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Full text of "Sprachvergleichung und Urgeschichte. Linguistisch-historische Beiträge zur Erforschung des indogermanischen Altertums"

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SPRACHVERGLEICHUNG 

UND 

URGESCHICHTE. 

LINGUISTISCH-HISTORISCHE  BEITRÄGE 

ZUR 

ERFORSCHUNG  DES  INDOGERMANISCHEN  ALTERTUMS 

VON 

O.  SCHRADER. 

DRITTE  NEUBEARBEITETE  AUFLAGE. 


JENA, 

HERMANN  COSTENOBLE 
1907. 


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Vorwort  der  ersten  Auflage. 


Der  Gedanke,  welchen  schon  Leibniz  in  dem  Satze  aus- 
gesprochen hatte :  nihil  maiorem  ad  antiquas  populorum  origines 
indaganda^  lucem  praebere  quam  collationem  linguarum^  hat  erst 
in  nnserem  Jahrhundert  seine  Verwirklichung  gefunden.  Nicht 
nur,  dass  durch  die  seit  Entdeckung  des  Sanskrit  neu  aufblühende 
Sprachvergleichung  nie  geahnte  Völkerzusamnienhänge,  wie  der 
eines  indogermanischen  oder  semitischen  Spraclistammes,  erkannt 
worden  sind,  sondern  auch  in  prähistorischer  und  kulturhistorischer 
Beziehung  hat  die  junge  Wissenschaft  der  Linguistik  neue  Bahnen 
wandeln  gelehrt.  Wie  der  Archäologe  mit  Hacke  und  Spaten 
iu  die  Tiefe  der  Erde  hinabsteigt,  um  in  Knochen,  Splittern, 
Steinen  die  Spuren  der  Vergangenheit  zu  enthüllen,  so  hat 
der  Sprachforscher  den  Versuch  gemacht,  aus  den  Trtlmmem 
der  Wörter,  welche  aus  ungemessener  Zeiten  Ferne  an  das 
Gestade  der  Überlieferung  gerettet  worden  sind,  das  Bild  der 
Urzeit  wiederherzustellen.  Es  gibt  mit  einem  Worte  eine 
linguistische  Paläontologie. 

I^aum  erscheint  mehr  die  Geschichte  eines  der  indogerma- 
nischen Völker,  ohne  dass  nicht  in  einem  einleitenden  Kapitel 
darauf*hingewiesen  würde,  wie  dieses  betreflFende  Volk  vor  grauen 
Zeiten,  noch  vereint  mit  seinen  indogermanischen  Brüdern,  in 
ferner  —  gewöhnlich  heisst  es  ja,  asiatischer  —  Heimat  gesessen 
ond  bereits  hier  Viehzucht  und  Ackerbau  fast  in  heutiger  Aus- 
dehnung gepflegt  habe,  wie  es  schon  damals  mit  der  Gewinnung 
ond  Verarbeitung  der  Metalle  vertraut,  von  Königen  regiert,  in 
Dörfern  and  umwallten  Städten  angesiedelt  gewesen  sei  usw.  usw. 

Scheinen  so  die  Lehren  der  linguistischen  Paläontologie 
schnell  Gemeingut  der  wissenschaftlichen  Welt  geworden  zu  sein, 
80  kann  es  für  den,  welcher  mit  Aufmerksamkeit  der  Entwicklung 


IV 

der  Sprachvergleichung  einer-,  der  prähistorischen  Forschung 
andererseits  gefolgt  ist,  doch  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  zahl- 
reiche jener  lingnistisch-historischen  Aufstellungen  auf  dem  heutigen 
Standpunkt  der  Wissenschaft  nicht  mehr  oder  so  nicht  mehr 
haltbar  sind.  Neue  sprachliche  Tatsachen  sowie  neue  Gesichts- 
punkte, von  denen  aus  dieselben  beurteilt  werden,  haben  die 
sprachliche  Grundlage,  auf  welcher  jenes  historische  Gebäude 
beruht,  wesentlich  umgestaltet.  Dazu  kommt,  dass  dasjenige,  was 
man  neuerdings  auf  philologisch-historischem  oder  archäologischem 
Wege  über  die  Urzeit  der  Indogermanen  ermittelt  hat,  keines- 
wegs immer  mit  jenen  Lehren  der  linguistischen  Paläontologie 
übereinstimmt,  so  dass  Gefahr  vorhanden  ist,  die  Sprach- 
vergleichung möchte  durch  eine  immer  breitere  Kluft  von  den- 
jenigen Wissenschaften  getrennt  werden,  denen  sie,  richtig  be- 
nutzt, die  vorzüglichsten  Dienste  zu  leisten  imstande  ist. 

Bei  so  bewandten  Dingen  schien  es  dem  Verfasser  eine 
nicht  undankbare  Aufgabe,  die  Frage,  inwieweit  die  Sprach- 
wissenschaft für  prähistorische  und  kulturhistorische  Zwecke  zu 
verwerten  sei,  einer  erneuten  und  eingehenderen  Prüfung,  als  sie 
bis  jetzt  vorgenommen  worden  ist,  zu  unterziehen. 

Zu  diesem  Behuf e  gibt  die  erste  der  vier  Abhandlungen, 
in  welche  das  vorliegende  Buch  zerfällt,  eine  geschichtliche  Ent- 
wicklung der  bisher  über  diesen  Gegenstand  vorgetragenen  Auf- 
stellungen und  Meinungen.  Da  die  hierauf  bezügliche  Literatur 
in  umfangreichen  Werken  und  kleinen  Broschüren  eine  überaus 
zerstreute  ist,  welche  sich  oft  bis  in  die  Tagespresse  verliert, 
80  hofft  der  Verfasser  durch  ihre  Zusammenstellung  den  für  diese 
Seite  der  Linguistik  sich  Interessierenden  einen  Dienst  erwiesen 
zu  haben.  Manches  Unwesentliche  ist  dabei  absichtlich  über- 
gangen worden. 

Eine  eigentliche  Kritik  der  mitgeteilten  Ansichten,  soweit 
dieselbe  nicht  mit  der  Anordnung  und  Darstellung  des  Stoffes 
selbst  verbunden  ist,  gibt  dieser  Aufsatz,  welcher  das  pro  und 
contra  möglichst  objektiv  zum  Ausdruck  zu  bringen  wünscht, 
im  einzelnen  nicht.  Nur  bei  solchen  Punkten  sind  berichtigende 
oder  erläuternde  Bemerkungen  hinzugefügt  worden,  auf  welche 
der  Verfasser  im  weiteren  Verlaufe  seiner  Arbeit  zurückzukommen 
nicht  hoffen  durfte. 

Statt  dessen  sind  in  einer  besonderen  (zweiten)  Abhandlung 


die  sprachlicben  Tatsachen  rücksichtlich  ihrer  Tragweite  für 
kalturhistorische  Schlüsse  kritisch  und  methodisch  geprüft  worden. 
Was  darf,  and  was  darf  der  Geschichtsforscher  nicht  aus  der 
Sprache  schliessen,  diese  Fragen  bilden  den  Mittelpunkt  dieser 
Untersuchungen. 

Von  diesen  geschichtlichen  und  theoretischen  Betrachtungen 
wendet  sich  das  Buch  der  Erforschung  der  Urzeit  selbst  zu,  indem 
es  einen  der  Haupt-  und  Kardinalpunkte  der  indogermanischen 
Urgeschichte,  die  Frage,  ob  die  Metalle  den  Indogermanen  vor 
ihrer  Trennung  bekannt  gewesen  seien  oder  nicht,  eingehend 
behandelt.  Auf  das  engste  verknüpft  mit  dieser  Untersuchung^ 
während  welcher  der  Verfasser  zu  einem  verneinenden  Resultat 
gelangt,  erwies  sich  aber  die  weitere  Frage,  wann,  von  wo  und 
auf  welchem  Wege  die  Kenntnis  der  Metalle,  wenn  sie  der  Ur- 
zeit noch  fremd  war,  sich  in  späterer  Zeit  bei  den  indogermanischen 
Völkern  verbreitet  habe.  Was  sich  für  die  Lösung  dieses  schwie- 
rigen Problems  an  sprachlichen  Anhaltspunkten  ergibt,  glaubt 
der  Verfasser  vollständig  gesammelt  zu  haben,  ohne  dabei  die 
Ergebnisse  der  Geschichte  und  Prähistorie  ausser  Augen  zu 
lassen. 

So  schien  sowohl  in  theoretischer  als  auch  in  sachlicher  Be- 
ziehung eine  zuverlässige  Basis  geschaflfen,  von  welcher  aus  der  Ver- 
fasser es  wagen  durfte,  keckeren  und  zuversichtlicheren  Schrittes 
weitere  Streifztige  über  die  Grenzen  der  geschichtlichen  Überlie- 
ferung hinaus  zu  unternehmen.  Der  Versuch  eines  Gesamtbildes 
der  indogermanischen  Urzeit  nach  ihren  charakteristischen  Seiten 
(Viehzucht,  Ackerbau,  Speise  und  Trank,  Familie,  Sittlichkeit, 
Staat,  Fertigkeiten,  Künste,  Kenntnisse,  Sprache,  Religion,  Heimat) 
bildet  daher  den  Schluss  des  vorliegenden  Buches. 

Jena,  Anfang  Mai  1883. 


VI 


Aus  dem  Vorwort  zur  zweiten  Auflage. 


Die  zweite  Auflage  von  Sprachvergleichong  and  Urgeschichte 
tritt  in  vieler  Beziehung  als  ein  neues  Buch  an  die  Öffent- 
lichkeit. 

Die  Nötigung  hierzu  lag  einerseits  in  den  Fortschritten, 
welche  die  auf  die  vorliegenden  Untersuchungen  bezüglichen 
Wissenschaften  seit  dem  ersten  Erscheinen  des  Buches  gemacht 
haben.  Vor  allem  aber  erweckten  die  eigenen  Erfahrungen  und 
Studien  des  Verfassers  während  des  verflossenen  Zeitraumes  in 
ihm  das  Bedürfnis,  alles,  was  er  bisher  zerstreut  über  die  Ur- 
geschichte unseres  Stammes  vorgetragen  hatte,  hier,  wie  er 
hofft  in  gebesserter  und  gereinigter  Gestalt,  zu  einem  Gesamt- 
bild der  vorgeschichtlichen  Gesittung  der  Indogermanen  zu 
vereinigen. 

Es  kann  meine  Absicht  nicht  sein,  an  dieser  Stelle  auch 
nur  auf  die  wichtigsten  Punkte  der  Erweiterungen,  Zusätze, 
Streichungen  etc.  der  neuen  Auflage  einzugehen;  doch  möchte 
ich  zweierlei  in  Kürze  hervorheben. 

In  etymologischer  Hinsicht  begnügte  sich  die  erste 
Auflage  im  wesentlichen  mit  den  dem  Verfasser  damals  richtig 
erscheinenden  Znsammenstellungen  anderer.  Allein  bei  einem 
tieferen  Eindringen  in  seinen  Gegenstand  erkannte  der  Verfasser 
bald,  dass  das  Dunkel,  welches  gerade  über  dem  kulturhistorisch 
bedeutsamen  Teile  des  indogermanischen  Wortschatzes  lastet, 
noch  ein  so  grosses  ist,  dass  der  Versuch,  zu  der  Aufhellung 
desselben  beizutragen,  gewagt  werden  musste.  Der  Verfasser  ist 
hierbei  zu  der  Überzeugung  gekommen,  dass  eine  sorgfältigere 
Beobachtung  des  Bedeutungswandels,  zu  welcher  sachliche  Studien 
den  unmittelbaren  Anlass  geben,  besonders  für  die  Erkenntnis 
bisher  unbemerkter,  lautlich  gesicherter  etymologischer  Znsammen- 
hänge geeignet  sei. 

Der  zweite  Punkt  betrifft  die  Frage  nach  der  Urheimat 
der  Indogermanen,  welche  der  Verfasser  in  der  ersten  Auflage 
unbeantwortet  gelassen  hatte.     Die  Anschauung,   zu   welcher  er 


vn 

nnnmehr  gekommen  ist,  macht  anf  Nenheit  keinen  Ansprach. 
Ea  ist  die  zuerst  von  Th.  Benfey  anf  gestellte,  neuerdings  nament- 
lich von  W.  Tomaschek  vertretene  Ansicht  von  den  Ursprüngen 
der  Indogermanen  im  enropäischen  Süd-Russland.  Der  Verfasser 
verschweigt  sich  nicht,  dass  die  Lösung  dieses  ganzen  Problems 
kaum  jemals  über  die  Aufstellung  einer  mehr  oder  minder 
glaublichen  Hypothese  hinauskommen  wird.  Er  ist  aber  doch 
der  Meinung,  durch  eine  Reihe  teils  allgemein  kulturgeschicht- 
licher, teils  speziell  sprachlich-historischer  Kombinationen  für  seine 
Überzeugung  eine  nicht  geringe  Wahrscheinlichkeit  —  nicht  mehr 
und  nicht  minder  —  erzielt  zu  haben.  E%  wäre  dem  Verfasser 
erwünscht,  wenn  man  das  Kapitel,  welches  direkt  von  der  Hei- 
mat handelt,  und  in  welchem  die  durch  das  ganze  Buch  ge- 
sponnenen Fäden  zusammenlaufen,  an  derjenigen  Stelle  lesen 
wollte,  an  welcher  es  steht,  an  letzter. 

Jena,  am  9.  Oktober  1889. 


Vorwort  zur  dritten  Auflage.') 


Der  Verfasser  möchte  nicht  eine  gewisse  Befriedigung  über 
die  Tatsache  verhehlen,  dass  es  diesem  Buche,  nachdem  fast 
25  Jahre  seit  seinem  ersten  Erscheinen  verflossen  sind,  wiederum 
vergönnt  ist,  in  verjüngter  Gestalt  auf  dem  Kampfplatze  zu 
erscheinen.  In  diesem  Zeitraum  hat  er  Lob  und  Tadel  „ertragen" 
gelernt  und  hofft,  dass  beide  dem  Buche  in  seiner  gegenwärtigen 
Fassung  zugute  gekommen  sind. 

In  der  Anlage  des  Werkes,  wie  sie  in  dem  Vorwort  zur 
ersten  Auflage  geschildert  worden  ist,  brauchte  eine  Veränderung 
nicht  einzutreten.  Indessen  würde  der  geschichtliche  Überblick 
über    die    Entwicklung    der    linguistisch-historischen    Forschung 


1)  Für  wirksame  Beihilfe  bei  der  Korrektur  des  vorliegenden 
Werkes  bin  ich  Herrn  Dr.  W.  Heuschkel  in  Jena  zu  lebhaftem  Danke 
TerpfKchtet. 


Vfll 

(Abhandlnng  I:  Znr  Geschichte  der  lingnistischen  Paläontologie) 
nngebührlich  angeschwollen  sein,  wenn  es  nicht  möglich  gewesen 
wäre,  durch  erhebliche  Kürzungen  nnd  Ausschaltungen  Raum  für 
den  neuen  Stoff  zu  gewinnen,  der  sich  seit  dem  Erscheinen  der 
zweiten  Auflage  angehäuft  hat.  Auf  die  Darstellung  der  älteren 
Epochen  unserer  Wissenschaft  ganz  zu  verzichten,  schien  dem 
Verfasser  nicht  anzugehen,  da  einerseits  die  geschichtliche  Ent- 
wicklung eines  Wissenszweiges  von  seinen  ersten  Anfängen  an, 
von  so  viel  Irrtümern  dabei  auch  immer  die  Rede  sein  muss,  für 
jeden  geschichtlich  Denkenden  an  sich  einen  nicht  geringen  Reiz 
bietet,  und  andererseits  es  sich,  namentlich  auf  dem  Gebiet  der 
Heimatfrage,  nicht  selten  zeigt,  wie  die  Neueren  (zuweilen  ohne 
es  zu  wissen)  in  den  Spuren  der  Älteren  wandeln.  In  der  eben 
genannten  Frage  nach  der  Urheimat  der  Indogermanen  ist  das 
Jahr  1905  besonders  reich  an  Veröffentlichungen  gewesen,  die 
in  dieser  ersten  Abhandlung  nur  eben  noch  genannt  werden 
konnten.  Dafür  bot  das  Schlusskapitel  des  ganzen  Werkes 
(Kap.  XVI:  Die  Urheimat)  reichliche  Gelegenheit,  auch  auf  die 
neueste  Entwicklung  der  Heimatfrage  des  näheren  einzugehen. 

Während  die  erste  Abhandlung  des  ersten  Teils  dieses 
Werkes  trotz  des  Hinzutretens  des  neuen  Stoffes  gegenüber  der 
2.  Auflage  an  Umfang  verloren  hat,  stellt  die  zweite  (Zur  Methodik 
und  Kritik  der  linguistisch-historischen  Forschung)  einen  wesentlich 
erweiterten  und  fast  durchaus  neu  ausgearbeiteten  Versuch  dar, 
die  aus  der  linguistischen  Paläontologie  hervorgegangene  Wissen- 
schaft der  indogermanischen  Altertumskunde  in  ihrer  Methode  und 
in  ihren  Zielen  tiefer  und  ausführlicher,  als  es  bis  jetzt  geschehen 
ist,  zu  begründen.  Hier  schien  dem  Verfasser  auch  der  Platz, 
sich  mit  einer  Reihe  von  Einwendungen,  die  gegen  seine  An- 
schauungen erhoben  worden  sind,  auseinanderzusetzen. 

Was  die  beiden  Abhandlungen  des  zweiten  Teils  (III:  Die 
Metalle,  IV:  Die  Urzeit)  anbetrifft,  so  waren  für  ihre  Neu- 
gestaltung, die  für  Abhandlung  IV  von  einer  wesentlichen  Er- 
weiterung ihres  Umfangs  begleitet  sein  musste,  namentlich  zwei 
Umstände  dem  Verfasser  von  Vorteil.  Einmal  die  Ausarbeitung 
seines  Reallexikons  der  indogermanischen  Altertumskunde  (Strass- 
burg  1901),  durch  die  sich  ihm  die  Gelegenheit  bot,  die  grosse 
Masse  der  altidg.  Kulturerscheinungen  in  ihre  Grandbegriffe  auf- 
zulösen und  diese  im  einzelnen  sprachlich  und  sachlich  zu  unter 


IX 

suchen.  Damit  war  zugleich  eine  festere  Basis  als  bisher  auch 
für  die  zusammenfassende  Darat eilung  gewonnen,  welche  die 
Aufgabe  des  vorliegenden  Buches  ist. 

Bei  den  kritischen  Besprechungen  des  eben  genannten 
Werkes  ist,  namentlich  von  A.  Brückner  im  Archiv  für  slavische 
Philologie,  darauf  hingewiesen  worden,  dass  die  slavische  Welt, 
deren  Bedeutung  für  die  Rekonstruktion  des  idg.  Altertums  schon 
V.  Hehn  mit  Entschiedenheit  betont  hatte,  in  dem  Reallexikon 
zu  kurz  gekommen  sei.  Der  Verfasser  hat  die  Berechtigung 
dieses  Vorwurfs  nicht  verkannt  und  schon  im  Jahre  1902,  zunächst 
in  Rassland,  damit  begonnen,  sich  in  die  slavische  Volks-  und  Alter- 
tumskunde einzuarbeiten.  Seine  seit  dieser  Zeit  trotz  der  Un- 
gunst der  Arbeitsbedingungen,  unter  denen  der  Verf.  andauernd 
zu  leiden  hat,  eifrig  gepflegten  russischen  Studien  haben  hoffent- 
lich auch  dem  vorliegenden  Buche  nicht  unerheblichen  Gewinn 
gebracht. 

In  etymologischer  Beziehung  ist  der  Verfasser  in  dieser 
dritten  Auflage  im  ganzen  zurückhaltender  als  in  der  zweiten 
gewesen,  einmal  weil  er  den  mit  sprachlichen  Dingen  weniger 
vertrauten  Lesern  dieses  Buches  nur  die  sichereren  Ergebnisse  der 
etymologischen  Forschung  bieten  wollte,  andererseits  weil  ihm  die 
richtige  Stelle,  um  in  grösserem  Umfang  neue  etymologische  Vor- 
schläge zu  machen,  nunmehr  in  seinem  Reallexikon  gegeben  zu 
sein  schien.  So  tritt  die  sachliche  Seite  der  Untersuchung  in 
dieser  Auflage  noch  mehr  als  in  den  früheren  hervor. 

Auch  in  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  wird  dem  vorlie- 
genden Buche  vermutlich  ein  kampfloses  Dasein  nicht  beschieden 
sein.  Immer  deutlicher  taucht  am  Horizont  eine  Vorstellung  auf, 
der  der  Begriff  des  Indogermanentums  in  dem  des  Germanentums 
zerfliesst.  Von  den  sturmgepeitschten  Gestaden  der  Nordsee  oder 
aus  den  Urwäldern  an  den  Küsten  der  Ostsee  haben  nach  diesem 
patriotischen  und  darum  willig  aufgenommenen  Glauben  die  Ger- 
manen oder  Prägermanen  schon  in  unvordenklicher  Zeit  zu  Wasser 
und  zu  Land  die  Welt  bis  zum  Oxus  und  Ganges  überflutet.  Hand 
in  Hand  mit  dieser  Lehre  geht,  auf  angebliche  Zeugnisse  der  Prä- 
historie gestützt,  eine  immer  mehr  sich  steigernde  Vorstellung  von 
der  einstigen  Höhe  der  urindogermanischen  Kultur  ebenso  in  ma- 
terieller wie  in  gesellschaftlicher  und  sittlicher  Hinsicht.  Bald 
wird  man  wieder  bei  dem  einstmals  durch  sprachliche  Gleichungen 


gewonnenen  „indogermanischen  Paradies''  angekommen  sein,  nur 
dass  man  seinen  Schauplatz  nicht  mehr  „anf  dem  Dach  der 
Welt^,  sondern  in  Schonen,  Schleswig-Holstein  oder  auch  in  Berlin 
und  Umgegend  sucht. 

Solchen,  wie  mir  scheint,  in  keiner  Weise  begründeten  Vor- 
stellungen tritt  das  vorliegende  Buch  im  Sinne  der  V.  Hehnschen 
Kultur-  und  Weltanschauung  mit  Entschiedenheit  entgegen,  jener 
Kultur*  und  Weltanschauung,  die,  indem  sie  uns  durch  das  Dunkel 
einer  barbarischen  oder  halbbarbarischen  Vergangenheit  zu  den 
von  den  flutenden  Lichtwellen  des  Orients  getroffenen,  historischen 
Anfängen  der  indogermanischen  Einzelvölker  geleitet,  allein  eine 
wirklich  entwicklungsgeschichtliche  Erkenntnis  unserer  Kultur- 
verhältnisse gestattet. 

Jena,  Pfingsten  1907. 

O.  Schrader. 


Inhaltsverzeichnis  des  I.  Teils. 


Seite 

Yorwort  zu  Aufl.  I,  II  und  III III— X 

I. 

Zur  Geschichte  der  ÜDguistischen  Paläontologie .  1—229 

I.  Kap.  DieAnfänge  der  linguistisch-historischen  Forschung  3—21 

n.  Kap.  Die  Erschliessung  der  indog.  Kultur 22 — 52 

in.  Kap.  Die  Annahmen  indog.  Völkertrennungen  in  ihrer 
kulturhistorischen  Bedeutung.  Mit  einem  Anhang 
über    die   Erforschung    der  Lehnwörter   in   den 

indog.  Sprachen 53—84 

IV.  Kap.  Die  Untersuchungen  über  die  Urheimat  des  indog. 

Volkes 85-129 

II. 

Zur  Methode  und  Kritik  der  linguistisch-historischen 

Forschung 131—232 

I.  Kap.  Die  indogermanische  Spracheinheit 133—146 

II.  Kap.  Die  indogermanische  Völkereinheit 147—159 

III.  Kap.  Der  Verlust  alten  Sprachguts 160—165 

IV.  Kap.  Geographische  Verbreitung  und  Chronologie  der 

indog.  Gleichungen 166—176 

V.  Kap.  Wortform 177—182 

VI.  Kap.  Wortbedeutung 183—190 

VII.  Kap.  Das  Lehnwort 191—199 

VIII.  Kap.  Die  kulturhistorische  Begriffsentwicklung  ....  200—207 

IX.  Kap.  Sprach-  und  Sachforschung 208—227 

X.  Kap.  Die   indogermanische  Altertumskunde 228—232 

Autorenverzeichnis  zu  Abh.  I  und  II 233—235 

Nachträge  und  Berichtigungen 236 


Inhaltsverzeichnis  des  ersten  Abschnitts  des  IL  Teils. 


III. 

Das   Auftreten    der  Metalle,   besonders   bei   den 

indogermanischen  Völkern 1-120 

I.  Kap.  Einleitung 3—9 

II.  Kap.  Die  Namen  der  Metalle  im  allgemeinen 10—12 

ni.  Kap.  Der  Schmied  in  Sage  und  Sprache 13—28 


XII 

Seite 

IV.  Kap.  Das  Gold 29-44 

V.  Kap.  Das  Silber 45-57 

VI.  Kap.  Das    Kupfer    und    seine    Legierungen    (Bronze, 

Messing) 58—75 

VII.  Kap.  Das  Eisen 76—90 

VIII.  Kap.  Zinn  und  Blei 91-99 

IX.  Kap.  Altindogermanische  Waffen  und  Werkzeuge   .   .  100—116 
X.  Kap.  Ergebnisse :  Die  Metalle  in  ihrer  historischen  Auf- 
einanderfolge      116-120 


Inhaltsverzeichnis  des  zweiten  Abschnitts 

des  IL  Teils. 


IV. 

Die  Urzeit 121—629 

I.  Kap.  Einleitung 123—132 

IL  Kap.  Aus  der  Tierwelt 138—161 

III.  Kap.  Die  Haustiere 152—169^ 

IV.  Kap.  Waldbäume 170—184 

V.  Kap.  Die  Kulturpflanzen 185—200 

VI.  Kap.  Viehzucht  und  Ackerbau 201—221 

VII.  Kap.  Die  Zeitteilung .  222—240 

VIII.  Kap.  Speise  und  Trank 241—256 

IX.  Kap.  Kleidung 257—270 

X.  Kap.  Wohnung 271—28» 

XI.  Kap.  Handel  und  Wandel 290—302 

XII.  Kap.  Die  Familie 803-369 

Xin.  Kap.  Sippe  und  Stamm 370—392 

XIV.  Kap.  Das  Recht  (Strafrecht) 393-414 

XV.  Kap.  Die  Religion 415—458 

XVI.  Kap.  Urheimat 459—529 

Nachträge  und  Berichtigungen  zu  Abh.  I— IV 530—532 

Wörterverzeichnisse  der  idg.  Sprachen  zu  Abh.  IIIu.  IV  (II.Teii)  538—65» 


I. 


ZUR  GESCHICHTE 


DER 


LINGUISTISCHEN  PAUEONTOLOGIE 


Citius  emergit  veritas  ex  eirore  quam  ex  confusione. 


8  ehr  Ader,  BpraebYerflrleichnnflr  und  Urgeschichte.    S.  Aufl. 


I.  Kapitel. 

Die  Anfänge  der  linguistisch-historischen  Forschung. 

Die  Anscbaaungen  des  XVIII.  Jahrhunderts  über  die  sprach- 
lichen und  ethnographischen  Verwandtschaftsverhältnisse  der  Völker 
lassen  sich  in  ihrer  Gesamtheit  nirgends  besser  übersehen  als  in 
den  zahlreichen  Schriften,  die  einen  der  gelehrtesten  und  nam- 
haftesten Sprachforscher  dieser  Zeit,  Johann  Christoph  Adelung, 
zum  Verfasser  haben.  Sein  Hauptwerk,  Mithridates  oder  all- 
gemeine Sprachenkunde  (1806—16,  von  Teil  II  an  aus  Adelungs 
Papieren  von  J.  S.  Vater  fortgesetzt,  3  Bände  Berlin),  das  an 
-der  Grenzscheide  älterer  und  neuerer  Sprachwissenschaft  steht, 
kann  als  eine  methodischere  und  gründlichere  Weiterführnng  der 
schon  von  Leibniz  angeregten  und  in  dem  Petersburger  Wörter- 
bach der  Kaiserin  Katharina  zuerst  zur  Ausführung  gekommenen 
Idee  eines  Universal-Glossariums  bezeichnet  werden,  dem  der  für 
die  damals  fast  ausschliesslich  im  Dienste  der  Ethnologie  stehende 
Sprachforschung  charakteristische  Gedanke  zu  Grunde  liegt,  durch 
eine  Vergleichung  der  Sprachen  das  gegenseitige  Verhältnis  der 
Völker  zu  ergründen.  Aber  nicht,  wie  es  im  Petersburger 
Wöiierbuche  und  sonst  geschehen  war,  werden  hier  als  Massstab 
dieser  Vergleichungen  Sammlungen  einzelner  Wörter,  gegen  die 
Adelung  seine  ernsten  Bedenken  nicht  verhehlt  (vgl.  Vorrede 
p.  VIII),  herangezogen,  sondern  auf  Grund  der  reichlich  vor- 
handenen Sammlungen*)  wird  das  Vater  Unser  „in  beinahe  fünf- 
hundert Sprachen  und  Mundarten"  als  Sprachprobe  gegeben;  denn 
nur  an  der  Hand  eines  zusammenhängenden  Stückes  menschlicher 
Rede  könne  man  in  den  Gang  und  Geist  und,  worauf  es  beson- 
ders ankomme,  in  den  inneren  und  äusseren  Bau  einer  Sprache 
eindringen  (vgl.  p.  XII). 

1)  Der  erste,  der  auf  den  Gedanken  kam,  das  V.  U.  als  Sprach- 
probe  zu  benutzen,  war  J.  Schildberge r  um  1477.  Über  die  Samm- 
lungen des  V.  U.  vgl.  Mithridates  I,  646  f. 

1* 


-     4    — 

Uns  interessieren  in  diesem  Werke,  das  man  auch  heute 
nicht  ohne  Nutzen  lesen  wird,  in  erster  Linie  die  Anschauungen 
des  Verfassers  über  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  der 
europäisch-asiatischen  und  unter  ihnen  wieder  derjenigen  Völker, 
die  man  später  mit  dem  Namen  der  indogermanischen  zusammen- 
gefasst  hat.  Zunächst  kann  einer  der  verhängnisvollsten  Irrtümer 
früherer  Jahrhunderte,  den  zuerst  Leibniz  mit  Energie  bekämpft 
hatte,  dass  nämlich  die  Sprache  der  Bibel  als  die  Ursprache  der 
Menschheit  anzusehen  sei,  als  überwunden  gelten.  Schon  in  seiner 
1781  in  Leipzig  erschienenen  Schrift  Über  die  Geschichte  der 
Deutschen  Sprache  etc.  sagt  Adelung  Einleit.  p.  10:  ^Man  hat 
sich  von  jeher  sehr  viele  unnötige  Mühe  gegeben,  ausfindig  zn 
machen,  welches  die  erste  Sprache  in  der  Welt  gewesen,  weil 
man  geglaubt,  alle  übrigen  Sprachen  müssten  sich  alsdann  sehr 
leicht  aus  dieser  herleiten  lassen.  .  .  .  Die  hebräische  Sprache 
ist  freilich  die  älteste,  von  welcher  wir  die  beträchtlichsten  Über- 
bleibsel haben;  allein  sie  ist  um  deswillen  nicht  die  ursprünglichste^, 
und  fügt  dann  Mithrid.  Vorrede  p.  XI  hinzu:  „Ich  leite  nicht 
alle  Sprachen  von  einer  her;  Noahs  Arche  ist  mir  eine  verschlossne 
Burg  und  Babylons  Schutt  bleibt  vor  mir  völlig  in  seiner  Ruhe." 

Trotzdem  ist  indessen  Adelung  von  nichts  fester  als  von 
dem  asiatischen  Ursprung  der  europäischen  Völker  überzeugt. 
Auch  war  eine  Begründung  dieser  Ansicht  für  die  damalige  Zeit 
nicht  nötig.  „Asien",  sagt  Adelung  in  der  Einleitung  zum 
L  Teil  des  Mithridates,  „ist  zu  allen  Zeiten  für  denjenigen  Welt- 
teil  gehalten  worden,  in  welchem  das  menschliche  Geschlecht 
seinen  Anfang  genommen,  wo  es  seine  erste  Erziehung  genossen, 
und  aus  dessen  Mitte  es  seine  Fülle  über  die  ganze  übrige  Welt 
verbreitet  hat,"  und  in  der  Einleitung  zum  II.  Teil  desselben 
Werkes  heisst  es:  „Derjenige  Weltteil,  welchen  wir  nach  dem 
Vorgange  der  Phönicier  Europa  nennen,  ist  eigentlich  nur  die 
westliche  Fortsetzung  von  Asien.  ...  Es  hat  daher  auch  seine 
Einwohner  diesem  Weltteile  unmittelbar  zu  danken,  und  zwar 
zunächst  dem  hohen  Mittel-Asien  (lag  doch  das  Paradies  nach 
Adelung  a.  a.  0.  I,  6  f.  in  Kaschmir)  in  demselben,  dieser  alten 
und  grossen  Pflanzschule  des  menschlichen  Geschlechts  für  das 
nördliche  Asien,  Europa  und  Amerika." 

Auch  über  die  Reihenfolge  und  die  Wanderungsrichtung  der 
in  Europa  einziehenden  Völker  machte  sich  Adelung  bereits  Ge- 


-    6    - 

danken^  vgl.  Älteste  Geschichte  der  Deutschen  etc.  Leipzig  1806 
p.  12  f.  Er  unterscbeidet  in  Earopa  von  Westen  nach  Osten 
sechs  verschiedene  Sprach-  und  Völkerstämme,  Iberier,  Kelten^ 
Gennanier,  Thracier  (genauer  den  „Thraeisch-Pelasgisch-Griechisch- 
Lateinischen^  Sprachstamm),  Finnen  und  Slaven,  von  denen  die 
Iberier,  weil  am  westlichsten  wohnend,  auch  wohl  am  frühesten 
eingewandert  seien.  Jedenfalls  ergebe  die  Lage  dieser  Völker- 
stämme zu  einander  für  ihre  Einwanderung  zwei  grosse  Zug- 
linien: die  eine  für  Kelten  und  Thracier  (vgl.  aber  Mithrid.  II, 
340)  im  Süden,  die  andere  für  Germanen,  Slaven  und  Finnen  im 
Norden  der  Donau. 

Fragen  wir  nun,  bis  zu  welchem  Grade  Adelung  und  seine 
Zeit  die  etymologische  Verwandtschaft  der  indog.  Sprachen  er- 
kannt hatte,  so  sei  zunächst  erwähnt,  dass  die  wichtigen  Be- 
rührungen des  Sanskrit  mit  anderen  Sprachen,  namentlich  durch 
die  Schriften  des  Frater  Paulinus  a  S.  Bartholomaeo^), 
keineswegs  unbekannt  waren.  Adelung  gibt  Mithrid.  I,  149  f. 
ein  Kapitel  „Übereinkunft  vieler  Wörter  des  Sanskrit  mit  den 
Wörtern  anderer  alter  Sprachen^',  das  mit  dem  Satze  beginnt: 
„Das  hohe  Alter  dieser  Sprache  erhellet  unter  andeim  auch  aus 
der  Übereinkunft  so  vieler  ihrer  Wörter  mit  anderen  alten  Sprachen, 
welches  wohl  keinen  anderen  Grund  haben  kann,  als  dass  alle 
diese  Völker  bei  ihrem  Entstehen  und  vor  ihrer  Absonderung  zu 
einem  gemeinschaftlichen  Stamme  gehöret  haben.''  Dass  indessen 
hiermit  nicht  die  Erkenntnis  des  Begriffes  einer  indog.  Völker- 
familie ausgesprochen  ist,  geht  aus  den  folgenden  Wörterverzeich- 
nissen hervor,  in  denen  zur  Vergleichung  mit  dem  Sanskrit  auch 
Hebräisch,  Syrisch,  Türkisch  usw.  herangezogen  werden. 

Im  Übrigen  sind  es,  was  die  indog.  Völker  betrifft,  beson- 
ders zwei  nähere  Berührungen,  die  in  der  damaligen  Zeit  be- 
hauptet und  verteidigt  werden:  es  ist  dies  erstens  das  nähere 
Verhältnis,  in  dem  das  Lateinische  zu  dem  Griechischen  und 
zweitens  dasjenige,  in  dem  das  Persische  zu  dem  Deutschen 
stehen  sollte.  Namentlich  über  diesen  letzteren  Punkt  hatte 
«ich    seit   dem  Jahre  1597    eine   sehr   zahlreiche   Literatur   an- 


1)  1798  Diss.  de  antiquitate  et  affinitate  Linguae  Zendicae,  Sam- 
scridamicae,  et  Germanicae,  Padua.  1802  Disa.  de  Latini  sermonis 
origine  et  cum  orientalibus  Unguis  connexione,    Rom. 


—    6    — 

gehäuft^),  und  noch  Leibniz  (vgl.  Mithrid.  I,  277)  war  der 
Meinung^  die  Verwandtschaft  zwischen  Deutsch  und  Persisch  sei* 
so  gross,  dass  integri  versus  Persice  scribi  possunt,  quos  Ger- 
manus  inteUigat. 

Die  Erklärung  derartiger  Verwandtschaftsverhältnisse  wurde 
in  damaliger  Zeit  ausschliesslich  in  Mischungsprozessen  gesucht, 
die  die  betreffenden  Völker  in  historischen  oder  vorhistorischen 
Epochen  durchgemacht  haben  sollten.  So  erklärt  Adelung- Vater 
Mithrid.  II,  457  das  Lateinische  fttr  eine  Mischung  keltischer 
(Aborigines)  und  gi'iechischer  (Pelasgi)  Elemente,  und  die  „deutschen 
Bestandteile  im  Persischen"  werden  mit  dem  Aufenthalt  der  Goten 
am  schwarzen  Meere,  in  der  Nähe  Persiens  verknüpft.  „Denn 
da  diese  ein  wildes,  unruhiges  und  eroberungssüchtiges  Volk 
waren,  welches  sich  immer  auf  Kosten  seiner  Nachbarn  auszu- 
breiten suchte,  so  wird  es  das  nahe  Persien  gewiss  nicht  verschont 
haben"*),  vgl.  Älteste  Geschichte  der  Deutschen  1806  p.  350). 
Auch  die  „griechische  Sprache  enthält  zum  Verwundem  viele 
germanische  Wurzelwörter,  vielleicht  ein  Fünftel  ihres  ganzen 
Reichtums,  ohne  dass  deswegen  die  eine  Sprache  die  Matter  der 
andern  sein  dürfte.  Sind  die  Germanen  aus  Osten  gekommen, 
so  haben  sie  gewiss  auch  lange  Zeit  im  Norden  von  Thracien 
gewohnt,  ehe  sie  nach  und  nach  weiter  nordwärts  gedrängt  wurden. 
Da  barbarische  Völker  nicht  lange  ruhige  Nachbarn  bleiben,  so 
können  sie  die  südlicheren  Gegenden  mehrmals  überschwemmt  und 
beherrscht,  und  ihnen  zum  Andenken  einen  Teil  ihrer  Sprache 
hinterlassen  haben.^  Bo  urteilte  Adelung  über  diese  Verhältnisse 
noch  in  der  kurze  Zeit  vor  dem  ersten  Teil  des  Mithridates  er- 
schienenen Ältesten  Geschichte  der  Deutschen  etc.  p.  352  f.  E& 
ist  daher  sehr  merkwürdig,  dass  derselbe  Verfasser  an  derjenigen 
Stelle   des  Mithridates,    an   der   er   über   denselben   Gegenstand 


1)  Mitgeteilt  von  Adelung  Älteste  Geschichte  der  Deutschen  etc. 
Leipzig  1806  p.  360  f.  Vgl.  auch  Th.  Benfey  Geschichte  der  Sprach^ 
Wissenschaft  p.  228  f. 

2)  Ganz  ähnlich  hatte  man  die  im  Anfang  des  XVII.  Jahrh.  zu- 
erst bemerkten  Übereinstimmungen  des  Litauischen  und  Lateinischen 
mit  der  Annahme  erklärt,  dass  bei  der  Überfahrt  Caesars  nach  Bri- 
tannien verschlagene  römische  Soldaten  nach  Litauen  gekommen  seien. 
Vgl.  Michalonis  Lituani  De  moHbtis  Tartarorum,  Lituanorum  et 
Moschorum  fragmina  ed.  Grosser^  Basileae,  1615  p.  23. 


zu  reden  hat,  m  einer  ganz  anderen,  dem  wirklichen  Sachverhalt 
ziemlich  nahe  kommenden  Auffassnng  der  Dinge  gelangt.  Eb  ist 
ihm  Mithridates  I,  379  doch  sehr  anffalleud,  dass  die  germaniscben 
Bestandteile  im  Persiecheu  daselbst  nicht  als  Fremdlinge,  sondern 
„als  tier  in  den  ursprünglichen  Ban  der  Sprache  und  ihrer 
Formen  verwebt"  erscheinen.  Aas  diesem  Grunde  scheint  ihm 
vielmehr  folgende  Erklärung  die  Überwiegende  Wahrscheinlichkeit 
för  sich  zu  haben:  „Die  Oermanen  stammen,  so  wie  alle  west- 
lichen Vfllker,  aus  Asien  her,  und  wenn  man  gleich  jetzt  die 
Gegend  nicht  mehr  bestimmen  kann,  welche  sie  vor  ihrer  Au»- 
Wanderung  bewohnt  haben,  so  gibt  es  doch  keine  Gründe,  wanuii 
mau  sie  nicht  in  das  an  Persien  und  Tibet  unmittelbar  grenzende 
Mittel-Asien  sollte  setzen  können,  welches  durch  seine  unslüten 
Horden  Europa  teils  bevölkert,  teils  mehr  al»  einmal  erschüttert  hat. 
Der  German  (nie),  der  Slave.  der  Thraeier,  der  Kelle  u.  s.  f. 
können  also  mit  dem  Perser  gleichzeitig  ans  einer  und  der- 
selben Sprachquelle  geschöpft  und  sich  nur  durch  Zeit, 
Klima  und  Sitten  wieder  von  ihm  entfernt  haben." 

So  war  denn  der  gelehrte  deutsche  Sprachforscher  kurz  vor 
«einem  Tode,  wie  es  scheint,  selbständig  zu  demselbt^'U  Resultat 
gekommen,  das  der  berUbnite  Engländer  W.  Junes,  auf  seine 
bessere  Kenntnis  des  Sanskrit  gestützt,  schon  im  Jahre  17SH 
ansgesprochcu*)  hatte,  dass  sieh  nämlich  die  Übereinstimmungen 
«lieser  Sprache  in  erster  Linie  mit  dem  Griechischen  und  Lateini- 
Mhen,  sodann  aber  auch  mit  dem  Germauischen  und  Keltischen 
(Persisch  und  Slavisch  wird  an  der  bclrcffeuden  Stelle  von  Jones 
nicht  genannt)  nicht  erklären  Hessen  ohne  die  Annahme, 
dieselben  seien  von  einer  gemeinsamen  Quelle,  die 
vielleicht  nicht  mehr  existiere,  ausgegangen. 

Erst  dem  XIX,  Jahrhundert  war  es  vorbehalten,  den  Beweis 
fllr  die  Einheit  Indogermanischer')  Zunge  in  wissenschaftlichem 
Sinne  /.u  erbringen.  Durch  Franz  Hopps  unsterbliches  Ver- 
dienst beginnt  der  Kreis  der  indog.  Sprachen  sich  l'ester  und 
enger  zu  schlingen.  Ein  Zweifel  an  der  gemeinsamen  Abstammung 
der  in  Bopps  Vergleichender  Granmiatik  (1833—35)  behandelten 


1}  Tgl.  Th.  Benfey,  Geschichte  der  Sprachwissenschaft  p.  847  f. 

3)  Der  ÄTisdruck  ^indof^erataniscb"  scheint  zuerst  von  EInprotli 
hl  seiner  Asia  polygloUa  Paris  1823  gebraucht  worden  zu  sein.  Vgl. 
O.  M(?er  I.  F.  It.  125  ff. 


—    8    - 

Sprachen,  des  Sanskrit;  Zend,  Griechischen;  Lateinischen,  Litau- 
ischeu;  AltslavischeU;  Gotischen  und  Deutschen,  denen  in  besonderen 
Abhandlungen  das  Keltische  (1839),  das  Altpreussische  (18&3); 
das  Albanesische  (1854  und  55)  und  in  einer  zweiten  Auflage 
(1856 — 61)  das  Armenische  hinzugefügt  wird,  ist  nun  nicht  mehr 
gestattet.  Aber  während  für  Bopp  die  Annahme  einer  prähistorischen 
Einheit  der  indog.  Völker  nur  als  Hintergrund  für  die  Erklärung 
sprachlicher  Tatsachen  dient,  beginnt  auf  der  von  ihm  geschaffenen 
Basis  jener  Gedanke  allmählich  auch  in  seiner  eminent  histori- 
schen Bedeutung  sich  Bahn  zu  brechen. 

Auf  das  engste  verbunden  mit  der  Erklärung  des  Verwandt- 
schaftsverhältnisses der  indog.  Sprachen  war  aber  in  erster  Linie 
die  Frage  nach  dem  Ausgangspunkt,  der  Urheimat  der  indog. 
Völker.  Überblickte  man  eine  verwandte  Wortsippe  wie  etwa 
got  fadar,  lat.  pater,  griech.  naxriQj  skrt.  pitä,  altiran.  pita,  so 
waren  für  die  Erklärung  dieses  Verhältnisses  von  vornherein  zwei 
Möglichkeiten  gegeben:  Entweder  musste  eine  der  aufgezählten 
Formen  als  Mutterform  der  übrigen  betrachtet  werden,  oder  alle 
zusammen  stammten  von  einer  nicht  mehr  erhaltenen,  sondern 
nur  durch  Sprachvergleichung  zu  erschliessenden  Urform  ab.  Von 
der  Entscheidung  für  eine  dieser  beiden  Eventualitäten  musste 
die  Bestimmung  der  Lage  der  indog.  Urheimat  zunächst  abhängen; 
und  obgleich  schon  W.  Jones  das  Richtige  geahnt  hatte,  fehlte 
es  doch  nicht  an  solchen,  die  eine  der  indog.  Sprachen  als 
die  Muttersprache  der  übrigen  in  Anspruch  zu  nehmen  geneigt 
waren.  Die  Ehre  einer  solchen  Stellung  wurde  entweder  dem 
Sanskrit,  dem  man  ja  die  Entdeckung  des  indog.  Sprachstammes 
zumeist  verdankte,  oder  aber  der  Zendsprache  zuerteilt,  die  in 
dem  Rufe  einer  um  so  grösseren  Heiligkeit  und  Ursprünglichkeit 
stand,  je  weniger  sie  den  Forschem  im  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts bekannt  war. 

Die  Herleitung  des  indog.  Stammes  aus  Indien  vertritt 
F.  V.  Schlegel  in  seinem  epochemachenden  Werke  Sprache  und 
Weisheit  der  Inder  1808  (vgl.  B.  III,  K.  III,  173  f.).  Er  erklärt 
sich  den  Zusammenhang  der  indog.  Völker  in  Sprache,  Mythologie 
und  Religion  historisch  durch  Kolonien  entstanden,  die  vor  grauen 
Zeiten  aus  dem  völkerreichen  Indien  nach  Asien  und  Europa 
geführt,  daselbst  mit  den  Ureinwohnera  des  Landes  verschmolzen 
wären   und   ihnen  Sprache  und  Sitte  aufgedrückt  hätten.     Zu- 


weilea,  ineint  Selilegel,  mocliteii  aucli  eiuzelne,  besonders  Priester, 
als  Missinuäre  in  die  Fremde  zielieii  iiud  die  Sprache  ihrer 
Heimat  verbreiten.  Die  grössere  Uraprftngliclikcit  der  Zeiid- 
Sprache  selbst  dem  Sauskrit  gegenüber  Iteliauptet  dagegen 
H.  K,  Link  in  seinem  ebeufalls  für  jene  Zeit  sehr  Bchäl/.baren 
Ituche  Die  Urwelt  und  das  Altertum,  erläutert  durch  die  Natur- 
kunde 2  Teile  Berlin  IH2I  und  22.  Da  aber  nacb  seiner  Meinung 
„die  nralte  Zendsprache",  die  Mutter  des  Sanskrit,  aus  dem 
Griechisch,  Lateinisch  und  Slaviscb  hervorgegangen  sind  —  Deutsch 
ist  ihm  noch  die  Tochter  des  Peitschen,  das  wiederum  aus  einer 
«igentUmlicIien  Mischung  zendspraolilieher  und  barbarischer  (d.  h. 
germautscher)  Bestandteile  hervorgegangen  ist  —  in  Medien  und 
in  den  angrenzenden  Ländern  gesprochen  vrard,  so  zweifelt  er 
nicht,  dass  auf  dem  Hochland  von  Medien,  Armenien  und  Georgien 
die  Ureitze  der  Indogermaneti  zu  suchen  seien,  eine  Ansicht,  die 
im  Anfang  unseres  Jahrhunderts  überhaupt  bei  den  namhaftesten 
Forechern  wie  Anquetil-Dupemm,  Herder,  Heeren  u.  a. 
die  berrflcliende  war.  Hierher  sei,  wie  dies  ebenso  Adelungs 
Meiunng  (vgl.  Mithrid.  1,  5)  war,  auch  die  Heimat  der  Hanstiere 
und  Kulturpflanzen,  wie  Itberhaupt  „der  besseren  Ausbildung  des 
MeiiacbengescIilGcliteB,  welche  auf  uns  Hbergiug",  zu  verlern 
(vgl.  p.  243). 

Dicee  bypotbeiischen  Anuahnien  einer  tudog.  Crheimat  ver- 
lorcu  indessen  den  Boden  unter  den  Fttssen,  sobald  die  Über- 
zeugung durchdrang,  dass  Htimtliche  indogermanisehe  Sprachen, 
nko  auch  das  Sanskrit  und  Zend,  zu  etnauder  in  dem  gleich- 
berccbtigten  Verhältnis  von  Schwestern  stunden.  Kur  Indien 
ward  noch  von  einigen  eine  Zeit  lang,  zuletzt  vou  A,  Curztin 
<Oti  the  original  extenaion  of  the  tynnukrit  language  over  certain 
portionn  of  Asia  and  Europe,  Journal  of  the  Rotfol  Atiatic 
Society  XVI,  172  f.)  1^56  als  Ausgangspunkt  der  Irdogermauen 
festgehalten   [vgl.  J.  Mnir  Original  Sanskrit   Tej-ts  II  *,  301   f.). 

Der  erste,  der  für  die  Lage  der  indog.  Urheimat  Anhalte- 
pnnkte  zu  gewinnen  suchte,  ohne  in  der  falschen  Vorstellung 
befangen  zu  sein,  dass  eines  der  indog.  Vülker  als  das  Urvolk 
der  Qbrigen  anzusehen  sei,  war  J.G.Rhode  in  seinem  Buche 
Die  heilige  Sage  des  Zendvolkes  Frankfurt  1820  (vgl.  F.  Spiegel 
im  Ausland  1871  p.  55  f.).  Kr  war  es  zugleich,  der  zuerst  auf 
ilenjeuigen  Teil  des  inneren  Hoehasiens  hinwies,  der  von  einigen 


—     10    — 

Gelehrten  noch  beute  als  die  Urheimat  der  Indogermanen  an- 
gesehen wird. 

Rhode  geht  von  dem  Versache  aus,  den  geographischen  Aus- 
gangspunkt des  Zendvolkes,  unter  dem  er  Baktrer,  Meder  und 
Perser  zusammenfasst,  zu  bestimmen  und  knüpft  zu  diesem  Zweck 
an  den  berühmten  ersten  Fargard  des  Vendidäd  an,  in  dem 
bekanntlich  sechzehn  Landschaften  als  Schöpfungen  des  Ahura- 
mazda  und  ebensoviel  Plagen  als  Oppositionen  des  Angramainyu 
gegen  dieselben  aufgeführt  werden.  In  der  Aufzählung  dieser 
Landschaften  erblickt  nun  Rhode  die  Spuren  der  allmählichen 
Ausbreitung  des  Zendvolkes,  als  dessen  Ausgangspunkt  er  das 
an  jener  Stelle  zuerst  genannte  Airyana  Vaijanh  betrachtet.  Da 
nun  auf  dieses  Airyana  Vaejanh  an  zweiter  Stelle  Sugdha 
folgt,  das  ohne  Zweifel  das  griechische  Hoydiavi^  (altp.  Suguda, 
heute  Samarkand)  ist,  so  „müssen  Eeriene  {sie)  und  Sogdiana 
unmittelbar  an  einander  grenzen,  und  das  Volk  musste  unmittel- 
bar aus  dem  ersteren  in  das  zweite  wandern  können.  Eeriene 
V4edjo  {sie)  ist  daher  nirgends  zu  suchen,  als  auf  der  allgemeinen 
Höhe  von  Asien,  woher,  soweit  die  Geschichte  reicht,  immer 
Völkerwanderungen  geschahen:  auf  den  hohen  und  kalten  Berg- 
flächen und  an  den  mit  ewigem  Schnee  bedeckten  Gipfeln  der 
Gebirge  an  den  Quellen  des  Jaxartes  und  Oxus"  (p.  86). 
Da  nun  nach  sprachlichem  Ausweis  Zend  und  Sanskrit  sich  zu 
einander  verhalten  „wie  zwei  Schwestern,  die  von  einer  Mutter 
abstammen",  so  müssen  einstmals  auch  die  Brahmanen  von  den 
hohen  Flächen  oder  Gebirgsabhängen  des  mittleren  Asiens  an 
die  Ufer  des  Ganges  und  Indus  herabgezogen  sein  (p.  96).  Ja, 
auch  den  Grund  der  plötzlichen  Auswanderung  des  ürvolks  aus 
der  ursprünglichen  Heimat  glaubte  Rhode  in  den  Schriften  des 
Avesta  wiederzufinden.  Eine  rasche  Erkältung  der  frühereu 
wärmereu  Temperatur  Hochasiens  (vgl.  Vend.  Farg.  I  v.  3  u.  4) 
nötigte  es,  sein  kaltes  Bergland  zu  verlassen  und  in  die  wärmeren 
Gegenden  von  Sogdiana,  Baktrien,  Pei-sis  u.  s.  w.  zu  ziehen. 

In  ähnlichem  Sinne  wie  Rhode  und  zwar  gleichzeitig  mit 
ihm  sprach  sich  auch  A.  W.  von  Schlegel  in  einer  lateinisch 
geschriebenen  Vorrede  zu  einem  grossen  von  ihm  beabsichtigten, 
aber  nicht  herausgegebenen  Werke  Etymologicum  novum  sive 
Synopsis  linguarum  (vgl.  Indische  Bibliothek  I,  274  f.)  aus. 
Quid  igitur?  heisst  es  daselbst  p.  291,  num  origines  linguartim 


-   11   - 

Pelasgicarum  et  Germanicarum  ah  Indo  et  Gange  repetere 
moUmurf  Minime  quidem.  Nullara  harum  ab  altera  derivatam 
dici  pesse  cens^o,  sed  omnes  deductis  in  contraria  rivulis  ab 
eodem  fönte  fluxisse,  und  weiter  p.  293 :  Neque  tarnen  Ger- 
manos  indigenas  cum  Tacito  crediderim,  sed  olim  in  Asia 
interiore,  unde  et  Pelasgl  sunt  profecti,  vicinas  his  sedea 
incoluisse.  Des  genaueren  entscheidet  sich  A.  W.  von  Schlegel 
für  das  Gebiet  zwischen  dem  kaspischen  Meer  and  den  zentral- 
asiatischen Hochgebirgen  in  einem  späteren  Aufsatz  De  Vorigine 
des  Hindous  (vgl.  Transactions  of  the  Royal  Society  of  Literature 
London  1834  u.  Essais  Littiraires  et  Historiques  Bonn  1842). 

Auch  einer  Bemerkung  des  verdienten  Julius  v.  Klaproth 
sei  hier  gedacht,  insofern  sie  der  erste  Versuch  ist,  mit  Hilfe  der 
Sprachvergleichung  und  Pflanzengeographie  etwas  über  die  Ur- 
heimat der  Indogermanen  zu  ermitteln.  Schon  im  Jahre  1830 
(vgl,  Nouveau  Journal  Asiat,  V,  112)  zog  dieser  Gelehrte  aus 
dem  umstand,  dass  der  Name  der  Birke  der  einzige  indische 
Baumname  sei,  der  eich  in  anderen  indog.  Sprachen  wiederfinde 
(skrt.  bhürja  =  russ.  beräza  etc.),  den  Schluss,  dass  die  sanskritische 
Bevölkerung  Indiens  von  Norden  her  gekommen  sein  müsse. 
„Diese  Völker  fanden  in  ihrem  neuen  Vaterland  die  Bäume  nicht 
vor,  die  sie  im  alten  gekannt  hatten,  mit  Ausnahme  der  Birke^ 
die  an  den  südliehen  Abhängen  des  Himälaya  wächst.^' 

Über  die  geographisch-ethnographische  Verbreitung  der  indog. 
Völker  äusserte  sich  ferner  F.  A.  P  o  1 1  sowohl  in  den  Vorreden 
seiner  Etymologischen  Forschungen  (1833  u.  36),  als  auch  in 
seiner  späteren  Abhandlung  Indogermanischer  Sprachstamm  (AUg. 
Enzyklop.  v.  Ersch  u.  Gruber  1840  II,  1 — 112).  In  Asien,  darüber 
kann  auch  nach  Potts  Meinung  kein  Zweifel  sein  (Enzykl.  p.  19), 
hat  die  Wiege  des  indog.  Stammes  gestanden.  Denn  y^ex  Oriente 
lux,  und  der  Gang  der  Kultur  ist  im  grossen  stets  dem  Laufe 
der  Sonne  gefolgt.  An  Asias  Brüsten  haben  einst  die  Völker 
Europas  gelegen  und  sie,  die  Mutter,  als  Kinder  umspielt;  dafür 
brauchen  wir  uns  jetzt  nicht  mehr  bloss  auf  dunkle,  fast  ver- 
klnngene  Erinnerungen,  wir  können  uns  auf  den  faktischen,  in 
europäischen  und  asiatischen  Sprachen  geschichtlich  vorliegenden 
Beweis  berufen.  Dort  oder  nirgends  ist  der  Spielplatz,  dort  das 
Gymnasium  der  ersten  leiblichen  und  geistigen  Kräfte  der  Mensch- 
heit zu  suchen"  (Etym.  Forsch.  I  p.  XXI).     In  Asien  entscheidet 


-     12    - 

auch  er  sich  für  das  Gebiet  des  Oxus  und  Jaxartes  an  den  Nord- 
abfällen des  Himälaya  zum  kaspischen  Meere  bin.  Hier  lasse 
sich  am  siebersten  der  Scbeidepunkt  denken,  von  wo  ab  ^sich  in 
divergenter  Richtung  die  beiden  Hauptströmungen  der  indog. 
Völker  fortbewegt  zu  haben  scheinen"  (Enzykl.  p.  19). 

Während  Pott  somit  von  denselben  allgemeinen  Gesichts- 
punkten aus,  wie  sie  schon  Adelung  ausgesprochen  hatte,  die 
zentralasiatische  Abstammung  der  Indogermanen  behauptete,  suchte 
Ch.  Lassen  in  seiner  Indischen  Altertumskunde  1847  1, 511 — 31 
die  Rhodesche  Beweisführung  durch  neue  Kombinationen  zu 
stützen.  Schon  die  Verteilung  Indiens  unter  die  verschiedenartigen 
Völker,  die  dasselbe  bewohnen,  spreche  dafür,  dass  die.  Ein- 
wanderung der  auch  durch  ihre  Komplexion  von  den  Ureinwohnern 
unterschiedenen  „Arier"  von  Nordwesten  her  stattgefunden  habe^). 
Hierher  aber  könne  aus  dem  Oxuslande  der  Weg  nur  durch  die 
westliehen  Pässe  des  Hindukusch,  durch  Kabulistan  nach  dem 
Penjäb  geführt  haben.  Dass  ferner  das  AiryanaVaejafih  des 
Avesta  wirklich  da  liege,  wo  es  Rhode  suchte,  im  Norden  von 
Sogdiana,  auf  dem  kalten  Hochland  an  dem  Westgehänge  des 
Belurtag  und  Mustag,  und  dass  hier  das  Urland  nicht  nur  der 
Iranier,  sondern  des  ganzen  indog.  Stammes  (vgl.  Altertumsk.  I, 
527)  zu  suchen  sei,  findet  Lassen  weiterhin  bestätigt  durch  den 
Umstand,  dass  die  Persisch  redenden  Tadschiks,  die  alten  an- 
sässigen Einwohner  Khasgars,  Jarkands,  Khotens,  Aksus  u.  s.  w. 
zu  beiden  Seiten  jenes  hohen  Gebirges  sich  finden  und  von  da 
sich  in  das  innere  Hochasien  verbreiten,  Völker,  auf  die  als  zu  der 
persischen  Abteilung  des  indog.  Stammes  gehörig  schon  Klaproth 


1)  Einen  neuen  Beweis  für  die  Herkunft  der  Inder  aus  dem 
Transhimftlaya-Land,  den  sich  später  auch  Lassen  (vgl.  Indische  Alter- 
tumskunde n  638)  und  andere  aneigneten,  glaubte  im  Jahre  1850 
A.  Weber  (Indische  Stud.  I,  161  f.)  zu  bringen.  Dieser  wies  nämlich 
zuerst  auf  die  uralte  Flutsage  des  Qatapathahrdhmana  1,  8,  l,  1  hin,  in 
der  erzählt  wird,  wie  ein  Fisch  dem  Manu  rät,  sich  ein  Schiff  zu  bauen, 
weil  die  Flut  kommen  würde.  „Als  die  Flut  sich  erhob,  bestieg  er 
<Manu)  das  Schiff.  Der  Fisch  schwamm  zu  ihm  heran,  an  dessen  Hörn 
band  er  das  Tau  des  Schiffes,  damit  setzte  er  über  diesen  nörd- 
lichen Berg^  (Himaiaya).  Von  dort  steigt  Manu  dann,  Nachkommen 
erschaffend,  nach  Indien  herab.  Vgl.  dagegen  Zimmer  Altindisches 
Leben  1879  p.  101. 


18 


in  Beiner  Asia  poli/ghlta  *  p.  243  «ntt  K,  Ritter,  durch  den 
H^'pntfaese  von  dem  reiitrniastaliscbcii  Ui-9|irnng  der  ludo- 
Uen  in  die  ^engraphiKche  Wissens cliaft  eing^ef Uhrt 
ist  (Tgl.  Erdkunde  II,  435  f.).  RUsftihrlicb  hingewiesen 
hatten.  Dazc  kam,  das»  man  auch  In  mehreren  ans  chinesiBCben 
Quellen  zuerst  von  Abel  Renipsat  nachgewiesenen  Stttranien,  die 
nm  daa  i,  Jahrh.  v.  Chr.  in  feindliche  Berllhrung  mit  den  nord- 
iranischen Reichen  von  Osten  her  treten,  in  den  Yuefi,  Yaetsthi, 
Yeta.  den  Szu,  Se,  Sai,  besonders  aber  in  den  ah  blanäugig 
und  blondhaarig  gescbilderten  Usun  (vgl.  Rilter  Erdkunde  II  n. 
VII  bei  den  im  Register  nnter  Umn  nnd  Ytieti  angegeb.  Stellen) 
die  letzten  Ansströraangen  der  zentralasiatischen  Iiidogermanen 
erblicken  wollte,  ja  dass  man  sich,  wie  e»  KInproth  nnd  Ritter 
taten,  nicht  scbeute,  die  Namen  der  Ycta  mit  den  Geten,  die 
Se  mit  den  Sairen,  die  i'sun  mit  den  Sühnen,  ihren  Fllrstea 
Kuenmi  mit  dem  germ.  Kunig  (Erdkunde  II,  432)  u.  8.  w.  zu 
verg'leichen.  In  den  Südwesten  des  im  weitesten  Sinne  genommenen 
Iran  war  nun  aber  nach  Lassens  Meinung  auch  die  Urheimat  des 
zweiten  grossen  Spracbstammes  der  „kaukasischen"  Rasse,  de» 
8  e  m  i  t  i  B  e  h  e  n,  zu  verleben.  Denn  hierher  führe  die  hebräisclie 
Sage  von  Eden,  und  was  der  fielurtag  für  die  Arier,  sei  der 
Araral  Itlr  die  Semiten  gewesen.  Ein  gemeineames  Stamndand, 
eine  vorgosebiehtlicbe  Berllhrung  der  Semiten  und  Indogermanen 
werde  aber  dnrch  den  „Ober  die  grammatische  Bildnng"  hinans 
gebenden  Zusammenhang  ihrer  Sprachen  bezeugt. 

So  schien  denn  in  der  Tat  alles  die  Meinung  zu  hestütigen, 
das«  in  Asien  die  Worzeln  der  indog.  Volker  und  Sprachen 
bafteten,  und  .I.Grimm  hatte  Recht,  in  seiner  Geschichle  der 
deutschen  Sprache  (1848)  zu  behaupten,  Anm  diese  Ansicht  nur 
noch  wenige  Gegner  zähle.  „.\lle  Völker  Europas",  heisst  es 
\\.  162  f.,  „sind  in  ferner  Zeit  ans  Asien  eingewandert,  vom  Osten 
nach  dem  Westen  setzte  sich  ein  unhcmmbarer  Trieb,  dessen 
Dmche  uns  verborgen  liegt,  in  Bewegung.  Je  weiter  gegen 
Abend  wir  ein  Volk  gedrungen  finden,  desto  früher  hat  es  seinen 
Anslanf  begonnen,  desto  tiefere  Spuren  kann  es  unterwegs  hinter- 
lasacu  haben."  Der  geringe  und  schlecht  begründete  Widerspruch 
ge^n  diese  von  den  ersten  Antoritäten  vertretene  Meinung  (vgl. 
bei  Th.  Poesche  Die  Arier  1878  p.  tiü)  verhallte  bald  gänzlicb. 
Nar  bei  den  Naturforschern  erhielten  sieb,  wie  wir  spÄter  sehen 


-    u   - 

werden,  ernstere  Zweifel  an  der  von  den  Historikern  und  Philo- 
logen einstimmig  angenommenen  Lehre. 

Wenn  so  gleich  das  erste  Auftreten  der  vergleichenden  Sprach- 
wissenschaft die  wichtigsten  historischen  und  ethnographischen 
Fragen  anregte,  die  nun  schon  zu  einem  definitiven  Abschluss 
gekommen  zu  sein  schienen,  sollte  das  weitere  Aufblühen  jener 
Wissenschaft  noch  für  einen  anderen,  der  Aufklärung  dringend 
bedürftigen  Zweig  des  menschlichen  Wissens,  für  die  prä- 
historische Kulturgeschichte  bedeutungsvoll  werden. 

Schon  im  Jahre  1820  hatte  auf  einem  der  neuen  ver- 
gleichenden Methode  ziemlich  entfernt  liegenden  Gebiete,  dem  der 
malayisch-polynesischen  Sprachen,  J.  Crawfurd  in  seinem  um- 
fangreichen Werke  History  of  the  Indian  Archipelago  einer  all- 
gemeinen Besprechung  der  polyuesischen  Sprachen  ziemlich  aus- 
gedehnte Vokabularien  hinzugefügt,  in  denen  er  die  Verwandtschaft 
der  wichtigsten  Kulturwörter  auf  dem  genannten  Sprachgebiet  zu 
verfolgen  strebt.  Ja,  auf  Grund  seiner  linguistischen  Beobachtungen 
hatte  er  sogar  schon  ein  detailliertes  Bild  der  ältesten  Zivilisation 
dieser  Völker  entworfen. 

Auch  auf  indogermanischem  Boden  fehlte  es  nicht  an  ähn- 
lichen Versuchen*).  Den  Anfang  zu  einer  kulturhistorischen  An- 
ordnung indog.  Gleichungen  hatte  schon  der  gelehrte  und  scharf- 
sinnige K.  K.  Rask  in  einer  Kopenhagen  1818  erschienenen 
Vreisschrift  gemsLcht  {Undersögelse  om  des  gamle  Nordiske  eller 
Islandske  Sprogs  OprindeUe^  ins  Deutsche  übersetzt  von  J.  S.  Vater 
in  den  Vergleichungstafeln  der  Europäischen  Stamm-Sprachen  etc. 
Halle  1822,  vgl.  das.  p.  109—132),  welche  allerdings  nur  Etymo- 
logien des  europäischen  Sprachgebietes  enthält,  die  sich  aber 
durch  eine  verhältnismässig  grosse  Korrektheit  auszeichnen^). 

1)  Der  erste  Ansatz  eines  solchen  findet  sich  merkwürdiger  Weise 
auf  dem  Gebiet  der  im  übrigen  spät  näher  bekannt  gewordenen  kel- 
tischen Sprachen.  Hier  hatte  schon  im  Jahre  1707  Eduard  Lhuyd  in 
seiner  Archaeologia  Britannica  einen  gemeinsamen  Wortschatz  der 
keltischen  Sprachen  zusammengestellt.  In  diesem  für  seine  Zeit  höchst 
beachtenswerten  Buch  ist  p.  290  auch  ein  appendix  voces  aliquot  quo- 
tidiani  et  maxime  antiqui  usus  plerisque  Europae  Unguis  complectenSy 
gegeben,  der  meistenteils  kulturhistorisch  wichtige  Wörter  behandelt. 
Dasselbe  Buch  enthält  Tit.  VIII  a  British  Eiymologicon  or  the  Welsh 
collated  with  the  Greek  and  Latin  and  some  other  European  languages 
(hy  David  Parry)  u.  a. 

2)  Derartige  vergleichende  Wörterverzeichnisse  waren  übrigens 


-     15    - 

Linguistisch-kulturhistorischen  Charakter  tragen  auch  zwei 
kleine  Aufsätze  A.  W.  v.  Schlegels  Über  Tiernamen  und  Namen 
der  Metalle  (Indische  Bibliothek  I,  238 — 245),  in  denen  zuerst 
wichtige  Kapitel  der  Kulturgeschichte  mit  Hilfe  der  Sprachwissen- 
schaft aufgehellt  werden  sollen.  In  beiden  Aufsätzen  erörtert 
Schlegel  die  Übertragung  gewisser  Tier-  und  Metallnamen  auf 
andere  Tier-  und  Metallarten,  wie  das  Verhältnis  von  griech. 
iXicpag:  got,  ulbandus  ^Kamel*',  ein  Wort,  das  er  ^für  eine 
uralte  asiatische  Erinnerung^  hält,  von  got.  vulfs :  lat.  vulpes,  von 
skrt.  äyas,  germ.  eisen:  lat.  aes  ^Kupfer"  etc.  Eine  allgemeine 
Zusammenstellung  der  Tiernamen  wollte  Schlegel  in  Beinev  Synopsis 
ünguarum  (vgl.  oben)  geben. 

Nicht  weniger  machte  H.  F.  Link  in  seinem  oben  genannten 
Werk,  in  den  Abschnitten  über  die  Verbreitung  des  Menschen, 
die  Sprache  als  Kennzeichen  der  Verbreitung,  die  Heimat  ge- 
zähmter Tiere  und  gebauter  Pflanzen,  das  Auffinden  der  Metalle  etc. 
häufig  von  linguistischen  Argumenten  Gebrauch. 

Einen  weiteren  Schritt  vorwärts  tat  F.  G.  Eich  hoff  in 
seinem  Werke  ParalUle  des  langues  de  VEurope  et  de  VInde  1836 
(ins  Deutsche  übersetzt  von  Kaltschmidt  2.  Ausg.  Leipzig  1845; 
vgl.  A.  Höfer  Berliner  Jahrb.  f.  wiss.  Krit.  Dez.  1836  Nr.  104—110 
und  F.  Pott  Hallische  Jahrb.  f.  deutsche  Wissenschaft  u.  Kunst 
1838  Nr.  310—12).  „Philologie  und  Geschichte",  heisst  es  in 
der  VoiTcde,  „gehen  Hand  in  Hand  und  die  eine  leiht  ihren 
Beistand  der  anderen;  denn  das  Leben  der  Völker  offenbart  sich 
in  ihrer  Sprache,  dem  treuen  Spiegel  ihres  Wechsels,  und  wenn 
die  nationale  Zeitrechnung  stehen  bleibt,  wenn  der  Faden  der 
Überlieferung  reisst,  dann  beginnt  der  alte  Stammbaum  der 
Wörter,  welcher  den  Fall  der  Reiche  überlebt,  ihre  Wiege  zu 
beleuchten."  In  diesem  Sinne  bringt  er,  wie  dies  vorher  schon 
Rask  getan  hatte,  seine  Wörtervergleichungen  unter  kultur- 
historische Rubriken,  deren  er  acht  (Mond  und  Elemente,  Tiere 
und  Pflanzen,  Körper  und  Glieder,  Familie  und  Gesellschaft, 
Stadt  und  Wohnungen,  Künste  und  Geräte,  Handlungen  und 
Wirkungen,  Eigenschaften  und  Attribute)  unterscheidet.  So  denkt 
er  nachzuweisen,   wie   „von   den  ufern  des  Ganges,   ihrem  alten 

schon  um  1801  von  H.  Th.  Colebrooke,  dem  Begründer  der  indischen 
Philologie,  angelegt,  wenn  auch  nicht  herausgegeben  worden,  vgl. 
M.  Mfiller  Essays  IV,  466  f. 


—     16    — 

und  geheimnisvollen  Vaterland,  diese  so  zähe  und  reiche  Kultur 
unter  tausend  verschiedenen  Abstufungen,  aber  an  immer  gleichen 
Stämmen  und  mit  regelmässigen  Verzweigungen  sich  fortgepflanzt 
hat  über  den  unermesslichen  Raum,  welchen  sie  jetzt  bedeckt  und 
dessen  Grenzen  sie  täglich  hinausschiebt^  (p.  145). 

Allein  so  anerkennenswert  auch  die  Grundideen  der  Eich- 
hoffschen  Zusammenstellungen  sind,  so  sind  doch  diese  Zusammen* 
Stellungen  selbst  fast  gänzlich  wertlos,  da  sie  ausschliesslich  auf 
einer  äusseren  Ähnlichkeit  der  verglichenen  Wörter  beruhen  und 
nur  selten  und  dann  zufällig  das  Richtige  treffen.  Auch  die 
übergrosse  Schätzung  der  Altertümlichkeit  des  Sanskrit,  die 
ihn  dazu  verleitet,  die  Heimat  des  Urvolkes  nach  Indien  zu  ver- 
legen, trägt  dazu  bei,  dem  ganzen  Werke  eine  falsche  Richtung 
zu  geben. 

Eine  wahrhaft  wissenschaftliche  Etymologie,  dasheisst 
eine  Vergleichung  der  Wörter  auf  Grund  fester,  aus  der  Be- 
obachtung der  Sprachlaute  gewonnener  Lautgesetze,  ist  erst  durch 
die  auf  Eichhoff  sichtlich  noch  ohne  Einfluss  gebliebenen  Etymo- 
logischen Forschungen  F.  A.  Potts  (1833  u.  1836),  denen  sich 
in  den  Jahren  1839—42  Th.  Benfeys  Griechisches  Wurzel- 
lexikon anschloss,  begründet  worden.  Zum  ersten  Mal  ward  jetzt 
ein  verhältnismässig  sicheres  Sprachmaterial  dem  Kulturforscher 
an  die  Hand  gegeben. 

Einen  festeren  Boden  hatte  daher  A.  Kuhn  unter  den 
Füssen,  als  er  im  Jahre  1845  in  einem  epochemachenden  Auf- 
satz Zur  ältesten  Geschichte  der  indogermanischen  Völker  (Oster- 
programm  des  Berliner  Real-Gymnasiums)  aufs  neue  die  Sprach- 
vergleichung auf  die  Erschliessung  der  indogermanischen  Urzeit 
anzuwenden  versuchte.  Die  Frage,  von  der  Kuhn  in  seiner 
Abhandlung,  die  ^nichts  als  ein  Versuch  sein  wilP,  ausgeht, 
lautet,  „ob  es  nicht  mittelst  ebenderselben  Sprachvergleichung 
möglich  sei,  von  jenem  Resultate  der  Verwandtschaft  all'  dieser 
grossen  Völker  zu  einem  weiteren  zu  gelangen,  nämlich  zu  einer 
Feststellung  der  Grundzüge,  welche  den  Zustand  jenes 
Urvolkes  zur  Zeit,  da  es  noch  vereinigt  war,  gebildet 
haben*"  (p.  2).  Der  Gedanke  einer  linguistischen  Paläontologie 
ist  hiermit  deutlich  ausgesprochen. 

Kuhn  gibt  zunächst  eine  Zusammenstellung  der  in  den  indog. 
Sprachen  bis  in  die  ziemlich  entfernten  Grade  z.  B.  eines  Schwagers 


-      17     - 

und  Schwiegervaters  übereinstimmenden  Verwandtschaftswörter, 
nni  so  die  Ausbildung  eines  geordneten  Familienlebens,  des 
Keimes  und  der  Grundlage  des  Staates,  für  die  Urzeit  zu  er- 
weisen. Denn  bis  zu  der  über  patriarchalische  Zustände  hinaus- 
gehenden Entwicklung  staatlicher  Gemeinschaft  war  nach  Kuhn 
das  Urvolk  bereits  vorgeschritten,  als  es  seine  ursprüngliche  Heimat 
verliess  (p.  7).  Dafür  sprechen  ihm  Gleichungen  wie  skrt.  räjany 
lat.  reo?,  got.  reik8\  skrt.  pdti,  griech.  nöoig,  got.  -fatha  (skrt. 
tiqpäti  =  lit.  wiiszpats)  u.  a.  m.  Weiterhin  findet  er  das  Hirten- 
leben der  ältesten  Indogermanen  durch  die  übereinstimmende 
Benennung  der  meisten  Haustiere  reichlich  bewiesen.  So  kommt 
er  zu  dem  Resultate,  „dass  der  Reichtum  unserer  Urväter  an 
Vieh  und  Geflügel  im  ganzen  aus  denselben  Bestandteilen  gebildet 
war,  wie  heute"  (p.  12).  Nur  die  Zähmung  der  Katze,  in  deren 
Benennungen  keine  auf  Urverwandtschaft  beruhende  Überein- 
stimmung bemerkbar  ist,  spricht  er  der  Urwelt  ab;  dagegen  hält 
er  die  Bekanntschaft  mit  Hahn  und  Huhn,  obgleich  sie  fast  bei 
allen  indog.  Völkern  verschieden  benannt  sind,  wegen  der  grossen 
Heiligkeit  des  Tieres  bei  Indern,  Römern  und  Deutschen  für 
möglich  (p.  10).  Aber  die  Indogermanen  waren  nach  Kuhn  nicht 
nur  Hirten,  sie  waren  auch  bereits  zum  Ackerbau  übergegangen. 
Allerdings  könne  die  Sprachvergleichung  die  Bekanntschaft  der 
indog.  Völker  vor  ihrer  Trennung  mit  den  Begriffen  Pflug  und 
Ackerbau  nur  wahrscheinlich  machen,  da  die  in  den  europäischen 
Sprachen  zur  Bezeichnung  des  Pflügens  verwendete  Wurzel  ar 
(griech.  &q6o),  lat.  arare  etc.)  in  diesem  Sinne  nur  hypothetisch 
im  Sanskrit,  nach  Kuhn  z.  B.  in  drya  „Pflüger"  (?),  sich  nach- 
weisen lasse  (p.  12),  und  das  europäische  Wort  für  „Pflug"  griech. 
nooTQovy  lat.  aratrum  etc.,  das  Kuhn  direkt  dem  skrt.  aritra 
gleichsetzt,  hier  noch  „Ruder"  bedeute.  Andererseits  aber  stelle 
die  Sprache  entschieden  fest,  „dass  das  Getreide  und  die  Be- 
nutzung desselben  als  Brotfrucht  bereits  bekannt  gewesen  sein 
müsse,  ehe  die  verschiedenen  Völker  sich  trennten"  (p.  14).  Der 
allgemeine  Name  für  Getreide  sei  in  der  Urzeit  yava  (skrt.  ydva, 
griech.  l^ed,  WLjawai)  gewesen.  Bezüglich  der  einzelnen  Getreide- 
arten findet  Kuhn,  dass  in  allen  verglichenen  Sprachen  Ausdrücke 
für  verschiedene  Getreidearten  übereinstimmen,  und  dass  sonach 
das  Getreide  bereits  dem  Urvolke  bekannt  gewesen  sein  müsse, 
„dagegen   lässt  sich  nichts  darüber   entscheiden,    ob   die  später 

Schrader,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte.    3.  Aufl.  2 


—     18     - 

damit  bezeichneten  Arten  darunter  zu  verstehen  seien;  Gerste 
und  Weizen  haben,  wie  es  scheint,  den  Anspruch  auf  das  höchste 
Alter,  und  zumal  die  erste  möchte,  da  sie  vorzugsweise  bei 
Griechen,  Römern  und  Indern  zu  Opfergebräuchen  verwandt 
wird,  den  Vorrang  in  Anspruch  nehmen"  (p.  16).  Wenn  so  durch 
die  Ausübung  des  Ackerbaues  feste  Niederlassungen  des  ürvolks 
von  vornherein  wahrscheinlich  gemacht  würden,  so,  meint  Kuhn, 
würden  dieselben  durch  eine  reichliche  Menge  gemeinschaftlicher 
Wörter  für  Haus  und  Hof,  Wohnung,  Dorf,  Stadt  etc.  noch  aus- 
drücklich bewiesen.  „Die  Ahnen  der  indog.  Völker  waren  also 
bereits  ein  sesshaftes  Volk"  (p.  18). 

Somit  war  zum  ersten  Male  der  Versuch  gemacht,  ein 
Kulturgemälde  der  indog.  Vorzeit  auf  sprachvergleichender  Basis 
zu  entwerfen;  doch  scheint  die  Kuhnsche  Abhandlung  erst  dann 
für  weitere  Kreise  fruchtbringend  geworden  zu  sein,  als  der  Ver- 
fasser im  Jahre  1850  sie  in  dem  ersten  Bande  der  von  A.  Weber 
herausgegebenen  Indischen  Studien  (p.  321— 363)  durch  reich-  * 
liehe  Zusätze,  besonders  aus  dem  Gebiete  der  keltischen  und 
slavischen  Sprachen,  erweitert  noch  einmal  erscheinen  Hess.  War 
doch  inzwischen  das  Interesse  an  der  Vereinigung  sprachlicher 
und  historischer  Forschung  durch  den  Altmeister  der  historischen 
Sprachwissenschaft,  durch  Jakob  Grimm  aufs  mächtigste  ge- 
fördert worden,  der  sein  1848  erschienenes  Werk  Geschichte  der 
deutschen  Sprache  von  einem  Standpunkt  aus  schrieb,  den  er 
selbst  (Vorrede  p.  XIII)  so  charakterisiert:  „Sprachforschung,  der 
ich  anhänge,  und  von  der  ich  ausgehe,  hat  mich  doch  nie  in 
der  Weise  befriedigen  können,  dass  ich  nicht  immer  gern  von 
den  Wörtern  zu  den  Sachen  gelangt  wäre;  ich  wollte  nicht  bloss 
Häuser  bauen,  sondern  auch  darin  wohnen.  Mir  kam  es  ver- 
suchenswert  vor,  ob  nicht  der  Geschichte  unseres  Volks 
das  Bett  von  der  Sprache  her  stärker  aufgeschüttelt 
werden  könnte,  und  wie  bei  Etymologien  manchmal  Laien- 
kenntnis fruchtet,  umgekehrt  auch  die  Geschichte  aus  dem  un- 
schuldigeren Standpunkt  der  Sprache  Gewinn  entnehmen  sollte.** 

Für  uns  kommen  zumeist  die  sieben  ersten  Abschnitte  des 
Grimmschen  Werkes  in  Betracht :  Zeitalter  und  Sprachen,  Hirten 
und  Ackerbauer,  das  Vieh,  die  Falkenjagd,  Ackerbau,  Feste  und 
Monate,  Glaube,  Recht,  Sitte,  durch  die  „aus  dem  unermessnen 
Vorrat  des  Altertums  mannigfalte  Züge  allem,   was  folgen  soll. 


rglcicliaam   als    Vordeigriiud    iinlcrbreitct  wird"    (p.  161).     Denn 
ei!  kommt   Orium   nicht   eigentlich    darauf  an.    ein  klares  uud 
präzises  Bild  der  indog.  Uraeit  zu  geben,  wie  es  Kuhn  versucht 
halle;  er  will  vor  allem  (tic  gemeinsanien  Punkte  znsauimengtelleo, 
Ldorcli  welche  die  europäiBchen   Völker  uud  Sprachen  unter 
•'«inniider   und  mit  Asien  verbunden  werden.     Die  bewnnderungs- 
Werte   FllUe    seincB    historiBchen    und    sprachlichen   Wissens   soll 
libm  die  Vorgeschichte  des  Germanentums  entrollen,  und  um  ihre 
Phase»  zn  erkennen,  verfolgt  er  die  Spuren  der  Verwandtschaft 
liDit  gleichem  Interesse,  niOgen  sie  ihn  nun  in  die  Nähe  oder  Ferne 
I  fuhren.     Dabei   aber   drängen   sieh   ihm  Fragen  Über  die  engere 
»der  weitere  Verwandisohaft  der  indog.  Sprachen  unter  einander 
lof,  die  für   den    weiteren  Verlauf   der  linguistisch-hisIoriseheB 
Stadien  von  Bedeutung   werden   mussteu.     Er  selbst  urteilt  hier- 
über p.  1030,  wie  folgt:  „Unsere  deutsche  Sprache  schliesst  sich 
r  demnach,  und  das  ist  aller  meiner  Forschungen  Ergebnis,  leiblich 
rtunächst   an    die    slaviscbe    und    litauische,    in    etwas    fernerem 
lAbstand  an  die  grieehisehe  und  lateinische  an,  doch  so,  dass  sie 
Imii  jeder  derselben  in  cin>:elncn  Trieben  zusammenhängt."     Zu 
I  einer  »charfen  Scheidmig  bestimmter  Kullurperioden,  wie  sie  später 
1  versucht  weiden,  sehreitet  das  Werk  noi;h  nicht  vor,  im  Gogen- 
■leil  ist  es  oft  sehr  scliwierig,   die  bistorisohen  SehlUese  Grimms 
laus    den    partiellen    Übereinstimmungen    der    Sprachen    za    er- 
I  kennen. 

Im  allgemeinen  ist  Grimm  der  Ansicht,  dass  die  ans  Asien 

Inach  Europa  einziehenden  Indogermanen  —  ihrer  Einwanderung 

list  Kap.  VIII  gewidmet  —  noch   Hirten  und   Krieger  gewesen 

lacien.     „Jenes  nnaufbaltsami.-    Einrflfken  der  Völker  aus  Asien 

Iw  Europa",  heisst  es  p.  15.  „setzt  kUlme,   kampflustige  .^charen 

1  loraus,   die  sich  zuweilen   Ruhe  und  Rast  gOnnten,   im  Drange 

idcr   Fortbewegung   von    ihrer    Herde,    Jagd    und    Beute    lebten. 

[  Bevor  sie  sich  friedlichem  Ackerbau  ergaben,   mtlssen  sie  Jäger, 

Binen  und  Krieger  gewesen  sein.  .  .  .  Die  ausziehenden  Hirten 

hallen    noch    manches  gemein,    wofür   die  späteren  Ackerbauer 

schon    besondere   Wörter  wählen   mussten"    (p.  69).      „Dennoch 

I  bleiben",  fügt  er  unter  dem  Einfluss  der  Knhnschen  Arbeit  hinzu, 

fffdra,  jaical,    Cf»;    l'd'ka  (skrt.  „Wolf",    vgl.  r;'fr«    „Wolf  und 

[i*flog"i,  hdka  IgoU  „Pflug"),  fiHoho  (Vgl.  Kuhn  a.  a.  0.  p.  13—15) 

(»ichlige  Ausnahmen,  so  wie,  wenn  die  wunderbare  Analogie  allen 


-    20    — 

Zweifel  besiegen  kann,   aritraj   aratrum^   ägotgov]  plavd  (skrt^ 
„Fahrzeug"),  nioiov,  pliügas  (lit.  „Pflug").** 

So  ward  durch  die  Arbeiten  Kuhns  und  Grimms  die  erste 
Grundlage  einer  methodischen  Erforschung  des  indog.  Altertums- 
an  der  Hand  der  Sprachvergleichung  geschaffen.  Wenn,  sagte 
man  sich,  ein  Wort  in  gleicher  Form  und  gleicher  Bedeutung^ 
(beides  cum  grano  salis  verstanden)  in  allen  oder  mehreren< 
Sprachen  des  indog.  Stammes  wiederkehrt,  so  muss  dieses  Wort 
schon  in  der  indog.  Ursprache  gegolten  und  mithin  der  von  ihm> 
bezeichnete  Begriff  schon  in  der  Urzeit  existiert  haben.  Weil 
skrt.  gvdn  dem  griech.  xvcov,  lat.  canis  u.  s.  w.  entspricht,  müssen, 
so  schloss  man,  die  Indogermanen  schon  vor  ihrer  Trennung  den* 
Hund  als  Haustier  besessen,  und  weil  skrt.  pur  „Stadt" 
sieh  dem  griech.  jzökig  vergleicht,  müssen  sie  schon  in  Städtei^ 
zur  Zeit  ihres  ungetrennten  Beisammenseins  gewohnt  haben  (vgL 
Kuhn  a.  a.  0.  p.  9  u.  17). 

Aber  während  Kuhn  auf  die  Erschliessung  der  indog.  Urzeit 
selbst  sein  Hauptaugenmerk  richtet,  geht  Grimm  von  dem  spezi- 
elleren Standpunkt  des  Germanischen  aus  und  verfolgt  die  Züge 
der  Verwandtschaft  dieses  Sprachzweiges,  auch  wenn  sie  ih» 
über  das  Gebiet  der  europäischen  Sprachen  nicht  hinausführen. 
So  kommt  er  dazu,  zwischen  den  historisch  beglaubigten  Epochen 
der  Einzelvölker  und  der  Zeit  des  ungetrennten  Beisammenseina 
aller  Indogermanen,  wenn  auch  noch  nicht  scharf  geschiedene, 
kulturhistorische  Mittelstufen  zu  konstruieren.  Dieser  Gedanke 
lag  aber  um  so  näher,  als  bereits  die  rein  grammatikalische 
Seite  der  Sprachvergleichung,  auf  sprachliche  Argumente  gestützt, 
zu  der  Annahme  gekommen  war.  dass  die  indog.  Völker  nicht 
auf  einen  Schlag  sich  aus  dem  Schosse  der  Urheimat  losgelöst 
haben  könnten. 

Schon  Bopp  hatte  in  der  ersten  Auflage  seiner  Grammatik 
die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  in  Asien  das  Indische  und  Medo- 
persische,  in  Europa  einerseits  das  Griechische  und  Lateinische, 
andererseits  das  Litauische,  Slavische  und  Germanische  durch« 
eine  engere  Verwandtschaft  verknüpft  seien.  Grimms  eigene  An- 
schauung über  diesen  Gegenstand  haben  wir  bereits  kennen  ge- 
lernt. Auch  Kaspar  Zeuss  äussert  sich  schon  1837  in  seinem* 
ausgezeichneten  Werke  Die  Deutschen  und  die  Nachbarstämme 
sehr  entschieden  für  die  näheren  Beziehungen  des  Deutschen  und 


SlaWstrben  und   sucbt    (lieselbeii    durch   eine  Reibe  spraeliHcher 
Orllndc  zu  erharten  (a.  a.  0.  p.  18—20). 

Eine  neue  Hypothese,  der  sich  1863  auch  Bopp  (Über  die 

,  Sprache  der  alten  l'reuBseu,  Abb.  d.  Berl.  Ak,  d.  W.)  anachloss, 

r  Blellte  ISnO  A.  Kuhn  in  dem  schon  erwähnten  Abdruck  seines 

]  Anfsatzes    Über  die   älteste  Geschichte  der  indog.  Völker  p.  324 

l«ur,  indem  er  aus  einer  Reihe  eiprachlicher  und  knlturhintorieeher 

Gründe  folgerte,  „dass  die  slavischen  Sprachen  mit  der  iudischen 

«der  wahrscbeinlichi^r  noch  mit  dem  Zend   und  der  persischen 

lAngere  Zeit  in  Vorbindung  geblieben  seien  als  mit  den  übrigen 

I  indogermanischen".     DoL-h   weicht  Hopp   insofeni  von  Kuhn  ab, 

I  er  die  Absonderung  der   lettisch-sla vischen   Idiome   vor   die 

Spaltung    des    asiatischen    tiprachzweigs    in    eine    indische    und 

iranische  Hälfte  setzt. 

Daneben   liefen  freilich  die  abentenerlichsten  Vorstellungen 

über   die  Gruppierung   der    indog    Völker    unter    einander    her. 

Noch  im  Jahre  1853  konnte  z.  B.  H.  Leo  (J.  W.  Wolfs  Zeitschrift 

f.  deutsche  Mythologie  und  Sitteukunde  I,  51)   behaupten,    dnss 

I  die  Germanen  sich  später  als  die  Perser  von  tlen  Indern  getrennt 

1  bxtteu,  und  zwar  sei  diese  Trennung  erst  nach  der  Ansiedelung 

[■der  Inder   in  Indien    selbst    erfolgt    usw.    (vgl.   A.  Weber  Z.  d. 

I  D.  M.  G.  VIII.  389). 

Nachdem  wir  so  die  Anfänge  der  lingnistisch-historischen 
I  Forschnng  im  Zusauimenhaug  bis  hierher  (etwa  bis  Kum  Jahre 
\  1850)  verfolgt  haben,  werden  wir,  gemäss  den  iu  unserer  Dar- 
ItleUung  selbst  uns  entgegen  getretenen  Richtungen  derselben,  gut 
die  Weitercntwickeinng  dieser  wissenschaftlichen  Disziplin 
I  in  gesonderten  Abschnitten  zu  behandeln,  und  zwar  werden  wir, 
"  iu  leicht  versländlieher  Anordnung,  in 
Kap.  II.  Über  die  Erschliessung  der  indogermanischen  Kultur, 
Kap.  III.     Über   die  Frage    der   indog.  Völkertrennungen  in 

ihrer  kulturhistorischen  Bedeutung, 
Kap.  IV.  Über  die  Forschungen  nach  der  Dr  h  e  j  ni  a  t  der  indog.  Völker 
«preehen.  —  Arbeiten  ausschliesslich  mythologischen  Inhalts 
|,  iind  im  allgemeinen  von  dieser  geschichtlichen  Betrachtung  aus- 
geschlossen worden,  weil  sie  mit  der  eigentlichen  „linguislisehen" 
faUontoIogic  nur  lose  zusammenhängen.  Doch  wird  sich  später 
Gelegenheit  bieten,  auch  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  ver- 
(leicbciiden  Mythologie  in  KDrze  gerecht  zu  werden. 


II.  Kapitel. 

Die  Erschliessung  der  indog,  Kultur, 

Dem  Kuhlischen  Gedanken,  die  Vorgeschichte  der  indog. 
Völker  mit  Hilfe  der  Sprachvergleichung  zu  erschliessen,  wurden 
die  Pforten  der  Geschichtsschreibung  durch  Th.  Mommsens 
Römische  Geschichte  (1854)  geöffnet.  Der  Verfasser,  dem  Ge- 
schichte nichts  anderes  als  „Entwicklung  der  Civilisation'*  be- 
deutet, ergreift  mit  Eifer  und  Zuversicht  die  Möglichkeit,  die 
Anfänge  des  italischen  Kulturlebens  bis  in  eine  gräcoitalische 
oder  indogermanische  Urzeit  zu  verfolgen.  In  seinen  materiellen 
Aufstellungen  stimmt  Mommsen  im  ganzen  mit  seinen  Vorgängern 
ttberein.  Die  Entwicklung  des  Hirtenlebens  in  der  Urzeit  findet 
er  „durch  die  unabänderlich  fixierten  Namen  der  Tiere"  (bos, 
pecusy  tauruSj  ovisy  equus,  anser,  anas  I.  Aufl.  p.  13),  den  Ge- 
brauch des  Wagens  durch  iugum,  axis^  die  Bekanntschaft  mit 
den  Metallen  durch  aes,  argentuniy  ensis,  mit  dem  Salze  durch 
sali  dem  Hüttenbau  durch  domus,  vicus  usw.  bewiesen.  Da- 
gegen unterscheidet  er  sich  von  Kuhn  durch  die  Annahme,  dass 
die  Halmfrucht  von  den  Indogermanen  noch  nicht  gebaut  worden 
sei.  Dem  Beweise  dieser  Behauptung  sind  in  den  späteren  Auf- 
lagen einige  Bemerkungen  gewidmet,  aus  denen  hervorgeht,  dass 
Mommsen  in  der  Gleichung  griech.  C£<^  =  skrt.  ydva  „höchstens 
einen  Beweis  dafür  sieht,  dass  man  vor  der  Scheidung  der  Stämme 
die  in  Mesopotamien^)  wildwachsenden  Gersten-  und  Speltköraer 
sammelte  und  ass,  nicht  aber  dafür,  dass  man  schon  Getreide 
baute"  (VIL  Aufl.  p.  16,  auch  schon  II,  16).     Mommsen  schliesst 


1)  Hier  war  nach  Mommsen  die  älteste  Heimat  der  Indogermanen, 
vgl.  III.  Aufl.  p.  31;  auch  noch  VII,  30.  Dieselbe  Meinung  hatte  schon 
früher  Vanns  Kennedy  vertreten  in  seinen  Researches  into  the  origin 
and  affinity  of  the  principal  länguages  of  Asia  and  Europe  1828, 


Ifleiiit'  Eröiteniiig  der  Jmiog.  ZiistäDile,  imlem  er  der  linguislistli- 
BbUtoriscIieii  Pnrsclinng  eine  gläuKonde  Perspektive  J.e\^t. 

Znnäcbet  gnlt  es  eioe  reichliche  und  »nrgfültige  Hammlung 
iBpracblicli-kultQrhiBtorigehei)  Materials. 

Einen  he(|Ueinen  Pktz  bierfftr  bot  die  im  Jabre  18r)l   /.ueret 

|er<ebeinende  und  von  A,  Kuhn  Lerauegegfhene  Zeitachrift  fllr  ver- 

I gleichende    Spracliforaeliung    auf    dem    Gebiete    des    Deutschen, 

Griechiscbcn  und  Lateiniscben.     äebon    der    Name    deB    Ileraus- 

rebeni  liess  die  Weilerveifolgung  der  zuerst  von  ihm  angebabnten 

Ifio^iiitiseb-bistoriscfaen  Richtung  der  Sprachvergleiehong  erhoffen. 

I-Adch  irendete  sich  derselbe  bereits  im  IV.  Bande  (I8ö5)  in  einer 

(oudereu    Abhandlnng    Die    Sprachvergleiehnrg    und    die    Ur- 

Igescbicbte  der  indog.  Völker  Art.  I  unBerem  Gegenstand  wieder 

Diese  Arbeit  hat  ein  besonderes  Interesse  dnrch  die  metlin- 

l^disclien  Ueuierknngen.  mit  denen  sie  eingeleitet  wird,  und  dureb 

4ie  offenbar  das  Bestreben  hindurchkliugt,   straffere  Gesel/e  als 

l^bisher    fUr   die  Feststellung   historischer   Tatsflchen  aus  spraeh- 

l'KcbvD  Argnnienten    zu    gewinnen.     Zum   ersten   Male   wird    hier, 

l'weun    auch    nur    von    ferne,    auf   die  Schwierigkeiten    auf- 

laierksam  geiuaclit,  die,  wie  sich  im  Verlaufe  unserer  Darstellung 

Ijiunier  deutlicher  heransstellen  wird,  der  rein  lingiiisliac-lien  Ei^ 

■«chliessuug  der  Urzeit  gegenüberstehen.  VerliJlltnismässig  einfach, 

bs  ist  der  Gedankengang  des  Verfassers,  liegen  die  Verhältnisse, 

Kvenn   die  Benennung   eines  Begriffes   in    allen  indogermanischen 

Sprachen  oder  wenigstens  in  denen,  welche  „uns  in  einer  lungeren 

»Selbe  liternrisclier  Denkniüler  überliefert  sind",  nach  Wurzel  nnd 

Suffix  identitich  ist;  allein  der  Nachweis  einer  Ühereinsthiinmng 

der  Bildnngssilbeii  oder  die  Feststellung  einer  bestimmten  Suffix- 

fomi  för  die  Urzeit  ist  oft  nur  hypothetisch  nißgliuh. 

Auch  geliürt  der  Fall,  dass  ein  Wort  dnrch  alle  oder  nnr 
Mnrcb  die  wichtigsten  der  verwandten  Sprachen  verbreitet  ist, 
aicUt  zu  den  häufigsten.  Das  ist  auf  der  einen  Seite  hegreiflich; 
„auf  ihren  Zügen  durch  wilde  Gebirgstäler,  öde  Steppen 
and  fruchtbares  Land,  im  Verkehr  mit  anderen,  barbarischen  oder 
Itivilisierteu  Völkern  verengerte  und  erweiterte  sich  der  Gedankeii- 
rcis  je  nach  ihrem  verschiedenen  Charakter,  ebenso  wie  sich  manche 
Bitle  und  Gewohnheit  aus  dem  sich  anders  gestaltenden  Lehen 
Krlnr."  So  hat  es  nichts  auffallendes,  wenn  Tier-  nml  Pfbinzen- 
latneti  »ich  hei  Ijrieclii'n,  Römern  und  Deutschen  getneiiisnni  finden. 


-    24    - 

bei  den  Indern  dagegen  mangeln,  denen  in  ihrer  neuen  Heimat 
eine  so  eigenartige  Natar  entgegentrat.  Andererseits  aber  lässt 
sieh  ans  diesem  Grunde  das  Vorhandensein  eines  bestimmten 
Begriffs  in  der  ür/eit  oft  nur  bis  zu  einer  gewissen  Wahrschein- 
lichkeit erheben.  Auch  die  häufige  Verschiedenheit  lautlich 
übereinstimmender  Wörter  in  ihrer  Bedeutung  macht  historische 
Schlüsse  unsicher.  Als  Beispiel  dient  griech.  q)r}y6g  „Eiche**  = 
lat.  fagus  „Buche",  ahd.  puohha.  Bedeutete  das  Wort  in  der 
Urzeit  „Eiche"  oder  „Buche"?  Das  einzige,  was  sich  an  der 
Hand  der  Etymologie  ermitteln  lässt,  ist,  „dass  in  der  Urheimat 
ein  Baum  mit  essbaren  Früchten  ((pt]y6g  :  (paysTv)  vorhanden  war.** 
Ja,  zuweilen  lässt  die  Etymologie  den  Forscher  ganz  im  Stich, 
wie  bei  skrt.  dru  „Holz,  Zweig,  Baum",  got.  triu  „Baum", 
griech.  dgvg  „Eiche",  so  dass  nur  das  Resultat  bleibt,  dass  „die 
indogermanischen  Stammeltern  in  einer  Gegend  wohnten,  die 
keine  baumlose  Steppe  war". 

Wenn  so  die  Frage  nach  der  Kultur  der  indog.  Urzeit  durch 
A.  Kuhn  gewissermassen  auf  die  Tagesordnung  der  Sprachver- 
gleichung gesetzt  war,  und  fast  von  Tag  zu  Tag  neue  Verwandt- 
schaften und  Beziehungen  in  dem  Wortschatz  der  indog.  Sprachen 
sich  nachweisen  iiesHcn,  so  musste  der  Gedanke  naheliegen,  unter 
Herbciziebung  des  ganzen  einschlägigen  Materials  an  die  Ent- 
werfung eines  Gesamtbildes  der  indog.  Zivilisation  zu  gehen. 
Dieser  Aufgabe  unterzog  sich  in  der  ausführlichsten,  eingehendsten, 
leider  aber  auch  in  der  unkritischsten  Weise  der  Genfer  Gelehrte 
Adolphe  Pictet,  der  schon  in  kleineren  Abhandlungen  (Ety- 
mologische Forschungen  über  die  älteste  Arzneikunst  bei  den 
Indogermanen  K.  Z.  V,  24 — 29  und  Die  alten  Krankheitsnamen 
bei  den  Indogernmnen  K.  Z.  V,  321—354  etc.)  sein  Interesse 
an  den  linguistischhistoriselien  Studien  bewiesen  hatte.  Sein 
Werk  Les  origines  Indo-europiennes  ou  les  Aryas  primitifSy 
essai  de  paUontologie  linguintique  (ein  Ausdruck,  der  hier  zum 
ersten  Male  gebraucht  wird)  Paris  1859 — 63  (zweite  Ausgabe 
Paris  1877)  sucht  in  zwei  starken  Bänden  den  gesamten  Wort- 
schatz der  indog.  Sprachen  mit  Rücksicht  auf  die  Erschliessung 
der  indog.  Urzeit  zu  prüfen.  Es  zerfällt  in  fünf  Bücher,  von 
denen  das  erste  geographische  und  ethnographische  Erörterungen 
enthält,  das  zweite  die  Naturgeschichte  (Mineralien,  Pflanzen, 
Tiere)  der  indog.  Vorzeit  bespricht  (Band  I  1 859),  das  dritte  die 


9ß     — 


Baterielle  Zivilisation  der  alten  Arier,  das  vierte  die  sozialen 
PTertiältuisAe.  <Ir8  fünfte  emilieb  ilas  geistige,  moralische  und 
eligiOee  Leben  der  Urzeit  erörtert  (Band  II  1863i. 

Schon  diese  Anordnung  des  Stoffes  war  verfehlt.     Nachdem 

der  Verfasser  nämlich  einmal  ans  Gründen,    die  wir  in  unserem 

Kap.  IV  näher  kelenchten  werden,  für  das  alte  Baktrieu  als  L'r- 

^^— beiniat  des  indog.  Stammes  sich  entschieden  hatte,    bildet  diese 

^^beographiscbe  Annahme  für  ihn  ftlrderhiD  die  Basis  der  weiteren 

^^Rrschliesßung   der   Urxeit.     Was    ihm    der   Besehaffenheit   ilieseH 

^^BrdstrieheB  in  geographischer  oder  natnrhistorischer  Hinsicht  zu 

^^Hpntspi'cchen    scheint,    wird    unbedenklich    in    die    Ur/eit    binein- 

^^netragen,  selbst  wenn  die  linguistischen  Beweise,  auf  denen  doeb 

diese  paUontoloijie  Uni/uint/que  beruht,  v'Mlig  fehlen  sollten. 

Selbstverständlich  kann  es  meine  Aufgabe  niebt  sein,  das 
umfangreiche  Werk  in  seinen  Einzelheiten  zu  besprechen.  lob 
werde  mich  vielmehr  darauf  beschranken,  die  Methode  Pictels, 
die  sich  an  einem  ausgewählten  Beispiel  besser  als  aus  dem  ihrer 
Darstellung  gewidmeten  §2  d,  11—25)  erkennen  lassen  wird, 
1  Kfirae  darzulegen,  da  sieb  so  die  auf  diesem  Wege  erzielten 
esuhate  des  Verfassers  'vgl.  das  letzte  Kapitel  H^sumi  gen^ral 
i  eoHclusiom)  am  besten  beurteilen  laseeu  worden.  Eine  eolebe 
Darlegnug  des  Pictetscbeu  Verfahrens  ist  auch  heute  nicht  Uber- 
uig,  da  die  Bedeutung  des  genannten  Gelehrten  auch  jetzt 
?ar  nicht  von  dem  Gramnintiker  von  Fach,  wohl  aber  von 
reiteren  Kreisen  (vgl.  ■/,.  B.  Krek  Einleitung  in  die  slav. 
Literatnrgesch.  '  p.  52,  65  usw.)  sehr  überschätzt  wird,  und 
'sein  Werk,  bei  allen  Mangeln,  immerhin  den  Höhepunkt  der  rein 
lingnistiscben  Versuclie,  die  indog.  Urzeit  zu  ei'schliessen,  bildet. 

■ Wie  es  der  llauptgrundsatz  der  Plctctscben  Forschung  ist: 

^^^i^artir  toujourt  du  mut  sanscrit,  s'U  tJ'isfe,  aoit  pour  arriver 
^^B^  la  restittition  du  thäme  primilif,  goit  pour  en  decouvrir 
^^Ktitj/tHologie  probable'^  (1,  23),  so  galt  es,  um  die  Bekanntschaft 
der  Indogermanen  mit  dem  Ackerbau,  von  der  l'ictet  über- 
sesgt  ist,  zn  beweisen,  vor  allem  die  curupäiseben  Namen  der 
Zerealieu  im  Sanskrit  wiederzufinden.  Alleiu  während  der  beste 
Kenner  des  Sanskrit  in  jener  Zeit,  Ch.  Lassen,  schon  im  Jahre 
1947  tu  der  Ansicht  gekommen  war:  „Ydca  möchte  als  die 
Biilteste  von  den  arischen  Völkern  angebaute  Koniart  angeseben 
rerden,    weil    dieser   Name   einer   Koniart   allein   in  den  ver- 


-     26     - 

wandten  Sprachen  sich  erhalten  hat"  (Ind.  Altertumskunde  I^ 
247),  verspricht  uns  Pictet  als  Resultat  seiner  Vergleich ungen 
(I,  258):  ^dass  die  alten  Arier  bereits  die  meisten  Kulturpflanzen 
besessen  hätten,  welche  noch  heute  die  Basis  unserer  Agrikultur 
bilden."  Hierbei  beruft  er  sich  für  Weizen  und  Gerste  auf 
folgende  angeblich  im  Sanskrit  und  in  den  europäischen  Sprachen 
übereinstimmende  Benennungen:  I.  Weizen  1)  griech.  acrog  = 
skrt.  ftitagimbiJcay  sitoQüka  oder  sitya  p.  262,  2)  got.  hvaiteis  = 
skrt.  gvetagunga  p.  263,  3)  irisch  mann  =  skrt.  sumana  p.  264, 

4)  irisch  arhha,  lat.  robus  =  skrt.  arbha  (!)  p.  265,  5)  nvgög  = 
skrt.  püra p.  266,  6)  yvlbb, psenica  =  skrt psäna  p.  266.  II.  Gerste 
1)  griech.  C^d  =  skrt.  ydva  p.  267,  2)  lit,  müüei  =  skrt.  medhya 
p.  268,  3)  ahd.  gersta  =  skrt.  gras-tdj  4)  griech.  xgi&i^  =  ^QH-dhä, 

5)  xooTT^  (Hesych)  =  skrt,  gas-td,  6)  lat.  hordeum  =  skrt.  hfdya^ 
7)  cymr.  haidd  =  skrt.  sädhü  p.  269 — 71. 

Als  völlig  bedeutungslos  für  die  Rekonstruktion  der  Urzeit 
müssen  von  diesen  Gleichungen,  deren  lautliche  Schwierigkeiten 
und  Unmöglichkeiten  ganz  auf  sich  beruhen  mögen,  zunächst  die- 
jenigen Wörter  ausgeschlossen  werden,  die  im  Indischen  die  Be- 
deutung einer  Getreideart  nie  gehabt  haben,  wie  z.  B.  hfdya 
{hordeum),  das  nichts  anderes  als  „im  Herzen  befindlich,  lieblich" 
bedeutet,  und  mehrere  andere.  Ebenso  müssig  ist  die  Zurück- 
führung  alleinstehender  Wörter  auf  Urformen,  in  deren  Konstruktion 
der  Verfasser  eine  wunderbare  Virtuosität  besitzt.  Vor  allem 
wird  von  der  Form  des  Kompositums  Gebranch  gemacht.  Wie 
ihm  xoi^  „die  Reichtum  spendende"  =  *grt-dhä  ist,  so  riefen 
die  alten  Arier  „Was  für  eine  Speise!"  (quel  aUmentl)  y*ka-hhara^ j, 
da  benannten  sie  den  Hafer  (ahd.  habaro);  „was  für  eine  Nahrung!" 
(quelle  nourriturel)  ^^Tcarasa^y  da  entstand  der  Name  der  Hirse 
(ahd.  hirsi). 

Und  wenden  wir  uns  zu  denjenigen  Sanskritwörtern  unserer 
Zusammenstellung,  die  wirklich  als  Bezeichnungen  von  Getreide- 
arten in  der  indischen  Literatur  angeführt  werden:  sitagimbikay 
sttya,  gvetagunga,  sumana,  medhya,  so  tritt  uns  gerade  hier  am 
deutlichsten  derjenige  Fehler  der  Pictetschen  Methode  entgegen, 
der  die  Resultate  derselben  fast  von  der  ersten  bis  letzten 
Seite  des  Werkes  in  Frage  stellt.  Es  ist  dies  die  völlige  ün- 
berücksichtigung  der  historischen  Entwicklung,  die  die  Sans- 
kritsprache, namentlich  in  der  Bedeutungsentfaltung  ihrer  Wörter, 


-     27     — 

dnrcbgemacht  h^it.  „Ob  ein  Wort  alt  ist  oder  neu,  ob  seine 
Existenz  überhaupt  gesichert  und  belegt  ist,  ob  ferner  die  Be- 
deutung eine  ursprüngliche  ist,  oder  ob  sie  sich  auf  irgend  welchem, 
sei  es  bildlichem,  symbolischem  oder  gar  mythologischem  Wege, 
erst  im  Laufe  der  drei  Jahrtausende,  welche  die  indische  Literatur 
nmfasst,  gebildet  hat,  oder  ob  sie  etwa  gar  bloss  eine  von  den 
Scholiasten  zur  Erklärung  erfundene  ist,  das  alles  kümmert  Herrn 
Pictet  nicht"  (A.  Weber).  So  kommen  denn  auch  alle  die  «m- 
geführten  Benennungen  des  Weizens  und  der  Gerste  als  solche 
in  der  Sprache  des  Veda  nicht  vor  und  können  auch  in  der 
späteren  Literatur  nur  in  Wörterbüchern  wie  in  dem  des  Hemacandra 
(XIL  Jahrh.  n.  Chr.),  in  dem  Qäbdakalpadruma  (erst  im  vorigen 
Jahrhundert  verfasst)  und  dem  Amarakösha  nachgewiesen  werden. 
Aber  sollte  selbst  ein  oder  das  andere  Wort  in  der  Bedeutung 
einer  Getreideart  im  Munde  des  Volkes  wirklich  gegolten  haben, 
80  liegt  doch  die  sekundäre  Entwicklung  dieser  Bedeutung  (vgl. 
z.  B.  me'dhya  L  a)  saftig,  kräftig,  frisch,  unversehrt;  b)  zum 
Opfer  geeignet,  opferrein  etc.;  2)  neben  anderen  Bedeutungen 
„Gerste"  im  Qahddkalpadruma)  so  klar  vor  Augen,  dass  an  eine 
Benutzung  zu  urzeitlichen  Konstruktionen  nicht  zu  denken  ist. 
Dass  Pictet  zu  dieser  Einsicht  nie  gekommen  ist,  erscheint  um  so 
auffallender,  als  bis  zum  Jahre  1859  schon  die  beiden  ersten 
Teile  des  Böhtlingk-Rothschen  Sanskritwörterbuchs  und  bis  zum 
Jahre  1863  auch  der  dritte  Teil  erschienen  war,  aus  denen  der 
Verfasser,  wenn  auch  nicht  gerade  über  die  von  uns  angezogenen 
Namen  der  Zerealien,  so  doch  über  die  Bedeutungsentwicklung 
nnd  den  Quellenwert  der  Sanskritsprache  überhaupt  die  reichste 
Belehrung  hätte  gewinnen  können.  Wie  wenig  aber  Pictet  aus 
diesem  für  die  gesamte  Sprachwissenschaft  so  überaus  folgen- 
reichen Werke  Nutzen  zu  ziehen  verstand,  möge  zum  Scbluss  die 
Gleichung  (I,  4): 

irisch  arbha^),  arbhaSy  lat.  robus  (?),  skrt.  arbha  (!) 
beweisen.     Das  letztgenannte  sanskritische  Wort  setzt  Pictet,  an- 
geblich nach  Wilsons  Wörterbuch,  in  der  allgemeinen  Bedeutung 

1)  Das  irische  Wort  wird  von  Stokes  {Irish  glosses  1038)  nebst 
weUch  erw  ^acre^  dem  lat.  arvum  zugesellt.  Dasselbe  ist  übrigens 
gut  bezeugt,  vgl.  Windisch  Irische  Texte  p.  372  arbar  „Korn**  und  O'R. 
8uppl.  arbaim  „com'*.  Irisch  mann  „Weizen*  habe  ich  dagegen  nur 
l>ei  O^Reiily  gefunden. 


—    28    - 

von  „Gras''  an.  Er  bemerkt,  dass  diese  im  Petersburger  Wörter- 
buch nicht  angegeben  ist,  knüpft  aber  trotzdem  an  sie  die  weit- 
gehendsten Kombinationen  und  fügt  nur,  naiv  genug,  hinzu: 
„  .  .  .  Ze  sens  des  herbes  en  g^n^ral,  qu'omettent,  je  ne  sais 
pourquoi,  les  auteurs  du  dictionaire  de  P^tersbourg"'  (p.  196). 

So  bleibt  denn  in  der  Tat,  wie  Lassen  es  wollte,  das  einzige 
skrt.  ydva  =  ^ed  etc.  als  für  historische  Schlüsse  auf  die  Urzeit 
geeignet  zurück. 

Trotz  der  ernsten  Bedenken,  die  von  sachkundiger  Seite, 
von  A.  Weber  (Beiträge  z.  vergl.  Sprachf.  II  u.  IV,  s.  o.), 
aber  auch  von  A.  Kuhn  (Beiträge  II,  369 — 382),  sofort  gegen 
das  Pictetsche  Werk  erhoben  wurden,  fanden  doch  die  An- 
schauungen, die  der  Genfer  Gelehrte  über  den  Urzustand  der 
Indogermanen  ausgesprochen  hatte,  bald  bei  einem  weiteren 
wissenschaftlichen  Publikum  Eingang,  und  namentlich  fran- 
zösische Anthropologen  und  Ethnologen  gingen  bei  ihren  Unter- 
suchungen häufig  von  den  Pictetschen  Aufstellungen  wie  von 
einer  festen  Basis  aus.  Ich  will  hier  nur  auf  zwei  namhafte 
Kulturforscher  Frankreichs,  F.  Lenormant  in  seinem  Werke 
Die  Anfänge  der  Kultur,  deutsche  Ausgabe  Jena  1875,  und 
F.  V.  Rougemont  Die  Bronzezeit  oder  die  Semiten  im  Occident, 
deutsch  Güteraloh  1869,  hinweisen,  deren  beider  Arbeiten  auf 
das  bedenklichste  durch  Pictets  Werk  beeinflusst  werden.  Dasselbe 
gilt  aber  auch  von  dem  bekannten  Buche  AlphonsedeCandolles 
Der  Ursprung  der  Kulturpflanzen  (übersetzt  v.  E.  Goeze,  Leipzig 
1884),  durch  das  sich  die  unrichtigsten  Aufstellungen  Pictets,  die 
als  bare  Münze  angesehen  werden,  unheilvoll  hindurchziehen. 

Auch  in  Deutschland  aber  suchten  bald  fast  alle  hervor- 
ragenden Sprachforscher  die  neuentdeckte  Bedeutung  der  ver- 
^^leichenden  Sprachforschung  für  die  Kulturgeschichte  auszubeuten. 
Ungefähr  gleichzeitig  mit  dem  2.  Bande  des  Pictetschen  Werkes 
erschienen  zwei  deutsche  Aufsätze  linguistisch-paläontologischen 
Inhalts:  Über  die  Urzeit  der  Indogermanen  von  F.  Justi 
(Raumers  bist.  Taschenbuch  IV.  Folge,  III.  Jahrgang  1862 
p.  301 — 342)  und  Der  wirtschaftliche  Kulturstand  des  indog. 
Urvolkes  von  A.  Schleicher  (Hildebrauds  Jahrbücher  f.  National- 
ökonomie I  1863  p.  401— 411).  Das  Bild,  das  Justi  von  der 
indog.  Urzeit  entwirft,  unterscheidet  sich  im  wesentlichen  nicht 
von  der  Darstellung  Pictets,    durch   die   es   offenbar   beeinflusst 


—     9<*     — 


Dasiäclbe  einfache,  aher   ftl">'kli(-'lio  Hasfin  eiiieä  jugeiullicli 

kräftigen.  Ton  Viehzucht  nud  Ackerbnii  lehendcn,  durch  ein  reiches 

Familien  lebe»  und  die  Anfäuge  staatlicher  Ofduuuf,'  au  Bfrezei  ebneten 

Volksstammes  wird  hier  in  farbenvoller  Sprache  uns  geschildert. 

kleines  Paradies  entrollt  sich  unseren  Blicken.     Ein  Oefilhl 

pes  Neides  heschleicht  uns  vieigeplagte  Epigonen,  wenn  wir  von 

B)»eren  Abncn  lesen,  „denen  <lic  Wnnden,  welche  man  im  Kriege 

Dipfing,  neben  der  Altersschwüelie  die  einzigen  Krankbetten  ge- 

hresen  zn  nein  scheinen,   von   denen   diese   glücklichen  Menschen 

■eimgesiiobt  wurden"  (p.  323).     Auf  die  Wui"/.el  wird  von  Justi 

Erklärung  des   Wortsinncs   ein    besonderes  Gewicht   gelegt: 

IgDafl   Wort  Vater    bedeutet    den  Scbütxenden,   Gebietenden,    die 

hitter  JBl  die  schaffende,  ordnende  Hansfran,   die  ihren  Gemahl 

LHerr,    Gebieter"    nennt;    der   Sohn    heisst    der    Erzeugte,    der 

_Sproa3,  die  Tochter  aber  „die  Melkerin";  sie  steht  der  ordnenden 

Uatter  hilfreich  zur  Seite;  dafür  liebt  sie  der  Bruder  und  nennt 

«e    „die   mit   ihm   wolniende",    Schwester,    während  sie   ihn  mit 

_  dem     dankbaren    Wort    „Ernilhrer",     Bruder    beehrt    (ji.   318)." 

jBeschickler  als  hei  Pictet  ist  die  Anordnung  des  Stoffes  insofern 

,  JuBti,   als  die  Frage  nach  der  Urheimat,   dem  „Paradiese" 

ier  Indogermaneu  eretiiach  derScIiildei'UDgdergeBellschaftlicheii 

IVerhättnisse  nnd  der  indog,  Fauna  und  Flora  erörtert  wird. 

Skeptischer  verhält  sich  Schleicher,  der  schon  in  seinem 
IBnehe  Die  deutsche  Sprache  1860  p.  71  f.  die  Kultur  des  indog. 
Rirvolkes  nicht  uubesprochen  gelassen  hatte.  Da  nach  der  Stamni- 
taumtheorie  Schleichers,  auf  die  wir  unten  des  näheren  zu  sprechen 
[Omnten  werden,  von  dem  Grundstock  der  Ursprache  sich  zuerst 
8  älRvisch-Litauiscb-DeutPche  ablöste,  und  erst  später  der  zurück- 
[ebliehene  Teil  der  Ursprache  in  zwei  Hälften:  Iranisch-Indisch 
I  Griechisch-Italisch  Keltisch  sich  spaltete,  so  legt  er  bei  der 
teknnBiruiermig  der  Urzeit  mit  Recht  nur  auf  solche  Wörter  ein 
bewiclil,  die  entweder  in  allen  drei  Sprachgruppen  oder  doch 
■renigstens  im  Slavisch-Lttanisch-Deutschen  und  ausserdem  im 
ranisch-lndischen  sieb  nachweisen  lassen.  Entsprechungen,  die 
kb  nnr  auf  das  Gebiet  der  curopäiseben  Sprachen  beschränken, 
haben  für  ihn  deshalb  keine  vollgiltjge  Beweiskraft,  weil  er  eine 
starke  Entlehnung  bestimmter  Kulturwörter  von  Volk 
gnVolk  rilr  möglich  hält,  wie  auf  dem  Gebiete  der  Märchen 
bd  Erzälilungen  dergleichen  Entlehnungen  in  uralter  Zeit  nach- 


-    30    - 

gewiesen  seien.  Auch  ist  Schleicher  der  Ansicht,  dass  man  nicht 
aus  dem  Fehlen  bestimmter  Entsprechungen  negative  Schlüsse 
auf  die  Kultur  der  Urzeit  machen  dürfe;  „denn  gar  manches 
Wort  mag  im  Laufe  der  Jahrtausende  verloren  gegangen  sein, 
manches  mag  sich  nur  in  einer  einzigen  Sprache  erhalten  haben 
und  somit  für  uns  des  Beweismittels  seiner  ürsprünglichkeit  ver- 
lustig geworden  sein.  Dafür  wird  aber  unser  Kulturbild  auch 
nichts  enthalten  können,  was  ihm  nicht  zukommt.  Wir  sind  vor 
der  Gefahr  sicher,  unserem  Urvolke  zu  viel  zuzuschreiben,  während 
wir  des  Fehlers  gewiss  sein  dürfen,  manche  Seite  seines  Kultur- 
lebens nicht  mehr  ermitteln  zu  können"  (404).  So  kommt  es, 
dass  Schleicher  manchen  wichtigen  Kulturbegriff,  den  Pictet  der 
Urzeit  zugesprochen  hatte,  ihr  beizulegen  sich  nicht  entschliessen 
kann,  wie  Pflug  und  Mühle,  Gold  und  Silber  etc. 

Der  Ausgang  der  60  er  Jahre  brachte  weitere  Beiträge  für 
die  Erforschung  der  indog.  Urzeit  von  M.  Müller  (in  einem  Essay 
Vergleichende  Mythologie^),  Essays  II  18 — 42  der  deutschen 
Ausgabe  1869,  W.  D.  Whitney  (Langtiage  and  the  study  of 
language  1867,  übersetzt  von  J.  JoUy  1874;  vgl.  p.  308  f.  der 
deutschen  Ausgabe)  und  Th.  Benfey  (Einleitung  zu  A.  Ficks 
Wörterbuch  der  indog.  Grundsprache  in  ihrem  Bestände  vor  der 
Völkertrennung  1868  und  die  Geschichte  der  Sprachwissenschaft 
1869  p.  597 — 600).  Hierzu  tritt  dann  noch  eine  Reihe  kleinerer 
Aufsätze,  die  einzelne  Seiten  der  ältesten  Zivilisation  der  Indo- 
germanen  in  Betracht  ziehen.  Besonders  häufig  ist  in  ihnen  die 
indog.  Tierwelt  behandelt  worden,  so  von  E.  Förstemann 
Sprachlich-naturhistorisches  K.  Z.  I,  491—506  und  III,  43-62, 
von  F.  Pott  in  mehreren  Aufsätzen  der  Beiträge  zur  vergleichenden 
Sprachwissenschaft  (II — IV),  von  A.  Bacmeister  im  Ausland 
(1866  und  1867),  von  Franz  Misteli,  vgl.  Bericht  über  die 
Tätigkeit  der  St.  Gallischen  naturwissenschaftlichen  Gesellschaft 
1865 — 66.  Auch  eine  Abhandlung  F.  C.  Pauli 's  Über  die  Be- 
nennung der  Körperteile  bei  den  Indogermanen,  Programm  Stettin 
1867  sei  hier  genannt.  Indessen  bedarf  es  eines  Eingehens  auf 
alle  diese  Arbeiten  nicht,  da  sie  sich  im  wesentlichen  in  den 
Geleisen  der  Früheren  bewegen. 

1)  In  englischer  Sprache  wurde  diese  Abhandlung  in  den  Oxford 
Essays  schon  1856  veröffentlicht.  Vgl.  M.  Müller  Biographits  ofvxrrds 
p.  129  f. 


