zur Frage
über die Urheimat der Indoeuropäer und ügrofinnen (Ausland
1890, Nr. 51) aufmerksam. Er geht von der Tatsache aus, dass
der Honig (indog. *medhu = finn. mesi, Stamm mete) ein gemein-
samer prähistorischer Besitz der Indogermanen und ügrofinnen
gewesen ist. Da nun die Honigbiene in Sibirien, Turkestan und
der Mongolei ursprünglich gefehlt habe und in Asien überhaupt
nur in einer schmalen Zone, die über Kleinasien, Syrien, Persien,
Afghanistan, das Himalayagebirge, Tibet und China verlaufe,
spontan sei, so sei zu schliessen, dass die Heimat der ügro-
finnen nicht in Sibirien, die der Indoeuropäer nicht in Turkestan
gesucht werden dürfe, und da femer niemand die ürsitze eines
der beiden ürvölker in der bezeichneten asiatischen Zone ver-
muten werde, so müsste die Heimat beider überhaupt nicht in
Asien, sondern in Europa (am Mittellauf der Wolga) fixiert
werden.
Auch in rein grammatischen Tatsachen hat man Argu-
mente für die geographische Fixierung der Indogermanen oder
von Teilen derselben zu finden versucht. Ich nenne hier eine
Reihe von Aufsätzen des Oxforder Linguisten M. Rhys^) in der
Scottish Review 1890 und einen Vortrag von J. W. Bru inier.
Die Heimat der Indogermanen und die Möglichkeit ihrer Fest-
stellung (Jahresbericht des Vereins für Erdkunde in Metz 1896).
Der erstere geht von der den Sprachforschern wohlbekannten
Erscheinung aus, der zufolge im Keltischen, Italischen und
Griechischen gewisse Gutturallaute in den einen Dialekten un-
verändert bleiben, in anderen zu Labiallauten werden (ir. ech
1) Vgl. Reinaeh a. a. 0. S. 108 ff., aus dessen Angaben aliein ich
die Arbeit von Rhys kenne.
— 128 —
^Pferd^: gall. epo, lat. quattuor: ambr. petur, ion. xöregog: att.
jioregog). Diese Verschiedenheit der Behandlang eines und dem-
selben Lautes müsse auf verschiedenen Völkerschichten beruhen,
die sich nach einander über die betreffenden Länder ausgebreitet
hätten. Dabei könnten jene Labiallaute nur durch Verderbnng
des echt indogermanischen Zustands durch die Sprache nicht-
indogermanischer ürvölker entstanden sein (warum?). Der Aus-
gangspunkt jener P-Laute sei (warum?) in den Alpen zu suchen»
Auch bei Bruinier spielen die uns unbekannten Sprachen der
nichtindogermanischen Drvölker eine wichtige Rolle. Da sei
nach ihm die Urheimat zu suchen, wo die geringsten Einflösse
solcher vorindogermanischen Sprachen sich zeigten. Das aber
sei (warum?) bei den Germanen der Fall.
Bedeutsamer als diese, ebenso wie die vorindogermanischen
Ursprachen, mit denen sie operieren, einigermassen in der Luft
schwebenden Ausführungen haben sich zwei andere Arbeiten für
die Erörterung der Heimatsfrage gezeigt. Es ist dies erstens
P. Kretschmer in seiner Einleitung in die griechische Sprache
(1896) und zweitens F. Ratze 1 in zwei Aufsätzen über den Ur-
sprung und die Wanderungen der Völker (Berichte der Kgl.
sächsischen Ges. d. W. phil.-hist Kl. 1898 und 1900). Beide
Gelehrte stimmen darin überein, dass sie, worin ihnen übrigen»
vom anthropologischen Standpunkt aus schon Hu xley (Nineteenth
Century 1890, t. XXVIII) vorausgegangen war, die Annahme
eines sehr grossen Schauplatzes für die vorhistorische Entwicklung
der Indogermanen fordern. Und zwar bezeichnet Kretschmer al»
solchen „einen schmalen und langgestreckten Länderstreifen,
welcher von Frankreich durch ganz Mitteleuropa und die Kirgisen-
steppen Asiens bis nach Iran reicht", während Ratzel als vor-
historisches Verbreitungsgebiet der Indogermanen den ungeheureu
Raum bezeichnet, der „vom 35. Grad n. Br. an südos^ nord-
westlich bis gegen den Polarkreis zieht, von der Abdachung
zum Persischen Meerbusen bis zur Ostsee". Da aber beide Ge-
lehrte, vor allem F. Ratzel, innerhalb des von ihnen bezeichneten
Gebietes die Steppengegenden als von hervorragender Bedeutung
für die Entwicklung der Indogermanen ansehen, so glaube ich,
dass ihr Standpunkt wohl mit dem meinigen zu vermitteln ist,
worüber später noch näheres zu sagen sein wird.
Für dieses von mir als Ausstrahlungsgebiet der Indogermanen
- 129 -
angenommene Steppengebiet sind in neuerer Zeit anch eingetreten :
Staart Glennie (Aryan origins, The Contemporary Review
1892, p. 833), E. Meyer (Geschichte des Ältertoms II, 1893,
p. 40 ff .); 0. Bremer (Ethnographie der germanischen Stämme
in Pauls Grundriss der germ. Phil. 1900 III «, 735 ff.), mit ge-
wisser Reserve auch van den Gheyn {Revue des Questions
sdentifiques, Louvain 1890, April), während R. Meringer, Indo-
germanische Sprachwissenschaft (1897), und B. Symons, Het
Standand der Indogermanen {Handelingen en Mededeelingen
van de Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde te Leiden
1898 — 1899) mehr auf Krctschmers Standpunkt stehen.
Den Abschlass dieser geschichtlichen Übersicht bilde das
ausgezeichnete Werk von E. de Michelis, L'origine degli
Indo-Europeiy Torino 1903. Es ist die umfangreichste und
eingehendste Veröffentlichung, die auf dem Gebiet der indo-
germanischen Heimatsfrage bis jetzt erschienen ist, und in der
mit grosser Belesenheit und wohltuender Ruhe alle in dieser
Frage hervorgetretenen Richtungen sorgfältig geprüft werden.
Was die eigene Meinung des Verfassers betrifft, so sieht auch
er sich in den Südosten unseres Erdteils geführt, doch fasst er
im Gegensatz zu mir als ältestes Verbreitungsgebiet der Indo-
germanen mehr die westlichen Gegenden, das Gebiet des
alten Dacien und Thracien, das Land von der Mitteldonau bis
zum Dnepr, ins Auge.
Nachtrag: Nach Abschluss dieser Darstellang erschienen
Karl Helm Die Heimat der Indogermanen und Germanen (Sonder-
abdruck aus den Hessischen Blättern für Volkskunde Bd. IIT,
Heft 1, 1905) und Johannes Hoops Waldbäume und Kultur-
pflanzen im germanischen Altertum, Strassburg 1905 (IV. Kap.:
Die Baumnamen und die Heimat der Indogermanen, Vlll. Kap.:
Die Kulturpflanzen der ungetrennten Indogermanen, IX. Kap. :
Rückschlüsse auf die Lage der Heimat der Indogermanen).
Sehrader, SprachvergleichuDR und Urgescliichte. 3. Aufl. 9
II.
ZUR METHODIK UND KRITIK
DER
LINGUISTISCH-HISTORISCHEN
FORSCHUNG.
I\*
I. Kapitel.
Die indogermanisohe Spraoheinheit.
Die Ursprache. Ihre bedingte Erschliessbarkeit. Ihr Zerfall. Zur
Chronologie der Sprachveränderungen. Räumliche Ausdehnung der
Ursprache. Sprach Veränderung und Geschichte. Ursprache und
Einzelsprachen.
Wenn wir Wort- und Formenreihen, wie sert. mätä'j griech.
ßjtarrjQf lat. mater, altir. mathir, ahd. muoter, altsl. niati ^Mutter^
oder scrt. trdyaSy griech. xQeXgy lat. tr^Sj ahd. drty altsl. Mje
^drei" oder scrt. hhärati, aw. baraitiy ir. berid, ahd. birü^
altruss. bereti ^er trägt^ überschauen^ so können wir uns das
Verhältnis dieser Wörter und Formen zueinander nicht anders
-erklären als dadurch, dass wir annehmen, sie seien aus jetzt
nicht mehr vorhandenen Urwörtem und Urformen, die wir mit
Hilfe der Sprachvergleichung als *mdt^{r)j *tr4jes und *bh^reti
rekonstruieren können, hervorgegangen. Die Summe derartiger
ürwörter und -formen stellt das dar, was man als indoger-
manische Ursprache bezeichnet. Während nun A. Schleicher
und seine Zeitgenossen glaubten, dass es einfach der Zusammen-
setzung derartiger ürwörter, wie sie oben gegeben worden sind,
bedürfe, um ein zusammenhängendes Stück der indogermanischen
Ursprache zu gewinnen, so dass der genannte Gelehrte es sogar
wagte, eine Fabel in der indogermanischen Ursprache nieder-
zuschreiben („das Schaf und die Pferde", Beiträge V, 207), ist
man in neuerer Zeit immer skeptischer gegen die Möglichkeit
^worden, die Ursprache als ein Ganzes wieder herzustellen.
Man hat nämlich erkannt, dass die einzelnen Grundformen, auf
-die die Sprachvergleichung zurückgeht, nicht immer einheitliche,
vsondem nach Raum und Zeit verschiedene 3pracherscheinungen
— 134 —
darstellen oder wenigstens darstellen können^ so dass ein ans-
ihnen zusammengesetztes Stück menschlicher Rede etwa einem
Texte gliche, der aus alt-, mittel- und neuhochdeutschen Wörtern
und aus alemannischen, bayrischen, fränkischen etc. Formen-
bestünde (vgl. Brugmann Grundriss P, 24). So ist es z. B.
schwer zu sagen, wie das Zahlwort „eins" in der Ursprache
lautete, da dasselbe in den Einzelsprachen auf ganz verschiedene,
nur gruppenweis übereinstimmende Grundformen: *otno- (lat.
tinus = got. aina), *oivO' (altpers. aiva = griech. olog), *8eni'
(griech. elg = lat. semel) zurückführt. Für den Nom. Sing, des
Mutternamens müssen zwei, wohl zeitlich voneinander verschiedene
Urfonnen, *mäter\ griech. jiidT}]g, lat. mdter und *mäte': scrt.
mdfä'f altsl. mati angesetzt werden, da die beiden letzteren Formen
sich nicht durch speziell indische oder slavische Lautgesetee aus
*f)iäter ableiten lassen. Hinsichtlich der 2. Pers. Sing, des
Verbum substantivum kann man zwischen dem Ausatz von *e88i
(altlat. 688, griech. iooi) und *e8i (scrt. a«i, griech. €?, lat. 68)
schwanken usw. Gleichwohl bezweifeln die Sprachforscher auch
heute nicht, dass hinter den dialektischen und zeitlichen Ver-
schiedenheiten der indogermanischen Grundsprache, bis zu denen
wir mit den Mitteln der Sprachwissenschaft mehrfach nur vor
zudringen vermögen, als notwendiges Postulat für die Erkläraug
der indogermanischen Spracheinheit, eine völlig einheitliche
und dialektlose Grundsprache anzunehmen sei. Selbst
P. Kretschmer, der in neuerer Zeit in seiner Einleitung in die
Geschichte der griechischen Sprache sich am schärfsten gegen
die Rekonstruktionsversuche der indog. Ursprache ansgesprochen
hat, nimmt p. 92 doch, wenn auch ^in für uns nebelhafter Feme^
ein Urvölkchen an, das, wie nach materieller Kultur, Religion
und Sitten, so auch nach seiner Sprache „absolut einheitlich^
war, und auch Brugmann a. a. 0. p. 22 erklärt, „dass in der
früheren engeren Urheimat die Indogermanen eine Sprache ge-
redet haben mögen, die noch etwa in dem Sinne einheitlich
war, in dem wir heute eine deutsche Mundart, wie die bairische,
als eine Einheit bezeichnen^'. Diese Auffassung wird man als
die zur Zeit herrschende bezeichnen können. Indessen scheint
es zweifelhaft, ob der in dieser Frage ins Rollen gekommene
Stein schon endgiltig zur Ruhe gelangt ist. Zwar dass wir die
mit unseren Mitteln erschliessbare Ursprache als eine bereits-
I -dialektisch gespnltene aiiffaeseu, hat in abstrat-to, wenn wir nns
1 irergrcgeiiwärligeii, dase jede sprachliche Gemeinschaft, ob klein
Iwler gros», mehr oder weniger in sieh differenziert ist, iiiehts
l'bedenkliuhes. Wenn wir iilfto z. B. annehmen, daes die palatalen
t-Lante in einem Teil der Ursprache als reine VerBcblnsBlaute
t(lnt. centum), in einem anderen Teil mit einem sibilantischen
Kachscbla]^, der eich später zn einem eigentliebeu Zischlaat yer-
kdichtete (lit. itzifTitati) gesprochen wurde, so steht niehts im Wege,
pdaBS wir derartige Verschiedenheiten als „dialektische unterschiede"
der iodog. Ursprache bezeichnen. Fraglich aber ist es, ob dieser
An<idruck, der rioch immer auf die Möglichkeit oder Wahrschein-
lichkeit einer, wenn anch nicht mehr nachweisbaren nreprllng-
Jüchen Einheit hinweist, noch ausreicht, wenn wir k. B. die mit
anlantenden Kasntisuffixe des Germanischen und Slavisch-
Litauischen gegenüber den ftA-Suffixen der Itbrigeu Sprachen
■ulfam, lit. wUkdnig, aitsl. vlülconitl gegenllber sert.
fcr/ArÄA(/M«, griech. ihöipi, lat. hosHbus nsw.) ins Auge fassen,
»der wenn wir die Bildnng des Gen. Sing, der ö-Stämme in den
Inen Sprachen auf -slo (scrt. vflcauyn, griech. Xvxoio aus
^i.vxoato) der desselben Kasus auf i {lat. viri, ir. fir aus *feri)
' In anderen Sprachen gegen II bersteilen. Sulltc es sich hier nicht
em|tfehlen, statt mit Kretsclimer S. 16 nnd anderen von „uralten
Dialektdifferenzcn" zu reden, vielmehr von „uralten morpholo-
icben Unterschieden" der einzelnen iodogeniianischcn Sprachen
»iigehen? Wenn wir aber einmal so tief liegende Unterschiede
kr indog. Sprachen, wie immer wir sie bezeichnen mögen, zu-
[Cbeu mUssen, so, scheint es, verlieren wir auch das Recht, in
nhlrcicheu anderen Verhältnissen nach einheitliclien Grtmdformen
fand zwar oft mit sehr gewaltsamen Mitteln zu suchen. Betrachten
' wir z. B. die Bildungen des Futurums in den indog. Sprachen,
Kl herrscht eine nnleugbare Übereinstimmung zwischen Sanskrit
Innd Litauisch iscrl. dä-syd-H, lit. dti'-aiu) und zwischen Itabsch
Rnd Keltisch (lat. vid^-bo, altir. m charuh). Die germanischen
and slftvischen Sprachen stimmen darin llberein, dass sie, ab-
Ijcsehen von pcripb rastischen Bildungen, gar kein besonderes
Fntamm haben, sondern den Futurbegriff durch das Präsens
intt hezeichneu. Die gewöhnliche Auffassung ist nun die, dass
, Mcb das Germanische und .Slavische das ^liu-Futurum einmal
beseweo nnd später verloren hätten (vgl. K. Brugmann, Grund-
— 136 —
risB II, 1270, 1101). Ich sehe aber nicht ein, wie man mich
widerlegen will, wenn ich behaupte: die indog. Sprachen haben,
ganz ebenso wie die finnischen, ein besonderes Futaram über-
haupt nicht besessen, diesen Zustand haben die Germanen und
Slaven ^) bewahrt, und die indisch-litauische und italisch-keltische
Futurbildung stellen uralte Sprachschöpfungen der betreffenden
Gruppen dar, an denen die übrigen indog. Sprachen niemals teil
hatten. Denkt man diesen Gedanken bis zu Ende, so wäre es
möglich, dass nicht wenige der jetzt nur mit einiger Willkür auf
eine Einheit zurückgeführten Verschiedenheiten der indog. Sprachen
uns den Blick in eine Zeit eröffneten, in denen eine Anzahl von
Stämmen, die wir als Indogermanen zu bezeichnen noch kein
Recht hätten, und die sprachlich von Anfang an nicht ganz ein-
heitlich gewesen zu sein brauchten, unter äusseren Verbältnissen,
die uns natürlich auf ewig verschleiert sein werden, sich durch
die allmähliche Ausbildung der Eigenart des indog. Sprachbaues
von anderen, ehemals ihnen nahestehenden (ural-altaischen?)
Stämmen abgrenzten, ohne indessen hierbei überall die gleichen
Wege einzuschlagen, mit einem Worte, dass wir in die Genesis
des indog. Sprachbaus hineinschauten. Indessen dürfen wir,
worauf auch P. Kretschmer p. 28 Anm. 1 aufmerksam macht,
ein tieferes Verständnis dieser Verhältnisse erst erhoffen, wenn
es möglich sein wird, die Verwandtschaftsverhältnisse der indog.
Sprachen mit denjenigen anderer Sprachstämme, wie der Semiten,
der Semiten und Hamiten, der Finno-Ügrier, der Turko-tataren
usw. zu vergleichen; denn es ist doch a priori anzunehmen, dass
die Beziehungen der indog. Sprachen untereinander wohl dem
Grade, nicht aber der Art nach von denjenigen anderer Sprach-
familien verschieden sein werden. Leider ist aber zu sagen, dass
die indogeimanische Sprachwissenschaft zur Zeit für derartige
Erörterungen weder vorbereitet noch ihnen besonders geneigt ist.
Wenn so der Anfang der indog. Ursprache noch von zahl-
reichen Rätseln umgeben ist, so knüpfen sich nicht minder
1) Die vereinzelte altsl. Form hysqiteje ^x6 fUllov'^^ die man als
Überrest eines .vio-Futurums {*hy§q) im Slavischen auifasst, würde
dann vielmehr als unfruchtbar gebliebener Ansatz zur Bildung eines
solchen Tempus zu gelten haben. Auf der andern Seite sind futurisch
gebrauchte Präsentien bekanntlich auch ausserhalb des Germanischen
und Slavischen nachweisbar: z. B. griech. rifu^ sdoftai, nlofMUy xim u. a.
137
flcUwierige Fragen an ihr Ende. Die erste Cberlieferun^ der
«inzeinen ioilog. Spracben fällt bekanntlich iu sehr verschiedene
Zeitrünme. Das AltindtBofae kennen wir am frllfagteu ane dem
Rigveda (om 2000 r. Chr.), das Griechische ans Homer tum lOüO
V. Chr.}> das Germaniscbe aus der gotischen Bi belli hersetzung des
Clfilae (um 400 n. Chr.), das slariscbe ans der altbulgarischen
Cliersetzung der Bibel (um 900 n. Chr.) usw. In den angegebenen
Jahrhanderten waren also die einzelnen indog. .Sprachen bereits
ausgebildete und dentlicb voneinander vei'schiedene Individuali-
täten, oder mit anderen Worten : diejenigen Sprachveränderungen,
welche diese Individualisierung bewirkt haben, falleu vor die
Angegebenen Zeitgrenzen. Wann aber sind sie auf den einzelnen
Spmchgebieten eingetreten? Haben wir ein Reirht zu glauben,
dass in der Zeit der ältesten vediscben Hymnen das Griechische
bereit« eine Sondersprache bildete? Oder dürfen wir in der
Epoche, da Homer dichtete, bereits von Keltisch. Germanisch,
-Slavisch, Litanisch oder nur von Teilen der Ursprache reden,
aus denen später Keltisch, Germaniscb, Slavisch. Litauisch her-
vorgingen ?
Im ersten Augenblick konnte es unmöglich scheinen, eine
Aolwort auf derartige Fragen zu geben; denn wie soll es sich
bewerkstelligen lassen, Sprachveränderungen in Zeiten, in denen
CS keine Sprachdenkmäler gibt, chronologisch zu fixieren? Gltick-
licber^vcise liegen die Dinge nicht gianz so hoffnungslos, und
wenigstens was die noideuropäischen Sprachen betrifft, ist es
niOglich, das tiefe Dunkel, das in chronologischer Beziebung auf
ihrer vorliterärischeu Sprachgeschichte lastet, an einigen Stellen
zn erbellen. Und zwar bielen sich uns hierzu vier verschiedene
Wege dar. So beweisen z. B. eine Reihe inschriftlicher
Sprach üheiTeste des Allkeltischen in Italien. Gallien, Irland etc.
■ Stokes B. B. XI, 112 ff.) aus den letzten vor- und ersten nach-
christlichen Jahrhunderten, dass damals eine Reibe tief ein-
sciiDeidendcr Aaslautgesetze, die später die keltischen Sprachen
in boboni Masse verstümmelt haben (vgl. ir. coic = vorbist. ir.
•5«»^«« : lat. guinque, ir. fer „Mann" = vorbist, ir, *Firo-s. vgl.
griecb. ivxo-s, ir. asbiur „sage" = vorbist. ir. *ÄerM : lat. f'ero,
griecb. fpigu}), ihre Wirkung damals noch nicht ausgeübt hatten,
todeni wir in jenen Inschriften auf Formen stossen, die nach
ihrem Auslaut mit den eutsprecheuden griechischen und lateinischen
— 138 —
noch auf gleicher Stufe stehen. Ähnliches gilt von den
germanischen Runeninschriften (z. B. horna :got Jiaüm, gasÜEi
got. gasts). Andere nordeuropäische Sprachüberreste, die uns in
sehr frühe Sprachepochen zurückführen, sind uns, namentlich in
Orts-, Völker- und Personennamen, von griechischen und
römischen Schriftstellern überliefert. So sind auf dem Gebiet
des Vokalismns in den keltischen Sprachen die beiden indog.
Diphthonge eu und ou in einen Laut zusammengeschmolzen,
während die aitgallischen Eigennamen (vgl. z. B. Teutomaius
gegenüber Roudus) den alten Unterschied noch treu bewahrt
haben. Ähnlich ist im Keltischen die Lautverbindung ev über
ov zu ü geworden: indog. *necio8j dann *nomo8f ir. nüe „neu".
Wohl zeigt sich der Ansatz hierzu schon in dem altgall. Novio-
dünum „Neustadt'', doch finden sich daneben auch noch ver-
schiedene Zusammensetzungen mit *neviO' (vgl. Brugmann, Grund-
riss I-, 125), so dass dieses altgallische wet'fo-« „neu" direkt die
indog. Urform darstellt und altertümlicher als das vedische
ndviia-H oder das altgriechische viog oder das lat. novus ist. Im
Litu-Slavischen ist jenes indog. eu zu au, bezüglich zu u geworden
(vgl. lit. tauta aus *teuta „Volk, Land" und altsl. pluti, plovq :
griech. enkevoa), der älteste Völkername aber, unter dem die
Slaven oder Litu-Slaven in der Geschichte auftreten, das schon
von Herodot bezeugte Nevooi hat, wie man sieht, den alten
Diphthong eu noch unversehrt bewahrt. In ihrem Konsonantis-
m n s sind die keltischen Sprachen in historischer Zeit durch den
Verlust mehrerer Laute, wie des indog. p und des indog. s
zwischen Vokalen (vgl. ir. dthir „Vater" = lat. pater, ir. stur
„Schwester" = scrt. svdsar) charakterisiert. Was den ersteren
Lautwandel anbetrifft, so zeigt sich der Schwund des p auch in
den altgallischen Eigennamen (z. B. ritum „Furt" in Augusto-
ritum = lat. porfus), so dass er zunächst nicht chronologiBch
fixierbar erscheint. Fasst man aber mit Recht den alten Namen
unseres Erzgebirges, Fergumm, als eine germanische Umgestaltung
des keltischen Hercynia d. i. *Percunia auf, so muss zu der
verhältnismässig späten Zeit des Eintritts der germaniscben
Lautverschiebung — worüber unten mehr — der Laut p, wenigstens
in gewissen Teilen des ursprünglich keltischen Sprachgebiets, noch
unversehrt gewesen sein. Das inteiTokale s aber zeigen die
altgallischen Sprachüberreste (z. B. in gaesumj ir. gae „Spiess**)
- 139 -
überhaupt noch unverändert. Eine weitere wichtige Handhabe
ffir die chronologischen Zwecke, die uns hier beschäftigen, bieten
die Lehnwörter, die von irgendwoher ins Keltische, Germanische
oder Litu-SIavische eingedrungen sind, und dadurch, dass sie an
einer Lautveräoderung dieser Sprachen teil genommen oder nicht
teil genommen haben, beweisen, ob sie vor oder nach dieser
Lautveränderung aufgenommen worden sind. Wenn es nun
möglich ist, aus anderen Gründen zu bestimmen, wann die be-
treffende Entlehnung ungefähr erfolgt ist, so ist damit zugleich
ein Anhalt für die Chronologie des fraglichen Lautwandels ge-
geben. So haben z. B. einige germanische Wörter, die frühzeitig
ins Slavische übergegangen sind, den Wandel dieser Sprachen
von au (ou) in u (altsl. suchü „trocken" = griech. avog aus
*8aus0'8) und von a in o (altsl. nosu „Nase" = ahd. nasa) noch
mitgemacht: vgl. altsl. bugü „Armband" aus ahd. botig, altsl.
kupiti ^kaufen^ aus got. Jcaupdn und altruss. opica aus altn.
api „Affe", altsl. Tcotilü aus got. Jcatils. Da nun auch die
ältesten germanischen Entlehnungen ins Slavische nach allem,
was wir wissen, nicht älter als die ersten nachchristlichen Jahr-
hunderte sind, so scheint auch der in Frage stehende Lautwandel
nicht früher stattgefunden zuhaben. Auch Entlehnungen aus
den genannten Sprachen können sich in diesem Zusammenhang
als sehr wichtig erweisen. So sind zahlreiche germanische,
slavische, litauische Wörter in die finnischen Sprachen übergegangen
and haben sich unter dem Schutz eigenartiger finnischer Laut-
verhältnisse hier oft mit grosser Treue erhalten. So heisst z. B.
die Seife im Finnischen saippio aus ahd. seiffa und beweist,
dass zu der Zeit, als diese Entlehnung stattfand — nach W. Thomsen
wäre dies in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung ge-
wesen — , die Germanen noch die sehr altertümliche Form
^8aipiö{n) gebrauchten.
Mit allen diesen Mitteln können wir nun zwar keineswegs
in allem einzelnen beweisen, aber doch im allgemeinen es in
hohem Grade wahrscheinlich machen, dass die nordeuropäischen
Sprachen ausserordentlich lange auf der Stufe der Ursprache
stehen geblieben sind.
Ich will versuchen, dies noch an einem weiteren Beispiel
zn verdeutlichen. Die germanischen Sprachen haben bekanntlich
einen ihrer charakteristischsten Züge durch die erste Laut-
— 140 —
Terschiebung erhalten, und die Germanisten streiten darüber, ob
•dieselbe im III. oder IV. vorchriBtlichen Jahrhundert dnrchgefflhrt
worden sei. Weiter verlegt sie, soviel ich sehen kann, niemand
zurück. Tatsächlich finden wir aach in den germanischen Sprachen
bereits Lehnwörter, die vor der Lautverschiebung aufgenommen
worden sein müssen, weil sie dieselbe mitgemacht haben, und
^ie aus kulturhistorischen oder anderen Gründen schwerlich über
das Zeitalter Herodots hinausgehen. Ein solches ist z. B. agls.
hcenep „Hanf* aus thrak. xnvvaßt<;\ denn da noch Herodot bei
<ier Beschreibung dieser Kulturpflanze die ünbekanntschaft seiner
Leser mit derselben voraussetzt, so ist nicht wahrscheinlich, dass
sie schon vor ihm der germanische Norden gekannt habe, was
auch direkt dadurch bewiesen wird, dass sie in älteren prä-
historischen Funden nicht nachgewiesen werden kann (vgl.
G. Bnschan Vorgesch. Botanik p. 115). Femer wissen wir, dass
in den germanischen Sprachen noch zur Zeit der ersten Lant-
verschiebnng der indogermanische freie, im Sanskrit und in
einigen slavischen Sprachen noch in historischer Zeit herrschende
Akzent lebendig gewesen sein niuss, so dass es also damals z. B.
noch *hrä'par — gi'iech. (poTJrrjg, scrt. bhrd'tä gegenüber *faddr
= griech. TiarTjg, scrt. pitä' und *t4han = griech. dixa, lat.
decem, scrt. dägan gegenüber *8ebdn = griech. ferrd, scrt. saptd
hiess. Übertragen wir diese Erkenntnisse auf zwei der im Ein-
gang dieses Kapitels angeführten indog. Urformen, den Nom.
Sing, des Wortes für Mutter: *mäter = altn. möder^ ahd. mtioier
«md den indog. Ausdruck für „er, sie trägt" : *bh&reti = got.
hairipj ahd. hlrit, so ergibt sich, dass dieselben damals, d. h. im
Zeitalter Herodots, sowohl was ihren Konsonantismus wie auch
ihren Akzent betrifft, noch völlig unverändert waren. Dasselbe
gilt aber auch von ihrem Vokal ismus. Das ä von *mät^r hat
sich bis in die Zeit Caesars erhalten, wie der von diesem über-
lieferte Ortsname Silva Bdcenis, eigentl. „Buchenwald** (ahd.
buohJia = lat. fdgus) zeigt (vgl. Brogmann Grundriss I*, 151), das 4
desselben Wortes bewahrte jedenfalls seine Länge so lange, als
•der Akzent darauf ruhte. Was *hMreti = ahd. birit anbetrifft,
so galt das ^ und e der ersten und zweiten Silbe noch während
der Römerzeit, in der es mit i zu wechseln beginnt (vgl. das
ältere Segimerus bei Tac. gegenüber dem jüngeren Sigimerus
bei Vell. Pat., das ältere Cannenefates bei Plin. gegenüber dem
r bei Vell. Pat., Brugniai
,. 0.
I
I
I
jUiigeren Caun
127 1. Für den Abfall des atialautendeD i von *hht-reti kann ick
zwar einen unanfechtbaren chronologiscben Anbalt nicbt finden;
allein es wird — aus allgemeinen, hier uicbt zu erörteniden
GrflndeD — kanni einen Spraebforscber geben, der annähme,
dasB die erste Lautverscbiebnng in den germaniscben Sprachen
bereits die Form "bh^ret vorgefunden hätte.
Kb ist also, will mir scheinen, eine vollkommen beweisbare
and sichere Talsache, dass „die Matter träftt" im Zeilalter dea-
Herodot an den Ufern der Elbe und Oder noch ganz wie in der
Ursprache *mäWr "bhireii lautete, während mau in Griechenland
bereits ein halbes und in Indien ein ganzes Jahrtausend früher
tnit z. T. auBserordentlich starken Abweichungen /"/ti;o rf^igst nnd
mätä bhärati sagte.
Diese Beobachtung, dass die nord europäischen Sprachen
sehr lange auf der Stufe der Ursprache stehen geblieben seiD
mRssen, fuhrt nun noch zu zwei weiteren Bemerkungen Über den
Charakter der letzteren.
Wenn es richtig ist, dass noch auf dem historischen Boden
der Einzelvülker oft die subtilsten Verhältnisse der Ursprache
erkannt und Formen nachgewiesen werden, die mit den postu-
lierten Urformen durchaus identisch sind, so folgt hieraus, dass
die indog. Ursprache, sei es als Ganzes, sei es in einzelneu Teilen,
fll»er ein geographisch sehr ausgedehntes Gebiet verbreitet ge-
wesen sein muss, ohne, trotz dialektischer Verschiedenheiten im
einzelnen, ihre Homogenität im ganzen zu verlieren. Durch eine
ftfanlicbe Stabilität sind z. B. die tu rko- tatarischen Sprachen aus-
gezeichnet, die „trotz einer immensen geographischen Ausdehnung
Tou eisigen Norden bis zum tiefen Süden, vom Draehensee bis
zur Adria, ja trotz einer zeitiicben Entfernung von historisch
nachweisbaren andertbalbtausend Jahren" einander noch immer
BO nahe stehen, „dass der Ostfriese und der Schweizer sich mit
dem Zipser oder dem SiebenbUrger Sachsen wohl schwerer ver-
sündigen wird, als dies etwa zwischen Jakuten und Telenten
mit dem Türken aus Anatolien oder Rumelien der Fall sein kann"
(rgl. Vimbery Die primitive Kultur des turko-tat, Volkes p. 14 f.).
Unter den einzetuen indogermaniscbea Sprachen hat das Gross-
rnansehe im Laufe der Zeit in Europa und Asien eine ungeheure
rftnmücbe Verbreitung erlangt, ohne dass es dabei zu mehr als dia-
— 142 —
lektischen, and dabei nicht einmal sehr erheblichen, Unterschieden
gekommen wäre. Auch Kleinmssisch und Weissrnssisch können nach
<lem Urteil aasgezeichneter SlaviBten wie x. B. dem Sobolevskij's
(Vorlesungen z. Gesch. d. russ. Spr. ^ p. 2) nicht als selbständige
Sprachen dem Grossrnssischen gegenüber gelten.
Von der ältesten Stufe ihrer Entwicklung ist zweitens die
indog. Ursprache in den einen Teilen ihres ausgedehnten Terri-
toriums früher, in den anderen später herabgesunken. Während
wir oben sahen, dass es um das Jahr 2000, ja vielleicht noch
um das Jahr 1000 y. Chr., die europäischen Nordspraeben,
Keltisch, Germanisch, Litn-Slavisch wahrscheinlich noch gar nicht
gegeben hat, sehen wir, dass das Altindische des Rigveda oder
das Griechische des Homer bereits alle diejenigen sprachlichen
Veränderungen aufweisen, die das Indische zum Indischen, das
Griechische zum Griechischen gemacht haben. So muss z. B.
im Indischen damals schon längst der bunte Vokalismus der
indog. Grundsprache in einem monotonen a. ä zusammengeflossen
sein (griech. ton „ist", oY^ „Schaf", äyo) „ich führe": scrt. £^^f,
äviiy djämi\ griecli. hirjyji „icli setzte", lat. vöx „Stimme*^,
fräter „Bruder" : sert. ddhäm, väk, bhrd'td). Ahnlich muss im
Griechischen damals schon länj^st der indog. Laut J zu C ge-
worden (lat. iugum „Joch" = griech. i^vyov) oder das zwischen-
vokalische h ausgefallen sein (scrt. jdnasas .,des Geschlechts^ =
griech. yeveog). Auch das Lateinische weist in seiner ältesten
Überlieferung bereits die wichtigsten Abweichungen vcm dem ur-
sprünglichen Zustand, wie z. B. die Verwandlung der ursprach-
lichen Mediae aspiratae erst in Tenues aspiratae, dann in ton-
lose Spiranten {*bh^rö, erst *pheröy dann fero) auf. Es ergibt
sich also, dass diejenigen Sprachen, die am frühsten derartige
einschneidende Veränderungen aufzuweisen haben, denjenigen
Völkern angehören, die. wie Inder, Iranier, Griechen, Römer am
frühsten in den Bann des Orients eingetreten sind und damit die
Bahn geschichtlicher und kulturgeschichtlicher Ent-
wicklung beschritten haben. Es erhebt sich damit die
wichtige Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwisefaen
Geschichte und sprachlicher Veränderung besteht, oder, da ein
solcher Zusammenhang, wie aus dem bisherigen herrorgeht, ohne
Zweifel anzunehmen ist, wie derselbe zu erklären sei. In dieser
Beziehung ist zunächst auf W. Wundt zu yerweisen, der in
— 143 —
seiner Volkerpsychologie I, 1, 1^ p. 488 ff. die Ansicht vertritt,
daas Knltarentmcklnng ein schnellereB Tempo der Rede
erzeuge, und dass dieser gesteigerte Redefluss für zahlreiche
Spracfaverändernngen, z. B. auch fflr die Erscheinangen der ger-
maniBchen Laatversehiebiing, verantwortlich zu machen sei. In-
dessen ist es nach den Einwendungen, die B. Delbrück
Gnindfragen der Sprachforschung mit Rflcksicht auf W. Wundts
Sprachpsychologie p. 102 gegen diese Auffassung erhoben hat,
mehr als fraglich, ob dieser Faktor des rascheren Redeflusses,
wenngleich ihm eine gewisse Bedeutung nicht abzusprechen sein
dürfte, doch einen derartigen Einfluss im Leben der Sprache
aasgeflbt hat, wie ihn Wundt annimmt. Ferner hat man den
Znsammenhang zwischen Geschichte und sprachlicher Veränderung
ans dem Moment der Sprachmischung erklären wollen, der
die indog. Völker bei ihrer vorgeschichtlichen und geschichtlichen
Ausbreitung in immer steigendem Masse ausgesetzt waren. Wir
werden über diesen Gegenstand im folgenden Kapitel, in dem
von der Vermischung der indog. Völker und ihren Folgen die
Rede sein wird, ausführlicher zu sprechen hal)en und beschränken
nos daher hier auf die Bemerkung, dass auch die Sprachmischung
in älterer Zeit einen grösseren Einfluss auf die Differenzierung
der indog. Sprachen schwerlich ausgeübt hat.
Vielleicht wäre es, um den ursächlichen Zusammenhang
zwischen Geschichte und sprachlicher Veränderung richtig zu
verstehen, gut, die Frage nach den letzten Ursachen des Sprach-
wandels möglichst bei Seite zu lassen und sich mit der Beant-
wortung der Frage zu begnügen, inwiefern konnte durch ge-
schichtliche Verhältnisse eine Steigerung und Beschleunigung
der im übrigen jederzeit möglichen sprachlichen Ver-
änderungen herbeigeführt werden? Alle sprachlichen Ver-
änderungen — ■ darüber herrscht unter den Linguisten erfreuliche
Übereinstimmung — gehen ungewollt von einzelnen Individuen
ans, von denen sie sich auf dem Wege unbewusster Nachahmung
in teils weiteren, teils engereu Kreisen verbreiten, je nachdem
der persönliche Einfluss jener einzelnen Individuen ein grösserer
oder geringerer war*). Fragt man nun, worauf in letzter Linie
1) Vgl. Paul Prinzipien der Sprachgeöchichte * p. 30: „Aus dem
nnfiinglich nur individuellen bildet sich ein neuer Usus heraus", Del-
hTÜck Gnmdfiragen p. 98: ^Unter diesem andern Weg [der eine wäre
— 144 —
alle geschichtliche oder kultargeschichtliche Entwicklong gerichtet
ist, so kann die Antwort nur lauten: auf die Erschaffung yon
Individualitäten, von Persönlichkeiten. Nach allem, was wir
wissen, müssen wir uns die Kultur der Urzeit so einförmig wie
möglich vorstellen. Stämme, Sippen und Grossfamilien bildeten
die monotone Grundlage der Gesellschaftsordnung, die auch nach
Ständen und nach dem Besitz (vgl. mein Reallexikon u. Stände
und u. Reich und arm) noch kaum gegliedert war. Selbst die
Götter, in denen sich das Leben der Sterblichen abspiegelt,
waren noch keine umfassenden und markanten Persönlichkeiten,
sondern beschränkten sich auf die einzelnen Begriffe, denen sie
entstammten (vgl. mein Reallexikon u. Religion). Je nachdem
nun die einzelnen iudog. Völker vom Strom der Weltgeschichte
ergriffen werden, schlagen ihre Sprachen ein sehnelleres Tempo
der Differenzierung ein, ans keinem andern Grund, als weil
sich nunmehr in ausgeprägten Individualitäten wirksame Aus-
breituugszentren der sprachlichen Veränderungen bilden. Gegen
diesen Differenzierungstrieb stemmen sich auf den einzelnen
nach D. der der Sprachmischung] aber kann man sich, soviel ich sehe,
nur vorstellen, dass eine Neuerung bei einem Einzelnen beginnt, and
sich von ihm aus in immer weitere und weitere Kreise fortsetzt Den
hauptsächlichsten Grund, warum die Mehreren den Wenigen nach-
ahmen, darf man wohl in dem persönlichen Einfluss der Wenigen
suchen", R. Meringer Indogermanische Sprachwissenschaft p. 88:
„Zusammenfassend können wir also sagen, die sprachlichen Anderungs*
versuche in bezug auf die Laute gehen von den einzelnen aus, über-
tragen sich aber bloss dann auf einen grösseren Kreis, wenn der Ein-
fluss der ändernden Person ein entsprechender ist**, Sie vers Phonetik *
p. 243: „Die Bildung neuer Aussprachsformen geht daher von einzelnen
Individuen oder auch von einer Reihe von Individuen au«, und erst
durch Nachahmung werden solche individuellen Neuerungen allmählich
auf grössere Teile einer Sprachgenossenschaft oder auch auf deren
Gesamtheit übertragen". Widerspruch erhebt nurW. Wundt Sprach-
geschichte und Sprachpsychologie p. 60, und es kann ihm soviel zu-
gegeben werden, dass die mitgeteilten Anschauungen der Sprachforscher
mehr einnotwendiges Postulat sind, als auf im einzelnen beweisbaren
Tatsachen beruhen. Tatsache ist, dass die Lautveränderungen (vgL
oben p. 70 f. über die zweite Lautverschiebung) in bestimmten Gegenden
und in räumlicher Beschränkung hervortreten und sich von da über
die Nachbarschaft allmählich verbreiten. Da nun die Sprache an
Menschen gebunden ist, so kann man sich für den geschilderten
Vorgang keine andere Erklärung als die oben angegebene denken.
- 145 -
VölkergebieteD erst in verhältDismässig später Zeit andere Knltur-
prodakte wie das Aufkommen eines Nationalitätsbewusstseins und
die Einführung einer Schriftsprache, beides Faktoren, die natür-
lich aber für die Beurteilung der älteren und ältesten Sprach-
und Völkerverbältnisse nicht in Betracht kommen können. Mit
Recht hat schon P. Kretschmer Einleitung p. 412 darauf hin-
gewiesen, dass z. B. zwischen altgriechischem und altgermanischem
Sprachgebiet uns ein Unterschied insofern entgegentritt, als das
erstere von Anfang an dialektisch stark zerklüftet erscheint,
während wir auf letzterem bis zu einheitlicheren „nrgernianischen^
Sprachzuständen vorzudringen vermögen. Auf den gleichen Gegen-
satz hätte er hinsichtlich der italischen Sprachverhältnisse (Oskisch,
Umbrisch, Lateinisch) einer- und der slavischen andererseits sich
beziehen können. Allein den Grund dieser Verschiedenheit hat
er schwerlich richtig angegeben^ wenn er meint, dass einmal ein
differenzierendes, das andere Mal ein assimilierendes Prinzip ge-
wirkt habe, was im Grunde doch nur Worte sind. Die Ursache
ist vielmehr lediglich eine historische: die Griechen und Italiker
sind früher in die Geschichte eingetreten und darum früher
dialektisch zerspalten, während bei den europäischen Nordvölkeru,
in Sonderheit bei Germanen und Slaven, die „ursprachlichen^
( „urgermanischen ^ oder „urslavischen^) Verhältnisse länger an-
dauerten. Erst mit dem Zurückdrängen des keltischen Elements
in West- und Mitteldeutschland, d. h. etwa im IV. oder III. vor-
christlichen Jahrhundert machen sich die Germanen in der Ge-
schichte bemerkbar, und es ist sicherlich kein Zufall, dass erst
in dieser Zeit die in der ersten Lautverschiebung sich offenbarende
grosse Abweichung der germanischen Sprachen vom indogermani-
schen Lautbestand sich Bahn bricht.
Aus dem bisherigen ergibt sich ferner, dass man von einer
„Periode der Auflösung der indog. Grundsprache" in keiner Weise
reden kann. Nicht um einen einzelnen Akt, sondern um eine
nnendliche Reihe verschiedener, durch Jahrhunderte und Jahr-
tausende getrennter Akte handelt es sich. Ebensowenig lässt
sich irgendwo ein Strich zwischen der Ursprache und den Einzel -
sprachen machen. Man könnte zwar z. B. sagen, dass die speziell
germanische Sprachentwicklung mit der Lautverschiebung anhebt;
aber einerseits können schon vor ihr speziell germanische Sprach
Änderungen, z. B. die Ausbildung des sogenannten schwachen
Sehrader. Sprach verflrlelchunjf und Urgeschichte. 3. Aufl. 10
— 146 -
Präteritums (got. naslda), vorhaDden gewesen sein, und anderer
seits dauerten doeli die von der Lautverschiebung nicht be-
troffenen indog. Urformen auch nach der Lautverschiebung auf
germanischem Boden zunächst fort. Auch von einem Ende der
Ursprache kann man eigentlich nicht reden, da indog. Urformen
gelegentlich, z. B. im Litauischen {sünüa „Sohn", üsti „er ist**.
tu „du") bis auf den heutigen Tag weiterleben. Das Problem
der Auflösung der indog. Ursprache und der Herausbildung von
Einzelsprachen kann daher nur im engsten Zusammenhang mit
ethnologischen Fragen seiner Lösung näher gebracht werden,
zu deren Erörterung ttbeivAigehen es nunmehr an der Zeit ist.
II. Kapitel.
Die indogermanische Völkereinheit.
Das indogermanische Urvolic. Sprachverwandtschaft und Rasseuver-
schiedenheit. Völkermischung. Sprachmischung. Der Urtypus des
indog. Stammes. Urvolk und Einzelvölker. Ursprache und Einzel-
sprachen. Nationen.
Wenn auch nicht alle Verschiedenheiten der indog. Sprachen
auf eine Einheit zurückgeführt werden oder auf Grund einer
solchen verstanden werden können, so wird doch, wer die Lebens-
arbeit eines Bopp, Schleicher, Brugmann überschaut, darüber
nicht zweifelhaft sein können, dass die indog. Sprachen im
Ganzen andern Sprachen und Sprachfamilien als eine geschicht-
liche Einheit gegenüberstehen, und da die Sprachen selbstver-
ständlich nichts in der Luft schwebendes, sondern etwas an
sprechende Menschen gebundenes sind, so hat der Schluss von
der Einheit der indog. Sprachen auf die Einheit der indog. Völker
in der Tat nahe genug gelegen. Auch ist derselbe lange Zeit
anstandslos und ohne Einschränkung gezogen worden, bis die
Anthropologie immer deutlicher darauf hinwies (vgl. oben p. 107 ff.),
dass keine der bisher auf Grund somatischer Merkmale ver-
sachten Klassifikationen der Menschheit sich mit dem Begriff
Indogermanisch irgendwie deckt. Dieselben sind entweder zu
weit, indem mit den Indogermanen völlig heterogene Spraehelemente
wie Basken und Kankasier zu einer weissen, mittelländischen,
kaukasischen oder arabisch europäischen Rasse vereinigt werden,
so dass man genötigt gewesen ist, diese Einheit auf den homo
4iLalus „den stummen Menschen'^ (vgl. F. Müllers Probleme der
linguistischen Ethnologie, E. Behms Geographisches Jahrbuch IV,
302) zurückzuführen, der, wie man wird zugestehen müssen, für
10*
— 148 -
den Sprachforscher ein recht geringes Interesse hat. Oder jene
Klassifikationen sind zu eng, wie dies mit dem auf die Längen-
und Breitenverhältnisse des menschlichen Schädels gegrttndeteD
Retzins'schen System der Fall ist. Vergegenwärtigen wir wob^
z. B. die Karte, auf der J. Deniker-Paris mit grosser Sorgfalt
die Verteilung des Schädelindex in Europa dargestellt hat
(J, DeniJcer Les races de VEurope I, Vindice ciphalique en
Europe. Association franqaise pour Vavancement des sciences,
Congres de St. Etienne 1897. Paris 1899), so zeigt sich, dass^
die westlichere Hälfte Europas — der Osten weist noch sehr viele
auf die Kopfform nicht untersuchte Gebiete auf — im Norden
ebenso wie im Süden hauptsächlich von Lang- und Mittelschädligen.
besetzt ist, zwischen denen sich, im Anschluss an das Alpengebiet,,
ein stellenweis sehr breiter Gürtel von mehr oder weniger Kurz-
schädligen hindurchzieht. Bedenken wir nun, welche Sprachen-
und Völker auf diesem Gebiete herrschen, so ergibt sich, dass-
nicht nur die Indogermanen im ganzen, sondern auch die einzelnen
Zweige des Indogermanischen durch eine Einteilung in Lang-
und Kurzschädel völlig auseinander gesprengt werden. Ähnlicb-
steht es mit den Merkmalen der Blondheit und Brünettheit.
Die Bevölkerung Deutschlands zerfällt in eine blonde und brünette
Schattierung. Dasselbe gilt von den Grossrussen, die nach deit
sorgfältigen Untersuchungen Sografs in den Gouvernements Zentral-
russlands, Wladimir, Jaroslaw, Kostroma deutlich einen kleineir
subbrachykephalen bis brachykephalen Typus mit braunen Haaren
und grauen Augen neben einem hochgewachsenen subbracbykephalen
bis mesokephalen, ja dolichokephalen Typus mit blonden Haaren^
und ebenfalls grauen Augen aufweisen. Ahnliches wurde scboir
oben (p. 115) von den Iraniern des Pamirgebietes berichtet..
Gleich grosse somatische Verschiedenheiten kehren übrigens auch
auf anderen Sprachgebieten wieder: der Jakute an der Lena ist
ein total anderer als der Türke am Bosporus, der Lappe völlig"
verschieden von dem sprachverwandten Finnen usw.
Sind nun diese Umstände geeignet, den auf der Verwandt-
schaft der indog. Sprachen beruhenden Glauben an eine prä-
historische Einheit der indog. Völker zu erschüttern? Ich glaube,
dass sehr einfache Betrachtungen zeigen, dass dies nicht der
Fall ist.
Wir sprechen deutsch, weil wir von deutschen Eltertv
— 149 —
^stammen, und unsere Verwandten in fremden Ländern, soweit sie
nicht in anderen Nationalitäten aufgegangen, sind ebenfalls der
deutschen Sprache mächtig, weil sie oder ihre Vorfahren aus
Deutschland gekommen sind. In England herrecht eine germanische
Sprache, weil dieselbe von einem germanischen Stamme nach
jenem Eiland gebracht worden ist. Diese Beispiele zeigen aber
auch, in welchem beschränkten Sinne die Einheit der indog.
Völker verstanden werden muss. Denn gleichwie der Bau der
englischen Sprache zwar ohne weiteres sich durch die Einwanderung
der Angelsachsen als ein germanischer erklärt, die englische
Nationalität aber nicht verstanden werden kann ohne Berück-
sichtigung der keltischen, römischen, normannischen Elemente,
die mit jenem angelsächsischen Stamm verschmolzen sind, ebenso
fordert die vergleichende Sprachwissenschaft auch nicht, dass
die indog. Völker in ihrer Totalität auf eine ursprüngliche
Einheit und Gleichheit zurückgehen, sondern sie verlangt nur die
Annahme, dass in den einzelnen indog. Völkern ein einheitlicher
indog. redender Kern vorhanden gewesen sei, von dem aus die
Übertragung der indogermanischen Sprache auf heterogene, mit
ihm verschmelzende Völkerbestandteile möglich war.
Dass die indogermanisch redenden Stämme bei ihrer Ankunft
in der neuen Heimat Mischungsprozesse mit einer daselbst vorher
iinsässigen Urbevölkerung durchzumachen gehabt haben, kann
^ar nicht bezweifelt werden, da zum Teil auf diesen Vorgängen
das volle Licht der Geschichte ruht. Blicken wir z. B. auf die
indischen Arier, deren Vordringen von den Ufern des oberen
Indoslaufes in südlicher und südöstlicher Richtung in fortgesetztem
Kampfe mit den Ureinwohnern des Landes die vedischen Lieder
uns schildern (vgl. Zimmer Altind. Leben p. 100 ff.) ! Die arischen
Stämme, deren Hautfarbe ausdrücklich als eine weisse bezeichnet
wird (Rg. I 100, 18), treten hier den Ureinwohnern Indiens, den
^schwarzhäutigen^ Dasyu, die fremde Sprache, fremde Sitte,
fremde Götter haben, in einem Streit auf Tod und Leben ent-
,^egen, der damit endigt, dass die unterworfenen Barbaren endlich
4ÜS vierte Klasse, als Qüdra in den indischen Staat aufgenommen
werden. Das indogermanische Element hat gesiegt, aber, „dass
in dem langen Zeitraum bis dahin vielfach Mischungen arischen
Blntes mit dem der Ureinwohner stattgefunden haben, ist nicht
zü bezweifeln. Dasyu-Jungfrauen und -Weiber kamen in das Haus
- 150 -
der arischen Männer als Sklavinnen; die eine oder die andere-
mag es wohl zur Herrin gebracht haben" (Zimmer a. a. 0. p. 117).
Zu den degenerierenden Folgen dieser Vermischungen, die später
durch skythische, mongolische, europäische Elemente aller Art
gesteigert wurden, kam dann weiter der Einfluss des den phy-
sischen Organismus des Menschen mächtig umgestaltenden tropischen
Klimas Indiens, so dass nur noch die ßrahmauenfamilien gewisser
Distrikte heute den edleren „mittelländischen'^ Rassencbarakter
bewahrt haben sollen (vgl. F. Müller Allg. Ethnographie p. 457 ff.).
Nicht weniger ziehen sich durch das Awesta alte Nachrichten
von dem Kampf der iranischen Bevölkerung mit einer eingeborenen^
unarischen Crrasse {anairj/äo daiihäeö), und auch hier leben in
den Häusern der Mazdaverehrer die Töchter ungläubiger Stämme
als Dienerinnen und Nebenweiber (W. Geiger Ostiran. Kultur
p. 176 ff.).
In neuerer Zeit lassen sich diese Verhältnisse besonders^
schön an der Ausbreitung der Russen, speziell der Grossrossen^
studieren. Diese stellen von Haus aus eine kleine Zahl zur Zeit
der grossen slavischen Wanderungen in der slavischen Urheimat
am Mittellauf des Dnepr zurückgebliebener Stämme dar, die nnn
im Laufe der Jahrhunderte sich über das ganze europäische
Russland bis zum Ural verbreitet und die finnische und tatarische
Urbevölkerung dieser Länder verdrängt, vernichtet oder, besser
gesagt, sich assimiliert haben, überall russische Eigenart und
russische Sprache verbreitend. Lebendige Zeugen dieser einst-
maligen Urbevölkerung sind die mordvinischen, tschuwaschischen,
tscheremissischen, wotjakisclien, permjäkischen, syrjänischen usw.
Sprach- und Völkerinseln, die noch heute vorhanden sind. Diese
Kulturarbeit ist dann von den Russen jenseits des Ural fort-
gesetzt worden. In Sibirien fassten sie zuerst im Jahre 1582'
festen Fuss, und schon im Jahre 1880 kamen auf 4^» Millionen
Russen, d. h. russisch redender Menschen nur noch etwa 1 Million
Inorodzy oder „Fremde", wie man bald die eigentlichen Herren
des Landes, Burjäten, Jakuten, Wogulen, Tungusen, Samojeden^
Kalmyken, Ostjaken etc. etc. nannte. Mit diesen Völkern hat
sich, fast vor unseren Augen, eine Vermischung der langsam von
Westen nach Osten vorrückenden Russen vollzogen, ans der in
somatischer Beziehung zahlreiche neue Typen entsprungen sind»
Schon in der Mitte des vorvorigen Jahrhunderts wurde man aaf
- 151 —
den asiatischen Typus vieler Sibirier-Russen aufmerksam. Am
unteren Laufe des Jenissei wird diese Erscheinung von den
dortigen Kosaken „SmjeSiza" d. h. „Gemisch" genannt. Man
kann geradezu von einer Jakutisierung der Russen Ostsibiriens
reden (weiteres bei A. Brückner Die Europäisierung Russlands
Gotha 1888 p. 161 f.).
Überschauen wir diese klar vorliegenden Verhältnisse und
bedenken wir weiter, dass auch im westlichen und südlichen
Europa in Pikten, Iberern, Ligurern, Etruskern usw. ansehnliche
Beste nichtindogermanischer Völker sich bis in die geschicht-
lichen Zeiten gerettet haben, so kann es nicht zweifelhaft sein,
dass auf dem indog. Völkergebiet überall oder doch in weiter
Ausdehnung starke Mischungen und Verschmelzungen heterogener
Völker stattgefunden haben. Warum hierbei das indogermanische
Element über die sich ihm assimilierenden Völkerbestandteile in
sprachlicher Beziehung den Sieg davongetragen habe, ergibt sich
aus den angeführten Beispielen fast von selbst. Es sind in
Indien wie in Iran und Russland die kulturhistorisch höher
stehenden Völker, die ihre Sprache auf die niedriger stehenden
Ureinwohner übertragen haben, und es liegt daher nahe, aus
diesen Erwägungen den Schluss zu ziehen, dass die indogermanische
Bevölkerung Europas und Asiens schon zur Zeit ihrer Ausbreitung
im Vergleich mit der vorindogermauischen eine relativ
höher gesittete gewesen sein müsse, und dass hierdurch zu-
gleich die weite Ausdehnung des indog. Sprachstamms sich
erklärt.
Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob diese ohne
Zweifel stattgehabte Mischung der Völker auch von einer Mischung
ihrer Sprachen begleitet gewesen ist, oder, mit anderen Worten,
ob auch die indog. Idiome, die die Einwanderer in ihre neuen
Wohnsitze mit sich brachten, bedeutsame Veränderungen durch
den Mund der Ureinwohner erfahren haben. Tatsächlich wird
dieser Gesichtspunkt gegenwärtig häufig geltend gemacht (vgl.
oben p. 75), um die Unterschiede der indog. Sprachen zu er-
klären. Auch lässt sich nicht leugnen, dass in neueren Sprach-
epochen und in bestimmten Teilen des indog. Völkergebietes, wie
namentlich auf der ßalkanhalbinsel, im Bulgarischen, Rumänischen,
Aibanesischen auch in der Laut-, Wortbildungs- und Flexions-
lehre (ganz abgesehen vom Wortschatz) „mischsprachliche" Er-
— 152 -
scbeiiiungeu nachgewiesen werden können ^j. Allein etwaigen
Schlüssen hieraus auf die erste Ausbreitung der Indogermanen
in Europa stehen doch andere Tatsachen im Wege. Was wir,
falls Völkermischung überall Sprachmischung bedingte, nach den
obigen Ausführungen in der russischen Sprache erwarten müssten,
wäre ihre Durchsetzung mit finnischen Elementen. Hören wir
nun, wie sich über diesen Punkt einer der besten Kenner des
Russischen, Sobolevskij, in seinen Vorlesungen zur Geschichte
der russischen Sprache (3. Ausg. Moskau 1903) äussert: „Das
russische Volk stellt in linguistischer Beziehung ein Ganzes dar.
Das fremde, finnische Blut, das im Laufe vieler Jahrhunderte im
Cberflüss in den grossrussischen Stamm eingedrungen ist und
noch jetzt in den nordöstlichen Zweig des russischen Volkes ein-
dringt, hat die russischen Nordländer nicht zu Finnen oder zu
Finno-ßussen gemacht. ... Es hat nicht den geringsten
Einfluss auf die Einheit der russischen Sprache aus-
geübt. Ausser einigen Worten, die in grossrussischen nördlichen
und östlichen Grenzdialekten bestehen und der russischen Literatur-
sprache fremd sind, haben die Finnen der russischen Sprache
nichts zugeführt. Man dachte zwar früher, dass wir den Finnen
unsere Vokalentfaltung [polnoglasie, z. B. russ. borodd „Bart**
statt ursl. *barda] und die Aussprache des o als a etc. [äkanlBf z. B.
MosTcvd, sprich Maskvä] verdankten; aber an dieser MeinoDg
hält gegenwärtig in Anbetracht ihrer offenbaren Unhaltbarkeit
kaum noch jemand fest: die Vokalentfaltung besteht überall^ wo
das russische Volk lebt, z. B. diesseits und jenseits der Karpaten,
wo die Geschichte auch in den ältesten Zeiten keine finnischen
Siedelungen kennt, und die Aussprache des o als a fehlt gerade
bei den Russen, in deren Adern besonders viel finnisches Eint
fliesst, bei den nördlichen Grossrussen.^ Dazu kommt^ dass es
bis jetzt noch nicht gelungen ist, in den älteren Phasen des
indog. Sprachlebens, >veder im Sanskrit, noch im Griechischen,
noch im Italischen usw\ derartige Beeinflussungen durch die
Sprachen der ürbewohner mit irgendwelcher Sicherheit nach-
zuweisen. Auch begi'iffe man nicht, wie die im ersten Kapitel
1) Vgl. weiteres beiKretschmer Einleitung p. 120 ff., wo auch
die Literatur über die Frage der Sprachmischung zu finden ist. Hin-
zugekommen in neuerer Zeit, die slavischen Sprachen betreffend, V. Jagi6
Einige Streitfragen 3—4, Archiv f. slavische Sprachen XXII, 11 ff.
- 153 -
betonte lange Bewahrung der indog. Gruüdfornien in den nord-
enropäischen Sprachen möglich gewesen sein sollte, wenn die
doch Bchon bei der ersten Besitzergreifung der betreffenden
Lfänder durch Indogermanen mit Ureinwohnern stattgehabte Ver-
mischung zu Modifikationen der indog. Urspraclie geführt hätte.
Das einzige, was man daher bis jetzt mit einiger Bestimmtheit
sagen kann, ist, dass in dem Wortschatz der einzelnen indog.
Sprachen ein gewisses Kapital von Ausdrücken vorhanden sein
kann^ das man nie aufindog. Grundformen zurückzuführen im-
stande sein wird, weil es vor- und nichtindog. Sprachen entstammt.
Auch können, wie wir noch sehen werden, derartige Elemente
schon in der indog. Grundsprache selbst vorhanden gewesen sein.
In jedem Falle ist nach den bisherigen Ausführungen die
vielbesprochene Frage nach dem ürtypus der Indogermanen
auf die Frage zu reduzieren, welches der ursprüngliche Typus
desjenigen indog. Völkerkerns gewesen sei, von dem auf den ein-
zelnen Völkergebieten die Übertragung der indog. Sprache auf
allophyle Bestandteile ausging.
Aber auch diese Fragestellung ist wahrscheiolich eine falsche,
insofern ihr die Voraussetzung zugrunde liegen würde, dass der
Habitus des indog. Urvolkes überhaupt ein einheitlicher gewesen
sein müsse. In der Tat gehen viele Anthropologen und Ethno-
graphen stillschweigend oder ausgesprochenermassen von dieser
Annahme aus. So sagt Penka Die Herkunft der Arier p. 20
wörtlich: ^Ein Urvolk aus zwei verschiedenen Rassen bestehend
anzunehmen, beisst der Natur zumuten, zu gleicher Zeit und
unter denselben äusseren Umständen ein und dieselbe
Ornndform nach verschiedenen Richtungen hin umzugestalten,
eine Annahme, deren Absurdität in die Augen springt.^ In
Wirklichkeit liegen die Dinge aber anders. Man darf die Ur-
sprünge der Indogeimanen und die Ursprünge des Menschen nicht
chronologisch zusammenwerfen, und die Begriffe ^Rasse" und
„Volk" nicht miteinander verwechseln. Wir haben oben gesehen,
dass die indog. Völker in der Gegenwart keine körperliche
Einheit darstellen, und die Ausgrabungen haben mit immer
steigender Gewissheit dargetan, dass auch in der Vergangen-
heit von der jüngeren Steinzeit an in Europa uns nirgends Be-
völkerungen von völlig homogener Zusammensetzung, sondern
überall Mischungen von Dolicho-, Meso- und Brachykephalen
— 164 -
entgegentreten. So weisen die Schweizer Pfahlbanten der jttngeren
Steinzeit unter 25 Schädeln 13 von brachykephalem, 8 von dolicho-
kephalem und 4 von mesokephalem Typns auf. In England
findet man in derselben prähistorischen Epoche in den sogenannten
rylong harrows^ Dolichokephale und Mesokephale, in den j^round
barrotrs^ Kurzschädel und Langschädel nebeneinander. In Däne-
mark kommen auf M steinzeitliche Schädel 10 brachy-, 16 meso-^
8 dolichokephale, während die schwedischen Schädel des Steinzeit-
alters allerdings vorwiegend dolichokephal sind (vgl. Kretschmer
a. a. 0. p. 40 und mein Reallexikon u. Körperbeschaffenheit
der Indog.) usw. Unter diesen Umständen hat Virchow schon
im Jahre 1883 (Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft
für Anthropologie p. 144) einen einheitlichen kraniologischen
Typus der Indogermanen direkt in Abi'ede gestellt und ange-
nommen, dass 2 Reihen, eine dolichokephale und eine brachy-
kephale, in demselben von jeher nebeneinander hergegangen seien.
Dabei braucht nicht geleugnet zu werden, dass der ganze Habitoa
der Indogermanen, worunter ja ausser den kraniologischen Ver-
hältnissen noch sehr viel anderes zu verstehen ist, in den ältesten
Epochen ein einheitlicherer gewesen sein wird, als in der geschicht-
lichen Zeit, nachdem die oben erörterte Vermischung mit antoeh-
thonen Völkern stattgefunden hatte. Was sich aber hierüber bis
jetzt sagen lässt, ist trotz allem, was in neuerer Zeit darttber
geschrieben worden ist, kaum mehr, als was schon V. Hehn
(Kulturpflanzen ^ p. 521) so ausdrückt: „Von welcher Komplexion
das Urvolk der Indogermanen gewesen, wissen wir unmittelbar
nicht. In der Epoche, wo wir es kennen lernen, ist es längst
in Zweige gespalten, deren Haar-, Haut- und Augenfarbe zwei
verschiedene Typen zeigt. Asiaten, Griechen, Römer sind schwarz^
Kelten und Germanen blondlockig, blauäugig, hellfarbig; die
ersteren dabei von kürzerer Statur, mit lebhaften Gesten, kundige,
kluge, braune Zwerge : Kelten und Germanen hochaufgeschossene^
rotwangige Riesengestalten mit wallendem Haar. ... In welehem
von beiden Typen aber, dem dunkeln oder hellen, dürfen wir
mit grösserer Wahrscheinlichkeit das Abbild der Urzeit erkennen?
Alles spricht dafür, dass diejenigen Stämme, die in historischer
Isolierung am wenigsten von der ursprünglichen Lebensweise sich
entfernt hatten, nämlich die nordischen, auch die leiblichen
Stammeszeichen am treuesten bewahrt hatten. Wo sie seitdem
— 155 —
der südlichen Natur nnd Lebensform sich genähert oder mit der
dunklen Rasse sich gemischt haben, da hat allemal die letztere
die Oberhand gewonnen," Ob aber dieser ältere und einheit-
lichere Habitus der Indogermanen mehr dem altslavischen oder
altthrakischen oder altgermanischen oder altkeltischen ähnlich
war, darüber kann in der Gegenwart, und wie zu befürchten ist,
auch in der Zukunft nichts mit irgendwelcher Zuversicht be-
hauptet werden.
In dem hier erörterten Sinne können und müssen wir also
an der einstigen Existenz eines indog. Urvolks als Trägers der
indog. Spracheinheit festhalten.
Wie diese urvolkliche Einheit entstanden sei, darüber können
wir uns zur Zeit freilich ebensowenig ein urteil erlauben, wie
über die Frage nach der Entstehung der indog, Ursprache selbst.
Beide Probleme können nur im engsten Zusammenhang mit-
einander, durch Vergleichung mit anderen Sprach- und Völker-
einheiten und durch Erwägungen allgemeinerer Art, wie sie etwa
F. RatzeP) (oben p. 128) angestellt hat, ihrer Lösung näher ge-
bracht werden.
Ich wende mich daher unmittelbar zu der letzten der hier
za erörternden Fragen, nämlich zu der, wie aus jenem zu postu-
lierenden ürvolk die einzelnen indog. Völker hervorgegangen
sind, eine Erörterung, die uns zugleich zu dem im I. Kap. nur
g^estreiften Problem der Entstehung der indog. Einzelsprachen
zurückführen wird.
Wir haben oben gesehen, dass die Indogermanen in vor-
historischer Zeit über ein geographisch bereits sehr ausgedehntes
Grebiet verbreitet waren, ohne dass die gemeinsame Ursprache
wesentlichen Veränderungen unterlag, und die gleiche Einförmig-
keit wie in der Sprache wird man auch in der Kultur jener
Epoche voraussetzen müssen, da die Zustände, die wir bei den
alten Germanen oder Slaven finden, wie in diesem Buche des
öfteren gezeigt werden wird, im ganzen dieselben sind, wie wir
sie noch bei den Griechen zur Zeit ihrer Einwanderung in die
Balkanhalbinsel voraussetzen müssen. Über diese erste vor-
historische Ausbreitung der Indogermanen können wir natürlich
etwas sicheres niemals ermitteln, und nur auf dem Wege des
1) Vgl. dazu auch Karl Helm Die Heimat der Indogermanen
und Germanen in den Hessischen Blättern für Volkskunde III. Heftl. 1905.
- 156 —
Rückschlusses aus späteren Völkerbewegungen wird es möglieh
sein, sieb ein nngefäbres Bild jener Vorgänge zu machen. Be-
trachten wir nun dieses verhältnismässig späte Eintreten der
einzelnen Zweige des indog. Spracbstanims in die geographischen
Positionen, die wir sie bei dem ersten Morgenrot der geschicht-
lichen Überlieferung einnehmen sehen, so erfolgt dieses in einer
Reihe von durch Jahrhunderte, ja Jahrtausende voneinander
geschiedener Akte, die man am ehesten als ein sich Aufrollen
der einzelnen Teile des ürvolks bezeichnen kann, ein Prozess,
dessen Anfang und Ende wenigstens in Europa noch ziemlieb
übersehbar sind.
Den Anfang macheu die später Thraker genannten Stämme,
die in sehr früher Zeit, nach P. Kretschmers (Einleitung p. 181)
Argumentation schon im III. vorchristlichen Jahrtausend von
ihren Stammsitzen an beiden ufern der unteren Donau in un-
ermesslicher Ausdehnung — noch Herodot nennt sie das grösste
aller Völker — den Norden der Balkanhalbinsel überfluten und
von hier aus einen grossi'n Teil des von allophylen Völkern be-
setzten Kleinasiens überschwemmen, wo sich die Phryger und
Armenier von ihnen abzweigen, ben letzten Akt dieses grossen
Völkerdramas bilden die später als Slaven bezeichneten Indo-
germanen, deren vom IL — VII. nachchristlichen Jahrhundert ver-
laufende Ausbreitung in einem westlichen und südwestUchen
Strom verläuft, von denen der erstere dem heutigen Polen, den
zwischen Oder und Elbe gelegenen Landschaften, Böhmen und
Mähren ihre slavischen Bevölkerungen gibt, der letztere zu den
Völkerbildungen der Bulgaren, Serben, Kroaten und Slovenen
führt. Noch vor die thrakische Wanderung wird man die Aus-
breitung der Arier (Inder und Lanier) anzusetzen haben. Die
übrigen Stämme der Indogermanen rollen sich in teils mehr, teils
weniger deutlich erkennbarer Weise innerhalb des von Thrakern
und Slaven gebildeten zeitlichen Rahmens ebenfalls in grossen
Zeitabständen voneinander auf. Dass bei diesem Prozess auch
ein häufiges sich Schichten einzelner Zweige des indog. Sprach-
stammes selbst über einander stattgefunden hat, wie wir es im
Verhältnis von Germanen und Slaven, Kelten und Germanen,
Illyriern und Griechen usw. auf das deutlichste beobachten
können, sei beiläufig bemerkt.
Mit diesem Eintreten der einzelnen Teile des indog. Urvolks
- 157 -
in ihre weltgeschichtlichen Stellungen war, wie oben (p. 144)
gezeigt ist, eine raschere Veränderung ihrer Sprachen als bisher
yerbnnden, die natürlich mit anderen Veränderungen auf dem
Gebiete der äusseren und inneren Kultur, der Sitte, des Rechts,
des Glaubens Hand in Hand ging. So mussten sich an ver-
schiedenen Stellen des indog. Völkergebiets sowohl in sprach-
licher wie in kultureller Beziehung grössere oder kleinere Ab-
weichungen von dem ursprünglichen Typus bilden.
Mit der geschilderten Ausbreitung der Indogerraanen war
aber — und zwar, wenn wir von dem geschichtlich erkennbaren
auf das nicht mehr erkennbare zurückschliessen dürfen, von der
frühsten Zeit an — noch ein zweites verbunden, was die
zwischen den einzelnen Gruppen sprachlich und kulturgeschichtlich
sich einander näher stehender Stämme bestehenden festen Grenzen
statt der rein theoretisch zu erwartenden allmählichen Übergänge
nnn erst zu erklären geeignet ist: der allmähliche Abbruch-
der zwischen jenen Gruppen ursprünglich anzunehmen-
den geographischen Kontinuität. Und wer bekannte Völker-
bewegnngen wie den Einbruch der Slaven in die Balkanhalbinsel,
die Wanderung der Cimbern und Teutonen, den Einfall der Dorier
in Mittelgriechenland und im Peloponnes usw. in Zusammenhang
betrachtet mit dem durch zahlreiche Gebirge, einst unwegsame
Wälder, reissende Ströme reich gegliederten Charakter unseres
Erdteils, wird sich eher darüber wundem, dass diese Unter-
brechung der geographischen Kontinuität und damit die Heraus-
bildung mehr oder weniger scharfer Völker- und Sprachgrenzen
nicht häufiger, als dass sie überhaupt geschehen ist.
Dazu kommt, dass der Begriff der Wanderung keines-
wegs der einzige Gesichtspunkt ist, der uns die zwischen den
einzelnen Gruppen näher verwandter Stämme bestehenden Grenzen
begreiflich macht.
Als der Vorhang der Geschichte aufgeht, finden wir eine
Anzahl von Gruppen untereinander sich zwar objektiv näher
stehender Stämme, die sich aber dessen subjektiv entweder
gfLT nicht oder nur in schwächster Weise bewusst sind, so dass
ihre Znsammengehörigkeit eher draussen stehenden, d. h. anderen
Völkern als ihnen selbst bekannt ist. Mögen wir uns nun zu
den ältesten Hellenen, Kelten, Germanen usw. wenden, überall
nehmen wir wahr, dass sie untereinander in fortwährende Fehden
- 158 -
verwickelt siiid^ die dem Charakter der Zeit entsprechend mit
furchtbarer Grausamkeit geführt werden. In Griechenland bringen
es erst die durch religiöse Bedürfnisse ins Leben gerufenen
Amphiktyonien zu Beschlüssen wie denen, dass die zum Bund
gehörige Stadt nicht verwüstet, ihr das Wasser nicht abge-
graben, ihre Baumpflanzungen nicht zerstört werden dürfen.
Die Gallier (vgl. Caesar De hell, gall. VI, 17) opfern alles Leben-
dige, was sie im Krieg erbeuten, gemäss vorhergegangenem
Gelöbnis ihrem Mars. Der von Tacitus (Ann. XIII, 57) be-
richtete wütende Krieg der benachbarten Chatten und Hermunduren
um die Salzquellen an der Werra endigt mit der völligen Ausrottung
der ersteren. Wie sollten auch auf diesem Wege infolge der
Vernichtung einstiger Übergangsstämme nicht häufig Sprach- und
Völkergrenzen entstanden sein?
Endlich verdient in diesem Zusammenhang auch erwogen
zu werden, was Caesar erst von den Sueben im besondern, dann
von den Germanen im allgemeinen berichtet: Publice maximatn
putant esse laudem, quam latissime a suu finibus vacare agros:
hac re significariy magnum nuinerum cwitatum suam vim
sustinere non posse. Itaque una ex parte a Suebis drciter
milia passuum sescenta agri vacare dicuntur (IV, 3) und : Civi-
tatibus maxima laus est quam latUsime circum se vastatis
finibus soUtudines habere. Hoc proprium virtutis existimanty
expulsos agris finitimos cedere neque quemquam prope audere
consistere\ simul hoc se fore tutiores arbitrantur, repentinae
incursionis timore sublato (VI, 23). Selbst wenn wir nicht annehmen,
dass diese barbarische Sitte der Braclilegung weiter Grenzgebiete
einstmals auch bei anderen Indogermanen verbreitet war, so wird
sie doch jedenfalls verwertet werden können, um die Abgrenzung
der im Zentrum Europas hervortretenden Germanen gegenüber
Kelten, Slaven, Thrakern usw. mit zu erklären.
Das also sind die Grundstoffe, welche die Urgeschichte für
die Bildung der auf indog. Völkerboden erwachsenen Nationali-
täten darbietet: eine Keihc einander nahestehender^ aber weder
nach Sprache, noch nach Sitte, noch nach Körperbeschaffenheit
völlig einheitlicher Stumme, die infolge längerer Unterbrechung
der geographischen Kontinuität mit anderen Indogermanen sich
zu relativen Einheiten zusammengeschlossen haben. Wie diese
in ihrer Gesamtheit oder in grösseren Teilen sich zu Nationen
— 159 -
entwickelt, ein Nationalitätsbewusstseiu ausgebildet und zu-
letzt in der Regel ancb eine gemeinsame Schriftsprache
geschaffen haben, das sind rein historische, auf den verschiedenen
Gebieten verschieden verlaufende Vorgänge, deren Erörterung
ansserhalb des Rahmens dieses Buches liegt.
In dem Wortschatz der Sprachen und Völker, deren Be-
ziehungen zueinander wir bisher im allgemeinen betrachtet haben,
findet sich nun eine grosse Menge von etymologischen Überein-
stimmungen kulturhistorischer Begriffe, die man, seitdem
es eine indog. Sprachwissenschaft gibt, benutzt hat, um aus ihnen
Schlüsse auf die kulturgeschichtliche Entwicklung der indog. Völker
zu ziehen. Diese kulturgeschichtlichen Gleichungen werden uns
daher nunmehr in den Kap. III — VII des näheren zu beschäf-
tigen haben.
III. Kapitel.
Der Verlust alten Sprachguts.
Die Wahrscheinlichkeit grosser Verluste innerhalb des indog. Wort-
schatzes. Folgen aus derselben. Bedenklichkeit der negativen Schlüsse
auf die Kultur der Urzeit. Die Frage nach der Urheimat der Indo-
germanen im Zusammenhang hiermit. Zuweilen ist der Mangel ein-
heitlicher Namen dennoch beweisend.
Der Fall; dass eine etymologische Gleichung sich aus allen
uns überlieferten indog. Sprachen oder Sprachfamilien belegen
Hesse, ist, wie jeder weiss, einer der allerseltensten. Selbst in
der Kategorie der überaus zähen und weitverbreiteten Verwandt-
sehaftswörter kommt es nicht gerade selten vor, dass eine oder
die andere Sprache gegenüber der urzeitlichen Benennung eines
Familien Wortes versagt So fehlt der indog. Name des „Vaters"
den slavischen Sprachen, der der „Schwester** dem Griechischen,
der des „Sohnes'' dem Lateinischen, der der „Tochter" ebenfallB
dem Lateinischen usw. Niemand wird bezweifeln, dass in allen
diesen Fällen jene Wörter in den betreffenden Sprachen einmal
vorhanden w^aren und im Laufe der Zeit durch andere ersetzt
worden sind.
Denn der Verlust alten Gutes ist ja einer der gewöhnlichsten
Vorgänge in dem Leben der Sprache. Wer nur eine Seite
irgend eines mittelhochdeutschen Textes aufschlägt, findet auf
ihr eine ganze Reihe von Wörtern, die heute nicht mehr
im Gebrauche oder wenigstens nicht mehr in selbständigem
Gebrauche sind. Wenn aber in der verhältnismässig kurzen
Zeit, die uns von dem Mittelalter trennt, ein nicht un-
bedeutender Teil des damaligen Wortschatzes der Vergessenheit
— 161 —
anheimfallen konnte, muss nicht da der Verlast des arsprOng-
liehen Sprachgnts bei den knitnrgescbichtliehen Umwälzungen
and lokalen VerAndernngen, denen die indog. Völker seit ihrer
Trennnng von der alten Heimat ausgesetzt gewesen sind, ein
angehenrer gewesen sein? Diese hohe Wahrscheinlichkeit eines
sehr ansgedehnten Verlostes des alten Wortschatzes nötigt aber
den Knlturforscher, der mit sprachlichen Argumenten operiert,
zor grössten Vorsicht. Es ist nämlich erstens überaus misslich,
aus dem Fehlen etymologisch verwandter Wörter die ünbckannt-
schaft der Indogermanen mit gewissen KulturbegrifFen ohne
weiteres zu folgern, ein Grundsatz, der zwar im Prinzip von
allen anerkannt, im einzelnen aber häufig ausser acht gelassen wird.
Richtig sagt daher schon A. H. Sayce The principle.^ of com-
paratire philology^ 1875 p. 203: „Ganz wie der moderne Geolog
von der ünvollkommenheit des geologischen Materials abhängig
ist, 80 sollte sich auch der Sprachforscher erinnern, das» nur die
Trümmer und Fragmente der alten Sprache durch einen
glücklichen Zufall und erhalten worden sind.^
Von einer besonderen Wichtigkeit aber ist dieser Gesichts
pnnkt für die Frage nach der Urheimat der Indogermanen,
iosofern man die Lage derselben aus dem scheinbaren Fehlen
gewisser Tier- und Pflanzennanien in dem indog. Wortschatz hat
ersohliessen wollen.
Der indog. Sprachstamm erstreckt sich nach A. Grisebach
darch drei Vegetationsgebiete der Erde, das indische Monsnn-
gebiet, das europäisch-asiatische Steppengebiet und das Waldjrcbiet
fies östlichen Kontinents, ein jedes mit einer ihm eigentümlichen
Fanna und Flora. Mag man nun den ursprünglichen Ausgangs-
punkt der Indogermanen verlegen, woiiin man will, es ist geradezu
ODdenkbar, dass die ursprünglichen Tier- und Pflanzennainen bei
der allmählichen Ausbreitung der indog. Stänniie sich treu er-
halten haben sollten. Wie können die Namen der Dinge be-
stehen, wenn diese Dinge selbst vielleicht seit Jahrtausenden dem
Blicke der Menschen entschwunden sind? Hlickt man z. B. auf
die doch fast nur dialektisch verschiedenen inrliscli-irauischen
Sprachen, so findet sich aus der gesamten Pflan/enwelt ast nur
die gottgespendete Somapflanze, deren irdischer Repriis< ntant
unr mit Schwierigkeit zu bestimmen ist (vgl. Z. d. D. M. 6.
XXXV, 680 — 92), mit einem einheitlichen Namen bei beiden
Scbrader, Sprachvtrirleicbung und Urgeschichte. 8. Aufl. ]]
— 162 —
Stämmen benannt, ohne dass man sich diese Tatsache anders
als ans der völligen Verschiedenheit der geschichtlichen Wohn-
sitze beider Völker in pflanzengeographischer Hinsicht erklären
wird. Es genttgt daher ein sehr einfacher Akt der Überlegung,
nm einzusehen, dass Umstände wie die, dass sich nrindogermaniscbe
Benennungen des Löwen, des Tigers, des Kamels etc. nicht mit
Sicherheit ermitteln lassen, weder für noch gegen die enropäische
oder asiatische Hypothese von der Urheimat der Indogermanen
entscheidend in die Wagschale fallen können.
Nun soll aber damit keineswegs gesagt sein, dass dem Ab-
handensein urverwandter Gleichungen für die Erschliessnng der
Urzeit jeglicher Wert abzusprechen sei. Im besonderen wird
man nicht an ein zufälliges Aussterben einst vorhandener Aas-
drücke denken dürfen, wenn es sich um ganze Begriffs-
kategorien handelt.
So ist das Fehlen etymologisch verwandter Namen der
Fischarten auf indog. Sprach boden in die Augen fallend. Aach
für das ganze Geschlecht finden sieh nur gruppenweis sich ent-
sprechende Benennungen (wie scrt. mdtsycty aw. masya; lat.
piscis, ir. io^c, got, fis1c8\ lit. £uwis, sltpr. zukans, a,rmea.jfikn).
Was die einzelnen Fischarten betrifft, so scheint eine überein-
stimmende Benennung des Aales durch die enropäischen Sprachen
zu gehen (lat. anguilla, griech. lyx^^^^j ^i^* ungurgs^ russ. ugri);
doch ist einerseits der etymologische Zusammenhang dieser Sippe
überhaupt nicht sicher, und andererseits dürfte, wenn in ihr ein
urverwandter Kern vorliegt, die älteste Bedeatung desselben
„Schlange^ (lat. anguiSj griech. ^x^g, lit. angis)y nicht 7,Aal"
gewesen^) sein. Auch im Altirisehen wird der Aal, der selbst
bei Homer noch nicht unter die Fische gerechnet zu werden
scheint (iyxi^vig re xal Ix^sg, vgl. E. Buchholz Die homerischen
Realien I, 2, 104 ff.) esc-ung {-ung = anguis)^ d. h. Sumpfschlang«
genannt. Andere Entsprechungen wie ahd. lahs = russ. loäosiy
lit. lasziszäy mhd. weis = altpr. kälis, altn. sÜd = mss. selidiy
seUdka^ lit. silkej u. a. beschränken sich auf ein engeres Sprach-
1) Vgl. das etymologische Material bei A. Walde Lat. et. W. s.
V. anguis. H. Hirt I. F. Anz. XIII. H. 1 p. 14 gibt, wie man bei W.
sehen kann, den gegenwärtigen Stand unseres Wissens unrichtig an,
wenn er die Verwandtschaft von fyx'^^s und anguilla ffir eine ana-
gemachte Sache erklärt.
I
gebiet oder bernheo auf Enllehnnng. Eine andere Frage ist, wie
dieser Mangel gemeinsamer Fiscbnamen zu erklären sei.
Auf keinen Fall können die Indogernianen ausscbliesslicbe
Fiscbeeeer geweseu sein, wie die 'lx&voq>äyot, die Herodot am
Arabiecheu Meer nennt, mid die wilden Volker an der RheinmUndung,
9111 pitcihus atque ovts avium vivere esdutimantur (Caes. IUI,
10), oder ancli nur dem Fischfang nud dem FischgenuBS eine
besondere Anfmerksauikeit zugewendet haben. Am richtigsten
wird man vielmehr den indog. Zustand so auffassen wie den des
homerischen Zeitalters, in dem Fische nur in den Zeilen äusserater
Not (Od. XU, 330; IV, 368) den Helden zur Speise dienen»).
Ebenso bezeichnend wie die Armut einer urverwandten
Tenninologie auf dem eben cr'irterten Gebiete der Fischerei er-
scheint mir die gleiche Erscheinung auf dem der Schiffahrt
gegfnOber dem des Wagpnbans, dem der Blnmenzncht gegen-
über dem des Ackerbaus, dem der Verscii wägerungsbezeich-
nnngen des Mannes gegenüber denen des Weibes, auf dem Gebiet
der G0tternamen gegenüber dem der Personennamen usw.
Aber auch bei einzelnen Begriffen treten doch oft
linguistische Begleiterscheinungen hinzu, die es uuwahrscheinlich
]) Man bat mir privatim eingewendet, ,dass es kaum denkbar
s«i, dass die Griechen, ein Seevolk par exceltence, nicht von Alters
her FUche gegessea hätten'. Auch weise das Vorkommen der Angel
b«i Homer auf jj'ewerbdiiiäüHig'M Fischerei hin. Hierbei Hei auf die
I AssJ^brangen von Wilamowitz (Homerische Untersuchungen p. 292)
' Terwiesen, uai^h denen gegenüber der Epoche der Fixierung des
epischen Stils, der die Heroen niclit reiten, schreiben, Suppe kochen
nod Fische essen etc. lie^^a, dnü Zeilalter unseres Homer ein relativ
Jonj^Bs gewesen sei, in dem schon veränderte kulturhistorische
Verhältnisse herrschten. Die Beweiskraft aotcher ZUge des altepischen
Stils aber dafür, dass es eine Zeit auf griechiscbem Boden gegeben
bat, in der die Helden wirklich nicht ritten, schrieben, Suppe
kochten und Fische assen (weil sie eben damals noch kein Seevolk
par excellence waren), wird dadurch ebensowenig geschmälert wie
die Beweiskraft der uralten Sprachforroen des epischen Stils, deren
sieh die Singer bedienen. Die Angel {äyxungor) wird übrigens nur an
den obigen zwei Stellen der Odyssee IV, 368 und XII, 330 genannt,
von denen die letilere noch dazu allgemein als ans der ersieren Über-
nommen angesehen wird. Direkt in jenes vorhomerische Zeitalter
fShren uns jetzt die Ausgrabungen in Mykenae und Tiryns, wo nir-
irenda weder Fischer ei gerate noch FlMchgrätcn gefunden worden sind
<Tgl. Täountat and Manatt The Mycenaean age p. 334).
11«
— 164 -
machen, dass eine urverwaDclte BezeichDung für sie einst vorbandco
gewesen nud dann verloren gegangen sei. So acbeint es W. Wundt
Völkerpsychologie I, 2, 643 in methodischer Beziehmig zu tadeln,
dass ich in meinem Reallexikon die Unbekanntschaft des indog.
Hänserbaas mit dem Fenster u. a. ans dem Nichtvorhandensein
einer indog. Gleichung für den letzteren Begriff gefolgert habe.
Er übersieht dabei, dass ich zugleich ausdrücklich (vgl. Vorrede
p. XIV) auf eine Reihe von jüngeren Kulturbegriffen eigenen
Erscheinungen in der Terminologie des Fensters, wie auf die
Entlehnung (lat. /IßTiß^^ra), die Komposition (goU auga'daürö)^ und
andere (russ. oknöf eigeutl. ^Auge^) hingewiesen habe, die den von
•
mir gezogenen Schluss wohl zu unterstützen geeignet sind ^). In
1) Ähulich rügt es Hirt I. F. Anz. XIII U. 1 p. 8, dass ich an-
nehme, die Indogermanen hätten ursprünglich keinen sprachlicheu
Unterschied zwischen Zehen und Fingern gemacht. ,,Ich muss gestehen**,
i^agt er, ,,dasft mir die I. bedenklich idiotisch vorkämen, wenn sie nicht
zwischen Fingern und Zehen unterschieden hätten'. Hirt weiss also
nicht, dass noch die Griechen und Slaven so „bedenklich idiotisch**
sind, dass sie ihr SdxxvXog und pdfecü in beiderlei Sinn gebrauchen.
Hirt sieht auch nicht, dass meine Bemerkung sich aufs beste In den
Rahmen meiner Beobachtung einfügt, derzufolge die Benennungen der
menschlichen Körperteile sich nIhnMhIich aus denen der tierischen ent-
wickelt haben.
Diese kulturhistorisch nicht unwichtige Beobachtung entlehnt
Hirt aus meinen Bücheru, belustigt sich aber gleichzeitig über meine
Bemerkung, dass die Indogermanen in der Urzeit schon eine ziemlich
eingehende Kenntnis des menschlichen oder tierischen Körpers
gehabt haben müssen: „In Wirklichkeit', sagt H., „ist „menschlich*' ganz zu
streichen, denn ich wüsste nicht, wie die Indogermanen, falls sie nicht
Menschenfresser waren, zu dieser Kenntnis ihres Körpers hätten
kommen sollen.' Vielleicht erinnert sich aber Hirt, vor Zeiten in seiner
Ilias von den schweren Verwundungen der homerischen Helden gelesen
zu haben, wie der eine in die Eingeweide (evrega), der andere in die
Leber (jyjro^), der dritte ins Herz {xifg) usw. geschossen wird, um es
auch ohne die Annahme von Menschenfresserei begreiflich zu finden,
dass auch die Indogermanen in ähnlichen Fällen auf Grund ihrer
Kenntnistdes tierischen Leibes imstande gewesen sein werden,
gewisse* innere Teile ihres Körpers zu benennen.
„Wie wenig mir die Sprache sage', fährt Hirt a. a. 0. fort, yZeige,
dass ich bei Besprechung des griech. jreSi], lat. pedica. agls. feter
f: *ped „Fuss') nicht bemerkt habe, dass sich dieser Ausdruck auf die
tierische^ Fesselung beziehe, „da es wohl sehr töricht gewesen wäre,
den Menschen an den Füssen zu fesseln'^. Hirt weiss wiederum
nicht, dass die Fussi'esseluug gerade die älteste Form der Fesselung
— 165 —
demselben Werke habe ich auf das Auseinandergehen der ver-
wandten Sprachen in der Bezeichnung des Begriffes „Eltern" hin-
gewiesen und gemeint, dass es nicht zufällig sein werde. Wer
nun die Dinge oberflächlich betrachtet, wird sagen: „Wie? Die
Indogermanen hatten ein Wort für „Vater" und eins für „Mutter",
nnd ein Ausdruck für „Eltern" sollte ihnen gefehlt haben?"
Bedenkt man aber, dass sich ebensowenig wie ein Wort für
„Eltern", ein solches für „Ehegatten", für „Ehe", für den
„Witwer" (im Gegensatz zu der Witwe) in der Ursprache nach-
weisen lässt, so erklären sich alle diese Erscheinungen unge-
zwungen aus den Anschauungen einer Zeit, in der die Stellung
von Mann und Frau, Vater und Mutter so fundamental verschieden
war, dass es noch fern lag, die beiden Personen sich als ein
miteinander verbundenes Paar vorzustellen.
Es zeigt sich also, dass die Lage der Dinge auf diesem
Gebiet nicht ganz so einfach, aber auch nicht ganz so hoffnungs-
los ist, als sie P. Kretschmer^) Einleitung p. 68, „der jedes
lexikalische argumentum ex silentio^^ als „ad absurdum geführt"
bezeichnet, und H. Hirt (Beilage zur Allg. Z. 1898 No. 51 p. 3),
der meint, dass „aus dem Fehlen von Worten überhaupt niemals
etwas zu erschliessen sei", hinstellen.
ist, die wir auch beim Menschen kennen. Vgl. z. B. russ. kolödka ,zwei
Bretter mit einem Ausschnitt, für den Fiiss des Sträfh*ng"s" (Dahl),
kdödniküy ein gewöhnliches Wort für Verbrecher. Dazu mein Real-
lexikon p. 836. Warum derartiges eine Nachahmung der Tierfesselung
seio soll, ist mir, da auch menschliche Gefangene auf ihren Füssen
davonzulaufen pflegen, nicht ersichtlich.
1) übrigens schreckt Kretschmer selbst vor derartigen Schlüssen
nicht zurück, z. B. wenn er p. 108 es für „ausgeschlossen" erklärt, dass
die Gleichungen ahd. laks = russ. lo.sosX und got. gutp = slav. zlato
einst gemeiniodogermanisch gewesen seien, da es keine geuieinindog.
FischnameD und nur äusserst wenige gemeinin dog. Metallnamen gäbe.
Sieht das einem argumentum ex sÜentio nicht sehr ähnlich?
IV. Kapitel.
Geographische Verbreitung und Chronologie der
indog. Gleichungen.
Die partiellen GleichuDgen und der Verlust alten Sprachguts. Ihre
Auffassung im Lichte der Übergangstheorie. Die indog. GleichungeD
brauchen nicht untereinander gleichzeitig zu sein, gehen aber in frühe^
vorhistorische Zeiten zurück. Der Ausdruck „Indogermanisch*. Die
Einwendungen Kretschmers.
Wir sahen, dass die uns hier beschäftigenden GleichnngeD
sehr selten in allen Sprachen unseres Stammes zu belegen sind,
sondern in der Regel sich auf einen grösseren oder geringereD
Teil derselben beschränken, oder mit anderen Worten, dass die
„partiellen^ Gleichungen weit häufiger als die „gemeinindoger-
manischen^ sind. Wie ist dieser Znstand za erklären? In dieser
Beziehung muss zunächst an die im vorigen Kapitel erörterte
Tatsache des häufigen Verlustes alten Sprachgats erinnert werdra,
durch den sich die beschränkte Verbreitung einer Wortreihe in
vielen Fällen ohne weiteres verstehen lässt. Auch hat die Er»
Weiterung unseres etymologischen Wissens und vor allem die
Urbarmachung neuer Sprachgebiete wie des Albanesischen, des
Armenischen, der neueren iranischen Mundarten usw. tatsächlich
oft das Verbreitungsgebiet urverwandter Gleichungen erweitert.
So hat man z. B. das bis vor nicht langer Zeit nur im Germanischen^
Litu-Slavischen und Indischen belegbare Wort für „Fleisch" : got*
mimZf altsl. m^so, scrt. märhsd jetzt auch im Albanesischen und
Armenischen {miiy mis) nachgewiesen, das früher fflr ansschliess*
lieh europäisch gehaltene lat. glans^ griech. ßdXavog^ altsl. £eU^
„Eichel^ hat man ebenfalls im Armenischen (Jkal%n\ das ger-
- 167 -
manische und lilu-slavische Wort für „Hand, Pfote" : got. I6fa,
altsl. lapa auch im kurdieehen (lapk) wiedergefunden usw.
Kur in acltencn Fällen wird in den einzelnen partiellen
Gleicbnugeo selbst ein Anhalt zur Entscheidung der Frage ge-
geben Bein, ob die Übereinstimmung von Anfang an auf ihr
bistoriach bezeugtes geographiächea Verbreitungsgebiet beachrünkt
war oder nicht. Es wird das erstere namentlich dann der Fall
sein, wenn die betreffende Cbereinstimmung auf der speziellen
Bedeutung zweier Wörter beruht, und derselbe Wurtstaaim in
allgemeinerer Bedeutung auch in anderen Sprachen vorkuoimt.
Uierber gehört es z. B., wenn die Kelto-Germanen den Begriff
des Erbes (ir. orhe, got. arbi-namja) ale „verwaistes Gut" tlat.
tfritus, griech. ö^^'avdc) bezeichneu oder einen gemeinsamen Namen
der Butter (ir. imh, ahd. anche) aus einem Stamm hervorgehen
latesen, der ursprünglich allgemein „Salbe" iskrt. nfijana, lat. un-
guentum) bedeutete. Hierher auch, wenn z. B. im Arischen das
tiold Iskrt. hiranya, aw. ^arani/a) mit einem Wort benannt
wird, das anderwärts noch in der Bedeutung „gelb" (altsl. zelenü
„gTdn-gelb") vorliegt,
Abgesehen von derartigen Fällen kann man hinsichtlich der
parliellen GleicbnngeD, wenn man sie einzeln betracbtet, nieiuaU
mit Bestimmtheit sagen, ob einstmals auch andere indog. Sprachen
an ihnen teil hatten oder nicht. Erst wenn auf gewissen Ge-
bieten derartige Übereinstimmungen in Masse anftreten, fangen
sie an, für die Ermittlung der Beziehungen der einzelnen indog.
Völker zu einander, fUr ihre VerwandtBcbaftsveriiilitnisse usw.
einen gewissen Wert zn erhalten. Diesen Wert sollte man nicht
xn gering anschlagen. Man pflegt zwar zu sagen, dass gegen-
ober den parliellen Übereinstimmungen auf dem Gebiet der Lant-
nnd Formenlehre den speziellen Berllhrungen des Wortschatzes
deswegen eine geringere Bedeutung innewohne, weil WJlrter
leichter wanderten und ihr Austausch bei einer minderen Inlensität
dtm sprachlichen Verkehrs möglieb sei. Dies ist in gewissem,
onten n&her zu erörterndem Sinne richtig. Auf der anderen Seite
ftber stdlte man das folgende nicht vergessen. Man bat sich in
neaerer Zeit mehr und mehr daran gewöhnt, die Bestimmung der
engeren Verwandtschaftsverhältnisse der indog. Sprachen nicht
sowohl von der partiellen Bewahning alten Spracbguts als von
der partiellen Erscheinung gemeinsam vollzogener Neuerungen
- 168 -
abhängig zu machen. Gerade aber gegen diese ietztereo ArgQ-
nientationen läset sich mit Brugmann (vgl. oben p. 74) der
Einwand geltend machen, dass sieh sehr oft liicht beweisen oder
aach nur wahrscheinlich machen lässt, dass diese gemeinsameD
Neuerungen wirklich auf einem historischen Zusammenhang and
nicht vielmehr auf voneinander unabhängiger Entwicklung der
einzelnen Sprachen, d. h. auf Zufall beruhen. Wenn %. B. die
indog. Mediae Aspiratae bh, dh, gh in allen indog. Sprachen mit
Ausnahme des Indischen, Griechischen und Lateinischen zu Mediae
geworden sind (skrt. bhdrämi = got. bairä), oder wenn dieselben
Laute nach allgemeiner Annahme im Griechischen und Italischen
zunächst übereinstimmend zu Tenues As|)iratae geworden sind
(scrt. bhdrämi = griech. (jf)eoo), lat. f'ero, zunächst *pherö)f so
fehlt in beiden Fällen ein zwingendes Kriterium für die Annahme,
dass der augeführte Lautwandel in den genannten Sprachen aaf
einem faktischen Zusammenhang beruhe. Demgegenüber ist bei
zahllosen Gleichungen des Wortschatzes (vgl. näheres Kap. V)
der störende Begriff des Zufalls so gut wie ganz ausgeschlossen.
Wenn wir in den europäischen Sprachen den Begriff des Pflügens
durch die Sprachreihe griech. äQoco, lat. arare, ir. airim, got.
arjan, lit. drü, altsl. orati bezeichnet finden, oder wenn der
Pfeil, bczügl. der Bogen agis. earh = lat. arcus heisst, so wird
niemand auf den Gedanken verfallen, dass die betreffenden
Sprachen „zufällig" gerade diese Wortstämme für diese Begriffe
ausgewählt hätten. Unter allen Umständen können diese Glei-
chungen — sei es in früherer, sei es in späterer Zeit — nur bei
geographischer Kontinuität der betreffenden Sprachgebiete und
unter der Wirkung eines kausalen Zusammenhangs entstanden sein.
Die Hauptfrage ist daher: Lassen sich in bestimmten Teilen
des indog. Sprachgebiets partielle Übereinstimmungen des Wort-
schatzes in verhältnisniässig grosser Anzahl nachweisen? und
welche Teile des indog. Sprachgebiets sind das? Der Beantwortung
dieser Frage, bei deren Erörterung wir von den allgemein an-
erkannten Spracheinheiten des Indischen und Iranischen (Arischen)
sowie des Litauischen und Slavischen absehen dürfen, ist die Schrift
J. Schmidts Die Verwandtschaftsverhältnisse der indog. Sprachen
(1872) gewidnjet (vgl. oben p. 63 ff.). Das in ihr erzielte Ergebnis
geht dahin, dass immer die noch in historischer Zeit einander geo-
graphisch am nächsten liegenden Sprachen auch in ihrem Wortschatz
- 169 -
die relativ meisten partiellen Übereinstimmungen aufweisen. So bat,
nacb der Zäblung J. Sebmidts, z. B. das Arisebe 99 besondere Über-
einstimmungen mit dem Grieebiscben, aber nur 20 mit dem Lateini-
schen, 61 besondere Übereinstimmungen mit dem Slavo-Litauiscben,
aber nor 14 mit dem Germanischen. Bei seinen Ausführungen hat
J. Schmidt zweierlei Sprachbeziehungen ausser Acht gelassen. Er
hat einmal das zu jener Zeit noch wenig bekannte Keltisch, das in
historischer Zeit auf dem westlichsten Flügel des indog. Sprach-
gebiets steht und somit den Gegenpol zu den arischen Sprachen bildet,
nicht berücksichtigt, und auch heute noch dürfte es schwer sein, eine
genaue Statistik der keltischen Sprachen hinsichtlich ihrer par-
tiellen Übereinstimmungen mit den übrigen zu entwerfen. So viel
aber dürfte ohne weiteres klar und allgemein zugestanden sein,
dass das Keltische mehr partielle Gleichungen mit dem Germani-
schen als mit dem Litu-Slavischen und mehr ebensolche mit dem
Lateinischen als mit dem Griechischen gemeinsam hat, so dass
68 sieh also in das System J. Schmidts aufs beste fügt. Zweitens
bat der genannte Gelehrte die näheren Beziehungen der nord-
eoropäischen zu den südeuropäischen Sprachen nicht weiter ver-
folgt. Holt man dies nach, so ergibt sich — und auch dies
dürfte allgemein zugestanden werden — , dass das Lateinische
(Italische) den nordeuropäischen Sprachen näher steht als das
Griechische. Dies hat hinsichtlich der Beziehungen des Latei-
uisebeu zu dem Germanischen schon Lottner K. Z. VII, 163 ff.
richtig erkannt, und neuerdings hat Kretsehmer Einleitung
S. 146 zahlreiche besondere italisch-lituslavische Übereinstimmungen
zusammengestellt. Das Bild, das wir durch J. Schmidts Aus-
führungen von den gegenseitigen Beziehungen des Wortschatzes
der einzelnen indog. Sprachen gewinnen, wird auch hierdurch
weniger verschoben als ergänzt.
Nun hat aber P. Krctschnier a. a. 0. noch einen zweiten
Nachweis zu führen versucht (p. 124 ff.), nämlich den, dass auch
die italisch-keltischen und arischen Sprachen durch eine
weit grössere Zahl besonderer Übereinstimmungen auf dem Gebiete
der Grammatik und des Wortschatzes mit einander verbunden
würden, als man bis jetzt geahnt habe. Ist dies richtig, so muss
man sagen, dass dadurch das System J. Schmidts bedenklich er-
schüttert wird; denn die Wahrscheinlichkeit desselben gründete
aichy wie wir sahen, ja gerade auf den statistischen Nachweis,
- 170 -
dass immer nar nach Ausweis ihrer geschichtlichen Lagerung
benachbarte oder doch wahrscheinlich früher einmal benachbarte
Sprachen durch eine relativ grosse Zahl partieller Überein-
stimmungen verbunden würden. Wird nun diese Argumentation
nicht völlig durchbrochen, wenn wir plötzlich sehen, dass auch
der äusserste westliche zusammen mit dem äussersten östlichen
Flügel der Indogermanen die gleiche Erscheinung aufweist? In
der Tat hat Kretschmer, der im übrigen ganz auf dem Boden
der J. Schmidt'schen Anschauungen steht, die Konsequenz seiner
eigenen Ausführungen dadurch zu umgehen versucht, dasB er für
die Erklärung der von ihm angenommenen italisch -keltisch-
arischen Beziehungen einen durchaus anderen Faktor verantwortlich
macht wie für die übrigen. Er nimmt nämlich (p. 142) an, dass
in der ^ Urheimat^, die sich nach ihm von den Ufern des atlan-
tischen Ozeans bis in die russisch-sibirischen Steppen erstreckte,
ein westindog. Stamm durch Auswanderung nach dem äussersten
Osten des indog. Gebietes (wohlgemerkt durch alle übrigen Indo-
germanen hindurch) verschlagen worden und in den dortigen
Völkern aufgegangen sei, denen er nun dialektische Eigentüm-
lichkeiten der westlichen Idiome zuführte.
Indessen glaube ich nicht, dass wir zu einer derartigen
gewaltsamen Annahme unsere Zuflucht nehmen müssen, um die
J. Schmidt'sche Theorie zu retten. Allerdings ist es Kretschmer
gelungen, die Zahl der besonderen Übereinstimmungen des Ita-
lischen und Arischen, wofür J. Schmidt nur 20 Nummern angesetzt
hatte, auf circa 30 zu erhöhen (p. 132 ff.); allein er hat nicht
bedacht, dass auch die Zahl der partiellen Gleichungen zwischen
Griechisch und Arisch in demselben Masse emporschnellen
würde, wenn wir die hierauf bezügliche Liste J. Schmidts jetzt
nach einem vollen Menschenalter einer ebenso genauen Revision
unterwerfen und up to date bringen würden^). Es ei^bt sich
also, dass das relative Verhältnis zwischen italisch-arischen und
1) Vgl. z. B. griech. ^vqov = scrt. kahurd „Rasiermesser*, 3«aofi^r^s=
ddmpati „Herr", fihog = mänas ^Geist", xforj^o; ^ ^a^frd «schneidendes
Werkzeug etc.", 66qv = aw. dduru „Holz", ßi6g = scrt. jyöf „Bogen,
Bogensehne* (lit. gijd „Faden**?), nev^eQ6Q = bdndhu „Verwandter*, cE^iog,
äyvosy äCofAoi = ydjati, yajnd „heilig, verehren, Opfer*, Sl&ofuu = rdhäü
„gedeihen*, uvofiat, rioig = cdyate, -citi „rächen, Vergeltung* und viele
andere, die in der Liste J. Schmidts (VI Worte und Wurzeln, welche
bisher nur im Griechischen und Arischen nachgewiesen sind) fehlen.
~ \-i\
riech iacli-ariscbeD GleichuDgCD — und in diesem Punkte ruht
(Im Schwerg:ewicht der J. Schniidt'schen Argumenta tioD — aneb
heute noch im weseDtlichen daaeelbe geblieben ist. Auch ist e»
dem Verfasser schwerlich gelungeii, für einige inhallHeh besondere
wichtige keltisch -italisch- arische Übereinstimmangen den schou
oben rU sehr schwierig bezeichneten Nachweis zu erbringen, dass
die übrigen indog. Sprachen niemals daran Teil gehabt habeu
konnten. Dies gilt /.. B. von der Gleichung scrt. räj, lat. rix,
kelt. ri „KOnig", die den Verfasser (p. 126) zuerst auf die „eigen-
tümliche Natar der /.wischen den indisch-iranischen und italisch-
keltischen Sprachen herrschenden Beziehnngen" aufmerksam ge-
mftoht hat. Er verweist dabei auf das scrt. rä'jati „er herrseht",
Ldas er (mit Recht oder Unrecht) für identisch mit scrt. r^jdti
VpStreckt sich, ei'slrebt" liält nnd hebt hervor, dass das Verbnm
' nitr in der Grundbedenlung „ausstrecken" gemeinindog., dagegen
in der abgeleiteten „lenken, leiten, herrrschen" anf dieselben
Idiome beschränkt sei, die das zugehörige Wnrzelnomen *rig-
IfiLenker, Leiter, Herrscher" hesässen. Bei dieser Sachlage seheine
I ausgeschlossen, dass letzteres Nomen jemals im Griechischen,
rennanisehen, .Slavischen, Litauischen bestanden habe: denn
'' dadurch, dass diese Sprachen das Verbum kennten, aber nur in
seiner primären Bedentnng, hätten wir eine Gewähr dafUr, dass
sie die Beden tungsent Wicklung von „ausstrecken, richten" zu
^lenken, herrechen" Oberhaupt nicht mitgemacht hätten. Unver-
indlieh ist mir aber, wie sich der Verfasser die keltischen
Verbältnisse hierbei denkt, wo ir, W „Herrscher" neben \v.rigim
Rteht, das, soviel ich weise, niemals etwas anderes als „aus-
strecken" bedeutet. Warnm konnte nun z. U. im Griechischen
^jücht ebenso einmal *reg- „Herrscher" (verdrängt durch (^aoi^eik)
Wben dgiyoi „ich strecke aus" liegen? Auf rein grammatischem
lebiet hebt Kretschmer das Vorkommen des r in den Personal-
mdnngen des Arischen, Keltischen nnd Lateinischen (z. B. scrt.
dnkür „sie melken", lat. sequHur, ir. -sechethar „er folgt") als
l|. besondere beweisend für die engere Zusammengehörigkeit dieser
jkMprachcu hervor. Allein jeder Sprachforscher weiss ivgl. Brug-
^^HBUD Gmndriss II, 1368 ff.), dass eine erkennbare nähere
j^^^bereiuBtimmung dieses r-Typns sieh nur im Keltischen nnd Ita-
ii Bscheo zeigt, wlihreud man von den arischen Sprachen eben nur
das eine sagen kann, dass auch sie r in den Fersonalendnngen
_-,Lei
ML"
dadn
seine
sie u
klenki
ttndl
»■erhs
Rtehi
»Irec
^^Üchl
^kebe
^Bbebi
^■endn
— 172 —
aufweisen. Es ist im Grunde nicht viel anders, als wenn von
den oben (p. 135) erwähnten m-Casus des Germanischen und
Litn-SIavischen gewisse Spuren doch aach in einigen Adverbial-
bildungen anderer Sprachen (scrt. nan^mi ^vor Alters^, lat. o2tm,
interim) sich vorzufinden scheinen.
Es ergibt sich also, dass auf die oben gestellt« Frage, ob
auf gewissen Teilen des indog. Sprachgebiets partielle Überdn-
stimmungen in grösserer, das Walten des Zufalls ansschliessender
Masse auftreten, die wahrsciieinlichste Antwort noch immer iaatet:
,,Es ist dies, von der indisch-iranischen und litu-siavischen Sprach-
einheit abgesehen, der Fall bei benachbarten oder, nach Mass-
gabe ihrer geschichtlichen geographischen Lage, früher einmal
benachbarten Sprachen." Es folgt hieraus zugleich, dass die
Ausbreitung des indog. Sprachstamms bei allen Verschiebungen
im einzelnen doch in der relativen Lagerung der einzelnen
Völker zu einander keine allzugrossen Veränderungen hervor-
gebracht hat, ein Umstand, auf den bekanntlich auch die noch
in historischer Zeit ;z:eltende, einen wahrscheinlich sehr alten
dialektischen Unterschied der Grundsprache wiederspiegelnde
Gruppierung der indog. Sprachen in Satem- und Centumsprachen
(vgl. oben p. 71 ff., KJö), d.h. des Indischen, Iranischen, Armenischen,
Phrygischen, Thrakischen , Illyrisch-Albanesischen und Slavo-
Litauischen im Osten, des Griechischen, Italischen, Keltischen
und Germanischen im Westen mit grosser Deutlichkeit hinweist.
Ein nicht aus der Welt zu schaffender Übelstand fast aller par-
tiellen und damit der meisten indog. Gleichungen Qberbanpt aber
bleibt es, dass es im einzelnen Falle nur ausnahmsweise mög-
lich ist XU sagen, ob die betreffende Gleichung von jeher auf
die Sprachen, in denen sie bezeugt ist, beschränkt war oder nicht.
Eine zweite, gerade in jüngster Zeit viel erörterte Haupt-
frage ist die nach der relativen Chronologie der indog. Glei-
chungen, der partiellen wie der allgemeinen. Angenommen, dass
scrt. dddki = altpr. dadauj griech. yaka = lacy Bezeichnungen
der Milch, oder scrt. ajd- = lit. ozySj armen, ayts = griech. off,
lat. haedus = got. gaUsy Ausdrücke für die Ziege, von jeher
ausschliesslich den hier genannten Sprachen eigneten, wie sind
diese besonderen Übereinstimmungen entstanden zu denken, und
wie verhalten sie sich zeitlich zu einander? Es liegt auf der
Hand, dass das Zustandekommen derartiger partieller Gleichungen
— 173 -
an sich nicht anders beurteilt werden kann, wie dasjenige geo-
graphiseh weiter reichender Wortreihen wie etwa scrt. pac, griech,.
TUaatOj lat. coquo, siav. pekq für ^kochen"" oder des wirklich
einmal bei allen indog. Hauptvölkem bezeugten Wortes fOr
Bmder: scrt. bhrä'tar^ aw. brätar^ armen. eXbairy griech.
qfQ^flQy lat. fräter, ir. bräthir^ got. bröpar, altpr. brote^ altsl.
bratrüy d. h. das betreffende Kultiirwort hat sich auf einem be-
stimmten Punkte des indog. Sprachgebiets spraciilich fixiert und
sich von da in weiterer oder geringerer Ausdehnung zu den
Umwohnenden verbreitet (vgl oben p. 143). Wann dies geschehen
ist, das zu bestimmen, bietet sich keine Möglichkeit dar, da die
Ausbreitung der genannten Wortreihen vor der Wirksamkeit der
einzelnen Lautgesetze erfolgt ist, die, wie wir (Kap. I) sahen,
aof den einzelnen Sprachgebieten in ganz verschiedener Zeit
aufgetreten sind und chronologisch nur selten fixiert werden
können. Nur soviel ist klar, dass in der Epoche, in der jene
Gleichungen sich verbreitet haben, das Sprachgebiet derjenigen
Völker, bei denen sie überliefert sind, oder — noch voi-sichtiger
ausgedrückt — das Sprachgebiet je zweier dieser Völker (s. u.),
noch geographisch miteinander zusammengehangen haben muss,
dass also z. B. lat. haedus = got. gaits auf eine Zeit hinweist^
in der in Folge eines geographischen Zunamnienhangs noch ein
sprachlicher Austausch zwischen Italikern und Germanen möglich
war. Vergegenwärtigen wir uns nun, was in Kap. II über die
Ausbreitung der Indogermanen in Europa und Asien gesagt
worden ist, und wie dieselbe ohne die Annahme frühzeitiger
Wanderungen und einschneidender Völkertreunungen nicht denk-
bar ist, so kann man wenigstens soviel behaupten, dass die Ent-
stehung derartiger Gleichungen, wie sie oben aufgeführt worden
sind, in eine sehr frühe vorhistorische Zeit zurückgehen muss,
und es steht nichts im Wege, jene partiellen Gruppen wenigstens
zum teil als dialektische Verschiedenheiten der indog. Grund-
sprache aufzufassen, von denen in Kap. I die Rede gewesen ist.
Damit ist nicht gesagt, dass sie untereinander gleichzeitig
■ein müssten oder wahrscheinlich nur wären. Zu der Zeit, als
eine Sprachreihe wie das oben genannte scrt. pac, griech. neoocoj
lat. coquOy slav.peX-q sich ausbreitete, brauchte z. B. die Gleichung
lat. haedus = got. gaits noch nicht bestanden zu haben, die sich
erat gebildet haben könnte, bevor die Italer sich von ihren nörd-
— 174 -
liehen SpraehgeDOSsen ablösten. Ja, aneb die Beibe scrt. p(Mc
usw. könnte in zeitlicb and räamlicb yersebiedenen Staffeln ihre
Verbreitung erlangt haben. Es Hesse sich z. B. eine Epoche
denken, in der dieses Wort auf dem indogermanischen Sprach-
gebiet nur bei den Vorfahren der Inder, Slaven und Oriechen
verbreitet war, dann konnten sich die Inder von ihren Sprach-
verwandten trennen, und nun erst konnte das Wort, etwa von
den Vorläufern der Griechen, zu denen der Italer Übergeben.
Da nun aber die indog. Gleichungen, in ihrem gegenseitigen Ver-
hältnis betrachtet, eine unendliche Fülle derartiger Möglichkeiten
darbieten, so ergibt sich, dass ihre Erörterung mehr ein Spiel
des Witzes als ein ernsthaftes Problem darstellt, und dass nur
derjenige einen wirklichen Einblick in diese ewig uns verschleierten
Verhältnisse zu gewinnen erwarten wird, der, wie man zu sagen
pflegt, das Gras wachsen zu sehen und die Fliegen husten zu
hören hofft.
Wir müssen uns also mit der Erkenntnis begnügen, daas
uns aus sehr früher Zeit gemeinschaftliche Benennungen bestimmter
Kulturbegriffe, für die uns hierdurch ein verhältnismässig hohes
Alter verbürgt wird, überliefert sind, ohne dass wir sagen könnten,
ob dieselben sämtlich räumlich und zeitlich auf einer Stufe
stehen, genau so wie dies mit den grammatischen Grundformen
der Fall ist, aus denen die Sprachforscher ursprachliche Para-
digmen zusammenzusetzen gleichwohl keinen Anstand nehmen.
Man hat öfters die Frage aufgeworfen, in wie vielen und welchen
Sprachen denn eine Wortgleichung bezeugt sein müsse, um als
^indogermanisch^ gelten zu können, ohne dabei, wie nunmehr
begreiflich, zu einem abschliessenden Ergebnis gekommen sa
sein. Mir scheint dabei die Sache so zu stehen, dass, wenn ein
Wort wenigstens in einer arischen und in einer europäischen,
oder wenigstens in einer nord- und in einer südeuropäischen,
oder auch nur wenn es im Griechischen und Lateinischen nach-
gewiesen werden kann, darin eine Garantie seines hohen Alters
liegt, nicht als ob jene Sprachen (etwa Arisch + Litu-Slaviseh
oder Arisch + Griechisch oder Griechisch + Lateinisch usw.) jemab
eine Spracheinheit im Sinne des früher angenommenen Stamm-
baums der indog. Sprachen gebildet hätten, sondern deswegen,
weil aus allgemeinen Gründen anzunehmen ist, dass die geo-
graphische Kontinuität, die Voraussetzung aller sprachlichen Zu-
17B
[Dmenhäii^e, xwisciieD den betreffeudcn Spmcbeu Frühzeitig
Eerrisern ist. Auf derartige Gleichungen witrde ich die Bezeich-
tmag „IndogerniRnisch" bcBchräukeu und darnnter nichts anderes
ITerstehen, als rtass der von aolcheu Gleicliun^eu bezeichnete
ICnItnrbegriff innerhalb des vorhistorischen Sprachgebiets der
Indogermanen in grösserer oder geringerer Ausdehnung, in früherer
bder späterer Zeit seine sprachliche Ausbildung gefunden hatte').
JB|>Qziell arische (indisch-iranische), litu-slavische, keltisch-ger*
■ttinisehe, germanisch-slavische, kellisch-germaniBch-slavische Glei-
chnngeu wird man hingegen nicht ohne weiteres »um Erschliessen
der „indog. Crzeit" benutzen dürfen, nicht weil sie au sieh nicht
ebenfalls uralt sein könnten — das kilnneu auch Ausdrücke sein,
lie »ich auf eine einzige Sprache beschränken — , sondern, weil
ihnen bei der anerkannten engeren Verwandtschaft der beiden
rsteren Grnppen und der ununterbrnchencn oder sehr frühzeitig
■rieder hergestellten geographischen KoDtinuitiLt der letzteren
Pieine oder eine geringere Gewähr eines h<ihcn Alters innewohn).
Durch diese AnsFührnngen erledigen sich die Einwände, die
(Eretscbmer a. a. 0. gegen die Benutzung der sprachlichen Glei-
)hangen für kulturhistorische Schlflsse geltend macht, zuingrOssten
Peil Ton selbst. Überschauen wir drei in dem oben erörterten
„in<logermaniBche" Gleichungen wie etwa acrt, gäv, aw.
armen, kov, griech. ßo?i, lat. bda, ir. bd, abd. chuo, altsl.
joeqdo „Kuh"; scrt. rdtha, lat. rfl(«, ir. rotk, lit. reftas, ahd.
„Wagen, Wagenrad" ; scrt. ddma, griech. Ööfto^, lat. domus,
Isl. domü „Haus", so hatte der einfältige Sinn der Früheren
bieraas geschlossen, dass schon die nlndogermanen" die Kuh,
den Wagen, das Haus gekannt hätten. „Halt!" ruft Kretschmer,
„dieser SehlnsH ist nicht richtig. Die angeFuhrten Gleichungen
können sieh zu ganz verschiedener Zeit, in ganz verschiedener
Ausdehnaog und von ganz verschiedenen Ausgangspunkten ans
auf dem indog. Sprachgebiet verbreitet haben. Es ist also nicht
nOglicb, dnrcb Addition derselben die Kultnrverhältnisse einer
1) Diese AuffaBsung habe ich schou in der Vorrede 3
Beallexikon, p. Xttl deutlich ausgesprochen und bin ihr in dem Buche
Mfbst gefrtigl. Es im daher nicht meine Schuld, wenn H. Hirt in
Mfaier Anzeige des Reallexikons I. F. Anzeiger Xllt. 9 bemerkt, dass
r nicht h«be ,entd«ckeu' können, weiche Grundsätze mich bei dem
lebrauch des Wortes .mdogermaniach'' geleitet hätten.
" 176 -
bestimmten fernen Periode der Urzeit zu ermitteln. Das einzige,
was ans ihnen folgt, ist, dass die Bekanntschaft mit der Rah,
dem Wagen, dem Häuserban aaf indog. Gebiet Ton einem Punkte
ausgegangen ist." Derselbe Gelehrte aber, der diese Skepsis so
eindringlich und scheinbar so überzeugend verkündet, fügt in
demselben Atemzug hinzu, dass er sich die Entstehung solcher
Gleichungen wie der oben angeführten nur in einer Zeit denken
könne, da ^andere sprachliche und ethnische Zustände, eine
andere geographische Verteilung der indog. Stämme bestand, als
sie uns im Beginn der Geschichte entgegentritt". Da nun dieses
„andere" der sprachlichen und ethnischen Zustände nach den
obigen Auseinandersetzungen in erster Linie eben darin bestanden
haben muss, dass damals der in historischer Zeit längst zerrissene
geographische Zusammenhang zwischen den in Betracht kommenden
Sprachen und Völkern noch bestand, so kommt Kretschmer, will
mir scheinen, in seiner Weise zu demselben oder doch zu einem
überaus ähnlichen Ergebnis wie die Frühereu, nämlich dem, dass
die indog. Völker in früher, vorhistorischer Zeit, vielleicht in
gewissen Zwischenräumen nach einander, in den Besitz der Kuh,
des Wagens, des Hauses gelangt sind*). Noch einmal werden
wir zu diesen Fragen in Kap. VII (das Lehnwort) zurückkehren.
1) Ganz in diesem Sinn äussert sich über die Einwände Rretschmers
auch B. Syinons in der Besprechung" meines Reallexikons Museum
1903 Nr. 4.
V. Kapitel.
Wortform.
Die lautliche Gestalt der kulturhistorisch verwertbaren Oleichungen.
Benutzung der in der Wurzel- oder Suffixbildung auseinandergehenden
Wörter. Gleichungen mit nachweisbarer Wurzel und Gleichungen ohne
solche. Onomatopoetische Bildungen.
Wir haben bis jetzt hauptsächlich die geographische Ver-
breitung der kulturhistorisch wichtigen Gleichungen und die
Scbltlsse im Auge gehabt, die man ans ihr zu ziehen berechtigt
oder nicht berechtigt ist, und mtissen uns nun dazu wenden, die
lautliche Gestaltung des benutzbaren Materials etwas ein-
gebender zü erwägen.
Wir haben gesehen, dass schon A. Kuhn (vgl. oben p. 23)
die Forderung aufstellte, «lass die Wortreihen, auf die die An-
nahme der Existenz eines Kulturbegriffes in der iiwlog. Urzeit
zu grtlnden sei, nicht nur in ihren Wurzel-, soni.« m auch in
ihren Snffixsilben etymologisch verwandt sein mttssten, und
niemand wird in Abrede stellen, dass in der Tat Gleichungen
wie «crt. ä^a, lat. equuK etc. (indog. *ek-vö), aw. kaSnäf griech.
Kotyj^ etc. (indog. *}Of-nd), scrt. rf/^a, griech. dygög etc. (indog.
*a§'ro) usw., die bis in die Suffix- und Stammsilben auf das
genaoeste miteinander Obereinstimmen, zu den unanfechtbarsten
Bestandteilen des indog. Wortschatzes gehören. Jeder weiss
aber auch, dass solche Fälle nicht zu den häufigsten gehören,
md es erhebt sieh nunmehr die Frage, ob alle etymologisch ver-
wandten Wortreihen, in denen sich gewisse Verschiedenheiten
in der Wurzelsilbe oder in der Suffixbildung oder in beiden
«eigen, fflr die Erschliessung der indog. Drzeit bedeutungslos
«ind. Znnftefast wird man dies nicht von denjenigen Gleichungen
Beb rader, Sprachvergleichunff und Urfreschichte. S. Ann. 12
— 178 —
behaupten wollen, deren Verschiedenheiten insofern gesetzmässige
sind, als sie lediglich auf der in den Einzelsprachen erfolgten
Verallgemeinerung der Stamm-, resp. Stiffixabstufungen (Ablaut)
eines indog. Paradigmas beruhen. So liegen in den Einzelsprachen
die Stämme go t fötu-j griech. nod- (7rd(5-a), lat. ped- {ped-eni)
nebeneinander, ohne dass diese Tatsache anders zu erklären
wäre, als dass in dem indog. Vertreter dieses Wortes die Stämme
pöd-j pod'j ped- noch die regelmässigen Deklinationsabstufungen
darstellten. Dasselbe gilt von got. hairtö gegenüber griech. xagdia^
lat. cord' (indog. herd- : Icrd-). Ebenso wird sich das Neben-
einander von got. gulp (*gh/to) und altsl. zlato {*gholto) erklären.
Das ursprüngliche Paradigma mag *§hölto-m (altsl. zlato), *ghlt'4so
(got. gulpis) usw. flektiert haben.
Weit in ihrer Suffixbildung scheinen filts\, jeleni „Hirsch*'
und griech. ^k-atpog voneinander zu liegen. Führt man aber
letzteres auf eine Grundform Hl-nhho zurück, so zeigt sich,
dass auch im Griechischen ein Stamm *eZ en : *e^n vorhanden
o
gewesen sein muss, der dann durch das TiersufFix -(po erweitert
wurde. Ähnlich vereinigen sich die verschiedenen Formen des
indog. Wortes für „Winter" in einem indog. Paradigma, dessen
Ablautstufen wahrscheinlich ^ghi-dm- (griech. ;t«c6v), ^ghi-em- (lat.
hiema), *§hei'm' (scrt. h^man) und ^ghi-m- (altsl. zimd) waren
(vgl. Brugmann Grundriss II, 453) usw.
Aber auch gegen solche in dem Leben der Sprache alltftg-
liehen Fälle braucht der Kulturhistoriker keine Bedenken zu
hegen, in denen ein einfacher Übergang aus einem Gescbleeht
in das andere oder aus einer Deklination in die andere oder ähn-
liches stattfindet, wie dies z. B. bei Wörtern der Fall ist wie
lit. szirdls Femhi, : lat. cor Neutr, „Herz", griech. Stamm wxr-:
scrt. näkti- (und nakt-), lat. nocti- „Nacht", griech. Stamm
dfov- : scrt. dA-ÄÄa-, lat. axi- „Achse" etc. Alle diese Fälle sind
also für den Kulturhistoriker unbedenklich verwendbar, and kann
man auch häufig darüber rechten, welches die für die Drsprache
anzusetzende Sprachform sei, ja, lässt sich dies bei gewissen
Gleichungen wie etwa lit. oäffs : scrt. ajä- „Ziege", „Boek" oder
griech. xv^y scrt. hahsd-s, lat. anser etc. vielleicht nie ermitteln,
so kann dies doch unmöglich den Kulturhistoriker von der
Annahme abschrecken, dass in der indogermanischen Drsprache
Wörter für das Herz, die Nacht, die Wagenaebse^ fär eis
sie^n* lUid FUr eiu gaDeartiges Tier (vgl. Kap. VI) vorhanden
Ferner ist hier der Platz, auf einen nicht unwichtigen Unter-
schied der urverwandten Gleichungen, wenigstens insofern sie
isirh auf nominale BegriFfe beziehen, hinzuweisen. Wie man sich
anch immer das Verhallnis von „Wurzel" und „Stamm" vorelelbn
I anflg? — ein Punkt, über den hekanutlieh die Meinungen beute
toeiter anseinandergelien als früher — , geleugnet kann doch nicht
werden, das« es Bolc-he Gleichungen gibt, die aufs engste mit
, Verbalbegriff verbunden sind (z. B. Bcrt. damd = griech.
Itiuoc, lat. domus : griech. de/uo „ich zimmere") und solche, bei
deaen dies nicht der Fall ist (z. B. scrt. dvi = griech. <V, lat.
„Schaf"). Hinsichtlich der erstereu wiid es sieh darum
ÜiaDdein, in jedem einzelnen Fall besonders darüber r.a enlscheiden,
«b es wabrecheinlich ist, dass zwei oder mehr Sprachen zufällig
I der Benennung eines Begriffs aus derselben Wurzel zusammen-
getroffen sind. Dass zalilreiche indog. Bezeichnungen des Bettes
t einer gemeinsamen Wurzel ster „ausbreiten" oder kei „ruhen"
Jind zahlreiche Benennungen des Stuhles aus einer und derselben
■Wurw-'l »€d ^sitzen" hervorgegangen sind (vgl. A. PieletOn'j/ines^lI,
346 ff.), diese Erscheinungen haben etwas so natürliches, dass
nuD nnmüglich aus ihnen auf das Vorhandensein jener Benennungen
in der Ursprache echüessen darf. Auch wenn die Amme im
Griechischen Ti-ih'i-vti, im Sanskrit dhd-tri beisst, so wird, bei
dein iebendiguu Vorhandensein der Verba ßt^-auödai und dkd in
beiden Sprachen niemand fdr diesen Begriff ein indog. Prototyp
voraussetzen. Ja, selbst wenn eine völlig einheitliche Bildung in
den Wurzel- wie in den Suffixsilben nachzuweisen ist, kann, worauf
schon Benfey (oben p. 42 ff.) mit Recht hingewiesen hat, eine
gewisse Vorsicht in der Benutzung auch derartiger Gleichungen
nicht entbehrt werden. Die Suffixe einer Sprache zerfallen be-
i 4anntlich in Botche, welche, ans der Vorzeit ererbt, in den
k'faistorischen Epochen der Sprache erstarrt sind, und in solche,
^welche in denselben noch ein bildungsfUhiges Leben führen.
Trifft e« sich nun, das« in zwei oder mehreren Sprachen dasselbe
Snffix seine lebendige Kraft bewahrt hat, so kann es leicht ge-
schehen, dass durch dieselben, das Vorbaudensein etymolo-
gisch gleicher Wurzeln vorausgesetzt, in verhältnismässig später
Zeit Bildungen ;znstande kommen, die durch die vollkommene
- 180 -
Identität ihrer Laute und Silben den Schein indogermanischen
oder urzeitlichen Ursprungs erwecken. So könnte eine Gleichung
wie scrt. paktdr ^der Koch" : W. pac = lat. coctor : coquo zvt
dem Glauben Veranlassung geben, dass die Meister der Küchen-
kunst schon in der Urzeit eine bestimmte Klasse von Gewerbe-
treibenden gebildet hätten. Wer aber bedenkt, dass sowohl die
beiden genannten Verba wie auch die Suffixe tar und tor im
Sanskrit und Lateinischen noch ein frisches, blütentreibendes
Leben führen, wird nicht zweifeln, dass wir es hier mit einer
zufälligen Übereinstimmung zu tun haben, was in diesem Falle
ausserdem noch durch die späte Überlieferung des genannten
Wortes wenigstens im Lateinischen bewiesen wird. Dasselbe gilt von
einer Wortreihe wie 9>(iTi, jflätdr :jM, griech. yvcoartjg : yiyv(oox(Oy
lat. nötorinosco „Kenner, Bürge", durch die, wenn sie stich-
haltig wäre, ein wichtiger juristischer Begriff in die Urzeit käme.
Auch von einem anderen Rechtsausdruck scrt. dpacüi ^Ver-
geltung" iW.ci = griech. äjioriaig : rivo) ist es sehr wahrscheinlich,
dass das in beiden Sprachen noch lebendige Suffix tij oi ein
zufälliges Zusammentreffen geschaffen^) hat.
Anders schon steht die Sache bei zwei Gleichungen me
etwa griech. jiev&egög „Schwiegervater" (auch „Schwiegersohn**)
: scrt. bdndhu „Verwandter" und griech. tdlanov „Wage": scrt.
tuld' id. Die Wurzeln sind in dem einen Falle unser binden =■
scrt. bandh „fesseln" (der durch die „Bande" der Verwandtschaft
verbundene), in dem anderen wahrscheinlich scrt. tul {töldyaii^y
lat. tuli „in die Höhe heben"; denn das Aufheben eines Gegen-
standes wird der erste Versuch, ihn zu wiegen gewesen sein.
Von diesen beiden Verben ist nun im Griechischen das erstere
nur in Spuren {neiofia, ^Tzev^-a^ „Tau"), das andere nor in
übertragener Bedeutung (rlfjvai „erdulden") vorhanden. In jedem
Falle muss also die Bildung von Wörtern wie nev^todg^ xdixmor
in eine vorhistorische Zeit fallen, in der im Griechischen noch
1) Bei einigen Gleichungen mit dem Suffix -ti läset sich die sn-
fHllige Übereinstimmung auch iautgeschichtlich beweisen. Bkitspräehe
X. B. griech. xi^ts {xsgsi'Oi) direkt dem scrt tfp-H, so müsste, da ein
Grund für den Cbergang des t in a hier nicht vorhanden Ist, das
griechische Wort *TeQjt-u-g oder *TaQn-U'e lauten; tioy/ts ist also offen-
bar nach Analogie der zahlreichen Nomina auf -at erst auf grlechischeoi
Boden von W^jro) {=^tfp) abgeleitet.
— 181 -
<lie Wurzeln ^jier^ und *TaJl- (in dera Sinne von „tragen")
zeugnngskräftig erhalten waren.
Noch zuTorlässiger kann über die Ursprünglichkeit einer
Gleichung wie scrt tdkahan = griech. t^xtcdv „Zimmermann"
^urteilt werden. Die verbale Wurzel taksh Ist im Sanskrit noch
Torhanden, im Griechischen erloschen, während das Suffix -an,
-an = -cov, 'Ov (vgl. Bopp Vgl. Grammatik III ', 287), als un-
mittelbar von der Verbalwurzel nomina agentis bildend, weder
im Griechischen noch im Sanskrit lebendig genannt werden kann.
Es sind hier also alle Kriterien vorhanden, welche die Gleichung
scrt. tdkshan = griech. rexrcov zu einer indogermanischen stempeln,
and es wäre eine auf die Spitze getriebene Skepsis (vgl. auch
oben p. 43), wollte man gegen die Annahme, dass somit schon
für die älteste Epoche der indog. Entwicklung das Vorhandensein
einer bestimmten Handwerkerzunft vorauszusetzen sei, die Mög-
lichkeit geltend machen, dass in urgriechischer Zeit die Verbal-
Wurzel xexT' noch gelebt, und dass in den uns nicht überlieferten
Epochen der griechischen und indischen Sprache das oben ge-
nannte Suffix noch bildende Kraft besessen haben könnte.
Alle derartigen Erwägungen sind natürlich bei der zweiten
Klasse der beiden oben unterschiedenen Arten von indog.
<jrleichungen, nämlich bei denen, die einer nachweisbaren Wurzel
entbehren, überflüssig. Bei Gleichungen, wie griech. ßaXavog
= lat. glans, lit. gile „Eichel" oder scrt. fksha = griech.
ägxTog „Bär" usw., wird natürlich niemand auf den Gedanken
veifaHen, dass dieselben zufällig übereinstimmende, einzelsprach-
liche Bildungen seien. Andrerseits wird bei ihnen die schon oben
angedeutete Möglichkeit vorliegen, dass die eine oder andere
dieser Gleichungen vielleicht keine eigentlich indogermanische,
sondern schon in indog. Urzeit von Nachbarn oder Ureinwohnern
aufgenommene Schöpfung sei, wie man dies etwa bei dem indog.
Wort für Honig und Met (scrt. mädhu = griech. jue&v usw.) ver-
muten könnte, das ebenso in allen finnischen Sprachen wieder-
kehrt. Vielleicht ist dieser Fall aber häufiger gewesen, als wir
ahnen ^).
1) Nur in diesem Sinne habe ich in meinem Reallexikon p. 936
auf einige wurzelhaft nicht deutbare indog. Baumnamen hingewiesen,
die deswegen aus nicbtindog. Sprachen übernommen sein könnten,
nicht etwa müssten. Ganz dasselbe tut Brugmanu Grundriss I^, 1,
- 182 -
Eudlich haben wir hier noch solcher Gleichungen zu gedenken^
die ihre Entstehung wahrscheinlicher- oder möglicherweise dem
zufälligen Zusammentreffen onomatopoetischer Bildungen ver-
danken. Vor allem gehört hierher eine Reihe von Vögelnamen
wie lat. ulucus : sert. ülüka ^Eule^, scrt. JcöJcild : griech. x6xxv(,.
lat. cucülus, altsl. kukavicaj lit. Jcukä'ti, ir. cöi und andere, die
sehr wohl erst in den Einzelsprachen durch gleiche Schall-
nachahmnng entstanden sein können. Vielleicht erklären sich
auch einige übereinstimmende Benennungen des Haushahnes, der
in der Urzeit kaum bekannt gewesen sein kann, wie Tcfka-väTeu
„der kflca sagende" (vedische Benennung des Haushahns) : griech.
xEQxog (Hesych) oder kukkufd (ebenfalls vedisch) : altsl. kokotü
in gleicher Weise. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass in einer
oder der anderen Sprache durch auftretende Lautgesetze eine
ursprünglich onomatopoetische Bildung ganz oder teilweis in den
Rahmen regelmässiger Substantiva hineintritt. Vgl. got. hruk
„Hahnenschrei" ixegxog, ir. cercdae y^gallinaceus'''' etc., ahd. ^Aara,
griech. xiooa {*kikjä) : scrt. kikidivi „blauer Holzhäher" u. a.
Ähnlich steht es mit einer Reihe onomatopoetischer Bildungen
auf dem Gebiete der Verwandtschaftsnamen, auf die wir später
zurückkommen.
162, wenn er das Gleiche hinsichtlich des indog. Wortes für Salz
(griech. aXg) vermutet. Auch hier wäre eine solche Vermutung un-
möglich, wenn es sich um eine wurzelhaft deutbare indog. Glei-
chung wie scrt. damd =■ dofwq^ W. dem handelte. Dieses Verhältnis-
hat Bartholomae in seiner Polemik gegen mich (Literaturblatt für
germ. und rem. Phil. 1905 Nr. 6) nicht klar erkannt.
VI. Kapitel.
Wortbedeutung.
Die ursprüngliche Bedeutung der etymologisch verwandten Wort-
reihen. Schwierigkeit dieselbe festzustellen. Die einer Gleichung zu
Qmnde liegende Wurzel nicht brauchbar für die Erschliessung der
Urzeit Verwandtschaftswörter. Fälschliche Übertragung eines modernen
Sinnes auf alte Wörter. Verba für die Ausübung gewisser Gewerbe.
Tier- und Pflanzennamen der Ursprache. Kultus- und religions-
geschichtliche Gleichungen.
Wenn eine kulturhistorisch wichtige Gleichung somit, bevor
sie als Baustein zu dem Gebäude einer indog. Kulturgeschichte
verwendet werden kann, einer sorgfältigen Erwägung hinsichtlich
ihrer geographischen Verbreitung und der Ursprünglichkeit ihres
grammatischen Baues bedarf, so sind hiermit die Möglichkeiten,
die den Kulturforscher in der Benutzung sprachlichen Materials
irre zu führen geeignet sind, noch keineswegs erschöpft. Die
etymologischen Untersuchungen, die sich auf die Erschliessung
des indog. Wortschatzes beziehen, begnügen sich fast ausschliess-
lich damit, die ursprüngliche grammatische Form einer Wortreihe
zu ermitteln, während die Frage nach ihrer ursprunglichen
Bedeutung meist nur obenhin behandelt wird. Und doch wird
jedermann zugestehen, dass für kulturgeschichtliche Zwecke auf
diesen Punkt alles ankommt.
Schon A. Kuhn (vgl. oben p. 24) hob die Schwierigkeit
der Entscheidung hervor, wenn die Glieder einer etymologischen
Kette in den Einzelsprachen eine verschiedenartige Bedeutung
— 184 -
aufweisen. Dass griech. dgvg „Eiche**, altir. daur „Eiche", scrt.
drü „Baum", got. triu „Baum" etc. verwandte Wörter sind, ist
sicher, und doch wird sich die Frage, oh „Baum" oder „Eiche"
ihre ursprüngliche Bedeutung sei, kaum je mit Sicherheit ent-
scheiden lassen. Ebenso decken sich griech. ögvn; „Vogel" und
got. ara „Adler", agis. eai'n (vgl. altsl. orllü, lit. erülis, auch
eri'8 „Adler"); ob aber „Vogel" oder „Adler" die ursprüngliche
Bedeutung des Wortes war, lässt sich ebenfalls kaum ermitteln ^).
Einzelne Kategorien des indog. Wortschatzes sind in be-
sonders hohem Masse Bedeutungsveränderungen ausgesetzt ge-
wesen. So die Baum n amen, wie z. B. ahd. forha „Eiche",
dann „Föhre" = lat. quercus, griech. iXdn] „Fichte" = ahd.
linta „Linde", ahd. iira „Eibe'' = slav. iva „Weide" u. viele
andere zeigen. Auch aus diesem Grunde (vgl. oben p. 161) er-
weisen sich die für die Bestimmung der indog. Urheimat viel-
geplagten indog. Baumnamen (vgl. oben p. 126) immer deutlicher
als hierfür wenig geeignet, und es ist daher eine etwas kühne
Behauptung Bartholomae's (Litbl. für germ. und rom. Phil.
1905 No. 6), wenn er mit Rücksicht auf ein von ihm als viel-
leicht zu lat. fägusj ahd. buofiha „Buche", griech. qprjyog „Eiche"
gehörig erwiesenes kurdisches büz „eine Art Ulme" behauptet,
dass dieses linguistische Argument alle jene anderen schlage, die
man zugunsten der Annahme ins Treffen führe, dass die Urheimat
der ludogermanen in der südrussischen Steppe (vgl. oben p. 124)
zu suchen sei. Allerdings ist Bartholomae vorsichtig genug zu
sagen, dass jenes kurdische bäz diese bedeutende Wirkung nur
dann übe, wenn „Buche" der Sinn des Urworts sei. Gerade
das aber wird er schwerlich jemals beweisen können.
Aber auch diejenigen Wortreihen, die in allen ihren
Gliedern eine übereinstimmende Bedeutung zeigen, dürfen
nicht ohne Kritik zu kulturhistorischen Bestimmungen benutzt
werden.
Allzu zuversichtlich hat man lange Zeit die Bedeutung der
1) Vgl. H. Osthoff Parerga p. 171 ff., der die Ansicht vertritt,
dass in solchen Fällen die besondere Bedeutung der allgemeinen voraus-
gegangen sei; doch kommt auch der umgekehrte Weg oft genug vor
Vgl. z. B. lat. frumentum „Getreide* — frz. frow^ent „Weizen*, rom. anca
„Qans*, eigentl. „Vögelchen", slav. ptüo „Bier*, eigentl. „Getränk* uiw.
— 186 —
einer Gleichung zugrunde liegenden Wurzel als charakteristisch
Für die Gesittung und Kultur der Urzeit angesehen, ein Beginnen,
in dem Justi (vgl. oben p. 29), M. Müller (vgl. oben p. 30),
tiesonders aber A. Fick (vgl. oben p. 41), am weitesten gegangen
»nd. In erster Linie sind die indog. Verwaudtschaftswörtcr das
Versuchsfeld für derartige Phantasien gewesen, die den Vater
mm „Schützer", die Mutter zur „waltenden Hausfrau", die
Tochter zur „kleinen Melkerin", den Bruder zum „Ernährer",
icn Schwager (dai^g) zu dem „spielenden" (als jüngeren Bruder
ies Mannes), die Schwester zu der „mit ihm (dem Bruder)
vrohnenden" usw. gemacht haben. Man sollte sich erinnern, wie
Qberaus unsicher derartige Deutungen überhaupt sind. Ob mätdr
iie „waltende Hausfrau" oder „die Bildnerin" (des Kindes), ob
iuhitär „die Melkerin", „den Säugling" oder „die Säugende",
>b sü'nu „den Erzeugten" oder „den Erzeuger" usw. bedeutet,
las alles wird sich nie entscheiden lassen.
Femer aber lehrt eine einfache Erwägung, dass diese
Bildungen, selbst wenn sie richtig gedeutet sind, nur für die Zeit,
in der sie entstanden, bedeutungsvoll sein können. Gehört z. B.
bhrä'tar „der Bruder" wirklich zu der Wurzel bher und be-
ientete den „Erhalter" (seil, der Schwester), so musste diese
\affas8ung des geschwisterlichen Verhältnisses doch schon in
derjenigen Sprachperiode gelten, in welcher der angeführte Name
Ies Bruders gebildet wurde, in welcher also (nach der gewöhn-
lichen Auffassung) die „Wurzelsprache" allmählich in den Charakter
einer „Flexionssprache" überging. Dieser Zeitraum kann aber
im viele Tausende von Jahren von dem, was wir unter „prä-
liistorischer Einheit der indog. Völker" zu verstehen haben, ent-
fernt gewesen sein, und durch nichts kann bewiesen werden, dass
den Indogermanen vor ihrer Trennung der grammatische und
b^riffliche Zusammenhang des Brudernamens und der Wurzel
bher nicht ebenso unbekannt gewesen sei, wie den Griechen das
Verhältnis von q?QiJTtiQ : qjega}, oder den Römern von fräter : ferOj
ien Deutschen von bruder : {ge)bären etc. Übrigens gibt es,
virenigstens für den Vater- und Mutternamen, eine viel ansprechen-
lere Erklärung, die schon von 0. Böhtlingk in seiner Jakutischen
Srammatik (1851) p. VII aufgestellt worden ist, als die Deutung
ms einer sinnvollen Sprach wurzel. Erwägt man nämlich die
MTahrscheinlichkeit, dass Namen für Vater und Mutter und
— 186 —
namentlich für die letztere in allen Phasen der Sprachbildung
vorhanden waren, und bedenkt mau, in wie eigentümlicher Weise
die volltönenden und scheinbar sinnvollen indog. p(iyUr und md-tir
an die durch fast alle Sprachen des Erdballes sich ziehenden mehr
onomatopoetischen Gebilde wie papa und mama anklingen, so
wird man den Verdacht kaum unterdrücken können, dass jene
indog. Wortformen nur sprachlich vervollkommnete Umbildungen
unendlich viel früherer Vater- und Mutternamen sind^).
Ein anderer Fehler, der in der kulturhistorischen Ausbeutung
sprachlichen Materials häufig begangen zu werden pflegt, liegt
darin, dass man nur zu oft einen modernen Sinn auf alte Wörter
gepfropft, jungen Wein in alte Schläuche gegossen hat. Wie
dies gemeint sei, zeige zunächst ein Beispiel neuerer Sprach-
entwicklung. Das englische Zeitwort torite „schreiben" ist be-
kanntlich identisch mit agis. writany altn. Hfa, ahd. rtzan
„einritzen, eingraben^^, und es ist nicht zweifelhaft, dass dieses
Zeitwort vorwiegend zur Benennung des Vorganges verwendet
wurde, welcher von Tacitus in dem X. Kapitel der Germania
geschildert wird, wo von dem Einritzen gewisser Zeichen (Runen)
zu Zwecken des Loses auf hölzerne Stäbchen die Rede ist.
Niemand wird nun zweifeln, dass es töricht wäre, auf die
moderne Bedeutung des englischen Verbums hin, die
moderne Kunst des Schreibens in die germanische Urzeit zu
verlegen.
In ähnlicher Weise aber sind oft die indog. Gleichungen
missverstanden worden. So hat das griech. jwXig „Stadt** =
scrt. pur, purij pura (nachvedisch) „Stadt" zu der Meinung
veranlasst (vgl. oben p. 34), dass die Indogermanen schon Yor
ihrer Trennung in Städten mit Strassen gewohnt. Wall und
Graben gehabt hätten. Und doch kann nichts verkehrter als das
sein. In den vedischen Gesängen sind nämlich, wie H. Zimmer
Ältindisches Leben p. 142 ff. schlagend gezeigt hat, die pür-as
weiter nichts als „auf erhöhten Punkten gelegene und durch
Erdaufwürfe und Gräben geschützte Plätze, in denen man zur
1) Vgl. das Petersburger Sanskritwörterbuch unter pitdr und
H. Saycc The principles of comparative phüology^ 1875 p. 224; dasu
auch Sir J. Lubbock Die Entstehung der Zivilisation 1875 (übers. ▼.
A. Passow) p. 360 und W. Wundt Völkerpsychologie I«, 2, 490.
— 187 —
Zeit der Gefahr (im Krieg oder bei ÜberschwemmuDgen, 8onBt
standen sie leer) sieh mit Hab nnd Gut barg^. Von Städten ist
im Veda durchaus nicht die Rede. Ähnliches gilt von dem Zeit-
alter des Awesta (W. Geiger Ostiran. Kultur p. 412 ff.), und auch
von dem griech. nohg lässt es sich wahrscheinlich machen, dass
dieses Wort ursprünglich ausschliesslich den Sinn von ä^gö-TioXig
hatte. ■ Für Germanen und Slaven wird überdies durch völlig
anzweifelhafte sprachliche, historische und archäologische Beweise
die ünbekanntschaft dieser Völker mit Städtebauten und Stein-
bauten überhaupt bestätigt. So würde also aus der Gleichung
jwkig = pur im besten Fall nur folgen, dass die Indogerraanen
vor ihrer Trennung zu ihrem Schutze Erdaufwürfe in der
Art der vedischen püras aufzuführen gelernt hatten, nichts
weiter.
Eine andere Gleichung, aus der man viel mehr geschlossen
hat, als darin liegt, ist scrt. pdtni = griech. norna „Herrin,
Gattin, Hehre". Von ihr sagt A. Fick Spracheinheit p. 266:
„Wie Benfey (vgl. Vorwort zu dem Wörterb. d. indog. Grundspr.
von A. Fick p. VIII) zuerst erkannt hat, liegt in dieser Benennung
die völlig gleiche Stellung der Frau ausgesprochen; Viel-
weiberei und Knechtung des Weibes ist also den Indogermanen
durchaus fremd" usw. Zugegeben nun, dass diese ario-liellenische
Gleichung für die indog. Urzeit beweisend sei, zugegeben auch,
dass sie damals wirklich die Herrin und Gattin bezeichnete^)^
wie es im Sanskrit der Fall ist, so kann darin doch kein Argu-
ment gegen die Annahme der Polygamie in der indog. Urzeit,.
auf die, wie wir später sehen werden, viele historische Mo-
mente hinweisen, gefunden werden. Bedeutet doch im vedischen
Zeitalter /^dfral ganz unzweifelhaft „Herrin, Gattin", und ist doch
trotzdem die Vielweiberei in diesem Zeitalter sicher nachweisbar
nnd rechtlich gestattet. Involvierte daher potnia in der Ursprache
1) Im Grieebiseben lassen sich nur die Bedeutungen „Gebieterin'
z. B. "'ÄQTBfAig stdtvia ^Q<bv II. XXI, 470 und „die Hehre* (als ehrendes
Beiwort), a^tvia "Hqij, jEÖtvia fArjxriQ etc., nicht aber die Bedeutung" „Gattin**
nachweisen. Vgl. deanoiva {*6BOJtoxvia) „Hausfrau, Herrin" bei Homer
und deastlras ' Ywcuxag ' ßeoaa?,ot Hesych. Vgl. zu der Gleichuno: pätnl =
:tdTrta auch noch v. Bradke Gott. gel. Anz. 1890 No. 23 p. 910 ff ^
Delbrück Verwandtschaftsnamen (passim), mein Reallexikon p. 165
und Symons Museum 1903 p. 107 ^
— 188 —
«inen ehrenden Begriff und war nicht wie das lit. pati : päts
„Ehefrau** : „Ehemann** damals noch eine bedeutungslose Feminin-
bildung : potiSf die einfach bedeutete „einen Herrn habend**
(vgl. scrt. sapätni „denselben Herrn habend, Nebenfrau** B. R.),
so konnte unter polygamischen Verhältnissen möglicherweise die
erste oder die Liehlingsfrau des Herrn damit benannt werden. So
enthält z. B. Rigveda X, 159 (Zimmer Altind. Leben p. 159) einen
Zauberspruch^ in dem eine Frau eines Königs die Nebengattinnen
unschädlich zu machen sucht, damit sie beim Gatten am meisten
geehrt sei.
Besonders aber sind es zwei Kategorien von Wörtern, die
am meisten einer modernen Deutung ihres alten Sinnes ausgesetzt
sind. Es sind dies erstens eine Anzahl von Tätigkeitswörtern,
die schon in der Urzeit geübte Fertigkeiten bezeichnet zu haben
scheinen, wie scrt pacj slav. peJcqy griech. neaoco, lat. coquo
„kochen"; scrt. vabh {vap)j griech. v(paivcOy ahd. icehan „weben**;
scrt. siv, lat. sno^ slav. sijq, got. aiuja „nähen" u. a. m. Dass
die in den angeführten Wurzeln liegenden Tätigkeiten in der
Urzeit ausgeübt wurden, liegt auf der Hand; aber fragt mich
nur nicht, wie? Wohl „kocht" die Hausfrau, die eine vor-
treffliche Suppe in ihrem Papinsehen Kochtopf bereitet; es „kocht**
aber auch der schmutzige Eskimo, der, weil seine hölzernen oder
steinernen Gefässe die Hitze des Feuers nicht ertragen, so lange
erhitzte Steine ins Wasser wirft, bis es siedet (vgl. Sir J. Labboek
Die vorgeschichtl. Zeit II, 195). Welches sprachliche Moment
gibt es denn nun, das uns darüber belehren könnte, auf
welcher Stufe zwischen den beiden angedeuteten Extremen sieh
unsere Ahnen vor ihrer Trennung befunden haben? Wir werden.
so hoffe ich, im Laufe unserer Darstellung Gelegenheit haben,
mehrere der angeführten Gleichungen für die Urzeit auf ihr
rechtes Mass zurückzuführen.
Die zweite Klasse von Wörtern, die hier zu besprechen
wäre, bildet eine Anzahl von Tier- und Pflanzennamen, die durch
ihre Übereinstimmung in den Einzelsprachen zwar ihre arzeitliehe
Existenz beweisen, bei denen aber, worauf, wie wir schon obco
sahen (vgl. p. 35), V. Hehn nachdrücklichst aufmerksam gemacht
hat, die Sprachwissenschaft ausserstande ist, den Nachweis zn
führen, ob dieselben schon als Haustiere und Kulturpflanzen den
Indogermanen bekannt waren. Da wir indessen auch auf diesen
— 189 -
Punkt im Verlaufe unserer Arbeit noch "eiDgehend zu sprechen
kommen werden, begnügen wir uns hier damit, hervorzuheben^
dasB lediglich kulturhistorische, nicht sprachwissenschaftliehe
Momente zu einer annähernden Gewissheit in diesen Fragen
fuhren können.
Entnahmen wir die bisher gegebenen Beispiele im wesent-
lichen der Geschichte der materiellen Kultur der Indogermanen,
so ist die Gefahr einer Modernisierung des ursprünglichen Wortsinns
nicht minder gross bei solchen Gleichungen, die sich auf die
sittliche, rechtliche oder religiöse Zivilisation des Urvolks^
zu beziehen scheinen.
Das indische dhä'man und das griech. '^ifug haben mit-
einander gemein, dass sie von der Wui*zel dhS (ti^/lu), übrigens
in ganz verschiedener Weise, abgeleitet sind und das indische
Wort zuweilen (Satzung des Mitra-Varuna), das griechische ge-
wöhnlieh, das über dem menschlichen stehende göttliche Recht
(lat. fas) bedeuten. Diesen Umstand aber mit als einen Anhalt
zn benutzen, um, wie es Leist (Gräco-italische Rechtsgeschichte
p. 205) tut, den Begriff des fas schon der Urzeit zuzuschreiben,
heisst dem Charakter sprachlicher Argumente zu viel vertrauen.
Viel zu leichten Herzens hat man auch urzeitliche Göttergestalteu.
aas Gleichungen wie scrt. dyäüSy griech. Zevg, lat. Jov-em, ahd.
Zio erschlossen. Ich billige in dieser Beziehung den Einwand
0. Gruppes (Wochenschrift f. kl. Phil. 1884, p. 487, Die griechischea
Kalte und Mythen p. 79 ff.), der betont, dass — rein sprachlich
genommen — eine solche Gleichung ursprünglich ebensowohl
nur den über der Erde sich wölbenden Himmel bezeichnet
haben könne.
Ebenso steht es mit vielen der angeblichen Kultusbezeich -
oangen der Indogermanen. Griech. x^^ ^giessen^ (auch vom
Opfei^ss) gehört wohl zu scrt. hu „ins Feuer giessen, um zu
opfern''^ auch zu lat. fundo und got. giutan. Ob aber diese
Warzel schon in der Urzeit einen Kultusgebrauch bezeichnete, ist
eine ganz andere Frage, deren Beantwortung durch die sprach-
liebe Oleichong keineswegs präjudiziert wird. Auch lat. crSdo
(«08 *cr€d-4o) ist sicherlich identisch mit scrt. ^addhd' ^Ver-
traaen, Zuversicht, Glaube, Treoe, Aufrichtigkeit". Eine ganz,
willkflrliche Annahme aber ist es, dass dieses Wort schon in der
üneit ein Aasdrack der religio gewesen sei. Ebenso ist lat.
- 190 -
pürus „rein" unzweifelbaft abgeleitet von sert. pü „reinigen".
Wie aber Leist Altarisches Jus gentium p. 258 hieraus folgern
kann, dass der „historische Zusammenhangt der indischen nnd
italischen Reinigungslehre „schon sprachlich" hierdurch „sicher
gestellt" werde ^), ist mir nicht ersichtlich.
1) Vgl. hierzu noch Leist Altarisches Jus civile I, 373 Aum. 1 und
meine Antwort darauf in der Deutschen Litz 1893 No. 19 p. 597. Der-
selbe Gelehrte sagt Altarisches Jus gentium p. 3: „Den Kern der Be-
weisführung rauss bei allen Untersuchungen über indo-gräco-italische
Zusammenhänge immer die Sprache bilden. Wenn es sich z. B. um
die Institution der Namengebung (an das neugeborene Kind) handelt,
so wird die indo-gräco-italische Gemeinsamkeit dessakralen Brauches
schon daraus geschlossen werden können, dass das Fest in den Sütras
das nämadhiya (nominis datio) heisst'^. Wir können sprachlich
nichts anderes erschliessen, als dass es ein indog. Wort für den
Namen gab.
Wir machen auf derartige Fälle schon hier aufmerksam, weil
Leist mit durch sie zu der Annahme einer sehr hohen sittlichen Kultor
der Indogermanen geführt wird, worin wir ihm nicht folgen können.
VU. Kapitel.
Das Lehnwort.
Urverwandtschaft und Entlehnung. Benutzung der Lehnwörter
für kulturhistorische Schlüsse.
Wir haben uns bisher mit solchen kulturgeschichtlichen
Gleichungen beschäftigt, die man als „urverwandte" oder als
„Erb Wörter** zu bezeichnen pflegt, und von denen man annimmt,
dass sie in die Zeit vorhistorischer Zusammenhänge der Indo-
germanen zurückgehen. Ihnen, stehen solche Wortreihen gegen-
über, die man durch den Ausdruck „Lehnwörter" zu charakteri-
sieren gewohnt ist, indem man annimmt, dass sie zu einer Zeit,
in der die Indogermanen bereits in ihren historischen Wohn-
sitzen Sassen, durch Entlehnung und Wanderung der Wörter von
Volk zu Volk zustande gekommen seien. Die Reihe scrt. d^a =
griecb. Ijmog, lat. equus, alts. ehu usw. enthält Erbworte^ ahd.
pferit „Pferd" aus lat. paraverSdus ist ein Lehnwort. Die
erstere sagt etwas über den vorhistorischen Besitz der Indo-
germanen, das letztere etwas über die ältesten historischen Be-
ziehungen der Römer and Oermanen aus. Die Formen der
ersteren entsprechen den Lautgesetzen, die man als massgebend
für das Verhältnis der indog. Sprachen zueinander erkannt hat,
das letztere entzieht sich denselben, indem die lautgesetzliche
Entsprechung eines alten p im Hochdeutschen f (fater : nan^g),
nicht aber pf (ahd. pferit) ist.
Dieser fundamentale Unterschied zwischen Erbwort und
Lehnwort ist nun neuerdings durch gewisse Anschauungen ins
Schwanken geraten, denen P. Kreta chmer und W. Wundt am
— 192 —
schärfsten Ausdruck gegeben haben. „Aus der Gleichung scrt.
ytigärrij griech. Cvyov, lat. iuguniy got. jwfc, altsl. igo, Mt.jüngM^,
sagt Kretschmer Einleitung p. 21, „folgt weiter nichts, als dass
sich einmal von einem unbekannten Ausgangspunkt aus das
Wort *jugom, vermutlich mit dem Gegenstand selbst, den es
bezeichnet, über das ganze indog. Sprachgebiet verbreitet hat ....
Die indische Bezeichnung des Pfeffers, pippaliy bezw. *pippari',
ist mit dem Gewürz selbst etwa im IV. vorchristlichen Jahr-
hundert zu den Griechen gewandert (griech. nmeQi\ von diesen
zu den Römern (lat. piper) und, Jahrhunderte später, zu den
Germanen (agls. pipor), Slaven (altsl. plprü) und Litauern (lit.
pipiras). Dieser Vorgang steht mit der Verbreitung des
Wortes für Joch im Prinzip genau auf einer Linie . • . .
Der Unterschied zwischen den prähistorischen und historischen
Entlehnungen ist zunächst lediglich ein chronologischer". Fast
noch uneingeschränkter drtlckt sich W. Wundt Völkerpsycho-
logie P, 2, 642 aus: „Dazu kommt, dass mit den Werkzeugen
und Erzeugnissen der Kultur auch die Bezeichnungen wandern,
die sie in der Sprache gefunden haben. Wenn uns Märchen-
und Fabelstoffe bei den entlegensten Völkern der Erde, bei
den Bantustämmen Südafrikas wie bei Indern und Griechen
übereinstimmend begegnen, warum sollten dann nicht auch die
Bezeichnungen für Tätigkeiten, Geräte und Wohnstätten mit der
Kultur, deren Träger sie waren, gewandert sein ? Niemand wird
aus der Verbreitung des Wortes „Sack^ auf die Existenz eines
handeltreibenden indogermanisch -semitischen Urvolks zurück-
schliessen. Nicht viel sicherer ist es aber, wenn man die Über-
einstimmung der Wörter für „Haus^^ bei östlichen und westlichen
Indogermanen auf ein Urvolk deutet, das Häuser gebaut habe.^
Ich möchte auf diese Ausführungen zunächst mit einer
einfachen Frage antworten. Wenn die beiden genannten Forscher
sehen, dass z. B. die Gans im Spanischen auca^ im Portu-
giesischen octty im Französischen oie heisst, oder wenn sie
wahrnehmen, dass das Pferd im Russischen koni, im Öechiscbeo
JcüAy im Serbischen konjy oder wenn der Hase im Althochdentschen
Jiaso, im Angelsächsischen haray im Altnordischen here genannt
wird, sind sie der Ansicht, dass diese Wörter durch ^Entlehnung
von Individuum zu Individuum, von Stamm zu Stamm" gemein-
romanisch, gemeinslavisch und gemeingermanisch geworden aeieo?
19a
bt es niebt eine ansgoiuacble Tatgacbe, dass die Gans im Fran-
xÖsiBchen ot> heisst, weil das latdnigühe auca von den römiscfaeii
Kolonisten s Z, nacb Gallieu gebracht worden ist, oder dass die
äerbeu dati Pferd konj and die Angelsacbseo den Hasen hara
nennen, weil sie diese Wörter bei ihrer Einwanderung in die
Balkan Ii«]l)iii8el, bezüglich nacli England mit sieb führten? Wenn
dem aber so ist, mit welchem Recht setzen Kretschmer anil
Wnndl, vun denen namentlich der eretere nicht genug hervor-
beben kaun, dass man die vorhistorischeu Verhältnisse nacb den
bistortNclien beurteilen rnlls^, für Gleichungen wie sert. jugd =
{;riecb. Cvyöv oder scrt. damit = grieeb. dö/iog eine gänKÜcb
verscbiedene Art der Verbreiluug voraus? Sie tuen es meine»
EracbtcDs, weU sie zwei verschiedene Prozesse niebt genügend
lin&einandcrhalEen. Man kaun sieb dies an der Ansbreitnng des
iben genannten lat. auca nnd glaviseheu koni deutlich machen.
i erstere — in der rümischen Schriftsprache nicht bezeugt —
1 einer gewiesen Zeit in der Volkssprache statt der vorans-
lasetz-enden Bedeiitang „Vogel" (aois) die Bedeutung von „Gans"
igenonimeu. Dies mU8B natUrlicb zuerst au einer bestimmten
^ptelle des Sprachgebiets geschehen sein, von der aus die neue
fiedeiitung sich eine geraume Zeitlaug „durch Entlehnnirg
von Individnum zu Individuum, von Stamm zu Stamm" allniäbliib
Ober die Sprachgenossen ausgebreitet hat. Nachdem dies aber
lobehen war, ist das Wort durch die rCmische Kolonisation
i alle Welt getragen worden.
Ganz ebenso liegen die Dinge bei dem slavischen kon't.
■■ Wort ist wabracheinlich nicht slawischen Ursprungs ' vgl.
taein Beallesikon n. Pferd), bat sieb aber von dem Punkt, an
I es aufgenommen wurde, in der elaviscben Ursprache „durch
Entlehnnng von Individuum zu Individuum, von Stamm zu
Btamm" verbreitet. Dann haben ihm die slavischen Wander
imgeti seioe historische Ausbreitung gegeben.
und niehl anders ist es mit den urverwandten Gleichungen
r^uij^n. vfie haben sieh in der Urheimat, deren geographinche
jinMlehnuug wir uns als eine verhältnismässig grosse vorstellen
pOrren, „durch Entlehnung von Individuum zu Individunm, von
1 zu Stapini" in grösserer oder geringerer Ausdehnung ver-
rdtet, aas dem eiufaehen Grunde, weil wir uns in anderer
HTciM üic Herrschaft einer äpracberscbelnung auf einem be-
ScbraUar. SpruhTcreloIchunir und Drfrciaclilclile. n. Aufl. 18
- 194 -
stimniteD Gebiet überhaupt nicht erklären können. Dann ahör
sind sie durch die Wanderungen der Indogermanen in die
Feme getragen worden.
Dazu kommt, dass der Hinweis Kretschmers auf das Wort
„Pfeffer", dem Wundt das Wort „Sack" substituiert, weder in
dem einen, noch in dem anderen Falle ein besonders glücklicher
ist; denn bei beiden hat man es mit ausgesprochenen Handeig-
wörtern zu tun, die unter historischen Verkehrsbedingungen
zusammen mit der Ware, bezüglich ihrer Umhüllung, geschftfts-
mässig und bewusst von Volk zu Volk getragen wurden und so
eine gemeinindogermanische Verbreitung erlangt haben. Dass
dasselbe auch bei der grossen Masse der sogenannten urverwandten
und meist ganz anders geaileten Kulturgleichungen unter den
Verkehrsbedingungen der Urzeit möglich gewesen sei, sind
durch nichts erwiesene, an sich höchst unwahrscheinliche Be-
hauptungen der beiden Forscher. Wie unglaublich ihre An-
schauungen in concreto aussehen, zeigen die Fälle, in denen sie
gezwungen sind, ihre Theorien auf bestimmte Beispiele der Wort
Verbreitung anzuwenden. So schreckt Wundt davor zurück
(p. 643), auch die Verbreitung der Verwandtschaftswörter aus
seiner Entlehnungstheorie zu erklären. Sie, meint er, niüssten
doch wohl als „ursprüngliches Gemeingut" betrachtet werden.
Also eine Gleichung wie scrt. hhrä'tä = griech. (pQrjtrjQy lat.
fräter usw. „Bruder" ist nach ihm Erbgut, eine Gleichung
aber, wie etwa scrt. dgva = griech. hmogj lat. equus usw. „Pferd",
die die Spuren nicht minder alter Lautgesetze an sich trägt,
Lehngut. Für Kretschmer ist die Behandlung der Wörter
charakteristisch, die übereinstimmend im Italischen, Keltischen,
Germanischen und Litu-Slavischen das Meer bezeichnen (p. 65). Da
es zur Zeit seiner „Urheimat" (vgl. o. p. 128) noch keine Nord- und
Ostsee gab, die erst in der postglazialen Periode hervortraten, so
muss das Wort bei den Kelten (mori) aufgekommen sein, ursprünglich
also den Atlantischen Ozean bezeichnet haben und von hier aas
zu Germanen und Litauern gewandert sein, die vermutlich einer
Benennung des Meeres bedurften, als sich die Nord- und Ostsee
vor ihren Blicken auftaten. In Verlegenheit aber gerät er hin-
sichtlich der Italiker (lat. mare). Er möchte offenbar nicht gern
sagen, dass auch das lat. Wort von den Küsten des Atlantischen
Ozeans über die Alpen (denn am Meere sassen die Ligurer) von
■ 135
■Individuum äu ludividuinn, von Stamm zu Sinmm an die Küstea
des lyrrlicnisclicn Meeres gedrungen sei. So erklärt er p- 6ü
Aum., daf>8 ihm iiuklar sei, wie sich lat. mare zu gall. mori
lautlich nnd sacliHi;!) verhielte. Ist denn nun derartigen, wie
mir scheint, ganz iiferloeeii Konstruktionen gegenüber die ältere
Annahme nicht, schon als die einfachere, vorzuziehen, dass das
indog. ürvolk oder wenigstens grosse Teile desselben an einem
Meere sassen nnd dafür natürlich einen Natuen hatten, der dann
durch wandernde Seharen in neue Wohnsitze übertragen nnd auf
Biort vorgefundene, neue Meere oder Meeresteile angewendet
^Bnrde?
^B Je energischer wir aber die Versnche, den unterschied
^■Rischen Erbwort und Lehnwort zu verwisehen, Versuche, die
^B^ou »llznviel Verwirrung') angerichtet haben, znrUckweisen,
^Vtm so bereitwilliger können wir zugeben, dass es im einzelnen
Falle oft sehr schwierig, ja nnmüglich ist, zü beweisen, ob ein
Erbwort oder Lehnwort vorliegt. Der Grund iuerfllr liegt teils
in dem Umstand, dass Wörter aus einer .Sprache in die andere
in sehr frühen Sprachepochen entlehnt sein können, in denen
inf dem entlehnenden Sprachgebiet wichtige, den Lantbestand
Sprache nmgestaltende Gesetze, wie die deutsche Laut-
rschiebung, der Verlust des p im Irischen, der Übergang des
Mervokalen « in r im Lateinischen usw. noch nicht eingetreten
Indem nnn der neue Ank(>nimling in den Mechanismus
einheimischen Lautgesetze hineingezogen wurde, konnte er
1 Fremdländisches Gepräge leicht ganz oder teüweis verlieren.
ipiele hierfür sind oben p. 139 angeführt worden. Aach ist
lere Kenntnis der Lautgesetze, die bei der Entscheidung
tBcben Erbgut und Lchngut unser erstes Hilfsmittel sind, viel-
kch noch nicht tief und fein genug, nm eine sichere Stellung
möglichen. Oh z. B. lat. rosa aus griech. §65or, Qo6ia ent-
ihnt oder mit ihm nrverwandt ist, bleibt eine offene Frage.
bdtich fehlen in gewissen Gleichnngen, z. H. in dem Verhältnis
I tat. mälum : griech, /tfjXov „Apfel" solche lautliehe Kriterien
üch, die uns zwingcii würden, uns dahin oder dorthin zu
Iflcheiden. Aliein so zahlreich auch derartige Fälle sein mögen,
! köDoea selbstverständlich nicht dazu dienen, den in hundert
]) Auf die widersprucliBvolle Steliuug H. Hirts in dieser Frage
t mit Recht Symone Museum 1903 p. 110 Anin. Iiiogewiesen.
-« 196 —
und aber hundert Beispielen klar am Tage liegenden Unterschied
zwischen Erbwörtern und Lehnwörtern illusorisch zu machen.
Über die Benutzung der letzteren für kulturhistorische
Zwecke sind nun noch einige Bemerkungen zu machen.
Wir haben oben (vgl. p. 76) gesagt, dass ein in einer
Sprache vorhandenes Lehnwort im allgemeinen den SchloBS
gestatte, dass auch der von ihm bezeichnete Begriff durch das
betreffende Volk aus der Fremde entlehnt sei, und gewiss ist
dies im grossen und ganzen richtig. Wie wir aus unseren
Wörtern „Tabak^, „Kartoffel^, „Champagner^ usw. ersehen, von
wo oder durch welche Vermittlung diese wichtigen Kultur-
gegenstände uns überbracht worden sind, so lehren uns die aus
lat. murus „Mauer^ entlehnten irisch mür^ abd. müra^ müriy
neusl. nur, kleinruss. poln. murj lit. müras, alb. mur usw., wer
die Lehrmeister des nördlichen Europas im Stein- und Mauerbau
gewesen sind. Oder so führt uns das lat. mina durch das griech.
fjLvä nicht nur bis zu dem hebräisch-assyrischen manehy manay
von wo wieder das ägyptische mn ausgegangen ist, sondern bis
in die vorsemitische Sprache Babylons, zu dem akkadischen mana^
den Weg uns weisend, auf dem in grauer Vorzeit die Erfindung
von Mass and Gewicht von Volk zu Volk sich Bahn gebrochen hat
Trotzdem aber müssen wir uns erinnern, dass weder
überall das Vorhandensein eines Lehnworts eine Ent-
lehnung des Begriffs, noch eine Entlehnung des Be-
griffs allemal das Vorhandensein eines Lehnworts
voraussetzt. Was den ersten dieser beiden Punkte anbetrifft,
80 pflegen in Zeiten, in denen ein Volk starker kulturhistorischer
Beeinflussung durch ein Nachbarvolk ausgesetzt ist, auch solche
Wörter aus dem einen Sprachschatz in den andern übernommen
zu werden, welche längst geläufige Dinge oder Begriffe bezeichnen.
Es kann die Mode entstehen, irgend einen Begriff mit
einem fremdländischen, statt mit einem einheimischen Ausdruck
zu bezeichnen, und gegen derarti<re Unsitten ist die Tätigkeit
unserer Sprachvereine mit Recht gericlitet. Ich muss indessen
gestehen, dass, je mehr und je genauer ich derartige Entlehnungs-
reihen in alten oder neueren Sprachen beobachte, ich in immer
gesteigertem Masse zu der Erkenntnis komme, dass doch in der
Mehrheit der Fälle die Entlehnung, wenn nicht auf die Ein-
führung eines neuen Begriffes, so doch auf die irgend einer
— 197 —
neneD Noance hinweist^ die an dem betreffenden Begriffe haftet.
Wenn wir nnser „Pferd^ ans lat. paraverSdus oder unser „kaufen'*
ans lat. c4iupo, oder wenn die Römer ihr murtus aus griech.
fiAgtog entlehnt haben, so folgt daraus nicht, dass die Germanen
¥or ihrer Berührung mit den Römern keine Pferde und keinen
Handel gekannt hätten, oder dass die Myrte nicht in Italien
einheimisch sein könne. Wohl aber dürfen wir aus diesen Ent-
lehnungen schliessen, dass die Oermanen die Bekanntschaft mit
dem Postpferd (paraverSdus) und mit dem gewerbsmässigen
Handelsmann (caupo) den Römern verdanken, und dass die ver-
edelte Myrte hauptsächlich durch griechische Kulte in Italien
verbreitet wurde. Bei nahen Völker- und Kulturberührungen
pflegt es ferner zu geschehen, dass gewisse Benennungen un-
sittlicher Personen oder Verhältnisse von dem einen
Volk aus dem Sprachschatz des anderen übernommen werden:
Das phönizisch-hebräische pfleget „Bahle^ ist wahrscheinlich
in das Griechische {nakXaxlg) und in das Lateinische (pelex)
eingedrungen, das griecli. Jiogvixög in das armen, pornik
(Lagarde Armen. Stud. p. 130), das röm. meretrix in das
irische mertrech (Windiseli I. T. p. 687) und altengl. miltestrey
ein romanisches *pütdna (^it. puttana) in das Altnordische (püta)
und Niederdeutsche (mndd. püte), das germanische huora wahr-
scheinlich in das Slavische (kurüva) usw. Die Finnen haben
sogar drei Bezeichnungen des Freudenmädchens {huora : schwed.
hora, portto : altn. portkona, Jcurva : slav. kurüva) von ihren
Nachbarn entlehnt. Trotzdem ist es natürlich nicht gestattet,
aus diesem Tatbestand auf das einstmalige Nichtvorhandensein
unerlaubter Geschlechtsverbindungen bei jenen Völkern zu
schliessen. Wohl aber scheint mir in den angeführten Tatsachen das
internationale Element (Mädchenhandel) deutlich zum Ausdruck zu
kommen, das der Prostitntion offenbar zu allen Zeiten an-
gehaftet hat.
Ich habe neuerdings in den Wissensch. Beiheften des Allg.
D. Sprachvereins Reihe IV, 1. Nov. 1903, 23. und 24. H. eine
erste Übersicht über die germanischen Bestandteile des russischen
Wortschatzes und ihre kulturhistorische Bedeutung gegeben. Diesen
Aufsatz hat A. Brückner in der Zeitschrift „Deutsche Erde"
1904 H. 3 einer im ganzen zustimmenden Kritik unterzogen, es
aber getadelt, dass ich in jener Arbeit auch so „nichtssagende"
- 198 -
Entlehnungen wie podtdmtü „Postamt^ and pakgduzü „PackhaoB^
angeführt habe. Ich kann ihm aber in der geringBchätzigen
Beurteilung solcher Wörter wie dieser beiden nicht folgen. Natür-
lich dürfen wir aus dem ersteren nicht schliessen, dass die
Rassen die Post erst von den Deutschen kennen gelernt haben.
Woher vielmehr der älteste russische Postdienst stammt, zeigt
das aus dem Tatarischen entlehnte russ. jamü j^die Poststation*',
jamS6{kü „der Postbauer" usw. (vgl. a. a. 0. p. 108) auf das
deutlichste an. Demgegenüber bringt das gerügte, ans dem
Deutschen entlehnte poctämtü auf diesem kulturhistorisch wich-
tigen Gebiet die Abkehr der russischen Welt vom Osten und ihre
Zukehr zum Westen, wie mir scheint, augenfällig zum Ausdruck.
Auch pakgduzü „Packhaus" (pakgäuzny „der Wächter") ist ein
durchaus volkstümliches Wort und weist mit zahlreichen Genossen
auf die ungeheure Bedeutung bin, die der deutsche Handel
während der letzten Jahrhunderte in Russland erlangt hat.
So ist das Lehnwort, was ja auch glücklicherweise im all-
gemeinen nicht verkannt wird, eine unerschöpfliche Quelle kultur-
historischer Erkenntnis, und es bleibt nur noch ein Wort über
die oben berührte Möglichkeit zu sagen, dass die Sprache einen
entlehnten Kulturbegriff aus eigenen Mitteln zu benennen anter-
ninimt. Offenbar verhalten sich die verschiedenen Sprachen, vor
die gleiche Aufgabe gestellt, fremdes Kulturkapital zum sprach-
lichen Ausdruck zu bringen, verschieden. Während die Finnen
bei ihrem Eintreffen an der Ostsee den kulturhistorisch wichtigen
Sprachschatz ihrer Nachbarn, sozusagen mit Haut und Haaren
verschlungen haben, während die nordeuropäischen Sprachen indog.
Stammes aus den klassischen Sprachen, das Römische aus dem
Griechischen ganze Wörterbücher voll Entlehnungen aufweisen,
haben sich die Griechen selbst in ihrem Abhängigkeitsverhältnis
dem Orient gegenüber eigenartig und schöpferisch gezeigt. Während
ihre Sprache in älterer Zeit nicht 100 deutlich nachweisbare
Lehnwörter aus dem Semitischen enthält (nach A. Müller, vgl.
oben p. 78), haben sie zur Bezeichnung ausländischer Dinge,
wie es scheint, weit häufiger als andere Völker eigene und echt
griechische Ausdrücke wie vaiva „Hyäne" ( : u^), ^ivoxigoK
„Rhinoceros" ( : §ig u. xega^) und viele andere gebildet, die dann
gewöhnlich im griechischen Kleid durch das übrige Europa ge-
wandert sind. Die Gründe dieses sowohl im einzelnen Fall als
— 199 —
auch im grossen und ganzen verschiedenartigen Verhaltens der
Sprachen sind offenbar mannigfaltige. Der grössere oder geringere
Grad geistiger Begabung oder kulturgeschichtlicher Entwicklung
des empfangenden Teils, die plötzliche oder allmähliche und stete
Einwirkung des gebenden Teils, der Umstand, ob ein neuer Kultur-
gegenstand zuerst in fremdem Land geschaut oder von Fremden
in das eigene Land gebracht ward, alles das mögen Faktoren sein,
die hierbei zu berücksichtigen sein werden. Jedenfalls ver-
dienen diese Fragen, denen 0. Weise in einem trefflichen Auf-
satz „Wortentlehnung und Wortschöpfung^ zuerst seine Aufmerk-
samkeit zugewendet hat (Zeitschrift für Völkerpsych. u. Sprachw.
XIII, 233 f.), eine eingehende Untersuchung.
VIII. Kapitel.
Die kulturhißtorische Begriffsentwicklung.
Kulturwandel und Bedeutungswandel. Das Merkmal oder die Zelle des
Wortes. Lat. pecunia. Höhere und abstraktere Begriffsbildung:
Gesellschaft, Kunst, Religion.
Allzusehr hat mau bei der Erörtening der Frage, welche
Dienste die Sprachwissenschaft der Altertnmskande zn leisten im-
stande sei, die sprachlichen Gleichungen, sei es nun die auf ür-
verwaudtschaft, sei es die auf Entlehnung beruhenden, im Auge
gehabt. Und doch war dies schwerlich die Meinung J. Grimms,
wenn er (vgl. oben p. 8) sagte, dass der Geschichte von Seiten
der Sprache das Bett stärker aufgeschüttelt werden könnte. Ihm
schien vielmehr der gesamte Wortschatz einer Sprache der
Spiegel, aus dem uns die kulturgeschichtliche Entwicklung eines
Volkes entgegenblicke. Und in der Tat, wenn man bedenkt, dass
jede der tausendfachen Neuerwerbungen auf dem Gebiete der
Süsseren oder inneren Kultur eines Volkes irgendwie nach einem
8])rachlichen Ausdruck drängt, und anderereeits die Sprache so
gut wie niemals neue Wurzeln und Stämme schafft und immer-
hin nur verhältnismässig selten zur Bezeichnung eines Neuerwerbs
sich eines der im vorigen Kapitel besprochenen Entlehnungen
bedient, so erhellt, dass jene Kultur Veränderungen zumeist an
den Sprach Veränderungen des vorhandenen und einheimischen
Wortschatzes zum Ausdruck kommen müssen und also an ihnen
studiert werden können. Es ist das grosse Kapitel des Be-
deutungswandels, das somit den Kulturhistoriker interessiert,
und das er gleichsam von rückwärts zu lesen hat, um an der
Hand der historischeu Überlieferung und, wo diese abbricht, an
der Hand der etymologischen Forschung die Stationen festzustellen,
die die kulturhistorisch bedeutsamen Wörter — und welchem
Worte wohnte nicht schliesslich irgend eine kulturhistorische Be-
deutung bei? — durchlaufen haben. Auf diesem Wege rück-
Wirts Bcbrertenil, wird er HchlieaHlicli hei demjenigen nnkomiiieii,
was man als die „Zelle" oder das „Merkmal" eines Wortes he-
zeiebnen kann, d. li. bei derjenigen dfliuinierondcnVorstenung,
irelcbe einem Begriff seine 8|)rach1iehe Bezeichnung gegeben bat.
I kann sich diesen Prozess und seine kultnrgegfhichtliehe Be-
leatimg gut an der Gescbicbte des lat, pecunia deutlich madien,
ft. ■/.. B. von Wandt Völkerpsychologie l", 2, 460, zn
I Zwecke gebranebt worden ist, freiliuh ohne ilafts man
keiueit Weg weiter nU über einige seiner letzten Stationen ver-
blgl bütle, l>aa lateiniselie Wort bedenlet bekanntlich „Geld",
LVeruiAgen", und die Rilmer der kln88isi.'heii Zeit haben sich
iruiitfr eeltwerlieh etwas anderes als Gold und Silber vorgestellt.
iprUnglicb aber bezeichnele das Wort, wie wir aus der Ver-
eicbmig mit pecvs und pecudes = scrt. p(it;u, got. faihu usw.
KVieb" erscbea, soviel wie „Viehberde". Der Bedentungswandel
I „Viehherde" zo „Geld" erklärt sieli. „weil der bewegliche
|e«tz des Römers in ültester Zeit /.um gröesteu Teil in Vieb
Mland, und das Vieb die allgemeine Tausebware im Handel
Ale später an die Stelle des Tausch Verkehrs der Geld-
lerkebr trat, ging der Name des allgemein gebrauchten Tausch-
pbjekts atiF das gemÜDzte Geld über." Soweit Wundt über die
(edentnugsgeschichte unseres Wortes, die er leider abbricht da,
sie gerade am interessantesten wird. Es läesr sicIi nämlich
^ttmohwer zeigen (vgl. mein Reallexikou u. Schaf und dazu
Ostboff Parerga !, 215 ff.K dass die älteste Bedeuiung dieser
Wortsippe nicht „Vieh, Viehherde", sondern vielmehr „Schaf,
.Schafherde" {vgl. alt», fwr. kurd. pez, osset. fug „Schaf") war.
Wir werden damit in eine Zeit zurückgeführt, in der, wie es
bei notnadiscbi-n oder balbnomadisehen Viilkern der Fall zu sein
pflegt, der Ilauptbesiu der Indogcrmanen an Vieh in Schafen,
nicht etwa in Rindern bestand, eine VoranssetKung, unter der
allein der BedeutungsUbergang von „Sebaf" in „Vieb" sich er-
klärt. Auch hiermit sind wir aber noch nicht am Anfang unserer
Entwjcklongsreibe angekorrmien. Noch älter als „Schaf" i.'-t näm-
lich bei unserer Wortsippe die Bedeutung „Ü^olle, Vliess" : griech.
rtixoi -Vlicss" = lal. pecus, zu verbinden mit griech. mxw =
liL peitzü „ich raufe, zupfe", wobei mau zweifelhaft sein kann,
wie iu »llen fibniicben Fällen, ob der Verbalbegriff dem Nominal-
begriff «der der Nominaltiegriff dem Verbalbegriff vorausging,
- 202 —
oder ob beide von jeher gleichzeitig an demselben Sisunme pei-ar
hafteten. So gewinnen wir die an kulturhistorischen Ausblicken
reiche Entwicklungsreihe: „Wolle" (ausraufen), Wollträger =
„Schaf", dann „Vieh*^, „Geld". An derartigem kuliurhistoriBcben
Material ist jedes etymologische Wörterbuch der indog. Einzel*
sprachen tiberreich. Es gilt die einzelnen Fälle zu sammeln and
nach kulturhistorischen Rubriken zu ordnen, wie ich es in
meinem Reallexikon der indogermanischen Altertumskunde (oben
p. 51) zum ersten Mal versucht habe. Freilich sind die Be-
deutungsübergänge, um die es sich hierbei handelt, wenn man
sie vom psychologischen Standpunkt betrachtet, untereinander
keineswegs gleichartig. Es ist offenbar etwas anderes, wenn ein
Wort, das „Wolle" bedeutet, wie wir soeben sahen, die Bedeutung
von „Schaf" („Wollträger", vgl. etwa 1000 „Gewehre" = Gewehr-
träger) annimmt, und wenn dasselbe Wort dann im Sinne von
„Vieh" und später von „Geld" gebraucht wird. Es ist auch
etwas anderes, wenn z. B. häufig neue Metallnamen durch Ad-
jektiva bezeichnet werden, die auf das schon früher vorhandene
indog. *aio8 (scrt. äyas = lat. aes) „Kupfer" bezogen werden
(scrt. hiranya „Gold", eigentlich „gelbglänzendes" sc. dyas) and
wieder etwas anderes, wenn z. B. das spätere Glas zufolge der
Ähnlichkeit nach dem früheren Bernstein (glisum) benannt wird
usw. Ordnung in die rudis indigestaque moles des Bedeutungs-
wandels zu bringen, hat zuletzt W. Wundt in seiner Völker-
psychologie (vgl. dazu B. Delbrück Grundfragen Kap. VIII)
versucht. Glücklicherweise brauchen uns diese Fragen aber hier
nicht zu beschäftigen. Es genügt für unsere Zwecke vollkommen,
zu sehen, dass die Assoziationen, auf denen nach Wundt jeder
Bedeutungswandel beruht, in sehr vielen Fällen entweder die
Folge kulturhistorischer Veränderungen sind oder sonst in irgend
einer Weise ein kulturhistorisches Interesse darbieten.
Man könnte einwenden, dass der Bedeutungswandel, der
somit den Kulturwandel zu begleiten pflegt, uns oft nichts neue»
lehren könne, da wir über den letzteren auch auf anderem Wege
unterrichtet seien, und da in zeitlicher Hinsicht natürlich überall
die Kultur Veränderung der Sprach Veränderung vorausginge, die
letztere nur eine ausschliesslich den Linguisten interessierende
Begleiterscheinung des ersteren darstelle. Der Linguist könne
also nur von dem Kulturforscher, der Kultnrforscher aber nicht
^Bb dem Linguisten lernen, tln^ in der Tri werden wir im
^Bgenden Kapitel auf einige der materiellen Knltiirentwicklung
^^tniimiiiene Beispiele hinweisen, bei denen derarligen Einwen-
(innfieu eine gewisse Hereehtigung nicht abzugprecbcn ist. Gerade
derartige Fälle aber, sollte ich meinen, sind anfs besio geeignet,
die Bercchti|!;Dng der auf den Bedenlnngswandel gegrllndeteo
Scbldssc auch für solche Gebiete der knllurgeeehichtliehen Ent-
wickhing nachzuweisen, hei denen eine eucbtiehe, d. h. aus der
historiachen Überlieferung geschöpfte Beweigfilhrung ganz oder
uabezn ganz vi'i-sagl, also auf dem Gebiete der höheren nnd ab-
strakteren Begriffsbildnng, wie sie z. B. die Entfaltung des ge-
sellschaftlichen Lebens, derKllnste, der religirtsen Vor-
ste) langen usw. erzengt. Diesen Sphären sollen daher im
^^Igeudcn noch einige weitere Beispiele fflr die kulturgeBchiebtliche
^bdentnng der sprachlichen BegrilTscntwicklung entnommen werden.
^H Die Gesellschaftsordnung der L'rzeit beruhte auf ver-
^^ndtachaftlicheu Verbänden, die mau als Grossfaniilien oder
Sippen bezeichnen kann, nnd deren urverwandte Namen soviel
wie „Niederlassung", Versammlung", „Erzeugung" „Bruderschaft"
B8W. bedetitcn (vgl. mein Reallexikon p. 778). Von nieht ge-
ringerer Bedeutung fllr das Verständnis jener alten Organisationen
and aber auch zahlreiche Ausdrucke für dieselben, die sich auf
) einzelnen indng. .Sprachen beschränken. .So das lat. pT6-
„Sippßcbafl", „Geschlecht" (vgl. Osthoff Beitrage XX, 93;
rchiT f. Religionew. VIII, 2). Es weist, als vom lat. söpio =
»rt. sdpas „penis" abgeleitet, dentlieber als vieles andere, auf
ilie Dralt-agnatische Struktur der lateinischen Gens, d. li. auf
Ak Glied des Stammvaters, nicht etwa auf den Sehoss einer
i^tnmmesmnttcr hin. .So das griectiisehe xadenrüi, in Kreta „Blitts-
frenude bei MSnnern und Frauen" (ygl. Verf. 1. F. XVII, 18).
K» bezeichnet nrsprltnglich so viel wie „Fitrsorgegenossensebaft"
ksonders mit Rücksicht auf die Toten bestattuog nnd rückt die
Mentung des Ahneuknltns, als einer der vornebmstcn Auf-
Suben der alten Faroilienver bände, in das rechte Licht. So
ilrr germanische Stamm *hitra (got. hehca-fmitjes „Hausherr").
Ef geliSrt zn scrt. ^ivd, <;eca „lieb" und kennzeichnet die
Pimilie ala , Verband der Freunde". Der gleiche Bedentungs-
I ttsTgang zeigt sieh in ahd. jcini „Freund" = ir. fine „Gross-
Überhaupt kann man sieb in alten Zeiten den Begriff
anu :
^:
■belli
— 204 —
der Freundschaft nur in ZusammenhaDg mit dem der Verwandt-
schaft denken, indem jeder, der aasserhalb der Sippe mid des
Stammes steht, als lat. hostis = got. gaste, altsl. gosH „Feind,
Fremder" gilt. Nur dadurch kann der letztere zum „Gast^ werden,
dass er für eine gewisse Zeit in einen Familienverband eintritt,
was sich wiederum in Wortreihen wie lit. sw^czias ans *wei'jas
^Gast" : griech. Sitjg „Angehöriger" und lit. tvieszSti „zu Gaste
sein" von wiecz- = griech. olxog, lat. vicus aufs deutlichste ab-
spiegelt. Zu dem oben genannten scrt. gicd „lieb" gehört auch
lat. civisj dessen Bedeutungsentwicklung sich daher folgender-
niassen darstellt: der „Liebe", der „Verwandte" — dann (nach
Aufgang des alten Geschlechterstaats in der politischen Staats-
gemeinschaft) der „Bürger", „Mitbürger". Und noch ein weiterer
wichtiger Begriff findet in der Zugehörigkeit zu einem Sippen-
verband seine Erklärung, der der politischen Freiheit. „Frei"
ist in der grossen Mehrzahl der indog. Sprachen, wer zum Stamme
(vgl. aw. äzäta : zan „.i^ebären", eigentl. y^ingennus*^ y griech.
ilev&eQog : S.M. Hut „Volk"), oder — in demselben Sinne — wer
zu den „Lieben" (vgl. got. freis : scrt. priyd „lieb", cymr. rhydd
„frei") gehört, eine Vorstellung, geboren ohne Zweifel in solchen
Epochen der Urgeschichte, in denen indogermanische mit nicht-
indogermanischen, vielfach zu Sklaven herabgedrückten Völker-
bestandteilen zusammenstiessen (vgl. oben p. 151). So öffnen
sich auf Schritt und Tritt Ausblicke in die Anschaunngswelt
längst vergangener Zeiten, über die wir ohne die Sprachwissen-
schaft nichts, aber auch gar nichts wissen würden. Dies hat
mit Rücksicht auf die ja ebenfalls aus dem gesellschaftlichen
Leben erspriessenden sittlichen Ideen schon F. Nietzsche scharf
erkannt, als er in seiner Genealogie der Moral zur Stellung einer
Preisaufgabe aufforderte: „Welche Fingerzeige gibt die Sprach-
wissenschaft, insbesondere die etymologische Forschung, für die
Entwicklungsgeschichte der moralischen Hegriffe ab?" Leider ist
aber von zuverlässigen Vorarbeiten für die Lösung einer solchen
Aufgabe noch so gut wie gar nichts zu nennen. Eine Ausnahme
macht Osthoffs schöner Aufsatz „Eiche und Treue" in den
Et. Parerga I, 98 ff.
Auf dem Gebiete der Kunst will ich auf die Terminologie
des Siugens und Tanzens sowie auf diejenige der Farben
verweisen. Hinsichtlich des ersteren Punktes lässt sich zeigen,
~ 206 —
dasB es urverwandte Ansdrttcke für Singen nnd Tanzen nicht
gibt, dass sieh vielmehr erst in den Einzelsprachen besondere
Bezeicbnangen des Singens aus Wörtern fOr Schreien oder em-
phatisches Reden (z. B. got. aaggws : siggwan = griech. dfitpi^
^Stimme, besonders die der Götter, also die laute Stimme^) und
besondere Bezeichnungen des Tanzens aus Wörtern für leiden-
schaftliche oder feierliche Bewegung (z. B. lat. saltare : lat.
aalio = griech. SXXofiai ,,springe*') entwickelt haben (vgl. mein
Reallexikon u. Dichtkunst, Dichter und u. Tanz). Ich möchte
glauben, dass auch in diesem Falle in der Sprache die Ent-
stehungsgeschichte des Gesangs und Tanzes deutlich vor uns liegt,^
und dass namentlich bei dem ersteren eine exaktere Teiminologie
erst nötig wurde, nachdem die Erfindung und das Vorbild musi-
kalischer, die Rede oder das Geschrei begleitender Instrumente
diesen die fUr den Gesang charakteristischen Eigenschaften, wie
Qualität oder Timbre, Weite und Wechsel der Intervalle usw*
eingeprägt, oder, soweit sie schon vorhanden waren, erhöht hatte.
Bei den Farbenbezeichnungen sind es namentlich zwei
Erscheinungen, die eine Erklärung fordern, nämlich einmal der
Umstand, dass dieselben Wortstämme sehr häufig ganz ver-
schiedene Farben bezeichnen, z. B. die Ableitungen von den
Wurzeln §hel und ghel bald „gelb" (lat. helvus, fulvus, flävus =
ahd. gelo)f bald „grttn" (altsl. zelenü) oder der Stamm *melino
bald „schwarz" (scrt. malina, griech. jbiiXag), bald „blau" (lit.
milyn€ts\ bald „gelb" (cymr. melyn), und zweitens die Tat-
sache, dass eigentlich nur eine Farbe, nämlich das Rot (scrt.
rudhiräy griech. igv^gog, lat. ruber, altsl. riidrü, lit. raudünaSy
ir. rüad, got. rauds) bei allen oder nahezu allen Indogermanen
dieselbe feste Bezeichnung hat. Man hat hieraus auf eine all-
mähliche Entwicklang des Farbensinns bei den Indogermanen
geschlossen, und eine grosse Literatur 0 hat sich tlber diese Frage
1) Vgl. O.Weise Die Farbenbezeichnnngen der Indogermanen B.
Beitr. z. Kunde der indo^r Spr. II, 273 ff. Andere sprach wisscnschnft-
liche Literatur über diesen Ge<i^en8tand findet sich bei L Geiger Über
den Farbensinn der Urzeit und seine Entwicklung (Zur Entwicklungs-
gesebiebte d. Menschheit 1871 p. 45 ff.), A. Ba cm ei st er Keltische
Briefe 1874 p. 112 ff., Pole Colour hlindness in relation to the hovieric
expressions for colour, Nature 1878 p. 676, H. Vämb^ry Die primitive
Kultur des tnrko-tatarischen Volkes 1879 p. 224, Grant Allen Der
Farbensinn. Sein Ursprung und seine Entwicklung. Ein Beitrag zur
— 206 -
für und wider angehäuft. Im allgemeinen dürfte man gegen-
wärtig die Vorstellung, als ob die Indogermanen ganz oder teil-
weis farbenblind gewesen seien, aufgegeben haben. In der Tat
möchte ich glauben, dass hiervon keine. Rede sein kann, und
dass die Indogermanen vielmehr im Gegenteil sehr zahlreiche
Farbenbezeichnungen besessen haben, nur dass diese, abgesehen
von gewissen Ausdrücken für hell und dunkel, in der Mehrzahl
der Fälle nur spezielle Farbentöne oder Farbennuancen, und zwar
meist mit Beziehung auf ein bestimmtes diese Färbung tragendes
Objekt zum Ausdruck brachten. So dürften die Ableitungen von
den Wurzeln §hel und ghel ursprünglich nur das gelblich-grüne
der jungen Saat (z. B. griech. x^^V n^^^^^)? ^^^ Stamm *melino
nur die undefinierbare Färbung eines blauen Flecks am Körper
{altpr. meine), der Ausdruck scrt. prgni = griech. TisQxvdg nur
das Getüpfelte wie es in der Farbe des Rehs (griech. ngo^) oder
auch der Forelle (ahd. fothana) zutage tritt, bezeichnet haben.
Dabei kann man wiederum zweifelhaft sein, ob zuerst die Farben-
bezeichnung oder der Name des gefärbten Objekts da waren, wenn
auch die Analogie neuerer Farbenausdrttcke wie „orange*^, „violett",
^purpur" usw. (vgl. Wundt a. a. 0. p. 543) für letzteres spricht. Die
weitere, schon in der Urzeit anhebende, besonders aber auf dem
Boden der Einzelsprachen verlaufende Entwickluhg ist nun auf
die Herausbildung allgemeiner Farbenbezeichnungen wie unser
rjot", „gelb", „grün", „blau" gerichtet, ein ProzesS; bei dem
man sich naturgemäss mit Vorliebe jener ältesten Ausdrücke für
bestimmte P'arbennuancen bedient, die man jedoch bei ihrem oft
vieldeutigen und schillernden Charakter nicht immer in gleicher
Weise verwendete. So kommt es, dass die Bildungen von den
Wurzeln ghel und ^AeZ in den einen Sprachen mehr das gelb, in
den andern mehr das grün bezeichnen, oder dass *melino hier
schwarz, dort blau und wieder wo anders gelb ausdrückt. Dass
in unserem „rot", welches nach einer freilich nicht sicheren Deutung
die spezielle Färbung des Kupfers (lat. raudus, altn. räudig slav. ruda)
bezeichnet haben könnte, wohl sich zuerst ein solcher allgemeiner
vergleichenden Psychologie. Mit einer Einleitung von Dr. E. Kraue.
Leipzig 1880. Vgl. auch E. Veckenstedt Geschichte der griechischen
Farbenlehre 1888 sowie W. Wundt Völkerpsychologie I * 2, 543 ff. und
ganz neuerdings W. Schultz Das Farbenempfindungssystem der
Hellenen. Leipzig 1904.
rFarbeimaim" fcsipesetzt hat, wird iu der BelJehtbeit dieser Jh sclijst
auf gewisse Tiere wirkeDden Farbe bei primitiven Völkern seinen
Grnnd haben. Nocb heute eiud z. B. bei den Russen die Aue-
Irllckc fflr „schon" (krastvif) und „rol" {knhntij) von dL-iiiselljen
^miime Abgeleitet,
Von gröaster Bedeutung endlich sind Begriffsentwicklnngen
die hier versuchten auf dem Gebiete der Religious-
lleschiohte. Als die Überlieferung anhebt, stehen auf den ein-
einen Vülkergebielen grosse Göltergestalten wie Agni, Indra.
iTaniDa oder Apollo, Herues, Athene oder Saturnus, .Tanus, Ceres
Ider Wnofan, Sasuot, Tanfana in grosser Anzahl beinah fix und
rtig Tor uns. und doch müssen sie alle eine vieltausendjährige
»chichle durchgemacht baben, vor der derjenige Forscher,
Pelcber sieh allein auf die geschichtliehe Überlieferung stutzt,
Ich vemweifelt abkehrt. Nur die Fadeu der Sprache fuhren in
jene grauen Zeiten zurück. Freilich hat auch die ir!prachforscbung
hier lange genug geirrt, indem sie in der Mehrzahl jener Götter-
^^^estalten bereits indogermanische Gebilde mit nrindogcrmanischen
^■^amen nacb/.uwei8en botTte. Es ist eine fUr die Keiigions-
^BpBChichte fruchtbare Erkenntnis, dass die Ursprünge jener eiazel-
^^olklichen Götter meist aucli auf dem Boden der Kinzelspraclien zu
suchen und hier nach der „Zelle" ihres Wesens zu forschen sei
Auf diesem Wege enthüllt sieh '.hTilXwv als „der von der Hürde"
HäjtiXXa, nach Robert), 'Egfteiag ist nichts als „der vom Stein-
llknfen'' (^gfta, ebenfalls nach Kobert), lak. Ur}Q^if6vEta, Ferse-
Ifaoneia ist „dieSpeittilterin"^) (T^fJ^o»" • ij wv de;[a/(«>' Öttöc too^/J.
vgl. mein Reallexikon p. 870 f.), Janas ist der TUrgott (so zuletzt
Wiseowa), Volcanua {*volva = scrt. ulkß') „der vom Feuerbrand"
usw. Es steht zu hoffen, dass das tiefe Dunkel, das zur Zeil
nocli über den meisten mythologischen Namen lagert, sieb so,
wenigsicus ledweis, altmählicb lichten wird. Aber auch die Ter-
minologie der allgemeinen religionsgeschicbtiieheu Begriffe wie
Gott und Schicksal, Traum und Tod, Opfer und Gehet usw.
niDsete gesammelt nnd entwicklungsgeschichtlich untersucht werden,
wie ich dies teils in meiut'm Reallexikon, teils in einer grfSsaeren
Abhandlung über Arische Religion in J. Hastings demnächsl
«rscheinenden Dictianari/ of Religion zu tun versucht habe.
)) Bcislimmung bei J. Ho opB VViildbHume u. Kuliurpfian/en |). 360.
IX. Kapitel.
Sprach- und Sachforschung.
Zusammenfassung der Bedenken gegen die einseitige Benutzung der
Sprachwissenschaft zu ur<reschichtlichen Rekonstruktionen. Realien und
Institutionen. Die prähistorische Archäologie. Die „oberirdische* Ur-
geschichte. Kongruenz der Sach- und Sprachentwicklung. Instltutioiien-
vergleich ung. Versuch einer Methodik derselben. Die vergleichende
Völkerkunde.
Die spraebgesehiehtlichen Erörterungen, die uns im bisberigeD
beschäftigt haben, hatten den ausschliesslichen Zweck, etwas Aber
die Geschichte der Sachen zu ermitteln, auf die sie sieh be-
zogen. Wie sollte es möglich sein, bei einem solchen Beginnen,
die Sachen selbst, um die es sich handelt, ausser acht zn lassen?
ViTird der Maler, der das Bildnis eines Menschen zu entwerfen
beabsichtigt, sich auf Photographien beschränken, wenn er des
Menschen selbst habhaft werden kann? In der Tat darf in
unserem realitätenfrohen Zeitalter die Voretellung Früherer, als
ob es möglich sei, die vorgeschichtliche Entwicklung der Völker
unseres Stammes ausschliesslich auf sprachlichen Gleicbangen
aufzubauen, für aufgegeben gelten. Auch haben wir ja genug-
sam gesehen, wie die Sprachwissenschaft, soviel kulturhistorischen
Gewinn wir ihrer besonnenen Benutzung verdanken, doch uns
hei der Entscheidung wichtiger Fragen nicht selten im Stiche
lässt. Zwar haben wir gesehen, dass an der Unterscheidung von
Erb- und Lehnwörtern im Prinzip durchaus festgehalten werden
muss; allein es lässt sich doch nicht leugnen, dass einerseits die
urverwandten Gleichungen nicht immer in dieselbe Epoche vor-
geschichtlicher Entwicklung zurückzuführen und für das ganze
vorgeschichtliche Kulturgebiet gegolten zu haben brauchen, so dass
- 209 —
dem Ausdruck „indogermauisch^ immer etwas dehnbares und
nicht scharf definierbares innewohnen wird; und dass anderer-
seits der Zweifel, ob eine etymologische Entsprechung aaf Ur-
verwandtschaft oder alter Entlehnung beruhe, oft in wichtigen
Fällen nicht beseitigt werden kann.
Auch bleiben wir nicht selten im unklaren darüber, ob eine
in Wurzel- und Suffixsilben identische Wortreihe wirklich auf
ein einheitliches Prototyp zurückgeht, oder ob die Übereinstimmung
nicht durch gleiche Sprachvorgänge erst innerhalb des Lebens
der einzelnen Sprachen erzeugt worden ist. Ist aber nun auch
eine Gleichung derart, dass wir mit Recht das Vorhandensein
irgend eines bestimmten Wortes in der Ursprache folgern zu
können glauben, so erhebt sich aufs neue die Frage, welches
die urzeitliche Bedeutung dieses Wortes gewesen sei, und
gerade hier zeigt sich die Sprachwissenschaft besonders häufig
aosserstande, eine befriedigende Antwort zu geben.
Es wird sich nun zeigen, dass in zahlreichen Fällen die
Vereinigung von Sprach- und Sachforschung zu wesentlich
sichereren Ergebnissen führt, als dies allein mit Hilfe der Sprach-
forschung möglich ist, indem einerseits die Sachforschung bedeut-
same Fehlerquellen der Sprachforschung verschliesst, andererseits
aber diese wieder zahlreiche Mängel, die, wie wir noch sehen
werden, der Sachforschung ihrer Natur nach anhaften, ausgleicht.
Wir wenden uns damit den Altertümern selbst zu, die wir
zur besseren Übersicht in Realien und Institutionen einteilen
wollen. Dabei werden wir unter ^Realien" die meist in natura
ODS bekannt gewordenen Sachen, unter ^Institutionen^' die im
wesentlichen nur durch schriftliehe oder mündliche Überlieferung
uns zugänglichen Bräuche des Rechtes, der Sitte und des
Glaubens verstehen.
Am unmittelbarsten berührt sich hinsichtlich der ersteren
mit der linguistischen Paläontologie diejenige Wissenschaft, die
die Hinterlassenschaft vergangener Zeiten selbst aus dem Erd-
boden hervorholt, die prähistorische Archäologie. Aus
einer Gleichung wie scrt. carü = ir. core, altn. hverr „Topf,
Kessel^ oder scrt. dgva = griech. tjmog, lat. equus „Pferd" oder
griecb. /i^A/vi; = lat. milium, ht.malnos ^Hirse" seh Hess en wir, dass
Töpfe, Pferde und Hirse schon den Indogermaneu bekannt waren.
Der Prähistoriker bietet uns, ohne dass irgend ein Schluss-
Sehrader, Sprach verffleichunfr und Urgeschichte. 3. Aufl. 14
— 210 —
verfahren notwendig wäre, Topfscherbeu, Pferdeknochen und
Hirsekörner längst vergangener Zeiten selbst dar, an denen wir
nun studieren können, wie die ältesten Töpfe hergestellt wurden,
und wie sie aussahen, ob die Pferdeknochen auf das wilde oder
gezähmte Tier hinweisen, zu welcher Hirsengattung die auf-
gefundenen Körner gehören, alles Dinge, über die wir durch die
Sprache so gut wie nichts erfahren. Befindet sich so die Prä-
historie durch diese Unmittelbarkeit ihrer Wahrnehmungen in
einem unleugbaren Vorteil gegenltber der Sprachwissenschaft, so
ist sogleich auf einen erheblichen Mangel derselben hinzuweisen.
Die angeführten Gleichungen, so viel oder so wenig sie aussagen
mögen, berichten doch in jedem Fall etwas über kulturhistorische
Zusammenhänge indogermanischer Völker, der prähistorische
Fund aber steht, in je ältere Zeit er zurückgeht, in um so höherem
Grad zunächst ausserhalb aller ethnologischen Verhältnisse.
Es ist daher seit der ersten Auflage dieses Buches mein
Bestreben darauf gerichtet gewesen, die Ergebnisse der lingui-
stischen und archäologischen Paläontologie in Beziehung zu-
einander zu setzen. Die Prähistoriker unterscheiden in der Ur-
geschichte unseres Erdteils bekanntlich zunächst eine paläo-
lithische Epoche oder ältere Steinzeit, in der der Mensch noch
keinen Ackerbau und keine Viehzucht, keine Tongefässe und
keinen Hüttenbau kannte, sondern als Jäger seinen Unterhalt
suchte, in Höhlen und unter Felsen wohnte und seine Waffen
und Werkzeuge nur aus Stein und lediglich durch Zuschlagen
des Rohmaterials herstellte. Von dieser paläolithischen Zeit
durch eine breite, bis jetzt kaum überbrückbare Kluft (Hiatus)
getrennt, ist die neolithische oder jüngere Steinzeit^). Jetzt
ist der Mensch Ackerbauer und Viehzüchter, er spinnt und webt,
formt Gefässe, baut Hütten. Seine Waffen und Werkzeuge sind
noch vorwiegend aus Stein, den er aber jetzt zu schärfen und
durch Formung zu verschönen versteht. Auch die ersten Sachen
aus reinem, d. h. unvermischtem Kupfer treten in Gestalt von
Beilen, Pfriemen, Dolchen jetzt auf. An diese neolithische Zeit
1) Die Frage, ob die neolithische Kultur Europas sich allmählich
aus der paläolithischen entwickelt hat, oder ob die erstere durch
neue Völkereinwanderungeu unserem Erdteil zugeführt worden ist,
harrt noch der Entscheidung, und ein halbwegs gesichertes Resultat
liegt noch in keiner Weise vor.
- 211 -
«chliessi sieb, allmählich in die historisehen Epochen übergehend,
das Zeitalter der Bronze und das des Eisens au/ beide zugleich
init neuen Haustieren und Kulturpflanzen, mit neuen Waffen
und Werkzeugen. Es kann nun, wie mir scheint, als ein ge-
sichertes Ergebnis der Sprach- und Sach vergleich ung betrachtet
werden, dass diejenige Kultur, die aus den urverwandten indog.
Gleichungen zu uns spricht, in allen wesentlichen Punkten mit
der zweiten der oben genannten prähistorischen Epochen, d. h.
mit der jüngeren Steinzeit, insonderheit mit ihrer letzten durch
den Besitz des Kupfers ausgezeichneten Phase übereinstimmt^).
Ist dies aber richtig, so erhalten wir ein Recht, unsere oft sehr
aUgemeinen und lückenhaften, auf sprachliche Gleichungen ge-
gründeten Erkenntnisse mit Hilfe der Urgeschichte zu verfeinern
und zu ergänzen. Die Gleichung scrt. hamsä = lat. anser, ahd. gann
lehrt uns, dass die Gans den Indogermanen bekannt war, die Ur-
geschichte, dass sie damals noch ein wildes Tier war; die Glei-
chung scrt. äyas = lat. aeSy got. aiz bezeugt die Bekanntschaft
der Indogermanen mit einem Nutzmetall, die Urgeschichte macht
es wahrscheinlich, dass dieses Nutzmetall das Kupfer war usw.
Wenn wir so zu der Ansicht gelangen, dass das, was wir ^indo-
{germanische Urzeit" oder „Zeit der vorhistorischen Zusammen-
hänge der indogermanischen Völker'^ nennen, sich innerhalb der
neolithischen Kulturperiode abgespielt hat, wodurch der weite
Begriff „Indogermanisch" (vgl. oben 174 f.) zugleich eine gewisse
zeitliche Begrenzung erhält, so darf man doch diesen Satz keines-
wegs umkehren und alles, was in Europa neolithisch ist, als
indogermanisch in Anspruch nehmen. Vielleicht gelingt es ein-
mal, innerhalb des weiten Begriffs der jüngeren Steinzeit, an
der Hand sachlicher Kriterien bestimmte ethnische Gruppen der
Altertümer zu unterscheiden und eine derselben den Indogermanen
zuzuweisen. Aber zur Zeit sind wir von diesem Ziel noch weit
entfernt, und nur bei den der Geschichte am nächsten liegenden
Altertümern kann man mit einiger Sicherheit ethnische Grund-
lagen bestimmen und z. B. von slavischen oder keltischen Funden
sprechen. Wie sehr die kühnen Konstruktionen Muchs und
1) Vgl. darüber näheres in meinem Kealiexikon p. XXIII f.
Seine Zustimmung äussert jetzt auch M. Winternltz, Beilage z. Alig.
Z. 1903, Nr. 239 p. 140. Vgl. auch M. Kri2 Beiträge zur Kenntnis der
Ouartärseit Mährens, Steinitz 1903 p. 521 ff.
14*
— 212 —
Eossinnas^) (oben p. 117 ff.) über das znr Zeit erreichbare hinaus-
gehen, braucht daher nicht noch einmal gesagt za werden. Aach
der Gedanke R. Forrers, die Verbreitung der „Hockersitte^^
d. h. der Sitte, die Toten in Hockerstellung zu beerdigen (Ach-
mim-Studien I, Strassburg 1901, p. 52), mit dem Verbreitungs-
gebiet der Indogermanen zu identifizieren, scheint mir noch nicht
ausreichend begründet. Zuerst müsste doch, ehe man zu der-
artigen Versuchen zurückkehrte, das ganze in frühhistorischer
Zeit von Indogermanen besetzte Gebiet archäologisch durchforscht
sein, ehe man sich die Frage vorlegen könnte, was von den auf
diesem zutage getretenen Altertümern etwa als spezieller und
charakteristischer Besitz gerade der Indogermanen in Anspruch
genommen werden könnte. Wie wenig aber ist z. B. zur Zeit
noch von der Urgeschichte des Ostens, besonders Russlands be-
kannt, oder das, was in dieser Beziehung durch russische Forsdier
in russischen Werken niedergelegt ist, in den Besitz der deutschen
Wissenschaft übergegangen ! ^)
Unberührt hiervon bleibt die hohe Bedeutung der Urgeschichte
für das Verständnis und die Entwicklungsgeschichte der Realien,
und es kommt dabei wenig darauf an, ob die Denkmäler, an
denen wir die Vorzeit studieren, immer aus dem Schosse der
Erde selbst entnommen sind; denn es gibt auch eine oberirdische
Urgeschichte, die nicht die Tiefen der Erde, sondern die von
der grossen Heerstrasse der Zivilisation abgelegenen Winkel der
indog. Welt nach Altertümern durchforscht und in der Hütte de»
russischen, galizischen oder serbischen Bauern oft Zustände und
Einrichtungen entdeckt, die von Geschlecht zu Geschlecht bewahrt,
ein treues Bild der Urzeit in der Gegenwart uns enthüllen.
Es ist, wie ich glaube, ein erheblicher Fortschritt der ety-
mologischen Forschung, dass sie mehr und mehr zu der Über-
zeugung gekommen ist, dass die genaue Kenntnis der Realien
unentbehrlich für den Sprachforscher sei. Besonders ist es das
Verdienst R. Meringers in Graz, durch eine Reihe vortrcff-
1) Ganz in unserem Sinne spricht sich jetzt auch Karl Helm
(Hessische Blätter für Volkskunde Bd. III, H. 1, p. 4) über die Arbeiten
der genannten beiden Gelehrten aus. Vgl. auch A. Fick in B. B. 29, 228 ff.
2) Wichtig in dieser Beziehung sind die Referate L. Stiedas
aus der russischen Literatur im Archiv für Anthropologie (passim).
— 213 —
iicher Aufsätze^) auf die Bedentang dieses auch meinem ganzen
Reallexikon zugrunde liegenden Gedankens mit allem Nachdruck
hingewiesen zu haben. Vielleicht ist es erlaubt, aus einem Briefe
des genannten Gelehrten die Mitteilung zu machen, dass er in
Graz den Anfang zur Errichtung eines Museums für Indo-
germanische Altertumskunde gemacht hat.
Einige Beispiele mögen von dieser Kongruenz der sprach-
lichen und sachlichen Entwicklung Zeugnis ablegen.
Wir beginnen mit dem ahd. want ^die Wand^', das zunächst
rein lautlich betrachtet, eine Nominalbildung zu wintan ^winden^
^Wand = „gewundenes") darstellt; aber noch F. Kluge in der
VI. Auflage seines Et. W. bemerkt, dass eine solche Zusammen-
stellung keinen yemttnftigen Sinn ergebe. Das ist nun, wie wir
jetzt wissen, nicht richtig. Wir erkennen jetzt, dass die alt-
hochdeutsche Wortbildung in einer Zeit wurzelt, in der man die
Wände der Häuser lediglich aus Flechtwerk (vgl. got. wandus
„Rute''), das man mit Lehm bewarf, heretellte, so dass die Wand
also wirklich etwas „gewundenes" war. Daher kann man noch
im Angelsächsischen geradezu sagen „eine Wand windan''
(wie lat. texere), und im Russischen heisst der Zimmermann
noch heute plötnUcü von plesti „flechten" , eigentlich „der
Flechter''.
Ein ähnliches sachliches Interesse bieten z. B. die beiden
rassischen Wörter oknö „das Fenster'* und mostaväja „das
Pflaster". Das erstere bedeutet eigentlich „Auge** (vgl. lat.
octdu8)f und dieser Begriff kehrt auch in anderen Bezeichnungen
des Fensters, z. B. im got. auga-daürö wieder. Man meinte nun
früher, dass das Fenster mit einer Art poetischer Metapher als
^Auge" des Hauses bezeichnet worden sei. Meringer zeigt da-
gegen, dass vielmehr sowohl das alte geflochtene wie auch das
ans Blockstämmen gezimmerte Haus ihrer Konstruktion nach
augenförmige Fenster hatten und haben mussten, dass somit got.
{luga-daürö soviel wie „Tür von der Gestalt eines Auges" be-
1) Etymologien zum geflochtenen Haus, Festgabe für Heinzel
p. 173, Die Stellung des Bosnischen Hauses und Etymologien zum
Hausrat, Sitzungsb. d. Kais. Ak. d. W. in Wien, phil.-hist. Kl. CXLIV,
Wien 1901, Wörter und Sachen I. F. XVI, 101 ff., XVII, 100 ff. Doch
möchte ich mich natürlich nicht im einzelnen mit allen von Meringer
vorgetragenen Etymologien einverstanden erklären.
- 214 —
zeichnete, russ. oknö aber von der äusseren Ähnlichkeit des
Fensters mit einem Ange benannt worden ist. Rnss. mostaväja
ist das gewöhnliche Wort für das Strassenpflaster. Ursprünglich
aber bedeutete es „die mit Brettern (russ. mostü „Brücke*',
klruss. pomöst „Diele") überdeckte'^ sc. Strasse. Kann man sieh eine
bessere sprachliche Illustration zu dem denken, was A. Brückner
Die Europäisierung Russlands p. 106 über die Wege des alten
Russland berichtet: „Manche Strassen waren mit Brettern belegt,
der Strassenkot war so arg, wie er in den Dörfern Russlands
zu gewissen Jahreszeiten sich auch jetzt noch vorfindet. In
Moskau half man sich vor ein paar Jahrhimderten wie heute
noch in den Dörfern mit über die Strasse gelegten Brettern**
(vgl. hierzu auch Ewers Ältestes Recht der Russen p. 65 und Meringer
Z. f. d. östr. Gymn. 1903 H. 3 p. 16 Anm. 1 sowie die Nachträge).
Man könnte sagen, dass in Fällen wie den angeführten,
die Sprachwissenschaft im Grunde nur bestätige, was wir auch
auf andere Weise wüssten, und im vorigen Kapitel ist gesagt
worden, dass dies in gewissem Sinne richtig sei. Allein auf der
anderen Seite ist doch zu bedenken, dass die sprachlichen Vo^
gänge, ganz abgesehen davon, dass sie den Vorzug haben, aaf
speziell indogermanische Verhältnisse hinzuweisen, den ihnen za-
grunde liegenden kulturhistorischen Tatsachen oft eine erhöhte
und allgemeinere Bedeutung geben, als sie ihnen sonst innewohnt.
Dass zahlreiche Völker einstmals in unterirdischen Wohnungen
hausten, wissen wir durch Funde und historische Nachrichten,
und von den Germanen berichtet Tacitus Germania Kap. 10
wenigstens soviel, dass sie als Zufluchtsstätte für den Winter
und als Behälter für Früchte subterranei spectis eröffnet hätten.
Wie viel grösser, als aus diesen Worten hervorgeht, muss aber
die Bedeutung dieser Wohnungsart auf germanischem Boden ge-
wesen sein, wenn wir bedenken, dass ein weitverbreitetes alt-
germanisches Wort für Haus "^kufa, *ktiba (altn. kofi „Hütte" etc.),
das sogar der altgermanischen Benennung des Hausgeistes *kuba-
walda (mhd. kobolt) zugrunde liegt, wie nach meinem Vorgang
jetzt allgemein angenommen wird, dem griech. yvjta „die unter-
irdische Wohnung" genau entspricht.
Es hat also keinen erheblichen Zweck, die Frage breit-
zutreten, ob hier mehr die Sprachforschung, dort mehr die
Sachforschung der allgemeinen Aufgabe kulturhistorischer Auf-
- 215 -
klärung besser dient. Beide siud aufeinander angewiesen und
müssen gemeinsam an die Arbeit gehen.
Wir wenden uns nunmehr dem weit schwierigeren Kapitel
der Institutionenvergleichung zu, d. h. der Vergleichung
der Sitten, Gebräuche und Einrichtungen, die wir bei den indog.
Völkern auf dem Gebiete des Rechts, der Gesellschaft, des
Glaubens finden, und fUr deren Kenntnis wir fast ausschliesslich
auf Überlieferung angewiesen sind. Bei der Benutzung dieser
Oberlieferung haben natürlich zunächst die allgemeinen Grund-
sätze historischer Quellenkritik zu gelten. Gleichwohl würde es
nicht unwichtig sein, eine Reihe hierhergehöriger, für die Ur-
geschichte besonders wichtiger Fragen — wie die ^Inwieweit
mnss von den Nachrichten der Griechen und Römer über die
europäischen Nordvölker die zweifellos im Altertum hervor-
tretende Tendenz, die bei jenen Völkern vorgefundenen Zustände
zu idealisieren^), in Abzug gebracht werden?" oder „Welcher
Wert ist bei der Rekonstruktion der Ui*zeit der Sagenwelt,
die vielfach andere kulturhistorische Verhältnisse als die älteste
geschichtliche Zeit voraussetzt, beizumessen?" oder „Inwieweit
darf die Literatur^) eines bestimmten Zeitalters als der Spiegel
seiner Kultur betrachtet werden?" und anderes hier zu erörteni,
wenn dies nicht bei weitem den solchen methodologischen Er-
örterungen hier zustehenden Raum überschreiten und von unserer
eigentlichen Kernfrage zu weit abseits führen würde.
Diese Kernfrage lautet: „Was folgt daraus, wenn wir ein-
und dieselbe Institution bei allen oder mehreren der indog. Völker
wiederkehren sehen?" Auf den ersten Blick bieten sich drei
verschiedene Möglichkeiten einer Erklärung dieser Tatsache dar:
die betreffende Institution kann erstens in die indog. Urzeit
zurückgehen und von den einzelnen indog. Völkern in ihre histo-
rischen Wohnsitze mitgebracht worden sein; sie kann zweitens
später, als die einzelnen indog. Völker schon in ihren historischen
Wohnsitzen sassen, durch Entlehnung von Volk zu Volk ge-
wandert sein, und sie kann drittens selbständig auf den ein-
zelnen Völkergebieten aus einer gewissen gleichen Beanlagung
1) Vgl. A.Riese Die Idealisierung der Naturvölker des Nordens
io der griechischen und römischen Literatur (Frankfurt a. M. 1875).
2) Vgl. Richard M. Meyer Archiv f. Kulturgeschichte, herausg.
von Steinhausen, III. 2. p. 239.
— 216 —
des menschlichen Geistes entstanden sein (vgl. auch oben
p. 122).
Haben wir Mittel, um zu entscheiden, welche von diesen
an sich möglichen drei Erklärungen in jedem einzelnen Falle
anzuwenden ist? Da ist denn zunächst zu sagen, dass wir in der
Erörterung dieser wichtigen Fragen überhaupt noch in den An-
fängen stehen, und dass erst allmählich die Herausbildung gewisser
methodischer Grundsätze zu erhoffen ist. Keinesfalls aber werden
sich jemals derartig feststehende und allgemein giltige Regeln
ermitteln lassen, dass nach ihnen jeder einzelne Fall in gleicher
Weise beurteilt werden könnte. So verwickelt und vieldeutig
sind vielmehr die Verhältnisse, um die es sich hierbei bandelt,
und so sehr wird immer das Einzelne vom Ganzen und das
Ganze wieder vom Einzelnen sein Licht erhalten, dass im Grunde
jeder Fall seine eigene Regel haben wird.
Immerhin möchte ich glauben, dass schon jetzt eine Reihe
wichtiger Gesichtspunkte sich geltend machen lassen. Zunächst
wird nämlich eine Übereinstimmung auf dem Gebiete der Insti-
tutionen dann die Gewähr indog. Herkunft an sich tragen, wenn
zugleich sprachliche Kriterien in ihr enthalten sind, die auf
dieselbe hinweisen. 80 habe ich in meinem Reallexikon a.
Brautkauf den Satz aufgestellt, dass die indog. Ehe auf dem
Kaufe des Weibes beruhe. Diese Behauptung stützt sich anf
folgende Tatsachen: a) sachliche: Die Kauf ehe ist bei allen
indog. Völkern im Beginn ihrer Überlieferung noch nachweisbar,
und erst allmählich tritt an die Stelle des Kaufs eines Mädchens
ihre Ausstattung mit einer Mitgift, b) sprachliche: 1. Zahl-
reiche Wörter für die Mitgift sind aus alten Bezeichnungen des
Kaufpreises hervorgegangen, z. B. griech. l'dvov. 2. Es gibt auf
mehreren Sprachgebieten Ausdrücke für den Kaufpreis, die da-
durch den Eindruck hohen Altertums hervorrufen, dass der
Verbalstamni, zu dem sie gehören, auf dem betreffenden Sprach-
gebiet selbst nicht mehr besteht, z. B. lit. Vrieno : scrt. krtnä'mi =
griech. Tzglauai „ich kaufe". 3. In der von unsern ersten Gramma-
tikern und Etymologen (J. Schmidt, K. Brugmann, F. Kloge
u. a.) aufgestellten Gleichung griech. edvor = ahd. wituma liegt
eine indog. Bezeichnung des Kaufpreises selbst vor.
Gegen diese, wie mir scheint, denmach wohlbegrflndete
Annahme, dass die indog. Ehe auf dem Kaufe des Weibes beruhe,
— 217 —
hat sich iD neuerer Zeit ein jüngerer, wohlauterrichteter Gelehrter,
E. Hermann, in einer besonderen Schrift Zur Geschichte des
Brautkaufs bei den indog. Völkern (Wiss. Beilage zum XXI. Progr.
der Hansa-Schule zu Bergedorf bei Hamburg 1903/04) gewendet,
die in folgenden Sätzen gipfelt: ^Es erhebt sich nunmehr die
Frage, wie alt die Sitte des Brautkaufs bei den indog. Völkern
sein mag. Dass unser Material nicht ausreicht, sie bestimmt zu
beantworten, mag folgende Überlegung zeigen. Nehmen wir
einmal an, die Überlieferungen der verschiedenen indog. Völker
begännen alle erst in der Zeit, in welcher die Kaufehe nicht
mehr üblich war, und die Braut schon eine Mitgift erhielt. Dann
könnte ein Gelehrter in Jahrhunderten etwa folgenden Schluss
ziehen: 'Die Mitgift erscheint bei allen indog. Völkern bereits zu
Beginn ihrer Überlieferung; die Mitgift ist also schon urindog.
gewesen; eine Stütze erhält der Schluss durch den erhaltenen
urindog. Stamm für Mitgift: agls. weotuma [slav. veno]j griech.
^iya.' Diese Schlussfolgeruug wäre, wie wir wissen, verkehrt'*
usw. Er fügt dann auf Grund dieser Überlegung die Mahnung
hinzu, dass ^die indog. Altertumskunde sich hüten müsse, vor-
eilig Schlüsse zu ziehn". Mir scheinen aber vielmehr die Ein-
wendungen des Verf. zu einer anderen Warnung Veranlassung
zu geben. Es dürfte doch einigermassen bedenklich sein^ eine
wissenschaftliche Annahme dadurch zu bekämpfen, dass man sich
die Beweisgründe, auf denen dieselbe beruht, einfach hinweg-
denkt und sich dann ausmalt, welche Fehlschlüsse wir ohne das
Vorhandensein dieser Beweisgründe etwa ziehen würden. Diese
Skepsis scheint mir denn doch noch über diejenige P. Kretschmers
(vgl. oben p. öl), in dessen Bahnen E. Hermann im übrigen
wandelt, hinauszugehen und die Warnung, die in Sybels Histo-
rischer Zeitschrift (Bd. 91, N. F. LV, 83) offenbar mit Rück-
sicht auf den ersteren ausgesprochen wird: „In der übergrossen
Skepsis, die auf diesem, wie auf anderen Forschungsgebieten in
den letzten Dezennien des XIX. Jahrhunderts sich bemerklich
machte, lässt sich ein Nachlassen der wissenschaftlichen Kraft
gegenüber den grossen geistigen Errungenschaften aus der ersten
Hälfte und der Mitte des Jahrhunderts erkennen", für den letzteren
besonders beherzigenswert zu machen.
Glücklicher scheint mir E. Hermann in seinen metho-
dischen Erwägungen der indog. Hochzeitsbräuche (I. F. XVH,
- 218 -
373 ff.) zu sein. In der Tat dürfte noch einige Zeit vergeben^
ehe wir imstande sein werden, ein indog. Hochzeitszeremonieli
zu rekonstruieren, und E. H. hätte nicht verschweigen sollen,
dass das in meinem Reailexikon u. Heirat zusammengestellte
Material lediglich auf eine Reihe von Punkten hinweisen sollte,
„bei denen die Übereinstimnmng innerhalb der indog. Völkerwelt
eine so weitgehende ist, dass sie zu ihrer Erklärung die An-
nahme einer gemeinsamen historischen Grundlage zu fordern
scheint". Über solche Zusammenstellungen des Gleichen oder
Ähnlichen werden wir ja vorläufig in vielen Fällen überhaupt
nicht hinauskommen. Jedenfalls aber sind sie die Vorbedingungen
für alle weiteren Erörterungen, bei aenen, wie gesagt, immer die
Berücksichtigung der sprachliehen Tatsachen eine wichtige Rolle
wird spielen müssen. So wird die Sitte der Brautverhüllung
schon deshalb auf indog. Boden sehr alt sein, weil das lat. nubo
„ich heirate" auf diese in historischer Zeit längst vergessene
Orundbedeutung zurückgeht. Dasselbe gilt von der hochzeitlichen
Zeremonie der II and er greifung, weil nur unter ihrer Herr-
schaft der uralte Übergang des germanischen munt = lat. manwf
von der Bedeutung „Hand" zu der von „Schutz oder Gewalt über
ein Mädchen" sich erklärt. Dasselbe gilt auch von dem Brauche
der Heimführung, da die Ableitungen von der Wurzel vedhy
eigentl. „führen*' in zahlreichen indog. Sprachen übereinstimmend
zur Bezeichnung der gesetzlichen und feierlichen Verheiratung
verwendet werden usw.