-     31     - 

Eioe  vülliguene  Seite  der  imlog.  Kultur  hob  dagegiii  K.  IVest- 
plial  in  einer  Abhandlung   Zar  vergleicheudeu  Metrik  tier  imlog. 
ViilkiT  (K.  Z.  IX,  437 — 4nS)  hervor.     Wenn,   so   fragte  er  sich, 
fauuilertfältige  Zilge  in  Oßtterglauben,  Sagen-  und  Mvihenhildnng 
Ach  bi»  in  die  Urzeit  der  indog.  Völker  zurüfikverfolgen  Insten, 
i  »ich  nieht  atieb  nouh  die  Form  ersehliessen  lassen,  in  die 
wiese    älteste  Poesie    ihre  Stoffe    fasste?    Dnd    wirklich    glaubt 
l'^'cstpbnl    in    der   Übereinsttuinmng    der    drei    alteu   jainbiseben 
Lilien  bei  den  Griechen  iDinieter.akatalektiscberund  katalektischer 
Trimeter)  mit  den  drei  Reihen  der  Vedenlieder  {Anushfabk  und 
Otijfalri,   Jagati,     Virflj  und   Trishtitbhj    nnd   weiterhin  mit  den 
PtbylhiniBcUen  Reihen   der  Iranier   diese  alte  Form  wieder  zu  er- 
kennen.    Diese  älteste  indog.  Poesie  sei  weder  eine  qnantitierende 
tOfb  eine  aceentnierende,   sondern  eine  rein  silhenzJihlende  ge- 
wesen.    Sie   sei   in  den  Metren  des  Avesta  unversehrt  erballen 
und  spiegle  sieb  auch  in  den  vedischen  Gesängen  noch  insofern 
wieder,   als  hier  nur  die  zweite  HälFle  der  .jambischen  Dipodie 
ijtiantitierend,  d.  h.  rein  janihiscb  sei.     Auch  in  der  griechischen 
VUetrik    komme    dies   uralle    sithenzH blende   Prinzip   z,  B.   in  der 
meodiscben  Freiheit  des  Anfangs  einer  rhythmischen  Reibe  nocb 
^mveilen    zum    Durcbbrucli    fvgl,  p,  440 1.     Das  Schema    dcs   ur- 
l-epiachen  Verses  der  Indogeniianen  wllrde  sicli  nach  diesen  Cnter- 
lebungen  so  darstellen: 


Die  Arbeit  Westpbals  ist  der  Grundstein  einer  vergleichenden 

Metrik  der  indog.  Vfllker  geworden,  die  in  neuerer  Zeil  nament- 

£cb    fOr    das    Verständnis    der    Ursprünge   des   Hexameters    von 

f  fiedentung  geworden  ist,  worüber  ich  anf  Frederic  Allen  Über 

l-den  Ursprung  des  homerischen  Versmasses  K.  Z.  XXIV,  556  ff. 

1  and  H.  Usencr  Altgrieehiscber  Versbau  Bonn  Ißt* 7  verweise. 

Nocb  einen  Schritt  weiter  geht  A,  K  u  h  n  in  einem  Aufsatz 

I «einer  Zeitschrift  {XIII,  49  f.),  indem  er  ganze  Formeln  bis 

*  b  die  Anfänge  der  indog,  Dichtung  znrUckznverfolgen  veraucbt. 

Und   zwar  unterscheidet   er  zwei  Überreste  der  ältesten  Poesie, 

Vttinlich  erstens  Rätsel,  hinimliche  Dinge.  Weltscbflpfung  etc.  lie- 

■itreftend,  nnd  zweitens  Segenefonneln  zur  Banuung  von  Krankheiten 

und    bfisem  Zauber.    Als  ein  Beispiel  dieser  zweiten  Kategorie 


-     32     - 

wird  die  bekannte  Zauberformel  des  Merseburger  Heilspruchs  auf 
ein  erlahmtes  Pferd: 

b€n  zi  bena,  hliiot  zi  bltioda, 
lid  zi  giliden,  söse  gellniida  sin 

einer  sehr  ähnlichen  des  Atharvaveda  (IV  12): 

„Zusammen  werde  Mark  mit  Mark  und  auch  zusammen 

Glied  an  Glied. 

Was  Dir  an  Fleisch  vergangen  ist,  und  auch  der  Knochen 

wachse  Dir. 

Mark  mit  Marke  sei  vereinigt,  Haut  mit  Haut  erhebe  sich^  etc. 

gegen  übergestellt. 

Werfen  wir  hier,  ehe  wir  zu  einer  neuen,  für  die  linguistiscb- 
historische  Forschung  höchst  bedeutungsvollen  Arbeit  übergehen, 
einen  kurzen  Rückblick  auf  den  bisherigen  Gang  unserer  Dar- 
stellung, so  kann  bei  allen  Abweichungen  im  einzelnen  eine  Über- 
einstimmung aller  Forscher  in  ihrer  Anschauung  von  dem  ver- 
hältnismässig hohen  Stande  der  indog.  Kultur 
konstatiert  werden. 

Ein  Volk,  wohlgeordnet  in  Familie,  Staat  und  Gemeinde, 
mit  Viehzucht  und  Ackerbau  wohl  vertraut,  im  Besitze  fast  aller 
der  Haustiere,  die  noch  heute  die  Begleiter  des  Menschen  sind, 
in  der  Ausbeutung  und  Bearbeitung  der  wichtigsten,  wenn  nicht 
aller  Metalle  erfahren  —  ein  solches  Volk  schien  passend  die 
Urzeit  einer  Rasse  zu  repräsentieren,  die  eine  so  hervorragende 
Rolle  in  der  Kulturentwicklung  der  Menschheit  zu  spielen  hatte. 
Es  war  natürlich,  dass  einem  solchen  Gemälde  gegenüber  die 
Zustände,  welche  die  immer  mehr  aufblühende  anthropologische 
und  prähistorische  Forschung  in  den  ältesten  Denk- 
mälern Europas  aufdeckte,  in  einem  grellen  und  unvermittelten 
Gegensatz  sich  befanden.  Die  einzige  Erklärung  derselben  schien 
in  der  Annahme  einer  doppelten  Bevölkerungsschicht  Europas  zu 
liegen,  einer  vorindogermanischen,  wie  sie  etwa  den 
Pfahlbauten  der  Schweiz  und  den  Kjökkenmoeddingern  Dänemarks 
angehören  mochte,  und  einer  indogermanischen,  die  als 
der  Apostel  höherer  Gesittung  auf  europäischem  Boden  auftrat. 
Diese  Anschauung  wurde  z.  B.  von  A.  S  c  h  1  e  i  c  h  e  r  (a.  a.  0.  S.  41 1) 
ausdrücklich  ausgesprochen,  und  auch  F.  M i s t e li  (s.  o.)  war 
im  Hinblick  auf  die  Fauna  der  Schweizer  Pfahlbauten,  der  in 
der  ältesten  Zeit  nach  Rütimeyers  Untersuchungen  die  Zähmung 


88    — 


iewis^er  HaDstieie,    wie  des  Pferdes,    r>i?liweine8  und  siinitlichen 
kflUgels  noch  unbekannt  war,  der  gleiclien  Meinung. 

Mehr  gehen  die  Forscher  in  ihrer  Methode,  auf  gprach- 
lehcm  Wcfi^c  /.n  der  Urzeit  der  indog.  Völker  zu  gelangen,  ans- 
ainauder,  waa  nin  so  begreiflicher  ist,  ala  eifreiitlicb  keiner 
derselben  sie  naeh  allen  linguistischen  und  historischen  Gesichts- 

Iankten    einer    ernsthaften  Prüfung   unterwarf.     Schon   die   Ver- 
shicdcnhcit  der  Ansichten  Über  die  ältesten  Spaltuitgeu  der  Ur- 
pracbe  liätte  /.ti  einer  solchen  Anlasa  geben  sollen;  denn  es  lag 
Bf  der  Hand,  dass  die  Annahme  einer  ursprünglichen  Zweiteilung 
es  Dr%-oiks  in  eine  arisch-sildeuropäische  und  eine  nord-europÄischc 
ibteilmig  eine   ganz,  andere   linguistische  Grundlage  fllr  die  Er- 
Kbliessnng  der  Urzeit  abgeben  niusste  als  eine  andere  in  eine 
asiatische  und  eine  europäische  Hälfte.     Dieser  keineswegs  ge- 
schiichteten  Streitfrage  gegenüber  wäre  es  das  vorsichtigste  und 
tiiclierKle  gewesen,   nur  solche  Gleichungen  für  die  Kultur   der 
Drzeit  auszuhenteu,  welche  durch  die  Übereinslinmiung  des  arischen, 
sord-  und  sUdeuropäischen  Zweiges  sicher  gestellt  werden.    Eine 
^eich  sorgfältige  Prüfung  hätte  sieb  auf  den  verglichenen  Wort- 
icbatzin  forineller  Hc/.ieliung erstrecken  niflssen.  Schon  A.  Kuh» 
^^_^tie  bervnrgehobeu,   dass  die  Identität  der  Wui7,ei  kciiieswegB 
^^MenOfce,    um    den    einer    Wortreihe    inuewohnenden    Begriff   der 
^^Hrzeit   zu   vindizieren,    dass    vielmehr   die   Übereinstininmng    der 
^^^Snffixe    nicht    weniger    wie    die    der    VVurxel    zu    verlangen    sei. 
Doch  hatten  sieh  Forscher  wie  Pietet,  Jnsti,  M.  Müller  und 
andere  «n  diese  Forderung  kaum  gekehrt,  und  das  oben  Cp.  30)  ge- 
^H^nnte  Wörterbuch  A.  Fickskann  daher  insofern  als  ein  Forlsciiritt 
^^■ttzeiclinet    werden,    ala   es    nach    Wurzel-   und    Ableitungssilben 
^^■tbereinstininiende  Wörter  der  indog.  .Sprachen  zusammenzustellen 
^^hpd  detu  Kultnrfnrs<thcr  als  Grundlage  seiner  Zusammenstellungen 
^^^■trzu bieten  hestrebl  war. 

^^y  ÜbereiDStimmuug  dagegen  herrschte,  wenigstens  prinzipiell, 
in  dem  Grundsatz,  Begriffe,  die  sieh  etymologisch  in  dem  Kreise 
der  indog.  Sprachen  nicht  nachweisen  Hessen,  zn  negativen 
^^Sehltbwen  auf  die  Urzeit  nicht  auszubeuten,  wenn  man  auch  in 
^^■iffirklichkoit  denselben  nicht  selten  verliess. 
^^H  Am  allerwenigsten  aber  hatte  man  sich  bisher  um  die  Fest- 

^^itclliuig  der  nrg]irtlnglicben  Bedeutung  einer  etymologisch  ver- 

äehradcr.  Spiw-hvcrKlelchune  und  t:rg:i:9ctii>^)iie,    s.  Aufl.  3 


—    84    — 

wandten  Wortreihe  bekümmert,  sondern  sich  in  den  meisten  Fällen 
damit  begnügt,  den  in  historischen  Epochen  tiberlieferten  Sinn 
einer  Gleichung  schlankweg  auf  die  Urzeit  zu  übertragen.  Da 
skrt.  pwr  =  griech.  jiohg  „Stadt"  bedeutet,  mussten  die  Indo- 
germanen  in  Städten  gewohnt,  da  skrt.  dQva,  griech.  ijrjiog  etc. 
das  gezähmte  Pferd  bezeichnen,  mussten  sie  schon  in  der  Urzeit 
das  Pferd  als  Haustier  benutzt  haben  u.  s.  f. 

Das  Verdienst,  diese  schwächste  Seite  der  linguistischen 
Paläontologie  erkannt  und  bekämpft  zu  haben,  gebührt  dem  aus- 
gezeichneten, in  jeder  Beziehung  die  linguistisch-historische  For- 
schung in  neue  Bahnen  leitenden  Werke  V.  Hehns  Kulturpflanzen 
und  Haustiere  in  ihrem  Übergang  von  Asien  nach  Griechenland 
und  Italien  sowie  in  das  übrige  Europa,  Historisch-linguistische 
Skizzen  L  Aufl.  Berlin  1870,'  II.  Aufl.  1874,  III.  Aufl.  1877, 
IV.  Aufl.  1883,  V.  Aufl.  1887,  VI.  Aufl.  (neu  herausgegeben  von 
0.  Schrader,  mit  botanischen  Beiträgen  von  A.  Engler)  1894, 
VII.  Aufl.  1902.  Vgl.  auch  meine  Biographie  V.  Hehns  (V.  H., 
ein  Bild  seines  Lebens  und  seiner  Werke,  Berlin  1891). 

Die  Hauptaufgabe  V.  Hehns  besteht,  wie  der  Titel  des 
Buches  aussagt,  nicht  in  dem  Erschliessen  vorhistorischer  Kultur- 
Perioden,  sondern  darin,  den  Nachweis  zu  führen,  wie  eine  An- 
zahl der  wichtigsten  Kulturpflanzen  und  Haustiere,  zum  Teil 
noch  unter  dem  vollen  Licht  der  Geschichte,  aus  dem  Kultur- 
kreis des  Orientes  zu  den  noch  in  der  Nacht  des  Barbarentums 
verharrenden  Völkern  Europas  wandert,  um  überall,  wohin  sie 
kommen,  als  vornehmste  Hebel  einer  höheren  Gesittung  zu  wirken. 
„Was  ist  Europa,  als  der  für  sich  unfruchtbare  Stamm,  dem 
alles  vom  Orient  her  eingepfropft  und  erst  dadurch  veredelt 
werden  mussteV**  Diese  Worte  Schellings  sind  das  Motto  und 
der  Beweis  ihrer  Richtigkeit  das  eigentliche  Ziel  des  Werkes. 
Allein  indem  der  Verfasser  diese  Aufgabe  durch  die  Kombination 
einer  Bewunderung  erregenden  Fülle  historischer,  linguistischer 
und  naturwissenschaftlicher  Kenntnisse  in  glänzender  Weise  löst, 
kann  er  nicht  umhin,  sich  die  Frage  vorzulegen:  Wie  beschaffen 
war  also  die  Kultur  der  indog.  Völker,  ehe  sie  mit  der  höheren 
Zivilisation  des  Orients  in  Berührung  traten,  wie  war  ihre  Gre- 
sittung  zu  der  Zeit,  als  sie  zuerst  in  die  europäischen  Wildnisse 
eindrangen,  wie,  als  sie  noch  zusammen  mit  ihren  östlichen  Brüdern 
in  Asien  wohnten?    Diejenigen  Stellen  des  Buches,   die  der  Be- 


35    — 


K'Sntwortutig  (licHer  Frag'eii   gewidmet  sind,    werdeu    biei'  unsere 
besoodere  A uruierksaiiikeit  io  An»priich  nehuieti. 

V.  Heliii  basiert   seine  AiiBcliauimgeii    über   die  Ur-^eit  der 

tIndogermaDeo  nicht  in  erster  Linie  auf  spraebwisseiisebaft- 
licbe  Kombiiialioneu,  wie  denu  Beine  rnter»ucbung:en  aucb  als 
■iflloriflch-Iiii^uistisebe.  nicbt  linguiBtisch^histomcbe  Skizzen  be- 
seiebnet  werden.  Alle  ZUge,  die  unter  der  schimmernden  Decke 
des  kiaasischen  Altertums  als  Zeugen  einer  weniger  sonnigen  Vor- 
gesehiebte  hervorscbanen,  werden  eifrig  gesammelt  und  in  Ver- 
gleicbauf?  gebracht  mit  den  zerstreuten  Nachrichten,  welche  die 
griechischen  nnd  lateinischen  Schnfrsteller  des  Altertums  und 
Mittelalters  über  Gebräuche  und  Sitten,  Sprache  und  Geschiclite 
des  nichtklassischen  Europas,  vor  allem  der  indog.  Nordstämnie, 
der  Kelten,  Germanen  und  Siaveu  überliefert  haben.  Nur  selten 
dient  ihm  die  Sprache  als  Ausgangspunkt;  aber  wo  sie  nur 
immer  dazu  geeignet  ist.  ergänzt,  erweitert,  begrQndei  er  seiu 
Bild  durcb  sie.  Philologie  und  Sprach wisaensc ha ft  sind  hier  in 
«iner  grossartigen  Weise  vereinigt.  Auf  einer  solchen  Grundlage 
entrollt  \'.  Hebn  ein  Gemälde  der  Urzeit,  das  von  dem  der  bis- 
herigen Forscher,  die  wir  als  die  einseitigen  Sprachvergleicber 
»ItOzeicbneu  können,  verschieden  ist  wie  die  dunkle  Nacht  vom 
liebten  Tag.  Hebn  ist  sich  dieses  Gegensalzes  wohl  liewusst 
«tid  lässt  es  nicht  an  einer  scharfen  Kriegsftihrung  gegen  die 
t)iaberige  Methode,  die  Sprachvergleichung  zu  kalturbistorischen 
fichtflsseii  zu  verwerten,  fehlen.  Namentlich  aber  sind  e.-i,  wenn 
ich  nicht  irre,  zwei  Einwendungen,  die  er  gegen  sie  erbebt: 

„Wer",  80  sagt  V",  Hebn,  „mit  den  alten  Wörtern  neue 
Kolturbegriffe  verbindet,  der  wird  freilich  in  der  Zeit  der  frühesten 
Anfänge  ohne  Mithe  unser  heutiges  Leben  wiederfinden."  Haben 
wir  oben  gesehen,  dass  keiner  der  (ruberen  Sprachforscher  Be- 
denken getragen  hatte,  z.  B.  die  Domestikation  des  Pferdes  der 
Urzeit  zuzuschreiben,  da  die  Gleichung  skrt.  ä^ra  und^ seine  Sippe 
sprachlich  nichts  zu  wünschen  übrig  liess,  so  urteilte  V.  Hebn 
weit  anders  über  die  ßeweisfähigkeit  des  letzleren  Punktes:  Aus 
^^er  «ngeflibrien  Gleichung  folgt  ihm  nichts  anderes,  als  dass  die 
pndogerroanen  vor  ihrer  Trennung  ein  Wort  akva  besassen  und 
jtlaiuit  das  Pferd  („das schnelle":  W.  ak)  benannten.  Die  Domesti- 
natiun  dieses  Tieres  liegt  in  der  Sprache  nicht  einmal  angedeutet, 
md  sollte  es  daher  der  Kulturgeschichte  gelingen,  nachzuweisen, 


—    36    — 

dass   erst   in   einer   verhältnismässig   späten  Zeit   das  gezähmte 
Pferd    bei    den  indog.  Völkern    auftritt,   so   würde    hieraus   mit 
Sicherheit  folgen,  dass  die  Gleichung  akva  etc.  für  die  indog.  Urzeit 
eben   nur   das  wilde  Pferd  bezeichnet  haben  kann.     Hören  wir 
die   eignen   Worte  V.  Hehns   ttber  ein   anderes   gewöhnlich   mit 
Gewissheit  als  eine  Begleiterin  der  indog.  Wanderzüge  betrachtetes 
Tier,  die  Ziege:    „Das  griechische  äff,  alyog  Ziege  findet  sich 
im  Sanskrit  und  im  Litauischen  wieder  und  geht  also  in  die  Zeit 
vor  der  Völkertrennung  hinauf.     Daraus  folgt  übrigens  noch  nicht 
ohne  weiteres,  dass  das  Urvolk  die  Ziege  schon  als  Haustier 
besessen  habe;  es  konnte  irgend   ein  springendes  Jagdtier  mit 
einem  Namen  benennen,   der  später  bei  Bekanntwerden  mit  der 
zahmen  Ziege  auf  diese  ttberging  —  eine  Möglichkeit,  deren 
sich  diejenigen,  die  so  sicher  aus  dem  Vorhandensein 
gewisser  gemeinsamer  Wörter  auf  den  Kulturstand  de& 
primitiven  Stammvolkes  schliessen,  in  ähnlichen  Fällen 
häufiger  erinnern  sollten."     In  gleicher  Weise  werden  die 
sprachliehen  Argumente  für  den  Ackerbau  der  Indogermanen  in 
Zweifel  gezogen.    „Dass  sie  (die  Indogermanen  Griechenlands  und 
Italiens)  vor  der  Einwanderung,  zur  gräkoitalischen  Epoche,  ja 
wohl  gar  schon  im  Herzen  Asiens  den  Acker  bestellt  und  sich 
von  der  Frucht  der  Demeter  genährt,  ist  eine  oft  mit  mehr  oder 
minder  Sicherheit   aufgestellte  Behauptung,    deren  Stützen   aber 
grösstenteils  wenig  haltbar  sind.  Griechisch  C««,  Spelt,  CslScogog 
ägovga,  der  getreidespendende  Acker,  litauisch  jawäs,   Getreide- 
korn, Plur.  jawai,  Getreide  im  allgemeinen,  so  lange  es  noch  auf 
dem  Halme  steht,  jatcienäy   die  Stoppel,   ist  zwar  eine  richtige 
Gleichung,    beweist   aber   nur,    dass   zur  Zeit,   wo  die  Griechen 
und  Litauer  noch  ungesehieden  waren,  irgend  eine  Grasart,  viel- 
leicht mit  essbarem  Korn  in   der  Ähre,    mit  diesem  Namen  be- 
zeichnet wurde  (vgl.  Th.  Mommsen  oben  p.  22).     Ähnlich  verhält 
es  sich  mit^ xQi^,  lat.  hordeum,   ahd.  gersta\   die  Sprache  eines 
Volkes,   dessen  Beschäftigung  es  war,    Tiere  zu  weiden,   musste 
an  Gras-  und  Pflanzennamen  besonders  reich  sein"  etc.     Auch 
äygdg  und  seine  Sippe  bedeutete  ursprünglich  nur  „Feld".     Fast 
gegen  seine  persönliche,  entgegengesetzte  Ansicht  gibt  Hehn  „bei 
einer  Materie,  die  überhaupt  nur  schwankende  Vermutungen  ge- 
stattet",  wie  es  scheint,   wegen  der  Verwandtschaft  von  griech. 
&q6coj  lat.  arare  etc.,  die  wegen  des  Ausweichens   des  Sanskrit 


ler 


r  die  Urzeit  aucli  uicht  beweiskräftig  ist,  eine  Art  liallt- 
imadischen  AokerbKiics,  dessen  verliasstes  GeseliUft,  wenn  der 
mc  Wsndertrieh  erwachte,  wieder  aufgegeben  wurde,  bei  Gräko- 
liern  zu.  Die  gebauten  Pflanzeu  kennten  Hirse,  Hohne  und 
be  gewesen  Bein. 

Von  gleichem  Oesifbtspmikt  ans  warnt  V.  Hehn  davor,  in 

[te  Verbal  wurzeln,  die  durch  ihre  Ühereinslimniuug  bei  den  ver- 

lUiedeiieii  iudog.  Vfilkcru  die  Ausübung  einer  gewissen  Fertigkeit 

liuu  in  dei'  Urzeit  zu   beziMigen  seidenen,    einen   zn    modernen 

zu   lege».     „Für  das  Weben",    heisat  es,    „scheint  es  alte 

Ipmcherzeugnisse  zu  geben,  die  auf  eine  AusIlbuDg  dieser  Kunst 

iir  lier  Vßlkertrenuung  und   den  VV'auderzIlgen  deuten  würden. 

Wltsstcn    wir  nur  gewiss,   dass  diese  Wiirter  in  der  Urzeit  nicht 

auf  das  kniistreiciie  Stricken,    Flechten  nnd  Nähen,   Kondem  auf 

das  Drehen  des  Fadens  an  der  Spindel  nnd  auf  das  eigentliche 

JPeben    am   Webstuhl    gingen.     Wer   dem  Urvolke   die  Kenntnis 

ir  Weberei  zuschreibt,  sollte  niclit  vergessen,  dass  diese  Knnst- 

Ttigkeit  von  sehr  rohen  Anfängen  durch  viele  Stufen  bis  zur 

Vollendung  in   historisehi-r  Zeit  sich  entwickelt  hat.     Wie  leicht 

«cbiebt    sich    der   Phantasie   des  Sprach vcrgleichers    oin    jetziger 

Webstuhl,  i>iu  hiudurühfliegendeR  Schiffchen  etc.  unter  (v^l.  iineh 

ffh.  Monimsen  Röniiechc  Geschichte'  p.  17). 

I  Der    zweite   Punkt,    darch    den    sich  V.  Helin    von    den 

froheren  linguistischen  Paläontolog;en   unterscheidet,   liegt    in  der 

grossen  Ausdehnung,  die  er  dem  Begnffe  Lehnwort  einräumt. 

Wir  meinen   hier  nicht  den  Umstand,  dass  V.  Hehn  in  Fällen, 

wg  die  lautliche  F'orm,   wie  z.  B.  bei  griech.  olvns  nnd  griech. 

niclit    definitiv   auf    Urverwandtschaft    oder   Entlehnung 

iuznweiseu    scheint,     auf    allgemeine    kultmhistorische    Gründe 

((estatzt,    sich    gern    für    letztere    zn    entscheiden    pflegt.     Neu 

bingegen,    wenn    anch    schon    vorher,    namentlich    von  August 

i^ehleieher  (vgl.  oben  p.  29),  angedeutet,  ist  die  Auffassung,  dass 

le  Cberetnstimmung   gewissi-r,    auf  die   europäischen  Spraetien 

thränkter  Kulturw^irter,    die    man   bisher   durch   ihre  Zurtlek- 

legnng   in    eine   europäische  Urzeit   und   in   eine  europäische 

Irsprache  erklärt  halte,  auch  in  der  Weise  entstanden  gedacht 

rden  könne,  dass  noch  zur  Zeit  räumlicher  und  geographischer 

iffereiizierung   der   europäischen  Völker  sich   bei   irgend   einem 

olhsHlitDim    für    eine    Wurzel    allgemeineren    Sinns    eine    mehr 


-    38    - 

Bpezielle  Bedeutung  fixiert  habe,  und  dieselbe  alsdann  durch 
Entlehnung  von  Volk  zu  Volk  gewandert  sei.  V.  Hehn  drückt 
diesen  Gedanken  so  aus:  „Man  bedenke^  dass  in  jener  frühen 
Epoche  die  Sprachen  sich  noch  sehr  nahe  standen  und  dass,  wenn 
eine  Technik,  ein  Werkzeug  etc.  von  dem  Nachbarvolke  ttber- 
nommen  wurde,  der  Name,  den  es  bei  diesem  hatte,  leicht  und 
schnell  in  die  Lautart  der  eigenen  Sprache  übertragen  werden 
konnte.  Wenn  z.  B.  ein  Verbnm  molere  in  der  Bedeutung  zer- 
reiben, zerstückeln,  ein  anderes  severe  in  der  Bedeutung 
streuen  in  allen  Sprachen  der  bisherigen  Hirtenstämme  bestand, 
und  der  eine  von  dem  andern  allmählich  die  Kunst  des  Säen» 
und  Mahlens  lernte,  so  musste  er  auch  von  den  verschiedenen 
Wortstämmen  ähnlicher,  aber  allgemeinerer  Bedeutung  gerade 
denjenigen  für  die  neue  Verrichtung  individuell  fixieren,  mit  dem 
der  lehrende  Teil  dieselbe  bezeichnete.  Die  Gleichheit  der  Aus- 
drücke beweist  also  nur,  dass  z.  B.  die  Kenntnis  des  Pfluge» 
innerhalb  der  indoeuropäischen  Familie  in  Europa  von  Glied  zu 
Glied  sich  weiter  verbreitet  hat,  und  dass  nicht  etwa  der  eine 
Teil  sie  südöstlich  aus  Asien,  durch  Vermittelung  der  Semiten 
ans  Ägypten,  der  andere  südwestlieh  von  den  Iberern  an  den 
Pyrenäen  und  am  Rhonefluss,  ein  dritter  von  einem  dritten  un- 
bekannten ürvolke  etc.  erhalten  hat."  Versuchen  wir  nunmehr 
den  Gemälden  der  indog.  Kultur  gegenüber,  die  wir  bisher  kennen 
gelernt  haben,  ein  Bild  der  Urzeit  zu  entwerfen,  wie  es  sieb 
V.  Hehn  denkt!  Vorauszubemerken  ist,  dass  derselbe  bestimmte 
prähistorische  Epochen  nicht  unterscheidet,  vorwiegend  aber  bei 
seinen  Schilderungen  die  Epoche  der  grossen  „arischen  Wanderung** 
im  Auge  hat. 

Die  Indogermanen  jener  Zeit  sind  ein  wanderndes  Hirten- 
volk, dessen  Einzug  nach  Europa  etwa  mit  der  kriegerischen 
Einwanderung  semitischer  Hirtenvölker  in  Palästina  verglichen 
werden  kann.  Ihre  Herden  können  aus  Rindvieh,  Schafen  und 
Schweinen  bestanden  haben,  noch  fehlt  ihnen  das  Pferd  (dessen 
Geschichte  seit  der  2.  Auflage  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet 
ist),  der  Esel,  das  Maultier,  die  Ziege,  sämtliches  Geflügel,  die 
Katze.  Die  Rasse  der  Haustiere  ist  eine  geringere.  Die  Wolle 
des  Schafes  wird  ausgerupft  und  zu  Filzdecken  und  Filztüchem 
zusammengestampft,  nicht  verwebt;  dagegen  verstehen  sich  die 
Weiber  darauf,  aus  dem  Bast  der  Bäume,   besonders  der  Linde, 


'  und  ;ine  den  Fasern  dei'  Stepgpl  maucher  Ptlauzeii,  besonders  der 
neHselarligeD,  Matten  und  gewebeartige  Zenge,  Jagd-  nnd  Fiscber- 
uelze  Ml  fteebten,  wie  aucli  das  robe  Leder  der  Jagd-  und  Herden- 
tiere mit  Rteioerneu  oder  hölzernen  Nadeln  zusaniDieD/.unäben. 
Die  Künste  nnd  Gewohnheiten  des  Ackerbaues,  die  erst 
I  mit    dem   Ende   der   Wanderungen    ihren    Anfang   nehmen,    sind 
I  Doch  röUig  nnbekannt.     Einer  noch  späteren  Epoche   gcbürt  die 
I  Znoht  nnd  Pflege  der  Obstbäume  an. 

Die  Nahrung  der  Urzeit  bestfht  ans  Fleisch  und  Milcb, 
\  welche  letztere  zu  Käse  und  Butter  noch  nicht  verarbeitet  wird, 
lOer  Met,  ein  Honigtrank,  der  von  den  wilden  Bienen  der  un- 
I  geheuren  Wahlnngen  gewonnen  wird,  ist  das  älteste  berauschende 
I  Getränk  der  in  Europa  einwandernden  Indogeiinauen.  Bier  und 
I  Wein  sind  unbekannt.  Die  Würze  des  Salzes  fehlt  in  der  asialisehen 
I  I/Theiaiat,  doch  lernen  sie  die  nach  Europa  wandernden  Stämme 
I  fiemeinsam  kennen  (vgl.  V.  Hehn  Das  Salz,  eine  kulturhisiorische 
I  Studie,  Berlin  1873,  äte  Auflage  1901).  Zur  Wohnung  für  den 
kücnseben  dient  im  Winter  die  unterirdische,  künstlich  gegrabene 
I  Bohle,  von  oben  mit  einem  Rasendach  oder  mit  Mist  verdeckt, 
lim  Sommer  di-r  Wagen  selbst  oder  in  der  Waldrcgion  die  leichte, 
[ms  Hul7.  und  Klechtwcrk  errichtete  leltälinliche  Hütte.  Je  weiter 
rsach  Süden,  desto  leichter  wurde  es,  das  Vieh  zu  überwintern, 
bdas  im  hrdioren  Xorden  während  der  rauben  Jahreszeit  nur 
■'kümmerlich  unter  dem  Schnee  seine  Xabrung  fand  nnd  unter 
linngliiisligen  Umständen  massenhaft  zu  Grunde  gehen  musste  — 
■denn  der  Herde  ein  Obdach  zn  schaffen  und  getrocknetes  Gras 
Ifttr  den  Winter  aufzubewahren,  sind  Künste  späteren  Ursprungs, 
rdie  sieb  er^t  im  Gefolge  des  ausgebildeten  Ackerbaues  einfanden. 
I  Von  Metailen  war  den  einwandernden  Hirten  nur  das  Kupfer 
IbekHiinl,  ohne  dass  sie  es  indes  zu  Werkzeugen  etc.  ku  verarbeiten 
iTentaudeii  halten.  Die  indogernianische  Urzeit  gehOrt  vielmehr 
pdem  Steinaller  au.  Zum  Bogen  dient  besonders  das  Holz  der 
Eibe,  zum  Schaft  des  Speeres  das  der  Esche,  auch  des  Holunders 
nnd  Hartriegels,  zum  .Schilde  ein  Geflecht  aus  Ruten  der  Weide; 
die  Bäume  des  Urwalds,  von  riesenhaftem  Wachstum,  werden 
tdnrcb  Feuer  und  mit  der  steinernen  Axt  zu  ungeheuren  Böten 
4D^ehdblt.  Auf  dem  Räderwagen,  einer  frith  erfundenen  Ma- 
ichine,  die  ganz  ans  Holz  zusammengefügt  war,  und  nn  welcher 
Bolzpfl^ickc   die    Stelle    der  späteren    eisernen    N'ägc!    vertreten, 


-     40     - 

wird    die    Habe    der    Wanderer,    ihre   Melkgefässe,    Felle    etc., 
mitgeführt. 

Auch  aus  dem  Familienleben  der  Urzeit  blicken  uns 
finstere  Züge  entgegen.  Greise,  wenn  sie  zum  Kampfe  kraftlos 
geworden,  gehen  freiwillig  in  den  Tod  oder  werden  gewaltsam 
erschlagen;  ähnlich  auch  unheilbare  Kranke.  Dem  Häuptling 
folgen  seine  Knechte,  Weiber,  Pferde,  die  später  in  halbwildem 
Zustand  in  Herden  gehalten  werden,  und  Hunde  in  das  Grab 
nach;  die  Frau  wird  geraubt  oder  gekauft,  das  Neugeborene  vom 
Vater  aufgehoben  oder  verworfen  und  ausgesetzt.  Aus  dem 
Familienverbande  und  der  Herrschaft  des  Patriarchen  geht  in 
weiterem  Wachstum  der  erst  engere,  dann  umfassendere  des 
Stammes  hervor;  aber  erst  als  aus  dem  halbnomadischen  Acker- 
bauer der  ansässige  Baumgärtner  geworden  ist,  bildet  sich  der 
Begriff  des  vollen  Eigentums,  erheben  sich  Rechts-  und  Eigeu- 
tumsfragen  mit  dem  Nachbar,  gestaltet  sich  eine  feste  politische 
Ordnung. 

Die  Sinnesweise  eines  viehschlachtenden  Hirtenvolkes  ist 
blutig  und  grausam,  von  Aberglauben  erfüllt,  von  Zauberei  ge- 
leitet. Die  Naturgewalten  haben  noch  keine  menschlich-persönliche 
Gestalt  angenommen:  der  Name  Gottes  bedeutete  noch  Himmel. 
Eine  erste  Regung  der  Abstraktion  offenbart  sich  in  der  Aus- 
l)ildung  des  Dezimalsystems,  dem  aber  der  Begriff  tausend  noch 
fehlt.  Im  übrigen  bildet  die  Sprache  einen  verhältnismässig 
intakten,  vielgegliederten,  von  lebendigen  Gesetzen  innerlich  be- 
herrschten Organismus,  wie  er  nach  Jahrtausenden  die  Freude 
und  Bewunderung  des  Grammatikers  ist,  und  wie  er  nur  im 
Dunkel  eingehüllten  Geistes  und  unmittelbaren  Bewusstseins  wächst 
und  sich  entfaltet.^ 

Die  schroffe  Stellung,  die  das  Hehnsche  Werk  gegenüber 
den  bisherigen  Aufstellungen  der  Sprachvergleicher  über  die  indog. 
Urzeit  einnimmt,  wird  in  der  öffentlichen  Kritik,  die  sich  vor- 
wiegend auf  die  Besprechung  und  fast  einstimmige  Anerkennung 
der  in  dem  Titel  des  Buches  gestellten  eigentlichen  Aufgabe  und 
ihrer  Lösung  erstreckt,  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Weiter- 
entwicklung der  linguistischen  Paläontologie  nicht  scharf  genug 
hervorgehoben.  Neben  G.  Curtius,  der  im  Literarischen  Zentral- 
blatt 1870  p.  553  die  angeblich  häufige  Nichtberücksichtigung 
des  Sanskrit  seitens  Hehns,  wie  bei  der  Besprechung  des  Hanfes 


ätrl.  ^(inrfi,  dcEäaUes  (skrt,  sani?i,  der  Weherei  tW.gfä,  ari'i/ioiy, 

loTOs  etc.)  tailelt  und  ebeiid.  1S74  p.  ITöl   sieb   von   der  Beweie- 

fnbnmg    des  Verfassers,    „dass    das  Ross    unsere  Vorfaliren    auf 

Jiireni  grosseu  Zup;e  dnrch  die  Welt  noc-li  uicht  begleitete",  nicht 

irxcngt  füblt,  sind  es  nur  G.  Gerland  in  der  Jenaer  Literatur- 

luinng    1875  N.  641  und  W.  Tnniascbi'k  Z.  f.  d.  fi.  G.  1875 

I;  520  ff-,  die  der  vnn  uns  charakterisierten  Seite  der  Hebnachen 

brgcbnn^  ihre  volle  Aiil'merksainkeit  zuwenden.     Auch  hier  fehlt 

uicht  au  Einreden.     Eraterer  findet,  „dass  der  Verfasser  gegen 

\Be  Indof^crmanen  überhaupt  niebt  gerecht  «-erde"  nnd  den  un- 

sweifeUiaft  richtigen  Gedanken,  dass  vieles,  was  jet/t  allgemeines 

Eigenluni  seheine,  diieh  nur  Entlehnung  sei,  auf  die  Spitze  treibe. 

Cbaraktcristisc^b    for    die    sehr    ausführliche    Bespi'eehung 

omaschek»  iet  der  Versuch,  zahlreiebe  Bestandteile  des  indog. 

pnlttirwürlerschatzes   nicht   sowohl  an  die  semitischen  Sprachen, 

!  es  Hehn  mit  Vorliebe  tut,   als  vielmehr  an  die  Idiome  der 

rdlicbcn    Volker,    Finnen,    ügrier    und    Tataren    anituknUpfen. 

soll    die   Sprache  Zeugnis   ablegen    „f(tr   ein    uralte»  Neben- 

Unnnderbausen    mid    für  gegenseitigen  Kulturaiisiauseh  der  uor- 

tftieu  und  iiidogermauisehen  Stämme"  (p.  .^32^. 

In)  Ubrigeu  lässt  «ich  ein  Einflflss  des  Hehnscbeti  Wöi'kes 
I  den  nächstfolgenden  Arbeiten  der  linguistiaciien  Paläontologie 
Kicb   oiebt  erkennen.     Zwar  ist   dies   kaum   zu   verwundern   bei 
"dem  der  ersten  Auflage  des  Hehnsclien  Werkes  fast  gleichzeitigeu 
Buche  J.  G.  C'unos    Forscbuugcn    im   Gebiete  der   alten   Völker- 
kunde Teil  I   1871,    in  dem   p.  22—27    die  Frage   eriVrtert  wird, 
IOb  das  indog.  Urrolk  schon  Ackerbau    trieb.     Cuno   beantwortet 
ISe   mit   grosser  Zuversiebt  in   bejahendem   Sinne.     Seilsamer  ist 
Im,   da^s  noch   mehrere   Jabre  nach   dem  entsebeidendeu  Angriff 
fiebna    anf    ilie  ganze   Methode    der  linguistischen    Paläontologie 
fia  Werk  crsclieinen   konnte,    welches   das  alte  Thema    wieder 
|anz  in  alter  Weise   behandelt,    ohne   die   Hchnseheu  Gedanken 
auch  UDr  mit  einem  Worte   zu  berücksichtigen.     Es  ist  dies  das 
im  Jalire  IrilA  erschienene  Buch  A.  Ficks  Die  ehemalige  Sprach- 
^^-.«iaheit  der  Indogermauen  Europas,  in  dem  von  p.  266—385  auch  ein 
^^falemlich  ausftlhrlicbes  Bild  der  nrzeitlicben  Zivilisation  entworfen 
^Hbrird.     Doeb  bat  das  Ficksche  Buch  durch  die  sorgfältige  Samm- 
^^hng   des   sich    auf    die    europäischen    Sprachen    besehrankenden 
KnltorwörlerBcbatzes,    wie    wir    noch    weiter   sehen    werden,    ein 


-    42    — 

nicht  zu  unterschätzendes  Verdienst  um  das  Verständnis  der  indog. 
Urgeschichte  sich  erworben. 

Interessant  ist  es,  die  neueren  Ansichten  Th.  Benfeys 
(vgl.  oben  p.  30  ff.)  ttber  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 
kennen  zu  lernen.  Sie  lassen  sich  aus  drei  kleinen  Arbeiten 
dieses  Gelehrten  zusammenstellen,  einer  Rezension  in  den  Göttinger 
Gelehrten  Anzeigen  1875  p.  208  f.  (ttber  ein  Schriftchen  Der 
Hopfen,  seine  Herkunft  und  Benennung;  zur  vergleichenden  Sprach- 
forschung 1874.  Vgl.  Literarisches  Zentralblatt  1875  Nr.  12> 
und  zwei  Aufsätzen  in  den  Beilagen  zur  Allgemeinen  Zeitung  1875, 
die  betitelt  sind :  Rasiermesser  in  indogermanischer  Zeit  Nr.  96 
und  Die  Indogermanen  hatten  schon  vor  ihrer  Trennung  sowohl 
Salz  als  Ackerbau  Nr.  208.  Bemerkenswert  durch  seine  metho- 
dischen Betrachtungen  ist  der  Aufsatz  über  das  Rasiermesser  in 
indog.  Zeit.  Die  Veranlassung  zu  demselben  bot  ein  von  W.  Heibig 
in  Rom  gehaltener  Vortrag  Eine  uralte  Gattung  von  Rasiermessern 
(Ein  Referat  darüber  findet  sich  in  der  Allgemeinen  Zeitung  1874 
Beil.  Nr.  352  und  der  Vortrag  selbst  in  Im  neuen  Reich  1875 
p.  14  f.),  in  dem  unter  anderem  aus  dem  Umstand,  dass  in  der 
Nekropole  von  Alba  Longa,  die  uns  ^einen  Begriff  von  dem 
indoeuropäischen  Zustand  der  Prisci  Latini^  zu  geben  geeignet 
ist,  Rasiermesser  nicht  gefunden  worden  sind,  der  Schluss  ge- 
zogen wird,  dass  diese  auch  dem  Bildungskapital  „der  indo- 
europäischen Rasse  vor  ihrer  Trennung"  gefehlt  haben  müssten. 
Da  nun  gerade  Benfey  früher  auf  die  Ficksche  Gleichung  skrt. 
Jcshurä  =  ivgciv  hin  das  Rasiermesser  den  Indogermanen  zuge- 
sprochen hatte,  so  lag  es  ihm  nahe,  dasselbe  als  ein  schon  ur- 
zeitliches Verschönerungsmittel  dem  Angreifer  gegenüber  in  Schutz 
zu  nehmen.  Benfey  ist  nicht  geneigt,  auf  die  blosse  Tatsache 
hin,  dass  ein  Wort  nach  Form  und  Bedeutung  in  mehreren  indog. 
Sprachen  übereinstimme,  den  von  ihm  bezeichneten  Hegriff  ohne 
jede  weitere  Untersuchung  der  Urzeit  zuzuweisen.  Er  nimmt 
dafür  zunächst  nur  das  Präjudiz  seiner  Ursprünglichkeit  in  An- 
spruch, das  aber  durch  drei  Möglichkeiten  schon  vom  rein  sprach- 
lichen Standpunkt  aus  sich  als  ein  irriges  oder  zweifelhaftes  er- 
weisen könne:  nämlich  erstens,  wenn  nachzuweisen  sei^  dass  die 
eine  Sprache  das  Wort  aus  der  anderen  entlehnt  habe;  zweitens 
wenn  beide  es  einer  dritten  entlehnt  hätten,  und  schliesslich  als 
zweifelhaft,  wenn  sich  erweisen  lasse,  dass  die  Bildung  unabhängig 


I  VOD  einamicr  niic!i  der  ^Hesonderniif,'"  geRlallel  werden  konote. 
I  Diese  letztere  Möglichkeil  träte  bei  allen  Wörtern  ein,  „welche 
I  einerseits  aus  Dageu  und  FormatioNseleuientea  gebildet  sind,  die 
i  sieh  in  den  betreffenden  .Sprachen  so  lebensvoll  erhalten  haben, 
IdasH  sie  aneh  nach  der  Trennung  sich  zn  verbinden  vermochten, 
I  lodrerseits  zugleii^b  die  etymologische  Bedeutung  einer  derartigen 
IVerbiudnng  bewahrt  oder  wenigstens  sich  nicht  sehr  wesentlich 
rTon  ihr  entfernt  haben."  Als  Beispiel  eines  solchen  Falles  fHhrt 
iBenfej  die  Gleichuug  von  griecb.  rent/'/s-  laus  rfn:r-ri)  und  skrt. 
I  tjrpli  an,  die  deshalb  nicht  als  notwendiges  Erbgut  indog. 
I  Vorzeit  gelten  kOnne,  weil  sich  sowohl  die  ursprungliche  Verbal- 
I  wtimel  ttirp  als  anch  das  Abstrakta  bildende  Suffix  -ti  lebens- 
\  krUftig  im  Griechischen  nnd  im  Sanskrit  (rf^.T(rj,  tfpnö'mi)  er- 
l'ballen  habe.  Keine  dieser  drei  MCgUcbkeiten  sei  nun  auf  die 
fGleichutig  skrt.  ktihurd  =  griech.  ^vo6v  anwendbar;  denn  was  die 
I  dritte,  hier  einzig  zu  erwfigende  anbetreffe,  so  sei  die  zu  Grnnde 
I  liegende  Verbalwurzel  ksu  nur  noch  im  Griechischen  fe'o» 
I  {yF-vA  bewahrt,  das  Suffix  -ru  l-oo)  aber  in  keiner  von  beiden 
rächen  mehr  mit  lebendiger  Bildungskraft  begabt, 

.\ber  lienfey  macht  sich  noch  einen  weiteren  Einwand.  „Bei 
Ider  Länge  der  Zeit  nämlich,  welche  nach  der  Trennung  der 
Ifiriechen  und  des  Sanskritvolkes  vom  Grundstamm  verflossen  ist, 
Ibt  die  Möglichkeit  keineswegs  auegeschlossen,  dass  auch  noch 
rBach  derselben  im  Sanskrit  oder  dessen  nächster  Grundlage,  dem 
1  Arischen,  der  Reflex  des  Vcrbums  ^v-  und  im  Griechischen  so- 
I  wohl  als  Sanskrit  auch  das  Affix  -ra  in  seiner  kategorischen  Be- 
Bdeatuug  einige  Zeit  fortbestand  und  ihr  die  unabhängige  Bildung 
■beider  Wörter  nngeliöre."  Allein  dieser  Einwand  wird  nach 
IBenfey  bet^eitigt  durch  die  vfliltge  Bedeutungsidcutität  der  beiden 
I  Wörter;  denn  „die  Bedeutung  „Rasiermesser"  oder  ursprllngliclt 
VTielleicht  nur  ^Instruiueut  zum  Bartscheren"  liegt  von  der  kate- 
Igorigeben  oder  etymologischen  „geschabt"  (^i.i'i  „schaben")  so  weit 
|ab,  dass  es  der  wunderbarste  nnd  nnerklitrbarsie  Zufall  wäre, 
renn  beide  Sprachen  unabhängig  von  einander  von  dieser  za 
Jener  gekommen  wären" '). 

I)  H*?ibig  hält  iii  seiner  Antwort  auf  dun  Benfeystheii  Vortrag- 
^Allgemeine  ZeitnufC  1*^^^  Beil-  I^r.  IIT)  dieser  Beweiatütirung  mit  Recht 
Hie  von  B.  nicht  beachtete  Möglichkeit  entgegen,  da^a  das  Wort  ur- 
IprUnglich  ein  scharfeä,  aum  Abecllaben  heetitomies  Instrumetii  —  etwa 


—     44    — 

Aber  trotz  der  Argumente,  die  für  die  Bekanntschaft  der 
Indogermanen  mit  dem  Rasiermesser  sprechen,  ist  Benfey  keines- 
wegs geneigt,  den  ^linguistischen  Standpunkt  ftlr  den  einzigen 
zu  halten,  von  welchem  aus  derartige  Fragen  vollständig  ent- 
schieden werden  können.^  Ja,  er  würde  sogar  seinen  sprachlichen 
Beweisen  gegenüber  einen  Zufall  für  möglich  halten,  wenn  ^sich 
z.  B.  durch  historische  Dokumente  unabwcislich  feststellen  Hesse, 
dass  die  Indogermanen  vor  ihrer  Spaltung  noch  keine  Instrumente 
zum  Bartschereu  hatten."  Was  aber  soll,  so  fährt  seine  Argu- 
mentation fort,  der  Umstand  beweisen,  dass  bei  den  Ausgrabungen 
von  Alba  Longa  keine  Rasiermesser  gefunden  worden  sind? 
Sind  diese  Denkmäler  altitalischer  Kultur  nicht  von  jener  grauen 
indog.  Voraeit  durch  einen  Zeitraum  getrennt,  der  „laug  genug 
war,  um  von  der  indogermanischen  Kultur  so  viel  einzubüssen 
und  durch  Schöpfung  einer  neuen  so  viel  zu  gewinnen,  dass  diese 
Reliquien  nichts  weniger  als  die  Zustände  der  indogermanischen 
Einheit  darzustellen  vermögen?" 

Hiermit  aber  sind  wir  bei  einer  für  die  Weiterentwicklung 
der  linguistischen  Paläontologie  verhängnisvollen  Grundanschauung 
Benfeys  angekommen.  Derselbe  hat  mit  Aufmerksamkeit,  wie 
aus  seinen  Schriften  hervorgeht,  die  Angriffe  verfolgt,  die 
V.  Hehn,  gestützt  auf  die  geschichtlich  überlieferte  niedere 
Gesittung  vieler  indogermanischer  Völker,  gegen  die  von  ihm  und 
anderen  vertretene  Annahme  einer  verhältnismässig  schon  hoch 
kultivierten  Urzeit  richtet,  verfolgt  und  versucht  dieselben  zu 
])arieren,  indem  er  die  Behauptung  aufstellt:  Die  historische 
Überlieferung  über  die  geschichtlichen  Anfänge  der  Einzelvölker 
kann  gar  nicht  massgebend  sein  für  die  Epoche  der  Urzeit,  die 
von  jenen  durch  Jahrhunderte,  wenn  nicht  Jahrtausende  getrennt 
ist,  d.  h.  durch  einen  Zeitraum,  innerhalb  dessen  durch  Eiubusse 
des  alten  und  Erwerbung  neuen  Kulturkapitals  ein  völliger  Um- 
schwung der  Dinge  möglich  war.  Namentlich  wird  die  Möglich- 
keit des  Verlustes  alten  Kulturguts  hervorgehoben.  „Wem", 
heisst  es  in  den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  1875  p.  210, 
„gegen  die  Annahme  jener  uralten  verhä'ltnismässig  hohen 
Kultur    der  Umstand    zu    sprechen    scheint,    dass    wir    sie  (die 

das  primitive  Werkzeug,  mit  dem  man  die  Haare  von  dem  Tierfell 
entfernte  —  bezeichnete  und  erst  später  auf  den  verwandten  Begriff 
des  Rasiermessers  übertragen  wurde. 


lucioeevnmncnt,  inübtsondere  den  niinlliolien  Zweig  der  eiiropäiselien 
Indoifernianeu,  im  Aiifnng;  ihrer  Ciesebielite  in  (.'iiieiii,  im  Ver- 
bAltuis  daxn,  keinesweg:»  bervorragfiideu  Kultai'zastaod  fiuden, 
der  tufige  liedeiiken,  diircb  welche  unwirtliche  Länder  sie  nach 
I  ihrer  Abtrennnng  zu  wandern  und  welche  Kämpfe  sie  ?m  besteben 
I  baben  iiiocblen,  bis  sie  sich  neue  und  steti|;e  Sitze  angeeignet 
IhaUen.  DasB  sie  dadurch  viel  von  ihrem  mitgebrachten  Kultur- 
I  Torrftt  einbüsBec  mussten,  lilsst  sich  schon  vornweg  vermuten : 
I  Über  manche  dieser  Einbassen  geben  ans  aber  ancb  die  Sprachen 
1  envei'IlisMgen  Nai^hweis.^  Als  Beispiele  eines  solchen  Herabsinkens 
T  Ton  einer  einst  büheren  Sttife  der  Gesittung  fuhrt  Benfey  zwei 
I  Fälle  an.  So  sei,  wie  au»  der  Vergleichiing  von  griech.  yßiw 
I  mit  ^krt.  sii-häsra  hervorgehe,  der  Begriff  „tausend"  schon  dem 
l'Crvolk  aufje;egangen.  Diejenigen  indog-  Völker  aber,  die  das 
I  jesen  Begriff  bezeichnende  Wort  eiugebUsst  hätten,  sfien  „iiacli 
I  ihrer  Abtrennung  in  Zustände  geraten,  in  denen  sie  so  selten 
I  oder  endlich  so  gar  keine  Veranlassung  fanden,  sich  dieses  Zahl 
I  Wortes  zu  bedienen,  dass  sie  das  alte  Wort  ganz  aus  dem  Ge- 
I  tiftchtnis  verloren," 

Auch    das    Gold    und    Silber    war   nach   Beufeys  Meiuung^ 

licboii  dem  Urvülk  bekannt.    Jenes  hien8  gharta,  (iieees  nannten 

ft^ie    arg-anta    oder    arg-ura.      Aus    dem     Lmstand    aber,    dasH 

Idie    Griechen    nnd  Italer   nnr    die  Xamen    FUr  Silber   iüoyvooi;- 

miirgentum),   die  Germanen   und  .Slaven   nur   den   für   Gold  {gulp- 

I  üato)    iKwahrt    haben,    folge    das    allein,    dass   jene    auf    ihrer 

rlFandening  zwar  Silber,  aber  nicht  Gold,  diese  umgekehrt  Gold, 

|(ber  nicht  Silber  antrafen.     „So  verloren  sie  die  alten  Namcu 

t  dem  Gedächtnis  und  niussten,   als  sie  wieder  häufiger,  jene 

jnil  Gold,   diese  mit  Silber  in  Berührung  kamen,   für  deren  ver- 

Ifeasene  Bezeichnungen  sich  andere  verschaffen,  gerade  wie  dies 

tei  den  Kömern  asw.  mit  der  Bezeichnung  der  Zahl  „Tausend" 

Ifetcbah." 

In  derartigen  Ertirternngen,  die  beweisen,  wie  wenig  die 
iGnindgedanken  des  Hehnecben  Buches  damals  noch  durchgedrungen 
■waren,  schien  das  Interesse  der  vergleichenden  Spracb forscher  an 
nräbistonscheu  oder  Überhaupt  knltnrhistorischen  Fragen  ftlr  ge- 
lanuie  Zeit  verklingen  zn  wollen.  Je  mehr  die  siebziger  Jahre 
ijch  ilireni  Ende  zuneigten,  in  um  so  höherem  Grade  wurden 
klle  auf  dem  Gebiete  der  vergleichenden  Grammatik  verfügbaren 


-    46    - 

Kräfte  durch  den  Kampf  in  Anspruch  genommen,  den  die  Be- 
handlung neu  auftauchender,  weittragender,  aber  zunächst  nur 
rein  grammatische  Dinge  betreffender  Fragen  namentlich  in 
Deutschland  entzündete.  Das  erhöhte  Interesse  an  der  Sprach- 
form drängte  naturgeniäss  dasjenige  am  Sprachinhalt  für  einige 
Zeit  in  den  Hintergrund.  Dazu  kam,  dass  die  Ergebnisse,  die 
sich  allmählich  aus  diesem  Streit  der  Meinungen  abklärten,  die 
Annahme  einer  grösseren  Ursprüngliehkeit  des  bunten  europäischen 
Vokalismus  vor  dem  einfarbigen  der  beiden  arischen  Sprachen, 
das  immer  mehr  an  Anhängern  gewinnende  Axiom  ausnahmslos 
wirkender  Lautgesetze,  die  Entdeckung  neuer  Grundlaute  in  dem 
System  der  Ursprache,  wie  die  verschiedener  k-Reihen  oder  der 
siibenbildenden  Nasale  und  Liquiden,  die  Ermittlung  der  Ablauts- 
gesetze auch  in  den  nicht-germanischen  Sprachen  und  anderes  die 
Etymologie,  auf  der  doch  alle  linguistische  Paläontologie  beruht, 
in  neue  Bahnen  drängten.  Die  Wörterbücher  von  Pott  und 
Benfey,  ja  selbst  die  von  Fick  und  G.  Curtius  (Grundzüge 
der  griechischen  Etymologie),  begannen  rasch  zu  veralten.  Wie 
überall,  ging  aber  auch  hier  das  Einreissen  schneller  als  das 
Aufbauen  und  erst  ganz  allmählich  begannen  zuverlässige  Zu- 
sammenstellungen desjenigen  etymologischen  Wissens,  das  nach 
den  heutigen  Anschauungen  als  gesichert  gelten  kann,  für  die 
einzelnen  indog.  Sprachgebiete  zu  erscheinen^). 

l)  Gute  vergleichende  Wörterbücher  sind  auf  indischem  Gebiet: 
Uhlenbeck  C.  C.  Kurzgefasstes  etymologisches  Wörterbuch  der  alt- 
indischen  Sprache,  Amsterdam  1898/99 ;  auf  iranischem  :BarthoIomae, 
AltiraniRchesWörterbuch,Stra8sburgl904;  auf  armenisch  em:  Hübsch- 
mann H.,  Armenische  Grammatik  I.  Teil  Armenische  Etymologie,  Leipzig 
1897;  auf  griechischem:  PrellwitzW.,  Etymologisches  Wörterbuch 
der  griechischen  Sprache,  Göttingen  1892 ;  auf  lateinische m:A.  Wa  1  d e, 
Lat.  etym.  Wörterbuch,  Heidelberg  1905  (im  Erscheinen);  auf  ger- 
manischem: Kluge  F.  Etymologisches  Wörterbuch  der  deutschen 
Sprache,  6  te  Auflage,  Strassburg  1 899 ;  U  h  1  e  n  b  e  c  k  C.  C.  Kurzgefasstes 
etymologisches  Wörterbuch  der  gotischen  Sprache,  Amsterdam  1896, 
5te  Aufl.;  auf  slavischem:  Miklosich  F.,  Etymologisches  Wörter- 
buch der  slavischen  Sprachen,  Wien  1886;  auf  altpreussischem: 
Berneker  E.,  Die  preussische  Sprache.  Texte,  Grammatik,  Etymo- 
logisches Wörterbuch.  Strassburg  1896;  auf  albanesischem:  G.Meyer, 
Etymologisches  Wörterbuch  der  albanesischen  Sprache,  Strassburg  1891; 
auf  keltischem:  Stokes  Wh.  und  A.  Bezzen berger.  Urkeltischer 
Sprachschatz  (II.  Teil  der  4ten  Auflage  des  Vergleichenden  Wörter- 
buchs der  indog.  Sprachen  von  A.  Fick),  Göttingen  1894. 


47 


«11 


DenigegciiUber  versucbte  der  Verfaswer  in  der  ersten  Auf- 
lage des  vorliegenden  Werkes,  die  1883  eiachieii  und  der  1890 
«ine  zweite  folgte,  »ich  den  bracliliegenden  linguistiseti-historlsolien 
Stadien  wieder  zuzuwenden.  Sein  BucU  stellte  sicli  durebaus 
auf  den  ron  V.  Helm  eiiigennmiiieuen  Standpunkt,  dass  es  nn- 
RiGgiicti  8ei,  alleiu  mit  Hülfe  der  S|iraehvergleichiing  nirbistoriselie 
Kolturepocheu  ersL-liliessen  zu  wollen.  Aber  während  V.  Hebu 
lediglich  die  historisclicn  Nachrichten  der  antiken  Schriftsteller 
uebeD  der  Sjirnche  als  Hilfsmittel  bei  seiner  Rckougtruktion  der 
Urzeit  verwendet  liatlo,  wurde  hier  zum  ersten  Mal  in  weiterem 
Umfange  der  Versueb  getuacbt,  die  Ergebnisse  der  iniuier  mehr 
herange blühten  prähistorischen  Forsehung  zur  Erläuterung 
und  Riclitigstelluiig  der  sprachliehen  Tatsachen  heranzuziehen. 
V.  Hehn  selbst  hatte  dieser  Seite  der  Wissenschaft  ein  starkes 
Misstranen  entgegengebracht.  Ein  Hauptergebnis,  zu  dem  der 
Verfasser  auf  diesem  Wege  gelangte,  und  das  seitdem  all- 
gemeine Zustimmung  gel'undeu  hat,  war,  dass  diejenige  Knltur- 
Ijtnfe,  die  wir  an  der  Hand  der  sprachlichen  OIcichungen  als 
die  indogermanische  bezeichuen,  derjenigen  entspricht,  die 
die  Prähisturiker  die  neolitbische  oder  die  jüngere  Steinzeit 
meo. 

Ein  wichtiger  Unterschied  gegenüber  Hehn  bezo^  sieb  auch 
lof  die  Wirtschaftsform  der  Indogermanen.  V.  Hehn  hatte  diese 
noch  als  Xomaden  in  ihre  historischen  Wohnsitze  einwandern 
liBseti.  Der  Verfasser  aber  versuchte,  namentlich  an  der  Hand 
der  von  Angust  Fick  (oben  s.  p.  41 1  gesauimelteu  gemein- 
earopäischen  Ackerbaugleicbungen,  den  Nachweis  zu  führen,  dass 
die  europäischen  Indngeruianen  schon  in  vorhistorischer  Zeit  zu 
«inem,  wenn  auch  primitiven  Ackerbau  übergegangen  sein  müssten. 
Dieser  Gesichtspunkt  zeigte  sich  auch  fftr  die  spezielle  Geschichte 
^ier  in  V.  Hebns  Uucb  beLandelteu  Kulturpflanzen  uicht  unwichtig, 

der  Verfasser  in  seiner  Neubearbeitung  des  Hehn'sehen 
Werkes  (o.  p.  34)  mehrfach  gezeigt  hat. 

Vor  allem  aber  wurden  in  Spracbvergleiehnng  und  Ür- 
.^eschichte  zahlreiche  Seiten  des  Kulturlebens  der  indogermanisehen 
Volker  behandelt,  die  V.  Hehn  entweder  übergangen  oder  nur 
streift  hatte,  z,  B.  die  Zeitteilung,  die  Familie,  der  Staat,  das 
Jtccbt,  die  Religion,  Bei  dem  allen  wurde  versucht,  die  sprach- 
iche  Gntndlage  des  Buches  den  Lautgesetzen,  dereu  Handhabung, 


-    48    - 

selbst  vom  Standpunkte  der  damaligen  Zeit,  die  schwächste  Seite 
V.  Hehns  gewesen  war,  sorgfältiger  anzupassen. 

Die  Aufnahme  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 
in  der  wissenschaftliehen  Kritik  war  eine  zustimmende,  wie  die 
Besprechungen  der  ersten  Auflage^)  durch  K.  Brugmann, 
G.  Meyer,  W.  Geiger,  W.  Tomaschek  und  viele  andere,, 
die  der  zweiten  durch  Bartholomae  (Wochenschr.  f.  klass. 
Phil.  1890  Nr.  41),  Bezze  n berger  (Deutsche  Litz.  1891  Nr.  46). 
Meringer  (Z.  f.  d.  österr.  Gymn.  1891  H.  4j,  Streitberg  (Lit. 
Zentralbl.  1890  Nr.  13),  Stolz  (Neue  Phil.  Rundschau  1890  Nr.  8) 
usw.  zeigen.  Ein  erbitterter  Gegner  entstand  dem  Werke  in 
P,  V.  Bradke,  der  ein  besonderes  Buch  Über  Methode  und  Er- 
gebnisse der  arischen  Altertumswissenschaft,  Giessen  1890,  gegen 
die  erste  Auflage  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  und 
eine  ausführliche  Rezension  in  den  Göttingischen  Gelehrten  An- 
zeigen (15.  Nov.  1890)  gegen  die  zweite  Auflage  desselben  Buches 
schrieb.  Ob  und  inwiefern  durch  ihn  der  linguistisch-historischen 
Forschung  ein  bleibender  Nutzen  entstanden  ist,  mögen  andere 
entscheiden*). 

Wie  man  nun  auch  immer  über  den  Wert  oder  Unwert 
von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  denken  mochte,  auf 
jeden  Fall  darf  dieses  Buch  das  Verdienst  für  sich  in  An- 
spruch nehmen,  an  seinem  Teil  zur  Wiederbelebung  der  linguistisch- 
historischen Forschung  beigetragen  zu  haben. 

Eine  einzelne  Seite  indogermanischer  Kulturgeschichte  „Die 
Ursprünge  des  Handels  und  Wandels  in  Europa"  stellte  zunächst 
der  Verfasser  selbst  in  dem  ersten  Teil  seines  Buches  Handels- 
geschichte und  Warenkunde,  Jena  1886,  dar.  Die  indogermanische 
Familienorganisation  behandelte  B.  Delbrück  in  seiner  Arbeit 
Die  indogermanischen  Verwandtschaftsnamen,  ein  Beitrag  zur 
vergleichenden  Altertumskunde,  Leipzig  1890.  Er  kam  hierin 
u.  a.  zu  dem  gleichen  Ergebnis  wie  der  Verfasser  in  der  zweiten 
Auflage  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte,  dass  nämlich 
in  vorhistorischer  Zeit  bei  den  Indogermanen  das  Verschwägerungs- 


1)  Eine  ziemlich  vollständige  Zusammenstellung  der  kritischen 
Besprechungen  der  I.  Auflage  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 
findet  man  in  Bursians  Jahresbericht  LVI,  199  ff. 

2)  Ich  selbst  habe  mich  über  das  Buch  v.  Bradkes  in  der 
Wochenschrift  für  klassische  Philologie  1890  Nr.  50  ausgesprochen. 


*9 


verliailnifl  nur  tiiiisichtiicli  der  Bezieh uugen  der  juD^t-n  Krau  mi 
den  Angehüriseii  ihres  Mannes  ausgehildet  gewesen  sei.  Haupt- 
H&cblicb  dieWirtBebaftBform  derürzeit  iiiachle  H.Hirt  in  einer 
Keilie  vnn  AuMtzen  d.  F.  V,  39;"»  it.,  JalirbHchcr  fUr  National- 
ökotiomic  nml  Statialik  Ul.  Folge  XV.  462  tf.,  Geographiecbe 
Zeitgcbrift,  herausgegeben  von  A.  Hettuer  IV,  1898  S.  369  ff.) 
xuni  OL'genatand  seiner  Betracbtitngeu.  Er  glaubt  hier  den 
Nacbweiit  führen  zu  können,  dase.  der  Aekerhiin  bei  den  Indo- 
germanen  in  eine  noch  höhere  Voraeit  zurückgebe,  als  von  dem 
Verfnwer  angenommen  wurde,  und  dasg  aucb  die  Vorfabren  der 
loder  lind  Iranier  ursprünglich  an  demselben  Teil  gehabt  bätlen. 
Üie  archäologisch- prähistorische  Seite  der  ganzen  Frage  suchte 
M.  Mach  in  seinem  Bncbe  Die  Kupferzeit  Jena  1886.  zweite 
Anflage  1893,  weiter  aiiszubanen.  Er  erkannte  durebaus  das  in 
Sprach vergleiebung  und  Urgescbiebte  gewonnene  Resultat,  dass 
die  indogermanische  Kultur  neotilliiscben  Cbarakter  getragen  habe, 
aq;  aber  indem  er  einei-seits  nachwies,  dass  innerhalb  oder  am 
»ehiasse  dieser  neolithisctien  Kultur  eine  reine  Kupferzeit,  d.  h. 
I  Benulxnng  unvermiscbten  Kupfere  .auftrete,  und  er  anderer- 
Sts  mit  V.  Hcbu  und  dem  Verfasser  bei  den  Indogermanen  die 
ikwintscbaft  mit  dem  Kupfer  voraussetzte,  suchte  er  die  indo- 
inaniflclie  Urzeit  des  genaueren  als  eine  Kupferzeit  zu  cbarak- 
isieren. 

Nahe  lag  es  auch,  dass  die  vergleicliende  Recb  tswisseu- 
Mjfaaft,  die  seit  1878  über  eine  eigene  Zeitschrift  verfügte,  sich  all- 
Ifthlich  des  Gedankens  der  pr<^>ethnisoben  Einheil  der  indog. 
FSlker  hemäcbligte,  um  durch  Vergleiebung  der  Reehtsz-usliinde 
I  den  Einzelvölkern  bis  zu  einem  indog.  Urrechl  vorzudringen. 
_  lerat  tritt  dieses  Bestreben  in  einem  Aufsatz  F.  Bcrnhöfts 
Über  die  Grundlagen  der  Rec-btsentwicklnng  hei  den  indog. 
Vfilkem  iZeitsehrift  II.  2.'>3  ffj  im  Zusammenhang  und  deutlicher 
hervor.  Später  ist  dieser  Gegenstand  namentlich  von  B.  W.  Leist 
in  ieinen  Büchern  Grüco-italische  Kecbtsgeschicbte  (1884J,  Altar- 
isebes  Jas  gentium  (1889),  Altari^chcs  Jus  eivile  1  (1892),  Altar- 
lebea  Jus  eivile  II  <1896i  behandelt  worden,  und  wenn  man 
ich  vielfach  zweifelhaft  sein  kann  hinsichtlich  der  Berechtigung 
r  Schlüsse,  die  Leist  auf  die  vorhistorische  Rcchtsgeataltnng 
'  Indogermanen  zieht,  so  ist  doch  in  den  genannten  Werken 
I  atueerordeutlieh  reiches  juristisches  .Material  vergleichend  zn- 
scbrailsr  ,  üi'iMlivrritlelchuiiR  unil  (.'rsiuFliiebii'.   a.  Auri,  4 


-     50    - 

saiomengestellt  worden.  Genannt  sei  endlich  im  Zusammenhang 
hiermit  ein  aus  demNaehlass  Rudolf  v.  Iherings  herausgegebenes 
Buch  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer  (1894).  Es  will  eine 
Art  von  Ethnogenie  der  Indogermanen  geben  und  folgende  drei 
Fragen  behandeln:  1.  Wodurch  ward  der  Charakter  des  indo- 
germanischen Muttervolkes  anderen  prähistorischen  Einheiten^  vor 
allem  den  Semiten  gegenüber,  bestimmt?  2.  Wie  erklären  sich 
die  den  europäischen  Indogermanen  den  Indern  und  Iraniem 
gegenüber  gemeinsamen  Eigenschaften?  3.  Wie  erklärt  sich  die 
neben  aller  Übereinstimmung  des  europäischen  Volkscharakters 
doch  bestehende  Verschiedenheit  der  einzelnen  europäischen  Völker? 
Doch  bricht  die  Veröffentlichung  bei  der  Behandlung  der  zweiten 
Frage  ab. 

Werfen  wir  hier  einen  Blick  auf  den  bisherigen  Gang 
unserer  Darstellung,  so  kann  seit  V.  Hehn  die  Vorstellung,  als 
ob  sich  lediglich  auf  sprachliche  Gleichungen  eine  Kulturgeschichte 
der  Indogermanen  aufbauen  Hesse,  für  aufgegeben  gelten.  Dieser 
Wandel  der  Anschauung  zeigt  sich  nicht  am  wenigsten  in  dem 
Umstand,  dass  man  mehr  und  mehr  die  von  Pictet  erfundene 
Bezeichnung  „linguistische  Palaeontologie"  fallen  Hess  und  dafür 
das  treffendere  „Indogermanische  Altertumskunde"  wählte.  Gleich- 
wohl bezweifelte  man  nicht,  dass  sich  den  sprachlichen  Gleichungen 
im  einzelnen  wichtige  prähistorische  Erkenntnisse  entnehmen 
Hessen.  Dies  drücken  die  im  Jahre  1892  zuerst  erscheinenden, 
von  Brugmann  und  Streitberg  herausgegebenen  „Indoger- 
manischen Forschungen",  die,  wie  der  weitere  Titel  der  Zeitschrift 
besagt,  zugleich  ein  Sammelplatz  für  Arbeiten  auf  dem  Gebiete 
der  indogermanischen  Altertumskunde  sein  sollten,  folgend ermassen 
aus:  „Aber  noch  nach  einer  andern  Seite  hin  ist  die  indoger- 
manische Sprachwissenschaft  zu  wirken  berufen,  bei  der  Er- 
schliessung der  indogermanischen  Kulturgeschichte.  Allerdings 
kann  sie  hierbei  nur  den  Rang  einer  Hilfswissenschaft  bean- 
spruchen, doch  einer  Hilfswissenschaft  von  nicht  zu  unterschätzender 
Bedeutung.  Denn  seit  vor  Jahren  Jakob  Grimm  und  Ad  albert 
Kuhn  zum  ersten  Male  den  Gedanken  fassten,  das  Sprachmaterial 
zur  Aufhellung  der  Lebensverhältnisse  längst  vergangener  Ge- 
schlechter zu  verwenden,  sind  die  Probleme  der  indoger- 
manischen Altertumskunde  kaum  von  einer  anderen 
Seite  so  mächtig  gefördert  worden,  als  von  der  Sprach- 


-     51     - 

Wissenschaft.^  Indessen  ist  es  eine  überall  sich  bestätigende 
Erfahrung,  dass  das  Richtige  erst  dann  erkannt  oder  festgehalten 
wird,  wenn  die  Extreme  nach  beiden  Seiten  zuerst  behauptet 
und  dann  als  irrig  erwiesen  worden  sind.  Somit  ist  es 
nicht  verwunderlich,  dass  auch  in  der  Frage  nach  der  Heran- 
ziehung der  Sprachvergleichung  für  prähistorische  Zwecke  eine 
rein  nihilistische  Richtung  hervortrat.  Hatte  man  früher 
alles  von  der  Sprachwissenschaft  erwartet,  so  warnte  man  jetzt 
davor,  wie  man  sich  ausdrückte,  „aus  sprachlichen  Gleichungen 
Kulturgeschichte  herausdestillieren  zu  wollen.'^  Wie  wir  oben 
sahen,  hatten  schon  Schleicher  (p.  29)  und  namentlich  V.  Hehn 
(p.  37)  eine  Reihe  von  indogermanischen  Gleichungen,  die  man 
sonst  als  urverwandt  bezeichnet  hatte,  als  auf  uralter  Entlehnung 
beruhend  aufgefasst.  Dieser  Gedanke  wurde  nun  in  jüngster 
Zeit  von  zwei  Gelehrten,  G.  Kossinna  (Z.  des  Vereins  für  Volks- 
kunde VI,  1  ff.)  und  P.  Kretschmer  (Einleitung  in  die  Ge- 
schichte der  griechischen  Sprache,  Göttingen  1896,  Kap.  2  u.  3) 
dahin  erweitert,  dass  überhaupt  alle  indogermanischen  Gleichungen 
im  Grunde  nichts  als  Entlebnungsreihen  seien,  und  da  nun  diese 
Entlehnungsreihen  zu  ganz  verschiedenen  Zeiten  und  in  ganz  ver- 
schiedener geographischer  Ausdehnung  sich  über  das  vor^esehicht- 
liche  Sprachgebiet  verbreitet  haben  könnten,  so  sei  es  unmöglich, 
durch  Addition  derselben  einheitliche  vorhistorische  Kulturznstände 
zu  erschliessen.  Die  Anschauungen  Kretschmers  berühren  sich 
dabei  vielfach  mit  denen  eines  dänischen  Forschers,  H.  S.  Vodskov 
(Sjoßledyrkehe  og  naturdyrkelse.  Bidrag  fil  hestemmelsen  af  den 
mytologiske  metode,  Kjohenhavn  1890),  nach  dessen  Ansieht  die 
Indogermanen  in  völlig  kulturloser  Urzeit  sich  von  dem  Persischen 
Hochland  aus  allmählich  bis  in  ihre  historischen  Wohnsitze  aus- 
gebreitet hatten,  wo  sie  unter  dem  Einfluss  der  verschiedenen 
Örtlichkeiten  sich  differenziert  haben  und  zu  den  geschichtlichen 
Individualitäten  geworden  sind.  Seine  Stellung  zu  diesen  Ein- 
wendungen, die  auch  auf  W.  Wundt  Völkerpsychologie  I  ^,  2 
einen  starken  Eindruck  gemacht  zu  haben  scheinen,  hat  der 
Verfasser  in  der  Vorrede  zu  seinem  Reallexikon M  der  iudoger- 


1)  Von  inhaltreicheren  Besprechungen  dieses  Werkes  nenne  ich  die 
von  M.  Förster,  Beiblatt  zur  Anglia  XIII  Nr.  VI;  von  R.  Much. 
Deutsche  Litz.  1902,  Nr.  34;  R.  Meringer,  Z.  f.  d.  österr.  Gymn.  1903 
H.  V;    B.   Symons,    Museum  X,  Nr.  4;    E.  Zupitza,    Z.  d.  Vereins  f. 

4» 


-   52   - 

manischen  Altertumskunde,  Strassburg  1901  dargelegt,  and  da 
dieselben  Fragen  uns  in  dem  zweiten  Abschnitt  dieses  Buche» 
ausführlich  beschäftigen  werden,  braucht  an  dieser  Stelle  nicht 
auf  sie  eingegangen  zu  werden.  Das  genannte  Reallexikon  selbst 
will  alles  auf  dem  Gebiete  der  indogermanischen  Altertumskunde 
Geleistete  zusammenfassen;  doch  handelt  es  sich  dabei  weniger 
um  die  Erschliessung  zusammenhängender  prähistorischer  Epochen^ 
als  um  eine  Entwicklung  der  einzelnen  kulturhistorischen  Be- 
griffe  in   sprachlicher  und  sachlicher  Hinsicht. 


Volkskunde  XI,  89  ff .  und  342  ff.;  A.Brückner,  Archiv  f.  slavische 
Phil.  XXIII,  622  ff.;  F.Stolz,  Neue  Phil.  Rundschau  1901  Nr.  8  u. 
1902  Nr.  2;  V.  Henry  Revue  critique  1901  Nr.  4  u.  Nr.  33;  0.  Hof  fmaniv 
z.  f.  Sozialwissenschaft  1902  p.  983  ff.;  R.  M.  Meyer,  Z.  f.  Kultur- 
geschichte, herausg.  v.  Steinhausen,  IX,  1  ff.  Am  eingehendsten  aber  hat 
sich  mit  dem  Reallexikon  M.Wintern  itz  in  einer  Serie  von  Artikeln  „Was 
wissen  wir  von  den  Indogermanen?*  beschäftigt,  die  im  Okt.  und 
Nov.  1903  in  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Z.  erschienen  sind.  Genannt 
sei  endlich  eine  Kritik  H.  Hirts,  I.  F.  Anz.  XIII,  5  ff.,  obgleich  mir 
seine  Einwendungen,  wie  sich  noch  zeigen  wird,  wenig  begründet  er- 
scheinen.  Ahnliches  gilt  auch  von  W.  Streitbergs  Ausführungen  im 
Lit.  Zentralblatt  1902  Nr.  50. 


III.  Kapitel. 

Die  Annahmen  indog.  Völkertrennungen  in  ihrer 

kulturhistorischen  Bedeutung. 

(Mit  einem  Anhang  über  die  Erforschung  der  Lehn- 
wörter in  den  indog.  Sprachen.) 

Es  ist  schon  in  unserem  ersten  Kapitel  gezeigt  worden,  wie 
der  Entdeckung  des  indog.  Sprachstammes  die  Beobachtung  auf 
dem  Fusse  folgte,  dass  innerhalb  des  Kreises  der  indog.  Sprachen 
einige  durch  die  treuere  Bewahrung  alten  oder  durch  die  gemein- 
same Schöpfung  neuen  Sprachgutes  zu  einer  engereu  Einheit 
verbunden  würden.  Zu  einer  entscheidenden  Beantwortung  dieser 
mehr  im  Vorübergehn  behandelten  Frage  war  man  indessen  noch 
Dicht  vorgedrungen.  Es  war  daher  wünschenswert,  dass  man 
diesem  für  Sprach-  und  Völkergeschichte  gleich  wichtigen  Gegen- 
stand seine  volle  Aufmerksamkeit  zuwendete.  A.  Schleicher 
war  es,  der  sich  in  einer  stattlichen  Reihe  von  Abhandlungen, 
deren  erste  1853  in  der  Kieler  Allgemeinen  Monatsschrift  für 
Wissenschaft  und  Literatur  p.  786 — 787  (Die  ersten  Spaltungen 
des  indog.  ürvolks)  erschien,  dieser  Aufgabe  unterzog.  Wir 
werden  nun  zunächst  ein  Bild  von  den  Ansichten  dieses  Forschers 
gewinnen  müssen,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  es  uns  in  erster 
Linie  auf  die  Darstellung  der  geographisch-ethnographischen  An- 
schauungen ankommt^  die  den  Schleicherschen  Sprachgruppierungen 
zugrunde  liegen. 

Zuvörderst  ist  hervorzuheben,  dass  Schleicher  den  Anfang 
der  sprachlichen  Differenzierung  bereits  in  die  indog.  Urzeit 
hineinverlegt.  Er  beschreibt  dies  in  seinem  Schriftchen  Die 
Darwinsche  Theorie  und  die  Sprachwissenschaf  1 1863  p.  15  wie  folgt: 


-    54    - 

„Nachdem  sie  (die  Ursprache)  von  einer  Reihe  von  Generationen 
gesprochen  ward,  während  dem  wahrscheinlich  das  sie  redende 
Volk  sich  mehrte  und  ausbreitete,  nahm  sie  auf  verschiedenen 
Teilen  ihres  Gebietes  ganz  allmählich  einen  verschiedenen  Cha- 
rakter an,  so  dass  endlich  zwei  Sprachen  aus  ihr  hervorgingen. 
Möglicherweise  könnten  es  auch  mehrere  Sprachen  gewesen  sein, 
von  denen  aber  nur  zwei  am  Leben  blieben  und  sich  weiter 
entwickelten."  Es  ist  hiernach  zu  betonen,  dass  Schleicher  die 
Entstehung  zweier  (oder  mehrerer)  neuer  Spracharten  aus  der 
einheitlichen  Grundsprache  sich  allein  durch  den  im  Wesen  der 
Sprache  liegenden  Differenzierungstrieb  herbeigeführt 
denkt,  ohne  zunächst  die  Annahme  einer  räumlichen  Trennung 
des  ürvolks  zu  Hilfe  zu  nehmen.  Nach  diesem  ersten  Aus- 
einandergehen der  Sprachen  habe  allerdings  auch  ein  Auseinander- 
gehen der  Völker  in  geographischer  Beziehung  stattgefunden. 
Als  Ursachen  betrachtet  Schleicher  (Hildebrands  Jahrb.  I,  404) 
„die  Zunahme  der  Bevölkei-ung,  die  Entwaldung  und  Verödung 
des  Bodens,  die  Verschlechterung  des  Klimas,  kurz,  jene  un- 
glücklichen Folgen,  welche  bis  jetzt  noch  stets  die  als  Raubbau 
betriebene  Kultur  hatte."  Die  durch  die  räumliche  Trennung  der 
Völker  in  die  Ferne  getragenen  Sprachgattungen  der  Ursprache 
gehen  dann  wieder  in  sich  durch  allmähliche  Differenzierung 
(,, durch  die  fortgesetzte  Neigung  zur  Divergenz  des  Charakters^ 
wie  es  bei  Darwin  heisst")  auseinander.  Inwieweit  Schleicher 
die  Spracbdifferenzierung  innerhalb  der  einzelnen  Sprachgattungen, 
Sprachen,  Mundarten,  Dialekte  von  Unterbrechung  der  geo- 
graphischen Kontinuität  durch  Völkerwanderungen  etc.  sich  be- 
gleitet denkt,  lässt  sich  mit  völliger  Gewissheit  nicht  erkennen. 
Jedenfalls  kann  man  sich  nach  Schleicher  die  Differenzierung 
etwa  der  germanischen  Grundsprache  in  ihre  Mundarten  in  gRUZ 
derselben  Weise  verlaufend  vorstellen,  wie  es  oben  bei  der  ur- 
indogermanischen Grundsprache  geschildert  ist  (vgl.  Die  deutsche 
Sprache  *  p.94  f.).  Die  geographische  Nachbarschaft  hebt  Schleicher 
an  verschiedenen  Stellen  (vgl.  z.  B.  Compendium  ^  p.  4)  als  zu- 
sammenhängend mit  näherer  Sprachverwandtschaft  hervor;  e& 
wird  ihm  nicht  einfallen,  wie  Lottner  (vgl.  unten)  es  tut,  etwa 
das  Italisch  den  nordischen  Sprachen  näher  als  dem  Griechischen 
zu  stellen.  Dagegen  gruppiert  er  Germanisch  und  Litu-Slaviscb^ 
Griechisch  und  Lateinisch,  Indisch  und  Iranisch  zu  einander. 


-    55    - 

Das  relative  Alter  der  indog.  Völker-  und  Sprachtrennungen 
sacht  Schleicher  von  zwei  Grundsätzen  aus  zu  bestimmen,  die  er 
in  folgender  Weise  formuliert: 

1.  „Je  östlicher  ein  indogermanisches  Volk  wohnt,  desto 
mehr  Altes  hat  seine  Sprache  erhalten,  je  westlicher,  desto 
weniger  Altes  und  desto  mehr  Neubildungen  enthält  sie"  (Com- 
pendium  ^  p.  6)  und 

2.  „Je  westlicher  eine  Sprache  (oder  Volk)  ihren  Sitz  hat, 
desto  früher  riss  sie  sich  von  der  Ursprache  (dem  ürvolke)  los'' 
(Kieler  Allg.  Monatsschrift  f.  Wissenschaft  u.  Literatur  1853 
p.  787). 

Nach  diesen  Grundsätzen  haben  also  zuerst  die  Slavo- 
Germanen,  als  zweite  die  Graeco-Italer,  zuletzt  die  Indo-Iranier 
ihre  Wanderungen  angetreten.  In  einer  kritischen  Lage  befindet 
sich  Schleicher  dem  Keltischen  gegenüber.  Wegen  der  am  weitesten 
westlich  befindlichen  Wohnsitze  dieses  Volkes  ist  er  genötigt  an- 
zunehmen, dasselbe  habe  am  frühesten  die  Urheimat  verlassen. 
Eine  sorgfältigere  Betrachtung  des  Keltischen  veranlasst  ihn  aber 
schon  im  Jahre  1858  (vgl.  Beiträge  zur  vergleichenden  Sprach- 
forschung I,  437),  dasselbe  dem  Italischen  näher  zu  rücken,  wo- 
durch wieder  die  angeführten  Prinzipien  Schleichers  in  bedenk- 
licher Weise  durchbrochen  werden. 

Bekanntlich  hat  Schleicher  versucht,  seine  Ansichten  über 
die  Spaltungen  der  Ursprache  durch  eine  Zeichnung  zu  veran- 
schaulichen, zu  der  er  sich  anfangs  des  Bildes  eines  „sich 
verästelnden  Baumes"  (Fig.  A),  später  eines  einfachen  Linien- 
systems (Fig.  B)  bediente.  In  beiden  Fällen  sollen  die  sich  ver- 
zweigenden Äste  oder  Linien  den  nach  verschiedenen  Richtungen 
verlaufenden  Differenzierungstrieb  der  Sprache  darstellen,  ohne 
dass  zunächst  ein  Urteil  über  Völkertrennungen  in  geographischer 
Beziehung  abgegeben  werden  sollte.  Der  Ausdruck  „Stammbaum", 
der  im  Verlauf  der  Forschung  von  der  Auffassung  Schleichers 
und  derer,  die  ihm  folgen,  gebraucht  wird,  scheint  erst  in  dem 
genannten  Schriftchen  Die  Darwinsche  Theorie  und  die  Sprach- 
wissenschaft, aus  der  Ausdrucksweise  der  Naturforscher  entlehnt 
zum  ersten  Male  im  Munde  Schleichers  vorzukommen. 

Ich  erlaube  mir,  die  beiden  Figuren  im  Texte  abzubilden, 
um  die  Ergebnisse    der  Schleichorschen  Forschung   in   concreto 


dem  Leser  vorznfubren.     Zu  Fig.  B  *)  ist  zu  bemerken,  dasa  die 
versehiedcoe   Lftuge  der   Linien    „die    grossere   oder  geringere 


Länge  des  Weges  -zwischen  der  Ursprache  und  den  hier  als  Ende 
aitgenomnicnen  Entwicklungspnnkten"  anzudenten  sucht. 

1 )  Diuse  ist  aussisr  in  der  Deutsclieu  Sprache  noch  im  Compen- 
diiim  >  |i.  7  und  in  Die  Darwingche  Theorie  und  die  SprachwiEseoBclutft 
am  Ende  Hbgehildet. 


—    57    - 

Genau  in  demselben  Jahre  (1853)^  in  dem  Schleicher 
seine  oben  dargestellte  Ansicht  ttber  die  Spaltungen  der  indog. 
Ursprache  veröffentlichte,  sprach  M.  Müller  in  seinem  Essay 
Der  Veda  und  Zendavesta  (Essays  I,  60  f.)  hinsichtlich  der 
indog.  Völkertrennungen  eine  sowohl  der  Schleicherschen  als 
auch  der  früher  (vgl.  p.  21)  geschilderten  Bopp-Kuhoschen  An- 
schauung entgegenstehende  Meinung  aas,  der  er  auch  in  seinen 
späteren  Schriften  (vgl.  1859  A  history  of  ancient  Sanscrit 
literature  p.  12  f.,  1863  Vorlesungen  über  die  Wissenschaft  der 
Sprache  p.  176  f.,  1872  Über  die  Resultate  der  Sprachwissenschaft, 
Strassburger  Antrittsvorlesung  p.  18  f.,  1888  Biographies  of 
worcUf  p.  85flf.,  137  flf.)  treu  geblieben  ist. 

Er  nimmt  hier  überall  eine  uralte  Spaltung  des  indog. 
Volkes  in  eine  nördliche  (nordwestliche)  und  südliche  Abteilung 
an,  von  denen  die  erstere  die  heutigen  europäischen,  die  letztere 
die  iranischen  und  indischen  Völkerschaften  indog.  Ureprungs 
umfasse.  Diese  Trennung  sei  durch  eine  „weltweite  Wanderung" 
der  europäischen  Indogermanen  in  nordwestlicher  Richtung  ent- 
standen, deren  Ursachen  zwar  verborgen  seien,  die  aber  ein  grelles 
Streiflicht  auf  die  ursprünglichen  Naturanlagen  der  scheidenden 
ond  bleibenden  Völkerschaften  werfe.  Den  Europäern  sei  die 
Hauptrolle  in  dem  grossen  Drama  der  Geschichte  zugedacht,  „sie 
repräsentieren  den  Arier  in  seinem  geschichtlichen  Charakter". 
Und  die  Zurückbleibenden '?  „Es  fordert  eine  starke  Willenskraft 
oder  einen  hohen  Grad  von  Trägheit,  dem  Anprall  so  nationaler 
oder  vielmehr  so  vöikererschtitternder  Bewegungen  zu  widerstehen. 
Wenn  alle  gehen,  wollen  wenige  bleiben.  Aber  seine  Freunde 
ziehen  zu  lassen  und  dann  sich  selbst  auf  die  Reise  zu  machen  — 
einen  Weg  einzuschlagen,  der,  wohin  er  immer  führe,  uns  nimmer- 
mehr zu  einer  Vereinigung  mit  denen  führen  kann,  deren  Sprache 
wir  reden,  deren  Götter  wir  ehren  —  das  ist  ein  Weg,  welchen 
nur  Leute  von  stark  ausgeprägter  Individualität  und  grossem 
Selbstvertrauen  zu  verfolgen  im  stände  sind.  Es  war  die  Strasse, 
die  der  südliche  Zweig  der  arischen  Familie,  die  brahmanischen 
Arier  Indiens  und  die  Zoroastrier  Irans  einschlugen"^). 


1)  Diese  Vorstellung  von  elDem  bewussten  Trennungsprozess  der 
indog.  Völker  tadelte  mit  Recht  bereits  W.  D.  Whitney  {Oriental  and 
Linguistic    Mtudieif,   Neic-Yoi'k  1873  p.  95   f.):    „Had   not   our    author, 


—    58    — 

Einer  weiteren  Gruppierung  der  europ.  Abteilung  der  Indo- 
germanen  in  Sprachfamilien  steht  M.  Müller  sehr  skeptisch  gegen- 
über. Interessant,  weil  einer  später  von  uns  zu  besprechenden 
Auffassung  der  indog.  Verwandtschaftsverhältnisse  nahe  liegend, 
ist  die  Erklärung,  die  Müller  für  die  spezielleren  Überein- 
stimmungen z.  B.  zwischen  den  slavischen  und  teutonischen 
Sprachen  in  der  Annahme  sucht,  „dass  die  Vorfahren  dieser 
Rassen  von  Anfang  an  gewisse  dialektische  Besonder- 
heiten beibehielten,  welche  sowohl  vor  als  nach  der 
Trennung  der  arischen  Familie  vorhanden  waren**  (Vor- 
lesungen ^  p.  178). 

Die  so  von  M.  Müller  zuerst  aufgestellte  Idee  einer  euro- 
päischen Grundsprache  wurde  dann  weiter  vonC.  Lottner 
1858  (Über  die  Stellung  der  Italer  innerhalb  des  indoeuropäischen 
Stammes  K.  Z.  VII,  18—49  und  160—193)  durch  sprachliche 
und  kulturhistorische  Gründe,  auf  die  wir  noch  zurückkommen 
werden,  gestützt.  Lottner  versucht  auch  noch  eine  weitere 
Gruppierung  der  europäischen  Grundsprache,  an  der  das  be- 
merkenswerteste ist,  dass  er  die  Lateiner  zum  ersten  Mal  von 
einem  näheren  Zusammenhang  mit  den  Griechen  loslöst.  Seine 
Ansicht  von  den  engeren  Verwandtschaftsbeziehungen  der  euro- 
päischen Sprachen  unter  einander  würde  sich,  in  der  Weise  des 
Schleicherschen  Stammbaums  ausgedrückt,  so  ausnehmen  (vgl. 
dazu  Lottner  Keltisch-italisch,  Beiträge  zur  vergleichenden  Sprach- 
forschung II,  321  ff.): 


Earo/iäis€he,p 

Urrvlk, 


ichfn  he  ivrote  this  paragraph,  half  xmconsciously  in  raind  the  famous 
aml  striking  pictiire  of  Kaulbach  at  Berlin,  representing  the  scattering 


—    59    - 

Den  energischsten  Verfechter  aber  bat  die  Ansicht  von  einer 
ursprünglichen  Zweiteilung  der  Indogermaiien  in  eine  europäische 
and  eine  asiatische  Hälfte  in  A.  Fick  gefunden,  der  die  seinem 
Vergleichenden  Wörterbuch  der  indog.  Sprachen  zugrunde  liegende 
Auffassung  der  indog.  Völkertrennungen  in  folgendem  Schema 
zusammenfasst  ^)  (vgl.  Wörterbuch^  1051): 


Urvolk 


Europäer  Arier 


Nordeuropäer  Südeuropäer      Iranier  Inder 


Germanen        Lituslaven  {Kelten)  GräcoitaÜker 


,0/^ 


Skandinavier  Deutsche      Litauer   Slaven  Italiker  Gmechen 

So  war  man  denn  trotz  der  darauf  verwendeten  Mühe  zu 
einem  abschliessenden  Resultat  in  diesen  Fragen  nicht  gekomnien. 
Nur  in  zwei  Punkten  stimmten  alle  Forscher  überein:  in  der 
Annahme  einer  näheren  Verwandtschaft  einerseits  zwischen  Iranisch 
und  Indisch,  andererseits  zwischen  Slavisch  und  Litauisch.  Die 
Schwierigkeiten  begannen,  sobald  man  eine  scharfe  Scheidung 
zwischen  den  Sprachen  Europas  und  Asiens  vornehmen  wollte. 
Im  Norden  erhob  sich  die  Frage,  ob  man  die  lituslavischen 
Sprachen  näher  an  ihre  östlichen,  arischen  oder  an  ihre  west- 
lichen, germanischen  Nachbarn  rücken  sollte.  Im  Süden  waren 
die  vStinimen  über  das  Griechische  geteilt.  Während  A.  Schleicher, 
F.  Justi  (Hist.  Taschenbuch  herausg.  v.  F.  v.  Raumer  IV.  Folge, 
III.  Jahrg.  p.  316)  u.  a.  die  ganze  südeuropäische  Abteilung  dem 
Arischen  für  näher  verwandt  hielten  als  dem  Nordeuropäischen, 
behaupteten  H.Grassmanu  (1863  K.  Z.  XII,  119),  C.  Pauli 
(Über  die  Benennung  der  Körperteile  bei  den  Indog.  1867,  p.  1), 


of  the  human  race  from  the  foot  of  the  ruined  tower  of  Babel ;  nhere 
we  see  each  separate  nationality,  ivith  the  impress  of  its  after  character 
and  fortunes  already  stamped  an  every  limb  and  feature^  taking  up 
its  line  of  march  toward  the  quarter  of  the  earth  which  it  is  destined 
to  occupyf^ 

1)  Etwas  verändert  hat  A.  Fick  seine  Ansicht  in  der  IV.  Auflage 
seines  Vergleichenden  Wörterbuchs  (1891).  Auch  jetzt  noch  lösen  sich 
von  dem  Urvolk  zuerst  die  Arier  ab,  die  Europäer  aber  gehen  in  West- 
europäer (Griechen,  Römer,  Germanen,  Kelten)  und  Osteuropäer  (Slaven, 
Litauer  etc.)  auseinander. 


-    60    - 

W.  Sonne^)  (1869  Zur  ethnologischen  Stellang  der  Griechen, 
Wismar,  Programm),  F.  Spiegel  (Eranische  Altertumskunde  I, 
443)  u.  a.  eine  engere  Verwandtschaft  speziell  des  Griechischen 
mit  den  asiatischen  Sprachen.  Im  Inneren  Europas  bereitete  vor 
allem  das  Keltische  Verlegenheiten.  Bald  sollte  es  dem  Norden, 
bald  dem  Süden  näher  stehen.  Im  Jahre  1861  fasste  H.  Ebel, 
damals  nach  Zeuss  der  gründlichste  Kenner  des  Keltischen  in 
Deutschland  (Beiträge  zur  vergl.  Sprachforschung  II,  137 — 194), 
das    Ergebnis    seiner    Untersuchungen     über    die    Stellung    des 


1)  Interessant  ist  die  Art,  wie  sich  Sonne  a.  a.  0.  p.  6  die  Spaltung 
der  Indogernianeu  entstanden  und  verlaufen  denkt:  „Dass  die  indog. 
Völkertrennungen  nur  allmählich,  nur  stufonweis  stattgehabt,  ist  oft 
bemerkt  worden,  und  es  ist  gewiss,  dass  Scheidungen  wie  z.  B.  die  der 
Germanen  in  Deutsche  und  Skandinavier,  die  der  letzteren  in  Schweden 
und  Dänen  sich  nur  allmählich  vollziehn.  Dies  aber  ist  ohne  Wan- 
derung, eine  Scheidung  auf  g-leichem  Grund  und  Boden, 
das  stilleWerk  derZeit.  Mit  der  ersten  Zerklüftung  unseres 
Urvolks  möchte  es  anders  hergegangen  sein. 

Das  Urvolk  muss,  überaus  zahlreich,  denn  die  Vollendung  der 
Sprachform  zeugt  für  eine  mehr  denn  tausendjährige  Einheit,  nicht 
bloss  im  Süden,  sondern  auch  im  Norden  des  Oxus  sich  über  weite 
Ländermavsson  Zentralasiens  nomadisch  gebreitet  haben.  In  diesen 
letzteren  Landen  aber  sind  geschichtlich  nur  Turanier  heimisch,  und 
wie  später  Attila,  wie  Dschingiskhan  die  Welt  durchstürmen,  ein  ge- 
waltsamer Andrang  der  Turanier  war  es  wohl,  welcher  die  nördliche 
Hälfte  unseres  Urvolks  nach  Westen  trieb,  eine  Flucht  zunächst  über 
<lie  Wolg-a  in  die  pontischen  Steppen  hinein.  Aber  im  Westen  ist  gut 
wohnen,  sagt  der  Russe,  dort  lasst  uns  Hütten  bauen  —  und  gen 
Westen  rücken  die  Massen,  die  Donau  weist  den  Weg;  Germanien, 
Gallien,  endlich  in  südlicher  Schwenkung  über  die  Alpen,  Italien  wird 
erreicht.  Die  Massen  zerfallen  sodann  in  zwei  Hälften,  deren  westliche 
i^ich  als  Kelten  und  Italiker,  deren  östliche  sich  als  Germanen  und 
Slaven  weiter  individualisiert. 

So  die  eine,  die  nördliche  Hälfte  unseres  Urvolkes;  die  andere, 
daheim  geblieben,  behauptet  sich  im  Süden  des  Oxus,  und  wenn  ihr 
gleich  der  Norden  durch  Turan  verschlossen  ist,  beweist  sie  nach  Ost 
und  West  die  höchste  Expansionskraft.  Von  Baktrien  aus,  dem  eigent- 
lichen Mutterland  dieser  Arier,  gen  Osten  wird  das  Pendschab,  das 
Gangestal  besiedelt,  und  Indien  bildet  eine  arische  Welt  in  sich:  gen 
Westen  Medien,  Persis,  weiter  Armenien,  Phrygien  besetzt,  endlich 
Thracien,  Macedonien,  Hellas  in  den  gleichen  Kreis  gezogen.  So  bilden 
sich  die  mäehtigrn  Parallelen:  die  südliche  (orientalische)  von  der 
Adria  zum  G;ir.2*es,  die  nördliche  (cccidentalische)  von  der  Wolga  zum 
westlichen  Weltmeer  reichend.** 


Hl 


'■  Kellisclii'ii  in  folgt-mlci-  Weise  zusnmDicn:  „Üljcrall  aluo  liaben 
Hcli  mindestens  ebenso  beileuiBaine  Analogen  desselben  (des 
KelllBcben)    zum    Deutsch eit    (und    in    zweiter   Linie    zum    Litu- 

Bslavisclieni  ergeben  als  zum  Italiseben  (und  sodann  zum  Orie- 
cbiscben);  eine  Art  Mittelstellung  wird  somit  kaum  zq 
Jeu gn e  n  sein;  docb  scheint  es,  als  ob  es  gerade  die  Er- 
leheiunngen,  die  am  meisten  auf  das  geistige  Leben,  den  inneren 
Charakter  der  Sprache  hindeuten,  mit  dem  Deutschen  geraeinsam 
hfttte."  Wie  sieb  freilieb  Ebel  diese  Mittelstellung  der  keltischen 
Sprachen,  aa  deren  Annahme  er  bis  zu  seinem  Tode  festhielt 
(vgl.  Zeitschrift  f.  Völkerpsychologie  iind  Sprachw.  VIII,  472), 
historiseb  entstanden  denkt,  wird  nicht  gesagt. 

I.So  verschieden  man  nun  aber  auch  im  einzelnen  itber  die 
lengeren  Verwandtsehaflsverhßltnisse  der  iudog.  Sprachen  denken 
mochte,  im  allgenieinen  hatte  sich  docb  die  Überzeugung  fest- 
gesetzt, dass  die  speziellen  Cbcreinstimraungen  zweier  oder 
iDchrerer  Sprachen  im  kleinen  genau  in  derselben  Weise  zu  er- 
ijllären  sein  wie  die  indog.  Sprachverwandtschaft  im  grossen, 
©er  Gedanke  eines  europäischen,  eines  gräco-italischen,  eine» 
j^vo-germanischen  etc.  Urvolkes  halte  nichts  Hefremdenderes  al» 
iie  Idee  des  indog.  Urvolkes  selbst.  Aach  die  dialektische  Ver- 
mcigang  der  einzelnen  iudog.  Sprachen  wurde  in  gleicher 
Weise  aufgefasst.  So  entwarf  z,  B.  Schleicher  in  seinem 
Werke  Die  deutsche  Sprache '  einen  Stammbaum  der  germanischen 
Sprachen,  der  auf  eine  ursprOnglicbe  Dreiteilung  der  germanischen 
Ursprache  in  Gotisch,  Deutsch  und  Nordisch  hinauslief,  während 
K.  MQlk-nhoff  uud  nach  ihm  W.  Scberer  Zur  Geschichte  der 
Oeatschen  Sprache  1868/78  uud  H.  Zimmer  (Haupts  Z.  XIX. 
39.^  ff.)  einer  Zweiteilung  in  Ost-  und  Westgermanisch  das  Wort 
redeten.  Anch  von  den  elavischen  .Sprachen  wurden  ähnliche 
■Stammbäume  entworfen. 

Sollte  es  nun  nicht  aneb  möglich  sein,  die  Kultnrver- 
hlltnisse  dieser  Zwischenstufen  mit  Hilfe  ehenderselheu  Spraeh- 
Tergleichnng  aufzuhellen,  mit  der  man  die  Kultur  der  Urzeit 
gtnichlowen  hatte,  und  konnte  so  nicht  mit  der  Zeit  ein  ganzes 
fiebände  vorhistorischer  Kulturgeschichte  aufgeführt  werden? 

Diese  Frage  lag  um  so  näher,  als  der  Sebleiebersche  Grund- 
htz,  DQr  den  grammatischen  Bau  als  Massstab  der  engeren  Ver- 
pantltscliaft  zweier  oder    mehrerer  Sprachen    gelten    zu    lassen. 


-    62    — 

«eit  LottDcr  und  Ebel  aufgegeben  worden  war,  und  nunmehr 
auch  der  Wortschatz  mehr  und  mehr  als  massgebend  für  die 
Ermittelung  der  indog.  Völkertrennungen  herangezogen  wurde. 
So  wurde  die  Kultur  der  angeblichen  europäischen  Urzeit 
von  C.  Lottner  K.  Z.  VII,  18  ff.  und  vor  allem  von  A.  Fick 
Die  ehemalige  Spracheinheit  der  Indogermanen  Europas,  Göttingen 
1873  dargestellt.  Über  das  Kulturkapital  der  graeco-italischen 
Periode  handelten  Tb.  Mommsen  bereits  in  der  ersten  Auflage 
seiner  Römischen  Geschichte  (1854)  p.  12—21  und  B.  Kneisel 
Über  den  Kulturzustand  der  indog.  Völker  vor  ihrer  Trennung 
mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Gräco-Italiker  (Programm 
Naumburg  1867).  Vor  allem  wohl  durch  die  gewichtige  Stimme 
Th.  Mommsens  ist  der  Glaube  an  eine  engere  Verwandtschaft 
der  Griechen  und  Italer,  der,  wie  wir  gesehen  haben  (oben  p.  5), 
schon  in  vor-Boppscher  Zeit  wurzelte,  bei  Historikern  und  Ethno- 
graphen immer  heimischer  geworden,  worüber  ich  nur  auf  die 
bekannten  Werke  von  Ernst  Curtius,  Max  Duucker,  Fried- 
rich Muller  (Allgemeine  Ethnographie  1871),  Heinrich  Kie- 
pert u.  a.  zu  verweisen  brauche. 

Die  angebliche  slavo- deutsche  Einheit  wurde  zuerst  im 
Zusammenhang  erörtert  von  E.  Forste  mann  in  seiner  Geschichte 
des  deutschen  Sprachstamms  1874  1,  239  ff.  (vgl.  dazu  Germania 
XV,  385  ff.),  sodann  von  R.  Hassencamp  in  seiner  Schrift 
Über  den  Zusammenhang  des  letto-slavischen  und  germanischen 
Sprachstammes  1876  S.  54  ff.  Über  die  arische  Urzeit  haben 
zuletzt  W.  Geiger  La  civil iHation  desAvi/aSy  Museon  1884  und 
F.  Spiegel  Die  Arische  Periode  und  ihre  Zustände,  Leipzig 
1887  gehandelt. 

Ich  glaube  indessen  bei  dem  heutigen  Standpunkte  der 
Wissenschaft  darauf  verzichten  zu  dürfen,  diese  und  andere  Ver- 
suche, die  Kulturverhältnisse  jener  hypothetischen  Völkergmppen 
mit  Hilfe  der  Sprachvergleichung  zu  erschliessen,  hier  im  einzelnen 
darzustellen. 

Einen  bleibenderen  Wert  hatte  es,  wenn  einzelne  Forscher 
aus  den  Dialekten  der  Einzelsprachen  den  gemeinsamen 
Wortschatz  derselben  und  aus  diesem  wieder  die  älteste  Kultur 
der  betreffenden  Einzelvölker  zu  erschliessen  bestrebt  waren,  da 
ja  hier  zweifellos  geschichtliche  Einheiten  vorlagen.  So  ver- 
suchte Förstemann  (Germania  XVI,  415    und  Geschichte   des 


-     63    - 

<leutschen  Spracbstamins  I,  399)  den  urgermanisclien  Sprach- 
schatz in  kulturhistorischer  Beziehung  zu  rekonstruieren  und  an 
der  Hand  desselben  die  angeblichen  Fortschritte,  die  die  Ur- 
germanen gegenüber  den  Slavo-Germanen  gemacht  hätten,  fest- 
zustellen. Von  ähnlichem  Gesichtspunkt  aus  hat  F.  Kluge  in 
der  Einleitung  zu  seinem  Etymologischen  Wörterbuch  einen  Über- 
blick über  den  urgermanischen  Wortschatz  gegeben.  Gesammelt 
ist  derselbe  in  A.  Ficks  Vergleichendem  Wörterbuch  IIP.  Be- 
sonders eifrig  ist  in  dieser  Beziehung  auf  dem  Boden  der  sla- 
vischen  Sprach-  und  Völkereinheit  gearbeitet  worden.  Der 
erste,  der  die  Methode  der  Sprachvergleichung  auf  die  slavische 
Urgeschichte  anzuwenden  versuchte,  war  J.  E.  Wocel,  in 
seinem  Werke  Pravek  zeme  cesM  v  Praze  1868  p.  245 — 260 
(ein  Auszug  davon  in  den  Sitzungsberichten  d.  k.  böhm.  Gesell- 
schaft der.  W.  1864  H.  2).  Nach  ihm  hat  Gregor  Krek  auf 
dem  Wege  „der  linguistischen  Archäologie"  die  slavische  Urzeit 
zu  erforschen  gesucht  in  seinem  Werke  Einleitung  in  die  slavische 
Literaturgeschichte,  Graz  1874  (2.  Auflage  1887).  Besonders 
aber  ist  hier  der  Name  eines  russischen  Gelehrten  A.  A.  Kotlja- 
revskij  (1837  —  1881)  zu  nennen,  dessen  Schriften  von  der  kaiserl. 
Akademie  der  W.  in  Petersburg  neuerdings  gesammelt  und  heraus- 
gegeben worden  sind  (Sbornik  der  Abt.  für  russ.  Spr.  und  Lit. 
Bd.  47—50).  In  einer  für  jene  Zeit  höchst  beachtenswerten  Weise 
vereinigen  sich  in  ihnen  Sprachwissenschaft,  Prähistorie,  Geschichte 
und  Volkskunde,  um  gemeinsam  in  die  älteste  Welt  der  Slaven 
einzudringen.  Den  gemeinslavischen  Wortschatz  findet  man  ge- 
sammelt   in  F.  Miklosichs  Etymologischem  W.    der  slav.  Spr. 

Wien  1886.  

Die  Aufstellung  prähistorischer,  aber  zeitlich  nach  der  indog. 
Urzeit  liegender  Völkereinheiten  war,  wie  wir  oben  ausgeführt 
haben,  von  der  Ansicht  ausgegangen,  dass  die  speziellen  Über- 
einstimmungen zweier  oder  mehrerer  Sprachen  sich  nur  durch 
die  Annahme  einer  ihnen  zugrunde  liegenden  gemeinsamen  Ur- 
sprache erklären  Hessen.  Wirklich  war  diese  Anschauung  die 
allein  herrschende,  bis  im  Jahre  1872  einer  der  scharfsinnigsten 
imd  gelehrtesten  der  neneren  Sprachforscher,  J.  wSchmidt,  zuerst 
in  einem  Vortrag  auf  der  Leipziger  Philologen  Versammlung  d.  J. 
(vgl.  Verliaudl.  dei-selben  p.  220  ff.),  sodann  in  einer  eigenen 
tSebrift  Die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  indog.  Sprachen  (vgl. 


—    64    — 

dazu  auch  Zur  Geschichte  des  indog.  Vocalismus  11^  183  ff.)  eine 
neue  Hypothese  aufstellte,  die  für  den  von  uns  behandelten 
Gegenstand  so  wichtig  ist,  dass  wir  derselben  eine  ausführlichere 
Darstellung  widmen  müssen. 

J.  Schmidt  unterscheidet  sich  dadurch  von  seinen  Vorgängern, 
dass  er  seine  Untersuchungen  nicht  auf  eine  bestimmte  Gruppe 
der  indog.  Sprachen  beschränkt,  sondern  seinen  Blick  zu  gleicher 
Zeit  auf  allen  speziellen  Übereinstimmungen  des  gesamten 
Sprachgebietes  ruhen  lässt.  Ist  doch  zunächst  einleuchrend,  dass 
nach  der  Theorie  des  Stammbaums  nicht  alle  die  linguistischen 
Gründe,  auf  denen  die  Aufstellung  der  von  uns  aufgezählten 
Spracheinheiten  beruht,  beweiskräftig  sein  können.  Sind  wirklich 
die  slavisch-litauischen  Sprachen  mit  den  arischen  durch  eine 
engere  Verwandtschaft  verbunden,  so  ist  dem  gegenüber  der  Ge- 
danke einer  europäischen  Spracheinheit  hinfällig,  oder  entscheidet 
man  sich  etwa  für  eine  nähere  Stellung  des  Griechischen  zu  den 
arischen  Sprachen,  für  eine  ario-hellenische  Periode,  so  müssen 
die  Koinzidenzpnnkte  des  Lateinischen  und  Griechischen  auf  Zu- 
fall oder  Schein  beruhen.  Der  grosse  Vorzug  der  Schmidtschen 
Hypothese  besteht  nun  von  vornherein  darin,  dass  sie  die  Mög- 
lichkeit bietet,  allen  sprachlichen  Tatsachen  auf  einmal  gerecht 
zu  werden. 

Dieselbe  lässt  sich  etwa  folgendermassen  zusammenfassen : 
Auf  dem  noch  durch  ununterbrochene  geographische  Kontinuität 
verbundenen  indog.  Sprachboden  treten  schon  in  der  ältesten 
Vorzeit  an  verschiedenen  Stellen  als  erste  Anfänge  der  beginnen- 
den Dialektbildung  gewisse  Lautveränderungen  oder  überhaupt 
gewisse  sprachliche  Neubildungen  hervor,  die  sich  von  ihrem 
Ausgangspunkte  aus  in  teils  beschränkterer,  teils  weiterer  Aus- 
dehnung über  die  benachbarten  Gebiete  —  man  könnte  sagen 
„wellenförmig"  verbreiten.  —  So  bilden  sich  in  dieser  früher 
einheitlichen  Sprachmasse  allmählich  Differenzierungen,  in  diesen 
Differenzierungen  aber  Zusammenhänge,  die  das  Prototyp  der 
späteren  Sprachcharaktere  bilden.  Um  gleich  zu  konkreten  Bei- 
spielen überzugehen,  so  tritt  an  einer  Stelle  des  indog.  Sprach- 
gebietes die  Lautneigung  auf,  die  gutturale  Tennis  k  in  gewissen 
Wörtern  in  Zischlaute  zu  verschieben.  Diese  Lautneigung  er- 
streckt sich  über  das  von  den  Vorfahren  der  Arier,  Armenier 
und  slavo-litauischen  Völker   bewohnte  Gebiet,    so  dass  nun  die 


—    65    — 

Sprachen  derselben  mit  skrt.  gatä,  iran.  sata,  altsl.  süto,  lit. 
szfhtias  scheinbar  als  eine  geschlossene  Einheit  griechischem 
biatovy  altir.  cetj  lat.  centum,  got.  hund  (=  Jcunt)  gegenüber- 
stehen. Zu  gleicher  Zeit  aber  ist  vielleicht  an  einer  andern 
Stelle  des  Sprachgebietes  der  Anfang  gemacht  worden^  das  hh 
der  Casussnffixe  -bhi,  -bhis,  'bhya{m)8  in  m  zu  verwandeln,  eine 
sprachliche  Veränderung,  welche  sich  nur  über  das  alte  Ver- 
breitungsgebiet der  slavo-germanischen  Stämme  erstreckt.  Got. 
vulfa-rriy  altsl.  vlüko-rnüy  lit.  wilka-mus  entspricht  griech.  Evvr\' 
(piv,  altir.  fera-iby  lat.  hosfi-bus.  An  einem  dritten  Punkte  setzt 
sich  der  Gebrauch  eines  vielleicht  auch  anderweitig  sporadisch 
vorhandenen  suffixalen  r  zur  Bildung  eines  Passivums  und 
Deponens  fest.  Hiervon  wird  das  Keltisch  und  Lateinisch  be- 
troffen; vgl.  altir.  nom  berarifero-r  etc.  Andere  Sprach- 
erscheinungen wieder,  wie  der  Gebrauch  sonst  masculiner  a  (o)- 
Stämme  als  Feminina  (^  ödog,  fagus)  beschränken  sich  aus- 
schliesslich auf  griechisch-italisches  Gebiet.  Die  Sprachen  endlich 
aller  europäischen  Stämme  (und  auch  einer  asiatischen,  des 
Armenischen)  umfasst  die  Verwandlung  des  in  den  iranischen 
nnd  indischen  Idiomen  scheinbar  rein  erhaltenen  a  in  einer  ganzen 
Reihe  von  Wörtern  in  ei  lat.  feroj  griech.  tp^gio,  irisch  berinty 
ahd.  beruy  altsl.  berq,  armenisch  berem:  indisch  bhar  (vgl. 
J.  Schmidt  Was  beweist  das  e  der  europäischen  Sprachen  für 
die  Annahme  einer  einheitlichen  europäischen  Grundsprache? 
K.  Z.  XXIII,  373).  Wollte  man  die  Verbreitungsgebiete  dieser 
gnippenweis  auftretenden  Übereinstimmungen  auf  indog.  Boden 
graphisch  darstellen,  so  würde  man  sich  etwa  folgenden  Bildes 
bedienen  können: 


I  o/ »  e 

Wr  imPafrw 
V'O  ftvi.ytn/. 


Schrader,  Sprachvergleichaoff  und  Crgescliichte.    3.  Aufl. 


7i 


—    66    — 

In  Worten  aber  würde  diese  schematische  Zeichnung  folgen- 
des besagen:  Gleichwie  es  nicht  möglich  ist,  in  derselben  das 
von  irgend  einer  der  fünf  dargestellten  Linien  umschlossene  Ge- 
biet herauszugreifen,  ohne  zugleich  in  den  von  einer  anderen 
Linie  begrenzten  Bezirk  einzugreifen,  so  ist  es  auch  im  Bereiche 
der  indog.  Sprachen  nicht  statthaft,  eine  bestimmte  Gruppe  der- 
selben behufs  ihrer  Zurückführung  auf  eine  ihnen  gemeinsame 
Ursprache  aus  dem  ganzen  loszulösen,  weil  dann  notwendiger 
Weise  die  Fäden  zerschnitten  werden  müssten,  die  jene  Gruppe 
mit  anderen  Seiten  des  Sprachgebiets  verwandtschaftlich  ver- 
binden. Wollte  man  die  slavo-litauischen  Sprachen  mit  den 
germanischen  auf  eine  besondere  Spracheinheit  zurückführen,  so 
würde  man  die  Verwandtschaftspunkte  ignorieren  (Linie  11),  die 
jene  mit  den  arischen  Sprachen  verbinden.  Wollte  man  sich 
nun  aber  damit  helfen,  dass  man  die  nordeuropäischen  Sprachen 
insgesamt  näher  an  die  arischen  rückte,  so  würde  man  wieder 
das  Band  zerreissen  (Linie  Ij,  durch  das  alle  europäischen  (und 
die  armenische)  Sprache  umschlungen  werden  u.  s.  w. 

Wenn  so  nach  J.  Schmidt  das  gesamte  Sprachgebiet  der 
Indogermanen  ursprünglich  durch  eine  Kette  ^kontinuierlicher 
Varietäten"  mit  einander  verbunden  war,  so  bleibt  ihm  nun 
noch  die  Frage  zu  beantworten :  Wie  kommt  es,  dass  dieses  Ver- 
hältnis heute  nicht  mehr  besteht,  wie  kommt  es,  dass  statt  der 
allmählichen  Übergänge  zwischen  Sprachgebieten  wie  dem  sla vischen 
und  germanischen,  dem  keltischen  und  italischen  etc.  scharfe 
Sprachgrenzen  vorhanden  sind,  dass  aus  ^der  schiefen  vom  Sans- 
krit zum  Keltischen  in  ununterbrochener  Linie  geneigten  Ebene^ 
eine  „Treppe"  geworden  ist  (Verwandtschaftsverh.  p.  28)? 
J.  Schmidt  erklärt  sich  dies  durch  das  Aussterben  gewisser  ver- 
mittelnder Varietäten.  Waren  ursprünglich  zwei  Dialekte  des 
Sprachgebietes  A  und  X  durch  die  Varietäten  B,  C,  D  u.  s.  w. 
kontinuierlich  mit  einander  verknüpft,  so  konnte  es  leicht  ge- 
schehen, dass  ein  Geschlecht  oder  ein  Stamm,  der  z.  B.  die 
Varietät  F  sprach,  durch  politische,  religiöse,  soziale  oder  sonstige 
Verhältnisse  ein  Übergewicht  über  seine  nächste  Umgebung  ge- 
wann. Dadurch  wurden  die  zunächst  liegenden  Varietäten  0, 
H,  I,  K  nach  der  einen,  E,  D,  C  nach  der  andern  Seite  hin  von 
F  unterdrückt  und  durch  F  ersetzt.  Nachdem  dies  geschehen 
war,    grenzte  F  auf    der  einen  Seite  unmittelbar  an  B,   auf  der 


G7 


mderen  unuittelbar   an  L/     Die  SpraL'hgrenze    nnr    gewounea. 

IAIb  auf  bJHtoriBcbe  Beispiele  zu  dem  Gesagten  weist  J.  Sclimidt 

inf  die  erdrückende  Macbt  der    altiecLen,    rumischen    und    ncn- 

•' boclidentsfiieu  Sprache  gegenüber  den  übrigen  grietbischen,  ita- 

Üechen  und  deutscbeu  Dialekten  bin. 

Allein  die  J.  Scbmidtscbe  Theorie  bat  ausser    für    die  Kr- 
kenotnifi  nnd  hiBtorisclie  Erklüruug    der  iudog.  Verwandtscbafts- 
rerhSltuisse  noch  eine  andere  nicht  uiiuder  gmsse  Bedeutung  fllr 
die  gAuze  Grundlage  der  linguistischen  Ki'scbliessnng  der  Urzeit, 
fflr  die   Rekonstruktion    der  Ursprache.     Die  Frage,    in 
wie  viel  Sprachen  ein  Wort  vorhanden  sein  uidsae,  um  Anspruch 
Äof  iudog.  Adel  zn  gewinnen,    würde    sich  vom  Standpunkt  des 
^^Lfitamnibaunia,  vorausgeget/.t,  dass  derselbe  zu  einem  wisseuachaft- 
^H liehen    Abschluss   gekommen    wäre,    nicht    schwer    l)eantwort£n 
^Blassen.     Entschiede  man  sieb  für  eine  ursprüngliche  Teilung  der 
^Hlndogenuaucu  in  eine  westliche  und  tistliche  Hälfte,  so  würde  ein 
^^B«ncb  nur  in  einer  europäiecben  und  in  einer  asiatischeu  Sprache 
^^Ketymologiscb  verwandtes  Wort  (z.B.  lat.  ciim+skrt.  (ui  „Schwert", 
^^■fit.  dä'na   „Brot"  -(-  »^''t-   d/uhtd's    „GetreidekJiruer")    die    Über* 
^HfvraguDg  de»  vou  ihm    be/.eichi)eteu  Begriffes  in    die  L'rzeit   ge- 
stalten.   Oder  entschiede  mau  sich    für  ein  längeres  Ziisammeu- 
hleiben  der  arischen  Sprachen  mit  einer   uordeuropäischeu    oder 
flQdeuropäischeu  Gruppe,  so  würde  schon  ein  in  nur  zwei  euro- 
p&iachen  Sprachen,  einer  nord-  und  einer  südeuropäischeu  be- 
legbares Wort    (z.  B.    ;(i;.if);  +  nbd.    huoba    oder    if  ii'tyoi  +  ahd. 
bakhu  „backe")  auch  für  die  Urzeit    seine  Geltung    haben.     In 
den  beiden  Fällen  würden    also    alle  Sprachen,    welche    zu    den 
Gleiohnugen    emis  +  asi,     du  na  +  rfArfniJ'j*.    x(J.-t'v  +  hiioba, 
^^  ipdiyio  +  habku  keine»  Beitrag  liefern,  die  entsprechenden  Wörter 
^K  ursprünglich  besessen,  aber  später  verloren  haben,    ein  Vorgang, 
^^Bder  ja  an  uml  fUr  sich  nichts  Auffallendes  hat. 
^^m  Demgegeuflber   sehwindet    vor   der  J.  Schmidlschen  Über- 

^^Kangsthcorie  „auch  die  mathematische  Sicherheit,  welche  man 
^^P'ftlr  die  Bekoustruktiuu  der  iudog.  Ursprache  schon  gewonnen 
tu  haben  glaubte".  Denn  es  ist  offenbar,  dass  bei  denjenigen 
Wftrtreihen,  die  nur  iu  gruppen weisen  Übereinstimmungen  in 
.den  indog.  Sprachen  sich  finden,  für  den  Anhänger  jener  Theorie 
[ilie  Mfiglichkcit  aufhört,  zu  erweisen,  ob  die  übrigen  Sprachen  die 
Wreffenden  Entsprechungen  verloren  oder  niemals  besessen  haben. 


-    68    — 

Die  80  in  kurzem  geschilderte  Wellen-  oder  Übergangs- 
theorie J.  Schmidts  fnsst  aber  aaf  Anschanungen  von  dem  all* 
mählichen  Differenzierungstrieb  der  indog.  Sprachen,  die  keines- 
wegs völlig  neu  und  bis  dahin  unerhört  waren.  Hatten  doch 
schon  vorher  M.  Müller  (p.  58),  Ebel  (p.  61),  Sonne  (p.  60), 
ja  sogar  A.  Schleicher  (p.  54),  besonders  aber  A.  Pictet^) 
und  F.  Spiegel  (vgl.  Kap.  IV)  dem  Schmidtschen  Gedanken 
überaus  konforme  Ansichten  mehr  oder  minder  deutlich  entwickelt* 
Immerhin  war  es  natürlich,  dass  dieselben,  von  J.  Schmidt  nun- 
mehr in  ein  System  gebracht  und  auf  die  konkreten  Verhältnisse 
der  indog.  Sprachen  angewendet,  eine  überaus  stürmische  Dis- 
kussion hervorriefen. 

Den  ungeteiltesten  Beifall  fand  J.  Schmidt  bei  denjenigen 
Forschern,  welche  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  neueren 
Sprachen  zum  Gegenstand  ihrer  Studien  machten. 

Hier  hatte  schon  geraume  Zeit  vor  J.  Schmidt  Hugo 
Schnchardt  in  seinem  Buche  Vocalismus  des  Vulgärlatein» 
Leipzig  1866  (vgl.  besonders  Kap.  IV  Die  innere  Geschichte  der 


1)  Vgl.  Origines  Indo-europ.  §5  p.  48: 

Ce  qui  est  certain,  dans  V4tat  actuel  des  choses^  c'esf  que  Von 
remarque,  entre  les  peuples  de  la  famiUe  arienne,  comme  une  chatne 
continue  de  rapports  linguistiques  speciaux  qui  courtj  pour  ainsi  dirtr 
paralUlement  d  Celles  de  leurs positions  geographiques  .  .  . 
Leu  emigrations  lointaines  auront  ete  prec4d4es  par  une  extension 
graduelle^  dans  le  cours  de  laquelle  se  seront  formes  peu  ä  peu  des 
dialecfes  distincts,  mais  toujours  en  contact  les  uns  avec  les  autres,  ei 
d'autant  plus  analogues  quHls  ätaient  plus  voisins  entre  eux. 

Seine  Anschauung  illustriert  er  durch  folgende  Zeichnung: 

Lithuano  Slaves 


Jhdienj 


Grecs 

Der  Kreis  in  der  Mitte  der  Ellipse  bezeichnet  die  indog.  Ursprache^ 


—    69    — 

römischen  Volkssprache  1.  Dialekte)  die  neuere  Auffassung  für  die 
romanischen  Sprachen  angebahnt. 

Am  deutlichsten  zeigte  sich  dieselbe  aber  auf  dem  Felde 
der  deutschen  Dialektforschung,  um  die  sich  in  dieser  Be- 
ziehung W.  Braune  in  mehreren  Aufsätzen  der  Zeitschrift  Paul 
u.  Braune  Beitr.  z.  Gesch.  d.  deutschen  Sprache  (vgl.  besonders 
I,  1  ff.  und  IV,  540  ff.)  ein  besonderes  Verdienst  erworben  hat. 
Um  das  Gesagte  zu  veranschaulichen,  gestatte  ich  im  Anschluss 
an  die  genannten  Untersuchungen  auch  hier  mir  eine  kleine 
Zeichnung  zu  entwerfen,  welche  die  Resultate  darstellen  soll,  die 
auf  althochdeutschem  Boden  einige  der  wichtigsten,  etwa  seit 
dem  VI.  oder  VII.  Jahrhundert  wirkenden  Lautveränderungen  am 
Ende  des  IX.  oder  Anfang  des  X.  Jahrhunderts  für  die  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse der  ahd.  Dialekte  hervorgebracht  haben. 
Von  den  in  unserer  Zeichnung  eingetragenen  Zahlen   bezeichnen 


—  n^ 


B  airisch' 
OsUrrtichisdi 

IE  mir 


—    70    — 

I — IV  und  zwar  in  chronologischer  Reihenfolge  die  4  Stufen,  in 
denen  die  sogenannte  IL  oder  althochdeutsche  Lautverschiebung 
sich  über  die  deutschen  Dialekte  ausgebreitet^)  hat.  Zahl  V 
kennzeichnet  das  Verbreitungsgebiet  des  aus  altem  6  hervor- 
gegangenen ua  gegenüber  sonstigem  uo  {muat :  muot),  Zahl  VI 
den  Kreis  der  fränkischen  Dialekte  mit  Rücksicht  auf  die  völlige 
Durchführung  des  Umlautes,  der  in  den  oberdeutschen  Dia- 
lekten durch  gewisse  Eonsonantenverbindungen  wie  l  +  Eons, 
aufgehalten  wird  (f rank,  balg :  belgi,  oberd.  palg :  palgi). 

Ich  glaube,  dass  unsere  Darstellung  keines  ausführlichen 
Eommentars  bedarf.  Sie  zeigt,  dass  sich  auch  hier  nirgend» 
scharfe  Trennungsstriche  zwischen  den  einzelnen  Dialekten  machen 
lassen.  So  werden  die  beiden  oberdeutschen  Dialekte  zwar  durch 
Zahl  III  scheinbar  zu  einem  Ganzen  verbunden,  aber  mit  ein- 
zelnen Teilen  des  Fränkischen  doch  wieder  durch  die  Zahlen  II 
und  V  aufs  engste  verflochten.  Auch  gegen  das  Sächsische 
(Niederdeutsche)  gibt  es  keine  feste  Abgrenzung  gegenüber  der 
Wirkung  der  von  uns  geschilderten  Lautverschiebungen.  Zwar 
nimmt  noch  das  Mittelfränkische  teil  an  der  wichtigsten,  Ober- 
deutschland, Ost-,  Rhein-  und  Südfranken  ergreifenden  I.  Stufe 
der  Lautverschiebung,  wenn  auch  schon  mit  wichtigen  Ausnahmen 
(dat,  icat,  dity  allet);  aber  bereits  das  Niederfränkische  (Nieder- 
ländische) hat  ganz  niederdeutschen  Eonsonantenstand.  Die 
IV.  Stufe  der  Lautverschiebung  endlich  erstreckt  sich  gleichmässig 
über  alle  Dialekte. 

Was  aber  unser   besonderes  Interesse  an  den  geschilderten 


1)  Diese  vier  Schichten  der  Lautverschiebung  sind: 

I.  t  —  z;  p  und  k  nach  Vokalen  —  f  und  ch 

(ahd.  ztt :  engl  tidey  kouffen  :  engl,  keep,  suohhan  :  engl,  setk) 

II.  p  im  Anlaut,  Inlaut  nach  Kons.  etc.  —  pÄ,  /';  d^t 
(oberdeutsch  u.  ostfr.  pfad^  pfiamOn^  tat,  Huri :  rheinfr.  etc.  päd,  plnn- 
zöriy  dag,  diuri;  im  Innern  der  Wörter  ward  auch  ein  rheinfränk.  etc. 
d  —  t  ddtun :  oberd.-ostfr.  tätun,  engl,  did) 

III.  k  im  Anl.,  Inl.  nach  Kons.  etc.  —  ch\  h  —p\  g  —  k 

(nur  oberd.  chind,  chuning :  fränk.  kind,  kuning,   oberd.  kepan :  fränk. 
geban) 

IV.  sich  auch  über  Niederfränkisch  (Niederländisch)  und  Sächsisch 
erstreckend 

th  —  d 
{drei :  engl,  three,  dieb  :  thief). 


I 


Vorgängeu  erregt,  igt,  dass  wir  hier  wirklich  iu  der  Lage  sind, 
bei  einigen  der  hervorgehobenen  Lau tit hergange  den  ei-sten  Aus- 
gangspnukt  und  ihre  allmAhtiehe  Aaslireitung  festznäti?llen  nnd 
ta  verfoljren.  So  tritt  in  Alemannien  die  Vevschiehuiig  dea 
th — rf  schon  in  der  Mitte  des  VIIL  Jahrhunderts  auf.  In  dieser 
Zeit  bewahrt  aber  das  gesamte  Fränkisch,  im  Anlaut  wenigstens 
BbereiDstimmend,  die  alte  Spirans,  Erst  im  Ausgang  des 
IX.  .lahrhnnderts  verschwindet  th  ans  Franken  nnd  d  tritt  an 
eciiie  Stelle.  In  Mittelfranken  und  weiter  nördlich  erhält  sich 
tk  noch  Ittoger.  Es  tritt  also  die  allmähliche  Anshreitnng  einer 
Laatversehiebnng,  in  diesem  Falle  von  Ölld  nach  Nord,  in  ein 
helles  Licht. 

Die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  slavischen  Dialekte 
endlich  suchte  J.  Schmidt  selbst  in  seinem  Buche  Zur  Geschichte 
des  idg.  Vokaiismus  II,  199  ff.  vom  Standpunkt  der  Wellen- oder 
Dberfrangstheorie  darzustellen. 

Die  .Angriffe  gegen  die  Schmidtsche  Theorie,    an  denen 

lieh    besonders    Whitney,    G.  Curtius,    Havet,    L.   Meyer, 

Jolly,  A.  Fick  nnd  andere  beteiligten,  richteten  sich,  wenn  wir 

T«n  den  mehr  prinzipiellen  Meinungsverschiedenheiten  absehen,  vor 

llleni    auf    den    Punkt    (vgl.  unsere  Zeichnung  p,  65,  Linie  li), 

den  J.  Schmidt  als  Hauptargunient  für  die  vermittelnde  .Stellung 

der  litn-slavischen  Sprachen  zwischen  Europa  nnd  .Asien  hcrvor- 

gehobea  hatte,  auf  die  den  litn-slavischen  nnd  arischen  Sprachen 

in    einer    grossen    Zahl    von  Wörtern    gemeinsame  Verwandlung 

eines   nrsprllngliclien  A-  in    einen    Zischlaut  (^,  s,  sz),   vgl.   gkrt. 

Iran,  dä^nn,   altsl.  dfs^tl,   lit.  deszimtvi:   griech.  dexa,  lat.  decem 

Die    Kraft    dieses    Beweises    suchte    nun    A.  Fick    (Die 

intcheinbeit  der  Indogermaneu  Europas)   dadurch    aufzuheben, 

er,  wie  es  schon  Ascoti  vorher  gewollt  hatte,  zu  beweisen 

iTsnobte,    es  hätten    von  jeher  in  der  indog.  Ui-sprache   zwei 

irecbiedene    Ä-Lante,    ein    palaial    affiziertes   kj  <k)   und    ein 

ittarsl    affiziertes  kr  iq)  neben    einander    gelegen,    von    denen 

erstere  ehen  durch   jene  Zischlaute    der    litu-slavischen    und 

iechen  Sprachen  reflektiert  werde,    das    letztere   aber   in    den 

ingenanulcn  Sprachen  durch  k  (c),  in  den  übrigen  durch  k,  p, 

repräsentiert  sei. 

Ee  lägen  also  von  Anfang  an  neben  einander:     z.  B. 
(k)  skrt,  i^vdn,  lit.  »^«,  gricch.  xvwr,  lat.  canh,  ir.   cü, 


—    72    - 

kv  (q)  skrt.  fca,  lit.  käSj  altsl.  küto,  griech.  xöregog,  Tioregogy  lat. 
quO'd,  altir.  ca-te. 

Das  Gleiche  gelte  auch  von  der  Media  g  und  der  As- 
pirata gh. 

So  unzweifelhaft  es  nun  auch  ist,  dass  die  Anfstellang 
zweier  AvLaute  für  die  indog.  Urzeit  trotz  der  anfänglichen  Ein- 
wendungen J.  Schmidts  die  Billigung  der  meisten  Forscher  ge- 
funden hat,  so  berechtigt  scheint  mir  doch  die  Erklärung  J.  Schmidts 
(Jenaer  Literatur-Zeitung  1875  Nr.  201),  dass  auch  die  Annahme 
zweier  Gutturalreihen  nicht  die  Tragweite  seines  Argumentes  für 
die  Übergangs-  und  gegen  die  Stammbaumtheorie  abzuschwächen 
imstande  sei.  Denn  entscheide  man  sich  für  ein  kj  und  ein  kVf 
so  bleibe  doch  die  Zusammengehörigkeit  der  litu-slavischen  und 
arischen  Sprachen  in  der  Verschiebung  des  in  den  übrigen  Sprachen 
als  k  erlialtenen  kj  zu  g,  s,  sz  unangetastet  bestehen. 

In  den  Kreis  der  arisch-slavo-litauischen  Sprachen  moss 
übrigens  in  dieser  Beziehung  auch  das  Armenische,  wie  schon 
bemerkt,  gestellt  werden.  Vgl.  arm.  tasn  =  altsl.  des^tl,  skrt. 
dd<*an,  arm.  sun  „Hund"  =  lit.  szu,  skrt.  qvdn  u.  s.  w.  Auf 
diesen  und  ähnliche  Gründe  gestützt,  betrachtet  H.  Hübsch- 
mann, einer  der  besten  Kenner  dieser  Sprache,  das  Armenische 
als  einen  „zwischen  Iranisch  und  Slavo-lettisch  zu  stellenden  selb- 
ständigen Sprachzweig"  (K.  Z.  XXIII,  5  ff.).  Das  gleiche  gilt, 
wie  die  albanesischen  Studien  G.  Meyers  (Wien  1883  u.  1884, 
B.  B.  VIII,  186  ff.)  dargetan  haben,  vom  Albanesischen,  dem 
der  genannte  Gelehrte  deshalb  eine  Stellung  näher  dem  Litu- 
Slavischen  als  den  südeuropäisclieu  Sprachen  zuweist. 

In  ähnlicher  Weise  warf  man  die  Frage  auf,  ob  denn  wirk- 
lich das  einheitliche  a  der  arischen  Sprachen  gegenüber  dem  o, 
e,  0  der  europäischen  (skrt.  aj  =  griech.  äyco^  skrt.  dsti  =  griech. 
iöt/,  skrt.  dvh  =  griech.  oVs)  den  ursprünglichen  Zustand  reprär 
sentiere,  und  nicht  am  wenigsten  durch  eine  Arbeit  J.  Schmidts 
(Zwei  arische  «-Laute  und  die  Palatalen  K.  Z.  XXV,  1  f.)  ist  es 
gelungen,  ein  dem  europäischen  e  entsprechendes  d  mit  völliger 
EWdenz  in  der  indog.  Grundsprache  nachzuweisen.  Ein  Einwand 
gegen  die  Übergangstheorie  würde  sich  aber  auch  so  nicht  er- 
geben. Die  Bewahrung  des  Alten  w^ürde  dann  eben  auf  selten 
des  Europäischen  und  Armenischen  liegen,  und  in  dem  Zusammen- 
werfen   des    ursprünglichen    a    und  ä    würde    eine    gemeinsame 


—    73    — 

Nenerang  der  iranischen  nnd  indischen  Sprachen  zu  verzeichnen 

sein  *). 

Von  einem  neuen  Gesichtspunkt  aus  betrachtete  A.  Leskien 

(Die  Deklination  im  Slavisch  -Litauischen  und  Germanischen, 
Leipzig  1876)  die  Hypothese  J.  Schmidts.  Nachdem  er  hervor- 
gehoben hat  (Einleitung  p.  X),  dass  er  sich  die  Ausbreitung  der 
indog.  Völker  bis  zur  Okkupation  des  heute  von  ihnen  besetzten 
Gebietes  nicht  ohne  wirkliche  geographische  Trennungen  vor- 
stellen könne,  meint  er,  dass  die  von  J.  Schmidt  postulierten  und 
auf  geographischer  Kontinuität  des  indog.  Gebietes  basierenden 
Übergangsstufen  nur  dann  verstanden  werden  könnten,  wenn  diese 
Kontinuität  vor  jede  Ausbreitung  in  ein  verhältnismässig  enges 
Gebiet  verlegt  würde.  Hierdurch  aber  eingebe  sich  die  Möglich- 
keit einer  Kombination  der  Übergangs-  und  Stamm- 
baumtheorie. Bezeichne  man  z.  B.  innerhalb  der  indog.  Ein- 
heit die  Vorfahren  der  Slaven  und  Litauer  mit  6,  die  der  Arier 
mit  c,  die  der  Germanen  mit  a, 


so  hätten  b  und  c  durch  gewisse  dialektische  Eigentümlichkeiten 
miteinander  verbunden  werden  können  (z.  B.  arisch  g  (tf)  =  slavo- 
lit.  s,  sz).  Nachdem  dies  geschehen  war,  konnte  es  sieh  er- 
eignen, dass  durch  Auswanderung  von  c  oder  durch  gemeinsame 
Abzweigung  von  a  und  h  die  geographische  Kontinuität  der  Linie 
a— c  unterbrochen  wurde,  und  sich  nun  auf  der  Strecke  a—h 
neue  gemeinsame  Eigentümlichkeiten  (etwa  gcrm.  m  -\-  slavo-lit. 
m  =  sonstigem  hh  im  Suffix)  herausbildeten.  So  würden  sich 
die  Besonderheiten,  welche  h  (das  Slavisch-Litauischc)  mit  c  (dem 
Arischen)  teilt,  erklären  lassen,  und  doch  würde  man  noch  das 
Recht  besitzen,  „den  Versuch  zu  machen,  ob  das  Litauisch-Sla- 
vische  sich  mit  dem  Germanischen  ' «)  zu  einer  besonderen  Gruppe 
mit  einer  vom  Ganzen  des  Sprachstammes  oder  anderen  Teilen 
desselben  getrennten  Entwicklung  vereinigen  lasse"   (p.  XXVII). 


1)  Neben  dem  Armenischen  teilt  noch  eine  andere  asiatisch-indog. 
Sprache,  das  Phrygische,  die  Bewahrung  des  alten  e  (vgl.  Fick  Die 
Spracheioheit  der  Indog.  Europas  p.  416;.  Hübschmann  K.  Z.  XXIII,  49 
hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  diese  Sprache  am  nächsten  mit  dem 
Armenischen  verwandt  sei,  eine  Annahme,  die  allgemeine  Zustimmung 
gefunden  hat. 


-     74    — 

Die  Wichtigkeit  der  Leskienschen  Auffassung  besteht  ohne 
Zweifel  in  der  Betonung  der  für  die  Erklärung  der  vorhandenen 
Sprach-  und  Völkergrenzen  notwendig  anzunehmenden  geogra- 
phischen Trennung  der  einzelnen  indog.  Völker,  die  J.  Schmidt 
neben  dem  an  sich  auch  möglichen  Aussterben  der  vermittelnden 
Varietäten  aus  anderen  Gründen  (vgl.  p.  66)  nicht  genügend 
hervorgehoben  hatte,  und  mit  dieser  Einschränkung  kann  die 
Übergangstheorie  J.  Schmidts,  wenigstens  in  theoretischer  Be- 
ziehung, gegenwärtig  wohl  für  durchgedrungen  gelten. 

Dies  tritt  in  allen  folgenden  Arbeiten  mit  grösserer  oder  ge- 
ringerer Deutlichkeit  hervor.  So  hält  es  K.  Brugmann  in  seinem 
Grundriss  der  Vergleichenden  Grammatik  der  idg.  Sprachen  I,  290 
(Strassburg  1886)  genau  wie  J.  Schmidt  für  „möglich  und  nicht 
unwahrscheinlich^,  dass  die  vielgenannte  Verschiedenheit  der  indog. 
Sprachen  in  der  Behandlung  der  palatalen  Ar-Reihe  „eine  urindo- 
germanische Artikulationsdifferenz  widerspiegelt,  dass  die  ursprüng- 
lichen Verschlusslaute  in  einem  Teile  des  Gebietes  der  indog. 
Grundepoche  spirantisch  affiziert  wurden,  während  sie  in  dem 
anderen  Teile  rein  blieben.  Dieser  dialektische  Unterschied 
pflanzte  sich  dann  in  die  Einzelentwicklungen  fort".  Vgl.  auch 
p.  308  bezüglich  der  velaren  Ä'-Reihe.  Was  aber  die  Frage  der 
indog.  Ver\vandt8chaftsverhältnisse  im  einzelnen  anbetrifft,  so 
macht  Brugmann  an  einer  andern  Stelle  (Internationale  Zeitschrift 
für  allgemeine  Sprachwissenschaft  I,  226)  mit  grosser  Schärfe 
einen  Einwand  geltend,  der  sich  sowohl  gegen  die  Übergangs- 
wie  gegen  die  Stammbaumtheorie  richtet,  indem  er  darauf  hin- 
weist, dass  die  speziellen  Übereinstimmungen  zweier  oder  mehrerer 
Sprachen  sehr  oft  lediglich  auf  Zufall  beruhen.  „Der  Gesamt- 
habitus  der  indog.  Sprachen  blieb  ja  auch  nach  dem  Auseinander- 
gehen des  Urvolks  im  wesentlichen  derselbe  und  die  psychische 
und  leibliche  Organisation  der  Träger  und  Vererber  der  Sprache 
im  ganzen  die  gleiche,  die  Anlässe  zu  Neubildungen  waren  viel- 
fach dieselben:  warum  also  bei  gleichen  Ursachen  nicht  auch 
gleiche  Wirkungen?"  p.  31  und  ebendaselbst:  „Nimmt  man  es 
nicht  z.  B.  als  ein  Spiel  des  Zufalls  hin,  dass  im  Germanischen 
und  Armenischen  die  ursprünglichen  Mediae  in  gleicher  Weise 
zu  Tenues  verschoben  sind,  wie  in  got.  taihun,  armen,  tasn 
gegenüber  aind.  ddga,  gi'iech.  dixQf  u.  s.  w.?  Warum  sollte  man 
es  also  /.  B.  nicht  ebenso  als  ein  zufälliges  Zusammentreffen  be- 


75 


^  dtlrfen,    (iaas  die  nriiiciog.  Metiiae  aspirütae  im  Grieclii- 

scben    and   Italischen   zu  Tenues   aspiratae    vt^rscboben   wurden, 

irie  in  griecli.  itv/tö;,   niital.  ^thumos   tfümuni   gegenüber  aind. 

1. 8.  IT.  ?     Bei   8<j    bewandteu  Dingen   sind    es   p.  253 

picht  eine  einzelne  und  nicbt    einige    wenige   auf  zweiten   oder 

^reren  Gebieten  zugleich  auftretende  Spraelierseheinnngen,  die 

f  Beweis  der   näheren  Gemeinschaft   erbringen,   somlern    nur 

:  grosse  Kasse   von  Übereinstimmungen   in   lautlichen,    flesivi- 

syntaktiscben   und   lexikalischen  Neuerungen,    die  grosse 

,  welche  den  Gedanken  an  Zufall  ausschliesst. " 

Den    L  e 8 k  i  e n sehen   Gedanken    überträgt,    wenn    ich   ihn 

Rcbt  verstehe,    zunächst  P.  v.  Bradke,    Beiträge   zur  Kenntnis 

der  vorhistorischen  Entwicklung  unseres  Spracbstammes,  Giessen 

1888,  auf  die  Verwandtschaftsverhältnisse  einiger  indog.  Sprachen, 

idem  er  die  sprachlichen  nnd  kulturgeschichtlichen  Übereinstim- 

tngen  des  griechischen  und  italischen  Völkerzweigs  in  eine  gr;ii-'i- 

■lische  Epoche  verlegt,  aus  dieser  dann  die  Italer  sich  loslösen 

nni  im  Verein  mit  den  Kelten  eine  kelto- italische  Epoche 

durchleben.     Ebenso    steht    H.  Hirt,    Die  Verwandtschafts- 

"litlltiiisgc  der  Iiidogeruianeu,    1.  F.  IV,   36  ff.,   im  ganscn  Auf 

Boden     der    Schniidt-Leskicnschen    Anschauungen,     trägt 

worin    ihm    übrigens    schon    K.  Pcuka    (vgl.  u.)    vorans- 

teangen  war,  insofern  ein  neues  Moment  in  die  Erörtening  dieser 

Mgcu,  als  er  die  Verschiedenheiten  der  einzelnen  idg.  Sprachen 

lentlicb   mit  aus  angeblichen  Vermischungen   mit  vor-  nnd 

ichtidg.  Idiomen  zu  erklären  versueht. 

Am  ausführlichsten  aber  hat  P.  Kretschmer  in  seiner 
Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache,  GOttingen 
den  J.  8chmidtschen  Gedanken  der  wellenförmigen  Ver- 
bitang  der  idg.  Spracherscheinungen  über  ein  geographisch  zu- 
roeohängendes  Sprachgebiet  auszubauen  versucht.  Indessen 
hei  der  Beurteilung  der  Verwandtschaftsverhältnisse  der 
.Sprachen  die  Wellentbeorie  nicht  den  einzig  möglichen, 
Indern  nur  den  normalen  Verlauf  der  Diateklentwicklung  an. 
ineben  seien  als  Aufnahmen  auch  die  Sprachspaltnng  im 
ttie  Schleichers  und  die  SprachnriBchung  zu  betrachten. 

In  älmlichcm  Sinne  äussern  sich  auch  K.  Urugmann  in 
r  xn-eireii  Auflage  seines  Grundrisses  (1897)  I,  21  ff.,  R.  Me- 
bger,  Indogeriuanische  Sprachwissenschaft,  Leipzig  1897,  p.  64, 


—    76    — 


R.  Mach,  Deutsche  Stamnieskunde ,  Leipzig  1900,  p.  18 ff., 
B.  Delbrück,  Einleitung  in  das  Studium  der  idg.  Sprachen, 
4.  Aufl.,  Leipzig  1904  (p.  137:  ,,Die  Völkertrennungen")  u.  a. 


Anhang:  Über  die  Erforschung  der  Lehnwörter  In  den 

indog.  Sprachen. 

Neben  dem  direkten  Weg,  mit  Hilfe  der  Sprachvergleichung 
vorhistorische  Kulturperioden  zu  erschliessen,  zieht  sich  aber  ein 
zweiter  indirekter,  doch  zu  demselben  Ziele  führender.  In  dem 
Leben  einer  jeden  Sprache  gesellt  sich  bekanntlich  allmählich  zu 
dem  aus  der  Urzeit  ererbten  Teil  ihres  Wortschatzes  ein  anderer, 
aus  der  Fremde  hereingetragener.  Keine  Sprache  ist  im  Verlauf 
ihrer  Geschichte  von  Lehnwörtern  frei  geblieben.  Da  nun  aber, 
wenigstens  im  allgemeinen  wird  mau  dies  sagen  können,  die  Ent- 
lehnung eines  Wortes  zugleich  auch  die  Entlehnung  eines  Be- 
griffes bedeutet,  so  ist  klar,  dass  die  Sammlung  der  Lehn-  oder 
Fremdwörter  einer  Sprache  zugleich  wichtige  Winke  über  die 
einem  Volk  von  aussen  gewordenen,  also  nicht  aus  der  Urzeit 
mitgebrachten  Kulturmomente  enthalten  muss.  Es  dürfte  daher 
hier  am  Platze  sein,  der  wichtigsten  wissenschaftlichen  Arbeiten, 
welche  die  Lehnwörter  der  indog.  Sprachen  behandeln,  in  kurzem 
zu  gedenken.  Nichts  zusammenhängendes  ist  auf  dem  Gebiete 
der  arischen  Sprachen  hier  zu  nennen.  Auch  würde  das 
Wörterbuch  des  Rigveda  (wie  überhaupt  des  ältesten  Sanskrit), 
das  reinste  und  uuvermischteste  auf  dem  ganzen  indog.  Völker- 
gebiet, kaum  eine  irgendwie  erhebliche  Ausbeute  in  dieser  Be- 
ziehung gewähren.  Mehr  und  wichtigeres  dürfte  schon  das 
Avesta  bieten,  worüber  sich  manche  Bemerkungen  in  Justis 
Handwörterbuch  der  Zendsprache  und  bei  Bartholomae,  Alt- 
iranisches Wörterbuch  (1904)  finden.  Reichlich  durchsetzt  mit 
semitischen,  türkischen  u.  s.  w.  Bestandteilen  sind  natürlich  die 
modernen  iranischen  Dialekte;  doch  ist  mir  eine  erschöpfende 
Behandlung   derselben  nicht   bekannt  geworden  *).     Für  das  Ar- 


1)  Hinsiclitlich  des  Neupersischen  vgl.  P.  Hörn,  Grundriss  der 
neupersiscbon  Etymologie,  Strassbnrg  1893,  und  dazuH.  Hübsch  mann, 
Persische  Studien,  Strassburg. 


;^tiKiien. 
166—188  eine 
dieser  Sprache 
vor   aüem    auf 


ICDi&cbe    ist    auf  Paul    de  Lagarde 
lIt)ng«D  1^77,    zu  verwoisen,    in   denön    von  p. 
be  Huri  sehe  Übersicht  llber  die  Übereinstinimungeii 
cb    mit   dem  äeniitischen    gegeben  wird,    und 
n.  Hdhsphmann '),  Armenische  Grammatik  1897,  I.  Teil,  Ar- 
meDisvlie  Etymologie  (1,2:    Persische  W.  I.  3:  Neupergische  ood 
^^uahischc  W.    II,  2  .Syrische  W.    Ul,  2  Orieeliist-lie  W.    IV  Ar- 
^^■ftenische  Leliimrirter  UDsieherer  Herkunft). 

^^ft         8elir   frOh    liat    hingegen    das  Sindiuni    der  Lelinwiirtei'    in 
^^Beri  enropäiselicn  S)irni-lien  begonnen. 

^^A        8clion  seit  dem  Wiedcraufbluben  der  philologischen  Studien 

^^Rb  Deutschland    waren    die   Beziehungen    des    Hebräischen    znni 

1        Griechischen  ein  Gegenstand  gelehrter  Spekulationen  gewesen. 

üeu  fmcfatlfisen  Versuchen,  die  mannigfaltigen  Übereinstimmungen 

l|        beider  Sprachen  aus  einem  gemeinsamen  Crspniiig  derselben  zu 

^HllfclftreD  'vgl.  z.  B.   birnesti.   De  »restigiia  tingiiat  hebrakae  in 

^^■Rj^a  graeca,  Opuitc.  pfiil.  p.  177  ff.)  folgte,    nachdem   das  ge- 

^^kalogittche  Verhültuis  der   beiden  Sprachen    durch   r|ie    verglei- 

^^Abcnde  SprachwissenBchaft  endgiltig  festgestellt  war.  die  richtige 

^^bnff»68nng  der  semitischen  BeBtandtcile  des  alteren  griechiscbeii 

^^^ortseliatzes  als  dem  phönizischen  KultureinFluss  in  Grieebeulaud 

entsprnngener  Lehnwörter.    Eine  erste  Sammlung  derselben  bietet 

Oesenius,    der  Begründer    der   semitischen  Sprachwissenschaft, 

in  seiner  Geschichte  der  hehräiseben  Sprache  I  §  If.    Ihm  schliesst 

sich  G.  Kenan,    Hisfnire   des    laHgues  »imitiquen,    p.  192,    an. 

Kleinere,    zerstreute    Beitrüge    liefern    Benfey ,    Fr.    Müller, 

P.  <!e  Lsgarde  n,  a.   In  nenererZeit  hat  in  zusammenhängender 

Darstellung  zuerst  F.  Lenormaiit   die  kullurbistoriscbe  Beden- 

tnng  der    semitisch-griechischen  Lehnwttrtei'   darzulegen  versucht 

in  einem  Aufsatz  Die  Kadmossage  und  die  phöniziseben  Niedei- 

lasiniDgcn    in  Griechenland    (Annales    de  phdofophie    chretteniw 

1867,    dann  in  Die  Anfange   der  Kultur,    Jena  1870^     Es  muss 

indi'iaen    bemerkt  werden,    dass    die  Lenormantsehe  Arbeit   eine 

»ehr    unsolide    Basis    fllr    weitere    kulturhistorische  Forschungen 

.ibgebcn  wllrde,  da  der  französische  Anthropologe  und  Orientalist, 

mit    einer    selbsIÄndigen    sprachwissenschaftlichen    Methode   auf 

1)  Ebenderselbe  GelehrlB  gibt  in  Etymologie  und  Lanilchre  dpr 
oueiiHchen  Sprache  (1887)  eine  vorläufige  Übersicht  Über  die  Lehti- 
W'Vtrr  im  OMetischen  (p.  1)8—136], 


-    78    — 

indog.  Boden  nicht  vertraut  (vgl.  oben  p.  28),  völlig  kritiklos  die 
früheren  Zusaiumenstelluhgen  des  Semitischen  und  Grieebischen 
wiederholt  und  neue  produziert. 

Es  war  daher  eine  sehr  dankenswerte  Aufgabe,  der  sich 
Ä.  Müller  in  einem  Aufsatz  Semitische  Lehnwörter  im  älteren 
Griechisch  (Bezzenbergers  Beitr.  z.  Kunde  d.  indog.  Spr.  I,  273 
bis  301)  unterzog,  an  der  Hand  unzweifelhafter  semitischer  Lehn- 
wörter im  Griechischen  (p.  281)  bestimmte  Lautentsprecbnngen 
für  die  Übertragungen  der  einen  Sprache  in  die  andere  festzu- 
stellen, an  denen  er  die  Ahnenprobe  der  bisher  für  semitisch  er- 
klärten Bestandteile  des  griechischen  Wortschatzes  vornehmen 
konnte.  Allerdings  schmolz  durch  diesen  Läuternngsprozess  die 
Anzahl  von  102  auf  ihren  Semitismus  geprüfter  Wörter  um 
ein  beträchtliches  zusammen  (vgl.  p.  299  ff.).  Eine  Anzahl  grie- 
chischer Wörter,  die  in  den  semitischen  Sprachen  wieder- 
kehren, hält  Müller  allerdings  für  Fremdlinge  auf  griechischem 
Boden,  ohne  sich  aber  über  ihre  eigentliche  Heimat  entscheiden 
zu  können.  So  xdgjtaoog  „feiner  Flachs'',  skrt.  kdrpäsa,  aram. 
Jcarpasj  arab.  kirbds;  xijßoi;^  xijjiog  „Affe",  Qkrt.  kapi,  hebr.  qdf'^ 
odjtfpEiQo^,  skrt.  qaniprijja,  hebr.  sappir;  ajudgaydog,  skrt.  mara- 
hataj  hebr.  bareqet  u.  a.  m.  Die  Bestrebungen  A.  Müllers  sind 
dann  von  W.  Muss-Arnolt,  Semitic  icords  in  Greek  and  Latin 
{Transactions  of  the  American  philological  association  XXIII, 
1892)  und  H.  Lewy,  Die  semitischen  Fremdwörter  im  Grie- 
chischen, Berlin  1895,  weiter  geführt  worden. 

Eine  sehr  kühne  und  heterodoxe  Ansicht  hat  über  mehrere 
der  hierhergehörigen  Wörter  F.  Hommel  in  seinem  Werk  Die 
Namen  der  Säugetiere  bei  den  südsemitischen  Völkern,  p.  260 
u.  414  ff.  Er  fasst  dieselben  nämlich  nicht  als  verhältnismässig 
späte  Entlehnungen  aus  den  semitischen  Sprachen,  sondern  ab 
uralte,  den  Ursemiten  und  Urindogermanen  gemeinsame  Kaltor- 
wörter  auf,  durch  welche  die  Nachbarschaft  der  ürsitze  beider 
Völker  (vgl.  unten  Kap.  IV)  auf  das  deutlichste  bewiesen  werde. 
So  urteilt  er  über  xavQog  (indog.  staura  =  ursem.  taura),  il&, 
Xicov  (indog.  liw,  laiwa  =  ursem.  IdbfatUj  liVatu),  XQ^^^^  (indog. 
gharata  =  ursem.  harüdu),  olvog  (indog.  tcaina  =  ursem.  icainu)  u.a. 

Eine  wichtige  Kontrovei*se  über  die  Frage,  ob  ägyptische 
Lehnwörter  (wie  ägypt.  hari-t  =  griech.  ßägig  „eine  Schiffsart") 
im  Griechischen  volkstümlich  geworden  sind,  hat  sich  in  Bezzen- 


LiKrgerB    ßeitrUgen  VII    zwischen  Ermanu    iiuil    0.  Wc 


Eine  Saminlnn^  flgyptiseber  Wrtrter  bei  kUssistlieii  Aiiloroii 
ietet  A.  Wiedcluanii  (Leipzig  1883). 

Von  den  innniii^ralli^en  KullureinflUssen,  denen  die  its- 
hscheti  Bewohner  der  Apenninhalbinsel  im  Laufe  ihrer 
Utefiten  Ge»e]it(;hte  atisg;eset/t  gewesen  sind,  hat  nur  der  g^rie- 
Bbisclie  als  der  liistorisi^b  spHteste  tiud  iiiten^iivste  in  der  latei- 
icheii  Sprache  deDilicb  erkennbare  Spuren  ziirackgeiasaeu.  Zwar 
t  CS  an  Kich  buchst  wabrscheinlich,  dass,  um  von  den  Italien 
Btrcifeodeu  Seefahrten  der  Phönizier  ivgl.  Th.  Momnisen, 
»mische  Geschichte  H,  128  und  0,  Weise.  Rhein.  Mus,  1883) 
schweigen,  das  beuachbarte  Etrnrien  anf  den  Gebieten,  wo  es 
i  Lebrmeisterin  Italiens  anftritt,  im  Banwesen,  in  gottesdienst- 
Ichen  Zeremonien,  in  Volksbelustigungen  a.  s.  w.  mit  den  neuen 
p-itTen  auch  die  tuskigclien  Bezcichnnngen  derselben  den  ita- 
ichen  Stfluimen  übermittelt  habe;  doch  kfnmen  dieselben,  so 
hnge  die  Sprache  der  etruskischen  Inschriften  noch  uuentziffert 
ist,  nur  Termiilet,  nicht  erwiesen  werden.  Einer  verhältnismässig 
spSien  Zeit  gehören  die  in  das  Lateinische  eingedrungenen  Wörter 
Jteltiscbeii  oder  tiberbanpt  nordeuropäischen  Ursprungs  an,  die 
TOD  L.  Diefenbach  in  dem  Lexikon  der  von  den  Alten  aul- 
bewabrten  Spracbreste  der  Kelten  nnd  ihrer  Nachbarn,  insbeson- 
^Biere  der  Germanen  und  Hispauier,  Origenen  Europaeae,  Frank- 
^^Hirt  1861,  gesammelt  sind. 

^^^        Die    Bedeutung   aber    der    griechischen  Lehnwörter    im 

^^Ksteioischcn  tftr  die  BenrteiliiDg  des  von  Griechenland  durch  die 

^^M^ermittelnng    seiner    Kolonien    ausgehenden    Einflusses    auf    die 

^^Hftliflcbe    Kntt urentwicklnn^     tritt    zuerst    in    T  h.    M  o m m s en s 

Eöoiischer  Geschichte  11854  vgl.  I.  130  u.  P,  194  ff.)  in  ihr  rechtes 

Licht.     Nach    diesem  Gelehrten    machte  auf  die  grosse  Wichtig- 

-keit  dieses  Gegenstandes  G.  Curtiue  iu  einem  V'ortrag  auf  der 

Bambarger  Philologenvei'sammlnng  1855,   Andeutungen  über  das 

Yerfaähnis  der  lateinischen  Sprache  zur  griechiächcu,  aufmerksam. 

It  j^ht  in  demselben  namentlich  anf  die  Ausdrucke  des  römischen 

tohiffswesens  ein,  in  denen  er  3  Schichten  unterscheidet,  welche 

!  Entwicklung  des  römischen  Seewesens  darstellten: 

1.  eine  urindog.  Schicht  (Wörter  wie  navU,  remug), 
IL  eine    grosse   Schicht    griechischer   Fremdwörter    (z.  lt. 


-     80    — 

gubernare,  ancora,  prora,  aplustre,  anquina,  nausea,  antennüy 
faselusy  contus  u.  s.  w.), 

in.  eine  beschränkte  Zahl  echt  römischer,  doch  nicht  indog. 
Wörter  (telum,  malus).  Das  erste  grössere  Verdienst  um  die 
Sammlung  der  griechischen  Lehnwörter  im  Lateinischen  erwarb 
sich  A.  Saalfeld  in  zwei  Abhandlungen,  Index  Graecorum 
vocabulorum  in  linguam  latinam  franslatorum  (Berlin  1874), 
und  Griechische  Lehnwörter  im  Lateinischen  (Programm,  Wetzlar 
1877).  Hieran  schliesst  sich  eine  Arbeit  E.  Beermanns,  Grie- 
chische Wörter  im  Lateinischen  (Sprachwissensch.  Abhandl.  her- 
vorg.  aus  G.  Gurt  ins'  grammatischer  Gesellschaft,  Leipzig  1874 
p.  95 — 110),  in  der  ein  kurzer  Überblick  über  die  griechischea 
Kulturelemente  des  römischen  Altertums  gegeben  wird. 

Alle  diese  Arbeiten  aber  sind  ttbertroffeu  worden  durch  das- 
grUndliche  und  besonnene  Werk  0.  Weises  Die  griechischen 
Wörter  im  Latein  (Preisschriften  der  Fürstlich  Jablonowskischen 
Gesellschaft,  Leipzig  1882).  Es  zerfällt  in  drei  Teile,  von  denea 
der  erste  besonders  von  den  Erkennungszeichen  der  Lehnwörter 
handelt,  der  zweite  die  Frage  beantwortet:  „Auf  welchen  Gebieten 
machen  sich  die  Anregungen  Griechenlands  bemerkbar?"  der 
dritte  ein  sorgfältiges  Verzeichnis  der  aus  dem  Griechischen  ins 
Latein  entlehnten  Wörter  gibt.  Hierzu  ist  im  Jahre  1884  der 
Tenaaurus  Italo-graecus,  ausführliches  historisch-kritisches  Wörter- 
buch der  Griechischen  Lehn-  und  Fremdwörter  im  Lateinischen 
von  A.  Saalfeld,  Wien  gekommen.  Vgl.  auch  dessen  Italo- 
graeca  I.  Heft  (Vom  ältesten  Verkehr  zwischen  Hellas  und  Rom 
bis  zur  Kaiserzeit)  1882,  II.  Heft  (Handel  und  Wandel  der 
Römer)  1882. 

Der  umgekehrte,  von  Italien  auf  die  Balkanhalbinsel  aus- 
gehende  Kulturstrom  zeigt  sich,  wenn  wir  von  dem  Rumänischen 
hier  absehen,  am  mächtigsten  indemAlbanesischen,  das^während 
der  Dauer  der  römischen  Herrschaft  in  lUyrien  um  ein  Haar  das 
Los  anderer  nicht-römischer  Sprachen  in  anderen  Provinzen 
geteilt  hätte  und  der  Romanisierung  gänzlich  erlegen  wäre**. 
(Vgl.  G.  Meyer  Die  lat.  Elem.  im  Älbanesischen,  Gröber» 
Grundriss  I;  p.  804  ff.  und  Et.  W.  d.  älbanesischen  Spr.,  Strass* 
bürg  1891.) 

Im  Norden  Europas  lässt  sich  von  vornherein  annehmen, 
dass  der  germanische  Sprachboden  zahlreiche  und  bedeutsame: 


—      SI      — 


öilartit^i.'  Elfiiieiile  luifzuweiseii  liai)eii  werde.  Die  (:eniiniii^rlicii 
Iker,  im  Herzen  unseres  Erdteils  gelegen  und  dnrcli  ihre  nalUr- 
^e  Veranlapiitng  für  die  Vorzüge  wie  fllr  die  Scliallenseileii 
mder  Kultur  enijifäiiglii'li,  bilden  gleiclisani  ein  grusses  Bassin, 
in  da?i  di«  KulUuslrümiingen  Europas,  von  welelier  Seite  sie; 
auch  kouiiiieii  mügen,    eich  Bammeln.     Ein   treuer  Spie^l   dieKei* 

E"  bältuisses  ist  der  Letuiwörlerschalx  der  gemiaiiiselien  Sprai-lien. 
die  Literatur  Über  die  ältesten  Hestand teile  desselben  hat 
hier  zu  heächäftjgen. 
Keine  grössere  Arbeit  liegt  bi«ber  tllwr  die  Entlehnungen 
germ an i sehen  Spracbeu  aus  dem  Keltischen  vor.  Auch 
es,  da  dieselben  meistens  auf  sehr  frübzoitige  Bcrlllirungeu 
beider  Völker  zurilekgeben,  schwer,  zwischen  Urverwandtscbaft 
und  Entlehnung  in  den  einzelnen  P'ällen  zu  untersebeideu.  Ein 
jfaug  ist  gemacht  von  R.  Much  Deutsche  titamnieekunde, 
^ipzig  liKJO  (S.  41  fr.:  Verhältnis  zu  den  Kelten).  Grössere 
1  frQbere  Anfnierksainkeit  hat  man  den  germanisch-Blavischen 
äntaprechungen  (Wörtern  wie  got.  kintus,  altsl.  c^la  „Heller"; 
gerni.  pftug,  slav.  plagii,  lit,  pliügaa;  got.  dtdgs,  altsl,  dlügü 
„Sehnld";    got.    pUnsjan,    altsl.    plqaati    „tanzen"    und    vielen 

P deren  I  zugewendet,  ohne  dass  man  freilich  auch  hier  einerseits 
B  [Urverwandte  von  dem  Entlehnten  zn  sondern,  andrerseits 
n  Ausgangspunkt  einer  Entlehnung  (ob  auf  slavischem,  oh  anf 
germaniscbeui  Buden)  überall  mit  8ioberbeit  festzustellen  ver- 
uiuobt  hätte.  Vgl.  H.  Ehel  Über  die  Lehnwörter  der  deutschen 
Sprache  p.  9,  Lottner  K.  Z,  XI,  Hlff.,  sowie  die  unten  zu 
nennenden  äammlnngen  der  slavischen  Lehnwjirter '). 

.\lier  diese  Bertlhrungen  der  Germanen  mit  ihren  nördlichen 
Nachharn  stehen  an  Bedeutung  weit  zurück  hinler  dem  Einfluss. 
die  Kultur  des  südlichen  Europa,  seitdem  dieselbe  mit 
1  Germaueulum  in  nähere  Berührung  getreten  ist.  auf  das 
llbe  ausgeübt  bat.  Verhältnismässig  gering  und  in  grösserem 
nfang  nur  im  Gotischen  nachweisbar,  sind  die  direkten  Be- 
Airangeo  des  Griechischen  mit  dem  Germanischen.  Hingegen 
lernimmt  das  römische  Volk  die  weltgeschichtliche  Aufgabe, 
die  ScbUtce,    die    es    zum    teil    selbst   erst   ans  weiter  Fremde 


1)  Vgl.    auch    meine    Bemerkungen    über   slavische    od^r   durch 
»D  vermittelte  Lehnwörter  im  älteren  Deutsch,  I.  K.  XVII.  29  tf. 


-    82    - 

empfangen  hat,  dem  Volke  zu  überliefern,  von  dem  es  einst  anf 
dem  Schauplatz  der  Geschichte  verdrängt  zu  werden  bestimmt 
war.  und  so  gleichartig  in  seinen  Wirkungen  ist  der  von  seinen 
beiden  gewaltigen,  Germanien  umklammernden  Grundlinien  des 
Rheines  und  der  Donau  auf  alle  germanischen  Stämme  sich  er- 
streckende Einfluss  Roms,  dass  ihm  gegenüber  die  Germanen, 
doch  schon  damals  dialektisch  zergliedert,  in  sprachlicher  Be- 
ziehung noch  ein  grosses  einheitliches  Ganze  auszumachen  scheinen. 
Was  das  heidnische  Rom  begonnen,  vollendet  das  christliche^ 
das  dem  Andrang  der  lateinischen  Sprache  am  weitesten  die 
Tore  öffnet. 

Nach  diesen  Bemerkungen  beschränke  ich  mich  darauf,  die 
wichtigste  Literatur  über  die  Lehnwörter  der  germanischen  Sprachen 
in  kurzem  mitzuteilen: 

1845  R.  v.  Raum  er  Die  Einwirkung  des  Christentums  auf 
die  althochdeutsche  Sprache,  Stuttgart. 

1856  H.  Ebel  Über  die  Lehnwörter  der  deutschen  Sprache 
(Programm  des  Erziehungs-Instituts  Ostrowo  bei  Filehne). 

1861  W.  Wackernagel  Die  ümdeutschung  fremder  Wörter 
(zuerst  Programm  zu  der  Promotionsfeier  des  Pädagogiums  in 
Basel,  später  Kleinere  Schriften  III,  252  ff.). 

1884  W.  Franz  Die  Lateinisch-Romanischen  Elemente  im 
Althochdeutschen.     Strassburg. 

1888  A.  Pogatscher  Zur  Lautlehre  der  Griechischen, 
Lateinischen  und  Romanischen  Lehnworte  im  Altenglischen. 
Strassburg. 

1889,  bezw.  1901  F.  Kluge  Lateinische  Lehnworte  im  Alt- 
germanischen (in  Pauls  Grundriss  d.  germ.  Phil.  I*). 

1895,  1900  F.  S  ei  1  er  Die  Entwicklung  der  deutschen  Kultur 
im  Spiegel  des  deutschen  Lehnworts  I,  IL 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  den  östlichen  Nachbarn  der 
germanischen  Völker,  so  finden  sich  die  fremden  Bestandteile 
der  slavischen  Sprachen  gesammelt  von  F.  Miklosich  Die 
Fremdwörter  in  den  slavischen  Sprachen  (Denkschriften  der  phil.- 
hist.  Klasse  der  Kaiserl.  Akademie  d.  Wissenschaften  XV,  71 — 140, 
Wien  1867)  und  Die  christliche  Terminologie  der  slav.  Spr. 
(Wien  1876,  Denkschr.  XXIV).  Indem  wir  das  alphabetisch  an- 
gelegte, stattliche  Verzeichnis  des  ersteren  Werks  durchlaufen, 
zeigen  sieh  uns  für  die  ältere  Zeit  folgende  Richtungen,  in  denen 


-    83    - 

sich  der  Einflnss  der  Fremde  auf  die  slavischen  Sprachen  voll- 
zieht. Zunächst  gehört  der  grössere  Teil  dieser  Fremdlinge  dem- 
jenigen Eulturkreis  an,  der  von  dem  klassischen  Boden  der 
Mittelmeerländer  ausgehend,  den  germanisch-slavischen  (zum  Teil 
auch  keltischen)  Norden  umschliesst  (vgl.  Wörter  wie  griech.-lat. 
didßoXog,  ahd.  tiuval,  altsl.  djavolü\  griech.  xdioag,  lat.  caesaVy 
ahd.  kaisavy  altsl.  cäsarl  »u.  s.  w.).  Dabei  ist  es  nicht  selten 
zweifelhaft,  ob  die  Entlehnung  in  das  Slavische  direkt  aus  dem 
Griechisch-Lateinischen  oder  durch  die  Vermittlung  der  Germanen 
erfolgt  sei.  Bei  einigen  Wörtern  ist  beides  zugleich  der  Fall. 
So  ist  das  altsl.  Jcaleäl  „Becher"  direkt  =  lat.  calix,  während 
neusl.  Jcdthy  russ.  Jceljüchü  mit  ihrem  auslautenden  h  unmittelbar 
aus  dem  Deutschen  (ahd.  chelih  =  calix)  stammen.  Ferner  ist 
in  das  Altslavische  eine  nicht  unbeträchtliche  Menge  griechischer 
Kultnrwörter  direkt  vom  byzantinischen  Boden  eingedrungen, 
die  sich  auf  die  slavischen  Sprachen  beschränken  (vgl.  altsl. 
plinäta  „Ziegelstein",  jiUvdog;  altsl.  kositerä  „Zinn",  xaoöl- 
regog;  altsl.  izvisti  „Kalk",  äaßeörog;  altsl.  Jcadi  „Krug",  xädog, 
lat.  cadtiSj  korabli  „Schiff",  griech.  xdgaßog  und  andere). 

Scharf  unterschieden  von  dieser  eben  besprochenen  Gattung 
von  Fremdwörtern,  die  ihren  Ursprung  im  Süden  Europas  haben, 
sind  die  älteren  Entsprechungen,  welche  die  slavischen  Sprachen 
mit  den  germanischen,  zum  teil  auch  mit  den  keltischen 
(altsl.  lekariy  got.  lekeis,  ir.  liaig  „Arzt" ;  russ.  jahednikü  „ma- 
gistratus  quidam^,  got.  andbahts,  kelt.  ambactus  etc.)  gemein 
haben.  Auf  die  Schwierigkeiten,  welche  dieselben  bieten,  haben 
wir  schon  oben  hingewiesen.  Vgl.  zuletzt  ühlenbeck  im  Archiv 
für  slavische  Sprachen  Bd.  XV  und  F.  Braun  Untersuchungen 
auf  dem  Gebiet  der  gotisch-slavischen  Beziehungen  (russisch),  I. 
Petersburg  1899. 

Endlich  lassen  sich  auch  östliche,  namentlich  turko- 
tatarische  (z.  B.  russ.  kaznä,  ttirk.  quazän  „Schatz",  vgl. 
H.  Vimbery  Die  primitive  Kultur  des  turko-tatarischeu  Volkes 
p.  25)  Einflüsse  in  dem  slavischen  Wortschatz  nicht  verkennen. 
Diese  werden  beleuchtet  von  F.  Miklosich  Die  türkischen 
Elemente  in  den  Südost-  und  osteuropäischen  Sprachen  Wien 
1884  und  1888  (Denkschr.  d.  Kaiserl.  Ak.  d.  W.  philos.- 
bist.  KI.  XXXIV,  XXXV).  Hierbei  unterscheidet  dieser  Gelehrte 
drei    Perioden    der  Wortentlehnung:    erstens   die    ersten  Jahr- 

6* 


-    84    - 

hunderte  unserer  Zeitrechnung,  bevor  die  slavischen  Völker  von 
dem  Wandertrieb  nach  dem  Westen  ergriffen  wurden,  zweiten» 
den  mit  der  Unterjochung  der  slavischen  Bewohner  des  rechten 
Ufers  der  unteren  Donau  durch  die  türkischen  Bulgaren  be- 
ginnenden Zeitabschnitt  und  drittens  die  Periode  der  bleiben- 
den Festsetzung  der  Türken  in  Europa  (XIV.  Jahrb.). 

Die  slavischen  Bestandteile  des  litauischen  Wortschatzes 
sind  gesammelt  in  dem  Buche  Ä.  Brückners  Die  slavischen 
Fremdwörter  im  Litauischen,  Weimar  1877. 

Verweilen  wir  endlich  noch  einige  Augenblicke  bei  den 
Kelten,  so  ist  hier  für  die  Sammlung  des  entlehnten  Sprach- 
guts noch  wenig  geschehen.  Die  wichtigsten  lateinischen  Lehn- 
wörter des  Altirischen  sind  zusammengestellt  bei  Ebel  (Beiträge 
II,  139  f.)  und  in  den  Three  Irish  glosses  hy  W.  S(tokes) 
London  1862,  preface  p.  XX  f.  Zu  beachten  ist  femer  Bruno 
Güter  bock  Bemerkungen  über  die  lateinischen  Lehnwörter  im 
Irischen,  Leipzig  1882.  Wichtig  auch  in  dieser  Beziehung  ist 
Holde  rs  Altkeltischer  Sprachschatz,  Leipzig  1896  ff. 

Für  die  fremden  Bestandteile  des  Wortschatzes  der  roma- 
nischen Sprachen  sind  die  Hauptquellen  das  etymologische 
Wörterbuch  von  Diez  (V.  Aufl.)  und  G.  Körting  Lateinisch- 
romanisches Wörterbuch,  Paderborn  1891  (II.  Aufl.  1901).  Mass- 
gebend für  die  Beurteilung  der  keltischen  Einflüsse  in  denselben 
ist  R.  Thurneysen  Keltoromanisches,  Halle  1884,  wichtig  für 
die  Wechselbeziehungen  zwischen  Germanen  und  Romanen 
F.  Kluge  in  Gröbers  Grundriss  der  romanischen  Philologie  1887  I^ 
p.  383  ff.  (II.  Aufl.  1904)  und  E.  Mackel  Die  Germanischen 
Elemente  in  der  französischen  und  provenzalischen  Sprache,  Heil- 
bronn 1887.  Über  die  Arabische  Sprache  in  den  romanischen 
Ländern  handelte  zuletzt  Chr.  Seybold  (Gröbers  Grundriss  I, 
p.  398  ff.). 


IV.  Kapitel. 

Die  Untersuchungen  über  die  Urheimat  des 

indog.  Volkes'). 

Die  Frage  nach  der  ursprünglichen  Heimat  des  indog.  Ur- 
volkes  schien,  wie  wir  in  unserem  ersten  Kapitel  gezeigt  haben, 
bereits  vor  einem  halben  Jahrhundert  zu  einer  definitiven  Ent- 
scheidung gelangt  zu  sein.  Die  Gründe,  welche  die  Forscher  in  die 
Täler  des  Oxus  oder  auf  die  Abhänge  des  Mustagh  und  Belur- 
tagh  als  zu  dem  ersten  Ausgangspunkt  der  Indogeimanen  ge- 
führt hatten,  waren  teils  allgemeiner  Natur,  hervorgegangen  aus 
der  Auffassung  Asiens  als  der  Geburtsstätte  der  Menschheit  und 
menschlichen  Gesittung  überhaupt,  teils  waren  sie  eine  Verall- 
gemeinerung gewisser  Fingerzeige,  die  die  älteste  mythische  Ge- 
schichte der  indisch-iranischen  Völker  für  das  ürland  derselben 
zu  enthalten  schien,  auf  die  übrigen  indog.  Stämme. 

Seitdem  man  damit  begonnen  hatte,  durch  die  Hilfe  der 
vergleichenden  Sprachwissenschaft  in  die  Eulturwelt  des  indog. 
Altertums  einzudringen,  verfehlte  man  auch  hier  nicht,  nach 
Gründen  zu  forschen,  die  geeignet  wären,  jene  Hypothese  über 
den  Ursprung  der  Indogermanen  zur  geschichtlichen  Gewissheit 
zu  erheben.  Der  erste,  der  diesen  Versuch  machte,  war  wiederum 
Adolphe  Pictet,  dessen  Origines  Indo-europ^enneSf  wie  wir 
schon  oben  sahen,  in  ihrem  ganzen  ersten  Bande  (1859)  der 
Beweisführung  gewidmet  sind,  dass  die  Heimat  der  Indogermanen 
in  dem  alten  Baktrien  oder  genauer  in  den  Gegenden  zwischen 
dem  Hindukusch,  Belurtagh,  dem  Oxus  und  dem  Kaspischen 
Meer  zu  suchen  sei  ^). 


1)  Vgl.  Salomon  Reinach,  Vorigine  des  AryaSj  histoire  d'une 
controverse,    Paris  1892. 

2)  Bis  in  die  hohen  Täler  des  Belurtagh  und  Mustagh  lässt  Pictet 
nur  Zweige  des  arisch-iranischen  Stammes  hinaufrücken,  von  wo  sie, 


—  86      — 

Die  allgemeinen  Gesichtspunkte,  von  denen  aus  Pictet  sich 
für  diese  Länder  entscheidet,  sind  im  wesentlichen  die  schon 
früher  besprochenen.  Nur  darauf  wird  von  Pictet  noch  ein  be- 
sonderes Gewicht  gelegt,  dass  gerade  die  geographische  Aas- 
breitung  der  Indogernianen,  wie  sie  historisch  vor- 
liege, auf  Baktrien  als  anf  den  gemeinsamen  Ausgangspunkt 
der  zerstreuten  Stämme  hinweise.  Wir  haben  oben  p.  68  ge- 
sehen, wie  sich  derselbe  die  ältesten  Berührungen  und  das  all- 
mähliche Auseinandergehen  der  indog.  Völker  theoretisch  vorstellt. 
Dies  auf  die  geographischen  Verhältnisse  Baktriens  und  der  an- 
grenzenden Länder  übertragen,  würden  nach  Pictet  (vgl.  p.  51  ff.) 
die  Vorfahren  der  Iranier  im  Nord-Osten  bis  zu  der  Grenze 
Sogdianas  gegen  den  Belurtagh,  die  Vorfahren  der  Inder  dagegen 
im  Süd-Osten  bis  zu  den  Abfiillen  des  Hindukusch  ihre  Wohn- 
sitze gehabt  haben.  Diese  von  hohen  Gebirgsketten  umrahmte 
Lage  der  beiden  Stämme  soll  zugleich  erklären,  warum  dieselben 
länger  als  die  übrigen  ungetrennt  bei  einander  geblieben  sind. 
Im  Süd-Westen  des  genannten  Gebietes  stellt  sich  dann  weiter 
Pictet  die  späteren  Gräco-ltaler  vor,  welche  ihre  Wanderungs- 
richtung über  Herat,  durch  Chorasan,  Masenderan  nach  Klein- 
asien und  dem  Hellespont  zu  nahmen.  Am  weitesten  westlich 
wohnten  auch  in  der  Urheimat  die  keltischen  Stämme,  die  um 
den  Süden  des  Kaspischen  Meeres  herum  nach  dem  Kaukasus 
zo<;en,  hier  in  den  fruchtbaren  Landschaften  Iberiens  und  Alba- 
niens ^)  eine  längere  Rast  machten,  dann  den  Kaukasus  durch- 
brachen und  nördlich  um  das  Schwarze  Meer  herum  donauanf- 
wärts  nach  Europa  einzogen.  Den  Norden  der  Urheimat  müssen 
endlich  die  Vorfahren  der  Germanen  und  Slavo-Litauer  mit  ihren 
Sitzen  längs  dem  Laufe  des  Oxus  eingenommen  haben.  Ihr  Weg 
nach  Europa  führte  dieselben  durch  die  weiten  Flächen  Scythiens 
zum  Pontus  Euxinus. 

Wenn  so  unser  Autor  durch   Erwägungen  aller  Art  nach 


nachdem  die  Auswanderung  anderer  arischer  Volkszweige  Platz   ge- 
schaffen hatte,  wieder  in  glücklichere  Gep:enden  hinabzogen  (vgl.  p.  37). 

1)  Der  Zusammenklang  des  kaukasischen  Iheria^  spanischen 
Iberia,  irischen  Ivernia  {^liovrj^  altir.  Eriu,,  Krend?),  ebenso  wie  der  des 
kauk.  Albania  und  britischen  "A/.ßiovj  auf  dem  die  obige  Hypothese 
beruht,  ist  ohne  Zweifel  ein  zufälliger.  Vgl.  H.  Kiepert  Lehrbuch  d. 
alten  Geographie  p.  86,  481,  528. 


-     87     - 

Baktrien  als  nach  dem  Ausgangspunkt  der  Indogermanen  ge- 
führt wird,  so  findet  er  diese  seine  Ansieht  weiterhin  auf  das 
„glänzendste^  bestätigt  durch  eine  ganze  Reihe  anderer  Gründe, 
die  er  der  linguistischen  Erschliessung  des  indog.  Kulturlebens 
entnimmt. 

Als  von  besonderer  Wichtigkeit  zunächst  für  die  allge- 
meine Bestimmung  der  Breitengrade,  unter  denen  die  Lage 
der  indog.  Urheimat  zu  suchen  sei,  betrachtet  Pictet  die  Be- 
nennungen, die  bereits  das  Urvolk  für  die  Jahreszeiten  und 
mit  ihnen  zusammenhängendes  hatte.  Da  er  nun  für  die  Urzeit 
eine  dreifache  Teilung  des  Jahres  annimmt:  den  Winter  (hiems) 
mit  Schnee  (nix)  und  Eis  (ahd.  ts  =  iran.  isi),  den  Frühling 
(rer),  den  Sommer  (ahd.  sumar,  cymr.  Äam,  iran.  hama,  skrt. 
sämä),  so  wird  er  nach  der  von  Jakob  Grimm  in  seiner  deutschen 
Mythologie  gemachten  Bemerkung,  dass  je  weiter  nach  Norden 
zwei  Jahreszeiten,  Sommer  und  Winter,  hervortreten,  je  weiter 
nach  Süden  drei,  vier  oder  fünf  unterschieden  werden,  zu  einem 
gemässigten  Klima  und  einer  mittleren  Breite  geführt.  Dies 
stimme  aber  aufs  beste  mit  den  klimatischen  Verhältnissen  des  alten 
Baktriens  überein,  das,  obwohl  unter  gleichen  Breiten  wie 
Griechenland  und  Italien  gelegen,  doch  vermöge  seiner  Erhebung 
über  den  Meeresspiegel  in  klimatischer  Hinsicht  dem  mittleren 
Europa  entspreche  und  einen  so  kalten  Winter  habe,  dass  der 
Oxus  oft  von  einem  Ufer  zu  dem  anderen  gefriere  (p.  89 — 109). 

Eine  weitere  Bestätigung  seiner  Ansicht  glaubt  Pictet 
aus  denjenigen  Wortreihen  zu  gewinnen,  die  für  die  Topo- 
graphie des  indog.  Urlandes  beweiskräftig  seien.  Zwar  können 
die  zahlreichen  Übereinstimmungen  der  indog.  Sprachen  in  den 
Benennungen  der  Begriffe  Berg  und  Tal,  Strom  und  Bach  etc. 
nur  darauf  einen  Schhiss  gestatten,  dass  die  Heimat  der  Indo- 
germanen kein  berg-  und  wasserarmes  Land  gewesen  sei.  Von 
grösster  Wichtigkeit  aber  ist  ihm  der  Umstand,  dass  die  Indo- 
germanen schon  vor  ihrer  Trennung  das  Meer  kannten,  was 
Pictet  aus  der  Vergleichung  von  lat.  mare^  irisch  rnuiVf  got. 
marei,  lit.  märes,  altsl.  morje  mit  skrt.  mira  „Meer,  Ozean"  (?j 
folgert.  Ja,  indem  er  diese  Wortsippe  auf  die  Wurzel  mr  {mar, 
cf.  mors)  ,,sterben"  zurückführt  und  zu  ihr  auch  das  skr.  marü 
^Wüste**  stellt,  glaubt  er  zugleich  den  Nachweis  führen  zu 
können,    dass    das    Meer,    das    in    dem   Horizont    der    Indoger- 


—    88    — 

nianen  lag,  dasKaspische  gewesen  seiu  müsse.  Dieses  durch 
weite  Sandfläcben  von  dem  Kulturboden  Baktriens  getrennte 
Meer  konnte  in  der  Vorstellung  des  ürvolkes  leicht  mit  dem 
Begriff  der  WUste  {mira?  :  maru)  zusammenf Hessen. 

Es  folgt  nun  weiter  die  Besprechung  der  drei  Naturreiche, 
immer  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Punkte,  die  geeignet 
sein  könnten,  die  Hypothese  des  baktrischen  Ursprunges  der 
Indogeniianen  zu  unterettttzen,  und  wer  die  oben  (p.  24  ff.)  aus- 
führlich geschilderte  Methode  unseres  Forschers  bedenkt,  wird 
nicht  erstaunt  sein  zu  sehen,  dass  es  ihm  ohne  Schwierigkeiten 
gelingt,  au  Mineralien,  Pflanzen  und  Tieren  dasjenige  in  die 
Urzeit  zu  übertragen,  was  ihm  für  die  geographische  Fixierung 
derselben  nützlich  erscheint. 

Trotzdem  schliesst  sich  der  Pictet'schen  Argumentation  auch 
F.  Justi  in  dem  oben  (p.  28)  genannten  Aufsatz  über  die  Urzeit 
der  Indogermanen  rückhaltlos  an,  und  nicht  weniger  entschieden 
sprechen  sich  die  auf  Pictet  folgenden  Forscher  für  Asien  als 
den  Ausgangspunkt  der  Indogermanen  aus,  indem  sie  sich  mehr 
oder  weniger  den  von  Pictet  bestimmten  Gegenden  nähern  So 
A.  Schleicher,  so  F.  Misteli,  so  M.  Müller,  der  indes  aus 
mare  und  seiner  Sippe  gerade  den  entgegengesetzten  Schluss  als 
Pictet  zieht,  dass  nämlich  die  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung 
das  Meer  nicht  gekannt  hätten  (vgl.  Essays  II,  41  ff.),  so 
W.  Sonne,  der  die  Indogermanen  noch  im  Urland  vi^eit  über  die 
Grenzen  des  Oxus  nordwärts  sich  ausbreiten  lässt  (vgl.  oben  p.  60) 
u.  a.  m. 

Am  eingehendsten  hat  nach  Pictet  die  Frage  der  indog. 
Urheimat  J.  Muir  in  seinen  Original  Sanskrit  Texte  II.  Band, 
1860,  zweite  Auflage  1871  in  dem  dritten  Kapitel  Affinities  of 
the  Indians  icith  the  Persians,  Greeks  and  Romans^  and  deri- 
vation  of  all  these  nations  from  Central  Asia  behandelt.  Aller- 
dings enthalten  die  Ausführungen  dieses  Gelehrten,  nachdem  in 
Sekt.  VI  eine  ausführliche  Widerlegung  der  oben  (p.  9)  er- 
wähnten Curzonschen  Ansicht  von  dem  indischen  Ursprung 
der  Indogermanen  gegeben  ist,  ausschliesslich  Referate  aus  den 
Werken  anderer,  für  Zentral-Asien  eintretender  Gelehrten  (vgL 
Sekt.  VII  Central  Asia  the  cradle  of  the  Arians),  ohne  dass 
die  Hypothese,  zu  der  sich  Muir  selbst  bekennt,  durch  neue 
Argumente  gestützt  würde.     Hingegen   verdient   unser  Interesse 


—    89    - 

Sekt.  VIII  des  Mairscheu  Werkes  {on  the  national  traditions 
of  the  Indians  regarding  their  own  original  country),  insofern 
hier  die  Punkte  zusammengestellt  und  besproeben  werden,  die 
für  die  Herkunft  der  Inder  aus  dem  Trans-Himälaya-Land  zu 
sprechen  scheinen.  Und  zwar  sollen  für  die  in  Indien  fort- 
lebende Erinnerung  eines  nördlichen  Heimatlandes  beweisend  sein : 
erstens  die  Rolle,  welche  in  der  Terminologie  der  Jahreszeiten 
in  den  ältesten  Hymnen  des  Rigveda  der  Winter  spielt,  der 
später  allmählich  von  dem  Herbste  abgelöst  wird,  zweitens  die  schon 
von  Lassen  (vgl.  Zeitschrift  für  die  Kunde  d,  M.  II,  62  ff.) 
betonte  Sage  von  dem  glückseligen,  durch  die  Tradition  in  den 
änssersten  Norden  versetzten  Volke  der  Uttarakuravah  ^)  (den 
^OtxaQoxoQai  des  Ptolemäus),  drittens  eine  Stelle  des  Atharvaveda, 
nach  der  die  Heilpflanze  küshfa  {xoorog)  auf  der  andeni 
^nördlichen)  Seite  des  Himälaya  wächst,  und  viertens  ein  Passus 
des  Kaushttaki'brähmanu,  in  dem  von  der  grösseren  Rein- 
heit der  nördlichen  Sprachen  die  Rede  ist.  Die  schon  oben 
<p.  12  Anm.)  erwähnte  Flutsage  des  Qatapathabrähmana  hält 
Muir  in  der  zweiten  Auflage  seines  Buches,  besonders  aus  sprach- 
lichen Gründen  (die  Lesart  atidudräca  „er  setzte  über'^  sc.  diesen 
nördlichen  Berg,  ist  zweifelhaft)  nicht  mehr  für  stichhaltig  (vgl. 
p.  323  Anm.  96). 

Die  Sekt.  IX  des  Muirschen  Werkes  (Wether  anij  tradifion 
regarding  the  earliest  abodes  of  the  Arian  race  is  contained 
in  the  first  fargard  of  the  Vendidad)  behandelt,  hier  wieder 
durchaus  referierend,  die  Frage,  ob  die  bekannte  Aufzählung 
der  16  Landschaften  in  dem  genannten  Abschnitt  des  Avesta 
«Schlüsse  auf  die  Ausbreitung  der  ältesten  Indogermanen  im  all- 
gemeinen und  der  Iranier  im  besonderen  zulasse.  Wir  sehen, 
dass  sich  in  diesem  Punkte  die  Anschauungen  der  Forscher  seit 
Rhode  und  Lassen  (vgl.  oben  p.  9  und  12)  wesentlich  verändert 
haben.  Bereits  im  Jahre  1866  hatte  H.  Kiepert  in  den  Monats- 
berichten der  Berliner  Akademie  d.  W.  p.  621 — 647  die  späterhin 
besonders  von  M.  Hang  vertretene  Ansicht  von  der  Beweisfähigkeit 
des  ersten  Fargards  des  Vendidad  für  die  Ausbreitung  der  Indo- 


1)  Von  H.  Zimmer  (Altind.  Leben  p.  101  ff.)  sind  dieselben  viel- 
mehr nach  Kashmir  verlegt  worden.  Vgl.  dagegen  W.  Geiger  Ostiran. 
Kultur  p.  41. 


—    90    — 

germanen  (vgl.  Das  erste  Kapitel  des  Vend.  übersetzt  und  erläutert, 
in  Bunsens  Ägyptens  Stelle  in  der  Weltgeschichte,  Schlussband 
p.  104 — 137)  bedenklich  erschttttert,  indem  er  nachwies,  dass  die 
Erwähnung  der  16  Landschaften,  von  so  grosser  historischer 
und  geographischer  Wichtigkeit  sie  sonst  sei,  doch  nur  den  Um- 
fang der  geographischen  Kenntnisse  der  Verfasser  des  Zendavesta 
darstelle, .  von  Wanderungen  und  allmählicher  Ausbreitung  der 
Iranier,  oder  gar  der  Arier  oder  Indogermanen  dabei  absolut 
nicht  die  Rede  sei.  Diese  ohne  Zweifel  richtige  Auffassung  der 
Stelle  teilten  aber  mit  Kiepert  auch  namhafte  Orientalisten  wie 
M.  Müller  und  M.  Breal  (Muir  a.  a.  0.  p.  314  und  334),  ja  selbst 
Spiegel,  der  in  dem  ersten  Band  seines  Avesta  p.  59  sich  noch 
für  die  Auffassung  Rhodes  und  Lassens  entschieden  hatte,  trat 
schon  in  dem  zweiten  Band  des  genannten  Werkes  p.  CIX  zu  den 
Bekämpfem  derselben  über. 

Indessen  konnte  es  auf  dieses  eine  Argument  für  die  zentral- 
asiatische Herkunft  der  Indogermanen  mehr  oder  weniger  nicht 
ankommen.  Schienen  doch  noch  ausserdem  eine  Menge  ethno- 
graphischer, historischer  und  linguistischer  Momente  sich  zu  einer 
erdrückenden  Beweismasse  für  dieselbe  zu  vereinigen.  So  standen 
die  Dinge,  als  plötzlich  der  erste  Zweifel  an  dieser  fast  schon 
zu  geschichtlicher  Gewissheit  gewordenen  Hypothese  von  dem 
asiatischen  Ursprung  der  Indogermanen  in  England  auftauchte. 
R.  6.  Latham  war  es,  der  in  seinem  an  heterodoxen  Ansichten 
reichen  Werke  Elements  of  comparative  philology  London  1862" 
die  schon  früher  ausgesprochene  (vgl.  The  native  races  of  the 
Russian  empire  London  1854  und  noch  früher  Lathams  Ausgabe 
der  Germania  1851  LXVII  p.  CXXXVII)  Behauptung  wieder- 
holte und  näher  begründete,  dass  vielmehr  in  Europa  die 
ursprünglichen  Sitze  der  Indogermanen  zu  suchen  seien 
(vgl.  Z.  c.  p.  611  ff.). 

Latham  geht  von  der  Annahme  einer  näheren  Verwandtschaft 
des  Sanskrit  mit  den  litu-slavischen  Sprachen  aus,  die  er  be- 
sonders in  der  Lautlehre  durch  das  oben  (p.  65)  erörterte  Ver- 
hältnis der  indog.  Gutturalreihen  für  erwiesen  erachtet.  Dem* 
gemäss  müsse  die  ursprüngliche  Lage  des  Sanskrit  sich  mit  der 
des  Slavisch-Litauischen  berührt,  und  das  Sanskrit  entweder 
Indien  von  Europa,  oder  Litauisch,  Slavisch,  Lateinisch,  Griechisch 
und  Deutsch  Europa   von  Indien   aus  erreicht  haben.     Zu    einer 


-     91     - 

Entscheidnug  fflr  eine  dieser  beiden  Möglichkeiten,  die  an  sich 
gleich  denkbar  seien,  fehle  nun  jede  Spur  eines  Beweises. 
„  What  I  Tiave  found  in  its  stead  is  a  tadt  assumption  that 
as  the  East  is  the  probable  quarter  in  tchich  either  the  human 
species,  ar  the  greater  part  of  our  civilization,  originatedj 
evertfthing  came  from  it.  But  sureli/y  in  this,  there  is  a  con- 
fusion  between  the  primary  diffusion  of  manJcind  over  the 
World  at  large  and  those  secondary  movements  by  tvhich,  ac- 
cording  to  even  the  ordinary  hypothesis,  the  Lithuanic  etc.  came 
from  Äsia  into  Europe^  (p.  612).  Es  komme  daher  allein  auf 
eine  Erwägung  ihrer  allgemeinen  Wahrscheinlichkeit  an.  Da  nun, 
so  fährt  Latham  in  seinem  Raisonnement  fort,  a  priori  die  Wahr- 
scheinlichkeit dafür  spreche,  dass  die  kleinere  Klasse  dem  Ver- 
breitungsgebiet der  grösseren  entstamme,  da  auch  in  der  Natur- 
wissenschaft die  Species  von  der  Area  des  Genus  und  nicht  das 
Genus  von  der  Area  der  Species  abgeleitet  zu  werden  pflege; 
da  ferner  nicht  das  Germanische  aus  dem  Englischen  und  nicht 
das  Finnische  aus  dem  Magyarischen,  sondern  umgekehrt  hervor- 
gehe, so  müsse  auch  der  Ausgangspunkt  des  Sanskrit  in  Europa 
und  zwar  an  der  östlichen  oder  süd-östlichen  Grenze  des  Litau- 
ischen gesucht  werden.  Oder,  wie  es  schon  in  der  angeführten 
Ausgabe  der  Germania  heisst:  „Wenn  wir  zwei  Zweige  derselben 
Sprachklasse  besitzen,  die  getrennt  von  einander  sind,  und  von 
denen  einer  ein  grösseres  Gebiet  hat  und  mehr  Varietäten  zeigt, 
während  der  andere  geringern  umfang  und  grössere  Homogenität 
besitzt,  so  ist  anzunehmen,  dass  der  letztere  von  dem  ersteren 
abstammt,  und  nicht  umgekehrt.  Die  Indo-Europäer  Europas 
von  den  Indo-Europäera  Asiens  ableiten,  ist  in  der  Ethnologie 
dasselbe,  als  wenn  man  in  der  Herpetologie  die  Reptilien  Gross- 
britanniens von  denen  Irlands  ableiten  wollte." 

Einen  nicht  minder  starken  Zweifel  an  der  Tragkraft  der 
für  die  asiatische  Herkunft  der  Indogermanen  aufgestellten  Ar- 
gumente äusserte  im  Jahre  1867  W.  D.  Whitney  (Language 
and  study  of  language  p.  201  ff.;  vgl.  auch  1876  Leben  und 
Wachstum  der  Sprache,  übers,  v.  A.  Leskien  p.  203).  Er  ist 
der  Meinung,  dass  weder  Geschichte  noch  Sage  noch  Sprache 
irgend  einen  Aufschluss  über  die  Lage  der  indog.  Heimat  ge- 
statte. Besonders  kann  er  nicht  begreifen,  wie  man  die  geo- 
graphischen Erinnerungen    des  Avesta    (vgl.  oben   p.  89  f.)    als 


-    92    - 

cineu    Hinweis   auf   die  Richtnug   der   indog.  Wanderung    habe 
ansehen  können  ^). 

Den  Zweiflern  schloss  sich  schon  im  folgenden  Jahre  Th. 
B  e  n  f  e  y  an,  nur  dass  er  nicht  den  skeptischen  Standpunkt 
Whitneys  teilt,  sondern  mit  Entschiedenheit  für  die  Abstammung 
der  Indogermanen  aus  Europa  eintritt.  (Vgl.  Vorwort  zu  dem 
Wörterb.  d.  indog.  Grundsprache  von  A.  Fick  1868  p.  VIII  ff. 
und  Geschichte  der  Sprachwissenschaft  1869  p.  597 — 600.) 
„Seitdem  es",  sagt  er  Vorwort  p.  IX,  „durch  die  geologischen 
Untersuchungen  feststeht,  dass  Europa  seit  undenkbaren  Zeiten 
der  Wohnsitz  von  Menschen  war,  zerfallen  alle  Gründe,  welche 
man  bisher  für  die  Einwanderung  der  Indogermanen  von  Asien 
aus  geltend  gemacht  hat,  und  die  wesentlich  auf  den  mit  unserer 
frühsten  Bildung  uns  eingeprägten  Vorurteilen  beruhen,  in  ihr 
Nichts."  Bestimmt  aber  soll  gegen  Asien  und  für  Europa  die 
linguistische  Tatsache  sprechen,  dass  sich  in  der  urindog.  Fauna 
Namen  für  die  grossen  asiatischen  Raubtiere  Löwe  und  Tiger 
ebensowenig  auffinden  Hessen  wie  für  das  asiatische  Transport- 
tier, das  Kamel.  „Aus  dem  Umstand",  wird  Geschichte  der 
Sprachwissenschaft  p.  600  Anm.  hinzugefügt,  „dass  die  Inder 
den  Löwen  durch  ein  Wort  bezeichnen  {siriihä),  welches  nicht 
aus  einer  indog.  Wurzel  gebildet  ist,  die  Griechen  aber  ent- 
schieden durch  ein  Lehnw^ort  {ITg,  ke(ov  aus  hebr.  lajiS  etc.), 
darf  man  schliessen,  dass  beide  ihn  in  der  Ursprache  gar  nicht 
kannten,  sondern  ihn  erst  nach  ihrer  Entferaung  von  da  kennen 
lernten  und  ihm  höchst  wahrscheinlich  den  Namen  Hessen,  unter 
welchem  er  ihnen  bei  nicht-indog.  Völkern  bekannt  wurde." 
Beufey  stellt  ein  genaueres  Eingehen  auf  die  Frage  nach 
den  Ursitzeu  der  Indogermanen  in  Aussicht,  das  aber  unter- 
blieben ist.  Nur  aus  späteren  Andeutungen  (vgl.  AUgemeine 
Zeitung  1875  p.  3270)  erfahren  wir,  dass  des  genaueren  Benfey 
den  Schauplatz  der  indog.  Entwicklung  fast  an  die  Grenzen 
Asiens,  in  die  Gegend  nordwärts  des  Schwarzen  Meeres, 
von  den  Mündungen   der  Donau  bis  zum  Kaspisee  verlegt. 


1)  Der  Übersetzer  und  Herausgeber  J.  Jelly  (1874)  erklärt  sich 
dagegen  bestimmt  für  die  östliche  Urheimat  der  Indogermanen,  be- 
sonders wegen  de»<  nimmer  wahrscheinlicher  werdenden  ursprünglichen 
Zusammenhangs  ilor  Indoj^ermanen  und  Semiten"  (vgl.  p.  304  ff.  d. 
deutschen  Aus^:.). 


-     !>3 


erklftre  ?ich  so  diireli  die  „reirlieii  Snl/,slliui)fe"  hii  tk'ii 
üfcm  des  Aral-Sees  and  des  Kaspiäclieii  Meeres  lieqiieui  die 
von  Benfey  schon  dem  ürvolk  xnfe'escbrieleiie  Hekannisciiaft  mit 
(dem  SalKc. 

Einen  beredten  Anwalt  fand  die  Latliam-Benfeysche  Polemik 

(gen  die  Annahme,  dass  in  Asien  die  Heimat  der  liidogcrmanen 

suchen  sei,  in  L.  Geiger,   der  in  einem   1860 — 7u  geschrie- 

eo  Aufsatz  Cber  die   üiaiUe    der  indogernianen    (heransg;.  in 

;r  Entwickltingsgeschiehte  der  Mensthheit  1871  p.  113  ff.)  den 

.cbweis  Kl)  führen  strebt,  dass  Deutschland  als  die  Urheimat 

Indn^ermanen,    besoiiders  daa  mittlere  mid    westlichere,    be- 

ihtet  werden  mnsse.     Unter  den  Argnraenten.    die  Geiger  für 

Hypothese    anführt,    nimmt    der    Charakter    der    B  a  n  m  - 

G^etation,    wie   er  sich  für  das  Urland    der  Indogermanen 

ibe,    eine    hervorragende   Stelle    ein.     Neben  Fiehte,    Weide, 

Escbe,  Erle,    Haseintaudc  treten  nämlich  nach  Geiger    besonders 

drei  Waidbänme,  die  Birke  (skrt.  hkürju,  lit.  birias,  russ.  bertza, 

:ut8ch  birke),   die  Bache    (lat.  fagus.   griech.  <f>iy6:    „Eiebe", 

tBch    buchef    und    die    Eiche    (skrt.  dru,    got.   triu    „Baum, 

'la",  griecb,  dQv::  „Eiche",  altir.  daar  desgl.)    besonders  dent- 

ih  in  der  Lbereinatimnuuig    der  Sprachen  hervor.     Von  diesen 

imeii    sei    nnn    die    Bnche     besonders    geeignet    für    die  Be- 

iimnng  der  indug.  Urheimat.     Da  nämlich    die  Heimat  dieses 

iiunes  im  Westen  der  prenssischen  Oatseeprovinz  zn  suehen  sei, 

lererseitR  aber    „die  Buche  um    den  Anfang    der    nhristlicbcn 

ntrecbuung  Holland  (vgi.  Geiger  a.  a.  0.  p.  136}  und  England 

{Caesar  de  hello  gall.  V.  Kap.  12)  noch  nicht  erreicht  hatte,  und 

in  der  indog.  Urzeit  wahrscheinlich  noch  weit  weniger   nürdlich 

gekommen  war,  so  müssen  wir  wohl  bis  in  die  nnbestrittene  alte 

Region    dieses    Banmes    nach    Süden    hinaufschreiten,     was    fflr 

Dentschland  etwa  bis  zum  Thüringerwalde  führen  würde."     Mit 

r  Hypothese  stimme  auch  überein,  dass  die  „beiden  einzigen 

ireidearten,    deren   Anban    die    Urzeit    kannte",    Gerste    und 

iggen  gewesen  seien.     Diese  Ansicht  fnsst,    was   den  Roggen 

ibetrifft,    auf  ahd.  rocco,    preuss.   rugis,    lit.  rtigie},    russ.  rozi 

etc.,  das  nach  Grimms  und  Pictets  Vorgang  mit  skrt.  vrikl  „Reis"' 

Tergltcben  wird.     Dass  aber  die  ursprüngliche  Bedentung  dieser 

Wvrtreibc  „Roggen"  gewesen  sei.  gehe  aus  der  Bedeutungsüber- 

letjmmnng  der  nordeuropSischen  Sprachen  unter  »ich  und  mit 


l^entt 

^betre 
^Tobet 


—    94    — 

dem  thrakiscbeD  ßgiCa  {Galenus  de  älim.  facult.  1,  13)  hervor, 
„Ein  Strich,  auf  welchem  Roggen  und  Gerste,  und  nicht  auch 
Weizen  gedeiht,  möchte  nur  in  Nordeuropa  zu  suchen  sein ; 
aber  für  eine  sehr  frühe  Zeit  müssen  wir  ohne  Zweifel  auch 
eine  südlichere  Zone  von  der  Kultur  des  Weizens  ausschliessen^ 
(p.   140). 

Hochgeschätzt  war  in  der  indog.  Urzeit  nach  Geiger  auch 
das  „echt  europäische  Färbekraut",  die  Waid  pflanze  (griech, 
lodrig,  lat.  vitrum,  germ.  waid,  aus  tcaisd),  die  den  Indogermanen 
zum  Tätowieren  des  Körpers  diente,  eine  Vermutung,  auf  die 
Geiger  durch  den  Bericht  des  Caesar  {de  hello  galt.  V  Kap.  14) 
über  die  indog.  Britanner:  se  vitro  inficiunt,  quod  caeruleum 
efficit  colorem  gebracht  wird  ^). 

Für  Deutschland  spricht  unserem  Autor  ferner  das,  worauf 
schon  Pictet  hingewiesen  hatte,  dass  nämlich  die  indog.  Sprachen 
nur  für  Frühling,  Sommer  und  W' inter  einheitliche  Benennungen 
haben,  nicht  aber  für  den  Herbst.  Da  nun  nach  Tacitus  Genn. : 
hiems  et  ver  et  aestas  intellectum  ac  vocabula  habent;  auctumni 
perinde  nomen  ac  bona  ignorantur,  so  wird  daraus  gefolgert; 
„Schon  um  dieser  merkwürdigen  Stelle  willen  dürfen  wir  wohl 
sagen:  wenn  der  Sitz  des  indog.  ürvolkes  nicht  Deutschland  war, 
so  muss  er  wenigstens  in  Beziehung  auf  Temperatur  und  Eindruck 
der  Jahreszeiten  dem  Deutschland  des  Tacitus  ganz  ähnlich  ge- 
wesen sein"  (p.  146). 

Auch  die  Fauna  der  Urzeit  sei  eine  nordische  gewesen. 
Am  Meere,  das  sie  vielleicht  nur  durch  Hörensagen  kannten,  lässt 
Geiger  die  Indogermanen  nicht  wohnen.  Ihr  Nichtvertrautsein 
mit  demselben  werde  durch  den  Mangel  eines  gemeinsamen  Worts 
für  das  Salz,  für  die  Muschel,  die  Auster,  das  Segel,  für  Fisch- 
arten (ausser  der  Benennung  des  Aales)  etc.  erwiesen. 

Schliesslich  sei  erwähnt,  dass  auch  der  bei  den  Germanen 
am  deutlichsten  hervortretende  lichte  Typus,  der  als  urindogerma- 
nisch  in  Anspruch  genommen  wird,  für  Deutschland  als  Urheimat 
der  Indogermanen  sprechen  soll. 

Auch  der  bekannte  Sprachforscher  und  Ethnograph  F.  Müller 
(vgl.  E.  Behm,  Geographisches  Jahrbuch  IV,  1872,  Probleme  der 

1)  Eingebender  wird  von  Geiger  über  die  Tätowierung  der  indog. 
Völker  in  sachlicher  und  sprachlicher  Beziehung  gehandelt  in  Zur 
Entwicklungsgeschichte  der  Menschheit  p.  71  ff. 


I 


ljiigui»ti8chtii  Etbiiograpliie  tmd  Allgemeine  Etbiiograpbie,  1873, 
p.  69)  ist  mit  deii  GrUnden,  die  Benfey  und  Geiger  fUi'  Europa 
als  Urheimat  der  Indogermaneu  aufstellteu,  vülüg  einverstanden 
und  verlegt  mit  Bi'ufey  den  Schauplatz  der  Trennung  der  iudog. 
Völker  nach  dem  sfldßstliclien  Europa.  Kur  will  er  aucli  auf 
«liceeni  Terrain  die  Indogermaueu  uiclit  als  Autochtliouen  gelten 
Iftsxeu.  Dieselben  seien  vielniebr  dorthin  vom  arnjenischen 
Hucblaud  in  unvordenklicber  Zeit  eingewandert-  Diese  Annahme 
werde  durch  die  Rasaeneinbeit  der  Indogeruiauen  mit  Hamito-Se- 
luilen  und  Knnkasiei-n  notwendig  gefordert')- 

Am  ausflibrlichsteD  aber  hat  Friedrich  Spiegel  die  Hin- 
fälligkeit der  Geaiebriipunkte  beleuchtet,  auf  denen  die  asiatische 
Hypothese  beruhe.  Vgl.  Ausland  1869  p.  2T2(f.,  Ausland  1871 
p.  ÖÖ3  ff.  {Das  L'rland  der  Indogermanen).  Ausland  1872  p.  961  ff., 
EraniHche  Altertumskunde!  1871  p,  42t>ff.  Um  aus  diesen  lehr- 
reiobcu  Aufsätzen  nur  das  wichtigste  hervormheben,  so  ist,  wie 
wir  schon  oben  sahen,  auch  Spiegel  der  Meinung,  dass  in  dem 
«rsten  Kapitel  des  VendidAd  reu  einer  Wanderung  durchaus  keine 
Rede  sei,  und  dass  auch  in  dem  Yima  (Dschemechid)  des  zweiten 
Kapitels  nur  eine  mythische  Persönlichkeit  vorliege.  Besonders 
eingehend  beleuchtet  unser  Autor  den  Einfall  der  in  chinesischen 
<2iiellen  erwähnten  Yueti  in  das  grieehisch-baktrische  Reich  im 
2.  Jahrhundert  v.  Chr.,  deren  Wanderungen  von  früheren  Forschem 
(Tgl.  oben  p,  13)  als  die  letzten  Ausströmungeu  der  Indogermanen 
ans  Zentralasien  anfgefasst  und  deren  späterer  Name  Yetti  als 
GeteH  oder  gAr  Goten  gedeutet  worden  war.  Demgegentlber 
wird  DUD  von  S.  mit  Recht  hervorgehoben,  dass  die  Yueti  von 
den  Chinesen  selbst  als  Tibetaner  angesehen  werden,  tmd  dass 
die  Usun.  deren  nach  chinesischen  Berichten  hlaue  Augen  und 
blonde  Barte  den  ersten  Anlass  zu  jener  Hypothese  boten,  an 
der  Zerstörung  des  griechisch-baktriachen  Reiches  gar  nicht  be- 
teiligt waren,  sondern  rnhig  in  ihren  Wohnsitzen  in  der  Dsungarei 


1)  Für  Armeiik-n  überhaupt  als  tlrsitz  der  Indogermanen  trat 
I  «pOtflr  H.  Brnnnhofer  (Über  den  Ursicz  der  Indog.  BAsel  1884)  ein, 
,  Indetn  er  unmenüich  von  den  auf  indog.  Boden  weitverbreiteien  Fluas' 
,  aam«n  Kur  und  Araxes  ausging,  deren  UrsjiruDg'  nur  in  Armenien, 
beide  Flüsse  geBchwi^ierlioh  vereinigt  vorkommen,  gesuctil 
t  werden  könne.  Vgl,  sutb  Veriiandl.  d.  Berliner  GesellEchafi  f.  Ur- 
I  g««chlehl«  U»9  S.  4T8. 


-    96    — 

verblieben.    Ebensowenig   können  nach  S.  die  persisch  redenden 
und  Ackerbau    treibenden  Tadschiks   um  Khasgar,   Jarkand  etc. 
etwas   für  die   zcntralasiatische  Herkunft   der  Indogermanen  be 
weisen ;  denn  alles  spreche  dafür,  dass  diese  Tadschiks  von  Iran 
aus  nordwärts  sich  verbreitet  haben. 

Das  aus  der  grösseren  Ursprünglichkeit  des  Altindischen 
und  Altiranischen  für  die  Heimat  der  Indogermanen  entnommene 
Argument  weist  Spiegel  mit  denselben  Gründen  wie  Whitney 
zurück. 

Besonders  aber  wird  hervorgehoben,  dass  die  Hochebene 
Pamir,  die  später  besonders  noch  von  Monier  Williams  (Nhie- 
teenth  Century  1881,  vgl.  Van  den  Gheyn  a.  u.  a.  0.  p.  26)  und 
F.  Lenormant,  Les  Origines  de  Vhistoire  d'apris  la  Bible  et 
les  traditions  des  peuples  orientaux  II,  40)  als  Urheimat  der 
Indogermanen  angenommen  wird,  in  ihrer  Erhebung  von  15000' 
und  mit  Randgebirgen,  die  noch  um  7uOO'  höher  sind,  kein 
passender  Aufenthalt  für  ein  Urvolk  sei.  „Und  wie  hätte  jene 
Gegend  es  vermocht,  die  unzählbare  Menge  Volkes  zu  fassen, 
welche  wir  voraussetzen  müssen,  wenn  wir  annehmen,  dass  diese 
indog.  Völkermassen  nicht  nur  Eran,  sowie  einen  grossen  Teil 
von  Indien  und  Europa  den  Urbewohnern  entrissen,  sondern  auch 
diese  ungeheuren  Landstrecken  besetzt  und  die  unterworfenen 
Urbewohner  in  der  Art  mit  sich  verschmolzen  haben,  dass  kaum 
eine  Spur  ihres  Volkstums  zurückblieb"  *).  Obgleich  nun  dem 
gegenüber  Spiegel  auch  die  Herkunft  der  Indogermanen  aus 
Europa  nur  als  Hypothese  gelten  lassen  will,  so  ist  er  doch  der 
Meinung,  dass  das  südliche  Europa  zwischen  dem  45.  und  60. 
Breitengrad  zur  Erziehung  eines  Urvolkes  geeignet  erscheine.  In 
diesem  nur  von  niedrigen  Höhen  durchzogenen  Tiefland  gediehen 
Weizen  und  Roggen  unter  einem  im  ganzen  einheitlichen  Klima 
trefflich.     Von   hier   ans   lasse    sich    auch    die  Ausbreitung    der 

1)  Vgl.  auch  Van  den  G  h  eyn  Xe  berceau  des  Aryas  (1881)  p.  28: 
7i(nis  pouvons  bien  accorder  que  les  Aryas  primitifs  etaient  repandus 
dans  les  contries  avoisinant  le  Pamir;  mais  ü  nous  sera  taujours 
difficüe  d^admettre  que  sur  ce  plateau  si  desMriti  une  race  ait  pu  «6 
d^elopper.  Cette  manUre  de  voir  est  confirmäe  par  les  recits  de  taus 
les  voyageurs  modernes  und  von  demselben  NouveUes  Eecherches  sur 
le  Berceau  des  Aryas  (Extrait  de  la  revue  Precis  historiques  1882)  und 
Le  Plateau  de  Pamir  d'apr^s  les  räcentes  explorations  {Extrait  de  la 
revue  des  Questions  scientifiques  1883). 


97 


idogcrniRiiCu  nach  Ost  und  West  am  bedien  deokeD,  bei 
lenen  eigcut liehe  Wandern nf^eii  nur  eine  verhältnis- 
lässig geringe  Rolle  spielten.  „Indem  das  indogerma- 
nische Urvolk",  heisst  es  Anslaiid  1871,  p.  Ö5T,  „sich  immer  mehr 
ausdehnte,  aa  verschiedenen  Stellen  seiner  Grenzen  andere  Völiier 
oielit  bloss  in  sieh  aufnahm,  sondern  auch  deren  Anschauungen 
sich  aneignete,  inussten  Verschiedenheiten  entstehen,  welche  sich 
znerHt  iu  der  Bildung  von  Dialekten  zeigten;  im  Verlaufe  der 
Zeit  erhielten  diese  eine  selhständige  Existenz,  welche  sich  hei 
dem  Mangel  einer  Schriftsprache  und  dem  geringen  Verkehr  mit 
anderen  Stämmen,  namentlich  mit  den  entfernter  wohnenden, 
iuDier  fester  begründete  und  die  einzelnen  Teile  endlich  gaar. 
•a  der  nrsprDnglichen  Mutter  abKiste. " 

tu  demselben  Jahre,  iu  dem  die  oben  genannte  Arbeit 
"Geigers  erschien,  machte  endlich  J.  G.  Cuno  (Forschungen  im 
Gebiete  der  Volkerkunde,  I.  Teil:  Die  Scythen)  Front  gegen  die 
herkömmliche  Ansicht  von  der  zentralasiatischen  Herkunft  der 
ludogeruianen.  Cuno  geht  von  der  Voraussetzung  ans,  dass  das 
indog.  ürvolk  ein  nach  vielen  Millionen  zählendes  gewesen 
aein  mfisse,  eine  Anschauung,  auf  die  er  durch  seine  vOlljg  allein- 
Stebeode  Auffassung  der  indog.  Sprachverwandtschaft  und  ihrer 
lOmnde  geffihrt  wird.  Denn  nicht  durch  die  Annahme  einer 
gemeiusamen  Abstammung  der  indog.  Sprachen  von  einer  einheit- 
lichen Ursprache  erklart  er  dieselbe,  sondern  ist  der  Ansicht, 
da«s  auf  einem  grossen  und  gleich müssigen  Räume  von  Ur- 
anfang an  verschiedene  Idiome  mit  grösserer  oder  geringerer 
Ähnlichkeit  unter  einander  emporgewachsen  seien.  Daher  kommt 
ee,  dass  er  in  einer  Reihe  „der  tieferen  Unterschiede  zwischen 
den  Individuen  der  indog.  Sprachfamilie "  nicht  ^Modifikationen 
des  nreprllngllch  identischen",  sondern  „selbständige  Arten  der- 
aelbeu  Gattung"  erblickt  (p.  671.  Unter  diesen  UmBtänden  nun 
bimdeU  es  sich  für  ihn  „um  die  Auffindung  eines  grossen, 
BTcbweg  bewohnbaren,  geographisch  und  klitnatiscli  möglichst 
Iflcicbartigen  Räume»,  innerhalb  dessen  keine  Völkcracheiden  vor- 
inden  sind,  auf  dem  also  ein  in  sieb  gleichartiges  Volk  ent- 
JMteben  und  organisch  wachsen  konnte"  {p,  31i.  Ein  solcher 
ist  nun  nach  Cunos  Meinung  nur  einmal  auf  unserem 
-Plaoeten  vorbandeu,  und  zwar  nmfasst  er  den  Osten  Europas  im 
'Zasamuienüang  mit  dem  nördlichen  Deutschland  nnd  dem  nürd- 

8*lirad«r,  SiJnFhveruUicbunB  utid  Utgetclilchii^.    3.  Aon.  7 


—    98    - 

liehen  and  westlichen  Frankreich,  d.  h.  das  ganze  nngehenre 
Gebiet  zwischen  dem  45.  nnd  60.  Breitengrad  vom  Ural  bis  zum 
Atlantischen  Ozean.  Seien  so  Litauer,  Slaven,  Germanen  und 
Kelten  als  Antochthonen  des  Bodens  zu  betrachten,  den  sie 
bewohnen,  so  sollen  die  ürsitze  der  Hellenen  nach  Ausweis  grie- 
chischer Sage  und  Sprache  nicht  weniger  im  Norden  und  zwar 
den  Litauern  benachbart  zu  suchen  sein.  Dies  gehe  nicht  nur 
hervor  aus  den  Berichten  der  Alten,  besonders  des  Herodot 
(IV,  Kap.  108),  der  von  einer  griechischen  Kultus  und  grie- 
chische Sprache  gebrauchenden  Stadt  der  Gelonen  im  Lande  der 
Budinen  zu  erzählen  weiss,  sondern  besonders  aus  der  näheren 
Verwandtschaft  des  Griechischen  mit  dem  Litauischen,  die  von 
Cuno  fälschlich  behauptet  wird  (p.  42 — 45). 

Aber  Cuno  hat  noch  einen  weiteren  Beweis  fttr  seine  Hypo- 
these über  den  Ursprung  der  indog.  Völker,  den  ihm  die  Sprach- 
wissenschaft selbst  zu  bieten  scheint.  „Ist  nämlich  die  Urheimat 
des  Volkes  und  der  Sprache  der  Indogermanen  wirklich  das 
Tiefland  und  das  niedrige  Gebirgsland  von  Mittel-  und  Osteuropa, 
sind  Sprache  und  Volk  dort  entstanden,  so  müssen  sich  zahlreiche 
Berührungspunkte  zeigen  zwischen  dem  indogermanischen  und 
dem  ihm  unmittelbar  benachbarten  finnischen  Sprachstamme'' 
p.  50.  Und  in  der  Tat  weiss  Cuno  auf  dem  Gebiete  der  Zahl- 
wörter, des  Fürwortes,  der  Verwandtschaftswörter  eine  ganze  An- 
zahl finnisch-indogermanischer  Entsprechungen  zusammenzustellen, 
die  nicht  auf  Entlehnung  beruhen,  sondern  in  der  Periode  der 
Entstehung  beider  Sprachen  Gemeingut  geworden  sein  sollen. 
Wenn  nun  hieraus  hervorgehe,  dass  der  finnische  und  indog. 
Sprachstamm  von  Anfang  an  benachbart  waren,  und  es  anderer- 
seits absurd  wäre,  etwa  eine  gemeinschaftliche  Einwanderung 
der  Finnen  und  Indogermanen  aus  Asien  anzunehmen,  so  folge 
hieraus  mit  Bestimmtheit,  „dass  die  ältesten  Indogermanen  da 
lebten,  wo  wir  noch  heute  ihre  Hauptmasse  finden,  und  dass 
von  dem  südöstlichen  Russland  durch  die  turanischen  Steppen 
Einbrüche  nach  Eran,  nicht  umgekehrt  von  Eran  nach  dem  süd- 
östlichen Russland  stattgefunden  haben. ^ 


Mochte  man  nun  über  die  Gründe,  die  fttr  die  Abstammang 
der  Indogermanen  aus  Europa  vorgebracht  worden  waren,  urteilen, 


rie  mau  wollte,  .jetleufalls  ist  zu  kougtalieren,  dass  liuieh  die 
EimvendntiiEien  der  ^enaniiteu  Gelehrten  die  Alleiulierrschaft  der 
Hypothese    von   dem  nsiatisolieii  L'reprung  der  ladogeniiaiieu 

Iaf  dafl  heftipsle  erschtlttert  wordeu  ist.  So  kann  das  ganze 
!t]!ie  Menschenalter  als  eiue  Zeit  des  Kampfes  der  beiden  gegen- 
berAtehenden  Ansichten  bezeichnet  werden. 
Wir  verweilen  zunächst  bei  denjenigen  Forschern,  die  die 
Itere  Meinung  aufrecht  zu  erhalten,  nnd  durch  neue  Gesichte 
Bukte  KH  unterstützen  bestrebt  sind. 
Cnter  ihnen  iät  zeitlich  zuerst  A.  Fick  zu  nennen,  der  in 
er  2.  Auflage  seines  Vergleichenden  Wörterbuchs  (1870 — 71), 
tdeui  er  itlillschweigend  gegen  die  Bemerkungen  Benfeys  der 
.  Auflage  Protest  erhebt,  die  Heimat  der  Indogennanen  in  die 
weiten  Gründe  Tnrans  „zwischen  Ural,  Bolor  und  Hindukusch" 
verlegt. 

Eine   eigentliche  Polemik    gegen    die  Anhänger  der  neuen 

»bre  eröffnet  A.  Hüfer  (K.  Z.  XX,  379— .S84  Die  Heimat  des 

tdog.   Drvolkes).     Der  ehrwürdige  Mitbegründer  der  vergleichen- 

len  Sprachwissenschaft  in  Deutschland  kann  sie  ttberhaupt  nur 

erstehen  „hei  dem  Drängen  der  heutigen  Wissenschaft",   jeden 

[atz,    „wenn   auch   nur   vergiichsweiae  und   gleichsam  zur  Ah- 

Irechslung"  einmal  auf  den  Kopf  xu  stellen.  Während  er  von  diesem 

tandpunkt  aus   die  fllr  Europa  vorgebrachten  Argumente  beur- 

eilt,    scheint    ihm    für   die   asiatische  Heimat  der  Indogernianen 

^hon  das  eine  hinreichend  beweiskräftig  zu  sein,  dass  Sanskrit 

Eod  Zend,    weil    sie   die    reinsten    und  ursprünglichsten  Formen 

bewahrt  hätten,    auch    in    der  nächsten  Nähe  der  indo^'.  Ursilze 

leblieben  sein  müssten'). 

Einen    einzelnen   der    gegen    die    Abstammung    der   Indo- 

{ertnanen  aus  Asien  vorgebrachten  Grilnde   sucht   Carl  Pauli 

1  widerlegen    in    einer    besonderen  Schrift    Die  Benennung  des 

wen  bei  den  Indogermaneu,  ein  Beitrag  zur  Lösung  der  Streit- 

!  über  die  Heimat  des  iudog.  ürvolkes,  Münden  1873. 

Den  energischsten  Anwalt  aber  fand  die  asiatische  Hypothese 

I  keinem  geringeren    als  in  Victor  Hehn.     Dieser  vertritt  in 

I]  DiSfiern  Argument  ^e^enüber  halle  Whitney  {iMtiguage  and 
iHy  of  tanguage)  bcIiod  1S67  aaf  dnti  Armenische  einerseits,  auf  das 
Libiaitehe  und  IslHadiHChi-'   andererseits   liingewieeen,    die  sHiDtlicli  in 
Merapruch  zu  demsellieii  stehen. 


—    100    — 

dem  Schriftchen  Das  Salz  (1873)  die  Ausicht,  dass  die 
Gleichung  lat.  sdl^  griech.  äXg  etc.  keine  indogermanische  sei, 
da  sie  sich  auf  die  europäischen  Sprachen  beschränke.  Hieraas 
zieht  nun  Hehn  p.  16  den  Schlnss,  dass  die  Indogermanen,  „als 
sie  noch  in  ihrem  ürsitz,  auf  dem  Scheitel  und  an  den  Abhängen 
des  nach  dem  Meridian  streichenden  Bolur-Tagh  weidend  umher- 
zogen ^S  noch  nichts  von  dem  Salze  wussten.  Erst  die  westlichen 
Glieder  des  Muttervolkes^  die  nach  der  Abendsonne  zogen^ 
lernten,  als  sie  in  die  an  Salzsümpfen  und  halbtrockenen  Salz- 
seen reichen  Steppen  das  Aralsees  und  Kaspischen  Meeres  kamen, 
das  bis  dahin  unbekannte  Mineral  benennen.  Auch  von  der 
weiteren  Wanderung  gibt  Hehn  eine  anziehende  Schilderung,  die 
unter  dem  Text  folgen  möge^). 

Die  zweite  Auflage  der  Kulturpflanzen  und  Haustiere  (1874) 
benutzt  V.  Hehn,  um  über  die  Anhänger  der  europäischen  Hypo- 
these die  ganze  Lauge  seines  Spottes  auszugiessen.  ^Da  geschah 
es'*,  heisst  es  Vorrede  VIII,  „dass  in  England,  dem  Lande  der 
Sonderbarkeiten,  ein  origineller  Kopf  es  sich  einfallen  Hess,  den 
ürsitz  der  Indogermanen  nach  Europa  zu  verlegen;  ein  GOttinger 
Professor  eignete  sich  aus  irgend  einer  Grille  den  Fund  an,  ein 
geistreicher  Dilettant  in  Frankfurt  stellte  die  Wiege  des  arischen 

1)  ^Die  weitere  Wanderung  führte  von  der  aralokaspischen 
Niederung  auf  dem  von  der  Natur  selbst  für  alle  Zeiten  vorgezeichneten 
Völkerwege  durch  die  südrussischen  Steppen,  wo  gegen  Nordwesten 
dichter  Fichtenwald,  an  den  Abhängen  der  Rarpathen  üppige  undurch» 
dringliche  Laubwaldung  begann.  Hier,  wo  das  Gebirge  sich  vorlagerte,, 
trat  eine  Zweiteilung  ein:  am  schwarzen  Meer,  an  der  Niederdonau, 
wo  das  Weideland  sich  fortsetzte,  drängten  die  Scharen  weiter,  aus 
denen  später  Pelasger-Hellenen  und  Italer,  Thraker  und  Illyrier  wurden» 
weiter  in  das  heutige  Polen,  an  das  baltische  Meer,  durch  die  ungeheure 
Ebene,  die  sich  bis  Holland  fortsetzt,  verbreiteten  sich  die  nachmaligen 
Reiten,  die  auch  über  den  Ranal  zu  den  britischen  Inseln  übersetzten,, 
die  nachmaligen  Germanen,  die  über  Belt  und  Sund  auch  Skandinavien 
erreichten,  endlich  die  Litauer  und  Slaven,  die  letzten  Nachzügler,  die 
dem  Trennungspunkt  am  nächsten  verblieben.  Im  Rücken  der  Fort- 
gezogenen ergoss  sich  nun  auf  den  freigewordenen  unermesslichen 
Flächen  der  iranische  Strom  von  den  Massageten  und  Saken  bis  zn. 
den  Sarmaten  und  Scythen,  den  Jazygen  und  Alanen,  indes  südlich 
vom  kaspischen  Meer  nach  Rleinasien  zu  ein  anderer  Arm  dieser 
iranischen  Flut  die  kompakte  semitische  Masse  sprengte,  ihre  grössere 
Hälfte  südlich  liess  und  in  einzelnen  Ausläufern  bis  an  die  Propontis- 
und  das  ägäische  Meer  gelangte. '^  Das  Salz,  p.  21  u.  22. 


101 


I  au  den  Fuss  des  Taunus  und  malte  die  äxenerie  weiter 
2t». '^  Ee  folgen  dann  die  Gesiebtspunkte,  von  denen  aus  dieses 
absprecbende  Drieil  gefällt  wird,  Freilicli  sind  es  dieselben, 
ilcneu  wir  gerade  bei  den  älteren  Forsebern,  die  für  Asien  ein- 
traten, von  Pott  (vgl.  oben  p.  11),  ja  ton  Adelung  au,  bäufig 
begegnet  sind.  „Danacb  also  hat  Asien,  der  ungebeure  Weltteil, 
die  officina  gentium,  einen  grossen  Teil  seiner  Bevölkerung  von 
einem  seiner  vorgestreckten  Glieder,  einer  kleinen,  an  Natur- 
^ben  Annen,  iu  den  Ozean  hinansreicbenden  Halbinsel  erhalten  1 
ifle  (?>  flbrigen  Wanderungen,  deren  die  Gescbicbte  gedenkt, 
Igen  von  Ost  nach  West  nnd  brachten  neue  Lebensformeu, 
leb  wobi  Zei'StOrung  ins  Abendland,  nur  die  älteste  nnd  grösste 
-  in  umgekehrter  Richtung  und  Überschwemmte  Steppen  und 
VBHten,  Gebirge  und  Sonnenländer  in  unermesslicher  Erstreckungl 
|pd  die  Stillte  der  ersten  Ursprünge,  zu  der  uns  wie  in  die 
[nderzeit  unseres  Geschlechts  dunkle  Erinnerungen  zurUckfUbreu, 
)  Statte  der  frtlbesten,  sich  regenden  Fertigkeiten  und  nocb 
"uaaicberen  .Schritte,  wo,  wie  wir  ahnen,  Arier  und  Semiten 
neben  einauder  wobuten,  ja  vielleicht  eins  waren,  sie 
i&g  nicht  etna  im  Quellgebiet  des  Oxus,  am  asiatischen  TauruB 
oder  indischeu  Kaukasus,  sondern  in  den  sumpfigen,  spur-  nnd 
wegloaen,  nur  von  den  Fährten  der  Elene  und  Auerochsen  durch- 
bmcbenen  Wäldern  Germaniens.  Auch  die  älteste  Form  der 
Sprache  durften  wir  nicht  mehr  in  den  Denkmälern  Indiens  uud 
Baktriens  suchen,  —  da  ja  die  Völker  dortbin  erst  durch  eine 
;e,  lerriltlende  Wanderung  gelaugt  wären,  —  sie  klänge  uns 
mehr  aus  dem  Miiudc  der  Kelten  und  Germanen  entgegen, 
i  anbowegl  nnd  regungslos  auf  dem  Boden  ihrer  Entstehung 
liarrten." 

Erwähnt  sei  jedoch,  dass  die  Vorrede,  in  der  diese  Aus- 
itDgen  enthalten  sind,  iu  den  spätereu  Auflagen  des  Hebnscheu 
Krkes  fehlt'). 

Dem  bedeutendsten  Kultnrforscber   schüesst   sich  in  setner 

techeidung  für  die  asiatische  Herkunft  der  Indogermanen  dei 

namhafteste  Vertreter  der  historigeben  Geographie  in  Deutsch- 
land, H.  Kiepert,  an.  Dieser  (vgl.  Lehrbuch  der  alten  Geo- 
^Apbie  1H7»,  p.  23  ff.)  erblickt  iu  der,  namentlich  vor  der 
1)  In  der  VII.  Auflage  liabe  ich  eie  am  Schloss  nieder  ab- 
1  laweu. 


—    102    — 

nördlichen  Ausbreitung  der  Germanen  nnd  Slaven,  zn  „ausser 
ordentlicher  Länge  gedehnten^  Gestalt  des  indog.  Wohngebietes 
die  Wahrscheinlichkeit  dafür,  dass  auch  die  Ausbreitung  der 
Indogennanen  in  dieser  Längenrichtung  erfolgt  sei.  Dass  diese 
Ausbreitung  von  Ost  nach  West  und  nicht  umgekehrt  erfolgt  sei, 
dafür  spricht  auch  ihm  „die  allgemeine  Analogie^  anderer  Wan- 
derungen. War  doch  auch  der  Trennungspunkt  der  arischen 
Familie  mit  Sicherheit  am  östlichen  Ende  des  historischen  Ver- 
breitungsgebietes der  Indogermanen,  in  den  Tälern  des  Indus  und 
Oxus. 

Was  die  weitere  Wanderung  anlangt,  so  ist  Kiepert  der 
Meinung,  dass  die  Völkermasse  der  Indogermanen  dem  Zuge  der 
Tauros-Kette  gefolgt  sei  und  erst  im  westlichen  Asien  sich  in 
eine  Hälfte  südlich  und  eine  nordöstlich  vom  Kaukasus  gespalten 
habe.  Auch  er  findet  es  wahrscheinlich,  dass  die  europäischen 
Indogermanen  als  kompakte  Masse  auf  mitteleuropäischem  Boden 
eine  lange  Zeit  gewohnt  haben,  „da  dieselben  schon  in  ältester 
Zeit  viel  vollständiger  die  Mitte  und  im  westlichen  Teil  selbst 
den  Norden  des  Erdteils  bewohnt  haben  als  die  südlichen  Halb- 
inseln.^ Die  Ausdehnung  der  italischen  und  griechischen  Stämme 
von  Nord  nach  Süd  lasse  sich  auch  in  historisch  beglaubigten 
Zeiten  verfolgen.  Die  ersten  der  aus  Mittel-  nach  Südeuropa 
eingewanderten  Stämme  seien  aber  lUyrier  (letzter  Rest  die 
heutigen  Albaneseu)  und  Ligurer,  von  denen  erstere  dann  später 
durch  die  Griechen,  letztere  durch  die  Italiker  durchbrochen 
worden  seien. 

Die  im  bisherigen  geschilderten  Beweisversuche  für  den 
asiatischen  Ursprung  der  Indogermanen  gingen  im  wesentlichen 
von  den  indogermanischen  Völker-,  Kultur-  und  Sprachverhält- 
nissen selbst  aus,  und  es  bleibt  uns  nun  noch  einer  Argumentation 
zu  gedenken,  die  zu  demselben  Ergebnis  zu  führen  schien,  indem 
sie  an  das  angebliche  nähere  Verhältnis  der  Indogermanen  zu 
einem  anderen  Sprach-  und  Völkerstamm  anknüpfte. 

Schon  in  den  bisherigen  Erörterungen  über  die  Ursprünge 
der  Indogermanen  sind  wir  öfters  (vgl.  p.  13,  92)  der  Meinung 
begegnet,  die  Indogermanen  müssten  deshalb  aus  Asien  nach 
Europa  uml  nicht  umgekehrt  gewandert  sein,  weil  sie  durch 
eine  uralte  Sprachverwandtschaft  mit  dem  zweiten  Haupt- 
stamm   der    weissen    Rasse,    deren    Ursitze    doch    niemand    Id 


I 


Europa  werde  sticljen  wolleu,  mit  den  Seiniteo,  verbunden 
würden. 

Diese  Annahme  einer  aeniitisch-indogermanischenDrverwandt- 
scLaft  muas  nnn  freilich  trotz.  F.  Delitzsch  Studien  llber  iudo- 
genDaoisch-scmitiBche  Wurzelverwandtsehaft  Leipzig  1873  (wo 
p.  3 — 21  eine  gesehichtliehe  Übersieht  über  diese  wichtige  Kontro- 
verse gegeben  wird)  anch  heute  noch  als  nnbegritudet  bezeichnet 
werden,  und  go  würden  die  altsemitischeu  Volkerverhältnisse  für 
die  Heurteiinng  der  indogernianiscfaen  kaum  von  Interesse  sein, 
wenn  man  nicht  die  Ursitze  der  Semiten  denen  der  ludoger- 
raanea  noch  auf  einem  anderen  Wege  nahe  zn  bringen  ver- 
BUcbt  hätte. 

Während  uämlieb  nach  der  Ansicht  namhafter  Semitisten 
(E.  ächrader  und  Sprenger)  der  Ausgangspunkt  der  semitischen 
Völker  nach  dem  Süden  ihres  historischen  Verbreitungsgebietes 
und  zwar  nach  Arabieu  zu  verlegen  wäre,  versuchte  A.  v.  Krenier 
in  seinem  Aufsatz  Semitische  Kultnrentlebnnugen  aus  dem  Tier- 
und  Pflanzenreiche  (Ausland  lt^75  Nr.  1,  2,  4,  5)  durch  die  Ver- 
ciuigong  spracbvergleichender,  sowie  pflanzen-  und  tiergeographi- 
Bcher  Forschung  darzutuu,  dass  die  Einwanderung  der  Semiten 
vielmehr  von  Norden  her  in  die  von  ihnen  besetzten  Länder  er- 
folgt sein  müsse.  Aus  der  Vergleichnng  der  semitiscbeit  Sprachen 
biiuiehtlich  der  Benennungen  ihrer  Flora  und  Fauna  gehe  näm- 
lich hervor:  1.  dass  die  Semilen  schon  vor  ihrer  Trennung  das 
Kamel  kannten  und  2.  dass  ihnen  /.u  dieser  Zeit  noch  die  Pidme 
nnd  der  Siranss  unbekannt  waren,  die  doch,  Arabien  als  ür- 
faeimat  der  Semiten  vorausgesetzt,  ihrer  Kenntnis  nicht  hätten 
entgehen  können.  „Das  Land  aber'',  schliesst  er  weiter,  „wo 
Palme  und  Strauss  febleu,  aber  das  Kamel  seit  der  Urzeit  heimisch 
ist,  kann  nur  in  Zentralasiens  unerniessUchen  Hochebenen  gesucht 
werden,  die  westlich  von  der  Pamirterrasse  zwischen  Oxus  und 
Jftsartes  liegen  nnd  von  einem  ganz  vorurteilsfreien  Naturforscher 
(Scbmarda,  Geograph.  Verbreitung  der  Tiere)  als  der  Entstehuugs- 
herd  der  ^Spezies  eijuina  bezeichnet  werden."  Von  hier  sei  die 
Wanderung  der  Semiten,  zunächst  dem  Laufe  des  Oxus  folgend, 
ia  südwestlicher  Richtung,  am  Südrand  des  Kaspischen  Meeres 
bin,  durch  einen  der  Elbur/.-I'äs«e  nach  Medien  gegangen,  von 
bier  aber  „durch  die  Eiubruebslelle  aller  ViilkerBiiinmie  vnn  und  nach 
Medien,  dnrch  die  Felscnschluebt  vnn  Holwän"  in  das  liefe  Hecken 


—    104    — 

der  assyriscli-mesopotamischen  Niedernng,  wo  nun  erst  allmählich 
die  Differenzierung  der  semitischen  Stämme  erfolgt  sei. 

An  die  Beweisführung  Kremers  schliesst  sich,  dieselbe  be- 
richtigend und  erweiternd,  Fritz  Hommel  an,  sowohl  in  einem 
Aufsatz  Die  ursprünglichen  Wohnsitze  der  Semiten  (Beilage  z.  Allg. 
Zeitung  1878,  Nr.  263)  als  auch  in  seinem  Werke  Die  Namen  der 
Säugetiere  bei  den  stidsemitischen  Völkern  1879,  p.  406  f. 

Für  ihn  handelt  es  sich  vor  allem  darum,  ^die  Existenz 
von  Tieren  für  die  ursemitische  Fauna  nachzuweisen,  welche  es 
in  Arabien  entweder  gar  nie  gab,  oder  die  doch  wenigstens  nur 
ganz  vereinzelt  daselbst  vorkommen.''  Zu  dieser  Kategorie  zählt 
er  die  ursemitisclie  Benennung  des  Bären  (dubhu),  des  wilden 
Ochsen  irFmu),  des  Panthers  {namiru).  Erst  in  zweiter  Linie 
beweisend  ist  ihm  das  Fehlen  solcher  Tiernamen  in  der  ursemi- 
tischen Fauna,  deren  Träger  allein  der  arabischen  Fauna  eigen 
sind,  wie  des  Strausses,  der  Springmaus  und  des  Wüstenluchses; 
denn  „es  kann  ja  nur  Zufall  sein,  dass  das  betreffende  Wort  in 
der  einen  semitischen  Sprache  erhalten  blieb,  in  der  andern  aber 
aufgegeben  und  dann  gewöhnlich  durch  neue,  von  anderen  Stämmen 
gebildete  Wörter  ersetzt  wurde ^. 

Die  ursprüngliche  Verzweigung  der  Ui*semiten  stellt  sich 
F.  Honnncl  (vgl.  Die  sprachgeschichtliche  Stellung  des  Babylonisch- 
Assyrischen  S.  A.)  in  der  Weise  vor,  dass  sich  aus  dem  Schosse 
des  ürsemitischen  (I)  in  sehr  früher  Zeit  das  Babylonisch- Assy- 
rische loslöste,  während  Syro-phönico-arabisch  (Ursemitisch  II) 
noch  geraume  Zeit  vereinigt  blieben.  Dies  folge,  ausser  aus  der 
Betrachtung  des  semitischen  Perfectums,  aus  den  Benennungen 
des  Weinstocks,  Ölbaums,  Fei;renbaunis,  der  Dattelpalme  und 
des  Kamels,  die  nur  in  dem  ürsemitischen  II  übereinstimmten. 
Zuletzt  sassen  die  Syro-phönico-araber  noch  in  Mesopotamien  ver- 
eini^^t  beisammen.  Hier  fand  auch  die  künstliche  Züchtung  der 
vorher  nur  wild  bekannten  Dattelpalme  statt. 

Wenn  somit  Hommel  auf  diesem  Wege  nur  bis  nach  Meso- 
potamien als  zur  letzten  Station  der  Ursemiten  vor  ihrer  Trennung 
geführt  wird,  so  schliesst  er  sich  doch  der  Ansicht  Kremers  von 
der  vorgeschichtlichen  Wanderung  der  Semiten  aus  Zentralasien  in 
das  Zweistroniland  nicht  am  wenigsten  deswegen  an,  weil  er  die 
ursprüngliche  Berührung  der  Indogermanen  und  Semiten,  die  auch 
er   im    übrigen  sprachlich  nicht  für  verwandt  hält,    durch  eine 


libe  seiiier  MeiuuDg;  Dacb  beiden  Vr>iker-  uud  SpracbBtäniiueu 
meineniuer  Kulturwörler  flir  erwieapu  hält.  Über  diese  ür- 
nileo  nnd  Ürindogermanen  gemeiusameii,  d.  ii.  durch  Entlehnung 
den  einen  zu  den  anderen  gewanderleu  Kulturbcgiiffe  bat 
HoQiniel  in  einem  Aufsatz  Arier  nnd  .Semiten  (Korrespondenz-Blatr 
der  deniseben  Gesellschaft  fUr  Anthropologie,  Ethnologie  uud  ür- 
eechichte  1879  Nr.  7  u.  Ü)  eingehender  gebandelt.  Es  siud  nach 
iner  Meinnng  folgende: 


urindog. 

1.  staura 

2.  kani<i 


.  gharata 
.  airpara 
.  traiva 


ursemitisc)! 
fatirii 
karnu 

labi'afv 
llb'dtu 
hiirtulu 
farpu 


Bfidputung'. 
Stier 

die  Waffe  des  Stieres, 
das  Hörn 

Löwe 


Silber 
Wein'Btock). 


An  dieser  Anschauung  halt  Hnnimel  auch  noch  in  einem 
mfsatz  Neue  Werke  llber  die  L'riietmat  der  Indogenuanen  (Archiv 
^Anthrop.  XV  Siippl.  163  ff.)  im  weseutlieben  fest.  Besondere 
Dichtigkeit  legt  er  iu  demselben  der  Ü bereinst iiiimuiig  des  ur- 
Bkitischeu  (II)  irahia  mit  dem  griecb.  J^oTvo-;,  lat.  vinam,  alb. 
!  bei.  r>ieäe8  Wort  hätten  aus  gemeinsamer  Quelle  die  west- 
)hcu  Indogermanen  kennen  gelernt,  als  sie  ans  dem  Innern 
piene  nordwürts  des  Kaukasus,  eines  uralten  Weiulandes, 
^Überzogen,  ebenso  wie  die  Semiten,  als  sie  ebenfalls  auf  dem 
Wege  aus  Innerasien  nach  .\blösung  der  ßabvionier  elldtvitrts 
I  geuaunicn  Gebirges  sassen. 

An  die  Beweisführung  F.  Hommels  scbliesst  sich  eine  Arbeit 

.  Schmidts   an    „Die    Urheimat    der    Indogcrraanen    und    das 

eurupäisehe  Zablsystem"   Berlin   \S90.     Es   ist   die  letzte  Arbeit, 

die   mit   ausführlicher  Begriindung    für  Asien    als  Urheimat    der 

iianen  eintrat.     Ausser  den  oben  augeführten  angeblieben 

«litiscb  indogeniianischen    Knlturwörtern,    die    Joh.    Schmidt 

liebt  für  beweiskräftig  erachtet,  hatte  nümlich  F.  Honiniel  noch 

'  Kwei  Kultnrwilrter  hingewiesen,  die  nach  ihm  aus  der  .Sprache 

Sumerer,    der  Vorgiliiger  der  Sendten   in  dem  Besitz  der 

»Dpotamiscben  Lander,   iu  das  Indogermanische   übergegangen 

I.  skr.  Ii'ihtis,    löhilm    „Kupfer",    pebl.   tvW.    altsl.    ruda 


-     lOG     — 

„metallum'*,  lat.  raudus,  altn.  raudi  „rotes  Eisener//*  =  snmer. 
urud  „Kupfer".  2.  skrt.  paragüs^  griech.  niXenv^  „Beil**  =  sum. 
balag,  babyl.-assyr.  pilakku  „Beil".  In  diesen  beiden  Wörtern 
erblickt  J.  Schmidt  den  einzigen,  vielleicht  nicht  trügerischen 
Anhalt,  der  in  der  gesamten  Literatnr  fttr  die  Bestimmung  der 
Urheimat  der  Indogermanen  bisher  beigebracht  worden  sei. 
Den  eigentlichen  Beweis  aber  fttr  seine  Ansicht,  dass  diese  letztere 
in  Asien  und  im  Bereich  der  mesopotamischen  Knltnrsphäre  zu 
suchen  sei,  sieht  J.  Schmidt  in  dem  eingehend  von  ihm  ver- 
suchten Nachweis,  dass  das  ursprünglich  dezimale  Zahlensystem 
der  Indogermanen  in  den  europäischen  Sprachen  durch  die  Ein- 
wirkung des  von  den  Sumerern  erfundenen  und  von  den  Baby- 
loniern  übeinommenen  Sexagesimalsystems  durchbrochen  werde. 
So  zeige  sich  z.  B.  bei  der  Zählung  der  Zehner  in  den  genannten 
Sprachen  überall  ein  scharfer  Einschnitt  hinter  der  Zahl  60,  wie 
griechisch  iitjxovra  gegenüber  ißdojLn^xovta  oder  gotisch  saihs- 
tigjus  gegenüber  sihtintihun  beweise.  Diese  Spuren  „lassen  sich 
mit  der  alten,  freilich  ganz  unbewiesenen  Annahme,  dass  unser 
ürvolk  einst  weit  im  Nordosten  von  Babylon,  etwa  auf  der  Hoch- 
ebene von  Pamir  gesessen  hat,  vereinigen.  Dann  wären  die  nach 
Westen  wandernden  nachmaligen  Europäer  auf  ihrem  Zuge  ia 
die  Sphäre  des  babylonischen  Einflusses  geraten,  welcher  die 
nach  Süden  rückenden  Arier  damals  noch  fem  blieben.  Sie 
lassen  aber  ebensowohl  die  Möglichkeit  offen,  dass  das  Urvolk. 
nicht  allzu  fern  von  Babylon  heimisch  war,  aber,  als  die  baby- 
lonische Kultur  seinen  Sitz  erreichte,  sich  schon  nach  Osten  aus- 
gebreitet hatte  und  nur  noch  die  westlichen  Stämme  den  Aus- 
strahlungen der  fremden  Kultur  ausgesetzt  waren.  Die  Antwort, 
welche  das  Zahlsystem  auf  die  Frage  nach  unserer  Heimat  gibt, 
ist  also  zwar  sehr  unbestimmt,  engt  aber  das  Gebiet,  auf  welchem 
zu  suchen  ist,  erheblich  ein.  Wo  bisher  gar  nichts  fest  stand, 
ist  wenigstens  ein  sicherer  Halt  gewonnen.^  Zustimmung  hat 
die  Beweisführung  J.Schmidts  auch  bei  denen,  die  sich  von 
seiner  Annahme  einer  sumerisch-babylonischen  Beeinflussung  des 
europäischen  Zahlensystems  überzeugt  fühlten,  nicht  gefunden^). 
Der  nächstliegende  Einwand  war  der,  dass,  wenn,  worauf 
J.  Schmidt  selbst  hinweist,   jene  Ausstrahlungen  der  sumerisch- 

1)  Vgl.  auch  die  Polemik  zwischen  Fr.  Müller  und  J.  Schmidt 
im  Ausland  1891  Nr.  23,  27,  31. 