Nun werden freilich oft genug solche linguistische Leit-
sterne bei der Vergleichung der Institutionen fehlen, und wir also
bei der Entscheidung für eine der drei oben genannten Möglicb-
keiten auf sachliche Kriterien angewiesen sein. Gerade hier wird
alles von dem grossen Zusammenhang abhängen, in dem sich die
einzelne Erscheinung befindet. Im allgemeinen aber wird man
behaupten dürfen, dass weniger solche Institutionen, die sosu-
sagen, mit Haut und Haar, bei den einzelnen indog. Völkern
übereinstimmen und gerade dadurch den Verdacht späterer Ent-
lehnung wachrufen, den besten Anspruch auf die Zuerkennung
indog. Herkunft haben, als vielmehr solche, die als organisches
Ganze sich nur noch bei den in ihrer kulturhistorischen Ent-
wicklung zurückgebliebenen Völkern, wie Slaven und Litauern,
finden, bei den kulturgeschichtlich fortgeschrittenen hingegen nur
— 219 -
noch in mehr oder weniger zusammenhanglosen Spuren vorhanden
sind^). So hat z. B. E. Roh de in seinem ausgezeichneten Buche
Psyche auf zahlreiche in der griechischen Überlieferung erhaltene
Züge eines uralten Totendienstes hingewiesen, die, so wie sie
uns im klassischen Altertum erhalten sind, zusammenhanglos und
unverständlich erscheinen. Es lässt sich nun unschwer zeigen,
dass diese, zusammen mit verwandten bei Indern, Kömern, Ger-
manen usw. begegnenden Erscheinungen sich in ein zusammen-
hängendes und wohl verständliches System des Totendienstes ein-
fügen, das fast unverändert noch in der Gegenwart auf weiss-
russischem Boden nachweisbar ist (vgl. darüber meine Abhand-
lung über Arische Religion in Hastings Dictionary of Ueligion).
In diesen Zusammenhang gehört ferner eine kleine Arbeit von
mir „Totenhochzeit, ein Vortrag gehalten in der Gesellschaft für
Urgeschichte*' (Jena 1904), in der ich die attische Sitte, auf dem
Grabe der Unverheirateten eine XovigoqoQog aufzustellen, auf
komparativem Wege zu erklären versucht habe. Wie kam man
darauf, auf dem Grabe von Hagestolzen diejenige Art von Wasser-
krügen aufzustellen, in der man sonst am Tage oder Vorabend
der Hochzeit den Neuvermählten das Wasser zum Brautbad
herbeitrug? Die in der genannten Schrift gegebene Antwort
lautet: Es ist der Überrest einer bei den slavischen und, wie
ich jetzt durch Zeugnisse belegen kann, auch bei den ger-
manischen Völkern (vgl. Hessler Hessische Landes- und Volks-
kunde II, 152) nachweisbaren Sitte, an den Gräbern Unver-
heirateter eine förmliche Scheinhochzeit aufzuführen, die ihrerseits
wieder eine noch ältere, bei den heidnischen Russen bezeugte
Gewohnheit verdrängt hat, dem toten Junggesellen ein wirk-
liches Mädchen ins Grab oder auf den Scheiterhaufen mitzugeben.
Wenn nun eine solche Erklärung auch nicht als ununistösslich
sicher gelten kann, namentlich so lange es noch nicht gelungen
1) Über diesen hauptsächlich von V. Hehn (oben p. 35) ver-
tretenen Standpunkt, der von Forschern wie B. Lei st (oben p. 49)
nicht immer eingehalten wird, habe ich ausführlich in der Vorrede zu
meineui Reallexikon p. XXVIl f. gehandelt, worauf ich, un\ Wieder-
holungen zu vermeiden, hiermit verweise. Mit dem, was Hirt I. F.
Anz. XIII p. 8 hiergegen bemerkt, dass nämlich der Standpunkt beider
zu billigen sei, indem der „eine hinauf, der andere hinunter blicke",
ist natürlich wenig anzufangen. Hirt wird hoffentlich nun bald zeigen,
wohin er blickt.
- 220 —
ist, auf griechischem Boden noch weitere Züge einer solchen
Scheinhochzeit nachzuweisen, so glaube ich doch, dass sie die
bei weitem wahrscheinlichste von den bisher abgegebenen ist,
weil sie den Kernpunkt der ganzen Frage: das Braatbad auf
dem Hagestolzengrab, mit einem Schlag erklärt^).
Derartigen Zügen höchsten Altertums gegenüber stellt z. B.
eine andere Hochzeitssitte, die der noch einige Zeit nach der
Hochzeit geübten Enthaltsamkeit vom Beischlaf (Reallexikon p.360},
aus inneren Kriterien wahrscheinlich eine spätere, vielfach wohl
«rst durch das Christentum verbreitete Einrichtung dar, eine An-
nahme, bei der ich mich diesmal in erfreulicher Übereinstimmung
mit E. Hermann (I. F. XVII, 385) befinde.
Ich verzweifle also keineswegs daran, dass es mit der 2ieit
immer mehr gelingen wird, indogermanische Institutionen auch
1) Wenn sich Paul Stengel (Wochenschrift f. klass. PhiL 1906
Nr. 18) durch meine Ausführungen nicht überzeugt fühlt, so ist dies
natürlich sein gutes Recht. Wenn er aber die Sitte der Lutro-
phorenaufstellung" wiederum, wie schon Frühere, aus der im Altertum
bezeugten Gewohnheit, allen Toten am oder im Grabe ein Bad auf-
zustellen, ableitet, einer Gewohnheit übrigens, die auch bei den Litauern
ähnlich wiederkehrt (vgl. Lasicius De diis Samagitarum p. 50: lisdem
feriis mortuos e tumulis ad balnetim et epulas invUant totidemque
sedilia, mantüia, indusia^ qiiot invitati fuerunt^ in tugurio eatn ad rem
praeparato ponunt^ mensam cibo, potu onerant), so finde ich, dass
auch er über die ihm bei seiner Ansicht obliegende Erklärung, waimn
die Lutrophorenaufstellung in Attika auf die Gräber von Unverheirateten
beschränkt worden sei, mit einer ziemlich nichtssagenden Bemerkung
hinweggleitet. — Auch was P. Stengel a. a. 0. über die Opferung der
Polyxene am Grabe des Achilleus, die ich als sagenhaftes Beispiel einer
griechischen Totenhochzeit aufgeführt hatte, sagt, vermag keine Instanx
gegen meine Ausführungen zu bilden. Natürlich wurde F. geopfert, um die
ur/rtg des Achilleus durch die Weihung eines y^^af zu beschwichtigen;
aber dieses yeoag ist und bleibt ein Mädchen, und Achilleus ist ein
Hagestolz. Wenn schliesslich Stengel einen Beweis dafür fordert, dass
„irgendwann und irgendwo auch der hingeschiedenen Jungfrau ein
Jüngling geopfert worden sei, während die Lutrophoros doch ebenso-
gut auf dem Grabe von Mädchen stand*, so ist dies eine Forderung
von etwas ganz undenkbarem, und der Kritiker ist sich dabei nidit
der grundverschiedenen Stellung von Mann und Weib in der Urseit
bewusst gewesen. In milderen Zeiten aber stand natürlich nichts im
Wege, wie bei der germanisch-slavischen Scheinhochzeit, so auch bei
<ler Aufstellung der Lutrophore Jüngling und Jungfrau gleich lu
bedenken.
221
laf rein Bachiichem Wege zu ermitteln. Nur nin^s ainn sielt
dabei vou der seltsame» VorstelluDg frei oiachen, dass eine solche
iDilog. lüHtitulion, ä. h. eine vou den Indogenuanen zur Zeil
vorbistoriacfaer Zusatnmenhänge getroffene Einricbtntig diircbaus
etwas speziell indogertnaniscliee. d. li. etwas ausscblieBslich
•len Indogermatien eigeotUm liebes vorstellen müsse. Am un-
zweideutigsten finde ich diese Anseliaunng von W. Streitberg
im Lit. Zentralblatt 19ü2 Nr. 5U ausgesprochen: „Die Hanpt-
wsfawierigkeit", heisst es hier, „liegt heute für uns darin, dass das
Bild der indog. Kultnr der individuellen ZUge fast ganz beraubt
ist. Denn iuinier klarer nnd sebärfer sehen wir, wie die indog.
Stämme im Bannkreis der vorderasiatisch-ägyptischen Knitnr
stehen, wenn aneh fem von ihren Brennpunkten, nur in der
Peripherie ihrer Machlsphäre. Wäre es uns aber llberhaupt
möglich, diese uralten EiuflUsse zn eliminieren, eo wäre damit
Dicht allzuviel gewonnen; es bliebe eine mehr oder minder grosse
Hause von Zügen nbrig, die einer ganzen Zahl primitiver Vülker
gemeinsau zn sein scheinen, deren Ausgangspunkt and Wanderungs-
babnen wir aber vielleicht niemals ermitteln kOnnen. Es ist
daher im Gründe genommen unrichtig, der Sprach verwand rachaft
za Liebe eine IgoHerung vorzunehmen nnd von einer „iudo-
genDaniHchen" Kultur zu reden, die es streng genommen gar
nicht gibt." In dieser Auseinandersetzung, bei der sich der Verf.
Bcbwerlicb bewusst gewesen ist, dass er mit ihr die eine Hälfte
dee Programms der von ihm selbst mitheransgegebenen Z. für
indogermanische Sprach- und Altertumskunde (v^l. oben
p. 50) binfftllig macheu würde, scheint mir die Grundlinie der
ganzen Frage verrückt zu sein. Was wollen wir eigentlich? Von
dem Begriff der indog. Ursprache (Kap. I) müssen wir, wie in
Kap. II gezeigt ist, auf die Existenz eines indog. Urvolke
Schliessen. Dieses indog. Urvolk muss eine höhere oder niedere
KtiU&r besessen haben. Diese wollen nnd können wir mit Hilfe
der Sprach- ood Sachvergleiebung erschliessen. Inwiefern, frage
icb, kann es uns hierbei sttiren. wenn wir erkennen, dass eine
■ eo als indog. erwiesenen Institutionen und Realien, z. B. das
knpfer, schon in der Urzeit ans vorderastatiscb-ägyptischem
Enltarkreis entlehnt wurde, oder wenn wir wahrnehmen, dass
felbe Knitnrgegenetand oder dieselbe Institution, etwa der Brant-
MDf oder der Abnenkultuä, auch bei anderen Völkern vorkommen?
— 222 -
Wenn wir aus ahd. muniz und agls. mynet ein altgermaniBches
*mun(ta ^Münze'^ erschliessen, das schon vor der AoswandeniDg
der Angelsachsen bestanden haben muss, wird dieser Scbloss
durch die Erkenntnis hinfällig^ dass dieses *munUa selbst erst
aus dem Lateinischen (monita) entlehnt ist? Oder wenn wir aus
den romanischen Sprachen uns ein Bild vom Gesamtwörterschatz
^der römischen Vulgärspracbe mit seinen auf die nächstliegenden
Dinge, Bedürfnisse, Beschäftigungen, Wahrnehmungen sich be-
ziehenden Benennungen machen können^ (Oröber), ist dieses Bild
trügerisch, weil dieselben Dinge, Bedürfnisse, Beschäftigungen,
Wahrnehmungen auch bei anderen Völkern, etwa bei den Griechen,
wiederkehren? Was heisst überhaupt „individueller Zug"? Ist es
kein individueller, d. h. für die Indogermanen charakteristischer
Zug, wenn wir erkennen, dass sie ausser den Seelen der Ver-
storbenen den Himmel und die Elemente verehrten, wenn wir
sehen, dass eine ausgeprägte Vaterfamilie verbunden mit Viel-
weiberei den Grundpfeiler ihrer Familienordnung bildete, wenn
wir wissen, dass ihre Viehzucht Pferd und Kuh, Schaf, Ziege
und Hund, aber noch nicht Katze, Esel und Maultier umschloas
usw.? Liegen denn bei anderen Völkerfamilien, z. B. bei den
Semiten oder Finnen oder Turko-Tataren bereits genügende
Untersuchungen vor, die uns befähigten, der indogermanischen
ein Bild der semitischen, finnischen oder turko-tatarischen ür-
kultur gegenüberzustellen und so uns schon jetzt ein Urteil über
das Individuelle oder nicht Individuelle der indog. Kultur zn
erlauben ?
Allein man sieht ja, worauf dies alles hinausläuft. Die
indog. Altertumskunde, die sich mit breiten Füssen auf den
historisch-kohärenten und darum festen Boden der indog. Völker-
welt stellt, soll aufgegeben werden zugunsten derjenigen blen-
denden und populären Wissenschaft, die von den Steppen Asiens
in die Urwälder Amerikas und von den Urwäldern Amerikas in
die Sandwüsten Afrikas schweift, um, wie man sich ausdrückt
„allgemeine Entwicklungsstufen der Menschheit" zu ermitteln.
Ich will den Wert des auf diese Weise durch die vergleichende
Völkerkunde zusammengebrachten Materials auch für die Be-
urteilung der indog. Altertümer nicht gering schätzen. Wogegen
ich mich sträube, ist, dass man die so erzielten wirklichen oder
vermeintlichen Ergebnisse auch dann auf die indog. Völker über-
- 223 —
trägt, wenn unzweideutige Tatsachen gegen eine solche Über-
tragung sprechen, oder wenn man die indog. Altertumskunde zur
Ejrörterung von Problemen anregen will, die mit ihr durchaus
nichts zu tun haben. Wiederum ist es W. Streitberg, gegen
den ich mich wenden muss. Dieser tadelt es a. a. 0., dass icli
in meinem Reallexikon aus der ethnographischen Literatur nur
Einzelheiten aufgeführt habe, statt den Geist dieser Werke, wie
er sich ausdrückt, auf mich wirken zu lassen. „Ed. Hahns
wertvolles Buch über die Haustiere, seine Skizze über Demeter
und Baubo sind nicht im entferntesten erschöpft. Wäre dies der
Fall, so hätten die wichtigen Artikel über Ackerbau und Vieh-
zucht ein wesentlich anderes Aussehen erhalten. ** Wir sind daher
verpflichtet, uns diese beiden Werke mit Rücksicht .auf den Wert,
den sie für die indog. Altertumskunde haben können, etwas näher
anzusehen. Ein Grundgedanke des erstgenannten Hahnschen
Buches über die Haustiere beruht in dem auf den eben geschil-
derten Pfaden der Vergleichenden Völkerkunde gewonnenen Satz,
dass die älteste Wirtschaftsform des Menschen ein sogenannter
„Hackbau^ gewesen sei, d. h. eine Agrikultur, die nur mit der
Hacke arbeitete und von den Getreidearten nur die Hirse kannte ^).
1) Leider steht es mit der Begründung dieses Satzes durch die
Urgeschichte sehr schlecht. Ed. Hahn beruft sich in Demeter und
ßanbo p. 9 hierfür auf die Schrift Oswald Heers Pflanzen der Pfahl-
bauten (Zürich 1865). Nach Ed. Hahn verdankten wir nämlich 0. Heer
<iie Erkenntnis, «dass eine unserer Getreidearten (die Hirse) bereits vor
der Einführung des Pflugs und vor der allgemeinen Verbreitung des
Rindes als Zugtier von den ältesten Bewohnern der Pfahlbauten auf
Feldern gebaut wurde, die nur mit der Hacke bestellt waren". „Es
handelt sich hier darum, dass die Hirse zu einer Zeit auftaucht, in der
▼OD Rind und Pflug noch nicht die Rede ist. Diese Entdeckung (Heers)
widersprach aber dem Schema und wurde wohl deshalb vernachlässigt.'*
Hierbei sind aber die Angaben Heers durch Ed. Hahn in ganz un-
zulässiger Weise beschnitten und aufgebauscht worden; denn erstens
weiss jeder, was von Heer natürlich auch nicht geleugnet wird, dass
das Hausrind schon in den ältesten Pfahlbauten bekannt war, zweitens
würde genau dasselbe, was Hahn von der Hirse behauptet, auch von
den ebenso früh in den Pfahlbauten nachweisbaren Weizen- und
Gerstearten gelten, und drittens äussert sich Heer über die Frage
der damals gebrauchten Ackerbaugeräte p. 7 nur in folgender äusserst
vorsichtigen Weise: „Über die Werkzeuge, mit welchen das Feld be-
stellt wurde, wissen wir leider wenig .... Den Pflug scheinen
- 224 —
Auf diesen Satz hatte ich, als möglicherweise für die indog. Alter-
tumskunde wichtig, bereits in einer ausführlichen Rezension des
Hahnschen Buches (Zentraibl. f. Anthrop. etc. 1898 p. 26} hin-
gewiesen und habe auch in meinem Reallexikon p. 11 gewisse
sprachliche Tatsachen als vielleicht — mehr kann man keines-
falls sagen — so erklärlich besprochen. Hinsichtlich dieses
Buches ist der Vorwurf Streitbergs also solange ungerechtfertigt,
als er mir nicht nachweist, dass dasselbe noch andere für die
indog. Altertumskunde wichtige und von mir nicht berücksichtigte,
gesicherte Erkenntnisse enthält. Ich komme nun zu „Demeter
und Baubo^, Versuch einer Theorie der Entstehung unseres
Ackerbaues von Ed. Hahn (Lübeck, Selbstverlag des Verfassers,
1896?). „Es. war einmal eine Zeit", so kann man etwa den
Inhalt dieses wunderlichen Büchleins zusammenfassen, „da gab
es nur wilde Rinder mit grossen Hörnern, die die Menschen an
die Homer ihres vielverehrten Mondes erinnerten. Solehe Rinder
opferte man daher dem Monde und fing sie, um sie immer zur
Hand zu haben, ein. So wurden sie allmählich gezähmt. Es
war ferner einmal eine Zeit, da gab es auch noch keine Wagen,
wohl aber Spinnwirtel mit einer Scheibe, die der grossen Matter
der Natur und der Zeugung heilig waren. Zwei oder vier
solcher Spinnwirtel verband man nun durch eine Achse und er-
hielt so zuerst einen ganz kleinen niedlichen Götterwagen, nach
dessen Muster später grosse gebaut wurden, die, von Ochsen ge-
zogen, die Göttin zum Tempel fuhren. So entstand der Wagen.
Es war endlich einmal eine Zeit, da gab es auch noch keinen
Pflug, wohl aber Ochsen und die Hacke, die eine überraschende
Ähnlichkeit mit einem aufgerichteten Phallus hatte. Der Ochse
aber war der heilige Diener der grossen Erdmutter. Diese
wollte man zur Fruchtbarkeit zwingen. Darum spannte man den
Ochsen vor die Hacke. So entstand aus Ochse und Hacke der
Pflug." Nun gebe ich ja zu, dass dies alles im allerhöchsten Grade
geistreich und wahrscheinlich sei. Gewiss, es kann gar nicht anders
gewesen sein. Aber ich möchte doch W. Streitberg fragen,
was dies alles mit der indog. Altertumskunde zu tun hat, die zu
einer Zeit einsetzt, als Hausrind, Wagen und Pflug längst bekannt
sie nicht angewendet zu haben. Der Boden wurde wahrscheinlich
durch scheibenförmige, in der Mitte mit einem Stiel versehene Schaufeln
und durch aus Hirschhorn gefertigte Rarste . . . umgegraben.*
2SB
:;n un»l irnisB es ihm Illierlasseu, „den Geist derartiger Werke
seine A uff asmungsw eise weiter wirken zu lassen''.
Welche Verwirrungen in den Aoacbauungen der Indii-
^nnantslcn das durcli die vergleicbende Völkerknnde an mehreren
Stellen der Erde nachgewiesene Mntterrecht, von dem man
allznscboell annahm, das» es auch bei den Indogermanen ge-
ilten haben müsse, angeriehtet hat, habe ich an dem Beispiel
» in meinem Realiexikon p. XXXIV gezeigt. Wie schwer es
ist, sich von der Wirknng derartiger dnreh die vergleichende
llkerkunde in die Kultnrgesehiehle geworfener Schlagwörter
li XU machen, mögen zum Schluss zwei in methodologischer
isicht sehr lehrreiche Sielten zeigen, die sich in W. Wandte
Ikerpsychologie I *, 2, 536 f. u. 643 finden. Wundt weist
inüchst mit Recht darauf bin, dass der Bedeutungswandel der
örter auf bestimmte geschichtliche Iledingungen zurückgeführt
len könne: „So bernht der Wechsel gewisser Verwandtscbafts-
Leichnungen sichtlich auf Veränderungen in dem Leben nnd
n Rechlsverhältnisseu der Familie, die in eine «ehr frühe Zeit
ackreichen. In dieser Zeit bezeichnet der Schwager nur
Brnder der Frau, der Oheim den Brnder der Mutter {avun-
eulue), im Gegensalz zum Vatersbruder oder Vetter ipiitruua),
der aufSn^lich von den andern Angehörigen der vliterlichcu Sippe
nicht unterschieden wird. Diese Bevorzugung des Muttcrhriiders
cb die Sprache lässt sich aber kaum anders denn als eine
chwirkung des alten Mutterrecbts deuten, auf dessen
iiustige Oeltnng auch für die germanischen Stämme gerade diese
VerwnndlschaFtsnamen hiuweisen. Dem entspricht es, dass jene
fnlerseheidung dahinscliwand, als die Sitte die Venvandten beider
Efaegallen in gleiche Ferne rückte: Schwager nnd Oheim
,rden nun auf die entsprechenden Verwandtschaftsgliedcr beider
iteti ausgedehnt, der Vetter aber ging — darin blieb eine
ichwirkung der früheren Stnfe erhallen — auf entferntere
inlichc Verwandte überhaupt über." An der zweiten Stelle
643) wird über die angebliche Unsicherheit kulturhistorischer
ilDsee aus dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von
'j^rtem (vgl. schon oben p. 1(54) gesprochen. Nnr die Ver-
lodtflcbaftewörler wiesen auf das Bestehen einer gewissen
'amilienorganisalion in der Urzeit hin, „Doch sobald man nun
FOD diesen Namen auf die Organisation der Familie oder auf
Scblkder, Spracht' erbleich uiig und L'rgHCMchie, 3, Aufl. 15
— 226 —
sonstige Sitten zurückgehen will; so versagen die Zeugnisse. So
ist vor allem die charakteristische Stellung des Mutterbruder»,
wie sie bei vielen der westliehen Indogermanen in Sitte und
Überlieferung zweifellos vorhanden war, als kein ursprflnglich
gemeinsamer Besitz nachzuweisen. Da aber andererseits der
Vaterbruder (patrutis) bei den verschiedenen Völkern in seiner
Bedeutung zwischen dem engeren Begriff und dem weiteren
eines männlichen Verwandten überhaupt schwankt, so zerfliesst
auch dieses Bild der urindogermanischen FamilieuorganisatioD
völlig ins unbestimmte.^ Leider sind nun aber die sprachlichen
Tatsachen, auf die sich diese Ausführungen stützen, fast durch-
weg irrig aufgefasst. Es ist nicht richtig, dass Schwager
ursprünglich nur den Bruder der Frau bezeichnet habe. Dieses
übrigens späte Wort war vielmehr von Haus aus eine Kollektiv*
bezeichnnng für Heiratsverwandte jeder Art. In dem heutigen
Gebrauch des Wortes liegt daher keine Erweiterung, sondern
vielmehr eine Einschränkung der ursprünglichen Bedeutung vor
(vgl. meinen Aufsatz Über Bezeichnungen der Heiratsverwandt-
schaft bei den indog. Völkern I. F. XVII, 11 ff.). Es ist ferner
nicht richtig, dass das Wort Vetter ursprünglich alle Angehörigen
der väterlichen Sippe bezeichnet habe. Ahd. fetiro = scrt.
pitfvya, griech. Tidigog, lat. patruus war vielmehr in der Ur-
sprache eine feste Bezeichnung des Vaterbruders, die im Deutschen
erst verhältnismässig spät (vgl. I. F. XVII, 15) die gegenwärtige
Bedeutung angenommen hat. In dieser können daher nicht die
Spuren einer früheren allgemeineren Bedeutung des Wortes er-
halten sein, und die Bedeutungsgeschichte des Wortes Vetter
kann in keiner Weise darauf hindeuten, „dass in die matri-
archalische Ordnung zugleich die ursprüngliche ^Männergesellschaft^
hineinreichte** (p. 537^). Gegenüber dem indog. Ausdruck für
Vaterbruder „lässt sich eine gemeinsame Urform für die Namen
des mütterlichen Oheims nicht erschliessen** (Delbrück Verwandt-
Schaftsnamen p. 123), was aufs beste zu meiner Annahme stimmt,
dass der letztere in der Urzeit, die eben ganz und gar unter
Herrschaft des Vaterrechts stand, noch keine Rolle gespielt habe.
Endlich ist auch der Gebrauch des Wortes Oheim für das alte
fetiro ^ Vaterbruder" (ebenso wie für Neffe) ein ganz später.
So sehr sehen wir also Wundt unter dem Einfluss der durch
die vergleichende Völkerkunde verbreiteten Mutterrechtstheorien
- 227 —
steheD, dass er die klar und deutlich für ein ursprüngliches
Vaterrecht zeugenden, von Delbrück und mir beigebrachten
sprachlichen Tatsachen erst fälschlich umdeutet, und dann wieder
auf Grund dieser fälschlichen Deutungen ungünstige Schlüsse auf
die Beweiskraft sprachlicher Tatsachen zieht.
So muss ich also dabei beharren, dass, wenn wir die histo-
rische Entwicklung einer Institution bei einem der indog. Völker
feststellen wollen, wir zur Vergleichung jedenfalls in erster
Linie die verwandten indog. Völker heranziehen müssen, deren
kulturgeschichtliche Verhältnisse auch den grossen Vorteil bieten,
dass wir sie im Zusammenhang überschauen können, während
die vergleichende Völkerkunde uns dagegen allzuoft mit der
flüchtigen Notiz eines Reisenden oder Missionars abspeist, die im
Zusammenhang betrachtet mit dem übrigen Leben des betreffenden
Volkes, vielleicht ein ganz anderes Aussehen haben würde.
Wie ich mir dieses Verfahren in praxi denke, habe ich in
meiner Schrift Die Schwiegermutter und der Hagestolz, eine
Studie aus der Geschichte unserer Familie^) (Braunschweig 1904)
za zeigen versucht, die wesentlich in der Absicht geschrieben
wurde, an einem Beispiel darzutun, innerhalb welcher Grenzen
die Indog. Altertumskunde von der ethnologischen Forschung
Gebrauch machen kann und soll.
1) Vgl. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1905 H. 1 (F. Hart-
mann), Archiv f. Kulturgeschichte III, 2 (R.M.Meyer), Wochenschr.
för klass. Philol. 1904 Nr. 51 (F. Härder), Globus LXXXVII Nr. 16
(Karl Rhamm), Hessische Blätter für Volkskunde IV, 1 (0. Lauffer),
Peutsche Litz. 1905 No. 1 (H. Michel).
15*
X. Kapitel.
Die indogermanische Altertumskunde.
Die indog. Altertumskunde und die indog. Sprachwissenschaft Beide
sollen in erster Linie die historischen Tatsachen erklären. Der Wert
der Rekonstruktion vorhistorischer Kulturzustände für die indog.
Altertumskunde.
Die liuguistiscbe Paläontologie als selbständiger Wissenszweig
ist tot; aber der Tocbter, der sie da« Leben gegeben hat, ist,
wenn nicbt alles trügt, ein längeres und fruchtbareres Dasein
bescbieden. Wenn wir hier noch einmal die Bedeutung dieser
jungen Wissenschaft der indog. Altertumskunde ins Auge fassen,
so kann dies am besten im vergleichenden Hinblick auf die indog.
Sprachwissenschaft geschehen, in Zusammenhang mit deren
Fragen und Aufgaben sie sich, wie in der ersten Abhandlung
dieses Werkes gezeigt ist, allmählich aus einer blossen Appendix
der Sprachvergleichung zu einem Wissenszweig mit selbständigen
Zielen und Wegen entwickelt hat.
Als man damit anfing, das Griechische und Lateinische mit
(1cm Sanskrit, ja mit den Sprachen „bari)ari8cher" Völker wie
der Germanen und Slaven zu vergleichen, waren diese neuen
Bestrebungen, wie natürlich, mancherlei Angriffen und Ver-
spottungen ausgesetzt. Sanscritice halhutiunty latine n^ciuntf
sagte einer der Wortführer dieser Opposition und wollte damit
sagen, dass es nicht gut sei, den festen Boden der grammatischen
IJberlieferung der klassischen Sprachen zum besten, wie es schien,
unfruchtbarer und haltloser Vergleichungeu mit weltfernen oder
barbarischen Idiomen zu verlassen. Derartige Anschauungen sind
gegenwärtig verstummt oder wagen sich wenigstens nicht mehr
229
AD datt Lidit lies Tages. Man hat erkannt, dass diir letzten und
wichti^teo Fragen, die die griechieche oder lateinische Gram-
lalik aufgihl, mir durch Vergleichnng mit den verwandten
i^)rachen beantwortet, und daes nur auf diesem Wege allgemeine
letze sprachliclieu Wesens und Werdens erkannt werden können.
Dasselbe ist der Fall binsicbtlicli der indog. Altertnms-
kuude. Zu welcbem der indog. Völker und auf welches Gebiet
ihrer Kultur wir uns immer wenden mögen, Überall finden wir
«cbon am Anfang ihrer Geschichte eine Fülle von Einriehtnngen
id Gebräufhen, die auf eine Jahrtausendalte Vergangenheit hiu-
EU, und die, von der einheimischen t'T)crliefernng nicht oder
halb verstanden, nur durch die Vergleichung mit den Zn-
inden der verwandten Völker in den richtigen Zusammenhang
in die richtige Beleuchtung gerückt werden können. Nur
diesem Wege kennen, wie dort sprachliche, so hier kultiir-
gescliicbtliche Entwicklungsreihen erkannt werden.
£b ergibt sich hieraus, dass es hier wie dort die Erklärung
.der historischen Tatsachen, und nicht die Rekonstruierung eines
■Abistortschen Sprach- oder Kulturzustandes ist, anf die die Be-
ibnngen der beiden Wissenschaften in erster Linie gerichtet
&ind. Diese Auffassung leitete micli bei der Anlage meines
I •' eal lex i kons, und ihr habe ich in der Vorrede zu diesem Werk
(1. XXXVI den folgenden Ausdruck gegeben:
„Doch soll bemerkt werden, dass die Rekonstruktion vor-
geschiehllicher Zustände, die bei dem dehnbaren Charakter von
.XnadrQcken wie ürvolk, Urzeit, Ursprache immer etwas fiktives
hohalten wird, in dem vorliegenden Werk weniger Selbstzweck
.ils Hilfsmittel zur Erklärung der geschichtlichen Ver-
hältnisse sein soll, von deueu es ansgeht. Wie auf dem Gebiete
Grammatik die Erschliessung der indog. Ursprache nicht
dienen soll, indog. Fabeln oder Zaubersprüche in ihrer
idog. Hpracliform /.u ermitteln, sondern das Verständnis der
hicbtlich llherlielerten Sprach formen zu ermöglichen, so er-
:t auch die Indogermanische Altertumskunde ihren eigentlichen
icht dadurch, dass sie die Gesittung eines im
Asiens oder Europas gedachten Urvolks er-
bliesst, sondern dadurch, dass sie die Basis bildet,
f der das Verständnis der historischen Kultaren der
dog. Eiiizelvülker möglich wird." Ich freue mich daher,
^der
m/täh
Ktrel
— 230 -
dass die Kritik diesen Grundgedanken meines Werkes im all-
gemeinen richtig erkannt nnd gebilligt hat, z. B. M. Winternitz
(a. 0. p. 52 a. 0. p. 194), der sieh folgendermassen darüber
äussert: ,Jn diesem Werke hat Schrader allen Zweifeln und Be-
denken gegenüber den Ergebnissen der indog. Altertumskunde
dadurch die Spitze abgebrochen, dass er sich damit bescheidet,
die einzelnen Kulturerscheinungen auf ihre frühsten Wn^
zeln zurückzuführen, ohne ein zusammenhängendes Bild der Kultur
der ^Urzeit" zu entrollen. Gerade die bescheidene Form eines
Reallexikons eignete sich am besten zur Darstellung unseres
noch so vielfach der Ergänzung und des Ausbaues bedürfenden
Wissens von der Entwicklung der indog. Kultur.^ unklar ist es
mir daher, mit welchem Recht E. Hermann in seiner schon im
vorigen Kap. genannten Schrift Zur Geschichte des Brautkaufs
es als mein Hauptziel bezeichnen kann, „Bilder urindogermanischen
Lebens zu entrollen."
In der Tat liegt in dem Bestreben, die Wurzeln einer
gegebenen kulturhistorischen Tatsache aufzudecken, gleich-
viel ob dieselben mehr oder weniger tief in den Erd-
boden eingreifen, mehr oder weniger verzweigt sind, die
eigentliche Aufgabe der indog. Altertumskunde. Die Analogie
mit der indog. Sprachwissenschaft ist hier eine vollkommene.
Das griechische Augment kehrt bekanntlich nur im Altindischen
und im Armenischen wieder, und doch kann dieser umstand den
vergleichenden Grammatiker in keiner Weise verhindern, die
Eigenart dieser Bildung an den Erscheinungen der genannten drei
Sprachen 'zu studieren. Ebenso ist es auf dem Gebiet der indog.
Altertumskunde. Die Verbindung des indog. Wortes für Himmel
mit dem indog. Wort für Vater kommt in einer den Verdacht
späterer Znsamnienrückung ausschliessenden Weise gleichwohl
nur im Sanskrit, Griechischen und Lateinischen {Dyäus pUdy
Zeifg TTnrrJQ, Juppiter) vor. Für das Verständnis dieser drei
Göttergestalten bei den betreffenden Einzelvölkem ist dieser Um-
stand ohne durchschlagende Bedeutung. In einem bekannten Vers des
Rigveda wird gesagt, dass Ushas (die Morgenröte) den Menschen
ihren Busen entblösst, gleichwie ein Mädchen, dem der Bruder
fehlt, dem Manne dreister sich ergibt", und in einem Vers der
Ilias (XVI II, 85) ist von einem „Hineinwerfen" {ißißaleTv) des
Mädchens in das Bett des Mannes bei der Hochzeit die Rede.
- 231 -
Beide Äosserangen sind aaf dem Boden, auf dem sie uns begeg-
nen, nnverständlicb. Erst die indog. Altertumskunde rückt sie in
den rechten Znsammenhang. Sie weist nach, dass die Auffassung
defl Bruders als des Tugend- und Eenschheitswächters der Schwester
noch bei den heutigen Weissrussen so stark ausgebildet ist, dass,
wenn am Morgen nach der Hochzeit die junge Frau nicht ihr
blutbeflecktes Hemd aufweisen kann, ihrem Bruder zur Strafe
•dafür ein Halfter um den Hals gelegt wird, in dem er sich an
den Tisch setzen mnss^). Sie zeigt femer, dass es sich bei dem
homerischen Vers zweifellos um eine uralte, in Litauen und in
Deutschland wohl bezeugte Hochzeitssitte handelt, der zufolge
•die Braut in der Hochzeitsnacht mit wirklicher oder scheinbarer
Oewalt dem Manne zugeführt wird*). Selbstverständlich wird
Bich der Forscher bemühen, die hier in Frage stehenden An-
schauungen und Gebräuche in möglichst weiter Ausdehnung auf
indog. Boden nachzuweisen; aber fUr das richtige Verständnis
der indischen und griechischen Stelle wird schon das bis jetzt
•darbietbare ausreichend sein.
Gleichwohl soll nicht geleugnet werden, dass die Rekon-
struktion auf dem Gebiet der indog. Altertumskunde eine andere
Rolle spielt als auf dem der indog. Sprachwissenschaft; doch
ist hinzuzufügen, dass sie diese andere Rolle nicht nur spielen
darf, sondern auch spielen muss. Es sind zweifellos verschieden-
iirtige Unternehmungen, ein indog. Paradigma und den Kultur-
^nstand eines Volkes zu erschliessen. Der Unterschied liegt in
dem verschiedenen Anteil, den an diesem beiderseitigen Beginnen
die ergänzende und zusammenfassende, die kombinierende —
Phantasie des Forschers hat. Im Gegensatz zu den frühereu
ist dem heutigen Sprachforscher (vgl. Delbrück Einleitung ^ p. 1 25)
die Urform, die er aufstellt, nichts als das ,,reine Produkt seiner
Vergleichung** und die Zusammenrückung solcher Urformen zu
1) Vgl. §ejn im Sbornik der Abt. für russische Sprache und
Literatur d. Kais. A. d. W. LI No. 3 p 179 f.
2) Vgl. meine Schrift Totenhochzeit p. 29, 38; dazu F. Friese His-
torische Nachricht von den merkwürdigen Ceremonieu der Alten-
bnrji^schen Bauern 1703 (1887) p. 14: »Was ist des Braut-Dieners Ver-
richtung? Nachdem er nebst etlichen Anverwandten und Gästen di(^
Braut zu Bette geführet, ziehet er ihr in der Kammer den Stiefel oder
Schuh aus, pfleget auch die Zöppe auszuflechten, endlich wirft er
-die Braut annoch angekleidet in das Braut-Bette.^
— 232 -
einem Paradigma eine rein äasserliche und fast mechanische
Arbeit, bei der eine Tätigkeit seiner Phantasie den Forscher
eher stören als fördern könnte. Kein Geschichtsschreiber aber —
er mag nun die Menschen und Zustände des XIX. Jahrhunderts^
nach Christo oder des IV. Jahrtausends vor Christo schildern —
kann derjenigen Kraft seines Geistes entbehren, die die einzelnen
Tatsachen, die seine Quellen darbieten, zu grossen, in letzter
Instanz nur durch eine gewisse Intuition erfassbaren und akten-
massig nicht belegbaren Zusammenhängen vereinigt — der
Phantasie, natürlich einer mit dem Tatsächlichen durchtränkten:
und durch dieses geläuterten und geklärten Phantasie. In diesem
Sinne wird und muss auch der indog. Altertumsforscher es immer
aufs neue versuchen, Rekonstruktionen der vorhistorischen Ver-
hältnisse vorzunehmen, Rekonstruktionen, die nach 50 Jahrei»
auf Grund neuer Quellen und Überlegungen vielleicht andere als^
heute sein werden, zu denen aber der menschliche Trieb nach
Erkenntnissen und Erkenntnis immer aufs neue drängen wird.
Es mag ja sein, dass es Forscher gibt, die ein solches Bedflrfni»
niemals empfinden und sich auf ewig mit den Einzelheiten be-
gnügen. Dann haben sie wohl die Teile in ihrer Hand: „Fehlt
leider nur das geistige Band^!
Autorenverzeichnis
zu Abhandlung I und II.
J. Chr. 8-6. 9, 101.
81.
205.
0. 121.
a 125.
-Dtiperron 9.
109.
1.
ter A. 80, 205.
mae 46, 48, 76, 182, 184.
m £. 80.
rh. 6, 7, 16, 30. 42-45, 46,
95, 111, 179, 187.
r E. 46.
; F. 49.
i 108.
erger A. 46, 48, 114.
Eipp G. 121.
k 0. 27, 185.
7, 8, 20, 21, 147, 181.
P. V. 48, 75, 187.
'. 83.
W. 69.
. 90.
O. 129.
)8.
r A. 52, 84, 197.
,r A. 151, 214.
an K. 48, 50, 74, 75, 134,
88, 140, 141, 147, 168, 171,
31, 216.
J. W. 127, 128.
ifer H. 95.
z E. 162.
itsch A. (8. Nachtr.).
G. 140.
s A. de 28.
5ke H. Th. 15.
d J. 14.
G. 41, 97, 98.
E. 62.
G. 40, 46, 71, 79.
A. 9, 88.
k B. 48, 76, 143, 187, 202,
27, 281.
\\ F. 103.
J. 148.
Diefenbach L. 79.
Diez 84.
Donner 125.
Duncker M. 62.
Ebel H. 60, 61, 68, 81, 82, 81.
Ecker A. 110.
Eichhoff F. G. 15.
Engler A. 34.
Ermann 79.
F.rne8ti 77.
Ewers 214.
Fick A. 30, 33, 41, 46, 47, 59, 62,
63, 71, 73, 92, 99, 185, 187, 212
(vgl. auch die Nachträge).
Fischer v. 109.
Förstemann E. 30, 62, 63.
Förster M. 51.
Forrer R. 212.
Franz W. 82.
Friese F. 231.
Geiger L. 93-95, 117, 205.
Geiger W. 48, 62, 89, 150, 187.
Gerland G. 41.
G6ry R. 114.
Gesenius 77.
Gheyn J. van den 96, 114, 116, 129.
Goetze A. 121—123.
Grassmann H. 59.
Grimm J. 13, 18—20. 50, 200.
Grisebach A. 161.
Gröber 222.
Gruppe 0. 189.
Güterbock 84.
Hahn Ed. 223, 224.
Härder F. 227.
Harlez de 109.
Hartmann F. 227.
Hassencamp R. 6J.
Haug M. 89.
Havet 71.
Heer 0. 228, 224.
Heeren 9.
Hehn V. 84-40, 44, 47, 48, 50, 51,
99—101, 154, 188, 219.
Heibig W. 42, 43.
Helm K. 129, 155, 212 (s. d. Nachtr.),
Henry V. 52.
— 284 -
Herder 9. •
Hermann E. 217, 218, 220, 280.
Hessler 219
Hirt H. 49,' 52, 75, 121, 126, 162,
164, 165, 175, 195, 219, 225.
Höfer A. 15, 99.
Hörnes M. 128.
Hoffmann 0. 52.
Holder 84.
Hommel F. 78, 104, 105, 114.
Hoops J. 129, 207. (s. d. Nachträge).
Hörn P. 76.
Hübschmann H. 46, 72, 73, 76, 77.
Huxley 128
JsLgi6 V. 152.
Ihering R. v. 50.
.Jolly J. 71, 92.
Jones W. 7, 8.
Jubainville (s. d. Nachträge).
Justi F. 28, 29, 33, 59, 76, 88, 114,
185.
Kennedy V. 22.
Kiepert H. 62, 86, 89, 90, 101, 102,
Kirchhoff A. 114.
Klaproth J. v. 7, 11—13.
Kluge F. 46, 68, 82, 84, 213, 216.
Kneisel B. 62.
Koppen Fr. Th. 125-127.
Körting G. 84.
Kossinna G. 51, 117-124, 212.
Kotljarevskij A. A. 63.
Krause E. 117, 206.
Krek G. 25, 68.
Kremer A. v. 103.
Kretschmer P. 51, 75, 116, 128,
134-136, 145, 152, 154, 156, 165,
169-171, 175. 176, 191—195, 217,
(vgl. d. Nachtr.).
Kri2 M. 211.
Kruger J. 114.
Kuhn A. 16—24, 28, 31, 33, 50, 177,
183.
Lagarde P. de 77, 197.
Lapouge de 114.
Lassen Ch. 12, 13, 25, 28, 89, 90.
Latham R. G. 90, 91.
Lauffer O. 227.
Leibniz 3, 4, 6.
Leist B. W. 49, 189, 190, 219.
Lenormaut 28, 77, 96.
Leo H. 21.
Leskien A. 73, 74, 91.
Lewv H. 78.
Lhuvd E. 14.
Lindenschmit 111.
Link H. F. 9, 15.
Löiier v. 117.
Lottner C. 54, 58, 62, 81.
Lubbock J. 186, 188.
Mackel E. 84.
Mainow 109.
Manatt 168.
Meringer R. 48, 51, 75, 129, 14^
212-214.
Mever E. 129.
Meyer G. 46, 48, 72, 80.
Meyer L. 71.
Meyer R. M. 52, 215, 227
Michaelis C. 121.
Michalo Lituanus 6.
Michel H. 227.
Michelis £. de 129.
Miklosich F. 46, 68, 82, 88.
Misteli F. 30, 32, 88.
Mommsen Th. 22, 62, 79.
Much M. 49, 117—121, 211.
Much R. 51, 76, 81.
Müllenhoff K. 61.
Müller A. 78, 198.
Müller F. 62, 77, 94, 108, 146, 16^
Müller M. 30, 33, 57, 58, 68, 88, 90-
116, 185.
Muir J. 88.
Muss-Arnolt W. 78.
iNieizsche F. 204.
Nyström A. 116.
Omalius d'Hallov de 107, 117.
O'Reillv 27.
Osthoff H. 184, 201, 203, 204 (vfjl
d. Nachtr.).
Parrv D. 14.
Pauf 143.
Pauli F. C. 30, 59, 99.
Paulinus a 8. Bartholomaeo 5.
Penka K. 75, 108, 112—114, 118,
121, ln3.
Pictet A. 24—28, 38, 50, 68, 86-
88, 94, 179.
Pifetrement C. A. 108.
Pösche Th. 109, 110, 112.
Pogatscher A. 82.
Pole 205.
Pott F. A. 11, 12, 15, 16, 80, 4^
101.
Prellwitz VV. 46.
Pruner-Bov 108.
Rask R. K. 14.
Ratzel F. LJl, 128, 155.
Räumer R. v. 82.
Rcinach S. 85, 108, 127.
Remusat A. 13.
Renan E. 77.
Rendali 114.
Rhamm K. 227.
Rhode J. G. 9, 10, 90.
Rhvs 127, 128.
- 235 -
Kiese A. 215.
Ritter K. 13.
Robert 207.
Rohde £. 219.
Roth 27.
Rougemont F. y. 28.
Sa&lfeld A. 80.
Sayce A. H. 114, 161, 186.
tcherer W. 61.
eJQ 231.
Schildberger J. 3.
Schlegel A. W. v. 10, 11, 15, 28—
90.
Schlegel F. v. 8.
Schleicher A. 32, 37, 51, 53-55, 56,
57, 59, 61, 68, 88, 133, 147.
Schmidt J. 63-68, 71—74, 105—
107, 114, 168—171, 216.
Schrader E. 103.
Schrader 0. 34, 47, 48, 51, 52, 81,
124, 219, 226, 227.
Schuchardt H. 68.
Schultz W. 206.
Schurtz H. 121.
Seiler F. 82, V^^.
Sergi G. 116.
Seybold Chr. 84.
Sievers E. 144.
Sobolevskij 142, 152.
Sograf 148.
Sonne W. 60, 68, SS.
Spiegel F. v. 60, 62, 68, 90, 95 97.
Sprenger 103.
Stengel P. 220.
Stieda 126, 212.
Stokes W. 27, 46, 84, 137.
Stolz F. 48, 52.
Streitberg W. 48, 50, 52, 126, 221.
223, 224.
! Stuart Glennie 129.
Sweet H. I26.
Symons B. 51, 129, 176, 187, 195.
Taylor C. J. 125.
Thurneysen R. 84.
Tilak Bäl Gangädhai 109.
Tomaschek W. 41, 48, 112, 124,
125.
Tsountas 163.
ühlenbeck C. C. 46, 83, 126.
Ujfalvy Ch. de 115, 116.
Usener H. 31.
Vämb6ry H. 83, 141, 205.
Vater J. S. 3, 14.
Veckenstedt E. 206.
Virchow R. 111, 154.
Vodskov H. 8. 51.
Wackernagei W. 82.
Walde A. 46, 162.
Warren W. F. 109.
Weber A. 12, 27, 28.
Weise 0. 79, 80, 199, 205.
Westphal R. 31.
Whitney W. D. 30, 57, 71, 91, 99.
Wiedemann A. 79.
Wilamowitz 163.
Williams M. 96.
Wilser L. 114.
Wilson 27.
Windisch 27, 197.
Winternitz M. 52, 121, 123, 211, 230.
Wissowa 207.
Wocel J. E. 63.
' Wundt W. 51. 142, 144, 164, 186,
191-194, 201, 202, 206, 225-227.
Zeuss K. 20, 60.
Zimmer H. 12, 61, 89, 149, 150, 186,
188.
Zupitza E. 51.
Nachträge und Berichtigungen.
p. 63. Füge hinzu A. Budilo witsch Die Sprache, Lebensweise
und Vorstellungen der alten Slaven auf Grund lexikalischer Tatsachen
(russ.) I, 1 und 2. Petersburg 1878—79 (vgl. Archiv f. Anthrop. XII, 396).
p. 81. Füge hinzu Arbois de Jubainville De la civilisation
commune aux Celtes et aux Germains, Revue arcMoL 3 sör. XVII, 191.
p. 117. Z. 12 V. u. lies L. Geiger.
p. 121 Anm. Als Kritiker M. Muchs ist jetzt noch A. Fick za
nennen, der in einer ausführlichen Besprechung (B. B. XXIX, 225 ff.)
ebenfalls Muchs Ansicht ablehnt. Er selbst nimmt jetzt als Urheimat
der Indogermanen „eine Zone von wechselnder Breite zwischen dem
Rhein und dem Hindukusch^ an. Über seine Ausführungen wird sich,
ebenso wie über die p. 129 nachgetragenen Schriften von K. Helm
und J. Hoops, näheres zu berichten im Schlusskapitel des II. Tdles
dieses Werkes (Urheimat der Indogermanen) passende Gelegenheit bieten.
p. 126 Z. 4 V. u. lies 1893.
p. 214. Vgl. in „Bylinen und historische Lieder des Gouverne-
ments Archangel**, gesammelt von A. D. Grigorievü I (Moskau 1904),
54 die Schilderung des Dorfes Kolezma: „Die Lage ist niedrig und
sumpfig. Um daher auf der Strasse gehen zu können, hat man auf
ihr ein ziemlich breites hölzernes Trottoir errichtet, das mostki (vgl*
mostü „Brücke**) heisst. Von diesem gemeinsamen Fusssteig führen
besondere mostki nach jeder Bauernhütte** usw.
p. 218. Die hier zugrunde gelegten Deutungen des lat nvöo
und des ahd. munt scheinen mir viel wahrscheinlicher als die voi^
Kretschmer (Aus der Anomia 27) vorgeschlagene Erklärung de«
ersteren Wortes aus altsl. snublti „lieben** (man bedenke auch, das*
nubo nur von der Frau gilt und mit dem Dativ verbunden wird: »sie?**
für Jemand verhüllen**) und die von Osthoff (vgl Heidelb. Tagebla C t
vom 28, 1. 1901) versuchte Trennung des ahd. murU „Schutz* vo**
munt „Hand**.
Carl Georgi, Universltäts-Buchdruckerei in Bonn
III.
DAS AUFTRETEN DER] METALLE,
BESONDERS
EI DEN INDOGERMANISCHEN VÖLKERN
Quod superest, aes atque aunim ferrique repcrtum est
Et simul argenti pondus plumbique potestas.
Scbrader, Sprachvergleichung und Urgeschichte II. 8. Aufl.
I. Kapitel.
Einleitung.
Wenn die Geschichte der menBchlichen Kulturentwickiung
it unpassend einem gewaltigen Strome verglichen werden
n, der aus vielen, zum Teil unentdeckten Quellen entspringend
1 Ozean znfiiesst, so haben für den Kulturforscher diejenigen
ilen dieses Stromlaufcs ein besonderes Interesse, wo ein breiter
»eofluss dem Mutterstrome sich verbindet, so dass dieser nun
erhöhtem Wogenschwall dahinflutet.
Zu jenen grossen Wendepunkten der Kulturgeschichte darf
Bekanntwerden der Menschheit mit den Metallen mit Fug
äblt werden. Denn in so mannigfaltiger Weise durchdringen
geheimnisvollen Schätze der Tiefe, nachdem sie einmal gehoben
1, Leben und Treiben des Menschen, dass unter ihrem Einfluss
Qftblich eine neue Generation, ein anderes Zeitalter hervor-
rachsen scheint. Es bedurfte daher nach der Anschauung der
;n Naturphilosophen eines ausserordentlichen Ereignisses, um
metallenen Eingeweide der Erde an das Licht des Tages zu
tren. Ein ungeheuerer Brand hatte nach Lucrez De verum
ur€i V, 12Ö0 ff. einstmals weite auf metallischem Grund
lende Wälder erfasst:
Quidquid id tat, quaquomque ex causa flammeutf ardor
Horribili tfonitti süvas exederat aUis
Ah radicibtis, et terram percoxerat igni;
Manäbat venis ferveiitibus, in loca terrae
Cancava conveniens, argenti rivus et auri,
Aerüt item et plitmhi.
In gleicher Weise hatten sich nach Poseidonius bei Strabo
147 die Reichtümer Spaniens an Gold und Silber verraten^;.
1) Ov yäo djitoTsTv r<j5 iiv&fo (ftjoiv ort zatv doruCjy Jioze s/iJigtjodh'TCor
j taxeioaf äxF. aoyvgtitg xal /ovomg, elg r/yv ijiiq^dvftav i^e^eas Sta to jräv
xai :tavTa ßotn'or vÄrjv etvai voftiofiaTog V7i6 rtrag dqr^ovov xv^rj^ oeaoy-
1*
— 4 —
In der finniscben Sage (Ealevala IX) war das aus den yoUeQ
Brüsten dreier von Ukko geschaffenen Jungft^uen auf die Erde
geträufelte Eisen vor seinem rasenden Bruder, dem Feuer, ge-
flohen und hatte
In den schwankungsreichen Sümpfen In den sprudelreichen Quellen
Auf der Sümpfe breitem Rücken An des jähen Berges Abhung
Zuflucht gesucht, bis es von „dem ew*gen SchmiedekUnstler^
Ilmarinen entdeckt und in die Schmiede getragen ward u.8.w.
Versuchen wir die wichtigsten Seiten ins Auge zu fassen^
nach denen die Metalle das Kulturleben der Menschheit umgestaltet
haben, so ist es fürwahr ein hartes Stück Arbeit gewesen, das
auf dem Boden unserer europäischen Heimat des Menschen harrte,
ehe er Raum schaffte für sich und die Seinen. Dichter Urwald,
dessen Anfang oder Ende erreicht zu haben keiner der Insassen
sich rühmen kann, bedeckt das Innere. Die deutschen Orts-
namen, in denen kein Begriff mit solcher Mannigfaltigkeit wie
„Wald*' und „Busch** wiederkehrt, sind ein treuer Spiegel des
einstigen Waldüberflusses, üngebändigt brausen durch den Ur-
wald die Ströme einher, bald zu wütenden Schnellen sieh ver-
engend, bald in breite Moräste sieh verlaufend. Aut Mvis hör*
rlda aut paludibus foeda, das ist die Schilderung Alt-Germaniens
aus des Römers Feder. Auch die Gestade des Mittelmeers um-
schliesst in der Urzeit noch nicht der immergrüne Gürtel, der
heute dem Süden sein eigenartiges Gepräge aufdiUckt. Ernster
Eichenwald und düstere Fichten verhüllen noch die klassischen
Stätten, und nur „der sanfte Hauch, der vom blauen Himmel
weht", verkündet sonnigere Zeiten.
Wie die Pflanzenwelt ist auch die Tierwelt wilder und
bedrohlicher. Zwar sind die alten Rieseneinwohner Europas, das
Mammut und Rhinozeros, längst verschwunden, auch das Renn-
tier hat sich frühzeitig nach dem Norden zurückgezogen; aber
noch streifen, zum mindesten bis in die Alpentäler, der ür, das
Wiesent, der Elch. Eber, Wölfe und Bären sind im Überfluss
vorhanden; zwischen Karpathen und Balkan muss sogar der
Löwe seine gefährlichen Streifzüge unternommen haben. Langsam
an den Wasseradern der Flüsse und von den Gestaden der Meere
aus dringt der Mensch und mit ihm die Zivilisation nach dem
Innerp vor. Aber wie anders wird der harte Kampf ums Dasein
jt der eliernen oder eisernen Axt get'llhrt als mit der iiiibcholfeiien
teinwaffe. Schoeller rndet sich der Wald zum Platz für den
lenschen iinil »eine AusJedinngen, ätattlicher erhebt sieh das
■ohigezimraerte Wohnhaus, tiefer greift der eieertie Karst ein,
m der nahrnngspendeDden Erde das verheissMBgsvoUe Korn
izHvertrancn.
Wie aber der cntgespit^te Pfeil die Beute des Waides
ehercr erlegt, so trifft auch das eieeme Sehwert besser den
[ndliehen Mann, und nieht mit Unrecht sehen die alten Dicliter
n Krieg so recht als eine Ausgeburt des „eisernen" Zeitalters
, vfenn auch andere der Wirklichkeit entsprechender den
tätigen Streit keiner Epoche versagen:
Arma nnfiqua manu« ungut» denlesque fuerunl,
Et lapidtx et item silvaruvi fragmina rami.
(Lucrei! V, 1282.)
ünyuibua et pugnis, dein fuatibu», atque ita poi-ro
Pugnabanl armis, quae povt fabricaveral uxua.
(HorRZ Sat. I, 3.)
Das Eisen kämpft die Händel aus, welche die auri sacni
wj» (Vergil) erregt:
Effodiunlur optu, irritamenta malomm.
Jamque nocens ferrum ferroqut noctntiun aunnn
Prodierat: prodit bellum, qwil ptignnt utroque.
(Ovid. Met. I, 140 ff.)
Einfach und mehr zur Befriedigung der notwendigsten Be-
BrfniBse gebildet sind die Gerätschaften der Steinzeit, wenn sicli
ancli der dem Menschen eingeborne Trieb nach Schönheit selbst
bei- ihnen nicht verleugnet. Mit der Kunst, die Metalle zu
fnnnen, erwacht ein höherer Sinn für Sehmuck und Zierat,
Neben Äxten, Lanzen, Pfeilen und Messern finden sieh nun auch
Schwerter, Sicheln, Ohrringe, Arnispangen, Nadeln, Ringe und dergl.
Die Verzierungen an diesen Gegenständen werden kühner und
komplizierter, Nachbildungen von Tieren und Pflanzen werden
versBcht Alle diese Kunstobjekte aber fordern eine ausgebildete
Hand häufig geübte Geschicklichkeit, und wenn bisher jeder ein-
^Hslnc im Volke imstande war, was Haus und Hof bedurfte, ja
^BmImI das einfache Tongeschirr und anspruchslose Gewebe seiner
Kleider — denn beides sind uralte Künste — mit eigner Hand
zu fertigen, so tauchen jetzt aller Orten Erzählungen auf von
— 6 —
der grossen Fertigkeit einzelner im Schmieden und Bearbeiten
der Erze. Das Bedürfnis nach Arbeitsteilung wird deutlicher
empfunden. Die Metallurgie ist der erste Grundpfeiler des anf-
blühenden Gewerbes.
Aber ungleichmässig hat die Natur ihre kostbaren Metall-
schätze über den Erdboden verbreitet, und von dem unerschöpf-
lichen und fabelhaften Reichtum bevorzugter Gegenden höreo
die Bewohner ärmerer Distrikte mit Staunen und Verlangen. So
scheint das zur Herstellung der Bronze erforderliche Zinn im
Altertum nur an drei, von den Zentren der Kultur ziemlich ent-
fernten Stellen gewonnen worden zu sein : im westlichen Iberien,
auf den nach ihm benannten Kassiteriden und am Nordrand
Irans, dem heutigen Chorassan. (Vgl. K. Müllenhoff Deutsehe
Altertumskunde I, 99 und K. E. v. Baer Von wo das Zinn zu
den ganz alten Bronzen gekommen sein mag? Archiv für An-
thropologie IX, 263 ff.) Dennoch ist die Bronzearbeit im frühsten
Altertum von den Ufern des Nils bis hin nach Ninive und Ba-
bylon verbreitet. Der erfindungsreiche Mensch ist somit darauf
angewiesen, die Gaben, die ihm das eigene Vaterland versagt,
sich aus der Ferne zu holen, und mag auch die Habsucht das
Steuer führen, wenn der zerbrechliche Kiel die unbekannte,
schrecknisvolle Meercsfint durchschneidet: aus der niederen Be-
gierde steigt der Genius des Fortschrittes, die Anfänge der Erd-
kunde, der Schiffahrt, des Handels und Verkehrs:
Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an.
(Schiller.)
Phönizische Flotten segeln zu König Salomos Zeiten nach
dem goldreichen Ophir, nach dem silberspendenden Tarschfsch
in Südspanien. Eine karthagische Flotte unter Himilco entdeckt
auf ihrer Fahrt nach den Zinninseln die europäische Küste bis
England. In der Odyssee erzählt der Taphier Mentes (Athene):
vvv bi* 0}fie ^i'v vtfi xaTt)kv{)m' >}A' hdnotot
TiXdcor F.:ii oTvona .lovxov en dXkoi^noovg dv&oomovg
Es Tefttotjv. fieid ya),>im\ uyco d' atdwra aidfjQOVm
Doch auch der Bergbau ist selbst in unserem Erdteil älter^
als man bisher gewöhnlich angenommen hat. Schon in der Stein-
zeit wurde in Frankreich, Belgien und England in regelrechten
Minen nach dem kostbarsten Material dieser Zeit, dem Feuer-
— T -
«tein, gefahndet (vgl. S. Müller Urgeschichte Europas p. 47),
nnd in dem letzteren Lande, sowie in Irland, Spanien und an
verschiedenen Stellen der österreichischen Alpen (vgl. M. Much
Die Kupferzeit in Europa^ p. 248 ff.) sind Kupfergruben auf-
gedeckt worden, die ohne Zweifel wichtige Handelszentren für
die Umgegend bildeten. — Indem aber so die Metalle als wertvolle
Ware von Kflste zu Küste und von Landschaft zu Landschaft
wanderten, ward ihnen eine weitere Aufgabe von unermesslicher
Bedeutung zuteil, in der Gestalt der Münze den Verkehr sowohl
zwischen den einzelnen, wie auch zwischen den Völkern zu
erleichtern^). Das uralte Wert- und Tauschobjekt der Hirten-
und Ackerbauvölker ist ihr kostbarster Besitz, ihre Herden,
besonders das Rindvieh, die Kuh. Lat. pecunia, peculium sind
bekanntlich (vgl. 1, 201) nichts weiter als Ableitungen von pecus
„Vieh", im Gotischen bezeichnet faihu, im Angelsächsischen feoh
noch „Geld" und „Vieh" etc. Auch bei Homer sind die Rinder
noch das gewöhnliche Tauschmittel; daneben kennt er aber bereits
als solches die Metalle, sowohl Gold als auch Erz und Eisen:
h'Osy äg^ olvl^ovxo xaofjxoiiocjvieg /ixaioi^
äXXoi fikv x^).x(o^ (DJ.01 (5' aWoyvt otdt'iQfOj
aiXoi de givoTg^ äkkoi «^' avTf/ai ßoeoaiv^
aXkoi h* avdocuxo^Eooi.
(II. VII, 473 ff.)
Nirgends aber lässt sich der Übergang von dem alten, einfachen
Tauschverkehr zum Gebrauche der Münze besser als bei dem
römischen Volke verfolgen. Die ältesten gesetzlichen Bussen sind
hier noch in Schafen und Rindern festgesetzt; allmählich aber
gewöhnt man sich, neben dem Vieh noch einen anderen Wert-
messer, das Kupfer (aes) zu gebrauchen. Es ist ungeformt {aes
rüde) und wird beim Verkauf zugewogen, bis endlich der Staat
der Willkür in Form und Feinheit des Metalles ein Ende macht,
den Kupferbarren eine regelmässige Form gibt und dem neu-
gegossenen Stück eine Marke (aes signatum) aufdrückt, die,
charakteristisch genug, ein Rind, ein Schaf oder ein Schwein
darzustellen pflegt. Erst viel später {anno 451 v. Chr.) wird
das Kupfer mit Wertzeichen versehen und unabhängig von der
1) Näheres über das Folj>:encle Vf. Handelsgeschichte und Waren-
kunde I, 111—141.
— 8 —
Wage gemacht — die Münze ist fertig (vgl. F. Hnltsch Griechische
und römische Metrologie p. 188 ff.).
Der so in kurzen Zügen geschilderte Einflnss der Metalle
auf die Entwicklungsgeschichte der Menschheit ist aber freilich
— das dürfen wir nicht vergessen — erst dann ein völliger,
wenn alle äusseren und inneren Vorbedingungen dazu gegeben
sind, dass dieselben als Hebel eines höheren Kulturfortschrittes
wirken können, und es ist nichts seltenes, dass Völkerstämme,
auch nach ihrem Bekanntwerden mit den Metallen auf einer
sehr primitiven Stufe ihrer Ausbeutung und Benutzung stehen
geblieben sind. So bot den nordamerikanischen Indianerstftmmen
am Oberen See die Natur ihrer Heimat gediegenes Kupfer in
solcher Menge dar, dass dasselbe der Aufmerksamkeit dieser
Wilden kaum entgehen konnte. Die ersten Europäer fanden
daher dasselbe auch bei ihnen bereits zu Äxten und Arm-
spangen etc. verwendet, doch so, dass diese Gegenstände ledig-
lich durch Bearbeitung des Erzes vermittelst des Hammers ohne
Feuer gewonnen wurden (vgl. R. Andree Die Metalle bei den
Naturvölkern p. 139 ff.). Die Hottentotten verstanden sich
sogar darauf, Eisenerze in zu diesem Zweck gegrabenen Löchern
zu schmelzen und eiserne Waffen zu verfertigen, wenn auch die
Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass sich diese Kunst in
sehr früher Zeit von den nordöstlichen Küsten auf dem Wege
des Tauschhandels in das Innere Afrikas verbreitet habe*), wie
denn schon der Feriplus maris erythraei (§ 6) von einem aus-
gedehnten Handel mit Metallen und metallenen Gegenständen
von der Südwestküste des arabischen Meeres aus zu erzählen
weiss. Trotzdem hatten sich aber diese Stämme in anderer
Beziehung aus dem Zustande niedrigster Roheit in keiner Weise
emporgeschwungen. Aber abgesehen von diesen und anderen
dem Strome menschlicher Kulturentvvicklung fern liegenden
Stämmen, ist der Appell nicht überhört worden, der aus den
Eingeweiden der Erde emporschallt.
1) Jedenfalls scheint das Eisen im südlichen Afrika am ersten
bekannt gewesen zu sein; denn die Bachapin, ein Kaffernstamm, sollen
alle Metalle vom Standpunkt dieses Metalles {tsipi) aus benennen,
nämlich Gold tsipi e iseka gelbes Fisen, Silber tsipi e shu weisses
Eisen, Kupfer tsipi e kiibila rotes Eisen. Vgl. Eougemont Die Bronze-
zeit oder die Semiten im Occident p. 14.
- 9 -
Ob und inwieweit die Indogermanen schon in vorhisto-
rischer Zeit an den geschilderten Segnungen der Metalle und
der Metallurgie teil genommen, oder, wenn dies nicht der Fall
sein sollte, von welchen Ausgangspunkten, in welchen Richtungen
und in welcher Zeit die Kenntnis der Metalle sich bei den einzelnen
oder vielleicht auch noch den in Gruppen verbundenen indog.
Völkern verbreitet habe, diese Fragen sollen den Mittelpunkt
der folgenden Untersuchung bilden, die allerdings oft genug die
Grenzen des indogermanischen Völkergebietes zu überschreiten
genötigt sein wird.
II. Kapitel.
Die Namen der Metalle im allgemeinen.
Es ist eine eigentümliche Erscheinung, dass die von einem
Volke gekannten und ausgebeuteten Metalle in seinem Bewusst-
sein eine in sich geschlossene Kette von Gegenständen bilden.
Zwar folgt dies nicht aus einem etwa frühzeitig vorhandenen
Gesamtnamen der unterirdischen Metallschätze. Ein solcher be-
ginnt im Gegenteil, wie dies häufig mit Gattungsnamen der Fall
ist, erst in sehr später Zeit sich Bahn zu brechen. Ist man in
früheren Epochen genötigt, eine Gesamtheit von Metallen aus-
zudrücken, so gebraucht man partem pro foto, d. h. man setzt
für die Gattung den Namen desjenigen Metalles, welches eine
besondere Bedeutung in dem Leben der Sprechenden besitzt. In
diesem Sinne werden scrt. dyati (aes), aw. m/ah, auch ayöxsusta
„flüssiges Metall" (pehlewi äi/akduat), griech. ;fa^xo^, hochd. erz,
slav.-lit. ruda und andere, über deren eigentliche und ursprüng-
liche Bedeutung des weitern zu handeln sein wird, gebraucht
Dagegen ist das griechisch-lateinische /ihaJÜLov-metaliumt
aus dem einerseits neugr. nhaXkov und armen, metal (Grube, Berg-
werk), andererseits irisch mitall (Stokes Irish glosses p. 96) und
die romanischen Wörter franz. rnefal etc. (vgl. Diez Etym. W.*
p. 208) hervorgehen, in der Bedeutung eines Gattungsnamens
der Metalle verhältnismässig sehr jung. Bei Herodot, wo das
Wort zum ersten Male begegnet, bezeichnet fihalkm* ausschliesslich
die Grube, das Bergwerk, und nimmt die Bedeutung Metall erst
in der späteren Literatur an. Auch das natürlich entlehnte lat.
metallum (0. Weise Die griech. Wörter im Lat. p. 153, 4ö8)
bedeutet noch Bergwerk (covdemnare ad metalla) und Metall.
Die Versuche, das griech. jiihaUor aus dem Indogermanischen
zu erklären (Curtius Grundz. ^ p. 55, B. B. I, 335 n. a.), sind
nicht gelungen. Auch eine Herleitung aus dem Semitischen
— 11 -
(Renan Histoire des langues s^mit, I *, 206) ist unternommen
worden, indem man griech. juhaXXov : hebr. mätal „schmieden",
m(ß)ttl „geschmiedeter Stahl" gestellt hat. So unwahrscheinlich
es nnn auf den ersten Blick erscheint, dass ein Wort für „Berg-
werk** aus einem Zeitwort für „schmieden" entstanden sein sollte,
so könnte man sich doch die Sache so zurecht legen, dass man
annimmt, die Phönizier, die ja sicher den Bergbau in Griechen-
land eröffnet haben, hätten zugleich mit den Gruben, die sie
bauten, auch Schmelz- und Schmiedehütten angelegt, um die
gewonneneu Erze sogleich für den Handel mit den Eingeborenen
und für den Export bequem und fähig zu machen. Dass solche
pböniziscbe Schmelz- und Schniiedehütten wirklich auf griechi-
schem Boden bestanden, geht aus griechischen Ortsnamen (s. u.)
deutlich hervor.
Der innerliche Zusammenhang der Metallnanien wird im
Indogermanischen hingegen durch die leicht erkennbare Regel
bezeugt, dass in den einzelnen Sprachen die Metallnamen durch
das gleiche Geschlecht verbunden sind, und zwar durch das
Neutrum, das man „zur Bezeichnung der toten, ruhigen Stoffe
hauptsächlich erwarten dürfe" (J. Grimm Deutsche Grammatik III,
378), im Sanskrit, Iranischen, Slavischen, Lateinischen und Ger-
manischen, durch das Masculinum im Griechischen und Litauischen ;
das Femininum findet in der Regel keine Verwertung. Doch
lässt sich die Bemerkung machen, dass in den nordeuropäischen
Sprachen, je weiter nach Osten, immer mehr Ausnahmen von
der ursprünglichen Regel sich finden. Im Germanischen schwankt
«tahal (Graff VI, 827) zwischen Masculinum und Neutrum, snüda
„Metall" ist Femininum, im Litauischen sind rüdä „Metall, Erz",
und gelezis „Eisen" Fem., im Slavischen riida^ medl „Kupfer",
ocell „Stahl" Fem., Tcositerü „Zinn" Masc. Die historische Er-
klärung dieser Geschlechtsverhältnisse wird uns später beschäftigen.
Noch deutlicher aber tritt die Zusammengehörigkeit der
Metalle in der bemerkenswerten Erscheinung hervor, dass schon
in den ältesten Denkmälern der europäisch-asiatischen Kultur-
völker sich eine feste und zwar im grossen und ganzen ttber-
eiostimmende Reihenfolge der Metalle findet, die durch die vier
Hauptpunkte : Gold — Silber — Kupfer — Eisen gleichmässig
charakterisiert wird. Sie kehrt in den altägyptischen Inschriften,
in der Bibel, in den assyrischen Keilinschriften, in den Veden
— 12 —
wieder, und auch auf altgriechischem Boden wird man in den
Hesiodeischen Weltaltern, denen der Dichter nach den vier
genannten Metallen ihre Namen erteilt, nichts anderes erblicken
dürfen als eine Aufzählung mythisch-phantastischer Enlturstufen
an der Hand einer Reihenfolge, die dem Dichter und seinen
Zeitgenossen geläufig war^).
Auch wir werden, da sich wahrhaft historische Anhalts-
punkte für eine Aufzählung der Metalle mit Rücksicht auf den
Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens erst im Laufe unserer Dar-
stellung ergeben werden, im folgenden der genannten Reihen-
folge uns anschliessen. Bevor wir aber zu den einzelnen Metallen
selbst uns wenden, werden wir gut tun, das Handwerk desjenigen
Mannes, durch dessen Fertigkeit die Metalle ihre vorzüglichste
Bedeutung für die Menschheit gewinnen, das des Meister
Schmiedes etwas näher ins Auge zu fassen.
1) Diese feststehende Reihenfolge der Metalle hat dann schon
ziemlich frühzeitig in nicht ganz aufgeklärter Weise Veranlassung
gegeben, dieselben der in den religiösen Anschauungen der alten
Völker hochwichtigen Reihe der sieben Planeten gleichzustellen und
beide nach mancherlei Schwankungen bestimmten Gottheiten zu-
zuschreiben. Hieraus entsteht dann allmählich die alchimistische Be-
zeichnung der Metalle, wie sie sich um das XIII. Jahrh. festgesetzt bat
Gold Silber Quecksilber Kupfer Eisen Zinn Blei
O }) 5 $ cf 2i f,
Sol Lunn Mercurius Venus Mars Jupiter Satumus
Vgl. J. Beckmann Chemische Bezeichnung der Metalle in den Beitr.
z. Gesch. d. Erfindungen 1792 III, 356 ff . u. Kopp Geschichte der
Chemie II, 421 ff.
III. Kapitel.
Der Schmied in Sage und Sprache,
um keinen nienschliehen Beruf hat die Sage goldnere Fäden
gewoben wie nm das Handwerk des Meister Schmiedes^ das in
den mythologischen und sagenhaften Anschauungen der meisten
Völker in die grauste Vorzeit gerückt wird. Wie in der Bibel
(I Mos. 4y 22) lange Zeit vor der Sündflut Thubalkain geboren
wird, der Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk, so schmiedet
schon im Rigveda Tvashtä dem grimmigen Indra den Donner-
keil. Das Äwesta kennt als Genius der Metalle einen der sieben
AmSsha spefita Kshathra {Xsaiha) vairya. Den griechischen
Olympos versieht der kunstreiche Hcphästos, den lateinischen
Valeanns, den etrurischen Sethlans (vgl. H. Blümner De Vul-
cano in veteribus artium monumentis figura. Dias, Vratislaviae
1870) mit künstlicher Metallarbeit, schon in dem altehrwürdigen
Carmen saHare war der Name eines Schmiedekünstlers Mamurius
genannt, und in dem Völuspaliede der Edda heisst es Str. 7:
Die Äsen einten sich auf dem Idafelde
Haus und Heiligtum hoch sich zu wölben.
Erbauten Essen und schmiedeten Erz,
Schufen Zangen und schön Gezäh.
(Simrock.)
Wird aber so in den Vorstellungen der indog. Sagenwelt die
Kunst des Schmiedes in die feraste Vorzeit hinauf gerückt, so
liegt die für unsere ganze Untersuchung hochwichtige Frage
Bchon jetzt nahe, ob die Indogermanen bereits vor ihrer Trennung
das Schmiedebandwerk gekannt haben. Denn sind wir imstande,
diese Frage zu bejahen, so würde schon hieraus die Bekannt-
schaft der indog. Urzeit mit gewissen Metallen mit Notwendig-
keit folgen.
Betrachten wir zunächst die Namen des Schmiedes,
wie sie bei den indog. Völkern sich finden, so ergibt sich zuerst,
— 14 -
<lass eine etymologische Verwandtschaft derselben auf indog. Boden
nicht besteht. Eine Ausnahme von dieser Regel macht nur einmal
altsl. vütri „Schmied" = altpreuss. wtitris {autre „Schmiede"),
das andremal gemi. smidar = altsl. medari\ indessen werden in
letzterem Falle selbständige Ableitungen von smida „Metall*^ und
mHl „Kupfer", über deren Verhältnis unten zu handeln sein
wird, vorliegen. Wohl aber haben fast alle Völker genuine,
und zwar gewöhnlich durch alle Dialekte sich ziehende Be-
nennungen des Schmiedes, wie im Germanischen ahd. smiiy
agls. smithj altn. smidTj got. 'Smipa, im Keltischen ir. goba, bret.
corn. cymr. gofy im Italischen lat. fäber, pälignisch faher {forte
faber F. Bücheier lex. it. p. IX, nach Pauli Altit. Stud. V, 48f =
sollers „kunstfertig"). Auch liegt das hohe Alter dieser Wörter
in ihrer frühzeitigen Verwendung zu Eigennamen ausgeBprochen.
Schon im Rigsmal v. 21 begegnet ein Smidr; dazu vergleiche
man das lat. Fahricius und das altgallische Gobannitio {Caes,
de bell, yall. VII Kap. 4), ir. Gobanus, cymr. Gouannon.
Entlehnungen aus einer indog. Sprache in die andere finden
zuweilen (z. B. in lit. rudininkas aus poln. rudnik nnd alb.
koväti: altsl. kovaci)^ Entlehnung aus einer nichtindog. in eine
indog. Sprache sehr selten (z. B. in alb. albdn aus dem Tür-
kischen) statt. Hingegen sind die indog. Wörter für Schmied
öfters über die Grenzen dieses Sprachstammes hinauflgedrangeii:
so das germanische Wort zu den Lappen (smirjo, tmiid), da»
slav. kovacl zu den Magyaren (koväcs)^ das lit. kälvcis^ lett.
kalleijs zu Liven und Esten {kalev, kahvi). Letztere Entlehnung
würde in sehr alte Zeit zurückgehen, wenn der Name des
finnischen Nationalheros und Heldenvaters Kaleva, der anch als
Vater des ewigen Schmiedekttnstlers Ilniarinen (s. o.) zu betrachten
ist, mit Recht hierher gestellt wird*).
Aus alldem geht hervor, dass sich bei den indog. Völkern
zwar sehr frühzeitig, aber doch noch nicht zur Zeit des eüinisclieu
Zusammenhangs der Brudervölker Bezeichnungen für den Schnied
aosgebildet haben müssen.
Was nun den Ursprung der indog. Benennnngeu desSehmiedei
anbetrifft, so ist dieser ein dreifacher. Dieselben Bind nävlieh
1) So nach Ahhivist Kulturw. p. 58. Anders 0. Donner Vcr-
«^leichendes Wörterb. der finnisch-ugrischen Spr. I. 57, der kaleva etc.
für genuin hält.
— 15 —
entweder Ableitungen von Wörtern, welche Metalle oder das
Metall überhaupt bezeichnen, wie griech. yakxEvgj oidfjgevsi
Xcdxö^, aidrjoogy ahd. smtdar : smida, altsl. medarl : medl und
kuznlclikuzni „res e metallo euso factae", poln. rudnik : ruda etc.
Aach Bildungen wie npera. ähengar, kurd. häsin-ger „Eisen be-
reitend** : dhen „Eisen" gehören hierher. Aus benachbarten
Sprachatämnien vergleiche man läpp, ravdde = finn. rautio
„Schmied": finn. rauta „Eisen" und tllrk. temirii „Eisenmann'^ :
Hmir „Eisen" etc. Oder die Namen des Schmiedes gehen zwei-
tens aus Verbalbegriffen hervor, die das Schmieden, ureprllng-
lich das Hauen be/.eichnen wie lit. kälwis : kälti = lat. cellere,
altsI. russ. etc. kovacl : kovati, kujq ku = lat. cu-d-erej ahd.
houwan etc.). Drittens endlich pflegen Substautiva mit der
allgemeinen Bedeutung „Arbeiter, Kunstarbeiter" in die engere
Bedeatnugssphäre des Schmiedes ttberaugehen. So sert. kdrmärä
= karmdra : W. kar „machen", lat, faber ursprünglich „Hand-
werksniann" überhaupt, ir. (neben goba) cerd iaerariuSy vgl.
Windisch I. T. p. 420) = lat. cerdo „Handwerksmann". Am
deatlichsten lässt sich dieser Übergang am germanischen Worte
got. smipa, altn. smidr etc. verfolgen. Es gehört zu der in
griech. o^ä'h] „Schnitzmesser" , ofu-vth] „Hacke" vorliegenden
Wurzel {smei, smi „kunstvoll verfertigen") und hat in den älteren
Sprachepoehen noch durchaus die Bedeutung des lat. faber, wes
wegen neben ahd. ersmid, chaltsmid etc. auch agis. vigsmMy
altn. Ijödasniidr, bölvasmidr „ünheilschmied", agls. vundersmid
Beöv. 1682, ahd. urtaiUmit etc. etc. gesagt wird (vgl. Wacker-
nagel KI. Schriften I, 49). Genau dieselbe Bewandtnis hat es
mit dem westfinnischen Namen des Schmiedes seppii, der diese
Bedeutung ebenfalls nicht ursprünglich gehabt haben kann. In
der Volkssprache begegnen finn. nmoseppä „Meister in der
Bunendichtnng", purrenseppä „erfahren im Zimmern der Bote".
estn. kingsepp „Schuhmacher", rätsepp „Schneider" u. a. m.
^vgl. Ahlqvist Kultnrw. p. 57). Es folgt hieraus, dass, selbst
wenn in den Namen des Schmiedes gewisse Verwandtschafts-
reiben wie ir. cerd = lat. cerdo sich finden, daraus noch nicht
das Vorbandensein eines Wortes für den Schmied in der Urzeit
hervorgeht.
Eine wenigstens für spätere Zeiten nicht uninteressante Be-
zeichnung des Schmiedes bietet schliesslich das alb. ev'git =
— 16 —
AlyvTttiogj neugr. FvifTogy engl. Gypsies, span. GitanoSj eigentlich
„Zigeuner''. Denn von diesen wird in Orient und Okzident zn-
meist das Gewerbe des Kaltscbmiedes (abd. chaUsmid ^^der
obne Feuer sebmiedende^j ausgeübt. Die Benennungen des
Sebmiedes in den Zigeunermundarten selbst (vgl. A. Pott, Die
Zigeuner in Europa und Asien I, 147) bieten nichts von Be-
deutung. Vgl. über die Zigeunersebmiede R. Andree a. a. 0.
p. 79 ff.
Ganz analoge spracblicbe Verbältnisse wie bei den Namen
des Sebmiedes finden sieh in den Benennungen seiner Uten-
sflien und Werkzeuge. So lässt sieh in den griechischen
Wörtern für diese Dinge (der Amboss bom. äxjLuov, der Blasebalg
hom. 7) <pvoa, der Schmiedehammer bom. ^ ^aiotrJQ und ^ ofpvQa,
die Feuerzange ^ nvQdygrj, später xclqxivoi „Krebsscheren^, die
Schmelzöfen bom. x^^^of' ' X^^y später xdfuvogy ^egj^aarga, ßavvoq)
auch nicht eine Spur von Verwandtschaft mit den italischen
Wörtern : incus (von cudere gebildet, wie ambosZy ahd, anap6z\
pözan y^fundere^^ und altsl. naJcovalo : kovati oder lit. priekälaSy
altpr. preicalis : Jcdlti), follisy malleus, forceps, fornus, famax
entdecken.
Aber auch in den ältesten Denkmälern der Inder und Ira-
nier führt trotz ihrer nahen Verwandtschaft das einzige vergleich-
bare Stück metallurgischer Tätigkeit, der Schmelzofen ganz
verschiedene Namen. Im Rigveda beisst dieser nämlich
dhmätä' (dhmä'tä „der Schmelzer^) : dham, dhmä „blasen**;
vgl. dhmätds drtis „Blasebalg",
im Awesta aber saipa (ayösa^pa, erezatosaipa), nach W. Geiger
Ostiran. Kultur p. 388 von einer W. sip (npers. siftan) „härten '^ (?).
Dazu ist schon in der für die Kenntnis der altiranisohen
Metallurgie wichtigsten Stelle des Awesta Vend. VIII, 254 f.
(vgl. K. Z. XXV. 578 f.) der Schmelzofen mit einem evident
semitischen Worte aw. tanura, bebr. tannür, das auch im Neu-
persischen, Afghanischen und Armenischen (Honir) etc. wieder-
kehrt, bezeichnet. Nicht unmöglich wäre, dass auch das Vor-
gebirge der eisenreichen Laconica, Taivagov, in unmittelbarer
Nähe der altpböniziscben Niederlassungen auf Kythera gelegen,
hiervon seinen Namen empfing, ebenso wie auch der Name der
griechischen Insel Sertphos (auch phön. Sareptä) sich ansprechend
aus einem semitischen ^frifä „Schmelzhütte" : hebr. säraf
- 17 —
„sehmelzen^ deuten lässt (vgl. Kiepert, Lehrbuch der alteu Geo-
graphie p. 2Ö2).
Dass die ursprünglichen Werkzeuge des Schmiedes aus
Stein bestanden, zeigt die Häufigkeit ihrer Namen, die aus alt-
indog. Wörtern fflr Stein hervorgehen. Hierher gehören im
Germanischen altn. hamarr = ahd. hamar : altsl. kamy, kamenl
„Stein", im Griechischen äx/ucov „Amboss" = scrt. ägman „Stein",
xäßuyog „Ofen" : altsl. Jcameni (altsl. kamina „Ofen" etc., niagy.
keminy stammen aus dem griech. lat. xd/uvog — caminuSy un-
serem kamin), im Sanskrit d(;man „Hammer" und „Amboss",
(später) „Ofen". Eine Rückführung aller der genannten Wörter
anf ein urzeitliches, abstufendes Paradigma versucht Bechtel
Nachr. d. Ges. d. W. z. Göttingen 1888 p. 402.
Ehe man sich darauf versteht, die Bälge der Tiere (griech.
Hesych ^aXUg = lat. follis) zu Blasebälgen zusammenzunähen,
wird man sich mit den Fittigen grosser Vögel beholfen haben,
wie es denn Rigveda IX, 112, 2, der ältesten Stelle auf indog.
Boden, die uns in eine Schmiedewerkstätte führt, heisst^):
Der Schinied mit Reisig auf dem Herd
Und in der Hand den Flederwisch,
Mit Amboss und mit Feuersglut
Wünscht einen reichen Kunden sich.
In die westfinnischen Sprachen hat auch hier von ger-
manischem und litu-slavischem Boden aus eine starke Entlehnung
stattgefunden (vgl. Ahlqvist Kulturw. p. 60 f.). So entspricht,
nm hier nur ein instruktives Beispiel anzuführen, finn. poja,
estu. paja und pada „Schmiede^ germanischem potta, pott,potte
„Topf", lit. p&'das und erinnert so an Zeiten, in denen der
Sehmied, wie später die Zigeuner, von Ort zu Ort zog und an
jeder Stelle seine Werkstatt aufzuschlagen imstande war'). Einen
gewissen Gegensatz zu diesen wandernden Schmieden, aber eben-
falls auf die primitiven Anfänge des Gewerbes hinweisend, bilden
die öffentlichen und gemeinsamen Schmieden des deutschen
Mittelalters, in denen jeder noch seinen geringen Bedarf selbst
sich anfertigte. Auch Homer scheint sie zu kennen. Wenigstens
1) Vgl. Qeldner u. Kaegi 70 Lieder des Rigveda p. 167.
2) Vgl. auch ahd. ovan^ griech. bivog „Ofen** : scrt. ukhd' „Topf**.
Auch aw. xuniba = scrt. kumhhd „Topf* scheint, ebenso wie aw. pisra^
eine Schmelzvorrichtung zu bezeichnen.
Sehrader, SprachverglelehoDg and ürgeBchlchte II. S. Aafl. 2
~ 18 —
wird Od. XVIII, 328 die Schmiede {x^hcrfiog döjLiog) auf gleiche
Stufe mit der kiaxrj der „Volksherberge** gestellt.
Wenn somit nach dem Ausgeführten aus der Sprache die
Bekanntschaft der ältesten Indogernianen mit dem Schmiede-
handwerk in keiner Weise hervorgeht^), so könnte man doch
geneigt sein, dieselbe aus der Übereinstimmung gewisser Sagen-
kreise zu folgern, die sich schon in sehr früher Zeit um den
Schmied und sein Gewerbe gebildet zu haben scheinen. Wir
meinen hier in erster Linie die auffällige, schon von A. Kuhn
(K. Z. IV, 95 ff.) hervorgehobene Verwandtschaft, die zwischen
der klassischen Hephästos- und Dädalossage einerseits und der
gennanischnordischen Völundr- Wielandsage, wie sie in der Vö-
luudarkvida und Wilkinasage dargestellt ist, andererseits zu kon-
statieren ist.
Zunächst springt nämlich eine Eigenschaft in die Augen,
die Völundr, der Schmied des Nordens, mit Hephästos- Vulcanus,
dem Schmiede des Südens, teilt. Wie ersterer von dem König
Nidudr, damit er auf Säwarstadr zurückbleibe, an den Sehnen
durchschnitten und so gelähmt wird, so führt auch Hephästos
schon bei Homer den Beinamen xvkXojtoÖmv „der krummftlssige^,
erscheint also an den Füssen mit einem Gebrechen behaftet, das
er nach den einen mit auf die Welt gel)racht, nach anderen
durch seinen Sturz vom Olympos sich zugezogen hat. Bemerkens-
wert erscheint auch, dass Völundr in seiner Gefangenschaft der
Köuigstochter Bödvildr Gewalt antut, so wie Hephästos der
Athene nachstellt, als sie Waffen bei ihm anfertigen lassen will.
Noch handgreiflicher sind die verwandtschaftlichen Zflge
zwischen der Wieland- und Dädalossage. Wie Völundr vom
König Nidudr mit Gewalt auf Säwarstadr zurückgebalten wird,
so Dädalos vom Minos. Das Wolfstal, in dem ersterer haust,
künstliches Schmiedewerk verfertigend, vergleicht sich dem La-
byrinth, in dem Dädalos seine kunstvollen Arbeiten ersinnt Wie
Völundr sich mit dem von ihm selbst erfundenen Flügelkleid in
die Lüfte schwingt, so entflieht auch Dädalos auf gleichem
1) Einen begründeten ICinwaud hiergegen kann ich auch nicht
in der an sich richtigen Gleichung scrt. carü „Kesseli Topf, altn.
hverrt ir. coir erblicken. Vgl. E. H. Meyer ludog. Mythen II, 681.
Denn warum soll dieses „uralte, heilige** Gerät nicht ursprünglich
aus Ton bestanden haben?
19
f/^iS^- 1mi Norden ist es der ISrutler des Völundr. Kpll, der
dem Fliigelkleid eiueu durcti die List des Knidere ver-
iglQckten Versacb maclit iidiI zii Uodei) fällt, im Hilden der
lohn des Uäilalos, Ikaros, der. allerdings dureb eigene Unvor-
ielitigkt^it, samt seinen KlBgelu ins Meer stflrKt.
Trotz der nnlengbnren Übereinstimmung dieser VorBtellnngs-
niben müssen wir aber dennoch Bedenken tragen, ihre Ausbil-
bog auf indog. Ursprünge Kurllekzuführen.
Zunächst ist die Gestalt des Hcphästos in keiner Weise mit
ler dee IJädalos zu identifizieren; denn wenn aueh ersterer von
i^ndar als daidaXoi bezeichnet wird, so ist doch die Bedeutung
iBeses Wortes (:dandiiiJiw „kdnstticb verfertigen") eine so all-
ienieine, dass hieran»« nimiuermebr die ursprüngliche Einheit
beiden mythischen Figuren gefolgert werden kann. Im
[■nzeii klassischen Altertnm bat vielmehr Dädalns, der Heros
ler Uolzttcbnitzeret und Architektur, mit Metallarheit nichts zn
lliaffen (vgl. L. Preller, Griech. Mythol, I, 123), und die wabr-
ieheinlicb älteste Verknilpfnng seines Namens mit dem pböniziscb-
semitischeu Kreta deutet auf den nrientalischen Ursprung der an
j)m sieh knüpfenden Sagen nicht andeutlich hin.
Was Hepbästos betriff!, so leitet die bei weitem wahr-
jcheiolicbste Dentung (vgl. Preller-Rohert, Griech. Mythol. ' p. 174)
leiiiea Namen von griech. Aifii „die Feueranzündung" ab, nnd
pch der italisclic Hephästos Wolcanus birgt, wenn er mit Recht
MS Bcrt. ulkä' „Feiierbrand" = lat. *colcä erklärt wird, deutlich
ien Gmudbegriff der Fenersglut in sich.
Da iiüu auch nach Cäsars Bericht (de bell. GaU. VI, 21*
lie Germanen noch zu jener Zeit an der Verehrung der reinen
llaturgewalt des Feuers festhielten {deorum numero eoa sol&a
vnt, quoH cernunt et qtiorum aperte opibus iuvantttr, Solem
^t Vulcanam et Lunam), so kfjunte man immerhiu annehmen,
den i'crsrmlicbkeiten des Wiciand-Hephästoa irgend ein
bythiscber, vicUeicbt der Natur des Elementes entsprechend alB
tekiscfa und gierig gedachter Feuerdämou zugrunde liege. Ja,
t könnte scheiuen, als ob der lahme Hepbästos der Oriecheu,
der an den Beinen verstümmelte Wieland der Germanen eine
Parallele finde in dem Epitheton apä'd „fnsstos". das, freilich
einmal, im Rigveda (IV, 1, 11) neben aqtrahd' „kopflos"
Feuergott Agni gegeben wird, und dass damit die Natur-
- 20 -
anschanung des unstäten, flackernden Ganges des Feners znm
Ausdrack gebracht werden solle. Doch haben andere (vgl.
E. Meyer Geschichte des Altertums 11^ 109) die Lahmheit des
Götterschmieds aus dem von ihnen vermuteten Umstand ableiten
wollen, dass auch die irdischen Schmiede mit einem derartigen
Gebrechen behaftet gewesen seien, weil sich diesem Gewerbe
nur die zu dem Beruf des Hirten oder Ackersmanns nntanglichen
Männer gewidmet hätten.
Hinsichtlich der handgreiflichen Übereinstimmungen der
Wieland- und Dädalossage bat man an eine direkte Entlehnung
von klassischem auf germanischen Boden gedacht. So hat
W. Golther in einem Aufsatz in der Germania XXXIII, 449 ff.
„Die Wielandsage und die Wanderung der fränkischen Heldensage*^
den Nachweis zu führen versucht, dass die germanische Wieland-
sage nichts sei als eine erst im 6. Jahrhundert auf fränkischem
Boden vorgenommene, bewusste, dichterische Verschmelzung der
antiken Sagen von Vulcanus und Dädalos, die erst von hier aus
zu den übrigen germanischen Stämmen gewandert sei. Allein
seine Ausführungen haben bei anderen Forschem wie Jiriczek
(Deutsche Heldensage) und B. Symons (in Pauls Grnndriss der
germ. Phil, ^l^ 722 ff.), die vielmehr an dem einheimischen
Ursprung der Wielandsage durchaus festhalten, keinen Beifall
gefunden, und so wird mau zugeben müssen, dass es bei dem
heutigen Stand der Mythenvergleichung voreilig wäre, aus den
vieldeutigen Analogien derartiger Sagenkreise Schlüsse auf die
Kultur der indog. Urzeit ziehen zu wollen.
Wir widmen daher den Kest dieses Kapitels einer ge-
drängten Darstellung der in die Augen springenden ZQge der
Verwandtschaft, die sich durch fast ganz Europa um das
Schmiedehand werk in Sage und Anschauung schlingen, ohne
weiter in eine Erörterung der Gründe dieser Zusammenhänge
einzutreten.
W^eit verbreitet ist zuerst die Ansicht, dass das Schmiede
handwerk von übermenacblichen Wesen erfunden worden sei und
noch von ihnen ausgeübt werde. Im germanischen Norden sind
dies einerseits die Riesen, deren Waffen Eisenstangen sind, und
in deren Welt der Eisenwald liegt. Auch Namen wie Jamsaxa
und Jarnglumra {jarn „Eisen") begegnen bei ihnen (vgl. K. Wein-
hold Altn. Leben p. 93). Schmiedende Hünen nennt die west-
- 21 -
fälische Sage I, Nr. 213 bei A. Kuhn a. a. a. 0. Audererseits
aber und besonders werden die Zwerge (ahd. twerc^ agls. dtceorg,
altn. dvergr), deren zweite gemeingerinanisclie Benennung (ahd.
alp „Elbe**, agls. älf, altn. dlfr) A. Kuhn (K. Z. IV, 110) mit
dem Namen der indischen rbhü zusammenstellt, und die er
als die Geister der verstorbenen Menschen deutet (pitdraSj na-
tigeg), auf dem gesamten germanischeu Sprachgebiet als die
eigentlichen Behüter und Bearbeiter der unterirdischen Metall-
schätze angesehen. Nach der Wilkinasage wird Wieland von
seinem Vater Wade erst zu Mimir, als er aber da von Siegfried
wie die anderen Gesellen misshandelt wird, zu zwei Zwergen im
Kallevaberge in die Lehre gebracht. Auch in der Völundarkvida
wird Völundr äifa liodi j^alforum socius^ und visi älfa j,ah
forum princeps"^ genannt^). Von schmiedenden Zwergen be-
1) Durch den Umstand, dass in der prosaischen Einleitung der
Völundarkvida Völundr als Sohn eines Finneukönigs bezeichnet wird,
sieht sich M. Sjoegren in einem interessanten Aufsatz De Plnnis aliisque
Tschudicis gentihus sdentia et usu metallorum antiquitus insu/nibus,
vgl. Buüetin scientifique puhlU par Vacadämie imp. de Saint- Paters-
bourg VI, 163 ff., veranlasst, in den nordischen Alfen ein finnisches
Volk zu erblicken. C. Hofmann (Germ. VIII, 11) will sogar das altn.
Völundr aus dem finnischen valaa „giessen** erklären. Derartigen Iler-
leitungen steht aber die Abhängigkeit der westfinnischen Völker in
der Terminologie des Schmiedehandwerks, auf die wir schon hin-
g'ewifsen haben, entgegen. Mit der Zeit sind allerdings die Finnen,
wie oiu Blick in das Kalevala oder das Kalevipoeg (eine estnische
Sa^e, verdeutscht von Carl Reinthal. Verhandlungen der gel. estn. Gesell-
schaft zu Dorpat IV u. V) lehrt, tüchtige Schmiedenieister geworden,
so dass der verhältnismässig späte Verfasser der prosaischen Ein-
leitungen der Eddalieder leicht darauf kommen konnte, den germ.
Völundr als Finnen aufzufassen. Vgl. auch Förstemann Geschichte d.
d. Sprachstammes I, 454.
Natürlich ist auch eine Herleitung von Völundr aus dem Kelti-
schen versucht worden, worüber mau H. Schreiber Taschenbuch für
Geschichte und Altertum in Süddeutschland IV, 103 ff. vergleiche.
W. Golther in dem oben genannten Aufsatz trennt die beiden Naiiien-
reihen WeUand {Galand) — altn. Völundr und agls. W^land — ahd.
Wielant von einander. Er sieht in beiden ursprünglich altgermaniRche
Personennamen, die jener fränkische Dichter zur Wiedergabe der
klassischen Namen Dädalos {Wiland) und Vulcanus {Waland) benutzte,
und zwar sei er auf Wiland verfallen wegen der Etymologie dieses
Wortes (:altn. vü ^ars, rix^rj'', das sich freilich auf diese Sprache
beschränkt), Waland (vgl. Walo) aber für Vulcafius habe er gewählt
f
- 22 -
richten die Sagen bei A. Kuhn Sagen, Gebräuche und Märchen
aus Westfalen I, Nr. 52, 53, 152, 288 etc.
Den nordischen Riesen entsprechen im Süden dieKyklopen^
die von Homer noch nicht mit dem Schmiedehandwerk in Ver-
bindung gebracht werden, sondern von denen erst die spätere
Sage berichtet, dass sie au&Sicilien and an anderen vulkanischen
Örtiichkeiten als Gesellen des Hephästos dröhnend das Erz fflr
Götter und Menschen im Feuer bereiten. Aber auch die Vor-
stellung des Schmiedes in Zwergsgestalt fehlt auf dem klassiBchen
Boden nicht. Die bildende Kunst scheint den Hephästos in alter
Zeit zwergartig dargestellt zu haben (vgl. Preller Griech. Myth. I,
123). Jedenfalls glich das Hephästosbild im Tempel zu Memphis,
über das Kambyses seineu Hohn äusserte, einem Zwerg oder
Kobold. Vgl. Herod. lll Kap. 37 : fori yäg xov 'Hqmoiov
TcoyaXjua idioi ^oivixrjtoioi Ilaxnixoiöi ijucpegeararoVj rovg ci ^ol-
vixeg iv Tfjoi Jigqigfjai rcov rgnjgicov Jtsgtdyovoi ' Ttvyßiaiov
ävdgog juljurjoig ion. Später scheint die Idee der zwergenhaften
Gestalt von Hephästos auf seine Gehilfen übertragen worden zu
sein. So führt uns ein Basrelief aus der Sammlung des Lonvre
in die Werkstatt des Hephästos, wo der Meister nebst einigen
Satyrn in voller Arbeit sich befindet. Neben dem Sehmiede-
ofen aber, aus dem die lodernde Flamme herausschlägt, sitzt
eine zwergartige, langbärtige, buckelige Gestalt in sich gebückt,
mit Kennerblick die Politur eines vor ihr ruhenden Helmes prfl-
wegen allerhand gelehrter mittelalterlicher Deut ungs versuche des
Wortes VulcamiSy Volicanun^ welche diesen Gott als per aärem volantem
etc. auffas8teu. Dem gegenüber erblickt Symons a. a. 0. in altn. Vih
lundr eine Herübernahme aus Niederdeutschland {Wiland : 9,iin. v4l),
wo nach ihm und anderen der ganze Sagenkreis wurzelt. Altfraus.
Galand aber sei nichts als ein norinannisiertes Völundr, Nicht un-
erwähnt will ich auch eine Vermutung 0. Kellers (Allg. Zeitung 1882
Nr. 140 Beilage) lassen, der in Wieland eine Verstümmelung aus
dem Namen des Kaisers Valentinianus L erblickt. „Er, der Zeitgenosse
und Gönner des Dichters Ausonius, war den Deutschen als Besieger
der Alemannen, Franken und anderer germanischen St&mme wohl-
bekannt... er residierte wiederholt jahrelang: zu Trier. Merkwürdig
war seine ausgesprochene Neigung für die bildenden Künste; er
versuchte sich selbst mit Glück in der Malerei, formte Figuren in Ton
und Wachs, erfand sogar neue Arten von Waffen nnd trieb mit ausser-
ordentlicher Liebhaberei und unleugbarem Geschick Mechanik und
Baukunst, besonders die Kriegsbanknnst**
fend (vgl. E. Gulil 1
' p. 281).
Endlich ist mir das wnhrscIieiDlichste, dass anch die be-
liaiititeBten nnter jenen rütselhafteo vorderasiatiscb -griechischen
Oamoneii, die zur Metallurgie Bez-iehangen habeu, wie Kabiren,
TWchinen '). Korybauten etc., die 'Maiut Jüiendoi, auf die wir
uwb KurUckkomuien werden, durch ihren Nanieo (Fingerlinge,
DÄarnJiiige, Pygmäen) in den Kreis jener Viirsteüangen gehOren.
KeineafalU wird man die alienlenerlicheu Deatungen des Wortes
A«T-».»^oi bei den Alten (vgl. Polhix II, 156 und sonst) gelten
lassen wollen.
Wie das Staunen der Menechbeit über die wunderbare
Kaii»t, d\v es versteht, das harte Metall im Kener zu schmelzen
und kostbare Dinge aus ihm zu schmieden, dann gefUhrt hat, ihre
Erfiiidcng Überirdischen Wesen suKuschreiben, so kann mau sich
auch tlie Ausübung derselben durch irdische Geschöpfe nicht
ohne <iit' Zubilleuahme geheimnisvoller und zauberhafter Mittel
vorstellen. Diese Anschauung gilt wiederum durch ganz Europa.
Die scbnn erwähnten 'Wiioi .iibtTvXot werden bereits in der
Sitesten Nachricht, die über sie erhalten ist, in dem epischen
Fragment der Fhoronia [vgl. Sehol. zu Apoll. Ä. I, 1126} yättjes
^/an Vierer" genannt, ein stehendes Beiwort fUr sie, daa in der
späteren Literatur häufig wiederkehrt'). Auf irischem Boden
PI) In ansprechender WeisB hat W. Prellwite B. B. XV, 148 dte
^ti■t^■reg als Schtniedegeister ku erweisen gesucht, indt-ni er das Wort
»«■ B»iech. xaXx^ (W. ghel-gh = griei-h. &eXx, reX-x) Mellt. Die Form
ßtkylvtf wilre dann eins voHtstümliehe Andeutung an itüyoi „zaubere'
(Vgl- unten).
3} Die angerührte Stelle der Phoronis lautet;
'JAaloi 9eiyK ävAgei, dpiorepoi olacC frator,
KiXftie, dofirafitrfif « f'r'^ ""' iitießtoi 'Aiti^oiv,
IEvuiiloftai SegÖJianti igiitj; HSgi/inili)!,
CK jiqAiih 'ix^jy nokvii^xan: 'Hipalmi
ESßor jv ovQrljfoi rAna'i !6rrta alSijQ^r '
'Ei nCff t' ilrrynav xtü AeutgK-rii Igyar rStiiaV.
T^l. Straho c. 473 öUoi äilioi /ivSiovaiv, <Kn(poie i&iikhi m.'vämovnt '
trärrti i' xai j-riigra« dniil^ifaai Andere Namen der drei Schmiede-
meister sind: Chalkon, Chr,VBOti, Argyron. auch Avxoi, KiXfiif, änttva-
' fuyrii, auch MvXa;, Aixa;. KüovOo; {7). Vgl, über diese und Versuche
fhrer Deutung Prellwitz a. a. O.
— 24 -
mft S. Patrick (vgl. Windisch I. T. I, 7, 48) verschiedene Tu-
genden an fri brichta ban ocus goband octis druad |,gegen die
Zaubersprüche von Weibern, Schmieden und Dmiden^. Anch
die bekannten slavischen Heiligen Knzma und Demian, die
sonst geschickte Ärzte (q^ag/naxelg wie die Dactylen) sind, treten
in rassischen Volkserzählungen ^als heilige and ttbematarliche
{y67]T€g) Schmiede im häufigen Kampf mit Schlangen" auf (vgl.
W. R. S. Ralston Russian Folk-Tales p. 70 und The songs of
the Russian people p. 198). Nicht minder ist die germanische
Figar des Wieland eine durchaus zauberische Persönlichkeit,
und auch im finnisch-estnischen Norden kann eine gute Schmiede-
arbeit der Zauberkunst nicht entbehren. Jedenfalls zeigt die
Art und Weise, in der sowohl in der Wilkinasage (vgl. p. 94
der V. Hagenschen Ausgabe) als auch in dem Kalevipoeg (vgl.
Ges. VI, 399 — 416) die Herstellung berühmter Schwerter ge-
schildert wird, dass sich zur Zeit dieser Denkmäler die Phan-
tasie des Volkes die Tätigkeit geschickter Schmiede nicht ohne
geheime Künste vorstellen konnte. In Griechenland und Dentsch-
land werden fast völlig sich deckende Züge von dem Vorhanden-
sein unsichtbar arbeitender Schmiedemeister erzählt. Schon Py-
theas in seiner yfjg Treotoöfo berichtete, dass auf den Inseln Li-
para und Strongyle unsichtl)are Schmiedearbeit getrieben werde.
Man lege das unbearbeitete Eisen hin und nehme dann am an-
dern Tag das fertige Schwert oder einen anderen gewünschten
Gegenstand in Empfang (v^l. Schol. zu Apoll. A. IV, 761).
Genau dieselbe Sage wird in England und Deutschland, besonders
im Niedersäc'lisischcn erzählt*) (vgl. K. Z. IV, 96 ff. und A. Kuhn
Sagen, Gebräuche und Märchen aus Westfalen I Nr. 36, 40 —
von unsichtbaren Wasserschinieden — 49, 52, 53 — von schmie-
denden Sgönauken — .oo, 76 — vom Grinkenschmied).
Beachtung verdient auch die Dreizahl der mythischen
Schniiedekünstler {KtXfug, Aauvajtievevgy \4xfji(ov, vgl. p. 23 Note),
1) Ganz rthnlich wird von den Veddahs auf Ceylon berichtet:
„Sie trugen, sobald sie Waffen bedurften, bei Nachtzeit ein Stück
Fleisch in die Werkstatt eines Schmiedes, hingen ein ausgeschnittenes
Blatt von der Form der gewünschten Pfeile daneben, und war das
Werk nach also angegebenem Muster vollendet, so holten sie es wieder
ab und brachten noch mehr Fleisch.** Vgl. Lubbock Die Torgesch.
Zeit J, 60.
- 25 —
der wir oben bei den Griechen begegnet sind; und die bei Ger-
manen nnd Romanen wiederkehrt. Nicht nar Völundr hat in
dem eddiscben Lied zwei Brüder, ein altes deutsches buoch nennt
ausdracklich als die berdhmtesten smittemeisfer drei Schmiede
Mime, Hertrich nnd Wieland, und ebenso berichtet eine prosaische
Auflösung des altfranzösischen Romans von Fierabras von drei
Bradem Galand (= Wieland), Magnificans und Ainsiax, die
neun berühmte Schwerter schmiedeten (vgl. W. Grimm Die
deutsche Heldensage p. 146 und 43). Auch A. Kuhn a. a. 0. I,
Nr. 92 kennt eine Sage von drei Schmieden^ die Kröse hiessen.
Bemerkt sei, dass auch die indischen rbhti in der Dreizahl auf-
treten.
Wenn aber so der höchste Grad menschlicher Geschicklich-
keit den Schmieden zugeschrieben wird, so ist es begreiflich,
dass sie auch anderen Fertigkeiten als nicht fernsteheud
gedacht werden. Besonders ist hier neben der schon berührten
ärztlichen Tätigkeit der Schmiede die Ton-, Dicht- und Tanz-
kunst zu nennen. Wie die 'IdaToi ddxxvXoi, wenn sie auch in
erster Linie die Kunstdämonen ältester Mctallarbeit sind, doch
auch zuerst Tonstücke aus Phrygien nach Griechenland gebracht
Dnd den daktylischen Rhythmus erfunden haben sollen, so ist auch
den germanischen Eiben ein „unwiderstehlicher Hang zu Musik
ond Tanz" eigen (vgl. Grimm Myth.^ p. 438 j. Auf keinen Begriff
wird das Wort Schmied und Schmieden so häufig angewendet
wie auf den des Gedichtes, des Liedes (altu. Ijödasmidrj alid.
leodslahoy Verse schmieden etc.), und noch im späteren Mittel-
alter sind dichtende Schmiede bekannt (vgl. W. Wackernagel
Kleinere Schriften I, 49).
Der mystische Zug, der somit auf der Entstehung kunst-
voller Schmiedearbeit ruht, tritt aber noch in einem anderen,
den griechischen und deutschen Schmiedesagen gemeinsamen
Punkte hervor: es ist dies das trug- und listvolle Element, das
gerade den besten Arbeiten inne zu wohnen pflegt. Die unsicht-
baren Fesseln, mit denen Hephästos sein eheliches Lager um-
schmiedet, der Thron der Hera Acpavtig deouorg excovj das bis
in die spätesten Geschlechter Unheil stiftende Halsband der Har-
niooia sind hierfür Zeugen auf klassischem Boden. Ebenso ist
aaf germanischem Völnndr-Wieland ein trugvoller Gesell. Nach-
dem er die Söhne König Nidudrs getötet hat, heisst es von ihm:
\
- 26 -
Aber die Schädel unter dem Schöpfe
Schweift' ich in Silber, schenkte Hie Nidudrn.
Aus den Augen macht' ich Edelsteine, •
Sandte sie der falschen Frauen Nidudrs.
Aus den Zähnen dann der zweie
Bildet' ich Brustgeschnieid und sandt' es Bödvildr.
(Simrock.)
Auch Reigin und Mime werden von der deutschen Sage alf
listige und ränkereiche Sehmiede geschildert Im finnisehei
Kalevala werden die Schwerter bei Hiisi, dem bösen Prinzip,
scharf geschliffen, und Hiisis Vöglein, die Hornisse (vgl. IX.
230 ff.), ist es, die das Zischen böser Schlangen, das schwarf^^
Gift der Nattern urw. in den Stahl hineinträgt.
Am charakteristischsten aber hat sich diese Vorstellung be ^3
den Germanen weiter gebildet.
War hier Wieland allmählich der listenreiche und tüekischi
Zauberer geworden, so musste, als die christliche Welt dei
Norden die Bekanntschaft mit dem Teufel vermittelte, diePerso'
des tückischen Schmiedes den Priestern äusserst willkomme
erscheinen, um den christlichen Begriff des Bösen an ihr d^^r
heidnischen Menge zu veranschaulichen. Unzweifelhaft habe* :»
in der altdeutschen Auffassung nunmehr Schmied und Tenf^^^l
zahlreiche Ztlge gemeinsam. Der Teufel ist der awarze Meht^^r
in der russigen Hölle, er schmiedet und baut wie Wieland, vtn^r
allem al)er ist er hinJcebein {diahle hoiteux) wie der nordisch» ^
Völundr und der griechische Hephästos, mit welchem letzteres- acx
er ausserdem noch den Sturz aus dem Himmel (Luc. 10, 1^^"5
gemein hat (vgl J. Grimm Myth.^ p. 945 und III*, 294). Vr»
dem unsichtbar schmiedenden Teufel (vgl. oben p. 24) erzäh
A. Kuhn a. a. 0. I Nr. 56. Wie lange aber in Deutschland d i
Spuren der Vorstellung sieh erhielten, dass der Schmied e:i
Zauberer und mit dem Teufel im Bund sei, zeigt die hObscl
Erzählung des Pfarrers Petersen aus dem XVII. Jahrh. (l^
G. Freytag Bilder aus der deutschen Vergangenheit IV, 50 t
von dem „Erbschmied^, der einem unbekannten Dieb dnr«
allerhand teuflische Ktinste das Auge ausschlagen soll.
Den Übergang der Schmiedekunst aus den Händen g6
lieber und überirdischer Wesen in die der Menschen nnd
allmähliche Entstehung einer eigentlichen Schmiedeznnft v
anschaulicht uns das germanische Altertum aufs beste. Wi
~ 27 —
rend, so viel ich weiBS, iu der klassischen Überlieferung: kein
Held oder Halbgott namhaft gemacht wird, der seinen Schild
oder sein Schwert sich selbst geschmiedet hätte, begegnen uns
unter den Germanen zahlreiche Recken aus edlem Geschlechte,
die sich darauf verstehen, ihren Bedarf an Schmiedewerk selbst
zu verfertigen. Ich nenne hier Skallagrim, Kveldulfs Sohn, auf
Island (vgl. Weinhoid Altn. Leben p. 93), jung Siegfried, den
Lougobardenkönig Albuin u. a. (vgl Paulus Diac. I, 27). Namen
anderer mythisch-historischer Schmiede sind : Mime, Hartrtch,
Eckenbrecht, Mimringus, Madelger, Amilias u. a. Begüterte
Männer legen sich in ihrem Walde Schmiedewerkstätten an,
deren Stellen, namentlich auf Island und im westlichen Deutsch-
land, durch Kohlen und Schlacken noch kenntlich sind. Auch
im alten Griechenland') und in Irland (vgl. 0' Curry Manners
and customs II, 246) waren die Schmieden in tiefer Wald-
einsamkeit gelegen, und ebenso findet in der estnischen Sage
(VI, 147 ff.) Kalevipoeg*) erst nach langer Wanderung die ein-
same Schmiede, in der er sein Wunderschwert erhalten soll, im
dichtesten Walde versteckt:
endlich fiel dem rüst'gen Wandrer
Auch das schöne Tal ins Auge.
Als «r diesen Raum betreten,
Drang des Blasebalges Brausen
Und der Schall der Hamnierschläge,
Die im Takt den Amboss trafen,
Schon von fern ihm in die Ohren usw.
Die Fridolinsage, die an solchen Waldschmieden haftet, zieht
sich durch alle germanischen Stämme (vgl. Weinhold a. a. 0.
P- 94 ff.). Geschickte Schmiede stehen im höchsten Ansehen.
König Geiserich erhebt sogar einen derselben in den Grafen-
1) Vgl. Hesiod Theog. v. 864 ff. :
(c&c) aldriQog wieg xQaxeQ(otat6g ioxiv
ovgeos iv ßi^aoijatj öafia^ofievog nvgi xrjkiq)
TfjxsTO ev ji^^ovi öijjf vq>* *H(pal<nov natXdfijjait dazu die oben
P- 23 angeführte Stelle der Phoronis.
2) Der estnische Heldenjüugling lässt sich in mancher Be-
**^lnmg mit Sigurd-Siegfried vergleichen. Wie dieser bei dem Schmied
^*»oe den gewaltigen Amboss mit dem Hammer „in die Erde" schlägt,
*^ Spaltet Ralevipoeg mit dem Wunderschwerte den
schweren Amboss
Nebst dem dichtberingten Klotze,
Der ihn trug, bis auf den Boden.
- 28 —
stand^ lind die Tötung eines ScbmiedeH, vor allem eines Gol
Schmiedes, wird tiberall in den Gesetzen mit grösseren Snmmec- ^n
bedroht als die anderer Knechte (vgl. Wackernagel EL SchrifteK: ^n
I, 46).
In Pinnland stehen noch heute die Schmiede in höchste ^^^r
Achtung. Man bringt ihnen Branntwein etc., um sie bei gute -sr
Laune zu erhalten, und das Sprichwort lautet:
Reines Brot geniesst der Schmieder,
Bessre Bissen stets der HUmmerer.
(Vgl. Ahlqvist a. a. 0. p. 60.)
Die Sitte endlich, dem Schwerte wie einem lebenden Wese^m
einen eigenen Namen beizulegen, vgl. Siegfrieds Balmung, Wi^st-
lands Mimung, Beöwulfs Nägling, Rolands Dumdart etc., scheii^ t
sieh wenigstens bei den Indogermauen auf die germanische ^si
Stämme zu beschränken.
Wir schliessen hiermit diese kurzgefasste, von Kundiger^v
leicht zu vervollständigende Zusammenstellung der verwandten
Züge iudüg. und nichtindog. Schmiedesagen.
Fassen wir das Ergebnis dieses Kapitels zusammen, so h&l
sich gezeigt, dass sich erstens in den sprachlichen Verhält-
nissen der Indogermauen kein Anlass findet, die Ausbildung des
Schmiedehaudwerks in die indog. Urzeit zu verlegen, und dass
zweitens die Vieldeutigkeit der auf den Schmied and seine
Kunst bezüglichen Mythen und Sagen uns nicht geeignet er-
scheint, für den Mangel sprachlicher Argumente einen Ersatz
zu bieten.
Wohl lassen sich Zusammenhänge in dem um das Hand-
werk des Meister Schmieds gesponnenen Vorstellungskreis nicht
verkennen; aber man gewinnt doch den Eindruck, dass es sich,
abgesehen vielleicht von einigen in die Urzeit zurückgebenden
mythischen Ausätzen, um die Wand rang von Sagen und Ad-
schauungen handelt, die sieh in verhältnismässig später Zeit zu-
gleich mit den Metallen, vor allem mit dem Eisen, von Stamm
zu Stamm verbreitet haben; doch lassen sich sichere Angaben
über den Ausgangspunkt, den Weg und die Zeit solcher Übe^
tragungen nicht machen.
Wir wenden uns daher nunmehr zu der Geschichte der
einzelnen Metalle selbst, aus der wir zuverlässigere Anhaltepankte
für das von uns behandelte Problem zu gewinnen hoffen.
IV. Kapitel.
Das Grold.
Das sagenumwobene Gold^ das in dem Sande der Flüsse
glitzert and in den Adern der Berge in meist unvererztem,
^diegenem Zustand lagert, dessen lieblicher Glanz die Begierde
des Wilden in gleicher Weise erregt, als die Leichtigkeit seiner
Bearbeitung den Kunstsinn des höher Stehenden herauszufordern
scheint, das vielgepriesene und vielgeschniähte Gold, das von
moralisierenden Dichtern bald als melius irrepertum, bald als
ferro nocentius gescholten, von allen aber gleichmässig begehrt
wird, hat schon in einer vor allen geschichtlichen Anfängen
liegenden Zeit seine hohe Stellung in der Wertschätzung des
Menschen sich erobert. Zwar wissen die Alten von einer Zeit
zn erzählen, in der nach den Worten des Lucrez fV, 1272):
fuit in pretio inagis aes, aurumque iacebat
propter inutilitatem;
allein diese Anschauung von der einstigen Geringsehätzung des
Goldes anderen Metallen gegenüber findet keinen Anhalt an den
tatsächlichen Verhältnissen.
Schon das Morgenrot der geschichtliehen Überlieferung
beleuchtet ein durch den Zusanimenfluss des edelsten Metalles
reich gesegnetes Land, Ägypten (vgl. Lepsius Die Metalle in
den ägyptischen Inschriften. Abb. der Berl. Ak. d. W. phil.-
bist. KI. 1871 p. 31 ff.). Besonders häufig erscheinen in den
Abbildungen und Inschriften die Äthiopen und Südländer über-
banpt, wie sie aus ihrer goldreichen Heimat am roten Meer und
arabischen Meerbusen reichen Tribut in Form von Beuteln,
Bingen, Platten, Stangen, Ziegeln darbringen. Aber auch die
Assyrier, AxtRotennu der Inschriften, und mannigfache Stämme
Syriens, die Tahi, die Chetiter, das Volk von Megiddo werden
als goldzollende Tributpflichtige dargestellt, was darauf schliessen
- 30 -
lässt, dass im Libanon in alten Zeiten, ausser auf Kupfer, auch
auf Gold mit Erfolg gegraben worden sein mag.
Der Name des Goldes lautet im Ägyptischen nub, koptisch
nouby woher Nubien seinen Namen zu haben scheint. Das figflr-
liehe Zeichen des Goldes /?^g^*^ , das sich in Benihassan noch
in seiner ursprünglichen Gestalt ^^j|tf\ erhalten hat, stellt
ein zusammengelegtes Tuch mit zwei Zipfeln dar, in dem die
Goldkömer durch Schwenken gewaschen werden. Auf dem äiteren
Zeichen erkennt man noch den Sack, aus dem das Wasser ab-
träufelt (vgl. hebr. säqaq, griech. oaxxico). In Theben wird der
Sack von zwei Leuten in der Luft geschwenkt. Darüber steht
„Bereitung des Goldes^. In den altägyptischen Inschriften wird
ein doppeltes Gold unterschieden: nub en set „Gold des Felsens*',
Berggold, und nub en mu „ Flussgold ^, welches letztere noch
heute von den Negern am blauen Nil unter dem Namen Tibber
in Federspuien gesammelt wird.
Es kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass dieses
letztere überall zuerst die Aufmerksamkeit des Menschen auf
sich gelenkt habe. Denn wenn es wahr ist, was Strabo e. 146,
vielleicht mit einiger Übertreibung, aus dem metallreichen Iberien
berichtet, dass in dem Goldsaude der Turdetanischen Flüsse sich
zuweilen halbpfündige Massen {näXai^) genannt) finden, wird
ähnliches in den Zeiten einer erst beginnenden Ausbeutung aoch
bei Flüssen anderer goldreichen Länder der Fall gewesen sein ^).
Doch scheint auch das edle Metall der Berge im grauen Altertum
dem Menschen noch bei geringerer Arbeit erreichbar gewesen
zu sein, als jetzt. Polybios (bei Strabo c. 208) erzählt, dass
bei den Norischen Tauriskern sich eine so ergiebige Goldgrabe
1) Wohl ein iberisches Wort. Vgl. Plinius Hist not, XXXIII c 4
8. 21: Aurum arrugia quaesitum non coquitur, sed sttUim suufn est.
Inveniuntur ita massae, nee non in puteis et denas excedentes Uhrai,
Palacas (Hispani vocant), alii palacumas^ iidem quod minutum ett,
balucem vocant. Vgl. Diefenbach Origines Europaeae p. 240.
2) Die Alten wussten vielfach von früher goldführenden StrömeD
zu erzählen. So soll (nach Strabo c. 626. vgl. auch Herodot V, 101)
der auf dem Tmolus entspringende Paktolus dem Krösus seine nn-
er messlichen Reichtümer zugeführt haben. Aber schon zu Strabo«
Zeit ixliXouis to yftjyfia»
li
id, dii9$, wenn man auf zwei Fuss die obere Erde abräiuiiie,
sufort uuti^^rjtblicbes Gold antrnf usw.
In dem nltcD Ägypten geht daber auch die bergtnänniBcbe
iwiimnng des Qotdes in die grangten Zeiten zarUek. Eine eehr
tlcre«eante Beecbreibuug der al (ägyptischen Gfddberg werke, wie
Bclian von den allen Königen eingerichtet sein aolicn. iBt uns
m Diodonis Sieulae (Itl Kap. 12^14) llberliefert worden. Mit
grellen Farbeu wird liier das Elend der Tausende von unglück-
lichen, durch den Macbtsprueh der Kiinige zu lebenstänglicher
tuigsarbeit in den Bergwerken verurteilten Verbrecher ge-
lililert, wie uie in Fesseln, ohne Kaat bei Tag und Naeht, an-
itrieben von de» nnbarnilierzigen Peilschenliiehen ihrer Auf-
■eher, mit Lümpeljen an den Stirnen, wie Geister durch die
Finsteren .Stollen husebeiid, ohne Pflege ihres Körpers, ohne
Kleidung ihrer ^^cllam ihre harte Arbeit verrichten, so dass der
iliriftsteller mit den Worten schliesst: qM, yäg i) (pvmg, oiofiai,
■I }t(>öihiÄoy wi 6 ^oraöc yevfotv /ih Inäioyor lj(et, ifvlaxi/v ^
novdr)v Üi ^teyiazTjv, XS^'^'" ^^ ^*^ fUaov ij&ovf{? Ah
SehoD die Nachbarschaft des durch reiche Goldlager und
ch die früh gehandbablo Technik der Goldbcreitnng und
<ld Verarbeitung ausge/.eichneten Landes macht es wahrschciu-
:b, A»m auch die durch zahlreiche geschichtliche Beziehungen
it Äg^ten verbundenen eemitischeu Völker schon in den
leülen Zeiten ihrer Geschichte das kostbare Metall Bchölzen
aacAen gelernt haben. Und wirklich geht die Bekanulsehaft
it dem Golde bei den Semiten in die Zeit ihrer Urgemeinschaft
irBck, wie dies ans der Übereinstimmung der Namen dieses
letaileB bei Ost und Westsemiten: aseyr. hur&m = hebr. ArtriJs
''nur poetisch gebraucht! zu folgern ist. Eine zweite weit-
vt-rbreilcte Bezeichnung des Goldes ist bebr, zähdb, arah. dahab,
«yr. dltab = ureemitisch *dahabu. Beide Wortreihen bezeichnen
dn» „schimmernde, glänzende" Metall. Eine dritte Bezeichnung
liebr. kctem isyn, von zähdb] kehrt im Xgypliaehen ka&ama
«iederiZ. f.ägypt. öpr. u. Altertk. X, 44 und 114 und XII, 149).
Eine besondere, inil diesen Wörtern nicht zusammenhängende
llezeicbnung des Goldes, gush-kin, die das „biegsame Metall"
be«ieDIen soll, besass die sumerische Bevölkerung Babylons.
X>(ich kommt dies Wort, wie auch die tlbrigen sumerischen Metall-
— 32 —
namen mit Aasoahme des Kapfers, erst in verhältnismässig jungen
Texten vor, und auch seine sprachliche Bildung (mit zusammen-
gesetzten Ideogrammen) soll nach F. Hommel (Die vorsemitischeD
Kulturen, Leipzig 1883, p. 409 ff.) darauf hinweisen, dass die
Sumerier erst in Babylon oder von hier aus die meisten Metalle
und unter ihnen das Gold kennen lernten.
Durch das alte Völkertor medisch-semitischen Verkehrs,
durch die Pässe der Zagroskette begeben wir uns zum ersten
Male auf indogermanisches Gebiet. Ein Dreieck, gezogen
von dem nördlichsten Punkte des Persischen Golfes und dem snd-
lichsten des Kaspischen Meeres bis zu den Mündungen des
Ganges schliesst im grossen und ganzen die Wohnsitze einer
Reihe von Völkern ein, die, wie wir schon gesehen haben, seit
den frühsten Zeiten ihrer Geschichte durch das engste Band der
Sprache und Sitte verbunden gewesen sind, den indisch-irani-
schen Völkerzweig. War diesem in der Epoche seines engeren
geographischen Zusammenhanges schon das Gold bekannt? Wir
dürfen, meine ich, diese Frage mit „Ja" beantworten. Elinmal
entspricht der altindische Name dieses Metalles vedisch hiranya
nicht nur in der Wurzelsilbe, sondern, worauf, wie wir gesehen
haben, ein besonderes Gewicht zu legen ist, auch in den Suffixen
dem zaranya des Awesta. In keiner von beiden Sprachen ist
die Spur einer früheren Bedeutung erhalten. In allen nenirani-
schen Dialekten, im npers. zer^ pehlevi zar, im kurd. zer^ zity
im afghau. zar^ balu6t zar (vgl. Hörn Grundriss d. npers. Et
S. 145), im bucharischen ser (Klaproth As, Polygl. p. 252)^
kehrt das Wort wieder, und zweifelsohne auch in dem ver-
sprengtesten Teil des Iranischen, dem Ossetischen, wo es sfzyärin
(im digorisehen Dialekt stiyzärinä, wörtlich „reines Gold", Hübsch-
mann Osset. Spr. p. 56) lautet.
Fern den irano-indischen Sprachen liegt, wie in anderer
Beziehung, das Armenische auch in der Benennung des Goldes,
soweit das iranische zar nicht in Gestalt von Lehnwörtern wie
zank „Arsenik" („goldig") etc. (vgl. Httbschmann Arm. Gr. I^
149) eingedrungen ist. Dieselbe lautet hier oski und dürfte
kaum indog., eher altarmenischen oder kaukasischen llrspranga
sein. Sie klingt an — mehr kann man hierbei nicht sagen —
einmal an den oben genannten sumerischen Namen des Goldes-
gushkiny gusTighij das andere Mal an das in mehreren georgischen,.
— 88 —
aber auch in einer lefighischen Sprache herrschende kaukasische
okhrOj orJcho, oJchvr, oJcoro (vgl. R. v. Erckert Die Sprachen
des kaukasischen Stammes ^)y Wien 1895, p. 74).
Unsere Annahme aber, dass das Gold schon in der indo-
iranischen Urzeit bekannt war, die sowohl von Geiger Mns^on
IV, 17, wie auch von Spiegel Arische Periode p. 33 geteilt wird,
findet eine weitere Stütze auch in der Beschaffenheit des Ge-
ländes, auf dem wir uns die arische Periode verlaufen denken
müssen. Sowohl der bedeutendste Nebenfluss des Oxus, der
Polytimetos der Alten, der heute noch Zerafschän „der gold-
führende^ heisst, als auch die Gewässer, die nördlich und südlich
dem Hindukusch entströmen, führen in ihren Fluten glitzernden
Goldsand, der die Aufmerksamkeit der Anwohner frühzeitig auf
sich lenken musste. Dasselbe gilt von den Strömen, die der
EQmälaya nach der West- und Südwestseite entsendet.
In den Anschauungen der Alten, bei Herodot und Mcgasthenes,
wird Indien daher infolge einer fälschlichen Ausdehnung des ihnen
von den nordwestlichen Gegenden Bekannten für ein goldgesegnetes
Land angesehen. Ja, Plinins (Hist. nat. VI, 23) weiss von einer
Gold- und Silberinsel Chryse und Argyre (ostwärts von der
Gangesmündung, später XQ^<^V ;ff^<yor/;öo?, j. Malaka; vgl. Kiepert
Handbuch d. a. G. p. 42) zu erzählen. In den Liedern des
Rigveda selbst wird der Indus „Du goldreiche Sindhu", „Du
Strom im goldenen Bette" (hiranydyt, hiranyavartani) angeredet.
Goldgruben und Goldwäschen (Zimmer Altind. Leben p. 49 f.)
werden schon hier erwähnt, und unverhüllt tritt bei den frommen
Sängern ein wahrer Heisshunger nach dem kostbaren Metall uns
entgegen. Eine üppige Terminologie blüht in der späteren
Sanskritsprache für das von allen begehrte Metall empor ^).
1) Im übrigen stehen die kaukasischen Goldnamen, in iesghischen
Sprachen z. B. misid, misidi, mesjed, in tscherkessischen desi, doSu^
diiä, düia etc. ganz allein (vgl. v. Erckert a. a. 0.)
2) Vgl. Pott Etym. Forschungen II, 410 f. Er bespricht die indi-
schen Goldnamen nach den vier Kategorien: Glanz und Farbe, wirk-
licher oder eingebildeter Fundort, Eigenschaften oder lobende Epitheta,
Ungewisse Abkunft Vgl. ebendaselbst auch über die scrt. Namen der
übrigen Metalle.
Der Räjanighanfu Narahari's (in der Mitte des XIII. Jahrh.
unserer Zeitrechnung), ed. R. Garbe, Leipzig 1882 nennt 42 Namen für
Gold (vgl. p. 33 f.).
Schrader, SprachTergleichanff and ürgescliichte IL 8. Aufl. 8
— 34 —
Von diesen späteren Goldnamen des Sanskrit will ich
nur einen hervorheben, der in dem Gewände einer Fabel schon
in sehr früher Zeit seinen Eingang in das Abendland gefunden
hat. Hcrodot (III. Kap. 102 — 105), und nach ihm andere, be-
richten nämlich von einem streitbaren Volk im Norden Indiens,
das auf Kamelen früh beim ersten Morgenstrahl in die WAste
hinausreite, um Gold zu holen. „Es gibt dort nämlich Ameisen
von der Grösse zwischen Hund und Fuchs und einer ansse^
ordentlichen Schnelligkeit, die nach Ameisenart in dem Erdboden
sich anbauen und Hügel von goldartigem Sande aufwerfen. So
galt es denn, diesen Goldsand eiligst auf die Kamele zu laden
und noch vor der kühlen Tageszeit heimzukehren. Denn wenn
die Ameisen sich während der Hitze versteckt hielten, so kommen
sie später aus ihrem Bau und, von ihrem Geruch geleitet, jagen
sie den Goldräubern nach." Auf diese im Altertum weit ve^
breitete Sage spielt die Glosse Hesychs fieraXkeig ' juivQ/utrjxeg^) an.
In der Tat wird nun von den Indem eine von dem nordindi-
schen Stamme der Darada, die eben von den Alten als OrolA-
Jäger bezeichnet werden, gebrachte Art Goldes pipÜika d. h.
„Ameise" {Mahäbhärata 2, 1860) genannt, und es wäre nach
Lassen wahrscheinlich, dass mit diesem Namen eine auf den
sandigen Ebenen Tibets noch jetzt lebende Gattung von Harmel-
tieren gemeint wurde, die nach Art der Ameisen in Gesellschaften
zusammenleben und Höhlen bauen. Der von diesen Tieren auf-
gewühlte Sand, der öfters Gold enthalten mochte, konnte in den
indischen Goldsuchern leicht die Meinung erwecken, als ob jenen
Tieren ein besonderer Instinkt für die Auffindung der Metalle
innewohne.
Eine andere Erklärung der Sage von den goldgrabenden
Ameisen nimmt an, dass unter jenen rätselhaften Tieren ein
Tibetanischer Menschenschlag zu verstehen sei, und wirklich
sollen neuere Durchforschungen Tibets auf zahlreiche in Gesell*
Schäften lebende Familien Tibetanischer Goldgräber geführt
haben, die in strenger Winterkälte, in Pelze und Felle bis über
die Ohren eingehüllt, von wilden und grossen Hunden beschfltst.
1) Vgl. auch Heliodor Aethiopica: nag^oav lAtxa roihrotv (Seren, die
Seide, und Arabern, die Aromata bringen) ol ix Hfg T^i^cD/iodvmcfc,
XQvow Ss x6v fivQ/irjxlav jtQooxofAiCoyxeg X, 26 und Phllostr. ApolL VI, 1.
-So-
mit langen eiseraen Spaten nach dem reichlich vorhandenen
Golde graben (vgl. Aasland 1873, No. 39 and W. Touiaschek
Kritik der ältesten Nachrichten über den skythischen Norden I,
Sitzungsb. d. k. Ak. d. W. zu Wien CXVI S. 754).
Nachdem wir so die alten Kaitarstaaten des Orients von
den Ufern des Nils bis zum Oxus und Indus durchwandert und
flberall gefunden haben, dass die Freude an dem kostbaren Metall
and die Sehnsucht nach ihm bis in nur an der Hand der Sprachen
erschliessbare Vorzeiten zurückgeht, wenden wir uns unserm
heimatlichen Erdteil Europa und zunächst dem Ausgangspunkt
europäischer Zivilisation, den klassischen Stätten des Mittel-
meergebietes zu.
Im Griechischen heisst das Gold xQ^<^<^^'^ und alle Sprach-
forscher stimmen gegenwärtig darin überein, dass dieses Wort
eine Entlehnung aus dem Semitischen (vgl. oben assyr. huräsu
= hebr. harüs) sei. Da es bereits in den ältesten Schichten
der homerischen Sprache vorkommt, auch in altgriechischeu Orts-
und Personennamen häufig verwendet wird, so folgt hieraus, dass
es schon geraume Zeit vor Homer dem griechischen Wortschatz
einverleibt worden sein muss, oder dass, mit anderen Worten,
die Entlehnung uns zurück in jenes Zeitalter führt, das wir das
„mykenische'' nennen, in das Zeitalter der „goldreichen** Städte
Mykenae und Orchomenos, aus dem die Ausgrabungen reiche
Schätze des edelsten Metalls an den Tag gebracht haben (vgl.
ihre Auf zählang bei Tsountas und Manatt The Mycenaean age,
Register unter Gold). Dieses mykenische Gold ist also — gewiss
eine wichtige Tatsache für die Beurteilung der Grundlagen
dieser Zivilisation überhaupt — semitischer Plerkunft, nicht
etwa, wie z. B. der homerische Name des Weins {olvog aus armen.
gini)y phrygisch-kleinasiatischen Ursprungs. Auch ist uns der
phrygische Name des Goldes y?,ovQ6g {yXovgea' xQvoea, ^gvyeg
Hesych) = griech. x^^Q^*^ „grünlich, gelblich" durch den Zufall
erhalten. Mit diesem Worte werden daher auch die Trojaner,
die wir als Teil des phrygischen Stammes ansehen dürfen, das
(jold benannt haben, das sich in grösserer Menge von der dritten
Stadt des Bnrghflgels von Hissarlik an nachweisen lässt.
AIb die Vermittler dieser mykenisch-semitischen Goldschätze
wird man für Griechenland immer in erster Linie die Phönizier
bezeichnen dürfen, deren Fahrten nach den östlichen und südlichen
3*
- 36 -
Küsten Griechenlands schon im XVI. Jahrhnndert begonneD
haben, und bei denen, wie neaere Inschriftenfunde (vgl. Z. d.
Deutschen Morgenl. Ges. XXX, 137) lehren, harüs das gewOhih
liehe Wort für Gold war. Dass die Phönizier, von deren Ge-
schicklichkeit im Bergbau offenbar Hiob 28, 1 — 11 („Es hat das
Silber seine Gänge, und das Gold seinen Ort, da man es BChmelzet*^
usw.) handelt, später auch die ersten Goldgraben in Hellas, auf
der Insel Thasos und am Pangäon eröffnet haben, ist eine längst
bekannte Tatsache. Herodot (VI, 47), der ihre an der Süd-
küste von Thasos verlassenen Gruben besichtigt hatte, erzählt,
dass die Phönizier hier einen ganzen Berg umgekehrt hätten.
Auri metalla et flaturam^ sagt Plinius VII, 197, Cadmus Phoenix
ad Pangaeum montem invenify und dasselbe berichtet Strabo,
der c. 680 ein Verzeichnis der von den sagenhaft reichen Königen
Vorderasiens und Griechenlands ausgebeuteten Gruben*) gibt.
Das spätere Griechenland hat dagegen keinen Überflnss
an dem in mykenischer Zeit so reichlich vorhandenen Edelmetall
gehabt. Mussten doch nach Herodot II, 69 die Lakedämonier
im VI. Jahrhundert, um dem Apollo eine Bildsäule zu errichten,
zu Kroisos von Lydien, behufs Einkaufs des dazu nötigen Goldes,
eine Gesandtschaft schicken. Weiteres vgl. bei Blümner Techn.
u. Term. IV, 11.
Ebenfalls aus dem semitischen Vorderasien, wenn aach in
viel späterer Zeit und nicht mehr durch phönizische Vermitt-
lung, dringt dann nach Griechenland das zuerst bei Herodot
erscheinende /tivä (lat. mina), der Name eines bestimmten Gold-
gewichts, aus assyr. manah, das auch im akkad. mana und ägypt.
7nin, sowie im scrt. manä' (schon vedisch) wiederkehrt.
War so der Glanz des Goldes zuerst den Griechen von
der semitischen Welt her aufgegangen, so mag doch sehr
\) d)Q 6 fjihv Tavidkov nXovrog xal, roiv UekojitScöv cuio tc5v Ttegi ^gvyiojf
xai ZhvXov lAerdXXwv kyh'Exo' 6 Öe Kddfiov [ix reöv] njeQi Ogifxijv xal t6
JJayyaTov Sqoq' 6 6e Flgidfioif ix xcjv iv /iarvQOtg Jisgl "AßvSov ;|r^t*oe/a>y, &v
xai vvv in /nixoa Xeüierai ' jtoXXrj S* i; ixßoXrj xal ra dQvyfJiaxa Ofjfista t^ Ttalai
fÄttaXXeiag ' 6 de Midov ix nov negi zo Biofuov ÖQog ' 6 ds Fvyov xai *AXwimv
xal Kqoioov ouio xa>v iv AvSitf, *Trjg jusxa^v /ixagvioyc re xal ÜSQydfiov
noXix'^nj iQrjfÄtj ix^iBfJLtxaXXsvfJiiva ixovoa xa ;|ra)^/a. Vgl. Groskurds ÜbeST-
setzung II r, 98. Eine sorgfältige ZuBammenstelluDg aller Fundorte des-
Goldes im Altertum gibt Blümner Technol. und Termin. IV, 12 ff.
frOlizeitig zu den Hellenen durch die Vermittlung der pontischen
Kolotiieo auch die Kunde von den reichen, in den Schluchten des
ral und Attai gehlunitnernden Metall8chät/,en gedrungen sein.
Wiedernni ist es Herodot (IV Kap. 23—31), der berichtet,
in einem Lande nordüstücli von den pontischen Faktoreien,
wo acht Monate im Jahre der Boden hart gefroren bleibe, und
die Luft, dicht „mit Federn" gefüllt, die Aussicht über die Gegend
winterlich versebleiere, ein einäugiges Volk wohne, das die Skythen
-imaspen nennen. Bis /.u den Kahlköpfen, deren NameArgipäer
wären hellenische Kaufteute vorgedrungen, nicht ohne dass
vorher ein Gebirge (den Ural) überschreiten timssten. Über
hinaus sei aber noch kein Grieche vorgedrungen; denn hohe
id unwegsame Gebirge wehrten den Verkehr (Westende des
llai). Nur soviel wisse man mit Bestimmtheit, dass gegen
\OTgea die Issedouen sässen, deren Bräuche man auch kenne').
'ta man aber von dem Lande der Arimaspen und den gold-
t enden Greifen wUsste, hätte man von den Issedonen
fahren. In der Tat muss der an dem Westende des Altai ein-
JRiische türkiscli-tatarische Zweig des ural-altaisclien 8prach-
etanimes schon in einer sehr frühen Zeit auf die von der Natur
ihm dargebraclileu Schätze aufmerksam geworden sein. Trotz
der heutigen ungeheuren geographischen Ausdehnung seiner Völker,
unter denen ich nur die bekannteren Jakuteu, Baschkiren und
Kirgisen, die Uiguren, Usbeken, Turkmanen und die Üsmanlis
der enropäiacheii and asiatischen Türkei ncnuen will, kehrt doch
fast auf der ganzen Strecke von der Strasse der Dardanellen
bis zu den Ufern der Lena derselbe Name des Goldes altun,
aüg», iltyn etc.*) wieder, ein Wort, das bis in den äussersten
Nord-Osten Asiens, in samojediscbe und tungusische Sprachen,
Torgedrongen ist und etymologisch kaum von dem Namen des
1) Nach Kap. 24 verspeisten sie ihre gestorbenen Vöter und
QberKOf^en ihre SctiQdel mit Goldblech, die sie dann als Heilig'tum ver-
Hjfeten. Die Gtaab Würdigkeit diesea Berichts hat W. Toinaai-hek am
^E^c O. S. T49 ff. bewiesen. Das Gold heisst in Tibet gurr.
^r 3) Nor im Jakutischen bezeichnet altun nicht das Gold, xondem
^asA Kapfer, wahrend ergteres in sehr seltener Weise von dem tarko-
UUriBchen Wort für Silber her als , rotes Silber" ky.iyln kämg» be-
seichnet wird. V^l im &pjtieren Sanskrit makärajnla .groseeH Silber"
= Gold.
— 38 -
goldreichen Altai wird getrennt werden können (vgl. Klaproth
Sprachatlas z. Asia polyglotta p. VIII u. XXVIII). Noch be-
merkenswerter aber scheint, dass man anf den goldenen und
silbernen Geräten, die in dem Altaischen Gebiete ans den alten
Tschudengräbern in Menge ausgegraben worden sind, nach
Sjögren (vgl. a. oben p. 21 a. 0. p. 170) das Bild jenes fabel-
haften Tieres der Alten wahrgenommen haben will. Auch bei
skythischen Stämmen fand Herodot grossen Reichtum an Gold,
aber kein Silber (IV, 71, Strabo c. 613).
Es trat also diese fremde nordische Welt wie ein Land der
Märchen und Wunder mit den Vorposten hellenischer Zivilisation
in Berührung; und es ist leicht möglich, dass in diesen Zo-
sammenhang gertickt, noch eine andere der schönsten Sagen des
klassischen Altertums, der Zug der Argonauten nach dem gol-
denen Vliess, eine eigentümliche Bedeutung gewinnt. Dieser An-
sicht war schon Strabo c. 499, der von dem Goldreichtnm de»
Kolcherlands berichtet und erzählt, dass die Barbaren in durch-
löcherten Trögen und zottigen Fellen (vgl. oben über Ägypten
p. 30) das Gold in den Bergströmen auffingen. Daher sei dann
die Fabel von dem goldenen Vliess entstanden*). Übrigens war
die Argonautensage ursprünglich eine nicht bei den Hellenen,
sondern bei den Minyern einheimische Schiffahrtsage (vgl. Kiepert
Lehrlmch d. alten Geographie p. 242 u. Peter Zeittafeln^ p. H)»
die dann allerdings in echt griechischem Geiste weitergebildet
worden ist.
Wir gehen nunmehr zu den italischen Stämmen der
Apenninhalbinsel über. Der lateinische Name des Goldes ist im
Lateinischen ourum, im Sabinischen (Festus Pauli p. 9) aumm^
was auf eine italische Stammform auso- schliessen lässt.
Dieselbe wird passend zu Wörtern wie lat. auröra (♦oiw-
ösa) „Morgenröte", uro {*u8-ö) „brenne" etc. gestellt und be-
zeichnete, worauf auch das lat. aur-ügo „Gelbsucht" hinweist,
1) Jtaga rovzoig ds leyexai xal ;|f()i»aov xaxa(pio8iv TOVff x^^f*^99^^Si ^*^
dix^aOat iV ai*Tov lovg ßaoßdoovg (pdxvaig xaraTSTgrjfievaig xal fiaHomtue dogaSi*
ä(p* ov dtj ^teuv&eXodai xai xo xQvaoficdXov degog. Warum O. Gruppe
Wochenschr. f. klass. Phil. 1884 Nr. 16 in diesen und ähnlichen Sagen
Mytlien »von der Gewinnunt^ des Wogen^oldes durch den Sonnengott
nach Besiegung der N'achtungehouer" erblicken will, ist mir nicht
ersichtlich.
— 89 -
QTsprOnglich das ^leachtende^, ngelbe^ (sc. aes), dann das
f,6old^. Hierbei ist nur das eine benaerkenswerl, dass die Italer
nicht wie die andern Indogermanen, die eigene Wörter für Gold
besitzen (vgl. scrt. hiranya = aw. zaranya, got. gulp = altsl.
dfUOj phryg. yXovQog s. o. und das bei Hesych ohne Völker-
namen stehende xXowdg : altsl. zelenü ^gelb, grün"), von der
auch ihnen bekannten Wurzel ghel ^gelb sein" (lat. helvus) aus-
gingen.
Ein Anhalt aber, von woher die Italer zuerst das Gold
könnten kennen gelernt haben, ob von etrurischer, spanischer
(bask. urrea, urregorria „Gold") oder griechischer Seite, ist
leider weder in der Sprache noch sonst wo gegeben. Bemerkens-
wert ist, dass in den Pfahlbauten der Poebne noch kein Gold
DBchgewiesen werden konnte, das, wenigstens in Oberitalien, erst
Eusammen mit dem Eisen auftritt (vgl. Olshausen Z. für Ethno-
logie 1891, Verhandl. S. 317). Doch war schon in den XII Tafeln
eine Bestimmung enthalten, nach der bei den Begräbnissen alles
Gold fem gebalten werden sollte: excipitur aururriy quo dentes
vincti *).
Deutlicher sind die Wege, die von Italien nach dem übrigen
Europa führen.
Alle keltischen Sprachen haben ihr Wort für Gold dem
Lateinischen entlehnt. Irisch dr, gen. öir^ cymr. aicTf cambr.
aur, eur etc. sind aus lat. aurum hervorgegangen. Wir haben
hier einen für den Sprachforscher so erfreulichen Fall, wo es
ihm an der Hand zwingender Lautgesetze möglich ist, das Lehns-
verhältnis zweier Wörter auf das unzweideutigste zu konstatieren.
Die italische Form ausom müsste nämlich bei der Voraussetzung
der Stammesverwandtschaft mit dem Keltischen, z. B. im Irischen,
seinen inlautenden Spiranten verloren haben, wie das Verhältnis
von ir. siur „Schwester" aus *8isur = lat. soror aus ^svesor
dartut, nimmermehr aber dürfte derselbe mit einem dem Kelti-
schen ganz fremden Lautübergang zu r geworden sein.
Auch ein wichtiger chronologischer Anhalt lässt sich er-
mitteln. Die Verwandlung der intervokalen s in r ist im Latei-
nischen um die Zeit der Samniterkriege durchgeführt, im Volks-
1) Einen Schädel mit goldenem Gebiss aus . altetrurischen Aus-
grtLbungen kann man in Rom in der ViUa di Papa Giuglio sehen.
- 40 -
mund also schon um mindestens 50 Jahre früher yorbereitet
worden. Diese Zeit stimmt aber aufs beste mit der Epoche des
grossen keltischen Völkerstosses gegen die Stadt Rom flberein,
der dem römischen Kalender den schwarzen Tag an der Allia
einfügte und den trotzigen Gallier nach der italischen Sage den
1000 Pfund römischen Goldes gegenüber noch sein Schwert in
die Wagschale werfen Hess. Nach dieser Zeit werden die Gallier
als sehr goldliebend und goldreich geschildert (vgl. Diod. Sic.
V Kap. 27).
Es kann somit nicht bezweifelt werden, dass die Kelten
die nähere Bekanntschaft mit dem Gold den Römern yer-
dankeu, wie die Griechen den Semiten. Ob vor diesem Sprach-
und Kulturaustausch im Griechischen und Keltischen einheimische
Bezeichnungen unseres Metallcs vorhanden gewesen seien, kann
man verständiger Weise weder behaupten noch verneinen. In
jedem Fall ist weder hier noch dort eine Spur von solchen nach-
zuweisen. Auch hat man, was das Alter des Goldes auf kelti-
schem ßodeu anbetrifft; kein Recht, aus der Möglichkeit, dass
die Gallier schon bei ihrer Eroberung Roms geraubten goldenen
Schmuck bei sich führten (vgl. W. Ridgetcay The origin of
metallic currency and weight Standards, Cambridge 1892, p. 62,
der sich aber irrtümlich auf Polybius II, 19 beruft, wo nichts
dergleichen steht) den Schluss zu ziehen, dass damals schon aof
keltischem Sprachgebiet die Bekanntschaft mit unserem Metall
soweit vorgeschritten gewesen sei, dass sich ein besonderer und
volkstümlicher Name dafür festsetzen konnte.
Das italische Wort für Gold ist nun aber noch weiter als nach
dem keltischen Westen gedrungen. Zunächst zu den illyrischen
Stämmen der nördlichen Balkanhalbinsel, deren einziger sprach-
licher Überrest, das heutige Albanesisch das mit Sicherheit ans
lat. aurum entlehnte är „Gold^ darbietet. Daneben kommt ein
zweites, späteres Wort ^'orf we, fl'ori für gemünztes Gold vor, das zu-
sammen mit ngriech. (plcogi aus flortnuSy it. fiorinOy frz. florin
hervorgegangen ist. Ganz ähnlich ist lat. aureus sc. numtnui
in die germanische Welt eingedrungen, für die dnrch altn.
eyrer ein altes *aurjuz vorausgesetzt wird, während der za eyrer
gehörende Plural aurar auf lat. aura „Goldstücke" hinweist
(vgl. F. Kluge Grundriss d. germ. Phil. I», 334).
Die kulturhistorisch interessanteste Entlehnung des italischeo
41
E'
Bprei
im, aurum »ber hat mit eioer hoheu Wabrtfclieinlicbkeit io
lial tiBcljeii Wjirler nllpr. «um, lit, äulsas Btattg^efuDden,
sich wie etwas fremdes iu die später zu besprechende Doid-
«aropäUche Reihe got. gtiip — slav. zlato eiüscbieben, an der
aacli der baltische Sprachzweig mit lettisch zelts teil ninunt.
Aneh das im lit. duksa« vor s eiu^eschobene t. das sich bei
»iher urverwaodteu Wörtern {vgl. z, B. lat. aurig = lit. atials
Ihr") nicht findet, weist auf Entlehnung hin. Nun wissen wir
■ch Plinius Hut nai. XXXVII, 3, 45 tatsäcblieb von einer
rekten Verbindung Roms mit der baltischen Berns teinkUste.
Unter Kaiser Ner« wurde ein rüraiscber Kitter nach dem hoben
Norden entsendet, um für ein Gladiatorenspiel des Kaisers Bern-
aufzakaufen. Er kehrte mit einer nngebeureu Men^e des
tharen Harzes heim. Gegen die Annahme, dass damals
italische Wort für Hold dem litanisch-preussischen Spracb-
Bcbatz einverleibt wurde, kann man nun freilich den gewichtigen
Umstand gellend machen, dass, wie wir oben sahen, in jener
Zeit iu Rom aurutn, nicht ausum gesprochen wurde, und die
Frage wäre nur die, ob, wie jener römische Ritter, so auch die
Kanfleute, Träger, Fuhrleute, die ihn selbstverständlich begleiteten,
LaU'iuisoü, und uicbt etwa ihre Volksdinlektc sprachen,
in denen, soweit sie auf oskiscb-samuiiiseher Grundlage bernblen,
zweifellos auch damals noch ausovi gesprochen wurde (vgl.
F. tionimer Handbuch der lat. Laut- und Formenlehre p. 212).
Wer diesen, wie mir scheint, unbedenklichen Ausweg ver-
eebmäht, muss die Entlehnung des italischen Wortes in das Ält-
'enssiscbe und Litauische nach den oben gegebenen Zeit-
itinmmngen spätestens in das IV. vorchristliche Jahrhundert
itzen, wo auch im Lateinischen noch nusom gesagt wnrde.
Doch ist für eine so frühe Zeit eine direkte Verbindung Roms
init der BerusteinkUste weder erweisbar noch aus allgemeinen
Grflnden wahrscheinlich. Auch sind an der baltischen Bern-
linkllste selbst Goldfunde aus der Zeit vor den rümischen
im bis jetzt nicht gemacht worden (vgl. Olshauscn a. a. 0.
190 p. 284).
Verlassen wir jetzt wiederum für einen Augenblick unseren
teil, am uns einem neuen Herd der Ausbreitung des Goldes,
uns Iran zuzuwenden. Der iranische Namo des Goldes
{garanya) ist nämlich, and zwar zu einer Zeit, in der die alten
- 42 -
Saffixe noch nicht wie im heutigen Neupersischen und Afghaaz
sehen verloren gegangen sein konnten^ in fast sämtliche osft; -
wärts gelegene Sprachen der Völker finnischen Stammes ein-
gedrungen. Er lautet mordv. sirnä, tscher. sörtne, wog. somi^ ostj.
sorniy wotj. u. syrj. zarrii. Auch die Magyaren (vgl. ung. arany)
haben denselben schon in ihre neue Heimat mitgebracht (vgl.
M. Bernät Arische und kaukasische Elemente in den finnisch-
magyarischen Sprachen, Budapest S. 141). Hingegen haben die
westfi unischeu Sprachen unter germanischem Ealtnreinflnss
sämtlich das germanische Wort Gold in sich aufgenommen, das
finnisch külda, cstn. kuld, läpp, golle etc. lautet. Dass wir es
hier aber keinesfalls mit zufälligen Beziehungen zu tmi haben,
zeigen aufs deutlichste die völlig analogen Verwandtschafts-
verhältnisse der Namen eines anderen Metalles, des Eisens, wie
wir unten weiter erörtern werden.
Inmitten dieser römischen Einflüsse einer- und dieser irani-
schen andererseits liegt das Gebiet zweier grosser Völker, die
innerhalb des Kreises der indog. Spracheinheit, wenn nicht dareb
ein engeres Band der Verwandtschaft, so doch durch Jahr-
tausende lange Nachbarschaft miteinander verbunden sind, das
Gebiet der litu-slavisch-gcrmanischen Völker. Wie wir
schon oben der Entsprechung von germ. smida und slav. medl
begegnet sind, so werden wir späterhin noch mancherlei Be-
rührungen der Nordstämme in metallurgischen Dingen antreffen.
Auch das Gold wird bei Slaven, Letten und Germanen überein-
stimmend benannt: got. gulp entspricht dem durch alle Slavinen
sich ziehenden altsl. zlato, sowie dem lettischen zelts.
Weiter lässt sich diese Sprachreihe nicht verfolgen. Aller-
dings hat A. Fick in seinem Vergleichenden Wörterbuch I*, 55
die angeführten Wörter mit dem scrt. häfaka (aus ^halta-ka)
„Gold'* verglichen, worin ihm P. v. Bradke Über Methode u.
Ergehnisse p. 27 gefolgt ist. Allein es dürfte nicht zweifelhaft
sein, dass die letztere Benennung des Goldes zu etymologischen
Zwecken unbrauchbar ist, und die im Petersburger Wörterbuch
gegebene Bedeutungsentwicklung 1. Volk und Land Häfakay
2. Gold aus Häfaka das richtige trifft. In dem schon oben
genannten Büchlein R. Garbes Die indischen Mineralien werden
nämlich als Analoga zu häfaJca noch gätakumbhay jdfnbünada^\
1) Auf diesen Goldnamen war P. v. Bradke schon durch O. Böht-
— 43 —
taum^ravay jämhava, gängiya genannt, alles Wörter für Gold,
iie von Haus aus Land, Fluss oder Berg bezeichnen, von denen
las betreffende Gold stammt.
Gleichwohl muss indessen die Bildung des got. gulp, slav.
zlatOy lett. zelts von einem vorauszusetzenden idg. Adjectivum
^^helto-s {*§hlt0'8f gholtO's) ^gelb" sich verhältnismässig sehr
'ruh festgesetzt haben, da sie nur in einer Zeit verstanden werden
LaDDy in der die Umwandlung des anlautenden Gutturals (idg.
fh = got. g : slavo-lit. z) in den Sibilanten des Litauischen und
Slavischen noch nicht soweit durchgeführt worden war (vgl.
^retschmer Einleitung S. 150), dass sie einen Wortaustausch, wie
len angegebenen, unmöglich machte. Hieraus folgt dann weiter,
lass das Gold im Nord-Osten unseres Erdteils verhältnismässig
Tühzeitig, ja wahrscheinlich früher als in Italien und im kelti-
ichen Westen bekannt geworden sein muss. Als Quelle dieser
ersten Bekanntschaft mit dem Gold wird man, zunächst für die
jermanischen Stämme, auf die reichen Goldfunde verweisen
Iflrfen, die sich aus Siebenbürgen und den östlichen Alpenländem
ns nach Skandinavien ziehen (vgl. S. Müller Urgeschichte Europas,
Strassburg 1905, p. 153). Namentlich in Form gewisser Spiralen
st das Edelmetall schon in früher Bronzezeit auf dem Wege des
ternsteinhandels längs der Elbe vom Südosten her dem Norden
angeführt worden (vgl. Olshausen Z. f. Ethnologie, Verhandl.
1890 u. 91). Bemerkenswert ist auch, dass bereits Ilerodot (IV,
104) die in Siebenbürgen sitzenden Agathyrsen als xovoo<p6ooi
gezeichnet. Auf jeden Fall hat die auri sacra fames, ungeachtet
ler idealisierenden Worte des Tacitus Germ. Kap. 5: Argentum
it aurum propitiine an irati di negaverint, duhito. Nee tarnen
iffirmaverim nullam Germaniae venam argentum aurumve
fignere: quis enim scrutatus est? Possessione et wni haud
oerinde afficiuntur etc. sehr frühzeitig, wie zahlreiche Stellen
ier Alten beweisen (vgl. Baumstark Erl. z. Germ. p. 292), auch den
germanischen Norden erfasst. Nirgends hat der Fluch, der an
len goldenen Schätzen der Tiefe hängt, einen grossartigeren
Ausdruck gefunden, als im deutschen Nibelungenlied. Um des
^leissenden Metalles willen lenit der blondhaarige Sohn Ger-
Lingk — freilich vergeblich — aufmerksam gemacht worden (Über
Methode etc. a. a. 0. Anm. 1).
— 44 —
maniens seinen Arm dem Landesfeinde verkanfen, nod die Vor-
stellung von dem unerschöpflichen Reichtum des Südens an dem-
selben ist nicht am wenigsten der immer sich wiederholende
Impuls des Andringens der Nordstämme an das alte Römerreich
gewesen, dem dieses zuletzt erlag.
Fassen wir zusammen, so hat sich ergeben, dass sowohl
bei den semitischen Völkern wie auch bei dem indisch iranischen
Zweig der Indogermanen, d. h. also fast in ganz Vorderasien
die Bekanntschaft mit dem Gold in proethnische Zeitläufte zurück-
geht. Eine indogermanische Bezeichnung des Goldes hat sich
dagegen nicht nachweisen lassen. Dies stimmt mit den Ergeb-
nissen der Prähistorie im wesentlichen überein. In neolithischer
Zeit ist in unserem Erdteil kein Gold nachgewiesen worden, das
vielmehr erst nach dem Kupfer, und auch dann nur an den
beiden äussersten, Vorderasien und Afrika zugewendeten Enden
Europas, einerseits auf Therasia und in Pannonien, anderer-
seits in Spanien und im südlichen Frankreich erscheint (vgl.
M. Much Die Kupferzeit » S. 356).
Von Vorderasien ist das Gold einerseits durch phönizisehe
Vermittlung in mykenischer Zeit nach Griechenland, andererseits
von iranischem Boden aus zu den östlichen Finnen gewandert.
Einen grossen Einfluss auf die weitere Verbreitung des Goldes
in Europa muss Italien ausgeübt haben. Das italische Wort ist
zu den Kelten, zu den Albanesen, ja wahrscheinlich zu den
Litauern und Preussen gedrungen. Die Slavo-Germanen haben
eine gemeinsame Benennung des Goldes, die sich sehr frühzeitig
auf dem genannten Sprachgebiet festgesetzt haben muss. Von
den Germanen haben die Finnen der Ostsee ihre Bezeichnung
des Goldes erhalten.
Hingegen scheinen die ursprünglich um den Altai („den
goldreichen ^) gruppierten Völker turko-tatarischen Stammes be*
reits in ihrer Urheimat die Schätze ihrer goldreichen Berge
gekannt zu haben, und Sagen von ihnen sind schon zu Herodots
Zeiten zu den Vorposten griechischer Kultur am Pontns gedrungen.
V. Kapitel.
Das Silber.
Von den verschiedenen Schwankungen; denen die oben
charakterisierte Aufzählung der Metalle in den Deukmälem der
ältesten Völker ausgesetzt ist, muss hier der Kampf hervor-
gehoben werden, den in früherer Zeit das Gold mit dem Silber
am die Znerkennung des Vorranges zu führen hat. Gerade in
den ältesten hieroglyphischen Inschriften findet nämlich bei Auf-
zählung der Metalle und anderer Kostbarkeiten das Silber weit
häufiger vor dem Golde seine Stellung als hinter ihm, und
auch von den assyrischen Denkmälern lässt sich zum mindesten
behaupten, dass die Nennung des Silbers vor und hinter dem
Golde eine gleich häufige ist.
Diese hieraus sich ergebende Bevorzugung des Silbers vor
dem Golde für eine sehr alte Kulturepoche der Menschheit hat
ohne Zweifel ihren Grund in dem späteren und seltneren Auf-
treten jenes Metalles in dem Kreise der orientalischen Völker
und der Menschheit überhaupt, eine Erscheinung, die durch den
Umstand, dass das Silber in reinem Zustand nur im Gebirge,
nicht auch im Sande der Flüsse vorkommt und überhaupt weniger
allgemein verbreitet und schwieriger zu gewinnen ist als das
Gold, sich genugsam erklärt. Allerdings scheinen schon die ür-
semiten (vgl. F. Hommel Die Namen der Säugetiere etc. p. 415)
ein Wort wie für Gold so auch für Silber (assyr. kaspu = hebr.
Tcesef) besessen zu haben; aber auf indo-iranischem Boden
fehlt es nicht an Spuren eines verhältnismässig späten Bekannt-
werdens dieses Metalles. Die älteste Zusammenstellung der
Metalle im alten Indien {VäjasanSyisarhhitä XVIII, 13) nennt
hinter hiranya „Gold" unmittelbar dyas „Erz", resp. „Eisen",
im Rigveda kommt das spätere Wort für Silber rajatd (wie
dargaiä „ansehnlich" von der W. darg und yajatd „verehrungs-
- 46 —
würdig" von der W. yaj) nur einmal, und zwar in dem ad-
jektivischen Sinn von ^weisslich^ von einem Ross gebraucht vor,
und wenn in einem anderen vedischen Text (Taittiriyasafkhüä
1, 5, 1, 2) unser Metall noch mit dem weitläufigen Ausdruck
rajatäm hiranyam „weissliches Gold"*), das nicht würdig ist
als Opferlohn gespendet zu werden (vgl. Zimmer Altind. Leben
p. 52 f.), umschrieben wird, so ist dies derselbe Vorgang wie im
Altägyptischen, in dem hat, kopt. cJiat das Silber, eigentlich
aber ^hell, weissglänzend" bezeichnet und als Determinativum
das Zeichen des Goldes neben sich hat. Auch in dem Sumeri-
schen bedeutete das übrigens ganz allein stehende ku-babbar
„Silber" eigentlich „weisses" oder ^jglänzendes" Metall (F. Hommel
Die vorsemit. Kulturen p. 409).
Zuerst tritt in der indischen Literatur rajatd als Substan-
tivum in der Bedeutung „Silber" im Atharvaveda auf*) (vgl.
Zimmer a. a. 0. p. 53).
Die iranischen Dialekte, bei denen die übereinstimmende
Benennung des Goldes (o. p. 32) auf eine uralte Bekanntschaft
mit diesem Metalle schliessen Hess, gehen in der Bezeichnung
des Silbers gänzlich auseinander. Das dem scrt. rajatd etymo-
logisch entsprechende erezata beschränkt sich auf die Sprache
des Awesta. Die Afghanen haben keinen eigenen Namen für
das Silber, sondern benennen es sptn zar d. h. „weisses Gold".
Npers. 8im, pehlevi astm gehören als Lehnwörter zu griech.
äorjfiog „ungeprägt", ngriech. äoij/u „Silber". Eine zweite npers.
Bezeichnung na qra j^argentum liquatum^j Mundart von Jezd
nuqrja (Z. d. D. M. G. XXXV, 403), balußt nughra ist arabisch
(iiukrah). Die Osseten endlich haben ihr Wort äwzist, awSeste
(Hübschm^nn Osset. Spr. p. 119) wahrscheinlich ostfinnischen
Sprachen wotj. azves, syrj. ezy^, ung. ezüst entlehnt (s. n.).
Lehrt somit eine r:enauere Betrachtung des Indischen nnd
1) Eine andere Erklärung des scrt rc^atdm Mrai^yam gibt A.
Kuhn Zeitschrift f. ägyptische Sprache und Altertamskonde 1873
p. 21 f. Er fasst es als Silbergold = ägypt. dsem (?).
2) Der Bäjanighanfu ed. R. Garbe p. 35 nennt 17 spätere Be-
nennungen des Silbers, von denen die von dem Monde hergenommenen
eandrcdöhäka ^ Mondmetall'', candrabhüti ,,von dem Aussehen des
Mondes^, candrahäsa „wie der Mond weisslich glänzend' kultur-
geschichtlich interessant sind (vgl. oben p. 12 Anm.).
— 47 —
Iranischen, da»» die Bekanntschaft mit dem Silher bei diesen
Völkern nicht in ein hohes Altertum zurttckzugehen scheint, nnd
verbinden wir hiermit die archäologische Tatsache, dass, ab-
gesehen von dem silberreichen Spanien, wo in sehr früher Zeit
durch die Aasgrabnngen der Gebrüder Siret grosse Massen unseres
Metalls zutage getreten sind, und abgesehen von vereinzelten
Fundstücken aus prämykenischer Zeit (s. u.), in allen anderen
Gegenden Europas in der an die neolithische Periode an-
schliessenden Kupferzeit jede sichere Spur des Silbers fehlt, ^das
vielmehr erst viel später und, wie es scheint, zugleich mit dem
Elisen in den Besitz der ausserhalb Spaniens wohnenden Europäer
kommt*' ^) (M. Much Die Kupferzeit* S. 357), so werden wir
alles eher als eine schon indogermanische Bezeichnung des Silbers
erwarten. Um so erstaunter sind wir, eine scheinbar die Zeichen
der Urverwandtschaft an sich tragende Spraclireihe in der
Gleichung:
armen, arcaf, lat. argentum, altir. argat = scrt. rajatäy aw. erezata
zu finden.
Tatsächlich liegt hier für die Beurteilung der Geschichte
des Silbers eine erhebliche Schwierigkeit vor, die sich nur be-
seitigen lässty wenn es gelingt, wahrscheinlich zu machen, dass
die angeführte Sprachreihe entgegen dem Schein nicht auf Ur-
Tcrwandtschaft, sondern auf späterer Entlehnung oder Über-
tragung von einem gemeinsamen Ausgangspunkt beruht.
Zunächst ist von rein lautlichem Standpunkt zu bemerken,
dass die Übereinstimmung der angeführten Sprachreihe bei näherer
Betrachtung keine so vollkommene ist, als es auf den ersten Blick
den Anschein hat; denn abgesehen davon, dass die Ablauts-
verhältnisse der Wurzelsilbe (europ. arg- : scrt. fj-^ aw. erez-)
noch nicht genügend aufgeklärt sind (vgl. A. Walde Lat. et. W.
8. V. argentum)j stimmen die Suffixe insofern nicht überein, als
das armenische Wort bei völliger Übereinstimmung z. B. mit dem
lateinischen *areandy nicht arcat lauten müsste (vgl. Osthoff
Sprachw. Abb., herausg. v. Lukas v. Patrubäny II, 131). Viel-
leicht weisen also schon die Lautverhältnisse unserer Sprachreihe
auf andere Zusammenhänge als auf Urverwandtschaft hin. Welche
1) Vgl. auch S. MüUer Urgeschichte Europas p. 32: „Ausserhalb
des Sfidens fehlt das Silber in der ganzen älteren Steinzeit, sowohl in
der Stein-Kupferzeit als in der Bronzezeit^
- 48 -
können es sein? In dem gesamten Vorderasien gehört offen!
Armenien mit dem nördlich von ihm gelegenen Etlstenstreif^'^i}
des Pontus zu den silberreiehsten Ländern. Nach Strabo (c. 5S^ ^)
konnte Pompeius dem besiegten Tigranes nicht weniger CB.k
6000 Talente Silbers auflegen. Besonders in der Nähe TOir
Trapezunt wurden zu Marco Polos Zeit ergiebige Silberminei}
betrieben (vgl. Ritter Erdkunde X, 272). Im N. W. von Bei-
burt liegt ein Berg, der noch heute Gumish-Dagh „Silberberg*'
heisst und auf ihm eine Bergwerkstadt Gumishkhana „Silbe^
Stadt 'S in der noch im Jahre 1806 monatlich 50 000 Piaster
trotz der rohen Bebauung gewonnen wurden (vgl. A. Soetbeer
Edelmetall-Produktion, Ergänzungsheft z. Petermanns Mitteilungen
Nr. 57, p. 37). Ihr Name im Altertum war ^Aoißa (vgl. oben
npers. stm etc. aus ngr. äofjjui); daher die Silbermttnzen mit
der Legende ^Aoißecjv (Tomaschek Ltbl. f. or. Phil. I, 126).
Nehmen wir nun an, dass in diesem silberreichen Lande
frühzeitig ein dem armen, arcai! entsprechender Ausdruck fflr
das Silber vorhanden war, so konnte dieser auf dem Wege des
Handels nach dem silberarmen Iran (vgl. W. Geiger Ostiran.
Kultur p. 147 u. 389 f.) und von da auf dem uralten Völkerweg
längs dem Kabulfluss (vgl. A. Weber Allg. Monatsschrift 1853
p. 671) nach Hindostan gebracht werden. In beiden Ländern
konnte er dann von Einfluss auf die Bezeichnung des Silbers in
der Weise werden, dass ein bereits vorhandenes Adjectivnm aw.
erezata, scrt. rajatd „weiss** unter dem Druck des armen, arcai
(vor der annenischeu Lautverschiebung vielleicht *argat) die
Bedeutung „Silber" annahm ^). So würde sich das späte Auf-
treten des scrt. rajatd im Sinne von „Silber" ansprechend e^
klären. Beachtenswert wäre in diesem Zusammenhang auch der
Umstand (vgl. P. v. Bradke Über Methode und Ergebnisse S. 87),
dass ziemlich gleichzeitig mit scrt. rajatd „Silber^ auch das
Maultier (scrt. agvatard, npers. ester etc.) in der indischen Lite-
ratur auftritt, dessen Ursprünge sicher auf die südpontischen
Länder hinweisen, und dem wir in Verbindung mit der Geschichte
des Silbers noch wiederholt begegnen werden.
1) Die umgekehrte Voraussetzung P. Kretschmers, Einleitung
p. 137, dass armen, ayxat aus aw. erezata entlehnt sei, wird von H.
Hübsühmann Armen. Gr. p. 424 mit Entschiedenheit zurückgewiesen.
Nnn stellt dieser Konslriiktion freilieh eiue Sehwien^keit
entgegen, die dariu liegt, (Ubs es bis jetzt nicht möglicli gewegen
ist, die reiii ethnographJBclie Fruge za enteclieidcn, ob die indo-
gemianischeii Armenier sich m frülizeitig von ihren näehsten
Stammvenvandten, den Phiygern nnd Tlirakern, losgeifist iiaben
und in das in histoneeher Zeit von ihnen hescti'.te und nach
iliucn benannte Armenien eingewandert sind (vgl. E. Meyer Ge-
Echichte des Altertums U, 41 und HUbschmaun ArnHUiisebe Gr.
1, 399 ff.), dass schon in vedisi-her Zeit von Armenien ein echl
annenisches Wort nach Iran und Indien wandern kunnte. Allein
diese Schwierigkeit beelcht doch nur dann, wenn wir in armen.
(irrat wirklich ein echt armenisches Wort zu erblicken haben.
Nun liegen die Dinge aber so, dasa bis jetzt fflr keinen andern
Armenischen Mctaünamcn idg. Ursprung nachgewiesen werden
könnt«, und dass vielmehr die meisten und wichtigsten He,
nenaungen der Metalle im Armenischen auf Zueammen hänge mit
den Sprachen des Kaukasus nnt grösserer oder geringerer Deut-
lichkeit hinweisen. Dien gilt von «nnen. oulci „Gold (o. p. 32),
die» ferner und besonders von armen, erkaf „Eisen", das in seinem
Hnffix mit urcnC „Silber'^ übereinstimmend, im Lazlscfaen erkina,
im Gruzinischen und Mingrelischen rkitm (vgl. Erckert p. 57)
lautet, dies endlich aneh von armen, plinj „Kupfer", daa dem
Iesghi»(^'h-ndischen^i7(n({i, grnsinisehen gpüendzt (Erckert p. 94)
zn entsprechen scheint. Aach das armenische arvaf „Silber"
kehrt nnn im Kankasas wieder, wie avarigch ärac, takisch arcu,
Aküi-a-Sprache .rare, ahxazisch arain usw. (Erckerl p. 128)
-ceigeu. Ich habe früher diese Wörter als Enllehmingen ans
dem ArmeniHcben anfgefasst, bin aber jetzt, im Hinblick auf die
übrigen armenischen Metallnameu eher der entgegengen^etzten
Ansicht. Ist diese richtig, so könnte schon, bevor die idg.
Armenier nach dem eigentlichen Armenien kamen, ein im Kau-
kasus und seinen Vorländern herrsehender Silbername, der in
den kaukasischen Wörtern und im armenischen arcat reflektiert,
Okob SOd-Osten, also nach Iran und Indien gewandert sein.
b Wenden wir uns nunmehr m den italischen nnd kclti-
■fcen Wilrtern für Silber und ihrem Verhältnis zu dem armen.
WtaX, 80 sind uns, was die ersteren dat. argentuvt, osk. aru-
getud) betrifft, ans der ältesten Kulturgeschichte der Apennin-
bfübinsel einige Erscheinungen bekannt, die sicher nicht idg.
Scbrxlir. Spnebvergliicliui.g and Urgcachlchle II. 3. Aufl. 4
- 50 —
Ursprungs, den Italikem aber aach nicht erst durch die griechische
Kolonisation zugeführt worden sind, sondern die yielmehr sachtieb
und sprachlich auf die pontischen Länder als ihren AiUK
gangspunkt hinweisen. Es ist dies auf der einen Seite dar
Wein ^) : lat. vinum, griecb. J^oivog, alb. vine (aus armen, gm
= *voinio), auf der anderen der Esel^): lat. asinuSf griech.
dvog (aus *oavogy entlehnt aus annen. iS, sumerisch anäu) und das
Maultier'): lat. miUua (aus *mu8-l-o, alb. muSk^ etc., vielleicht
eigentlich „das mysische", „der Myser** — die Mysier galten
nach dem 35. Frgm. des Anakreon als Erfinder der Maultier
zucht —).
Es fehlt also nicht an Analogien, wenn wir auch dem
italischen Silber gleiche Herkunft zuschreiben und — hier in
Anlehnung an P. v. Bradke (Methode p. 41, 89, 90) — an-
nehmen, dass auch in Italien nach dem Muster des pontisch*
armenischen arc^t ein einheimisches *argento (vgl. crueniutf
süentus) „weiss^ = scrt. rajatd zur Bezeichnung des vom Pontiis
her bekannt gewordenen Silbers verwendet wurde. Die oben
hinsichtlich eines frühzeitigen amienisch-iranischen Zusammen-
iiangs erörterten chronologischen Bedenken liegen hier nicht vor,
da die Armenier doch ohne Zweifel in einer sehr frühen EpochCi
wenn auch nicht in Armenien selbst, so doch sicherlich im Kultur*
bereich Armeniens und des Raukasus sassen^). Leider ist mis
freilich der thrakische Name des Silbers, der in diesen Kultor-
zusammenhängen vermutlich eine Rolle gespielt hätte, nicht be*
1) Wenn Hoops Waldbäume und Kulturpflanzen p. 561 die An-
nahme der Entlehnung des griech. ^oi%'og und alb. v^ns aus armen.
(fini für ^einleuchtend^ hält, so ist es hart, das gleiche nicht auch für
lat. vXnum anzunehmen, zumal doch die lautliche Möglichkeit bestellt
(vgl. F. Sommer Handbuch p. 91), auch lAnum auf *v<nnom lurfiek-
zuführen.
2) So auch Walde Lat. et. W. p. 47.
3) Nach G. Meyer Et. W. d. alb. Spr. p. 293 und I. F. I,
(Widerspruch bei Walde Lat. et. W. p. 399).
4) Hierdurch erledigt sich auch der Einwand, den Bartholona^
Litbl. f. germ. u. rom. Phil. 1905 No. 6 gegen meine Erklärung di
^griechischen und lateinischen Weinnamens geltend macht. WaittciB
nach diesem Gelehrten die Armenier aus Thrakien über den KavL-
kasus in ihr späteres Vaterland heruntergestiegen sein sollen, ist
mir nicht ersichtlich. Ober den Weg, den sie höchstwahrscbeinttcli
in WirkUchkeit nahmen, vgl. W. Tomaschek Die alten Thraker I, 4.
- 51 -
und die Hesychiache Gloaee tixdfixt] ■ f-lg/ixiajl Anyi'oia
firstinte eher dsraof hinweisen, das« hier eine dem lat. argenttim
: n teprecbende Bezeichnung nicht bestand.
t Sicherer scheint mir das Verhältnis des Ist. argentum zn
1 kollieeben Silbernaiiien (alHr. argaf, arget, cjmr. artant,
•t. nrchant, com. arkans) festzustellen. Die keltiBchen Wörter
d am frühsten in der altgallisehen, sei es lautgesetdichen, sei
dem Lateinischen genäherten Form {vgl. Thurneyscn bei
V. Bradke Methode p. 2ö) argenfo- überliefert, die in zahl-
reichen altgallischen etc. Eigennamen als erstes Glied der Zn-
SHmtneneetzang erscheint: Argenfo-ratum (Strassbnrg), Argento-
nm^tgaii, Argento-varüi (Arzenheim), Argento-dubrunt, Argeafo-
■ tixoa (ein kalednniscber Frauennamej usw. Nur spricht alles da-
.<-gcn, dasB argento- hier schon „Silber" bedeutet habe. AUer-
itigB kennt 8trabo c. 191 Silbermineu im Gebiet der Rntenen
itn Departement Ayeyron) und Gahalen (westlich von den CV-
vi-Mineu). Allein Diodorns Siculus (V,27, 1) stellt das Vorkommen
^Tioa Silber ia Gallien gänzlich in Abrede (xaiä yovv ri/r FaXa-
^H|b»> Sgyt'oos fiiy i6 oiWiw ot' ylyverat), und auf keinen Fall war
^^■»«r Metall auf altkcltiscbem Boden so verbreitet, dass die
^^fcHIrcicben Eigennamen mit argento- verständlich wSren. wenn
affffitlo- „Silber" bedeutete. Kb ist daher in hohem Grade
wfkhr«<^'heinlich, dftss dieses Wort in den genannten und anderen
nlt keltischen Eigennamen nichts anderes als vediscb rajaid, näm-
Vmh „weies" bezeichnete. Argento-riitum war demnach „WeiBscn-
liarg" fir. rälk „Königsburg"), Argento-dubrnm „ Weisswasser"
I ^vgl. Weissensee), Argento-coxos „Weissfuss" nsw. Dieses alt-
lleltiscfae Adjeclivnm für „weiss" {altgall. orgenio-s) wurde dann
1 bei BerOhrnng der Ketten mit dem Ist. argentum in den kelü-
1 KlieB Sprachen znr Benennung des Silbers verwendet ').
l) So jetzt such M. Much Die Kupferzeit' p. 358 Anm. 1 und
\ R Hoch Z. f. (leutecheB Altertum XLII, 164. — Dagegen nimmt P.
' B»ake Über Methode usw. p. 22 f(. eine wesentlich frühere Be-
I ''ttuticfaaft der Selten mit dem Silber an, die illter sei nl; die mit dem
"»We, Allein sein einziger Beweis hierfür steht und f»llt mit dem
[ 'Wi Herodot I, 162 genannten König von Tartessos, 'AeyardilK'iiy;, was
"Ich T. B. ein keltisches Wort sein und .Silberuiann" bedeuten soll.
-^Bf wiit schwachen Füssen diese Annahme sieht, habe ich in der W.
^ klus. Phil. 1890 Ko. 50 geseigt. Holder hntle daher elneu so an-
- 52 —
Ostwärts von Italien ist das römische Wort za den illyri-
schen Stämmen gewandert und heisst im Albanesischen arjf'dnt
etc. Die Sprache bestätigt auch hier den Gang der Knltor-
geschichte aufs beste; denn eret durch die Römer wurde der
namentlich aus Silber, aber auch aus Gold (alb. är aus lat
aurum) bestehende Metallreichtum der illyrischen Gebirge wsr
gebeutet (Kiepert Lehrb. d. a. G. p. 354; vgl. auch alb. Orts-
namen wie Argentaria).
Der den vorstehenden Ausführungen zugrunde liegende Ge-
danke, dass die Sprachreihe:
(kaukas. arcu etc.) armen, arcat — BLVf.erezatay scrt. rajatä
„ ^ — Isitargentumy altir. argaty
kurz ausgedrückt, auf einer alten Entlehnung aus dem Armeni-
schen oder Kaukasischen beruhe, wäre aber weniger wahr-
scheinlich, als er es ist, wenn wir nicht auch in der
■*
übrigen Geschichte des Silbers in Überlieferung und
Sprache immer wieder auf die Armenien oder dem
Kaukasus nahe liegenden Gestade des Schwarzen
Meeres als Ausgangspunkt des Silbers stiessen.
Im südlichen Europa steht das griech. ÜQyvQog durch
sein Suffix -vgog vereinzelt innerhalb der indog. Silbemamen da
und gestattet keine Vermutung über die Seite, von der her die
Griechen zuerst das weissliche Metall kennen lernten. Doch
führt die Überlieferung auch hier merkwürdigerweise wenigsten»
in die Nähe Armeniens, an die Gestade des Pontns Euxinns»
Schon Homer (II. II, 857) nennt die pontische Stadt 'Aivßrj mit
den Worten:
Tt]X6&£v i^ 'AXvßfjgf M^ev doyvQOv iau yevi^Xfif
und wenn auch in dem silberreichen Attika, dessen Bergwerke
indessen erst kurz vor den Perserkriegen einige Bedeutung er-
langt haben (vgl. J. F. Reitemeier Geschichte des Bergbaues n.
Hüttenwesens bei den alten Völkern 1785 p. 67), die Erfindung
des Silbers dem Stammheros Erichthonios zugeschrieben warde^
so sollte er sie doch nach einer anderen Nachricht dem f^nen
Skythien verdanken. Argentumy sagt Plinius Hut. ncU. VII, 56,
197, iiivenit Erichthonius AtheniensiSj ut älii Aeacua nnd Hy-
gini fab, (ed. M. Schmidt) p. 149 heisst es: Indus rex in Scythia
sicheren Kantonisten nicht in seinen altkeltischen Sprachschati auf-
nehmen sollen.
— 53 -
argentum primua invenity quod Eri^hthonius Athenas primum
aitulit.
Derselbe Homer aber, der zuerst die Silberstadt Alybe nennt,
ist es auch, der den an die Armenier anstossenden Paphlagoniera
die Erfindung der Maultierzucht (II. II, 852) zuschreibt:
Maultierzucht und Silber treten uns also auch hier, wie in
Indien und Italien, in einem gewissen geschichtlichen Zusammen-
hang entgegen.
Archäologisch ist das Silber im ältesten Griechenland be-
reits in prämykenischen und mykenischen Schichten (vgl. S. Müller
Urgeschichte Europas p. 32 und Tzountas and Manatt The
Mycenaean age p. 223), wenngleich selir selten, nachgewiesen
worden; doch hüte man sich aus derartigen vereinzelten, einst-
mals den Palästen der Herrschenden angehörigen Fundstücken
ohne weiteres den Schluss zu ziehen, dass nun auch bei der da-
maligen Bevölkerung das betreffende Metall bekannt gewesen
sein und ein volkstümlicher Name dafür bestanden haben müsse
(vgl. oben p. 40 über ähnliche Schlüsse hinsiclitlich des Goldes
bei den Kelten). Auch ist zu bedenken, dass in dem benach-
barten Troja, das dem pontischen Ausgangspunkt des Silbers
schon sehr nahe lag, bereits in der zweiten Stadt „im grossen
^Schatz desPriamus^ ganze silberne Barren zutage getreten sind.
Eine grössere Bedeutung hat das Silber in Griechenland (wie
auch später in Italien) aber erst unter dem Einfluss des phöui-
zischen Handels, dem durch die frühzeitige Ausbeutung der spani-
schen Silberbergwerke (s. o.) eine ungeheure Menge dieses Me-
talles zuströmte, und nach Eröffnung der laurischen Bergwerke
erlangt, so dass nun ägyrgiov (wie lat. argentum), nicht xqvo6(;,
das gewöhnliche Wort für Geld überhaupt wird. Eine Ver-
wertung des Stammes ägyvgo zu Orts- und Personennamen, wie
bei XQ^^^^> kommt aber in älterer Zeit kaum vor.
So bleiben die intiogermanischen Sprachen des nörd-
lichen Europa zu bedenken übrig, die durch eine gemeinsame
Benennung des Silbers:
got. süubr, altsl. sh'ebro, lit, sidäbraSf altpr. sirahlan (Acc.)
yerbunden werden. Das germanische Wort ist einerseits in das
Lappische {9iUha)j andererseits unter west-gotischem Einfluss
Ivgl. J. Orimm Gesch. d. deutschen Sprache p. 11) in das
- 64 -
Baskische^ wo es cilarra lautet^ eingedniDgen. Doch ist kaum
anzunehmen, dass in den einheimisehen Dialekten der Iberiachea
Halbinsel; deren ausserordentlicher Silberreichtum (o. p. 47; ygl.
Strabo c. 147 f.) den ältesten Völkern wohl bekannt war, nieht
schon vorher genuine Namen des Silbers yorhaoden gewesen lein
sollten. Eine Spur derselben enthält vielleicht der iberische
Orospeda = „Silberberg" (Strabo c. 161).
Was nun die angeführte Wortreihe der nordeuropäischeD
Stämme selbst anlangt, so weist die Unregelmässigkeit ihrer
Lautverhältnisse auf alte Entlehnungen hin, deren Ursprung kaum
im Indogermanischen zu suchen sein dürfte. Schon V. Hehn
hat daher die Hypothese aufgestellt, dass die nordeuropäischen
Namen des Silbers mit der bereits erwähnten pontischen Stadt
*Akvßt]y das dann nach griechischem Lautgesetz für *2(Uvßrj
„Silberstadt^ zu nehmen wäre, zu kombinieren seien, und 90
würden wir aufs neue zu den Bergeszügen des Schwarsen
Meeres geführt werden.
Es liegt auf der Hand, dass diese Kombination V. Hehv
an sich kaum mehr als eine geistvolle Vermutung genannt werden
kann, die mit grossen lautlichen Schwierigkeiten zu kämpfen
hat; allein sie scheint mir immer noch das beste, was über die
dunkle, auch in ihrem Verhältnis untereinander keineswegs klare
nordeuropäische Wortreihe ^) gesagt worden ist, und zusammen
mit dem bisherigen Gang unserer Untersuchung dürfte sie keine
geringe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Satzes ergeben,
dass für die indogermanischen Völker die Pontusländerein
wichtiger Ausgangspunkt ihrer Bekanntschaft mit dem Silber
gewesen sind.
Übrigens würde das Vordringen des Silbers ans den ponti-
1) Äusserst kühne Vermutungen knüpft an sie und an
{XaXvßi}) H. Brunnhof er Über die älteste Herkunft des Silbers und
Eisens in Europa, erschlossen aus kleinasiatischen Ortsnamen (Fern-
schau, Aarau 1886 I, 54). F. Hommel Archiv f. Anthrop. XV Suppl-
p. 162 möchte die germano-balto-slavischen Wörter mit assyr. fOT^
„Silber* verknüpfen. W. Bruinier Rorrespondenzblatt 1895 No. 6 denkt
gar an jap. siro-gana qweisses Metall' = Silber. An diesen Annahmen
könnte soviel richtig sein, dass auch dem pontischen *ZaXvßti «Silber
Stadt" ein ähnliches barbarisches Wort für Silber mit der eigentlichen
Bedeutung „weisses Metall** (vgl. noch ostjak. ielox „weisses MettÜ*i
„Silber**) zugrunde läge.
Iteehen Gegenden zu den Barbaren des Nordens in den Zeiten
IfSerodots noch nicht stattgefunden haben, da dieser Sehriftgtelier
teotvobl den eigentlichen Skythen, die wir unfi als Vermittler
Ldes Silbei-s in nördlicher Kiuhtiing doch wohl in erster Linie
Renken mllssten, als auch den tietUchereu Massagelen mit aus-
«Irtlektichen Worten (vgl. IV Kap. 71 nQyvooi di ovdir ovdi
[yahtip /OEorTMi, Vgl. auch I Kap. 215) die Kenntnis nnd den
IXlebrauch dieses Metallen* abspricht.
Die älteste Nachricht von dem Vorbandensein des Silbers
ID Deutschland erhalten wir durch Cäsar (VI Kap. 2S}, der
iTon dem Gebrauch silherbeschlagener Trinkhörner berichtet.
S'acitns (Germ. Kap. 5) kennt silberne Gefässe als auswärtige
Goscbenke im Besitz der Vornehmen. Silberminen im Lande
:selbst müssen damals noch unbekannt gewesen sein. Zwar wurde
ini Jahre 47 n. Chr. in agro Mnttiaco von Curtins Rufus eine
iSilbergrube durch seine Soldaten eröffnet, doch scheint diese
:wegen geringer Ergiebigkeit bald wieder eingegangen zu sein
(Tgl. Tac, Ann. Xi Kap. 20). Ein regelmässiges Silberbergwerk
Iwird erst */.ur Zeit Ottos des Grossen im Harz eingerichtet. Hier-
tnit stimmt Uberein, dass in den deutschen Ortsnamen durch Zu-
isaminensetinng mit Hüber gebildete Wörter vor 1100 uicht vnr-
^omtuen (vgl. Förstcniann Deutsche Ortsnamen p 139).
Ausserhalb des im bisherigen bespruchcucu Knlturkreises
scheint der änsserste Osten Europas 7a\ liegen, wo eigene,
leider noch nicht sicher erkiärte Nitmen fUr nnser Metall bc-
■tehen. So in den finnischen Sprachen, deren Nomeuklatur
des Goldes ganz von indogermanischen Völkern abhängig war,
Ainerseits die Reihe; Ünn.hopea, eatn. hfibe, hdhbe, wepa. kobed,
wot. op^a, öpüa, liv. nbdi, übdi, tschud. höbet, andererseits
firotj. azveii, syrj. ezn^, magy. eziUt, die man als „weisses Kupfer"
(-«&/= finn. vagki „Kupfer") gedeutet hat, und aus denen die
oben genannten ossetischen Wörter (vgl. p. 46j entlehnt sein
durften. Doch muss bemerkt werden, dass Sjögren (vgl. HuUetin
ß« l'acad^mie de i^t- l'4tersboarg VI, 172) nnd andere die
erstgenannten Wörter aus npers. siped = aw. spaita „weiss"
Ableiten, nnd M. Bernat Arische und kaitkitsische Elemente in
den finniscb-ngrischen Sprachen I, 246 ff. in ausführlicher Er-
.ernng umgekehrt die ossetischen Würter als Quelle des wot-
jakischen, ayrjänischen nnd magyarischen .Ausdrucks zu erweisen
i
- 66 -
sncht^). Der in den turko-tatarischen Sprachen (vgl. J. Kl -^p-
roth Sprachatlas p. XXXVI) weit verbreitete Name des SilW^
laatet 1cömii8, Jcömüs, kümils (vgl. sumerisch Jcu-babbar?),
Zum Scbluss dieser Besprechung der Silbernamen sei \mier
noch eines vereinzelten Wortes gedacht, das im Munde wandernder
Zigeunerscharen aus Indien nach Europa verschlagen ist: z^.
t'ub, rupp entspricht scrt. rü'pya, bind, rupä^ wie auch der
zigeunerische Name des Goldes sonakai, sonegai etc. aus indi-
schem scrt. svama, Hindi 8Ö7iä etc. hervorgeht (vgl. Pott Zigeuner
II, 274 u. 226).
In den bisherigen Ausführungen sind wir zuweilen den
Spuren eines Gebrauches begegnet, das später bekannt gewordene
Silber geradezu nach seinem Vorgänger, dem Golde, als das
weisse Gold zu bezeichnen, und es ist dies um so begreiflicher,
als man vielleicht von einer sorgfältigen Behandlung des Goldes
selbst zur ersten Kenntnis des Silbers vorgesehritten ist.
Es ist bekannt, dass dem Golde in verschiedenen Mischnngs-
proportionen das Silber innezuwohnen pflegt. Diese Mischong
von Gold und Silber wird in den altägyptischen InschrifteD
äsem genannt und in den Aufzählungen der kostbaren Metalle
und Edelsteine hinter das Gold gestellt. Es steht in grossen
Eihren. „Gold der Götter, dsem der Göttinnen" heisst es von
der Isis. Nach den Untersuchungen von C. R. Lepsius (vgl,
Abb. d. Her). Ak. d. W. 1871 p. 129) entspricht nun diesem
ägyptischen dsem sachlich und etymologisch genau das hebr.
ha^maly wenigstens sachlich aber das griechische 6 fjieKTQog
(„der strahlende" : ;)Afxrro(> „Sonne'^), dessen lat. Abbild e2ecfrt«m
Plinius XXXIII, 4, 80 mit den Worten definiert: omni auro
inest argentum vario ponderej dlibi nonaj alibi octava parte.
Vbicunque quinta an/enti portio est, electrum vocatur. In der
Tat liegt bei Stellen wie Od. IV, 73 ff. :
ffodCfo
XaXxov le meoorrijv xad ÖM/nara tjxfj^Ta
XQvoov T* i)).F.y.Toov TS xai ägyvoov ijS^ tXitpai'JOi
]) Doch stimmt mit meiner Ableitung der ossetisebeu Wörter
aus dem Finnischen ausser Plübsclimann (Et. u. Lautlehre d. esset.
Spr. p. 119) und Stackelber«»: {Irano-finskija leksikalXnyja otnoitnija
p. 5) jetzt auch Yrjö Wichmann (Die Verwandten des finn. vaski in
den permischen Sprachen, Sitzungsberichte XVI, 3) überein (Separat-
abdruck).
- 57 -
oder iu der Homeiischen Eiresione v. 10
hc* tjXsxTQü) ßeßavTa
die Übersetzung des Wortes ijXexrgog — Lepsius unterscheidet
6 i])^xTQog ^Silbergold'^ (vgl. Antigene v. 1083), ?; ijXexTgog
„Bemsteinverzierung'*, rö ijkexTgov „Bernstein" — mit „Gold-
silber" jedem Unbefangenen viel näher als die gewöhnliche
mit Bernstein (vgl. auch W. Heibig Hom. Ep. p. 106j. Gegen-
stände aus Elektron wie Spangen und Becher sind in Hissarlik
in der zweiten und besonders in der dritten Stadt gefunden
worden (vgl. Schliemann Ilios p. 388 u. 527); doch wird in der
Ilias das Goldsilber noch nicht genannt. Auch Herodot versteht
wahrscheinlich unter seinem Xsvxöq ;^^vöocr, das Krösus neben
änsff&og ;f^vaöc „geläutertem Gold" (hehr, päz) I. Kap. 50 nach
Delphi sendet, und an dem der lydische Paktolus besonders
reich war (vgl. Kiepert Lehrb. der alten Gcogr. p. 114), dieses
Elektram. Endlich stehe ich auch nicht an, dasselbe in dem
keltisch -irischen Worte findruine zu vermuten. Ich nehme
nämlich an, dass dasselbe aus *find-or-uine entstanden ist und,
im Gegensatz zu dergor, dem roten (derg) Gold, das weisse (find)
Elektmm bezeichnet. Es steht zwischen crMuma „Bronze" und
Gold und wird neben dem Silber genannt. Becher, Schildbuckel
und ähnliches werden aus ihm gebildet (vgl. Windisch I. T. und
O'Curry Manners and custofns of the ancient Irish ed. hy
W. K. .Sullivan ^) I p. CCCCLXVI f.).
Das Ergebnis der vorstehenden Ausführungen lässt sich
mit Rücksicht auf die indogermanischen Völker in die beiden
Sätze zusammenfassen: 1. Den Indogermanen war das Silber vor
ihrer Trennung unbekannt. 2. Sie haben es erst in ihren histori-
schen Wohnsitzen durch frühe Handelsbeziehungen und Völker-
berfihrungen direkt oder indirekt vom Schwarzen Meere her kennen
gelernt.
In der Geschichte des Eisens werden uns auffallende
Parallelen zu diesen Kulturzusammenhängen begegnen.
1) Sullivan dagegen meint: findruini was probably bronze coated
tciih tin or some ivhite alloy like that of tin and lead. Er geht von
der oftenbar jüngeren Form finnbruithne, finnbruinni aus und zerlegt
dieselbe in find, flnn {white) und bruinni {boiled), y,that is a white
iinned or plated surface^.
VI. Kapitel.
Das Kupfer und seine Legierungen (Bronze, Hessin ^j.
Dass den idg. Völkern schon in der Urzeit wenigstens ^io
Nutzmetall bekannt gewesen ist, iässt sich aus der Gleichungr
lat. aeSf got. aiz = scrt. äyas, aw. ayah
mit Sicherheit folgern.
Dieses Wort, das in der idg. Grundsprache *aj-08 (= scrt.
dyas)j *aj-es-08 (vgl. lat. aenujf aus ^aj-es-no-s) lautete, ist in
vier grossen, abgesehen vom Indisch-Iranischen, geographiscb
weit voneinander entfernten und durch keine nähere Verwandt-
schaft miteinander verbundenen Sprachfamilien erhalten und ist
somit zweifellos einer der ältesten Bestandteile des idg. Wort-
schatzes^). ßemerkeus\vert und für das hohe Alter der Gleicbnng
beweisend ist auch der Umstand, dass diejenigen Sprachfamilien,
welche das urzeitliche Wort bewahrten, auch an dem säch-
lichen Geschlecht der Metallnamen überhaupt (vgl. Kap. II)
festgehalten haben, das nur in solchen Sprachen verloren gegangen
ist, die dijas durch neuere Ausdrücke ersetzt haben. Offenbar
erklärt sich dies daraus, dass man bei der Benennung der Me-
talle vielfach von dem Worte dyas ausging und nach ihm von
goldglänzendem (= Gold), weisslichem (= Silber), bläulichem
(= Eisen) dyas redete.
Wohl aber bedarf die Feststellung der ursprünglichen
Bedeutung dieser Wortreihe einer näheren Erörterung. Das
1) Eine Wurzel dieses idg. *djo8 läset sich nicht mit Sicherheit
nachweisen. Nach Prellwitz B. B. XXIII, 67 läge ai «glänzen' zu-
grunde, von dem griech. at-&-o) „ich brenne" eine Erweiterung dar-
stelle. In nichtidg. Sprachen findet sich ein Anklang nur in der isoliert
dastehenden Sprache der Jeniseier (Tomaschek Z. f. or. Phil. I, 124),
wo das Kupfer ei, ;>. i heisst. In den Mitteilungen der Anthrop. (>es.
in Wien XVIII (1888, Monatsvers, vom 10. April) hält Tomaschek eine
Entlehnung dieses Wortes aus skythisch (iranisch) ayah für möglich.
- 69 •
italische ctes (vgl. umbr. ahesnes = lat. ahenus) bedeutet sowohl
das im Bergwerk gewonnene Rohkupfer als auch das künstlich
mit Zinn yermischte Kupfer, die Bronze. Die germanischen
Wörter got. aiz (= x<^^^)f nord. eir, agls. är (engl, ore), ahd.,
mhd. Sr haben den gleichen Sinn. Am weitesten hat sich wohl
die Bedeutung des engl, ore entwickelt, unter dem Erze jeder
Art verstanden werden können, wie unter unserem erz, ahd.
aruz (siehe unten). Das Rohmetall meinen Stellen wie Otfried
ly 1, 69 zi nuzze grebit man ouh thar er inti JcupJiar, und
noch im 15.— 16. Jahrhundert wird lat. aes ausser mit erze oder
eeVj er mit Kupfer glossiert. Noch im Jahre 1561 gebraucht
der Schweizer Josua Maaler anscheinend gleichbedeutend erin
und küpferin geschirr etc. Während demnach für Europa hin-
sichtlich aes, aiz ganz unbedenklich von der Bedeutung „ Kupfer,
Bronze^ auszugehen ist, kann man bezüglich des arischen dyas,
ayah zunächst zweifelhaft sein, ob diesen Wörtern in der ältesten
Überlieferung der gleiche Sinn oder der von „Eisen" gebühre.
Zu keiner bestimmten Entscheidung dürfte hinsichtlich des
Awesta zu kommen sein. Auf der einen Seite hebt W. Geiger
(Ostiran. Kultur p. 148), wie mir scheint, mit Recht hervor, dass
die Adjectiva, die dem ayah im Awesta gegeben werden (vor
allem das Adjectivum zairi „gelb, goldig", Yasht 10, 96), aus-
schliesslich zur Bezeichnung der Bronze, nicht des Eisens passen,
and auch F. Spiegel (Arische Periode p. 34) nimmt wenigstens
an einigen Stellen das Wort als unzweifelhaft im Sinne von
Bronze gemeint an. Auf der anderen Seite legt, abgesehen von
den Einwendungen v. Bradkes gegen die Geigcrschen Ausfüh-
ningen (Über Methode p. 94 ff.j, Bartholomae in seinem aus-
gezeichneten Altiranischen Wörterbuch dem aw. ayah ausschliess-
lich den Sinn von Metall = Eisen unter, offenbar, weil die
Pehleviübersetzung, die aber doch in diesem Falle nicht aus-
schlaggebend sein dürfte, es mit äsen „Eisen^ wiedergibt^).
Deutlicher sind die Spuren, die darauf hinweisen, dass
ägas im vedischen Zeitalter ^Bronze", nicht „Eisen^ bedeutet
1) Auch die Übersetzung, die Bartholomae selbst für Yasht 10,
96 darbietet: ^die Keule . ., aus gelbem Metall gegossen, aus festem,
goldenem* deutet doch am ehesten auf Bronze, da, wenn „gelbes
ayah* mit v. Bradke p. % als Gold zu nehmen wäre, eine Tautologie
vorläge.
— 60 -
babe. Zunäcbst bat H. Zimmer (Altindiscbes Leben p. 71)
vorgeboben, dass die sieberen BezeichnuDgen des ietztgenanntM <
Metalls (des Eisens) in den vediscben Scbriften gyämäm äy^^ -a
(Av. 11, 3, 7 neben löhitam „Kupfer") oder auch bloss gyäm^esd,
(wörtlich „dunkles Erz", vgl. aus späterer Zeit Tcäläyasd „dank^^sj-
blaues" und Tcfshnäyas „dunkeles" äyas, sowie ^ilag oUij^'^k
bei Hesiod) sind, adjektivische Bildungen zu dem ursprünglich ^so
äyas — aes, das ihnen anhaftet, wie den ägyptischen Nam^/?
des Eisens das Determinativum des früher bekannten Kupfe/v
beigegeben wird (vgl. Lepsius a. a. 0. p. 108). Die Einwendungen
V. Bradkcs (p. 30) hiergegen sind mir unveratändlich. Zweitens
hat H. Brunnhofer in einem Aufsatz Zur Bronzetechuik aus dem
Veda (Fernschau, Aarau 1886 p. 69) einen Beleg „von durch-
schlagender Beweiskraft" für äyas in der Bedeutung „Bronze"
in einer Stelle des (Jatapatha-Brähmana (VI, 1, 3, 5) entdeckt,
in der äyas als goldäbnlicb geschildert wird, und die^ in seiner
Übersetzung folgendermassen lautet: „Aus Sandkörnern schuf er
den Kies, deshalb wird eben Sand am Ende zu Kies. Ans dem
Kies Erz idgman)^ deshalb wird eben Kies am Ende zu Erz.
Aus dem Erz (schuf er) die Bronze (äyas), deshalb schmelzen
sie aus dem Erze Bronze, aus Bronze Gold, deshalb eben wird
vielgeschmolzene {hahudhmätdm) Bronze fast goldähnlich." Aller-
dings gibt V. Bradke in den Göttingischen gel. Anzeigen 1890,
No. 23, p. 919 Anm. 1 eine etwas andere Übersetzung dieser Stelle;
aber die Hauptsache, dass nämlich äyas hier „ Bronze ** bedeuten
muss, wird dadurch in keiner Weise berührt, da Eisen weder in
glühendem, noch in ausgeglühtem Zustand jemals
„goldähnlich" wird. Endlich scheint mir auch die schon oben
erwähnte älteste Zusammenstellung der vediscben Metallnamen
in der Väjasaneyi'Sarhhitä XVIII, 13 hiranyam, dyaSj gyätnärnj
löhdm, sfsamj träpu für äyas als Bronze zu sprechen. Der Er-
klärer Mahidhara gibt allerdings äyas durch Widm^ das bei
den älteren Kommentatoren „Kupfer'^, in späterer Zeit „Eisen"
bedeutet, gyämäm durch tämralöham „Kupfer" und löhdm darch
Tcäläyasd „Eisen" wieder. Allein abgesehen davon, dass so
Eisen zweimal genannt sein würde, widerspricht auch die Ety-
mologie sowohl von gyämä eigentl. „schwai7/' als auch von löhd
cigentl. „Kupfer" oder „rot" {ß. u.) diesen Erklärungen gänzlich«
Alle Schwierigkeiten schwinden, sobald wir äyas durch Bronze,
■ -■'-
^^^HMWTBetZL'ij, <la» in iler spüler vou den iGderii .angeDonmicnen
^^Bltzalil der Metiille {ashfadhälu) als pittulü oder pitalöha mit
Bannt wird, üo erhalten wir Gold (uud Silber), Bronze, Eisen,
pfer, Blei, Zinn').
In arcbäokif^iseher Hinsicht sind in Indieu prähistorische
! aus reinem Kupfer oder ziuuarmer Bronze in sehr frtther
U iu grosser Anzahl gemacht worden (vgl. Montclins Archiv
Antbropolfigic 190O p. ÖOö f.i, so dase also auch von dieser
ite ansei'er Annahme, die vedische Periodik habe im wesent-
ben der Bronzezeit augehOrt, nichts im Wege steht.
HofffU wir somit den Nachweis geführt zu hahen, dass,
A die GleichiiDg aeg — di/im lietrifft, die enropäiechen Sprachen
t den Bedenlungeu „Kapfer, Bronze" den ursprünglichen Zu-
tod bewahrt habun, so sind wir damit noch nicht am Ende
Krer Betrachtungen augekommen.
Im Earopäisuhcn hedentet ja aesniz sowohl das Kupfer
I auch die Bronze, und so erhebt sich die Frage, oli diese
ippelbedentung schon für die idg. Urzeit anzusetzen, oder ob
r Bie VOM einer einfachen Bedeutung „Kupfer" oder „Bronze"
BEOgehen ist. Eine Entscheidung hierüber liaun aber nicht
rekt dorch die Sprache, in der ja eben — wir können nicht
gen, von wann an — die Bedeutungen „Kupfer" und „Bronze"
lieneiiiander liegen — gewonnen werden. Wir gedenken daher
r Erörterong dieses Punktes erst in unserem Schlusskapitel
1) In aeinen Biographien of wordK Appendix V , The third
ftal" widmet M. Müller der Frage, welches die Bedi^utuiig des vedi-
len liyas gewesen sei, eine eingehende Erlirterung. Kr kommt hier-
I an dem SeliiiutB: ,all thereforr we are jH»tifled in stating poaitively
thal at Ikt Urne of the Uigvtda, besides gÜver atid gold, a third
tal was knottn and i^amed liyaa; bul tchether Ihat name referred
tither copper or iron, or tu metat in gemral, there is no evidence
Hinsichtlich meiner oben gegebenen ErklSrnng der Väja»aniyi-
inAiVtl- Stelle sagt er, diias dieselbe ,purely conjuctural* sei. Dies
keint mir nicht gana richtig. Meine Erklärung Htützt sich vielmehr
Uf die deutliche ursprüngliche Bi^de.uiung von scrt. gi/dmä .schnnrz",
.donliel'' {— Eisen, vgl. ^«/oc oidijon; Hesiod) und scrt, löhd „Kupfer'
oder .rot". Wenn wir aber enlgegen dem Kommentator, den M, Müller
hinsicbüich der ErkISruag von löhä als „Eisen" selbst des Irrtums
s«Ult> ffi/dmä al» Eisen, löhä als Kupfer nehmen, was bleibt dann für
uideres alB „Bronze* übrig?
- 62 -
(Die Metalle in ihrer historisehen Aufeinanderfolge) znrfiek-
Zukommen, nachdem wir in Kap. IX durch eine BespFechmig der
altidg. Waffen nnd Werkzeuge uns ein urteil daiHber
gebildet haben^ auf welche der von den Archäologen nfite^
schiedenen prähistorischen Epochen die auf diesem Gebiet sich
uns offenbarenden urindogermanischen Zustände hinweisen. Ent
dann wird ein Anhalt gegeben sein, zu entscheiden, was für die
idg. Urzeit des genaueren unter *ajo8 zu verstehen ist.
Hingegen ist an dieser Stelle noch auf eine zweite
Sprachreihe hinzuweisen, die ebenfalls in die idg. Uneit
zurückgeht, und ebenfalls in sich die Bedeutungen „Knpfer''
und „Bronze** vereinigt.
Es ist dies die Reihe:
altsl. ruda „Metall**, lat. raudus „Erzstflck**, altn. randi
„Raseneisenstein" = scrt. Idhd „Kupfer", npers. röif pehL rdd,
baluöt röd aus altp. *rauda (armen, aroir „Messing'' ans dem
Persischen entlehnt) „Kupfer", die auf ein idg. raudhä hinweist
Gewöhnlich werden diese Wörter mit dem idg. Ansdnick
für „rot** scrt. rudhirä, griech. igu^gdg usw. in Verbindung
gebracht. Bedenkt man jedoch, dass beide Wortreihen in meh-
reren Sprachen lautgeschichtlich ihre eigenen Wege gehen (vgl.
scrt. löhd : rtidhird, lat. raudus : rubery ruftui), so ist diese Er-
klärung nicht besonders wahrscheinlich, und ansprechender scheint
es, in jener idg. Sprachreihe mit F. Hommel (Archiv für Anthro-
pologie XV, 164) uud J. Schmidt (Urheimat p. 9) eine nndte
Entlehnung aus dem sumerischen Wort für Kupfer : urudu^) zu
erblicken^), zumal auch ein idg. Name des Beiles, scrt. para^
= griech. Jtikexvg gleicher Herkunft verdächtig ist (snmeriseh
balagy assyr. pilakku),
Ist diese Kombination richtig, so würde aus ihr zweieriei
zu folgern sein: einmal, dass die Grundbedeutung des idg.
*raudhd „Kupfer**, nicht „Bronze** war, da ersteres die aas-
1) Bemerkenswert ist der Zusammenklang dieses snmeiisehen
urttdu mit dem baskischen urraida ^Kupfer', und Ich wlH daher nidit
unterlassen zu bemerken, dass F. Hommel (Die samero-akkadiselie
Sprache und ihre Verwandtschaftsverhältnisse p. 61) in der Tat einen
sprachlichen Zusammenhang zwischen Sumerern und Basken behauptet
2) Die Bedeutung ^rot* in löhd^ Jöhita wHre alsdann acdnindir
(»kupferfarbig").
Ittfaliirsttliclie Bedeutung des smnerischen ui-udu ist; denn wüli-
retid die meisten, wenn nicbt alle anderen Sprachen des Alter-
' iBing, z. ß. das ägyptische ^o'"'- ^^^^ semitische, faehr. nehoiet,
das grieeb. ^a^fk etc. nur ein und dasselbe Wort für die beiden
Begriffe „Kupfer" und „Bronze" Laben, macht das Sumeriscb-
Ak^sfiische von dicBer Regel eine bemerkenswerte Ausnahme,
iDsofern in ihm »eben urudu „Kupfer" eine bestimmte Bezeicb-
uuii^ der Bronze zabar vorbanden ist. Der Umstand, dass das erstere
Wort rier einzige Metallname des Sumerischen ist, der nicht mit
■visammengesetzteD Ideogrammen gescbriel>eu wird, würde ferner
K'b K. Honimel Die vorsemitiscben Kulturen p. 400 auf das relativ
^l)S(e Alter des Kupfers bei den Sumerern scbliessen lassen.
pJeMm uralten Kulturvolk also, dessen Wohiisitze, ebe sie nacb
Plesopolamicn kamen, wir nicbt kennen, würden die Indogermanen
■ daa wäre die zweite Folgerung aus der Reibe *rmidhA —
vdu — die Uekanutscliafl mil dem Kupfer verdanken. Auch
nf diese Fragen werden wir in Kap. X /.urückkonimen.
Hier verbleibt uns nunmehr die Aufgabe, uns der übrigen
»ben oder statt *ajo8 und *r(iudhä in den idg. sprachen vor-
HHideuen Terminologie des Kupfers und der BrouKC zuzuwenden.
Wir können uns hierbei im tvesentlicben auf Europa be-
^hrttBken. da die in ßelrucht kommenden iranischen Aus-
■Ucke — die indischen (vgl. Pott Etym. Forsch. II, 414 und
Karabari's Räjanighan(ti ed. Garbe p. -ilä ff.) bieten nichts von
loterease — in Zusammenhang mit den europllischeu Hpracb-
nnd Knhurerscbeinnngeu zu besprechen sein werden.
Die älteste Bezeichnung des Kupfers und der Bronze auf
Balkanhalbinsel ist das schou bei Homer geläufige
ht&i. Von diesem Worte lässt sich /.nnäcbst behaupten, dass
im Verhältnis zu cidtigog „Eisen" ein offenbar älterer Be-
landteil der griechischen Sprache ist; denn während von dem
latume x"'^'>- »teboD iu der homerischen Zeit eine ansehnliche
lebendiger Ableitungen wie ;i;<Uk£os, x^i^^io?, yabcEVi,
ai. j[rthiE<iiv, j^aXuijioq, j/ahir'iQrje vorhanden ist, steht diesem
ni«h«ruden Spracbtrieb aldf}ooi, nidtJQeog einsam gegenüber, and
t späl«r beginnt auch dieser Stamm Knospen zu treiben.
Id seiner Verwendung znr Bildung von Persouennamen
l sich ferner das Verhältnis von /ciäkc- (schon hom. Xdixwv,
I Mf rmidone, XaixioäoiTiädi};, Sohn des Obalkodon, Königs auf
- 64 -
Euböa) : oidtjao- vergleichen mit dem von ;jr^i'öo- : dgyvgo' ; d— k
oidi]QO' ^Eisen^ wird im Gegensatz zn ;raJlxdc znr NamengebcK itg*
80 gut wie nicht verwendet.
Zu diesen Beweisen für die Priorität ^) des x^^^^ ^^^ ^^^
oidtjQog in Griechenland kommt dann weiter der Umstand, da«
der älteste Name des Schmiedes ixaixevg) und der Scbmiecfe
(xcii>ce(üv, /aAxiJeoc douog) von dem Kupfer, resp. der Bronze^
nicht von dem Eisen hergenommen ist, und endlich und haupt-
sächlich die Möglichkeit, in der althellenischen Kultur selbst die
allmählich um sich greifende Verbreitung des alAviQog nach-
zuweisen. Das homerische Zeitalter führt uns offenbar in eine
Art Übergangsepoche von der Bronze zum Eisen. Während Waffen
und Werkzeuge im allgemeinen als aus Bronze herge-stellt gedacht
oder bezeichnet werden, sind daneben doch schon eine ganze
Reihe von Gegenständen, in der Ilias: eine Keule, ein Messer,
eine Pfeilspitze, eine Axt, eine Axe, Tore, in der Odyssee: eine
Axt und Fesseln aus Eisen-) angefertigt. Ein eigentlicheR
und reines Bronzealtcr, von dem schon die alte Überlieferung
des Hesiod (vgl. auch Lucrez V, 1282) wusste:
liegt dann aus vorhomerischer Zeit in den mykenischen An^
grabungen mit ihren ehernen Schwertern, Dolchen, Messern,
Rasiermessern, Nägeln, Nadeln, Speerspitzen, Äxten usw. vor
uns. Eisen ist dagegen zusammen mit eigentlichen mykenischen
Gegenständen nur 4 bis 5 mal, und immer in der Form von
Ringen, also als Schmuck, gefunden worden.
Nicht ganz sicheres lässt sich über die Herkunft des
Wortes ;raAxc$c ermitteln. Ganz unwahrscheinlich scheint mir
seine Anknüpfung an das scrt. hriJcu, hÜJcu „Zinn'' (Curtins
Grundz.^ p. 197). Nicht nur dass der Bedeutungsttbergang Zinn
in Kupfer meines Wissens ohne Analogon dastehen wflrde, so
ist auch die Bedeutung des nur einmal neben jatuJca „Lack" mit
1) Vgl. die eingehende Erörterung dieses Gegenstandes bei
Blümner Technologie u. Terminologie IV, 38 ff.
2) Dass in den einzelnen Teilen der homerischen Gedichte
und besonders in dem Verhältnis der Odyssee zur Ilias sich eine vor-
wärtsschreitende Verwendung des Eisens nachweisen lasse, Ist oft
behauptet worden, aber schwerlich beweisbar (vgl. F. B. Jevons
Journal of Hdlenic sitidies VIII, 25 ff.).
- 65 -
räpu ^Zinn" wiedergegebenen Sanskritwortes (vgl. B. R. Scrtw,)
ine 8o überans vereinzelte, dass man unmöglich mit ihr ope-
ieren kann.
Mehr Wahrscheinlichkeit hat die ausser von G. Curtius
ach von anderen namhaften Sprachforschern wie A. Fick (Ver-
[leichendes Wörterb.«. 578) und J.Schmidt (Zur Geschichte des
ndog. Voc. II, 67 und 208) gebilligte Identifikation des griechi-
ichen Wortes durch die Stammform x^^X^' ™^^ ^^^ lituslavischen
Senennungen des Eisens lit. geleüs, preuss. gelso, altsl. ieUzo.
bt dies richtig, so wäre in den genannten Sprachen, die sämtlich
las alte dyas eingebttsst haben, ein anderer uralter Name des
Kapfers oder der Bronze bewahrt geblieben, der dann im Osten
Europas auf das spätere Eisen übertragen worden wäre, ein
Bedeutungsflbergang, dem wir noch öfters begegnen werden,
iDd der auch für das oben erörterte iranische ayah anzunehmen
nrftre, falls dies wirklich ^Eisen'^ bedeuten sollte.
Neuerdings ist aber auch diese Erklärung des griech.
faXxdg, und zwar von Kretschmer Einleitung p. 168 Anm. an-
zweifelt worden. Dieser Gelehrte meint, dass es von griechi-
schem Standpunkt näher liege, yaXxog mit dem Namen der
Parpurschnecke xdXxti, x^^XVf ^^^XV '^^ verknüpfen und beide in
»ner Grundbedeutung „das (die) rote^ zu vereinigen.
Zweifelhaft kann man auch sein, ob der in Griechenland
nriederkehrende Ortsname Chalkis, vor allem die schon bei Homer
Rannte Stadt Chalkis auf Euböa, deren Name nach Plinius
Hwt. not. IV, 12, 21 einst die ganze Insel bezeichnet haben
loll, von x^^^^ öd^*" ;taAxjy abzuleiten sei. Nach späterer Über-
lieferung wäre Chalkis ein Mittelpunkt bergmännischer und
netallurgiseher Tätigkeit gewesen (vgl. Buchholz Die homerischen
Bealien I, 2 p. 322). Doch sollen nach Kiepert Lehrbuch der
ilten Geographie p. 255 die Ebene und Kreidefelsen der Um-
;egeDd kein Metall enthalten.
Auf jeden Fall war Hellas an Kupfer arm, und die Haupt-
nasse seines ;^aAx($c ist ihm ohne Zweifel aus Asiens Schätzen
Eiig;efflhrt oder von dort geholt worden. Scheute man doch
schon zu Homers Zeit (Od. 1, 184) nicht die gefahrvolle Meerfahrt
lach dem kupf erreichen (jroiypraxxo?) Temese auf der metall-
leieben Insel Kypros, die von phönizischen Kolonien {Temese
= kypr. Tama8808i\iQhx.teme8 „das Zerfliessen", die Schmelz-
Sehrader, Sprach v«rglelohung und Urgeschichte IL 3. Aufl. 5
— 66 —
hütte"; vgl. Kiepert a. a. 0. p. 134 und Lewy Sem. Frem
p. 148) bedeckt war, nin x^^^^ ^^^ oidrjQog einzutauschen,
den dortigen Gruben aber standen den Phöniziern die KupF
minen der Kaukasusländer (Hesek.^) XXVII, 13), der Sinaiha^Zi-
insel, des Libanon, der Troas (Strabo c. 606) usw. offen.
Übrigens sollen sich die Alten auf die Kunst, das Ea|^/<sr
wie das Eisen zu härten, verstanden haben, wenn wir ihreo
ziemlich späten Überlieferungen glauben dürfen^). In der schdneo
Quelle UeiQijvrj zu Korinth wurde nach Pansanias II, 3, 3 der
Koglv&iog xphio^ in glühendem Zustand {bianvQog nai ^eg/iög)
zu diesem Zwecke eingetaucht. Doch berichtet Homer von dieser
Kunst noch nichts. Die Stelle Od. IX, 391, wo von dem Schmied
die Rede ist, der ein Beil in kaltes Wasser eintaucht, bezieht
sich auf das Eisen.
Ehe wir aber das griechische ya^^^^j ^^^ sich Aiich in das
ngriech. xa^xögy ;^dA;«ft>^a, kyp. x^^'^^^^^ (Gr« Meyer Griech.
Grammatik p. 154) und von da in das zigeun. charkom (Tgl.
Pott Zigeuner II, 168) fortgepflanzt hat, verlassen, müssen wir
noch einer sehr merkwürdigen Zusammensetzung mit x^^^y ^^
altgriech. doeixakxog gedenken.
Zum erstenmal in der griech. Literatur wird diese MetaD-
^attung in dem Homerischen Hymnus auf die Venus VI, 9 ge-
nannt, wo von künstlichen Blumen aus ÖQeixahcog und kostbarem
Gold die Rede ist. Eine zweite Stelle findet sich in dem an-
geblich Hesiodeischen Schild des Hercules V, 122
xvtjfudag SgeixdXxoio qxuivov^
'Hqaioxov xXvxä 6u}Qa, jisqI xvi^jnfjotv i&rjxer.
Was dachten sich die alten Dichter unter jenem sonder-
1) „Javan, Thubal (die Tibarener am Pontus) und Mesech (Moscher
ebenda) haben mit Dir (Tyrus) gehandelt, und haben Dir leibeigene
Leute und Erz auf Deine Märkte gebracht.^
2) Vgl. Procius zu den angeführten Versen Hesiods: Atflc* Sit
TÖJv o(OfJidxo)v rrjv gco/Atjv ijoxovv ol h xovxco to7 yEvei xwv S* &XX{or AfisXothntij
jreQi xr}v x&v orrkcov xaxaoxrvrjv dihoiß(tv xal x(p x^*^*P nQ6g toDto ixQ&fio,
wg xf{i aiötjQfü jioog yecjQytaVj did rivog ßaq-^g xov x<^^^ OTgQQomHO&ittet^ (kna
(pvoei fÄa).ax6v ' ixXtJiovatjg de xijg ßatpTfg im xifv xoD aidi^QOv xcd ir tdte JW
?Jfioig xQn^^^ kX{>fTv. Vgl. Rossignol Les mitaux dans VanHquiti „iSiir
fa trempe que les anciens don?Urent au cuivre^ p. 237 — 242 u. Schlie-
mann llios p. 537, 814. Neuere Techniker bezeichnen ein solches Ver-
fahren, Rupfer wie Stahl zu härten, als ganz undenkbar (Biümner
a. a. O. p. 51).
67
Worte, das etjiiiologiseb doch niclils anderes als Er^ des
I bezeichnet? Wälireud bei den HeHiodeieclieD Vei'seii, die
offenbar an Hoiuer IL XVIIl, 613 eiionern:
ifi'fe de o! Hvij/iiSai iaroS xoaiHtegaio
der Gedanke uabe liegt, daas dgeij^ainos ^ HaaaiiEQOi sei, ecbeint
hingegen in dem Homerischen Hymnus ein dem Golde sehr nahe
Btebendes Metall gemeint zu Bein. Dieseii Sinn hat aber ögei-
Xnhtoi; augenscheinlicb an der drittältesten Stelle der griecbi-
scbeo Literatur, au der es genannt wird, in dem Kritias de8
Plato, der bei der Scbilderumg seines fabelhaften Atlantideu-
staates dasselbe mehrfach crwähut. Die Insel bringt das Metall,
das jetzt nur noch dem Namen nach bekannt ist, damals aber
mehr als blosser Name war (tö vvv dvo/iuC<^fiFvov /tövov, t6te dk
.-fleof drö/tarogj an verschiedenen Stellen hertor. Nach dem
Golde ist es das geschätzteste Metall (113). Mit ihm ist die
Mauer der Akropolis überzogen (llß). Im Innern des Tempels
war die Wölbung von Elfenbein mit Veraerungeu von Gold und
doEixalKOi ; auch Wände, Säulen nnd Fussboden waren damit
belegt (116l. Der Gebrauch, der hier von dem ÖQtixahcog ge-
macht wird, erinnert lebhaft an die Verwendung des Elektrums
im Paläste des Meuclaos (vgl. oben p. 56), und so liegt die An-
nahme nahe, dass, wenn die Alten überhaupt, wenigstens ur-
sprünglich, mit dem Namen einen Begriff verbanden, was doch
wahrscbeialich ist, sie das in den ältesten Kulturepochen viel
verwendete Goldsilber im Auge hatteu, dem sie, neben t]XexiQog,
die Bezeicbntiiig „Erz (= „Metall") des Berges" geben konnten,
ähnlich wie die Ägypter das von seinem Silbergehalt noch nicht
befreite Gold nub en set „Berggold" nannten. In der Tat wird
oQÜxahtoQ einmal von Suidas mit elöoq fjXixTQov glossiert, wenn
hierauf auch nicht viel zu geben ist. Immerhin scheint mir
diese Erklärung ungezwungener als die, welche Rossjgnol iu
BCtncm Buch Les mitaux dans VantiquiU p. 220 gibt'). Je
t) ,Cependnnt les poitvn se rappelanl leg serviees nombreux que
le cuiiire avait rendun et l'esfime singulare oft Vavaient d'aboril tenu
I«» hommes, idialisirent ce melal et Vappelirenl orichalque ou cuipre
ile montagne par excellence de öe».- et de ;[ai«o,-.' Roesignol unter-
scheidet überhaupt im Gebrauch des Wortes äßeixiditoi 3 Epochen:
1. dge mythique de l'oHchalque, S. dge r^el de l'orichalque, &)Ucuivre
pur. b) l'aüiage du cuivre et du eine, c) ValHage de cuivre et de
i'itain, 3) dge latin de l'orichtUque (ßuriclialcum}.
1
— 68 —
•
mehr indessen in Qriechenland die Verwendimg des Elektnui^z:
abnahm, nm so mehr musste auch der Ausdruck dgetxahcog in d<
Luft schweben. In dem späteren Griechenland wurde es dah(
zur Bezeichnung des dem Qoldsilber äusserlich nicht unähnlichc^j
Messings {xahcdg Xevxög) verwendet^), das ursprünglich direl^^
in Berg^verken, wo sich Kupfer mit Zink vermischt yorfancJ^
gewonnen und erst später durch künstliche Mischung hergestell/
worden zu sein scheint. Nach Lepsius (Zeitschrift für ftgypt
Sprache u. Altertk. X, 116 f.) würde auch x^^o^ß^^<^ u^ der
Septuaginta „Erz vom Libanon" = „Messing*^ oder „Priiu-
metall" sein.
Sehr frühzeitig lernten das griech. dgeixahcog die Römer
kennen, deren älteste Dichter durch die volksetymologische BU-
düng auricJialcum : aurum verführt, in demselben ein ganz fabel-
haftes Metall erblickten. Später bedeutet auricJudcum, ari-
chalcum (auch ahd. örchalc Graff 1,468) auch hier „Messing*'').
Blicken wir auf das altgriechische ;^aAx(ic zurück, so hat
sich ergeben, dass bei den Hellenen ein Bedürfnis nach einem
besonderen Wort für „Kupfer" im Altertum nicht hervorgetreten
ist, dass vielmehr x^^^^ sowohl die Bronze wie auch das nn-
vermischte Rohkupfer bezeichnet, in welch' letzterer Bedeutung
es bei Homer wahrscheinlich in dem Handelsverkehr mit dem
kyprischen Temese und sicher da zu nehmen ist, wo es ab
1) Vgl. Strabo c. 610 eart Se li^ mgi xa "Ai^Btoa, Sg xai6/u90S
oidriQog yiverai * eha /nsta yfjg rivog xafiivev&eis dstoaToCei yftvSd^yvgov (Ziuk),
fj TtQoaXaßovoa ;|^aAx6v ro xaXov/nevov ylvsxcu xQäfAOy 5 tives Sgsixcüixo^ xahnkn
{xQäfiay 6 xexQafiivog x^^^ = Messing). Im PeripL maris erythr, f 6
wird 6Qftx<dxoQ nach Afrika eingeführt: q> ;|r^d>vra4 :iiQOQ höo/aoi^ mu df
avyxojrrjv dvxi rofÄia/naTog.
2) Eine ausführliche und lebhafte Debatte über die eigentlielie
Bedeutung des griech. dgeixa^xog zwischen P. Diergart und B. Neo-
mann findet sich in der Z. f. angewandte Chemie 1901 p. 1297; 190^
p. Ml, 761, 1217; 1903 p. 85, 253. Während der erstere mit groBser
Gelehrsamkeit im wesentlichen den in diesem Werke eingenommenen
Standpunkt verteidigt und näher begründet, sncht B. Neumann wol
erhärten, dass das griech. Wort schon lange vor dem ersten vor-
christlichen Jahrhundert, ja wohl von Anfang an eine Knpfer-Zlnk-
legierung, also Messing bezeichnet habe. Zu einem gänslfch einwand*
freien Resultat scheint es nicht möglich zu sein in dieser Frage vor>
zudringen.
— 69 —
i^v^gög^) (IL IX, 365) bezeichnet wird, während die übrigen
and häufigeren Epitheta von x^^^^ * olI^ow ^funkelnd^, cpaeivog
,{^änzend", v&gotp „blendend ^^ eher auf die goldähnliche Bronze
alg auf das Kupfer hinweisen.
Erst durch die Türken hat sich, wie über die übrige Balkan-
halbinsel (alb. baJcer, serb. bakavy bulg. bakär etc.)^ so auch
Aber das Neugriechische {fjuiaxägi) ein spezieller Name des Roh-
kupfers ausgebreitet, der diese Bedeutung, wie es scheint, von
Anfang an gehabt hat (vgl. Vämb^ry Die primitive Kultur des
turko-tat. Volkes p. 174).
Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Italien. Auch
hier bat aes (s. o.), ganz wie griech. yakxdg^ lange Zeit hin-
gereicht, Kupfer und Bronze zusammen zu bezeichnen, und erst
yerbältnismässig spät, freilich noch immer früher als in Griechen-
land, kommt ein besonderer Name für das Kupfer auf.
Bedeutungsvoll wird hier wiederum die Insel, von der aus
schon dem homerischen Griechenland das Kupfer zugeführt
worden war, Kypros'*). Die erzreiche {aerosa, jtolvxaXxog) Insel
Kypros, so nach einer freilich nicht sicheren Annahme nach ihrem
Cypressenreichtum im Munde der Phönizier {gofer = xvnaQiooog)
genannt, die zuerst den metallischen Reichtum ihrer Berge syste-
matisch ausbeuteten, kam im Jahre 57 vor Christo in den Besitz
der Römer, und das feine Produkt der kyprischen Kupferberg-
werke ((US Cyprium, x^^^^ xvjigiog) übertrug bald seineu Namen
auch auf das gleiche Metall anderer Länder. Laugsam bahnt
sieh nun das lat. aes Cyprium oder vielmehr seine volkstümliche
Form cuprum (zuerst bei Spartiauus Hist. Aug. I, 725), cupreum,
cyprinum einen weiten Weg nach fast allen Himmelsrichtungen.
Zunächst dringt das Wort in das romanische Sprachgebiet ein,
wo es aber nur im Französischen {cuivre = cupreum) bewahrt
ist. Die übrigen romanischen Sprachen bedienen sich des latei-
nisehen aeramen, aeramentum ,,Kupfergeschirr^ (wie griech.
xdixco/uay vgl. p. 66) = it. rame, wal. arame (aber alame
i,Me8sing^ '), sp. arambrey alambre (daher auch bask. alamerea
1) Kretschmer a. a. 0. gibt unrichtig 11. I, 365 an.
2) Vgl, über die Kupferfunde auf Kypros Cesnola Gypern und
M. Much Die Kupferzeit' p. 136.
8) Die anderen romanischen Namen für das Messing frz. lait(yny
it ottonef sp. IcUon sind nach F. Diez Etym. W. d. rom. Spr.^ p. 230
— 70 —
neben dem genuinen urraida, vgl. oben p. 62), pr. aratriy
airain. Ostwärts von Italien kebrt cuprum im alb. Tci^
„Kupfer" wieder; vgl. auch nserb. kupor, oserb. kopor.
intensivsten aber haben die germanischen Sprachen das h
Wort in sich aufgenommen. Es lautet: ahd. chuphary m\^m.d.
kupfer, kopfevy engl, copper, dän. köbberj schwed. koppc^r,
altn. koparr. Von dem hohen germanischen Norden ans ist es
einerseits in das Irische (copar) und Cornische {cober ZetMss
G, CJ p. 1069), andererseits in das Finnische (Arupari), Lappiscbe
(kuoppar), Estnische {kubar-wafik) eingedrungen. Lappisch air,
airra ist altn. eir, got. aiz,
Dass auch in Rom, wie in Griechenland, dem historischeD
Eisenalter eine Bronzezeit vorausging, folgt, abgesehen von deo
Funden, auch aus einer Reihe von Kultussatzungen, die den
Gebrauch des Eisens verboten und den des Erzes vorschrieben.
So musste (nach Festus Pauli ed. C. 0. Müller p. 106) die
Vestalin das Feuer in ehernem Sieb in den Tempel tragen,
mit ehernem Messer musste sich der Flamen Dialis rasieren,
und mit ehernem Pflug musste bei Städtegründungen der Um-
riss einer Niederlassung gezogen werden (vgl. Heibig Die Italiker
in der Poebne p. 80 f.).
Wenden wir uns in den Norden Europas, so begegnet
im Keltischen eine in allen Mundarten desselben fiberein-
stimmende Benennung des Kupfers und Erzes : ir. umae, acjmr»
emedf PI. emedou, ncymr. efydd. Sic würde nach Bezzen-
berger (bei Stokes Urkeltischer Sprachschatz) auf eine Grund-
form '^um-ajo zurückführen und in ihrem zweiten Teil einen
Überrest des idg. *ajo8 enthalten, das vielleicht auch dem kelti-
schen Wort für „Eisen" : Hsarno (vgl. u. Kap. VII) zugrunde
liegt. Für den ersten Teil des urkeltischen *umajo fehlt es an
einer Anknüpfung. Da im Irischen die Bronze cr^dumae heisst,
d. i. crid „Zinn^ -f umae, und die Bronze aus Zinn und Kupfer
besteht, so könnte es naheliegen, für das irische Wort von der
speziellen Bedeutung „Kupfer^ auszugehen. Indessen ist es rein
sprachlich betrachtet doch wohl wahrscheinlicher, dass crMumae
nichts anderes bedeutet als „Zinn-Bronze^, d. h. echte Bronze im
Gegensatz zu anderen Mischungen.
auf rom. (it.) latta ^weisses Blech" (eigentl. plata) zurückzuführen. VgL
aber dazu Körting Lat.-rom. W.^ p. 529.
i
— 71 -
Bei den GermaneD finden sich neben got. ais (s. o.) usw.
noch zwei geographisch nicht weit verbreitete Ausclriteke für
denselben Begriff: agis, ftr(F«, engl, hrasfi und ahd, aruz, aruzi,
trezi, altndd. arut, unsei" „Erz". Beide harren noch einer
sicheren Erklärung. Das erstere konnte man mit lat. femtm
■ans *fersum vergleichen, in welchem Falle eine Parallele zh der
ohen erörterten Reihe griecb. ;t"^''^ n^rz" — aM&X. SeUzo „Eisen^
Torläge. Für ahd. ai-uz {auch in Ortsnamen Aruzapafi, Ärizperc,
Ärizgreßi, Ärizgruoho), das Kluge Et. W. auf eine Grundform
*arÖHuin znrtlekfUhrt, habe ich an den Namen der etrnriscben
Stadt Jrre^iwm erinnert, die einer der berühmtesten Waffenplätze
Italiens war {Arretini M. M. M. sctitorum, galeas totidem, pila,
•gaesa, hastas longas, mühim quinquaginUt summam prn-i
euiusque generis numero expleturos, securis, rufra, falces, al-
veolos, molas, quantum in XL longa» naves opus egget, Liv.
XXVIII, 45, 16). A. Fick (Vergl. W. I*, 356) vergleicht grieoh.
Äß*? „Pfeilspitze", G. Meyer Et. W. p. 14 alb. arints „Stahl",
A. Walde (Et. W. d. tat. Öpr. s. v. raudtis) denkt aufe nene an
Verknüpfung mit. lat, rudis [aen i-ude). Eine Entscheidung kann
ztirzeit nicht getroffen worden. Übrigens deckt sich aruz mit
Iir nicht völlig in der Bedeutung; denn während von den beiden
Adjektiven mhd. erin und erz!n ersterea nur auf das Kupfer oder
die Bronze angewendet wird (also = lat. aeneus), bedeutet
erzin, nbd. erzen ganz allgemein „metallicits".
Allen slaviscben Sprachen gemeinsam ist die Sippe von
■llel. medl usw. In einigen Slavinen bezeichnet es speziell das
Knpfer gegenüber dem mda (s, o.j „Erz"; doch ist die Grund-
bedentmig wohl genau die des griech. jj^i^rfc faltsl. midarl
^j;a>lxoi'03'(i?", midinica „x"^^""''^ "Jsw. Wahrscheiulich hängt,
me wir schon sahen (o. p. 14), das slavische Wort mit dem
deutschen ge-smSde, smida (vgl. griech. afiütj „.Schnitzmesser",
o/üXog nebeu /.üXo? „Taxnsbanm", „der zum Schnitzen geeignete")
znsammen und geht mit diesem auf eine Wurzel zurück, deren
Bedeutung etwa „künstlich herstellen" war. Das altsl. mSdi
I hätte dann in der Urzeit etwa „ehernes oder kupfernes Ge-
^«cbmeide" bedeutet.
An der eben besprochenen slaviscben Bezeichnung des
■fapfers und Erzes nehmen aber die baltiscben nicht teil,
i4eren Benennung beider Begriffe : altpr. itargian {tearene
- 72 -
„Kessel"), lit. wärias (vgl. auch szwitwarisj skaisttoaria neb -e;
misingi „Messing") bis jetzt eine Anknüpfung nicht gefand ei
hat Indessen ist es mir sehr wahrscheinlich, dass dieses alt^^^r.
wargian usw. mit der ostfinnischen Benennung des Knpff=»iy
tscher. vörgene, soswa-wogul. ärgin, wotj. irgon zu verkntlpP^iB
ist, die auch in das Ossetische {arxi, arxviy Hübschmann Os».^
Spr. p. 120) eingedrungen ist (vgl. oben p. 46, 55 über das ossetiselie
Wort für Silber). Sowohl was die Beziehungen des Ossetiscbes
wie auch die des Baltischen zu dem Ostfinnischen betrifft, mflsseo
hier von den historischen ziemlich abweichende prähistorisclie
Völkerzusammenhäuge vorliegen. Jedenfalls haben die Finnen,
bevor sie ihre alte Heimat am Ural verliessen, schon das Kupfer
gekannt. Finnisch vasJcij läpp, vesk, viesk (vgl ung. vas^ das
aber „Eisen" bedeutet) kehrt im wog. vox „Kupfer" und im
ostjak. vaxj vox tj^^'^j Metall" wieder, während Kupfer in
letzterer Sprache pafer-vox heisst, das nach Ahlqvist soviel wie
„schwarzes Kupfer" (Schwarzkupferj bedeuten würde. In der
Vorstellung der Finnen ist das Kupfer durchaus das älteste
Metall. Kupfern ist der Sampo, den Hmarinen schmiedet, ein
kupfernes Männchen fällt dem Wäinämöinen die Rieseneiche,
und auch der ewige Schmiedemeister Hmarinen wird mit einem
kupferneu Hammer geboren. Vielleicht kann man aus den
Spuren alter Kupferbergwerke in Sibirien, den sogenannten
Tschuden-Schttrfen, auf eine uralte bergmännische Gewinnung
des Kupfers durch die ältesten Finnen schliessen. Doch wussten
die Wogulen bei der Ankunft der Russen nichts mehr von
Bergbau, und Ahlqvist vermutet daher, dass sie nach Bekannt-
schaft mit dem Eisenhandel den alten Kupferbergbau vergessen
hätten (vgl. Sjögren Zur Metallkunde der alten Finnen et<j. Ges.
Schriften I, 627 ff. und Ahlqvist Die Kultnrw. d, westf. Spr.
p. 63 ff.).
Dem Lande südlieh des Ural und seinen Bewohnern, den
Skythen, spricht Herodot IV, 41 den Besitz des xqXmq ab;
aber IV, 81 wird mit seltsamem Widerspruch hinzugefügt, dasB
die Skythen dennoch so reich an kupfernen oder ehernen Pfeil-
spitzen {aQÖig = ahd. aruz'f s. o.) waren, dass ihr König Ariantas
einen ungeheuren, 600 Amphoren fassenden Kessel aus ihnen
herstellen konnte.
Haben wir durch die bisherigen Ausführungen gelernt, dass
- 73 -
in den Sprachen Europas nur ganz allmählich eine schärfere
Unterscheidung der beiden Begriffe „Kupfer" und „Bronze'* her-
vortritt, 80 haben wir nun schliesslich noch desjenigen Ausdrucks
zu gedenken, der bei diesem Prozess in späterer Zeit eine be-
sonders wichtige Rolle spielt^ insofern er allmählich immer deut-
licher die Aufgabe übernimmt; die Legierung des Kupfers mit Zinn
gegenüber dem reinen Kupfer zu bezeichnen: unseres „Bronze",
frz. bronce, it. bromo, ngriech. fxjiQovvCog (mgriech. vgl. exet
xal ivo TtÖQtag jigovrCiveg), alb. brunts, russ. bronza usw. Dieses
Wort lautet in seiner ältesten, mittellateinischen Gestalt bron-
zium (aeSf cuprum; bronzina tormentum bellicum; bronzinum
vas, vgl. Du Cange Gloss. mediae et infimae Latinitatis) und
ist nach den einen eine Ableitung des ursprünglich deutschen
Adj. bruno „braun", brunizzo, bt'uniccie (brunitius), also „das
bräunliche Metall", nach anderen ist es hervorgegangen« aus dem
ebenfalls mittell. obryzum (obryzum aurum = yovoiov ößgv^ov
nGold, welches die Feuerprobe bestanden hat", obinissa die
^Feuerprobe des Goldes" schon bei Cicero), die Bronze nach
ihrer goldähnlichen Farbe bezeichnend; vgl. Diez Etym. W. d.
rom. Spr. I^, 69. Eine neue und auf den ersten Blick sehr
bestechende Erklärung hat Berthelot in einem Aufsatz Sur le
nam du bronze chez les alchimiates grecs (Revue archiologique
1888 p. 294) aufgestellt. Dieser sucht als die älteste Form des
Wortes aus alchimistischen Schriften ein mgriech. ßgorrtjoiov zu
erweisen. Dieses aber entspreche einem lat. aes Brundisium^
da in Brundisinm berühmte Bronzefabriken, namentlich von Spiegeln
gewesen sein müssen {Plin. Rist. nat. XXXIII, 9. 45. XXXIV,
17. 40).
Auch gegen diese Herleitung lassen sich aber gewichtige
Bedenken geltend machen, die von K. B. Hof mann Über das
Wort „Bronze" (Berg- und Hütteum. Zeitung 1890, No. 30)
richtig hervorgehoben werden. Hof mann selbst vertritt in diesem
Aufsatz die schon von Pott (Z. f. d. Kunde des M. IV, 264)
ausgesprochene Meinung, der zufolge unser Wort „Bronze" in
letzter Instanz aus npers. birinj, baluCt brinj „Kupfer", „Messing"
hervorgegangen sei, Wörter, die, wie ich glaube, ihrerseits wieder
mit dem schon oben genannten armen, plinj und dem kaukasi-
schen püindi (im Udischen), spilendzi „Kupfer" (im Grusini-
schen) usw. zusammenhängen (vgl. oben p. 49). „Wenn man
- 74 —
sich erinnert," sagt Hofmann, ^dass schon im Altertam die
Bronze- und Messingfabrikation im persischen Reiche eine hohe
Entwicklung erreicht hatte, so hat die Deutung des Wortes aiu
dem persischen ^birindsch", das heute „Messing" bedeutet,
etwas sehr bestechendes, und dies um so mehr, als auch noch
in einer späteren Zeit das kunstfertige Volk der Araber die
Bronzebehandlung von den Persern gelernt hat." Auch der von
Hofmann um Rat befragte hervorragende Sprachforscher 6.
Meyer hält a. a. 0. diese Erklärung für wahrscheinlich: „Es
würde sich nur darum handeln, das o gegenüber dem konstanten
i der orientalischen Wörter zu erklären. Hier kann Anlehnung
an ein einheimisches [vgl. etwa venez. bronza „glühende Kohle**?]
Wort im Spiele sein."
Auch ich möchte dieser Herleitung als der nach Lage der
Dinge ansprechendsten beitreten, und zwar nicht am wenigsten
wegen der in den folgenden Wörtern liegenden Analogie.
In den germanischen Sprachen begegnen, etwa seit dem
XII. Jahrhundert bezeugt, mhd. messinCj agls. mästling, altn.
messing, daneben kürzere Formen in mhd. messey Schweiz.
mösch „Messing". Die Ableitung dieser Wörter aus dem lat.
massa „Metallklumpen" darf jetzt wohl als aufgegeben gelten
(Vgl, F. Kluge Et. WJ s. v. Messing)*); hingegen erklären sich die
volleren germanischen Formen ohne weiteres als Entlehnungen aus
den slavisehen poln. mosiqdz, osorb. mosaz, nsorb. mjesnik, öech.
momz, klcinruss. momz, weissruss. mosenz, die auf eine Grundform
*mo8engjü (Miklosich Et. W.) zurückgehen und offenbar nicht von döi
neupersischen Bezeichnungen des Kupfers kurd. my«,nper8.fny^, w«,
buchar. miss, kirgis. moes (mhd. messe, Schweiz, wöäcä?) getrennt
werden können. Den Ausgangspunkt aller dieser Ausdrücke aber
stehe ich nicht an, einer schon von Kopp Geschichte der Chemie IV,
1) ^Gegen diese herrschende Ansicht ist zu bemerken, dass die
Ableitung [mhd. inessinc etc.] grössere Verbreitung hat als das Primi-
tivuiii [ahd. massa], und dass eine selbständige Ableitung aus lat
massa in den verschiedenen Dialekten nicht denkbar ist; daher mnss
die Sippe von lat. massa getrennt * werden, falls man nicht ein ab-
geleitetes Wort den genn. zugrunde legen kann.** Was zugunsten
der älteren Ansicht gesagt wt*rden kann, findet man bei P. Diergart
Messing, eine iirgeschichtlich-etymologische Studie Z. f. angewandte
Chemie XIV (1901\ p. 1300.
- 75 -
113 gegebenen Anregung folgend, in dem Völkernamen der Mossy-
nOken zu erblicken ; denn da von Psendo- Aristoteles de mirdbilibus
atMCultationibus ausdrücklich berichtet wird: (paal tov Mooov-
foixov ;|raAx6v Xa/Lmgörarov xal kevxdrorov elvai ov JiaQajuiyw-
fiivov avTcp xaooixiQov äkXä yfjg nvog (Galmei, Zinkerz) yivojuivrjg
awetpojuivrjg avxc^j so ist es mir allerdings nicht unwahrscheinlich,
dass diesem Völkernamen ein barbarisch-pontisches *mo88 oder
*mo8sun ^Messing" zugrunde liegt, das dann in die persischen
Mandarten und weiter wanderte. Dass jedenfalls nordklein-
asiatische oder pontische Völker- und Ortsnamen wiederholt in
Beziehnng zu Metallen und Metallurgie stehen, beweisen die
Chalyber (vgl. griech. x^^^W "• P- 83), die Tibarener, hehr.
Thubal (vgl. hebr. Thuhalkain „der Erfinder der Erz- und
Eisenarbeit''), die Silberstadt Alybe (oben p. 52) u. a. Voll-
kommene Sicherheit aber kann leider bis jetzt für keine der
bisher vorgeschlagenen Deutungen der beiden Wörter „Bronze"
und „Messing'' in Anspruch genommen werden.
Ergebnisse dieses Kapitels: 1. In der idg. Grund-
sprache war als Bezeichnung eines Nutzmetalls das Wort *ajo8
vorhanden, das entweder „Kupfer" oder „Bronze" oder beides
bedeutete (weiteres s. Kap, IX, X). 2. Ein anderer idg. Metall-
name war *raudhäy der wahrscheinlich aus der Sprache der
Sumerer (urudu) entlehnt ist und alsdann von Haus aus „Kupfer"
bedeutete. 3, Eine scharfe sprachliche Unterscheidung des
Kupfers und der Bronze ist unter den asiatisch europäischen
Idiomen des Altertums nur im Sumerisch-Akkadischen {urudu
„Kupfer", zabar „Bronze") nachweisbar. Die anderen Sprachen
gebrauchen für beide Begriffe ein und dasselbe Wort (z. B.
hebr. n^hoiet, griech. ;^aAx($^). 4. Erst verhältnismässig spät
tritt in dieser Beziehung in Europa eine exaktere Termino-
logie auf.
,VII. Kapitel.
Das Eisen.
Das schwer zu bearbeitende Eisen {noXvxfAtjfrog oürj^),
das sich beute die Welt erobert hat und zu den yerbreitetsten
Mineralien des Erdbodens gehört, besitzt die Eigentümlichkdt,
dass eS; das Meteoreisen ansgenommen, nur in yererztem and
darum weniger augenfälligem Zustand vorkommt, and von
Menschenhand geschmolzen und verarbeitet, dem Zahne der Zeit
einen geringeren Widerstand als die übrigen Metalle entgegen-
stellt. Die prähistorische Archäologie befindet sieh daher ihm
gegenüber in der schwierigen Lage, öfters nicht sicher entr
scheiden zu können, ob das Fehlen des Eisens in bestimmten
Kulturschichten der Unkenntnis der Menschen mit demselben
oder der zerstörenden Macht der Zeit zuzuschreiben sei. Die-
selbe ist daher mehr als bei jedem anderen Metalle auf historische
und linguistische Zeugnisse angewiesen.
Sie lehren, dass die Bekanntschaft mit diesem Metall in
den Kulturstaaten des Orients über die geschichtlichen Anfänge
hinaus, jedenfalls aber auf sie zurückgeht. Lepsius hat in seiner
oft zitierten Abhandlung das Eisen unter dem Namen men bereits
in den ältesten ägyptischen Inschriften nachgewiesen. Doch
scheint die praktische Verwertung des in den Abbildungen durch
seine blaue Farbe kenntlichen Metalles erst mit dem neuen Räch
begonnen zu haben (vgl. Montelius Archiv f. Anthropologie 1900
p. 923). Jedenfalls wird die Priorität des Kupfers auch hier
durch den bereits erwähnten Umstand wahrscheinlich gemacht,
dass das Wort für Eisen durch das Zeichen des Kupfers dete^
miniert wird (vgl. Lepsius a. a. 0. p. 108). Von Ägypten und
später von den Handelsfaktoreien der Phönizier, Griechen und
Römer am Roten Meer aus haben sich dann wahrscheinlich
eiserne Gegenstände und eine primitive Eisentechnik, von Nord-
I nach Süden vorseh reitend, im Iiinereu Afrikas ausgehreitet.
so den Schein einer selhständigen Entdeckung des Eisens und
seiner Gewinnung durch die Schwarzen erweckend ivgi. Andrce
Die Metalle bei den Naturvölkern p. 3 ff.). In jedem Falle
achltesBt sich in Afrika die Eisenüeit unmittelbar an die ätein-
Mit an: die übrigen Metalle sind zoin Teil vom Standpunkt
des Eisens aus benannt (oben p. 8 Amn.).
Die semitischen Sprachen bedienen sich eines gemein-
schaflliclicn Ausdruckes für das Eisen: hebr. barSzely syr. parzld,
assyr. parHllu farab. ßTzil „Eisensteckel"), was auf ihre uralte
Bekanntschaft mit diesem Metalle (ursem. parzÜlu) hinweist.
1d den Euphrat- und Tigrisländern lässt es sich, Jedoch aucli
hier znnächsl ohne praktische grössere Bedeutung, bis ine III.
vorchristliche Jahrtausend zurückführen (vgl. S. Müller Nordische
Altertumskunde II, ö). Auch wird schon im alten Testament
da« Eisen zu den Geräten, als Talent (I. Chron. 2.3, 14. 30, 7),
zu Nägeln und TUrbescti lägen und auch zu Waffen (I. .Sam.
n, 7} verwertet, wenngleich es bemerkenswert ist, dass Bronze
weit tiftnfiger als Eisen (in den vier ersten Büchern Mose ist
das VerhUltnis S^ : 4) genannt wird. In eine Reihe mit dem
semilischeu Namen des Eisens gehört anch das sumerische
harzn. Ober dessen näheres Verhältnis zu den semitischen Wörtern
ich jedoch kein urteil habe (vgl, F. Honimel Die vorsem. Kul-
rn p. 409).
Wenden wir nns zu den indogermanischen Völkern,
wird schon in den liieroglyphisehen Inschriften die Land-
schaft /'er«, d. i. Persien als ein Hauptausfuhrort des Eisens
bezeichnet iLepsius a.a.O. p. 104). So würde es sicherklären,
wenn schon im Zeitalter des Awesta (oben p. 59) das ans der
Drteit übernommene ayah „Kupfer", „Bronze" allmählich in die
BedeDtnng des bald die Industrie beherrschenden Eisens über-
gegangen sein sollte. Dass jedenfalls das letztere in verhältnis-
mässig frflher Zeit den iranischen Stämmen bekannt war, be-
weist eine mehreren ihrer Dialekte, ja sogar dem versprengten
OsBetiKcben gemeinsame Benennung desselben: afghan. dspanah,
ittpiHii, Qsati. äfsän, Pamird. «piu etc. (vgl. W.TomaschekCentralas.
St«d. II, 70). Eine Erklärung dieser Wortsippe fehlt noch").
1) Höbschmann K. Z. XXIV, 392 denkt an npera. gpUi „weias":
— 78 —
Übrigens werden auch von Herodot (VII Kap. 61 u. 84)
die Perser durchaus als mit eisernen und ehernen Waffen aus-
gerüstet geschildert. Auch zu den stammverwandten Skythen
war schon zu Herodots Zeit die Kenntnis des Eisens gedrungen.
Der Geschichtschreiber erzählt lY Kap. 62, dass im Kult des
Ares ein eiserner Säbel (oidiJQeog äxivdxt]';) als Sinnbild dieses
Gottes verehrt wurde, und die Verwendung dieses Metalles im
Gottesdienst lässt auf eine sehr alte Bekanntschaft mit dem-
selben schliessen, während der Gebrauch des Kupfers (Erzes)
ausdrücklich von dem Schriftsteller wenigstens für einen Teil
der Skythen in Abrede gestellt wird (IV Kap. 71).
Das armenische Wort für Eisen erA:af ist wie der armen.
Name des Kupfers und vielleicht auch des Goldes und Silbers
(oben p. 49) aus kaukasischen Sprachen (gruzinisch rJcina „Eisen'',
lasisch erTxina „Eisen", rUina „Messer") eingedrungen.
Besondere Bezeichnungen für das gehärtete Eisen, den
Stahl, scheinen in Vorderasien verhältnismässig spät aufgekommen
zu sein; doch hat eine derselben eine über ein ungeheures Ge-
biet ausgedehnte Verbreitung gefunden:
Npers. pülädj syr. p-l-d (Paul de Lagarde Ges. Abb. p. 75),
kurd. ptlä, pülä, püläd etc. (Justi Dictionnaire Kurde-Frangau
p. 84), pehlevi piUäfat, armen, polovat (Lagarde Armen. Stud.
p. 130), türk. palüy russ. bulatüy kiruss. bulat (Miklosich Fremdw.
8. V.), mizd'2eghisch polady bolat, mong. bolot, bülät, buriät
(Klaproth Asia polyglotta^ p. 282, Sprachati. V, A. Pott Zeit-
schrift f. d. K. d. M. p. 262, Hörn Grundriss S. 75, Hflbsch-
aw. spaeta'y doch ist mir keine Ableitung einer Benennung des Eliseiu
von einem Adjectivum „weiss" sonst bekannt.
Justi Wörterbuch p. 439 stellt zu den angeführten Wörtern auch
aw. haosafna, das er (Handw. s. r.), Geldner K. Z. XXV, 579 und
Geiger Ostiran. Kultur p. 148 mit „Kupfer*, Spiegel (Awosta, übersetft,
Vend. XIII, 254 = VIII, 90) mit „Eisen**, Bartholomae Altiran. W. mit
„Stahl* übersetzt, was lautlich nicht angeht.
Im Neupersischen heisst das Eisen ähen, das man aus *aya9ana
erklären kann, oder das zu balui^i äsin^ pehl. "jisk (West Giossaiy
p. 27), kurd häsin, awsin (Justi-Jaba W. p. 439) gehört. Spiegel Arische
Periode p. 35 denkt an Herkunft von asan „Stein* (vgl. scrt ä^man
oben p. 60 „Gestein"). Auch P. Hörn Grundriss d. npers. Etymologie
S. 14 weiss keinen Rat.
. - . J
Armt-nisolie Or. S. 1^32;. W» alter und woriii ist der Dr-
ruug dieser Worlreibe zu snchen?
1 einem lieBonderen Interesse iel aueb die nsHetiscIie
loenaong des Stnbles anihin, ä^idön (HtlbscbmaDii Osset. Spr.
]). 1j?4), inaofeni sie wiedernni aus den permisoben Spraelieii
^wo^i. andan, syrj. jendon) entlehnt igt, Übrigens auch im Kau-
kasus (vgl, r. Erc'kert p. 132) wiederkehrt. So haben wir also
■tam drittenmal osrftnnische WOrter im Ossetiscben augetroffen,
den Namen des Silbers \aiDzint), des Kupfers [aryi), des Stahles
[andun), wozu wir unten (Kap. Villi noch den des Bleies (itdi)
stellen werden, so dasg die Osseten aus der Zeit ihres Zusammeii-
haiigs mit ihren iranischen Brüdern nur Bezeichnungen für das
Gold (»uj-2(Jrin(y) und Eisen {äfsän) mitgebracht zu haben scheinen.
Die scbuu oben hervcirgehobenen kulturhistorischen Beziehungen
des Ossetischen zum finnischen Osten aber erklären sieh um so
leichler, als uaeh den ossetischen Sagen einstmals der ossetische
•Stamm bedeutend weiter nordwärts, als dies gegenwärtig der
fall ist, verbreitet war (cgi. Klaproth Asiti polygl.* p. 83).
h K&rzer können wir uns über die indischen Verhältnisse
Pnen; denn es ist schon oben (p. 60) bemerkt worden, dass in
wa titi>rarischen Denkmälern das Eisen erst gegen den Ausgang
der vedischen Periode mit Sicherheit nachzuweisen ist, und dort
sind auch die ältesten Xauieu dieses Metallcs genannt worden.
Die späteren Bezeichnungen desselben (vgl. Pott Etymologische
Forsch. II, 416 und Narakavis Räjanighanfu ed. Garbe p. 41,
42) bieten nichts von Interesse. Einer derselben sert. t;astrü
■eentl. „Waffe" ist im Munde der Zigeuner als naster neben
Hki) „Stahl" (= kurd, avsi») in die Welt gewandert.
■ Wir gehen nuomehr nach Europa und zwar zuerst nach
dem alten Hellas liber, um uns auch hier nach Anhaltepunkten
fUr das erste Auftreten des Eisens umzusehen.
Das veilehenfarbige {töen), glänzende (at&mv) oder graue
(.loÄiö,-) Eisen spielt schon in der bomerischen Dichtung eine
nicht ganz unbedeutende Rolle. Es wird wie das Kupfer als
Taoschmittel benutzt, wie dieses liegt es in den Schatzkammern
lier Reichen. Bei den Leichenspielen des Patroklos fU. XXIII,
Üb f.) setzt Achilteus als Preis einen Eisenklumpen ans {aöXov
tX^tuyor d. h. „roh gegossen, nicht bearbeitet"; an Meteor-
ist nicht zu denkeuj, von dem der glückliche Gewinner
- 80 -
5 Jahre seinen Eisenbedarf entnehmen solP). Messer, Kenlen,
Pfeilspitzen werden bereits als aus Eisen gefertigt genannt. Ja,
a(dt]Qog bedeutet zuweilen geradezu Beil oder Schwert {hpihtem
ävdga aidrjoog). Trotzdem haben wir schon oben darauf hin-
gewiesen, dass das Verhältnis von ;^a>lx($^ : oldrjgog auf ein histo-
sches prius des ersteren mit grosser Deutlichkeit hinweist.
Charakteristisch für dasselbe ist auch eine griechische
Sage, die Herodot I, 67, 68 tiberliefert, und die er in die Zdt
des Krösus verlegt. LicheS; ein spartanischer Borger, aus-
gegangen, um die Gebeine des Orestes zu suchen, kommt in
eine Schmiede {yahtfi'iov), in der er Eisen schmieden (oiA^gor
liekavvouevov) sieht. Über diesen Anblick gerät er in Erstaunen
{iv &a)t^inaTi 7]v ogiljoyv to jToierfievoi'), Der Schmied (xahtivij
nicht aidt]Qfvg) bemerkt es und sagt: ^Du, der sich schon Aber
den Anblick der Schmiedearbeit verwundert, was wflrdest Du
sagen, wenn Du das gesehen hättest, was ich gesehen habe**
usw. Als Ausstattung der Schmiede werden Blasebalg {qmai),
Hammer {ofpvQa) und Amboss (äxfiKov) genannt. Diese Gleschichte
ist deshalb lehrreich, weil sie erstens in einer Zeit erfunden sdn
muss, in der die Herstellung des Eisens noch etwas neues war
{h '&ai)jnan tjv ögcäv), und weil der Schmied, von dem ansdrflck-
lieh erzählt wird, dass er otdt]QOs bearbeitet, trotzdem ;|rcuU£ti?
(xakxtjiov „Schmiede'') genannt wird.
Da wir nun frQher (vgl. oben p. 64) gesehen haben, das
das Eisen in dem mykenischen Zeitalter so gut wie unbekannt
war, so folgt hieraus, dass es erst in nachmykenischer, aber
vorhomerischer Zeit in Griechenland bekannt geworden sein mon*
Auch Über die Gegend, woher die Griechen dieses Metall
1) e^Ei fiiv xai Jth'ze neQutXouhovg hiavrovq
Xgeco/iterog ' ov fikv ydg ol dre/ußofievos ye aidi^Qov
„Man kann diese Stelle entweder so verstehen, dass der Gewinner de»
o6Xog aus demselben auf fünf Jahre alle notwendigen eisernen Uten-
silien in Vorrat, und zwar in der Stadt, schmieden lässt und sie dann
zu Hause für das jedesmalige Bedürfnis bereit liegen hat; oder mas
kann annehmen, dass der Landmann dem Schmiede je nach Bedürfnis
von seinem Eisenvorrate liefert, wie dies noch heutzutage auf den
Lande nicht selten geschieht, woraus man dann die Existeni von Dorf-
oder Wanderschmieden folgern müsste*' (vgl. Buchholz Die honi. Real
I, 2 p. 836).
8t -
keimen lernten, sind einige Vermutiinfreii p;e»lattet. Das Fest-
land Grieubcnlands ist hu Eisenerzen nichl sonderlieh reich
iBlUniner a.a.O. p. 74), Eine Ausnahme niaeht der Pelopnnnes,
namentlich am Vorgcbirg;» THnaron, v/n vielleicht eclion die
Phönizier, wenn unsere Gleichstellung von 'Jaivnoov = bebr.
tannür nächmehofen" iv^l. oben p. IG) riehtig ist, das Eiecnerz
auslicateten.
Die Grieehen werden daher frühzeitig auf ausländische
MetalUager angewiesen gewesen sein, lu der Tat bat sich in
Griecbeuland schon in sehr frtiber Zeit eine bestimmte Tradition
aber die Herkunft des Eisens festgesetzt. Diese wird nümlich
naeb einer sehr alten C'herlleferuug in die Nachbarschaft des
Pontus EnsiuDB, auf den pbrygischeu Idn zurllckgcfUbrt, in dessen
waldigen Täleru die 'IdnToi MxriXoi: Kelmis. Diiuinameneus und
AkmüD das bläuliche Eisen gefunden nnd bearbeitet haben sollen.
Sowohl in dieser, oben bereits mitgeteilten .Stelle der l'fioronü,
der ältesten, welche die idäischen Daktylen erwähnt (vgl. oben
p. 23), als anch in den begleitenden Worten des Scholiasten
(yAjTEC di ^aav xoJ ipag/taxeii. Kai dj)/uovgyol oid^gov Xiyovrm
itQÜnot xni /lEiaiXni yeviö&at. Scbol. Apoll. A. I, 1126), ist aber
ausscMiesslich von dem Eisen, nicht von anderen Metallen die
Kedf, so dnss erst spätere die letzteren noch hinzugefügt zu
haben scheinen. Das Parische Marmor {^7/ w Mivtui; 6 nQtbioi
ißaaiXevae Hai Kvdfoviay f^Jfine xai alAi/Qoq ef'gilh] h- rfl *^^ff'
c&gitntoy tätv 'löalwv AaKtvkiov KUniog xal AufivafKvioK hr)
1168 ßamlEi'-oyTtK "A<^1]vq)v Ilnv&iovoz) gibt sogar ein bestimmtes
Jahr fUr die Entdeckung des Eisens auf dem Ida an.
Werden wir so durch die Überlieferung an die Westkllste
Kleinasiens als Herkunftsort des Eisens geführt, so ist weiterhin
bemerkenswert, wie oft hier, im Gegensatz zu dem Mutterlande,
im Süden und im Norden Eigennamen (Orts- und Personennamen)
Torkommen, die an das griechische oiöt/gos „Eisen", das bis
jetzt aus indogermanischen Mitteln nicht hat gedentct werden
können '},;anklingen. Vgl. Itdagov^, ZtdtjQovs Stadt nnd Hafen
1) Curlius Grundzü°>j* u. ^ p. 246 vorgieit-ht acrt. sciditas ,ge-
achmoUen" und »cirfniif . .eiserne Piauiie", ahd. inveizjait Jriijere'
and meint, ortf;?*^ bedeute .ausgeschmolnen*. Eine Bekanntschaft der
tndnfTtsrinanen mit dem Eisen tolgf indessen daraus niclit. Pott Et.
Foraoh. I" p. 197 zieht lit. sividü» (wie auch G. Meyer Griech. Gr.*
Sobr»dBr. 8ptiicbver«leicriui.K luid L'rBMchicUU II. 3. AuH. 6
— 82 -
laLyclen, auch ein vulkanisches Vorgebirge in Lyeien mit einem
Tempel des Hepbästos (Scylax Geogr. Min. T. I p. 301),
J^idagvvxiog Einwohner (Pape Eigennamen s. v.) nnd 2Mi^
Personenname in einer lycischen Inschrift (M. Schmidt The
Lycian Inscriptions p. 12). Nach einer mündlichen Mitteilung
M. Schmidts ginge aber aus der Flexion des lycischen Eigen-
namens hervor, dass Hiddgiog ein einheimischer Personenname
gewesen sei. Ähnlich begegnet uns im Norden die Landschaft
Sidrjvri mit einem Küstenplatz Ziötj und anderes (vgl. Brnnu-
hof er Fernschau, Aarau 1 886 p. 59, P. v. Bradke Methode p. 42).
Erwägen wir nun, dass schon von Tomaschek (Z. f. Orient Phi-
lologie I, 125) im Kaukasus eine Benennung des Eisens ztdo
(im irdischen) nachgewiesen worden ist, so wird es nicht nn«
wahrscheinlich, dass die Bekanntschaft mit dem Eisen sachlich
und sprachlich vom Kaukasus her über Kleinasien sich bis nach
Griechenland verbreitet hat, eine Auffassung, die nm so nfther
liegt, als der griechische Name des Stahls mit Sicherheit
auf die gleiche Herkunft hinweist.
Einen eigentlichen Namen für den Stahl, dessen He^
Stellung durch Ablöschen dem Homerischen Zeitalter wohl be-
kannt war (vgl. Od. IX, 391), besitzt die Homerische Sprache
noch nicht. Kvavog bedeutet nach der über/.eugenden Unter-
suchung von Lepsius (a. a. 0. p. 130) „nie und nirgends etwas
anderes als einen blauen Farbestoff, den man meist ans
Kupferblau direkt oder dadurch herstellte, dass man einen blauen
(rlasfluss daraus machte und diesen pulverisierte'*.
Der erste Ausdruck für den Stahl ist in der griechischen
•Sprache das von Hesiod (scut. 137) genannte äddfjuxg^ -avxog^ das
liier mit Bezug auf eine Sturmhaube (xvvirj) gebraucht wird, nnd
|). 247) und lat. stdus, »tderis aus *sidesi8 heran. Ist letzteres richtig,
80 kann natürlich nur von einer Wurzel Verwandtschaft mit oid-tfooi die
Rede sein. Trotzdem fassen einige Kulturforscher (vgl. Lenormaot
Anfänge d. Kultur p. 58) deswegen das griechische Wort als MeteOT-
<»sen SLul{gldu8 «Gestirn''), wozu jeder Grund fehlt. Auch das koptische
benipe „Eisen^, welches hierbei gewöhnlich als Analogon herangeiogeo
wird, weil es Brugsch dem ägypt. bäa en pe-t gleichgesetst und als
Meteoreisen aufgefasst hatte, erfährt nach Lepsius p. 108 f. eine gans
andere Deutung. Ja, sogar den ooXog aviozäovog des Homer bat maOf
wie schon angedeutet, für Meteoreisen erklärt (vgl Batzel Vorgesch.
<1. europ. Menschen p. 283).
- 83
I der Wurzel da/t in iVifirif/u, /idfuUo etc. gestellt in werden
pficgi, 80 (lass es wie iioni. n!>äitamo<; Am „unhezwiugbare" sc.
Helall bezeiohneD würde. VolkstUuilieh ist diese Bildung schwer-
ich jemals gewesen. Die eigentliche Benennung des Stahles
et iui Grieeliischen vielmehr erst x"^'"/' (auch /«in/id»«}; Eur.
äer. 162), das «uerdt bei Aescliylus Prom. 133 genannt wird:
■ Htvnov yeiii Afia giilvßoi &ij}Btr /iyiQtuv
PS sicher ans kaukastsch-pontischen Gegenden nach Griechen-
■od eiugewaiidert ist. Dieses Wort hängt ohne Zweifel mit
lern NameD des nordischen Volkes der Chalyber (X('dvߣ?,
Xäivßon zusammen, die das Alterlnm sowohl nördlich des Pontus
ind Kaukasus als auch slldHch i)is Armenien nnd Paphlagonien
nit schwankend angegebenen Wohnsitzen kennt, und das uacfa
nnstimmigcn Zenguiasen sich dnreb Bergwerke auf Eisen und
Cisenm and Faktur auezeichnete. So werden die uidijijojextovei
Xälivßeg schon von Aeechylus Prom. 715 im unniittelbiireu Aii-
leblnss an die Nomadeu' Skythen (^xi'&ut ro/^ädsi) genannt, wozu
Üe He«ychi8clien Glossen Xäivßof e&vot rijg Zxv&iaq, ojjov
tiAfjQOc j'i'cfrni ültd XnXvßdtxtj' t^g S^v/ilai, Snov nidi'iffov fihaiXa
rtimtnen. Xenophon unterscheidet in seiner Anabasis zweierlei
'^halyben, die einen zwischen Ara^Lcs und Eyros, die anderen
ila die llnlertHocn der Moesyoöken am Ponttis. Von letzteren
leisst es V, b, l 6 ßiog ijv toü; Ttleiaroig niiöiv ämi aidijoftag
isw. DftSB auch die Tibarenor und Moscher der Bibel in die
t^ontnsgegenden weisen, ist schon gesagt (vgl. oben p 66 Anm. 1).
t^beneo mag das „nordische" Eisen, welches .lerem. 15, 12 ge-
laoDt wird, hierher gehören. So wird man nur darüber zweifei-
lafl sein könuen, ob das gnech. ;i;cUi'i/r einfach „der Chalyber"
iedentet, oder oh, was mir das wahrscheinlichere ist, beiden
l'Olkeru ein barbarisch-poiiliscber Ausdruck fflr Eisen oder Stahl
tnde liegt (vgl. oben p. 75 über die Mooavyotxoi und oben
t über 'Aki'ßij}.
Auch im ältesten Latinni maugelt es nicht an Zeugnissen,
i das einstige Fehlen dee Eieene beweisen. Unter den ZOnften
lies Nnioa wird der faber ferrarius vermiest, uud dass der Ge-
bniKh de« Eisens in den ältesten Knltnssatzungen Überall aus-
ibloaeen ist, wurde bereits oben (p. 70) erwähnt.
Zuerst ist unser Metall auf italischem Boden in den Funden
- 84 —
von Villanova nnweit Bologna nachgewiesen worden (vgl. ündset
Das erste Auftreten des Eisens in Nord-Europa), die ihreneiU
wieder mit dem berühmten Gräberfeld von Hallstatt am Nord-
abhänge des Thorsteins in Zusammenhang zu stehen Bcheinen^
wo der Gebrauch des Eisens am frühsten unter den nOrdlichereo
Ländern Europas in grossem Umfang uns entgegentritt (v(^.
V. Sacken Das Grabfeld von Hallstatt, Wien 1868). Doch ist
die Frage der ethnischen Zugehörigkeit dieser Fundorte noch
eine offene. Jedenfalls war aber auch in Rom, wenn wir die
Überlieferung des Plinius (XXXIV, 139) glauben dürfen, schon
zur Königszeit das Eisen so bekannt, dass im Vertrag mit Po^
sina seine Verwendung auf die Zwecke des Ackerbaus beschränkt
wurde. Leider hat das lateinische Wort für Eisen ferrum noch
keine sichere Deutung gefunden, so dass von dieser Seite kein
Anhalt für die Geschichte des Eisens bei den Italikem geboten
wird. Am wahrscheinlichsten ist immer noch (vgl. oben p. 11),
dass es aus *fersum entstanden und mit den innerhalb des Ger-
manischen ganz allein stehenden agls. hrcesj engl. hr€t88 „En''
zu verbinden ist, so dass wir ein Analogon zu dem Verh<niB
von griech. ;fa^c5ff „Erz" : lit. geleiis, slav. ieUzo „Eisen^ vor
uns hätten. Andere (zuletzt Walde Lat. etym. W.) haben an
Entlehnung aus dem semitischen Wort für Eisen (hebr. band
etc.) gedacht (vgl. lat. {c)tunica aus hebr. Mtönet). Nach
Mommsen Römische Geschichte P, 128 hätten die Phönizier ihre
Seefahrten bis Caere ausgedehnt. Einige Tagereisen nördlich
von der hier errichteten punischen Faktorei lag die eisenreiche
Insel Elba
Instila inexhaustis Chalyhum generosa metällis (Vergil),
Al^db] (: ai&co) bei den Griechen genannt.
Eine sichere Entscheidung zwischen diesen beiden mit-
geteilten Deutungen des lat. ferrum ist zurzeit nicht möglich.
Indem wir nunmehr von dem Süden zu dem breiten ROcken
unseres Erdteils emporsteigen, finden wir einen relativen Mangel
an Eisen in der ältesten uns geschichtlich überlieferten Zeit
überall noch durch klare historische Zeugnisse hervorgehoben.
Und zwar lässt sich die Bemerkung machen, dasa derselbe is
der Richtung nach Nord-Ost im Zunehmen begriffen ist. Nach
der Germania des Tacitus (Kap. 6) ^war Eisen in Deutschland
nicht in Menge vorhanden^ (ne ferrum quidem supereH). hn
rrdea vrusste Cäsar vod den BritanDeo, dass Eisen nur am
tere, und auch liier nur in uubedeutendem Masse vorkäme id«
U Gaü. V, Kap. 12). Im Osten uenot Tacitua in dem Stamm
' ;Vstier den pfenssifich-lettiBcljen Spraclizweig;. Hier heisst es
ioQ (Kap. 45): rarua fern, frequen« fustium ums. Seine
IDDtaiB beecliliesst das Volk der Fenni {Finnen), die inopia
H „ans Mangel an Eisen" filr ihre Pfeile zu KnoehenspitzeD
I Zitfincht uehmcu.
Die Kunde des Eisens und seiner ßearbeitnng rltckt in
lei Richtungen nach dem europäischen und dem angrenzenden
iatischen Norden vor; einmal von Westen nat-h Osten, das andere
Tun Süd-Osten nach dem Norden oder Nord-Westen. Den
ingspunkt der einen bilden im Westen die Kelten.
Dass dieses Volk sowohl in der Ausbeutnnj^ vrie auch in
■ Verarbeitnng des Eisens, sei es dnrch griechisch-njassilio-
ehe, sei es dnrch italische Einflüsse (nach Plinius llisf. nat.
1, ö hatte sich in der Zeit vor der grossen keltischen
utderuug ein Uclvctier namens tlelico fabrilem ob artem ia
I anfgehaltenj, in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten
se Bedeutung erlangt hatte, wissen wir durch sichere Zeugnisse.
Xoch Tacitus (Kap. 43) kennt im Osten an den vorderen
lathen ein dahin versprengtes oder dort zurückgebliebenes
llisebea Sklavcuvolk der Germanen, die Colint, die quo magis
- denn „der Gott, der Eisen wachsen licss, der wollte
ine Knechte" — et ferrum eff'odimit. .Auch in Gallien selbst
!^e anf Eisen gegraben. Besonders berichtet dies Cäsar von
ttiturigern de bell. GaU. VII, 22, die sich bei der Belage-
B von Avarienm sehr nützlieh erwiesen: eo gcientias quod
ui eo» magnae «uni ferrartae atque omne genns cuniculorum
um ntqae tisUatum est. In lÜesem Zusammenhang ist es
nerkenswert, dass die gemeinkeltischc Bezeichnung des rohen
alles (cytnr. mwt/n, Ir. mätn, mianach) in die romanischen
l'achen (frz. mine „Bergwerk", it. mina etc.) übergegangen
i(Thnmey8en Kcltoromanisehes p. 61).
Die Überreste dieser altkeltiscben Eisenindustrie sind in
u berühmten Fundort bei dem Dorfe Marin am Xordende
I Neoepbnrger Sees, genannt La Töne „die Untiefe", in grossen
leo von eisernen Waffen, Werkzeugen, Gefässen und .Schmuck-
ea zutage getreten, „die sich ebenso von den ballstättischen
- 86 -
(8. 0.) wie von den römischen unterscheiden^ (M. HOmes Ur-
geschichte der Menschheit). Dass wir es hierbei wirUieb
mit altkeltischen Erzengnissen zu tan haben, beweist die Obe^
einstimmung der Waffen mit den auf dem Schlachtfeld yod
Alesia gefundenen. Von keltischem Boden aus hat sich diese
Kultur über den ganzen Norden Europas ausgebreitet, und die
Fundstätte La Töne hat dieser Epoche den Namen der La-Ttee-
Zeit gegeben.
Der gemeinkeltische Name des Eisens lautete in seiner
ältesten Gestalt *t8amo oder *tsdrno (vgl. den burgundischen
Eigennamen Isamodori: Ortus havd longe a vico, cui vdwla
paganitas oh celehritatem clausuramque fortissimatn iuper-
stitiosissimi templi Gallica lingua Isamodori i. e, ferrei oitü
indidit nomen. V. S. Eugendi Abb. mon. St. Claudii in Bor-
gundia) : ir. iarn, cymr. haiarn, haearn^ com. hoern^ hem, harn,
arem. hoiarn, haiam. Es ist möglich, dass dieses altkeltische
*t8'arno nichts als eine Weiterbildung des idg. Namens des
Kupfers oder der Bronze *ajosy *ai8 ist, der bei den Kelten in
der Form von Hs vorliegen könnte (vgl. oben npers. ähen ^Eisen''
aus *ayasana?). Sicher aber ist, dass das altkeltische Wort von
den germanischen Sprachen ttbernommen worden ist, in den^
es got. eisarn, alts. isarn, agls. isem, altn. isarn, ahd. Uam
lautet. Das den germanischen Sprachen fremde Suffix -am
(Brugmann Grundriss II, 138) verrät die Entlehnung aus der
Fremde und zeugt gegen Urverwandtschaft. Die Zeit dieser
Entlehnung muss als eine ziemlich frühe angesetzt werden, da
die agls. Form iren (aus *iz-drno) neben isem (aus ♦f^^mo)
darauf hinweist, dass sie vor Durchführung der deutscheu Laut-
verschiebung und des germanischen Betonungsgesetzes erfolgt ist
(vgl. R. Much Z. f. deutsches Altertum, Anz. XXVIIIy 308), eine
Erscheinung, die nicht auffallen kann, da wir auch andere vor
der Lautverschiebung erfolgte Entlehnungen aus dem Keltischen
im Germanischen kennen (z. B. got. retks aus kelt. ^rig-s = kt
rex ^König^). Der Anfang des IV. vorchristlichen Jahrhunderts,
von dem an man auch die Ausbreitung der La-Tine-Kultnr in
Europa rechnet, dürfte allen Anforderungen gerecht werden.
Die ausserordentliche Bedeutung, die die Bekanntschaft mit
dem Eisen im Norden Europas, zunächst in der keltisch-germa-
nischen Welt, für das Leben der Menschen gehabt hat, äussert
- 8T -
ich aacb in der grossen Zahl der Personennamen, die von dem
Eellisch-germaDigcbeu iaaruo gebildet worden sind. Vgl. altgall.
Hrninus (ein Begleiter S. Patricks), abret, Vatihernux, Phbn
toiernin, cyiur. und arem. Haiarn, Ifoianiscoet, Cathoiurn
. (ZeiisB Gr. Cell.' p. 106 und Stokes ürkelt. Sprachschalz
1.25), aaf deutscbem Boden: Isanbard, laanbirga, Isanperht,
lanbrand, Isanburg, hangrim und viele andere (FOrstenianii
keuUehes Namenbneli, Personenn. 2. Anfl.)
Die germaniscben Völker übernehmen nun ibrerseits die
Cnltarenfgabe, das wertvolle Geachenk des Westens weiter oet-
rftrts KB vermitteln. Im Altnordischen wird eise bestimmte
Isttiiug des Eisens, der im Norden häufig vorkommende Kaseo-
feenstein iferrum ochraceum) raudi genannt. Dieses Wort hat
I den flbrigvo gennanisctien 8prachen keine Anknüpfung, achliesst
hli aber zn einer Reibe mit altsl. ruda „Metall", tit. rüdä
lies ein slavisches Lehnwort, vgl. A. Brückner Die stav, Lehnw.
I Litauischen p. 128j, Wörter, deren Zusammenhang mit lat.
vdu«, scrt. löhtim etc. wir bereits oben (p. 6^) kennen gelernt
■ben. Demnach bedeutete altn. raudi urspriinglicb Enpfer,
uiD ohne Zweifel das rote, erzartige Eisen, eben den Rasen-
■enstein. Dieses Wort ist nun aus dem Nordischen durch das
innische in die flhrigen westfinnischen Spracben eingedrungen,
t dsBB es der eigentliche westrinnische Ausdruck fUr das Eisenerz,
^worden ist: finu. rauta, estn. u, weps. raud, Hv, raud, rdda,
uod, läpp, ruovdde. Auch sonst sind zahlreiche finnische Aus-
Mleke für das Eisen und seine Bearbeitung germanisch-nordi-
Grsprnngs, So malmi, malvi „Eisenerz", takki rautti
nfawed. tackjerv) „Kobeisen", melto-ratita, auch bloss melto,
mto, manto, läpp, malddo (sebwed, aiiUilta) „ungehämmertes
len" etc.; aacb die Benennungen der Schmelzhütte und des
iochofens sind entlehnt. Daneben fehlt es nicbl an einer Reihe
snainer Wörter (vgl. Ablqvist Kultuiw, p. 67 f. und liuUethi
\ l'acad. de St. Peterabourg VI, \18}. Denn <las muss zu-
Igebeii werden, dass die Finnen, einmal hingewiesen auf den
iticbttim ihrer Seen und Sümpfe (vgl. das oben p. 4 über die
eburt des Eisens mitgeteilte) bald zu grosser Fertigkeit im
lenhandwerk sich emporschwangen, ja vielleicht ihre germani-
len Nachbarn überriügelten. Lebendiges Zeugnis ihrer Eiseu-
iitniedekunst legen die überaus häufig mit rauta „Eiseu"
- 88 —
zusammeugesetzten Orts- uud Distriktsnamen der Finnen ab, wie
Baufajäriciy Rautawesi, Rautäkangas und viele andere, wie
anf hochdeutschem Boden IsarnhOj Isanpach, Isanhus etc. (vgl.
Förstemanu Namenbuch, Ortsn.).
Eine ganz andere Erklärung der westfinniscben WOrter
(finn. rauta etc.) gibt Lenormant (sowohl Die Anfänge der
Kultur I, 79 als auch Transactions of the Soc. of Bibl. Ärek.
VI, 354), indem er dieselben mit dem obengenannten akkad
urudu „Kupfer" vergleicht und die litu-slavischen Anadrflcke
7'uda etc. aus ihnen hervorgehen lässt. N. Anderson Stadien
zur Vergleichung der idg. und finnisch-ugrischen Sprachen (Dorpat
1879) p. 353 hält die westfinnischen und idg. Wörter für ur-
verwandt.
Der germanische Ausdruck fttr das Eisen {rauta = rauii)
findet sich aber nur in den w^ est liehen Sprachen finnischen
Stammes, wie ein gleiches mit dem germanischen Namen des
Goldes der Fall war (vgl. oben p. 42). Im Osten des genannten
Sprachgebietes gilt, wie für das Gold, so auch für das Eisen ein
anderes Wort: ostj. karte^ wotj. kortj syrj. kört, tscher. Mrtnej
wog. ker, kierty das sich, ebenso wie der ostfinnische Name des
Goldes, nur durch Zurückführung auf das iranische Sprachgebiet
erklären lässt. liier bedeutet altir. kareta^ npers. kärdj bucbar.
fj(irdy kurd. kir, osset. kard etc. „das eiserne Messer", und es
ist unschwer begreiflich, wie wilde Barbarenstämme das nie-
gesehene Metall nach dem Werkzeug benannten, an dem es
ihnen zuerst oder zumeist aus den iranischen Kulturländern zu-
geführt werden mochte. Auch im Slavischen (poln. kord etc.)
und Litauischen (kärdas poln. Lehnw. „Sehwert", vgl. Brückner
a.a.O. p. 202) ist das Wort bekannt*).
Inmitten dieser Strömungen von Ost und West liegt das
1) Vgl. M. BernÄt Arische und kaukasische Elemente in den
finnisch-magyarischen Sprachen (ungarisch) S. 390 ff. — Die oben
I). 79 besprochene Entlehnung des esset, andan „Stahl* aus den oßt-
linnischen Sprachen gehört offenbar einer wesentlich späteren Zeit an
als die Entlehnung des iran. karata in die ostflnn. Sprachen. — Ein
Analogen zu der Verbreitungsgeschichte des letztgenannten Wortei
bildet übrigens das pcrs. tdbar, tdfyr, baluöl totoär, Pamird. Hpdr
„Beil", das nicht nur in fast allen Slavinen (altruss. toporü usw., Mi-
klosich Türk. Elem. p. 1), sondern auch im nngar. topor^ tseber. tavdr
etc. (Ahlqvist p. 30) wiederkehrt.
— 89 -
i-slavische Sprachgebiet mit einem gemeinsamen Namen
Eisens: lit. gele£is, iett. dzelscy preuss. gelso^ altsl. äelezo.
• haben schon oben (p. 65) über die Verknüpfung dieser
rter mit dem griecb. x'^^og gesprochen. Die Grundbedeutung
nordischen Wörter wäre dann „Kupfer" oder „Bronze"
rasen, eine Bedeutung, die, wie man wohl vermuten kann,
IT dem durch skythische Stämme vermittelten Eiufluss des
1 tischen Handels in die von „Eisen** übergegangen wäre.
Endlich bleibt mir in Europa noch eine ebenso interessante
leider dunkle Bezeichnung des Eisens zu nennen. Es ist das
anesische hdkur, auch dkur, der einzige nicht ostensibel
der Fremde entlehnte Metallname dieser Sprache, der allen
idarten derselben gemein ist. Die einzige Möglichkeit einer
lämng scheint mir seine Verknüpfung mit dem oben (p. 78)
prochenen armen, erkaf „Eisen** usw. zu bieten (doch vgl.
Meyer Et. W. d. alb. Spr. p. 150).
Verhältnismässig jung sind, wie sich nicht anders erwarten
t, auch im Norden die Namen des Stahles.
immerhin haben die germanischen Sprachen eine in allen
lekten übereinstimmende Benennung desselben: ahd. stahal^
1. stahel, Stachelf stäl, altn. stdl, engl, steel, die beweist,
s die Kunst, das Eisen zu härten, hier früh bekannt war.
1 germanischem Boden aus hat Entlehnung ins Lappische
lUj neben teräSj teras : Iett. tSrauds) und ins Slavische (russ.
!f) stattgefunden. Eine sichere Erklärung der germanischen
rter steht noch aus. Man denkt an aw. staxra „fest**. Alt-
nssisch panu-staclan „Feuerstahl** scheint in seinem 2. Teil
iofalls eine Entlehnung aus dem deutschen Wort (vgl. Meringer
f. d. österr. Gymn. 1903 V. Heft S. 15 des S.A.) zu sein.
Wie hier vom Westen, so beweist sich der Slavismus auch
D Osten in seinen Benennungen des Stahles abhängig. Russ.
dtü etc. haben wir in seinem Zusammenhang mit Vorderasien
on kennen gelernt. Vgl. femer serb. £eliky alb. UeViky türk.
Ikj pers. ieUuk; russ. charalügü, d2agat. karälük, endlich auch
n. demeszek „damasziertes Eisen**, serb. demiskinja, türk.
''nSkij ngriech. di^iaxl (Damaskus).
Die weiteste Verbreitung aber hat in Europa das lat. acies
nucleui) ferri gefunden, das sich im Mittellateinischen zu
«re, aciarium entwickelt. Aus diesem letzeren gehen einer-
- 90 -
seits it. acciajo, sp. aceroy altport. aceiro, frz. (icierj wal. ot^fi^
ang. atzd, sttd- und westslav. ocilif ocel, andererseits it. occitMle,
veu. azzaley ahd. ecchily ecchel etc. (nsl. jeklo) hervor (vgl. Diez
Etym. Wörterb.* p. 5).
Litauisch-altpr. pliinasj playnia wird wohl richtig mit alte.
fleinn „Spitze^ Spiess**, agls. ftdn „Pfeil, Geschoss" vergBchen.
Ergebnisse: 1. Eine schon nrsprachliche Benennung des
Eisens iässt sich bei den Idg. nicht nachweisen. 2. Im Gegen-
teil deuten, wie in den Funden, so auch in Sprache und Ober-
lieferung zahlreiche Züge darauf hin, dass das Eisen bei den
einzelnen idg. Völkern erst in ihren historischen Wohnsitzen und
nach dem Kupfer (Bronze) bekannt wurde. 3. Hinsichtlich der
Wege, auf denen sich die Bekanntschaft mir dem Eisen ?er-
breitete, lassen sich bis jetzt folgende Zusammenhänge wahr-
scheinlich machen: a) Die Griechen lernten das Eisen in nach-
mykeuischer und vorhomerischcr Zeit von Kleinasien und den
Pontusländern her kennen, b) Die Germanen Qbernahmen es
ungefähr im IV. vorchristl. Jahrhundert von den Kelten, c) Die
Westfinnen verdanken ihre Bekanntschaft mit dem Eisen
Germanen, die Ostfinnen den Iraniem.
VIII. Kapit^L
Zinn und Blei/)
Die archäologischen üntersnchangen haben hinsichtlich des
Aaftretens des Bleies and Zinnes im Verhältnis zu einander und
m den übrigen Metallen noch nicht zu einem entscheidenden
Besultat geführt. Soweit man bis jetzt sehen kann, kommt Zinn,
freilich in äusserst geringer Menge, schon während der Bronze-
seit an zahlreichen Fundstellen Europas vor, während das Blei
m Mittel- und Nordeuropa erst in der Hallstattperiode, im Süden
iber schon in Mykenae und vor allem in fast allen Schichten
les Barghügels von Hissarlik erscheint (vgl. Olshausen Z. f.
BthnologiC; Verh. IX). Eine Geschichte der beiden Metalle lässt
dch auf diese prähistorischen Funde noch keineswegs gründen;
iQch vergesse man nicht, was in anderem Zusammenhang (vgl.
p. 40) schon früher bemerkt wurde, dass aus Tatsachen wie
ienen, dass in Hügelgräbeiii der Insel Amrum einige zinnerne
Dolch- und Pfeilspitzen, oder dass in den Tumuli von Rosegg
in Kärnten zahlreiche bleierne Reiterfigürchen gefunden worden
sind, noch keineswegs folgt, dass bei den dortigen Bevölkerungen
die betreffenden Metalle bereits bekannt und in ihren Sprachen
benannt worden waren.
Jedenfalls lehrt die Sprachbetrachtung, dass erst bei vor-
gerückteren metallurgischen Kenntnissen Blei und Zinn durch
besondere Benennungen unterschieden worden sind. Namentlich
die Sprachen unzivilisierter Völker haben für beide, chemisch
loch ganz verschiedene Metalle nur ein Wort aufzuweisen, wie
1) Vgl. den Artikel zin in Schades Altdeutschem Wörterbuch^
872—1882, Blümner Technologie und Terminologie IV, 81 ff., K. B.
^ofmann Das Blei bei den Völkern des Altertums, Berlin 1885 (Vir-
^ow-Holtzendorff) und den Artikel Cassiteriden in Holde rs Altkelti-
^b«m Sprachschatz.
- 92 —
z. B. mordv. Jciväj tscherem. vulna, wotj. uzves, syrj. ozyi, a.a.
zeigen. Anch in der litauisch* slavisehen Reihe iit. alwas — irm,
ölovo schwanken die Bedeutungen. So scheint der ältere Sinn
im Russischen ^Blei" zu sein, während das „Zinn^ in altnusi-
sehen Denkmälern 6istoe olovo d. h. „reines^ o. genannt wird.
Heutzutage bedeutet aber ölovo im Russischen nur „Zinn''
(svin^cü „Blei"). Auch im Lateinischen war, nach den späteren
Bezeichnungen plumhum nlgnim „Blei", plumbum ätbum „Zinn"
zu urteilen, ursprünglich nur ein Ausdruck fflr beide Metalle
vorhanden. Ebenso sind npers. „weisses arziz'^ = Zinn, und
„schwarzes a." = Blei (FIttbschmann Pers. Stud. p. 12) sowie dag
von W. Max Müller (Orient. Litz. II No. 9) jetzt im Altägypti-
schen nachgewiesene dhf'i hs „weisses Blei" = Zinn aufzufassen.
Doch sind bei den Kulturvölkern von Anfang der Über-
lieferung an besondere Ausdrücke für Blei und Zinn ?or-
banden: assyr. abdru und anaku, ägypt. dht'i {feht etc. häufig ak
Aufschrift von Bleiziegeln) und das eben genannte dhU hs, vediseh
sfsa und trdpu, homerisch jnoXvßo^ und xanahsgog, lateinisch
plumbum nigrum und album (neben stannum) etc. Dabei ist
zu bemerken^ dass in den alten Aufzählungen der Metalle das
Blei immer den Schluss der feststehenden Reihenfolge bildet,
während das Zinn, wenigstens in den assyrischen Inschriften, in
der Regel zwischen Silber und Bronze, jedenfalls vor dem Eisen
(vgl. Lenormant Transactions of Bibl. Arch, VI, 337, 345) seine
Stellung hat, was auf eine hohe Wertschätzung dieses Hetalles
in Mesopotamien schliessen lässt.
Wir haben gesehen, dass die prähistorischen Funde bis
jetzt keine Aufklärung über die ethnischen Zusammenhänge
gewähren, in denen Zinn und Blei den europäisch-asiatischen
Völkern bekannt wurden. Was lässt sich nun an der Hand der
Überlieferung? und Sprache über die Herkunft und Verbreitong
der beiden Metalle, zunächst für Europa, ermitteln?
Bereits Herodot III Kap. 115 weiss, dass der HaaoksQo;
(ebenso wie ro tjXexTQov „der Bernstein") ans dem fernsten
Westen, wo seine Kenntnis endet, von den Kaoairsoldeg nach
Hellas gekommen sei. Doch ist er über die wirkliehe Lage der-
selben im unklaren, und erst die Römer haben den Namen Eassi-
teriden auf die durchaus keine Metallgruben enthaltenden Scilly-
inseln übertragen (vgl. Kiepert Lehrb. d. alten Geogr. p. 528).
- 93 -
Zinn wird vielmehr seit alters bis in unsere Tage an der süd-
westlichen Küste Englands, im heutigen Cornwall, gewonnen, wo
es Cäsar De bell. Qall. V Kap. 12 kennt*). Kurze Zeit nach
ihm beschrieb Diodoras V Kap. 22 ausführlich die bergmännische
Grewinnnng des Zinnes an diesem Orte und seinen Transport
zunächst nach der Britannien vorgelagerten Insel Iktis, dann
qner durch Gallien nach Massilia und Narbo (vgl. 0. Schade
Altd. Wörterb. p. 1272). Als Vermittler zwischen Britannien und
Hellas sind in ältester Zeit ohne Zweifel die Phönizier zu denken.
Dies folgt nicht nur aus allgemeinen Erwägungen, sondern auch
ans der bestimmten Überlieferung des Plinius VII, 56, 57 :
FUmbum ex Cassiteride insula primus adportavit Midacritus.
Midacritus aber ist natürlich der phönizische Melkarty griech.
VgcLxXrjg, der die Phönizier auf ihren Seefahrten als schützender
Gott begleitete.
Eine zweite Hauptfundstätte des Zinnes ist im nördlichei>
Lnsitanien anzunehmen. Vgl. Strabo III, c. 147 (nach Posi-
donios): yewäo&ai (toi» xaxrireQOv) d' ^ tc TÖig vjzig rovg Avoi-
taiHJvg ßagßäQOig xal , . . . h de roTg Hgräßgoigy oT t^s Avoua-
rlag CataTOi ngog &qxtov xal dvotv ehiv, l^avdeXv (frjoiv {TIoaBi-
6dnnog) rrfv yfjv ägyvgcOj xarrixegcoy xgvoco kevxco usw. (vgl. dazu
Diodoms V, 38, 4). Auch diesen Handel wird man sich als^
xmiächst in den Händen der Phönizier liegend vorstellen müssen,
sei es direkt, sei es durch Vermittlung der Tartessier, deren^
Schiffe ebenfalls frühzeitig die Küsten des Atlantisehen Ozeans
zu Handelszwecken besuchten (vgl. E. Meyer Geschichte des
Altertums II, 690 ff.).
Wie für die Bekanntschaft mit dem Zinn ist aber der
Westen Europas, Britannien, Gallien und vor allem wiederum
Spanien auch für den Bezug des Bleis bedeutungsvoll geworden.
Sowohl die Griechen, bevor die Bleiglanzlager des Laurion-
gebirges ausgebeutet wurden (vgl. Blümner a. a. 0. p. 89 Anm. 1),
wie auch die Römer waren auf den Import dieses Metalles aus
den genannten Ländern angewiesen. So begegnet in Lusitanien
eine Landschaft Medubriga, deren Einwohner ausdrücklich Plufn-
barü (Plinius IV, 21, 35) genannt werden. Eine Stsidt Mokvßdivt]
1) Nascitur ibi plumbum album in tnediterraneis reglonibus, in
marUimis ferrum, sed eius exigua est copia; aere utuntur importato.
- 94 -
wird im Gebiet der Mastarnen bei den Säulen des Hercnles er-
wähnt. Bleierne Barren oder Kacben sind in England, Frank-
reich und Spanien in Menge gefunden worden. Sie sind mit
Stempeln und Inschriften, wie den Namen römischer Kaiser ete.,
versehen zum Zeichen, dass sie aus staatlichen Bergwerken her-
vorgegangen sind (vgl. Hofmann a. a. 0. p. 10, Blümner a. a. 0.
p. 90).
Unter diesen Umständen wird man auch für die Terminologie
des Zinnes und Bleies in erster Linie nach Anknüpfungen in den
westlichen Sprachen Europas suchen müssen. Unverkennbar igt
in dieser Beziehung zunächst der Zusammenhang des griechischen
und schon homerischen^) xaooksQog mit dem Namen der Zinn-
inseln, den Kassiteriden, wenngleich die Art dieses Znsammen-
hangs noch nicht klargestellt ist (vgl. die Literatur hierüber bei
Lewy Die semit. Fremdw. im Griechischen p. 60 f. und Holder
Altkeltischer Sprachschatz). Am wahrscheinlichsten dürfte sein,
dass sowohl dem griech. xacohegog wie auch dem Namen
der Zinninseln irgend eine barbarische Bezeichnung des Metallee
zugrunde liegt, so dass das Verhältnis ein ähnliches war, wie ee
oben bei ^AXvßt] (p. 53), Xdkvßeg (p. 83) und Mooovvoucoi (p. 75) ve^
mutet wurde. Vielleicht gehörte das betreffende Wort den nicht*
idg. Sprachen Britanniens an, da der altkeltische Name des
Zinnes ir. crM (vgl. oben p. 70) war, der gewiss irgendwie mit
dem baskisch-iberischen cirraida „Zinn^ (vgl. urraida ^Knpfer")
zusammenhängt. Später ist griech. xacoiregog einerseits in die
slavischen Sprachen: altsl. kositerüy nsl. koaiter^ kroat. koritar,
serb. kositer und ins Walachische kositoriüy andererseits, offenbar
erst mit den Eroberungszttgen Alexanders des Grossen, in das
Sanskrit {kastira, vgl. P. W. II, 192) eingedrungen*). Das
1) Es beschränkt sich auf die Ilias und wird hier zu Verzierungen
an Panzern, Schilden und Wagen verwendet. Auch Beinschienen ans
Zinn, die aber nur damit belegt gewesen sein dürften, werden ge-
nannt. Die Bedeutung: „Zinn** wird für xaooiteQog schon von Plinins
Hist. nat. XXXIV, IH, 47 : JSeqiiitur natura plumbij cuitM duo genera,
nigrum atque candidum. Album habuit auctoritatem et Iliads tempih
ribus teste Honiero^ cassiterum ab illo dictum — als sicher vorausgeaetit
2) Im Peripl. maris eryth7\ ed. Fabricius cap, 19 wird ftaaöhtQos
als Einfuhrartikel in Indien ausdrücklich erwähnt. — Wohi nnr täu-
schend ist der Zusammenklang von griech. KaaolTtQiK mit sert. kaMy
kdhsya „metallenes Gefäss**, ,,Metall^, yMessing**, altpr. cassaye ^Meastny*.
. I d
ftbiscLe aus dem Griecliigclien eutleliute AVort (kazdir) liat eine
tite WaDderDiig in die afrikanischen Sprachen (Iceadir) an-
treteo.
Auf EinfilbruDg ans der Fremde weist auch die {griechische
leicbonng des Bleis, schnn darch die Verschiedenheit der
a der dasselbe auftritt: /löXißo^ (Honi,}, fxökvßoq,
{vßftoi liii ftokvßdaivij Hora.), rhod. ß6hßo.; [in meißohß&aai).
Idaur. ß6Xifi<K. Gehl man, wogegen niehts tm Wege steht,
B der zuletzt genaunteu Gestalt des Wortes ans, so kommt
m mit ihr der baskisch-iberi sehen Bezeiclinung des Bleies
p«n {berunez „von Blei") zienilieli nahe. Aus ßüKifw<; hätten
h danD die übrigen griechiscbeu ßleinamen dnrcb Metathese
d Verscbränkimg entwickelt.
Gern mochte man ancli das lat. plumbum hier anknüpfen,
C denn zuletzt Sommer Handbuoh der lat. Laut- u. Fortnen-
»re p. 234 die Vermutung ausgesprochen hat, /i6Xfßog und
tfnbum wiLren vielleicht selbständige Entlehnungen aus einer
ihtidg. Sprache (so iinch Walde Lal, et. Wb. s. v. plumbum).
Hicrcrseits läest sich lat. plumbum aus *plundho (vgl. lumhua
Itsl. lf,dvija, abd. lentiuj ohne Schwierigkeit mit dem kelti-
en Xnmeii des Bleies ir. luaide vermitteln, das man auf eine
ben *pl'indho liegende Grundform *ploudho (vgl. got. durnbs :
mbs und zahlreiche ähnliche nasalierte and unnasalierle Wurzel-
ben bei Noreen Abriss der urgerin. Lautlehre p. 210 f.) zurUck-
fOliren kann, so hart freilich von kulturhistorischem Standpunkt
xonSchst die Annahme eines urverwandten keltisch -ilaüscben
sinamens wkre.
Wie sich dies nun auch verhalteu möge, auf jeden Fall
BtiDt das eben genannte ir. hiaide auf das genauste mit den
nnantHchen agis. ledd, mhd. IM. ndl. fuod „Blei" flberein, die
i Annahme einer Verwandtschaft von lat. plumbum und ir,
üde sicher ein gallisches Fremdwort dai-stellen würden, aber
(ch ohne eine solche .\nnalime ans allgenieiuen (IrUndcn
pc h 81 w A b r se li c i n 1 i c b , ebenso wie der Name des Eiseus
len p. Ü6), ans dem keltischen Westen cntlelint sind.
Dasselbe würde fUr die gemetngermaniflchen ahd. bliu,
hiwts, altn. b/,v (eutlehni : westfian. plyijy, lyiju, läpp, blijo)
' gelten, wenn R. Mucb ^7,. f. deutsches Altertum XLIT,
, SCARimeskunde p. 48) diese Würter richtig auf ein freilich
— 96 —
tatsächlich nicht bezeugtes gallisches, dem germanischen *bldro
(ahd. bläo, altu. bldr „blau^) entsprechendes *bUvo ans *blivo
zurückführt (Rlei = „blaues Metall"). Anders Persson B. B.
XIX, 273 und Hirt Beiträge XXIII, 354.
Endlich hält Stokes Urkeltischer Sprachschatz p. 312 aoch
für das lat. atannum und seine romanische Sippe (it. stagno,
sp. estaflo^ frz. 4tain) keltische Herkunft (ans ir. staUj stam^
sdariy arem. stenj stin, com. stSatit cymr. yataen^ *stagno) fSr
möglich. Doch ist auch der umgekehrte Weg wohl denktttr.
Übrigens hat lat. stannum die Bedeutung „Zinn" wahrscheinlich
erst im IV. nachchristlichen Jahrhundert angenommen und vorher
verschiedene Bleilegierungen bezeichnet (vgl. Kopp Geschiehte
der Chemie IV, 127 und Blümner a.a.O. p. 81 Anm. 6).
Eine andere weitverbreitete Kette von Zinnnamen in Europa
ist it. peltroy sp. und portug. peüre, altfrz. peautre, niederl.
peauter, engl. petDter, ir. p4atar (auch mit 8 : engl, spdter^ od.
spialter, hochd. spiauteVy altfrz. espeautre). Nach romanischen
Sprachgesetzen ging diese Sippe von Italien ans (Diez Etym.
W.* p. 240), aber ihr Ursprung ist unbekannt.
Noch nicht sicher erklärt ist auch die germanische Be-
nennung des Zinnes: altn., agls. tin^ ahd. zin, das in das Pol-
nische {cytm) und Litauische (cinas) und von Norden her in die
meisten westfinnischen Sprachen (tinna) gewandert ist. Am
wenigsten anstössig ist eine Anknüpfung des germ. Wortes an
altn. feinn, got. tainsj agls. tdn^ ahd. zein „Zweigt, „dflnnes
Metallstäbchen*' (Fick Vergl. W. IIP, 121), in welcher Fem
die Germanen durch ausländische Kaufleute zuerst das Zinn
könnten kennen gelernt haben. Tatsächlich wird das Zinn in
Form dünner Stäbchen, namentlich in der Schweiz, nicht seUen
gefunden.
Im Osten Europas erlöschen die sprachlichen vom Westen
ausgegangenen Beziehungen in der Terminologie des Zinnes und
Bleies. Die litauisch-slavische Reihe: lit. ahcas (liv. alu\ altpr.
alwis „Zinn^, slav. olovo .,Blei^ und „Zinn^ ist schon oben
erwähnt worden. Ich habe in der ersten Auflage dieses BucheB
eine Entlehnung dieser Wr>rter aus dem lat. album sc. plumtmm
angenommen, worin mir Hirt (Beiträge XXIII, 355) gefolgt ist
Später habe ich diese Erklärung aufgegeben, da mir eine Ver-
mittlung des b von lat. album mit dem tr, v der litu-slavischea
- 97 -
Wörter nicht möglich erschien. Nachdem wir jedoch oben bei
ler Besprechung des Goldes in lit. duksas, altpr. auais eine Ent-
ehnang, nicht aas lateinischer, sondern ans oskisch-umbrischer
Sprechweise kennen gelernt haben, und da das lat. albus in den
i;enannten Mundarten des Italischen tatsächlich mit labialer
Jpirans (umbr. alfu, alfer^ osk. Alafaternum) gesprochen wurde,
Ue im Litauisch-Slavischen nur durch w, v wiedergegeben werden
[onnte, nehme ich keinen Anstand, zu meiner früheren Auf-
assong zurtlckzukehren und in lit. alwasy altpr. alicis, slav.
)lovo ans osk.-umbr. alfum (plumbiim) eine Parallele zu dem
iben (p. 41) besprochenen lit. duksasj altpr. ausis aus sab.
lusom zu erblicken. Wie die slavischen Formen (meist wie im
Etnasiscben olovo neben russ. dial. lavl und mbulg. jelovo) sich
:a den litauischen im einzelnen verhalten, wage ich nicht zu
entscheiden (anders über olovo E. Liden Studien zur altind. und
rergl. Sprachgesch. p. 94).
Unaufgeklärt bleibt das altpr. starki^ (starstis?) ;,Zinn^
nnd die Reihe russ. svin^cü, lit. szwlnas, lett. swins „Blei^,
lie auch im liv. mnna und im zigeun. swinzi wiederkehrt. Merk-
prllrdig ist die estnische Bezeichnung sea tina „Schweinezinn'',
lie dnrch ein missverständliches Zusammenwerfen von russ.
winScü „Blei^ und smnljä „Schwein^ entstanden zu sein scheint.
[)ie ostfinnische Terminologie der beiden Metalle ist oben an-
B;efQhrt worden« Hinzuzufügen ist magy. olom^ ön (russ. olovo V)
„Blei, Zinn" und zu bemerken, dass nach neueren Untersuchungen
Diebt, wie vielfach angenommen wird, wotj. uzvei! „Zinn, Blei^
und syrj. ozys id. identische Wörter mit den oben (p. 55) bc-
iproehenen wo^j. azves und syrj. ezyf( „Silber** sind (vgl. Wicli-
tnann a. o. p. 56 a. 0.).
Eine noch offene, speziell die Geschichte des Zinns be-
treffende Frage ist die, ob die im Obigen geschilderten west-
eoropäischen Zinnquellen zugleich auch, und zwar schon in der
ältesten Zeit, den Bedarf der orientalischen Völker gedeckt
haben, wie es z. B. W. Max Müller Orient. Litz. II Jahrg. No. 9
aonimmt, oder ob und wo in Vorderasien selbst in den frühsten
geschichtlichen Epochen Zinngruben anzunehmen sind. Nament-
licb dürften in letzterem Falle altiranische Zinngrnben in Be-
tracht kommen. Vgl. hierüber v. Baer Archiv f. Anthropologie
IX, 265, Winckler Orient. Forschungen I, 169, W. Tomaschek
Sehr Ader. Sprachvergleichung und Urgeschichte II. 3. Aufl. 7
- 98 -
Mittl. (1. Wiener anthrop. Ges. XVllI, 8 (Reallexikon p. 992).
Die ungeheuren Zinnsehätze Hinterindiens (s. u.) treten erst im
Mittelalter in die Geschichte ein.
Im übrigen begnügen wir uns damit, das in der Yorder-
asiatischen Terminologie des Zinnes und Bleies Verwandte oder
verwandt erscheinende, unter Voranstellnng der idg. Sprache,
nebeneinander zu setzen (vgl. Pott Z. f. d. Kunde des Morgen-
landes IV, 260 f.):
1. armen, anag, scrt. 7iäga — hebr. ^anäk, assyr. anäkä^
arab. änuky äthiop. näky kopt. bas-neg ^Zinn" (vgl. oben
p. 92).
2. aw. srvay npers. surhy bnchar. ssurby afgb. surup etc.
(vgl. Hörn Grundzüge S. 161 und Httbsebmann Persische
Studien p. 74) — arab. tlsrub (vgl. Klaproth Asia polygV
p. 57) „Blei".
3. buchar. ärsisy npers. arztZy armen, aröiöy zig. arczicz (vgl
Pott Zigeuner II, 58), kurd. resasy ersssasy rüsas {Jaurn*
of fhe American Or, ISociety X, 150) — arab. roiii»
„Zinn und Blei** (vgl. Hübschmann Arm. Gr. I, 111, 511).
4. osset. läla^ kurd. Tcalaiy hindost. keUiy, npers. Ic^jUaj,
parsi kaläjin (Z. d. D. G. M. G. XXXVI, 61), armen.
klayeky ngriech. xalaC, alban. kaldjy bulg. XroZo; — arab.
(laTiy türk. kalay, tat. ckalaiy tscherk. galai, georg. k4ikt
kalai etc. Das verbreitetste Wort für „Zinn** im Ori^t
Vgl. Klaproth Asia polygU p. 97 u. 122, Miklosich
Türk. Elem. p. 87, v. Erckert Die Sprachen des kankns.
Stammes p. 158. Sein Ursprung ist in dem Stftdte-
namen Qualah auf Malakka zu suchen, dem Raii|rt-
Stapelplatz des Zinnes im Mittelalter (Tomaschek L
f. or. Phil. I, 125). Dasselbe war im IX. Jahrb. ein
„Stelldichein für die Handelskarawanen von Ost- imd
Westasien" (Heyd Geschichte des Levantehandels 1, 37).
Erst jetzt scheinen die grossen Zinnsehätze HinterindieBB
in die Weltgeschichte einzutreten.
5. osset. ifrfi (Klaproth p. 89) — (Sagat. ie«, Blt.jeSy mong.
dzes (vgl. Vämbery Primitive Kultur p. 175) ^Blei".
6. zig. sjscha, scrt. si'sa „Blei".
7. kurd. kurguschumy afgh. kourghächenty bulg. kursum,
alb. koriümy ngriech. xovqöovjm — osm. l:urhtn, cag.
r
IfurgaHun, alt. Jiorgo^in, mong. chorgholtsiii, kaukas.
ghurghaiin, qurghusun „ß'^i" (vgl. VÄmbery a. a. 0.
|). 175, Miklosich Türk. Eiern, p. 101, v. Erckert p. 47).
8. bindost. muhca, zig. moUiico (Pott Et. F. I', 113 nnd
Zige.uiier II, 456), ngriech. /lolvßi?
Die manuigf altigen Sanäkrtt Wörter für Blei nnd Zinn vgl.
bei Pott Etyiii. Foreeh. II' p. 414 f. und R. Garbe Die indiecben
Mineralien p. 36 n. 37. Von Interesse iet scrt. ranga, hindi
ränga „Zinn", naeb Garbe a. a. 0. p. 37 Amn. I vielieicbt =
canga, eigeuti. „bengalisch", nnd ein späterer Name des Bleies
yavanesfifa „bei den Javana (^louiern) geBchätzt",
Hiermit ist die Reibe der sechs, dem früheren Altertum
bekannten Metalle abgeschlossen. Zu diesen tritt dann im IV.
nnd in. Jahrhundert allmählich noch die Kenntnis des Zink-
enes (Gaimei) nnd des Quecksilbers hinzn. Das erstere,
zuerst in der oben mitgeteilten Stelle des Pseudo- Aristoteles (vgl.
p. 75) bemerkt, wird von den Rflmern (Plinius) mit dem aus
den griech. xaö/ieia, xndfüa entlehnten Worte cadmea, cadmia
nGsJntei" benannt, das sich in die romanischen Sprachen sp.,
V"t. ctdatnina franz. ca!amiiie fortgepflanzt (vgl. 0. Weise
•^'rieebische W. im Lateinischen p. 154 n. 365) hat. Das deutsche
-'"A.", das zuerst im XV. Jahrb. vorkommt (vgl. Kopp Geschichte
''w Chemie IV, 116), ist danke); man hat an das abd. zi»co
!i»eisaer Fleek im Auge" gedacht. Vgl. 0. Schade Altd. Wörter-
bach Art. zinke.
Das Qaecksilber wird zuerst von Tlieopbrast als ;i;i'tÖs-
^S'i'*^t^iii „flüssiges Silber" erwähnt ivgl. Kopp a.a.O. p. 172j.
Daaeben trill dann später der Ausdruck vdQ'igyvQog für das
kOttstlicb ans Zinnober {ciniKthan — xn-vafläin) bereitete Queck-
silber. So unterscheiden auch die Römer zwischen argentinu
Kxrtfrn und kydrargyrus „Silberwasser". Beide Bezeichnungen
'les Lateinischen sind dann weiterhin da« Vorbild ftlr die meisten
lien^iiuangen des Quecksilbers in den europäischen und vorder-
asiatiachen Sprachen geworden (vgl. Pott Z. f. d. Kunde des M.
W. 263). Russ. etc. rtutt aus dem Türkischen. Doch liegt die
Waltere Verfolgung dieses Gegenstandes ausserhalb unserer Aufgabe.
L
IX. Kapilel.
Altindogermanische Waffen und Werkzeuge.
Wir sind im Kap. VI zu dem Ergebnis gekommeo, da»
schon in der idg. Grandsprache die Benennung eines Nntz-
metalles, *ajo8, vorhanden war, die entweder „Kupfer" oder
„Bronze^ oder beides bedeatete. Zu einer Entscheidung für
eine dieser drei Möglichkeiten sind wir indessen noch nicht ?o^
gedrungen. Auch haben wir uns noch kein Urteil darflber bilden
können, ob dieses in Frage stehende Metall schon in der üneit
eine gewisse praktische Bedeutung erlangt hatte, oder etwa nur
als Schmuck, Amulett und dergl. getragen wurde. Nach beiden
Richtungen hoffen wir nun Anhaltspunkte für eine Entscheidang
zu gewinnen, wenn wir durch eine Besprechung der altidg. Waffe»
und Werkzeuge auf Grund der Sprache und Überlieferung den
schon urzeitlichen Bestand auf diesem Gebiet festzustellen^) luid
alsdann in Verbindung mit den in den bisherigen Kapiteln er-
zielten Ergebnissen zu bestimmen suchen, auf welche der Ton
den Prähistorikem unterschiedenen Epochen (paläolithische, oeo-
lithische, Kupfer-, Bronze , Eisenzeit) dieser Bestand hinweist
A. Waffen.
I. (Schutzwaffen.) In der hierhergehörenden Terminologie
findet sich eine etymologische Übereinstimmung nur in den Be-
zeichnungen des Schildes: ir. nciath = altsl. Hüü {*sqeiUh)f
altpr. scaytan {staytan?). Möglich ist, dass auch lat. scUum
{*8qoitO') hierhergehört, das sich freilich ebensowohl an griecb.
axmog „Leder" (s. u.) anknüpfen lässt. Die GrundbedeotUDg des
keltischslavischen Wortes ist in ahd. scitf altn. sJdd (^tqeito-)
1) Auf Vollständigkeit in der Terminologie der betreffenden
Begriffe ist es dabei nicht abgesehen. Vgl. in dieser Beziehung mein
Kecillexikon \i. Waffen und u. Werkzeuge.
J
— 101 —
Seheit'^9 „Holz" erhalten, wie anch mhd. bret und agls. bard
ie Bedeutungen „Brett^ und „Schild^ yereinigen. Ebenso wie
i diesen Wörtern, wird der Schild auch in zahlreichen einzel-
>rachlichen Bezeichnungen nach dem Material benannt, aus dem
r hergestellt ist, entweder nach dem Leder (griech. adxog : scrt.
Hie „Haut, Fell", ßovg, ßcav, hom. „Stier*^ und „Schild", Qivög
Baut" und „Schild") oder dem Holz (griech. hea „Schild" und
Weide", ir. fern, vgl. femog „Erle", ahd. linta „Schild" und
Linde") oder dem Flechtwerk (griech. yeggov = altn. kiarr
Gtebüsch, Gesträuch"). Noch in historischer Zeit entbehrten die
»rmanischen Schilde jeder metallischen Zutat, wie Tacitus Ann.
, 14 meldet: Ne scuta quidem (gerunt Germani) ferro nervoque
ffnata, sed viminum textua vel tenues et fucatas colore tabulas,
id ähnlich werden wir uns die teils kleinen, teils ungeheuer
rossen Schilde vorzustellen haben, mit denen Prokop De bell.
»til. III, 14 und Maurikios Ars müitans (ed. Schefferus) p. 275)
ie Slaven ausrüstet^). Wie man sich in Zeiten der Not schnell
shilde herstellen konnte, wird von Cäsar De bell. Gall. II, 23
Mschaulich geschildert {scutis ex cortice factis aut viminibus
^iexHSf quae sübitOy ut temporis exiguitas postuläbat, pellibus
)dmxerant). Ebenso werden die Verhältuisse ursprünglich in
riechenland und Italien gewesen sein. Der Eindruck, den die
infflbrung metallener Schilde auf die italischen Bauern uiachte,
88t sich, wie Heibig Die Italiker in der Poebeue p. 78 richtig
mierkt, aus den Mythen erkennen, die an die ancilia der Salier
iknQpfen. „Ein bronzener Schild — so einzahlte man — fiel
)ID Himmel herab oder wurde durch göttliche Schickung in der
e^a des Numa gefunden. Damit das Gottesgeschenk nicht von
einden entwendet werde, Hess Numa durch den schmiede-
indigen Mamurius elf ganz gleiche Schilde arbeiten, welche
it ihrem Vorbilde zur Ausrüstung der zwölf Salier dienten."
Bemerkenswert ist, dass im Rigveda der Schutz des Schildes
>cb nicht bekannt gewesen zu sein scheint, jedenfalls aber
icht genannt wird, und dass in Übereinstimmung hiermit auch
erodot YII, 6ö in seiner Schilderung der indischen Krieger im
eere des Xerxes den Schild nicht erwähnt. Auch ist das scrt.
1) Über die verschiedenen Formen der europäischen und asiati-
chen Schildarten finden sich ^te Zusammenstellungen bei W. Rid
eway T?ie early age of Greece I, 453 ff.
— 102 —
(nichtvedische) sphara, aphardka „Schild" nach Th. Nöldeke
Über ein militärisches Fremdwort persischen Ursprungs im Sanskrit
(Sitzungsberichte d. Äk. d. W. Berlin 1888 II; 1109) ab m
einem persischen ^) spara „Schild^ (vgl. oTtagaßagcu' yeQgapdQoi
Hes., npers. siper) entlehnt zu betrachten.
Gar keine urverwandten Gleichungen begegnen in den Be-
nennungen des Panzers und Helmes, deren Namen, auch ab-
gesehen hiervon, den Eindruck grosser Jugendlichkeit maehen.
Beide Schutzwaffen sind in den Einzelsprachen, wie natürlich,
häufig einfach als „Schutz" oder „Hülle" bezeichnet (vgl. ?ed.
värman „Panzer** : sert. var, vrnö'ti „verhüllen", aw. 8ärat6ira
„Helm", eigentl. „ Kopf hülle : jf^m „Kopf"; got. hilmSj ahd. Aelm,
altn. hjälmr : scrt. gdrman „Schutz"). Im einzelnen wird der
Panzer als „Behälter" (griech. i^cop?;!: scrt. dAdroÄ-a) oder nach
seiner Beschaffenheit (lat. lorica von lorum „Riemen" oder alt-
russ. laty „der aus Schuppen, die auf Leder aufgenäht sind,
hergestellte Panzer" : russ. lata „Flick") bezeichnet, der Helm
von früheren, nichtmctallischen Kopfbedeckungen her, die häufig
aus dem Fell wilder Tiere bestehen mochten*) (aw. ;|rao<)a, npers.
yödj altp. xandttf eigentlich die spitze, auch für einen Teil der
Skythen nach Herod. VIT, 64 charakteristische altiran. Hfltze:
lat. cüdo „Helm von Fell"; griech. xwerj, eigentl. die „Hnnd»-
haube"; lat. cassis ihgls. hceft^ altn. hgitr, ahd. huot „Hat''),
oder nach der Ähnlichkeit z. B. mit einem Schädel oder einer
Schüssel (grieclu xQcivog : xQdvov „Schädel", xigvov „SchflSBel")
benannt. Auch Entlehnungsreihen sind auf diesem Gebiet Ober-
aus häufig. Das oben genannte aw. ^(^oda ist in das Anneniscbe
(xoir), das germanische got. hilms in das Altslovenische und
Altrussische (sUmü, selömü), sowie in das Romanische (mlat
helmuSf it. ebno etc.) übergegangen. Das lat. gäUa nebst seinen
älteren Formen galear, galerus ist an das griech. yaihjj ya^
„Wiesel" anzuknüpfen, wie ja Dolon in der Ilias (X, 335) gerade
eine xvvet] xtidhj d. h. eine Haube ans Wieselfell trägt (so anch
Osthoff Parerga I, 183 und Walde Lat. et. W. p. 258). Scine^
seits ist das lat. Wort dann wieder von den meisten slavisch^
1) Vgl. Herodot VII, 61: Uegaai dvii ao:tl6cov yigga.
2) Vgl. Herodot VII, 76: Goi^rxBs Iti fiev tfjat xe<paXgat äXmJiexia;
exovTsg eaxQaxevovio.
— 103 -
Sprachen (altsl. galija), aber auch vom Deutsehen (nihd. gälte)
entlehnt worden. Unter den Bezeichnungen des Panzers stammt
armen, zrah ans aw, zräda „der Schuppenpanzer", den die Perser
schon auf ihren Zügen nach Griechenland (Herod. VII, 61) trugen,
ir. luirech, cymr. lluryg aus lat. lorica. Der gesarate Osten
Europas hinwiederum scheitet erst durch die Berührung mit dem
keltischen Westen die Kenntnis des Panzers empfangen zu haben:
got. hrunjöy ahd. brunja, agls. hynie, ahn. brynja, altsl. brünjay
bronja, auch altfr; broigne, brunie, prov. bronha, mittellat. (813)
brugna gehen sehr wahrscheinlich auf das Keltische (irisch bruinne
„Brust") zurück, vfie misev panzer, mhd, panzier, aMtr, panchire,
sp. pancera, it. panciera aus it. pancia, sp. panza etc.
„Wanst" ipantex) hervorgeht. Ebenso entspringen mhd. Aar-
naschf ahn. hardneskjay altfrz. harnais, frz. harnois, sp. etc.
ameSj it. arnese in letzter Instanz aus keltischem ir. imm, cymr.
haiarn etc. „Eisen" (vgl. Diez Etym. W.^ p. 26^ Thurneyseu
Kelto-rom. p. 36 f.).
Ebenso lässt sich an der Hand der historischen
Nachrichten bei den idg. Völkern Nordeuropas, von Westen
nach Osten vorwärts schreitend, eine immer grössere ün-
bekanntschaft mit Helm und Panzer nachweisen. Den fest-
ländischen Galliern, den Trägern der oben p. 85 ge-
nannten La Tfenc-Kultur wird von Diodor V, 30 vollständige
metallische Rüstung zugeschrieben {xgdvt] de yalxa negmdejtm
ßteydiag i^oxäg i^ avTcöv ^x^vra .... rdig juer yäg Jioooy.eiTm
ovfjLq>vf\ xigaia^) und ^mgaxag exovoiv ol juev oidrjgovg äXvoi-
dcüiTovg; vgl. dazu die von Tac. Ann. III, 43 genannten ganz in
Eisen gehüllten gallischen cruppellarii). Bei den Germanen
dagegen waren zur Zeit des Tacitus Helme und Panzer so gut
wie nicht vorhanden (Germ. Kap. 6: rix uni alterive cassis aut
galea — paucis loricae, Ann. II, 14: non loHcam Germano, non
gäUam\ den Slaven endlich wird noch von Prokop B. G. III,
14 jedwede Bepanzerung ausdrücklich abgesprochen.
Als Ergebnis dieser Betrachtungen können wir somit hin-
stellen, dass metallische Schutzwaffen, ja Schutzwaffen überhaupt
in der idg. Urzeit nicht bekannt waren, vielleicht mit Ausnahme
l) Solche Helme hatten auch die asiatischen Thraker bei Herodot
VII, 76: €:ti 6e xfjm xeq>a/.fjai »cgdvea x<J^^^f^' ^QO'; de xoioi xgnveoi cotol ts xai
xigea ngoafjv ßoos x^^^^i sjr^aav de xai Äwpoi.
— 104 —
des Schildes, der, von nichtmetallischer und äusseret primitiTer
Beschaffenheit, jedenfalls bei den europäischen Indogermanen in
sehr frühe Zeit zurückgeht.
II. (Trutz Waffen.) An den Anfang dieser Übersicht
stellen wir die ausgesprochenen Fernwaffen: Bogen nnd
Schleudern, an das Ende die ausgesprochenen NahwaffeA:
Dolch und Schwert. In der Mitte finden ihren Platz dietdb
zum Nah-, teils zum Fernkampf gebrauchten Keule und Lanze.
Axt und Beil sollen uns bei den Werkzeugen beschäftigen.
1. Der Bogen. Er ist ohne Zweifel eine Hauptwaffe der
idg. Urzeit gewesen, wie zunächst durch zahlreiche urverwandte
Gleichungen festgestellt wird: griech. ßiog „Bogen, Bogensehne'
= HCYt. jyä, Siw. jyä „Bogensehne"; griech. I6g = scrt. ishu,
aw. im „Pfeil"; lat. arcus „Bogen" = got. arhvaznay altn. dr,
agls. earh „Pfeil"; ahd. sträla = altsl. strdu id. Noch in der
Ausrüstung des vedischeu Kriegers nimmt der Bogen (scrt.
dhdnvan : ahd. tanna „Tanne", vgl. Osthoff Parerga I, 102 f.
und Hoops Waldbäume und Kulturpflanzen p. 115 ff.) die erste
Stelle ein. Er wird daher von den alten Sängern mit glühender
Begeisterung gepriesen (vgl. Rigv. VI, 65, 1 und 2):
Der Wetterwolke gleichet die Erscheinung,
Wenn in der Schlachten Schoss der Krieger wandelt.
Des Panzers Weite schütze Deinen Körper,
Und unverwundet gehe ein zum Siege!
Kanipfpreis und Küh' erbeute uns der Bogen,
Der Bogen siege in des Kampfes Hitze,
Der Bogen macht dem Feinde Angst und Grauen,
Der Bogen gel)' im Siege uns die Welt!
etc.
Von Pfeilarten werden im Rigveda zwei Gattungen, eme
ältere und eine jüngere, unterschieden: „Er, der mit Gift be-
strichene {ishurdigdhä)^ hirsehhörnige, und er, dessen Maul En
ist {ä'läktä yä rm^ugtrshny dtho yäsyä dyo mükham, Rigv. VI,
75, 15; vgl. Zimmer Altind. Leben p. 299), welche letztere Sorte
die Inder zur Zeit der Perserkriege führten: 'Ivdol — rofa xaid-
jiHva elxov xai otarovg xaXajuivovg, ijzl de aidi]Qog fjvy Herod. VII
Kap. 66. Ebenso ziehen nach Herodot auch die Perser, Meder
und Skythen mit Bogen und Pfeil bewaffnet in den Kampf, wie
diese Waffen auch im Awesta {tiyri, npers. tir „Pfeil"; vgl. auch
xiygiv xakovoi rö tö^ev/jux ol Mrjdol nach Dionys- Eostath.) d«it-
. •> f^ j^
— lös-
lich hervortreten. ^Lmeveiv^ xo^eveiv xcu äXrj^i^eo&ai bilden nach
Herodot I, 136 die drei Hanptgegenstände in der Erziehung des
jnngen Persers.
In der Armatur des homerischen Heiden macht der
Bogen {t6(ov : lat. taxus ^Eibe^) allerdings nicht mehr einen
regelmässigen Bestandteil aus. Doch gab es Völkerschaften wie
die in ihrer Kulturentwicklung überhaupt zurückgebliebenen
Lokrer, die allein ;,auf den Bogen vertrauend und die wohl-
gedrehte Flocke des Schafes gen Ilion gezogen waren" (vgl. II.
XIII, 713 f.), und wie sehr der Bogen die Hauptwaffe der
griechischen Vorzeit ausmachte, zeigt am besten das Beispiel des
Herakles, der noch im Hades:
yvfivov x6^ov exoyv xcu im vevQfjqpiv oi'ötoi',
deiroy stanzaiviov^ alel ßaXiovii ioixwg
(Od. XI, 607.)
dem Odysseus entgegentritt. Dem entspricht es, dass in mykeni-
scher Zeit, wie die Belagerungsszene auf der Silbervase des
IV. Grabes zeigt, der Bogen ohne Zweifel eine Hauptwaffe der
damaligen Bevölkerung bildete, und zahlreiche Pfeilspitzen, in
den älteren Schichten lediglich aus Obsidian, später auch aus
Erz, sind unter den mykenischen Altertümern gefunden worden
(Tsountas and Manatt p. 205 ff.). Auch der barbarischen Sitte,
die Pfeilspitze mit Gift zu bestreichen {lovg xQ^^^^^)i wird ein-
mal in der Odyssee (I, 260) Erwähnung getan, und vielleicht
bedeutet das griech. diatog, für das bisher eine passende Ety-
mologie nicht gefunden ist, als möglicherweise aus *o,Fio-x6g (lat.
virus, scrt. vishd „Gift'' =- *fio-6g, log) entstanden, geradezu
„den vergifteten" sc, log „Pfeil". Ähnlich wie bei Homer ist
Pfeil und Bogen auch schon in der Bewaffnung des servianischen
Heeres völlig zurückgetreten, und selbst das Korps der leicht-
bewaffneten rorarii bedient sich nur des Wurfspiesses und der
ans Griechenland (s. u.) eingeführten Schleuder, nicht des Bogens.
Erat später wird diese Waffe durch die Hilfs- und Bundesvölker
wieder in Rom bekannter.
Dasselbe ist, wohl unter dem Einfluss der Kriege mit den
Römern^ an deren Panzerung der Pfeil wirkungslos abprallte,
bei den keltischen und germanischen Völkern der Fall
gewesen. Immerhin ist der Bogen aus der Bewaffnung derselben
nicht ganz verschwunden (vgl. Holtzmann Germ. Altert, p. 14ö).
— 106 —
Er ist ans Ulmen- oder Eibenholz geschnitzt and heisst daher
im Altnordischen geradezu dlmr „Ulme" oder ^r „Eibe". Anft
deutlichste hervor treten die Verhältnisse der Urzeit aber wieder
bei den Slaven, bei denen noch zur Zeit des Strategikers Han-
rikios der Bogen mit kleinen vergifteten Pfeilen die Hanpt-
an griff swaffe bildete {xeygjjvrai df xal rö^oig ^vUvoig xai aaymm
/MXQOig xeygifih'aig ro^ixco cpaQfxdxoiVj Sjieg imly heQyrftixdv), Leider
erfahren wir nicht, woraus die Spitzen dieser altslavischen
Pfeile bestanden, ob schon aus Metall, oder etwa noch ans
Knochen, wie denn knöcherne Pfeilspitzen von zahlreichen den
Slaven benachbarten Stämmen, den Finnen (Tac. Germ. Kap. 46),
den Sarmaten (Pausanias I, 21, 5), den Hunnen (Ammianns
Marc. XXXI, 2, 9) gemeldet werden. Auch im Westen Europas
weist der Umstand, dass sowohl keltische (ir. saiget, cymr. 8a€th)j
wie auch germanische Namen des Pfeiles (ahd. phü, agls. jpÖ,
altu. pila) aus dem Lateinischen {sagitta und pilum) entlehnt
sind, vielleicht darauf hin, dass hier erst durch den Einflnss
Roms die metallene Pfeilspitze an Stelle der feuersteinernen oder
knöchernen trat.
2. Schleudern. Neben Bogen und Pfeil steht als weitere
Waffe im Fernkampf der Schleuderstein, dessen sich die
indo-iranischen Helden nicht minder wie die homerischen znr
Zeit unserer Überlieferung noch bedienen, indem sie denselben
zunächst durch die blosse Kraft des Armes (aw. asänö aremö-
ahüta „durch den Arm entsendete Schleudersteine") entsenden.
Ein urverwandter Name hierfür liegt in der Reihe scrt. äfanj
aw. asan = griech. äxcov vor, welch' letzteres Wort aber die
Bedeutung „Wurfspeer" angenommen hat. Hierher zu stellen fct
auch der steinerne Hammer, der in die religiösen Anschauungen
der ludogermanen aufs innigste verflochten ist. Aus der Hand
des deutschen Gewittergottos fliegen bald Keil, bald Keule, bald
Hammer; Indra schleudert den ägman (Rigv. IV, 3, 1; I, 18,
1, 9), Zeus den äxjuwv (Hes. Theog. 722). Das germ. altn.
hamarr (auch „Fels"), alts. hamur, agls. hamoVy ahd. hatnar
selbst ist etymologisch sowohl mit dem ebengenannten scrt. rffwww»
= griech. äx/ticov wie auch mit slav. kamenl „Stein" verwandt*).
1) Ein urverwandter Name für eine hierhergehörende Waffe
liegt vielleicht auch in der Gleichung aw. cakuA „Wurfhammer" = «!*'
russ. öekanü „Streitaxt" („Wurfaxt"?). (Fick.)
i
— 107 —
Daneben lehren direkte historische Zeugnisse^ wie lange der Stein
zur Anfertigang derartiger Waffenstücke verwendet wurde. In
der Schlacht bei Magh Thiired {Manners and customs I
p. CCCCLVII) waren gewisse Krieger bewaffnet j^with rough-
headed gtones held in iron swathes^ (Steinhämmern mit eisernen
Bftndem). Noch in der Schlacht bei Hastings (1066): lactant
Angli cuspides et diver sorum generum teluy aaevissimaa quoque
secures et lignis imposita saxa {Manners and customs I
p. CCCCLIX). — Ob wir die eigentliche, künstlich hergestellte
Sohlender, Stock- oder Bandschieader, wie wir sie auf der oben
genannten Belagerungsszene die niykenische Bevölkerung Griechen-
lands führen sehen, bereits für die Urzeit anzunehmen haben,.
mag dahingestellt bleiben. 'Als Nationalwaffc wird sie hei den
Iberern und besonders auf den Balearen (Strabo c. 163 und 168)
genannt. Lat. funda ist eine Entlehnung aus grieeh. orpevöovrj.
3. Die Keule. Eine uralte und gefürchtete Waffe des
Fern- und Nah kämpf es ist bei Indern und Irauiern die
Keule {vdjra = vazra^ vädhar = vadare), mit der sowohl ge-
schlendert als geschlagen wird. Mit ihr verrichtet Indra seine
gewaltigen Heldentaten, mit ihr schlägt der „Keulenträger^
{vajrin, vdjrabähu, väjrahasta) den Unhold vrträ. Auch im
Awesta erscheinen die Götter, besonders Mithra, mit ihr bewaffnet,
Keresdspa, der Held der iranischen Vorzeit, führt den Beinamen
gadavara^ was nach W. Geiger a. a. 0. p. 444 f. und Bartholomae
p. 488 „Keulen träger", „Wurf keulenträger" (aw. gaöd = scrt.
gada, vgl. Osthoff Parerga I, 143) bedeuten würde, und noch
bei Firdusi trägt der rechte Held seinen gurz{= vazra) au der
Seite (vgl. P. de Lagarde Ges. Abb. p. 203). Auch in die
homerische Zeit ragt noch die Keule {^onakov : §amg, ^a>7ieg\
xoQvvr} : xQavog „Hartriegel" hinein, mit der der griechische
Nationalheros Herakles seine Abenteuer bestand. Sie war nach
Theokr. 25, 208, ebenso wie die Keule des Kyklopen Polyphem
(Od. IX, 378), aus dem Holz des wilden Ölbaums {ikatveov) ge-
schnitten. Mit ihr jagt Orion das Wild in der Unterwelt (Od.
XI, 572), den Keulenträger {xoQvvi^rr]g) Ereuthalion schlägt der
jugendliche Nestor (II. VII, 136); aber aus den Schlachten der
homerischen Kämpfer scheint sie versehwunden.
Im Norden dürfte die cateja der Alten (vgl. Diefenbach
Origines Europ. p. 287) eine keulenartige Waffe der Kelten (vgL
— 108 —
ir. cath „Kämpft) und Germauen gewesen sein, und bei den
Litauern und Prenssen bildete die Keule zur Zeit des TacitoB
(vgl. Germ. Kap. 45: rarus ferrij frequens fuffüum usus) noch
die Hauptwaffc. Wie im Rigveda, im Awesta und bei Homer
erscheinen auch die Helden der russischen Bylinen, vor allem
der Nationalheld Ilja von Morom, mit ihr ausgestattet (rosB.
palica „Keule"). — Ein idg. Ausdruck für den Begriff der
Keule ist aber bis jetzt nicht nachgewiesen worden.
4. Lanze (Wurfspeer etc.). Für diese Waffengattung
bestehen zahlreiche urverwandte Gleichungen, die indessen
geographisch nicht weit verbreitet sind, und in denen die ein-
zelnen Glieder nicht immer eine technisch-militärische, sondern
öfters eine allgemeinere Bedeutung wie „Stange", „Stachel" und
dergl. aufweisen. Beispiele: griech. alxjn}] „Lanzenspitze = altpr.
aysmis „Spiess", lit. j^szmas „Bratspiess"; griech. ööqv „Holz,
Baum, Balken, Schaft, Speer" = aw. däuru „Stück Holz, Speer**
(nach Bartholomae freilich „Keule"; vgl. auch scrt. cl^f^rti „Holz-
stück, Holzscheit, Pflock"); scrt. Imita „Speer" = griech. xovrög
„Stange", lat. contus „Pike, Stange"; altgall. gaison, gaisoi
{raiodiai), ir. gae, ahd. ger^ agls. gdr^ altn. geir „Speer" = griech.
Xdlog „Hirtenstab" (auch zum Werfen); lat. sab. curis „Speer*
= ir. cur id.; lat. hasta ^Spiess" = got. gazds „Stachel"; lat,
veru, umbr. bertis „Spiess" = ir. bir „Spiess, Stachel"; arisch
scrt. rshti = aw. arsti, altp. arM „Speer" u. a. m. In den
Einzelsprachen wird der Speer sehr häufig nach den Baumarten
benannt, von denen sein Schaft stammt (griech, /xeXif] „Eichel
xQaveia „Hartriegel", alyavh] „Eiche" : ahd. eih, lat, omus „Berg-
eschc'S fraxinusy altn. ouhr „Esche" u.a.), oder auch als der
„geglättete" sc. Schaft (griech. $vot6v : ^ko, altn. skafinn : skafa)y
vielleicht auch als der „lange" (griech. Xoyxt] : lat. longus, so in
der 2. Auflage dieses Buches und jetzt bei Walde Lat. et. Wb.
p. 323, 348); denn von enormer Länge müssen wir uns den alt-
curopäischcn Speer vielfach vorstellen (vgl. Reallexikon p. 786).
Die Bedeutung des Speeres in der Urgeschichte Europas
geht auch aus den zahlreichen Benennungen desselben hervor,
die uns die Alten aus den Sprachen der Nordvölker überliefert
liaben. So lat. lancea^ wahrscheinlich ein keltisches Wort (vgl,
ir. dolecim „ich schleudere"), framea (Tacitus Germ. Kap. 6:
hasta« vel ipsorum vocabulo frameas gerunt angusto et hrm
■ro). wohl ebenfalls keltisch {vgl. ir. rtima aus *prama „Eisen
Spaten" bei Windiech I. T. s. v. lorg nnd rammai), äyyoiveg
Speere mit Widerhaken" (vgl. ahd. ango „Stachel"), aparue
^gl. ahd. »per, allD. spjör). gesam (s. o.), matttris u. a.
Wie primitiv dieselben aber noch in historiechcr Zeit viel-
leh waren, geht ani besten aus der Schilderung des Oermanicns
[Pae. Ann. II, 14) hervor, der zufolge nur das erste Glied der
mnaniecben Schlachtrcihe eigentliche Lanzen [kastae) führte,
Ihrend die übrigen sich mit praeusta^) („durch Feuer vorn
ihärteten") aui brevia tela begnügen mussten.
5. Dolch nnd Schwert. Beginnen wir hier mit den
ien Zuständen der Urzeit am nächsten stehenden altslavisehen
rerbättnissen, so wissen weder Prokopius (De bell. goth. III, 14)
»ch Maurikios (a. o, a. O.j etwas von altslavisclien Schwertern
I berichten. Hiermit stimmt Uberein, dass es genuiue Bezeich-
iDgen dieser Waffe im Slaviscben Überhaupt nicht gibt. Sie
(isst entweder altul. v»}ci, rusB. mecü, entlehnt aus got. mekeis,
;Is. mdce, altn. mwkir (auch finn. niiekka), oder altsl. apata,
«B. Kpaga, das Ostlichste Glied der über ganz Enropa ver-
■eiteten Enllehnnngsreihe griech. mitiitt], sp. espada usw.,
ler altsl. koräda (lit. kiirdas, alb. kor^ei, das in letzter Linie
if Rw. kareta. npers. kärd „Messer" (vgl. oben p. 88) zurück-
»ht. Anders bei den Germanen, hei denen (abgesehen von
«. vifheis usw.) mindestens drei nrgerraanische, aber, wenig-
en« in der Bedeutung „Schwert", nicht über das Germanische
inausgehende Namen dieser Waffe vorhanden sind: 1. ahd.
vert, agla. xireord, altn, gverd, '2. got. haimi, agis. heor, altn.
\örr, 3. abil. xa/m, agIs. lea^, altn. 'ittx. Von diesen hat die
«te noch keine sichere Erklärung gefunden. Got. halntn usw.
(hören zu qiirn „Waffe, Speer, Pfeil". Am wichtigsten in kultnr-
istorischer Hinsicht ist die dritte, insofern ahd. xahi« ohne
ireifel zu lat. naxum „Steiu" geh'trt und demnach ureprünglich
oe steinerne Waffe bezeichnet haben muss, die, da es steinerne
fehwerter auch in der Steinzeit niemals gegeben hat, nur das
,mals übliche kurze steinerne Dolchraesser gewesen sein kann,
Jlerdings hat man gesagt (vgl. R. Much Festgabe für lleinzel
1) Solcher primitiver Lniizeii (üxüi-t/oioi i'.r.jt'iüfoiai) bedietilen sich
eh im Heere des Xerxea not-h die Libyer nnd Myser (Hfrodnl VII,
and 74).
- 110 —
1898 p. 232), dass derartige Wortbildungen wie hamar (oben
p. 106) und isahs schwerlich in die Steinzeit selbst znrQckgehen
könnten, in der sie, da damals alle Waffen und Werkzeuge ans
Stein waren, nichts charakteristisches gehabt hätten. Bedenkt
man jedoch Wörter wie griech. aUh]Qog oder agls, Iren, die beide
eigentlich „Eisen^, dann aber auch das aus Eisen gefertigte
Schwert bezeichnen, so sieht man nicht ein, warum dieselben
Sprach Forgänge wie im Eisenalter nicht auch im Steinalter
möglich gewesen sein sollten. Aus der offenbar grossen Anzahl
von Ausdrücken für einzelne Steinarten nahmen einige an be-
stimmten Stellen des Sprachgebiets den speziellen Sinn gewisser
aus Stein gefertigter Gegenstände (Hammer, Dolchmesser ete.)
an, woran nichts auffallendes sein dürfte. Mir scheinen also
-derartige Wörter sichere Spuren einer auch bei den idg. Völkern
einst vorhandenen Steinzeit zu sein. Wie die Germanen, ve^
fügen auch die Kelten über eine allen Mundarten gemeinsame
Benennung des Sehwertes : ir. claideb, cymr. cleddyf, bret cU-
zeff'y urkelt. *Madebo- (: lat. ceUerej clades), und der allgemeine
Gebrauch eiserner, sehr langer, zweischneidiger Schwerter {prae-
Jongi ac sine mucronihuH) wird von den Alten (vgl. Holtzmann
<Jerm. Altert, p. 140 f.) oft genug bei ihnen bezeugt. Auch bei
den Griechen und Römern geht natürlich das Seh wert anf
die Anfänge ihrer Überlieferung zurück. Die Wörter aber, die
es bezeichnen, griech. ^icpog und lat. gladius, stehen allein and
haben überhaupt noch keine sichere Erklärung gefunden. Am
wahrscheinlichsten ist für ^i(pog die Annahme der Entlehnung ans
orientalischen Ausdrücken (aram.-arab. saipäy saif, ägypt. sSßt)f
für gladius die der Entlehnung aus dem oben genannten galli-
schen *kladehO'y *kladev0' (trotz Walde Lat. et. Wb. s. v. gla-
dius). Auch steht $iq)og, wenigstens in der homerischen Sprache,
noch ganz ohne Ableitung da und wird zur Bildung von Eigen-
namen ursprünglich nicht verwendet, während z. B. die Wörter
für Lanze ^yxog und namentlich ae';K/xi7 (s. o.) häufig diesem
Zwecke dienen. Kommen wir somit auf Grund der angeführten
Tatsachen zu der Überzeugung, dass das metallene Schwert bd
den idg. Völkern zwar in sehr frühe Epochen ihrer Sond^-
existenz, aber noch nicht in die idg. Urzeit zurückgeht, so wird
•<lieser Ansatz durch die Gleichung:
scrt. asi = lat. ensis „Schwert"
»her bestätigt als wideriegt. Piüft man nämlich die StelleD, an
enen das iodische Wort im Kigvcda gebrani^lit wird d, 162,
'., 79, 86, ä9i, 80 ergibt sich, dass dasselbe ausscblie^licli
Keeeer", uiubt „Schwert" bedeutete, wie deon auch Böhtlingk-
»th es mit nScbiachtmesBer'' übersetzen, und H. Zimmer (Alt-
id. Leben p. 297 ff.) in seiner Darstellung der aitvediseben
«waffnung des Schwertes überhaupt nicht gedenkt. An der
fl zitierte» Stelle Herod. VII Kap. 61 f., wo der Schriftsteller
ine Trn|)penschan über fast ganz Asien nnd Afrika abhält,
erden bei keinem der aufgezäblleu Stämme f/^jy, sondern immer
or iy/£igidtii, also „kurze Messer", erwähnt. Speziell die Perser
■»gen iyxfig'^n (aw. kareta, s. o.) an der rechten Seite am
firtel. Ks darf demnach als sicher gelten, dass die Grund-
edeutQng der Gleichung sert, a.^i = lat. eiinht nngefähr dieselbe
ar. wie die des oben besprochenen germanischen «ahn oder
ach die der Ihrakischen axd^/uj {— a\tD..-*kälm „a. sbort aword";
rgl. slflv. nkn/n „Fels", Splitter : lit. Klditi „spalten"), nämlich
knrzes Uolchmesser".
Ergebnis: An Trutzwaffen verfflgten die !ndo-
erinaiien über Pfeil nnd Bogen , Schlendersteine
Sammer), Keule, Lanze und DolchmesBer. Hinzu kommt
>xt nnd Beil, von denen im folgenden Abschnitt die Rede
Bio »oll.
B. Werkzeuge.
Kurzer können wir uns itber diesen Punkt fassen, da e»
Ich hier im wesentlichen darum handelt, diejenigen Werkzeuge
■sammetixustellcn, die durch sprachliehe Gleichungen bereits in
ie idg. Urzeit gerUckt werden. Wir werden dieselben nach
eo Zwecken gruppieren, zu denen sie vorwiegend gebraucht
rerden.
1. Werkzeuge zum Hauen. Fltr den Begriff Axt oder
\e i 1 finden sich zahlreiche urverwandte Ausdrücke, vor allem griech.
■ütTtfs = sert. para^ii i vgl, I, 106 und oben p. 62) und (auf Europa
CBchrfinkt' griech. ä^ipt], lat. aairia, got. aqizi. Auch als Waffe
at dieses Werkzeug zweifellos in der Urzeit gedient, wie noch
gf indischem ivediecb neben paracü noch Krädhiti) nnd irani-
eliem (vgl. die »kythische odyig^c „ä^/n/"; Herod. VII, 64) oder
inf germanischem Völkergebiet (vgl. hier die fränkische francitica),
— 112 —
während in der Ilias nur erwähnt wird, dass der Troer P^ir^i p
droB eine Streitaxt unterhalb des Schildes trug (IL XIII, 61!^V]
und dass beim Kampf um die Schiffe (XV, 711) auch df^^iu^atf
jielUxeig geschwungnen worden seien. Sicher war die Streitik^/
auch in mykenischer Zeit gebräuchlich (Tsountas and ManAl^
p. 207).
Wenigstens in der Überlieferung des Kultus ragt auch das
steinerne Beil noch in die geschichtlichen Zeiten. Bei dem
yon Livius I, 24 geschilderten höchst altertflmlichen Friedens-
schluss zwischen Römern und Albanern heisst es am Ende: si
prior defedt puhlico consilio dolo malo, tum tu, iUe DiespiUr^
popuhim ßomanum sie ferito, ut ego hunc porcum hie hodk
feriam, tantoqiie magis fe/into, quanto magis potes pollesgue.
id ubi dixity porcum saxo silice (mit dem Feuersteinbeil)
percusffä. — Ein ebenfalls als Waffe wie als Werkzeug gebrauchtes
Instrument war auch der Hammer (s. o.), für den noch auf die
Gleichung lat. maHulus = altsi. mlatü zu verweisen ist.
2. Werkzeuge zum Schneiden. In erster Linie ist
hier das Messer zu nennen, ftlr das eine uralte Bezeichnnng
in der Gleichung scrt. hshurä = griech, ^vgöv vorliegt. Es war
ein Irrtum Benfeys, wenn er (vgl. 1, 43 ff.) für diese Wörter
von der speziellen Bedeutung „Rasiermesser^ ausging, da kshurd
im Rigveda (vgl. Zimmer Altind. Leben p. 266) immer einfaeh
„Messer" bedeutet, wie auch ^vqov in dem homerischen bd
ivQov äxjiirjg TaTarai jedenfalls übersetzt werden kann. Der Ab-
druck bezeichnete ursprünglich das „geglättete" oder ^glättende''
Werkzeug (: griech. ^ea) „glätten"), was ebenso für das älteste
Feuersteinmesser wie für das spätere metallene Instrument paait
Auf ersteres bezieht sich auch der altslavische Name des Messm
noii aus *nogjl : SiltpT, nagis „Feuerstein^ (vgl. oben ahd. «ulk«:
lat. saxum). Ich stehe nicht an, auch das lB,t. noväcfda „Mever-
chen" {*noüd aus *nog^Ul : altpr. nagis, wie nüdus, ^novidus ans
*nog^'id((s : altsl. nagü „nackt") hier anzuschliessen. — Ein
sichelartiges Werkzeug zum Abschneiden des Grases und Ge-
treides wird durch die Gleichung griech. ägni] = altsl. srüpi
sichergestellt, ein sägen- oder feilen artiges vielleicht durch lat.
fferra „Säge" = griech. §iv}] „Feile" {^serza : ^sr^näy vgl. ahd.
gersta : griech. xgi^/] aus *ghrzdhä nach Thurueysen K. Z. XXX,
351, vgl. auch Walde p. 289).
3. Werkzeuge zudi Siechen undBobreo. Zu nenuen
bd hier die Gleichungen scrt. ä'rä = ahd. äla ond tat. mibula
«h. Mdlo, potn. MZi/dIo filr ^Ahle, Pfrieme" und griech. jige-
"tpoy = ir. tarathar für „Bobrer". Vgl. auch griech. ^io? = lat.
caiUtx „Nagel" und griech. xkiift!: = lat. clävin, ir. clöi, ebenfalls
nrgprflnglich „Nagel" (später im Griecb. und Lat. „SchUlaeel").
Zu diesen meist allgemeineren Zwecken dienenden Werk-
mgen kommen noch eine Reihe speziellerer Geräte wie für
i Spinnen die Spindel (sert, iarkü = griech. ärpaxroc), für
Ackerbau (ausser der eben genannten Sichel) der Pflug
tuen, araur, grieeb. ^loorgov, lat. arat/iim, ir. arathar, altn.
die Egge {grieeh. ö^iyij, lat. occa, ahd. egida, lit.
rfcito(f, altcorn. ocet), die Handmilhle (armen, erkan, got.
tirntin, ir, brö, lit, girna, altsl. irütiüvü). das Sieb flat. cri-
r. cnatkar, abd. rUara) a. a., die uns bei der Be-
Ifrechnng des idg. Ackerbaus noch näher beschäftigen sollen.
Hier erwächst uns nunmehr die Aufgabe, uns der im Ein-
;ang dieses Kapitels anfgewoifeneii Frage zuzuwenden, auf
welche der von deu Archäologen unterschiedenen prähistorischen
Epochen die hier zusanimengcstellten Tatsachen hinweisen, und
reiches somit der eigentliche Sinn der iu Kap. VI festgestellten
Bleichnng scrt. tiyaK, aw. af/ah = lat. aex, got. aiz gewesen sei,
* die wir bisher an der Uand der Sprache und Überlieferung
■ bis zu der Bedeutung „Kupfer" oder „Bronze" oder beides
rzndringen vermochten.
In dieser Beziehung scheidet von einem Vergleich mit der
. Urzeit zunächst ohne weiteres die sogenannte paläotitbiscbe
»der Ältere Steinzeit aus, da in ihr von der Bekanntschaft mit
ngend einem Metall keine Rede sein kann. Ebensowenig dürfen
die Künste des Spinnens und des Ackerbaue, jedesfalls keines
Ackerbaus mit Pflug und Egge (vgl. näheres Abb. IV, Kap. V
md VI), für sie vorausgesetzt werden. Aber auch die Waffen
1 Werkzeuge jener Epoche waren nach alleui, was wir wissen,
tel weniger differenziert und spezialisiert, als aus den oben an-
BfUhrten Gleichungen für die idg. Urzeit hervorgeht. Auch
litte man nach S.Mttller Urgeschichte Europas (Strassburg ldO&>
. 12 damals nur Wurfwaffen, aber „schwerlich Pfeil und Bogen,
t ebensowenig als vorher (d. b. in der älteren paläolithischeu
eiti ein Werkzeug, das als Beil gedient haben könnte", besessen,
d*r, Bprac^hversleichuDR niid Drseacliichte 11. 3. Aufl. g
- 114 -
während allerdings M. KH2 in seinen Beiträgen zar Kenntnis
der Quartär/eit in Mähren (Steinitz 1903) unter den Artefakt
des Lösshügels Hradisko p. 228 auch Äxte (Schaber?) und Pfei
spitzen (Wurfspeerspitzen?) anftthrt.
Ebensowenig können, um uns von den der geschichtlichem
Zeit entferntesten gleich zu den ihr am nächsten liegeod^c
Epochen zu wenden, als Vergleichsobjekte für die idg- Urzeif
die Eisenzeit und die ihr vorangehende jüngere Bronzezeit
in Betracht kommen; denn in ihnen beginnen die Schutz-
Waffen wie Helm, Panzer, Beinschienen alimählich aufzukommeD
und ftlr den Krieger notwendig zu werden, während sie, wie wir
gesehen haben, der idg. Urzeit noch durchaus fremd wara.
Einen Einblick in diese Entwicklung gewähren uns am besten
die mvkenischen Ausgrabungen (vgl. Tsountas and Manatt The
Mycenaean age p. 191 ff.). Während wir ftlr die ältere mykc-
nische Periode ^keinen Beweis dafür besitzen, dass Harnische
(als verschieden vom Chiton) in Gebrauch waren", zeigen xm
die späteren Denkmäler dieser Zeit, vor allem die „Kriegerrase'^
von Mykenae (Tafel 18) den Helden mit Helm, Panzer nnd
Beinschienen ausgestattet, wenngleich zweifelhaft bleiben moM,
welche fiolle bei dieser Bepanzerung das Metall (neben dem
Leder und Fell) spielte. Im Norden Europas besitzen wir die
älteste und vereinzelte Spur metallener Scbutzwaffen in den
Überresten eines bronzenen Helms, der in einem Moore auf See-
land gefunden wurde (vgl. S. Müller Nordische Altertamskande
I, 253). Schfm etwas häufiger begegnen einzelne bronzeoe
Rüstungsteile alsdann auf dem Grabfeld von Hallstatt (v. Sacken
p. 43), also in der ältesten Eisenzeit.
Aber auch die ältere Bronzezeit kann als Trägerin der
idg. Urkultur nicht angesprochen werden; denn abgesehen davon,
dass in ihr das Gold, das die Indogermanen noch nicht be-
Sassen (Kap. IV), in ihr bereits bekannter zu werden begonnen
hatte, war auch die hauptsächlichste Angriffswaffe dieser Zeit,
das eigentliche metallene Schwert, dem idg. Urvolk noch
fremd.
Somit bleibt zum Vergleich mit den idg. Verhältnissen nnr
die jüngere Steinzeit, bezüglich ihr Übergang znr
ersten Benutzung des Metalles übrig, und wer das In-
ventar dieser Epoche an Waffen und Werkzeugen überblickt,
- M6
bjnl nicht verkeil neu können, das» es ein getreuer Spiegel der
Kn geschildt'rteii ältesten idg. Zustände ist.
Zahllose, teilfl reuersteinenie (mehr im Westen und Norden),
I knöcherne (mehr im Osten) PfeilspitKen legen davon Zeugnis
dass der Bogen die wichtigste TrutzwafFe der jltngeren
Hnzeit bildete, und gelegentlich, v.. ß. in dem Pfahlbau von
Bobeohäusen oder in den Ausgrabungen am Mondsec, sind eibene
Bogen selbst oder wenigstens Briichstllcke von ihnen /,utage
getreteu'i. Aueh üteinerne Hämmer luul eichene Keulen oder
andere keulenartige Waffen sind aus alten Teilen Europas dem
ürgeschiebtsforscher wohl bekannt. Znra Wurf oder Slnss diente
die mit fenerateinemer oder knöcherner Spitze versehene Lanxe,
im Nahkampf daa zunäehst ebenfalls feuersteinerne Dolch-
messer. Schilde sind in der jüngeren Steinzeit zwar noch
nicht nachgewiesen worden; dueh halten die Urgeschichlsfnn>clier
eff ftlr wahracheinlicb, dass sie schon damals als Schutzwaffe
dienten, allein bei der leichten Zerstörbarkeit ihres Materials zu-
grunde gingen. An Werkzeugen weist jedes prähistorische
Museum in seiner neolitbischen Abteilung Äxte und Beile,
Messer, Sägen und Sicheln, Ahlen, Nadeln, Bohrer usw.
in Hülle und Fülle auf. Auf die Kunst des Spinnens deuten
zahllose Spinnwirtel, auf die Pflege des Aekerbaus der zweifel-
lose Anbau von Hirse, Gerste und Weizen sowie Funde von
Üaudmflhlen, Siebtöpfen und dergl, hin. Mit der Abwesen-
heit des Pfluges unter den Funden der Steinzeit wird es sieb
wie mit der des Schildes verhalten, d. h, er wird nur aus Hol?.
hjBstandcn haben und so zugrunde gegangen sein.
H In diesen ursprünglich gänzlich des Metalles entbehrenden
ftüturkreis trat nun, wie die neueren Fori^cbungen, vor allem
■6 Arbeilen M. Mncbs il, 49) mit immer steigender Gewissheit
W 1) Ob man aua dem Umstand, dass in den aordischvn GrUbern
d«r Bronzexeit nur höchst seilen bronzene Pfeilspitzen gefunden
wurden, mit S. Müller Nordische Altertumskunde I, 253 achliesaen darf,
dass damals nur .der edle Nahkampr Mann gegen Mann, wie er iu
der lliade geecbildert wird, von eigentlicher Bedeutung war", möchte
ich bezweifeln, da die nordischen Felsenbilder häufig Bogenschützen
dar&lellen (vgl. Monteüns Die Kultur Schwedens * p. 69). Man wird
1 MykeDae (oben p. 114), noch lange der Nieincmen Pfeil-
teen bedient haben und diese für zu gemein gehalten haben, sie
I Krieger mit ins Grab zu legen.
- 116 -
dargetan haben, zaerst das mit Zinn nicht legierte Knpfe -.
ein, und zwar in der Weise, dass ans ihm, abgesehen vocr
Schmnckgegenständen^), zunächst nur ein gewisser kleiner Kre^fi
von Artefakten, nämlich Beile, Dolche und Pfriemen mit besonderem
Häufigkeit hergestellt wurden. So sind z. B. im Mondsee nebe^»
4000 Stück Werkzeugen, Waffen und Schmucksachen ans Steu?
oder Knochen 29 Kupferartefakte gefunden worden, nämlich:
14 Beile, 6 Dolche, 4 Ahlen (24:29). Ähnlich aber liegen die
Dinge in vielen Teilen der neolithischen Kulturschicht.
Und so können wir nunmehr den Schluss aus dieser langen
Kette von Beobachtungen mit aller in derartigen Fragen erreich-
baren Sicherheit ziehen: Da der idg. Bestand an Waffen und
Werkzeugen mit grosser Deutlichkeit dem der neoIithiscbeD
Periode entspricht, an deren Ende das mit Zinn noch nicht
legierte Kupfer auftritt, aus dem besonders hänfig Beile
(scrt. paraqü — griech. nilExvg;), Dolche (scrt. asi = lat. enm)
und Pfriemen (scrt. ä'rä = ahd. älä) hergestellt werden, so
folgt hieraus, dass die idg. Gleichung:
scrt. ayas, aw. aydh = lat. aes, got. aiz
in der ältesten uns erreichbaren Zeit „Kupfer^ bedeutet and
eine gewisse beschränkte praktische Bedeutung bereits gehabt bat
1) Eine idg. Gleichung für solche liegt in der Reihe: scrt. meofi
„Perlenschnur^, aw. minu „Geschmeide* (?), griech. fAavvog^ lat. monüe^
mellum, millus, altkeit, fiavtdxijg, ir. muincej altsl. monvfto, ahd. memd.
[Ergebnisse: Die Metalle in ihrer historischen
Aufeinanderfolge,
Nachdem wir so ilas üiuffingreiclie Material der altindo
^nnaniäcbeti Mctallnamcn (ibersehcD haben, dürfte es am Platze
Bein, die wichtigsten historischen Ergebnisse, /,n denen wir
tkoinuieii sind, hier in Kürze zusammenzufassen.
1. Die älteste uns erreichbare Kultur der Indogermanen
iQrt der sogenannten neolithischen Zeit an, d. b. die Waffen
[ Werkzeuge waren noch zum weitaus gröseten Teil aus Stain-
1 hergestellt. Doch war bereits ein Metall, das mit Zinn
nicht legierte Kupfer, *ajos (scrt. dya/i = lat. aes etc.t
mannt, den Indogermanen bekannt'), aus dem ausser rer-
Bcfaiedenen Schniuoksacben, auch bereits einzelne Waffen und
Werkzeuge , namen Hieb Beile , A hien und Dolche angefertigt
wurden. Diese Anfertigung geschah auf dem Wege des Gnssea
Id steinernen Formen, so dass das Vorhandensein des Scbmiede-
tmadwerks in der Urzeit nicht durch die Annahme der Bekannt-
aft der Indogermanen mit einzelnen kupfernen Artefakten
iordert wird*). Neben *ajoii bestand in der idg. Drsprache
1) Vgl. Teil I. p.47, 49, 211. Vgl. .ieCzl auch Hoops Wald bäume
Kulturpflanzen Im germaDiachen Altertum p. 343: Die Epoche des
ren Zasammenlebens der indogermanischen Volker in einer Kultur-
leinschaft fättl Homit ganz in das Steinzeitatter, als dessen letzter
Bbnitl die Kupferzeit aufzufassen ist."
2) Vgl. M. Much Die Kupferzeit in Europa * p. 3,'i3: „Nach Schrader
Innt das Aufblühnn der .Schmiedekunst erst nach der Trennung der
ir in Eiuzelvölker. Aber gerade der Umstand, dass diese Termi-
ne in der arischen Urzeit noch nicht zu voller Ausbildung gelangt
, stimmt wieder, man möchte fast sagen, wunderbar zutreffend,
den Ergebnissen der Urgeschichtaforschung, denen zufolge, wie
den Funden nachgewiesen werden konnte, die erste Bearbeitung
- 118 —
wahrscheinlich noch eine zweite Benennung des Kapfeni ^rawffJiä
(scrt. I6hä = altsl. /t/(2a etcj^ die zasammen mit einem xög,
Namen des Beiles *pereku (scrt. paragü = griech. jtilexvg) am
einer östlichen Sprache (Sumerisch) entlehnt zu sein scheint, so
dass diese Wörter vielleicht den Weg uns weisen, auf dem du
Kupfer zuerst zu den Indogermanen gelangt ist. Zweifelhaft
kann man dabei sein, ob die Entlehnung erfolgte, als die Sumerer
schon in Mesopotamien (s. u.) sassen, oder bevor sie dahin ans
einer uns noch unbekannten Urheimat kamen.
2. In diesen Kulturznständen erfolgte die Aasbreitang der
Indogermanen in Asien und Europa, d. h. die IndogermanisieroDg
weiter Strecken der genannten beiden Weltteile. In diesco
Kulturzuständen mochten die idg. Völker auch in ihren ethni-
schen Stammsitzen noch lange verharren, bis in Europa von dea
östlichen Gestaden des Mittchneers her ein neues Metall, das mit
Zinn künstlich legierte Kupfer, die Bronze, sich auf dem Wege
des Handels Bahn brach und vornehmlich an gewissen Zentren
des Verkehrs, z. B. in den skandinavischen Ländern, die wegen
des Bernsteins ein erstrebtes Handelsziel waren, eine grosse Be-
deutung erlangte. Fttr die Darstellung der Geschichte dieser
sich allmählich über Europa ausbreitenden Bronzekoltor versagt
aber die historische Überlieferung ebenso wie die Sprachwissen-
schaft fast ganz; die erstere, weil sie, wie in Griechenland and
Italien, nur eben noch die Ausläufer jener Epoche antrifft, die
letztere, weil in allen alten Sprachen, indogermanischen wie
nichtindogermanischen, die aus der Urzeit ererbten Wörter fflr
das unvermischte Kupfer bei dem Bekanntwerden der von diesem
äusserlich wenig verschiedenen Bronze benutzt wurden, um diese
mit zu bezeichnen. Nur im Sumero-Akkadischen besteht neben
urudu „Kupfer^ noch eine besondere Bezeichnung der Brome,
zabar, deren Herstellung aus Kupfer {uitidu) und Zinn (aniui, vgl
die oben p. 92, 98 aufgeführten semitisch-vorderasiatischen Namen
dieses Metalles) in einem Hymnus an den Feuergott (vgl. F. Lcnor-
des Kupfers nicht durch Schmieden, sondern durch Schmelsen und
Giessen in Formen geschah. Das eigentliche Schmiedeu ist offenbtr
erst durch die Entdeckung des Eisens — nicht hervorgerufen, tber
zur vollen Entwicklung gelangt, und zwar zu derselben Zeit^ als ^
auch auf die Bronze eine so kunstvolle Anwendung erhielt, und die
Arier in Einzel Völker auseinandergegan^^en waren. ^
j
- 119 -
oant Leii nomn de Vairain et du cuivre, Transactions of the
hciety of Biblical Arehaeology VI, 346; dazu F. Hoiniiiel Die
orsemitischen Kaltnren p. 277, 409) umständlich beschrieben
rird. Ya ist schon ans diesem Grunde nicht unwahrscheinlich,
ass wir uns in Mesopotamien in der Nähe des Erfindungsherdes
er Bronze, des Ausstrahlungspunktes der Bronzekultur befinden,
eren Erforschung im übrigen ausschliesslich der prähistorischen
Tcbäologie zufällt. Vgl. zuletzt die grosse Arbeit von 0. Mon-
ilins Die Chronologie der älteren Bronzezeit in Nord-Deutsch-
uid und Skandinavien im Archiv ftlr Anthropologie XXV und
LXVI. — Erst im Ausgang des Altertums, besonders aber im
[ittelalter sind in Europa zur deutlichen Unterscheidung des
Tupfers von seinen Legierungen besondere Namen^ Wörter, wie
Dscr „Kupfer", „Bronze*^, „Messing" aufgekommen, von denen
as erstere in letzter Instanz auf die kupferreiche Insel Cypern,
ie beiden letzteren auf eine Beeinflussung des Westens durch
ie aufblühende Metallindustrie orientalischer, namentlich irani-
isber Länder hinweisen.
3. Dem Kupfer kommt an Altertümlichkeit das Gold nahe;
och lässt sich ein urverwandter Name für dieses Metall nur bei
en durch eine engere Verwandtschaft verbundenen, wahrscheinlich
m Hindukusch zur Zeit dieser näheren Sprach- und Kulturgemein-
cbaft sitzenden Indern und Iraniern (scrt. hiranya = aw. zara-
ya) und bei den seit uralter Zeit benachbarten Slaven, Letten
lod Germanen (slav. zoloto = lett. zeltn und got. gulp\ also im
)8ten Europas nachweisen, wo das Gold demnach früher als an
nderen Orten, z. B. in Italien, aufgetreten zu sein scheint. Den
rrieeben wurde es in frühmykenischer Zeit durch semitische
üinflüsse (griech. XQ^^^? entlehnt aus semitisch chärü^) bekannt,
ien Kelten zur Zeit ihres grossen Vorstosses gegen Italien (ir.
^r etc. ans lat. aurum). Vereinzelte archäologische Funde auf
^echiscbem oder keltischem Boden aus früheren Epochen können
liebt beweisen, dass das Gold von den betreffenden Bevölkerungen
ig besonderes Metall erkannt und benannt ward. Italische Be-
jebangen endlich führten es auf dem Wege des Bernsteinhandels
Ien Litauern und Preussen (lit. duksanj altpr. misi^ aus osk.
iwfom) zu, die die Reihe lett. seJin^ slav. zoloto entweder ver-
oren oder nie besessen hatten.
4. Noch nicht bekannt war dem idg. Drvolk das Silber.
- 120 —
Sein Ausgangspunkt liegt in den metallreichen GebirgttOgeD d»
Sehwarzen Meeres. Ans dem armenischen (armenisch-kaokash
schem) arcat stammt auf dem Wege der Entlehnung unter Ver-
schmelzung oder Anpassung an ein idg. Wort für „weiss" eifle^
seits das iranische erezata und scrt. rajaidj andererseits du
italische argentum, und aus letzterem wieder das keltische ir.
argat. Von dem schon von Homer als „Silberstadt" bezeichneten
pontischen lAXvßrj {*2!akvßri) leiten sich auch die litu-slavo-gemuh
nischen Bezeichnungen dieses Metalles (got. silubr^ altsl. «fr^frro,
lit. siddbras) ab.
5. Aus denselben oder ähnlichen Gegenden wie das Silber
stanunt, wenigstens für Griechenland, die Bekanntschaft mit dem
Eisen, das in uachmykenischer, aber vorhomeriseher Zeit, aha
etwa um 1100 v. Chr. in Hellas von Kleinasien und demPontos
her erscheint (griech. aldrjQog aus kaukas. zido-^ vgl. x^^
j^Sttihl^ : Xdkvßeg „die Chalyber"). Im Norden Europas . haben
um das V/IV. Jahrhundert (La-TfeneZeit) die Kelten die BenutzoDg
des Eisens den Germanen vermittelt (got. eisarn aus kelt. *isamo\
die es ihrerseits den Westfinnen zuftthrten, während die Ost-
finneu unter iranischem Kultureinfluss stehen, ein Verhältnis, das
auch in der Geschichte des Goldes hervortritt.
6. Wie für die Verbreitung des Silbers und Eisens in Enropsk
die Bergzüge des Schwarzen Meeres bedeutungsvoll gewordeo^
sind, so weisen in der Geschichte des Bleies und Zinnes zahl —
reiche Spuren auf den Westen Europas, von Spanien bis Eng-
land, als Hauptfundorte und Ausgangspunkte dieser beiden H& —
talle hin.
Nachtrag zu p. 75: Nicht zu der oben hinsichtlich des Nam
Mooavvoixoi (auch Moaovveg) zweifelnd ausgesprochenen AuffasanÄ^
stimmt es, dass schon im Altertum dieser Völkername von eine^
barbarischen fiöaaw „hölzerner Turm* abgeleitet wurde (vgl. Henric«::^
Stephanus s. v. fioaow), Falls also die angeführten iranischen ns
Rupfernamen hierhergehören^ müssten sie doch unmittelbar von d
Völkernamen abgeleitet werden.
Carl Geor^, Uniyersitftts-Baohdniokerei in Bonn.
I
IV.
DIE URZEIT.
jioXka 6'äv xai äXXa iig iuiodsi^eie x6 TtaXaicv
'EXXtj7'ix6v SfiotoToojia rtp vvv ßaoßagix^
diaiKOjtievov
Thukyd. I, 6, 4.
^ rader, Sprachvergleichung und Urgreschiehte Tl. S Aufl.
1. Kapilel.
Einleitung,
Die voraufgell ende Ahliaudlung Über das Auftrelcn der
Metalle, licsnnders hei den indog. Völkern, hat, so hoffen wir,
! die Wege geebnet zu eioer richtigen und methodischen Auf-
legung der indog. Urzeit. Denn wenu wir oben ansfUhrlicb
irtert haben, wie das Auftreten der Metalle und die allmählicb
fortschreitende Kenntnis ihrer Verarbeitung gleichsam eine neue
Knitnrwelt dem Mengeben eröffnet, so mltssen wir, nachdem
nachgewiesen worden ist, dass die ältesten Indogermanen die
Keimtnis der Metalle und der Metallurgie 'j im wesentlichen nicht
1) Über das Wort „Metall" aus griech. ^xiraXiov, zuerst .Grube.
-Bergwerk", dann .Metall", ist oben p. 10 f. nur kurz gehandelt worden,
cht« daher hier noch einmal darauf zurüi'kkoinmen. Hinsicht-
lich seiner ErklKrung- stehen sich seit altera zwei Deutungen g'egen-
ttber. Die einen leiten griech, füiaXlov , Bergwerk" (zuerst Herodot)
aus dem Semitischen ah, indem sie es entweder mit hehr. in(e]ffj
igeschmiedeter Slahl" {'mät<il ..achtnieden") verbinden oder es zu
hebr. mfföW .Tiefe, Talgrund" (vgl. Lewv, Die semit. Fremdw.
steilen. Die andern vereinigen es mit dem schon bei Homer
bezeugten iietoXkäui .nachtorschen, nachfragen' und suchen nach An-
knüpfungen in den idg. Sprachen (vgl. zuletat Prellwiti Et. Wb. d.
;(riech. Spr.* p. 391). So sehr nun aus sachlichen GrUuden (vgl. oben
p. 36) eil nahe läjfc, die Phönizier aIk Vermittlir des ^ripchischcu Worteti
an KU nehmen, so machen doch, von lautlichen Bedenken abgesehen,
die BedeutnngB Vermittlungen zwischen dein griechischen und den
eemitischen Wörtern grosse Schwierigkeiten (vgl. oben p. 1 1 }- Es
«cheint mir daher doch bei nochmaliger Überlegung der einheimische
Ursprung des Wortes der wahrscheinlichere zu sein. Ans homerisch
pnaiXAai .ich forsche nach" kann man nach der Analogie von ßgoriri
ßgortdia .donnern", yeveiov .Bart" : ysyeiäm .ich bekomme
einen Bart", Im/iöf .Wurf Schaufel" ; Xix/iäai .ich worfele" usw. mit
Sicherheit ein vorhomeriaches */ietaii^ , Nachforschung", *fiiraiioy .Ort
der Nachforschung" folgern. Die Frage wäre daher nur die, ob sich
— 124 —
besassen, nnsere Vorstellung von der kulturgeschichtlichen Ent-
wicklung des Urvolks von vornherein auf dasjenige Mass znrflck-
führen ; welches einer jene Hebel der Gesittung noch ent-
behrenden Kultur entspricht.
80 vorbereitet, hoffen wir nunmehr imstande zu sein, ein
kulturhistorisches Gesamtbild der indogermanischen Dr-
zeit zu entwerfen. Über diesen Begriff und die Frage, wie man
ihn fassen und zu ihm vordringen könne, sind seit geranmer
Zeit so viele und teilweise so haarspaltende Erörterungen an-
gestellt worden, dass es dem der philologischen Seite dieser
Untersuchungen ferner stehenden Leser schwer fallen dürfte, sieh
in ihnen zurecht zu finden.
Es scheint mir daher nicht unangebracht zu sein, ehe wir
zu unserer eigentlichen Aufgabe uns wenden, die ausführlichen
Erörterungen des zweiten Abschnitts dieses Werkes noch einmal
in wenigen Sätzen zusammenzufassen.
Die idg. Völker, d. h. diejenigen Völker, welche eine idg.
Sprache reden, bilden unter sich nicht nur eine linguistische,
sondern auch eine ethnographische Einheit, mindestens in
dem Sinne, dass in allen eine idg. Sprache redenden Völkern
ein gemeinsamer Kern vorhanden sein muss, von dem aus die
Übertragung der idg. Sprache auf mit diesem idg. Kerne ?e^
schmelzende allophyle Völker möglich war. Die Annahme eine»
idg. Urvolks ist daher eine absolut notwendige Annahme, ohne
die wir uns die Verwandtschaft der idg. Sprachen ebensowenig
erklären können, wie etwa die engere Verwandtschaft der slavi-
der Bedeutungsübergang „Nachforschung, Ort der Nachforschung' m
„Bergwerk" durch Analogien wahrscheinlich machen läset. Dies iÄ
nun allerdings der Fall, indem das bis jetzt in diesem ZuftammenbAng
noch nicht beachtete russ. priiskü „Grube, Bergwerk* genau die-
selben Erscheinungen des Bedeutungswandels darbietet. Dieses durch-
aus volkstümliche Wort gehört zu russ. iskdti „suchen* = ahd. ewc^
unserem „heischen" und bedeutet ursprünglich also das ^NachsacheB*.
De facto bezeichnet priiskui 1. den Ort, wo etwas gesucht nod
gefunden wird (vgl. fieiaXXm' „das Bergwerk*), 2. das, was gesucht und
gefunden wird (vgl. ^irakkov „das Metall"). Rüdnye priiM «iod
„Kupfer"-, zolotye priiski „Goldgruben" (vgl. Dahls Wörterbuch der
lebenden grossrussischen Sprache). Die Frage, wie der Stamm futaiio-
weitcr zu erklären sei, die bis jetzt nicht entschieden ist, kann bei
dieser Sachlage ausser acht bleiben.
Aeu Sprachen olme die Auitalime eines filaTigchen Urvolks,
dessen Verzweigung in Serben, Czeelien, Rassen nsw. vorliegt.
Dieses idg. ürvolk war al)er ein ürvolk, keine ürrasae. d. li.
alle Eigenschaften, die mit dem Begriffe „Volk" verbunden find,
niDt^^n wir Hucb hei dem idg. Urvolk voran saetzeu, woraus vor
Bllem folgt, dass schon das idg. Urvolk, wie alle liistorischcn
Volker, gewisse Verschiedenheiten in Beziehung auf Körper-
ildnng, Sprache and KultnrverhäHnisse gezeigt linben wird.
r Dieses idg. Urvolk hat sich von geographisch Verhältnis-
massig beschränkten Wohnsitzen aus, die wir als seine Ur-
heiinnt bezeichnen, und die zn bestimmen eine der Haupt-
anfgaben des folgenden .\bschnitts sein wird, in vorhistonBchcr
Zeit baaplsftchlich durch Wanderungen zersplittert und diejenigen
Stcllnngen eingenommen, die wir die StHtnnisitze der Eitizel-
volker nennen. Diesen Prozess haben später die Einzelvölker
in grofiseu zeitlichen Zwischen rilunien voneinander fortgesetzt,
nie denn z. B. die Ausdehnung der Slaven im kleinen geuan
it&ftselbe Bild darbietet, wie die Aui^dehnnng des idg. Urvolks
r grossen.
Grössere sprachliche Veränderungen aiud mit diesen ältesten
rerzweigUDgen idg. Stämme trotz ihrer schon für damals vor-
ansznsotzendcn Vermischung mit allophylen Völkern, ausser viel-
leicht auf dem Gebiet des Wortschatzes, nicht anzunehmen.
Im (iegeutcil ISsst sich wahrscheinlich machen, dass die idg.
Sprachen noch bei immenser geographischer Ausdehnung lange
Zeit eine grosse Homogenität bewahrten. Erst mit dem zeitlich
g:anz verschiedenen Eintreten der einzelnen Zweige in die
geschichtlichen Bewegungen tritt eine stärkere Umgestaltung
äer idg, Sprachen auch auf dem Gebiet der Laut- und Formen-
lehre, nod damit die Vorbedingung durchgreifender Dialekt-
bildnng hei
r').
H 1) Wenn Slrei fberg Lil. Zenlralblatt 1906 No. 24, Sp, 823 bemerkt,
Bn «zwei Dinge hier fälschlich miteinander komhitiiert würden: die
Klmiiptaiig', dasB eine Kultursteig-eruug auch eine Beschleunigang
ier LautprOKesse herbeiführe, und die davon ganz unabhängige Frage
nach dem Ursprong der Dialekigrenzen". so hat er den Sinn meiner
lühningen (P. 143 ff,) nicht vefRtanden; denn ntclit um Dialekt-
lasen, Bondern am Dialektbildang handelt es sieh in ihnen, die
I meiner und anderer Meinung in erhöhtem Masse dadurch her-
- 126 —
Dieses idg. Urvolk muss trotz gewisser landsehaftlicber
Yerschiedenheiten, die wir noch erkeimeD köDnen (vgl. besonder»
unten Kap. IV und VI), eine im grossen und ganzen einheitliche
Kultur gehabt haben. Schon wenn wir uns ganz im rohen Ter-
gegenwärtigen , wie viele gemeinschaftliche Züge etwa da»
vedische Zeitalter mit dem homerischen oder germanischen zor
Zeit des Tacitus aufweist, während bereits die Epoche der indi-
schen Rechtsbücher derjenigen der Perserkriege oder der Krenz-
züge ungleich ferner steht, wird uns klar, dass wir noch weiter
rückwärts schreitend zu einer wirklichen Kultureinheit bei Indeni,
Griechen und Germanen gelangen müssen.
Zu dieser Kultureinheit führen uns erstens die sogenannten
,,indogermanischen" *) Gleichungen zurück. Es ist richtig, da»
dieselben teilweise auf zeitlichen Verschiedenheiten und geographi-
vorgerufen wird, dass auf einem Sprachgebiet infolge gesteigerten
geschichtlichen Lebens eine grössere Zahl von Persönlichkeiten
hervortritt, die zugleich den Ausgangspunkt bald in grösserer, bald in
geringerer Ausdehnung wirkender sprachlicher Veränderungen bilden.
Über die Frage der Entstehung der Dialekt- oder Sprachgrenzen
ist vielmehr an einer ganz anderen Stelle meines Buches (I', 167)
kurz gehandelt worden.
1) Über die Bedeutung dieses Wortes vgl. Reallexikou p. XIII
= Sprach vgl. u. Urg*. I^, 174. Da die hier gegebene Definition von
H. Hirt übernommen worden ist (vgl. Die Indogermanen p. 234 f.:
„In wieviel Sprachen muss nun ein Wort vorliegen, damit wir es für
indogermanisch erklären dürfen? Sind wir in der Lage, den
Verdacht der Entlehnung auszuschliessen , so braucht ein Wort
nur in zwei Sprachen vorzuliegen, die in historischer Zeit nicht mehr
benachbart gewesen sind, wie z. B. in Italisch und Indisch oder Sla-
visch oder Germanisch und in Griechisch und in Armenisch, in Kel-
tisch und Indisch usw. Natürlich ist bei solchen Gleichungen die Mög-
lichkeit vorhanden, dass sie nur in einem Teil des indogermanischen
Sprachgebietes vorhanden waren, und einem anderen Teil das Wort
und der Begriff fehlte, aber diese Möglichkeit ist von keiner grossen
Bedeutung"), so bin ich er.staunt, dass sie W. Streitberg a. «. 0.
Sp. 823 nicht gelten lassen will. Was er aber dagegen vorbringt, ist
nur eine Umschreibung dessen, was ich selbst ausgeführt habe, dass
nämlich bei der gegenwärtigen Lage unserer Wissenschaft leider der
Ausdruck „indogermanisch" verschiedenartige Erscheinungen umfasst
Die Ausführungen Streitbergs hätten daher nur dann einen Sinn,
wenn er eine exaktere Definition des Wortes geben könnte, was nicht
der Fall zu sein scheint.
127
Kben Be^onderbeiten bcrnhen kennen. Eine Oleicbung wie Bcrt.
= griech.^ot's „die Kuli" kaDii sieb früher feetgesetat haben
eine GleichuDg wie sc«, rtitlm = lal. rata „der Wagen".
kuie (ileichung, die sich auf Ilaler und Oennaueti beschränkt
■• B. lat. lex = agiB. lagu „Gesetz"), kann erat entstanden sein,
diese beiden VOtker den Zusammen bang mit den übrigen
bdogermanen verloren hatten, oder eine Wortreihe, die nur Inder
nnd Griechen aufweisen (vgl. z. B. scrt. ä'ga» — grieeh. äyoi),
luulii von jelier auf den von Indern nnd Griechen gebildeten
Keil des ürvolks, auch als dassellie noch zusamnienbtng, beschränkt
iwesen sein usw. Nur im ganzen gcnnninien beweieeu die
igenannten partiellen, d. h. die auf bestimmte Völker beschränkten
Gleiehnngen und sonstigen Übereinstimnuingen, dass die relative
Lagerung der idg. Viiiker, wie sie in geBcbiehtlichen Zeiten vor-
liegt, der vor bistori sehen entspricht. Besonders gilt dies von
m Bogenannlen .Satem- und Centumspracben, von denen die
Bteren immer den Osten, die lelKleren den Westen des urzeil-
eben Sprachgebiets eingenomnien haben müssen').
Im einzelnen aber kann man von den partiellen Glei-
inngen — und das sind weitaus die meisten — nur in den
ItcnstCD Fällen aussagen, ob sie durch Zufall oder nicht dnrch
nfall auf die betreffenden Sprachen beschränkt sind.
So störend dies ist, so fuhren doch auf jeden Fall jene
g. Gleichungen in sehr frühe Zeiten voibistoriscber Völkcr-
t) Vfrl. hierüber Sprachvgl. u. UrKeach. I* 135 und ausführlich
71 ff. und P, 172. Wenn daher W. Streitberg a. H. 0. Sp. 822
irsn bemerkt: .Besondtrs fühlbar macht eich dlnser ÜbeUtand (dAid-
h dasB angeblich jüngere UntPrsuchnngen nicht immer die ihnen
bührendfi Beachtung finden") im dritten Kapitel, das von den
ilkertrennttugen handelt: v. Bradkes Unterscheidung der eentum-
ä *ai!effl -Stamme, eine I^inieilung nai;h sprachlichen Gesichtspunkten,
r die gpographische Gruppierung der Völker entspricht, spielt
i«rhftup( keine Rolle, kaum dass sie p. 135 flüchtig er-
Ihnl wird", so sieht man, dass Herr Streitberg seines Amtes
I Kritiker nicht immer mit der nötigen Oewidsenhaftigkeit waltet.
mer kann von einer [interscheldung der cetttum- und xaiem-StB,TOTae
Tcb V. Bradke, der dieser längst bekannten Einteilung nur diesen
•ht uuprAktiechen Namen gegeben hat, nar roden, wer etwa Amerika
D Ämorlgo (Vespucci) entdeckt sein lilsiit, und drillenti habe ich
ihl in dem dritten, sondern in dem xweiteu Kapitel über dieVölker-
nntinget) gehandelt.
— 128 —
ziisammenbänge zurück, in Zeiten z. B., da noch ein ethnischer
Zusammenhang zwischen Italikern und Germanen oder Griechen
und Indern bestand, so dass wir unter allen Umständen
durch sie Fingerzeige über das Vorhandensein be-
stimmter Kulturbegriffe in sehr frühen Epochen der
idg. Völkergeschichte erhalten. Auch ersetzen mehrere
partielle Gleichungen, die wir in den idg. Sprachen für einen
bestimmten Kulturbegriff finden, das Vorhandensein einer gesamt-
idg. Gleichung in dem Sinne, dass wir aus den ersteren wie
aus der letzteren das Vorhandensein eines Kulturbegriffs aof
dem ganzen vorhistorischen Völkergebiet erschliessen*) können.
In formeller Beziehung endlich werden wir namentlich dann
von idg. Gleichungen für kulturhistorische Zwecke Gebranch
machen dürfen, wenn dieselben sowohl in der Wurzel wie in
den Suffixsilben gesetzmässige, auf ein idg. Prototyp zurück-
gehende Erscheinungen (wie z. B. scrt. täkshan = griecb. rix-
Tcov)^) zeigen.
Zweitens werden wir zu der Kultur des idg. ürvolks
durch die Vergleichung der Altertümer, Sitten und Gebräuche,
Rechtsanschauungen und Religionsformen der idg. Einzelvölker
zurückgeführt. Bei dieser Vergleichung ist es meines Erachten«
eine Quelle unausbleiblicher Fehler und Trugschlüsse, wenn man,
wie es z. B. in den Lei st sehen Büchern (I*, 49) geschehen ist,
die höher zivilisierten unter den idg. Völkern, Griechen und
1) Ein gutes Beispiel hierfür geben die partiellen Gleichungen
für die Ziege ab: z.B. scrt. ajfa = lit. ozys; armen, aic =^ griech. oI{;
lat. haedus =^ got. gaits u.a., aus denen Lid^n Armen. Stadien p. 13
jetzt sogar eine besonders grosse Bedeutung der Ziegenzucht in der
idg. Urzeit folgert. Vgl. mein Reallexikon s. v. Ziege.
2) Ich folgere aus dieser Gleichung, dass schon in der Urzeit
ein gewerbsmässiger Handwerksmanti (näheres in meinem Keallexikon
p. 294) vorhanden war. Streitberg a.a.O. leugnet die Berechtigung
dieser Folgerung: ,,ist denn der Farmer, der ein Blockhaus zimmert,
kein rixTcav?*" Mit Verlaub, das ist er nicht, sondern er fungiert nur
als solcher. Sowohl das griech. xixxayv wie auch das scrt. tdkshan
schliessen immer das Gewerbmässige in sich ; dieses ist daher auch ffir
das idg. Prototyp dieser Wörter vorauszusetzen, so lange man nicht
nachweisen kann, dass das Suffix desselben damals noch eine rein
partizipiale Bedeutung gehabt habe. In dieser Beziehung kann ich
auch nicht mit Meringer Deutsehe Litz. 1906, No. 14, Sp. 860 über-
einstimmen.
129
iler (liier [iidi.T. Griefben und Italer getrennt von den tllirifii-n
Indü^ermanen itetraelitcl, um das iliiien von Urzeiten her gemein-
scliaftliche Kulturkapitnl xu ermitteln. Alle drei Vülker treten
bei dem Anhelten ihrer CberHcferang im Vergleieli zu den
enropäisclien Nordindogermaiien auf einer verhültni&mässig: Ijoben
Slufe der mitterielien nnd »ittlielieii Zivilisation uns entgegen.
Aber Italien ist ein halbe» Jaiirtausend vorher dem EinfliiBs der
griechischen Kolonien, Griechenland ungefähr eine gleiche Zeit-
dauer den kulturgesebir-htliehen Anregungen des phi^niicigetjen
Handelsverkehr ausgeeetKt gewesen. Die Cbereinstiminnug beider
Länder in dem Besitz gewigKer Kulturgüter oder knlturgescbieht-
lieL betlentender .Sitten und AiiHebauungen kann daher sehr wobl
diirc.b EntlehDung von ansäen, der Grieeben von den Phöniziern,
der Italer von deo Grieeben zustande gekommen sein, und ist
i« in zslillosen Fällen nachweisbar und tatsäehüeli. AucU die
Frage, üb und wie weit schon das alte Indien unter dem Banne
we^tasialiscber Kultur gcsljtnden hat, ist noeb keineswegs /.nv
t gültigen Entseheidiiug gekommen. Aber aneh, wenn man
dem 80 nahe liegenden Gedanken einer stnrkeii Entlehnung
aussen absiebt, ist es nicht in hobeui Grade wahrsebeinlicb,
* drei so nab verwandte V'llker, nachdem sie einmal die
Bnbn einer biUieren Knlliirentwieklung betreten hatten, aus den
von der Drzeit her ihnen gemeinsamen Keimen der Gesitlnng
heraus neue, und »war iliesellicn knliurgesi-biehtliidien Erwerbungen
maehteij, die nun den Schein eines einheitlieben, historischen
L'rBprangs envpeken? Ich sollte meinen, dass das, was K. B rüg-
Diann oben (P, 74) llber die Zufülligkeil in der Überein-
Ktimiunug gewisser .Spracherscheinungen hei einzelnen Gruppen
idog. Volker ausgeführt hat, anf dem Gebiete der Kultur-
jKbiehte eine verdop|>elte Bedentung habt-.
i All* der Hjeherste Weg, in die Urzeit der idg, Volker vor-
Bringen, empfiehlt sieb vielmehr der f<chon von Tbnkydides
I dem Motto dieser ganzen Abteilung) eingescblagene, nämlich
Ir Versuch, „das Barbarische" in den hellenischen Verbättuissen
ied einfinden, oder, moderner gesprochen, vim den zurück-
gi'bliebenen Verhältnissen der idg. Nordvfilker aus die Kultur-
entwicklnng der Inder, Iranier, Grieeben und Ri'juier zu verstehen.
ler diesen enropäischen Nordvölkern haben die baltisch-slavi-
I Stämme, und nntcr ihnen wieder die Litauer, Russen und
- 180 -
Serben, als Bewahrer höchsten Altertums eine besondere Wichtig-
keit. Ihnen, namentlich den Russen, in deren Sprache nnd
volkstümliche Überlieferung ich mich seit einer Reibe von Jahren
einzuarbeiten versucht habe, ist daher in den folgenden Duter-
suchungen besondere Aufmerksamkeit zugewendet worden.
Dass wir zur Erschliessung indogermanischer Knltnr-
verhältnisse zunächst ausschliesslich die bei indogermani-
schen Völkern vorhandenen Verhältnisse heranzuziehen haben,
ist, sollte ich meinen, selbstverständlich. Warum sollen wir, um
irgendwelche indische, griechische oder römische Zustände auf-
zuhellen, zu Hottentotten oder Buschmännern unsere Zuflucht
nehmen, wenn uns das reichste Material aus der Überlieferung
der den Indern, Griechen und Römern sprachlich nnd ethnisch
verwandten Litauer, Russen und Serben zuströmt? So hat
die Forderung, bei derartigen Vergleichungen, wenigstens zu-
nächst, ^innerhalb der Familie" zu bleiben, ihren guten Grund,
und erst eine weitere Aufgabe ist es, die so gewonnene Eigen-
art dieser Völkerfamilie mit der einer andern zu vergleichen.
Es ist ein ganz grundloser Vorwurf, den man gegen mich erhoben
hat, dass ich die „Volkskunde" als „eine quantiU n^gligeahk'^
betrachte, es mttsste denn sein, dass man Litauer, Serben und
Russen nicht als „Völker" und ihr Studium nicht als zur „Volks-
kunde" gehörend ansehe*).
1) Bei diesen methodischen Ausführungen glaube ich mich durch-
aus in Übereinstimmung: mit H. Oldenberg Indien und die Religions-
wissenschaft (1906) zu befinden. „Mehr und Sichereres als der Veda*,
heisst es hier p. 8, , würden uns über den Glauben der Indoenrop&er
wohl — so müssen wir jetzt annehmen — mittel- und nord-
europäische, germanische, litauische Materialien lehren, besftssen wir
nur solche Materialien aus annähernd ebenso hohem Altertum.* Wa8
den letzten Teil dieses Satzes betrifft, so wäre es ja natürlich für uns
noch wichtiger, wenn wir die litauischen und slavischen Materialien
aus um 1000 und mehr Jahre früheren Kpochen hätten. Dann würde
überhaupt die idg. Urzeit fix und fertig vor uns liegen, und wir
brauchten uns nicht der Mühe zu unterziehen, sie zu ersch Hessen. Im
allgemeinen aber hängt die Altertümlichkeit einer Überlieferung weniger
von der Zeit als von den Umständen ab, und gerade in dem Abschnitt
über die Religion (Kap. XV) werden wir sehen, dass das Christentum
im Nord Osten Europas die ursprünglichen Verhältnisse im ganzen
weniger beeinflusst hat, als so viel Jahrhunderte früher das Brah-
manentum in Indien — „Zu primitiven Formen des religiösen Wesens
Allein luait liat ^csiigl: die KiilMirziü^täiide, die Du auf
diesem von Dir gesoLJIderlen Wege ersehliefiBest , sind nichts-
einer lieslimmten ViHkergruppe, also iu diegem Falle den Indo-
germanen, spezieil EigeutUniHclies, sie finden sicli vielmehr
in allen primiliven Verhältniasen nnd müssen nicbt als etwas
^Individiieliea". sondern als etwas „allgemein MeiiscLIicIies" be-
zeiolinet werden.
Von diesem Einwand, der mit besonderer Emphase von
solchen Gelehrten geltend gemacht wird, die niemals anf irgend
einem Gebiete, weder der indogermanischen, noch der nichtindo-
^ennanischen Altertnmsltunde selbständig gearbeitet haben, und
daher geneigt sind, über die hierher gehörigen Fragen lieber zo
epeknlieren als sie zu untersuchen, wird man zunächst sagen
dürfen, dass er entweder richtig oder falsch ist, dass aber auch
in dem crsteren Falle nichts gegen die Berechtigung der Bestre-
bungen der indogermanischen Alteriiunskunde folgt. Denn wUrde
sich als Resultat laugjähriger Forschungeu, /u denen bis jetzt
nur die ersten Anfänge vorliegen, seine Richtigkeit herausstellen,
so würde sich eben nur zeigen, dass die Indogcmianen zur Zeit
ihrer ethnischen und linguistischen Einheit eine Anxahl von
.Stämmen bildeten, die sieh in kulturhistorischer Beziehung in
nichts von irgendwelchen anderen Horden der gleichen Zeitepoche
nnlerschieden, ein Ergebnis, mit dem wir uns, wie mit jedem
anderen wissenschaftlichen Ergebnis, abzufinden haben würden.
Tatsächlich ist aber jener Einwand ein unrichtiger und
beruht auf falschen Vorstellungen von dem, was mit Rücksicht
auf primitive Völkerverhältnisse als „speziell" oder „individnell"
/.u bezeichnen ist. Wohl kehren allgemeine Kulturschemata, wie
dae der Gastfreundschaft, des Brautkanfs, der Blutrache, der
Totenverehrung u. s. w., wie bei den Indogermanen, so auch hei
zahlreichen anderen Völkern des Erdballs wieder. Allein der
individuelle Charakter eines Volkes wird nicht durch das Vor-
handensein derartiger einzelner, bald hier, bald dort wieder-
kehrender Kuttursclicmata , sondern erst durch ihre Gesamt-
heit nnd ihr Ineinandergreifen bestimmt. Es ist dies ganz
weil jenaeits dnr indofuropäisflien ZuBtande" (
nncb Oldenberg p. II .die junge WIssünscIiAft der Klhnolo^
hierin stimme ich mit ihm durtihaus übercin.
.^
— 132 —
wie bei dem einzelnen Menschen: seine Nase, Augen, Ohren,
Haare, Arme, Beine kommen geradeso bei zahllosen anderen
Personen vor, und erst das Zusammentreffen gerade dieser
Nase, dieser Augen, Ohren, Haare u.s. w. bei diesem Indivi-
duum machen seine physische Individualität aus. Dazu kommt,
dass auch im einzelnen die nähere Ausbildung und Durchführung
jener allgemeinen Kulturscheraata, wie bei anderen Völkerein-
lieiten, so auch bei dem idg. ürvolk, je weiter wir in der Sprach-
und Sachvergleichung kommen, namentlich im Hinblick auf die
gesellschaftliche, rechts- und religionsgeschichtliche Entwicklung,
um so mehr „individuelle" Züge aufweist und aufweisen wird.
Wir hoffen, dass die folgenden Ausführungen, zu denen wir uns
nunmehr wenden, zahlreiche Beweise hierfür erbringen werden.
IL Kapitel.
Aus der Tierwelt
jhnis idg. Säugetiere. Löwe und Tiger. Die Jagd. Idg. Vögel-
Die Taube ein Totenvogel. Rechts und links. Die Falkenjagd^
Aal. Biene. Schildkröte. Ungeziefer.
ils soll im folgenden zunächst die Fauna ermittelt werden^
iT wir uns die Urzeit der Indogermanen umgeben denken
i. Hierbei soll vor der Hand ein Unterschied zwischen.
D und wilden Arten nicht gemacht werden; wohl aber wird
hon jetzt die Frage beschäftigen müssen, welche Schlüsse
18 der den Indogermanen bekannten Tierwelt auf die geo-
sehe Lage ihrer Urheimat ziehen dürfen. Auch einige
I; kulturgeschichtlich nicht unwichtige Beziehungen der
3lt zu dem Menschen sollen gelegentlich schon hier erörtert
D.
Und zwar lässt sich zunächst folgende Liste idg. Säuge-
an der Hand der Sprache zusammenstellen:
a) Raubtiere.
lund: scrt. Qvä\ aw. spä, armen. Jtun, griech. xvcov, lat.
canisj got. hundsj lit. szü, altpr. sunisy ir. cü,
No\t: scrt. üffca, aw. vehrka, armen, gaily griech. kvxogy
lat. lupusy got. rulfs, alb. uVJcy altsl. vlüJcüy lit. wilkaSj
altpr. wilkis,
Jär: scrt. fkaha, aw. arSa^ Pamird. ^ur^y armen, arjy griech.
äQXTogy lat. ursus (ir. art, alb. arif).
)tter: scrt. udrd, aw. udra, griech. vögog, ahd. ottir, lit.
udräy altsl. vydra.
Itis: scrt. kagikä', lit. sz^szkas (Fick B. B. HI, 165).
..I .
— 134 -
6. Pucbs: scrt. Updqd (auch „Schakal"), npers. rdbähj armen.
altes ^) (vgl. Httbschmann Arm. Gr. p. 415); griech. <pova
= got. faühö (vgl. Vf. B. B. XV, 135). Beide GleichuDgen
sind nicht sicher.
Auf die europäische Gruppe beschränkt:
7. Igel: griech. ix^vog^ ahd. igil, lit. ez^s, altsl. jeil (armen. oznk
8. Luchs: griech. Aryf, ahd. luhs, lit. lüszia.
9. Wiesel: lit. szermü, ahd. Aarmo, rätorom. Ä:armuin; griech.
alekovQoq = 9\\i\. wüil, wisul'^ griech. yaJl^ = cymr. ferf«.
Die beiden letzteren Gleichungen sind nicht sicher.
Auf die arische Gruppe beschränkt:
Schakal: scrt. srgäld, npers. shagäl (?).
b) Nager.
1. Maus: scrt. mush, npers. müs, armen, mtikn, griech. /ife,
lat. mu8j ahd. müs, altsl. myfi.
2. Hase: scrt. ga^ä, Pamird.^/a, afgh. «ot, altpr. sarins, M.
hasOy cymr. ceinach (Stokes B. B. IX, 88),
3. Biber: aw. hawri, lat. fiher, corn. hefer j ahd. hibar, lit.
Mhrüs^ altsl. bebrü.
Auf Europa beschränkt:
4. Eichhörnchen: ir. feoragh, cymr. gwytcer, bret. jM/ii^r
(*ü^üe?'-), altpr. weicarey lit. tcowerSy altsl. veverica (lat
vicerra „Frettchen").
c) Einhufer.
Pferd: scrt. dji^a, aw. o^pa, griech. ^uroc, lat. ejuti^, ir.wi,
alts. ehuy lit. aazwä.
Vgl. auch armen. J/, gen. jioy = scrt. A4ya.
Auf die arische Gruppe beschränkt:
Esel: scrt. khära^ aw. x^^(^'
d) Zweihufer oder Wiederkäuer.
1. Rind: scrt. gö', aw. gdo, armen, kow, griech. ßovg^ lat. hoi^
ir. böj ahd. cAuo, altsl. govqdo.
1) VieUeicht ist griech. aXiojirj^ eine Entlehnung aus Vorderasien.
Als Fabelheld erscheint der Fuchs im Griechischen erst bei dem Parier
Archilochos (frgm. 89). Diese Auffassung des Tieres ist wahrscheinlich
semitischen Ursprungs. Vgl. Vf. K. Z. N. F. X» 464 und über andere
Benennungen des Fuchses in Europa Vf. B. B. XV, 135.
- 135 -
2. Schaf: scrt. dvij griecb. oig, lat. ovisy ir. öiy abd. auivi,
lit. awiSj altsl. ovlca.
3. Ziege: scrt. ajdy lit. of^«; armen, ayts, griecb. äff; lat.
haedusj got. ^ai^8.
Aof den Ziegenbock bezieben sieb wobl aucb aw. büza,
armen, bucy abd. bocy ir. bocc und npers. öapisy lat. caper,
ahn. Äflf/r.
4. Cerviden: scrt. ;*5ya („Antilopenbock**), lat.-germ. alces
(abd. €'ZaA), russ. losi („Elen") und scrt. Sna {*elna)
„Antilope", griecb. Skacpog, ikXdgy lit. Mnis, altsl. jeleni,
cymr. elaifiy armen. eXn „Hirscb, Hirscbkub'^.
Auf die ariscbe Gruppe beschränkt :
Kamel: scrt. üshtra, aw. uitray npers. ustur^ Pamird. üshtur,
shtur, khtür,
c) Vielbufer.
Schwein: scrt. sükard, aw. At2, griecb. vg, \Ki,su8y abd. «t^,
altsl. svinija.
Femer europäisch: lat. «per, abd. ehur^ altsl. veprij
arisch: scrt. varähd, aw. varäza.
In dieser Liste ist meines Erachtens nichts enthalten, was
bei der Erörterung der Frage nach der Urheimat der Indo-
germanen zu 'verwerten wäre. Man bat zwar gesagt, dass das
Vorhandensein von Tieren wie des Bären, des Wildschweines,
des Eichhörnchens in der idg. Fauna das südliche Russland
von der ältesten Verbreitungssphäre der Indogermanen ausschlössen.
In Wahrheit aber liegen die Dinge so, dass die genannten Tier-
arten zwar, wie natürlich, in den völlig waldlosen Steppengegenden
des bezeichneten Ländergebietes gewöhnlich fehlen, in den die-
selben begrenzenden oder in sie hineingreifenden Waldgebieten
aber (vgl. Kap. IV) ebenso wie im übrigen Europa vorhanden
sind oder waren. Vgl. näheres bei A. Neb ring*) Über Tundren
1) So äussert Nehring über den Bären: «Endlich kommt auch
der braune Bär (Ursus arctos) in den nördlicheren von Wäldern
begrenzten und stellenweise mit Waldinseln besetzten Teilen unseres
Steppengebietes vor^, über das Wildschwein: f,Das gemeine Wild-
schwein kommt in den südrussischen und wolga-uralischen Steppen-
Gebieten heutzutage nur noch selten vor; früher war es stellenweise
sehr häufig", über das Eichhörnchen: „Das gemeine Eichhörn-
— 136 —
und Steppen, Berlin 1890 und Die geographische Verbreitung
der Säugetiere in dem Tsehemosem-Gebiet des rechten Wolga-
Ufers sowie in den angrenzenden Gebieten (Z. d. Gesellschaft f.
Erdkunde XXVI).
Dass ei*st recht nichts aus dem Fehlen gemeinsamer Namen
für gewisse l'ierarten geschlossen werden kann, ist bereits
Sprach V. u. ürg. P, 162 hervorgehoben worden.
Immerhin wird es notwendig sein, unsere Stellung zu der
viel erörterten (vgl. Sprachv. u. ürg. I', 92, 99, 105) Löwenfrage
in Kürze darzulegen.
Wenden wir uns zuerst nach Asien, so scheinen die noch
vereinigten Arier keine Bekanntschaft mit dem Könige der Tiere
gemacht zu haben. Sein Name ist in den Gesängen des Awesta
noch unbekannt. Wohl aber mussten die Inder nach erfolgter
Loslösung von ihren iranischen Brüdern bei ihrer Einwanderung
in das Fünfstroniland auf das furchtbare Raubtier stossen, wie
denn der Löwe schon in den ältesten Liedern des Rigveda ab
schrecklichster Feind der Menschen und Herden gilt. Seine
Benennung lautet im Indischen simhäy sithht, ein Wort, da»
entweder den unarischen Ursprachen Indiens entstammt oder au8
dem eigenen Wortschatz genommen ward, wo es dann ursprüng-
lich ein leopardenartiges oder ähnliches Tier (vgl. armen, ine =
siriihä „Leopard'') bezeichnet haben müsste.
In Europa dürften sämtliche Löwennamen (lat. leOj ahd.
leicOj UwOj louwo, slav. flüu, lit. lewas) mittelbar oder unmittel-
bar als Entlehnungen aus dem griech. XEcovy keUov zu betrachten
sein, auch wenn bei dieser Annahme einige lautliche Schwieri(^
keiten nicht ganz beseitigt werden. Den griechischen Löwen-
namen selbst wird man dagegen als einen auf der Balkauhalb-
insel einheimischen^ nicht aus den semitischen Sprachen (hebr.
ldhi\ assyr. lahbn, ägypt. fabu) übernommenen Ausdruck an-
zusehen haben, eine Auffassung, die sich auch sachlich wohl
begründen lässt.
Allerdings war der Löwe, der nach paläontologischen An*
chen (Sciurufl vulgaris) ist zwar von den waldlosen Steppenflicben
ausgeschlossen, kommt aber hie und da in unmittelbarer Nachba^
Schaft vor. So z. B. nach Kessler im Kiewschen Bezirk, nach
Czernay im Charkowschen Gouvernement, nach Pallas in den
Steppengehölzen an der Samara" usw.
zeigen (vgl. Lubbock Die vorgescbichtliche Zeit II, 5) einst fast
in ganz Europa verbreitet war, schon in der neolitbischen Periode,
z.B. ans der Fauna der Schweizer Pfahlbauten, im allgemeinen
verschwunden. Dennoch aber hatte sich nach den ausdrücklichen
und billig nicht zu bezweifelnden Nachrichten des Herodot
(VII, 125) und Aristoteles {^Hist. anim. D. 28) in Thrakien und
den angrenzenden Gebieten eine Löwenart bis in die historischen
Zeiten erhalten, so dass der Annahme nichts im Wege steht, die
Hellenen hätten in Europa selbst den Löwen kennen und benennen
gelernt. Wie aber griech. Utov zu erklären sei, ist noch nicht
ermittelt. Eher als U<ov könnte das daneben liegende kXg aus
dem Semitischen stammen (vgl. hebr. lajis).
Weit weniger zurück in die Geschichte der Indogermanen
geht jedenfalls der furchtbare Nebenbuhler des Löwen in der
Oberherrschaft über die Tiere, der Tiger. In Indien wissen
die Gesänge des Rigveda noch nichts von ihm zu erzählen, sein
Name ivyäghrd) begegnet erst im Atharvaveda, d. h. in einem
Zeitraum, in welchem sich die indische Einwanderung schon
mehr dem Ganges genähert haben musste; denn in den Rohr-
und Graswäldem Bengalens ist die eigentliche Heimat des Tigers
zu suchen. Auch unter den Raubtieren des Awesta geschieht
desselben keine Erwähnung. Die Landschaft Hyrkanien, von
deren Tigerreichtum die späteren Schriftsteller des Altertums
besonders viel erzählen, heisst damals Vehrhana „Wolfsland".
Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass, >vie H. Hübsch-
mann (Armen. Stud. I, 14) vermutet, der Tiger erst in ver-
hältnismässig später Zeit sich von Indien her über Teile West-
und Nordasiens verbreitet hat. Dazu stimmt das armen, vagr
„Tiger", das Hübschmann durch das Persische hindurch (npers.
habr^ jedoch älter papara K. Z. XXVI, 542) aus scrt. vyäghrä
entlehnt sein lässt. W. Geiger zählt, worin ich ihm nicht bei-
stimmen kann, den Tiger bereits zur arischen Fauna (vgl. La
cwUisation den Arias II, 35, extrait du Museon).
In Europa ward der erste Tiger um das Jahr 300 v. Chr.
in Athen gesehen. Der König Seleukus (Nicator) hatte ihn den
Athenern zum Geschenk gemacht, wie die Verse des Philenion in
der Neaera besagen:
wmsQ SiXet^xoi Aevo ejir/ays xtjv rr/Qtr
fjv etdofiev YjfAeXg. (Athen. XIII. 590.)
Setarader, Sprachvergleichung und Urgeschichte II. S. Aufl. 10
— 138 —
Über seine griechisch-römische Benennung bemerkt Varr«
der erste römische Autor, der des Tigers erwähnt: tigrü qui
ut leo varius; vocabülum ex lingua Armenia; nam ibi et sagUt^ ^
et quod vehementissimum flumen dicituvy Tigris, vgl. L. L. V, 5^ 0
p. 102, nur dass nicht im Armenischen, sondern im Iraniscb^^Q
tiyriy npers. tir „der Pfeil" bedeutet.
Aber auch wenn wir von Löwe und Tiger absehen, entb^.;t
die oben angeführte Liste idg. Säugetiere genug Vierfüssler f Clr
den Jagdeifer des Urvolks. Ein idg. Ausdruck für den Begriff
^Jagd" liegt in aw. ^azrd (azrö-dadi „Jagd machend^) = grieoh.
äyga (dygevoj, dygsvg) vor. Daneben hat auf drei auch sonst in
ihrem Wortschatz sich vielfach berührenden Sprachgebieten ein^
idg. Sprachwurzel von allgemeiner Bedeutung ttbereinstimmea
eine Beziehung zur Jagd und zum Wild erhalten. Es ist die
scrt. riy veti „losgehen auf, bekämpfen", das im lat. tenar-
ahd. weiday altn. veidr, agis. icäd {*i'oi'to) und im ir. /Vod „ Wild
fiadach „Jagd" (*veidho) wiederkehrt.
Im allgemeinen wird man sieh aber hüten müssen, der Jag
in dem Leben des primitiven Hirten und angehenden Ackerbaue
eine sehr bedeutsame Rolle einzuräumen. Wildpret wird de
Göttern nicht geopfert und nur in Zeiten der Not gespeis
Vielleicht hat daher Tacitus den Charakter unserer Vorfahre
richtiger beurteilt, wenn er in offenbar beabsichtigtem Gegensa
zu den Worten des Divus Julius de hello Gall. VI, 21 vita omni
in venationibus und IV, 1 multum sunt in venationibus Geruiani
Kap. 13 ausdrücklich sagt: non multum venationibus, plu
per otium transigunt, dediti somno ciboque. Der primitive Mensch
kämpft aus Not gegen die Tiere, zum Sport wird dieser Kampf
erst auf höheren Kulturstufen und erheischt dann spezielle Be-
nennungen. Charakteristis(jh ist in dieser Beziehung das russ.
ochöta „Jagd", das im Altrussischen (hier growi^i Jagen", eigentlich
„hetzen") noch ausschliesslich „Lust", „Vergnügen** bedeutet (vgl.
weiteres in meinem Reallexikon s. u. Jagd).
In der Vogel weit*), zu der wir nunmehr übergehen, er-
schwert die Ermittlung eines urzeitlichen Bestandes die schoi
1) Vgl, manches hierher gehörende bei 0. Keller Griech. am
lat. Tiernainen Ausland 1879 p. 441 ff., p. 470 ff. und A. v. Ediinge
Krklärun.i>* der Tiernamen.
— 139 —
her (vgl. P, 182) hervorgehobene Häufigkeit onomatopoetischer
dangen. So finden wir als charakteristisch:
Fflr die Eule: die Laute ü und bü:
sert. ülüküy lat. ulula, ahd. üwüa, lit. ^loasj — armen.
bO'Söy griech. ßvag, lat. bübo.
Fflr den Kuckuck: ku:
scrt. köküä, griech. xoxxv^j lat. cucülus, altsl. kukavica,
lit. kukütij ir. ct^acA (ahd. gouch?).
Für den Hahn: fcerfc:
scrt. krka-vä'kuy avv. kahrkäsüj kahrkatäSj npers. fcerfc,
kurd, fcurfc, afgh. cirgj osset. Äarä, Pamird. fcörfc, griech.
xiQxog (vgl. auch xegxa^' liga^j xegxdg' xge^j xegxi'&aXiq'
igcudiög, xegxvog' iega^ (Hesych), ir. cerc. Daneben er-
innert an den Kuckucks ruf: scrt. kukkufd, altsl.
kokotü, russ. köcetü, griech. xoxxvßöagy agls. cocc (ndd.
küken), frz. coq.
Für den Raben und die Krähe: qor:
griech. xoga^y lat. corvus — griech. xogayytj, lat. comix^
umbr. curnaco.
Für den Wiedehopf: up:
griech. Bicoxp, lat. upupa.
Für den Häher: ki-ki\
scrt. kikidwi(kiki)j griech. xiooa (aus *xixia)j ahd. hehara.
Für ein rebhuhnartiges Tier: te-ter, ti-tir.
scrt. HttM, npers. tederv, griech. ihga^, rhgi^, xetgaoiVy
lat. tetraOy altsl. tetrevü, lit. teterwa (mit vielfältigem
Bedeutungswandel).
Auch sonst haften an derselben Wurzel nicht selten die
^^nnnngen sehr verschiedener Vögel: vgl. z. B. \a,Ucicönia, cönia
Orch** und gena.hana, huon ^Hahn, Huhn", fjixavog' äXcTcrgvcov
^ Auch scrt. kap-6'ta „Taube", Pamird. kibit und ahd. habuh
^bicht" (miat. capus) scheinen auf dieselbe Wurzel (lat. capto)
8«en", „greifen" zurückzuführen.
Von derartigen Benennungen abgesehen, stimmen nur wenige
Sehiamen in asiatischen und europäischen Sprachen überein.
I nenne:
scrt. gyinäj aw. sciinö mereyö „Adler oder Falke", griech.
bcxTvog „Weihe" (armen, gin „milvus"?).
Bcrt. vdrtikä, Pamird. wolchj griech. dgzvS „Wachtel".
— 140 —
scrt. hamad, griech. xV'^i lat. anser (ir. g^is „Schwan**), germ.
gans, altsl. g({8i (viell. aus dem Genn. entlehnt), lit. i^lHtf
altpr. aansy „ein gangartiger Vogel^.
scrt. ätiy griech. rtjaoa^ lat. anas, ahd. anut, altsl. c^iy tit
dntis „ein enten artiger Vogel".
Häufiger sind Übereinstimmungen innerhalb Europas:
Ahd. arOy altsl. orilü, lit. erUlis, com. er „Adler** : griech.
oQvig „VogeP (vgl. griech. akrög „Adler" aus *a'h-j-eTog
n. Benfey : scrt. vi „Vogel", lat. avis).
Griech. yegavogy lat. grus, cymr. garan, ags. cran, lit. gSmiy
altsl. ieravi (armen. krunJc) „Kranich".
Griech. igwdiögy lat. ardea „Reiher".
Griech. xoyßixog, altsl. kosü „Amsel".
Griech. xiXX'OVQog (*xt-X-ia), lit. kUIe, lett. zälawa „Bach-
stelze" (Vf. B. B. XV, 127).
Lat. merula, cymr. mwyalch „Amsel", ahd. meisa „Meise".
Lat. turdela, mhd. drostel, lit. atrdzdas „Drossel".
Lat, picus, ahd. specht „Specht" {sert pika „Kuckuck"?).
Lat. stnrnus, ahd. stara „Star".
Lat. fuUca, ahd. belihha „Wasserhuhn".
Mit starkem Bedeutungswandel:
Griech. t/;a(> „Star", \sLtparray umbr. j7ar/a „avis augnralis''
(oder pärus „Meise"), ahd. sparo „Sperling".
So viel über die Benennungen idg. Vögel. Auch hier sparen
wir die Beantwortung der Frage, ob einige derselben schon in
vorhistorischen Zeiten in die Zucht des Menschen übergegangen
waren, für das folgende Kapitel auf, um dagegen schon hier die
Bedeutung zu würdigen, welche die Vogelwelt im Glauben oder
Aberglauben der Indogermanen besitzt.
Das Tier der Wildnis ist dem Menschen auf frühen Kultur-
stufen an sich ein Gegenstand scheuer Verehrung. An Fuchs,
Hase, Wolf, Wiesel usw., die auf dem Weg des Wandernden
oder in seinem Gesichtskreis erscheinen, knüpft derselbe freudige,
zumeist trübe Ahnungen, wie wir uns heute überhaupt kaum
noch eine genügende Vorstellung machen können von dem Grad
religiöser und abergläubischer Beklemmung, mit welcher die ver-
schiedenen Erscheinungen der Natur das Gemüt des Menschen
belasten*) (vgl. P. Schwarz, Menschen und Tiere im Aberglauben
1) Möglich ist daher, worauf neuerdings wiederum A. Meillet
— 141 —
der Griechen und Römer, Progr. Celle 1888 und L.Hopf, Tier-
orakel und Orakeltiere in alter und neuer Zeit, Stuttgart 1888).
In besonders hohem Grade gilt das Gesagte von dem Reich
der Vögel, deren unberechenbares und geheimnisvolles Kommen
und Gehen aus dem und in den Raum, in welchem man den
Sitz der Unsterblichen wähnte, sie vor anderen Tieren geeignet
erscheinen Hess, dem Menschen über den Willen der Götter oder
Aber das Dunkel der Zukunft Andeutungen zu machen. Auch
die Beobachtung, dass es Vögel sind, die zuerst den nahenden
Frflbling und Winter yerkttnden, mochte mit dazu beitragen,
ihnen die Gabe der Weissagung zuzuschreiben, obgleich es aller-
dings nicht in erster Linie Wandervögel, sondern zumeist Raub-
vögel sind, denen dieselbe eignet.
Einige Vögel sind an sich glück-, andere Unglück verkündend.
Zu letzteren gehört neben der Eule, was weniger bekannt zu
sein scheint, auch die Taube. Die Taube ist ein indog. Toten-
vogel, mag sie nun zu dieser Auffassung infolge ihres schwarz-
grauen Gefieders (ne/ieia : nekög; got. dübö : ir. dub „schwarz")
oder infolge ihrer klagenden, schon von den Alten bemerkten
Stimme gekommen sein.
Ulfilas tibersetzt Turteltaube (xQvycov) mit hraivadübo „Toten-
taube". Die Longobarden errichteten, wie J. Grimm (D. Myth.)
ans Paulus Diae. mitteilt, auf den Kirchhöfen neben den Gräbern
Stangen für auswärts gefallene oder gestorbene Blutsverwandte,
auf deren Spitze sich das hölzerne Bild einer Taube befand.
Die gleiche Anschauung begegnet uns im Veda. Hier ist
hap/fta „Taube" der Bote der NirftU des Genius des Verderbens,
and des Yama, des Totengottes. Charakteristisch hierfür ist
RigvedaX, 165:
1. Deväh Jcapö'ta ishitö' ydd ichdn dhütö' nirftyä iddm
äjagä'ma
tdsmä arcdma Tcfndvdma niahkftim gdm nö astu dvipddS
fäm cätushpadS,
„0 Götter, was die eilige Taube, der Nirfti Bote, suchend
[Qu^iquts hypotMses sur des interdictions du vocdbuLaire dana les
langues Indo-Europ^ennes, S. A. 1906) aufmerksam gemacht hat, dass
lie lückenhafte Überlieferung vieler idg. Tiernamen, z. B. beim Fuchs,
EUsen, Bären usw. mit einem Tabu zusammenhängt, das auf ihnen
mhte.
— 142 —
liierherkam, dafür wollen wir singen und Entsühnnng machen:
Heil Bei unserem Zweifüssigen, Heil dem Vierfttssigen.^
2. Qiväh kapö'ta ishitö' no astu anägä' diväh qakun/f
grheshu,
„Huldvoll sei uns die eilige Taube, ohne Unheil, ihr Götter,
der Vogel im Hause."
3. mä' nö hinstd ihä devdh Tcapö'ta,
„Nicht möge uns hier, Götter, die Taube verletzen."
4. ydsya dütdh prdhita ishd ität tdsmai yamä'ya wM
astu mftyave,
„Als dessen Bote diese (die Taube) hierher gesandt ist,
dem Yama soll Verehrung sein, dem Tode" usw.
Vgl. auch A. Weber Omina und Portenta. Abh. d. k. 6.
d. W. in Berlin 1858 und E. Hultzseh, Prolegomena zu Vcaani-
aräja gäkuna nebst Textproben, Leipzig 1879.
Im allgemeinen aber ist das Erseheinen oder das Gesehrei
desselben Vogels günstig oder ungünstig, je nachdem es von
rechts oder links erfolgt. Hierbei zeigt sich die eigentflmliche
Tatsache, dass den Kömern die linkseitigen Omina als glfick*
bedeutende, die rechtseitigen als Unglück bedeutende gelten,
während bei anderen indog. Völkern das umgekehrte VerhÄltni»
herrscht. Es wäre daher nicht ohne Interesse, die ursprüngliche
indogermanische Anschauung zu ermitteln.
J. Grimm (Geschichte d. D. Spr. „Recht und Link" p. 980
bis 996) hat sich diese Dinge in folgender Weise zurechtgele^:
Er geht von der unzweifelhaft richtigen Tatsache aus, dass die
Indogermanen sich ursprünglich in der Weise im Räume orien-
tierten, dass sie das Antlitz der Sonne zuwandten, so dass der
Süden rechts, der Norden links war. Der Beweis hierfür liegt
in der Übereinstimmung der arischen Sprachen und des Keltischen.
Vgl. scrt. prä'üc und pü'rca (= aw. pouru) „vorn" = Osten, Bcrt
dpara (= aw. apara) und dpäflc „rückwärts" und „westlich''
mit ir. airther „östlich" = griech. Ttagolregog „der vordere" und
ir. siar „westlich" und „hinten"; ferner scrt. ddkshina (=aw.
dasind) „rechts" = Süden, scrt. savyd „link" = Norden mit ir.
dess „rechts" und „südlich", tüath „links" und „nördlich". Einen
Rest dieser Anschauung hat auch das Germanische in seinem
ahd. nord usw. bewahrt, welches dem umbrischen Adjektivom
143
„ad siuislrum" eulfpricbt (griech.
„Binistro'^, nertrulu
„unten befindlicli").
;r Norden war also links. Da nun, so argumentiert
rimm weiter, das Altertum die Wolmung der Götter naeb
den setzte, so war ea natürlich, dass die von links kommenden
ihen Für giflckbringend galten. Diese Anäclmnung haben die
mer bewahrt. „Die Griechen aber und alle anderen mit ihnen
rin Dbereinatimmenden VJSlker. in der Wanderung gegen Westen
^ffen, mussten eich gewöhnen, den Blick nach Abend statt
(Morgen zu richten, und der heilbringende Norden trat für
«r rechten Seite, während er früher zur linken gestanden
Diese Darstellung enthält mehrere Unwahrseheinlichkeiten.
will nur eine hervorheben. Die Inder, die dot-h keines-
b von Osten nach Westen wanderten und auch die Ursprung-
iie Orientierang in den Himmelsgegenden beibehielten (vgl.
kbau = ddkahina), hätten, wenn J. Oriinras Ansicht die
btige wäre, doch in jedem Fall die alte Anscbaunng von der
IkJiehen Verheissnng der linkseitigen Omina beibehalten niUssen.
' schon im Rigveda gilt die rechte Seite fllr glückbringend.
Bgv. II, 42 :
3. dea leranda dakshivalo grhä'nävi mumangalö' lihadrnvädt
mtl.
„Schreie, o Vogel, rechtsber vom Hause, indem Du Glöck
bringet und Segen verkündest",
JRgv. 11, 43:
1, pradakxhinid ahhi grnantt kärdpd vdi/6 vddanta rtuthä'
tiaat/ah,
- bV"" rocbts her singen die Preissänger, die Vögel, welche
Ordnung gemäss sprechen."
Im Gegensat/, hiei-zu vergleiche die Bedeutungen von cä'ma
k, schief, verkehrt, ungdustig nsw." m. „die linke Hand",
hUngonst, Unheil".
TAxT acheint daher aus der Übereinstinnnnng des Sanskrit,
ischeu und Germanischen {vgl. J, Grimm a. a. 0. p. 984
icero div. II, 94- ita nohhs sinistra i-ideutur, Graji» et
dextra meliora vielmehr zu folgen, dass diese Sprachen
Olker die ursprüngliche Anschauung bewahrt haben,
tte „reehw — links" = „glücklich — unglücklich" in diesem
- 144 —
ZuBammenhang ursprünglich niit den Himmelsgegenden an «eh
ttberhaapt nichts zu tun^ sondern beruhte lediglich auf einer
symbolischen Übertragung der Auffassung, die man von der
rechten und linken Hand von jeher hatte.
Das indog. Wort für „rechts" (scrt. ddkshina, aw. da&naj
altsl. desinü, lit. deazini, griech. deSiog, lat. dexter, altsl. deMj
alb. dja^te, ir. dessj got. taihsvö) bedeutet fast überall zugleich
„tauglich, geschickt". Vgl. auch alts., agis. suithora, svidrt
^rechte Hand", d. h. „fortior, citior", nihd. diu bezzer hant
(J. Grimm a. a. 0. p. 987;. umgekehrt gehört griech. laidgf lat.
laevus, altsl. I^vü zu griech. hagög „tepidiiSj lenis^j ahd. sUo^
alts. aliu „matt, lau" (St. *8laivo : *8lwo)^ scrt. a-^ri-män „nicht
ermattend" und in ganz ähnlicher Weise möchte ich auch unser
link erklären. Ich stelle ahd. lencha „linke Hand", niederrh.
slinc (St. *slenqo) : griech. Xayaoog „schmächtig" (St. ^slng-) und
lat. langueo „matt sein" (St. *8lng'), Got. hleiduma : griech. xiivk
„Abhang" ist wohl „die schiefe" im Gegensatz zu rechts, urspr.
„gerade" (vgl. auch lat. clivium auapicium).
Von der rechten Seite kamen also die glücklichen Anzeichen,
weil rechts so viel wie „tauglich", „geschickt" war, von der
linken die unglücklichen, weil links für „matt" und „kraftlos"
galt. Hierin wird man also die älteste idg. Anschauung erblicken
dürfen und es der römischen Altertumskunde überlassen müssen,
die daneben in Italien auftretende Lehre von der Gunst links-
seitiger Omina zu erklären (vgl. Näheres in meinem ReallexikoD
s.v. Rechts und links und bei F. B. Jevons Indoeuropean
modes of orientation, Classical Review X, 22).
Schliesslich und mehr beiläufig sei noch auf eine Rich-
tung hingewiesen, in der die Vogelwelt, wenn auch nicht in der
Zeit vor der Trennung der Indogermanen und nicht bei allen
idg. Völkern, von kulturhistorischer Bedeutung geworden ist, anf
die Sitte, mit Falke, Habicht, Sperber usw. kleineres Wild zu
jagen. Wann und wo ist diese Jagdart zuerst aufgetreten?
V. Hehn (Kulturpflanzen und Haustiere' p 368) behauptete,
die Falkenjagd sei keine deutsche Übung, sie sei vielmehr den
Deutschen von den Kelten zugekommen, und nicht einmal in
sehr früher Zeit. Für diese Aufstellung scheint mir aber jeg-
licher Bewci» zu fehlen; denn die Jagd mit Vögeln lässt sich,
wenigstens in früheren Epochen, bei keltischen Völkern übc^
- 145 -
aupt nicht nachweiseD, und was die Wortreihe ir. sebocc, eymr.
»baue — ahd. habuh, altn. haukr „Habicht'' anbetrifft, so sind
cht, wie Hehn glaubte, die Germanen, sondern umgekehrt die
elten (vgl. Thurneysen Kelto-roroanischei p. 22) der ent-
hnende Teil.
Im IV. nachchristlichen Jahrhundert muss die neue Jagd-
eise bei den Römern aufgekommen sein (vgl. Bai st Z. f. D. A.
L. 1883 p.94 und W. Brandes Arch. f. lat. Lex. 1886 p. 141
xipUer „Jagdfalke''), und es ist nicht unwahrscheinlich, dass
ß auf romanischen Boden vom germanischen her eingewandert
t. Hierfür sprechen eine Reihe romanischer Termini der Falken-
gd, die sichtlich germanischen Ursprungs sind : so it. sparaviere,
Ä- ipervier : ahd. spar wärt „Sperber" ; it. gerfalco, sp. geri-
'Itey prov. girfalcj frz. gerfaut : altn. geirfalki „Sperfalke"
laist a. a. 0. p. 59) oder aus geierfalke\ it. logoro. frz. leurre :
hd. luoder „Lockspeise". Auch ahd. fdlchoj altn. falke, miat.
IcOj it. falcone, frz. faucon, wenngleich ich der von Bai st
»rgeschlageuen Ableitung von fallen nicht beistimmen kann,
beint, namentlich wegen seiner häufigen Verwendung zu alt-
omanischen Eigennamen, viel eher barbarischen als romanischen
rsprungs zu sein (vgl. Baist a.a.O. p. 58).
Ist dies aber richtig, so könnte die Falkenbeize, da Cäsar,
inias, Tacitus sie noch nicht bei den Germanen kennen, hei
tnselben erst im zweiten oder dritten Jahrhundert aufgekommen
in. In diese Zeit aber, d. h. ungefähr in die zweite Hälfte
iS zweiten Jahrhunderts fällt die Wanderung der Goten an die
itere Donau und das Schwarze Meer. Südlich nun von der
^oan, im alten Thrakien, war, wie wir aus Aristoteles H. A.
36, 4 wissen, die Jagd mit Habichten schon in vorchristlichen
rhrhunderten geübt worden; doch hat die hier geschilderte
gdweise, bei der Habicht oder Sperber mehr zum Erschrecken
j zum Fangen der kleineren Vögel gebraucht werden, im ganzen
voig mit der eigentlichen Beizjagd zu tun, deren Ursprünge
>bl überhaupt nicht in dem Waldland Europas, sondern in den
»ten Steppen und Ebenen des Ostens zu suchen sind.
Tatsächlich finden wir nun, dass zu den den Germanen
aachbarten Slaven die Kenntnis der Jagd mit Falke und
erber durch turko-tatarische Stämme, bei denen diese Jagd-
jse offenbar uralt ist (vgl. Vamb6ry Primitive Kultur p. 100),
- 146 —
schon in der Epoche ihres vorethnischen ZusammenbaDgs gebracht
worden ist^ wofür n. a. das schon der slavischen Gmndspracbe ein-
verleibte türkische Tcaragu, Jcergu ^Sperber^ (= altslov. Jcraguj
usw.) ein gewichtiges Zeugnis ablegt. Auch andere bereits
urslavische, aus dem Türkischen stammende KnlturwOrter wie
altsl. klobuJcü ^pileus*^ (russ. Mohuöökü ^die Falkenkappe*') ans
türk. kalpdk oder altsl. tvarögü ^geronnene Milch^ aus türk.
turak (vgl. Peisker a. u. p. 162 a. 0. p. 122) weisen auf frühe nnd
enge Beziehungen der Urslaven zu turko-tatarischen Stämmen hin.
Im ganzen möchte ich also glauben, dass die Falkenjagd Ton
turko-tatarischen Völkern ausgegangen und durch slavische Ve^
mittlung zu den Ostgermanen gelangt sei (vgl. unten p. 161 f. über
das Kamel), die sie auf den Zügen der Völkerwanderung Aber
Europa verbreitet haben.
Unter den asiatischen Kulturvölkern bezeugt sie Ktesias
{op. reliquiae coli. Bahr 250) aus Indien, ohne dass aber die
indischen Quellen, soviel ich weiss, eine Bestätigung dieser
Nachricht gebracht hätten. Dagegen sind ihre unzweifelhaften
Spuren neuerdings durch assyrische Inschriften, die aus der
Mitte des VII. vorchristlichen Jahrhunderts stammen, in Assyrien
und Babylonien nachgewiesen worden. Vgl. meine Bemerkungen
zu V. Hehns Kulturpflanzen und Haustieren', p. 374 (hinan-
gekommen an neuerer Literatur: P. Dahms Uie Beizjagd in
Altpreussen, Archiv für Kulturgeschichte II, 1 ff.).
Hinsichtlich der übrigen Tierklassen soll hier nur anf
zweierlei hingewiesen werden. Einmal auf drei Tiere, die in
der Heimatsfrage eine Rolle gespielt haben oder noch zu spielen
berufen sein dürften, unter den Fischen auf den Aal, unter den
Insekten auf die Biene, unter den Amphibien auf die Schild-
kröte.
Auf die Frage, ob aus den europäischen Benennungen des
Aals : lat. anguüla, griech. iyxe^vg, lit. ungurgs^ russ. u^oriusw.
ein schon indogermanischer Name dieses Fisches erschlossen
werden darf oder nicht, ist schon P, 162 hingewiesen worden.
Wir haben daselbst die Ansicht ausgesprochen, dass dies nicht
der Fall sei, dass vielmehr die indogennanische Grundbedeutung
^^Her genannlen Werter noch ,.Sohlaiise"') oder „Wunu" war.
^^btdessen febll es docb nicht au Gelelirteo, die, sei cb aus gnech.
^^gfX'^'^' '"i'- aiiguUla, sei es aus griecli. aeol. Tfißijffi;, lit. «n-
^Htari/« (sri Fick P, 363) ein idg. Wort für den Aal folgern.
^^ßht nun nach ßrelims Tierleben, Fisebe ^ p. 399 der Aal iu den
OewHssern des Scbwar/eu Meeres nielit vorkommt, so würde
dieses grosse Lfindeigetiiet Hlr die Lokalisierung der Heimat der
lodogernianeii niclil in Betrai-ht kommen, vorausgesetzt — dass
li« Angaben Brehms richtig sind. Bei der Wichtigkeit dieser
Präge habe ich mich daher um nähere Auskunft an einen der,
renn nicht den besten Kenner der Fisebe des Schwarzen-Meer-
Icbieta, Herrn Dr. G. Antipa in Bukarest, Direktor des dor-
;et) uatarbistoriscben Museums, geweudet. Seinen Mitteilungen
bitoebme ich das Folgende. Zunächst ist es eine TatsBcbe,
heutzutage Aale sehr oft im Schwarten Meer nnd in der
[ gefangen werden. Die Frage kann daher nur die sein,
I Aale ron jeher in den genannten Gewässern gelebt habeui
ob sie etwa erst durch Deutsehe und Österreich isc he
i«cherei vereine seit den fiOer Jahren kUiiarlicb eingesetift worden
Gegen die lelKtere Annahme spricht erstens, dass in der
Uten Fischereiliteratnr sich öfters Angaben Über den Aal in der
koiisu oder in den Gewässern des Sehwarzen Meeres finden
hg\. z. B. Marsigli Danuhius pannonivo-mijakun IV, ö vom
l^hre 1744: „Mais les habitaiitx de Vienne, de Lititz, de Crem»
f dee atttres d/le» situ^^s sur le Jianube atieuhnt le contrair^y
mlich dass Aale, die bis zu 4 Pfd. wögen, in der Donau
I und zweitens, (iass die alten russischen (vom Don, der
frolg», dem Kuban, den DnieprmUiidungeu) und griechiseben
Kjfaer, von denen die ersteren den Aal ugon, die letzteren
' nennen, und mit denen Herr Antipa häufig zu verkehren
t) .Schlang', nicht , kleine Schlange'', da man die betreffenden
vortbildangen Icanm ab Diminutiva aatfaesen kann. Damit verliert
r Einwand Penka« (Mitteil. d. antbrop. Ges. in Wien XX XI 11, 355),
t sei unmöglicb, dan8 man den bis zu 1,50 m grossen Aal als „kleine"
iblange beKeiclinet habe, da doch die ^riiss te europiiiscbe Schlange,
I Ringelnatter, nur 1,60 m gross werde, den Boden. Dass man aber
den Aal als Schlange nnffasste (altir. esc-uitg, wörtlich „Snmpfschlange*),
kann keinen Augenblick bezweifelt werden. Vgl. nnch v. Edllnger
Tiernamen s
. Aal und n
I Roaltexikon.
- 148 -
amtliche Veranlassung bat, sich erinnern, Aale, wenn auch selten,
von jeher gefangen zu haben. Was sodann die Meinung der
Ichthyologen betrifft, dass der Aal in den Gewässern des Sehwarzen
Meeres sich nicht vermehren könne, da er nur in den grossen
Tiefen des Ozeans laiche, und das Wasser des Schwarzen Meeres
«chon bei einer Tiefe von 150 m mit Schwefelwasserstoff ver-
giftet sei, 80 glaubt Herr Antipa, dass es doch sehr leicht
möglich sei, dass die Aale auch im Schwarzen Meere Teile mit
reinerem Wasser gefunden hätten, wo sie laichen konnten. Vor
allem aber hätten sie, wie manche andere Fischarten, regelmässig
aus dem Mittelmeer in das Schwarze Meer wandern können.
Auf Grund aller dieser Tatsachen und Möglichkeiten hält Herr
Antipa es für das wahrscheinlichste, dass Aale, wenn auch in
geringerer Zahl als andere Fische, von jeher im Schwarten
Meer gelebt hätten, und ich möchte hinzufttgen, dass ich mir
ohne diese Annahme das Vorhandensein eines gemeinslavischffl
Namens des Fisches, nämlich des oben genannten russ. ugori
(kleinruss. uhor, serb. ugor, poln. wqgorz, öech. ühof usw.) übe^
hanpt nicht erklären kann.
Über die Verbreitung der Honigbiene, deren Vorhanden-
sein im Urland der Indogermanen aus der Gleichung scrt. mddku,
aw. maöuj griech. /leih, ahd. meto, ir. mid, corn. med, altsl. medüi
altpr. meddo, lit. midüs, medüs „Honig" und „Met" folgt, wurde
schon Sprachv. u. ürg. P, 127 an der Hand eines Aufsatzes
Eöppens gesprochen. Es folgt aus seinen Angaben, dass von
der ältesten Verbreitungssphäre der Indogermanen die besonders
häufig als Ausgangspunkt der letzteren in Anspruch genommenen
Oxus- und Jaxartesländer ausscheiden. In Europa ist die Honig-
biene überall verbreitet, besonders in den ungeheuren Linden-
waldungen des europäischen Russland, wo der lipecü : lipa „Linde''
fttr die feinste Sorte Honig gilt. Sie kommt bis tief nach Klein-
russland vor, und selbst mitten im Steppengebiet kennen wir
zwischen Orenburg und Perm das „Honigland^ der Baschkiren
(vgl. F. W. Gross im Neuen Ausland I, H. 17 — 19).
Bisher noch nicht für Heimatsbestimmungen verwandt ist
die Schildkröte, obwohl sie dazu wohl geeignet erscheint. Dass
sie in dem Urland der Indogermanen vorkam, geht ans der
Gleichung griech. ;^e7i'<r, ;^fAo>i'?;, aeoL x^^^^^h auch;|r£>lo>v(J^(He8.) =
altsl. i%, zelüm, ^elvi, bezeugt also in einer Centam- und einer
- 149 -
Satemsprache (vgl. obeu p. 127), mit Sicherheit hervor. Hier an-
zQgliederD dürfte auch das in Glossen bezeugte lat. golaia ^) sein^ da&
in dem it. golola, galora (dial.) wiederkehrt, während das sert.
karmufa zu schlecht belegt ist, um etymologisch verwendet werdea
ra können. Dagegen liegt eine arische Gleichung in scrt. kaqydpa
= aw. kasyapa vor. Was nun die Verbreitung der Schildkröte
inbetriffty so dringt Emys lutaria „die europäische Sumpfschild-
cröte^, um die es sich mit Rücksicht auf die nördlicheren Länder
illein handeln kann, nach Brehms Tierleben (3. Aufl.) in Ost-
europa bis zum 56. Grad nördlicher Breite (in Russland östlich
m zum Syr-darja), in Westeuropa aber nur bis zum 46. Grad
fOT. In Deutschland ist sie noch aus Brandenburg und Mecklen-
t>nrg bezeugt. Hingegen fehlt sie, wie mich Erkundigungen bei
Berm Prof. Möbius, dem früheren Direktor des Kieler zoologischen
lllnseums, und bei den zoologischen Instituten von Kopenhagen
ind Stockholm belehrt haben, in Schleswig-Holstein, in ganz
Dänemark, Schweden und Norwegen. Ihre Abwesenheit in
Island wird schon in Giraldi Cambrensis Topographia Hihernica
^Rer, Brit. medii aevi Script. V) p. 62 [caret tortuis) hervor-
^hoben.
Allein schon an dem Panzer dieses Tierchens würde also
lie Lehre Penkas von dem südskandinavischen Ursprung der
[ndogermanen scheitern (vgl. F, 112); aber auch die Anschauungen
iron Much, Kossinua (P, 117) und Hoops (1^ 129) müssten zum
mindestens eine starke Einschränkung erfahren.
Dass die Schildkröte in den nordeuropäisehen Ländern
nicht beimisch ist, lässt sich auch aus den Einzelsprachen wahr-
scheinlich machen. Ein gemeingermanischer oder altgerma-
[118 ob er Ausdruck für das Tier scheint zu fehlen*), und die in
[>ent8chland seit mittelhochdeutscher Zeit ei*scheinenden Wörter
Khüdkrote, schildkrot (vgl. Grimms W.) tragen, ebenso wie das
holländische schildpadde, das schwedische sköldpadda, das alt-
3nglische tortuce, das neuirische sleagdnach (von sleagdn „Schale")
1) Dafür eingetreten testüdo von testa „Schale" und *tortüca
= frz tartuej prov. tortuga von tortus ^krumm". Ahnlich scheint die
jmndbedeutung des armen, kray ^Schildkröte" zu sein (vgl. Lid^n
Irmen. Stud. p. 118). Vgl. auch cymr. cetvban ^Schildkröte" von ceicb
.gebogen".
2) Ist agls. fen-'jce „Sumpfkröte" ^= Schildkröte?
— 150 —
•den Stempel der Neuheit oder Entlehnang an sich. Die slaviBehen
Sprachen haben, wie natürlich, das nrslavische *&ely = x^^
bewahrt (nsl. ^^dva, bulg. älüva, öech. ielv, poln. £otw\ kleinnus.
letv). Nur die Grossrussen haben charakteristischer Weise bei ihrer
starken nördlichen Ausbreitung (Moskau liegt ungefähr auf dem
56. Grad nördlicher Breite) das Tier ans ihrem Gesichtskreis und
damit das Wort aus ihrer volkstttmlichen Sprache verloren. Sie
sagen dafür derepächa von 6^repü „Schädel, Schild". Die Litauer
haben den umschreibenden Ausdruck geleiini voarli y^eisemer
Frosch ^^ In Südrussland aber, auch in der Steppe, ist die Schildkröte
sehr häufig, und es ist in hohem Grade bemerkenswert, dass
Herr Ghwoiko bei seinen Ausgrabungen am mittleren Lauf des
Dniepr, von denen in den folgenden Kapiteln noch öfters die
Rede sein wird, auf dem Boden der von ihm aufgedeckten Wohn-
gruben ganz regelmässig ein Paar Scbildkrötenschalen gefunden
hat. Da diese immer nur auf das Vorhandensein eines Exem-
plars schliessen Hessen, so zweifelt Herr Ghwoiko, dass das Tier
zur Nahrung gedient habe (vgl. Trudy XI archeologiieskago
süe^da vü Kleve T. I, 762, 800). Eher könnte man an irgend
eine religiöse Bedeutung des Tieres denken *) (vgl. die Nachrichte
über eine solche bei 0. Keller Die Schildkröte im Altertnnm
Prag 1897). Nun ist freilich hinzuzufügen, dass Emys lutari
in vergangenen Erdepochen, in glazialer und postglazialer Zei*;
wie sich durch fossile Moorfunde erhärten lässt, in den obes
genannten Ländern, in denen sie in historischer Zeit verschwunde:^
ist, einstmals vorhanden war. Den Anhängern jener nordenrc^
päischen Heimatshypothesen läge daher die Aufgabe ob, z."«:
beweisen, dass die Schildkröte erst nach Abzug der Indogermanes:'
aus jenen Ländern ausgestorben sei, so dass sie den Namen diesem
Tieres noch mit sich führen konnten. Wir vermeiden es, jea^
nebelgrauen Fernen in die Erörterung der idg. Heimatsfrage^
wie wir sie verstehen, hereinzuziehen (vgl. Kap. XVI, Urheimat)'
Die zweite hier zu erwähnende Tatsache ist das Vor-
handensein auffallend zahlreicher idg. Gleichungen fürüngeziefer
1) Auch wenn nach Herodot I, 47 König Krösus von Lydien
eine Schildkröte kocht, Ijlsst sich hieraus nichts auf einen Gebrauch
des Tieres zur Nahrung schliessen; denn nach dem Zusammenhang
der Steile will Krösus offenbar etwas ganz ausserordentliches tun, was
kein Orakel auf Erden solle erraten können.
— 151 —
aller Art: z.B. afghan. vra^, armen, luy lit. blusäy altsl. blücha
(auch griech. ywkXa, lat. pülex?) für den Floh; griech. xovk,
agk. hnituj alb. ^evi (auch lit. glinda and lat. {«tm.^) für die Laus;
griech. fwla^ lit. musi, altpr. muso, altsl. müSica, lat. mu^ca für
die Fliege; aw. maom, altn. maurr, ir. moirhy altsl. mravija
für die Ameise a. a. Bei dem kosmopolitischen Charakter
dieser Tiere dürften sie davor sicher sein, in der Heimatsfrage
verwendet zu werden; doch kann die frühzeitige Festsetzung und
zähe Bewahrung dieser Ausdrücke als charakteristisch für die
primitiven, am häufigsten in Erdgruben gelegenen Wohnungen
des Urvolks (vgl. Kap. X) betrachtet werden.
III. Kapitel.
Die Haustiere.
Archäologische, linguistische, historische Tatsachen. — Ältester Bestand
idg. Haustiere: Hund, Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Pferd. — Fahren
und Reiten. — Älteste Geschichte des Maultiers, E^els und Kamels. -
Die Katze. — Das Geflügel. — Die Urheimatsfrage.
Wer heute in einen deutschen Baaernhof tritt und das
freundliche Leben betrachtet; das sieh hier entfaltet: wie das
stolze Ross gehorsam seineu Nacken dem Joche beugt, wie die
Kuh ihr strotzendes Euter der Melkerin darbietet, wie die reich-
wollige Schafherde zum Tore hinauszieht, Begleitet von ihrem
treuen Hüter, dem Hund, der sieh wedelnd an seinen Hemi
schmiegt, dem scheint dieser trauliche Verkehr zwischen Mensch
und Tier so natürlich, dass er kaum begreifen kann, es sei ein-
mal anders gewesen.
Und doch führt uns die Prähistorie in eine Epoche nnsercs
Erdteils, in der es weder die genannten noch irgend welche
andere Haustiere gab, in die paläolithische oder ältere
Steinzeit. Zu welcher ihrer Stationen in Frankreich, der
Schweiz, in Thüringen (Taubach bei Weimar), in Mähren, in
Südrussland (am Dniepr) usw. wir uns auch wenden mögen, nir-
gends sind in derjenigen Zeit, in welcher der Mensch noch als
Jäger und von einer anderen Tierwelt als der heutigen, dem
Mammut, Flusspferd oder (später) dem Renntier, wilden Pferd
usw. umgeben lebte, Tierknochen zutage getreten, deren Be-
schaffenheit den Forscher auf die Haustiereigenschaft der
betreffenden Individuen zu schliessen erlaubte.
Das Bild ändert sich sofort, wenn wir zur Betrachtung
der neolithischen oder jüngeren Steinzeit übergeben.
Überall ist es hier im grossen und ganzen und mit den in der
Natur derartiger Nach Weisungen liegenden Schwankungen die-
selbe Sechsheit von Vierfüssleru, nämlich:
Hand, Riiul, Scbaf, Ziege, 8cbwein und Pferd,
die nna ebcDso in der Schweiz wie in Oberösterreifli, in Meckleo-
hnrg wie in Süliwedeii und Dänemark im Znstand der Zäbniung
enlgef^entreten. Eine gute Übersicht über diese Verhältnisae
hat nenerdings M. Much Die Heimat der Indogermanen^ p. 177 ff.
gegeben, der nnr binitiizufügen ist, uui vor der falscheD Vor-
tlellnag za bewahren, als ob etwa nnr die westlichere Hälfte
unseres Erdteils dorcb den angegebenen Besitz ansgezeichnet
»ewesen sei, dass dieselben Haustiere aueh dureh die Aus-
'rabungen des Herrn Chwoiko in Kiew (Arbeiten des archaolo-
pschen Kangresses in Kiew, Mosliau 19U1) in der von ihm am
nittleren Lauf des Dniepr aufgedeckten neolithiseben Kiillnr
laehgewiesen worden sind. Im übrigen bietet der gesebilderte
ftefnod von Hanstieren der neoUthischen Zeit noch zu zwei
B^merknngen Anlass. Einmal zu der, dass zwischen der hana-
ierloseu paläolitbischen nnd der baastierreiefaen neoUthischen
^eit eigentliche Übergangsepoeben sich nicht oder doch nur
n sehr beschränktem Masse nachweisen lassen. Eine Ausnahme
iiachen in dieser Beziehung die dänischen Muschelhaufen, in
leren untersten Schichten bereils die Anwesenheit des Haus-
mnds bat festgestellt werden krtnnen (vgl. znletzt K. Helm
Sessische Blätter f. Volksk. IH, 21). Ein gleicher Zustand
vurde aber auch am LadogaSee in Bnssland aufgedeckt, wo
^QU^in (vgl. das Werk Inostrsnzews Der Mensch der Stein-
leit am Ladoga-See) unter zahlreichen Knochen wilder Tiere
: Haustieren ebenfalls nur den Hund, und zwar bereits in
Rassen, auffand.
Zweitens ist zn bemerken, dass sieh hinsichtlich der Her-
ruft der aufgeführten neoHthiBchen Haastiere ein Umschwung
ler Meinungen insofern vollzogen hat, als die frUher allgemein
lerrachende Annahme ihrer asiatischen Abstammung jetzt nahezu
mfgcgeben ist, nnd man mehr und mehr dazu neigt, dieselben
t(m in Europa selbst einheimischen Wildrassen abzuleiten, den
llimd von schon in diluvialer Zeit in Europa lebenden Wild-
bunden, das Rind vom Urusstier {Boi primigeniug), Schaf und ■
Ziege von den noch heute zerstreut im südlichen Europa vor-
kommenden Mnflon und der wilden Bezoarziege, das Schwein
( bentigeu Wildschwein, das Pferd von dem seit paliioUtlii-
r biK tief in die bistorische Zeit auch in Europa vorkommenden
ler. Sprach veröle leb uiig und Urgetch lebte II. ». Aufl. 11
- 154 -
Wildpferd (vgl. A. Otto Zar Geschichte der ältesten Hattstiere^
Breslau, C. Keller Die Abstanimang der ältesten Haustiere,
Zürich 1902, auch M. Much a.a.O.)* Man yergleicbe hiermk,
was im ersten Teil dieses Werkes p. 9 ttber die Anschannngei
so hervorragender Forscher wie H. F. Link a. a. berichtet
wnrde, die von der zentralasiatischen Herkunft unserer Hmstiere
damals als von einer selbstverständlichen Tatsache aus^ugoi.
Von dieser Übersicht über den neolithischen Bestand n
Haustieren wenden wir uns den sprachlichen und histori-
schen Tatsachen zu. Hinsichtlich der ersteren ergibt sich, da»
für alle sechs in der jüngeren Steinzeit in Europa nachweisbarai
gezähmten Vierfttssler unzweifelhafte idg. Gleichungen vorhaodei
sind. Die wichtigsten sind die folgenden:
1. Der Hund: scrt. (;t)ä\ aw. spä^ armen, iuny griech.
xvcov, lat. canis^ ir. cü, ahd. hund (vgl. Osthoff Parer^ I,
240), lit. 8ZUj altpr. nunis,
2. Das Rind: scrt. uJcshän, aw. uxsan, got. aühsay cjnr.
ych ^der Stier"; scrt. gö\ aw. gäOy armen, kov, griech. ßokj
lat. hds, ir. höy ahd. chuo, altsl. gov^do ^Kuh"; vgl. noch aw.
staora „Grossvieh" = got. atiur,
3. Das Schaf: scrt. dt^y griech. ^ng, lat. ovi8y ir. di\ ahd.
ouy lit. awhiy altsl. ovica,
4. Die Ziege: scrt. ajd, lit. oi^*; armen, aic, griech.
at^ (vgl. aw. izaena „aus Fell";; lat. haeduHy got. ga%t8\ aw.
büzay ahd. hoc (vgl. oben p. 128 Anm. 1).
5. Das Schwein: aw. hil („Eber"), griech. ovc, vc, lat
SÜ8, alb. i%y ahd. sü, altsl. svinija; alb. defy griech. ;^ofjOOs; lat
porcuHy ir. orCy alid. farahy lit. parszofty »Itsl. pras^ „Ferkel**.
6. Das Pferd: scrt. ä^ray aw. aspay griech. {tcttoc, lat
equuSy ir. ech, alts. ehu, lit. aszirä; griech. 7id>Xogy got. /W«
„Fohlen" (vgl. alb. peVe „Stute").
Nun fol<!:t ja aus diesen Gleichungen an sich noch nidit
ohne weiteres, dass sie sich auf gezähmte Arten bezogen haben
müssten, wenn auch rein sprachliche Tatsachen wie die des Vor
• handenseins besonderer Ausdrücke für das Geschlecht dei
Tieres wie bei dem Rind oder für das junge Tier wie bei
Sehwein und Pferd, oder auch das Bestehen idg. WOrter fttr
den Wagen (vgl. Kap. XI), der doch von Rind oder Pferd gezogen
worden sein nuiss, und für die Wolle (scrt. tVrnäy lat. velluB^
]it. wilna, altsl. vlüna, got. wuila, cyiiir. gulan, armeD. g^hnan),
bei *ler man kaum an etwas anderes als an das Vliese des Haus-
achafg deukeo kann, bereitB in die angegebene Richtung weisen.
Der Kreis der Argumente aber, der ftlr die Annabme
spricht, daas die oben als neolithisch nachgewiesenen Haustiere
zugleich als indogermanische in Auspruch genommen werden
dttrfen, wird geschlossen durch die Wahrnebmnng, dass sämtliche
idg. Völker im Besitz dieser Hanstiere sich bereits in den ältesten
historischen Zeiten befinden. Eiue Einschränkung bedarf dieser
Salic nur hiusichtlich des Schweines, dessen Zucht sowohl dem
Zeitalter des Rigveda wie dem des Awesta unbekannt ist, ein
Punkt, über den im VI. Kapitel einiges Nähere ku sagen sein
wird. - Im übrigen aber ist der Bestand an Haustieren bei den
einzelnen idg. Völkern, soweit die genannten Arten in Betracht
kommen, im wesentlichen ein einheitlicher. Im Mittelpunkt steht
überall die Zucht des Rindviehs. Sein Erwerb bildet ein
Hauptziel der im Rigveda geseliilderten Kämpfe i^vgl. oben
\\. 104). Im Sanskrit bedeutet daher g&cishi'i eigentl. „Streben
nach Kilben" so viel wie „Kampf" überhanpt, gat-ydv grä'ma
„rinderbegehrende Schar" ist gleich „Heer", gopati „Rinder-
herr" gleich „Herr", gäpti', eigentlich „RinderhUtung" gleich
„Wächter", letzteres übrigens vielleicht eine uralte idg, Bildung,
wenn es von K. Brugmann I. K. XI, 111 mit Recht dem altsl.
iupa „Bezirk" verglichen worden ist, dessen ursprünglicher Sinn
alsdann „ Weiderevier " wäre (vgl. dazu .1, Peisker Vierteljahrs-
ächrift für Sozial- n. Wirtsc haftsgesch. 1905 p. 289 ff.j. Ganz ähn-
lich wie im Sanskrit wird bei Homer ßovxoUovjo, von ßovx6Xo^
„Rinderhirl", allgemein vom Weiden des Viehs gebraucht. Die
gleiche wichtige Rolle spielt das Rindvieh auch im Norden
Europas, wo uns kleinere und unansehnlichere, vielleicht nocli
die degenerierenden Spuren der Domestikation verratende Rassen
entgegentreten (vgl. Tacitus (ii-rm. Cap. f> : Pexorum fecunda,
xed plerumque improcera. >ie armentw quidem suus honor aut
gloria fronlia). Ott genug werden wir nns in den folgenden
Kapiteln mit der bohen wirtschaftlichen Bedeutung der Knh als
.Milchspenderin, als Last- und Zugtier, aber auch als Wertmesser
lind Zahlungsmittel bei Brautkauf und Wergeid zu beschäftigen
haben. Trotzdem ist es mit den Mitteln der Sprachvergleichung
möglich (Vgl. 1 *, 201 ff, und unten Kap, VI), den Blick in eine Zeit
i
zu lun, wo vielleicht nicbt das Rind, sondern das Schaf im Mi
pankt der idg. Viehzucht ntand. — Etwas zurück tritt wenigstens
den flacheren Gebenden Nordeuropas die Ziegenzucht; doch i
eie DichtsdcBtoweniger aneh hier gut bezengt. Nach Plinins Hift.
nat. XXVIII, 191 bereiteten die Gallier die beste Seife m
Ziegenfett, nach Flav. Vnp. Äurel. X brachte Aureliau vud
seinen Kriegszügen gegen Franken, Goten und Sarmateu aucli
15000 Ziegen als Beute beim, und für die Hlaven (KneseDi sei
an die Rolle erinnert, die der Ziegenbock als Opfertier in \i\s
an heidnischen Erinnerungen reichen, Icoljady genannten Weih-
Bacbts- und Neujahrsliedeni*) spielt (vgl. z.B. Russische Volhs-
lyrik, Ausgabe Glasunov, Petereburg 1H94, Nr. 1).
Im ganzen wird also die wirtschaftliche Bedentung der
einzelnen Haustiere in der idg. Dmeil sich von der uns in den
ältesten bistoriBcLen Epochen begegnenden nicht wesentlich aoler-
scbiedeu haben, allerdings mit einer bemerkenswerten Ansnabue.
über die int folgenden ausführlicher zu handeln sein wird. Sie
betrifft die Geschichte des Pferdes.
Welches war die wirtBchaftlicbe Stellung dieses edelsleu
unserer Baustiere in der Urteit ? Zunächst, kann man mi!