107 


haliylonisclieii   Kultui'   sicli   aueli    in   vim  Mesi>|iolaiiiioii  weit  eut- 
feniteu  Läuderu,  z.  B.  bei  den  im  liüctiBten  Nordosten  Europns 
woliuend«n  finnischen  Syrjftnou,  eeigen,  nicht  ah/.useUcii  ist,  warain 
,  jene    Durclikreuzung   des   nrsprllngliclien    De/,iiiml Systems    durch 
dRssutufriscbeyexagepiinalsyslem  bei  de»  europäischen  Indogermanen 
nicht  auch  irgendwo  iu  Europa  selbst  gtattgefunden  haben  könnte. 
War  es  somit  immerhin  eine  stHttliclje  Anzahl  von  Oelclirten, 
die  an  der  alten  Lehre  V(m  der  asiatischen  Urheimat  der  Indo- 
*  gcrmanen  festhielt,   8>i  ist  doch  andererseits  nicbt  /.u  verkennen, 
I  dft89  die  Zahl  derjenigen,  die  die  Indogermanen  in  Europa  oder 
I  Wenigstens  an  den  Grenzen  von  Asien  und    Europa   lokalisieren 
I  wollten,   von  Jahr  zu  Jahr  gewachsen  ist,   so  dass  diese  Ao- 
'  Behauung  gegen  wart  ig  für  die  verbreite  lere  gelten  kann. 
Um  Über  diese  Arbeiten  eine  Chersicht  7.u  geben,  wird  es  gut  sein, 
dieselben  nach  dem  Charakter  der  Argnuieutc  zu  gruppieren,  mit 
t  deuen  die  einzelnen  Forscher  das  unbekannte  Land  zn  bestimniea 
i  versuchten.      Und    zwar    lassen    sich    hierbei    drei    Richtungen 
nnterscbeiden:    eine  anthropologische,  eine  prähistorisch- 
archäologische and  eine  linguistisch-historische.     Natür- 
lich  soll   damit   nicht  gesagt  sein,   dass  die  diesen  Gruppen  zu- 
gewiesenen Forscher  ihre  Hauptargumente  nicbt  aaeh  gelegentlich 
mit  anderen  Gründen  ku  stützen  versuchen. 

Mit  grosser  Warme  und  nicht  geringerer  Bestimmtheit  trat 
ZODfichst  die  mächtig  aufhliUiende  anthropologische  Forschung 
I  für  den  europäischen  ürsprnng  der  Indogermanen  ein. 

Die  Zweifel  der  Naturforscher  an  der  von  den  Philologen 
und  Historikern  allgemein  angenommenen  Lehre  von  der  asiatischen 
Herkunft  der  Indogermanen  gehen  in  sehr  frühe   Zeiten   zurück, 

^  and  schon  im  Jahre  llS4ä  hatte  der  belgische  Geologe  J.  d'Oraalins 
■d'Halloy  ivgl.  Bulletin  de  l'Acad4mie  de  Behjique  1848, 
I.  XV,  p.  549)  sehr  energischen  Widei-sprnch  gegen  dieselbe  er- 
lioben.  Im  Anfang  des  Jahres  1864  legte  dann  derselbe  Gelehrte 
der  Pariser  anthropologischen  Gesellschaft  folgende  drei  Frageu 
xox  Beantwortung  vor:  1.  Welches  sind  die  Beweise  für  den 
isiatifichen  Ursprung  der  Europäer.  2.  Haben  sieh  die  flektierenden 
Sprachen,  statt  von  Asien  uach  Europa  überzugehen,  nicht  viel- 
Ittebr  von  Kuropa  nach  Asien  verbreitet?  3,  Sind  die  heutigen 
IPOIker  mit  keltischen  (d-  h.  indog.)  Sprachen,  die  man  infolge- 
1  als  aus  Asien  eingewandert  ansieht,    nicht  vielmehr  Ab- 


—    108    ~ 

kömmlinge  einer  autochtbonen  Bevölkerung  des  westlieben  Europa? 
Wäbrend  der  Diskussion,  die  über  diese  Fragen  eröffnet  wurde 
(vgl.  Bulletin  de  la  SocUte  d'anthropologie  1864),  und  an  der 
sieb  ausser  d'Omalins  Männer  wie  Broea,  Bertillon,  Pruner- 
Bey  und  andere  beteiligten,  trat  im  Munde  Brocas  mit  be- 
merkenswerter Deutlicbkeit  der  Gedanke  bervor,  dass  man  die 
beiden  Fragen:  „Wober  stammen  die  europäischen  Völker?**  und 
„Wober  stammen  die  europäischen  Sprachen?^  von  einander 
trennen  müsse.  Die  ersteren  seien  zweifellos  autochtbon,  die 
letzteren  durch  eine  asiatische  Einwanderung  von  vielleicht  wenigen 
Tausenden  von  Menschen  nach  Europa  verpflanzt  worden. 
D'Omalius  selbst  vertrat  sehr  entschieden  die  Meinung,  dass,  da 
in  Europa  eine  blonde  Bevölkerungsschicht  neben  einer  dunkel 
gefärbten  lebe,  wirklich  Blonde  in  Asien  aber  nur  in  dürftigen 
Spuren  gefunden  würden,  während  sie  von  jeher  das  Zentrum 
Europas  bevölkert  hätten,  hier  die  officina  gentium  des  indo- 
germanischen Stammes  zu  suchen  sei. 

Im  Jahre  1879  beschäftigte  sich  die  Pariser  anthropolo- 
gische Gesellschaft  erneut  mit  der  Frage  nach  der  Urheimat  und 
dem  Urtypus  der  Indogermauen,  ohne  dass  mau  auch  jetzt  zu 
einem  feststehenden  Ergebnis  gekommen  wäre.  Doch  ging  aus 
diesen  Verhandlungen^)  eine  Arbeit  C.  A.  Pietrement's  Les 
Aryas  et  leur  premiere  patrie  {Revue  de  linguistique  et  de 
Philologie  compar^e,  1879,  auch  besonders  erschienen,  Orleans 
und  Paris)  hervor,  der  es  vorbehalten  blieb,  unsere  Vorfahren 
dahin  zurückzuführen,  von  wo  sich  eine  Auswanderung  derselben 
allerdings  ohne  weiteres  erklärt  —  nach  Sibirien.  Pi^trement 
geht  wiederum  von  dem  Atryana-Vaejanh  des  Vendidäd  aus, 
auf  das  er  (völlig  willkürlich)  eine  Stelle  des  Bundehesh  (XXV) 
bezieht,  wo  es  heisst:  ^Der  längste  Sommertag  ist  dort  gleich 
zwei  kürzesten  Wiutertagen,  die  längste  Winternacht  ist  dort 
gleich  zwei  kürzesten  Sommernächten.^  Diese  Angabe  soll  nun 
ausschliesslich  auf  den  49^  20'  nördlicher  Breite  passen,  was  in 
Zentralasien  in  das  russische  Turkestau,  in  den  Distrikt  von 
Alatau  führe. 

Doch  fand  die  Hypothese  Pietrement's,  wie  natürlich,  wenig 
Anerkennung,    sondern  wurde  vielmehr   in  Frankreich   selbst    in 

1)  Näheres  über  dieselben  siehe  bei  Penka  Origines  Ariacae  p.9, 11 
und  bei  S.  Keinach  L'origine  des  Aryens  S.  59  ff. 


a  c 


K 


ei  besonderen  Anfsiity-eii,  erstens  von  Arceliu  L'Orig'me  deH 

[ri/aa  iReiue  des  Quentions  sneniifiqttefi,  Jansier  1880, p. 331), 

eitens  von  De  Harlez    {Leg  Änjit"  et  leur  prejni^re  patrie. 

\ifutation  de  M.  Pii-trement)  auf  das  entsebiedeDSte  bekämpft. 

^L'Avtata'^,  sehliesst  der  bekannte  Zendisl  seinen  Aufsatz  sehr 

ricbttg,    „ne  petit  fournir  aucun   renaeignement   pr4cis 

Ttlaiivement  rt  la  patrie  primitive  des  Art/ns.     Tout  y 

Uranien  ou  irania^;  tout  meme  y  est  approprte  au  zoroasl- 

cest-ä-dire  au  dualisme  mazdeen.     On   pourrait  y  d^- 

peut-etre   l'indication    de  l'Eran  primitif;    mais   on  y 

chercherait  fn  vain  celh  de  la  patrie  des  premiera  Aryaa  asia- 

iiques,  bien  plus  vainemenf  encore  celle  deit  Ar ya«  primitif a'^  ^). 

Bedenlsamev  »Is  die  bistier  genannten    greifen    in    die  6e- 

gcbiehle     des    Problems    der    indogermanischen   Urbciniat    üwei 

deutsche,  von  anlbropolngiscbcn  GesicbtspnnkteD  ansgcbeiide 

'orsclier   ein.     Eine   ganz    bestimmte  örlliebkeil   des    fistlicben 

npas  sncble  Theodor  Pflsche  in  seinem  Bucbe    Die  Arier, 

Beitrag  zur  historischen  Anthropologie  Jena  1878,    p.  58  bis 

74,  als  Crbeimnt  der  Indogermanen  zu  erweisen,    indem  er  ihre 

üraprilnge  in  die  sUdlicb  des  west-ruBsischen  Landröekens  in  un- 

gehenrer  Ansdehnung  sieh  erstreeltemlen,  vom  Pripet,  der  Berc- 

sina  und  dem  Dnipr  dnrcbfloBsenen  —  Rokitnosümpfe  zurQck- 

fOhrte.     Diese    wunderliche  Hypothese    beruht    im    weeentlichen 

physiologischen    Argumentation.     In    jenen  Gegenden 

lU  nämlich  nach  den  Mitteilungen  eines  russischen  Gelehrten'), 


)  Trotüdetn  feiert  der  oftmals  ^vgl.  auch  oben  p.  p.  90,  91)  wider- 
legte Gedanke,  aU  ob  im  Avesta  oder  Rljrveda  EriDuerungeii  an  die 
Urheimat  der  Indo^ennaiten.  ja  nn   die  Urheimat  der  Mensirhhelc  ent- 
balieo  sein   könnten,  immer  wieder  seine  Auferstehung.     Ich  verweise 
iliaMT  Beziehung  auf  W.  F,  Warren  Paradine  found,  fhe  cradle  af 
human  race  at  thenorth-pole.  London  1885.  und  aul  BAIGangtdhar 
lak    771«  ardic  homt  in  the    Vediu,   being  aho  a  neu-  kf.y  to  (Ae 
■rprttiition  of  many  Vtdtc  texti  and  legenda,  Bombay  1903. 

Mainow  auf  dem  inlemat.  Geographenkonyri'ss  zu  Paria  1875 
für  Anthropologie  VIII,  S).  Merkwürdig  ist,  dass  v.  Fischer, 
liogehenden  Bericht  über  die  Rokitnosümpfe  (Mitteil,  der  naturf. 
lellach.  iu  Bern  1843  u.  44)  Pösche  mitteilt,  nichts  von  Albiniamue 
jenen  Gegenden  weiss.  Er  berichtet  nur  von  der  Hdufigkeii  dos 
^eictutelzopres  daselbst.  Natürlich  beeilt  sich  Pöache,  einen  Zusammen- 
ig  «wiachen  Albinismoi«  und  Weichsebopf  zu  vermuten.  Vgl,  auch 
iche  Archiv  filr  Anthropologie  XIV,  143  ff. 


-     110    - 

(vgl.  p.  67)  die  Erscheiniiag  der  DepigmentatioD  oder  des  Albiois- 
mus  eine  sehr  häufige  seiu  nnd  daselbst  an  Menschen,  Tieren 
und  Pflanzen  deutlich  hervortreten.  Nur  in  einer  solchen  Ört- 
iichkeit  aber  lasse  sich  das  Entstehen  der  grossen  blonden 
Menschenrasse,  d.  h.  nach  Pösche  der  Indogermanen,  denken. 
Aus  diesen  prähistorischen  Sumpfwohnungen  erkläre  sich  auch 
die  bei  den  ältesten  ludogermanen  in  der  Schweiz,  in  Italien  etc. 
hervortretende  Neigung,  ihre  Hütten  auch  dann  auf  Pfahlwerk 
zu  errichten,  wenn  die  Bodenbeschaffenheit  des  Terrains  es  nicht 
erforderte.  Neben  der  von  allen  lebenden  indog.  Sprachen 
^grössten  Ursprünglichkeit^  des  Litauischen  spricht  ihm 
auch  der  Umstand  für  die  eher  nord  östlichen  als  sttd-östlicben 
Ursitze  der  ludogermanen  in  Europa,  dass  die  Kunst  des  Reitens 
bei  denselben  nachweislich  eine  verhältnismässig  späte  sei.  ;,Rücken 
wir  nun  die  ürsitze  weiter  nach  den  Steppen  des  Südostens,  so 
müsste  eine  sehr  frühe  Bekanntschaft  mit  den  mongolischen  Turk- 
stämmen,  den  ältesten  bekannten  Reitern,  eingetreten  sein,  und 
das  Reiten  würde  dann  wohl  bei  den  Ariern  weiter  zurück  da- 
tieren" (p.  73). 

Die  Arbeit  Pösches  erfuhr  in  der  Presse  eine  überaus  ver- 
schiedene Beurteilung.  Während  die  allerdings  unzweifelhaft 
äusserst  lückenhafte  philologisch-historische,  in  der  Benutzung  der 
Sprachwissenschaft  nicht  über  Grimm  hinausgehende  Seite  des 
Werkes  von  den  Philologen  sehr  ungünstig  beurteilt  wurde  (vgl. 
Literar.  Zentralbl.  1878,  p.  1221  ff.),  wurden  die  Aufstellungen 
Pösches  dagegen  von  seiten  der  Anthropologen  mit  Freude  be- 
grüsst.  In  diesem  Sinne  äusserte  sieh  A.  Ecker  (Archiv  für 
Anthropologie  XI,  365  ff.),  der  zwar  auch  seine  Bedenken  gegen 
das  ^ weichselzopfige  Kakerlakengeschlecht^  der  Indogermanen 
und  ihren  Ursprung  aus  der  Rokitnosümpfen  nicht  verhehlt, 
aber  doch  der  Meinung  ist,  dass  folgende  zwei  Sätze  des 
Pöschescheu  Buches  einen  grossen  Fortschritt  der  Wissenschaft 
bezeichneten : 

1.  dass  die  Blonden,  nenne  man  sie  nun  Arier  (wie  Pösche) 
«der  bezeichne  sie  einfach,  wie  ich  (Ecker)  vorziehen  würde,  als 
Blonde  (Xonthochroi),  einen  besonderen,  wohl  charakterisierten 
Mensehcnstamni  bilden,  und 

2.  dass  die  Heimat  dieses  Stammes  nicht  in  Asien,  sondern 
in  Osteuropa  zu  suchen  ist. 


Auch  Liiiileiischinit  (ilaadbucb  der  deiitscheu  Alterlums- 

ptnnde  I,  1680,  Einleitung),  einer  der  iinge^eheusten  der  demsclien 

jilbropologen  und  Präbistorikcr,    äusserte   sicli    in    dem  Sinne, 

i  der  nrti|irUngIic)ie  Typus  der  Indo^ermnnen  sicher  nicht  bei 

kp  asiatischeu   Vfilkern  zu  sncheu  wäre.     „Selbst  bei  dem  noch 

I  beschränkten  Dmlange  der  üntersnchungen  über   die  Stämme 

lod  Geechleebter  der  Menschen  dtlrfeu  wir  doch  so  viel  als  gewiss 

letrachten,    dass,    wenn   ein    ursprünglicher  Znsnmmenhang    der 

iptitch  verwandten,  westöstlichen  Völker  unfehlbar  auch  eine  über- 

■^nstimniende  Körperbildung  derselben  bedingt,   der  Urtypus  der 

Uxteren  sicher  nicht  bei  den  Hindus  und  Tadschiks,  Buchareu. 

kindecben,  Parsen  nnd  Osseten  xu  suchen  ist."     Im  übrigen  ist 

,  uit  Benfey  der  Meinung,  dass  <ler  iudog.  Wortschiitx  wegen 

SÜeit  Maugels  einer  gemeinsamen  Benennung  fitr  den  Elephanlea, 

«as  Katuel,  den  Löwen  und  Tif:er  keinen  ,, unbedingt  orientalischen 

ibarakter"  zeige.     Während  ferner  der  vermeintliche  Völkerzug 

'  Indogermanen  nach  dem  Aliendlande   jedes  historischen  An- 

talts  entbehre,    werde  der  Grundtricb  der    indog.  Wanderungen 

nnrch  unzweideutige  geschichtliche  Tatsachen  als  nach  Osten  und 

Bflden  gerichtet  erwiesen.    Hierher  zählt  er  den  auf  der  Inschrift 

pon  Karuak  erwähnten  Zug  von  Weatvölkem    nach  Ägypten  im 

XlV.  Jahrhundert,    hierher  die  Wanderungen  der  Kelten    in  der 

ftichtmig  auf  Gemianieu,  Italien,  Griechenland,  Kleinasicn,  bier- 

Jher,    wie   es  auch  Spiegel    getan  hatte  {Ausland  1871  p.  ööt), 

nie  Züge    der   Scythen    nach  Kleinasien    und  Iran,    hierher    die 

Stammsage  der  gotischen  Völker  von  ihrer  Wanderung  ans  den 

>8tseeUlnderu   in   die    des  Pontus  Eusinus  n.  a.  m.     Diese  Es- 

Min^ionskraft   der   europäischen    Indogermanen    aber     habe    sich 

bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten,  während  die  „bis  nach  Arien 

Md    Indien    vnrgcdrangenen    Stämme"    durch    Vermischung   mit 

luderen  bis  zur  Cnkenntlichkcil  entfremdet  worden  seien.   „Eine 

Lehenedaner    nnd    Lebenskraft    von    gleich    nachhaltiger  Unver- 

RTlUtliebkeit  zeigen  so  wenig  die  spraehverwandteu  Völker  Asiens, 

i  bei  der  Frage,  wo  die  mächtigsten,  ältesten  und  am  tiefsten 

[cbenden  Wurzeln  des  gemeinsamen  Stammes  zu  suchen  sind,  das 

Gewicht  der  Tatsachen  unbedingt  zu  gunsten  des  westlieben  Welt- 

^L-ils  entscheiden  mnss." 

Nicht  weniger  bekannte  R.  Virehow,  der  in  seinem  Vtjr- 
HrAg  Die  Crbevi>1kcruug  Europas    16~4   noch  sehr   entschieden 


—     112    - 

den  Satz  betont  hatte,  „dass  alle  ans  arischer  Wurzel  hervor- 
gegangenen europäischen  Stämme  von  Osten  her  eingewandert 
seien^  (p.  17),  sich  mehr  und  mehr  zu  der  Ansicht,  dass  ^eine 
Art  von  Autochthonie  der  nach  germanischem  Typus  gebildeten 
Völker  im  Norden  aufzustellen  sei"  (Verb.  d.  Berl.  Gesellschaft 
f.  Anthropologie,  Ethnographie  und  Urgeschichte  1884,  p.  210). 

Wenn  aber  Th.  Pösche  hauptsächlich  in  der  lichten  Rom- 
plexion  ein  Hauptcharakteristikum  des  indog.  Typus  gefunden  zu 
haben  glaubte^),  so  fügte  Karl  Penka  in  zwei  umfangreichen 
Werken  Origines  Ariacae  1883  und  Die  Herkunft  der  Arier  1886 
(vgl.  dazu  auch  die  1893  erschienene  Abb.  P.s  über  die  Heimat 
der  Germanen,  Mtlg.  d.  anthrop.  Ges.  in  Wien  XXIII,  72ff.)  auf 
Grund  der  neueren  kraniologischen  Studien  die  Dolichokephalic- 
(Langschädligkeit)  als  das  den  ursprünglichen  Habitus  des  Ur- 
Volks  charakterisierende  Merkmal  hinzu,  indem  er  zugleich  den 
Nachweis  zu  führen  unternahm,  dass  die  Heimat  der  Indogermanen 
nur  da  gesucht  werden  dürfte,  wo  Blondheit  und  Dolichokephalio 
noch  heute  am  reinsten  und  schärfsten  ausgebildet  seien,  —  in 
Skandinavien. 

Die  in  diesen  Büchern  niedergelegten  Ansichten  lassen  sich 
zu  folgendem  Bilde  vereinigen: 

Die  einheitlichen  Ursprünge  des  gesamten  Menschenge- 
schlechtes sind  während  der  Meiocenperiode  in  Mitteleuropa  zu 
suchen.  Da  nahte  die  Eiszeit,  und  vor  der  allmählich  sich  voll- 
ziehenden Vergletscheruug  des  Nordens  und  der  Mitte  unseres 
Erdteils  wichen  alle  übrigen  Menschenrassen  nach  Afrika,  Asien, 
Amerika  in  angenehmere  Wohnsitze.  Nur  die  Urahnen  der  Arier 
blieben,  und  sie  brauchten  es  nicht  zu  bereuen;  denn  dem  Klima. 


1)  Einen  scharfen  Widerspruch  erhob  hiergegen  W.  Tomas chek 
Z.  f.  d.  östr.  G.  XXIX,  859:  „Wir  unserseits  fassen  die  Blondheit,  den 
Mangel  an  Farbstoff  in  Haut,  Haar  und  Auge,  als  eine  Abnormität  im 
menschlichen  Typus  auf,  die  sich  auf  mehreren,  von  einander  weit 
entlegenen  Gebieten  der  Erde  unter  geeigneten  klimatischen  Verhält- 
nissen und  unter  gewissen  Lebensbedingungen,  die  noch  weiter  erforscht 
werden  müssen,  im  Laufe  der  Zeit  ausbilden  konnten,  ohne  dass  damit 
ein  besonders  inniger  Zusammenhang  aller  blonden  Stämme  in  Rasse 
und  Deszendenz  sich  aussprechen  musste.  Der  Satz  Linn^s  nimium  ne 
crede  colori  gilt  auch  für  den  Menschen;  namentlich  die  Farbe  der 
Augen  kann  im  geringsten  Grade  Anspruch  darauf  machen,  einen 
Rassencharakter  darzustellen.'' 


—    113    — 

der  Eisperiode  und  dem  Kampf  mit  ihren  Lebensbedingungen 
verdankten  sie  die  blonden  Haare,  die  blauen  Augen,  die  riesigen 
Leiber,  den  dolichokephalen  Sehädelban.  Aber  auch  die  Eis- 
periode ging  vorüber,  und  vor  dem  milder  werdenden  Klima 
wanderten  die  Jagdtiere  der  alten  Arier,  namentlicb  das  Ren, 
nach  dem  Norden  aus.  Ihnen  folgten  die  Arier  —  denn  wober 
sollten  sie  nun  ihre  Nahrung  nehmen  ?  —  selbst.  In  Skandinavien 
eröffnete  sich  ihnen  eine  neue  Heimat,  und  hier  entwickelte  sich 
nun  diejenige  Kultur,  die  wir  mit  Hilfe  der  Sprachvergleichung 
als  nrarisch  erschliessen  können,  und  die  wunderbar  mit  dem 
übereinstimmt,  was  die  geographischen  Verhältnisse,  die  Fauna 
und  Flora  Skandinaviens  uns  erwarten  lassen.  Nur  hier  lässt 
sich,  und  zwar  in  den  Kjökkenmöddinger,  ein  Übergang  nach- 
weisen von  der  paläolithischen  Kultur  (etwa  der  belgischen  Höhlen- 
bewohner) zu  der  neolithischen  (etwa  der  Schweizer  Pfahlbauten), 
während  im  ganzen  übrigen  Europa  zwischen  beiden  Perioden  ein 
„Hiatus''  klafft. 

Während  dies  im  Norden  vor  sich  ging,  waren  in  das  ent- 
völkerte Mitteleuropa  zwei  grosse  Völkereinbrüche  erfolgt:  von 
Südwesten  her  die  Einwanderung  der  Völker  des  dolichokephalen, 
aber  dunkelen  Cro-Magnon-Typus,  zu  dem  die  Ureinwohner 
der  pyrenäischen  Halbinsel,  Italiens,  Siziliens,  Griechenlands, 
aber  auch  die  Bevölkerung  Nord-Afrikas  und  die  Semiten  ge- 
hörten, von  Osten  her  der  Einbruch  einer  brachykephalen,  dunklen, 
mongolenartigen  Menschenrasse.  Auf  französischem  und  belgischem 
Boden  waren  beide  zusammengetroffen  und  hatten  sich  mit  ein- 
ander gekreuzt. 

So  standen  die  Dinge,  als  vom  Norden  her  der  Siegeszug 
der  „weissen  Kasse^  —  das  bedeutet  nämlich  Arya  —  erfolgte. 
Überall  traten  sie  als  Herren  und  Meister  auf,  bauten  Burgen 
und  zwangen  den  unterworfenen  Stämmen  ihre  Sprache  und  ihre 
Kultur  auf.  Aber  je  weiter  sich  das  arische  Element  von  seinem 
nordischen  Ausgangspunkt  entferate,  um  so  mehr  unterlagen  seine 
charakteristischen  Eigenschaften  in  dem  Mischungsprozess  mit 
den  allophylen  Völkern.  So  entstand  das  Völkergemisch,  das 
durch  die  Einheit  seiner  Sprache  so  lange  die  Welt  über  die 
Verschiedenheit  seiner  Leibesbeschaffenheit  getäuscht  hat.  Die 
Slaven  sind  nichts  als  arisierte  Mongolen,  die  Griechen  nichts  als 
pelasgische  Haraito-Semiten,    die    arisch    gelernt    haben  u.  s.  w. 

Schrader.  Sprach verfcleichunf^  und  Urgeschichte.    S.  Aufl.  K 


—     114    - 

Andererseits  gibt  es  auch  Arier,  die  ihre  Sprache  aufgegeben, 
aber  ihre  körperlichen  Merkmale  bewahrt  haben,  wie  die  blonden 
und  dolichokephalen  Finnen. 

Wenn  nun  auch  die  von  Penka^)  vorgetragenen  Gedanken 
keineswegs  durchaus  neue  waren,  und  wenn  auch,  ganz  wie  bei 
dem  Poescheschen  Buch,  die  historisch-philologischen  Anschauungen 
des  Verfassers  vielfach  gänzlich  hinfällige  waren  ^),  so  muss  doch 
gesagt  werden,  dass  das  von  ihm  aufgestellte,  in  klarer  und  über- 
zeugender Sprache  entwickelte  anthropologische  System  eines  ge 
wissen  Eindrucks  bei  den  Mitforschern  nicht  verfehlte,  ja  zum 
Teil  begeisterte  Anhänger  fand,  unter  ihnen  nenne  ich  Rendall 
The  cradle  of  the  Aryans,  London  1889,  L.  Wilser  Herkunft 
und  Urgeschichte  der  Arier,  Heidelberg  1899,  De  Lapo  rxgeL'Aryen, 
iion  röle  socialy  Paris  1899.  Unter  den  Philologen  fand  Penka 
Zustimmung  für  seine  skandinavische  These  wohl  nur  beiA.H.Sayce 
{Deport  of  the  British  association  for  the  odvancement  of 
science  1887,  p.  889)  und  F.  Justi  (Berl.  phil.  W.  1884,  p.  36; 
1887,  p.  652).  In  gewissem  Sinne  kann  man  sagen,  dass  die 
Penkaschen  Bücher  den  Höhepunkt  der  auf  die  Erschliessung 
der  indog.  Urheimat  gerichteten  anthropologischen  Bestrebungen 
darstellen,  den  Höhepunkt,  —  freilieh  auch  zugleich  den  Wende- 
punkt. 

Lag  es  doch  auf  der  Hand,  dass  die  Penkasche  Theorie 
von  der  Herkunft  der  Indogermanen  aus  Skandinavien  nur  für 
diejenigen  etwas  überzeugendes  haben  konnte,  die  an  die  Wahr- 
heit der  beiden  Sätze  glaubten: 


1)  Ganz  ähnliche  Anschauungen  wie  Penka  hatte  im  Jahre  1875 
R6gis  Gery  (vgl.  S.  Reinach  a.a.O.  p.  59)  und  noch  viel  früher 
J.  Kruger,  Urgeschichte  des  indogermanischen  Völkerstammes  in  ihren 
Grundztigen  wiederhergestellt,  Bonn  1855  (vgl.  P.  Kretschmer,  Ein- 
leitung in  die  Geschichte  der  griech.  Spr.  p.  33)  ausgesprochen. 

2)  Von  bedeutsameren  Besprechungen  des  Penkaschen  Baches 
Origines  Ariacae  nenne  ich  diejenige  von  A.  Bezzen  berger  (Deutsche 
Lz.  1883,  Nr.  44),  von  A.  H.  Sayce  (Academy  1883  Nr.  605),  von 
W.  Tomaschek  (Literaturbl.  f.  Orient.  Phil.  I,  133),  von  F.  Hommel 
(Archiv  f.  Anthrop.  XV  Suppl,  p.  163),  von  van  den  Gheyn  Bevue 
fies  Quentious  scientifiques  1884),  von  A.Kirch  hoff  (Literar.  Zentr. 
1884,  p.  427).  Am  schärfsten  äussert  sich  gegen  die  linguistischen  Aus- 
führungen Penkas  J.  Schmidt  in  seiner  oben  genannten  Schrift  über 
die  Urheimat  der  Indogermanen,  p.  13  ff. 


—    115    — 

1 .  Der  homo  europaeus  dolichocephalus  ßavus  ist  eine  von 
anderen  scbarf  nnterscbiedene  nördliche  Menschenrasse, 

2.  die  ältesten  Indogermanen  waren  blond  nnd  dolichokephal, 
so  dass  die  unter  den  historischen  Indogennanen  sich  findenden 
dunklen  und  brachykephalen  Elemente  von  jenen  ältesten  Indo- 
germanen unterworfene  ürvölker  darstellen. 

Nun  stiess  aber  dieser  letztere  Satz  doch  auf  sehr  ent- 
schiedenen Widerspruch,  namentlich  bei  französischen  Gelehrten, 
die  nicht  ohne  eine  gewisse  nationale  Empfindlichkeit  gegenüber 
der  Penkaschen  Lehre  gerade  umgekehrt  in  den  Brachykephalen 
die  echten  Indogermanen  und  die  wahren  Träger  aller  indo- 
germanischen Kultur  erblickten,  unter  den  hierher  gehörigen 
Schriften  will  ich  die  von  Ch.  de  üjfalvy,  Le  berceau  des 
Aryas  d' apres  des  ouvrages  recents,  Paris  1884,  nennen. 

Die  besonderen  Verdienste  dieses  Forschers  bestehen  darin, 
eine  zuverlässigere  Kenntnis  der  nordiranischen,  an  das  Pamir 
grenzenden  Länder  und  Völker  durch  eigene  Reisen  in  diese 
Gegenden  uns  vermittelt  zu  haben.  Er  findet  p.  13  unter  den 
arisch  redenden  Stämmen  zwei  ganz  verschiedene  Rassen  vertreten : 
jfCe  peuple  irano-hindou  etait  avant  sa  Separation  une  race 
m^lang^e  de  deux  types  bien  distincts:  un  type  chätaifi,  petit 
(Ott  moyen)  et  brachyc^phalique  et  un  type  brun^  grand  et 
dolichocepJialique.  Les  brachycephales  sont  encore  aujourd'hui 
au  nord  de  V Hindou-Kouchy  tandis  que  les  dolichoc^phales 
occupent  les  valUes  au  sud  de  ce  massif  montagneux,^  Gegen- 
über der  oben  p.  111  mitgeteilten  Anschauung  Lindenschmits,  der 
in  seiner  Begründung  eines  westlichen  Ursprungs  der  Indogermanen 
sich  auf  die  starken  bei  Hindns,  Tadschiks,  Parsis,  Osseten  etc. 
008  entgegentretenden  Völkermischungen  bemfen  und  dem  Typus 
dieser  Völker  gegenüber  den  nordeuropäischen  als  den  ursprüng- 
lichen bezeichnet  hatte,  weist  Cjfalvy  auf  die  nach  seiner  Meinung  sehr 
wenig  gemischten,  brachykephalen,  kastanienbraunen  Galtschas^) 
des  Pamir  hin,  die  ^occupent  depuis  une  haute  antiquit^. 
leur  patrie  actuellej  le  d^part  en  tout  cas  des  Irano-lndiens.^ 
Im  übrigen  hält  er  p.  11  die  dem  Pamir  benachbarten  Täler  für 


1)  Vgl.  auch  Quelques  observations  sur  les  Tadjiks  des  montagnes 
appeUs  aussi  Galtschas  par  Cfi.  E.  de  Üjfalvy  {Extrait  des  b.  de  la 
socüU^  d'anihrapologie  1887). 

8* 


—    116   — 

im  Besitz  aller  Bedingungen,  welche  die  lingnistiscbe  Paläontologie 
an  die  Urheimat  der  Indogermanen  stelle. 

Auf  den  Schultern  dieses  Gelehrten  steht  der  italienische 
Anthropologe  G.  8ergi  in  seinem  Buche  Gli  Arii  in  Europa  e 
in  Asia,  Torino  1903  (vgl.  auch  Arii  e  Italiciy  Torino  1898). 
Er  hält  Kelten,  Germanen  und  Slaven  für  rassenhaft  verwandt 
mit  den  von  Ujfalvy,  wie  wir  sahen,  als  kastanienbraun,  mittel- 
gross und  brachykephal  geschilderten  Tadjiks  und  Galtschas,  von 
denen  sie  sich  in  prähistorischer  Zeit  getrennt  hätten,  um  indo- 
germanische Sprache  und  Kultur  in  das  von  anderen  vorindo- 
germanischen Rassen  (darunter  eine  den  blonden  Dolichokephalen 
Penkas  entsprechende)  bewohnte  Europa  einzuführen.  Auch  jene 
mongolischer  Herkunft  verdäehigten  Tadjiks  und  Galtschas  aber 
hätten  ihre  indogermanische  Sprache  erst  von  jenem  zweiten  von 
Ujfalvy  als  braun,  gross  und  dolichokephal  beschriebenen  Völker- 
element, den  Vorfahren  der  Perser  und  Inder,  übernommen.  Diese 
seien  somit  die  „echten^  Arier.  Einen  schrofferen  Gegensatz  zu 
Penka  kann  man  sich  also  nicht  denken. 

Ganz  und  gar  nicht  von  den  Ausführungen  dieses  Gelehrten 
überzeugt  fühlten  sich  auch  vandenGheyn  L'origine  europienne 
des  AryaSy  Anvers  1885  (1881:  Le  berceau  des  AryaSy  Müde  de 
g^ograpkie  historique,  Bruxelles)  und  Max  Müller  Biographies 
of  loords  and  the  home  of  the  Aryas,  London  1888. 

Wichtiger  als  alles  dieses  aber  ist  es,  dass,  was  den  ersten 
der  beiden  oben  angeführten  Penkascheu  Leitsätze  anbetrifft^  die 
Anthropologie  und  vor  allem  die  Kraniologie  selbst  immer  mehr 
zu  der  Überzeugung  gekommen  ist,  dass  sie  mit  ihren  Mitteln 
überhaupt  nicht  imstande  sei,  scharf  umgrenzte  Menschenrassen 
in  der  Geschichte  oder  Vorgeschichte  Europas  zu  unterscheiden, 
sondern  dass  vielmehr,  wohin  wir  uns  auch  in  der  Gegenwart  oder 
Vergangenheit  wenden,  überall  uns  Übergangs-  und  Mischungsverhält- 
nisse entgegentreten,  eine  Entwicklung,  über  die  P.  Kretschmer 
in  seiner  Einleitung  in  die  Geschichte  der  griechischen  Sprache 
1896,  p.  29  ff.  eine  vortreffliche  Übersicht  gegeben  hat.  Ja,  es  ist 
hinzuzufügen,  dass  eine  anthropologische  Richtung  immer  mehr 
an  Boden  zu  gewinnen  scheint,  die  in  den  Verschiedenheiten  des 
menschlichen  Schädels  überhaupt  nicht  uralte  RaBseneigentümlich- 
keiten,  sondern  durch  mehr  oder  weniger  äusserliche  Umstände 
herbeigeführte  Veränderungen  erblickt.     Vgl.  zuletzt  A.  Ny ström 


117    — 


FonneiiverändeMiiigeii   des   mciigclilicheii  Schädels  und  dereii  Ur- 
saclieii,  Arcliir  für  AutLropologie  XXVII,  1902. 

Au  die  Stelle  der  Anlliropologie,  die  somit  den  Selian|ilatit 
der  iiido^ermanischeu  Frage  fnst  kämpf  unfähig  rcrlasHcn  hat, 
nicht  ohne  jediich  klarere  VorBteilungen  von  den  Begriffen 
..Völkerverwandtschaft"  nnd  „Sprach verwandt eehaft"  zu  hinter- 
lassen, iHt  nun  in  neuerer  Zeit  eine  ihr  nah  verwandte  Die- 
zipiin,  die  prähistorische  Archäologie,  getreten.  Ihre  Be- 
ziebuDgen  zu  der  indogermanischeu  Altertnmeknnde  Bind  bereits 
an  mehreren  Stellen  dieses  Buche«  (p.  32,  42.  47]  hervorgehoben 
worden,  und  niemand  wird  bezweifeln,  dass  die  Präliistorie,  im 
richtigen  Maee  und  in  der  richtigen  Weise  herbeigezogen,  der 
Erforschung  des  indog.  Altertums  vorzügliche  Dienste  leisten 
kOune.  Der  Gedanke  musstc  daher  nahe  liegen,  ob  nicht  eben 
die«e  prähistorische  Archäologie  auch  imstande  sein  werde,  das 
riet  umstrittene  Problem  der  indogermanischen  Urheimat  endgiltig 
XU  lOsen.  Und  in  der  Tat  sind  in  einem  nnd  demselben  Jahre 
zwei  Arbeiten  erachienen,  die  dieser  Absicht  dienen:  M.  Mach, 
Die  Heimat  der  Indogermanen  im  Lichte  der  urgeeehichtlichen 
Forsfbniig,  Beriiu  1902  i2.  Auflage  Berlin  1904i,nndG  Kosainna. 
Die  indogevnianieehe  Frage  arehäologieeh  beantwortet,  Z.  f.  Ethno- 
logie 19u2.  Beide  F^orscher  kommen  zu  dem  Ergebnis,  dass  die 
Heimat  der  Indogermanen  identisch  mit  derjenigen  der  Germanen  sei, 
„nnd  in  den  westlichen  Küstenländern  der  Ostsee  sowie  in  den 
angrenzenden  Gebieten  der  Nordsee,  also  in  Slldskaudinarien, 
Dänemark  und  Norddeutechland  bis  zur  Aller,  Magdeburg  und 
Odermlindung  zn  suchen  sei"').  Dieses  Ergebnis  ist  an  sich  nicht 
Dca.  Schon  .1.  d'Onialius  d'Halloy  (oben  p.  108)  hatte  auf  die 
germanischen  Länder  als  officina  gentium  hingewiesen.  L.  Geyer 
(oben  p.  93|  hatte  diesen  Gedanken  weiter  anegeaponnen.  Auch 
TonL'Jher,  überAlter,  Herkunft  nnd  Verwandtschaft  der  Germanen 
(Sitznngsb.  d.  philo8.-philol.-hiet.  Klaasc  d.  k.  b.  Ak.  d.  W.  München 
18J^3)  liees  die  Indogermanen  aus  dem  Herzen  Deutschlands  hervor- 
\  qaellen.  Ernst  Krause  (Garns Sterne)  hatte  in  einem  phantastischen 
1)  Früher  tintte  Kossinna  da£  Gebiet  der  iniltlereu  Donau  für 
diu  UrsprnnKsUnd  der  Indogermanen  erklUrt  (vf^l.  Z.  des  Vereins  f. 
Valkfkunde  VI,  1  (f.  Ili95).  Es  ist  daher  ei»  Unikuin  in  der  Gesctiichte 
de«  PrioritHt«iieankB,  dass  K.  die  vor  der  seinen  erschienene  Atbeit 
MDchs  kam  gesagt  des  Ptagjals  hei^chutdigt.  Vgl.  darüber  Much  Z. 
r.  Ethnologie  1M3.     H.  1. 


-    118    - 

Buche  ,,Tuisko-LaDd,  der  arischen  Stämme  und  Götter  Urheimaf^ 
(1891)  die  Mythen  der  Ilias  und  Odyssee  auf  die  Einwanderung  ger- 
manischer Stämme  im  Süden  zurückgeführt.  Über  Penka  und 
seine  Anhänger,  die  sich  auf  das  südliche  Schweden  beschränkten^ 
ist  oben  ausführlich  gesprochen  worden. 

Neu  ist  an  den  Arbeiten  Muchs  und  Kossinnas  also  nicht 
das  Ergebnis,  sondern  die  Methode,  mittels  deren  sie  zu  ihrem 
Ergebnis  gekommen  sind,  und  in  der  beide  Forscher  insofern 
übereinstimmen,  als  sie  der  Ansicht  sind,  dass  gewisse  in  prä- 
historischer Zeit  in  Europa  hervortretende  Kulturerscheinungen 
ihre  geographische  Verbreitung  nicht  dem  Handel  oder  anderer 
Kulturübcrtragung,  sondern  Völkerwanderungen  verdanken, 
die  ihren  Ausgangspunkt  eben  in  Norddeutschland 
gehabt  hätten. 

So  sei  nach  dem  ei*sten  Abschnitt  des  Much sehen  Buches, 
zu  dem  wir  uns  zunächst  wenden,  die  Hinterlassenschaft  des 
jüngeren  Steinalters  an  Waffen  und  Werkzeugen  in  ganz  Europa 
so  gleichartig,  dass  sie  einen  einheitlichen  Ausgangspunkt  haben 
müsse.  Dieser  sei  da  zu  suchen,  wo  neben  den  einfachsten,  auch 
schon  vollkommenere  und  formschöne,  vor  allem  aber,  wo  die 
meisten  derartigen  Artefakte  gefunden  würden.  Es  bestehe  kein 
Zweifel,  dass  „dies  die  Küsten  sind,  welche  Festland  und  Inseln 
des  westlichen  Ostseebeckens  umsäumen".  Hierher  führe  auch 
(Abschnitt  HI)  die  in  Europa  häufig  erscheinende  Spiraldekoration 
der  Gefässe  zurück,  die  nicht  aus  dem  Orient  entlehnt  sei,  sondern 
sich  organisch  aus  der  vonM.  als  indogermanisch  bezeichnetenBand- 
verzierung  der  Tongefässe  entwickelt  habe.  Wiederum  aber 
würden  die  einfachsten  und  darum  ältesten  dieser  Spiralverzierungen 
in  den  Ländern  nördlich  und  östlich  des  Harzes  gefunden.  Von 
Norddeutschland  aus  sei  durch  die  wanderadeu  Scharen  der  Indo- 
germanen  ferner  der  Bernstein  (Abschnitt  IV)  über  Europa  ver- 
breitet worden,  von  hier  (Abschnitt  V)  stamme  auch  die  Sitte, 
den  Toten  jene  grossen  Steingräber  zu  errichten,  die  unter  den 
Namen  der  Dolmen,  Hünenbetten,  Riesengräber  usw.  bekannt 
sind,  und  die  sich  bis  Syrien  und  Palästina,  bis  Nordpersien  und 
Indien  verfolgen  lassen;  denn  die  Indogermanen  waren  nach  Much 
auch  kühne  Seefahrer,  und  wenn  es  heisst,  dass  die  Wikinger 
Amerika  erreicht  haben,  warum  sollten  da  die  Indogermanen 
nicht    zu  Schiff    bis    Indien    gelangt    sein?      Den    IL  Abschnitt 


-    119    - 

(Nephrit,  Jadeit,  Chloromelanit  und  Türkis)  und  deu  au  sich  sehr 
lehrreichen  VI.  Abschnitt  (die  Haustiere)  übergehe  ich,  weil  sie 
höchstens  für  einen  europäischen  Ursprung  der  Indogermanen  im 
allgemeinen,  nicht  für  ein  bestimmtes  Land  beweisend  sein  können. 
Abschnitt  VII  handelt  von  der  Rasse,  Abschnitt  VIII  von  der 
geographischen  und  physikalischen  Besehaffenheil  des  Heimat- 
landes und  ihrem  Einfluss  auf  die  Bewohner. 

Schwieriger  ist  es,  in  Kürze  ein  Bild  der  Kossinnaschen 
Anschauungen  zu  geben: 

Zwischen  Nord-  und  Mitteldeutschland  bestehen  in  deu 
ersten  Perioden  der  jüngeren  Steinzeit  sowohl  im  Hinblick  auf 
die  Grabanlagen  wie  auch  in  der  Ornamentik  der  Tongefässe  die 
schroffsten  Gegensätze,  die  nur  auf  einer  Verschiedenheit  der 
Bevölkerungen  beruhen  könneu.  Die  Träger  der  ersteren  Kultur 
waren  die  Vorfahren  der  Germauen,  d.  h.  die  Indogermanen  (vgl. 
auch  den  Aufsatz  Kossinnas,  Die  vorgeschichtliche  Ausbreitung  der 
Germanen  in  Deutschland,  Z.  d.  V.  f.  Volkskunde  VI,  1),  die 
Träger  der  letzteren  allophyle  Völker.  In  den  letzten  Perioden 
der  jüngeren  Steinzeit  ist  nun  eine  starke  Stidwärtsbewegung 
jener  nordisch-indogermanischen  Kultur  zu  bemerken,  die  in  zwei 
Zügen,  einem  westlichen  die  Saale  aufwärts  und  einem  öst- 
lichen zwischen  der  Oder  und  Weichsel  von  der  Küste  bis  nach 
Galizien  und  weiter  östlich  verläuft.  Jener  westliche  Zug 
zwischen  Harz  und  Saale  oder  Mulde  wird  durch  die  geographische 
Verbreitung  dreier  Gefässarten,  der  sog.  Kugelamphoren,  der 
Gefässe  des  Bernburger  und  derjenigen  des  Rösseuer  Typus  be- 
wiesen. Die  letztere  Kulturgruppe  ist  durch  die  Einwanderung 
von  Indogermanen  in  das  von  Kossinna  im  Gegensatz  zu  Much 
als  nichtindogermanisch  angenommene  Gebiet  der  Bandkeramik 
Nord-Thttringens  entstanden  und  erobert  von  Thüringen  aus  das 
westliche  Mittel-Deutschland  und  das  Land  aufwärts  zu  beiden 
Seiten  des  Rheins  bis  zum  Bodensee.  Aus  den  Trägern  dieser 
westmitteldeutschen  und  süddeutschen  Gruppe  des  Rössener  Ge- 
fässtypus  haben  sich  die  Vorväter  der  Kelten  und  Italiker 
entwickelt,  von  denen  die  letzteren,  zunächst  mit  dem  Stamm 
der  Umbrer,  in  späterer  Zeit  Italien  besiedelten.  Der  östliche 
Zug  der  Indogermanen  geht  von  dem  Gebiet  zwischen  unterer 
Elbe  und  Oder  aus  und  wird  wiederum  durch  die  Kugelamphoren 
charakterisiert,   die   sich    in    Hinterpommern,    Westpreussen    und 


—    120    - 

Posen  finden,  sich  aber  auch  die  Oder  aufwärts  bis  0st-6alizien 
und  wenigstens  in  einem  Exemplar  bis  an  den  Dnepr  erstrecken. 
Diese  Kugelamphoren  träger  waren  die  Vorväter  der  Slaven  (die 
Litauer  sprechen  nach  Kossinna  nur  ein  verdorbenes  Slawisch) 
und  Arier  (Inder  und  Iranier). 

Soweit  war  die  Ausbreitung  der  Indogermanen  während 
der  jüngeren  Steinzeit  gediehen. 

In  dem  Anfang  der  Bronzezeit,  etwa  zu  Beginn  des  2.  Jahr- 
tausends V.  Chr.,  setzt  alsdann  eine  neue  Völkerbewegung  von 
Norden  nach  Süden  ein.  Sie  betrifft  die  Vorväter  der  Illyrier 
und  Griechen  und  verläuft  von  der  Elbe  und  Saale  her  über  Nord- 
Österreich  (Böhmen,  Mähren,  Niederösterreich)  südwärts  bis  nach 
Bosnien.  Ihr  Charakteristikum  bilden  die  Gräber  des  Aunjetitzer 
Typus,  der  so  nach  einem  bekannten  Fundort  Böhmens  benannt 
ist.  Das  eigentliche  Stammvolk  der  Indogennanen,  die  Germanen, 
haben  ihre  Eigenart  in  den  Sitzen  zwischen  Weser  und  Oder 
herausgebildet  und  nach  dem  Ende  der  ersten  Periode  der  Bronze- 
zeit zunächst  keine  weiteren  Scharen  ausgeschickt;  denn  das 
Land  östlich  der  Oder  ist  erst  zum  Beginn  der  Eisenzeit  von  aus 
Skandinavien  herübergekommenen  Germanen  (vgl.  auch  Kossinna 
I.  F.  VII,  276)  besetzt  worden. 

Doch  hatten  Indogermanen  während  der  ersten  Periode  der 
Bronzezeit  auch  in  Schlesien,  Posen,  Westpreussen,  Hinterpomraern 
und  der  Neumark  gesessen,  wo  sie  aber  in  der  zweiten  Periode 
der  Bronzezeit  verschwunden  sind.  Es  scheint,  dass  Teile  der- 
selben sich  in  Ungarn  mit  anderen  Siedelungsgebieten  entstam- 
menden Volksbestandteilen  zusammengefunden  haben,  um  das  noch 
ausstehende  Volk  der  Thraker,  der  nächsten  Stammverwandten 
der  Phryger  und  Armenier,  zu  bilden. 

So  sehen  wir  in  der  Muchschen  und  Kossinnaschen  Arbeit 
ein  ganzes  Gebäude  prähistorischer  Ethnologie  auf  urgeschicht- 
licher Grundlage  errichtet.  Wird  es  sich  dauerhafter  erweisen 
«ils  das  von  Penka  auf  anthropologischer  Basis  erbaute? 

In  dieser  Beziehung  könnte  es  zunächst  ein  günstiges  Vor- 
urteil erwecken,  dass  beide  Forscher  auf  dem  gleichen  Wege  der 
Urgeschichte  zu  dem  gleichen  Ergebnis  gekommen  sind.  Allein 
der  Wert  dieser  Übereinstimmung  verschwindet,  wenn  wir  sehen, 
dass  Kossinna,  und  zwar  zum  Teil  in  überzeugender  Weise,  sämt- 
liche Beweismittel   seines   Vorgängers  für  hinfällig  zu  erweisen 


-    121     - 

«acht,  ja  der  Meinung  ist,  ^dass  die  Mnchsche  Art  der  Forschung 
den  unfruchtbaren  und  beschränkten  Spötteleien  über  archäologische 
Ethnologie  neue  Nahrung  geben  werde".  Auch  M.  Winternitz, 
der  in  seiner  schon  oben  p.  52  genannten  Reihe  von  Artikeln 
über  die  Frage:  „Was  wissen  wir  von  den  Indögermanen?"  auch 
die  Arbeiten  Muchs  und  Kossinnas  ausführlich  besprochen  hat^ 
hält  das  Buch  Muchs  „für  ganz  und  gar  verfehlt".  Namentlich 
erhebt  er  Widerspruch  gegen  die  von  Much  vorgenommene  Gleich- 
setzung von  „neolithischer"  und  „indogermanischer"  Kultur,  für  die 
CS  an  jeder  Unterlage  fehle.  Mir  will  scheinen,  dass  selbst,  wenn 
man  diese  Gleichsetzung  zugeben  würde,  für  die  deutsche  Her- 
kunft dieser  neolithisch-indogermanischen  Kultur  keineswegs  der 
Umstand  spräche,  dass  in  den  Ländern  der  Ostsee  die  zahl* 
reichsten  und  schönsten  Feuersteinwaffen  und  -Werkzeuge  gefunden 
werden,  denn  dieser  Reichtum  dürfte  in  ganz  natürlicher  Weise 
einerseits  in  dem  häufigen  Vorhandensein  des  Rohmaterials, 
andererseits  in  der  längeren  Dauer  der  mctallosen  Zeit  in  diesen 
Gegenden  wurzeln.  Doch  darf  nicht  verschwiegen  werden,  dass 
das  Muchsche  Buch  auch,  namentlich  in  nicht- philologischen 
Kreisen^),  warme  Aufnahme  gefunden  hat,  selbst  wenn  man  von 
der  geradezu  enthusiastischen  Aufnahme  desselben  seitens  Schrift- 
»teuer  wie  Dr.  Georg  Biedenkapp,  Babylonien  und  Indo- 
germanien,  ein  Geistesflug  um  die  Erde,  Berlin  1903,  absieht. 

Anerkennung  verdient  es,  dass  Much  seine  Erörterung  des 
indogermanischen  Problems  von  allen  Seiten  der  Urgeschichte 
und  Anthropologie  aus  in  Angriff  nimmt,  während  Kossinna 
seine  Beweise  fast  ausschliesslich  auf  prähistorische  Töpfe,  ihre 
Form  und  Omamentierung  stellt.  Töpfe  aber  dürften  denn  doch 
noch  zerbrechlicher  als  Köpfe  sein. 

Allerdings  ist  bei  der  Behandlung  der  Frage  über  die 
Unterscheidung  und  Eingliederung  der  prähistorischen  Artefakte 
in  bestimmte  Gruppen  wesentlich  durch  das  Verdienst  A.  Goetzes 

l)  Ich  nenne  die  Besprechungen  von  K.  Penka,  Mitteilungen 
d.  anthrop.  Ges.  in  Wien  1902  Bd.  XXTI,  168  ff.,  von  0.  Ammon, 
Deutsche  Welt  16.  Nov.  1902,  vonH.  Schurtz,  Peterraanns  Mitteil.  1902 
H.  5,  von  C.  Michaelis  Archiv  f.  Rassen-  und  Gesellschaftsbiologie,  I, 
Heft  4.  Ziemlich  ablehnend  verhält  sich  F.  Ratzel,  Petermanns  Mitteil. 
1904,  Nr.  5.  Von  Philologen  hat  sich,  abgesehen  von  Winternitz 
(s.  o.),  so  viel  ich  sehen  kann,  nur  H.  Hirt  (Liter.  Zentralbl.  1902,  Nr.  50) 
—  und  zwar  günstig  —  über  das  Buch  ausgesprochen. 


—     122    - 

(Über  die  Gliederung  und  Chronologie  der  jüngeren  Steinzeit, 
Verl),  d.  Berliner  Gesellschaft  f.  Urgeschichte  1890)  die  Keramik 
in  neuerer  Zeit  mehr  und  mehr  als  für  diese  Zwecke  bedeutungs- 
voll hervorgetreten.  Aber  die  Diskussion,  die  über  die  von  Götze 
unterschiedenen  keramischen  Kulturgruppen  sich  entsponnen  bat, 
zeigt  doch,  mit  welcher  Unsicherheit  die  Forschung  hier  auf 
jeden  Schritt  zu  kämpfen  hat.  Ist  es  schon  überaus  schwierig, 
mit  irgend  welcher  Bestimmtheit  zu  behaupten,  ob  ein  gewisse 
Abweichungen  des  schematischen  Typus  zeigendes  Gefäss  in 
diese  oder  jene  Gruppe  einzugliedern  ist,  so  wächst  die  Schwierig- 
keit, sobald  man  versucht,  die  relative  Chronologie  der  unter- 
schiedenen Kulturgruppen  festzustellen.  So  basiert  z.  B.  ein  Teil 
der  Kossinnaschen  Ausführungen  auf  der  Anschauung,  dass  die 
sogenannte  Schnurkeramik  (Gefässe  mit  Schnurverzierung)  älter 
wie  die  sogenannte  Bandkeramik  (Gefässe  mit  Bandverzierung) 
sei:  aber  schon  eine  Nachschrift  des  Vf.s  zu  seiner  Arbeit  be- 
lehrt uns,  dass  nach  seiner  neueren  Ansicht  vielmehr  das  um- 
gekehrte Verhältnis  anzunehmen  sei.  Am  allerschwierigsten  aber 
ist  die  Frage  nach  der  historischen  Entstehung  jener  Kultur- 
gruppen zu  entscheiden.  An  und  für  sich  sind  drei  Fälle  möglich: 
die  geographische  Verbreitung  eines  keramischen  Typus  kann 
durch  den  Handel  herbeigeführt  worden  sein,  der  z.  B.  unzählige 
Namen  südlicher  Gefässformen  über  den  Norden  verbreitet  bat 
(griech.  djtKfooEvg,  lat.  amphora^  ahd.  amhaVy  altsl.  qhorü).  Er 
kann  zweitens  durch  Kulturübertragung  entstanden  sein; 
d.  h.  eine  neue  Mode  tritt  an  einer  bestimmten  Stelle  eines  ge- 
wissen (jebictes  auf.  um  sich  von  da  „wellenförmig"  von  Stamm 
zu  Stamm  zu  verbreiten,  ohne  an  bestimmte  Völkergrenzen  irgend- 
wie gebunden  zu  sein.  Er  kann  drittens  allerdings  auch  die 
Folge  von  Völkerbewegungen  und  Völkerschiebungen  sein. 
Während  nun  für  Kossinna  alles  darauf  angekommen  wäre,  den 
zwingenden  Nachweis  zu  führen,  dass  bei  den  von  ihm  heran- 
gezogenen Kulturgruppen  ausschliesslich  an  die  letzte  der  drei 
hervorgehobenen  Möglichkeiten  gedacht  werden  könne,  wie  die& 
A.  Götze  (Z.  f.  Ethm>logie  1900,  S.  154)  hinsichtlich  der  Kugel- 
amphoren zu  zeigen  wenigstens  versucht  hat,  ist  das  einzige,  was 
wir  bei  Kossinna  in  dieser  Beziehung  finden  der  folgende  Satz: 
„Einer  der  klarst  erkennbaren  methodischen  Leitsätze  war  für 
mich,   dass  die  von   Süden  nach  Norden   eilenden  Ausbreitung»- 


-     123    — 

wellen  einer  Kultur  im  allgemeinen  nur  für  Kulturwellen,  dagegen 
die  umgekehrt  von  Norden  nach  Süden  gerichteten  Verpflanzungen 
zusammenhängender  Kulturen  oder  charakteristischer  Teile  der- 
selben für  Ergebnisse  von  Völkerwanderungen  zu  halten  sind." 
Also  eine  Behauptung,  und  noch  dazu  eine  sehr  unwahrscheinliche 
Behauptung  an  Stelle  eines  Beweises  oder  des  Versuchs  eines 
soldhen. 

Ein  weiterer  Mangel  der  Kossinnascheu  Arbeit  ist  der  Um- 
stand, dass  die  weittragendsten  Hypothesen  über  Völkerwande- 
rungen und  Völkerzusammenhänge  oft  auf  einer  geradezu  ver- 
blüffend geringen  Zahl  von  Fundgegenständen  aufgebaut  ist.  So 
hatte  A.  Götze  die  Ausbreitung  der  Kugelamphoren  östlich  der 
mittleren  und  der  oberen  Oder  noch  bezweifelt.  Nun  scheint  es, 
dass  einige  vielleicht  hierhergehörige  Gefässe  wirklich  in  Posen, 
Galizien  und  bis  zum  Dnepr,  etwas  über  V2  Dutzend  auf  diesem 
beträchtlichen  Gebiet,  nachgewiesen  worden  sind.  Sie  müssen 
die  Annahme  der  steinzeitlichen  Ausbreitung  der  Slaven  und 
Arier  bis  zum  Dnepr  tragen.  Jener  „Aunjetitzer  Typus",  mit 
dem,  wie  wir  sahen,  die  Griechen  und  Illyrier  in  Verbindung 
gebracht  werden,  erstreckt  sich  in  südöstlicher  Richtung  nur  bis 
Niederösterreich  nördlich  der  Donau  und  in  ein  angrenzendes 
ungarisches  Komitat.  Von  hier  bis  zur  Balkanhalbinsel  ist  noch 
immer  ein  hübscher  Sprung.  Um  diese  Kluft  zu  überbrücken 
und  zu  den  historischen  Illyriern  und  Griechen  zu  gelangen, 
dienen  vier  angeblich  auf  den  Norden  hinweisende  sogenannte 
Manscbettenarmbänder,  die  in  Glasinac  in  Bosnien  gefunden 
wurden  usw. 

Unter  solchen  Umständen  werden  wir  uns  nicht  wundern, 
wenn  sowohl  Urgeschichtsforscher  wie  Philologen  die  Auf- 
stellungen Kossinnas,  mit  so  ungewöhnlichem  Selbstvertrauen  sie 
auch  auftreten,  mit  ungeteiltem  Misstrauen  aufnehmen.  In  diesem 
Sinne  erklärt  M.  Hoernes  in  einer  durchaus  ablehnenden  Be- 
sprechung der  K.schen  Schrift  (Globus  Bd.  83,  Nr.  10,  p.  161): 
„Es  wäre  der  Ruin  der  Prähistorie,  wenn  sie  der  ohnehin  starken 
Versuchung,  statt  von  den  wirklichen  Gegenständen  ihrer  Forschung 
überall  gleich  von  Rassen  und  Völkern  zu  reden,  nicht  mannhaft 
widerstünde",  und  M.  Winternitz  a.  0.  a.  0.  bemerkt:  „In  dieser 
ganzen  Abhandlung  ist  eigentlich  nur  von  prähistorischen  Ton- 
gefässen  und  deren  Ornamentik,  von  Schnurkerauiik,  Bandkeramik 


—     124    — 

und  Kugelamphoren  und  deren  Verbreitung  in  neolithisehen  Fund- 
stätten Europas  die  Rede^  und  in  geradezu  grotesk-komischer 
Weise  werden  diese  Dinge  mit  Völkern  gleichgesetzt.  Dabei 
ninmit  er  in  unglaublich  naiver  Weise  das,  was  er  erst  beweisen 
soll,  dass  nämlich  die  von  ihm  behauptete  Heimat  der  Germanen 
auch  die  Heimat  der  Indogermanen  sei,  als  selbstverständlich 
oder  —  wie  er  sich  ausdrückt  —  als  ^methodischen  Leit- 
satz" an." 

Soviel  ist  über  diesen  ersten  Ausflug  d^r  prähistorischen 
Archäologie  nach  dem  unbekannten  Land  der  indogermanischen 
Heimat  zu  berichten. 

Wenn  es  aber  somit  weder  der  Anthropologie  noch  der 
Urgeschichte  bis  jetzt  gelungen  ist,  irgend  welche  entscheidende 
Gesichtspunkte  für  die  Beantwortung  der  Frage  nach  der  Urheimat 
der  Indogermanen  beizubringen,  so  bleibt  als  der  einzig^  Weg, 
auf  dem  man  sich  z.  Z.  mit  der  Hoffnung  auf  Erfolg  der  Lösung 
des  schwierigen  Problems  nähern  kann,  immer  noch  der  lin- 
guistisch-historische, d.  h.  die  Verbindung  sprachwissenschaft- 
licher mit  historischen  und  geographischen  Erwägungen  übrig. 
Da  ich  von  diesem  Standpunkt  aus  die  Frage  nach  der  Heimat 
-der  Indogermanen,  die  ich  in  dem  Steppengebiet  des  südöstlichen 
Europa  lokalisiere,  ohne  besonderes  Gewicht  darauf  zu  legen,  ob 
sie  sich  nicht  auch  in  benachbarte  Teile  Asiens  erstreckt  habe, 
wiederholt  behandelt  habe  (1890  in  der  zweiten  Auflage  von 
^Sprachvergleichung  und  Urgeschichte,  1901  in  meinem  Reallexikon 
der  indogermanischen  Altertumskunde,  s.  u.  Urheimat),  und  dies 
auch  in  dem  vorliegenden  Buche  tun  werde,  wobei  sich  Gelegen- 
heit bieten  wird,  der  Arbeiten  Mitforschender  ausführlicher  zu 
gedenken,  wird  es  an  dieser  Stelle  genügen,  nur  eine  kurze 
Übersicht  über  die  neuere  linguistisch-historische  Literatur  auf 
-dem  Gebiet  der  Heimatsfrage  zu  geben. 

Zunächst  wenden  wir  uns  zu  einer  Reihe  von  Bestrebungen, 
die  indog.  Urheimat  von  einem  ähnlichen  Gesichtspunkt  aus  in 
Europa  zu  fixieren,  wie  es  andere  (vgl.  oben  p.  103  ff.),  ge- 
stützt auf  einen  angeblichen  Zusammenhang  der  Semiten  und 
Indogermanen,  für  Asien  versucht  hatten. 

Mit  besonderer  Wärme  trat  nämlich  der  als  Ethnograph 
und  Sprachforscher  wohlbekannte  W.  Tomaschek  für  den  Ge- 
danken ein,    die    Heimat   der  Indogermanen   sei    in    den    Osten 


125 


Europaü  ZQ  verlegeu,   und  dies  folf*e  aus  eiuer  uralteil  Nachbai- 

icbaft,    i]uR-li    welche    die  IndugerDianen    mit  deu  Finoen  ver- 

■Iwndvn  würden;    diese    wieder    ergebt-  sieb  ans  /^blreicbeii  prä- 

■fcUiQriäcben  Kntlebnungen,  die  aus  dem  Indoj^erntaniscben  iu 

^as  KiuuiBcti-L'grisehc  stattgefunden  butteu.     Uiese  Ant^cbauung 

Begegnete    uns   scboD  in  der  p.  41    erwäbnten  Besprccbuug  de» 

■'Hehnscben  Bncbes  dnreh  Tomasehek.     Sie    tritt   deutlicher  ber- 

^irur  in  der  ebenfalls  schon  erwäbnleu  ßt-zenäiou  der  Pöscbeseben 

Arbeit,  wo  es  p.  H62  heJSBt:  ^Icb  getraue  mir,   speziell   ans  der 

Sprache  der  Mordwas  an  der  mittlem  Wolga,   den  Nachweis  zu 

ieFera,   dass    unmittelbar    au    den  slldliehen  Grenzmarken  dieser 

Innischcii  Vulkei-schaft  die  meisten  Arier,  zumal  die  Litauer  und 

Sanskrit    sprechende   Stamm,    ihre  Heimat   gehabt    haben." 

Eadlieh  ist  Tomascbek  dieser  Anecbauung    auch  in    einem   lebr- 

iviohen  .\ufeatz  Cthnologiscb-Iiugnistische  Forschungen  über  den 

Osten  Europas  (Ausland  181^3  No.  36)  treu  gebliehen, 

Einen  kühnen  Schritt  Eiber  diese  Argumentation  fDr  dei>^ 
MteDrf)päischen  Ursprung  der  Indogermanen  hinaus,  worin  ihm 
Ibri^us  schon  Cuno  (vgl.  oben  p.  9Hj  vorausgegangen  war, 
ttt  Cnnou  Isaak  Taylor  in  einem  Vortrag  'The  origin  and 
^prtmiiiee  aeai  of  Ihe  Aryans  {Journal  of  the  Aiitkropological 
Instiluti',  Februar;/  1868),  in  dem  er  die  Hypothese  einer  Cr- 
verwandtschaFt  der  Finnen  und  Indogermanen  sowohl  in 
lanthropologischer  wie  linguistischer  Hinsicht  aufstellte.  Zu  dieser 
Auoahnie  Führte  ihn  einmal  die  Übereinstimmung  iu  dem  körper- 
icben  Habitus  der  Finnen,  Livcn  und  Esthcn  mit  dem  blonden, 
lolicbokcphalen  Typus  der  Indogermanen,  den  also  auch  Taylor  als 
[den  arsprUnglichen  anzuerkennen  scheint,  das  andere  Mal  die  von  ver- 
lehiedenen  .Schriftstellera,  namentlich  von  Donner  (Vergleichendes 
Wörterbuch  der  Finnischen  Sprachen,  1874  uud  76)  und  An- 
tfcrsoD  (Studien  zur  Vergleichung  der  indogermanischen  und 
lÜHch-ugrisehen  Sprachen,  1879)  gemachten  Versuche,  einen 
pverwandt schaftlichen  Zusammenhang  zwischen  finuischen  und  indo- 
^nnaniseheu  Sprachen  nachzuweisen. 

Denselben  Gedanken  erörtert  Taylor  auch  in  seinem  Buch 

;  origin  of  the  Artftmg  (1889),    nur    dass   hier,    so    viel   ich 

lebeu  kamt,    die  Braehykephaten  als  echte  Träger  des  indoger- 

un«ich«n  Typus   angenommen   werden.     Die   gleiche    Tendenz 

perfvlgl    ferner  die  Schrift  Tb.  KOppens,    Beiträge  zur  Frage 


-     126    - 

nach  der  Urheimat  und  der  Urverwandtschaft  des  indo-euro- 
päischen  und  finnisch-ugrischen  Volksstarames,  St.  Petersburg  1886 
(russisch),  in  der  ein  grosses  sprachliches  Material  zusammengebracht, 
und  über  die  ausführlich  von  Stieda  im  Archiv  für  Anthropo- 
logie B.  XX  berichtet  worden  ist.  Leider  stehen  aber  sowohl 
Taylor  wie  Koppen  den  Anforderungen  sprachwissenschaftlicher 
Methode  fast  durchaus  als  Laien  gegenüber.  Bedeutsamer  ist 
es  daher,  dass  neuerdings  ein  bekannter  englischer  Sprachforscher 
Henry  Sweet  The  history  of  language  (1899)  mit  voller  Ent- 
schiedenheit für  den  gemeinsamen  Ursprung  des  Finnisch-ugri- 
schen und  Indogermanischen  eingetreten  ist,  und  auf  jeden  Fall 
dürfte  die  endgiltige  Ermittlung  der  Beziehungen  zwischen  den 
genannten  Sprachen  und  Völkern  zu  den  wichtigsten  Aufgaben 
gehören,  die  der  vergleichenden  Sprachwissenschaft  noch  be- 
vorstehen. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Arbeiten  geht  von  gewissen 
Tatsachen  der  Pflanzen-  und  Tiergeographie  aus,  ein 
Weg,  den,  wie  wir  gesehen  haben,  die  linguistische  Paläonto- 
logie von  jeher  mit  Vorliebe  eingeschlagen  hatte.  Eine  besonders 
wichtige  Rolle  haben  dabei  die  Baumnamen  gespielt.  Hier  ist 
zunächst  H.  Hirt,  Die  Urheimat  der  Indogermanen  in  den 
I.  F.  I,  464  ff.  (vgl.  dazu  derselbe:  Die  Urheimat  und  Wande- 
rungen der  Indogermanen,  Geogr.  Z.  herausg.  v.  Hettner  I, 
649  ff.)  zu  nennen.  Er  sucht  nachzuweisen,  dass  den  Indo- 
germanen die  Weide,  Birke,  Fichte  und  Eiche  bekannt  gewesen 
seien.  Bäume,  die  vergesellschaftet  nur  in  dem  europäischen  Wald- 
gebiet gefunden  würden.  Hinsichtlich  der  Buche  (lat.  fagus  = 
ahd.  buohha)  schwankt  er,  ob  dieses  Wort  schon  dem  urindo- 
germanischen  Wortschatz  zugewiesen  werden  dürfe.  Da  aber  die 
Ostgrenze  dieses  Baums  von  Königsberg  nach  der  Krim  verlaufe, 
so  müsse  die  Urheimat  entweder  östlich  oder  westlich  oder  zu 
beiden  Seiten  dieser  Grenze,  jedenfalls  aber  im  nordenro- 
päischen  Waldland  gesucht  werden.  Beifall  haben  die  Aus- 
führungen Hirts  bei  W.  Streitberg,  Die  Urheimat  der  Indo- 
germanen (Feuilleton  der  Frankfurter  Z.  v.  8.,  10.  und  15.  März 
1903),  gefunden,  der  wegen  der  Altertümlichkeit  des  Litauischen 
namentlich  an  Litauen  als  Ausgangspunkt  der  Indogermanen 
denkt,  Widerspruch  dagegen  bei  C.  C.  Uhlenbeck  Waar  werd 
de  Indogermaansche  stamtoal  gesproken  ( Tijdschrift  voor  Neder- 


—    127    - 

landsche  Taalen  LetterJcunde  1895,  S.  69  ff.).  Eine  vermittelnde 
Stellong  nimmt  F.  Seiler  Die  Heimat  der  Indogermanen,  Ham- 
burg 1894,  ein,  der  einerseits  von  den  Folgerungen  Hirts  aus  den 
europäischen  Baumnamen,  andererseits  aber  auch  durch  meine 
Ausführungen  über  die  südosteuropäische  Steppenheimat  der 
Indogermanen  überzeugt,  ihren  Ausgangspunkt  in  das  Übergangs- 
gebiet zwischen  Steppe  und  Waldland  des  östlichen  Europa  ver- 
legt. Auf  eine  interessante  tiergeographische  Einzelheit 
macht  femer  der  schon  oben  genannte  Fr.  Th.  Koppen  in 
einem  Aufsatz  Ein  neuer  tiergeographischer  Beitrag  zur  Frage 
über  die  Urheimat  der  Indoeuropäer  und  ügrofinnen  (Ausland 
1890,  Nr.  51)  aufmerksam.  Er  geht  von  der  Tatsache  aus,  dass 
der  Honig  (indog.  *medhu  =  finn.  mesi,  Stamm  mete)  ein  gemein- 
samer prähistorischer  Besitz  der  Indogermanen  und  ügrofinnen 
gewesen  ist.  Da  nun  die  Honigbiene  in  Sibirien,  Turkestan  und 
der  Mongolei  ursprünglich  gefehlt  habe  und  in  Asien  überhaupt 
nur  in  einer  schmalen  Zone,  die  über  Kleinasien,  Syrien,  Persien, 
Afghanistan,  das  Himalayagebirge,  Tibet  und  China  verlaufe, 
spontan  sei,  so  sei  zu  schliessen,  dass  die  Heimat  der  ügro- 
finnen nicht  in  Sibirien,  die  der  Indoeuropäer  nicht  in  Turkestan 
gesucht  werden  dürfe,  und  da  femer  niemand  die  ürsitze  eines 
der  beiden  ürvölker  in  der  bezeichneten  asiatischen  Zone  ver- 
muten werde,  so  müsste  die  Heimat  beider  überhaupt  nicht  in 
Asien,  sondern  in  Europa  (am  Mittellauf  der  Wolga)  fixiert 
werden. 

Auch  in  rein  grammatischen  Tatsachen  hat  man  Argu- 
mente für  die  geographische  Fixierung  der  Indogermanen  oder 
von  Teilen  derselben  zu  finden  versucht.  Ich  nenne  hier  eine 
Reihe  von  Aufsätzen  des  Oxforder  Linguisten  M.  Rhys^)  in  der 
Scottish  Review  1890  und  einen  Vortrag  von  J.  W.  Bru inier. 
Die  Heimat  der  Indogermanen  und  die  Möglichkeit  ihrer  Fest- 
stellung (Jahresbericht  des  Vereins  für  Erdkunde  in  Metz  1896). 
Der  erstere  geht  von  der  den  Sprachforschern  wohlbekannten 
Erscheinung  aus,  der  zufolge  im  Keltischen,  Italischen  und 
Griechischen  gewisse  Gutturallaute  in  den  einen  Dialekten  un- 
verändert  bleiben,   in  anderen  zu  Labiallauten   werden   (ir.  ech 


1)  Vgl.  Reinaeh  a.  a.  0.  S.  108  ff.,   aus  dessen  Angaben  aliein  ich 
die  Arbeit  von  Rhys  kenne. 


—    128    — 

^Pferd^:  gall.  epo,  lat.  quattuor:  ambr.  petur,  ion.  xöregog:  att. 
jioregog).  Diese  Verschiedenheit  der  Behandlang  eines  und  dem- 
selben Lautes  müsse  auf  verschiedenen  Völkerschichten  beruhen, 
die  sich  nach  einander  über  die  betreffenden  Länder  ausgebreitet 
hätten.  Dabei  könnten  jene  Labiallaute  nur  durch  Verderbnng 
des  echt  indogermanischen  Zustands  durch  die  Sprache  nicht- 
indogermanischer ürvölker  entstanden  sein  (warum?).  Der  Aus- 
gangspunkt jener  P-Laute  sei  (warum?)  in  den  Alpen  zu  suchen» 
Auch  bei  Bruinier  spielen  die  uns  unbekannten  Sprachen  der 
nichtindogermanischen  Drvölker  eine  wichtige  Rolle.  Da  sei 
nach  ihm  die  Urheimat  zu  suchen,  wo  die  geringsten  Einflösse 
solcher  vorindogermanischen  Sprachen  sich  zeigten.  Das  aber 
sei  (warum?)  bei  den  Germanen  der  Fall. 

Bedeutsamer  als  diese,  ebenso  wie  die  vorindogermanischen 
Ursprachen,  mit  denen  sie  operieren,  einigermassen  in  der  Luft 
schwebenden  Ausführungen  haben  sich  zwei  andere  Arbeiten  für 
die  Erörterung  der  Heimatsfrage  gezeigt.  Es  ist  dies  erstens 
P.  Kretschmer  in  seiner  Einleitung  in  die  griechische  Sprache 
(1896)  und  zweitens  F.  Ratze  1  in  zwei  Aufsätzen  über  den  Ur- 
sprung und  die  Wanderungen  der  Völker  (Berichte  der  Kgl. 
sächsischen  Ges.  d.  W.  phil.-hist  Kl.  1898  und  1900).  Beide 
Gelehrte  stimmen  darin  überein,  dass  sie,  worin  ihnen  übrigen» 
vom  anthropologischen  Standpunkt  aus  schon  Hu xley  (Nineteenth 
Century  1890,  t.  XXVIII)  vorausgegangen  war,  die  Annahme 
eines  sehr  grossen  Schauplatzes  für  die  vorhistorische  Entwicklung 
der  Indogermanen  fordern.  Und  zwar  bezeichnet  Kretschmer  al» 
solchen  „einen  schmalen  und  langgestreckten  Länderstreifen, 
welcher  von  Frankreich  durch  ganz  Mitteleuropa  und  die  Kirgisen- 
steppen Asiens  bis  nach  Iran  reicht",  während  Ratzel  als  vor- 
historisches Verbreitungsgebiet  der  Indogermanen  den  ungeheureu 
Raum  bezeichnet,  der  „vom  35.  Grad  n.  Br.  an  südos^  nord- 
westlich bis  gegen  den  Polarkreis  zieht,  von  der  Abdachung 
zum  Persischen  Meerbusen  bis  zur  Ostsee".  Da  aber  beide  Ge- 
lehrte, vor  allem  F.  Ratzel,  innerhalb  des  von  ihnen  bezeichneten 
Gebietes  die  Steppengegenden  als  von  hervorragender  Bedeutung 
für  die  Entwicklung  der  Indogermanen  ansehen,  so  glaube  ich, 
dass  ihr  Standpunkt  wohl  mit  dem  meinigen  zu  vermitteln  ist, 
worüber  später  noch  näheres  zu  sagen  sein  wird. 

Für  dieses  von  mir  als  Ausstrahlungsgebiet  der  Indogermanen 


-    129    - 

angenommene  Steppengebiet  sind  in  neuerer  Zeit  anch  eingetreten : 
Staart  Glennie  (Aryan  origins,  The  Contemporary  Review 
1892,  p.  833),  E.  Meyer  (Geschichte  des  Ältertoms  II,  1893, 
p.  40  ff .);  0.  Bremer  (Ethnographie  der  germanischen  Stämme 
in  Pauls  Grundriss  der  germ.  Phil.  1900  III «,  735  ff.),  mit  ge- 
wisser Reserve  auch  van  den  Gheyn  {Revue  des  Questions 
sdentifiques,  Louvain  1890,  April),  während  R.  Meringer,  Indo- 
germanische Sprachwissenschaft  (1897),  und  B.  Symons,  Het 
Standand  der  Indogermanen  {Handelingen  en  Mededeelingen 
van  de  Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde  te  Leiden 
1898 — 1899)  mehr  auf  Krctschmers  Standpunkt  stehen. 

Den  Abschlass  dieser  geschichtlichen  Übersicht  bilde  das 
ausgezeichnete  Werk  von  E.  de  Michelis,  L'origine  degli 
Indo-Europeiy  Torino  1903.  Es  ist  die  umfangreichste  und 
eingehendste  Veröffentlichung,  die  auf  dem  Gebiet  der  indo- 
germanischen Heimatsfrage  bis  jetzt  erschienen  ist,  und  in  der 
mit  grosser  Belesenheit  und  wohltuender  Ruhe  alle  in  dieser 
Frage  hervorgetretenen  Richtungen  sorgfältig  geprüft  werden. 
Was  die  eigene  Meinung  des  Verfassers  betrifft,  so  sieht  auch 
er  sich  in  den  Südosten  unseres  Erdteils  geführt,  doch  fasst  er 
im  Gegensatz  zu  mir  als  ältestes  Verbreitungsgebiet  der  Indo- 
germanen mehr  die  westlichen  Gegenden,  das  Gebiet  des 
alten  Dacien  und  Thracien,  das  Land  von  der  Mitteldonau  bis 
zum  Dnepr,  ins  Auge. 


Nachtrag:  Nach  Abschluss  dieser  Darstellang  erschienen 
Karl  Helm  Die  Heimat  der  Indogermanen  und  Germanen  (Sonder- 
abdruck aus  den  Hessischen  Blättern  für  Volkskunde  Bd.  IIT, 
Heft  1,  1905)  und  Johannes  Hoops  Waldbäume  und  Kultur- 
pflanzen im  germanischen  Altertum,  Strassburg  1905  (IV.  Kap.: 
Die  Baumnamen  und  die  Heimat  der  Indogermanen,  Vlll.  Kap.: 
Die  Kulturpflanzen  der  ungetrennten  Indogermanen,  IX.  Kap. : 
Rückschlüsse  auf  die  Lage  der  Heimat  der  Indogermanen). 


Sehrader,  SprachvergleichuDR  und  Urgescliichte.    3.  Aufl.  9 


II. 


ZUR  METHODIK  UND  KRITIK 


DER 


LINGUISTISCH-HISTORISCHEN 

FORSCHUNG. 


I\* 


I.  Kapitel. 

Die  indogermanisohe  Spraoheinheit. 

Die   Ursprache.     Ihre   bedingte   Erschliessbarkeit.     Ihr   Zerfall.     Zur 

Chronologie  der  Sprachveränderungen.     Räumliche  Ausdehnung  der 

Ursprache.    Sprach  Veränderung  und  Geschichte.    Ursprache  und 

Einzelsprachen. 

Wenn  wir  Wort-  und  Formenreihen,  wie  sert.  mätä'j  griech. 
ßjtarrjQf  lat.  mater,  altir.  mathir,  ahd.  muoter,  altsl.  niati  ^Mutter^ 
oder  scrt.  trdyaSy  griech.  xQeXgy  lat.  tr^Sj  ahd.  drty  altsl.  Mje 
^drei"  oder  scrt.  hhärati,  aw.  baraitiy  ir.  berid,  ahd.  birü^ 
altruss.  bereti  ^er  trägt^  überschauen^  so  können  wir  uns  das 
Verhältnis  dieser  Wörter  und  Formen  zueinander  nicht  anders 
-erklären  als  dadurch,  dass  wir  annehmen,  sie  seien  aus  jetzt 
nicht  mehr  vorhandenen  Urwörtem  und  Urformen,  die  wir  mit 
Hilfe  der  Sprachvergleichung  als  *mdt^{r)j  *tr4jes  und  *bh^reti 
rekonstruieren  können,  hervorgegangen.  Die  Summe  derartiger 
ürwörter  und  -formen  stellt  das  dar,  was  man  als  indoger- 
manische Ursprache  bezeichnet.  Während  nun  A.  Schleicher 
und  seine  Zeitgenossen  glaubten,  dass  es  einfach  der  Zusammen- 
setzung derartiger  ürwörter,  wie  sie  oben  gegeben  worden  sind, 
bedürfe,  um  ein  zusammenhängendes  Stück  der  indogermanischen 
Ursprache  zu  gewinnen,  so  dass  der  genannte  Gelehrte  es  sogar 
wagte,  eine  Fabel  in  der  indogermanischen  Ursprache  nieder- 
zuschreiben („das  Schaf  und  die  Pferde",  Beiträge  V,  207),  ist 
man  in  neuerer  Zeit  immer  skeptischer  gegen  die  Möglichkeit 
^worden,  die  Ursprache  als  ein  Ganzes  wieder  herzustellen. 
Man  hat  nämlich  erkannt,  dass  die  einzelnen  Grundformen,  auf 
-die  die  Sprachvergleichung  zurückgeht,  nicht  immer  einheitliche, 
vsondem  nach  Raum  und  Zeit  verschiedene  3pracherscheinungen 


—    134    — 

darstellen  oder  wenigstens  darstellen  können^  so  dass  ein  ans- 
ihnen  zusammengesetztes  Stück  menschlicher  Rede  etwa  einem 
Texte  gliche,  der  aus  alt-,  mittel-  und  neuhochdeutschen  Wörtern 
und  aus  alemannischen,  bayrischen,  fränkischen  etc.  Formen- 
bestünde  (vgl.  Brugmann  Grundriss  P,  24).  So  ist  es  z.  B. 
schwer  zu  sagen,  wie  das  Zahlwort  „eins"  in  der  Ursprache 
lautete,  da  dasselbe  in  den  Einzelsprachen  auf  ganz  verschiedene, 
nur  gruppenweis  übereinstimmende  Grundformen:  *otno-  (lat. 
tinus  =  got.  aina),  *oivO'  (altpers.  aiva  =  griech.  olog),  *8eni' 
(griech.  elg  =  lat.  semel)  zurückführt.  Für  den  Nom.  Sing,  des 
Mutternamens  müssen  zwei,  wohl  zeitlich  voneinander  verschiedene 
Urfonnen,  *mäter\  griech.  jiidT}]g,  lat.  mdter  und  *mäte':  scrt. 
mdfä'f  altsl.  mati  angesetzt  werden,  da  die  beiden  letzteren  Formen 
sich  nicht  durch  speziell  indische  oder  slavische  Lautgesetee  aus 
*f)iäter  ableiten  lassen.  Hinsichtlich  der  2.  Pers.  Sing,  des 
Verbum  substantivum  kann  man  zwischen  dem  Ausatz  von  *e88i 
(altlat.  688,  griech.  iooi)  und  *e8i  (scrt.  a«i,  griech.  €?,  lat.  68) 
schwanken  usw.  Gleichwohl  bezweifeln  die  Sprachforscher  auch 
heute  nicht,  dass  hinter  den  dialektischen  und  zeitlichen  Ver- 
schiedenheiten der  indogermanischen  Grundsprache,  bis  zu  denen 
wir  mit  den  Mitteln  der  Sprachwissenschaft  mehrfach  nur  vor 
zudringen  vermögen,  als  notwendiges  Postulat  für  die  Erkläraug 
der  indogermanischen  Spracheinheit,  eine  völlig  einheitliche 
und  dialektlose  Grundsprache  anzunehmen  sei.  Selbst 
P.  Kretschmer,  der  in  neuerer  Zeit  in  seiner  Einleitung  in  die 
Geschichte  der  griechischen  Sprache  sich  am  schärfsten  gegen 
die  Rekonstruktionsversuche  der  indog.  Ursprache  ansgesprochen 
hat,  nimmt  p.  92  doch,  wenn  auch  ^in  für  uns  nebelhafter  Feme^ 
ein  Urvölkchen  an,  das,  wie  nach  materieller  Kultur,  Religion 
und  Sitten,  so  auch  nach  seiner  Sprache  „absolut  einheitlich^ 
war,  und  auch  Brugmann  a.  a.  0.  p.  22  erklärt,  „dass  in  der 
früheren  engeren  Urheimat  die  Indogermanen  eine  Sprache  ge- 
redet haben  mögen,  die  noch  etwa  in  dem  Sinne  einheitlich 
war,  in  dem  wir  heute  eine  deutsche  Mundart,  wie  die  bairische, 
als  eine  Einheit  bezeichnen^'.  Diese  Auffassung  wird  man  als 
die  zur  Zeit  herrschende  bezeichnen  können.  Indessen  scheint 
es  zweifelhaft,  ob  der  in  dieser  Frage  ins  Rollen  gekommene 
Stein  schon  endgiltig  zur  Ruhe  gelangt  ist.  Zwar  dass  wir  die 
mit   unseren   Mitteln    erschliessbare   Ursprache    als    eine   bereits- 


I -dialektisch  gespnltene  aiiffaeseu,  hat  in  abstrat-to,  wenn  wir  nns 
1  irergrcgeiiwärligeii,    dase  jede  sprachliche  Gemeinschaft,  ob  klein 
Iwler  gros»,    mehr  oder  weniger  in  sieh  differenziert  ist,    iiiehts 
l'bedenkliuhes.     Wenn  wir  iilfto  z.  B.  annehmen,  daes  die  palatalen 
t-Lante   in   einem  Teil  der  Ursprache  als  reine  VerBcblnsBlaute 
t(lnt.  centum),   in    einem    anderen  Teil    mit  einem  sibilantischen 
Kachscbla]^,  der  eich  später  zn  einem  eigentliebeu  Zischlaat  yer- 
kdichtete  (lit.  itzifTitati)  gesprochen  wurde,  so  steht  niehts  im  Wege, 
pdaBS  wir  derartige  Verschiedenheiten  als  „dialektische  unterschiede" 
der  iodog.  Ursprache  bezeichnen.     Fraglich  aber  ist  es,  ob  dieser 
An<idruck,  der  rioch  immer  auf  die  Möglichkeit  oder  Wahrschein- 
lichkeit einer,    wenn  anch  nicht  mehr  nachweisbaren  nreprllng- 
Jüchen  Einheit  hinweist,    noch  ausreicht,   wenn  wir  k.  B.  die  mit 
anlantenden    Kasntisuffixe    des    Germanischen    und    Slavisch- 
Litauischen   gegenüber   den    ftA-Suffixen    der    Itbrigeu    Sprachen 
■ulfam,     lit.     wUkdnig,     aitsl.    vlülconitl    gegenllber    sert. 
fcr/ArÄA(/M«,    griech.   ihöipi,    lat.  hosHbus  nsw.)  ins  Auge  fassen, 
»der  wenn  wir  die  Bildnng  des  Gen.  Sing,  der  ö-Stämme  in  den 
Inen    Sprachen    auf    -slo    (scrt.    vflcauyn,    griech.    Xvxoio    aus 
^i.vxoato)  der  desselben  Kasus  auf  i  {lat.  viri,  ir.  fir  aus  *feri) 
'  In  anderen  Sprachen  gegen II bersteilen.     Sulltc  es  sich  hier  nicht 
em|tfehlen,  statt  mit  Kretsclimer  S.  16  nnd  anderen  von  „uralten 
Dialektdifferenzcn"   zu   reden,    vielmehr  von   „uralten   morpholo- 
icben  Unterschieden"  der  einzelnen  iodogeniianischcn  Sprachen 
»iigehen?  Wenn  wir  aber  einmal  so  tief  liegende  Unterschiede 
kr  indog.  Sprachen,   wie  immer  wir  sie  bezeichnen  mögen,   zu- 
[Cbeu  mUssen,  so,  scheint  es,    verlieren  wir  auch  das  Recht,    in 
nhlrcicheu  anderen  Verhältnissen  nach  einheitliclien  Grtmdformen 
fand  zwar  oft  mit  sehr  gewaltsamen  Mitteln  zu  suchen.     Betrachten 
'      wir  z.  B.  die  Bildungen  des  Futurums  in  den  indog.  Sprachen, 
Kl  herrscht  eine  nnleugbare  Übereinstimmung  zwischen  Sanskrit 

Innd  Litauisch  iscrl.  dä-syd-H,  lit.  dti'-aiu)  und  zwischen  Itabsch 
Rnd  Keltisch  (lat.  vid^-bo,  altir.  m  charuh).  Die  germanischen 
and  slftvischen  Sprachen  stimmen  darin  llberein,  dass  sie,  ab- 
Ijcsehen  von  pcripb rastischen  Bildungen,  gar  kein  besonderes 
Fntamm  haben,  sondern  den  Futurbegriff  durch  das  Präsens 
intt  hezeichneu.  Die  gewöhnliche  Auffassung  ist  nun  die,  dass 
,  Mcb  das  Germanische  und  .Slavische  das  ^liu-Futurum  einmal 
beseweo  nnd  später  verloren  hätten  (vgl.  K.  Brugmann,  Grund- 


—    136    — 

risB  II,  1270,  1101).  Ich  sehe  aber  nicht  ein,  wie  man  mich 
widerlegen  will,  wenn  ich  behaupte:  die  indog.  Sprachen  haben, 
ganz  ebenso  wie  die  finnischen,  ein  besonderes  Futaram  über- 
haupt nicht  besessen,  diesen  Zustand  haben  die  Germanen  und 
Slaven  ^)  bewahrt,  und  die  indisch-litauische  und  italisch-keltische 
Futurbildung  stellen  uralte  Sprachschöpfungen  der  betreffenden 
Gruppen  dar,  an  denen  die  übrigen  indog.  Sprachen  niemals  teil 
hatten.  Denkt  man  diesen  Gedanken  bis  zu  Ende,  so  wäre  es 
möglich,  dass  nicht  wenige  der  jetzt  nur  mit  einiger  Willkür  auf 
eine  Einheit  zurückgeführten  Verschiedenheiten  der  indog.  Sprachen 
uns  den  Blick  in  eine  Zeit  eröffneten,  in  denen  eine  Anzahl  von 
Stämmen,  die  wir  als  Indogermanen  zu  bezeichnen  noch  kein 
Recht  hätten,  und  die  sprachlich  von  Anfang  an  nicht  ganz  ein- 
heitlich gewesen  zu  sein  brauchten,  unter  äusseren  Verbältnissen, 
die  uns  natürlich  auf  ewig  verschleiert  sein  werden,  sich  durch 
die  allmähliche  Ausbildung  der  Eigenart  des  indog.  Sprachbaues 
von  anderen,  ehemals  ihnen  nahestehenden  (ural-altaischen?) 
Stämmen  abgrenzten,  ohne  indessen  hierbei  überall  die  gleichen 
Wege  einzuschlagen,  mit  einem  Worte,  dass  wir  in  die  Genesis 
des  indog.  Sprachbaus  hineinschauten.  Indessen  dürfen  wir, 
worauf  auch  P.  Kretschmer  p.  28  Anm.  1  aufmerksam  macht, 
ein  tieferes  Verständnis  dieser  Verhältnisse  erst  erhoffen,  wenn 
es  möglich  sein  wird,  die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  indog. 
Sprachen  mit  denjenigen  anderer  Sprachstämme,  wie  der  Semiten, 
der  Semiten  und  Hamiten,  der  Finno-Ügrier,  der  Turko-tataren 
usw.  zu  vergleichen;  denn  es  ist  doch  a priori  anzunehmen,  dass 
die  Beziehungen  der  indog.  Sprachen  untereinander  wohl  dem 
Grade,  nicht  aber  der  Art  nach  von  denjenigen  anderer  Sprach- 
familien verschieden  sein  werden.  Leider  ist  aber  zu  sagen,  dass 
die  indogeimanische  Sprachwissenschaft  zur  Zeit  für  derartige 
Erörterungen  weder  vorbereitet  noch  ihnen  besonders  geneigt  ist. 
Wenn  so  der  Anfang  der  indog.  Ursprache  noch  von  zahl- 
reichen   Rätseln    umgeben    ist,    so    knüpfen    sich    nicht   minder 


1)  Die  vereinzelte  altsl.  Form  hysqiteje  ^x6  fUllov'^^  die  man  als 
Überrest  eines  .vio-Futurums  {*hy§q)  im  Slavischen  auifasst,  würde 
dann  vielmehr  als  unfruchtbar  gebliebener  Ansatz  zur  Bildung  eines 
solchen  Tempus  zu  gelten  haben.  Auf  der  andern  Seite  sind  futurisch 
gebrauchte  Präsentien  bekanntlich  auch  ausserhalb  des  Germanischen 
und  Slavischen  nachweisbar:  z.  B.  griech.  rifu^  sdoftai,  nlofMUy  xim  u.  a. 


137 


flcUwierige  Fragen  an  ihr  Ende.  Die  erste  Cberlieferun^  der 
«inzeinen  ioilog.  Spracben  fällt  bekanntlich  iu  sehr  verschiedene 
Zeitrünme.  Das  AltindtBofae  kennen  wir  am  frllfagteu  ane  dem 
Rigveda  (om  2000  r.  Chr.),  das  Griechische  ans  Homer  tum  lOüO 
V.  Chr.}>  das  Germaniscbe  aus  der  gotischen  Bi  belli  hersetzung  des 
Clfilae  (um  400  n.  Chr.),  das  slariscbe  ans  der  altbulgarischen 
Cliersetzung  der  Bibel  (um  900  n.  Chr.)  usw.  In  den  angegebenen 
Jahrhanderten  waren  also  die  einzelnen  indog.  .Sprachen  bereits 
ausgebildete  und  dentlicb  voneinander  vei'schiedene  Individuali- 
täten, oder  mit  anderen  Worten :  diejenigen  Sprachveränderungen, 
welche  diese  Individualisierung  bewirkt  haben,  falleu  vor  die 
Angegebenen  Zeitgrenzen.  Wann  aber  sind  sie  auf  den  einzelnen 
Spmchgebieten  eingetreten?  Haben  wir  ein  Reirht  zu  glauben, 
dass  in  der  Zeit  der  ältesten  vediscben  Hymnen  das  Griechische 
bereit«  eine  Sondersprache  bildete?  Oder  dürfen  wir  in  der 
Epoche,  da  Homer  dichtete,  bereits  von  Keltisch.  Germanisch, 
-Slavisch,  Litanisch  oder  nur  von  Teilen  der  Ursprache  reden, 
aus  denen  später  Keltisch,  Germaniscb,  Slavisch.  Litauisch  her- 
vorgingen ? 

Im  ersten  Augenblick  konnte  es  unmöglich  scheinen,  eine 
Aolwort  auf  derartige  Fragen  zu  geben;  denn  wie  soll  es  sich 
bewerkstelligen  lassen,  Sprachveränderungen  in  Zeiten,  in  denen 
CS  keine  Sprachdenkmäler  gibt,  chronologisch  zu  fixieren?  Gltick- 
licber^vcise  liegen  die  Dinge  nicht  gianz  so  hoffnungslos,  und 
wenigstens  was  die  noideuropäischen  Sprachen  betrifft,  ist  es 
niOglich,  das  tiefe  Dunkel,  das  in  chronologischer  Beziebung  auf 
ihrer  vorliterärischeu  Sprachgeschichte  lastet,  an  einigen  Stellen 
zn  erbellen.  Und  zwar  bielen  sich  uns  hierzu  vier  verschiedene 
Wege  dar.  So  beweisen  z.  B.  eine  Reihe  inschriftlicher 
Sprach üheiTeste  des  Allkeltischen  in  Italien.  Gallien,  Irland  etc. 
■  Stokes  B.  B.  XI,  112  ff.)  aus  den  letzten  vor-  und  ersten  nach- 
christlichen Jahrhunderten,  dass  damals  eine  Reibe  tief  ein- 
sciiDeidendcr  Aaslautgesetze,  die  später  die  keltischen  Sprachen 
in  boboni  Masse  verstümmelt  haben  (vgl.  ir.  coic  =  vorbist.  ir. 
•5«»^«« :  lat.  guinque,  ir.  fer  „Mann"  =  vorbist,  ir,  *Firo-s.  vgl. 
griecb.  ivxo-s,  ir.  asbiur  „sage"  =  vorbist.  ir.  *ÄerM  :  lat.  f'ero, 
griecb.  fpigu}),  ihre  Wirkung  damals  noch  nicht  ausgeübt  hatten, 
todeni  wir  in  jenen  Inschriften  auf  Formen  stossen,  die  nach 
ihrem  Auslaut  mit  den  eutsprecheuden  griechischen  und  lateinischen 


—     138    — 

noch  auf  gleicher  Stufe  stehen.  Ähnliches  gilt  von  den 
germanischen  Runeninschriften  (z.  B.  horna  :got  Jiaüm,  gasÜEi 
got.  gasts).  Andere  nordeuropäische  Sprachüberreste,  die  uns  in 
sehr  frühe  Sprachepochen  zurückführen,  sind  uns,  namentlich  in 
Orts-,  Völker-  und  Personennamen,  von  griechischen  und 
römischen  Schriftstellern  überliefert.  So  sind  auf  dem  Gebiet 
des  Vokalismns  in  den  keltischen  Sprachen  die  beiden  indog. 
Diphthonge  eu  und  ou  in  einen  Laut  zusammengeschmolzen, 
während  die  aitgallischen  Eigennamen  (vgl.  z.  B.  Teutomaius 
gegenüber  Roudus)  den  alten  Unterschied  noch  treu  bewahrt 
haben.  Ähnlich  ist  im  Keltischen  die  Lautverbindung  ev  über 
ov  zu  ü  geworden:  indog.  *necio8j  dann  *nomo8f  ir.  nüe  „neu". 
Wohl  zeigt  sich  der  Ansatz  hierzu  schon  in  dem  altgall.  Novio- 
dünum  „Neustadt'',  doch  finden  sich  daneben  auch  noch  ver- 
schiedene Zusammensetzungen  mit  *neviO'  (vgl.  Brugmann,  Grund- 
riss  I-,  125),  so  dass  dieses  altgallische  wet'fo-«  „neu"  direkt  die 
indog.  Urform  darstellt  und  altertümlicher  als  das  vedische 
ndviia-H  oder  das  altgriechische  viog  oder  das  lat.  novus  ist.  Im 
Litu-Slavischen  ist  jenes  indog.  eu  zu  au,  bezüglich  zu  u  geworden 
(vgl.  lit.  tauta  aus  *teuta  „Volk,  Land"  und  altsl.  pluti,  plovq : 
griech.  enkevoa),  der  älteste  Völkername  aber,  unter  dem  die 
Slaven  oder  Litu-Slaven  in  der  Geschichte  auftreten,  das  schon 
von  Herodot  bezeugte  Nevooi  hat,  wie  man  sieht,  den  alten 
Diphthong  eu  noch  unversehrt  bewahrt.  In  ihrem  Konsonantis- 
m  n  s  sind  die  keltischen  Sprachen  in  historischer  Zeit  durch  den 
Verlust  mehrerer  Laute,  wie  des  indog.  p  und  des  indog.  s 
zwischen  Vokalen  (vgl.  ir.  dthir  „Vater"  =  lat.  pater,  ir.  stur 
„Schwester"  =  scrt.  svdsar)  charakterisiert.  Was  den  ersteren 
Lautwandel  anbetrifft,  so  zeigt  sich  der  Schwund  des  p  auch  in 
den  altgallischen  Eigennamen  (z.  B.  ritum  „Furt"  in  Augusto- 
ritum  =  lat.  porfus),  so  dass  er  zunächst  nicht  chronologiBch 
fixierbar  erscheint.  Fasst  man  aber  mit  Recht  den  alten  Namen 
unseres  Erzgebirges,  Fergumm,  als  eine  germanische  Umgestaltung 
des  keltischen  Hercynia  d.  i.  *Percunia  auf,  so  muss  zu  der 
verhältnismässig  späten  Zeit  des  Eintritts  der  germaniscben 
Lautverschiebung  —  worüber  unten  mehr  —  der  Laut  p,  wenigstens 
in  gewissen  Teilen  des  ursprünglich  keltischen  Sprachgebiets,  noch 
unversehrt  gewesen  sein.  Das  inteiTokale  s  aber  zeigen  die 
altgallischen  Sprachüberreste  (z.  B.  in  gaesumj  ir.  gae  „Spiess**) 


-     139    - 

überhaupt  noch  unverändert.  Eine  weitere  wichtige  Handhabe 
ffir  die  chronologischen  Zwecke,  die  uns  hier  beschäftigen,  bieten 
die  Lehnwörter,  die  von  irgendwoher  ins  Keltische,  Germanische 
oder  Litu-SIavische  eingedrungen  sind,  und  dadurch,  dass  sie  an 
einer  Lautveräoderung  dieser  Sprachen  teil  genommen  oder  nicht 
teil  genommen  haben,  beweisen,  ob  sie  vor  oder  nach  dieser 
Lautveränderung  aufgenommen  worden  sind.  Wenn  es  nun 
möglich  ist,  aus  anderen  Gründen  zu  bestimmen,  wann  die  be- 
treffende Entlehnung  ungefähr  erfolgt  ist,  so  ist  damit  zugleich 
ein  Anhalt  für  die  Chronologie  des  fraglichen  Lautwandels  ge- 
geben. So  haben  z.  B.  einige  germanische  Wörter,  die  frühzeitig 
ins  Slavische  übergegangen  sind,  den  Wandel  dieser  Sprachen 
von  au  (ou)  in  u  (altsl.  suchü  „trocken"  =  griech.  avog  aus 
*8aus0'8)  und  von  a  in  o  (altsl.  nosu  „Nase"  =  ahd.  nasa)  noch 
mitgemacht:  vgl.  altsl.  bugü  „Armband"  aus  ahd.  botig,  altsl. 
kupiti  ^kaufen^  aus  got.  Jcaupdn  und  altruss.  opica  aus  altn. 
api  „Affe",  altsl.  Tcotilü  aus  got.  Jcatils.  Da  nun  auch  die 
ältesten  germanischen  Entlehnungen  ins  Slavische  nach  allem, 
was  wir  wissen,  nicht  älter  als  die  ersten  nachchristlichen  Jahr- 
hunderte sind,  so  scheint  auch  der  in  Frage  stehende  Lautwandel 
nicht  früher  stattgefunden  zuhaben.  Auch  Entlehnungen  aus 
den  genannten  Sprachen  können  sich  in  diesem  Zusammenhang 
als  sehr  wichtig  erweisen.  So  sind  zahlreiche  germanische, 
slavische,  litauische  Wörter  in  die  finnischen  Sprachen  übergegangen 
and  haben  sich  unter  dem  Schutz  eigenartiger  finnischer  Laut- 
verhältnisse hier  oft  mit  grosser  Treue  erhalten.  So  heisst  z.  B. 
die  Seife  im  Finnischen  saippio  aus  ahd.  seiffa  und  beweist, 
dass  zu  der  Zeit,  als  diese  Entlehnung  stattfand  —  nach  W.  Thomsen 
wäre  dies  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  ge- 
wesen — ,  die  Germanen  noch  die  sehr  altertümliche  Form 
^8aipiö{n)  gebrauchten. 

Mit  allen  diesen  Mitteln  können  wir  nun  zwar  keineswegs 
in  allem  einzelnen  beweisen,  aber  doch  im  allgemeinen  es  in 
hohem  Grade  wahrscheinlich  machen,  dass  die  nordeuropäischen 
Sprachen  ausserordentlich  lange  auf  der  Stufe  der  Ursprache 
stehen  geblieben  sind. 

Ich  will  versuchen,  dies  noch  an  einem  weiteren  Beispiel 
zn  verdeutlichen.  Die  germanischen  Sprachen  haben  bekanntlich 
einen    ihrer    charakteristischsten    Züge    durch    die    erste    Laut- 


—    140    — 

Terschiebung  erhalten,  und  die  Germanisten  streiten  darüber,  ob 
•dieselbe  im  III.  oder  IV.  vorchriBtlichen  Jahrhundert  dnrchgefflhrt 
worden  sei.  Weiter  verlegt  sie,  soviel  ich  sehen  kann,  niemand 
zurück.  Tatsächlich  finden  wir  aach  in  den  germanischen  Sprachen 
bereits  Lehnwörter,  die  vor  der  Lautverschiebung  aufgenommen 
worden  sein  müssen,  weil  sie  dieselbe  mitgemacht  haben,  und 
^ie  aus  kulturhistorischen  oder  anderen  Gründen  schwerlich  über 
das  Zeitalter  Herodots  hinausgehen.  Ein  solches  ist  z.  B.  agls. 
hcenep  „Hanf*  aus  thrak.  xnvvaßt<;\  denn  da  noch  Herodot  bei 
<ier  Beschreibung  dieser  Kulturpflanze  die  ünbekanntschaft  seiner 
Leser  mit  derselben  voraussetzt,  so  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass 
sie  schon  vor  ihm  der  germanische  Norden  gekannt  habe,  was 
auch  direkt  dadurch  bewiesen  wird,  dass  sie  in  älteren  prä- 
historischen Funden  nicht  nachgewiesen  werden  kann  (vgl. 
G.  Bnschan  Vorgesch.  Botanik  p.  115).  Femer  wissen  wir,  dass 
in  den  germanischen  Sprachen  noch  zur  Zeit  der  ersten  Lant- 
verschiebnng  der  indogermanische  freie,  im  Sanskrit  und  in 
einigen  slavischen  Sprachen  noch  in  historischer  Zeit  herrschende 
Akzent  lebendig  gewesen  sein  niuss,  so  dass  es  also  damals  z.  B. 
noch  *hrä'par  —  gi'iech.  (poTJrrjg,  scrt.  bhrd'tä  gegenüber  *faddr 
=  griech.  TiarTjg,  scrt.  pitä'  und  *t4han  =  griech.  dixa,  lat. 
decem,  scrt.  dägan  gegenüber  *8ebdn  =  griech.  ferrd,  scrt.  saptd 
hiess.  Übertragen  wir  diese  Erkenntnisse  auf  zwei  der  im  Ein- 
gang dieses  Kapitels  angeführten  indog.  Urformen,  den  Nom. 
Sing,  des  Wortes  für  Mutter:  *mäter  =  altn.  möder^  ahd.  mtioier 
«md  den  indog.  Ausdruck  für  „er,  sie  trägt" :  *bh&reti  =  got. 
hairipj  ahd.  hlrit,  so  ergibt  sich,  dass  dieselben  damals,  d.  h.  im 
Zeitalter  Herodots,  sowohl  was  ihren  Konsonantismus  wie  auch 
ihren  Akzent  betrifft,  noch  völlig  unverändert  waren.  Dasselbe 
gilt  aber  auch  von  ihrem  Vokal ismus.  Das  ä  von  *mät^r  hat 
sich  bis  in  die  Zeit  Caesars  erhalten,  wie  der  von  diesem  über- 
lieferte Ortsname  Silva  Bdcenis,  eigentl.  „Buchenwald**  (ahd. 
buohJia  =  lat.  fdgus)  zeigt  (vgl.  Brogmann  Grundriss  I*,  151),  das  4 
desselben  Wortes  bewahrte  jedenfalls  seine  Länge  so  lange,  als 
•der  Akzent  darauf  ruhte.  Was  *hMreti  =  ahd.  birit  anbetrifft, 
so  galt  das  ^  und  e  der  ersten  und  zweiten  Silbe  noch  während 
der  Römerzeit,  in  der  es  mit  i  zu  wechseln  beginnt  (vgl.  das 
ältere  Segimerus  bei  Tac.  gegenüber  dem  jüngeren  Sigimerus 
bei  Vell.  Pat.,  das  ältere  Cannenefates  bei  Plin.  gegenüber  dem 


r  bei  Vell.  Pat.,  Brugniai 


,.  0. 


I 

I 

I 


jUiigeren  Caun 

127 1.  Für  den  Abfall  des  atialautendeD  i  von  *hht-reti  kann  ick 
zwar  einen  unanfechtbaren  chronologiscben  Anbalt  nicbt  finden; 
allein  es  wird  —  aus  allgemeinen,  hier  uicbt  zu  erörteniden 
GrflndeD  —  kanni  einen  Spraebforscber  geben,  der  annähme, 
dasB  die  erste  Lautverscbiebnng  in  den  germaniscben  Sprachen 
bereits  die  Form  "bh^ret  vorgefunden  hätte. 

Kb  ist  also,  will  mir  scheinen,  eine  vollkommen  beweisbare 
and  sichere  Talsache,  dass  „die  Matter  träftt"  im  Zeilalter  dea- 
Herodot  an  den  Ufern  der  Elbe  und  Oder  noch  ganz  wie  in  der 
Ursprache  *mäWr  "bhireii  lautete,  während  mau  in  Griechenland 
bereits  ein  halbes  und  in  Indien  ein  ganzes  Jahrtausend  früher 
tnit  z.  T.  auBserordentlich  starken  Abweichungen  /"/ti;o  rf^igst  nnd 
mätä  bhärati  sagte. 

Diese  Beobachtung,  dass  die  nord europäischen  Sprachen 
sehr  lange  auf  der  Stufe  der  Ursprache  stehen  geblieben  seiD 
mRssen,  fuhrt  nun  noch  zu  zwei  weiteren  Bemerkungen  Über  den 
Charakter  der  letzteren. 

Wenn  es  richtig  ist,  dass  noch  auf  dem  historischen  Boden 
der  Einzelvülker  oft  die  subtilsten  Verhältnisse  der  Ursprache 
erkannt  und  Formen  nachgewiesen  werden,  die  mit  den  postu- 
lierten Urformen  durchaus  identisch  sind,  so  folgt  hieraus,  dass 
die  indog.  Ursprache,  sei  es  als  Ganzes,  sei  es  in  einzelneu  Teilen, 
fll»er  ein  geographisch  sehr  ausgedehntes  Gebiet  verbreitet  ge- 
wesen sein  muss,  ohne,  trotz  dialektischer  Verschiedenheiten  im 
einzelnen,  ihre  Homogenität  im  ganzen  zu  verlieren.  Durch  eine 
ftfanlicbe  Stabilität  sind  z.  B.  die  tu rko- tatarischen  Sprachen  aus- 
gezeichnet, die  „trotz  einer  immensen  geographischen  Ausdehnung 
Tou  eisigen  Norden  bis  zum  tiefen  Süden,  vom  Draehensee  bis 
zur  Adria,  ja  trotz  einer  zeitiicben  Entfernung  von  historisch 
nachweisbaren  andertbalbtausend  Jahren"  einander  noch  immer 
BO  nahe  stehen,  „dass  der  Ostfriese  und  der  Schweizer  sich  mit 
dem  Zipser  oder  dem  SiebenbUrger  Sachsen  wohl  schwerer  ver- 
sündigen wird,  als  dies  etwa  zwischen  Jakuten  und  Telenten 
mit  dem  Türken  aus  Anatolien  oder  Rumelien  der  Fall  sein  kann" 
(rgl.  Vimbery  Die  primitive  Kultur  des  turko-tat,  Volkes  p.  14  f.). 
Unter  den  einzetuen  indogermaniscbea  Sprachen  hat  das  Gross- 
rnansehe  im  Laufe  der  Zeit  in  Europa  und  Asien  eine  ungeheure 
rftnmücbe  Verbreitung  erlangt,  ohne  dass  es  dabei  zu  mehr  als  dia- 


—     142    — 

lektischen,  and  dabei  nicht  einmal  sehr  erheblichen,  Unterschieden 
gekommen  wäre.  Auch  Kleinmssisch  und  Weissrnssisch  können  nach 
<lem  Urteil  aasgezeichneter  SlaviBten  wie  x.  B.  dem  Sobolevskij's 
(Vorlesungen  z.  Gesch.  d.  russ.  Spr.  ^  p.  2)  nicht  als  selbständige 
Sprachen  dem  Grossrnssischen  gegenüber  gelten. 

Von  der  ältesten  Stufe  ihrer  Entwicklung  ist  zweitens  die 
indog.  Ursprache  in  den  einen  Teilen  ihres  ausgedehnten  Terri- 
toriums früher,  in  den  anderen  später  herabgesunken.  Während 
wir  oben  sahen,  dass  es  um  das  Jahr  2000,  ja  vielleicht  noch 
um  das  Jahr  1000  y.  Chr.,  die  europäischen  Nordspraeben, 
Keltisch,  Germanisch,  Litn-Slavisch  wahrscheinlich  noch  gar  nicht 
gegeben  hat,  sehen  wir,  dass  das  Altindische  des  Rigveda  oder 
das  Griechische  des  Homer  bereits  alle  diejenigen  sprachlichen 
Veränderungen  aufweisen,  die  das  Indische  zum  Indischen,  das 
Griechische  zum  Griechischen  gemacht  haben.  So  muss  z.  B. 
im  Indischen  damals  schon  längst  der  bunte  Vokalismus  der 
indog.  Grundsprache  in  einem  monotonen  a.  ä  zusammengeflossen 
sein  (griech.  ton  „ist",  oY^  „Schaf",  äyo)  „ich  führe":  scrt.  £^^f, 
äviiy  djämi\  griecli.  hirjyji  „icli  setzte",  lat.  vöx  „Stimme*^, 
fräter  „Bruder"  :  sert.  ddhäm,  väk,  bhrd'td).  Ahnlich  muss  im 
Griechischen  damals  schon  länj^st  der  indog.  Laut  J  zu  C  ge- 
worden (lat.  iugum  „Joch"  =  griech.  i^vyov)  oder  das  zwischen- 
vokalische  h  ausgefallen  sein  (scrt.  jdnasas  .,des  Geschlechts^  = 
griech.  yeveog).  Auch  das  Lateinische  weist  in  seiner  ältesten 
Überlieferung  bereits  die  wichtigsten  Abweichungen  vcm  dem  ur- 
sprünglichen Zustand,  wie  z.  B.  die  Verwandlung  der  ursprach- 
lichen Mediae  aspiratae  erst  in  Tenues  aspiratae,  dann  in  ton- 
lose Spiranten  {*bh^rö,  erst  *pheröy  dann  fero)  auf.  Es  ergibt 
sich  also,  dass  diejenigen  Sprachen,  die  am  frühsten  derartige 
einschneidende  Veränderungen  aufzuweisen  haben,  denjenigen 
Völkern  angehören,  die.  wie  Inder,  Iranier,  Griechen,  Römer  am 
frühsten  in  den  Bann  des  Orients  eingetreten  sind  und  damit  die 
Bahn  geschichtlicher  und  kulturgeschichtlicher  Ent- 
wicklung beschritten  haben.  Es  erhebt  sich  damit  die 
wichtige  Frage,  ob  ein  ursächlicher  Zusammenhang  zwisefaen 
Geschichte  und  sprachlicher  Veränderung  besteht,  oder,  da  ein 
solcher  Zusammenhang,  wie  aus  dem  bisherigen  herrorgeht,  ohne 
Zweifel  anzunehmen  ist,  wie  derselbe  zu  erklären  sei.  In  dieser 
Beziehung   ist   zunächst   auf  W.  Wundt  zu   yerweisen,   der   in 


—    143    — 

seiner  Volkerpsychologie  I,  1,  1^  p.  488  ff.  die  Ansicht  vertritt, 
daas  Knltarentmcklnng  ein  schnellereB  Tempo  der  Rede 
erzeuge,  und  dass  dieser  gesteigerte  Redefluss  für  zahlreiche 
Spracfaverändernngen,  z.  B.  auch  fflr  die  Erscheinangen  der  ger- 
maniBchen  Laatversehiebiing,  verantwortlich  zu  machen  sei.  In- 
dessen ist  es  nach  den  Einwendungen,  die  B.  Delbrück 
Gnindfragen  der  Sprachforschung  mit  Rflcksicht  auf  W.  Wundts 
Sprachpsychologie  p.  102  gegen  diese  Auffassung  erhoben  hat, 
mehr  als  fraglich,  ob  dieser  Faktor  des  rascheren  Redeflusses, 
wenngleich  ihm  eine  gewisse  Bedeutung  nicht  abzusprechen  sein 
dürfte,  doch  einen  derartigen  Einfluss  im  Leben  der  Sprache 
aasgeflbt  hat,  wie  ihn  Wundt  annimmt.  Ferner  hat  man  den 
Znsammenhang  zwischen  Geschichte  und  sprachlicher  Veränderung 
ans  dem  Moment  der  Sprachmischung  erklären  wollen,  der 
die  indog.  Völker  bei  ihrer  vorgeschichtlichen  und  geschichtlichen 
Ausbreitung  in  immer  steigendem  Masse  ausgesetzt  waren.  Wir 
werden  über  diesen  Gegenstand  im  folgenden  Kapitel,  in  dem 
von  der  Vermischung  der  indog.  Völker  und  ihren  Folgen  die 
Rede  sein  wird,  ausführlicher  zu  sprechen  hal)en  und  beschränken 
nos  daher  hier  auf  die  Bemerkung,  dass  auch  die  Sprachmischung 
in  älterer  Zeit  einen  grösseren  Einfluss  auf  die  Differenzierung 
der  indog.  Sprachen  schwerlich  ausgeübt  hat. 

Vielleicht  wäre  es,  um  den  ursächlichen  Zusammenhang 
zwischen  Geschichte  und  sprachlicher  Veränderung  richtig  zu 
verstehen,  gut,  die  Frage  nach  den  letzten  Ursachen  des  Sprach- 
wandels möglichst  bei  Seite  zu  lassen  und  sich  mit  der  Beant- 
wortung der  Frage  zu  begnügen,  inwiefern  konnte  durch  ge- 
schichtliche Verhältnisse  eine  Steigerung  und  Beschleunigung 
der  im  übrigen  jederzeit  möglichen  sprachlichen  Ver- 
änderungen herbeigeführt  werden?  Alle  sprachlichen  Ver- 
änderungen — ■  darüber  herrscht  unter  den  Linguisten  erfreuliche 
Übereinstimmung  —  gehen  ungewollt  von  einzelnen  Individuen 
ans,  von  denen  sie  sich  auf  dem  Wege  unbewusster  Nachahmung 
in  teils  weiteren,  teils  engereu  Kreisen  verbreiten,  je  nachdem 
der  persönliche  Einfluss  jener  einzelnen  Individuen  ein  grösserer 
oder  geringerer  war*).    Fragt  man  nun,   worauf  in  letzter  Linie 

1)  Vgl.  Paul  Prinzipien  der  Sprachgeöchichte *  p.  30:  „Aus  dem 
nnfiinglich  nur  individuellen  bildet  sich  ein  neuer  Usus  heraus",  Del- 
hTÜck  Gnmdfiragen  p.  98:  ^Unter  diesem  andern  Weg  [der  eine  wäre 


—    144    — 

alle  geschichtliche  oder  kultargeschichtliche  Entwicklong  gerichtet 
ist,  so  kann  die  Antwort  nur  lauten:  auf  die  Erschaffung  yon 
Individualitäten,  von  Persönlichkeiten.  Nach  allem,  was  wir 
wissen,  müssen  wir  uns  die  Kultur  der  Urzeit  so  einförmig  wie 
möglich  vorstellen.  Stämme,  Sippen  und  Grossfamilien  bildeten 
die  monotone  Grundlage  der  Gesellschaftsordnung,  die  auch  nach 
Ständen  und  nach  dem  Besitz  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Stände 
und  u.  Reich  und  arm)  noch  kaum  gegliedert  war.  Selbst  die 
Götter,  in  denen  sich  das  Leben  der  Sterblichen  abspiegelt, 
waren  noch  keine  umfassenden  und  markanten  Persönlichkeiten, 
sondern  beschränkten  sich  auf  die  einzelnen  Begriffe,  denen  sie 
entstammten  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Religion).  Je  nachdem 
nun  die  einzelnen  iudog.  Völker  vom  Strom  der  Weltgeschichte 
ergriffen  werden,  schlagen  ihre  Sprachen  ein  sehnelleres  Tempo 
der  Differenzierung  ein,  ans  keinem  andern  Grund,  als  weil 
sich  nunmehr  in  ausgeprägten  Individualitäten  wirksame  Aus- 
breituugszentren  der  sprachlichen  Veränderungen  bilden.  Gegen 
diesen    Differenzierungstrieb    stemmen    sich    auf    den    einzelnen 


nach  D.  der  der  Sprachmischung]  aber  kann  man  sich,  soviel  ich  sehe, 
nur  vorstellen,  dass  eine  Neuerung  bei  einem  Einzelnen  beginnt,  and 
sich  von  ihm  aus  in  immer  weitere  und  weitere  Kreise  fortsetzt  Den 
hauptsächlichsten  Grund,  warum  die  Mehreren  den  Wenigen  nach- 
ahmen, darf  man  wohl  in  dem  persönlichen  Einfluss  der  Wenigen 
suchen",  R.  Meringer  Indogermanische  Sprachwissenschaft  p.  88: 
„Zusammenfassend  können  wir  also  sagen,  die  sprachlichen  Anderungs* 
versuche  in  bezug  auf  die  Laute  gehen  von  den  einzelnen  aus,  über- 
tragen sich  aber  bloss  dann  auf  einen  grösseren  Kreis,  wenn  der  Ein- 
fluss der  ändernden  Person  ein  entsprechender  ist**,  Sie  vers  Phonetik  * 
p.  243:  „Die  Bildung  neuer  Aussprachsformen  geht  daher  von  einzelnen 
Individuen  oder  auch  von  einer  Reihe  von  Individuen  au«,  und  erst 
durch  Nachahmung  werden  solche  individuellen  Neuerungen  allmählich 
auf  grössere  Teile  einer  Sprachgenossenschaft  oder  auch  auf  deren 
Gesamtheit  übertragen".  Widerspruch  erhebt  nurW.  Wundt  Sprach- 
geschichte und  Sprachpsychologie  p.  60,  und  es  kann  ihm  soviel  zu- 
gegeben werden,  dass  die  mitgeteilten  Anschauungen  der  Sprachforscher 
mehr  einnotwendiges  Postulat  sind,  als  auf  im  einzelnen  beweisbaren 
Tatsachen  beruhen.  Tatsache  ist,  dass  die  Lautveränderungen  (vgL 
oben  p.  70  f.  über  die  zweite  Lautverschiebung)  in  bestimmten  Gegenden 
und  in  räumlicher  Beschränkung  hervortreten  und  sich  von  da  über 
die  Nachbarschaft  allmählich  verbreiten.  Da  nun  die  Sprache  an 
Menschen  gebunden  ist,  so  kann  man  sich  für  den  geschilderten 
Vorgang  keine  andere  Erklärung  als  die  oben  angegebene  denken. 


-     145    - 

VölkergebieteD  erst  in  verhältDismässig  später  Zeit  andere  Knltur- 
prodakte  wie  das  Aufkommen  eines  Nationalitätsbewusstseins  und 
die  Einführung  einer  Schriftsprache,  beides  Faktoren,  die  natür- 
lich aber  für  die  Beurteilung  der  älteren  und  ältesten  Sprach- 
und  Völkerverbältnisse  nicht  in  Betracht  kommen  können.  Mit 
Recht  hat  schon  P.  Kretschmer  Einleitung  p.  412  darauf  hin- 
gewiesen, dass  z.  B.  zwischen  altgriechischem  und  altgermanischem 
Sprachgebiet  uns  ein  Unterschied  insofern  entgegentritt,  als  das 
erstere  von  Anfang  an  dialektisch  stark  zerklüftet  erscheint, 
während  wir  auf  letzterem  bis  zu  einheitlicheren  „nrgernianischen^ 
Sprachzuständen  vorzudringen  vermögen.  Auf  den  gleichen  Gegen- 
satz hätte  er  hinsichtlich  der  italischen  Sprachverhältnisse  (Oskisch, 
Umbrisch,  Lateinisch)  einer-  und  der  slavischen  andererseits  sich 
beziehen  können.  Allein  den  Grund  dieser  Verschiedenheit  hat 
er  schwerlich  richtig  angegeben^  wenn  er  meint,  dass  einmal  ein 
differenzierendes,  das  andere  Mal  ein  assimilierendes  Prinzip  ge- 
wirkt habe,  was  im  Grunde  doch  nur  Worte  sind.  Die  Ursache 
ist  vielmehr  lediglich  eine  historische:  die  Griechen  und  Italiker 
sind  früher  in  die  Geschichte  eingetreten  und  darum  früher 
dialektisch  zerspalten,  während  bei  den  europäischen  Nordvölkeru, 
in  Sonderheit  bei  Germanen  und  Slaven,  die  „ursprachlichen^ 
( „urgermanischen ^  oder  „urslavischen^)  Verhältnisse  länger  an- 
dauerten. Erst  mit  dem  Zurückdrängen  des  keltischen  Elements 
in  West-  und  Mitteldeutschland,  d.  h.  etwa  im  IV.  oder  III.  vor- 
christlichen Jahrhundert  machen  sich  die  Germanen  in  der  Ge- 
schichte bemerkbar,  und  es  ist  sicherlich  kein  Zufall,  dass  erst 
in  dieser  Zeit  die  in  der  ersten  Lautverschiebung  sich  offenbarende 
grosse  Abweichung  der  germanischen  Sprachen  vom  indogermani- 
schen Lautbestand  sich  Bahn  bricht. 