.Sicherheit sagen: nicht die des gewöhnlichen Zug- und Last-
tiers, Diese Aufgabe fUllt, wie seiiou oben bemerkt, in der
ältesten Zeit überall dem Rindvieh zu. Wie dieses im Rigveda
ana^-t:dh „den Lastwagen ziehend" heisat, so werden anch die
primitiven Fahrzeuge der europäischen Nordvftlker auf den römi-
schen Darstellungen der Marc Aurel- und Trajaneäule
dem gezogen. Besondei-s ist dieser Gebrauch in den Satzni
RinJ
1) ^Geboren warde Kol,iudu am Vorabend des WeihuHChtüfesiei
jcnaeitH des reissenden Strome!^. OKoljudka, o Koljudka! Dort brenneD
Fener, brennen grosse Feuer, um die Feuer steheo Bänke, cichena
Bänke. Auf jenen Bänken (sitzen) Jünglinge and schöne S
sie singen Koljuda-Lleder. In Ihrer Mitte sitzt ei
stählernnfi Messer. Der heisse Kessel schäumt. Neben dein 1
steht ein Zie'genbock. Sie wollen den Ziegenbock scblachcen;
Freund Haus, komm heraus, hüpf heraus!" — .Ich würde gern her
hüpfen, aber der glühende Stein zieht mich zum Sessel, der j
Sand hat mein Hersblut ausgesaugt." Mit Kecht erbllckon
Forscher in diesen Versen die Erinnerung an ein heidnisches Z!e{
opfer. Vgl. Kap. XV: Religion.
> EultuB bewahrt worden, wofür es genügt, an den Wagen
r argiriscben llerapriesterin bei Herodot, an den der Nerttiim
Tflcitna, an den Krönangswagen der nieroringischen Könige
f, zu erinnern. Der erste Wagen, an den das Pferd gespannt
td, ist vielmetir der Streitwagen. Aber, wenn nicht alles
ft, babeD wir es bei ihm mit einer verhältuismilssig epilten.
ieu weiten Ebenen der Eupbrat- und TigriBtänder entstandenen
1 der Kriegsführung za tun, die sich von hier auf dem Wege
Kultn rüber tragung nach Indien und Iran, aber auch nach
gypten und Griechenlaud verbreitet hat, wo sie schon durch
ildnisse der mykenischen Zeit bezeugt ist. Merkwürdig ist
tr, dasa sie vereinzelt ancli im Norden unseres Erdteils erscheint.
wird ein Streitwagen, vor dem Gefangene geführt
schon auf einem der Behwediselieii Feisenbilder des
ezeitalters dargestellt (vgl. Montelius Die Kultur Schwe-
i4j, andererseits weiss sowohl Herodot (V, 9) hinsicht-
der vun ihm nördlich des Ister lokalisierten Sigynnen, wie
Cäsar (IV, 33) hinsichtlich der britauniscben Kelten von
Gebrauch des Streitwagens zu berichten. Auch auf dem
isclien Festland weisen Eigennamen wie der des Volkes der
lonea (gall. reda „der Wagen") oder Eporedorix, wörtUcli
CüDig der Pferdewagen", auf seinen einstigen Gebrauch bin.
leichwohl tragen wir Bedenken, mit Winternitz (Beilage znr
Z. 1903, p. 243) den Streitwagen schon dem idg. ürvolk
sprechen, da er schon für die Urzeit eine Technik des
[enbana voraussetzen würde, wie wir sie in jenen alten metall-
Zeiten schwerlich erwarten dürfen (vgl. Kap. XI). Viel
icbeinlicber scheint es uns daher, diese auch im Norden
»pas uns stellenweise begegnende Verwendung des Streit-
00 als den Überrest einer grossen, mit der Verbreitung der
te verbandenen, vom Süd-Osten unseres Erdteils ausgehenden
irentlehnnng zu betrachten, eine Annahme, die durch den
grosser gespeiehter, auf orientalisches oder griecbiscbes
ild hinweisender ßronzcräder in Dagarn. SUddeutsehland
Frankreich eine gewichtige StUtxe erhält.
Aber auch ein eigentliches Reitervolk können die Indo-
loen schwerlich gewesen sein. Nicht als ob die Kunst des
IB nicht schon in den ältesten Denkmälern, namentlich im
ta, aber auch in den bomerischen Gedichten und im Big-
— 168 —
yeda erwähnt ^) würde. Allein auffallend ist, wie spät bei den
einzelnen idg. Völkern die Ansbildnng einer eigentlichen Reiterei
hervortritt. In Athen gab es noch zar Zeit der Schlacht bei
Marathon nnr wenige Familien, die Pferde, und zwar zn Sporte-,
nicht zn Kriegszwecken hielten, and im Norden hebt Tadtis,
obgleich er and Cäsar einige germanische Reitervölker wie die
Bataver and Tenkterer kennt, doch Germ. Kap. 6 aasdrficklich
hervor: In Universum aestimanti plus penes pedäm
robarisy ja Kap. 46 stellt er die Neigang der Slaven (Venedi)
zam Fasskampf geradezu als ein Charakteristikum dieses Volke»
hin, das sie von den Sarmaten {in plaustro equoque viveniüm)
ebenso wie die Germanen unterscheide.
Allein auf der andern Seite steht doch der an sich mög-
lichen Annahme, dass die Indogemmnen das Pferd nur in wildem
Zustand gekannt hätten, die Tatsache gegenüber, dass da»
Pferdeopfer bei allen idg. Völkern, den vedischen Indem,
Iraniem, Preussen, Slaven, Germanen, bei einzelnen griechischen
Stämmen, bei den Römern, wo wenigstens dem Mars ein Pf^
geopfert wurde, bei den lUyriem, bei denen es einen „Pferde-
Jupiter^ (</. Memana: alb. mes „Füllen^ ans *mandiaj vgl. bU.
mannus „Pony**, bask. mundo „Pferd*^ oder „Maultier") gab,
aufs beste bezeugt ist. Denn da wir später (Kap. XV) sehen
werden, dass als Opfergaben an die Himmlischen fast ausschlicM-
lieh Hanstiere verwendet werden, so spricht das soweit ye^
breitete Pferdeopfer allerdings daf tlr, dass das Tier schon in der
Urzeit in einem gewissen Verhältnis zum Menschen gestanden
habe. Es bleibt unter diesen Umständen nur die Annahme fibrig,
dass das Pferd damals noch in kleineren oder grösseren Herden
(vgl. altsl. stado, lit. stodas ^Pferdeherde^ = ahd. stuot) abseite
1) Für erstere kommen in Betracht Od. 5, 371, 11. 10, 513 and
15, 679, für letzteren namentlich V, 61, 2:
küä vö' ^gväfL kvä" bht'gavafL wo sind Eure Pferde, wo die Zü^rel?
kathdrn gika kalhd yaya wie konntet Ihr*s, woher kamt Ihr?
prshfhi' sddö JMSö'r yämatt auf dem Rücken der Sitz, in den
Nüstern der Zaum,
jaghäni cö'da ishäm auf dem Hinterteil ihre Peitsche (?).
fH sakthä'ni närö yamüfi die Männer spreizten die Schenkel auf-
einander,
putrakrtM nd jdnaydff, wie die Weiber bei der Kindersengua;.
Vgl. Müller Biographies of wards p. 116.
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i XacL*:-»^ CS» £iii' mii u»t £t~;i *lr at: :s >*/*»'/iK
rgk . Du Maultier ist daher ,^ws tWw VHvwli*\-k<^w Klo^^vi^^^^^^^
nrorpeimi^o. Vielleicht Usst sieh hier ,^woh für de« \>^um«^
ICD Xameo des Tieres, mulns. eine Awkwtt|^f\u^ fiude^t I>u^».sm
reinigt rieb, wenD aus *mHs^1o a eutstHuden, $\\ oi«ev Uu^\jh^
t alb. muik ^Maultier-, friaul. rnnss. >one# mN^JXi» uK*o\'*
^1. aaeb nunän. musi^oin^^ und äHhI m).j/i)» mf**il «MÄ^^lUor'»
— 160 —
Wörtern^ denen nach einer ansprechenden Vermntang, ebenso wie
dem lat. mülus, ein Stamm mus- (Mvaog) „der Myser" zugrunde
liegen würde ^) (vgl. G. Meyer I. F. I, 322 und oben p. 50).
Dem gegenüber wird der Esel nur an einer einzigen Stelle
der homerischen Gedichte, nämlich II. XI, 558 genannt, wo der
Telamonier Ajax mit ihm verglichen wird. Wir tan gut, hds
hierbei zu erinnern, dass der wilde Esel im Orient für ein Bild
der Kraft und des Mutes gilt, so dass der Kalif Mervan den Namen
„Esel Dschesiras^S d. i. Mesopotamiens, führte. In keinem Fall
kann also der Esel zu den Haustieren der homerischen Epoche
gehört haben. Unter diesen Umständen ist es nun gewiss auf-
fallend, dass das früher auftretende Maultier nach dem späteren
Esel benannt ist: fj/Ltlovog : ovog „Halbesel" : „Esel". Ich kann
mir dies nicht anders erklären als durch die Annahme, dass die
Hellenen, als sie sich selbst der Zucht von Maultieren zuwandten,
einzelne Esel oder Eselinnen lediglich zum Beschälen oder Be-
schältwerden aus der Fremde einführten (vgl. phokäisch fivxiki
nach Hesych „der zum Zwecke des Beschälens eingeführte
Esel", wohl : scrt muc „semen profundere", griech. ^vxlo;'
kayrögy dxevr/jg etc.), die viel zu kostbar waren, um der Feld-
und Hausarbeit zu dienen. Hiermit stimmt überein, dass in der
ältesten an Homer anschliessenden Lyrik der Esel eher als
Zuchttier, denn als Haustier erscheint, worüber ich K. Z. XXX,
374 ff. gehandelt habe. Die erste sichere Erwähnung des Esels
als eines solchen finde ich bei Tyrtäus (fr. 6 Bergk):
(OOJTFQ ovot jiisydXotg äx^eot teiQO/jievoi
dfo.^oavroiai qreQOVTFg avayxaiyjg vjro kvygfjg
^fiiav jimtog ooov xag^iov ägovga (pigei.
Leider ist der griechisch-lateinische Name des Esels selbst
{ovog — asinus) noch nicht aufgeklärt. Was wir nach dem bis-
herigen am ehesten erwarten dürften, wäre ein pontisch-klein-
asiatisches Wort; denn von wo die Alten die Sprösslinge des
Esels und Pferdes kennen lernten, da muss auch der Esel seit
alters einheimisch gewesen sein. Nun begegnet im Armenischei
als Benennung des Esels H, ein Wort, das dem nichtindogermani-
1) Auderc sehen lat. mülus (musceüus) als urverwandt an mit
griech. fivxk<k't aus dem es in keinem Fall entlehnt sein kann. Vgl.
zuletzt Walde Lat. et. Wb. p. 399; doch macht eine solche Annahne
bis jetzt kulturhistorisch unüberwindliche Schwierigkeiten.
- 161 -
!ii Allarmeuischeu entstammen könnte, und das im Sumero-
ladiBclien aiisu, anü wiederkebi-t (vgl. turkn-tat, eAelc, eiiik
el" I. Ans einer (ierititigen Form mit veretelltem Nasal *an-no,
■ino köunte mm das g^riecliiselie äcov {*da-vn) und das latci-
he imno durch thrakisch-illyiische Vennittlnng hervorgegangen
, auf weleii letztere ancli der ümsiand hinweisen kannte,
I das Tier auf antiken, namentlich mazedonischen Münzen
Gemmen in Verbindung mit ßakcbns und Heilenos, von
CD umgeben auftritt. Es könnte also mit dem Dionygosdienst
Nord-Osten in die Balkanhalbiusel und weiter westiicb
audert sein (vgl. Imbof-BIumer und 0. Keller Tier- und
nzenbilder auf Münzen und Gemmeu des klassischen Alter-
1 nnd oben p, 50).
lu jedem Fall scheint mir der angegebene Aiisf^angspankt
lieh und sprachlich wahrscheinlicher, als die von V. Hehn
Anscblase an Th. Benfey vertretene Entlehnung von öfo:
tuinus ans dem Semitischen, hebr. 'ät&n, nrsem. 'atdnu
slin" 1).
Die norden ropäischen Namen des Tieres altir. aagan (agis.
>}r &*^- asiltg, agis. eosol il ans ») und aus dem Ocrmani-
it) wieder aUhI. ogüti, Vit. äsllag weisen sämilicb als Lehn-
ter auf das lat. axinus hin, wie auch ir. mtil und abd. mal
t. mM, agIs. miit) aus lat. malus stammen.
Niemals iu den eigentlichen Dienst der enropilischen Indo-
Banen ist bekanntlich das Kamel getreten, dessen semitischer
le xäfiijXo? (= lit. camelus) erst in dem Zeitalter der Perser-
ge io Grieebenland bekannt geworden zu sein scheint. Die
i Erwähnung findet sich Aesch. Suppl. 285. In hohem
de auffallend ist daher die germanisch-slaviscbe Bezeichnung
es Tieres: got ulbanduM, altn. ulfal4e, alid. olbento, agIs.
md = altsl. velibqdü, mss. vdbljüdü nsw., insofern diese
l) So jetzt aauh Walde Lat. et. Wli. p.4T; dAg'egen treoni
llwttK Et. AV.' p. 332 prieeh. A^ von lat. oWntM und stellt ersteres
t A. Fitk IU lal. owm .LaM" (?). Wenn aber der Esel ureprüng-
irar nicht ein .Lasttier" war? - H, Pedersen K. Z. XXXIX, 449
ti armen, ti von sntnerisch aniu und Äteilt es (vgl, auch K. Z.
[VlII, 19T, 205) als ürv«rwandl za der idg. Sippe von Ut. equu»;
gibt er wenigstena rar lal, aninux die Miiglit^hkeit einer Entleh-
: anB dem Armenischen zix.
— 162 —
Namen in jedem Fall beweisen, dass das Tier sehr frOh in den
Gesichtskreis der genannten beiden Völker erschienen sein imd
sich in demselben erbalten haben mnss. Vernünftigerweise wird
man als Vermittler dieser ersten Bekanntschaft mit dem Kaisd
für Slaven nnd Germanen nur an tnrko-tatarische Stämme denket
können, in deren Sprachen sich ein gemeinsamer Name für du
Tier {töbey töve) findet, und unter deren Herrschaft die Slayes
sehr frühzeitig und wiederholt geraten sein mögen (vgl. J. Peisker
Die älteren Beziehungen der Slawen zu Turko-Tataren und 6er-
manen, Vierteljabrsschrift f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 1905).
Alsdann würde der Ausgangspunkt der oben genannten Wort-
reihe im Slavischen zu suchen sein, aus dem altsl. velibqdü —
got. ulhandus sich, wie es scheint, als „Riesenwesen^ ^) deotei
lässt, eine für die innerhalb der europäischen Tierwelt so on-
geheuerliche und fremdartige Erscheinung des Kamels gewiss ai
sich verständliche Bezeichnung.
Wenden wir uns nunmehr zu den arischen IndogermaDen,
so gebt die Geschichte des Esels und Kamels bei ihnen in ein
weit höheres Altertum hinauf, als in Europa. Allerdings wajie
ich nicht zu entscheiden, ob wir die Zähmung beider Tiere
bereits der arischen Periode zuschreiben dürfen; denn da scrt
JcMra „Esel" = aw. x^^''^^ (kurd. frer, afgh. x^^ usw.) erst in der
späteren Literatur auftritt, scrt. üffhfra = aw. uitra (npers.
uSiur, vgl. oben p. 135) „Kamel" aber im Veda noch eine
zahme und eine wilde Büffelart bezeichnet und erst spätermit
Kamel zu übersetzen ist, so ist mit diesen beiden GleichoDgtt
in dieser Beziehung nicht allzuviel anzufangen. Geiger jlfttfM
p. 28 ff. (vgl. dazu Spiegel Die arische Periode p. 94, 51) irt
1) Altsl. vdXbqdii, *velibondo 8 möchte ich aus altsl. velij »gro«'
(vgl. altsl. velt-moza „der Magnat'', poln. widgolud i^Riesenmeiiwh'i
russ. velikdnü „Riese'') und einem aus dem Präseiis-Futurum altsL
bqdq = russ. büdu (sum) „ero* erschliessbaren *botido-if ^das Wesen'
erklären. Zu dem letzteren Stamm gehört auch russ. büdeni «der
Wochentag" aus *bondio)dtnt, wörtlich „der eigentliche Tag** (naä(^
JdAöij denX) im Gegensatz zum Festtag {prdzdXnikü^ eigcntl. der «leer^
müssige Tag"). Durch welche Lautverhältnisse bei der £ntlehniio|
des slavischen Wortes in das Germanische ^veLi- in *ulr überging, ver
mag ich allerdings nicht zu sagen; doch wird man bei solchen Ent-
lehnungen schwerlich durchaus gesetzmässige Erscheinungen erwartta
dürfen.
J
' Ansielit. das« dieselbeu nocli die wilden Arten bezeichnet
tten. Uie Inder hätten dann Dach ihrer Einwanderung in das
Ridscbab ÜBS Kamel aus dem GeBichtBkreiR verloren und mit
I freigewordenen ünhtra eine Buffelart benannt, bie sie da»
bme (zweihöckrige) Kamel anf dem Wege des Handels nnd
irkehrs von Baktrien her wieder kennen lernten. Wie aich
\ aber auch verhalten möge, in jedem Fall gehört der Eael
dem illtesteu Bestand an Haustieren, der bei Iraniern nnd
lern zu erreichen ist. Bei den ersteren ist er das wenigst
rtvolle unter dem staora „Grossvieh" : Esel, Rind, Rosa, Kamel
fl. Bartbolomae Altir. W. p. 532). Höher steht er in
dien. Die altvedisehen Bezeichnungen des Tieres sind gardabkd
d rd'«((6A£i, ersteres (nach Lihlenbeck) zagdrdä „geil", letzteres
rii«a n Samen flUssigkeit" gehörend (vgl. oben grieph. /(i^ytöcetc.),
dass also auch diese Namen auf die ebenso hei den Griechen
B Simonides von Amorgos hervorgehobene Neignng des Eaels zn
I ißY" a^Qodiota bezug nehmen. Namentlich die A(;vineu, die
tttheiten des Morgenslrahls, erscheinen auf einem Eselsgespann
f. 1, 34, S; (*, 74, T); auch in der Myth.-logie des Awest»
d ein Esel, der im Weltozeau steht, geuannt. Hingegen wird
I Maultier noch nicht, weder im Awesta, noch im Rigveds
trfthnt. Cber sein späteres Auftreten in Indien unter dem
men a^catarä ( ; dcca „Pferd") wurde schon oben p. 48
^rochen. Wie sich zu diesem indischen Wort die neuirani-
hen Formen opers. ester. pehl. natar, kurd. iatir <*a8patarn?)
rbalten, ist nicht ganz aufgeklärt.
AI« chronologisch letzter Ei-werb vierfUssiger Haustiere ist
Cnropa wie in Asien die Katze anzusehen, deren in ein hohes
tertnm in Ägypten zurückgebende Zähmung ebenso wie ihre
ikonft im Imperium Romanum wahrscheinlich in den ersten
irhnnderten der Völkerwanderung V. Hehn eingebend dar-
ttelit hat. Freilich ist es schwierig, genan festzustellen, wann
D erstenmal cattuu, catta von der gezähmten Hanskatze gesagt
Mit Bestimmtheit ist dies erst um fiUO in einer Nachricht
l Diakon Johannes Über Gregor den Grossen der Fall (vgl.
Siltl Wölfflins Archiv V, 133 ff.), der eine catlam quasi
iabäatricem in auh gremiig refovfhai. um die Geschichte de«
I richtig zu verstehen, mnss festgehalten werden, dass die
ri&nfer der Katze in Europa zunächst das Wiesel oder die
— 164 —
nahverwandten Marder und Iltis gewesen sind, deren urverwandte
Namen im ersten Kapitel mitgeteilt sind. Und zwar gilt dies
-ebenso von der Rolle, welche das Wiesel in Mythologie and
Aberglauben des Altertums spielt'), wie von der Bedentong,
welche dasselbe als ^Mäusefängerin^ (lat. musUlay anders Walde,
Lat. et. Wb. p. 401) hat. In beiden Beziehungen ist die zahme,
ägyptische Hauskatze die Nachfolgerin des Wiesels*) geworden,
und so ist es gekommen, dass zahlreiche Namen des letzteren,
wie griech. aleiovgog und lat. faeles zur Benennung der ersteren
gebraucht worden sind. Nach V. Hehn wäre mit der Ankunft der
zahmen Hauskatze in Europa in der lat. Volkssprache eine beson-
dere Bezeichnung für dieselbe aufgekommen: mlat. cattus, catta
(: catulus), eigentlich ^Tierchen". Dieses neugebildete Wort sei
die Quelle der Ausdrücke für felis domestica im ganzen mittel-
alterlichen und neueren Europa geworden. Dem gegenüber ist
hervorzuheben, dass die germanischen Sprachen in ihrem ahd.
<:hazzay chataro (darüber F. Kluge Paul und Braunes B. XIV,
585, vgl. auch nlid. kitze)^ ebenso wie die keltischen in ihrem
altir. caty cymr. cathy bret. caz {*katto-8) sehr altertümUcbe,
kaum auf Entlehnung deutende Bildungen aufweisen. Auf das-
selbe führt eine andere Betrachtung.
Im Mlat. bezeichnete cattus, catus ausser Katze (vgl. Da
Gange IP) noch etwas anderes, nämlich eine Art von Lanf-
ganghüttcn, unter deren Schutz man sich den feindlichen Manem
näherte. In diesem Sinne ist cattun offenbar wie lat. cunkvbu
„ Kaninchen ** und „Minengang" zu beurteilen: das Bild ist her-
genommen von der schleichenden List, mit welcher die Katze
das Nest des Vogels oder das Lager des Hasen angreift. Diese
Kriegsmaschine findet sich nun schon bei dem Kriegsschrift-
steiler Vegetius erwähnt, wo es Zife. IV, cap. 15 nach der
wahrscheinlichsten Lesart heisst: vinecut dixerunt vetereSf qua$
nunc militari bar bar i CO que usu Cattos vocant. Diese Laof-
ganghütten hiessen also bereits im IV. Jahrb. im Barbaren-
munde caffiy und so scheint es auch von dieser Seite wahr-
1) Man denke z. B. an die Unglück bedeutende, über den We;
laufende Katze, die ganz die Stelle des Wiesels im Altertum vertritt
2) Vgl. Wiesel und Katze, ein Beitrag zur Geschichte derHaiu-
liere von Dr. B. Placzek (Sonderabdruck aus dem XXVI. Bande der
Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brunn). Brunn 1888.
heinlicb, daes oDler diesem Worte nicht ein lat. cattus iok
Uoe von „Tierchen", sondern ein keltiBch-gemianisches *katto-s,
vttä verborgen ist, das iirBprllnglich die wilde, der Göttin Freya
h&a Eber und Falke als Zugtier geweihte Katze bedeutete und
1 anf die felü domestica ilbertragen wurde (bo aneb Walde
105). Das Wort ging dann, ebenso wie es mit der Benennung
1 Marders (agls. meard : nilat, martea geschehen ist (vgl. Vf.
B. XV, 130), in das Mittellateiuische und Romanische (it.
1o, frz. ckat] über und ist dann von hier oder auch direkt von
manischem Boden aus in die Sprachen des Übrigen Europa
ngewandert (gemetnsl. kotä „Kater", lit. kati' „Katie", kdtinas
jlter", ngr. xäm/g, xiina naw.)'
In Indien scheint man den Nutzen der Katze (scrt. märjärä
rü^äla) als der Mänsefängerin sehr spät kennen gelernt zu
kben. Pänini, welcher eine bestimmte Regel aufstellt, nach
r Komposita aus den Namen sprichwörtlich feindlicher Tier&
Ibildet werden sollen, nennt unter diesen weder Katze und
Bnd, noch Katze mid Maus. Ja, selbst in der urspritnglicheik
ieong des Paneatantra scheint der Falke und nicht die Katze
I Feind der Mans gegolten zu faaben (vgl. M. Müller Indien
227—234).
Wir wenden uns nunmehr zweitens za der Frage, ob aua
' im vorigen Kapitel besprochenen Vogelwelt die eine oder
1 andere Art bereits in der Ür/,eit in die Zucht des Menschea
lergegangen war. Hierbei liegen in arcbäolugischer und linguisti-
her Hinsicht die Dinge so, dass die in neolithischen Scbichten
gefundenen Vogelknocben bis jetzt nirgends auf die Domesti-
jtion der betreffenden Individuen haben scbliessen lassen, das»
' fOr zwei Vogelarien, nämlich fUr die Gans: sert. harhad,
eh. p'jv, lat. anser, ahd. gane'), lit. ti^sis, altpr. «ansy
I) Slav. *</on«i, gusl dürfte seines AnlautR wegen aUB dem Ger-
nischen entlehnt sein. Auch .scheint mir diese Annahme sehr gai
dem zu Btlmmen, was Peisker a. a. 0. neuerdings über die jlttesten
llehnngen der Germanen und Slaven ausgeführt hat. Das ger-
nische Wort wird damals, d. h, zur Zeit der EollohnuDg schon die
ime Gans bezeichnet haben, die die Slaven noch nicht kitnnten.
BCn. »ag (vgl. I.idi^n Armen. Studien p. tili gehört nicht hierher.
- 166 —
und für die Ente: scrt. diiy griech. v^aaay lat. anasj ahd.
■altsl. c^ly lit. äntü anzweifelhaft idg. Qleicbnngen doh finden.
Natttrlich können die letzteren sieh aber anf die wilden , nA-
leieht als Jagdtiere besonders geschätzten Arten bezogen haben,
^nd die historischen auf die Zähmung des Geflflgels bezflglichei
Nachrichten machen es im hohen Grade wahrscheinlich^ im
<lies der Fall war.
Weder im Awesta, noch im Rigveda, noch in der Hin
werden Qans and Ente als Haustiere genannt Im Oegentcil
wird z. B. Rgv. VIII, 35 der harhsd anf gleiche Stufe mit Falkei
und Haridra vögeln genannt (vgl. v. 8: harhaä'u iva patatU
adhcagä'u „Ihr fliegt wie zwei Wandergänse**), und wird in der
Ilias der xw ^^ ^^^^ Reihe mit Kranichen und wilden Schwänen
gestellt (z. B. II, 460: xv^f'^ 9 ysQdvoDv fj xvxvcov doviixodeiQWp),
Erst in der Odyssee (XIX, 536 ff.) wird erwähnt, dass «ch
Penelope eine kleine Herde von 20 Gänsen hält, die ihr, wie es
scheint, aber auch mehr zur Freude, als zum Nutzen dienen
{xa( TS ö(piv laivojÄai eioogöfooa). Von besonderem Interesse ist
in diesem Zusammenhang auch eine Nachricht, die wir Cisar
Tcrdanken, der von den britannischen Kelten de beU. OaU. V, 12
berichtet: Leporem et gallinam et anserem gustare faswm
putanty haec tarnen älunt animi eoluptatisque causa. Es
ergibt sich also, dass man im damals keltischen England noch
um Christi Geburt Huhn und Gans nicht als Nutztiere, wohl aber
^Is Luxustiere hielt und sie mit einer gewi^en religiösen Sehe«
igtistare fas non putant) umgeben hatte*).
Namentlich die Geschichte des Huhns und der Taube ist
es, an der sich zeigen lässt, dass es zunächst religiöse To^
Stellungen waren, die das Geflügel allmählich an den Haoslinlt
des Menschen gewöhnten. Was das erstere betrifft, so tritt nu
der körperlich aus Indien stammende Haushahn im Awenta
bereits unter zwei Namen, einem profanen kahrka (ygl. oben
p. 139) und einem priesterlichen ^ardcfere« entgegen, letzteres den
1) Von den alten Preussen berichtet noch Matthäus Prätorins in
seinen Deliciae Prussicae p. 37 : „Die Nadraver halten noch einen Hahn
und Henne vor heilig, die sie in ihren Inkurtuwen oder Elinaegnnng
ihrer Häuser zuerst ins Haus lassen; diese werden gehegt und nieht
geschlachtet noch gegessen, aber darum nicht vor Götter
:gehalten.^
Kaiis schanenden", ac. dae Licht des Tag^es, „tiBo Fropbeteii"
ieutend. Er ist der Verkündiger des Morgens, das Symixil
Sonne, ein heiligea Tier {vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur
S67), sei es, dass ttieeer Kult in Iran selbst entstanden ist,
dass er ans dem Lande uralter Sonnenverehrung, aus
bjlonien staniint, von wo nü» mehrere Abbildungen mit betenden
Ktem vor im Osten erscheinenden Hähnen bekannt sind (TgJ.
tyard Ninive und Babylon, übersetzt von Zenker p. 410, 411),
t der Ausbreitung der persischen Herrschaft wird das Tier
in Kleinasten und damit im OeBichtskreis der Hellenen
lehieiien sein, unter denen Theognis (um 540) seiner zuerst
denkt :
»i/ioj äXcMigi'nriar ^O'iyyo; eyeioofitvair,
I (lieber Zeit au wird der Hahn, auf uns leider unbekannten
egen, sich auch im Norden Enropas verbreitet haben, tlberall
Khrnngsvull begrQsst als „Sänger" (vgl. got. /kiha: lat. conere,
cailech:\at. cahire, ht. gaidgs : yiediiti „singen", ultsl. petlü:
i „singen") des Morgens und Vertreibers der nächtlieben
nnnen, eine Eigenschaft nicht hoch genug zu sehStzen in
er uhrenlflsen Zeit, da die Nacht voll von Schrecknissen war.
eh heute sind im russiseben Volkslied Zeitbestimmungen wie
c4fera do karü „vom Abend bis zu den Hähnen", sü
ttjfchä l-ttrü do «rehi „von den häufigen Hähnen bis zum
'Vgl. griech. ntQi äXE>trQi'6vo)v ^Wc oder lat. gallicinium
»,) ganz gewöhnlich (vgl. auch Kap. VII: Zeitteiinng am
tlass) Zum eigentlichen Nutztier wird das Hubn sieb im
rden erst nacb verhältnismässig spätem römischen Beispiel
irickelt haben, wie u. a. mehrere dieses Qebiet betreffende
Üiscbe Lehnwörter im Germanischen (ahd. pfifßz „der Pips"
lat. pUuHa. ahd. mäzzön „mausern" aus mütare, ahd.
tma „Flaum" aus phhna etc.) zeigen.
Wie der Hausthahn seine Zähmung dem Kult orientalischer
tncngotthciten verdankt, so ist die Taube als Haustier aus
; Dienst der semitischen Giittin des Naturlcbens, der Zeugung
des Todes, assyr. ISiar, kan, 'AStor, 'Aitorpf, griech.
migirr/ hervorgegangen und so zum Attribut der mit jener
aili«chen Gottheit verschmolzenen griechischen Aphrodite
mrden In dieser Eigenschaft erscheint sie bereits auf myke-
(faei) Kunstwerken, und auch bei der II. XI, 632 ff. gegebenen
Beaehreibung des Becliei-H des Nestor, auf deg»eB Henkeln znt
goldene Tauben sitzen, ist wobl hereits an ein dem MenBcfadf
vertrauteres Tier zu denken. Die eigentliche, weisse Htm
tanbe aber durfte nach einer von Atbeuäns IX, 394 erhnllenri 1
Notiz des Charon von Lampsat^us erst nach dem Untergang der
pereiecben Seemacht am Vorgebirge Atbos in Griechenlaiid
erschieaen sein, nach Hehn vielleicht von gescheiterten pbönizi-
sehen Scbiffen ausgehend. Ein Nutztier ist sie in Europa wohl
erst spät geworden. Noch nach dem Capitniare Karls des Grossen
de viUis werden turtures nur pro dignitatU causa gehalten
der noch vielfach dunklen Terminologie des Tiere« hege^
zwei nicht unwichtige Entlehnungsreihen: \&tcolumba, ir. colid
agls. culufre (colambula) und scrt. kapd'tu, a^ers.kapütar (?j
kabüd „blau"), kautar, afgh. kewter. kurd. kotir — al^
ketitaris „Ringeltaube", die wohl auf einige der Wege hinwei«
auf denen die Zucht des Tieres sieh in Europa »erbreitete.
Blicken wir zurück, so hat sieb ergeben, dass der älteel
Viehzucht der Indogermanen der Esel und das Kamel, dei
nrsprüngliche Wohnsitze sich auf die semitischen WflBtenlWt^'^
and die Steppen des zentralen Asien beschränken, fremd waren,
dasB ihnen hingegen das Pferd, dessen Urheimat eiDstmals p>at
Europa mit umfasste, bekannt war. Dem gegendber finden wir,
dass bei denjenigen Völkerstämnien, deren Ursprünge mit Sicher-
heit in Asien zu suchen sind, urverwandte Namen fDr alle drei
Tiere vorhanden sind. Dies gilt sowohl von den Seiiiii
{aasyr. Mixu, hebr. »äs „Pferd"; assyr. gammahi, hehr, gdi
„Kamel"; &9»yr. aiänu, hebr. 'ätdn „Eselin"; assyr. im^ru, bei
kämör „Esel"), wie auch von den Turko-Tataren (a( „Pferd',
tobe „Kamel", eiiek „Esel"; vgl. Vambery Die primitive Kullor
des turko-tat. Volkes). Es läge daher der Schlnss nahe, die
älteste Heimat der Indogermanen zwar innerhalb der Ver-
breitUDgssphäre des Pferdes, aber ausserhalb derjenigeo de*
Esels und Kamels, also nicht in der Nähe der Semiten nod
Turko-Tataren, also Ulterhaupt nicht in Asien zu suchen, weuu
eben nicht die iMöglichkeit (I', 161} bestände, dass anoh die
Indogermanen einstmals Esel uud Kamel in wildem Zustand geksoDt
und später die Tiere auf ihren Wanderungen aus den An]
drei II
1
- 169 -
verloren hätten. Immerhin würde bei einer solchen, an sich
nOglichen Annahme es auffallend bleiben, warum die Indo-
^rmanen nicht, wie die Turko-Tataren und Semiten, das so
)eqneme und nützliche Kamel sich schon in der Urzeit dienstbar
i;emacht haben, so dass man jedenfalls die geschilderten Ver-
Altnisse besser bei einer europäischen, als bei einer asiatischen
leimat der Indogermanen verstehen kann.
Bedeutsamer ist, was wir in diesem Kapitel über den
Lreis der ältesten idg. Haustiere ermittelt haben, für die Be-
irteilnng der Wirtschaftsstufe, auf der das Urvolk stand, ein
hinkt, zu dem wir in Kap. VI zurückkehren werden.
Seh rader, Sprach verfirlefchun^ und Urgeschichte II. 3. Aufl. 12
IV. Kapitel.
Waldbäume.
Arisch-europäische und europäische Baumnamen. Die Frage der Ur-
heimat. Die Baumseele. Wald und Tempel. Qriech. njög und loSc.
Die Eiche der Baum des höchsten Gottes. Pfahlkultus. Wo entstand
der Baumkultus?
Aus der die Indogernianen umgebenden Pflanzenwelt soUeo
hier nur die Namen der Waldbäume herausgegriffen werden, in-
sofern man aus ihnen seit alters Schlüsse auf die Urheimat and
Wanderungen der Indogeimanen zu ziehen versucht hat. Ein
grosses Hindernis, das diesem Beginnen im W^ege steht, ist frei-
lich die bedeutende Veränderlichkeit der etymologischen Reihen
dieses Gebietes in ihrer Bedeutung, wie schon P, 184 her?or-
gehoben wurde. Sogar in ganz nahe verwandten Sprachen, ja
auf demselben Sprachgebiet treten uns oft dieselben Wörter in
verschiedener Bedeutung entgegen. So bezeichnet z. B. altpr.
hwis die Eibe, lit. jeicä den Faulbaum, slav. iva die Weide.
Im Litauischen selbst sehwankt ^gle, iglius zwischen den Be-
deutungen „Eibe" und „Tanne". Altsl. smru6l ist der Wach-
holder, smreca die Zeder, eech. smrk die Fichte, kleinrosB.
smerek die Tanne. Altsl. brestu, russ. herestü bedeuten „ülnic",
bulg. brest auch „Birke" (vgl. russ. beresto „Birkenrinde") nßw.
Unter diesen Umständen steht nichts der Annahme im Wege,
dass schon in der idg. Grundspraehe> namentlich wenn wir an-
nehmen, dass dieselbe auf einem verhältnismässig grossen geo-
graphischen Gebiet gegolten habe, einzelne Baumnamen ver-
schiedene Bedeutungen gehabt haben könnten, ein Gesichtspunkt,
der sich für unsere weiteren Betrachtungen als wichtig er-
weisen wird.
Im folgenden soll nun zunächst eine Cbereicht über die
etymologisch verwandten Baumnamen der idg. Sprachen gegeben
werden, und zwar in der Weise, dass zuerst die den europäi-
schen und arischen Sprachen gemeinsamen, dann die sich aof
- 171 —
die earopäiscben Sprachen (und das Armenische) beschränkenden
jrleiehangen aufgeführt werden.
A. Europäisch-arische Baumnamen.
1. Der verbreitetste Baumname der idg. Sprachen ist an
lie Stämme druj dem, doru etc. geknüpft und zeigt im wesent-
ichen drei verschiedene Bedeutungen, nämlich: a) „Baum",
,Holz^, z. B. scrt. aw. dru y,Baum", scrt. dd'ruj aw. däuru
,Holz^, altsl. drüvo, drivo „Holz^, alb. drü ^Holz, Baum'', got.
riu „Baum*^; b) „Eiche", z.B. griech. dgvq, maked. hdQvUogy
r. dair, daur; c) „Kiefer" oder „Föhre", z. B. lit. derwä
, Kienholz", lett. danoa, altn. tjara, agls. teoru „Teer", altn.
yrr „Föhre", ti^rve „Kienholz" (lat. larix „Lerchen bäum"?).
<}iin ist oft über die Frage gehandelt worden, welches die älteste
lieser drei Bedent^ingen sein möchte, zuletzt und am ausführ-
ichsten von H. Osthoff Parerga I („Eiche und Treue"). Dieser
belehrte gelangt zu der Überzeugung, dass von der Bedeutung
^Eiche" auszugehen sei, und zwar einerseits, weil er in der-
krtigen Fällen überhaupt die besondere Bedeutung für älter als
lie allgemeine hält^), und andererseits weil er gegenüber dem
ron ihm scharfsinnig und übei-zeugend geführten Nachweis, dass
n den idg. Sprachen von den Stämmen dru-, dem-, dorn- zahl-
eiche Adjektive etc. für die Begriffe „fest, hart, stark, treu"
vgl. z. B. lit. drütas „stark, fest", ir. derb „sicher, gewiss",
icrt. därunä „hart", got. triggws „treu, zuverlässig") entsprossen
ind, der au sich richtigen Ansicht ist, dass derartige Bedeutuugs-
Ibergänge nicht sowohl auf den Begriff des Holzes an sich, als
rielmehr auf den des festen Holzes, des Kernholzes, das wäre
lach ihm eben die Eiche, zurückführen. Da nun aber auch die
üefer (vgl. Brockhaus' Konversationslexikon s. v. Holz und
üefer) zu den „Kernholzbäumen" gehört und ihr Holz, nanient-
ieb bei gewissen Arten und bei älteren Bäumen, an Härte kaum
liiiter dem der Eiche zurücksteht, da ferner in der oben auf-
1) Vgl. dazu P, 184 Anm. 1. Wenn Osthoff Parerga I, 177
kuch für altsl. dqbü (= ahd. zimhar) von der Bedeutung „Eiche*" glaubt
LUSgehen zu müssen, so ist dagegen zu bemerken, dass gerade in den
Üteren Sprachepochen, nicht nur im Kirchenslavischen und Serbischen,
ondern auch im Altrussischen (vgl. Sreznevskij Mateinaty etc.), die
Bedeutung „Baum*" für dqbü sehr stark hervortritt.
— 172 —
geführten Wortsippe die Bedentang „Kiefer" (Teer) eine nicht
geringere Rolle spielt, als die Bedeutung ^Eiche'^, so möchte
ich glauben, dass wir hinsichtlich der Urbedeutung der in Frage
stehenden Wortsippe doch über ein non liquet nicht hinäas^
kommen. Aber selbst wenn man für dru, dem, dorn eine Ur-
bedeutung ,,Eiche" zugeben wollte, scheint mir die hervorragende
Wichtigkeit dieser Baumart weniger für die Urheimat der Indo-
germanen, als vielmehr für diejenigen Länder hieraus zu folgen,
in deren Sprachen dru usw. den »Sinn von Baum angenommen
hätte, insofern nur in ihnen, nicht aber in der Sprache des idg.
Urlandes die Eiche der Baum xax' i^oxrjv gewesen sein mflsste.
Im ganzen scheint mir also die Vorstellung von „der Eichen-
heimat "* der Indogermanen (Hoops Waldbäume p. 119) auf
schiwachen Füssen zu stehen, wobei natürlich mit Rücksicht auf
später zu nennende Gleichungen (B, a; 1, B, c; 20) nicht
geleugnet werden soll, dass der Baum in gewissen Teilen des
Urlandes vorkam und durch seinen majestätischen Bau, seine
Fähigkeit, besonders den Blitz anzuziehen usw., die Aufmerksam-
keit der Menschen in hohem Grade. auf sich lenkte.
2. Scrt. bhürja, osset. barse, Pamird. furz, brug, altpr.
berse, lit. b^räas, altsl. breza, ahd. birihha „Birke**. Auch im
lat. fraxinus, farnus kehrt das Wort wieder, das aber hier, da
die Birke in Italien, ebenso wie im übrigen Süden Europas all*
mähhch verschwindet, die Bedeutung „Esche** angenommen hat
Lat. betula, wozu auch alb. b'Utsze gehört, ist ein Lehnwort
aus dem Gallischen (ir. bethe). Im Griechischen findet sich m
den angegebenen Gründen gar keine Bezeichnung des Baumes.
Das Vorhandensein eines Namens der Birke im Wortschatz der
idg. Grundsprache beweist, dass die idg. Urheimat jedenfalb
nicht in den südlichen Halbinseln Europas gesucht werden darf»
ein bei so viel Unsicherheit immerhin wichtiger Punkt
3. Aw. vaiti, npers. bM, afgh. vcUa (scrt. vitasd „Rate"),
griech. hea, lat. vitex, altpr. icitwariy lit. tc^tiSy ahd. tcida „Weide".
4. Scrt pita-drti, pita-dät^Uy pitu-däru, Pamird. pt^, griech.
mrvgy lat. pinus „ein Nadelbaum**. Vgl. auch scrt. jat»
„Lack, Gummi**, agls. cicidu, ahd. chuti „Kitt, Leim**, lat
bitümen „Erdpech**, ursprünglich wohl „Baumharz**.
5. Osset. färwy farwe „Erle", ahd. felawa „Weide**. Ur-
bedeutung unsicher.
6. Einen tlbcr die Grenzen Europas Liiiausgeltenden Baimi-
Diea hat man neuerdiDgs auch dadurcii -/.u gewinnen versucht,
IS man die europäischen Wörter lat. fägua , ahd. huohha
uche", griech. (pijyüz „SpeiBeeiehe" mit dem kurd. büz „Ulme"
■glichen hat (vgl. liartboloniae I. F. IX, 271, Osthoff
B. XXIX, 249 ff.). Wenn dies richtig ist, eo gehen doch die
hlElsse, die HoopB Waldhäume p. 125 ff. daraus gezogen hat,
rweit. Er, wie auch ßartholomae {vgl, oben P, 184), nehmen
(lass infolge dieser Oleicliiiug die Urheimat der ludogermauen
lerhalb der Bnchengrenze (s. u.) gesucht werden niüsste.
olier wissen aber die beiden Gelehrten, dass die genannten
amnamen bei dem tatsächlichen Aueeinandergehen ihrer Be-
itnngen in der Ursprache den Sinn von „Buche" gehabt
t)eD? Es ist Ja richtig, dass zwei idg. Sprachen (Lateini)ich
1 Germanisch) in dieser Beziehung tlbereinstimnien. Allein
e andere von Hoops p. 121 selbst angeführte Reihe vtm
Diunamen : giiech. «irt/, alb, ah „Buche" — armen. hai;i „Esche"
gt dieselben Erschein nngeu, und hier machen es die etymo-
;i8chen, wiederum von Hoops selbst angeführten Begleit-
cheinimgen (vgl. u. B, a; 5| so gut wie sicher, dass nicht von
r B«dcntung „Buche" auszagehen ist. Endlich kiliiute hier
;li der schon oben angedeutete Fall vorliegen, dass die an-
Fflhrte Wortreihe seh<m in der Ursprache die Bedeutung von
Viche" und von „Ulme" hatte, indem die Indogernmnen so-
thl diesseits wie jenseits der Bnchengrenze wohnten (s. n,).
Einen enropäisch-art sehen Baumnamen hat man schliesslich
I der von mir (B. B. XV, 289) aufgestellten Gleichung scrt.
änean „Bogen" = ahd. tanna zu folgern; doch dürfte es anch
ir schwer sein, den Ursinn derselben festzustellen (vgl. die
en p. 104 angeführte Literatur).
ß. Europäische Baumnamen
8; die der Centum- und Salemspracbeu
über diese Einteilung der idg. Sprachen Sprachv, u. Urg.
l», 71 ff., 13Ö und oben p. 127).
1. Die Bekanntschaft mit der Eiche folgt aus einer gemein-
Benennung der Eichel: griech. /ffixdi'oc, lat. ijlans —
i1. ielqdi, armen, kaiin.
— 174 -
2. Griech. jtevxrjj ahd. fiuhtay ir. ochtach — altpr. ftmty
lit. puszis ^Fichte'^; vgl. dazu einen gemeinsamen Namen des
Peches : griech. Twaaa, lat. pix, altsl plklü.
3. Lat. ulmus, ir. Zem, ahd. elm-boum, altn. älmr — nwB.
iZemu „Ulme".
4. Lat. alnusy ahd. eZ?>a, altn. ö/r — , lit. elJcsniSy altd.
jelicha „Erle".
5. Lat. orntiSj cymr, onn^n — lit. lim, altpr. woasU^ ruas.
jäseni „Esche"; vgl. dazu altn. askr, armen, fiagi „Esche**,
griech. d^vr/y alb. ah „Buche" (oben p. 173).
6. Ahd. aapay altn. ösp (griech. äanoog „eine frnchtloee
Eichenart" ; im Süden verschwindet die Espe) — altpr. oJw, lit.
apusze, russ. oshia „Espe" (vgl. Hoops^) a.a.O. p. 122).
7. Maked. xhvoTQoxog, ykTrog, ahd. Unbouniy altn. A/,y«r,
altcorn. kelin — altsl. klenüy lit. kUtoas „Spitzahorn".
8. Agls. wi^e — alb. ri^, russ. vjazü „Ulme" (vgl. Hoop»
a. a. 0. p. 261).
9. Ahd. linta „Linde" — russ. lutiä „Lindenwald", weiss-
russ. tut „Bast einer jungen Linde" (lit. lentä „Brett", lat
Unter „Kahn", sc. aus Lindenholz, griech. ikärf] „Fichte**; i»
Griechenland verschwindet die Linde).
10. Ir. fern „Erle" — alb. vefe „popnhis alba" (armen.
geran „trabs"; vgl. Liden L F. XVIII, 485 ff.).
11. Griech. Qaßdoq („Weiden)rute", lat. verbina — altsl.
vrüba „Weide".
12. Griech. uqxfv&oc; „Wachholder" — altsl. itmreii id.
(s. 0.). Oder letzteres : armen, niair „pinus, cedrus"? Anders
Liden L F. XVIII, 007.
13. Griech. xidoog, eigentl. „ Wa c h h o 1 d e r" — lit. kaiagpi
altpr. kadagis id. (Reallexikon p. 926, Liden I. F. XVIII, 491).
1) Hoops a. a. 0. verfolgt diese Reibe bis in die ttirkisch-UU-
rischen Sprachen, in denen Formen wie apsaky aspak begegnen, die
nach H. nur als Entlehnungen aus iranischem Sprachgebiet verBtanden
werden könnten, auf dem der Baumnarae aber nicht bezeugt ist. &
zählt daher den Namen der Espe zu den unter A zusammengestellten
europäisch-arischen Baumnamen. Allein auch das slaviscbe osa muss»
wie altpr. ctbse zeigt, vor gar nicht so langer Zeit noch "^opsa gelautet
haben, so dass auch dieses die Quelle der turko-tat. Wörter sein kann.
Vgl. auch Pedersen K. Z. XXXIX, 462.
175 -
14. Lat. Abella ^Apfelstadt^ {malifera Abellä)y ahd. apfuly
ir. aball — lit. öhulas, altpr. wähle, slav. jablüJeo „Apfel".
15. Griech. xgdveiay lat. corvus „Kornelkirsche" — lit.
JLirni^ „dea cerasoram".
16. Griech. ägva' rd 'HgaxkewTixd Sgva — alb. afe, altsl.
orechü „Nuss".
b) Satemsprachen.
17. Lit. lazdäy sAtpr, laxäe, alb. Z'aii?/ „Haselnuss" (anders
Liden I. F. XVIII, 487, der die litauisch-preussiscben Wörter
mit armen, la^t „Holzfloss*^ vergleicbt).
18. Altsl. breistü etc. (s.o.) „Ulme, Rüster", armen, barti
^Espe, Pappel" (Lid6n I. F. XVIII, 490).
19. Russ. jdlovecü „Wacbholder", armen, elevin „Zeder,
Fichte" iLid6n a.a.O. p. 491).
c) Centunisprachen.
20. Lat. quercusj longob. fereha „Eiche" (neben ahd.
forha „Föhre";.
2L Griech. alylXojy* „eine Art Eiche", ahd. eih.
22. Griech. xXyi&qyi „Erle", nhd. dial. ludere, ludern
„Alpen-Erle".
23. Lat. abiesy griech. äßiv iXdrrjVj ol de Jievxrjv Hes.
24. Lat. Salix, ir. mit, ahd. salaha „Weide".
25. Griech. ^kixriy agls. welig „Weide" (Hoops L F.
XIV, 481).
26. Lat. corulus, ir. coli, ahd. huital „Hasel".
27. Griech. äxaorog (Hes.), lat. acer, ahd. ähorn „Berg-
ahorn".
28. Lat. tüia, ir. teile „Linde".
29. Lat. pirusy griech. umog „Birnbaum".
30. Ahd. irihsela „Weichselkirsche", griech. i^6g, lat.
viscum „Mistel" (? vgl. Hoops Waldbäume p. 545 ff., Liden
a. a. 0. p. 496).
Ein gemeinsamer Baumname der Centumsprachen folgt
gchliesölieh aus der Gleichung griech. to^ov „Bogen" = lat. taxus
„Eibe" (oben p. 105).
Die hier gegebeneu Zusammenstellungen enthalten, wie
wir schon bemerkten, im einzelnen wenig, was sich fttr die
- 176 —
Feststellung der idg. Urheimat verwerten Hesse. Wie stehen die
Dinge, wenn wir sie im ganzen betrachten? Das Bild, das
sie uns alsdann darbieten, ist ein sehr klares: Die Überein-
stimmungen auf dem Gebiet der ßauninamen sind, sobald wir uns auf
die Vergleich ung der europäischen Sprachen beschränken, bänfig
(30 Nummern), sobald wir die europäisch- arischen Glei-
chungen ins Auge fassen, gering an Zahl*) (6 Nummern). Zor
Erklärung dieses Verhältnisses bieten sich drei Möglichkeiten dar:
entweder hatten auch die Arier einstmals an jenen enropäiscben
Baumnamen teil und haben sie, vielleicht auf der Wanderung doreb
baumlose Gebiete, verloren, oder die europäischen Baumnamen
stellen gegentlber den europäisch-arischen Neuschöpfungen, viel-
leicht auch Entlehnungen aus den Sprachen ureingesessner Volker
dar, oder endlich, das Urland der Indogermanen war so beschaffen,
dass sich aus dieser Beschaffenheit eine reichere Terminologie der
Baumflora in den einen Teilen gegenüber einer ärmlicheren in
den anderen erklärt. Was die erste dieser drei Möglichkeiten
anbetrifft, so würde sie sich nur dann über den Charakter einer
blossen Vermutung erheben, wenn es gelänge, solche Fälle, wie
den eben angeführten : ahd. tanna = scrt. dhdnvan „Bogen",
Fälle also, in denen sich idg. Baumnamen in arische Waffen-,
Werkzeug- und Gefässnamen geflüchtet hätten, in grösserer An-
zahl nachzuweisen. Dieses ist bis jetzt nicht geschehen. Gegen
den zweiten Ansatz spricht die Tatsache, dass die europäi-
schen Baumnamen, sprachlich betrachtet, nicht den Eindruck
von Neuschöpfungen oder prähistorischen Entlehnungen machen,
und dass die Annahme, sie könnten aus vorindogermanisehen
Sprachen herstammen, sich nicht auf irgendwelche greifbare
1) Hoops Waldbäunie p. 115 sagt, dass Hirt I.F. I, 477 ff. da«
Verdienst habe, weitere Baumnamen für die indogermanische (euro-
päisch-arische) Urzeit nachgewiesen zu haben. Ich kann nur Hnden,
dass der einzige neue arische Baumname, den er zum Vergleich mit
europäischen a.a.O. beigebracht hat, das höchst zweifelhafte scrt. jxir-
kati „Ficus religiosa" = lat. quercus ist. Auch Hoops ist eine solche
Erweiterung des europäisch-arischen Bestands an Baumnamen nicht
gelungen (vgl. oben p. 174 Anm. 1). Das einzige neue, was in jüngerer
Zeit in dieser Beziehung ermittelt worden ist, ist vielmehr das oben
erörterte kurd. büz „Ulme'*, das freilich auch nur bei Anwendung
höchst verwickelter etymologischer Kunstgriffe mit lat. fdgus usw.
vermittelt werden kann.
uiclieu zu stützen veniiag. Es bleibt somit die dritte Müg-
ikeit flhrig, gegen die keinerlei Bedenken bestehen, sobald wir
nrbalb des ältesten VerbreitungsgebietB der idg. Vdlker eine
lalität aufweisen können, die auf veriiältniEmtissig beBcbränklem
praphischen Raum den oben gestellten Anforderungen ent-
Eine solehe Lokalität ist nun allerdings vorbanden, und
' in Europa nur einmal vorbanden Es ist dies der Süden
iropäiscbcn Rnsslands, vielleicht znsammen mit den benacb-
Karten asiatiscben Regionen, da es eine geographische Grenze
[wischen Europa und Asien nicht gibt. Ein grosser Teil des
eurupAiscben Süd-Russlands wird durch sogenannte Wald- oder
L'bergaugssteppeu gebildet, Bezirke, in denen Steppen und Wälder
rielfacb iueiiiander greifen, indem einerseits der dichteste Wald
üft unaiittelhar au die Steppe herantritt, andererseits ein häufig
sehr ausgedehnter Baumwuchs an den Läufen der Flüsse und
auf den Erbtihnngeu des Bodens, an denen Südrussland viel
liier ist, als man gewäbniich annimmt, mitten in die Steppe
ringt. „Der Übergang (/.wischen Wald und Steppe}", sagt
. A. U eltner Das europäische Rnssland p. ^6, „vollzieht
I ganz allmählich: die Wiesen im Waldland werden häufiger
und grösser und nehmen immer mehr überhand, so dass der
Wald halbtnselfOrmig in die Steppe vorspringt oder in Inseln in
sie eingesprengt erscheint. Namentlich ziehen sich an den FIdss-
läufeii Waldstreifen entlang, und auch die Hänge der in das
Platean eingeschnittenen Täler und Schluchten sieht man oft mit
Wald bekleidet, wahrscheinlich weil sie gegen die über das
Plateau binfegenden, austrocknenden Winde geschützt sind. Erst
ganz im .'^üden breitet sich die Steppe ohne Dnterhrechung in
unendlicher Einförmigkeit aus.'' Ebenso äussert sich Ratzel Be-
riebt d.kgl.säeh8.Ge8.d.W.LII, 57. In der in diesem Wald-Steppen-
^biel des südlichen Russlands nachweisbaren Baumflora (vgl.
I)e«>mier8 A. Nehring Die geographische Verbreitung der .Säuge-
liere in dem Tschernoaera-Gehiete des rechten Wolga-Ufers sowie
toden angrenzenden Gebieten, Z. d, Ges. f. Erdkunde zu Berlin
B No. 4; dazu Fr. Th. Koppen Geographische Ver-
lang der Holitgewächse des europäischen Rnsslands, 2 Teile,
rsbnrg 1886, 1889j finden sich, abgesehen von Buche und
{b. u.}, die auf den äassersten Westen beschränkt sind, tat-
— 178 —
Sächlich alle im obigen (uDter B) geDannteD Arten wieder. Hier
würden wir also die Drsitze der europäischen Indogennanen (mit
Einschlnss der Armenier) lokalisieren. Südöstlich von ihnen, in
den reineren Steppengegenden und in den nngehenren, heute von
Kalmüken und Kirgisen besetzten Distrikten zwischen dem Unter-
lauf des Don und der Wolga sowie der sogenannten aralo-kaspi-
schen Niederung, in denen der Baum wuchs fast ganz verschwindet,
und wo daher auch seine Terminologie eine sehr dürftige seia
musste, würden wir glauben, dass die Vorfahren der Iranier nod
Inder einst sassen oder nomadisch umherstreiften (vgl. Kap. VI).
So kann man meines Erachtens wohl begreifen, dass ?od der
reichen Terminologie der Baumarten im Westen und Nordwesten
nur die Namen der am weitesten in die Steppe vordringendea
Birke, Weide und irgend eines Nadclgewächses (mehr Mast
sich, wie wir sahen, durch europäisch-arische Gleichungen tat-
sächlich nicht belegen) bis in den fernen Süd-Osten hinübergriffciL
Wenn wir aber die Urheimat der Indogermanen in die
Waldgebiete, Waldsteppen und Steppen des südlichen Rußslaods
verlegen — was an dieser Stelle ein blosser Ansatz sein »oll,
der erst im Rahmen späterer Erwägungen seine Bestätigoog
empfangen wird —, so steht nichts im Wege, die Wohnsit«
der westlichsten Glieder des idg. Sprachstamms so zu loka-
lisieren, dass sie in den Bereich der Buche hineinfallen, die in
Russland noch in Polen, Wolhynien, Podolien und Bessarabien
auftritt. Die beiden oben genannten Sprachreihen : knrd. M^
„Ulme**, lat. fägus, ahd. huohha^) „Buche" und armen. hß4
„E8ehe*^,griech. d^vrj^)^ alb, ah „Buche" könnten also, wenn einst-
1) Hieraus entlehnt altsl. büky^ russ. bukÜ usw., da die Urntie
der Slaven ausserhalb der Buchengrenze lagen. Dass russ. bozü usw.
^Hollunder' mit kurd. büz^ lat fägus usw., wie Hoops p. 126 an-
nimmt, urverwandt sei, ist wenig glaublich. Eine Vermutung über die
Etymologie des Wortes bei A. Brückner Archiv f. slav. Phil. XXIII,
626. — Eine merkwürdige Entlehnung aus dem Deutschen ist ross.
pichta ..Edel-Tanne'^ {Äbies pectinatä). Da diese in Rassland fast nur
in Polen vorkommt (Koppen II, 546), so wäre die Entlehnung «n
sich (wie bei bukü) nicht auffallend, merkwürdig aber ist der An^
gangspunkt dieser Entlehnung: ahd. /Sc/ifa, nhd. flehte, das, sovielich
weiss, nicht für tanne gebraucht wird.
2) Wahrscheinlich ein ursprünglich nordgriechisches Wort, d»
die Buche in Griechenland nur im Norden vorkommt (genaueres im
Btals ilieE8cilH und jenseits der Buebeiigreiixc geltend, in dieser
Versehiedenheit der BedcatUDgen schon indogermanisch Bein.
«DZ ähnlich wie die Grenze der Buche verlänft auch die der
Eibe 'Taxus bnccato; Koppen II, Karte V), zu deren Rechteo
id Linken wir die achon oben angeführte Sprachreihe ela?.
lea „Weide", lit. jiirä „Fanlbanni", altpr. invis ■ „YAhe"' ) f&ndea.
ßwei wahrscheinlich von jeher diesseits der Eihengren/.e sititende
Völker, die Griechen nnd Rfimer, weisen fflr diesen Banm die
Beboit oben genannte Gieichung nJfoc „Bogen" iTgl. altn. ^r
^ibe" nnd „Bogen") = lat, ta.ru3 auf. Bemerkt sei noch, dasg
iuich die Ostgrenze des Ephcus (Uederu helix) sehr viel gemein-
imea mit der der Buche und Eibe aufweist (vgl. Koppen
|[, Karte III). Allein die fmlier allgemein als richtig an-
^nommene Gleichung griech. zioodc (*;(tlljocj = lat. bedera. die
enn richtig, auf gleicher Stufe mit tö^ov — taxun stehen wllrde,
Ürird gegenwärtig von mehreren Etymologen hcKweil'ell (vgl. /.. B.
IWalde Et. Wb. d. lat. .Spr.j.
Wenn wir so gesehen haben, daui die sprachli'-he Ge«ehichte
erer Waldbäumc in ein hohes Aller hinaufgehl, so liesse
Weh ein gleiches sagen von tausendi^rlei Zllgen der Hitte and
lee Glaubens, die hcIi an denselben emporgerankt haben. Frei-
lich wird CS auch auf diesem Gebiete noch eingehenderer For-
sehongen hedllrfen, um das gemeinsam Ererbte von dem dnrch
Entlehnung oder aach durch Zufall Gemeinsamen zu sondern.
Übereinstimmend bei den europäischen Nordstämmen wie bei
Griechen und Rüniern findet sich der Glaube an das Leben des
Baumes, die Banmscele. Der Baum wächst, trägt Früchte,
verwelkt, stirbt wie der Mensch. So liegt es einer naiven Phan-
tasie nahe, ihn den lebenden Wesen gleichzustellen. Ana BäumCD,
f^o glaubt man, ist das Menschengeschlecht hervorgegangen. Bei
Homer heissl es sprichwörtlich: m-n d-tri dgvö^ Inat of'd' Anit
AFiQtic- Im Norden begegnet der Mythus von dem Weltbanm
ReallexikOB p. 117) und dana verschwindet. Mit diesem Versch winden
kann die Bedentnags Verschiebung von griech. •pijj'ffc = lat. fagua
.Speise ei che" — .Buche* zusammenhangen.
1) Hierher anch ahd. Iwa, Iha. ag\».iic, eoh, jr. rlo, cymr. j/tr etc.
l>ie Keihe wurde in die obigen Zosammen Stellungen nicht aufgenommen,
weil aie sich aa( Nordenropi beschrftnkl nnd et.v mo logisch noch
fiunkel ist.
- 180 —
Yggdrasil. Viele Bänrne bluten wie Menschen, wenn sie der
Schlag der Axt trifft. Wald und Hain beleben sich mit Wald-
geistern und Wildfrauen, wie Dryaden und Nymphen. Korz,
hier ist die Quelle der zahllosen Wald- und Feldkulte zn snchen,
wie sie W. Mannhardt in seinen beiden Werken Der Baam-
kultus der Gernmneu und ihrer Nachbarstämme Berlin 1875 and
Antike Wald- und Feldkulte aus nordenropäischer Oberliefenmg
erläutert 1877 (beide Werke neu herausgegeben von W. Heuschkel
1904 u. 1905) zu entwirren und darzustellen unternommen hat.
Namentlich aber hängt mit dieser Grundanschaunng von
dem Leben des Baumes auch die uralte Vorstellung znsammeD,
die den Wohnsitz der unsterblichen Götter in den Bäumen sncht.
Wälder und Haine sind die ältesten Tempel, welche die Natur
seU)8t den unsterblichen errichtet hat. Ich brauche hierfür nicht
die zahlreichen geschichtlichen Beispiele anzuführen, die fttrdie
Nordstämme J. Grimm in der Deutschen Mythologie P, 57— 77,
für die Griechen und Römer C. Boetticher Über den Barnn-
kultus der Hellenen und Römer Beilin 18ö6 gesammelt habeo.
Aber auch in sprachlicher Beziehung macht bereits J. Grimm
die feinsinnigen Bemerkungen: „Tempel ist also zugleich Wald.
Was wir uns als gebautes, gemauertes Haus denken, löst sich
auf, je früher zurückgegangen wird, in den Begriff einer von
Menschenhänden unberührten, durch selbstgewachsene Bäume
gehegten und eingefriedigten Stätte" Myth. P, 59, und „Die
ältesten Ausdrücke unserer wie der griechischen Sprache können
sich von dem Begriff des heiligen Hains noch nicht losreissen*^
Geschichte d. D. Spr. p. 116. Hierfür beruft sieh J. Grimm
auf die germanischen Wörter got. alhs, ahd. wih, ahd. harttc
{hmnigari „Priester"), agis. beai'u^) (ahd. paraicari)^ deren Be-
deutung deutlich zwischen lucus und fanum schwanken, und auf
1) Von diesen Wörtern gehört got. alhs^ agls. ealhy alts. üM
^Tempel" : altlit. elkas „Hain", lett. elks „Götze** ; ahd. trtÄ, agls. vsXk,
altn. v4 bedeutet allgemein „Heiligtum" (got. veihs „heilig*) ; ahd. harvCy
agls. hearh ist noch nicht sicher erklärt (Vermutungen in meinem Real-
lexikon p. 857 und bei Hoops Waldbäume p. 120). Agls. dearu gehört
zu dem gemeinslavischen horü „Fichte, Fichtenwald". Vgl. auch altn.
barr y,the neecUes or spines of a fir tree^, bar-skögr „needUwood^
(Vigfusson). Der Bedeutungsübergang von agls. bearu „Wald*, altn.
börr desgl. zu altsl. borü „Fichte" ist wie der von der tann : die tonn»,
der oder d(i8 buech : die buche, das esch, das asp^ die alle zonäcKst
die grieehJBcheD li/ifvog („heiliger Bezirk" : re/iwu) DDd SXao^
(= alav. /(i«M „Wald"?). „Abgezogner", meint J. Grimiu, sei
nar griech- färfc „Tempel", Es gehöre zu vaku „ich wohne"
und bedeute „Wohnung der Götter". Dieser Erklärung des
kiilliirhigtorisch so wichtigen Wortes haben sich auch die neucreo
Etymologen angeschliisseu nnd die dialektischen Formen hom.
vfjtiC) attisch rea'ig, äol, vnt'Oi auf eine Grundform *nag-vo-s (vgl.
Svanaa, h-daihjy) „Wohnung" ziirltckgefHhrt. Allein es ist mir
sehr zweifelhilft, ob diese Deutung sich halten lässt; denn ein-
mal fehlt es vom rein lautgeechichtlichen Slandpunkt durcliaus
an Beispielen, die das „Lantgesetz" der Verwandlung eines iiiter-
vokalcu nr in griech. v {ravog ans *na»-eo-8) sonst noch be-
stätigten. Besonders aber scheint mir ein Drsinn „Wohnung",
von dem sieh in historischer Zeit keine Spur erhalten hätte, für
den Begriff des Tempels im Hinblick auf die Verhältnisse der
^nriechischen Urzeit doch allzu abstrakt oder „abgezogen", wie
J. Grimm sieh ausdrückte ivgl. dazu mein Reallexikon p. 860).
Ich erlaube mir daher, aufs neue eine andere Erklärung de»
griech. >t;oc vorzuschlagen, die zugleich ein Beispiel dafQr ist-
■wie anders sich die Dinge ausnehmen, wenn man die Eultur-
■wörler nur Inutlieh, und wenn man sie lautlich und sachlich
(vgl. P, 212 f.) betrachtet.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass griech. v>)6^ ur-
sprttugtich nicht sowohl den ganzen Tempel als vielmehr dei>
innerateu Ratim des kQdov bezeichnete, der das Bild des Gottes
nthielt (lö üdvTOv, 6 atjxö?). Was wird nun n/d; in urgrie-
Iiischer Zeit, wo doch natürlich von irgend welchen Knust-
lanten noch keine Rede sein konnte, bedeutet haben;'
Die richtige Antwort auf diese Frage hat bereits Pljnius
gegeben, wenn er Hist. nat. XII, 1, 2 den Gedanken ausführt,
idsss Bäume die ältesten Wohnsitze der Götter gi^weseu seien.
Dies wird durch unzählige Züge der griechischen Überlieferung
istätigt. Der älteste Tempel der ephesischen Artemis befand
I Stamm einer Ulme (7ZQEfivi}i ht jmXsrjg) oder unter dem
LWald ans der betreffendi^n Holzart', dann „Wald überhaupt" bedeuten
fflrgl. Schmeller ßair. W. I* 196); auch bIsv. bonl kommt in der alt
lyemeiuen Bedeutung von Wald vor (Miklosich Et. W.). Vgl. auch
Silva Hnrcynia : lat. quercus, ahd. forha, S. Baeenis : nhA. buohha^
1 Caesia : mbd. heitter Junge Buche' u.a.
I
— 182 —
Stamm einer Eiche {(prjyov vtiö Tigijuvq)), Paasanias 8, 13, 2
berichtet: ngdg dk Tf\ nolei ^oavov ianv HgTijbudog' Tigvtcu i& h
xeigq) i^ieydl}}. Götterbilder werden auf Bäomen oder unter
Bäumen angebracht. Es gab einen Zevg ivöevögog, einen Jtiwoo;
Ivdevdgog, eine ^EUvt] devögTrig wie eine ^AQrtefug xedgedrig MW.
(vgl. Bötticher a.a.O. p. 9 ff., p. 142, K. F. Hermann Lchrb.
d. gottesdienstl. Altertümer* p. 91 ff., Baumeister Denk-
mäler I). Aber eine noch deutlichere Sprache redet der uralte
Kultusuame des Dodonäischen Juppiter, des Zevg Nduog {vaPu>g\
also des Zeus, der sonst qyqyovaXog „der von der Eiche^ geiuuiDt
wird, der i n der Substanz des heiligen Baumes lebt (arAof
numen habet), dessen Stimme aus dem Rauschen der Eiche er-
schallt. Kann dieser Zeifg Ndiog etwas anderes als Zevg Mtf-
ÖQog, d. h. „der im Baume^ oder „der im Baumstämme^ sein?
Auf denselben Stamm und auf dieselbe QrundbedeatoDg
wie vaog „der Tempel^ führt nun nach meiner Meinung diejenige
Wortreihe zurück, die schon in der Ursprache den Nachen, das
Boot bezeichnete: scrt. näü neben näva, nävä% lat. nävis, griech.
vavg (gen. dor. vöog, ion. vriog, att. veibg) neben *völFo, *viy/o in
^Exevrjog n. pr, „Habeschiff" usw. Wir werden später von dem
Schiffsbau der Indogermanen eingehender zu handeln haben.
Schon jetzt aber kann mit Bestimmtheit hervorgehoben werden,
dass wir uns die idg. Boote nicht anders als ausgehöhlte Baum-
stämme, sog. „Einbäume" zu denken haben. In sprachlieber
Beziehung spiegelt sich dies deutlich genug ab ; man denke an
scrt. dä'ru „Holz", „Kahn", altn. asTcr, mlat. ascus „Esche",
„Schiff", altn eikja „Eiche", „Boot", alts. stammj lat. /Wer
(vgl. oben p. 174), caudex und caupultis, mlat. cocha, frL
choque, it. fustüy mlat. fustis, it. legno : ligvum usw., alle „Hol^
stamm" und „Schiff". Ja, norwegische Dialekte bieten ein dem
griech. raD<? entsprechendes nö, nü selbst noch in dem Sinne
von „ausgehöhlter Baumstamm" dar (vgl. Noreen Abriss d.
urgerm. Lautlehre p. 28). Es scheint mir daher fast zweifelk»,
dass raog nicht ursprünglich = „Wohnung" ist, sondern da»
wir folgende Bedeutungseutwickinng anzunehmen haben:
I griech. i'i;o^ „heiliger Baumstamm'',
idg. n^i?-, W£Jro„Bauinstanmi" | „Tempel" (Zevg Ndiog).
(norw. nd, nü) \ griech. (oder idg,) vavg „Bn-
banm", „Schiff".
- 188 -
Die Frage nach der Wurzel dieses Stammes^) kann un-
rtert bleiben.
Der obersten Gottheit gehört die Eiche, der innerhalb
europäisch-indogermanischen Kultnrgebiets eine besondere
entung nicht abgesprochen werden kann. Ich brauche hier
demm nur an den uralten Kult des Dodonäischen Zeus, der
•8t q>r]yovaIog heisst, oder an den in einer uralten Eliche auf
I Kapitol verehrten Jnppiter Feretrius (Liv. 1, 10) zu erinnern,
i den Kelten weiss Maximus Tyrius (Boetticher p. 529):
xoi aeßovöi /ukv Jia' äyakfxa de Aiog KeXxixöv vyfrjXi] dgvg.
Greismar in Hessen fällt Bonifacius die hohe Eiche, welche
fCO Paganorum rocabülo appellatur robur Jovis. Endlich
igen auch Slaven, Litauer und Prenssen diesen Baum ihrem
Donner und Blitz sich offenbarenden altsl. Perunü, lit. Per-
4iSj preuss. Percunis, Aber auch andere heilige Bäume
den öfters genannt, in Italien die Buche (vgl. Festus ed.
bf Aller 8. V. Fagutal), bei den Kelten ein Birnbaum (J. Grimm'
tische Mytb. P, 67), bei den Litauern Birke, Hasel, Kirsch-
DHy Ahorn, Eberesche, Faulbaum, Fichte u.a.
Doch nicht nur der grtlnende Hain und der lebendige
iDn sind den Indogermanen Gegenstand göttlicher Verehrung
''esen. Es kann nicht bezweifelt werden, dass auch der
lllte und entblätterte Stamm, hauptsächlich wohl in Ver-
lang mit dem Opfer (vgl. scrt. svdru „Opferpfosten" = agls.
r pSäule"), religiösen Zwecken diente. Es genügt in dieser
lehnng auf die dem indischen yupa („Opferpfosten") dar-
raehte Verehrung, auf das lat. dSlubmm „Heiligtum" (Festus
O. Müller p. 73: Delubrum dicebant fustem delibratum,
est decorticotum, quem veneräbantur pro deo), auf die alt-
bsische Irmensäule, auf das griechische ^vXov ovx elgyao/iivov
I. Overbeck Das Kultusobjekt bei den Griechen in seinen
6ten Gestaltungen, Sitzungsb. d. sächs. Ges. d. W. 1864)
anderes zu verweisen (näheres vgl. in meinem Reallexikon
r. Tempel, Meringer L F. XVIII, 277 und Kap. XV: Die
igion).
1) Zu meiner Genugtuung sehe ich, dass Meringer I. F. XVIII,
jetzt ebenfalls für den Zusammenhang von griech. vav(: und veatg
ritt. Vgl. auch Beloch Griech. Geschichte I, 113.
- 184 -
Ohne Zweifel ist also ein tiefeingewurzelter BanmkaltQs
als indogermanisch anzusetzen, woraus natürlich folgt, dass die
Indogermanen in einem Lande mit Bäumen, und nicht in der
Wüste lebten. Keineswegs aber folgt daraus, dass dieses Land
deswegen in den undurchdringlichen Urwäldern gesucht werden
müRSte, die nach der Schilderung der Römer Mittel- und Nord-
europa in weiter Ausdehnung bedeckten. Umgekehrt möchte ich
vielmehr glauben, dass die Verehrung der Bäume nicht in dem
kulturfeindlichen Urwald, der seinen Bewohnern nur Schrecken
und Leiden darbot (vgl. darüber Ratzel a. a. 0. p. 55 und
Hoops Waldbäume p. 91 ff.), sondern da entstanden sei, wo
freie Flächen mit Wald wechselten, und der Hain oder auch nnr
der einzelne Baum unmittelbaren und sichtlichen Segen dem
Sterblichen spendete.
Die Kulturpflanzen.
iolopitiche^ liiiffuistisclie, historische Tutsaclii}!!. — Ältester BcBltind
EnltUTpflsnaen : Gerste, Weizen, Hirse, FlaciiB, Bohne, Mohn. —
Die Urheimatfragpe. — Cucurbitnceen.
Zu den wichtigfitcu Ergebniesen der Fräbistorie gebürt die
eontnis, dass in Europa und im Nordwesten Kleinasicus (Troas)
i in der jüngeren Steinzeit Ackerbau getrieben worden ist.
I Markstein bildet auch in dieser ^CKieliung die Entdeckung
Schweizer Pfablhauren, da der Grund der Seen, in denen
elben errichtet worden waren, die denkbar besten Bedin-
I auch für die tlrbaltung der einstmals von den Bewohnern
BT Stationen augebaiitea Vegetabilien bot. Diese Funde Etind
8t von 0. Heer Die Pflanzen der Pfaiilbaitteii (1865) be-
febeo worden. Bald aber zeigte sieb, daBS auch ausserhalb
Bereichs der Schweizer Pfahibauten und der Pfahlbauten
lliaopt die Überreste prähistorischer Kulturpflanzen an den
' traten, die von G. Biisehan in seinem Buch Vorgescbieht-
Botanik i Breslau 189Ö) mit denen der Pfahlbauten zu-
neogestellt worden sind, eine Arbeit, die dann von J. Houps
sinem vortrefflichen Werke Waldb&ume und Kulturpflanzen
iburg 1905) vervollständigt und weitergeführt worden ist.
Wenn wir somit immerhin über ein ziemlich beträchtliches
jrial für die Geschichte der Kulturpflanzen in prähistorischer
verfflgen, so könnte es doch verhängnisvoll werden, wenn
sich Über die Mängel, die demselben noch anhaften, hin-
laschen wollte. Nicht überall liegen die Erhaltungabedin-
jieii so günstig wie bei den Pfahlbauten, und aus den nord-
iftiechen Ländern wissen wir (iber dort in voigescbicht-
1 Perioden gebaute Kulturpflanzen fast ansschliesslicb etwas
re 80 zufalliger Dnistände, dasd einzelne Körner in den
noch nicht erhärteter Gelasse oder in den Wandbewurf der
dar. Ki>raeliv«ritklaliunir unil L'rgc »chic hie II. .1. Anfl. 13
— 186 —
dnrch Flechtwerk hergestellten Wohnangen geraten und dadurch
erhalten worden sind. Auch ist zu bedenken^ dass gewiaee
Kulturpflanzen wie z. B. die Zwiebelgewächse, die durch Knollen,
nicht durch Samen fortgepflanzt werden, keine Möglichkeit ge-
währen, sie in prähistorischen Schichten nachzuweisen (Hoops),
und dass man überhaupt, wenigstens was Nordeuropa betrifft,
diesen Untersuchungen erst seit ganz kurzer Zeit^) eine grössere
Aufmerksamkeit zugewendet hat. Damit hängt es auch zusammen,
dass sich das ganze von Heer, Buschan und Hoops ge*
sammelte Material auf die westlichere Hälfte unseres Erdteils
beschränkt und wir, wie es übrigens ähnlich auch bei den
Haustieren der Fall ist, vor einem grossen X stehen, sobald
wir uns ostwärts wenden und etwa die russische Grenze flber-
schreiten.
Mit diesen Vorbehalten lässt sich in äusserster Kürze z. Z.
folgendes Bild von dem Bestand europäischer Kulturpflanzen in
neolithischer Zeit entwerfen. Am weitesten verbreitet und am
sichersten nachgewiesen sind von den Getreidearten: Gerste,
Weizen und Hirse. Sie treten uns zusammen oder einzeln in
ganz Mittel- und Nordeuropa entgegen. So ist z. B. in der
neolithischen Station von Butmir in Serbien Weizen (nebst Ein-
korn) und Gerste, in den ungarischen Niederlassungen von Agg-
telek, Felsö-Dobsza und Lengyel der gemeine Weizen (nebet
Kugelweizen und Einkorn), Gerste und Hirse (Panicum miHaceum)
gefunden worden. In der Schweiz setzt sich ein vollständiges
Bild der schon zur Steinzeit daselbst angebauten GetreideaKen
aus zwei Sorten Gerste, drei Weizen- und zwei Hirsearten (nebst
Einkorn, Binkelweizen und zweizeiliger Gerste) zusammen. Aber
auch bezüglich Nordeuropas „lässt sich nach Untersuchung vieler
Tausende von neolithischen Topfscherben schon jetzt mit Sicher
heit behaupten, dass zur jüngeren Steinzeit an vielen Stellen
Dänemarks bereits mehrere Sorten Weizen, sechszeilige Gerste
und Hirse gebaut worden sind^ (Hoops p. 308). Ja, hinsichtlich
der Getreidearten sind wir in der glücklichen Lage, die oben
hervorgehobene geographische Beschränkung der früheren Nach-
1) Im Jahre 1894 übersandte zuerst Frede Rristensen, ein jüti-
scher DorfschuUehrer, dem dänischen Nationalmuseum ein verkohltes
Weizenkorn, das er aus der Oberfläche eines prähistorischen Ton-
gefässes losgelöst hatte (S. Müller Nordische Altertumskunde I, 805).
— 187 —
Weisungen durch einen Blick auf den russischen Südosten Europas
erweitem zu können. Auch in der schon im II. und III. Kap.
genannten, von Herrn Ghwoiko in Kiew am mittleren Dniepr
blossgelegten neolithischen Ansiedlnng ist Ackerbau getrieben
worden. ^Als Beweise hierfür mögen dienen", so äussert sich
Berr Chwoiko in einem Brief an Prof. Anutschin in Moskau,
der sich an ihn in meinem Interesse gewendet hatte, „1. die
Reste des Strohs und des Kornes (Weizen und Gerste) in den
Erdgruben (Resten der Wohnungen), wo auch die Steine sich
finden, welche als primitive Mühlen oder Zermalmungsapparate
zu deuten sein möchten; 2. dieselben Reste, ^ber in grösserer
Quantität in sogenannten ^Plätzchen" — runden, ebenen Plätz-
ehen, welche wahrscheinlich zu religiösen Zwecken dienten, aber
auch zur Aufbewahrung der Reste der Abgeschiedenen. Hier
wurde auch Hirse gefunden und die ganzen Schichten der
gerösteten Weizenkörner, auch die langen Kieselstücke, welche
als Sicheln genommen werden können." Alle diese Angaben
haben durch die inzwischen mir zugänglich gewordene Veröffent-
lichung des Herrn Chwoiko selbst (vgl. oben p. 153) ihre Bestä-
tigung gefunden. — Dagegen konnte in neolithischer Zeit von
Oetreidearten bis jetzt nicht der Hafer und der Roggen nach-
gewiesen werden. Der erstere tritt sowohl in der Schweiz wie
auch in Dänemark erst im Bronzealter auf, der letztere scheint
zuerst in Schlesien in der Übergangszeit von der Bronze zum
Eisen vorzukommen (Hoops p. 410 und 444). Gar keine prä-
historischen Funde liegen bis jetzt vom Spelz oder Dinkel
vor, mit Ausnahme einer einzigen Ähre, die in den bronzezeit-
liehen Pfahlbauten der Petersiusel im Bielersee entdeckt worden
ist (Hoops p. 414). Im Zusammenbang mit den Getreidearten
sei noch auf den Mohn hingewiesen, dessen Anbau schon in
der Steinzeit der Schweizer Pfahlbauten eine nicht unwichtige
Rolle gespielt haben muss, der aber ausserhalb der Schweiz in
Mittel- und Nordeuropa bis jetzt nicht prähistorisch zu belegen ist.
Wenden wir uns zu zwei anderen Gruppen von Kultur-
gewächsen, den Gespinstpflanzen und Hülsenfrüchten, so
ist von den ersteren der Flachs {Linum angustifolium) in der
Steinzeit in Oberitalien, der Schweiz*) und in Schussenried
1) Nach neueren, auch Hoc ps noch unbekannten Untersuchungen,
über die im Korrespondenzblatt der deutschen Gesellschaft f. Anthrop.
— 188 -
(Württemberg) zu belegen, während der Hanf in älteren pri
historischen Stationen nicht vorkommt. Von HülsenfrflchteD
sind bis jetzt Linsen in Serbien (Butmir), Pferdebohnen, Platt-
erbsen, Erbsen und Linsen in Ungarn, Bohnen und Linsen in
Oberitalien, Erbsen und Linsen in der Schweiz, die letzteren
auch bei Schussenried gefunden worden.
Von Zwiebelgewächsen haben wir nach den obigen
Bemerkungen keine Überreste zu erwarten, von Wurzel-
gewächsen ist aus der Steinzeit allein der Pastinak und die
Möhre in der Schweiz gefunden worden. Was endlich den Obst-
bau anbetrifft, so sind vielleicht die ersten Anfänge der Kul-
tivierung bei einer Apfelsorte in der Schweiz (Robenhansen)
und in Oberitalien (Lagozza) nachgewiesen worden. Erwähnt
sei noch, dass in neolithischer Zeit auch die Eicheln, die in
den Schweizer Pfahlbauten in grosser Menge in Tongefftssen
aufbewahrt wurden, und die Früchte der Wassernuss (Trapa
natans L,) dem Menschen zur Nahrung gedient haben dflrften.
Wir gehen nunmehr zu den linguistischen Zeog-
uissen fttr das Alter der im bisherigen genannten KnlturpflanzeD
i)ei den idg. Völkern über. Auch hier treten uns grosse
Schwierigkeiten, und zwar grössere als bei der Geschichte der
Haustiere entgegen. Während es bei den in Kap. III uns be-
schäftigenden Wortreihen fast niemals zweifelhaft war, ob wir
es mit Erb- oder Lehnwörtern zu tun haben (vgl. I*, 191 ff. )^
wird diese Frage, wie sich im folgenden zeigen wird, bei den Knltnr
pflanzen wiederholt nicht mit völliger Bestimmtheit zu beant-
worten sein. Dazu kommt, dass gerade in den verbreitetsten
Reihen die Bedeutungen oft so auseinandergehen, dass es teils
nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, teils gar nicht mög-
lich ist, den ursprünglichen Wortsinn zu ermitteln. Ersteres gilt
z. B. für die beiden Reihen : scrt. ydva „Getreide, Gerste**, aw.
yaca „Getreide" (npers. jav „Gerste**, osset. ycu, yau „Hirse*),
griech. C^d „Spelt", lit. jatoät „Getreide", ir. eorna „Grerste**
und lat. far „Spelt", got. harizeins „Gersten-", altn. harr.
agls. here „Gerate", altsl. hüm etc. „eine Hirsenart", für die
i'W. 1905 p. 93 berichtet wird, sei der Schweizer Flachs nicht Liiw«
anguütifolium^ sondern TAnutii austriacum L. und wiese somit wvht,
wie man bisher ge.oflaubt hat, auf Herkunft aus dem Süden hin.
J
189
fcop» p. 3Ö8 ff. die Grundbedeutuag „Gerste" glaubt feBtstoUeii
LköDDvn, letzteres für Wortsippen wie scrt. cfdViMl „eine Hirsen-
, mnd. terice, ndl. tarwe „Weizen", lit. dij^cä „Acker", oder
ili. ÄÄHga „Spelt (?), scrt. wrdticd „.Saatfeld" u.a. Eine dritte
EigeiitOiuliclikeil der idg. Gleiehtingen auf dem Gebiete der
ÜDlturpflanzen, nümlich der Umstand, dms sie /.um gröeserou
Eo auf die europäischen Sprachen hesebrftokt sind, soll
erst im folgenden Kapitel bescliäftigen.
Nach diesen Vorbemerkungen lassen sich folgende sprack-
:n TatBacben den oben aufgeführten arcbäologischen gegen-
über oder zur Seite stelleu:
Getreidearten: Für drei derselben sind unzweifelhafte
idg. Gleichungen vorbanden, nämlich: l.]&t. hordeum, &hd. gersta
(wahrscLeinlich auch g:riecb. xqi, xqi&i'i und armen, gart) für
Gerste, 2. griech. m'^öi, lit. purai, altsl., altruss. pyro') (scrt.
püra „Kuchen"?; ftlr Weizen^ vgl. auch arisch scrt. gödhü'ma,
npers. gendunt iyavdö/iijv Hesych) „Weizen", 3. grieeb. /t^Xlrtj,
lat. milii(m, lit. mo/nri« für Hirse. Eine urverwandte Gleichung
scheint auch für den Hafer in lat. avSnii, altsl. ovisä, lit.
awiM, altpr. ri/se vorzuliegen, während der den litu-slaviscben
nnd germanischen Sprachen gemeinsame Name des Roggens:
altsl. rüil, lit. rug^s, agls. ryge, altn. rugr, ahd. rokko eine
Entlehnung aus dem von Galen beneugteu tbrak. ßgi^a, d.i.
*vru<jja darstellt*). Der Spelz oder Dinkel (Tridcum apelta L.i
wird so, dass Zweifel ausgeschlossen sind, erst im IV. nacli-
ebristltcben Jahrhundert unter dem spätlat. spelta genannt, Ada
1) Dieses Wort übersetzt allerdings lat. far und griech. /a.vna\
^aher der Spelt sicher eine verhSItniomässig spAte Getreideart iM,
5o durfte »ach für altsl., allruss. pyro von der im Griechischen und
dotii dem Sluvischen nächstverwnndten T.itauischeTi erhnitenen Bedeu-
tung- «Weizen' auszugehen sein. Vgl. über andprc Glieder dinser
Sippe mein Reallexikon p. 948 und Uoops p. 344.
3) Vgl. auch Uoops p. 448. Nach ihm würde die eigentliche
Qn^ll« dieser Wortsippe in ostflnnischen und türkischen Sprachen. z.B.
ot>i ja h. ar(U, wog, orni. tschuwasch. irax vorliegen, die allerdings troiK
ihrwH aalautenilen Vokals recht nibsisch (rozl. Gen. rüi aussehen. In
'üesrm Zusammenhang sei auf einen kaukasischen Namen des Roggens:
«gnliitcti tekil, rutulisch sukul etc. (Erckert p. 118t hingewiesen, der
■utfallend au die noch unerkWrte, zuerst von Pliniua gebrauchte Be-
zeichnung dieser Oetreideart »ecale (it, sigola, frz. neigU etc.) e
— 190 -
eine Entlehnttng atts ahd. sp^Ua, ipälea ist Eine sieber v-
verwandte Reihe liegt dagegen wieder fttr den im ZuMUttBefi-
hang mit den Getreidearten oben genannten Mohn vor: grieek.
fn/jxwv, fiAxfovy ahd. magOy mhd. magt nnd mdh^n^ altfNr.mott,
altsl. makiL
Gespinstpflanzen. Urverwandt oder doch mit einem
starken auf Urverwandtschaft beruhenden Kern ausgestattet, ist
nach allen neueren Forschem die Reihe: griech. Xl»ovy Ittl^ Xaoj
lat. Zlnum, linteum, ir. lin etc. (cymr. Uiain, com. bret lun
^Leinen^), ahd. lin {Una „Leine^), lit. Unai^ altsl. ttnü für den
Flachs. Ebenso allgemein wird dagegen die Reihe: grieeh.
xdwaßig, lat. canndbisy alb. Jcanep, altsl. Jconoplja^ lit. kanapii,
ahd. hanaf etc. für den Hanf als auf Entlehnung bernhaid
aufgefasst. Die Sippe wurzelt in letzter Instanz in den filmi-
schen Sprachen, wo öeremissisch kyAe den Hanf, syrjänisch und
wotjak. p\8, puS die Nessel bezeichnet, so dass sich xivraßig
als ein Kompositum mit der Bedeutung „Hanfnessel*' herauseteOt
(vgl. u. p. 192 Anm. 1).
Hülsenfrüchte, unter ihnen liegt eine sichere Glei-
chung für die Bohne vor: lat. fabay altpr. bäbOf altsl. ftoM;
vgl. daneben arisch: scrt. md'sha, npers. mäi. Die Reibee
armen, sisern, lat. cicer, griech. x^eoc, altpr. keckers und griech.
^)goßog, igißiv&og, lat. ervum, ahd. araweiz, altn. ertty beide für
Erbsenarten sowie lat. lern (vgl. griech. Xd&voog)y ahd. Undy
lit. leüzisy altsl. l^sta für Linse sind noch nicht durchsichtig
genug, um ein sicheres Urteil über das Verhältnis ihrer ein-
zelnen Glieder zueinander zu gestatten.
Von Zwiebelgewächsen ist auf die Reihe griech. xßo-
fiivov „ZwiebeP, agls. hrqmsariy nhd. ramsy lit. kermüsze, m».
ceremMj ir. creamhy auf den letzteren drei Sprachgebieten „eine
wilde Knoblauchart", unter den Wurzelfrüchten auf griech.
gaiivg, §d(pvgy lat. räpa, räpum, ahd. räba, ruobay lit. röpey altsl.
repUy alb. repe zu verweisen, wobei fttr die erstere sicher, für die
letztgenannten Wörter höchstwahrscheinlich Urverwandtschaft an-
genommen werden muss. Was die Obstarten anbetrifft, 80
würde für den Apfel eine urverwandte Gleichung vorauszusetzen
sein, falls das Verhältnis der nordeuropäischen ir. ahhaly ahd.
apfuly lit. öhüldSy altpr. toobley altsl. ablüko zu dem Namen d^
italischen „äpfelreichen" Stadt Abella so (vgl. oben p. 175) auf-
— 191 -
KD ist, dasB die letztere ihre Bezeicbaan^ von der Frucht
inicht Dtngekelirt) erhalten hat, wie es jetzt auch Hoops p. 477 ff-
annimmt. Ein besonderer Name ftlr die WaesernUBS (lat. tri-
bulu»: tero „reibe"; ygl. trUicum „Weizen") l&Bst sich nicht nach-
weisen, die Eichel hiess griecb. /^öAavo? = lat. glans, lit. güe,
altsl. ielf^di (oben p. 173).
Wenden wir ans nanmehr drittens zn den historischen
ZengoisBcn Über das Alter der im bisherigen besprocheneo
Kulturpflanzen, zuerst bei den europäischen, dann bei den ari-
schen Indogermanen, so bedarf es keiner besonderen Belege
dafBr, dass Gerste, Wet/.en und Hirse bei Griechen und
Römern seit der ältesten Zeit wohlbekannt waren. Dasselbe
gilt aber auch von den europäischen NordvUlkern. Hatte doch
«choD I'ytbeas (vgl, Strabo c. 201) auf seiner Reise ins Nord-
ineer, also circa 300 Jahre vor Christo, auf Thule einen primi-
tive Feldbau mit Hirse und Weizen vorgefunden: tö t<öv na^
n&y clyat iiör ^/tigaiv xa't ii^iwv Tiüv fiev iipogiay navrtX^ röiv
6e aitäviy, xiy^gw 61 xal äyQioii Xaj^dvotg xal xagaoi? xai ^H^aiq
jQtfpro&m ■ nap' oTg dk oiro; xal fiih yiyveiot, xai lö ;io/itt
h^ev9ev ix^iv, niid aus dem äusserstcn Osten Euiopas berichtet
Herodot IV, 71 von den skythischen Akzoncn: oTtov Ae xal
a:tEiQOvai xai nnioviai xal xQÖ/ifwa xai axÖQOÖa xal fpaxoin; xal
xiyj^Qovi. Gerste uud Weizen werden vou Tacitus Germ.
Kap. 23 als bei den Germanen zur Bierbereitung gebräuchlich
hervorgehoben.
Anders steht es mit Hafer und Roggen. Während der
erstere bei den keltischen nnd germanischen Völkern seit der
ältesten Zeil als volkstümliches Nahrungsmittel gebraucht wird
(Vgl. Pliuins liht- nat.. XVIU, 149: quippe cum Germamae
popuii «erant «am neque alia pulte vivant), ist er im Süden im
wesentlichen immer als Unkraut angesehen und höchstens ver-
einzelt zu Kutter- und vielleicht zu mediztiiit^cbcn Zwecken an-
gebaut worden (vgl. Reallexikon p. 3^0 f., Hoops p. 407 ff.).
Aach der Roggen war Griechen und Römern nur von der Feme
bekannt. Er wird ans den der Ualkau- und .A.penninhal hinsei
vorgelagerten Ländern, aus Thrakien, Makedonien iGalenos VI,
Ö14) nnd gewissen Alpengegenden (l'linius IJist. nat. XVIIl, 141)
peldet. Hinsichtlich des Spelzes ( Triticum speltaj sahen
> BcliOD oben, dasg er unzweifelliaft erst unter dem spät-
- 192 —
lateinischen Ausdruck spelta auftritt; doch sucht Hoops p.41lf!.
in ausführlicher Erörterung wahrscheinlich zu machen, dass aoch
Wörter wie griech. fcoi und lat. /hr, die ursprünglich die „Gerste*
(s. 0.); dann den gleich der Gerste begrannten Spelzweizen (Ein-
korn und Emmer) bezeichnet hätten, schliesslich, und zwar noch
vor Aufkommen des lat.-germ. spelta^ auch für den unbegrannten
Spelz, d. h. für den Dinkel gebraucht worden wären. Jeden-
falls sieht aber auch er in dem letzteren eine verhältnisrntaig
spät aufgekommene Kulturpflanze. Gut bezeugt ist dagegen
wiederum das hohe Alter der Mohnkultur. Schon Homer b^
zeichnet ihn als hl xi^ncp „im Garten^ und xaQ7i€ß ßgtdofUni
„von Samen strotzend^, und für die frühe Bekanntschaft der
Germanen mit ihm darf man auf das Eindringen des deutschen
mähen ins Vulgärlatein (mahonus etc.) hinweisen. Auch bei den
Slaven, die sämtlich an der Bezeichnung makü teilnehmen, im
besondern schon im ältesten Russland, bildet Mohn mit Bonig
{mäkü und mSdü) eines der volkstümlichsten Gennssmittel.
Unter den Gespinstpflanzen ist der Anbau des Flachses
bei den europäischen Indogermanen uralt. Für Griechen und
Römer bedarf dies wiederum keiner Zeugnisse. Für Gallien und
Germanien genügt es, auf die Berichte des Plinius (HiH. not.
XIX, 8 : tmmo vero Galliae universae vela texuntj tarn quidem
et transrhenani hostes, nee pulchriorem aliam vestem eorum
feminae novere .... in Germania autem defoaaae atque 9ub
terra id opus agunt) und des Tacitus (Oerm. Kap. 17: Und
amictus) zu verweisen. Hingegen wird der Hanf erst von
Herodot IV, 74, 75 als eine Pflanze des fernen Skythiens und
Thrakiens genannt, in deren Dampf man sich badet and be-
rauscht, die man aber auch (wenigstens in Thrakien) zum Weben
verwendet. Über sein allmähliches Bekanntwerden im Norden
haben wir keine älteren historischen Nachrichten *). — unter den
1) Vgl. Sprachvgl. u. Urg. P, 140. Hierzu bemerkt Streitberg
Lit. Zentralbl. 1906 p. 823, dass es f,eini^ermas8en schmerzlich* sei
dass von mir die xawa^i^-Stelle Herodots noch immer zur Datierung
der Lautverschiebung benutzt werde, obwohl Hirt Beitr. XXIII, 319
den Irrtum in Muchs Argumentation dargetan habe. Indessen ver-
stehe ich diese Schmerzen Streitbergs nicht: denn dass der Hanf
im Norden Europas sehr spät erschienen ist und also das lautverschobene
germ. hanaf zu einer späten Datierung der germanischen Lautver-
fllsenfrUcliteii dürfte der Preis des Alterliiiiis der Holme
lafta vtdgaris) zuzagestchen sein, und zwar wegen der wieb-
[en Rolle, die sie im Totenkult (vgl, Kap. XV) als Speise
ITnterirdischeD spielt (vgl. L. v. Schröder Das Bohnen-
Vbot bei Pythagoras und im Veda, Wiener Z. f. d. Knnde des
orgenlandc» XV, 18" (f.). Ausserdem wird sie von Homer
t6auos neben hjiflti-Ooc „Erbse"), dnreh die aUitalischen Bauern-
men Fabmit, Fahidius, Fiifetiu» ("aber auch Pho : ptsum „Erbse"
d Lenta/ue : lens „Linse"), dnrch PtiuiuB Hist. nat. XVllI,
1)1 als Hauptrruobt deB cisalpincD Galliens ffaba, sine qua nihil
mßciuni) nnd durcb die Namen der Nordsfeinseln Fabaria
ninius IV, 97) und Baunoma (IV, 94; vgl. altn. baun „Bohne")
izeogt, falls unter der Frucht, die diesen InSL'lu den Namen
Bgeben hat, nieht eine wilde Pflanze (I'isum maritimum) /.v
torstehen ist iHoops i).465). — Der Gebrauch von Zwiebel-
Swächseu ist im Süden wie im Norden, bei Homer [ttoö-
yy), wie bei Thrakern (Athen. IV, p. 131) nnd Skythen is, o.)
; bezengt, während es hinsichtlieh des Rübenbaus hier wie
1 an allen Nachrichten fehlt. Über den Gennes der Eicheln
biebung benutzt werden kann, folgt nai:h wi« vor erstens darau»,
I der Hanf iircliäologiscli in Europa nichl nachsu weisen ist, und
reitens daraus, das» ihn Herodol als Kulturpflanze noch nicht kennl.
I den Worten dieses Suiiriftstellers ergibt sich jedenfalls, das» die
ripchen den Hftnf noch nicht aus dem Nnrdeu Europas in die Balkau-
llbiDSi') iriit^ebrachi haben (vgl. auch Hoops p. 473), und ebenso
! gewisse Wahrscheinlichkeit — mehr iet von mir nicht gesagt
rden — . dass er ausserhalb Thrakiens und Skythien» in Europa
nrhaapC damals unbekannt war. — Auszugehen hl für die europäi-
1 Hanfnanien nach ihrer oben p. 190 gegelienen Deutung, mit der
teb Hoops a. «. O. UberehiHtimmt (vgl, auch Walde Lal. et, Wb,).
I einem Tinntschen Kompositum *kana-pi» „Hanfnessel", das alP
ibnirort insSkythische und Thrakiscbe (Herod. xtirra^it) eingedrungen
I wird. In welcher Reihenfolge die Uanfnauien, xa denen auch
DBD. kanap', kurd. kinif, nperu. fcanab gebären, sich hiervou los-
ISat haben, wird kaum zu sagen sein. Ganz unwahrseheinlich ist
lenfalls die Annahme Hirts (a.a.O. p. 334), dass die. elavischen
: dem Germanischen encstaminten (vgl, I'eisker a. o, p. Iiiä
E>. p. 80 ff.). — In Beziehungen zu dem nicht zusanimengeseizten
Uaoheu kyne ivgl. auch turko-tat. kin-dür, kendir „Hanfl scheint
eh daa noch spHter zu erwähnende arische »ana „Hanf zu stehen.
s mit palatalem » (scvt. ga>/ä) anlautet, vermag ich nicht
: sagen.
- 194 -
und wilder oder halbwilder Obstarten 8. Kap.Yni (^eiae and
Trank). Eine vereinzelte Mitteilung Aber die Verw^idnng der
WaBBernnBB verdanken wir Plinins (Eist not. XXII, 27:
Thraces^ qui ad Sirymona häbitant^ folüa tribuli equoi
saginant, ip$i nucleo vivunt panem faeientes prai-
dulcem et qui contrahat ventrem).
Gegenüber diesen zwar sehr lückenhaften, aber im wesent-
lichen ausreichenden Nachrichten hinsichtlich der altearopftischeD
Kaltarpflanzen ist die Frage, welche Eoltorgewilchse der ari-
schen Urzeit oder auch nur der ältesten indischen nnd irani-
schen Epoche angehören, bei der Dürftigkeit unserer Quellen uf
diesem Gebiete kaum zu entscheiden. Die einzige Feldfrocht,
die im Awesta und zugleich auch im Rigveda genannt wird,
ist ydva; aber obgleich dieses Wort im späteren Sanskrit nnd
auch in neuiranischen Dialekten (pers. /at?, osset. yew „Gerste^
aber digorisch yau ^Hirse^) die Oerste bezeichnet, ist es doeh
nach Zimmer (Altind. Leben p. 239) zweifelhaft, ob dieses
Wort ursprünglich eine so engbegrenzte Bedeutung hatte. Anch
W. Geiger (Ostiran. Kultur p. löi) schwankt, ob er yava mit
„Gerste" oder „Weizen" wiedergeben soll, und Bartholomae
(Altiran. Wb.) übersetzt es ganz allgemein mit „Getreide".
Dem Flachs der Europäer (vgl. oben p. 190) steht der
Hanf der Arier gegenüber (scrt. hhangd = aw. bangha)y ur-
sprünglich^ ganz wie bei den Skythen (oben p. 192), wohl nur
wegen der berauschenden Wirkung seines Dekoktes geschfttEt.
Im Rigyeda ist hhangd ein Beiwort des Soma, als Hanf be-
gegnet es zuerst im Atharvaveda. Im Iranischen ist heng noch
beute ein Name des berauschenden Haschisch (W. Geiger O.K.
p. 152). Daneben kommt ebenfalls im Atharvaveda eine als wild-
wachsend bezeichnete Ilaufart, qandj vor, ein Wort, das offenbar
Beziehungen zu dem oben (p. 192 Anm. 1) genannten finnischen
Tceue „Hanf" hat (vgl. auch osset, sannay san „Wein" und skytb.
ouvdjiTiVy thrak. oavdjiai, wie iran. heng „Hanf" und „Haschtsch^).
Im Qatapathabrähmana werden aus diesem ganä gefertigte Schnuren
und Gewänder genannt.
Von anderen Kulturpflanzen, die zwar nicht im Rigveda,
wohl aber in anderen vedischen Texten vorkommen, scheinen
Weizen und Bohne (vgl. oben p. 189, 190) in den neuiraniscben
Dialekten und im Sanskrit übereinstimmend benannt zu sein. Das-
i^wlbe ^U Ton derjenigen Pflanze, die später die Hauptnahrang
der Inder bildete, dem Reis, scrt. vrihi {= afgban. rrii^, npere.
gurinj, vaTinj\ hieraus armen, brinj); doch wird man ans pfianzen-
geographischen Gründen hier mit Sicherheit eine von Indien
ausgehende Entlebnungareihe annehmen können.
Über den indisch -iranischen Soma, ebenso wie Über den
europäischen Wein, vgl. Kap. VIII (Speise und Trank).
Überschauen wir die im bisherigen für das Alter der Kultur-
pflanzen bei den idg, Völkern angeführten prähistorischen, lin-
guistischen und histurischen Tataachen, so stimmen alle drei
Beweismittel in Beziehung anf sechs Pflanzenarten überein:
nämlich in Beziehung auf die drei Getreidesorten, die Gerste,
den Weizen nnd die Hirse, ferner für den Flachs, die Bohne
nnd den Mnlin. Den Anbau dieser Pflanzen würden wir also
bereits einem vorhistorischen Ackerban der Indogermanen zu-
scbreiben, natürlich nicht in dem Sinn, als ob daneben nicht
noch andere Knitnrpflanzen bestanden haben könnten.
Dieses Ergebnis unterscheidet sieh von demjenigen, zu dem
Hoops in seinem oft genannten Buch gekommen ist, insofern,
als Hoops nur die Halmfrilehte (Gerste, Weizen und Hirse^ als
„indogermanisch" gelten lassen will. Indessen scheint mir der
Weg, anf dem Hoops zu seiner Anschauung gelangt ist, nicht
einwandfrei zn sein. Indem näiiitich Hoops den Ausdruck
-indogenuanisch" nur auf die Zeit anwendet, in der wir uns die
Inder nnd tränier noch mit den Übrigen Indogermanen verbunden
denken müssen, und demnach fUr jeden als indogermanisch zu
bezeichnenden Kulturbegriff die Übereinstimmung der europäi-
, sehen nnd arischen Sprachen fordert, stösst er auf die schon
hervorgehobene Schwierigkeit, dass gerade die von Europa
I Asien hinüber reichenden Gleichungen für Kultur)iflanzen
' fvgl. ansser den oben p. 188 f. angeführten noch scrt. »aiyd „Feld-
frucht, Getreide, Korn", aw, bahya „Getreide", cymr., cum.
haidd, bret. heiz „Gerste", gall. {sjasia „Roggen" und scrt.
dhänä's „Getreidekörner", aw. dänä id., mpers. ddn, npera.
däna „Korn", lit. düna „Brot") so sehr in ihren Bedeutungen
auseinandergehen, dass es unmilglich erscheint, eine gesicherte
Urbedeutung anzusetzen. Anders ist es, wenn wir uns auf die
n n r in den europäischen Sprachen belegten Gleichungen he-
- 196 —
schränken, die in ihren Lautverhältnissen ebenfalls die Sparen
höchsten Altertums an sich tragen. Es scheint mir nun dabei
inkonsequent von Hoops zu sein, auf der einen Seite z.B. für
die Hirse, für die es nur die eine auf Europa beschränkte Glei-
chung: griech. piskivrj, lat. müium, lit. maZ/id« gibt, das Prädikat
^indogermanisch^ in Anspruch zu nehmen, dasselbe aber Sprach-
reihen wie den oben angeführten für Flachs, Bohne, Mohn za
verweigeiD, obgleich er doch selbst, ganz wie es hier geschieht,
diese Sprachreiheu nicht auf Entlehnung beruhen lässt. Änf
jeden Fall aber müssen schon hier die Schlüsse^ die Hoops aos
dem augeblich auf Gerste, Weizen und Hirse beschränkten Besitz
der Indogermanen an Kulturpflanzen gezogen hat, als nicht
stichhaltig bezeichnet werden. Eine in der angegebenen Weise
bezeichnete Gruppe von Kulturpflanzen kehrt nämlich nach
Hoops während der jüngeren Steinzeit Mittel- und Nordeuropas
nur in den norddeutsch-nordischen Gebieten wieder. Dieseo
stehe eine durch einen wesentUch grösseren Reichtum an Kultur-
pflanzen (z. B. Lein, Erbse, Mohn, Apfel) charakterisierte |,circniD-
alpine^ Zone (die nördlichen Vorländer der Alpen zusammen mit
Bosnien, Ungarn, Oberitalien, in welchen beiden letzteren Lin-
dem auch Faba vulgaris neolithisch bezeugt ist) gegenüber. Da
nun die Indogermanen nach seiner Meinung nur Gerste, Weizen
und Hirse (nicht auch Lein, Bohne, Mohn) kannten, so sei die
Urheimat der Indogermanen in den norddeutsch-nordischen
Gegenden zu suchen. Gerade umgekehrt müssten wir vielmehr
auf Grund unseres oben ermittelten Bestands an idg. Kultur-
pflanzen die Urheimat der Indogermanen, bezüglich ihres weit-
lichen Flügels (vgl. Kap. VI), nicht allzufern von jenem „drcom-
alpinen'' Kulturgebiet suchen, wenn wir es überhaupt für möglich
hielten, bei der schon oben kurz charakterisierten Lage der For-
schung dergleichen Dinge für die Urheimatfrage schon jetzt ent-
scheidend zu verwerten.
Unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet sind, wie nicht genug
betont werden kann, noch allzu lückenhaft und geographisch
allzu beschränkt, um derartige Schlüsse zu erlauben. Aus ganz
Norddeutschland, das nach Hoops als Heimat der IndogermaDen
in erster Linie in Betracht käme (vgl. auch Kap. XVI: Urheimat]|
hat dieser Gelehrte aus neolithischer Zeit ein einziges Gerstenkorn
zutage fördern können (p. 305), ein Gerstenkorn, das nach Ansicht
197
I *1es Finders noch dazu vielleicht ein Haferkoni ist, und wenn wir
nach einer Mitteilung A. Goetzes dieBem einen Getreidekorn auch
iioch ein zweites (Abdruck eines Weizenkoma auf einer ornamen-
tierten Seherbe ans einem Steinkaniraergrab; Klögelu, Kreis Lelie;
Ilerliner Vßlkermusenm) an die Seite stellen können, so müssen
<Ioch diese xwei KOrner deu ganzen „iirindogermaniscben" Aeker-
K l>nii tragen, und eine einzige Bohne, die sich etwa diesen zwei
BGetreidekÖrnern irgendwo in Norddeutschlaiul /.ugesellte, würde
pdaf: ganze Gebäude, das Honps aufgeführt bat, fallen. Wie iift
nines Hoops selbst den sprachlichen imd historischen Tatsai-hen
gegenllber das völlige Vereagen der l-'unde konstatieren 1 So
_ beim Mohn, der Hohne, dem Hafer, die er sämtlich, wenn
anch nicht fllr „indogemisnisch", so doch bei den Germanen
far sehr alte prähistorische KnlliTrpflan/,en hält, und von denen
•dtr erstere in Mittel- und Nordeiiropa (ausser der Schweiz) gar
Inicht, die zweite in Nordeuropa erst in der Vi^lkerwanderungs-
nnd der dritte in Deutschland selbst iu historischer Zeit
kerst ganz spät durch Funde zu belegen ist. Und seihst wenn
I wahr wäre, dass die Indogermanen nur den Anbau von Halm-
E- fruchten gekannt hätten, und wenn die zukünftige Forschung
den Satz, dass der neotithische nordeuropäische Ackerbau sich
auf Gerste, Weizen und Hirse beschränkt hätte, durchaus be-
stätigte, würden dann nicht den vnn Hoops aus diesen beiden
Tatsachen gezogenen Schlüssen, die oben erwähnten Ausgrabungen
des Hemi Chwoiko am mittleren Oniepr, durch die ein da-
selbst betriebener neolithischer Ackerhau mit Gerste, Weizen
und Hirse an den Tag gekommen ist, den Hoden unter den
Füssen entziehen? Kurz, ich niöelite glauben, dass von dem
Hoopsflchen Versuch, so interessant er an und für sieh ist, doch
I dasselbe gesagt werden ninss, wie über die Konstruktionen
IVnchs nnd Kossinnas (H, 2\\ f.), dass sie nämlich zu ein-
seitig auf den durch die Prähistorie in der westlichen Hälfte
Europas gemachten, auch an sich für derartige Schlüsse noch
keineswegs ausreich ewlen Erfahrungen aufgebaut sind.
Immerhin ist es mir erfreulich, dass ich mit einem so
t Srihidlichen und umsichtigen Forscher, wie Hoops, wenigstens
in dem t^gebnis zusammentreffe, dass die Kultur von Gerste,
Weizen nnd Hirse bis in die idg, Urzeit, genauer Ins in gewisse
Teile des Urlands (Kap. VI), znriickgehe. Hoops glaubt nun.
1^
— 198 —
noch einen Schritt weiter tun und (vgl. p. 357 ff.) nachweiBen m
können, dass unter diesen Getreidearten wiedemm die Gente
das Uanptgetreide der Indogermanen gewesen sei. Dies aber,
so schliesst er weiter mit L. Geiger (Sprachvergl. n. Urg. P,
93), weise auf ein Land mit kurzen Sommern, also auf Nord-
Europa, einschliesslich des nördlichen Deutschlands, hin. Ich will
die, wie mir scheint, gegenüber unseren Forschungsmitteln zn
sehr ins Spezielle gehende Frage nach dem Hauptgetreide der
Indogermanen auf sich beruhen lassen, kann mich aber, falb
dieses Hauptgetreide did Gerste war, den hieraus abgeleitetes
Folgerungen ebenfalls nicht anschliessen.
Ich liesse es mir gefallen, wenn die Sache so läge, dass
ein eigentlicher Anbau dieser Getreideart etwa nur bei den
Nordvölkern nachweisbar wäre (auch russ. Hto bedeutet ttbrigeos
im Norden wie unser „Korn" schlechthin „Gerste"), und in die
Kultur der Inder, Griechen und Römer der Gebrauch dieser
Halmfrucht nur noch in Spuren hereinragte. Da aber der Verf.
(p. 371 ff.) selbst hervorhebt, dass im ältesten Indien i die Gerste
neben dem Reis eine „hervorragende Stellung" einnahm, und sie
in Griechenland sogar das „Hauptgetreide" ausmachte, woraus
doch folgt, dass das damalige Klima dieser Länder ihrem Anbau
günstig gewesen sein muss, so verstehe ich nicht, wie man ans
der Bedeutung der Gerste bei dem indogermanischen Crvolk
etwas über seine Urheimat folgern will.
Auch aus den bisherigen Untersuchungen über die sogenannte
Urheimat der Kulturpflanzen, d.h. über die Gegenden, in denen
sie aus wilden Stammformen zuerst hervorgegangen sind, dürfte
sich in der Frage nach der Urheimat der Indogermanen, etwa
in dem Sinne, dass man sagen könnte, auf diese oder jene Zone
wiese der als indogermanisch erhärtete Anbau von Gerste,
Weizen, Hirse, Flachs, Bohne und Mohn hin, noch kein irgendwie
sicherer Anhalt ergeben. Denn mag man nun das De Can-
dollesGhe Buch Der Ursprung der Kulturpflanzen (deutsch von
E. Goetze, Leipzig 1884) oder die neuesten Forschungen in
diesen Fragen, wie sie von Engler in der Neubearbeitung des
He huschen Werkes oder in dem Hoops'schen Buch mitgeteilt
werden, durchnehmen, man wird doch sagen müssen, dass wir
hier noch in einem Meer der Ungewissheit schwimmen, und dass
der Satz Humboldts: „Der Ursprung, das erste Vaterland der dem
Menschen Dützlichstea Gewächse, welche ihm seit den fernsten
Zeiten folgen, ist ein ebenso nndurchdriDglicbeB Geheimaia wie
die Heimat aller Hanstiere", wenigstenB was die Pflanzen be-
triffl, noch kaum widerlegt ist.
Wichtiger ist die Tatsache, dass der Bestand an Kultur-
pflanzen, den wir für die europäiseli-indoiiermanische ürgeschicbie
oben ermittelt zu haben glatiben, in den wichtigsten Punkten
ancb indem ägyptisch-semitischen Kulturkreis wiederkehrt,
wo ebenfalls Gerste, Weizen, Flachs und Bohne zu den ältesten
Knlturfrllt^hten gehören. Hinsichtlich des Vorkommens der Hirse
i.hebr. dohan?) bei den Semiten sind die Akten noch nicht ge-
schlossen (vgl. mein Reallesikim p. 375, Hoops p. 326), während
der Mohn bis jetzt allerdings nicht als ägyptisch-semitisch be-
zeichnet werden kann. Aber auch nach der negativen Seite bin
fehlen in dem ägyptisch-semitischen Kulturkreis gerade die
Pflanzen, die ganz sicher auch bei den europäischen Indogennanen
erst spät erschienen sind, wie Roggen und Hanf, ebenso der
Hafer, über dessen Alter bei den europäischen Indogermanen ich
mir indessen noch kein abschliessendes Urteil erlauben mOchte.
Im ganzen gewinnt man so den Eindruck, dass die älteste Schicht
unserer Kulturpflanzen sieh aus dem ägyptisch -semitischen Kultur-
kreis über Europa verbreitet habe und so auch zu den europäi-
SL'lien Indogerniauen (vgl. Kap. VII) schon in vorhistorischer Zeit
gelangt sei. Dies würde man jedenfalls eher verstehen können,
wenn man die letzteren im sluUicheu Russland, als wenn man
sie in Schleswig-Holstein, Dänemark und Schweden lokalisiert.
In noch höherem Grade gilt dies von mehreren bisher noch
nicht genannten Gleichungen , die wir bei H o o p a vergeblieh
ttuchen, für eine oder mehrere Cucurbitaceen arten. Man
kann bei ilmen aus pflanzengeograpbischen Gründen (vgl. V. Hehn
Kulturpflanzen' p. 309 ff.) nur an den Flaschenkürbis (Latjfnartn
culyaris Ser.) oder die Zuckermelone (Cucumis Meto L.) oder
beide denken. Es sind dies die Gleichungen: scrt. carbhata,
cirbhati „cucumis utilissimus" = lat. Cucurbita „Kürbis" (mit
sekundärer Reduplikation nach vu-cutnix); sert. karkafl, karkäru
„eine KUrbisart" = agls. hirerhmette „Kürbis" (vgl. Über beide
Gleichungen Walde Lat, et. Wb. p. 154); gnech. atxova, aixvi:,
nixvo'; „Gurke" = altsl. fyhy „Kürbis" (Fick 1*, 449, Prell-
witz Et. Wb." p. 411). Diese beiden Pflanzen haben auch bei
— 200 —
den Turko-Tataren urverwandte Namen (Jrat-uw, Ikabun „MeloDC^
l'abdl^, Tiacäk „Kürbis^, und ihre Urheimat würde nach V&m-
bery (Die primitive Kultur p. 217) in den Steppenrandgebieten
der seit alters von Turko-Tataren bewohnten Länder zu snchen
sein. Nur, wenn wir unter den in Europa in Betracht gezogenen
Gegenden das südliche Russland als Heimat der Indogermanen
in Anspruch nehmen, vielleicht mit nicht unerheblicher Ausdeh-
nung derselben in die benachbarte asiatische Steppenregion, liease
sich die Bekanntschaft der Indogermanen mit derartigen Pflanzen
in gebautem oder nicht angebautem Zustand begreifen. An
Schwierigkeiten fehlt es allerdings auch hierbei nicht ganz.
Waren jene Pflanzen in der Urzeit noch wild, so versteht man
nicht, wie ihre Namen bei Ausbreitung der Indogermanen sich
erhalten konnten. Waren sie aber damals schon angebaut, so ist
zu bedenken, dass Cucurbitaceenkerne nirgends in prähistorischen
Siedelungen Alteuropas nachgewiesen worden sind, ein Umstand,
der nach den obigen Ausführungen allerdings nicht besonders schwer
wiegt. Auf jeden Fall müssen die Anhänger der nordearopäi-
8(;hen Hypothese sich mit jenen Gleichungen, von denen mir
namentlich die dritte (griech. aexova = altsl. tyky) wohlbegrflndet
erscheint, sich ebenso wie mit dem idg. Namen der Schild-
kröte (griech. x^^*'^ = ^'te'« ^^h\ vgl. oben p. 148 f.) ausein-
andersetzen.
VI. Kapitel.
Viehzucht und Ackerbau.
I. Europäisch-arische, europäische und arische Ackerhaug:leichuDgen.
Schlüsse aus ihnen. II. Der älteste Ackerhau der idg. Völker : Gering-
schatzuDg desselben. Der Hakenpflug. Wilde Feldgraswirtschaft.
Kein Privateigentum. Grad der Ansässigkeit. Kein Obst- und Gartenbau.
III. Die älteste Viehzucht der idg. Völker: Bedeutung dieser Wirt-
schaftsform. Rindvieh- und Schafzucht. Schweinezucht. Das Salz.
Urheimat.
Aus den Kapiteln III (Haustiere) und V (Kulturpflanzen)
geht hervor, dass sowohl die Viehzucht wie auch der Ackerbau
in die indogermanische Urzeit zurückgeht, und so könnten wir
diesen Abschnitt schliessen, ehe wir ihn begonnen haben, wenn
es sich nicht nunmehr um die schwierige Frage handelte, das
Verhältnis dieser beiden Produktionszweige zuein-
ander in der idg. Urzeit festzustellen. In dieser Beziehung
gehen die Ansichten der Forscher heutzutage mehr denn je aus-
einander. Während V. Hehn (Sprach v. u. ürg. I', 38 ff.),
P. y. Bradke (I', 48) und viele andere die Indogermanen fttr
reine Nomaden hielten, bei denen der Ackerbau, wenn er über-
haupt bekannt war, eine kaum zu nennende Rolle spielte, sind
die neueren, wie z. B. M. Much (P, 117) und J. Hoops
(oben p. 185) der Ansicht, dass der Indogermane in wirtschaft-
licher Beziehung von einem heutigen westfälischen Bauer nicht
wesentlich verschieden gewesen sei.
Unter diesen Umständen wird es gut sein, ehe wir selbst
ein Urteil über die Wirtschaftsstufe der idg. Ur/.eit abgeben,
möglichst objektiv und unter möglichster Vermeidung aller solcher
Schlagwörter wie Noraadentum^ Halbuomadentum , Pfingbau,
Hackbau usw., die, wenn sie von bestimmten Einzelverhältnissen
ans verallgemeinert werden, leicht mehr Verwirrung als Klarheit
Sehrader, Sprachver^leichonf? and Urgeschichte 11. S. Aufl. M
— 202 —
bringen, die Zeugnisse zusammenzustellen, die wir für den Be-
trieb des Ackerbaus und der Viehzucht bei den altidg. Völkern
besitzen.
I. Die sprachlichen Gleichungen auf dem Gebiete
des Ackerbaus. Wir können hier an die im vorigen Kapitel
gemachte Bemerkung anknüpfen, dass die etymologisch ver-
wandten Benennungen bestimmter Kulturpflanzen sich nahezu
ausschliesslich auf die europäischen Sprachen beschränken, and
können nun hinzufügen, dass dasselbe auch bei den allgemeineD,
auf die Technik des Ackerbaus bezüglichen Gleichungen der Fall
ist, wie aus der folgenden Übersicht unwiderleglich hervorgeht:
A. Europäisch-arische Ackerbaugleichungeu.
1. Lit. du7ia „Brof* — sert. dhdnä\ aw. dänd „Getreide-
korn".
2. Griech. Xaiov, altn. U — scrt. l^ivi, lavüra „Sichel".
3. Griech. Tuiooot „stampfe", jntadvt] „enthülste Gerste'*,
lat. pinso „zerstosse", altn. fis, ahd. fesa „Spreu", altsl. püa
„stosse", pUeno „Mehl" — scrt. pish „zerreiben", pishfä „Mehl*,
aw. pistra „Mehl".
4. Griech. reXoov — scrt. karshu, aw. Jcaria „Furche'*:
doch ist die Gleichung nicht sicher, da griech. xekoov zunächst
-Grenze" (vgl. liXog) zu bedeuten scheint und vielleicht eher
mit griech. neXo^^ TieXofiaij jz6?.og („die Stelle, wo der Pflug ge-
dreht wird") als mit scrt. Icrshäti „er pflügt" verbunden werden
muss. Vgl. V. Bradke Methode p. 124 und Prell witz Fest-
schrift für Friedländer p. 386 Anm. — Vgl. noch B, 10.
B. Europäische Ackerbaugleichungen.
1. Griech. ägorgov, lat. aratrum, ir. arathaVy altn. ar&r--
armen, araur „Pflug".
2. Griech. ägoo), lat. arare, ir. airim, altsl. orati, lit drti
^pflügen".
3. Griech. 6(pvigj lat. vömisy ahd. wagansot aJtpr. wagm
„Pflugschar" (vgl. aueh griech. yvfi= lat bura 8. u.).
4. Griech. d^ivi], lat. occa, occarey ahd. egjan^ egidm^ fit
aJcM, akäcz*io8j altcom. ocet „Egge".
5. Griech. retoc, rusB. niva „Brachland, Aeker^.
- 20g —
(>. Lal. serOj cymr. heUj ir. M „Same*', got. saian^ altsl.
9ej({, lit. «^fi „säen^.
7. Lat. s^men, ahd. «dmo, altsl. «^m^, altpr. semen, lit.
*emw „8ame".
8. Lat. grdtmm, got. kaürnj altpr. syrne, altsl. 2rÄ/?o
^Korn".
9. Griech. aon»/, lat. aarpere, ir. «<?rr, altsl. srupü, lett.
«rpe ^Sichel'' «vgl. auch lat. /aZj? = lit. dalgis „Sense").
10. Griech. /nU?/, lat. moiere, ir. melim, got. mala?!, a\t^\,
meljq, lit. nmlti, alh. m/«/ („Mehl") „mahlen" i griech. aA£</j
irehört nicht hierher, sondern ist vielleicht eher mit armen, d^lal
^mahlen", avv. a,^a „gemahlen" aus *arta, npers. drd „Mehl"
5U verbinden K
11. Lat. porca, ahd. furuh, altbret. rec, armen, herk
„Furche".
12. Griech. retxkoy' kiy.vor Hes., lit. neköjii („schwinge
Setreide in einer Mulde") „worfeln".
13. Griech. dfmo), ahd. mdjan „mähen"; griech. diiir]r6^
= ahd. mäd „Ernte".
14. Lat. eribrum, ir. criathm\ ahd. ritara „Sieb".
15. Griech. äkofs, «xo;^, altschwed. lö „Tenne".
16. Griech. äxvai, lat. acu^, got. atiHj ahana „Ähre, Spreu".
Zuletzt sei auf zwei Sprachreihen hingewiesen, die zwar
Etnch im Sanskrit wiederkehren, aber nur in den europäischen
Sprachen (und im Armenischen) einen agrarischen Sinn aufweisen:
17. Griech. äygo^, lat. ager, got. akrs — scrt. djra. Die
rediscbe Grundbedeutung ist die „der mit Gras oder Kräutern
lewaebsenen Ebene, besonders im Gegensatz zum Berg" (vgl.
^ra SS mann Wörterbuch zum Rigveda;, während in den europäi-
icben Sprachen vom Anfang der Überlieferung an neben jener
illgenieinen Bedeutung die des Ackerlands {Btrt. urvärä) dent-
ich hei*vortritt *).
1) Die Fra^e, ob Hcrt. djra von c^ ^treiben" abgeleitet ist und,
UTA» immerhin sehr wahrscheinlich ist, eigentlich „Tritt'' bedeutet, kann
labet ganz bei Seite gelassen werden. Damit erledigen sich die
ilin Wendungen, die Hirt Anzeiger f. idg. Sprach- und Altertumsk.
5111, 10 und Streitberg (1. F. XVI, 184 Anm. 1) gegen die aus dem
(Terhältnis von scrt. d^'ra : griech. ayQog etc. von mir und Mering«r
^•sogenen Schlüsse erbebt.
— ao4 -
18. Got. qairnusj ir. hrö, lit. glrnay altsl. frönöcö, armen.
erkaii „HandmUhle^ — scrt. grä'ran ^Stein zum AuBpretten des^
Soinasafts".
C. Arische Aekerbaugleichungen.
1. Scrt. sasyä = aw. hahya „Aussaat^ (doch vgl. |obeü
p. 195).
2. Scrt. Icarsh (krshtdyas „Ackerbauer" d. h. Menschen) =
aw. kars „Furchen ziehen" (vgl. oben p. 202).
3. Scrt. urvdrä „Saatfeld"* = aw. urrara „Nutz- und Nähr-
pflauze" (doch vgl. oben p. 189).
4. Scrt. diHrd = npers. däi „Sichel".
5. Scrt. phä'la „Pflugschar", „Art Schaufel" = npere.
supär „Pflug" (?).
Es erhebt sich nun die Frage, welche Schlüsse wir vor
allem aus den unter A und B zusammengestellten sprachlichen
Tatsachen zu ziehen berechtigt sind. Zunächst ohne Zweifel
den, dass wir keiner der vorhistorischen Epochen de»
Indogermanentunis den Ackerbau völlig abzuspreehen
berechtigt sind. Hierauf weisen sowohl die unter A ge-
nannten allgemeineren Ackerbaugleichungen, wie auch die im
V. Kap. aufgezählten, Europäern und Ariern gemeinsamen Namen
von Kulturpflanzen mit Bestimmtheit hin, wenngleich es, wie ^ir
(p. 188) sahen, kaum möglich ist, den ältesten und eigentlichem
Sinn dieser letzteren mit Bestimmtheit zu ermitteln. Schwieriger
ist es, das Verhältnis der unter A genannten Tatsachen zu den
unter B mitgeteilten richtig zu beurteilen. Es bieten sich hier,
genau wie im IV. Kap., bei der Besprechung der Waldbinme,
drei Möglichkeiten dar. Entweder haben auch die Arier an
den unter B genannten Wortreihen ursprtlnglich teil gehabt nnd
diesen einstigen Anteil später aus irgendwelchen GrOnden ver-
loren, oder die auf die europäischen Sprachen (mehrfach ein-
schliesslich <les Annenischen) beschränkten Gleichnngen stellen
im Verhältnis zu denen unter A spätere, wenn auch immer noch
prähistorische Neuerwerbungen dar, oder endlich die unter A
und B geschilderte V^erteilung der idg. Aekerbaugleichungen
war im wesentlichen so von Anfang an, d. h. vom Anheben der
Zeit an, bis zu der wir mit unseren Mitteln vorzudringen ver-
mr^gen, vorhanden, indem die bei den westlicheren Stimniea
— 205 —
Ausgebildete Ackerbauterminologie nur in vereinzelten Fällen bis
tn den östlicheren reichte, da bei diesen der Ackerbau eine
geringere Rolle als \m Westen spielte (vgl. hierzu auch E.
le Michelis Lorigine degli Indo-Europei p. 4X6— 479). Für
lie erstere dieser drei Möglichkeiten fehlt es an jeder positiven
kgründung. Was die zweite anbetrifft, so machen zwar ein-
eine der unter B zusamiuengefassten Wortreihen den Eindruck,
ils ob sie relativ späte Spracherscheinungen wären, wie z. B. die
J, 17 geschilderte Bedeutungsentwicklung des griech. a;'od? oder
lie B, 6 aufgezählten Bezeichnungen des Säens (lat. seroy got.
aiani, falls man sie richtig mit scrt. prd-sita „dahinschiessen(P
md griech. ir^^u {^si-se-mi) vergleicht (dagegen Osthoff Par-
rga I, 197). Auf der anderen Seite ist es aber doch willkUr-
ich, bloss wegen der Verschiedenheit ihrer geographischen Ver-
breitung z. B. eine Reihe wie agow — arare (B, 2) für jünger
Is eine Reihe wie pinso — pish (A, 3) oder eine Gleichung wie
luna — dhänd' (A, l » für älter als eine Gleichung wie HQui/jy
\ardeum, gersta (oben p. 189) zu erklären. Unter diesen Cni-
täoden scheint uns die beste, weil einfachste und die Dinge
:aoz wie sie liegen nehmende Erklärung die dritte Möglichkeit
0 bieten, wodurch wir in Verbindung mit den Erörterungen des
wap. IV (Waldbäume) zugleich die folgende Parallele erhalten:
Waldsteppe und Waldgebiet. Baumarme Steppe.
.,. , , , -x 4 1 1. Viehzucht mit geringen Spuren
Viehzucht mit Ackerbau. , * , ,
des Ackerbaus.
Westen (Europäer). Osten (Arieri.
Wenn wir nun, wie es in Kap. IV auf Grund der Ter-
linologie der Waldbäume geschehen ist, den Schauplatz der
Itesten Entwicklung der idg. Völker in den Süden des europäi-
chen Russlands verlegen, so treffen wir hier bei deu Skythen,
ie wir alsdann als Nachfolger der Indogermanen in dem Besitz
sner Länderstreck.en zu betrachten hätten, genau dieselbe Zwei-
nliing in Viehzüchter und Ackerbauer wieder, wie wir sie auf
rrnnd der Sprache für das idg. Urvolk vorausgesetzt haben.
[lerttber berichtet Herodot IV, 17 ff. das Nachstehende: „Ge-
sebnet von dem an der Mündung des Dniepr ( Borysthenes)
elegenen Emporion wohnen zunächst die Kallipiden, hellenisierte
SkytheSy nördticb aber vod ihnen ein anfkres Volk, im Ab-
zogen bemt Dteee sowie die KallifMen lebeo etMi wie die
Skythen, aber säen und verzebren Weizen ebenso wie sneli
Zwiebehi, Knoblancb, Linsen und Hirse. NOrdlieh wiedenm
von den Alazonen wohnen die Pflflger-Skythen, die Weizen niekt
zum Oenuss, sondern zum Verkauf anbauen. ..... Wenn man
aber den Dniepr ttberschreitet, so begegnet vom Meere her zoerat
das ^ Waldland ^ {^Ykalt)); von hier an wohnen die Landbaner-
Skythen. Diese erstrecken sich ostwärts ungefähr 3 Tagereiseo
bis zum Fluss navrixdjttjg (Samura?), aber Dniepr-aufwärts eine
Schiffahrt von 11 Tagen. Ostwärts von diesen Landbaoer-
Skythen wohnen weiterhin, wenn man den Pantikapes über-
schreitet, die Nomaden-Skythen, die nicht säen und nicht pflflgeo.
Von Hylaea abgesehen, ist dieses ganze Land kahl von Bäumen.
Diese Nomaden reichen ostwärts 14 Tagereisen weit bis zum
Fluss (rerros (Donetz?). Jenseits des Gerros ist das sogenannte
KönigsSkythien, und diese Skythen sind am stärksten und l^esten
und halten die übrigen Skythen für ihre Sklaven.^ Ich bin der
Meinung, dass man eine schlagendere Parallele zu den hypo-
thetisch vorausgesetzten idg. Verhältnissen nicht finden kann.
Aber auch von anderen alten und neueoren, indogermanischen
und nichtindogermanischen Völkern werden gleiche Zweiteilnngen
überliefert. So erzählt Herodot selbst (I, 125) das gleiche wie
von den Skythen, auch von den Persem, deren zahlreiche yhff
oder Stämme ebenfalls teils agorijoeCf teils vo^iddef; waren^ nnd
durch Vämbery Primitive Kultur p. 103 wissen wir, dass die
Turko-Tataren seit alters in zwei Hauptabteilungen, die Ärdtfet
und ('omrti, d. h. die wandernden und ansässigen Nomaden, zer-
fielen, von denen sich die ersteren ausschliesslich mit Viefazneht
beschäftigten, während die letzteren die Kultivierung einiger
urbaren, an Flüssen gelegenen Landstriche schon frühzeitig be-
trieben.
Kürzer kOnnen wir uns über die unter C zusammengestellten
arischen Ackerbaugleichungen fassen, die, wie die hinzugefügten
Verweisungen lehren, zumeist uns schon als vielleicht europäiflcb-
arische Entsprechungen begegnet sind. Bezeichnend ist den
europäischen Gleichungen gegenüber ihre geringe Anzahl, um «>
mehr, als die Arier (vgl. P, 62) eine engere, dialektisch nur
wenig gespaltene Spracheinheit bilden. Auf keinen Fall lernen
— 2« -
wir dmcb sie ndur; als wm wir nach dem bisherige erwarten
mftiaeB, daas nämlieb aaeh die lader nnd Iranter vod der ältesten
Zeit ber Tentanden, Farehen zu ziehen (scrt. karsh = aw. kari)
and Saaien auszustreuen (scrt. saayd = aw. hahga). Im ttbrigen
werden wir in Kap. XVI (Urheimat) noch einmal auf diese arische
Knltoreinheit zu sprechen kommen, die sich mit einiger Sicher-
heit an den Abhängen des Hinduknsch, also in weiter Ent-
fernong yon dem südlichen Russland, lokalisieren lässt, von der
wir aber glauben möchten, dass nicht alle iranischen Stämme
an ihr den gleichen Anteil hatten.
Wenn wir somit den Ackerbau als eine schon indoger
manische Wirtschaftsform anerkennen, die aber im Westen des
orzeitlicben Völkergebiets stärker als im Osten hervortrat, so
fragt es sich nun, was wir im einzelnen über das Wesen und die
Bedeutung dieses ältesten Ackerbaus wissen.
II. Der älteste Ackerbau der idg. Völker. Die
Beschäftigung mit ihm — das soll als der erste charakteristische
Zog hervorgehoben werden — hat den Bevölkerungen Alt-
earopas als eine des freien Mannes unwürdige gegolten.
So hebt Herodot V, 6 von den Thrakern hervor, dass bei ihnen
^untätig zu sein für das schönste, Ackerbauer zu sein für das
schimpflichste gälte^, nnd dass es „am rühmlichsten sei, von
Kri^ und Räuberei zu leben^. Ganz im Einklang hiermit be-
richtet Caesar VI, 22 von den Germanen, dass sie „dem Ackerbau
keinen besonderen Wert beimessen" {agriculturae non student),
und Tacitns Germ, Kap. 14 fllgt hinzu: Nee arare terram aut
^xspectare annum tarn facile persuaseris quam vocare hostem
ei vulnera mereri. pigrum quin immo et iners videtur sudore
m
acquirere quod possis sanguine parare, woraus dann weiter
folgt, was Kap. 15 erzählt wird: Delegata domus et penatium
et agrorum cura feminis senibti sqiie et inflrmissimo
cuique ex familia. Ganz ähnlich wird von den epirotischen
Athamanen (Herakleides ^) XXIII) berichtet, <las8 die Frauen
den Acker bestellen, während die Männer als Hirten in die
Berge ziehen, was das unvergleichlich angenehmere Geschäft ist.
Charakteristisch ist in diesem Zusammenhang auch das got.
äwdgeg.
- 208 —
arhaips „Arbeit" (d. h. die „lästige und beBchwerliche A^beit^
Paul), dessen erster Teil *arba- dem slavischen rabü „SklaTc^*
entspricht, so dass sieb als Grundbedeutung „Eneehteswerk'*
(slav. räbota „Sklavenschaft", „Arbeit") ergibt. Wie wir oben
sahen, dass die „königlichen" Skythen, ohne Zweifel aosschlieas*
lieh Viehzüchter, alle westlichen Skythen, vorwiegend Acker-
bauer, als ihre Sklaven ansahen, so wird man anzunehmen haben,
dass überall, wo im alten Europa eine unterjochte neben einer
freien Bevölkerung lebte, der ersteren die Pflege des Ackerb«»
zufieP). Direkt hierauf weist der Satz der Germania Kap. 24
hin: Frumenti modum dominus auf pecoris aut cesiis (serto)
ut colono iniungitj et nervus hactenus paret. Der Ärmere, der
keine Sklaven hatte, wird sich mit Frauen, Kindern und Greisen
beholfen haben.
Wenden wir uns nunmehr zur Schilderung dieses von der
freien und männlichen Bevölkerung so gering geachteten Ge-
werbes selbst, so kann zunächst kein Zweifel bestehen, Am
jener prähistorische Ackerbau bereits mittels des Pfluges aus-
geübt wurde, und nicht etwa, wie man es selbst noch hinsicht-
lich der alten Germanen irrtümlich behauptet hat (vgl. darüber
Hoops p. 499 ff.), ein blosser Hackbau gewesen ist. Dies folgt
am sichersten aus den unter B, 1 und B, 3 aufgeführten or-
verwandten Benennungen (lat. ai'atrum und vomis mit ihren
Sippen), von denen die ersterc sogar bis nach Armenien reicht.
Allerdings erfahren wir durch diese Gleichungen nichts über die
Beschaffenheit jenes ältesten Pfluges; doch treten in dieser Be-
ziehung andere linguistische sowie archäologische und literarische
Zeugnisse ein. Im Gotischen lieisst der Pflug hdha, ein Wort,
das dem scrt. qä'khä und lit. szakä „Ast" entspricht, womit
weiterhin auch scrt. gankii „Pfahl", altsl. sqkü „Ast" und ir.
cechty manx keeaght „Pflug" zu verbinden ist. Auch die sla-
vische Sippe russ. «ocAa „Hakenpflug"*), poln. socha „Pflugsech**,
1) Wenn Caesar IV, 1 berichtet, dass jährlich der eine Teil der
Sueben in den Krieg ziehe, der andere zu Hause bleibe: «c fuquB
agri cuitura nee ratio atque usus belli intermittitur^ so folgt daran»
natürlich nicht, dass die freien Männer der Sueben selbst den Acker
bebaut hätten. Der Ackerbau wurde vielmehr nur unter ihrem Schutt
von Frauen, Kriegsuntüchtigen und Sklaven ausgeübt.
2) Ausführliche Beschreibung der russ. sochd bei Dahl Erkü-
rendes Wörterbuch der lebenden ^rossrussischen Sprache IV, 290.
— 209 —
einruss. posoiöyna „Grundsteuer nach der Zahl der Pflüge"
jht auf eine Grundbedeutung „Knüttel", „Ast", „Baumstamm"
rück. Noch Hesiod Werke und Tage v. 427 ff. rät dem Land-
aDn, sich selbst im Gebirge oder auf dem Feld ein Krumm-
»Iz {yvri = lat. hüra) aus Eichenholz zu suchen und jederzeit
?ei Pflüge, ein amoyvov ägorgov, d. h. einen aus einem Stück
irgestellten und ein nriKtov ägoigory einen aus mehreren Stücken
sammengefügten Pflug in Bereitschaft zu halten. ^ Bei Thorn
Westpreussen (Hoops p. 503) ist tatsächlich ein solches
*Ttßyvov äooTgovj ein aus Eichenwurzel hergestellter Hakenpflug
•D etwa 3 m Länge gefunden worden. Wohl als jirjxrdy ägorgov
»11t sich dagegen der älteste bis jetzt nachgewiesene Pflug von
38trnp in Jütland dar, der von S. Müller Chm^ue, joug et
ors (Copenhague 1903) ausführlich beschrieben worden ist. Es
inn also nicht bezweifelt werden, dass der älteste europäische
lug ein sogenannter Hakeupflug war und in seiner ältesten
38talt einfach aus einem einzigen, hakenförmig gebildeten As^
sstand, der in sich Grindel und Schar vereinigte, nur dass
K5h, wie es auch bei dem Thorner Pflug vermutlich der Fall
Etr, an dem hinteren Teil der Schar ein Stab als Lenkstange
5h befunden haben wird. Dass dieser Pflug schon in der ür-
it von Rindern, und nicht etwa nur von Menschen (Sklaven,
raaen; gezogen worden sei, lässt sich zwar nicht direkt be-
eiden; da aber zweifellos das Rind schon in der Urzeit als
igtier benutzt wurde, ferner ein Felsenbild von Bohuslän in
»hweden aus der Bronzezeit (Hoops p. 500) einen von Rindern
tzogenen Hakenpflug darstellt, endlich auch der oben genannte
ähistorische Hakenpflug von Döstrup in Jütland an der Deichsel
ne Vorrichtung zum Anschirren des Zugviehs zeigt, wird man
hwerlich bestreiten können, dass das Rind auch in dieser Be-
ßhimg schon in den Dienst des Menschen getreten sei.
Eine verhältnismässig späte Erfindung ist dem Hakenpflug
igenüber der Räderpflug, dessen Ursprünge von Plinius Hisf,
2t. XVni, 172 auf die rätischen Gallier zurückgeführt werden : Non
ridem inventum in Raetta OaWae, ut ducLs adderent tali (näm-
ch einem Pflug mit breiterer, schaufelartiger Schar) rotulas,
\tod gentis vocant plaumorati. Es ist sehr wahrscheinlich,
ass in dem ersten Teil des letztgenannten Wortes sich die ger-
tanisch-slavische Sippe: ahd.jy/IuojjT, agh. pUg, sMn. plögr, rosa.
~ 310 —
plugü, klriiis. pluh etc., lift plvkgüg (vgl. atirk dH^jXu&ity na.
plugu} yerbirgt. Ihr Urepnmg ist aoch nieht sieher ermittelt;
doch kano es als sehr wahrscbehilich betraebtet werden, im
die Slaven das Wort von den Germanen entlehnt haben imd
nicht umgekehrt (vgl. an neuerer Literatur Meringer LF.XVI,
185 f., XVII; 109 ff., Hoops Waldbäume und KultorpflanieQ
p. 506, J. Peisker Vierteljahrsschrift f. Sozial- und Wirtschaft»*
geschichte 1905 p. 87 ff.).
Wenn wir somit gesehen haben, dass das eigentliche Aeke^
haugerät, der Pflug, zwar schon in der Urzeit bekannt. Aber
noch von sehr primitiver Beschaffenheit war und im besonden
noch jeder metallischen Zutat entbehrte, so haben wir uns nan-
mehr der Frage nach der technischen Höhe jenes Ackerbao»
überhaupt zuzuwenden. In dieser Beziehung sind wir fast an»-
schliesslich auf die bekannten Nachrichten des Caesar und Taeitos
über den Ackerbau der alten Oermanen angewiesen: Neqw
quisquam agri modum certum aut fines habet proprios; tei
magistratus ac principes in annos »ingulos gentihus cognatiom-
busque hominum, qtii tum una coierunt, quantum et quo kco
risum est, agri attribuunt atque anno poxt alio transire cogtint
(De bell. Oall. VI. 22 von allen Germanen). Sed privati ac
separati agri apud eos nihil est^ neque longius anno remanere
uno in loco incolendi cau^a licet {De bell. GalL IV, 1 von den
Sueben). Agri pro numero cultoriim ab universis inpices {(nk
tinicersis cicis'i) occupantur, quos mox inter se secundum di-
gnationem partiunfur : facilUatem parfiendi camporum ipatia
praebent : arva per annos mutant^ superest et ager (Germ.
Kap. 26). Jedermann weiss, dass diese wenigen Sätze, so klar
sie im ersten Augenblick erscheinen, der genaueren Erklftrang
eine solche Fülle von Schwierigkeiten darbieten, dass es biß auf
den heutigen Tag trotz der grossen Literatur, die sich darüber
nngehäuft hat (vgl. darüber am besten Hoops p. 483 ff.), i»
vieler Beziehung noch nicht zu einer communis opinio gekommen
ist. Es niuss daher hier für unsere Zwecke genügen, aus diesen
Nachrichten dasjenige herauszugreifen, was gegenwärtig allgemein
zugestanden zu werden scheint. Es sind dies aber vor allem
die zwei Sätze, dass erstens die Germanen noch kein Privat-
eigentum an Grund und Boden hatten, und dass zweitens
das landwirtschaftliche System derselben als das einer wilden
.j
Feldgraswirtsekaft la beaeichiien ist Dms, n» mit dem
letitereo Pnakte zn begiiMei, die alten Germanen in der Weise
ilea Aekerban ansfibten, das» sie immer nnr einen Teil der aa-
ftavbaren Fl&che mit SommerfrtlchteD bestellten und nach Eia-
bringnng der Ernte denselben der Grasnotznng überliessen, geht
am deutlichsten ans den Worten des Taeitas: arva per anrioa
mutant, superest et ager hervor. Aber auch die Änsserungen
Caesars armo post alio transire cogunt und neque longius anno
refnanere uno in loco incolendi causa licet werden sich schwer-
lich auf etwas anderes beziehen; denn die beiden genannten
Züge des Fehlens des Privateigentums und des jährlichen Flur-
wechsels scheinen im Altertum überall als die charakteristischen
Eigenschaften des barbarischen, nordeuropäischen Ackerhaus
betrachtet worden zu sein, wie auch aus den bekannten, den
Ackerbau der Geten betreffenden Versen des Horaz III, 24 her-
vorgeht :
melius
viimnt et rigidi Getae,
iiHinetata quibua iuyera liberas
fragen et Cererem ferunt,
nee culfttra placet longior annuo.
Der andere Punkt, die ünbekanntschaft der Germanen mit
dem Begriffe des Privateigentums an Grund und Boden, die von
Caesar zweimal so uneingeschränkt behauptet wird, hängt mit
der Frage nach der technischen Höhe des damaligen Ackerbaus
aber insofern aufs engste zusammen, als von einer grösseren Iji-
tensität der Bodenbenutzung selbstverständlich erst die Rede sein
kann, nachdem das Land in Privatbesitz oder wenigstens in
Privatnutzung übergegangen ist. Sehr charakteristisch sind in
dieser Beziehung die Bemerkungen, die ein so scharfsichtiger
Beobachter wie Th. v. Bernhardi (Geschichte Russlands Hl,
113) über die Nachteile des russischen Mir*) macht: „Diese
berkömmliche landwirtschaftliche Verfassung, der zufolge jede
Dorfgemeinde ihre Feldflur als Gesamtheit, als Genossenschaft
besitzt oder inne hat, so dass keine einzelne Familie ein vvirk-
licheSy ein Sondereigeutum in der Flur hat und nützt, vielmehr
die sämtlichen Ackerlose nach einem kurzen Turnus von drei
Jahren, wenn nicht noch öfter, wieder zusammengeworfen werden,
1) Ausführlicher wird über ihn in Kap. XIII gehandelt werden.
— 212 -
behufs einer neuen veränderten Verteilung unter die sämtlichen
Genossen des Verbandes — diese Verfassung schliesst nicht nnr
jeden Fortschritt des landwirtschaftlichen Betriebs aus, Sonden
auch jede rationelle Behandlung, jede Pflege des Grundes nnd
Bodens. Sie ist ohne Zweifel mit ein Grund der geringen An-
hänglichkeit an sein heimatliches Dorf, der geringen Neigung
zum Ackerbau, die man an dem russischen Bauern wahminunt.
üie Anhänglichkeit an den angeerbten Acker kennt der ruBsische
Lan<lmann in der Tat nicht. ^ Alle diese Sätze gelten unein-
geschränkt auch von dem ureuropäischen Ackerbau, den wir nns
in der ältesten Zeit sogar noch um eine Stufe primitiver als den
des russischen Mir vorzustellen haben werden, indem ohne Zweifel
die den ein/einen Familienverbänden {gentes cognationesgue
hominum) zugewiesenen Ackerquoten von ihnen gemeinsam bebaut
und abgeerntet wurden, worauf dann der Ertrag unter die ein-
zelnen verteilt ward. So fand es Diodorus Siculus V, 34 anch
hei keltiberischen Stämmen: omoi xaiY Sxaoiov hos duuoovfum
Tfjr xcogav yFa)Qyovoi, xa\ rovs xaQJiovg xoirojKHOvjiievoi fieiaöi'
ddaniv exdoTfu to ih£Q<k xai Tofc vooq)ioafXEvoic: ti yecogyois Mimof
To TToöarijLiov re&eixaoi. Erst zur Zeit des Tacitus scheint auf
Grund sich wiederholender Verlosungen eine Sondernutznng des
Bodens durch die einzelnen Hausväter {secundum dignationm
parfiuntur) stattgefunden zu haben.
Nicht minder hängt hiermit auch die geringe Anhänglich-
keit an die heimatliche Scholle, ein gewisser „Nomadentrieb^
zusammen, der, wie von Bernhardi, so von zahlreichen anderen
Kennern des russischen Volkstums (vgl. z. B. A. Le roy-Beaulieu
Das Reich des Zaren, deutsch von Pezold, I*, 128) hervor-
gehoben wird, und den wir ebenso bei den alteuropäischen Be-
völkerungen antreffen.
So glaubte Caesar, wie aus seinen auf die erste der oben
angeführten Stellen folgenden Worten hervorgeht, dass die Ger-
manen jährlich nicht nur ihre Äcker, sondern auch ihre
Wohnungen wechselten, und eine ausserordentlich lebhafte,
noch heute nicht geschlichtete Streitfrage hat sich darüber ent-
sponnen, ob Caesar in dieser Auffassung geirrt habe^), oder wie,
wenn dies nicht der Fall sein sollte, dieser ganz ausserordentliche
l).Vgl. zuletzt R. Much Z. f. deutsches Altertum XXXVI, lOSff-
— 213 —
Mangel an Sesshaftigkeit zu erklären^) sei. Wir verzichten dar-
anfy auf diese, wie es scheint, niemals ganz zn erklärenden Ver-
bältnisse näher einzugehen, da durch anderweitige Zeugnisse
jedenfalls so viel feststeht, dass das Verhältnis nicht nur der
Grermanen, sondern auch der übrigen alteuropäischen Völker /u
lern Boden der Heimat noch ein sehr lockeres gewesen sein muss.
Dass die Völkerschaften der Hellenen bei ihrem Eintreten
n die Weltgeschichte noch von einer tief eingefleischten Wander-
ust beseelt waren, hat bereits Thukydides (1, Kap. 2) mit ge-
Yohntem Scharfsinn erkannt. „Das jetzt sogenannte Hellas^,
lagt er I, Kap. 3, „ist offenbar nicht von alters her fest be-
nedeit gewesen, sondern es haben in früheren Zeiten ümsiede-
nngen stattgefunden, und leichtlich verliess eine jegliche Gemein-
ichaft, von irgend einer Überzahl bedrängt, ihre Wohnsitze. Denn
la es damals noch keinen Handel und keinen furchtlosen Ver-
liehr zu Wasser oder zu Lande gab, und ein jeder nur insoweit
»ein Land bebaute {vejudjueyoi tf rd afrrwy), als zum Leben nötig
i^ar, ohne Reichtümer zu sammeln, ohne ßaumpflanzungen an-
Külegen {ovde yrjv qjinevovteg), war es mit keinen Schwierigkeiten
v'erbnnden, die Heimat zu verlassen; blieb es doch ungewiss, ob
nicht bei dem Mangel befestigter Plätze ein anderer kommen
und einem das Erworbene rauben werde, und war man doch
überzeugt, den täglichen Bedarf allüberall finden zu können^.
So tritt uns auf dem klassischen Boden des alten Griechen-
lands genau dasselbe Wandervolk entgegen, welches viele Jnhr-
Imnderte später die griechisch-römischen Schriftsteller in dem
forden Europas wiederfanden. „Allen Völkern dieses Landes^
Deutschlands), sagt Strabo Kap. 291, „gemein ist die Leichtig-
ceit der Auswanderungen, wegen der Einfachheit ihrer Lebens-
nreise, und weil sie keinen eigentlichen Ackerbau kennen (din ro
nif yecoQyeir) und keinen Vorrat sammeln, sondern in Hütten
wohnen und nur den täglichen Bedarf besitzen. Ihre meiste
Sfahmng nehmen sie vom Zugvieh, gleich den Wanderhirten; so
lass sie, diese nachahmend, ihren Hausvorrat auf Wagen laden
1) V^l. zuletzt. J. Hoops Waldbäuiiie und Kulturpflanzen
(). 611 ff., der in den von Tacitus geschildertiMi Verhältnissen den nor-
malen altg'ennauischen Zustand erblickt, von dem die Nachricht dos
DacMir nur einen durch kriegerische Rücksichten bedingten Ausnahme-
BQHtand darstelle.
- 214 -
und mit den Viehherden sich wenden, wohin ihnen beliebt'^
Vergleichen wir hiermit ferner, was Prokop {De hell. GM. III,
14 p. 334) von den üxkaßrjvoi (Slaven) berichtet, dass de in
elenden Hütten weit voneinander entfernt wohnten nnd jeder oft
seinen Wohnsitz wechselte, so kann es keinem Zweifel nnter-
liegen, dass die Indogermanen bei ihrem Eintritt in die Geschichte
trotz des Ackerbans, den sie trieben, noch wenig sesshaft waren.
Hierzu stimmt aufs beste, dass auch die letzte und sicherste
Stufe sesshafter Agrikultur, die ßanmzucht, den enropaiscben
Indogermanen der Ur/cit noch gänzlich unbekannt gewesen*) ist.
Wie Thukydides ausdrücklich von den ältesten Griechen be
richtet, dass sie noch keine Baunipflanzungen angelegt hätten
(ordf' qcTFvoi'Teg), so sagt Tacitus von den Germanen (Kap. 26):
Neque enim cum uhertate et amp/ifudine sali labore confendunt^
ut pomaria connerant et prata neparent et hortos rigent : #<rffl
terrae aeifes imperatur.
Zugleich mit der Gewöhnung an festere Wohnsitze hllt
Ferner der der Urzeit noch unbekannte Garten- und Gemüsebao
seinen allmählichen Einzug, alles Tatsachen, die seit V. Hebos
Buch über die Haustiere und Kulturpflanzen von niemandem
bezweifelt werden können (vgl. auch mein Keallexikon o. Obst-
bau und Baumzucht, Gartenbau), und die sämtlich sieb in
4las Bild, das wir für die altidg. Zeiten von dem Verhältnis des
Menschen zu dem Land, das er bewohnt, entworfen haben, anfo
beste fügen.
Nur so erklärt sich endlich auch der wichtige ümstaiMi,
<la8s ursprünglich nicht die Völker nach den Ländern (z. B. Eng-
länder, Amerikaner), sondern die Länder nach den Völkern (z. B
lit. Priisai ^die Preussen" nnd ^Preussenland^) benannt werden,
dass die Heimatszngehörigkeit eines Menschen nach dem Volk,
nicht nach dem Land (z. B. Eevixpwv 6 H^vaiog) bestimmt wird
und der Begriff des ^ Vaterlands^ zweifellos von dem GescUeebt
ausgeht (z. B. Homerisch mirgr} und altrnss. rodü „Gtescbleebt'',
dann „Vaterland", russ. rödina „Heimat", aber im weissron.
födzina anch noch „die Gesamtheit der Verwandten '^), dem m
Mensch angehört (näheres vgl. in meinem Realiexikon s. v. Staat).
1) Ober wilde Obstbäume vgl. oben p. 175. Am frühesteo itt,
wie eR scheint, der Apfelbaum in Kultur genommen worden (vgl
oben p. 188, 190).
— 215 —
ÜBter diesen Umständen ist es schwer begreiflich, wie
lenere Forscher wieder in den alten Germanen and Indogermanen
5in sesshaftes und emsiges Baaernvolk haben erblicken können.
!Aan hat zwar gesagt, nnr ein solches habe die Scharen hervor-
)riogen können, die einst das römische Reich in Trümmer
(chlugen. Aber diese Schalten verliessen doch eben die Heimat,
%'eil der nur flüchtig bestellte Boden, der heute vielleicht die
;ehnfache Zahl von Menschen ernährt, sie nicht ernähren konnte.
,Je hoher die Lehensform", so äussert sich V. He hu zu dieser
?^rage, „die ein Volk erreicht hat, desto geringer der Prozent-
»at/, den es zu kriegerischen Zwecken verwendet; bei noch un
;täten Völkern wandert und kämpft jeder erwachsene Mann.
iätten die Deutschen emsig den Boden bestellt, dann wären sie
Iberhaupt nicht ausgezogen, das römische Reich in Trümmer zu
»oblagen." Man hat ferner berechnet, dass ein Nomadenstanmi
üochasiens von nur 10000 Köpfen zu seiner Ernährung allein
(cboii ein Gebiet von der Grösse des Königreichs Sachsen brauche.
Wie hätten, meint man, z.B. die Sueben, angenommen, dass sie
ifoiuaden waren, allein schon 100000 Mann in den Krieg schicken
«.önnen (Caes. IV, 1)? Allein man vergisst, dass Hochasien
[licht Europa ist, und dass wenigstens von uns nicht behauptet
kvird, die Germanen oder Indogermanen seien Nomaden ge-
wesen, sondern nur, der Ackerbau habe bei ihnen eine neben-
sächliche und verachtete Rolle gespielt. Noch weniger sollte
man sich für das angebliche Bauerntum der Indogermanen auf
die vorgeschichtlichen Funde berafen. Sie lehren uns zwar die
wichtige Tatsache, dass schon in neolithischer Zeit Ackerbau
getrieben wurde; aber über seine Intensität, Ausdehnung und
Bedeatung können sie trotz der Ausführungen M. Muchs (Heimat
der Indogermanen) gegenüber den oben angeführten historischen
Pactis, die wir doch wohl einstweilen der Prähistorie zu Liebe
nicht ganz ignorieren dürfen, schwerlich etwas aussagen^). Und
1) Man hat auf die Pfahlbauten (vgl. Kap. X) als angebliche
Zeugen einer festen Siedelung der Indogermanen hingewiesen. Allein
erstens wissen wir gerade für diejenigen Gegenden, in denen, wie
z. B. in der Schweiz, die meisten Pfahlbauten uns begegnen, nicht, ob
sie in älterer Zeit von indogcrmaDischen Völkern bewohnt waren, und
sweitens steht für jene Epochen, in denen wir mit fortwährenden
Kämpfen und Überfällen zu rechnen haben, nichts der Annahme ent-
— 216 -
zwar dies nui so weniger, als wir die nnzweideatigsten Nach-
richten darüber besitzen, worin der eigentliche Schwerpunkt der
altindogermanischen Wirtschaft beruhte.
III. Die älteste Viehzucht der idg. Völker. Un-
mittelbar au die Worte: neque longius anno remanere uno in
hco incolendi causa licet schliesst Caesar IV, 1 den Satz an:
neque multum frumentOj sed maximam partem lade
atque pecore cinint und unmittelbar an die Worte (VI, 22):
Of/rlcu/turae non Student den Satz: maiorque pars rictus
in lade, caseo, carne consistit. Nimmt man hierzu die Nach-
richt des Tacitus {Germ. Kap. 5): eae (nämlich das Grossvieh)
8o/ae et gratU»imae opes sunt, so kann meines Erachtens auch
nicht der leiseste Zweifel l)estehen, dass die Hauptwirtscbafts-
form der alten Germanen die Viehzucht bildete, zu der der
Ackerbau nur eine für die Volksernährung erst durchaus in
zweiter Linie stehende Ergänzung darbot. Zu derselben Ansicht
ist Peiskcr in seinem schon genannten Buch: Die älteren Be-
ziehungen der Slaven zu Turko-Tatareu und Genuanen und ihre
sozialgeschiclitliche Hedeutun<c hinsichtlich der Slaven gekommen,
die, bevor sie unter die turko-tatarische Herrschaft kamen, nach
seiner Meinung ganz vorwiegend Viehzüchter, namentlich Rinder-
züchter, ebenso wie die Germanen des Caesar und Tacitna waren.
Er folgert dies einerseits aus der ansehnlichen einheimischen
Nomenklatur für Gross- und Schmalvieh in den slavischen Sprachen
(z. B. für das Rindvieh altsl. goc^o „Rind^, kraca „Knb",
bi/kü „Stier", tefq „Kalb", colü „Ochse"), andererseits ans dem
gemeinslavischen äupa, das in den einzelnen slavischen Sprachen
„Bezirk", im Serbischen spezioli den Wohnungsbezirk des pleme
„Stammes" bedeutet, dessen ältester Sinn aber „Weidebezirk*^
[regio pastoria, compascua) war. Noch das Gesetzbuch des
serbischen Kaisers Dusan bestimmt: „Eine ^upa soll der (anderen)
hipa nichts mit Vieh abweiden usw." (vgl. Peiaker p. 103).
Vgl. auch oben p. lof).
Und ebenso müssen wir uns die Volkswirtschaft der Hei-
leuen vorstellen zu der Zeit, als sie sich in der von Thakydides
(ol)en p. 213i geschilderten Weise über die Balkanhalbinsel ver-
(^o'j^en, dass der eine Stamm den anderen vertrieben und in seinen
Pfahlbauten weiter gehaust habe.
— 217 —
breiteten. Noch im Epos heissen die Bewohner wohlliahender
Städte jioXvßovxai und jioXvQgtjvFg. Der Reich tarn der Fürsten
beruht (Od. II, 75) auf xeififjXia (z. B. nngemünzteni Metair> und
nQoßaoi^ = jiQoßaTQy „Vieh**. Königssöhne weiden die Herden des
Vaters. Hirtengötter, z.B. Apollon, der selbst nach der Hürde
(ajiekka) benannt ist, sind die Hauptgötter der Griechen, ..ein
Beweis, dass die Viehzucht für das gesamte Volk, vom Knecbt
und Taglöhner bis zum Häuptling hinauf, die Haupt besebäftigung
bildete" vgl. I. v. Müller Privataltertttmer - p. 241, E.Meyer
Gesehiclitc des Altertums H, 79ff. ». Nicht anders ist bei den
vedischen Ariern die Viehzucbt „als Haupterwerbsquelle zu
betrachten**, wofür es genügt auf die Darstellung der vedisclien
Volkswirtschaft in H. Zimmers Altindischem Lehen p. 221 ff.
zu verweisen, und aucb in den awestischen (fätbä s ist im («egen-
satz zu den späteren Teilen des Awesta noch die Kuh der eigent-
liche Mittelpunkt, um den sich Leben und Streben des ganzen
Volkes dreht (vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur p. 403j.
Dass diese Verhältnisse aber zugleich die ältesten indo-
gemiaoischen Zustände darstellen, darauf weist eine Fülle sprach-
licher und historischer Tatsachen mit vollkommener Sicherheit
hin. Zunächst die in Kap. HI zusammengestellten Namen der
Haustiere, die im Gegensatz zu den meisten Ackerbau-
gleichuDgeu sich über das gesamte idg. Sprachgebiet erstrecken.
•Es kann kein Zweifel sein*', sagt Winternitz mit Recht, „dass
zAhlreicbe Ausdrücke, die sieb auf die Viehzucht beziehen, gemein-
iadogenuanisch sind und dem Wortschatz der Ursprache zu-
geBcbrieben werden müssen, während eine gemeinsame, auf den
Aekerban bezügliche Terminologie nur in den Sprachen der
earopiÜ8chen und nicht auch der arischen Indogermanen nach-
weisbar ist.*' Sodann das, was Kap. VIH und Kap. XV (Religion'
Aber die älteste Nahrung und Opferdar bringung (Götter-
speisang) auseinandergesetzt werden wird, woraus sich ergibt, dass
Fleischnabmng und Opferung der viei-füssi^on Haustiere anderen
Speisen und Spenden gegenüber in der ältesten Zeit durchaus in
dem Vordergrund stehen. Nicht minder wichtig ist die in Kap. IX
erörterte Tatsache, dass Leder- und Pelzkleidung ohne
Zweifel die älteste Umhüllung der Indogermanen gebildet hat.
Von nicht geringerer Bedeutung ist auch die in meinem Real-
lexikon (s. V. Körperteile; ausführlich besprochene Erscbei-
8e h rader. Sprachrertrleicliiing uud Urf^eschfohte II. 3. Aufl. 15
- 218 —
nuuff, dasB schoo io der Urzeit eine eingehende anatomische
Kenntnis des tierischen nnd menschlichen Leibes vorhanden war,
die nur durch die hänfige Übnng des Schlachtens des Viehes n
profanen und sakralen Zwecken gewonnen worden sein kann
(vgl. auch V, 164 Anm.)- Dies alles, verbunden mit zahlreichen
Zügen des Familien- nnd Stammeslebene (Kap. XIII), die in
dieser Zusammenstellung nur auf der Wirtschaftsstnfe der Vieh-
züchter wiederkehren, erheben es über jeden Zweifel, dass die
Indogermanen ganz vorwiegend ein Volk von Viehzüchtern ge-
wesen sind*).
Im Mittelpunkt dieser ältesten Viehzucht stand, woraif
schon in Kap. III hingewiesen wurde, das Rindvieh, die Kuh, das
Zug-, Schlacht-, Opfer-, Milchtier, der Reichtum und Wertoieaer
der Urzeit.
Hieraus folgt zugleich, dass wir kein Recht haben, uns die
lodogermanen, wie schon mehrfach betont worden ist, als eigent-
liche Nomaden vorzustellen, als Wanderhirten und Reitemomaden,
wie sie die west- und ostturkestanischen Steppen nnd Wüsten
durchstreifen. „Das strenge Reitemomadentum'^, sagt Peisker
a. a. 0. p. 11 nach v. Middendorf und V&mböry, „kennt keine
Rinderzucht. Das Rind verdurstet bald, es ist nicht schnell-
füssig und ausdauernd genug, um die ungeheuren Wandernngeo
mitmachen zu können ; es ginge an Erschöpfung zugrunde, bevor
es im Frühjahr die Sommerweiden und im Herbst die Winter-
quartiere erreicht haben würde. Auch bietet ihm die Steppe ffir
den Winter keine entsprechende Nahrung, und der Hirt bitte
keinen besonderen Nutzen, weil das wandernde Rind keine oder
wenig Milch gibt und als Tragtier dem Pferd nnd Kamel an der
unerlässlichen Schnelligkeit bedeutend nachsteht. Das eigentliche
1) Alles dies habe ich bereits in der zweiten Auflage dieses
Buches und besonders in meinem Reallexikon (s. v. Viehsucht) ftiU'
einandergesetzt. Winternitz Beilage z. Allg. Z. 1903, Nr. 253 be-
merkt da/u: „Und da stehe ich nicht an, mich rückhaltlos zu der Ad*
sieht Schraders zu bekennen, dass die noch zu erschli essende Wirt-
schaftsform des idg. Urvolks die Viehzucht war. Die von ibm
angeführten Gründe halte ich für durchaus zwingend, und H. Hirt
(vgl. P, 49), der die entgegengesetzte Ansicht vertritt, hat auch nicht
einen dieser Gründe widerlegt.' Durchaus nichts neues hat H. Hirt
auch in dieser Beziehung in seinem Buche Die Indogermanen vo^
gebracht.
J
- 219 -
Zucht- und Nährtier des zentralaBiatischeD Nomaden ist das Schaf
und neben ihm das Pferd." Wollen wir ans daher nach ethno-
graphischen Parallelen zu der Wirtschaftsstufe der Indogermanen
umsehen, werden wir besser tun, uns den afrikanischen Vieh-
zQchtem zuzuwenden. „Rindviehzucht", heisst es hier von den
Kaffem (vgl. Winternitz Was wissen wir von den Indogermauen ?
Beilage z. Allg. Z. 1903 Nr. 252;, „ist der Kaffern grösste
Leidenschaft und Gottesdienst, und ein Haupthindernis für bessere
Landwirtschaft. Sie weiden ihre Augen an dem Vieh mit so
grosser Lust, dass ihre Phantasie sich Tag und Nacht damit
beschäftigt. Sie besingen und loben dessen Eigenschaften, ver-
gleichen es mit den höchsten Ideen von vernünftigen Menschen
und noch höheren Kräften. . . . Um Vieh zu bekommen, tut
der Kaffer alles." Und von denselben Kaffern berichtet £. Grosse
Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft p. 90:
„Von vielen Stämmen wird hier (in Afrika) auch Ackerbau
ipetrieben; aber die Pflanzenkultur gilt ihnen neben der Vieh-
zucht als eine niedrige, nebensächliche, beinahe unwür-
dige Beschäftigung. Das gleiche Verhältnis tritt bei den
Kaffem und ihren benachbarten Verwandten hervor. Auch sie
mögen die Früchte des Feldes nicht entbehren, aber die Feld-
arbeit ist ihnen verächtlich und verhasst; ihr Herz hängt allein
an den Herden, welche den Mittelpunkt ihres ganzen Lebens
bUden.""
Den Schwerpunkt in der Vieh Wirtschaft der ludogermauen
bildete also die Rindviehzucht. Und doch sind wir schon früher
einer Spur begegnet, die in noch ältere, vorindogermanische
und andersartige Verhältnisse zu weisen scheint. Wir haben
Dimlich oben (P, 201 f.) gesehen, dass die älteste Bedeutung
der schon idg. Kollektivbezeichnung für Vieh (scrt. pägu = got.
faihu) „Schaff (also nicht „Rind^) gewesen ist, wodurch sich
der Blick in eine, wir wiederholen es, vorindogermanische Zeit
eröffnet, in der, wie bei den wirklichen Nomaden, so auch bei
den Indogermanen nicht das Rind, sondern das Schaf das
Hanptherdentier bildete.
Und so lässt sich nun das Bild der indogermanischen Wirt-
schaftsform folgendermassen entwerfen: Die Indogermanen waren
in der Zeit, in der die ersten Stämme sich von dem Grundstock
— 220 —
abzusondern begannen, ein Volk von Vieh-, besonders von Rind-
viehzi1chtei*n. Der Ackerbau war ihnen nicht gänzlich unbekannt,
doch können wir nicht sagen (vgl. Kap. V), welche Kulturpflanzen
sich über das ganze Völkergebiet erstreckten. Erkennen
können wir nur, dass ein bereits mit dem Pflug betriebener und Ober
den Anbau von Gerste, Weizen, Hirse, Flachs, Bohne und Mohn
verfügender Ackerbau in prähistorischer Zeit deutlicher bei den
westlichrriMi Gliedern des idg. Sprachstanims hervortritt,
ohne sich jedoch auch hier, ftber ein von der freien männlichen
Bevölkerung verachtetes, den Menschen noch nicht an die Scholle
bindendes Anhängsel der Viehzucht zu erheben.
In diesen Rahmen lassen sich noch zwei weitere kultur-
historische und linguistische Tatsachen einfügen. Wir haben in
Kap. III gesehen, dass die Schweinezucht den Indem nnd
Iraniern fremd ist, während sie bei den übrigen Indogermanen.
ebenso wie die der übrigen Haustiere, seit der ältesten Zeit her-
vortritt. Auf die europäischen Sprachen ist auch die idg. Glei-
chung für das junge Schwein: lat. porctiSj ir. orc, ahd. farakj
lit. paPüzas, altsl. pras^ beschränkt. Da nun einerseits die
Schweinezucht naturgemäss für ihren Betrieb das Vorhandensein
umfangreicher Eichen- und Buchenwälder voraussetzt, anderer-
seits aber überhaupt sich eher an den Ackerbau und eine grossere
Si'sshaftigkeit als an die reine Viehzucht anlehnt, so stimmt
dieses Hervortreten des gezähmten Schweines im Westen de»
idg. Völkergebietes aufs beste mit der Verteilung von Wald und
Steppe, Ackerbau und Viehzucht überein, wie wir sie für die
idg. Urheimat angenommen haben. Dieselbe geographische Ver-
breitung wie die meisten Ackerbaugletehnngen hat in den id^-
Sprachen zweitens das Salz: griech. älg, lat. sat, got. jwrft, ir.
üalanny cynir. halauy altsl. soltj lett. näh, armen, nl (vgl. grieeh.
iiooToovj lat. arafrum, ir. arathar, altn. ardr, armen, artmr
„Pflug" I. Da nun di(* Pflanzenkost, die mit der grösseren Be-
tonung des Ackerbaus natürlich an Bedeutung gewinnt, dem
Körper das in ihm enthaltene und für ihn notwendige Kochwilz
durch ihren Kaligehalt entzieht, so dass es von aussen ergänzt
werden niuss, so lässt sich die Beschränkung des idg. Worte*
für Salz auf die westlicheren Glieder des idg. Sprachstamms ohne
Schwierigkeit so erklären, dass hier das in der Natur («n
den nördlichen Gestaden des Schwarzen Meere«) in Menge v(»r-
— 221 -
laudene Kochsalz in seiner Wichtigkeit für die Ernährang des
lenscben im Westen früher als im Osten erkannt wurde.
So können wir die auf Seite 205 gewonnenen Parallelen
och um zwei weitere Glieder vermehren und erhalten so die
Leiben :
Waldsteppe und Waldgebiet.
Viehzucht mit Ackerbau.
Schweinezucht.
Salz.
Baumarme Steppe.
Viehzucht mit geringen
Spuren des Ackerbaus.
Unbekanntschaft mit der
Schweinezucht.
Dnbekanntschaft mit dem Salze.
Westen (Europäer).
Osten (Arier).
VII. Kapitel.
Die Zeitteilung.
1. Die Jahreszeiten: Winter. Frühling. Sommer. Spuren einer ältereo
Zweiteilung. Das Jahr. Zählung nach Jahreszeiten. 2. Mond und
Monat. Schwangerschaftsberechnung. Zerteilung des Mondmonats in
zwei Hälften. Aberglaube. Mond- und Sonnenjahr. Die 12 Nächte.
Monatsnamen. Das idg. Jahr ein «Witterungsjahr". 8. Tag und Nacht.
Zählung nach Nächten. Die Nacht beginnt den Volltag. Der Tag.
Tagesteilung. — Allgemeines.
Wenn ich an die Geschichte des Ackerbaues und der
Kulturpflanzen einen kurzen Überblick Aber die Ursprünge der
idg. Zeitteilung anreihe, so geschieht dies, weil beide Materien
gewissermassen in einem ursächlichen Zusammeuhaug miteinander
stehen. Mit Recht bemerkt J. Grimm (Geschichte d. D. Spr.):
^Erst nnter ackerbauenden Völkern ordnen sich Gottesdienst und
Zeitteilung^ y und es liegt auf der Hand, dass erst deqeoige^
welcher die Saat dem Schosse der Erde anvertraut und tod
ihrem Wachsen und Gedeihen Glttck und Reichtum fflr sich mid
die Seinen hofft, dass es erst der Landmann ist, welcher eis
lebhafteres Interesse an einer genaueren Einteilung der Zeit
nimmt. Da wir nun in dem bisherigen gesehen haben, dass die
Indogermanen in ihrer Urzeit noch weit von der Hohe eines
sesshaften Ackerbanvolkes entfernt waren, so wird es yon Wich-
tigkeit sein, zu untersuchen, ob das, was wir Aber die ftlteite
Zeitteilang ermitteln können, mit diesem Ergebnis im Einklang steht.
Nicht minder wird es fttr das Verständnis des historischen
Kalenders der einzelnen idg. Völker wertvoll sein, den gemein-
samen Kern zu finden, der ihnen zugrunde liegt. Und endlich
ist es unzweifelhaft, dass die Einteilung der Zeit bei einem
Volke, z. B. die Frage, wie viele und welche Jahreszeiten es
unterschied, eng mit der Lage und dem Klima des Loindes ver-
- 223 —
tpQpft ist, in welclieni es wohnt, m das« wir auch naeli dieser
Inite, d.h. hinsichtlicb der Frage der id^. Urheimat, auf einige
Bilere Änhaltepmiktc hoffen dllrfen.
1. Die Jahreszeiten.
Aaf dem .Slandpuakt eines fast ausBcblieBslieh von dem
tragt seiner Herden lebenden Volkes re^t der EtufluBS des
jlTitterun^weehseb den Mensehen zuvörderst 20 einer doppelten
lüttaebtiiug an: er antci-scheidet /.wiaehen derjenigen Jahres-
pit, in welcher w mit seinen Herden die oft Tausende von Kilo-
Wtem entfernten Sommerweiden he/ieht, and der, in welcher
vor den Unbilden der Witterung in geschlitztere Winter-
lartiere flüchtet.
Dürfen wir VAnibery Primitive Kultur p. Iö2 f. glanbeu,
> haben die tnrko-tatarischen Völker in ihrer Urzeit lediglich
7.wei Jahreszeiten, Somnier und Winter, nnterschieden, in deren
Benennungen sich noch die Zustände eines Nomadenvolkes deut-
di abspiegeln würden. \)cr Name des Sommers jciz wäre so-
I wie die „Jahreszeit, in welcher man sich ausdehnen kann"
„ausbreiten", j'flzi „Ebne", jazilatnalf „auf die Weide, auf
! Steppe gehen"), während die Benennung den Winters }f,iii,
\ die schneeige (Ifaj-iii, yaUi-lfii' pSchneegestöbcr") Jahreszeit
ideute.
Wie sind nun in dieser Beziehung die ältesten idg. Zn-
kndc zu beurteilen?
Die airi schärfsten in den idg. Sprachen charakterisierte
I in deneeiben am weitesten verbreitete Henennung einer Jahres-
yi ist ohne Frage die des Winters:
BCrt, kemantä, hema» i„im W."), hitnä, liimti lancli „Kälte";,
IT. zayan, zj/am (Noui. zyd), armen, jmern ijiun ^Schoee";,
liech. ;^a/iiäv (xia'tv „Schnee"!, I at. AiemK tauch „Unwetter"», ir.
»4, altsl. zima, lit. Hemä, alb. dimm, genn. ^n-gimus ,.jäbr-
iUx Salica, Kern Taal u. Letterb. II, 143, vgl. lal.
[«, tritnug usw. „zwei-, dreijährig", grieeh. ///«igcjj-, yumnin
ßegenbock, Ziege", eigentl. „Jährling"!.
Die Wurzel ist unbekannt; aber in dem itedeutnngswandel
■ aiigefQhrteu Sippe (Winter, Sturm, Schnee; spiegelt sieii die
|lur eines nordischen Winters ab, was auch durch das Vor-
^Itdenttein einer idg. Wurzel t'Ur schneien: aw. a/ui^i/ (aber rafm
— 224 —
y,Sclmet»"), lat. ninguere. nix, griecli. i'«V«i >'*9'a, got. «mS/v,
lit. sni^ga^, altsl. snegü, ir. tmechta ttestätigt wird. Dazn koiDiDt
die Übereinstiinmnng von ahd. f« mit aw. isu f,fro8tig, eisig'*.
Der «j^enannten Sippe für den Winter stehen nan zunächst
zwei Gleichungen gegenüber, die miteinander gemein haben, im
sie eine freundlichere Jahreszeit bezeichnen. Es sind:
1. scrt. raaanfd, aw. vanhar (npers. behdr) = scrt. casar,
armen, ginnin, altsl. resna, altn. rar, lat. v^, com. guainim
(gl. r«r', griech. lag „Frühling*^, lit. wasarä „Sommer" (?gl.
russ. tennrnka „Sommersprosse").
2. sert. ndmä ,, Halbjahr, Jahr*^ — aw. Aa/w, armen. am<m
(amr „Jahr*^i, ir. sam, samraify ahd. .sumtfr „Sommer".
Es ergibt sich also, dass wir für die idg. Oiiindsprache
zunächst eine Drei h ei t von Jahreszeiten: Winter, Frühling nnd
Sommer anzusetzen haben. Tatsächlich findet sich eine solche
Dreiteilung des Jahres auch bei mehreren idg. Einzelvölken.
So im ältesten Indien {trai/ö va ftavah samratsarasya, (^(A.
Brdhiu.j bei Aeschylui»: ysiu(bvy eag, i^coos, bei den GermaneD
(los 1'acitus (Germ. Kap. 26 : tinde annum quoque ipm/m non w
fotidem digerunf species: hieirts et rer et aestas intettectum ef
rocahdhi hahenty autumni perhide nomen et bona ignorantur\
Gleichwohl fehlt es nicht an Spuren, die darauf hindeaten, daesin
einer noch älteren Zeit, ganz, wie es, wie wir oben sahen, bei den
Turko-Tataren der Fall war, nur zwei Jahreszeiten, nämlich
Winter und Sommer unterschieden wurden. Diese Sparen and
die folgenden: 1. Unterscheidet sich der Name der von der
Wurzel ves (scrt. ras „erstrahlen") gebildeten Jahreszeit von
<len beiden anderen, wie überhaupt von allen alten Jahreszeit-
benennungen dadurch, dass er niemals und nirgends als pan
pro toto für das ganze Jahr gebraucht wird, eine Aosdrocks-
weise, auf die unten zurückzukommen sein wird. Es folgt
hi<'raus, dass die Bildungen mit re^ ursprünglich nicht
sowohl eine Zeitdauer, als einen Zeiteintritt, eben den
Eintritt der ^leuchtenden, hellen'^ Zeit bezeichnet
haben müssen. 2. Lässt sich der Stamm ^sam- ^Sommer'
(sert. sdinä „Halbjahr^) nur schwer von dem daneben liegendeo
scrt. sanid „el)en, gleich**, aw. hamay griech. 6^i6c:, lat. rimäu
trennen, so dass sich als Grundbedeutung „gleiche, zweite HftUtc
des Jahres" ergibt, o. Kann man die Wahrnehmang macbeo«
«.
.. ^
- 226 -
in den Einzeleprachen sehr hänfig zwei, niemals drei JahreB-
eitbenennnngen in ihrer Suffixbildnng aufeinander eingewirkt
aben, wie sert. himantd : vasantd, aw. zyafa : ham, armen.
mehn : amarfiy germ. wintar : sumary ir. gam : sam zeigen.
. Finden sieb, namentlich anf keltischem und germanischem
k>den, deutliche Überreste einer alten Rechnung nach Semeste/n
ägis. missere, altn. misseri). Für die Kelten ist hierbei auf den
on Thumeysen Z. f. kelt. Phil. II, 525 behandelten altgallischen
aalender von Coligny, für die Germanen auf zahlreiche Rede-
k-eudangen der Poesie und der Rechtssprache wie alts. thea
.ahda so filu wintro endi sumaro gilihd oder agis. wintren oiid
ufneres (Rechtsformel) zu verweisen. Vgl. auch Beda De
tmporum ratione Kap. 15: Item principäliter ammm fotum in
lue temporaj hyefnin ndelicet et aefttatisy digeruid,
Ist es aber richtig, dass *«em- ursprünglich das „andere
lalbjahr*^ war oder bedeutete, so findet in diesem Zusamnieii-
lang vielleicht noch eine bisher nicht genannte idg. Jahreszeit-
Benennung, nämlich altsl. jaru „Frühling'', griech. cogn (vgl. djrtnof])
,frenndliche Jahreszeit'', „Jahreszeit" — ^oi.jer, aw. yär „Jahr*
lat. honms „heurig") ihre Erklärung. Die Grundbedeutung
lifser Sippe ist nicht etwa speziell „Frühling", sondern vielmehr
«Vtthling und Sommer mit besonderer Rücksicht auf die in dieser
teit gesäten und reifenden Früchte. Besonders deutlich folgt
lies aus den slavischen Sprachen (serb. jar, jari „Sommer",
■arica „Sommerweizen", russ. jarovoe „Sommergetreide" etc.).
s^benso aus dem Griechischen, wo dn-togi], wörtl. „später Teil
Icr <ogif^ für (ogtj auf eine ursprüngliche Bedeutung „Sommer"
linweist. Nicht weniger tritt der Begriff der Reife im Grie-
ihiachen in unserem Wort hervor. Auch im deutschen „Jahr"
^Otetjahr", „Fruchtjahr", „ein gesegnet Jahr") zeigt er sich noch.
Vielleicht lässt sich aber zu einer noch älteren Grundbedeu-
;nng vordringen. Die Etymologen leiten die Sippe von scrt. yd
,^gehen" ab. Es fragt sich nur, in welchem Sinne dies gemeint sein
Lönne. Ich möchte im Hinblick auf scrt. yd-trd „der Austrieb"
md aw. a-yä-^ima (von *a'yä'i^a, Gegensatz: *yd'(fra)y ur-
^prfioglich „das Fest der Heimkehr von Hirt und Herden aus
ler Senne" (Barth olomae) die Vermutung — mehr kann es
latürlich nicht sein — wagen, dass *.yer- in vorindogermanischer
ileit in Verbindung mit *sam'' die Epoche bezeichnete, in der
- 226 —
man nach den Schrecken des Winters auf die Sommerweiden
zog, also das gleiche, wie das oben genannte tnrko-tat. gaz. Da
dies zugleich die Zeit war, in welcher in den mehr ackerbtn*
treibenden Gegenden die Halmfracht gesät wnrde mud zur Reife
kam, so mochte die Bedeatnng des Wortes frflhzeitig in Be-
ziehung za diesen Tatsachen gesetzt werden.
Somit ist das älteste, was sich Aber die idg. Jahreszeitea
ermitteln lässt, das folgende. Man nnterschied: 1. den Winter
mit Schnee und Eis, griech. x^^M^^ ^^^ seine Sippe, 2. des
Sommer, teils ahd. sumar usw., teils griech. dig^ usw. geoaont
Zwischen beide schob sich schon in der Urzeit lat. eer mid
seine Sippe ein, die aber noch keine eigentliche Jahreszeit, son-
dern nur den Eintritt, ^^das Aufleuchten^ des freundlichen Wetten
bezeichnete.
Einige Tatsachen au8 der Geschichte der allmählichen Ver-
mehrung der Jahreszeiten bei den Einzelvölkern werden nn»
am Schluss des nächsten Abschnitts und am Ende dieses Kapitels
beschäftigen. Hier erhebt sieh noch die wichtige Frage, ob
in der Urzeit bereits der Begriff einer Zusammenfassung tod
Winter und Sommer, bezügl. von Winter, Frflhling und Sommer,
der Begriff des Jahres einen sprachlichen Ausdruck gefunden hatte.
Dies scheint nun wirklich der Fall gewesen zu sein. Es
entsprechen sich scrt. safh-vat-s-arä „Jahr^, safhtmtsam ^m
Jahr lang^, parivatsarä „ein volles Jahr^, vatsardj gmfk
j^eros „Jahr^, alb. ri^t „Jahr^', si-viet „in diesem Jahre*,
lat. vetus^) „alt^, altsl. oetüchü, lit. wetuszas desgl. Daneben
scrt. parüt^ Pamird. pard, par-vouz (Tomaschek C. St. p. 19);
osset. färe, npers. pär, armen, heru (Hübschmann Arm. St
I, 39, Osset. Spr. 65) = griech. TteQvni, altn. fj(^p. Auch noeb
zwei weitere idg. Gleichungen von geringerer geographischer
Verbreitung sind anzuführen: 1. lit. mStas = alb. moi „Jahr**
(B. B. VIII, 9), deren ursprüngliche Bedeutung (W. mi) ^Zeit-
mass^ ist, wie auch im Slavischen Wörter wie bulg. godim
„Jahr", serb. god mit wurzelverwandten Wörtern in der Beden-
1) Auch das lat. Adjektivuin hatte ursprünglich die Bedentang
^Jahr, Alter, Altertümlichkeit", vgL K. Brugmann K. Z. XXIV, 88.
J. Schmidt Die Pluralbildungen der idgr. Neutra p. 84. Anden
Thurneysen K. Z. XXX, 485. — Über g^riech. htavj6g^ das noch nicht
sicher erklärt ist, vgl. K. Brugmann I. F. XV, 87.
- 227 -
lg „Zeit', „Fest" <polii. i/ody, 6e<^b. kod) /iisnmmenFlieKMeu ' *
iklosich Et.W.p.61). 3. got. it^n = lat. annua ans *iihw-8
BniDdbedeutniig dutikel).
Häafig:er aber als solcher Anstlrtlcke scheint man sieb hei
}r JahreazählQDg in der Urzeit anderer Mittel bedie&t /.a haben,
inmal werden näniiicb in den alten Texten die Jahreszeiten
ibeneinander aufgezählt.
So heisst es im Hildebrandslied: ic wallöta »umaro eidi
nntro aehntic (— S(i Jahre, 60 Semester), im Heiland a. a. thmi
habda a6 filu tcintro endi gumaro gilibd. Aach im Kigveda
begegnen Sfttze wie „Hundert Herbste lebi.- zunehmend an Kraft,
hundert Winter and handt-rt Lenze". Abnliehes bei Houicr und
Ipnst. Es liegt auf der Hand, daes eine derartige schwcrfälligie
breite Anadmcksweise vorwiegend hei poetischen Gelepen-
iten, K, B. in den feierlichen Zauber- und SegeiiHsprIlcbeii. wie
scboD die Urzeit kainile (vgl. 1'', 32), üblich war.
Den Bedürfnissen der täglichen Rede genDgte es, das kiliif-
B oder vergangene Jahr kni7.weg durch eine einzelne Jahres-
t XU bezeichnen (parm pro toto). Unverkennliar geht durch
I idg. Sprachen der Zng. die ursprüngliche Bedeutong HiDer
ireszeit zn vergessen und dieselbe zum Ausdruck der ver-
igten Jahreszeiten zn benutzen. Und zwar werden in diesem
ine, wie wir schon sahen, sämtliche im obigen genannte Jahres-
IteD ndt Ausnahme der von der Wurzel t^es gebildeten ge-
.ucht. Zahlrfiches andere kommt aus den Einzelsprachen
KD. So übersetzt ülfilas die Worte ywlj aiftoygoovaa dtndnca
mit qini) hlüprinnaiidei tralih rititi-tins, wie auch agis. dn-
ttre „einjährig" bedenict. Im Slavischen ist yto „Sommer"
I (mit godä wechselnd) „Jahr". Das scrt. i^anid „HerbM"
•d im Aweata durchauti für „Jahr" gebraucht (vgl. aber osset.
•d „Sommer" neben npers. sdZ „Jahr"!, und zu dem indischen
selbst bemerkt A. Weber Ind. Siud. XVII. 2^2: JMe
tnoe Zählung in den Sprüchen der Ritnaltexte, bis zu den
iga-gütra bin, ist nach llerbsteu. Es repräsentiert dies eine
ittelstnfe zwischen iler alten Zählung nach Wintern (himäM)
1) Za alaviech ynilü .Zeil, Fi.'st, Jahr" ütelle ii'li griech. htf/tA-n
g nach dem Fe§te' W.i/eil). Die bisherigp Deutung dieses Wortes
,der auf dem Fasse [irrS-) Folgende" lilsst einp Bfüiehungr zum I-Vaii>.
RS Immer hat, vermissen.
— 2:>8 —
tuid der späteren nach Regenzeiten {t-arshäni), entsprechend der
mittlerweile vor sich gegangenen . Verschiebung der Wohnsitze.''
Die hier im Indogermanischen nachgewiesenen Bedentung»-
Übergänge wiederholen sich in den finnischen Sprachen. So
heisst im Mordv. kiza ^Sommer, Jahr^, im Ostjakischen id
,, Winter, Jahr"; daneben besteht im Ostjakischen ein tallMä
^Winter und Sommer^ = Jahr. Aber auch ein gemeinsam«
Wort für den Jahresbegriff haben diese Sprachen: finn« ruo$\,
weps. wo8j ostj. öt, Tomaschek hält dasselbe für identiiiek
mit idg. vet, ttf (Pamird. p. 19), wenn richtig, gewiss ein bedent-
«anier Kultur/.usanimenhang.
Näheres über den Charakter des idg. Jahres wird erst am
Schlnss des folgenden Abschnitts zu sagen sein.
2. Mond und Monat.
Unter den Gestirnen, die das Hinmielsgewölbe schmücken,
hat, wie anderen Völkern, so den Indogermanen der Mond in
seinem ewigen Wechsel zuerst den Wandel der Zeit yerkflndet
Oninium admirationem, sagt Plinius Hist, naf. II, 9, 41, rinei
norlssimum sidus terrisque famÜMrissimum, Mond und Monat
gehen, zuweilen unter kleinen Suffixverschiedenheiten, im Indo*
germanischen ineinander über: so im scrt. md'g, aw., altpere.
m(}h, im altsl. mesqci^ im lit. mSnü {m^nesui nur ^Monat"), im
got. mena „Mond** : m^nöps ^Monat". Öfters ist nur der Mi
diesem Stamme gehörende Name des Zeitmasses erhalten, und fflr
den des Ucstirns sind neue Wörter eingetreten: so griech. /itp^'
oe/j/vtj «Mond" (oikag „Glanz^, aber auch jiii^rt] „Mond^), lat.
metisis (A/ene y,dea menstrnationi^^) : lüva (lucAre „leuchten'*),
armen, amis „Monat" : lusin „Mond" (lucere), altir. mi : eica
-,M()nd**. Vgl. auch alb. moi „Monat".
Die Wui7.el dieser ganzen Sippe (über ihre Lautverbftlt-
nisse vgl. J. Schmidt K. Z. XXVI, 345) wird mit Recht in dem
idg. miy scrt. mä'-mi „ich messe" gesncht, so dass der Mond
sich selbst als „den Messer der Zeit", wie es M. Müller t»
<lrü(*kt. the golden hand on the dark dial of heaven darstellt
In dem durch ihn bedingten Monat haben wir demnach
den ersten und sichersten Ansatz einer geordneten Zeitteilung
bei den idg. Völkern zu erblicken.
— 2-29 —
Der reine, ungebundene (synodisehe) Mondinonat betrügt
bekanntlich 29 Tage, 12 Stunden, 44 Minuten, 3 Sekunden, und
dass er in diegwT v(m der Natur gegebenen Dauer sowohl in der
ür/eit als auch bei den einzelnen Völkern noch eine geraume
Zeit gi'golten habe, dafür spricht unter anderen mit grosser
Wahrscheinlichkeit, dass einer der wichtigsten Vorgänge, deren
Ende genau zu berechnen war, die Dauer der Schwanger-
Bcliaft in früheren Perioden nicht auf 9, sondern auf lU Monate
festgesetzt wurde.
Wenn in der vedisehen Zeit ein Kind als ein reifes, aus-
jretragenrs bezeichnet v>erden soll, so wird (»s daqamasya ^ein
zehnmonatiges^ genannt. In einem (lebet um Fruchtbarkeit des
Weibes wird gesagt:
tarn te ydrbham harrhiiahe — tiacamr mäsi siitave „Um
die • im vorhergehenden näher bestimmte) Frucht bitten wir Dieb
Enr Niederkunft im 10. Mond**. Ebenso ist im Awesta die nor-
male Zeit der Entbindung der zehnte Monat (Geiger 0. K.
p. 236), wie sie nicht weniger Herodot (VI, 69) als solche be-
zeichnet, und auch bei den Römern, z. B. in den zwölf l'afeln
kehrt die gleiche Rechnung wieder. Am frühsten erwähnt sie
in Enropa der homerische Hynmus auf Hermes v. 11. Vgl.
Leist ül>er den Begriff eines zehnmonatlichen Schwangerschafts-
Jahres (Altarisches 7W gentium p. 262 ff.) und W. H. Roseher
Die enneadiscben und heptomadischen Fristen und Wochen der
ältesten Griechen (Abh. d. phil.-hist. Kl. der kgl. Sachs. Ges.
d. W. XXI, IV p. 10 ff.).
Der Monat wird naturgemäss durch die beiden sich' ent-
gegenges4»tzten Phasen des Mondlichtes, Voll- und Neumond, in
zwei Hälften geteilt, welche die Inder pürr^a-pahthd und apara-
pakjfhä „vordere" und „hintere" Seite (Zimmer Altind. L.
p. 364) oder ipüdapaksh4i und krshnapaksha „helle*^ und ^dunkle"
Hälfte nennen. Auch die Ausdrücke ydra und äyava kommen
schon in vedisehen Texten für dieselben Begriffe vor. Ich mr>chte
dieses ydra zu t/üran ,ijung" (t/äv-iyans, yär-ishta) stellen und mit
lit. jdunas mentl ^Neumond" vergleichen. Am Anfang der einen
Hälfte steht die Neumondsnacht {amäräsyd\ am Anfang der
anderen die Vollmondsnacht (paurnamäm).
Die Zweiteilung des Monats, die wir bei den Indern ge-
fnndeii haben, setzt auch das Awesta voraus (veiger a.a.O.
- 230 -
p. ol6'>. Im Griechischen weisen auf dieselbe die Aiudrfleke
fjLYjvoQ iorauh'ov und /xrjvog q>{^ivovxog (vgl. auch dixofirppla ^ Voll-
mond^) hin, obgleich in historischer Zeit an dieselben eine Ein-
teilung des Monats in 3 Dekaden anknüpft (zunehmende Sichd,
mehr oder weniger volle Scheibe, abnehmende Sichel). Auch
bei den Germanen treten in dem Bericht des Taeitns Oem,
Kap. 1 1 Neu- und Vollmond {cum aut inchoatur luna out im-
pleturi als die hervorstechendsten Phasen des Mondlichtes auf,
und ebenso wird in dem altgallischen Kalender von Coligoy
(s. o.) jeder Monat in zwei scharf getrennte Hälften geteilt, wobei
über der zweiten das Wort atenoux, das man als y,gro8Be*' oder
^ Vollmondsnacht" gedeutet hat, geschrieben steht. Endlich irt
auch für die römische Monatsteiiung von den idüs auszugehen,
ohne Zweifel den Vollmondsnächten {idüs vielleicht nach Meyer-
Lübke: dem oben genannten ir. dsce „Mond^ ans *eid'skiam\
denen gegenüber die calendae den ,,Rufetag^ {calare, xaiär)
bezeichneten, d. li. den Tag, an dem der Neumond aosgenifeB
wurde. Pur eine weitere Einteilung des Monats als in zwei
Hälften fehlt es für die Urzeit an sicheren Spuren; doch sucht
Röscher a. o. a. 0. aus der langen Geltung des synodischen
Monats (circa 29 Vs Tage) bei den Einzel Völkern, bezüglich ans
der Auffassung desselben als reinen ,.Lichtmonats^ (circa27 Vs Tage,
d. h. des Zeitraums, während dessen der Mond wirklich am
Himmel sichtbar ist) die zahlreichen 7-tägigen (4 X 7 = 28) ood
9-tägigen (3 X 9 = 27) Fristen und Wochen zu erklären, die
uns auch hei den idg. Völkern begegnen. Ansätze zu derartigen
Bildungen könnten also schon in der Urzeit vorhanden ge-
wesen sein.
Der Mond ist der Messer der Zeit, daher ist er der Herr
über Wachsen und Vergehen, als von dem Vorrücken der Zeit
bedingt. Dazu kommt, dass man dem Mondlicbt schon früh-
zeitig einen direkten F]influs8 auf die Vegetation der Erde, den
Menschen und seine Schicksale zuschreibt. Es ist nicht die Auf-
gabe dieser Arbeit, den roten Faden zu verfolgen, an welchem
dieser Glaube oft dunkel und unheimlich, oft kindlich und heiter
sieh durch Altertum und Neuzeit hindurchzieht. Nur einige der
ältesten Zeugnisse, aus denen hervorgeht, wie mächtig der
Glaube an die Bedeutung der Mondphasen öfters in die Ge-
schichte der idg. Völker eingegriffen hat, seien hier erwähnt
— 281 —
Oum ex captims quaererety berichtet Caesar de bell, GalL I, 50,
juamohrem Ariovistus proelio non decertaret^ hanc reperiehat
causam, quod apud Gennanos ea consuetudo esset, ut matres-
famüiae eorum sortibus ac vaticinationibus declararent, utrum
proelium committi ex usu esset necne; eas ita dicere: non esse
fojf Germanos superare, si ante novam lunam proelio
eontendissent. Die Erklärung fügt Tacitus Germ. Kap. 11
binza: Coeunty nisi quid fortuitum et subitum incidit, certis
diebus cum aut inchoatur luna aut impletur; nam agendis
rebus hoc auspicatissimum initium credunt. Ganz
ihnlich leisten die in den Anschauungen des Altertums länger
als andere Hellenen befangenen Spartaner den Atheniensern vor
Marathon keine Hülfe, weil sie nicht ausziehen dürfen /ifj oi
TtUlQsoq iüvTog rov xvxXov (Herod. VI, 106). Vgl. auch die
athenische Bestimmung, von der Zenobius und andere (Roseher
p. 56) berichten: inelgrito *A&fjvaioi<; orgariav i^dysiv jigo rfjg xov
ßOfrog ißdo/Lifjg.
Mag man nun den ungebundenen Mondmonat von 29Vty
bezflgl. 27 ^/s Tagen, mit 10, dem oben erwähnten Schwanger-
ecbaftsjahr, mit 12, unserer gewöhnlichen Monatszahl, oder mit
13 multiplizieren, welche Anzahl der Monate bei zahlreichen ost-
anatischen Völkern üblich ist (vgl. Schief ner Das dreizehn-
monatige Jahr und die Monatsnamen der sibirischen Völker MÜanges
Busses tome III, 307 ff.), in keinem Falle geht die Zahl der
Monate in dem Sonnenjahr von 365^4 Tagen auf, und es erhebt
rieb darum die wichtige Frage, ob schon in der Urzeit der Ver-
mich gemacht worden sei, einen Ausgleich zwischen Mond- und
Sonnenjahr herzustellen.
In der Tat hat Albrecht Weber in seiner Abhandlung
Zwei vedische Texte über Omina und Portenta p. 388 die Ver-
nutong geäussert, dass die zwölf geweihten Nächte, welche im
rediscben Altertum vorkommen, und die auch im Okzident,
namentlich bei den Germanen, begegnen^), als solch ein Versuch
inzQBehen seien. Hiergegen hat aber der genannte Gelehrte in
leoerer Zeit selbst Bedenken erhoben, indem er „Indische Studien^
1) Eine Spezialuntersuchung über die „Zwölften*^ wäre erwünscht.
rgL E. H. Meyer Indog. Mythen II, 526, Ludwig Der Rigveda VI, 232,
k. Hildebrandt Ritualiiteratur etc., Grundriss III, 2 p. 5 f .
- 232 -
XVII, 224 sagt: „Und wenn aicb nun die Frage erhebt, was
denn wohl etwa diesen zwölf Tagen eigentlich zugrunde liegen
mag, so liegt jedenfalls der Gedanke nahe, sie als den Versuch
anzusehen, zwischen dem 354tägigen Mondjahr (unstreitig wohl
der ältesten Form der Jahresrechnung) und dem 366tägigeu
Sonucnjahr eine Ausgleichung herzustellen, durch welche trotz
der im Volke üblichen Rechnung nach Mondzeit doch eben auch
dem faktischen Sachverhalte, wonach der „Lauf der Sonne*' den
Umfang des Jahres bestimmt, Rechnung getragen werden sollte.
Man verlegte die zwölf überschüssigen Tage au den Schluss de«
Mondjahrs und gewann so in ihnen teils ein Korrektiv ffir die
Zeitrechnung, teils eine heilige Zeit, die für das je kommende
Jahr als vorbedeutsam galt. Bedenken macht eine solche
Auffassung darum, weil wir dann durch die Übereinstimmung,
die in bezug auf die Zwölften zwischen Indern und Germanen
vorliegt, genötigt werden, ein so richtiges Verständnis der Mond-
und der .Sonnenzeit bereits für die indogermanische Urzeit an-
zunehmen, was dann aber doch immerhin seine nicht geringe
Schwierigkeit hat, da man den Trägem derselben eine solche
Kenntnis doch wohl schwerlich auf Grund eigener Beobachtungen
zutrauen darf.^ Einen Ausweg aus diesen Schwierigkeiten glaubt
endlich Weber (Sitzungsb. d. kgl. preuss. Ak. d. W. zu Berlin
phil.-hist. Kl. XXXVII, 2) in der Annahme zu finden, dais die
12 Nächte zwar schon idg. seien, aber in der Urzeit dnreh die
Semiten von Babylon her entlehnt worden wären.
Auch ich halte es aus allgemeinen (Gründen für unwahr*
scheinlich, dass das Rechenexempel, welches in der Ausgleicbaog
des Mond- und Sonnenjahres liegt, schon von dem Urvolkc ge-
löst war. Besondere Erwägungen führen zu der Annahme,
dass sie ihm überhaupt unbekannt war.
So bedeutungsvoll in sprachlicher wie sachlicher Beziehung
der Mond als ^Messer der Zeit^ uns entgegen getreten ist, ebeaio
geringfügig sind die Beziehungen, welche die alten Namen der
Sonne^j zu Zeit und Zeitteilung haben. Aus dem Grieehi-
sehen könnte man violleic-ht das zuerst in der Odyssee auf-
tretende krxd[inQ „Jahr" (-arr) hierherstellen, wenn es „Wandel
des Lichts"^ oder „Lichtkreis'^ vgl. nach Fick äßd' rgoxp^j
1 nie Namen der Sonne \'^\. Kap. XV.
— 288 —
Bes.) wirklich bedeuten sollte. Im Italischen möchte nmbrisch
ue, paelignisch uus j^anni, annutn^ (Bttcheler L. LX.) hier-
liergehGren, das zu etrnrisch ü»ä j^Sol et Eoa^y lat. aur-öra
ra stimmen scheint. Scrt. ftU'vrtti ist eine ganz junge Bildung.
Im flbrigen ist mir aber keine Bezeichnung des Jahres bekannt,
die von dem Umlauf der Sonne oder überhaupt von Namen der
Sonne hergenommen wäre. Wenn daher Ideler in seinem
Handbuch der Chronologie die linguistische Bemerkung macht:
„Was endlich das Jahr betrifft, so mag hier zu dem, was über
die Dauer und die verschiedenen Formen desselben gesagt worden
ist, nur noch eine Bemerkung hinzukommen, dass das diesen
Begriff bezeichnende Wort in fast allen Sprachen einen Kreis-
lauf, eine Wiederkehr in sich selbst bezeichnet^, so ist dieselbe
fir das idg. Gebiet entschieden falsch.
Und noch folgender Gesichtspunkt befestigt mich in der
Überzeugung, dass die Indogermanen vor ihrer Trennung nicht
Aber die Zeitrechnung nach reinen, ungebundenen Mondmonaten
hinaasgekommen sind. Sobald nämlich eine Einrechnung des
Mondjahrs in das Sonnenjahr stattgefunden hat und der Monat
damit von dem Wechsel des Mondlichts, der seine Quelle war,
losgelöst worden ist, ergibt es sich von selbst, dass die in den
Kreis des Jahres eingefügten Monate zu bestimmten jährlich
wiederkehrenden Individu^ werden, für welche eine Namen-
gebung durchaus notwendig ist. Hätte nun dieser Vorgang be-
reits in der Urzeit sich vollzogen, so wäre durchaus zu erwarten,
dass in der grossen Masse idg. Monatsnamen^, die uns aus
1) Vgl. J. Grimm Geschichte der deutschen Sprache, Kap. VI:
Feste und Monate, K. Weinhold Die deutschen Monatnamen, Halle
1S69, F. Miklosich Die slavischen Monatsnamen (Deukschrilten d.
philos.-hist. Kl. d. Kais. Ak. d. W. XVII, 1—30) Wien 1868, Krek Ein-
leitung in die slav. Literaturg^eschichte* p. 510 ff. Wichtig für die
Vergleichung ist auch die schon g-enannte Arbeit Schiefners Das
dreisehnmonatige Jahr etc. sowie Grotefeiid Zeitrechnung I, s. v.
lionatfaiamen. Für die Griechen kommen in Betracht: K. F. Her-
nann Über griechische Monatskunde, Göttiugen 1844, Th. Bergk Bei-
trage zur griechischen Monatskunde, Giessen 1845, für die tränier:
A. Bezzeiiberger „Einige avestische Wörter und Formen", Nach-
richten von d. K. Gesellschaft der W., Göttingen 1878 p. 251 ff., K. Roth
Der Kalender des Avesta und die sogenannten GAhanbär Z. d. D. M.G.
1880 p. 698 ff., W. Geiger Ostiranische Kultur, De Harlez Der
Sehrftder, Sprachvergleichung und Urgeschichte II. S. Aufl. 16
- 284 —
alter wie ueuer Zeit Qberliefert sind, wenigstens hier und da sich
Spuren einer ursprunglichen Übereinstimmung zeigten. AUein
das Gegenteil davon ist der Fall. Nicht nur, dass die idg.
Spracbfamilien in der Benennung ihrer Monate gänzlich von
einander abweichen, so zeigen auch die Sprachen dieser ein-
zelnen Spracbfamilien, wie z. B. der germanischen und sfaiTi-
sehen, der litauischen, auf diesem Gebiete eine so bante dialek-
tische Mannigfaltigkeit, dass Jeder Gedanke an eine nrsprflngliche
Gemeinschaft ausgeschlossen werden muss. Jede Möglichkeit
aber, ein idg. Altertum der 12 Nächte zu erweisen, fällt weg,
wenn es neuerdings Tille {Jule and Christmas^ there place tu
the Germank year, London 1899) gelungen ist, den Nachweis
zu führen, dass die sagenumwobenen Zwölften nur der gennt-
nische Abglanz des christlichen Dodekahemeron seien, der
heiligen Zeit zwischen Weihnachten und Epiphanias, zwischen
dem alten und neuen Erinnerungstag der Menschwerdung Chrisd.
Derselbe Gelehrte sieht auch die vier Jahrpunkte des SoDDen-
Jahrs, die Sonnenwenden und Nachtgleichen, als nicht im nordi-
schen Heidentum wurzelnd an, ein Punkt, auf den wir in Kap. XV
(Religion) zurückkommen werden.
So gelangen wir zu dem Ergebnis, dass das, was in der
idg. Grundsprache als *vetos bezeichnet wurde, lediglich ein
„Natur- oder Witterungsjahr" (vgl. ituch G. Bilfinger Unter-
suchungen über die Zeitrechnung der alten Germanen I, Stutt-
gart 1899) war, d. h. nichts als eine Zusammenfassung der
Jahreszeiten, also des Winters und Sommers oder Winters, Frflt
lings und Sommers. Daneben lief die Zählung nach Monden,
d. b. reinen Mond-Monaten unausgeglichen her, und feste Monats-
bezeichnungen waren nicht vorhanden.
Hingegen mögen allgemeinere, von den Witterungszuständen
oder den Beschäftigungen der Menschen etc. hergenommene Zeit-
bestimmungen, die gleichsam auf der Grenze zwischen Jahres-
zeiten und Monaten stehen, in ziemlich frühe Epochen znrflck-
gehen. So im Germanischen die schon von Beda De mengäm
Anglorum genannten Ohili (got. jiuleis, sAtn.jöl „Weihnachten**,
Avcstische Kalender und die Heimat der Avesta-Religlon, Verh. d.
internat. Orier.talisten-Kongresses II, 237 ff. — Alte Monatsnamen der
Inder siehe bei Zimmer Altind. Leben p. 370. Vgl. auch mein Real-
lexikon s. v. Mond und Monat.
i
— 235 —
«gl8. geohhol „Jul", *jeqh'dlay vielleicht = griech. *Ce(pog in
CitpvQog „Westwind", Coq)og „Finsternis", also „die dunkle Zeit")
fttr Januar und Dezember^ Lida (vielleicht = slav. leto „Sommer") ^)
fflr Juni und Juli. So im Griechischen: ägotog „Pflügezeit"
(auch „Jahr";, onogriTog „Saatzeit", ipmaXiä „Baumpflanzangs-
3teit" (vgl. Cnger Zeitrechnung in I. v. Müllers Handbuch P,
724). So im Iranischen das schon oben genannte ayä^rima
,iZeit des Eintriebs von der Alm", paitii. hahya^ eigentl. „Ge-
treide mit sich bringend" usw.
Eine schon idg., d. h. — charakteristischer Weise — europäisch-
idg. Bezeichnung dieser Art liegt in der Beihe got. mans „^e^oc",
ahd. aran „Ernte", altsl. ^'6«6n{, russ. öseni, altpr. aasanis „Herbst",
lat. annöna „Ertrag an Getreide" vor. Vgl. auch oben p. 225
Aber got. jer etc.
3. Nacht und Tag.
Wenn der Zeitmesser der Urzeit der Mond und nicht die
Sonne ist, so versteht sich die Zählung nach Nächten, nicht nach
Tagen fast von selbst. Auch dürfte es kaum nötig sein, Zeug-
nisae für diese bekannte Sitte des hohen Altertums beizubringen.
Im Sanskrit heisst daga-räträ (: rätrt „Nacht" ) ein Zeitraum von
10 Tagen, rdgänigam „Nacht fflr Nacht" ist = „täglich". „Lasst
uns die alten Nächte (Tage) und die Herbste (Jahre) feiern",
aagt ein Hymnus. Im Awesta ist die Zählung nach Nächten
{xiapj xiapafiy xiapar) in noch höherem Grade durchgeführt.
Unter den Germanen, bei denen dieser Gebrauch schon dem
Tacitus aufgestossen ist {nee dierum numerum sed noctium
computant Oerm. 11), begegnen in den deutschen Bechtsalter-
tOmem unzählig oft Formeln wie: sieben nehte, vierzehn nackte
zu vierzehn nechten. Im Englischen sagt man noch heute fort-
night ^ sennight. Vgl. auch mhd. ze tßihen nahten „Weih-
nachten" usw.
Denselben Gebrauch bezeugt für die Kelten Caesar de heUo
OaU. VI, 18. {GaUi se omnes ab Dite patre prognatos praedi-
1) Vgl. auch lit. Htu8, lietua „Regen **? In Russland betrachtet
man den Regen als Vorboten der schönen Jahreszeit, und die Kinder
begrüssen ihn, wie den Frühling selbst, mit altüblichen Liedern (vgl.
A. Leroy-Beauliea Das Reich der Zaren I*, 135).
- 286 -
cant idque ab druidibus proditum dicunt. Ob eam cauMim
gpatia omnis temporis non numero dierumy sed nodmm
finiunt.) Im engsten Zasammenhang hiermit steht aber, dass die
Nacht, aus welcher nach alter Volksanschannng der Tag geboreu
ward, diesem vorangeht. In den streng formelhaften altpersischen
Keilinschriften heisst es xmpavä rauöapativä ^bei Nacht und
Tag^. Im Sanskrit kommt neben ahörätrd, aharnU^a aocb
rdtryahan ^Nacht" und „Tag*^ und naJctamdinam „bei Ta^
und Nacht** vor. Die Athener begannen den Volltag {rvjipfi'
fiEQov) mit Sonnenuntergang. Dasselbe taten, wie z. B. agie.
frigeckfen „Donnerstag Abend", eigentl, „Abend zum Freitag"
zeigt, die Germanen. Nox ducere diem ridetur, sagt daher
Tacitus von ihnen, dies natales et mensium et annorum initia
nie observantf ut noctem dies subsequatur Caesar von den Kelten.
Auch auf slavischem Boden galt» wie die Komposita: altsl. noitt-
dinijej altruss. noHiedinl, nosöedlninica, nostedinica für riws.
sütki „der Zeitraum von 24 Stunden'' zeigen, der gleiche Brauch.
Mit dieser Bedeutung der Nacht als eines Zeitmasses der
Urzeit stimmt es überein, dass au ihrem idg. Namen — ähnlich
wie an denen des Winters und Monats — die Einzelsprachen mit
grösster Zähigkeit festgehalten haben: vgl. scrt. näkti, näkta,
aw. naxturu „nächtlich", grieeh. vv^y lat. nox^ altsl. nosth Ut»
TiaktiSy alb. nate, got. nahtSy altir. innocht „diese Nacht". Idg.
Grdf. *noqt'. Die Wurzel ist dunkel. Auf die arischen Sprachen
beschränkt sich die Gleichung von scrt. kshapj kshapd' = aw.
xsap usw. (s. o.).
Den Übereinstimmungen in der Benennung der Nacht gegen-
über gehen die idg. Sprachen in derjenigen des Tages, weniger
in der Wurzel als in der Suffixbildung, weiter auseinander: die
enge Geschlossenheit unserer Sprachsippe in der Terminologie de»
Winters, Mond-Monats und der Nacht, der drei Haupt-
pfeiler der ältesten Zeitteilung, wird nicht erreicht durch die
Übereinstimmungen, welche die Namen des Sommers, der Sonne
und des Tages zeigen.
Der alte Name des Tages ist wahi*scheinlich eine Bildung
von der W. di?; „strahlen" gewesen; vgl. scrt. dft-, dyäm-dyaxij
dite-dire „Tag für Tag", lat. diis, altir. dia, armen, tiv; da-
neben (nach Kluge Z. f. d. Wortf. VIII, 145) vielleicht von einer
anderen Wurzel (vgl. ahd. zi-t, agis. ti-ma) : scrt. dina, altsl. dinh
j
- 287 -
lit dienä (vgl. lat. nün-dinunif peren-dinus, got. sin-teiiM). Auf
das Arische beschränkt ist scrt. ähan = iran. ^azan (Spiegel
A. P. p. 98).
Wie der Übergang vom Winter zum Sommer durch Bil-
dungen von der Wurzel scrt. vas „aufleuchten" bezeichnet wurde
(vgl. oben p. 224), so dient dieselbe ebenso dazu, den Wechsel
von Nacht und Tag auszudrücken. Von veSy us ist einmal scrt.
väsard ^der ganze Tag", das andereuial der idg. Name der
vielbesungenen, rosenfingrigen Morgenröte (scrt. ushäs, aw. uSah,
griech. fjdjgy lat. auröra, lit. auszrä) gebildet.
In der Benennung des Abends gehen die idg. Sprachen
in Gmppen auseinander. Es decken sich scrt. döshä' „Abend,
Dunkel" und aw. daom; griech. ioTiega und lat. vesper, altir.
fescor, cymr. ucher {^vespero-); altsl. reöerü und lit. teäkaras.
Die beiden letztgenannten Gleichungen scheinen untereinander
und mit dem armen. giSer zusammenzuhängen, ohne dass dieses
Verhältnis bis jetzt lautlich aufgeklärt wäre.
Für eine weitere Teilung des Tages in der Urzeit fehlt
jeder sprachliche und sachliche Anhalt, und das kann nicht
unverständlich erscheinen. In einer Zeit, in der die Glieder
eines Volkes vorwiegend einer, und zwar der sehr eintönigen
Beschäftigung der Viehzucht hingegeben leben, liegt das Bc-
dllrfnis nach einer exakten Tagesteilung selbstverständlich noch
in weitem Felde. Die Bezeichnungen, welche sich in spärlichem
Masse bilden, werden, der täglichen Lebensweise entnommen,
notgedrungen sich in Begriffen bewegen, die auf einer höheren
Lebensstufe schnell in Vergessenheit geraten.
Solche der Begriffssphäre der Urzeit entsprechende Be-
nennungen der Tageszeiten mögen etwa gewesen sein: scrt. sam-
gavii „Vormittag" = „die Zeit, wenn die Kühe zusammengetrieben
werden", griech. ßov'XvTov-de = „die Zeit, wenn die Kühe los-
geschirrt werden", ir. imbüarach „beim Anbinden der Kühe",
„morgens", scrt. abhipitvd „Einkehr und Abend'', lit. pütüs
< : scrt. pitü „Nahrung") „Mittag" und andere. Auf die Bedeu-
tmg, die das Krähen der Haushähne allmählich für die Ein-
teilnng der Nacht gewann, ist schon oben (p. 167) hingewiesen
wordenj*).
1) Nach dem russischen Volksglauben „schmähen die ersten
— 238 —
Da wir in diesem Kapitel zuweilen unseren Blick ver-
f^leichend auf die Kultnrverhältnisse der Finnen gerichtet haben,
so sei schliesslich noch erwähnt, dass auch auf diesem Sprach-
gebiet die Namen des nach der Sonne und dem Tageslichte
benannten Tages auseinandergehen, während die Benennaog der
Nacht im Ostfinnischen wie im Baltisch-Finnischen dieselbe ist
(Ahlqvist a. a. 0.).
Blicken wir auf die eingangs dieses Kapitels aufgeworfenen
Fragen zurück, so folgt, was zunächst das Problem der idg.
Urheimat anbetrifft, ans den mitgeteilten Tatsachen, dass die
Indogermanen, was wir schon aus dem Vorhandensein der Birke
(oben p. 172) im urzeitlichen Sprachschatz folgerten, in einem
Lande gelebt haben müssen, dem ein nördlicher Winter mit
Schnee und Eis wohlbekannt war. Femer gebt aas der
Einteilung des idg. Jahres in zwei Jahreszeiten, Winter nnd
Sommer, in die sich eine kurze Übergangszeit des Frühlings
hineinschob, hervor, dass dieses Urland, wenn in Europa, in der
östlichen Hälfte desselben gesucht werden muss. Nichts ist fflr
das europäische Russland, sowohl für die Steppengegenden, wie
auch für die Waldgebiete so charakteristisch, als der fast on-
vermittelte Übergang von einem sehr kalten Winter zu eioea
verhältnismässig warmen Sommer. Selbstverständlich gibt es
Hähne dit^ Mitternacht'', „die zweiten (vor der Morgenröte) vertreiben
die Teufel'*, „die dritten (bei der Morgenröte) rufen die Sonne xun
Himmel'' (Melnikow In den Wäldern III, 248 der russ. AuBg.). -
Den Tag teilten die russischen Bauern, solange sie noch keine Uhren
hatten, nach üpovodi ein. Eine üpovodX ist der Zwischenraum Bwisehen
Mahlzeit und Mahlzeit, zwischen Ausruhen und Ausruhen. Im Winter
gibt es drei üpovodi, im Sommer vier. Man kann also z. B. sagen:
„Ich habe bis zur zweiten üpovodi geschlafen", d. i. im Sommer die
Zeit zwischen Frühstück und Mittagessen, von 8 Uhr früh bis Mittag
(Melnikow a. a. 0. III, 154). Auf eine g'leiche Tageseinteilung scheint
das gemeingerm. got. undaümi — : sert. antdr^ lat. ifüer «^wischen''
hinzuweisen, woraus sich die verschiedene Bedeutung des Wortes (nt^
undem „Vormittag", ahd. untom „Mittag**, altn. undom j^Mltte iwischen
Mittag und Abend" gut erklärt. Ursprünglich war offenbar die ffin-
zusetzung einer Zahl nötig: 1., 2., 3. undom.
1
- 289 -
eine sogar sehr charakteristische Übergangszeit^) zwischen Winter
und Sommer, eben die vesndy allein dieselbe ist zu kurz, um mit
der zimd oder dem Uto auf gleiche Stufe gestellt und als eigent-
liche Jahreszeit betrachtet zu werden. Vgl. hierüber A. Leroy-
Beaalieu Das Reich der Zaren P, 136.
Was die allmähliche Vermehrung der Jahreszeiten an-
betrifft, so ist es begreiflich, dass bei der Ausbreitung der Indo-
germanen nach den südlichen Ländern in diesen vor allem
neue Ausdrücke für den Sommer hervortreten, die denselben als
„Gluthitze*^ oder ähnlich bezeichneten, wie dies in lat. aestas ( : nX^oj
„brenne"; und in griech. iHgog (= scrt. hdras „Flammengluf*)
der Fall ist. Besonders deutlich spiegelt sich eine allmähliche
Verschiebung des heimatlichen Klimas in den indischen Jahres-
zeiten ab. Vcm einer Dreiteilung des Jahres schritt man noch
in vedischer Zeit, je mehr man die alten Sitze im Penjab ver-
liess, zu einer Fünfteilung: vasantä, grtshmd {aesta^-, äigog),
rarshä („Regenzeit"), gardd, hemantd-^^ra (qigird „kühl") oder
unter Scheidung der beiden letztgenannten Abschnitte zu einer
Secbsteilnng (vgl. B. R. unter ftü „Jahreszeit"). Die heutigen
Hindns endlich unterscheiden: Baras, die Regenzeit, Juli und
Ang^st, Scharady die drückende, feuchte Saison nach dem Regen,
September, Oktober, Hemantüy die kühle Jahreszeit, November,
Dezember, Sisira, die tauige Jahreszeit, die Periode der kühlen
Morgen und der Nebel, Januar, Februar, WcLsantj Frühling, März,
April, Grischma, die glänzende, strahlende, heisse Jahreszeit,
Mai, Juni (Schlagintweit Indien II, 173 Anm.)-
In kulturhistorischer Hinsicht weisen die überaus primi-
tiven Verhältnisse, die wir als idg. aufgedeckt haben, und die
ihre Entsprechungen besonders in der ältesten finnischen und
tnrko-tatarischen Zeitteilung finden, auf noch sehr primitive Zu-
stände hin. Besonders ist hervorzuheben, dass der älteste idg.
Kalender noch keine Beeinflussung durch das sumerisch -baby-
lonische Sonnenjahr zeigt, das seine auch die Zeitteilungen
der idg. Völker mächtig bestimmende Einwirkung offenbar erst
ausgeübt hat, nachdem die einzelnen idg. Völker in ihren
historischen Wohnsitzen angekommen waren. Es ist dies um so
1) Hierdurch erledigen sich auch die Ausführungen Kretsch-
mers Einleitung p. 66.
- 240 —
bemerkenswerter, als wir auf anderen Gebieten einzelnen Abb-
strablnngen^) sumerischer (sninerisch-babylonischer) Knhor auf
das idg. Urvolk früher begegnet sind (vgl. oben p. 118 und p. 199;
Aber das idg. nnd snmerisch-babyl. Zahlenwesen ygl. Kap. XI:
Handel und Wandel).
1) Sehr unsicher ist der von Zimmern bei E. Sehr ad er Keil-
inschriften und das alte Testament' p. 425 vermutete Zusammenhaof:
des idg. Wortes für Stern: scrt. star, aw. star, armen, {uti, griecb.
aaxi^Qt lat. Stella, com. steren, got. staimöt ahd. stemo mit dem baby-
lonischen lätar = Venus.
VIII. Kapitel.
Speise und Trank.
Mensch und Tier. Fleisch- und Pflanzenkost. Das Salz. Die Funde.
Fischkost. Die Verwendung der Milch in der Urzeit. Butter und
Käse. Met und Stutenmilcli. Das Bier bei den nördlichen, der Wein
bei den südlichen Indogermanen Europas. Sura und Soma bei den
Ariern.
Ein feinsinniger Beobachter des Menschenlebens (R. v. I be-
ring Gegenwart 1882 Nr. 37» bat in geistvoller Weise den Ge-
danken ausgeführt, dass aller Brauch^ mit dem die Sitte die
menschliche Befriedigung der tierischen Bedürfnisse des Essens
und Trinkens umgeben hat, dem Bestreben entspringe, die Ge-
meinsamkeit, die in diesem Punkte Mensch und Tier haben, zu
verdecken oder wenigstens zu verschleiern. Ohne Zweifel aber
ist die Empfindung, die diesem Bestreben zugrunde liegt, eine
modenic. Der primitive Mensch fühlt sich als Tier mit dem
Tiere, und noch die Sprache der Veden schliesst in dem Worte
pdi'äras { : pag/t -,Vieh") Menschen und Tiere zusammen. Der
Mensch ist ihr dripä'd paquväm „das zweifüssige Tier" neben
dem cötushpäd ,,deni vierfüssigen'*, eine Ausdrucksweise, die
(vgl. umbr. dupursun y^hipedibun^ neben peturpursus) vielleicni
in die idg. Vorzeit zurückgeht. So bietet denn auch die idg.
Ornudsprache keine besonderen Bezeichnungen für die Befriedigung
des Hungers (scrt. ad „essen", lat. edo) und Durstes (scrt. pä,
lat. bibo) bei Mensch und Tier, und erst allmählich gelingt es
den einzelnen Sprachen, besondere termini für beide zu schaffen,
ohne es indessen überall zu einer so scharfen Scheidung wie in
unserem neuhochd. „essen" und „fressen", „trinken" und „saufen^
ZQ bringen.
Aber auch die Sorgfalt, die der Mensch auf die Auswahl
und Zubereitung seiner Speisen und Getränke verwendet, bat
— 242 —
von jeher einen richtigen Schluss anf die Kulturstufe über-
haupt gestattet, auf der er sich befindet. Der ixeXag Cfoftog i^
mit einem Fusse noch im Barbarentume stehenden Lakoniers
behagt keinem Athener der perikleischen Zeit, und der gräzi-
sierte Römer der Kaiserzeit rümpft die Nase über die bäurischen
Gross- und ürgrossväter, „deren Worte nach Lauch und Zwiebeln
dufteten" (Varro bei Nonius p. 201, 5). Wenn aber somit das
Wie der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse in einem gewissen
Zusammenhang mit der geistigen und kulturliehen Höhe eines
Volkes steht, so wird es von besonderem Interesse sein, was
sich an der Hand der Sprache und Kulturgeschichte über die
Nahrung der vorhistorischen Indogermanen ermitteln lässt, hier
zusammenzufassen.
Ob aninialischc oder vegetabilische Kost die erste Nahniug
des Menschen gewesen sei, diese oft aufgeworfene Frage Itet
sich ebensowenig mit Sicherheit beantworten wie die, ob das
Vorwiegen animalischer oder vegetabilischer Ernährung einen
besonderen günstigen Einfluss auf die geistige und körperliche
Entwicklung der Völker habe. Die ethnologischen Tatsachen
(vgl. Th. Waitz Anthropologie der Naturvölker I, 62 f.) lehren
vielmehr, dass überall diejenige Nahrung für ein Volk (wie ancb
für den einzelnen) die beste ist, die seinem durch Klima ood
Lebensweise bedingten Organisums am meisten entspricht, und
dass geistiger Fortschritt sowohl bei pflanzen- als auch bei
fleischessenden Völkern gefunden werden kann. Da nun einer-
seits so viel sicher ist (vgl. oben p. 238), dass die idg. Ur-
heimat in einem gemässigten, auf animalische Kost hinwetsenden
Klima zu suchen ist, andererseits schon in vorhistorischen Zeiten
der Übergang von der Viehzucht zu einem wenn auch primitiven
Ackerbau gemacht worden war, so dürfte für die Urzeit von
vornherein die Wahrscheinlichkeit einer kombinierten Tier- nnd
Pflanzenkost einleuchten.
Die Indogermanen treten sämtlich als fleiscbesaende Völker
in der Geschichte auf, und nur bei den Indem war schon in
vedischer Zeit, offenbar aus klimatischen Gründen, die Fleiseh-
nahrung mehr und mehr der Milch- und Pflanzenkoet gevrichen
(vgl. Zimmer Altind. Leben p. 268). Zwei Bezeichnungen des
Fleisches gehen aber augenscheinlich bis auf die idg. Grund-
sprache zurück. Es ist dies einmal scrt. kravyaj kroüis = grieeh.
!os, VVfirtirr, die ursprünglich, wie die naheslefaeuden lat. o-uor,
. krüri, altir. crii „Blut'' zeigen, das rohe lahd. rö ans ^krö).
Üge Fleisch beKeichoeten, (vndererseitB BPrt, mäihsd. armen.
I, altpr. mensa, lil. mie»tt, altel. m^jtc, alb. tu/^, got. mimz,
Deiclit eine urzeitlichc BencnnuD^ des 7.11 bereiteten Fleiscbes,
9 dass die Anfänge der Kilcfaenkunst den Indogeruianen
lUnt waren, geht ans einer zienjiich erhebliehen Zahl von
erwandten (Jleiohiingen fttr dieselbe liervor. Die wichtigst i.-ii
d: »crl- pac pkoc^ben, hacken, braten", nw.paö [npen. pu.itfn
Dcben"), griech. Tfinnio, „koehe, backe", lat. coquere „kochen"
1. aber auch paiiem coquere nnd coctile „Ziegelstein", poplna
u-kflche", ein oskiHcb-umhrisches Wort), altsl. pekq „backe,
, eorn. pebei- „pistor"; scrt. hhrajj „rösten", griecb.
, lat. /W30 : ßriech. ^atyio, ahd. bahhan; iit. kep« „brate,
'. griech. fioio-xÖTtui „Bäcker"; armen, ep'em „koche",
ecli. ft/'<" 'd- Besonders beliebt mag, wie im Rigveda (vgl.
lomer AltiudiBchcs Leben p. iJ71) nnd bei Homer, das Braten
.SpicBH (Iher dem offenen Fener gewesen sein; doch ist
L>h das Kochen in irdenen Gefässen (vgl. Kap. X) uralt, wie
B. der germanische Opferbranch (got. mups „Opferlier" :
. giodtini zeigt. Ob daher die Gleichnng scrt. ;/r)», yäshäv,
. jüg, Alts\. jackn „lirllhe" mehr den ans dem Fleisch heim
Aen <ie«selben llber dem Fener ansbrndelnden Saft oder eigent-
te Bouillon bezeichnet habe, wird sieb schwer sagen lassen,
eine besondere Feinlieit mochte, wie noch bei Homer ill.
i,ll, 501), das Mark*; der Knochen angesehen werden, eine
ibUngsspeisc aller karnivoren Natnrv'ilker (vgl. Lubbock Die
;^8chicht liehe Zeit 11, 37). Verstanden »ich aber die Indo-
tnauen bereits anf die Zubereitung des Fleisehes mit Hilfe
I Feuers, so schliesst dies doch den nebenhergehenden Gennss
I roben (scrt. ämd, griech. ibuöi, \r, 6m) Fleisches, den he-
luUich nicht einmal nnsere Kultur ganz überwunden bat, nicht
i. Von den Germanen wenigstens berichtet dies Pomponius
la III, 3» ansdrUcklich. Nach diesem Schriftsteller genossen
lere Vorfahren das rohe Fleisch entweder frisch (recenn) oder.
dem sie es mit H&uden nnd Füssen mürbe gewalkt hatten.
noch das erste Wikingergesetz mnsate ausdrücklich verbieten,
t »crl. mt\}jän, aw. maef/a. altsl. mozgil. ab<
— 244 -
dass rohes Fleisch gegessen werde. „Viele Menschen^, h&sA
es in demselben, „hegen die Sitte, rohes Fleisch in ihre KIdder
zu wickeln und so zu sieden, wie sie es heissen; aber das ist
mehr eine Wolfs- als eine Menschensitte^ (Weinhold Alts.