Aus  dem  bisherigen  ergibt  sich  ferner,  dass  man  von  einer 
„Periode  der  Auflösung  der  indog.  Grundsprache"  in  keiner  Weise 
reden  kann.  Nicht  um  einen  einzelnen  Akt,  sondern  um  eine 
nnendliche  Reihe  verschiedener,  durch  Jahrhunderte  und  Jahr- 
tausende getrennter  Akte  handelt  es  sich.  Ebensowenig  lässt 
sich  irgendwo  ein  Strich  zwischen  der  Ursprache  und  den  Einzel - 
sprachen  machen.  Man  könnte  zwar  z.  B.  sagen,  dass  die  speziell 
germanische  Sprachentwicklung  mit  der  Lautverschiebung  anhebt; 
aber  einerseits  können  schon  vor  ihr  speziell  germanische  Sprach 
Änderungen,   z.  B.   die   Ausbildung   des   sogenannten    schwachen 

Sehrader.  Sprach verflrlelchunjf  und  Urgeschichte.    3.  Aufl.  10 


—    146    - 

Präteritums  (got.  naslda),  vorhaDden  gewesen  sein,  und  anderer 
seits  dauerten  doeli  die  von  der  Lautverschiebung  nicht  be- 
troffenen indog.  Urformen  auch  nach  der  Lautverschiebung  auf 
germanischem  Boden  zunächst  fort.  Auch  von  einem  Ende  der 
Ursprache  kann  man  eigentlich  nicht  reden,  da  indog.  Urformen 
gelegentlich,  z.  B.  im  Litauischen  {sünüa  „Sohn",  üsti  „er  ist**. 
tu  „du")  bis  auf  den  heutigen  Tag  weiterleben.  Das  Problem 
der  Auflösung  der  indog.  Ursprache  und  der  Herausbildung  von 
Einzelsprachen  kann  daher  nur  im  engsten  Zusammenhang  mit 
ethnologischen  Fragen  seiner  Lösung  näher  gebracht  werden, 
zu  deren  Erörterung  ttbeivAigehen  es  nunmehr  an  der  Zeit  ist. 


II.  Kapitel. 

Die  indogermanische  Völkereinheit. 

Das  indogermanische  Urvolic.     Sprachverwandtschaft  und  Rasseuver- 
schiedenheit.     Völkermischung.     Sprachmischung.     Der   Urtypus   des 
indog.    Stammes.    Urvolk   und    Einzelvölker.    Ursprache   und    Einzel- 
sprachen.   Nationen. 

Wenn  auch  nicht  alle  Verschiedenheiten  der  indog.  Sprachen 
auf  eine  Einheit  zurückgeführt  werden  oder  auf  Grund  einer 
solchen  verstanden  werden  können,  so  wird  doch,  wer  die  Lebens- 
arbeit eines  Bopp,  Schleicher,  Brugmann  überschaut,  darüber 
nicht  zweifelhaft  sein  können,  dass  die  indog.  Sprachen  im 
Ganzen  andern  Sprachen  und  Sprachfamilien  als  eine  geschicht- 
liche Einheit  gegenüberstehen,  und  da  die  Sprachen  selbstver- 
ständlich nichts  in  der  Luft  schwebendes,  sondern  etwas  an 
sprechende  Menschen  gebundenes  sind,  so  hat  der  Schluss  von 
der  Einheit  der  indog.  Sprachen  auf  die  Einheit  der  indog.  Völker 
in  der  Tat  nahe  genug  gelegen.  Auch  ist  derselbe  lange  Zeit 
anstandslos  und  ohne  Einschränkung  gezogen  worden,  bis  die 
Anthropologie  immer  deutlicher  darauf  hinwies  (vgl.  oben  p.  107  ff.), 
dass  keine  der  bisher  auf  Grund  somatischer  Merkmale  ver- 
sachten Klassifikationen  der  Menschheit  sich  mit  dem  Begriff 
Indogermanisch  irgendwie  deckt.  Dieselben  sind  entweder  zu 
weit,  indem  mit  den  Indogermanen  völlig  heterogene  Spraehelemente 
wie  Basken  und  Kankasier  zu  einer  weissen,  mittelländischen, 
kaukasischen  oder  arabisch  europäischen  Rasse  vereinigt  werden, 
so  dass  man  genötigt  gewesen  ist,  diese  Einheit  auf  den  homo 
4iLalus  „den  stummen  Menschen'^  (vgl.  F.  Müllers  Probleme  der 
linguistischen  Ethnologie,  E.  Behms  Geographisches  Jahrbuch  IV, 
302)  zurückzuführen,  der,  wie  man  wird  zugestehen  müssen,  für 

10* 


—    148    - 

den  Sprachforscher  ein  recht  geringes  Interesse  hat.     Oder  jene 
Klassifikationen  sind  zu  eng,  wie  dies  mit  dem  auf  die  Längen- 
und  Breitenverhältnisse  des  menschlichen  Schädels  gegrttndeteD 
Retzins'schen  System  der  Fall   ist.     Vergegenwärtigen   wir   wob^ 
z.  B.  die  Karte,  auf  der  J.  Deniker-Paris  mit  grosser  Sorgfalt 
die    Verteilung    des    Schädelindex    in    Europa    dargestellt     hat 
(J,  DeniJcer  Les  races  de  VEurope   I,   Vindice  ciphalique  en 
Europe.   Association  franqaise  pour  Vavancement  des  sciences, 
Congres  de  St.  Etienne  1897.  Paris  1899),   so  zeigt  sich,   dass^ 
die  westlichere  Hälfte  Europas  —  der  Osten  weist  noch  sehr  viele 
auf  die  Kopfform  nicht  untersuchte  Gebiete  auf   —   im  Norden 
ebenso  wie  im  Süden  hauptsächlich  von  Lang-  und  Mittelschädligen. 
besetzt  ist,  zwischen  denen  sich,  im  Anschluss  an  das  Alpengebiet,, 
ein  stellenweis  sehr  breiter  Gürtel  von  mehr  oder  weniger  Kurz- 
schädligen   hindurchzieht.     Bedenken  wir  nun,  welche  Sprachen- 
und  Völker  auf  diesem  Gebiete  herrschen,   so  ergibt  sich,    dass- 
nicht  nur  die  Indogermanen  im  ganzen,  sondern  auch  die  einzelnen 
Zweige   des  Indogermanischen   durch   eine  Einteilung  in  Lang- 
und  Kurzschädel  völlig  auseinander  gesprengt  werden.     Ähnlicb- 
steht  es  mit  den  Merkmalen  der  Blondheit  und  Brünettheit. 
Die  Bevölkerung  Deutschlands  zerfällt  in  eine  blonde  und  brünette 
Schattierung.     Dasselbe  gilt  von  den  Grossrussen,  die  nach  deit 
sorgfältigen  Untersuchungen  Sografs  in  den  Gouvernements  Zentral- 
russlands,  Wladimir,  Jaroslaw,  Kostroma  deutlich  einen  kleineir 
subbrachykephalen  bis  brachykephalen  Typus  mit  braunen  Haaren 
und  grauen  Augen  neben  einem  hochgewachsenen  subbracbykephalen 
bis  mesokephalen,  ja  dolichokephalen  Typus  mit  blonden  Haaren^ 
und  ebenfalls  grauen  Augen  aufweisen.     Ahnliches  wurde  scboir 
oben   (p.  115)   von    den    Iraniern    des   Pamirgebietes   berichtet.. 
Gleich  grosse  somatische  Verschiedenheiten  kehren  übrigens  auch 
auf  anderen  Sprachgebieten  wieder:  der  Jakute  an  der  Lena  ist 
ein  total  anderer  als  der  Türke  am  Bosporus,  der  Lappe  völlig" 
verschieden  von  dem  sprachverwandten  Finnen  usw. 

Sind  nun  diese  Umstände  geeignet,  den  auf  der  Verwandt- 
schaft der  indog.  Sprachen  beruhenden  Glauben  an  eine  prä- 
historische Einheit  der  indog.  Völker  zu  erschüttern?  Ich  glaube, 
dass  sehr  einfache  Betrachtungen  zeigen,  dass  dies  nicht  der 
Fall  ist. 

Wir    sprechen    deutsch,    weil    wir    von    deutschen    Eltertv 


—     149    — 

^stammen,  und  unsere  Verwandten  in  fremden  Ländern,  soweit  sie 
nicht  in  anderen  Nationalitäten  aufgegangen,  sind  ebenfalls  der 
deutschen  Sprache  mächtig,  weil  sie  oder  ihre  Vorfahren  aus 
Deutschland  gekommen  sind.  In  England  herrecht  eine  germanische 
Sprache,  weil  dieselbe  von  einem  germanischen  Stamme  nach 
jenem  Eiland  gebracht  worden  ist.  Diese  Beispiele  zeigen  aber 
auch,  in  welchem  beschränkten  Sinne  die  Einheit  der  indog. 
Völker  verstanden  werden  muss.  Denn  gleichwie  der  Bau  der 
englischen  Sprache  zwar  ohne  weiteres  sich  durch  die  Einwanderung 
der  Angelsachsen  als  ein  germanischer  erklärt,  die  englische 
Nationalität  aber  nicht  verstanden  werden  kann  ohne  Berück- 
sichtigung der  keltischen,  römischen,  normannischen  Elemente, 
die  mit  jenem  angelsächsischen  Stamm  verschmolzen  sind,  ebenso 
fordert  die  vergleichende  Sprachwissenschaft  auch  nicht,  dass 
die  indog.  Völker  in  ihrer  Totalität  auf  eine  ursprüngliche 
Einheit  und  Gleichheit  zurückgehen,  sondern  sie  verlangt  nur  die 
Annahme,  dass  in  den  einzelnen  indog.  Völkern  ein  einheitlicher 
indog.  redender  Kern  vorhanden  gewesen  sei,  von  dem  aus  die 
Übertragung  der  indogermanischen  Sprache  auf  heterogene,  mit 
ihm  verschmelzende  Völkerbestandteile  möglich  war. 

Dass  die  indogermanisch  redenden  Stämme  bei  ihrer  Ankunft 
in  der  neuen  Heimat  Mischungsprozesse  mit  einer  daselbst  vorher 
iinsässigen  Urbevölkerung  durchzumachen  gehabt  haben,  kann 
^ar  nicht  bezweifelt  werden,  da  zum  Teil  auf  diesen  Vorgängen 
das  volle  Licht  der  Geschichte  ruht.  Blicken  wir  z.  B.  auf  die 
indischen  Arier,  deren  Vordringen  von  den  Ufern  des  oberen 
Indoslaufes  in  südlicher  und  südöstlicher  Richtung  in  fortgesetztem 
Kampfe  mit  den  Ureinwohnern  des  Landes  die  vedischen  Lieder 
uns  schildern  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  100  ff.) !  Die  arischen 
Stämme,  deren  Hautfarbe  ausdrücklich  als  eine  weisse  bezeichnet 
wird  (Rg.  I  100,  18),  treten  hier  den  Ureinwohnern  Indiens,  den 
^schwarzhäutigen^  Dasyu,  die  fremde  Sprache,  fremde  Sitte, 
fremde  Götter  haben,  in  einem  Streit  auf  Tod  und  Leben  ent- 
,^egen,  der  damit  endigt,  dass  die  unterworfenen  Barbaren  endlich 
4ÜS  vierte  Klasse,  als  Qüdra  in  den  indischen  Staat  aufgenommen 
werden.  Das  indogermanische  Element  hat  gesiegt,  aber,  „dass 
in  dem  langen  Zeitraum  bis  dahin  vielfach  Mischungen  arischen 
Blntes  mit  dem  der  Ureinwohner  stattgefunden  haben,  ist  nicht 
zü  bezweifeln.    Dasyu-Jungfrauen  und  -Weiber  kamen  in  das  Haus 


-     150    - 

der  arischen  Männer  als  Sklavinnen;  die  eine  oder  die  andere- 
mag  es  wohl  zur  Herrin  gebracht  haben"  (Zimmer  a.  a.  0.  p.  117). 
Zu  den  degenerierenden  Folgen  dieser  Vermischungen,  die  später 
durch  skythische,  mongolische,  europäische  Elemente  aller  Art 
gesteigert  wurden,  kam  dann  weiter  der  Einfluss  des  den  phy- 
sischen Organismus  des  Menschen  mächtig  umgestaltenden  tropischen 
Klimas  Indiens,  so  dass  nur  noch  die  ßrahmauenfamilien  gewisser 
Distrikte  heute  den  edleren  „mittelländischen'^  Rassencbarakter 
bewahrt  haben  sollen  (vgl.  F.  Müller  Allg.  Ethnographie  p.  457  ff.). 
Nicht  weniger  ziehen  sich  durch  das  Awesta  alte  Nachrichten 
von  dem  Kampf  der  iranischen  Bevölkerung  mit  einer  eingeborenen^ 
unarischen  Crrasse  {anairj/äo  daiihäeö),  und  auch  hier  leben  in 
den  Häusern  der  Mazdaverehrer  die  Töchter  ungläubiger  Stämme 
als  Dienerinnen  und  Nebenweiber  (W.  Geiger  Ostiran.  Kultur 
p.  176  ff.). 

In  neuerer  Zeit  lassen  sich  diese  Verhältnisse  besonders^ 
schön  an  der  Ausbreitung  der  Russen,  speziell  der  Grossrossen^ 
studieren.  Diese  stellen  von  Haus  aus  eine  kleine  Zahl  zur  Zeit 
der  grossen  slavischen  Wanderungen  in  der  slavischen  Urheimat 
am  Mittellauf  des  Dnepr  zurückgebliebener  Stämme  dar,  die  nnn 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  sich  über  das  ganze  europäische 
Russland  bis  zum  Ural  verbreitet  und  die  finnische  und  tatarische 
Urbevölkerung  dieser  Länder  verdrängt,  vernichtet  oder,  besser 
gesagt,  sich  assimiliert  haben,  überall  russische  Eigenart  und 
russische  Sprache  verbreitend.  Lebendige  Zeugen  dieser  einst- 
maligen Urbevölkerung  sind  die  mordvinischen,  tschuwaschischen, 
tscheremissischen,  wotjakisclien,  permjäkischen,  syrjänischen  usw. 
Sprach-  und  Völkerinseln,  die  noch  heute  vorhanden  sind.  Diese 
Kulturarbeit  ist  dann  von  den  Russen  jenseits  des  Ural  fort- 
gesetzt worden.  In  Sibirien  fassten  sie  zuerst  im  Jahre  1582' 
festen  Fuss,  und  schon  im  Jahre  1880  kamen  auf  4^»  Millionen 
Russen,  d.  h.  russisch  redender  Menschen  nur  noch  etwa  1  Million 
Inorodzy  oder  „Fremde",  wie  man  bald  die  eigentlichen  Herren 
des  Landes,  Burjäten,  Jakuten,  Wogulen,  Tungusen,  Samojeden^ 
Kalmyken,  Ostjaken  etc.  etc.  nannte.  Mit  diesen  Völkern  hat 
sich,  fast  vor  unseren  Augen,  eine  Vermischung  der  langsam  von 
Westen  nach  Osten  vorrückenden  Russen  vollzogen,  ans  der  in 
somatischer  Beziehung  zahlreiche  neue  Typen  entsprungen  sind» 
Schon  in  der  Mitte  des  vorvorigen  Jahrhunderts  wurde  man  aaf 


-     151     — 

den  asiatischen  Typus  vieler  Sibirier-Russen  aufmerksam.  Am 
unteren  Laufe  des  Jenissei  wird  diese  Erscheinung  von  den 
dortigen  Kosaken  „SmjeSiza"  d.  h.  „Gemisch"  genannt.  Man 
kann  geradezu  von  einer  Jakutisierung  der  Russen  Ostsibiriens 
reden  (weiteres  bei  A.  Brückner  Die  Europäisierung  Russlands 
Gotha  1888  p.  161  f.). 

Überschauen  wir  diese  klar  vorliegenden  Verhältnisse  und 
bedenken  wir  weiter,  dass  auch  im  westlichen  und  südlichen 
Europa  in  Pikten,  Iberern,  Ligurern,  Etruskern  usw.  ansehnliche 
Beste  nichtindogermanischer  Völker  sich  bis  in  die  geschicht- 
lichen Zeiten  gerettet  haben,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein, 
dass  auf  dem  indog.  Völkergebiet  überall  oder  doch  in  weiter 
Ausdehnung  starke  Mischungen  und  Verschmelzungen  heterogener 
Völker  stattgefunden  haben.  Warum  hierbei  das  indogermanische 
Element  über  die  sich  ihm  assimilierenden  Völkerbestandteile  in 
sprachlicher  Beziehung  den  Sieg  davongetragen  habe,  ergibt  sich 
aus  den  angeführten  Beispielen  fast  von  selbst.  Es  sind  in 
Indien  wie  in  Iran  und  Russland  die  kulturhistorisch  höher 
stehenden  Völker,  die  ihre  Sprache  auf  die  niedriger  stehenden 
Ureinwohner  übertragen  haben,  und  es  liegt  daher  nahe,  aus 
diesen  Erwägungen  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  die  indogermanische 
Bevölkerung  Europas  und  Asiens  schon  zur  Zeit  ihrer  Ausbreitung 
im  Vergleich  mit  der  vorindogermauischen  eine  relativ 
höher  gesittete  gewesen  sein  müsse,  und  dass  hierdurch  zu- 
gleich die  weite  Ausdehnung  des  indog.  Sprachstamms  sich 
erklärt. 

Schwieriger  ist  die  Frage  zu  beantworten,  ob  diese  ohne 
Zweifel  stattgehabte  Mischung  der  Völker  auch  von  einer  Mischung 
ihrer  Sprachen  begleitet  gewesen  ist,  oder,  mit  anderen  Worten, 
ob  auch  die  indog.  Idiome,  die  die  Einwanderer  in  ihre  neuen 
Wohnsitze  mit  sich  brachten,  bedeutsame  Veränderungen  durch 
den  Mund  der  Ureinwohner  erfahren  haben.  Tatsächlich  wird 
dieser  Gesichtspunkt  gegenwärtig  häufig  geltend  gemacht  (vgl. 
oben  p.  75),  um  die  Unterschiede  der  indog.  Sprachen  zu  er- 
klären. Auch  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  in  neueren  Sprach- 
epochen und  in  bestimmten  Teilen  des  indog.  Völkergebietes,  wie 
namentlich  auf  der  ßalkanhalbinsel,  im  Bulgarischen,  Rumänischen, 
Aibanesischen  auch  in  der  Laut-,  Wortbildungs-  und  Flexions- 
lehre (ganz  abgesehen   vom  Wortschatz)   „mischsprachliche"   Er- 


—     152    - 

scbeiiiungeu  nachgewiesen  werden  können  ^j.  Allein  etwaigen 
Schlüssen  hieraus  auf  die  erste  Ausbreitung  der  Indogermanen 
in  Europa  stehen  doch  andere  Tatsachen  im  Wege.  Was  wir, 
falls  Völkermischung  überall  Sprachmischung  bedingte,  nach  den 
obigen  Ausführungen  in  der  russischen  Sprache  erwarten  müssten, 
wäre  ihre  Durchsetzung  mit  finnischen  Elementen.  Hören  wir 
nun,  wie  sich  über  diesen  Punkt  einer  der  besten  Kenner  des 
Russischen,  Sobolevskij,  in  seinen  Vorlesungen  zur  Geschichte 
der  russischen  Sprache  (3.  Ausg.  Moskau  1903)  äussert:  „Das 
russische  Volk  stellt  in  linguistischer  Beziehung  ein  Ganzes  dar. 
Das  fremde,  finnische  Blut,  das  im  Laufe  vieler  Jahrhunderte  im 
Cberflüss  in  den  grossrussischen  Stamm  eingedrungen  ist  und 
noch  jetzt  in  den  nordöstlichen  Zweig  des  russischen  Volkes  ein- 
dringt, hat  die  russischen  Nordländer  nicht  zu  Finnen  oder  zu 
Finno-ßussen  gemacht.  ...  Es  hat  nicht  den  geringsten 
Einfluss  auf  die  Einheit  der  russischen  Sprache  aus- 
geübt. Ausser  einigen  Worten,  die  in  grossrussischen  nördlichen 
und  östlichen  Grenzdialekten  bestehen  und  der  russischen  Literatur- 
sprache fremd  sind,  haben  die  Finnen  der  russischen  Sprache 
nichts  zugeführt.  Man  dachte  zwar  früher,  dass  wir  den  Finnen 
unsere  Vokalentfaltung  [polnoglasie,  z.  B.  russ.  borodd  „Bart** 
statt  ursl.  *barda]  und  die  Aussprache  des  o  als  a  etc.  [äkanlBf  z.  B. 
MosTcvd,  sprich  Maskvä]  verdankten;  aber  an  dieser  MeinoDg 
hält  gegenwärtig  in  Anbetracht  ihrer  offenbaren  Unhaltbarkeit 
kaum  noch  jemand  fest:  die  Vokalentfaltung  besteht  überall^  wo 
das  russische  Volk  lebt,  z.  B.  diesseits  und  jenseits  der  Karpaten, 
wo  die  Geschichte  auch  in  den  ältesten  Zeiten  keine  finnischen 
Siedelungen  kennt,  und  die  Aussprache  des  o  als  a  fehlt  gerade 
bei  den  Russen,  in  deren  Adern  besonders  viel  finnisches  Eint 
fliesst,  bei  den  nördlichen  Grossrussen.^  Dazu  kommt^  dass  es 
bis  jetzt  noch  nicht  gelungen  ist,  in  den  älteren  Phasen  des 
indog.  Sprachlebens,  >veder  im  Sanskrit,  noch  im  Griechischen, 
noch  im  Italischen  usw\  derartige  Beeinflussungen  durch  die 
Sprachen  der  ürbewohner  mit  irgendwelcher  Sicherheit  nach- 
zuweisen.    Auch  begi'iffe  man  nicht,   wie  die  im  ersten  Kapitel 


1)  Vgl.  weiteres  beiKretschmer  Einleitung  p.  120  ff.,  wo  auch 
die  Literatur  über  die  Frage  der  Sprachmischung  zu  finden  ist.  Hin- 
zugekommen in  neuerer  Zeit,  die  slavischen  Sprachen  betreffend,  V.  Jagi6 
Einige  Streitfragen  3—4,  Archiv  f.  slavische  Sprachen  XXII,  11  ff. 


-     153    - 

betonte  lange  Bewahrung  der  indog.  Gruüdfornien  in  den  nord- 
enropäischen  Sprachen  möglich  gewesen  sein  sollte,  wenn  die 
doch  Bchon  bei  der  ersten  Besitzergreifung  der  betreffenden 
Lfänder  durch  Indogermanen  mit  Ureinwohnern  stattgehabte  Ver- 
mischung zu  Modifikationen  der  indog.  Urspraclie  geführt  hätte. 
Das  einzige,  was  man  daher  bis  jetzt  mit  einiger  Bestimmtheit 
sagen  kann,  ist,  dass  in  dem  Wortschatz  der  einzelnen  indog. 
Sprachen  ein  gewisses  Kapital  von  Ausdrücken  vorhanden  sein 
kann^  das  man  nie  aufindog.  Grundformen  zurückzuführen  im- 
stande sein  wird,  weil  es  vor-  und  nichtindog.  Sprachen  entstammt. 
Auch  können,  wie  wir  noch  sehen  werden,  derartige  Elemente 
schon  in  der  indog.  Grundsprache  selbst  vorhanden  gewesen  sein. 

In  jedem  Falle  ist  nach  den  bisherigen  Ausführungen  die 
vielbesprochene  Frage  nach  dem  ürtypus  der  Indogermanen 
auf  die  Frage  zu  reduzieren,  welches  der  ursprüngliche  Typus 
desjenigen  indog.  Völkerkerns  gewesen  sei,  von  dem  auf  den  ein- 
zelnen  Völkergebieten  die  Übertragung  der  indog.  Sprache  auf 
allophyle  Bestandteile  ausging. 

Aber  auch  diese  Fragestellung  ist  wahrscheiolich  eine  falsche, 
insofern  ihr  die  Voraussetzung  zugrunde  liegen  würde,  dass  der 
Habitus  des  indog.  Urvolkes  überhaupt  ein  einheitlicher  gewesen 
sein  müsse.  In  der  Tat  gehen  viele  Anthropologen  und  Ethno- 
graphen stillschweigend  oder  ausgesprochenermassen  von  dieser 
Annahme  aus.  So  sagt  Penka  Die  Herkunft  der  Arier  p.  20 
wörtlich:  ^Ein  Urvolk  aus  zwei  verschiedenen  Rassen  bestehend 
anzunehmen,  beisst  der  Natur  zumuten,  zu  gleicher  Zeit  und 
unter  denselben  äusseren  Umständen  ein  und  dieselbe 
Ornndform  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  umzugestalten, 
eine  Annahme,  deren  Absurdität  in  die  Augen  springt.^  In 
Wirklichkeit  liegen  die  Dinge  aber  anders.  Man  darf  die  Ur- 
sprünge der  Indogeimanen  und  die  Ursprünge  des  Menschen  nicht 
chronologisch  zusammenwerfen,  und  die  Begriffe  ^Rasse"  und 
„Volk"  nicht  miteinander  verwechseln.  Wir  haben  oben  gesehen, 
dass  die  indog.  Völker  in  der  Gegenwart  keine  körperliche 
Einheit  darstellen,  und  die  Ausgrabungen  haben  mit  immer 
steigender  Gewissheit  dargetan,  dass  auch  in  der  Vergangen- 
heit von  der  jüngeren  Steinzeit  an  in  Europa  uns  nirgends  Be- 
völkerungen von  völlig  homogener  Zusammensetzung,  sondern 
überall    Mischungen    von    Dolicho-,  Meso-    und   Brachykephalen 


—     164    - 

entgegentreten.  So  weisen  die  Schweizer  Pfahlbanten  der  jttngeren 
Steinzeit  unter  25  Schädeln  13  von  brachykephalem,  8  von  dolicho- 
kephalem  und  4  von  mesokephalem  Typns  auf.  In  England 
findet  man  in  derselben  prähistorischen  Epoche  in  den  sogenannten 
rylong  harrows^  Dolichokephale  und  Mesokephale,  in  den  j^round 
barrotrs^  Kurzschädel  und  Langschädel  nebeneinander.  In  Däne- 
mark kommen  auf  M  steinzeitliche  Schädel  10  brachy-,  16  meso-^ 
8  dolichokephale,  während  die  schwedischen  Schädel  des  Steinzeit- 
alters allerdings  vorwiegend  dolichokephal  sind  (vgl.  Kretschmer 
a.  a.  0.  p.  40  und  mein  Reallexikon  u.  Körperbeschaffenheit 
der  Indog.)  usw.  Unter  diesen  Umständen  hat  Virchow  schon 
im  Jahre  1883  (Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Anthropologie  p.  144)  einen  einheitlichen  kraniologischen 
Typus  der  Indogermanen  direkt  in  Abi'ede  gestellt  und  ange- 
nommen, dass  2  Reihen,  eine  dolichokephale  und  eine  brachy- 
kephale,  in  demselben  von  jeher  nebeneinander  hergegangen  seien. 
Dabei  braucht  nicht  geleugnet  zu  werden,  dass  der  ganze  Habitoa 
der  Indogermanen,  worunter  ja  ausser  den  kraniologischen  Ver- 
hältnissen noch  sehr  viel  anderes  zu  verstehen  ist,  in  den  ältesten 
Epochen  ein  einheitlicherer  gewesen  sein  wird,  als  in  der  geschicht- 
lichen Zeit,  nachdem  die  oben  erörterte  Vermischung  mit  antoeh- 
thonen  Völkern  stattgefunden  hatte.  Was  sich  aber  hierüber  bis 
jetzt  sagen  lässt,  ist  trotz  allem,  was  in  neuerer  Zeit  darttber 
geschrieben  worden  ist,  kaum  mehr,  als  was  schon  V.  Hehn 
(Kulturpflanzen  ^  p.  521)  so  ausdrückt:  „Von  welcher  Komplexion 
das  Urvolk  der  Indogermanen  gewesen,  wissen  wir  unmittelbar 
nicht.  In  der  Epoche,  wo  wir  es  kennen  lernen,  ist  es  längst 
in  Zweige  gespalten,  deren  Haar-,  Haut-  und  Augenfarbe  zwei 
verschiedene  Typen  zeigt.  Asiaten,  Griechen,  Römer  sind  schwarz^ 
Kelten  und  Germanen  blondlockig,  blauäugig,  hellfarbig;  die 
ersteren  dabei  von  kürzerer  Statur,  mit  lebhaften  Gesten,  kundige, 
kluge,  braune  Zwerge  :  Kelten  und  Germanen  hochaufgeschossene^ 
rotwangige  Riesengestalten  mit  wallendem  Haar.  ...  In  welehem 
von  beiden  Typen  aber,  dem  dunkeln  oder  hellen,  dürfen  wir 
mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit  das  Abbild  der  Urzeit  erkennen? 
Alles  spricht  dafür,  dass  diejenigen  Stämme,  die  in  historischer 
Isolierung  am  wenigsten  von  der  ursprünglichen  Lebensweise  sich 
entfernt  hatten,  nämlich  die  nordischen,  auch  die  leiblichen 
Stammeszeichen   am  treuesten  bewahrt  hatten.     Wo  sie  seitdem 


—     155    — 

der  südlichen  Natur  nnd  Lebensform  sich  genähert  oder  mit  der 
dunklen  Rasse  sich  gemischt  haben,  da  hat  allemal  die  letztere 
die  Oberhand  gewonnen,"  Ob  aber  dieser  ältere  und  einheit- 
lichere Habitus  der  Indogermanen  mehr  dem  altslavischen  oder 
altthrakischen  oder  altgermanischen  oder  altkeltischen  ähnlich 
war,  darüber  kann  in  der  Gegenwart,  und  wie  zu  befürchten  ist, 
auch  in  der  Zukunft  nichts  mit  irgendwelcher  Zuversicht  be- 
hauptet werden. 

In  dem  hier  erörterten  Sinne  können  und  müssen  wir  also 
an  der  einstigen  Existenz  eines  indog.  Urvolks  als  Trägers  der 
indog.  Spracheinheit  festhalten. 

Wie  diese  urvolkliche  Einheit  entstanden  sei,  darüber  können 
wir  uns  zur  Zeit  freilich  ebensowenig  ein  urteil  erlauben,  wie 
über  die  Frage  nach  der  Entstehung  der  indog,  Ursprache  selbst. 
Beide  Probleme  können  nur  im  engsten  Zusammenhang  mit- 
einander, durch  Vergleichung  mit  anderen  Sprach-  und  Völker- 
einheiten und  durch  Erwägungen  allgemeinerer  Art,  wie  sie  etwa 
F.  RatzeP)  (oben  p.  128)  angestellt  hat,  ihrer  Lösung  näher  ge- 
bracht werden. 

Ich  wende  mich  daher  unmittelbar  zu  der  letzten  der  hier 
za  erörternden  Fragen,  nämlich  zu  der,  wie  aus  jenem  zu  postu- 
lierenden ürvolk  die  einzelnen  indog.  Völker  hervorgegangen 
sind,  eine  Erörterung,  die  uns  zugleich  zu  dem  im  I.  Kap.  nur 
g^estreiften  Problem  der  Entstehung  der  indog.  Einzelsprachen 
zurückführen  wird. 

Wir  haben  oben  gesehen,  dass  die  Indogermanen  in  vor- 
historischer Zeit  über  ein  geographisch  bereits  sehr  ausgedehntes 
Grebiet  verbreitet  waren,  ohne  dass  die  gemeinsame  Ursprache 
wesentlichen  Veränderungen  unterlag,  und  die  gleiche  Einförmig- 
keit wie  in  der  Sprache  wird  man  auch  in  der  Kultur  jener 
Epoche  voraussetzen  müssen,  da  die  Zustände,  die  wir  bei  den 
alten  Germanen  oder  Slaven  finden,  wie  in  diesem  Buche  des 
öfteren  gezeigt  werden  wird,  im  ganzen  dieselben  sind,  wie  wir 
sie  noch  bei  den  Griechen  zur  Zeit  ihrer  Einwanderung  in  die 
Balkanhalbinsel  voraussetzen  müssen.  Über  diese  erste  vor- 
historische Ausbreitung  der  Indogermanen  können  wir  natürlich 
etwas  sicheres  niemals  ermitteln,   und  nur  auf  dem  Wege  des 

1)  Vgl.  dazu  auch  Karl  Helm  Die  Heimat  der  Indogermanen 
und  Germanen  in  den  Hessischen  Blättern  für  Volkskunde  III.  Heftl.  1905. 


-     156    — 

Rückschlusses  aus  späteren  Völkerbewegungen  wird  es  möglieh 
sein,  sieb  ein  nngefäbres  Bild  jener  Vorgänge  zu  machen.  Be- 
trachten wir  nun  dieses  verhältnismässig  späte  Eintreten  der 
einzelnen  Zweige  des  indog.  Spracbstanims  in  die  geographischen 
Positionen,  die  wir  sie  bei  dem  ersten  Morgenrot  der  geschicht- 
lichen Überlieferung  einnehmen  sehen,  so  erfolgt  dieses  in  einer 
Reihe  von  durch  Jahrhunderte,  ja  Jahrtausende  voneinander 
geschiedener  Akte,  die  man  am  ehesten  als  ein  sich  Aufrollen 
der  einzelnen  Teile  des  ürvolks  bezeichnen  kann,  ein  Prozess, 
dessen  Anfang  und  Ende  wenigstens  in  Europa  noch  ziemlieb 
übersehbar  sind. 

Den  Anfang  macheu  die  später  Thraker  genannten  Stämme, 
die  in  sehr  früher  Zeit,  nach  P.  Kretschmers  (Einleitung  p.  181) 
Argumentation  schon  im  III.  vorchristlichen  Jahrtausend  von 
ihren  Stammsitzen  an  beiden  ufern  der  unteren  Donau  in  un- 
ermesslicher  Ausdehnung  —  noch  Herodot  nennt  sie  das  grösste 
aller  Völker  —  den  Norden  der  Balkanhalbinsel  überfluten  und 
von  hier  aus  einen  grossi'n  Teil  des  von  allophylen  Völkern  be- 
setzten Kleinasiens  überschwemmen,  wo  sich  die  Phryger  und 
Armenier  von  ihnen  abzweigen,  ben  letzten  Akt  dieses  grossen 
Völkerdramas  bilden  die  später  als  Slaven  bezeichneten  Indo- 
germanen,  deren  vom  IL — VII.  nachchristlichen  Jahrhundert  ver- 
laufende Ausbreitung  in  einem  westlichen  und  südwestUchen 
Strom  verläuft,  von  denen  der  erstere  dem  heutigen  Polen,  den 
zwischen  Oder  und  Elbe  gelegenen  Landschaften,  Böhmen  und 
Mähren  ihre  slavischen  Bevölkerungen  gibt,  der  letztere  zu  den 
Völkerbildungen  der  Bulgaren,  Serben,  Kroaten  und  Slovenen 
führt.  Noch  vor  die  thrakische  Wanderung  wird  man  die  Aus- 
breitung der  Arier  (Inder  und  Lanier)  anzusetzen  haben.  Die 
übrigen  Stämme  der  Indogermanen  rollen  sich  in  teils  mehr,  teils 
weniger  deutlich  erkennbarer  Weise  innerhalb  des  von  Thrakern 
und  Slaven  gebildeten  zeitlichen  Rahmens  ebenfalls  in  grossen 
Zeitabständen  voneinander  auf.  Dass  bei  diesem  Prozess  auch 
ein  häufiges  sich  Schichten  einzelner  Zweige  des  indog.  Sprach- 
stammes selbst  über  einander  stattgefunden  hat,  wie  wir  es  im 
Verhältnis  von  Germanen  und  Slaven,  Kelten  und  Germanen, 
Illyriern  und  Griechen  usw.  auf  das  deutlichste  beobachten 
können,  sei  beiläufig  bemerkt. 

Mit  diesem  Eintreten  der  einzelnen  Teile  des  indog.  Urvolks 


-     157    - 

in  ihre  weltgeschichtlichen  Stellungen  war,  wie  oben  (p.  144) 
gezeigt  ist,  eine  raschere  Veränderung  ihrer  Sprachen  als  bisher 
yerbnnden,  die  natürlich  mit  anderen  Veränderungen  auf  dem 
Gebiete  der  äusseren  und  inneren  Kultur,  der  Sitte,  des  Rechts, 
des  Glaubens  Hand  in  Hand  ging.  So  mussten  sich  an  ver- 
schiedenen Stellen  des  indog.  Völkergebiets  sowohl  in  sprach- 
licher wie  in  kultureller  Beziehung  grössere  oder  kleinere  Ab- 
weichungen von  dem  ursprünglichen  Typus  bilden. 

Mit  der  geschilderten  Ausbreitung  der  Indogerraanen  war 
aber  —  und  zwar,  wenn  wir  von  dem  geschichtlich  erkennbaren 
auf  das  nicht  mehr  erkennbare  zurückschliessen  dürfen,  von  der 
frühsten  Zeit  an  —  noch  ein  zweites  verbunden,  was  die 
zwischen  den  einzelnen  Gruppen  sprachlich  und  kulturgeschichtlich 
sich  einander  näher  stehender  Stämme  bestehenden  festen  Grenzen 
statt  der  rein  theoretisch  zu  erwartenden  allmählichen  Übergänge 
nnn  erst  zu  erklären  geeignet  ist:  der  allmähliche  Abbruch- 
der  zwischen  jenen  Gruppen  ursprünglich  anzunehmen- 
den geographischen  Kontinuität.  Und  wer  bekannte  Völker- 
bewegnngen  wie  den  Einbruch  der  Slaven  in  die  Balkanhalbinsel, 
die  Wanderung  der  Cimbern  und  Teutonen,  den  Einfall  der  Dorier 
in  Mittelgriechenland  und  im  Peloponnes  usw.  in  Zusammenhang 
betrachtet  mit  dem  durch  zahlreiche  Gebirge,  einst  unwegsame 
Wälder,  reissende  Ströme  reich  gegliederten  Charakter  unseres 
Erdteils,  wird  sich  eher  darüber  wundem,  dass  diese  Unter- 
brechung der  geographischen  Kontinuität  und  damit  die  Heraus- 
bildung mehr  oder  weniger  scharfer  Völker-  und  Sprachgrenzen 
nicht  häufiger,  als  dass  sie  überhaupt  geschehen  ist. 

Dazu  kommt,  dass  der  Begriff  der  Wanderung  keines- 
wegs der  einzige  Gesichtspunkt  ist,  der  uns  die  zwischen  den 
einzelnen  Gruppen  näher  verwandter  Stämme  bestehenden  Grenzen 
begreiflich  macht. 

Als  der  Vorhang  der  Geschichte  aufgeht,  finden  wir  eine 
Anzahl  von  Gruppen  untereinander  sich  zwar  objektiv  näher 
stehender  Stämme,  die  sich  aber  dessen  subjektiv  entweder 
gfLT  nicht  oder  nur  in  schwächster  Weise  bewusst  sind,  so  dass 
ihre  Znsammengehörigkeit  eher  draussen  stehenden,  d.  h.  anderen 
Völkern  als  ihnen  selbst  bekannt  ist.  Mögen  wir  uns  nun  zu 
den  ältesten  Hellenen,  Kelten,  Germanen  usw.  wenden,  überall 
nehmen  wir  wahr,  dass  sie  untereinander  in  fortwährende  Fehden 


-     158     - 

verwickelt  siiid^  die  dem  Charakter  der  Zeit  entsprechend  mit 
furchtbarer  Grausamkeit  geführt  werden.  In  Griechenland  bringen 
es  erst  die  durch  religiöse  Bedürfnisse  ins  Leben  gerufenen 
Amphiktyonien  zu  Beschlüssen  wie  denen,  dass  die  zum  Bund 
gehörige  Stadt  nicht  verwüstet,  ihr  das  Wasser  nicht  abge- 
graben, ihre  Baumpflanzungen  nicht  zerstört  werden  dürfen. 
Die  Gallier  (vgl.  Caesar  De  hell,  gall.  VI,  17)  opfern  alles  Leben- 
dige, was  sie  im  Krieg  erbeuten,  gemäss  vorhergegangenem 
Gelöbnis  ihrem  Mars.  Der  von  Tacitus  (Ann.  XIII,  57)  be- 
richtete wütende  Krieg  der  benachbarten  Chatten  und  Hermunduren 
um  die  Salzquellen  an  der  Werra  endigt  mit  der  völligen  Ausrottung 
der  ersteren.  Wie  sollten  auch  auf  diesem  Wege  infolge  der 
Vernichtung  einstiger  Übergangsstämme  nicht  häufig  Sprach-  und 
Völkergrenzen  entstanden  sein? 

Endlich  verdient  in  diesem  Zusammenhang  auch  erwogen 
zu  werden,  was  Caesar  erst  von  den  Sueben  im  besondern,  dann 
von  den  Germanen  im  allgemeinen  berichtet:  Publice  maximatn 
putant  esse  laudem,  quam  latissime  a  suu  finibus  vacare  agros: 
hac  re  significariy  magnum  nuinerum  cwitatum  suam  vim 
sustinere  non  posse.  Itaque  una  ex  parte  a  Suebis  drciter 
milia  passuum  sescenta  agri  vacare  dicuntur  (IV,  3)  und :  Civi- 
tatibus  maxima  laus  est  quam  latUsime  circum  se  vastatis 
finibus  soUtudines  habere.  Hoc  proprium  virtutis  existimanty 
expulsos  agris  finitimos  cedere  neque  quemquam  prope  audere 
consistere\  simul  hoc  se  fore  tutiores  arbitrantur,  repentinae 
incursionis  timore  sublato  (VI,  23).  Selbst  wenn  wir  nicht  annehmen, 
dass  diese  barbarische  Sitte  der  Braclilegung  weiter  Grenzgebiete 
einstmals  auch  bei  anderen  Indogermanen  verbreitet  war,  so  wird 
sie  doch  jedenfalls  verwertet  werden  können,  um  die  Abgrenzung 
der  im  Zentrum  Europas  hervortretenden  Germanen  gegenüber 
Kelten,  Slaven,  Thrakern  usw.  mit  zu  erklären. 

Das  also  sind  die  Grundstoffe,  welche  die  Urgeschichte  für 
die  Bildung  der  auf  indog.  Völkerboden  erwachsenen  Nationali- 
täten darbietet:  eine  Keihc  einander  nahestehender^  aber  weder 
nach  Sprache,  noch  nach  Sitte,  noch  nach  Körperbeschaffenheit 
völlig  einheitlicher  Stumme,  die  infolge  längerer  Unterbrechung 
der  geographischen  Kontinuität  mit  anderen  Indogermanen  sich 
zu  relativen  Einheiten  zusammengeschlossen  haben.  Wie  diese 
in  ihrer  Gesamtheit  oder  in  grösseren  Teilen  sich  zu  Nationen 


—     159     - 

entwickelt,  ein  Nationalitätsbewusstseiu  ausgebildet  und  zu- 
letzt in  der  Regel  ancb  eine  gemeinsame  Schriftsprache 
geschaffen  haben,  das  sind  rein  historische,  auf  den  verschiedenen 
Gebieten  verschieden  verlaufende  Vorgänge,  deren  Erörterung 
ansserhalb  des  Rahmens  dieses  Buches  liegt. 


In  dem  Wortschatz  der  Sprachen  und  Völker,  deren  Be- 
ziehungen zueinander  wir  bisher  im  allgemeinen  betrachtet  haben, 
findet  sich  nun  eine  grosse  Menge  von  etymologischen  Überein- 
stimmungen kulturhistorischer  Begriffe,  die  man,  seitdem 
es  eine  indog.  Sprachwissenschaft  gibt,  benutzt  hat,  um  aus  ihnen 
Schlüsse  auf  die  kulturgeschichtliche  Entwicklung  der  indog.  Völker 
zu  ziehen.  Diese  kulturgeschichtlichen  Gleichungen  werden  uns 
daher  nunmehr  in  den  Kap.  III  — VII  des  näheren  zu  beschäf- 
tigen haben. 


III.  Kapitel. 

Der  Verlust  alten  Sprachguts. 

Die  Wahrscheinlichkeit  grosser  Verluste  innerhalb  des  indog.  Wort- 
schatzes. Folgen  aus  derselben.  Bedenklichkeit  der  negativen  Schlüsse 
auf  die  Kultur  der  Urzeit.  Die  Frage  nach  der  Urheimat  der  Indo- 
germanen  im  Zusammenhang  hiermit.  Zuweilen  ist  der  Mangel  ein- 
heitlicher Namen  dennoch  beweisend. 

Der  Fall;  dass  eine  etymologische  Gleichung  sich  aus  allen 
uns  überlieferten  indog.  Sprachen  oder  Sprachfamilien  belegen 
Hesse,  ist,  wie  jeder  weiss,  einer  der  allerseltensten.  Selbst  in 
der  Kategorie  der  überaus  zähen  und  weitverbreiteten  Verwandt- 
sehaftswörter  kommt  es  nicht  gerade  selten  vor,  dass  eine  oder 
die  andere  Sprache  gegenüber  der  urzeitlichen  Benennung  eines 
Familien  Wortes  versagt  So  fehlt  der  indog.  Name  des  „Vaters" 
den  slavischen  Sprachen,  der  der  „Schwester**  dem  Griechischen, 
der  des  „Sohnes''  dem  Lateinischen,  der  der  „Tochter"  ebenfallB 
dem  Lateinischen  usw.  Niemand  wird  bezweifeln,  dass  in  allen 
diesen  Fällen  jene  Wörter  in  den  betreffenden  Sprachen  einmal 
vorhanden  w^aren  und  im  Laufe  der  Zeit  durch  andere  ersetzt 
worden  sind. 

Denn  der  Verlust  alten  Gutes  ist  ja  einer  der  gewöhnlichsten 
Vorgänge  in  dem  Leben  der  Sprache.  Wer  nur  eine  Seite 
irgend  eines  mittelhochdeutschen  Textes  aufschlägt,  findet  auf 
ihr  eine  ganze  Reihe  von  Wörtern,  die  heute  nicht  mehr 
im  Gebrauche  oder  wenigstens  nicht  mehr  in  selbständigem 
Gebrauche  sind.  Wenn  aber  in  der  verhältnismässig  kurzen 
Zeit,  die  uns  von  dem  Mittelalter  trennt,  ein  nicht  un- 
bedeutender Teil   des  damaligen  Wortschatzes  der  Vergessenheit 


—     161     — 

anheimfallen  konnte,  muss  nicht  da  der  Verlast  des  arsprOng- 
liehen  Sprachgnts  bei  den  knitnrgescbichtliehen  Umwälzungen 
and  lokalen  VerAndernngen,  denen  die  indog.  Völker  seit  ihrer 
Trennnng  von  der  alten  Heimat  ausgesetzt  gewesen  sind,  ein 
angehenrer  gewesen  sein?  Diese  hohe  Wahrscheinlichkeit  eines 
sehr  ansgedehnten  Verlostes  des  alten  Wortschatzes  nötigt  aber 
den  Knlturforscher,  der  mit  sprachlichen  Argumenten  operiert, 
zor  grössten  Vorsicht.  Es  ist  nämlich  erstens  überaus  misslich, 
aus  dem  Fehlen  etymologisch  verwandter  Wörter  die  ünbckannt- 
schaft  der  Indogermanen  mit  gewissen  KulturbegrifFen  ohne 
weiteres  zu  folgern,  ein  Grundsatz,  der  zwar  im  Prinzip  von 
allen  anerkannt,  im  einzelnen  aber  häufig  ausser  acht  gelassen  wird. 
Richtig  sagt  daher  schon  A.  H.  Sayce  The  principle.^  of  com- 
paratire  philology^  1875  p.  203:  „Ganz  wie  der  moderne  Geolog 
von  der  ünvollkommenheit  des  geologischen  Materials  abhängig 
ist,  80  sollte  sich  auch  der  Sprachforscher  erinnern,  das»  nur  die 
Trümmer  und  Fragmente  der  alten  Sprache  durch  einen 
glücklichen  Zufall  und  erhalten  worden  sind.^ 

Von  einer  besonderen  Wichtigkeit  aber  ist  dieser  Gesichts 
pnnkt  für  die  Frage  nach  der  Urheimat  der  Indogermanen, 
iosofern   man   die  Lage  derselben   aus  dem  scheinbaren   Fehlen 
gewisser  Tier-  und  Pflanzennanien  in  dem  indog.  Wortschatz  hat 
ersohliessen  wollen. 

Der  indog.  Sprachstamm  erstreckt  sich  nach  A.  Grisebach 
darch  drei  Vegetationsgebiete  der  Erde,  das  indische  Monsnn- 
gebiet,  das  europäisch-asiatische  Steppengebiet  und  das  Waldjrcbiet 
fies  östlichen  Kontinents,  ein  jedes  mit  einer  ihm  eigentümlichen 
Fanna  und  Flora.  Mag  man  nun  den  ursprünglichen  Ausgangs- 
punkt der  Indogermanen  verlegen,  woiiin  man  will,  es  ist  geradezu 
ODdenkbar,  dass  die  ursprünglichen  Tier-  und  Pflanzennainen  bei 
der  allmählichen  Ausbreitung  der  indog.  Stänniie  sich  treu  er- 
halten haben  sollten.  Wie  können  die  Namen  der  Dinge  be- 
stehen, wenn  diese  Dinge  selbst  vielleicht  seit  Jahrtausenden  dem 
Blicke  der  Menschen  entschwunden  sind?  Hlickt  man  z.  B.  auf 
die  doch  fast  nur  dialektisch  verschiedenen  inrliscli-irauischen 
Sprachen,  so  findet  sich  aus  der  gesamten  Pflan/enwelt  ast  nur 
die  gottgespendete  Somapflanze,  deren  irdischer  Repriis<  ntant 
unr  mit  Schwierigkeit  zu  bestimmen  ist  (vgl.  Z.  d.  D.  M.  6. 
XXXV,    680 — 92),    mit   einem    einheitlichen  Namen    bei    beiden 

Scbrader,  Sprachvtrirleicbung  und  Urgeschichte.    8.  Aufl.  ]] 


—    162    — 

Stämmen  benannt,  ohne  dass  man  sich  diese  Tatsache  anders 
als  ans  der  völligen  Verschiedenheit  der  geschichtlichen  Wohn- 
sitze beider  Völker  in  pflanzengeographischer  Hinsicht  erklären 
wird.  Es  genttgt  daher  ein  sehr  einfacher  Akt  der  Überlegung, 
nm  einzusehen,  dass  Umstände  wie  die,  dass  sich  nrindogermaniscbe 
Benennungen  des  Löwen,  des  Tigers,  des  Kamels  etc.  nicht  mit 
Sicherheit  ermitteln  lassen,  weder  für  noch  gegen  die  enropäische 
oder  asiatische  Hypothese  von  der  Urheimat  der  Indogermanen 
entscheidend  in  die  Wagschale  fallen  können. 

Nun  soll  aber  damit  keineswegs  gesagt  sein,  dass  dem  Ab- 
handensein urverwandter  Gleichungen  für  die  Erschliessnng  der 
Urzeit  jeglicher  Wert  abzusprechen  sei.  Im  besonderen  wird 
man  nicht  an  ein  zufälliges  Aussterben  einst  vorhandener  Aas- 
drücke denken  dürfen,  wenn  es  sich  um  ganze  Begriffs- 
kategorien handelt. 

So  ist  das  Fehlen  etymologisch  verwandter  Namen  der 
Fischarten  auf  indog.  Sprach boden  in  die  Augen  fallend.  Aach 
für  das  ganze  Geschlecht  finden  sieh  nur  gruppenweis  sich  ent- 
sprechende Benennungen  (wie  scrt.  mdtsycty  aw.  masya;  lat. 
piscis,  ir.  io^c,  got,  fis1c8\  lit.  £uwis,  sltpr.  zukans,  a,rmea.jfikn). 
Was  die  einzelnen  Fischarten  betrifft,  so  scheint  eine  überein- 
stimmende Benennung  des  Aales  durch  die  enropäischen  Sprachen 
zu  gehen  (lat.  anguilla,  griech.  lyx^^^^j  ^i^*  ungurgs^  russ.  ugri); 
doch  ist  einerseits  der  etymologische  Zusammenhang  dieser  Sippe 
überhaupt  nicht  sicher,  und  andererseits  dürfte,  wenn  in  ihr  ein 
urverwandter  Kern  vorliegt,  die  älteste  Bedeatung  desselben 
„Schlange^  (lat.  anguiSj  griech.  ^x^g,  lit.  angis)y  nicht  7,Aal" 
gewesen^)  sein.  Auch  im  Altirisehen  wird  der  Aal,  der  selbst 
bei  Homer  noch  nicht  unter  die  Fische  gerechnet  zu  werden 
scheint  (iyxi^vig  re  xal  Ix^sg,  vgl.  E.  Buchholz  Die  homerischen 
Realien  I,  2,  104  ff.)  esc-ung  {-ung  =  anguis)^  d.  h.  Sumpfschlang« 
genannt.  Andere  Entsprechungen  wie  ahd.  lahs  =  russ.  loäosiy 
lit.  lasziszäy  mhd.  weis  =  altpr.  kälis,  altn.  sÜd  =  mss.  selidiy 
seUdka^  lit.  silkej  u.  a.  beschränken  sich  auf  ein  engeres  Sprach- 


1)  Vgl.  das  etymologische  Material  bei  A.  Walde  Lat.  et.  W.  s. 
V.  anguis.  H.  Hirt  I.  F.  Anz.  XIII.  H.  1  p.  14  gibt,  wie  man  bei  W. 
sehen  kann,  den  gegenwärtigen  Stand  unseres  Wissens  unrichtig  an, 
wenn  er  die  Verwandtschaft  von  fyx'^^s  und  anguilla  ffir  eine  ana- 
gemachte Sache  erklärt. 


I 


gebiet  oder  bernheo  auf  Enllehnnng.  Eine  andere  Frage  ist,  wie 
dieser  Mangel  gemeinsamer  Fiscbnamen  zu  erklären  sei. 

Auf  keinen  Fall  können  die  Indogernianen  ausscbliesslicbe 
Fiscbeeeer  geweseu  sein,  wie  die  'lx&voq>äyot,  die  Herodot  am 
Arabiecheu  Meer  nennt,  mid  die  wilden  Volker  an  der  RheinmUndung, 
9111  pitcihus  atque  ovts  avium  vivere  esdutimantur  (Caes.  IUI, 
10),  oder  ancli  nur  dem  Fischfang  nud  dem  FischgenuBS  eine 
besondere  Anfmerksauikeit  zugewendet  haben.  Am  richtigsten 
wird  man  vielmehr  den  indog.  Zustand  so  auffassen  wie  den  des 
homerischen  Zeitalters,  in  dem  Fische  nur  in  den  Zeilen  äusserater 
Not  (Od.  XU,   330;   IV,  368)    den    Helden    zur  Speise  dienen»). 

Ebenso  bezeichnend  wie  die  Armut  einer  urverwandten 
Tenninologie  auf  dem  eben  cr'irterten  Gebiete  der  Fischerei  er- 
scheint mir  die  gleiche  Erscheinung  auf  dem  der  Schiffahrt 
gegfnOber  dem  des  Wagpnbans,  dem  der  Blnmenzncht  gegen- 
über dem  des  Ackerbaus,  dem  der  Verscii  wägerungsbezeich- 
nnngen  des  Mannes  gegenüber  denen  des  Weibes,  auf  dem  Gebiet 
der  G0tternamen  gegenüber   dem  der  Personennamen  usw. 

Aber  auch  bei  einzelnen  Begriffen  treten  doch  oft 
linguistische  Begleiterscheinungen  hinzu,  die  es  uuwahrscheinlich 


])  Man  bat  mir  privatim  eingewendet,  ,dass  es  kaum  denkbar 
s«i,  dass  die  Griechen,  ein  Seevolk  par  exceltence,  nicht  von  Alters 
her  FUche  gegessea  hätten'.  Auch  weise  das  Vorkommen  der  Angel 
b«i  Homer  auf  jj'ewerbdiiiäüHig'M  Fischerei  hin.  Hierbei  Hei  auf  die 
I  AssJ^brangen  von  Wilamowitz  (Homerische  Untersuchungen  p.  292) 
'  Terwiesen,  uai^h  denen  gegenüber  der  Epoche  der  Fixierung  des 
epischen  Stils,  der  die  Heroen  niclit  reiten,  schreiben,  Suppe  kochen 
nod  Fische  essen  etc.  lie^^a,  dnü  Zeilalter  unseres  Homer  ein  relativ 
Jonj^Bs  gewesen  sei,  in  dem  schon  veränderte  kulturhistorische 
Verhältnisse  herrschten.  Die  Beweiskraft  aotcher  ZUge  des  altepischen 
Stils  aber  dafür,  dass  es  eine  Zeit  auf  griechiscbem  Boden  gegeben 
bat,  in  der  die  Helden  wirklich  nicht  ritten,  schrieben,  Suppe 
kochten  und  Fische  assen  (weil  sie  eben  damals  noch  kein  Seevolk 
par  excellence  waren),  wird  dadurch  ebensowenig  geschmälert  wie 
die  Beweiskraft  der  uralten  Sprachforroen  des  epischen  Stils,  deren 
sieh  die  Singer  bedienen.  Die  Angel  {äyxungor)  wird  übrigens  nur  an 
den  obigen  zwei  Stellen  der  Odyssee  IV,  368  und  XII,  330  genannt, 
von  denen  die  letilere  noch  dazu  allgemein  als  ans  der  ersieren  Über- 
nommen angesehen  wird.  Direkt  in  jenes  vorhomerische  Zeitalter 
fShren  uns  jetzt  die  Ausgrabungen  in  Mykenae  und  Tiryns,  wo  nir- 
irenda  weder  Fischer  ei  gerate  noch  FlMchgrätcn  gefunden  worden  sind 
<Tgl.  Täountat  and  Manatt  The  Mycenaean  age  p.  334). 

11« 


—    164    - 

machen,  dass  eine  urverwaDclte  BezeichDung  für  sie  einst  vorbandco 
gewesen  nud  dann  verloren  gegangen  sei.  So  acbeint  es  W.  Wundt 
Völkerpsychologie  I,  2,  643  in  methodischer  Beziehmig  zu  tadeln, 
dass  ich  in  meinem  Reallexikon  die  Unbekanntschaft  des  indog. 
Hänserbaas  mit  dem  Fenster  u.  a.  ans  dem  Nichtvorhandensein 
einer  indog.  Gleichung  für  den  letzteren  Begriff  gefolgert  habe. 
Er  übersieht  dabei,  dass  ich  zugleich  ausdrücklich  (vgl.  Vorrede 
p.  XIV)  auf  eine  Reihe  von  jüngeren  Kulturbegriffen  eigenen 
Erscheinungen  in  der  Terminologie  des  Fensters,  wie  auf  die 
Entlehnung  (lat. /IßTiß^^ra),  die  Komposition  (goU  auga'daürö)^  und 
andere  (russ.  oknöf  eigeutl.  ^Auge^)  hingewiesen  habe,  die  den  von 

• 

mir  gezogenen  Schluss  wohl  zu  unterstützen  geeignet  sind  ^).     In 

1)  Ähulich  rügt  es  Hirt  I.  F.  Anz.  XIII  U.  1  p.  8,  dass  ich  an- 
nehme, die  Indogermanen  hätten  ursprünglich  keinen  sprachlicheu 
Unterschied  zwischen  Zehen  und  Fingern  gemacht.  ,,Ich  muss  gestehen**, 
i^agt  er,  ,,dasft  mir  die  I.  bedenklich  idiotisch  vorkämen,  wenn  sie  nicht 
zwischen  Fingern  und  Zehen  unterschieden  hätten'.  Hirt  weiss  also 
nicht,  dass  noch  die  Griechen  und  Slaven  so  „bedenklich  idiotisch** 
sind,  dass  sie  ihr  SdxxvXog  und  pdfecü  in  beiderlei  Sinn  gebrauchen. 
Hirt  sieht  auch  nicht,  dass  meine  Bemerkung  sich  aufs  beste  In  den 
Rahmen  meiner  Beobachtung  einfügt,  derzufolge  die  Benennungen  der 
menschlichen  Körperteile  sich  nIhnMhIich  aus  denen  der  tierischen  ent- 
wickelt haben. 

Diese  kulturhistorisch  nicht  unwichtige  Beobachtung  entlehnt 
Hirt  aus  meinen  Bücheru,  belustigt  sich  aber  gleichzeitig  über  meine 
Bemerkung,  dass  die  Indogermanen  in  der  Urzeit  schon  eine  ziemlich 
eingehende  Kenntnis  des  menschlichen  oder  tierischen  Körpers 
gehabt  haben  müssen:  „In  Wirklichkeit',  sagt  H.,  „ist  „menschlich*'  ganz  zu 
streichen,  denn  ich  wüsste  nicht,  wie  die  Indogermanen,  falls  sie  nicht 
Menschenfresser  waren,  zu  dieser  Kenntnis  ihres  Körpers  hätten 
kommen  sollen.'  Vielleicht  erinnert  sich  aber  Hirt,  vor  Zeiten  in  seiner 
Ilias  von  den  schweren  Verwundungen  der  homerischen  Helden  gelesen 
zu  haben,  wie  der  eine  in  die  Eingeweide  (evrega),  der  andere  in  die 
Leber  (jyjro^),  der  dritte  ins  Herz  {xifg)  usw.  geschossen  wird,  um  es 
auch  ohne  die  Annahme  von  Menschenfresserei  begreiflich  zu  finden, 
dass  auch  die  Indogermanen  in  ähnlichen  Fällen  auf  Grund  ihrer 
Kenntnistdes  tierischen  Leibes  imstande  gewesen  sein  werden, 
gewisse* innere  Teile  ihres  Körpers  zu  benennen. 

„Wie  wenig  mir  die  Sprache  sage',  fährt  Hirt  a.  a.  0.  fort,  yZeige, 
dass  ich  bei  Besprechung  des  griech.  jreSi],  lat.  pedica.  agls.  feter 
f:  *ped  „Fuss')  nicht  bemerkt  habe,  dass  sich  dieser  Ausdruck  auf  die 
tierische^  Fesselung  beziehe,  „da  es  wohl  sehr  töricht  gewesen  wäre, 
den  Menschen  an  den  Füssen  zu  fesseln'^.  Hirt  weiss  wiederum 
nicht,    dass  die  Fussi'esseluug  gerade  die  älteste  Form  der  Fesselung 


—    165    — 

demselben  Werke  habe  ich  auf  das  Auseinandergehen  der  ver- 
wandten Sprachen  in  der  Bezeichnung  des  Begriffes  „Eltern"  hin- 
gewiesen und  gemeint,  dass  es  nicht  zufällig  sein  werde.  Wer 
nun  die  Dinge  oberflächlich  betrachtet,  wird  sagen:  „Wie?  Die 
Indogermanen  hatten  ein  Wort  für  „Vater"  und  eins  für  „Mutter", 
nnd  ein  Ausdruck  für  „Eltern"  sollte  ihnen  gefehlt  haben?" 
Bedenkt  man  aber,  dass  sich  ebensowenig  wie  ein  Wort  für 
„Eltern",  ein  solches  für  „Ehegatten",  für  „Ehe",  für  den 
„Witwer"  (im  Gegensatz  zu  der  Witwe)  in  der  Ursprache  nach- 
weisen lässt,  so  erklären  sich  alle  diese  Erscheinungen  unge- 
zwungen aus  den  Anschauungen  einer  Zeit,  in  der  die  Stellung 
von  Mann  und  Frau,  Vater  und  Mutter  so  fundamental  verschieden 
war,  dass  es  noch  fern  lag,  die  beiden  Personen  sich  als  ein 
miteinander  verbundenes  Paar  vorzustellen. 

Es  zeigt  sich  also,  dass  die  Lage  der  Dinge  auf  diesem 
Gebiet  nicht  ganz  so  einfach,  aber  auch  nicht  ganz  so  hoffnungs- 
los ist,  als  sie  P.  Kretschmer^)  Einleitung  p.  68,  „der  jedes 
lexikalische  argumentum  ex  silentio^^  als  „ad  absurdum  geführt" 
bezeichnet,  und  H.  Hirt  (Beilage  zur  Allg.  Z.  1898  No.  51  p.  3), 
der  meint,  dass  „aus  dem  Fehlen  von  Worten  überhaupt  niemals 
etwas  zu  erschliessen  sei",  hinstellen. 


ist,  die  wir  auch  beim  Menschen  kennen.  Vgl.  z.  B.  russ.  kolödka  ,zwei 
Bretter  mit  einem  Ausschnitt,  für  den  Fiiss  des  Sträfh*ng"s"  (Dahl), 
kdödniküy  ein  gewöhnliches  Wort  für  Verbrecher.  Dazu  mein  Real- 
lexikon p.  836.  Warum  derartiges  eine  Nachahmung  der  Tierfesselung 
seio  soll,  ist  mir,  da  auch  menschliche  Gefangene  auf  ihren  Füssen 
davonzulaufen  pflegen,  nicht  ersichtlich. 

1)  übrigens  schreckt  Kretschmer  selbst  vor  derartigen  Schlüssen 
nicht  zurück,  z.  B.  wenn  er  p.  108  es  für  „ausgeschlossen"  erklärt,  dass 
die  Gleichungen  ahd.  laks  =  russ.  lo.sosX  und  got.  gutp  =  slav.  zlato 
einst  gemeiniodogermanisch  gewesen  seien,  da  es  keine  geuieinindog. 
FischnameD  und  nur  äusserst  wenige  gemeinin dog.  Metallnamen  gäbe. 
Sieht  das  einem  argumentum  ex  sÜentio  nicht  sehr  ähnlich? 


IV.  Kapitel. 

Geographische  Verbreitung  und  Chronologie  der 

indog.  Gleichungen. 

Die  partiellen  GleichuDgen  und  der  Verlust  alten  Sprachguts.  Ihre 
Auffassung  im  Lichte  der  Übergangstheorie.  Die  indog.  GleichungeD 
brauchen  nicht  untereinander  gleichzeitig  zu  sein,  gehen  aber  in  frühe^ 
vorhistorische  Zeiten  zurück.    Der  Ausdruck  „Indogermanisch*.     Die 

Einwendungen  Kretschmers. 

Wir  sahen,  dass  die  uns  hier  beschäftigenden  GleichnngeD 
sehr  selten  in  allen  Sprachen  unseres  Stammes  zu  belegen  sind, 
sondern  in  der  Regel  sich  auf  einen  grösseren  oder  geringereD 
Teil  derselben  beschränken,  oder  mit  anderen  Worten,  dass  die 
„partiellen^  Gleichungen  weit  häufiger  als  die  „gemeinindoger- 
manischen^  sind.  Wie  ist  dieser  Znstand  za  erklären?  In  dieser 
Beziehung  muss  zunächst  an  die  im  vorigen  Kapitel  erörterte 
Tatsache  des  häufigen  Verlustes  alten  Sprachgats  erinnert  werdra, 
durch  den  sich  die  beschränkte  Verbreitung  einer  Wortreihe  in 
vielen  Fällen  ohne  weiteres  verstehen  lässt.  Auch  hat  die  Er» 
Weiterung  unseres  etymologischen  Wissens  und  vor  allem  die 
Urbarmachung  neuer  Sprachgebiete  wie  des  Albanesischen,  des 
Armenischen,  der  neueren  iranischen  Mundarten  usw.  tatsächlich 
oft  das  Verbreitungsgebiet  urverwandter  Gleichungen  erweitert. 
So  hat  man  z.  B.  das  bis  vor  nicht  langer  Zeit  nur  im  Germanischen^ 
Litu-Slavischen  und  Indischen  belegbare  Wort  für  „Fleisch"  :  got* 
mimZf  altsl.  m^so,  scrt.  märhsd  jetzt  auch  im  Albanesischen  und 
Armenischen  {miiy  mis)  nachgewiesen,  das  früher  fflr  ansschliess* 
lieh  europäisch  gehaltene  lat.  glans^  griech.  ßdXavog^  altsl.  £eU^ 
„Eichel^    hat   man   ebenfalls  im  Armenischen  (Jkal%n\    das   ger- 


-     167    - 


manische  und  lilu-slavische  Wort  für  „Hand,  Pfote"  :  got.  I6fa, 
altsl.  lapa  auch  im  kurdieehen  (lapk)  wiedergefunden  usw. 

Kur  in  acltencn  Fällen  wird  in  den  einzelnen  partiellen 
Gleicbnugeo  selbst  ein  Anhalt  zur  Entscheidung  der  Frage  ge- 
geben Bein,  ob  die  Übereinstimmung  von  Anfang  an  auf  ihr 
bistoriach  bezeugtes  geographiächea  Verbreitungsgebiet  beachrünkt 
war  oder  nicht.  Es  wird  das  erstere  namentlich  dann  der  Fall 
sein,  wenn  die  betreffende  Cbereinstimmung  auf  der  speziellen 
Bedeutung  zweier  Wörter  beruht,  und  derselbe  Wurtstaaim  in 
allgemeinerer  Bedeutung  auch  in  anderen  Sprachen  vorkuoimt. 
Uierber  gehört  es  z.  B.,  wenn  die  Kelto-Germanen  den  Begriff 
des  Erbes  (ir.  orhe,  got.  arbi-namja)  ale  „verwaistes  Gut"  tlat. 
tfritus,  griech.  ö^^'avdc)  bezeichneu  oder  einen  gemeinsamen  Namen 
der  Butter  (ir.  imh,  ahd.  anche)  aus  einem  Stamm  hervorgehen 
latesen,  der  ursprünglich  allgemein  „Salbe"  iskrt.  nfijana,  lat.  un- 
guentum)  bedeutete.  Hierher  auch,  wenn  z.  B.  im  Arischen  das 
tiold  Iskrt.  hiranya,  aw.  ^arani/a)  mit  einem  Wort  benannt 
wird,  das  anderwärts  noch  in  der  Bedeutung  „gelb"  (altsl.  zelenü 
„gTdn-gelb")  vorliegt, 

Abgesehen  von  derartigen  Fällen  kann  man  hinsichtlich  der 
parliellen  GleicbnngeD,  wenn  man  sie  einzeln  betracbtet,  nieiuaU 
mit  Bestimmtheit  sagen,  ob  einstmals  auch  andere  indog.  Sprachen 
an  ihnen  teil  hatten  oder  nicht.  Erst  wenn  auf  gewissen  Ge- 
bieten derartige  Übereinstimmungen  in  Masse  anftreten,  fangen 
sie  an,  für  die  Ermittlung  der  Beziehungen  der  einzelnen  indog. 
Völker  zu  einander,  fUr  ihre  VerwandtBcbaftsveriiilitnisse  usw. 
einen  gewissen  Wert  zn  erhalten.  Diesen  Wert  sollte  man  nicht 
xn  gering  anschlagen.  Man  pflegt  zwar  zu  sagen,  dass  gegen- 
ober  den  parliellen  Übereinstimmungen  auf  dem  Gebiet  der  Lant- 
nnd  Formenlehre  den  speziellen  Berllhrungen  des  Wortschatzes 
deswegen  eine  geringere  Bedeutung  innewohne,  weil  WJlrter 
leichter  wanderten  und  ihr  Austausch  bei  einer  minderen  Inlensität 
dtm  sprachlichen  Verkehrs  möglieb  sei.  Dies  ist  in  gewissem, 
onten  n&her  zu  erörterndem  Sinne  richtig.  Auf  der  anderen  Seite 
ftber  stdlte  man  das  folgende  nicht  vergessen.  Man  bat  sich  in 
neaerer  Zeit  mehr  und  mehr  daran  gewöhnt,  die  Bestimmung  der 
engeren  Verwandtschaftsverhältnisse  der  indog.  Sprachen  nicht 
sowohl  von  der  partiellen  Bewahning  alten  Spracbguts  als  von 
der  partiellen  Erscheinung  gemeinsam  vollzogener  Neuerungen 


-     168    - 

abhängig  zu  machen.  Gerade  aber  gegen  diese  ietztereo  ArgQ- 
nientationen  läset  sich  mit  Brugmann  (vgl.  oben  p.  74)  der 
Einwand  geltend  machen,  dass  sieh  sehr  oft  liicht  beweisen  oder 
aach  nur  wahrscheinlich  machen  lässt,  dass  diese  gemeinsameD 
Neuerungen  wirklich  auf  einem  historischen  Zusammenhang  and 
nicht  vielmehr  auf  voneinander  unabhängiger  Entwicklung  der 
einzelnen  Sprachen,  d.  h.  auf  Zufall  beruhen.  Wenn  %.  B.  die 
indog.  Mediae  Aspiratae  bh,  dh,  gh  in  allen  indog.  Sprachen  mit 
Ausnahme  des  Indischen,  Griechischen  und  Lateinischen  zu  Mediae 
geworden  sind  (skrt.  bhdrämi  =  got.  bairä),  oder  wenn  dieselben 
Laute  nach  allgemeiner  Annahme  im  Griechischen  und  Italischen 
zunächst  übereinstimmend  zu  Tenues  As|)iratae  geworden  sind 
(scrt.  bhdrämi  =  griech.  (jf)eoo),  lat.  f'ero,  zunächst  *pherö)f  so 
fehlt  in  beiden  Fällen  ein  zwingendes  Kriterium  für  die  Annahme, 
dass  der  augeführte  Lautwandel  in  den  genannten  Sprachen  aaf 
einem  faktischen  Zusammenhang  beruhe.  Demgegenüber  ist  bei 
zahllosen  Gleichungen  des  Wortschatzes  (vgl.  näheres  Kap.  V) 
der  störende  Begriff  des  Zufalls  so  gut  wie  ganz  ausgeschlossen. 
Wenn  wir  in  den  europäischen  Sprachen  den  Begriff  des  Pflügens 
durch  die  Sprachreihe  griech.  äQoco,  lat.  arare,  ir.  airim,  got. 
arjan,  lit.  drü,  altsl.  orati  bezeichnet  finden,  oder  wenn  der 
Pfeil,  bczügl.  der  Bogen  agis.  earh  =  lat.  arcus  heisst,  so  wird 
niemand  auf  den  Gedanken  verfallen,  dass  die  betreffenden 
Sprachen  „zufällig"  gerade  diese  Wortstämme  für  diese  Begriffe 
ausgewählt  hätten.  Unter  allen  Umständen  können  diese  Glei- 
chungen —  sei  es  in  früherer,  sei  es  in  späterer  Zeit  —  nur  bei 
geographischer  Kontinuität  der  betreffenden  Sprachgebiete  und 
unter  der  Wirkung  eines  kausalen  Zusammenhangs  entstanden  sein. 
Die  Hauptfrage  ist  daher:  Lassen  sich  in  bestimmten  Teilen 
des  indog.  Sprachgebiets  partielle  Übereinstimmungen  des  Wort- 
schatzes in  verhältnisniässig  grosser  Anzahl  nachweisen?  und 
welche  Teile  des  indog.  Sprachgebiets  sind  das?  Der  Beantwortung 
dieser  Frage,  bei  deren  Erörterung  wir  von  den  allgemein  an- 
erkannten Spracheinheiten  des  Indischen  und  Iranischen  (Arischen) 
sowie  des  Litauischen  und  Slavischen  absehen  dürfen,  ist  die  Schrift 
J.  Schmidts  Die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  indog.  Sprachen 
(1872)  gewidnjet  (vgl.  oben  p.  63  ff.).  Das  in  ihr  erzielte  Ergebnis 
geht  dahin,  dass  immer  die  noch  in  historischer  Zeit  einander  geo- 
graphisch am  nächsten  liegenden  Sprachen  auch  in  ihrem  Wortschatz 


-    169    - 

die  relativ  meisten  partiellen  Übereinstimmungen  aufweisen.  So  bat, 
nacb  der  Zäblung  J.  Sebmidts,  z.  B.  das  Arisebe  99  besondere  Über- 
einstimmungen mit  dem  Grieebiscben,  aber  nur  20  mit  dem  Lateini- 
schen, 61  besondere  Übereinstimmungen  mit  dem  Slavo-Litauiscben, 
aber  nor  14  mit  dem  Germanischen.  Bei  seinen  Ausführungen  hat 
J.  Schmidt  zweierlei  Sprachbeziehungen  ausser  Acht  gelassen.  Er 
hat  einmal  das  zu  jener  Zeit  noch  wenig  bekannte  Keltisch,  das  in 
historischer  Zeit  auf  dem  westlichsten  Flügel  des  indog.  Sprach- 
gebiets steht  und  somit  den  Gegenpol  zu  den  arischen  Sprachen  bildet, 
nicht  berücksichtigt,  und  auch  heute  noch  dürfte  es  schwer  sein,  eine 
genaue  Statistik  der  keltischen  Sprachen  hinsichtlich  ihrer  par- 
tiellen Übereinstimmungen  mit  den  übrigen  zu  entwerfen.  So  viel 
aber  dürfte  ohne  weiteres  klar  und  allgemein  zugestanden  sein, 
dass  das  Keltische  mehr  partielle  Gleichungen  mit  dem  Germani- 
schen als  mit  dem  Litu-Slavischen  und  mehr  ebensolche  mit  dem 
Lateinischen  als  mit  dem  Griechischen  gemeinsam  hat,  so  dass 
68  sieh  also  in  das  System  J.  Schmidts  aufs  beste  fügt.  Zweitens 
bat  der  genannte  Gelehrte  die  näheren  Beziehungen  der  nord- 
eoropäischen  zu  den  südeuropäischen  Sprachen  nicht  weiter  ver- 
folgt. Holt  man  dies  nach,  so  ergibt  sich  —  und  auch  dies 
dürfte  allgemein  zugestanden  werden  — ,  dass  das  Lateinische 
(Italische)  den  nordeuropäischen  Sprachen  näher  steht  als  das 
Griechische.  Dies  hat  hinsichtlich  der  Beziehungen  des  Latei- 
uisebeu  zu  dem  Germanischen  schon  Lottner  K.  Z.  VII,  163  ff. 
richtig  erkannt,  und  neuerdings  hat  Kretsehmer  Einleitung 
S.  146  zahlreiche  besondere  italisch-lituslavische  Übereinstimmungen 
zusammengestellt.  Das  Bild,  das  wir  durch  J.  Schmidts  Aus- 
führungen von  den  gegenseitigen  Beziehungen  des  Wortschatzes 
der  einzelnen  indog.  Sprachen  gewinnen,  wird  auch  hierdurch 
weniger  verschoben  als  ergänzt. 

Nun  hat  aber  P.  Krctschnier  a.  a.  0.  noch  einen  zweiten 
Nachweis  zu  führen  versucht  (p.  124  ff.),  nämlich  den,  dass  auch 
die  italisch-keltischen  und  arischen  Sprachen  durch  eine 
weit  grössere  Zahl  besonderer  Übereinstimmungen  auf  dem  Gebiete 
der  Grammatik  und  des  Wortschatzes  mit  einander  verbunden 
würden,  als  man  bis  jetzt  geahnt  habe.  Ist  dies  richtig,  so  muss 
man  sagen,  dass  dadurch  das  System  J.  Schmidts  bedenklich  er- 
schüttert wird;  denn  die  Wahrscheinlichkeit  desselben  gründete 
aichy  wie   wir  sahen,  ja  gerade  auf  den  statistischen  Nachweis, 


-    170    - 

dass  immer  nar  nach  Ausweis  ihrer  geschichtlichen  Lagerung 
benachbarte  oder  doch  wahrscheinlich  früher  einmal  benachbarte 
Sprachen  durch  eine  relativ  grosse  Zahl  partieller  Überein- 
stimmungen verbunden  würden.  Wird  nun  diese  Argumentation 
nicht  völlig  durchbrochen,  wenn  wir  plötzlich  sehen,  dass  auch 
der  äusserste  westliche  zusammen  mit  dem  äussersten  östlichen 
Flügel  der  Indogermanen  die  gleiche  Erscheinung  aufweist?  In 
der  Tat  hat  Kretschmer,  der  im  übrigen  ganz  auf  dem  Boden 
der  J.  Schmidt'schen  Anschauungen  steht,  die  Konsequenz  seiner 
eigenen  Ausführungen  dadurch  zu  umgehen  versucht,  dasB  er  für 
die  Erklärung  der  von  ihm  angenommenen  italisch -keltisch- 
arischen Beziehungen  einen  durchaus  anderen  Faktor  verantwortlich 
macht  wie  für  die  übrigen.  Er  nimmt  nämlich  (p.  142)  an,  dass 
in  der  ^ Urheimat^,  die  sich  nach  ihm  von  den  Ufern  des  atlan- 
tischen Ozeans  bis  in  die  russisch-sibirischen  Steppen  erstreckte, 
ein  westindog.  Stamm  durch  Auswanderung  nach  dem  äussersten 
Osten  des  indog.  Gebietes  (wohlgemerkt  durch  alle  übrigen  Indo- 
germanen hindurch)  verschlagen  worden  und  in  den  dortigen 
Völkern  aufgegangen  sei,  denen  er  nun  dialektische  Eigentüm- 
lichkeiten der  westlichen  Idiome  zuführte. 

Indessen  glaube  ich  nicht,  dass  wir  zu  einer  derartigen 
gewaltsamen  Annahme  unsere  Zuflucht  nehmen  müssen,  um  die 
J.  Schmidt'sche  Theorie  zu  retten.  Allerdings  ist  es  Kretschmer 
gelungen,  die  Zahl  der  besonderen  Übereinstimmungen  des  Ita- 
lischen und  Arischen,  wofür  J.  Schmidt  nur  20  Nummern  angesetzt 
hatte,  auf  circa  30  zu  erhöhen  (p.  132  ff.);  allein  er  hat  nicht 
bedacht,  dass  auch  die  Zahl  der  partiellen  Gleichungen  zwischen 
Griechisch  und  Arisch  in  demselben  Masse  emporschnellen 
würde,  wenn  wir  die  hierauf  bezügliche  Liste  J.  Schmidts  jetzt 
nach  einem  vollen  Menschenalter  einer  ebenso  genauen  Revision 
unterwerfen  und  up  to  date  bringen  würden^).  Es  ei^bt  sich 
also,  dass  das  relative  Verhältnis  zwischen  italisch-arischen  und 

1)  Vgl.  z.  B.  griech.  ^vqov  =  scrt.  kahurd  „Rasiermesser*,  3«aofi^r^s= 
ddmpati  „Herr",  fihog  =  mänas  ^Geist",  xforj^o;  ^  ^a^frd  «schneidendes 
Werkzeug  etc.",  66qv  =  aw.  dduru  „Holz",  ßi6g  =  scrt.  jyöf  „Bogen, 
Bogensehne*  (lit.  gijd  „Faden**?),  nev^eQ6Q  =  bdndhu  „Verwandter*,  cE^iog, 
äyvosy  äCofAoi  =  ydjati,  yajnd  „heilig,  verehren,  Opfer*,  Sl&ofuu  =  rdhäü 
„gedeihen*,  uvofiat,  rioig  =  cdyate,  -citi  „rächen,  Vergeltung*  und  viele 
andere,  die  in  der  Liste  J.  Schmidts  (VI  Worte  und  Wurzeln,  welche 
bisher  nur  im  Griechischen  und  Arischen  nachgewiesen  sind)  fehlen. 


~   \-i\ 


riech iacli-ariscbeD  GleichuDgCD  —  und  in  diesem  Punkte  ruht 
(Im  Schwerg:ewicht  der  J.  Schniidt'schen  Argumenta tioD  —  aneb 
heute  noch  im  weseDtlichen  daaeelbe  geblieben  ist.  Auch  ist  e» 
dem  Verfasser  schwerlich  gelungeii,  für  einige  inhallHeh  besondere 
wichtige  keltisch -italisch- arische  Übereinstimmangen  den  schou 
oben  rU  sehr  schwierig  bezeichneten  Nachweis  zu  erbringen,  dass 
die  übrigen  indog.  Sprachen  niemals  daran  Teil  gehabt  habeu 
konnten.  Dies  gilt  /..  B.  von  der  Gleichung  scrt.  räj,  lat.  rix, 
kelt.  ri  „KOnig",  die  den  Verfasser  (p.  126)  zuerst  auf  die  „eigen- 
tümliche Natar  der  /.wischen  den  indisch-iranischen  und  italisch- 
keltischen  Sprachen  herrschenden  Beziehnngen"  aufmerksam  ge- 
mftoht  hat.  Er  verweist  dabei  auf  das  scrt.  rä'jati  „er  herrseht", 
Ldas  er  (mit  Recht  oder  Unrecht)  für  identisch  mit  scrt.  r^jdti 
VpStreckt  sich,  ei'slrebt"  liält  nnd  hebt  hervor,  dass  das  Verbnm 
'  nitr  in  der  Grundbedenlung  „ausstrecken"  gemeinindog.,  dagegen 
in  der  abgeleiteten  „lenken,  leiten,  herrrschen"  anf  dieselben 
Idiome  beschränkt  sei,  die  das  zugehörige  Wnrzelnomen  *rig- 
IfiLenker,  Leiter,  Herrscher"  hesässen.  Bei  dieser  Sachlage  seheine 
I  ausgeschlossen,  dass  letzteres  Nomen  jemals  im  Griechischen, 
rennanisehen,  .Slavischen,  Litauischen  bestanden  habe:  denn 
''  dadurch,  dass  diese  Sprachen  das  Verbum  kennten,  aber  nur  in 
seiner  primären  Bedentnng,  hätten  wir  eine  Gewähr  dafUr,  dass 
sie  die  Beden tungsent Wicklung  von  „ausstrecken,  richten"  zu 
^lenken,  herrechen"  Oberhaupt  nicht  mitgemacht  hätten.  Unver- 
indlieh  ist  mir  aber,  wie  sich  der  Verfasser  die  keltischen 
Verbältnisse  hierbei  denkt,  wo  ir,  W  „Herrscher"  neben  \v.rigim 
Rteht,  das,  soviel  ich  weise,  niemals  etwas  anderes  als  „aus- 
strecken" bedeutet.  Warnm  konnte  nun  z.  U.  im  Griechischen 
^jücht  ebenso  einmal  *reg-  „Herrscher"  (verdrängt  durch  (^aoi^eik) 
Wben  dgiyoi  „ich  strecke  aus"  liegen?  Auf  rein  grammatischem 
lebiet  hebt  Kretschmer  das  Vorkommen  des  r  in  den  Personal- 
mdnngen  des  Arischen,  Keltischen  nnd  Lateinischen  (z.  B.  scrt. 
dnkür  „sie  melken",  lat.  sequHur,  ir.  -sechethar  „er  folgt")  als 
l|.  besondere  beweisend  für  die  engere  Zusammengehörigkeit  dieser 
jkMprachcu  hervor.  Allein  jeder  Sprachforscher  weiss  ivgl.  Brug- 
^^HBUD  Gmndriss  II,  1368  ff.),  dass  eine  erkennbare  nähere 
j^^^bereiuBtimmung  dieses  r-Typns  sieh  nur  im  Keltischen  nnd  Ita- 
ii  Bscheo  zeigt,  wlihreud  man  von  den  arischen  Sprachen  eben  nur 
das  eine  sagen  kann,  dass  auch  sie  r  in  den  Fersonalendnngen 


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—     172    — 

aufweisen.  Es  ist  im  Grunde  nicht  viel  anders,  als  wenn  von 
den  oben  (p.  135)  erwähnten  m-Casus  des  Germanischen  und 
Litn-SIavischen  gewisse  Spuren  doch  aach  in  einigen  Adverbial- 
bildungen anderer  Sprachen  (scrt.  nan^mi  ^vor  Alters^,  lat.  o2tm, 
interim)  sich  vorzufinden  scheinen. 

Es  ergibt  sich  also,  dass  auf  die  oben  gestellt«  Frage,  ob 
auf  gewissen  Teilen  des  indog.  Sprachgebiets  partielle  Überdn- 
stimmungen  in  grösserer,  das  Walten  des  Zufalls  ansschliessender 
Masse  auftreten,  die  wahrsciieinlichste  Antwort  noch  immer  iaatet: 
,,Es  ist  dies,  von  der  indisch-iranischen  und  litu-siavischen  Sprach- 
einheit abgesehen,  der  Fall  bei  benachbarten  oder,  nach  Mass- 
gabe ihrer  geschichtlichen  geographischen  Lage,  früher  einmal 
benachbarten  Sprachen."  Es  folgt  hieraus  zugleich,  dass  die 
Ausbreitung  des  indog.  Sprachstamms  bei  allen  Verschiebungen 
im  einzelnen  doch  in  der  relativen  Lagerung  der  einzelnen 
Völker  zu  einander  keine  allzugrossen  Veränderungen  hervor- 
gebracht hat,  ein  Umstand,  auf  den  bekanntlich  auch  die  noch 
in  historischer  Zeit  ;z:eltende,  einen  wahrscheinlich  sehr  alten 
dialektischen  Unterschied  der  Grundsprache  wiederspiegelnde 
Gruppierung  der  indog.  Sprachen  in  Satem-  und  Centumsprachen 
(vgl. oben p.  71  ff.,  KJö),  d.h.  des  Indischen,  Iranischen,  Armenischen, 
Phrygischen,  Thrakischen ,  Illyrisch-Albanesischen  und  Slavo- 
Litauischen  im  Osten,  des  Griechischen,  Italischen,  Keltischen 
und  Germanischen  im  Westen  mit  grosser  Deutlichkeit  hinweist. 
Ein  nicht  aus  der  Welt  zu  schaffender  Übelstand  fast  aller  par- 
tiellen und  damit  der  meisten  indog.  Gleichungen  Qberbanpt  aber 
bleibt  es,  dass  es  im  einzelnen  Falle  nur  ausnahmsweise  mög- 
lich ist  XU  sagen,  ob  die  betreffende  Gleichung  von  jeher  auf 
die  Sprachen,  in  denen  sie  bezeugt  ist,  beschränkt  war  oder  nicht. 

Eine  zweite,  gerade  in  jüngster  Zeit  viel  erörterte  Haupt- 
frage ist  die  nach  der  relativen  Chronologie  der  indog.  Glei- 
chungen, der  partiellen  wie  der  allgemeinen.  Angenommen,  dass 
scrt.  dddki  =  altpr.  dadauj  griech.  yaka  =  lacy  Bezeichnungen 
der  Milch,  oder  scrt.  ajd-  =  lit.  ozySj  armen,  ayts  =  griech.  off, 
lat.  haedus  =  got.  gaUsy  Ausdrücke  für  die  Ziege,  von  jeher 
ausschliesslich  den  hier  genannten  Sprachen  eigneten,  wie  sind 
diese  besonderen  Übereinstimmungen  entstanden  zu  denken,  und 
wie  verhalten  sie  sich  zeitlich  zu  einander?  Es  liegt  auf  der 
Hand,  dass  das  Zustandekommen  derartiger  partieller  Gleichungen 


—     173    - 

an  sich  nicht  anders  beurteilt  werden  kann,  wie  dasjenige  geo- 
graphiseh  weiter  reichender  Wortreihen  wie  etwa  scrt.  pac,  griech,. 
TUaatOj  lat.  coquo,  siav.  pekq  für  ^kochen""  oder  des  wirklich 
einmal  bei  allen  indog.  Hauptvölkem  bezeugten  Wortes  fOr 
Bmder:  scrt.  bhrä'tar^  aw.  brätar^  armen.  eXbairy  griech. 
qfQ^flQy  lat.  fräter,  ir.  bräthir^  got.  bröpar,  altpr.  brote^  altsl. 
bratrüy  d.  h.  das  betreffende  Kultiirwort  hat  sich  auf  einem  be- 
stimmten Punkte  des  indog.  Sprachgebiets  spraciilich  fixiert  und 
sich  von  da  in  weiterer  oder  geringerer  Ausdehnung  zu  den 
Umwohnenden  verbreitet  (vgl  oben  p.  143).  Wann  dies  geschehen 
ist,  das  zu  bestimmen,  bietet  sich  keine  Möglichkeit  dar,  da  die 
Ausbreitung  der  genannten  Wortreihen  vor  der  Wirksamkeit  der 
einzelnen  Lautgesetze  erfolgt  ist,  die,  wie  wir  (Kap.  I)  sahen, 
aof  den  einzelnen  Sprachgebieten  in  ganz  verschiedener  Zeit 
aufgetreten  sind  und  chronologisch  nur  selten  fixiert  werden 
können.  Nur  soviel  ist  klar,  dass  in  der  Epoche,  in  der  jene 
Gleichungen  sich  verbreitet  haben,  das  Sprachgebiet  derjenigen 
Völker,  bei  denen  sie  überliefert  sind,  oder  —  noch  voi-sichtiger 
ausgedrückt  —  das  Sprachgebiet  je  zweier  dieser  Völker  (s.  u.), 
noch  geographisch  miteinander  zusammengehangen  haben  muss, 
dass  also  z.  B.  lat.  haedus  =  got.  gaits  auf  eine  Zeit  hinweist^ 
in  der  in  Folge  eines  geographischen  Zunamnienhangs  noch  ein 
sprachlicher  Austausch  zwischen  Italikern  und  Germanen  möglich 
war.  Vergegenwärtigen  wir  uns  nun,  was  in  Kap.  II  über  die 
Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Europa  und  Asien  gesagt 
worden  ist,  und  wie  dieselbe  ohne  die  Annahme  frühzeitiger 
Wanderungen  und  einschneidender  Völkertreunungen  nicht  denk- 
bar ist,  so  kann  man  wenigstens  soviel  behaupten,  dass  die  Ent- 
stehung derartiger  Gleichungen,  wie  sie  oben  aufgeführt  worden 
sind,  in  eine  sehr  frühe  vorhistorische  Zeit  zurückgehen  muss, 
und  es  steht  nichts  im  Wege,  jene  partiellen  Gruppen  wenigstens 
zum  teil  als  dialektische  Verschiedenheiten  der  indog.  Grund- 
sprache aufzufassen,  von  denen  in  Kap.  I  die  Rede  gewesen  ist. 
Damit  ist  nicht  gesagt,  dass  sie  untereinander  gleichzeitig 
■ein  müssten  oder  wahrscheinlich  nur  wären.  Zu  der  Zeit,  als 
eine  Sprachreihe  wie  das  oben  genannte  scrt.  pac,  griech.  neoocoj 
lat.  coquOy  slav.peX-q  sich  ausbreitete,  brauchte  z.  B.  die  Gleichung 
lat.  haedus  =  got.  gaits  noch  nicht  bestanden  zu  haben,  die  sich 
erat  gebildet  haben  könnte,  bevor  die  Italer  sich  von  ihren  nörd- 


—     174    - 

liehen  SpraehgeDOSsen  ablösten.  Ja,  aneb  die  Beibe  scrt.  p(Mc 
usw.  könnte  in  zeitlicb  and  räamlicb  yersebiedenen  Staffeln  ihre 
Verbreitung  erlangt  haben.  Es  Hesse  sich  z.  B.  eine  Epoche 
denken,  in  der  dieses  Wort  auf  dem  indogermanischen  Sprach- 
gebiet nur  bei  den  Vorfahren  der  Inder,  Slaven  und  Oriechen 
verbreitet  war,  dann  konnten  sich  die  Inder  von  ihren  Sprach- 
verwandten trennen,  und  nun  erst  konnte  das  Wort,  etwa  von 
den  Vorläufern  der  Griechen,  zu  denen  der  Italer  Übergeben. 
Da  nun  aber  die  indog.  Gleichungen,  in  ihrem  gegenseitigen  Ver- 
hältnis betrachtet,  eine  unendliche  Fülle  derartiger  Möglichkeiten 
darbieten,  so  ergibt  sich,  dass  ihre  Erörterung  mehr  ein  Spiel 
des  Witzes  als  ein  ernsthaftes  Problem  darstellt,  und  dass  nur 
derjenige  einen  wirklichen  Einblick  in  diese  ewig  uns  verschleierten 
Verhältnisse  zu  gewinnen  erwarten  wird,  der,  wie  man  zu  sagen 
pflegt,  das  Gras  wachsen  zu  sehen  und  die  Fliegen  husten  zu 
hören  hofft. 

Wir  müssen  uns  also  mit  der  Erkenntnis  begnügen,  daas 
uns  aus  sehr  früher  Zeit  gemeinschaftliche  Benennungen  bestimmter 
Kulturbegriffe,  für  die  uns  hierdurch  ein  verhältnismässig  hohes 
Alter  verbürgt  wird,  überliefert  sind,  ohne  dass  wir  sagen  könnten, 
ob  dieselben  sämtlich  räumlich  und  zeitlich  auf  einer  Stufe 
stehen,  genau  so  wie  dies  mit  den  grammatischen  Grundformen 
der  Fall  ist,  aus  denen  die  Sprachforscher  ursprachliche  Para- 
digmen zusammenzusetzen  gleichwohl  keinen  Anstand  nehmen. 
Man  hat  öfters  die  Frage  aufgeworfen,  in  wie  vielen  und  welchen 
Sprachen  denn  eine  Wortgleichung  bezeugt  sein  müsse,  um  als 
^indogermanisch^  gelten  zu  können,  ohne  dabei,  wie  nunmehr 
begreiflich,  zu  einem  abschliessenden  Ergebnis  gekommen  sa 
sein.  Mir  scheint  dabei  die  Sache  so  zu  stehen,  dass,  wenn  ein 
Wort  wenigstens  in  einer  arischen  und  in  einer  europäischen, 
oder  wenigstens  in  einer  nord-  und  in  einer  südeuropäischen, 
oder  auch  nur  wenn  es  im  Griechischen  und  Lateinischen  nach- 
gewiesen werden  kann,  darin  eine  Garantie  seines  hohen  Alters 
liegt,  nicht  als  ob  jene  Sprachen  (etwa  Arisch  +  Litu-Slaviseh 
oder  Arisch  +  Griechisch  oder  Griechisch  +  Lateinisch  usw.)  jemab 
eine  Spracheinheit  im  Sinne  des  früher  angenommenen  Stamm- 
baums der  indog.  Sprachen  gebildet  hätten,  sondern  deswegen, 
weil  aus  allgemeinen  Gründen  anzunehmen  ist,  dass  die  geo- 
graphische Kontinuität,  die  Voraussetzung  aller  sprachlichen  Zu- 


17B 


[Dmenhäii^e,  xwisciieD  den  betreffeudcn  Spmcbeu  Frühzeitig 
Eerrisern  ist.  Auf  derartige  Gleichungen  witrde  ich  die  Bezeich- 
tmag  „IndogerniRnisch"  bcBchräukeu  und  darnnter  nichts  anderes 

ITerstehen,  als  rtass  der  von  aolcheu  Gleicliun^eu  bezeichnete 
ICnItnrbegriff  innerhalb  des  vorhistorischen  Sprachgebiets  der 
Indogermanen  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung,  in  früherer 
bder  späterer  Zeit  seine  sprachliche  Ausbildung  gefunden  hatte'). 
JB|>Qziell  arische  (indisch-iranische),  litu-slavische,  keltisch-ger* 
■ttinisehe,  germanisch-slavische,  kellisch-germaniBch-slavische  Glei- 
chnngeu  wird  man  hingegen  nicht  ohne  weiteres  »um  Erschliessen 
der  „indog.  Crzeit"  benutzen  dürfen,  nicht  weil  sie  au  sieh  nicht 
ebenfalls  uralt  sein  könnten  —  das  kilnneu  auch  Ausdrücke  sein, 
lie  »ich  auf  eine  einzige  Sprache  beschränken  — ,  sondern,  weil 
ihnen  bei  der  anerkannten  engeren  Verwandtschaft  der  beiden 
rsteren  Grnppen  und  der  ununterbrnchencn  oder  sehr  frühzeitig 
■rieder  hergestellten  geographischen  KoDtinuitiLt  der  letzteren 
Pieine  oder  eine  geringere  Gewähr  eines  h<ihcn  Alters  innewohn). 
Durch  diese  AnsFührnngen  erledigen  sich  die  Einwände,  die 
(Eretscbmer  a.  a.  0.  gegen  die  Benutzung  der  sprachlichen  Glei- 
)hangen  für  kulturhistorische  Schlflsse  geltend  macht,  zuingrOssten 
Peil  Ton  selbst.  Überschauen  wir  drei  in  dem  oben  erörterten 
„in<logermaniBche"  Gleichungen  wie  etwa  acrt,  gäv,  aw. 
armen,  kov,  griech.  ßo?i,  lat.  bda,  ir.  bd,  abd.  chuo,  altsl. 
joeqdo  „Kuh";  scrt.  rdtha,  lat.  rfl(«,  ir.  rotk,  lit.  reftas,  ahd. 
„Wagen,  Wagenrad" ;  scrt.  ddma,  griech.  Ööfto^,  lat.  domus, 
Isl.  domü  „Haus",  so  hatte  der  einfältige  Sinn  der  Früheren 
bieraas  geschlossen,  dass  schon  die  nlndogermanen"  die  Kuh, 
den  Wagen,  das  Haus  gekannt  hätten.  „Halt!"  ruft  Kretschmer, 
„dieser  SehlnsH  ist  nicht  richtig.  Die  angeFuhrten  Gleichungen 
können  sieh  zu  ganz  verschiedener  Zeit,  in  ganz  verschiedener 
Ausdehnaog  und  von  ganz  verschiedenen  Ausgangspunkten  ans 
auf  dem  indog.  Sprachgebiet  verbreitet  haben.  Es  ist  also  nicht 
nOglicb,   dnrcb  Addition   derselben  die  Kultnrverhältnisse  einer 


1)  Diese  AuffaBsung  habe  ich  schou  in  der  Vorrede  3 
Beallexikon,  p.  Xttl  deutlich  ausgesprochen  und  bin  ihr  in  dem  Buche 
Mfbst  gefrtigl.  Es  im  daher  nicht  meine  Schuld,  wenn  H.  Hirt  in 
Mfaier  Anzeige  des  Reallexikons  I.  F.  Anzeiger  Xllt.  9  bemerkt,  dass 
r  nicht  h«be  ,entd«ckeu'  können,  weiche  Grundsätze  mich  bei  dem 
lebrauch  des  Wortes  .mdogermaniach''  geleitet  hätten. 


"    176     - 

bestimmten  fernen  Periode  der  Urzeit  zu  ermitteln.  Das  einzige, 
was  ans  ihnen  folgt,  ist,  dass  die  Bekanntschaft  mit  der  Rah, 
dem  Wagen,  dem  Häuserban  aaf  indog.  Gebiet  Ton  einem  Punkte 
ausgegangen  ist."  Derselbe  Gelehrte  aber,  der  diese  Skepsis  so 
eindringlich  und  scheinbar  so  überzeugend  verkündet,  fügt  in 
demselben  Atemzug  hinzu,  dass  er  sich  die  Entstehung  solcher 
Gleichungen  wie  der  oben  angeführten  nur  in  einer  Zeit  denken 
könne,  da  ^andere  sprachliche  und  ethnische  Zustände,  eine 
andere  geographische  Verteilung  der  indog.  Stämme  bestand,  als 
sie  uns  im  Beginn  der  Geschichte  entgegentritt".  Da  nun  dieses 
„andere"  der  sprachlichen  und  ethnischen  Zustände  nach  den 
obigen  Auseinandersetzungen  in  erster  Linie  eben  darin  bestanden 
haben  muss,  dass  damals  der  in  historischer  Zeit  längst  zerrissene 
geographische  Zusammenhang  zwischen  den  in  Betracht  kommenden 
Sprachen  und  Völkern  noch  bestand,  so  kommt  Kretschmer,  will 
mir  scheinen,  in  seiner  Weise  zu  demselben  oder  doch  zu  einem 
überaus  ähnlichen  Ergebnis  wie  die  Frühereu,  nämlich  dem,  dass 
die  indog.  Völker  in  früher,  vorhistorischer  Zeit,  vielleicht  in 
gewissen  Zwischenräumen  nach  einander,  in  den  Besitz  der  Kuh, 
des  Wagens,  des  Hauses  gelangt  sind*).  Noch  einmal  werden 
wir  zu  diesen  Fragen  in  Kap.  VII  (das  Lehnwort)  zurückkehren. 

1)  Ganz  in  diesem  Sinn  äussert  sich  über  die  Einwände  Rretschmers 
auch  B.  Syinons  in  der  Besprechung"  meines  Reallexikons  Museum 
1903  Nr.  4. 


V.  Kapitel. 

Wortform. 

Die  lautliche  Gestalt  der  kulturhistorisch  verwertbaren  Oleichungen. 
Benutzung  der  in  der  Wurzel-  oder  Suffixbildung  auseinandergehenden 
Wörter.    Gleichungen  mit  nachweisbarer  Wurzel  und  Gleichungen  ohne 

solche.    Onomatopoetische  Bildungen. 

Wir  haben  bis  jetzt  hauptsächlich  die  geographische  Ver- 
breitung der  kulturhistorisch  wichtigen  Gleichungen  und  die 
Scbltlsse  im  Auge  gehabt,  die  man  ans  ihr  zu  ziehen  berechtigt 
oder  nicht  berechtigt  ist,  und  mtissen  uns  nun  dazu  wenden,  die 
lautliche  Gestaltung  des  benutzbaren  Materials  etwas  ein- 
gebender zü  erwägen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  schon  A.  Kuhn   (vgl.  oben  p.  23) 
die  Forderung  aufstellte,    «lass  die  Wortreihen,    auf  die  die  An- 
nahme der  Existenz  eines  Kulturbegriffes  in  der  iiwlog.  Urzeit 
zu    grtlnden    sei,   nicht  nur  in  ihren   Wurzel-,   soni.« m   auch  in 
ihren  Snffixsilben  etymologisch    verwandt  sein   mttssten,   und 
niemand  wird   in  Abrede  stellen,    dass  in  der  Tat  Gleichungen 
wie  «crt.  ä^a,  lat.  equuK  etc.  (indog.  *ek-vö),  aw.  kaSnäf  griech. 
Kotyj^  etc.  (indog.  *}Of-nd),  scrt.  rf/^a,  griech.  dygög  etc.  (indog. 
*a§'ro)  usw.,   die  bis  in   die  Suffix-  und  Stammsilben  auf  das 
genaoeste  miteinander  Obereinstimmen,   zu  den    unanfechtbarsten 
Bestandteilen    des   indog.    Wortschatzes   gehören.      Jeder    weiss 
aber  auch,   dass  solche  Fälle  nicht  zu  den   häufigsten  gehören, 
md  es  erhebt  sieh  nunmehr  die  Frage,  ob  alle  etymologisch  ver- 
wandten  Wortreihen,    in   denen   sich    gewisse   Verschiedenheiten 
in   der  Wurzelsilbe   oder   in    der  Suffixbildung   oder   in   beiden 
«eigen,    fflr   die    Erschliessung   der   indog.  Drzeit   bedeutungslos 
«ind.     Znnftefast  wird  man  dies  nicht  von  denjenigen  Gleichungen 

Beb  rader,  Sprachvergleichunff  und  Urfreschichte.    S.  Ann.  12 


—     178     — 

behaupten  wollen,  deren  Verschiedenheiten  insofern  gesetzmässige 
sind,  als  sie  lediglich  auf  der  in  den  Einzelsprachen  erfolgten 
Verallgemeinerung  der  Stamm-,  resp.  Stiffixabstufungen  (Ablaut) 
eines  indog.  Paradigmas  beruhen.  So  liegen  in  den  Einzelsprachen 
die  Stämme  go t  fötu-j  griech.  nod-  (7rd(5-a),  lat.  ped-  {ped-eni) 
nebeneinander,  ohne  dass  diese  Tatsache  anders  zu  erklären 
wäre,  als  dass  in  dem  indog.  Vertreter  dieses  Wortes  die  Stämme 
pöd-j  pod'j  ped-  noch  die  regelmässigen  Deklinationsabstufungen 
darstellten.  Dasselbe  gilt  von  got.  hairtö  gegenüber  griech.  xagdia^ 
lat.  cord'  (indog.  herd- :  Icrd-).  Ebenso  wird  sich  das  Neben- 
einander von  got.  gulp  (*gh/to)  und  altsl.  zlato  {*gholto)  erklären. 
Das  ursprüngliche  Paradigma  mag  *§hölto-m  (altsl.  zlato),  *ghlt'4so 
(got.  gulpis)  usw.  flektiert  haben. 

Weit  in  ihrer  Suffixbildung  scheinen  filts\,  jeleni  „Hirsch*' 
und  griech.  ^k-atpog  voneinander  zu  liegen.  Führt  man  aber 
letzteres  auf  eine  Grundform  Hl-nhho  zurück,  so  zeigt  sich, 
dass   auch  im  Griechischen   ein  Stamm    *eZ  en :  *e^n   vorhanden 

o 

gewesen  sein  muss,  der  dann  durch  das  TiersufFix  -(po  erweitert 
wurde.  Ähnlich  vereinigen  sich  die  verschiedenen  Formen  des 
indog.  Wortes  für  „Winter"  in  einem  indog.  Paradigma,  dessen 
Ablautstufen  wahrscheinlich  ^ghi-dm-  (griech.  ;t«c6v),  ^ghi-em-  (lat. 
hiema),  *§hei'm'  (scrt.  h^man)  und  ^ghi-m-  (altsl.  zimd)  waren 
(vgl.  Brugmann  Grundriss  II,  453)  usw. 

Aber  auch  gegen  solche  in  dem  Leben  der  Sprache  alltftg- 
liehen  Fälle  braucht  der  Kulturhistoriker  keine  Bedenken  zu 
hegen,  in  denen  ein  einfacher  Übergang  aus  einem  Gescbleeht 
in  das  andere  oder  aus  einer  Deklination  in  die  andere  oder  ähn- 
liches stattfindet,  wie  dies  z.  B.  bei  Wörtern  der  Fall  ist  wie 
lit.  szirdls  Femhi, :  lat.  cor  Neutr,  „Herz",  griech.  Stamm  wxr-: 
scrt.  näkti-  (und  nakt-),  lat.  nocti-  „Nacht",  griech.  Stamm 
dfov- :  scrt.  dA-ÄÄa-,  lat.  axi-  „Achse"  etc.  Alle  diese  Fälle  sind 
also  für  den  Kulturhistoriker  unbedenklich  verwendbar,  and  kann 
man  auch  häufig  darüber  rechten,  welches  die  für  die  Drsprache 
anzusetzende  Sprachform  sei,  ja,  lässt  sich  dies  bei  gewissen 
Gleichungen  wie  etwa  lit.  oäffs :  scrt.  ajä-  „Ziege",  „Boek"  oder 
griech.  xv^y  scrt.  hahsd-s,  lat.  anser  etc.  vielleicht  nie  ermitteln, 
so  kann  dies  doch  unmöglich  den  Kulturhistoriker  von  der 
Annahme  abschrecken,  dass  in  der  indogermanischen  Drsprache 
Wörter   für    das    Herz,    die   Nacht,    die   Wagenaebse^    fär   eis 


sie^n*    lUid   FUr  eiu   gaDeartiges  Tier   (vgl.  Kap.  VI)   vorhanden 


Ferner  ist  hier  der  Platz,  auf  einen  nicht  unwichtigen  Unter- 
schied der  urverwandten  Gleichungen,  wenigstens  insofern  sie 
isirh  auf  nominale  BegriFfe  beziehen,  hinzuweisen.  Wie  man  sich 
anch  immer  das  Verhallnis  von  „Wurzel"  und  „Stamm"  vorelelbn 
I  anflg?  —  ein  Punkt,  über  den  hekanutlieh  die  Meinungen  beute 
toeiter  anseinandergelien  als  früher  — ,  geleugnet  kann  doch  nicht 
werden,  das«  es  Bolc-he  Gleichungen  gibt,  die  aufs  engste  mit 
,  Verbalbegriff  verbunden  sind  (z.  B.  Bcrt.  damd  =  griech. 
Itiuoc,  lat.  domus :  griech.  de/uo  „ich  zimmere")  und  solche,  bei 
deaen  dies  nicht  der  Fall  ist  (z.  B.  scrt.  dvi  =  griech.  <V,  lat. 
„Schaf").  Hinsichtlich  der  erstereu  wiid  es  sieh  darum 
ÜiaDdein,  in  jedem  einzelnen  Fall  besonders  darüber  r.a  enlscheiden, 
«b  es  wabrecheinlich  ist,  dass  zwei  oder  mehr  Sprachen  zufällig 
I  der  Benennung  eines  Begriffs  aus  derselben  Wurzel  zusammen- 
getroffen sind.  Dass  zalilreiche  indog.  Bezeichnungen  des  Bettes 
t  einer  gemeinsamen  Wurzel  ster  „ausbreiten"  oder  kei  „ruhen" 
Jind  zahlreiche  Benennungen  des  Stuhles  aus  einer  und  derselben 
■Wurw-'l  »€d  ^sitzen"  hervorgegangen  sind  (vgl.  A.  PieletOn'j/ines^lI, 
346  ff.),  diese  Erscheinungen  haben  etwas  so  natürliches,  dass 
nuD  nnmüglich  aus  ihnen  auf  das  Vorhandensein  jener  Benennungen 
in  der  Ursprache  echüessen  darf.  Auch  wenn  die  Amme  im 
Griechischen  Ti-ih'i-vti,  im  Sanskrit  dhd-tri  beisst,  so  wird,  bei 
dein  iebendiguu  Vorhandensein  der  Verba  ßt^-auödai  und  dkd  in 
beiden  Sprachen  niemand  fdr  diesen  Begriff  ein  indog.  Prototyp 
voraussetzen.  Ja,  selbst  wenn  eine  völlig  einheitliche  Bildung  in 
den  Wurzel-  wie  in  den  Suffixsilben  nachzuweisen  ist,  kann,  worauf 
schon  Benfey  (oben  p.  42  ff.)  mit  Recht  hingewiesen  hat,  eine 
gewisse  Vorsicht  in  der  Benutzung  auch  derartiger  Gleichungen 
nicht  entbehrt  werden.  Die  Suffixe  einer  Sprache  zerfallen  be- 
i  4anntlich  in  Botche,  welche,  ans  der  Vorzeit  ererbt,  in  den 
k'faistorischen  Epochen  der  Sprache  erstarrt  sind,  und  in  solche, 
^welche  in  denselben  noch  ein  bildungsfUhiges  Leben  führen. 
Trifft  e«  sich  nun,  das«  in  zwei  oder  mehreren  Sprachen  dasselbe 
Snffix  seine  lebendige  Kraft  bewahrt  hat,  so  kann  es  leicht  ge- 
schehen, dass  durch  dieselben,  das  Vorbaudensein  etymolo- 
gisch gleicher  Wurzeln  vorausgesetzt,  in  verhältnismässig  später 
Zeit  Bildungen  ;znstande   kommen,    die  durch    die    vollkommene 


-    180     - 

Identität  ihrer  Laute  und  Silben  den  Schein  indogermanischen 
oder  urzeitlichen  Ursprungs  erwecken.  So  könnte  eine  Gleichung 
wie  scrt.  paktdr  ^der  Koch"  :  W.  pac  =  lat.  coctor :  coquo  zvt 
dem  Glauben  Veranlassung  geben,  dass  die  Meister  der  Küchen- 
kunst  schon  in  der  Urzeit  eine  bestimmte  Klasse  von  Gewerbe- 
treibenden gebildet  hätten.  Wer  aber  bedenkt,  dass  sowohl  die 
beiden  genannten  Verba  wie  auch  die  Suffixe  tar  und  tor  im 
Sanskrit  und  Lateinischen  noch  ein  frisches,  blütentreibendes 
Leben  führen,  wird  nicht  zweifeln,  dass  wir  es  hier  mit  einer 
zufälligen  Übereinstimmung  zu  tun  haben,  was  in  diesem  Falle 
ausserdem  noch  durch  die  späte  Überlieferung  des  genannten 
Wortes  wenigstens  im  Lateinischen  bewiesen  wird.  Dasselbe  gilt  von 
einer  Wortreihe  wie  9>(iTi,  jflätdr  :jM,  griech.  yvcoartjg  :  yiyv(oox(Oy 
lat.  nötorinosco  „Kenner,  Bürge",  durch  die,  wenn  sie  stich- 
haltig wäre,  ein  wichtiger  juristischer  Begriff  in  die  Urzeit  käme. 
Auch  von  einem  anderen  Rechtsausdruck  scrt.  dpacüi  ^Ver- 
geltung"  iW.ci  =  griech.  äjioriaig :  rivo)  ist  es  sehr  wahrscheinlich, 
dass  das  in  beiden  Sprachen  noch  lebendige  Suffix  tij  oi  ein 
zufälliges  Zusammentreffen  geschaffen^)  hat. 

Anders  schon  steht  die  Sache  bei  zwei  Gleichungen  me 
etwa  griech.  jiev&egög  „Schwiegervater"  (auch  „Schwiegersohn**) 
:  scrt.  bdndhu  „Verwandter"  und  griech.  tdlanov  „Wage":  scrt. 
tuld'  id.  Die  Wurzeln  sind  in  dem  einen  Falle  unser  binden  =■ 
scrt.  bandh  „fesseln"  (der  durch  die  „Bande"  der  Verwandtschaft 
verbundene),  in  dem  anderen  wahrscheinlich  scrt.  tul  {töldyaii^y 
lat.  tuli  „in  die  Höhe  heben";  denn  das  Aufheben  eines  Gegen- 
standes wird  der  erste  Versuch,  ihn  zu  wiegen  gewesen  sein. 
Von  diesen  beiden  Verben  ist  nun  im  Griechischen  das  erstere 
nur  in  Spuren  {neiofia,  ^Tzev^-a^  „Tau"),  das  andere  nor  in 
übertragener  Bedeutung  (rlfjvai  „erdulden")  vorhanden.  In  jedem 
Falle  muss  also  die  Bildung  von  Wörtern  wie  nev^todg^  xdixmor 
in  eine  vorhistorische  Zeit  fallen,  in  der  im  Griechischen  noch 


1)  Bei  einigen  Gleichungen  mit  dem  Suffix  -ti  läset  sich  die  sn- 
fHllige  Übereinstimmung  auch  iautgeschichtlich  beweisen.  Bkitspräehe 
X.  B.  griech.  xi^ts  {xsgsi'Oi)  direkt  dem  scrt  tfp-H,  so  müsste,  da  ein 
Grund  für  den  Cbergang  des  t  in  a  hier  nicht  vorhanden  Ist,  das 
griechische  Wort  *TeQjt-u-g  oder  *TaQn-U'e  lauten;  tioy/ts  ist  also  offen- 
bar nach  Analogie  der  zahlreichen  Nomina  auf  -at  erst  auf  grlechischeoi 
Boden  von  W^jro)  {=^tfp)  abgeleitet. 


—    181    - 

<lie    Wurzeln    ^jier^   und    *TaJl-    (in   dera    Sinne   von    „tragen") 
zeugnngskräftig  erhalten  waren. 

Noch  zuTorlässiger  kann  über  die  Ursprünglichkeit  einer 
Gleichung  wie  scrt  tdkahan  =  griech.  t^xtcdv  „Zimmermann" 
^urteilt  werden.  Die  verbale  Wurzel  taksh  Ist  im  Sanskrit  noch 
Torhanden,  im  Griechischen  erloschen,  während  das  Suffix  -an, 
-an  =  -cov,  'Ov  (vgl.  Bopp  Vgl.  Grammatik  III ',  287),  als  un- 
mittelbar von  der  Verbalwurzel  nomina  agentis  bildend,  weder 
im  Griechischen  noch  im  Sanskrit  lebendig  genannt  werden  kann. 
Es  sind  hier  also  alle  Kriterien  vorhanden,  welche  die  Gleichung 
scrt.  tdkshan  =  griech.  rexrcov  zu  einer  indogermanischen  stempeln, 
and  es  wäre  eine  auf  die  Spitze  getriebene  Skepsis  (vgl.  auch 
oben  p.  43),  wollte  man  gegen  die  Annahme,  dass  somit  schon 
für  die  älteste  Epoche  der  indog.  Entwicklung  das  Vorhandensein 
einer  bestimmten  Handwerkerzunft  vorauszusetzen  sei,  die  Mög- 
lichkeit geltend  machen,  dass  in  urgriechischer  Zeit  die  Verbal- 
Wurzel  xexT'  noch  gelebt,  und  dass  in  den  uns  nicht  überlieferten 
Epochen  der  griechischen  und  indischen  Sprache  das  oben  ge- 
nannte Suffix  noch  bildende  Kraft  besessen  haben  könnte. 

Alle  derartigen  Erwägungen  sind  natürlich  bei  der  zweiten 
Klasse  der  beiden  oben  unterschiedenen  Arten  von  indog. 
<jrleichungen,  nämlich  bei  denen,  die  einer  nachweisbaren  Wurzel 
entbehren,  überflüssig.  Bei  Gleichungen,  wie  griech.  ßaXavog 
=  lat.  glans,  lit.  gile  „Eichel"  oder  scrt.  fksha  =  griech. 
ägxTog  „Bär"  usw.,  wird  natürlich  niemand  auf  den  Gedanken 
veifaHen,  dass  dieselben  zufällig  übereinstimmende,  einzelsprach- 
liche Bildungen  seien.  Andrerseits  wird  bei  ihnen  die  schon  oben 
angedeutete  Möglichkeit  vorliegen,  dass  die  eine  oder  andere 
dieser  Gleichungen  vielleicht  keine  eigentlich  indogermanische, 
sondern  schon  in  indog.  Urzeit  von  Nachbarn  oder  Ureinwohnern 
aufgenommene  Schöpfung  sei,  wie  man  dies  etwa  bei  dem  indog. 
Wort  für  Honig  und  Met  (scrt.  mädhu  =  griech.  jue&v  usw.)  ver- 
muten könnte,  das  ebenso  in  allen  finnischen  Sprachen  wieder- 
kehrt. Vielleicht  ist  dieser  Fall  aber  häufiger  gewesen,  als  wir 
ahnen  ^). 


1)  Nur  in  diesem  Sinne  habe  ich  in  meinem  Reallexikon  p.  936 
auf  einige  wurzelhaft  nicht  deutbare  indog.  Baumnamen  hingewiesen, 
die  deswegen  aus  nicbtindog.  Sprachen  übernommen  sein  könnten, 
nicht  etwa  müssten.    Ganz  dasselbe  tut  Brugmanu  Grundriss  I^,  1, 


-     182    - 

Eudlich  haben  wir  hier  noch  solcher  Gleichungen  zu  gedenken^ 
die  ihre  Entstehung  wahrscheinlicher-  oder  möglicherweise  dem 
zufälligen  Zusammentreffen  onomatopoetischer  Bildungen  ver- 
danken. Vor  allem  gehört  hierher  eine  Reihe  von  Vögelnamen 
wie  lat.  ulucus  :  sert.  ülüka  ^Eule^,  scrt.  JcöJcild  :  griech.  x6xxv(,. 
lat.  cucülus,  altsl.  kukavicaj  lit.  Jcukä'ti,  ir.  cöi  und  andere,  die 
sehr  wohl  erst  in  den  Einzelsprachen  durch  gleiche  Schall- 
nachahmnng  entstanden  sein  können.  Vielleicht  erklären  sich 
auch  einige  übereinstimmende  Benennungen  des  Haushahnes,  der 
in  der  Urzeit  kaum  bekannt  gewesen  sein  kann,  wie  Tcfka-väTeu 
„der  kflca  sagende"  (vedische  Benennung  des  Haushahns) :  griech. 
xEQxog  (Hesych)  oder  kukkufd  (ebenfalls  vedisch) :  altsl.  kokotü 
in  gleicher  Weise.  Dabei  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  in  einer 
oder  der  anderen  Sprache  durch  auftretende  Lautgesetze  eine 
ursprünglich  onomatopoetische  Bildung  ganz  oder  teilweis  in  den 
Rahmen  regelmässiger  Substantiva  hineintritt.  Vgl.  got.  hruk 
„Hahnenschrei"  ixegxog,  ir.  cercdae  y^gallinaceus''''  etc.,  ahd.  ^Aara, 
griech.  xiooa  {*kikjä) :  scrt.  kikidivi  „blauer  Holzhäher"  u.  a. 
Ähnlich  steht  es  mit  einer  Reihe  onomatopoetischer  Bildungen 
auf  dem  Gebiete  der  Verwandtschaftsnamen,  auf  die  wir  später 
zurückkommen. 


162,  wenn  er  das  Gleiche  hinsichtlich  des  indog.  Wortes  für  Salz 
(griech.  aXg)  vermutet.  Auch  hier  wäre  eine  solche  Vermutung  un- 
möglich, wenn  es  sich  um  eine  wurzelhaft  deutbare  indog.  Glei- 
chung wie  scrt.  damd  =■  dofwq^  W.  dem  handelte.  Dieses  Verhältnis- 
hat  Bartholomae  in  seiner  Polemik  gegen  mich  (Literaturblatt  für 
germ.  und  rem.  Phil.  1905  Nr.  6)  nicht  klar  erkannt. 


VI.  Kapitel. 


Wortbedeutung. 


Die  ursprüngliche  Bedeutung  der  etymologisch  verwandten  Wort- 
reihen. Schwierigkeit  dieselbe  festzustellen.  Die  einer  Gleichung  zu 
Qmnde  liegende  Wurzel  nicht  brauchbar  für  die  Erschliessung  der 
Urzeit  Verwandtschaftswörter.  Fälschliche  Übertragung  eines  modernen 
Sinnes  auf  alte  Wörter.  Verba  für  die  Ausübung  gewisser  Gewerbe. 
Tier-  und  Pflanzennamen  der  Ursprache.  Kultus-  und  religions- 
geschichtliche Gleichungen. 

Wenn  eine  kulturhistorisch  wichtige  Gleichung  somit,  bevor 
sie  als  Baustein  zu  dem  Gebäude  einer  indog.  Kulturgeschichte 
verwendet  werden  kann,  einer  sorgfältigen  Erwägung  hinsichtlich 
ihrer  geographischen  Verbreitung  und  der  Ursprünglichkeit  ihres 
grammatischen  Baues  bedarf,  so  sind  hiermit  die  Möglichkeiten, 
die  den  Kulturforscher  in  der  Benutzung  sprachlichen  Materials 
irre  zu  führen  geeignet  sind,  noch  keineswegs  erschöpft.  Die 
etymologischen  Untersuchungen,  die  sich  auf  die  Erschliessung 
des  indog.  Wortschatzes  beziehen,  begnügen  sich  fast  ausschliess- 
lich damit,  die  ursprüngliche  grammatische  Form  einer  Wortreihe 
zu  ermitteln,  während  die  Frage  nach  ihrer  ursprunglichen 
Bedeutung  meist  nur  obenhin  behandelt  wird.  Und  doch  wird 
jedermann  zugestehen,  dass  für  kulturgeschichtliche  Zwecke  auf 
diesen  Punkt  alles  ankommt. 

Schon  A.  Kuhn  (vgl.  oben  p.  24)  hob  die  Schwierigkeit 
der  Entscheidung  hervor,  wenn  die  Glieder  einer  etymologischen 
Kette   in   den  Einzelsprachen   eine   verschiedenartige  Bedeutung 


—    184    - 

aufweisen.  Dass  griech.  dgvg  „Eiche**,  altir.  daur  „Eiche",  scrt. 
drü  „Baum",  got.  triu  „Baum"  etc.  verwandte  Wörter  sind,  ist 
sicher,  und  doch  wird  sich  die  Frage,  oh  „Baum"  oder  „Eiche" 
ihre  ursprüngliche  Bedeutung  sei,  kaum  je  mit  Sicherheit  ent- 
scheiden lassen.  Ebenso  decken  sich  griech.  ögvn;  „Vogel"  und 
got.  ara  „Adler",  agis.  eai'n  (vgl.  altsl.  orllü,  lit.  erülis,  auch 
eri'8  „Adler");  ob  aber  „Vogel"  oder  „Adler"  die  ursprüngliche 
Bedeutung  des  Wortes  war,  lässt  sich  ebenfalls  kaum  ermitteln  ^). 

Einzelne  Kategorien  des  indog.  Wortschatzes  sind  in  be- 
sonders hohem  Masse  Bedeutungsveränderungen  ausgesetzt  ge- 
wesen. So  die  Baum n amen,  wie  z.  B.  ahd.  forha  „Eiche", 
dann  „Föhre"  =  lat.  quercus,  griech.  iXdn]  „Fichte"  =  ahd. 
linta  „Linde",  ahd.  iira  „Eibe''  =  slav.  iva  „Weide"  u.  viele 
andere  zeigen.  Auch  aus  diesem  Grunde  (vgl.  oben  p.  161)  er- 
weisen sich  die  für  die  Bestimmung  der  indog.  Urheimat  viel- 
geplagten indog.  Baumnamen  (vgl.  oben  p.  126)  immer  deutlicher 
als  hierfür  wenig  geeignet,  und  es  ist  daher  eine  etwas  kühne 
Behauptung  Bartholomae's  (Litbl.  für  germ.  und  rom.  Phil. 
1905  No.  6),  wenn  er  mit  Rücksicht  auf  ein  von  ihm  als  viel- 
leicht zu  lat.  fägusj  ahd.  buofiha  „Buche",  griech.  qprjyog  „Eiche" 
gehörig  erwiesenes  kurdisches  büz  „eine  Art  Ulme"  behauptet, 
dass  dieses  linguistische  Argument  alle  jene  anderen  schlage,  die 
man  zugunsten  der  Annahme  ins  Treffen  führe,  dass  die  Urheimat 
der  ludogermanen  in  der  südrussischen  Steppe  (vgl.  oben  p.  124) 
zu  suchen  sei.  Allerdings  ist  Bartholomae  vorsichtig  genug  zu 
sagen,  dass  jenes  kurdische  bäz  diese  bedeutende  Wirkung  nur 
dann  übe,  wenn  „Buche"  der  Sinn  des  Urworts  sei.  Gerade 
das  aber  wird  er  schwerlich  jemals  beweisen  können. 

Aber  auch  diejenigen  Wortreihen,  die  in  allen  ihren 
Gliedern  eine  übereinstimmende  Bedeutung  zeigen,  dürfen 
nicht  ohne  Kritik  zu  kulturhistorischen  Bestimmungen  benutzt 
werden. 

Allzu  zuversichtlich  hat  man  lange  Zeit  die  Bedeutung  der 


1)  Vgl.  H.  Osthoff  Parerga  p.  171  ff.,  der  die  Ansicht  vertritt, 
dass  in  solchen  Fällen  die  besondere  Bedeutung  der  allgemeinen  voraus- 
gegangen sei;  doch  kommt  auch  der  umgekehrte  Weg  oft  genug  vor 
Vgl.  z.  B.  lat.  frumentum  „Getreide*  —  frz.  frow^ent  „Weizen*,  rom.  anca 
„Qans*,  eigentl.  „Vögelchen",  slav.  ptüo  „Bier*,  eigentl.  „Getränk*  uiw. 


—    186    — 

einer  Gleichung  zugrunde  liegenden  Wurzel  als  charakteristisch 
Für  die  Gesittung  und  Kultur  der  Urzeit  angesehen,  ein  Beginnen, 
in  dem  Justi  (vgl.  oben  p.  29),  M.  Müller  (vgl.  oben  p.  30), 
tiesonders  aber  A.  Fick  (vgl.  oben  p.  41),  am  weitesten  gegangen 
»nd.  In  erster  Linie  sind  die  indog.  Verwaudtschaftswörtcr  das 
Versuchsfeld  für  derartige  Phantasien  gewesen,  die  den  Vater 
mm  „Schützer",  die  Mutter  zur  „waltenden  Hausfrau",  die 
Tochter  zur  „kleinen  Melkerin",  den  Bruder  zum  „Ernährer", 
icn  Schwager  (dai^g)  zu  dem  „spielenden"  (als  jüngeren  Bruder 
ies  Mannes),  die  Schwester  zu  der  „mit  ihm  (dem  Bruder) 
vrohnenden"  usw.  gemacht  haben.  Man  sollte  sich  erinnern,  wie 
Qberaus  unsicher  derartige  Deutungen  überhaupt  sind.  Ob  mätdr 
iie  „waltende  Hausfrau"  oder  „die  Bildnerin"  (des  Kindes),  ob 
iuhitär  „die  Melkerin",  „den  Säugling"  oder  „die  Säugende", 
>b  sü'nu  „den  Erzeugten"  oder  „den  Erzeuger"  usw.  bedeutet, 
las  alles  wird  sich  nie  entscheiden  lassen. 

Femer  aber  lehrt  eine  einfache  Erwägung,  dass  diese 
Bildungen,  selbst  wenn  sie  richtig  gedeutet  sind,  nur  für  die  Zeit, 
in  der  sie  entstanden,  bedeutungsvoll  sein  können.  Gehört  z.  B. 
bhrä'tar  „der  Bruder"  wirklich  zu  der  Wurzel  bher  und  be- 
ientete  den  „Erhalter"  (seil,  der  Schwester),  so  musste  diese 
\affas8ung  des  geschwisterlichen  Verhältnisses  doch  schon  in 
derjenigen  Sprachperiode  gelten,  in  welcher  der  angeführte  Name 
Ies  Bruders  gebildet  wurde,  in  welcher  also  (nach  der  gewöhn- 
lichen Auffassung)  die  „Wurzelsprache"  allmählich  in  den  Charakter 
einer  „Flexionssprache"  überging.  Dieser  Zeitraum  kann  aber 
im  viele  Tausende  von  Jahren  von  dem,  was  wir  unter  „prä- 
liistorischer  Einheit  der  indog.  Völker"  zu  verstehen  haben,  ent- 
fernt gewesen  sein,  und  durch  nichts  kann  bewiesen  werden,  dass 
den  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung  der  grammatische  und 
b^riffliche  Zusammenhang  des  Brudernamens  und  der  Wurzel 
bher  nicht  ebenso  unbekannt  gewesen  sei,  wie  den  Griechen  das 
Verhältnis  von  q?QiJTtiQ  :  qjega},  oder  den  Römern  von  fräter  :  ferOj 
ien  Deutschen  von  bruder :  {ge)bären  etc.  Übrigens  gibt  es, 
virenigstens  für  den  Vater-  und  Mutternamen,  eine  viel  ansprechen- 
lere  Erklärung,  die  schon  von  0.  Böhtlingk  in  seiner  Jakutischen 
Srammatik  (1851)  p.  VII  aufgestellt  worden  ist,  als  die  Deutung 
ms  einer  sinnvollen  Sprach wurzel.  Erwägt  man  nämlich  die 
MTahrscheinlichkeit,    dass    Namen    für    Vater    und    Mutter    und 


—    186    — 

namentlich  für  die  letztere  in  allen  Phasen  der  Sprachbildung 
vorhanden  waren,  und  bedenkt  mau,  in  wie  eigentümlicher  Weise 
die  volltönenden  und  scheinbar  sinnvollen  indog.  p(iyUr  und  md-tir 
an  die  durch  fast  alle  Sprachen  des  Erdballes  sich  ziehenden  mehr 
onomatopoetischen  Gebilde  wie  papa  und  mama  anklingen,  so 
wird  man  den  Verdacht  kaum  unterdrücken  können,  dass  jene 
indog.  Wortformen  nur  sprachlich  vervollkommnete  Umbildungen 
unendlich  viel  früherer  Vater-  und  Mutternamen  sind^). 

Ein  anderer  Fehler,  der  in  der  kulturhistorischen  Ausbeutung 
sprachlichen  Materials  häufig  begangen  zu  werden  pflegt,  liegt 
darin,  dass  man  nur  zu  oft  einen  modernen  Sinn  auf  alte  Wörter 
gepfropft,  jungen  Wein  in  alte  Schläuche  gegossen  hat.  Wie 
dies  gemeint  sei,  zeige  zunächst  ein  Beispiel  neuerer  Sprach- 
entwicklung. Das  englische  Zeitwort  torite  „schreiben"  ist  be- 
kanntlich identisch  mit  agis.  writany  altn.  Hfa,  ahd.  rtzan 
„einritzen,  eingraben^^,  und  es  ist  nicht  zweifelhaft,  dass  dieses 
Zeitwort  vorwiegend  zur  Benennung  des  Vorganges  verwendet 
wurde,  welcher  von  Tacitus  in  dem  X.  Kapitel  der  Germania 
geschildert  wird,  wo  von  dem  Einritzen  gewisser  Zeichen  (Runen) 
zu  Zwecken  des  Loses  auf  hölzerne  Stäbchen  die  Rede  ist. 
Niemand  wird  nun  zweifeln,  dass  es  töricht  wäre,  auf  die 
moderne  Bedeutung  des  englischen  Verbums  hin,  die 
moderne  Kunst  des  Schreibens  in  die  germanische  Urzeit  zu 
verlegen. 

In  ähnlicher  Weise  aber  sind  oft  die  indog.  Gleichungen 
missverstanden  worden.  So  hat  das  griech.  jwXig  „Stadt**  = 
scrt.  pur,  purij  pura  (nachvedisch)  „Stadt"  zu  der  Meinung 
veranlasst  (vgl.  oben  p.  34),  dass  die  Indogermanen  schon  Yor 
ihrer  Trennung  in  Städten  mit  Strassen  gewohnt.  Wall  und 
Graben  gehabt  hätten.  Und  doch  kann  nichts  verkehrter  als  das 
sein.  In  den  vedischen  Gesängen  sind  nämlich,  wie  H.  Zimmer 
Ältindisches  Leben  p.  142  ff.  schlagend  gezeigt  hat,  die  pür-as 
weiter  nichts  als  „auf  erhöhten  Punkten  gelegene  und  durch 
Erdaufwürfe  und  Gräben  geschützte  Plätze,    in  denen  man  zur 


1)  Vgl.  das  Petersburger  Sanskritwörterbuch  unter  pitdr  und 
H.  Saycc  The  principles  of  comparative  phüology^  1875  p.  224;  dasu 
auch  Sir  J.  Lubbock  Die  Entstehung  der  Zivilisation  1875  (übers.  ▼. 
A.  Passow)  p.  360  und  W.  Wundt  Völkerpsychologie  I«,  2,  490. 


—    187    — 

Zeit  der  Gefahr  (im  Krieg  oder  bei  ÜberschwemmuDgen,  8onBt 
standen  sie  leer)  sieh  mit  Hab  nnd  Gut  barg^.  Von  Städten  ist 
im  Veda  durchaus  nicht  die  Rede.  Ähnliches  gilt  von  dem  Zeit- 
alter des  Awesta  (W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  p.  412  ff.),  und  auch 
von  dem  griech.  nohg  lässt  es  sich  wahrscheinlich  machen,  dass 
dieses  Wort  ursprünglich  ausschliesslich  den  Sinn  von  ä^gö-TioXig 
hatte.  ■  Für  Germanen  und  Slaven  wird  überdies  durch  völlig 
anzweifelhafte  sprachliche,  historische  und  archäologische  Beweise 
die  ünbekanntschaft  dieser  Völker  mit  Städtebauten  und  Stein- 
bauten  überhaupt  bestätigt.  So  würde  also  aus  der  Gleichung 
jwkig  =  pur  im  besten  Fall  nur  folgen,  dass  die  Indogerraanen 
vor  ihrer  Trennung  zu  ihrem  Schutze  Erdaufwürfe  in  der 
Art  der  vedischen  püras  aufzuführen  gelernt  hatten,  nichts 
weiter. 

Eine  andere  Gleichung,  aus  der  man  viel  mehr  geschlossen 
hat,  als  darin  liegt,  ist  scrt.  pdtni  =  griech.  norna  „Herrin, 
Gattin,  Hehre".  Von  ihr  sagt  A.  Fick  Spracheinheit  p.  266: 
„Wie  Benfey  (vgl.  Vorwort  zu  dem  Wörterb.  d.  indog.  Grundspr. 
von  A.  Fick  p.  VIII)  zuerst  erkannt  hat,  liegt  in  dieser  Benennung 
die  völlig  gleiche  Stellung  der  Frau  ausgesprochen;  Viel- 
weiberei und  Knechtung  des  Weibes  ist  also  den  Indogermanen 
durchaus  fremd"  usw.  Zugegeben  nun,  dass  diese  ario-liellenische 
Gleichung  für  die  indog.  Urzeit  beweisend  sei,  zugegeben  auch, 
dass  sie  damals  wirklich  die  Herrin  und  Gattin  bezeichnete^)^ 
wie  es  im  Sanskrit  der  Fall  ist,  so  kann  darin  doch  kein  Argu- 
ment gegen  die  Annahme  der  Polygamie  in  der  indog.  Urzeit,. 
auf  die,  wie  wir  später  sehen  werden,  viele  historische  Mo- 
mente hinweisen,  gefunden  werden.  Bedeutet  doch  im  vedischen 
Zeitalter /^dfral  ganz  unzweifelhaft  „Herrin,  Gattin",  und  ist  doch 
trotzdem  die  Vielweiberei  in  diesem  Zeitalter  sicher  nachweisbar 
nnd  rechtlich  gestattet.    Involvierte  daher  potnia  in  der  Ursprache 


1)  Im  Grieebiseben  lassen  sich  nur  die  Bedeutungen  „Gebieterin' 
z.  B.  "'ÄQTBfAig  stdtvia  ^Q<bv  II.  XXI,  470  und  „die  Hehre*  (als  ehrendes 
Beiwort),  a^tvia  "Hqij,  jEÖtvia  fArjxriQ  etc.,  nicht  aber  die  Bedeutung"  „Gattin** 
nachweisen.  Vgl.  deanoiva  {*6BOJtoxvia)  „Hausfrau,  Herrin"  bei  Homer 
und  deastlras  '  Ywcuxag  '  ßeoaa?,ot  Hesych.  Vgl.  zu  der  Gleichuno:  pätnl  = 
:tdTrta  auch  noch  v.  Bradke  Gott.  gel.  Anz.  1890  No.  23  p.  910  ff  ^ 
Delbrück  Verwandtschaftsnamen  (passim),  mein  Reallexikon  p.  165 
und  Symons  Museum  1903  p.  107 ^ 


—     188    — 

«inen  ehrenden  Begriff  und  war  nicht  wie  das  lit.  pati :  päts 
„Ehefrau** :  „Ehemann**  damals  noch  eine  bedeutungslose  Feminin- 
bildung :  potiSf  die  einfach  bedeutete  „einen  Herrn  habend** 
(vgl.  scrt.  sapätni  „denselben  Herrn  habend,  Nebenfrau**  B.  R.), 
so  konnte  unter  polygamischen  Verhältnissen  möglicherweise  die 
erste  oder  die  Liehlingsfrau  des  Herrn  damit  benannt  werden.  So 
enthält  z.  B.  Rigveda  X,  159  (Zimmer  Altind.  Leben  p.  159)  einen 
Zauberspruch^  in  dem  eine  Frau  eines  Königs  die  Nebengattinnen 
unschädlich  zu  machen  sucht,  damit  sie  beim  Gatten  am  meisten 
geehrt  sei. 

Besonders  aber  sind  es  zwei  Kategorien  von  Wörtern,  die 
am  meisten  einer  modernen  Deutung  ihres  alten  Sinnes  ausgesetzt 
sind.  Es  sind  dies  erstens  eine  Anzahl  von  Tätigkeitswörtern, 
die  schon  in  der  Urzeit  geübte  Fertigkeiten  bezeichnet  zu  haben 
scheinen,  wie  scrt  pacj  slav.  peJcqy  griech.  neaoco,  lat.  coquo 
„kochen";  scrt.  vabh  {vap)j  griech.  v(paivcOy  ahd.  icehan  „weben**; 
scrt.  siv,  lat.  sno^  slav.  sijq,  got.  aiuja  „nähen"  u.  a.  m.  Dass 
die  in  den  angeführten  Wurzeln  liegenden  Tätigkeiten  in  der 
Urzeit  ausgeübt  wurden,  liegt  auf  der  Hand;  aber  fragt  mich 
nur  nicht,  wie?  Wohl  „kocht"  die  Hausfrau,  die  eine  vor- 
treffliche Suppe  in  ihrem  Papinsehen  Kochtopf  bereitet;  es  „kocht** 
aber  auch  der  schmutzige  Eskimo,  der,  weil  seine  hölzernen  oder 
steinernen  Gefässe  die  Hitze  des  Feuers  nicht  ertragen,  so  lange 
erhitzte  Steine  ins  Wasser  wirft,  bis  es  siedet  (vgl.  Sir  J.  Labboek 
Die  vorgeschichtl.  Zeit  II,  195).  Welches  sprachliche  Moment 
gibt  es  denn  nun,  das  uns  darüber  belehren  könnte,  auf 
welcher  Stufe  zwischen  den  beiden  angedeuteten  Extremen  sieh 
unsere  Ahnen  vor  ihrer  Trennung  befunden  haben?  Wir  werden. 
so  hoffe  ich,  im  Laufe  unserer  Darstellung  Gelegenheit  haben, 
mehrere  der  angeführten  Gleichungen  für  die  Urzeit  auf  ihr 
rechtes  Mass  zurückzuführen. 

Die  zweite  Klasse  von  Wörtern,  die  hier  zu  besprechen 
wäre,  bildet  eine  Anzahl  von  Tier-  und  Pflanzennamen,  die  durch 
ihre  Übereinstimmung  in  den  Einzelsprachen  zwar  ihre  arzeitliehe 
Existenz  beweisen,  bei  denen  aber,  worauf,  wie  wir  schon  obco 
sahen  (vgl.  p.  35),  V.  Hehn  nachdrücklichst  aufmerksam  gemacht 
hat,  die  Sprachwissenschaft  ausserstande  ist,  den  Nachweis  zn 
führen,  ob  dieselben  schon  als  Haustiere  und  Kulturpflanzen  den 
Indogermanen  bekannt  waren.     Da  wir  indessen  auch  auf  diesen 


—     189    - 

Punkt  im  Verlaufe  unserer  Arbeit  noch  "eiDgehend  zu  sprechen 
kommen  werden,  begnügen  wir  uns  hier  damit,  hervorzuheben^ 
dasB  lediglich  kulturhistorische,  nicht  sprachwissenschaftliehe 
Momente  zu  einer  annähernden  Gewissheit  in  diesen  Fragen 
fuhren  können. 

Entnahmen  wir  die  bisher  gegebenen  Beispiele  im  wesent- 
lichen der  Geschichte  der  materiellen  Kultur  der  Indogermanen, 
so  ist  die  Gefahr  einer  Modernisierung  des  ursprünglichen  Wortsinns 
nicht  minder  gross  bei  solchen  Gleichungen,  die  sich  auf  die 
sittliche,  rechtliche  oder  religiöse  Zivilisation  des  Urvolks^ 
zu  beziehen  scheinen. 

Das  indische  dhä'man  und  das  griech.  '^ifug  haben  mit- 
einander gemein,  dass  sie  von  der  Wui*zel  dhS  (ti^/lu),  übrigens 
in  ganz  verschiedener  Weise,  abgeleitet  sind  und  das  indische 
Wort  zuweilen  (Satzung  des  Mitra-Varuna),  das  griechische  ge- 
wöhnlieh, das  über  dem  menschlichen  stehende  göttliche  Recht 
(lat.  fas)  bedeuten.  Diesen  Umstand  aber  mit  als  einen  Anhalt 
zn  benutzen,  um,  wie  es  Leist  (Gräco-italische  Rechtsgeschichte 
p.  205)  tut,  den  Begriff  des  fas  schon  der  Urzeit  zuzuschreiben, 
heisst  dem  Charakter  sprachlicher  Argumente  zu  viel  vertrauen. 
Viel  zu  leichten  Herzens  hat  man  auch  urzeitliche  Göttergestalteu. 
aas  Gleichungen  wie  scrt.  dyäüSy  griech.  Zevg,  lat.  Jov-em,  ahd. 
Zio  erschlossen.  Ich  billige  in  dieser  Beziehung  den  Einwand 
0.  Gruppes  (Wochenschrift  f.  kl.  Phil.  1884,  p.  487,  Die  griechischea 
Kalte  und  Mythen  p.  79  ff.),  der  betont,  dass  —  rein  sprachlich 
genommen  —  eine  solche  Gleichung  ursprünglich  ebensowohl 
nur  den  über  der  Erde  sich  wölbenden  Himmel  bezeichnet 
haben  könne. 

Ebenso  steht  es  mit  vielen  der  angeblichen  Kultusbezeich - 
oangen  der  Indogermanen.  Griech.  x^^  ^giessen^  (auch  vom 
Opfei^ss)  gehört  wohl  zu  scrt.  hu  „ins  Feuer  giessen,  um  zu 
opfern''^  auch  zu  lat.  fundo  und  got.  giutan.  Ob  aber  diese 
Warzel  schon  in  der  Urzeit  einen  Kultusgebrauch  bezeichnete,  ist 
eine  ganz  andere  Frage,  deren  Beantwortung  durch  die  sprach- 
liebe Oleichong  keineswegs  präjudiziert  wird.  Auch  lat.  crSdo 
(«08  *cr€d-4o)  ist  sicherlich  identisch  mit  scrt.  ^addhd'  ^Ver- 
traaen,  Zuversicht,  Glaube,  Treoe,  Aufrichtigkeit".  Eine  ganz, 
willkflrliche  Annahme  aber  ist  es,  dass  dieses  Wort  schon  in  der 
üneit   ein  Aasdrack   der  religio  gewesen  sei.     Ebenso  ist  lat. 


-     190    - 

pürus  „rein"  unzweifelbaft  abgeleitet  von  sert.  pü  „reinigen". 
Wie  aber  Leist  Altarisches  Jus  gentium  p.  258  hieraus  folgern 
kann,  dass  der  „historische  Zusammenhangt  der  indischen  nnd 
italischen  Reinigungslehre  „schon  sprachlich"  hierdurch  „sicher 
gestellt"  werde  ^),  ist  mir  nicht  ersichtlich. 


1)  Vgl.  hierzu  noch  Leist  Altarisches  Jus  civile  I,  373  Aum.  1  und 
meine  Antwort  darauf  in  der  Deutschen  Litz  1893  No.  19  p.  597.  Der- 
selbe Gelehrte  sagt  Altarisches  Jus  gentium  p.  3:  „Den  Kern  der  Be- 
weisführung rauss  bei  allen  Untersuchungen  über  indo-gräco-italische 
Zusammenhänge  immer  die  Sprache  bilden.  Wenn  es  sich  z.  B.  um 
die  Institution  der  Namengebung  (an  das  neugeborene  Kind)  handelt, 
so  wird  die  indo-gräco-italische  Gemeinsamkeit  dessakralen  Brauches 
schon  daraus  geschlossen  werden  können,  dass  das  Fest  in  den  Sütras 
das  nämadhiya  (nominis  datio)  heisst'^.  Wir  können  sprachlich 
nichts  anderes  erschliessen,  als  dass  es  ein  indog.  Wort  für  den 
Namen  gab. 

Wir  machen  auf  derartige  Fälle  schon  hier  aufmerksam,  weil 
Leist  mit  durch  sie  zu  der  Annahme  einer  sehr  hohen  sittlichen  Kultor 
der  Indogermanen  geführt  wird,  worin  wir  ihm  nicht  folgen  können. 


VU.  Kapitel. 


Das  Lehnwort. 

Urverwandtschaft  und  Entlehnung.    Benutzung  der  Lehnwörter 

für  kulturhistorische  Schlüsse. 

Wir  haben  uns  bisher  mit  solchen  kulturgeschichtlichen 
Gleichungen  beschäftigt,  die  man  als  „urverwandte"  oder  als 
„Erb Wörter**  zu  bezeichnen  pflegt,  und  von  denen  man  annimmt, 
dass  sie  in  die  Zeit  vorhistorischer  Zusammenhänge  der  Indo- 
germanen  zurückgehen.  Ihnen,  stehen  solche  Wortreihen  gegen- 
über, die  man  durch  den  Ausdruck  „Lehnwörter"  zu  charakteri- 
sieren gewohnt  ist,  indem  man  annimmt,  dass  sie  zu  einer  Zeit, 
in  der  die  Indogermanen  bereits  in  ihren  historischen  Wohn- 
sitzen Sassen,  durch  Entlehnung  und  Wanderung  der  Wörter  von 
Volk  zu  Volk  zustande  gekommen  seien.  Die  Reihe  scrt.  d^a  = 
griecb.  Ijmog,  lat.  equus,  alts.  ehu  usw.  enthält  Erbworte^  ahd. 
pferit  „Pferd"  aus  lat.  paraverSdus  ist  ein  Lehnwort.  Die 
erstere  sagt  etwas  über  den  vorhistorischen  Besitz  der  Indo- 
germanen, das  letztere  etwas  über  die  ältesten  historischen  Be- 
ziehungen der  Römer  and  Oermanen  aus.  Die  Formen  der 
ersteren  entsprechen  den  Lautgesetzen,  die  man  als  massgebend 
für  das  Verhältnis  der  indog.  Sprachen  zueinander  erkannt  hat, 
das  letztere  entzieht  sich  denselben,  indem  die  lautgesetzliche 
Entsprechung  eines  alten  p  im  Hochdeutschen  f  (fater :  nan^g), 
nicht  aber  pf  (ahd.  pferit)  ist. 

Dieser  fundamentale  Unterschied  zwischen  Erbwort  und 
Lehnwort  ist  nun  neuerdings  durch  gewisse  Anschauungen  ins 
Schwanken  geraten,  denen  P.  Kreta chmer  und  W.  Wundt  am 


—    192    — 

schärfsten  Ausdruck  gegeben  haben.  „Aus  der  Gleichung  scrt. 
ytigärrij  griech.  Cvyov,  lat.  iuguniy  got.  jwfc,  altsl.  igo,  Mt.jüngM^, 
sagt  Kretschmer  Einleitung  p.  21,  „folgt  weiter  nichts,  als  dass 
sich  einmal  von  einem  unbekannten  Ausgangspunkt  aus  das 
Wort  *jugom,  vermutlich  mit  dem  Gegenstand  selbst,  den  es 
bezeichnet,  über  das  ganze  indog.  Sprachgebiet  verbreitet  hat .... 
Die  indische  Bezeichnung  des  Pfeffers,  pippaliy  bezw.  *pippari', 
ist  mit  dem  Gewürz  selbst  etwa  im  IV.  vorchristlichen  Jahr- 
hundert zu  den  Griechen  gewandert  (griech.  nmeQi\  von  diesen 
zu  den  Römern  (lat.  piper)  und,  Jahrhunderte  später,  zu  den 
Germanen  (agls.  pipor),  Slaven  (altsl.  plprü)  und  Litauern  (lit. 
pipiras).  Dieser  Vorgang  steht  mit  der  Verbreitung  des 
Wortes  für  Joch  im  Prinzip  genau  auf  einer  Linie  .  •  .  . 
Der  Unterschied  zwischen  den  prähistorischen  und  historischen 
Entlehnungen  ist  zunächst  lediglich  ein  chronologischer".  Fast 
noch  uneingeschränkter  drtlckt  sich  W.  Wundt  Völkerpsycho- 
logie P,  2,  642  aus:  „Dazu  kommt,  dass  mit  den  Werkzeugen 
und  Erzeugnissen  der  Kultur  auch  die  Bezeichnungen  wandern, 
die  sie  in  der  Sprache  gefunden  haben.  Wenn  uns  Märchen- 
und  Fabelstoffe  bei  den  entlegensten  Völkern  der  Erde,  bei 
den  Bantustämmen  Südafrikas  wie  bei  Indern  und  Griechen 
übereinstimmend  begegnen,  warum  sollten  dann  nicht  auch  die 
Bezeichnungen  für  Tätigkeiten,  Geräte  und  Wohnstätten  mit  der 
Kultur,  deren  Träger  sie  waren,  gewandert  sein  ?  Niemand  wird 
aus  der  Verbreitung  des  Wortes  „Sack^  auf  die  Existenz  eines 
handeltreibenden  indogermanisch -semitischen  Urvolks  zurück- 
schliessen.  Nicht  viel  sicherer  ist  es  aber,  wenn  man  die  Über- 
einstimmung der  Wörter  für  „Haus^^  bei  östlichen  und  westlichen 
Indogermanen  auf  ein  Urvolk  deutet,  das  Häuser  gebaut  habe.^ 
Ich  möchte  auf  diese  Ausführungen  zunächst  mit  einer 
einfachen  Frage  antworten.  Wenn  die  beiden  genannten  Forscher 
sehen,  dass  z.  B.  die  Gans  im  Spanischen  auca^  im  Portu- 
giesischen octty  im  Französischen  oie  heisst,  oder  wenn  sie 
wahrnehmen,  dass  das  Pferd  im  Russischen  koni,  im  Öechiscbeo 
JcüAy  im  Serbischen  konjy  oder  wenn  der  Hase  im  Althochdentschen 
Jiaso,  im  Angelsächsischen  haray  im  Altnordischen  here  genannt 
wird,  sind  sie  der  Ansicht,  dass  diese  Wörter  durch  ^Entlehnung 
von  Individuum  zu  Individuum,  von  Stamm  zu  Stamm"  gemein- 
romanisch,  gemeinslavisch  und  gemeingermanisch  geworden  aeieo? 


19a 


bt  es  niebt  eine  ansgoiuacble  Tatgacbe,  dass  die  Gans  im  Fran- 
xÖsiBchen  ot>  heisst,  weil  das  latdnigühe  auca  von  den  römiscfaeii 
Kolonisten  s  Z,  nacb  Gallieu  gebracht  worden  ist,  oder  dass  die 
äerbeu  dati  Pferd  konj  and  die  Angelsacbseo  den  Hasen  hara 
nennen,  weil  sie  diese  Wörter  bei  ihrer  Einwanderung  in  die 
Balkan Ii«]l)iii8el,  bezüglich  nacli  England  mit  sieb  führten?  Wenn 
dem  aber  so  ist,  mit  welchem  Recht  setzen  Kretschmer  anil 
Wnndl,  vun  denen  namentlich  der  eretere  nicht  genug  hervor- 
beben  kaun,  dass  man  die  vorhistorischeu  Verhältnisse  nacb  den 
bistortNclien  beurteilen  rnlls^,  für  Gleichungen  wie  sert.  jugd  = 
{;riecb.  Cvyöv  oder  scrt.  damit  =  grieeb.  dö/iog  eine  gänKÜcb 
verscbiedene  Art  der  Verbreiluug  voraus?  Sie  tuen  es  meine» 
EracbtcDs,  weU  sie  zwei  verschiedene  Prozesse  niebt  genügend 
lin&einandcrhalEen.  Man  kaun  sieb  dies  an  der  Ansbreitnng  des 
iben  genannten  lat.  auca  nnd  glaviseheu  koni  deutlich  machen. 
i  erstere  —  in  der  rümischen  Schriftsprache  nicht  bezeugt  — 
1  einer  gewiesen  Zeit  in  der  Volkssprache  statt  der  vorans- 
lasetz-enden  Bedeiitang  „Vogel"  (aois)  die  Bedeutung  von  „Gans" 
igenonimeu.  Dies  mU8B  natUrlicb  zuerst  au  einer  bestimmten 
^ptelle  des  Sprachgebiets  geschehen  sein,  von  der  aus  die  neue 
fiedeiitung  sich  eine  geraume  Zeitlaug  „durch  Entlehnnirg 
von  Individnum  zu  Individuum,  von  Stamm  zu  Stamm"  allniäbliib 
Ober  die  Sprachgenossen  ausgebreitet  hat.  Nachdem  dies  aber 
lobehen  war,  ist  das  Wort  durch  die  rCmische  Kolonisation 
i  alle  Welt  getragen  worden. 

Ganz  ebenso  liegen  die  Dinge  bei  dem  slavischen  kon't. 
■■  Wort  ist  wabracheinlich  nicht  slawischen  Ursprungs  '  vgl. 
taein  Beallesikon  n.  Pferd),  bat  sieb  aber  von  dem  Punkt,  an 
I  es  aufgenommen  wurde,  in  der  elaviscben  Ursprache  „durch 
Entlehnnng  von  Individuum  zu  Individuum,  von  Stamm  zu 
Btamm"  verbreitet.  Dann  haben  ihm  die  slavischen  Wander 
imgeti  seioe  historische  Ausbreitung  gegeben. 

und  niehl  anders  ist  es  mit  den  urverwandten  Gleichungen 
r^uij^n.  vfie  haben  sieh  in  der  Urheimat,  deren  geographinche 
jinMlehnuug  wir  uns  als  eine  verhältnismässig  grosse  vorstellen 
pOrren,  „durch  Entlehnung  von  Individuum  zu  Individunm,  von 
1  zu  Stapini"  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung  ver- 
rdtet,  aas  dem  eiufaehen  Grunde,  weil  wir  uns  in  anderer 
HTciM    üic   Herrschaft    einer   äpracberscbelnung  auf  einem    be- 

ScbraUar.  SpruhTcreloIchunir  und  Drfrciaclilclile.   n.  Aufl.  18 


-     194    - 

stimniteD  Gebiet  überhaupt  nicht  erklären  können.  Dann  ahör 
sind  sie  durch  die  Wanderungen  der  Indogermanen  in  die 
Feme  getragen  worden. 

Dazu  kommt,  dass  der  Hinweis  Kretschmers  auf  das  Wort 
„Pfeffer",  dem  Wundt  das  Wort  „Sack"  substituiert,  weder  in 
dem  einen,  noch  in  dem  anderen  Falle  ein  besonders  glücklicher 
ist;  denn  bei  beiden  hat  man  es  mit  ausgesprochenen  Handeig- 
wörtern zu  tun,  die  unter  historischen  Verkehrsbedingungen 
zusammen  mit  der  Ware,  bezüglich  ihrer  Umhüllung,  geschftfts- 
mässig  und  bewusst  von  Volk  zu  Volk  getragen  wurden  und  so 
eine  gemeinindogermanische  Verbreitung  erlangt  haben.  Dass 
dasselbe  auch  bei  der  grossen  Masse  der  sogenannten  urverwandten 
und  meist  ganz  anders  geaileten  Kulturgleichungen  unter  den 
Verkehrsbedingungen  der  Urzeit  möglich  gewesen  sei,  sind 
durch  nichts  erwiesene,  an  sich  höchst  unwahrscheinliche  Be- 
hauptungen der  beiden  Forscher.  Wie  unglaublich  ihre  An- 
schauungen in  concreto  aussehen,  zeigen  die  Fälle,  in  denen  sie 
gezwungen  sind,  ihre  Theorien  auf  bestimmte  Beispiele  der  Wort 
Verbreitung  anzuwenden.  So  schreckt  Wundt  davor  zurück 
(p.  643),  auch  die  Verbreitung  der  Verwandtschaftswörter  aus 
seiner  Entlehnungstheorie  zu  erklären.  Sie,  meint  er,  niüssten 
doch  wohl  als  „ursprüngliches  Gemeingut"  betrachtet  werden. 
Also  eine  Gleichung  wie  scrt.  hhrä'tä  =  griech.  (pQrjtrjQy  lat. 
fräter  usw.  „Bruder"  ist  nach  ihm  Erbgut,  eine  Gleichung 
aber,  wie  etwa  scrt.  dgva  =  griech.  hmogj  lat.  equus  usw.  „Pferd", 
die  die  Spuren  nicht  minder  alter  Lautgesetze  an  sich  trägt, 
Lehngut.  Für  Kretschmer  ist  die  Behandlung  der  Wörter 
charakteristisch,  die  übereinstimmend  im  Italischen,  Keltischen, 
Germanischen  und  Litu-Slavischen  das  Meer  bezeichnen  (p.  65).  Da 
es  zur  Zeit  seiner  „Urheimat"  (vgl.  o.  p.  128)  noch  keine  Nord-  und 
Ostsee  gab,  die  erst  in  der  postglazialen  Periode  hervortraten,  so 
muss  das  Wort  bei  den  Kelten  (mori)  aufgekommen  sein,  ursprünglich 
also  den  Atlantischen  Ozean  bezeichnet  haben  und  von  hier  aas 
zu  Germanen  und  Litauern  gewandert  sein,  die  vermutlich  einer 
Benennung  des  Meeres  bedurften,  als  sich  die  Nord-  und  Ostsee 
vor  ihren  Blicken  auftaten.  In  Verlegenheit  aber  gerät  er  hin- 
sichtlich der  Italiker  (lat.  mare).  Er  möchte  offenbar  nicht  gern 
sagen,  dass  auch  das  lat.  Wort  von  den  Küsten  des  Atlantischen 
Ozeans  über  die  Alpen  (denn  am  Meere  sassen  die  Ligurer)  von 


■  135 


■Individuum  äu  ludividuinn,  von  Stamm  zu  Sinmm  an  die  Küstea 
des  lyrrlicnisclicn  Meeres  gedrungen  sei.  So  erklärt  er  p-  6ü 
Aum.,  daf>8  ihm  iiuklar  sei,  wie  sich  lat.  mare  zu  gall.  mori 
lautlich  nnd  sacliHi;!)  verhielte.  Ist  denn  nun  derartigen,  wie 
mir  scheint,  ganz  iiferloeeii  Konstruktionen  gegenüber  die  ältere 
Annahme  nicht,  schon  als  die  einfachere,  vorzuziehen,  dass  das 
indog.  ürvolk  oder  wenigstens  grosse  Teile  desselben  an  einem 
Meere  sassen  nnd  dafür  natürlich  einen  Natuen  hatten,  der  dann 
durch  wandernde  Seharen  in  neue  Wohnsitze  übertragen  nnd  auf 
Biort  vorgefundene,  neue  Meere  oder  Meeresteile  angewendet 
^Bnrde? 

^B        Je  energischer  wir  aber   die    Versnche,    den   unterschied 

^■Rischen  Erbwort  und  Lehnwort   zu   verwisehen,    Versuche,    die 

^B^ou   »llznviel    Verwirrung')   angerichtet    haben,  znrUckweisen, 

^Vtm  so  bereitwilliger  können  wir  zugeben,  dass  es  im  einzelnen 

Falle  oft  sehr  schwierig,  ja  nnmüglich  ist,  zü  beweisen,  ob  ein 

Erbwort  oder  Lehnwort  vorliegt.     Der  Grund  iuerfllr  liegt  teils 

in  dem  Umstand,   dass  Wörter  aus   einer  .Sprache  in  die  andere 

in   sehr   frühen  Sprachepochen   entlehnt  sein  können,   in   denen 

inf  dem  entlehnenden  Sprachgebiet  wichtige,  den  Lantbestand 

Sprache    nmgestaltende    Gesetze,    wie    die    deutsche   Laut- 

rschiebung,  der  Verlust  des  p  im  Irischen,  der  Übergang  des 

Mervokalen  «  in  r  im  Lateinischen  usw.   noch  nicht  eingetreten 

Indem   nnn   der  neue  Ank(>nimling  in  den  Mechanismus 

einheimischen  Lautgesetze   hineingezogen   wurde,    konnte   er 

1  Fremdländisches  Gepräge  leicht  ganz  oder  teüweis  verlieren. 

ipiele   hierfür   sind  oben  p.  139  angeführt  worden.     Aach  ist 

lere    Kenntnis    der    Lautgesetze,    die    bei    der   Entscheidung 

tBcben  Erbgut  und  Lchngut  unser  erstes  Hilfsmittel  sind,  viel- 

kch  noch  nicht   tief  und  fein  genug,  nm  eine  sichere  Stellung 

möglichen.     Oh  z.  B.  lat.  rosa  aus  griech.  §65or,  Qo6ia  ent- 

ihnt  oder   mit   ihm    nrverwandt   ist,    bleibt  eine  offene  Frage. 

bdtich  fehlen  in  gewissen  Gleichnngen,  z.  H.  in  dem  Verhältnis 

I  tat.  mälum  :  griech,  /tfjXov  „Apfel"  solche  lautliehe  Kriterien 

üch,  die  uns  zwingcii  würden,  uns  dahin  oder  dorthin  zu 

Iflcheiden.     Aliein  so  zahlreich  auch  derartige  Fälle  sein  mögen, 

!  köDoea  selbstverständlich  nicht  dazu  dienen,  den  in  hundert 

])  Auf  die  widersprucliBvolle  Steliuug  H.  Hirts  in  dieser  Frage 

t  mit  Recht  Symone  Museum  1903  p.  110  Anin.  Iiiogewiesen. 


-«    196    — 

und  aber  hundert  Beispielen  klar  am  Tage  liegenden  Unterschied 
zwischen  Erbwörtern  und  Lehnwörtern  illusorisch  zu  machen. 

Über  die  Benutzung  der  letzteren  für  kulturhistorische 
Zwecke  sind  nun  noch  einige  Bemerkungen  zu  machen. 

Wir  haben  oben  (vgl.  p.  76)  gesagt,  dass  ein  in  einer 
Sprache  vorhandenes  Lehnwort  im  allgemeinen  den  SchloBS 
gestatte,  dass  auch  der  von  ihm  bezeichnete  Begriff  durch  das 
betreffende  Volk  aus  der  Fremde  entlehnt  sei,  und  gewiss  ist 
dies  im  grossen  und  ganzen  richtig.  Wie  wir  aus  unseren 
Wörtern  „Tabak^,  „Kartoffel^,  „Champagner^  usw.  ersehen,  von 
wo  oder  durch  welche  Vermittlung  diese  wichtigen  Kultur- 
gegenstände uns  überbracht  worden  sind,  so  lehren  uns  die  aus 
lat.  murus  „Mauer^  entlehnten  irisch  mür^  abd.  müra^  müriy 
neusl.  nur,  kleinruss.  poln.  murj  lit.  müras,  alb.  mur  usw.,  wer 
die  Lehrmeister  des  nördlichen  Europas  im  Stein-  und  Mauerbau 
gewesen  sind.  Oder  so  führt  uns  das  lat.  mina  durch  das  griech. 
fjLvä  nicht  nur  bis  zu  dem  hebräisch-assyrischen  manehy  manay 
von  wo  wieder  das  ägyptische  mn  ausgegangen  ist,  sondern  bis 
in  die  vorsemitische  Sprache  Babylons,  zu  dem  akkadischen  mana^ 
den  Weg  uns  weisend,  auf  dem  in  grauer  Vorzeit  die  Erfindung 
von  Mass  and  Gewicht  von  Volk  zu  Volk  sich  Bahn  gebrochen  hat 

Trotzdem  aber  müssen  wir  uns  erinnern,  dass  weder 
überall  das  Vorhandensein  eines  Lehnworts  eine  Ent- 
lehnung des  Begriffs,  noch  eine  Entlehnung  des  Be- 
griffs allemal  das  Vorhandensein  eines  Lehnworts 
voraussetzt.  Was  den  ersten  dieser  beiden  Punkte  anbetrifft, 
80  pflegen  in  Zeiten,  in  denen  ein  Volk  starker  kulturhistorischer 
Beeinflussung  durch  ein  Nachbarvolk  ausgesetzt  ist,  auch  solche 
Wörter  aus  dem  einen  Sprachschatz  in  den  andern  übernommen 
zu  werden,  welche  längst  geläufige  Dinge  oder  Begriffe  bezeichnen. 

Es  kann  die  Mode  entstehen,  irgend  einen  Begriff  mit 
einem  fremdländischen,  statt  mit  einem  einheimischen  Ausdruck 
zu  bezeichnen,  und  gegen  derarti<re  Unsitten  ist  die  Tätigkeit 
unserer  Sprachvereine  mit  Recht  gericlitet.  Ich  muss  indessen 
gestehen,  dass,  je  mehr  und  je  genauer  ich  derartige  Entlehnungs- 
reihen in  alten  oder  neueren  Sprachen  beobachte,  ich  in  immer 
gesteigertem  Masse  zu  der  Erkenntnis  komme,  dass  doch  in  der 
Mehrheit  der  Fälle  die  Entlehnung,  wenn  nicht  auf  die  Ein- 
führung  eines  neuen  Begriffes,    so   doch   auf  die  irgend   einer 


—    197    — 

neneD  Noance  hinweist^  die  an  dem  betreffenden  Begriffe  haftet. 
Wenn  wir  nnser  „Pferd^  ans  lat.  paraverSdus  oder  unser  „kaufen'* 
ans  lat.  c4iupo,  oder  wenn  die  Römer  ihr  murtus  aus  griech. 
fiAgtog  entlehnt  haben,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  die  Germanen 
¥or  ihrer  Berührung  mit  den  Römern  keine  Pferde  und  keinen 
Handel  gekannt  hätten,  oder  dass  die  Myrte  nicht  in  Italien 
einheimisch  sein  könne.  Wohl  aber  dürfen  wir  aus  diesen  Ent- 
lehnungen schliessen,  dass  die  Oermanen  die  Bekanntschaft  mit 
dem  Postpferd  (paraverSdus)  und  mit  dem  gewerbsmässigen 
Handelsmann  (caupo)  den  Römern  verdanken,  und  dass  die  ver- 
edelte Myrte  hauptsächlich  durch  griechische  Kulte  in  Italien 
verbreitet  wurde.  Bei  nahen  Völker-  und  Kulturberührungen 
pflegt  es  ferner  zu  geschehen,  dass  gewisse  Benennungen  un- 
sittlicher Personen  oder  Verhältnisse  von  dem  einen 
Volk  aus  dem  Sprachschatz  des  anderen  übernommen  werden: 
Das  phönizisch-hebräische  pfleget  „Bahle^  ist  wahrscheinlich 
in  das  Griechische  {nakXaxlg)  und  in  das  Lateinische  (pelex) 
eingedrungen,  das  griecli.  Jiogvixög  in  das  armen,  pornik 
(Lagarde  Armen.  Stud.  p.  130),  das  röm.  meretrix  in  das 
irische  mertrech  (Windiseli  I.  T.  p.  687)  und  altengl.  miltestrey 
ein  romanisches  *pütdna  (^it.  puttana)  in  das  Altnordische  (püta) 
und  Niederdeutsche  (mndd.  püte),  das  germanische  huora  wahr- 
scheinlich in  das  Slavische  (kurüva)  usw.  Die  Finnen  haben 
sogar  drei  Bezeichnungen  des  Freudenmädchens  {huora  :  schwed. 
hora,  portto :  altn.  portkona,  Jcurva :  slav.  kurüva)  von  ihren 
Nachbarn  entlehnt.  Trotzdem  ist  es  natürlich  nicht  gestattet, 
aus  diesem  Tatbestand  auf  das  einstmalige  Nichtvorhandensein 
unerlaubter  Geschlechtsverbindungen  bei  jenen  Völkern  zu 
schliessen.  Wohl  aber  scheint  mir  in  den  angeführten  Tatsachen  das 
internationale  Element  (Mädchenhandel)  deutlich  zum  Ausdruck  zu 
kommen,  das  der  Prostitntion  offenbar  zu  allen  Zeiten  an- 
gehaftet hat. 

Ich  habe  neuerdings  in  den  Wissensch.  Beiheften  des  Allg. 
D.  Sprachvereins  Reihe  IV,  1.  Nov.  1903,  23.  und  24.  H.  eine 
erste  Übersicht  über  die  germanischen  Bestandteile  des  russischen 
Wortschatzes  und  ihre  kulturhistorische  Bedeutung  gegeben.  Diesen 
Aufsatz  hat  A.  Brückner  in  der  Zeitschrift  „Deutsche  Erde" 
1904  H.  3  einer  im  ganzen  zustimmenden  Kritik  unterzogen,  es 
aber  getadelt,  dass  ich  in  jener  Arbeit  auch  so  „nichtssagende" 


-     198    - 

Entlehnungen  wie  podtdmtü  „Postamt^  and  pakgduzü  „PackhaoB^ 
angeführt  habe.  Ich  kann  ihm  aber  in  der  geringBchätzigen 
Beurteilung  solcher  Wörter  wie  dieser  beiden  nicht  folgen.  Natür- 
lich dürfen  wir  aus  dem  ersteren  nicht  schliessen,  dass  die 
Rassen  die  Post  erst  von  den  Deutschen  kennen  gelernt  haben. 
Woher  vielmehr  der  älteste  russische  Postdienst  stammt,  zeigt 
das  aus  dem  Tatarischen  entlehnte  russ.  jamü  j^die  Poststation*', 
jamS6{kü  „der  Postbauer"  usw.  (vgl.  a.  a.  0.  p.  108)  auf  das 
deutlichste  an.  Demgegenüber  bringt  das  gerügte,  ans  dem 
Deutschen  entlehnte  poctämtü  auf  diesem  kulturhistorisch  wich- 
tigen Gebiet  die  Abkehr  der  russischen  Welt  vom  Osten  und  ihre 
Zukehr  zum  Westen,  wie  mir  scheint,  augenfällig  zum  Ausdruck. 
Auch  pakgduzü  „Packhaus"  (pakgäuzny  „der  Wächter")  ist  ein 
durchaus  volkstümliches  Wort  und  weist  mit  zahlreichen  Genossen 
auf  die  ungeheure  Bedeutung  bin,  die  der  deutsche  Handel 
während  der  letzten  Jahrhunderte  in  Russland  erlangt  hat. 

So  ist  das  Lehnwort,  was  ja  auch  glücklicherweise  im  all- 
gemeinen nicht  verkannt  wird,  eine  unerschöpfliche  Quelle  kultur- 
historischer Erkenntnis,  und  es  bleibt  nur  noch  ein  Wort  über 
die  oben  berührte  Möglichkeit  zu  sagen,  dass  die  Sprache  einen 
entlehnten  Kulturbegriff  aus  eigenen  Mitteln  zu  benennen  anter- 
ninimt.  Offenbar  verhalten  sich  die  verschiedenen  Sprachen,  vor 
die  gleiche  Aufgabe  gestellt,  fremdes  Kulturkapital  zum  sprach- 
lichen Ausdruck  zu  bringen,  verschieden.  Während  die  Finnen 
bei  ihrem  Eintreffen  an  der  Ostsee  den  kulturhistorisch  wichtigen 
Sprachschatz  ihrer  Nachbarn,  sozusagen  mit  Haut  und  Haaren 
verschlungen  haben,  während  die  nordeuropäischen  Sprachen  indog. 
Stammes  aus  den  klassischen  Sprachen,  das  Römische  aus  dem 
Griechischen  ganze  Wörterbücher  voll  Entlehnungen  aufweisen, 
haben  sich  die  Griechen  selbst  in  ihrem  Abhängigkeitsverhältnis 
dem  Orient  gegenüber  eigenartig  und  schöpferisch  gezeigt.  Während 
ihre  Sprache  in  älterer  Zeit  nicht  100  deutlich  nachweisbare 
Lehnwörter  aus  dem  Semitischen  enthält  (nach  A.  Müller,  vgl. 
oben  p.  78),  haben  sie  zur  Bezeichnung  ausländischer  Dinge, 
wie  es  scheint,  weit  häufiger  als  andere  Völker  eigene  und  echt 
griechische  Ausdrücke  wie  vaiva  „Hyäne"  (  :  u^),  ^ivoxigoK 
„Rhinoceros"  ( :  §ig  u.  xega^)  und  viele  andere  gebildet,  die  dann 
gewöhnlich  im  griechischen  Kleid  durch  das  übrige  Europa  ge- 
wandert sind.     Die  Gründe  dieses  sowohl  im  einzelnen  Fall  als 


—    199   — 

auch  im  grossen  und  ganzen  verschiedenartigen  Verhaltens  der 
Sprachen  sind  offenbar  mannigfaltige.  Der  grössere  oder  geringere 
Grad  geistiger  Begabung  oder  kulturgeschichtlicher  Entwicklung 
des  empfangenden  Teils,  die  plötzliche  oder  allmähliche  und  stete 
Einwirkung  des  gebenden  Teils,  der  Umstand,  ob  ein  neuer  Kultur- 
gegenstand zuerst  in  fremdem  Land  geschaut  oder  von  Fremden 
in  das  eigene  Land  gebracht  ward,  alles  das  mögen  Faktoren  sein, 
die  hierbei  zu  berücksichtigen  sein  werden.  Jedenfalls  ver- 
dienen diese  Fragen,  denen  0.  Weise  in  einem  trefflichen  Auf- 
satz „Wortentlehnung  und  Wortschöpfung^  zuerst  seine  Aufmerk- 
samkeit zugewendet  hat  (Zeitschrift  für  Völkerpsych.  u.  Sprachw. 
XIII,  233  f.),  eine  eingehende  Untersuchung. 


VIII.  Kapitel. 

Die  kulturhißtorische  Begriffsentwicklung. 

Kulturwandel  und  Bedeutungswandel.    Das  Merkmal  oder  die  Zelle  des 
Wortes.    Lat.  pecunia.    Höhere  und  abstraktere  Begriffsbildung: 

Gesellschaft,  Kunst,  Religion. 

Allzusehr  hat  mau  bei  der  Erörtening  der  Frage,  welche 
Dienste  die  Sprachwissenschaft  der  Altertnmskande  zn  leisten  im- 
stande sei,  die  sprachlichen  Gleichungen,  sei  es  nun  die  auf  ür- 
verwaudtschaft,  sei  es  die  auf  Entlehnung  beruhenden,  im  Auge 
gehabt.  Und  doch  war  dies  schwerlich  die  Meinung  J.  Grimms, 
wenn  er  (vgl.  oben  p.  8)  sagte,  dass  der  Geschichte  von  Seiten 
der  Sprache  das  Bett  stärker  aufgeschüttelt  werden  könnte.  Ihm 
schien  vielmehr  der  gesamte  Wortschatz  einer  Sprache  der 
Spiegel,  aus  dem  uns  die  kulturgeschichtliche  Entwicklung  eines 
Volkes  entgegenblicke.  Und  in  der  Tat,  wenn  man  bedenkt,  dass 
jede  der  tausendfachen  Neuerwerbungen  auf  dem  Gebiete  der 
Süsseren  oder  inneren  Kultur  eines  Volkes  irgendwie  nach  einem 
8])rachlichen  Ausdruck  drängt,  und  anderereeits  die  Sprache  so 
gut  wie  niemals  neue  Wurzeln  und  Stämme  schafft  und  immer- 
hin nur  verhältnismässig  selten  zur  Bezeichnung  eines  Neuerwerbs 
sich  eines  der  im  vorigen  Kapitel  besprochenen  Entlehnungen 
bedient,  so  erhellt,  dass  jene  Kultur  Veränderungen  zumeist  an 
den  Sprach  Veränderungen  des  vorhandenen  und  einheimischen 
Wortschatzes  zum  Ausdruck  kommen  müssen  und  also  an  ihnen 
studiert  werden  können.  Es  ist  das  grosse  Kapitel  des  Be- 
deutungswandels, das  somit  den  Kulturhistoriker  interessiert, 
und  das  er  gleichsam  von  rückwärts  zu  lesen  hat,  um  an  der 
Hand  der  historischeu  Überlieferung  und,  wo  diese  abbricht,  an 
der  Hand  der  etymologischen  Forschung  die  Stationen  festzustellen, 
die  die  kulturhistorisch  bedeutsamen  Wörter  —  und  welchem 
Worte  wohnte  nicht  schliesslich  irgend  eine  kulturhistorische  Be- 
deutung bei?  —  durchlaufen  haben.     Auf  diesem   Wege  rück- 


Wirts  Bcbrertenil,  wird  er  HchlieaHlicli  hei  demjenigen  nnkomiiieii, 
was  man  als  die  „Zelle"  oder  das  „Merkmal"  eines  Wortes  he- 
zeiebnen  kann,  d.  li.  bei  derjenigen  dfliuinierondcnVorstenung, 
irelcbe  einem  Begriff  seine  8|)rach1iehe  Bezeichnung  gegeben  bat. 
I  kann  sich  diesen  Prozess  und  seine  kultnrgegfhichtliehe  Be- 
leatimg  gut  an  der  Gescbicbte  des  lat,  pecunia  deutlich  madien, 
ft.  ■/..  B.  von  Wandt  Völkerpsychologie  l",  2,  460,  zn 
I  Zwecke  gebranebt  worden  ist,  freiliuh  ohne  ilafts  man 
keiueit  Weg  weiter  nU  über  einige  seiner  letzten  Stationen  ver- 
blgl  bütle,  l>aa  lateiniselie  Wort  bedenlet  bekanntlich  „Geld", 
LVeruiAgen",  und  die  Rilmer  der  kln88isi.'heii  Zeit  haben  sich 
iruiitfr  eeltwerlieh  etwas  anderes  als  Gold  und  Silber  vorgestellt. 
iprUnglicb  aber  bezeichnele  das  Wort,  wie  wir  aus  der  Ver- 
eicbmig  mit  pecvs  und  pecudes  =  scrt.  p(it;u,  got.  faihu  usw. 
KVieb"  erscbea,  soviel  wie  „Viehberde".  Der  Bedentungswandel 
I  „Viehherde"  zo  „Geld"  erklärt  sieli.  „weil  der  bewegliche 
|e«tz  des  Römers  in  ültester  Zeit  /.um  gröesteu  Teil  in  Vieb 
Mland,  und  das  Vieb  die  allgemeine  Tausebware  im  Handel 
Ale  später  an  die  Stelle  des  Tausch  Verkehrs  der  Geld- 
lerkebr  trat,  ging  der  Name  des  allgemein  gebrauchten  Tausch- 
pbjekts  atiF  das  gemÜDzte  Geld  über."  Soweit  Wundt  über  die 
(edentnugsgeschichte  unseres  Wortes,  die  er  leider  abbricht  da, 
sie  gerade  am  interessantesten  wird.  Es  läesr  sicIi  nämlich 
^ttmohwer  zeigen  (vgl.  mein  Reallexikou  u.  Schaf  und  dazu 
Ostboff  Parerga  !,  215  ff.K  dass  die  älteste  Bedeuiung  dieser 
Wortsippe  nicht  „Vieh,  Viehherde",  sondern  vielmehr  „Schaf, 
.Schafherde"  {vgl.  alt»,  fwr.  kurd.  pez,  osset.  fug  „Schaf")  war. 
Wir  werden  damit  in  eine  Zeit  zurückgeführt,  in  der,  wie  es 
bei  notnadiscbi-n  oder  balbnomadisehen  Viilkern  der  Fall  zu  sein 
pflegt,  der  Ilauptbesiu  der  Indogcrmanen  an  Vieh  in  Schafen, 
nicht  etwa  in  Rindern  bestand,  eine  VoranssetKung,  unter  der 
allein  der  BedeutungsUbergang  von  „Sebaf"  in  „Vieb"  sich  er- 
klärt. Auch  hiermit  sind  wir  aber  noch  nicht  am  Anfang  unserer 
Entwjcklongsreibe  angekorrmien.  Noch  älter  als  „Schaf"  i.'-t  näm- 
lich bei  unserer  Wortsippe  die  Bedeutung  „Ü^olle,  Vliess"  :  griech. 
rtixoi  -Vlicss"  =  lal.  pecus,  zu  verbinden  mit  griech.  mxw  = 
liL  peitzü  „ich  raufe,  zupfe",  wobei  mau  zweifelhaft  sein  kann, 
wie  iu  »llen  fibniicben  Fällen,  ob  der  Verbalbegriff  dem  Nominal- 
begriff  «der   der  Nominaltiegriff   dem  Verbalbegriff   vorausging, 


-     202     — 

oder  ob  beide  von  jeher  gleichzeitig  an  demselben  Sisunme  pei-ar 
hafteten.  So  gewinnen  wir  die  an  kulturhistorischen  Ausblicken 
reiche  Entwicklungsreihe:  „Wolle"  (ausraufen),  Wollträger  = 
„Schaf",  dann  „Vieh*^,  „Geld".  An  derartigem  kuliurhistoriBcben 
Material  ist  jedes  etymologische  Wörterbuch  der  indog.  Einzel* 
sprachen  tiberreich.  Es  gilt  die  einzelnen  Fälle  zu  sammeln  and 
nach  kulturhistorischen  Rubriken  zu  ordnen,  wie  ich  es  in 
meinem  Reallexikon  der  indogermanischen  Altertumskunde  (oben 
p.  51)  zum  ersten  Mal  versucht  habe.  Freilich  sind  die  Be- 
deutungsübergänge, um  die  es  sich  hierbei  handelt,  wenn  man 
sie  vom  psychologischen  Standpunkt  betrachtet,  untereinander 
keineswegs  gleichartig.  Es  ist  offenbar  etwas  anderes,  wenn  ein 
Wort,  das  „Wolle"  bedeutet,  wie  wir  soeben  sahen,  die  Bedeutung 
von  „Schaf"  („Wollträger",  vgl.  etwa  1000  „Gewehre"  =  Gewehr- 
träger)  annimmt,  und  wenn  dasselbe  Wort  dann  im  Sinne  von 
„Vieh"  und  später  von  „Geld"  gebraucht  wird.  Es  ist  auch 
etwas  anderes,  wenn  z.  B.  häufig  neue  Metallnamen  durch  Ad- 
jektiva  bezeichnet  werden,  die  auf  das  schon  früher  vorhandene 
indog.  *aio8  (scrt.  äyas  =  lat.  aes)  „Kupfer"  bezogen  werden 
(scrt.  hiranya  „Gold",  eigentlich  „gelbglänzendes"  sc.  dyas)  and 
wieder  etwas  anderes,  wenn  z.  B.  das  spätere  Glas  zufolge  der 
Ähnlichkeit  nach  dem  früheren  Bernstein  (glisum)  benannt  wird 
usw.  Ordnung  in  die  rudis  indigestaque  moles  des  Bedeutungs- 
wandels zu  bringen,  hat  zuletzt  W.  Wundt  in  seiner  Völker- 
psychologie (vgl.  dazu  B.  Delbrück  Grundfragen  Kap.  VIII) 
versucht.  Glücklicherweise  brauchen  uns  diese  Fragen  aber  hier 
nicht  zu  beschäftigen.  Es  genügt  für  unsere  Zwecke  vollkommen, 
zu  sehen,  dass  die  Assoziationen,  auf  denen  nach  Wundt  jeder 
Bedeutungswandel  beruht,  in  sehr  vielen  Fällen  entweder  die 
Folge  kulturhistorischer  Veränderungen  sind  oder  sonst  in  irgend 
einer  Weise  ein  kulturhistorisches  Interesse  darbieten. 

Man  könnte  einwenden,  dass  der  Bedeutungswandel,  der 
somit  den  Kulturwandel  zu  begleiten  pflegt,  uns  oft  nichts  neue» 
lehren  könne,  da  wir  über  den  letzteren  auch  auf  anderem  Wege 
unterrichtet  seien,  und  da  in  zeitlicher  Hinsicht  natürlich  überall 
die  Kultur  Veränderung  der  Sprach  Veränderung  vorausginge,  die 
letztere  nur  eine  ausschliesslich  den  Linguisten  interessierende 
Begleiterscheinung  des  ersteren  darstelle.  Der  Linguist  könne 
also  nur  von  dem  Kulturforscher,  der  Kultnrforscher  aber    nicht 


^Bb  dem  Linguisten  lernen,     tln^  in  der  Tri  werden   wir  im 
^Bgenden  Kapitel  auf  einige  der   materiellen  Knltiirentwicklung 
^^tniimiiiene  Beispiele   hinweisen,    bei   denen   derarligen   Einwen- 
(innfieu  eine  gewisse  Hereehtigung  nicht  abzugprecbcn  ist.     Gerade 
derartige  Fälle  aber,  sollte  ich  meinen,  sind  anfs  besio  geeignet, 
die   Bercchti|!;Dng  der  auf  den  Bedenlnngswandel  gegrllndeteo 
Scbldssc  auch   für  solche  Gebiete  der  knllurgeeehichtliehen  Ent- 
wickhing nachzuweisen,    hei  denen  eine  eucbtiehe,   d.  h.  aus  der 
historiachen  Überlieferung    geschöpfte  Beweigfilhrung   ganz    oder 
uabezn  ganz  vi'i-sagl,  also  auf  dem  Gebiete  der  höheren  nnd  ab- 
strakteren Begriffsbildnng,    wie  sie  z.  B.  die  Entfaltung  des  ge- 
sellschaftlichen Lebens,  derKllnste,  der  religirtsen  Vor- 
ste) langen    usw.    erzengt.      Diesen    Sphären   sollen    daher   im 
^^Igeudcn  noch  einige  weitere  Beispiele  fflr  die  kulturgeBchiebtliche 
^bdentnng  der  sprachlichen  BegrilTscntwicklung  entnommen  werden. 
^H      Die  Gesellschaftsordnung  der  L'rzeit   beruhte  auf  ver- 
^^ndtachaftlicheu    Verbänden,    die    mau    als   Grossfaniilien    oder 
Sippen  bezeichnen  kann,  nnd  deren  urverwandte  Namen  soviel 
wie  „Niederlassung",  Versammlung",  „Erzeugung"  „Bruderschaft" 
B8W.    bedetitcn    (vgl.   mein  Reallexikon   p.  778).     Von   nieht  ge- 
ringerer Bedeutung  fllr  das  Verständnis  jener  alten  Organisationen 
and  aber  auch  zahlreiche  Ausdrucke  für  dieselben,  die  sich  auf 
)  einzelnen    indng.  .Sprachen   beschränken.     .So  das  lat.  pT6- 
„Sippßcbafl",  „Geschlecht"  (vgl.  Osthoff  Beitrage  XX,  93; 
rchiT  f.  Religionew.  VIII,  2).    Es  weist,  als  vom  lat.  söpio  = 
»rt.  sdpas  „penis"  abgeleitet,    dentlieber   als  vieles  andere,    auf 
ilie  Dralt-agnatische  Struktur  der  lateinischen  Gens,   d.  li.  auf 
Ak  Glied  des  Stammvaters,    nicht    etwa   auf  den  Sehoss  einer 
i^tnmmesmnttcr  hin.    .So  das  griectiisehe  xadenrüi,  in  Kreta  „Blitts- 
frenude   bei   MSnnern   und   Frauen"   (ygl.    Verf.  1.  F.  XVII,  18). 
K»  bezeichnet  nrsprltnglich  so  viel  wie  „Fitrsorgegenossensebaft" 
ksonders  mit  Rücksicht  auf  die  Toten bestattuog  nnd  rückt  die 
Mentung   des  Ahneuknltns,   als   einer   der   vornebmstcn  Auf- 
Suben  der    alten    Faroilienver bände,    in    das    rechte  Licht.    So 
ilrr  germanische  Stamm  *hitra   (got.  hehca-fmitjes   „Hausherr"). 
Ef  geliSrt    zn    scrt.    ^ivd,    <;eca    „lieb"     und     kennzeichnet    die 
Pimilie  ala  , Verband  der  Freunde".     Der  gleiche  Bedentungs- 
I  ttsTgang  zeigt   sieh    in  ahd.  jcini  „Freund"  =  ir.  fine  „Gross- 
Überhaupt  kann  man  sieb  in  alten  Zeiten  den  Begriff 


anu  : 

^: 

■belli 


—    204    — 

der  Freundschaft  nur  in  ZusammenhaDg  mit  dem  der  Verwandt- 
schaft denken,  indem  jeder,  der  aasserhalb  der  Sippe  mid  des 
Stammes  steht,  als  lat.  hostis  =  got.  gaste,  altsl.  gosH  „Feind, 
Fremder"  gilt.  Nur  dadurch  kann  der  letztere  zum  „Gast^  werden, 
dass  er  für  eine  gewisse  Zeit  in  einen  Familienverband  eintritt, 
was  sich  wiederum  in  Wortreihen  wie  lit.  sw^czias  ans  *wei'jas 
^Gast"  :  griech.  Sitjg  „Angehöriger"  und  lit.  tvieszSti  „zu  Gaste 
sein"  von  wiecz-  =  griech.  olxog,  lat.  vicus  aufs  deutlichste  ab- 
spiegelt. Zu  dem  oben  genannten  scrt.  gicd  „lieb"  gehört  auch 
lat.  civisj  dessen  Bedeutungsentwicklung  sich  daher  folgender- 
niassen  darstellt:  der  „Liebe",  der  „Verwandte"  —  dann  (nach 
Aufgang  des  alten  Geschlechterstaats  in  der  politischen  Staats- 
gemeinschaft) der  „Bürger",  „Mitbürger".  Und  noch  ein  weiterer 
wichtiger  Begriff  findet  in  der  Zugehörigkeit  zu  einem  Sippen- 
verband seine  Erklärung,  der  der  politischen  Freiheit.  „Frei" 
ist  in  der  grossen  Mehrzahl  der  indog.  Sprachen,  wer  zum  Stamme 
(vgl.  aw.  äzäta :  zan  „.i^ebären",  eigentl.  y^ingennus*^ y  griech. 
ilev&eQog :  S.M.  Hut  „Volk"),  oder  —  in  demselben  Sinne  —  wer 
zu  den  „Lieben"  (vgl.  got.  freis  :  scrt.  priyd  „lieb",  cymr.  rhydd 
„frei")  gehört,  eine  Vorstellung,  geboren  ohne  Zweifel  in  solchen 
Epochen  der  Urgeschichte,  in  denen  indogermanische  mit  nicht- 
indogermanischen,  vielfach  zu  Sklaven  herabgedrückten  Völker- 
bestandteilen zusammenstiessen  (vgl.  oben  p.  151).  So  öffnen 
sich  auf  Schritt  und  Tritt  Ausblicke  in  die  Anschaunngswelt 
längst  vergangener  Zeiten,  über  die  wir  ohne  die  Sprachwissen- 
schaft nichts,  aber  auch  gar  nichts  wissen  würden.  Dies  hat 
mit  Rücksicht  auf  die  ja  ebenfalls  aus  dem  gesellschaftlichen 
Leben  erspriessenden  sittlichen  Ideen  schon  F.  Nietzsche  scharf 
erkannt,  als  er  in  seiner  Genealogie  der  Moral  zur  Stellung  einer 
Preisaufgabe  aufforderte:  „Welche  Fingerzeige  gibt  die  Sprach- 
wissenschaft, insbesondere  die  etymologische  Forschung,  für  die 
Entwicklungsgeschichte  der  moralischen  Hegriffe  ab?"  Leider  ist 
aber  von  zuverlässigen  Vorarbeiten  für  die  Lösung  einer  solchen 
Aufgabe  noch  so  gut  wie  gar  nichts  zu  nennen.  Eine  Ausnahme 
macht  Osthoffs  schöner  Aufsatz  „Eiche  und  Treue"  in  den 
Et.  Parerga  I,  98  ff. 

Auf  dem  Gebiete  der  Kunst  will  ich  auf  die  Terminologie 
des  Siugens  und  Tanzens  sowie  auf  diejenige  der  Farben 
verweisen.     Hinsichtlich   des  ersteren  Punktes  lässt  sich  zeigen, 


~    206    — 

dasB  es  urverwandte  Ansdrttcke  für  Singen  nnd  Tanzen  nicht 
gibt,  dass  sieh  vielmehr  erst  in  den  Einzelsprachen  besondere 
Bezeicbnangen  des  Singens  aus  Wörtern  fOr  Schreien  oder  em- 
phatisches Reden  (z.  B.  got.  aaggws :  siggwan  =  griech.  dfitpi^ 
^Stimme,  besonders  die  der  Götter,  also  die  laute  Stimme^)  und 
besondere  Bezeichnungen  des  Tanzens  aus  Wörtern  für  leiden- 
schaftliche oder  feierliche  Bewegung  (z.  B.  lat.  saltare  :  lat. 
aalio  =  griech.  SXXofiai  ,,springe*')  entwickelt  haben  (vgl.  mein 
Reallexikon  u.  Dichtkunst,  Dichter  und  u.  Tanz).  Ich  möchte 
glauben,  dass  auch  in  diesem  Falle  in  der  Sprache  die  Ent- 
stehungsgeschichte des  Gesangs  und  Tanzes  deutlich  vor  uns  liegt,^ 
und  dass  namentlich  bei  dem  ersteren  eine  exaktere  Teiminologie 
erst  nötig  wurde,  nachdem  die  Erfindung  und  das  Vorbild  musi- 
kalischer, die  Rede  oder  das  Geschrei  begleitender  Instrumente 
diesen  die  fUr  den  Gesang  charakteristischen  Eigenschaften,  wie 
Qualität  oder  Timbre,  Weite  und  Wechsel  der  Intervalle  usw* 
eingeprägt,  oder,  soweit  sie  schon  vorhanden  waren,  erhöht  hatte. 
Bei  den  Farbenbezeichnungen  sind  es  namentlich  zwei 
Erscheinungen,  die  eine  Erklärung  fordern,  nämlich  einmal  der 
Umstand,  dass  dieselben  Wortstämme  sehr  häufig  ganz  ver- 
schiedene Farben  bezeichnen,  z.  B.  die  Ableitungen  von  den 
Wurzeln  §hel  und  ghel  bald  „gelb"  (lat.  helvus,  fulvus,  flävus  = 
ahd.  gelo)f  bald  „grttn"  (altsl.  zelenü)  oder  der  Stamm  *melino 
bald  „schwarz"  (scrt.  malina,  griech.  jbiiXag),  bald  „blau"  (lit. 
milyn€ts\  bald  „gelb"  (cymr.  melyn),  und  zweitens  die  Tat- 
sache, dass  eigentlich  nur  eine  Farbe,  nämlich  das  Rot  (scrt. 
rudhiräy  griech.  igv^gog,  lat.  ruber,  altsl.  riidrü,  lit.  raudünaSy 
ir.  rüad,  got.  rauds)  bei  allen  oder  nahezu  allen  Indogermanen 
dieselbe  feste  Bezeichnung  hat.  Man  hat  hieraus  auf  eine  all- 
mähliche Entwicklang  des  Farbensinns  bei  den  Indogermanen 
geschlossen,  und  eine  grosse  Literatur  0  hat  sich  tlber  diese  Frage 

1)  Vgl.  O.Weise  Die  Farbenbezeichnnngen  der  Indogermanen  B. 
Beitr.  z.  Kunde  der  indo^r  Spr.  II,  273  ff.  Andere  sprach wisscnschnft- 
liche  Literatur  über  diesen  Ge<i^en8tand  findet  sich  bei  L  Geiger  Über 
den  Farbensinn  der  Urzeit  und  seine  Entwicklung  (Zur  Entwicklungs- 
gesebiebte  d.  Menschheit  1871  p.  45  ff.),  A.  Ba  cm  ei  st  er  Keltische 
Briefe  1874  p.  112  ff.,  Pole  Colour  hlindness  in  relation  to  the  hovieric 
expressions  for  colour,  Nature  1878  p.  676,  H.  Vämb^ry  Die  primitive 
Kultur  des  tnrko-tatarischen  Volkes  1879  p.  224,  Grant  Allen  Der 
Farbensinn.    Sein  Ursprung  und  seine  Entwicklung.    Ein  Beitrag  zur 


—    206    - 

für  und  wider  angehäuft.  Im  allgemeinen  dürfte  man  gegen- 
wärtig die  Vorstellung,  als  ob  die  Indogermanen  ganz  oder  teil- 
weis farbenblind  gewesen  seien,  aufgegeben  haben.  In  der  Tat 
möchte  ich  glauben,  dass  hiervon  keine. Rede  sein  kann,  und 
dass  die  Indogermanen  vielmehr  im  Gegenteil  sehr  zahlreiche 
Farbenbezeichnungen  besessen  haben,  nur  dass  diese,  abgesehen 
von  gewissen  Ausdrücken  für  hell  und  dunkel,  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  nur  spezielle  Farbentöne  oder  Farbennuancen,  und  zwar 
meist  mit  Beziehung  auf  ein  bestimmtes  diese  Färbung  tragendes 
Objekt  zum  Ausdruck  brachten.  So  dürften  die  Ableitungen  von 
den  Wurzeln  §hel  und  ghel  ursprünglich  nur  das  gelblich-grüne 
der  jungen  Saat  (z.  B.  griech.  x^^V  n^^^^^)?  ^^^  Stamm  *melino 
nur  die  undefinierbare  Färbung  eines  blauen  Flecks  am  Körper 
{altpr.  meine),  der  Ausdruck  scrt.  prgni  =  griech.  TisQxvdg  nur 
das  Getüpfelte  wie  es  in  der  Farbe  des  Rehs  (griech.  ngo^)  oder 
auch  der  Forelle  (ahd.  fothana)  zutage  tritt,  bezeichnet  haben. 
Dabei  kann  man  wiederum  zweifelhaft  sein,  ob  zuerst  die  Farben- 
bezeichnung oder  der  Name  des  gefärbten  Objekts  da  waren,  wenn 
auch  die  Analogie  neuerer  Farbenausdrttcke  wie  „orange*^,  „violett", 
^purpur"  usw.  (vgl.  Wundt  a.  a.  0.  p.  543)  für  letzteres  spricht.  Die 
weitere,  schon  in  der  Urzeit  anhebende,  besonders  aber  auf  dem 
Boden  der  Einzelsprachen  verlaufende  Entwickluhg  ist  nun  auf 
die  Herausbildung  allgemeiner  Farbenbezeichnungen  wie  unser 
rjot",  „gelb",  „grün",  „blau"  gerichtet,  ein  ProzesS;  bei  dem 
man  sich  naturgemäss  mit  Vorliebe  jener  ältesten  Ausdrücke  für 
bestimmte  P'arbennuancen  bedient,  die  man  jedoch  bei  ihrem  oft 
vieldeutigen  und  schillernden  Charakter  nicht  immer  in  gleicher 
Weise  verwendete.  So  kommt  es,  dass  die  Bildungen  von  den 
Wurzeln  ghel  und  ^AeZ  in  den  einen  Sprachen  mehr  das  gelb,  in 
den  andern  mehr  das  grün  bezeichnen,  oder  dass  *melino  hier 
schwarz,  dort  blau  und  wieder  wo  anders  gelb  ausdrückt.  Dass 
in  unserem  „rot",  welches  nach  einer  freilich  nicht  sicheren  Deutung 
die  spezielle  Färbung  des  Kupfers  (lat.  raudus,  altn.  räudig  slav.  ruda) 
bezeichnet  haben  könnte,  wohl  sich  zuerst  ein  solcher  allgemeiner 


vergleichenden  Psychologie.  Mit  einer  Einleitung  von  Dr.  E.  Kraue. 
Leipzig  1880.  Vgl.  auch  E.  Veckenstedt  Geschichte  der  griechischen 
Farbenlehre  1888  sowie  W.  Wundt  Völkerpsychologie  I *  2,  543  ff.  und 
ganz  neuerdings  W.  Schultz  Das  Farbenempfindungssystem  der 
Hellenen.  Leipzig  1904. 


rFarbeimaim"  fcsipesetzt  hat,  wird  iu  der  BelJehtbeit  dieser  Jh  sclijst 
auf  gewisse  Tiere  wirkeDden  Farbe  bei  primitiven  Völkern  seinen 
Grnnd  haben.  Nocb  heute  eiud  z.  B.  bei  den  Russen  die  Aue- 
Irllckc  fflr  „schon"  (krastvif)  und  „rol"  {knhntij)  von  dL-iiiselljen 
^miime  Abgeleitet, 

Von  gröaster  Bedeutung  endlich  sind  Begriffsentwicklnngen 

die    hier    versuchten    auf    dem    Gebiete    der    Religious- 

lleschiohte.     Als  die  Überlieferung  anhebt,  stehen  auf  den  ein- 

einen   Vülkergebielen  grosse  Göltergestalten    wie    Agni,    Indra. 

iTaniDa  oder  Apollo,  Herues,  Athene  oder  Saturnus,  .Tanus,  Ceres 

Ider  Wnofan,  Sasuot,  Tanfana  in  grosser  Anzahl  beinah  fix  und 

rtig  Tor  uns.     und  doch  müssen  sie  alle  eine  vieltausendjährige 

»chichle    durchgemacht    baben,    vor    der    derjenige    Forscher, 

Pelcber  sieh   allein   auf  die  geschichtliehe  Überlieferung  stutzt, 

Ich  vemweifelt  abkehrt.     Nur  die  Fadeu  der  Sprache  fuhren  in 

jene  grauen  Zeiten  zurück.    Freilich  hat  auch  die  ir!prachforscbung 

hier  lange  genug  geirrt,  indem  sie  in  der  Mehrzahl  jener  Götter- 

^^^estalten  bereits  indogermanische  Gebilde  mit  nrindogcrmanischen 

^■^amen    nacb/.uwei8en    botTte.      Es    ist    eine    fUr   die    Keiigions- 

^BpBChichte  fruchtbare  Erkenntnis,  dass  die  Ursprünge  jener  eiazel- 

^^olklichen  Götter  meist  aucli  auf  dem  Boden  der  Kinzelspraclien  zu 

suchen  und  hier  nach  der  „Zelle"  ihres  Wesens  zu  forschen  sei 

Auf  diesem  Wege  enthüllt  sieh  '.hTilXwv  als  „der  von  der  Hürde" 

HäjtiXXa,  nach  Robert),  'Egfteiag  ist  nichts  als  „der  vom  Stein- 
llknfen''  (^gfta,  ebenfalls  nach  Kobert),  lak.  Ur}Q^if6vEta,  Ferse- 
Ifaoneia  ist  „dieSpeittilterin"^)  (T^fJ^o»" •  ij  wv de;[a/(«>' Öttöc too^/J. 
vgl.  mein  Reallexikon  p.  870  f.),  Janas  ist  der  TUrgott  (so  zuletzt 
Wiseowa),  Volcanua  {*volva  =  scrt.  ulkß')  „der  vom  Feuerbrand" 
usw.  Es  steht  zu  hoffen,  dass  das  tiefe  Dunkel,  das  zur  Zeil 
nocli  über  den  meisten  mythologischen  Namen  lagert,  sieb  so, 
wenigsicus  ledweis,  altmählicb  lichten  wird.  Aber  auch  die  Ter- 
minologie der  allgemeinen  religionsgeschicbtiieheu  Begriffe  wie 
Gott  und  Schicksal,  Traum  und  Tod,  Opfer  und  Gehet  usw. 
niDsete  gesammelt  nnd  entwicklungsgeschichtlich  untersucht  werden, 
wie  ich  dies  teils  in  meiut'm  Reallexikon,  teils  in  einer  grfSsaeren 
Abhandlung  über  Arische  Religion  in  J.  Hastings  demnächsl 
«rscheinenden  Dictianari/  of  Religion  zu  tun  versucht  habe. 

))  Bcislimmung  bei  J.  Ho  opB  VViildbHume  u.  Kuliurpfian/en  |).  360. 


IX.  Kapitel. 

Sprach-  und  Sachforschung. 

Zusammenfassung  der  Bedenken  gegen  die  einseitige  Benutzung  der 
Sprachwissenschaft  zu  ur<reschichtlichen  Rekonstruktionen.  Realien  und 
Institutionen.  Die  prähistorische  Archäologie.  Die  „oberirdische*  Ur- 
geschichte. Kongruenz  der  Sach-  und  Sprachentwicklung.  Instltutioiien- 
vergleich ung.    Versuch  einer  Methodik  derselben.    Die  vergleichende 

Völkerkunde. 

Die  spraebgesehiehtlichen  Erörterungen,  die  uns  im  bisberigeD 
beschäftigt  haben,  hatten  den  ausschliesslichen  Zweck,  etwas  Aber 
die  Geschichte  der  Sachen  zu  ermitteln,  auf  die  sie  sieh  be- 
zogen. Wie  sollte  es  möglich  sein,  bei  einem  solchen  Beginnen, 
die  Sachen  selbst,  um  die  es  sich  handelt,  ausser  acht  zn  lassen? 
ViTird  der  Maler,  der  das  Bildnis  eines  Menschen  zu  entwerfen 
beabsichtigt,  sich  auf  Photographien  beschränken,  wenn  er  des 
Menschen  selbst  habhaft  werden  kann?  In  der  Tat  darf  in 
unserem  realitätenfrohen  Zeitalter  die  Voretellung  Früherer,  als 
ob  es  möglich  sei,  die  vorgeschichtliche  Entwicklung  der  Völker 
unseres  Stammes  ausschliesslich  auf  sprachlichen  Gleicbangen 
aufzubauen,  für  aufgegeben  gelten.  Auch  haben  wir  ja  genug- 
sam gesehen,  wie  die  Sprachwissenschaft,  soviel  kulturhistorischen 
Gewinn  wir  ihrer  besonnenen  Benutzung  verdanken,  doch  uns 
hei  der  Entscheidung  wichtiger  Fragen  nicht  selten  im  Stiche 
lässt.  Zwar  haben  wir  gesehen,  dass  an  der  Unterscheidung  von 
Erb-  und  Lehnwörtern  im  Prinzip  durchaus  festgehalten  werden 
muss;  allein  es  lässt  sich  doch  nicht  leugnen,  dass  einerseits  die 
urverwandten  Gleichungen  nicht  immer  in  dieselbe  Epoche  vor- 
geschichtlicher Entwicklung  zurückzuführen  und  für  das  ganze 
vorgeschichtliche  Kulturgebiet  gegolten  zu  haben  brauchen,  so  dass 


-    209    — 

dem  Ausdruck  „indogermauisch^  immer  etwas  dehnbares  und 
nicht  scharf  definierbares  innewohnen  wird;  und  dass  anderer- 
seits der  Zweifel,  ob  eine  etymologische  Entsprechung  aaf  Ur- 
verwandtschaft oder  alter  Entlehnung  beruhe,  oft  in  wichtigen 
Fällen  nicht  beseitigt  werden  kann. 

Auch  bleiben  wir  nicht  selten  im  unklaren  darüber,  ob  eine 
in  Wurzel-  und  Suffixsilben  identische  Wortreihe  wirklich  auf 
ein  einheitliches  Prototyp  zurückgeht,  oder  ob  die  Übereinstimmung 
nicht  durch  gleiche  Sprachvorgänge  erst  innerhalb  des  Lebens 
der  einzelnen  Sprachen  erzeugt  worden  ist.  Ist  aber  nun  auch 
eine  Gleichung  derart,  dass  wir  mit  Recht  das  Vorhandensein 
irgend  eines  bestimmten  Wortes  in  der  Ursprache  folgern  zu 
können  glauben,  so  erhebt  sich  aufs  neue  die  Frage,  welches 
die  urzeitliche  Bedeutung  dieses  Wortes  gewesen  sei,  und 
gerade  hier  zeigt  sich  die  Sprachwissenschaft  besonders  häufig 
aosserstande,  eine  befriedigende  Antwort  zu  geben. 

Es  wird  sich  nun  zeigen,  dass  in  zahlreichen  Fällen  die 
Vereinigung  von  Sprach-  und  Sachforschung  zu  wesentlich 
sichereren  Ergebnissen  führt,  als  dies  allein  mit  Hilfe  der  Sprach- 
forschung möglich  ist,  indem  einerseits  die  Sachforschung  bedeut- 
same Fehlerquellen  der  Sprachforschung  verschliesst,  andererseits 
aber  diese  wieder  zahlreiche  Mängel,  die,  wie  wir  noch  sehen 
werden,  der  Sachforschung  ihrer  Natur  nach  anhaften,  ausgleicht. 

Wir  wenden  uns  damit  den  Altertümern  selbst  zu,  die  wir 
zur  besseren  Übersicht  in  Realien  und  Institutionen  einteilen 
wollen.  Dabei  werden  wir  unter  ^Realien"  die  meist  in  natura 
ODS  bekannt  gewordenen  Sachen,  unter  ^Institutionen^'  die  im 
wesentlichen  nur  durch  schriftliehe  oder  mündliche  Überlieferung 
uns  zugänglichen  Bräuche  des  Rechtes,  der  Sitte  und  des 
Glaubens  verstehen. 

Am  unmittelbarsten  berührt  sich  hinsichtlich  der  ersteren 
mit  der  linguistischen  Paläontologie  diejenige  Wissenschaft,  die 
die  Hinterlassenschaft  vergangener  Zeiten  selbst  aus  dem  Erd- 
boden hervorholt,  die  prähistorische  Archäologie.  Aus 
einer  Gleichung  wie  scrt.  carü  =  ir.  core,  altn.  hverr  „Topf, 
Kessel^  oder  scrt.  dgva  =  griech.  tjmog,  lat.  equus  „Pferd"  oder 
griecb.  /i^A/vi; = lat.  milium,  ht.malnos  ^Hirse"  seh  Hess  en  wir,  dass 
Töpfe,  Pferde  und  Hirse  schon  den  Indogermaneu  bekannt  waren. 
Der  Prähistoriker   bietet   uns,   ohne   dass   irgend    ein  Schluss- 

Sehrader,  Sprach verffleichunfr  und  Urgeschichte.    3.  Aufl.  14 


—    210    — 

verfahren  notwendig  wäre,  Topfscherbeu,  Pferdeknochen  und 
Hirsekörner  längst  vergangener  Zeiten  selbst  dar,  an  denen  wir 
nun  studieren  können,  wie  die  ältesten  Töpfe  hergestellt  wurden, 
und  wie  sie  aussahen,  ob  die  Pferdeknochen  auf  das  wilde  oder 
gezähmte  Tier  hinweisen,  zu  welcher  Hirsengattung  die  auf- 
gefundenen Körner  gehören,  alles  Dinge,  über  die  wir  durch  die 
Sprache  so  gut  wie  nichts  erfahren.  Befindet  sich  so  die  Prä- 
historie durch  diese  Unmittelbarkeit  ihrer  Wahrnehmungen  in 
einem  unleugbaren  Vorteil  gegenltber  der  Sprachwissenschaft,  so 
ist  sogleich  auf  einen  erheblichen  Mangel  derselben  hinzuweisen. 
Die  angeführten  Gleichungen,  so  viel  oder  so  wenig  sie  aussagen 
mögen,  berichten  doch  in  jedem  Fall  etwas  über  kulturhistorische 
Zusammenhänge  indogermanischer  Völker,  der  prähistorische 
Fund  aber  steht,  in  je  ältere  Zeit  er  zurückgeht,  in  um  so  höherem 
Grad  zunächst  ausserhalb  aller  ethnologischen  Verhältnisse. 

Es  ist  daher  seit  der  ersten  Auflage  dieses  Buches  mein 
Bestreben  darauf  gerichtet  gewesen,  die  Ergebnisse  der  lingui- 
stischen und  archäologischen  Paläontologie  in  Beziehung  zu- 
einander zu  setzen.  Die  Prähistoriker  unterscheiden  in  der  Ur- 
geschichte unseres  Erdteils  bekanntlich  zunächst  eine  paläo- 
lithische  Epoche  oder  ältere  Steinzeit,  in  der  der  Mensch  noch 
keinen  Ackerbau  und  keine  Viehzucht,  keine  Tongefässe  und 
keinen  Hüttenbau  kannte,  sondern  als  Jäger  seinen  Unterhalt 
suchte,  in  Höhlen  und  unter  Felsen  wohnte  und  seine  Waffen 
und  Werkzeuge  nur  aus  Stein  und  lediglich  durch  Zuschlagen 
des  Rohmaterials  herstellte.  Von  dieser  paläolithischen  Zeit 
durch  eine  breite,  bis  jetzt  kaum  überbrückbare  Kluft  (Hiatus) 
getrennt,  ist  die  neolithische  oder  jüngere  Steinzeit^).  Jetzt 
ist  der  Mensch  Ackerbauer  und  Viehzüchter,  er  spinnt  und  webt, 
formt  Gefässe,  baut  Hütten.  Seine  Waffen  und  Werkzeuge  sind 
noch  vorwiegend  aus  Stein,  den  er  aber  jetzt  zu  schärfen  und 
durch  Formung  zu  verschönen  versteht.  Auch  die  ersten  Sachen 
aus  reinem,  d.  h.  unvermischtem  Kupfer  treten  in  Gestalt  von 
Beilen,  Pfriemen,  Dolchen  jetzt  auf.     An  diese  neolithische  Zeit 


1)  Die  Frage,  ob  die  neolithische  Kultur  Europas  sich  allmählich 
aus  der  paläolithischen  entwickelt  hat,  oder  ob  die  erstere  durch 
neue  Völkereinwanderungeu  unserem  Erdteil  zugeführt  worden  ist, 
harrt  noch  der  Entscheidung,  und  ein  halbwegs  gesichertes  Resultat 
liegt  noch  in  keiner  Weise  vor. 


-    211     - 

«chliessi  sieb,  allmählich  in  die  historisehen  Epochen  übergehend, 
das  Zeitalter  der  Bronze  und  das  des  Eisens  au/  beide  zugleich 
init  neuen  Haustieren  und  Kulturpflanzen,  mit  neuen  Waffen 
und  Werkzeugen.  Es  kann  nun,  wie  mir  scheint,  als  ein  ge- 
sichertes Ergebnis  der  Sprach-  und  Sach vergleich ung  betrachtet 
werden,  dass  diejenige  Kultur,  die  aus  den  urverwandten  indog. 
Gleichungen  zu  uns  spricht,  in  allen  wesentlichen  Punkten  mit 
der  zweiten  der  oben  genannten  prähistorischen  Epochen,  d.  h. 
mit  der  jüngeren  Steinzeit,  insonderheit  mit  ihrer  letzten  durch 
den  Besitz  des  Kupfers  ausgezeichneten  Phase  übereinstimmt^). 
Ist  dies  aber  richtig,  so  erhalten  wir  ein  Recht,  unsere  oft  sehr 
aUgemeinen  und  lückenhaften,  auf  sprachliche  Gleichungen  ge- 
gründeten Erkenntnisse  mit  Hilfe  der  Urgeschichte  zu  verfeinern 
und  zu  ergänzen.  Die  Gleichung  scrt.  hamsä  =  lat.  anser,  ahd.  gann 
lehrt  uns,  dass  die  Gans  den  Indogermanen  bekannt  war,  die  Ur- 
geschichte, dass  sie  damals  noch  ein  wildes  Tier  war;  die  Glei- 
chung scrt.  äyas  =  lat.  aeSy  got.  aiz  bezeugt  die  Bekanntschaft 
der  Indogermanen  mit  einem  Nutzmetall,  die  Urgeschichte  macht 
es  wahrscheinlich,  dass  dieses  Nutzmetall  das  Kupfer  war  usw. 
Wenn  wir  so  zu  der  Ansicht  gelangen,  dass  das,  was  wir  ^indo- 
{germanische  Urzeit"  oder  „Zeit  der  vorhistorischen  Zusammen- 
hänge der  indogermanischen  Völker'^  nennen,  sich  innerhalb  der 
neolithischen  Kulturperiode  abgespielt  hat,  wodurch  der  weite 
Begriff  „Indogermanisch"  (vgl.  oben  174  f.)  zugleich  eine  gewisse 
zeitliche  Begrenzung  erhält,  so  darf  man  doch  diesen  Satz  keines- 
wegs umkehren  und  alles,  was  in  Europa  neolithisch  ist,  als 
indogermanisch  in  Anspruch  nehmen.  Vielleicht  gelingt  es  ein- 
mal, innerhalb  des  weiten  Begriffs  der  jüngeren  Steinzeit,  an 
der  Hand  sachlicher  Kriterien  bestimmte  ethnische  Gruppen  der 
Altertümer  zu  unterscheiden  und  eine  derselben  den  Indogermanen 
zuzuweisen.  Aber  zur  Zeit  sind  wir  von  diesem  Ziel  noch  weit 
entfernt,  und  nur  bei  den  der  Geschichte  am  nächsten  liegenden 
Altertümern  kann  man  mit  einiger  Sicherheit  ethnische  Grund- 
lagen bestimmen  und  z.  B.  von  slavischen  oder  keltischen  Funden 
sprechen.     Wie   sehr   die   kühnen   Konstruktionen   Muchs   und 

1)  Vgl.  darüber  näheres  in  meinem  Kealiexikon  p.  XXIII  f. 
Seine  Zustimmung  äussert  jetzt  auch  M.  Winternltz,  Beilage  z.  Alig. 
Z.  1903,  Nr.  239  p.  140.  Vgl.  auch  M.  Kri2  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Ouartärseit  Mährens,  Steinitz  1903  p.  521  ff. 

14* 


—    212    — 

Eossinnas^)  (oben  p.  117  ff.)  über  das  znr  Zeit  erreichbare  hinaus- 
gehen, braucht  daher  nicht  noch  einmal  gesagt  za  werden.  Aach 
der  Gedanke  R.  Forrers,  die  Verbreitung  der  „Hockersitte^^ 
d.  h.  der  Sitte,  die  Toten  in  Hockerstellung  zu  beerdigen  (Ach- 
mim-Studien  I,  Strassburg  1901,  p.  52),  mit  dem  Verbreitungs- 
gebiet der  Indogermanen  zu  identifizieren,  scheint  mir  noch  nicht 
ausreichend  begründet.  Zuerst  müsste  doch,  ehe  man  zu  der- 
artigen Versuchen  zurückkehrte,  das  ganze  in  frühhistorischer 
Zeit  von  Indogermanen  besetzte  Gebiet  archäologisch  durchforscht 
sein,  ehe  man  sich  die  Frage  vorlegen  könnte,  was  von  den  auf 
diesem  zutage  getretenen  Altertümern  etwa  als  spezieller  und 
charakteristischer  Besitz  gerade  der  Indogermanen  in  Anspruch 
genommen  werden  könnte.  Wie  wenig  aber  ist  z.  B.  zur  Zeit 
noch  von  der  Urgeschichte  des  Ostens,  besonders  Russlands  be- 
kannt, oder  das,  was  in  dieser  Beziehung  durch  russische  Forsdier 
in  russischen  Werken  niedergelegt  ist,  in  den  Besitz  der  deutschen 
Wissenschaft  übergegangen !  ^) 

Unberührt  hiervon  bleibt  die  hohe  Bedeutung  der  Urgeschichte 
für  das  Verständnis  und  die  Entwicklungsgeschichte  der  Realien, 
und  es  kommt  dabei  wenig  darauf  an,  ob  die  Denkmäler,  an 
denen  wir  die  Vorzeit  studieren,  immer  aus  dem  Schosse  der 
Erde  selbst  entnommen  sind;  denn  es  gibt  auch  eine  oberirdische 
Urgeschichte,  die  nicht  die  Tiefen  der  Erde,  sondern  die  von 
der  grossen  Heerstrasse  der  Zivilisation  abgelegenen  Winkel  der 
indog.  Welt  nach  Altertümern  durchforscht  und  in  der  Hütte  de» 
russischen,  galizischen  oder  serbischen  Bauern  oft  Zustände  und 
Einrichtungen  entdeckt,  die  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  bewahrt, 
ein  treues  Bild  der  Urzeit  in  der  Gegenwart  uns  enthüllen. 

Es  ist,  wie  ich  glaube,  ein  erheblicher  Fortschritt  der  ety- 
mologischen Forschung,  dass  sie  mehr  und  mehr  zu  der  Über- 
zeugung gekommen  ist,  dass  die  genaue  Kenntnis  der  Realien 
unentbehrlich  für  den  Sprachforscher  sei.  Besonders  ist  es  das 
Verdienst   R.   Meringers  in  Graz,   durch   eine  Reihe  vortrcff- 


1)  Ganz  in  unserem  Sinne  spricht  sich  jetzt  auch  Karl  Helm 
(Hessische  Blätter  für  Volkskunde  Bd.  III,  H.  1,  p.  4)  über  die  Arbeiten 
der  genannten  beiden  Gelehrten  aus.  Vgl.  auch  A.  Fick  in  B.  B.  29, 228 ff. 

2)  Wichtig  in  dieser  Beziehung  sind  die  Referate  L.  Stiedas 
aus  der  russischen  Literatur  im  Archiv  für  Anthropologie  (passim). 


—    213    — 

iicher  Aufsätze^)  auf  die  Bedentang  dieses  auch  meinem  ganzen 
Reallexikon  zugrunde  liegenden  Gedankens  mit  allem  Nachdruck 
hingewiesen  zu  haben.  Vielleicht  ist  es  erlaubt,  aus  einem  Briefe 
des  genannten  Gelehrten  die  Mitteilung  zu  machen,  dass  er  in 
Graz  den  Anfang  zur  Errichtung  eines  Museums  für  Indo- 
germanische Altertumskunde  gemacht  hat. 

Einige  Beispiele  mögen  von  dieser  Kongruenz  der  sprach- 
lichen und  sachlichen  Entwicklung  Zeugnis  ablegen. 

Wir  beginnen  mit  dem  ahd.  want  ^die  Wand^',  das  zunächst 
rein  lautlich  betrachtet,  eine  Nominalbildung  zu  wintan  ^winden^ 
^Wand  =  „gewundenes")  darstellt;  aber  noch  F.  Kluge  in  der 
VI.  Auflage  seines  Et.  W.  bemerkt,  dass  eine  solche  Zusammen- 
stellung keinen  yemttnftigen  Sinn  ergebe.  Das  ist  nun,  wie  wir 
jetzt  wissen,  nicht  richtig.  Wir  erkennen  jetzt,  dass  die  alt- 
hochdeutsche Wortbildung  in  einer  Zeit  wurzelt,  in  der  man  die 
Wände  der  Häuser  lediglich  aus  Flechtwerk  (vgl.  got.  wandus 
„Rute''),  das  man  mit  Lehm  bewarf,  heretellte,  so  dass  die  Wand 
also  wirklich  etwas  „gewundenes"  war.  Daher  kann  man  noch 
im  Angelsächsischen  geradezu  sagen  „eine  Wand  windan'' 
(wie  lat.  texere),  und  im  Russischen  heisst  der  Zimmermann 
noch  heute  plötnUcü  von  plesti  „flechten" ,  eigentlich  „der 
Flechter''. 

Ein  ähnliches  sachliches  Interesse  bieten  z.  B.  die  beiden 
rassischen  Wörter  oknö  „das  Fenster'*  und  mostaväja  „das 
Pflaster".  Das  erstere  bedeutet  eigentlich  „Auge**  (vgl.  lat. 
octdu8)f  und  dieser  Begriff  kehrt  auch  in  anderen  Bezeichnungen 
des  Fensters,  z.  B.  im  got.  auga-daürö  wieder.  Man  meinte  nun 
früher,  dass  das  Fenster  mit  einer  Art  poetischer  Metapher  als 
^Auge"  des  Hauses  bezeichnet  worden  sei.  Meringer  zeigt  da- 
gegen, dass  vielmehr  sowohl  das  alte  geflochtene  wie  auch  das 
ans  Blockstämmen  gezimmerte  Haus  ihrer  Konstruktion  nach 
augenförmige  Fenster  hatten  und  haben  mussten,  dass  somit  got. 
{luga-daürö  soviel  wie   „Tür  von  der  Gestalt  eines  Auges"   be- 


1)  Etymologien  zum  geflochtenen  Haus,  Festgabe  für  Heinzel 
p.  173,  Die  Stellung  des  Bosnischen  Hauses  und  Etymologien  zum 
Hausrat,  Sitzungsb.  d.  Kais.  Ak.  d.  W.  in  Wien,  phil.-hist.  Kl.  CXLIV, 
Wien  1901,  Wörter  und  Sachen  I.  F.  XVI,  101  ff.,  XVII,  100  ff.  Doch 
möchte  ich  mich  natürlich  nicht  im  einzelnen  mit  allen  von  Meringer 
vorgetragenen  Etymologien  einverstanden  erklären. 


-    214    — 

zeichnete,  russ.  oknö  aber  von  der  äusseren  Ähnlichkeit  des 
Fensters  mit  einem  Ange  benannt  worden  ist.  Rnss.  mostaväja 
ist  das  gewöhnliche  Wort  für  das  Strassenpflaster.  Ursprünglich 
aber  bedeutete  es  „die  mit  Brettern  (russ.  mostü  „Brücke*', 
klruss.  pomöst  „Diele")  überdeckte'^  sc.  Strasse.  Kann  man  sieh  eine 
bessere  sprachliche  Illustration  zu  dem  denken,  was  A.  Brückner 
Die  Europäisierung  Russlands  p.  106  über  die  Wege  des  alten 
Russland  berichtet:  „Manche  Strassen  waren  mit  Brettern  belegt, 
der  Strassenkot  war  so  arg,  wie  er  in  den  Dörfern  Russlands 
zu  gewissen  Jahreszeiten  sich  auch  jetzt  noch  vorfindet.  In 
Moskau  half  man  sich  vor  ein  paar  Jahrhimderten  wie  heute 
noch  in  den  Dörfern  mit  über  die  Strasse  gelegten  Brettern** 
(vgl.  hierzu  auch  Ewers  Ältestes  Recht  der  Russen  p.  65  und  Meringer 
Z.  f.  d.  östr.  Gymn.  1903  H.  3  p.  16  Anm.  1  sowie  die  Nachträge). 

Man  könnte  sagen,  dass  in  Fällen  wie  den  angeführten, 
die  Sprachwissenschaft  im  Grunde  nur  bestätige,  was  wir  auch 
auf  andere  Weise  wüssten,  und  im  vorigen  Kapitel  ist  gesagt 
worden,  dass  dies  in  gewissem  Sinne  richtig  sei.  Allein  auf  der 
anderen  Seite  ist  doch  zu  bedenken,  dass  die  sprachlichen  Vo^ 
gänge,  ganz  abgesehen  davon,  dass  sie  den  Vorzug  haben,  aaf 
speziell  indogermanische  Verhältnisse  hinzuweisen,  den  ihnen  za- 
grunde liegenden  kulturhistorischen  Tatsachen  oft  eine  erhöhte 
und  allgemeinere  Bedeutung  geben,  als  sie  ihnen  sonst  innewohnt. 
Dass  zahlreiche  Völker  einstmals  in  unterirdischen  Wohnungen 
hausten,  wissen  wir  durch  Funde  und  historische  Nachrichten, 
und  von  den  Germanen  berichtet  Tacitus  Germania  Kap.  10 
wenigstens  soviel,  dass  sie  als  Zufluchtsstätte  für  den  Winter 
und  als  Behälter  für  Früchte  subterranei  spectis  eröffnet  hätten. 
Wie  viel  grösser,  als  aus  diesen  Worten  hervorgeht,  muss  aber 
die  Bedeutung  dieser  Wohnungsart  auf  germanischem  Boden  ge- 
wesen sein,  wenn  wir  bedenken,  dass  ein  weitverbreitetes  alt- 
germanisches Wort  für  Haus  "^kufa,  *ktiba  (altn.  kofi  „Hütte"  etc.), 
das  sogar  der  altgermanischen  Benennung  des  Hausgeistes  *kuba- 
walda  (mhd.  kobolt)  zugrunde  liegt,  wie  nach  meinem  Vorgang 
jetzt  allgemein  angenommen  wird,  dem  griech.  yvjta  „die  unter- 
irdische Wohnung"  genau  entspricht. 

Es  hat  also  keinen  erheblichen  Zweck,  die  Frage  breit- 
zutreten, ob  hier  mehr  die  Sprachforschung,  dort  mehr  die 
Sachforschung   der   allgemeinen  Aufgabe  kulturhistorischer  Auf- 


-     215     - 

klärung  besser  dient.  Beide  siud  aufeinander  angewiesen  und 
müssen  gemeinsam  an  die  Arbeit  gehen. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  dem  weit  schwierigeren  Kapitel 
der  Institutionenvergleichung  zu,  d.  h.  der  Vergleichung 
der  Sitten,  Gebräuche  und  Einrichtungen,  die  wir  bei  den  indog. 
Völkern  auf  dem  Gebiete  des  Rechts,  der  Gesellschaft,  des 
Glaubens  finden,  und  fUr  deren  Kenntnis  wir  fast  ausschliesslich 
auf  Überlieferung  angewiesen  sind.  Bei  der  Benutzung  dieser 
Oberlieferung  haben  natürlich  zunächst  die  allgemeinen  Grund- 
sätze historischer  Quellenkritik  zu  gelten.  Gleichwohl  würde  es 
nicht  unwichtig  sein,  eine  Reihe  hierhergehöriger,  für  die  Ur- 
geschichte besonders  wichtiger  Fragen  —  wie  die  ^Inwieweit 
mnss  von  den  Nachrichten  der  Griechen  und  Römer  über  die 
europäischen  Nordvölker  die  zweifellos  im  Altertum  hervor- 
tretende Tendenz,  die  bei  jenen  Völkern  vorgefundenen  Zustände 
zu  idealisieren^),  in  Abzug  gebracht  werden?"  oder  „Welcher 
Wert  ist  bei  der  Rekonstruktion  der  Ui*zeit  der  Sagenwelt, 
die  vielfach  andere  kulturhistorische  Verhältnisse  als  die  älteste 
geschichtliche  Zeit  voraussetzt,  beizumessen?"  oder  „Inwieweit 
darf  die  Literatur^)  eines  bestimmten  Zeitalters  als  der  Spiegel 
seiner  Kultur  betrachtet  werden?"  und  anderes  hier  zu  erörteni, 
wenn  dies  nicht  bei  weitem  den  solchen  methodologischen  Er- 
örterungen hier  zustehenden  Raum  überschreiten  und  von  unserer 
eigentlichen  Kernfrage  zu  weit  abseits  führen  würde. 

Diese  Kernfrage  lautet:  „Was  folgt  daraus,  wenn  wir  ein- 
und  dieselbe  Institution  bei  allen  oder  mehreren  der  indog.  Völker 
wiederkehren  sehen?"  Auf  den  ersten  Blick  bieten  sich  drei 
verschiedene  Möglichkeiten  einer  Erklärung  dieser  Tatsache  dar: 
die  betreffende  Institution  kann  erstens  in  die  indog.  Urzeit 
zurückgehen  und  von  den  einzelnen  indog.  Völkern  in  ihre  histo- 
rischen Wohnsitze  mitgebracht  worden  sein;  sie  kann  zweitens 
später,  als  die  einzelnen  indog.  Völker  schon  in  ihren  historischen 
Wohnsitzen  sassen,  durch  Entlehnung  von  Volk  zu  Volk  ge- 
wandert sein,  und  sie  kann  drittens  selbständig  auf  den  ein- 
zelnen   Völkergebieten   aus  einer  gewissen  gleichen   Beanlagung 


1)  Vgl.  A.Riese  Die  Idealisierung  der  Naturvölker  des  Nordens 
io  der  griechischen  und  römischen  Literatur  (Frankfurt  a.  M.  1875). 

2)  Vgl.  Richard  M.  Meyer  Archiv  f.  Kulturgeschichte,  herausg. 
von  Steinhausen,  III.  2.  p.  239. 


—    216    — 

des    menschlichen    Geistes    entstanden    sein    (vgl.    auch    oben 
p.  122). 

Haben  wir  Mittel,  um  zu  entscheiden,  welche  von  diesen 
an  sich  möglichen  drei  Erklärungen  in  jedem  einzelnen  Falle 
anzuwenden  ist?  Da  ist  denn  zunächst  zu  sagen,  dass  wir  in  der 
Erörterung  dieser  wichtigen  Fragen  überhaupt  noch  in  den  An- 
fängen stehen,  und  dass  erst  allmählich  die  Herausbildung  gewisser 
methodischer  Grundsätze  zu  erhoffen  ist.  Keinesfalls  aber  werden 
sich  jemals  derartig  feststehende  und  allgemein  giltige  Regeln 
ermitteln  lassen,  dass  nach  ihnen  jeder  einzelne  Fall  in  gleicher 
Weise  beurteilt  werden  könnte.  So  verwickelt  und  vieldeutig 
sind  vielmehr  die  Verhältnisse,  um  die  es  sich  hierbei  bandelt, 
und  so  sehr  wird  immer  das  Einzelne  vom  Ganzen  und  das 
Ganze  wieder  vom  Einzelnen  sein  Licht  erhalten,  dass  im  Grunde 
jeder  Fall  seine  eigene  Regel  haben  wird. 

Immerhin  möchte  ich  glauben,  dass  schon  jetzt  eine  Reihe 
wichtiger  Gesichtspunkte  sich  geltend  machen  lassen.  Zunächst 
wird  nämlich  eine  Übereinstimmung  auf  dem  Gebiete  der  Insti- 
tutionen dann  die  Gewähr  indog.  Herkunft  an  sich  tragen,  wenn 
zugleich  sprachliche  Kriterien  in  ihr  enthalten  sind,  die  auf 
dieselbe  hinweisen.  80  habe  ich  in  meinem  Reallexikon  a. 
Brautkauf  den  Satz  aufgestellt,  dass  die  indog.  Ehe  auf  dem 
Kaufe  des  Weibes  beruhe.  Diese  Behauptung  stützt  sich  anf 
folgende  Tatsachen:  a)  sachliche:  Die  Kauf  ehe  ist  bei  allen 
indog.  Völkern  im  Beginn  ihrer  Überlieferung  noch  nachweisbar, 
und  erst  allmählich  tritt  an  die  Stelle  des  Kaufs  eines  Mädchens 
ihre  Ausstattung  mit  einer  Mitgift,  b)  sprachliche:  1.  Zahl- 
reiche Wörter  für  die  Mitgift  sind  aus  alten  Bezeichnungen  des 
Kaufpreises  hervorgegangen,  z.  B.  griech.  l'dvov.  2.  Es  gibt  auf 
mehreren  Sprachgebieten  Ausdrücke  für  den  Kaufpreis,  die  da- 
durch den  Eindruck  hohen  Altertums  hervorrufen,  dass  der 
Verbalstamni,  zu  dem  sie  gehören,  auf  dem  betreffenden  Sprach- 
gebiet selbst  nicht  mehr  besteht,  z.  B.  lit.  Vrieno  :  scrt.  krtnä'mi  = 
griech.  Tzglauai  „ich  kaufe".  3.  In  der  von  unsern  ersten  Gramma- 
tikern und  Etymologen  (J.  Schmidt,  K.  Brugmann,  F.  Kloge 
u.  a.)  aufgestellten  Gleichung  griech.  edvor  =  ahd.  wituma  liegt 
eine  indog.  Bezeichnung  des  Kaufpreises  selbst  vor. 

Gegen  diese,  wie  mir  scheint,  denmach  wohlbegrflndete 
Annahme,  dass  die  indog.  Ehe  auf  dem  Kaufe  des  Weibes  beruhe, 


—    217    — 

hat  sich  iD  neuerer  Zeit  ein  jüngerer,  wohlauterrichteter  Gelehrter, 
E.  Hermann,  in  einer  besonderen  Schrift  Zur  Geschichte  des 
Brautkaufs  bei  den  indog.  Völkern  (Wiss.  Beilage  zum  XXI.  Progr. 
der  Hansa-Schule  zu  Bergedorf  bei  Hamburg  1903/04)  gewendet, 
die  in  folgenden  Sätzen  gipfelt:  ^Es  erhebt  sich  nunmehr  die 
Frage,  wie  alt  die  Sitte  des  Brautkaufs  bei  den  indog.  Völkern 
sein  mag.  Dass  unser  Material  nicht  ausreicht,  sie  bestimmt  zu 
beantworten,  mag  folgende  Überlegung  zeigen.  Nehmen  wir 
einmal  an,  die  Überlieferungen  der  verschiedenen  indog.  Völker 
begännen  alle  erst  in  der  Zeit,  in  welcher  die  Kaufehe  nicht 
mehr  üblich  war,  und  die  Braut  schon  eine  Mitgift  erhielt.  Dann 
könnte  ein  Gelehrter  in  Jahrhunderten  etwa  folgenden  Schluss 
ziehen:  'Die  Mitgift  erscheint  bei  allen  indog.  Völkern  bereits  zu 
Beginn  ihrer  Überlieferung;  die  Mitgift  ist  also  schon  urindog. 
gewesen;  eine  Stütze  erhält  der  Schluss  durch  den  erhaltenen 
urindog.  Stamm  für  Mitgift:  agls.  weotuma  [slav.  veno]j  griech. 
^iya.'  Diese  Schlussfolgeruug  wäre,  wie  wir  wissen,  verkehrt'* 
usw.  Er  fügt  dann  auf  Grund  dieser  Überlegung  die  Mahnung 
hinzu,  dass  ^die  indog.  Altertumskunde  sich  hüten  müsse,  vor- 
eilig Schlüsse  zu  ziehn".  Mir  scheinen  aber  vielmehr  die  Ein- 
wendungen des  Verf.  zu  einer  anderen  Warnung  Veranlassung 
zu  geben.  Es  dürfte  doch  einigermassen  bedenklich  sein^  eine 
wissenschaftliche  Annahme  dadurch  zu  bekämpfen,  dass  man  sich 
die  Beweisgründe,  auf  denen  dieselbe  beruht,  einfach  hinweg- 
denkt und  sich  dann  ausmalt,  welche  Fehlschlüsse  wir  ohne  das 
Vorhandensein  dieser  Beweisgründe  etwa  ziehen  würden.  Diese 
Skepsis  scheint  mir  denn  doch  noch  über  diejenige  P.  Kretschmers 
(vgl.  oben  p.  öl),  in  dessen  Bahnen  E.  Hermann  im  übrigen 
wandelt,  hinauszugehen  und  die  Warnung,  die  in  Sybels  Histo- 
rischer Zeitschrift  (Bd.  91,  N.  F.  LV,  83)  offenbar  mit  Rück- 
sicht auf  den  ersteren  ausgesprochen  wird:  „In  der  übergrossen 
Skepsis,  die  auf  diesem,  wie  auf  anderen  Forschungsgebieten  in 
den  letzten  Dezennien  des  XIX.  Jahrhunderts  sich  bemerklich 
machte,  lässt  sich  ein  Nachlassen  der  wissenschaftlichen  Kraft 
gegenüber  den  grossen  geistigen  Errungenschaften  aus  der  ersten 
Hälfte  und  der  Mitte  des  Jahrhunderts  erkennen",  für  den  letzteren 
besonders  beherzigenswert  zu  machen. 

Glücklicher  scheint   mir  E.  Hermann    in    seinen    metho- 
dischen   Erwägungen   der   indog.  Hochzeitsbräuche   (I.  F.  XVH, 


-    218     - 

373  ff.)  zu  sein.  In  der  Tat  dürfte  noch  einige  Zeit  vergeben^ 
ehe  wir  imstande  sein  werden,  ein  indog.  Hochzeitszeremonieli 
zu  rekonstruieren,  und  E.  H.  hätte  nicht  verschweigen  sollen, 
dass  das  in  meinem  Reailexikon  u.  Heirat  zusammengestellte 
Material  lediglich  auf  eine  Reihe  von  Punkten  hinweisen  sollte, 
„bei  denen  die  Übereinstimnmng  innerhalb  der  indog.  Völkerwelt 
eine  so  weitgehende  ist,  dass  sie  zu  ihrer  Erklärung  die  An- 
nahme einer  gemeinsamen  historischen  Grundlage  zu  fordern 
scheint".  Über  solche  Zusammenstellungen  des  Gleichen  oder 
Ähnlichen  werden  wir  ja  vorläufig  in  vielen  Fällen  überhaupt 
nicht  hinauskommen.  Jedenfalls  aber  sind  sie  die  Vorbedingungen 
für  alle  weiteren  Erörterungen,  bei  aenen,  wie  gesagt,  immer  die 
Berücksichtigung  der  sprachliehen  Tatsachen  eine  wichtige  Rolle 
wird  spielen  müssen.  So  wird  die  Sitte  der  Brautverhüllung 
schon  deshalb  auf  indog.  Boden  sehr  alt  sein,  weil  das  lat.  nubo 
„ich  heirate"  auf  diese  in  historischer  Zeit  längst  vergessene 
Orundbedeutung  zurückgeht.  Dasselbe  gilt  von  der  hochzeitlichen 
Zeremonie  der  II  and  er  greifung,  weil  nur  unter  ihrer  Herr- 
schaft der  uralte  Übergang  des  germanischen  munt  =  lat.  manwf 
von  der  Bedeutung  „Hand"  zu  der  von  „Schutz  oder  Gewalt  über 
ein  Mädchen"  sich  erklärt.  Dasselbe  gilt  auch  von  dem  Brauche 
der  Heimführung,  da  die  Ableitungen  von  der  Wurzel  vedhy 
eigentl.  „führen*'  in  zahlreichen  indog.  Sprachen  übereinstimmend 
zur  Bezeichnung  der  gesetzlichen  und  feierlichen  Verheiratung 
verwendet  werden  usw. 

Nun  werden  freilich  oft  genug  solche  linguistische  Leit- 
sterne bei  der  Vergleichung  der  Institutionen  fehlen,  und  wir  also 
bei  der  Entscheidung  für  eine  der  drei  oben  genannten  Möglicb- 
keiten  auf  sachliche  Kriterien  angewiesen  sein.  Gerade  hier  wird 
alles  von  dem  grossen  Zusammenhang  abhängen,  in  dem  sich  die 
einzelne  Erscheinung  befindet.  Im  allgemeinen  aber  wird  man 
behaupten  dürfen,  dass  weniger  solche  Institutionen,  die  sosu- 
sagen,  mit  Haut  und  Haar,  bei  den  einzelnen  indog.  Völkern 
übereinstimmen  und  gerade  dadurch  den  Verdacht  späterer  Ent- 
lehnung wachrufen,  den  besten  Anspruch  auf  die  Zuerkennung 
indog.  Herkunft  haben,  als  vielmehr  solche,  die  als  organisches 
Ganze  sich  nur  noch  bei  den  in  ihrer  kulturhistorischen  Ent- 
wicklung zurückgebliebenen  Völkern,  wie  Slaven  und  Litauern, 
finden,  bei  den  kulturgeschichtlich  fortgeschrittenen  hingegen  nur 


—     219    - 

noch  in  mehr  oder  weniger  zusammenhanglosen  Spuren  vorhanden 
sind^).  So  hat  z.  B.  E.  Roh  de  in  seinem  ausgezeichneten  Buche 
Psyche  auf  zahlreiche  in  der  griechischen  Überlieferung  erhaltene 
Züge  eines  uralten  Totendienstes  hingewiesen,  die,  so  wie  sie 
uns  im  klassischen  Altertum  erhalten  sind,  zusammenhanglos  und 
unverständlich  erscheinen.  Es  lässt  sich  nun  unschwer  zeigen, 
dass  diese,  zusammen  mit  verwandten  bei  Indern,  Kömern,  Ger- 
manen usw.  begegnenden  Erscheinungen  sich  in  ein  zusammen- 
hängendes und  wohl  verständliches  System  des  Totendienstes  ein- 
fügen, das  fast  unverändert  noch  in  der  Gegenwart  auf  weiss- 
russischem  Boden  nachweisbar  ist  (vgl.  darüber  meine  Abhand- 
lung über  Arische  Religion  in  Hastings  Dictionary  of  Ueligion). 
In  diesen  Zusammenhang  gehört  ferner  eine  kleine  Arbeit  von 
mir  „Totenhochzeit,  ein  Vortrag  gehalten  in  der  Gesellschaft  für 
Urgeschichte*'  (Jena  1904),  in  der  ich  die  attische  Sitte,  auf  dem 
Grabe  der  Unverheirateten  eine  XovigoqoQog  aufzustellen,  auf 
komparativem  Wege  zu  erklären  versucht  habe.  Wie  kam  man 
darauf,  auf  dem  Grabe  von  Hagestolzen  diejenige  Art  von  Wasser- 
krügen  aufzustellen,  in  der  man  sonst  am  Tage  oder  Vorabend 
der  Hochzeit  den  Neuvermählten  das  Wasser  zum  Brautbad 
herbeitrug?  Die  in  der  genannten  Schrift  gegebene  Antwort 
lautet:  Es  ist  der  Überrest  einer  bei  den  slavischen  und,  wie 
ich  jetzt  durch  Zeugnisse  belegen  kann,  auch  bei  den  ger- 
manischen Völkern  (vgl.  Hessler  Hessische  Landes-  und  Volks- 
kunde II,  152)  nachweisbaren  Sitte,  an  den  Gräbern  Unver- 
heirateter eine  förmliche  Scheinhochzeit  aufzuführen,  die  ihrerseits 
wieder  eine  noch  ältere,  bei  den  heidnischen  Russen  bezeugte 
Gewohnheit  verdrängt  hat,  dem  toten  Junggesellen  ein  wirk- 
liches Mädchen  ins  Grab  oder  auf  den  Scheiterhaufen  mitzugeben. 
Wenn  nun  eine  solche  Erklärung  auch  nicht  als  ununistösslich 
sicher  gelten  kann,  namentlich  so  lange  es  noch  nicht  gelungen 

1)  Über  diesen  hauptsächlich  von  V.  Hehn  (oben  p.  35)  ver- 
tretenen Standpunkt,  der  von  Forschern  wie  B.  Lei  st  (oben  p.  49) 
nicht  immer  eingehalten  wird,  habe  ich  ausführlich  in  der  Vorrede  zu 
meineui  Reallexikon  p.  XXVIl  f.  gehandelt,  worauf  ich,  un\  Wieder- 
holungen zu  vermeiden,  hiermit  verweise.  Mit  dem,  was  Hirt  I.  F. 
Anz.  XIII  p.  8  hiergegen  bemerkt,  dass  nämlich  der  Standpunkt  beider 
zu  billigen  sei,  indem  der  „eine  hinauf,  der  andere  hinunter  blicke", 
ist  natürlich  wenig  anzufangen.  Hirt  wird  hoffentlich  nun  bald  zeigen, 
wohin  er  blickt. 


-     220     — 

ist,  auf  griechischem  Boden  noch  weitere  Züge  einer  solchen 
Scheinhochzeit  nachzuweisen,  so  glaube  ich  doch,  dass  sie  die 
bei  weitem  wahrscheinlichste  von  den  bisher  abgegebenen  ist, 
weil  sie  den  Kernpunkt  der  ganzen  Frage:  das  Braatbad  auf 
dem  Hagestolzengrab,  mit  einem  Schlag  erklärt^). 

Derartigen  Zügen  höchsten  Altertums  gegenüber  stellt  z.  B. 
eine  andere  Hochzeitssitte,  die  der  noch  einige  Zeit  nach  der 
Hochzeit  geübten  Enthaltsamkeit  vom  Beischlaf  (Reallexikon  p.360}, 
aus  inneren  Kriterien  wahrscheinlich  eine  spätere,  vielfach  wohl 
«rst  durch  das  Christentum  verbreitete  Einrichtung  dar,  eine  An- 
nahme, bei  der  ich  mich  diesmal  in  erfreulicher  Übereinstimmung 
mit  E.  Hermann  (I.  F.  XVII,  385)  befinde. 

Ich  verzweifle  also  keineswegs  daran,  dass  es  mit  der  2ieit 
immer  mehr  gelingen    wird,    indogermanische  Institutionen    auch 


1)  Wenn  sich  Paul  Stengel  (Wochenschrift  f.  klass.  PhiL  1906 
Nr.  18)  durch  meine  Ausführungen  nicht  überzeugt  fühlt,  so  ist  dies 
natürlich  sein  gutes  Recht.  Wenn  er  aber  die  Sitte  der  Lutro- 
phorenaufstellung"  wiederum,  wie  schon  Frühere,  aus  der  im  Altertum 
bezeugten  Gewohnheit,  allen  Toten  am  oder  im  Grabe  ein  Bad  auf- 
zustellen, ableitet,  einer  Gewohnheit  übrigens,  die  auch  bei  den  Litauern 
ähnlich  wiederkehrt  (vgl.  Lasicius  De  diis  Samagitarum  p.  50:  lisdem 
feriis  mortuos  e  tumulis  ad  balnetim  et  epulas  invUant  totidemque 
sedilia,  mantüia,  indusia^  qiiot  invitati  fuerunt^  in  tugurio  eatn  ad  rem 
praeparato  ponunt^  mensam  cibo,  potu  onerant),  so  finde  ich,  dass 
auch  er  über  die  ihm  bei  seiner  Ansicht  obliegende  Erklärung,  waimn 
die  Lutrophorenaufstellung  in  Attika  auf  die  Gräber  von  Unverheirateten 
beschränkt  worden  sei,  mit  einer  ziemlich  nichtssagenden  Bemerkung 
hinweggleitet.  —  Auch  was  P.  Stengel  a.  a.  0.  über  die  Opferung  der 
Polyxene  am  Grabe  des  Achilleus,  die  ich  als  sagenhaftes  Beispiel  einer 
griechischen  Totenhochzeit  aufgeführt  hatte,  sagt,  vermag  keine  Instanx 
gegen  meine  Ausführungen  zu  bilden.  Natürlich  wurde  F.  geopfert,  um  die 
ur/rtg  des  Achilleus  durch  die  Weihung  eines  y^^af  zu  beschwichtigen; 
aber  dieses  yeoag  ist  und  bleibt  ein  Mädchen,  und  Achilleus  ist  ein 
Hagestolz.  Wenn  schliesslich  Stengel  einen  Beweis  dafür  fordert,  dass 
„irgendwann  und  irgendwo  auch  der  hingeschiedenen  Jungfrau  ein 
Jüngling  geopfert  worden  sei,  während  die  Lutrophoros  doch  ebenso- 
gut auf  dem  Grabe  von  Mädchen  stand*,  so  ist  dies  eine  Forderung 
von  etwas  ganz  undenkbarem,  und  der  Kritiker  ist  sich  dabei  nidit 
der  grundverschiedenen  Stellung  von  Mann  und  Weib  in  der  Urseit 
bewusst  gewesen.  In  milderen  Zeiten  aber  stand  natürlich  nichts  im 
Wege,  wie  bei  der  germanisch-slavischen  Scheinhochzeit,  so  auch  bei 
<ler  Aufstellung  der  Lutrophore  Jüngling  und  Jungfrau  gleich  lu 
bedenken. 