Leben p. 148). Bei den Indern gelten allerdings nur Dämonen
und Zauberer als kravyä'd „rohes Fleisch fressend'^ ; doch haben
auch die Inder des Rigveda bereits eine höhere Eultnretnfe
erreicht als die Germanen an der Schwelle der Geschichte.
Was die Tiere anbetrifft, die dem ürvolk zur Nahrung
dienten, so lieferten bei einem viehzttchtenden Volk in erster
Linie natürlich die Herden das Schlachtvieh (neque muUum fn-
mento sed maxhnam partem lade atquepecore — „Herdenvieh" —
rivunty Caesar von den Sueben IV, Kap. 1). Hierzu mochte, wenn
auch seltener, der Genuss der Jagdbeute, den Tacitus bei den
Germanen kennt (recens fera^ Kap. 23), treten. Auffallend ist
es jedenfalls, dass bei Homer nur zweimal und zwar nur in d»
Odyssee vom Verspeisen des Wildprets, wilder Ziegen (IX, 154)
und eines Hirsches (X, InT), die Rede ist, und noch dazu beide-
mal in Fällen, wo es nichts anderes zu geniessen gab. Im
Kigveda, wo Jagden auf wilde Tiere doch mehrfach erwähnt
werden, scheint der Genuss des Wildprets ganz unbekannt ge-
wesen zu sein. Man jagte daher in der Urzeit augenscheinlich
mehr, um die gefährlichen Feinde der Herden und Ansiedelungen
zu vernichten, als um des Nutzens willen, den man von der
Jagdbeute erhoffte (vgl. oben p. 138).
Einen trefflichen Kückschluss auf die bei den Indogermanen
verspeisten Tiere gestatten die ältesten Bestimmungen über die
als Opfer (vgl. Kap. XV) gestatteten (griech. Ugda „Schlaeht-
vieli"). So werden bei den Indern als Opfertiere Ross, Bind,
8chaf, Ziege, bei den Iraniern Hengste, Rinder und Kleinvieh, bei
Griechen und Römern Ochsen, Schafe, Ziegen und Schweine be-
zeichnet. Bei den Germanen werden Pferde-, Rinder-, Schweine-
und Ziegenopfer genannt. Wildpret, Geflügel und Fische and
dem ältesten Opferritual fremd, weil sie entweder, wie das Ge-
flügel (oben p. 165 ff.), in der Urzeit noch unbekannt waren
oder, wie Wildpret und Fische (I*, 162 f., vgl. auch Kap« XI),
nicht zu den Lieblingsspeisen der Menschen gehörten.
Zu der animalischen Nahrung trat als vegetabilische in
der ältesten Zeit die Frucht der wildwachsenden Obetbänme
- 246 -
agrestia poma Tac. Germ. Kap.23)y deren etymologisch über-
iQ8timmeDde Namen oben (p. 175) mitgeteilt sind, und, woran
oan kaum wird zweifeln können, die Eichel (lat. glansy griech.
^dXavoqj altsl. ielc^i, armen, kaiin). Werden doch die in ihrer
Lnltarentwicklnng zurückgebliebenen Arkader ausdrücklich als
\aiannfiq)dyoi „Eichelesser^ bezeichnet, und weiss doch Plinius
XVI, 5, 6) zu berichten, dass man bisweilen bei Hungersnot
irot aus Eicheimehl buk (vgl. Hei big Die Italiker in der Poebne
). 72 f.). Ja, in einem altenglischen Runenlied (Wülker I,
J3i— 337) wird die Eichel geradezu als ^Nahrung des Fleisches
für die Menschenkinder^ bezeichnet.
Besouders im Westen des vorhistorischen Sprachgebiets
^ritt dann immer mehr die Halmfrucht in die Reihe der un-
ntbehrlicheo Lebensmittel. Vor allem wird man das auf der
|>rimitiyen Handmühle (got. qairnus usw. vgl. Kap. VI, p. 204)
^wonnene Mehl in der Form des Breies genossen haben, für
len eine idg. Gleichung in griech. jiöAtoc = lat. puls vorliegt.
(fach Plinius Hist. not. XVIII, 149 hätte Hafergrütze eine Haupt-
rpeiae der alten Germanen gebildet, und nach demselben Autor
SVIII, 83 hätten die Römer lange Zeit nicht von Brot, sondern
ron Brei [puls) gelebt.
Doch ist auch die Bekanntschaft der Indogermanen mit
iem Brot uralt, wie schon die Gleichungen griech. nkd^vor ■=
ihd. flado „Fladen'* und (vielleicht) lat. libum = got. hlaifsy
nfad. lebe-kuoche (altsl. chlebü wahrscheinlich aus dem Gerniani-
ichen entlehnt) zeigen^). Dieses urzeitliche Brot müssen wir uns
ib ungesäuert und darum schwer, flach und unverdaulich vor-
^len. In Rom mnsste derselbe Flamen Dialis, der sich den
3art mit ehernem Messer rasieren musste (oben p. 70), sicli
lach der farina fermento imbuta enthalten. Aus Plinius XVIII,
>8 lässt sich ersehen, dass der Gebrauch der Bierhefe zum Brot-
)acken in den barbarischen Ländern damals noch auf Gallien
md Spanien beschränkt war, und in unserem bröt (agls. br^ad,
iltn. hraud), das selbst von Haus aus ^Bierhefe" (= ßgomog
hl HQi^(üv Tiofia Hes.) bedeutet, dürfte gegenüber dem urzeit-*
liehen hlaifs ein verhältnismässig junger Ausdruck für das ge-
tänerte Brot vorliegen.
1) Vgl. über die verschiedenen Deutungen der zuletzt «genannten
IflTortflippe Walde Lat. et. Wb. 8. v. libum.
- 246 -
In naturnotwendigem Zusanimenhang mit dem GeDuas der
Halmfrucht steht, wie schon in Kap. VI gezeigt worden ist, der
des Salzes^ dessen idg., aber, wie die meisten Ackerban-
gleichnngen, auf Europa (und Armenien) beschränkte Bezeich-
nung, lat. sal etc., wir ebenfalls bereits kennen gelernt babeo.
Zeugnisse dafür, dass der Mensch bei reiner Fleischnahnmg des
Salzes nicht bedarf, liegen aus Europa einerseits in der Nach-
richt des Pausanias (I, 12), den^ufolge die auf der Stufe der
Viehzucht stehen gebliebenen Epiroten die schon yon Homer
genannten Menschen waren, die
ovde §' äkeooi juefuyfxivov eldag edovoij
andererseits in dem von Athenion (Athenaeus XIV, p. 661) be-
richteten altgriechischen Opferbrauch vor, den den Göttern dar-
gebrachten Eingeweiden der Opfertiere Salz nicht binzuzufflgeo
(ov yäg rjoav ovömo) elg Tijv roiavrrjv XQV^^^ iSevQtj/jiivoi), VoD
dem altindischen Opfer (vgl. Oldenberg Religion des Veda
p. 413^) waren überhaupt gesalzene Speisen ausgeschlossen.
Nimmt man hinzu, dass im Awesta und Rigveda überhaupt noch
kein Wort für Salz genannt wird, so findet auch von dieser
Seite unsere oben p. 221 entwickelte Ansicht, dass bei den öat-
iichen Gliedern des Urvolks, und wo sonst etwa noch fast aus-
schliesslich Viehzuclit getrieben wurde, das Salz noch aobekannt,
d. h. nicht verwertet und darum nicht benannt war, ihre Best&tigODg.
Die Frage aber, woher den übrigen Indogermanen das für ihre Er-
nährung notwendige Salz kam, ist nicht schwer zu beantworten,
wenn in den Kap. II — VI der Schauplatz der ältesten idg. Entwick-
lung mit Recht im südlichen Russland gesucht worden ist. Das
Meer, an dem alsdann jedenfalls die westlichen Glieder des
idg. Sprachstamms sassen (lat. mare, ir. mutr, got mareij altsL
morje, lit. märes) ist alsdann das Schwarze^) Meer gewesen, in
1) Der Einwand von Hoops Waldbäume p. 382 ff., dass, wenn
das Meer, an dem auch nach ihm die Indogermanen sassen, dts
Schwarze Meer gewesen wäre, man erwarten solle, „dass gerade die
Sprachen der südlichsten, dem Schwarzen Meere ursprünglich am
nächsten wohnenden Stämme, also das Griechische und Indo-iranisehe,
einen gemeinsamen Namen für „Meer" entwickelt hätten", scheint mir
nicht stichhaltig. Denn erstens steht der Annahme nichts im Wege,
dass die Indoiranier an den Sippen von lat. sal und mare deswegen
nicht teilnehmen, weil ihre Sitze in der Urzeit nicht bis zum Schwanen
— 247 -
dessen an seinen nördlichen Ufeni gelegenen Limans bekanutlieb
noch jetzt ein ungeheurer, zum Gebrauch fertiger Saizreichtum
zutage tritt und seit Urzeiten zutage getreten ist. Wie für diese
von der Natur hier mühelos dargebotenen vSchätze die Indo-
germanen später, da, wo sie sich vom Meere entfeniten, mtthe
vollen Ersatz in dem kunstlosen Absieden des Wassers eifer-
sflchtig gehüteter und gierig umstrittener Salzquellen suchen
nmssten, ist von V. Hehn in seiner Schrift Das Salz (2. Aufl.
1901) ausführlich dargestellt worden.
Dem Bild, das wir im bisherigen von der ältesten Nahrung
der Indogermanen gewonnen haben, entspricht im wesentlichen
das in den Ausgrabungen der neolithischen Epoche und ältesten
Metallzeit Europas zutage tretende. In erster Linie ist auch
hier das Fleisch der Jagd- und Herdentiere (hier zuweilen in
dieser Reihenfolge) zu nennen. „Ein durchgehendes Merkmal
«eines (des Pfahlbauem) Küchenmoders ist, dass alle Knochen,
die Mark oder anderen essbaren Inhalt haben, geizig bis auf
diesen ärmlichen Inhalt ausgebeutet sind'' (Rütimeyer Pfahl-
bmtenb. v. F. Keller III, VII Anm. 1). An Vegetabilien haben
«eh verkohlte wilde Äpfel (auch Birnen) massenhaft in den
Schweizer Pfahlbauten gefunden. Sie waren in mehrere Teile
zerschnitten und scheinbar für den Winterbedarf zurückgelegt
(Labbock Die vorgeschichtliche Zeit I, 207). Auch verkohlte,
geschälte Hälften von Eicheln fanden sich in Möringen (Pfahl-
baatenb. III, 63). In den Pfahlbauten der Poebne fanden sich
ebenfalls Eicheln in grosser Menge, und zwar in Tongefässen
aufbewahrt, so dass es wahrscheinlich ist, „dass sie nicht nur
zur Mast für die Schweine, sondern auch den Menschen zur
Speise dienten" (Hei big a. a. 0. p. 17).
Die Nachrichten endlich über die Verwendung der Halm-
Meere reichten, und zweitens wäre es. was die Griechen anbetrifft,
doch nur etwas im Leben der Sprache ganz gewöhnliches, wenn sie
ein der Sippe mare angehörendes Wort verloren hätten und dafür
ik »Salz** und „Meer" gebrauchten. Überdies scheint in griech.
»b7(^)A«vß4 »Flut**, eigentl. „Vollmeer** (vgl. auch lat. wuria „Salzlache**)
ein ziemlich sicherer griech. Anverwandter der idg. Sippe mare vor-
handen zu sein (vgl. Prellwitz Et. W. d. griech. Spr.* p. 375 und
Walde Lat. et. Wb. p 400).
- 248 —
frncht, die man auf steinerDen Kornquetschern vm mahlen ver-
stand; fasst Lnbbock in folgender Weise (a. a. 0. p. 207) za-
sammen: „Noch unerwarteter war die Auffindung tou Brot oder
richtiger Zwieback; denn seine Beschaffenheit ist so dicht, im
es scheint, als ob keine Hefe dazu benutzt worden ist. Die
Brote waren rund und flach, hatten eine Dicke von 1 Zoll bis
zu 15 Linien und besassen einen Durchmesser von 4 — 5 Zoll
mach Heer war die zerquetschte Masse zu einem Teige an-
gemacht und zwischen heissen Steinen gebacken). In anderen
Fällen scheint man die Körner geröstet, grob zwischen Steinen
zerstampft und dann entweder in grossen irdenen Töpfen auf-
bewahrt oder leicht angefeuchtet genossen zu haben. ^ Aach in
den Pfahlbauten des Mondsees sind von M. Much hefenloee
Brote aufgefunden wurden. Vgl. noch Heer Bemerkungen über
die Landwirtschaft der Ureinwohner unseres Landes, Pfahlbanten-
berichte III, 111 ff.
Ein Unterschied der archäologischen und linguistisch-
historischen Tatsachen ergibt sich hingegen insofern, als in
weiten Teilen des ältesten Europa die Fisch nahm ng ohne
Zweifel eine wichtigere Rolle gespielt hat, als oben und P, 163 fflr
die Indogermanen angenommen worden ist. Von paläolithischer
Zeit an ist in Europa, wie zahlreiche Funde von Harpunen ond
anderen Fischereigeräten zeigen, an vielen Orten ein emsiger
Fischfang betrieben worden, der auch in neolithischer Zeit, wie
die Schweizer und Oberösterreiehischeu Pfahlbauten, aber ancb
die dänischen und schwedischen Funde zeigen, noch andauerte.
Vielleicht haben wir es hier zunächst mit vor- und nicht-indo
germanischeu Völkerschichton zu tun, mit denen die von Osten
her sich ausbreitenden, die Fische ursprünglich gering-
schätzenden indogermanischen Viehzüchter allmftblicb
verschmolzen, und deren Gewerbe und Nahrungsweise sie im
Laufe der Zeit annahmen. Bemerkenswert ist in diesem Zu-
sammenhang jedenfalls, dass Chwoiko in seinem öfters (p. 1^
usw.) genannten Aufsatz über neolithische Siedlungen am mittleren
Dnieper p. 800 ausdrücklieh hervorhebt, dass die Überreste
von Fischen hier im Vergleich mit denen von Haus-
tieren und wilden Vierfüssleru ausserordentlich selten
seien. Keinerlei Überreste und Zeugen eines daselbst betriebenen
Fischereigewerbes sind in den Pfahlbanten der Poebne (Helbif
249
! itüliker in der Poeboe p. 15), sowie in Tiryns nuii Mykeiuie
, 163 Aiim.j zutage getreten.
Wie Ulckenliaft aber unsere Kenntnis der ällestea Eruäh-
tDgBweiHe wäre, wenn wir sie nur aus den prähistorischen
Piinden ecliöpften, zeigt um besten der Umstand, dass wir durch
die letzteren Uberhaapt nichts Ober eins der wichtigsten Nabrungs-
mittel der ünseit erfahren würden, über die Milch und ihre
Benutzung zn Butter und Käse. Dass die Indogermanen als
yai.a>iToiQoif>ovviK, wie es Caesar V, 14 von den Britanniem (die
lade et rarne i-ivfiiit) und VI, 22 von den Germanen (maior
pars cictus eorum in lade, caueo, cariie coniietit), Plinius
Hist. nat. XI, 41, 96 überhaupt von den barbarae gentes
quae litcfe rivuni) berichtet, in die Geschichte eintreten (vgl.
auch noch Jordanea Kap. 51 von den Gotki minores : nüiilque
ahundan» nijti armenta dinersi generis pecoi-um et pascaa —
Jiam /acte aluntur plerique), und dass also scbou dem ürvolk die
Milcb seiner Herden, seiner Kttbe, Schafe und Ziegen, viel-
leicht anch seiner Stuten i's. n.) in allererster Linie zur Nahrnng
diente, kann in keiner Weise bestritten werden. Urverwandte
Bexeicbnungen für den Begriff „Milcb" sind schon oben (I*, 172)
aiigefniirt worden. Merkwürdig ist, dads der AuedrQck für das
Melken: griecb. AftiXyvi, lat. mulgeo, ir. blichtm (ir. melg
„Milch"], abd. melckan (got, müukn „Milch", fühta, ein alt-
genn. Milcbgericbt, hieraus entlehnt altsl. mUko), altsl. mfüzq
(rasa, molözeco etc. „Biestmilcb") bei E^uropäern und Ariern fscrt.
dub) rerschieden ist. Vielleicbt weist auch dies auf einen alten
Kultnrgegensatz zwischen dem Westen und Osten des ürlands
hin, den wir freilich im einzelnen niebt bestimmen können.
Für die weitere Verwertung der Milch in der Urzeit sind
die folgenden Gleichungen von Wichtigkeit: sert. ä'jya „Opfer-
bulter", lat. unguentum „Salbe", altpr. anctan, ahd. aiicho, ir.
„Battcr"; acit. sarpin „ausgelassene Butter", kypr. H<;",-
agis. seaif „Salbe", alb. g'alp „Bntter"; scrt. »ä'ra
'ounene Milch", lat. serutn, griech. ögoV „Molken"; aw. türi
j gewordene Milch", „Molke", tnirt/a „käsig" = griecb.
' „Käse" u. a.
Wir lernen ans ihnen, dass mau schon in der Urzeit die
;tet) Beetandteile der Milcb auszuscheiden verstand, weniger
lll zum Gentiss, der in dem Trinken der Buttcimilch besteht.
aller. ^S^.^«^^1n■e^Bl eich Uli» und L:rKe«-hli:hle II. B. A.ifl. IT
- 250 -
als vielmehr zum Schmieren (scrt, lip, griecb. dkouptj = altd.
prilepü „Salbe^) des Haares und Salben des Körpers. Fflr
diesen Gebranch der Butter wie anch des Tierfettes kann ich
mich in sachlicher Hinsicht auf V. Hehns Ausführungen Kultürpfl.^
p. 154 ff. beziehen, in sprachlicher auf die schon angeführten B^
deutungsübergänge zwischen Butter und Salbe. Hierher gehört
auch altsl. mndo „Butter^ und „Salbe^^) {mazl „Salbe^, maztaa
^schmieren": griecli. juf'juay-'iiiivrjy fmyevg etc.), und ahd. srifa,
agls. säpe „die bei den nördlichen Völkern zum Färben der
Haare ursprünglich verwendete Seife" = lat. «^&um') (♦«a«6-tMii)
„Fett, Talg''. Die südlichen Völker, Griechen und Römer, haben
also ihre Vorliebe für das Salben des Körpers aus der Uraeit
mitgebracht, nur dass bei ihnen das edlere Öl und kostbare aos-
ländische Spezereien den urzeitlichen Schmalz- und Fettgebranch
frühzeitig verdrängten. Doch hat auch hier die Urzeit ihre
deutlichen Spuren hinterlassen. Ein altes Wort für die Salbe
ist im Griechischen iivgov. Es kann kein Zweifel sein, dass
dies zunächst dem hehr, mor, aram. murräh „Saft der arabischen
Myrrhe" entspricht, aus welchem es entlehnt ist. Aber der
griechische Ausdruck kommt auch mit anlautendem o (afivgof)
vor, das keinen Anhalt in den semitischen Sprachen findet Ich
nehme daher an, dass im Griechischen zwei verschiedenartige
Bestandteile miteinander verschmolzen sind, ein phöniziscb-semi-
tischer und ein einheimischer, und dass in dieser Sprache von
alters her ein ojtwgov oder *ojli€oov „Salbe", „Schmiere", vorhanden
war, das dem ahd. smero „Fett, Schmiere", got smairpra
„Fett", altn. smjör, ir. smir „Mark" entsprach. Während dann
die nordischen^) und auch die arischen Völker (scrt. ghjid, aw.
raoyna „Butter", parsi raogan, pers. röghan^ Pamird. rughnj
1) Der spezielle Ausdruck für Butter ist im Russischen koroek
mdslo (koröva „Kuh"), <|:anz wie ahd. chuo-sm^o^ und ähnlich wie
»rriech. ßovivQov^ eij^entl. „Kuhquark**.
2) Lat. säpo^ nach Plinius „Haarsalbe^, ist ein keltisch-f^enDini-
sches Wort und wahrscheinlich aus einem westgerm. ^sdpön-, das neben
*)täipon (ahd. seifa) bestanden haben muss, entlehnt.
3) Ein gemeingerm. Ausdruck der Butterbereitung ist altn. kimaj
engl, churn „Butterfass**, agls. öyman, nhd. kernen „buttern*; er wird
mit dem oben genannten got. qairnus „Handmühle* zusammenhKngeo,
da das Butterfass Ähnlichkeit mit dieser letzteren hatte. Erst in
X. Jahrh. kommt ahd. butera auf.
- 261 -
röghün etc.) die primitive Kunst der Drzeit bis znr eigeDtlicheo
Batterbereitnng vervollkommneten, gaben sie Griechen und Römer,
in ihren neuen Wohnsitzen mit dem semitischen Ölbaum und
seiner Frucht bekannt geworden, ganz auf.
Den Käse der Urzeit werden wir uns am besten als das
vorstellen, was Tacitus Germ, Kap. 23 als lac concretum ^kon-
densierte Milch ^ bezeichnet, und in Beziehung worauf Plinius
a. o. a. 0. sagt: mirum barbaras genteSy quae lade vivuntj
ignorare aut spemere tot saeculis casei (d. h. des geformten
und getrockneten Käses) dotem, densantes id alioqui in
acorem iucundum et pingue butyrum. Gerade dieser acor
iucundus liegt in der ursprünglichen Bedeutung des iat.
c(Meug ausgesprochen, das etymologisch zu dem slaviscben, russ.
kviisü ^säuerlicher Geschmack^, „säuerliches Getränk^* gehört.
Auch die einzige echt germanische Bezeichnung des Käses, altn.
ostr (f'mu, juusto „Käse^) weist, als zu \sit. jus „Brühe^ (vgl. oben
p. 243) gehörend, auf ein flüssiges Gericht. Selbst im Rigveda
wird nur ein Schlauch mit saurer Milch, kein eigentlicher Käse
genannt (Zimmer Aitind. Leben p. 227), und auch im Awesta
kann payöfsüta : payah „Milch^ = Pamird. pdi, päi, pöi „ge-
ronnene Milch", „Quark" sehr wohl von lac concretum ver-
standen werden.
Eigentlichen, geformten Käse {*formaticu8 = frz. fromage,
it. formaggio, vgl. auch ahd. formizzi) haben die Nordvölker
erst durch die Römer kennen gelernt und damit das Iat. ccLseus
(ir. caiae, ahd. chdsi^ agis. iyse) übernommen. Im Osten haben
die Siaven sehr frühzeitig ihr tvarog (unser mhd. quark) aus
turko- tatarischen Sprachen (dzagat. turak, türk. torak „Käse")
entlehnt. Es bedeutete bei diesen Reiternomaden speziell die in
Lederschläuche gezogene und dadurch zum Gerinnen gebrachte
Milch (vgl. J. Peisker Ältere Beziehungen der Siaven p. 122f.).
Ebensowenig wie über den Milchgenuss, würden wir über
die geistigen Getränke der Indogermanen allein durch die
prähistorischen Funde etwas erfahren. Auch hier sind wir aus-
schliesslich auf die Sprache und Überlieferung angewiesen. Sie
lehren nns, dass die sanfte Labung der Milch dem Durst unserer
vorzeitlichen Ahnen keineswegs genügte, und wie wir bei den
meisten, selbst bei den rohsten Naturvölkern dem Bestreben
- 252 —
begegnen, durch die Herstellung eines berauschenden Getränkes
aus Wurzeln, Kräutern u. dergl. sich die Möglichkeit eines kurzen
Entrücktseins aus dem irdischen Jamniertale zu verschaffen, so
kann auch unseren idg. Vorfahren die Poesie des Rausches nicht
verborgen gewesen sein. Ja, es ist nicht unwahrscheinlichy dass
der Nationalfehler des Trunkes, den Tacitus bei den Germanen
fand, ein Erbe idg. Vorzeit ist. Wohin wir uns jedenfalls, ancb
abgesehen von den Germanen, in der idg. Völkerwelt wenden^
ob zu den Kelten oder Thrakern, den Preussen oder Skythen,
den Indern oder Iraniern, überall treten uns dieselben trunkfesten
und trankfröhlichen Männer entgegen, und zahlreiche Götter-
gestalten wie der indische Indra oder der griechische Henkle»
oder der germanische Thor sind ebenso gross in der Verflbong
kühner Abenteuer wie in der Vertilgung ungeheurer Massen von
Speise und Trank (vgl. mein Reallexikon u. Mahlzeiten and
Trinkgelage). Auch in dieser Beziehung haben, wie beilänfig^
bemerkt sei, die heutigen Russen die Stufe der Urzeit noch treu
bewahrt, die sie, wie andere Völker, überwinden werden. Ihr
besonderes Unglück liegt nur darin, dass der Schnaps, du
„ Wässerlein ^ (vodkä), der seinen unheimlichen Siegeszag Aber
Europa seit dem XV. Jahrh. antrat, die Russen noch auf der
Stufe der Urzeit vorfand und so, statt oder neben harmloserem
Getränk, zum eigentlichen Volksgetränk wurde.
Das Getränk, in dem sich die Urzeit berauschte, war der
Met: scrt. mddhu „Süssigkeit, süsser Trank und Speise, Met^'r
später auch ,,Honig^, aw. madu „süsser Trank^' (vielleicht der
haomayW. Geiger p. 231 f., nach Bartholomae p. 1114 „Beeren-
wein"), griech. ^le^ „Wein** (vgl. fxe&i] „Trunkenheit"), ahd.
mefu, altsl. medü „Honig, Wein^, lit. midüs „Met*^, media
„Honig" (Kurschat), altir. mid „Met" (mesce = *medce „ebrieUu^
Die Bedeutung „Honig", welche diese Wortreihe in zahlreichen
Sprachen hat, sowie der Begriff der Trunkenheit^), den «e
entwickelt, zeigen, dass wir es hier mit einem berauschenden
Getränk zu tun haben, dessen wesentlichster Bestandteil Honig;
•
1) Vgl. auch die Reihe scrt. mddati „ist trunken", vndda „Tranken*
heit*', aw. mada ^Rausch trank", lat. matttAS „trunken" = scrt. matta
id., die von der im Text angeführten nicht immer scharf gesondert
werden kann, und deren Grundbedeutung „feucht sein** (,fencht-
fröhlich"), lat. madeo zu sein scheint.
2f.3
Wesen aciii iiiiiss, für den in den enropäischen Spmchen noch
eine zweite BeDcnnung: griecli. fxfXi, Int. mel, g^ot. miUp, ir.
mil, alb. mjal' fauch anuen. mein hestehl.
m Neben dem Met wird man nach dem oben {p. 156 ff.) über
Be Stellung des Pferdes im ältesten Haushalt der Indogermanen
Bemerkten auch die Stutenmilch n\s berausuhendes Getränk
aaznerkennen haben, obgleich ihr Gebrauch allerdings nur anf
«inem verhältnismässig beschränkten geographischen Gebiet, näm-
hch bei den Iraoiera (vgl. W. Geiger Ostiran. Kultur p. 328
and Bartholomae Altiran, W, s, v. xiäudray-). den Skythen
iHerodot IV, 2) und den alten Preussen {Script, rer. prus». I,
M: pro potu habent .... vtelficratum neu medonem et lac
MKrirum,- vgl. altpr, amcinan „Pferdemilch") bezeugt finden.
H Mit der grosseren Betonung des Ackerbans und dem all-
Isfthlicben Übergang der Indogermanen zn festeren Wohnsitzen
wird der Met, der sich am längsten in den zur Bienenzncht vor-
trefflich geeigneten Wohnsitzen der glavischen Völker erhielt,
ebenso wie die .Stutenmilch, immer mehr durch voUkommnere
Getränke, bei den Ariern durch Soma (aw. haoma) und Sara
(aw. Aura), bei den Europäern durch Bier und Wein in den
intergrund gedrängt.
Das älteste Bier, das die Alten, ausser in Germanien
'fte, Kap. 23), auch in Spanien [cerea] und Gallien (cerresia
and xögfia). in Illyrien und Pannonien [xeibaja), bei den Thra-
kern (naQaßirj, Phrygern {^oSrof) uud Armeniern vorfanden, wird
man am besten als ein Übergangsgetränk vom Met zn noBerem
Bier mit Hopfen und Malz auffassen. So fand es Posidonios
'Atheuäus IV p. 16*>) und Pytheas (Strabo IV p. 201) bei den
Iten, bezieh nngs weise im fernen Thnle ; nagii dr roU hnode-
^v&oq miQtvov /irra jiiXnoi iaxti'aa/.th'ov und nag' ot
ihtK xal /leXt yiyvezai >tal lö .lö/ta ivcfii&ev fjjeiv. Dieses
listoriacbe Bier entbehrte noch des Hopfens, der erst im
lalter durch Anregungen, die von Ostasien und der slavi-
fn') Welt ftDSgiugen (vgl. die Reihe: ßiiv, ^Mm/ri, tat. zomh'k.
1} Aul (iieso Tswauhe geBtÜut, liai V.. Kulm K. Z. XXXV. 3\:i
dit geruianiacben alid. bior, agls. beör, ahn. björr als Entleh-
» dem sUvischen pivo, allpr. pima .Bier' autgelaaal, und
r h*t>e diB gemaniaulie Sippe gegenüber dem gerni.-slav. : agls.
i, talod, nltn. äl, Mt. al&a, altsl. olü, dem un^j'eliopflpu Bier, das
- 264 —
slav. chmell, chm^liy altn. humally mlat. humulus), znr Kultar-
pflanze nnd znm regelmässigen Ingrediens des braanen Tranke»
geworden ist; doch mag man vorher andere Mittel zu dem
gleichen Zweck wie Eichenrinde, Fichtensprossen oder die stark
duftende HowJ^a, welche die Paeonier za ihrer Ttagaßifj ve^
wendeten, gebraucht haben. Anch die Knnst des Malzen»
wird nocli anbekannt gewesen sein. Man wird vielmehr in der
ältesten Zeit das gequollene Getreide unmittelbar zur Bier-
bereitung benutzt haben, so dass bei den Armeniern nach Xeno-
phons Anabasis (IV, 5, 26) noch die Gerstenkörner in den Miscb«
krügen nmberschwanimen. Auch die Fertigkeit, das Bier haltbar
zu machen, hat sich erst ganz allmählich, nach Plinius XIV,
149 zuerst in Spanien entwickelt. Bei den Litauern wurde e»
noch zur Zeit des Lasicius (De diis Samagitanim p. 44) beate
gebraut, um schon am folgenden Tage getrunken zu werdoi.
Wo das Getreide knapp war, wird man, wie beim Brote (ob^
p. 245), auch hier zur Eichel gegriffen haben, wie denn der
ärmsten russischen Landbevölkerung ein telud^vy kvasü ^Eiehel-
kwas^ nur zu gut bekannt ist.
Es muss also ein nichtswürdiges Getränk gewesen sein, ao
dem man sich in der Urzeit berauschte, und an dem, wie die
Gleichungen ahd. briuican, agls. breöwanj altn. brugga „brauen*':
phryg. ßgvrov „Bier" (s. o.), ßgovrog' ix xqi^cöv Jtopui Hes. und
agls. beorma „Bärme" = alb. brum „Sauerteig**, lat. fermmhm
„Hefe, Gärungsmittel" zeigen, gewiss auch die Griechen and
Römer teilnahmen, bevor sie in ihren historischen WohnsitEen in
den Besitz einer Kulturpflanze kamen, die zunächst f&r ihr eigene»
Volksleben, dann auch für das des übrigen Europa von unerme»
lieber Bedeutung werden sollte, der mtis mnifera, des Wein-
stockes.
Während das Altägyptische {arp, woraus griech. ^omclr
die iranischen (pers. mai, kurd. mei = aw. mada^ scrt. miifi
„Ranschtrank") und die nichtidg.-kleinasiatischen Sprachen (lyd-
jii(oka$) mit ihren Benennungen des Weins abgesondert und alMn
stehen, werden die Westsemiten (arab.-äthiop. irain, hebr. jajia
aus *wam) mit den Armeniern {gini aus *rotno-, *voini(h) und
gehopfte bezeichnet. Indessen sind die Lautverhältniase noch nicht
aufgeklärt, und jedenfalls muss ahd. bior usw. auf germanischem Boden
sehr alt sein (vgl. I. F. XVII, 32).
D europäiachen ludogerniaDcu ^griecb. j-ointi, alb. reiif aus
jind, tftt. rfnum, got. cein, slav. Wno, alttr. /in) dnrcli eine
mieinsame Benciiuuttf,' deBselben verbuoden. Da nnn einerseits
See Wortgrnppe eine etymologiscbe ADkuUpfnug; nur in den
logermaniecbeD Sprachen (vgl. lat. vi-t'm „Weiuetoek", vlmen,
ro, griech, ('<^i', t'idi- „wilder Wein") findet, andererseits der
'eitiBtock gerade in Pontns, Armenien und im Süden des Kan-
i die «delaten Frllcble ohne Kultur des Mensehen bervor-
higt (vgl, A, de CandoUe Ursprung der KulturpFlanzen p, 236),
scheint mir die nächste Erklärung fllr den angefahrten
nitiscb-indogerniaui sehen Zusauimeubaitg die /.n sein, dass ein
rntiflclicB *eoino (vgl, armen, gini) zusammen mit der Wein-
lltnr sich in vorhistorischer Zeit sowohl zu den Westseuiiteu
I auch nach der Balkauhalbineel und Italien vgl. oben p- 5Ü
iit. 1) auf dem Wege früher Entlehnung verbreitete, von welchem
ttteren Lande ans es dann in frlibbistorischer Zeit durch die
mer dat. viimm} naeh dem Norden Europas getragen wurde.
Diese Auffassung ist mir bei der in meinem Realleiikon
V. Wein) und bei V, Hehn Kulturpflanzen und Haustiere^
9U Ff. geechilderten kulturhistorischen Gesanitlage immer noch
! wahrscheinlichere, Uoch muss bemerkt werden, dass wir
B bei einer Reihe wie armen, ffhii, all), cfim, griech. ulroc,
[. rimim in der P, 195 hervorgehobenen Lage liefinden, lin-
itttisch nicht eutseheiden zu können, oh wir es mit Urverwandt-
iiaft oder aller Entlehnung der betreffenden Wörter zu tun
Die Möglichkeit ist daher nicht ausgesehloB»en, dass die
f efOhrte Wortsippe einen uriudogermanisehen Namen des Weins,
litlrlich noch des wilden, enthält. Zugunsten dieser Annahme
\ man anfahren, dasss nach den neueren Foim'hungen Viti«
tifera ausser in den oben angeführten Ländern auch in .Stld-
«sland, in ganz Stideurupa und in Teilen Mitleleuropaa spontan
wie denn auch Überreste des wilden Weinstocks in stein-
broDzezeitlichen Niederlassungen Italiens und vielleicht des
idenseegebiets zutage getreten sind (vgl. Hoops Waldbäitme
■291, 300). Die Nurdenropäer hätten dann in ihren späteren
bhnntzen den Stamm *eomo- einfrehHBsl, nm ihn später durch
römisclw Weinkultur aufs neue zu erhalten (vgl. oben
14H ff. Über die Schildkröte;. Hedenken sollte man aber, dass,
in den eingeführten Weinnamen eine urverwandte Sippe
- 256 -
erblickt, aas den angegebenen pflanzengeographischen GrttDden
jeden Gedanken an eine nordeuropäische Herkunft der Indo-
germanen aufgeben ninss.
Wir haben nun noch mit wenigen Worten bei den beiden
schon genannten Getränken zu verweilen, welche die arischen
Völker miteinander gemein haben, dem sürä (hurä) und dem
sö'ma {haomä). Über die Zusammensetzung des ersteren wissen
wir nichts bestimmtes. Das Petersburger Wörterbuch gibt ab
Bedeutung „geistiges Getränk^, „Branntwein*^ an. Bemerkeos-
wert ist aber, dass sowohl die tatarischen wie die ostfiomscben
Sprachen eine sehr ähnlich klingende Bezeichnung des Bieres:
wog. sartty wotj. und syrj. sur^ ung. ser, tscher. sra^ tatar. sra
(Ahlqvist p. 51) besitzen, die wahrscheinlich eine Entlehomig
aus iranischem Sprachgebiet darstellen. Auch weist E. Kuhn
(K.Z. XXXV, 313) darauf hin, dass altindische Rezepte die
gürä eher als bierähnliches Getränk kennzeichneten. Awestiseh
hurä hinwiederum ist (nach Bartholomae Altiran. Wb. p. 1837)
sicher eine Art Milch wein, Kumys (s. o.) gewesen; doch kommt
auch ein bierartiges Getränk (von yava bereitet) im Awesta for
(Bartholomae p. 533). Zu einer Sicherheit, was sürärhurä in
der arischen Urzeit bedeutet hat, ist also nicht vorzudringen.
Was den Soma betrifft, der bei beiden Völkern als Gott
wie als Trank gedacht wird, beiden Völkern Reichtum an Vieh
und Nachkommenschaft verleiht, bei beiden Völkern auf das
engste in den Kultus verwebt ist (vgl. Spiegel Die Ariscbe
Periode p. 168 ff.), so sind, namentlich auf R. Roths Betrieb
(Z. d. D. M. G. XXXV, 680—692), sowohl russischer- wie eng-
lisdieraeits sorgfältige botanische Nachforschungen angestellt
worden, um den irdischen Repräsentanten der göttlichen Soms-
pflanze {yam hramdnah viduh „die die Priester kennen"), fflr
die die heutigen Inder und Parsen aber allerlei Surrogate ver-
wenden, in den Gebirgen des Hindnkusch oder, den Tälern des
Oxus wieder zu entdecken. So hoffte man einen festen Punkt
in der Frage nach der arischen Urheimat zu gewinnen. Leider
haben alle angestellten Untersuchungen bis jetzt kein greifbares
Resultat ergeben. Vgl. über dieselben M. Müller Biographie
of words and the home of the Aryas p. 222 ff., über den
Haoiiia auch Bartholomae Altiran. Wb. p. 1734.
Kleidung.
Felltracht. Dif nmOne*. Da» Gerben. Das Fileen. Das Flechten,
Tenninolo^e des Webene und Spinnens. Das Material dieeer beiden
KÜDKte. Ver^letchung der Hltgeriniinisclien, altgriechi sehen und alt-
TÖmittcben MAnnertracht. Mnntet, Schurz. Hose. Schuhwerk. Kopf-
bedeckungen. Schmuck. Tätowieren und Schminken. Der Waid.
DaoB die Indogermaneii achou vor ilirer Trennung, wo
aiieb immer ilire Heimat gewesen ist, nicht mehr in paradiesi-
scher Nacktheit wandelten, beweist die durch Tast alle Sprachen
anserea Stammes sich hindurchziehende Wnrtel veit „ankleiden",
der überaus zahlreiche Benennungen des Kleides und des eich
Kleidens in diesen .Sprachen entstammen (scrt. rdsman, vdsana,
cdstrti, vägäna, rw. ritnh, rnnhana, rnstra, griech. fwi'/u, ef/wi,
^o^tjc, iat. ventiif cestio, got. gariisjan usw.). Den entgegen-
gesetzten Begriff der Nacktheit bezeichnet die Gleichung: scrt.
nagitä, altsl. nnqü, Wi.nü'yas, Iat iiüdus [*nogv-ido), got.naqap».
«Itir. nocht.
». Daes ein viehifflchtcndes Volk, wie es die Indogermaiien
IFftreo, zu seiner Bekleidung nicli nicht die Felle der geschlachteten
iSerilentiere sowie auch die der erlegten Jagdbeute entgehen
liesfl. ist an sieh selbst verBtänd lieh nnd wird fUr die nörd-
lichen Indogermanen, fllr Briteo und Germanen, ausdrflcktich von
Caesar (rf^ hvH. <iaU. V, 14, VI, 21) nnd von Tacilns iOerm.
Kap 17) bezeugt. Die Goten hatten sich an diese Felltracht so
jEiewöhnt, dasB sie vom römischen Hofe, wo sie nicht in ihrer
Nstionalkleidang ei-seheinen durfton, zurückgekehrt, sieh alsbald
wieder in ihre Seliaffelle hüllten (oi'di; h' toTc xKtfiiotg dai,
Reckmann Beitr. /. 0. d. Erf. V, 1, 261. Diese fnr die Goten
liier ausdrUcklicIi be/,eugtc Tracht aus Schafpelzen, die noch im
heutigen RiiDslaiid die Xatlonalkleidung der Bauern ist ( russ.
— 258 —
otcina\ lässt sich bis in die ersten Zeiten der gennaoiBcbeD
Überlieferung zurückverfolgen. In Übereinstimmung mit Caesar
(Germani . . . pdlibus aut parvis renonum tegimentis utunlur)
spricht auch Saliustius {Germani intutum renonibus corptu
tegunt und Vestes de peUibfis renones rocantur) die renone^^k
ein nationales Kleidungsstück den Germanen zu. Dass dieses
Wort nichts mit altn. hreimi ^Renntier^ zu tun haben kann, ist
bekannt. Ich nehme renones für *t^ren'6H-es — denn in lateini-
schem Mund ninsste sich der in dieser Sprache zugefügte Anlaat
vr zu /• vereinfachen — und stelle es dem griech. vren- in
.^oXvQQrjveg, scrt. ürana und vpi- in äQtjvj ägvog, ägveuig gleieh
(so jetzt auch Walde Lat. et. Wb.)- Auch in Griechenland
werden ägvaxideg „Schafpelze" genannt.
Denn ebenso verharrten hier die in ihrer Knltnrentwicklnng
zurückgebliebenen Stämme oder die niedrigeren Bevölkerangs-
schichten noch lange bei der ui*sprünglichen Felltracht. So tro^
man in Phokis und Euböa Röcke aus Schweinsleder (Paus. VIII,
1, ö), die ozoliscben Lokrer hüllten sich in ungegerbte Tier-
häute (Paus. X, 38, 3), Hirten, Heloten und Sklaven trugen die
sogenannte dup^iga (I. Müller Privataltert.- p. 72). Seitat
homerische Helden, wie Agamemnon und Diomedes, werden,
gleich Herakles, dem Helden der griechischen Urzeit, uns noch
im Schmuck ihrer Felle geschildert.
Auch die Sprache bietet zahlreiche Belege für das Vor-
handensein einer ursprünglichen Felltracht: got. j^iui^a „Gewand^
ist von A. Bezzeuberger ansprechend mit griech. rdxoc i,Vlieff^
{xaxco'vdxr) „ein Sklavenkleid") verglichen worden, die germa-
nische Sippe got. paida^) (ga-paid&n ^iviveiv^jf ahd. pheit, alts.
peda stimmt genau zu griech. ßairr] „Kleid aus Ziegenfell^, das
griech. x^^f^^^ „Oberkleid" entspricht dem thrak. CoA/u^c »F^''''
und auch für lat. paUa, paUium (vgl. zuletzt Walde Lat et
Wb. s. V.) dürften Beziehungen zu lat. pellu kaum von der
Hand zu weisen sein.
1) Ausführlich handelt über sie A. Thumb Z. für deutsehe Wort-
forschung VII, 261 ff. Er kommt zu dem Schluss, dass die germAiü'
sehen Wörter aus dem griech. ßcUtij entlehnt seien, namendicb, weil
dieses die als ursprünglich vorauszusetzende Bedeutung yZiegenfell^
noch aufweise, während die germanischen Ausdrücke nur ,,Rock* ^»w
Ziegenfell) bedeuteten.
— 259 -
Da88 man sich frühzeitig darauf verstandeD haben wird^
das spröde Leder durch allerhand Manipulationen fbr den Ge-
brauch geschmeidig zn machen^ ist an sich wahrscheinlich.
Aach scheint eine urverwandte Gleichung für eine solche in der
Reihe: scrt. carmormnä' „Gerber", altpr. mynix id. : lit. minti
„treten, gerben" vorzuliegen ') ; doch tritt in den einzelnen Sprachen
erst spät eine deutliche zwischen den Begriffen 7, Fell" und
„Leder" unterscheidende Terminologie (vgl. mein Reallexikon
s. V. Leder) hervor. Die primitive Technik einer mit Hilfe des
Fetts ausgeübten Gerberei (Sämiscb- oder Ölgerberei) schildert
Homer II. XVII, 389 ff.:
UK d* Ä* dvrjQ tavQoto ßoog fisydXoio ßofiijv
iaoTaty dtbff tovv«v, fie^ovoav dXoi<pfj'
Sf^dfisvot d* dga joiye diaoTavTeg ravvovoi
xvxl6o\ atpoQ öt- te ixfiw; eßrjj dvvei de t' dkoitpiq
ntiXkdtv iXxövtcov^ rnwrai de tf näaa dicutQo.
Ihr gegenüber zeigen die im bronzezeitlichen Europa bis jetzt
nachgewiesenen Lederreste Beispiele der Alaun- oder Weiss-
gerberei (vgl. lat. alüta „Leder" : a/öwew „Alaun").
Indessen brauchten sich die Indogermanen für die Her-
stellung ihrer Kleidungsstücke keineswegs mehr auf die Felle
der Tiere zu beschränken.
Neben dem Gerben des Leders lassen sich noch zwei
andere uralte Formen der Stoffgewinnung, das Filzen und
Flechten, unterscheiden. Ersteres, die Kunst, die auf geschichtete
Wolle des Schafes oder anderer wolletragender Tiere mit Wasser
zo besprengen, mit Hilfe des klebrigen Fettes in eine feste Masse
zu verwandeln, dann zu pressen und zu walken, ist namentlich
bei den nomadischen Völkern turko-tatarischen Stammes zu Hause.
DasB sie jedoch auch den Indogermanen bekannt gewesen ist,
darauf weist die allerdings auf Europa beschränkte Gleichung:
griech. mXoq „Filz", lat. piUeuSy ahd. filzy altsl. plüstf
dentlich hin*).
1; Aus dem „Treten' entwickelt sich der Begriff des Gerben»
ameh in griech. diyfnr : diqxo „kneten, walken^, mhd. zipfen „trippeln^.
Von dübü „Eiche* abgeleitet ist russ. dubitt ^g^erben'^ wie frz. temner
„rot gerben* : tan ans ahd. tanna (vgl. dazu Ho ops Waldbäume p. 115).
2) Die Lautverh<nisse dieser Reihe sind noch nicht völlig auf-
geklärt; doch scheinen mir die Wörter nach Form und Bedeutung zn
nahe xu liegen, um sie voneinander trennen zu dürfen.
— 260 -
Bedeotnngs voller und folgenreicher erweist sich auf idg.
Sprach- und Völkergebiet die Knnst des Pleehtens, in der die
Natnr selbst als Lehrerin des Menschen gelten kann; demi
Schlingpflanzen und ineinander gewachsene Banmzweige mossten
von selbst den primitiven Menschen anf diese wichtige Technik
hinweisen. Die idg. Wnrzel für dieselbe ist prek^ wie folgeode
Zusammenstellong dentlieh macht:
griech. nXixcDf lat. plectOy ahd. flihtuj altsl. pletq, pl^
scrt. pragna „Geflecht, Korb".
Vgl. auch scrt. rdjju „Strick, Seil" : lit. rezgu „flechte'',
„stricke" (altsl. rozga „Zweig, Rute").
Embryonisch ist aber, wie ich dies in Handelsgeschichte und
Warenkunde I, 161 iT. weiter aasgeführt habe, in der Kunst des
Flechtens bereits die des Webens and ebenso die des Spin-
nens enthalten: „Entspringt die letztere aus der Fertigkeit, ohne
Benutzung eines Querfadens Haargeflechte, Bänder and der-
gleichen Dinge durch einfaches Drehen herzustellen, so fthneh
erstere am meisten der Kunst des Korbflechters, welcher in
seinem Handwerk den Querfaden anzuwenden gelernt hat lo
der Tat lässt sich eine scharfe Grenzscheide zwischen Spinnen
einer-, Weben andererseits und Flechten weder sachlich noch
historisch ziehen." „Auch setzt die Weberei keineswegs, wie
wir wohl meinen, durchaus und überall das Spinnen vorane.
Die Bewohner der meisten Südseeinseln wissen den Webstuhl
geschickt zu gebrauchen, spinnen aber nicht, sondern stellen ihre
Webstücke aus Baststreifen her."
Nach diesen sachlichen Vorbemerkungen wenden wir ans
zu der Terminologie des Webens und Spinnens in den idg.
Sprachen, in der Hoffnung, einige Anhaltspunkte zu finden, m
die Frage zu beantworten, wie weit die Indogermanen vor ihrer
Trennung es in beiden Techniken gebracht haben.
A. Das Weben.
Folgende Gruppen etymologischer Entsprechungen lassen
sich, nach der Häufigkeit ihrer Vertretungen geordnet, anter
scheiden:
1. Idg. vS {vei): scrt. id „weben" (vgl. Whitney Ind.
Gr. p. 266), ö'tu „Einschlag", timä „Flachs", griech. ^-t^
„Aufzug" („Mittel zum Weben", vgl. v^-rgo-v „Rocken":»'^)»
„Wolle" iweh-bar", vgl. h'-rö-g „löabar"), lit. icii-rtm
{binnf", ahd. wti-t, alt, vä-d (gewebtes) „Gewaod", lat. pehim
Wie, Tneli" 'V). Daneben idg. *i-ijeti, scrt, vätf-ati „er weht",
. sü-vi-to „LeinwaDd", ariln „Seide", tta-KoJ „liclatorium" ,
■ fi-g-i'" „webe" (i'J.
2. Idg. vebh : 8Crt. ürva-vdbhi „Wollweberin" = „Spinne",
*uhda „gewoben", Paoiird. waf, npera. bdfad „er webt",
.. wafuii „weben" i^Tomaachek Pamird. II, 124 f.), griech.
, trpi), i'ipartijt^, {■<f>aoin, vqnati, iipvif^i, ahd. iceban, agia.
^efan. aJtn. vefa „weben", altu. veftr, reptr „Einsehlag"; agIa.
weß desgl., mbd. wiß „feiner Faden", agis. wefi, abd. irefel
,EiD8chlag", alb, cerf „webe" ans *cebh-nio.
3. Griech. Srto/iai „webe" (*m-joftat), dyrlov „ein Teil des
Mtnhla" (diüCoftai, anorganisch wie ofäCto neben a<pnrioi,
B/ui. äa/ia), alb. ent „weben", acrt. dtka (ausdrücklich im
als „gewoben", vj/utd bezeiehnet), aw. adka (*^t-k(i)
wand*'.
4. Griech. xqekw „webe", Kigxij „Weberin", xqöxii „Ein-
■*, ttegMig „Schiffchen", altsl. krosno „Weberstuhl" (Benfey
.11,315). Gmndbedeatuiig „feateehlagen" ivgl. auch Prell-
|tz Ef. Wb. d. griecli. Spr. * p. 243).
, Lat. texo, textor, textura. textrinum, tHa „Auf/.ng",
ttimen „Einscblag", allsl. tükati „weben", i\-tükü „Auf/.ng",
vetdij „Weber"; doch ist es lautlich wahrsubeinlicher, dasn das
lat. texo : »crt. taksh „kUnatlich verfertigen" iF. Miklosieh
Lex. palanonl.^ IOI61 zn stellen ist, während die Grnudbedentnng
*alt8l. tükati „weben" in tiik-n({ti „einateeken" (Miklosieh
W. p. 368) bewahrt winde.
6. Grieeh. täni)^, tjz- „Decke, gewebtes", uouiran. tab
.spinnen, weben" (npers. (rt/ÜflA, täftik, tiftik); vgl. Toiuaschek
II, 142. Indessen wäre es möglich, dass in jüni-j^ dn schon
Bterisehes Lehnwort aus iraniaeheni Kulturkreis vurliegt (vgl.
: s\tp.*carda; hiQiov: npers. Idleh; advöaHov: npers. »andali.
. auch Lid^n L F. XIX, .331.
Blicken wir anf diese eben erörterten Gleichungen znrUck,
fscbeint aieh mir, namentlich ans den Nummern I — 3, mit
' Wahracheinlichkeit zn ergeben, dass bereite in der Ur-
iche ausgebildete termini für das Weben — in Unterschied
|dem Flechten — vorhanden waren, die anf gewisse Fort-
— 262 —
schritte in dieser Kunst scbliessen lassen. Diese Fortsehritte,
welche zu einer Differenzierung der sprachlichen AnsdrflidLe für
Flechten and Weben führten, können nur in der Erfindnog eiiieB
primitiven Apparates bestanden haben, nm die Herstellong kunst-
loser Stoffe für den Weber oder die Weberin za erleichtern.
Prüfen wir die Terminologie des Webstahls in den idg. Spracheo,
die ich in ihren Grandzttgen Handelsgeschichte und Warenkonde
I, 172 ff. mitgeteilt habe, so fällt die häafige Verwendong der
\V. stä zar Benennang sowohl des ganzen Webstahls als aieh
des Aufzugs, als auch endlich des Webers selbst in die Augen
(vgl. griech. loioi; „Webstuhl", ot/jjluov „Aufzug", lat. gtawienj
lit. stäkles „Webstuhl", altn. vefstadr, scrt. sthdvi „Weber").
Es lässt dies darauf schliessen, dass der älteste idg. Webeapparat
aufrecht stand, und der Webende stehend vor demselben t&tig
war {ioTov troixeoi'^ai), ein Ergebnis, zu dem Ähren s durch eine
Vergleichuug des gräco-italischen und altnordischen Webstnhb
fPhilologus XXXV, H8Ö ff.) auch auf rein sachlichem Wege
^^ekommeu ist.
Weiteres möchte ich für die Einrichtung des ältesten Webe-
apparates an der Hand der Sprache nicht zu erschliessen wagen.
Dürfen wir den weiteren Resultaten des genannten Gelehrten
trauen, so würde zu deu Charakteristicis des ältesten Webstuhls
noch die Spannung der Kette durch Webesteine, das Webai
nach aufwärts und das Dichtschlagen des Gewebes mit der
oTidt'hi gehören.
B. Das Spinnen.
1. alb. tjer „spinne", scrt. tarJcüj Pamird. g-tarkh^ griech.
äiQuxiog „Spindel" : lat. torqueo „drehe''.
2. griech. veoi {v/j'&w, vrj'&i;, X^Q'^'^^j ^^A^^ '^oig, vrftQO^)}
lat. neo {nemeriy vettisj „spinne '^j sltir. snimaire „Spindel^, #iimi
^Mpinning^ (B. B. XI, 91) — ahd. näan „nähen^, got. nifHo
„Nadel'' etc. Der gleiche Bedeutungsübergang liegt in lit. irerp^
„spinne", warpste „Spindel" : griech. ^djirw {fpi-jco) „nähe"
vor Vi Die idg. Wurzel des griech. v£a>, hnni etc. lautete 9^
{ne) und bedeutete, wie got. snörjö „Korb", ahd. «ntcor „Scbniur;
1) Im Sanskrit gehört vdrpas ^List, Kunstgriff hierher (vffl
(povw etc. ^cuiTEiv), Ein Analogen ist griech. xärnffta, x&oo fta ^lederne
Sohle", „Anzettlung, Intrigue**: suo „nähe** Osthoff M. ü. IV, 189.
— 268 —
Band*^, altir. sndthe ^Faden^ and andere zeigen, eigentlich
^flechten*^. Daneben lag (wie oben vei neben ve) eine Wurzel
mui {nei), die in altsl. ni-tlj niHa „Faden^ and 8crt. ni-vi
fiScharz'^ („gesponnenes^) erhalten ist. Vgl. W. Schalze K. Z,
XXVII, 426.
3. sert. hart ^spinnen^, npers. kartinah „Spinnengewebe^,
Pamird. 6rt (Tomaschek II, 77), ir. certle „glomus^ (B. B.
IX, 88). — Die ursprüngliche Bedeutung „flechten^ scheint in
scrt käfa „Geflecht" (vgl. auch crtä'mi „hefte zus."), lat. crätes,
griech. xd^TaJlo^, xvQxog, got.haürdsy lit,krdtai „Gitter", preuss.
korto „Gehege" erhalten.
4. Auf die europäischen Nordsprachen beschränken sich:
got. spinnany cymr. cy-ffiniden „Spinne, Spinngewebe" {-ffin
ans *8pin')j lit. pinü „flechte" und altsl. prqsti „werc" (*prend-),
let. prest „mit der Spindel spinnen". Vgl. auch griech. xlco^o)
^spinne", lat. colus „Rocken".
Überblicken wir diese Terminologie des Spinnens in den
idg. Sprachen, namentlich in Vergleich mit der oben erörterten
des Webens, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass Reihen, die
in Form und Bedeutung gleichmässig durch das ganze oder fast
ganze Sprachgebiet übereinstimmen, wie die Bildungen von den
Wnrzeln ve und vebh, hier nicht gefunden werden. Neben der
Bedeutung „spinnen" ist hier überall noch die Bedeutung „flechten"
lebendiger, als dies bei den Ausdrücken für „Weben" der Fall
war. Man kann hieraus schliessen, dass das Bedürfnis, die
Kunst des Spinnens von der des Flechtens zu unterscheiden,
später erwachte als der Wunsch, weben und flechten sprachlich
voneinander zu trennen.
Nichtsdestoweniger dürfte schon in der Urzeit dasjenige
Instrument erfunden gewesen sein, welches die erste Stufe des
Übergangs vom Flechten zum Spinnen begründet, die Spindel.
Es scheint dies aus der schon genannten Gleichung :
scrt. tarkü (vedisch), iran. s-tarkhy griech. äxgaxxogj alb.
tUr „spinne"
zo folgen. In jedem Falle sind die in derselben enthaltenen
Namen der Spindel sehr hohen Alters. Die ihnen zugrunde liegende
Wurzel terq (= lat. torqueo „drehe") ist im Arischen ganz
erloschen und im Griechischen nur mit labialem Auslaut {rgincü
„wende*") erhalten. Auch die Bedeutung des Suffixes -ro in
- 264 —
griecb. ä'xgax'Tog (au8 *sfp.-trq'to)j das nicht ^znsammengedreht"
— was keiDen Sinn ergibt — , sondern nur „zusammendrehend^
(vgl. rXri'Td'g „duldend**, Brugmann Grundriss II, 205 ff .) be-
deuten kann, ist altertümlich.
Bemerkenswert, wenn auch von geringerer Tragweite, ist
ferner der Umstand, dass der Name des Wirteis in vielen
Sprachen einhellig von der W. vert „drehen*^ gebildet wird:
scrt. vartana, vartuld, lat. verticiUus^ altsl. vreteno, mhd. wiM,
ir. fertasy von denen das indische, slavische und germanische (loirtf
aus *tDirtin) Wort auch auf Suffixgleichheit beruhen dürften.
Über das Material der Technik des Spinnens und Webens,
die wir also in ihren Orundzügen bis in die Urzeit der idg.
Völkerwelt zurttckverfolgen können, ist kein Zweifel möglich.
Da das Schaf:
scrt. ävi, griecb. ^i'c, lat. ovüf, lit. attiSf altsl. oükä,
got. avi-, abd. outoi
den Indogermanen bekannt war, da seine Wolle gleichmftsi%
in allen idg. Sprachen benannt ist:
scrt. ü'rnä, tat. läna und vellusy lit. toüna^ altsl. oMiMr
got. tmllay cymr. gulan, armen. geX-many
da endlich alle idg. Völker mit der Verarbeitung der Wolle ver-
traut in die Geschichte eintreten, so ist kein Grund vorhanden,
diesen Textilstoff trotz gewisser technischer Schwierigkeiten, die
seine Verarbeitung verursacht, der idg. Urzeit abzusprechen.
Über die Geschichte des Flachses und Hanfes ist bereits oben
(Kap. XV) gehandelt worden. Das auf Urverwandtschaft be-
ruhende Wort für Flachs zieht sich gleichmässig durch alle idg.
Sprachen Europas hin. Linneue Gewandung kennt schon Tadtni
Germ. Kap. XVII bei den germanischen Frauen, eine Nachricht,
die durch Plinius Hist. nat. XVIII, 1, 2 bestätigt wird.
Ebenso hebt Caesar {de bell. Galt, lll, 13), als er voodra
aus Tierfellen bestehenden Segeln der Vencter erzählt, ausdrfid-
lich hervor, dass dies nicht «geschehe propter Uni inopiam
atque eins usus inscientiam.
Auch bei Homer werden die Parzen, die den Faden de»
Schicksals spinnen, als Flachs-, nicht wie später als Wolle-
spinnerinnen gedacht:
voxfQov avTF r« neiaerai, aaaa oi Alna
yetvofievo^} ijrevtjae Xivfit, oxe /itv tixe fti^tffQ.
- 3fi5 -
Es S(^:iK-iiit mir daber eine willkllrliclie AnnHlime V. Uehiis
tn seiD, <ia8s dieses Xirov erat vnn Asieu her eingefalirt werden
tunsste, oder daas Xit-ov eigentlich nicht Flachs, sondern nur
Bast bedeutet habe (Knlturpflanzen^ p. 588). Doch kann zu-
gegeben werden, dass die tirieehen in ihrer neuen, zu Flachsbau
wenig geeigneten Heiiiiiit die Benutzung des Flachses hinter der
der Wolle zurücktreten iiessen ^Hanclelsgeschichte nnd Wureu-
kande I, 191).
Ich denke slso, wir haben ein Ket-ht, dit- Gewandstoffe
der indogennanen, für deren Bezeichnung wir schon mehrere
Oleichnugen ') kennen gelernt haben, wenigstens was die curopäi-
Rcben Indogennanen betrifft, uns ebensowohl aus Linnen wie
ans Wolle verfertigt vor/.uatellen.
Blicken wir von den linguistigch-historiscben auf die
archäologischen Zeugnisse, so kann soviel gesagt werden,
dass die EQnste des Webens und Spinnens, aueb den letzteren
nacb, in zahlreichen Gegenden unseres Erdteils big in die älteste
Metallzeil, ja bis in die neolitbische Epoche zurückgehen. Die«
blgt> ansser aus einzelnen prähistorischen Geweberesten (vgl.
allgemeinen G. Bnschan Über prähiBtorische Gewebe und
»piDSte, Brannsehweig 1889), aus zahlreichen Funden tüneruer
Webergewichte und Spinnwirtel, die wir aus den meisten Teilen
t besitzen. Nur im Norden Europas fehlen bis jet2t in
"3eu älteren Perioden beide 'vgl. S. Müller Nordische Alter-
tnmakunde 1, 450. Urgeschichte Europas p. 148), während in den
oft genannten sUdrussiscben Ausgrabungen des Herrn Chwoiko
(oben p. 153) sowohl W c berge wich te wie Spinnwirtel (russ.
grüzilo and prjaslicat wiederholt aufgefunden worden sind
(p.758, T.'jg, 762, 774, 775, 790,. Welches Material daselbst
verwobea und versp'innen wurde, scheint aber noch nicht fest-
gestellt Gewebereate selbst kennen wir in etwas grösserem um-
fang bis jetzt nur an zwei geographisch weit voneinander ge-
irennten Stellen. Zunächst die keineswegs seltenen Linnen-
1) leb füge noch hinzu scrt. rfrdpf „Mantel': ]\t. drapanä ,Kie\A'
ibemerkenswen, aber unerklllrt ist frz. drap); scrl. mala (Rgv.) „Gf-
wand* (n. B. R-: TiUä .gerben"?)- lit. miias „feines Tuch" (griech.
iiaiiöt .Vliess"); griech. iä/jtrj , Gewand"; lit. lOpa« .Stüi-k Tucli.
Lappen"; lat. pannu» „Stück Tnch', nhd. fana .Zeug", altsl. opona
.Vorhang"; kltal. plattno „Li-inwand"- aitn. faldr „Mantel* i.f. Schmidt).
RebrkdIT, t4prrtchccr«1elehunir und Crreiietilcht» II. S. Aan. t^
- 266 —
zenge, die in den Schweizer Pfahlbanten z.B. in Robenhansei
zutage getreten sind. Einige derselben ttbersebreiten die Ktmst
des Korbfieehtens nicht. „Es besteht^, so lantet die Sohildmng
eines derselben (Berichte III, 116), y^ans parallel nebeneioander
liegenden dünnen Schnüren von Flachs (Zettel), die ans zwei
Fäden zusammengedreht sind. Quer durch diese SchnOre sehHnges
sich ähnliche Schnüre von Flachs (Eintrag), je eine von der
anderen in einem Abstände von Vs ^^''- ^^ Ganze bildet zwar
nicht ein dichtes, straffes, aber dessenungeachtet sehr zähes Ge-
flecht^. Andere Zeugstücke wiederum verraten grossere Kunst-
fertigkeit und können, nach dem Urteil der SachverständigeD,
nicht ohne einen einfachen Webeapparat verfertigt worden dein,
wie einen solchen versuchsweise der Züricher Bandfabrikant Paar
konstruiert hat. Vgl. über die ganze Frage den Aufsatz Flachs-
industrie auf den Pfahlbauten (B. IV, 14 ff.). Umgekehrt wie
hier, wo Wollenstoffe ganz zu fehlen scheinen, bestehen ans
solchen ausschliesslich die Männer- und Frauentrachten, die ia
Eichensärgen jütischer und schleswig-holsteinscher Grabhügel auf-
gefunden worden sind (vgl. S. Müller Nordische Altertums-
kunde I, 268 ff.). Sie gehören nach dem genannten Forscher
der älteren Bronzezeit an, während aus der Steinzeit überhaupt
keine Oewebestoffe, ja überhaupt keine Überreste irgendwelcher
Bekleidung bekannt geworden sind. Dass man ans solchen ve^
einzelten Tatsachen noch keine allgemeinen Schlüsse über die
Verteilung von Wolle und Flachs im neolithischen Europa zu äehen
berechtigt ist, wird der besonnene Prähistoriker gewiss gern zugeben.
Es bleibt uns nun noch die Frage zu erörtern, ob rieh Ober
die Form und Art der idg. Kleidungsstücke etwas ermittelB
lasse. Da anzunehmen ist, dass dieselben sich, je nach den
verschiedenen Wohnorten und ihren Klimaten, rasch veriodert
und neue Ausdrücke notwendig gemacht haben, da ferner mi-
zweifelhaft auf diesem Oebiete in sachlicher wie sprachlieher
Hinsicht eine ungeheure Entlehnung von Volk zu Volk Statt-
gefunden hat — denn die Mode war in alter wie neuer Zeit so
Wanderungen geneigt — , so könnte eine Erforschung des U^
sprünglichen im einzelnen unmöglich erscheinen.
Nichtsdestoweniger glaube ich, dass die Orundzflge der
idg. Tracht, wenigstens soweit die Männer dabei in Betracht
kommen, noch erkennbar sind.
Der locus das.'iicus über die geriaanisehe Tracht ist be-
lianntlicb das vielutustritteiie und leider auch >iel umetreitbare
XVII. Kapitel der Germania. Die wichtigslen Sätze lanten:
Tegumen Omnibus sagum ßbula aut, xi desit, spinn connertum:
cetera iniecti totos dies iuxta forum aique ignem aguvt. locu-
pletvsaimi veste distinguuntur, noii fluitante sktit Sarmatae ae
Parthi, sed stncta et singulos artus exptimente.
Ans dieser Stelle lernen wir folgendes : Zunächst war
allen Germanen das sagum. ein mit Fibula oder Dorn genesteltes
8tttck Zeug, gemeinsam. Das gallo-germaniscbe (vgl. Diefen-
bacb O. E.) Wort hat noch keine sichere Erklärung gefunden
(vgl, lit. sagis „Reisekleid der Frauen"?), Daes eß meist ans
Wolle bestand, gebt aus seinen romanischen ete. Vei'v.weigungen
hervor: sp. prov. »m/n, it. saja, fi-z, naief mhd. sei, altir. sdi
(Diez p, 280j, die aämtlit-h Wollenstoff bezeichnen.
Zweitens: Während das sagum von allen getragen
wurde, befanden sich nur die locupledssimi im Besitz eines
Leibrocks (oeatis), der eng am Körper anlag. Wenn Mttllen-
hoff veiftis durch „Stoff des Unterkleides" übersetzt, damit also
allen Geimaueo ein solches ztiBpricbt, so ist dies eine dorcli
anderweitige, nicht in der Sprache oder in unserem Kapitel be-
gründete Rücksichten veranlasäte Annahme des berflhmten Ger-
manisten, der ich mich nicht anschliessen kann.
Il Drittens: Abgesehen von dem Mantel (sagum) hatten die
PJKm locupletissini keine Kleidung {cetera intecii).
* Dieser Schilderung der altgermaniscbeii Tracht entsprechen
die Zustände, wie wir sie in der ältesten Zeit bei Griechen nnd
Römern finden oder voraussetzen müssen, mit ziemlicher Ge-
nauigkeit. Auf gleicher Stufe mit dem sagum der Germanen
steht die toga (itego) der Römer nnd die x^diva der Griechen,
unter der toga wurde bei den RUmeru die tunica, unter der
ylniva bei den Griedien der x""'^' getragen. Da nun diese
beiden Wörter itunica und x'^Mt-t ohne jeden Zweifel uralte Ent-
lehnungen aus dem Semitischen (vgl. hebr. ketonet „Leibroek"!
t^ind, and wir ausserdem wenigstens ftlr die Römer die bestimmte
Überlieferung besitzen, dass ihrer ältesten Tracht die tunica
fremd war (vgl. Gellius Noct, Att. VI!, VJ, 3: viri autevi
Romani primo quidem sine ttmicis toga sola amicti fuerunt).
so ergibt sich durch diese ühereinstimmnng der Germanen,
1
- 268 —
Griechen und Römer der Mantel als das Kleidungsstück im
i^oxrjv der idg. Urzeit, neben oder nnter dem ein Leibrock noch
nicht vorhanden war. An Stelle der tunica trngen die ältesten
Römer zur Bedeckung der Scham den Schurz: subligaeuUm
oder cinctus. Vgl. Porphyr, ad Horati Art, Poet. 50: omiMi
enira Cethegi unum marem servaverunt Romae .... ntfii^iuiiii
enim tunica usi sunty ideoque cinctutos eos dixü^ quaniam
cinctum est genus tunicae infra pectus aptata£. Ebenso wir
der Schurz (tJie breech-doth or loin-apron, draum between the
legs and girded at the waist), wie die Denkmäler (vgl. Tsoantas^
and Manatt The Mycenaean age p. 159 ff.) mit grosser Dent-
lichkeit zeigen, ein regelmässiges und das neben dem Mantel ein-
zige Kleidungsstück des mycenischen Zeitalters. Da nun fflr
den Begriff der Gürtung eine zweifellose idg. Gleichung vor
liegt: aw. ydh „gürten", griech. Ccovwjui, l^wfjLa^ i^dnniy lit. jfiito
„Gürtel" (aw. yästa, griech. fcooTo?), jüsmü „Gurt", altsl. pq/o^i
„Gürtel", so wird man nicht fehlgeben, ausser dem Mantel, aücb
den Lendenschurz als idg. Kleidungsstück anzuerkennen.
Merkwürdig ist, dass Tacitus an der oben genannten Stelle
nichts über einen von den Germanen unter dem Mantel ge-
tragenen Schui-z zu berichten weiss; doch sind wir durch ander-
weitige Quellen genugsam unterrichtet, dass er vorhanden war,
allerdings in der schon etwas veränderten Gestalt der Hose^
die wir als nationales Kleidungsstück ebenso bei den GrennaoeD
wie bei ihren westlichen, keltischen und östlichen, slaviscbeoO
Nachbarn antreffen. Ihr ältester Name ist das gemeiDgermanisehe
ahd. bruoh, altn. bröky agls. bröCy ein Wort, das im Germini'
sehen wurzelt (agls. br^c „Steiss" = lat. suffräginea MHinterbpg
der Tiere"; vgl. frz. culotte „Hose" : lat. cuZu« „Hinterer"), nnd
von hier aus (nach der ersten Lautverschiebung) zu den Kelten
(altgall. bräcttj Gallia bracata) und noch später zu den Slaven
(russ. brjüki) gedrungen ist. Die Germanen wird man daher
als die Erfinder der Hose d. h. des vervoUkonunneten Scharzes,
wenigstens für Europa, ansehen dürfen. Wie sich hienu die
Hosentracht der Perser, Meder, Skythen u^w. historisch verhält,
1) Prokop. B. G. III, 14. Nach seinen Worten war es mehr ein
Schurz als eine Hose, den die SxXaßrjvol xcti 'Avtcu trugen: nwag dk M
Xtrcäva oifde xQtßwviov exovoi, dXXa fiövag ras dya^vgidae ivoQ/MHfdfuroi ftiw
ig tä aidoTOf ovito ig Ttfv avfißoXtfv rols hainioig xo^Anovrcu.
- 269 -
ist noch Dicht genügend aufgeklärt (vgl. Arbois de Jubainville
Le pantalon gauloiSy Revue Arch^ologique IW sMe^ tomel, Mai-
Juin 1903). Zur Zeit, wo die Römer die Bekanntschaft der europäi-
schen Nordvölker machten, waren dieselben, vor allem die 6er-
Dianen, wie die Darstellung derselben namentlich auf der Marcus-
Säule zeigt, bereits durch den Besitz der Hose neben nacktem Ober-
körper und Mantel charakterisiert (vgl. mein Reallexikon, s. v.
Kleidung p. 433). Vielleicht führt uns aber die Prähistorie
in eine Epoche zurück, in der es auch im Norden noch keine
Hosen gab. Die schon oben genannten, in Jütland und Schleswig-
Holstein aufgefundenen Männertrachten der älteren Bronzezeit
weisen sie nämlich noch nicht auf. unter einem weiten, vorn
Kosammenziehbaren Mantel wurde der Körper vielmehr lediglich
durch ein wollenes viereckiges, nicht genähtes Stück Zeug um-
hOllt, das, von einem Ledergürtel zusammengehalten, oben bis
zur Brust, unten bis zum Knie reichte, und so eine Art Mittel-
ding zwischen Rock und Schurz bildete. Über den ältesten
Fnnd einer Hose bei einer wohlerhaltenen Mannesleiche im See-
moor zwischen Damendorf und Eckernförde (Schleswig-Holstein)
vgl. Historische Vierteljahrsschrift, herausg. v. G. Seeliger IV,
1901, I.Heft, Nachrichten u. Notizen II, 151.
So haben wir, glaube ich, ein gutes Recht, als älteste
männliche Kleidungsstücke der Indogermanen den Mantel und
Schurz (Hose) zu bezeichnen. Was die Frauen betrifft, so
könnte es scheinen (vgl. Tacitus Kap. 27: nee alitis feminis
quam viris habitus, Nonius p. 540, 31 : toga non solum viri, sed
eüam feminae utebantur), als ob ihre Tracht von der männ-
lichen ursprünglich überhaupt nicht verschieden gewesen sei;
doch ist es bis jetzt noch nicht möglich gewesen, die histori-
schen, kunstgeschichtliehen und prähistorischen Zeugnisse (vgl.
mein Reallexikon, s. v. Kleidung) in dieser Beziehung unter
einen Hut oder in deutliche Entwicklungsreihen zu bringen.
Für den Schutz der Füsse wurde frühzeitig gesorgt. Vgl.
grieeh. xQtjjug, lat. carpisculum, agls. hrifeling, lit. kürpe, altpr.
kurpe „Schuh", ir. cairem „Schuhmacher**. A.uch weist die
Gleichung: armen, bok, altsl. bosüy lit. bäsas (ahd. bar) „bar-
fos»" auf vorhistorische Schuhbekleidung hin. Über Kopf-
bedeckungen ist schon Abb. III, Kap. IX gesprochen worden,
über Seh muck gegenstände ebenda p. 116.
- 270 —
Sehr wabrscbeinlich haben wir anch ein Recht, den IndcH
germanen die Sitte der Tätowierung zuzusprechen. Diebisto*
rischen und archäologischen Zeugnisse bierfttr sind in meinem
Reallexikon s. y. Tätowierung gesammelt worden und soUen
hier nicht wiederholt werden. Eine diesen Zwecken dienende,
in die Urgeschichte Europas zurückgehende Pflanze ist der Waid
{Isatis tinctoria L.) : lat. vitruntj griech. todxig (♦/fT-oart^), got.
vizdila, ahd. weitj agls. wäd {toaisdo im Capitulare de rillii).
Er wächst (nach Brockhaus' und Meyers Konversationslexikoo)
wild nur im mittleren und südlichen Europa, und würde abo,
ähnlich wie der idg. Name der Schildkröte (oben p. 148 ff.); ebes-
falls Zeugnis gegen eine nordeuropäische Heimat der Indogermanen
ablegen. Hinzugefügt sei hier nur noch, dass auch die deoi
Tätowieren nah verwandte Kunst des Schminkens nicht etwa»
modernes ist, sondern sich gerade im dunkelsten Russland nach
dem Zeugnis der Volkslieder am ausgeprägtesten findet. Weisse
und rote Schminke {hüüa und rumjdny) sind die gebränch»
liebsten Verschönerungsmittel der russischen Bäuerin. Auf dm
Hochzeiten sammeln die Brautführer zugunsten der Braut Gaben:
na silice (kleine Ahle), na myllce (Seife), na alt/ja rumjcm
(rote Schminke), na Mlyja hüila (weisse Schminke).
X. Kapitel.
Wohnung.
Idg^. *dofno-s „Haus". Die unterirdische Wohnuu>»:. Pfahlbauten. Das
Material der idg. Hütte. Ihre älteste Form. Tür. Fenster. Hausrat.
Töpferei. Der Ofen. Die russische izbä.
Dass die iDdogermanen in Hütten oder Häusern (scrt.
damäy griecb. dofwg^ lat. domus, altsl. domü) niit Türen (scrt.
dur, aw. dvary griecb. &vga, lat. fores, altsl. dvlrly lit. dürys,
got. daür, altir. dortut), Pfosten (scrt. ä'tä, aw. qi&yäj lat.
antaey armen, dr-andy altn. önd „Vorzimmer"), Pfeilern (scrt.
itbü'ndy aw. stünüy griecb. an^krjy abd. stollo)^ Dacb (griecb.
teyogy areyogy abd. dahy lit. stögas) nsw. wobnten, gebt aas den
angefübrten Gleicbungen mit Sicberbeit bervor. Auch beben die
Alten gerade mit Rücksiebt auf die kulturhistoriscb am meisten
zurückgebliebenen Glieder der idg. Völkerwelt, die Slaven, aus-
drücklieb bervor, dass sie sieb durcb die Fähigkeit, feste Hänser
2u bauen, von den benachbarten, auf ihren Pferden und Wagen
lebenden Sarniaten deutlich unterschieden, und daher nicht so-
wohl diesen, als vielmehr den Germanen, von denen also das
gleiche galt, zuzuzählen seien (vgl. Tacitus Genn. Kap. 46).
Es fragt sich nun, was sich näheres über die Anlage und
Cinrichtung dieser ältesten idg. Wohnungen ermitteln lässt.
Zunächst ist hier von den unterirdischen oder halb-
unterirdischen, d. b. in die Erde eingegrabenen Wohnungen
asu sprechen, deren Vorhandensein bei zahlreichen idg. Völkern
iiafs beste überliefert ist. Am ausführlichsten ist die Schilderung
Yitruvs De architect, II, 1, 5 hinsichtlich der Phryger:
Phryges vero, qui campestribus locis sunt hahifanfes, propter
inopiam Mvarum egentes matena eltgunt tumulos naturales
eosque medios fossura distinentes et itinera perfodientes dilor
tont spatiay quantum natura loci patitur. insuper autem stipites
— 272 -
int er se religantes metas efficiuntj quas harundinibus et sar-
mentis fegentes exaggerant supra hahitationes e terra maxirm
grumos. ita hiemes calidissitnaSy aestates frigidwsimas efßmrd
tectorum ratione. Auch bei den Armeniern fand Xenophon
(Anab, IV, 5, 24) xarayeioi olxiai. Ihr Eingang war wie die
Öffnung eines Brunnens, nach unten sich erweiternd. Fflr das
Zugvieh, das also mit unter die Erde genommen wurde, waren
Zugänge gegraben. Die Menschen stiegen auf einer Leiter hinab.
Von den Germanen berichtet Tacitns Germ. Kap. 16:
solent et subterraneos specus aperire eosque mtUto, insuper fimo
oneranty mbfugium hiemis et receptaculum frugibtis, quia rigorm
frigorum eins modi locis molliunt, et si quando hostis advefut^
aperta populatury abdita autem et defossa aut ignorantur aut
eo ipso fallunt quod quaerenda sunt. Diese Nachricht erhält
ihre weitere Bestätigung durch Plinius Hist, nat. XIX, 1, 2:
In Germania autem defossi atque sub terra id opus (texendi)
agunt.
Sehr häufig wird die unterirdische Bauweise auch von
skythischen ^) d. h. nordpontischen Stämmen berichtet, deren gemüt-
liches Winterleben der Dichter höchst idyllisch schildert:
Ipsi in defossis specuhus secura sub alta
otia agunt terra, congestaque robora totanque
advolvere focis ulmos ignique dedere.
Hie noctem ludo ducuiit et pocula laeti
fermento atque acidis imitantur vitea sorbis,
Verg. Georg. III, 376 ff. Natürlich hat der hauptstädtische
Dichter derartige Behausungen, von deren Schattenseiten nach
neueren Analogien V. H e h n ' (p. 529 f.) ein anschauliches Bild gibt,
niemals betreten. Vielmehr ist auch dies ein Zug jener Romantik,
welche die klassischen Schriftsteller so oft über das nördliche
Barbarentum ausgegossen haben.
In Übereinstimmung mit diesen literarischen Nachriebten ist
in den idg. Sprachen nicht selten die Benennung des Hauses ans
Wörtern für „Grube" oder „Höhle" hervorgegangen. So ist scrt.
grhd „Haus" mit aw. gereda „Höhle" zu vergleichen. Aus dem
1^ "EqpOQO^ ^e loTg Kt/nfxsgiotg Jtgoooixayv q?Tjoi avrovg Iv xataysÜHi olxiaii
oixeTVy äg xaXovaiv agyillag, Strab O p. 351 . ^AgyEXXa' otxrjfia Maxtdortxi^t
Sjisq ^eofialvovxeg Xovovtai, Suidas. Vgl. L. Diefenbach 0. EL p. 91»
233 f. und O. Hoffmann Die Makedonen p. 61.
- 273 -
aw. kata „Keller", „Grabstätte" ist die gewöhnliche Benennung
des Hanses im Neupersischen (Jced) und in den Pamirdialekten
[Icetj c4d) hervorgegangen^), wie dehn in allen Teilen Irans
(Geiger Ostiran. Kultur p. 217) unterirdische Wohnungen sich
noch heute finden. Auf die wichtige Gleichung: griech. yvTia
„xakvßri^y ^'dakajÄtj'^ ^ „ij xatä yijv oixjjaig^^ = altn. kofi „Hütte",
agls. cofa „Gemach", mhd. kohe „Stall, Kofen", ahd. chubisi
„Hütte" wurde schon P, 214 hingewiesen. Ahd. tum, der
eigentliche Name für die von Tacitus genannten subterranei
specuSf wird von einigen Gelehrten zu grieeh. rdfpog „Grab",
mqjQog „Graben", ^ottko „begrabe" gestellt, was freilich von
anderen bestritten wird. Zunächst ist jedenfalls tunc mit ahd.
tunga „Düngung" (vgl. bei Tacitus : Insuper fimo oiierant) zu
verbinden.
Auch die Prähistorie weist auf die weite Verbreitung der-
artiger ganz oder halb unterirdischer Wohnungsanlagen in unserem
Erdteil hin. Die am Mittellauf des Dniepr blossgelegten neolithi-
schen Ansiedlungeu (vgl. oben p. 150, 153, 187, 248) befanden sich
ausschliesslich in derartigen Erdhütten, die von Chwoiko (p. 799)
folgendermassen beschrieben werden: „Zum Zweck der Herstellung
dieser Erdhütten (zemljänka) wurde in* der oberen Schicht des
Bodens bis zu einer Tiefe von 80—40 cm ein Platz ausgeschnitten
in der Art eines länglichen Vierecks oder Kreises von 3 — 5 m in
der Länge oder im Durchmesser; in der Mitte dieses Platzes
wurde eine Grube von . entsprechender Gestalt ausgegraben mit
einer Tiefe von ^/4 — P/g m und einer Breite und Länge von
2 — 2V2 m. Auf der einen Seite wurde ein Zugang gelassen,
wenn nötig, mit Stufen. In der diesem Eingang gegenüber
gelegenen Wand der Grube wurde, etwas erhöht vom Boden,
ein Ofen in der F nm einer gewölbten Grotte*) aus-
1) Bemerkt se: ilass im Finnischen das Haus ganz wie im Irani-
schen Denaunt ist: finn. kota^ estu. koda^ mordv. kud, tscherem. kuda.
Liegt hier Entlehnung* vor? Echt finnisch ist jedenfalls finn. sauna,
estn. saun etc., „die unterirdische Wohnung".
2) Vielleicht erklärt es sich hieraus, dass in der gemeinslavischen
Reihe: altsl. pe^i; russ. pe6X etc. die Bedeutungen „Ofen" und „Höhle"
nebeneinander liegen. Grundbedeutung: „Backraum (altsl.pei^i „backen")
in Form einer Höhle". Der slavische Ausdruck ist in weiter Ausdeh-
nung auch ins Finnische {petsi „Ofen") gewandert.
— 274 -
gemeisselt mit einör kleinen Öffnung zum Abzug des Rauches,
oder es wurde statt dessen an derselben Wand ein runder Herd
angelegt, dessen einer Teil sich in der Grube bef and, deaen
anderer Teil in die unter ihm ausgemeisselte Wand mfiDdete,
wo dieselbe Öffnung für den Rauch, wie bei den Öfen, aus-
geschlagen war. Hierauf wurde der äussere Rand des erst-
genannten Platzes mit in die Erde eingeschlagenen Pfählen am-
zäunt in Art eines Staketes oder Zaunes, der mit Lehm- ver-
schmiert ward und niedrige Wände bildete, auf denen das der
Form des ganzen Gebäudes entsprechende Dach ruhte. Walir*
scheinlich wurde dieses ausserdem innen von einem oder
einigen Pfeilern gestützt, besonders wenn es mit Reisig bedeckt
und noch obendrein mit Erde überschüttet oder mit Rasen belegt
war.^ In diesen Zusammenhang sind auch die sog. Trichter-
gruben oder Mard eilen zu stellen, über deren Charakter ab
Wohnungen, namentlich mit Rücksicht auf Südbayem, F. S.
Hartmann (Zeitechrift für Ethnologie 1881 XIII, 237 ff., Tgl.
auch M. Mueh in den Mitteil, der Wiener anthrop. Ges. VII,
318 ff.) gehandelt hat. Dieselben zeigen nach Hartmaun in
der Regel kreisrunde Form und haben bei einer Tiefe von
2 bis 4 m einen Durchmesser von 11 — 15 m. Nach der Tiefe
verlaufen sie seltner in Trichterform, sondern zeigen gewöhslicli
kesselartige Ausbuchtungen. Dieselben dienten in der Regel m
als unterbau der Wobnungen, und über ihnen erhob sich eise
dann natürlich gleichfalls runde Hütte, deren Konstruktion aber
nicht weiter zu erkennen ist. Ein sehr interessanter Fund dieser
Art ist in der vorgeschichtlichen Ansiedlung innerhalb der so-
genannten Türkenschauze bei Lengyel unfern von FtUifkircheD
(Ungarn) gemacht worden. Es zeigten sich hier unterirdisehe,
in den festen Löss gegrabene Wohnungen. „Dieselben »ad
kreisrund, nicht viel höher, als dass ein Mann stehen kann; dorch
eine kleine Öffnung fand der Zugang wahrscheinlich auf einem
senkrecht angebrachten Steigbaum statt. Am Grunde der Hök-
lungen fanden sich Reste von Tongeschirr, Webstuhlgewicbte und
Überbleibsel der Herde" (M. Much).
Solche Mardellen sind, wie in Deutschland, Ungarn, Frank-
reich und England, auch in Dänemark (hier selten), in Böbment
in Italien (vgl. S. Müller Urgeschichte Europas p. 25) und in
der Schweiz (Hartinann a. a. 0. p. 242) gefunden worden, und
zum mindesten als sehr walirBcheinlicti i>elraclitet werden
inii, d&B8 zu derselben Zeil, in welcber die Seen der Seliweiz
Inrcli Pfahlbauern bevölkert waren, aaeh das trockene Land
iwohnt war, so können wir ans hier die Pfahlbauten im See
id die Mardellen auf dem Land sehr wohl nebeneinauder denken.
Hiermit sind wir bei einer zweitt^n, ebenfalle im Bereich
idg. V^ilkerwelt, vor allem in der Schweiz, Ober'lsterreicb,
ilien, Süddeutachland, aber «uch in Mecklenburg, Pommern,
ilpreUBseu, Galizien, Bosnien usw. weit verbreiteten Fundamen-
ierunpsarl der Wohnungen, dem Pfahlrost, angekommen. Auch
sie besitzen wir literarische Nachrichten, besonders eine
ibeusvolle Schilderung Herodots V, 16, betreffend die Pfahl-
bauten der Paeonier, eines tbrakischen, also indogermanischen
Volks im See Prasias: „Auf hohen Balken befinden sieb in der
Mitte des Sees brettenie Gerttete, die mittele einer Brücke einen
engen Zugang vom Lande hi'r haben. Die das Gerüst tragenden
Pfähle haben zuerst alle Bürger gemeinsam eingeschlagen, weitere
Pfähle aber stellen sie nach Mas^gahe des folgenden Brauches
ntf: Wer heiratet, stellt für jede Frau drei Pfähle auf, die er
■tie dem Orb^los-Gehirge herbeischafft, und jeder hat zahlreiche
Wrauen. ^o wohnen sie, indem ein jeder öher die auf dem Ge-
Het errichtete Hütte, in der er lebt, regiert, und an der unten
«Qrch das Gerüst hindurch eine Tür angebrncht iat, die in den
See fuhrt. Die kleinen Kinder binden sie mit einem .Strick am
F'usse fest, damit sie nicht hinnnterfallcn. Den Pferden und
Zugtieren bieten sie Fische als Nahrung, von dcneu es eine un-
geheure Menge gibt" usw. Bedenkt man nun, dass diese Paeoni-
echen Pfahlbauem, wie aus dieser und anderen Nachrichten zu
folgern ist, nicht nur Fischer, sondern auch Viehzüchter und Acker-
bauer — denn sie tranken Bier (oben p. '2b4j — waren, dazu auch
Flachs anbauten und ihu verspannen (Herod. V, 12;i, so entspricht
dfts Kultnrbild, welches sich hier ergibt, in allem wesentlichen
lem, das nns die Schweizer und Oberösterreichisclien Pfahlbauten
«D der jüngeren Steinzeit an enthüllen, Dass aber derartige
^blkonstruktionen als Unterbau der W^ohnungeu nicht nur in
llflSBen und Seen, sondern auch auf dem festen Lande errichtet
Nirden, lehren uns die Pfabidürfer in den Terramare der Emilia
>gl. Heibig Die Italifcer in der Poebne) mit besonderer Deut-
lehkeit. Es dürfte kaum mOglich sein, zu entscheiden, ob man
u
i
- 276 —
derartige Bauten zuerst auf dem festen Land oder im AVasser
errichtet habe. Sie boten in beiderlei Beziehung offenkundige
und auf der Hand liegende Vorteile dar.
Des weiteren lässt sich, wie ich glaube, zweierlei für die
ältesten Häuser der Indogermanen mit genügender Sicherheit
feststellen: erstens das$$ das Material zu denselben lediglich
aus Holz, Flechtwerk, Lehm, nicht aus Stein bestand, und zwei-
tens dass die gewöhnliche, vielleicht älteste Form, wenigstens
der nicht auf Pfählen errichteten europäischen Hütte, der Kreis
gewesen ist.
Wenden wir uns zunächst zu dem ersten Punkte, so liegen
die Verhältnisse naturgemäss am durchsichtigsten und einfachsten
bei den nördlichen Völkern. Nach dem Bericht des Tacitns
Germ, Kap. 16 war den Germanen der Gebrauch des Mörtels
und der Ziegeln unbekannt : maferia ad omnia utuntur informi
et citra speciem auf delectationem. Desgleichen sagt Herodian
VII, 2 von Maximinus: „er brannte {anno 234) die ganze Gegend
(der Alemannen, Chatten, Hermunduren) nieder auf das
leichteste erfasst das Feuer sämtliche Wohnungen; denu aus
M;.i gel an Steinen und Ziegeln sind dieselben ganz aus HoU*^
vsw. Doch müssen wir uns diese ältesten germanischen Häuser
nicht als eigentliche Blockwerksbauten mit horizontal geschichteten
Baumstämmen, sondern vielmehr in der Weise vorstelleo, dass
aufrecht gestellte Baumstämme oder Stangen durch Flechtwcrk
miteinander verbunden wurden. So beschaffen sind die auf der
Marcus-Säule dargestellten Gebäude. „Die Häuser, fünf an der
Zahl, sind alle rund im Grundriss, bis auf das grösste oben
rechts, welches viereckig erscheint (Tafel VII), aufgebaut ans
aufrechten, durch drei bis vier Flechtseile in Abständen über-
einander verbundenen, nicht dicken Stämmen." Auch sprachliche
Gesichtspunkte weisen auf die hohe Bedeutung des Flecbtwerks
bei jenen alten Bauten hin (vgl. schon I*, 213). So steht im
Althochd. irant „die Wand" neben got. vandu^ „Rute**, lit.
tcanta „Badequast"; im Gotischen selbst wird die Wand rflrfdj«^
faltn. veggr) genannt, das, aus *voj-u-8 hervorgegangen, zu der
im vorigen Kapitel p. 260 besprochenen Wurzel vei {*vijf^
gehören dtlrfte, die dann hier ursprtlnglich soviel wie „flechten"
bedeuten würde ^). Im Russischen haben wir plötnikü fder
1) Got. baürgs-vaddjus reixog, grundu-vaddjus ^efiiXiov, Zu der
Zimmermaitu'* iiiid opiötü „die Mauer", beide zu plenti „flecbten",
'Vbw. Als genieinsame Eigen tUndicbkeit der ii.irdischeii Vtilker
rWird von Plinius Hist. nat. XVI, 3(3, 64, v ie von zahlreichen
'anderen Autoren, das Strohdach augegu uen : Teguio earum
^iarutiditmm domus mias »eptentr'ionales popttli operiunt, darant-
.fue aecii tecta fnlia.
1 Der indirekte Beweis aber dafür, daps .Steinbaaten den
'Qermarien fremd waren, wird durch den Umstand geliefert, dass
ifast alle anf diese neue Kanst be-/.üglieben Ausdrücke dem La-
teißiscben entstammen. Es geuügt in dieser Hinsiebt aaf die
Zusammenstellungen von W. Franz Lat.-roni. Elemente im Alt-
hocbd. Strassburg 1S84 zu verweisen. Mau vgl. ahd. müra =
vmOtTUs, ziegal = tegula, vioHere = mortarhim, pfost = postit,
angeführten ErkllLiimg stimiiit, dan» die g'ermaDistrhcn Befestigungen
Kot d«r SiegesB&ule Marc Aureis (F. Dahn UrgeacbichtA II. 173) sicht-
E Uch am oberen Ende aus FlechCwerk hergestellt sind. In demselben
K Sinn, in welchem hier die W. vei gebraucht ist, kommt auch lat.
E texo vor. Vgl. Ovid Fant. VI, 261 vom Hltesten Tempel der Vesta:
m quae nunc aere vides, nHptäa tum tecla videret,
9^ et parit» lento vimine textug erat.
k, Von grossem Interesse ist in diesem Zusammeubnng auch, was
1 A. Schliz Das steiOKeitliehe Dorf Grossgartach (Sluttgart 1901) p. lü
bemerkt: „Der Bau der HütlenwHnde [welche übrigens ebenfalls in de»
Boden ziemlich tief eingegraben waren] zeigt sii-h deutlich in Ab-
drücken des Wandbewurfa: Stangenholz von 5—6 cm Durchmesser,
niud oder gespalten, wird senkrecht in den Boden gestellt. Zwischen
diesen Stangen werden dünnere ca. 3 cm starke, biegsame Stangen
quer durcbflochten, so dass zunächst ein fester Verband von Flechi-
:werk enisteht Diese zunächst einfache Wand ist von beiden Seiten
; einer ans I.ehm und UAcksel hergestellten Verputzmasse beworfen,
dass das ganne Flechtwerk vellbomme» verstrichen ist In
den meisten Wohnungen zeigt dieser Glattstrich überall die Formen
dnes rötlich-gelblichen Wasserfarbanstrichs. Die Besitzer der hervor-
tagenden Wohnung auf dem .Slumpfwöraehig" haben sich jedoch
biermit nicht begnügt. Auf dem gelben Grund sind Zickzackmustei-
fn Form von krHftlgeu abwechselnd weissen und roten, satten Farb-
Btreifen von 1 cm Breite in grossen Zügen aufgemalt." Vergleiciieu
wir hiermit, was Tacittis den oben im Text angeführten Worten hinzu-
fügt: quaedam loca dÜigentius iltiuunl terra ita pura oc DplendetUe,
vi picluram ac lineamenta colorum imitetur, so ergibt sich, dass
die Winde der germanischen Häuser zur Zeit des Tacitus nicht wesenl-
Ucb von denen des steinzeitlichen Dorfes Grossgartach verschiedeu
gewesen eein können
1
— 278 —
pMlari = püarius, turri = turris, pforzih = porticuSj chdlth =
cälx und andere (bei F. Kluge in Pauls Grnndriss P, 333 ff.
und R. Meringer Das deutsche Haus p. 37). Schon im Jahre
3ö6 fand Julian bei den Alemannen zwischen Rhein und Main
ganze Dörfer nach dem Muster römischer Villen erbaut (F. Dahn
Urgeschichte I, 56 nach Ämni. Marc).
Bereits vor diesem römischen Einfluss hatten ttbrigeos die
Germanen vielleicht einiges im Bauwesen den Kelten abgesehen,
worauf die Entlehnung des got. TcHikn „Turm, oberes Stock-
werk, Speisesaal" aus gall. celicnon „Turm" (Stokes BeitrÄge
II, 100, 108) hinweist.
Ähnlich liegen die Dinge bei den Slaven. Dasa die
Veneti schon im 1. Jahrhundert nach Chr. im Gegensatz zn den
Sarmaten in plaustro equoque viventibus Häuser bauten, haben
wir schon oben gesehen. Wie elend dieselben aber noch nach
Jahrhunderten beschaffen gewesen sein müssen, lehrt der Bericht
des Prokop B. G. III, 14 von den 2!xkaßrivoi und ^Avtai {olxom
dk iv xakvßaig olxzQaig dieaxrj/usvoi JioUfp /Jikv in diU^iUuy).
Auch hier zeigt die Sprache, dass wir nur an Holzbauten denken
dürfen, da ^es an gemeiuslavischen Ausdrucken fehlt, die zur
Annahme berechtigen, dass die Slaven der Urzeit auf die Steip-
baukunst sich verstanden" (Krek Einleitung^ p. 145). Viehoehr
sind die Slaven auf diesem Gebiet Schüler einerseits der Griechen
in Byzanz, andererseits ihrer germanischen Nachbarn, was hier
nicht weiter ausgeführt werden soll. So entstammt z. B. dem
griechischen nXiv&og altsl. plinüta, dem mgriech. äaßearog altal.
izmstä, dem griech. jege/uvov altsl. trimü ^Turm^, dem deutschen
chalch altsl. klakü, dem deutschen ziegal russ. Hgdi usw..
Bemerkenswert ist, dass eine in allen Slavinen wieder-
kehrende Benennung des ganzen Hauses (altsl. hyzü hsw.) dem
Germanischen entnommen wurde (ahd. hüs etc., ungewissen Ur-
sprungs). Auch altsl. hlivü „StalP, JUevina ^Haus" sind wahr-
scheinlich gleicher Herkunft^).
1) ^gi- gct. Mäiv „Grabhügel", «gehöhltes Grab*, wonebeo eine
Bedeutung „unterirdische Wohnung ftkr das Vieb^ (vgl. oben M.
tunc: Tatpog, rdtpQos) anzusetzen sein wird.- In dieser dürfte^ das Wort
zu den Slaven gewandert sein, die vorher das Vieh im Winter in
ihren eigenen Zemljanken untergebracht haben werden (s. untes).
Vgl. auch Peisker a. a. 0. p. 69. — Wichtige Mitteilungen ftbei
Aber aucli iui Süden Europas Laben sicii trotz der Fracbt
des Marmors, die uns hier blendet, unzweifelhafte Spnren de»
ursprduglicheD Hllttenbaua erhalten. „Griechen und Italiker
kannten, als sie in die beiden klassiächeu Halbinseln einwanderten,
keine andere Wohnstätte, als die aue Stroh, Reisig oder Lehm
errichtete Hfitte." Den »rchäoiogiachen Nachweis fflr diese Be-
hauptung hat, namentlich fUr das alte Italien, W. Heibig Die
Italiker iu der Poebne p. 45 ff. geführt. Dieselbe lägst sich anch
durch sprachliche Beobachtungen stützen. So weist das griech,
jci^oi „Mauer", JoTxoi „Wand" = osk. feihusn „muros" durch
seine Verwandtsoliaft mit scrt. deht „Aofwurf . Wall" und mit
alln. deig „Teig", got. dfigan „ans Ton bilden", lal. fingere,
figulus „Tupfer" deutlich auf Lehm-, nicht auf Steinwände hin.
Das {jrieeh. ^pfxp^ „Daeh" {-.foiipK) „bedecke"} ist identisch mit
■qrof „Rohr", und anderes.
Mitten zwischen diesen gtroh- und rohrbedeckten Lebm-
1 Hulzhfllten der Balkanhalbinael erhoben sich dann, von asia-
ichen SteinmetKen {tpoinxi xavöyi „nach phönikiscbem Kanon",
vgl. griech. xnviöv „Richtscheit": hebr. qdneh „Messrohr") auf-
geführt, die steinernen Paläste der griechischen Fürsteugeschlechter.
wie sie die Aasgrabungeu von Tiryns usw. dem staunenden ßUek
gezeigt haben, und die auch für die folgenden Jahrhunderte und
för das homerische Zeitalter das freilich unerreichte Vorbild des
griechischen Anaktenhanxea waren.
Endlieh sind auch den arischen Indogermanen in der
älteeten Zeit Steinbauten noiih unbekannt gewesen. In der
Epoche des Atharvaveda war das indische Haus ein reiner
Uolzban, der von Zimmer (Altind. Leben p. Iö3i folgender-
massen geschildert wird: „«Strebepfeiler — wohl vier — wurden
auf festem Grunde errichtet, .Stützbalken lehnten sich schräg
wider dieselben; Deckbalken verbanden die Grund- und Eck-
pfeiler des Hauses; lange Bambusstäbe lagen auf ihnen und bil-
deten als Sparren das hohe Dach. Zwischen den Eckpfeilern
wurden je nach Grösse des Baues versnhiedene Pfosten noch
»ehe, den Uaunbitn betretrcnde Wörter in den slaTiBchen. heaonders
Vjadslavtschen Sprachen macht jetzt M. Marko Znr Gescttichte des
Istamlicheti Hanies bei den .Sttdslaveii (9. A. aus Band XXXV und
KVI rter Mclg:. der Autlirop. GuaelUclinri in Wieni Kap. b.
- 280 - .
aufgerichtet. Mit Stroh oder Rohr, in Bündel gebundcD, fflllte
man die Zwischenräume in den Wänden ans und tiberzog ge-
wisseraiassen das Ganze damit. Riegel, Klammem, Stricke,
Riemen hielten die einzelnen Teile zusammen.*^
Kürzer können wir uns über den zweiten der beiden oben
aufgestellten Sätze fassen, dass nämlich die gewöhnliche Form,
wenigstens der europäischen Hütte, der Kreis gewesen sei.
Die germanischen Hütten^ welche die Reliefs der Sieges-
säule Marc Aureis darstellen, sind, wie wir schon sahen, vor-
wiegend rund. Ebenso beschreibt Strabo p. 197 die Wohnangei
der Beigen: rovg d^ ohtovg ix oavidcov xal yigQcov ixovoi /ueyälovi
^oXoEideig, SqcKpov noXvv imßdXkovteg, Auch die Urform der itali-
schen Hütte ist durch Hei big als eine runde erwiesen worden,
wie er namentlich aus der primitiven Konstruktion des ältesten
Vesta-Tempels ♦ folgert. Grundrisse runder oder ovaler Hütten
sind sowohl nördlich wie südlich des Po vielfach gefunden worden,
und die in der Umgegend von Bologna aufgedeckten, den Umbrern
zugeschriebenen Wohnungsreste beschreibt Montelius La cMUr
sation primitive de Vltalie p. 408 wie folgt: Les cabanes om-
briennes 4taint von des ou arrondies (oblongues) sauf un
trds petit nombre qui Üaient rectangulmres. Le diamüre de
1a plupart des fonds ronds est de 3 — 5 m^res. Hs sont en-
tourds de trous contenant le bois dicomposi des poteaux, gui
avec des roseaux, couvert d'argile, formaient les parois des
huttes. Auch in Orcbomenos hat man (vgl. den Beriebt der
„Woehe^ No. 5, 1904) aus neolithischer Zeit runde, hier aber
bereits steinerne Wohnhäuser gefunden« Auf eine ursprüng-
lich rundliche Anlage der idg. Hütten weisen femer die
auch in anderer Beziehung für die Geschichte des HaoslMins
wichtigen sogenannten Hausurnen, welche man namentlich in
Italien, Deutschland und Dänemark gefunden ^) hat, und die trotx
vieler Verschiedenheiten im einzelnen doch im grossen mitein-
ander gemein haben, „dass zur Aufnahme der aus dem Leichen-
1) Über neuere italienische Funde vgl. G, Ä, CoUini e R Mwr
garelli La necropoli di villa Cavalletti nel commune di GrottafemiUii
Roma 1902. Ebenso förderten die Ausgrabungen Bonis auf dem
Forum Romanum Hausurnen zutage. In Deutschland ist u. a. eine
neue Hausurne im Frühjahr 1887 zu ünseburg im Magdeburgischen
gefunden worden.
- 381 -
inde ^esaiimiekeii Überreste des Toten eiu Tongefäss in Foriu
eines Hiiubcs henutict wurde, um! dass dieses Hans stets eine
j,TOB8e, durch eine versetzbare und vermittelst einer queren Ver-
scbluBBstaDge vod aussen zu schliessende Tür besass" (Virebow
Über die ZeitbeBtimmun^ der italiaclien und deutseben HaDsurnen,
Sitzungsberichte d. Akad- d. W. /.u Berlin l!l!83 p. 1008).
Hinsichtlich ihrer Gestalt schildert Heibig iDie Italiker
iu der Poebne p. 50) die latiuisehen Hausurnen der Nekropole
von Alba longa folgendermaesen: „Die Urnen stellen rnndliehe
Hotten dar, deren Wände man sich aus Lehm, Reisig oder
nuderen vergänglichen Stoffen aufgeführt zu denken hat. Das
Dach scheint ans Lagen von Stroh oder ßobr bestanden zu
iiaben und wird durch Rippen zusammengehalten, die in der
Wirklichkeit offenbar aus Holz gearbeitet waren. Es entbehrt
des fllr das spätere italische Wohnhaus bezeichnenden Coni-
plnvinms. Vielmehr diente, um das Licht in den inneren Raum
hinein- und den Rancli aus demselben heranszulassen, die TUr-
nffnung und ausserdem bisvFeilen eine kleine dreieckige Luke,
welche einige dieser Asehengefässe an dem vorderen, wie an
dem hinteren Abfalle des Daches erkennen lassen."
Auch fUr die deutschen Urnen, sowohl für die biencnkorb-
artigeu oder backofenähnli(:hen als auch fOr die eigentlichen
ITansumen kommt Lisch, der erste wissenschaftliche Bearbeiter
dieser Denkmäler (Jahrb. d. Vereins f. Mecklenburg. Geschichte
XXI, 249), KU der Ansieht, dass die rnndliche Form die ureprüng-
liehe Gestalt dieser Urnen gewesen sei. „Wirft man einen ver-
gleichenden Bliek anf die Gestalt dieser Urnen, sn drängt es
sich niiwjllkhriich auf, dass sie die Entwicklung des alten
Wobnbauses darstellen. Die älteste Form des Hauses geben
ohne Zweifel die Urnen von Burg-Chemnitz und Rönne, welche
die TUr im Dache haben, wie die Wohnungen ungebildeter Völker
nft die Tilr im Dache haben, zum Schutz gegen wilde Tiere'");
mau 8tieg auf Leitern hinein, welche man nach sich zog, und
so war man durch die steilen glatten Wände mehr gesichert.
■ sind sicher diejenigen runden Hänser, wie die Urnen von
I) Vielleicht 1« es aber wahrsclieiiil klier, äasa der unter licr
he befind liehen Tür Üegenile Teil des Hannes nJH in die i''rde
■ftben EU denken ist. V;;!. rtben über die Mnrdellen.
habrader. «prmcl>verKlerchunc und UrK«acl>IfliU lt. s. Aull. 19
- 282 —
Kiekindemark und Klas, welche die Tür in der Seitenwand
haben ^). Das jüngste Haus wird wohl durch die Urne ?od
Aschersleben dargestellt ; dieses Haus war viereckig, mit hohem,
steilem Strohdache, ein überraschendes Vorbild der jetzigen ge-
ringen Landhäuser.^ Endlich ist auch auf griechischem Gebiet,
in Melos, eine in vormy kenische Zeit fallende Hausume, die
mehrere runde Hütten darstellt, zutage getreten. Nimmt num
dies alles zusammen mit den obigen Ausführungen über die An-
lage der Zemljanken und Mardellen, so kann man über die ur-
sprüngliche Gestalt der indogermanischen Hütte (vgl. auch 0.
Montelius Die runde Hüttenform in Europa, Archiv f. Anthro-
pologie XXIII, 1895 p. 451 ff.) nicht wohl zweifelhaft sein, wenn
auch zuzugeben ist, dass die rechtwinklige Anordnung der Wände,
wie sie namentlich die Pfahlbauten, aber auch die Wohnhänser
des oben (p. 277 Anm.) genannten Dorfes Grossgartach zeigen,
sich frühzeitig der rundlichen zugesellten.
Des weiteren lässt sich über die Beschaffenheit und innere
Ausstattung des idg. Wohnhauses noch das Folgende sagen. Mit
einiger Wahrscheinlichkeit dürfen wir uns über der Tür des idg.
Hauses, die, nach Ausweis der Hausuiiien, ein vorgesetztes Brett
war, oder, nach Ausweis der Sprache (vgl. got. haürdsj altn.
hurd „Tür" = lat. crdtes „Flechtwerk") aus Flechtwerk bestand
und durch einen nagelartigen Verschluss zu versperren war (vgl*
griech. xlrjk = lat. clävis „ Schlüssel'* ; lat. clävtiSy ir. d4i PL
„Nagel"), eine Art von Vordach vorstellen, das auf zwei oder
mehr Pfosten (vgl. oben scrt. sthü'nä und seine Sippe) ruhte,
und für das eine idg. Bezeichnung vielleicht in der schon oben
j^enannten Reihe : scrt. ä'tä „Türpfosten", lat. anta (templum
in antis), altn. önd „Vorzimmer'', armen, dr-and „Raum an der
Türschwelle" zu finden ist. Durch die Tür gelangte man in
den Herdraum, ohne Zweifel den einzigen Raum des Haoses,
der der ganzen Familie zugleich als Wohn-, Speise- und Schlaf-
zimmer diente, und in den man in Zeiten bitterster Kälte auch
das sonst im Freien überwinternde Vieh, so gut es ging, mit
1) Am nächsten stehen diesem Typus (Lisch p. 247) die Bar-
barenhäuser auf der Siegessäule Marc Aureis, nur dass die Türen
— Fenster fehlen auch hier durchaus — bei ihnen länger und schmiler
als dort sind.
9fiS
hinein naiiin. So gcliildert es z. B. LasiciuH De diis Nnmn-
gitaniiii p. 45 bei den Litauern: Mapalia, quae tnrreg appel/ant,
mrgum angusta, atqtie qua fumtis et foetor exeat, aperla, ex
tiqnh, emseribus, striunine, cfirtirihits fariunt. in kia homines
mm omni pecuHo, in pavimento tabulato atiinte, kahitani (vgl.
weiteres in meinem Reallexikon s. v. Stall nnd Schenne). Die
Fiainme des Herdes igriech. ioiia = lat. Vesta; acrt.ä'sa „Aselie",
Afihtrf „Fenerplatz" = lal. ära, ambr. asa „Altar"), die den
religiös verehrten Mittelpunkt des Hauacs bildete (vgl. auch
Kap. XV: Religion), nnd in der Asclie während der Nacbt sorg-
fältig bewahrt, frllli angeblasen') wurde, mnsste gleichzeitig den
drei verBohicdeneD Zwecken der Erwärmung, Speisezubereitniig
und Erlenchtnng dienen. Charakteristisch für die zweite Anf-
alle ist es, daas in mehreren Fällen die Benennungen des spä-
teren Ofeuff hervorgegangen sind aus denen des Topfes, der über
dem Herdfeuer aufgehängt oder in die Asche desselben hinein-
geschoben wnrde (vgl. got. aäbim, altnorw, og» „Ofen", griecb.
üifü^i „Backofen" : lat. aulla, auxilla „Topf", sert, ukhä' „Koch-
topf" und lat. fornus „Ofen" : gemeinsl. *geniü, altsl. ijrünA
iHerd, Topf, Ofen"). Die Leuchtkraft des Herdes ward unter-
stützt durch den an der Wand befestigten Kienspan, wie es
noch bei Homer i^aig) der Fall ist. In der russischen izhd liefert
die ludina („Kienspan") bekanntlich noch heute die einzige Be-
lenchtitng, wie in Litauen der ühurgg (vgl. ostpreuss. Schibber
= Kienspan). Fenster (vgl. I', 164) waren in dem ältesten
Haas noch nicht vorhanden. Fftr den Zutritt des Tageslichts
und den Abzug des Herdraucbs sorgte die meist geöffDCt stehende
Tltr und ein kleines Rancblocb im Dach, welches sich un-
aiittelbar und ungetrennt Über dem Herdranm erhob (vgl. mein
llexikon u. Diicli).
Eigentlicher Hansrat*) war so gut wie nicht vorhanden.
1) Vä Ogipoiki eiiS oynei ne /•ziitivalt „In O. Iiatle mau nocb
K dl« Feuer angebUtteü" (bei M«lnikow In den VV»lilern I, Kap. 10)
t beinahe wie eine feste Zeilbestimniung. V^l. alcn. kveykja .an-
'xllndea*, eigenll. „lebendig mauhen". Über die Entzändung neaen,
besonders heilig'eD Feutirs vgl. Kap. XV (Religion).
2) Vgl. die 1°, S13 angegebenen Schriften R. Meringers. Hin-
riiommen sind R. Heringer Das deutsche Hau« und Hein Hausrat,
?1906niid die oben p. 278 Anm, 1 nngeführteRchiili M.Murkos
— 284 —
Alle die Gegenstände, wie Bett, Stnhl, Bank, Tisch, die wir
heute auch in der kleinsten Hütte für unentbehrlich halten, ver-
wandeln sich, in je ältere Zeiten wir zurückgeben, in immer
primitivere Begriffe. Man schlief und sass auf der Streu, statt
in Betten und auf Stühlen. So fand es Strabo III, p. 164 o.
IV, p. 197 {xal rovTo xe xal x6 ;ua/>t£t;v«v xoivdv iori toTc IßrjQoi
jiQog xovq KeXxovg — jiafÄevvovoi 6k xal fiixQ^ '^^ ^^ TtoiJioi xm
xa&eCojuevoi öemvovoiv h axißdai) bei Iberern und Galliern ebenso,
wie es schon vor hundert Jahren A. Linhart Versuch einer
Geschichte von Rrain III, p. 302 für die ältesten Slaven auf
Grund der Sprache voraussetzt: „Ihr Nachtlager nahmen sie
auf der Erde, auf blossem Streu. Dieses zeigt die jetzige Be-
zeichnung des Bettes an, Postela [altsl. postelja „Bett**: stdj(^
stüati j^stemere^]. Das Bettgestelle, Polster und Küssen sind
Gemächlichkeiten, die sie später kennen gelernt haben." „Der
Tisch war weiter nichts als ein Stol, neben dem sie anf der
Erde sassen." Eine charakteristische Sprachreihe liegt in dieser
Beziehung in der Gleichung: ahd. bolstar „Kissen", slov. blazina
„Federbett", serb. blazina „Kissen", altpr, pobalso „Pfühl**, hat-
sinis „Kissen", aw. bardzU „Decke, Matte", scrt. barhis „Streu,
Opferstreu" vor. Die älteste Bedeutung hat offenbar das San-
skrit bewahrt. Wenn man aber zum Speisen auf der Erde sass,
so luussten die Tische, von denen man speiste, ganz niedrig sein.
Tatsächlich hören wir von solchen sich nur wenig von der Erde
erhebenden Tischen durch Athenäus IV, p. 151 wiederum bei
den Kelten, und Tacitus Germ. Kap. 22 bemerkt von den Ger-
manen, dass jeder seinen eigenen und besonderen Tisch gehabt
habe. Noch weiter rückwärts wird dieses niedrige und besondere
Tischchen nichts anderes als ein tönernes Gefäss gewesen sein,
wie es in der germanischen Reihe: got. biupSy altn. bjödr, ahd.
beot ausgesprochen liegt, die zugleich „Schüssel" (hieraus altsL
bljudo j^patina^) und „Tisch" bezeichnet. So wird, was etwa
an Hausrat in der idg. Hütte vorhanden war, in erster Linie
dem Bereich der Töpferkunst angehört haben, die, wie zahl-
reiche Gleichungen (z. B. scrt. carü „Kessel, Topf", ir. ccft,
mit sehr lehrreichen Details über die primitive Beschaffenheit des
Hausrats bei den Balkanvölkern, namentlich des Tisches. Vgl. ^nch
Meringer I. F. XIX, 448 (über das Bett), 449 (über den Tisch).
kverr „Kessel" oder das oben genauntc sc-it, ukkä' usw.)
zei^eu, in die idg. Urzeit nnd nach Ausweis der Fände bis in
die neolithiscbe Epocbe znrUckgebt. Aach sie stand noch auf
riiter verhältnismässig niedrigen -Stufe, da sie, wie die ueoliihiscbe
Keraniiii beweist, iiocii der Erfindung der DrehBcheibe entbehrte.
Solche iediglich mit der Hand g^earbeitele Gefässe, deren sich
die Arvalen bei ihren Knittisbandlungen bedienten, sind in dem
Hain der Dea Dia gefanden worden (vgl. W. Heibig Die
Italiker in der Foebne p. 87), Ohne Drehacheibe wird auch in
Indien die sog. I.Tckä, d. b. der Topf, angefertigt, dessen Her-
fltelinng bei der Agoiciti, der Schichtung eines Feneraltai-s, vor-
geachrieben wirrtM-
1) Vgl. A. HiNcbiandt Ritualliteralur etc. (GrundrisH der indo
Khen Phil. III. 3 p. 8). Da die Stellt; für den PrähiHtoriker ein
proeses Interesse hat, stütze ich sie hierher: „Rflty&yaiia (ein alter
l.phrcr) sagt 16, 3, 23; Der Opferer machi einen Topf, nachdem er mit
einem Sprach ,dti biat das Haupt des Maklia' Erde dazu entnommen
hat. 24. Eine Spanne breit und hoch. 25. Bei einem fünffachen Tier-
opfer fünf Spannen oder einen Pfeil breit. 2fi. Mil dem Sprach „mögen
die Vasna dich bereiten" breitet er den entnomnieneu Ton aus [bd dass
die Onindllilche entsteht]. 37. Nachilf.iii er von allen Seiten [von dieser
Orunitfiilcho) den Rand in die Höhe gebogen hat, trägt er [auf diesen
Kand] den ersten Tonkluinpen auf mit den Wortt-n „die Adityas sollen
dich beratenen". 29. Er ebnet [daaGeWss] mit dem Spruch ,die Kndras
sollen dich herstellen". 30. Bei dem oberen Drittel [des Topfes) macht
er [aus Ton) einen ringsumluufen den Stab oder Gürtel mit
den Wutten ,du bist ein Gürtet für Aditi". 3L [Vou unten] nach oben
vier weitere Stabe [buh Ton] iu allen vier Richtungen bis au den
lauerst reifen. 4. I. An ihren oberen Enden bringt er nnch oben
xn Frauenbrfisten äh nliche [Tonieile] an. S. Man versieht den
Topf mit ftwei Brüsten, nach einigen mit acht Brüsten." Nach einem
anderen Lehrer (Hiranyak^vin) soll für einen Mann, der mehrere Franen
hat, die erste Fran die Herstellung des Topfes Übernehmen. Wieder
ein anderer Kotnnientator äpricht vou einer am Hals des Gefttsses be-
findlichen Linie, die einem Gürtel ahnlich sei (Bandkeramik?) usw.
Die in eckige Klammern eingeschlossenen Stellen sind ErgUnzungen
da» Übersetzers. — Nun macht Heibig a, o, a. 0, darauf aufmerksam,
dass in Latium der Übergang von einer jedes mechanischen Hilfs-
mittels entbehrenden Technik zur Anwendung der Drehscheibe durch
ein Verfahren vermittelt werde, , welches darin bestand, dass man den
Bswänden vermöge des Einsetzens hölzerner Reifen die
ilriife Richtung ku gehen suchte. Die Eindrucke solcher Reifen
1 an den Innenseiten der meisten in dem Arvalhaine gefundenen
— 286 —
Aas dem Vorstehenden ergibt sich; dass wir für die idg»
Völker als ältester Wohnstätte von der halb oder mehr in die
Erde eingegrabenen^ aus Holz und Flechtwerk zusammengefflgten^
meist rundlichen Hütte auszugehen haben, die aus dem einzigen
Herdraum bestand und vor der Tür eine kleine Vorhalle (Vor-
dach) hatte. Solche ^Herdhäuser^ sind, allerdings meist in
rechtwinkliger Anordnung ihrer Wände, noch in den verschie-
densten Teilen Europas und Asiens erhalten (vgl. Meringer
Das deutsche Haus p. 8). Besonders dürfte das armeniBche
Bauernhaus jenen ältesten Typus mit grosser Treue aufweisen
(vgl. darüber Ter-Mowsesianz Das armenische Bauembaos in
den Mitteil. d. anthrop. Ges. zu Wien XXH, 125 ff.).
Andererseits ist man aber, auch bei den Nordvölkem, sehr
frühzeitig darauf ausgegangen, neben dem Herdraum für die
einen oder anderen Zwecke besondere Räume zu gewinnen. Schon
das oben genannte neolithische Haus von Grossgartach weist
neben dem sehr tief gelegenen Herdraum mit der Herdgmbe
noch einen zweiten, höher gelegenen, aber nicht erwärmbarai
Raum auf, kann also bereits als ein ^zweizeiliges^ bezeichnet
werden. Dieser Ansatz ist nun in frühen nachchristlichen Jahr-
hunderten in Oberdeutschland, da, wo barbarische und römische
Kultur znsammenstiessen, durch die unter dem Druck des nörd-
lichen Klimas erfolgte Erfindung des Ofens weiter entwickelt
worden, so dass das oberdeutsche Haus von jetzt ab zwei heiz-
bare Räume, den Herdraum und den Ofenraum, d. h. die dorcb
den von aussen heizbaren Ofen gewärmte Stube besitzt. Dieser
neue Kulturträger, der Kachelofen („Kachel** aus lat. caculdh
ist das römische Hypokaustum, in die primitive Wohnung des
Barbaren übertragen. Sein Name ist in unserem Worte „Stube*
erhalten. Dieses stammt aus einem aus ital. stufa, frz. Ļw
„Ofen" und „Badestube" erschliessbaren griech.-lat. *extufa (vgl.
griech. Tt'<^oc „Dampf", ital. tufo „Dunst"). Die Bedentuny
„Ofen" ist z. H. noch in engl, stove „Küchenofen" erhalten (vgl.
zum Bedeutungsübergang „Ofen" — „Stube" auch lat. dibawf
„Ofen" — agls. cleofan „Zimmer" und lat. pensüe „der auf den
Gefässe deutlich erkennbar". Ich möchte daher fragen, ob nicht «ucb
in den von Kätyftyana genannten „ringsumlaufenden Stäben oder
Gürteln** solche hölzerne Reifen (also nicht tönerne Wülste) verstandca
werden könnten.
— 287 —
Silnlen des Hypokaußtnm schwebende Raum", frz. poile „Ofen" —
agls. pisUj ahd. pfiesal ^Gemach"). Den Siegeszug dieses ober-
dentscheu Hauses mit Küche und Stube zu den Tschechen,
Magyaren, Sttdslaven bis nach Bosnien und der Herzegowina,
wo es mit dem romanischen Kaminhaus zusammenstiess, haben
Meringer Das deutsche Haus p. 25 (vgl. auch Wissenschaft-
liche Mitteilungen aus Bosnien und der Herzegowina VII) und
Marko Zur Geschichte des volkstümlichen Hauses bei den Süd-
slaven (a. 0. a. 0.) erschöpfend behandelt.
Noch unerforscht sind dagegen die näheren sprachlichen
and sachlichen Zusammenhänge, die zwischen der germanischen
stuba und der russischen übä bestehen. Der erste, der das letztere
Wort und zwar in der Form Hha nennt, ist der Araber Ibrahim
ibn Jakub (um 970 n. Chr.), der berichtet, dass die Slaven in so
bezeichneten, mit einem Ofen versehenen Holzhütten ihre Dampf-
bäder zubereiteten^). Natürlich schliesst dies nicht aus, dass die
Slaven derartige Öfen schon damals auch in ihren gewöhnlichen
Wohnstätten errichteten, zumal bis auf den heutigen Tag die
Bauern sehr oft ihr sonnabendliches Schwitzbad in dem Ofen
der izbä selbst nehmen, Bade- und Wohnraum also in diesem
Falle ein und dasselbe ist (vgl. Melnik Russen über Russland
p, 63). Stellen wir uns die Wohnungen der Urslaven etwa so
vor, wie es oben p. 273 f. an der Hand der neolithischen Aus-
grabungen am Dnieper ausführlich geschildert ist, so besteht
ihnen gegenüber das eigentlich Charakteristische der russischen
izbd, worunter zunächst immer der wärnibare Teil der Wohnung (im
Gegensatz zu der an der andern Seite der aeni „Flur" gelegenen,
nicht heizbaren görnica und den kWU) zw verstehen ist, darin,
dass man den alten Herd oder Herdofen ganz und gar in dem
Denen, aus Backsteinen gemauerten Ofen aufgehen liess. Man
l>ehielt also den alten urzeitlichen und einzelligen Herdraum bei,
lur mit dem Unterschied, dass man in ihm statt eines Herdes
>der Herdofens einen gleichzeitig der Erwärmung wie auch der
Speisezubereitung, ja selbst dem Badebedürfnis dienenden Ofen
errichtete. Auch die urslavische Bezeichnung p46ka (s. o.) behielt
1) Vor ihrer Bekanntschaft mit dem Ofen der itba badeten viel-
eicht die Russen wie die Skythen (Herod. IV, 74, 7r>) im Dampf des
lur anf glühenden Steinen erhitzten Hanfsamens.
— 288 —
man für diesen Ofen bei, während man das fremde izbä = germ.
stuba nnr für den Raum verwendete, in dem die p46ka stand.
Die letztere wurde von der Stube selbst aus geheizt und entbehrte
ursprünglich der Esse, so dass der Rauch, wie dies in der d^maja
izbd „der schwarzen izhd'^ noch jetzt der Fall ist, durch ein Loch
im Dach und die Schiebefenster der Wände abziehen muaste.
Gesonderte Räume vertreten die Ecken der izbd, die ganz be-
stimmten Zwecken dienen und bestimmte Namen tragen: auf der
einen Seite vom Eingang der „Koch- oder Frauen winkeP (mit
dem Ofen), auf der andern „der HeiTcnwinkeP (mit einem anch
als Pritsche dienenden Kasten für Pferdegeschirr u. dergL),
dem Ofen gegenüber „der Handmühlenwinkel^ (mit der Haod-
mühle, wo die Frauen arbeiten), schliesslich „der schöne" oder
„grosse" Winkel mit den Heiligenbildern und dem Tisch (vgl.
Dahl Wörterbuch s. v. izbä). Schwieriger zu beantworten ist
die Frage, aus welcher germanischen Sprache, und von welchem
germanischen Volke die Russen ihr izbd {istba, istopka^ mü-
topüka, istobka) und damit die Kenntnis des Stubenofens ent-
lehnten. Graf üvarow, der einzige, soviel ich weiss, der in
den Moskauer Drevnosti II (Materialien für ein archäologisches
Wörterbuch p. 17 ff.) aus Chroniken und Volksliedern eineReihe
von Tatsachen zur Geschichte des russischen Hauses gesammelt
hat, ist geneigt, einen starken skandinavischen, durch die Var-
Jäger vermittelten Einfluss auf die altrussische Baukunst an-
zunehmen. Gleichwohl wird man aus lautlichen Grtlnden das
inissische istba eher als an das altn. stofa, stufa „Baderaum mit
Ofen'', au das kontinentaldeutsche stuba, oberdeutsch fftupa an-
knüpfen, aus dem auch die übrigen slavischen Sprachen (vgl.
Murko p. 98 ff.) direkt oder indirekt entlehnt haben. Wann*]
l) Meringer Das deutsche Haus p. 65, der als Quelle fürunser
„Stube" ausser romanisch *extufa auch noch ein urgermanisches
*stubön („Badestube**): „stieben" anuimmt, möchte aus dem Akzent
des russischen izbä folgern, dass dieses Wort aus dem Germanischen
entlehnt wurde, als es hier noch *sttib6'n hiess. Ob er hierbei bedacht
hat, in wie frühe, vorchristliche Jahrhunderte (vgl. I^, 140) er mit dieser
Annahme zurückgehen muss? Das ursprünglich dreisilbige russische
istübä wird seinen Akzent einfach nach den zahllosen Vorbildern von
borodd, borozdd, borond, golovd, zelizd, slobodd usw. gebildet haben.
Übrigens widerspricht sich Mer inger, wenn er einerseits a. a. 0. p.W
aus der frühen Herübernahme des Wortes -Hanf" ins Germanische
— 289 —
und auf welchem Wege dies geschehen ist, vermag ich freilich
nicht zu sagen.
In jedem Falle aber hat erst die izbd mit ihrem gewaltigen
Ofen dem Russen sein Vordringen bis zum Ural und nach Sibirien
emiöglicht, so dass den beiden kein geringes Verdienst um die
nordöstliche Ausbreitung des idg. Sprachstamms zugeschrieben
werden muss.
(vgl. oben p. 192) eine sehr frühe Bekanntschaft der Germanen mit
der Badestube folgert, und auf der andern Seite (p. 76 f.) zu Tacitus
Oerm. Kap. 22 : stcUim e somiw . . . lavantur, saepius calida bemerkt,
dass bei diesen Worten nur an ein warmes Waschen gedacht werden
könnte.
XL Kapitel.
Handel und WandeD.
Tauschen. Kaufen und Verkaufen. Zahl und Mass. Der Fremde.
Die Gastfreundschaft. Stummer Tauschhandel und Marktverkehr.
Handel und Wandel in der Sprache. Furten und Wege. Der Wagenban.
Die Schiffahrt.
Der Gedanke, ein fremdes Gut gegen einen Teil der eigeoen
Habe einzutauschen, ist ein so naheliegender, dass wir ihn auf
jeder Kulturstufe voraussetzen dürfen. Ein solcher Tausch ißt
aber von einem regelrechten Kaufgeschäft, das deutlich in die
beiden Seiten des Kaufens und Verkaufens zerfällt und diesen
Namen eigentlich erst bei dem Vorhandensein des metallischen
Wertmessers, des Geldes, verdient, noch weit entfernt. Bei dem
Tausch ist der Käufer zugleich Verkäufer und umgekehrt, und
es kann uns daher nicht wundernehmen, wenn die kaufmännische
Terminologie der idg. Sprachen noch deutliche Spuren diesei
primitiven Zustandes verrät.
Der Begriff des Tauschens wird in den idg. Sprachen
durch die W. mei ausgedrückt, die in scrt. mSy mäyati, derid.
mitsatS, im lat. münus „(Gegen)gabe", mütare ( : *moi4a)y im
litu-slavischen malnas-mena „Tausch" etc. vorliegt. Der Gegen-
stand, für den ein anderer eingetauscht wird, später „der Kauf-
preis**, ward in der Grundsprache durch *vesno (scrt. void^
griech. cSroc, lat. v^num, armen, gin) bezeichnet*). Die von
1) Dieses Kapitel stützt sich auf die ausführlichere Behandlung
dieses Gegenstandes in meinem Buche Linguistisch-historische For-
schungen zur Handelsgeschichte und Warenkunde I (Die Ursprünge
des Handels und Wandels in Europa) Jena 1886.
2) Nicht sicher ist, ob auch altsl. v&no „Mitgift" hierher oder w
der \\ 217 g-enannten Sippe gehört; doch kommt im Altrussischen
vinoy venOf vinno auch in der allgemeinen Bedeutung ^Bezahlung*
vor, und altsl. etc. v4niti bezeichnet nur „vendere**.
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diesem Substantiv abgeleiteten Verben (scrt. vasnay „feilschen")
verteilen sich gleichniässig anf den Begriff des Eaufens (griech.
&v€Ofxaiy armen, gnem) und Verkaufens (lat. vinire^ vSnumdare).
Einheitlicher scheint die Bedeutung in der Reihe : scrt. krt-nä'-mi,
ir. crenim, griech. jiglaiuai „kaufe", altruss. krinuti „kaufen"^
auch „bezahlen", vgl. auch lett. kreens, kreena nduda „Geschenk
an die Braut" (eigentlich „Kaufpreis", vgl. ßezzenberger in
s. B. XII, 78).
Wie spät namentlich im Norden Europas das Bedürfnis
auftrat, Käufer und Verkäufer sprachlich auseinander zu halten,
zeigt am besten die germanische Sippe von got. kaupön^ altn.
kaupa, ahd. choufan, agls. ceäpian, die „das Wesen des Handels
Dach allen Seiten" (kaufen, verkaufen, Handel treiben usw.)
sprachlich umfasst. Dass wir es hier mit frühzeitigen Entleh-
Düngen aus dem Lateinischen zu tun haben, und dass die älteste
Bedeutung der germanischen Wörter war „mit einem caupo
Handelsgeschäfte treiben", glaube ich an dem angegebenen Orte
p. 88 ff. namentlich durch Hinweis auf die ganz analoge Erschei-
nungen darbietenden, aus lat. mango entlehnten Worte: ahd, man-
gäriy agls. manger e, altn. mangari „mercator^, agls. mangiany
altn. manga „negotiari^ etc. erwiesen zu haben. Aber auch
das einheimische, noch nicht sicher erklärte^) got. bugjan, agls.
bycgan hat neben der regelmässigen Bedeutung von „kaufen"
auch die von „verkaufen^ (vgl. das Glossar zu Ulphilas von
Gabelentz-Löbe).
Naturgemäss vervollständigt sich die Terminologie des Kaufs
auch durch Ausdrücke, die auf die Grundbegriffe „Geben",
„Nehmen", „Anbieten" zurückgehen. So im scrt. parä-dä „um-
tauschen", lit. pardüti „verkaufen", griech. Anodidoo^ai, altsl.
1) Au8führlich hat sich mit diesen Wörtern M. Müller Bio-
graphies p. 76 ff. beschäftigt. Er sieht als Grundbedeutung des agls.
bycgan an to bend or break off a piece from a coii of gold (altn.
baugrz got. biugan „biegen"). Da aber „biegen" nicht „brechen" ist,
and bei der Bezahlung mit Ringstücken alles auf letzteres ankommt,
so scheint mir diese Erklärung nicht annehmbar. Wahrscheinlicher
dünkt mir, dass got. bugjan „kaufen" {baühta) in demselben Sinne zu
bugjan (bdug) „biegen" gehört, in welchem sich griech. .TcoAeo), efuioXdw,
mmXiofAat : niXw „drehen", lit. ivercziü'8 „verkehre im Handel" : lit. wertü
= lat. verto „wende* stellt, so dass die Bedeutungsentwicklung war:
,aD8bie^en", „sich wenden", „verkehren", „im Handel verkehren".
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prodati „verkaufen"; im lat. emo „kaufe" = got. nima „uehme'^,
lit. imüy altsl. imqf ir. -em^ im agls. sellan „verkaufen", altn.
seljüy sali „Übergabe, Verkauf" : lit. sülau, sulyti „darbietend
Es ist aber eine natürliche Folge jeglichen Tauschverkehrg,
dass mit der Zeit auf den verschiedenen Handelsgebieten solche
Gegenstände im Handel besonders hervortreten, die, von allen in
gleicher Weise begehrt, zugleich geeignet sind, für alle flbrigen
Waren einen Wertmesser abzugeben. Es kann aber nach dem
schon oben p. löö erwähnten und „Handelsgeschichte und Waren-
kunde" p. 113 ff. ausführlich dargestellten kein Zweifei darüber
obwalten, dass schon in der Urzeit und noch in den ältesten
geschichtlichen Perioden das Vieh der eigentliche Wertmesser
der Indogermanen gewesen sei, wie dies auch von vornherein
bei einem von dem Ertrage seiner Herden fast ausschliesslich
lebenden Hirtenvolk nicht anders zu erwarten ist. Nehmen wir
hinzu, dass schon in der Urzeit ein auf dezimaler Rechnung
beruhendes Zahlensystem, mindestens bis Hundert — die Be-
nennungen der Zahl Tausend gehen gruppenweise auseinander
(sert. sahäsray aw. hazanray griech. ;cttio/; got. pusundi, altsl.
tysqHtüj lit. tükstantis ; lat. mille, ir. mil) — ausgebildet^) war,
1) Neuerdings hat man auch lat. mille {*smt'§hHl'i) mit griech.
xihoi etc. zu verbinden gesneht und dann für die keltischen Wörter
Entlehnung aus dem Lat. angenommen (?). — Im übrigen wird be-
kanntlich das idg. Dezimalsystem in den europäischen Sprachen durch
die Spuren eines Sexagesimal- oder Duodezimalsystems durch-
kreuzt (vgl.P, 106 f.), dessen Ursprung mit grosser Wahrscheinlichkeit auf
Babylon zurückzuführen ist. Die in die Augen fallendste, hie^he^
gehörende Erscheinung ist die, dass im Griechischen, Keltischen und
Lateinischen nach der 60 mit der Ordinalzahl, statt mit der Kardinal-
zahl, weiter gezählt wird (griech. ißdo^^xoyra : e^rfxovxa, ir. sechtmogd'
sesca, lat. septuäginta [aus *septumaginta] : sexaginta). Hier wird man
nicht umhin können, einen vorhistoriHchen Zusammenhang anzunehmen.
Wir erinnern dabei an das Kap. V (am Ende) über die mögliche Her-
kunft gewisser ureuropäischer Kulturpflanzen aus semitischem KultQ^
kreis Gesagte. In ihrer Gefolgschaft könnten auch die ersten Aus-
strahlungen des babylonischen Zahlensystems über Kleinasien su den
Ursitzen der europäischen Idg. nördlich der Donau und des Schwarxeo
Meeres gelangt sein, während die östlicher sitzenden Arier in beiden
Fällen von diesen Kultureinflüssen unberührt blieben. Erkennen wir
hier Spuren eines von Osten gekommenen Sexagesimalsystems an, so
begegnet uns daneben, namentlich im Westen Europas, in den kelti-
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Hlenken wir ferner, dass auch der Begriff des „Messens" und
38 „Masses'* einheitlich in den idg. Sprachen benannt ist (scrt.
ä'mij mi-mi, griech. jueigovy lat. me-tior, lit. mierä, altsl. m^a,
fl. auch got. mitafiy griech. /biedi/jLvog, lat. modius etc.), wobei
^r nrzeitliche Mensch unzweifelhaft von den ihm von der Natur
;rliehenen Rörpermassen, Finger und Fiugerspanne, Arm und
rmspanne („Elle" und „Klafter"), Fuss und Fussspanne ans-
og, so wird man zugeben müssen, dass alle Vorbedingungen
nes primitiven Tauschhandels schon in der Drzeit gegeben
aren.
Hierbei haben wir zunächst den Handeisverkehr im Auge,
T sich zwischen den Mitgliedern eines und desselben Stamme»
itwickelte, und es erhebt sich nunmehr die Frage, ob denn
ich zwischen den Angehörigen fremder Stämme, mochten die-
Iben nun indogermanischem Blute angehören oder nicht, schon
der Drzeit geordnete Handelsbeziehungen denkbar sind.
Der primitive Mensch betrachtet nur denjenigen als sich
irch Rechtsgemeingeschaft verbunden, der demselben Stamme
ie er angehört: der Fremde ist schutzlos und rechtlos, ja, da
-emder und Feind in der Anschauung der Urzeit identisch sind,
ist es ein verdienstliches Werk, den Fremden zu töten, ihn
JD Göttern zu opfern oder 'zum Sklaven zu machen. Diese
imitive Ethik ist in den idg. Sprachen noch ziemlich deutlich
kenn bar.
ben Sprachen, der Einfluss einer Vi gesima Ire chnung;, in der also
e 20 eine herrschende Rolle spielt (z. B. ir. da fichit^ 2x20 = 40), und
B man gern als eine Entlehnung aus den Sprachen der urspiünglich
n Westen Europas bevölkernden iberischen Stämme ansieht, da die
Mahnung nach Zwanzigern noch heute dem letzten Rest der Iberer,
n Basken (vgl. F. A. Pott Die quinare und vigesimale Zählmethode
i Völkern aller Weltteile, Halle 1847), eignet. Tut man dies, so muss
%n nur noch die weitere Konsequenz ziehen und auch Dänemark
id Norddeutschland, im Süden auch Illyrien (das heutige Albanien)
jh einst von einer den Iberern verwandten Bevölkerung besetzt
nken, da sich in den Sprachen aller der genannten Länder Spuren
les Vigesimalsystems zeigen, eine Konsequenz, gegen die wir nichts
lEQwenden hätten, ja für die manches andere spricht (vgl. Kap. XII
I Schluss und Kap. XVI: die Urheimat), die aber zu einer Lokali-
(rang der idg. Urheimat in Norddeutscbland oder Dänemark nicht
mmt.
- 294 —
Freund ist, wer der Sippe oder dem Stamme angehört:
«hd. loini „Freund^ stellt sich zn altir. coibnes ^affinitas^j fine
„der Stamm"; lat. civis „der Mitbürger" {civis hostisque „Freund
und Feind") gehört zu dem germanischen Stamm "^heiwa (got.
heivafrauja „Hausherr", agls. hiwan etc.); dessen Grnndbedentang
offenbar „Sippe", ,,famiUa^ ist, und der im scrt. qifva in der
Bedeutung von ;,lieb, hold, wert, teuer" vorliegt^) (vgl. P, 203).
Umgekehrt zeigen eine Reihe von Wörtern, die in milderen Zeiten
die Bedeutung „Gast", „Gastfreund" angenommen haben, in der
Urzeit unzweifelhaft noch einen finsteren und bedrohlichen Sinn.
So bedeutet griech. ^ivoq {^h-fo-g) „der Gastfreund" ursprünglich
den Feind, den Kriegsfeind {^evor 61 noXifuoi, ol de rovg IliQoa;
Hes.), die slavo-germanischen altsl. gostl, got. gasts sind identisch
mit lat. hostisj fostis „Fremder" {peregrinu8\ „Feind", erst
hospes {*ho8ti-pet8) bezeichnet den „Gastfreund"; altir. aech,
oegi „Gast" bedeutet entweder „feindlich" (agls. fäh, "^potko-s)
oder „dem Tode verfallen" (ahd. feigi^ *poighO'8). Bedenkt man
dazu, dass noch in altgermanischer Zeit der Totschläger des
Fremden nicht friedlos und landflüchtig wird, und der Ausländer
kein Wergeid beanspruchen kann (Grimm Rechtsaltertttmer
p. 397 ff.), erwägt man ferner, wie oft in den idg. Sprachen
Namen für die Begriffe „unglücklich, gottvergessen" et<;. ans
Benennungen für „heiraat-, sippelos" hervorgehen (vgl. ahd.
elilentij engl, icretch = agls. vrecca „Verbannter", got. unsibjü^
griech. Aq^gtjTCDg etc.), so kann man über die Gesinnung des
höchsten Altertums dem Fremden gegenüber nicht zweifelhaft sein.
Diese Anschauung der Urzeit von der Rechtlosigkeit des
Fremden, die prinzipiell erst durch die Lehren des Christentnnis
überwunden worden ist, wurde nun schon im frühen Altertum
gemildert durch die allmählich aufkommende Überzeugung, dass
1) Ob in diesem Fall die Bedeutung «lieb^ oder ^Sippe' das
prius gewesen sei, ist trotz der apodiktischen Behauptung Streit-
bergs Lit. Zentralbl. 1906 p. 824, der das letztere annimmt, Schwerin
sagen. Mir scheint im Hinblick auf Bedeutungsentwick langen wie scrt.
priyä „lieb'' — got. freis, eigentl. „zu den Lieben, d. h. zum Stamme
gehörend", dann „frei" oder scrt. aryd „freundlich* — ä'rya, eigentl.
„zu den Freunden gehörend", dann „der Arier" (vgl. mein Reallexikon
p. 806) das erstere das wahrscheinlichere. Vgl. in diesem Sinne auch
H. Hirt Z. f. d. Phil. XXIX, 301.
395
r Fremde als solcher /.war immer ealex bleibe, liass es aber
le Htttliclie Pflichl, die nach und nach auch als nicnschliehe
tzau^ (tue) anerkannt wurde, sei, Lebeii nud Gut des Fremden
Bchtitzen und ihn als Gast an das heilig Feuer des Herdes
Fzuaehmen. Wie verhalten sieh nun die beiden Weltanscbaunngen
p Fremdenverfolgung; und der Fremdenverehrung historiach zn-
lander? Aus welchen Motiven ist die ev^evia der historischen
\ der (ä^fviVi der urgescbicbtiichen Epochen entaprungen?
Die Antwort anf diese Fragen habe ich in meinem Buche
udelsgesebichte und Warenkunde I fl686) zu gehen und es
selbst wabrae heinlieh zu machen versucht, dasB es lediglich die
dtlrfnisee des Handels waren, welche die gastfreundschaft-
ben Gesinnungen in der Brust der Menschen erweckt haben,
defli Austausch vou Geschenken, welcher als eine Pflicht der
Mi unauflüslich mit der Gastfreundschaft verbunden ist, habe
I ebendaselbst die symbolisehe Erinnerung an den Austansch
r Waren erkannt, der die Veranlassung und den eigentlichen
reck gastfrenndschaftlicher ßQudnisse bildi'te.
Kurze Zeit nach mir hat Rudolf von Ihering in der
otacben Rundschau (1886/87 Band 111 April-Juni 1887) Über
ü gleichen Gegenstand (Die Gastfreundschaft im Altertum
357 ff., p. 420 ff.i gehandelt.
Es ist mir erfreulich, in der Beurteilung des Ursprungs
«es für das alte Volkerleben so überaus wichtigen Faktors mit
«em Gelehrten im wesentlichen /.uuamm engetroffen zu sein,
ich R. V. I bering gibt als ein Hauptergebnis seiner Unter-
Uiung p. 412 an: „Das Motiv, welches die Gastfreundschaft
Altertum ins Leben gernfen und sie zu dem gemacht bat,
18 sie ward, war nicht ethischer, sondern praktischer
t, nicht das uneigennützige der Menschenliebe, sondern das
distische der ErniQgticbung eines gesicherten Handelsverkehrs;
De den gesicherten Rechtsschutz wäre ein internationaler Handels-
rkehr zur Zeit der Rechtlosigkeit des Fremden unmöglich
weseD." Aneb darin stimme ich mit 1 bering Uberein, dass
F die Form und Gestaltung der Gastfreundschaft in den klassi-
len Landern unzweifelhaft das Vorbild der Phönizier — man
ike an das ov/tßoloy der Griechen, die teasera hospitaüs der
mer, ckiri aSlychoth „Seherbe der Gastfieundschaft" der
Dter — eingewirkt bat. Nur soweit möchte ieh nicht mit
- 296 —
I bering gehen, die Gastfreundschaft geradezu als eine Erfindung
des phönizischen Handels aufzufassen. Das Institut der Gast-
freundschaft begegnet keineswegs nur in Europa, sondern wird
auf dem ganzen Erdball und auf den verschiedensten Knltnr-
stufen gefunden (G. Haberland Die Gastfreundschaft auf nie-
deren Kulturstufen, Ausland 1878 p. 281 ff.), fast überall auch
hier mit dem Austauschen von Geschenken zwischen Gast und
Gastgeber verbunden. Auch bei den Indogermanen, und zwar
gerade auch bei den europäischen Nordvölkern, Kelten, Ger-
manen und Slaven finden wir diesen „Geschenkhandel^ Ton
frühester Zeit an durch zahlreiche Nachrichten bezeugt (vgl. die
Belege in meinem Reallexikon, s. v. Gastfreundschaft), und
man wird daher kein Bedenken zu tragen brauchen, für die
oben angeführte Gleichung: lat. hostis = got. gaste, altsl. gosti
schon für die Urzeit die Doppelbedeutung: 1. „Feind", 2. (im
Verhältnis zu dem durch Geschenkhandel verbundenen) „Gast"
anzusetzen^). Darauf, dass man sich in alter Zeit ein solches
gastfreundschaftliches Verhältnis nur in der Weise vorstellen
konnte, dass man annahm, der Fremde trete für eine gewisse
Zeit in die Familie des Gastgebers ein, wurde schon P, 204
hingewiesen. In hohem Masse charakteristisch für diese Auf-
fassung ist das lat. hospes aus ^hosti-potis „Gastfreund", ur-
sprünglich zweifellos nur der aufnehmende, nicht der aufgenommene.
Dieser aufnehmende wird als potis des Fremden bezeichnet, also
mit demselben Ausdruck, der das Oberhaupt der Familie be-
zeichnet, und über den in Kap. XII ausführlich gesprochen
werden wird.
Neben dem durch die Gastfreundschaft vermittelten Handd
gibt es aber noch zwei primitivere Formen des Warenaustausches,
die wir als den stummen Tauschhandel und als die Anfänge des
Marktverkehrs bezeichnen können, und die wir für die älteste
idg. Völkerwelt in Abrede zu stellen ebenfalls keinen Grund
haben. Der erstere findet statt, wenn die eine Partei an einem
dazu bestimmten Orte ihre Waren niederlegt und sich in ihr
1) Zu dieser von der noch in meinem Reallexikon vorgetragenen
Auffassung abweichenden Darstellung bin ich durch die überzeugenden
Ausführungen von Winternitz Beilage z. AHg. Zeitung 1903 p. 339
veranlasst worden. Vgl. auch meine Besprechung der Gastfreundschaft
in Hastings Dictionary of Religion and Ethics {Aryan RMgion),
rsteck 7.iirUck/,ieht, worauf der Käufer erBelieinI, um sein
Aqnivaleot iielten den ausgestellten Waren ansznhreiten und eich
ebenfalls Nclileniiigst zu entfernen. Wird dasselbe abgeholt,
so igt das GeKchäft geschlossen, wenn inclit, ist der Käufer ge-
nötigt, Zulagen an Tanschgütern zu machen (Kaliecher Der
Handel auf primitiven Kulturstafeu Z, f. Vfllkerpaych. n. Spraehw.
X, 378 ff.)- Eine Stufe höher steht der Marktverkehr. Zwei
Stumme einigen sich, dass za bestimmter Zeit an neutralem Ort
der Waffenlänu im Interesse des Handels schweigen soll. Die
Waffen werden abgelegt, und unter dem Schutze des Markt-
friedens nähern sieh die Handelnden.
Wenn somit trotz des Kremdenhasses und der Rechtlosig-
keit des Fremden die Indogermanen sebun in der Urzeit anch
mit anderen Stämmen Handel getrieben nnd auf diesem Wege
fremde Kulturgüter erhalten haben können, wie denn auch
die Prähisturie schon in neolithiBcher Zeit bestehende, zum Teil
weit reichende Handelsverbindungen ermittelt hat (vgl, A.Götze
Über neolithisehen Handel, Festsehrift für Bastian), so wird es
anch sprachlich betrachtet wahrscheinlich, dass schon in der
Urzeit ein gewisser Verkehr xu Handelszweeken stattgefunden
hat. Wenigstens ist es beachtenswert, dass in der idg. W. per
Kchun in der Ursprache Wandel und Handel /.usammengefloBsen
sein raflssen. und zwar dienen dem ersteren das sert. pur,
piparti „hinühersetzen", aw. par „hinüberhringen", grieeb. sirgäo}
■ :iogei<ofi.ai) „durchreisen", ebenso Ttgt'jooco {Od. IX, 491) =
\-njtixjat. got. faran, farjan, dem letzteren, grieeb. mgäiu, nlo-
ni/u, nijignaxtD, irisch reiiin {*pemim}, reccim „verkaufe", lit.
pi^kti n)(Aufen" etc. Es ist daher wahrscheinlich, dass die id^'.
Bedeutung dieser Wurzel war „(binUber)reiBeu, um ein Tausch-
geschüft zu machen". Späteren Epochen gehören die gleicli-
artigen ahd, tcantalön „verkehren" : wanfalöd „rendif^, uuan-
ilelunga ^negotium , griech. lififtßeodtu : lat. migrare und andeic
vgl. oben p. 291 Anm.) nn.
Niclit znfäUig ist es vielleicht anch, dass das idg. Wort
Filr die Furt; ahd, vurt, kelt. -ritum, aw. peretu „P^irt, Brltcke"
Hat. portusj, grieeb. Ji6gi><; von der eben besprochenen Wurzel
per abgeleitet ist. Furt war somit ursprünglich wohl „der Ori,
t man (meist in Handelsgeschäften) hinllbersetzte", Anch das
ibrejtetste idg, Wort für den Weg: scrt- pdnthäi*, pä'thas etc.
d«t, Sprachvergleich uiiK und Urneechtchte II. S, Aufl. '20
— 298 —
aw. pa&-^ griech. naxog, lat. pons, osk. pont-tramy altol. fcifl^
arm. hun nimmt öfterS; wie im ArmenischeD und ItaUseh^,
die Bedeutung von y,Furt'^y resp. von y,Steg^ an; denn die Rich-
tungen der Strassen, auf denen sich das Urvolk bewegte, mochten
eben in erster Linie durch die Lage der Furten bestimmt werden.
Dazu kommt nun, dass die Indogermanen sowohl fflr die
Zwecke des eben besprochenen Verkehrs, wie fflr die Bedflrf-
nisse des Ackerbaus, da, wo dieser in dem ürland bedeutsamer
hervortrat (Kap. VI), wie endlich auch fflr die Zeiten der, in je
ältere Epochen wir zurückgehen, um so häufigeren Wandeningen
ganzer Stämme schon in der Urzeit mit einer ziemlich weit-
gehenden Technik des Wagenbaus bekannt waren, wie ao8
ihrer schon in der Ursprache vorhandenen Terminologie folgt.
Davon abgesehen, dass fast alle idg. Sprachen sich zur Bezeich-
nung des Wagens einheilig der Wurzel ve§h bedienen: scrt.
vä'hanaj griech. öxri^a, ^x^g, ahd. toagany altsl. vozü, lit. m-
ÜmaSy altir. fin {^veg-n) finden sich folgende Teile des Wagens
übereinstimmend benannt:
Das Rad: lat. rata, lit. räiasy ahd. radj altir. raih\ scrt
rdtha, aw. ra&a („Wagen").
„ : scrt. cdkrdy griech. xvxXogy agls. hweohl (*{^
qlö) — ohne Reduplikation: altsl. XroZo, hltik.hvil
Der Radkranz: griech. hvg, lat. vittis (ursprtlngl. wohl
„Weide").
Die Achse: scrt. dksha, griech. Afcuv, äfA-a^a („Ein-achser"
nach Meringer), lat. axi8j ahd. ahsa^ altsl.
osly lit. aszis*
Die Nabe: scrt. nä'bhiy agls. nafuy ahd. no&a, altpr. noMf.
Die Ltlnse: scrt. äniy ahd. lun, agls. lynes, altsl. lumm*
Die Deichsel: lat. tSmdy ahd. dihsala^ altn. pisl^ agk
piod, altpr. teansis (?).
„ : scrt. tshd-y nsl. serb. oje, griech. ofi/f „Stener-
rüder" (eigentl. „Deichsel" des Schiffes).
Das Joch: scrt. yugd, griech. ^vyövy lat iugumy gotjukj
altsl. igOy lit. jüngaSy cymr. um.
Das Kummet: scrt. gdmydy aw. simäy armen, samü, griech.
xrjfjuigy ndl. haarriy westf. harne.
Der Ztlgel: scrt. näsyüy griech. ^vla (?).
„ : griech. tfjXrjgay dor. aCiij^y lat. Uh^im.
In dieser ZueamiuenBlelluiig fehlt, wie uiaD eieLt, eine em-
litliche Beuennnng der RadBpeicIie (sert. ard, griecb. xM'ifi^,
■adiug, ahd. apeikha}. Vielleicht weist dies darauf hin, dass
uns das Rad der Ur/eil uocb als ein speiclienloses
4eukeD luOssen In der JilleRteu Zeit wusste man /.wei Räder
nur dadnrcli herzustellen, dass man sie zusammen mit der sie
verbindenden Achee aus dem .StUck eines Baumstammes heraus-
liackle, und es inuse schon als ein Fortschritt bezeichnet werden,
dass man sich, offenbar schon vor der Trennung der Völker,
darauf verstand, die Achse als ein beeonderes .Stück beiTtnstellen
Dud sie mit Hilfe der LlUise im tympanum La befestigen.
Dem sn gewonnenen liilde entspricht die Schilderung, die
die Alten von dem römischen plaui*trum entwerfen: „Die Räder
«n dem Plaustrum sind nicht gespeicht, sondern es sind tym-
lana, die mit der Achee susammenbängen und mit einer eisernen
rhiene umlegt sind. Die Achse wird mit den Rädern um-
Ireht; denn die Räder werden an den Spiiuleln oder her-
'agenden änssersten Teilen des Rades befestigt" (Probns
j,. i'erg. Georg, l.). (lanv. ähnlieh muss auch der von Rin-
dern gezogene germanische Wagen gewesen sein, der auf der
Siegessäule des Marc Aurcl abgebildet ist. In Bosnien werden
noch heute Wagen ganz ohne Verwendung von Eisen her-
gestellt (vgl. darUher Meringer .Silznngsb. d. Wiener Ak. Bd. 144.
VI, 63 f.;.
Die aralte Bekanntschaft der Indogeruutnen mit der Kunst
des WagenbauB kann aber als eine cbarakteristiscbe tLigentUm-
ticbkeil dieser Völkersippe betrachtet werden, durch die sich
dieselbe ebenso von den umwohnenden .Stämmen finnischer wie
lUirko-tatariseber Herkunft unterscheidet. Alles, was sich in den
niscben .Sprachen auf die Kunst des Wagenbaus bezieht, ist
vischer oder gcrmaniscber Herkunft (Ahtqvist KultnrwOrter
^p. 125). Ebenso ist nach Vämbery (Primitive Knltur p. 128i
den Türken der Wagen x,u allen Zeiten eine fremde Erfindung
gewesen. DafUr ist den Bewohnern der asiatischen .Steppen seit
Uralter» das Kamel dienstbar gewesen, das Zelt und Weib und
Kind auf seinem geduldigen RUcken trägt. Die Indogermaneii
aber, denen, wie wir oben p. 161, 168 sahen, die Bekanntschaft mit
diesem wertvollen Trangportlier abging, das gleichsam Zugtier
and Wagen vereinigt, waren frUbzeiti-f auf die Erfindung des
- 300 ~
letzteren, einer Hauptbedingung ihres Daseins im Znstand der
Ruhe wie der Wanderung, angewiesen^).
Im schroffsten Gegensatz zu dem sprachliehen Reichtum,,
den wir soeben in der urzeitlichen Terminologie des Wagen-
baus gefunden haben, steht die ausserordentliche Armut der
urverwandten Gleichungen, die sich auf das Gebiet der Schiff-
fahrt beziehen, denn es sind nur zwei Begriffe, die auf diesem
Gebiet zwischen Europa und Asien gleichmässig benannt sind:
das Rudern (scrt. aritras, artiram, griech. ighrjg, Iqfxfmf
TQit]Qi]g, lit. ir-tif ir-klas, ir. räm, lat. rimu^f tririmis, ratusj
ahd. ruodar etc.) und das Fahrzeug, welches gerudert wurde
(scrt. näüy altp. nävi, aw. äpö nävayüo ^schiffbare Flüsse^, griech.
vavg^ lat. naviSf altir. nöi^ armen, nav, nihd. nuue^ altn. naust
„Schiffsstation"). Ich habe oben p. 182 f. nachzuweisen rer-
sucht, dass diese letztgenannte Sippe in der Urzeit nichts als
einen ausgehöhlten Baumstamm, einen sogenannten Einbanm,
bezeichnet hat, wie solche in verschiedenen prähistorischen
Epochen unseres Erdteils zutage getreten sind (vgl. näheres bei
Georg H. Boehmer Prehistoric naval architecture of the north
of Europe, Washington 1893). Innerhalb der europäischen
Sprachen scheint eine übereinstimmende Bezeichnung des Mastes
in ahd. mastf altn. masfr = lat. malus (^mazdo-s) vorzuliegen;
doch macht es sowohl die Entwicklung des Wortes innerhalb
der germanischen Sprachen (altn. mastr erst aus dem Angel-
sächsischen) wie auch das neben lat. malus liegende irische
maide (*mazdO'S) y^ligtium, haculus^, altir. mntan „Keule" wahr-
scheinlich, dass für die Sippe von einer Grundbedeutung „Stange'^
auszugehen ist, zumal der Gebrauch von Mast und Segel sieh
bei den germanischen Völkern mit Sicherheit erst bei den
Wikinger Schiffen nachweisen lässt (vgl. mein Reallexikon u»
Segel und Mast). Im übrigen gehen aber auch in Europa die
Namen für Begriffe wie Segel, Rahe, Anker, Steuer, Kiel etc.
1) In Kürze sei hier noch auf die interessanten Mitteiliuijfeo
Meringers (Das deutsche Haus p. 71) über ein fahrbares Schlitten-
kufenhaus hingewiesen, das sich noch heute in der Herzegowina findet»
und das dazu dient, das Wohnhaus im Sommer an die Felder heran-
zufahren. Meringer bringt hiermit die slavische Sippe v€ia ,Hütte»
Zelt, Vorhaus" in Verbindung, die schwer von voeü „Wagen* (8. o.)
getrennt werden kann. Vgl. auch Meringer I. F. XIX, 401.
"weit anseinander. Ebenso fehlen mit weuigeu AuMiiahmcii iiid»
germanische Gleichungen für besondere Arten von Fahrzeugen,
für den Fischfang (vgl. P, 162 f. und oben p. 248), für die
Windrichtangen (abgesehen von iat, C'aurus = lit. sziaurps, altel.
xirverü „Nordwind"), für bedeutendere Seetiere'), für das Wetter
auf der See, für charakteristische Merkmale der Meerealand-
schaft usw.
Dazu kommt nun, dass sich an der Hand sprachlieLer Zeug-
nisse, die ich Handelsgeschichte und Warenkunde I, 43 ff. (vgl.
auch Vf. Die Deutachen und das Meer, Wissenseb. Beili. d. Allg.
deutschen Sprachvereins XI. Heft und mein Reallexikou s. t.
Schiffahrt) eingehend erörtert habe, nachweisen Jäüst, dass bei
den Indogermanen Europas eine hfihere Entwicklung der See-
fahrtskunst erst in früh historischer Zeit, und xwav von zwei
Punkten unseres Erdteils aus, deren geographische Beschaffenheit
gleichsam von selbst ein EuiporblUhen der Schiffahrt bedingte,
stattgefunden hat: es sind dies einmal die von Griechen besetzte
OstkQste der lialkanhatbinsel und die Inselwelt des ägäischen
Meeres, das andere Mal die Gestade, welche die westliehe Oat-
seekUste nmsohliessen, die alte Heimat germauiacber St&mme.
Wie in der Terminologie der Nautik die Griechen die Lehr-
Mjeister des südlichen Europas gewesen sind, so gehen im Norden
auf diesem Gebiet die mächtigsten Anregungen von der germani-
schen Welt einerseits auf die romanischen, andererseits - auf die
finnischen, litauischen und slavischen Stämme ans, die in anderer
Richtung wiederum den Einfluas der griechisch -byzantiDiachen
Nautik zeigen und so gewissermassen den Kreis scbliessen.
Nimmt man dies alles zusammen, so kann man nur zu dem
■Scliluss gelangen, dass die Schiffahrt im Leben der urzeitlicheu
Indogermanen noch keine bedeutsame Rolle gespielt hat. Wenn
wir die Ursitze der Indogermanen in das stldliche Russland,
nordwärts der Gestade des Sehwarzen Meeres (vgl. oben p. 171)
verlegen, erklärt sich dieser Zug ihres Lebens aufa be«te;
denn gerade diese Küsten haben, vielfach durch tide- Flächen
1) Wenn lit. K^ua/us „ein grösserer Meerfiech, vielleicht der
MeersaufiBCh" liem a!tn. hvalr, agls. hn-ml, ahd. ual, n-elira „Walfiach",
uibd. welg^^ a,ltpr. kaiig ^Wels'' t^utspricht. was niuht sicher Ist, so
würde doch die Bedeutuii^süberein stimm uu^ des GermaniscItoD und
Altpreufisischen lehren, Aans von der Bedt-utuiig' .Wels'' ausnugehen ist.
— 302 -
und Salzsteppen von ihrem fruchtbaren Hinterland getrenDt, in-
folge des Mangels natürlicher Häfen und bei der hänfigen Ver-
sandung ihrer Flussmttndungen niemals im Altertum eine erheb-
lichere Schiffahrt hervorgebracht. Auf keinen Fall haben wir
ein Recht; uns die Indogermanen mit H. Hirt^) (Schiffahrt
und Wanderungen zur See in der Urzeit Europas, Beilage z.
Allg. Z. 1898 Nr. 51) und M. Much (vgl. I», 118) nach Art
kühner Wikinger vorzustellen, die von ihrer angeblichen Heimat
an der Ost- oder Nordsee indogermanische Sprache und Kultur
zu Schiff bis an die Ufer des Indus getragen hätten. Dies
schliesst natürlich nicht aus, dass einzelne Zweige des idg. Dr-
Volks schon in früher Zeit auf ihren Einbäumen auch über an-
bedeutende Meeresstrassen zu setzen wagten, wie dies z. B. die
Thraker bei ihrem Übergang nach Kleinasien oder die Kdtea
bei ihrem Übergang nach Britannien getan haben müssen.
1) Warum H. Hirt in dem genannten Aufsatz (=: Die Indo-
germanen I, 398) sieb so für die seemännische Tüchtigkeit der bdo-
germanen ereifert, ist mir um so unverständlicher, als bei seiner
neuesten Lokalisierung der indogermanischen Urheimat; in der Um-
gegend von Berlin oder Posen (vgl. unten Kap. XVI), abgesehen von
den Germanen, denen auch wir immer sehr frühe Vertrautheit mit dem
Meere zugeschrieben haben, alle übrigen Indogermanen ihre unend-
lichen Marschrouten zu ihren eigentlichen Stammsitzen durch du
Binnenland Europas und Asiens zurücklegen mussten. Wenn dtna
weiter der genannte Verfasser aus Gleichungen wie scrt. ürmi = tgls*
ivielm »Woge* oder griech. Tjnsigog „Festland" = nhd. Ufer oder Ut
vadum „seichte Stelle** = ndd. watt den Charakter einer idg. See-
landschaft erschliesst (H, 701), so überzeugt ersieh vielleicht davon,
dass auch die Pleisse Wellen und Ufer und seichte Stellen btt.
Ebensowenig ist es dem Vf. (II, 667) gelungen, irgendwie gesicherte
Gleichungen, die das Prädikat „indogermanisch" nach der von ihm
selbst (vgl. oben p. 126 Anm. 1) gegebenen Begrenzung dieses Worte»
verdienten, für Fischereigeräte und Fischarten zusammenzubringen.
Zweifelhaft mag scrt. jhashd „Fisch** ^ schwed. gärs „Kaulbarsch* sein:
indessen gehört letzteres, wie mhd. bar 8 „Barsch" : Borste^ Bürgte, doch
wohl zu scrt. Jiärshati „wird starr**. Über griech. nigieti, ahd. forhaiM
vgl. mein Reallexikon u. Forelle. Was schliesslich die Fischnahmng
(vgl. I» 162, und oben p. 248) anbetrifft, so folgert der Vf. Die Indo-
germanen II, 517 (= Reallexikon p. 602) aus den altidg. Opferbrftncben
ja jetzt selbst, dass sie „nicht oder doch nicht regelmässig^
zu den Genüssen der Indogermanen gehört habe.
XII. Kapitel.
Die Familie.
Hypothesen über die Entwicklung der menschlichen Familie. Unsere
Aufgabe. I. Die idg. Verwand tschaffsuamen: 1. Vater, Mutter,
Sohn, Tochter, Bruder, Schwester. 2. Geschwister des Vaters und der
Mutter, Neffe, Vettern, Orosseltem, Enkel. 3. Die Verschwägerung.
EUrklärung der gefundenen Verhältnisse. IL Die idg. Eheschliessung:
Kauf- und Raubehe. III. Mann und Weib: a) ,er selbst", b) Die
Lage der Frauen : Polygamie, Zeugungshelfer, Ehebruch bei Mann und
Weib, Kinder- besonders Mädchenaussetzung, Witwenverbrennung,
Anschläge der Ehefrauen gegen das Leben des Mannes. Zusammen-
fassung Lichtblicke: Die Frau als Prophetin, Ärztin und im Krieg.
IV. Herdgemeinschaften: Die idg. Grossfamilie mit besonderer
Berücksichtigung der russischen Familienbildung und der serbischen
Zadruga. Die Schwiegermutter. Snochaöestvo, Separatio a mensa, —
Voridg. Mutterrechtsfamilie in Europa. Der Schwestersohn.
Schon an der Schwelle europäischer Überlieferung, bei
Homer, tritt uns eine Auffassung der Ehe entgegen, wie sie
iDDiger und reiner auch auf modernen Kultnrstafen nicht gedacht
werden kann:
f
"ExTOQ, sagt Andromache II. VI, 429, dzd^ ov /uoi iooi
naxriQ xal Tt&tvia jn^trjQf f]dk xaaiyvi]Tog, av di juoi ^aXegog
TiaQaxohrjg und Odyssee VI, 182 fügt hinzu:
ov juiv ydg rov ye xQeXaaov xal ägeiov f) o&' 6/xoq)QO'
viovre voi^fiaai olxov ix^l'^ov AvrjQ fjdi yvvtj
^Denn nichts ist besser und wünschenswerter auf Erden,
Ais wenn Mann und Weib, in herzlicher Liebe vereinigt,
Ruhig ihr Haus verwalten."
Dnd dennoch muss, wie jede menschliche Einrichtung, auch
dieses Verhältnis des Mannes zum Weibe von niederen, noch
im Leben der Tiere halbversteckten Anfängen seinen Ausgang
genommen haben. Es fragt sich, ob wir noch imstande sind,
die hier waltenden Entwicklungsreihen mit einiger Deutlichkeit
zu bestimmen.
- 304 -^
Die gewöhnliche Auffassung dieses Entwicklungsganges geht
auch für die Geschichte der menschlichen Familie von der Pro-
miscuität der Geschlechtsverhältnisse, d. h. von einem Zustand
auS; in welchem innerhalb einer gewissen Gemeinschaft jedem
mit jeder der Geschlechtsverkehr freistand. Bei der hieraus sich
ergebenden Unsicherheit der Vaterschaft eines Kindes sei es
natürlich gewesen, die Verwandtschaft desselben nicht nach dem
Vater, sondern nach der Mutter zu bestimmen, und so wurzele
hier derjenige Zustand der Familie, den man als den des
Mutterrechts oder der Weiberlinie bezeichnet. Auf der anderen
Seite stelle die Polyandrie, d. h. die eheliche Gemeinschaft eines
gewöhnlich durch Verwandtschaft verbundenen Kreises von Männern
mit einem Weibe, die noch in dem sogenannten Levirat auch
hei höherstehenden Völkern ihre Spuren hinterlassen habe, einen
Übergang zu monogamischer Ehe und zu der Vaterlinie dar.
Das nunmehr allmählich erkannte Verwandtschaftsverhältnis des
Kindes zum Vater habe zunächst das zur Mutter vollständig ver-
drängt, und erst ganz zuletzt seien die gleichen verwandtschaft-
lichen Beziehungen des Kindes zu beiden Eltern anerkannt worden^).
Gegen diese oder ähnliche Auffassungen der Dinge sind
namentlich von C. N. Starcke Die primitive Familie in ihrer
Entstehung und Entwicklung (Leipzig 1888) vielfach nicht un-
begründete Bedenken erhoben worden. Starcke sucht die ver-
schiedenen Formen der menschlichen Ehe überhaupt' weniger
aus geschlechtlichen (die nach seiner Meinung nie zur Ehe
geführt hätten), als aus ökonomischen Bedürfnissen des primi-
tiven Menschen zu verstehen. Derselbe habe eine Sklavin, eine
Wirtschafterin gebraucht, die ihm das Erworbene zusammenhalte.
Hierzu sei dann aus praktischen und religiösen Gründen der
Wunsch hinzugekommen, Kinder zu erhalten. Dass dieselben
auch von ihm gezeugt seien, darauf habe der Mann von Haos
aus kein Gewicht gelegt, da alles, was das ihm gehörende Weib
hervorgebracht habe, ihm zu eigen gewesen sei. Erst ganz all-
mählich sei die Ehe zunächst für das Weib, dann auch für den
1) Vgl. unter anderen L üb bock Die Entstehung der Civilisation
1875 p. 59— 167, oder F. v. Hellwald Die menschliche Familie nach
ihrer Entstehung und Entwicklung, Leipzig 1879. Der energischste
Vertreter der Mutterrechtstheorie ist J. J. Bachof en Das Mutterrecht,
Stuttgart 1861 und Antiquarische Briefe, Strassburg 1880 — 86.
l^Mann za§:leich aiicli der Mittelpunkt des geBclilechtlichen Lebens
£;eworden. Dae Miitterrecht oder die Weiberlioie sielit Stareke
▼ielfaub ab eine spätere Bildung an, die Jedenfalls niclits mit
tKeflexionen über die angebliche üneicberbeit der Vaterechaft xu
tnii babe.
Es ist glUcklicherweiee nicht nnsere Aufgabe, eine beBtimniie
Stellnng ?.u den hier gestreiften weittragenden Problemen') eiu-
xutiebmen. üneer Ziel ist ein viel bescheideneren und beschränk-
! teres: es gilt für uns ein Bild der Ebe and Paniilienorcanisation
Id der Crzeit der idg. Vrdker zu entwerfen, und nur deswegen
■war es nfltig, der Streitfragen, wek-hc sieb an den Ursprung
,dcr menseblichen Ehe überhaupt knüpfen, auch hier mit einigen
^Worten /.u gedenken, weil, wie wir noch sehen werden, dieselben
-■ach in das von an» /.ti bcbandelndi- Gebiet an einigen Stellen
liineinrageu, das wir im übrigen von allen Spekulationen über
die Urzustände der Menschheit loszulfieen und anf den Boden
reiD historischer Korsebung itu stellen bemithl sein werden.
Wenn somit der Umfang unserer Aufgabe ein geringerer
ist, so ist doch der Inhalt derselben ein so ungemein reicher,
dass wir von vornherein darauf verzichten müssen, ihn in dem
Rahmen diese)? Buches auch nur annähernd /.u erschöpfen. Wir
werden uns daher darauf beschränken, auf einige für die Be-
urteilung der idg. P^auiilie und ihre Weiterentwicklung besonders
wichtige Pnnkte hier näher einzugchen, und beginnen mit einer
Beiraclitung der idg. Verwandi8chaftsuamen*j, in der Hoff-
nung, dasB wir bereits durch diese etwas näheres iiber die Orga-
nisation der idg. Familie erfahren werden.
I. Dia idg. Verwandtschafteuamen
Wir eröffnen die Erürlerung der idg. Verwandtschaf Isnamen
mit einer Gruppe von Personen, deren Benennungen sich in Form
1) Am hesleu orientiert über dieselben jelzl WeBlermart-k Ge-
schichte der iiienschlicheD Ehe (Hialory of human marriaye), 2. Aufl.
Berlin 1902. Ein gutes Buch ist such E. GrOBse Die Formen der
Familie und die Fornifn der Wirtschaft, Freiburg I89ß.
2) Vgl. besonders B. Delbrück Die indogermaniHChpn Ver-
wand tBcliaftanamen. Ein Beitrag zur vert^leichenden Altertumskunde.
Des XI. Bandes der Abliandluii^en der philologisch-histnrischen Klasse
der Königl. Sachs. Geaellschatt der Wissen anhaften Nr. V, Leipzig 1889.
— 306 -
und BedentoDg besonders zäh erwiesen haben, nämlich mit den
Namen
1. des Vaters, der Mutter, des Sohnes, der Tochter,
des Bruders, der Schwester.
Vater: scrt. pitdr, aw. pitar^ armen, haitj griech. jwr^ß,
lat. pater, ir, athirj got. fadar.
Mutter: sci-t. mätävy aw. mätary armen, matr, grieeh.
jutjrtiQy lat. mäteTy ir. mdthir, ahd. muotar, altsl. moHy altpr.
mothey müti — lit. motS „Weib" {mötyna „Mutter"), alb. moin
„Seh wester **.
Neben diesen organischen Bildungen ziehen sich durch die
idg. Sprachen noch Vater- und Mutternamen mehr onomato-
poetischen Charakters. So für
Vater: scrt. tätd, griecb. r^rra, lat. tatüy ahd. toto etc.
(Grimm W. B. II, 1312), lit. titis (neben tewas)^ alb. fo^e,
grieeh. äna neben najuta, lat. atta, got. attay altsl. o^icf,
alb. at^)\ für
Mutter: scrt. nanä' (grieeh. vdwtjy vewa „Tante", de8
Vaters und der Mutter Schwester), alb. nancf
ahd. ama (lat. am-ita „Tante", des Vaters Schwester),
sp., port. ama, alb. aTTte,
lat. mamma, alb. meine (grieeh. fid^fiiri, meist „Gross*
mutter"), auch altn. mönoy ahd. muoma y^materUra^^
ndd. möme, lit. momä\ ahd. muoia = grieeh. ijum.
Wie man sieht, sind also für den Vater die Laute t (oDdp),
für die Mutter m und n charakteristisch; nur in slavischen
Sprachen kommt auch wYin „Vater" (oscrb.) vor; doch vgl. Del-
brück a. a. 0. p. 73 = 451 Anm. *.
Eine gemeinsame Benennung des Elternpaares ist in den
indog. Sprachen nicht nachweisbar. Dieser Begriff wird in deo
Einzelsprachen ausgedruckt durch Wörter wie grieeh. roxtje^f ywA^
lat. parenteSf lit. gimdytojei „die Erzeuger^, slav. rodiieU id.,
got. herusjöa (vgl. got. hairan), ahd. eltiron „die älteren** und
ähnliches. Einen altertümlicheren Eindruck machen Bildungen wie
1) Hierher g'ehört wahrscheinlich auch ahd. adal etc. ^Geschiecht*
und nodal „Erbsitz", eigentlich „väterliches* (vgl. grieeh. jidtga ,6«-
ßchlecht" : nan^g).
- 307 -
. fadrein n. „Eltern", eine zu ^ol. fti dar gebörende Kollekliv-
bildung im Sinne von „Vatei-schafl", '/.a der als» die Mutter
sHIIechweigend hin/.ngerecliiiet wird. Auch der Dual oder PInra)
1 Wortes für Vater ist in alten Zeiten in der Bedeutung von
Täter und Mutter gehraucbl worden.
Sohn: eert. aünä«, aw. humt, grieidi. i'iV, got. utintis, lit.
Knü«, altsl. si/nü,
Bcrt. puträ, aw. pu&ra;
Tochter: scrl. duhitdr, aw. duydar, armen, duiftr (ustr
Bobn", HabsebmaDn A.St. 47), griech. ^ryärtig, got. daüktar,
i. duktS, allsl. dum.
Bruder: scrt. hkrä'tar, aw. brätar, armen, eXbair (grieeh.
ie''r'l9' ^öei<f)di; Hea.), lat. fräter, ir. brdtJiir, got. bröpar, lit.
roterHia, altpr. brate, altsl. brafrä.
.S*;hweßter: scrt. scdaar, aw. xcatikar, armen. Soir (griech.
90 siehe iinteni, lat. soror, ir. Mtur, got. gvistar, lit. sea&, altsl.
tstra.
Während die LKleiner dasidg. Wort für Sohn und Tochter
pnrlns verloren haben, wofür nie filiuit, ßia nSfiugling" gebrauchen,
ftben dieüriecben die alten Ausdrücke für Hrnder nud Schwester
fe auf gewisse Überreste eiugebtlsst. Den Ersatz bilden AöeXipög
bc. äfteh'pi}!} im Suffix nach di'n übrigen Verwand tschaftsnamen),
'^Xipt^ „der idie) demselben Mutterleib eutaprosHene" (vgl. aneli
ttoyäoTuiQ, AyiiatoQc^' äSfiXqr'oi didvfwi, dyiiazatQ, Bcrt. sftdara ^
R + udard „Bauch", osset. dig. Ünsutcär = an + «uwär „Mutter-
rib"(*) und das dunkle Hnaiyvti^og. auch bloss xdaig.
Über das in seiuer urBprUnglicben Bedeutung fast ganz ver-
blasste i'oijTT/g wird spättr (Kap. Xlll) /.ii handeln sein. Hier
^jioch ein Wort über das schon vorhin genannte fop^c = lal- aordresl
^k Hesych erklärt eog mit d^yiirr/Q Qnd ävet/wq, ^ogeg mit
^Kßoa^xoyifi, avyyeveig. Die Erklärung der drei letztgesannten
^^Bedeutungen scheint mir in dem Vergleich mit dem lat. conso-
hrini {'coti-sosr-ini) zu liegen. Dieses Wort bezeichnete ursprüng-
lich die Kinder eines Gesch Winter-, d. h. ursprünglich Schwestern-
paares (abd. gi-swistar, altndd. giguatruon), dann aber auch die
Kinder zweier Brüder ifratres potrueles, Hororeit patruele») und
11 In den rusgischeii Volksliedern wird nur Beseithnunjir von
tcbwistem sebr oft der Ausdruck edinoatröbny, iidnoulrübriy : ufröba
teib' (fehrniichi
- 308 —
-eines Bruders und einer Schwester {amitini, amitinae). Vgl.
Corp, iur, civ. XXXVIII, X, 1. Ebenso, meine ich nun, be-
deutete eogeg ursprünglich „Schwestern", dann „Schwestern-
kinder", „Geschwisterkinder" {ävetpioi). Bezüglich des Mangeb
einer sprachlichen Ableitung wäre auf hom. xaalyvrj[t(Kt urepr.
j^frater'^j dann auch j^fratris liheri^ {consohrini^ äveipm) zu ver-
weisen. Dieser Verwandtenkreis ist also bei Sogeg unter Ä^f
xovxeg, ovyyevetg gemeint, so dass nur die Angabe Hesych8:lb^*
{>vydxrjQ (statt ädeX(pri) auf einem Irrtum beruhen würde.
Auf die etwaigen Wurzelbedeutungen der bisher besprocheneo
Verwandtschaftswörter gehen wir hier aus schon früher (P, 185 f.)
angegebenen Gründen nicht weiter ein. Das einzig sichere scheiDt
mir zu sein, dass die idg. Benennung des Sohnes aus der Wurzel
sü „zeugen, gebären" (scrt. sü „Erzeuger" und „Erzeugerin")
hervorgegangen ist; doch hat F. Kluge (Z. f. deutsche Wort-
forschung VII, 164) neuerdings versucht, dieselbe vielmehr zn
dem Pronominalstamm sce, sco (s. u.) zu stellen, so dass es so-
viel wie „der Angehörige" bedeuten würde (vgl. »wä-ster, sm-
huVj Hwi-gur, gi-swia, altn. svi-lja),
2. Die Geschwister des Vaters und der Mutter, Neffe,
Vetter, die Grosseltern, die Enkel.
Die in dem vorigen Abschnitt besprochenen Verwandt-
fichaftsnamen waren durch die grosse Konformität ihrer Bildung,
die mit Ausnahme des idg. Sohnesnamens überall die Suffixe
'ter, resp. er aufwies, ausgezeichnet. Auch die Festigkeit ihrer
Bedeutungen wurde nur durch vereinzelte Fälle des Answeichens
derselben durchbrochen.
Anders stehen die Dinge bei dem Kreis von Personen, zu
deren Terminologie wir uns nunmehr wenden. Innerhalb der-
selben ist von einer Einheit der Wortbildung seltener die Rede,
und die Bedeutungen der hier zu nennenden Verwandtschafts-
wörter scheinen in einem fortgesetzten Fluss begriffen. Wir
wollen uns zunächst einen Überblick über die einschlagenden
Verhältnisse zu verschaffen suchen und erst später zusehen, ob
sich vielleicht eine Erklärung derselben finden lässt.
Als die in Form und Bedeutung am meisten übereinstim-
mende Reihe ist hier der Name des Vaterbruders zu nennen:
scrt, pitfrya, Rw. tüirifo, griech. ti'Itqio';, \&l. pntruuti, abd.
fatureo, agle. faedera.
Eine idg. Bezeiehuung des Miitterbruders fehlt. Im
Sanskrit begegnet mätuld {vielleicbt = *mäta-tulya, vgl, täta-
tu/ya „vatei-äbnlich", ^Obeim väterl. Seits"), im Griechischeo
fiifTffuii (Lach jtärQUK, später auch „Grossvater mtltterl. Seits"),
im Arnieniscbeii Heri ( : Hoir „SdiweBter"),
Besonders bäafig wird aber in den europäischen Hpraeben
der Name des MiUterbruders von einem Stamme gebildet, der
iirspvtlnglicb den Grosavater, resp. die Grossniutter bezeichnet
bat. Hierher gehören:
lat. apua „Grossvater" : anunculua; got. av6 „Grossmutter",
altn. de „ ürgrossvater" ; abd, 6heim, agls. e&m, altfr. ^m (dnnkel
in der Wortbildung) — lit. atr^nan, preuss. aicis, altsl. uj, ujkn,
sämtlich „avuTictilug^ — mcyrar. etci-thr, aeorn. eui-ter „Onkel".
Wie man sieht, gebt die Snffixbiidung des lateinischen, germa-
niscben, litauischen nud keltischen Wortes fUr den Mutterbrudcr
gänzlich auseinander.
Eine Parallele findet dieser Bedeutnngsflbergang ron Grogs-
vater ^ Mntterbruder in dem von Grosavater — Vaterbmder,
wie er in folgender Reibe vorliegt:
altsl., russ. dedä „avus", griecb. T)ji>»; „GroBBrniitter" —
ru88. djddja, lit. dMis „Vaters Bruder" (dede. didzias „Vetter",
vgl. abd. fatureo „Oheim", dann „Vetter"), griecb. &etos (ans
*&tl-jQi „Vater- und Mutterbruder".
Vgl. noch lit. strujua „Greis": altsl. stryj, stryjcl „patruug'^
iMiklosicb Et. W., daxuLeskien hei Ueihrüek p.ll9 = 497).
in mancher Beziehung eine Ergänzung zu dem in den
vorigen beiden Gruppen geschilderten Bedeutungswandel bildet
dasjenige Verwandtschaftswort, das von den in dieser ganzen
.\hteiluug zn behandelnden Benennungen die weiteste Verbreitung
innerhalb der idg, tipracben zeigt und in sich die Bedeutungen
„Enkel" und „Neffe" vereinigt, daneben aber aneh eine all-
gemeine Bedentung „Abkömmling" aufweist : das lat. nepos mit
seiner Sippe:
Sanskrit: ndpät, ndpiar „Abkömmling Überhaupt, Sohn, im
bes. Enkel", in der älteren Sprache vorzugaweise in der
allgemeinen, in der späteren nnr in der Bed. „Eskel"
gebraucht (B. R.). — naptf „Tochter", „Enkelin".
— 310 —
Iranisch: aw. napät, naptar, napti „Enkel, Enkelin", nop^ya
„Abkömmling^, „Generation^.
Griechisch: vmodeg (an jiovg angelehnt) „Brut** (? vgl. K. B rüg-
mann I. F. XX, 218), ä'vetpiög „Geschwisterkind" (d-roi-o-
= &'ve7wt-jo „der mit jemand zusammen Abkömmling ist^),
veÖTTtgar {fuüv ^yaregegüt^. „Enkelinnen" (für*v€;ior-ß<«?).
Lateinisch: nepos „Enkel", später auch „Neffe", nepik
„Enkelin".
Germanisch: agls. nefa „Enkel", „Neffe", altn. nefe „Ver-
wandter", ahd. nefo, mhd. neve „Schwestersohn, seltener
Bradei-ssohn, auch Oheim, dann allgemein Verwandter^
(Kluge), altn. nipt „Schwestertochter, Nichte", ahd. niftj
mhd. nifteP).
Litauisch: nepotis „Enkel", neptis „Enkelin".
Altslov.: netiß „Neffe", nestera „Nichte" (vgl. Delbrück
p. 121 = 499).
Altirisch: nia „Schwestersohn", neckt „Nichte".
Ein Blick auf das Angeführte zeigt, dass sich die Be-
deutungen „Neffe", „Vetter" etc. nur innerhalb der europäischen
Sprachen finden, auf die auch der Bedeutungswandel vonGron-
vater — Oheim beschränkt ist. Auch innerhalb der europäischen
Sprachen ist die Bedeutung „Enkel" zweifellos die ältere und
nrsprOnglichere.
Die arischen Sprachen haben fOr den Bruderssohn einen
eigenen Ausdruck ausgebildet:
scrt. bhrä'trvya = aw. hrätuirya.
Hiermit sind meines Erachtens im wesentlichen die Über-
einstimmungen erschöpft, die sich in den Benennungen des hier
in Frage stehenden Kreises von Verwandten finden. Doch bleiben
noch einige Worte tlber die Schwestern von Vater und Matter,
über die Grosseltern und Enkel zu sagen.
Die Namen der Schwestern Tiqog TtajQÖg werden von denen
Tigdg ^tjTQÖg in den Einzelsprachen meist scharf geschieden. So
im lat. amita : matertera^ im germanischen ahd. basüf agls. fapfi^
sltfr. fethe : ahd. muomaj agls. mödrie^ ndd. mödder (vielleieht
= griech. /LitjTQvtdy armen, mauru, die aber beide „Stiefmutter^
1) Got. nipjis „Verwandter" ist nach W. Schulze K. Z. XL
411 ff. von dieser Sippe zu trennen und zu scrt nftya «eingeboren,
ungehörig'' zu stellen.
bedeuten, so dasa, wcdei die Gleiclmng Überhaupt richtig ist, die
Wahrscheinliehkeit für die letztere Bedeutnng als die ureprUng-
licbe spräche), altsl. strina (: stryj) iteta, tetka. Im Griecbi-
Bcben scheint kein deutlicher Unterschied zwischen Wörtern wie
i>Eta, TijfUi, i'ilvvtj gemacht worden zu stin,
Die Namen der Grosseltern weisen, abgesehen von den
oben angeführten Übereinatimmungen von lat. avus = gol. avd,
wozu auch armen, hav „Grossvater, Vorfahr" zu stellen ist, auf keine
nrsprllnglieben Bildunj^en hin. Man nennt den Grossvater, resp.
die Grossmutter entweder schlechtbin die Alten: abd. tmo, ana
= lat. rt«i/s „alte Frau", altel. bcü>a „Grosaniutter", oder man
hilft sich mit Zusammensetzungeu wie scrt. mäiamaha, griech.
iityaÄOfii'iTtiQ, /ttjTQOTiäTmQ, ir. nenmdthir etc. Ein Lallwort ist
griecb. .^(I^JK^^, dunkel aw. nyäka = apers. nyäka, npers. niyä,
vgl, altpers. apa-nyäka „Ahnherr" u. a. Dagegen ist fllr den
Enkel noch auf eine spezielle Übereinstimmung des Deutschen,
Slaviscben und Litauischen hinzuweisen:
abd. enimhili, altsl. vünukü, Ut. anukas,
die meirit als „kleiner Ahn" (abd. nno) gedeutet werden, eine
Erklärung, ffir die neuerdings W.Sehiilze K.Z.XL, 409 unter
Berufung auf die Sitte, häufig den Enkel nach dem Grossvater
/u benennen'), mit Enfseliiedenbeit eingetreten ist. Ist dies
richtig, 60 mUsste abd. eninchüi von den slaviscben Formen
fpoln. wni^k, klruss. onük, woraus lil. anukax), aus denen ich
I. F. XVII, 35 ff. das deutsehe Wort als Entlehnung abgeleitet
hatte, und mit denen sich W. .Schulze leider nicht auseinander-
setzt, getrennt werden, womit es sein Interesse in diesem Zn-
sammenhang verlöre. In jedem Fall bat das erst spät bezeugte
Wort „Enkel" im Deutschen einen älteren Ausdruck für diesen
Hegriff, abd. äiekter ( : scrt. tue „Nacbkommenschaft") verdrängt.
3. Die Verscb wägerung {afßiiitas).
Ich stelle an die tipitze dieses Abschnitts einen Satz, dessen
Richtigkeit ich im folgenden zu erweisen hoffe, und der, wenn
er richtig ist, mir einen höchst wichtigen Schlüssel für das Ver-
I) Nicht be.weiakrtlftig aclieint mir dabei griech. 'Artinatgoi zu
sein; denn es liegt, wenigatens für mein Gefühl, bei dieser Kamen-
grebuQg doch wohl der Wunsch am ^ach^ten: diesi^s Kind inöf^e ein
Abbild oder Ersatz seines Vaters sein!
— 312 —
ständnis der altidg. Familie zu enthalten scheint. Ich bin näm-
lich der Meinung, dass sich durch idg. Gleichungen nur die Ver-
schwägerung der Schwiegertochter mit den Verwandten des
Mannes, nicht aber die des Schwiegersohnes mit den Verwandten
der Frau belegen lässt.
Das junge Paar, durch welches die Verschwägerung zweier
Sippen erfolgt, besteht aus der Schwiegertochter (den Eltern des
Mannes gegenüber) und aus dem Schwiegeraohn (den Eltern der
Frau gegenüber). Wir finden, dass nur der Name der erstereo
ein begründetes Anrecht auf idg. Altertum hat. Die Schwieger-
tochter heisst:
scrt. snushd% osset. noatä (vgl. Hübschmann Osset. Spr.
p. 52), aimen. nu, griech. wog, lat. nurus^ ahd. snura, altsi.
snüchüj alb. nuse (?).
Nur im Keltischen (corn. guhit) und Litauischen {maH\)
scheint das Wort nicht zu belegen. Obgleich es sich nicht be-
weisen lässt, so ist es doch wahrscheinlich, dass die alther-
gebrachte Deutung des idg. *8nu8d als „Söhnin" {^sunu-sä) dw
richtige trifft.
Dem Namen der Schwiegertochter gegenüber gehen die
Bezeichnungen des Schwiegersohns: 9>(tri,jö!mätarj aw. zämätar,
griech. yafxßgogy lat. gener, lit. i^ntas, altsl. z^ti, alb. dendtr
sichtlich auseinander und zeigen eine zweifellose Übereinstinunnng
nur in den durch nähere Verwandtschaft miteinander verbundenen
Sprachen, nämlich in der arischen und litu-slavischen Gruppe.
Allein auch wenn, abgesehen hiervon, einige dieser Wörter unterein-
ander etymologisch zusammenhängen sollten, lässt sich erweisen,
dass sowohl die genannten Wörter wie auch andere ältere Be-
nennungen des Schwiegersohns ursprünglich eine allgemeinere
Bedeutung gehabt und zu gleicher Zeit den Schwiegersohn and
Schwager (so z. B. scrt. jä'mätar und russ. zjatiy) oder den
Schwiegersohn, Schwager und Schwiegervater (so z. B. griech. yaii-
ßgog und Jievdegög, armen, aner, unser „ Eidam **), d. h. mit einem
Wort den Heiratsverwandten ganz im allgemeinen bezeichnet haben.
Man kann also mit grosser Bestimmtheit sagen, dass in der Ursprache
1) Dasselbe gilt vom serb. zef : „Für die ganze Familie, aus der
meine Frau stammt, bin ich der zetj und Gross und Klein sagt von
mir „unser zet^** (Rovinskij Montene^o, Sbornik d. kais. Ak. d. W.
St. Petersburg LXXXIII Nr. 3 p.284).
nur ein Wort fllr die Schwiegertocliler, nicht aber für den
Schwiegersohn vorhanden war (vgl, Vf. Über Bemehoungen der
Heiratsvenvandlschaft hei den idg. Völkern, I. F. XVII, II ff.i.
Von den Kindern wenden wir uns za den Schwiegereltern:
der Schwiegervater: sert. ^rdfura, aw. a-rowMra, arnien.
ukesr-air („Mann der Seh wieger inalter"), grieeb. exvQÖi;, lat. soctr,
got. svaikra, abd. auehur, altsi. avekrü^), lit. szesziüras, alh.
ci4hff, com. hnijeren-^
die Schwiegermutter; scrt. frafcd', armen, akesur, lat.
gocrua, altsl. svekry, grieeh. rttvgii, got, sriiihrn, ahd. suigor,
alb, ci^hrn:, com, kveger.
Die idg. Oraudfonnen (vgl W. Sebulze a. a. 0. p. 400)
lauteten *svdkuro-s (8Crt. i^vä^ra — ahd. nuehur) und *areftrw'-*
iscrt. ^'cn^Tji' = abd. suigar), Ihre Dentnug ist natUrlieh nn-
sicher. Nicht uDwahrsebetnlich scheint mir ihre Zerlegung in
den Prononiinalstamm sre {vgl. oben p. 308) und den Nominal-
stamm kiiro-, den man mit grieeb. xigio': vergleichen kann, so
dass sich, wie Curtins Grdz.* p, 136 will, der Sinn von 'diog
xv(iioq (nämlich der *iiiiuiid) ergäbe*).
Diese Wörter werden nun in mehreren Einzelspracben (z. B.
im Latein und GermaniBchenj tintcrscbiedslog von den Eltern des
Mannes wie von denen der Frau gehraucht; allein es fehlt nicht
au deutlichen Spuren, welche beweisen, dass dieser Zustand kein
altertllmlicher oder wenigstens kein urzeitlicher ist.
In der bomerisrhen Sprache wird fxiwk, fm-in'i lediglich
von den Eltern des Mannes gesagt, während fQr den Vater
der Frau ein besonderes Wort, das schon oben genannte .^«^■öee(!?
Uscrt. hdndhu „Verwandtschaft, GenoBsensebaFt, Verwandter" j
besteht. Der gleiche Znstand herrscht oder herrschte im Litaui-
schen, wo das veraltende uzenziüras nur für den Vater des Manne»,
für den der Frau aber ü'azicis (:Iat. fn-or) gilt oder galt. Aach
im ArmeDiscben ist skexur nur „Mutter des Mannes" (zokatic
1) Das k statt k iti den sUiisclien Wörtern ist aufrallend.
3) Jedes Weib bedarf im grieeh. Hecht einen xvqicv; dieser ivi.
(ür eine unverheiratete Person der Vater oder nSchste Blutsverwandte,
für eine verheiratete der Mann. Jedenfalls scheint mir diese Deutung
von fKvgiit derjenigen Bernekera (1. F. X, 15&) vorzuziehen, nacli
der icuro' = slav. iurl „Bruder der Frau" (•fceuro-) wäre, aus der sich
aber Ifir curg^ ein annehmbarer Sinn nicht er<i^ib[.
Sebrader, Slpmchversleiebunit nnil LlrEB*^!) lohte 11. S. Aufl. 31
i
— 314 —
„Mutter der Frau**). Endlich weisen auch die von F. Krauss
(Sitte und Brauch der Südslaven Wien 188.5 p. 3 ff.) mitgeteilten
Tabellen der sttdslaviscben Verwandtschaftsnamen deutlich darauf
hin, dass die Wörter sveJcrü, svekry ausschliesslich zur Bezeich-
nung der Manneseltern verwendet wurden (vgl. p. 8 : 12,13), nnd
dasselbe ist in den tlbrigen slavischen Sprachen (z. B. bei mss.
sväkrüy »vekrövi) der Fall. Für die Eltern der Frau besteheo
besondere Namen, z. B. russ. testl^ täaöa^ die bis ins Altprens
sische {tutics „Schwäher**) reichen.
In dieser Übereinstimmung von vier grossen Sprachzweigen
muss aber der ursprüngliche Zustand sich abspiegeln; deno
wollte man etwa annehmen, dass ixvgög von Haus aus den Vater
des Mannes wie der Frau bezeichnet habe, und erst später ein-
zelne Sprachen den Luxus einer gesonderten Benennung sich
gestattet hätten, so würde man es als einen ganz unerklärlichen
Zufall bezeichnen müssen, dass vier ganz verschiedene Sprach-
gebiete (Griechisch, Litauisch, Armenisch, Slavisch) darauf ver-
fielen, ixvQog gerade in dem beschränkten Sinne von ^Vater des
Mannes^ zu gebrauchen. Dazu kommt ferner, dass auch die
noch ausstehenden idg. Gleichungen für Grade der Verscbwäge-
rung sich lediglich auf das Verhältnis der Frau zu den Mannen
verwandten beziehen. Es sind:
der Bruder des Mannes: scrt. devdVj armen, toij/r,
griech. öariQy lat. Uvirj lit. deweris, altsl. deverüy agls. täc&r,
ahd. zeihhur M;
die Schwester des Mannes: griech. ydXcog, yaA&üc, Ut.
geöSy altsl. zlüva; vgl. phrygisch: ydUagog- ^Qvyixdv Svo/m (8C.
ovyyenxov), yeXagog' ädeXq)ov yvr'rj Hes. Im Sanskrit ist das Wort
nicht zu belegen; hier heisst die Schwester des Mannes ndnändar^
nanandar ;
1) Dieses nur in Glossen bezeugte Wort wird alimählich dnrck
unser „Schwager** verdrängt, das W. Schulze R. Z. XL, 406 in der
Form suagur bereits aus dem Anfang des IX. Jahrhunderts nachweisti
und das er aus *8vikuro-8 «zum Schwiegervater gehörend^ deutet. Die
Ausführungen dieses Gelehrten haben mich in der Richtigkeit meiner
Vermutung irre g-emacht, dass unser „Schwager* eine Entlehnung ftv
siav. svojakü, sväk „der Heirats verwandte** sein könnte (I. F. XVn.
11 ff.)t obwohl die mannigfaltige Bedeutungsentwicklung unser»
^Schwager**, namentlich auch im Sinne von „Schwiegersolm* besser n
dieser, als zn der ErklJtrun^ W. Schulzes (vgl. a.a.O. p.407) pwrt.
Frauen von Brildern dcsGatleii: scrt. yätaras {yälar
,die Fran des divdr"), griecli, eIvüteqes, X^A. jamtrieen, a\.l», j^tvy
Tfratvia^ ', die Frau des Bruders des Gatten: serb.-kroat, jefrun,
^.jetorta, die Frauen der Brüder sind einander j/c^rre (Krause
,0. p. 9), lit. intt „Frau des Bruders", iett. jentei-e.
Auch liier fehlt es an irgendwie aicliereu Glejcliungen für
9ea Brnder der Frau (scrt. sydfd, Ht. laigönag, altsl. mrJ) oder
die ScLwester der Frau (armen. Reni, altsl. «)mH, lit. steäin^)
gäni^licli.
Somit halte icL den am Eingang dieses Abschnitts auf-
gestellten SatK für erwiesen '), und wir kömien uus zu den
Schltlsseu wenden, die wir aus den im bisherigen besprochenen
Tatsachen zu ziehen berechtigt sind.
Wir haben nach ihnen von einem Zustand der altidg.
FamilienorganisaiioD auszugeben, in dem der Begriff der Ver-
Bctiwägeruug ledigHcfa binsicbllicb der Verwandten des Mannes
gegeuflher der Frau ausgebildet war; denn mit der Ehe trat ein
Weib ans dem Kreia ihrer Anverwandten in den des Mannes
Ober, was sie aber mit diesem vereinigte, zerriss zugleich ihre-
bisherigen Familienbande, knüpfte nicht neue zwischen ihrer und
des Mannes Sippe an. Das Weib verschwand, sozusagen, in
dem Hause des Ehegatten.
1) Gegen dii- Richtigkeit desselben könnie inRu niuinfie Wissens
nur aut die Gleitliung giiecii. äüioi- ol udcltpäi yoi/ahtas ioxtitStn;, aTlioi'
ei-j'raiißooi (Hesychl, tiXlovti' ei ädrlipäi y^/tavtii, ö/idya/ißgoi (PoHok)
= altii. roilar „the huabandx of two sislera' fVigfuHson, Kluge K. Z,
XXVI, 86) hinweisen , iuBofern dnrdi sie eine verwandtscliaftliche,
durch ihre Frauen vermit leite Beziehung von Männern nus-
^edrfickt würde. Aber einen sokhen VerwaiidtBcbHftägrad kann man
sich aueli sehr wohl innerhalb des Rfthuiens einer und derselben
Familie cnl.stAnden denken, namentlich wenn man von jfi'o^en idg,
Herdgenieinflchnlten ausK'eht (worübt^r untenl). Die äütot könnten ur-
sprünglich Brüder oder Vetlern gewesen sein, welche Schwestern
KU Frauen hatten. In rormeller BäKiehung wird sich iititiw : tUiort« ver-
halten, wie ahd. ge-gU'io : jrtdo (Qeschwel". M. Müller vergleicht mitniiliiii
iiocb scrl. ayäld (suirL pj/d/rf), was Delbrück p. 161 (539) mit Recht
«nrUckwetsl. — Einen anderen, theoretisch möglichen Einwand, dass
lieben allen oben genannten Gleichungen für die Mannesverwandten
iD der llraprache noch ebensolche für die Weibesver wandten vorhanden
pesen sein konnten, die KuDLIlig verloren gegnngen seien.
■ uns den 1", IG'3 erörierlen GeBichiepunkieii für nicht er-
- 316 -
Am deatlicbsten ist die Erinnerung an einen solchen Zustand
in den rnssischen Volksliedern erhalten. Hier ist iu£dja staronäy
wörtlich ^die Fremde", im Gegensatz zu rodü, roänjä, rodü-
pUmjay dem eigenen Geschlecht, der stehende Ausdruck fflr die
Familie, in die das Mädchen bei der Hochzeit eintritt, wie nm-
gekehrt der Bräutigam in den Hochzeitsliedem als 6ttienknÄ
„Fremdling", „fremder Fremdling aus der Fremde" bezeichnet
wird. Auch die vielerörterte, mit snochd „Schnur" fast gleich-
bedeutende Benennung der Braut und jungen Frau, nevista, die
schwerlich etwas anderes als „die Unbekannte" bedeuten kann
(so zuletzt Zubaty Archiv für slav. Phil. XVI und Rhamm
Globus LXXXII, 271 ff.; vgl. auch Archiv XXVIII, 456), findet
in diesem Anschauungskreis ihre verhältnismässig beste Erklärung,
insofern das Wort, wenn man es in dem Sinn von „die Unbekannte'*,
d. h. .,,die Fremde", nimmt, den uaturgemässen Gegensatz zu deio
iuäeninü bildet: was der letztere für die Familie der Frau, ist
die nevesta für die Familie des Mannes.
Setzt man derartige Ausdracksweisen, die in dem Volkslied
schon mehr formelhaft und ihres eigentlichen Inhalts beraubt
sind, als sich mit der wirklichen Auffassung der Menschen noch
deckend an, so wird man damit dem ältesten idg. Zustand nahe
kommen, von dem aus allmählich sich eine Annäherung der
beiden durch eine Heirat in Beziehung getretenen Familien oder
Geschlechter vollzog. Damals wird zuerst der Freier die An-
gehörigen seiner Braut in ihrer Gesamtheit als die „Angeheirateten*^,
„Verbundenen" „durch Eid verpflichteten", „Angehörigen" be-
zeichnet, und diese werden umgekehrt mit denselben oder ähn-
lichen Ausdrücken den Mann der Tochter und dessen Leute
benannt haben. Teil weis schon genannte Wörter wie griedi.
yafzßfjog ( : ydfzog „Heirat") „Schwiegervater, Schwiegersohn,
Schwager, Heiratsverwandter tlberhaupt", griech. juv&eQog: scrt.
bändhu („Verbundener") ebenfalls „Schwiegervater, Schwieger-
sohn, Schwager, Heiratsverwandter überhaupt", westgerm.„Eidam^
agls. ädum: got. aips („Eid") „Schwiegervater, Schwiegersohn,
Schwager", ahd. MtoiOy geswto aus *sveio {suus, vgl. lat nmt
aus *meio-it) „Schwager, Schwiegervater, Schwestermann, Heirat»-
verwandter überhaupt", altsl. statu und svojakü (Bildungen von
.wo „«uu«") mit ungefähr derselben Bedeutungsentfaltung u. a.
(vgl. I. F. XVII, 11) legen hiervon Zeugnis ab. Somit worden
; Verbältiiißse scbou in vorliislorischer Zeit sich entwiukelt
haben. Erst den Einzeisprachen wm- die Anebitdung einer
schärferen Terminologie der VerBcbwüf-eruugsgrade, abgeselieu
Eier von den älteren Beziehungen der Schwiegertochter zu
Ängebörigeii des Maunes, vorbehalten.
Im engsten Zusanimenbang aber mit den bisherigen Ana-
rnngen steht es, wenn, ebensowenig wie durch die Braut
und junge Fran Verwandtschaft liebe Beziebnngen zu den An-
gehörigen derselben angeknüpft wnrdeu, eine ebenso geringe
Beachtung auch die durch das zur Mutter gewordene Weib ver-
mittelte HIntg verwandtscbaft zwischen ihren Verwandten und
ibren und ihres Mannes Kindern, wenigstens xnnächst, bei den
Indogermanen fand. Es ist somit nach meiner Auffassung kein
Zufall, dass wohl des Vatere, nicht aber der Mntter Bruder über-
einstimmend in den idg. Sprachen benannt ist, und Überhaupt
lediglich kognatische Verwandtaehaftsgrade sieh durch arzeitliche
(ileicbungen nicht belegen lassen (vgl. P, 225 f.).
Am frühesten werden sich, aber wiederum erst auf dem
Boden der Einzelsprachen, deutliche Benennungen fUr den Mutter-
brnder herausgebildet haben, der bei der allmählicb aufkom-
menden Beachtung der durch die Mutter vermittelten Verwandt-
schaft natürlich die wichtigste Rolle gespielt hat. Warum man,
wie wir oben (p. 309) gesehen haben, bei seiner Benennung in
mehrfach von der idg. Bezeichnung des Grossvaters
0-8 ausging, ist noch nicht völlig aufgekl&rt'). Sicher aber
1) Delbrück a, a, 0. p. 104 (4H2) nimmt an. datM *aoo-s von
I den Vater der Mutter bezeichnet Imlie. Sein Sinn sei (vgl.
^t. Avati „er tut wohl, fördert"') „Schützer'' oder , Gönner" gev/unan
und habe zuerst allein, spAter mit seinen Ableitungen auch den Bruder
rter Mutter bezeichnet, der eine tthnllcUe Affekt! onsKtellung wie der
■GtOBsvaler dem Kinde gegenüber dngenoinmen habe. Doch darf
Pa übersehen werden, daap für *avo-g weder die spezielle Bedeutung
ttr der Hutter' noch ^Muiterbruder" erwieeen werden kann, und
t die Deutung „Gönner" oder ,Schütser" doch zu sehr «n die I*
!8S erörterten .idylliflchen' Deutungen der Verwandtschattsnameu
iTlnnert, um für sebr wahrscheinlich zu gelten. — K. Brngmann
I F. XV, 93 möchte xu lat. auixn auch das griech. o.'a .Erde" aus 'avia
, doch Ist zu bemerken, dase wohl die Verbindung .Mutter Erde*
i Kap. XVI Religion), nicht aber „GroHaniutler Erde', darcfa die
lu seiner Bedeutung „Erde* gekommen sei, zu belegen ist.
~ 318 —
ist, dass diese Bedeutnngsverschiebung innerhalb der AbleitUDgen
des Stammes *avO' von „ Gross vater'* zu „Mutterbnider'* die
weitere Bedeatungsverscliiebung innerhalb des idg. *nepdt' von
j,Enkel" zu „Neffe ** (zunächst „Schwestersohn **) zur Folge hatte (so
auch Delbrück p. 127 = 505). Eine wichtigere sachliche Rolle
hat der Mntterbrnder, der in der Mntterrechtsfamilie dem Rinde
gegentlber die bedeutsamste Peraönlichkeit ist, bei den idg. Völ-
kern nicht gespielt. Eine Ausnahme machen die Germanen nnd
Kelten, bei denen früh eine gewisse Ehrenstellung des Mutter*
bruders gut bezeugt ist. Was die Inder anbetrifft, so haben die
Untersuchungen Delbrücks ergeben, dass hier erst allmählich
der mätuld „Mutterbruder" in die Stellung des pitfvya „Vater-
bruder" eingedrungen ist. Schlüsse von hieraus zugunsten des
Mutterbruders auf die idg. Urzeit können also nicht gezogen
werden. Noch einmal werden wir am Ende dieses Kapitels anf
diese Verhältnisse zurückkommen.
II. Die idg. Eheschliessung.
Die idg. Ehe beruht auf dem Kaufe des Weibes*) (vgL
P, 216). Dieser Zustand liegt bei den meisten idg. Völkern noch
klar und deutlich vor und wirkt bei einigen bis an die Schwelle
der Gegenwart fort.
Von dem alten Griechenland sagt Aristoteles Polit. II, 5, U
(II, 8 p. 1268b, 39) ausdrücklich: xovg yäq ägxaiovg vofiovg Ikr
äjikovg elvai xal ßagßagixovg' ioidriQoq^OQOvvzo re ydg ol *EÜi;yf?
xai rag yvvalxag ioyvouvro. Eine Jungfrau wird im home-
rischen Zeitalter ä/.(fJ€oißoia genannt „ein Mädchen, das seinen
Eltern einen guten Preis einträgt", und mit Recht; denn zuweilen
werden namhafte {djicigeoia) ¥dva dem Vater des Mädchens dar-
gebracht. Vgl. z. B. II. XI, 244 f:
:iQ(bd^ ixazov ßovg dtoxn', e:ieixa de x^Xi vniavtj,
atyag ojuov xal S'ig, rd oi aanexa noiftaivovro.
Ebenso treffen wir die Ehe durch Kauf mit Sicherheit bei
den Thrakern wieder (Herod. V, Kap. 6), bei denen noch
Fürst Seuthes dem Xenophon {Anab, VII, 2) sagen konnte: 2oi
dSf <h Eevo(f(b%*^ xai ßt}yaT€Qa dcooo) xal fing od for« dvyäaig*
1) V^l. K. Hermann Zur Geschichte des Brautkaufs bei de»
idg. Völkern. Progr. Bergedorf bei Hamburg 1904 (Progr.-Nr. 832).
ivi'/ao/iai Hgtfxioi vii/iio, iiiid dasselbe ist bei den allen Litauern
[er Fall, wie wir ans Michalonin Lituatti De moribue Tartarorum,
Uuanorum et Moschorum fragmina ed. Grasser Basileae 161Ö
fahren, wn es p. 28 beieet: qitemadmodum et in nnsfra olim
»olpehatuT porentibus pro sponsia pretlum, quod krieno
Kailfprei«-': scrt. kri-nä'-mi, lett, kreens, kreena iiiiuda „ein
schenk au die Biant") a Samagitia nocatur (oben p. 291).
eniger wird der Braiitkaiif als alte Sitte auch für die
rrenssen schon von Peter von Dusbur^ [Script, rer. Pruss. l,
Secundum anHqiiam eonxuetudinem hoc habent Prutheni
HC in wm, t/uod uxnres snax emuiit pro certa summa pe-
iae) be/eiigt.
Bei den allen SInven musste Vladimir den byitantinischen
Kaisern für die Hand ibrer Schwester Anna zwei Städte als
Kaufpreis (ctfno s. n.) geben (vgl. Krek Analecta Oraeciensia
. 187), und die VorBtellunft, dasa die Ehe ein Kauf sei, diirch-
Ifcht. wie wir noch sehen werden, in mehr oder weniger deut-
icben Sparen noch das gante heutige russische Volkslied.
Auch die bekannte Nachricht des Tacilas in der Germania
Lap. 19 {-.Dotem non uxor marito, sed uxitri maritus offert.
UeTsuni pari^nte» et propinqui ac munera probitnt. non ad
Üicias muliehri-x quaes'tta ner quihus nnaa nupta cnmntar, ged
wej* et freimlum eqtium et acutum cum framea gladioque. In
lunera u.ror eiccipitun kann man trotü der sell-
■nen Ausdrucksweise des den Sinn seines Berichts offeubar
icht recht verstehenden Schriftstellers nicht andere als auf eine
(chlige Kanfehe bezüglich auffassen, /.umal uns bei den meisten
Ermanischen Stämmen, nanieutlieh bei den Longobarden, Bur-
indern, Sachsen, Angelsachsen usw. die unzweideutigsten Zeug-
! fnp eine solche vorliegen. Allein schon der fast bei allen
lennaoen wiederkehrende Ausdruck „eine Frau kaufen" = hei-
. B. alts. ^r fhea magail luibda gihoht im te brüdiu)
kann gar nicht anders als von einem einst bestehenden wirkliehen
Brantkanf verstanden werden. Auch Ober die Kelten, Kyniren
irie Iren (vgl. ausser E. Hermann neuerdings A. de Jubain-
lille La famiUe reltique, Paris 1905 p, 121). besilxen wir nicht
Mzii ve rate h ende, das Vorhandensein der Kaufebe betreffende
icliricbten. Nur hei den Galliern fand schon Caesar {De
I Oall. VI, 19) ein eigentQuiliches System der Ausstattung
— 320 -
des Mädchens mit einer Mitgift vor. Den schwächsten Abglanz
der indogermanischen Sitte treffen wir in Italien, wo nur der
Scheinkauf der plebejischen coemptio eine schwache Erinneraog
an den Brautkauf der idg. Urzeit bewahrt hat. Ganz aber wieder
auf dem Boden des höchsten Altertums stehen wir in den Vedeo,
in denen ohne Zweifel die Kaufehe {gattlJcaviväha) herrschte, und
reiche Geschenke des Tochtermannes an den Schwiegervater,
einmal 100 Kühe (vgl. oben Inajov ßovg) mit dem Wagen genaimt
werden. Noch Strabo c. 709 konnte berichten: „Sie (die Inder)
heiraten viele den Eltern abgekaufte Frauen, indem sie beim
Empfang ein Gespann Ochsen dafür geben. **
Wenn demnach die Braut in der Urzeit dem Vater abgekauft
wurde, so liegt auf der Hand, dass die Begriffe der Mitgift
oder Aussteuer damals überhaupt noch nicht dem Menschen
aufgegangen sein konnten. Der sprachliche Ausdruck für die-
selben entwickelt sich häufig in der Weise, daas Wörter, die
ursprünglich den Kaufpreis des Mädchens bezeichneten, allmih-
lieh in dem Sinne von Mitgift verwendet werden; denn der Gang
der kulturgeschichtlichen Entwicklung ist offenbar der, dass der
gezahlte Kaufpreis zunächst von dem Vater behalten wird, dann
aber in milderen Zeiten dem Mädchen ganz oder teilweis ab
Brautschatz folgt ^), bis endlich die Leistungen der Eltern an die
Braut die Leistung des Bräutigams entweder aufheben oder m
blossen Form herabsinken lassen.
Hierfür ist auf das homerische Sivov, iedvov zu verweisen,
welches dem westgerm. *wetmo (agls. weotuma, ahd. uAdurnHj
Kluge Nomin. Stammb. X) genau entspricht (vgl. P, 216 f.). b
der homerischen Sprache sind die Siva fast noch ausschliesslich
die Geschenke an die Braut oder an ihre Eltern. Mv&Ea9ai nnd
eöva gehören zusammen. Od. VIII, 318 fordert Hephästos seine
?dva zurück, weil seine Frau ihn betrogen habe. Der Vater nnd
die Brüder der Penelope wünschen (XV, 18), dass letztere den
Eurymachos heiratet:
1) Besonders charakteristisch ist in dieser Beziehung, daat der
schon oben genannten vedischen Festsetzung des Kaufpreises für ein
Mädchen auf 100 Kühe mit dem Wagen in den Rechtsbflchera der
offenbar spätere Zusatz hinzugefügt wird: that (gift) he shatUd make
bootlesH (by returning it to the giver). Vgl. Apastaniba Apharism» tm
the sacred law of the Hindu», ed. Bühler II, 6, 13, 12.
Nur au einer, resp. 2 Stelleo der Odyssee (l, 278, 11, 196)
fd das Wort von der Mitgift verstanden (vgl. KirchLoff Di«
»ni. Odyssee p, 243). Eheneo sind die germ. buvgund, wittimo,
ves. iritma, agis. weotvma, alid. iridumo, anser „irittum" ur-
irUnglicIi alte Nanieti für den Kaufpreis des Mädcliens, also
oiit loügoh. meta, alta. mundr u. &. und liaben erst
ittler tcilweifi andere Bedeutungen angenonimi'n (ßrinim R. A.
424. Scliade Alld. W.i.
Entsprechend werdeu auch im Altrussisclien fflr dag scljon
nu Ip. 290 Aüni.) genannte le^iio die Folgenden Bedetitnngen an-
heben: 1. „Üe7.nldnng", „das, was befahlt worden ist", 2. ipef/yi/,
„die Beitaliliiug, welebe Für die Braut befahlt \rnrde, oder die
litgiFt, wukdie der Freier der Braut zu geben pflegte"), 3. TtQoii,
idänoje („das, was der Vater der Braut dem Freier gibt").
^1. J) r K K n e vsk i j Materialien f (Ir ein alirussiselies Wörter-
ich 1. 487.
Ancti fflr das irisebe tindscra gibt Windiseh Ir. Texte
gl. naeli A. de Jubainville a.a.O. p. 144) die Bedeutungs-
ttwickeSung an; „I. der Kaufpreis für die Braut, von seiten der
lern gefordert, vuu seiten des Modellen» selbst, 2. die dem Manne
gcbraelile Mitgift".
Neben der .Sitte des BrautkauFs /.iebt sieb aber durch das
Altertum noch eine zweite buchst primitive Form der Ehe-
iblieesung. die sich auch bei zahlreichen anderen Völkern, sei
) ala rauhe Wirklichkeit, sei es als symbolische SeheinbandltiDg
lebweisen Ifisst, die Ehe durch Raub M(' AgTinyfji). In Indien
Hland fUr den Eheriluä durch Entführung des Mädchens ein
Honderer Name, die Räkshasa-Ehe, die auf die Kshatriya
frieger-, Adelskaste) liesebränkt war. Nach den bei Dionys von
blikamasB (II. 3ü) dem Romultis hei Gelegenheit des Rauhes
er Sabinerinuen in den Mund gelegten Worten, sei in ganz
iechenland die Raubebe althergebrachte Sitte und die ehreu-
Mlate aller Eheschliessungsformcn gewesen (rgönior oi'futävrtor,
ai yii/toi Talg ywat^iv, hiirpavsaTaxog). Von
Der eigeiitllmlichen Uestaltnng derselben in Sparta (l-yä/iow di'
uty^g) entShlt Plntarch im Lykurg Kap. 15. Auch in Rom
brte man viele daselbst geltenden Ilnchzcitsitten auf eine einst
- 322 —
bestehende Raubebe zurück. Vgl. Damentliefa Festns p. 289^.
Rapi simulabatur virgo (bei der Überftthrnng in das Hans des
Mannes) ex gremio matris aut, td ea non est, ex proxima
iiecessitudine, cum ad viimm trahitur^ quod videlicet ea res
feliciter RomuJo cessit usw. Alle diese und zahlreiche andere
auf neuere idg. oder niehtidg. Völker bezügliche Nachrichten
geben zu Fragen Änlass, auf die sich nicht immer eine befrie-
digende Antwort geben lässt. Wann kann man überhaupt davon
sprechen, dass bei einem Volke die Sitte der Raubehe besteht,
und wodurch unterscheidet sie sich von der zu allen Zeiten ond
unter allen KultuiTcrhältnissen vorkommenden gewöhnlichen Ent-
führung eines Mädchens? Wie verhält sich die Raubebe
chronologisch und geographisch zu der im bisherigen geschilder-
ten Kauf ehe? Fand der Raub in der Regel mit Übereinstimmung
des Mädchens oder ohne dieselbe statt? Wie gestaltete sich
das Verhältnis des Räubers und der Geraubten zu den Eltern
der letzteren? usw. Am eingehendsten hat sich mit diesen
Fragen bis jetzt L. Dargun Mutterrecht und Raubehe (Breslaa
1883) beschäftigt, der aus dem ganzen Erdball eine ausserordent-
liche Fülle hierhergehöriger Notizen gesammelt hat, ohne dass man
indessen auch nur an einer einzigen Stelle sich ein deutliches Bild
der einschlägigen Verhältnisse machen könnte, und doch sind
wir wenigstens hinsichtlich eines der idg. Völker in der Lage,
die Institution der Raubehe an Schilderungen aus der Gegenwart
eingehend zu studieren und zugleich diese Schilderungen mit
guten Überlieferungen aus der Vergangenheit zu vergleichen.
Dieses Volk sind die Russen.
(Kauf und Raubehe in Russland.)
In der Chronik Nestors (ed. Miklosich) Kap. X findet sich
die folgende Schilderung der altslavischen Sitten (vgl. dazu
Schlözer Russische Annalen I, 125 ff.): „Sie hatten ihre Ge-
wohnheiten und das Gesetz ihrer Väter und ihre Überlieferungen,
ein jedes Volk hatte seine Sitte. Die Poljanen (das sind die
Polen in der Gegend um Kiew) hatten die stille und sanfte Art
ihrer Väter und Sehamhaftigkeit vor ihren Schwiegertöchtern
und ihren Schwestern, ihren Müttern und Eltern; auch ihren
Schwiegermüttern und Schwägern bezeugten sie grosse Ehrfurcht;
sie hatten hochzeitliche {hraöny) Gewohnheit. Der Freier ginj;
■iclit seihst iincli seiner Biant ;iiiii sie /.u boleo, d. Ij. rauiien?),
MOilerii sie TUlirteD sie ihm abends zu und brachten am Morgen,
•ras fllr gic gegeben wurde 'j. Aber die DrevljaDen („die Waid-
Heule",! lebten in viehischer Art; sie lebten wie wilde Tiere: sie
tfiteten einander, asseii unreines und hatten keine Ehen {hrakü),
kondern entftlhrten {ufnyf^achu ufody) die Jungfrauen. Und die
Badiniii^en (Söline Radims am 8o/.j und die Vialii^en (Sühne
VJatkos an der Oka) und die 8everer („Nordleute") hatten einerlei
Bitten: Hie lebten io den Wäldern wie wilde Tiere und asaen
Hlles unreine: sie führten nnzüebtige Reden vor ihren Eltern
lud Schwiegertöchtern. Ehen (brakü) hatten sie nicht, sondern
Bpielplätze 7.wi.<tclien den Di^rfein, nnd zu diesen S|)icleu und
Tttnzen und allerlei leufliscben Spieleu kamen sie zusammen, und
^ entführte {umyl:achu) sich jeder das Weib, mit dem er ciu»
jewordeu war. Auch hatten sie je xwei oder drei Weiber."
Ans der augefllhrten .Stelle ergibt sich, dass in der von
kr Chronik geschilderten Zeit zwei Formen der EheschliessaDg
{b Rnssland nebeneinander bestanden, die regelrechte Ehe,
\rakä genannt, ein Wort, das im Oeehieehen und Polnischen
[nach Sreznevskij) „Auswahl" (vyboräj bedeutet, nnd die
nubeh e, russ. tim^känie. Es ist nun eine Überaus interessante
Tatsache, dass dieses Verhältnis noch in dem heutigen europäischen
ftnssland besieht, nnr mit dem Unterschied, dass die Ranbehe
dem brakfi in gewisse versteckte Gegenden des äussersten
Ostens zurtickgewichen ist. Über die Formen der Eheschliessung
bei der ländlichen Bevölkerung Russlands sind wir durch da»
Werk V. Sejns Der Grossrnsse in seinen Liedern, Fest-
^bräuchen, fiewohnheiten, Aberglauben, Erzählungen, Legenden
(Petersburg 1890), dessen L Band in seiner zweiten
Itlfte fast ganz den Hoeb/eitshrüuchen und -liedern gewidmet
aafs besre anlerrichtel. Aus ihm erfahren wir über den
imkü und liher das umylänie folgendes:
a) Der hriikü, die Ehe durch Kauf. Es kann nicht
zweifelt werden, dass die russische Ehe im Volksbewusstsein
l'i Diene letzteren Wort« sind nicht ganz klar, aumsl auch di«
indti-hriften autteinanderKehen. In dp.v einen üest man: prinoAaxu
»</, ito tidadnie, in der andern priiioiaxu, ito na nej vdadute. Kn
«ntweder von der Mitgift oder dem Kaufpreis die Rede. Vgl. ztt-
it KljuCcvski.i Lehrgang der russischen Geschithte I. 140 ^russ ).
— 324 —
und in Wirklichkeit eine Eaufehe ist oder zum mindesten Wir
(vgl. auch oben p. 321). Am deutlichsten tritt dies, wie n^tür'
lichy in den östlichsten Gouvernements hervor. So heridtet
Sejn p. 691 f. aus dem Gouvernement Ni2egorod über die
Verhandlungen zwischen den Vätern des Burschen und des Mäd-
chens und deren Verwandten beim svatotatvö ;,der Brautwerbung^•
„Die Sippe des Freiers spricht": ;,Wir haben einen Käufer, Ihr
habt eine Ware. Wollt Ihr nicht Eure Ware verkaufen?" Man
antwortet, die Ware sei noch zu jung, unerfahren in der Wirt-
schaft und habe sich noch nicht mit Kleidern usw. versehen.
Endlich kommt man überein, und die Verwandten des Mädebeos,
nachdem sie sich hinsichtlich der „Ware*^, d. h. der Braut, ent-
schieden haben, fangen an, die Bedingungen mitzuteilen, anter
denen sie bereit sind, die Tochter zu verheiraten. Diese Bedin-
gungen bestehen in der Vereinbarung {vygovorü) der Tischgelder,
<lie der Vater des Freiers vor der Hochzeit an den Vater der
Braut bezahlen muss. Dieser vygovorü beläuft sich auf 10 bis
50 Rubel und mehr, je nach den Verniögensverhältnissen der
einen und der andern Eltern. Ausser Geld wird noch ana-
bedungen: eine bestimmte Masse von Weizenmehl, Rindfleisch
und Malz für die Sippe der Braut usw. Schliesslich
reicht man sich die Hände (bijutü po rukamüy woher dieser
ganze Akt rukohitle genannt wird), ein Dabeistehender schlägt
durch, und die Zecherei beginnt." Oder p. 715: „Wenn die
Eltern übereinstimmen, so antworten sie, sie seien nicht abgeneigt,
in ein verwandtschaftliches Verhältnis einzutreten {porodnÜisja)\
dann geht die Svacha (die Brautwerberin) an den Tisch heran,
und es beginnt der Handel um die klddka für die Braut ....
,So gefallt Euch also mein Käufer", sagt sie, „und ans gefällt
Eure W^are; also für wie viel wollt Ihr Eure Ware dem jungen
Käufer verkaufen?^ Nun beginnt ein Handel, wie wenn man
eine Kuh verkauft." Als klddka für die Braut gibt man 10 bis
50 Rubel, eine leichte Sommerbluse, ein oder zwei Schafpelze
für die Braut, eine leichte Sommerbluse aus Nanking, baum-
wollenen Stoff oder Tuch, vatoinikü (?) aus denselben Stoffen,
3 — 5 Eimer Schnaps, 2 — 4 Pud Rindfleisch, eine mira Hirse,
Weizenmehl, Fisch, Filzschuhe für die Braut, Bastschuhe, Fnsfl-
lappen, Falbeln. Die ganze Hochzeit kommt dem Freier aaf
SO— 200 Rubel zu stehen." Gouvernement Orenbarg p. 751:
; klddka oder der kalymü, d. i. die Bezahlung für ilie Braut
btztere8 ein taiarischeB Wort) steigt bis auf 100 K., die gewöhn-
iche 8uiiime ist äö— ^30 R. In der klddka eind eiDgesohlossen :
leid, Pelzwerk, Pilzsi'hulie oder Stiefel, Filz, Schnaps, Fleisch,
letreide usw., je DAchdein, was der Verheirater oder die
Irant brauchen. Nach der rjdda (der „ÄbniachuDg''j vitll-
leben die Parteien das rukobitie (s. it.j uud reichen sieh, wie
11 einem IlaudelggeHehäft auf dem Hazar, die Hände, trinken
was Schnaps nnd besliniüien den Ta^- der „Sauferei"."
Xnn hat ohne Zweifel diese klddka, wörtlich „Hinterlegung",
D offenbar später fUr das altrnss. veno (oben p. 321) eingetre-
loes Wort, die Neigung, ganz im Einklang mit den obigen Ans-
Ifarungen, mehr und mehr als diejenige Summe betrachtet zu
rerden, die in erster Linie dazu dienen soll, den Dranteltern
; Kosten fUr die Hocbxeit, für die Mitgift fpi-iddnoje) des
Ifidchens, die aber nur au« Wäsche und einigen Kleidern etc.
wtebt, für die zahllosen Geschenke, die von dem Mädchen an
o Brftntigam, dessen Familie, ihre Freundinnen und Verwandten
rteilt werden inössen, für die endlosen Gastereien nsw. /.u
rleicbtern. Trotzdem geht die uralte Auffa«Bung der Ehe als
Ines Kaufes des Mädchens, deutlich ans denj Umstand hervor,
i die Bciion angeführte stereotype Formel: „Wir haben gehört,
Us Ihr eine Ware habt, damit sie sich nicht verliegt, hat sicli
uns ein Käufer gefunden" nach den .Sejnsehen Materialien
leb fast in ganz Kussland belegen lässt, nnd zahllose Hoehzeits-
rftncbe und -lieder sich nicht anders als so verstehen lassen.