221 


laf  rein  Bachiichem  Wege  zu  ermitteln.  Nur  nin^s  ainn  sielt 
dabei  vou  der  seltsame»  VorstelluDg  frei  oiachen,  dass  eine  solche 
iDilog.  lüHtitulion,  ä.  h.  eine  vou  den  Indogenuanen  zur  Zeil 
vorbistoriacfaer  Zusatnmenhänge  getroffene  Einricbtntig  diircbaus 
etwas  speziell  indogertnaniscliee.  d.  li.  etwas  ausscblieBslich 
•len  Indogermatien  eigeotUm  liebes  vorstellen  müsse.  Am  un- 
zweideutigsten finde  ich  diese  Anseliaunng  von  W.  Streitberg 
im  Lit.  Zentralblatt  19ü2  Nr.  5U  ausgesprochen:  „Die  Hanpt- 
wsfawierigkeit",  heisst  es  hier,  „liegt  heute  für  uns  darin,  dass  das 
Bild  der  indog.  Kultnr  der  individuellen  ZUge  fast  ganz  beraubt 
ist.  Denn  iuinier  klarer  nnd  sebärfer  sehen  wir,  wie  die  indog. 
Stämme  im  Bannkreis  der  vorderasiatisch-ägyptischen  Knitnr 
stehen,  wenn  aneh  fem  von  ihren  Brennpunkten,  nur  in  der 
Peripherie  ihrer  Machlsphäre.  Wäre  es  uns  aber  llberhaupt 
möglich,  diese  uralten  EiuflUsse  zn  eliminieren,  eo  wäre  damit 
Dicht  allzuviel  gewonnen;  es  bliebe  eine  mehr  oder  minder  grosse 
Hause  von  Zügen  nbrig,  die  einer  ganzen  Zahl  primitiver  Vülker 
gemeinsau  zn  sein  scheinen,  deren  Ausgangspunkt  and  Wanderungs- 
babnen  wir  aber  vielleicht  niemals  ermitteln  kOnnen.  Es  ist 
daher  im  Gründe  genommen  unrichtig,  der  Sprach  verwand  rachaft 
za  Liebe  eine  IgoHerung  vorzunehmen  nnd  von  einer  „iudo- 
genDaniHchen"  Kultur  zu  reden,  die  es  streng  genommen  gar 
nicht  gibt."  In  dieser  Auseinandersetzung,  bei  der  sich  der  Verf. 
Bcbwerlicb  bewusst  gewesen  ist,  dass  er  mit  ihr  die  eine  Hälfte 
dee  Programms  der  von  ihm  selbst  mitheransgegebenen  Z.  für 
indogermanische  Sprach-  und  Altertumskunde  (v^l.  oben 
p.  50)  binfftllig  macheu  würde,  scheint  mir  die  Grundlinie  der 
ganzen  Frage  verrückt  zu  sein.  Was  wollen  wir  eigentlich?  Von 
dem  Begriff  der  indog.  Ursprache  (Kap.  I)  müssen  wir,  wie  in 
Kap.  II  gezeigt  ist,  auf  die  Existenz  eines  indog.  Urvolke 
Schliessen.  Dieses  indog.  Urvolk  muss  eine  höhere  oder  niedere 
KtiU&r  besessen  haben.  Diese  wollen  nnd  können  wir  mit  Hilfe 
der  Sprach-  ood  Sachvergleiebung  erschliessen.  Inwiefern,  frage 
icb,  kann  es  uns  hierbei  sttiren.  wenn  wir  erkennen,  dass  eine 
■  eo  als  indog.  erwiesenen  Institutionen  und  Realien,  z.  B.  das 
knpfer,  schon  in  der  Urzeit  ans  vorderastatiscb-ägyptischem 
Enltarkreis  entlehnt  wurde,  oder  wenn  wir  wahrnehmen,  dass 
felbe  Knitnrgegenetand  oder  dieselbe  Institution,  etwa  der  Brant- 

MDf  oder  der  Abnenkultuä,  auch  bei  anderen  Völkern  vorkommen? 


—    222     - 

Wenn  wir  aus  ahd.  muniz  und  agls.  mynet  ein  altgermaniBches 
*mun(ta  ^Münze'^  erschliessen,  das  schon  vor  der  AoswandeniDg 
der  Angelsachsen  bestanden  haben  muss,  wird  dieser  Scbloss 
durch  die  Erkenntnis  hinfällig^  dass  dieses  *munUa  selbst  erst 
aus  dem  Lateinischen  (monita)  entlehnt  ist?  Oder  wenn  wir  aus 
den  romanischen  Sprachen  uns  ein  Bild  vom  Gesamtwörterschatz 
^der  römischen  Vulgärspracbe  mit  seinen  auf  die  nächstliegenden 
Dinge,  Bedürfnisse,  Beschäftigungen,  Wahrnehmungen  sich  be- 
ziehenden Benennungen  machen  können^  (Oröber),  ist  dieses  Bild 
trügerisch,  weil  dieselben  Dinge,  Bedürfnisse,  Beschäftigungen, 
Wahrnehmungen  auch  bei  anderen  Völkern,  etwa  bei  den  Griechen, 
wiederkehren?  Was  heisst  überhaupt  „individueller  Zug"?  Ist  es 
kein  individueller,  d.  h.  für  die  Indogermanen  charakteristischer 
Zug,  wenn  wir  erkennen,  dass  sie  ausser  den  Seelen  der  Ver- 
storbenen den  Himmel  und  die  Elemente  verehrten,  wenn  wir 
sehen,  dass  eine  ausgeprägte  Vaterfamilie  verbunden  mit  Viel- 
weiberei den  Grundpfeiler  ihrer  Familienordnung  bildete,  wenn 
wir  wissen,  dass  ihre  Viehzucht  Pferd  und  Kuh,  Schaf,  Ziege 
und  Hund,  aber  noch  nicht  Katze,  Esel  und  Maultier  umschloas 
usw.?  Liegen  denn  bei  anderen  Völkerfamilien,  z.  B.  bei  den 
Semiten  oder  Finnen  oder  Turko-Tataren  bereits  genügende 
Untersuchungen  vor,  die  uns  befähigten,  der  indogermanischen 
ein  Bild  der  semitischen,  finnischen  oder  turko-tatarischen  ür- 
kultur  gegenüberzustellen  und  so  uns  schon  jetzt  ein  Urteil  über 
das  Individuelle  oder  nicht  Individuelle  der  indog.  Kultur  zn 
erlauben  ? 

Allein  man  sieht  ja,  worauf  dies  alles  hinausläuft.  Die 
indog.  Altertumskunde,  die  sich  mit  breiten  Füssen  auf  den 
historisch-kohärenten  und  darum  festen  Boden  der  indog.  Völker- 
welt stellt,  soll  aufgegeben  werden  zugunsten  derjenigen  blen- 
denden und  populären  Wissenschaft,  die  von  den  Steppen  Asiens 
in  die  Urwälder  Amerikas  und  von  den  Urwäldern  Amerikas  in 
die  Sandwüsten  Afrikas  schweift,  um,  wie  man  sich  ausdrückt 
„allgemeine  Entwicklungsstufen  der  Menschheit"  zu  ermitteln. 
Ich  will  den  Wert  des  auf  diese  Weise  durch  die  vergleichende 
Völkerkunde  zusammengebrachten  Materials  auch  für  die  Be- 
urteilung der  indog.  Altertümer  nicht  gering  schätzen.  Wogegen 
ich  mich  sträube,  ist,  dass  man  die  so  erzielten  wirklichen  oder 
vermeintlichen  Ergebnisse  auch  dann  auf  die  indog.  Völker  über- 


-    223    — 

trägt,  wenn  unzweideutige  Tatsachen  gegen  eine  solche  Über- 
tragung sprechen,  oder  wenn  man  die  indog.  Altertumskunde  zur 
Ejrörterung  von  Problemen  anregen  will,  die  mit  ihr  durchaus 
nichts  zu  tun  haben.  Wiederum  ist  es  W.  Streitberg,  gegen 
den  ich  mich  wenden  muss.  Dieser  tadelt  es  a.  a.  0.,  dass  icli 
in  meinem  Reallexikon  aus  der  ethnographischen  Literatur  nur 
Einzelheiten  aufgeführt  habe,  statt  den  Geist  dieser  Werke,  wie 
er  sich  ausdrückt,  auf  mich  wirken  zu  lassen.  „Ed.  Hahns 
wertvolles  Buch  über  die  Haustiere,  seine  Skizze  über  Demeter 
und  Baubo  sind  nicht  im  entferntesten  erschöpft.  Wäre  dies  der 
Fall,  so  hätten  die  wichtigen  Artikel  über  Ackerbau  und  Vieh- 
zucht ein  wesentlich  anderes  Aussehen  erhalten.  **  Wir  sind  daher 
verpflichtet,  uns  diese  beiden  Werke  mit  Rücksicht  .auf  den  Wert, 
den  sie  für  die  indog.  Altertumskunde  haben  können,  etwas  näher 
anzusehen.  Ein  Grundgedanke  des  erstgenannten  Hahnschen 
Buches  über  die  Haustiere  beruht  in  dem  auf  den  eben  geschil- 
derten Pfaden  der  Vergleichenden  Völkerkunde  gewonnenen  Satz, 
dass  die  älteste  Wirtschaftsform  des  Menschen  ein  sogenannter 
„Hackbau^  gewesen  sei,  d.  h.  eine  Agrikultur,  die  nur  mit  der 
Hacke  arbeitete  und  von  den  Getreidearten  nur  die  Hirse  kannte  ^). 


1)  Leider  steht  es  mit  der  Begründung  dieses  Satzes  durch  die 
Urgeschichte  sehr  schlecht.  Ed.  Hahn  beruft  sich  in  Demeter  und 
ßanbo  p.  9  hierfür  auf  die  Schrift  Oswald  Heers  Pflanzen  der  Pfahl- 
bauten (Zürich  1865).  Nach  Ed.  Hahn  verdankten  wir  nämlich  0.  Heer 
<iie  Erkenntnis,  «dass  eine  unserer  Getreidearten  (die  Hirse)  bereits  vor 
der  Einführung  des  Pflugs  und  vor  der  allgemeinen  Verbreitung  des 
Rindes  als  Zugtier  von  den  ältesten  Bewohnern  der  Pfahlbauten  auf 
Feldern  gebaut  wurde,  die  nur  mit  der  Hacke  bestellt  waren".  „Es 
handelt  sich  hier  darum,  dass  die  Hirse  zu  einer  Zeit  auftaucht,  in  der 
▼OD  Rind  und  Pflug  noch  nicht  die  Rede  ist.  Diese  Entdeckung  (Heers) 
widersprach  aber  dem  Schema  und  wurde  wohl  deshalb  vernachlässigt.'* 
Hierbei  sind  aber  die  Angaben  Heers  durch  Ed.  Hahn  in  ganz  un- 
zulässiger Weise  beschnitten  und  aufgebauscht  worden;  denn  erstens 
weiss  jeder,  was  von  Heer  natürlich  auch  nicht  geleugnet  wird,  dass 
das  Hausrind  schon  in  den  ältesten  Pfahlbauten  bekannt  war,  zweitens 
würde  genau  dasselbe,  was  Hahn  von  der  Hirse  behauptet,  auch  von 
den  ebenso  früh  in  den  Pfahlbauten  nachweisbaren  Weizen-  und 
Gerstearten  gelten,  und  drittens  äussert  sich  Heer  über  die  Frage 
der  damals  gebrauchten  Ackerbaugeräte  p.  7  nur  in  folgender  äusserst 
vorsichtigen  Weise:  „Über  die  Werkzeuge,  mit  welchen  das  Feld  be- 
stellt wurde,  wissen  wir  leider  wenig  ....  Den  Pflug  scheinen 


-     224     — 

Auf  diesen  Satz  hatte  ich,  als  möglicherweise  für  die  indog.  Alter- 
tumskunde wichtig,  bereits  in  einer  ausführlichen  Rezension  des 
Hahnschen  Buches  (Zentraibl.  f.  Anthrop.  etc.  1898  p.  26}  hin- 
gewiesen und  habe  auch  in  meinem  Reallexikon  p.  11  gewisse 
sprachliche  Tatsachen  als  vielleicht  —  mehr  kann  man  keines- 
falls sagen  —  so  erklärlich  besprochen.  Hinsichtlich  dieses 
Buches  ist  der  Vorwurf  Streitbergs  also  solange  ungerechtfertigt, 
als  er  mir  nicht  nachweist,  dass  dasselbe  noch  andere  für  die 
indog.  Altertumskunde  wichtige  und  von  mir  nicht  berücksichtigte, 
gesicherte  Erkenntnisse  enthält.  Ich  komme  nun  zu  „Demeter 
und  Baubo^,  Versuch  einer  Theorie  der  Entstehung  unseres 
Ackerbaues  von  Ed.  Hahn  (Lübeck,  Selbstverlag  des  Verfassers, 
1896?).  „Es.  war  einmal  eine  Zeit",  so  kann  man  etwa  den 
Inhalt  dieses  wunderlichen  Büchleins  zusammenfassen,  „da  gab 
es  nur  wilde  Rinder  mit  grossen  Hörnern,  die  die  Menschen  an 
die  Homer  ihres  vielverehrten  Mondes  erinnerten.  Solehe  Rinder 
opferte  man  daher  dem  Monde  und  fing  sie,  um  sie  immer  zur 
Hand  zu  haben,  ein.  So  wurden  sie  allmählich  gezähmt.  Es 
war  ferner  einmal  eine  Zeit,  da  gab  es  auch  noch  keine  Wagen, 
wohl  aber  Spinnwirtel  mit  einer  Scheibe,  die  der  grossen  Matter 
der  Natur  und  der  Zeugung  heilig  waren.  Zwei  oder  vier 
solcher  Spinnwirtel  verband  man  nun  durch  eine  Achse  und  er- 
hielt so  zuerst  einen  ganz  kleinen  niedlichen  Götterwagen,  nach 
dessen  Muster  später  grosse  gebaut  wurden,  die,  von  Ochsen  ge- 
zogen, die  Göttin  zum  Tempel  fuhren.  So  entstand  der  Wagen. 
Es  war  endlich  einmal  eine  Zeit,  da  gab  es  auch  noch  keinen 
Pflug,  wohl  aber  Ochsen  und  die  Hacke,  die  eine  überraschende 
Ähnlichkeit  mit  einem  aufgerichteten  Phallus  hatte.  Der  Ochse 
aber  war  der  heilige  Diener  der  grossen  Erdmutter.  Diese 
wollte  man  zur  Fruchtbarkeit  zwingen.  Darum  spannte  man  den 
Ochsen  vor  die  Hacke.  So  entstand  aus  Ochse  und  Hacke  der 
Pflug."  Nun  gebe  ich  ja  zu,  dass  dies  alles  im  allerhöchsten  Grade 
geistreich  und  wahrscheinlich  sei.  Gewiss,  es  kann  gar  nicht  anders 
gewesen  sein.  Aber  ich  möchte  doch  W.  Streitberg  fragen, 
was  dies  alles  mit  der  indog.  Altertumskunde  zu  tun  hat,  die  zu 
einer  Zeit  einsetzt,  als  Hausrind,  Wagen  und  Pflug  längst  bekannt 

sie  nicht  angewendet  zu  haben.  Der  Boden  wurde  wahrscheinlich 
durch  scheibenförmige,  in  der  Mitte  mit  einem  Stiel  versehene  Schaufeln 
und  durch  aus  Hirschhorn  gefertigte  Rarste  .  .  .  umgegraben.* 


2SB 


:;n  un»l  irnisB  es  ihm  Illierlasseu,  „den  Geist  derartiger  Werke 
seine  A uff asmungsw eise  weiter  wirken  zu  lassen''. 
Welche    Verwirrungen    in    den    Aoacbauungen    der    Indii- 
^nnantslcn  das  durcli  die  vergleicbende  Völkerknnde  an  mehreren 
Stellen   der  Erde  nachgewiesene  Mntterrecht,    von  dem    man 
allznscboell    annahm,    das»    es    auch    bei    den  Indogermanen  ge- 
ilten haben  müsse,    angeriehtet  hat,    habe  ich  an  dem  Beispiel 
»  in  meinem  Realiexikon  p.  XXXIV  gezeigt.     Wie  schwer  es 
ist,  sich  von  der  Wirknng  derartiger  dnreh  die  vergleichende 
llkerkunde   in   die    Kultnrgesehiehle   geworfener  Schlagwörter 
li  XU   machen,    mögen  zum  Schluss  zwei  in  methodologischer 
isicht  sehr  lehrreiche  Sielten  zeigen,  die  sich  in  W.  Wandte 
Ikerpsychologie   I  *,   2,  536   f.   u.   643   finden.     Wundt  weist 
inüchst  mit  Recht  darauf  bin,  dass  der  Bedeutungswandel  der 
örter  auf  bestimmte  geschichtliche  Iledingungen  zurückgeführt 
len  könne:  „So  bernht  der  Wechsel  gewisser  Verwandtscbafts- 
Leichnungen  sichtlich   auf  Veränderungen  in  dem  Leben  nnd 
n  Rechlsverhältnisseu  der  Familie,  die  in  eine  «ehr  frühe  Zeit 
ackreichen.     In   dieser   Zeit   bezeichnet    der  Schwager   nur 
Brnder  der  Frau,  der  Oheim  den  Brnder  der  Mutter  {avun- 
eulue),    im  Gegensalz  zum  Vatersbruder  oder  Vetter  ipiitruua), 
der  aufSn^lich  von  den  andern  Angehörigen  der  vliterlichcu  Sippe 
nicht  unterschieden  wird.     Diese  Bevorzugung  des  Muttcrhriiders 
cb  die  Sprache  lässt  sich  aber  kaum  anders  denn  als  eine 
chwirkung  des  alten  Mutterrecbts  deuten,  auf  dessen 
iiustige  Oeltnng  auch  für  die  germanischen  Stämme  gerade  diese 
VerwnndlschaFtsnamen  hiuweisen.     Dem  entspricht  es,  dass  jene 
fnlerseheidung  dahinscliwand,  als  die  Sitte  die  Venvandten  beider 
Efaegallen  in    gleiche    Ferne   rückte:    Schwager  nnd   Oheim 
,rden  nun  auf  die  entsprechenden  Verwandtschaftsgliedcr  beider 
iteti  ausgedehnt,    der   Vetter   aber  ging  —  darin    blieb  eine 
ichwirkung    der    früheren   Stnfe    erhallen    —    auf    entferntere 
inlichc   Verwandte   überhaupt   über."     An   der   zweiten  Stelle 
643)  wird  über  die  angebliche  Unsicherheit  kulturhistorischer 
ilDsee   aus   dem  Vorhandensein    oder  Nichtvorhandensein   von 
'j^rtem    (vgl.  schon  oben  p.   1(54)   gesprochen.     Nnr   die  Ver- 
lodtflcbaftewörler    wiesen    auf    das    Bestehen    einer  gewissen 
'amilienorganisalion  in  der  Urzeit  hin,     „Doch  sobald  man  nun 
FOD  diesen  Namen    auf   die   Organisation    der  Familie    oder    auf 

Scblkder,  Spracht' erbleich uiig  und  L'rgHCMchie,    3,  Aufl.  15 


—    226    — 

sonstige  Sitten  zurückgehen  will;  so  versagen  die  Zeugnisse.  So 
ist  vor  allem  die  charakteristische  Stellung  des  Mutterbruder», 
wie  sie  bei  vielen  der  westliehen  Indogermanen  in  Sitte  und 
Überlieferung  zweifellos  vorhanden  war,  als  kein  ursprflnglich 
gemeinsamer  Besitz  nachzuweisen.  Da  aber  andererseits  der 
Vaterbruder  (patrutis)  bei  den  verschiedenen  Völkern  in  seiner 
Bedeutung  zwischen  dem  engeren  Begriff  und  dem  weiteren 
eines  männlichen  Verwandten  überhaupt  schwankt,  so  zerfliesst 
auch  dieses  Bild  der  urindogermanischen  FamilieuorganisatioD 
völlig  ins  unbestimmte.^  Leider  sind  nun  aber  die  sprachlichen 
Tatsachen,  auf  die  sich  diese  Ausführungen  stützen,  fast  durch- 
weg irrig  aufgefasst.  Es  ist  nicht  richtig,  dass  Schwager 
ursprünglich  nur  den  Bruder  der  Frau  bezeichnet  habe.  Dieses 
übrigens  späte  Wort  war  vielmehr  von  Haus  aus  eine  Kollektiv* 
bezeichnnng  für  Heiratsverwandte  jeder  Art.  In  dem  heutigen 
Gebrauch  des  Wortes  liegt  daher  keine  Erweiterung,  sondern 
vielmehr  eine  Einschränkung  der  ursprünglichen  Bedeutung  vor 
(vgl.  meinen  Aufsatz  Über  Bezeichnungen  der  Heiratsverwandt- 
schaft bei  den  indog.  Völkern  I.  F.  XVII,  11  ff.).  Es  ist  ferner 
nicht  richtig,  dass  das  Wort  Vetter  ursprünglich  alle  Angehörigen 
der  väterlichen  Sippe  bezeichnet  habe.  Ahd.  fetiro  =  scrt. 
pitfvya,  griech.  Tidigog,  lat.  patruus  war  vielmehr  in  der  Ur- 
sprache eine  feste  Bezeichnung  des  Vaterbruders,  die  im  Deutschen 
erst  verhältnismässig  spät  (vgl.  I.  F.  XVII,  15)  die  gegenwärtige 
Bedeutung  angenommen  hat.  In  dieser  können  daher  nicht  die 
Spuren  einer  früheren  allgemeineren  Bedeutung  des  Wortes  er- 
halten sein,  und  die  Bedeutungsgeschichte  des  Wortes  Vetter 
kann  in  keiner  Weise  darauf  hindeuten,  „dass  in  die  matri- 
archalische Ordnung  zugleich  die  ursprüngliche  ^Männergesellschaft^ 
hineinreichte**  (p.  537^).  Gegenüber  dem  indog.  Ausdruck  für 
Vaterbruder  „lässt  sich  eine  gemeinsame  Urform  für  die  Namen 
des  mütterlichen  Oheims  nicht  erschliessen**  (Delbrück  Verwandt- 
Schaftsnamen  p.  123),  was  aufs  beste  zu  meiner  Annahme  stimmt, 
dass  der  letztere  in  der  Urzeit,  die  eben  ganz  und  gar  unter 
Herrschaft  des  Vaterrechts  stand,  noch  keine  Rolle  gespielt  habe. 
Endlich  ist  auch  der  Gebrauch  des  Wortes  Oheim  für  das  alte 
fetiro  ^ Vaterbruder"  (ebenso  wie  für  Neffe)  ein  ganz  später. 
So  sehr  sehen  wir  also  Wundt  unter  dem  Einfluss  der  durch 
die  vergleichende  Völkerkunde  verbreiteten  Mutterrechtstheorien 


-    227    — 

steheD,  dass  er  die  klar  und  deutlich  für  ein  ursprüngliches 
Vaterrecht  zeugenden,  von  Delbrück  und  mir  beigebrachten 
sprachlichen  Tatsachen  erst  fälschlich  umdeutet,  und  dann  wieder 
auf  Grund  dieser  fälschlichen  Deutungen  ungünstige  Schlüsse  auf 
die  Beweiskraft  sprachlicher  Tatsachen  zieht. 

So  muss  ich  also  dabei  beharren,  dass,  wenn  wir  die  histo- 
rische Entwicklung  einer  Institution  bei  einem  der  indog.  Völker 
feststellen  wollen,  wir  zur  Vergleichung  jedenfalls  in  erster 
Linie  die  verwandten  indog.  Völker  heranziehen  müssen,  deren 
kulturgeschichtliche  Verhältnisse  auch  den  grossen  Vorteil  bieten, 
dass  wir  sie  im  Zusammenhang  überschauen  können,  während 
die  vergleichende  Völkerkunde  uns  dagegen  allzuoft  mit  der 
flüchtigen  Notiz  eines  Reisenden  oder  Missionars  abspeist,  die  im 
Zusammenhang  betrachtet  mit  dem  übrigen  Leben  des  betreffenden 
Volkes,  vielleicht  ein  ganz  anderes  Aussehen  haben  würde. 

Wie  ich  mir  dieses  Verfahren  in  praxi  denke,  habe  ich  in 
meiner  Schrift  Die  Schwiegermutter  und  der  Hagestolz,  eine 
Studie  aus  der  Geschichte  unserer  Familie^)  (Braunschweig  1904) 
za  zeigen  versucht,  die  wesentlich  in  der  Absicht  geschrieben 
wurde,  an  einem  Beispiel  darzutun,  innerhalb  welcher  Grenzen 
die  Indog.  Altertumskunde  von  der  ethnologischen  Forschung 
Gebrauch  machen  kann  und  soll. 


1)  Vgl.  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  1905  H.  1  (F.  Hart- 
mann),  Archiv  f.  Kulturgeschichte  III,  2  (R.M.Meyer),  Wochenschr. 
för  klass.  Philol.  1904  Nr.  51  (F.  Härder),  Globus  LXXXVII  Nr.  16 
(Karl  Rhamm),  Hessische  Blätter  für  Volkskunde  IV,  1  (0.  Lauffer), 
Peutsche  Litz.  1905  No.  1  (H.  Michel). 


15* 


X.  Kapitel. 


Die  indogermanische  Altertumskunde. 

Die  indog.  Altertumskunde  und  die  indog.  Sprachwissenschaft    Beide 

sollen  in  erster  Linie  die  historischen  Tatsachen  erklären.    Der  Wert 

der  Rekonstruktion  vorhistorischer  Kulturzustände  für  die  indog. 

Altertumskunde. 

Die  liuguistiscbe  Paläontologie  als  selbständiger  Wissenszweig 
ist  tot;  aber  der  Tocbter,  der  sie  da«  Leben  gegeben  hat,  ist, 
wenn  nicbt  alles  trügt,  ein  längeres  und  fruchtbareres  Dasein 
bescbieden.  Wenn  wir  hier  noch  einmal  die  Bedeutung  dieser 
jungen  Wissenschaft  der  indog.  Altertumskunde  ins  Auge  fassen, 
so  kann  dies  am  besten  im  vergleichenden  Hinblick  auf  die  indog. 
Sprachwissenschaft  geschehen,  in  Zusammenhang  mit  deren 
Fragen  und  Aufgaben  sie  sich,  wie  in  der  ersten  Abhandlung 
dieses  Werkes  gezeigt  ist,  allmählich  aus  einer  blossen  Appendix 
der  Sprachvergleichung  zu  einem  Wissenszweig  mit  selbständigen 
Zielen  und  Wegen  entwickelt  hat. 

Als  man  damit  anfing,  das  Griechische  und  Lateinische  mit 
(1cm  Sanskrit,  ja  mit  den  Sprachen  „bari)ari8cher"  Völker  wie 
der  Germanen  und  Slaven  zu  vergleichen,  waren  diese  neuen 
Bestrebungen,  wie  natürlich,  mancherlei  Angriffen  und  Ver- 
spottungen ausgesetzt.  Sanscritice  halhutiunty  latine  n^ciuntf 
sagte  einer  der  Wortführer  dieser  Opposition  und  wollte  damit 
sagen,  dass  es  nicht  gut  sei,  den  festen  Boden  der  grammatischen 
IJberlieferung  der  klassischen  Sprachen  zum  besten,  wie  es  schien, 
unfruchtbarer  und  haltloser  Vergleichungeu  mit  weltfernen  oder 
barbarischen  Idiomen  zu  verlassen.  Derartige  Anschauungen  sind 
gegenwärtig  verstummt  oder  wagen  sich  wenigstens  nicht  mehr 


229 


AD  datt  Lidit  lies  Tages.  Man  hat  erkannt,  dass  diir  letzten  und 
wichti^teo  Fragen,  die  die  griechieche  oder  lateinische  Gram- 
lalik  aufgihl,  mir  durch  Vergleichnng  mit  den  verwandten 
i^)rachen  beantwortet,  und  daes  nur  auf  diesem  Wege  allgemeine 
letze  sprachliclieu  Wesens  und  Werdens  erkannt  werden  können. 
Dasselbe  ist  der  Fall  binsicbtlicli  der  indog.  Altertnms- 
kuude.  Zu  welcbem  der  indog.  Völker  und  auf  welches  Gebiet 
ihrer  Kultur  wir  uns  immer  wenden  mögen,  Überall  finden  wir 
«cbon  am  Anfang  ihrer  Geschichte  eine  Fülle  von  Einriehtnngen 
id  Gebräufhen,  die  auf  eine  Jahrtausendalte  Vergangenheit  hiu- 
EU,  und  die,  von  der  einheimischen  t'T)crliefernng  nicht  oder 
halb  verstanden,  nur  durch  die  Vergleichung  mit  den  Zn- 
inden  der  verwandten  Völker  in  den  richtigen  Zusammenhang 
in  die  richtige  Beleuchtung  gerückt  werden  können.  Nur 
diesem  Wege  kennen,  wie  dort  sprachliche,  so  hier  kultiir- 
gescliicbtliche  Entwicklungsreihen  erkannt  werden. 

£b  ergibt  sich  hieraus,  dass  es  hier  wie  dort  die  Erklärung 
.der  historischen  Tatsachen,  und  nicht  die  Rekonstruierung  eines 
■Abistortschen  Sprach-  oder  Kulturzustandes  ist,  anf  die  die  Be- 
ibnngen  der  beiden  Wissenschaften  in  erster  Linie  gerichtet 
&ind.  Diese  Auffassung  leitete  micli  bei  der  Anlage  meines 
I •' eal lex i kons,  und  ihr  habe  ich  in  der  Vorrede  zu  diesem  Werk 
(1.  XXXVI  den  folgenden  Ausdruck  gegeben: 

„Doch  soll   bemerkt  werden,  dass  die  Rekonstruktion  vor- 
geschiehllicher  Zustände,   die   bei  dem  dehnbaren  Charakter  von 
.XnadrQcken  wie  ürvolk,  Urzeit,  Ursprache  immer  etwas  fiktives 
hohalten   wird,   in   dem  vorliegenden  Werk  weniger  Selbstzweck 
.ils  Hilfsmittel  zur  Erklärung  der  geschichtlichen  Ver- 
hältnisse sein  soll,  von  deueu  es  ansgeht.     Wie  auf  dem  Gebiete 
Grammatik    die   Erschliessung    der    indog.    Ursprache    nicht 
dienen   soll,   indog.   Fabeln   oder  Zaubersprüche    in    ihrer 
idog.  Hpracliform    /.u   ermitteln,   sondern   das  Verständnis   der 
hicbtlich   llherlielerten  Sprach  formen   zu   ermöglichen,    so  er- 
:t  auch  die  Indogermanische  Altertumskunde  ihren  eigentlichen 
icht    dadurch,    dass   sie   die   Gesittung  eines  im 
Asiens    oder    Europas   gedachten    Urvolks    er- 
bliesst,  sondern  dadurch,  dass  sie  die  Basis  bildet, 
f  der  das  Verständnis  der  historischen  Kultaren  der 
dog.  Eiiizelvülker  möglich  wird."     Ich  freue  mich  daher, 


^der 

m/täh 

Ktrel 


—     230    - 

dass  die  Kritik  diesen  Grundgedanken  meines  Werkes  im  all- 
gemeinen richtig  erkannt  nnd  gebilligt  hat,  z.  B.  M.  Winternitz 
(a.  0.  p.  52  a.  0.  p.  194),  der  sieh  folgendermassen  darüber 
äussert:  ,Jn  diesem  Werke  hat  Schrader  allen  Zweifeln  und  Be- 
denken gegenüber  den  Ergebnissen  der  indog.  Altertumskunde 
dadurch  die  Spitze  abgebrochen,  dass  er  sich  damit  bescheidet, 
die  einzelnen  Kulturerscheinungen  auf  ihre  frühsten  Wn^ 
zeln  zurückzuführen,  ohne  ein  zusammenhängendes  Bild  der  Kultur 
der  ^Urzeit"  zu  entrollen.  Gerade  die  bescheidene  Form  eines 
Reallexikons  eignete  sich  am  besten  zur  Darstellung  unseres 
noch  so  vielfach  der  Ergänzung  und  des  Ausbaues  bedürfenden 
Wissens  von  der  Entwicklung  der  indog.  Kultur.^  unklar  ist  es 
mir  daher,  mit  welchem  Recht  E.  Hermann  in  seiner  schon  im 
vorigen  Kap.  genannten  Schrift  Zur  Geschichte  des  Brautkaufs 
es  als  mein  Hauptziel  bezeichnen  kann,  „Bilder  urindogermanischen 
Lebens  zu  entrollen." 

In  der  Tat  liegt  in  dem  Bestreben,  die  Wurzeln  einer 
gegebenen  kulturhistorischen  Tatsache  aufzudecken,  gleich- 
viel ob  dieselben  mehr  oder  weniger  tief  in  den  Erd- 
boden eingreifen,  mehr  oder  weniger  verzweigt  sind,  die 
eigentliche  Aufgabe  der  indog.  Altertumskunde.  Die  Analogie 
mit  der  indog.  Sprachwissenschaft  ist  hier  eine  vollkommene. 
Das  griechische  Augment  kehrt  bekanntlich  nur  im  Altindischen 
und  im  Armenischen  wieder,  und  doch  kann  dieser  umstand  den 
vergleichenden  Grammatiker  in  keiner  Weise  verhindern,  die 
Eigenart  dieser  Bildung  an  den  Erscheinungen  der  genannten  drei 
Sprachen 'zu  studieren.  Ebenso  ist  es  auf  dem  Gebiet  der  indog. 
Altertumskunde.  Die  Verbindung  des  indog.  Wortes  für  Himmel 
mit  dem  indog.  Wort  für  Vater  kommt  in  einer  den  Verdacht 
späterer  Znsamnienrückung  ausschliessenden  Weise  gleichwohl 
nur  im  Sanskrit,  Griechischen  und  Lateinischen  {Dyäus  pUdy 
Zeifg  TTnrrJQ,  Juppiter)  vor.  Für  das  Verständnis  dieser  drei 
Göttergestalten  bei  den  betreffenden  Einzelvölkem  ist  dieser  Um- 
stand ohne  durchschlagende  Bedeutung.  In  einem  bekannten  Vers  des 
Rigveda  wird  gesagt,  dass  Ushas  (die  Morgenröte)  den  Menschen 
ihren  Busen  entblösst,  gleichwie  ein  Mädchen,  dem  der  Bruder 
fehlt,  dem  Manne  dreister  sich  ergibt",  und  in  einem  Vers  der 
Ilias  (XVI II,  85)  ist  von  einem  „Hineinwerfen"  {ißißaleTv)  des 
Mädchens  in  das  Bett  des  Mannes  bei  der  Hochzeit  die  Rede. 


-     231    - 

Beide  Äosserangen  sind  aaf  dem  Boden,  auf  dem  sie  uns  begeg- 
nen, nnverständlicb.  Erst  die  indog.  Altertumskunde  rückt  sie  in 
den  rechten  Znsammenhang.  Sie  weist  nach,  dass  die  Auffassung 
defl  Bruders  als  des  Tugend-  und  Eenschheitswächters  der  Schwester 
noch  bei  den  heutigen  Weissrussen  so  stark  ausgebildet  ist,  dass, 
wenn  am  Morgen  nach  der  Hochzeit  die  junge  Frau  nicht  ihr 
blutbeflecktes  Hemd  aufweisen  kann,  ihrem  Bruder  zur  Strafe 
•dafür  ein  Halfter  um  den  Hals  gelegt  wird,  in  dem  er  sich  an 
den  Tisch  setzen  mnss^).  Sie  zeigt  femer,  dass  es  sich  bei  dem 
homerischen  Vers  zweifellos  um  eine  uralte,  in  Litauen  und  in 
Deutschland  wohl  bezeugte  Hochzeitssitte  handelt,  der  zufolge 
•die  Braut  in  der  Hochzeitsnacht  mit  wirklicher  oder  scheinbarer 
Oewalt  dem  Manne  zugeführt  wird*).  Selbstverständlich  wird 
Bich  der  Forscher  bemühen,  die  hier  in  Frage  stehenden  An- 
schauungen und  Gebräuche  in  möglichst  weiter  Ausdehnung  auf 
indog.  Boden  nachzuweisen;  aber  fUr  das  richtige  Verständnis 
der  indischen  und  griechischen  Stelle  wird  schon  das  bis  jetzt 
•darbietbare  ausreichend  sein. 

Gleichwohl  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  die  Rekon- 
struktion auf  dem  Gebiet  der  indog.  Altertumskunde  eine  andere 
Rolle  spielt  als  auf  dem  der  indog.  Sprachwissenschaft;  doch 
ist  hinzuzufügen,  dass  sie  diese  andere  Rolle  nicht  nur  spielen 
darf,  sondern  auch  spielen  muss.  Es  sind  zweifellos  verschieden- 
iirtige  Unternehmungen,  ein  indog.  Paradigma  und  den  Kultur- 
^nstand  eines  Volkes  zu  erschliessen.  Der  Unterschied  liegt  in 
dem  verschiedenen  Anteil,  den  an  diesem  beiderseitigen  Beginnen 
die  ergänzende  und  zusammenfassende,  die  kombinierende  — 
Phantasie  des  Forschers  hat.  Im  Gegensatz  zu  den  frühereu 
ist  dem  heutigen  Sprachforscher  (vgl.  Delbrück  Einleitung  ^  p.  1 25) 
die  Urform,  die  er  aufstellt,  nichts  als  das  ,,reine  Produkt  seiner 
Vergleichung**  und   die  Zusammenrückung  solcher   Urformen   zu 

1)  Vgl.  §ejn  im  Sbornik    der   Abt.    für   russische  Sprache   und 
Literatur  d.  Kais.  A.  d.  W.  LI  No.  3  p    179  f. 

2)  Vgl.  meine  Schrift  Totenhochzeit  p.  29,  38;  dazu  F.  Friese  His- 
torische Nachricht  von  den  merkwürdigen  Ceremonieu  der  Alten- 
bnrji^schen  Bauern  1703  (1887)  p.  14:  »Was  ist  des  Braut-Dieners  Ver- 
richtung? Nachdem  er  nebst  etlichen  Anverwandten  und  Gästen  di(^ 
Braut  zu  Bette  geführet,  ziehet  er  ihr  in  der  Kammer  den  Stiefel  oder 
Schuh  aus,  pfleget  auch  die  Zöppe  auszuflechten,  endlich  wirft  er 
-die  Braut  annoch  angekleidet  in  das  Braut-Bette.^ 


—    232    - 

einem  Paradigma  eine  rein  äasserliche  und  fast  mechanische 
Arbeit,  bei  der  eine  Tätigkeit  seiner  Phantasie  den  Forscher 
eher  stören  als  fördern  könnte.  Kein  Geschichtsschreiber  aber  — 
er  mag  nun  die  Menschen  und  Zustände  des  XIX.  Jahrhunderts^ 
nach  Christo  oder  des  IV.  Jahrtausends  vor  Christo  schildern  — 
kann  derjenigen  Kraft  seines  Geistes  entbehren,  die  die  einzelnen 
Tatsachen,  die  seine  Quellen  darbieten,  zu  grossen,  in  letzter 
Instanz  nur  durch  eine  gewisse  Intuition  erfassbaren  und  akten- 
massig  nicht  belegbaren  Zusammenhängen  vereinigt  —  der 
Phantasie,  natürlich  einer  mit  dem  Tatsächlichen  durchtränkten: 
und  durch  dieses  geläuterten  und  geklärten  Phantasie.  In  diesem 
Sinne  wird  und  muss  auch  der  indog.  Altertumsforscher  es  immer 
aufs  neue  versuchen,  Rekonstruktionen  der  vorhistorischen  Ver- 
hältnisse vorzunehmen,  Rekonstruktionen,  die  nach  50  Jahrei» 
auf  Grund  neuer  Quellen  und  Überlegungen  vielleicht  andere  als^ 
heute  sein  werden,  zu  denen  aber  der  menschliche  Trieb  nach 
Erkenntnissen  und  Erkenntnis  immer  aufs  neue  drängen  wird. 
Es  mag  ja  sein,  dass  es  Forscher  gibt,  die  ein  solches  Bedflrfni» 
niemals  empfinden  und  sich  auf  ewig  mit  den  Einzelheiten  be- 
gnügen. Dann  haben  sie  wohl  die  Teile  in  ihrer  Hand:  „Fehlt 
leider  nur  das  geistige  Band^! 


Autorenverzeichnis 


zu  Abhandlung  I  und  II. 


J.  Chr.  8-6.  9,  101. 

81. 

205. 
0.  121. 
a  125. 

-Dtiperron  9. 
109. 
1. 

ter  A.  80,  205. 
mae  46,  48,  76,  182,  184. 
m  £.  80. 
rh.  6,  7,  16,  30.  42-45,  46, 

95,  111,  179,  187. 
r  E.  46. 
;  F.  49. 
i  108. 

erger  A.  46,  48,  114. 
Eipp  G.  121. 
k  0.  27,  185. 

7,  8,  20,  21,  147,  181. 
P.  V.  48,  75,  187. 
'.  83. 
W.  69. 
.  90. 
O.  129. 
)8. 

r  A.  52,  84,  197. 
,r  A.  151,  214. 
an  K.  48,  50,  74,  75,  134, 
88,  140,  141,  147,  168,  171, 
31,  216. 

J.  W.  127,  128. 
ifer  H.  95. 
z  E.  162. 
itsch  A.  (8.  Nachtr.). 

G.  140. 
s  A.  de  28. 
5ke  H.  Th.  15. 
d  J.  14. 

G.  41,  97,  98. 
E.  62. 

G.  40,  46,  71,  79. 
A.  9,  88. 

k  B.  48,  76,  143,  187,  202, 
27,  281. 
\\  F.  103. 

J.  148. 


Diefenbach  L.  79. 

Diez  84. 

Donner  125. 

Duncker  M.  62. 

Ebel  H.  60,  61,  68,  81,  82,  81. 

Ecker  A.  110. 

Eichhoff  F.  G.  15. 

Engler  A.  34. 

Ermann  79. 

F.rne8ti  77. 

Ewers  214. 

Fick  A.  30,  33,  41,  46,  47,  59,  62, 
63,  71,  73,  92,  99,  185,  187,  212 
(vgl.  auch  die  Nachträge). 

Fischer  v.  109. 

Förstemann  E.  30,  62,  63. 

Förster  M.  51. 

Forrer  R.  212. 

Franz  W.  82. 

Friese  F.  231. 

Geiger  L.  93-95,  117,  205. 

Geiger  W.  48,  62,  89,  150,  187. 

Gerland  G.  41. 

G6ry  R.  114. 

Gesenius  77. 

Gheyn  J.  van  den  96,  114, 116,  129. 

Goetze  A.  121—123. 

Grassmann  H.  59. 

Grimm  J.  13,  18—20.  50,  200. 

Grisebach  A.  161. 

Gröber  222. 

Gruppe  0.  189. 

Güterbock  84. 

Hahn  Ed.  223,  224. 

Härder  F.  227. 

Harlez  de  109. 

Hartmann  F.  227. 

Hassencamp  R.  6J. 

Haug  M.  89. 

Havet  71. 

Heer  0.  228,  224. 

Heeren  9. 

Hehn  V.  84-40,  44,  47,  48,  50,  51, 
99—101,  154,  188,  219. 

Heibig  W.  42,  43. 

Helm  K.  129, 155,  212  (s.  d.  Nachtr.), 

Henry  V.    52. 


—    284    - 


Herder  9.  • 

Hermann  E.  217,  218,  220,  280. 

Hessler  219 

Hirt  H.  49,'  52,   75,  121,  126,  162, 

164,  165,  175,  195,  219,  225. 
Höfer  A.  15,  99. 
Hörnes  M.  128. 
Hoffmann  0.  52. 
Holder  84. 

Hommel  F.  78,  104,  105,  114. 
Hoops  J.  129,  207.  (s.  d.  Nachträge). 
Hörn  P.  76. 

Hübschmann  H.  46,  72,  73,  76,  77. 
Huxley  128 
JsLgi6  V.  152. 
Ihering  R.  v.  50. 
.Jolly  J.  71,  92. 
Jones  W.  7,  8. 

Jubainville  (s.  d.  Nachträge). 
Justi  F.  28,  29,  33,  59,  76,  88,  114, 

185. 
Kennedy  V.  22. 

Kiepert  H.  62,  86,  89,  90,  101,  102, 
Kirchhoff  A.  114. 
Klaproth  J.  v.  7,  11—13. 
Kluge  F.  46,  68,  82,  84,  213,  216. 
Kneisel  B.  62. 
Koppen  Fr.  Th.  125-127. 
Körting  G.  84. 

Kossinna  G.  51,  117-124,  212. 
Kotljarevskij  A.  A.  63. 
Krause  E.  117,  206. 
Krek  G.  25,  68. 
Kremer  A.  v.  103. 
Kretschmer  P.    51,    75,    116,    128, 

134-136,  145,  152,  154,  156,  165, 

169-171,  175.  176,  191—195,  217, 

(vgl.  d.  Nachtr.). 
Kri2  M.  211. 
Kruger  J.  114. 
Kuhn  A.  16—24,  28,  31,  33,  50,  177, 

183. 
Lagarde  P.  de  77,  197. 
Lapouge  de  114. 
Lassen  Ch.  12,  13,  25,  28,  89,  90. 
Latham  R.  G.  90,  91. 
Lauffer  O.  227. 
Leibniz  3,  4,  6. 
Leist  B.  W.  49,  189,  190,  219. 
Lenormaut  28,  77,  96. 
Leo  H.  21. 

Leskien  A.  73,  74,  91. 
Lewv  H.  78. 
Lhuvd  E.  14. 
Lindenschmit  111. 
Link  H.  F.  9,  15. 
Löiier  v.  117. 
Lottner  C.  54,  58,  62,  81. 


Lubbock  J.  186,  188. 

Mackel  E.  84. 

Mainow  109. 

Manatt  168. 

Meringer  R.  48,  51,  75,  129,  14^ 

212-214. 
Mever  E.  129. 
Meyer  G.  46,  48,  72,  80. 
Meyer  L.  71. 
Meyer  R.  M.  52,  215,  227 
Michaelis  C.  121. 
Michalo  Lituanus  6. 
Michel  H.  227. 
Michelis  £.  de  129. 
Miklosich  F.  46,  68,  82,  88. 
Misteli  F.  30,  32,  88. 
Mommsen  Th.  22,  62,  79. 
Much  M.  49,  117—121,  211. 
Much  R.  51,  76,  81. 
Müllenhoff  K.  61. 
Müller  A.  78,  198. 
Müller  F.  62,  77,  94,  108,  146,  16^ 
Müller  M.  30,  33,  57,  58,  68,  88,  90- 

116,  185. 
Muir  J.  88. 
Muss-Arnolt  W.  78. 
iNieizsche  F.  204. 
Nyström  A.  116. 
Omalius  d'Hallov  de  107,  117. 
O'Reillv  27. 
Osthoff  H.  184,  201,  203,  204  (vfjl 

d.  Nachtr.). 
Parrv  D.  14. 
Pauf  143. 

Pauli  F.  C.  30,  59,  99. 
Paulinus  a   8.  Bartholomaeo  5. 
Penka  K.    75,   108,   112—114,  118, 

121,  ln3. 
Pictet  A.  24—28,  38,  50,  68,  86- 

88,  94,  179. 
Pifetrement  C.  A.  108. 
Pösche  Th.  109,  110,  112. 
Pogatscher  A.  82. 
Pole  205. 
Pott  F.  A.   11,  12,   15,  16,  80,  4^ 

101. 
Prellwitz  VV.  46. 
Pruner-Bov  108. 
Rask  R.  K.  14. 
Ratzel  F.  LJl,  128,  155. 
Räumer  R.  v.  82. 
Rcinach  S.  85,  108,  127. 
Remusat  A.  13. 
Renan  E.  77. 
Rendali  114. 
Rhamm  K.  227. 
Rhode  J.  G.  9,  10,  90. 
Rhvs  127,  128. 


-     235    - 


Kiese  A.  215. 

Ritter  K.  13. 

Robert  207. 

Rohde  £.  219. 

Roth  27. 

Rougemont  F.  y.  28. 

Sa&lfeld  A.  80. 

Sayce  A.  H.  114,  161,  186. 

tcherer  W.  61. 
eJQ  231. 
Schildberger  J.  3. 
Schlegel  A.  W.  v.  10,  11,  15,  28— 

90. 
Schlegel  F.  v.  8. 
Schleicher  A.  32,  37,  51,  53-55,  56, 

57,  59,  61,  68,  88,  133,  147. 
Schmidt  J.   63-68,   71—74,   105— 

107,  114,  168—171,  216. 
Schrader  E.  103. 
Schrader  0.  34,  47,  48,  51,  52,  81, 

124,  219,  226,  227. 
Schuchardt  H.  68. 
Schultz  W.  206. 
Schurtz  H.  121. 
Seiler  F.  82,  V^^. 
Sergi  G.  116. 
Seybold  Chr.  84. 
Sievers  E.  144. 
Sobolevskij  142,  152. 
Sograf  148. 
Sonne  W.  60,  68,  SS. 
Spiegel  F.  v.  60,  62,  68,  90,  95    97. 
Sprenger  103. 
Stengel  P.  220. 
Stieda  126,  212. 
Stokes  W.  27,  46,  84,  137. 
Stolz  F.  48,  52. 
Streitberg  W.  48,  50,  52,  126,  221. 

223,  224. 


!  Stuart  Glennie  129. 
Sweet  H.  I26. 

Symons  B.  51,  129,  176,  187,  195. 
Taylor  C.  J.  125. 
Thurneysen  R.  84. 
Tilak  Bäl  Gangädhai  109. 
Tomaschek    W.   41,  48,    112,    124, 

125. 
Tsountas  163. 

ühlenbeck  C.  C.  46,  83,  126. 
Ujfalvy  Ch.  de  115,  116. 
Usener  H.  31. 
Vämb6ry  H.  83,  141,  205. 
Vater  J.  S.  3,  14. 
Veckenstedt  E.  206. 
Virchow  R.  111,  154. 
Vodskov  H.  8.  51. 
Wackernagei  W.  82. 
Walde  A.  46,  162. 
Warren  W.  F.  109. 
Weber  A.  12,  27,  28. 
Weise  0.  79,  80,  199,  205. 
Westphal  R.  31. 

Whitney  W.  D.  30,  57,  71,  91,  99. 
Wiedemann  A.  79. 
Wilamowitz  163. 
Williams  M.  96. 
Wilser  L.  114. 
Wilson  27. 
Windisch  27,  197. 
Winternitz  M.  52, 121,  123,  211,  230. 
Wissowa  207. 
Wocel  J.  E.  63. 
'  Wundt  W.  51.   142,   144,   164,  186, 

191-194,  201,  202,  206,  225-227. 
Zeuss  K.  20,  60. 
Zimmer  H.  12,  61,  89,  149,  150,  186, 

188. 
Zupitza  E.  51. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 


p.  63.  Füge  hinzu  A.  Budilo witsch  Die  Sprache,  Lebensweise 
und  Vorstellungen  der  alten  Slaven  auf  Grund  lexikalischer  Tatsachen 
(russ.)  I,  1  und  2.   Petersburg  1878—79  (vgl.  Archiv  f.  Anthrop.  XII,  396). 

p.  81.  Füge  hinzu  Arbois  de  Jubainville  De  la  civilisation 
commune  aux  Celtes  et  aux  Germains,  Revue  arcMoL  3  sör.  XVII,  191. 

p.  117.    Z.  12  V.  u.  lies  L.  Geiger. 

p.  121  Anm.  Als  Kritiker  M.  Muchs  ist  jetzt  noch  A.  Fick  za 
nennen,  der  in  einer  ausführlichen  Besprechung  (B.  B.  XXIX,  225  ff.) 
ebenfalls  Muchs  Ansicht  ablehnt.  Er  selbst  nimmt  jetzt  als  Urheimat 
der  Indogermanen  „eine  Zone  von  wechselnder  Breite  zwischen  dem 
Rhein  und  dem  Hindukusch^  an.  Über  seine  Ausführungen  wird  sich, 
ebenso  wie  über  die  p.  129  nachgetragenen  Schriften  von  K.  Helm 
und  J.  Hoops,  näheres  zu  berichten  im  Schlusskapitel  des  II.  Tdles 
dieses  Werkes  (Urheimat  der  Indogermanen)  passende  Gelegenheit  bieten. 

p.  126  Z.  4  V.  u.  lies  1893. 

p.  214.  Vgl.  in  „Bylinen  und  historische  Lieder  des  Gouverne- 
ments Archangel**,  gesammelt  von  A.  D.  Grigorievü  I  (Moskau  1904), 
54  die  Schilderung  des  Dorfes  Kolezma:  „Die  Lage  ist  niedrig  und 
sumpfig.  Um  daher  auf  der  Strasse  gehen  zu  können,  hat  man  auf 
ihr  ein  ziemlich  breites  hölzernes  Trottoir  errichtet,  das  mostki  (vgl* 
mostü  „Brücke**)  heisst.  Von  diesem  gemeinsamen  Fusssteig  führen 
besondere  mostki  nach  jeder  Bauernhütte**  usw. 

p.  218.  Die  hier  zugrunde  gelegten  Deutungen  des  lat  nvöo 
und  des  ahd.  munt  scheinen  mir  viel  wahrscheinlicher  als  die  voi^ 
Kretschmer  (Aus  der  Anomia  27)  vorgeschlagene  Erklärung  de« 
ersteren  Wortes  aus  altsl.  snublti  „lieben**  (man  bedenke  auch,  das* 
nubo  nur  von  der  Frau  gilt  und  mit  dem  Dativ  verbunden  wird:  »sie?** 
für  Jemand  verhüllen**)  und  die  von  Osthoff  (vgl  Heidelb.  Tagebla C t 
vom  28,  1.  1901)  versuchte  Trennung  des  ahd.  murU  „Schutz*  vo** 
munt  „Hand**. 


Carl  Georgi,  Universltäts-Buchdruckerei  in  Bonn 


III. 


DAS  AUFTRETEN  DER]  METALLE, 


BESONDERS 


EI  DEN  INDOGERMANISCHEN  VÖLKERN 


Quod  superest,  aes  atque  aunim  ferrique  repcrtum  est 
Et  simul  argenti  pondus  plumbique  potestas. 


Scbrader,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  II.    8.  Aufl. 


I.  Kapitel. 

Einleitung. 

Wenn  die  Geschichte  der  menBchlichen  Kulturentwickiung 
it  unpassend  einem  gewaltigen  Strome  verglichen  werden 
n,  der  aus  vielen,  zum  Teil  unentdeckten  Quellen  entspringend 
1  Ozean  znfiiesst,  so  haben  für  den  Kulturforscher  diejenigen 
ilen  dieses  Stromlaufcs  ein  besonderes  Interesse,  wo  ein  breiter 
»eofluss  dem  Mutterstrome  sich  verbindet,  so  dass  dieser  nun 

erhöhtem  Wogenschwall  dahinflutet. 
Zu  jenen  grossen  Wendepunkten  der  Kulturgeschichte  darf 

Bekanntwerden  der  Menschheit  mit  den  Metallen  mit  Fug 
äblt  werden.  Denn  in  so  mannigfaltiger  Weise  durchdringen 
geheimnisvollen  Schätze  der  Tiefe,  nachdem  sie  einmal  gehoben 
1,  Leben  und  Treiben  des  Menschen,  dass  unter  ihrem  Einfluss 
Qftblich  eine  neue  Generation,  ein  anderes  Zeitalter  hervor- 
rachsen  scheint.  Es  bedurfte  daher  nach  der  Anschauung  der 
;n  Naturphilosophen  eines  ausserordentlichen  Ereignisses,   um 

metallenen  Eingeweide  der  Erde  an  das  Licht  des  Tages  zu 
tren.  Ein  ungeheuerer  Brand  hatte  nach  Lucrez  De  verum 
ur€i  V,  12Ö0  ff.  einstmals  weite  auf  metallischem  Grund 
lende  Wälder  erfasst: 

Quidquid  id  tat,  quaquomque  ex  causa  flammeutf  ardor 

Horribili  tfonitti  süvas  exederat  aUis 

Ah  radicibtis,  et  terram  percoxerat  igni; 

Manäbat  venis  ferveiitibus,  in  loca  terrae 

Cancava  conveniens,  argenti  rivus  et  auri, 

Aerüt  item  et  plitmhi. 

In  gleicher  Weise  hatten  sich  nach  Poseidonius  bei  Strabo 
147  die  Reichtümer  Spaniens  an  Gold  und  Silber  verraten^;. 

1)   Ov  yäo  djitoTsTv  r<j5  iiv&fo  (ftjoiv  ort  zatv  doruCjy  Jioze  s/iJigtjodh'TCor 

j  taxeioaf  äxF.  aoyvgtitg  xal  /ovomg,   elg  r/yv  ijiiq^dvftav  i^e^eas  Sta    to  jräv 

xai  :tavTa  ßotn'or  vÄrjv  etvai    voftiofiaTog    V7i6    rtrag    dqr^ovov    xv^rj^    oeaoy- 

1* 


—    4    — 

In  der  finniscben  Sage  (Ealevala  IX)  war  das  aus  den  yoUeQ 
Brüsten  dreier  von  Ukko  geschaffenen  Jungft^uen  auf  die  Erde 
geträufelte  Eisen  vor  seinem  rasenden  Bruder,  dem  Feuer,  ge- 
flohen und  hatte 

In  den  schwankungsreichen  Sümpfen  In  den  sprudelreichen  Quellen 
Auf  der  Sümpfe  breitem  Rücken  An  des  jähen  Berges  Abhung 

Zuflucht  gesucht,  bis  es  von  „dem  ew*gen  SchmiedekUnstler^ 
Ilmarinen  entdeckt   und   in   die  Schmiede  getragen  ward  u.8.w. 

Versuchen  wir  die  wichtigsten  Seiten  ins  Auge  zu  fassen^ 
nach  denen  die  Metalle  das  Kulturleben  der  Menschheit  umgestaltet 
haben,  so  ist  es  fürwahr  ein  hartes  Stück  Arbeit  gewesen,  das 
auf  dem  Boden  unserer  europäischen  Heimat  des  Menschen  harrte, 
ehe  er  Raum  schaffte  für  sich  und  die  Seinen.  Dichter  Urwald, 
dessen  Anfang  oder  Ende  erreicht  zu  haben  keiner  der  Insassen 
sich  rühmen  kann,  bedeckt  das  Innere.  Die  deutschen  Orts- 
namen, in  denen  kein  Begriff  mit  solcher  Mannigfaltigkeit  wie 
„Wald*'  und  „Busch**  wiederkehrt,  sind  ein  treuer  Spiegel  des 
einstigen  Waldüberflusses,  üngebändigt  brausen  durch  den  Ur- 
wald die  Ströme  einher,  bald  zu  wütenden  Schnellen  sieh  ver- 
engend, bald  in  breite  Moräste  sieh  verlaufend.  Aut  Mvis  hör* 
rlda  aut  paludibus  foeda,  das  ist  die  Schilderung  Alt-Germaniens 
aus  des  Römers  Feder.  Auch  die  Gestade  des  Mittelmeers  um- 
schliesst  in  der  Urzeit  noch  nicht  der  immergrüne  Gürtel,  der 
heute  dem  Süden  sein  eigenartiges  Gepräge  aufdiUckt.  Ernster 
Eichenwald  und  düstere  Fichten  verhüllen  noch  die  klassischen 
Stätten,  und  nur  „der  sanfte  Hauch,  der  vom  blauen  Himmel 
weht",  verkündet  sonnigere  Zeiten. 

Wie  die  Pflanzenwelt  ist  auch  die  Tierwelt  wilder  und 
bedrohlicher.  Zwar  sind  die  alten  Rieseneinwohner  Europas,  das 
Mammut  und  Rhinozeros,  längst  verschwunden,  auch  das  Renn- 
tier hat  sich  frühzeitig  nach  dem  Norden  zurückgezogen;  aber 
noch  streifen,  zum  mindesten  bis  in  die  Alpentäler,  der  ür,  das 
Wiesent,  der  Elch.  Eber,  Wölfe  und  Bären  sind  im  Überfluss 
vorhanden;  zwischen  Karpathen  und  Balkan  muss  sogar  der 
Löwe  seine  gefährlichen  Streifzüge  unternommen  haben.  Langsam 
an  den  Wasseradern  der  Flüsse  und  von  den  Gestaden  der  Meere 
aus  dringt  der  Mensch  und  mit  ihm  die  Zivilisation  nach  dem 
Innerp  vor.     Aber  wie  anders  wird  der  harte  Kampf  ums  Dasein 


jt  der  eliernen  oder  eisernen  Axt  get'llhrt  als  mit  der  iiiibcholfeiien 
teinwaffe.  Schoeller  rndet  sich  der  Wald  zum  Platz  für  den 
lenschen  iinil  »eine  AusJedinngen,  ätattlicher  erhebt  sieh  das 
■ohigezimraerte  Wohnhaus,  tiefer  greift  der  eieertie  Karst  ein, 
m  der  nahrnngspendeDden  Erde  das  verheissMBgsvoUe  Korn 
izHvertrancn. 

Wie  aber  der  cntgespit^te  Pfeil  die  Beute  des  Waides 
ehercr  erlegt,  so  trifft  auch  das  eieeme  Sehwert  besser  den 
[ndliehen  Mann,  und  nieht  mit  Unrecht  sehen  die  alten  Dicliter 
n  Krieg  so  recht  als  eine  Ausgeburt  des  „eisernen"  Zeitalters 
,  vfenn  auch  andere  der  Wirklichkeit  entsprechender  den 
tätigen  Streit  keiner  Epoche  versagen: 

Arma  nnfiqua  manu«  ungut»  denlesque  fuerunl, 
Et  lapidtx  et  item  silvaruvi  fragmina  rami. 

(Lucrei!  V,  1282.) 
ünyuibua  et  pugnis,  dein  fuatibu»,  atque  ita  poi-ro 
Pugnabanl  armis,  quae  povt  fabricaveral  uxua. 
(HorRZ  Sat.  I,  3.) 
Das  Eisen  kämpft  die  Händel  aus,    welche  die  auri  sacni 
wj»  (Vergil)  erregt: 

Effodiunlur  optu,  irritamenta  malomm. 
Jamque  nocens  ferrum  ferroqut  noctntiun  aunnn 
Prodierat:  prodit  bellum,  qwil  ptignnt  utroque. 
(Ovid.  Met.  I,  140  ff.) 

Einfach  und  mehr  zur  Befriedigung  der  notwendigsten  Be- 

BrfniBse  gebildet  sind  die  Gerätschaften  der  Steinzeit,  wenn  sicli 

ancli  der  dem  Menschen  eingeborne  Trieb  nach  Schönheit  selbst 

bei-  ihnen    nicht    verleugnet.      Mit    der    Kunst,    die  Metalle    zu 

fnnnen,    erwacht    ein    höherer    Sinn     für    Sehmuck    und    Zierat, 

Neben  Äxten,  Lanzen,  Pfeilen  und  Messern  finden  sieh  nun  auch 

Schwerter,  Sicheln,  Ohrringe,  Arnispangen,  Nadeln,  Ringe  und  dergl. 

Die  Verzierungen    an    diesen  Gegenständen    werden  kühner  und 

komplizierter,    Nachbildungen  von  Tieren  und  Pflanzen    werden 

versBcht      Alle  diese  Kunstobjekte  aber  fordern  eine  ausgebildete 

Hand  häufig  geübte  Geschicklichkeit,  und  wenn  bisher  jeder  ein- 

^Hslnc  im  Volke  imstande  war,    was  Haus    und  Hof  bedurfte,    ja 

^BmImI  das  einfache  Tongeschirr  und  anspruchslose  Gewebe  seiner 

Kleider  —  denn  beides  sind  uralte  Künste  —  mit  eigner  Hand 

zu  fertigen,    so    tauchen   jetzt    aller   Orten  Erzählungen  auf  von 


—    6    — 

der  grossen  Fertigkeit  einzelner  im  Schmieden  und  Bearbeiten 
der  Erze.  Das  Bedürfnis  nach  Arbeitsteilung  wird  deutlicher 
empfunden.  Die  Metallurgie  ist  der  erste  Grundpfeiler  des  anf- 
blühenden  Gewerbes. 

Aber  ungleichmässig  hat  die  Natur  ihre  kostbaren  Metall- 
schätze  über  den  Erdboden  verbreitet,  und  von  dem  unerschöpf- 
lichen und  fabelhaften  Reichtum  bevorzugter  Gegenden  höreo 
die  Bewohner  ärmerer  Distrikte  mit  Staunen  und  Verlangen.  So 
scheint  das  zur  Herstellung  der  Bronze  erforderliche  Zinn  im 
Altertum  nur  an  drei,  von  den  Zentren  der  Kultur  ziemlich  ent- 
fernten Stellen  gewonnen  worden  zu  sein :  im  westlichen  Iberien, 
auf  den  nach  ihm  benannten  Kassiteriden  und  am  Nordrand 
Irans,  dem  heutigen  Chorassan.  (Vgl.  K.  Müllenhoff  Deutsehe 
Altertumskunde  I,  99  und  K.  E.  v.  Baer  Von  wo  das  Zinn  zu 
den  ganz  alten  Bronzen  gekommen  sein  mag?  Archiv  für  An- 
thropologie IX,  263  ff.)  Dennoch  ist  die  Bronzearbeit  im  frühsten 
Altertum  von  den  Ufern  des  Nils  bis  hin  nach  Ninive  und  Ba- 
bylon verbreitet.  Der  erfindungsreiche  Mensch  ist  somit  darauf 
angewiesen,  die  Gaben,  die  ihm  das  eigene  Vaterland  versagt, 
sich  aus  der  Ferne  zu  holen,  und  mag  auch  die  Habsucht  das 
Steuer  führen,  wenn  der  zerbrechliche  Kiel  die  unbekannte, 
schrecknisvolle  Meercsfint  durchschneidet:  aus  der  niederen  Be- 
gierde steigt  der  Genius  des  Fortschrittes,  die  Anfänge  der  Erd- 
kunde, der  Schiffahrt,  des  Handels  und  Verkehrs: 

Euch,  ihr  Götter,  gehört  der  Kaufmann.    Güter  zu  suchen 
Geht  er,  doch  an  sein  Schiff  knüpfet  das  Gute  sich  an. 

(Schiller.) 

Phönizische  Flotten  segeln  zu  König  Salomos  Zeiten  nach 
dem  goldreichen  Ophir,  nach  dem  silberspendenden  Tarschfsch 
in  Südspanien.  Eine  karthagische  Flotte  unter  Himilco  entdeckt 
auf  ihrer  Fahrt  nach  den  Zinninseln  die  europäische  Küste  bis 
England.     In  der  Odyssee  erzählt  der  Taphier  Mentes  (Athene): 

vvv  bi*  0}fie  ^i'v  vtfi  xaTt)kv{)m'  >}A'  hdnotot 

TiXdcor  F.:ii  oTvona  .lovxov  en    dXkoi^noovg  dv&oomovg 

Es    Tefttotjv.  fieid  ya),>im\  uyco  d'  atdwra  aidfjQOVm 

Doch  auch  der  Bergbau  ist  selbst  in  unserem  Erdteil  älter^ 
als  man  bisher  gewöhnlich  angenommen  hat.  Schon  in  der  Stein- 
zeit wurde  in  Frankreich,  Belgien  und  England  in  regelrechten 
Minen   nach  dem   kostbarsten  Material    dieser  Zeit,   dem  Feuer- 


—    T    - 

«tein,  gefahndet  (vgl.  S.  Müller  Urgeschichte  Europas  p.  47), 
nnd  in  dem  letzteren  Lande,  sowie  in  Irland,  Spanien  und  an 
verschiedenen  Stellen  der  österreichischen  Alpen  (vgl.  M.  Much 
Die  Kupferzeit  in  Europa^  p.  248  ff.)  sind  Kupfergruben  auf- 
gedeckt worden,  die  ohne  Zweifel  wichtige  Handelszentren  für 
die  Umgegend  bildeten.  —  Indem  aber  so  die  Metalle  als  wertvolle 
Ware  von  Kflste  zu  Küste  und  von  Landschaft  zu  Landschaft 
wanderten,  ward  ihnen  eine  weitere  Aufgabe  von  unermesslicher 
Bedeutung  zuteil,  in  der  Gestalt  der  Münze  den  Verkehr  sowohl 
zwischen  den  einzelnen,  wie  auch  zwischen  den  Völkern  zu 
erleichtern^).  Das  uralte  Wert-  und  Tauschobjekt  der  Hirten- 
und  Ackerbauvölker  ist  ihr  kostbarster  Besitz,  ihre  Herden, 
besonders  das  Rindvieh,  die  Kuh.  Lat.  pecunia,  peculium  sind 
bekanntlich  (vgl.  1,  201)  nichts  weiter  als  Ableitungen  von  pecus 
„Vieh",  im  Gotischen  bezeichnet  faihu,  im  Angelsächsischen  feoh 
noch  „Geld"  und  „Vieh"  etc.  Auch  bei  Homer  sind  die  Rinder 
noch  das  gewöhnliche  Tauschmittel;  daneben  kennt  er  aber  bereits 
als  solches  die  Metalle,    sowohl  Gold    als   auch  Erz    und  Eisen: 

h'Osy  äg^  olvl^ovxo  xaofjxoiiocjvieg  /ixaioi^ 
äXXoi  fikv  x^).x(o^  (DJ.01  (5'  aWoyvt  otdt'iQfOj 
aiXoi  de  givoTg^  äkkoi  «^'  avTf/ai  ßoeoaiv^ 
aXkoi  h*  avdocuxo^Eooi. 

(II.  VII,  473  ff.) 

Nirgends  aber  lässt  sich  der  Übergang  von  dem  alten,  einfachen 
Tauschverkehr  zum  Gebrauche  der  Münze  besser  als  bei  dem 
römischen  Volke  verfolgen.  Die  ältesten  gesetzlichen  Bussen  sind 
hier  noch  in  Schafen  und  Rindern  festgesetzt;  allmählich  aber 
gewöhnt  man  sich,  neben  dem  Vieh  noch  einen  anderen  Wert- 
messer, das  Kupfer  (aes)  zu  gebrauchen.  Es  ist  ungeformt  {aes 
rüde)  und  wird  beim  Verkauf  zugewogen,  bis  endlich  der  Staat 
der  Willkür  in  Form  und  Feinheit  des  Metalles  ein  Ende  macht, 
den  Kupferbarren  eine  regelmässige  Form  gibt  und  dem  neu- 
gegossenen Stück  eine  Marke  (aes  signatum)  aufdrückt,  die, 
charakteristisch  genug,  ein  Rind,  ein  Schaf  oder  ein  Schwein 
darzustellen  pflegt.  Erst  viel  später  {anno  451  v.  Chr.)  wird 
das  Kupfer  mit  Wertzeichen  versehen  und   unabhängig  von   der 

1)  Näheres  über  das  Folj>:encle  Vf.  Handelsgeschichte  und  Waren- 
kunde I,  111—141. 


—    8    — 

Wage  gemacht  —  die  Münze  ist  fertig  (vgl.  F.  Hnltsch  Griechische 
und  römische  Metrologie  p.  188  ff.). 

Der  so  in  kurzen  Zügen  geschilderte  Einflnss   der  Metalle 
auf  die  Entwicklungsgeschichte  der  Menschheit  ist  aber   freilich 
—  das  dürfen  wir  nicht  vergessen    —    erst   dann   ein   völliger, 
wenn  alle  äusseren  und  inneren  Vorbedingungen  dazu   gegeben 
sind,  dass  dieselben  als  Hebel   eines   höheren  Kulturfortschrittes 
wirken  können,   und  es  ist  nichts   seltenes,   dass  Völkerstämme, 
auch    nach    ihrem  Bekanntwerden   mit    den  Metallen    auf   einer 
sehr  primitiven  Stufe   ihrer  Ausbeutung   und   Benutzung   stehen 
geblieben  sind.     So  bot  den  nordamerikanischen  Indianerstftmmen 
am  Oberen  See    die  Natur   ihrer  Heimat   gediegenes  Kupfer  in 
solcher  Menge    dar,    dass    dasselbe   der  Aufmerksamkeit    dieser 
Wilden    kaum    entgehen    konnte.     Die   ersten  Europäer    fanden 
daher   dasselbe   auch   bei   ihnen    bereits   zu    Äxten    und    Arm- 
spangen etc.  verwendet,  doch  so,  dass  diese  Gegenstände  ledig- 
lich durch  Bearbeitung  des  Erzes  vermittelst  des  Hammers  ohne 
Feuer  gewonnen  wurden   (vgl.  R.  Andree   Die  Metalle    bei  den 
Naturvölkern    p.   139   ff.).      Die    Hottentotten    verstanden   sich 
sogar  darauf,  Eisenerze  in  zu  diesem  Zweck  gegrabenen  Löchern 
zu  schmelzen  und  eiserne  Waffen  zu  verfertigen,  wenn  auch  die 
Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen   ist,    dass  sich   diese  Kunst  in 
sehr  früher  Zeit  von  den  nordöstlichen  Küsten    auf  dem  Wege 
des  Tauschhandels  in  das  Innere  Afrikas  verbreitet  habe*),  wie 
denn  schon  der  Feriplus  maris  erythraei  (§  6)  von  einem  aus- 
gedehnten Handel   mit   Metallen   und    metallenen   Gegenständen 
von  der  Südwestküste   des   arabischen  Meeres   aus   zu   erzählen 
weiss.     Trotzdem    hatten    sich    aber   diese  Stämme   in   anderer 
Beziehung  aus  dem  Zustande  niedrigster  Roheit  in  keiner  Weise 
emporgeschwungen.     Aber   abgesehen    von   diesen   und    anderen 
dem    Strome    menschlicher    Kulturentvvicklung    fern    liegenden 
Stämmen,    ist  der  Appell  nicht   überhört    worden,   der  aus   den 
Eingeweiden  der  Erde  emporschallt. 


1)  Jedenfalls  scheint  das  Eisen  im  südlichen  Afrika  am  ersten 
bekannt  gewesen  zu  sein;  denn  die  Bachapin,  ein  Kaffernstamm,  sollen 
alle  Metalle  vom  Standpunkt  dieses  Metalles  {tsipi)  aus  benennen, 
nämlich  Gold  tsipi  e  iseka  gelbes  Fisen,  Silber  tsipi  e  shu  weisses 
Eisen,  Kupfer  tsipi  e  kiibila  rotes  Eisen.  Vgl.  Eougemont  Die  Bronze- 
zeit oder  die  Semiten  im  Occident  p.  14. 


-    9    - 

Ob  und  inwieweit  die  Indogermanen  schon  in  vorhisto- 
rischer Zeit  an  den  geschilderten  Segnungen  der  Metalle  und 
der  Metallurgie  teil  genommen,  oder,  wenn  dies  nicht  der  Fall 
sein  sollte,  von  welchen  Ausgangspunkten,  in  welchen  Richtungen 
und  in  welcher  Zeit  die  Kenntnis  der  Metalle  sich  bei  den  einzelnen 
oder  vielleicht  auch  noch  den  in  Gruppen  verbundenen  indog. 
Völkern  verbreitet  habe,  diese  Fragen  sollen  den  Mittelpunkt 
der  folgenden  Untersuchung  bilden,  die  allerdings  oft  genug  die 
Grenzen  des  indogermanischen  Völkergebietes  zu  überschreiten 
genötigt  sein  wird. 


II.  Kapitel. 

Die  Namen  der  Metalle  im  allgemeinen. 

Es  ist  eine  eigentümliche  Erscheinung,  dass  die  von  einem 
Volke  gekannten  und  ausgebeuteten  Metalle  in  seinem  Bewusst- 
sein  eine  in  sich  geschlossene  Kette  von  Gegenständen  bilden. 
Zwar  folgt  dies  nicht  aus  einem  etwa  frühzeitig  vorhandenen 
Gesamtnamen  der  unterirdischen  Metallschätze.  Ein  solcher  be- 
ginnt im  Gegenteil,  wie  dies  häufig  mit  Gattungsnamen  der  Fall 
ist,  erst  in  sehr  später  Zeit  sich  Bahn  zu  brechen.  Ist  man  in 
früheren  Epochen  genötigt,  eine  Gesamtheit  von  Metallen  aus- 
zudrücken, so  gebraucht  man  partem  pro  foto,  d.  h.  man  setzt 
für  die  Gattung  den  Namen  desjenigen  Metalles,  welches  eine 
besondere  Bedeutung  in  dem  Leben  der  Sprechenden  besitzt.  In 
diesem  Sinne  werden  scrt.  dyati  (aes),  aw.  m/ah,  auch  ayöxsusta 
„flüssiges  Metall"  (pehlewi  äi/akduat),  griech.  ;fa^xo^,  hochd.  erz, 
slav.-lit.  ruda  und  andere,  über  deren  eigentliche  und  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  weitern  zu    handeln   sein   wird,    gebraucht 

Dagegen  ist  das  griechisch-lateinische  /ihaJÜLov-metaliumt 
aus  dem  einerseits  neugr.  nhaXkov  und  armen,  metal  (Grube,  Berg- 
werk), andererseits  irisch  mitall  (Stokes  Irish  glosses  p.  96)  und 
die  romanischen  Wörter  franz.  rnefal  etc.  (vgl.  Diez  Etym.  W.* 
p.  208)  hervorgehen,  in  der  Bedeutung  eines  Gattungsnamens 
der  Metalle  verhältnismässig  sehr  jung.  Bei  Herodot,  wo  das 
Wort  zum  ersten  Male  begegnet,  bezeichnet  fihalkm*  ausschliesslich 
die  Grube,  das  Bergwerk,  und  nimmt  die  Bedeutung  Metall  erst 
in  der  späteren  Literatur  an.  Auch  das  natürlich  entlehnte  lat. 
metallum  (0.  Weise  Die  griech.  Wörter  im  Lat.  p.  153,  4ö8) 
bedeutet  noch  Bergwerk  (covdemnare  ad  metalla)  und  Metall. 
Die  Versuche,  das  griech.  jiihaUor  aus  dem  Indogermanischen 
zu  erklären  (Curtius  Grundz.  ^  p.  55,  B.  B.  I,  335  n.  a.),  sind 
nicht    gelungen.     Auch    eine    Herleitung    aus    dem    Semitischen 


—   11   - 

(Renan  Histoire  des  langues  s^mit,  I  *,  206)  ist  unternommen 
worden,  indem  man  griech.  juhaXXov  :  hebr.  mätal  „schmieden", 
m(ß)ttl  „geschmiedeter  Stahl"  gestellt  hat.  So  unwahrscheinlich 
es  nnn  auf  den  ersten  Blick  erscheint,  dass  ein  Wort  für  „Berg- 
werk** aus  einem  Zeitwort  für  „schmieden"  entstanden  sein  sollte, 
so  könnte  man  sich  doch  die  Sache  so  zurecht  legen,  dass  man 
annimmt,  die  Phönizier,  die  ja  sicher  den  Bergbau  in  Griechen- 
land eröffnet  haben,  hätten  zugleich  mit  den  Gruben,  die  sie 
bauten,  auch  Schmelz-  und  Schmiedehütten  angelegt,  um  die 
gewonneneu  Erze  sogleich  für  den  Handel  mit  den  Eingeborenen 
und  für  den  Export  bequem  und  fähig  zu  machen.  Dass  solche 
pböniziscbe  Schmelz-  und  Schniiedehütten  wirklich  auf  griechi- 
schem Boden  bestanden,  geht  aus  griechischen  Ortsnamen  (s.  u.) 
deutlich  hervor. 

Der  innerliche  Zusammenhang  der  Metallnanien  wird  im 
Indogermanischen  hingegen  durch  die  leicht  erkennbare  Regel 
bezeugt,  dass  in  den  einzelnen  Sprachen  die  Metallnamen  durch 
das  gleiche  Geschlecht  verbunden  sind,  und  zwar  durch  das 
Neutrum,  das  man  „zur  Bezeichnung  der  toten,  ruhigen  Stoffe 
hauptsächlich  erwarten  dürfe"  (J.  Grimm  Deutsche  Grammatik  III, 
378),  im  Sanskrit,  Iranischen,  Slavischen,  Lateinischen  und  Ger- 
manischen, durch  das  Masculinum  im  Griechischen  und  Litauischen ; 
das  Femininum  findet  in  der  Regel  keine  Verwertung.  Doch 
lässt  sich  die  Bemerkung  machen,  dass  in  den  nordeuropäischen 
Sprachen,  je  weiter  nach  Osten,  immer  mehr  Ausnahmen  von 
der  ursprünglichen  Regel  sich  finden.  Im  Germanischen  schwankt 
«tahal  (Graff  VI,  827)  zwischen  Masculinum  und  Neutrum,  snüda 
„Metall"  ist  Femininum,  im  Litauischen  sind  rüdä  „Metall,  Erz", 
und  gelezis  „Eisen"  Fem.,  im  Slavischen  riida^  medl  „Kupfer", 
ocell  „Stahl"  Fem.,  Tcositerü  „Zinn"  Masc.  Die  historische  Er- 
klärung dieser  Geschlechtsverhältnisse  wird  uns  später  beschäftigen. 

Noch  deutlicher  aber  tritt  die  Zusammengehörigkeit  der 
Metalle  in  der  bemerkenswerten  Erscheinung  hervor,  dass  schon 
in  den  ältesten  Denkmälern  der  europäisch-asiatischen  Kultur- 
völker sich  eine  feste  und  zwar  im  grossen  und  ganzen  ttber- 
eiostimmende  Reihenfolge  der  Metalle  findet,  die  durch  die  vier 
Hauptpunkte :  Gold  —  Silber  —  Kupfer  —  Eisen  gleichmässig 
charakterisiert  wird.  Sie  kehrt  in  den  altägyptischen  Inschriften, 
in  der  Bibel,   in   den  assyrischen  Keilinschriften,   in  den  Veden 


—     12    — 

wieder,  und  auch  auf  altgriechischem  Boden  wird  man  in  den 
Hesiodeischen  Weltaltern,  denen  der  Dichter  nach  den  vier 
genannten  Metallen  ihre  Namen  erteilt,  nichts  anderes  erblicken 
dürfen  als  eine  Aufzählung  mythisch-phantastischer  Enlturstufen 
an  der  Hand  einer  Reihenfolge,  die  dem  Dichter  und  seinen 
Zeitgenossen  geläufig  war^). 

Auch  wir  werden,  da  sich  wahrhaft  historische  Anhalts- 
punkte für  eine  Aufzählung  der  Metalle  mit  Rücksicht  auf  den 
Zeitpunkt  ihres  Bekanntwerdens  erst  im  Laufe  unserer  Dar- 
stellung ergeben  werden,  im  folgenden  der  genannten  Reihen- 
folge uns  anschliessen.  Bevor  wir  aber  zu  den  einzelnen  Metallen 
selbst  uns  wenden,  werden  wir  gut  tun,  das  Handwerk  desjenigen 
Mannes,  durch  dessen  Fertigkeit  die  Metalle  ihre  vorzüglichste 
Bedeutung  für  die  Menschheit  gewinnen,  das  des  Meister 
Schmiedes  etwas  näher  ins  Auge  zu  fassen. 


1)  Diese  feststehende  Reihenfolge  der  Metalle  hat  dann  schon 
ziemlich  frühzeitig  in  nicht  ganz  aufgeklärter  Weise  Veranlassung 
gegeben,  dieselben  der  in  den  religiösen  Anschauungen  der  alten 
Völker  hochwichtigen  Reihe  der  sieben  Planeten  gleichzustellen  und 
beide  nach  mancherlei  Schwankungen  bestimmten  Gottheiten  zu- 
zuschreiben. Hieraus  entsteht  dann  allmählich  die  alchimistische  Be- 
zeichnung der  Metalle,  wie  sie  sich  um  das  XIII.  Jahrh.  festgesetzt  bat 

Gold        Silber    Quecksilber    Kupfer        Eisen        Zinn        Blei 
O  })  5  $  cf  2i  f, 

Sol  Lunn    Mercurius        Venus        Mars       Jupiter  Satumus 

Vgl.  J.  Beckmann  Chemische  Bezeichnung  der  Metalle  in  den  Beitr. 
z.  Gesch.  d.  Erfindungen  1792  III,  356  ff .  u.  Kopp  Geschichte  der 
Chemie  II,  421  ff. 


III.  Kapitel. 

Der  Schmied  in  Sage  und  Sprache, 

um  keinen  nienschliehen  Beruf  hat  die  Sage  goldnere  Fäden 
gewoben  wie  nm  das  Handwerk  des  Meister  Schmiedes^  das  in 
den  mythologischen  und  sagenhaften  Anschauungen  der  meisten 
Völker  in  die  grauste  Vorzeit  gerückt  wird.  Wie  in  der  Bibel 
(I  Mos.  4y  22)  lange  Zeit  vor  der  Sündflut  Thubalkain  geboren 
wird,  der  Meister  in  allerlei  Erz-  und  Eisenwerk,  so  schmiedet 
schon  im  Rigveda  Tvashtä  dem  grimmigen  Indra  den  Donner- 
keil. Das  Äwesta  kennt  als  Genius  der  Metalle  einen  der  sieben 
AmSsha  spefita  Kshathra  {Xsaiha)  vairya.  Den  griechischen 
Olympos  versieht  der  kunstreiche  Hcphästos,  den  lateinischen 
Valeanns,  den  etrurischen  Sethlans  (vgl.  H.  Blümner  De  Vul- 
cano  in  veteribus  artium  monumentis  figura.  Dias,  Vratislaviae 
1870)  mit  künstlicher  Metallarbeit,  schon  in  dem  altehrwürdigen 
Carmen  saHare  war  der  Name  eines  Schmiedekünstlers  Mamurius 
genannt,  und  in  dem  Völuspaliede  der  Edda  heisst  es  Str.  7: 

Die  Äsen  einten  sich        auf  dem  Idafelde 
Haus  und  Heiligtum         hoch  sich  zu  wölben. 
Erbauten  Essen  und  schmiedeten  Erz, 

Schufen  Zangen  und  schön  Gezäh. 

(Simrock.) 

Wird  aber  so  in  den  Vorstellungen  der  indog.  Sagenwelt  die 
Kunst  des  Schmiedes  in  die  feraste  Vorzeit  hinauf  gerückt,  so 
liegt  die  für  unsere  ganze  Untersuchung  hochwichtige  Frage 
Bchon  jetzt  nahe,  ob  die  Indogermanen  bereits  vor  ihrer  Trennung 
das  Schmiedebandwerk  gekannt  haben.  Denn  sind  wir  imstande, 
diese  Frage  zu  bejahen,  so  würde  schon  hieraus  die  Bekannt- 
schaft der  indog.  Urzeit  mit  gewissen  Metallen  mit  Notwendig- 
keit folgen. 

Betrachten   wir   zunächst   die   Namen    des   Schmiedes, 
wie  sie  bei  den  indog.  Völkern  sich  finden,  so  ergibt  sich  zuerst, 


—    14    - 

<lass  eine  etymologische  Verwandtschaft  derselben  auf  indog.  Boden 
nicht  besteht.  Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  macht  nur  einmal 
altsl.  vütri  „Schmied"  =  altpreuss.  wtitris  {autre  „Schmiede"), 
das  andremal  gemi.  smidar  =  altsl.  medari\  indessen  werden  in 
letzterem  Falle  selbständige  Ableitungen  von  smida  „Metall*^  und 
mHl  „Kupfer",  über  deren  Verhältnis  unten  zu  handeln  sein 
wird,  vorliegen.  Wohl  aber  haben  fast  alle  Völker  genuine, 
und  zwar  gewöhnlich  durch  alle  Dialekte  sich  ziehende  Be- 
nennungen des  Schmiedes,  wie  im  Germanischen  ahd.  smiiy 
agls.  smithj  altn.  smidTj  got.  'Smipa,  im  Keltischen  ir.  goba,  bret. 
corn.  cymr.  gofy  im  Italischen  lat.  fäber,  pälignisch  faher  {forte 
faber  F.  Bücheier  lex.  it.  p.  IX,  nach  Pauli  Altit.  Stud.  V,  48f  = 
sollers  „kunstfertig").  Auch  liegt  das  hohe  Alter  dieser  Wörter 
in  ihrer  frühzeitigen  Verwendung  zu  Eigennamen  ausgeBprochen. 
Schon  im  Rigsmal  v.  21  begegnet  ein  Smidr;  dazu  vergleiche 
man  das  lat.  Fahricius  und  das  altgallische  Gobannitio  {Caes, 
de  bell,  yall.  VII  Kap.  4),  ir.  Gobanus,  cymr.  Gouannon. 

Entlehnungen  aus  einer  indog.  Sprache  in  die  andere  finden 
zuweilen  (z.  B.  in  lit.  rudininkas  aus  poln.  rudnik  nnd  alb. 
koväti:  altsl.  kovaci)^  Entlehnung  aus  einer  nichtindog.  in  eine 
indog.  Sprache  sehr  selten  (z.  B.  in  alb.  albdn  aus  dem  Tür- 
kischen) statt.  Hingegen  sind  die  indog.  Wörter  für  Schmied 
öfters  über  die  Grenzen  dieses  Sprachstammes  hinauflgedrangeii: 
so  das  germanische  Wort  zu  den  Lappen  (smirjo,  tmiid),  da» 
slav.  kovacl  zu  den  Magyaren  (koväcs)^  das  lit.  kälvcis^  lett. 
kalleijs  zu  Liven  und  Esten  {kalev,  kahvi).  Letztere  Entlehnung 
würde  in  sehr  alte  Zeit  zurückgehen,  wenn  der  Name  des 
finnischen  Nationalheros  und  Heldenvaters  Kaleva,  der  anch  als 
Vater  des  ewigen  Schmiedekttnstlers  Ilniarinen  (s.  o.)  zu  betrachten 
ist,  mit  Recht  hierher  gestellt  wird*). 

Aus  alldem  geht  hervor,  dass  sich  bei  den  indog.  Völkern 
zwar  sehr  frühzeitig,  aber  doch  noch  nicht  zur  Zeit  des  eüinisclieu 
Zusammenhangs  der  Brudervölker  Bezeichnungen  für  den  Schnied 
aosgebildet  haben  müssen. 

Was  nun  den  Ursprung  der  indog.  Benennnngeu  desSehmiedei 
anbetrifft,  so  ist  dieser  ein  dreifacher.     Dieselben  Bind  nävlieh 

1)  So  nach  Ahhivist  Kulturw.  p.  58.  Anders  0.  Donner  Vcr- 
«^leichendes  Wörterb.  der  finnisch-ugrischen  Spr.  I.  57,  der  kaleva  etc. 
für  genuin  hält. 


—     15    — 

entweder  Ableitungen  von  Wörtern,  welche  Metalle  oder  das 
Metall  überhaupt  bezeichnen,  wie  griech.  yakxEvgj  oidfjgevsi 
Xcdxö^,  aidrjoogy  ahd.  smtdar  :  smida,  altsl.  medarl  :  medl  und 
kuznlclikuzni  „res  e  metallo  euso  factae",  poln.  rudnik : ruda  etc. 
Aach  Bildungen  wie  npera.  ähengar,  kurd.  häsin-ger  „Eisen  be- 
reitend** :  dhen  „Eisen"  gehören  hierher.  Aus  benachbarten 
Sprachatämnien  vergleiche  man  läpp,  ravdde  =  finn.  rautio 
„Schmied":  finn.  rauta  „Eisen"  und  tllrk.  temirii  „Eisenmann'^  : 
Hmir  „Eisen"  etc.  Oder  die  Namen  des  Schmiedes  gehen  zwei- 
tens aus  Verbalbegriffen  hervor,  die  das  Schmieden,  ureprllng- 
lich  das  Hauen  be/.eichnen  wie  lit.  kälwis  :  kälti  =  lat.  cellere, 
altsI.  russ.  etc.  kovacl  :  kovati,  kujq  ku  =  lat.  cu-d-erej  ahd. 
houwan  etc.).  Drittens  endlich  pflegen  Substautiva  mit  der 
allgemeinen  Bedeutung  „Arbeiter,  Kunstarbeiter"  in  die  engere 
Bedeatnugssphäre  des  Schmiedes  ttberaugehen.  So  sert.  kdrmärä 
=  karmdra :  W.  kar  „machen",  lat,  faber  ursprünglich  „Hand- 
werksniann"  überhaupt,  ir.  (neben  goba)  cerd  iaerariuSy  vgl. 
Windisch  I.  T.  p.  420)  =  lat.  cerdo  „Handwerksmann".  Am 
deatlichsten  lässt  sich  dieser  Übergang  am  germanischen  Worte 
got.  smipa,  altn.  smidr  etc.  verfolgen.  Es  gehört  zu  der  in 
griech.  o^ä'h]  „Schnitzmesser" ,  ofu-vth]  „Hacke"  vorliegenden 
Wurzel  {smei,  smi  „kunstvoll  verfertigen")  und  hat  in  den  älteren 
Sprachepoehen  noch  durchaus  die  Bedeutung  des  lat.  faber,  wes 
wegen  neben  ahd.  ersmid,  chaltsmid  etc.  auch  agis.  vigsmMy 
altn.  Ijödasniidr,  bölvasmidr  „ünheilschmied",  agls.  vundersmid 
Beöv.  1682,  ahd.  urtaiUmit  etc.  etc.  gesagt  wird  (vgl.  Wacker- 
nagel KI.  Schriften  I,  49).  Genau  dieselbe  Bewandtnis  hat  es 
mit  dem  westfinnischen  Namen  des  Schmiedes  seppii,  der  diese 
Bedeutung  ebenfalls  nicht  ursprünglich  gehabt  haben  kann.  In 
der  Volkssprache  begegnen  finn.  nmoseppä  „Meister  in  der 
Bunendichtnng",  purrenseppä  „erfahren  im  Zimmern  der  Bote". 
estn.  kingsepp  „Schuhmacher",  rätsepp  „Schneider"  u.  a.  m. 
^vgl.  Ahlqvist  Kultnrw.  p.  57).  Es  folgt  hieraus,  dass,  selbst 
wenn  in  den  Namen  des  Schmiedes  gewisse  Verwandtschafts- 
reiben wie  ir.  cerd  =  lat.  cerdo  sich  finden,  daraus  noch  nicht 
das  Vorbandensein  eines  Wortes  für  den  Schmied  in  der  Urzeit 
hervorgeht. 

Eine  wenigstens  für  spätere  Zeiten  nicht  uninteressante  Be- 
zeichnung  des   Schmiedes   bietet   schliesslich    das  alb.   ev'git  = 


—     16    — 

AlyvTttiogj  neugr.  FvifTogy  engl.  Gypsies,  span.  GitanoSj  eigentlich 
„Zigeuner''.  Denn  von  diesen  wird  in  Orient  und  Okzident  zn- 
meist  das  Gewerbe  des  Kaltscbmiedes  (abd.  chaUsmid  ^^der 
obne  Feuer  sebmiedende^j  ausgeübt.  Die  Benennungen  des 
Sebmiedes  in  den  Zigeunermundarten  selbst  (vgl.  A.  Pott,  Die 
Zigeuner  in  Europa  und  Asien  I,  147)  bieten  nichts  von  Be- 
deutung. Vgl.  über  die  Zigeunersebmiede  R.  Andree  a.  a.  0. 
p.  79  ff. 

Ganz  analoge  spracblicbe  Verbältnisse  wie  bei  den  Namen 
des  Sebmiedes  finden  sieh  in  den  Benennungen  seiner  Uten- 
sflien  und  Werkzeuge.  So  lässt  sieh  in  den  griechischen 
Wörtern  für  diese  Dinge  (der  Amboss  bom.  äxjLuov,  der  Blasebalg 
hom.  7)  <pvoa,  der  Schmiedehammer  bom.  ^  ^aiotrJQ  und  ^  ofpvQa, 
die  Feuerzange  ^  nvQdygrj,  später  xclqxivoi  „Krebsscheren^,  die 
Schmelzöfen  bom.  x^^^of' '  X^^y  später  xdfuvogy  ^egj^aarga,  ßavvoq) 
auch  nicht  eine  Spur  von  Verwandtschaft  mit  den  italischen 
Wörtern :  incus  (von  cudere  gebildet,  wie  ambosZy  ahd,  anap6z\ 
pözan  y^fundere^^  und  altsl.  naJcovalo  :  kovati  oder  lit.  priekälaSy 
altpr.  preicalis :  Jcdlti),  follisy  malleus,  forceps,  fornus,  famax 
entdecken. 

Aber  auch  in  den  ältesten  Denkmälern  der  Inder  und  Ira- 
nier  führt  trotz  ihrer  nahen  Verwandtschaft  das  einzige  vergleich- 
bare Stück  metallurgischer  Tätigkeit,  der  Schmelzofen  ganz 
verschiedene  Namen.     Im  Rigveda  beisst  dieser  nämlich 

dhmätä'  (dhmä'tä „der  Schmelzer^) :  dham,  dhmä  „blasen**; 
vgl.  dhmätds  drtis  „Blasebalg", 
im  Awesta  aber  saipa  (ayösa^pa,  erezatosaipa),  nach  W.  Geiger 
Ostiran.  Kultur  p.  388  von  einer  W.  sip  (npers.  siftan)  „härten '^  (?). 

Dazu  ist  schon  in  der  für  die  Kenntnis  der  altiranisohen 
Metallurgie  wichtigsten  Stelle  des  Awesta  Vend.  VIII,  254  f. 
(vgl.  K.  Z.  XXV.  578  f.)  der  Schmelzofen  mit  einem  evident 
semitischen  Worte  aw.  tanura,  bebr.  tannür,  das  auch  im  Neu- 
persischen, Afghanischen  und  Armenischen  (Honir)  etc.  wieder- 
kehrt, bezeichnet.  Nicht  unmöglich  wäre,  dass  auch  das  Vor- 
gebirge der  eisenreichen  Laconica,  Taivagov,  in  unmittelbarer 
Nähe  der  altpböniziscben  Niederlassungen  auf  Kythera  gelegen, 
hiervon  seinen  Namen  empfing,  ebenso  wie  auch  der  Name  der 
griechischen  Insel  Sertphos  (auch  phön.  Sareptä)  sich  ansprechend 
aus    einem    semitischen    ^frifä    „Schmelzhütte"  :    hebr.    säraf 


-     17    — 

„sehmelzen^  deuten  lässt  (vgl.  Kiepert,  Lehrbuch  der  alteu  Geo- 
graphie p.  2Ö2). 

Dass  die  ursprünglichen  Werkzeuge  des  Schmiedes  aus 
Stein  bestanden,  zeigt  die  Häufigkeit  ihrer  Namen,  die  aus  alt- 
indog.  Wörtern  fflr  Stein  hervorgehen.  Hierher  gehören  im 
Germanischen  altn.  hamarr  =  ahd.  hamar  :  altsl.  kamy,  kamenl 
„Stein",  im  Griechischen  äx/ucov  „Amboss"  =  scrt.  ägman  „Stein", 
xäßuyog  „Ofen"  :  altsl.  Jcameni  (altsl.  kamina  „Ofen"  etc.,  niagy. 
keminy  stammen  aus  dem  griech.  lat.  xd/uvog  —  caminuSy  un- 
serem kamin),  im  Sanskrit  d(;man  „Hammer"  und  „Amboss", 
(später)  „Ofen".  Eine  Rückführung  aller  der  genannten  Wörter 
anf  ein  urzeitliches,  abstufendes  Paradigma  versucht  Bechtel 
Nachr.  d.  Ges.  d.  W.  z.  Göttingen  1888  p.  402. 

Ehe  man  sich  darauf  versteht,  die  Bälge  der  Tiere  (griech. 

Hesych  ^aXUg  =   lat.  follis)  zu   Blasebälgen  zusammenzunähen, 

wird  man   sich   mit  den  Fittigen  grosser  Vögel  beholfen  haben, 

wie  es  denn  Rigveda  IX,  112,  2,  der  ältesten  Stelle  auf  indog. 

Boden,  die  uns  in  eine  Schmiedewerkstätte  führt,  heisst^): 

Der  Schinied  mit  Reisig  auf  dem  Herd 
Und  in  der  Hand  den  Flederwisch, 
Mit  Amboss  und  mit  Feuersglut 
Wünscht  einen  reichen  Kunden  sich. 

In  die  westfinnischen  Sprachen  hat  auch  hier  von  ger- 
manischem und  litu-slavischem  Boden  aus  eine  starke  Entlehnung 
stattgefunden  (vgl.  Ahlqvist  Kulturw.  p.  60  f.).  So  entspricht, 
nm  hier  nur  ein  instruktives  Beispiel  anzuführen,  finn.  poja, 
estu.  paja  und  pada  „Schmiede^  germanischem  potta,  pott,potte 
„Topf",  lit.  p&'das  und  erinnert  so  an  Zeiten,  in  denen  der 
Sehmied,  wie  später  die  Zigeuner,  von  Ort  zu  Ort  zog  und  an 
jeder  Stelle  seine  Werkstatt  aufzuschlagen  imstande  war').  Einen 
gewissen  Gegensatz  zu  diesen  wandernden  Schmieden,  aber  eben- 
falls auf  die  primitiven  Anfänge  des  Gewerbes  hinweisend,  bilden 
die  öffentlichen  und  gemeinsamen  Schmieden  des  deutschen 
Mittelalters,  in  denen  jeder  noch  seinen  geringen  Bedarf  selbst 
sich  anfertigte.    Auch  Homer  scheint  sie  zu  kennen.   Wenigstens 


1)  Vgl.  Qeldner  u.  Kaegi  70  Lieder  des  Rigveda  p.  167. 

2)  Vgl.  auch  ahd.  ovan^  griech.  bivog  „Ofen** :  scrt.  ukhd'  „Topf**. 
Auch  aw.  xuniba  =  scrt.  kumhhd  „Topf*  scheint,  ebenso  wie  aw.  pisra^ 
eine  Schmelzvorrichtung  zu  bezeichnen. 

Sehrader,  SprachverglelehoDg  and  ürgeBchlchte  II.   S.  Aafl.  2 


~     18    — 

wird  Od.  XVIII,  328  die  Schmiede  {x^hcrfiog  döjLiog)  auf  gleiche 
Stufe  mit  der  kiaxrj  der  „Volksherberge**  gestellt. 

Wenn  somit  nach  dem  Ausgeführten  aus  der  Sprache  die 
Bekanntschaft  der  ältesten  Indogernianen  mit  dem  Schmiede- 
handwerk in  keiner  Weise  hervorgeht^),  so  könnte  man  doch 
geneigt  sein,  dieselbe  aus  der  Übereinstimmung  gewisser  Sagen- 
kreise zu  folgern,  die  sich  schon  in  sehr  früher  Zeit  um  den 
Schmied  und  sein  Gewerbe  gebildet  zu  haben  scheinen.  Wir 
meinen  hier  in  erster  Linie  die  auffällige,  schon  von  A.  Kuhn 
(K.  Z.  IV,  95  ff.)  hervorgehobene  Verwandtschaft,  die  zwischen 
der  klassischen  Hephästos-  und  Dädalossage  einerseits  und  der 
gennanischnordischen  Völundr- Wielandsage,  wie  sie  in  der  Vö- 
luudarkvida  und  Wilkinasage  dargestellt  ist,  andererseits  zu  kon- 
statieren ist. 

Zunächst  springt  nämlich  eine  Eigenschaft  in  die  Augen, 
die  Völundr,  der  Schmied  des  Nordens,  mit  Hephästos- Vulcanus, 
dem  Schmiede  des  Südens,  teilt.  Wie  ersterer  von  dem  König 
Nidudr,  damit  er  auf  Säwarstadr  zurückbleibe,  an  den  Sehnen 
durchschnitten  und  so  gelähmt  wird,  so  führt  auch  Hephästos 
schon  bei  Homer  den  Beinamen  xvkXojtoÖmv  „der  krummftlssige^, 
erscheint  also  an  den  Füssen  mit  einem  Gebrechen  behaftet,  das 
er  nach  den  einen  mit  auf  die  Welt  gel)racht,  nach  anderen 
durch  seinen  Sturz  vom  Olympos  sich  zugezogen  hat.  Bemerkens- 
wert erscheint  auch,  dass  Völundr  in  seiner  Gefangenschaft  der 
Köuigstochter  Bödvildr  Gewalt  antut,  so  wie  Hephästos  der 
Athene  nachstellt,  als  sie  Waffen  bei  ihm  anfertigen  lassen  will. 

Noch  handgreiflicher  sind  die  verwandtschaftlichen  Zflge 
zwischen  der  Wieland-  und  Dädalossage.  Wie  Völundr  vom 
König  Nidudr  mit  Gewalt  auf  Säwarstadr  zurückgebalten  wird, 
so  Dädalos  vom  Minos.  Das  Wolfstal,  in  dem  ersterer  haust, 
künstliches  Schmiedewerk  verfertigend,  vergleicht  sich  dem  La- 
byrinth, in  dem  Dädalos  seine  kunstvollen  Arbeiten  ersinnt  Wie 
Völundr  sich  mit  dem  von  ihm  selbst  erfundenen  Flügelkleid  in 
die  Lüfte   schwingt,   so   entflieht   auch   Dädalos   auf  gleichem 

1)  Einen  begründeten  ICinwaud  hiergegen  kann  ich  auch  nicht 
in  der  an  sich  richtigen  Gleichung  scrt.  carü  „Kesseli  Topf,  altn. 
hverrt  ir.  coir  erblicken.  Vgl.  E.  H.  Meyer  ludog.  Mythen  II,  681. 
Denn  warum  soll  dieses  „uralte,  heilige**  Gerät  nicht  ursprünglich 
aus  Ton  bestanden  haben? 


19 


f/^iS^-  1mi  Norden  ist  es  der  ISrutler  des  Völundr.  Kpll,  der 
dem  Fliigelkleid  eiueu  durcti  die  List  des  Knidere  ver- 
iglQckten  Versacb  maclit  iidiI  zii  Uodei)  fällt,  im  Hilden  der 
lohn  des  Uäilalos,  Ikaros,  der.  allerdings  dureb  eigene  Unvor- 
ielitigkt^it,  samt  seinen  KlBgelu  ins  Meer  stflrKt. 

Trotz  der  nnlengbnren  Übereinstimmung  dieser  VorBtellnngs- 
niben  müssen  wir  aber  dennoch  Bedenken  tragen,  ihre  Ausbil- 
bog  auf  indog.  Ursprünge  Kurllekzuführen. 

Zunächst  ist  die  Gestalt  des  Hcphästos  in  keiner  Weise  mit 
ler  dee  IJädalos  zu  identifizieren;  denn  wenn  aueh  ersterer  von 
i^ndar  als  daidaXoi  bezeichnet  wird,  so  ist  doch  die  Bedeutung 
iBeses  Wortes  (:dandiiiJiw  „kdnstticb  verfertigen")  eine  so  all- 
ienieine,  dass  hieran»«  nimiuermebr  die  ursprüngliche  Einheit 
beiden  mythischen  Figuren  gefolgert  werden  kann.  Im 
[■nzeii  klassischen  Altertnm  bat  vielmehr  Dädalns,  der  Heros 
ler  Uolzttcbnitzeret  und  Architektur,  mit  Metallarheit  nichts  zn 
lliaffen  (vgl.  L.  Preller,  Griech.  Mythol,  I,  123),  und  die  wabr- 
ieheinlicb  älteste  Verknilpfnng  seines  Namens  mit  dem  pböniziscb- 
semitischeu  Kreta  deutet  auf  den  nrientalischen  Ursprung  der  an 
j)m  sieh  knüpfenden  Sagen  nicht  andeutlich  hin. 

Was  Hepbästos  betriff!,  so  leitet  die  bei  weitem  wahr- 
jcheiolicbste  Dentung  (vgl.  Preller-Rohert,  Griech.  Mythol. '  p.  174) 
leiiiea  Namen  von  griech.  Aifii  „die  Feueranzündung"  ab,  nnd 
pch  der  italisclic  Hephästos  Wolcanus  birgt,  wenn  er  mit  Recht 
MS  Bcrt.  ulkä'  „Feiierbrand"  =  lat.  *colcä  erklärt  wird,  deutlich 
ien  Gmudbegriff  der  Fenersglut  in  sich. 

Da  iiüu  auch  nach  Cäsars  Bericht  (de  bell.  GaU.  VI,  21* 
lie  Germanen  noch  zu  jener  Zeit  an  der  Verehrung  der  reinen 
llaturgewalt  des  Feuers  festhielten  {deorum  numero  eoa  sol&a 
vnt,  quoH  cernunt  et  qtiorum  aperte  opibus  iuvantttr,  Solem 
^t  Vulcanam  et  Lunam),  so  kfjunte  man  immerhiu  annehmen, 
den  i'crsrmlicbkeiten  des  Wiciand-Hephästoa  irgend  ein 
bythiscber,  vicUeicbt  der  Natur  des  Elementes  entsprechend  alB 
tekiscfa  und  gierig  gedachter  Feuerdämou  zugrunde  liege.  Ja, 
t  könnte  scheiuen,  als  ob  der  lahme  Hepbästos  der  Oriecheu, 
der  an  den  Beinen  verstümmelte  Wieland  der  Germanen  eine 
Parallele  finde  in  dem  Epitheton  apä'd  „fnsstos".  das,  freilich 
einmal,  im  Rigveda  (IV,  1,  11)  neben  aqtrahd'  „kopflos" 
Feuergott  Agni  gegeben  wird,   und  dass  damit  die  Natur- 


-     20    - 

anschanung  des  unstäten,  flackernden  Ganges  des  Feners  znm 
Ausdrack  gebracht  werden  solle.  Doch  haben  andere  (vgl. 
E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  11^  109)  die  Lahmheit  des 
Götterschmieds  aus  dem  von  ihnen  vermuteten  Umstand  ableiten 
wollen,  dass  auch  die  irdischen  Schmiede  mit  einem  derartigen 
Gebrechen  behaftet  gewesen  seien,  weil  sich  diesem  Gewerbe 
nur  die  zu  dem  Beruf  des  Hirten  oder  Ackersmanns  nntanglichen 
Männer  gewidmet  hätten. 

Hinsichtlich  der  handgreiflichen  Übereinstimmungen  der 
Wieland-  und  Dädalossage  bat  man  an  eine  direkte  Entlehnung 
von  klassischem  auf  germanischen  Boden  gedacht.  So  hat 
W.  Golther  in  einem  Aufsatz  in  der  Germania  XXXIII,  449  ff. 
„Die  Wielandsage  und  die  Wanderung  der  fränkischen  Heldensage*^ 
den  Nachweis  zu  führen  versucht,  dass  die  germanische  Wieland- 
sage nichts  sei  als  eine  erst  im  6.  Jahrhundert  auf  fränkischem 
Boden  vorgenommene,  bewusste,  dichterische  Verschmelzung  der 
antiken  Sagen  von  Vulcanus  und  Dädalos,  die  erst  von  hier  aus 
zu  den  übrigen  germanischen  Stämmen  gewandert  sei.  Allein 
seine  Ausführungen  haben  bei  anderen  Forschem  wie  Jiriczek 
(Deutsche  Heldensage)  und  B.  Symons  (in  Pauls  Grnndriss  der 
germ.  Phil,  ^l^  722  ff.),  die  vielmehr  an  dem  einheimischen 
Ursprung  der  Wielandsage  durchaus  festhalten,  keinen  Beifall 
gefunden,  und  so  wird  mau  zugeben  müssen,  dass  es  bei  dem 
heutigen  Stand  der  Mythenvergleichung  voreilig  wäre,  aus  den 
vieldeutigen  Analogien  derartiger  Sagenkreise  Schlüsse  auf  die 
Kultur  der  indog.  Urzeit  ziehen  zu  wollen. 

Wir  widmen  daher  den  Kest  dieses  Kapitels  einer  ge- 
drängten Darstellung  der  in  die  Augen  springenden  ZQge  der 
Verwandtschaft,  die  sich  durch  fast  ganz  Europa  um  das 
Schmiedehand  werk  in  Sage  und  Anschauung  schlingen,  ohne 
weiter  in  eine  Erörterung  der  Gründe  dieser  Zusammenhänge 
einzutreten. 

W^eit  verbreitet  ist  zuerst  die  Ansicht,  dass  das  Schmiede 
handwerk  von  übermenacblichen  Wesen  erfunden  worden  sei  und 
noch  von  ihnen  ausgeübt  werde.  Im  germanischen  Norden  sind 
dies  einerseits  die  Riesen,  deren  Waffen  Eisenstangen  sind,  und 
in  deren  Welt  der  Eisenwald  liegt.  Auch  Namen  wie  Jamsaxa 
und  Jarnglumra  {jarn  „Eisen")  begegnen  bei  ihnen  (vgl.  K.  Wein- 
hold  Altn.  Leben  p.  93).     Schmiedende  Hünen  nennt  die  west- 


-    21     - 

fälische  Sage  I,  Nr.  213  bei  A.  Kuhn  a.  a.  a.  0.  Audererseits 
aber  und  besonders  werden  die  Zwerge  (ahd.  twerc^  agls.  dtceorg, 
altn.  dvergr),  deren  zweite  gemeingerinanisclie  Benennung  (ahd. 
alp  „Elbe**,  agls.  älf,  altn.  dlfr)  A.  Kuhn  (K.  Z.  IV,  110)  mit 
dem  Namen  der  indischen  rbhü  zusammenstellt,  und  die  er 
als  die  Geister  der  verstorbenen  Menschen  deutet  (pitdraSj  na- 
tigeg),  auf  dem  gesamten  germanischeu  Sprachgebiet  als  die 
eigentlichen  Behüter  und  Bearbeiter  der  unterirdischen  Metall- 
schätze angesehen.  Nach  der  Wilkinasage  wird  Wieland  von 
seinem  Vater  Wade  erst  zu  Mimir,  als  er  aber  da  von  Siegfried 
wie  die  anderen  Gesellen  misshandelt  wird,  zu  zwei  Zwergen  im 
Kallevaberge  in  die  Lehre  gebracht.  Auch  in  der  Völundarkvida 
wird  Völundr  äifa  liodi  j^alforum  socius^  und  visi  älfa  j,ah 
forum   princeps"^    genannt^).     Von    schmiedenden   Zwergen    be- 


1)  Durch  den  Umstand,  dass  in  der  prosaischen  Einleitung  der 
Völundarkvida  Völundr  als  Sohn  eines  Finneukönigs  bezeichnet  wird, 
sieht  sich  M.  Sjoegren  in  einem  interessanten  Aufsatz  De  Plnnis  aliisque 
Tschudicis  gentihus  sdentia  et  usu  metallorum  antiquitus  insu/nibus, 
vgl.  Buüetin  scientifique  puhlU  par  Vacadämie  imp.  de  Saint- Paters- 
bourg  VI,  163  ff.,  veranlasst,  in  den  nordischen  Alfen  ein  finnisches 
Volk  zu  erblicken.  C.  Hofmann  (Germ.  VIII,  11)  will  sogar  das  altn. 
Völundr  aus  dem  finnischen  valaa  „giessen**  erklären.  Derartigen  Iler- 
leitungen  steht  aber  die  Abhängigkeit  der  westfinnischen  Völker  in 
der  Terminologie  des  Schmiedehandwerks,  auf  die  wir  schon  hin- 
g'ewifsen  haben,  entgegen.  Mit  der  Zeit  sind  allerdings  die  Finnen, 
wie  oiu  Blick  in  das  Kalevala  oder  das  Kalevipoeg  (eine  estnische 
Sa^e,  verdeutscht  von  Carl  Reinthal.  Verhandlungen  der  gel.  estn.  Gesell- 
schaft zu  Dorpat  IV  u.  V)  lehrt,  tüchtige  Schmiedenieister  geworden, 
so  dass  der  verhältnismässig  späte  Verfasser  der  prosaischen  Ein- 
leitungen der  Eddalieder  leicht  darauf  kommen  konnte,  den  germ. 
Völundr  als  Finnen  aufzufassen.  Vgl.  auch  Förstemann  Geschichte  d. 
d.  Sprachstammes  I,  454. 

Natürlich  ist  auch  eine  Herleitung  von  Völundr  aus  dem  Kelti- 
schen versucht  worden,  worüber  mau  H.  Schreiber  Taschenbuch  für 
Geschichte  und  Altertum  in  Süddeutschland  IV,  103  ff.  vergleiche. 
W.  Golther  in  dem  oben  genannten  Aufsatz  trennt  die  beiden  Naiiien- 
reihen  WeUand  {Galand)  —  altn.  Völundr  und  agls.  W^land  —  ahd. 
Wielant  von  einander.  Er  sieht  in  beiden  ursprünglich  altgermaniRche 
Personennamen,  die  jener  fränkische  Dichter  zur  Wiedergabe  der 
klassischen  Namen  Dädalos  {Wiland)  und  Vulcanus  {Waland)  benutzte, 
und  zwar  sei  er  auf  Wiland  verfallen  wegen  der  Etymologie  dieses 
Wortes  (:altn.  vü  ^ars,  rix^rj'',  das  sich  freilich  auf  diese  Sprache 
beschränkt),  Waland  (vgl.  Walo)  aber  für  Vulcafius   habe   er  gewählt 


f 

-     22     - 

richten  die  Sagen  bei  A.   Kuhn  Sagen,  Gebräuche  und  Märchen 
aus  Westfalen  I,  Nr.  52,  53,  152,  288  etc. 

Den  nordischen  Riesen  entsprechen  im  Süden  dieKyklopen^ 
die  von  Homer  noch  nicht  mit  dem  Schmiedehandwerk  in  Ver- 
bindung gebracht  werden,  sondern  von  denen  erst  die  spätere 
Sage  berichtet,  dass  sie  au&Sicilien  and  an  anderen  vulkanischen 
Örtiichkeiten  als  Gesellen  des  Hephästos  dröhnend  das  Erz  fflr 
Götter  und  Menschen  im  Feuer  bereiten.  Aber  auch  die  Vor- 
stellung des  Schmiedes  in  Zwergsgestalt  fehlt  auf  dem  klassiBchen 
Boden  nicht.  Die  bildende  Kunst  scheint  den  Hephästos  in  alter 
Zeit  zwergartig  dargestellt  zu  haben  (vgl.  Preller  Griech.  Myth.  I, 
123).  Jedenfalls  glich  das  Hephästosbild  im  Tempel  zu  Memphis, 
über  das  Kambyses  seineu  Hohn  äusserte,  einem  Zwerg  oder 
Kobold.  Vgl.  Herod.  lll  Kap.  37 :  fori  yäg  xov  'Hqmoiov 
TcoyaXjua    idioi    ^oivixrjtoioi  Ilaxnixoiöi  ijucpegeararoVj    rovg  ci  ^ol- 

vixeg   iv  Tfjoi  Jigqigfjai  rcov  rgnjgicov  Jtsgtdyovoi ' Ttvyßiaiov 

ävdgog  juljurjoig  ion.  Später  scheint  die  Idee  der  zwergenhaften 
Gestalt  von  Hephästos  auf  seine  Gehilfen  übertragen  worden  zu 
sein.  So  führt  uns  ein  Basrelief  aus  der  Sammlung  des  Lonvre 
in  die  Werkstatt  des  Hephästos,  wo  der  Meister  nebst  einigen 
Satyrn  in  voller  Arbeit  sich  befindet.  Neben  dem  Sehmiede- 
ofen aber,  aus  dem  die  lodernde  Flamme  herausschlägt,  sitzt 
eine  zwergartige,  langbärtige,  buckelige  Gestalt  in  sich  gebückt, 
mit  Kennerblick  die  Politur  eines  vor  ihr  ruhenden  Helmes  prfl- 


wegen  allerhand  gelehrter  mittelalterlicher  Deut ungs versuche  des 
Wortes  VulcamiSy  Volicanun^  welche  diesen  Gott  als  per  aärem  volantem 
etc.  auffas8teu.  Dem  gegenüber  erblickt  Symons  a.  a.  0.  in  altn.  Vih 
lundr  eine  Herübernahme  aus  Niederdeutschland  {Wiland :  9,iin.  v4l), 
wo  nach  ihm  und  anderen  der  ganze  Sagenkreis  wurzelt.  Altfraus. 
Galand  aber  sei  nichts  als  ein  norinannisiertes  Völundr,  Nicht  un- 
erwähnt will  ich  auch  eine  Vermutung  0.  Kellers  (Allg.  Zeitung  1882 
Nr.  140  Beilage)  lassen,  der  in  Wieland  eine  Verstümmelung  aus 
dem  Namen  des  Kaisers  Valentinianus  L  erblickt.  „Er,  der  Zeitgenosse 
und  Gönner  des  Dichters  Ausonius,  war  den  Deutschen  als  Besieger 
der  Alemannen,  Franken  und  anderer  germanischen  St&mme  wohl- 
bekannt... er  residierte  wiederholt  jahrelang:  zu  Trier.  Merkwürdig 
war  seine  ausgesprochene  Neigung  für  die  bildenden  Künste;  er 
versuchte  sich  selbst  mit  Glück  in  der  Malerei,  formte  Figuren  in  Ton 
und  Wachs,  erfand  sogar  neue  Arten  von  Waffen  nnd  trieb  mit  ausser- 
ordentlicher Liebhaberei  und  unleugbarem  Geschick  Mechanik  und 
Baukunst,    besonders  die  Kriegsbanknnst** 


fend   (vgl.  E.  Gulil  1 
'  p.  281). 

Endlich  ist  mir  das  wnhrscIieiDlichste,   dass  anch  die  be- 

liaiititeBten    nnter  jenen    rütselhafteo  vorderasiatiscb -griechischen 

Oamoneii,   die  zur  Metallurgie  Bez-iehangen  habeu,  wie  Kabiren, 

TWchinen ').  Korybauten  etc.,   die   'Maiut   Jüiendoi,   auf  die   wir 

uwb     KurUckkomuien  werden,    durch    ihren   Nanieo  (Fingerlinge, 

DÄarnJiiige,  Pygmäen)  in  den  Kreis  jener  Viirsteüangen  gehOren. 

KeineafalU  wird  man  die  alienlenerlicheu  Deatungen  des  Wortes 

A«T-».»^oi    bei   den   Alten    (vgl.  Polhix  II,  156  und  sonst)  gelten 

lassen    wollen. 

Wie  das  Staunen  der  Menechbeit  über  die  wunderbare 
Kaii»t,  d\v  es  versteht,  das  harte  Metall  im  Kener  zu  schmelzen 
und  kostbare  Dinge  aus  ihm  zu  schmieden,  dann  gefUhrt  hat,  ihre 
Erfiiidcng  Überirdischen  Wesen  suKuschreiben,  so  kann  mau  sich 
auch  tlie  Ausübung  derselben  durch  irdische  Geschöpfe  nicht 
ohne  <iit'  Zubilleuahme  geheimnisvoller  und  zauberhafter  Mittel 
vorstellen.  Diese  Anschauung  gilt  wiederum  durch  ganz  Europa. 
Die  scbnn  erwähnten  'Wiioi  .iibtTvXot  werden  bereits  in  der 
Sitesten  Nachricht,  die  über  sie  erhalten  ist,  in  dem  epischen 
Fragment  der  Fhoronia  [vgl.  Sehol.  zu  Apoll.  Ä.  I,  1126}  yättjes 
^/an  Vierer"  genannt,  ein  stehendes  Beiwort  fUr  sie,  daa  in  der 
späteren  Literatur   häufig  wiederkehrt').     Auf  irischem  Boden 


PI)  In  ansprechender  WeisB  hat  W.  Prellwite  B.  B.  XV,  148  dte 
^ti■t^■reg  als  Schtniedegeister  ku  erweisen  gesucht,  indt-ni  er  das  Wort 
»«■  B»iech.  xaXx^  (W.  ghel-gh  =  griei-h.  &eXx,  reX-x)  Mellt.  Die  Form 
ßtkylvtf  wilre  dann  eins  voHtstümliehe  Andeutung  an  itüyoi  „zaubere' 
(Vgl-  unten). 

3}  Die  angerührte  Stelle  der  Phoronis  lautet; 

'JAaloi   9eiyK  ävAgei,  dpiorepoi  olacC  frator, 
KiXftie,  dofirafitrfif  «  f'r'^  ""'  iitießtoi  'Aiti^oiv, 

IEvuiiloftai  SegÖJianti  igiitj;  HSgi/inili)!, 


CK  jiqAiih  'ix^jy  nokvii^xan:  'Hipalmi 

ESßor  jv  ovQrljfoi  rAna'i  !6rrta  alSijQ^r  ' 

'Ei  nCff  t'   ilrrynav  xtü  AeutgK-rii  Igyar  rStiiaV. 

T^l.  Straho  c.  473  öUoi  äilioi  /ivSiovaiv,  <Kn(poie  i&iikhi  m.'vämovnt ' 

trärrti  i'  xai  j-riigra«  dniil^ifaai Andere  Namen  der  drei  Schmiede- 

meister  sind:  Chalkon,  Chr,VBOti,    Argyron.  auch  Avxoi,   KiXfiif,  änttva- 
'    fuyrii,  auch  MvXa;,  Aixa;.   KüovOo;  {7).     Vgl,  über    diese   und    Versuche 

fhrer  Deutung  Prellwitz  a.  a.  O. 


—    24    - 

mft  S.  Patrick  (vgl.  Windisch  I.  T.  I,  7,  48)  verschiedene  Tu- 
genden an  fri  brichta  ban  ocus  goband  octis  druad  |,gegen  die 
Zaubersprüche  von  Weibern,  Schmieden  und  Dmiden^.  Anch 
die  bekannten  slavischen  Heiligen  Knzma  und  Demian,  die 
sonst  geschickte  Ärzte  (q^ag/naxelg  wie  die  Dactylen)  sind,  treten 
in  rassischen  Volkserzählungen  ^als  heilige  and  ttbematarliche 
{y67]T€g)  Schmiede  im  häufigen  Kampf  mit  Schlangen"  auf  (vgl. 
W.  R.  S.  Ralston  Russian  Folk-Tales  p.  70  und  The  songs  of 
the  Russian  people  p.  198).  Nicht  minder  ist  die  germanische 
Figar  des  Wieland  eine  durchaus  zauberische  Persönlichkeit, 
und  auch  im  finnisch-estnischen  Norden  kann  eine  gute  Schmiede- 
arbeit der  Zauberkunst  nicht  entbehren.  Jedenfalls  zeigt  die 
Art  und  Weise,  in  der  sowohl  in  der  Wilkinasage  (vgl.  p.  94 
der  V.  Hagenschen  Ausgabe)  als  auch  in  dem  Kalevipoeg  (vgl. 
Ges.  VI,  399 — 416)  die  Herstellung  berühmter  Schwerter  ge- 
schildert wird,  dass  sich  zur  Zeit  dieser  Denkmäler  die  Phan- 
tasie des  Volkes  die  Tätigkeit  geschickter  Schmiede  nicht  ohne 
geheime  Künste  vorstellen  konnte.  In  Griechenland  und  Dentsch- 
land  werden  fast  völlig  sich  deckende  Züge  von  dem  Vorhanden- 
sein unsichtbar  arbeitender  Schmiedemeister  erzählt.  Schon  Py- 
theas  in  seiner  yfjg  Treotoöfo  berichtete,  dass  auf  den  Inseln  Li- 
para  und  Strongyle  unsichtl)are  Schmiedearbeit  getrieben  werde. 
Man  lege  das  unbearbeitete  Eisen  hin  und  nehme  dann  am  an- 
dern Tag  das  fertige  Schwert  oder  einen  anderen  gewünschten 
Gegenstand  in  Empfang  (v^l.  Schol.  zu  Apoll.  A.  IV,  761). 
Genau  dieselbe  Sage  wird  in  England  und  Deutschland,  besonders 
im  Niedersäc'lisischcn  erzählt*)  (vgl.  K.  Z.  IV,  96  ff.  und  A.  Kuhn 
Sagen,  Gebräuche  und  Märchen  aus  Westfalen  I  Nr.  36,  40  — 
von  unsichtbaren  Wasserschinieden  —  49,  52,  53  —  von  schmie- 
denden Sgönauken  —  .oo,  76  —  vom  Grinkenschmied). 

Beachtung  verdient    auch    die    Dreizahl    der    mythischen 
Schniiedekünstler  {KtXfug,  Aauvajtievevgy  \4xfji(ov,  vgl.  p.  23  Note), 


1)  Ganz  rthnlich  wird  von  den  Veddahs  auf  Ceylon  berichtet: 
„Sie  trugen,  sobald  sie  Waffen  bedurften,  bei  Nachtzeit  ein  Stück 
Fleisch  in  die  Werkstatt  eines  Schmiedes,  hingen  ein  ausgeschnittenes 
Blatt  von  der  Form  der  gewünschten  Pfeile  daneben,  und  war  das 
Werk  nach  also  angegebenem  Muster  vollendet,  so  holten  sie  es  wieder 
ab  und  brachten  noch  mehr  Fleisch.**  Vgl.  Lubbock  Die  Torgesch. 
Zeit  J,  60. 


-    25    — 

der  wir  oben  bei  den  Griechen  begegnet  sind;  und  die  bei  Ger- 
manen nnd  Romanen  wiederkehrt.  Nicht  nar  Völundr  hat  in 
dem  eddiscben  Lied  zwei  Brüder,  ein  altes  deutsches  buoch  nennt 
ausdracklich  als  die  berdhmtesten  smittemeisfer  drei  Schmiede 
Mime,  Hertrich  nnd  Wieland,  und  ebenso  berichtet  eine  prosaische 
Auflösung  des  altfranzösischen  Romans  von  Fierabras  von  drei 
Bradem  Galand  (=  Wieland),  Magnificans  und  Ainsiax,  die 
neun  berühmte  Schwerter  schmiedeten  (vgl.  W.  Grimm  Die 
deutsche  Heldensage  p.  146  und  43).  Auch  A.  Kuhn  a.  a.  0.  I, 
Nr.  92  kennt  eine  Sage  von  drei  Schmieden^  die  Kröse  hiessen. 
Bemerkt  sei,  dass  auch  die  indischen  rbhti  in  der  Dreizahl  auf- 
treten. 