Wer wie sull man Wendnugen wie die folgenden anders auf-
I? „Dunkel, dunkel ist es draussen, dunkler noch im
yanengeniacb . Die Bojaren fd. i. da» Geleite des Freiers) halten
cTore belagert. 8ie handeln, handeln nni DunjaSa." „Handle,
Indle Bruderlein, gieb mich nicht billig fort, fordere fUr mich
DOR., ftlr meine Flechte lOUO R., fUr meine Schilnheil gibt's
liuen Preis" oder: „Brllderlein, plage Dich, ßrüderlein wider-
jtze Dich! Verkauf die Schwester nicht für Geld oder Gold!
fohl ist die Schwester dem Bruder lieb, lieher ist ihm das Gold"
igl. weiteres bei Ralston The songn of tke Russian people'
r283ff.). Auch das propftl neve'sty „das Vertrinken der Braut"
t ein feststehender Ausdruck. In diesem Zusammenbang ver-
ebt man auch die russischen Mädchenmärkte, von denen
— 326 -
«
schon Krek Analecta Graec. p. 18U (vgl. auch E. Hermann
I. F. XVII, 385 ff.) berichtet hat. Sejn erzählt von ihnen
aus dem Gouvernement Tverl p. 631: ^Noch bis auf meine Zeit
haben diese ^^Spaziergänge" (guljänfja) den Charakter einer
Brautschau getragen. Die Eltern der Freier gingen rings nni
die ganz unbeweglich, wie Statuen, stehenden Mädchen, betrach-
teten sie aufmerksam von allen Seiten, ja drehten sogar ihre
Köpfe, um sich zu überzeugen, ob ein solches Mädchen nicht
schiefhalsig und krumm sei oder schiele. Manchmal ging^ «e
auch ein wenig bei Seite, blinzelten und flüsterten, indem sie
gleichsam die Ware abschätzten. Alles dies legt von einem
einst bestehenden Brautkauf Zeugnis ab.^
b) umykdnk ^die Raubehe^. Aus demselben Gouvernement
Ni^egorod, aus dem wir oben einige wichtige Nachrichten die
Eaufehe betreffend mitteilten, aus dem unendlichen Waldbezirk
der unterhalb Ni^ni-Novgorods von links in die Wolga münden-
den Vetluga berichtet Sejn a. a. 0 p. 708 das folgende: „Aber
meine Darstellung wäre durchaus nicht vollständig, wenn ich in
ihr nicht noch die sogenannten „Diebesehen" (vorötskija^)
Hvädlby) berührte. Solche „Diebesehen" gehen vorzugsweise die
armen Bauern ein. Ein armer Vater eines Freiers hat kein Geld
für den vygovorü der Braut (s. o.) und für die Hochzeit. Er
schlägt deshalb seinem Sohne vor, sich selbst eine Braot zn
suchen. Der Sohn beginnt in den Spinnstuben {bes^dka) umher-
zulaufen und findet ein Mädchen. Manchmal schnell, manchmal
muss er lange von Dorf zu Dorf wandern Sein Vater
fähi*t zum Popen, um zu fragen, ob es möglich sei, eine solche
Ehe zu schliessen. Der Pope sträubt sich anfangs, aber schliess-
lich stimmt er zu, wenn ihm der Bauer einen „roten" (d. h. einen
10 Rubelschein) auf den Tisch legt und einen Krug Vodka dazustellt.
Der Tag der Hochzeit wird bestimmt, und davon der Braut Mit-
teilung gemacht. Alles das geschieht heimlich. In der Nacht
vor der Hochzeit schirren der Oheim oder ältere Bruder des
1) ivorü „der Dieb^. Diese Ehen heissen auch 9vädiby fixö-
dxytnü, uvödomü^ ub^'gomü („durch Entlaufung, Entführung, Entrinnung'),
oder endlich samokrutki. Dieses letztere Wort bedeutet eigentlich ein
Mädchen, das sich am Hochzeitstage selbst das Haar nach Art ver-
heirateter Frauen zurecht macht {okruödtt)^ was sonst ihre Freundinnen
besorgen, eine in den Hochzeitliedern oft geschilderte Zeremonie.
reiers ein Taar I*fenle ati aiul falireii iiiit dem Freier in das
9rf, iti dem die Braut lebt. Der Obeim bleibt im Scbijtteii
iben dem Dorf, aber der Freier geht zur Braut oder zn ihrer
Ute, mit deren Hilfe die Sache abgekartet wurde. Die Taote
ht ans Fenster desjenigen Bauernhauses, in dem die Spiun-
Hbe stattfindet und rnft ihre Nichte nach Hause. Die macht
Bb sofort auf. Die nbrigen Mädchen ahnen nichts und fahren
sich zu amtlsieren und ihre Lieder zu singen. Inzwischeu
bleichen sich hinter den Höfen an den Schneegrnben vorbei
»i Schatteu, von denen einer lüu Bllndel mit Kleidern trägt.
lese drei Schatten erreiche» den Schürten und jagen über Hals
i Kopf ins Kirchdorf zur Trauung. In der Mehrheit der Fälle
dingt es den Liebenden oder, besser gesagt, den Verlobten, sich
■ der Verfolgung trauen zu lassen, doch manchmal haben sie
Mnen Erfolg, und dann ereignen sich zahlreiche wunderbare
^ndslgeechicbten. Zuerst fühlt sich der Vater der Ausreiseeriu
irpflichtet, zum Popen zu laufen und zu fordern, dass er seine
tcbter nicht trauen möchte, andernfalls werde er sieb morgen
IUI Archiereus beklagen. Der Pope fängt an, ihm zuzureden.
tr Bauer nennt ihn in seinem Zorn einen „.Strubelpeter'' (?AVo-
tty> und länft im Kirchdorf herum, um »eine Tochter zu sucheu.
Iweilen findet er sie und verprügelt sie, wenn nicht die Ver-
mdten von seilen des Freiers fllr sie eintreten. Die Tochter
^ dabei gewtlbnlich: ,Und wenn Du mich totschlägst, Valer-
ien, ich werde nicht uugetrant nach Hause gehen. Wenn Du
ich aber mit Gewalt wegführst, ersäufe oder erhänge ich mich,'
, Vater bleibt bei solchem Protest nur übrig, sich zu be-
lligen und irgend eine Abmachung mit dem neuen, ungebetenen
ntü (dem Vater des Freiers) einzugehen, oder auf die Sache
n spQckcn" und nach Uause zu fahren. Meistenteils findet er
ligens die Ausreisserin nicht, und dann sitzt er mit den übrigen
U-waudten auf der Kirchenwaehe oder an den KirchentUren und
irtet die Zeit ab, wenn man sie in die Kirche führt. Da hilft
er der „rote" den Ausreissern. Die errinderischen Kirehen-
ener bemühen sich mit allen Kräften, die Braut in die Kirche
I bringen. Und wenn ihnen dies durchaus nicht gelingt, nehmen
! xur List ihre Zuflucht (worauf mehrere Geschichten erzählt
erden, wie Pope und Kirchendiener die Kitern der Braut an
■ Nase herumführen) .... Am Tage nach der Trauung be-
— 328 —
gibt sich das junge Paar gewöhnlich zu den Eltern der Braut,
wirft sich ihnen zu Füssen und empfängt fast immer Verzeibnng.
Nur selten verzeiht ein Vater nicht, besonders nachgiebig ist er,
wenn der junge Schwiegersohn aus dem Schlitten ein FSsschen
mit Vs Fimer Schnaps herbeischleppt. Manchmal bleibt der Vater
auch hartnäckig, so dass man zwei- oder dreimal ihn deswegen
begrftssen muss. Schliesslich verzeiht er aber doch und seg^net
seine Kinder, wobei er der Tochter auch ihre Mitgift, die in
verschiedenen Kleidungsstücken besteht, herausgibt.*^
Eine erwünschte Bestätigung und Ergänzung erhalten die^
Nachrichten durch P. J. Melnikow^) (Andrej Peßerskij) in
seinem Roman „In den Wäldern",!, Kap. VII: „Raubehen f«tHf-
dtba uxödomü) sind ganz gewöhnlich bei den Raskolnikem jen-
seits der Wolga. Man versteht darunter die Entführung eines
Mädchens aus dem elterlichen Hause und ihre heimliche TrRonn;
bei einem Raskolniker Popen, aber noch öfter in rechtgläubigen
Kirchen, damit der Bund um so fester werde. Denn die Traoong
bei einem Raskolniker Popen muss man immer noch beweisen,
aber in einer richtigen Kirche wird die Vereinigung, auch wenn
man nicht nach altem Ritus getraut worden und mit dem Lauf
der Sonne (pösoloni) um das Lesepult der Kirche herumgeführt
worden ist*), unvergleichlich dauerhafter: einen, der in einer
grossrussischen Kirche getraut worden ist, den kann man nicht
von seinem Weibe trennen, man tue, was man wolle. Deswegen
nehmen die Raskolniker bei ihren Raubehen häufiger ihre Zuflucht
zu einem strenggläubigen Popen, besonders wenn es einem armen
Teufel gelingt, die Tochter eines „Tausendtalemianns^ (tpsjaSniki)
zu ergattern. Die Gewohnheit, Raubehen zu bewerkstelligen, ist
jenseits der Wolga uralt und erhält sich mehr infolge davon,
1) Melnikow (f 1882) hatte in seiner Eigenschaft als Unter
suchungsnchter zahlreiche Reisen in den von Raskolnikern bewohnten
Landschaften gemacht und verwendete die hierbei gesammelten Er-
fahrungen zu überaus interessanten, in seinen Romanen verstreuten
Kulturschilderungen.
2) Ein uralter Hochzeitsbrauch (vgl. bei D &h\: pösdoni xodüa «äe
ging mit dem Lauf der Sonne, von Osten nach- Westen, von recht«
nach links** = ^sie wurde getraut**), der lebhaft an die indische und
römische Sitte erinnert, bei der Hochzeit das Opferfeuer zu umwandeln,
indem man dasselbe zur Rechten hatte (vgl. Winternitz Beilage mr
Allg. Z. 1903 Nr. 258 p. 293).
da88 in der dortigen Bevölkerung jedem bei den Eltern lebenden
Mädchen ein tranrigeg Lob zuteil ward. Ein Mädchen echfttzt
man in der Familie »Ir billige Arbeiterin und liebt es nicbt, sie
„ehrlich" ii^sttju) zu verheiraten. ,Ein Mädchen', so hciset es, ,mQB8
das elterliche Salz und Brot abarbeiten — dann kann sie gehen,
wohin sie will'. Aber dieser Abarbeitungstermin ist für die
Töchter ein langer: bis zu 30 Jahren und mehr ist sie gebunden,
bei den Eltern als Arbeiterin zn dienen." Es wird dann erzählt,
wie zahlreiche solcher Mädchen, namentlich wenn sie nicht flott
Dnd nicht hflbsch sind, sitzen bleiben, schliesslich mit einigen
Schicksalagenossinnen im Hinterhof des Vaters ein kleines Kloster
eröffnen und eich vom Unterrichten der Dorfjugend ernähren.
Sodann heiast es weiter: „Ein flottes und btlbscbes Mädchen aber
geht anders vor. Sie wird in den Spinnstubenabenden oder beim
Chorovodfl mit einem jungen Burschen bekannt, der unweigerlich
aas einem andern Dorf sein muss, sie gewinnen einander lieb
und beginnen darUlter nachzudenken, ob die Eltern das Mädchen
„ehrlich" verheiraten wollen, oder ob es angebracht ist, eine
Ranbche zu schliessen'). Wenn keine Hoffnung anf Zustimmaug
seitens der Eltern vorhanden i»t, nimmt das Madchen heimlich
ihre Mitgift und Kleidung, tibergibt sie dem Geliebten und
begibt sich selbst an den bestimmten Ort. Der Freier wirft die
Brant in seinen Schlitten nnd jagt mit den Gefährten Hals über
Kopf zum Popen. Die Ellern spannen, sobald sie von der Flucht
des Mädchens erfahren, die Pferde an, machen sich zur Ver-
folgung auf, bringen Verwandte und Nachbarn auf die Beine
und zerstreuen sich nach allen Seiten, nm die Flüebtlinge zu
Sueben. Zuweilen trifft es sich, daus man sie einholt, nnd als-
bald fängt man an, sie bei dem Hochzeitsgefolge faerausznbauen
i^otbicäti nereatw"). Zuweilen kommt es zu Bliitvergieseen. Ge-
wöhnlich aber gelingt es dem Freier, mit der Braut zum Popen
zu eilen und sich trauen zu lassen. Dann führt der Ehemann
seine junge Frau zu seinen Filltern. Diese erwarten sie schon —
sie wiBsen, dass der Sohn ausgezogen ist, ihnen eine Schwieger-
tochter zu rattben, d. h. eine neue billige Arbeitskraft ins Haus
1) »vädtbu uxödomü igrätf. Der gewöhnücho Ausdruck filr
,eiue Hochzeit feiern' ist im Russischen igrdti, eigentlich „spielen',
wohl hergenommen von der Beobachtung tJer Bräuche, die beim Spiel
wie bei der Hochzeil althergebrachi sinil.
L
1 vergleich uhk unil Criteii:
22
- 330 —
ZU bringen, mit Freuden treten sie daher den Neuvermählten
entgegen. Am andern oder dritten Tag begibt sich der Neo-
vermählte mit seinem Weibe zu dem Vater der Frau, um Ver-
zeihung zu erbitten. Dort nimmt man ihn mit Zanken, die
Tochter mit Verfluchungen auf. Das ganze Dorf läuft zusam-
men, um zu sehn, veie die ^Jungen^S nachdem sie sich tief bi8
zur Erde verbeugt haben, ohne zu zucken, mit dem Antlitz am
Boden vor Vater und Mutter daliegen, Verzeihung erbittend.
Aber Vater und Mutter schimpfen, schelten und fluchen, treten
mit den Füssen auf ihre Köpfe und fangen dann an, sie durch-
zuprügeln, der Vater mit der Peitsche, die Mutter mit dem Stil
der Bratpfanne. Schliesslich gibt das elterliche Herz nach. Aof
Schläge und Zank folgt der Friede, allein, abgesehen von dem,
was die Braut vor der Flucht dem Bräutigam übergeben konnte,
wird ihr keine Mitgift gegeben. Auch gibt es bei einer solchen
Raubehc keinen görny stolü ^) und keine Geschenke, und alles
endet mit zwei Gastmählern von Seiten der Eltern des Mannes
und der Frau. Nicht selten geschieht es auch, dass die beider-
seitigen Eltern, wenn sie nicht reich sind, heimlich vor den
Leuten, ja vor der nahen Verwandtschaft sich untereinander Aber
die Hochzeit der Rinder besprechen und zur Vermeidung der Ans-
gaben für Trinkgelage und Geschenke usw. beschliessen, keine „ehr-
liche^ Hochzeit zu feiern {ne igräti svddiby c^sHju). Dann befehlen
sie den Kindern, selbst die Hochzeit zu bewerkstelligen, wie sie
es verstehen. Dabei wird aber das ganze Zeremoniell, wie im
Ernstfall, auf das genauste innegehalten: die Verfolgung naek
allen Seiten, Zanken und Fluchen, das Treten mit den Fflsfien,
das Schlagen mit der Peitsche und der Topfgabel vor den Angea
der versammelten Dorfbewohner, kurz alles, wie es sich gehört.
Aber wenn das elterliche Hei*z weich wird und die Hände, mit
denen sie die Neuvermählten züchtigen, müde werden, machen
sie Friede, und mit derselben Topfgabel, mit der die Mutter ihre
1) So oder „Fürfltentisch'' (Jcnjdzij stolü) heisst das Gastmahi
Klas am zweiten Tag nach der Hochzeit den Verwandten der Fran b«
den Neuvermählten gegeben wird. Vgl. §ejn a.a.O. p. 717 Anm. *•
Seine Hauptzeremonie besteht in einer allgemeinen Rüsserei der Ver-
wandten untereinander und mit den Neuvermählten. Es erinnert leb-
haft an die persischen und römischen Verwandtenmahle und das ttw
osculi (vgl. Leist Altarisches Jus civile I, 49).
ffoi'hter zllehtigte, oiael)! sie sieli daran, ans dorn Ofen iHe Töpfe
ßrangüubolen, »tu mit dem eigens zu diesem Zweck hereilelen
lerichte den lieben Heliwiegersohn /-u bewirten."
Versuchen wir aus den biBhengen Mitleitungeu die cliarak-
ri^iscbeii Züge jener nissiscben Raubeben fest/UBtellen, indem
bir zugleich noch einen Blick auf die in vieler Beziehung ver-
wandten u Itlitauischen Zustünde werfen, su sind es die fol-
fenden: 1. Die ausgesproclieue Absiebt jener rnseiBcben Raub-
■faen ist die, den e^govorü («. ii.) und die anderen Ausgaben für
Ipie regelmässige üocbzeit icu vermeiden. 2. Die Raubebe fiudet
_ lor zwischen Angehörigen verschiedener Dßrfer statt. 3, Sieselzi
Einverständnis von Seiten des Mädchens voraus, das (bei Nestor}
auf den Spielplätzen zwischen den Dörfern, (bei Sejn und
_M einikow) in den Spinnsttiben und beim ChorovodO erzielt
|[ird. Anwendung von Gewalt wider den Willen des MadcheoK
^rd dagegen in dem Werk des Erzbischofs Claus Magnus Htsto-
de gentibus septeiitrionalihu^ (Somae lööö) erwähnt, wo
Ich eine ziemlich eingebende Kcbildemng der Raubehen der
tlM^vüae, Hutheni, Litkuani, Lioonienses, Curetes findet (vgl,
bargun a.a.O. p. 95 F.)- 4. Als Vcrtr^ante des Mädchens tigu-
■lert eine Taute (vgl. in der oben zitierten Stelle des Plutarch
yk. die vr/KpemQia, welche die Geraubte nnterstützt), als Vertraute
I Burschen der Onkel oder ein älterer Bruder. Vgl. Lasicius
I diig Samagitarum Kap. 56: Nee ducuntur (puellae), ntd
\apiuntur in mairimomum, reteri Lacedaemoniorum more a
Lycurgo instituto. RapiuntuT autem non <ih iptut nponso, sed
a duobuK eins cognatix'). b. Die Verfolgung von Seiten der
Eltern der Braut ist im allgemeinen durchaus ernst gemeint. Es
■oumt dabei oft zu Blut vergi essen. 6. Nach gelungenem Raube
l) Vgl. daan. auch Matthäus Pr»etoriU8 DtHciae Prussicae
. Pierson p. 69: .Ern.smua FranciBCUB in aeiuem Sittenspiegel lib. S:
b 3, p, 958 erzehlet von denPreussen: ihre mannbaren TAcliter lislten
. vielen Orten kleine Otöckleln nder Schellen, wel<:he mit einem
ilndlein am Gürtel festg'emacbt bis an die Knie hingen, damit den
Freiern ein Zeichen gesehen würde, dass das Ohst reif wäre. Jedocii
baten sie eich nicht selbst nn, sondern Hessen sich raffen und reisseii
_to den Ehestand; sie wurden aber nicht vom Bräutigam seihet, son-
1 dessen zwei nächsten Freunden entfUhrl. Nach snicher Ent-
BBhran^ geschah erat die Werbung hei den Eltprn."
— 332 —
folgt gewOhDlicfa Versöhnong. Vgl. LiEtsicins a. a. 0.: ac
poatquam raptae sunt, tunc primum requisito parentum con-
sensu matrimonium contrahitur. 7. Oft wird der Ranb nur
zum Schein ausgeführt. Auch dann aber werden die Riten de«
Ernstfalls durchaus bewahrt. Ein unterschied in der Sehildenug
V
Nestors und derjenigen Sejns und Melnikows zeigt sich
insofern, als in der ersteren die Raubehe ein grösseres TerritorimD
einnimmt und, ebenso wie die regelmässige Ehe, bestimmten Volks-
stämmen eigen ist, während in den jüngeren Quellen sie sieb
wesentlich zurückgezogen hat und neben der Kaufehe bei dem-
selben Volksstamm vorkommt.
Wenn wir aber nach den oben mitgeteilten Spuren em
Recht haben, Kauf- und Raubehe nebeneinander bereits fflr die
idg. Urzeit anzusetzen, so werden wir nicht iiTcn, das VerhältniB
dieser beiden Eheschliessungsformen zueinander vorwiegend nach
den slavisch-russischen Analogien aufzufassen. Wir werden dabei
von dem oben p. 316 geschilderten Zustand auszugehen haben,
in dem die einzelnen Familiensippen (russ. rodü) sich noch ab
„Fremde^ bei aller Stammesverwandtschaft gegenüber standen.
Es herrscht durchaus Sippenexogamie, die teils auf Kauf, teik,
wo man den Kaufpreis ersparen will oder nicht über ihn verfügt,
auf Raub beruht. In den einen Teilen des Urlands wird mehr
dieser, in anderen mehr jener Brauch hervorgetreten sein. Im
allgemeinen geschieht der Raub mit Übereinstimmung des Häd*
chens, er steht insofeiii sittlich höber als die Kaufehe, bei der
das Mädchen eine Ware in der Hand des Vaters bildet. Gelegen-
heit, sich kennen zu lernen, werden den beiden Geschlechtern
die Stammesversammlungen, Stammesmärkte und Stammesfeste
(Kap. XI, XIII, XIV, XV) geboten haben. Man war bestrebt,
nach geschehenem Raub einen friedlichen Ausgleich herbeizufflbrra.
Andrerseits werden Sippenfehden propter raptas virgines et arri-
piendasj wie es Claus Magnus für die nördlichen Völker hervor-
hebt, und wie es Rovinskij (Sbomik LXIII, 251) auch ans dem
alten Montenegro ausführlich berichtet, an der Tagesordnung ge-
wesen sein. In jedem Falle haben Kauf und Raub, ebenso wie
bei den finnisch-ugrischen Stämmen (vgl. L. v. Schröder a.
p. 333 Anm. angegebenen Ort), so auch bei den Indogermanen von
jeher nebeneinander bestanden.
Die idg. Wurzel, dnrch die der Begriff des HeirateiiB in
idg:. Sprachen RBsgedrUckt wird, ist red-.vedh (tiber den
'ecüeel der Media nnd Media aspirata im Auslaut vgl, Hrug-
um Grandriss l*, 2, 633). Zn ihr gehören einerseits die schon
nannten griech. Mvov, agls. iteotuma (eigentl. „Preis für die
imfUlirnng"), andererseits lit, icedüy nitruss. vodiii (Steigerungs-
•m zu veati, vedy), vodimaja „Ehefran", scrt. cadhü' .Junge
lefrau", aw. tadü „Weib, Frau", vaörya „lieiratsfähig". Die
niidbedentung (vgl. auch ir. fedaim „ich führe", fedan „Ge-
»nn") ist tiberall „fül[ren''M- Ans den Einzelsprachen vgl. aert.
\hali „er führt sich ein Weib heim" {auch aw. miz „ein Weib
amfßbren"), lat. uxorem dacere, griecli. ywaitea äyenikit u.a.
Scheinen diese sprachlichen ZeugnisHe somit auf eine schon
der Urzeit Ublichi^ feierliche Heimftihrnng der Braut (vielleicht
t ochsenbeapanntem Wagen, wie sie ein berllhmter HoehzeitB-
D1DII8 des Bigveda X, 88 achildertj hinzuweisen, so ist es nicht
irabrscheinlich, dass sich ans der Plllle idg. Hochzeitsgehräacbe,
er die wir teilweis bereits sehr ausfObrliche Sammlungen^)
t) Bemerkt sei, daas das Verbum auch von dem „verheiraten*
liraucht wjrd. So altruas. oeali za koga \v ae ie rrremj^ ehoij^xu
igänidt cesti ta Jaropolka ) und im Awesta mit upa : upa vd ■nairikqrn
]aya&a „so müge mau iliiien eine Triiu zur Elie geben". Vgl. aucb
irod. r, 34: S-^cta- tiS naidl yvrabia. Am hHuFigsten abftr wird da»
rbeiraten, wie nach dem Gesagten natürlich, als ein .Uerauag'ehen'' =
t. pra da, giiech. htiovi'ta, lit. Utd^iH, russ. otfidäti und vydatX
mutS), got-t'n fragibtim fliinj<ntvtth-i!'' oder anch bloss als ein .Geben'
I MädcheuE von Seiten der Eltern bezeichnet (vgl. W. Schulae
Z. XL, 402).
2) Vgl. E. Haas Die H ei rategeb rauche der Inder nach den
ij-asütra [Weber Indische Studien V. 267 ff.). M. Winternftz Das
btdisehe Hochzeitsrituell nach dem Äpastambfya-Grhyasütra etc.
mkachriften d. Wiener Ak. d. W. phll.-hiBi. Kl. XL, 1 (f. 1892), Th.
iChariae Zum altindischen Hochzeitsritual (Wiener Z. f. d. Runde
Horgenl. XVII), A. Roüsbach Untersuch an gen über die rdmische
I, Stuttgart 1853, E. Samter Familienfeste der firiechen und Kömer,
irlln 1901. B. W. LeiBi Altaristbes Jtu gentium, Jena 1889.
.T.Bchröder Die Hochzeitsgebräache der Est^-n und einiger anderer
Disch-Bgrischer Völkerschatten in Vergleichung mit denen der idg.
Iker, Berlin 1888, meia Keatleilkon, s. v. Heirat, M. Winter-
U Beilage i. Allg. Zeitung 1903. p. 243 [f., E. Hermann Beiträge
den idg. Hochzeit« brau eben L F. XVlf, 3T3 II. ErschSpfend fäi die
jhen Hochzeitsbriluche ist das oben genannte Werk P. V. äejaa
— 334 —
besitzeDy noch eine Reihe anderer Momente zusammensteUeD
Hessen, die mit überraschender Genauigkeit bei Ariern nnd Euro-
päern wiederkehren, dass sich mit einem Wort ein idg. Hoch-
zeitszeremoniell ermitteln Hesse, das in die vier Stofen der
Werbung, d. h. des Brauthandels, der Vorgänge in dem Hame
der Braut, der Heimfahrung und der Vorgänge in dem Hause
des Mannes zerfallen wttrde. Doch soll an dieser Stelle ein
solcher Versuch nicht unternommen werden (vgl. I', 218). Auf
einiges hiergehörige, wie die auch in dem Hochzeitszeremonidl
besonders hervortretende Verehrung des Feuers nnd Wassere soll
in Kap. XV (Religion) hingewiesen werden.
Wenn nach dem Bisherigen ein Zweifel dartlber nicht be-
stehen kann, dass das, was wir „Ehe^ nennen, d. h. eine dauernde,
durch feierliche • Gebräuche eingeleitete Lebensgemeinschaft zwi-
schen Mann und Weib, bereits in der idg. Urzeit vorhanden war,
so ist es doch in hohem Grade bezeichnend, dass ein Ausdruck
für diesen Begriff danjals offenbar nicht existierte, wie mit Hiu-
sieht auf die Griechen schon Aristoteles (Politik I, Kap. 3) klar
erkannte, indem er sagte, dass es in seiner Sprache einen eigent-
liehen Namen für das eheliche Verbundensein von Mann und
Weib nicht gäbe: ävciw juov yäg rj yvvaixog xai ävdgog avCevfy^
(vgl. dazu Delbrück a. a. 0. p. 62 = 440 ff.). Dasselbe ist der
FaU hinsichtlich des Begriffes der „Gatten" (vgl. Delbrück
p. 56 = 434) und der zu Vater und Mutter gewordenen Gatteo,
der „Eltern" (oben p. 306). AHe drei Erscheinungen erklären
sich ohne weiteres aus dem Umstand, d^s in der Urzeit daa
Verhältnis des Mannes zu dem Weib und zu den Kindern von
dem des Weibes zu dem Manne und zu den Kindern noch ein
so völlig verschiedenes war, dass man nicht darauf verfallen
konnte, die beiden als ein Paar aufzufassen (vgl. auch P, 165),
da dieser Begriff doch immer das V^erbundensein zweier gleich-
artiger Wesen voraussetzt.
Aus diesem Grund wird auch das Heiraten bei Mann und
Weib in zahlreichen idg. Sprachen als etwas durchaus verschiedene»
angesehen und verschieden benannt (z. B. griech. ya^mv xn^ : ya-
ß^mo&ai Tivi, lat. uxorem ducere : nuhere, russisch äenitisja : vjH
Der Grossrusse in seinen Liedern, Gebräuchen usw. I, 2 «Hoehseit»-
lieder" (Petersburg 1900).
gäviuzii nsw.), niid im allgenieineu konmieii erst auf vorgerlickteren
Kultnrstufen gemeinsame Ansdiücke wie uoser „heiraten" oder
frz. »e marter auf ').
Der eigentliche Zweck der idg-, anf Kauf gegrdniieten und
änrch die Heimfahrnng vollendeten Ehe ist die Erzeugung zahl-
reicher Söhne, die auf der einen Seite daa Geschleeht des Vaters
weiterführen und nach den Satzungen der das Reehtslehen bc-
tierrschenden Blutrache (vgl. Kap. XIV: Das Hecht) seine und des
Geschlechtes .Sicherheit verbUrgeü sollen, uud auf der andern
Beite durch Darbringung der Totenopfer (vgl, Kap. XV: Die Reli-
Ipon) für die Seelenruhe des Vaters zu sorgen haben. Mädchen,
die dem Vater höchstens einen guten Kaufpreis einbringen und
ie Beerdigungs- und Eriunerungsbräncbe nur mit ibreu Klage-
ledern begleiten können, sind ein unerwünschter Besitz, dessen
n sich häufig dnrch Aussetzung entledigt (vgl. weiteres unten).
Die angegebeneu Grllnde machen zugleich die Ehe zu einer
rechtlichen und religi'tsen Notwendigkeit, und die Erscheinung
des Hagestolzen ist daher, wie ich dies in meiner Schrift Die
ßchwiegertnutter und der Hagestolz (Braunschweig 1904) naher
•DSgeftlhrt habe, ein spätes und in seinen Ursprüngen verhältnis-
Uftssig klar llbersebbares Kultur- oder besser Überkulturerzeognis-).
So sehr ist man von der Notwendigkeit der Ehe überzeugt, das»
ncfa auch auf idg. Hoden bis in uralle Zeit ein Brauch verfolgen
IfiBst, demzufolge man sogar dem toten Junggesellen ein Weib
KOtraut, das ihm, wie die Witwe dem Witwer (s. u.) ins Jenseits
i!gen mQBs (vgl. meine Schrift Toteuhochzeit^) Jena 1904, dazu
praohvgl. u. Drg. P, 219ff.).
:. 0.), da» ursprünglich
der Frau gehianchen :
1) Doch kann nnan im LitAuiSL-lien wed:
r vom Manue gej^olten haben liann, ancb '
ji jaü witiusi ,H»t sie subon gelieiratel?"
S) Einige neuere Beobaehtungeii hinsichtlieh der Geschichte des
Bag^eslolsen werde ii^h in dem Werlt von R. K ossmanu u. Jul.
feiss Mann und Weib (Sluct^art), Kap.; ,Der Mann als Ua^estolz"
littet Jen.
3) Inawischen hat sich mein Material für die interesBante Sitte
kr „Totenboehzeiten" nicht unbetrüchtlich vermehrt, Aua Melnikow
Ib den W&Idern II, 307 F. fUge ich hinza, dasa ienseitit der Wolga der
lUch herrscht, bei der Beerdigung einer Jungfrau .wie bei einer
iheeit* Geschenke zu verteilen und ihren &arg, „wie das Brant-
1" mit Roggen aBsmlegen. Aus Hessler Heesische Landes- und
- 336 —
ni. Mann und Weib.
Wenn wir nnn dazu übergehen, das Verhältnis der beiden
Geschlechter zueinander innerhalb der Ehe näher za betrachten^
sprechen wir naturgemäss zuerst von dem Manne, der sie begrflndet
hat und an der Spitze des Hauses steht:
Volkskunde II (Marburg 1904) p. 152 ersehe ich, dass in Hessen die
Särge von Junggesellen von Kranzmädchen begleitet sein müssen, die
vier Wochen lang Trauer tragen. Auch Sartori bietet in seinem
reichhaltigen Gymnasialprogramm Die Speisung der Toten (Dortmund
1903) p. 22 Anm. 2 eine Reihe von Belegen für die Sitte, das Begrftbui
Unverheirateter wie eine Hochzeit zu feiern; doch gibt kein einzigei
seiner Beispiele den von mir (Totenhochzeit p. 14) bei den Slaven nach-
gewiesenen charakteristischen Zug wieder, dem zufolge dem toten
Mädchen tatsächlich ein Bräutigam (von ihren Angehörigen „Schwieger-
sohn" genannt) und dem toten Burschen tatsächlich eine Braut su-
gewiesen wird. Sartori hat daher auch den eigentlichen Sinn aller
dieser Bräuche nicht erkannt und begnügt sich zu ihrer Erklärung
mit der Bemerkung: „Totenfeier und Hochzeitsfeier haben in den
Ausserlichkeiten mancherlei Gemeinsames, und die Kinder gehen in
beiden Fällen den Eltern verloren."
Was das von Ibn Fadhlan (Totenhochzeit p. 20 ff.) geschilderte
Leichenbegängnis eines reichen russischen Kaufmannes betrifft, dem
ein lebendiges Mädchen auf den Scheiterhaufen mitgegeben wird, so
habe ich mit Berufung erstens auf die ausdrückliche Nachricht des
Arabers Massudi, der zufolge „die Heiden, die im Lande der Cha-
saren leben, und zu denen die Slaven und Russen gehören*, ^wenn
einer als Junggeselle stirbt, ihn nach seinem Tode ve^
heiraten", zweitens mit Bezug auf die Tatsache, dass die von Ibn
Fadhlan creschilderten Beg^räbniszeremonien zu einem grossen Teil
Hochzeitsbräuche sind, die Ansicht ausgesprochen, dass jenes
Leichenbegängnis eine der von Massudi gemeinten russischen Toten-
hochzeiten sei. Nachdrücklicher, als es früher von mir geschehen ist,
hatte ich noch auf die Lieder hinweisen sollen, die das Madchen an-
stimmt, und in denen, wie die Dolmetscher dem Ibn Fadhlan berich-
teten, sie „von ihren Lieben Abschied nimmt". Niemand, der mit den
Sitten der russischen Volksheirat auch nur flüchtig bekannt ist, kann
in diesen Liedern die pläöa („das Weinen") oder das priöUdnie („das
Klagen") verkennen, die zu dem eisernen Bestand jeder russischen
Bauernhochzeit gehören, und mit denen das Mädchen sich von Vater,
Mutter, Brüdern, Schwestern usw. feierlich verabschiedet (Beispiele
solcher hochzeitlichen Klagelieder bei §ejn a.a.O.). Nach diesen Aus-
führungen wolle man den Wert der von F. Ka uff mann (Z. f. deutsche
Philologie 1907, Heft 1) gegen die Ergebnisse meiner Schrift erhobenen
Einwendungen einschätzen.
f a) („Er selhat".] Der idg. Ausdruck für diesen Mann
Segt in der Spnichreihe : scrt. pdti „Gebieter, Herr, Gatte"
[patitvä „Ehe"), aw, pali, paiti „HeiT, Gatte", griech. Tidaig
.Gatte", lit. päli „Gälte. EhemaDo". got. -faßH {hrüp-fapg „Herr
jungen Frau"), Es ergibt sich hieraus ein idg. *poti~s
' und „Ehegatte". Dasaelhe Wort liegt ancb in einem
idg. Kompositum: seit, däih-paü „Hausherr", aw. däng-
Hansberr", „gebietender Herr" = griecb. deo-Tiötjjc „Herr"
dessen erster Bestnndteil das oben p. 271 erwähnte idg.
für „Haus" im Sinne von „Familie" enthält. Dem idg.
stand eine "potni (ecrt. pdtnl „Ehefrau. Herrin", aw.
i( , Herrin, Gebieterin" = grieeb. .iötwu, ein ehrendes Bei-
fllr Ältere Frauen, vgl. auch P, 187) zur Seite. Dieses
'poti-n hat man früher häufig von dem scrt. Verbuiu pä'-ti
schützt" abgeleitet und damit den Begriff des Schutzes, den
är gewährt, aU lieaonders eliarakteristiech für die Stellung des
Hansraters angesehn. Allein das indische Verbum kommt in
ien europäischen Sprachen nirgends vor, und die Vokalisation
lies idg. *p6ti würde, wenn man es von scrt. pä = aw. pay
.schützen" (vgl, Bartholoniae Altiran. Wb. Sp. 885) ableitet, so
erliebliche tuorpholn^rieche Sclitvierigkeiten tnauhen, dagg, wenn
sieh eine andere Erklärung fUr idg. *poti fände, diese schon vom
rormetlen Standpunkt aus den Vorzug verdienen wOrde.
In dieser Beziehung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass
Litauischen neben dem oben genannten pdts ein Pronomen
iiita „er selbst" {pati „sie selbst") liegt. Auch dieser Pronominal-
iiamm erweist sich als indogermanisch, einerseits dadurch, dass
als solcher auch im awestiscben xrae-pati „er selbst" (vgl.
Bartholomae Altiran. Wb. Sp. 1860) zn belegen ist, anderer-
leits dadurch, dass er, wie jetzt allgemein angenommen wird, in
ItT Verwendung als Partikel auch in mehreren anderen idg.
'Sprachen vorkommt: z. B, grieeb. n'-jiore, ü-nzi „was, warum
rerade", lat. meo-pte ingenio, eo-pte „eo ipso", mibipte, wie
, Un-paf „ebcndort" a. a. (vgl. Brugmann Kurze vergl. Gr.
619), Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, dass es
der idg. Grundsprache einen doppelten Stamm *poti gab:
1, *poti- „Herr" und „Ehemann",
2. *pati-, als Pronomen und Partikel gebraucht, „er
selbwt".
- 338 —
Natürlich hat das Verhältnis dieser beiden Stämme die
Forseher seit langer Zeit beschäftigt. Bopp (Vergl. 6r. II •, 162)
sprach sich gegen eine Identifikation derselben ans. Pott (Et
Forschungen II S 1 p. 854 ff., vgl. auch IP, 2, p. 222 ff.) und
Schleicher (Comp. § 91) für eine solche, indem sie dabei von
der Auffassung, dass „Herr" die primäre, „er selbst** die sekun-
däre Bedeutung sei, als von etwas Selbstverständlichem ausgingen.
Diesen Standpunkt nimmt auch, so viel ich sehen kann, die
neuere Forschung ausnahmslos ein, ohne dass man bisher auch
nur ein einziges Beispiel für den Bedeutungsübergang: „Herr''
— „er selbst" beigebracht hätte. Der Gedanke, dass das
Verhältnis ein umgekehrtes sein könnte, dass also eine Beden-
tungsentwicklung : „er selbst" — „Herr" anzunehmen sei, ist, so
viel ich sehe, von niemandem ausgesprochen worden. Dnd doch
ist eine solche, wie ich nunmehr zeigen werde, in den idg.
Sprachen häufig und fügt sich aufs beste in das, was wir Aber
die Stellung des Haushenn in altindogermanischen Zeiten
wissen, ein.
Auf diesen Sprachgebrauch wurde ich zuerst durch eine
Eigentümlichkeit der grossrussischen Kaufmannssprache aufmerk-
sam, über die sieh Morawskij in seinem Echo der russischen
Dnterhaltungssprache^ p. 57 folgeudermassen äussert: „„Er selbst*^
{samü)j das ist der charakteristische Ausdruck, mit dem im
Kaufmannsleben der Hausherr, das Haupt der Familie, bezeichnet
wird. „Er selbst^ bringt sämtliche Hausgenossen zum Zittern,
angefangen mit der „sie selbst" (samä), d. i. der Hausfrau, bis
zu den Gehilfen. Die Devise eines solchen Titü Tityiü feiner
bekannten Figur einer Komödie Ostrovskijs, des genialen
Schilderers des russischen Kaufmannslebens) ist das bekannte:
,Wage nicht, Dich meinem Willen zu widersetzen!' Überhaupt
ist das „Selbstnarrentum^ (samodürstvo) ein hervorstechender
Zug des Titü Tityöü.^ Obgleich nun diese russischen Kauf-
leute, die vielfach Raskolniker (s. o. p. 328) sind, in ihren Sitten und
Gebräuchen sehr viel Altertümliches, besonders die unbedingte
patria potestas des Hausherrn über Frau und Kinder, bewahrt
haben, glaubte ich doch anfangs, dass es sich bei dem geachil-
derteu Gebrauch von „er selbst^ und „sie selbst^ um eine jüngere
Besonderheit ihrer Ausdrucksweise handele. Bald aber erkannte
ich, dass sie auch hierin etwas durchaus Volkstum liebes mid
BJfellos L'raltes erbalten liabeii. Zuuäcbst ist im WeissrussiscbeD
(vgl. das Wörterbucb von NoeijviöQI die Verwendung von »um»*
im Sinne von xozjdinü und von samd im Sinne von .rozjdika
„Hansherr und Hausfrau" offenbar ganz gewöhniicb: „DersamA
hat Dich zn sicli gerufen", „Gehe ku dem «amd". „Obne den
mmä werde ieb es nitdit geben", „Trage es zur mmd", „Wie
die gamd es sagt, so wird es geschebu", „Frage die «anid" sind
weissrussis(;be Ausdrucksweisen. Aber aanh im Polnischen und
Czecbiscbeu ist die Verwendung der beiden Wörter für „Herr"
und „Krau", wie ein Blick in die Wörterbücher der betreffenden
Sprachen zeigt, so gewObnIieh. dass man nicht bezweifeln kann,
dass es sieb um einen alten und weitverbreiteten Spracligebrauch
bandeil, zu dem in gewissem Sinue ancb russ. sam4cü für Männ-
chen, sömka f(lr Weibcbe» (bei Tieren) gehört.
Und dasselbe ist auf germanischem Spracbboden der
Fall. In einem sehr interessanten Aufsatz Der Verkehr der Ge-
»ichlechter nnte,r den Slaven in seinen gegensätzlichen Erschei-
uungeu (Globus LXXXH Nr. 7, p. ^77) sagt K. E b a m ni das
folgende: ^Cs muss bei allen skandinavischen Germanen üblich
gewesen sein, den Hauswirt schlechtweg n]it der Anrede „er
»elbst'' /u bezeichnen. Ich kann diesen Brauch aus drei vonein-
ander entlegenen Stellen nachweisen. P. Saeve sagt bei Beschrei-
bung des alten Bauernlebens auf der Insel Gotland (Al:erns
fiignr 187Ö, S. 64): ,.\ber in der Stube war es doch stets der
Vater. Bauer oder „er selbst" {han nja/er), der Herr war, im
Vorsitz sass, oft mit dem Hut auf dem Kopf. Ferner zweimal
aus Dänemark. In dem Führer durch das dänische Volksmuseum
in Kopenhagen (Veileder til DanaJct Fo/kemuneum, Seite 15)
heisst es bei der Besohreibiiug der alten Stube von Ingelstad auf
Seeland: „hier (auf der Ofenbanki brachte „er selbst" ihanneiel),
d. h. der Bauer, den Tag und Abend zu, wenn die Arbeit and
die sechs Mahlzeiten ihn nicht hinderten'. Für Jütland endlich
ergibt sich die Gepflogenheit aus Molbeeks Dansc Diulect-
Lexikon (Kopenhagen 1841), wo nnter stavn die Frage angeführt
wird: aer han siael til stamis^ ,!8t er selbst (der Bauer) da-
heim'?" Auch in Ivar Aasens Norse Ordbog (Christiania 1873)
fiuden sich p. tiö7 unter njölc die folgenden Angaben: Han
»Iv: Huutibonden el. Formanden, Ho sjulf : Huusmodereti,
]ei gjttlre : .\fand og kone i Hattet.
- 340 —
Endlich treffen wir auch das himsdf und hersdfj was
Rhamm entgangen ist, in dem in Frage stehenden Sinne in
England wieder. In W rights The English Dialect-Dictionaiy
heisst es: h im seif ^a term applied to the husband or moiter
of the Speaker^, z. B. The servant said ,himself was not at
home\ His wife heard me asking after him and shoutedihä
himaelf hos gone to the herrings und her seif „a wife^j z. B.
Hou) is herselff Herself is gone to town.
Ganz in Übereinstimmung hiermit wird in einer Dichtung
Moria O'Niells, einer irisch-englischen Dichterin, y^Songs of th
Ölen of Antrino^ {The Grace for light) folgendes gesagt: .
Her seif would take the rushlight and light U for us all,
An' r,God he thanked^! she would say, ^now we have a light^,
Then we he to quet the langhin' and pushin' on the floor
And think of One tvho called us to come and he forgiven;
Him seif 'nd put his pipe down an' say the good word more,
r,May the Lamh of God lead us aü to the Light of Heaven!*
Aus den übrigen idg. Sprachen ist bis jetzt nur etwa auf
das griech. ainbq M(pa „der Meister hat es gesagt^ und auf das
Jat. ipsa in der Bedeutung von domina (Delbrück p. 57=435)
hinzuweisen. Vielleicht kommt noch mehr zutage. Aber das
reiche aus dem slavischen und germanischen Sprachgebiet für den
Bedeutungsübergang von „er selbst" in ^Herr" beigebrachte Material
genügt, um hinsichtlich des idg. *poti-s nunmehr den folgenden
Schluss zu rechtfertigen: Da in der idg. Grundsprache neben
einem substantivischen *poti'S „Herr", „Ehegatte" ein damit
völlig identisches pronominales *poti „selbst" liegt, ein Bedentangs-
übergang von „Herr" zu „selbst" in den idg. Sprachen aber
nirgends nachzuweisen ist, so folgt aus diesem allen, dass yon
der letzteren Bedeutung auszugehn, und die im Slavischen and
Germanischen nachzuweisende Sitte, den Hausherrn als „er selbet''
7.U bezeichnen, als bereits indogermanisch anzusetzen sei.
Selbstverständlich muss dieser Bedeutungsübergang in sehr
früher Zeit stattgefunden haben, da er von Bildungen wie sert
pdtyati „er ist Hcit über etwas" oder lat. potior aliqua re „ich
werde Herr von etwas" bereits vorausgesetzt wird, eine An-
schauung, der nicht das geringste im Wege steht ^).
1) Ich will nicht verhehlen, dass ich die hier erörterte Frage mit
•einem hervorragenden Sprachforscher durchgesprochen habe und dabei
p
Ein Wort ist Bcblie&sHch Doeh über dae idg., neben *poti-s
„Herr", „Eliegatte" liegende und (nach K. Brugmann Grnnd-
ries II, 315) sue diesem durcb eine falsche Analogiebildung nach
Wörlern wie Bcrt. tdkshan : takshnf entstandene *potni zu sagen,
d. h. tlber die „sie selbst'' neben dem „er selbst". DasB es
nifht angebt, aus diesem *potnl „sie seibat" irgendwelche
Schlüsse auf eine „parentalreehtliche" 8telluiig oder gar eine
Gleichstellnng von Mann und Fran in der idg. Urzeit, wie man
es früher getan hat (vgl. 1', I87f.i, zu ziehen, geht allein schon
aus dem oben über die Stellung der russischen samd dem samü
gegenüber bemerkten hervor. Wie diese rtissiscbe aamd, mag
auch die idg. *pot7if dem übrigen Hause oder wenigstens den weib-
lichen Mitgliedern desselben gegenüber (s. u.) eine gewisse Ehren-
Stellung eingenommen haben, dem *poti-8 selbst gegenüber war
sie, ebenso wie die samä in ihrem Verhältnis zum samü, ohne
Zweifel die zitternde Sklavin. Dies folgt aus allem, was wir
über die Lage der Frauen iu der idg. Drzeit wissen.
auf einen unerwarteten Widerspruch geiiCoBBen bin, den dernelbe
foIgendermaBsen formuliert hat; „Der Begriff „Herr* ist gewiaa ein
sehr «her, .selbst' aber ein stienilich junger, wie sich nicht nur aus
der ErwRgung, sondern auch ans den »ehr mannigfachen Darsiellungen
ergibt, die er in den verüchtedenen Sprachen ertahren hat. Daher ist
mir ,Herr" — , selbst' viul wahrscheinlicher als .selbsi' — .Herr".
Aber entscheidend iet das natürlich nicht. Ihre Beispiele zeigen deut-
lich, daas .selbst' den Sinn von „Herr" annehmen kann, wo ein Wort
fftr .Herr' längst besteht; und es lässt sich auch nichts dagegen etn-
weuden, dasa es ein solches Wort ganz verdrUngt habe. Es bleibt also
eigentlich nichts Übrig, als das» wir nicht annehmen dürfen, eine
Sprache habe eher einen Aundrucli für „selbst' als für „Herr" be-
sessen.'' Ich möchte hierauf erwidern, itaHS mir der Satz, dass unter
allen Umstanden der Begriff „Herr" »Her wie der Begriff „selbsl" sei,
als eine petitio principü erscheint, dnss ich aber auch, wenn derselbe
richtig ist, nichts gegen die Annahme einzuwenden hätte, dase *poti
.seltut" in der idg. Grundsprache ein alleres Wort für .Herr" ver-
drängt habe. Die Hauptsache ist immer, dass, rein sprachhisiorisch,
nicht Bprachphiloäophisch betrachtet, *poti .selbst" ebenso alt wie *poti
.Herr* ist, und dass es für den B eden tu ngs Übergang „selbst" — «Herr*
sahireiche, für den umgekehrten l*eine Analogien gibt. Übrigens zeigt
auch der Begriff „Herr" „in den verschiedenen Sprachen sehr mannig-
fache Darstellungen". Vgl, unser „Herr", engl, Lord, ital, signore usw.,
die Bämtlich in ihrer gegenwilrtigen Bedeutung nachweislich sehr
jung sind.
- 342 —
b) Die Lage der Frauen. Zunächst ist darauf hio-
zuweisen, dass sich erst nach der Trennung der einzelnen Völker
-die reinere Fomi der Monogamie aus der Polygamie der ünteit
entwickelt hat. Treffen wir doch unzweideutige Spuren der
Vielweiberei noch in den Hymnen des Rigveda'), namentlich bei
Königen und Vornehmen, an (vgl. Zimmer Altind. Leben p.324f.
und Delbrück p. 162 = 540), berichtet doch Herodot I, Kap. 135
Ton den alten Persern ausdrücklich: yajLUovai d' exaarog avtd»
jioXJidg juev xovQidiag yvväixag, 'JioXXcp d' hi nXevvag jiOiUaxdc
xxcüviaij und tritt doch bei unserem eigenen Volk im Anbegiim
seiner Geschichte die Vielweiberei im Westen noch als Ausnahme
(Tac. Germ, Kap. 18), im Norden aber als Regel (Weinhold
Altn. Leben p. 219) uns entgegen. Auch für die Gallier Itat
der Bericht Caesars de hello GalL VI, Kap. 19: et am
paterfamiliae inlustriore loco natus decesntj propinqui cwn-
veniunt et, ejus de morte si res in suspicionem üenit, de uxo-
ribus in servilem modum quaestionem habent auf. Vielweiberei
schliessen. Oder wie sollte man den Plural uxoribus anders
verstehen? Das gleiche wird endlich auch von den alten Thra-
kern (Herodot V, 5), Paeoniern (oben p. 275), Prenssen (?gl.
Hartknoch Das alte und neue Preussen p. 177) und Slayeo
(oben p. 319 und Krek Litg.* p. 362) berichtet.
In der Tat ist nicht abzusehen, wenn nach altidg. Brauch
-die Frau durch Kauf oder Raub in den Besitz des Mannes über-
ging, warum ein Bedenken dagegen hätte obwalten sollen, sei
es, wenn die eine Gattin dem Hauptzwecke antiker Ehe, der
Erzeugung männlicher Nachkommenschaft nicht genügte, sei es,
wenn der vermehrte Reichtum des Besitzers vermehrte Arbdt
tind Beaufsichtigung nötig machte, sei es, wenn es wünschens-
wert war, neue Familienverbindungen anzuknüpfen, sich auf den
gleichen Wege eine zweite und dritte Frau zu erwerben.
Indessen wird man gut tun, der Polygamie der Urzeit keine
allzugrosse Ausdehnung zuzuschreiben; denn es liegt auf der
1) Auch später ist in Indien die Zahl der Weiber nicht gesets-
rnässig beschränkt gewesen; doch begpnügt man sich mehr und mehr
mit einer legitimen Gattin. Es scheint, dass die sakrale GemeioBchsft
von Mann und Frau hierauf von Einfluss gewesen ist. Vgl. JoUj
Über die rechtliche Stellung der Frauen bei den alten Indern, Sitznngtb.
'd. phil.-hist. Klasse d. Münchner Akademie 1876, § 13.
[and. ilass Aer Wunscli nadi dem Besit/ iiielirerer durch Kauf
I erwerbender und auch im Falle de» Raubs ta erhaltender
Tciber nicht jedem ausfuhrbar gewesen isl. Für gewöhnlich
tochle man daher nui' im Falle der Kinder-, namentUeb der
gbnlosigkeit der Frau zn einer Tiweiten Heirat schreiten. Es ist
£ht nnintereseant zu sehen, wie von diesem Gesichtspunkt ans
Bj den Sudslaven noch gegenwärtig Bigamie in Gestalt einer
tellvertreterin (namiegtnica) gestattet ist. In höchst anscban-
iher Weise erzählt Krause a. a. 0. p. Ü28ff., wie es in einem
dcheu Fall hergehl.
Aber auch, wenn der Mann als die Ursache der Kinder-
Bigkeit galt, scheint der Urzeit ein Ausweg zu Gebote gestanden
, haben, reehtmässige Kinder dem Hause zu verschaffen. Bei
ideni, Griechen und Germanen findet sich der rohe Brauch,
i der Ebcherr sich durch einen Stellvertreter, der nrsprBng-
ih vielleicht der Manneebruder oder ein anderer naher Ver-
tndter war, sieb hei seiner Fran Nachkommen erzeugen lassen
mn (vgl.Leist Altarisches ./m« gentium p. Iüf>, Gräco-i talische
jchtsgesehichte p. 4Ö. Grimm R. A. p. 443 und mein Real-
Xikon s. V. Zeugungsbelfei). Jedenfalls scheint mir ein
lieber Brauch in die idg. Auffassungsweise des Ebeverliältnisses
üb aufs beste zu fügen. Die Frau gebfirt dem Manne mit Leib
1 Leben, und was sie hervorbringt, ist sein Eigentum, wie das
nlb seiner Kuh oder die Frucht seines Ackers. Der Mann sieht
ich das von der Frau geborene, von einem anderen ge-
Xtgte Kind als das seine au, wenn die Zeugung nur mit seinem
^illen geschehen ist. Es ist im Grunde derselbe Gedanke des
ibedingten Cigentumsrechles Aber die Frau, wenn der Skandi-
ivier sieb nicht scheut, das Bett der Ehefrau dem Gastfreund
Knbieten (Weinhold Altnord. Leben p. 447).
In denselben Ideenkreis gehört es, wenn der naive Sinn
I frllhen Altertums in dem geschlechtlichen Umgang des ver-
lirateten Mannes mit anderen Weihern nichts sittlieb AustOssiges
ttlickt, während der Ehebruch der Fran mit den härtesten
"afen geahndet wird, weil er in das Eigentumsrecht des Manues
pgreift Der bomeriacbe Held spricht ohne Scheu von seinen
»weibern, wie Agamemnon (II. IX, 128 ff.) dem zürnenden
Kbill «UBser der BriseYs, deren Bett er aber nicht bestiegen zu
1 feierlich versichert, seine sieben tesbischen Weiher und
- 344 -
nach der Einnahme Trojas zwanzig der schönaten Troeriimefi
und schlieBBlich als Eheweib eine seiner Töchter (äyäeivoy ^ohne
Kaufpreis") zusichert. Die AvrjTij oder dovQixjrjTrj naXiaxk steht
im allgemeinen unbeanstandet neben der xovQidiYj äiox(K» Die
Tötung der im Ehebruch betrofTenen Frau ist in Griechenland
zwar nicht mehr zu belegen; dafür trifft sie der moralische Tod,
die Atiroie {drijucov ttjv roiavTtjv yvvaixa xal t6v ßiov äßimor
avrfj TiaQaoxevdCcov), In Kyme ward die Ehebrecherin auf einem
Esel durch die Stadt geführt und auf einem Stein zur Schaa
gestellt (K. F. Hermann Lehrbuch der griech. R. A., beraosg.
V. Th. Thalheim p. 18). Der Mann fordert die Sdva znrfiek
(oben p. 320 f.) und darf den in flagranti ertappten Buhlen er-
schlagen^) (Hermann a. a. 0. p. 37 Anm. 5).
Genau den urzeitlichen Standpunkt stellt die altrömische
Rechtsauf fassnng dar, wie sie Cato bei Gell. 10, 23 äussert: In
aduUerio uxorem tuam fti prehendisseSj sine iudieio impune
necares (bis auf die lex Julia de adulterüs) : üla te, si aduUe-
rares sive tu adulterarere, digito non auderet contingere, neque
ius est. Ebenso ist es bei den Nordgermanen (Weinbold Altn.
Leben p. 248, 250). Dem Manne ist das ausgedehnteste Kon-
kubinat gestattet, die Frau, im Ehebruch ergriffen, darf samt
ihrem Buhlen erschlagen werden. Etwas milder, auf den Begriff
der griechischen Atimie hinauslaufend, ist die Bestrafung der
Ehebrecherin bei den Westgermanen des Tacitus {Oerm, Kap. XIX):
paucissima in tarn numerosa gente adulteria, quorum poena
praesens et maritis permissa: accisis crinibus, nudatamf
coram propinquis expellit domo maritus ac per omnem vicum
verbere agit, womit aufs beste die Nachricht des Bonifacios
(Monum, Magunt. ed. Jaff^ p. 172) hinsichtlich der Sachsen
übereinstimmt: Aliquando, congregato exercitu femineo, flagd-
latam eam mulieres per pagos circumquaque ducuntj virgi$
caedentes et vestimenta eius abscindentes iuxta cingulum. Da-
gegen bestimmt wieder lex Visig. III, 4, 4 (Grimm R. A. p. 450):
si adulterum cum adultera maritus vel sponsus occiderit, pro
homidda non teneatur, und auch bei den Sachsen kam es,
wiederum nach Bonifacius, vor, dass sich die Ehebrecherin anf
1) Vgl. über die sehr lehrreichen Verhältnisse des Gortynischeo
Rechts F. Bücheier und E. Zitelmann Das Recht von Gortyn IM
p. 101 ff.
bOpfen niiDtpte, und der Eliebreeher Aber ihrem Grabe gehäogt
urd«.
Auch naeli sUdgkvischein Gewohnlieitsrecht darf der ge-
kränkte Mann deo Buhlen und die Ehebrecherin auf der Stelle
Iftten. Zuweilen wird in den VolitBÜedern erwähnt, daes die
Fran erst später von Pferden zu Tode geschleift wird (Kraus»
Ea. 0. Sil, 566).
Im alten Indien lassen sich Knnknbinat und Polygamie
Iten scharf voneinander scheiden. Über die Behandlung der
Ehebrecherin stehen mir aue den älteren Quellen keine Nach-
richten zn (jebote. In den späteren Rechtsbüehern (Jolly a, a. 0.
§ 12) ist der Ehebruch der Frau natürlich ein legitimer Ornnd
fOr ihre VerotofisuDg. Daxn soll man einer Ehebrecherin nur (He
uotdllrftigste Nahrung reichen, ihr das Haar scheren (vgl, oh(>n
die Nachricht des Tacitus), sie schlecht kleiden und /.ur niedrig-
sten Hklavenarbeit aubatton. Aber auch die Todesstrafe der
Ebebreeherin kommt vor (Jolly Recht und Sitte, Grundriss der
guiuarischen Phil. IIj.
^P Eine weitere Folge des Kaufes der Frau, die, vrie wir
HUlon sahen, dadurch /.um unbeschränkten Eigentum des Mannes
g;eworden ist, ist die wohl beglaubigte Tatsache (vgl. mein Real-
lexikon 8. V. Ehescheidung), dass, in je frühere Zeiten wir
/.urßckgehen, die Verstossung der Ehefrau dem Manne um so mehr
erleichiert wird, während diese mit unlösbiiren Banden nn ihren
Gebieter gefesselt bleibt. Sprengt sie dieselben, so trifft sie auch
^er der Tod {Lex Burg. XXXIV, I : Si qua mulier muritum
H^wn, CMi legitime iuncta est, diinigerit, neretur in lutfi).
^m Dieselbe Gewaltherrschaft des Gatten Dber das Eheweib
^Att nns auch in dem Umstand entgegen, dass hinsichtlich der
Kinder, die das Weib gebiert, der Vater durch die bei Indern,
Griechen, ROmeni und Germanen gemeinsame Hitte des Aufhebens
{»yfUQäoikit, tollere, gancipere) des Kindes zu entfoheiden bat,
ob dasselbe leben oder sterben, d. h. ausgesetzt werden soll.
Bei den Germanen kann es wenigstens keinem Zweifel unter-
liegen, dass in dieser Angelegenheit lediglich der Wille des
Vaters entscheidet (Grimm R. A. p. 4.'i5ff., Weinhold Alln.
Leben p. 260), und auch im alten Rom ist das Verkaufs- and
lUDgsrecht des Kindes als der konsequente Ansflnss der Valer-
ien Gewalt 7,n betrachten (Marqnardt Privatleben p. 3, 81).
der .SpruclivcrKlciGliuni; und Dr^solilclitc II. S AuH. 23
— 346 —
Etwas weniger klar liegen die Dinge bei den Indern. Eine
%StelIe im Rigveda (V, 2, 1) könnte nach Ludwig (Rigveda VI,
142) darauf bezogen werden, dass auch in Indien die Matter das
Kind dem Vater „gibt" ^), eine Stelle der Taittiiriya-Safnhitä
(Zimmer Altind. Leben p. 319, Ludwig Rigveda V, 568) be-
richtet, so scheint es, von dem Aussetzen von Töchtern und
deutet auf die schon oben genannte Sitte des Aufhebens des
Kindes durch den Vater-) hin. Wenn dagegen in den Sfitras
ausdrücklich Vater und Mutter als diejenigen genannt werden,
welche die Macht haben, ihre Söhne zu geben, zu verkaufen and
zu Verstössen (vgl. bei Leist Altar. Jtis gent. p. 115), so werdwi
wir kaum irren, diese Auffassung nicht als etwas ursprüngliches,
sondern lediglich als die Folge der immer mehr aufkommenden
Anschauung zu betrachten, dass Mann und Weib die beiden
Hälften eines und desselben Körpers seien (vgl. Jolly Sitzungsb.
p. 437).
Auch in Griechenland war der iy^vigiainog „das Aussetzen
in tönernen Gefässen" sehr verbreitet. Ebenso der Verkauf der
Kinder, den noch zu Solons Zeit kein Gesetz verhinderte (Plutarch
Solon 23, 13). Nur in Theben war die Aussetzung durch ein
strenges Gesetz verboten, dafür aber der Verkauf im Falle höchster
Armut gesetzlich geregelt (Aelian ]\ H, II, 7). Dass hierbei
auch in Griechenland tiberall der Wille des Vaters (nicht der
beiden Eltern) als oberste Instanz über Leben und Tod des
Kindes anzusehen ist, kann kaum bezweifelt werden, wenn der-
selbe auch frühzeitig durch Hinzuziehung eines Familien- oder
Sippenrates begrenzt wurde. In Sparta, wo das Kind von einem
gewissen Alter an nicht mehr den Eltern, sondern dem Staate
1) kuniärdm m(Ud yuvatifn, sdmubdham
gühä hibharti nä dddäti pitri',
2) Die Stelle lautet: tasmät striyam paräsyanti, ut putnänsam
haranti (6. 5, 10, 3). „Deshalb setzt mau ein Mädchen aus, einen Knaben
hebt man auf" {tollunt, dvaigovvrai). Anders Böhtlingk (Z. d. D.
Morgenl. Ges. XLIV, 494): „Einen Sohn hebt man bei seiner Geburt
vor Freude in die Höhe, ein Mädchen legt man bei Seite" ; doch macht
<ier genannte Gelehrte in den Berichten d. Kgl. sächs. Ges. d. W.
(15. Dez. 1900) das Zugeständnis, dass d&a pardsyanti auf einen ,,Ge8tiis
bei der Geburt eines Mädchens" und „als symbolische Verstossmi^
•desselben gedeutet werden könne. Im modernen Indien waren Mädchen-
morde bis tief in die Zeiten der englischen Regierang tiberans häufig-
- 34T -
ifirte, rit ytvrtjßkv ovx i/i- nrQi'K <> y^vvi]ini^ (also wie ander-
wärt«) T()£<fuv, sondern iiTiv <) vimT»- at nyiaßthajot eulecliieden
über die Anfnalime des Kindes (PIntarcb Lycurg XVI), wie das-
selbe auch iii Roni .^^wf ärd^nat toi; tyyioTii oixoT-at (Dion. Hai.
U. 15) ?or der Aussetznn^ vorge/.eigt werden musete.
UetMffeu wurden vou der Ans8et/.uug ausser kranken,
scliwäcblieben und hiusiciitlicli ihres Ursprungs verdäcbtigen
Kindern zumeist Tüchter, deren Besitz der vedischen Welt ein
„Jammer" ist (^vgl. Zimmer Altind. Leben p. 320). Dieselbe An-
schantiDg durchzieht aucli das griechische (Herinann-Blümuer
Privatalt. p. 282), römische (Marquardt Privatleben p. 3) und
germanische (Weinhold Altnord. Leben p. 2t30) Altertum und
ist nicht ungeeignet, ebi-nfalle ein Streiflicht auf die Auffassung
des Weibes in der Drxeit v.n werfen ';-
Dass ferner dasselbe Verkaufs- und Tötungsrecht wie über
die Kiniler dem Ilanshfrrn auch Über das Weib selbst von Haus
aus zugestanden habe (vgl. Ilher die Gallier Caesar VI, 19: vir!
in uxores, a'icitt in Uberon, rttiie necisque halient pofestatem, Über
die Nordgermanen Weinhold Altn. Leben p. 249, ober Rom
Knssbacb Rom. Ehe p. 20), ist nicht minder in dem Charakter
der idg. Ehe begrilndet, wenn auch gerade diese Hftrten am
frühsten durch die Anteilnahme der weiblichen Sippe an den Ge-
schicken ihrer Blutsverwandten gemildert wurden; doch ist bei
den Germanen der Verkauf der Frau lange üblich und im eng-
lischen Recht bis in die neueste Zeil gestattet gewesen (vgl.
B. Bartsch Die Rechtsstellung der Frau, Leipzig \%(i'6 p. 62).
i —
■ 1) Vgl. BuaaeD über Rus»lari(l, licrausg. von J. Mülnik, PrAiik-
m\ a.M., p.70 (Alexander Nowikot ,Dns Dorf"): .Über einen Knaben
freni sich die ganse Familie, ein Mädcben iHt ort von vornherein ein
ungebetener Gast und weckt nur in dem Herzen der Mntter ein
rreDdio:es Gefühl. Beinalie In ganz RuBHJand herrscht folgender Brauch ■
wenn einem jung verniBhllen Paar das erste Kind geboren wird, und
e« ist ein Mädchen, »o packen am nAchsIen Tage die Freunde den
Vater, legen ihn über und prügeln ihn. Das geschieht nicht nur
fi>~inbo1iBch, Hondern es wird latHBcblich bis zu Tränen und Striemen
;reBchlagen. und er .darf etj nichl Ü1>elnehmen — denn ao will es dei-
Brauch," Ähnlich wird In den Abruzzeii der Vater einei« Müdchens
auf einen Keel mit dem Gesicht nach dem .Schwan» gesetzt und durchs
Dorf geführt (vgl. P A. Kovinskij Sbornik d. kais. Ak. d. W. in St.
Peteraburg LXin, S33).
- 348 —
In genauestem Znsanimenhang mit diesem unnmBcbr&nkteft
Besitzrecht des Hausherrn über die Gattin stehen meiner Meinnnf
nach auch die grausamen Bestimmungen, welche das frtthe idg»
Altertum über die überlebende Frau, die Witwe (scrt. vuttdod,
lat. mduüy ir. fedh, altsl. vidova, got. viduvöy) verhängt £8
kann kaum einem Zweifei unterliegen, dass die Sitte des gemeiB-
Bcbaftlicben Todes der Frau mit dem Manne eine altindogerma-
nische, wenn auch, ähnlich wie die Polygamie, nur bei den
Reichen und Mächtigen übliche Einrichtung ist, die einerseitB
aus dem Wunsche hervorgeht, dem Manne in sein Grab alles
dasjenige mitzugeben, was iui Leben ihm teuer gewesen ist (ygl.
Kap. XVI: Religion), andererseits den Zweck hat, das Leben
des Hausherrn sicherzustellen (vgl. Caesar de hell. GM, VI,
Kap. 19) und zu einem Gegenstand steter Angst und Fürsorge
der Seinen zu gestalten (s. u.j. Über den Brauch der Witwen-
Verbrennung bei den nördlichen Indogermanen hat bereits V. Hebn'
(p. 531 ff.) erschöpfend gehandelt. Spuren derselben finden sich
aber auch in Griechenland (Pausanias VI, 2, 7) und Italien').
Bei den Indern herrschen bereits im Rigveda mildere Sitten,
wie ein Hymnus (X, 18, 7) zeigt, wo dem an der Leiche ihres
Gatten trauernden Weibe die tröstenden Worte zugerufen werden:
Erhebe Dich, o Weib, zur Welt des Lebens:
Des Odem ist entflohn, bei dein Du sitzest,
Der Deine Hand einst fasste und Dich freite,
Mit ihm ist Deine Ehe nun vollendet.
(Geldner-Kaegi 70 Lieder.)
Auch in den au den Veda sich anschliessenden Literatnr-
epochen und in den ältesten Rechtsbfichem findet sich nach
R. Garbe Die Witwen Verbrennung in Indien (Deutsche Rnod-
schau, März 1903) keine Erwähnung dieses schrecklichen Brancbes.
Trotzdem ist auch Garbe, ebenso wie H. Zimmer (Altindiscbes
Leben) und vor diesem E. B. Tylor (I^mitive Culture I), der
1) Daneben lässt sich, wie Delbrück (p. 160= 538) gezeigt bat, ein
idg. Ausdruck für den Witwer nicht nachweisen. Auch dies ist
charakteristisch, da in der Urzeit offenbar ein Mann, der seine Frau
verloren hatte, ein bedeutungsloser BegrilT war.
2) In den „umbrischen'* Brandgräbern Oberitaliens finden sich
mehrfach weibliche Skelette, die Montelius La civilisaiion primUict
de VItalie p. 462 für die mitgegebener Frauen hält.
r
349
Aneiclit, dase es aicli hei dem in Indien bis in die Voraeit
fiblichen MitBterbeii der Witwe nicbt um eine mittelslterliclie
grausHoie Erfindung der Brnlimanen. sondern nin einen in den
genannten aitidg. Zuständen wur/elnden, eine Zeitlang xnrltck-
getretenen nnd danu wieder neu belebten Brauch bandelt; denn
schon die Hegleiter Alesanders des Grnssen auf dessen Zuge
nach Indien, Aristobniog ivgl. Strabo p. 714) und andere (vgl.
DiodorusSieulus XIX, 33}, hatten gehört, „dass dort die Weiber
sieb freiwillig mit ihren Männern verbrennen, nnd es denen, die
es sich nicht gefallen lassen, zur Schande gereicht".
Nachdem die Anschauungen menschlicher geworden sind,
zeigen sich die Spuren des alten Verhältnisses noch in dem Verbot,
welches gegen die Wiederverheiratnng der Witwe erlassen wird.
So fand es Tacitus <Germ. Kap. 19) in westgermanischen Staaten
fin quihun taiitum virginen iiubunt), und auch im alten Griechen-
land ngÖTfQiii' dt xaäerrr^xn toic yin-atsii- In ävSoi t'mo&ayövri
jpiim'my (Faus. II, 31, 7).
Als Susserst charakteristisch für <ia8 Verhältnis der Ehe-
tgatten in der idg. Urzeit können endlich die zahlreichen Nach-
iichten gelten, die wir bei den meisten id^;. Vfilkei-n über häufige
Jlord-, namentlich Giftmord versuche der Frauen gegen ihre Männer
nod Vorkehrungen der letzteren gegen diese Nachstellungen be-
sitzen. So bringt Diudortis Sicnlus (a. o. a. 0.) die indische
Witwen Verbrennung in ursächlichen Zusammenhang mit Kahl-
reichen Giftmordversucben der indischen Frauen, gegen die die
■Gewissheit, mit dem Manne zu sterben, eine Sehntzwebr gebildet
ibabe, und es scheint mir kein ausreichender Grund vorbanden
-ztl sein, mit Garbe an der Richtigkeit dieses in anderer Be-
-fiehung den Eindruck der Wahrhaftigkeit machenden Berichts
TO zweifeln. In Rom konnte der Mann nach den Legen Regiae
■(vgl. Plutarcb Rom. Kap. 22) seine Frau Verstössen td ifat^/mufiif,
-lExvwv JJ ahiAüv vnußoXfi „wegen (liftmord versuch und der
Cnterschiebang von Kindern und Schlüsseln" (wenn wir dieser
Interpunktion der Steile bei Iheriug Vorgeschiciite der Indo-
«nropäer p. 420 vertrauen dürfen). Im Jahre 329, also, da die
„gute alte Zeit" in Rom noch herrschte, versuchten nicht weniger
als 170 römische Matronen (Livius VIII, 18i ihre Männer durch
■Gift zu beseitigen. Auf die Nachricht des Caesar von peinlichen
Untersuchungen gegen die gallischen Ehefrauen, wenn ihr Mann
- 350 -
gestorben war, wurde schon oben (p. 348) hingewiesen. Nicht
weniger häufig ist in den germanischen Volksrechten (vgl
Löning Geschichte des germanischen Kirchenrechts II, 621)yon
Nachstellungen der Frauen gegen das Leben des Ehemanneg
die Rede.
Eine lebendige Illustration erhalten diese Vorgänge grauer
Vergangenheit durch das heutige russische Volksleben, in dem
die Frau im wesentlichen dieselbe niedrige Stellung einnimmt,
die wir für die idg. Ehefrau voraussetzen müssen *). Überaos
häufig wird in den russischen Volksliedern (vgl. z. B. Sobo*
levskij III, s. V. zamuiestvo) erzählt, wie die Frauen ihre ver-
hassten Eheherren und oft grausamen Peiniger erwürgen, vergiften
oder sonstwie aus der Welt schaffen. Wollte man glauben, Am
hier poetische Übertreibungen und Verallgemeinerungen vorlägen,
so würden uns prosaische Berichte über dieselben Zustände eioes
besseren belehren. So besitzen wir eine Erzählung des bekannten
Schriftstellers Maminü Sibirjakü: Otrava „die Giftmörderin"
(Uralische Erzählungen I). Die Heldin der Erzählung hat schon
manchen Bauer, der es mit seiner Frau zu toll trieb, ins Jen-
seits befördert. Endlich wird sie entlarvt und nach Sibirien
geschickt. Hierzu äussert sich ein Bauer, namens Vachruika,
folgendermassen : „Erstlich — diese Weiber sind Närrinnen (dafö
sie nämlich Otrava verraten haben); sie hätten sich mit ihren
Zähnen an Otrava festbeissen müssen, da sie ihr Schutz und
Schirm war. Wie man die Frauen jetzt bei uns peinigt, ist
1) Dasselbe gilt von den Südslaven. Kein Montenegriner vc^
gisst, wenn er von Frau oder Tochter spricht, sein oprosHte sVe^
zeihf^ hinzuzufügen. Die Frau küsst jedem Mann die Hand, entschuJit
ihn und wäscht ihm die Füsse. Sie ist immer dem Manne zu Diensten.
Er wird ihr keinen Trunk Wasser geben, selbst wenn er ihn tur
Hand hat. Wehe dem Weibe, das die struka (eine Art Plaid) ihres
Mannes mit der ihrigen verwechselt; es kann ihr Tod sein. In dem
steinigen Teile Montenegros kann man lange Karawanen von Frauen
sehen, die auf ihren Schultern Bretter, Ziegelsteine und andere Bau-
materialien wie Lasttiere einherschleppen; aber auch in anderen Tdlen
Montenegros ruht die Arbeit, besonders auch die ganze Wartung de»
Viehs, fast ausschliesslich auf den Schultern des Weibes usw. So lauten
die Mitteilungen Rovinskijs (vgl. Kap. XIII), des gegenwärtig wohl
besten Kenners Montenegros und Serbiens, der noch dazu sichtlich
bemüht ist, diesen Verhältnissen eine Lichtseite abzugewinnen. Vgi^
auch Rhamm im Globus LXXXII, 274, Serbien betreffend.
- 861 —
ihr ei'k lieh." Dann t'r/.alilt er eine Reihe geradezu enlsetülicher
Alle golelicr Missliandlungeo und fährt iiöchst naiv fort: „Alle
^anen, die es tiicht cuehr aushalten konnten, gingen zur Otrava,
id die gab ihnen ihr Mittel und lehrte »ie es gebrauchen. Nnu,
■ die Männer war es ininier eine Drohung, Aucb meine FZvlaclia
«Ute mich einmal in dieser Weise vergiften. Damals kriegte
Ifa ein solches Reiasen im Baueb, schlimiuer wie der Tod: als
man in meinen Eingeweiden Gras mäbte. Damals daehte
h gleich an die Otrava, Ja, nnsere Weiber haben einen schweren
erlöst erlitten. Jetzt haben sie nichts, womit sie sich
Dr ihren Männern schül/.en können.'^ Und als er hinaus-
gangen ist, sagt Ivanü Anionyi-n, der Gemeindeschreiber: „Ja,
* wahr ist, uiuhb wahr bleiben . . . Die Baaern sind wie
1 wilden Tiere, und die Frauen vergiften sie, so ist s in allen
Crfeni." Und der Feldscher fUgt hinzu: „Ja, ja, jedes grössere
orf hat seine eigene Otrava." Auch sonst macht die rassische
orfdichtnug mit Vorliebe von dem Motiv des Giftmords, be-
iDgen von der Frau an dem verhassten Fhemann, Gebrauch.
DfUr noch auf ein in kullurhistoriseher Beziehung in mamiig-
icher Hinsicht inleressantes Stock von N. GarinQ „Ein Dorf-
[Sbornikü iovami^estm y,Znaiue** za 1903 (jodü, I.
^ershnrg 19Ü4) verwiesen sei.
Ee ist diesen Tatsachen gegenüber eine verzweifelt naive
rage, ob die Stellung der idg. Frau eine ..ziemlieh hohe" oder
„niedrige" gewesen sei, and, ob es sich „um eine bewuaste
[niedrignng handle, weuu die P'rau arbeite" (vgl. 11. Hirt Die
idogermanen 11,444, 71(5). Die idg. Frau war ganz einfach ein
MchOpF zweiler Ordnung. .Als solches wird sie vom Manne
j^eseben, als solches betrachtet sie sich selbst und sieht die
sfaandhing, die ihr zuteil wird, wenn sie nicht alles Mass über-
Bigt, als die natllrliche Ordnung der Dinge an. Jene russi-
hen Frauen, wie sie uns die Volkslieder schildern, werden
bbt nur von ihren Mannern gesuhlngen, sondern sie wollen
ich geschlagen sein, Sie würden es als unbegreifliche Schlapp-
, ja als Kälte von seilen ihres Mannes empfinden, wenn sie
■t, Rftscbig. ungehorsam, untreu gewesen sind, nnd dei-selbe
jllte sie nicht handgreiflich „belehren" iuiitl), wie der tech-
iche Ausdruck ftlr „schlagen" heisst. Die Peitsche in der
I des Mannes ist diesen schwachen und leidctiscliaftliclteii
- 852 -
Wesen ein Zeichen Heiner Stärke und Männlichkeit, nud jeder-
zeit haben diese Eigenschaften den Frauen imponiert. Nach
einem häufigen, vielfach variierten Thema der Volkslieder (ygl
§ejn Der Grossrusse I Nr. 464, Sobolevskij IV, 804) be-
klagt sich ein junger £hemann, dass seine Frau ihn nicht liebe,
die Freude hasse, den Leuten ihr Antlitz, ihm den Rücken zu-
kehre. Vergebens fährt er nach Nowgorod, um ihr Shawl und
Schleier, nach Kasan, um ihr seidene Strümpfe uud safrangelbe
Schuhe zu kaufen. Es ist alles umsonst. Sie sagt: ^^Das ist alles
ganz hübsch, aber Dich mag ich nicht, Dich will ich nicht, Dabist
mir viel zu grün.^ Da endlich kauft er ihr auf dem Jahrmarkt die
seidene Peitsche, und siehe da, alles ändert sich : ^ Lieben Leate,
beglückwünscht mich zu meiner Frau ! ' Sie liebt mich, sie liebt
die Freude. Sie wendet den Leuten den Rücken und mir ihr
Antlitz zu.^ Ähnliches erzählt 6l6bü Uspenskij in seinem
kulturhistorisch äusserst wertvollen Werk Vlasti zendi p. löl.
Er führt uns eine Frau aus der „guten alten Zeit*' vor. Sie
klagt über die „neuen Ordnungen^: „Ja, ja, was mein Seliger
war, der war auch ein rechter Tyrann [istirdnitü): die Zähne
haben mir weh getan, dass ich kaum essen konnte, und die
Kinnladen hat's mir zusammengezogen. Und mein Gesicht, Da
meine Liebe, das hat der Selige zugerichtet, dass es schwarz wie
Eisen war. Nun, ich hab' alles erduldet. Ich hab' geweint und
es erduldet, aber ich hab's verstanden, und jetzt, rühr' nur
so ein Luder mit dem Finger an, gleich wird sie Dich umbringen.'^
Aber, wird man einwenden, das ist so bei den Russen,
das ist nichts Ursprüngliches, das ist Entartung von der frommen
Sitte unserer idg. Vorfahren. Wenden wir uns also zu den Sfld-
slaven, „deren Verhältnisse den indogermanischen ähnlicher
sind, wie sonst irgend etwas in unserer Überlieferung" (H. Hirt
L F. XIII, Anzeiger p. 12). Auch hier sind die jungen Frauen
mit der Sanftmut der Männer gar nicht zufrieden. „Ein inter-
essantes Beispiel bildet Tekia, die Mutter berühmter Helden. Ihr
erster Mann trieb Ziegen nach Hause und wagte sie, die m
Spinnrad sass, nicht mit dem Befehl, sich um das Vieh zn
kümmern, zu stören. Da sagte sie: „Das ist kein Mann für
mich'', und lief fort. Ebenso erging's ihr mit dem zweiten. Eni
als der dritte bei einer ähnlichen Gelegenheit, weil sie die von
ihm][erbeuteten Türkenkühe nicht eingetrieben hatte, ihr einen
— 354 -
IV. Die Herdgemeinschafb.
Dass in der idg. Urzeit der Sobn, wenn er heiratete, nicht
ein eigenes Herdfener entzündete, sondern mit seinem Weib und
den von diesem geborenen Kindern in Herdgemeinschaft mit
seinen Filtern blieb, darf als die regelmässige Lebensgewohnbeit
angesehen werden. Nur unter dieser Annahme erklärt sieb die
sorgfältige Terminologie, welche, wie wir in Abschnitt I sahen,
schon in der Ursprache für die Beziehungen der jungen Fraa
zu den Angehörigen ihres Mannes bestand. Aber auch die ge-
schichtlichen Nachrichten weisen auf diese FamilienkoDstrnktion
mit zwingender Deutlichkeit hin. Als Agamemnon in der ilias
IX, 141 ff. den Peliden versöhnen möchte, sagt er u. a.:
ei de xev ^AQyog Ixoifie^' ^AxaXxov^ w^q dgovQrfg,
yafißgog xev f4ot eoi' xiooy de fiiv toov X)geoTUf
og jnoi TTjXvyexog tgeq^ezat dakifj evi JioXXfj.
rgeig Öe fioi eiot dvyatgeg ivi fieydgq) F.v:ti^xj(p,
Xgvoo&efÄig xai AaoStxt] xai 'Iqpidvaaoa'
TOLcov fjv x' i&eXjjai (piXrjv dvdedvov dyio^io
JiQog oixov IlfjXfjog ' eyw 5' hti fieiXia dcooco
jtoXXd fidX\ 8oö' ovjico rig efj ejiid(oxe OvyaxQi,
Also: ^Achilleus soll mein Eidam werden; er soll ohne
Kaufpreis eine von meinen Töchtern, welche er will, (nicht in
sein Haus, sondern) in das seines Vaters, Peleus, führen. Ja,
ich will ihm noch Geschenke (juelXia) dazugeben, wie sie noch
niemals ein Vater seiner Tochter gegeben hat." Aus dem ältesten
Rom erfahren wir durch Plutarch: „M. Crassus war der Sohn
eines geehrten Vaters und einstigen Triumphators; aber er wurde
in einem kleinen Haus mit zwei Brüdern erzogen. Und seine
Brüder hatten noch bei Lebzeiten der Eltern Frauen. Und alle
setzten sich an denselben Tisch." Ferner heisst es bei Valerins
Maximus (IV, 8, vgl. Plutarch Aem. Paul. V) von der Familie
der Aelier: Quid Aelia familia, quam locuples! Sededm eodm
tempore Aelii fueruntj quibus una domuncula erat <^
unus in agro Vejente fundus minus multo cultores deMerant
quam dominos habebat. Um einen Herd, versichert ausdrück-
lich Plutarch, waren hier also 16 Männer desselben Familien-
namens mit ihren Frauen und zahlreichen Kindern versammelt.
Gänzlich unverständlich aber würde uns ohne die Voraussetzung
iner ZHJeclK'ii Klk-iii mul verbeiraleicti Süliticu l)c»tchendoit
lerdgemeinechaft vor allem das slavisclie Volksleben sein, wie
i nns die rna»iBeheu nnd KcrInsL-lieii Volkslieder scliildeni. Hier
tbeii ävU die idg. ZiistHnde offenbar am längsten erhalten, iinil
I ist datier kein Zufall, da^s untei' den uodernen die slavisehen
iprnelien die ]i, 311ff. genannten idg. Versebwägerungebexeieh-
angen ivgl. /.. B. aerb. srekar „Vater des Mannes", Hrekrva
Mniter den Mannes", snakit pScIiwiegertocliter", djever „Brnder
: Mannes", zaovu „Scbwester des Mannes", jetrva „Frau des
trnders des Mannes") am treusten bewahrt haben. Wiederholt
ird in den niss.ischen Volksliedern erzählt, welchen Kampf die
te^sta 'vg\. oben p, 316) bei dem Eintritt in die nene Familie
I bestehen hat, wie sie der .Scbwiegervaier eine „Bärin", die
lehwicgerniutlcr eine „Menacheufresserin", der Schwager eine
Schlampige", die Schwägerin „eine Faulenzerin" usw. nennen,
nd wie ihr Mann danu die „Junge" lehrt, diesen Angriffen zu
«gegnen. Ganz gleiche Verhältnisse wie das russische Volks-
setzt ohne Zweifel schon der Rigveda voraus, und wenn
i B, X, 85, 27 der Neuvermählten zugerufen wird:
„So sthalt' und »'uke dt^nn im Ha«s
o>i Schwieger und ob Sohwicgerin,
I die Schwflper und difl Suhwüs^erin.
nie sind Dir gleiclifalls imlertnii",
I wird der jungen Arierin in diesen Versen sichtlicb nichts
ideres gewünscht, als dass sie den im russischen Volkslied aus-
ihrlich geschilderten Kampf mit den ,\ngehörigen des Mannes
egreicb besteheu müge Wiederholt berichten uns auch die
issischen Volkslieder von den Art)eilen, welche die „Junge" im
men Hause zu verrichten hat, wie sie fur den Schwiegervater
etreide dreschen und trocknen, fllr die Schwiegermutter Lein-
and anzetteln, wie sie deni Schwager „das gute Pferd satteln",
(r Schwägerin „die rflhrentllrmige HaarFlechte flechten" muss,
lies dies ist selbstverständlich nnr bei einem räumlichen Zu-
itnnien wohnen der betreffeiidi.-ii Personen itenkbar. In die izbä
Her solchen nissisehen Orossfarailie ftlbrt uns z, B. Turgeniew
\ dem ersten Sttlck der Memoiren eines Jägers ein, in dem von
gem leibeigenen Mauern, namens Chorl, berichtet wird, der mit
ler ganzen Schar erwachsener Sfihne und deren Frauen zii-
unmcnlebt, oder Mrignrovii^n in seiner kultnrbistorisrh bedeut-
- 856 —
«amen Erzählung „Die Fischer", in der Glßbü, der Held
Romans, sein Quartier ausser mit seiner Frau und zwei un-
verheirateten Söhnen noch mit zwei verheirateten Söhnen und
•deren Frauen und Kindern teilt (vgl. auch Wallaee Rassland
IK 94: „Eine Bauernfarailie vom alten Schlag" und A. Leroy-
Beaulieu Das Reich der Zaren I«, 398 ff).
Es ist die altrussische patriarchalische Grossfamilie {pairi-
<irchdllnaja hoUsdja 8emljd\ die hier uns überall entgegentritt,
und an deren Spitze mit uneingeschränkter väterlicher Gewalt
der Vater, Gross- oder auch Drgrossvater steht, genannt der
7, Alte" (starikü), der „Hausherr" {xozjdinü) oder „der Growe"
{boUMkü). Es ist eine Bluts-, aber auch eine Gütergemeinschaft,
4ind alles, was die Söhne, sei es in der Heimat, sei es in der
Fremde, erarbeiten, fliesst in die gemeinschaftliche Kasse, deren
Verwaltung, ohne dass er jemandem Rechenschaft geben müsstc,
<lem „Alten" zusteht. Er ist, wenn nicht de iurej so doch dt
facto der Eigentttnjcr des Familienguts. „Als seine Erben er-
scheinen die Familienmitglieder, vor allem die Söhne und andere
rechtsfähige Familienmitglieder, welche selbständige Mitglieder
und Steuerzahler in der Dorfgemeinde (obScinä) werden können.
Die Teile der einzelnen Söhne und anderer Familienmitglieder
werden oft durch Verfügungen des Hausherrn bei Lebzeiten be-
stimmt, wodurch sein privilegiertes Anrecht auf das Eigentum,
und nicht der Familiencharakter desselben gekennzeichnet wird.
In Abwesenheit einer vom Vater vorgenommenen Verteilung er-
halten die Söhne und mündigen Familienmitglieder gleiche Teile.
Die Verteilung geschieht „nach Vätern" (po otcdmü)^ d. h. zum
Erbe werden berufen und empfangen dasselbe nur die nächsten
selbständigen Familienmitglieder, die Häupter der Einzelfamilien,
in welche die Grossfamilie zerfällt, wenn man nicht vorzieht, auf
genossenschaftlicher Grundlage (s. u.) weiter zu leben. Bereits
abgeteilte Kinder oder Familienmitglieder erben nicht
Töchter erben in der patriarchalischen Familie nur dann, wenn
beim Tode des Vaters keine Erben männlichen Geschlechts vor-
handen waren, fähig, eine Wirtschaft zu führen. Bei letzteren,
wenn solche vorhanden sind, liegt die Verpflichtung, die Töchter
zu verheiraten und nach Gutdünken auszustatten, Bestimmangen,
die in die Epoche der russischen Pravda zurückgehen und den
Zusammenhang zwischen dem heutigen Bauernrecht mit dem
nUleu bi'weiseu" i V. N e O n j e vn Enzyklopädist lies Würterbuclh
SXVIII, 550).
Alles das eintl Züge, die dae bßchsle idg. Altertum widei-
Ipiegelu (vgl. mein Keallexikuii u. Familie, Eigentum nud
Brhscliaft).
Nun gibt es aber in Rnssland neben der eben beachric-
Mneii patriarchalischen noch eine zweite Art von (jroaefamJlie,
ftmlich eine mehr genoeisenschAftlielje {/temijd arl4lmaga
^o), die aus einigen Brüdern mit ihrer Nachkonimenacliaft be-
teht, die sich nach dem Tode des Vaters nicht abgeteilt haben,
Mweileu aber aneh aus Personen, die nicht miteinander
rwaudt sind und dann „ZuBaramenteger" (sklddniki) oder
^CenosBen" {»jdbry) heisseu. An der Spil;«e steht meist ein
gewählter boltidkü-domoxozjdinü. Das Eigeiitnni wird als
;enoSsenschaftliebeB betrachtet. Auch die ErhbeBtimniungen sind
Mdere: z.B. erben hier auch die Weiber, Witwen und Tßcliter,
Wenn es in ihrer Linie keinen Mann gibt (vgl. NeSaJevTl a.a.O.).
Fou einer solchen FaniiliengenoHsenschaft, derjenigen der äofro-
idtsch, die aber nnr aus Verwandten l>estand, wird z. B. an&
Kursk berichtet. Sie „nmfasste ( 1 Sl'2} 42 Fereonen, die — wenig-
ens die Männer — alle von einem gemeinsamen, vor etwa
) Jahren verstorbenen Vorfahren stammten, dessen Sfilme und
kch deren Tode die Enkel und Urenkel abgemacht hatten, unter
ieitong eines von ihnen gemeinsam Wirtschaft und Landban v.a
reiben. 1872 zählte diese Familie acht verheiratete Paare,
rei W'itwen und mehr als 20 junge Leute und Rinder beiderlei
JAchlechls: alle bewohnten denselben Hof oder Dwor, der aus
rt«r Isbas besiand" (vgl. Leroy-Heaulieu I-, 404 Anm. 2).
Am nächsten dieser soelien geschilderten FamiliengenoBsen-
ishaft kommt <lie in den letzten Jahren besonders häufig he-
udelte serbische zadruga. Eine solche Hausgenossenschaft
»teht nach der Schilderung von Krauss (Sitte and Brauch
ki den Südslaven p. 64 ff.) aus einer Vereinigung von an An-
ibt big zu 60 — 70 Mitgliedern, die untereinander Blutsverwandte
Veiten bis dritten Grades „selbstverständlich nur in mäun-
Icher Linie" sind. An ihrer Spitze steht ein Hausverweser
pwOhnlich domacin), dem zwar die grftssten Ehren erwiesen
rerden, der aber nicht, wie der römische pater familias, als
krr und Eigenlllmer des Fnmilienvermögens zu betrachten ist.
- 358 —
Das letztere gehört vielmehr den sämtlichen männlicben er-
wachsenen Hausgenossen gemeinschaftlich. Die Hansgenosaen-
«chaft wohnt vereinigt, doch so, dass das eigentliche Haas
{ogniSfije „die Feuerstätte") allein von dem Hausverweser und
seiner Familie bewohnt wird, um das sich dann in hufeisen-
förmigem Halbkreis die Wohnungen der übrigen Mitglieder, die nur
Schlafkammern sind, herumgruppieren. Die Mahlzeiten, für welche
die domacica zu sorgen hat, werden gemeinsam eingenommeD.
Erst essen die Männer, dann, was übrig bleibt, die Frauen.
Gegen die Alterttimlichkeit dieser Institution sind in neuerer
Zeit namentlich von J. Peisker Die serbische Zadruga (Z. f.
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VII, 211 ff.) schwerwiegende
Bedenken geltend gemacht worden. Nach ihm wäre dieselbe
«ine verhältnismässig junge Erscheinung. Auszugehen wäre ffir
ihre Geschichte von einem in den ältesten serbischen Chryso-
bullen geforderten, von Byzanz ausgehenden und zum Zweck der
Steuereintreibung ersonnenen bini ac ferw/System, nach dem je
zwei oder drei verheiratete, untereinander nicht notwendig
verwandte Männer eine wirtschaftliche Einheit für Steuer- nnd
Frondienst gebildet hätten. Hieraus sei dann unter dem Druck
der ebenfalls byzantinischen und von den Türken beibehaltenen
„Rauchsteuer" {xanvixovj serb. dimnica), die ein möglichst langes
Zusammenbleiben au einer Rauchstelle (focus) geradezu prä-
miiert habe, die geschichtliche zadruga entstanden.
Ohne Zweifel lernen wir aus den Peiskerschen Aus-
führungen, dass äussere Gewalten auf die Erhaltung und wirt-
schaftliche Ausgestaltung der serbischen zadrtiga von grosscDi
Einfluss gewesen sind, wie auch in Russland (vgl. Neöajevü
a. a. 0.) die Leibeigenschaft und die Behörden auf die Bei-
behaltung der Grossfamilie aus wirtschaftlichen Gründen nnd
zum Zwecke der bequemeren Steuereintreibung immer bedacht
gewesen sind. Ihnen besonders wird es zuzuschreiben sein, wenn
in Russland wie in Serbien auch nichtverwandte Personen in
die Familiengenossenschaft oder Hausgemeinschaft aufgenommen
werden können. Auf der andern Seite geht aber Peisker zu weit
wenn er aus den von ihm angeführten Tatsachen Schlüsse aat'
das ausschliessliche Bestehen von Einzelfamilien in Einzel-
höfen bei den Serben zur Zeit ihrer Einwanderung in die Balkan-
halbinsel zieht. Unter allen slavischen Sprachen bat, wie wir
i oben i]).^bbi »<alit!D, gerade das Serliisclie aiu Ireuslen ilie
iogerniaiiiscliei), ein räuiulit^bea Zusammenleben der UroBS-
oilie beweisenden Vev wand tschafts Wörter bewahrt, and aucii
I Familienleben selbst wird in den serbisoben Volksliedern
beza mit deneelben Farben wie in den russischen gesebildert.
dieselben GrUnde gestutzt, bat auch K. Rliamm Globus
EXXII p. 276 diesen Teil der Peiskersehen Aosfflhrungen
t Beebt zurückgewiesen. Aneh scheint mir die Eiufilhrung
es biui ac terni-Syatemä sowie die Bestimmung (vgl. l'eisker
215j, dass auch der Einzelne ijedinak) sich einen Genossen
iitniki zulegen müsse, nur bei einem seit alters Hn Herd-
meinscbaften, die vielleicht damals schon -ta zerfallen drohten,
wObnten Volke möglich zu sein.
Somit, glaube ich, haben wir ein Recht /.u der Annalime, dass
der idg. Urzeit die Deszendenten eines Mannes so lange bei-
laadcr blieben, als der gemeinsame Aszendent lebte oder die
tria potestas körperlieb und geistig ausüben konnte, und da
r Orond zu der Vermutung Laben (8. unten), dass in der illleston
it die Eben sehr frühzeitig geschlossen wurden, so wird es
1 oft ereignet haben, dass unter eiueni and demselben Da(.'hc-
Ibne und Enkel, ja Urenkel beieinander lebten. Aber auch
I möchte ich zum mindesten für sehr wabrseheinlicli halten,
e diese patriarcbalisebe Grossfamilie auch nach dem Tode des
ters, Gross- oder Urgrossvaters nicht selten beieinander blieb
I dann mehr einen genosaenscbnFtlichen Charakter annahm.
ich bei den Armeniern liegen diese beiden Formen der Gross-
milie noch beute nebeneinander. ^Das Hans", berichtet Dr.
irchudarian bei Lcist Altariscbes .Ins eivile 1,497. „bildet
! festgeHcbiosseue Gemeinschaft, und zwar wird diese nicht
dttrcb gelöst, dass die Söhne beiraten und ein eignes Haus
Isden. Vielmehr geht die absolute Flerrscbaft des Hausbalters
t auf die von den Söhnen und Enkeln gegründeten Familien,
es lebt zusammen nach dem keinen Widerspruch duldenden
illen des Hausherrn. Die Verfügungen desselben sind un-
lersprechlicb. Was die Söhne erwerben, kommt in die gemein-
le Kasse, aus der die zum Hause gehörenden Frauen ernährt
rden. Stirb! der Hausherr, so wird der älteste Sohn (hier
»Iso die Nachfolge fest geregelt) der Beherrscher des Haus-
lens und so noch ferner in der dritten Generation."
- 360 -
Ans diesem gemeinsamen Zusammenleben so zahlreicher
verwandter Personen unter einem Dache, ja, wie in Kap. X
(Wohnung) gezeigt wurde, häufig in einem Raum, sollen nun
noch einige charakteristische Züge angeftthrt werden, die darauf
Anspruch erheben können, in die idg. Urzeit zniilckzngehen.
Es ist in dieser Beziehung eine richtige Beobachtung, weim
T urgente w in der oben erwähnten Erzählung seiner Zapiski
hinsichtlich der Frau des Hausvaters bemerkt, ^dass ihre Söhne
ihr keine Beachtung schenkten, dass sie aber die neveüy, also
die Frauen dieser Söhne, „in der Furcht Gottes^ hielt, während
sie hinwiederum ihren Mann fürchtete und auf seinen Befdd
sich gehorsam auf den Ofen (den Lieblingsplatz älterer Leute)
zurückzogt. In diesem Milieu wurzelt, wie ich dies in meiner
Schrift Die Schwiegermutter und der Hagestolz näher ausgeführt
habe, das gespannte, ja feindliche Verhältnis, das sich zwischen
der Mannesmutter und der Schwiegertochter überall auf idg.
Boden nachweisen lässt, während das bei uns fast sprichwört-
liche Zerwürfnis zwischen Schwiegersohn und Weibesmutter erst
eine späte Erscheinung ist. überall sind die Schwiegertöchter,
wie dem Schwiegervater, so auch der Schwiegermutter gegen-
über nach dem geltenden Gewohnheitsrecht zum strengsten Ge-
horsam verpflichtet gewesen, eine Verpflichtung, der die Römer
durch die schon in den Königsgesetzen enthaltene Bestimmung,
dass die Schwiegertochter verflucht sein solle, die es wage, die
Hand zum Schlag gegen die Schwiegereltern zu erheben, sogar
einen gesetzgeberischen Ausdruck verliehen haben {^Si nwm*
[sc. verberit par entern] y sacra divis parentum estod^ in Sem
Tullij nach Th. Mommsen bei C. G. Bruns Fontes iuris So-
mani antiqui^ p. 8).
Aber auch in anderer Beziehung mochte die Zucht nnd
Ordnung der idg. Grossfamilie schon in der Urzeit durch jene
jungen Frauen nicht selten bedroht werden, indem sie den Wün-
schen des Schwiegervaters nicht zu wenig, sondern zu viel ent-
gegenkamen. Das Snochaöestro, d. h. die Buhlerei der Schwieger-
väter mit den Schwiegertöchtern, bildet noch heute einen in dem
Wesen der Grossfamilie wurzelnden Übelstand des russischen
Volkslebens, der, wie wir oben (p. 322 f.) sahen, schon in Nestors
Chronik hervorgehoben und von zahlreichen neueren Schriftstellern
erwähnt wird. Nach ihnen (vgl. namentlich OUhü üspenddj
tti zemli p. läöff.) ist die EiBcbeitiiing lolgenderiuaBBeii zn
liearteileD. Die rnäeiacben Bauern heirateten in der Zeit der
Leibeigenschaft sehr frllb, der Barsche mit 18, das Mädchen mit
16 Jahren (vgl. Leroy-Beaulieu I*, 412); aber sogar noch
fiel frühere EhcBcblieesungen mltesen vorgekommen Bein'). Die
folge ist, A&m der Baner nach 25 jähriger Ehe noch sehr leistuugB-
l^big, die Fran aber durch harte Arbeit und zahlreiche Ge-
burten — die Russen sind eins der kinderreichsten Völker
Europas — erscht^pft ist. Dazu kommt, dass der Bauer in seiner
Jflngliugszeit die Freude der Liebe oft nur im Raub geniesgt,
da er häufig unmittelbar nach der Hochzeit auf lange Jahre in
die Städte auf Arbeit gebt und während seiner kurzen An-
wesenheit zu Hause vrährend der Feste noch durch die langen
ond häufigen, strenge Keuscbbeil vorschreibenden Fasten ver-
hindert wird, sich seiner Frau zu nahen. So kommt er häutig
erst in einem Alter von 4U und 50 Jahren zu einem behaglichen
Lebensgennss. Da treten ihm nun in dem Hause, dessen nn-
bescbräukter Herr er inzwischen geworden ist, die jungen, ihrer
Männer oft entbehrenden Frauen seiner Söhne entgegen. Was
wander, dass es da, bei dem Mangel an anderer Gelegenheit*),
zn einem xnochaiestto kommt, das die Ehefrau selbst nicht allzu
tragisch nimmt. „Was soll ich tun", sagt eine solche, als sich
die Schwiegertochter bei ihr beschwert, „ich tiin eine alte Fran
und kann mich nicht mehr auf solche Sachen einlassen, aber du
mtiBSt deinen Schwiegervater ehren, weil er das Haupt des ganzen
Hauses ist und dich ans Barmherzigkeit tränkt und nährt" (vgl.
Melnikow In den Wäldern I, 108).
Auch dieser Zug des russischen Dorflebens ist nicht eine
besondere Scbeusslichkeit der Russen, sondern wie zahllose andere
nur das Oberbleibsel eines Znstandes, den auch die übrigen idg.
Volker einmal durchlaufen haben.
Namentlich im ältesten Rom, wo, wie in Rnssland, alle
1) Dto Volkslieder sind voll von Klagen, das» reife MHdchen an
reine Knaben verkuppelt werdeui Die Amnie TatJAnaa in Put^chlcins
Evgenij OneginB III, 18 hatte mit 18 Jahren geheiralel, und ihr Mann
war noch jünger geweeen.
2) Eine An von Prostitution bilden «uf den Dörfern die notddlki
.die Soldatenfrauen", d. Ii. die auf dem Dorf zurückbleibenden Frauen
der znr Fahne früher au/ lö, jet/t auf 5 Jahre einberufenen BurBchen.
SebradsT, Sprach versic Ich uue nnd Ur^eachlcbla II. 9. Aufl. ^^
- 362 —
Vorbedingungen des snochadestvo gegeben waren: die strenge
patria potesta^j das gemeinsame Wohnen (vgl. oben p. 354), die
frühen Heiraten (vgl. L. Friedlaender Darstellungen ans der
Sittengeschichte Roms P, p. 563 ff.), müssen derartige Vor-
kommnisse häufig gewesen sein und wurden in den Redner-
Bchulen als Übungsthema behandelt (vgl. Schwiegermutter und
Hagestolz p. 104).
In den ältesten indischen Texten wird der Schwieger-
tochter eingeschärft, dass sie sich voll Scheu und Scham vor
ihrem Schwiegervater zurückzuziehen habe; ja, es wird als grobe
Unschicklichkeit betrachtet, wenn Schwäher und Schnur auch
nur miteinander schwatzen (vgl. Delbrück Verwaudtsebafto-
nanien p. 136 S.-A.= 514). Es ist schwerlich zu kühn, dies als
eine übertriebene Reaktion gegen das urzeitliche siwchafestvo
aufzufassen. Überhaupt wird Schweigen und äusserste Zurück-
haltung bei mehreren idg. Völkern der jungen in ein neues Hans
eintretenden Frau zur Pflicht gemacht (vgl. E. Hermann I. F.
XVII, 377 ff. und Rhamm im Globus LXXXII, 194 ff.).
So ist es, wie nach unseren obigen Ausführungen über die
Lage der idg. Frau nicht anders zu erwarten, eine tiefe Klnft,
welche die Stellung der Männer von derjenigen der Frauen im
altindogermanischen Hause trennt, zu deren Charakterisiening
schliesslich noch auf einen seltsamen und weitverbreiteten Ge-
brauch hingewiesen werden soll, den wir als Separatio (der Frauen)
a mensa bezeichnen können.
{Separatio a mensa.)
Seitdem ich in der zweiten Auflage dieses Buches zuerst
auf ein bei mehreren idg. Völkern bestehendes Verbot, das die
Frauen von den Mahlzeiten der Männer ausschliesst, hingewiesen
habe, sind Belege für diesen Brauch nahezu aus allen Teilen
der idg. Völkervvelt beigebracht worden.
Beginnen wir in Europa und bei den Griechen, so speisen
bei Homer die Frauen durchaus getrennt von den Männern und
werden überhaupt nur ungern im Männersaal geduldet. Ab
Nausikaa (Od. VII, 12) vom Strande heimkehrt, geht sie nicht
zu den drinnen sehmauseudcu Männern, vielmehr wird ihr Ton
der alten Schaffnerin besonders das Mahl zubereitet. Nur Gut-
- «63 -
tinnen wie Kirke und Kalypso werden nicht von dieser separatio
a mensa betroffen. Aus Athenaeus (XV p. 644*^: rhragag noieiv
xQOJieCag tö>v ywaix(bv ebid ooi, E^ dk tcov ävdgcbv) lernen wir,
dass auf dem hier beschriebenen Hochzeitsfest Männer and Frauen
wenigstens an verschiedenen Tischen speisten. Wenden wir uns
nordwärts den Makedon en zu, so erklärt nach Herodot V, 18
ihr König Amyntas, als eine persische Gesandtschaft mit Berufung
auf die heimische Sitte {^^julv vojuog iarl xoToi Uigofjoif kneäv dem-
vor TiQOTi^wjue&a juiya, rote xal rag nakXaxäg xal tds xovgidlag
ywaixag iodyeo&ai nagidgovg) stürmisch die Anwesenheit von
Frauen beim Mahle fordert: vojuog juev "^juTv ye. ion ovx ovrog,
mä xexo)Q^o^ai ävdgag yvvaixojv. Bei den Persern herrschte
damals also schon die „bunte Reihe^^; doch gehen über erstere die
Nachrichten auseinander (vgl. Brissonius De regno Persarum
p. 216, 217). Verweilen wir weiter im Osten Europas, in der
litauisch-slavischen Welt, so berichtet schon Peter von
Dusburg von den allen Preussen, nachdem er (vgl. oben p. 319)
von ihrem Frauenkauf gesprochen hat, : Unde servat eam sicut
ancillam, nee cum eo comedit in mensa et singulis diebtis
domesticorum et hospitum lavat pedes. Bei den ihnen benach-
barten Weissrussen setzen sich beim Leichenmahl „die Männer
an den einen Tisch, etwas höher hinauf {na kute „im Winkel
des Heiligenbilds"), die Weiber an einen andern" (vgl. Sejn
Sbornik 51 Nr. 3, p. 555;. Auf die in der serbischen Zadruga
herrschende Sitte wurde schon oben p. 358 hingewiesen. „In der
Gegend von Agram müssen die Weiber hinter und zwischen den
sitzenden Männern stebn und zwischen ihren Schultern und über
ihren Köpfen in die Schüssel langen. In Dalmatien warten die
Weiber bei Tische auf, ohne sich zu setzen, sie speisen nachher allein,
wobei die Jüngsten, wenn sie nicht am Feuer sitzen, den andern
mit dem Kienspan leuchten" (vgl. K.Rhamm im Globus LXXXII,
Nr. 7. p. 278). Nach einer privaten Mitteilung desselben Gelehrten
hätten noch bei dem alten MiloS Obrenovi6 Fürstin und Töchter
selbst vor Gästen bei der Tafel nach altserbischer Sitte gestanden.
Auch bei den Germanen erweist sich das Getrenntspeisen der
beiden Geschlechter als die ursprüngliche Sitte. Die Nibelungen
sind nach Bechelären gekommen. Der Markgraf RuedegSr und
seine Gemahlin gehen ihnen entgegen. Dann (Nib. ed. Zarncke
p. 255) heisst es:
- 364 -
Nach gewonheite dö schieden sie sich da,
ritter unde frouwen die gierigen anderstoä,
dö rihte man die tische in dem sale uM:
den vil lieben gesten man diente tvillecliche sU,
Durch der geste liebe hin ze tische gie
niwan diu marcgravinne: ir tohter si dö He
beltben M den kinden da si von rehte sa^.
das ^ *'"' ^^^^ ensähen^ die geste milete sire dag.
Also: von den Frauen geht nur die Markgräfin zu Am
Männertischy um ihren Pflichten als Hausfrau zu genügen. Vgl.
weiteres bei Weinhold Die Deutschen Frauen II*, 189. Aus Däne-
mark wird auch von dem oben bei den Slaven uns begegnendeo
Stehen der Frauen bei der Mahlzeit neben den sitzenden Männern
berichtet. In dem Führer durch das Volksmuseum in Kopen-
hagen (vgl. Rhamm a. a. 0. p. 278) heisst es bei der Beschrei-
bung einer Stube aus dem mittleren Seeland : ,,Der obersten Bank
durfte das Gesinde sich nur bei den Mahlzeiten nähern. Die
Knechte sassen auf der Fensterbank, der Mann auf der Hochzeits-
bank, während die Hausfrau und die andern Frauenzimmer
stehend speisten, die Frau zunächst dem Manne, Töchter und
Mägde links von ihr. Sie stand aufrecht, während selbst der
Hirtenjunge sitzend speiste'^ und hinsichtlich einer Bauernstube
auf der Insel Samsoe: „Weun eine junge Frau im Hause ist,
steht sie und die Mägde vor dem Tische und speisen, die alte
Frau sitzt am andern Tischende/^ Aus den keltisch- roma-
nischen Ländern haben wir das Zeugnis des Galfr. Monumetensis
IX, 13 (bei A. Schultz Höfisches Leben P, 422): (Nach der
Krönung) üle (Arturus) ad suum palatium cum mris, haee
(regina) ad aliud cum mulieribus epulatum incedunt. Äntir
quam namque consuetudinem Trojae (!) servantes Briiones con-
sueverunt mares cum maribus, mulieres cum mulieribus festiooi
dies separatim celebrare. Es kann also keinem Zweifel unter-
liegen, dass auch im ganzen romanisch -germanischen Westen
unseres Erdteils die ältere Sitte die Trennung der Geschlechter
bei den Mahlzeiten vorschrieb. Andererseits lässt sich aber ancht
wenigstens in den besseren Kreisen, die „bunte Reihe'^ ausdrflck-
lich als „der Franzoyser site" bezeichnet, von ziemlich früher
Zeit an hier nachweisen (vgl. Wein hold a.a.O., A. Schnitz
a. a. 0. und Pietsch Z. f. deutsche Phil. XVI, 231). Namentlich
«cfaeiDen bei den Germanen die Frauen frühzeitig tu den Trink-
gelagen zugelassen worden zu sein, wie z, B. die von Paulus
Diaconns II, 28 erzählte Geschichte zeigt, nach der Alboin bei
einer solchen Gelegenheit sein Weib Rosamunde zwingt, aus dem
Schädel ihres Vaters zu trinken. Aus Skandinavien wird von
der Sitte berichtet (vgl. Weiuhold Altn. Leben p. 460), tvi-
menning „paarweise", Mann und Weib, wie sie das Los vereinigte,
ZH trinken. Hingegen möchte ich die im Heliand v. 147 (Heyne)
von den Ehegatten gebrauchte Ausdrucks weise gibenkeon endi
gibeddeon „Bank- und Bettgenossen" auf nichts anderes als das
gemeinsame Wohnen von Mann und Frau beziehen.
Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die asia-
tischen Indogermanen, so begegnet uns in der heutigen arme-
nischen Grossfamilie genau dasselbe Bild wie in der serbischen
Zadruga: ,,Bei allen Mahlzeiten essen die Frauen getrennt" (Dr.
Barchudarian hei Leist Altariscbes Jus civile I, 499). Über
die alten Perser vgl, oben p. 363. Aueb aus dem ältesten Indien
sind neuerdings (vgl. Winternitz Beilage z. AUg. Z. 1903
Nr. 253, p. 261j Zeugnisse für das Getrenntspeisen beider Ge-
schlechter beigebracht worden. Im fkUa^paihabrähmana I, 9, 2, 12
ist von dem patiiliami/äjaii die Rede, einem Opfer, das gewissen
Gottheiten nebst ihren Weibern dargebracht wird. Dabei heisst
es: he therebtf conceals tthia offering) frotn them\ and accor-
dingly Yäjhavalliya (ein alter Lehrer) nayi«: Mlieneper human
tcomen here eut (they do «o) apart from rnen. DazuX, 5,2, 9
(betreffend die Sohneser/eugung) : ,,Der Mann soll nie in Gegen-
wart seiner Gattin essen; denn nur so wird ihm ein kräftiger
Sohn geboren, und die Frau, in deren Gegenwart der Mann nicht
isst, gebiert einen kräftigen Sohn."
Nach dem allen kann es keinem Zweifel unterliegen, dasB
das Getrenntspeisen von Mann und Frau, sei es in verschiedenen
Räumen, sei es an verschiedenen Tischen, sei es endlich auch
nur 80, dasB die Frauen stehend neben den sitzenden Männern
ihre Mahlzeiten einuehmen, eine uralte idg, Sitte ist, die im
Norden und Osten Europas und bei den Armeniern unter der länd-
lichen Bevölkerung noch heute herrseht.
Demgegenüber fällt es auf, dass in der Formnlieruug der
U bolischen Ehescheidung
„Separatio quoad thorum et jnennam"
- 366 -
die Gemeinschaft des Tisches gerade als charakteristisch fttr
den Begriff der Ehe angesehen wird. Es schien daher wichtig,
etwas über das Alter dieser Formulierung in Erfahmng zu bringen.
Hierüber hatte F. Knie p die Güte, mir folgendes mitzateilen:
/Ehescheidung von Tisch und Bette' scheint ein ganz moder-
ner Ausdruck zu sein. Nach J. H. Boehmer lus eccl. UbA^
tit, 19 § 49 geht die Sache hauptsächlich auf Augustus zurQck,
aber ein älterer Ausdruck wird gewesen sein: aeparari quoad
cohabitationem. Es heisst bei Böhmer: separantur quoai
cohabitationem, quae vulgo vocatur ^Die Ehescheidung von Tisch
und Bette'. Noch im Trident. Conc, sessio 24 de reform. matr.
c. 8 heisst es: ob multas catisas separationem inter coniuges
quoad thorum seu quoad cohabitationem ad certum incertumve
tempus fieri posse decrevit (ecclesin),^^ So stimmt also auch dies
mit den obigen Ausführungen aufs beste überein. Dabei darf
man sich das Aufkommen der Sitte des Zusammenspeisens Ton
Mann und Frau vielleicht in der folgenden Weise vorstellen:
Das einzige idg. Volk, bei dem ich keine Nachricht Ober iu
Getrenntspeisen der beiden Geschlechter bis jetzt habe finden
können, ist das römische. Im Gegenteil berichtet Valerios
Maximus II, 1, 2: Feminae cum viris cubantibus sedentes cem-
tabant. Vgl. auch oben p. 354 „alle setzten sich an denselben
Tisch^^ Da nun in Rom frühzeitig die Frauen eine bessere
Stellung erhielten, was sich in dem Zurücktreten des Brautkanft,
in der Anteilnahme des Mädchens an der Erbschaft zu gleichen
Teilen mit den Söhnen, in ihrer Ausstattung mit einer Mitgift,
in dem Zurückweichen der Manus-Ehe vor der freien Ehe nsw.
zu erkennen gibt, so liegt die Vermutung nahe, das Znsammen-
speisen der beiden Geschlechter möchte zuerst in Italien anf-
gekommen, von da in die romanische Welt übergegangen fl^
und (s. 0.) von hier wieder, aus der höheren Gesellschaft in die
niedere herabsteigend, sich über Europa verbreitet haben oder
noch verbreiten.
Die idg., agnatisch aufgebaute und unter der absoluten
Gewalt des *potis oder *dem8poti8 stehende Herdgemeinschaft
stellt, trotz aller Barbarei, die mit ihr verbunden ist, ein kraft-
volles und zukunftsreiches Gebilde dar, wohl geeignet, sieghaft
den Kampf mit anderen Familienordnungen zu bestehen, die ibr
bei der Ansbreitiiiiff des Indogerinaüenluitis Ohet- Asien und Europa
«ntgegentreten mochten. TaUäcblich finden wir nun in den-
jenigen Gebieten unseree Erdteile, die wir nus in bistorisL'ber
oder vorbislonscber Zeit von Nifibt-Iudogermanen besetzt denken
mflssen, die unverkennbaren Spuren einer anderen Familien-
ordnnng, nämJicIi die des Mutterrecht? oder, ailgi^'nieiner und
Torsicbtigcr ansgedrllckt, einer anderen Stellung der Frau, als
wir sie von den Indogermauen ber gewfibnt sind. Beginnen wir
mit Griechenland, so ist uns einerseits bei den epizephyriscbeu
Lükrem ein Adel von hundert Geschlecbletn in weiblicher Linie
bezengt, andererseits besitzen wir von der Insel Kos ein Naniens-
rerzeichnis, in dem eine lange Reihe von Personen aufgezählt
wird, j,die auf (•rund ihrer in weihlicher Linie gerechneteii Ab-
•tAmmung an einem bestimmten Kultus teil haben, und die ihrem
'Hamen ausser dem des Vaters stets noch den der Mutter bei-
fügen, bei der auch die weiteren Vorfahren oft bis zur dritten
cOder vierten Stelle angegeben sind, während die Abnenreihe in
raännlieher Linie nie Uber den Vater hinausgeführt ist" (vgl.
J. Toepfer Altische Genealogie p. I9L'ff.). Ohne Zweifel aleheu
niiese Tatsachen ethnisch in Verbindung westlich mit der
iGewohnheit der altetruskiscben Grahinachriftcu, die dem Ver-
Morbenen weit hänliger den Namen der Mutter als den des Vaters
beigeben, östlich mit den Sitten und Gebräuchen der Lykier,
von denen aufs beste bezeugt wird, „dass sie sich nach der Mutter
und mütterlichen Grossmutter benennen", oder „da^ sie die
Weiber mehr als die Männer ehren und das Krbe den Töchtern,
nicht den Söhnen hinterlassen", oder „dass sie seil alters von
Frauen beherrscht werden" (vgl. die Belege in meinem Real-
lexikoD 8. V. Matterrecht). Wir kommen also za dem Schluss,
dasa im südlichen und südöstlichen Europa, bevor die ludoger-
manen daselbst festen Fuss fassten, eine nach oder von Klein-
asien hin- oder berUberreichcude Bevölkerung sass, hei der
Mutterreelit und Fraueuherrsehaft, nicht, wie bei den Indoger-
mauen, Vaterrecbt und Franenkneehtung galten,
Dasscllie ist «lier auch im später keltisclien Südwesten,
Westen und Nordwesten Europas der Fall. Von den Kantabrern, die
HU dem grossen nichtindogermanischen Spraclistamni der Iberer
gehörte», der sich einst von Spanien weit nach Frankreich er-
streckte, erfahren wir dnreh Strabo IIl, p. 165, dass hier die
— 368 —
Männer ihren Frauen eine Mitgift gaben, dass die eigentlichen
Erbinnen die Töchter waren und von diesen die Brüder ver-
heiratet wurden: „Es gibt hier eine Art von Frauenherrschaft"
Auf den balearischen Inseln (Diod. Sic. V, 17), die ebenfalls ?od
den Ureinwohnern Spaniens besetzt waren, herrschte eine so
grosse Wertschätzung der Frauen, dass, wenn solche von See-
räubern gefangen worden waren, man für ein Weib drei od^
vier Männer als Lösegeld bot. Bei den Pikten endlich, die zn
der vorindogermanischen Bevölkerung Englands gehörten (?gl.
H. Zimmer Z. d. Savignj- Stiftung f. Rechtsgeschichte XV. Rom.
Abt. p. 209) bestand noch bis ins IX. Jahrhundert n. Chr. ein
deutlich ausgebildetes Mutterrecht, ohne dass hier indessen die
Frau eine besonders hohe Stellung einnahm; doch regelte das
Mutterrecht die Erbschaft, und auf einen Piktenherrscher folgte
unweigerlich der Sohn der Schwester.
Dies alles sind gut überlieferte, kulturgeschichtliche Tat-
sachen, an denen sich nicht rütteln lässt. Es scheint nun aber,
dass eine nichtidg. Bevölkerung und mit ihr Erscheinungen des
Mutterrechts noch über andere Teile des nördlichen Europa ver-
breitet waren, und zwar solchen, die später entweder , ebenfalls
von Kelten oder aber von Germanen besetzt wurden. Es tritt
uns nämlicb bei diesen Völkern eine Institution entgegen, die
man doch wohl nur als die Folge einer Berührung mit mutter-
rechtlichen Einrichtungen auffassen kann, die Institution einer
besonderen Ehrung des Schwestersohnes. Von den Germanen
berichtet in dieser Beziehung Tacitus (rcrm. Kap. 20: Sororum
filiis idem apud avunculum, qui ad patrem honor. Quidam
saiictiorem arctioremque hunc neocum sanguinis arbitrantur ä
in accipiundis obsidibus magis exigunty tanquam ii et animum
firmius et domum latius teneant. Denn da das, was Tacitos im
Anschluss hieran über den Erbschaftsgang bei den Germanen
berichtet (heredes tarnen successoresque sui cuique liberij ^
nullum testamentum, Si liberi non sunt, proximus gradus in
possess^ione fratres, patruiy avunculi), ganz dem entspricht, was
wir bei einem idg. Volk zu finden erwarten dürfen (vgl. mein
Reallexikon u. Erbschaft), so sieht die so bevorzugte Stellung
des Schwestersohns ganz wie etwas von aussen in andersartige
Verbältnisse Hineingetragenes aus. Auch steht die Nachricht des
Tacitus nicht allein. Ebenso tritt in den dänischen Volksliedern
- 369 -
Danmarks gande Folkeviser, ed. Axel Olrik) ein besonders
3nger Zusammenhang zwischen Mntterbruder und Schwestersohn
0
liervor, indem der Ietztei;e häufig (z. B. IV Nr. 325) sein Leben
fflr den ersteren einsetzt, während hingegen der Vaterbruder in
len dänischen Volksliedern (mehr als 500) überhaupt nicht ge-
lannt wird. Ähnlich liegen die Dinge in der altenglischen Über-
lieferung (vgl. Francis B. Gummere The sister's son in An
English miscellany, presented to Dr, FurnivaU, Oxford 1901
^T. XVII). Auf keltischem Boden kann man an die von Livius
Vj 34 berichtete gallische Wandersage erinnern, der zufolge
\mbigatu8 seine beiden Seh wester söhne, Bellovesus und Sego-
iresus, in die Feme schickt ^).
Ich möchte also glauben, dass die Indogermanisierung
Europas (vgl. P, 147 ff.) zugleich einen Sieg der vaterrecht-
lichen über die vorher daselbst herrschende mutterrechtliche
Pamilie bedeutete. Auch dies würde uns nötigen, den Ausgangs-
punkt der Indogermanen nicht im Süden, Westen oder Norden
imseres Erdteils zu suchen, wo Rest6 des einstigen Mutterrechts
Gtlleuthalben uns begegnet sind (vgl. auch oben p. 292 Anm. über
äpnren einer einst ebendaselbst geltenden Vigesimalrechnung),
sondern vielmehr in den nach Asien zu offen stehenden Teilen,
wo die patriarchalische, polygamische und agnatische, auf Raub
>der Kauf gegründete Familie der Indogermanen auf dem un-
geheuren Raum vom westlichen Sibirien bis nach China zahllose
Entsprechungen findet.
1) Wer sich davor scheut, die Institution des Schwestersohns bei
Grermanen und Kelten aus einem voridg. Mutterrecht abzuleiten, müsste
EU ihrer Erklärung an das 1^,231 kurz berührte Verhältnis von Bruder
lind Schwester in der Urzeit anknüpfen, was mir zwar auch möglich,
iber doch nach der ganzen Lage der Dinge weniger wahrscheinlich
icheint.
XIII. Kapitel.
Sippe und Stamm.
I. Die Qeschlechts verbände in der Herzegowina und in Montenegro.-
II. Die Spuren dieser Zustände bei den übrigen idg. Völkern. -
III. Sippe und Stamm bei dem idg. Urvolk, Wanderungen der Indo-
germanen. Entwickelung des Völkerschaftsbegriffs. Arier.
Während die Grnndzüge der idg. Familienordnung trotz
aller Verschiebungen und Verflaehungen, die mit ihr im Laufe
der Jahrhunderte geschehen sind, mit grösserer oder geringerer
Deutlichkeit bei den einzelnen idg. Völkern sich noch heate er-
kennen lassen, ist dies bei den in der Urzeit ohne Zweifel vor-
haudenen, über die Familie hinausgehenden verwandtachaftlicben
Verbänden fast nicht mehr möglich. Zwar spielt der Begriff
der über die Sonderfamilie, die fast überall die idg. Grossfamilie
abgelöst hat, hinausgehenden Verwandtschaft auch in den heo-
tigen Gesetzgebungen, z. B. in den Bestimmungen über die Erb-
schaft oder die Eheschliessung, eine gewisse Rolle. Im übrigen
aber hat der Begriff des Staates, indem dieser zu seiner Grund-
lage den territorialen, nicht den verwandtschaftlichen Zusammen-
hang der Menschen nahm, die ursprünglichen Zustände nabezo
völlig vernichtet. Aber auch für den einzelnen und in rein per-
sönlicher Hinsicht fängt der Begriff der weiteren Verwandtschaft,
abgesehen von regierenden und altadligen Häusern, an, immer
gegenstandsloser zu werden. Die ausserordentliche Entwicklang
des Verkehrs in der Neuzeit, die Freizügigkeit, die Auswande-
rung usw. zersprengen immer mehr die einstigen örtlichen Zu-
sammenhänge der Familien, und die wenigsten Menschen kömien
heutzutage noch das, was früher jeder konnte, nämlich von ihren
Ahnen mehr als etwa ihren Grossvater namhaft machen.
Unter diesen Umständen würde die Ermittlung der ältesten
idg. Verhältnisse unmöglich sein, wenn sich nicht an einigen
— 371 -
ganz wenigen und versteckten Stellen des idg. Völkergebiets die
arsprüngliehen Zustände dennoch mit grösster Treue erhalten
hätten. In erster Linie ist dies in den Berggegenden der Her-
zegowina und Montenegros der Fall, Ländern, die zwar eben-
falls seit geraunter Zeit in einem Übergang zu den modernen
Staatseinrichtungen begriffen sind, die aber doch noch jetzt einen
unter diesem leicht zu entfernenden Firnis liegenden Geschlechter-
Staat mit vollkommner Deutlichkeit erkennen lassen. In dieser
Beziehung erweisen sich die südslavischen Verhältnisse als weit-
aus altertümlicher, als die der Russen, deren ursprflngliche Ver-
fassnngszustände durch die wiederholten Perioden einer schwer
auf ihnen lastenden Knechtschaft seitens turko - tatarischer und
germanischer Völker vielfach verändert worden sind. Ich werde
daher im folgenden mit einer Schilderung von ^ Stamm" und
^Sippe*' in der Herzegowina und Montenegro an der Hand der
beiden Werke: F. Krauss Sitte und Brauch der Südslaven, Wien
1885 und (besonders) P. Rovinskij Montenegro in Vergangen-
heit und Gegenwart (Sbornik der kais. Ak. d. W. in St. Peters-
burg XLV, LXIII, LXXX, 1888, 1897, 1905) beginnen. Dieser
Schilderung werde ich einzelne Züge aus der Kulturgeschichte
der übrigen Slaven hinzufügen^). Sodann werde ich in einem
zweiten Abschnitt untersuchen, inwieweit die Spuren der in dem
ersten Abschnitt geschilderten Zustände sich noch bei den übrigen
idg. Völkern nachweisen lassen, um dann drittens eine Re-
konstruktion der idg. Zustände, namentlich auch an der Hand
der einschlägigen urverwandten Terminologie, zu versuchen.
I. Stamm und Sippe in der Herzegowina und
in Montenegro.
1. Sowohl das pleme „der Stamm", wie auch das bratstvo
,,die Sippe", das im allgemeinen eine Unterabteilung des pleme
1) Wichtig hierfür wären auch die Untersuchungen Hans
Schreuners zur Verfassungsgeschichte der böhmischen Sagenzeit
(Leipzig 1902), in denen der Versuch gemacht wird, der Chronik de»
Cosmas einen höheren Grad geschichtlicher Wahrheit zu entlocken,
als ihr bis jetzt zugestanden wurde; doch habe ich auf Anführungen
von Einzelheiten verzichtet, da ich mich kurz fassen muss, und die
Nachrichten des Cosmas mir immerhin mehr Licht von den idg. Ver-
hältnissen zu empfangen, als ihnen zu spenden scheinen.
— 372 —
bildet, leiten ihren Ursprung von einem gemeinsamen Stammyater
oder dessen Söhnen, untereinander Brüdern (daher der Name
bratstvo : brat „ Bruder ''), ab. Ein scharfer Unterschied läset sich
zwischen den beiden Begriffen daher nicht machen. Man kann
nur sagen, dass das bratstvo unter allen Umständen mit fast
geschichtlicher Genauigkeit seinen Anfang und seinen Urahneo
kennt, während bei dem pleme dieser letztere mehr oder weniger
eine volkstümliche Fiktion ist und der territoriale Zusammen-
hang vielfach bereits eine ebenso wichtige Rolle spielt, wie der
verwandtschaftliche. Dies äussert sich einerseits darin, dass in
einem pleme öfters auch untereinander nicht verwandte braisiva
infolge von Zusiedelnng beieinander wohnen, und dass zweitens
die Namen der plemena zwar häufig, ganz wie die der bratstvüj
patronymisch gebildet, z. B. die Vasojeviöiy Bilopavliöiy Ozriniäj
Ku6i^) usw., nicht minder häufig aber auch nach einer Ortlich-
keit oder dem Territorium gegeben sind, z. B. Katunskaja
nahija, Reckaja n., Cermnickaja n, usw. (nahija ^Gebiet, terri-
torium").
Im allgemeinen bildet das pleme die oberste verwandt-
schaftlich gedachte Einheit; doch können auch wiederum mehrere
plemena untereinander sich als Verwandte betrachten. So glauben
z. B. die Ozriniiiy Pipery und Vasojeviäi, dass sie von drei Brüdern
abstammen, und begrüssen sich untereinander mit den Worten:
o, moj rodo ,,mein Verwandter".
Das bratstvo hinwiederum teilt sich in Verwandtschaften
(rod) oder „engere bratstva^, für die bei den Vasojeviü der
Ausdruck trbuch „Mutterleib" besteht. Die unterste Einheit
bilden die Familien {porodica, famelja) oder Häuser {ku6a\
Von den genannten Ausdrücken kommen rod und plem
auch in anderen slavischen Sprachen mit entsprechender Bedea-
tung vor. So berichtet Nestor von den ältesten Slaven: ävjaclm
koido sü svojimü rodomü i na st>ojichü mestachü, vladejuiie
koido rodomü svojimü „sie lebten ein jeder mit seiner Verwandt-
schaft und auf seinen Plätzen, indem ein jeder über seine Ver-
wandtschaft regierte". Im Russischen ist rodü-plemja der voll-
ständige, volkstümliche Ausdruck für die Blutsverwandtschaft
1) Ich gebe die montenegrinischen Namen meist in der (nissi-
schen) Transkription Rovinskij*s.
eines Meuscheo. Im Altrusstscben bedeutet plemja (Dach dem
Wörterbueli SrezDevekija) „Naclikomnienschaft", „Familie",
„Verwandlschatt", „Stamm" {^i'Xal, tribus), „Volk" {^{hog, gens),
füemenlnyl ist „der Verwandte yon Vaters Seite", plemenlmkü,
plemjenlnikü „der Verwandte" (vgl. rtiss. plemjdnnikü „Netfe").
Hingegen lässt eich bratsteo in der angegebenen politischen
Bedeutnng aneserhalb des Südelavischen nicht nachweisen.
2. Der innige Zusammenhang der Mitglieder eines pleme
oder bratatvo untereinander tritt nach den verschiedensten Rich-
tungen hervor:
a) in Beziehnng auf den Namen des einzelnen. Jeder
Montenegriner benennt sieh vor allem nach dem bratstvo oder
pleme, dem er angehört. XatUrüch werden diese Namen aber
nnr von Auasenstehenden gebraucht, wenn der Betreffende z. B.
Mcb in einem anderen pleme oder in der Stadt ansiedelt: Jovan
Piper, Novo Ku6, Pavle Vasojevic. Hinzu kommen dann noch
die Namen des Vaters, Grossvatere und der betreffenden HäuBcr-
gTDppe, so dass einer z. B. mit seinem vollständigen Namen
nach Krause hcissen kann: Joto Petra Markovi('a Janlcovi^a
Kovaievida, d. i. Jovo, Sohn des Peter, des Marknssohns, (au»
dem Hause) Jankoviß, (aus dem bratslro) KovaSevitS;
b) in sakraler Beziehung. Als erstes Zeichen der Ge-
schlecbtseinheit dient die Verehrung eines und desselben Hei-
ligen im ganzen pleme. So feiern die }'a)iojevici den Tag des
heiligen Alexander. Andere plemena verehren den hl. Nikolaus,
den hl. Johannes, den Erzengel, die hl. Petkovica usw. Als ein
besonderes Zeichen der religiösen ludividnalisternng kann an-
gesehen werden, dass im alten Montenegro, wo die bratstva fUr
I sieb ein, wenn auch noch so kleines, nicht verzweigtes pleme
I darstellen, jedes hratatvo seine eigene Kirche hat, die nur seine
' Mitglieder besuchen. So finden sieh z. B. bei den Negusi
1 15 Kirchen auf 400 Häuser;
li c) in militärischer Beziehung. Sowohl dag pleme wie
f das bratstvo bilden militärische, zusammen im Kriege kämpfende
I Einheiten. Selbst in gemischten Siedelungen teilt man sich,
wenn es in den Krieg geht, nach Bratstven. Ja, selbst wer in
' der Stadt wohnte, begab sieh, um seinen Kriegsdienst zu tun,
in sein pleme oder bratstro, und eret in neuester Zeit bilden die
Stadtbewohner eigene Bataillone;
- 374 —
d) in konnubialer Beziehung. In alter Zeit heirateteo
die Kuci niemals untereinander und nahmen sich ihre Frauen au
einem anderen pleme. Deswegen verheirateten sie sich oft mit
Albanerinnen und gaben ihre Töchter nach Albanien. Ebenso
machten es die Vasojecici^ und mehr oder weniger herrschte der-
selbe Brauch bei allen plemena. Auf keinen Fall heiratete man
aus demselben bratstvo oder gar demselben rod (Exogamie).
Jetzt ist es anders;
e) in Beziehung auf gegenseitigen Schutz. Das BewnaBt-
sein seiner Blutsverwandtschaft legt dem Montenegriner seine
wichtigste Verpflichtung auf : den Seinigen andern gegenflber in
Recht und Unrecht beizustehen. In alter Zeit geriet oft ein
pleme mit dem andern wegen der tödlichen Beleidigung eines
seiner Mitglieder in Krieg und verband sich dabei mit dem
Landesfeind, dem Türken oder Amanten; denn pleme und rod
standen höher als Nationalität und Olaube. Wenn man
sich dann vei-söhnte und Frieden schloss, nahmen beide plemena
daran teil, und oft kamen bei solchen Gelegenheiten 1000 Mann
und mehr zusammen. In der Gegenwart ist Blutrache eines
ganzen pleme, bratstvo oder rod unmöglich; doch nehmen ein-
zelne von diesem Geist erfüllte Persönlichkeiten noch immer
hier und da zu ihr ihre Zuflucht. — Auch bei den übrigen
Slaven, z.B. bei den Polen (vgl. Rovinskij Sbornik 63 p. 141)
haftete die Blutrache an den oben genannten Geschlechts-
verbänden;
f) in Beziehung auf das Eigentum an Grund und
Boden. Der eigentliche Eigentümer des Grund und Bodens
war das pleme^ und noch die gegenwärtige Gesetzgebung be-
stimmt, dass, wer unbew^egliches Eigentum veräussem will, es
zuerst den „Nahen", d. h. den Mitgliedern des bratstvo oder
pleme, den Nachbarn oder Dorfbewohnern anbieten muss. Der
Wohnnngsbezirk eines pleme hiess tupa (vgl. über dies viel-
deutige Wort Rovinskij Sbornik 45 p. 444 ff. und Kraus»
a.a.O. p. 18 ff.), dessen ältester Sinn „Weidebezirk" (vgl. oben
p. 155, 216) gewesen zu sein scheint. Den örtlichen Mittelpunkt des
pleme bildete der grad „Burg" oder „Stadt". Im übrigen bat
jetzt jede einzelne Familie ihren besonderen Teil Landes in
eigentümlichem Besitz, der mit Getreide bestellt oder mit Obst-
bäumen bepflanzt, von einer Mauer oder einem Zaun umgeben
- 375 —
ist. In gemeiasamer Verwaltung des bratstvo befindet sich nur
der Bergwald mit den Sennereien und dem gemeinsamen Holz-
beatand. Auch die Mühlen gehören dem br. gemeinsam. Das
bratstvo bewohnt, je nach seiner Seelenzahl, ein oder mehrere
Dörfer in der. Regel ausschliesslich. Eine Reihe von Dörfern
trägt direkt die Namen der sie besiedelnden bratstva: z. B.
Prliy Radomant/f Drecuny, Bukiceviöiy Bolevici usw.
Ähnliche Spuren eines gemeinschaftlichen Besitzes an Grund
und Boden seitens der einzelnen Geschlechtsverbände treten uns
auch bei anderen slavischen Völkern entgegen, z. B. bei den
Polen die gleiche Verkaufsbeschränkung des unbeweglichen Eigen-
tums Fremden gegenüber (vgl. Rovinskij a. a. 0.). Das treueste
Abbild der ursprünglich vorauszusetzenden Zustände aber würde
der noch heute in Russland bestehende Mir, die Dorfgemeinde
mit Gesamteigentum des Grund und Bodens, darstellen, wenn
sich diese Bildung als eine altertümliche und ursprünglich auf
verwandtschaftlicher Basis beruhende erweisen lässt *).
1) Das Wort miril bedeutet schon im Altrussischen (vgl. Srez-
nevskij Materialy) dreierlei: 1. „Friede", 2. „Welt", 3. „Gemeinde".
Die neurussische orthographische Scheidung zwischen dem Wort in
seiner ersten und in seinen beiden letzteren Bedeutungen ist sekundär.
Auszugehen ist ohne jeden Zweifel von der Bedeutung „Friede", wie
sich durch Vergleichung mit scrt. mi-trä „Freund", mi-träm „Freund-
schaft", lit. tny-limas „geliebt" etc. auch etymologisch erhärten lässt
Aus der Bedeutung „Friede" muss sich dann der Sinn von „Friedens-
bezirk" = Gemeinde entwickelt haben. Dies kann (vgl. oben 2,e und
Kap. XLV: Recht) nur so verstanden werden, dass mirii „Friede" im
Gegensatz zu mUtt „Rache" ursprünglich denjenigen Verwandten-
kreis bezeichnete, der unter sich zu Frieden, andern gegenüber zur
Rache (Blutrache) verpflichtet war. So erhalten wir mirü = rodü
^Geschlecht" (vgl. oben p. 372). Die Bedeutung „Welt" ist erst unter
christlichen Anschauungen erwachsen. Ursprünglich hiess es vest mirü,
d.h. der ganze Friedensbereich.
Bedenken wir nun, dass dieser mirü (jetzt auch öbs6ina „Ge-
meinde" genannt) die wichtigsten seiner Eigenschaften mit den alten
Geschlechtsverbänden teilt, das Gesamteigentum des Grund und Bodens,
die gegenseitige Haftung, jetzt vorwiegend in den Steucrangelegen-
heiten (vgl. oben 2, e), und eine ultra -demokratische Verfassung, der
zufolge alle Gemeindeangelegenheiten in der Versammlung der Haus-
väter entschieden und die Beamten der Gemeinde ausschliesslich von
dieser gewählt werden (vgl. oben 3 a und b), so fällt es schwer, an
der Ursprünglichkeit dieser ganzen Bildung zu zweifeln.
Nun ist mir natürlich bekannt, dass seit Öiöerinü, J.v. Keussler
— 376 —
3. Die RegieruDg des Stammes und der Sippe.
a) Die Volksversammlung. Alle Gewalt lag beim Volke,
das dieselbe durch seine Vertreter in den Volksversammlimgen
{sbor, skupStinä) ausübte. Deswegen hatte jedes pleme besondere
Punkte, die für solche Versammlungen dienten, einen schatten-
reichen Hain, einen wasserreichen Brunnen etc. Jetzt sind dieie
Plätze mit dem Dahinschwinden der Bedeutung jener Volks-
versammlungen verödet. Die Versammlungen waren nicht regel-
mässige, sondern wurden nur bei wichtigen Gelegenheiten b^
rufen, z.B. zum Zweck der Wahl eines Vojevoden (s. u.), der
Beilegung langjähriger Fehden, der Schlichtung von Rechts-
streitigkeiten, die den allgemeinen Frieden bedrohten, der Fflb-
rung von Verhandlungen mit den Landesfeinden usw. Es gab
auch Versammlungen der einzelnen hratatva^ Dörfer und Ge-
schlechter irod). Sie fanden ebenfalls an bestimmten Ponkteo,
manchmal auch in einem Hause statt. Hier wurden die An-
gelegenheiten der engeren Kreise erledigt.
b) Die Häupter. An der Spitze aller dieser Geschlechts-
(Zur Geschichte und Kritik des bäuerlichen Gemeindebesitzes in Bnas-
land T. 1—3, 1876—1887) u. a. eine starke wissenschaftliche Strömmig
besteht, nach der die altrussische Gemeinde ihren angeblich spftten
UrspniDg „einzig und allein der Verpflichtung zur Entrichtung der
Steuern" verdanke (vgl. auch R. Hildebrand Recht und Sitte I, Jena
1896, p. 183 und V. Kljuöevskij (russisch) Kurs der russ. Gkschiehte,
Moskau 1906, II, 378). Ich möchte mir mein Urteil in dieser wichtig
Frage daher noch vorbehalten. Immerhin möchte ich es aber für
wahrscheinlich halten, dass in dem russ. mirü, ähnlich wie in der
serbischen zadruga (vgl. oben p. 357 ff.), alte und neue Elemente sich
mischen. Ich möchte glauben, dass die altrussischen oder urslawischen
Sippendörfer, von deren einstiger Existenz noch Dorfnamen wie
iid6ia, Mirjatiöi, Didiöi, DMogostiöi (vgl.Kljuäevskij 1, 139) Zeagm«
ablegen, bei der Ausbreitung der Russen im Osten Europas in der
Regel sich spalteten, und diese Besiedeluug in der Tat meistenteils in
Einzelhöfen oder ganz winzigen Dörfern erfolgte. Dann wurden nun
Zwecke der Steuererhebung derartige Einzelsiedelungen von den Be-
hörden wiederum zu grösseren Gemeinden zusammengelegt, die jetst
zwar nicht mehr durch Verwandtschaft unter sich verbunden waren,
aber nach dem nirgends ganz erloschenen oder vergessenen
Vorbild des echten urslavischen mirü ihr Leben führten.
Bemerkt sei, dass auch V. Hehn (De morihus Ruthenorum p.l62)
den russischen mirü unbedenklich mit den entsprechenden Einrich-
tungen der verwandten Völker vergleicht.
Rrbändc standen gewählte Häupter, die iirHprUn^licIi vielleicht
r ijlatar „Haupt" (z. B. pleminski „des Stammes") oder ata-
tta, ttarejiina „der Alte" hiessen, fllr die aher frühzeitig auch
londere Namen wie Vojevode, Knez, Serdar u. a. aufgekommen
Nur über den Vojevoden soll hier ausführlicher gesprochen
Der Vojevode war vor allem Heerführer; deswegen mn88te
dif Wahl natürlich auf denjenigen fallen, der eich besonders als
guter Krieger bewährt hatte. Die Wahl galt für lehensläDglicb,
(loch konnte er abgesetzt werden, wenn er das Vertrauen des
Volkes nicht rechtfertigte. Rr konnte seine Würde auf seine
Kinder vererben, bedurfte aber dazu der Zustimmung des Volkes,
das nn Stelle des Sohnes, wenn dieser nicht geeignet schien,
einen anderen Verwandten des Vojevoden, /,. B. seinen Neffen,
erwählen konnte ; denn die Erbfolge haftete im allgemeinen an
dem hraintvo, dem der Vojevode des betreffenden pleme an-
gehi'irte, wenigstens so lange, nh das bratstvo die Macht hatte,
sein Vorrecht zu verteidigen. Von jeher gab es bestimmte an-
gesehene Gesehicehter, die nicht de iure, aber de facto das Pri-
vilegium hatten, dem Volk seine Führer zu gehen. Immer spielte
aber die Persönlichkeit des Betreffenden die Hauptrolle. Er
weidete ursprünglich seine Herden wie die anderen auch, und
erst allmählich gelang es ihm, wie gesagt, infolge militärischer
Verdienste, zum Vojevoden berufen, alle äusseren und inneren
Angelegenheiten des pleme in seiner Hand zu vereinigen. Nicht
alle, sondern nur die stärkeren plemeva hatten ihre eigenen
Vojevoden, die schwächeren ordneten sich anderen unter. Im
wesentlichen mit der Stellnng des Vojevoden gleichbedentend
ftcheint auch die des sudsl. iapan, des Vorstehers einer iupa
&■]. oben p. 374), gewesen zu sein (vgl. Kraus» a. a. 0. p. ä6 ff.).
H| Die Verfassung, die wir also in der Herzegowina und in Mon-
^pegro finden, ist, soweit man von einer solchen sprechen kann,
eine rein demokratische mit einem gewählten, zuweilen erh-
lichen, dann aber immer noch der Bestätigung durch das Volk
bedürftigen Oberhaupt gewesen, und es kann nicht bezweifelt
werden, dass dies der älteste politische Zustand der -Slaven Uher-
haopl war. Auf der einen Seite erfahren wir durch den ■Sti'a-
■ Maurikios (Ende des VI. Jahrb.; vgl. Arrinni Teicticu et
mricil Art. müit. I. XII, ed. Sehefferus, Upsaliae 1664,
dtr. fiprucbverRlelchune und rrseschlchtt II. 9, AuH. 'i^
— 378 —
p. 281), dass die Slaven viele „Könige" {^fjyeo) hatten, die in
fortwährender Fehde miteinander lagen; auf der anderen dareh
Prokop B. 6. \l\y 14, da88 die Slaven und Anten in demokrati-
schen Verhältnissen lebten, und alle wichtigen Dinge vor die
Volksversammlung (xoiv6v) gebracht wurden. Man wird ohne
Schwierigkeit in den Qfjyeg die Vojevodeu und in dem xotvov die
skupitina wiedererkennen.
II. Inwieweit spiegeln sich die Verhältnisse der sfld-
slavischen bratstvo und pleme bei den übrigen idg.
Völkern ab?
Indem ich mich zu der Beantwoi-tung dieser Frage wende,
bedaure ich, auf die keltischen Zustände, obgleich das Sta-
dium der ältesten Rechtsquellen dieser Völker {Ancient latcs of
Ireland, Ancient latcs and institutes of Wales etc.) auch in dieser
Beziehung eine reiche Ausbeute verspricht, zurzeit noch nicht
näher eingehen zu können. Doch soll einzelnes bei Besprechaog
der den Kelten ethnisch und linguistisch (vgl. P, 169) am nächsten
stehenden Germanen und Italiker bertlhrt werden.
a) Die Germanen. Dem Begriffe des sfidslavischen
bratstvo und pleme entspricht hier die Sippe: urgerm. got.
sibja, agls. sibby ahd. sippa (einzelsprachlich auch: got. knöpsj
ahd. fara, chunniy agls. mdbgd) und der Gau (lat. pagus):
urgerm. got. gavi, ahd. gouwi. Das letztgenannte Wort, urgerm.
^ga-avia-m ( : griech. o\r) „Dorf" aus *oviäy oli^xtjg „Dorfbewohner",
näheres vgl. Reallexikon p. 799) bedeutet ursprtlnglich „Gemein-
schaft von Dörfern** oder, was dasselbe ist, „Gemeinschaft von Dorf-
sippen". In ihm tritt die territoriale Grundlage der Zusammen-
gehörigkeit schon deutlicher, als in den stidslavischen pUme
oder nachija (vgl. oben I, 1) hervor. Auch ist zu bemerken,
dass zur Zeit des Caesar und Tacitus, sowohl bei Kelten wie
Germanen, der pagus im allgemeinen nur als Unterabteilung der
eivitas oder Völkerschaft erscheint; doch fehlt es weder hier, noch
dort (vgl. Brunner Deutsche Rechtsgeschichte I, 115) an Bei-
spielen, die die einstige politische Selbständigkeit der einzelnen j^o^'
verbürgen. Tritt so auf der einen Seite das territoriale Moment
bei den Germanen schärfer hervor, so ist doch auf der anderen
Seite der Verwandtschaftsgedanke noch immer der herrschende.
Ganz in südslavischer Weise (vgl. oben I, 1) leitet die vonTacitns
^erm. Kap. 2} hewaLrte gcrnianisphe 8laiiiiii8age die Her-
kanft der WeBtgerinaDeii von tirei Brüdern, SOhnen des Mannas,
Sohnes dea Tniseo, ab. Was ferner von dem alten Wales (vgl. Öi-
raldus Camhriae descr., nach F. Walter Das alte Wales p, 33)
bericbtet wird: Genealogiavt quoque generis sui etiam de populo
quilibet observat, ei nov solum aros, atavos, ted uaque ad
xextam vel septimam, et ultra procul generationem memoriter
et promte genus enarrant, hat, wie z. B. die umfangreichen Ge-
nealogien der Sachsenchronik /.eigen, aach bei den Germanen
gegolten, und nach dem gemeinsamen Stumiuvater benennen sich
mittelst des urgermanischen Sulfixes -inga (altn. Ylfingar, agls.
IVtflfingan. uihd. Wtil/iiige) übereinstimmend die Mitglieder der
einzelnen Sippen (vgl. oben I, 2, a). Zugleich rllckt dieser
Stammvater in die Zahl der Götter oder Halbgötter ein (vgl.
Jordauis Kap. 13: tarn proceres suos, quorum quasi f'ortuna
vlncebant, non puros homines, sed i<emideos, id est ansis, voca-
verunt), und sein Kult bildet naturgemäss einen weiteren be-
deutungsvollen Mittelpunkt der Sippe (vgl. oben I, 2, b). Im
Krieg (vgl. I, 2, c) kämpfen die Angehörigen der Sippen bei-
einander, wie es Tacitus Germ. Kap. 7 lienchtet; Non caans
wec fortuUa conglobatio furmam auf cfiaeum facit, sed familiae
ac propinquitatea, wie es auch für die alten Cymren {füraldus
Vambriae descr. Kap. 10) bezeugt wird: Per turbita igitur et
familias capite sibi praefecto gentis huiug iuventus mcedit.
.\ncb im Übrigen haben alle fUr einen nud einer für alle ein-
zustehen, wie dies auf germanischem Boden besondei's in dcD
.Satzungen der Blutrache (Tacitus Germ. Kap. 21) hervortritt:
•'^'uscipere tarn immicitian xeu patris seu propinqui quam atni-
i-itiag necesse est; iiec implacabiles durant. Luüur enim etiam
homicidium certo armentorum ac pecorum numero, recipitque
satiefactionem unitersa domus, utiUter in publicum, quia peri-
lulosiores inimicitiae sunt iu.Tta libertatem (vgl. oben I, 2, e).
Dasselbe gilt von den Kelten: Genus super omnia diligunt, et
damua sanguinis atque decorii acriter ulciscuntur: vindicis
enim animi sunt et irae cruentae, nee solum twvas et reeentes
iniurias, verum etiam ceteres et antiquas eelut instantes vindi-
care parati (Giraldus Cnmbrtae descriptio Kap, 17). Endlich
ivgl. 1, 2, f) ist die germanische Sippe auch eine Wirtschafts-
und Bodengenossenscbaft gewesen, wie aus den bereits oben
— 380 —
p. 210 angeführten Stellen, die hier nicht wiederholt werden
sollen, mit Sicherheit hervorgeht. Auf den Begriff des Sippen-
dorfs weisen die zahlreichen mit dem patronymischen Suffix
'inga, -ingen gebildeten Ortsnamen wie agls. Centingas, liu-
mingas etc. hin, und die von den römischen Schriftstellern auf
germanischem Boden genannten oppida werden ursprünglich nichts
als dürftig befestigte Mittelpunkte der Gaue gewesen sein, in die
man nur in Zeiten der Gefahr flüchtete (vgl. Caesar De beü,
GaU. V, 21 von den britannischen Kelten: oppidum autem
Britanni vocant, cum 8Üv<is impedüas vcUlo atque foeea ms-
nxerunt, quo incursionis hostium vitandae causa convemrt am-
suerunt).
In Beziehung auf die altgermanische Regiernngsform
müssen wir uns aufs neue erinnern, dass zur Zeit des Tacitns die
Sippen und Gaue sich bereits in der höheren Einheit der cwUa»
zusammengefunden hatten, die teils von Königen, teils von einer
Mehrheit von Fürsten regiert werden. In beiden Fällen liq[t
das politische Schwergewicht in der Volksversammlung, d^
condlium (Tacitus Germ. Kap. 11: de minoribus rebus prin-
cipes Consultant, de maioribus omnes). Wie demokratisch es
in einer solchen Volksversammlung herging (mox rex vd pm-
ceps, prout aetas cuique, prout nobüitas, prout decus belhrumf
prout facundia est, audiuntur auctoritate suadendi magis quam
iubendi potestate) hat uns Tacitus a. a. 0. mit lebendigen Farben
geschildert. In diesem condlium werden auch die prinoft»
gewählt (Tacitus Kap. 12), aber, wie die geschichtlichen Tat-
sachen lehren, immer aus edlen Geschlechtem. Für die Könige
wird diese Wahl aus dem Adel von Tacitus (Kap. 11) direkt
bezeugt. Ihre Würde ist in beschränktem Sinne erblich, andrer-
seits gibt es genug Fälle, wo der König von seinen Untertanen
aus verschiedenen Gründen abgesetzt wird. Am grössten ist seine
Gewalt im Kriege. Überhaupt hat sich die Königswürde unter kriege-
rischen Verhältnissen erst in der Zwischenzeit von Caesar bis Tacitus
entwickelt. Noch der erstere berichtet {de beU. GaU. VI, 23: öm«
bellum civitas aut illatum defendit aut infert, magiftratus, g^
eo bello praesint, ut vitae nedsque habeant potestatem, Mi-
guntur. In pace nullus est communis magistratus, sed prin-
cipes regionum atque pagorum inter suos ius ducunt contro-
versiasque minuunt Dieser Znstand hat sich bei den Altsacbsen
381 —
"^Beda fiisf. ecci. V, Kap. lOj noch lange erbalteu: Xon enim
hnhcnt regem idem Antiqui Saxones, ued satrapas (aldorman
iu Bedae Übersetzung) plurimos auae gentt praeposHo», qui m-
^ffruente belli articulo mittunt aequaliter sortes et guemcunque
^Hpr« offtendeiHt, hunc tempore belli ducem omnes sequuntur,
Hfellic obtemperant, peracto autetn hello rurmm aequalis potentiae
omnes ßuvt »atrapae. Ein sogenannter rex ist also in den
KöDigsstaalen des Tacitus nichts anderes, ab ein princeps ge-
wesen, der die ihm aU „Herzog" lahd. herizogo, altn. hertoge)
Ibcrtragene Würde verstanden hatte, auch im Frieden bei-
itbelinlten, ganz wie wir oben (p. '611) gesebeu haben, das» auch
imelne Vojevodeu meliiereD plemena voratandeii. Über die
fÜnkünfte der principe» heisst es bei Tacitns Kap. 15: Mos est
civitatibus nitro ac cirilim coiiferre principibtis vel armentorum
l fruguin quod pro honore acceptum etiam necessitatlhus sub-
Es gab also nur freiwillige Geschenke.
bj Die Griechen. II. il, 362 rät Nestor, der Vertreter
„giiteD alten Zeit", dem Agamemnon, die Hellenen nach Sippen
1 Stämmen aufz-nstellen ; dann, sagt er, werde man die Tüchtig-
st der ein^telneu am besten erlceunen, wenn jeder bei seinen
nten kämpfe;
xqTi-' SyioiK KaTh <pvXa, xaik rpQ^tgas, 'AyAii^iirov,
&s TQ'fltQi ii'Qtpgiiipiy iQ/ffii, <pBia fit g'vXni^.
Nehmen wir hierzu II, IX, 63, wo derjenige als ä^fQtjroio
„flippenlos" und Ariimo; „herdlos" bezeichnet wird, der den
Bflrgerkrieg liebl, so haben wir aiifh hier die von den Süd-
slaren her uns bekannte Stnfenfolgc geschlechlsverwandter Ver-
bände: ioria „die Herdgemeinschaft" (sUdsl. dorn, auch ognistije
Idie Feuerstätte"), ^'^"Jrgij „die Sippe" oder „die Brüderschaft"
Mdsl. braintvo), rpTikov „der Stamm" (audsl. pleme) auf das deut-
^bste vor uns.
\ Auch in späterer Zeit treten uns die Begriffe des (pvi.oy
äer der qwkri (letzteres eigentlich ein Kollektirum zu dem
hteren) nnd der <fs^'ixqi} allenthalben entgegen, doch so, dass
sie mehr oder weniger bereits territorial und zu Teilen der nöhi
oder des Staates geworden sind, was bis zu einem gewissen
Grade naturlieh auch schon in homerischer Zeit der Fall war; doch
der alte Nestor, „der drei Menschenalter sah", immerhin
Mfa die volle Blüte desGeschlec-htcrstaats in Griechenland erlebt
- 382 -
haben. Auch später leuchten die Grnndzüge desselben nocb
überall hindurch. „Die Phylen", sagt E. Meyer (Geschichte
des Altertums II, 88) mit Recht, ^sind nichts anderes, als Ver-
bände mehrerer Phratrien ; wie diese ruhen sie auf der Idee der
Blutsgemeinschaft; ihre Angehörigen werden als Nachkommen
eines gemeinsamen Ahnherrn gedacht Die Phylengenosseo
bilden eine Kultusgemeinschaft, sie haben ihre eigenen Beamten,
sie handeln und stimmen gemeinsam, auch wenn ihre Wohnsitze
weit voneinander liegen.^ An die einstige Geschlossenheit des
Grundbesitzes innerhalb der Phyle (vgl. oben I, 2, f) erinnert
es, wenn in Kreta nach dem Gortynischen Gesetz die „Erb-
tochter" in Ermangelung von Verwandten von einem Phylen-
genossen geheiratet werden musste, und der allgemein griechische
Ausdruck für das Privateigentum, xkrjQog „Los" (= russ.u&WoW
„der Teil", den «der einzelne Bauer im Mir erhält) weist mit
grosser Deutlichkeit darauf hin, dass einst überall, wie in Sparta
durch Lykurg, eine Aufteilung des früher allen gemeinsam ge-
hörigen Grundeigentums stattgefunden hat. Noch in dem von
Demosthenes {in Macart, p. 1069) herangezogenen Gesetz wird
den (pQatoQeg auch ein bevorzugtes Anklagerecht in Mordsacben
zugesprochen, als letzter Rest ihrer einst bestehenden Verpflichtnn|p
zur Blutrache, deren Ausübung in homerischer Zeit bei den hm
(hat) ruht. Dieser Name hinwiederum liegt der kretischen haigiaf
wie dort die Phratrie genannt wird, zugrunde.
Am zahlreichsten und deutlichsten aber haben sich die an
Stamm und Sippe haftenden Einrichtungen und Anschauungen in
Griechenland in Beziehung auf denjenigen Begriff erhalten, der
zugleich als etwas uraltes und als etwas verhältnismässig neaes
bezeichnet werden muss, dem des yivog oder des Geschlechts.
Dieses Wort wird von Haus aus ganz wie das sttdslaviache
rod (I, 1) zu beurteilen sein, d. h. es bedeutete eine Unter-
teilung der (pQrJTQr} ijbratstvo), konnte zugleich aber auch ?on
jeder auf Zeugung beruhenden Verwandtschaft gebraucht werden.
Natürlich rechnete sich jeder ursprünglich als zu einem yho;
gehörend. Allmählich aber wurde unter den neuen Verhältnissen
Griechenlands dieser Ausdruck mehr und mehr nur auf reiebe
und adlige, d. h. durch die Taten ihrer Vorfahren bekanntere
Geschlechter angewendet, die mit dem zu allen Zeiten in der
Verbindung von Adel und Reichtum hervortretenden Konserva-
risniUA die alten charakterigtiBchen Züge der ur/.eitlic1jeD ver-
»ndtB eh artlichen Verbände treu bewahrten. So benennen sieb
! Mitglieder eines Geschieehte mit dem gentilicisc;hen, von
ueni wirkh'eben oder fingierten Aboherrn abgeleiteten Namen,
r den das Suffix -da (Sijj charakteristisch ist: UjQf.töui.
[tt/uo>vlAai, Keq>aXidt2i, EvfioXntdnr ; doch liegen, ähnlich wie bei
m sUdsIavisehen pUme (I, 1), auch bereits geograpbisebe
«griffe l,t. B, Jexehiü;, ^nXa/tifioi) oder Beaebäftignngszweige
BovZvyK, Aiytiomii/ioi) dem Geacblechtsnamen Kiigrunde, Der
BfoeinBame Stammvater ist zugleich der Schut^geist des y/yoc
'gl. I, 2, b und oben p. 379): „Toten-, Heroen- und Gcnlilkultns
eh'^ii ineinander tlber und ineinander auf." Die Abstammung
ird nur in männlicher Linie gerechnet. Zahlreiche attische Drtrfer
nd Demen tiiud einfach nach den Geschlechtern benannt, die sie
ewohnen (vgl. oben 1, 2, f nnd p. 376 Anm.): Philaidai, Pah-
lif lonidai, 'AlUaXifku, Al-Qt&ai, ElßfalÜai. „Das Gebiet von
( zerfällt in „Türme" (jrüoj'os „Burg"i, d.h. offenbar Adels-
Drgen, die den Namen einzelner Personen tragen; ähnlich war
( Gebiet von Ephesos organisiert" (oben I, 2, f) uaw. (vgl,
1. M eyer Geschichte des Altertums II, 306 ff. und Töpfer Attische
Jftlogie p. 3 ff.).
Da, wie wir sahen, von einer politischen Selbständigkeit des
bylon öder der Phyle in historischer Zeit nicht mehr die Rede sein
Bau, 80 vermag, ähnlich, wie wir es bei den Germanen beobachtet
, die älteste Verfassung derselben sich nur in derjenigen
eft Staates zu spiegeln, dessen Teile das Phylon oder die
byle geworden sind, in dieser Beziehung zeigt das homerische
iOnigtum allerdings keine Spur einer Wahlmonarebie mehr. Die
leht des Königs erbt vielmehr vom Vater auf den Sohn, wird
er durch die ihm zur Seite stehenden yigovre; „Slarosten"
^logeq ^Ai- iiifiiYvtEi) erheblich eingeschränkt, die, wie er selbst.
ich ßaoiXijn; „Könige" genannt werden, und in denen es daher
ihr nahe liegt, einstige Häupter selbständiger Phyien und Stämme
I erblicken. Die Gewalt des Königs ist im Kriege eine grosse,
nc geringere im Frieden, wo er fllr den Staat opfert, und, zu-
mmen mit den Geronten, als Schiederichter waltet. Seine
BbeDsfllhmug ist eine einfache. Königssöhne weiden noch die
Brden des Vaters. Seine Einktlnfte sind ähnlich wie die der
rnianisehen Küuige : freiwillige Geschenke und Gebühren (doi-
— 384 —
Tivai und Mfuoreg), daza erhält er ein Kronland, beim Mahl den
Ehrenplatz and die grösste Portion. Dem Könige mit den
Geronten gegenüber ist die Bedeutung der VolksYersammliuig
eine geringe und mehr passive, doch lehrt ein Blick auf dea
den Hellenen nächststehenden Stamm der Makedonen, die dis
Recht der griechischen Urzeit offenbar treu bewahrt haben, dsM
dies nicht der ursprüngliche Zustand gewesen sein kann ; denn hier
ruhte, wie wir aus einer Notiz des Curtius (VI, 8, 25) erfahrai,
zum mindesten die oberste Kriminalgerichtsbarkeit, ganz wie bei
den Germanen (Tac. Germ. Kap. 12: licet apud concüium accu-
sare quoque et discrimen capitis intendere), im Frieden bei dem
Volk, im Krieg bei dem Heere (vgl. Kap. XIV).
c) Die Römer. In dem ältesten Rom ist vor allem aof
zwei Bildungen zu verweisen, von denen die eine freilich nnr
durch die Sprachvergleichung, aber, wie ich glaube, mit ver-
hältnismässig, grosser Sicherheit erschlossen werden kann. In
meinem Reallexikon p. 223 ff. habe ich nämlich den Nachweis
zu führen versucht, dass die lat. Sippe von vindex, vindicerej
vindiciae, vindicta, vindicare, vindicatw auf einen Stamm *Denir
zurückführt, der dem ir. fine ^Verwandtschaft, Familie, Stamm,
Joint family^ (coibnes „Verwandtschaft"), ahd. uAni „Freund"
(wer zur Verwandtschaft gehört) genau entspricht. Ist diese
Zusammenstellung richtig (Zustimmung bei Walde Lat. Et. Wb.
p. 674), so ergeben sich für den durch ^veni- bezeichneten Be-
griff der Sippe folgende drei in der prähistorischen Zeit Roms
geltende Bedeutungssphären: 1. Wie lat. vindex „der Bürge"
{*veni'deicify eigentl. „einer, der auf die Sippe hinweist", zu-
gunsten jemandes, wodurch er für ihn bürgt) zeigt, sind die Mit-
glieder der Sippe verpflichtet, in jeder Weise, namentlich auch
vor Gericht, für einander einzutreten (vgl. auf altkeltischem
Boden die altcymrische Bestimmung: Ut moris estj vadem h
offert pro iuvene tota cognatio, et cavere iudicio sistiy Walter
Das alte Wales p. 135 Anm. 1). 2. Aus lat. vindex „Rächer^,
vindicare „rächen", vindicta „Rache" (ebenfalls eigentlich „Hin-
weisung auf die Sippe", diesmal in dem Sinne, dass die Ver*
folgung einer Bluttat oder die Busse für eine solche als Sippen-
Sache erklärt wird) geht hervor, dass auch im ältesten Rom die
Mitglieder einer Sippe in Sachen der Blutrache handelnd und
leidend untereinander verbunden waren. Hinsichtlich der ir.
tlieB über allen Zweifel erliabeu. Vgl. H. dArhois
Jubainville La famille Ceftique (Paris 1905) p 1: Lt
mchus Mör nous apprend que, dans hl famille irlandaine,
, il !/ a quatre groapes de prochen parente qui impporient
In respoiisabiliti du crime ou du dHit de qtdconque fait partit
de ces groupef, ce sovf la gelßne, la derb/ine, la iarfine. et
)ndfine. Ces qualre ynmpes peureiit Hre contraint» ä paffer
i compoiiition due pour crime oa d4lii covtmis par un de leur
mbren (vgl. auch oben p, 374). 3. Lat. chidicare (vindicia,
^indidae) iu der Bedeutung „etwas als sein Eigentum erklären"
(wiedernm eigentlich: „auf die Sippe hinweisen", dieenial indem
Sinne, dass ieh etwa» als ihr, d. b. mir gehörend iu Anspruch
ueliuie) beweist. daBS auch auf römischem Boden einstmals ein
tiesamieigentum der verwandtschaftlichen Verbäitde in Beziehnng
auf den unbeweglichen Besitit bestand. Vgl. dazu wiederum
d'Arboia de Jnbainville a.a.O. p. .39: Les quatre branchea
de la fine eont theoriquemi'nt proprietaire indiviv de la
succeasiott laiasie par l'autenr de cea quatre brancheit- Das
Eigentum vererbt sich daher innerhalb der fine. Finecjia» ist
das gemeinsame der Familie gehörende Eigentum, Erbschaft,
Nachfiilge, Recht der Familie new. Hn charakterisiert diese von
den Juristen leider bis jetzi, soviel ich sehen kann, nicht beachtete
Erklärung des lat. vinde^, rindicare auch anf italischem Boden
(las Wesen der Sippe nach den drei Seiten der gemein-
samen K Orgschaft, der gemeinsamen Blutrache und
des gemeinsamen Eigentums.
^L Aus der vorgeschichtlichen in die geHchichtücbe Zeit Tllhrt
^h die lat. gern, etymologisch nnd in seiner geschichtlichen
HbtwiekiuDg am nächsten dem griech. ylvo? (yiyropai, gignuj
stehend. Lat. gern verhall sich zn dem eben erörterte», in histo-
rischer Zeit als selbständiges Wort nntergegangeneu *veni- ganz
«ie grieth. yeroi /.u der in historischer Zeit in seiner arsprUng-
liehen Bedeutung vielfach verschobenen q>gt}jQTj. Wie die j-ei»;,
haben die genten zahlreiche charakteristische ZUge der ültesten
verwandtschaftlichen Verbände bewahrt. Der Verwand tschafls-
begriff der gena ist agnatisch. „Das seiner Ableitung nach
durchsichtige Grundwort ruht auf dem Begriff der Erzeugung,
1 zwar in dem rechtlichen Sinne der die Gewalt des Vaters
■ den Sohn begründenden Ze4igung. Daraus gehen die beiden
3
— 386 —
Begriffe des Hauses und des Geschlechtes hervor: jenes sind die
in der Gewalt eines lebenden Ascendenten vereinigten Freien^
dieses die Freien, welche in einer solchen vereinigt sein würden,
wenn keine Todesfälle eingetreten wären ^ (vgl. Mommsen Rom.
Staatsrecht III, 1 p. 9). Das Kennzeichen des Geschlechts ist
das nomen gentile, der Name des gemeinsamen Ahnherrn, der
ebenso wie der Name des yivog oder bratstvo dem Individoom
anhaftet: Qu. Fdbius Quinti = Quintus ans der Fabischen genSj
in des Qu. potestas. Die Geschlechtsgenossen heissen genHlHf
auch patres „Hausväter", patricii. Innerhalb derselben unter-
scheidet das römische Erbrecht die sui, adgnati (mit nachweis-
baren gradus) und die übrigen gentües (XII Tafeln: si adgnatus
nee escit, gentües familiam habento). Man hat gemeinsame
Sacra und gemeinsame sepulcra (vgl. Marqnardt Privatleben
p. 353). Alte Geschlechter wie die Aemilii, Cornelii, Fabii
haben gewissen Landquartieren ihre Namen gegeben (vgl.
Mommsen Römische Geschichte P, 3ö), und von der einstigen
Stärke, Geschlossenheit und selbständigen Handlungsfähigkeit der
Gentes legen die Taten und Schicksale der 306 Fabier ein be
redtes Zeugnis ab.
Im übrigen soll auf die römischen und italischen Verhält-
nisse hier nicht weiter eingegangen werden, da sie im allgemeinen
eher geeignet erscheinen, Licht von den übrigen idg. Völkern
zu erhalten, als es ihnen zu spenden. Doch ist bemerkenswert,
dass sich gerade in Italien in lat. rex ^der König" und nmbr.
tuta „die Gemeinde'^ zwei schon idg. Ausdrücke erhalten haben,
auf die im dritten Abschnitt dieses Kapitels zurückzukommen
sein wird.
d) Die Inder und Iranier (Arier). Nach Herodot I,
125 zerfielen die Perser in eine Reihe von ysrrj, wie die tlit
oagyddai, Magdtptoi, Mdojiioiy Tlavi^taXaloi, drjgovoiaXoif regfiäfw
usw. Der Begriff des yevog teilt sich wieder in (pQtjxgai ((p^-
TQiai). So waren z. B. eine <PQi^rQrj der Pasargaden die Jl;fm/tf-
vidai oder altp. die Haxämanisiya {-iyay vgl. Fabiif TuUü)y so
genannt nach ^Axaifiivrigy altp. HaxämaniSj dem Stammvater^
dessen Deszendenz von Herodot VII, II sorgfältig aufgezählt
wird. Diese ohne Zweifel urarische Stammeseinteilnng von yimi
und (pQYjxQai spiegelt sich noch mit ziemlicher Deutlichkeit im
Veda und im Awesta ab. In ersterem ist die oberste politische
inlieit des N'olkes der jihui oticr „Stainiu". Die iiäciiste ünter-
IteJlung des Stammes ist die tii; „Sippe" oder (Örtlicb) „Gau",
ie iiäehKte (hrjtinman „die Verwandtschaft" ( = grä'ma „Dorf"),
i wieder aus „Familien" (putr4 „Sölme") znaammengesetzt ist
gl. H. Zimmer Allindisches Lebeu |i. 158 ff.). Im Awesta
idet den iintereten Teilbef^riff /itn<i;j(r „das Haue"; darauf folgt
„Dorf, Dorfecbaft. Gemeinde" (aucb das dariu gelegene
Berrenhaus"), dann zantu „Landkreis" und darüber dahyu
kiandgehiet" . Wie man sieht, ist im Aweata im Vergleich mit
mi Kigveda die ganze Terminologie echon mehr aus der ver-
indtschafitichen in die lokale i-iphäre übergegangen; doch läset
sh ihr ui-Bprttnglielier .Siini noch deutlich erkennen. Von den
nianuten indischen und iranischen Ausdrücken entspricht uäm-
I am genauesten scri. jdtta und aw. zanttt dem Herodoteisclieu
o?, insofern alle drei Wörter zu dem lat. {/igno (acrt. Jan,
. zan, griecb. yi-p-ofiai) ^zeugen, gebären" gehören, woraus folgt,
188 auch scrt. jäna und aw. zantu von Haus aus einen auf ge-
pinsfluier Abstammung beruhenden Verwandten kreis bezeichnen
I8B. Als Unterabteilung dieses Begriffes ergibt sieh dann, als
F gleicher Stufe mit der Ilerodoteischen i/'Qi'jiijii stehend, schon
' die ariache Urzeit sert, ci^ zusammen mit jänman (vgl, oben
Isl. bratatno mit rod) = aw. eis „Sippe", dann „Dorfgemeinde".
S8 wir uns aucb die ansehen Heere, genau wie die slavisehen,
rmaniacben, griecbiscben und italischen nach solchen Sippen
)rdnet vorstellen müssen, geht aus der vedischen Überlieferung
eh mit Sicherheit hervor. So wird im Rigveda Manyu angerufen,
er von Abteilung zu Abteilung gehend (m^a^vi^m) die
neger zum Kampfe anfeuern möge, oder so werden an einer
deren Stelle derselben Hymnen die Unterabtei Inugen der vi^
idrUcklich als suhandhu „Verwandte" bezeichnet.
Auch in staatsrechtlicher Beziehung erhalten wir durch den
^vedft wiotitige Analogien zu dem bisherigen. An der Spitze
I Stammes steht der König (scrt. rä'jan), der durch die
Hksversammlung gewählt wird. Doch gibt es Stämme,
denen Ürgrossvater, Grossvater, Vater und Sohn nachein-
8er herrschen. Die Verhältnisse Hegen hier also ganz wie bei-
flslaven (i, 3, b) und Germanen (oben p. 380). Bei den Persem
I nach Herodot die 'Ayai/irvidni diejenige i}^q)jjq>j, h'&iv ol
lies 61 tliQUiibw yfyiWnmt: Im Kriege heisst der König
- 3«8 —
sdtpati ^der starke Herr^, er bringt Opfer für deo Stamm dar,
er heisst gö'pä jdnctsya (griech. Tzoifjtrjv kacov, agis. folces hyrde).
Seine Einkünfte l)estehen aus freiwilligen Geschenken und einem
Hauptteil der Beute. Neben oder unter ihm steht der vifpdti
= aw. vispaiti „Herr der vig^. Überall ist die Macht der Herr-
schenden durch den Willen des Volkes beschränkt, das ihn in
den Volksversammlungen: scrt. sabhä', admitij vidätha äussert.
Erwähnt seien noch als lokale Mittelpunkte des Wohnungs- und
Weidebezirks des Stammes die festen Burgen (scrt. pür\ in die
man in Zeiten der Not mit seiner Habe aus den offenen Dorf-
siedelungeu flüchten konnte (vgl. Zimmer a. a. 0. p. 142 ff.).
KI. Sippe und Stamm in der idg. Urzeit.
Auf Grund der im bisherigen mitgeteilten Tatsachen lässt
sich unter Heranziehung der in dieses Gebiet einschlagenden and
bis hierher aufgesparten urverwandten Gleichungen der idg. 6e-
sch]er*.hterstaat mit ausreichender Sicherheit rekonstruieren.
Wir haben in dem vorhergehenden Kapitel über die idg.
Herdgemeinschaft, *domo- (scrt. danidy griech do/nog, lat. domuij
altsl. domü)y gesprochen, an deren Spitze mit unbeschrankter
patria potestas der *dem'8'poti- (scrt. ddmpati = griech. dm-
jioTi^g) stand. In ihr blieben die Söhne eines und desselben
Vaters mit ihren Frauen und Kindern jedenfalls bis zum Tode
des gemeinschaftlichen Erzeugers , vielleicht auch länger, zu-
sammen wohnen. Mochte nun aber die Auflösung und Aufteilong
einer solchen Herdgemeinschaft früher oder später erfolgen, auf
jeden Fall blieben die ausscheidenden Brüder mit ihren Nach-
kommen untereinander auf das engste verbunden und bildeten
eine Geroeinschaft, die man am besten nach sttdslavischer Analogie
als „Brüderschaft" oder nach germanischer als „Sippe** bezeichnen
wird. Der idg. Ausdruck hierfür liegt in dem oben genannten
scrt. vig = aw. viSy altp. vi&y griech. J^ix- (in xQixä-J^ixeg), lat.
vtcus, altsl. vlsij got. veihSy ir. fih, alb. vise. Wenn hierbei im
Iranischen und in den europäischen Sprachen die Bedeutung
„Dorf" sich als die vorherrschende erweist, so ist dies die natur-
gemässe Folge der oben oft genug hervorgehobenen Erscheinong^
dass die Brüderschaft oder Sippe in ein oder mehreren Dörfern
beieinander wohnte. An der Spitze der *öik' stand der *vtk'
poti (scrt. vig-pdti, aw. vis-paiti = lit. wiSsz-patSf jetzt „regie-
»der Herr", „Gott"), vou deescn Befu^igscn unten die Rede
wird. Docli werden Bchon in der Urzeit die einzelnen
-es nur Bellen fUr sich allein gestanden, sondern in der Reg<^l
«rden mehrere eich /,u der höheren Einheit dessen, wae man
Kb griechischer Analogie als „Phyle" oder nach slavischer als
Pleme", d. h. als „Slanim" bezeichnen kann, zuRniiiineDgeschlossen
Aach diese Vereiiiignngen wurden als auf gemeinsamer
betamronng hernhend angesehen, die aber von Anfang an, im
cgensatz zu „Brüderschaft" und Sippe, mehr eine Fiktion als
Hrklichkeit gewesen sein wird. Immer häufiger wird es vor-
^orameu sein, dass aacb untereinander bicht verwandte „Brflder-
ibaften" oder „Sippen" sich 7,11 einem „Stamm" zusammen-
«en. Überwog noch der Gedanke der gemeinschaftlichen
bstammang, so werden die Bezeichnnngen des Stammes im
^entliehen die der Sippe gewesen sein. Als spezifischer AilB-
mck fUr den ersteren Begriff dürfte idg, *teutä (nmbr. tota,
. tauto „eivitas", ir. tüath, got. piuda, ahd. diota „Vulk".
I^)r. taiito „Land") anzusehen sein, eigentlich „Gesamtheit"
lt. tötus), obgleich die betreffenden Glieder der Einzelsprachen
mtlich schon fortgeschrittene, aus dem Staium entwickelte
Ulitische Gebilde bezeichnen. An der Spitze des Stammes stand
ST *rgg (ecrt. rd'j, rä'jnn = lat. rSx, ir. ri), über den unten mehr.
Uie älteste nnd zäheste Organisation der Indogermanen
t aber die Sippe gewesen. Ihre Mitglieder benennen sich
ich dem gemeinsamen Stammvater, von dessen Namen sie den
tigeu durch ein jiatronymiBches Suffix (io-, vgl. oben p, 38D)
Meiteu. Sie verehreu die Geister der Vorfahren gemeinsam.
e kftmpfen im Krieg, in verwandtschaftlichen Verbänden neben-
uander aufgestellt. Sie heiraten nicht innerhalb derselben Sippe
kd vielleicht auch nicht innerhalb desselben Stammes, wie wir
bei den Sfidslaven (1. 2, A) fandeu, und worauf auch dss
gls. gibleger und das griecb. a!/ia i/xrpvkiov „Blutschande" hin-
iweisen scheinen. Sie sind untereinander zur Ausübung der
btrache, idg. *qoinä (aw. ka^A = grieeh. tioiv»)) verpflichtet.
Teideplätze und Ackerland gehören ihnen gemeinsam. Dorf
d Sippe sind identische Begriffe.
Die Entscheidung Über die .Angelegenheiten der Sippe liegt
i der Sippenversammlung, idg, "sebhä (scrt, säbhä' „Versamm-
igs-, Gemeindehans" = got. sibja, ahd. sippa „Sippe", das sich
— 890 -
sprachlich als eine AbleitaDg von *8ebhd erweist)^ in der die
*dem'8'poti mit ihren Leuten zusammenkommen, nnd die anter
der Leitung des *vlk'poti oder Sippenherrn steht^ der auch in
ihr gewählt wird^). Daneben werden Volksversammlungen des
ganzen Stammes bestanden haben, denen der *rS§ prftsidiert.
Auch dieser geht aus der Wahl des Volkes hervor ; doch werden
starke Sippen es verstanden haben, längere Zeit hindurch einen
der Ihrigen bei der Wahl als *rS§ durchzusetzen. Dieser ist
4m Frieden im allgemeinen von der Volksversammlung abhängig.
Grössere Macht hat er im Kriege. Seine Einkünfte bestehen
aus freiwilligen Ehrengaben und einem grösseren Anteil an der
Beute. Die offenen Dorfansiedelungen der Sippen lagern sieb
um befestigte Plätze (scrt. i^tlr = griech. 716hg „Stadt**, MtpÜis
„Schloss*'), in die man sich in Zeiten der Not mit seinen Herden
flüchtet.
Diese hinsichtlich der Beschaffenheit der idg. Sippe hier
gewonnenen Ergebnisse stimmen mit dem, was nach E. Grosse
(Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft) für
Stämme von Viehzüchtern, „welche die Viehzucht als Haupt-
Produktion betreiben, gleichviel ob sie daneben noch Tiere jagen
oder Pflanzen sammeln und bauen*', zu erwarten ist, durch-
aus überein; denn diese Stufe der Viehzüchter kennt, wie die
Indogermanen, fast ausschliesslich Vater-, d. h. agnatisch auf-
gebaute Sippen, deren hervorstechendste Bedeutung, wiederum
wie bei den Indogermanen, in den Zwecken des Krieges liegt.
Wenn daneben bei den europäischen Indogermanen der Sippe
schon für die Urzeit auch eine gewisse Bedeutung als Wirt-
schaftsgenossenschaft zugesprochen werden muss, so liegt dies
darin begründet, dass ein Teil ihrer Stämme (vgl. Kap. VI) sieb
1) Es könnte auffallend erscheinen, dass dasselbe Wort *poa,
das zunächst für den mit absoluter Gewalt an der Spitze des Hauses
stehenden Hausherrn galt (vgl. oben p. 336 ff.), auch verwendet wurde,
um den ganz und gar von den Entscheidungen der ^dem-s-poH ab-
hängigen Sippenherrn (*vik'poti) zu bezeichnen. Dasselbe ist aber
auch im Russischen der Fall, wo Bildungen von dem Stamme star-
„alt^ {starikü, stdrostay staräinä) ebensowohl den mit absoluter Gewalt
herrschenden Familienvater wie den Vorsteher des auf rein demoi^ra-
tischer Grundlage beruhenden Mir und des Volost bezeichnen (vgl.
Leroy-Beaulieu P, 10, 15).
ecbou in der Drxeit der von Grosse neben den Vielizüchteru
DDterBchiedenen Stufe der niederen Ackerbaner zuueigle.
In der Gestalt einzelner oder vereinigter Sippen (Stämme)
(glauben wir auch die Ausbreitung und die Wanderungen der
Indogermanen nns verlaufen denken zu sollen. Audi mit dem
stärkeren Hervortreten des Ackerbaus bei den westlieben Indo-
germanen war ja die Zeit der Wandernng auf idg. Boden keines-
weg:B vorüber. Es ist in diesem Buebe genugsam bervorgeboben
worden, dass dieselbe bis an die Sebwelle der Gescbicbte nnd
über (iieaelbe hinaus reiebte. Es war ein offenbar gewöbniieber
Vorfall, dass eine Reihe von Geschlechtaditrfern, des mühseligen
Ackerbaus überdrüssig oder von dem Wunsch nach besserem
Ackerboden geleitet, wie die Helvetier des Caesar, ihre Halm-
trucht abmähten, die leichtgezimmerten Hütten abbrachen, Kind
und Kegel auf die oehsenbespannten Wagen luden und in der
Ferne ihr Heil suchten. Das süsse Wort „Vaterland" (vgl, oben
p. 214i hatie noch keinen Klang für diese primitiven Menschen.
Es erhält ihn erst, nachdem an Stelle der Verwandtschaft das
Territorium die Basis der politischen Einheit geworden ist. In
diesen Zeiten der Wanderung ist Volk und Heer (ahd. (olc,
woraus altsl. plükä „Schar", „Heer", vgl. auch griecb. Stj/KK
^Volk" = altir. däm „Gefolgschaft eines Königs", Windiach
H. d. k. säcbs. 0. d. W. pbil.-hist. Kl. 1886 p- 246 und lat.
populu8, eigentl. „Heer", vgl. populari „verheeren") ein nnd
dasselbe, der Olanherr oder der reg wird zum Her/.og oder zum
rojevoda. Oft mag es dabei vorgekommen sein, dass auch nach
erfoehtenem Sieg und in ruhigeren Verhältnissen mehrere zu
einem kriegerischen Unternehmen verbundene Stämme unter der
nunmehr straffer angezogenen Herrschaft eines Stammesherrn
beieinander blieben, wodurch der Begriff des Stammes in den der
Völkerscliaft überging. Der Anfang ku dieser Entwicklung,
die nns schon in die historischen Zeiten hineinführt, ist im Norden
Europas im keltischen Westen gemacht worden, wie die Über-
nahme des keltischen -rix (=idg, *reg erst „Stammes"-, dann
„Völkerscbaftsköuig") seitens der Germanen (got. reiks) beweist,
die ihrerseits wieder ihr chuning (ebenfalls erst „Stammes"-,
dann „Völkerechaftskönig", vgl. alid. chuniii „Stamm, Volk")
den Slavcn laltsi. kün^gü) vermittelt haben. Völlig parallel mit
diesen Entlehnungen gehen die von altgall. ambacttix „Gefolgs-
— 892 —
maDn des Fürsten^ in das GermaDiscbe (got. andbaJttij ahd.
ambahti) and weiter in das Slavische (altrnss. jabetnik^ in der
ältesten russischen Pravda neben den me6nikü pSebwertträger"
gestellt). Obne Zweifel waren die neuen Volkerschaftskönige
überall bestrebt, durch ein reisiges Gefolge ihre Herrschaft
sicherzustellen.
Ich muss mir leider versagen, auf die Weiterentwicklang
aller dieser Verhältnisse hier des näheren einzugehen, und möchte
zum Schlüsse dieses Abschnitts nur noch eine Frage in Kflrze
streifen, ob nämlich die verschiedenen Clane oder Clanverbin-
dungen, die wir uns in der Urzeit denken mtlssen, bereits durch
einen einheitlichen Namen verbunden werden. Es fehlt nicht an
Gelehrten, welche in der Tat dieser Ansicht sind und meinen,
dass der gemeinsame Name der Indogermauen Arier gewesen
sei, was aus der Übereinstimmung des scrt. ä'rya, aw. airya
mit dem einheimischen Namen Irlands Eriu, J^renn hervorgehe
(Zimmer B. B. III, 137). Aber auch die Richtigkeit dieser
Zusammenstellung zugegeben — sie wird bezweifelt von Win-
disch (Kelt. Spr. p. 139) — , möchte ich doch nicht wagen, einen
derartigen Schluss auf dieselbe zu gründen. Wohin wir uns bei
den Indogermauen Europas wenden, finden wir überall, sei es in
Griechenland oder Italien, sei es bei Slaven oder Germanen, eine
Zersplitterung der mit verschiedenen Sondemamen benannten
Stämme und erst ganz spät das Aufkommen noch dazu häufig
von aussen stammender Kollektivnamen. Dass Inder und Iranier
sich gleichmässig drya, ä'rya, airya nennen, ist gerade ein Be-
weis ihrer ungemein nahen Verwandtschaft, der auf idg. Boden
keine zweite gleichkommt. Der genannte Wortstamm mag aneb
bei anderen idg. Völkern vorkommen (vgl. Ario-vistus, ir. ofre,
airech j^nobüis"^ = scrt. ärydka), dass er aber ein Rollektivname
der sämtlichen Indogermauen gewesen sei, halte ich, sobald wir
uns wenigstens das ürvolk in eine Mehrzahl von Stämmen oder
Clanen zerspalten vorstellen, sachlich für unwahrscheinlich.
XIV. Kapitel.
Das Recht (Strafrecht).
[ndogiermtinisi^heuodBlIgemeiDo vergleichendeRecbtsgeschichte, Momm-
■ens Fragen zum ältesten Strafrecht der Kulturvölker. Ihre Be«nt-
wortung vom Standpunkt der idg. Altertumekuode Die Blntruche.
StrU ägas = gi'iech. Üyog. Der dolus. Das crimen publicum im Sinne
pdei Uraieit. Das Aufgeben der .SelbBthilfc im Sta&t. Die „Satsuagen"
• Uraelt. Diebütahi. Sippenmord. Noizueht. Blntschande. Eid und
k)lteBnrteil, Haussncliuns'- TodeMstrafe und Vfrbannnng. Wergeid
In der vergleiclientlen Rechiegeseliicfite sind bisher, eot-
brecbend dem P, 222 erörterten Vertaältnis der \äg. Alterlums-
mde 7.n der allgemeinen verg;leichenden Vülkerkunde, zwei
ftichlaDgen hervorgetreten. Die eine beschränkt »ich anf den
loreh die Linguistik als higtoriech cohärent erwieeenen idg.
jl'filkerhoden, om lediglich auf ihm dureh Sprach- und Sach-
orgleichuDg die Entwicklung dee Rechts von der Urzeit bis in
"die hiBtoriBcheu Epochen zu verfolgen. Ihr Hauptverlreter ist
B. W. Leist in seinen I", 49 (vgl. oben p. 128 f.) genannten
Werken. Die andere lässt ihren Blick gleichzeitig anf den
RecbtBbildnngen der ganzen Erde rnhen, um mehr durch Analogie-
Bchlüsge als dnreb ein eigentliche» hiBtoriBcheH Verfahren die
Entwicklnngegcscbichte des Rechts in der Menschheit festzustellen.
inr Charakterisierung dieser Richtung kann anf die bekannten
ihriften Joseph Kohlers verwiesen werden. In jedem Falle
ist man sich dahin geeinigt, dass die Ursprünge des Rechlä
■ durch Vergleiehung ermittelt werden können, nnd
erade die bedeutendsten Rechtsforscher haben sich schliesslich
I dieser Überzeagnng bekehren mflssen. So hat noch in seinem
ßreisenalter R. v. Iliering in seinem Werke Vorgeschichte der
idoenropäer >) ivgl. I", 50) den Versuch gemacht, sieb in die
1) Ausführlich von mir besprochen D. L.-Z. 1895,
ghrndcr. SgirichrerKldclniDK und ürgeaebtcble II. S. Anf]-
— 394 —
Probleme der idg. Altertumskunde einzuarbeiteu, und kurz ror
seinem Tode bat Tb. Mommsen, der „in seinem römischen
Strafrecbt sieb alles Vergleiebens der römiscben Ordnungen mit
nicbtrömiscben in strenger Besebränkung entbalten batte'', eine
Reibe von Fragen, die das älteste Strafrecbt der Kulturvölker
betreffen, formuliert und sie einer Anzabl von ausgezeichneten
Kennern der einzelnen zur Vergleicbung herangezogenen Rechte,
Juristen und Philologen, zur Beantwortung vorgelegt. So ist das
im Jahre 1905 nach Mommsens Tode von K. Bin ding heraos-
gegebene Werk entstanden: Zum ältesten Strafrecbt derKnltor-
völker. Fragen zur Rechtsvergleichung, gestellt von Tb. Mommsen,
beantwortet von H. Brunner, B. Freudentbai, J. Goldziher,
H. F. Hitzig, Tb. Noeldeke, H. Oldenberg, G. Roethe,
J. Wellbausen, U. von Wilamowitz-Moellendorf f ').
Ein Blick auf die Namen der hier genannten Mitarbeiter,
unter denen Semitisten wie Noeldeke und Well hause o
neben Germanisten wie Roethe oder Sanskritisten wie Olden-
berg stehen, lehrt, dass Mommsen, obwohl wir gerade in
ihm (vgl. P, 22 f.) einen Vertreter des Standpunkts der idg.
Altertumskunde hätten erwarten können, im Prinzip mehr anf
dem Boden der allgemeinen vergleichenden Rechtsgeschichte
steht. Auf der andern Seite aber bilden doch die idg. Völker,
in deren Kreis man freilich schmerzlich die Hereinziehung des
keltischen und slaviscben^) Rechts vermisst, so sehr den Mittel-
punkt und Hauptgegenstand des genannten Buches, dass das-
selbe auch für unsere besonderen Zwecke von hervorragender
Wichtigkeit ist. und da es zurzeit noch nicht möglieb seil
dürfte, das Recht oder auch nur das Strafrecbt des idg. ürvolks
im Zusammenhang darzustellen, sebeint es mir in diesem des
ältesten Recht gewidmeten Kapitel angebracht, mich auf die
Beantwortung der von Mommsen gestellten Fragen vom Stand-
punkt der idg. Altertumskunde zu beschränken.
1. „Die Verfehlung des Menschen, mag sie in
seinem Wesen (monntrum) oder in seinem Handeln ge-
1) Besprochen von J. Kohler D. L.-Z. XXVI Nr. 29, 19(fö.
2) Vgl. S. Rundstein Die vergleichende Methode in ihrer An-
wendung* auf die slavische Rechtsgeschichte. Z. f. vergl. Rechtsw. XV.
210 ff.
- ai»5 —
eben Bein, imterliegl in den Urzu^tütulcu des metiscli-
jlicbeu Dageliis wüIiI ledigUcli dem Götterzoru und der
Dscheurac'he. Es fragt sich, ob dieser dem Strafver-
■ahreu voraufgehende Zustand effektiv nachgewiesen
erden kann."
Bei der Beautwortung dieser Frage ist zunächst auf die
p-oBse Bedeutung hinzuweisen, die in der idg. Urzeit noeli die
^UenachenracUe" oder Selbsthilfe gehabt haben muss. Schon im
'lurigen Kapitel wurde hervorgehoben, wie die Solidarität der
sich nicht am wenigsten io der Verpflichtung zur
platrsche zeigt, die au dem Begriff der Sippe anderen Sippen
igenilber haftet. Dieser eoibryouiselie Kern jedes Strafrechts
lAsst sich uoeh bei alleu idg. Vütkeni nachweisen, bei den eiiieu,
wie Afghanen, Albnneseu, auf Korsika niid Sardinien, bei den
SlldslAveu (vgl. Miklosich Die Blutrache hei den Siaven,
teiikschr. d. Wiener Ak. pbii.-hist. Kl. XXXVI, 127 ff. uud St.
ki Über die wrozda, Warschau 1899} fast bis in die
Gegenwart hereiuragend, bei den anderen, wie deu Griechen,
armsuen, Kelten, Ostslaven wenigstens in der ältesten über-
rferong noch in voller Deutlichkeit erhalten, bei deu dritten,
toie im Awesla, Veda uud bei den Riimern, nur noch in Spuren
rprhsndeu. Am energischsten haben die Römer, das Juristisch
jilagteste der idg. Völker, schon zur Zeit der ältesten Quellen
^e Stufe der Selbsthilfe verlassen, deren Spuren nur im Privat-
^afreeht noch deutlich hervortreten (vgl. üitzig a. a. 0. p. 36j,
pihrend sie im Öffentlichen Strafrecht kontrovers sind, über
tiiadieiai, v-indirfa vgl. oben p. .^84 f. Überall aber, wo uns bei
Indogermanen das Institut der Blutrache begegnet, treffen wir
aagleicb die Müghcbkeil an, die Rache der geschädigten Sippe
ircb das Wergeid abzukaufen und damit die Konsequenzen der
Htst von Geschlecht zu Geschlecht forterbenden Fehde zu niU-
So heisst es schon bei Homer:
>cai fiiy ils le xuoij'vj/ioio '/'OF^«
^oiri/f 1/ or ^aii6i i6iiaia te&rr/iäius'
xal ^' 6 /ih- ir li^fiiii fihei ai'noft :i6XX' rLioitoa;,
Fdr die Germanen gilt der Satz des Tacitus Germ. Kap. 21 :
äpere tarn inimicitias seu patris aeii propinqui quam ami-
— 896 —
citias necesse est; nee implacabiles durant: luitur enim etiam
Jiomicidium certo armentorum ac pecorum numero redpüque
satisfactionem universa domus. Auch im Awesta werden Mord-
taten durch Geldsummen {^aStö-6inanhö)y zuweilen auch durch die
Darbringung junger Mädchen {näiri-dinanhö), gebüsst (W. Geiger
Ostir. Kult. p. 453, andere Bartholomae). Da nun RothZ. d.
D. M. G. XLI, 672 (vgl. auch Bühler Das Wergeid in Indien,
Festgruss an Roth p. 44) ebenso im Veda die Spuren des Wer-
geides nachgewiesen hat, welches hier sogar mit einem dem
germ. agls. w^re, mhd. were (= ahd. toeragelt) entsprechenden
väira, väira-deyay väira-yätana benannt*) wird, so werden wir
nicht irren, die Möglichkeit der Ablösung der Blutrache durch
eine Viehbusse bereits als indogermanisch anzusehen.
Das Verbum, welches ursprünglich die Ausübung der Rache,
sowohl die blutige wie auch die durch Busse herbeigeführte, be-
zeichnete, war scrt. ci, med. cdy^y aw. Ä, griech. xlvofiai. Das
dazu gehörende Substantivura ist aw. kainä „Strafe, Vergeltung,
Rache" = griech. noivri „Blutrache" und „Wergeid".
Wenn es somit keinem Zweifel unterliegen kann, dass eine
grosse Zahl von Übeltaten, deren Verfolgung in historischer Zeit
dem Strafrecht zufällt, in der idg. Urzeit noch der „Menschen-
rache", Selbsthilfe oder Sippenrache überlassen war, so geht die
Mommsensche Frage doch dahin, ob dies bei allen der FaD
gewesen sei, oder ob bei gewissen Verbrechen bereits eine Straf-
verfolgung seitens der Allgemeinheit stattfand, unter der in Be-
ziehung auf die idg. Verhältnisse nach den Ausführungen des vorigen
Kapitels nur der Stamm verstanden werden kann. Indessen
kann eine entscheidende Antwort hierauf, ebenso wie auf die
weitere Frage, ob gewisse Übeltaten in der Urzeit als den Zorn
und die Strafe der über der Allgemeinheit waltenden Gottheiten
herausfordernd angesehen wurden, erst in den folgenden Ab-
schnitten gegeben werden.
2. „Das Eintreten der Gemeinde in die Ahndang
solcher Verfehlung des einzelnen Menschen ist die
1) Hingegen dürfte altruss. vira eine Entlehnung aus dem 0er-
manischen sein; doch sieht L. v. Schröder Indogermanisches Wer
geld, Festgruss an Roth p. 49 auch dieses Wort als urverwandt mit
bcrt. vdira an.
ßeoesis
n/*tu
des Siraf verfaliiens. Dieser Vorgang seibat
it, wie alle Zeugung, nur retrospektiv erkennbar;
ber die Frage kann gesti-llt werdeu, ob und wie für
lese drei Momente — Verbrechen, Strafe, Strat-
eriebt — sich Begriffe und teehuiBcbe Bexeiehnungeu
ingestellt haben."
Die Beantwortung dieser l'^'age seitens der oben genannten
limtelforscber zeigt, dass die Terminologie ftlr die BegiiFfe Ver-
sehen, Strafe und Strafgericht in den älteren Epucben der
EinzeUpracbeu noch sehr dürftig aasgebildet war. „Technische
Bezeicbnungen fllr Verbrechen {Adixtj/ia) und Strafe (dtnij, Cvf'^>
Tiftui^ia}" , sagt Preudenthal hinsichtlich des Griecbiscben,
id erst in der Prosa des fünften vorcbristlieben Jahrhunderts, und
'ar ioBbesondere bei den Attikern, festzustellen. Während ferner
ler umfassendere Begriff des Gerichtes idixaatijffior) dem grie-
chischen Rechte bekannt ist, fehlt ihm ein besonderes Wort für
■Strafgericht." Anch das älteste römische Strafrecbt entbebrt
eines aUgemeinen technisebeo Wortes zur Bezeichnung der Strafe
■od des Vergehens. Für den ei-steren Begriff verwendet das
PUesIe öffentliche .Strafrecht, das nur die Todesstrafe kennt
Xs- a.), suppUciiim, das nach Momnisen-Hitzig „Kniebeugung"
ivon der knieenden Hallting des Hinzurichtenden) bedeuten würde,
wahrscheinheh aber eigentlich „Besänftigung" sc. der Götter
(s. n.j bezeichnet. Der älteste Ausdruck fUr Frivatstrafe ist
^mnum „das, was gegeben wird". Von der gleichen Bedeu-
tung aus hat siah poena, entlehnt aus dem oben genannten griecb.
.•wxviy, allmählich zu einer Bezeichnung der Strafe Uberbaupt ent-
wickelt. Als allgemeine Benennungen des Vergehens kommen
ehesten noj^a, der schädigende Erfolg des Vergehens [nocere),
id delktum, die sittliche Verfehlung, in Betracht. Auch für
Strafverfahren fehlt eine allgemeine Bezeichnung. Im Ger-
anischen (vgl. Branner nud Roethe a. a. 0.) gibt es ein
leingermaniscbes Wort für Verbrechen (got. fairhia, agls.
ahd. firhia) und fllr Strafe (got. fraveit, abd. tchi; vgl.
mser „Verweis"!; hingegen fehlt ein aller Ausdruck für Ge-
richt, zu dessen Bezeichnung vielmehr lange „die uralten Aus-
drflcke fllr „Versammlung" (Ding, Mahl) mitbenutzt werden".
Indien (vgl. Oldenberg a. a. 0.) ist der technische Ausdruck
das Delikt aparädha „Verfehlung'^, dem für Strafe dan^a,
— 398 —
Wörtlich „Stock**, entspricht; doch waren beide Wörter zur Zeit
des Atharyaveda wahrscheinlich noch nicht ausgeprägt. Ganz
mangelhaft ist auch die Terminologie des Begriffes von Becht
und Gericht entwickelt. Ein jüngerer Ausdruck ist vyavahäray
^geschäftliches Treiben" (business).
Bei so bewandten Dingen wird man sich nicht wundeni
dürfen, dass auch das Lexikon der idg. Grundsprache arm
an Bezeichnungen für die Begriffe Verbrechen, Strafe und Straf-
gericht ist. Der am schärfsten ausgeprägte Ausdruck für Ver-
brechen liegt in der Gleichung:
scrt. ä'gas = griech. äyog
vor, deren eigentliche Bedeutung uns unten (vgl. u. 4) d»
näheren beschäftigen wird. Daneben wäre noch auf lat. sotiSf
sontis „schuldig" = ahd. sunta, agls. st/nriy altn. synö „Sünde*
zu verweisen. Eine ganz allgemeine Bezeichnung der Strafe
enthält die Gleichung lat. eastigo : scrt. (;ägti „Züchtigung". Ffir
die Benennung des Strafverfahrens ist darauf zu verweisen, dass
das im vorigen Kapitel besprochene scrt. sdbhä = got. sibja^
eigentlich „Sippenversammlung", „Sippe" im Sanskrit auch die
Bedeutung „Gerichts Versammlung" angenommen hat, wodurch
sich ein wichtiges Analogen zu der oben erwähnten Bedeutung^*
entwicklung des ahd. mahal, got. mapl „öffentliche Versamm-
lung" darbietet.
Im übrigen würde eine sorgfältige Untersuchung der Ter-
minologie der Begriffe Verbrechen, Strafe, Gericht im Sinne dcs^
VIII. Kapitels des ersten Teiles dieses Werkes (Kulturhistorische
Begriffsentwicklung) ohne Zweifel wichtige Tatsachen ftlr die
Beantwortung der Mommsenschen Frage zutage fördern. Ein
bescheidener Anfang dazu ist in meinem Reallexikon s. v. Ver-
brechen, Strafe, Recht gemacht worden.
3. „Die staatliche Ahndung trifft die menschliche
Verfehlung immer nur in ihrer äusseren Erscheinung;
aber früh vollzieht sich die Ausscheidung der von dem
menschlichen Wollen unabhängigen menschlichen Ver-
fehlung von derjenigen, die aus sittlich fehlerhaftem
Willen hervorgeht. Erst damit, dass die staatliche
Ahndung sich nur gegen diejenige äusserliche Yet-
fehluüg richtet, welche durch eine seelische hervor-
uerufeii wird, troieii die Hefrriffe des Verbrechens und
die Korrelaten des StrafprozeRses niid der Srrafe in
lie Erßc'lieinaag."
Fllr die id^. Urzeit ist, wie ce scheint, von einem Zustand
l.«ittlielien Empfindens ansxugchen, in dem ein Unterschied zwi-
litcheD gewollter and nicbt gewollter Übeltat nicht gemacht, son-
dern lediglich der objektive Tatbestand in Erwägnug gezogen
wurde. Dieser Zustand liegt in dem heroischen Zeitalter der
Griechen nucb deutlich vor un& (vgl. Hermann-Thalheim
Lebrbnch der griech. Rechtsalt. ji. 121*, Rohde Psyche I*, 265,
Gilbert Heiträge x. Entw. d. grieeli. Gerichtsverfahrens in
Fleckeisens Jahrb. XXIII. Suppl. Ö04). Dasselbe ist in der ger-
manischen Götter- nnd Heldensage der Fall (vgl. Brunner
nd Koetlie a. a, 0. p. 55 und 64). Auch hmsichtlich der
Inder bemerkt Oldenberg a. a. 0. p. TU: „Die Tendenz ethi-
when Fortsehritts im Strafrecht, welche schliesslich dahin führt,
las unabsichtliche Vergehen der .Strafe zu entziehen, ist im Recht
ider indischen Rechtsbllcher längst erwacht, aber doch noch
veit davon entfernt, ihr Ziel erreicht zu haben." Mehr-
Cach tritt der nicht gewollten Übeltat gegenüber die Eutsühnung
(piaeulum, e.rpiatio) an Stelle der Strafe (vgl. Hitzig a. a. 0.
p, 34 hinsichtlich der Römer, Oldenberg a. a. 0. p. 76 hin-
Mchtlich der luder).
Es ergibt sich also, dass alle Versuche, eine Übeltat nach
dem ilir zugrunde liegenden fehlerhaften Willen za beurteilen,
erst der Entwicklung der Einzcivdlker augehören, und da wir
anter 2) einen deutlichen bereits idg. Ansdrnck für das Ver-
brechen (scrt. ä'ga« = griech. äyot;) kennen gelernt haben, so
kann der Mimimsensche Gedanke, dass die Begriffe des Ver-
brechens usw. rill derSprache?r erst in die Erscheinung getreten
seien, als die staatliche Ahndung sich nur gegen diejenige ausser-
liehe Verfehlung zu richten angefangen habe, die durch eine
««elische hervorgcrnfen worden sei, nicht für richtig gelten
(s. n. 4).
Solche Versuche, zwischen gewollter und nicht gewollter
Übeltat zu unterscheiden, niiVgeu bei den EiuzelvOlkern teilweise
in sehr frühe Zeit zurückgehen. Auf germanischem Boden
gehnrt hierher die Ansbildang des allen ätammen eigenen Aos-
dnicks ahd. fäni, agis, fär „Nachstellnng" (gol. ßrja „Nach
— 400 —
Steiler^), der in Ablaut zu dem oben genannten gemeingermani-
sehen got. fairina „ Verbrechen'* zu stehen schein t, so dass ein
Verbrechen diejenige feindliche oder schädliche Handlang wäre,
der eine „Nachstellung^ zugrunde liegt. In Qriecfaenland hat
man frühzeitig den Unterschied zwischen ixovoiog (scrt. u^,
ugäntam „wollend^) und äxovoiog auch in Beziehung auf die
meuschlichen Verfehlungen erkannt, aber noch im ältesten Attika
(Paus. I, 28; 8) bestand in dem Palladion ein besonderer Ge-
richtshof Toig äjzoTCTeivaoiv äxovoioig. In Rom unterscheidet man
in den Königsgesetzen zwischen prudens und imprudenSf oder
bezeichnet den vorsätzlichen Mörder mit dolo sciens morti duU
(lat. dolus = griech. dokog). Innerhalb der imprudenten oder
nichtdolosen Handlungen gewinnt man dann später den unter-
schied zwischen culpa (altlat. colpaj osk. kulupu; leider ety-
mologisch ganz dunkel, vgl. Walde Lat. et. Wb.) ^Fahrlässig-
keit" und casus „Zufall".
4. „Die staatliche Ahndung der Straftat des ein-
zelnen richtet sich zunächst und notwendig gegen die
der Gemeinde selbst zugefügte Schädigung [lat. crimen
publicum]^ nicht als Notwehr, wie sie der Kriegführung
zugrunde liegt, sondern als Vergeltung des Bruches
der dem Genieindeverband zugrunde liegenden sitt-
lichen Verpflichtung."
Es ist hier nunmehr der Platz, über den eigentlichen Sinn
der schon unter 2) und 3) genannten idg. Gleichung scrt. d'goi
= griech. äyog {dnägas — dvaytjg) zu handeln. Indem ich mich
hierbei auf die Ausführungen meines Reallexikons p. 905 beziehe,
ergibt sich, dass in der älteren griech. Literatur der Ausdruck
äyog in Beziehung auf folgende Straftaten angewendet wird;
auf Landesverrat, Königsmord, Eingriff in die königUche Ge-
walt, Vatermord, Verletzung der Bestattungspflicht und de«
Asylrechtes der Götter. Setzen wir diesen Bedeutungsinhalt
des griech. äyog, wogegen der (seltene) Gebrauch des scrt
ä'gas jedenfalls nicht streitet, in seinen Grundzügen bereits ab
indogermanisch an, so ergibt sich, dass schon in der idg. Urzeit
der Begriff des öffentlichen Deliktes erkannt worden war, indem
die gegen die Allgemeinheit oder gegen die diese schirmenden
Geister und Götter gerichteten Untaten als „Frevel" oder „Greuel*
401
(ä'gas = Hj'os) bezeicliuet wurden. Als seli tat verstau dlicli folgt
weiterhin hieraus, dnss solcfae Verbrechen nicht der „Menucfaen-
rache" oder beaser „Privatrache" {Sippenrache) Überlassen bleiben
konnten, sondern vor der Allgemeinheit, gegen die sie gerichtet
waren (vgl. oben über scrt. eabhä' „Gerichtshof"), auch fest-
gestellt und von ihr geahndet wurden. Am sfliärfsten ist dieser
also schon idg. Begriff des öffentlichen Vergehens (crimen
pyAlicum,)\m ältesten rJimischen Kei'ht erhalten. „Es ist nach
rßniischer Auffassung die der ücnieinde selbst zugefügte Schä-
digung; das Einschreiten der Gemeinde erscheint ursprünglich
als ein Akt der Selbsthilfe des Gemeinwesens; die Strafverfolgung
und .Strafvollstreckung steht bei den Organen des Oenieiuwesens;
die Strafe ist öffentliche Strafe" (Hitxig). Nur solche Verbrechen
werden in der ältesten Zeit mit öffentlicher Strafverfolgung be-
droht, die sich unmittelbar gegen die Existenz des Gemeinwesens
richten, die perduellio, woruuler ursprünglich nicht nur Überlauf
und Landesverrat, sondern auch die Tötung des Gemeinde-
beamten (vgl. Hitzig p. 37) zu vei-stehen ist, und das socrilegium,
Entwendung und Schändung der Heiligtümer, beide also in-
haltlicb sich mit dem griech. äyo^ deckend. Aber auch bei den
Germanen (vgl. Roethe p. 65) tritt die Scheidung zwischen
üffentlichem und privatem Delikt uns noch mit genügender Deut-
lichkeit insofern entgegen, als die Straftaten, je nachdem sie
„Acht"* oder „Fehde" (lllütrache) hervorrufen, sich in zwei
Gruppen sondern lassen. Von diesen entspricht die erstere,
welche die sogenannten „Meintaten" (abd. mein, agls. man, altn.
mein „Falschheit, Unrecht, PVevel"), wie Landesverrat, herisliz,
Tötung geheiligter Personen, Sakrileg unifasst, ungefähr dem
Kreis des griech. Syog, nur dass bei den Germanen hierher be-
reits eine Anzahl von Untaten, wie Mord (d. i. verheimlichter
Totschlag) und Brandstiftung gestellt wurden, die von Hans aus
nicht hierher gehören. Die Aburteilung solcher Meintaten durch
das concilium wird von Tacitus Germ. Kap, 12 geschildert:
distinctto poenarum ex delicto: proditores et trannfugas arbo-
rihuif mspendunt, ignavox et imbeUes et corpore infames coeno
ac palude inievta inxuper crate merguni.
So kann also nunmehr auch auf die erste der oben (unter 1)
gestellten Fragen, ob nämlich in der idg. Urzeit die Verfehlungen
des Menschen lediglich der Menschenrache (Privatrache) Über-
— 402 —
lassen gewesen seien, eine bestimmtere Antwort als bisher, und
zwar in verneinendem Sinne gegeben werden. Neben den
ansscbliesslicb der Privatracbe zufallenden Vergebungen des Men*
seben stand vielmehr schon in der Urzeit ein Kreis von gegen
die Allgemeinheit gerichteten Untaten, die in dem Lexikon der
Ursprache als scrt. ä'ga^ = griech. &yoq bezeichnet, von der All-
gemeinheit auch untersucht und bestraft wurden. Dass diese Art
von Verbrechen zugleich auch direkt oder indirekt als gegen
die Götter gerichtet angesehen wurde, deren Zorn es
daher zu besänftigen galt, geht ebenso aus dem bisherigen wie
aus dem folgenden (vgl. u. 9) hervor.
5. ^Die staatliche Ahndung kann weiter sieh
richten gegen die dem einzelnen von dem einzelnen
zugefügte, zunächst dem Racheverfahren unterliegende
Handlung als Regelung und weiterhin als Beseitigung
der Selbsthilfe. Die Grenzen und Formen dieses staat-
lichen Einschreitens sind durchaus positiver Art und
daher in stetigem Flusse begriffen."
Als ältester Zustand des idg. Strafrechts, soweit von einem
solchen die Rede sein kann, ergibt sich aus dem bisherigen, dass
in der Urzeit nur solche Untaten als „Verbrechen" angesehen
wurden, welche sich gegen die Allgemeinheit und ihre Gdtter
richteten, und dass nur diese von der Allgemeinheit verfolgt nnd
bestraft wurden, während die grosse Masse der den einzdnen
betreffenden Delikte der Privat- oder Sippenrache überlassen
blieb. Die weitere, mit ihren Anfängen, wie wir noch seben
werden, vielleicht noch in vorgeschichtlichen Völkerzusammen-
hängen wurzelnde Entwicklung ist nun die, dass mit dem Über-
gang des Stammstaates (Kap. XIII) in den politischen Staat
einerseits der Kreis der öffentlichen auf Kosten der privaten
Delikte immer mehr erweitert, andererseits die Selbsthilfe oder
Blutrache von der Gesetzgebung des Staates zunächst Obemommen
und geregelt, dann immer mehr beschränkt und schliesslicb be-
seitigt wird. Diese Entwicklung lässt sich naturgemäsS deut-
licher bei den nordeuropäischen Völkern, als im Sflden verfolgen.
So beginnt z. B. die älteste Fassung des russischen Rechtes
in der Pravda Jaroslavs mit den beiden Sätzen: 1. ^Erschlägt
der Mann einen Mann, so räche der Bruder den Brnder, oder
r Sohn den Vntev, oder der Valer den Solui, oder der Bruders-
ilin oder der Scbweatersihu.' 2. „Wenn niemand da isr, welclier
Ichf, dann 40 Grivneii für den Kopf, wenn es ein Rnfise . . .
iiBw. Das Geael/. hat hier aiso die alte volkstllmtiehe
Einriehtnng: der BIntraehe ganz einfach ilbernummen, hat die
Bereehtignng nt ihr aber anf bestimmte Verwandtscbahskreise
beschrfinkt und, „wenn niemand daist, der rftche", ein Wergeid,
das ohne Zweifel zunächst der Gesehildigte ungeschmälert
empfängt, festgesetzt. Bei den Germanen (vgl. Brunner a. a. 0.
p. 56) hatte schon /.nr Zeit dea Tacitus „in Fehdesachen" der
Verletzte die Wahl zwischen Rache im Wege der Fehde und
Geltendmacliung eines Anspruchs :uif .Sllhngeld (Wergeid, Bussci,
ffird es eingeklagt, so fällt ein Teil der Compuaitio als Friedens-
leid Ifrednn, fries. fretko, agis. wite an die Rechlsgcnoasen-
jtebaft t'Tac. Germ. Kap. 12: Pars mulctae regi eel civitaii,
trt ipai, tpii vhidicatur, cel propinquis eiu« exsohitnr). „Mit
rstarkung der Staatsgewalt wird der Kreis der Missetaten,
Inrf« faida crescere potest, mehr und mehr eingeschränkt.'' In
|tom 'vgl. Hitzig p. 36) zeigt besonders die Geschichte des
nivatdelikts sowohl das einstige Bestehen wie auch die allmfth-
Isbe Uherwindnug der Selbsthilfe. Noch in den XII Tafeln
VUI, 2, Schftll) steht der Satz: .sV memhrum mpsit, ni cum
_ t paeit, tafio esto („Vergeltung durch Gleiches mit Gleichem").
Doch steht daneben (VIII, 3) die weitere Bestimmung: Manu
fUstite ni OH fregit lihero, C.C.C, ai serno, C.L. poenam („Busse",
_8. o.i subito.
Diese wenigen Beispiele niügen ftlr die Charakterisierung
ieser in der Form verschiedene», im Prinzip überall gleichen
Intwicklung genttgen, die, abgesehen von einzelnen, in die Ur-
Mt zurückgehenden Spuren Is. u.) auf dem Boden der Einzel-
Blker verläuft nnd daher hier nicht ausfllbrlieher erflrtert zn
Irerden braucht.
). „Das Strafverfahren hat die staatliclie Ord-
lang, das Gesetz, zur Voraussetzung und ist notwendig
iv. Fl\r Erkenntnis der vergleichenden Volke r-
(itwicklnng dürfte es vnrztigsweiae sich eignen, weil
hncrseits die eigentlich primitiven Zustände hinter
amselhen liegen, andererseits die Individualität der
— 404 —
Völker hier in frühester Zeit und unter im grossen
und ganzen gleichartigen Voraussetzungen dabei in die
Erscheinung tritt. Eine möglichst prägnante Zu-
sammenfassung der erkennbaren Grundformen des Ver-
brechens (7), der Ermittlung (8), der Strafe (9) scheint
sich zu empfehlen."
Die „Ordnung", die dem, wie wir gesehen haben, schon in
der idg. Urzeit in Beziehung auf publica crimina vorhandenen
Strafverfahren zugrunde liegt, ist die auf uralter Sitte (scrt.
svadhä' „gewohnter Zustand", „Eigenart" = griech. S&og «Ge-
wohnheit, Sitte, Brauch"; vgl. auch got. sidusy altn. sidr, abd.
situ) beruhende der Sippe und des Stammes und ihrer Versamm-
lungen (vgl. Kap. XIII). Gesetze im Sinne der von einem Gesetz-
geber erlassenen und schriftlich niedergelegten Satzungen waren
damals natürlich noch nicht vorhanden (vgl. mein Realiexikon
u. Recht). Immerhin scheinen Sprachreihen wie griech. 91-
jLuoreg, scrt. dhä'man, got. ddms : griech. ridTj/M „ich setze" oder
lat. lex = altn. log, PI. „Gesetz" : got. ligan, lagjan „liegen",
„legen" darauf hinzudeuten, dass sich in jenen Sippen- und
Stammesversammlungen schon in der Urzeit bei den unter Lei-
tung des Sippen- und Stammesvorstehers {rix) stattfindenden
Verhandlungen über die gegen die Allgemeinheit gerichteten
Missetaten gewisse, natürlich noch sehr flüssige und von der
Stimmung des Augenblicks beeinflussbare Grundsätze ausgebildet
hatten, die einmal „gesetzt", auch für zukünftige Fälle als Vor-
bild dienten. Was sodann die einzelnen Seiten dieses demnach
schon für die Urzeit vorauszusetzenden Strafverfahrens anbetrifft,
also die Fragen, welche einzelne Verbrechen schon damals ab
solche deutlich erkannt und benannt waren, welche Mittel man
anwandte, um den Schuldigen zu ermitteln, in welcher Weise
man ihn bestrafte, so lässt sich hierauf vom Standpunkt der idg.
Altertumskunde bis jetzt das Folgende antworten:
7. „Grundformen des Verbrechens: a) Unmittel-
barer Angriff auf den Staat (Überlauf, Landesverrat).
b) Tötung der von der Gemeinde geschützten Person.
c) Entfremdung des Gemeindeeigentums, d) Entfrem-
dung des von der Gemeinde geschützten Privateigen-
tums, e) Blutschande, f) Notzucht und Verfflhrang
405
r Jungfrau und der Ehefrau, g) Kflrperverletznng-.
fe) SachheBchädignng."
Wie für die Erkenntnis der Entwjckinng des Verbrechens-
'Iwgriffs im allgemeinen (vgl. ii. 2), 8« würde es anch för die
Frage, wie die einzelnen Verbrechen allmälitich erkannt worden
sind nnd sieh gegeneinander abgegrenzt haben, von bober Be-
dentnng sein, wenn die etymologische Forschung, die hierbei in
erster Linie heranzuziehen ist, mehr, als es bis jetzt zn ge-
schehen pflegt, die einschlägigen Wörter und Wortgmppen nicht
einzelnen, sondern nach kulturhistorischen Kategorien geordnet
imtersTichen wollte, ein Weg, den ich in meinem Reallexikon
_ (8.T. Mord, Diebstahl, Raub, Verwandtenelie (Blutschande),
tTotzncht, Ehebruch, Körperverletzung) eingeschlagen habe.
Einige wiebtigere Ergebnisse sind hierbei die folgenden:
Ad b). Tötungaverhreeben, Während die Tötung eines
iDversippten Mannes in der Urzeit ganz und gar der Piivatrache
wrlassen war und in keiner Weise dem Begriffe des ä'gas —
ffyos untergeordnet wurde'), musste bei der ausserordentlichen
Bedeutung des Verwand tsehaftsverband es hei dem Drvolk die
Erschlagung eines Sippeugenossen als etwas ungeheures erscheinen
und frdhzeitig eine Bezeichnung fordern. Eine solche liegt in
dem lat. p^ri-cida vor, das von den neueren Etymologen (vgl.
z.B. Brugmann Grundriss 1% 2, 801, W. Prellwitz Et. Wb. d.
griech. Spr' p. 367, A. Walde Et. Wb. d. lat. 8pr. p. 449)
nahezu einstimmig*) zu griechisch .tijo; aus *päso-s „der Ver-
wandte" gestellt wird. In der Tat kann eine schlagendere Wort-
erklärung gar nieht gefunden werden, und die Juristen würden
daher gut tun, die sprachlich gar nicht zu begründende Momm-
-«enache Auffassung des par{r)icidium als „arger Mord" {per-
1) So ist es noch bei Homer. So wird Od. XV. •>-22ff. Theokly-
aenoB, der in Argns einen Mann erM-hlageii hatu und flüctitfg: ward,
«on TelemachoB aufgenoinnien, ohne dass es irgend einer Reinigung,
wie sie später Ubllcli iai, bedurft hUtte. Auch Odysseus eelbi^t (Od.
Sni, 256 ff.) fürchtet nicht den Abscheu seioer Hörerin, »ts er in einer.
renn auch f^rdichteten, ErzÄlilyng sich als einen Mann hinstellt, der
I andern meuchlings im Hinlerhnlt eriichlug.
2) Nor Brtal Mim. »oc. lingu. XII. 76 hat neuerdings wieder
kn Vereueh gemacht, paricida aus 'patricida zu erklaren. Eine
kehrlft von I.unalc De paricidii vocia origine, Odessa 1900 ist mir
bebt zugänglich geworden.
— 406 —
dudlioj periurus etc.), an der auch Hitzig (p. 87) noch festhält,
endlieh fallen zu lassen. Inhaltlich entspricht dem lat. pariciia
^Verwandtenniörder^ auf keltischem Boden genau altir. fin-gal
„Mord eines Stammesgenossen oder Verwandten^, fin-galach „one
who has killed a tribesman^, fin-galcha Gl. zu parricidalia
arma (vgl. über ir. fiiie oben p. 384 f.). Die früheste Stelle, io
der paricida auftritt, ist ein Königsgesetz des Numa: si qui
hominem liberum dolo sciens morti duü, paricidas esto. Da
nun lat. liber ^frei^ zusammen mit griech. iievdeQog zu alUL
Ijudü, ahd. Hut ^Volk^ gehört (Beistimmung bei A. Walde
a. a. 0. p. 334), also eigentlich den Volksgenossen bezeichnete,
so kann, wie dies schon Brunneume ister Tötungsverbrecheo
im altröm. Recht (1887) wollte, der angeführte Satz nur bedeutei:
„Wer einen Volksgenossen (d. h. einen zur Allgemeinheit des
vStammes oder der Stämme) gehörenden Menschen absichtlich
tötet, soll wie ein Verwandtenmörder behandelt werden, d. b. er
soll, wie die, welche die Hand gegen die Schwiegereltern erhebt
(oben p. 360) sacer sein. Damit wird der Mord oder Totschlag
überhaupt dem Begriff des ä'gas — äyog eingereiht.
Ad d). Eigentumsverletzung. Während mau im all*
gemeinen sagen muss, dass die Terminologie der einzelnen Verbrechen
sowohl in der idg. Grundsprache wie auch in den älteren Epocbes
der Einzelsprachen noch eine sehr unbestimmte und schwankende
war, macht hiervon die Nomenklatur des Diebstahls eine sehr
bemerkenswerte Ausnahme. Bereits idg. Bezeichnungen für dieses
Verbrechen liegen in den Reihen: scrt. st^ndy täyü „Dieb", aw.
tdya „Diebstahl'*, altsl. tati „Dieb", ir. tdid „Diebstahl"; griecb.
hUtitio, lat. clepere, got. hlifan; griech. qxoQy lat. für. Die
neben allen diesen Reihen liegenden Ausdrücke für „heimlich'^,
„verstohlen" (scrt. stäydt „heimlich", altpr. auklipta^ ,ver
borgen", lat. furtim „heimlich") machen es sicher, dass mit allen
diesen Wörtern das heimliche Nehmen im Gegensatz zu de»
offenen oder gewaltsamen Nehmen, dem Raub, der noch niehti
entehrendes hat^), gemeint ist. Diesen heimlichen Dieb darf
man, namentlich des Nachts und wenn er sich zur Wehre setzt,
1) Noch Telemachos (Od. III, 70 ff.) nimmt keinen Anstoss daran.
(i;i8s man ihn fragt, ob er vielleicht ein Räuber sei, der über das Meer
schweife und unter Einsatz seines Lebens andern Leid bringe.
4o:
IBcb deu ältesten griechiaclieu, ittiuischeii, germiiiiiaelieii und
slaviBchen Ijesetxgebungen (vgl. die ßi-lege in meinem Keallexikon
p. 137 fF.i straflos, töten, worauB sifli viclleiebt eine sclion idg.
becbUanscliauung ableiten lässt, der zufolge die Tötung dee auf
ffenerTal ergriffeneu Diebee nie Li die Blutracbederltetrcffeuden
Ippe hervorv-nrufen pflegte. Da wir ferner im folgenden Ab-
ihnitt m, l>) Heben werde», daes selioii in der Urzeit walir-
ifaeinlicb ein begtimnileg Ermittln ng&verfubreii gc^en deu nicht
' offener Tat ergriffenen Dieb beBtund, sn liegt die Vermutung
das8 der lieimlicbe Diebstahl oder gewisse Formen des-
riheu schon in vorhistorischer Zeit in deu Kreis der von der
Allgemeinheit verfolgbaren Übeltaten einbezogen wurden, ähnlich
! auch bei den Germaneti der schwere Diebstahl y.u den uu-
Uinbaren, dnrch Hjnrichtting /.u ahndenden Meintaten gerechnet
Brunner p. 57) oder in Rom fllr den Ernlediehtitahl in deu
Wolf Tafeln Öffentliche Strafverfolgung, d. Ii. Todesstrafe vor-
»eheu ward (Hitzig p. 39).
Adea. Fj. Sittlichkeitsverbrechen. Ihre Terminologie ist
I den idg. Sprachen der älteren Zeit besonders dürftig ausgebildet.
' Grund dieser Ei'scheinung liegt offeubar darin, daBS auf der
ifamaligen .Stufe der geschlechtlichen Sittlichkeit dem Geschlechts-
nltt nicht diejenige eittliche Bedeutung beigelegt wurde, die wir
ihm heute beilegen oder beilegen sollten. Ob man ein Weib
'erwnndetc oder es zum Beischlaf zwang, in beiden Fällen wird
Han nur die Gewalt erblickt haben, die ihr angetan wurde, und
»che forderte. So ist im Griechischen der Begriff der Notzucht
: aus dem der fiin oder i'/fou', im Lateinischen erst ans dem
Wo fFrendenthal p. 13, Hitzig p. 41 1 hervorgegangen,
lutsprecbend erkannte man im Ebebrnch das eigentliche Unrecht
iäobt in dem Beischlaf mit der fremden Ehefrau, sondern, ganz
He hei dem Diebstahl, in dem heimlichen Einbi-ueh in einen
niden Bezirk. Ganz wie den auf offener Tat ergriffenen Dieb,
tarf man daher auch den auf offener Tat ergriffenen Ehebrecher
teh römischem, germanischem, indischem, griechischem Recht
trafloB, d. li. ohne sieb der Gefahr der Blutrache auszusetzen,
ten (vgl. die Belege in meinem Reallexikou s, v. Eliebrucbl.
I Femer ein Ehebruch des Mannes, ausser mit einer fremden
lefraa, in der Urzeit nicht denkbar war [ölten p. 344), und es
W&Tter fttr Ehe (nl>en p. 334i in der ältesten Zeit llbcrbaupt
— 408 —
nicht gegeben hat, so versteht man ohne weiteres, warum die
Nomenklatur des Ehebruchs eine junge sein muss. Dasselbe gilt
von derjenigen der Blutschande. Zwar waren die Heiratsbräache
der Urzeit durchaus exogame (oben p. 389), aber lediglich ans
wirtschaftlichen, nicht ans sittlichen Gründen. Was Roethe p.66
von den Germanen aussagt, dass bei ihnen in vorchristlicher Zeit
Blutschande schwerlich hart bestraft* worden sei, ist gewiss ab
der ursprüngliche Zustand anzusetzen, zu dem auch stimmt, dass
es bei den nordeuropäischen Völkern eine häufige ErscheiiODg
ist, dass der Sohn die von seinem Vater hinterlassenen Weiber
als die seinigen übernimmt. Wie freilich aus derartigen Ver-
hältnissen in vorchristlicher Zeit sich z. B. bei Indern und Römern
das Verbot gewisser Verwandtenehen und damit der Begriff der
Blutschande entwickeln konnte, ist noch in mancher Beziehung
dunkel.
8. „Das Ermittlungsverfahren steht naturgemftss
unter den Normen des historischen Beweisens, und die
positive Satzung greift in eigentlich prinzipielle
Fragen hier wenig ein. Die folgenden Punkte indes
dürften allgemeine Erwägung verdienen.
a) Die Unzulänglichkeit der einfachen Befragung
zur Ermittlung des Tatsächlichen drängt auf diesem
Gebiet sich überall auf. Inwieweit hier Verstärkung!-
mittel der Frage durch körperlichen Zwang (Folterung
des Angeschuldigten und des Zeugen) von der Geseti-
gebung zugelassen oder vorgeschrieben sind, verdient
Erwägung."
Über das Alter der Folter und ihre Nomenklatur bei den
idg. Völkern liegt eine eingehendere Untersuchung bis jetzt nicht
vor. Aus der Beantwortung unserer Frage seitens der genannten
Einzelforscher scheint hervorzugehen, dass es sich bei diesem
Zwangsmittel der Untersuchung um eine den Indogermanen ur-
sprünglich fremde Erfindung handelt, die zunächst in den Ver-
hältnissen des Sklavenstandes aufgekommen ist.
b) „Dass, was der Mensch nicht wissen kann, der
Gottheit bekannt ist, und dass diese unter umständen
durch bestimmte Zeichen die Bejahung oder Ver-
neinung der Schuldfrage dem Gerichte kundgibt, ist
ne weitere KonBeqaenz der Uiiznläiiglichkeit des kri-
wie
Je priniitiTer das kriminelle ErmittlnngBverfahren (vgl. auch
l'ti. c) uoch bei dem idg. Urvolk geweeeD sein mnss, eine nm 80
wichtigere Rolle wird in deaiselheo, wie es noch bei den Ger-
manen (Brunner p. 58, Roethe p. 66) der Fall war, der Eid,
d.h. der Reiaigangeeid des Beschnidigten gespielt haben. Dass
der Begriff des Eides dem idg. Urvolk wohlbekannt war, geht
ans den Gleichnngen: scrt. am (amit „er schwur"), griecb.
S/uwfii\ osset. ard „Eid", armen, erdnum „schwöre", altsl. rota
„Eid"; ir. deth = got. aiptt mit Sicherheit hervor. Dieser älteste
Eid (vgl. mein Reallesikou u. d. Wort) charakterisieil sich als
eine Selbstverflttcbung, die man unter Berührung eines bestimmten
Körperteils oder Gegenstands in dem Sinne gegen sieh aus-
spricht, dass der berührte Körperteil oder Gegenstand, wenn man
die Unwahrheit sage, Verderben leiden oder einem bringen solle.
Wie bedeutsam der Eid als Reiiiignngsmittel auch auf römischem
Joden in jirähiRtorischer Zeit gewesen sein muss, geht dentlich
1 dem lat, iüs „Recht" hervor. Dieses Wort hat, wie i&räre
^inen Eid leisten" beweist, ursprünglich ^Eid" bedeutet und
tatgpricht etymologisch genau dem awestisclien *i/aos in yanidä
„Reinigung, Purifiitierung. Entseuchung" (scrt. yöa N. „Heil").
Die Grundbedeutung von lal. iüs kann als" nnr „Reinigungseid"
(vgl. auch altn. manna skirgf, wßrtlich „Mensehenreinignng" :
got. skeirg „rein" = Eid) gewesen sein, und hat, später natür-
lich vergessen, dem ganzen Rechtsbegriff seinen Namen gegeben').
Prinzipiell auf gleicher .Stufe mit dem Eid stehl auch dasGottes-
urteil (vgl. mein Reallexikon ». d. Wort), das im Grunde
nur eine verschärfte Form desselben darstellt und daher vielfach
taeb ebenso wie der Eid bezeichnet wird {vgl. altn. gudn skinil
Gottesurteil", scrt. <;apdtka „Eid" und „Gottesurteil").
1) Was an dieser Bodeutuiigseutwicklung:, sobald rna;i aiminimt,
■es das rflmische Reeht in prShiBtorischei' Zeit auf gleicher oder ahn-
ch«r Stufe nie dns altgeruinoiHche gestaDden hat, iinwahrticheinUch
sein soll (vgl. Walde Lal. et. Wb. p.313), verstehe ich nicht. In jedem
Fall hatl« W. für dnn auch von ihm angenommenen Zusnminenhatig
zwischen lat. iüs nnd aw. yaoidd eine wahrBcheiulicher« Bpdeutunps-
entwicklun^ ausfindig machen müssen, bei der meines Erachtens immer
vra in» .Eid* (iuräre) Auszugehen wäre.
Sprüh vurgUlehUDff und Urgeichlohte U. 3, Aufl. 21
— 410 —
Neben dem Reinigungseid bestand fttr den Fall des Dieb-
stahls (7, a) schon in der Urzeit vielleicht noch ein anderes Er
mittlungsverfahren, die feierliche Haussuchung, bei der der
Bestohlene nackt und von Zeugen begleitet sich in das Haus
des vermeintlichen Diebes begibt, um nach dem gestohlenen Gnte
zu suchen (vgl. mein Reallexikon s. v. Diebstahl).
c) „Das Ermittlungsverfahren selbst bewegt sich
in zweiGrundformen, der magistratischen Untersnchnng
und dem durch den Magistrat herbeigeführten und ge-
leiteten Schiedsgericht. Inwieweit das letztere im
Strafverfahren zugelassen wird, verdient Erwägung."
Besondere Personen, die mit der Ermittlung eines Ver-
brechens und dem urteil über den Verbrecher berufsmässi;
beauftragt gewesen wären, sind fflr die Urzeit nicht anzunehmeD
(vgl. mein Reallexikon u. Richter). Was vielmehr Curtins VI,
8, 25 über die nächsten Verwandten der Hellenen, die länger
als diese in primitiven Verhältnissen verharrenden Makedoneo
berichtet: De capitalibus r^i>u8 vetusto Macedonum modo in-
quirebat exercitus, in pace erat vulgi, dass also die Untersnchaog
von Kapitalverbrechen im Frieden bei der Volksversammluig,
im Kriege bei dem Volk in Waffen, der Heeresversammlnng,
ruhte (vgl. weiteres bei 0. Hoffmann Die Makedonen p. 21),
wird als ältester idg. Zustand überhaupt anzusetzen sein. Die-
selbe Volksversammlung wird zugleich, wie nach den oben p. 376
angeführten südslavischen Analogien zu vermuten ist, sich häufig
als Schiedsrichter aufgeworfen haben, wenn die das ganze
Dasein des ürvolkes durchziehenden Familien- und Sippenfehden
allzu grossen Umfang annahmen und allzusehr die Sicherheit and
<len Bestand des Stammes bedrohten.
9. „Grundformen der Strafe, a) Tötung. Die Auf-
fassung derselben lässt sich vielleicht bis zu einem
gewissen Grade bestimmen; ob die einzelnen Formen
der Hinrichtung fruchtbare Momente fttr die Ver-
gleichung abgeben, ist mir zweifelhaft.^
Die Todesstrafe ist in der idg. Urzeit die einzige Strafe
für die unter der Bezeichnung d'gas — äyog zusammengefassten
Verbrechen, und da nur diese einer Strafverfolgung seitens der
Allgemeinheit unterlagen, somit die einzige Strafe ü berhaupt
Ißweiien (vgl. mein Keallexikon ii. .Strafe). Sie wurde, wenn
1 Täterschaft offenbar war, oder der Verdäcbtigie sich durch
Sd oder Gottesarteil i'e. u. 8, b) nicht zu reinigen vermocht hatte,
I dem Schuldigen von der Gemeinde selbst durch Steinigung
ler TotpeitBchuug, wobei der Delinquent an einen Pfahl ge-
isdeu wurde, vollzogen (.vgl. die Belege Reallexikon p. 834).
tu man des Übeltäters nicht habhaft geworden, so traf den-
dben die Friediosigkeit oder Acht, durch die er aus dem Stamm
igestosseu wurde nnd busRlos von jedermann erschlagen werden
ennte. Eine idg. Bezeichnung für einen solchen Ausgestossenen
gt in der Reihe:
Bcrt. paräi-fj, „Verbannter" = agU. wrecca, alts. wreklio,
id. reccho, altn. rekr.
Wie der Begriff des ä'gag = äj-os seihst nicht nur gegen
t GenieinscJjafr des Stammes, sondern auch gegen die den
Stamm scbirmenden Geister nnd Gfltter gerichtet ist, so wird
auch die Todesstrafe, wie dies bosonders bei den Römern (Hitzig
p. 47) und Germanen (Brunner p. 59, Uoetlie p. 66} hervor-
tritt, 8t^ho^ in der Ur/eit eine gewisse sakrale Bedeutung gehabt,
d. h. man wird geglaubt haben, dnrch die Hinrichtung zugleich
I Zorn der beleidigten GOtter zu besänftigen (lat. supplicium :
^plicarp). Es ist daher hier der Platz, noch kurz auf die Frage
Eazngehen, welche der unzähligen in der idg. Urzeit verehrten
Geister und Gütler (Kap, XV: Die Religion) in der ältesten Zeit
dnrch ein ä'gas — äyoi beleidigt, und welche es infolgedessen
durch die Todesstrafe des Verbrechers zn besänftigen galt. Bei
Aescbylus Septem v. 1017 heisst es von Polyneikes: «j-oc iSe
■''.'ü ^yiiiv xtHTijaejai &e(7>v JtaTonuov, oO; thifuian^ 5df utqA-
it-vft' iTiaxrov ifißako»- fiQei :i6Xiv, also: „er, der das Heer gegen
die Stadt führte, war im Leben ein Greuel der ih(ov naT(t(jia)v
und soll es — als ünbeerdigter — nun auch im Tode sein",
s &eoi naxQißui aber sind nach der ausfuhrlichen Besprechung
s Ansdrucks durch Caland (Toten Verehrung p. 69) — wenig-
) nreprttnglieh — nicht die Uimmlischen oder die ihnen
"uichstverwandten Götter, also nicht Zeus, Apollo, Athene usw.,
sondeni niemand anders als die göttlich verehrten Seeleu der
Vorfahren, die Heroen des Stammes oder der Sippe, denen in
I festlfindiscbeu Griechenland noch später ein reicher Kultus
»idmet ist (vgl. E. Rohde Psyclie I-, 167 ff.j. Wir werden
— 412 —
unten ansftthrlicher sehen, dass die Grundpfeiler der gesellschaft-
lichen Organisation der Indogermanen auf dem Ahnenknltus be-
ruhen, und es ist daher eine fast selbstverständliche Anschaumig,
dass die Seelen dieser verehrten Vorfahren mit eifersüchtiger
Strenge über der Bewahrung der alten Ordnungen in Familie
und Sippe, und über der Erweiterung der Sippe, dem Stamm,
wachend gedacht werden (vgl. Kap. XV, Abschnitt I). Besonden
deutlich reden auch in dieser Beziehung die römischen Ver-
hältnisse. Nach einer schon oben p. 360 genannten Stelle der
Königsgesetze sollen der Sohn, der den Vater, oder die Schwieger-
tochter, die die Schwiegereltern schlägt, sacer und scu^a den
divis parentum sein. Auch hier kann unter divi parentum
schwerlich etwas anderes als die deoi naxqcpoi der Griechen ver-
standen werden, und so möchte ich überhaupt glauben, dass
die älteste Verknüpfung von Recht, Sitte und Religion in der
Verehrung der Toten, nicht in dem Kult der Himmlischen (Kap. XV,
Abschnitt II) zu suchen ist, die zunächst nur als starke Helfer
innerhalb des Bereichs derjenigen Naturgewalt angerufen wurden,
der sie ihr Dasein verdankten.
b) „Verlust der Freiheit." Man kann diese Frage im
Sinne von Verknechtung oder von Gefängnisstrafe verstehen.
Mommsen (vgl. a. a. 0. 16 Anm. 3) meinte sie (auf eine briefliehe
Anfi'age) in dem ersteren. In diesem würde ihre Beantwortung
für uns von der Vorfrage abhängen, ob für die idg. Urzeit be-
reits das Vorhandensein eines Skiavenstandes anzunehmen sei
oder nicht. Da wir aber (vgl. mein Reallexikon u. Stände)
diese Frage aus triftigen Gründen ^) verneinen zu müssen glauben,
so kann selbstverständlich auch von einer Versetzung in den
Sklavenstand während der Urzeit keine Rede sein. Als früheste
Form der Verknechtung wird man die Schuldhaft (vgl. mein
Reallexikon u. Schulden) anzusehen haben. Als eine ganz
späte Form der Strafe stellt sich der Verlust „der körperlich
freien Bewegung" (Gefängnisstrafe) dar (vgl. Reallexikon p. 836).
Ihre älteste Gestaltung ist das Schlagen in den Block. Vgl.
Sprachvergl. u. Urg. P, 164 Anm. 1, wo noch auf russ., klein-
1) Zu dem gleichen Ergebnis kommt K. Brugmann in seioem
Aufsatz Zu den Benennungen der Personen des dienenden Standes in
den idg. Sprachen I. F. XIX, 377 ff.
— 413 -
H., poln. dyhy „Fussfesselu". poln. dyba „Pranger", lit. dybä
: altal. dqfiö „Eiche" ( vgl. Miklosich Et. Wb. p. 48) hätte ver-
KeD werden kOunen.
c) „Körperverstümmluug:," Wo sie in älterer Zeit ala
greaetzliche Strafe Forkomrat 'vgl. mein Reailexikou u. Körper-
Terletzung), ist sie vom Staate aus den Gewohnheiten der
Privatraclie Ubernooimen, die nuf dem Grundsatz. „Gleiches mit
Gleichem" (talio) beruhte.
d) „Die LöBnng durch eine Wert le istung unter-
liegt mehrfacher Erwägung: aa) Der Kreis des Delikta,
auf den sie sicherstreckt, ist festzustellen, bb} Weiter
inwieweit die Hö he der Wertleiatung entweder all-
gemein durch Gesetz oder im Einzelfall durch richter-
liches Ermessen oder durch ein gemisebtes Verfahren
«gerichtliche Schadensscbätzung uebst gesetzlicher Ver-
vielfachung) festgestellt wird, ce) Endlich ob bei dem
in Okonnmischer Schädigung eines Dritten bestehen-
den Delikt blosse Schadlosbaltuug bezweckt wird,
oder ob die Lösung darüber hinausgeht (Scbadens-
eraatz mit Zuschlag), oder endlich ob sie da eintritt,
ED ökonomische Schädigung nicht vorliegt."
Alle nicht in den Kreis des ä'gas — äyoc fallenden Übel-
ten waren in der idg. Urzeit noch der Privatrache (Blut-,
Sippenrache) Uberlasaen. Wie die idg. Bezeichnung dieser letz-
teren, *qoinä (aw. kuSnä = griech. :ioivii) zugleich auch die Ab-
lösung der Rache durch Busse bezeichnete, so war es seit Ur-
zeiten möglich, sich und seine Hippe von der Wiedervergeltung
durch eine Wertleistung an Vieh (namentlich an Kühen) los-
zukaufen'). Hierbei müssen sich im Laufe der Zeit mehr oder
weniger feste Sätze ausgebildet haben. So werden z. B. über-
einstimmend 100 Kühe als Wergeld für den erschlagenen Mann
hei Indern, Germanen und Slaven genannt. Aber auch alle
öbrigen der Privatrache überlassenen Übeltaten {Körper- und
.Sach Verletzungen, Beleidigungen, Notzucht usw.) werden es all-
ifthlich zu gewohnheitsmässigen Taxen gebracht haben, gegen
1) Wie es hierbei noch vor kurzem in .Monlenet^ro herging, wird
vergl. Uecbtsgeschjchle XV (Montenegrinische Rechts-
•chichte von Milan Paul JovnnovW), p, 134 beschrieben.
— 414 -
deren Zahlung man von der Wiedervergeltnng abstand. Diese
Taxen werden, je mehr die Selbsthilfe vom Staate absorbiert
wird, dnrch die Gesetzgeber als Strafen übernommen; doch ffihrt
die Verfolgung dieses Gegenstandes zu weit in die Geschichte
der Einzelvölker, um hier ausführlicher erörtert zu werden (ygl
mein Reallexikon u. Blutrache und Körperverletzung, so-
wie die Beiträge der genannten Einzeiforscher in Mommsens
Fragen zum ältesten Strafrecht 9).
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass das
Strafrecht des idg. ürvolks zwar noch auf einer niedrigen Stufe
stand, aber immerhin doch schon eine gewisse Ordnung zeigte,
die durch die oben erörterten, bereits der idg. Grundsprache an*
gehörenden Ausdrücke wie aw. kadnä = griech. noivri „Blut-
rache" (und ihre Ablösung durch Wertleistung); scrt. väira =
agls. were'{gild) „Wergeld**; scrt. ä!g<i8 = griech. äyoq „Ver-
brechen" (gegen die Allgemeinheit); scrt. täyü = altsl. tati „Dieb";
scrt. am = griech. öjuvvjlu „ich schwöre" ; scrt. parävfj = agls.
torecca „der Verbannte" allein schon hinreichend verbürgt ist.
Schwieriger dürfte es z. Z. sein, die älteste Geschichte des
Eigentumrechts, das Verhältnis von Sippen- zum Privat-
eigentum, bei den idg. Völkern zu erörtern. Einiges über diesen
wichtigen, aber vielfach noch nicht geklärten Gegenstand vgl
in den Kapiteln XI, XII und XIII.
Die wichtigsten Züge des Familien rechts sind in Kap. XII
enthalten.
XV. Kapitel.
Die Religion.
Einleitung: Geschichtliches. M. Müller. A. Kuhn. W. Schwartz.
W. Mannhardt. E. H. Meyer. 0. Gruppe. I. Die Verehrung der
Toten. Begraben und Verbrennen. Die Beigaben. Der Unsterb-
lichkeitsglaube. Das Begräbniszeremoniell (Ausstellung der Leiche.
Totenklage. Leichenzug. Leichenschmaus). Der Ahnenkult (^Die
Väter.** Totenfeste. Stätten der Verehrung. Speisung und Tränkung
der Vorfahren. Totenspeisen. Stimmung. Bettler). Die allgemeine
Bedeutung des Totendienstes. Totenreiche. II. Die Verehrung
der Himmlischen. 1. Die Himmlischen selbst (Litauische und
römische Sondergötter. Die altindogermanischen Himmelsmächte. Ihre
Namen und Erscheinungsformen. Vater Himmel und Mutter Erde.
Welträtsel und Mythus). 2. Der Kult der Himmlischen (Zauber und
Opfer. Zauberer, Priester und Arzt. Stein-, Pfahl- und Baumkultus.
Feste. Die Sonnenwenden). — Das Schicksal und das Erraten der
Zukunft.
Als die Begründer einer vergleichenden Mythologie, die
zunächst als identisch mit einer vergleichenden Religionsgeschichte
der idg. Völker angesehen wurde, müssen M. Müller und Adal-
bert Kuhn bezeichnet werden, deren Anschauungen, so sehr sie
anch im einzelnen oft auseinandergehen, doch im Grunde so viel
Verwandtes besitzen, dass sie hier zusammen betrachtet werden
dürfen. Dieselben gründen sich auf drei Hauptvorstellungen
dieser beiden Grelehrten, nämlich erstens auf die schon durch
die Brüder Grimm erweckte Überzeugung, dass der Mythus
nicht etwa die Schöpfung höher stehender Volkskreise, etwa
eines Priester- oder Sängerstandes sei, sondern dass derselbe
ebenso wie die Sprache selbst in den Tiefen der Volksseele
wurzele, zweitens in der Überzeugung, dass in den zum Teil
unzweifelhaft auf naturalistischer Grundanschauung beruhenden
Liedern des fiigveda, dessen genaueres Bekanntwerden in die
Zeit der besten Arbeitskraft beider Gelehrten fiel, die älteste
— 416 —
Form idg. Götterglanbeus vorliege, nnd drittens in der Be-
obachtung, dass eben diese Lieder des Rigveda mit den Mythen
der verwandten Völker sowohl inhaltlieh wie spraehlich so viel
Übereinstimmung zeigten, dass dieselbe bis in die Epoche der
idg. Urzeit zurückgehen mtisste. Derartige idg. Mythenzyklen
hat A. Kuhn in grosser Anzahl zu ermitteln versucht, worüber
auf seine Arbeiten über Gandharven und Kentauren, (K. Z. I),
^Egivvg, Saranyü' (ebenda), über Manus, Mivcog, Mannus (K. Z.
IV, 81 ff.), 'Egjuijg, Saramä, Säramßya, Wuotan (Haupts Z. VI,
117 ff.), über die Herabkunft des Feuers und des Göttertrankes
(Berlin 1859) und andere verwiesen sei. Besonders kühn in der
naturalistischen Deutung mythischer Namen zeigt sich M. Müller,
dessen mythologische und religionsgeschichtliche Studien in den
Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache, den Elssays, der
Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft, in Origin
and grotcth of religion (London 1880) usw. vorliegen.
Eine Zusammenstellung dessen, was M. Müller auf diesem
Gebiete noch am Ende seines Lebens für möglich hielt, bieten
die Biographies of tcords p. 188—198 (religion and myth).
Hier begegnen Gleichungen wie HjiMcov = scrt. apÖTmuvdn „r«?-
moving, opening^, H^tjvj] = scrt. ahanä' ^morning^y day^, "Axd-
Xevg = scrt. *aharyu, from ahar j^day^, Bgiatjtg, if for *Bag-
07]igy the offspring of Brises, conquered by Oreeks, gicen to
Achilles = scrt. hfsaya the offspring of Bfsaya^ conquered by
pani usw.
Der Ursprung des Mythus liegt nach der Ansicht beider
Forscher in dem Wesen der Sprache selbst. „Es ist", sagt
A. Kuhn (Die Entwicklungsstufen der Mythenbildung Abb. d.
ßerl. Ak. d. W. 1873), „ein mehr und mehr zu allgemeiner
Geltung kommender Satz, dass die Grundlage der Mythen auf
sprachlichem Gebiet zu suchen, und dass Polyonymie nnd Homo-
nymie die wesentlichsten Faktoren derselben seien. ^
Diese Mannigfaltigkeit des Ausdrucks beruht aber einmal
auf der Eigenschaft der Sprache, bei aller Suhstantivbildonig
immer nur eine einzelne an dem betreffenden Gegenstand haftende
Eigenschaft hervorzuheben, wie wenn die Nacht zugleich als die
schwarze, dunkle, feuchte usw. bezeichnet wird; das andere Mal
auf der poetischen Übertragung, wie wenn z. B. die Strahlen als
Zügel, Finger, Hände oder Kühe bezeichnet werden. Ursprflnglieb
irte man /.. B., „das Tagefliicbt ist verscbwunden, die Naeht ist
gekonnuen", bald aber biees es mit poetischer Übertragung: „dJe
Kübe sind versehwunden, der finstre NaclitgeiBt hat sie geraubt".
So enlscbwaüd allmäblicb das Verständnis des ui'sprUnglicben
.Ansdrat'ks, Man erzählte von den Rindern des Helios oder von
dem Riiiderranb des Caous usw.. und der Mythus war fertig.
Überaus verwandt ist die Auffassung M. Müllers, dessen
Btraclitangsweise in dem Satze gipfelt : „Mythologie ist nur eine
Bte Form der Sprache." Wie er die ersten Anfänge mytliologiaclien
Ansdmcks sich denkt, zeigt z. B. das. was er Ortgin anä growth
of religion p. 190 ff. über die Hilfsverba bemerkt. Diese wie eng^
lisch he in, to be, I ira» hatten ursprilnglirli eine vollere Bedeu-
nog und bezeichneten soviel wie „atmen" (scrt. as, äs-u „Atem"),
■trachsen" igriech. tpwo), „wohnen" (scrt. aas). Wenn die alten
girier daher irgend etwas ober Sonne, Mond, Erde, Berge, Fltlgai'
aussagen wollten, so konnten sie nicht wie wir sagen z. B. „die
Sonue ist da" oder „es regnet", sondern sie konnten nur denken
und sich ausdrtlcken „die Sonne atmet' <s>iri/6 asti), „der Regen
regnet", Oberhaupt ist es dem alten Arier nur müglich ge-
wesen, die Gegenstände seiner Wahrnehmung als aktiv wirkende
zu bezeichnen. Die Sonne ist der Erleuchter, Erwärmer, Nährer,
der Mond der Messer, die Morgenröto, die Erweckerin usw.:
„Ilere, in llie lorrenf depili of /.anguage, !ie t/ie true germn of
what ire aflencards call (iguriam, animisni, anthropopathism,
ttnthropomorphism^ ip. 181). Wie sich M, Müller den weiteren
Verlauf der Mythenbildung denkt, zeigt /,. B. der Mythos von
Apollo und Daphne : es gab in der Ursprache ein *<lah-anä —
•Vvf-rrj „die brennende" („leichtbrennende"), eine Be/.eichnung
sowohl für die Morgenröte als auch für die Lorbeerpfianze. Von
der Morgenröte erzählte man, die Sonne habe sie verfolgt. All-
mählich verlor sich nun in der Sprache duipvi} in dem Sinne
von Morgenröte, und nun erzählte man, Apollo (die Sonne) habe
eine Nymphe, namens Daphne, verfolgt, welche die Götter als-
dann in einen Lorbeer verwandelt hätten.
Der Gmndlon, welcher durch die gesamte Mythenbildnng
idg. Volker hindurclikltngt, ist nach der MUller-Knhnscheu
Kbannng also die Belebung und Deutung der Natur und ihrer
icbeinnugen. nicht am wenigsten aber die Vorstellung von
lern Kampf, einem Gegensat» in denselben, mochte man den-
— 418 —
selben nun mehr iu dem Schauspiel des Gewitters und der Wolken-
bildnugen oder mehr iu dem täglich sich wiederholenden Wechsel
von Tag und Nacht erblicken. „Die Hauptgrundlage der fie-
ligionen und Mythen der meisten idg. Völker^, sagt A. Kahn
Über Entwicklungsstufen a.a.O. p. 126, „bildet der Kampf zwi-
schen den Mächten des Lichts und der Finsternis, der bekannt-
lich bei keinem derselben so scharf ausgebildet ist, wie bei den
alten Baktrern. Wie bei diesen, so ist auch bei allen flbrigen
die Überlieferung vom endlichen Siege des Lichts durchgedrungen,
durch welchen die Mächte desselben zur Herrschaft gelangen,
während die der Finsternis zeitweise oder dauernd gefesselt oder
besiegt werden. Dass dieser endliche Sieg des Lichts schon bei
allen ludogermanen zur Zeit, als sie noch ein Volk waren, znr
allgemeinen Überzeugung geworden sein mtlsse, davon liegt ong
bekanntlich ein Zeugnis in ihrer Bezeichnung der Götter durch
ein Wort vor, welches der Wurzel div „leuchten^ entstammt
und somit ein Beweis ist, dass sie die Macht dieser leuchtenden
Wesen als Beherrscher und Lenker ihres Lebens anerkannten
und verehrten. **
Gegen diese Grundanschauungen der genannten beiden Ge-
lehrten haben sich nun in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten
her mit nicht geringerer Sachkenntnis geführte Angriffe ge-
richtet, welche teils eine wesentliche Modifikation der MflUer-
Kuhnschen Anschauungen bezweckten, teils eine völlige Ver-
nichtung derselben versuchten. Die MüUer-Kuhusche Schule war
bei ihrer Rekonstruktion des idg. Götterglaubens im wesent-
lichen von den ältesten literarischen Denkmälern der idg. Völker,
von dem Veda, dem Awesta, von Homer, von der Edda ans-
gegangen. Der moderne Volksglaube war erat in zweiter Linie
herangezogen worden, und wo dies geschehen war, waren die
Gestalten desselben nach Grimmschem Vorbild als (hauptsächlich
durch das Christentum veranlasste) Verblassungen der altheidni-
schen Götter und Heroen aufgefasst worden. Die Volkssage von
dem wütenden Heer und dem wilden Jäger war der letzte Über-
rest des alten hochheiligen Wuotandienstes. »Der alte Gott
verlor sein zutrauliches Wesen, seine nahen Zflge, und ging in
den Begriff einer finsteren, schreckenden Gewalt über, welcher
immer noch gewisse Einwirkung verblieb. Den Meosehen nnd
ihrem Dienste gleichsam abgestorben, irrte und schwebte er in
- 419 -
I Lufteu tenfliecli hikI gespenstig" (J. Grimm Deutsche Mjtb.
n>. 870).
Diese AiiBcbannng' liatte bereite im Jahre 1849 W. Scliwartz
in einem Programm Der Volksglaube und das alte Heidentum
geuiissbilligt und den Nachweis /u fuhren versnchl, dass der
moderne Volksglaube, weit davon entfernt, nur die Trflmmer
eiBcr höheren Mythologie zu enthalten, vielmehr in sehr vielen
Fällen die Wurzeln tren bewahrt habe, ans welchen jene höheren,
in der Edda nnd sonst waltenden Gottheiten entsprossen seien.
Diese Meinung, getragen von der mehr und mehr in gan» Europa
erwachenden Freude an der Samndnng der noch heute im Volke
lebenden Sagen, Märchen, Sitten nnd Gebrauche hat nun all-
mählich 7.U der Begründung einer neuen Richtung der ver-
gleichenden Mythologie geführt, dii' ihre nanihaftesteii Vertreler
I Dentschlaud in Wilhelm Manuhardt und in Elard Hugo
Meyer gefunden hat.
Mannbardt hat seinen Absagebrief an die Müller Kuhnscbe
Richtung in dem Vorwort xu dem 11. Bande seiner Wald- und
eldknite') geschrieben. „Ich darf", sagt er p. XIV, „mit dem
Mtändnis nicht zurückhalten, dass nach meiner Ansicht die ver-
teichende idg. Mythologie die Früchte noch nicht getragen hat,
elcbe man allzu hoffnungsreich von ihr erwartete. Der sichere
ßewiun beschränkt sich doch auf einige sehr wenige Oottes-
namen (wie Dyaus-ZeuB-Tius, Parjanya-Ferkunas, Bhaga-Bog,
Varuna-Uranoe usw.) und Mytbenausälze. und im übrigen auf zahl-
TOche Analogien, welche aher noch nicht notwendig historiscbe
Ifirverwandlschaft begründen Ich fürchte, dass die 6e-
^■Bhichte der Wiesensehaft sie 'Parallelen wie i^ttrameya — Her-
'tteias) einmal eher als geistvolle Spiele des Witzes, denn als-
bewäbrte Talsachen zu verzeichnen haben wird" usw. Dagegen
wird es ihm immer klarer, dass unsere mythologischen Hand-
hficber der antiken Mythologie nnr enthalten, was das verfeinerte
Leben städtischer Kreise aus dem ursprünglichen Volksglauben
geschaffen bat. „Nun schimmert unter dieser Mythologie der
1) W. Maunlinidl Antike Wald- und Feldkulte au* nordpuropfti-
gker ÜberHefwunK erlftuWrl, Berlin 1S77 und Der Raumknltos d«ir
ITRtaneD nnd ihrvr Nachbarstlltnme, Berliu ISTä [btitde Wi>rke jetui
I heraoHgug. v. W. Heusclikelj.
— 420 —
Gebildeten mit einmal eine Volksmytbologie hervor, welche
die überraschendsten Ähnlichkeiten mit den VolksUberlieferuugen
der nord europäischen Bauern bekundet.^ Diese Analogien er-
strecken sich auf Volkssagen, Märchen und Gebräuche, nicht
minder wie auf mythische Personifikationen, auf die verwandten
Gestalten der Moosleute und Holzfräulein (= Dryaden), der wilden
Männer (= Kyklopen, Kentauren, Pane, Satyrn), der Wasser-
muhme (= Thetis) usw. usw. Kurz, alle die Geister, itelche im
Altertum und in der Neuzeit Feld und Wald und Haus bevölkern,
gehören dem Kreise der ursprünglichen Vorstellungen an, aus
welchem so manche erhabene Götter- oder Heldengestalt noch —
nachweisbar — hervorgegangen sei. „So bestätigt sich^, damit
sehliesst das genannte Buch, „durch gewichtige Analogie Schwartzes
Entdeckung, dass der Volksglaube der Bauern die noch grössten-
teils in unmittelbarem Zusammenhang stehenden Keime der höheren
Mythologie in sich berge."
Dieselbe Vorstellung von einem Geister-, einem Dämonen-
glauben mehr als von einem Götterglauben bei dem idg. Urvolk
begegnet uns, und zwar in Verbindung mit der namentlich von
anthropologischer Seite mehr und mehr in den Vordergrund ge-
stellten Ahnentheorie, nach welcher aller Götterglaube von
der Totenverehrung seinen Ausgang genommen^) habe, bei Elard
Hugo Meyer, nach Mannhardts Tode wohl dem besten Mythen-
kenner Deutschlands, dem Herausgeber von J. Grimms Deutscher
Mythologie.
Nach der Ansicht dieses Gelehrten durchläuft die Mythen-
geschichte drei Hauptperioden, welche er als die des Seelen-,
Geister- und Götterglaubens bezeichnet (vgl. Indogerm.
Mythen I, 210 ff.). In der ersten Periode beginnt das mythische
Denken mit der Vorstellung, dass die Seele nach dem Tode noch
einige Zeit weiterlebt und, zum Teil in Tieren oder Pflanzen
verkörpert, den Freunden nützen und den Feinden schaden könne.
Diese Seelen bedürfen der Ernährung. Der älteste Opferbraach
ist Totendienst. Diese Glaubensstufe, die der Belebung der
Naturerscheinungen überall vorangeht, haben alle Völker der
1) Vgl. z.B. J. Lippert Die Religionen der europäischen Kultor-
völker, der Litauer, Slaven, Germanen, Griechen und Römer in ihrem
geschichtlichen Ursprung, Berlin 1881.
— 491 —
■Erde durchlaufen. Noch bei einigen Kultmvölkern wie Chinesen,
Ägyptern, Römern iBt der Totenknit der Kern ihrer Religion
geblieben. Die Kulturstufe dieser Periode ist die des Jagdlebens.
Während der zweiten Periode werden die Seelen mehr
Bnd mehr Geister, /.nnial Windgeisler, dann aneh Gewitter- und
Rcgendämonen. Aus ihre» Seharen treten schon einzelne In-
dividuen mit mythischen Eigennamen hervor. Die Lichtwesen
stehen noeb zurUck. Die Kulturstufe ist die des Hirtenlebens.
Die idg. Völker haben diese Periode noch zum gröseten Teil
miteinander verlebt, am längsten die arisch-helleniBchen Völker.
Als ein Beispiel dieses also recht eigentlich indogermanische a
Glaubens sucht E. H, Meyer die sachliehe und sprachliche Iden-
tität der Gaudbarven und Kentauren zn erweisen, die er alK
Wiud- und Wetterdämonen fasst').
Die dritte Periode, in welcher die individualisierten Einzel-
dämonen sowie die Licbtgottbeiten zu Göttern werden, findet
die idg. Völker bereits getrennt, zu Ackerbau und staatlicher
Kultur übergegangen. „Wenn trotzdem die Ähnlichkeit zweier
Gottheiten, z. B. zweier verschiedeuer idg. Völker, llberrascht, si»
beruht dieselbe mehr auf der Gleichartigkeit der in den früheren
Perioden geschaffenen Elemente, aus denen das höhere Gebilde
besteht, und auf einer analogen Fortentwit-khing dei'selben als
anf einer gemeinsamen Hcrvorbriugung dieses Gebildes,"
Wenn somit in dieser Richtung der vergleichenden Mytho-
! die lichten Himnielsgölter der idg. Urzeit von ihren Thronen
estOrzt und dafür Scharen von Wind- und Wettergeistern ein-
jetretcu waren, so bleibt hier nun noch schliesslich eines Ver-
ioches zu gedenken, welcher dazu bestimmt ist, der Vorstellung
I einem Götterglauben der Urzeit, welcher Art er auch immer
, den Todesstoss zu versetzen und die Indogermanen schlecht-
l^n als religionslos zu erweisen. Es ist dies das, wie ich glaube,
D hohem Grade bedeutsame Werk OttoGrnppesDie griechischen
Kulte und Mythen in ihren Beziehungen zu den orientalischen Reli-
gionen, von welchen bisher nur der erste Band (Leipzig 1887j er-
Rhienen ist, welcher in zwei Kapiteln erstens eine Übersicht über die
1) Weibliche Wesen gleicher oder ahnlicher Art sucht ihnen
|t. Schröder (Griechische Götter und Heroen 1. 1887) in den Apaaras,
r Aphrodite, den Schwanenjnn^rraaen nsw. sur Seite zn stellen.
— 422
•
wichtigsten Versuche, die Entstehang des Kaltus und des Mythos n
erklären^ nud zweitens ttber die wichtigsten Denkmäler, welche von
der Geschichte des Mythos und des Kultus berichten, enth<^).
Die Richtigkeit der drei Fundamentalsätze, auf denen, wie
wir oben (p. 415) bemerkten, die Mttller-Kuhnschen Hypothesen
beruhten, und welche auch von den Dämonisten wenigstens nicht
prinzipiell aufgegeben waren, wird von 0. Gruppe schlechter-
dings geleugnet. Der Mythos ist nicht die religiöse Sprache des
Volkes, er ist die Schöpfung und das Eigentum der höheren
Gesellschaftsklassen, bewusste Dichtung, ein Teil der Kunst-
poesie. Der Rigveda — hier wandelt der Verfasser auf dem
von Ä. Ludwig eingeschlagenen und von A. Bergaigne weiter
verfolgten Wege — ist weit davon entfernt, uns das Walten
naiver Naturpoesie zu enthüllen. Er ist schon in seinen ältesten
Teilen voll „verzwickter" Theologie, voll priesterlichen Raffine-
ments. Nichtsdestoweniger bleibt er für uns die wichtigste
Quelle, au welcher wir noch deutlich den Ursprung aller Religion
und aller mythischen Ausdrucksweise aus gewissen, später Kultus
genannten Manipulationen erforschen können ; denn der Ritus ist
der Ursprung aller Religion. Der Priester giesst Fettströme in
das lodernde Feuer, um den Anbruch des Tageslichtes zu fördern.
Diese Ströme werden brünstige Kühe genannt, die zu ihrem
Jungen, Agni, hinströmen, sich mit ihm zu vermählen. So ist
dieser nun als zeugungskräftiger Stier in den Schoss seiner
Mütter gesetzt, sich mit ihnen selbst zu erzeugen (p. 4öö). Schon
die ungetrennten Indogermanen, obwohl sie keine Götter kannten,
übten gewisse Manipulationen, aus denen später Kultushand-
lungen hervorgingen, und mit denen Vorstellungen yerknfi|rft
waren, die sich dereinst zu mythologischen und zuletzt zu dogma-
tischen Ideen verdichten oder umgestalten sollten (p. 121). So
heisst es von dem Trankopfer (p. 277): ^ Der Kultusakt warniebt
€twa nur mit einem Gelage verbunden, sondern er war recht
eigentlich ein Gelage, man verehrte die Götter, indem man sieh
berauschte, und der Genuss des Rauschtranks war die Andacht"
Und endlich drittens: Alles, was die vergleichende
>>prachwissenschaft bisher an augeblichen indogeroi.
1) Vgl. Bari. Philolog. Wochenschrift 1888 Nr. 29/80 (B. Fritwche),
The ClassiccU Revew Febr. 1888 (F. B. Jevons), Deutsche Literatur-
zeitung 1888 Nr. 14, Lit. Zentralblatt 1889 Nr. 14.
43S
Blitlerhcncnriungeii oder an angeblichen indogerm. Aus*
^rücken Tllr Kultusliandliin^en zutage gefördert liat,
^t entweder lautlich nnhegrUndet oder inhaltlich ohne
Beweiskraft. Nur ffir die ariBclien .Stämme wird p, 125 „ein
beachr&uktcs Mass prirailivei' Zeremonien" für die Crzeit /.u-
f^egeben.
^_ Bestehen bleibt und der Erklärung bedaiF die unleugbare
^Hpbereingtimninng der Religionen in ihren Mythen uud Kulten,
^Büne Cbereintitimmung, welche »ich aber weit über das indog.
^boikergebiet hinans erstreckt. Auch hierans folgt, dam diese
^BBSRmmenh&nt^e sich nicht ans einer Vererb angstheorie erklären
^Kueen, vielmehr beruhen sie — und hier liegt der Kernpunkt
der flruppeschen Bestrebungen — in einer ungeheuren Entlehnung,
dureh welche „vorderasiatische und ägyptische Reiiginnsforuien
im grossen Uiufaug nach ßriecbenland, nach Indien und nacli
Mittel- nnd Nordenropa importiert wurden".
Uen Beweis dieser Hyputhese sollen die folgenden Bände
erbringen ; in dem vorliegenden soll nur der Boden für diese
K|^Qffa»saDg geebnet werden, worüber anf die §§20—35 (Über
^HÜe SJtiglichkeit, die Vererbungstheorie dnrch die Annahme nacb-
"Ifftlflicher Übertragung y.u ersetzen) zu verweisen ist,
Wenn wir nnn auch auf diesem schwierigsten und um-
i^trittensten Gebiet selbst versuchen'), das Erbe der idg. Crzeit
/u ermitteln, so lassen sich ans der grossen Masse religiöser Vor-
tellnngen und (iehräuche, die sich bei den altidg. Völkern finden,
,anächst zwei Grnppen aussondern, dii' es auf ihre vorhistorische
irknnft zu untersuchen gilt. Es sind dies erstens die auf die
rebrnng des Toten bezQglichen und zweitens diejenigen
Anschauungen nnd Riten, die sich auf den Kult n*'^'' Himm-
liscben" beziehen, fUr die schon in der idg. Grundsprache der
Ausdruck scrt. divii = iat, deus, lit. di^icoK, ir, dia, altn. ttvar
Bert, dydus, griech. Zn^, Iat. Juppiter, eigtl. „der Htoimel")
itand. Nach diesen beiden Gruppen soll daher der Stoff im
;enden gegliedert werden.
1) Ausführlicher isi dies in einem grciaseren Aufsatz geaclieben,
Bicbfflr J>Ha>>tinss Dictionary of Heligion and Ethics geschrieben
. und der. wi» Icli lioffen darf, bald gedruckt vorlif^eu wird. Auf
I Artikel [Aryan reliifton) werde icli mich daher im folpendeu
innger SU l)eiiiRhen tialion.
— 424 —
I. Die Verehrung der Toten.
Die erste Frage, die udb hier za beschäftigen hat^ ist die,
in welcher Weise das idg. Urvolk seine Toten bestattete, oder,
da es sich hierbei nur um den Modus des Begrabens oder Ver-
brennens handeln kann, ob das idg. Urvolk seine Toten begrub
oder verbrannte. Ich bin der Ansicht, dass diese Frage in dem
ersteren Sinne zu beantworten ist. Die prähistorische Forschung
hat den tiberzeugenden Nachweis geführt, dass auf dem in ge-
schichtlicher Zeit von idg. Völkern besetzten Boden das Be-
graben der unverbrannten Leiche als die ältere Bestattungsform
zu betrachten ist und die jttngere Steinzeit im Verein mit der
Epoche des ersten Auftretens des Metalles in Gestalt des Kupfers
nahezu vollständig ausfallt. Da nun oben p. 113 ff. gezeigt
worden ist, dass die Kultur des idg. Urvolkes lediglich stein-
kupferzeitliche Verhältnisse aufweist, so ergibt sich der Schloss
auf die Bestattnngsform der Urzeit hieraus ohne weiteres.
Dazu kommt, dass sich die Verbältnisse der idg. Einzel-
völker besser verstehen lassen, wenn wir von dem Begraben als
von der älteren Bestattungssitte ausgehen. Dies gilt namentlich
von den Griechen. Allerdings tritt uns in der homerischen
Welt der Leichenbrand in vollkommener Durchfahrung entgegen.
Aber vor der homerischcD liegt die mykenische Epoche, die uns
in ihren Schachtgräbem, Kammern und Gewölben die Leiche in
unverbranntem Zustand zeigt, und wollte man gegen dieses
Argument den Einwand erheben, dass es sich bei der Bevöl-
kerung, die diese Grabstätten errichtete, möglicherweise um
nichtgriechische Stämme handele, so würde doch der im Jahre
1901 im Nordwesten der Stadt Athen aufgedeckte umfangreiche
Friedhof den Beweis erbringen, dass man im griechischen Mutter-
land in der ältesten Zeit die Verstorbenen begrub und nicht ver-
brannte; denn aus den 19 ältesten (Dipylon-)Gräbem dieser Toten-
stätte sind, mit einer einzigen Ausnahme, unverbrannte Skelette
an den Tag gebracht worden (vgl. A. Brückner und E. Pcr-
nice Ein attischer Friedhof, Mitteilungen des kaiserl. deutschen
arch. Inst. Athen.Abt. XVIII).
Aus Rom haben wir die bestimmte Überlieferung des
Plinius {Rist. nat. VII, 187): Ipsum cremare apud Romanas
non fuit veteris instituti; terra condebantuVy und es scheint be-
4S5
knklich, selbst caeh Aufdeckung der frülizeitigen Sporen des
•eichenhrando» auf dem Forum Bomanum durch Prot. Boni,
iselbe ausser acht zu lassen. Ancb weist das lat. sepelio
Snnr „begraben") durch seine genaue (von Walde Et. Wb. der
Spr. mit unrecht bezweifelte) Übereinstimmung mit Bcrt.
Mmpary ^dienen, buldj^en, ehren" und lat. Orcun „die [Jnter\velt''
got. airahi „Grabesböhie" auf eine unter grossen Feierlicb-
eiten erfolgende Beisetzung der Leiche im Grabe hin.
Freilich ist die Ausbreitung der Sitte des Leicbenbrandes,
immer sie ibrea AuBgang^pnnkt genommen haben mag'), in
der westlichen Hälfte des nördlichen Europa zu frühzeitig und
zn intensiv erfolgt, als dass die römiscix^n Autoren bei Kelten
und Germanen noch die nur durch die Präliistorie aufdeckbaren
Spuren der ältereu Beatattangsart (vgl. Montelins Archiv fUr
Anthropologie XVII, 151 ff.) hätten antreffen könneu. Hin*
gegen liegen im Osten Europas, znnäcliBt bei den Thrakern, dann
bei Litaneru nnd Prcussen, aber auch wohl bei den alten Slaven
Begraben nnd Verbrennen oebeneinander, ohne dass es müglich
wftre, die Priorität des einen oder anderen zu bestimmen. Doch
glauben wir, dass wer das ganze archäologische und historiaebe
Kacbrichtenmaterial (vgl. mein Heallexikun s. v. Bestattung
aad R i d g e w a y Early age of Oreece , Kap. VII) über-
blickt, den Einilrnck gewinnt, dass in dem ganzen heidnischen
Enropa im Grunde die Beerdigung Überall der herrschende
firancb war, der durch den Leichenbrand hier mehr, dort weniger,
hier danernder, dort vorübergehender nur eingeschränkt, bezüglich
stellenweis beseitigt wnrde. Wenn J. Grimm Über das Ver-
brennen der Leichen (Kl. Sehr. II, 211) anderer Meinung war,
50 geschah dies auch deswegen, weil er das griech. I^ibrtui
„begrabe" und „verbrenne", das entweder zu ahd. ttinc „Grube",
flUnterirdische Wohnung" (so nach meinem Vorgang Kluge und
Sapitza) oder zu armen, damhan „Grab, Gruft, Grabmal" (so
bid^D, Armen. Stiid. p. 42) gehört, fälschlich mit scrt. fap, lat.
peo, grieeh. ri^'^a „Asche" verband.
1) Vielleii^lit von (t<;r sumerischen Bevölkerung Babylons aus,
fto im JaKre 1887 in den Ruinen st Ktten Surghul und El Hibba weite
h^bplätze mit verbriinnten Leichen aufgefunden worden sind (vgl.
a, Kotdewey Z. f. Assyriologie II, 403 ff.). Die Semiten und Etruskn-
begrubeo ihre Leichen.
»oHrailer. SpracbvcrglalchnnB and Drgeachtebte II. 3. AOfl. ^8
- 426 -
Endlich darf man sich auch nicht durch den Umstand, da»
der Veda im allgemeinen von der Sitte des Leichenbrandes be-
herrscht wird, tlber deren verhältnismässige Jagend täuschen
lassen; denn noch im Rigveda (X, 15, 14) werden neben den
^vom Feuer verbrannten^ auch „vom Feuer nicht verbrannte'',
in Himmelsfreuden lebende Vorfahren unterschieden, und bei dem
iranischen Brudervolk der Inder war ohne Zweifel bei Fürsten
. wie Gemeinen die Beerdigung der von den Vätern ererbte Braoeh.
Ich kann also E. de Michaelis, Vorigine degli Indo-
Europei (p. 71 — 76, 80 — 83), nicht das Recht zugestehen, die
Sitte des Leichenbrandes als urindogermanisch anzusetzen und
aus diesem Ansatz Schlüsse auf die Lage der idg. Urheimat zu
stieben.
Mochten nun aber die Indogermanen in der Urzeit ihre
Toten begraben oder verbrennen, sicher ist jedenfalls, dass sie
dem unverbrannten oder verbrannten Leichnam allerhand für den
Gebrauch des Toten bestimmte Beigaben in das Grab mitgaben
oder dieselben auf dem Scheiterhaufen mit der Leiche ver-
' brannten, damit sie dem Toten in das Jenseits folgten. ^^Noch
heute^, erzählt Sejn von den Weissrussen (Sbornik der Kais.
Ak. d. W. in St. Petersburg LI Nr. 3 p. 534), „senken sie
nach dem Totenamt den Verstorbenen in das Grab zusammen nait
Gegenständen, die von ihm besonders geschätzt und ihm bei
Lebzeiten besonders lieb waren. Wenn er z. B. seinem Gewerbe
nach ein Schuhflechter war, so legen sie ihm unweigerlich einen
angefangenen Bastschuh hin, wenn er ein Zimmermann war, oder
sonst ein Handwerker, dann geben sie ihm eine Axt, einen
Meissel, einen Hobel, eine Feile. Abgesehen von diesen Dingen
geben sie jedem Toten ins Grab mit : Brot, Salz, Eier für einen
Eierkuchen, Nüsse, Bier und Schnaps in einer Flasche, ebenso
wie eine kurze Tabakspfeife mit Tabak und Feuerzeug oder eine
Tabaksdose mit Schnupftabak.^ Dieselben Verbältnisse wie hier
im XIX. Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung begegnen
uns auf jenem oben erwähnten altathenischen Friedhof, dessen
älteste Gräber mit Waffen und Geschirr aller Art, mit Töpfen
voll von Speisen und Getränken aufs reichlichste versehen sind.
In den jüngeren Grabstätten werden diese Beigaben immer
seltener, bis man schliesslich nur noch den Frauen ihr Putzgerät,
den Kindern ihr Spielzeug beilegt. Rein zum Symbol ist, was
'^nst realistiscbe Wirklichkeit war, in deo Zeileo der vediachea
HymDen gewordeo, nach denen man iRigr. X, 18) dem toteu
Krieger seinen Bogen erst auf den Sfheiterbaufen mitgibt, nm
ihn Bpilter wieder ihm aus der Pland zu nehmen, oder nach
denen man die Gattin des Verstorbenen erst sich neben den
Gatten legen lässt, um ihr dann 7.u befehlen, nSicb wieder xur
|;WeIt der Lebenden ?,u erbeben" (vgl. oben p. 348 über Witwen-
Verbrennung). So bilden diese Verbältnisse ein Mnsterbeispiel
den in der nietbodologiscben Einleitung dieses Bncbes
218, 230i erörterten Satz, dase die Zustände der L'rzeit im
>Bten Europas oft in der Gegenwart noch treuer erbalten sind
den ältesten Denkmälern der kulturbiatoriscb fort-
Hchritteneren Völker.
Aus dem Angeführten folgt, dase die Indogermanen an ein
'^tieben nach dem Tode glaubten; denn nur bei dieser Anscbaunng
lassen eich die für den unmittelbaren Gebrauefa des Toten be-
stimmten Beigaben erklären. Erst ganz aUmäblicb hat derMenscb
das Phänomen des Todes einigermassen verstehen gelernt. Noch
beute denkt eich der russische Bauer, dass ein Verstorbener ganz
gnt hören und verstehen könne, was man zu ihm sage, und dass
nur nicht imstande sei, seine Gedanken und Gefühle zn
»aern (vgl, Sejn a. a, 0. p. 520). Der ünsterblichkeitsglaube
t somit der Kindheitsstnfe der Menschheit eigen.
Schon in ihrer Grundsprache haben die Indogermanen, wie
die inneren und äusseren Teile ihres Leibes (vgl. I', 164),
I auch für das Lebensprinzip, die Seele, feste Ausdrücke gehabt,
ile in den beiden Gleichungen: sert. ätrnän „Hauch, Leben,
jele" = ahd. ätum „Atem, Seele" und scrt. Tnd»as „der innere
, Geist, Seele" = griech. /liyus (vgl. auch lat. Minerva auB
nesova) „Kraft, Mut, Streben" vorliegen. Diese geistige
RDtenz, als Hauch {\t. atkach], Rauch (griech. difftöq, altsl. dumo
'■„der Gedanke'^: scrt. dkiimä, lat. /dwiu« „der Ranch") oder Wind
Jat. animiis „Seele": griech. äve/wi „Wind") gedacht, löst sieb
mit Eintritt des Todes von dem Körper los, um, zunächst in der
Mähe des Grabes, ein selbständiges Dasein zu fuhren. Hieraus
latwickeln sich dann zahlreiche, je nachdem sie behandelt werden,
pfjts frenndliche, teils feindliche Seelenwesen, für die in den
Sprachen eine reiche nud charakteristische urverwandte
prniinologie vorhanden ist. Hierher gehört die Reihe: lit. dtßäge
— 428 —
^Atem, Geist^y altol. duehü id., duia „Seele^ : lit. dwenüf dtcUH
^ hauchen^, altgall. dusii „Drnckgeister, Maren^, mhd. getwäi
yyGespenst^, lat. FSrMiaj ein Totenfest, ans dem sich ein nrtprflng'
liebes *feri8 = *dkve8is „Geist eines Toten^ ergibt Wabraeheiii-
licb ist aueb das grieeb. ^eög „Gott^ ans *dhves0'9 (vgl. ^iö-fpmoq)
hier anzuknüpfen, dessen nrsprtlnglicbe Bedeutung alsdann „gütüieb
verehrter Geist eines Toten^ gewesen ist (so ancb Prellwitz
und Walde; abweichend Bechtel in B. B. XXX, 267). Be*
dentungsverwandte Gleichungen sind femer scrt dinSthf aw. dr%j
= ahn. dvfmgTj abd. gitroc „Unhold, Gespenst" (agls* driag
„larya mortui") und altn. dlfr, agls. oeHfy mhd. cdp „Elfe, ge-
spenstiges Wesen, Alp"^, ursprünglich ebenfalls „Geister der Tot»^
(Tgl. mein Reallexikon s. t. Zwerge und Riesen) = sert. fUM
„3 kunstreiche elbische Wesen im Rigveda" (E. Z. IV, 102) u.a.
Eine besondere Bedeutung gewinnen nun in religions- uad
kulturgeschichtlicher Beziehung diese Totengeister für den Ver-
wandtenkreis, zu dem sie gehören, und über dessen Wohl und
Wehe sie walten. Das sind die indischen pitdras ^^die Väter^,
die griechischen '&eoi natgcooi (ios Urzeitliche zurückversetzt, naeh
dem obigen: „die Geister der Väter") oder die xQnojidxoQeg „die
ürgrossväter", oder die ^Q(oeg {fJQOig i^oi. svirs „geehrt"?), die
lateinischen dt parentes (vgl. parenfaZiet „das Totenopfer", |wr«i-
tare „ein Totenopfer darbringen") oder die Dim mänes (altlat
mänus „gut"), die gotischen Anses (agls. ^se „Elfe", ygl. oben
über altn. dlfr), die russischen roditeli „Eltern", die weissrussischen
d^jady „Grossväter" {ßvjaty d^jady „die heiligen Grossväter")
usw. An dem einzelnen Herdfeuer, über dessen Verehrung unten
zu handeln sein wird, lokalisiert, werden sie zu Hausgeistein,
zu Schützern der Herdgemeinschaft. Hierber gehören d«r griech.
ÖLya'&og daljLuov (vgl. Roh de Psycbe I*, 225), die römischen j»«»^-
tes „die drinnen" (vgl. penus, penitua penetrare) und Idres^ die
ihren von Wissowa (Religion und Kultus der Römer p. 148)
mit Unrecht bezweifelten Zusammenhang mit dem Dienst der
Toten schon durch das dazu gehörige larva^ lArua „böser Geist,
Gespenst" und Lärentaliaj ein Totenfest {ä : ä wie äcuo : dc^,
vgl. auch Walde Et. Wb. d lat. Spr. s. v. lärua) beweisen, der
gemeingermanische „Kobold", „der im Hanse waltende" (vgl. P,
214), der russische domovöj^), „der im Hause" u.a. Äusserhek
1) Ausführlich über den russischen domovöj Ralston The 8<mgs
429
f/KUT
Kfich
illt man sich die Seeleu der Vei'storbeneD gern unter dem
Bilde der ScfalaDge ^or, deren am Boden sich fortschlängelude
Bewegangen an die halb unter, linlb über der Erde gcdacliten
Geister erinnern mochten. Hieraus hat sich dann bei den Rüraern
(vgl. Wissowa Religion und Knltng p. 155) und Litauern, die,
wie wir noch sehen werden, auch sonst in religionsgcschicbtlicber
Beziehung merkwürdige Übereinstimmungen miteinander zeigen,
ein hauslicher 8clilangenkultu8 (vgl. La siciua De diia Sama-
gitarttm p. 51 : Xutnunt ettam quam deos penates nigri colorh,
108 et quadrupedes quosdam serpente^, Giuoitoa — \it. giicäte
ichlange" — vocatoH) entwickelt'}. Auf die Übereinstimuiungen
dem Namen dieses Tieres haben wir I', Iti2 hingewiesen. Es
kann also eine tiefe knlturhistorisclie Bedeutung gehabt haben.
Diesen Toten ist nun bei allen altidg. Vülkern ein bis in
die feinsten Einzelheiten ausgebildeter Kult gewidmet gewesen,
iD GrundzUge ohne Zweifel in die idg. Ur/.eit zurückgehen,
id die es mit Hülfe der idg. Altertumskunde zu erscblieesen
Von besonderer Wichtigkeit erweisen sich für diese Auf-
tbe die litauischen und slaviscben, namentlich die rassischen
iOBtÄnde, von denen die ersteren von Johanne» Menecius {De
'tacrificiU et idolatria veterum BoruHsorum, LivoHum aliarum-
que vicinarum gentium^ Script. Rer. Liv. If, 389), die letzteren
von Kotljarevskij*) Über die Gegräbnisbräucbe der heidnischen
^^aven (äbornik der kaiserl. Ak. iu St. Petersburg XLIX) und
Hv tJui Ruimian penple p. 119 ff. Er hat sehr viel
^■xÄr familiaris geiueitisam. Besonders interesaai
ziehuu^ die Überführung; des domovdj zusammen
bei einem WohDun gs Wechsel aus dem xlten Han« insueue. wo er von
_dem Hausherrn mit den Worten: „Willkommen, Gross Väterchen, am
1 Ort!" begrübst wird. Ebenso wechselte in Rom der Lär fami-
mil der Familie das Haus. Gleich beim Eincrilt in die neue
Vohnnng wurde ihm ein Opfer dargebracht. Vgl. Plautus Trin, v. 39:
Laretn Corona noxtruvi decorari volo:
Uxor, venerare ut nnbin haec habifalio
Bona fauala füix fortuncUaqat evenat.
1) Kne Spur dieses -Schlan^fendienstes findet sieb auch bei den
^ngobarden, die nach iler Vits Barbali im geheimen das Bild einer
^er verehrten (vgl. Hirt Die Indogermanen II. 151).
S) Hicteilungen aus diesem vorsäglichen, in Westeuropa wenig
itsten Werlie finden sich bereits bei Ralston TIte songs of ihe
uätm peopCe Kap. V (Funeral nong»), London 1873.
dem rti mischen
t in dieser Be-
dem Ofenfener
— 430 -
von P. V. §eJD Materialien zur Kenntnis des Lebens nnd der
Sprache der russischen Bevölkerung des Nordwestens (Weiß»-
russland), I, 2,2. Abteilung: Begräbnis- und Gedächtnisbränche,
Leichenklagen und Klagegesänge tlber Veratorbene (Sbomik 51
Nr, 3, Petersburg 1890) dargestellt worden sind (vgl. auch noch
§ejn Der Grossrnsse in seinen Liedern, Bräuchen, Gewohnheiten,
Aberglauben, Märchen, Legenden usw. Petersburg 1898, 1900,
2. Teil p. 777 ff.). Ausgehend von diesen bedeutsamen Materialien,
habe ich in der oben p. 423, Anm. 1 genannten Abhandlung fflr
Hastings Dictionary of religion die Grundlagen des idg. Toten-
dienstes zu erschliessen versucht und beschränke mich daher
hier darauf, eine Übersicht ttber das dort Gebotene zu geben.
Zu unterscheiden ist zunächst zwischen der Pflege, die dem
Toten bei der Bestattung und derjenigen, die ihm nach der-
selben von Seiten der Verwandten zu teil wird. Mit besonderer
Deutlichkeit tritt die Übereinstimmung der Begräbnisbräuche, zu
denen nattlrlich auch die oben vorweg genommene Niederlegang
der Totenbeigaben gehört, bei einer Vergleichung der litn-
slavischen mit den altgriechischen Riten (vgl. Roh de Psyche
P, 218 ff.) hervor. Es lassen sich vier Akte des Begräbnis-
zeremoniells unterscheiden:
1. Die Ausstellung der Leiche (griech. jigMeoig).
Nachdem der Tote feierlich gewaschen und bekleidet worden
ist, wird er, mit den Füssen zur Tür gewendet, zur Besichtigung^
für Freunde und Verwandte aufgebahrt.
2. Die Totenklage (griech. ^gifvog). Durch alle Phasen
der Bestattung, besonders aber durch die Dauer der Ausstellung
der Leiche ziehen sich die von den Weibern der Verwandtschaft
angestimmten Totenklagen, die von leidenschaftlichen und hand-
greiflichen Ausbrüchen des Schmerzes, wie Zerkratzen des Ge-
sichts und Busens, begleitet sind. Oft nimmt die Totenklage
den Charakter eines Zwiegesprächs mit dem Toten an^).
3. Der Leichenzug (griech. ixtpogd). Am dritten Tage
wird die Leiche aus dem Hause getragen und (in Rnssland viel-
fach auf einem Kufen wagen — russ. sdni „Schlitten'') nach dem
1) Hinzugekommen an neuester Literatur: E. E. Blümml Ge^
manische Totenlieder mit besonderer Berücksichtigung Tirols, Archiv
f. Anthropologie N. F. V (XXXIII), Heft 3/4.
Friedhof gefahren. Nach WinterDitz (Beilage zur Allg. Z.
1903 Nr. 25b) hätte iu der Jdg. ümeit eine dreimalige Üni-
»andlniig dea Grabes Eeiten» der Leidtragenden stnttgef unden ;
Soch kanti ich diesen Brauch bis jetzt hei deu Slaven nicht
Klegen.
4. Der LeichenscbraanB (ntgidempov). Wenn man vom
Friedhof kommt, mnss mau sich vor allem waschen. Dann wird
iBin Mahl liergeriehtet fgriecb. ii'ni-or dairvvai, ruas. prdvitl gtolü).
Bei demselben gedenkt iiiftu aueachliesslich der guten Taten des
Verstorbenen (Weiteres a. u.).
Was die Pflege der Toten nach ihrer Bestattung, also
den eigentlichen Ahnenkult betrifft, so gilt es, die titu-alavische
Überlieferung vor allem mit den nächst dieser am vollständigsten
bewahrten altindischen Riten (0. Donner Das Pindapitryajßa
Kler Manenopfer mit Klössen, Berlin 1870, W. Caland Über
Fotenverebrung bei einigen der idg. Völker, Amsterdam 1086,
Altindiseher Ahnenkultus, Leiden 1893, Oldenberg Die Religion
les Veda, paeeim) in Beziehung zu setzen, um alsdann von hier
ins die trllmmerhaflen Nachrichten der übrigen idg. Vülker ver-
liehen zu lernen. Auf diesem Wege lassen sich folgende Punkte
lls auf vorgesc hiebt liehen Znsammenhängen beruhend znsammen-
ilelleu:
1. Die „Väter" walten als mächtige Götter über dem Wohl
1er Familie, und an sie wendet mau sich in allen Nfiten des
Iglichen Lebens, Besonders die Kiiidererzeugung, auf der der
testand des Hauses beruht, steht unter ihrer Obhut. Sie gelten
als sehr streng und reizbar, nnd mau muss sich hüten, ihren
Zorn dnrcb Nichtbeobachtung der Gebräuche /,u erregen. Der
_ Verstorbene tritt nicht sofort in die Zahl der „Väter" ein. Bevor
feierlich in ihre Mitte aufgenommen wird, vergeht eine ge-
lrisse Zeit, während der seine Seele gespenstig berumschweift.
2. Die Verehrung der „Väter" ist an bestimmte Zeitenge-
inden, die in besondere und allgemeine Totenfeste zer-
tlleu. Die ersteren werden in dem Kreis der Familie gefeiert,
|er der Verstorbene angehörte (nach Menecius z. B. amlll., VL,
. und XL. Tage), die letzteren (die indische Ashtakafeier, die
^echischen 'Ai-ifeaTtjQia, die römischen FSral'm, Lärentalia,
I, in Litauen das Fest des Flachsgottes Wnizgantkos und
Totengottes Vielona und das Wurstfest Skierntuwes, in
- 432 -
Russland 4—6 ToteDfeate, darnnter die rculunieä) werden tob
dem ganzen Volke begangen. Bei den ersteren FristbestimmaDgei
spielen die ungeraden Zahlen, die überhaupt den Toten gehöret,
eine wichtige Rolle.
3. Die Stätte, wo man den Toten ihre Mahlzeit auftischt,
ist zunächst das Grab, in dem er ruht, und um das herum in
der ältesten Zeit wohl auch das oben erwähnte LeichenmaU
(mgldsmvov „das Mahl um deu Grabhügel^) stattfand. Als Steil-
Vertretung des Grabes ist die Grube (lat. mundus) zu betracbteo.
Auch auf Kreuzwegen, einer Lieblingsstätte für Beerdigungen in
ältester Zeit, wurde gern der Toten gedacht. Später ziehen sich
diese Erinnerungsfeiern mehr in die Wohnungen der Menschen
zurück oder werden am Grab u n d in den Wohnungen abgehalten.
4. Auch die wichtigsten Riten, unter denen sich die Spei*
sung und Tränkung der toten Vorfahren Tollzog, lassen sich
noch ermitteln^). Die Bewirtung derselben beginnt mit ihrer
feierlichen Herbeirufung (z. B. in Weissrussland :
„Ihr heilig'eii Grossvater, wir rufen Euch,
Ihr heiligen Grossväter, kommt zu uns!
Es gibt hier alles, was Gott gegeben haf usw.),
und schliesst mit ihrer ebenso feierlichen Entlassung (Weiss-
russland:
„Ihr heiligen Grossväter, Ihr seid hierher geflogen,
Ihr habt getrunken und gegessen.
Flieget jetzt wieder nai*h Hause!** usw.)
Für das Erinnerungsmahl selbst lassen sich die drei Sätze auf-
stellen: 1. Speise und Trank wird für die „Väter" während der
Mahlzeit von den Schmausenden auf den Tisch ausgeschüttet
2. Was bei der Mahlzeit unter den Tisch fällt, gehört den Toten,
die keine Verwandten oder Freunde haben. 3. Reste von Speise
und Trank werden nach der Mahlzeit in Gefässen zum Genuas
der „Väter" aufgestellt.
5. Einer besonderen Untersuchung bedarf noch die Fest-
1) Eine reiche Fülle über den ganzen Erdboden verbreiteter
Bräuche tlndet sich bei Sartori Die Speisung der Toten (Schul-
programm, Dortmund 1903). DaBS wir es bei dem Totendienst mit
einer allgemein menschlichen Einrichtung zu tun haben, wurde schon
oben p. 131 bemerkt. Für uns handelt es sich darum, ihre besondere
Grestaltung bei den Indogermanen zu ermitteln.
— 433 -
Eellnng: der Speisen und Getränke , mit deneu inaiidie Toten
lewirtete. Vorlänfig lässt sich sagen, dans BotiDen (vgl. oben
190} und Houig oder Met (vgl. ausser scrt. mädhu usw. oben
, 202 nouL: aert. sutd „Somaopfer, Somasaft" = ruse. sytd
LUonigwKSBer", häufig zur WUrzuDg der ToteDSpeUen gebraucht)
Bter ihnen eine wichtige ttoUe spielteu,
, Wie bei den Leichenmahlen (s. o.), ist auch bei den
Eriunerungsfeiern die Sliinmung der Teilnehmer zunächst eine
ist« und schweigsame (laf. gUicerniiim „Mahl der Schweigen-
len"?(. Man glaubt durchaus, dass die Seelen der Väter an-
CBend seien. Allmählich aber geht, teils unter dem Einfluse der
■Ktcblieb genossenen Alcoholica, teils, weil man glaubt, dass
nllzn langer Schmerz den Verstorbenen nicht angenehm sei, die
aofänglicbe Traurigkeit in ausgelassene Fröhlichkeit über, und
leicben- wie Erinnermigsmabl (beide lassen sieh nicht immer
tentlich scheiden) endigen mit Tanz, Maskerade und Musik, be-
mders aber mit Spielen und Wetlkämpfen').
7. Schliesslich sei auf die bei den slavischen Völkern
trrschende Sitte hingewiesen, bei den Totenfeiern ganxe Seharen
fOn Bettlern und Krlippebi festlich zu bewirten, eine Sitte, mit
ler die in Indien an den ^räddha's obligatorische Speisung der
vhmane.n offenbar in engem Zusatnoienhang steht.
So scheu wir schon in der Or/eit Lebende und Tote
durch einen fest geregelten Totendieust verbunden, dessen Aus-
übung hei der „näheren Verwandtschaft" des Verstorbenen ruht
_ Diese näheren Verwaudten sind im Griechischen die dj'/ioiei^, io
tom die propinqui sobrino tenus. in Indien die sapinda, d. h.
; KIoBsgeooseen, diejenigen Verwandten, welche die „Klösse"
be't. pinda ; auch in Weissrussland sagt man ria kUckachä „auf
löBsen", d. h. bei einem Leichenmahl, nu klecki jemu „nun
ihm", d. b. er wird bald sterben) den drei Vorfahren
Vater, Gross-, ürgrossrater) darzubringen verpfticbtet sind. Gab
schon in der Urzeit den Begriff einer solchen Nahverwandt-
1) Zu den von Winternilz Beil. 2. Allg. Z. 1903, Nr. 259 p. 301
mir tbei Hnstings) für die «j-m«,- ijimiipioi bei^ebracliteu Zeuff-
u möchte ich noch Herod. V, 8 hiuaichtlich der Thraker hinzu-
1[ X^l"* ^ X''^'"^ äy&ya n&fTm Taytoror, h iip lö iiryioia (JfSio tl&rxcn
i Uf^ liovrafiaxliji.
- 434 —
Schaft, so mnss sie den Charakter dieser indischen Sapinda-
genossenschaft gehabt haben.
Iq erster Linie sind es aber doch immer die Söhne, von
denen der Vater nach seinem Tode die Darbringnng der Toten-
opfer erwartet, wie sie auch die nächsten zur Ausübung der
Blutrache für den beleidigten oder getöteten Vater sind. Seine
Sicherheit im Leben und seine Ruhe im Tode liegt bei ihnen.
Daher erklärt sich der heisse Wunsch nach Söhnen, der uns in
der ganzen idg. Welt entgegentritt. Offenbar aber konnten solche
Söhne nicht mit jedem beliebigen Weibe gezeugt werden, es
bedurfte vielmehr dazu der Frau, die unter feierlichen Bräuchen
dem Manne ^ zugeführt^ worden ist. Darum muss, worauf bereits
oben p. 335 hingewiesen wurde, die Ehe schon in der Urzeit
als eine unausweichliche Notwendigkeit gegolten haben, der sieh
in der Regel niemand entziehen konnte und wollte.
Wie die Verwandten im Leben zusammen oder wenigstens
benachbart gewohnt haben, so werden sie auch familien- und
sippenweis begraben. Dem altn. cetthaugar „Geschlechtshügel^
für Friedhof entspricht im gleichen Sinn das russ. (Dial.)
roditeliskoje meato „Ort der Vorfahren". Über historische und
archäologische Zeugnisse für diesen Brauch vgl. mein Reallexikon
s. V. Friedhof und M. Much Mittl. d. anthrop. Ges. in Wien
XXXVI, 90 f.
Auf diesen, wie es scheint, besonders an Strassen und
Kreuzwegen (s. o.) angelegten Sippenfriedhöfen dachte man sich
in der Urzeit die Seelen der Vorfahren in der Tiefe der Erde
oder in der Nähe des Grabes hausen. Eigentliche, in weiter
Entfernung von dem Grabe unter oder über der Erde gelegene,
von mächtigen Herrschern regierte, mit Straförtern für die Bösen
und Lustgefilden für die Guten versehene Totenreiche, wie
die arische Totenwelt des Jama und der Jamt, der griechische
Hades {**A-J^idä („Ort der Unsichtbarkeit"), das getische Toten-
reich des Gottes Zäk/uo^ig oder reßeXü'Cig (Herod. IV, 94), das
gemeingermanische got. halja, ahd. hella „Ort der Verbergung",
vergl. lat. celare)^ das angelsächsische neorxna-wong (vergl.
A. Leitzmann, Beitr. z. Gesch. d. deutschen Spr. u. Lit. XXXU, 1
und F. Kluge, Z. f. deutsche Wortf. VIH, 144), das gemein-
slavische raj (lit. rojus) u. a., sind, abgesehen vielleicht von ge-
wissen vorgeschichtlichen Ansätzen (vgl. die wurzelverwandten
- 435 -
ViHona „tieus aniiuarnra", altn, ValhöU, griecli. 'Hivaiov,
ffTjivoiovAit.iciles „Geister der Verstorbenen'*, alta. valr, agls.
wl „der Tote des Scblacblfeldea"), einzetvolktiGhe nnd also
lerliftltnisnifisBig: späte Bjldung:en. Ancb hierüber bitte ich meine
ftagftlbrungen in Uastings Dictionnry o/' religion zu vergleichen.
i
■Pe
II. Die Verehrung der „Himmlischen".
1. Die „HimiLiliHchen" selbst.
Wie für die Religion üherhaupl, so ist auch für die des
idg. ürvolkes voa einem Zustand anbegrenzler Fähigkeit, das
Unbelebte zu beleben nnd zu vergöttlichen, aaaxugehen, den man
mit den Anthropologen als AnimismuH bezeichnen kann. Es
gibt daher von Anfang an so viele Götter, als es Gegenstilnde,
Handlungen nnd Zustände gibt, die ein Gefühl religiöser Sehen
dem Menschen auszulösen imstande eind.
DieBe unbegrenzte Fähigkeit, GOtter zu bilden, um mit
tm Usenerscben ' j Ausdruck zu reden, „Sondergötter" zu schaffen,
ittliche Wesen, die sich zunächst streng innerhalb der Sphäre
Begriffes hallen, der ihrem Namen zugrunde liegt, lässt sich
iter den idg. Völkern mit besonderer Deutlichkeit bei den
Litauer-Preussen und Römern verfolgen. Was hinsichtlich
der ersteren ein jesuitischer, im -Anfang des XVIl. Jahrhunderts
das polnische Livland bereisender Missionar berichtet; IH varios
deo» hahent, olium coeli, aiiam terrae, quibus alii Hubsunt,
ul dii pinvium, agrorum, frumentorum, kortorum,
\ecorum, equorum, raccarum, iic singtdarium necessi-
tarn proprion, was auch Helmold Chronica Slavorum ed.
'ertz 1. I p. 163 von den heidnischen Westslaven mitteilt: Inter
multiformia rero deorum numina, quibus ari-a, silras,
trietitias aique voluptates attribuunt, non diffitentur
in celis celeri« imperitantem, die Worte, mit denen Cen-
inoB die zahllosen Gottheiten der römischen Indigilamenta
irakteriaiert: Sed et alii sunt praeterea (d. b. ausser den
sn Kultgöttem) dei complures hominum ritam pro
quigqae portione adminieulantea, quoa cofentem
1) Vgl, H. UsBner Gfitteruainen. Versuch eintn- Lehre von der
HlgiÖHen Begriffsbildun^. Bonn 1896 (darin F. Solmsens Aus-
brnngen über die Keli^ion der Litanur nnd Preusseo),
- 436 —
cognoscere indigitamentorum UhH aatis edocebuntf alles das kt
nur der UDbeholfene Versach römischer oder römisch gebildeter,
an eine beschränkte Zahl grosser Götter des fortgeschritteneD
Heidentums gewöhnter Berichterstatter, die ihnen befremdliche
Erscheinung eines uneingeschränkten Animismus zam Ausdruck
zu bringen. Die Analogien zwischen den beiden genannten
Religionsgebieten ^) sind zu schlagend, um von irgend jemandem
geleugnet werden zu können.
Wie es in den baltischen Ländern auf dem Gebiet der
ftlr ihre Bewohner besonders wichtigen Viehzucht zunächst
einen Gott gibt, der im allgemeinen für das Vieh sorgt, dann
eine Göttin für die Vermehrung, einen Gott für das Füttern,
einen Gott für das Weiden der Herden, femer Götter für das
Rindvieh, die Pferde, die Schafe, die Schweine, das Federvieh,
die Bienen, für ihr Ausschwärmen und das Ausschneiden des
Honigs, für die Kälber, für die Ferkel, für die Lämmer, ja für
das Geschmeiss der Bienen, so sind auf dem Felde des für die
altrömische Kultur grundlegenden Ackerbaus in der Volks-
religion besondere Gottheiten unterschieden worden für die Aus-
saat {Säturniis : sero, auch Seia und Segetiä), für die Ernte
{Consus : condere, Opa), für das Wachstum (Ceres) j die Blüte
(Flora), die Frucht (Pömöna), den Misswachs (Röbigus), für
alle einzelnen Akte des Pflügens und Bestellens, Mähens und
Einscheuerns, für das Düngen (StercuUnius) usw. Wie in Hans
und Hof bei den Preussen und Litauern ein „Herr des Gehöftes",
ein Behüter des Hauses, ein Gott des Gesindes, eine Herrin des
Herdes, eine Gottheit der Brunnen, des Wechsels der Wohnung,
der Feuersbrunst vorhanden war, so in Rom ein Gott der Türen
(Jänm)y eine Göttin der Türangeln (Cardea) und der Schwellen
(Lima), eine Göttin des Herdes (Ventä) und der Feuersbrunst
(Stata mäter). Wie im Bereich des Familienlebens in Preuss^
und Litauen ein Schutzgeist im allgemeinen, femer eine Gottheit
des Beilagers für Mädchen und eine solche für Burschen, eine
Göttin der Entbindung, ein Heilgott, ein Gott des Todes ver-
1) Vgl. für die Preussen und Litauer UsenerC-Solrasen) Götter-
namen p. 79ff., für die Römer H. Peter Indigitamenta in Roschers
Lexikon d. g-riech u. röm. Myth.; dazu Wissowa Echte und falsche
^Sondergötter", Ges. Abh. zur römischen Religions- und Stadtgesch.,
München 1904, p. 304 ff.
437
' cbrt wurden, so in Koni, aasser dem fillgenieinea >ScliutzgeiBt
{Genhu), eine Göttin der Geburt {Mater AJatuta, t'armenta), eine
Göttin der Geburt und des SterbeiiB {Genita Mona), eine Göttin,
die Mann nnd Frau versöhnt ( Viriplrtcn), ein Gott des Beischlafs
{Mutunut Tutttiius), Gottheiten für alle Akte der Eheschliesanng
und des Beilagers, für das Fieber (Febris), ftlr die Bchädlichen
^jAnsdlloBtongen {Meßtis), für den Tod [Larenta, Cnrna, Vejovü),
Wftr das Begräbnis (Libitiva).
^p Indessen wtirde man irren, wenn man in diesen Analogien
mehr als blosse Analogien, also etwa gemeinBame, vorhistorische
Begriffsbildnngen erkennen wollte. Was darcb sie als vor-
historisch erwiesen werden soll, ist vielmehr lediglich die Fähig-
keit nnd der Trieb, jeden für den primitiven Menschen bedeulungs-
voUen Natur- oder Kulturbegriff zu einer Gottheit auszugestalten
fid die so geschaffenen Götter in ihrer nrsprflnglicheu Sphäre
ae Zeitlang festzuhalten.
Was von derartigen Bildnugen, wie sie im Bisherigen ge-
hildert worden sind, schon in der idg. Urzeit vorhanden war,
wird sich schwerlich jemals mit Sicherheit ermitteln lassen.
Zweifellos aber ist, dass sieh schon damals aus der nnüber-
^Hebbaren Menge ursprünglich vorauszusetzender Sundergötter eine
^M besonders hohem Grade das religiöse Empfinden der Menschen
^^pregende Klasse von Weeen losgelöst hatte, ftlr die in der
^BDrspracbe der schon oben genannte Gattungsname :
^^ Bcrt. d^td. lat. deus, üt. dUwaa, ir. diu, altn. tivar, N. Fl.,
■ „die Himmtischen" bestand. Schon in dem früher angeführten
HissioDsbericht, sahen wir, wurde bei den Litnnem an erster
Stelle der Gott des Himmels genannt, und ausdrtlcklich hervor-
^^^boben, dass die übrigen Sondergötter als unter diesem nnd einem
^^Bott der Erde stehend betrachtet würden (suft^Hnfi. Nicht weniger
^Bieten aber auch in den Qbrigen preussisch-Utaniscben Quellen
^^Ke grossen Himmclsgewalten in der Keligion dieser Völker vor
allen anderen Gottheiten bedeutungsvoll hervor. Vgl. Peter ton
Dnsbnrg, den Herausgeber der ersten prenssischen Chronik (1326):
ErraJtdo omnem creaturam pro deo colueruitt, sciHcet solem,
lunatn et Stellas, tonitrua (Scriptores rer. Pruss. I, 53), Ckron.
mrd. Teut. von Blunienaa : Prisco gentilitatis errore imhuti
mnem ornalum caeli atque terrae adorantes{Srript.\,bZ kmaA)
Erasmus Stella De Boruggiae Antiquitatibus bei Giynaeus
— 438 —
Novus OrbiSy Basel 1537, p.582: Solem et Lunam deos amnium
primos crediderunt, Tonitrua fulgetraaque ex consensu gentium
adoräbant usw.
GaDz in ÜbereioBtimroung hiermit wird von zwei anderen
indogermanischen Völkern, einem europäischen nnd einem asi-
atischen, bei denen wir die ursprtlngliehen Verhältnisse mit be-
sonderer Treue uns bewahrt denken dürfen, durch zwei in per-
sönliche Berührung mit diesen Völkern gekommene, einwandsfreie
Schriftsteller in ganz unzweideutiger Weise ausgesagt, dass die
Verehrung der Naturgewalten die Grundlage ihrer Religion bilde.
Es sind dies einmal die Germanen, von denen Caesar de
beU, Gall. VI, Kapitel 21 berichtet: Qermani multum ab hae
{Gallorum) consuetudine differunt, Nam neque druides habentf
qui rebus divinis praesinty neque sacrificiis student. Deorum
numero eoa solos ducunty quos cernunt et quorum
aperte opibus tuvantur, Solem et Vulcanum et Lunam,
reliquoH ne fama quidem acceperunt.
Es sind dies zweitens die Perser, über die der Bericht
des Herodot (I, Kap. 131) lautet: äyäk/Luna jaev xal vrjovg xai
ßcDjuovg ovx iv vofup noievfxevovg lÖQVEO'&ai, äXkä xal xdiai nouvat
jLUOQirjv im(p€QOvoiy dbg jukv ijuoi doxieiv, Sri ovx iv&QmnoqwioQ
ivofjuoav Tovg t^eovg xaxd tieq ol TEürjveg elvai, ol de vo/iiCovoi
All fikv btl xä vyjfjXoTaxa x(ov ovQiwv ävaßaivovxeg ^alag igömj
xov xdxXov ndvxa xov ovgavov Ala xaXiovxeg' ^ovoi Ök
^klcp xe xal aeXrivfi xal yfj xal tzvqI xal vdaxi xal ävifioig.
xovxoioi /xev 07] fwvvoioi '&vovai ägxtj'^evy ijufie/MX&i^xaoi di xal
xfj Ovgavifi &u€iv, nagd xe lAoovgUov fxa'&dvxeg xai ^Agaßkov,
Auch den Bericht desselben Herodot (FV, 59) über die zum
mindesten stark iranisierten Skythen (vgl. Kap. XVI) darf man
in diesem Zusammenhang anführen: ßeovg jukv jLMvvovg xovode
iXdoxovxaif Tiaiirjv jukv fxdhaxa, im dk Ala xe xal rfjv, vo/ulConeg
xrjv rfjv xov Aiog elvai yvvaixa.
Überblickt man diese Zeugnisse und vergegenwärtigt sich
weiter, wie für alle diese in ihnen genannten Himmelsgewalten
unanfechtbare idg. Bezeichnungen vorhanden sind, aus denen,
wie sich noch weiter zeigen wird, bei den Einzelvölkem die
Namen machtvoller Götterpersönlichkeiten hervorgingen, so ge-
hört ein erhebliches Mass von Zweifelsucht dazu, es bestreiten
2U wollen, dass die Verehrung der ^Himmlischen^ (*d€it)o-$)
leben dem Totenkult den eigentliclieu Kern der idg. Religionen
ijidete.
An der Spitze dieser Verehrung steht der Himmel selbst:
scrt. dyäüa (in je ältere Zeit wir zurückgehen, um 90 deut-
licher der siclitbare Himmel selbst) = griech. Zevi, lat. Diespiter,
Juppiter (letzteres aus Ja piter = Zfv .-rorf^), wohl auch (trotz
^^remer I. F. HI, 3ül) = altn. Tyr, ahd. Ziu, dem germuni-
^■ehen Kriegsgott. Gewßhnlich wird dies sich so ergebende idg.
^^gif/Stia auch dem lat. dien „der Tag" gleichgestellt, so daas der
^^Blinmel in der idg. Urzeit zunächst als der Träger des Tages-
^Bcbts gegolten hätte')-
^V Als besondere Gottheit steht in der Urteil neben dem
^^Himme) der das GemUt des primitiven Menschen wohl am mäch-
tigsten erscliütternde Donner, dessen idg. Bezeichnung in slav.
perunä „Donner" nnd „Doiiiiergott", Ut. perkünag ehsnao t\deus
tonitruum ac tempentatum"^) = scrt. parjäni/a „der Gewittergott"
mit der Grundbedeutung ^der schlagende" (nltsl. plrati, armen.
kark-anem, Aor. kari „Bchlagen") vorzuliegen scheint (vgl.
E. Liden Armen. Studien 1906 p. 88 ff.). Einzelsprachliche
Bildungen derselben Art sind das gemeingermanische ahd. Dunar,
^_*ltDdd. Thunar, altn. Thörr und dae gemein keltische TaraTws,
^■heide „Donner" und „Donnergott" (vgl. ahd. donar und ir.
^Ktranti „Donner"). Als Neubildung ist es zu betrachten, wenn
^^Owohl der griech. Zeus (eXaxf ovQavöy evgi>v h' aldsQt xai vf(pi-
Xijai) wie auch der lat. Juppiter zugleich als Himmels- nnd
Gewittergott auftreten.
^K Nicht geringere Verehrung mUssen auch die ewigen grossen
^Blichtgestalten des Himmels, die Sonne, die Morgenröte, der
^^kond genossen haben: die Sonne: scrt. gücar (sä'rya und svär
^B( aw. heare), griech. &ßiXto? (kret. Hes.), iilXio?, iiXio^, lat. gdl,
^^ 1) Eine neue wichtigt; Rolle sucht L. v. Schröder dem idg.
Hlmmelsgrott zuzaerteileo, indem er annimmt, daea derselbe zugleich
,das huchste gute Wesen" der. urzeitlichen Indogermanen gewesen sei
[vgL Verb, des II. interaatlouAlen Kongresses für allgemeine ReÜgiuns-
Bchiuhte in Basel, 1905, p. ä!)f.). Mau wird abzuwarteu haben, was
k T. Schrödt-r zur Begründung dieser Ansicht vorbringi'n wird, der wir
ich nnsern obigen (p.412) Bemerkungen über das »IteatB Verhältnis
r Götter zu der Sittlichkeit der Menschen natürlich sehr skeptisch
in Sb erstehen.
- 440 —
got. sauü (N. neben sunnd F.), meynir. heul, altpr. saulej lit.
säule; — die Morgenröte: sert. tishäs and i^rä', aw. uiahy
griech. ^<og, äol. avcog, lat. «wrora, lit. atf«2Ta; — der Mond:
sert. mä'Sy aw. mäh, griech. fu^m], got. mSnay Kt. mSnü. An
Vergöttlichungen dieser Liehtgestalten bei den EinzelTölkem sind
zn nennen: Bei den Litauern die sagenumwobene SauUUj die
mit dem Mond (M^ü) verheiratet ist, und Auszrä „die Morgra«
röte^ (vgl. bei Laricius De diis Samagitarum : Au9ca — liei
auszrä — dea est rcuiiorum solis)'^ bei den Germanen: Snmm
(im zweiten Merseburger Zauberspruch : Sinthgunt d. i. der Mond,
eigentlich „Weggenosse'' sc. der Sonne, Sunna era swUter), nf
deren Bedeutung auch der agls. sunnandfen = ahd. sminunäbend,
d. i. der Vorabend vor dem Tag der Sunna hinweist^ Ostara (agls.
Eostrae), eigentlieh die Göttin des Frübrots, dann weil, wie im
indischen Ritual (ygl. Hillebrandt Vedische Mythologie II, 26ff.)^
offenbar auch im germanischen die Morgenröten des Jahres^
anfangs eine wichtige Rolle spielten, die Göttin des Frühlings-
anfangs ; bei den Römern Sol und Luna, vgl. dazu sab. Äu$d
(laurora) t^SoI^, dessen Priester Auselii (Aurelii famüia) hiesseo;
bei den Griechen "HAio^, Mi^rtf, Zekrjinij ^Hcog; bei den Inders:
Süryäj die Sonnengöttin, die ihre Hochzeit mit dem Mond {Sdma)
feiert, Mäs und die vielbesungene UsTuzs.
Zu den Lichtgestalten des Himmels gehört auch das im
Blitz zur Erde hemiederfahrende Feuer: sert. a^i = lat i^w,
lit. ugnis, altsl. ogni. Dieser Reihe entstammen die litauische
Ugnis szwentä „die heilige ügnis" und in Indien die erhabene
Gestalt des schon vedischen AgnL Feuergötter sind auch, schon
ihrem Namen nach, der griech. 'Hiyjaeoro? {\&(pai „Anzflndung'')
und der lateinische Vulcanus (von *volkä = sert. ulkä „Feuer-
brand"). Besondere Verehrung geniesst das auf dem Herd des
Hauses lokalisierte Feuer: lat. Vesta = griech. lozltj, arkad.
J^ioxla. Die Grundzüge dieses Kultes finden wir, wie bei den
Skythen (Taßvtl „die Göttin des Herdfeuers" : sert tdpati, aw.
fop, npers. täbad, lat. tepesco „wärmen, warm werden"), so
bei den Litauern und Preussen wieder. Hieronymus von Prag
stiess hier auf ein Volk (geris), quae sacrum colebat ignem
eumque perpetuum appellabat. Sacerdotes templi materiam^ ne
deficerety ministrabant. Dieses heilige Feuer wird nach einer
bei Indern, Griechen, Römern, Germanen und Litauern nach-
441
■reiebareu ^enieinBameu Sitte iu der Weise gewonDeii, dass ein
ptab aiiK liartem Holz in eine Scbeibe aus n-eiebeni Holz liin-
ingebohrt und so lange herumgedreht wird, bis durch diese
TOD den primitiven Völkern überall dem Alit der Zcagiing ver-
glichenen Reibung Feuer lierausspringt (vgl. A. Kubn Die
Herabkunft des Feners p. 36, L'sener-Solmsen Götteruanien
. 87).
So bleiben die vom Hiitimel wehenden oder ihm entstam-
inden Winde und Wasser Übrig. Ein idg. Name für den
nteren Begriff liegt in der Gleichung Bert, vät/ti = \it. _u>^ju,
pijas „Wind" vor. Ilir entstammt der vedische Väyu, der
Tiechifiche AtoXfK i*J^>)-jo-Ä(n;) und der litauische ll'ejo-patis.
Bin orsprOnglieher Windgntt ist wohl auch der geruiaiiisehe
fl/'idan'O'dinn; doch ist e? zweifelhaft, ob sein Name mit dem
cat'n „Wind" verbunden werden darf. Hinsichtlich des
fftssers fehlt es zwar nicht an Zeugnissen, die ans allen Teilen
idg. (lebJetes von der Verehrung von Quellen nnd Flüssen
lericbten, auch lassen sich Götternaraen wie lat. Xeptünux
|f:aw. tiaptö „feaclit"), griech NijQei'-s S:vopcic „fliessend"), scrt.
ypsarä' {-.ap „Wasser") Kosamnienstellen, die wie die russischen
~ vodjan^e { : t-odä „Wasser") von dem feuchten Element her-
genommen sind; allein etymologisch durchgehende Reihen, wie
bei den tlbrigeu Himmelsgewalten, sind hier Docli nicht nach-
Haewiesen worden.
^B In dem Himmel mit den an ihm sich abspielenden oder
^bm ihm ausgehenden Naturerscheinungen, dem Donner, der Sonne,
^Bem Mond, der Morgenröte, dem Feuer, Wind nnd Wasser haben
^Bfir also die ältesten Götter der Jndogermauen, ihre eigentlichen
^^A* (=i^g- *deit>og) zu erblicken. Es waren auf ein bflheres
Piedestal der Verehrung gerückte Sondergötter, aber doch immer
BBr SondergOtler, die sich zunächst streng innerhalb der Sphäre
»ihrer begrifflichen Entstehung hielten. In dyäüs — Zevc —
^bitppUer, in agni — ignis — uijnis usw. verehrte man iu der
M^rzeit die geheimnisvolle Kraft, den Teil des Unendlichen,
die göttliche Anima, die dem Menseben in den Erscheinungen
des Himmels und des Feuers entgegentrat, aber noch keinen
persönlich gedachten Gott, wie den homerischen Zeus oder den
indiscben Agni, die auch ausserhalb ihrer begrifflichen Sphäre
machtvoll wirken. Es lassen eich in der idg. Ursprache noch
', äpraubvcrsUlohunB und Orsex'tatobte 11. 3. Aufl. 39
— 442 -
keine Götternamen nachweisen, weil es in der Urzeit noch keine
persönlichen Götter und dämm noch keine Eigennamen der Götter
gab. Es gilt von den Indogermanen dasselbe, was Herodot 11,
52 von den Pelasgern berichtet, dass sie nämlich zwar zu Göttern
beteten {ßediai bievxoftevoi)^ dass sie ihnen aber noch keine Bei-
wörter und keine Namen gegeben hatten (inoyvvjLurjv de ovV
ovvojbui ijioiovvTO ovöevl avTÖJv),
Freilich muss man^ um dies zu verstehen, zwei leicht mit-
einander zu vermengende Begriffe scharf voneinander halten, den
Begriff des persönlichen und den des personifizierten
(jottes. So fremd dem ürvolk der erstere war, so geläufig, ja
so notwendig musste ihm der zweite sein. Der Mensch kann
das Übersinnliche nur in der Sinnlichkeit des Bildes verstehen.
Wenn man einen Weissrussischen Bauer nach dem Wesen seines
Perun fragt, dessen appellativische Grundbedeutung „Donner"
ihm noch ganz durchsichtig ist, so sagt er noch heute: „Das ist
ein grosser, breitschultriger Dickkopf mit schwarzem Haar,
schwarzen Augen, goldenem Bart. In der rechten Hand hat er
einen Bogen, in der linken einen Köcher mit Pfeilen. Er fährt
am Himmel in einem Wagen und entsendet feurige Pfeile" (vgl.
Dahl Erklärendes Wb. der lebenden grossrass. Sprache III',
104). Tief eingewurzelt ist ferner im russischen Volk die Vor-
stellung, dass die Sonne als ein goldhörniger, silberhufiger Hirsch
(oUnl) über den Himmel laufe, jede Kreatur, die sie anschant,
zur Freude und zum Leben erweckend (vgl. Melnikow In den
Wäldern IV, 128 ff.). So eingewurzelt ist diese primitive Per^
sonifikationswut in der slavischen Welt, dass ganz leblose Kultn^
begriffe wie das lat.-griech. calendae „der Neujahrstag" sich in
lebende Wesen verwandelt haben^ und in der Umgegend von Moskao
noch heute am heiligen Abend ein junges Mädchen, Jcoljada ge-
nannt, im weissen Hemd unter feierlichen Liedern nmbergefahren
wird. Ebenso ist es bereits in der idg. Urzeit gewesen, und alle
die oben angeführten „Himmlischen*^ sind teils im Bilde von
Menschen, teils — denn in je frühere Zeit wir zurückgehen, um
so mehr verwischt sich der Unterschied von Mensch und Tier —
in dem von Tieren verehrt worden (vgl. hierüber näheres in
Hastings Dictionary of Religion),
Und vielleicht lassen sich noch andere Ansätze, aus denen
sich später kunstvolle und farbenprangende Systeme der Götte^
(weit eulwickelten, fllr die Urzeit annelimeD, obwolil hier der
Pbftnlaeie schon ein grfSgserer äpielranni als in den bitilieri^en
Erörtemugen eing'cräUDit werden uiuse.
Die üntereelieidang des grammatiBchen Oesehleelitea war
ichon in der Urzeit vorhanden. Es gab infolgedeaseu schon da-
IdlRts, da die hegiunende Persnnifil^ation sich natargemäas an das
iGenits des Appellati vams anschloss, raännlicbe, und es gab weil»-
l'liche Natnrgrott heilen. Dyäu» und Agni subienen dem Indo-
fgeniianen männliche Wesen, TsAa« (die Tochter des di/ätis schon
im Veda) war ihm ein Weih. Sonne und Mond wurden in ge-
schlechtliche Gegensätze gebracht, s» da»s die Rolle de» Mannes
I bald dem einen, bald dem anderen Gestira zufiel'^.
Damit ist aber die Vergleichuug der Vorgänge in der Natur
f'ttit den irdischen der menseblichen Phantasie wesentlich näher
•erüekt. und nach dem Vorbild der irdischen Familie, wo der
HEinriuBS des einzelnen dem Willen des Herrn und Vaters gegen-
über verschwindet, regt sieb allmählich leise das BcBtreben, auch
Macht der Naturgewalten gegeneinander abzustufen. Das
liegt in der Natur selbst begründet. Die Farbenpracht des jungen
Frttbrots töten die Strahlen der höher steigenden Sonne, die
kmoe sellist verbirgt sich hinter dunklem Gewölk, schnell rauscht
ld>e Macht des Gewittersturmes vorUber, ewig unverändert schaat
Fmr der Himmel Tag und Nacht auf die Erde herab, und wie
alle Naturerscheinungen, die das Auge des Indogermauen be-
obachtet, von ihm ihren Ausgang nehmen, so liegt die Auffassung
nahe, dass er der Erzeuger und Vater sei;
acrt. dyäüti pitd', griech. Zet's mixi/Q (AeviiiTVQos ' &e6g
TiaQÜ Tvfiqiaiot; in Epims, Ues.), lat. Ju-piter.
) ,ln Avr Verachiedeiilieit des Gesuhlccbtes, das Germanen und
lomAnen den HiiomelBkürpern beigelegt, eprii^bt sich die Verschieden-
ihrer Naturaurrassung am deutlichsten aus. Unseren Vorfahren
l^lu- die Sonne eine milde, giilige Frnu, der stille Mond führte ihnen
I hÜD gründen Frost uiibewölkter WinteniHchte ins Gedttclitnis. Am
Sttelmfter wird der Mond weiblich gedacht, die sanfte Mondgöttin
IftDd aller Jireatur in ihren schwersten Nücen bei, Der unendliche
Zauber jener [Agesheileu MondnKchte de» Südens lilnst die mvtholo-
gieche VorstetJuDg noch beute verstehen und nachonii>rinden. Helios
d^egen Ist der harte, gestrenge Herr, der mit Keinen I'feileu Tod
lad Verderben sendet. Ihnen erliegen die Kinder der FInr, ihnen er-
Igen die Mennchen.' Nissen Über aliitniisches Klima, Verband!, d.
. V«r«. deutscher Philologen 1880, p HO.
— 444 —
In der Tat ist die VerbiDdung^ in der hier das Wort
„Vater^ mit dem Wort ^Himmel^ erseheint, eine so gleichmässige
nnd enge, dass die Annahme unwahrscbeinlieh erseheint, dieselbe
sei erst von den Einzelvölkem hergestellt worden.
Dem ^ Vater HimmeP gegenüber aber kann
scrt. devä, lat. deus, ir. dia, lit. diiwaSy altn. ticar
( : div „strahlen^ ebenso wie dyäüs gehörig)
seine Kinder, die Himmelserzeugten, Himmlischen bezeichnet haben.
Als Gattin dieses „Vater Himmel^ hat gewiss schon in der
Urzeit, wie es von den Skythen (oben p. 438) ansdrficklich be-
richtet wird, die „Mutter Erde" gegolten. Schon im Rigveda
erscheint neben dem „Vater" Dyäus eine Mutter JFfthivi. Dieses
pfthivt entspricht genau dem agls. folde „Erde", nnd von diesem
folde heisst es in einem agls. Flursegen, vielleicht dem ältesten
Stfick agls. Poesie, das wir besitzen:
„Hai wes thu, folde, fira moder^
beo thu growende an godes fcethme,
fodre gefylled firum to fiytte.*^
.,Heil sei Dir, Erde, Menschenmutter,
Werde Du fruchtbar in Gottes Umarmung.
Fülle mit Frucht Dich, den Menschen zu Nutze.*
(Wülcker.)
So geht auch bei den Thrakern aus der Ehe des Himmels-
gottes mit der Erdgöttin He/iiXrj (vgl. die litauische Z'emyna von
lit. äSme, altsl. zemlja „Erde" = Zefxikrj) der herrliche idaJwofo?,
der „Himmelssohn^ hervor, und nach dem russischen Volks-
glauben naht sich der Gromä gremuiij „der rollende Donner*
oder der leuchtende Jarü, JarilOy der Frttblingsgott, der Mati-
syra-zemija, der „feuchten Mutter Erde" zur ehelichen Be-
gattung*).
Dieses im Bisherigen geschilderte Bedürfnis, die Himmels- und
Naturgewalten zu personifizieren oder zu animalisieren, ist aber
im Grund nur der Ausfluss eines dem Menschen immanenten Ver-
langens nach Welterkenntnis und Weltverständnis, auf das noch
zwei weitere, schon der idg. Urzeit angehörende Erscheinungen
zurückgehen, die wir als Welträtsel und Weltmythus be-
1) Natürlich soll der Glaube an eine Erdmutter im obigen nicht ftl»
etwas speziHsch indogermanisches hingestellt werden. Vgl. A. Dietrich
Mutter Erde. Ein Versuch über Volksreligion. Leipzig u. Berlin 1906.
- 445 —
iichuen kJiiiiien. Auch für ibre näbere Cbarakteriöieruiig uiuss
Iwr an dieser Stelle auf meine BehaDdluug dieser Begriffe in
Castings Dictionary of Religion verwitsea werdeu.
2. Der Kalt der Himmlischen.
Älter als Opfer und Gebet, mit denen man sieb au die
lütter wendet, ist auch bei den idg, Völkern die zauberiscbe
landlung nnd das zauberische Wort, mit denen man die in
ien Erscbeinangen waltenden Geister sich dienstbar macbt,
Eanber und Opfer sind Krllclitej demselben Baume entsprossen,
i auch in der Sprache zum Ausdruck kömmt, wenn z. B.
ou der Wurzel kar (acrt. kfnö'ti „er macbt") einerseits scrt.
•ärmaji „das Opfer", andererseits aber auch sert, krtyä' „Bc-
exung, Zauber, Hexe", lit. keras „Zauber", altsl. 6arü id. ab-
eleitet werden. In Indien glaubt mau den Regen dadurch ber-
eizanbern zu können, dass man den 8oma, den „gekelterten"
Bert, au) durt'h die Seihe giesst. Nur ein Nachklang dieser
Vorstellung scheint es zu sein, wenn man in Griecbonland fUr
,68 regnet" sagt: Ztvq i'f.i, eigentl. „Zeus keltert" (ti«:scrt. su)
nd den Regen durch Darbringung; von Honig herbeilockt (vgl.
kindisch Festgruss au Roth p. 140, Oldenberg Religion des
Ted» p. 459, 0. Gruppe Grieeh. Mythologie I, 819). Kein Be-
leutnngsUbergang ist ferner in den idg. Sprachen häufiger als
1er von „sprechen" oder „singen", d. h. feierlich und rhythmisch
Iprechen zu „zaubern" : grieeh. ^jicpdo^ „Zauberer", impöt} „Zauber-
[ne!":^äi5aj „ich singe dazu"; ahd. galstar „Zaubergesaug",
«tläri „Zauberer" : galan „singen"; altsl. bajati „fabolari, in-
antare, mederi", balija „Zauberer", serb. bajati „zaubern", alt-
IM- bajanü „ineantalor" (Bojanü schon im Slovo o polky
for«»^) : grieeh. fprjfU, lat. fdri „sagen"; \\t. iaweti „zaubern":
Tt. kävaW^) „er ruft" usw. Mit solchen Zaubersprüchen, die
ter nur dann wirksam sind, wenn sie bis auf die letzte Silbe
1 wiedergegeben werden-), heilt man bis tief in die histori-
I) Anders Leskieu l.F.XIII, 117, der lit. iaiveti „Kauberii" eu
züii „verderben' intr. stellt, was auch nioglicli Ut, Namentlich hätte
ich L. auf ru*s. pärtilt, pöria „behexen, Behexung", eigentl. „ver-
erben, Verderbuag" berufen können.
S] So ist es noch heute in Russland: .Das russische Volk, das
Sachen desOlaubene feei am Buchstaben und der Gewohnheit hänj^t.
— 446 -
sehen Zeiten Krankheiten und Wanden (s. a.)» befreit die
Schwangere von ihrer Leibesfrucht, lockt Geister and Gütter
heran, verflacht sich selbst für den Fall eines Meineids (oben
p. 409), dringt in das Dnnkel der Zakanft ein usw.
Trotzdem kann nicht bezweifelt werden, dass sich ang
diesem Wust des Aberglaubens schon in der idg. Urzeit eigent-
liche Kaltformen herausgehoben haben. Hierauf weisen ersten»
eine nicht geringe Zahl sakraler Gleichungen, die sichtlich Aber
die Sphäre der Zauberei hinausführen: griech. 5yoc „Verehrung,
Opfer" = scrt, yajä» „Verehrung" : scrt. ya;, aw. yaz „opfern**,
„durch Opferung verehren" (griech. äCojLuxi „verehre mit reli-
giöser Scheu"); aw. spenta „heilig" = lit. szwefltasy altsl. sv^tü
id., wahrscheinlich auch got. hunsly altn., agls. hwl „Opfer''
(anders, aber kaum richtig G. Makler Festgabe für Fick. Göt-
tingen 1903); griech. iegog „heilig" = sab. aisos „Gebet, Bitt-
opfer", umbr. esunu, volsk. esaristrom „Opfer"; lat. vicHma
„Opfertier" = got. veihs „heilig", veiha „Priester", veihan „hei-
ligen"; ahd. zebar, agls. tifer, altn. tafn „Opfertier" = lat. dape*
„Opferschmaus"; griech. ^vxofxm = lat. voceo „bete, gelobe";
griech. Xvtrj^ kioao^ai = lat. litare „opfern"; got. blötan „opfern"
= lit. mäldä „Gebet" u. a. Dazu kommt, dass wir bei allen
idg. VölkeiD, auch den zurückgebliebensten, schon in ihren
ältesten Überlieferungen eigentliche, wenn auch noch äusserst
primitive Opferriten antreffen. Überblicken wir diese Zeugnisse,
wie ich sie in Hastings Dictionary zusammengestellt habe, so
lassen sich folgende charakteristische Züge des ältesten Opfer-
brauehs erkennen. Es wird zunächst kein Opf erfeuer angebrannt,
wie es Herodot I, 132 ausdrücklich von den Persern {ovre two
ävaxaiovoi luiiovreg iWeiv) und IV, 60 ausdrücklich von den
Skythen {ovre nvg ävaxavoag) berichtet. Nachdem das Opfertier
getötet, bei den Skythen und Russen (nach Ibn Fadhlan) erwürgt,
bei den Litauern (vgl. Lasicius Kap. 49) mit Knütteln erschlagen
worden ist, wird das Fleisch, meist in gekochtem Zustand, zum
Genuss für die Götter, wie bei den Persem, auf einer Opferstreu
bewahrt die feste Überzeugung, dass das kirchliche Gebet ebenso wie
der Zauberspruch nur dann wirken kann, wenn in ihnen auch nicht
ein einziges Wort ausgelassen oder verändert worden ist** (Melnikow
In den Wäldern III, 260). Vgl. damit, was Wissowa p. 32 fast mit
denselben Ausdrücken über die römischen carmina berichtet.
Ausgebreitet oder, ivie bei deo Litauern, in alle Winkel des
lausee mit den Worlen zerstreut: Aectpe, o Zemiennik (das ist
[er Gott, deui dns von Lasicias beschriebene ErnleopTer dar-
Igcbraclit wird) grata animo sacrificium atque laetiis corneae.
h kommt es vor, dass die Opferleiber, wie bei den Gennaiien
TacilUB Ann. I, f)l) oder bei den Russen (oacb Um FadUlan) an
tttomen aufgeliängt werden. Die Hauptsache igt immer, dass
die Opfer nicht, wie bei ludern. Griechen (tfriu „ich opfere",
fegentl. „ich lasse in Rauch auCgeheu", vgl. lat. fümua) und
Ritmern uicbl durch den Rauch eines Opferfeuers gen Himmel
geschickt werden, sondern dat^s die Gütter «selbst zum Mahle
herabsteigen mUsscn, wozu es einer besonderen Einladung oder
Peschwfirung bedarf (vgl. Herodot I. 1.^2),
Der Sinn dieser Darbietungen kann kein anderer sein, als
ie Götter nach dem Grandsat/, do ut des durch dieselben Speisen,
ie anch der Mensch geniesst, ftlr die Dienste, die man von
hnen erwartet, Mi stärken und fähig zu machen. Daher kommt
, ilass, wie den Hauptteil der menschlichen Nahrung das Fleisch
r Merdentiere ausmacht (vgl. oben p. 216 und Kap. VIII},
tiod, Schaf, Ziege') mid Schwein {letzteres nicht bei den Ariern)
ach die wiciltigsten öpfertiere sind. Dabei wird öfters nach
iner gewissen Analogie zwischen Gott und Opfertier in Ge-
sblecht, Farbe usw. gestrelit (vgl. Oldenberg-) a- a. U. p. 357,
fiasowa a. a. O. p. ."!48), die auf gewisse Nebenzwecke des
)pfers hinzudeuten scheint; doch ist mir Ahnliches bei den Nord-
idogermsnen bis jetzt nicht begegnet. Nur in das Opfer des
'ferdes, das auch in dem Haashalt der Menschen eine besondere
{ellnng einuabm (vgl. oben p. 156 ff.), scheinen sich sehr frflhzeitig
oeh andere Opfergedanken eingeschlichen zu haben (vgl.
, Negeli-iii Das Pferd im ariscben Altertum, Königsberg
e03). Wildpret (oben p. 138, 244j, Geflllgel (p. 165 ff.) uml
ische (vgl. I', 163, oben p. 248, 302), wie sie als menschliche
1) Ein Zie^ennpfer (v^l. oben p, 156) wird auch von LasEciu^
' iHix ISamngilartim Kap. 54 bei Ava Litnut-rn und Prpusseii be-
irieben. Die hier gegeben« Si;bilderung' bildei offenbar A\<- Grund.
>e zu dem h. a. O, angeführten Koljada-Lied.
2) Vgl. dazu autb A. Hitlebrandt Tiere und Götter im vedi-
teu Ritual, 83. Jahresbericht der ni^hleKi>ichen (leKellHchHrt für vaicr-
iiliwhe Kultur. Breslau 1905.
— 448 —
Speisen nicht beliebt waren, sind auch dem ältesten Opfer-
gebrauch fremd. Ebenso das Salz (oben p. 220, 246), dessen man
bei vorwiegender Fleischnahrung nicht bedarf. Der Rauschtrank
fttr Menschen (oben p. 252) und Götter ist der Met.
Nur das Menschenopfer, das mit finsterem Blick aas
der Urgeschichte aller idg. Völker herausschaut, reiht sich bis
jetzt schwer in den im übrigen klar hervortretenden allgemeinen
Opfergedanken ein (vgl. darttber mein Reallexikon s. v. Opfer
und in Hastings Dictionary s. v. Aryan Religion).
Wenn, wie wir oben gesehen haben, auch bei den idg.
Völkern, dem Opfer und Gebet die Zauberhandinng und der
Zauberspruch vorausgegangen sind, so folgt daraus von selbst^
dass auch der Vorläufer des Priesters der Zauberer gewesen
sein muss. Auch diese Entwicklung liegt in der Sprache deut-
lich vor uns. Zunächst in dem scrt. brahmdn Masc. „der Priester"
und brdhman Neutr. „die Andacht^. Man hat neuerdings er-
kannt (vgl. M. Haug Über die ursprüngliche Bedeutung des
Wortes hrahma, Sitzungsb. d. kgl. bayr. Ak. d. W. zu München
1868, II. 80 ff., R. Pischel Götting, gel. Anzeigen 1894, p. 420,
H. Osthoff B. B. XXIV, 113 ff.), dass für diese Wortsippe von
der Grundbedeutung „Zauberspruch'* auszugehen ist, woraus sich
für brahmdn Masc. der ursprüngliche Sinn „Kenner von Zauber-
sprüchen'* ergibt. Derselbe würde als schon indogermanisch an-
zusetzen sein, wenn, was ich noch immer für das wahrschein-
lichste halte, diesem scrt. brahmdn das lat. flämen (vgl. die
Literatur über dieses Wort bei Walde Lat. et. Wb.) entspricht.
Auf jeden Fall ist auch für das lateinische Wort seiner Bildung
nach (vgl. agmen, Carmen etc.) von einem neutralen Begriff aus-
zugehen, nach Wissowa (p. 413) „Funktion des Opfervoll-
ziehers'S die eben auf der Stufe der Urzeit zunächst in dem
Rezitieren des den Gott herbeirufenden Zauberspruches bestand.
Ähnliche Erscheinungen treten auch in den zahlreichen Ab-
leitungen von der idg. W. vid, mid „wissen, kennen" uns
entgegen. Einerseits gehören hierher aus dem Altrussischen
vedunü „Zauberer", also „der Wissende" xar i^oxqv, v^dl „Zau-
berei", vedima „Hexe", vedlstvo „Zauberei", andererseits die
Bezeichnung des altgallischeu Priesterstands druida^ ir. drtf»,
d. i. ^dru'vids „der sehr wissende" (vgl. Thurneysen in Hol-
de rs Altkeltischem Sprachschatz). Hierher sind etymologisch
44fl
IcL diL' in den preusgisch-litauiscbeu Quellen häufig <:eiianuteu
lewut {*ieaidtcut = gneeh. eldtijg, •/fifJ/tü; „der wisBende"?),
\delotte, waideler, iraidler (vgl. altpr. leaist nwisaen", wai-
\ai „wir wissen", Katdleimai „wir waidlen", d. b. wir ver-
riciiten beidnische grotteedienstlicbe Gehräucbe) zu stellen, die
man ebensowohl als Zauberer wie als Priester bezeicbnen kann.
Sie sind Diener eines kritce genannten OberpriesterB, und es
acbeint, dass alle einzelnen Gottheiten ihre besonderen Weidler
gehabt haben. Su hieeaen die Weidler des Wa8sergottea»ar*uMeH
(Vgl. griech. A'i/gfiV oben p. 441}, die der geheiligten Tiere
»treronei (allpr, gwlrins, lit. äwieris „wildes Tier"), die der hei-
ligen Wälder medziorei (altpr. median „Wald") usw. (vgl. Mattb.
Praetorias Deliciae Pmsiicae oder Preuasische Schaubühne
p. 16 ff.). Von hesimdereni Interesse aber ist es, dass die zan-
Irisclieu Eigenschaften und Gaben dieser Weidler innerhalb
peB Gesehlechtes weiter erbten; denn gerade dieser Zuj;,
b. das Gebnndcnsein des Priestertums an bestimmte Gi'schlecbter,
1 es. der bei /.ablreichen idg. Völkern wiederkehrt.
Hierfllr ist in Indien auf die heiligen Clane der Vojivihtd' s,
t Vi^cämitrii'n, der Bharadväja's, m Griechenland .luf die
sakralen Geschlechter der Ev/ioijiidai, 'ErEoßovräöai, 'Ilovxidat,
KtvtiQtidtu usw., bej den Germanen auf die prienterlicben Familien
der norwegischen Goden, in Italien auf die Fratres Arvales,
»b. auf die Sippe der Arvaten mit ihrem Krhgesang: Enon
»es iuvate, Eno» Marmor iacato und anderes zu verweisen.
Insoweit möchte ich also glauben, dass man von dem Vor-
handensein eines Priesterstandes schon in der idg, Urzeit sprechen
darf, als bereits damals gewisse heilige Familien vorhanden
{Haren, d.h. solche, die sich im erblichen Besitz besondei's wirk-
Der Zanberformeln, -lieder, vielleicht auch Tänze (vgl. z. 13.
i lateinischen Salier) befanden, um die Götter herbeizulocken,
wisfi konnten die oben geschilderten Opfer von den Haus-
lern, für den Stamm von dem „König" (vgl. oben p. 390) dar-
feracht werden, aber gern wird man sich dabei, wie es Herodot
a den Persern berichtet, der Beihilfe eines oder mehrerer
pissenden" bedient haben.
Einen Teil jener priesterlichen Tätigkeit wird alsdann
lerlich aneh die Behandlung und Ueilnng der Krankheiten
Ist. medeor, medictis = aw. vt-mad -Arzt",
- 460 —
^heilen^) gebildet haben, die man überall als die Eingebungen
böser Geister auffasst. Arzt, Zauberer und Priester dürften in
jenen ältesten Kulturepochen identisch gewesen sein. Im Awesta
wird neben urvarö-iaesaza ^Heilung durch Pflanzen" und Tcarei^-
baesaza „Heilung durchs Messer" ausdrücklich ein mq^rö-baiiaza
„Heilung durch Zaubersprüche" unterschieden, und noch bei
Homer (Od. XIX, 457) wird das aus der Wunde des Odyssens
strömende Blut durch Beschwörung gestillt {ijiaoidfj ö' dfia
xekaivov eoxe&ov). Die gleiche Wundenbehandlung kennt sogar
noch Pindar Pyth. lil, 51.
Diesen kulturhistorischen Tatsachen folgt der Bedeutungs-
wandel des schon oben erwähnten altsl. zu (pr]/My färi gehörigen
bajatiy bajq ^.fäbulari, incantare, mederV^, bulg. baja „Zauber-
sprüche hersagen, dadurch hellen", altsl. balija „Zauberer^
baiist vo „Heilmittel", russ. bächarl „Arzt" (vgl. Miklosicb
Et. W. p. 5) treulich nach. Auch im slav. vraci (a. a. 0. p. 395)
f Hessen die Bedeutungen „Arzt" und Zauberer" ineinander.
Von der Art solch heilender Zaubersprüche können wir uns
noch aus Überresten des germanischen und indischen Altertums
eine Vorstellung machen (vgl. P, 32).
Auch die frühzeitige Kenntnis heilender, namentlich Gift-
pflanzen entstammender Kräuter wird die Wirksamkeit jener
geheimnisvollen Zaubersprüche unterstützt haben. Vgl. aw. vis-
ci&ra „ein von einer Giftpflanze stammendes Heilmittel", griech.
(fdg/Liaxov (nach OsthoflF a. a. 0. p. 149 zu lit. buriüy bürti „Zan-
berei treiben"), got. lubja-leisei „Giftkunde, Zauberei", altu. lyf
„Arzneimittel, Heilmittel". ,Auch das griech. ido/xai (:l6g = scrt.
vishä) bedeutete vielleicht ursprünglich mit „Heiltränken ver-
sehen", „dadurch heilen'*.
Besondere Namen für den Arzt treten natürlich erst spät
auf; doch scheint die arische Urzeit über einen solchen verfügt
zu haben: scrt. bhinhäj, bhishajä, aw. baeäazyuy npers. bizük
armen. bzUk). Auf einer alten Entlehnung von West nach Ost
beruht die Reihe:
ir. liaig „Arzt", got. lekeis, altsl. leJcü „Arznei".
Auch hier tritt aber der Begriff des Zauberers und Be-
Sprechers noch in mhd. Idchencerey lächenen hervor^).
1 ) Was die Krankheitsnamen betrifft, so ist es vielleicht nicht
zufällig, dass sich gerade für Krätze und Ausschlag mehrere übereiD*
Schon in dem Voi'lier(;:e!iendeii halH-u wir wiederlioll bereits
■ die idg. Urzeit zwiscben vei'Buhiedenen Stufen des GHtter
j^Bubens und des G<)tterdienBte6 nnlerseliieden, eine AuffasBUDg,
'die dem niclit wunderbar erscbeinfn kann, der bedenkt, das»
derartige Obereitianderliegeude Scbiebten des religiösen Lebens
bei allen gescbicbtliclien Völkern bis anf die Kultur dee heutigen
Images auf dns deutliehete hervortreten. Doch wird es gut seiu,
ms diesen Gesichtspunkt besonders zu vergegenwärtigen, wenn
mehr kurz llber die Stätten der ältesten Gottes-
rerehruug berichten.
Es ist eine in primitiven Religionen über den gaiixeii Erd-
kreis verbreitete Erscheinung, dass man si<:h in allerhand über
den Erdboden eraporrageuden Gegenständen, vor allein aber in
Steinen, Klötzen und Bäumen eine göttliche Anima vorstellt
und dieser eine fetiscliartige V'erehning entgegenbringt (vgl.
E. B. Tylor Die Anfänge der Kultur II, 161 ff-, 216 ff.). Auch
t>ei den indogeriDaniscben Völkern lässt sieh diese tiefste Stufe
1 des religiösen Lebens noch in historischer Zeil naehweisen, wofür
ich die Zeugnisse in HaLStings Dictiotiart/ znsammengcBtcllt habe.
Überblicken wir dieselben, so wäre nichts irriger, als die
ihnen sich aussprechenden religiösen Gedanken gescbieht-
lich auf eine Stui'e zu stellen. Kann doch nii'bt zweifelhaft
äein, dass in zahlreichen, ja vielleicht in der Mehrzahl der Fälle
^Hu betreffende Kultobjekt nichts als das äussere Symbol ist,
^^pter dem eine auch ausserhalb desselben existierende und
^Hhr gelegentlieh in ihm anwesende Gottheit verehrt wurde.
^Bmdrerseits lässt sich aber auch nicht in Abrede stellen, dass in
KM!''>n>B°<l^ ^uennuDgren in den idg. Spractien finde» (vgl. ai;rt. dadi-ü
lil. äedericiTti, ahd. zitaroh Fick P, 106; sc«, piiinän. iwt. paman;
lil. gausy», ahd. siurra Fick IP, iBb); denn diese Krankheit rnusste
bei dem Schmutz nnd der Unreinllchkelt, von denen wir uns dax Leben
in dar Urzeit begleitet denken müssen, besonders häufig sein. Ausser-
dem gibt es Gleichungen für Geschwüre («crt. ärgaa, grieth, cImik. lat.
uiciMl, für Eiter (scrl. pO'ya, griech, jivi), lat.7>as, armen. Au, \it.püUi).
für den Hasten (scrl, kds, lil. köxiu, allelkaiäl, ahd. huostQ, ir. crmidi,
für das Erbrechen (scrl. ram, griech. e/Aiai, lat. vomo. lit. wimti, altn.
loma] u. a. — Eine erneute (vgl. I", 24) Sammlung und Vergleichung
der idg. Krankheitsnamen würde nicht nur für die Geschichte der
1, Bondern auch für die allgemeine KultnrgeBchichle von Wichtig-
H^t Min. Vgl. einstweilen mein ftealloxikon n. Arzt und Krankheit.
_ des
— 452 —
ihnen noch deutlich die Spuren einer Zeit hindarchbliekcD, in
der man wirklich, wie bei den rohsten Naturvölkern den Stein,
Pfahl oder Baum selbst als Gott anbetete, indem man sie direkt
als Inkorporationen einer göttlichen Anima betrachtete. Wenn
Rostowski (vgl. Brückner Archiv f. slav. Phil. IX, 33, 35)
von den Litauern berichtet: Akmo (^der Stein") saamm gran-
diu8 . . . saxa pro diu culta: quae Uli lingua pairia „oi-
meschenes niete^^ [lett. yjatmeschanas meta^^ „adiciendi locus"]....
in quae ciborum analecta pro libamine coniectäbant: quibus
caesorum animantium cruorem aspergebant quaeque contingere
ipsis fas esset victimariisy wenn Theophrast (Charakt. Kap. 17)
von Leuten erzählt, die, wenn sie an geölten Steinen an Scheide-
wegen vorübergehen, es nicht versäumen, aus ihren Ölfläschchen
<)l auf dieselben zu giessen, auf die Knie zu fallen und feier-
liche Begrttssungen darzubringen, wenn man im ältesten Italien
ein vom Bast entkleidetes Holf^, das delübrum (oben p. 183), als
Gott verehrt, wenn man in Litauen (vgl. Brückner a. a. 0.,
Üsener-Solmsen Götternamen p. 87) die heiligen Bäume wie
lebende Wesen schmückt, beschenkt, verehrt usw., so hält es
schwer, derartige Vorgänge anders zu beurteilen, wie wenn man
^auf den Gesellschaftsinseln rohe Holzstücke oder Bruchstücke
von Basaltsäulen anbetete, die in einheimischer Art gekleidet
und mit Öl bestrichen waren, und ihnen Opfer darbrachte, da
man sie kraft der ^Atna" oder der Gottheit, die sie erfüllt hatte,
als mit göttlicher Gewalt begabt ansah" (Tylor II, 163).
Ich möchte mir daher den Entwicklungsgang dieser Ideen
(ähnlich wie Frazer in seinem Buch The golden bough) etwa
in der folgenden Weise vorstellen: Es gab auch bei den idg.
Völkern eine ferne Zeit, in der Stein, Pfahl und Baum als wirk-
liche Fetische verehrt wurden. Als nun in dem genannten
Völkerkreis — und zwar schon in der Urzeit — in dieser
Annahme unterscheide ich mich von Frazer — der Kult ^der
Himmlischen" mehr und mehr hervortrat, fingen dieselben an«
Verbindungen mit den genannten Kultobjekten, vor allem mit
dem heiligen Baum, dessen Wachsen und Welken die meiste
Analogie zu den als Menschen oder Tiere gedachten Göttern dar-
zubieten schien, und seinem Ableger, dem Klotz oder Pfahl, an
dem sich am leichtesten die allmählich aufkommenden mensch-
lichen Kennzeichen der Götter anbringen Hessen, einzugehen, in-
Wem Stein, Klot?. uoti Baum nuumelir imr als Symbole und
gelegentliche Wohnstätlen eben jener „Himmlisclien", z. B. die
Eiche als Wobnstätte des Gewittergotls, der gerade in sie mit
Vorliebe berabfnhr, angesehen wurden. In dieser Versehmelznng
des Kniles der „Hinimliecben" mit einem urweltlicben Stein-,
Pfahl- und Baumfetischiamus liegen KOmit die Grundlagen jenes
iudiigcmia Diseben Banm- und Pfabidienates. von dem bereits oben
p. 119fl'. die Rede gewesen ist.
Diesem Baumkultns /.ur Seite tritt in früher Zeit ein Höben-
knltus, der namentlicb bei Persern, Grieeben, ROmern und Ger-
manen 7,n belegen ist. Wird bei jenem den „Himmliscben"
gewissermaseeii zugemutet, aus ihren luftigen Höhen /.ur Erde
liemiedcrzuateigeu, so sucht sich bei diesem der Mensch mit
Reinen Gaben 7.11 ihnen /.ii erheben.
^ Dnse diese Darbietungen an die „HimuiliBcben" schon in
^■r Urzeit an beRtimmte Zeiten gekntlpft waren, geht schon
Hpi der Gleichung; griech. fogrij, ion. Satr^ „Fest" = scrl.i-nifd
^BatKung, Gottesdienst" (vgl. z. B. mahdrrata, eigentl. „grosses
Fest", wie unser nihd. höchzH). Die Frage ist nur, welches diese certi
die» bei den Indogermanen gewesen seien. In dieser Beziehung
muss noch fast altes von der zukünftigen Forschnng erwartet
werden, der sich in der Aufgabe einer vergleichenden Heorto-
logie ein weites Feld erßflTnet. Es soll daher hier nur anf
einen besonders naheliegenden Punkt eingegangen werden, näni-
licb auf die Frage, ob die Feier der sogenannten vier Jahres-
innkte und vor allem die der sommerlichen und wjnter-
eben Sonnenwende als älteste Festeszeiten der idg. Völker
trachtet werden dürfen.
Nach dem, was wir oben (Kap. VI) llber die älteste idg.
Bitteilnng und das idg., in reine, ungebundene Mondmonaie zer-
lUeode Natnrjahr auseinandergesetzt haben, kann die Frage
dieser Form nur verneint werden. Alle exaktere, auf die
Kenntnis der .Sonnenbahn gegründete Zeitteilung ist für die Arier
rie ftlr die europäischen Indogermanen von Babylonien aus-
gegangen. Hier muss daher auch die Unterscheidung der vier
Jabreepunkte in früher Zeil aufgekommen sein und sieb in langer
Wanderung zu Griechen (vgl. Herodol II. 109] und Römern und
1 ihnen ans nach dem Norden Europas verbreitet haben. Schon
r absolnte Mangel einer alten, fibereinstimmenden und volks-
— 454 -
tümlichen Terminologie für die Begriffe der Nacbtgleichen und
Sonnenwenden in den nordenropäischen Sprachen zeigt, dass hier
jüngere Erscheinungen vorliegen. Die Bezeichnungen der Nacht-
gleichen in den germanischen Sprachen: ahd. ^bennaht, agte.
efennight, altn. jafndcegri (vgl. auch russ. ravnod^nstvie und
ravnonöscie) sind offenbar nichts als Übersetzungen des lat.
aequinoctium und griech. hrj/LisQia. Auch die untereinander
ganz abweichenden germanischen Ausdrücke für „Sonnenwende'':
mhd. sunwende (russ. solncevorötü), sungiht, sunstede, sommer-
tag, agls. sunnstede, altn. sölhvarf zeigen ihre Abhängigkeit von
dem lat. solstitium dadurch, dass sie, wie dieses, nur von der
Sommersonnenwende gebraucht werden, während für die
Wintersonnenwende (lat. hrüma, d. i. brevissima) überhaupt keine
älteren Ausdrücke bestehen.
Wenn demnach Sonnenweudfeiern bei den idg. Völkern
als solche nichts Uraltertümliches sein können, so soll doch
damit nicht behauptet werden, dass die in den auf sie bezüg-
lichen Sitten und Gebräuchen hervortretende Übereinstimmung
durchweg auf späterer Übertragung und Wanderung beruhe.
Ein in den sich um die Sommersonnenwende oder den
Johannistag (Iwanstag bei den Slaven) schlingenden Riten be-
sonders hervortretender Punkt ist die innige Verbindung, in der
in ihnen die beiden von den Indogermanen so hochverehrte
Elemente des Feuers und Wassers auftreten. Überall brennt
man Feuerstösse an, um die man herumtanzt, oder über die man
— meist paarweise — hinwegspringt. Überall aber tritt auch in
irgeu4 einer Form dem Feuer das Wasser zur Seite, sei es, dass
man sich vor Anbrennen des Holzstosses oder nachher in dmn*
selben badet — der Beiname des russischen Johannes ist Kupala
„der Bader" (russ. Icupdtl „baden**) — , sei es, dass man Feuer-
räder in die Flut gelangen und dort verlöschen lässt, sei es, daflB
man eine Puppe (im Russischen wiederum kupalo genannt), mit
der man vorher durch das Feuer gesprungen ist, in den Flusfl
wirft. Am augenscheinlichsten ist diese Verbindung in einem
altindischen Sonnenwendbrauch, wie er am Mahävratafest, d. h.
(nach Hillebrand't Romanische Forschungen V, 299) am
Sommersonnenwendfest (später ist M. die Wintersonnenwende),
üblich war: Unter Trommelschlag ziehen Frauen, die gefüllte
Wasserkrüge tragen, dreimal um ein Feuer von rechts nach link»
rfid wjedernui von links nach rechts hernu], singen ilabei ein
Lied, da8 mit den Worten Bchlieflet;
„Die Kllbchen die wulleii wir badenl Der BtlSBe Ssft".
und giessen nach dem letzten Runii^nng dne Wasser ins Feuer,
(Us sie 30 verlöBchen.
In diesem SonnenwendbraiicL am Mahüvrata - Fest, das
andserdem nicht etwa einem Sonnengott, sondern dem Indra, dem
Spender des erquickenden Regens, gewidmet ist, haben Hille-
Ijrnndt (a. a, 0. 1 undOldenberg (Die Keligion des Veda p. 445,
507) einen uralten Regensiauber (s. o. p. 445) erkannt, und es
liegt daher nahe, dasselbe fltr die bei den europäischen Indo-
gerniauen uns am Johannistage begegnende Verbindung des
Feuers und Wassers zu vermuten. Dazu kommt dit: folgende
lleobaclitnng. In der Anschauung aller idg. Völker mitleleuropäi
scher Breiten bildet die Zeit um .lohanni eine Art „Regensebeide"
in dem Sinne, dass der vor Johanni fallende Regen sehr nütz-
lich und von I'riester und Gemeinde vom Himmel zu erflehen
sei, dass hingegen nach Jobanni der Regen keinen Nutzen, ja
Schaden bringe. Über den Johannistag selbst gehen die Mei-
nungen auseinander. Die Uanern des russischen Gouvernements
Archangel sagen: „J'diannisregen sind besser als ein goldener
llcrg", andere Volker sind der entgegengesetzten Meinung (vgl.
biertiber ausführiieh Alexis Verraoloff Der landwirtschaftliche
Volkskalender, Leipzig 19UfJ, p. 296 ff.). Ho scheint mir die
Vermutung nicht zu kühn, dass wir in allen diesen Bräuehen
die Spuren eines ohne spezielle Rücksicht auf den längsten Tag
gefeierten Mittsonimerfestes vor uns haben, zu dessen feierliehen
Riten es unter anderem gehörte, zum letztenmal in dein be-
treffenden 8ommer durch einen Regenzanber Nass aufWciden
und Acker herabzuf leben. Die Auffassung Mannbardts Der
Baunikultns p. 497, 516, 521 ff., derznfolge in den Mittsommer-
feiern an sieh ein Sonneuzauber zu erblicken sei, indem das
Feuer das Licht und die Wärme der Sommersonne darstellen
solle, durch welche zu ihrem Gedeihen die Vegetation hindurch-
gehen müsse, wird hierdurch weiter nicht berührt.
Noch möchte ich aber darauf hinweisen, dass dieselbe
innige Verbindung von Feuer und Wasser, die uns in der Jobannis-
zeit entgegengetreten ist, auch hei dem höchsten Fam i I i en-
feste begegnet, das die Indogcrmanen kannten, der Hochzeit.
— 456 —
Das Nähere hierüber bitte ich in meinem Reallexikon b. t.
Heirat (5. Feuer und Wasser) nachzulesen. Wärme und Feuch-
tigkeit würden hier, ganz wie beim Regenzauber, das Symbol
der Fruchtbarkeit sein, unter dem Mann und Weib zur Erzeugung
zahlreicher Söhne zusammengeführt wurden (vgl. oben p.334).
Reste eines zweiten idg. Festes, eines Fr ühiingsfestes,
liegen vielleicht in der Verehrung der germanischen Ostara (agb.
Eostrae) und indischen Ushas, welche letztere im Ritual ihren spe-
ziellen Platz am Jahresanfang beim Prätaranuväka des Agnishtöma-
Opfers hatte, das mit grosser Feierlichkeit im Frühjahr (vgl. Hille-
brandt Vedische Mythologie II, 26 ff.) stattfand. Es scheint,
dass sich besonders auf dieses Fest die von L. v. Schröder
(Ligho, Refrain der lettischen Sonnenwendlieder, Mittl. d. anthrop.
Ges. in Wien XXII) als indogermanisch erwiesene Vorstellung
bezieht, dass die Sonne bei ihrem Erscheinen an gewissen Tagen
tanzt, hüpft, sich schaukelt oder spielt.
Wenn wir demnach in den ältesten religiösen Vorstellungen
der Indogermanen zwei grosse Kreise, den Seelenkult und die
Verehrung der Himmlischen, unterschieden haben, so ist hier
schliesslich noch einer dritten Macht zu gedenken, deren Er-
kenntnis, wie ich glaube, zu dem ältesten des alten gehört, ob-
wohl sich religionsgeschichtliche Untersuchungen bisher nur selten
mit ihr beschäftigt haben, des Schicksals. Es ist ursprüng-
lich (vgl. alles Nähere bei Hastings Dictionary of Religion
and Ethics) der „Anteil" (vgl. griech. /xdiga : fiigog^ aJoa : lat.
aequusy russ. casti „Teil, Los, Schicksal, scdstije „Glück*^,
nescdsttje „Unglück", auch dölja : altsl. dolü, delü „Teil**), der
dem Menschen durch den Akt der Geburt von der Mutter
angeboren, oder bei der Geburt ihm von weiblichen Seelenwesen
verliehen worden ist, die teils als „Gebärerinnen" (vgl. slav,
roManicy : russ. roditi, ra&ddtl „parere", griech. Elkei&vicu „die
Göttinnen der Geburtswehen", lat. Parcae ipario), teils direkt ab
„Mütter" (vgl. den keltisch -germanischen Kult der nuUronaey
matres, matrae), teils als „Zuteilerinnen" (nordruss. udünlcy:
udiljdtl „zuerteilen") bezeichnet werden. Entweder spinnen
sie (daher altn. urdvj agls. wyrd, ahd. wurt „Schickaal" : ahd.
wirty vnrtel „Spindel"), oder sie sprechen (lat. fätum:fäi%
russ. roJcü „Schicksal" : altsl. rekq „ich sage"; vgl. auch altn.
- 457 -
erlqgj agls. orlceg, ahd. urlag, eigentl. „ürgesetz", russ. sudihä,
eigentl. „urteil"; jenen „Anteil" dem Menschen zu. Eine idg.
Bezeichnung für diesen Begriff liegt vielleicht in der Gleichung:*
griech. ^diga {*morja) = agls. mcBre, altn., ahd. mara „Mahr",
altsl. mora „Hexe, Alp, Trud", ir. mor'[r]igain , gl. lamia,
„Alpkönigin" vor. Das Wort hätte alsdann ursprünglich ,.das
zuerteilte" (griech. juigog, st/uagTai) bezeichnet und hätte sich
einerseits im Griechischen mit einem überaus häufigen Be-
deutungsübergang zur Bezeichnung von Schicksalswesen (vgl.
B. Schmidt Das Volksleben der Neugriechen I, 210), anderer-
seits in den nordeuropäischen Sprachen, ganz wie das oben ge-
nannte nordruss. udünlca (vgl. A. N. Veselovskij Sudiba-
dolja in den volkstümlichen Vorstellungen der Slaven, Sbomik
d. kais. Ak. d.W. in St. Petersburg 46, 173 ff.), zur Benennung
von Mahren entwickelt, die, wie La istner Rätsel der Sphinx
II, 342 gezeigt hat, überall die engsten Beziehungen zu Glücks-
nnd Schicksalsgeistern haben.
Ein idg. Ausdruck für den Versuch, in diese dunkle Welt
des Schicksals auf dem Weg des Zaubers einzudringen, liegt in
der Reihe: lit. «aifa« „Zeichendeuterei", seitones „Zeichendeuter",
altn. seidr „eine bestimmte Art von Zauber, auch um die Zu-
kunft zu erforschen", mcymr. huty ncymr. hüd „praestigiae",
altcom. hudol, gl. magus = griech. oIto^ (ionisch bei Homer
für *olTog) „Geschick, bes. Unglück". Die Mittel, deren sich die
einzelnen idg. Völker für diesen Zweck bedienen, sind unerschöpf-
lich und bieten zum Teil sehr weitgehende Analogien. Man weis-
sagt aus dem Flug und dem Geschrei der Vögel, aus Himmels-
and anderen Naturerscheinungen, aus dem Opfer und den Ein-
geweiden des Opfertiers, besonders der Leber, aus dem Blut
von Mensch und Tier, aus den Angängen von Tieren, aus dem
Rauschen der Eichen, aus Feuer und Rauch, aus den Träumen,
aus Baumlosen, aus Missgeburten, aus dem Wiehern der Rosse
und aus tausenderlei anderen Dingen.
Jeder, der diese zahllosen Zeugen dunkelsten Aberglaubens
unbefangen betrachtet, wird sich sagen, dass dieses ganze Kapitel
der Zeichendeuterei nicht auf dem Boden irgendwelcher ver-
nünftigen Überlegung, von dem sie R. v. I bering in seinem
Buch Vorgeschichte der Indoeuropäer, p. 441 ff. abzuleiten ver-
sucht hat, sondern in dem kindlichen, traumumfangenen und
Schrader, Sprachvergleiohang und Urgeschichte IL 8. Aufl. «"^O
— 45« -
phantastischen Seelenzustand des primitiven Menschen wurzelt.
T6 ydg elcD&bq ov xeqagj sagt Theophrast De plantis V, 3, und in
diesem kurzen Satz scheint mir ein Schlüssel fär das Verständnis des
Zeichenorakels zu liegen. Für den primitiven Menschen ist nur
der kleinste Teil seines inneren und äusseren Lebens eiax&6g.
Überall erschrecken ihn Wunder und Zeichen. Die Gestalten
seiner Träume, vor allem die des furchtbaren Alptraums (vgl. ausser
Laistner a.a.O. noch H. Röscher Ephialtes, eine pathologisch-
mythologische Abhandlung über die Alpträume und Alpdämonen
des klassischen Altertums, Abb. d. kgl. Sachs. Ges. d. W. phil.-
hist. Kl. XX, 1900), der in den ungesunden mit Kohlendnnst
geschwängerten Räumen der Urzeit besonders häufig gewesen
sein muss, sind ihm Wirklichkeiten. In den Pflanzen und Tieren,
in den Steinen und Sternen leben, wie in dem eigenen Innern,
Seelen, an die, wie wir oben sahen, das Schicksal gebunden ist.
Kann es da wundernehmen, wenn in der Welt der Träume, in
dem Rauschen der Bäume, in dem Fluge der Vögel die Schatten
der Zukunft geheimnisvoll den Menschen umschweben? Dieser
angstvollen, schreckhaften und nervösen Stimmung des primitiven
Seelenlebens bemächtigt sich die Kunst priesterlicher Zeichen-
deuter, die — betrogene Betrüger — immer neue Mittel er-
sinnen, um der Zukunft ein Rätselwort abzulocken, deren Hand-
werk aber immer im Gninde auf den einen Gedanken hinaus-
läuft, die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit eines
zukünftigen Ereignisses von dem Eintritt eines anderen, der
Willensbestimmung des Menschen entzogenen Ereignisses, dem
Angang eines Vierfüsslers, dem Schrei eines Vogels, dem Leuchten
eines Blitzes usw. abhängig zu machen.
So durchzieht ein tief fatalistischer Grundgedanke die indo-
germanischen Religionen, den in Europa bis in die Gegenwart
am treusten die sla vi sehen Völker bewahrt haben (vgl. F.
Krauss Srec'a, Glück und Schicksal im Volksglauben der Süd-
slaven, Wien 1886). Gewiss nicht zufallig. Die Slaven sind
der ursprünglichen Heimat der Indogermanen (Kap. XVI) am
nächsten geblieben und darum am spätesten in die Geschichte
eingetreten. Nichts aber befreit die Seele so sicher von dem
dumpfen Druck fatalistischer Vorstellungen, wie die grossen
Taten eines lebendig pulsierenden geschichtlichen Lebens.
XVI. Kapitel.
Die Urheimat.
Die neueste Literatur der Urheimatfrage. Kritik ihrer Behandlung*.
Die Lösung des Problems: L Die Stammsitze der Einzelvölker. II. Lin-
guistisch-historische Tatsachen. Ergebnis: Die Ausgangsländer der
Indogermanen lagen im Norden und Westen des Schwarzen Meers.
III. Hier war auch die Urheimat der Indogermanen: 1. paläogeogra-
phische (und anthropologische), 2. urgeschichtliche, 3. linguistische
Gesichtspunkte, die hierfür sprechen. Die Trennung des Urvolks.
In der ersten Abhandlung dieses Werkes (Kap. I und IV)
ist die Literatur der Urheimatfrage ungefähr bis zum Jahre 1904
erörtert worden. Unmittelbar darauf sind fast gleichzeitig eine
grössere Anzahl von Forschern mit neuen Arbeiten auf diesem
Gebiet hervorgetreten, über die in Kürze zu berichten daher
unsere nächste Aufgabe sein wird. Die Schriften, um die es
sich dabei handelt, sind die folgenden:
J. Hoops Waldbäume und Kulturpflanzen im germanischen
Altertum, Strassburg 1905; K. Helm Die Heimat der Indo-
germanen und der Germanen (Sonderabdruck ans den Hessischen
Blättern für Volkskunde, III, 1, 1905); H. Hirt Die Indogermanen,
ihre Verbreitung, ihre Heimat und ihre Kultur I, Strassburg 1905,
II, 1907; Louis Erhardl Die Einwanderung der Germanen in
Deutschland und die Ursitze der Indogermanen (Historische
Vierteljahrschrift, 1905, 4. Heft); A. Fick „Matthäus Much, die
Heimat der Indogermanen'^ (ausführliche Besprechung des P,
117 ff. genannten Buchs in den Beiträgen zur Kunde der idg.
Sprachen, herausg. v. A. Bezzenberger und W. Prellwitz 1905,
XXIX, 225 ff.).
Die Quintessenz der Schlüsse des Hoopsschen Buchs lässt
sich in drei Sätze zusammenfassen:
1. Den Indogermanen war die Buche (lat. fdgtis, ahd.
- 460 —
huohha „Buche", griech. (prjydg ^Eiche", kurd. büz „Ulme"}
bekannt. Ihre Heimat muss also westlich der BachengreDZ&
Königsberg — Odessa gesucht werden, jedoch darf sie nicht in
Nord-Europa, einschliesslich Dänemarks, lokalisiert werden, weil
die Buche hier erst zur Bronze- oder gar zur Eisenzeit ihren
Einzug hielt.
2, Der urindogermanische Ackerbau beschränkte sich auf
den Anbau von Gerste, Weizen, Hirse. Eine so begrenzte Gruppe
von Kulturpflanzen kehrt während der jüngeren Steinzeit Mittel-
und Nord-Europas nur in den nordisch-norddeutschen Gebieten
wieder. Diesen steht eine durch einen wesentlich grösseren Reich-
tum an Kulturpflanzen (z. B. Erbse, Mohn, Flachs, Apfel) charak-
terisierte „circumalpine" Zone (die nördlichen Vorländer der
Alpen zusammen mit Oberitalien, Bosnien, Ungarn) gegenüber.
Die Urheimat der Indogermanen lag also in den nordisch -nord-
deutschen Gegenden.
3. Das Hauptgetreide der Indogermanen war die Gerste.
Dies weist auf ein Land mit kurzen Sommern, also auf Nord-
Europa, einschliesslich des nördlichen Deutschland, hin.
Alle drei Argumente stimmen also nur hinsicht-
lich Norddeutschlands überein. Hier ist demnach die
Heimat der Indogermanen zu suchen.
Was gegen diese Argumente im einzelnen einzuwenden
ist, wurde schon oben p. 173, 195 ff., 198 f. ausführlich hervor-
gehoben. Hier sei nur noch darauf hingewiesen, dass die
Hoopssche Beweisführung im ganzen nicht frei von Wider-
sprüchen ist, und die drei verschiedenen Gesichtspunkte in der
Tat nur sehr ^annähernd zu einem einheitlichen Resultat führen".
Denn schiiesst man das an prähistorischen Getreidefunden ver-
hältnismässig reiche Skandinavien wegen des Buchenarguments
von der ältesten Verbreitungssphäre der Indogermanen aus, m
entzieht man damit auch dem zweiten, dem Ackerbauargument,
die Grundlagen, insofern gerade in Norddeutschland (vgl. oben
p. 196 f.), das wiederum wegen des Gerstenarguments von den
deutschen Ländern am ehesten als Heimat der Indogermanen in
Betracht käme, Vegetabilien aus neolithischer Zeit so gut wie
nicht gefunden worden sind. Es ist daher sehr begreiflich, wenn
Hoops p. 382 den Wunsch hegt, es möchte sich in Zukunft
herausstellen, dass die Buche doch früher nach Dänemark vor-
- 461 —
•
gedrungen sei, als nach dem jetzigen Stand der Forschung an-
zunehmen erlaubt ist^).
Während J. Hoops in einigen der von ihm hervor-
gehobenen Gesichtspunkte mit L. Geiger (P, 93) tibereinstimmt,
spinnt der zweite von uns oben genannte Forscher, Karl Helm,
Gedankenreihen weiter, die uns ähnlich schon bei Cuno (I', 97),
Vodskov (P, 51), Penka(I», 112 f.), Kretschmer und Ratzel
(I*, 128) begegnet sind. Die idg. Sprach- und Völkereinheit ist
aus zahllosen Gruppen kulturloser Menschen, das ist etwa der
Gedankengang der Helmschen Schrift, innerhalb eines durch
die natürlichen Verhältnisse gegebenen grossen Verkehrsgebietes
erwachsen. Von diesem waren durch bedeutende, den Verkehr
hindernde Schranken abgeschlossen: Indien, Iran, Armenien und
Vorderasien, das Donau- und Alpengebiet, die apenninische und
die pyrenäische Halbinsel. In diese Länder sind die Indo-
germanen daher erst später als Einwanderer gelangt. Anders
liegen die Verhältnisse in den diesen Ländern nördlich vor-
gelagerten weiten Ebenen von Zentralasien bis Nordwesteuropa,
die nirgends nennenswerte Verkehrshindernisse aufweisen. Dieses
ungeheure Ländergebiet ist daher als die Urheimat der Indo-
germanen zu bezeichnen. In einem Teil desselben, d. h. im
wesentlichen in ihren alten historischen Stammsitzen sind auch
die Germanen zu Germanen geworden. Von der Epoche der
dänischen Muschelhaufen bis in spätere vorhistorische und histo-
rische Zeiten haben hier immer nur Germanen oder Prägermanen
gesessen (vgl. Penka P, 113). Wohl weist die Kultur der
jüngeren nordischen Steinzeit eine grosse Zahl neuer Errungen-
schaften auf, aber diese erscheinen nicht gleichzeitig und unver-
mittelt, sondern in einem langen Zeitraum nacheinander ohne
merkliche Sprünge, so (lass der kulturelle Zusammenhang zwi-
-schen der älteren und der jüngeren Steinzeit vollkommen ge-
sichert ist. So ergibt sich das Resultat, dass jene primitiven
Mensehen der Muschelhaufen die Ahnen der Völker waren, die
1) Das Unsichere in der Begründung der Hoops sehen Heimat-
hypothese erkennt auch Ernst H. L. Krause (in den Göttingischen
Gelehrten Anzeigen 1906, II, p. 922), der im übrigen dem von ihm be-
sprochenen Buch volle Gerechtigkeit widerfahren lässt. Krause selbst
neigt sich p. 944 der Ansicht zu, dass „Indogermanien mit seiner Haupt-
masse in Kleinrussland und Wolhynien gelegen habe*'.
— 462 -
noch Id historischer Zeit hier gesessen haben: der GermaneD.
^Um nicht missverstanden zu werden, setze ich ausdrücklich
hinzu: nicht der Indogermanen, die eine viel weitere Heimat
hatten, und von welchen diese Gruppe nur einen kleinen Tdl
bildete."
Wir werden auf die diesen Ausführungen zugrunde lie-
genden Anschauungen unten des näheren einzugeben haben und
beschränken uns vorläufig hier nur auf den Hinweis, dass die
Auffassung des Verfassers notwendigerweise zu der schon P,
192 ff. zurückgewiesenen Annahme führt, die idg. Kulturwörter,
also die Übereinstimmung der idg. Sprachen in der Bezeichnung
solcher Begriffe wie „Schwiegertochter" (oben p. 312), „Tür"
(oben p. 271), „Joch" (p. 298), „Gott" (oben p. 437) usw. könnte
auf dem ungeheuren Räume von Hochasien bis zum atlantischen
Ozean sich neu gebildet haben.
In jedem Fall ist auch die Helm sehe Arbeit, ebenso wie
diejenige von Hoops, ernster Beachtung wert. In wesentlich
geringerem Masse gilt dies von dem Hirtschen Buch^). Erstens
ist es überhaupt schwierig, die Lokalisierung der Urheimat in
demselben festzustellen; denn während auf der einen Seite fftr
die letztere ganz im allgemeinen die „nordeuropäische Tief-
ebne, in der sich vorläufig die genaueren Grenzen nicht be-
stimmen Hessen" (p. 197), in Anspruch genommen wird, und
p. 183 hervorgehoben wird, dass die Weichsel als wichtige
Sprachgrenze die „Mittellinie" der Urheimat gebildet habe,
erfahren wir zu unserem Erstaunen aus der Vorrede (p. V), das
Buch werde von dem „Grundgedanken" beherrscht, dass „die
Heimat der Indogermanen in der grossen nord-ost- deutschen
Tiefebne zu suchen sei" und ersehen aus der Karte IV, die der
Verfasser seinem Werke beigegeben hat, dass die Weichsel nicht
die „Mittellinie", sondern die äusserste Ostgrenze der Heimat
der Indogermanen bildete. Nicht minder widerspruchsvoll sind
die Schlüsse, die der Vf. aus den sprachlichen Tatsachen auf
dem Gebiet der ürheimatfrage (wie übrigens in allen Teilen
seines Buches) zieht. So wird p. 189 von der oben genannten
Gleichung lat. fdgus = kurd. büz, wie mir scheint, mit Recht
1) Über dasselbe habe ich mich geäussert Deutsche Litz. 1906
Nr. 7 und ebenda liW Nr. 14.
im
gesagt, „«In»» SU' /.» ieoliei'i sei, um dn» Gewielit <les Gebäudes,
) (nSmlicli von Huojikj auf ihr crriclitet werden soll, lr«g:en
1 kßiiuen", wälirciid in itcr Auiiicrkung /.u dieser .'SIelle (p. 623)
taf die in der aii{:egcbenen Weise cliiiraklerigierien Gleicbung
„die ältesten SiUe der Indo^enimnen iii der Bncbenregion
I suflien sind", wie auc-b auf der Karti- angegeben wird. Noch
Irastigeher ist die liobaii<lliuig der L il w en f r af^e. Ganz in
Kivlinimnng mit I ", l(i'^ wird geaagl, ilass man aus dein Felden
Ines geDieinsumen Wortes ftlr „Li'we" niebt auf eine löwenlose
Heimat der Indogermanen sehliessen dürfe (p. 187). weil ja, wenn
das Tier aus ilcm flesiL-htakreis verschwand, aacb sein Name ver-
schwinden miisBle. Dann aber fälirtder Verfasser fort: „Im llbrigeo
Ikaiu der Ldwe selbst in .SUdeuropa vor (vgl. oben p. 137). Findet
■üch dabei kein Name fUr ilin,so Hp riebt das gegen diese
BGegend." Der Verfasser erkennt also niebt, dase er den eben
von ilini getadelten Scbhiss in derselben Haelie selber /if^lit.
ünler diesen Umständen wird man eine Förderung des Heimat-
^itbiems von dieser Seile sohwerlicb erwarten kdnnen. In Wirk-
tebkeit maebt der Vf. aueb gar keinen ernstlichen Versuch,
^ne osteDropäiMclie oder ostdculsebc These dnrcb eine eigent-
[che Ueweisfdhrung zu begründen. An Stelle einer solchen steht
Helmehr die unbestimmte Vorstelinng, dass von der .Spree, Oder
|der Weichsel her, als von dem „Mittelpunkt des von dem 'idg.)
Iprachstamin besetzten Gebietes" (vgl. p. 183; man denke: Posen
„Mittelpunkt" des idg. Sprachgebietes!) sich die Ausbreitnog
' Indogenuanen am besten erkläre.
Wenn aber Hoops und Hirt {letzterer wenigstens nach
br zweiten der von ihm in ein und demselben Buch geäusserten
Meinungen) insnfcrn übereinstimmen, dass sie die ürbeimat der
Indogermanen in alten von Germanen besetzten Ländern suchen,
and Helm die germanischen Stanimlande wenigstens als einen
^eil der idg. Urheimat anffasat, ist die vierte iler oben ge-
Ktmlen Schriften, <lie Lonis Erbardts, dem Nachweis gewidmet,
i die Indogermanen von nllcn anderen Teilen Europa-Asiens
' ausgegangen sein könnten, als gerade von den Ger-
icnländern.
Die ßeweisfilbrung Erbardts ist eine durchaus historische,
igrtlndet auf die Nachrichten, die wir in der Germania des
icitoB und soDSt Über die Siedelnng und Wanderungen der
- 464 —
germanischen Völkerschaften finden. Im Westen zwar haben
einige Stämme wie die Friesen und Chatten ihre schon zu
Taeitus' Zeit festgegrUndeten Sitze auch in der Folf^ezeit be-
wahrt. Die östlichen Stämme aber, die Tacitns unter dem
Namen Sueben zusammenfasst, sehen wir in einer ewigen Unruhe
begriffen. Schon zu Caesars Zeit erscheinen sie unter Ariovists
Führung in Gallien. Später haben sie ihren Namen nach dem
Südwesten Deutschlands verpflanzt. Von den östiich-suebisch-
vandalischen Stämmen ist die grosse Völkerwanderungsbewegung
ansgegangen. Scheinen diese Völker schon so von einem tief-
liegenden Wandertrieb nach dem Westen beseelt, so ist für die
Frage, ob die Germanen als Eingewanderte oder Ureingesessene
zu betrachten seien, von besonderer Wichtigkeit ihr Verhältnis
zu den Kelten. Überall werden diese vor den Germanen her-
getrieben. Ihre Herkunft aus dem Osten beweisen die Cotini in
den Karpaten, die Bojer in Böhmen, die Helvetier am rechten
Ufer des Oberrbeins. Überall sind sie hier, bis auf geringe Reste,
von den Germanen vertrieben worden, die im Westen den Rhein
überschreiten, Belgien germanisieren und sich in ElsassLoth-
ringen mit den Völkerschaften der Vangiones, Triboci und Ne-
metes niederlassen. Wie die Kelten vor den Germanen, so
weichen vor den Kelten wieder die nichtindogermanischen Iberer,
die Urbevölkerung des europäischen Westens, zurück, während
im Rücken der Germanen slavische Völker nachdrängen. So
liegt in den Völkerbewegungen des nördlichen Europa ein von
Osten nach Westen gerichteter Wandertrieb noch deutlich vor
unseren Augen, der es unmöglich macht, die Germanen fflr
Autochthonen der später von ihnen besetzten Länder zu halten.
An sich, meint der Vf., würden die hier vorgetragenen An-
schauungen sehr wohl zu der Hypothese stimmen, die die Heimat
der Indogermanen im südlichen Russland sucht (P, 124). In-
dessen sieht er sich, namentlich mit Rücksicht auf zwei Um-
stände, nämlich erstens mit Rücksicht darauf, dass eine gewisse
Präsumption bestände, dass Slaven und Iranier den Ursitzen
am nächsten geblieben seien, und zweitens darauf, dass gewisse
Kulturelemente schon in der Urzeit durch semitische Vermitt-
lung den Indogermanen zugeführt worden sein müssten, schliess-
lich, wie schon H. Brunnhofer^) (P, 95 Anm. 1) vor ihm, in
1) Indessen scheint Brunn hofer jetzt vielmehr die Wolga-
— 465 -
die Gegend am Kaukasus, namentlich Transkaukasien, das Strom-
gebiet des Kur, als Wiege des idg. Sprach- und Völkerstamms
geführt.
In dieser Ansicht trifft er mit dem fünften und letzten der
oben genannten Forscher, mit A. Fick, dem hochverdienten
Nestor der deutschen Sprachwissenschaft, zusammen, den wir
P, 99 als Verfechter einer in den weiten Gründen Turans „zwi-
schen Ural, Bolor und Hindukusch" gelegenen Heimat der Indo-
germanen kennen gelernt haben.
Nach Ausscheidung der Räume, die vernünftigerweise nicht
in den Verdacht kommen können, die Wiege unserer Völker-
familie gebildet zu haben, bleibt eine Zone von wechselnder
Breite zwischen dem Rhein und dem Hindukusch übrig. Inner-
halb derselben sind für die verschiedenen Gruppen der idg.
Völker zunächst drei verschiedene Ausgangspunkte zu unter-
scheiden. Kellen, Italiker und Griechen sind aus der germani-
schen Heimat am Nord- und Ostseestrande abzuleiten, eine An-
schauung, in der er Kossinna (P, 117 ff.) folgt, dessen Arbeit
indessen Fick schwerlich aus eigener Anschauung kennt ^), und
der er, als einer rein archäologischen, begreiflich genug völlig
kritiklos gegenübersteht. Die Illyrier (Albanesen), Thraker,
Geten, Daker, Phryger und Armenier stellen sich am nächsten
zu don Litu-Slaven, deren Urheimat im südlichen Russland zu-
gleich die ihre ist. Die dritte Gruppe, die Inder und Iranier
(Arier), sind aus der Gegend um den Elbrus, südlich vom Kau-
kasus ausgegangen, da der Kern des arischen Volkstums von
jeher in Medien und Persis zu suchen ist. Der Vereinigungs-
punkt aller drei Gruppen lag im oder am Kaukasus: südlich
Sassen die Arier, nördlich die Europäer. „Wer will, kann sich
auch für den Norden (des Kaukasus) entscheiden, so dass die
Arier durch das kaspische Tor nach Süden vorgedrungen wären"
(p. 246). Halten wir dieses „wer will'* fest, und bedenken wir,
dass doch auch, wie es natürlich Fick selbst annimmt, die Ger-
gegenden als Aus^angsland der Indogermanen zu betrachten. Vgl.
dessen Russlands Aufschwung oder Niedergang?, Bern 1906, Kap.:
^Wolgabriefe'* p. 39.
1) Zeugnis hierfür legt die häufige falsche Schreibung sowohl
des Namens Rossinna selbst wie auch der von diesem gebrauchten
Termini ab.
- 4r>« —
Dianen, Kelten, Itaiiker und Griechen, bevor sie ihre weite Reise
nach dem Nord- und Ostseestrand antraten, im engsten Anscblass
an die übrigen Europäer ihre Sitze gehabt haben müssen, so
sehen wir auf diesem Wege Fick ebenfalls im europäischen
Südrussland als der Heimat aller Indogermauen angelangt^).
Wenn wir von dem Jahre 1808 an zählen, in dem Fried-
rich von Schlegel in seinem Buche Sprache und Weisheit der
Inder (P, 8) die Herkunft des idg. Sprachstamnis aus Indien
ableitete, so ist jetzt gerade ein Jahrhundert über der Erörterung
des idg. Heimatproblems verflossen. Und wenn wir nun be-
denken, dass in diesem langen Zeitraum alle auf die Kunde vom
Menschen bezüglichen Wissenschaften, die Sprachwissenschaft,
Geschichte, Geographie, Anthropologie, Prähistorie sich nach und
nebeneinander und teilweise durch ihre hervorragendsten Ver-
treter mit dieser Frage abgequält haben, und wir dennoch heute,
wenn wir ehrlich sind, sagen müssen: „Da steh' ich nun, ich
armer Tor, und bin so klug als wie zuvor", so wird man jeden-
falls zugeben müssen, dass es nicht gerade das Gebiet der idg.
Heimatfrage ist, auf dem der menschliche Scharfsinn seine glän-
zendsten Triumphe gefeiert hat. Ja, es ist durchaus verständlich,
dass von Zeit zu Zeit immer Forscher mit der Behauptung auf-
getreten sind: die Frage sei deshalb nicht beantwortet, weil
sie falsch gestellt sei. Es habe niemals eine Urheimat der
Indogermauen gegeben, die vielmehr im wesentlichen überall, wo
wir sie in frühhistoriselier Zeit fänden, als Autochthonen zu be-
trachten seien.
Es geht aus dem Bisherigen hervor, dass ich nicht dieser
Ansicht bin, dass ich vielmehr in jeder Beziehung an der Vor-
stellung festhalte, das idg. Urvolk habe sich in prähistorischer
Zeit von einer geographisch verhältnismässig beschränkten Ur-
heimat aus durch Wanderungen in diejenigen Gebiete aus-
gedehnt, die wir als Stammsitze der idg. Einzelvölker bezeichnen
können. Der Grund, der mich bei dieser Anschauung zu be-
1) Von ebendaher leitet auch W. Christ in einer postumen
Schrift Sprachliche Verwandtschaft der Gräko-Itaier (Sitzungsb. d. kgl.
Bayer. Ak. d. W. 1906 Heft U) die Indogermanen ab, deren vermut-
liche Wanderungen von hier aus eingehend erörtert werden.
liirri'ii zwiugl, ist ein iloiipeller: eiuiijal, weil ich inii' die Eiu-
eit der idg. Spraclieii im Hllgemeitieii und die Übereiustiiomung
er idg. KulturgleichuDgen im besonderen nur auf bGRcliräuktem
£Ograpliiscben Unumi? entetaudun denken kann (I", 191 ff.j,
iveilens und bauptBäeblicli, weil wir bei den meisten idg.
inzelvälkern ibrc Verbreitung von einst verbältnismäBsig
l^n Stammsitzen über teilweis ungeheure Gebiete tatsüc blieb
iobaebten können (l*, löti, oben p. 125), und der Heblusa von
len historiseben auf die vorbisloriselien Zeiten für uns in dieser
le/.iebung die einzige Leuelite auf dem dunklen Weg durcb das
,nd der Urgeschichte ist. Wenn wir trotzdem in der Beant-
'ortung der Krage nach der Urheimat der Indogeruianen bis
itzt so geringe Fortschritte gemaclii haben, oder vielleicht besser
Esagt, bis jetzt eine so geringe Einhelligkeit der Forscher
7.ielt worden ist, so liegt nach meiner Überzeugung der Grund
larin, dass von den verscbiedcnsten Seiten her in die Erörterung
licses Problems fortwährend Gesichtspunkte eingemengt
orden sind und noch werden, die dasselbe eher zu
lerwirren als y.n klären imstande sind,
Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass die
!lat, wie es scheint, moderne, auf anthropologische oder ur-
eschicbtliche oder beiderlei Gesiclitspnnkte gestützte Lehre von
ler iiord europäischen Herkunft der Indogermanen, wobei es
'cnig darauf ankommt, ob man sie von der Ostsee oder Nord-
le, aus Dänemark oder Schweden oder endlich gar (mit Lapouge)
HS einem untergegangenen Land zwischen England und JUlland
ibleitet, durch ihre Einfaclibeit und Geschlossenheit auf den
rsten Hlick und fUr diis grosse Publikum etwas Bestrickendes
at. Wie einst der Graf Gobineau in seinem Kassenwerk alle
allere Kultur der allen Welt in einem Indogermanen- oder
riertum wurzeln Hess, so sind jetzt in diesem Indogermnnentum
iederum die Germanen das fllhrende Volk geworden. Die eJn-
geu echten Indogermanen sind nach dieser Ansicht die Ger-
iiincu, die von ihren uurdeoropäischen .Stammlaudern aus mit
Qmer neuen Scharen Europa und Asien Überflutet und zahl-
in fremdartigen Völkern ihre Sprache und Sitten aufgezwungen
ruben'j. n^')^ ^" wird an deutschem Wesen noch einmal die
1} Mit ßcL'bt Tii&c|jt Ernst H. L. Krause ,K'i
i Stammland der BlondeD und der ) ndogermiiiien s
I Skandinavien
a?' (Globus 83,
— 468 -
Welt genesen", so konnte schon der erste indogermanische Heer-
könig sagen, der zu Wasser oder zn Land mit seinen lang-
schädligen, blondhaarigen und riesenhaften Gesellen, wohlaus-
gestattet mit prachtvoll polierten Steinwaffen, wohlversehen mit
zierlichen, den Proviant bergenden Kugelamphoren, die durch
einen blühenden Ackerbau an Gerste, Weizen und Hirse geseg-
neten Fluren der Heimat verliess, um in die Ferne zu ziehen.
Eine, wenigstens für ein germanisches Gemüt, gewiss
sympathische Auffassung, wenn nur ebenso sympathisch auch
ihre Begründung wäre. Denn wenden wir uns zunächst den
anthropologischen Grundlagen derselben zu, so wurzeln
diese, will mir scheinen, in einem ganz offenbaren circulus
vitiosus: „Die Indogermanen sind von Nordeuropa ausgegangen.^
„Warum?" „Weil sie dolichokepha), blond und gross waren.**
„Warum waren sie das?" „Weil sie von Nordeuropa aus-
gegangen sind." Es wird sich lohnen, diese drei Kriterien der
Dolichokephalie, Blondheit und Grösse gesondert zu betrachten,
weil jedenfalls so viel feststeht, dass diese drei Eigenschaften
nicht durch ein naturnotwendiges Band miteinander verknüpft
sind, indem es bekanntlich ebensowohl brünette Dolichokephale
wie blonde Brachykephale usw. gibt (vgl. näheres bei Kretschmer
Einleitung p. 42 f.). Selbst in Schweden, dem angeblich
klassischen Lande der Dolichokephalie, lässt sich nach 6.
Retzius und Carl M. Fürst Anthropologia Suecica, Stockholm
1902 (Bericht von E. Schmidt in Schwalbes Jahresb. über die
Fortschritte der Anatomie etc., Literatur 1902, III. Abt.) keine
Wechselbeziehung zwischen Farbenmerkmalen und Kopfindex
oder Körpergrösse nachweisen. Wenden wir uns demnach zuerst
zu dem Kriterium der angeblichen Dolichokephalie der Indo-
germanen, so würde die erste Frage die sein, ob denn überhaupt
die Schädelbildung des Menschen etwas Stabiles und ausschliessHch
Hereditäres und somit geeignet sei, uralte Gruppierungen der
Menschheit zu erhärten, oder ob nicht vielmehr, wie dies schon
früher K. E. v. Baer und I. Ranke (Kretschmer p. 38),
neuerdings vor allem A. Ny ström (Formen Veränderungen des
menschlichen Schädels und deren Ursachen, Archiv f. Antbro-
p. 109) darauf aufmerksam, dass gerade die Germanen in historischer
Zeit dies nicht getan haben, wie der Untergang der germanischen
Sprachen in Russland, Italien, Frankreich, Spanien zeigt.
~ 469 —
pologie XXVII) aiigeDommen haben, Dolichokepbalie und Brachy-
kephalie ein variables, von der Bodenbeschaffenheit und den
menschlichen Beschäftigungsarten abhängiges Element darstelle.
Gerade auf idg. Boden könnte manches für diese Anschauung
sprechen. So begegnen unter den 34 dänischen Schädeln der
jüngeren Steinzeit 10 brachy-, 16 raeso-, 8 dolichokephale
(Nyström p. 626), während in der Denik ersehen Karte (P, 148)
Dänemark als ein Land mit rein dolichokephaler Bevölkerung
eingezeichnet ist^). Umgekehrt sind die schwedischen Steinzeit-
schädel vorwiegend dolichokephal, aber die Messung von 500
lebenden, erwachsenen Schweden ergab nach Nyström nur 102
Dolichokephale, dagegen 297 Mesokephale und 101 Brachy-
kephale*). In beiden Fällen würden also Verschiebungen des
Breitenindex bei wahrscheinlich derselben Bevölkerung ein-
getreten sein. Ist aber der menschliche Schädel ein so ver-
änderliches Ding, wie es Nyström annimmt, so kann er natürlich
überhaupt nicht zu Rasseneinteilungen der Menschheit dienen.
Aber auch wenn man an seine Stabilität glaubt, ja wenn man
— aus allerdings unerfindlichen Gründen — die Indogermanen
für reine Dolichokephale hält, würde darin noch nicht der
geringste Beweis für ihre nordeuropäische Herkunft liegen. Über
die Schädel des Steinzeitvolks von Lengyel in Ungarn hat sich
R. Virchow (Z. f. Ethnologie 1890) folgendermassen geäussert:
^Was dieses letztere betrifft, so zeigt es viele Analogien des
Schädelbaues mit den neolithischen Stämmen Nordeuropas. Ja,
man könnte leicht so weit gehen, ihm eine arische (indo-
germanische) Abstammung zuzuschreiben, oder umgekehrt, in
ihm einen der Urstämme zu sehen, von welchem die
1) Nyström p. 627 freilich sagt: „In grösserem Massstab aus-
geführte Messungen der Schädel der heutigen Dänen gibt es meines
Wissens nicht; aber nach einer von mir ausgeführten Messung einer
geringen Anzahl solcher Schädel zu urteilen, hat es den Anschein, als
ob bei ihnen die Brachykephalie und Mesokephalie vorherrschend
wären.^ Man sieht also, wie viel auch in diesen rein statistischen
Dingen noch unsicher ist.
2) Etwas anders liegen die Verhältnisse nach G. Retzius und
Carl M. Fürst (a. o. a. 0.), denen zufolge es unter 45680 21jährigen
Rekruten 57% Mesokephale, SO^Iq Dolichokephale und 13% Brachy-
kepbale gab. Aber, möchte ich als Laie fragen, haben diese 21 jäh-
rigen jungen Burschen ihre damaligen Schädel auch später behalten?
- 470 -
Arier abzuleiten seien.^ Man sieht also, dass in dem
Scbädelbau nach Virchow's Darstellung an «ich k^in Anhalt
gegeben sein kann, ob er vom Norden oder Sttd^i stammt.
Nimmt man zu dem allen hinzu, wie einer der hervorragendsten
Kraniolo^en Europas, J. K ollmann (Archiv f. Anthropologie XXII
und XXV), sich v^iederholt dahin ausgesprochen hat, dass in
unserem Erdteil seit der neolithischen Periode „immer dieselben
Rassen durcheinander wandern und sich lieben und hassen und
abstossen und wieder vertragen**, dass „weder die Burgunder,
noch die Alemannen oder die Franken, noch die Völker, die
ihre Toten in den Kurganen begraben haben, jemals nur aus
Abkömmlingen einer und derselben europäischen Rasse, sondern
stets aus mehreren europäischen Rassen bestanden, die neben
und unter einander lebten", dass Jedes dieser Völker zusammen-
gesetzt sei aus den Abkömmlingen reiner Rassen, also aus
Lang- und ßreitgesichtern, aus Lang- und Kurzköpfen, aus
Blonden und Brünetten und aus den Mischlingen dieser euro-
päischen Rassen, die sich nach und nach aus der Kreuzung
derselben entwickelten'*, so wird man endlich doch damit auf-
hören müssen, wie es Forscher wie Kretschmer, Winternitz,
Helm u. a. schon längst gefordert haben, die Frage nach der
Lang- oder Kurzschädligkeit der Indogermanen in das idg.
Heimatproblem einzumengen').
Etwas besser steht es mit der Beweisbarkeit der Prädikate
blond und gross, die man dem Urvolk gegeben hat. Nicht
nur aus den allgemeinen Gründen, die schon V. Hehn (P, 154)
geltend gemacht hat, sondern auch, weil es sich mehr und mehr
herausstellt, dass auch bei Griechen und Römern einen Teil
ihres Schönheitsideals die Eigenschaften der Grösse und Blondheit
gebildet haben (vgl. mein Reallexikon u. Körperbeschaf feo-
heit der Indogermanen, dazu den Nachtrag zu diesem
Artikel und De Lapouge L'Aryen, son rdle social ^ Paris 1899),
und es eine allgemeine Erfahrung ist, dass solche Schönheits-
ideale von den herrschenden, also von den erobernden Klassen
1) Selbstverständlich soll damit nicht gesagt sein, dass die
Frage, warum an der einen Stelle die Dolichokephalie, an der andern
die Brachykephalie, an der dritten die Mesokephalie überwiege,
seitens der Anthropologie und Ethnographie nicht ernstester Erwägung
würdig sei.
ibgeleilel werdeu. Ut-r hedauei'liclie In'tuiii, <lcr «laliei immer
pieder von zsibtreicben Aoturen iiegaagen wird, i»I nur der, Aasb
■e jene EJgenacbaften als ein«» fast atiBschliesalk'lien Besitz den
9ermanen beilegen. Vielmehr werden alle curopäiscben Nord-
rOlker von den Alten als gross and als /laXuxü-, evf^l''■, ^cjttü-
utd Tnißffäjgixfi geschildert. Schon Herodot iIV, 108) bezeichnet
: Budinen im ästlicben Europa als e&vog löv fiiyn xai nolkot-
riavuöy rt tiSv la^c^KQmq nai :ivQQ6r. Die Slaven sind nach
•rokop (B. G, III, 14, et'^^xHc, »int/ioi »nd vmgvßQin, die
ietoniscben Kranen in Thrakien heissen invi'}ni, die getiseheu
toralli ßar,i usw. (vgl, W, Tomaschek Die alten Thraker I,
t)5, Sitzuugsb. d. Kais. Ak. d. W. phii.-hisl. Cl. Wien. 1281.
üleichwobi haben wir kaum ein Recht, uns das idg. Ur-
nlk als eine völlig homogene blonde und grosse Menschenmasae
ror/nstellen. Vielroebr werden aiieli in Beziehnug auf Kom-
llcston nnd .Statur, je nacb den verschiedenen uSfäramen schon
der Dr/.eit Verschiedenheiten geberrecht haben. Lehrreich
iod in dieser Beziehung die Verhältnisse der Montenegriner,
ron denen man annehmen darr, dass sie in der Abgeschlossenheit
hres Berglaudes auch in somatischer (wie in kulturgeschichtlicher)
Hinsicht manche Züge des urzeillicheu Lebens treuer als andere
Völker bewahrt haben, und über die Kovinskij Montenegro
(Sbornik LXIII Nr. 3 p. 2HH fl',) ausführlich berichtet. Nachdem
er bervorgehohen hat, dass die Htatur des Montenegriners Uber-
mittelgross bis sehr gross sei, fährt er fort: „Was die Farbe
der Angcn nnd Haare anbetrifft, so möchte ich mich nicht zu
entscheiden unterfangen, welche Elemente überwiegen. Es
scheint mir, das? es mehr schwarze und braune als graue und
^^blane Augen gibt, und wohl auch mehr schwarze und kastanieu-
Hiubige oder dunkelblonde als blonde Ilaare. Durch hellere
^Varben zeichnen sich die Stämme der BelopavHd, Pivljane,
^■)robi\jaki nnd Pipery ans. Aber gleichzeitig treffen wir auch
^Boter den schwarzhaarigsten .Stämmen wie denjenigen der Ku6i,
^Bekljane, CermniCauc dieallerhellstenblonden Elemente an,"
Es ergibt sieb also, dass nicht der geringste Grund vorliegt,
selbst wenn man sich das idg. Urvolk als vorwiegend gross
nnd hell voi'stellt, es deswegen gerade aus den Germanenländern
lervorqDellen za lassen.
und doch haben derartige, wir wiederholen es, gänzlich
- 472 —
nnbegründete und als solche jetzt eigeutlieh anch allgemein zu-
gegebene Vorstellungen ohne Zweifel auch die Prähistoriker
beeinflussty deren urheimatliche Konstruktionen man tlberhaupt
nur verstehen kann, wenn man annimmt, dass sie von einer
nordeuropäischen Urheimat der Indogermanen als von etwas
Selbstverständlichem und nicht erst zu Beweisendem ausgehen.
Dies gilt hauptsächlich von den Arbeiten M. Muehs und
Kossinnas, deren Lehren bereits F, 177 ff. so ausführlich dar-
gestellt und kritisch beleuchtet worden sind, dass ich mich hier
auf eine Zusammenfassung meiner Bedenken gegen dieselben
beschränken kann.
Diese Bedenken beziehen sich erstens auf die von beiden
Forschern beliebte beweislose Gleichsetzung gewisser Kultnr-
bezirke mit bestimmten Völkern, in Sonderheit mit dem Drvolk
der Indogermanen. Dies gilt von der Identifizierung der stein-
zeitlichen Ausbreitung der Indogermanen in Europa mit der Ver-
breitung der Feuerstein-Geräte und Waffen bei Mucb, ebenso
wie von der als blosses Axiom auftretenden Behauptung Kossinnas,
dass ein norddeutscher Kulturbezirk mit Megalithgräbern und
Tiefomairientik der Tongefässe das Heimatland der Indogermanen
gebildet habe. Sie beziehen sich zweitens auf die bei Much fast
gänzlich, bei Kossinna gänzlich beweislose Erklärung der unter-
schiedenen Kulturgruppen durch Völkerwanderungen (nicht
etwa durch Handel oder Kulturübertragung), wofür man bei ersterem
z.B. auf seine Auffassung der ältesten Bernsteinfunde, bei Kossinna
auf seine Kugelamphoren und alles übrige verweisen kann. Drit-
tens darauf, dass, selbst wenn man die ausschliessliche VerbreitUDg
derartiger Kulturgruppen durch Völkerwanderungen zugäbe, doch
jeder Beweis dafür fehlt, dass diese Wanderungen wirklich von
Nord nach Süd, bezüglich von West nach Ost gingen, dass, wie
es in einer lesenswerten Besprechung des Much sehen Buches
(G. Fritsch Politisch-anthropologische Revue III, 2, p. 108)
heisst, „der Pfeil, der die Richtung andeutet, nicht zuweilen
richtiger seine Spitze der entgegengesetzten Seite zukehre."
Viertens darauf, dass, wenigstens bei Kossinna, das Material
der Tatsachen ein unbeschreiblich dürftiges ist, fünftens
darauf, dass bei beiden Forschern die Altertümer, auf denen sie
ihre Konstruktionen aufbauen, fast ausschliesslich der besser
untersuchten westlichen Hälfte Europas entnommen sind, während
!er Osten nnseres Erdteils niid die gesaniteii iranischen Länder
unberlU'ksii'hligrl bleiben. So werden /.. B. mittelst einer Kuyel-
aniphore bei Koesinna die Arier (Indn-Iranier) hie /.nni Dniepr
befördert, dniui werden sie lioffnun^sloe ihrem weiteren Oeschick
preisgegeben. Der Fehler, der ganz im Anfang der nrheimat-
liclien Unterstie Illingen gemacht wurde, dass Dtan BnBsehlieHHiicfa
von den iiidieeli- iranischen Verhällnieeen aus die Creitze aller
Indogermanen hegtimtnen wollte, wiederholt sich hier in um-
gekehrter Kichtuug.
Dazn bedenke man, dase kein ein/.igee dieser [irähistorisehen
Argumente von den Mitforschern auf dicBcni Gebiete anerkannt
worden ist. daxs Kossinna die BeweiBfUhrung Muebs in Bausch
nnd Bogen verwirft, dasü Mneh (in der 2. Auftage Beines Bucliea)
diejenige Koesinnas, soviel ich sehen kann, ignoriert, daas
K. Helm, mit dem wir uub noch weiter beschäftigen mll^sen,
p. n geradezu erklärt, dass „wir berechtigt seien, dieser archäo-
logischen Paläontologie das grOsste Misstrauen entgegenzu-
bringen", daes einer der hervorragendsten unserer Frähistoriker
M. Hoernes, im Globus LXXXIII, Itil so weit gebt, „diese
einfache Identifizierung von [iräliistorischen TOpfen mit hiatortBchen
VolkBBtämmen" durch Kossinna für „einen Scherz", „pine
Farodie" zu halten, wenn „es dem Autor damit nicht heiliger
Ernst wäre'. Das alles bedenke man, nnd man wird es keinem,
der an historiseh-philologische Methode gewohnt ist, verUbeln
können, wenn er diesen urheimatlichen Hypotheken der Dr-
geschichteforscher vor der Hand völlig ablehnend gegenüber
steht, ohne dass es deswegen notwendig wäre, zu beBtreiten,
dnsB auch in diesen Werken, namentlich in demjenigen M. Muchs,
;a)snche feine, ftlr die Urgesebichle unseres Stammes wichtige
■obaehtnng enthalten ist.
Einen wi-scntlichen Fortschritt bedeutet den genannten
Otiten gcgenllber in methodischer Beziehung schon der
[oopseche Versuch (oben p,4ö9), ans den Waldbäumcn und
ialturpflanzen die idg. Urheimat zu ermitteln, insofern liier
idenfalls der ernsthafte Versuch gemacht wird, eine bestimmte
.altnrzone als Schauplatz einer bestimmten Epoche des vor-
istorischen Indogermanentams durch Hachforschung und
Iprachvergleiehnng zu erweisen. Dass dieser Versuch,
ie ich glaube, nicht gelungen ist, liegt an den Umständen, die
Sehradcr, SirtactiverKtelohaiig niid UrgcBohlCtite II. 3. Aatl. 31
- 474 -
obeu p. 173, 195 ff., 199 ansfttbrlich erörtert worden sind und
hier nicht wiederholt werden Bollen. Auch ist hervorznbeben,
dass Hoops (Waldbäame p. 384) selbst ansdrücklich und sehr
richtig bemerkt, dass eine so komplizierte Frage wie die nach
der Urheimat der Indogermanen nicht endgültig durch der-
artige Kriterien, wie sie von ihm geltend gemacht worden seien,
entschieden werden könne.
In einer ganz anderen Richtung sucht K. Helm (oben
p. 461) die Urgeschichte für die Frage der idg. Urheimat aus-
zubeuten, von der er, wie wir gesehen haben, wenigstens einen
Teil in die altgermanischen Länder verlegt. Von der älteren
Steinzeit der Muschelhaufen (Kjökkenmöddinger) an, so argu-
mentiert H., lässt sich in Dänemark niemals ein plötzlicher und
unvermittelter, totaler Kultnrwechsel, sondern immer nur eine
kontinuierliche Weiterentwicklung der Kultur feststellen. Dies
wäre undenkbar, wenn etwa in neolithisclier Zeit ein idg.
Völkereinbruch daselbst stattgefunden hätte. Daher müssen die
Germanen, bezüglich ihre Vorfahren, eeit der älteren Steinzeit
der Muschelhaufen in Dänemark ansässig sein. QmocI erat
demonstrandum. Indessen liegen die Dinge doch nicht so
einfach, wie der Verfasser uns glauben machen möchte. Zunächst
wäre darauf hinzuweisen, was der Verf. p. 12 Anm. 2 auch
selber tut, dass immer noch hervorragende Gelehrte an der
Meinung festhalten, dass die Muschelhaufen überhaupt nicht
Zeichen einer Kulturperiode, sondern „eines örtlich beschränkten
Kulturzustandes seien, der sehr gut mit anderen höheren gleich-
zeitig sein konnte^. Man könnte auch hervorheben, dass sich
dieselben Muschelhaufen nicht nur in Dänemark, sondern auch an
allen Küsten Westeuropas, in Frankreich, Portugal, Irland und
in Sardinien, also gerade in solchen Ländern finden, die wir uns
mit Recht (vgl. Kap. XII am Ende) von nicht indogermanischen
Völkern besetzt denken. Repräsentierten aber etwa die Muschel-
hau fen eine der nichtindogermanischen, neben den indogerma-
nischen bestehenden Kulturen Alteuropas, so würde natürlich
die ganze Beweisführung Helms von vornherein gegenstandslos
sein. Nun bin ich allerdings nicht dieser Meinung, sondern
glaube, dass die Kultur der Steingräber mit Viehzucht, Acker-
bau, Totenbestattung, geschliffenen Steinwerkzeugen usw. gegen-
über derjenigen der Muschelhaufen, in der alle diese Kultur-
~ 475 -
•erroDgenschafteD im wesentlichen noch fehlen^ und die neuer-
dings auch bei der Aufdeckung eines Seeländer Torfmoors zu-
tage getreten ist (vgl. Beilage z. Allg. Zeitung 1907 Nr. 10,
p. 79), eine neue, höhere Epoche darstellt, die sich trotz Helm
2um mindesten am einfachsten aus dem Auftreten einer neuen
Bevölkerung erklärt. Ob und inwieweit es demgegenüber Helm
gelungen ist, durch Nachweis kontinuierlicher Übergänge diese
Ansicht zu erschtlttem, kann, da es sieh dabei um eine Reihe
von Einzelheiten handelt, hier nattlrlieh nicht entschieden und
onr bemerkt werden, dass 8. Müller, doch wohl der beste
Kenner dieser Verhältnisse, in der Frage nach der Verschieden-
heit oder Identität der Bevölkerungen während der älteren und
jüngeren Steinzeit in Dänemark über ein non liquet nicht hinaus-
kommt.
Aber gehen wir einen Schritt weiter und geben wir dem
Verfasser zu, dass die Kultur der Muschelhaufen sich zu der-
jenigen der Steiugräber durch kontinuierliche Übergänge und
bei gleichbleibender Bevölkerung entwickelt habe, was steht,
wenn andere Kriterien dafür sprechen, der Annahme ent-
gegen, dass erst innerhalb der neolithischen Zeit eine
lieue Bevölkerung mit im wesentlichen gleicher Kultur sich mit
•der alten vermischt habe? Wohl haben wir in diesem ganzen
Buch die Ansicht vertreten, dass die urindogermauische Kultur
neolithischen Charakter trage; aber niemals haben wir diesen
Satz umgedreht und behauptet, dass neolithisch und indo-
germanisch identische Begriffe seien. Wir stehen vielmehr, so-
lange nicht das Gegenteil bewiesen ist, durchaus auf dem
Standpunkt, den M. Hoernes Urgeschichte des Menschen
p. 224 so präzisiert: ^Wir leugnen jedes engbegreuzte Centrum
für die Ausbreitung der neolithischen Kultur in Europa und
können nicht zugeben, dass diese Kultur mit all ihren in ver-
schiedenen Ländern beobachteten Merkmalen jemals — sei es
in Europa, seji es in Asien — Eigentum eines Volksstammes
gewesen sei.'' Auch möchten wir fragen: kann Helm etwa in
Indien, Griechenland, Italien, alles Länder, in die nach ihm
selbst (oben p. 461) die Indogermanen eingewandert sind,
lediglich durch archäologische Kriterien nachweisen, von welcher
Zeit an die prähistorischen Denkmäler Indogermanen angehören?
Wenn er das aber nicht kann, mit welchem Reoht folgert er
- 476 —
aus dem vielleicht an sieh richtigen Umstand, dass durch die
Altertümer ein Wechsel der steinzeitlichen Bevölkerung in den
nördlichen Ländern nicht bewiesen werden kann, dass ein
solcher nicht stattgefunden habe?^) Man könnte glauben.
1) Darauf, dass in späteren Epochen infolg^e grösserer Diffe-
renzierung der Kulturen auch die BodenRltertümer bestimmten Völ-
kern, z. B. Kelten, Slaven, Franken usw. zugeschrieben und daher an
ihnen auch Bevölkerungsbewegungen studiert werden können, ist
schon oben (P, 211) hingewiesen worden. — Während des Druckea
dieses Kapitels ging mir eine Besprechung der Helmschen Arbeit von
R. Much (Mitteilungen der Wiener anthropol. Ges. 1907) zu. Ganz in
unserem Sinne äussert sich dieser Gelehrte über die Argumentation
Helms folgendermassen : „Seine Ausführungen über den Zusammen-
hang der beiden Steinzeitperioden sind in der Tat sehr beachtenswi*rt
und machen an sich schon die Arbeit zu einer verdienstlichen. Aber
wenn er meint, dass ein indirekter Beweis für die Kontinuität der Be*
völkerung erbracht sei, sofern es nicht gelinge, eine neolithische Ein-
wanderung nachzuweisen, halte ich das für einen methodischen Fehler.
Man muss doch fragen, wie sich denn in einer Zeit sehr unentwickelter
und weithin sehr gieiehmässiger Kultur eine Einwanderung in der
Hinterlassenschaft bemerkbar machen soll, zumal wenn diese Einwan-
derung nicht von fernher, wenn sie langsam erfolgte und wenn etwa
nur eine herrschende Schicht über eine ältere Bevölkerung sich legte.
Es ist richtig, dass wir das Eindringen der Slawen in Deutschland
oder der Sachsen und Angeln in Britannien aus den Funden erkennen:
aber sind wir heute auch schon so weit, in den Funden Frankreichs,
Englands oder Italiens den Anteil der ersten Indogermanen von dem
ihrer Vorgänger reinlich scheiden zu können? Und sind wir imstande,
für die Kökkenmöddingerzeit an der Hand der Funde die Indo-
germanen irgendwo abzugrenzen, so wie wir etwa nach diesen die
Kelten in Italien abgrenzen können ? Ich glaube, dass, je weiter wir
zurückgreifen, destoweniger mit archäologischem Material in ethnolo-
gischen Fragen zu beweisen sein wird. Für die britischen Insehi ist
es nicht in Abrede zu stellen, dass hier die Indogermanen eine ältere
Bevölkerung sich unterworfen und bis auf den letzten Rest sich sprach-
lich angeglichen haben. Was steht grundsätzlich der Annahme ent-
gegen, dass ähnliches auch in Dänemark und auf der skandinavischen
Halbinsel ~ nur hier früher — erfolgt ist? Selbst für die Zeit der
grossen Steingräber halte ich für Dänemark eine Bevölkerung noch
nicht erwiesen, aus der ohne Nachschübe von aussen die der Bronre-
und Eisenzeit auf demselben Boden erwachsen konnte. Und wer sagt
uns, wo in der jüngeren Steinzeit und nun gar in der Kjökkennukl-
dingerzeit die Grenzen etwa zwischen den späteren Kelten und Ger-
manen verliefen ? Und dass also, wenn sie schon Indogermanen waren^
Hebt
diese Aiisehauimgeii der fitilier {1", 151) aiiB^esprocLeuen
Meiiinng widerspräcben , der /.ufotge die weitgehende Indo-
germaniuernng Asiens und Europas auf" eine relativ „hflhere
Gesitllin^" der sich ausbreitenden ludugermanen in Ver^leidi
mit den Urbevölkerungen hinzuweisen scheine. Dies ist indessen
nii'br der Fall, sobald mau den ßcgrifr der „höheren Uesittung"
iiiclit nur in der Äusseren und materiellon Kultur, von der wir
durcli die prähistorischen [>eukmHler Übrigens auch nur Bnich-
stik-ke kennen, sondern vor allem auch in den sozialen und
iligiüsen Institutionen sucht. Wir haben in Kap, XII gesehen,
die Indogemmnen in scharf ausgeprägter Vatertaniilie
)btOQ. Könnte die europäische Urbevölkerung bei im Übrigen
weseDtticb gleichen äusseren Kulturverbältnisseu nicht unter
der Herrschaft des Matterrechtes gestanden haben (vgl, Kap. XII
SchUiss)? Wir haben iu Kapitel VI gesehen, das» die Indo-
Tmaoeu iu erster Linie VielizUchier gewesen sind, denen
ipferkeitund Erobernngslust zu alten Zeiten die Brust geschwellt
ibeu. Konnte die europäische Urbevölkerung nicht den Fried-
ihen Ackerbau fleissiger betrieben haben? Wir haben in
iji. XV gesehen, dass den Indogermanen neben dem Toien-
[ieiist ein ausgeprägter Kult des „Vaters Himmel" und „der
Himmlischen" eignete. Konnte die europäische Urbevölkerung
nicht ausschliesslich dem Ahnenknitns gedient haben? Hat der
l'rähistoriker etwa Mittel, solche eventnellen Annahmen zu
widerlege» ?
Aber es »eil Wir wollen einmal zugeben, dass die Ans-
nUirungen Helms von A — Z stiebhaltig seien. Anch dann wäre
nicht viel fUr die Urbeimatfrage gewonnen. Haben doch die
ueneren Untersuchungen über die Flora der Muschelhanfenzeit,
der die Eiche, nicht, wie man bisher glaubte, die Kiefer der
tchende Raum war, diese ganze Kultur In jüngere Zeiten
bgertlekt, als man bisher annahm. „Uer Mensch hat sich
t Jahrtausende nach dem Aufhören der Vereisung iu den
■dischen Ländern niedergelassen. In der glazialen Tundren-
he, welche der Eisxeit folgte, und auch in der näcbst-
lenden Periode, als Birke, Espe und Kiefer anfingen, den
9 KAkkenjiiHridin^erleutn gerarti? Vorfahren il«r Germanen siml? Die
Ikehf liegt jedenfalls lanfre nicht Ml E^intach, als Helm sie sich vnrstellt.'
— 478 —
sumpfigen oder sandigen Boden zu besiedeln, war das Land zu
unwirtlich) um den Menschen zur dauernden Niederlassang
einzuladen. Erst als' mit der zunehmenden Erwärmung die
grossen Laubwälder ins Land zogen, fand auch der Mensch
sich ein'' (Hoops Waldbäume p. 78). Machen wir also die
Germanen mit Helm zu Anwohnern dieser Muschel häufen, nun
gut, so mtlssen wir uns sofort nach einer neuen und älteren
Heimat ftlr sie umsehen.
Wir können damit die anthropologischen und nrgeschicht-
liehen Beweisführungen zugunsten einer irgendwo in Nordeuropa
gelegenen Heimat der Indogermanen verlassen. Erwähnt sei nur
noch, dass auch dieses Hinausrtlcken der Urheimat an die äusserste
Peripherie der frtthistorischen Verbreitungsgrenze der Indo-
germanen einem der neusten Autoren noch nicht gentigt hat,
der vielmehr, gestützt auf die bisher erörterten Argumente und
angeblich im Awesta und Rigveda enthaltene hoch- oder höcbst-
nordische Erinnerungen (vgl. P 109 Anm. 1) kurzer Hand die
Heimat der Indogermanen an den Nordpol verlegt. Es ist dies
G. Biedenkapp (vgl. P, 121) in seinem Buch: Der Nord-
pol als Völkerheimat, Jena 1906. In der Tat haben die Er-
forschung des Nordpols und die der idg. Urheimat viel Gemeinsames.
Viele Leute haben sie entdecken wollen, mancher ist dabei ver-
unglückt, und keiner hat sie gefunden, d. h. mit Ausnahme des
Herrn Biedenkapp, der soeben wenigstens die Urheimat der Indo-
germanen am Nordpol entdeckt hat. Möchte es nun auch Herrn
Nansen gelingen! Die Heimat der Indogermanen am Nordpol!
Es klingt wie aus einer Faschingsnummer, und doch hat das Buch
das Gute, dass es uns zeigt, .wohin wir kommen, wenn wir uns
bei der Erörterung dieser Fragen über alle historischen
Daseinsbedingungen der Völker hinwegsetzen.
Neben der Anthropologie und Urgeschichte hat auch die
Geographie in die Erörterung der idg. Urheimatfrage von
verschiedenen Seiten her eingegriffen. Gewiss mit Recht! Wenn
wir die Urheimat einer Völkergruppe, ihre älteste Verbreitnug,
ihre frühesten Wanderungen usw. feststellen wollen, wie könnten
wir dabei die Beschaffenheit des Geländes unberacksicbtigt
lassen, in dem sich diese Vorgänge abgespielt haben? Dieses
Gelände ist nicht von Anfang an so wie heute gewesen. Es
hat eine Zeit gegeben, da Europa von Nord- und Inner- Asien
- 479 -
dnrch Meer, Seen nnd Eis getrennt, hingegen mit Afrika und
Sttdwestasien landfest verbunden war. Es hat auch eine Zeit
gegeben, in der ^eine Inland eismasse von 300 bis 1000 m Dicke
das nördliche und mittlere Russland bedeckte'^, in der „weiter
im Westen die ganze skandinavische Halbinsel, Grossbritanuien
bis auf einen schmalen südlichen Streifen, Irland, der Raum,
den heute Ost- und Nordsee einnehmen, damit natürlich die
Inseln beider Meere und die cimbrische Halbinsel mit Eis bedeckt
waren ^S in der „ausserdem sich von Rnssland her das Inlandeis
südwestwärts bis zur RheinmUndung zog, so dass Norddeutscbland
mit Eis bis an den Nordrand der Mittelgebirge bedeckt war^,
in der „in Mitteleuropa die Alpen bis über den Fuss hinaus ver-
gletschert gewesen sind^ usw. Alles dies kann gegenwärtig
als feststehend angesehen werden. Die Frage ist nur, kann es
direkt mit der Ermittelung der idg. Urheimat, d. h. mit der
Feststellung desjenigen geographisch relativ beschränkten Gebietes
in Znsammenhang gebracht werden, von dem die idg. Wanderungen
ausgegangen sind. Jene Ansätze der Paläogeographen sind ja
vollkommen zeitlos, und man kann den letzteren, wie ich oft
erprobt habe, keine grössere Verlegenheit bereiten, als mit der
Frage: wann haben die Zustände geherrscht, welche Du da
beschreibst? „Kaum eine Frage", sagt Melchior Neumayr
Erdgeschichte II, 651, „wird häufiger von den Laien an den
Geologen gerichtet als nach der Dauer der vergangenen Perioden,
und kaum auf irgend eine Anfrage ist er so wenig imstande,
eine bestimmte und befriedigende Antwort zu geben. Das einzige,
was er sagen kann, ist, dass es sich um ungeheuer lange Zeit-
räume handelt, um Ziffern, von deren Grösse nnd Bedeutung
man sich kaum mehr eine Voratelinng zu machen imstande ist."
Dasselbe gilt natürlich im speziellen auch von dem Zeitraum, der
seit der letzten Vergletschernng Europas in der Richtung auf
die Gegenwart verflossen ist.
Demgegenüber bedenke man, dass kein einziges der idg.
Völker sich geschichtlich mit Sicherheit vor dem Jahre 2o00
V. Chr. nachweisen lässt, und man wird den Ansatz des III. oder
IV. Jahrtausends v. Chr., also einer Zeit, da in Babylonien und
Ägypten bereits geschichtliches Leben blühte, als Zeitpunkt der
ältesten idg. Ausbreitung schon ziemlich hochgegriffen finden.
Auch würden wir, worauf Wintemitz Beilage z. AUg. Zeitung
- 480 —
1903 p. 132 mit Recht hingewiesen hat, da sich die meDschiicbe
Sprache immer, wenn auch in geschichtlichen Zeiten stärker ab
in vorhistorischen, verändert, ohne Zweifel nicht mehr in der
Lage sein, die idg. Spracheinheit nachweisen zu können, wenn
wir etwa als Trennungsepoche der Indogern^anen statt des 111.
oder IV. vielmehr das XXX. oder XL. Jahrtausend v. Chr. an-
setzen wollten. Aus alledem ergibt sich, dass wir es bei der
ältesten Ausbreitung der Indogermanen mit einer an
der Schwelle der Geschichte verlaufenden Völker-
bewegung in neolithischer, ja, wegen der Bekanntschaft
der Indogermanen mit dem Kupfer, in spät-neolithischer
Zeit zu tun haben, in der nicht nur, wie oben gezeigt, die
Völker Europas bereits aus Mischungen von Lang- und Kurz-
köpfen, Lang- und Breitgesiehtern, Blonden und Brünetten
bestanden, sondern in der auch die geographischen
Verhältnisse der Oberfläche Europas bereits dieselben
wie in den frühhistorischen Perioden waren.
Nichtsdestoweniger möchte ich glauben, dass jene paläo-
geographischen Tatsachen auch für die idg. Heimatfrage nicht
durchaus gleichgültig sind, und zwar in einer doppelten Hinsicht.
Wenn jene wiederholten Vergletscherungen Europas zu-
sammen mit den, nach Ansicht der Geologen, auf sie folgenden
Tundren- und Steppenbildungen sich auch viel zu früh abgespielt
haben, als dass die indogermanischen Völkerbewegungen in irgend-
welche direkte Beziehungen zu ihnen gebracht werden könnten,
so haben jene .urzeitlichen Verhältnisse doch immerhin ihre
Schatten bis in die historischen Zeiten geworfen. Von hober
Bedeutung ist in dieser Hinsicht das III. Kapitel des Hoopsschen
Buches: Wald und Steppe in ihren Beziehungen zu den prä-
historischen Siedlungen Mitteleuropas. Der Urwald, so un-
gefähr führt der Verfasser aus, ist immer der Feind, niemals der
Freund des Menschen gewesen, der ihn deshalb mehr gemieden
als aufgesucht hat. Es ist aber eine irrige Vorstellung, sich das
mittlere und nördliche Europa in frUhhistorischer Zeit ans-
schliesslich von Urwald bedeckt zu denken. Vielmehr ist das-
selbe an dauernd ohne Walddecke gebliebenen Strecken reicher,
als man bisher geglaubt hat. Solche waldfreie oder waldarme
Strecken finden sich nun aus Gründen, deren Erörterung hier
zu weit führen würde (vgl. dazu auch Krause a. a. 0. p. 929 f.),
— 481 -
vorwiegend auf altem, der Vergletscherung gefolgten Steppeu-
boden: „Es lassen sieb deutlieb zwei Züge unterscbeiden, die
nach Osten zu mit den pontischen Steppen in Verbindung
stehen .... Der Haupt/ug führte von den pontischen Steppen
die Donanlinie aufwärts nach Mähren, Süddeutschland und der
Schweiz, wo namentlich das untere Alpenvorland in seiner ganzen
Ausdehnung von Niederösterreich bis zum Jura, ferner die Hoch-
flächen der Schwäbischen und Fränkischen Alb, das Vorland
des Schwarzwaldes und das Neckarland sowie die oberrheinische
Ebene von ausgedehnten Steppen bedeckt waren. Auf der
Hochsteppe der Fränkischen Alb, im Maingebiet und im nörd-
lichen Böhmen begegnete sich dieser Zug mit einem anderen,
der von den pontischen Steppen aus nördlich an den Karpaten
entlang nach Norddeutschland verlief, wo wir im mittleren Elbe-
und Saalegebiet, in der Kyffhäuser Gegend und am Ostrand
des Harzes auf altem Steppenboden stehen, der sich wahr-
scheinlich durch Nordwestdeutschland bis nach Belgien und
Nordfrankreich fortsetzte.'' Auf diesen beiden Linien, die wir
kurz als die Pontus Donaulinie und Pontus-Karpatenlinie bezeichnen
können, lassen sich seit paläolithischer Zeit auch die meisten
menschlichen Ansiedlungen nachweisen. Sie werden wir daher auch
für die ältesten Wanderungen der Indogermanen in erster
Linie ins Auge zu fassen haben. Hiermit ist natürlich über den
Ausgangspunkt dieser idg. Völkerbewegung noch nichts gesagt,
der vielmehr auf ganz anderem als anthropologischem, ur-
geschichtlichem oder paläogeographischem Wege zu bestimmen
sein wird. Nachdem dies aber geschehen sein wird, liegt
doch die Frage nahe: kann in jenem Raum, den wir als
Ausgangspunkt der Indogermanen in Anspruch nehmen, die idg.
Sprach- und Völkereinheit auch entstanden sein, eine Frage,
bei der wir zum zweiten Male mit jenen geologischen Tatsachen
in Berührung kommen werden
Eine Reihe von Anregungen, wie aus dem Hoopsschen
Buche, habe ich für die Erörterung der Heimatfrage auch aus
den Arbeiten F. Ratzeis (P, 128) über diesen Gegenstand
empfangen (vgl. auch dessen Aufsatz, Der Ursprung der Arier
in geographischem Licht, Die Umschau 1899 Nr. 42 u. 43).
Allerdings muss ich gestehen, dass es mir, trotz eifrigen Studiums
und wiederholter Befragung hervorragender Fachgenossen des
— 482 —
Vf8., nicht gelungen ist, Überall ein klares Bild von der Ar-
gumentation Ratzeis zu gewinnen. Der Grand hierfür scheint
mir darin zu liegen, dass Ratzel in den genannten Arbeiten vier
verschiedene Gesichtspunkte nicht genügend auseinander ge-
halten hat, nämlich erstens die Frage nach der Entstehung
der idg. Sprach- und Völkereinheit, zweitens die Frage nach
derOrtlichkeit, wo die T r ennung der idg. Sprach- und Völkereinbeit
stattfand, drittens das Problem der Entstehung der idg. Einzel-
völker, das R. V. Jhering (P, 50) bereits streifte, und viertens
endlich die Beziehungen des Indogermanentunis zu den von den
Prähistorikern unterschiedenen Kulturepochen der Stein-, Broiize-
und Eisenzeit. Immerhin treten in den Ratzeischen Arbeiten
doch zwei Sätze mit grosser Deutlichkeit hervor: erstens dass
an der Bildung des idg. Urvolkes die pontischen Steppen und
Übergangsgebiete zwischen Wald und Steppe den grössten Anteil
haben, zweitens dass die Donau- und Dniestrstrasse für die
Ausbreitung der Indogemianen von grosser Bedeutung gewesen
sind. Nimmt man hinzu, dass von dem ungeheuren Raum, den
Ratzel schliesslich als Urheimat der Indogermanen in Anspruch
nimmt („er nmfasst den nördlichen Teil des Zweistromlandes,
Armenien und den Kaukasus, Kleinasien und ist durch dag
Schwarze Meer, die nördliche Balkanhalbinsel, die Donau und
den Dniester mit Inneneuropa, durch die Ostsee mit Nordeuropa
verbunden"), Kleinasieu und Armenien ausscheiden, da die idg.
ViUker, hierher, wie wir noch weiter sehen werden, ganz sicher
erst in späterer Zeit gelangt sind, so zeigt sich, dass das
Ratzeische Endergebnis, abgesehen von der weiten Ausdehnung
seines Ursprungslandes gegen Norden, von dem 10 Jahre frtther
in „Sprachvergleichung und Urgeschichte" gewonnenen nicht
wesentlich verschieden ist, so dass ich F. Ratzel ebenso wie
A. Fick (oben p. 465), eher zu den Anhängern als Gegnern
einer nordpontischen Urheimat der Indogermanen zählen möchte.
Noch einmal werden wir zu den Ausführungen dieses Gelehrten
bei der Erörterung der Entstehung der idg. Sprach- und
Völkereinheit zurückkehren, für die sie mir den grösseren
Wert zu haben scheinen.
Es hat sich ergeben, dass wir bei der ältesten Ausbreitang
der Indogermanen es mit einer in spätneolithischer Zeit fast ao
der Schwelle der Geschichte verlaufenden Völkerbewegnng zu
- 483 —
tnn haben. Es folgt hieraus, dass wir die zuverlässigsten
Kriterien für die Bestimmung des Ausgangspunktes dieser Völker-
bewegung in den frUhgesehichtlichen Verhältnissen selbst
zu erwarten haben werden. Indem wir uns daher nunmehr zu
der positiven Erörterung des Heimatproblems wenden, werden
wir zunächst die ältesten Stammsitze der idg. Einzelvölker
und ihre Bedeutung fflr die Bestimmung der idg. Urheimat fest-
zustellen suchen. In einem zweiten Abschnitt werden wir die
in diesem ganzen Werk zerstreuten linguistisch-historischen
Anhaltspunkte f(tr die Ermittelung des idg. Driands sammeln.
Drittens werden wir alsdann die Frage erörtern, ob in dem-
jenigen geographischen Bezirk, von dem zufolge der im ersten
und zweiten Abschnitt gewonnenen Indizien die Ausbreitung der
Indogermanen ausging, auch die Entstehung der idg. Sprach-
und Völkereinheit zu denken ist.
I. Die ältesten Stammsitze der idg. Einzelvölker und
ihre Bedeutung für die Bestimmung der idg. Urheimat^).
Die idg. Sprachen zerfallen je nach dem Geschick, welches
in ihnen den uridg. Palatallauten C^, kh, §, gh) zuteil geworden
ist, in solche, die, an Stelle der palatalen, spirantische und
in solche, die in gleichem Falle /T-Laute aufweisen. Ein
gutes Beispiel hierfür bietet das Zahlwort für Hundert, idg.
*kmtöm: scrt. qatäy aw. satem^ lit. szifhtas gegenüber griech.
exaxövy lat. centum^ altir. c^t, got. hund. Man hat sich daher
gewöhnt, diese beiden Gruppen der idg. Sprachen als Satem-
und Centumsprachen zu bezeichnen, und erblickt einstimmig in
diesen Lautverhältnissen die Spuren dialektischer, schon in der
idg. Grundsprache vorhandener Unterschiede. Da wir nun die
Wahrnehmung machen können (vgl. schon P, 172 und oben
p. 127), dass noch die älteste geschichtliche Lagerung der idg.
Einzelvölker diesen vorgeschichtlichen dialektischen Unter-
1) Vgl. hierzu R. v. Erckert Wanderungen und Siedelungen
der germanischen Stämme, Berlin 1901, Karte II: Indogermanische
Völker in Europa zu Anfang des VI. Jahrhunderts. Wir begrüssen in
diesem Werk den ersten kartographischen Versuch, die Ethnographie
Europas auf Grund der linguistischen Errungenschaften darzustellen.
Im einzelnen weichen wir nicht selten von den Erckertschen Auf-
stellungen ah.
— 484 -
schied insofern widerspiegelt, als die Centumvölker noch heute
den Westen, die Satemvölker den Osten des idg. Sprachgebiets
einnehmen, so erhellt hieraus die wichtige Tatsache, dass in dem
relativen Lagerangsverbältnis der idg. Einzel Völker zueinander
durch die Ausbreitung der Indogermanen keine allzu grosse
Verschiebung eingetreten sein kann, und es ergibt sich von
vornherein der Satz, dass diejenige Lokalisierung der Urheimat
die wahrscheinlichste sein wird, welche allzu beträchtliche, rein
imaginäre Translokationen der Einzelvölker, z. B. der Inder vön
den Ufeni der Spree nach Indien, der Griechen aus den Gefilden
des südlichen Schwedens nach der Balkanhalbinsel usw. vermeidet
und in der frühhistorischeu Lagerung der Eiuzelvölker
nicht viel mehr als ein vergrössertes und auseinander
gezogenes Bild ihrer Lagerung in der Urheimat erblickt.
Wir haben früher von einem „sich Aufrollen" des idg. ürvolkes
gesprochen und müssen nun die in Geschichte und Sprache vor-
liegenden Spuren „eines sich Zusammenziehens" der idg. Einzel-
völker in der Richtung auf einen gemeinsamen Mittelpunkt fest-
zustellen suchen, aber immer unter peinlichster Berücksichtigung
des geschichtlich TatsächHchen oder wenigstens Möglichen
und Wahrscheinlichen.
Beginnen wir unsere Besprechung mit dem östlichen Flügel
der Satemvölker, so scheidet von der ältesten Verbreitungs-
sphäre der Indogermanen zunächst das eine Zeitlang als ihre
Heimat in Anspruch genommene Indien aus; denn es kann
nicht bezweifelt werden, dass eine Besiedelung Indiens durch das
Sanskritvolk, und zwar von Nord- Westen her stattgefunden hat,
eine Bewegung, welche in den Gesäugen des Rigveda noch als
im Verlaufen begriffen geschildert wird. Die Inder dieses Zeit-
alters, deren Hauptsitze an den Ufern des Sindhu (Indus) za
suchen sind, haben von der Gangä (Ganges), welche nur ein-
mal in Rigveda genannt wird, noch keine direkte Kunde. Auch
bis zu den Mündungen des Indus, bis zum arabischen Meer
scheinen sich ihre Sitze damals noch nicht erstreckt zu haben
(vgl. Zimmer Altind. Leben p. 21 f.). In sehr anschaulicher
Weise spiegelt sich dieses allmähliche Vordringen der indischen
Stänmie nach Süd und Ost in der verschiedenartigen Einteilung
und Benennung des Jahres in älteren und neueren Sprachperioden
des Sanskrit ab, wie wir dies oben p. 227, 239 ausführlich dar-
4»f)
' feitlelli haben. Da nun das älteste iDdiech vun tleiii ältesten
Iraniücli ricIi k»uin inelir ab eine griechiscbe oder deniselie
Muudni't von der anderen nnterscheidet, so erhellt hieran», dase
wir die Inder, <lie sieh ja auch, ganz wie die Iranier, als Arier
bi.'Keichneten Iver^l. oben p. ii^2), zunächst bis auf iranischen
Boden erfolgen könne«, von wo sie, am wahrsclieinliehsten auf
dem alten V'llker- und Hamlelsweg entlang dem Kabul in das
Indnstal eingewandert sind.
Auf iraniscliem ViSlkerb<tden, anf den wir daher sufort
übergehen können, ist die ftlr unsere Zwecke wichtigste Frage
die naeli dem Verhältnis, in dem die zwcirellos alliranisehen
Vr.lker, Meder und Perser, die Stfinime, die da.s Ostiraniacli des
Awesta sprachen usw.. zu denjenigen nomadischen oder halb-
nomadischen VolkerBchafteo stehen, die im Norden Irans von der
kirgisisch-lurkmenisoben Steppe In» lief in das europäische
Russland reichen, und von den Allen als Saken, äkythen,
8koloten (diese Namen hängen untereinander wohl auch
etymologisch zusammen) und Sarmaten bezeichnet werden. Alf
Antwort auf diese Frage kann gegenwärtig mit Sicherheit gesagt
werden, das« die Skythen eine arische Sprache redeten und
der tirnndstock dieser Vßlker also ein arischer war. Dies folgt
nicht nur ans den zahlreichen skylhisehen Figennanien, Feraonen-
namen, wie den mit -:nr; (z. R. Kukäiai';) = aw. j-rfoya „Fllrst"
gebildeten, Göllernamen, z. Ü. Tnßitl, die Herdgöttin: aw. tup
„beiss sein", l-loyi/i^aoa, Venus Urania, *ar!jnma-pnna „die
^^larkannige" : aw, häsu „Arm der Menschen und flüfter" (vgl,
^Bobolevsky Archiv fQr slavische Philologie XXVIII, 449),
^Hiosanamen wie7'ivai^: &w.däiiu „Flnss" (vgl.SoboleFsky Archiv
^^XVII, 240, der wahraehcinlich macht, dass gewisse Skyihen-
stänime die Media in die Tenuis verschoben), sondern auch aus
den allerdings selteneren andersartigen Wrirtem wie h-ägrei;, nach
Bttodot = ^vAf)6-/vvoi: aw. nar „Mann" mit Alpha privativum
ler ol6ß „Mann" = aw. rfra. Ferner zeigen sowohl dieslavischen
le auch die ostfinnischen Sprachen sehr alte Entlehnungen aus
dem iraniscfaeu Sprachenkreis, die natürlich nur durch Skythen
vermittelt sein künnen, wie z. B. das gemeinslavische f>ogü „fiott"
aus aw. baya oder die oslfinnischen Bezeichnungen des Goldes und
EJsenB (oben p. 42, SU). Endlich spricht auch das kleine kau-
uiscfae Völkchen der Osseten bekanntlich noch heute eine
— 486 —
rein iranische Sprache und muss als ein letzter hochnordiseher
Rest der Sarmaten und Skythen betrachtet werden. Die Er-
kenntniB aber, das8 die Skythen Arier waren, beantwortet zugleich
die Frage nach den ältesten Stammsitzen der letzteren: „Da
wir^, sagt E. Meyer Geschichte des Altertums I, 514 mit Recht
,,wohl einen Übergang von unsteter zu sesshafter Lebensweise
uns vorstellen und geschichtlich nachweisen können, nicht aber
in gleichem Umfang das umgekehrte, so wird anzunehmen sein,
dass die sesshaften Arier ans der turanisch-stidrussischen Steppe
in ihre späteren Wohnsitze gelangt und hier zu einer höher
entwickelten Kultur übergegangen sind, dass sich also ihre An-
siedelung ähnlich vollzogen hat, wie jetzt die türkischer Stämme
in denselben Gebieten oder wie der Semiten in Syrien und im
Tigrisland.^ Auch ganz direkt werden im Altertum (vgl. Animi-
anus Marc. XXXI, 2, 20) die Perser als originitus Skythen l>e-
zeielinet. Schwieriger ist es, den Weg zu bestimmen, auf dem
sich diese nord-südliche Ausbreitung der Arier vollzogen hat.
Während man frtther meist an eine von den Oxus- und Jaxartes-
ländern ausgehende Besiedelung Irans dachte, fassen neuere
Gelehrte vielfach, besonders seitdem Scheftelowitz K. Z.
XXXVIII, 260 ff. in den Kossäern des Zagrosgebirges, die Baby-
lonien von 1700 bis 1100 v. Chr. beherrschten, und in den
Mitiani, die im XVI. Jahrhundert in Mesopotamien regierten,
Iranier erkannt zu haben glaubt, Medien und Persis als „Kern
punkte des arischen Volkstums^ ins Auge. Ich möchte glauben,
dass auch der Annahme einer sowohl vom Westen (durch die
Kaspischen Tore) als auch vom Osten (längs des Oxns und
Jaxartes) ausgehenden Besiedelung Irans nichts im Wege steht.
Die gemeinsame Ausbildung der ältesten, speziell arischen (indisch-
iranischen) Spracheigentümlichkeiten wäre alsdann schon in die
nordische Heimat in den Grenzgebieten Europa-Asiens zu ver-
legen. Vielleicht weist in diese Zeit das finnisch-ugrische,
finn. mehiläinen, mordv. nieJciy mei, tscherem. mükJy müxij ung.
m^h etc. „Biene" zurück, das aus dem arischen, scrt. mäksha
„Fliege, Biene'' = aw. maxü „Fliege" entlehnt zu sein schemt
in einer Epoche, da die arischen Wörter, wie in der Grund-
sprache, noch e statt a im Stamme hatten (vgl. K. B. Wiklund
Le monde oriental I,^ p. 56). Daneben könnte in späterer
Zeit eine speziell arische Kulturperiode, deren Schauplatz W.
- 487 -
Geiger (Mus^on 1884) an die beiden Abhänge des Hindakusch
verlegt, hier oder anderswo gedacht werden. Denn es ist mir
dnrehans anwahrscheinlieh, dass au jenen arischen (indisch-ira-
nischen) Kniturgleichungen, z. B. an der grossen Zahl der
indisch-iranischen Knltnrwörter anf dem Gebiete der Religions-
gescbichte, alle iranischen Stämme, also anch die skythischen,
einmal teil hatten. Vielmehr möchte ich glanben, dass diese von
uns jetzt in gleicher Weise als „arisch^ bezeichneten Kultur-
wörter in Wirklichkeit sehr verschiedenen Epochen angehören.
Doch ist, soviel ich sehen kann, diese, wie mir scheint, nahe-
liegende Frage noch nicht aufgeworfen, geschweige beantwortet
worden (vgl. oben p. 207).
Die Skythen waren also ihrem Grundstock nach Arier.
Das ist sicher. Ebenso sicher ist aber, dass zahlreiche von
ihnen beherrschte und ebenfalls als Skythen bezeichnete Stämme
nicht reine Arier oder auch nur reine Indogermanen gewesen
sind. Vielmehr geht, worauf zuletzt I. Peisker (Die älteren
Beziehungen der Slawen zu Turkotataren und Germanen) mit
Nachdruck hingewiesen hat, aus den Nachrichten des Herodot
und Hippokrates deutlich hervor, dass jedenfalls die nordpontischen
Skythen, die jene beiden griechischen Gewährsmänner am besten
kannten, in Lebensweise und Eörperbildung zahlreiche un-
verkennbare turkotatarische oder uralaltaische Züge aufweisen,
so dass Peisker die Skythen geradezu als ^iranisierte Ural-
Altaier^ bezeichnet. Auf jeden Fall ergibt sich, dass in dem
eurasischen Steppengebiet einstmals arische Stämme ausgedehnte
oral-altaische Bevölkerungsschichten unterworfen und sich mit
ihnen vermischt haben müssen. Von einer solchen Unterwerfung
haben wir vielleicht noch Ktinde. Wir wissen, dass bis zum
VIII. (?) Jahrb. v. Chr. die skolotischen Skythen westlich nur
bis zum Don sassen, von dem an bis zur Donau das Volk der
Kimmerier {Kt^ijuegioi) wohnte. In der genannten Zeit wurden
diese Kimmerier von den westwärts vordringenden Skythen, die
sich an ihre Stelle setzten, aus ihrem Lande vertrieben. Als
selbstverständlich kann dabei angenommen werden, dass Reste
der alten Bevölkerung, z. B. die Taurer in der Krim, die nach
dem Kimmeriern heisst, zurttckblieben ^) (vgl. E. Meye r Geschichte
1) Dies geht auch indirekt aus Herodot IV, 1 —3 hervor, wo er-
- 488 —
des Altertums 1,544 nach Herodot IV, 11). Nnn besitzeD wir
über die Nationalität der Kimnierier, die jedenfalls von den
Skythen mit seltener Schärfe von den Alten geschieden werden,
keine direkten Nachrichten. Bedenkt man jedoch, dass die oben
erwähnten ural-altaischen Charakterzüg:e nach den Berichten
des Herodot und Hippokrates gerade bei den nordpontischen
Skythen mit besonderer Schärfe hervorgetreten sein miissen, so
liegt der Verdacht nicht fern, dass die Kimmerier Turkotataren
waren, und die pontischen Skythen ein Gemisch von Ariern und
Kiuimeriern darstellen. Indessen soll dieser Faden erst an einer
späteren Stelle wieder aufgenommen und hier nur noch auf ein
Kriterium hingewiesen werden, welches unsere obigen Annahmen
über die ältesten Wanderrichtungen der Arier zu bestätigen
scheint. Aus dem anregenden Büchlein Bacmeisters Aleman-
nische Wanderungen (Stuttgart 1867) wissen wir, dass wandernde
Völker sich gern von ihren alten Flussnamen begleiten lassen.
Nun haben wir im Rigveda die sagenberOhmte Rasd (vgl. scrt.
rasa' „Feuchtigkeit"), «die grosse Mutter** {mätd maht)y die um
des Himmels Höhe fliesst, über die es schwer ist, hinüber-
zukommen. Dieses vedische Rcutä entspricht genau dem
awestischen Ranhd, dem Namen eines ebenfalls sagenhaften
Stromes „mit breiten Ufern". Beide Namen aber hat bereits
K. Kuhn (K. Z. XXVIII, 214) mit der von Ptolemaeus er-
haltenen Bezeichnung des breitufrigen „Mütterchens" Wolga
*Pa, verknüpft, das aus *ra8d, *rad wohl entstanden sein kann.
Stellt man zu diesem rasdranhd nun auch noch den auf alt-
iranischem Boden so häufigen Flussnamen AraxeSy der bei
Herodot mehrfach sicherlich identisch mit dem Jaxartes ^) ( = aw.
raiihd?) ist, aber auch im Süden des Kaukasus und in Persis
wiederkehrt, so würde sich in der geographischen Verbreitung
dieses Flussnamens die oben besprochene nordsüd liehe Wanderungs-
richtung der Arier in einem östlichen und westlichen Zweig
treulich abspiegeln.
zählt wird, dass die Skythen bei Verfolgung der Kimmerier 28 Jahre
ausser Landes blieben, und während dieser Zeit die skythischen Frauen
sich mit ihren Sklaven, d. h. den zurückgebliebenen Elementen der
Kimmerier, einliessen: ex tovtcov 6fj (ov oqri rcov dovXwv xai twv yt^veuxwr
tJi€Tgu<fTj veöitjg.
J) Herodot I, 202, IV, 11; vgl. Zimmer Altind. Leben p. 15.
4S9
^wcb
Daneben besteht eine zweite Kette zasaiiimenbängender
Inssuamen, die sicbtlicb von dem iraniscbeu (awest.) dänu,
let. don „FIdss" abgeleitet sind (vgl. Sobolevsky Arcliiv
XVII, 240 ff.). Es sind von Osten nach Westen vorschreitend
hon oben genannten Tajiais (Dun), der JJatiapris (Diiiepr),
•naniTits (Üniestr) und Danuvius (Donan). Die drei zuletzt
snannteo Flnesnaiuen werden noch nicht von Herodot genannt,
dafür die Bezeiclinnngen BoQvaUiviji, Tvotj'; und "Imgog
«etet. Sobolevsky ist nun der Meinung, daes die letzteren
Ansdrlicke der ekytbischen Sprache, die auch nach ihm eine
iranische war, angehört hätten nnd erst um den Beginn unserer
^Aera durch die sarmatigchen , von dänu abgeleiteten Kamen
irdrängt worden seien. Bedenkt man jedoch, dass weder Bo-
■IH>i)i:, noch TvqTji;, noch 'laiyoi; mit irgend welcher Wahr-
iheinliehkeit aus dem Iranischen erklärt werden können, so
mochte ich eher vermuten, dass diese Flassnamen der nicfat-
iraniscben Sprache der oben genannten Kimnierier angehörten,
an den Mündungsgebieten der betreffenden FlUnse haften blieben
nnd SU den griechischen Kolonisten und dnrcb sie Herodot
bekannt wurden, während die mit dänu gebildeten Namen die
echt äkythischen (iranischen), vielleicht schon indogermanischen*)
sind, aber mehr im Innern des Landes galten und darum, was
aneh Kiepert Lehrbuch der alten Geographie p. 339 Aura. 2
vermutet, erst sp&ter genannt werden (Danumus hei Satlust,
DanaitruB und Danapri« bei Ammiauns Marcellinus).
Wir wenden uns nunmehr zu den europäischen Satem-
Jkem nnd beginnen ihre Bespreehnng mit den Slaven.
Es ist bekannt, dass diese Völker ini ersten Jahrhundert
iBerer Zeilrechnung unter dem Namen Veneti (Tacitus Germ.
eap. 46) oder Venedi (Plinins kigt. nat. IV, 13, 27j zum ersten
Haie in die Geschichte eintreten, und schon in dieser Zeit lassen
ih ihre Wohnsitze mit einiger Genauigkeit angeben. Dieselben
1) Es liegt u&he, mit dem iranischen dänu „FIusb" auch deti
thrakJDchen San-danus, den Ihessaliscben 'Am-Sarof, den ilnliechen 'Hg''
tay6i und den keltisch-ligurischen Bho-danuii zu verbinden (vgl. Bremer
Ethnographie der germanischen Stfimme in PauIb Gnindriss 111', 781).
In jedem Falle ist die Verknüpfnng des Dänumus mil dem irauischeu
Wort etnleuchtender ale seine Ableitnng von einem keltischen "tUnu
.tortl»'', wie sie Müllen hoff vorschlug.
. SpruebverKlaletinng und Crgeaehlchti 11. S. Aufl. 32
— 490 -
können nämlicb einerseits den Nordrand des Pontns noch nicht
berührt haben, da diese Gegenden von den Sarmaten oder San-
romaten besetzt gehalten wurden, andrerseits können sie im
Westen weder die Karpaten noch die Weichsel überschritten
haben; denn bis zu dem genannten Flüss kennt Tacitas ger-
manische Stämme, die sich teilweis, wie in den Bastamen, Ober
dieselben hinans bis nach dem heutigen Galizien und weiter er-
streckten, und in den alten getischen oder dakischen und panno-
nischen Eigennamen, die uns in reicher Anzahl überliefert sind,
hat man bis jetzt keine Spur von Slavismus entdecken können.
Müssen im Anfang unserer Zeitrechnung die Wohnsitze der
Slaven demnach nördlich der Pontischen Steppen und östlich der
Weichsel und der Karpaten gesucht werden, so lässt es sich
ferner wahrscheinlich machen, dass schon 5 Jahrhunderte früher
in den genannten Gegenden der gleiche Volksstamm ans&ssig war.
Herodot, der erste, welcher, wie wir bereits sahen, von dem Osten
Europas einige Kunde bringt, nennt nordwärts der Skythen« welche
den Unterlauf der vier grossen Ströme Dniestr, Bug, Dniepr, Don
besetzt halten, mehrere Stämme, die er ausdrücklich als nicht-
skythisch bezeichnet. Einer derselben waren die ^ev^o^ die nach
Herodot IV, 17 nördlich von den 2xt;#ai ägoi^geg wohnten. Nach
demselben Geschichtschreiber fliesst der Tvgtig (Dniestr) ans einem
grossen Sumpf, der „das Land der Skythen und das der Neuren
trennt^ (IV, öl). Alle Autoren, von ^afatik bis auf den heatigeD
Tag, stimmen nun darin überein, dass in diesen Nevgol, deren
Name in nordwestlicher Richtung in dem der Stadt Nur (Nuriska
zemljay Nurjaninü) am Nurec, einem Nebenflüsschen des Bog
(Zuflusses der Weichsel), wiederkehrt (vgl. Näheres bei W. To-
masche k Kritik der ältesten Nachrichten über den skythiscben
Norden II im 117. Band der Sitzungsb. d. Wiener Ak. p. 3) die
Urslaven zu erblicken sein. Zweifelhafter ist es, wie weit ihr
Land sich ostwärts erstreckte, da es sich schwerlich ausmachen
lässt, ob die an die Neuren angrenzenden, von Herodot ebenfalb
von den Skythen getrennten Audrophagen, Melanchlänen und
Budinen (vgl. oben p. 471), wie Müllenhoff Deutsche
Altertumskunde III, 18 für die beiden ersteren annimmt, eben-
falls Slaven, oder wie andere (z. B. Braun Untersuchungen auf
dem Gebiet der gotisch-slavischen Beziehungen I, Sbornik 64
Nr. XII p. 83) glauben, bereits Finnen sein. Wenn man Wert
'darauf legt, das» in dem urslavisclieu Wörterbacb eiaü Bezeichnung
fitr die Buche fehlt, deren Name von den »laviseben Einzel-
sprachen (vgl. z. B. ru»B. huktii ans dein Deutschen entlehnt
wurde, wflrde es sich empfehlen, die ursiavischen Wohnsitze
ans dem Quellgebiet der Dniestr etwas ostwärts zu rücken,
vorausgesetzt freilieb, dase die östliche Bucheugrenne damals
dieselbe wie heute war'). Im grossen nnd ganzen aber herrscht
in dienen Fragen eine erfreuliche Übereinstimmung der in Betracht
kommenden Forscher, öfi spricht eich MUllenboff Deutsche
A.-K- folgendermassen ans: „Naeb alledem können wir als
Kesnttal der bisherigen Untersuchungen hinsteilen, dass die
.Slaven in den ältesten uns bekannten Zeiten von den Karpaten
und dem oberen Laufe der Weichsel nm die grosse Sumpfregion
berunt nördlich bin an die Waldaihöhen, dann ostwärts gegen
die Finnen bis in den ersten, obersten Bereich der Wolga nnd
des Don verbreitet waren . . . Die älteetc nnd eigentliche
Heimat der HIaven war demnach das Gebiet des mittleren nnd
oberen Dnieprs", und ganz ähnlich heisst es auch in der neuesten
Behandlung dieses Gegenstandes bei M, Rruäevökyj*) Ge-
schichte des ukrainischen Volkes, Leipzig 19C>6 p. GH: „So
haben wir fUr das urslavische Territorinm die Strecke von dem
karpatischen Vorgebirge bis zur Alauner (Valdajer) Hochebene,
die Länder des oberen und des mittleren Duiepr (doch sind die
Territorien östlich vom Duiepr und auch in der Nachbarschaft
des Niemenbassins bestreitbar) und die Länder zwischen der
^JFeichsel und dem Niemen bis zum Meere (insofern diese Länder
^bcht von gotischen und litauischen Ansiedeinngen eingenommen
^Haren *). Woher die Slaven in dieses Territorium eingertlckt
^^B I) Gewöhnlich wird mit d«r heutigen östlichen Buchen^r^nze
^Hbn den Forschern wi« mit einer seil ewigen Zeiten feststehenden Tat-
^^Mehe gereehnet. »'ithrund doch die Oedchichte der nördlichen Bui'hen-
grenze zeiyt, wie variabel die Verbreitung dieseä Baumes im Laufe
der Zeil geweaen ist.
2} Wir mucheri auf dieses Werk auch deshalli hier besonders
auFtni-rksam. weil in ihm eine grosse Menge von die Uileste Ethno-
graphie und Urgeschichte des europAiächeu Ostens buireff ender, in
elaviechen Sprachen niedergelegtt-r Literatur verieichnct und charak-
BlUiert wird, die im Wt^sten nicht oder wenig bekannt kt.
i)) Ähnlich auch L. Niederle Slovanske »tarozilnouli l. 1.
rpraj!« 1902 (uat-h J. Peisker Die alleren Beziehungleu der Slavon
— 492 —
sein könoteo, dafür fehlt es an jedem Anhalt. Merkwürdig ist
die Übereinstimmung des Namens der beiden Flüsse Bug, des
Nebenflasses der Weichsel und des sich in das Schwarze Meer
ergiessenden (der südliche heisst bei Herodot ^'Yjtavig, bei
Jordanes Vagus). Vielleicht sind die Slaven einstmals ans dem
Bereich des einen (des südlichen) in den des anderen gewandert.
Nordwärts der Slaven sass der mit ihnen anfs engste rer-
bundene preassisch-lettische Sprachzweig, der zuerst in den
Aestii des Tacitus (Kap. 45) an der Bernsteinküste, hierauf in
den Galindae und Sudini des Ptolemäns als den Venedi be-
nachbart genannt wird. Müllenhof f a.a.O. p. 22 macht 68
wahrscheinlich, dass ^die Ausbreitung des gesamten Stammes
von Süden oder Südosten her vor sich gegangen sei, und dass
somit die Sumpfregion des Pripet einmal seine natürliche Süd-
grenze und die erste Basis seiner Ausbreitung gewesen sei'^.
Nach einer Auseinandersetzung J. v. Fierlingers (K. Z. XXVII,
480) ginge aus der von Herodot überlieferten NamensgestaltUDg
NevQoi, in welcher das balto-slavisehe Lautgesetz der Verwand-
lung von idg. et?, eu in or, ou (griech. ijtXev-oa, lit. pldutiy altsl.
plutiy plovq) noch nicht eingetreten sei, hervor, dass sicherlich
im V. Jahrhundert die baltoslavische Spracheinheit noch bestanden
habe (vgl. I», 138).
Von wann an dieser Sprachzweig bis zur Bernsteinkflste
gesessen habe, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Nach
zu Turkotataren und Germanen p.2). — Allerdings widerspricht diese
Lokalisierung der slavischen Urheimat der Tradition der ältesten
Kiewer Chronik: „Nach langen Zeiten siedelten sich die Slaven an
der Donau an, dort, wo heute das Ungarische und Bulgarische Land
ist; von hier aus verbreiteten sich diese Slaven in die Länder und
haben eigene Namen angenommen.'^ Aber mit Recht bemerkt Uru-
2evdkyj p.68: „Diese Tradition widerspricht der ganzen Summe unserer
Kenntnisse über die slavische Kolonisation, sie ist eine misslungene
Hypothese eines Kiewer Buchgelehrten. Sie hat sich in jenen Zeiten,
als sich das Andenken an die slavische Migration bereits verwischt
hatte, aus allerlei Tatsachen herausgebildet, z.B. aas den Erwähnungen
der Donau in der Volkspoesie, aus biblischen Erzählungen über die
allgemeine Verteilung der Völker aus dem Süden — , wurde aber >'iel-
leicht hauptsächlich durch frische Tatsachen der Verdrängung der
Slaven aus dem mittleren und unteren Donaugebiet im X. — XI. Jahrb.
eingehaucht; sogar in den Volksüberlieferungen hatte sie offenbar
keinen Anhaltspunkt.*'
— 493 —
A. Bezzenberger {Bulletin de VAcad&mie Imperiale des
Sciences de St. Pitershourgj Nouvelle S^rie IV — XXXVI — ,
51) Hessen sieb Angehörige des litauischen Stammes schon vor
ungefähr 5000 Jahren (?) ostwärts vom karischen Haff durch
prähistorisch-linguistische Kombinationen nachweisen.
Ebenso wie der Norden des Pontus, ist in erkennbarer,
historischer Zeit auch der Westen desselben von idg. Satem-
völkem besetzt.
Die ausgedehnten Striche zwischen dem Unterlauf des Ister
und den Gestaden des ägäischen Meeres und der Propontis hält
im Altertum der Volksstamm der Thraker besetzt, den Herodot
(V Kap. 3) für das grösste aller Völker nach den Indern an-
sieht. Die dürftigen Überreste der thrakischen Sprache (vgl.
P. de Lagarde Ges. Abb. p. 278 ff., A. Fick Spracheinheit
p. 417, W. Tomaschek im 130. B. d. Wiener Sitzungsb.,
G. 3Ieyer B. B. XX, 116, P. Kretschmer Einleitung p. 217)
reichen hin, um in ihnen die Spuren eines zur europäischen Ab-
teilung der idg. Sprachen gehörigen Idioms (vgl. die reiche Ent-
faltung des europ. e z. B. in yevxov „Fleisch", Cetgala „Topf"
oder des europ. l z. B. in ^aXfidg „Bärenfell", ^ikai „Wein",
oHdijurj „Schwert") und seine Zugehörigkeit zu den die palatalen
Gutturale durch Sibilanten ersetzenden Sprachen {Cetoaia = griech.
XVToa, ^ikai = griech. ;ca>Uc, di^ogy diCa „Burg" = griech. relxog)
festzustellen. Nördlich des Istros treffen wir die von den Grie-
chen Geten, von den Römern Daker genannten Völker an,
deren thrakische Abstammung durch die Zeugnisse der Alten
(Strabo p. 303 : nagä rcbv Feraw öjuoyXconov roig ßgq^lv S^'ovg,
p. 305 : 6/wyX(OTToi d* elalv ol Adxoi TÖig rhaig) feststeht. Von
dakisch-getischen Wörtern sind leider nur einige Pflanzennaraen
auf uns gekommen, die in den seltensten Fällen (vgl. z. B.
dakisch /iavTc/a „Brombeere" = alb. man, mand „Maulbeerbaum")
deutbar sind.
Sicher ist ferner, dass von Thrakien aus ein grosser Teil
Kleinasiens seine idg. Bevölkerung erhalteq hat. Zunächst
ist bekannt, dass die Thraker selbst ostwärts über die Meerenge
sich weit nach Vorderasien ausgebreitet haben (vgl. Zeuss Die
Deutschen und die Nachbarstämme p. 258). Nach der ein-
helligen Meinung des Altertums war aber auch das Volk der
Phryger aus Europa eingewandert und ursprünglich den Thra-
— 494 —
kern stammverwandt. Die Makedonen erinnerten eich noch einer
Zeit (Herod. VII Kap. 73), in der die Phryger, damals nnter dem
Namen Bglyegy ihnen ovvoixot waren, und von Strabo p. 471
werden die Phryger geradezu als änoixoi rcov Sg<pcQ)v bezeichnet
(vgl. die weiteren Zeugnisse der Alten bei Fiek a. a. 0. p. 408 f.).
Ja, vielleicht lässt sich diese von der Balkanhalbinsel ausgehende
östliche Bewegung der Indogermanen noch weiter verfolgen.
Nach den Nachrichten der Alten (Herod. VII Kap. 73 und Eudoxnß
bei Eustath.) vgl. Zeuss a. a. 0. p. 2ö9) waren mit den Phrygem
wiederum die Armenier aufs nächste verwandt, so dass also
auch dieses Volk einmal seine Wohnsitze in Europa gehabt
haben müsste.
Diese Überlieferungen der Alten werden nun in ihrem Werte
ausserordentlich erhöht durch den Umstand, dass sie durch die
sprachliche Betrachtung der genannten Völker vollkommen be-
stätigt werden. Sowohl das Phrygische (P. de Lagarde
Ges. Abb. p. 283, Fick Spracheinheit p. 411, B. B. XXIX, 236 ff.)
wie auch das Armenische (Hübschmann, Armen. Gram-
matik I) zeigen dieselben charakteristischen Eigenschaften, wie
sie eben für das Thrakische hervorgehoben worden sind (europ. e
in phryg. C^kxia = altsl. zlakü „Gemüse**, C^jud = griech. x^l^
„Quelle", armen, ein = griech. ^kaq)og „Hirsch", gelmn = lat.
vellus „Vliess"; europ. l in phryg. ßaXijv „König", xixXt] „der
grosse Bär", eigentl. „Rad" : griech. xvxXogj armen, ail = lat.
alius, gail = scrt. vfka „Wolf"; die Sibilanten statt der palataleo
Verschlusslaute in phryg. oe/iov = altsl. semu „diesem", C^Xxta
„Gemüse", s. o., ai*men. iun „Hund" = scrt. frd', sar „Höhe"
= griech. ndga). Besonders ist, was das Armenische anbetrifft,
noch darauf hinzuweisen, dass dieses auch eine ganze Reibe
speziell europäischer Kulturwörter (Ausdrücke für den Pflng,
den Honig, das Salz, den Wein, die Handmühle etc.) in seinem
Sprachschatz aufweist. Es kann also nicht bezweifelt werden
und wird es wohl auch von niemand, dass sich, in kaum näher
zu bestimmender Zeit (vgl. oben p. 49) ein breiter Strom von
Indogermanen vom Norden der Balkanhalbinsel längs der west-
lichen und südlichen Gestade des Schwarzen Meers bis tief nach
Kleinasien, nach dem späteren Armenien ergossen hat, wo das
allophyle Volk der HXagödioi (assyr. Urartu) noch lange Armenier
und Iranier getrennt zu haben scheint.
- 495 -
Sioiiiit kJinuten wir uns direkt zu den Centiiin-Völkern
(GriecheD, Rfimern, Selten uud Germanen) wenden, wenn nicht
zDvor noch eines Sprachgebiets in Kfirze ta gedenken wäre,
desBeu Zugehörigkeit zu der einen oder andern Gruppe der idg.
•Sprachen amgtritten ist, des altillyriGchen. Ohne Zweifel
gehrtren d\v Albaneaen (vgl. G. Meyer B. B. VlII, IKö ff.,
Etym. Wörterbuch des Albanesischen 1H91 etc.), die wir beute
auf dem Boden des allfu liiyriens finden, zu den Satem- Völkern
'alb. vise „Orte" = scri. rit;, lat. ricus; dimm „Winter" = altsl.
zmta;, und da eine Reibe aitillyrischer Ortsnamen, wie Dimallum,
eine Stadt auf zweigipfligem Hügel (vgl. alb. di „zwei", mal'
„Berg"), Aovye.ov, eine Sumpfgegend in Utrien (vgl. alb. Ugate
„Sumpf"), Tergeniä „Triest" (vgl. alb. trege „Markt"( sich un-
schwer aus dem AlbanesiBchen erklären lassen, so haben zahl-
^reichc Gelehrte angenoumien, dass die heutigen Albanesen die
HClreinwohner lllyiiens seien. Aaf der andern Seite werden aber
^■ne Veneter, deren Stammsitze im Norden der Adria die Ver-
'tiindnng zwischen der Apennin- und Balkanhalbinsel herstellten,
voD den Alten ausdrücklich als zu den Illyriem gehörig an-
gesehen (vgl. Herodot I, 196: 'li.Xvgi<ur 'Evnuik\ und da nun
die Veneter, nach den allerdings sehr dürftigen Resten ihrer
.Sprache (vgl. Pauli Altitalische Forschungen III: Die Veneter
nod ihre Schriftdenkmäler) zu scbliesaen, eine Centuni-8pracbe
geredel zu haben scheinen (venet. eyo „ich" — lat, ego gegenüber
Mt.aaz. a.\ts\. azü; venet. fini-^nw« gegenüber thrak, .ftrÄov-Cf'-'jc,
scrUjan „gebären"), so haben audere (vgl. H. Hirt Die Stellung
des lllyrisehen im Kreise der idg. Sprachen, Festschrift für Kiepert,
ebenso K. ßrugmann Kurze vergl. Gramm, p. 4) das gleiche
für die alten lilyrier angenommen and glauben, dase die Albanesen
von Haus aus einen tbrakischen Stamm darstellen, der in früher
Zeit in Illyrien eingehrochen sei- Ein Vorteil dieser letzteren
Anschaanng ist, dass, wenn die alten lilyrier eine Centum-
Spraehe redeten, wir alsdann in früh historischer Zeit eine un-
DD t e rbroe b e ne Kette von Centum- Völkern vor uns haben,
Eie VOD den Italikern bis zu den Griechen reicht.
Wie eicii dies nun auch verhalten möge, auf jeden Fall
nd die letzteren von dem Nordwesten der Balkanhalbinsel aus-
gegangen. Ihre Stammsitze weisen in das s{>äter illyrisch ge-
wordene Epirns, Hier, um Dodona nnd im Tale des Achelous,
- 496 —
dessen Nebenfluss Inachos auch am Oeta und in Argos wieder-
kehrt, suchte schon Aristoteles {Meteorol. I, 353 a) die ägxaia
"Eildg. In Dodona war das uralte Nationalheiligtum des sich in
dem Bfauschen der Eiche offenbarenden Zeus (oben p. 182). Hier
in Hellopia (über die Namen auf -op vgl. £. Meyer Geschichte
des Altertums II, 67 f.) wohnte der Priesterstamm des Dodo-
näischen Zeus, die ^EXXoi oder Zekkol (II. XVI, 234), und, wenn
wir uns an das eiinnern, was oben p. 449 über schon in der
idg. Urzeit vorhandene heilige Sippen und Stämme auseinander-
gesetzt worden ist, liegt es nahe, den späteren Nationalnamen
der Hellenen mit diesen ZeXXoi (die in der illyrischen Umgebung
ihr anlautendes s bewahrt hätten) zu verknüpfen. Jedenfalls
geht von Dodona, sei es auf ^em Landweg, durch das Gebiet
der Veneter, sei es auf dem Seeweg, durch die, wie wir noch
sehen werden, aus lUyrien nach Italien gekommenen Japyger
und Messapier, die römische Bezeichnung der Hellenen als Graeci
aus; denn wiederum nach Aristoteles wohnten im innem Epirus
um Dodona ol xaXovfievoi tote fxkv rgaixoiy vvv di 'EkXrjveg. Aus
Epirus sind nach Herodot VII, 176 die Thessaler nach Thessalien
gedrängt worden. Vom Pindus ist der den Thessalern am näch-
sten verwandte Volksstamm der Makedoncn ausgegangen, der
das makedonische Reich gründete, das ^schon vor König Archelaos
aus einer Vereinigung verschiedener Völker [thrakisch-
illyrischer und echt griechischer] unter der Führung und \'or-
herrschaft der griechischen Maxeddveg und ihres Adels" bestand *)
(0. Hoffmann Die Makedoncn, ihre Sprache und ihr Volkstum,
Göttiugen 1906). Im Pindus haben einst auch die Dörfer, deren
Wanderungen den Abschluss der griechischen VölkerbewegungCD
gebildet haben, gesessen, nach Herodot I, 56 damals Maxedv6v
[edvog) „das makedonische'^ genannt.
Wie Griechenland seine indogermanische Bevölkerung von
Nord- Westen her empfangen hat, so müssen sich die Italiker
1) Gerade wenn dies so ist, haben wir schwerlich ein Recht, alle
uns als «makedonisch'' bezeugten Glossen auf eine einheitliche
Sprache zurückzuführen. Dieselben werden vielmehr teils echt grie-
chisch (thessalisch), teils thrakisch-illyrisch sein. Letztere« wird nament-
lich auch von denjenigen Fällen gelten, in denen in den makedoni-
schen Glossen eine Media an Stelle der Aspirata steht (6dro<; ..Tod*
für *{>dvog etc.).
— 497 —
(Osker, Umbrer, Latiner) in der Apenninhalbinsel umgekehrt von
Nord-Osten her ausgebreitet haben. Mit Recht wird, der dori-
schen Wanderung vergleichbar, als letztes Moment dieser Be-
wegungen der Vorstoss der sabellischen Stämme gegen Süden
angesehen, der noch in historischen Zeiten verläuft und Sam-
nium, Campanien und Lukanien seine italischen Bewohner zu-
führt. Auch die durch Überlieferung und Sage bezeugte einst-
malige Machtstellung der Umbrer im Norden der Halbinsel bis
hin zum Fusse der Alpen verdient in diesem Lichte betrachtet
zu werden. Früher und keine Spuren zurücklassend, hätte dann
der latinische Stamm westlich des Gebirges in den offenen Tal-
gründen sich niedergelassen (vgl. Th. Mommsen Römische Ge-
schichte V p. 112 f. und Kiepert Lehrbuch der alten Geographie
p. 382 f.). Hierzu stimmt auch, dass wir den Nordwesten, Westen
und Süden Italiens (mit Einschluss Siziliens) ursprünglich von
nichtitalischen, wahrscheinlich oder sicher überhaupt nicht indo-
genuanischen Völkern, den Ligurern^), Etruskern*) und Si-
kauern^) besetzt finden. Auch im Süd-Osten, in den Land-
schaften Apulien und Calabrien, wohnten stammfremde, aber indo-
germanische Stämme, die Messapi er, deren Sprachreste (vgl.
Kretschmer Einleitung p. 263) Beziehungen zu den gegen-
überliegenden Völkerschaften der Balkanhalbinsel zeigen; doch
lässt sich aus dem vorliegenden Sprachmaterial kaum entscheiden,
ob sie wie die Albanesen eine Satem-, oder wie die illyrischen
Veneter eine Centumsprache redeten.
Für die weitere Anknüpfung der Italiker an andere idg.
Völker ausserhalb Italiens kommen folgende zwei linguistische
1) Über sie hat sich eine stattliche Literatur angesammelt (vgl.
H. Hirt Die Indogermanen II, 563). Die linguistische Hauptarbeit ist
aber noch immer die von K. Müllen ho ff Deutsche Altertumsk. III.
Nach seiner Ansicht war das Ligurische keine idg. Sprache.
2) Die Etrusker sind sicher keine Indogermanen. Was sie aber
waren, und woher sie stammen, ist unbekannt. Mit ihnen verwandt
waren die Raeter, die in das Alpengebiet versprengt worden oder
in ihm zurückgeblieben sind.
3) DerCbarakter der altsizilischen Sprache wird von Kretschmer
(Einleitung p. 43 Anm. 1) für nichtindogermanisch, von Thurneysen
(K. Z. XXXV, 212 ff.) dagegen für italisch gehalten. Möglich ist auch,
dass auf Sizilien verschiedene Sprachen herrschten. Jedenfalls werden
von Strabo VI p. 270 mit Berufung auf Ephoros die Iberer als erste
Besiedler Siziliens genannt.
— 498 —
und geographische Gesichtspunkte in erster Linie in Betracht:
1. Das Italische steht innerhalb des idg. Sprachenkreises dem
Keltischen am nächsten, mit dem es wichtige Übereinstim-
mungen auf dem Gebiete der Laut- (vgl. lat. quinquey ir. c(Hc :
griech. ji^vt«, scrt. päfican, altsl. p^ti) und Formenlehre (vgl. z. B.
lat. riri, altir. mciqi „des Sohnes** : griech. umov, scrt, ä^tasya,
oder die Bildung eines Passivs und Deponens auf -r : ir. ßechedar,
lat. sequitur) teilt. In Beziehung auf den Wortschatz tritt, wie
das Keltische, auch das Germanische sehr nahe an das Ita-
lische heran (vgl. P, 169 und H. Hirt in Zachers Z. XXIX,
289 ff.). Es kann also darüber kein Zweifel bestehen, dass das
Italische in vorhistorischer Zeit den beiden genannten Nord-
sprachen, besonders aber dem Keltischen, benachbart gewesen
sein muss, eine Nachbarschaft, deren Schauplatz, da die Ankunft
der Kelten in Oberitalien bekanntlich erst in historische Zeit
fällt, ausserhalb Italiens gesucht werden muss. 2. Für die Be-
stimmung des Ausgangspunktes der Italiker und des Weges, auf
dem sie in die Apenuinhalbinsel gelangten, erweisen sieh die
folgenden Bemerkungen F. Katzeis (Berichte d. kgl. sächs. Ges.
d. W. phil.-hist. Kl. LH, 84 f.) als von erheblicher Bedeutung:
„Für Italien ist der Eintritt von Nordosten her der natürliche,
denn auf dieser Seite ist Italien am zugänglichsten. Die Wege
nach dieser Ecke kommen von der Donau her.^ ,,Der
leichteste Übergang über die Alpen lag im Südost. Das be-
weisen auch die Funde [insofern sie auf uralte Handels- und
Völkerwege hindeuten]. Die Umgebungen der beiden grossen
Naturwege durch die Ostalpen zur Adria, des Predilpasses und
des über den Birnbaumer Wald, den niedrigsten und südöst-
lichsten Teil der Julischeu Alpen, führenden Weges, femer das
in der Fortsetzung des letzteren Weges liegende Krain sind 80
reich an Funden aus der Hallstätter Zeit, dass man hier die
Verbindung zwischen einem Ausstrahlungsgebiet im östlichen
Oberitalien und den nordalpinen und dann bischen Fundstätten
zu sehen meint. In Krain begann auf dem Laibachflnss der in
die Save und Donau sich ergiessende Verkehr.** „Die natür-
liche Nordpforte Italiens führt durch die Julischen Alpen und
weist auf die mittleren Donauländer als das mit Italien
durch die Natur zum engsten Zusammenhang berufene
Gebiet hin.**
— 4SW —
In eben dieses mittlere Donnutal verlegt die neaere Fur-
ichiiug nun auch mit immer waehBender Übereinstimmung: die
eigentliche Basis der keltiseheu Völkerverbreitung. Nocli im
11. Jahrhundert v. Chr. war gnuz SQddeutschlaml von Kelten be-
indem den Raum zwischen Bodensee und Main die Hel-
veiier einnahmen. An sie schlössen sich in Bölimen die Bnji,
Oallica utraque gens (Tacitns Germ. Kap. 28), und noch weiter
totlicb zog sieh in den Cotiui {Cotinos GalHca lingua coarguit
I esse Germanog, Kap. 43) und anderen Stämmen (Bremer
771)eiue Kette gallischer Volker bi« zu den Karpaten. Nun sind
Caesar De hell. Galt. VI, 24 und diesem folgend Tacitus Herrn.
£ap. 28 ja allerdings der Meinung, dass es sieb hierbei um Kolonien
bandle, die von den Gnlliem zur Zeit ihrer grösseren Maehtfülle
Aber den Rlieiu ostwärts geschickt seien, und Livius (V, :{4) weiss
TOD einem Zug des Sigovesus in den Hercyuiscbeu Wald zu
leriehten. Allein diese Annahmen der alten Autaren stimmen
10 wenig zu der Tatsache, dass wir die Ostlich des Rheins von
Kelten besetzten Länder au der Hand der Ortsnamen als seit
den ältesten Zeiten von ihnen innegehabt erweisen können, dass
lie Ansicht der neuereu, jene Kumbiuationen der Alten beruhten
auf einer fälschlichen Übertragung der historischen Wan-
derungen des Keltenzuges nach Italien im Anfang des IV. Jahr-
hunderts auf die uralte Ansässigkeit der Kelten in Süddeutsch-
Lhnd, Böhmen und den Karpatenländern viel Bestechendes bat').
■Ygl. an neuerer Literatur Über die Stammsitze der Kelten:
10. Bremer a. a. 0., der indessen die Verbreitung der Kellen
rgegen Osten zu weit ausdehnt und sogar noch in den oben
1.490 besprochenen slavischen NevQoi Kelten erblickt, R. Much
iDeutscIie .Stamnieskunde, 2. Aufl. IM.'i, der ebenfalls p, 41 der
Ansicht ist, dass „die Ausbreitung der Kelten ihren ersten Aus-
;ang von einem Bereich aas genommen zu haben scheint, der
Wesentlich auf heute deutschen Boden fällt", H. d'Arbois
! Jubainville Leu Celles depuiit les tempa les plun anciens
i Van 100 avant noire ire, 19u4, der als Stammsitze der
1) V>!:1. »ben p. 4ÜI Anm. 3 über die sInvUrhe, Tradition. Es
|lräre eine InCereaEanKi Aufgabe, atlK bui den idg'. Völkern begegnenden
Berkunf telegen den im Zusammenhang: eu untersuchen. Ks würde dann
als es jetzt der Fall ist, hervortreten, ob ihnen irgend ein Wert
lad weleher zu^enHprechen ist.
— 500 —
Kelten das beutige SüddeutschlaDd zwischen Donau, Main und
Rhein ansieht, dazu L. Erhardt a. o. a. 0. p. 493.
Von den Donaulandschaften aus hat dann zunächst eine
starke Ausbreitung der Kelten besonders in nördlicher, nord-
westlicher und westlicher Richtung nach Nordwestdentschland
(s. u.), Frankreich und Britannien stattgefunden. In Gallien selbst
nehmen die Kelten früher den Norden und die Mitte des Landes
als den Süden ein. Bis zu dem iberischen Keltenzug bildete im
Westen die Loire, bis zu dem Zuge nach Italien die obere Rhone
oberhalb Lyons die Südgrenze der Kelten (Müllenhoff Deutsche
Altertumskunde II, 240).
Damit können wir zu dem letzten der idg. Hauptvölker,
den Germanen, übergehen, deren älteste Stammsitze festzustellen
eine der schwierigsten, wenn nicht die schwierigste Aufgabe
der alteuropäischen Ethnographie ist.
Verhältnismässig durchsichtig liegen die Verhältnisse in
West- und Mitteldeutschland. Hier sehen wir an der Hand
der sprachlichen Zeugnisse die Germanen in stetem siegreichen Vor-
dringen west- und südwärts gegenüber dem vor ihnen zurück-
weichenden keltischen Element begriffen. Eine sorgfältige Prü-
fung der Benennungen der Nebenflüsse, welche von rechts in
den Rhein münden, wie sie von K. Müllenhoff D. A. II, 207 ff.
unternommen worden ist, zeigt, dass das keltische Element im
Binnenland ursprünglich weit über diesen Strom, der selbst einen
wahrscheinlich keltischen Namen trägt, hinüberreichte. Die
Flussnamen Main, Lahn, Sieg, Ruhr, Emscher, Lippe sind un-
deutsehen, keltischen Ursprungs. Zum mindesten bildete daher
die Wasserscheide zwischen Rhein und Weser ursprünglich einmal
die Grenze zwischen germanischer und keltischer Zunge, die
aber wahrscheinlich noch bis zu dem Gebirgswall des Harzes,
Thüringer Waldes und Fichtelgebirges gehört wurde (vgl. näheres
bei Bremer p. 774). In Thüringen und im Königreich Sachsen
weisen die Finne an der ünstrut (aus kelt. penno „Kopf") und
Fergunna, das Erzgebirge (aus keltisch *Perkunia d. i. Hercynia)
auf frühere Anwesenheit von Kelten und ihre Verdrängung durch
Germanen hin.
Die schwierigsten Probleme liegen im Norden und Osten.
Seit wann sind Germanen in Skandinavien ansässig? Und seit
wann sind Germanen an der Weichsel und im Norden der Kar-
in
BlIDI
laten anEUDehmeii ? Diese F'ragen Biod in neuerer Zeit sehr
ver«!hie<leii beantwortet worden. So verlegt R. Much (Pentache
Stamtnesk linde 190U), der im übrigen (p. 17) die ürsitze der Indo-
gerniaucn innerhalb dee .Stromgebietes der Dona« sucht'j, die Ur-
heimat der Germanen ausBcliliessHch in das südliche Skandinavien.
„Man wird sicher nicht zu weit zurückgreifen", heisst es p. 26 ff.
(ebenso * p. 26), „wenn man den Beginn der jUngeren Steinzeit
im südlichen Skandinaneu vor den Anfang des dritten vorclirist-
lieben Jahrtausende setzt. Wäre aber damals auch schon Deutsch-
land oder auch nur N^orddeutscbland von Germanen bewohnt
gewesen, so müsaten wir erwarten, dass die Unterschiede zwistiien
Nord- nnd Südgermanen zn Beginn unserer Zeitrechnung — zumal
in sprachlicher Hinsicht — weit grössere seien, als sie tatsäch-
lich Bind." Dieser letztere Umstand erkläre sieh nur, „wenn Deutsch-
land von einem engeren nordischen Bereiche aus seine sprachlich
massgebende Bevölkerung erhalten hat", im schroffsten Gegen-
satz hierzu erklärt 0. Brenner in einem Aufsatz ^Zur germani-
ßchen Urgeschichte" (Beilage z. Allg. Z. 1904, Nr. 136), dasa „die
vereinzelt (?) aufgetretene Meinung, dass Skandinavien der Ursitz
der Germanen sei, jetzl die Forschung wohl nirgends mehr störe".
Er tut dies im Hinblick auf ein in dem genannten Aufsatz von
ihm ausfuhrlich besprochenes Werk A. M. Hansens Landnäm
in Norge (Kristiania 1904), in dein dnrch eine hier nicht näher
erörternde Vergleich ung der dänischen, schwedischen nnd
rwegischen Ortsnamen mit den Epochen der Stein-, Bronze-
id Eisenzeit der Nachweis geführt wird, den auch E. Mogk
(Historische Z, 94 p. 471) für gelungen erklärt, dass Bieh die Ger-
manen in Skandinavien allmählich vom änssersten Südwesten der
Halbiaael ans ausgebreitet hätten. Immerhin geht aber auch aus den
Hansenschen Untersuchungen soviel hervor, dass Germanen oder
Indogermanen bereits im lll., spätestens im II. Jahrtausend znm
mindesten in Dänemark gesessen haben. Nach 0. Bremer
endlich würden die groasen Steingräber in Dänemark nnd Schweden
Kwar auch Germanen angehören, doch hält er mit dieser Anf-
inng eine Einwandernng der Skandinavier in den genannten
1} In der 3. Auflage des genannten Bnuhes wird hingegen .dan
unlere Europa einechlieselicb des aüdlichen Skandinaviens" als itlg.
trhelmat beieichnet (p. 17).
— 502 -
Ländern erst im IV. vorchristlichen Jahrhundert (p. 789) für ver-
träglichy . eine Anschauung, in der ihm schwerlich jemand bei-
stimmen wird, es sei denn, dass vorher die ganze Präbistorie
auf den Kopf gestellt wird.
Was die Ostgermanen anbetrifft^ so neigt man gegen-
wärtig dazu, dieselben erst verhältnismässig spät in die Weichsel-
gegenden einrücken zu lassen, sei es, indem man annimmt, die-
selben seien, wie es die von Jordanes bewahrte Wandersage der
Goten will (vgl. oben p. 499 Anm. 1), von Skandinavien her-
übergekommen, sei es dass man glaubt, dieselben hätten einst
vor den anglofriesischen und svebischen Stämmen an der untern
Elbe gesessen. Indessen scheint mir diese Auffassung, jedenfalls
vom Standpunkte der Geschichte und Sprache, ziemlieh will-
kürlieh zu sein. Denn das weitaus erste germanische Volk be-
tritt ja doch im Osten den Schauplatz der Geschichte, die
Bastarnen, die bereits um das Jahr 178 v. Chr. als Hilf»-
truppen in dem Heere des makedonischen Königs Perseas im
Krieg gegen die Römer genannt werden. Ihre Heimat lag da-
mals am nördlichen Ufer der Niederdonan, wo sie als bnjXc&e^
^Ankömmlinge^ bezeichnet werden (vgl. K. Zeuss Die Deut-
schen und die Nachbarstämme p. 129). Dorthin müssen sie von
den Karpaten gekommen sein, wo vdr noch später ihre Stamn-
verwandten treffen (Much p. 134, ^ p. 130). Dazu kommt, dass
wir im Germanischen vor der ersten Lautverschiebung auf-
genommene Lehnwörter aus dem Thrakiscben bentzen, dem da»
Germanische also sehr früh benachbart gewesen sein mosa, vor
allem das oben (p. 192 Anm. 1) besprochene Wort „Hanf" (Wei-
teres bei R. M u c h p. 39, - p. 38). Umgekehrt wurden vor der-
selben Zeit Wörter wie das germanische ^peJcu (got. faihu „Vieh")
in das Litauische (pekus) entlehnt, und auf noch viel frühere
Epochen slavisch-germanischen Sprachaustausches und also slavo-
germaniseher Nachbarschaft weisen Entsprechungen wie got gidp
„Gold" — slav. zlatOy lett. selts (oben p. 42) und ahd. lahs — rast.
JÖ8081, lit. lasziszähiu (vgl. Kretschmer Einleitung p. 108). Auch
der Name des uralten Grenzflusses zwischen Germanen und Slaven,
der Weichsel (agls. Wisle, slav. Vislaj lat. Vistula), kann nur als
von Haus aus slavo-germaniseh d. h. als bei beiden Völkern uralt
angesehen werden (Mttllenhoff II, 207, v. Fierlinger K. Z.
XXVII, 479). Es scheint mir also vom Standpunkt der Sprache
- 503 -
und Gescbicbte nicht anzugeben, die Länder zwiseheu Oder und
Wet(.-bsel von der Klteeten VerbreitnDg:ss[)bäre der Germniien aus-
ziischliessen ').
Somit würden wir uns die ältesten germanischen Völker-
verbäUnisse folgendennanseii voretellen. In die Länder zwischen
Eibe und Weichsel bis hinauf nach Schleswig- Holstein, Jiltland,
Dänemark und Schonen waren in spät neolithise her Zeit indo-
germanische Stämme eingerückt. Üheraus lange wurde, wie
schon ]*, 139 ff. weitläufig auseinandergesetzt worden ist, in
diesen Ländern die indogermanische Ursprache im wesentlichen
treu bewahrt, und erat an der Schwelle der Geschichte, d. h.
mit di'm Anheben des VorrUckens der Germanen gegen die Kelten
im Westen und Süden ca. im IV, oder Ili. Jahrhundert treten
die spezifisch germanischen Spracberscheinungen auf, darunter
die erste germanische Lautverschiebung noch unter der Herr-
schaft des alten freien idg, Akzeuts. Wer bezweifelt, dass eine
solche lautliche Umwälzung auf dem grossen Gebiete wirksam
»ein konnte, das wir damit als prägermanisch in Anspruch
genommen haben, möge bedenken, dass R. Mnch, obgleich er.
wie wir sahen, die Germanen von einem ganz kleinen Bezirke
nusgehen tässt, genau dasselbe annehmen muss, wenn er, wie er
es tut, die Germanen noch vor der ersten Lantverschiehung nach
Tbilringen (■„Finne" aus kelt. penno, vgl. Mueh p. 51, * p, 5Ö)
1) Dasselbe wiirdtt auch aus den AuBführunfren J. PeUkers
(Die Alteren BesiebUD^^eii der Slaven su Turkotataren und Geruianen
p. 97) rolgen, wenn ee ihm ^eluugen ist, nachzuweisen, dass mehrere
der germanischen Lehnwörter im AltBla\-iaehen, a, B. altsl. mliko .Miluh-,
nicht aus dem Gotischen, sondern aus dem Westgermanischen stainmren ;
doch vgl. meine Besprechung dieser Arbeit in F. Kluges Z. I. deutsche
WorttorechunglMT, — Nach einer freundlichen Miiteilung Peiskers,
der mit elugebenden Vorarbeiten zu eiuer Geschichte des PMuges
beschäftigt ist, würde auch aus der BeschsFrenheit des urgermauiscben
(Grosäpfluges' die Herkunft der Gemisnen aus dem südlichen Kuss-
land 2U folgern sein, da dieser „Grosspflug* ein offenbarer Steppen-
pring sei; denn nur die Steppe erfordere eine vollständige Wendung
der Grassnarbe. .Den Grosspflng brachten die Germanen au» ihrer
trüberen Heimat mit tmd hielten an ihm auch in ihren späteren Wohn-
sitzen rund um die Nordsee fest, wo er nicht nur nicht notwendig,
sondern sogar ganz überflüssig ist.' Sowohl der Grosspflug wie auch
die, russische sochd seien mittelbar agyiitischeu Ursprungs (vgl,
unten p.6I3;.
— 504 —
und noch vor der ersten Lautverschiebung in Berührung mit
den Thrakern {^hanapiz „Hanf" aus thrak. ^Jcdnäbis^ vgl. Mucb
p. 39, ^ p. 38) kommen lässt. Die besonderen Sprachbeziehungen
zwischen Ost- und Nordgermanen kann man sich dann auch bei
unserer Anschauung ungefähr so wie Mnch p. 75, ^ p. 73 vor-
stellen, d. h. so, dass man annimmt, später tatsächlich aas
Skandinavien herübergekommene Nordgermanen , vielleicht die
Goten, hätten seit Urzeiten im Osten ansässige Germanen
sprachlich mehr oder minder beeinflusst.
Werfen wir den geschilderten Tatsachen gegenüber nun-
mehr die Frage nach der Heimat oder dem ältesten Ausgangs-
punkt der idg. Völker auf, so liegt für den historisch Den-
kenden, d.h. für den, der diese Heimat unter äusserster
Schonung der historischen Verhältnisse zu bestimmen
sucht, ihre Beantwortung schon in jenen Tatsachen selbst. Wir
haben die Arier aus den Steppengebieten des Schwarzen und
Kaspischen Meeres hervorquellen sehen. Wir haben die Stamm-
sitze der Slaven und Litauer im Norden des Pontns Euxinos
und den ganzen Westen desselben Meeres von dem grossen Volk
der Thraker besetzt gefunden, das seine Stämme südlich des
Schwarzen Meeres weit nach Kleinasien entsendet und die Völker-
schaften der Phryger und Armenier ins Leben ruft. An
diese das genannte Meer fast wie ein Gürtel umgebenden Satem-
Völker schliessen sich westlich und nordwestlich die Centum-
stämme an. unter ihnen haben wir die Hellenen bis in den
Nordwesten der Balkanhalbinsel verfolgen können. Die Her-
kunft der Italer weist aus zwingenden linguistischen und geo-
graphischen Gründen in das mittlere Donautal, wo auch die Stamm-
sitze der ihnen am nächsten verwandten Kelten zu suchen sind.
Nördlich von ihnen sitzen in den Flussgebieten der Weichsel,
Oder und Elbe die Germanen, und es gehört keine grosse
Kühnheit dazu, sie dahin aus den nördlichen Karpatenländem,
von denen aus sie zuerat in die Geschichte eintreten, einrücken
zu lassen, ebensowenig wie dazu, den östlichsten, arischen Flügel
der Indogermanen für die Urzeit etwas näher an die ihnen nächst
verwandten, weil ebenfalls zu den Satemstämmen gehörigen, Slaven
und Litauer heranzurücken. So erhalten wir ein Ländergebiet,
als dessen geographischer Mittelpunkt die Steppen, Waldsteppen
und Waldgebiete der nördlichen und nordwestlichen Gestade des
— 505 -
' Schwarzen Meereg anzusehen sind. Mhd hat sieb frjlher die
Indiigermanen bei ihrer Ausbreitung alu von einem immer in
gleicher Richtung verlaufenden Wandertrieb beseelt gedacht. Die
Analogie der Ausdehnung der Einzelvölkcr von ihren oben er-
örterten Stammsitzen ans lehrt uns aber, dass wir diese Vor-
stellung berichtigen müssen. Die Expansion der Slaven vom
II. — VII. Jnhrhnnilert ist westlich und südlich gerichtet, der
später eine nilrdlicbe und östliche folgt. Die Germanen haben
Mob westlich, südlich, nOrdlicb und südöstlich, die Kelten nörd-
licb. westlicb später auch Östlich aosgedebut. Die Hellenen sind
nordostlich, südöstlich und sfldlicb gewandert. Die Thraker
haben ihre .Scharen südlich und östlicb entsendet. In östlicher
und «ildlicher Ricbtung ist auch die älteste Ausbreitung der Arier
vor sich gegangen usw. Alles dies weist darauf bin, dass ea
geraten ist, den Ausgangspunkt der Indogerraanen eher in der
Mitte des oben bezeichneten Ländergebietes, als an seinen üusser
sten Enden zu suchen. Hiermit stimmt anch das schon I", 91
angefllbrte, auf naturgcschichtlichen Analogien beruhende Argu-
njent Lathamu Uberein: „Wenn wir zwei Zweige derselben
Spracbklasse", 90 schlops dieser Gelehrte, „besitzen, die getrennt
voneinander sind, und von denen einer ein grösseres Gebiet bat
and mehr Varietäten ^eigt, während der andere geringeren
umfang und grössere Homogenität besitzt, so ist anzunehmen,
dass der letztere von dem ersteren abstaninit, und nicht um-
gekehrt." Hieran» zieht Latham mit Recht den Schluss, dass
das Arische sich von der östlichen oder südöstlichen Grenze des
Litauischen (nicht umgekehrt) losgelöst habe. Es ist nicht richtig,
wenn Winternitz (Was wissen wir von den Indogermanen ? p. 140)
unter Berufung auf Umstände, wie den, dass ^d\e [an Zahl geringen]
Auswanderer der britischen Inseln das weite Nordamerika oder
Australien in wenigen Jahrhunderten erfllllt haben", dieses
Lathamsche Argument für nicht stichhaltig hält; denn der
Hauptnachdrnck in demselben liegt offenbar auf dem „Mehr der
Varietäten" (nicht auf der grösseren Zahl des Volkes), das fllr
das Ursprnngsgehiet eines Stammes beweisend sein soll. Dieses
„Mehr der Varietäten" kann aber gerade heute, wo wir wissen,
dass die kleinasiatischen Indogermanen (Phryger und Armenier)
I Europa, nämlich von der Westseite des Pontus, stammen,
im Norden und Westen des Schwarzen Meeres (in Slaven,
Sohrodar, Spruihverglclchang ond Cr^eacliIthtB II, 3. Antl. 38
— 506 —
Litaaern, Geten, Daken, Thrakern, Phrygern, Armeniern, Illyriem,
Hellenen) gefanden werden, „die grössere Homogenität" nor bei
den Ariern (Indern und Iraniem). Dasselbe Argument Lathams
richtet sich aber auch gegen die neaerdings so beliebte Gleicb-
Setzung der Indogermanen mit den Germanen; denn es ist
offenbar derselbe prinzipielle Fehler, die gesamten Indogermanen
von den Mündungen der Elbe und Oder oder gar von Skandi-
navien abzuleiten, als, wie frtther, sie aus den Oxns- und Jaxartes-
ländern oder gar aas Indien hervorgehen za lassen^).
Somit kann die Antwort anf die oben gestellte Frage nur
lauten: Die Heimat, das Ausgangsgebiet der idg. Völker
ist nördlich und westlich des Schwarzen Meeres mit
Einschluss eines grösseren oder geringeren Teiles des
Donautals zu suchen. Von hier hat ihre Ausbreitung, was
Europa betrifft, zunächst auf dem Donau- und dem Karpaten-
weg stattgefunden. Es sind dieselben Gegenden^ in denen, wie
wir oben (p. 480 f.) sahen, Hoops die Spuren postglazialer Steppen-
bildnngen in uralten Waldlichtungen und sonnigen, von einer
zum Ackerbau einladenden Origanum-Flora bedeckten und darum
durch zahlreiche prähistorische Ansiedelungen ausgezeichneten
Plätzen nachgewiesen hat. Mit Rdcksicht auf die Verbreitung
eben dieser Origanum-Flora, des Nährbodens eines primitiven
Landbaus, den wir nach Kap. V und VI seit uralter Zeit nament-
lich für die westlichen Glieder des idg. Sprachstamms voraus-
setzen müssen, hat neuerdings auch Hansen a.a.O. den Sitz
der indogermanischen ürkultnr in Südrussland und der nörd-
lichen Balkanhalbinsel gesucht (vgl. Brenner a.a.O. p. 482).
Dieses so gewonnene Zentrum der indogermanischen Völker-
weit finden wir im Süden, Westen, Nordwesten und Nordosten
1) Es ist einer der unbegreiflichen Widerspräche des Hirtseben
Buchs, dass der Vf. den Grundsatz, dass es geraten sei, die Indo-
germanen von dem Zentrum ihres ältesten historischen Verbreitungs-
gebietes ausgehen zu lassen, zwar richtig aufstellt (p. 183: „Anders
[nämlich wie bei Germanen und Kelten] wird es auch bei den Indo-
germanen nicht gewesen sein. Ganz naturgemäss wird man demnach
die Urheimat im Mittelpunkt des von dem Sprachstamm besetsten Gebiets
suchen'^), dass er auch die Beweiskraft des Lath am. scheu Arguments
(p. 617) anerkennt, und dann doch tatsächlich die Urheimat der I.
zwischen den Mittellauf der Elbe und den Unter- und Mittellauf der
Weichsel verlegt.
uro,
Eni'opas in der ältesten gescbicbtlichon Zeit von einem Kranz
alliiphyler, niclitindogeniiaDiscber Völker umgeben, die sieb
fiffeiihar vor dem machtvoll sieb ausbreitenden Indogermanentttm
nii'hr nnd mehr an die Peripherie nneere» Erdteils «nrltckgexogen
lialjen. Es ist nnr eine Fortsetüung dieser nratten Indogermani-
eierung Europas, wenn in geschichtlicher Zeit, abgesehen von den
in Spanien, auch die letzten Reste jener allophylen
rfilker verschwunden sind, und andererseits auch der Osten
nropas indogermanisch, d. h. russisch geworden ist. Auf diese
Vrdker ist in einem andern Zneammenhang (Kap. XII am 'Schlnss)
ansfflhrlii'h hingewiesen worden, was hier nicht wiederholt werden
soll. Für noch offen inftchle ich die Frage halten, ob auch im
Norden, in den altgermanischen Stamuländern, die Indogermaoen
oder Prägennanen bereits eine nicbtindogermanischeBt^völkerung
■vorfanden. Es fehlt nicht an Spuren, die darauf hinweisen,
bh nenne die Reste einer Vigesimslrecbnung im Dänischen (oben
p,'JQ2 Antn.), die Institution des Schwestersohns in England und
Dänemark (oben p. 361^), den Umstand, dass gerade in den ger-
tnaniscbeu Sprachen die Ausbildung der Begriffe „Freiheit" und
„frei" auf einen uralten Gegensntz zwischen einer herrschenden
and verknechteten Bevölkernngsschicht mit besonderer Schärfe
bindcutet (vgl. mein Reallexikon u. -Stände;. Auch Hansen
nimnjt in dem genannten Buch mit grosser Bestimmtheit an der
Hand archäologischer und antliropologischer Krilerien för Däne-
mark und Norwegen eine vorindogermanische, allophyle, nicht
etwa mit den Lappen identische Bevölkerung an.
Bei dieser Häufigkeit uralter Vdlkermiscbnngen, bei diesem
ichschichten indogermanischer Über andere indogermaniache
häer indogermanischer Über nichtindogermaniscbe Stämme nach
ludogermnneu suchen zu wollen, ist eine vergebliche
Siiehesnilthe. Noch einmal aber sei darauf hingewiesen (vgl. P,
dass diese unleugbaren Vülkerniisidinngen von Sprach-
mischungen, ausser vielleicht auf dem Gebiet des Wortschatzes,
iel wir bis jetzt erkennen können, in älteren Zeiten
Bebt begleitet gewesen sind ').
ll Eine wichtige lüerh ergeh Örig-e Arbeit , auf die ii^h durch
If.SlreJtberg: Lii. Z. 1906, Nr. 24 »urmerkeaiu geworden bin, ift die
irge Hetopls Language-Bltialry and Speei:h- Differentiation in tite
■e ofSaceMixturt i American FhÜoL Anaodation XXIX. ai IT. 1, um so
— 508 —
IL Die linguistisch-historischen Anhaltspunkte für
die Ermittlung des idg. ürlands.
Wir beschreiten nunmehr einen von dem bisherigen gans
verschiedenen Weg, der uns aber zu demselben Ziel der Ermitt-
lung der idg. Urheimat, bezüglich der idg. Ausgangsländer, führen
mehrmals sie eine vollkommene Bestätigung meiner Anschauungen enthält.
Hempl weist nämlich nach, dass unter den Verhältnissen, unter denen
wir uns die Ausbreitung der Indogermanen in Europa vorzustellen haben,
deren Züge die meiste Ähnlichkeit etwa mit der Wanderung der Angeln
und Sachsen nach Britannien gehabt haben werden, nach den geschicht-
lichen Analogien an eine Beeinflussung des Indogermanischen durch
die Sprache der Eingeborenen infolge von Lautsubstitution nicht ge-
dacht werden könne, und deckt ausführlich die Widersprüche auf, die
H. Hirts Begründung dieser Theorie (I. F. IV, 36) enthält. Eine eigent-
liche und direkte Beeinflussung der Sprache der Erobernden durch
die Unterworfenen nimmt Hempl nur für den Fall an, wo „die Eroberer
Nachbarn sind, die das eroberte Land zu einer Provinz machen, welche
sie kolonisieren und entnationalisieren'', und denkt dabei in erster
Linie an die Komanisierung der Provinzen des römischen Reiches.
Doch wäre hierzu zu bemerken, dass die Ausbreitung der Russen und
des Russischen im finnischen Osteuropa gerade dieser letzteren Er-
scheinung am meisten ähnelt, und, wie P, 151 gezeigt worden ist, das
Russische dennoch keine „finnische Lautsubstitution" aufweist. Auf-
nahme einzelner Wörter in die Sprachen der Eroberer nimmt Hempl
(mit uns) bei beiden der hier unterschiedenen Eventualitäten an. Solche
sind nach V. K. Poräezinskij „Indoeuropäische Altertümer vom
Standpunkt der gegenwärtigen Wissenschaft, aus Anlass der neuen
Auflage von Sprachvergleichung und Urgeschichte I und II, 1* (Journal
des Ministeriums für Volksauf klär ung 1906) aus dem Finnischen auch
in die grossrussische Literatursprache eingedrungen. — Im übrigen
inusste es mir I*, 151 vollkommen fern liegen, auf das Problem der
Sprachmischung im ganzen einzugehen. Für mich kam es lediglich
auf die Hervorhebung der Tatsache an, dass in den altidg. Sprachen
weder in Lauten, noch in Formen Beeinflussung durch die Idiome
ureingesessener Völker bis jetzt wahrscheinlich g^emacht worden ist.
Dass mir Ascolis Name auch in diesem Zusammenhang selbstver-
ständlich wohlbekannt war, hätte W. Streitberg aus Sprachvergl.
u. Urgeschichte* p. 160 Anm. ersehen können. Er ist, wie so viele
andere, dem Streben nach Kürzung der älteren Literaturangaben (vgl.
das Vorwort) zum Opfer gefallen. Am meisten* dürfte für die Fest-
stellung der vorindogermanischen Bevölkerungen Europas noch aus
der Ortsnamenforschung zu erhoffen sein. Ein neueres Werk auf
diesem Gebiete ist das A. Fick's Vorgriechische Ortsnamen als Quelle
für die Vorgeschichte Griechenlands verwertet. Göttingen 1906.
- 509 -
wird, indem wir die in diesem Werk zerstreuten linguistisch-
historischen Anhaltspunkte zur Bestimmung des Urlands zu-
sammenfassen.
In dieser Beziehung herrscht zunächst allgemeine Über-
einstimmung darüber, dass dieses ürland in nördlichen Breiten
gesucht werden muss. Hierfür spricht einerseits (nach p. 238)
das Vorhandensein eines deutlichen Ausdrucks für den Winter
(sert. Mmantdy griech. xeifjLoyv, lat. hiems, altsl. zima usw.) mit
Schnee (aw. snaSg „schneien", griech. viq?£i, lat. nixy got.
sndits usw.) und Eis (aw. iau, ahd. is) im idg. Sprachschatz,
andererseits (nach p. 172) der Umstand, dass zu den wenigen
durch arisch-europäische Gleichungen belegbaren Baumnamen die
Birke (scrt. bhürja, osset. barse, lit. b^räas, ahd. birihha usw.)
gehört, die in den südlichen Ländern verschwindet.
Wenn somit von dem ältesten Verbreitungsgebiet der Indo-
germanen die südlichsten Länder für die Urheimatfrage aus-
scheiden, so gilt das gleiche auch für den höchsten Norden
Europas und für den äussersten Osten ihrer asiatischen
Ausdehnung. In Norwegen. Schweden, Dänemark, Jütland,
Schleswig-Holstein dürfen die Ursitze der Indogermanen des-
wegen nicht gesucht werden, weil in dem Wortschatz der idg.
Grundsprache (nach p. 148) ein Ausdruck für die Schildkröte
{griech. xikvgj altsl. ielüvi) und (nach p. 270) für den Waid
(griech. lodiig^ lat. vitrum, got. vizdild) vorhanden war, in den
genannten Ländern aber weder das genannte Tier, noch das
zum Tätowieren in der Urzeit benutzte Färbemittel in wildem,
bezüglich ungebautem Zustand vorkommt*). Die Oxus- und
1) Nach Krause Gott. Gel. Anz. 1906, Nr. 12 p. 946 wäre es
v^anz unglaublich^, dass „die alten Germanen Gelegenheit gehabt
hätten, wilden Waid zu sammeln''. „Diese Pflanze kommt in Mittel-
europa nur in den wärmsten Lagen durch Kultur eingebürgert vor. Viel-
leicht kannten die Germanen im Altertum die lebende Pflanze über-
haupt noch nicht, sondern bekamen die Wurzel als Droge. Im Mittel-
alter ist Waid in Süd- und Mitteldeutschland in Menge gezogen, für
Norddeutschland i»t der Anbau nicht nachgewiesen, jedenfalls wurde
der Hauptbedarf dort durch £infuhr gedeckt." Doch kommen in den
osteuropäischen Sprachen einheimische und altertümliche Namen für
den Waid vor (vgl. mein Reallexikon s. v. Waid). Eine genaue Unter-
suchung, wo Isatift tinctoria einheimisch sei, wäre nach alledem er-
wünscht.
- 510 -
Jaxartesländer aber scheiden aus, da aus der Gieichong: 8crt.
mädhu = griech. /le^ asw. (p. 252) folgt, dass der Honig dem
idg. Urvolk bekannt war, die Honigbiene (nach P, 127) aber
ursprünglich in Turkestan nicht einheimisch ist. Kommen wir
aaf diesem Wege dazu, die idg. Urheimat auf der mittleren
Linie des ältesten Verbreitungsgebietes, jedoch nicht an ihrem
östlichen Ende zu suchen, so müssen wir uns aber auch hüten,
dieselbe zu weit gegen den Westen vorzurücken. Vielmehr weisen
zwei Tatsachen auf den Osten Europas, bezüglich die Grenz-
länder zwischen Europa und Asien hin. Einmal der Umstand,
dass zwar in dem Wortschatz der Ursprache deutlich drei
Jahreszeiten, nämlich Winter, Frühling und Sommer (p. 223)
unterschieden wurden, dass aber die Wahrnehmung (p. 224), dass
der idg. Name des Frühlings (scrt. vasantd, griech. eaoj lat
vSr usw.) nicht, wie der des Winters und Sommers, als pars
pro toto zur Bezeichnung des ganzen Jahres verwendet wurde,
den Schluss erlaubt, der Frühling sei in dem Urland mehr eine
kurze, wenn auch noch so charakteristische, Übergangszeit zwi-
schen Winter und Sommer als eine eigentliche Jahreszeit ge-
wesen, was zu der Natur des osteuropäischen Frühlings sowohl
in den russischen Wald- wie Steppengegenden aufs beste stimmt
(p. 238 f.). Zweitens ist für die idg. Urzeit mit grosser Wahr-
scheinlichkeit die Bekanntschaft mit einer wilden oder angebauten
Cucurbitaceenart : griech. obcvg „Gurke" = altsl. tyky „Kürbis**
(p. 199) anzunehmen, was ebenfalls empfiehlt, die Urheimat nicht
zu fern von den eurasischen Steppengebieten zu lokalisieren.
Nachdem damit sozusagen die Grenzpfähle für die Ab-
steckung des Urlands im grossen gesetzt worden sind, können
wir versuchen, innerhalb derselben zu genaueren Bestimmungen
vorzudringen. Durch die Sprachen der idg. Völker zieht sich
ein tiefer, längst bemerkter Kulturgegensatz. In den Sprachen
der europäischen Indogermanen finden wir einerseits eine aas-
gebildete Terminologie der Waldbäume (Kap. IV), andererseits
eine ebensolche des Ackerbaus (Kap. V und VI), die in beiden
Fällen nur in verhältnismässig schwachen Spuren bis zu den
Ariern hinüberreicht. Da es sich nun wissenschaftlich nicht
beweisen lässt, weder, dass auch die Arier an jenen Namen der
Waldbäume oder Kulturpflanzen und anderer Ackerbau-termini
einmal teilhatten, noch auch, dass dieselben verhältnismässig
511
wenn auch vorhistorische Neuerwerbungen iler Kumpäer
larBtelleu, so empfiebll es sich, deu geschilderten Zustand als
tteu erreichbar ältesten einfach /.u akzeptieren und dar-
aus den Schlus« zu ziehen, dass die Indogermauen im Otiten des Ur-
ti ISteppeu und fast aussehliesslich von Viehzucht, im Westen
L'hergangssteppen, Waldsteppen and Waldgebieten und nicht
* mehr ansschliesslieh von Viehzucht, sondern ünch von Ackerbau
lebten. Xehinen wir hinzu, daäs ebenfallt) nur bei den Europäern
die an Waldland und Ackerbau gebundene ächweinezncht
^f^f. '/20'j nnd die Bekanntschaft mit dem bei vegetabilischer Nah-
fang zum notwendigen Genussniittel werdenden Salze (p. 220)
lieh als prähistorisch erweisen lässt, so gewinnen wir das fol-
gende, schon p. 221 entworfene Bild der ältesten idg. Kultur-
eatwicktung:
Valdsteppe
und Waldgebiei.
Viehzucht
mit Ackerbau.
Schweineüucht.
Salz.
West«!]
(Enropäcr).
Baumaruie .Steppe.
Viehzucht mit geringeu .Spuren
des Ackerbaus.
Unbekanutsehaft mit der
.Schweinezucht.
Unbekanntschaft mit dem Salze.
Osten (Arier).
^P Ein Terrain aber, auf dem diese Voraussetzungen ohne
weiteres ihre geographischen Grundlagen finden, ist in unserem
Erdteil nnr einmal vorhanden. Es sind die Steppen, Wald-
steppen und Waldgebiete derjenigen Länder, welche den Norden
nnd Westen des Schwarzen Meeres umsäumen, das alsdann
unter der Gleichung; tat. mare = got. marei usw. zunächst
gemeint war, nnd dessen reiche .Salzlager der nördlichen Gestade
[rtlhzeitig dem ürvoik das seinen Ackerbau treibenden Stämmen
inenlbohrliche Mineral liefern konnten (vgl. p. 246 Anm. 1).
Der Versuch einer Lokalisierung der idg. Einzelv«lker, bezUg-
Uich ihrer Vorfahren, anf dem bezeichneten Gebiet im einzelnen
■MrDrde, abgesehen von der Erkenntnis, dass die Satemvölker den
(Osten, die CentumvOlker den Westen des ürlandes einnahmen,
ns zur Verfügung stehenden Mittel II bersch reiten. Auch
^t die Verteilung von Wald nnd Steppe nicht immer dieselbe
[eweeen; denn wenn die uralte Waldlosigkeit der sUdrusgisehen
Bteppe auch im allgemeinen feststeht, so ist doch der Baum-
- 512 -
wuchs an manchen Stellen früher zweifellos ein dichterer ge-
wesen, nnd gerade die Ackerbaner, nicht die Nomaden, haben
sich vielfach als die ärgsten Wald verwüster erwiesen (vgl. Ratzel
Berichte d. Sachs. Ges. d. W. LH, 62). Einen gewissen Anhaltspankt
bieten vielleicht die Namen der Buche: lB,t. fägus, ahd. buohha
(vgl. oben p. 173^) und Eibe: lat. taxus^ griech. rd^ov, letzteres
„Bogen" (oben p. 179), insofern dieselben darauf schliessen
lassen, dass die Centumvölker von jeher diesseits der Ostgrenze
dieser beiden Bäume, die — ganz im rohen (Genaueres bei
Koppen, vgl. Anm. 1) — von Königsberg nach der Krim läuft,
Sassen. Ob diese Ostgrenze freilich auch vor Jahrtausenden
dieselbe wie heute gewesen ist, möchte ich, da palae-
ontologische Untersuchungen über die östliche Geschichte
dieser Bäume nicht vorzuliegen scheinen, wie schon gesagt, nicht
zu behaupten wagen.
1) Ich spreche also nicht Jetzt dem Buchenbeweis jeden Wert
ab**, wie Bartholomae Litbl. für germ. und rem Philologie 1907,
Nr. 2, p. 4 sagt. Skeptisch rerhalte ich mich nur zu der Beweiskraft
des neuerdings zu lat. fägus^ ahd. buohha gestellten kurd. hüz^ erstens
weil mir seine Zusammengehörigkeit mit der europäischen Sippe doch
nicht über allen Zweifel erhaben scheint, zweitens, weil das kurdische
Wort nicht „Buche**, sondern „Ulme" bedeutet. Wenn Bartholomae
a.a.O. p. 4 sagt: „Bei der Wortmessung (Wertmessung?) der auf ur-
sprachlich *bhd§08 : *hhü§08 zurückgehenden einzelsprachlichen Wörter
ist jedenfalls wohl im Auge zu behalten, dass sie in den Sprach-
gebieten, darin die Buche heimisch ist, auch wirklich tiberein-
stimmend die Buche bezeichnen ~ so im germanischen und itali-
schen — , während in den übrigen überall ein anderer Laubbaum
damit benannt wird, die Speiseeiche bei den Griechen, der Hollunder
bei den Siaven [?, vgl. oben p. 178 Anm. 1] und die Ulme bei den
Iraniern**, so ist das letztere insofern nicht richtig, als dabei voraus-
gesetzt wird, der Baum sei den iranischen Ländern durchaus fremd.
Die Rotbuche kommt aber nicht nur im ganzen Kaukasus, sowohl dem
nördlichen wie auch in Transkaukasien, vor, sondern sie hat auch
einen armenischen Namen {Gadtscharadzar, Gadtschari^ Gadshi) und
wird aus den persischen Provinzen Ghilan, Masenderan und Asferabad
gemeldet (vgl. F. Koppen Holzgewächse des europäischen Russland
etc. II, 159). An den äussersten Grenzen Kurdistans wird sie in den
nördlich, bezügl. nord-östlich vom Urmia-See gelegenen Gebieten ge-
nannt, während Belege für ihr Vorkommen im Innern Kurdistans bis
jetzt nicht vorhanden zu sein scheinen (Notiz des Herrn Bornmüller,
Herbarium Haussknecht in Weimar). Ossetisch heisst die Buche tars,
in Talysch alesch (vgl. weiteres bei Koppen a. a. 0.).
— 513 —
Gegen die Herleitnng der Indogermanen aus dem südlichen
Rnssland und dem unteren Donautal hat man auf eine Reihe von Er-
scheinungen derTiergeographie hingewiesen, die zu dieser Hypo-
these angeblich nicht stimmen. Es sind dies die wirklich oder ver-
meintlich idg. Namen des Bären, Wildschweins, Eichhörn-
chens, des Aales und Lachses, alles Tiere, die in den südrussi-
schen Steppen, bezüglich den Flüssen des Schwarzen Meeres, wie
man gemeint hat, nicht vorkommen sollen. Von diesen scheidet das
Eichhörnchen ohne weiteres aus, da sein Name (p. 134) sich auf die
Sprachen der auch nach unserer Auffassung in den Waldgebieten
des Pontusgebietes sitzenden Europäer beschränkt. Die idg.
Namen des Bären und Wildschweins (p. 133, 135) kehren
allerdings auch hei den Ariern wieder; doch ist auch das Vor-
kommen dieser Tiere in den Steppengebieten (p. 135 Aum. 1)
unzweifelhaft, was hinsichtlich des Bären schon Kretschmer
Einleitung p. 58 hervorgehoben hat. Hinsichtlich des Aales ist
es erstens zweifelhaft, ob ein urverwandter Name dieses Fisches
anzunehmen ist, und zweitens ist sein uraltes Vorkommen in
dem Stromnetz des Schwarzen Meeres in hohem Grade wahr-
scheinlich (P, 162 und oben p. 146 ff.). Der oben (p. 502) ge-
nannte Name des Lachses endlich beschränkt sich auf das
Germanische und Baltisch-Slavische und entspricht somit nicht
den Anforderungen, die wir nach P, 174 und oben p. 126
Anm. 1 an ein sicher „indogermanisches" Wort stellen. Und da
wir oben p. 500 ff. die ürsitze der Germanen in das Quellgebiet
der Weichsel, die der Balto-Slaven oben p. 489 ff. in das des
Niemen verlegt haben, so steht der Annahme einer sehr
frühen Bekanntschaft mit dem Lachse, der bekanntlich seine
Wanderungen in den Flüssen der nördlichen Meere hoch strom-
aufwärts macht, seitens der genannten Völker nichts im Wege.
Umgekehrt aber sprechen für eine Lokalisierung der idg.
Ursitze in den europäisch asiatischen Grenzgebieten auch die
mannigfachen prähistorischen Kulturbeziehungen zwischen dem
idg. Urland und den orientalischen Kulturzentren. Dieselben
sind doppelter Art. Einmal ist von den Sumerern her ein Name
des Kupfers und des Beils (p. 118) zu den Indogermanen, Ariern
und Europäern, gedrungen. Das andre Mal machen sich sumerisch-
semitische, bezüglich ägyptisch - semitische Einflüsse bei den
noch vereinigten Europäern auf dem Gebiete des Zahlen wesens
— 514 -
(p. 292 Anin. 1) und der KulturpflanzeD (p. 199) geltend. Id
beiden Fällen aber liegt es doch gewiss nahe, die Drsitze der
Indogermanen nicht za weit vom Schwarzen Meere loszureissen,
längs dessen nördlichen and südlichen Ufern jene ältesten
orientalischen Kultars trömungen, die ersteren bis zu dem im
wesentlichen noch geschlossenen Verbreitungsgebiete aller In-
dogermanen, die letzteren über Kleinasien und darum uar
bis zu den Europäern, vordringen konnten.
So sind wir auf dem linguistisch-historischen Wege zu dem-
selben Ergebnis geführt worden, wie bei unserer rein historischen
Betrachtungsweise, nämlich dem,dass die Ursitze der Indo-
germanen in den Ländern nördlich und westlich des
Schwarzen Meeres zu suchen sind. Vielleicht ist es in-
dessen vorsichtiger, zunächst statt von „Ursitzen'', „Urheimat" usw.
(so oft wir derartige Ausdrücke auch schon im bisherigen uui der
Kürze und Verständlichkeit willen gebraucht haben) nur von ,,Aas-
gaugsländern^ der Indogermanen zu sprechen und es erst von einer
weiteren Betrachtung abhängig zu machen, ob diese „Ausgangs-
länder'* zugleich auch als die „Urheimat'', d. h. als der geogra-
phische Bereich angesehen werden müssen, in dem sich die idg.
Sprach- und Völkerverwandtschaft gebildet hat^).
1) Am nächsten kommt meine Urheimathypothese, besonders in
der Fassung, die ihr in diesem Buche gegeben worden ist, der von
E. de Michaelis in seinem P, 129 genannten Werke vertretenen An-
schauung. Es wäre sehr wünschenswert, wenn dieses Werk, allerdings
mit wesentlichen Kürzungen, aber mit Berücksichtigung der neuesten
Literatur über diesen Gegenstand dem deutsehen Leser zugänglich
gemacht würde. Eine weit grössere, sowohl die von mir, wie auch die
von E. de Michaelis rekonstruierten Ursitze umfassende Urheimat der
Indogermanen nimmt M. Zaborowski in einer Reihe von Artikeln
La patrie originaire des Äryens (Vapr^s O. Schrader {Revue de VEcdt
d* Anthropologie 1903) an: „D'autre pari, si en Europe on recherche
de mime quelle» r4fndences ont successivement occup4es les ancHns
de ces peuples aryens, on se retrouve invariablement ram,en4 vers k
Centre et vers VEst. De so7'te que du fait seid de cette dotible con-
sidäration relative aux r^sidences, d'un cöte des anc^tres des Indo-
Iranienff, et de Vauire, des ancitres des Grecs, LatinSy Celtes et Ger-
maitis^ 710US sommes forc4s de placer la patrie originaire commune
des Aryens dans cette zone m,itoyenne de VEurope qui s^etend du nord-
est de VAdriatique, du haut Danube et de la BohSme^ d la mer Cos-
pienne et au Caucase.^ Der Mittelpunkt dieses ungeheuren Gebietes
III. Hat sich in den Auggangaländerii der Indogermanen
nördlich nnd westlich des Pontiis die iii^. Sprach- und
Völkereinheit auch gebildet?
E^ koninieii l)ei der Beantwortung dieser Präge iialäo-
[eographiscbe (und antbropologiscbe), prilhistorigch-ai'chäolngische
ind linguistische Gesichtspunkte in Betracht.
. Paläogeographieche und anthropologische Ge-
McbtBpnnkte. P. Kretschnier erklärt in seiner Einleitnng in
griechische Sprache p. 60, das« von dem ältesten Verhreitunga-
Egebiet der Indogermanen „im europäischen Norden die skandi-
Fiiavischen Länder und das nördliche und östliche Dentschland
mit Sicherheit in Wegfall kämen, da diese Gebiete in der
Diluvial/eit unter Gletschern und Inlaitdeiis begraben und so gut
^wie unbewohnbar gewesen seien". Wenn wir nun auch mit
Lesern Ergebnis in der strikten Form, in der es hier ausge-
Iprochen wird, aus den oben p. 47» ff. angefOlirten Gründe« nicht
Übereinstimmen können, so wird man doch jedenfalls zugeben
müssen, dass das Problem der Ursprünge der Indogerniaueu
nicht einfacher wird, wenn wir genötigt sind, nach Feststellung
der Ansgaagsl ander der Indogermanen mit Rücksicht anf die
Verglelschernng, der sie einstmals atisgesetut waren, nach einer
anderen und eigentlichen Heimat derselben zu suchen. In der
Tal sehen wir denn auch, dass Forscher wie Hoops, Helm
und Hirt, dii- sämtlich die .^usgangsländer der Indogenuanen
auf dem einst vereisten Hoden Nordeuropas suchen, über diesen
„kitzlichen" Punkt mit Stillschweigen hinweggehen. Nur
Penka (P, ll:iff.; ist mutig genug, seine Indogermanen ihren
_4olichokephslen Sehädelban, ihre Blondheit und riesigen Leiher
^ch in Mitteleuropa erwerben und erst nach Aufhören der Eis-
nach Skandinavien auswandern zu lassen (vgl. auch
. Wilser Stammbaum der idg. Völker und Sprachen, Jena 19U7,
, 2ä). In jedem Fall ist es daher doch wohl ein Vorzug einer
^tirde aleo der von mir angenommenen Urheimat entapretrhea. Die
lewejHführuDg Zaborawski's in im weeientlicheu eine anthropolo-
Hche; doi'h sind mir leider diu früheren Arbeiten Z.'s, welche die-
telbe entholien, nicht KUgÜni^lich genuaeu. Den Schauplatz der indo-
Iranischen Entwiuklnrig verlegt Z. in die Tttler des Araxes nnd Kur,
sfld-we.atlicfa vom knspist^hen Meer (p. 303),
— 516 —
Heiraathypothese, wenn sie uns gestattet, die Indogermanen auf
dem Raame entstehen zu lassen, von dem sie ausgegangen sind.
Prüfen wir daraufhin die Verbreitung des nordeuropäisehen
Binneneises, wie sie von M. Neumayr II, 592 (hauptsächlich
nach Penck) kartographisch dargestellt worden ist, so ergibt
sich, dass im Osten Europas das Eis erst etwas westlich von
Kasan bis ungefähr zum 50. Breitengrad herabfällt, in dessen
Nähe seine Südgrenze mit mehreren nördlichen und südlichen
Ausbuchtungen sich in ihrem westlichen Verlauf bis zur Rhein-
mündung, England und Irland im grossen und ganzen hält. Es
zeigt sich also, dass die von uns als Ausgangspunkt der Indo-
germanen in Anspruch genommenen Länder nördlich und westlich
des Pontus von jeher eisfrei gewesen sind, und dass daher von
diesem Gesichtspunkt aus nichts im Wege steht, sie zugleich
als ihre Ursprungsländer aufzufassen.
Mit dieser Raumfrage steht nun im engsten Zusammenhang
die Frage nach der „Rasse" des idg. ürvolks, wie sie zuletzt
von F. Ratzel behandelt worden ist. „Die helle Rasse", sagt
dieser in der Umschau 1899 Nr. 42, „kennen wir aus der Ge-
schichte als die Rasse Europas, Nordafrikas und Vorderasiens.
Sie wohnt nördlich von der Negerrasse, westlich und südlieh
von der mongoloYden Rasse . . . Den äussersten, höchsten und
vielleicht auch jüngsten Zweig am Baum dieser Rasse bildet die
weisse oder blonde Rasse, die noch entschiedener nördliche
Wohnsitze hat .... Indem wir die Frage nach dem Ursprung
der hellen und der weissen Rasse aufwerfen, müssen wir uns
klar machen, dass ihre Beantwortung nur unter zwei Voraus-
setzungen möglich ist. Der Ursprung der hellen Rasse reicht
in eine Zeit zurück, wo das heutige Europa noch nicht bestand.
Dieser Ursprung hat sich in einem älteren Europa abgespielt,
das wesentlich anders war als unser Europa. Und er ist nur
denkbar auf einem sehr weiten Raum. Dasselbe gilt auch für
den Ursprung der weissen Rasse .... Die helle Rasse konnte
sich auch nur da entwickeln, wo die Mischung mit mongoloYden
und negroYden Elementen ausgeschlossen war. Sie muss von
beiden Rassen schärfer getrennt gewesen sein als heute.
Die Geschichte Europas zeigt uns nun eine Zeit, wo Meer,
Eis, Seen und Sümpfe Nordasien von Osteuropa sonderten;
Europa war damals nicht eine Halbinsel von Nordasien, sondern
- 517 -
von Vorderasien, und ausserdem hing es mit Afrika zusammen,
aber bald legte sich die Wüste zwischen Nordafrika und Inner-
afrika. 80 war ein grosses und ziemlich geschlossenes Gebiet
gegeben, in dem die helle Rasse ihre Sondermerkmale ausbilden
konnte. Wir glauben also, dass die helle Rasse in Europa,
Nordafrika und Vorderasien entstanden ist. Inwieweit Nordasien
an dieser Entwickelung beteiligt war, werden künftige
Forschungen zu zeigen haben. Wir halten es einstweilen nicht
für wahrscheinlich, weil sonst die helle Rasse ihren Weg nach
Nordamerika hätte finden müssen^ das in einem Abschnitt der
Diluvialzeit mit Nordasien zusammenhing.
Als das Eis sich von Nordeuropa zurückzog, Hess es einen
weiten Raum frei, nach dem nun Einwanderungen von Süden
und Südosten her stattfinden konnten. Wir finden von der neo-
lithischen (jüngeren Stein) Zeit an eine Bevölkerung, die der
heutigen an körperlichen Merkmalen gleicht, in Nordeuropa, in
einem grossen Teile des norddeutschen Tieflandes, und im Donau-
land. Es ist wahrscheinlich, dass auf diesem Boden, also auf
Neuland, die weisse Rasse sich entwickelt hat, eine echt kolo-
niale Rasse, begünstigt durch den weiten Raum, die entfernte
Lage, den jungfräulichen Boden und durch die Verbindung mit
dem Südosten, wo die höchste Kultur in Vorderasien und Nord-
afrika aufblühte, deren Keime sich in derselben Zeit entfaltet
haben mögen, in der Eis die Nordhälfte Europas bedeckte.
Diese Verbindung wurde durch das Steppenland Südosteuropas
nach Innerasien und nach den Kaukasusländern, durch die
Balkanhalbinsel nach Kleinasien zu vermittelt.
Die Reinheit der Merkmale dieser Rasse zeigt, dass sie
noch ferner von fremden Beimischungen sich entwickelt hat, als
die helle Rasse, von der sie einen Zweig bildet. Aber indem
sie nun nach Süden vordrang, begegnete sie älteren Völkern
der hellen Rasse, die in um so grösserer Menge afrikanische
Elemente aufgenommen hatten, je weiter südlich ihre Sitze
lagen. Es entstanden Durchdringungen der älteren und jüngeren
Glieder der hellen Rasse, deren Wirkungen wir in den all-
mählichen Obergängen der beiden in der Bevölkerung Europas
sehen. Deren Rassenextreme liegen im Süden und sind da-
zwischen aber breit vermittelt.^ „Mit dieser Rassenent-
Wickelung^, heisst es dann Berichte II, 144f. weiter, „^i^ ^^^^
— 518 -
in eine Jahrzehntaasende hinter an» liegende geo-
logische Vergangenheit hineingreift, kann die Ans-
breitnng der arischen Sprachen in Eoropa und Asien
nnr insofern in Verbindung gebracht werden, als diese
Sprachen, als sie sich entwickelten, die Rassen ror-
fanden, die im qnartären Europa sieh festgesetzt hatten.
Ans ihnen bildeten sie eine neue Völkerverwaudtschaft
durch die uralten Prozesse des Verkehrs, der Er-
oberung, der Kolonisation, der Verschmelzung und
auch der Ausrottung. Dabei blieben alte Rassen-
unterschiede im Süden und Norden erhalten.^
Gegen diese Auffassung der Dinge habe ich nicht das
geringste einzuwenden. Sind dieselben aber so verlaufen, wie
hier geschildert wird, so bleibt gar nichts ttbrig, als den Schau-
platz, auf dem jene neue, indogermanische Völker?erwandtsehaft,
in der doch nun einmal „Helle^ und „Weisse^ unauflöslich mit-
einander verschmolzen sind, sich entwickelte, da zu suchen, wo
diese beiden Rassen aneinanderstiessen, und so erblicke ich in
Zusammenhang mit den früher (p. 482) angeführten Erörterungen
Ratzeis in ihm einen überzeugten Verteidiger der südost-
europäischen Ursprünge der Indogermanen.
2. Prä bis torisch archäologische Gesichtspunkte.
Wir sind in diesem Werk immer aufs neue zu dem Ergebnis
gelangt, dass die Kultur der idg. Urzeit derjenigen entspricht,
die wir vom archäologischen Standpunkt aus als neolithische,
speziell, weil durch den Besitz des Kupfers ausgezeichnet, als
spätneolithische bezeichnen. Die nächstliegende Frage ist
daher die, ob wir in Südrussland und den westpontischen
Ländern dieselben Spuren derselben neolithischen Epoche wie in
der westlichen Hälfte Europas, besonders auch wie in Skandi-
navien, finden. In der Tat haben nun gerade solche Forscher^
die im übrigen die Ursprünge der Indogermanen aus den alt-
germanischen Ländern ableiten, auf eine solche Übereinstimmung
der Funde aufmerksam gemacht. So führt Pen ka Herkunft der
Arier p. 47 ff. nicht weniger als drei „archäologische Autoritäten"
an, nämlich Worsaae, H. Wankel und besonders Montelins,
welcher letztere bekanntlich selbst die Germanen vom Schwarzen
Meere ausgehen lässt, die „die Identität der neolithischen
Kultur Skandinaviens mit der neolithischen Kultur Südrusslands
Bnd der aD^remteiiden polDigchen Länder festgestellt haben".
Aber «ach M, Mueh Heimat der Indogennaneii p. 13 findet, das«
„da» «Udliche Schweden und ein beschränkter Teil von Norwegen,
gtLiiv. Dänemark mit »Iten ingeln, da^ lieulige Deutsche Reich,
die Niederlande und Belgien, GroBsbritaunien nnd Irland, das
nördlicbe Frankreich, die Seliweix und Oberitalien, Österreich-
Ungarn, Russisch-Polen und das ganze Qnellgebiet
[des Dniesters, dea Dniepers und der oberen Wolga,
Idie Balkanbalbinsel mit Griechenland nnd den Inseln, endlich
I die gegenüberliegenden Gestade von Kleinaeien in dem /.utage
I getretenen Steingerät eine solche Verwandtschaft zeigen, dass
■an iiieht selten, besonders wenn das Material, das ja mehr oder
[ weniger dem Boden der verschiedenen Länder entnommen ist
I snd deshalb wechselt, nicht deutliehe Weisung gibt, gar nicht
[ sagen könnte, ans welchem Lande das eine oder andere Kund-
|«tQck stamme". Auch auf die ffrters in diesem Werke genannten
I neolilhischcn Ansgrabungcu des Herrn Chwoiko am mittleren
I Dniepr möchte ich hinsichtlich der Haustiere (oben p. 153), der
\ Knitnrpflanzen (p. 187), des Hflitenbanes (p. 273 f.), der Schild-
krttte ip. lf)0), des Fischgenasses (p. 248) hinweisen und nur
fain/ufllgen, dass innerhalb dieser von Chwotko blossgelegten
neolithischen Knlturi^ustände auch eine Gussform für metallene
Beile aufgefunden worden ist (Arbeiten des archäol. Kongresses
■ in Kiew, Moskau l'^)l, p. 762). Aber anch abgesehen von
[ diesen mir allein im Original bekannt gewordeneu Arbeiten
L'Chwoikos sind in neuerer Zeit durch russische Gelehrte Überaus
|-reielie und interessante Funde aus dem Neolith der Ukraine
rzDlage gefördert worden, über die wir jetzt durch das schon
Loben genannte Werk M. Hrusevskyjs Geschichte des ukra-
■tischen (rnthenischen) Volkes (Leipzig 1906), p. 25 ff. mnd
FAnhang 2) eine gute Übersicht erhalten. Seinen Gesamteindruek
rfasst HruSevskyj p. 30 in die bezeichnenden Worte zusammen:
l^lm ganzen entspricht das Bild der materiellen Kultur
['der spätneolithtschen Epoche, welche die ukrainischen
f AuHgrabungen entrollen, ziemticb genau jenem Bilde,
(das die linguistischen Forschungen uns von der indo-
upäischen Kultur an der Grenze des Neolith nnd
tder Metallkultnr vor der Ansiedlung der iudoeuropäi-
|«ehen Stämme geben." Täteu unsere Frähistoriker, die so
- 520 —
voreilig gerade die nordeuropäische Gestaltung der neolitbischen
Epoche der uriudogermanischen Kultur gleichgesetzt haben, nicht
gut daran, ihr Studium diesen ukrainischen Materialien, deren
Behandlung durch sie nur gewinnen könnte, zuzuwenden und
alsdann zu einer Revision ihrer Behauptungen zurückzukehren?^)
Auch westlich vom Pontus stossen wir z. B. in dem schon oben
p. 469 genannten prlihistorischen Schanzwerk von Lengyel im
Tolnaer Komitat (vgl. M. Much Kupferaeit* p. 49) auf eine neo-
lithische Kultur, von der ich durchaus nicht einzusehen vermag,
warum sie vom Norden gekommen und nicht dahin vorgedrungen
sein könnte.
Nun ist diese neolithische Kultur natürlich nicht dem
Menschen als ein Geschenk des Himmels in den Schoss gefallen.
Sie hat sich vielmehr, sei es an einem Ort, von dem aus sie
anderswohin übertragen worden wäre (vgl. P, 210), sei es an
mehreren Orten, aus niederen Zuständen, die in den Denk-
mälern der älteren Steinzeit vor uns liegen, allmählich ent-
wickelt. Die weitere Frage ist daher die: kann eine solche
Entwickeluug auch in den Ländern nördlich und westlich des
Pontus stattgefunden haben? Oder, mit anderen Worten: lassen
sich Spuren des paläolithischen Menschen auch hier nach-
weisen? Dies ist nun allerdings der Fall. In einer Strasse der
Stadt Kiew selbst sind zusammen mit Knochen des Mammuts
zahlreiche Steinwerkzenge der palaeolithischen Epoche zutage
gekommen (vgl. Chwoiko a. a. 0. p. 736 ff.). Der interessanteste
Fund aber war der Schneidezahn eines Mammuts, auf dem ver-
schiedene Zeichnungen, eine Schildkröte, scheinbar ein Vogel
1) Von besonderem Interesse ist in diesen ukrainischen Aus-
grabungen der neolitbischen und spätneolithischeu Zeit die zutage
gekommene teilweise gemalte und gravierte Keramik, die unverkenn-
bare Analogien mit der trojanischen und vormykenischen Kultur zeigt,
und von der Spuren auch in Bessarabien, Rumänien, Bosnien und
Kappadocien gefunden worden sind. Auf dem archäologischen Kon-
gresö von Charkow (16.— 27. August 1902; vgl. den Bericht über den-
selben p. 87) suchte Prof. von Stern diese Zusammenhänge durch eine
Völker- und Kultur Wanderung zu erklären, die vom Schwarzen Meer,
an dem einst die Griechen gesessen hätten, ausgegangen sei. Auf
jeden Fall sieht man, dass hier überall höchst bedeutsame Fragen
auftauchen, denen die deutsche Forschung sich mehr als bisher zu-
wenden sollte.
I
und eiu Kahn (vgl. Tafel XVII) eiii^eiiut waren. Es ergibt
Biiifa also, dass in jener Epocbe im sUdlicIien Russland ein älinltck
kuDstbegnbtes Volk, wie in den HOblen des Büdlicben Fraokreicbs
(vgl. i. It. 8. Muller Urgescblcbte Europas p. 10 f.j, gelebt haben
Vgl. Weiteres bei M. HruSev^kyj a. a. 0. p. 22 ff.
Westlich vom Scbwar/.en Meer sind mir Üherresle des diluvialen
Menschen erst aus Mähren (M. KMz Beiträge zur Kenntnis der
Quartärzeit in Mähren, Steinilz 1903) nnd Kroatien (Dr. K.
Gorjauovic-Kramherger Der Diluviale Mensch in Krapina
in Kroatien, Wiesbaden 1906| bekannt. Doch genügt das
Gesagte, um Jedenfalls 7,n beweisen, dass in SUdrussland der
Mensch, wall rscbein lieh in einer Zwisebeneiazeit (C h woi ko
p. 748), schon in der paläolithiseben Epoche lebte, während auf
dem einst vergletseberten Boden der allgermaniscben Lämler
Beste des paläolithiseben Menschen nicht vorkommen (Kretsrhmer
p, 6(1 nach Penekj. Demnach liegen die Dinge also ganz wie
nnter 1.: Verlegen wir die lleimat der Indogermaneu in die
altgermauiscbeii Länder, so können wir sie hier nnr bis in die
neoiithisehe Zeit oder höchstens bis in die chronologisch eben-
falls nicht allzu entfernte Epocbe der KjOkkenmöddinger (oben
p. 477 f.) znrÜcWühren und müssen sofort die neue Frage auf-
werfen, woher sind sie in die allgermanischen Länder ein-
gewandert"? Lassen wir hingegen die Indogermaneu von den
pouCiscben Gebieten ausgeben, so kOnnen sie daselbst von
der paläolitbiscben Ära an, in der wir llberbaupt die ersten
sicheren 8pnreu des Menschen in Europa antreffen, ansässig
gewesen sein. Dass sie es aber auch wirklich waren, erbellt
«UB dem Folgenden.
3. Linguistische Gesichtspunkte. Wir haben oben
an der Hand der Ratzeischen Ausfllhrnngen ober die vermut-
liche Entstehung der hellen und weissen Kasse gesprochen, inner-
halb deren sieb die indogermanische Sprach- und Völkereinheit
allmähtich entwickelt, d, h. gegenüber anderen Sprach- und
Vfilkereinbeiten derselben Rassen abgegrenzt haben niuss. Die
weitere Frage ist daher die, ob sieb die .Spuren jenes Prozesses
noch verfolgen, oder, mit anderen Worten, ob eich noch irgend-
welche prähistorischen Beziehungen des idg. zu anderen Sprach -
atämmen nachweisen lassen.
In dieser Hinsicht bat ntau längere Zeit an eine nähere
Setirader, Spr^ehversldchunB uud UrgMEhicbLe II. 1. Aufl, 'i^
- 522 —
Verwandtschaft der Indogermanen mit den Semiten gedacht^ ja
sich dnrch den Glauben an eine solche Verwandtschaft in der
Lokalisierung der idg. Urheimat bestimmen lassen (I', 13, 92,
102 f.). Diese Ansicht darf jetzt als aufgegeben gelten, und
mit Recht sagt Winternitz (Beilage z. Allg. Z. 1903 Nr. 238
p. 132): „Es ist sehr wohl möglich, dass, wie das öfter be-
hauptet worden ist, die indogermanischen und die semitischen
Sprachen miteinander verwandt sind, und dass es einmal eine
„indogermanisch-semitische Ursprache^ gegeben hat, aus welcher
beide grossen Sprachfamilien abzuleiten wären. Ich sage: es
ist möglich; aber unmöglich ist es, den Beweis zu erbringen;
denn diese „indogermanisch-semitische Ursprache'' würde in eine
so ferne Vergangenheit zurückgehen, dass alle Spuren der
Verwandtschaft in geschichtlicher Zeit bereits verwischt sein
müssten.^ Auch ist man neuerdings wieder viel eher geneigt,
die Ursitze der Semiten mit E. Schrader (Z. d. D. M. Ges.
XXVII, 417 ff.) u. a. in Arabien, statt mit A. v. Kremer und
F. Hommel (P, 103) in Zentralasien, also, wenigstens einiger-
massen, in Nachbarschaft von den Indogermanen zu suchen. Ja,
es fehlt nicht an Gelehrten, welche die Ursprünge der Semiten
überhaupt nicht in Asien, sondern in dem Arabien gegenüber
gelegenen abessinischen Hochland suchen, die Semiten also von
den Hamiten ableiten möchten^).
Im Gegensatz hierzu wächst sichtlich die Zahl derjenigen
Forscher, die für engere Beziehungen der indogermanischen zn
den finnisch-ugrischen Sprachen eintreten, eine Ansicht, die
nach dem Vorgang N. Andersons (Studien zur Vergleichung
der Indogermanischen mit den Finnisch-ugrischen Sprachen)
und Donners (Vergleichendes Wörterbuch der Finnischen
Sprachen) neuerdings mit voller Entschiedenheit von H. Sweet
{The history of language^ London 1900) und K. B. Wiklnnd
(Finnisch-ugrisch und Indogermanisch, Le monde onental 1906,
1) Für Arabien sind neuerdinors eingetreten Hugo Winckler
in Helmolts Weltgeschichte III, in E. Schraders Keilschriften und das
alte Testament* und an anderen Orten, für Afrika Hub. Grimme Die
weltgeschichtliche Bedeutung Arabiens. Mohammed (Weltgeschichte
in Charakterbildern, München, 1904), und Merk er Die Masai (vgl.
dazu Mein hof Z. f. Ethnologie 1904, p. 735 ff.). Skeptisch äussert sich
Th. Nöldeke Die semitisclien Sprachen. 2. Aufl., 1899.
ri93
, 1 ]). 43 ff.) ausgesprocheu uod begründet wordeu ist (vgl. aiu-|j
[', 125). Die finniscli-ugriaclien Viilker sind in körperlicher
leziebung, wie die IndogemtaDiacheD, Miscfastäimiie, \a deuen sieb
mm minäesten die belle, Ja weisse, meiet dolichokepbale und die
bon jeher im Imierti Hocliasiens wnr/.elnde mongohiTde, turko-
tetarische Rasse unterBcheiden laEsen. Die helleu Bestandteile
*iyg\. Penka Die Herkunft der Arier p. 24 f., Kretschnier
Einleitung p. 30 f.) treten liesonders in Europa, bei Finnen und
ICstbeu, die niongoloYden ZUge banptsäeblich hei den asiatischen
Zweigen des finnisch-ugrischen Stammes bervor. Hinsichtlich
der finniscb-ugriacben Spracben besteht freilich die Öchwierig-
keit, dass ihre Östlicheren Glieder, sowohl das Perraiscbe (Syr-
jäniscb, Wotjakisch nsw.), wie auch das Ugrische (Ostjakiscb,
Wogdliscb etc.) noch nicht genügend erforscht worden sind, um
in grösserem Umfang eine finnisch-ugrische Ursprache, die man
t-der indogermanischen gegenflherstellen konnte, /u konstruieren,
Gleichwohl sind die Analogien, die man schon jetzt zwischen
K-den idg. und finno-ugriscben Sprachen festgcstollt hat, so zahlreich,
lass, wie ich glaube, nnr ein Uhertrieheuer und unfruchtbarer
jBkeptizismus sie als ein blosses Werk des Zufalls betrachten
Stann. Einige der wichtigsten sind fnamentlicb nach Wiklund)
nie folgenden:
In der Deklination stimmen die beiden Sprachgebiete in
""der Bildung des Accus. Sing, auf -m üherein. Finnisch Icalan
aus *kalam, tscheremissisch Jcolom, wogulisch yulme, kamassinisch
(samojedischj kolam „den Fisch" entspricht scrt. vfka-m, griech.
Xi'xo-v, lat. lupu-m. Dazu tritt ein gemeinsamer Partitivus,
bezügl. AblativuB, der auf beiden Sprachgebieten durch einen
_dentalen Versehlusslaul charakterisiert ist: fiun. ulkoa aus *ul-
Stoda, läpp, älkot aus *dlkodti „von aussen", mordv. tojgada
KTOD der Feder", samojed. fuada „von hinten" = scrt. vrkäd
Ltod dem Wolfe", pa^d'd „von hinten", lat. Gna'ivöd, später
Der Nominativua Sing, wird oder wurde deiugegenUber
binf beiden Sprachgebieten ohne Endung gebildet: im Finnischen
sei kaHa „der Fisch", kylä „das Dorf" (Nominal. = Stamm),
1 Indogermanischen entsprechen Fälle wie scrt. dqvä „Stute",
riech, z^ig«, lat. terra, griech. xvwv, Tiarijß usw. Das -«, das
Wi gewissen Stämmen den Nominativ im Indogermanischen bildet
vfka-8, griech. ^^;(i'-c, got. ganu-», ist offenbar sekundär
- 524 —
und entspricht dem demonstrativen Pronomen: scrt. sa, griech. ^^
got. sa „der^' = wotjak. so, läpp, son, finn. hän ans *sän „er^
sie^. Erstarrt läge nach Sweet (p. 118) dieses s anch in finni-
schen Formen wie parmas, parmas-na „in dem Bnsen^ neben
parma vor. So erhalten wir, da aach der oben genannte fin-
nische Stamm Jcala „Fisch" im Indogermanischen wiederkehrt
(s. u.), ein finnisch -indogermanisches Paradigma: *k€da „der
Fisch", *Jcalam „den Fisch", *Jcala'd{a) „von dem Fisch". Ein
Dualis, wie im Indogermanischen, kommt noch im Wogalischen
and Ostjakischen vor.
In der Konjugation überrascht die Übereinstimmung der
Personalendungeu in den I. und II. Personen : finn. elän ans
*eläm „ich lebe", elät „du lebst", elämme „wir leben", elätte
„ihr lebt" müssen in ihrer Bildung in einem, wenn auch noch
nicht aufgeklärten Zusammenhang mit dem idg. : scrt. bibharmij
griech. tI'9i]ilu; scrt. v^ttha, griech. oh^a, got. laM „du lasest";
scrt. bhdrämasiy griech. (dor.) (pigojuegy lat. agimtui; scrt. bhärathay
griech. (pegere, altsl. berete stehen. Dazu ist auf beiden Sprach-
gebieten die III. Pers. PL zweifellos nominalen Ursprungs. Finn.
he antavat ,,8ie geben" ist eigentlich ii donantes, scrt. bhdranti,
griech. (pegovri (dor.) kann nicht von scrt. bhdrarUas, griech.
(pegovreg „die tragenden" getrennt werden, wobei das -» von
(pegovri vielleicht mit dem Pluralzeichen -e in ol, tnnoij kvxo-i-oi
verglichen werden darf. Eine Einzelheit der verbalen Stamm-
bildung liegt in dem gemeinsamen Gebrauch des Frequentativ-
suf fixes 'Sk : finn. ui-ske-nt-ele-n „ich schwimme" : scrt. gdcchati
„er geht", griech. ßdoxe „gehe". Von Tempusstämmen begegnet
im Mordvinischen, Wogulischen, Tscheremissischen, Ostjakischen,
Samojedischen, vielleicht auch im südwestlichen Finnischen und
Esthnischen (Stamm palu, Prät. palu-sin) ein Präteritum auf -s
(vgl. Eliot Finnish grammar XXX), das in dem idg. «-Aorist
wiederzukehren scheint (scrt. ddikshi, griech. idei^a, lat. dixf).
Ein Futurum ist im Finnisch-ugrischen nicht vorhanden, und war
es vielleicht ursprünglich auch nicht im Indogermanischen (vgl.
F, 135).
Ganz augenfällig stimmt der Anlaut der Pronomina auf
beiden Sprachgebieten überein: läpp, mon, finn. minäy wotjak»
mon „ich", vgl. scrt. mdj griech. /le, lat. mS; läpp, don, finn.
sind aus *tinäy wotjak. ton „du", vgl. scrt. tüdm, griech. tv, lat.
, läpp.
, finD. hält i
*sän, wotjak. so „er, aie", vgl. scrt.
, griecb. 6, got. aa; lapp. dat, fion. tämä, votjak. ta „dieser",
Srgl. scrt. tddy grieeU. rti, got. pata; lapp. gi, finn. ken, wo^jak.
„wer", vgl. scrt. ktie, got. hos, lit. käs, aw. 6i-i „wer",
;h. TiV, lat. quig\ lapp. jukko. fioD. joka „welcher" (relativ),
scrt. yds, griech. 5^, got. jabai „wenn".
Aach auf dem Gebiete der S tarn mbil düng zeigen sich
zahlreiche Entspreclinngcii, von denen ich nur anf die Überein-
«timmnng des Superlativsuffixes, finn. -ima-, Nom. -in, lapp,
^L^(i)niU(t (f'wa. pahiii „der scbliuimste", lapp. buHremum „der hente")
^Kmit idg. -mo (scrt. madkyamd, upamd, tat. summug aus *sup-
^Bmus) verweisen will. Weiteres hei Wiklnnd p. öü f.
^B Endlich bietet auch der Wortschatz eine ganze Anzahl
^■finniscb-ttgriBeh-indogermauisciier Enfsprechnngen, die nach dem
^Kürteil der vorzllglicbsten Kenner des ersteren Sprachgebiets
H'nicht auf Entlehnung aus einer idg. Einzelsprache, dem Irani-
Bvefaen (vgl. oben p. 485), dem LitaniBcben, Slaviscben oder Ger-
mftniscben beruhen können. Z. B. finn. me»i (St. med- oder
met-) „Honig", niordv. med, tscher. my, syrj. ma, ostj. mag,
wog. fflfiM, ung. mfc = idg. *medha (oben p. 252); finn. vesi
jSt. ved- oder re(-) „Wasser", morAv.wed, tscher. rif, vyt, syrj.
Dg, rit, ung. riz = scrt. uddii, griecb. vStuQ, altsl. poda,
;ot. catd; finn. iiimi „Name", mordv. lern, tscher. lim, lym,
fliyrj. nim, ostj. nem, wog. näm, ung. n4i- = scri. nd'maa, lat.
tömen nsw.: finn. ruoiii „Jahr", weps. wos. ostj. At = idg. vet-,
, ae'oj} toben p. 22ti, 228/; finn. kala „Fisch", lapp. guölfe,
mordv. kal, tscher. kol, wogul. x^'i &((!■ = '^t. squalua, altpr. kali»,
altn. kpalr (oben p. 301} und vieles andere.
kNnn kann tnan natürlich auch auf zahlreiche Diskrepanzen
r beiden Sprachgebiete hinweisen, allein es zeigt sich hei
berer Betrachtung, dass dieselben kein nnUbei-steiglicbes Hin-
aemis ftlr die Annahme eines uraprönglicben Zusammenhangs
derselben sind. So stimmen die Zahlwörter im Finoisebugri-
echen und Indogermanischen nicht zusammen; aber auch das
Saniojedische, das ganz sicher eine finnisch-ugrisebe Sprache
ist, weicht auf diesem Gebiete vom Finnisch-ugrischen ab. Die
Zahlwörter bilden also kein absolut notwendiges Kriterium der
Verwandtschaft zweier Sprachen. Die finnischen Spraciien haben
keinen Geschlechtsunterschied, die indogermanischen kennen
— 526 —
das Gesetz der Vokalbar monie nicht; doch lässt sich zeigen^
dass beide ErscheinuDgen aaf beiden Sprachgebieten verhältnis-
mässig junge, wenn im ersteren Fall aach noch in der idg. Ur-
zeit wurzelnde Entwickelungen sind. Weiterhin hat man darauf
aufmerksam gemacht (vgl. H. Wink 1er Ural-altaische Völker
und Sprachen, Berlin 1884, p. 86 ff.), dass mehrere der oben auf-
geführten finnisch-ugrisch-indogermanischen Übereinstimmungen,
z. B. die auf dem Gebiet der Pronomina, auch in anderen Sprach-
familien wiederkehren und darum nicht beweisend seien. So-
werde der Explosivguttural k überall häufig zur Bezeichnung
der Frage verwendet. Oder so ginge auch in den meisten afrika-
nischen Sprachen die I. Person auf -m, -ma, -me, -am aus.^
Dies mag richtig sein. Allein mir scheint auf diesem Gebiete
Ähnliches zu gelten, wie von den p. 131 besprochenen, in die
idg. Urzeit zurückgehenden Kulturschemata, die wohl ver-
einzelt, aber nicht in ihrer Gesamtheit und in ihrem Ineinander-
greifen auch anderwärts wiederkehren. Und so schliessen wir
uns rückhaltlos der Meinung derjenigen an, die in diesen finnisch-
ugrischen und indogermanischen Analogien die Spuren proetbni-
scber Zusammenhänge der beiden Sprachstämme erblicken.
Tut man dies aber (wie z. B. auch H. Hirt Die Indo-
germanen II, 577), und nimmt man infolgedessen uralte Nach-
barschaft der beiden Sprachstämme an, so scheiden damit aufs^
neue die altgermanischen Länder als Urheimat der Indogermanen
aus, und ein weiteres Argument für ihre Lokalisierung im süd-
lichen Russland tritt hinzu. Denn in jedem Fall müssen wir
jene Epoche finnisch-ugrischer und indogermanischer Gemein-
schaft, in der eben erst die Keime des beiderseitigen Sprach-
baus vorhanden waren, in eine ungemein frühe Zeit verlegen, in
eine Zeit, für die wir nun wirklich mit der geologischen Ver-
gangenheit unseres Erdteils rechnen müssen. Alsdann aber bleiben
als ursprüngliche Wohnsitze der finnisch-ugrischen Völker nur
die Gebiete westlich von dem mittleren Ural bis zu einer Linie
übrig, die man sich etwa von Norden nach Süden durch die
Mündung der Wetluga in die Wolga bis zum 50. Breitengrad
gezogen denkt. Nördlich und westlich von diesen Länderstrichea
war Europa mit Eis, dann mit Tundren und Steppen bedeckt.
Jene ältesten Berührungen der Finnen und Indogermanen können
daher nur an der mittleren Wolga stattgefunden haben, wo be-
I kauotlicli noeii heute in Tscheremiggen, Mordvineu und Wotjaken
I finniscbe Stämme sitzen. In die Gebiete westlich des Urals ver-
[legt auch Wiklnnd (a.a.O. p. 55) die Urheimat der Finno-
LDgrier, was wiederum zu dem Bienenarg^ument Köppons (I'.
ll^T) aufs beste stimmt. Erst nachdem im Westen und Norden
^as Eis zurückgegangen und der Wald sieh ausgebreitet hatte,
" andererseits der Ural {vgl. Ratzel Berichte II, 35), der bisher
Europa und .\sieu nahezu voneinander abgesperrt hatte, weg-
aamer geworden war, wird sich der fimiisch-ugrische Spraeh-
LstamiM llber den Norden Osteuropas und Asiens ausgebreitet
Fbabeii, in letzterem mit starken turkn-tatarischeu Elementen ver-
pachmelzend.
.Somit üiehcn wir nunmehr ans allem Bisherigen unsere Fol-
Ig^rnngen dahin: Als Ansgangsläuder der ludngermanen
leind aus historischen und linguistischen Gründen die
i;€lebiete im Norden nnd Westen des Schwarzen Meeres
trachten. Hier ist aber auch nach paläogeogra-
Iphiechen, anthropologischen, prä historischen und glotto-
E^^öuiscben Gesichtspunkten die eigentliche Urheimat
P^icser Völker zu suchen.
Damit könnten wir unsere Erörterung des idg. Heiniat-
problems beendigen, wenn nicbt schliesslich noch ein Wort Über
das endliche Auseinandergehen des idg. ürvolks /.u s.igen wäre,
4a8 dann allmählich in die geschiehtlicbeu Zeiten binli herfuhrt.
Gerade von den Ländern nürdlich nnd westlich des Poutus aus
iBst sich dasselbe auf Grund geechichtiicher .\nalogien
ahne Schwierigkeit verstehen.
Schon vor der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. sehen
ivir nach Herodot IV, 11 den hocbasiatischen Stamm der Massa-
[eten auf die iranischen Skythen drücken and sie über die
Folga und den Don bis zur Donau drängen. Von dem Zeit-
alter Alexanders des Grossen an schieben sieb die ebenfalls
iranischen Sarmaten (vielleicht durch ähnliche Feinde bedrückt)
in der gleichen Richtung westlich vorwärts. Im Jahre 375
n. Chr. gibt das asiatisch uomadische Reitervolk der Hannen den
Anstoes zur germanischen Völkerwanderung. Ums Jabr 555
herrschen die ural-altaiscben Avaren bis zur Donan und bis nach
Dacien. Es folgen fortwährende Einbrüche der türkischen Cba-
(dren, Knmanen, Petschenegen usw. Im Jahre 1224 erfolgt der
- 528 —
erste Einfall der Mongolen anter Tschingis-chan, 1227 — 1242
der zweite anter Baty-chan.
Immer sind also direkt oder indirekt hochasiatische, tarko-
tatarische oder mongolische Nomadeuvölker von Einflass aaf die
Völkergeschichte Süd-Ost-Europas gewesen, das ihnen, seit Earopa
seine heatige Gestalt angenommen hat, offenstand. Könnte ein
Gleiches nicht schon während der Schiassepoche des idg. Ur-
Yolks der Fall gewesen sein, ja, dieselbe herbeigeführt haben?
Wir haben oben (p. 487 f.) gesehen, dass vor den Skythen in den
Ländern vom Don bis zur Donau das rätselhafte Volk der Kim-
merier herrschte, und aus dem doppelten Umstand, dass einer-
seits diese seit der ältesten Zeit von den Skythen mit bemerkens-
werter Schärfe unterschieden werden, andererseits die von Herodot
und Hippokrates geschilderten, ursprünglich iranischen, aber
stark mit unterworfenen kimmerischen Volksbestandteilen ge-
mischten Skythen in ihrem Typus und in ihrer Lebensweise
unverkennbare turko-tatarische Züge aufweisen, geschlossen, dass
die Kimmerier selbst ein turko-tatarisches Volk gewesen sein
möchten. Dieser Schluss scheint durch eine neue Deutung des
Namens der Kimmerier, an dem sich viele Gelehrte bis jetzt
vergeblich versucht haben ^), eine Bestätigung zu empfangen.
Nach H. Vämbery Die primitive Kultur des turko-tatarischen
Volkes p. 103 und 133 zerfielen die Turko-Tataren seit altere
in zwei Hauptabteilungen, von denen die einen jiirüJc und ÄröcfeA,
1) Oewöhnlich bringt uian Kif^fiiQioi mit der Hesychglosse xifi-
fiegog dx^vg' ^filxXr} zusammen und erinnert an Od. XI, 14:
sv^ de Kififieglciiv dvÖQ&v dfjfiog xe n6Xtg it,
^EQi xai VB<piXjj xexaXvfiiLisvot.
W. Tomaschek Kritik d. ältesten Nachrichten (Sitzungsb. d. Wiener
Ak. CXVI, 64) erblickt darin den Namen eines kaukasischen Berg-
stamms und denkt an georg. gmiri „Held", „Riese**, laz qomöri „tapfer*'.
Auf dasselbe läuft es wohl hinaus, wenn Vs. Miller (bei M. H rü-
ge vskyj Geschichte des ukrainischen Volkes I, 91 Anm. 1) ein osset.
gumirita „Riese** heranzieht. A. Fick endlich deutet die Kimmerier
(B B. XXIX, 237) als die „verständigen" {xlfABQog' vovg, <^qvyeg bei
Hesych). Alles das ist wenig einleuchtend. — Die Kimmerier wegen
des einzigen kimmerischen Königsnamens Teuspa (im Assyrischen),
wie E. Meyer Gesch. d. A. I, 516 zweifelnd tut, als iranische Skythen
aufzufassen, dürfte auch nicht angehen. Vgl. noch über die Kim-
merier V. M. Sysojew Bericht über den XII. archäolog. Kongress in
Charkow p. 194.
— 529 -
die anderen 6omruj d. h. die wf^ndernden and die ansässigen
Nomaden genannt warden, und von denen „die ersteren, mit der
Viehzucht sich ausschliesslich beschäftigend; von dem Ackerbau
sich gänzlich fernhielten, während letztere, wenngleich ebenfalls
Steppenbewohner und mit Viehzucht beschäftigt, die Kultivierung
einiger urbaren, an Flttssen gelegener Landstriche schon frühzeitig
betrieben hatten" (vgl. oben p. 206). Da wir nun den Ausdruck
jüriik mit voller Deutlichkeit in den Ivgxai des Herodot (IV, 22)
wiederkehren sehen, liegt es nahe, die 6omru mit den Kiju/bLigioi
(bibl. Oomar, assyr. Oimirrai) zu verknüpfen und anzunehmen,
dass ein dieser Abteilung der Turko-tataren angehöriges Volk sich
zuerst als ein fremdartiger Keil in die Stämme des idg. Drvolks
hineinschob und seine erste Spaltung in Europäer und Arier ver-
ursachte.
Wir sind uns selbstverständlich bewusst, dass dies sachlich
und sprachlich nicht mehr als eine Vermutung sein kann, wollten
aber doch zeigen, wie wir uns etwa den Prozess der ersten
Spaltung des ürvolks auf dem Boden geschichtlicher Vor-
aussetzungen, von dem mau alle diese Fragen nur zu leichten
Herzens losgelöst hat, vorstellen können.
Nachträge und Berichtigungen.
Einige Unebenheiten und Ungenaiiigkeiten der Umschreibung
und Accentuation der Wörter sind in den im nächsten Abschnitt
folgenden Wörterverzeichnissen stillschweigend ausgeglichen, bzw. ver-
bessert worden. Diese bitte ich daher in einem zweifelhaften Falle zu
vergleichen.
I. Abhandlung (vgl. P, 238).
p. 46. Prellwitz Etymologisches Wörterbuch der griechischen
Sprache liegt jetzt (seit 1905) in zweiter Auflage vor.
p. 81. Ebenso R. Much Deutsche Stammeskunde. Leipzig 1905.
p. 82. Ebenso F. Seiler Die Entwicklung der deutschen Kultur
im Spiegel des Lehnworts 1905.
p. 83. Die Bibliographie der Lehnwortliteratur in den nord-
europäischen Sprachen bedarf einiger Ergänzungen, teilweis auch aus
der Zeit vor 1905: 1) Germano-Slavisches: J. Peisker Die älteren
Beziehungen der Slawen zu Turko-tataren und Germanen und ihre
sozialgeschichtliche Bedeutung (Sonderabdruck aus der Vierteljahr-
schrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte III, Stuttgart 1905). Vgl.
auch M. Murko Zur Geschichte des volkstümlichen Hauses bei den
Südslawen (Separatabdruck aus Band XXXV und XXXVI der Mit-
teilungen der anthrop. Ges. in Wien. 1906), besonders Abschnitt V.
2) Lateinisch-Keltisches: J. Loth Les mots latins dans les langues
brittoniques {gallois^ armoricain, comique). Paris 1892, und J. Ven-
d r y e s De hibemicis vocabuliSy quae a latina lingua originem duxe-
runt, dissertationem scripsit atque indices construxit. Paris 1902. Vgl.
auch J. Zwicker De vocabulis et rebus Gcdlicis sive Transpadanis
apud Vergüium. Dias. Leipzig 1905. 3) Lateinisch-Germanisches:
Burckhardt Norddeutschland unter dem Einfluss römischer und früh-
christlicher Kultur, eine Studie zu den altniederdeutschen Lehnwörtern
(Archiv für Kulturgeschichte III. H. 3. 4. 1905). 4) Romanische
Sprachen: H. Berger Die Lehnwörter in der französischen Sprache
der ältesten Zeit, Leipzig 1899, und G. Paris Les mots d'emprunt dans
le plus ancien Frangais im Journal des Savants 1900.
p. 107. Nach W. Streitberg Lit. Zentralblatt 1906 Nr. 24 hätten
L. und W. Lindenschmit schon 1842 in den Hennebergischen Vereins-
heften und 1846 in den „Rätseln der Vorwelt — oder Sind die Deutschen
eingewandert" den europäischen Ursprung derlndogermanen verfochten.
II Abhandlung (vgl. I», 236).
p.*135. Nach neueren Auffassungen sollen die Futurbildungen
lat. videbo und ir. no charub nichts miteinander zu tun haben (vgl.
F. Sommer Handbuch der lat. Laut- und Formenlehre p. 573).
p. 136. In seiner Besprechung von Sprachvgl. und Urgeschichte
18 (Journal des Ministeriums für Volksauf klärung 1906) ftihrtV. K. Por
iezinskij p. 25 die Gesichtspunkte aus, welche nach seiner Meinung
dafür sprechen, dass das sigmatische Futurum {dwa/co) eine urindo-
germanische, einst allen idg. Sprachen gemeinsame Bildung sei.
p 138. Ich muss R. M u c h in seiner Besprechung von Sprach-
vgl. und Urgeschichte P (Mitteilungen d. Wiener anthrop. Ges. 1907)
531
rechl gebeu, dn6h man aus der Entleliiiuiijr von Ferguniia iius *Per-
«iint'a iHercynia) nicht schlieäHen darf, datts zur Zeit des Eintritts der
dentscheu Lautverschiebung p im Keltischen noch unversehrt erhalten
geblieben sei, ,da auch ein 1000 Jahre vor der germaniachen Laat-
'Verachiebung enilehntüs ^yercunia zu jenem J-'ergunna hsite werden
miUsen", Ira übrijcen Biehl R. Muth in den «. a. 0. erörterten Frajcen
duFchana auf miiintirn Standpunkt,
p. 140, Entgangen ist mir H. Meyer's Aufsalsi .['rsprung der
frertnanischen Lautverschiebung' <Z. f. deutsche Alterturnttk. 1900, in
dem ein weseiittieh früherer Ursprung der deutschen Lautveracbiebunp
Angenommen wird. — Ebenda Z. lö. 19 v. u. lies 'tihun, *sebün.
p. 146. ForSezioskij a. a. O. p. 28 zeigt, dass die von mir an-
^fUhrCen litauischen Formen Mi, tu sich wahrscheinlich auch nicht
mehr in allen Feinheilen mit den indogermanischen Urformen decken.
p. 151. Über das Problem de,r Mischsprachen vgl, noch IP, 607 Anm.
p. 153, Z. S u. 3 v. 0. Gegen R. Muchs Einwand a. a. O., ,das»
in diesem Fülle meiue erst zu begründenden Ansichten über die
Urheimat der Indogermanen schon zum Ausgangspunkt weiterer
Schlüsse mache", ist zu bemerken, dass Jedenfalls die Kelten, wie
Ton niemandem bezweifelt wird, in den von ihnen besetzten Landern
rine uichtidg. (iberische) Urbevölkerung vorgefunden haben.
p. I&6, Z. 11. Hierzu bemerkt K. Much a, a. 0, mit Recht, dasa,
da die Chatten weiter existierten, nur von der völligen Vernichtung
ihres Heeres gesprochen werden kann.
p. 174, Z, 9 V. u. ergänze am Schluss das Wort .Sprache".
p. 201. Wenn R. Much zu serl. pdf ii = got. faihu, ursprünglich
iiScliaf, dann .Vieh* bemerkt, dass dieser Bedeutungsübergang nicht«
Besonderes sei, da er auch im altislAndi sehen umati „Kleinvieh", aber
•uch .Vieh" im allgemeinen (einschlieBsiich des Groasviehs): ahd. S7na-
kmäe, Hmalaz vihu, unserem »Schmaltier" vorliege, ho äbersieht er,
[iüss auf Island die Schafzucht im Mittelpunkt der Viehzucht
■ t e h t, so das:« sich der Bedeulungsübergaug auf Island aus denselben
Oder ähnlichen Gründen erktürt, wie $ie im Text für eine ferne vor-
Ireschichtliche Zeit angenommen worden sind. Ich erblicke daher in
:dem von R. Much angeführten Fall eine Re^tätigung und keine Wider-
Ingung meiner Ansicht.
p. 20S, Z. 4 V. u. lies sc«. fS'va und Z. 5 v. u, gol. heiwafrauja.
p. 204. Z, 8 V. o. lies Mt. ii-iä<e-.
III. Abhandlung.
p. 10. Zu grieeh /lijaXlor vgl. noch p. 123 Anin. 1.
p. 22. Den Schmied IVieland deute) F. Kluge jetzt anaprechend
. deutsche Wortforschung VIII, 144 als „Kuusihand* i'Wethandui].
p. 43, Z. 7 V. 0. (und an einigen anderen Stellen) lies BernAt
mhard) MuncAcsi,
p. 62, Anm. I, Das hier genannte baskische urraida .Kupfer"
deutet H. Schuchardt (brieflich) als da« ,goldahu liehe", abgeleitet
- 532 -
▼on MrÄe, urre (vgl p. 39 urre-ä) „Gold", das vielleicht semitischen Ur-
sprungs (assyr. JjLurä^) sei.
p. 69. Zu frz. cuifyre gehören noch sp. ptg. cobre. Auch in ita-
lienischen Mundarten kommt das Wort nach H. Schuchardt vor.
Ebenda lies Z. 7 v. u. baskisch alambre-a, das zwar von Basken ge-
braucht wird, nicht aber als baskisches Wort angesehen werden kann.
p. 77, Z. 3 V. u. lies Pamird spin.
p. 94. Das hier genannte baskische drraida (zirraida) kommt
nach Schuchardt nur bei Larramendi vor. Das gewöhnliche Wort ist
das aus dem Romanischen entlehnte ezteinu. Die Erklärung von dr-
raida ist unsicher; für dasselbe verweist Schuchardt noch auf ein
ebenfalls bei Larramendi genanntes bask. zirberuki ^Zinngiesserztnn',
^stannum plumbo admixtum^, das in ztr (zirraida) „Zinn*, berun „Blei*
<vgl. p. 95) und das Suffix -ki zu zerlegen sei.
p. 95. In der Reihe: ir. lüaide, agls. leady mhd. Idt füge noch
russ. luditl „verzinnen'', luzänie „Verzinnung*', auch altruss. luditi hinzu.
Doch fragt sich, wie alt das Wort auf slavischem Boden ist. In den süd-
slavischen Sprachen kommt es nach einer Mitteilung M. Murko's nicht vor.
p. 1 12. Mit griech. Qivri „Feile** und lat. aerra „Säge* hängt offen-
bar auch scrt srnt. arnV „Sichel** zusammen.
IV. Abhandlung.
p. 139, Z. 19 V. u. lies grich. inoy^.
p. 140 Anm. 1. Die hier genannte Arbeit A. Meillet^s scheint
kein S. A., sondern eine selbständige, A. J. Vendryes zum 3./7. 06 ge-
widmete kleine Schrift zu sein.
p. 172, Z. 15 V. u. lies alb. bl'efeze.
p. 203, Z. 11 V. o. lies armen, aiani.
p. 204, Z. 11 V. 0. lies npers. das.
p. 210. Über die Etymologie von russ. sochä vgl. neuerdings
ätrekelj Archiv f. slav. Phil. 1906 p. 494.
p. 224, Z. 12 V. o. lies armen, am.
p. 231, Z. 1 V. u. lies A. Hillebrandt.
p. 235, Z. 17 V. u. lies scrt. ni^äni^ara.
p. 250. Z. 15 V. u. lies got. smairpr,
p. 288, Z. 3 V. u. lies russ. zelezd.
p. 292, Z. 22 V. u. lies ir. mile.
p. 333, Z. 7 V. 0. lies russ. vedü,
p. 335 Anm. 3 (Totenhochzeit; vgl. auch P, 219): Mit der Methode
und den Ergebnissen meiner Schrift „Totenhochzeit** erklären sich in
teil weis ausführlichen Besprechungen einverstanden: Zachariae (Z.
des Vereins für Volkskunde XV, 232 ff.), A. Brunk (Zentralblatt f.
Anthropologie X, p. 146-148), H. Kjaer (Nordisk Tidskrift for Filologi,
3. Reihe 14/2 p. 90), J. Toutain (Revue de Vhist des rel. 52 p. 325),
S. Rein ach {Revue critique 1904 Nr. 2) u. a.
p. 521. Vgl. auch M. Hoernes Der diluviale Mensch in Europa.
Braunschweig 1903, ein Buch, das mir erst nach Abschluss des Druckes
zugänglich geworden ist.
Wörterverzeichnis*) der indogermanischen Sprachen
zu Abhandlung III und IV.
1. Indisch.
(Das Sanskrit ist un-
bezeichnet.)
dkiha 298.
agni 440. 441. 443.
agnishtäma 456.
ßj 203.
ajä 128. 135. 154.
äjra 203.
dtka 261.
ad 241.
ädikshi 524.
anad-vdh 156.
dnägas 400.
antdr 238.
op 441.
dpara 142.
aparapakshd 229.
aparddha 397.
ap<:2'd 19.
dpdnc 142.
ap^rnuv^n 416.
apsard' 441.
od^in (zigeun.) 79.
abhipitvd 237.
am, amt^ 409 414.
amdvdst 229.
dyava 229.
aya« 10. 45. 58. 59. 60.
61. 65. 113. 116. 117.
ard 299.
aritra 300.
arc2tcz (zig.) 98.
drya 392.
aryd 294.
dr^as 451.
ara^t 317.
dj?i 135. 154. 264.
dqan 106.
a^rshd' 19.
rtfman 17. 60. 78. 103.
106.
d^vttj dgvdyägvasya 134.
154. 163. 523.
aqvatard 48. 163.
ashfadhdtu 61.
a«, dsu 417.
a.vi 110. 111. 116.
asrimdn 144.
cfAan, d/iar, ahand' 237.
416.
ahördtrd^ ahami^a
236.
d'^a« 127. 398. 399.400.
401. 402. 405. 406.
410 411. 414.
d'jya 249.
dni ^98.
d7(J 271. 282.
dti 140. 166.
d^mdn 427.
dmd 243.
drd 118. 116.
ä'rya, dryaka 392.
<J«Ä^rf 283.
dsa 283.
i^/rt/ 104.
ishurdigdha 104.
fi<Äd' 298
ukshdn 154.
u&Ätf' 17. 19. 283. 285.
uddn 525.
udfrä 133.
upamd 525.
timd 260.
urana 258.
urvörd 189. 203. 204.
tiZöÄ-a 139.
w/Ä-^r 440.
wfdn^ 4(X).
t^ÄÄd«, w«r4' 237. 440.
443. 456.
üshtra 102. 135. 163.
ü'rnd 154. 162.
ürnavdbhi 261.
ÄrTwi 302.
r'itÄÄa 133.
rtü 239.
rtuvrtti 233.
r6Äw 21. 25. 428.
r^/ifi 108.
r'^ya 135.
€7ia 135.
<57m 260.
kansä, kdhsya 94.
Ärd^a 263.
kapö'ta 139. 141. 168.
kar^ kffid'tij kdrman
15 445.
karkafti karkdru 199.
A:ar< 263.
karsh, fcrsÄd/i 202. 204.
207.
karshü' 202.
Ärafffcd' 133.
kagyapa 149.
fcd* 525.
kasttra 94.
kdrmdrd 15.
kdldyasa 60.
A:^ 451.
kikidtvi 139.
kukkufd 139.
♦) Einis'e Unebenheiten der Umschreibung und Accentuierung etc.
sind in den folgenden Wörterverzeichnissen stillschweigend ausgeglichen
worden. Die altindischen und altiranischen Wörter sind, wie im Text,
so auch hier fast ausschliesslich im Stamme mitgeteilt, z. B. scrt. ddmay
nicht ddma-s „Haus*'.
- 534
Jcunta 108.
kumbhä 17.
krkavdku 139.
krfyä' 445.
krshnapaksha 229.
kfshndyas 60.
Ä:/-s/i« 204.
kelUy (hindost.) 98.
kökild 139.
kravya, krauis 242.
kravyd'd 244.
krtudmi 291. 319.
kshap, kshapd 236.
kshurd 112.
ÄrÄrtra 134. 162.
(5ra/l<7d 484.
^rarfd 107
gäcchati 524.
gdvishti 155.
gavyan gräfnafi 155.
gardabhd 163.
(7dr</d 163.
^äilgiya 43.
^rÄd 272.
i^d' 127 134. 404.
gödhü'ma 189.
gö'pati 155.
g6pä\ göpd' jdnasya
155. 388.
grama 387.
grä'van 204.
grtshmd 239.
flf/ir^d 250.
coÄrrd 298.
catushpdd 241.
candrabhüti, candra-
löhakGy candrahdsa
46.
carw 284.
carbhafOy cirbhatt 199.
^arT/Mi-mnd 259.
crtd'mi 263.
ci, cdi/€ 396.
jafu 172.
jatuka 64.
Jan 495.
Jdwa 3b7.
jdnman 387.
jd'mdtar 312.
jdmbava^ jdmbünada
42. 43.
J.yd' 104.
jhashd 302.
fafc^Ä 261.
tdkshany takshnV 128.
341.
tdpati 425. 440,
^rtrfcji 113. 262. 263.
^d^d 306.
tdtatulya 309.
Wrf 525.
tdmralöha 60.
/dt/u 406. 414.
<i«m 139.
fMC 311.
/rdpw 65. 92.
/üdc 101.
füdm 524.
ddkshina 142. 143. 144.
danda 397.
dadrü 451.
ddma 271. 388.
ddmpati 337. 388.
</arf , dargatd 45.
da^amasya 229.
dagardtrd 235.
tid/rd 204.
dd'rw 108. 171. 182.
ddrund 171.
rfina 236.
det;. div4'-divi, dydvi-
dyavi 286. 418. 444.
ddr 271.
dÄ'rvd 189.
dt/Ä 249.
duhitdr 307.
d^yd 423. 437. 444.
d^tdr 314. 315.
d^Äf 279.
dydü« 423. 439. 441.
dydüs pitd' 443.
dbsÄd' 237.
dvipd'd pagü'ndm 241.
drdpi 265.
dni 171.
druh 428.
dhanvan 104. 173. 176.
dham, dhmd, dhmd'td,
dhmdtds dftis 16.
dÄdnd' 195 202. 206.
dhd'man 404.
dhdraka 102.
dhümd 427.
naktavidinam 236.
ndkta, ndkti 236.
nagnd 257.
nawd' 306.
ndndndar 314.
ndpdt, naptar, naptt'
309.
ndiya 98.
wd''6/ii 298.
nd'man 525.
ndva, ndvd't ndü 182.
3Ü0.
wd^.Va 298.
n«va 310.
nirrti 141.
niqdnicam 235.
nfvi 263.
pdfican 498.
jpoc 243.
pani 416
pd/i, pdtntj patUvd
337 ff.
pdtyati 330.
patnisarhydjas 365.
pdnthds 297.
par, piparti 297.
para9u62.lll.ll6.ll8.
parä-dd 291.
pardvr'j 411. 414.
parivatmard 226.
parut 226.
parkati 176.
parjdnya 439.
pd^u, pafu 219. 241.
pagcd'd 523.
pd 241.
pd7i 337.
pdmdn 451.
/jjfca 140.
pinda 433.
pt7*dr 306.
pitdras 21. 428.
pi<u 237.
pitrvya 309. 318.
pittald 61.
piptlika 34.
pt>Ä, pwÄ^d 202. 206.
pttadru, pUaddrUj
pUuddru 172.
pitalöha 61.
pu<rd, pu^r^ 307. 387.
pur 388. 390.
pü'ya 451.
pö7-a (?) 189.
pt2'rt;a, pürvapdkshä
142. 229.
PfthivV 444.
pdumawd«! 229.
pra dd 133.
praqna 260.
prdsita 205.
prdtaranuvdka 466.
prd'nc 142.
priyd 294.
pÄd7a 204.
bdndhu 313. 316.
öarÄi« 284.
bahudhmdtd 60.
bibharmi 524.
örd^man, &raAmdn448
bhangd 194.
— 535 —
bJiarädväja 449.
bhäranti, bhärantaSf
bhärcUhas, bhärä-
masi 524.
bhishdj, bhishajd 450.
bhürja 172. 509.
bhrßjj 243.
bhrd'tar 307.
bhrd'trvya 310.
mdkshd 486.
tnajjdn 243.
mani 116.
mddatiy mattd 252.
md^a 252 254.
mddhu 148.252.433.510.
mdnas 427.
mand' 36.
manu 416.
md2a 265.
mahdrajata 87.
mahdvrata 453.
md 524.
w4, wim€ 228. 293.
tnämsd 243
mdtamaha 311.
wd/ar 306.
m^d maM 488.
mätuld 309. 318.
madhyamd 525.
mdrjdrd 165.
md'^^a 190.
md*« 228. 440.
wi^ra 375.
muc 160.
müsh 134.
in€jmdyaU,mit8at€290.
mulwa (hindost.), 7nol-
liwo (zigeun.) 99.
mld 265.
yßji yajäs 46. 446.
yajatd 45.
ydma 141.
ydva^ ydvtycms, ydvi-
shia 229.
ydva 188. 194. 256.
290.
yavanisfifa 99.
.Vd« 525.
yätar 315.
y4 ^d/rd 225.
^u^d 298.
yüvan 229.
ytl'pa 183.
yü'8, yushdn 243.
rafiga.rdnga (hind.)99.
ro/a^d 45. 46. 47. 49. 50.
51. 52. 120.
rajatdm hiranyam 46.
rdjju 260.
rd/JÄa 127. 298.
rasa, rasd' 163. 488.
rd'j, rd'jan 387. 389.
rd^trt, rdtryahan 235.
236.
rd'säbha 163.
rudhird 62.
rüpya ; rupd (bind.),
rt«6, rupp (zigeun.)
.06.
totn', lavitra 202.
Zi> 250.
«öpdfd 134.
ZöÄd. /(JÄiYa 60. 61. 62.
87. 118.
vanga (bind.) 99.
vdjra 107.
vajrin, vdjrabdhu, vd-
jrahasta 107.
vaisard 226.
vddhar 107.
üarfÄö' 333.
vam 451.
Vrtr, vrnö'ti 102.
vardhd 135.
vartana^ vartuld 264.
vdrtikd 139.
vdrpas 262.
vdrman 102.
t;«rsÄd', varshdni 228.
239.
va* 224. 237. 417.
vasantd , vasar 224.
225. 239. 510.
vdsishta 449.
vasnd, va»nay 290. 291.
vdsmariy vdsana, vd-
stra, vdsdna 257.
t;dÄa<€ 333.
rd, vdyati 261.
vd'^a 441.
vd'wa 143.
t;dyu 441.
vdsard 237.
vd'hana 298.
i?i 140.
viddtha 388.
viddla 165.
vi'dhdvd 348.
Wf 387. 388. 495.
vi^amvigam 387.
vt^pdti 388.
i;i9i;d'mi<ra 449.
vi«/^d 105. 450.
rf, v^'^i 138.
vr'ka, vr'kaUf vr'kam^
vr'kdd 133. 494. 523.
tv^rd 107.
r^^a^d 172.
t;^'«/ia 524.
vd'ira^vä'iradiya^vd'i'
raydtana 396. 414.
vyavahdra 398.
vydghrd 137.
vyutd 261.
t;7'a<d 453.
rrf/it 195.
jaTlÄrw !>08.
fand 193. 194.
f a/d 483.
gapdtha 407.
qdmyd 298.
farac/ 227. 239.
fdrw 109.
qdrvian 102.
fafd 134
gastrd 79.
fd'Ar/id 208.
Qätakumbha 42.
fd.sa' 398.
gigird 239.
Quklapaksha 229.
^U7i, fvan, (vd' 133.
154. 494.
f^ra 291.
gdulkavivdha 320.
gydmd 60. 61.
fj/^nd 139.
grdddha 433.
ft'dfm'a, fvajrÄ' 313.
«a 525.
«df/>a<i 388.
sapary 425.
aapiiida 433.
ÄOÖÄd' 388. 389. 398.
401.
«amd 224.
«dmd 224.
sdmiti 388.
samgavd 237.
sarhvatsam^ samvat-
sard 226.
saranyü' 416.
sardmd^ sdramiyd
416. 419.
sarpis 249.
savyd 142.
saster (zigeun.) 79.
«a^^yd 195. 204. 207.
sahdsra 292.
.vd'ra 249.
simhd^ siihhV 136.
Hindhu 484.
.st'«a 92. 98.
«u 445.
- 536 -
subandhu 387.
8tUd 433.
fturä 256.
sü 308.
sükard 135.
8ünü 307.
sü'rya^ süvar, svar,
439. 440.
Ä/'nf, «rnf 532.
srgäld 134.
södara 307.
«<5wd (hind.) 56.
sonakaif sonegai
(zigeun.) 56.
sö'ma 256. 440.
sdumSrava 43.
jif^dr 240.
jf^d2/d^ 406.
stind 406.
«^Äam 262.
sthü'nä 271. 282.
atnushä' 312.
sphara^ apharaka 102.
syäldy gyüld 315.
svadhd' 404.
svddhiti 111.
«vdru 183.
Hvarria 56.
svdsar 307.
Hvidita^ svidani 81.
swinzi (zigeun.) 97.
sjscha (zigeun.) 98.
Aa^n&d 140. 165. 166.
/^d.va 134.
hdvati 445.
Ädra« 239.
charkom (zigeun.) 66.
harmuta (?) 149.
härshaU 302.
Ädtofca 42.
himd, himd, Mman^
h^mantd 223. 225.
227. 239. 510.
Airanva32. 39.45. 119.
hiranydyi hiranya-
rartant 33.
ÄrCfcw, /iZ{A:u 64.
2. Iranisch
a) Awestisch und Alt-
persiscli
adka 261.
apanyäka (altp.) 311.
apara 142.
ayah 58. 65. 77. 113.
116.
ayöx^sta {dyökiust
pehl.) 10.
ayösaipa 16.
ayd^nma 225. 235.
airya 392.
ar^a 133.
ariti (auch altp.) 106.
asan 78. 106.
asdnö aremöiütö 106.
6töpa 134. 154.
azrödadi 138.
aia 203.
erezata 46. 47. 48. 52.
120.
erezatösaipa 16.
<jti>yd 271.
2«u 224. 509.
iza^a 154.
iiw 104.
ux^an 154.
Mrfra 133.
urvard 204.
urvaröhaHaza 450.
w«aÄ 237. 440.
uUra 135. 162.
Äraönd 389. 396. 413.
414.
kahrkdsttj kahrkatät
139.
kareia 88. 109. 111.
kareföbaHaza 450.
Ärar^, Araria 20'2. 204.
207.
kasyapa 149.
kdy 396.
^add, igaSavard) 107.
^aü (^do) 134. 154.
gereda 272.
xaoda; xauda (altp.)
102.
xara 134. 162.
xumba 17.
xsa&ra vairya 13.
2;.vap, xäapan^ xäapar
235. 236.
xsapa^vd rauöa^pa-
tivd (altp.) 236.
x^aya 485.
Xffäiidri 253.
cakus 106.
dz «. /cd.v 396.
cw 525.
i2/d 104.
^ap 440. 485.
tanura 16.
<d.ya 406.
^eyW 104. 138.
<ört, tüirya 249.
^Äfrya 309.
*daosa(daosatara) 237.
do^'na 142. 144.
do^yu 387.
*ddnd (ddnökari) 195.
202.
ddfiu 485. 489.
dd(u)ru, dru 108. 171.
d§ngpati 337.
duySar 307.
rfvar 271.
dru^F, drMj 428.
päd ipak) 243.
pa^i, pat^i 337.
paitUhahya 235.
päd 298.
pa^« 337.
payah 251.
payöfsüta 251.
prtr 297.
par öderes 166.
pouru ipaurvä) 142.
pd(y) 337.
pdman 451.
peretu 297.
piVar 306.
pwra 17.
pw7ra 202.
pwi^ra 307.
ha^^azya 450.
ftaya 485.
bau-ri 134.
bangha (banhä) 194.
barifzis 284.
6dz2/ 485.
öÄza 135. 154.
6rd^ar 307.
brdtruya 310.
naxfuru {upanaxtar)
236.
napät, naptij naptar,
naptya 310.
napta 441.
ndv (auch altp.), dp^
ndvayä 300.
war 485.
ndiricincLh 396.
nmdna 387.
nydka (auch altp.) 311.
moo:,^? 486.
mat^a 252. 254.
madu 148. 252.
maz^a 243.
maoiri 151.
md^ar 306.
mdA (auch altp.) 228.
440.
m<j^6'baiikaa 450.
minu 116.
yaoidd 409.
- 537 -
yava 188.
yaz 446.
yär 225.
yäh, ydsta 268.
vaiti 172.
vad (mit upa) 333.
vadar 107.
va^ 333.
vadrya 333.
ra/ra 223.
va/VA, vahhana^ vastra
257.
vanhar 224.
varäza 135.
{;a2; 333.
voera 107.
vehrka 133.
vtmaef. vtmddaya 449.
i;tra 485.
i?fjf (altp. in^) 387. 388.
vispati 388.
vUHOra 450.
rai?a 298.
rawÄrf 488.
raoyna 250.
«a^a 16.
sainö mereyö 139.
«a/a (^a^em) 483.
Mra, Häravära 102.
M'md 298.
staara 154. 163.
slaxra 89.
«<ar 240.
«^tZna 271.
spaita 55. 78.
«paw, «ön («pd) 133.
154.
spenta 446.
^a^^ 223. 509.
«rwi 98.
zantu 387.
sayan 223.
zaranya 32. 39. 41. 119.
«art (zairi) 59.
zdmätar 312.
«rd^a 103.
zyam (Z2^<!l) 223. 225.
iaHö-einah 396.
Aootita 252. 253. 256.
haxämanis 386.
*hao8afna (haosafna'
ina) 78.
Aam 224. 225.
Juima 224.
A^usanra 292.
AoAya 195. 204. 207.
hü 135. 154.
hunu 307.
Atird 253. 256.
xoaipati 337.
x^aiihar 307.
x^'flÄura 313.
b) Skythisch.
'ÄQylfiJiaaa 485.
evd^^e? 485.
KoXd^atg 485.
o/dß 485.
oa^'a^i^ 11.
öavc^jrrtv 194.
Taßtti 440. 485.
TaVaic 485.
c) Neuiraniscbe
Sprachen
(Lateinische Wort-
folge).
änsuwär osset.dig. 307.
äfsdn osset. 77. 79.
dhen^ dhengar npers.
15. 78. 86.
alesch (in Talysch) 512.
anduuj ändön osset.
79. 88.
arxi, arxvi (osset.) 72.
79.
ärd npers. 203.
ard osset. 409.
arztz npers., drsis
buchar. 92. 98.
ds^ pehl., didn baluA!,
awsin kurd. 59. 78.
79.
astm pehl. 46.
astar pehl. 163.
awzeste, äwzist osset.
46. 79.
babr (hebr)^ papara
npers. 137.
bdften, bdfad npers.
261.
barse osset. 172. 509.
bM npers. 172.
behär npers. 224.
benff npers. 194.
birinj npers , brinj
baluCjl 73.
bizisk npers. 440.
büz kurd. 173. 176.
178. 460.
6aluk npers. 89
6apis npers. 135.
x6d npers. 102.
d&ne {ddnä) npers. 195.
dds npers. 204.
don osset. 489.
Schrader, Sprachvergleichang and Urgesoliichte 11.
ester npers 48. 163.
färe osset. 226.
farwe, färw osset. 172.
furz^ öru^Pamird. 172.
gendum npers. (yotySö-
fitjv Hes.) 189.
gumirita osset. 528.
gurinj npers. 195.
gurz npers. 107.
hdsui, hdsinger kurd.
15. 78.
jev t/ar) npers. 188. 194.
isttr kurd. 163.
izdt osset. 79. 98.
kala osset., kalai kurd.,
kcUay npers., kaläjin
parsi 98.
kanab npers., kinif
kurd. 193.
kärd npers., gärd
buchar., ktr kurd.,
kard osset. 88.
karttnah npers., &ft
Paniird. 263.
ked npers., ket, 6id
Pamird. 273.
ker kurd., ;ifar afghan.
162.
kebüdf kebüter ikabüd,
kapütar)n per s. Mtir
kurd., kewter {kau-
tar) afghan. 168.
fccrfc npers.,Ä:Mrfc kurd.,
6irg afghan., k'arl^
osset. 139.
kibit Paniird. 139.
kurguschum kurd.,
kourghdchem^ afgb.
98.
Idleh npers. 261.
mai, mei kurd., npers.
254.
mdA npers. 190.
mis^ mys npers., miss
buchar., mya kurd.
74.
mü-s npers. 134.
naeqra, nuqrja npers.,
nughra baluöf 46.
nost'ä osset. 312.
öspanahf ösptna afgh.
77.
pdif pdi, pöi Pamird.
251.
pdr npers., pard, par-
wuz Pamird. 226.
ptld,püld,pülddkuTd.j
piUdd npers. 78.
8. Aufl. 35
- 538
pU Pamird. 172.
puxten Dpers. 243.
püldfai pehl. 78.
resaSf erssas, räsas
kurd. 98.
röbdh npers. 134.
röyen {röghan) npers.,
rüghn, röghün Pa-
mird. 250.
röi npers., röd pehl. 62.
särd oßset. 227.
sdl npers. 227.
sandal npers. 261.
sanna, san osset. 194.
siftan npers. 16.
8%m npers. 46. 48.
sipM npers. 55.
siper npers. (onagaßd-
gai ' ysQQotpoQoi Hes.)
102.
soi afgh., 8üi Pamird.
134.
spln npers., spin zar
afgh. 46. 77.
spin Pamird. 77.
starkh Pamird. 262.263.
suyzärinä, sjzyärtn
osset. 32. 79.
supdr npers. 204.
8urb npers., ssurb
buchar., surub afgh.
98. [134.
»^eydl (shagäl) npers.
tdften {tdbad) npers.
440.
täften {tdftah, tdftik,
tiftik) npers. 261.
tars osset. 512.
teber {tabar) npers.,
towdr baluM, üpdr
Pamird. 88.
tederv npers. 139.
t%r npers. 104. 138.
v^stur npers., üshtur,
shtur^ khtür Pamird.
135. 162.
vala afgh. 172.
vraza afgh. 151.
vriz^ afgh. 195.
wafun osset., wafPa,-
mird. 261.
ivolch Pamird. 139.
yau, yev, yeu osset.
188. 194.
yurs Pamird. 133.
zer npers., kurd., zar
afgh., baluöi, ser
buchar. 32.
3. Armenisch.
al 220.
alam 203.
alvU 134.
am, amarn 224. 225.
amis 228.
anag 98.
aner 312.
all 494.
aic {ayts) 128. 154.
astl 240.
araur 113. 202. 220.
arcat' 47. 48. 49. 60.
52. 120.
ardid 98.
aroir 62.
arj 133.
barti 175.
bziSk 450.
bok 269.
bv^6 (boiö) 139.
buc 135.
brinj 195.
gadt schar adzar^ ^adt-
schari, gadschi 512.
gail 133. 494.
gart 189.
garun 224.
gelmn igeXman) 155.
264. 494.
geran 174.
gin, gnem 290. 291.
gi7ii '35. 25. 254. 255.
gi^er 237.
damban 425.
dustr 307.
drand 271. 282.
elbair {eXbair) 307.
eievin 175.
ein {eXn) 135. 494.
erdnum 409.
erkan 113. 204.
erkat' 49. 78. 89.
epem 243.
zarik 32.
zokand 313.
zrah i03.
ine 136.
last 175.
^M 151.
xoir 102
Aö/m 173. 245.
kanafi 193.
fc/a.VcA' 98.
/tW 134. 154.
ki'unk 140.
/rr<Ttt/ 149.
hair 306.
harkanem, hart 439.
Äaci 173. 174. 178.
hav 311.
^6r^ 203.
^eru 226.
hu 451.
Aun 298.
ji 134.
Jiun 223.
jwicrn 223. 225.
mair 174.
mair, mauru 306. 310.
me^r 253
metal 10.
mt^ 243.
mukn 134.
rwit; 300.
ww 312.
mn 133, 154, 494.
ozni 134.
oski 32. 49.
t^^r 307.
pHnj 49. 73.
poiovat 78.
«a^ 165.
samik 298.
«ar 494.
sisern 190.
skesur, skesrair 813.
ra<7r 137.
^ai^r 314.
^tr 236.
ein 139.
•
keni 315.
Ä-otV 307. 309.
keri 309
€j? 50. 160. 161.
4. Phrygisch.
ßaX^v 494. '
/?evrov 253. 254.
ydXXagog 314.
yAot'oos 35. 39.
CsXxia 494.
Cevfid 494.
xixXf) 494.
xifiEQog 528.
aejiiov 494.
5. Griechisch.
(Altgriechisch an-
bezeichnet: Dialekte
in Klammern.)
a/?a 232.
a/?eA<oc (kret.) 439.
d/?«' 175
dya^og dai^icov 428.
— 539 -
-dydaTCOQ 307.
<i;y(oveg spät^iech. 109.
ayeo^cu ywcuxa 333.
ayog 446.
Syog 127. 398. 399. 400.
401. 402. 4(^.406. 4 14.
ayQOf dygevSj dygevio 138.
dyg6g 203. 205.
dyxtaxetg 433.
•dSdfiag 82.
dddfÄaoxog 83.
ddeXq>6g, dSslqjtj 307. 308.
ddi?etj^ 397.
a^vTOv 181.
deXioi 315.
dCoßÄai 446.
;^j^vd, M^vi; 416.
aia 316.
myavetj 108.
AlyeiQoxofAOi 383.
aiylXoixp 175.
Alyvnxtog 16.
aieXovQog 134. 164.
aierog 140.
Ai&dXf) 84.
Al^aXldcu 383.
ar^o>, cui^v, al^oyj 58.
69. 79. 84. 239.
af/ia i/nfpvXiov 389.
oft 128. 135. 154.
ylTo^off 441.
aioa 456.
äi>^j5 108. 110.
^xaOTog 175.
ä?e/n(ov, 'AfCfiCDv 16. 17.
24. 80. 106.
axovoio; 400.
^xcov 106.
y4Aa^o^<o< 494.
Oilffxr^t'wv 139.
axieo 203.
aXxifAog 471.
AX?e/neQ>vidcu 383.
(Uo(97}7 250.
^.? 220. 247.
«f^aoc 181.
'^Av/^iy 52. 54. 83. 94. 120.
^(orj 203.
d/,(OJuj^ 134.
a/a>; 203.
dua^a 298.
A/nd(o 203.
d^eißea^i 297.
dfieXyeo 249.
dfirfxog 203.
ai'ayjy? 400.
avofdvog 344.
izvcu^eroi^at 345. 346.
ävsßÄog 427.
dvforto? 381.
avuytoff 307. 308. 310.
Av^eaxiJQia 431.
dvr/or 261.
dvr/ov 261.
^-ivTijraTßOf 311.
a^ev/a 295.
a^i'viy 111. 112.
d^oyy 298.
djieXXa 217.
'AjieIXwv 416.
ojtetf&og xQvaög 57.
MjTcdavoV (thess.) 489.
d;rio; 175.
(bro^iidoo^m 291.
Agd^Tjg 488.
Mßyavde6v«off 51.
d^yv^oc 52. 53. 64.
dgyvQioy 53.
aff^«s- 71. 72.^
d^ijv, d^cJf , d^f<of 258.
dQHBv^og 174.
dQHxog 133.
d^vaxiid«^ 258.
d^oTO^ 235.
dßorpov, nrjfcxdvy avxöyvov
d. 113. 202. 209. 220.
dgöü) 202. 205.
dgjtayijg did 321.
d^jri; 112. 203.
d^roxd;ro^ 243.
Sigva xd 'HQoxXecoxixdnb,
dQxaioL 'EXXdg 496.
äaßeaxog mgriech. 278.
doijjnt ngriech. 46. 48.
äof)fÄog 46.
'Aotßay Aotßeoyv 48.
dajiQog 174.
Aardgxrj 167.
dori;^ 240.
dxgaxxog 113. 262. 263.
264.
Axgetdai 383.
drra 306.
äxxoficu 261.
avXrjga (dor.) 298.
Avgidat 383.
avTo^ f^J^a 340.
at'ä); (aeol.) 440.
d9>a/ 19. 440.
d(pgi^xo)g 294. 381.
Axcuftevidat 384.
/4;|r<Ü«;ff 416.
d;uvi7 203.
dcurdi; 261.
ßalxrj 258.
/^dAavoff 173. 191. 245.
ßaXayrfq>dyot 245.
ßaaiX^eg 383.
ßdofce 524.
ßaOvog 16.
/?/a 407.
/^id; 104
ßoXißog rhod., ßdXi^og
epidaur. 95.
B^gva^ivrjg 489.
BovCvyeg 383.
ßovxoXogj ßovfcoXsovxo 155
ßovXvxovde 237.
/?orc 101. 127. 134. 154.
ßovxvgov 250.
Bgiyeg 494.
Bgiorjtg 416.
ßgovxrj, ßgovxdo) 123.
ßgovxriaiov iiigriech. 73.
ßgovxog 245.
/?ras 139.
^wv 101.
ycda;tfTor^097ot>vT«ff 249.
yaJlfjy, yoA^ 102. 134.
yd^cüff, ^aidco; 314.
ya/ußgög 312. 313.
ya^etv, yafieia^i 334.
ydfiog 316.
y/i'o; 206. 382. 383. 385.
386. 387. ^
yevetovy yevetdo} 123.
yigavog 140.
riggog 206.
ylyvofim 386.
^xrvo? (maked.) 174.
ydfjxeg 23.
yor^r^ 306.
Pgcufcoi 496.
yviy 202. 209.
yv;ra 273.
Fvtpxog ngriech. 16.
<5ajyß 314
da/doio;, daiddJUeo 19.
dafff 283.
AaßÄvaßxevevg 23. 24.
^vo^ (maked.) 496.
dd^vA^o; (maked.) 171.
ddtpvrj 417.
Jeijrdrvpo; 443.
AexeXexeig 383.
<5«^dc 144
dea:z6xi]g 337. 388.
deytetVt dig)(o 259.
d^fiog 391.
dtdCoftat 261.
SiaofÄaj dofia 261.
dixi;, dixaaxrjgiov 396.
dijutoxi ngriech. 89.
— 540 -
Ai<5waog, A. Mevdgog
182. 444.
ÖKf&eQa 258.
öixoßÄTjvia 230.
döXog 400.
dofAog 271. 388.
ddgv 108.
dovQixxriTfj yraXXcLxlg 344
ÖQvg 171.
dö^rrvai 383.
la^ 224. 510.
eßdofirixoma 292.
iyxetQiStoy 111.
l^/eJlvff 146. 147.
eyXVTOiOßAÖg 346.
idei^a 524.
C(5vov, esdvovy djictgiaia
I'dva318.320.333.344.
e^og 373
l^oc 404.
eMcuc 449.
elXtoveg 315.
EUel&vtat 456.
efftagrat 457.
«Vdreßf? 315.
Eigeaidai 383.
kxaxöv 483.
ixdovvat 333.
exovoiog 400.
eXVQOg, EXVQOL 313. 314.
ixqjogd 430.
ikaiveov gojiaXov 107.
eAdri; 174.
i?.a(pog, ikXog 135. 494.
iXev^egog 406.
fA/>tfjy (arkad.) 175.
lilxof 451.
•EAAo/ 496.
l'A9?o?, £^^0? (kypr.) 249.
e/4iä> 451.
ifijioldo) 291.
mavTd? 226.
nn'Vfit, elfia 257.
e^rixovxa 292.
Ibß, foßfff 307. 308.
sogrij 453.
htrfdco, ejtqydögf i7zq)dij
445.
^//9^a 227.
kjiixavoTa dxSvrta 109.
tjiXevaa 492.
RTOy 139.
igißiv^og 190. 193.
eghrjg, igezfiog 300.
fg€(fo> 279.
jFoivt;? 416.
*Egfifjg 416.
IJo;r<ff 254.
^^v^^ 62. 69.
i^Qx^ia? 139. 140.
iö^ff 257.
kaniga 237.
ior/a ; ßiazia (arkad.)
^ 283. 381. 440.
rrai 382.
haigia 382.
'Ejeoßovxddai 449.
Äof 226.
evkrjga 298.
svfAYjXfig 471.
EviAohiidcu 383. 449.
ev^svia 295.
ev^ofiai 446.
ixTvog 134.
ly^cM 243.
Cm 188. 192.
Zfv?, Z. :ran}^, Z. Mev-
dßoff 182. 423.439. 441.
Zev? iJe« 445.
Ci(pvgog 235.
tJ7A*/a 397.
C6(pog 235.
tvyov 298.
^oiarog 268.
^cAto^, rjktog, "HXiog 489.
^ 440.
tjixavög 139.
TJXexrgog 6, rjj rjXexrgöv
56. 57. 67. 92.
f^Aexrco^ 56.
^Aoc 113.
'HXvoiov 435.
^fxlovog 159. 160.
^/a 298.
rjneigog 302.
TIgaxXfjg 93.
'Hgtdavog 489.
^ßwff 428.
'HovxtSat 449.
tjrgiov 260.
"HqpaioTog 19. 440.
^cü? 237. 240.
i9<UAi? 17.
i^currc» 273. 425.
i?£i'a 311.
i^^ro^ 309.
^i?<,ycOf ßeXyTveg 23.
■&ifjit0xeg^ ^dfiig 295. 384.
404.
i?W 428.
-^igfiaoiga 16.
i^/Tßo? 224. 239.
^eaqparog 428.
'&gfjvog 430.
^ydrrig 307. 808.
^^<fe 427.
W(?a 271.
^tSgriS 102.
Ido/Mu 450.
7da2b< aaxTi;Jbi23.25.81.
/c^ 139.
(e^(^ 446.
UgetoVy legsJä 181. 244.
rf7)ti< 205.
IxzTvog 139.
Tfißfjgig (aeoi.) 147.
/^<fc 175.
^<; 79.
7ov/^< 383.
/<^ff 104.
/<i? 450.
Irvoff 17. 283.
iJCTOc, ^rroVy 2k?roi 184.
154. 524.
/ö(iT«ff 270 509.
ioTj/Lugia 454.
/aT<fe 262.
"lorgag 489.
/T^a 101. 172.
frv? 298.
^Ivgxai 529.
xadßxeiaj xadfAla 99.
xctAar Dgriech. 98.
xGuUrv 230.
xdfiijXog 161.
xa;4ivof 16. 17.
xavcov 279.
xdwaßig 1 90.
xa;rvix<^ 358.
xa^ 494.
xdgxivoi 16.
xd^roAo^ 263.
xaofc, xaalyvrjTog^lJ^O^.
xaaaixeoog, Kaoöixegldeg
92. 94.
xdtTTjgf xdrra Dgriech.
165.
xdtTVfiaf xdaavfia 362.
xatojvdxri 258.
xidgog 174.
ÄTA^«^ 23. 24.
xdßÄfiegog dxXvg 528.
xigxa^j xegxi'&aXlg, xig-
xog, xegxds 139.
xegxig 261.
xigvoy 102.
KetpaXidoi 383.
xf7|U(i? 298.
xiXXovgog 140.
Kinfiigioi 487. 528. 529.
JTiw^dai 449.
xiwaßdgt 99.
Klgxrj 261.
— 541 -
xiooa 139.
xiaaög 179.
xXhfjfo 406.
xXfj^Qtj 175.
xlrjU 113. 282.
xkflQos 882.
xJliyor^o;ifo; (maked.)
174.
xXiTvg 144.
xJlco^o) 263.
xvi^firj 299.
xoxxvß6ag 139.
x6xxv^ 139.
xov/g 151.
xovxog 108.
xöga^ 139.
KoQir^iog rcdxög 66.
ifc^yi^ (?) 23.
xoQVvrf, xogwi^rrje 107.
xoQWvri 139.
xovgtdirj äXox<K 344.
xovgaov/ii D^iech. 98.
xdtpixos 140.
xgdveia 108. 175.
xQdv(Kf xQoyov 102.
xgdvog 107.
xgkig 243.
xgexfOt xQOxij 261.
x^e^ 139.
xQTjjtlg 269.
xor, ;e^<^112. 189. 205.
x^f(^ 190.
xgSfivov 190. 193.
xvafioi 193.
;etkcyo; 82
xi;;«;off 298. 494.
xv>lAo.TO^/a>v 18.
xwhjy xwhj xjidhj 82.
102.
xvjtaQioaog 69.
KvjtQiog jfoixrfff 69.
xvQxog 263.
xvcoy 133. 154. 523.
Jlayopc^ 144.
Jlc^^^o; 190.
JUuov 202.
Amc^f 144
Xelgiov 261.
JUicov, iUcoy 136. 137.
Xeo^tj 18.
JUvxo^ XQvaög 57.
A<a^<^ 144.
jlixjtioc, hxfidm 123.
A«xtw 203.
JliVov, AiTi, Anra 190.
;irff 137.
^in;, Xiaoofiai 446.
;it7^ 134.
XvxdßoQ 232.
^vxo^ 23.
^vxo; 23.
ilvxo^, Avxov, Jlvxoiat 133.
523. 524.
Jltrrrfff 261.
Jlco^ 265.
fiaytvst /nefiayfüvtf 250.
^Mx 306.
McüceddytSf Maxedvov
i&vog 496.
/ioJUa; 265.
fidfÄfirj 306.
^idwog 116.
/iff t24.
fueyaXo/ni^TTjQ 311.
jLiidifivog 293.
^^v,;i^l48.252.5J0.
fielXia 354.
^iilo^ ^wfAog 242.
/EiiAo^ aidfiQog 60. 61.
/uiAi 253.
^e;/i7 108.
^eA/vi; 189. 196.
1*^^ 427.
/[ii^oc 456. 457.
^^roJUov 10. 123. 124.
fitmXXdo} 123.
jU«raJU»c 34.
/ihgov 293.
[ATjXOiV, fiaxiov 190.
f^V^iß^V^Vi Mrfvri 228. 440.
ßAfjvog loTafievoVf qy&ivov'
xog 230.
fi^tijQ 306.
firjTQOJtdxCOQ 311.
firjXQVtd 310.
^ifjXQoyg 309
/ir^off 71.
Mivwg 416.
juvd 36.
fivdea^t 320.
fiotga 456. 457.
fÄÖXißogj fioXvßog, /idXv
ßdog 92. 95.
fioXvßi ngriech. 99.
MoXvßdlvri 93.
fAOÖOW 120.
Moaavvoixot , Moöovpbs
83. 94. 120.
fjmaxcLQi ngriech. 69.
fjuiQovv^oQ Dgriech. 73.
/ivia 151.
fivxXog 160.
il/vAa? 23.
/ivAi} 203.
fivQ/irjxeg 34.
flVQOV 250.
juvff 134.
3/va(iff 160.
/it;;t^<^ (phok.) 160. 163.
va/o>, haaaa, evda^ip^ 181.
iVaioff (ZnJff) 181. 182.
vdxo^ 258.
yowa, vdyvrjf viwa 306.
311.
voui;, *^<>?) vec^/ vavoc
(aeol.) 181. 182. 300.
vo^c^ 441.
yatJff 182. 300.
verxAov 203.
v««fe 202.
ve<l;nr^ai 310.
vi^ro^ffff 310.
vigxegog 143.
iV«;^/ 490. 492.
v^Q>, Im; 260. 262.
n^^ojj vtf^k, ^f*f^t y^otg,
v^Qoy 262.
iSrjye«^^ 441. 449.
vijaaa 140. 166.
v^xgov 260.
y/9>a, v/g?» 224. 509.
WfjKpevxgia 331.
wo; 312.
w^ 236.
wx^rjfiegov 236.
vcögoyt 69.
^av^tfe 471.
^eroff 294.
^fw 108.
^/^off 110. 111.
^vgdr 112.
^vorc^ 108.
6 525.
SßgvCov XQVoiov 73.
6ydax(OQ 307.
o/ 524.
ofi;, olrjxrjg 378.
ofiy^ 298.
oryo; 35. 50. 255.
^«; 135. 154. 264.
ola^a 524.
(^lOTd; 105.
oixog 457.
^v^ 189.
<J/i<fe 224.
öfioydaxcog 307.
^o; 53. 160. 161.
dl/y«; 113. 202.
6$vfj 173. 174. 178.
Sfiwfii 409. 414.
djKogij 225.
6gelx(iXxog 66. 67. 68.
^w; 140.
— 542 —
ogevg^ ovgevg 159.
Sßoßos 190.
6e6g 249.
SgiKpog, ogoqji^ 279.
dgri^ (ion.) 453.
Sqtv^ 139.
Ss 525.
6<pv{g 202.
d/off, SxrjficL 298.
Ilaiovidai 383.
^dAa< 30.
IlavxtydjiTjg 206.
najinog 311.
noQoiieQog 142.
IlaaaQyadai 386.
jrari;^, naxegeg 21. 306.
jrccTOff 298.
Jiar^i^jjrar^ 214.306.523
;raT^(^o< d£0< 411. 428.
jrar^Q)^ 309.
JleiQtjvfj 66.
jfiXsia 141.
;riA£xv? 62. 111. 112.
116. 118.
jT^Jlog 141.
stiXcOf jieXo^ai 202. 291.
jiev^EQÖg 112. 313. 316.
nrfVTf 498.
jre^acü, negvrffti 297.
jteQiÖeuivov 431. 432
TteQXf] 302.
TtBQvat 226.
Ttioaoi 243.
jtevxi] 174.
jnyo? 405.
nfjxvg 523.
;rrAo^ 259.
nuiQaoxM 297.
nioaa 174.
^tVv? 172.
jrJlai^avov 245.
jiXsfcco 260.
jiXrj{fi)fivQig 247.
jr^/vdo? 278.
noifJiTjv ka(av 388.
jTOin} 389. 396. 397. 413.
414.
jtoXtog 79.
.^<^;i<^ 381. 390.
Wxo? 202.
noXxog 245.
noXvßovtai 217.
TtoXvxfAYiTog aidfjQog 76.
stoXvQQTjv 217. 258.
jioXvxaXxog 65.
Jiogevofiat 297.
nogog 297.
jiöoi^, Tiotvia 337.
jiQi^aoa) 297.
Tigiajuai 291.
Jtgoßaaigf Jigößatov 217.
jTQO&eoig 430.
:rpo/^ 321.
311100(0, jntodvrj 202.
Ät»?7 451.
nvQdygrj 16.
Ttvgyog 383.
stvQog 189.
TtoiXecOj jzojXeofiai 291.
jicoAo^ 154.
gdßdog 174.
gatoxijg 16.
^Cür/? 107.
Qcbrro) 262.
QOJtvg^ ^qwg 190.
ßV»^ 112. 532.
^ivo^ 101.
^odov 261.
^ojroAov, Qöjjreg 107.
oaxxeo) 30.
odxog 101,
2cLXajnivioi 383.
oaV^o^ov 261.
aexwa 199. 200.
ö^Aa^ 228
of^j/viy, SeXrivri 228. 440.
ZsXXoi 496.
HefieXtj 444.
Zegtfpog 16.
ai]x6g 181.
mdi/^eo;, 0. dxivdxTjg 63.
78. ^
aiSrjQtvg 15. 81.
otdrjQOTSXTOveg 83.
oidijQog 15. 64. 66. 80.
81. 120.
2idi]govg, SidoQOvg^ Si-
ddgiogf ZidcLQVVTiog^ 2i-
dijvTjj 2iörj 81. 82.
oixvgj oixvog 199. 510.
SxXaßrjvoi 214.
Sxv^ai dgoxfjQegf rofid-
deg 206.
oxvxog 100.
a/u/i^.}; 15. 71.
ofiiXog 71.
ofitvvrj 15.
OfAVQOV 250.
o<^Ao? a^To/ocovo; 79. 82.
a;ra^ 109
ojioQt]x6g 235.
oxeyog 271.
oxtjXrj 271.
oxtjfKOv 262.
ovg 154.
o(pd^(o, otpdxjoj 261.
otpevdovri 107.
09?^^ 16. 80.
7Vx<Va^ov 16. 81.
TKrcuf 489.
xdsiTjg 261.
273. 431.
xdfpgog 273.
T^off 271.
r«;fOff 279. 493.
xixxcov 128.
reAoc 202.
reilaov 202.
r£A;frwc 23.
xtfievog 181.
TefÄiotj 65.
xifAvca 181.
xigefivoy 278.
xsQexgov 113.
xixQCi^j xhgi^f xergdtar 139
T^a 306.
xetpga 425.
Tij5^ 309.
r/^/4i 404. 524.
xtfioygia 397.
xivofiai 396.
xijtoxef juxxe 337.
TiV 525.
xXrjxög 264.
To 525.
xoxTjsg 306.
Tdlor 105. 175. 179. 512.
xgsjxo) 263.
xgiTjgrjg 300.
T^<ro;rdro^^ 428.
xgtxdtxeg 388.
XSTIXO-, TXVQQO-Xg,) 471.
Tßvycov 141.
Ti5 524.
7\;pi7C 489. 490.
Tt;^(K 249.
Tv^To^ 286.
r/?e<ff 407.
vdgdgyvgog 99.
v^^o^ 133.
vioff, *vvff 307.
viiTv, rtw (vijj, v«fe) 255.
TTa/iy 206.
•rjroviff 492.
vnig\r&Qog 471.
vq>aiv(o, vifi^, wpccvxixi^y
vqmotaf vfpaotg, i^pvifff
261.
^ff 135. 154.
9?ctctv<^ 69.
fpdg/*axoy 450.
— 643 —
(pag/aaxeTg 24.
(fsgvrj 321.
(pegofieg, (pegovrif <pdgexej
(pigovtes 524.
(ptiYog 173. 179. 460.
(fTfyoycuog 182. 183.
(pijfii 445. 450.
(plcogl Dgriech.) 40.
<pova (lak.) 134.
fpgdrogsg 382.
^grizrig 307. 381 . 382.387.
(pgritrig, tpgaxgia 386.
q>gvy(o 243.
fpvXrj, qwkov 373. 381.
9>i)oa 16. 80.
(fvxcLXtd 235.
9^^;ö) 417.
qxoyo) 243.
9?<ü^ 406.
jfalbff 108.
xdAig 493.
XdXxeog, x^^^"'^i X^'
xi^iogy jfcUxjJßjyc 63.
;|ro>lxevc 15. 63. 64. 80.
XaXxevü) 63.
XaXifecov 63. 64.
18. 63 64. 71. 80.
Xahcog 10. 23. 59 63. 64.
65. 66. 68. 69. 71. 72.
75. 80. 84, 89.
XaXxoXißavog 68.
X(iXxovgy6g 71.
XOihtmfia ngriech. 66. 69.
XaXxoiVy XaXxtodovud-
ÖTjg 63.
XdXvyfy x^^ß^^^^ '^^'
83. 120.
Xdkvßsg, XdXvßot 83. 94.
120.
Xaivßff 54.
XdXxf], X<^^Vt MoAxV 65.
xdrkoman (kypr.) 66.
Xeificjv 223. 224. 226. 509.
(aeol.) 148. 150. 200.
509
xegyijTig 252.
X^vfia 494.
Xeco 16.
xnv 140. 165. 166.
xiXioi 292.
xifiagosy ;|r/]Eiai^a 223.
jfiTctw 207.
;fia>v 223.
xXcuva 267.
xXafivg 258.
/^orydf 39.
xXcogog 35.
/oavoi 16.
;)for|0O? 154.
Xgisa^m iovg 105.
/ßvöoff 35. 53. 64. 119.
Xgvöij Xegocvfjoog 33.
;ftrroff dgyvgog 99.
/VT^ 493.
jlfcü^a 524.
y)dg 140.
\pvXXa 151.
cojud^ 243.
wvsofiai 291. 344.
(ovo^ 290.
c5e»7 225. 226.
6. Thrakisch.
AvXovCev9jg 495.
/^ß/C« 189.
reßsXii'Ctg getisch 434.
yivxov 493.
bil^og, dii:a 493.
^aXfiog, ZcU/uo^<c 434 .493.
Cergata 493.
C<>lai 493.
xowCa paeon. 254.
fiavteia dakisch 493.
jtagaßif] paeoi).253.254.
oavdjiai 194.
Sandantut 489.
axdXjLiTj 111.
axdgxtj 51.
7. Illyrisch
und Venetisch.
Argentaria 52.
Dimallum 495.
Enignus venet. 495.
e;uo venet. 495.
-4ot7fov 494.
3fenzana 158.
sdbaja 253.
Tergeste 495.
8. Albanesisch.
aÄ 173. 174. 178.
albdn 14.
aTH« 306.
dr 40. 52.
arints 71.
ar^dnt 52.
afe 175
ari 133.
a^ .306.
haker 69.
ftr^ffze 172.
ferum 254.
brunts 73.
der 154.
di 495.
dtmm 223. 495.
djaMe 144.
drw 171.
^^der 312.
^eni' 151.
^* 154.
ent 2<;i.
ev^'tY 15.
^ori', fVori-ni 40.
<^a/p£ (<7'aZp) 249.
hekur, ekur 89.
fcaZdjf 98.
kanep 190.
fcordff 109.
koräum 98.
kovdts 14.
Ätpr« 70.
raii^f 175.
%aff 495.
ma^' 495.
man, mand 493.
mew« 306.
mes 158.
mt.^ 243.
mjaV 253.
mice 203.
moi 226.
mot 226.
«lofr« 306.
mtisk 50. 159.
wan« 306.
nate 236.
nu.9e 312.
pei> 154.
pl'uar 210.
repe 190.
sivjet 226.
^a^£ 306.
<7ef {tjer) 262. 263.
^re^c 495.
täel'ik 89.
li/'A: 133.
vcn' 261.
vine 50. 255.
refc 174.
vi^ 174.
rise 388. 495.
vjeTufy vjehefe 313.
vje^ 226
9. Italisch.
(Lateinisch un-
bezeichnet)
ÄbeUa {mall f er a) 175
abies 175.
accipiter 145.
— 544 -
acer 175.
ades ferri 89.
acuOf acer 428.
actis 203.
adgnati 386.
aeneus, ainus 58. 71.
aeramerif aeramen-
tum H9.
aes 7. 39. 58. 59. 60.
61. 69. 73. 113. 116.
117.
aes Brundisium 73.
„ Cyprium 69.
„ rüde 7. 71.
w signatum 7.
aequinoctium 454.
aeguu5 456.
ae^^a« 239.
Aestii 492.
a^cr 203.
agimits 524.
agmen 448.
ahinus; ahesnes nmhr.
59.
aims sab. 446. ^
Alafaternum osk. 97.
albus; alfum, alfu^ al-
fer urabr. 97.
a/ce&' 135.
aZmx 494.
aZnu^ 174.
alümen 259.
aZtZ^a 259.
am?7a 306. 310.
amitini 308
anav 140. 166.
ancüia 101.
anguiUa 146. 147.
animus 427.
ann($7ia 235.
anntf« 227.
an»er 140. 165.
an^ae 271. 282.
anus 311.
aper 135.
ara 283.
ararc 202. 205.
aratrum 113. 202. 208.
220.
ardea 140.
arcw« 104.
argentum ; aragetud
osk. 49. 51. 52. 58.
120.
argentum vivum 99.
ArrStium 71.
Arvales (fratres) 449.
a«a uinbr. 283.
o^cia 111.
asinus 50. 160. 161.
atta 306.
aura 40.
aureus 40.
aurichalcum 68.
awrts 41.
auröra 38. 233. 287.
440.
aurügo 38.
au^um ; ausum sab.
38. 39. 40. 41. 52.
97. 119.
Ausel, Au^elii sab. 440.
auxitla, aulla 283.
avina 189.
ai;i* 140.
avunculus 309.
aüM-v 309. 311. 317.
axis 298.
Baunonia 193.
6erM,v (reruftw«) unibr.
108.
ftc^uZa 172.
bibo 241.
&{niu^ 223.
bitümen 172.
6^/; 134. 154.
brüma 454.
ftööo 139.
6öra 202. 209.
caballus 159.
cacula 286.
cadmea^ cadmia 99.
caiare 167. 230.
calendae 230. 442.
caix 27b.
camilus 161.
camJwu« 17.
ca/i«re 167.
camVf 133. 154.
cannabis 190.
caper 135.
capto 139.
Cardea 436.
carTwen, carmina 446.
448.
Carmenta 437.
Carna 437.
carpisculum 269.
nd^eu^ 251.
cassis 102.
casttgo 398.
caf^ja 107.
cattus, catta 163. 164.
165.
cattüus 164.
caudex 182.
caupo 291.
caupuLus 1S2.
Cauru« 301.
celare 4d4.
cellere 15. 110.
cen^tifit 488.
c«rdo 15.
ccrea, c«rt7««a hisp.
258.
C«r«« 436.
ctc«r 190.
cic^nia, cönia 189.
ctnna&aW 99.
cinctus 268.
cftn« 294.
clddes 110.
cZdrw 113. 282.
c^dtn^ 282.
clepere 406.
c2f6anu« 286.
cZtvmm auspicium 144.
coc<i/e 243.
columba, cclumbula
168.
co/t/« 268.
conc^emnare a<2 metal-
la 10.
conc^cr« 436
consobrini 307. 308.
Consus 436.
contuH 108.
coguerc (pan«m) 243.
comiaj 139.
comu« 175.
coru/t^ 175.
corrw« 139.
cr<f^e« 263. 282.
crtbrum 118. 203.
crimen publicum 400.
401. 404.
cruen^u« 50.
CTMor 243.
crtippciiarti 103.
cucülus 189.
cucur&t7a 199.
cAcfere 15. 102.
culpa; colpa altlat.,
iculupu osk. 400.
ctl^uis 268.
cuniculus 164.
ctfprum, cupreum,
cyprinum 69. 70. 73.
curiir sab. 108
curnaco umbr. 189.
damnum 897.
Danuvius, Danapris,
DanastruB 489.
dapes 446.
— 546 —
delictum d97.
delübrum 183. 452.
deus 423. 437. 441. 444.
dexter 144.
dies 236. 439.
Diespiter 489.
Dtvi mdnes 428.
dtxt 524.
e/o^u« 400.
domina 340.
domu,y 271. 388.
dös 321.
dupur^t/« umbr. 241.
ebur 135.
6rfo 241.
c^o 495.
Üectrum 56.
«mo 292.
ensis 110. 111. 116.
6<7uu« 134. 154. 161.
eopte 337.
^rvum 190.
e«t/nu umbr., e«ari-
strom volsk. 446.
exlex 295.
expiatio 399.
/öföa 190.
Fabaria 193.
faber 14.
Fabius, Fabidius,
Fufetius 193.
Fabricius 14.
/aeZe« 164.
/VJ/7WJJ 173. 176. 178.
179. 459. 512.
/Vite 203.
fänum 180.
/Vir 188. 189. 192.
färi 445. 450. 456.
färtna fermento im-
buta 245.
fdtum 456.
i^'cöWif 437.
feihuss 08k. 279.
i-^^rd/m 428. 431.
fermentum 254.
ferrum 71. 84.
/J6er 134.
figuluSy fingere 279.
/Ötu«, filia 307.
/74men 448.
/Ziltn/« 471.
Flora 436.
/bcu« 358.
foUis 16. 17.
forceps 16.
/orw 271.
fornax 16.
/bmu« 16. 283.
framea (germ.) 108.
/rd^er 307. 308.
fraxinus, famus 108.
172.
/H(gro 243.
fuiica 140.
/ttmu« 427.
/wnda 107.
für 406.
furtim 406.
gaesum^ gisum (kelt.)
108 1U9.
galea, galear^ galirtts
102.
Galindae 492.
gener 312.
Genius 437.
Genita Mana 437.
.^ctiij 373. 385. 440.
gentiles 386.
y?V/io 385. 387.
gladius 110.
y/an« 173. 191 245.
^/(^^ 314.
GnaivOd, Gnaeo 528.
qolaia 149.
6?ra6ci 496.
gränum 203.
5rril.s 140.
/^aedujf 39. 128. 135.
154.
Äa^^a 108. 109.
hedera 179.
Hercynia 500.
AtVmj» 223. 421. 509.
hordeum 189. 205.
homus 225.
hospes 294.
hostis, fostis 294.
hydrargyrus 99.
janitrtces 315.
t/dwu« 436.
«dw.9 230.
iym^ 440. 441.
imprüdens 400.
incan^arc 450.
incus 16.
iniüria 407.
infcr 238.
ip^a 340.
iugum 298.
Jupiter, Juppiter 423.
441. 443.
iÄrare 409.
iil« 243. 251.
ttl^ 295. 409.
2^ co7»cre/um 251.
laevus 144.
ZdTia 264.
lancea 108.
langueo 144.
Z4r, ZiJr familiariSy la-
res 428. 429.
Larenta 437.
Lärentalia 428. 431.
iarix 171.
Lemüria 431.
/en^ 151.
/en«, Lentulus 190. 193.
/€0 13f>.
/^mV 314. .
Zc5C 127. 404.
Zi6cr 406.
Libitina 437.
Itbum 245.
lignum 182.
Lima 436.
Zin/cr 174. 182.
Itnum, linteum 190.
W^ar6 446
longus 108.
ZörCca 102. 103.
Wrww 102. 298.
ZÄcere 228.
ZÄct^ 180.
Züna, Zruna 228. 440.
lupus, lupiy lupum 133.
523.
madeo, mattus 252.
malleus 16.
mahonus (vulgärlat.)
192.
mdZu« 300.
mamma 306.
mango 291.
manr^u« 158.
mänus 428.
marc 246. 247. 511.
martulus 112.
massa 74.
mataris 109. [437.
tn^S^er, m. üfa^u^a 306.
mdtertera 310.
matrönae, matres,
matrae 456.
m^ 524.
medeor, medicus 449.
450.
Medubriga 93.
3fe/?<iÄ 437.
meZ 253.
mensis 228.
meopte ingenio 337.
meruZa 140.
metallum 10.
- 546 -
mitior 293.
meus 316.
Midacritus 93.
migrare 297.
mihipte 337.
müium 189. 196.
mi/Ze 292.
mina 36.
Minerva 427.
modius 293.
molere 203.
monilBj mellunifmilltis
116.
tw(wiÄ<r?i?n 394.
moriarium 277.
mulgeo 249.
mÄZM.v50. 159. 160.161.
mundus 432.
mÄ /?!/,♦?, mütare 167.
290.
muria 247.
wiöru*- 277. 312.
mtl« 134.
muxca 151.
mu.stf.la 164.
Afu^untijT TutunuH 437.
wc2t7*6- 182. 300.
neo, n§men, nHtis 262.
nepös, neptis 309. 310.
Neptünus 441.
ncr^rw, nertruku uin-
br. 143.
ninguere, nix 224. 509.
rz^men 525.
novdcula 112.
wox 236.
noaca, nocere 397.
ntl&o 334.
nöf/M« 112. 257.
nündinum 237.
wurus 312.
obrussa, obryzum au-
rum 73.
occa, occare 113. 202.
<m^^« 161.
oppidum 380.
0/>Ä 436.
Orctis 425.
orichalcum 68.
orm^Ä 108. 174.
0W5 135. 154. 264.
pdj^u« 378.
pallay Pallium 258.
pannus 265.
pantex 103.
paraveridus 159.
Parcae 450. [428.
parentarCf parentälia
parentes (dii) 306. 428.
parere 456.
pdricida, päricidium
405. 406.
parva ; parfa umbr.
^dru« 140. [140.
pafcr 306.
pater familias 357.
patres 386.
po/rea 362
patincii 386.
pcrfriicZc« fratres,
sorores 307.
patruus 309.
pecus 7.
pecunia, peculium 7.
penätes 428.
jyensile 286.
penus^ penitus, pene-
trare 428.
perduellio 401. 406.
peregrinus 294.
perendinus 237.
periürus 406.
peturpursus umbr.241 .
piaculum, 399.
pfct^,v 140.
ptlarius 278.
pilleus 259.
pllum. 106.
pm«o 202. 205. s
pfim^ 172.
pirus 175.
ptsum, Piso 193.
pf/wC^a 167.
ptjc 174.
plaustrum 299.
pZec^o 260.
plüma 167.
Plumbarii 93.
plumhum, pl. album,
nigrum 92. 95. 96.
poena 397. 403.
Pömöna 436.
pon.9 298.
ponttram, osk. 298.
popina 243.
poptdari 391.
popuZu« 391.
porca 203.
porcuÄ 154. 220.
porticus 278.
portus 297.
postis 277.
potestas 362. 386.
potior 340.
propinqui .sohrino
tenus 433.
prüdens 400.
piUex 151.
/mZ5 245
ptl« 451.
gtterctt« 175. 176. 181.
quinque 498.
giii<; 525.
radius 299.
ropa, r<2pum 190.
rflrfw 300.
raudus 62. 71. 87.
r^wt« 300.
ren<^e«(germ.)257.258.
r^ 381. 386. 389. 391.
404.
Rhodanua 489.
rt^2« 71.
Eöbtgus 436.
rörarii 105.
ro<a 127. 298.
ruber^ rüfus 62.
sacer 412.
sacrilegium 401.
sagitta 106.
sagum 267.
jTd/ 220. 246.
«aZix 175.
$dpo 250.
sarpere 203.
Säturnus 436.
jfoa^um 109. 112.
«dl^um 100.
^<!&um 250.
secale 189.
/S^ia, Segetia 436.
^^men 203.
sepelio 425.
.septuagintaf sexaginta
292.
sequitur 498.
Äcro 203. 205. 4:^6.
««rra 112. 532.
«erum 249.
^f(fu« 82.
silentus 50.
silicemium, 433.
Simonis 224.
«ocer, Äocru« 313.
«<5Z, Äof 439. 440.
Holstitium 454.
«on« 398.
«oror 39. 307.
sparus 109.
^e;^a(8pätlat.)189.192.
squalus 301. 525.
stdmen 262.
stannum, 92. 96.
i^^o/a nutzer 436.
— 547 —
Stella 240.
Stercullnius 436.
stumus 140.
subligdculum 26b.
sublimen 261.
subtUa 113.
^twfifit 492.
suffrägines 268.
summus 525.
*t*o 262.
supplicare,8upplicium
397. 411.
«t2« 135. 154.
suscipere 345.
^d/io 413.
<a^a 306.
<axws 106. 174. 175.512.
tegula 277.
^^a 261.
timo 298
^epeo, Upesco 425. 440.
^crra 523.
tessera hospitalis 295.
^6^a 149.
testüdo 149.
^c^rao 139.
^6X0, textory textura^
textrinum 261. 277.
^ih'a 175.
toga 207.
<o/iere 345. 346.
torqueo 262. 263.
fo?^t/« 149.
tötus; tota, tuta umbr.,
touto 08k. 386. 389.
tribulus 191.
tribus 373.
<Hinu« 223.
triremis 300.
trUicum 191.
/fl 525.
^um'ca 84. 267.
turdila 140.
<urn« 278.
^ttr^ur 168.
tympanum 299.
u/eu.<f 451.
u^ntu« 174.
ulula 139.
un^uen^um 249.
upupa 139.
öro 38.
ursus 133.
tit^ pälign. 233.
MÄor, i/xorem ducere
313. 333.
vadum 302.
FaywÄ 492.
vallus 113.
F^jfot;!« 437.
tfi/u« 154. 264. 494.
väum 261.
vinari 138.
Fene<t, Venedi 489.
vinire^ vinumdare 291 .
i;^r 224. 226. 510.
verbina 174.
verticillus 264.
rer^o 291.
vcn^ 108.
Vesper 237
F^jf^a 283. 436. 440.
t;e«<i*-, ve«ü'o 207. 257.
t^e^u« 234.
vidima 446.
rfct*.^ 388. 495.
vidua 348.
vieo 255.
vtmen 255.
vtndcx, vindicere, vin-
dicta, vindiciaey vin-
dicatio 384. 385. 395.
vinum 50. 255.
inVi 498.
Viriplaca 437.
t/'fni« 105.
viscum 175.
Fw^wia 502.
t^«E 172.
vttis 255.
t^i^ujf 298.
vitrum 270. 509.
m'üerra 134.
Volcänus, VitlcantM
19. 22. 440.
vömis 202.
romo 451.
voveo 446.
lO.Mittellateinisch
und Romanisch.
(Mittellateinisch un-
bezeichnet.)
acciajo it. 90.
acciale it. 90.
acero sp. 90.
aceiro altportug. 90.
aciare, adarium 90.
acier frz. 90.
airain frz. 70.
alame wal. 69.
alambre sp. 69.
a97ia sp. ptg. 306.
arame wal. 69.
arambre sp. 69.
ame«, amese sp. it. 103.
a^cu.y 182.
azzale venez. 90.
broigne, bronie altfrz.,
bronha prov. 103.
bronzium, bronzina,
bronzinum vas 73.
branzo it , bronza ve-
nez., bronce frz. 73
74.
brugna 103.
bruno it. sp. ptg. 73.
calamina frz. 99.
calamine frz. 99.
capus 139.
cAa^ frz. 165.
cheval frz 159.
choque picenisch (co-
^MC frz.) 182.
co&re sp. ptg. 532.
cocha 182.
co^ frz. 139.
cuivre frz. 69.
ddotte frz. 268.
diäble boiteux frz. 26.
cirajp frz. 26.
e2mo it. 102.
Servier frz. 145.
espada sp. 109.
e^eau^re altfrz. 96.
estano sp. 66.
^^am frz. 96.
^tuve frz. 286.
/Viico mlat., falcone it.,
faucon frz. 145.
florinus; fiorino it.,
florin frz. 40.
formaggio it., fromage
frz. 251.
fredus 463.
/uÄ^a it. 182.
/ti«^w 182.
Galand altfrz. 21. 22.
^o^^o it. 165.
geri falte sp., gerfalco
it., girfalcproY.y ger-
faut frz. 145.
Gt^ano sp. 16.
galokif galora it. (dial.)
149.
hamas altfrz., hamois
frz. las.
helmus 102.
humulus 254.
fcarmt«n rhätorom. 134
kositoriü wal. 94.
laiton frz. 69.
/o^on sp. 69.
/a^a it. 70.
— 548 —
legno it. 182.
logoro it., leurre frz.
145.
marier frz. 335.
marteg 165.
m^al frz. 10.
mina it., mmc frz. 85.
mus8 friaul., musso
venez.j muscoiu wal.
159.
obryzum 73.
ottone it. 69.
o<2^i wal. 90.
pancia it., pansa sp.
103.
panciera it., pancera
sp., panchire altfrz.
103.
peautre altfrz 96.
peltro it. sp. ptg. 96.
po^ie frz. 287.
plugu wal. 210.
ram€ it. 69.
.^aya sp., sa/a it., «aic
frz. 267.
sägola it., «ei^Ze frz. 1 89.
signore it. 341,
sparaviere it. 145.
stagno it. 96.
«<u/a it. 286.
taiiner frz. 259.
tortua 149.
tortue frz., tortuga
prov. 149.
^w/b it. 286.
11. Keltisch.
(Irisch unbezeichnet.)
a6a/^ (aöÄaO 175. 190.
aire, airech 392.
rtinm 202.
airiher 142.
ambacttis altgall. 391.
arafhar 113. 202. 220.
Argento-dubrum^
coxoifr maguSj -va-
ria altgall. 51.
argat, arget; ariant
cymr.farchanzcoTn.f
archant bret. 47. 51.
52. 120.
art 133.
(8)asia altgall. 195.
<i88an 161.
atenoux altgall. 230.
athach 427.
athir 306.
awr cymr. 89.
befer com. 134.
bele cvmr. 134.
bethe 172.
bir 108.
blichim 249.
bö 134. 154.
bocc 135.
bräca altgall. 268.
6ra<Äir 307.
brö 113. 204.
&rt/mne 103.
cailech 167.
cairem 269.
cai^e 251.
casad 451.
ca/; ca^A cymr., co«
bret. 164.*^
Catihemus altbret,
Cathoiam arem. 87.
ceeacht inanx, cecht ir.
208.
ceinach cvmr. 134.
celicnon altgall. 278.
cerc 139.
cerd 15.
cerile 263.
c^^ 483.
cewban, cewb cymr.,
149.
claideb ; cleddyf cymr.,
clezeff bret. 110.
c/cJ 113. 282.
coibnes 294. 384.
cdfc 498.
co^i 175
colum 168.
copar; co&er corn. 70.
core 284.
cremnh 190.
cr^d 70, 94.
creduma, crMumaeAO.
crenim 291. [57.
criathar 113. 203.
crti 243.
cu 154. 133.
cüach 139.
ct/r 108.
cyffiniden cymr. 263.
dmr, cfawr 171.
ddm 391.
rfer^, dergor 57.
(f6^« 142. 144.
dta 236.
dia 423. 437. 444.
dolecim 108.
doru/f 271.
druida altgall., drüi
448.
du& 141.
dusii altgall. 428.
ech 134. 154.
üain cymr. 135.
-em 292.
emed altcymr. 70.
eö 179
eoma 188.
Eparedortx altgall. 1 57
er corn. 140.
Eriu. Brenn 392.
^ca 228. 230.
escung 147.
etoithr racymr., euiter
altcorn 309.
fedaim, fedan 333.
ftdb 348.
/•^ 298.
feoragh 134.
/"er», femog 101. 174.
/•erte« 264.
/•««cor 237.
/^d, fiad^ch 188.
/!cÄ (/U) 388.
figim 261.
/"in 255.
/Sn(2, findruine 57.
^nc 294. 385. 406.
fingaly fingalach, fin-
gcdcha 406.
gai igae) 108.
gaison, gaisos altgall.
108.
gam 223. 225.
garan cymr. 140.
gäis 140.
goba\ gof bret. corn.
cvmr. 14.
G^ofranti«; Gobannitio
altgall. , Gouannon
cymr. 14.
guaintoin corn. 224.
^Ai^ corn. 312.
gulan cymr. 155. 264.
gwiber bret., gwywtr
cymr. 134.
hoianiy haearn cymr ,
hoern, hemj harn
corn., haiam arem.
86. 103.
Haiam^ Hoiamscoti
cymr. arem., Hoier-
nin alt bret. 87.
haidd cymr. corn. 195.
hcUan cymr. 220.
hebauc cymr. 145.
?ieiz bret. 195.
heu cymr. 203.
— 649 -
heul mcymr. 440.
htä mcymr., hüd
ncymr., hudol alt-
corn. 457.
hveger, hvigeren com.
313.
tarn 86. 103.
imb 249.
imbüarach 237.
innocht 236.
iou cymr. 298.
Isamodori altgall. 77.
kelin altcorn. 174.
xoQfia altgall. 253.
lern 174.
liaig 450.
lin-^ lien com. bret.,
lliain cymr. 190.
lorg 109.
hiaide 95.
luirech; lluryg cymr.
103.
lusin 228.
maide^ matan 300.
fiavidxrjg altgall. 116.
ma^i altgall. 498.
mdthir 306.
m^in, mianach 85.
mc/^ 249.
meZiw 203.
mesce 252.
tut 228.
mid; med com, 148 252.
mü 253.
«li/c 292.
mitall 10.
moirb 151.
inor{r)igain 457.
muince 116.
Twuer 246.
muyyalch cymr. 140.
mww cymr. 85.
necÄ^ 310.
ma 310.
nocA^ 257.
no (wdO 300.
ocet altcorn. 113. 202.
ochtach 174.
öegi 294.
de^A 409.
öi 135. 154.
dm 243.
onnen cymr. 174.
(^; our, eur cymr. 39.
orc 154. 220.
p4atar 96.
peber com. 243.
penna altgall. 500. 508.
rdm 300.
rama, rammai 109.
ra^A 51.
ra^Ä 298.
rec altbret. 203.
reccim 297.
reda altgall. 157.
renim 297.
ri; -rix altgall. 389.391.
-ritum altgall. 297.
8di 267.
saiget ; «ae^A cy mr. 1 06.
sali 175.
salann 220.
«am, samrad 224. 245.
«cra^A 100.
sebocc 145
sechedar 498.
sechtmoga, sesca 292.
senmäthir 311.
«err 203.
«ar 142.
irf/ 203.
Mur 39. 307.
sleagdrif sleagdnach
149.
«mir 250.
sndthe 263.
snechta 224.
«Tiim, snimaire 262.
«^an , «^ain, «cf an ; «<^an
corn.,«<en, «<m arem.
96.
steren com. 240.
tdid 406.
TVzrafio« altgall. 439.
tarathar 113.
^ci7c 175.
iindscra 321.
^orann 439.
fi^^A 142. 389.
ucher cymr. 237.
umae 70
ych cymr. 154.
ystaen cymr. 96.
yw cymr. 179.
12. Germanisch.
(Gotisch
unbezeichnet.)
adal ahd. 306.
ddum agls. 316,
de altn. 309.
(ßtthaugar altn. 434.
dhom ahd. 175.
aA«, ahana 203.
aA«a ahd. 298.
aip8 316. 407.
ai« 58. 59. 61. 70. 71.
116. 113.
akrs 203.
äla 113. 116.
alah alts. 180.
a/Ä« 180.
dlmr altn. 106. 174.
alp ahd., mhd., cc^^
SLgls.yälfrfdlfa liodij
t;md;/a altn. 21. 428.
ama ahd. 306.
ambahti ahd. 392.
ambosz nhd. 16.
ana, ano ahd. 311.
anapöz ahd. 16.
andbahti 392.
afi^o ahd. 109.
ancho ahd. 249.
.^n«e« 428.
anuf ahd. 140. 166.
änwintre agls. 227.
apfui ahd. 175. 190.
agizi 111. ,
dr agls. 59.
aran ahd. 235.
araweiz ahd. 190.
arbaips 208.
arcfr altn. 113.202. 220.
arhazna 104.
aro ahd. 140.
artiz ahd., art// altndd.^
Aruzapah^ Arizperc^
Ärizgrefti^ Ariz-
gruoba ahd. 59.71.72.
asatis 235
asiltis; asaa agls. 161.
aspa ahd., das asp
nhd. 174. 180.
askr altn. 108. 174. 182.
atta 306.
d^um ahd. 427.
apn 227.
at^Afi« 283.
aühsa 154.
aürahi 425.
aurar altn. 40.
auzri ahd. 135.
am- 264.
arö 309. 311.
bahhan ahd; 243.
ftairan 306.
6ar ahd 269.
barizeins'j barr altn.
188.
barr^ barskögr altn.l 80
bars mhd. 302.
basa ahd. 310.
baugr altn. 291.
— 550 —
bau7i altn. 193.
baürgsvaddjus 276.
bearu agls. 180.
belihha ahd. 140.
bäor agls. 253.
beomia agls. 254.
beot ahd. 284.
bere agls. 188.
btrusjös 306.
bezzer haut diu mhd.
&e&ar ahd. 134. [144.
bior ahd., öjfdrr altn.
253. 254.
biHhha ahd. 172. 509.
biuga7i {baug) 291.
biupit; bjödr altn. 284.
52^0 ahd., blär altn. 96.
622U ahd., bip altn. 95.
6oc ahd. 135. 154.
blötan 446.
bolstar ahd. 284.
bölvasmidr altn. 15.
ftorti agls. 101.
ftörr altn. 180.
borstCf bürste nhd. 302.
örae^agls , 6raÄ« engl.
61. 71 84.
bräc agls. 268.
&rfeY mhd. 101.
briutvan ahd., breowan
agls., brugga altn.
254.
dr($^ ahd., ör^ad agls.,
braud altn. 245.
bröpar 307.
bruoh ahd., 6roc agls.,
6rdfc altn. 268.
brunjö; brunja ahd.,
brynja altn., byme
agls. 103.
brupfapff 337.
bugjan (baühta)\ byc-
gan agls. 291.
buohha ahd.,cfa9 buech
nhd. 173. 178. 180.
181. 459. 460. 512.
butera ahd. 250.
rfaA ahd. 271.
daüthar 307.
cfaier 271.
deigan\ deig altn. 279.
diehter ahd. 311.
dlhsala ahd. 298.
diofa ahd. 389.
</öms 404.
donar^Dunar ahd. 439.
draugr altn., dr^ag
agls. 428.
drostel mhd. 140.
ii^<} 141.
dvergr altn., dweorg
agls. 21.
eo/A agls. 180.
ea^u agls. 253.
eam agls. 309.
earA agls. 104.
äbennaht ahd., e/*en-
r/2^A^ a^ls. 454.
egjan, egida ahd. 113.
202.
e^u alts. 134. 154.
eidam nhd. 316.
eiA ahd. 108. 175.
€i7c;a 182.
eir altn. 59. 70.
mam 86. 120.
eisc&n ahd. 124.
ecchil, ecchel ahd. 90.
^iaÄ ahd. 135.
elüenti ahd. 294.
elira ahd. 174.
älmbouvi ahd. 174.
eltiron ahd. 306.
€m altfr. 309.
eninchüt ahd. 311.
ingimus lex Sah 223.
eo^oZ agls. 161.
er, ^, ecr ahd. 59. 71.
^rin mhd. 59. 71.
erezi ahd., crj nhd.
10. 71.
erzirij erzen mhd., nhd.
71.
&rsmid ahd. 15.
ertr altn. 190.
esch das nhd. 180.
^e agls. 428.
eyrer altn. 40.
/•«dar 306. 307.
fadrein 307.
faedera agls. 309.
/ViA agls. 294.
faihu 7. 219 502.
fairina 394. 397.
falcho ahd., /Vzifce altn.
145.
/aZdr altn. 265.
fallen nhd. 145.
/«fio ahd. 265.
fara ahd. 378.
/"dra ahd., fd^r agl8.
399.
/araÄ ahd. 154. 220.
faran, farjan 297.
fatureo ahd. 309.
-/•a/>« 337.
fapu agls. 310.
/Vzt^^^ 134.
ftigi ahd. 294.
/•«tou?a ahd. 172.
fenyce agls. 149.
(eon agls. 7.
f^pdia langob. 175.
Fergtmma altgerm. 500
f^ja 399.
f^a ahd. 202.
/"e^A« altfr. 310.
filz ahd. 259.
Finne die nhd. 500. 503.
fjjh-p altn. 226.
firina sihd.,firen agls.
307.
/;« altn. 202.
fiuhta, fiuchta ahd.,
/?cA<c nhd. 174. 178.
flAdo ahd. 245.
fl^än agls., fleinn altn.
90.
^iA^u ahd. 260.
/b/c ahd., folces hyrde
agls. 388. 391.
folde agls. 444.
/brAa ahd. 175. 181.
forhana ahd. 302.
formizzi ahd. 251.
fortnight engl. 235.
fragibtim in 333.
francisca fränk. 111.
fraveit 397.
/r«i« 294.
fretho fries. 403.
frigefkfen agls. 236.
/u/a 154.
tmr^ ahd. 297.
/uruA ahd. 203.
gcßrs schwed. 302.
gaüs 128. 135. 154.
galan, galstar. galäri
ahd. 445.
gälte mhd. 103
gans ahd. nhd. 140. 165.
gapaidön 258.
gär agls. 108.
^a^^ir 294.
gavasjan 257.
//avi 378.
gazds 108.
geirfalki altn., geier-
falke nhd. 145.
geohhol agls. 235.
^^r ahd., ^e»r altn. 108.
5r^«/*a ahd. 112. 189.
205.
gesmtde ahd. 71.
- 551 —
gesicio alid. 308. 315.
gettvds mhd. 428.
(fibenkeon endi gibed-
deon alts. 365.
gisustruon SLltndd 307.
gistvistar ahd. 307.
gitroc ahd. 428.
Giuli agis. 234.
gouch ahd. 189.
gouwi ahd. 378.
grunduvaddjus 276.
gudifskirsl altn. 404.
//ui/> 39. 41. 42. 43.
119. 502.
Gypsies engl. 16.
haam ndl.. harne westt
^^98
^o&uA ahd. 139. 145.
hcett Hgls. 102.
Äa/r altn. 135.
hairus 109.
Äa(;a 434.
hana 139. 167.
Äa/ia/" ahd. 190. 192.
hart sjalvr^ hart sael^
han sjelv, ho sjelf,
dei sjelve skand. 339.
hamar ahd , hamor
agls., hamur alts.,
hamarr altn. 17. 106.
110.
harmo ahd. 134.
hamasch mhd., hard-
neskja altn. 103.
har^iCf harugari ahd.
180.
Iiasal ahd. 175.
Aa^o ahd. 134.
haukr altn. 145.
Äatirt/.y 263. 282.
hearh agls. 180.
Mhara ahd. 139.
heister mhd. 181.
heivafrauja 294.
AeUa ahd. 434.
A^^m ahd. 102.
/«eor agls., Iijärr altn.
109.
herisliz ahd. 401.
herizogo ahd., hertoge
altn. 381.
Ai7m5 ;hjdlmr altn.102.
himselff herseif engl.
340.
hinkebein nhd. 26.
ÄZdi/5 245.
Ato'f 278.
hleiduma 144.
Äh/an 406.
hlynr altn. 174.
hnitu agls. 151.
ÄÖÄa 208.
höchzU mhd. 453.
Aö«r (Ä9f<r) altn. 102.
houwan ahd. 15.
hraivadübö 141.
hrifelmg agls. 269.
hreinn altn. 258.
humall altn. 254.
hunds; hund ahd. 133.
154.
;^u;»d 483.
hunsl; hüsl altn. agls.
446.
Auo7* ahd. 139.
huosto ahd. 451.
Äuof ahd. 102.
ÄurcT altn. 282.
Aö5 ahd. 278.
/^i;a^r altn., Airce^ Agls.
301. 52.1.
/üOÄ 525.
At;e/ altn., hweohl agls.
298.
hwerhwette agls. 199.
Äi?C7T altn. 285.
jabai 525.
jafndaegri altn. 454.
jam altn. 20.
lamglumra, lamsaxa
altn. 20.
Idumingas agls. 380.
jf^r 225. 235.
i^27 ahd. 134.
jöl altn. 234.
ircn agls. 86. 110.
U ahd. 224. 509.
tsam ahd., altn., alts.,
iserm agls. 86.
IsamhOf Isanpachy
Isanhus ahd. 88.
Isanbard, Isanbirga,
Isanperthy laan-
braiidy Isariburg,
Isangrim ahd. 87.
juk 298.
jitUeis 234.
ttt'^i, fAa, ahd., iw, eoh
agls. 179.
cÄaicÄ ahd. 278.
chaltsmid ahd. 15. 16.
kamtn mhd. 17.
cAd^' ahd. 251.
kaupöfi] kaupa altn.,
ciapiari agls. 291.
/catim 203.
chazzOf chataro ahd.
164.
A:(?ii7m 278.
Centingas agls. 380.
fcemew nhd. 250.
kiarr altn, 111.
kima altn. 250.
/:2Yze nhd. 164.
cleofan agls. 286.
fcnö}?« 378.
cocc agls. 139.
co/Vi agls., kofi altn.,
fco6e mhd. 273.
koparr altn , koppar
8chwed,ykobber dän.,
copper engl. 70.
choufan ahd. 291.
cran agls. 140.
chubisi ahd 273.
küken nhd. 139.
culufre agls. 1H8.
cÄunwi ahd. 378. 391.
chuning ahd. 391.
cAuo ahd. 134. 154.
chuo-sm^ro ahd. 250.
chupfar ahd , kupfer^
kapfer mhd. 70.
küpferin geschirrrihd,
59
c/iu^i ahd. 172.
churn engl. 250.
kveykva, kvejkja altn.
283.
ciüidu agls. 172.
öyman agls. 250.
dt^.«e agls. 251.
IdchencBre^ lächenen
mhd. 450.
lagjan 404.
/ayu agls. 127.
/aA« ahd. 502. 513.
2a^< (Zi^an.) 524.
Z^ altn. 202.
Z^ad agls. 95. 532.
Ubekuoche mhd. 245.
Z^fcm 450.
lencha ahd. 144.
lentin ahd. 95.
leodslaho ahd. 25.
Z^'o, Z^tro, louwo ahd.
136.
I/ida agls. 235.
Zt^an 404.
Zfn, Itna ahd. 190.
Itnboum ahd. 174.
Zin/c nhd. 144.
/tfm ahd. 190.
linta 101. 174.
- 552 —
Ijödasmidr altn. 15. 25.
Hut ahd. 406.
16 altschwed. 203.
log altu. 404.
Lord engl. 341. [582.
löt mhd., lood ndl. 95.
lubjcdeisei; lyf altn.
450.
ludere , ludern nhd.
dial. 175.
luhs ahd. 134.
lun ahd., lunisa alts.,
^^716« agls. 298.
luoder mhd. 145.
wdc/ ahd. 203.
mdgd agls. 378.
m«Fyo ahd., mage, mä-
hen mhd. 19Ö. 192.
mahal ahd. 398.
mdjan ahd. 203.
malan 203.
9nd7i agls. 401.
manga^ mangari altn.,
mangiany mangere
agls., mangäri ahd.
291.
mannaskirsl altn. 409.
Mannus altgerm. 416.
mara ahd., altn. mcßre
agls 4f)7.
marei 246. 511.
mar^ ahd. 243.
W106? ahd., mastr altn.
800.
mästling agls. 74.
mo/)/ 398.
maurr altn. 151.
meard agls. 165.
mem ahd. altn. 401.
meisa ahd. 140.
mikeis; mcekir altn.,
m^cc agls. 109.
m^lchan ahd. 249.
/ueA;^a altgerm. 249.
m^a 228. 440.
me/ine ahd. 116.
m^nöps 228.
messe mhd., mösch
Schweiz., messing
nhd. altn. 74.
m^/a langob. 321.
Tn^Yo, miYt/ ahd. 148.252.
milip 253.
miluks 249.
mms 243.
mitan 293.
missere agls., misseri
altn. 225.
mödrie agls., mödder
ndd. 310.
moeme ndd. , m<^fki
altn. 306.
mortere ahd, 277.
mi^Z ahd. agls., mtUZ
altn. 161.
mundr altn. 321.
muoma, tnuoui ahd.
306.
muotar ahd. 306.
twöra 277.
mil« ahd. 134.
mt2zz^n ahd. 167.
ndan ahd. 262.
naba ahd., na/u agls.
298.
nahts; ze u^hen nah-
ten , sieben nehte,
viei*zehn nacht, zu
vierzehn neckten
mhd., nhd. 235. 236.
naqaps 257. [800.
naue mhd., naust altn.
n^/b ahd., nefa agls.,
we/c altn , neve mhd.
310.
neorxnawong agls.434.
nipla 262.
n^ma 292.
mp^ altn., 7iift ahd.,
m/^e/ mhd. 310.
nipjis 310.
w<5, Tiö norw. 182.
nord ahd. 142.
'Oditm altn. 441.
d;; altn. 253.
ölr altn. 174.
ömZ altn. 271, 282.
ör altn. 104.
ösp altn. 174.
ovan ahd. 17.
ogn altnorw. 283.
öheim ahd. 309.
olbento ahd., olfend
agls. 161.
ore engl. 59.
örchalc ahd. 68.
Ostara (agls. Eostrae)
440. 456.
OÄ^r altn. 251.
o^^ir ahd. 138.
ouy ouun ahd. 154. 264.
paida ; pida a,\ta,f pheit
ahd. 258.
panzier mhd., pancer
nhd. 103.
parawari ahd. 180.
pewter engl, peauter
niederl. 96.
p/«ri^ ahd. 159.
pfiesal ahd. 287.
pfiffte ahd. 167.
pAfZ ahd., pÜ agls., pi/a
altn. 106.
phtlari ahd. 278.
pfiuog ahd., pk(^ agls.,
pZ(i^r altn. 209.
pflüma ahd. 167.
pforzih ahd. 278.
p/OÄ« ahd. 217.
pi^Ze agls. 287.
pott, potte niederl. 17.
pö^an ahd. 11.
quark mhd. 251.
qaimus 113. 204. 245.
250.
rad ahd. 298.
rdba, ruoba ahd. 190.
ram« nhd. dial., hram-
sa (hramsan) agls.
190.
raudi altn. 62. 87.
reccho ahd., rcArr altu.
411.
reiks 86. 391.
r^^ara ahd. 113. 203.
rö ahd. 243.
rokko ahd., ry^/c agls.,
rugr altn. 189.
ruodar ahd. 300.
«a 525.
«a/u» ahd., sax altu.,
seaa? agls. 109. 110.
111. 112.
saian 203. 205.
salaha ahd. 175.
«att 220
sdmo ahd. 203.
«dpe agls. 250.
sauil 440.
sdubs 243.
«ea//* aels. 249.
«ei mhd. 287.
seidr altn. 457.
seifa ahd. 250.
«eZ/an agls., selja, sali
altn. 292.
sennight engl. 235.
^ja ; «tppa ahd., sibb
agls. 378. 389. 398.
sibleger agls. 389.
sidus ; sihi ahd., «i(fr
altn. 404.
silubr 53. 120.
«tn^'n« 237.
^H
-* SM —
^^H
^^BinlhguHi ahiJ. 440,
»uehiir ahd, 308, 313.
^^^^^B
Jtiodan aM. 343.
auigar ahd, 308. 318.
ulbandua: ulfalde ^^H
altn. 161. 162. ^^H
aiurra ahii. 461.
««mar ahd, 224,225.226,
gkiifa,»kaflnn altn. 108.
Sunna 440,
undatim; undomaltn,, ^^^|
skälm altn lll.
nungiht. »unstede, mn-
undern ng\».,unlorii ^^^M
»knrs 409.
w^ide mhd., Ntiitn-
ahd. 238, ^H
achibtier nhd. ost-
s(ede agis, 454.
unsibjis 994. ^H
preuss. 283.
^^Schildkröte, schiUfkrot
sunnö 440.
nodal ahd, 306. ^H
sunnuiKiäenä ahd,,
urdr altn. 456, ^H
^^t nhd., Hchildpadde
sunnanctfen agls.,
urfag ahd.. orlag agls., ^^^|
0)'% altn. 457. ^H
^H tidl., »köldpadda
440,
^K schu-ed. 149,
«UH/a ahd,. symt agls,,
iirlaiismit ahd. 15. ^^H
^H)ctt ah<t., >M(f altn. 100.
st/fi</ altn, 398.
tlHiVa ahd, 139. ^^H
^■M«o ahd., sieu Alts.144,
aunu» 807. 623.
Ufti^altn , n-ät ahd. 261. ^^H
^^riinc niederrhein. 144.
üvaihra, svaihrö 313,
K-tirf agls. 138. ^^H
^B »maita schwed. »7.
sK'Mzjaw ahd. 81.
icäd Hgis, 270. ^^H
^Ktmair^r,- »mSro ahd..
«wfi- agiB. 183
!.-a(Jt</us 276. ^H
^B m;är 250.
«M-ft-i ahd., »M-ecird
u-n^a» ahd 998. ^^H
^■mf<(aahd,ll.ll>.42,TI.
agls., .«jerd altn. 109.
wa^anao ahd, 202. ^^H
n-aisdo Cap. du villU ^^^|
«tft-s 428.
^^K))/tn; «niiVfr altn,
swior altn. im. 315.
^H
^^H «mtd ahd,, smi/).
«u>Io, gtsiiAo ahd, 316.
tr<tf, RefiVa ahd. 301. ^^1
^H »mid Aßls. 14. 15,
^^Bmtt'emeisCer mhd. 26.
xvistar; gw^ter mhd.
Wtdand ahd. 21. ^^H
30».
ValhSil aliii. 435, ^H
HSdf„" IS' 509.
takjem schwed. 87,
VTa^o abd. 21. ^H
Wcoc agiB. 314,
(.'a{raltn.,i('(E{agls,4S.^. ^^^|
«jdrjtf ais!
tafn altn, 446.
vandua 276. ^^H
«nuor ahd. 969.
(aJAjfuO 144.
irant ahd. 276. ^^1
«nur« ahd, 312,
lains: teinn altn. 96.
xcaniaUn, u-antalöil, ^^^M
Ȋihmrf altn, 454.
län flgl§, ffi.
uuandelunga ahd, ^^H
^F aommertag mhd, 454.
fanna »hd., tanne, tan
vär altn, 224, [297, ^H
nhd. 104. 173. 176.
i'aM 525. ^H
^H aparuiiri ahd. 145,
178. 180. 259,
tru» ndd. 302. ^^1
^K«pecA^ ahd. UO.
tarice niederl,, mnd.
altn. 180. ^^M
189.
ur^bati ahd,, ivefaii ^^H
agls., re/'d altn. 261. ^^M
^^^Ud, H;»e/»i ahd. 190.
teoru agiB. 171,
^^BfMRe)- enKlp. npiauler
Thimar altnd., Tkörr
veftr, vepir altn,, ueft ^^M
^^r nhd., tpialter nie-
alln, 439.
agls., «.t/l mhd., u!¥- I^H
^ derd. 96,
tjara altn, 171,
/*££ ahd.. «'«/{ agls. ^^1
«pgj- ahd., spiö»- altn.
(i/er aglB. 446,
^M
109.
^7(11 agls. 936.
t-eßtadr alln. 269 ^H
spinnan 363.
tin altn. agie. 96.
i.'«f/^r altn, 276, ^H
«tura nhd. IJO.
«uar altn. 423. 437, 444.
lueidfj ahd., L'etcfr altn. ^^H
»taftal abd., a^Ae/,
tortuce engl. 149.
^H
Stachel, «tai mhd..
loto ahd. 306,
veiA», t'ei'Ad, veihan ^^H
0t<if aitn , «Ceel engl.
triggvn 171.
180. 388. 446. ^H
11. 89.
Ww 171,
Dein 2fi5. ^^M
»(a(md;«(fimoahd.240
(un7rt ahd. 273.
weit ahd, 270, ^^M
»(amm alts. 1S3.
(unr ahd. 273. 425.
v4l altn, 21 22, ^^M
«hwf 154.
turri ahd. 278.
Wtiland agls., irieto»' ^^H
rt(rf(o ahd. 271.
((.■fmenninf/ altn. 365.
ahd. 21. 22. 531, ^H
tlrala ahd. 104.
twfrc ahd, 21.
ii-elig agls 175. ^^H
atuba. ttupa ahd., tto-
7^ aitu, 439.
»eis mhd 301. ^^M
fa,Ktufa aXirt., Steve
iura«, (urr altn 171,
ueotiima agls, 320. 821 . ^^M
engl, 256. S86.
bala 525.
^H
«fuot ahd. 1B8,
fcmda 389.
irfragelt ahd., it-»"e- ^^H
Sil ahd. 135. 154.
;.(x;agls.,Ä^?altn.298,
puaundi 292.
fj/i^/J, (0^« agls. ^^M
»uagur ahd. 314.
mhd. 396. 414. ^^H
36 ^^^^^M
— 554 —
iviöe agls. 174.
totda ahd. 172.
widumo ahd., wittimo
burgund., tvitma
fries. 321.
viduvö 848.
vnelfn agls. 302.
xvigsmid agls. 15.
w^ agls., trfÄ ahd. 180.
uihsda ahd. 175.
tcini ahd 294. 384.
tüintar ahd. 225.
wir<, tcirtil, tvirtel ahd.
nhd. 264. 45G.
r^^' alfa altn. 21.
tri«iZ, u'2.<fui ahd. 134.
vizdüa 270. 509.
Wisle agls. 502.
i/;lzf ahd., wite agls.,
397. 403.
PFöcfan, Wuotan ahd.
441.
Völundr altn. 21. 22.
t;ama altn. 451.
ivrecca agls., tvrekkio
alts., wretch engl.
294. 411. 414.
ttiZ/« 133.
Wülfinge mhd., TF^/Z-
fingas agls., Ylfingar
altn. 379.
imWa 155. 264.
tvundersmid agls. 15.
t^^r^ ahd., iryrrf agls.
456.
t^ altn. 106.
z^ar ahd. 446.
zeihhur ahd. 314
zetn ahd. 96.
ziegal ahd. 277. 278.
zimbar ahd. 171.
zin ahd. 96.
zink nhd. 99.
zinco ahd. 99.
zipfen inhd. 259.
zttaroK ahd. 451.
2f^ ahd. 236.
^M ahd. 439.
13. Baltisch.
(Litauisch
unbezeichnet.)
abae altpr. 174.
akUi.aki^ciios 113. 202.
alüs 253.
aZira.v; aZtci« altpr. 92.
96. 97.
anctan altpr. 249.
dntis 140. 166.
anukas 311.
apu5z^ 174.
ar^f 202.
äsilas 161.
aswinan altpr. 253.
as5am« altpr. 235.
a«z 495.
aszis 298.
aszwä 134. 154.
aukliptas altpr. 406.
(it/Zc^a^; at/m altpr. 41.
97. 119.
Ausca 440.
au5i<N' 41.
at/Äzra 237. 440.
awynas \awis altpr.309.
aivis 135. 154. 264.
awiiä 189.
aysmis altpr. 108.
&aöo altpr. 190.
balsinis altpr. 284.
&df«a^ 269.
öe6ni« 134.
b^rzas; berse altpr.
172. 509.
blusä 151.
broterUis\ brote 307.
öuHw, öiir^i 450.
cassoye altpr. 94.
cina.v 96.
cZa/(5riÄ 203.
dederwinS 451.
didis^ dide, dSdzius
309.
derwd \darwa lett. 171.
deszini 144.
deweris 314.
cfy&a 413.
diena 237.
6fi^t^?a« 423. 437. 444.
dirt/;a 189.
drapand 265.
drütas 171.
dwW^ 307.
ditna 195. 202. 205.
dürys 271.
dwesiüf dwSstiy dwäsi
427. 428.
dzelse lett. 89.
?<yi€, Sglitts 170.
6^a« altlit., eZA:« lett.
eiksnis 174. [180.
^nijf 135.
er^ifj; 140.
ez^« 134.
gaid^Sj giedöti (gUd-
mi) 167.
gelez\s\ gelso altpr. 11.
65. 84. 89.
geleüni warli 150.
g^ru'4 140.
^' 191.
gimdijtojai 306.
Jrima 113. 204.
glinda 151.
tmÄ 292.
in^^ 315.
invis altpr. 170. 179.
irii, irklas 300.
md£(^' 333.
^ivaa 139.
jdtimis mhiü 229.
jawät 188.
jentere lett. 315.
jSffzmas 108.
j^ta 170. 179.
jüngas 298.
jüstüf jüsmü 268.
kadagys; kadgis alt-
pr. 174.
^aZ»« altpr. 301. 525.
kälwis; kaUeys lett
14. 15.
XcdZ^i 15. 16.
kanäpis 190.
kdrdas 88. 109.
Äas 525.
Xco^^, kätinas 165.
fc6cA:«r« altpr. 190.
Xcej^n^^ 243.
fccro« 445.
Xcermt^^z^ 190.
keutaris altpr. 168.
H^Z^ 140.
Kimis 175.
kliwoH 174.
A;or^o altpr. 263.
Xcd^'u 451.
fcr^I^at 263.
kreenSy kreena nduda
lett. 291.
Xcntre altpr. 449.
kuküH 139.
fci^f7>e ; kurpe altpr. 269.
laigönas 315.
Zas^d ; ZaxcZe altpr. 175.
laaziszä 502.
Z«ft^a 174.
lenszis 190.
Z^u;a« 136.
Zinat 190.
Zdpo« 265.
lüszis 184.
marna« 290.
maldä 446.
— 555 -
malnös 189. 196.
mdlti 203.
marti 312.
märis 246.
meddo altpr. 148.
median altpr. 449.
medüs 252.
medziorei altpr. 449.
tn«n«a altpr. 243.
mhiü, m'4ne8%8 228. 440.
mitas 226.
midüsy medüs 148. 252.
mierä 293.
mie^ei 243.
9ni^a.v 265.
mylimas 375.
min^i ; mynix altpr.259.
misinge {misingi) 72.
mofce allpr. 190.
moma 306.
mo^^', fnötyna\ mothe^
müti altpr. 306.
mwsi\ muso altpr. 151.
na&t« altpr. 298.
nagis altpr. 112.
naktls 236.
nefcdjM 203.
neptis^ nepotis 310.
nügas 257.
döö^ojf 175. 190.
oiyi( 128. 135. 154.
panustaclan altpr. 89.
pardÜH 291.
pa/j<, paft 337.
pafszas 154. 220.
pikus 502.
perkü n as^ Ferküncu ;
Percunis altpr. 183.
439.
peu^e altpr. 174.
piitüs 237.
pifw 390.
pinü 263.
pt>fch* 297.
piwin altpr. 253.
p^du^t 492.
pliinas ; playnis altpr.
90.
pliügas 210.
pohalso altpr. 284.
pr^^ lett. 263.
priikdlas ; preicalis
altpr. 16.
iVti^at 214.
püdas 17.
püliai ipülei) 451.
purai 189.
pM«2i« 174.
rd^air 298.
rcz^A 260.
röju^ 434.
rdpe 190.
rürfd 10. 11. 87. 88.
rugys 189.
rudtninXco« 14.
«a^t« 267.
4fai<a^; seitones altpr.
457.
.vd^« lett. 220.
sansy altpr. 140. 165.
sasins altpr. 134.
säuM, Saul€le\ saule
altpr. 440.
sausys (saüsis) 451.
«e?^« lett. 8. 26^5.
.v^ti, .v^^i; semeii alt-
pr. 203.
/r6«u 307.
sidäbras ; sirablan alt-
pr. 53. 120.
syme altpr. 203.
.vtrpe lett. 203.
skaXstwaris 72.
scaytan altpr. 100.
Skierstuvves 431.
^AriWt 111.
tmiigaa 224.
«<<!tA;/^v 262.
starkis altpr. 97.
stodas 158.
siögas 271.
sträzdan 140.
fftruju^ 309.
sülaUj sülyti 292.
jfunzVf altpr. 133. 154.
jftenujr 307.
sicäine 315.
tnvidüs 81.
«trin« lett. 97.
«ii?fWfi«, «ceronet alt-
pr. 449.
«za/cd 208.
^ermtl 134.
szSszkas 133.
«Msztt^ra« 313.
sziauTys 301.
«zti9l^a« 483.
«z^ 133. 154.
HZtventas 446.
szivinas 97.
ÄZtcUit' arw 72.
^ou^o altpr. 389.
teamns aJtpr. 298
^enpd^ 337.
tirauds lett. 89.
te^eru;a 139.
^^^tÄ 306.
tistica altpr. 314.
tükstantis 292.
udrd 133.
ti^^ni^, Ugnis szwerUä
440. 441.
ungurys 146. 147.
ÖÄi« 174.
ü^tzwis 313.
wäkaroH 237.
tcaQuis altpr. 202.
icaideleTy waidelotte,
waidleimai altpr.
449.
waist, waidimait wai-
deumt 449.
if dn^a 276.
icarcne altpr. 71.
u'drias; wargian alt-
pr. 71. 72.
warpste 262.
U'flward 224.
tt'crfu 333. 335.
wiSjiSyW^jaSy Wijopatiff
441.
Weizganthos 431.
tc^Ws 435.
ivämti 451.
tt'erpu 262.
wertü, tcercziüs 291.
U'ituszas 226.
weivare altpr. 134.
weümoH 298.
Vielona 431. 435.
vniszpats 388.
unika8\ wükis altpr.
133.
tirUrui 155. 264.
t;i/«6 altpr. 189.
t/-^^t« 172.
tvitwan altpr. 172.
woasis altpr. 174.
u?o5^e altpr. 175. 190.
tt'dro« 261.
icou?er^ 134.
wutris altpr. 14.
i^Mi» 140. 165.
zaweti 445.
z^toua lett. 140.
zeZ^tf, «eZ<« lett. 41. 42.
43. 119. 502.
z^^a« 312.
i^m^, Z'em^na 444.
ziburys 283.
ziemd 223.
zu^i 445.
zttTiM« 449.
— 556 -
14. Slavisch.
(Altslovenisch
unbezeichnet.)
ablüko 190.
azü 495.
artHtnago tipa semtjd
russ 357.
qti 140. 166.
atükü 261.
baba 311.
bajati, bajq^ balija^
balistvo; baja bulg.,
bdchari russ. 445.
450.
bajanü, Bojanü alt-
russ. 445
bqdq 162.
bebrü 134.
büila {na büyja bilila)
russ. 270. '
b4restä russ. 170.
bert'sfo russ. 170.
berete 524.
besMka russ. 326.
btjütüpö rukamürMBs.
324.
blazhia serb., 8lov.284.
ft^udo 284.
WöcÄa 151.
bobil, 190.
bollUkü russ. 356. 357.
ftOTM 180. 181.
borodäf borozddj bo-
rond russ. 288.
bosü 269.
6ozÄ russ. 168.
brakii, brdöny russ.322.
323.
bratrü 307.
bratstvo südsl. 371 —
376. 377. 378. 381.
382. 386. 387.
brMü; brist bulg. 170.
175.
briza 172.
brjüki russ. 28.
brönza russ 73.
briinja, bronja 103.
büdent russ. 162.
ftuf/t^ russ.- 162.
feMfc?7 russ 178. 491.
buky 178.
bürii 188.
büldtu russ., öw/a^
kleinruss. 78. 89.
ö|/ä:?7 216.
cigeli russ. 278.
darß 445.
6a8tX russ. 456.
dekanü altruss. 106.
6elik serb. 89.
6er emM russ. 190.
ö^repü, öerepdcha russ.
150.
cistiju igrätX svddXbu
russ. 329. 330.
distoe olovo altruss. 92.
öuzdja storo7id, öuze-
ninü russ. 316.
dqbü 171. 413.
dUü 309.
cf^Z?^ 456.
demiäkinja serb., rfe-
meszek poln. 89.
deslnü^ destü 144.
d^verii 314.
djddja russ. 309.
djever serb. 355.
dimnica serb. 358.
dinf 236.
dd//flf russ. 456.
do;?7 456.
domaöin, domaöica
serb. 357. 358.
domoxozjdinfi russ.
367.
domü; dorn südsl. 271.
381. 388.
domovöj russ. 428. 429.
driivo, drivo 171.
dw&w. duöi^f russ. 259.
duchü 428.
duina 427.
duj^a 428.
rfö,«e 307.
dyöa, dyöy poln. 413.
dzjacly weissruss. 428.
edinoutröbnyj odnou-
tröbny russ. 307.
famelja inönten. 372.
galija 103.
<7(f5f; <gfu«f 140. 165.
god BGrh. ^godifia bulg.,
gody poln., T^odöech.
226. 227.
golovd russ. 288.
goniti 138.
görnica russ. 287.
görny stolü russ. 330.
iyos^r 294. 296.
^or^rfo 134. 154. 216.
grad südsl. 374.
Gromn gremüöij russ.
444.
^7T?n?7 283.
grüzüo russ. 265.
guljäntja russ. 326.
charalügü russ. 89.
cW^öö 245.
chUvü^ chUvina {hUvü)
278.
chmili, chmelt 254.
xozjdinü, xozidika
russ. 339. 356.
cAyzß (ÄjyzfT) 278.
t^o 298.*
i^etnu russ. 174.
imq 292.
Iva 170.
t26d {istba, istüba, isto-
pküy istobka^ itba\
6^naja izbd russ.
283. 287. 288. 355.
iskdtl russ 124.
istirdniil russ. 352.
izvistü 278.
jabetnikü altruss. 392.
jablüko 175.
jdlovecü russ. 175.
Jartz; jar, JaW, jarica
serb., jarovöe russ.
225.
t/art7, Jarilo russ. 444.
jdaenX russ. 174.
jedinak serb. 359.
Jcfc^o nsl. 90.
jeleni 135.
jelicha 174.
jelovo mbulg. 97.
jesent 235.
j^try; jetrva serb.-
kroat., jetorva bulg.
315.
iczf 134.
jucha 243.
fcai^* bulg. 98.
kalymü russ. 325.
kamina 17.
Äramy, /cam«nf 17. 106.
ArojyiZr 451.
klddka russ. 324. 325.
Wafcß 278.
klickt nu jemy, na
kWckachü weissruss.
433.
fc^eni^ 174.
^^t russ. 287.
klobukü ; klobiiöökü
russ. 146.
klokdiy russ. 327.
knjdzij stolü russ. 330.
köcetü russ. 139.
fcofco^Ä 139.
^M
-■ 557 -
^iH
l^aljadä russ, 156. 442.
»ledö; m*üü russ. 148.
ofui-o: ä'oi'o ruaa. 92, ^^H
kolo '298.
192. 252,
^H
konoplja 190.
mfdi 11. 15. 42. 71.
o;t: %3, ^H
kopor oserb,. kupor
Qȟk klruss, 311. ^^H
Dserh, 70.
71,
op^dM ruas. 277. ^H
koröva russ, 260.
mrfj<i 203.
o;)Ona 265. ^^M
korüda; koi-d whi. m.
miiin 290.
oprostile moutcu. 350. ^^H
109.
in^ra 293, 324.
oratf 202, ^H
kos« 140
vii»>irX 228,
o>-^(^A<! 175. ^H
kovaöJ 14. 16.
ni^M 243.
i^T-f/r; 140. ^H
fcfluaii, kujq 14. 16.
mWr; metfö russ. 109.
ä«enr rusB. 235, ^H
uhVS, v«i/[ mirü ruas.
ovi 298. ^H
frfwifoj- kroal. 94.
376. 376,
o»r/ü 161, ^H
kolü 166.
mmi 375,
o,>rfna russ. 174, ^^M
fcrdsiy 146.
mfcsrä, mfafcff 159.
otbivdtl neviHtu russ. ^^M
krava 216.
mlalü 112,
329. ^H
krinuti altruau. 291.
mUA:o 249. 503,
offcf; po otfämü ruas, ^^H
ftroTOO 261.
mläxq 249.
306. 356. ^H
/crß«r 243.
molöxetjo ruaa. 249.
o/f^öff ruaa, 333. ^H
fcr«!fi inoDten. 372.
monisto 116,
oiidina ruaa. 258. ^H
kukavica 139,
moj-a 467.
oviea 136. 164. 264. ^H
kffnefffl 391.
kßpm.Kupata,Kupaio
morje 246.
mamz oaerb,, mje^nifr
ovlsü 189. ^H
pnfica russ. 108. ^^M
ruM, 464.
naorb, mo»ia Ceuh.,
pqli 298. ^H
kuriiim hulg. 98.
moKj'qdi polo,, mo-
pekq 343, ^H
A-unT do «7l veäera
P«nirii7, peru/iß slav. ^^H
russ. 167.
mravija IBl.
183, 439. ^^1
A'uf^ na weissrusa. 363.
mörffca 161.
pim, pMi 167. ^B
kuznX, kuenici 15.
m^ffc«' iia ruaa. 270.
v^s/f ; peei, pifka ruas. ^^1
koatS rasa. 251.
mj/il 184.
273. 387. ^H
laii/ altruKS,, lata rU8s.
nagfi 112, 257.
pe«fi 273. ^H
102.
««cAy'c monten, 372.
p^ff 498. ^H
Jarf russ. diol. 97.
378-
p^cAüa ruas. 178. ^^H
lfkt^ 450.
nakovalo IG,
piA-et! 174. ^^H
»4»! 181.
namiextnica serb, 343.
pfnifi 489, ^^M
I&o 227. 235. 239.
nnroj 261.
pi&eno, piS(i 202, ^H
Ihm 144,
ne«^o.vfr> rut^a, 456.
»f'L-o 253. ^H
ip^wija 96,
neiiß, neslera 310,
;};<ida ruaa. 386. ^H
^ li^ta 19U.
neoi^ta rusa, 316. 356,
platXno 265. ^^1
^^ »nfi 190,
360.
pfeme südal., p{^;a ^H
^H ifpa, »peciT riua, 148.
nitt. uiita 263.
russ. 216. 323. 371- ^H
^H irml 13t!.
«fra ruea. 202.
377. 381. 383. ^H
^B ^d)T 4oe.
vom. noitedJjiije; f,oi-
^H {o«T russ. 135.
eedlni, noieefJtnlni-
kü.plemj^ntnika alt- ^H
^H /(;«»«[ rusB. 602.
ca, noMedlnica k\1-
ruaa., plemjiifinikü ^^M
^B lii4ina rQ9s. 263.
ruaa. 236,
ruBB, 373. ^H
^H ^iMJf». lui^ie russ.,
nozT 112.
pUminski glavar mon- ^^|
^H ftidtf/ altruss. 532.
Nur. NurUka ztmlja,
ten, 377. ^^|
^B /uf wcisaruas-, futli'
Surjaniiiii. Nurec
plef<i. ptMti 260, 277. ^H
^H rusB. 174.
490,
ptötnikil ruaa. 276. ^H
^B inafcff 100. 192.
öbifina ruaa. 356 376.
pft(^i7 ruas., pluh ^^M
^^M ma»lo\ korövlje mdslo
nc^fC.ocfJsüd-n.wpMBl.
klrusa. 210. ^H
^M nisa 250.
90.
p;ifA:>T 391. ^^1
^H mati 306,
plfSM^r 269, ^^M
^^1 MaU-Hvra-xentlja russ.
368. 381,
pluti. plovq 492. ^^M
^H
ochö/a russ. 138.
pojasii 268, ^^1
^^1 nuizf, masati 260.
oje dbI„ serb, 29S.
porodica monten, 372. ^^H
^B m«<<niA;i! altrius. 392,
ofcniAf« russ, 326,
paroduiftnja russ. 334. ^^1
— 558 ' —
pörfitXj pöröa russ. 445.
pösolonl xoditX russ.
328.
poso.^cyna klruss. 209.
postelja 284.
pras^ 154. 220.
prdmti stolü russ. 431.
prazdtnikii russ. 162.
presti 263.
pricitänie russ. 336.
priddnoje rus8.321.325.
priiskfi, rudnyje, zolo-
tyje^pHiski russ. 124.
prmpn 250.
prjasUca russ. 265.
prodati 291. 292.
propiti nevestu russ.
325.
jjyro 189.
rabüy rahota slav. 208.
radunica russ. 432.
raj slav. 434.
ravnonösöie, ravno-
denstvie russ. 454.
rekq 456.
r^pa 190.
rjäda russ. 335.
rorf?7 russ., rod südsl.
214.316 332,372.374.
375. 376. 382. 387.
rodfi'plemja russ. 316.
372.
rödina russ., rodzina
weissruss. 214.
roditeli russ. 306. 428.
roditelUkoje m^sto
russ. 434.
rodnjd russ. 316.
rodo o moj monten.
372.
rokH russ. 456.
rota 409.
rozga 260
roidanicy ; roditi, raz-
däti russ. 456.
roiiy rzi russ. 189.
rtutX russ. 99.
rwda 10. 11. 15. 62. 71.
87. 88. 118
rudnik poln. 14. 15.
rukobittje russ. 324.325.
rumjdny russ. 270.
HizX 189
samüy samd russ. 338.
339. 341. [339.
sam^cv, sdmka russ.
samodtirstvo russ. 338.
samokrutki russ. 326.
^dne russ. 430.
sqku 201.
s5or monten. 376.
scästXje russ, 456.
sime, s^jq 203.
«emt/d russ. 357.
semu 494.
s^ni russ. 287.
sestra 307.
s^verü 301.
.ytreftro 53. 120.
sjdbry russ. 357.
«Ara^a slav. 111.
sklddniki russ 357.
skupUina m on te n . 376.
378.
slobodd russ. 288.
«mr^ci, smrftöXySmrica ;
ÄwrAr cech., sinerek
kleinruss. 170. 174.
sn^gii 224.
sniivha; snochd russ.,
snaha serb. 312. 316.
355.
snochd^estvo russ. 303.
360. 361. 362.
.sochd russ. poln. 208.
solddtka russ. 361.
soZr 220.
solncerorötü russ. 454
spata 109.
Än7/>?7 112. 203.
.s^aäo 158.
s^a^f russ. 89.
starikü^ stdrosta^ star-
sind, starijsina russ.
südsl. 356. 377. 390.
steljq, stXlati 284.
stiMnik serb. 359.
sMla 104.
strina 311.
*^^Ji stryjcX 309.
^t^/Xcz russ. 236.
sudXbd russ. 457.
*t7mYo 261.
Ä2/n?7 307.
«j/^d russ. 433.
svddXbUy SV. uxd(2o7n?7,
uh^gomü, uvödomü^
SV. ?flrrd<f 326. 329.
svdm 316. 327.
svatovstvö russ. 324.
svekrti, svekry ; twä-
kritf svekrövX russ.,
svekar.svekrva serb.
313. 314. 355.
svetil; svjaty dzjady
weissruss. 428. 446.
svila 261.
svin^cü russ. 92. 97.
svinija; avinXjä russ.
97. 135. 154.
svlstX 315.
svojdkUj svdk slav. 314.
szydlo poln. 113.
ii(/2o cech. 113.
«iicc na russ. 270.
slSmü; selomü altruss.
102.
äpdga russ. 109.
Mitü 100.
jhirr 313. 315.
tatX 406. 414.
<e2^ 216.
tetr&üü 139.
<e«<f, /eV4da russ. 314.
Titü, Titycu russ. 338.
toporü altruss. 88.
trbuch monten. 372.
tr6mü 278.
tukati, tükalij 261.
tykyn\XB\. 199.200.510.
tysqMa 292.
tysjaönikn russ. 328.
tvarogü 146. 251.
u6dstokü russ. 382.
M(H/r russ. 351.
udünXca, udeljdtimss.
456. 457.
ügorX russ., wÄor klein-
russ., tiÄor cech.^
M^or serb. 146. 147.
148.
umykdniej umykdchu
russ. u.altsl. 323. 326.
üpovodX russ. 238.
utröba russ. 307.
vecerft 237.
vMunu, vedi, v^dtma^
vidXstvo altruss 44S.
ve/f&qcfä; uelbljiidu
russ. 161. 162.
veWJ 162.
velikanü russ. 162.
veÜ-moza 162.
vinOy v^iti; vinOy veno^
oinno altruss. 290.
319. 321. 325.
vepri 135.
vesna\ vesnd russ. 224.
239.
vesnüSka russ. 224.
vesti, vedü russ., vesti
za kogo altruss. 333.
vetüchü 226.
viverica 134.
— 559 —
viza slav. 300.
u'^gorz poln. 148.
ictelgolud poln. 162.
rXdova 348.
vino slav. 255.
vira altrnss. 396.
vXhX 288
Vhla 502.
vjazft russ. 174.
vluna 155. 264.
fZ?7Ä:?7 133.
icnf^k poln. 311.
t'oda: t'odd russ 441.
525.
voditif vodimaja alt-
ru8s. 333.
vödka russ. 252.
rodjanyje russ. 441.
vojevoaa raonten. 391.
?y?//7 216.
t'or?7, vorovskdja svd-
dtba russ. 326.
vozü 298. 300.
vradf 450.
vriteno 264.
wrozda poln. 395.
vrüba 174.
vüntikü 311.
?;?7<rr 14.
vydati russ. 333.
vyhorü russ. 323.
vydra 133.
vygovorii russ. 321 324.
326.
zadruga südsl. 358. 376.
zämuzUf z. vyjti, za-
müzestvo russ. 333.
334. 350.
zaova serb. 355.
zelenX 39.
zemlja 444.
zemljdnka russ. 273.
z^^f; z/a^r russ., ze^
serb. 312.
zima; zimd russ. 223.
239. 495. 509.
z^a^z 494.
zZa^o; zdZo^o russ. 39.
41. 42. 43. 119. 502.
zlüva 314.
«rt7no 203.
zelqdX 173. 191. 245.
zelezä russ. 288.
«c/feo 65. 71. 84. 89.
zeluvX{ztly,zely) \zelvaj
zolvGy zXlXvX, ielXvi
altruss., zelva nsl.,
zelv öcch., zlüva
bulg., zo^ii;' poln.,
zelv kleinruss. 148.
150. 200. 509.
zelud^vy kvasü russ.
254.
zenitXsja na russ. 334.
zeravX 140.
zito russ. 198.
irünnvü 113. 204.
zupa, zupan slav. 155.
216. 374. 377.
1 liiiiiiiiiiniiiiii ^^m
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