Wenn  aber  so  der  höchste  Grad  menschlicher  Geschicklich- 
keit den  Schmieden  zugeschrieben  wird,  so  ist  es  begreiflich, 
dass  sie  auch  anderen  Fertigkeiten  als  nicht  fernsteheud 
gedacht  werden.  Besonders  ist  hier  neben  der  schon  berührten 
ärztlichen  Tätigkeit  der  Schmiede  die  Ton-,  Dicht-  und  Tanz- 
kunst zu  nennen.  Wie  die  'IdaToi  ddxxvXoi,  wenn  sie  auch  in 
erster  Linie  die  Kunstdämonen  ältester  Mctallarbeit  sind,  doch 
auch  zuerst  Tonstücke  aus  Phrygien  nach  Griechenland  gebracht 
Dnd  den  daktylischen  Rhythmus  erfunden  haben  sollen,  so  ist  auch 
den  germanischen  Eiben  ein  „unwiderstehlicher  Hang  zu  Musik 
ond  Tanz"  eigen  (vgl.  Grimm  Myth.^  p.  438 j.  Auf  keinen  Begriff 
wird  das  Wort  Schmied  und  Schmieden  so  häufig  angewendet 
wie  auf  den  des  Gedichtes,  des  Liedes  (altu.  Ijödasmidrj  alid. 
leodslahoy  Verse  schmieden  etc.),  und  noch  im  späteren  Mittel- 
alter sind  dichtende  Schmiede  bekannt  (vgl.  W.  Wackernagel 
Kleinere  Schriften  I,  49). 

Der  mystische  Zug,  der  somit  auf  der  Entstehung  kunst- 
voller Schmiedearbeit  ruht,  tritt  aber  noch  in  einem  anderen, 
den  griechischen  und  deutschen  Schmiedesagen  gemeinsamen 
Punkte  hervor:  es  ist  dies  das  trug-  und  listvolle  Element,  das 
gerade  den  besten  Arbeiten  inne  zu  wohnen  pflegt.  Die  unsicht- 
baren Fesseln,  mit  denen  Hephästos  sein  eheliches  Lager  um- 
schmiedet, der  Thron  der  Hera  Acpavtig  deouorg  excovj  das  bis 
in  die  spätesten  Geschlechter  Unheil  stiftende  Halsband  der  Har- 
niooia  sind  hierfür  Zeugen  auf  klassischem  Boden.  Ebenso  ist 
aaf  germanischem  Völnndr-Wieland  ein  trugvoller  Gesell.  Nach- 
dem er  die  Söhne  König  Nidudrs  getötet  hat,  heisst  es  von  ihm: 


\ 


-     26    - 


Aber  die  Schädel  unter  dem  Schöpfe 

Schweift'  ich  in  Silber,  schenkte  Hie  Nidudrn. 

Aus  den  Augen  macht'  ich  Edelsteine,  • 

Sandte  sie  der  falschen  Frauen  Nidudrs. 

Aus  den  Zähnen  dann  der  zweie 

Bildet'  ich  Brustgeschnieid  und  sandt'  es  Bödvildr. 

(Simrock.) 

Auch  Reigin  und  Mime  werden  von  der  deutschen  Sage  alf 
listige  und  ränkereiche  Sehmiede  geschildert  Im  finnisehei 
Kalevala  werden  die  Schwerter  bei  Hiisi,  dem  bösen  Prinzip, 
scharf  geschliffen,  und  Hiisis  Vöglein,  die  Hornisse  (vgl.  IX. 
230  ff.),  ist  es,  die  das  Zischen  böser  Schlangen,  das  schwarf^^ 
Gift  der  Nattern  urw.  in  den  Stahl  hineinträgt. 

Am  charakteristischsten  aber  hat  sich  diese  Vorstellung  be  ^3 
den  Germanen  weiter  gebildet. 

War  hier  Wieland  allmählich  der  listenreiche  und  tüekischi 
Zauberer    geworden,    so    musste,    als    die    christliche  Welt  dei 
Norden  die  Bekanntschaft  mit  dem  Teufel  vermittelte,  diePerso' 
des    tückischen  Schmiedes    den    Priestern    äusserst   willkomme 
erscheinen,   um  den  christlichen  Begriff   des  Bösen    an    ihr  d^^r 
heidnischen   Menge   zu   veranschaulichen.     Unzweifelhaft   habe*  :» 
in    der    altdeutschen    Auffassung    nunmehr  Schmied    und  Tenf^^^l 
zahlreiche  Ztlge  gemeinsam.     Der  Teufel  ist  der  awarze  Meht^^r 
in  der  russigen  Hölle,  er  schmiedet  und  baut  wie  Wieland,    vtn^r 
allem  al)er  ist  er  hinJcebein  {diahle  hoiteux)   wie   der  nordisch»  ^ 
Völundr  und  der  griechische  Hephästos,    mit    welchem  letzteres- acx 
er    ausserdem    noch    den  Sturz   aus   dem  Himmel  (Luc.  10,  1^^"5 
gemein  hat  (vgl    J.  Grimm  Myth.^  p.  945  und  III*,  294).     Vr» 
dem    unsichtbar   schmiedenden  Teufel    (vgl.  oben  p.  24)    erzäh 
A.  Kuhn  a.  a.  0.  I  Nr.  56.     Wie  lange  aber  in  Deutschland  d  i 
Spuren    der  Vorstellung    sieh    erhielten,    dass    der  Schmied    e:i 
Zauberer  und  mit  dem  Teufel  im  Bund  sei,    zeigt   die    hObscl 
Erzählung    des    Pfarrers    Petersen    aus    dem    XVII.   Jahrh.  (l^ 
G.  Freytag   Bilder  aus  der  deutschen  Vergangenheit  IV,  50  t 
von    dem    „Erbschmied^,    der    einem    unbekannten    Dieb    dnr« 
allerhand  teuflische  Ktinste  das  Auge  ausschlagen  soll. 

Den  Übergang  der  Schmiedekunst   aus   den   Händen   g6 
lieber  und  überirdischer  Wesen    in    die    der  Menschen    nnd 
allmähliche    Entstehung    einer    eigentlichen    Schmiedeznnft    v 
anschaulicht    uns   das   germanische  Altertum    aufs  beste.     Wi 


~     27     — 

rend,  so  viel  ich    weiBS,    iu   der    klassischen  Überlieferung:  kein 
Held  oder  Halbgott   namhaft   gemacht   wird,   der   seinen  Schild 
oder  sein  Schwert  sich  selbst  geschmiedet  hätte,    begegnen   uns 
unter  den  Germanen  zahlreiche  Recken  aus   edlem  Geschlechte, 
die  sich  darauf  verstehen,  ihren  Bedarf  an  Schmiedewerk  selbst 
zu  verfertigen.     Ich  nenne  hier  Skallagrim,  Kveldulfs  Sohn,  auf 
Island    (vgl.  Weinhoid  Altn.  Leben   p.  93),  jung  Siegfried,    den 
Lougobardenkönig  Albuin  u.  a.  (vgl  Paulus  Diac.  I,  27).     Namen 
anderer    mythisch-historischer    Schmiede    sind :    Mime,    Hartrtch, 
Eckenbrecht,    Mimringus,    Madelger,    Amilias    u.   a.      Begüterte 
Männer    legen    sich    in    ihrem   Walde   Schmiedewerkstätten   an, 
deren  Stellen,  namentlich  auf  Island  und  im  westlichen  Deutsch- 
land, durch  Kohlen  und  Schlacken  noch  kenntlich    sind.     Auch 
im  alten  Griechenland')   und    in  Irland    (vgl.  0' Curry  Manners 
and  customs  II,   246)    waren    die    Schmieden    in  tiefer   Wald- 
einsamkeit gelegen,   und  ebenso   findet   in   der  estnischen  Sage 
(VI,  147  ff.)  Kalevipoeg*)  erst  nach    langer  Wanderung  die  ein- 
same Schmiede,  in  der  er  sein  Wunderschwert  erhalten  soll,  im 
dichtesten  Walde  versteckt: 

endlich  fiel  dem  rüst'gen  Wandrer 
Auch  das  schöne  Tal  ins  Auge. 
Als  «r  diesen  Raum  betreten, 
Drang  des  Blasebalges  Brausen 
Und  der  Schall  der  Hamnierschläge, 
Die  im  Takt  den  Amboss  trafen, 
Schon  von  fern  ihm  in  die  Ohren  usw. 

Die  Fridolinsage,  die  an  solchen  Waldschmieden  haftet,  zieht 
sich  durch  alle  germanischen  Stämme  (vgl.  Weinhold  a.  a.  0. 
P-  94  ff.).  Geschickte  Schmiede  stehen  im  höchsten  Ansehen. 
König  Geiserich   erhebt   sogar    einen    derselben    in   den  Grafen- 

1)  Vgl.  Hesiod  Theog.  v.  864  ff. : 

(c&c)  aldriQog  wieg  xQaxeQ(otat6g  ioxiv 
ovgeos  iv  ßi^aoijatj  öafia^ofievog  nvgi  xrjkiq) 
TfjxsTO  ev  ji^^ovi  öijjf   vq>*  *H(pal<nov  natXdfijjait    dazu  die  oben 
P-  23  angeführte  Stelle  der  Phoronis. 

2)  Der  estnische  Heldenjüugling  lässt  sich  in  mancher  Be- 
**^lnmg  mit  Sigurd-Siegfried  vergleichen.  Wie  dieser  bei  dem  Schmied 
^*»oe  den  gewaltigen  Amboss  mit  dem  Hammer  „in  die  Erde"  schlägt, 
*^    Spaltet  Ralevipoeg  mit  dem  Wunderschwerte  den 

schweren  Amboss 
Nebst  dem  dichtberingten  Klotze, 
Der  ihn  trug,  bis  auf  den  Boden. 


-      28    — 

stand^  lind  die  Tötung  eines  ScbmiedeH,  vor  allem  eines  Gol 
Schmiedes,  wird  tiberall  in  den  Gesetzen  mit  grösseren  Snmmec-  ^n 
bedroht  als  die  anderer  Knechte  (vgl.  Wackernagel  EL  SchrifteK:  ^n 
I,  46). 

In  Pinnland  stehen  noch  heute  die  Schmiede  in  höchste  ^^^r 
Achtung.  Man  bringt  ihnen  Branntwein  etc.,  um  sie  bei  gute  -sr 
Laune  zu  erhalten,  und  das  Sprichwort  lautet: 

Reines  Brot  geniesst  der  Schmieder, 
Bessre  Bissen  stets  der  HUmmerer. 
(Vgl.  Ahlqvist  a.  a.  0.  p.  60.) 

Die  Sitte  endlich,  dem  Schwerte  wie  einem  lebenden  Wese^m 
einen  eigenen  Namen  beizulegen,   vgl.  Siegfrieds  Balmung,  Wi^st- 
lands  Mimung,  Beöwulfs  Nägling,  Rolands  Dumdart  etc.,  scheii^  t 
sieh    wenigstens    bei    den   Indogermauen    auf   die    germanische  ^si 
Stämme  zu  beschränken. 

Wir  schliessen  hiermit  diese  kurzgefasste,  von  Kundiger^v 
leicht  zu  vervollständigende  Zusammenstellung  der  verwandten 
Züge  iudüg.  und  nichtindog.  Schmiedesagen. 

Fassen  wir  das  Ergebnis  dieses  Kapitels  zusammen,  so  h&l 
sich  gezeigt,    dass   sich    erstens   in    den   sprachlichen  Verhält- 
nissen der  Indogermauen  kein  Anlass  findet,  die  Ausbildung  des 
Schmiedehaudwerks  in  die  indog.  Urzeit  zu  verlegen,    und   dass 
zweitens   die  Vieldeutigkeit   der   auf   den  Schmied    and   seine 
Kunst    bezüglichen  Mythen    und  Sagen    uns    nicht    geeignet  er- 
scheint,  für  den  Mangel    sprachlicher   Argumente    einen   Ersatz 
zu  bieten. 

Wohl  lassen  sich  Zusammenhänge  in  dem  um  das  Hand- 
werk des  Meister  Schmieds  gesponnenen  Vorstellungskreis  nicht 
verkennen;  aber  man  gewinnt  doch  den  Eindruck,  dass  es  sich, 
abgesehen  vielleicht  von  einigen  in  die  Urzeit  zurückgebenden 
mythischen  Ausätzen,  um  die  Wand  rang  von  Sagen  und  Ad- 
schauungen  handelt,  die  sieh  in  verhältnismässig  später  Zeit  zu- 
gleich mit  den  Metallen,  vor  allem  mit  dem  Eisen,  von  Stamm 
zu  Stamm  verbreitet  haben;  doch  lassen  sich  sichere  Angaben 
über  den  Ausgangspunkt,  den  Weg  und  die  Zeit  solcher  Übe^ 
tragungen  nicht  machen. 

Wir  wenden  uns  daher  nunmehr  zu  der  Geschichte  der 
einzelnen  Metalle  selbst,  aus  der  wir  zuverlässigere  Anhaltepankte 
für  das  von  uns  behandelte  Problem  zu  gewinnen  hoffen. 


IV.  Kapitel. 

Das  Grold. 

Das  sagenumwobene  Gold^  das  in  dem  Sande  der  Flüsse 
glitzert  and  in  den  Adern  der  Berge  in  meist  unvererztem, 
^diegenem  Zustand  lagert,  dessen  lieblicher  Glanz  die  Begierde 
des  Wilden  in  gleicher  Weise  erregt,  als  die  Leichtigkeit  seiner 
Bearbeitung  den  Kunstsinn  des  höher  Stehenden  herauszufordern 
scheint,  das  vielgepriesene  und  vielgeschniähte  Gold,  das  von 
moralisierenden  Dichtern  bald  als  melius  irrepertum,  bald  als 
ferro  nocentius  gescholten,  von  allen  aber  gleichmässig  begehrt 
wird,  hat  schon  in  einer  vor  allen  geschichtlichen  Anfängen 
liegenden  Zeit  seine  hohe  Stellung  in  der  Wertschätzung  des 
Menschen  sich  erobert.  Zwar  wissen  die  Alten  von  einer  Zeit 
zn  erzählen,  in  der  nach  den  Worten  des  Lucrez  fV,  1272): 

fuit  in  pretio  inagis  aes,  aurumque  iacebat 
propter  inutilitatem; 

allein  diese  Anschauung  von  der  einstigen  Geringsehätzung  des 
Goldes  anderen  Metallen  gegenüber  findet  keinen  Anhalt  an  den 
tatsächlichen  Verhältnissen. 

Schon   das    Morgenrot    der    geschichtliehen    Überlieferung 

beleuchtet  ein   durch    den  Zusanimenfluss  des  edelsten  Metalles 

reich  gesegnetes  Land,   Ägypten  (vgl.  Lepsius  Die  Metalle   in 

den    ägyptischen    Inschriften.     Abb.  der  Berl.  Ak.  d.  W.  phil.- 

bist.  KI.  1871  p.  31  ff.).     Besonders    häufig   erscheinen    in    den 

Abbildungen   und  Inschriften   die  Äthiopen  und  Südländer  über- 

banpt,  wie  sie  aus  ihrer  goldreichen  Heimat  am  roten  Meer  und 

arabischen    Meerbusen    reichen    Tribut    in    Form    von    Beuteln, 

Bingen,    Platten,   Stangen,   Ziegeln   darbringen.     Aber  auch  die 

Assyrier,  AxtRotennu  der  Inschriften,  und  mannigfache  Stämme 

Syriens,  die  Tahi,  die  Chetiter,   das  Volk  von  Megiddo  werden 

als  goldzollende  Tributpflichtige  dargestellt,  was  darauf  schliessen 


-     30     - 

lässt,  dass  im  Libanon  in  alten  Zeiten,  ausser  auf  Kupfer,  auch 
auf  Gold  mit  Erfolg  gegraben  worden  sein  mag. 

Der  Name  des  Goldes  lautet  im  Ägyptischen  nub,  koptisch 
nouby  woher  Nubien  seinen  Namen  zu  haben  scheint.     Das  figflr- 

liehe  Zeichen  des  Goldes  /?^g^*^  ,  das  sich  in  Benihassan  noch 

in    seiner    ursprünglichen    Gestalt    ^^j|tf\  erhalten   hat,  stellt 

ein  zusammengelegtes  Tuch  mit  zwei  Zipfeln  dar,  in  dem  die 
Goldkömer  durch  Schwenken  gewaschen  werden.  Auf  dem  äiteren 
Zeichen  erkennt  man  noch  den  Sack,  aus  dem  das  Wasser  ab- 
träufelt (vgl.  hebr.  säqaq,  griech.  oaxxico).  In  Theben  wird  der 
Sack  von  zwei  Leuten  in  der  Luft  geschwenkt.  Darüber  steht 
„Bereitung  des  Goldes^.  In  den  altägyptischen  Inschriften  wird 
ein  doppeltes  Gold  unterschieden:  nub  en  set  „Gold  des  Felsens*', 
Berggold,  und  nub  en  mu  „  Flussgold  ^,  welches  letztere  noch 
heute  von  den  Negern  am  blauen  Nil  unter  dem  Namen  Tibber 
in  Federspuien  gesammelt  wird. 

Es  kann  wohl  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  dieses 
letztere  überall  zuerst  die  Aufmerksamkeit  des  Menschen  auf 
sich  gelenkt  habe.  Denn  wenn  es  wahr  ist,  was  Strabo  e.  146, 
vielleicht  mit  einiger  Übertreibung,  aus  dem  metallreichen  Iberien 
berichtet,  dass  in  dem  Goldsaude  der  Turdetanischen  Flüsse  sich 
zuweilen  halbpfündige  Massen  {näXai^)  genannt)  finden,  wird 
ähnliches  in  den  Zeiten  einer  erst  beginnenden  Ausbeutung  aoch 
bei  Flüssen  anderer  goldreichen  Länder  der  Fall  gewesen  sein  ^). 
Doch  scheint  auch  das  edle  Metall  der  Berge  im  grauen  Altertum 
dem  Menschen  noch  bei  geringerer  Arbeit  erreichbar  gewesen 
zu  sein,  als  jetzt.  Polybios  (bei  Strabo  c.  208)  erzählt,  dass 
bei  den  Norischen  Tauriskern  sich  eine  so   ergiebige  Goldgrabe 

1)  Wohl  ein  iberisches  Wort.  Vgl.  Plinius  Hist  not,  XXXIII  c  4 
8.  21:  Aurum  arrugia  quaesitum  non  coquitur,  sed  sttUim  suufn  est. 
Inveniuntur  ita  massae,  nee  non  in  puteis  et  denas  excedentes  Uhrai, 
Palacas  (Hispani  vocant),  alii  palacumas^  iidem  quod  minutum  ett, 
balucem  vocant.    Vgl.  Diefenbach  Origines  Europaeae  p.  240. 

2)  Die  Alten  wussten  vielfach  von  früher  goldführenden  StrömeD 
zu  erzählen.  So  soll  (nach  Strabo  c.  626.  vgl.  auch  Herodot  V,  101) 
der  auf  dem  Tmolus  entspringende  Paktolus  dem  Krösus  seine  nn- 
er  messlichen  Reichtümer  zugeführt  haben.  Aber  schon  zu  Strabo« 
Zeit  ixliXouis  to  yftjyfia» 


li 


id,  dii9$,  wenn  man  auf  zwei   Fuss   die  obere  Erde  abräiuiiie, 
sufort  uuti^^rjtblicbes  Gold  antrnf  usw. 
In  dem  nltcD  Ägypten  geht  daber  auch  die  bergtnänniBcbe 
iwiimnng  des  Qotdes  in  die  grangten  Zeiten  zarUek.     Eine  eehr 
tlcre«eante  Beecbreibuug  der  al (ägyptischen  Gfddberg werke,  wie 
Bclian  von  den  allen   Königen  eingerichtet  sein  aolicn.  iBt  uns 
m  Diodonis  Sieulae  (Itl  Kap.  12^14)  llberliefert  worden.    Mit 
grellen  Farbeu  wird  liier  das  Elend  der  Tausende  von  unglück- 
lichen, durch  den   Macbtsprueh    der   Kiinige    zu    lebenstänglicher 
tuigsarbeit    in    den    Bergwerken    verurteilten    Verbrecher   ge- 
lililert,  wie  uie  in  Fesseln,  ohne  Kaat  bei  Tag  und  Naeht,  an- 
itrieben    von    de»    nnbarnilierzigen  Peilschenliiehen    ihrer   Auf- 
■eher,    mit  Lümpeljen    an    den  Stirnen,    wie  Geister    durch   die 
Finsteren    .Stollen    husebeiid,    ohne    Pflege    ihres    Körpers,    ohne 
Kleidung  ihrer  ^^cllam  ihre  harte  Arbeit  verrichten,   so  dass  der 
iliriftsteller  mit  den  Worten  schliesst:  qM,  yäg  i)  (pvmg,  oiofiai, 
■I  }t(>öihiÄoy  wi  6  ^oraöc  yevfotv  /ih  Inäioyor  lj(et,  ifvlaxi/v  ^ 
novdr)v    Üi    ^teyiazTjv,    XS^'^'"    ^^    ^*^    fUaov  ij&ovf{?  Ah 

SehoD  die  Nachbarschaft  des  durch   reiche  Goldlager   und 

ch    die    früh    gehandbablo    Technik    der  Goldbcreitnng   und 

<ld Verarbeitung  ausge/.eichneten  Landes  macht    es   wahrschciu- 

:b,  A»m  auch  die  durch  zahlreiche  geschichtliche  Beziehungen 

it  Äg^ten   verbundenen    eemitischeu  Völker   schon    in    den 

leülen    Zeiten    ihrer    Geschichte    das  kostbare  Metall  Bchölzen 

aacAen  gelernt  haben.     Und  wirklich  geht  die  Bekanulsehaft 

it  dem  Golde  bei  den  Semiten  in  die  Zeit  ihrer  Urgemeinschaft 

irBck,    wie  dies    ans   der  Übereinstimmung   der    Namen    dieses 

letaileB  bei  Ost  und  Westsemiten:  aseyr.  hur&m  =  hebr.  ArtriJs 

''nur    poetisch    gebraucht!     zu    folgern    ist.      Eine    zweite    weit- 

vt-rbreilcte  Bezeichnung  des  Goldes  ist  bebr,  zähdb,   arah.  dahab, 

«yr.  dltab  =  ureemitisch  *dahabu.     Beide  Wortreihen  bezeichnen 

dn»  „schimmernde,  glänzende"  Metall.     Eine    dritte  Bezeichnung 

liebr.    kctem    isyn,  von  zähdb]    kehrt    im  Xgypliaehen    ka&ama 

«iederiZ.  f.ägypt.  öpr.  u.  Altertk.  X,  44  und  114  und  XII,  149). 

Eine  besondere,  inil  diesen  Wörtern  nicht  zusammenhängende 

llezeicbnung    des  Goldes,    gush-kin,    die    das  „biegsame  Metall" 

be«ieDIen  soll,    besass    die   sumerische  Bevölkerung  Babylons. 

X>(ich  kommt  dies  Wort,  wie  auch  die  tlbrigen  sumerischen  Metall- 


—     32     — 

namen  mit  Aasoahme  des  Kapfers,  erst  in  verhältnismässig  jungen 
Texten  vor,  und  auch  seine  sprachliche  Bildung  (mit  zusammen- 
gesetzten Ideogrammen)  soll  nach  F.  Hommel  (Die  vorsemitischeD 
Kulturen,  Leipzig  1883,  p.  409  ff.)  darauf  hinweisen,  dass  die 
Sumerier  erst  in  Babylon  oder  von  hier  aus  die  meisten  Metalle 
und  unter  ihnen  das  Gold  kennen  lernten. 

Durch  das  alte  Völkertor  medisch-semitischen  Verkehrs, 
durch  die  Pässe  der  Zagroskette  begeben  wir  uns  zum  ersten 
Male  auf  indogermanisches  Gebiet.  Ein  Dreieck,  gezogen 
von  dem  nördlichsten  Punkte  des  Persischen  Golfes  und  dem  snd- 
lichsten  des  Kaspischen  Meeres  bis  zu  den  Mündungen  des 
Ganges  schliesst  im  grossen  und  ganzen  die  Wohnsitze  einer 
Reihe  von  Völkern  ein,  die,  wie  wir  schon  gesehen  haben,  seit 
den  frühsten  Zeiten  ihrer  Geschichte  durch  das  engste  Band  der 
Sprache  und  Sitte  verbunden  gewesen  sind,  den  indisch-irani- 
schen Völkerzweig.  War  diesem  in  der  Epoche  seines  engeren 
geographischen  Zusammenhanges  schon  das  Gold  bekannt?  Wir 
dürfen,  meine  ich,  diese  Frage  mit  „Ja"  beantworten.  Elinmal 
entspricht  der  altindische  Name  dieses  Metalles  vedisch  hiranya 
nicht  nur  in  der  Wurzelsilbe,  sondern,  worauf,  wie  wir  gesehen 
haben,  ein  besonderes  Gewicht  zu  legen  ist,  auch  in  den  Suffixen 
dem  zaranya  des  Awesta.  In  keiner  von  beiden  Sprachen  ist 
die  Spur  einer  früheren  Bedeutung  erhalten.  In  allen  nenirani- 
schen  Dialekten,  im  npers.  zer^  pehlevi  zar,  im  kurd.  zer^  zity 
im  afghau.  zar^  balu6t  zar  (vgl.  Hörn  Grundriss  d.  npers.  Et 
S.  145),  im  bucharischen  ser  (Klaproth  As,  Polygl.  p.  252)^ 
kehrt  das  Wort  wieder,  und  zweifelsohne  auch  in  dem  ver- 
sprengtesten Teil  des  Iranischen,  dem  Ossetischen,  wo  es  sfzyärin 
(im  digorisehen  Dialekt  stiyzärinä,  wörtlich  „reines  Gold",  Hübsch- 
mann  Osset.  Spr.  p.  56)  lautet. 

Fern  den  irano-indischen  Sprachen  liegt,  wie  in  anderer 
Beziehung,  das  Armenische  auch  in  der  Benennung  des  Goldes, 
soweit  das  iranische  zar  nicht  in  Gestalt  von  Lehnwörtern  wie 
zank  „Arsenik"  („goldig")  etc.  (vgl.  Httbschmann  Arm.  Gr.  I^ 
149)  eingedrungen  ist.  Dieselbe  lautet  hier  oski  und  dürfte 
kaum  indog.,  eher  altarmenischen  oder  kaukasischen  llrspranga 
sein.  Sie  klingt  an  —  mehr  kann  man  hierbei  nicht  sagen  — 
einmal  an  den  oben  genannten  sumerischen  Namen  des  Goldes- 
gushkiny  gusTighij  das  andere  Mal  an  das  in  mehreren  georgischen,. 


—    88    — 

aber  auch  in  einer  lefighischen  Sprache  herrschende  kaukasische 
okhrOj  orJcho,  oJchvr,  oJcoro  (vgl.  R.  v.  Erckert  Die  Sprachen 
des  kaukasischen  Stammes  ^)y  Wien  1895,  p.  74). 

Unsere  Annahme  aber,  dass  das  Gold  schon  in  der  indo- 
iranischen  Urzeit  bekannt  war,  die  sowohl  von  Geiger  Mns^on 
IV,  17,  wie  auch  von  Spiegel  Arische  Periode  p.  33  geteilt  wird, 
findet  eine  weitere  Stütze  auch  in  der  Beschaffenheit  des  Ge- 
ländes, auf  dem  wir  uns  die  arische  Periode  verlaufen  denken 
müssen.  Sowohl  der  bedeutendste  Nebenfluss  des  Oxus,  der 
Polytimetos  der  Alten,  der  heute  noch  Zerafschän  „der  gold- 
führende^ heisst,  als  auch  die  Gewässer,  die  nördlich  und  südlich 
dem  Hindukusch  entströmen,  führen  in  ihren  Fluten  glitzernden 
Goldsand,  der  die  Aufmerksamkeit  der  Anwohner  frühzeitig  auf 
sich  lenken  musste.  Dasselbe  gilt  von  den  Strömen,  die  der 
EQmälaya  nach  der  West-  und  Südwestseite  entsendet. 

In  den  Anschauungen  der  Alten,  bei  Herodot  und  Mcgasthenes, 
wird  Indien  daher  infolge  einer  fälschlichen  Ausdehnung  des  ihnen 
von  den  nordwestlichen  Gegenden  Bekannten  für  ein  goldgesegnetes 
Land  angesehen.  Ja,  Plinins  (Hist.  nat.  VI,  23)  weiss  von  einer 
Gold-  und  Silberinsel  Chryse  und  Argyre  (ostwärts  von  der 
Gangesmündung,  später  XQ^<^V  ;ff^<yor/;öo?,  j.  Malaka;  vgl.  Kiepert 
Handbuch  d.  a.  G.  p.  42)  zu  erzählen.  In  den  Liedern  des 
Rigveda  selbst  wird  der  Indus  „Du  goldreiche  Sindhu",  „Du 
Strom  im  goldenen  Bette"  (hiranydyt,  hiranyavartani)  angeredet. 
Goldgruben  und  Goldwäschen  (Zimmer  Altind.  Leben  p.  49  f.) 
werden  schon  hier  erwähnt,  und  unverhüllt  tritt  bei  den  frommen 
Sängern  ein  wahrer  Heisshunger  nach  dem  kostbaren  Metall  uns 
entgegen.  Eine  üppige  Terminologie  blüht  in  der  späteren 
Sanskritsprache  für  das  von  allen  begehrte  Metall  empor  ^). 


1)  Im  übrigen  stehen  die  kaukasischen  Goldnamen,  in  iesghischen 
Sprachen  z.  B.  misid,  misidi,  mesjed,  in  tscherkessischen  desi,  doSu^ 
diiä,  düia  etc.  ganz  allein  (vgl.  v.  Erckert  a.  a.  0.) 

2)  Vgl.  Pott  Etym.  Forschungen  II,  410  f.  Er  bespricht  die  indi- 
schen Goldnamen  nach  den  vier  Kategorien:  Glanz  und  Farbe,  wirk- 
licher oder  eingebildeter  Fundort,  Eigenschaften  oder  lobende  Epitheta, 
Ungewisse  Abkunft  Vgl.  ebendaselbst  auch  über  die  scrt.  Namen  der 
übrigen  Metalle. 

Der  Räjanighanfu  Narahari's  (in  der  Mitte  des  XIII.  Jahrh. 
unserer  Zeitrechnung),  ed.  R.  Garbe,  Leipzig  1882  nennt  42  Namen  für 
Gold  (vgl.  p.  33  f.). 

Schrader,  SprachTergleichanff  and  ürgescliichte  IL   8.  Aufl.  8 


—    34    — 

Von    diesen   späteren  Goldnamen    des  Sanskrit   will  ich 
nur  einen  hervorheben,  der  in  dem  Gewände  einer  Fabel  schon 
in  sehr  früher  Zeit  seinen  Eingang  in  das  Abendland  gefunden 
hat.     Hcrodot  (III.  Kap.  102 — 105),  und  nach   ihm  andere,  be- 
richten nämlich  von  einem  streitbaren  Volk   im  Norden  Indiens, 
das  auf  Kamelen    früh    beim    ersten  Morgenstrahl  in  die  WAste 
hinausreite,  um  Gold  zu  holen.     „Es  gibt  dort  nämlich  Ameisen 
von    der  Grösse    zwischen  Hund    und   Fuchs   und    einer  ansse^ 
ordentlichen  Schnelligkeit,  die  nach  Ameisenart  in  dem  Erdboden 
sich  anbauen  und  Hügel  von  goldartigem  Sande  aufwerfen.    So 
galt  es  denn,    diesen  Goldsand    eiligst  auf  die  Kamele  zu  laden 
und  noch  vor  der  kühlen  Tageszeit  heimzukehren.     Denn    wenn 
die  Ameisen  sich  während  der  Hitze  versteckt  hielten,  so  kommen 
sie  später  aus  ihrem  Bau  und,  von  ihrem  Geruch  geleitet,  jagen 
sie  den  Goldräubern  nach."     Auf   diese   im  Altertum    weit  ve^ 
breitete  Sage  spielt  die  Glosse  Hesychs  fieraXkeig '  juivQ/utrjxeg^)  an. 
In  der  Tat    wird    nun    von    den  Indem  eine  von  dem  nordindi- 
schen Stamme  der  Darada,   die   eben   von   den  Alten  als  OrolA- 
Jäger    bezeichnet  werden,    gebrachte   Art  Goldes  pipÜika   d.  h. 
„Ameise"  {Mahäbhärata  2,  1860)  genannt,   und   es   wäre   nach 
Lassen    wahrscheinlich,   dass   mit   diesem  Namen   eine   auf  den 
sandigen  Ebenen  Tibets  noch  jetzt  lebende  Gattung  von  Harmel- 
tieren  gemeint  wurde,  die  nach  Art  der  Ameisen  in  Gesellschaften 
zusammenleben  und  Höhlen  bauen.     Der  von  diesen  Tieren  auf- 
gewühlte Sand,  der  öfters  Gold  enthalten  mochte,  konnte  in  den 
indischen  Goldsuchern  leicht  die  Meinung  erwecken,  als  ob  jenen 
Tieren  ein  besonderer  Instinkt   für   die  Auffindung   der  Metalle 
innewohne. 

Eine  andere  Erklärung  der  Sage  von  den  goldgrabenden 
Ameisen  nimmt  an,  dass  unter  jenen  rätselhaften  Tieren  ein 
Tibetanischer  Menschenschlag  zu  verstehen  sei,  und  wirklich 
sollen  neuere  Durchforschungen  Tibets  auf  zahlreiche  in  Gesell* 
Schäften  lebende  Familien  Tibetanischer  Goldgräber  geführt 
haben,  die  in  strenger  Winterkälte,  in  Pelze  und  Felle  bis  über 
die  Ohren  eingehüllt,  von  wilden  und  grossen  Hunden  beschfltst. 


1)  Vgl.  auch  Heliodor  Aethiopica:  nag^oav  lAtxa  roihrotv  (Seren,  die 
Seide,  und  Arabern,  die  Aromata  bringen)  ol  ix  Hfg  T^i^cD/iodvmcfc, 
XQvow  Ss  x6v  fivQ/irjxlav jtQooxofAiCoyxeg  X,  26  und  Phllostr.  ApolL  VI,  1. 


-So- 
mit  langen   eiseraen   Spaten   nach   dem    reichlich    vorhandenen 
Golde   graben   (vgl.  Aasland  1873,  No.  39   and  W.  Touiaschek 
Kritik  der  ältesten  Nachrichten  über  den  skythischen  Norden  I, 
Sitzungsb.  d.  k.  Ak.  d.  W.  zu  Wien  CXVI  S.  754). 

Nachdem  wir  so  die  alten  Kaitarstaaten  des  Orients  von 
den  Ufern  des  Nils  bis  zum  Oxus  und  Indus  durchwandert  und 
flberall  gefunden  haben,  dass  die  Freude  an  dem  kostbaren  Metall 
and  die  Sehnsucht  nach  ihm  bis  in  nur  an  der  Hand  der  Sprachen 
erschliessbare  Vorzeiten  zurückgeht,  wenden  wir  uns  unserm 
heimatlichen  Erdteil  Europa  und  zunächst  dem  Ausgangspunkt 
europäischer  Zivilisation,  den  klassischen  Stätten  des  Mittel- 
meergebietes zu. 

Im  Griechischen  heisst  das  Gold  xQ^<^<^^'^  und  alle  Sprach- 
forscher stimmen  gegenwärtig  darin  überein,  dass  dieses  Wort 
eine  Entlehnung  aus  dem  Semitischen  (vgl.  oben  assyr.  huräsu 
=  hebr.  harüs)  sei.  Da  es  bereits  in  den  ältesten  Schichten 
der  homerischen  Sprache  vorkommt,  auch  in  altgriechischeu  Orts- 
und  Personennamen  häufig  verwendet  wird,  so  folgt  hieraus,  dass 
es  schon  geraume  Zeit  vor  Homer  dem  griechischen  Wortschatz 
einverleibt  worden  sein  muss,  oder  dass,  mit  anderen  Worten, 
die  Entlehnung  uns  zurück  in  jenes  Zeitalter  führt,  das  wir  das 
„mykenische''  nennen,  in  das  Zeitalter  der  „goldreichen**  Städte 
Mykenae  und  Orchomenos,  aus  dem  die  Ausgrabungen  reiche 
Schätze  des  edelsten  Metalls  an  den  Tag  gebracht  haben  (vgl. 
ihre  Auf  zählang  bei  Tsountas  und  Manatt  The  Mycenaean  age, 
Register  unter  Gold).  Dieses  mykenische  Gold  ist  also  —  gewiss 
eine  wichtige  Tatsache  für  die  Beurteilung  der  Grundlagen 
dieser  Zivilisation  überhaupt  —  semitischer  Plerkunft,  nicht 
etwa,  wie  z.  B.  der  homerische  Name  des  Weins  {olvog  aus  armen. 
gini)y  phrygisch-kleinasiatischen  Ursprungs.  Auch  ist  uns  der 
phrygische  Name  des  Goldes  y?,ovQ6g  {yXovgea'  xQvoea,  ^gvyeg 
Hesych)  =  griech.  x^^Q^*^  „grünlich,  gelblich"  durch  den  Zufall 
erhalten.  Mit  diesem  Worte  werden  daher  auch  die  Trojaner, 
die  wir  als  Teil  des  phrygischen  Stammes  ansehen  dürfen,  das 
(jold  benannt  haben,  das  sich  in  grösserer  Menge  von  der  dritten 
Stadt  des  Bnrghflgels  von  Hissarlik  an  nachweisen  lässt. 

AIb  die  Vermittler  dieser  mykenisch-semitischen  Goldschätze 
wird  man  für  Griechenland  immer  in  erster  Linie  die  Phönizier 
bezeichnen  dürfen,  deren  Fahrten  nach  den  östlichen  und  südlichen 

3* 


-    36    - 

Küsten    Griechenlands    schon    im    XVI.   Jahrhnndert    begonneD 
haben,   und  bei   denen,   wie   neaere  Inschriftenfunde  (vgl.  Z.  d. 
Deutschen  Morgenl.  Ges.  XXX,  137)  lehren,  harüs  das  gewOhih 
liehe  Wort    für  Gold    war.     Dass  die  Phönizier,   von   deren  Ge- 
schicklichkeit im  Bergbau  offenbar  Hiob  28,  1  —  11  („Es  hat  das 
Silber  seine  Gänge,  und  das  Gold  seinen  Ort,  da  man  es  BChmelzet*^ 
usw.)  handelt,  später  auch  die  ersten  Goldgraben  in  Hellas,  auf 
der  Insel  Thasos  und  am  Pangäon  eröffnet  haben,  ist  eine  längst 
bekannte   Tatsache.     Herodot   (VI,  47),  der   ihre   an    der  Süd- 
küste   von  Thasos  verlassenen  Gruben  besichtigt   hatte,   erzählt, 
dass    die    Phönizier  hier  einen   ganzen  Berg   umgekehrt    hätten. 
Auri  metalla  et  flaturam^  sagt  Plinius  VII,  197,  Cadmus  Phoenix 
ad  Pangaeum   montem   invenify  und  dasselbe  berichtet  Strabo, 
der  c.  680  ein  Verzeichnis  der  von  den  sagenhaft  reichen  Königen 
Vorderasiens  und  Griechenlands  ausgebeuteten  Gruben*)  gibt. 

Das  spätere  Griechenland  hat  dagegen  keinen  Überflnss 
an  dem  in  mykenischer  Zeit  so  reichlich  vorhandenen  Edelmetall 
gehabt.  Mussten  doch  nach  Herodot  II,  69  die  Lakedämonier 
im  VI.  Jahrhundert,  um  dem  Apollo  eine  Bildsäule  zu  errichten, 
zu  Kroisos  von  Lydien,  behufs  Einkaufs  des  dazu  nötigen  Goldes, 
eine  Gesandtschaft  schicken.  Weiteres  vgl.  bei  Blümner  Techn. 
u.  Term.  IV,  11. 

Ebenfalls  aus  dem  semitischen  Vorderasien,  wenn  aach  in 
viel  späterer  Zeit  und  nicht  mehr  durch  phönizische  Vermitt- 
lung, dringt  dann  nach  Griechenland  das  zuerst  bei  Herodot 
erscheinende  /tivä  (lat.  mina),  der  Name  eines  bestimmten  Gold- 
gewichts, aus  assyr.  manah,  das  auch  im  akkad.  mana  und  ägypt. 
7nin,  sowie  im  scrt.  manä'  (schon  vedisch)  wiederkehrt. 

War  so  der  Glanz  des  Goldes  zuerst  den  Griechen  von 
der  semitischen  Welt    her    aufgegangen,    so  mag  doch  sehr 


\)  d)Q  6  fjihv  Tavidkov  nXovrog  xal,  roiv  UekojitScöv  cuio  tc5v  Ttegi  ^gvyiojf 
xai  ZhvXov  lAerdXXwv  kyh'Exo'  6  Öe  Kddfiov  [ix  reöv]  njeQi  Ogifxijv  xal  t6 
JJayyaTov  Sqoq'  6  6e  Flgidfioif  ix  xcjv  iv  /iarvQOtg  Jisgl  "AßvSov  ;|r^t*oe/a>y,  &v 
xai  vvv  in  /nixoa  Xeüierai '  jtoXXrj  S*  i;  ixßoXrj  xal  ra  dQvyfJiaxa  Ofjfista  t^  Ttalai 
fÄttaXXeiag '  6  de  Midov  ix  nov  negi  zo  Biofuov  ÖQog '  6  ds  Fvyov  xai  *AXwimv 

xal  Kqoioov  ouio  xa>v  iv  AvSitf, *Trjg  jusxa^v  /ixagvioyc   re  xal  ÜSQydfiov 

noXix'^nj  iQrjfÄtj  ix^iBfJLtxaXXsvfJiiva  ixovoa  xa  ;|ra)^/a.  Vgl.  Groskurds  ÜbeST- 
setzung  II r,  98.  Eine  sorgfältige  ZuBammenstelluDg  aller  Fundorte  des- 
Goldes im  Altertum  gibt  Blümner  Technol.  und  Termin.  IV,  12  ff. 


frOlizeitig  zu  den  Hellenen  durch  die  Vermittlung  der  pontischen 

Kolotiieo  auch  die  Kunde  von  den  reichen,  in  den  Schluchten  des 

ral  und  Attai  gehlunitnernden  Metall8chät/,en  gedrungen  sein. 

Wiedernni  ist  es  Herodot  (IV  Kap.  23—31),  der  berichtet, 

in  einem  Lande  nordüstücli  von  den  pontischen  Faktoreien, 

wo  acht  Monate  im  Jahre  der  Boden  hart  gefroren  bleibe,    und 

die  Luft,  dicht  „mit  Federn"  gefüllt,  die  Aussicht  über  die  Gegend 

winterlich  versebleiere,  ein  einäugiges  Volk  wohne,  das  die  Skythen 

-imaspen  nennen.     Bis  /.u  den  Kahlköpfen,  deren  NameArgipäer 

wären  hellenische  Kaufteute  vorgedrungen,    nicht  ohne  dass 

vorher  ein  Gebirge  (den  Ural)  überschreiten    timssten.     Über 

hinaus  sei  aber  noch  kein  Grieche  vorgedrungen;  denn  hohe 

id    unwegsame  Gebirge    wehrten    den  Verkehr  (Westende  des 

llai).     Nur   soviel   wisse    man    mit    Bestimmtheit,    dass    gegen 

\OTgea  die  Issedouen  sässen,  deren  Bräuche  man  auch  kenne'). 

'ta  man  aber  von  dem  Lande  der  Arimaspen    und   den    gold- 

t enden    Greifen    wUsste,    hätte    man    von    den    Issedonen 

fahren.     In  der  Tat  muss  der  an  dem  Westende  des  Altai  ein- 

JRiische  türkiscli-tatarische  Zweig    des   ural-altaisclien  8prach- 

etanimes  schon  in  einer  sehr  frühen  Zeit  auf  die  von  der  Natur 

ihm    dargebraclileu  Schätze  aufmerksam    geworden   sein.     Trotz 

der  heutigen  ungeheuren  geographischen  Ausdehnung  seiner  Völker, 

unter  denen    ich    nur    die  bekannteren  Jakuteu,   Baschkiren  und 

Kirgisen,    die  Uiguren,    Usbeken,    Turkmanen   und  die  Üsmanlis 

der  enropäiacheii  and  asiatischen  Türkei  ncnuen  will,  kehrt  doch 

fast    auf    der    ganzen  Strecke    von  der  Strasse   der  Dardanellen 

bis    zu    den  Ufern    der  Lena   derselbe  Name    des  Goldes  altun, 

aüg»,  iltyn  etc.*)  wieder,   ein  Wort,  das   bis  in  den  äussersten 

Nord-Osten  Asiens,    in   samojediscbe    und  tungusische  Sprachen, 

Torgedrongen  ist  und  etymologisch    kaum    von    dem  Namen  des 


1)  Nach   Kap.  24    verspeisten   sie   ihre    gestorbenen    Vöter  und 

QberKOf^en  ihre  SctiQdel  mit  Goldblech,  die  sie  dann  als  Heilig'tum  ver- 

Hjfeten.     Die  Gtaab Würdigkeit   diesea  Berichts    hat  W.  Toinaai-hek    am 

^E^c  O.  S.  T49  ff.  bewiesen.     Das  Gold  heisst  in  Tibet  gurr. 

^r         3)  Nor  im  Jakutischen  bezeichnet  altun  nicht  das  Gold,  xondem 

^asA  Kapfer,  wahrend  ergteres  in  sehr  seltener  Weise  von  dem  tarko- 

UUriBchen  Wort   für  Silber    her    als    , rotes  Silber"  ky.iyln  kämg»  be- 

seichnet  wird.     V^l   im  &pjtieren  Sanskrit  makärajnla  .groseeH  Silber" 

=  Gold. 


—    38    - 

goldreichen  Altai  wird  getrennt  werden  können  (vgl.  Klaproth 
Sprachatlas  z.  Asia  polyglotta  p.  VIII  u.  XXVIII).  Noch  be- 
merkenswerter aber  scheint,  dass  man  anf  den  goldenen  und 
silbernen  Geräten,  die  in  dem  Altaischen  Gebiete  ans  den  alten 
Tschudengräbern  in  Menge  ausgegraben  worden  sind,  nach 
Sjögren  (vgl.  a.  oben  p.  21  a.  0.  p.  170)  das  Bild  jenes  fabel- 
haften Tieres  der  Alten  wahrgenommen  haben  will.  Auch  bei 
skythischen  Stämmen  fand  Herodot  grossen  Reichtum  an  Gold, 
aber  kein  Silber  (IV,  71,  Strabo  c.  613). 

Es  trat  also  diese  fremde  nordische  Welt  wie  ein  Land  der 
Märchen  und  Wunder  mit  den  Vorposten  hellenischer  Zivilisation 
in  Berührung;  und  es  ist  leicht  möglich,  dass  in  diesen  Zo- 
sammenhang  gertickt,  noch  eine  andere  der  schönsten  Sagen  des 
klassischen  Altertums,  der  Zug  der  Argonauten  nach  dem  gol- 
denen Vliess,  eine  eigentümliche  Bedeutung  gewinnt.  Dieser  An- 
sicht war  schon  Strabo  c.  499,  der  von  dem  Goldreichtnm  de» 
Kolcherlands  berichtet  und  erzählt,  dass  die  Barbaren  in  durch- 
löcherten Trögen  und  zottigen  Fellen  (vgl.  oben  über  Ägypten 
p.  30)  das  Gold  in  den  Bergströmen  auffingen.  Daher  sei  dann 
die  Fabel  von  dem  goldenen  Vliess  entstanden*).  Übrigens  war 
die  Argonautensage  ursprünglich  eine  nicht  bei  den  Hellenen, 
sondern  bei  den  Minyern  einheimische  Schiffahrtsage  (vgl.  Kiepert 
Lehrlmch  d.  alten  Geographie  p.  242  u.  Peter  Zeittafeln^  p.  H)» 
die  dann  allerdings  in  echt  griechischem  Geiste  weitergebildet 
worden  ist. 

Wir  gehen  nunmehr  zu  den  italischen  Stämmen  der 
Apenninhalbinsel  über.  Der  lateinische  Name  des  Goldes  ist  im 
Lateinischen  ourum,  im  Sabinischen  (Festus  Pauli  p.  9)  aumm^ 
was  auf  eine  italische  Stammform  auso-  schliessen  lässt. 

Dieselbe  wird  passend  zu  Wörtern  wie  lat.  auröra  (♦oiw- 
ösa)  „Morgenröte",  uro  {*u8-ö)  „brenne"  etc.  gestellt  und  be- 
zeichnete,   worauf    auch    das  lat.  aur-ügo  „Gelbsucht"  hinweist, 


1)  Jtaga  rovzoig  ds  leyexai  xal  ;|f()i»aov  xaxa(pio8iv  TOVff  x^^f*^99^^Si  ^*^ 
dix^aOat  iV  ai*Tov  lovg  ßaoßdoovg  (pdxvaig  xaraTSTgrjfievaig  xal  fiaHomtue  dogaSi* 
ä(p*  ov  dtj  ^teuv&eXodai  xai  xo  xQvaoficdXov  degog.  Warum  O.  Gruppe 
Wochenschr.  f.  klass.  Phil.  1884  Nr.  16  in  diesen  und  ähnlichen  Sagen 
Mytlien  »von  der  Gewinnunt^  des  Wogen^oldes  durch  den  Sonnengott 
nach  Besiegung  der  N'achtungehouer"  erblicken  will,  ist  mir  nicht 
ersichtlich. 


—    89    - 

QTsprOnglich  das  ^leachtende^,  ngelbe^  (sc.  aes),  dann  das 
f,6old^.  Hierbei  ist  nur  das  eine  benaerkenswerl,  dass  die  Italer 
nicht  wie  die  andern  Indogermanen,  die  eigene  Wörter  für  Gold 
besitzen  (vgl.  scrt.  hiranya  =  aw.  zaranya,  got.  gulp  =  altsl. 
dfUOj  phryg.  yXovQog  s.  o.  und  das  bei  Hesych  ohne  Völker- 
namen stehende  xXowdg :  altsl.  zelenü  ^gelb,  grün"),  von  der 
auch  ihnen  bekannten  Wurzel  ghel  ^gelb  sein"  (lat.  helvus)  aus- 
gingen. 

Ein  Anhalt  aber,  von  woher  die  Italer  zuerst  das  Gold 
könnten  kennen  gelernt  haben,  ob  von  etrurischer,  spanischer 
(bask.  urrea,  urregorria  „Gold")  oder  griechischer  Seite,  ist 
leider  weder  in  der  Sprache  noch  sonst  wo  gegeben.  Bemerkens- 
wert ist,  dass  in  den  Pfahlbauten  der  Poebne  noch  kein  Gold 
DBchgewiesen  werden  konnte,  das,  wenigstens  in  Oberitalien,  erst 
Eusammen  mit  dem  Eisen  auftritt  (vgl.  Olshausen  Z.  für  Ethno- 
logie 1891,  Verhandl.  S.  317).  Doch  war  schon  in  den  XII  Tafeln 
eine  Bestimmung  enthalten,  nach  der  bei  den  Begräbnissen  alles 
Gold  fem  gebalten  werden  sollte:  excipitur  aururriy  quo  dentes 
vincti  *). 

Deutlicher  sind  die  Wege,  die  von  Italien  nach  dem  übrigen 
Europa  führen. 

Alle  keltischen  Sprachen  haben  ihr  Wort  für  Gold  dem 
Lateinischen  entlehnt.  Irisch  dr,  gen.  öir^  cymr.  aicTf  cambr. 
aur,  eur  etc.  sind  aus  lat.  aurum  hervorgegangen.  Wir  haben 
hier  einen  für  den  Sprachforscher  so  erfreulichen  Fall,  wo  es 
ihm  an  der  Hand  zwingender  Lautgesetze  möglich  ist,  das  Lehns- 
verhältnis zweier  Wörter  auf  das  unzweideutigste  zu  konstatieren. 
Die  italische  Form  ausom  müsste  nämlich  bei  der  Voraussetzung 
der  Stammesverwandtschaft  mit  dem  Keltischen,  z.  B.  im  Irischen, 
seinen  inlautenden  Spiranten  verloren  haben,  wie  das  Verhältnis 
von  ir.  siur  „Schwester"  aus  *8isur  =  lat.  soror  aus  ^svesor 
dartut,  nimmermehr  aber  dürfte  derselbe  mit  einem  dem  Kelti- 
schen ganz  fremden  Lautübergang  zu  r  geworden  sein. 

Auch  ein  wichtiger  chronologischer  Anhalt  lässt  sich  er- 
mitteln. Die  Verwandlung  der  intervokalen  s  in  r  ist  im  Latei- 
nischen um  die  Zeit  der  Samniterkriege  durchgeführt,  im  Volks- 


1)  Einen  Schädel  mit  goldenem  Gebiss   aus .  altetrurischen  Aus- 
grtLbungen  kann  man  in  Rom  in  der  ViUa  di  Papa  Giuglio  sehen. 


-    40    - 

mund  also  schon  um  mindestens  50  Jahre  früher  yorbereitet 
worden.  Diese  Zeit  stimmt  aber  aufs  beste  mit  der  Epoche  des 
grossen  keltischen  Völkerstosses  gegen  die  Stadt  Rom  flberein, 
der  dem  römischen  Kalender  den  schwarzen  Tag  an  der  Allia 
einfügte  und  den  trotzigen  Gallier  nach  der  italischen  Sage  den 
1000  Pfund  römischen  Goldes  gegenüber  noch  sein  Schwert  in 
die  Wagschale  werfen  Hess.  Nach  dieser  Zeit  werden  die  Gallier 
als  sehr  goldliebend  und  goldreich  geschildert  (vgl.  Diod.  Sic. 
V  Kap.  27). 

Es  kann  somit  nicht  bezweifelt  werden,  dass  die  Kelten 
die  nähere  Bekanntschaft  mit  dem  Gold  den  Römern  yer- 
dankeu,  wie  die  Griechen  den  Semiten.  Ob  vor  diesem  Sprach- 
und  Kulturaustausch  im  Griechischen  und  Keltischen  einheimische 
Bezeichnungen  unseres  Metallcs  vorhanden  gewesen  seien,  kann 
man  verständiger  Weise  weder  behaupten  noch  verneinen.  In 
jedem  Fall  ist  weder  hier  noch  dort  eine  Spur  von  solchen  nach- 
zuweisen. Auch  hat  man,  was  das  Alter  des  Goldes  auf  kelti- 
schem ßodeu  anbetrifft;  kein  Recht,  aus  der  Möglichkeit,  dass 
die  Gallier  schon  bei  ihrer  Eroberung  Roms  geraubten  goldenen 
Schmuck  bei  sich  führten  (vgl.  W.  Ridgetcay  The  origin  of 
metallic  currency  and  weight  Standards,  Cambridge  1892,  p.  62, 
der  sich  aber  irrtümlich  auf  Polybius  II,  19  beruft,  wo  nichts 
dergleichen  steht)  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  damals  schon  aof 
keltischem  Sprachgebiet  die  Bekanntschaft  mit  unserem  Metall 
soweit  vorgeschritten  gewesen  sei,  dass  sich  ein  besonderer  und 
volkstümlicher  Name  dafür  festsetzen  konnte. 

Das  italische  Wort  für  Gold  ist  nun  aber  noch  weiter  als  nach 
dem  keltischen  Westen  gedrungen.  Zunächst  zu  den  illyrischen 
Stämmen  der  nördlichen  Balkanhalbinsel,  deren  einziger  sprach- 
licher Überrest,  das  heutige  Albanesisch  das  mit  Sicherheit  ans 
lat.  aurum  entlehnte  är  „Gold^  darbietet.  Daneben  kommt  ein 
zweites,  späteres  Wort  ^'orf  we,  fl'ori  für  gemünztes  Gold  vor,  das  zu- 
sammen mit  ngriech.  (plcogi  aus  flortnuSy  it.  fiorinOy  frz.  florin 
hervorgegangen  ist.  Ganz  ähnlich  ist  lat.  aureus  sc.  numtnui 
in  die  germanische  Welt  eingedrungen,  für  die  dnrch  altn. 
eyrer  ein  altes  *aurjuz  vorausgesetzt  wird,  während  der  za  eyrer 
gehörende  Plural  aurar  auf  lat.  aura  „Goldstücke"  hinweist 
(vgl.  F.  Kluge  Grundriss  d.  germ.  Phil.  I»,  334). 

Die  kulturhistorisch  interessanteste  Entlehnung  des  italischeo 


41 


E' 


Bprei 


im,  aurum  »ber  hat  mit  eioer  hoheu  Wabrtfclieinlicbkeit  io 
lial  tiBcljeii  Wjirler  nllpr.  «um,    lit,  äulsas   Btattg^efuDden, 

sich  wie  etwas  fremdes  iu  die  später  zu  besprechende  Doid- 
«aropäUche  Reihe  got.  gtiip  —  slav.  zlato  eiüscbieben,  an  der 
aacli  der  baltische  Sprachzweig  mit  lettisch  zelts  teil  ninunt. 
Aneh    das   im    lit.  duksa«  vor  s  eiu^eschobene  t.    das    sich   bei 

»iher    urverwaodteu  Wörtern    {vgl.   z,  B.  lat.  aurig  =  lit.  atials 
Ihr")  nicht  findet,  weist  auf  Entlehnung  hin.     Nun  wissen  wir 
■ch    Plinius  Hut  nai.  XXXVII,  3,  45   tatsäcblieb    von   einer 
rekten  Verbindung    Roms    mit    der    baltischen    Berns teinkUste. 
Unter  Kaiser  Ner«  wurde  ein  rüraiscber  Kitter  nach   dem  hoben 
Norden  entsendet,  um  für  ein  Gladiatorenspiel  des  Kaisers  Bern- 
aufzakaufen.     Er  kehrte  mit  einer   nngebeureu  Men^e    des 
tharen    Harzes    heim.      Gegen    die    Annahme,     dass    damals 
italische  Wort   für  Hold    dem    litanisch-preussischen  Spracb- 
Bcbatz  einverleibt  wurde,  kann  man  nun  freilich  den  gewichtigen 
Umstand  gellend  machen,    dass,    wie    wir    oben  sahen,    in  jener 
Zeit  iu  Rom  aurutn,    nicht  ausum  gesprochen  wurde,    und  die 
Frage  wäre  nur  die,  ob,  wie  jener  römische  Ritter,  so  auch  die 
Kanfleute,  Träger,  Fuhrleute,  die  ihn  selbstverständlich  begleiteten, 
LaU'iuisoü,  und  uicbt  etwa  ihre  Volksdinlektc  sprachen, 
in  denen,  soweit  sie  auf  oskiscb-samuiiiseher  Grundlage  bernblen, 
zweifellos    auch    damals    noch    ausovi    gesprochen    wurde    (vgl. 
F.  tionimer  Handbuch    der    lat.  Laut-    und  Formenlehre  p.  212). 
Wer  diesen,  wie  mir  scheint,    unbedenklichen  Ausweg  ver- 
eebmäht,  muss  die  Entlehnung  des  italischen  Wortes  in  das  Ält- 
'enssiscbe    und    Litauische    nach    den    oben    gegebenen    Zeit- 
itinmmngen   spätestens    in    das    IV.  vorchristliche  Jahrhundert 
itzen,    wo    auch    im  Lateinischen    noch    nusom  gesagt   wnrde. 
Doch  ist  für  eine  so  frühe  Zeit    eine  direkte   Verbindung   Roms 
init  der  BerusteinkUste  weder   erweisbar  noch   aus  allgemeinen 
Grflnden    wahrscheinlich.     Auch    sind    an    der    baltischen    Bern- 
linkllste    selbst  Goldfunde    aus    der  Zeit    vor    den    rümischen 
im  bis  jetzt  nicht  gemacht  worden  (vgl.  Olshauscn  a.  a.  0. 
190  p.  284). 

Verlassen  wir  jetzt  wiederum  für  einen  Augenblick  unseren 
teil,  am  uns  einem  neuen  Herd  der  Ausbreitung  des  Goldes, 
uns    Iran    zuzuwenden.     Der    iranische  Namo   des  Goldes 
{garanya)  ist  nämlich,  and  zwar  zu  einer  Zeit,  in  der  die  alten 


-     42     - 

Saffixe  noch  nicht  wie  im  heutigen  Neupersischen  und  Afghaaz 
sehen    verloren   gegangen   sein    konnten^   in  fast  sämtliche  osft;  - 
wärts  gelegene  Sprachen  der  Völker  finnischen  Stammes  ein- 
gedrungen. Er  lautet  mordv.  sirnä,  tscher.  sörtne,  wog.  somi^  ostj. 
sorniy  wotj.  u.  syrj.  zarrii.     Auch  die  Magyaren  (vgl.  ung.  arany) 
haben  denselben    schon   in   ihre   neue  Heimat   mitgebracht  (vgl. 
M.  Bernät  Arische  und  kaukasische  Elemente   in    den   finnisch- 
magyarischen  Sprachen,  Budapest  S.  141).     Hingegen  haben  die 
westfi unischeu    Sprachen   unter   germanischem  Ealtnreinflnss 
sämtlich  das  germanische  Wort  Gold  in  sich  aufgenommen,   das 
finnisch  külda,  cstn.  kuld,  läpp,  golle  etc.  lautet.     Dass  wir  es 
hier  aber  keinesfalls  mit  zufälligen  Beziehungen   zu   tmi   haben, 
zeigen    aufs   deutlichste    die    völlig    analogen    Verwandtschafts- 
verhältnisse der  Namen  eines  anderen  Metalles,  des  Eisens,  wie 
wir  unten  weiter  erörtern  werden. 

Inmitten  dieser  römischen  Einflüsse  einer-  und  dieser  irani- 
schen andererseits  liegt  das  Gebiet  zweier  grosser  Völker,  die 
innerhalb  des  Kreises  der  indog.  Spracheinheit,  wenn  nicht  dareb 
ein  engeres  Band  der  Verwandtschaft,  so  doch  durch  Jahr- 
tausende lange  Nachbarschaft  miteinander  verbunden  sind,  das 
Gebiet  der  litu-slavisch-gcrmanischen  Völker.  Wie  wir 
schon  oben  der  Entsprechung  von  germ.  smida  und  slav.  medl 
begegnet  sind,  so  werden  wir  späterhin  noch  mancherlei  Be- 
rührungen der  Nordstämme  in  metallurgischen  Dingen  antreffen. 
Auch  das  Gold  wird  bei  Slaven,  Letten  und  Germanen  überein- 
stimmend benannt:  got.  gulp  entspricht  dem  durch  alle  Slavinen 
sich  ziehenden  altsl.  zlato,  sowie  dem  lettischen  zelts. 

Weiter  lässt  sich  diese  Sprachreihe  nicht  verfolgen.  Aller- 
dings hat  A.  Fick  in  seinem  Vergleichenden  Wörterbuch  I*,  55 
die  angeführten  Wörter  mit  dem  scrt.  häfaka  (aus  ^halta-ka) 
„Gold'*  verglichen,  worin  ihm  P.  v.  Bradke  Über  Methode  u. 
Ergehnisse  p.  27  gefolgt  ist.  Allein  es  dürfte  nicht  zweifelhaft 
sein,  dass  die  letztere  Benennung  des  Goldes  zu  etymologischen 
Zwecken  unbrauchbar  ist,  und  die  im  Petersburger  Wörterbuch 
gegebene  Bedeutungsentwicklung  1.  Volk  und  Land  Häfakay 
2.  Gold  aus  Häfaka  das  richtige  trifft.  In  dem  schon  oben 
genannten  Büchlein  R.  Garbes  Die  indischen  Mineralien  werden 
nämlich  als  Analoga  zu  häfaJca  noch  gätakumbhay  jdfnbünada^\ 

1)  Auf  diesen  Goldnamen  war  P.  v.  Bradke  schon  durch  O.  Böht- 


—   43   — 

taum^ravay  jämhava,  gängiya  genannt,  alles  Wörter  für  Gold, 
iie  von  Haus  aus  Land,  Fluss  oder  Berg  bezeichnen,  von  denen 
las  betreffende  Gold  stammt. 

Gleichwohl  muss  indessen  die  Bildung  des  got.  gulp,  slav. 
zlatOy  lett.  zelts  von  einem  vorauszusetzenden  idg.  Adjectivum 
^^helto-s  {*§hlt0'8f  gholtO's)  ^gelb"  sich  verhältnismässig  sehr 
'ruh  festgesetzt  haben,  da  sie  nur  in  einer  Zeit  verstanden  werden 
LaDDy  in  der  die  Umwandlung  des  anlautenden  Gutturals  (idg. 
fh  =  got.  g :  slavo-lit.  z)  in  den  Sibilanten  des  Litauischen  und 
Slavischen  noch  nicht  soweit  durchgeführt  worden  war  (vgl. 
^retschmer  Einleitung  S.  150),  dass  sie  einen  Wortaustausch,  wie 
len  angegebenen,  unmöglich  machte.  Hieraus  folgt  dann  weiter, 
lass  das  Gold  im  Nord-Osten  unseres  Erdteils  verhältnismässig 
Tühzeitig,  ja  wahrscheinlich  früher  als  in  Italien  und  im  kelti- 
ichen  Westen  bekannt  geworden  sein  muss.  Als  Quelle  dieser 
ersten  Bekanntschaft  mit  dem  Gold  wird  man,  zunächst  für  die 
jermanischen  Stämme,  auf  die  reichen  Goldfunde  verweisen 
Iflrfen,  die  sich  aus  Siebenbürgen  und  den  östlichen  Alpenländem 
ns  nach  Skandinavien  ziehen  (vgl.  S.  Müller  Urgeschichte  Europas, 
Strassburg  1905,  p.  153).  Namentlich  in  Form  gewisser  Spiralen 
st  das  Edelmetall  schon  in  früher  Bronzezeit  auf  dem  Wege  des 
ternsteinhandels  längs  der  Elbe  vom  Südosten  her  dem  Norden 
angeführt  worden  (vgl.  Olshausen  Z.  f.  Ethnologie,  Verhandl. 
1890  u.  91).  Bemerkenswert  ist  auch,  dass  bereits  Ilerodot  (IV, 
104)  die  in  Siebenbürgen  sitzenden  Agathyrsen  als  xovoo<p6ooi 
gezeichnet.  Auf  jeden  Fall  hat  die  auri  sacra  fames,  ungeachtet 
ler  idealisierenden  Worte  des  Tacitus  Germ.  Kap.  5:  Argentum 
it  aurum  propitiine  an  irati  di  negaverint,  duhito.  Nee  tarnen 
iffirmaverim  nullam  Germaniae  venam  argentum  aurumve 
fignere:  quis  enim  scrutatus  est?  Possessione  et  wni  haud 
oerinde  afficiuntur  etc.  sehr  frühzeitig,  wie  zahlreiche  Stellen 
ier  Alten  beweisen  (vgl.  Baumstark  Erl.  z.  Germ.  p.  292),  auch  den 
germanischen  Norden  erfasst.  Nirgends  hat  der  Fluch,  der  an 
len  goldenen  Schätzen  der  Tiefe  hängt,  einen  grossartigeren 
Ausdruck  gefunden,  als  im  deutschen  Nibelungenlied.  Um  des 
^leissenden  Metalles   willen    lenit   der    blondhaarige   Sohn    Ger- 


Lingk    —    freilich    vergeblich    —    aufmerksam    gemacht  worden  (Über 
Methode  etc.  a.  a.  0.  Anm.  1). 


—    44    — 

maniens  seinen  Arm  dem  Landesfeinde  verkanfen,  nod  die  Vor- 
stellung von  dem  unerschöpflichen  Reichtum  des  Südens  an  dem- 
selben ist  nicht  am  wenigsten  der  immer  sich  wiederholende 
Impuls  des  Andringens  der  Nordstämme  an  das  alte  Römerreich 
gewesen,  dem  dieses  zuletzt  erlag. 

Fassen  wir  zusammen,  so  hat  sich  ergeben,  dass  sowohl 
bei  den  semitischen  Völkern  wie  auch  bei  dem  indisch  iranischen 
Zweig  der  Indogermanen,  d.  h.  also  fast  in  ganz  Vorderasien 
die  Bekanntschaft  mit  dem  Gold  in  proethnische  Zeitläufte  zurück- 
geht. Eine  indogermanische  Bezeichnung  des  Goldes  hat  sich 
dagegen  nicht  nachweisen  lassen.  Dies  stimmt  mit  den  Ergeb- 
nissen der  Prähistorie  im  wesentlichen  überein.  In  neolithischer 
Zeit  ist  in  unserem  Erdteil  kein  Gold  nachgewiesen  worden,  das 
vielmehr  erst  nach  dem  Kupfer,  und  auch  dann  nur  an  den 
beiden  äussersten,  Vorderasien  und  Afrika  zugewendeten  Enden 
Europas,  einerseits  auf  Therasia  und  in  Pannonien,  anderer- 
seits in  Spanien  und  im  südlichen  Frankreich  erscheint  (vgl. 
M.  Much  Die  Kupferzeit »  S.  356). 

Von  Vorderasien  ist  das  Gold  einerseits  durch  phönizisehe 
Vermittlung  in  mykenischer  Zeit  nach  Griechenland,  andererseits 
von  iranischem  Boden  aus  zu  den  östlichen  Finnen  gewandert. 
Einen  grossen  Einfluss  auf  die  weitere  Verbreitung  des  Goldes 
in  Europa  muss  Italien  ausgeübt  haben.  Das  italische  Wort  ist 
zu  den  Kelten,  zu  den  Albanesen,  ja  wahrscheinlich  zu  den 
Litauern  und  Preussen  gedrungen.  Die  Slavo-Germanen  haben 
eine  gemeinsame  Benennung  des  Goldes,  die  sich  sehr  frühzeitig 
auf  dem  genannten  Sprachgebiet  festgesetzt  haben  muss.  Von 
den  Germanen  haben  die  Finnen  der  Ostsee  ihre  Bezeichnung 
des  Goldes  erhalten. 

Hingegen  scheinen  die  ursprünglich  um  den  Altai  („den 
goldreichen ^)  gruppierten  Völker  turko-tatarischen  Stammes  be* 
reits  in  ihrer  Urheimat  die  Schätze  ihrer  goldreichen  Berge 
gekannt  zu  haben,  und  Sagen  von  ihnen  sind  schon  zu  Herodots 
Zeiten  zu  den  Vorposten  griechischer  Kultur  am  Pontns  gedrungen. 


V.  Kapitel. 

Das  Silber. 

Von  den  verschiedenen  Schwankungen;  denen  die  oben 
charakterisierte  Aufzählung  der  Metalle  in  den  Deukmälem  der 
ältesten  Völker  ausgesetzt  ist,  muss  hier  der  Kampf  hervor- 
gehoben werden,  den  in  früherer  Zeit  das  Gold  mit  dem  Silber 
am  die  Znerkennung  des  Vorranges  zu  führen  hat.  Gerade  in 
den  ältesten  hieroglyphischen  Inschriften  findet  nämlich  bei  Auf- 
zählung der  Metalle  und  anderer  Kostbarkeiten  das  Silber  weit 
häufiger  vor  dem  Golde  seine  Stellung  als  hinter  ihm,  und 
auch  von  den  assyrischen  Denkmälern  lässt  sich  zum  mindesten 
behaupten,  dass  die  Nennung  des  Silbers  vor  und  hinter  dem 
Golde  eine  gleich  häufige  ist. 

Diese  hieraus  sich  ergebende  Bevorzugung  des  Silbers  vor 
dem  Golde  für  eine  sehr  alte  Kulturepoche  der  Menschheit  hat 
ohne  Zweifel  ihren  Grund  in  dem  späteren  und  seltneren  Auf- 
treten jenes  Metalles  in  dem  Kreise  der  orientalischen  Völker 
und  der  Menschheit  überhaupt,  eine  Erscheinung,  die  durch  den 
Umstand,  dass  das  Silber  in  reinem  Zustand  nur  im  Gebirge, 
nicht  auch  im  Sande  der  Flüsse  vorkommt  und  überhaupt  weniger 
allgemein  verbreitet  und  schwieriger  zu  gewinnen  ist  als  das 
Gold,  sich  genugsam  erklärt.  Allerdings  scheinen  schon  die  ür- 
semiten  (vgl.  F.  Hommel  Die  Namen  der  Säugetiere  etc.  p.  415) 
ein  Wort  wie  für  Gold  so  auch  für  Silber  (assyr.  kaspu  =  hebr. 
Tcesef)  besessen  zu  haben;  aber  auf  indo-iranischem  Boden 
fehlt  es  nicht  an  Spuren  eines  verhältnismässig  späten  Bekannt- 
werdens dieses  Metalles.  Die  älteste  Zusammenstellung  der 
Metalle  im  alten  Indien  {VäjasanSyisarhhitä  XVIII,  13)  nennt 
hinter  hiranya  „Gold"  unmittelbar  dyas  „Erz",  resp.  „Eisen", 
im  Rigveda  kommt  das  spätere  Wort  für  Silber  rajatd  (wie 
dargaiä  „ansehnlich"  von  der  W.  darg  und  yajatd  „verehrungs- 


-    46    — 

würdig"    von    der  W.  yaj)    nur   einmal,   und    zwar  in  dem  ad- 
jektivischen Sinn  von  ^weisslich^  von  einem  Ross  gebraucht  vor, 
und  wenn  in  einem  anderen    vedischen  Text  (Taittiriyasafkhüä 
1,  5,  1,  2)  unser  Metall   noch    mit   dem   weitläufigen  Ausdruck 
rajatäm  hiranyam  „weissliches  Gold"*),    das    nicht    würdig  ist 
als  Opferlohn  gespendet  zu  werden    (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben 
p.  52  f.),  umschrieben  wird,  so  ist  dies  derselbe  Vorgang  wie  im 
Altägyptischen,    in    dem    hat,    kopt.  cJiat  das  Silber,    eigentlich 
aber    ^hell,    weissglänzend"  bezeichnet   und    als  Determinativum 
das  Zeichen  des  Goldes  neben  sich  hat.     Auch  in  dem  Sumeri- 
schen   bedeutete   das    übrigens   ganz   allein  stehende  ku-babbar 
„Silber"  eigentlich  „weisses"  oder  ^jglänzendes"  Metall  (F.  Hommel 
Die  vorsemit.  Kulturen  p.  409). 

Zuerst  tritt  in  der  indischen  Literatur  rajatd  als  Substan- 
tivum  in  der  Bedeutung  „Silber"  im  Atharvaveda  auf*)  (vgl. 
Zimmer  a.  a.  0.  p.  53). 

Die  iranischen  Dialekte,  bei  denen  die  übereinstimmende 
Benennung  des  Goldes  (o.  p.  32)  auf  eine  uralte  Bekanntschaft 
mit  diesem  Metalle  schliessen  Hess,  gehen  in  der  Bezeichnung 
des  Silbers  gänzlich  auseinander.  Das  dem  scrt.  rajatd  etymo- 
logisch entsprechende  erezata  beschränkt  sich  auf  die  Sprache 
des  Awesta.  Die  Afghanen  haben  keinen  eigenen  Namen  für 
das  Silber,  sondern  benennen  es  sptn  zar  d.  h.  „weisses  Gold". 
Npers.  8im,  pehlevi  astm  gehören  als  Lehnwörter  zu  griech. 
äorjfiog  „ungeprägt",  ngriech.  äoij/u  „Silber".  Eine  zweite  npers. 
Bezeichnung  na  qra  j^argentum  liquatum^j  Mundart  von  Jezd 
nuqrja  (Z.  d.  D.  M.  G.  XXXV,  403),  balußt  nughra  ist  arabisch 
(iiukrah).  Die  Osseten  endlich  haben  ihr  Wort  äwzist,  awSeste 
(Hübschm^nn  Osset.  Spr.  p.  119)  wahrscheinlich  ostfinnischen 
Sprachen  wotj.  azves,  syrj.  ezy^,  ung.  ezüst  entlehnt  (s.  n.). 

Lehrt  somit  eine  r:enauere  Betrachtung  des  Indischen  nnd 


1)  Eine  andere  Erklärung  des  scrt  rc^atdm  Mrai^yam  gibt  A. 
Kuhn  Zeitschrift  f.  ägyptische  Sprache  und  Altertamskonde  1873 
p.  21  f.     Er  fasst  es  als  Silbergold  =  ägypt.  dsem  (?). 

2)  Der  Bäjanighanfu  ed.  R.  Garbe  p.  35  nennt  17  spätere  Be- 
nennungen des  Silbers,  von  denen  die  von  dem  Monde  hergenommenen 
eandrcdöhäka  ^ Mondmetall'',  candrabhüti  ,,von  dem  Aussehen  des 
Mondes^,  candrahäsa  „wie  der  Mond  weisslich  glänzend'  kultur- 
geschichtlich interessant  sind  (vgl.  oben  p.  12  Anm.). 


—    47    — 

Iranischen,  da»»  die  Bekanntschaft  mit  dem  Silher  bei  diesen 
Völkern  nicht  in  ein  hohes  Altertum  zurttckzugehen  scheint,  nnd 
verbinden  wir  hiermit  die  archäologische  Tatsache,  dass,  ab- 
gesehen von  dem  silberreichen  Spanien,  wo  in  sehr  früher  Zeit 
durch  die  Aasgrabnngen  der  Gebrüder  Siret  grosse  Massen  unseres 
Metalls  zutage  getreten  sind,  und  abgesehen  von  vereinzelten 
Fundstücken  aus  prämykenischer  Zeit  (s.  u.),  in  allen  anderen 
Gegenden  Europas  in  der  an  die  neolithische  Periode  an- 
schliessenden Kupferzeit  jede  sichere  Spur  des  Silbers  fehlt,  ^das 
vielmehr  erst  viel  später  und,  wie  es  scheint,  zugleich  mit  dem 
Elisen  in  den  Besitz  der  ausserhalb  Spaniens  wohnenden  Europäer 
kommt*' ^)  (M.  Much  Die  Kupferzeit*  S.  357),  so  werden  wir 
alles  eher  als  eine  schon  indogermanische  Bezeichnung  des  Silbers 
erwarten.  Um  so  erstaunter  sind  wir,  eine  scheinbar  die  Zeichen 
der  Urverwandtschaft  an  sich  tragende  Spraclireihe  in  der 
Gleichung: 

armen,  arcaf,  lat.  argentum,  altir.  argat  =  scrt.  rajatäy  aw.  erezata 
zu  finden. 

Tatsächlich  liegt  hier  für  die  Beurteilung  der  Geschichte 
des  Silbers  eine  erhebliche  Schwierigkeit  vor,  die  sich  nur  be- 
seitigen lässty  wenn  es  gelingt,  wahrscheinlich  zu  machen,  dass 
die  angeführte  Sprachreihe  entgegen  dem  Schein  nicht  auf  Ur- 
Tcrwandtschaft,  sondern  auf  späterer  Entlehnung  oder  Über- 
tragung von  einem  gemeinsamen  Ausgangspunkt  beruht. 

Zunächst  ist  von  rein  lautlichem  Standpunkt  zu  bemerken, 
dass  die  Übereinstimmung  der  angeführten  Sprachreihe  bei  näherer 
Betrachtung  keine  so  vollkommene  ist,  als  es  auf  den  ersten  Blick 
den  Anschein  hat;  denn  abgesehen  davon,  dass  die  Ablauts- 
verhältnisse der  Wurzelsilbe  (europ.  arg- :  scrt.  fj-^  aw.  erez-) 
noch  nicht  genügend  aufgeklärt  sind  (vgl.  A.  Walde  Lat.  et.  W. 
8.  V.  argentum)j  stimmen  die  Suffixe  insofern  nicht  überein,  als 
das  armenische  Wort  bei  völliger  Übereinstimmung  z.  B.  mit  dem 
lateinischen  *areandy  nicht  arcat  lauten  müsste  (vgl.  Osthoff 
Sprachw.  Abb.,  herausg.  v.  Lukas  v.  Patrubäny  II,  131).  Viel- 
leicht weisen  also  schon  die  Lautverhältnisse  unserer  Sprachreihe 
auf  andere  Zusammenhänge  als  auf  Urverwandtschaft  hin.   Welche 


1)  Vgl.  auch  S.  MüUer  Urgeschichte  Europas  p.  32:  „Ausserhalb 
des  Sfidens  fehlt  das  Silber  in  der  ganzen  älteren  Steinzeit,  sowohl  in 
der  Stein-Kupferzeit  als  in  der  Bronzezeit^ 


-    48     - 

können  es  sein?     In  dem  gesamten  Vorderasien  gehört  offen! 
Armenien  mit  dem  nördlich  von  ihm  gelegenen  Etlstenstreif^'^i} 
des  Pontus  zu  den  silberreiehsten  Ländern.     Nach  Strabo  (c.  5S^  ^) 
konnte  Pompeius    dem    besiegten    Tigranes    nicht    weniger   CB.k 
6000  Talente   Silbers   auflegen.      Besonders   in    der    Nähe  TOir 
Trapezunt   wurden    zu  Marco  Polos    Zeit   ergiebige  Silberminei} 
betrieben   (vgl.  Ritter  Erdkunde  X,  272).    Im  N.  W.  von   Bei- 
burt  liegt  ein  Berg,  der  noch   heute  Gumish-Dagh  „Silberberg*' 
heisst   und    auf   ihm  eine  Bergwerkstadt  Gumishkhana  „Silbe^ 
Stadt 'S    in   der   noch    im  Jahre    1806    monatlich    50  000  Piaster 
trotz   der   rohen  Bebauung   gewonnen  wurden  (vgl.  A.  Soetbeer 
Edelmetall-Produktion,  Ergänzungsheft  z.  Petermanns  Mitteilungen 
Nr.  57,  p.  37).     Ihr  Name    im   Altertum   war  ^Aoißa  (vgl.  oben 
npers.   stm  etc.  aus    ngr.  äofjjui);    daher    die    Silbermttnzen  mit 
der  Legende  ^Aoißecjv  (Tomaschek  Ltbl.  f.  or.  Phil.  I,  126). 

Nehmen  wir  nun  an,  dass  in  diesem  silberreichen  Lande 
frühzeitig  ein  dem  armen,  arcai!  entsprechender  Ausdruck  fflr 
das  Silber  vorhanden  war,  so  konnte  dieser  auf  dem  Wege  des 
Handels  nach  dem  silberarmen  Iran  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran. 
Kultur  p.  147  u.  389  f.)  und  von  da  auf  dem  uralten  Völkerweg 
längs  dem  Kabulfluss  (vgl.  A.  Weber  Allg.  Monatsschrift  1853 
p.  671)  nach  Hindostan  gebracht  werden.  In  beiden  Ländern 
konnte  er  dann  von  Einfluss  auf  die  Bezeichnung  des  Silbers  in 
der  Weise  werden,  dass  ein  bereits  vorhandenes  Adjectivnm  aw. 
erezata,  scrt.  rajatd  „weiss**  unter  dem  Druck  des  armen,  arcai 
(vor  der  annenischeu  Lautverschiebung  vielleicht  *argat)  die 
Bedeutung  „Silber"  annahm  ^).  So  würde  sich  das  späte  Auf- 
treten des  scrt.  rajatd  im  Sinne  von  „Silber"  ansprechend  e^ 
klären.  Beachtenswert  wäre  in  diesem  Zusammenhang  auch  der 
Umstand  (vgl.  P.  v.  Bradke  Über  Methode  und  Ergebnisse  S.  87), 
dass  ziemlich  gleichzeitig  mit  scrt.  rajatd  „Silber^  auch  das 
Maultier  (scrt.  agvatard,  npers.  ester  etc.)  in  der  indischen  Lite- 
ratur auftritt,  dessen  Ursprünge  sicher  auf  die  südpontischen 
Länder  hinweisen,  und  dem  wir  in  Verbindung  mit  der  Geschichte 
des  Silbers  noch  wiederholt  begegnen  werden. 


1)  Die  umgekehrte  Voraussetzung  P.  Kretschmers,  Einleitung 
p.  137,  dass  armen,  ayxat  aus  aw.  erezata  entlehnt  sei,  wird  von  H. 
Hübsühmann  Armen.  Gr.  p.  424   mit  Entschiedenheit   zurückgewiesen. 


Nnn  stellt  dieser  Konslriiktion  freilieh  eiue  Sehwien^keit 
entgegen,  die  dariu  liegt,  (Ubs  es  bis  jetzt  nicht  möglicli  gewegen 
ist,  die  reiii  ethnographJBclie  Fruge  za  enteclieidcn,  ob  die  indo- 
gemianischeii  Armenier  sich  m  frülizeitig  von  ihren  näehsten 
Stammvenvandten,  den  Phiygern  nnd  Tlirakern,  losgeifist  iiaben 
und  in  das  in  histoneeher  Zeit  von  ihnen  hescti'.te  und  nach 
iliucn  benannte  Armenien  eingewandert  sind  (vgl.  E.  Meyer  Ge- 
Echichte  des  Altertums  U,  41  und  HUbschmaun  ArnHUiisebe  Gr. 
1,  399  ff.),  dass  schon  in  vedisi-her  Zeit  von  Armenien  ein  echl 
annenisches  Wort  nach  Iran  und  Indien  wandern  kunnte.  Allein 
diese  Schwierigkeit  beelcht  doch  nur  dann,  wenn  wir  in  armen. 
(irrat  wirklich  ein  echt  armenisches  Wort  zu  erblicken  haben. 
Nun  liegen  die  Dinge  aber  so,  dasa  bis  jetzt  fflr  keinen  andern 
Armenischen  Mctaünamcn  idg.  Ursprung  nachgewiesen  werden 
könnt«,  und  dass  vielmehr  die  meisten  und  wichtigsten  He, 
nenaungen  der  Metalle  im  Armenischen  auf  Zueammen hänge  mit 
den  Sprachen  des  Kaukasus  nnt  grösserer  oder  geringerer  Deut- 
lichkeit hinweisen.  Dien  gilt  von  «nnen.  oulci  „Gold  (o.  p.  32), 
die»  ferner  und  besonders  von  armen,  erkaf  „Eisen",  das  in  seinem 
Hnffix  mit  urcnC  „Silber'^  übereinstimmend,  im  Lazlscfaen  erkina, 
im  Gruzinischen  und  Mingrelischen  rkitm  (vgl.  Erckert  p.  57) 
lautet,  dies  endlich  aneh  von  armen,  plinj  „Kupfer",  daa  dem 
Iesghi»(^'h-ndischen^i7(n({i,  grnsinisehen  gpüendzt  (Erckert  p.  94) 
zn  entsprechen  scheint.  Aach  das  armenische  arvaf  „Silber" 
kehrt  nnn  im  Kankasas  wieder,  wie  avarigch  ärac,  takisch  arcu, 
Aküi-a-Sprache  .rare,  ahxazisch  arain  usw.  (Erckerl  p.  128) 
-ceigeu.  Ich  habe  früher  diese  Wörter  als  Enllehmingen  ans 
dem  ArmeniHcben  anfgefasst,  bin  aber  jetzt,  im  Hinblick  auf  die 
übrigen  armenischen  Metallnameu  eher  der  entgegengen^etzten 
Ansicht.  Ist  diese  richtig,  so  könnte  schon,  bevor  die  idg. 
Armenier  nach  dem  eigentlichen  Armenien  kamen,  ein  im  Kau- 
kasus und  seinen  Vorländern  herrsehender  Silbername,  der  in 
den  kaukasischen  Wörtern  und  im  armenischen  arcat  reflektiert, 
Okob  SOd-Osten,  also  nach  Iran  und  Indien  gewandert  sein. 
b  Wenden  wir  uns  nunmehr  m  den  italischen  nnd  kclti- 
■fcen  Wilrtern  für  Silber  und  ihrem  Verhältnis  zu  dem  armen. 
WtaX,  80  sind  uns,  was  die  ersteren  dat.  argentuvt,  osk.  aru- 
getud)  betrifft,  ans  der  ältesten  Kulturgeschichte  der  Apennin- 
bfübinsel    einige    Erscheinungen    bekannt,    die    sicher    nicht  idg. 

Scbrxlir.  Spnebvergliicliui.g  and  Urgcachlchle  II.    3.  Aufl.  4 


-    50    — 

Ursprungs,  den  Italikem  aber  aach  nicht  erst  durch  die  griechische 
Kolonisation  zugeführt  worden  sind,  sondern  die  yielmehr  sachtieb 
und  sprachlich  auf  die  pontischen  Länder  als  ihren  AiUK 
gangspunkt  hinweisen.  Es  ist  dies  auf  der  einen  Seite  dar 
Wein  ^) :  lat.  vinum,  griecb.  J^oivog,  alb.  vine  (aus  armen,  gm 
=  *voinio),  auf  der  anderen  der  Esel^):  lat.  asinuSf  griech. 
dvog  (aus  *oavogy  entlehnt  aus  annen.  iS,  sumerisch  anäu)  und  das 
Maultier'):  lat.  miUua  (aus  *mu8-l-o,  alb.  muSk^  etc.,  vielleicht 
eigentlich  „das  mysische",  „der  Myser**  —  die  Mysier  galten 
nach  dem  35.  Frgm.  des  Anakreon  als  Erfinder  der  Maultier 
zucht  —). 

Es  fehlt  also  nicht  an  Analogien,  wenn  wir  auch  dem 
italischen  Silber  gleiche  Herkunft  zuschreiben  und  —  hier  in 
Anlehnung  an  P.  v.  Bradke  (Methode  p.  41,  89,  90)  —  an- 
nehmen, dass  auch  in  Italien  nach  dem  Muster  des  pontisch* 
armenischen  arc^t  ein  einheimisches  *argento  (vgl.  crueniutf 
süentus)  „weiss^  =  scrt.  rajatd  zur  Bezeichnung  des  vom  Pontiis 
her  bekannt  gewordenen  Silbers  verwendet  wurde.  Die  oben 
hinsichtlich  eines  frühzeitigen  amienisch-iranischen  Zusammen- 
iiangs  erörterten  chronologischen  Bedenken  liegen  hier  nicht  vor, 
da  die  Armenier  doch  ohne  Zweifel  in  einer  sehr  frühen  EpochCi 
wenn  auch  nicht  in  Armenien  selbst,  so  doch  sicherlich  im  Kultur* 
bereich  Armeniens  und  des  Raukasus  sassen^).  Leider  ist  mis 
freilich  der  thrakische  Name  des  Silbers,  der  in  diesen  Kultor- 
zusammenhängen  vermutlich  eine  Rolle  gespielt  hätte,   nicht  be* 


1)  Wenn  Hoops  Waldbäume  und  Kulturpflanzen  p.  561  die  An- 
nahme der  Entlehnung  des  griech.  ^oi%'og  und  alb.  v^ns  aus  armen. 
(fini  für  ^einleuchtend^  hält,  so  ist  es  hart,  das  gleiche  nicht  auch  für 
lat.  vXnum  anzunehmen,  zumal  doch  die  lautliche  Möglichkeit  bestellt 
(vgl.  F.  Sommer  Handbuch  p.  91),  auch  lAnum  auf  *v<nnom  lurfiek- 
zuführen. 

2)  So  auch  Walde  Lat.  et.  W.  p.  47. 

3)  Nach  G.  Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  p.  293   und   I.  F.   I, 
(Widerspruch  bei  Walde  Lat.  et.  W.  p.  399). 

4)  Hierdurch  erledigt  sich  auch  der  Einwand,  den  Bartholona^ 
Litbl.  f.  germ.  u.  rom.  Phil.  1905  No.  6  gegen  meine  Erklärung  di 
^griechischen  und  lateinischen  Weinnamens  geltend  macht.  WaittciB 
nach  diesem  Gelehrten  die  Armenier  aus  Thrakien  über  den  KavL- 
kasus  in  ihr  späteres  Vaterland  heruntergestiegen  sein  sollen,  ist 
mir  nicht  ersichtlich.  Ober  den  Weg,  den  sie  höchstwahrscbeinttcli 
in  WirkUchkeit  nahmen,  vgl.  W.  Tomaschek  Die  alten  Thraker  I,    4. 


-     51     - 

und  die  Hesychiache  Gloaee  tixdfixt]  ■  f-lg/ixiajl  Anyi'oia 
firstinte  eher  dsraof  hinweisen,  das«  hier  eine  dem  lat.  argenttim 
:  n  teprecbende  Bezeichnung  nicht  bestand. 

t     Sicherer    scheint    mir  das  Verhältnis  des  Ist.  argentum  zn 
1  kollieeben  Silbernaiiien  (alHr.  argaf,  arget,   cjmr.  artant, 
•t.  nrchant,  com.  arkans)  festzustellen.     Die  keltiBchen  Wörter 
d  am  frühsten  in  der  altgallisehen,  sei  es  lautgesetdichen,  sei 
dem    Lateinischen    genäherten    Form    {vgl.  Thurneyscn    bei 
V.  Bradke  Methode  p.  2ö)  argenfo-   überliefert,   die   in  zahl- 
reichen altgallischen  etc.  Eigennamen    als   erstes  Glied    der  Zn- 
SHmtneneetzang  erscheint:  Argenfo-ratum  (Strassbnrg),  Argento- 
nm^tgaii,    Argento-varüi  (Arzenheim),    Argento-dubrunt,    Argeafo- 
■  tixoa  (ein  kalednniscber  Frauennamej  usw.     Nur  spricht  alles  da- 
.<-gcn,   dasB  argento-  hier  schon  „Silber"  bedeutet  habe.     AUer- 
itigB    kennt  8trabo  c.  191  Silbermineu    im  Gebiet    der  Rntenen 
itn    Departement  Ayeyron)    und  Gahalen  (westlich    von    den  CV- 
vi-Mineu).    Allein  Diodorns  Siculus  (V,27,  1)  stellt  das  Vorkommen 
^Tioa  Silber  ia  Gallien  gänzlich    in  Abrede    (xaiä  yovv  ri/r  FaXa- 
^H|b»>  Sgyt'oos  fiiy  i6  oiWiw  ot'  ylyverat),  und  auf  keinen  Fall  war 
^^■»«r  Metall    auf    altkcltiscbem    Boden    so    verbreitet,    dass   die 
^^fcHIrcicben  Eigennamen  mit  argento-  verständlich    wSren.   wenn 
affffitlo-    „Silber"    bedeutete.      Kb    ist    daher    in    hohem   Grade 
wfkhr«<^'heinlich,  dftss  dieses  Wort  in  den  genannten  und  anderen 
nlt keltischen  Eigennamen  nichts  anderes  als  vediscb  rajaid,  näm- 
Vmh  „weies"  bezeichnete.     Argento-riitum  war  demnach  „WeiBscn- 
liarg"   fir.  rälk  „Königsburg"),    Argento-dubrnm    „ Weisswasser" 
I  ^vgl.  Weissensee),    Argento-coxos  „Weissfuss"  nsw.     Dieses   alt- 
lleltiscfae  Adjeclivnm  für  „weiss"  {altgall.  orgenio-s)  wurde  dann 
1  bei  BerOhrnng  der  Ketten  mit  dem  Ist.  argentum    in   den  kelü- 
1  KlieB  Sprachen  znr  Benennung  des  Silbers  verwendet '). 


l)  So  jetzt  such  M.  Much  Die  Kupferzeit'  p.  358  Anm.  1  und 
\   R   Hoch   Z.  f.  (leutecheB    Altertum   XLII,  164.    —   Dagegen  nimmt    P. 

'  B»ake  Über  Methode  usw.  p.  22  f(.  eine  wesentlich  frühere  Be- 
I  ''ttuticfaaft  der  Selten  mit  dem  Silber  an,  die  illter  sei  nl;  die  mit  dem 

"»We,  Allein  sein  einziger  Beweis  hierfür  steht  und  f»llt  mit  dem 
[  'Wi  Herodot  I,  162  genannten  König  von  Tartessos,  'AeyardilK'iiy;,   was 

"Ich  T.  B.  ein  keltisches  Wort  sein   und  .Silberuiann"    bedeuten   soll. 

-^Bf  wiit  schwachen  Füssen  diese  Annahme  sieht,    habe  ich  in  der  W. 

^  klus.  Phil.  1890  Ko.  50  geseigt.    Holder    hntle   daher    elneu  so  an- 


-    52    — 

Ostwärts  von  Italien  ist  das  römische  Wort  za  den  illyri- 
schen Stämmen  gewandert  und  heisst  im  Albanesischen  arjf'dnt 
etc.  Die  Sprache  bestätigt  auch  hier  den  Gang  der  Knltor- 
geschichte  aufs  beste;  denn  eret  durch  die  Römer  wurde  der 
namentlich  aus  Silber,  aber  auch  aus  Gold  (alb.  är  aus  lat 
aurum)  bestehende  Metallreichtum  der  illyrischen  Gebirge  wsr 
gebeutet  (Kiepert  Lehrb.  d.  a.  G.  p.  354;  vgl.  auch  alb.  Orts- 
namen wie  Argentaria). 

Der  den  vorstehenden  Ausführungen  zugrunde  liegende  Ge- 
danke, dass  die  Sprachreihe: 

(kaukas.  arcu  etc.)  armen,  arcat — BLVf.erezatay  scrt.  rajatä 

„  ^     —  Isitargentumy  altir.  argaty 

kurz  ausgedrückt,  auf  einer  alten  Entlehnung  aus  dem  Armeni- 
schen oder  Kaukasischen  beruhe,  wäre  aber  weniger  wahr- 
scheinlich,   als   er   es    ist,    wenn    wir    nicht    auch    in    der 

■* 

übrigen  Geschichte  des  Silbers  in  Überlieferung  und 
Sprache  immer  wieder  auf  die  Armenien  oder  dem 
Kaukasus  nahe  liegenden  Gestade  des  Schwarzen 
Meeres  als  Ausgangspunkt  des  Silbers  stiessen. 

Im  südlichen  Europa  steht  das  griech.  ÜQyvQog  durch 
sein  Suffix  -vgog  vereinzelt  innerhalb  der  indog.  Silbemamen  da 
und  gestattet  keine  Vermutung  über  die  Seite,  von  der  her  die 
Griechen  zuerst  das  weissliche  Metall  kennen  lernten.  Doch 
führt  die  Überlieferung  auch  hier  merkwürdigerweise  wenigsten» 
in  die  Nähe  Armeniens,  an  die  Gestade  des  Pontns  Euxinns» 
Schon  Homer  (II.  II,  857)  nennt  die  pontische  Stadt  'Aivßrj  mit 
den  Worten: 

Tt]X6&£v  i^  'AXvßfjgf  M^ev  doyvQOv  iau  yevi^Xfif 

und  wenn  auch  in  dem  silberreichen  Attika,  dessen  Bergwerke 
indessen  erst  kurz  vor  den  Perserkriegen  einige  Bedeutung  er- 
langt haben  (vgl.  J.  F.  Reitemeier  Geschichte  des  Bergbaues  n. 
Hüttenwesens  bei  den  alten  Völkern  1785  p.  67),  die  Erfindung 
des  Silbers  dem  Stammheros  Erichthonios  zugeschrieben  warde^ 
so  sollte  er  sie  doch  nach  einer  anderen  Nachricht  dem  f^nen 
Skythien  verdanken.  Argentumy  sagt  Plinius  Hut.  ncU.  VII,  56, 
197,  iiivenit  Erichthonius  AtheniensiSj  ut  älii  Aeacua  nnd  Hy- 
gini  fab,  (ed.  M.  Schmidt)  p.  149  heisst  es:  Indus  rex  in  Scythia 

sicheren  Kantonisten  nicht  in  seinen  altkeltischen  Sprachschati  auf- 
nehmen sollen. 


—    53    - 

argentum  primua  invenity  quod  Eri^hthonius  Athenas  primum 
aitulit. 

Derselbe  Homer  aber,  der  zuerst  die  Silberstadt  Alybe  nennt, 
ist  es  auch,  der  den  an  die  Armenier  anstossenden  Paphlagoniera 
die  Erfindung  der  Maultierzucht  (II.  II,  852)  zuschreibt: 

Maultierzucht  und  Silber  treten  uns  also  auch  hier,  wie  in 
Indien  und  Italien,  in  einem  gewissen  geschichtlichen  Zusammen- 
hang entgegen. 

Archäologisch  ist  das  Silber  im  ältesten  Griechenland  be- 
reits in  prämykenischen  und  mykenischen  Schichten  (vgl.  S.  Müller 
Urgeschichte  Europas  p.  32  und  Tzountas  and  Manatt  The 
Mycenaean  age  p.  223),  wenngleich  selir  selten,  nachgewiesen 
worden;  doch  hüte  man  sich  aus  derartigen  vereinzelten,  einst- 
mals den  Palästen  der  Herrschenden  angehörigen  Fundstücken 
ohne  weiteres  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  nun  auch  bei  der  da- 
maligen Bevölkerung  das  betreffende  Metall  bekannt  gewesen 
sein  und  ein  volkstümlicher  Name  dafür  bestanden  haben  müsse 
(vgl.  oben  p.  40  über  ähnliche  Schlüsse  hinsiclitlich  des  Goldes 
bei  den  Kelten).  Auch  ist  zu  bedenken,  dass  in  dem  benach- 
barten Troja,  das  dem  pontischen  Ausgangspunkt  des  Silbers 
schon  sehr  nahe  lag,  bereits  in  der  zweiten  Stadt  „im  grossen 
^Schatz  desPriamus^  ganze  silberne  Barren  zutage  getreten  sind. 
Eine  grössere  Bedeutung  hat  das  Silber  in  Griechenland  (wie 
auch  später  in  Italien)  aber  erst  unter  dem  Einfluss  des  phöui- 
zischen  Handels,  dem  durch  die  frühzeitige  Ausbeutung  der  spani- 
schen Silberbergwerke  (s.  o.)  eine  ungeheure  Menge  dieses  Me- 
talles  zuströmte,  und  nach  Eröffnung  der  laurischen  Bergwerke 
erlangt,  so  dass  nun  ägyrgiov  (wie  lat.  argentum),  nicht  xqvo6(;, 
das  gewöhnliche  Wort  für  Geld  überhaupt  wird.  Eine  Ver- 
wertung des  Stammes  ägyvgo  zu  Orts-  und  Personennamen,  wie 
bei  XQ^^^^>  kommt  aber  in  älterer  Zeit  kaum  vor. 

So  bleiben  die  intiogermanischen  Sprachen  des  nörd- 
lichen Europa  zu  bedenken  übrig,  die  durch  eine  gemeinsame 
Benennung  des  Silbers: 

got.  süubr,  altsl.  sh'ebro,  lit,  sidäbraSf  altpr.  sirahlan  (Acc.) 
yerbunden  werden.     Das  germanische  Wort  ist  einerseits  in  das 
Lappische    {9iUha)j   andererseits   unter    west-gotischem   Einfluss 
Ivgl.  J.   Orimm    Gesch.    d.   deutschen    Sprache    p.  11)    in    das 


-    64    - 

Baskische^  wo  es  cilarra  lautet^  eingedniDgen.  Doch  ist  kaum 
anzunehmen,  dass  in  den  einheimisehen  Dialekten  der  Iberiachea 
Halbinsel;  deren  ausserordentlicher  Silberreichtum  (o.  p.  47;  ygl. 
Strabo  c.  147  f.)  den  ältesten  Völkern  wohl  bekannt  war,  nieht 
schon  vorher  genuine  Namen  des  Silbers  yorhaoden  gewesen  lein 
sollten.  Eine  Spur  derselben  enthält  vielleicht  der  iberische 
Orospeda  =  „Silberberg"  (Strabo  c.  161). 

Was  nun  die  angeführte  Wortreihe  der  nordeuropäischeD 
Stämme  selbst  anlangt,  so  weist  die  Unregelmässigkeit  ihrer 
Lautverhältnisse  auf  alte  Entlehnungen  hin,  deren  Ursprung  kaum 
im  Indogermanischen  zu  suchen  sein  dürfte.  Schon  V.  Hehn 
hat  daher  die  Hypothese  aufgestellt,  dass  die  nordeuropäischen 
Namen  des  Silbers  mit  der  bereits  erwähnten  pontischen  Stadt 
*Akvßt]y  das  dann  nach  griechischem  Lautgesetz  für  *2(Uvßrj 
„Silberstadt^  zu  nehmen  wäre,  zu  kombinieren  seien,  und  90 
würden  wir  aufs  neue  zu  den  Bergeszügen  des  Schwarsen 
Meeres  geführt  werden. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  diese  Kombination  V.  Hehv 
an  sich  kaum  mehr  als  eine  geistvolle  Vermutung  genannt  werden 
kann,  die  mit  grossen  lautlichen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen 
hat;  allein  sie  scheint  mir  immer  noch  das  beste,  was  über  die 
dunkle,  auch  in  ihrem  Verhältnis  untereinander  keineswegs  klare 
nordeuropäische  Wortreihe  ^)  gesagt  worden  ist,  und  zusammen 
mit  dem  bisherigen  Gang  unserer  Untersuchung  dürfte  sie  keine 
geringe  Wahrscheinlichkeit  für  die  Richtigkeit  des  Satzes  ergeben, 
dass  für  die  indogermanischen  Völker  die  Pontusländerein 
wichtiger  Ausgangspunkt  ihrer  Bekanntschaft  mit  dem  Silber 
gewesen  sind. 

Übrigens  würde  das  Vordringen  des  Silbers  ans  den  ponti- 


1)  Äusserst  kühne  Vermutungen  knüpft  an  sie  und  an 
{XaXvßi})  H.  Brunnhof  er  Über  die  älteste  Herkunft  des  Silbers  und 
Eisens  in  Europa,  erschlossen  aus  kleinasiatischen  Ortsnamen  (Fern- 
schau,  Aarau  1886  I,  54).  F.  Hommel  Archiv  f.  Anthrop.  XV  Suppl- 
p.  162  möchte  die  germano-balto-slavischen  Wörter  mit  assyr.  fOT^ 
„Silber*  verknüpfen.  W.  Bruinier  Rorrespondenzblatt  1895  No.  6  denkt 
gar  an  jap.  siro-gana  qweisses  Metall'  =  Silber.  An  diesen  Annahmen 
könnte  soviel  richtig  sein,  dass  auch  dem  pontischen  *ZaXvßti  «Silber 
Stadt"  ein  ähnliches  barbarisches  Wort  für  Silber  mit  der  eigentlichen 
Bedeutung  „weisses  Metall**  (vgl.  noch  ostjak.  ielox  „weisses  MettÜ*i 
„Silber**)  zugrunde  läge. 


Iteehen  Gegenden  zu  den  Barbaren  des  Nordens  in  den  Zeiten 
IfSerodots  noch  nicht  stattgefunden  haben,  da  dieser  Sehriftgtelier 
teotvobl  den  eigentlichen  Skythen,  die  wir  unfi  als  Vermittler 
Ldes  Silbei-s  in  nördlicher  Kiuhtiing  doch  wohl  in  erster  Linie 
Renken  mllssten,  als  auch  den  tietUchereu  Massagelen  mit  aus- 
«Irtlektichen  Worten  (vgl.  IV  Kap.  71  nQyvooi  di  ovdir  ovdi 
[yahtip    /OEorTMi,    Vgl.  auch  I  Kap.  215)  die    Kenntnis    nnd    den 

IXlebrauch  dieses  Metallen*  abspricht. 
Die  älteste  Nachricht  von  dem  Vorbandensein  des  Silbers 
ID  Deutschland  erhalten  wir  durch  Cäsar  (VI  Kap.  2S},  der 
iTon  dem  Gebrauch  silherbeschlagener  Trinkhörner  berichtet. 
S'acitns  (Germ.  Kap.  5)  kennt  silberne  Gefässe  als  auswärtige 
Goscbenke  im  Besitz  der  Vornehmen.  Silberminen  im  Lande 
:selbst  müssen  damals  noch  unbekannt  gewesen  sein.  Zwar  wurde 
ini  Jahre  47  n.  Chr.  in  agro  Mnttiaco  von  Curtins  Rufus  eine 
iSilbergrube  durch  seine  Soldaten  eröffnet,  doch  scheint  diese 
:wegen  geringer  Ergiebigkeit  bald  wieder  eingegangen  zu  sein 
(Tgl.  Tac,  Ann.  Xi  Kap.  20).     Ein  regelmässiges  Silberbergwerk 

Iwird  erst  */.ur  Zeit  Ottos  des  Grossen  im  Harz  eingerichtet.  Hier- 
tnit  stimmt  Uberein,  dass  in  den  deutschen  Ortsnamen  durch  Zu- 
isaminensetinng  mit  Hüber  gebildete  Wörter  vor  1100  uicht  vnr- 
^omtuen  (vgl.  Förstcniann  Deutsche  Ortsnamen  p   139). 

Ausserhalb  des  im  bisherigen  bespruchcucu  Knlturkreises 
scheint  der  änsserste  Osten  Europas  7a\  liegen,  wo  eigene, 
leider  noch  nicht  sicher  erkiärte  Nitmen  fUr  nnser  Metall  bc- 
■tehen.  So  in  den  finnischen  Sprachen,  deren  Nomeuklatur 
des  Goldes  ganz  von  indogermanischen  Völkern  abhängig  war, 
Ainerseits  die  Reihe;  Ünn.hopea,  eatn.  hfibe,  hdhbe,  wepa.  kobed, 
wot.  op^a,  öpüa,  liv.  nbdi,  übdi,  tschud.  höbet,  andererseits 
firotj.  azveii,  syrj.  ezn^,  magy.  eziUt,  die  man  als  „weisses  Kupfer" 
(-«&/=  finn.  vagki  „Kupfer")  gedeutet  hat,  und  aus  denen  die 
oben  genannten  ossetischen  Wörter  (vgl.  p.  46j  entlehnt  sein 
durften.  Doch  muss  bemerkt  werden,  dass  Sjögren  (vgl.  HuUetin 
ß«  l'acad^mie  de  i^t-  l'4tersboarg  VI,  172)  nnd  andere  die 
erstgenannten  Wörter  aus  npers.  siped  =  aw.  spaita  „weiss" 
Ableiten,  nnd  M.  Bernat  Arische  und  kaitkitsische  Elemente  in 
den  finniscb-ngrischen  Sprachen  I,  246  ff.  in  ausführlicher  Er- 
.ernng  umgekehrt  die  ossetischen  Würter  als  Quelle  des  wot- 
jakischen,  ayrjänischen  nnd  magyarischen  .Ausdrucks  zu  erweisen 


i 


-    66     - 

sncht^).  Der  in  den  turko-tatarischen  Sprachen  (vgl.  J.  Kl  -^p- 
roth  Sprachatlas  p.  XXXVI)  weit  verbreitete  Name  des  SilW^ 
laatet  1cömii8,  Jcömüs,  kümils  (vgl.  sumerisch  Jcu-babbar?), 

Zum  Scbluss  dieser  Besprechung  der  Silbernamen  sei  \mier 
noch  eines  vereinzelten  Wortes  gedacht,  das  im  Munde  wandernder 
Zigeunerscharen  aus  Indien  nach  Europa  verschlagen  ist:  z^. 
t'ub,  rupp  entspricht  scrt.  rü'pya,  bind,  rupä^  wie  auch  der 
zigeunerische  Name  des  Goldes  sonakai,  sonegai  etc.  aus  indi- 
schem scrt.  svama,  Hindi  8Ö7iä  etc.  hervorgeht  (vgl.  Pott  Zigeuner 
II,  274  u.  226). 

In  den  bisherigen  Ausführungen  sind  wir  zuweilen  den 
Spuren  eines  Gebrauches  begegnet,  das  später  bekannt  gewordene 
Silber  geradezu  nach  seinem  Vorgänger,  dem  Golde,  als  das 
weisse  Gold  zu  bezeichnen,  und  es  ist  dies  um  so  begreiflicher, 
als  man  vielleicht  von  einer  sorgfältigen  Behandlung  des  Goldes 
selbst  zur  ersten  Kenntnis  des  Silbers  vorgesehritten  ist. 

Es  ist  bekannt,  dass  dem  Golde  in  verschiedenen  Mischnngs- 
proportionen  das  Silber  innezuwohnen  pflegt.  Diese  Mischong 
von  Gold  und  Silber  wird  in  den  altägyptischen  InschrifteD 
äsem  genannt  und  in  den  Aufzählungen  der  kostbaren  Metalle 
und  Edelsteine  hinter  das  Gold  gestellt.  Es  steht  in  grossen 
Eihren.  „Gold  der  Götter,  dsem  der  Göttinnen"  heisst  es  von 
der  Isis.  Nach  den  Untersuchungen  von  C.  R.  Lepsius  (vgl, 
Abb.  d.  Her).  Ak.  d.  W.  1871  p.  129)  entspricht  nun  diesem 
ägyptischen  dsem  sachlich  und  etymologisch  genau  das  hebr. 
ha^maly  wenigstens  sachlich  aber  das  griechische  6  fjieKTQog 
(„der  strahlende"  :  ;)Afxrro(>  „Sonne'^),  dessen  lat.  Abbild  e2ecfrt«m 
Plinius  XXXIII,  4,  80  mit  den  Worten  definiert:  omni  auro 
inest  argentum  vario  ponderej  dlibi  nonaj  alibi  octava  parte. 
Vbicunque  quinta  an/enti  portio  est,  electrum  vocatur.  In  der 
Tat  liegt  bei  Stellen  wie  Od.  IV,  73  ff. : 

ffodCfo 

XaXxov  le  meoorrijv  xad  ÖM/nara  tjxfj^Ta 

XQvoov  T*  i)).F.y.Toov  TS  xai  ägyvoov  ijS^  tXitpai'JOi 


])  Doch  stimmt  mit  meiner  Ableitung  der  ossetisebeu  Wörter 
aus  dem  Finnischen  ausser  Plübsclimann  (Et.  u.  Lautlehre  d.  esset. 
Spr.  p.  119)  und  Stackelber«»:  {Irano-finskija  leksikalXnyja  otnoitnija 
p.  5)  jetzt  auch  Yrjö  Wichmann  (Die  Verwandten  des  finn.  vaski  in 
den  permischen  Sprachen,  Sitzungsberichte  XVI,  3)  überein  (Separat- 
abdruck). 


-    57      - 

oder  iu  der  Homeiischen  Eiresione  v.  10 

hc*  tjXsxTQü)  ßeßavTa 

die  Übersetzung  des  Wortes  ijXexrgog  —  Lepsius  unterscheidet 
6  i])^xTQog  ^Silbergold'^  (vgl.  Antigene  v.  1083),  ?;  ijXexTgog 
„Bemsteinverzierung'*,  rö  ijkexTgov  „Bernstein"  —  mit  „Gold- 
silber" jedem  Unbefangenen  viel  näher  als  die  gewöhnliche 
mit  Bernstein  (vgl.  auch  W.  Heibig  Hom.  Ep.  p.  106j.  Gegen- 
stände aus  Elektron  wie  Spangen  und  Becher  sind  in  Hissarlik 
in  der  zweiten  und  besonders  in  der  dritten  Stadt  gefunden 
worden  (vgl.  Schliemann  Ilios  p.  388  u.  527);  doch  wird  in  der 
Ilias  das  Goldsilber  noch  nicht  genannt.  Auch  Herodot  versteht 
wahrscheinlich  unter  seinem  Xsvxöq  ;^^vöocr,  das  Krösus  neben 
änsff&og  ;f^vaöc  „geläutertem  Gold"  (hehr,  päz)  I.  Kap.  50  nach 
Delphi  sendet,  und  an  dem  der  lydische  Paktolus  besonders 
reich  war  (vgl.  Kiepert  Lehrb.  der  alten  Gcogr.  p.  114),  dieses 
Elektram.  Endlich  stehe  ich  auch  nicht  an,  dasselbe  in  dem 
keltisch -irischen  Worte  findruine  zu  vermuten.  Ich  nehme 
nämlich  an,  dass  dasselbe  aus  *find-or-uine  entstanden  ist  und, 
im  Gegensatz  zu  dergor,  dem  roten  (derg)  Gold,  das  weisse  (find) 
Elektmm  bezeichnet.  Es  steht  zwischen  crMuma  „Bronze"  und 
Gold  und  wird  neben  dem  Silber  genannt.  Becher,  Schildbuckel 
und  ähnliches  werden  aus  ihm  gebildet  (vgl.  Windisch  I.  T.  und 
O'Curry  Manners  and  custofns  of  the  ancient  Irish  ed.  hy 
W.  K.  .Sullivan  ^)  I  p.  CCCCLXVI  f.). 

Das  Ergebnis  der  vorstehenden  Ausführungen  lässt  sich 
mit  Rücksicht  auf  die  indogermanischen  Völker  in  die  beiden 
Sätze  zusammenfassen:  1.  Den  Indogermanen  war  das  Silber  vor 
ihrer  Trennung  unbekannt.  2.  Sie  haben  es  erst  in  ihren  histori- 
schen Wohnsitzen  durch  frühe  Handelsbeziehungen  und  Völker- 
berfihrungen  direkt  oder  indirekt  vom  Schwarzen  Meere  her  kennen 
gelernt. 

In  der  Geschichte  des  Eisens  werden  uns  auffallende 
Parallelen  zu  diesen  Kulturzusammenhängen  begegnen. 

1)  Sullivan  dagegen  meint:  findruini  was  probably  bronze  coated 
tciih  tin  or  some  ivhite  alloy  like  that  of  tin  and  lead.  Er  geht  von 
der  oftenbar  jüngeren  Form  finnbruithne,  finnbruinni  aus  und  zerlegt 
dieselbe  in  find,  flnn  {white)  und  bruinni  {boiled),  y,that  is  a  white 
iinned  or  plated  surface^. 


VI.  Kapitel. 

Das  Kupfer  und  seine  Legierungen  (Bronze,  Hessin  ^j. 

Dass  den  idg.  Völkern  schon  in  der  Urzeit  wenigstens   ^io 
Nutzmetall  bekannt  gewesen  ist,  iässt  sich  aus  der  Gleichungr 

lat.  aeSf  got.  aiz  =  scrt.  äyas,  aw.  ayah 
mit  Sicherheit  folgern. 

Dieses  Wort,  das  in  der  idg.  Grundsprache  *aj-08  (=  scrt. 
dyas)j  *aj-es-08  (vgl.  lat.  aenujf  aus  ^aj-es-no-s)    lautete,    ist    in 
vier   grossen,    abgesehen    vom    Indisch-Iranischen,   geographiscb 
weit  voneinander  entfernten  und  durch  keine   nähere  Verwandt- 
schaft miteinander  verbundenen  Sprachfamilien  erhalten  und   ist 
somit  zweifellos  einer  der   ältesten  Bestandteile   des    idg.  Wort- 
schatzes^).  ßemerkeus\vert  und  für  das  hohe  Alter  der  Gleicbnng 
beweisend  ist  auch  der  Umstand,  dass  diejenigen  Sprachfamilien, 
welche    das   urzeitliche  Wort   bewahrten,    auch  an    dem   säch- 
lichen   Geschlecht   der  Metallnamen    überhaupt    (vgl.    Kap.  II) 
festgehalten  haben,  das  nur  in  solchen  Sprachen  verloren  gegangen 
ist,  die  dijas  durch  neuere  Ausdrücke  ersetzt    haben.     Offenbar 
erklärt  sich  dies  daraus,  dass   man    bei  der  Benennung  der  Me- 
talle vielfach  von  dem  Worte  dyas  ausging  und  nach    ihm  von 
goldglänzendem   (=  Gold),    weisslichem    (=  Silber),    bläulichem 
(=  Eisen)  dyas  redete. 

Wohl  aber  bedarf    die  Feststellung   der   ursprünglichen 
Bedeutung   dieser  Wortreihe    einer    näheren  Erörterung.    Das 


1)  Eine  Wurzel  dieses  idg.  *djo8  läset  sich  nicht  mit  Sicherheit 
nachweisen.  Nach  Prellwitz  B.  B.  XXIII,  67  läge  ai  «glänzen'  zu- 
grunde, von  dem  griech.  at-&-o)  „ich  brenne"  eine  Erweiterung  dar- 
stelle. In  nichtidg.  Sprachen  findet  sich  ein  Anklang  nur  in  der  isoliert 
dastehenden  Sprache  der  Jeniseier  (Tomaschek  Z.  f.  or.  Phil.  I,  124), 
wo  das  Kupfer  ei,  ;>.  i  heisst.  In  den  Mitteilungen  der  Anthrop.  (>es. 
in  Wien  XVIII  (1888,  Monatsvers,  vom  10.  April)  hält  Tomaschek  eine 
Entlehnung  dieses  Wortes  aus  skythisch  (iranisch)  ayah  für   möglich. 


-    69    • 

italische  ctes  (vgl.  umbr.  ahesnes  =  lat.  ahenus)  bedeutet  sowohl 
das  im  Bergwerk  gewonnene  Rohkupfer  als  auch  das  künstlich 
mit  Zinn  yermischte  Kupfer,  die  Bronze.  Die  germanischen 
Wörter  got.  aiz  (=  x<^^^)f  nord.  eir,  agls.  är  (engl,  ore),  ahd., 
mhd.  Sr  haben  den  gleichen  Sinn.  Am  weitesten  hat  sich  wohl 
die  Bedeutung  des  engl,  ore  entwickelt,  unter  dem  Erze  jeder 
Art  verstanden  werden  können,  wie  unter  unserem  erz,  ahd. 
aruz  (siehe  unten).  Das  Rohmetall  meinen  Stellen  wie  Otfried 
ly  1,  69  zi  nuzze  grebit  man  ouh  thar  er  inti  JcupJiar,  und 
noch  im  15.— 16.  Jahrhundert  wird  lat.  aes  ausser  mit  erze  oder 
eeVj  er  mit  Kupfer  glossiert.  Noch  im  Jahre  1561  gebraucht 
der  Schweizer  Josua  Maaler  anscheinend  gleichbedeutend  erin 
und  küpferin  geschirr  etc.  Während  demnach  für  Europa  hin- 
sichtlich aes,  aiz  ganz  unbedenklich  von  der  Bedeutung  „  Kupfer, 
Bronze^  auszugehen  ist,  kann  man  bezüglich  des  arischen  dyas, 
ayah  zunächst  zweifelhaft  sein,  ob  diesen  Wörtern  in  der  ältesten 
Überlieferung  der  gleiche  Sinn    oder   der  von  „Eisen"  gebühre. 

Zu  keiner  bestimmten  Entscheidung  dürfte  hinsichtlich  des 
Awesta  zu  kommen  sein.  Auf  der  einen  Seite  hebt  W.  Geiger 
(Ostiran.  Kultur  p.  148),  wie  mir  scheint,  mit  Recht  hervor,  dass 
die  Adjectiva,  die  dem  ayah  im  Awesta  gegeben  werden  (vor 
allem  das  Adjectivum  zairi  „gelb,  goldig",  Yasht  10,  96),  aus- 
schliesslich zur  Bezeichnung  der  Bronze,  nicht  des  Eisens  passen, 
and  auch  F.  Spiegel  (Arische  Periode  p.  34)  nimmt  wenigstens 
an  einigen  Stellen  das  Wort  als  unzweifelhaft  im  Sinne  von 
Bronze  gemeint  an.  Auf  der  anderen  Seite  legt,  abgesehen  von 
den  Einwendungen  v.  Bradkes  gegen  die  Geigcrschen  Ausfüh- 
ningen  (Über  Methode  p.  94  ff.j,  Bartholomae  in  seinem  aus- 
gezeichneten Altiranischen  Wörterbuch  dem  aw.  ayah  ausschliess- 
lich den  Sinn  von  Metall  =  Eisen  unter,  offenbar,  weil  die 
Pehleviübersetzung,  die  aber  doch  in  diesem  Falle  nicht  aus- 
schlaggebend sein  dürfte,  es  mit  äsen  „Eisen^  wiedergibt^). 

Deutlicher  sind  die  Spuren,  die  darauf  hinweisen,  dass 
ägas  im  vedischen  Zeitalter  ^Bronze",  nicht  „Eisen^  bedeutet 

1)  Auch  die  Übersetzung,  die  Bartholomae  selbst  für  Yasht  10, 
96  darbietet:  ^die  Keule . .,  aus  gelbem  Metall  gegossen,  aus  festem, 
goldenem*  deutet  doch  am  ehesten  auf  Bronze,  da,  wenn  „gelbes 
ayah*  mit  v.  Bradke  p.  %  als  Gold  zu  nehmen  wäre,  eine  Tautologie 
vorläge. 


—     60     - 

babe.     Zunäcbst  bat  H.  Zimmer  (Altindiscbes  Leben  p.  71) 
vorgeboben,  dass  die  sieberen  BezeichnuDgen  des  ietztgenanntM     < 
Metalls  (des  Eisens)    in    den    vediscben  Scbriften  gyämäm  äy^^  -a 
(Av.  11,  3,  7  neben  löhitam  „Kupfer")  oder  auch  bloss  gyäm^esd, 
(wörtlich  „dunkles  Erz",  vgl.  aus  späterer  Zeit  Tcäläyasd  „dank^^sj- 
blaues"  und    Tcfshnäyas   „dunkeles"   äyas,  sowie   ^ilag   oUij^'^k 
bei  Hesiod)  sind,  adjektivische  Bildungen  zu  dem  ursprünglich  ^so 
äyas  —  aes,  das   ihnen    anhaftet,    wie    den    ägyptischen  Nam^/? 
des  Eisens   das  Determinativum   des   früher   bekannten   Kupfe/v 
beigegeben  wird  (vgl.  Lepsius  a.  a.  0.  p.  108).     Die  Einwendungen 
V.  Bradkcs  (p.  30)  hiergegen  sind  mir  unveratändlich.     Zweitens 
hat  H.  Brunnhofer  in  einem  Aufsatz  Zur  Bronzetechuik  aus  dem 
Veda  (Fernschau,  Aarau  1886  p.  69)  einen   Beleg    „von    durch- 
schlagender Beweiskraft"  für  äyas  in    der  Bedeutung  „Bronze" 
in    einer  Stelle    des  (Jatapatha-Brähmana  (VI,  1,  3,  5)  entdeckt, 
in  der  äyas  als  goldäbnlicb  geschildert  wird,  und  die^  in  seiner 
Übersetzung  folgendermassen  lautet:  „Aus  Sandkörnern  schuf  er 
den  Kies,  deshalb  wird  eben  Sand  am  Ende  zu  Kies.     Ans  dem 
Kies  Erz  idgman)^    deshalb    wird    eben  Kies    am  Ende   zu  Erz. 
Aus  dem  Erz  (schuf  er)    die  Bronze  (äyas),    deshalb    schmelzen 
sie  aus  dem  Erze  Bronze,  aus  Bronze  Gold,   deshalb    eben  wird 
vielgeschmolzene  {hahudhmätdm)  Bronze  fast  goldähnlich."    Aller- 
dings gibt  V.  Bradke  in  den  Göttingischen   gel.  Anzeigen   1890, 
No.  23,  p.  919  Anm.  1  eine  etwas  andere  Übersetzung  dieser  Stelle; 
aber  die  Hauptsache,  dass  nämlich  äyas  hier  „ Bronze **  bedeuten 
muss,  wird  dadurch  in  keiner  Weise  berührt,  da  Eisen  weder  in 
glühendem,    noch     in    ausgeglühtem    Zustand    jemals 
„goldähnlich"  wird.    Endlich  scheint  mir  auch  die  schon  oben 
erwähnte  älteste  Zusammenstellung    der    vediscben  Metallnamen 
in  der  Väjasaneyi'Sarhhitä  XVIII,  13  hiranyam,  dyaSj  gyätnärnj 
löhdm,  sfsamj  träpu  für  äyas  als  Bronze  zu  sprechen.    Der  Er- 
klärer Mahidhara  gibt  allerdings   äyas   durch    Widm^    das   bei 
den  älteren  Kommentatoren  „Kupfer'^,   in  späterer  Zeit   „Eisen" 
bedeutet,  gyämäm  durch  tämralöham  „Kupfer"  und  löhdm  darch 
Tcäläyasd    „Eisen"    wieder.      Allein    abgesehen    davon,    dass   so 
Eisen  zweimal  genannt  sein  würde,  widerspricht   auch    die  Ety- 
mologie sowohl  von  gyämä  eigentl.  „schwai7/'  als  auch  von  löhd 
cigentl.  „Kupfer"  oder  „rot"  {ß.  u.)  diesen  Erklärungen  gänzlich« 
Alle  Schwierigkeiten  schwinden,   sobald  wir  äyas  durch  Bronze, 


■     -■'- 

^^^HMWTBetZL'ij,  <la»  in  iler  spüler  vou  den  iGderii  .angeDonmicnen 
^^Bltzalil  der  Metiille  {ashfadhälu)  als  pittulü  oder  pitalöha  mit 
Bannt  wird,  üo  erhalten  wir  Gold  (uud  Silber),  Bronze,  Eisen, 
pfer,  Blei,  Zinn'). 

In  arcbäokif^iseher  Hinsicht  sind  in  Indieu  prähistorische 

!  aus  reinem  Kupfer  oder  ziuuarmer  Bronze  in  sehr  frtther 
U  iu  grosser  Anzahl  gemacht  worden  (vgl.  Montclins  Archiv 
Antbropolfigic  190O  p.  ÖOö  f.i,  so  dase  also  auch  von  dieser 
ite  ansei'er  Annahme,  die  vedische  Periodik  habe  im  wesent- 
ben  der  Bronzezeit  augehOrt,  nichts  im  Wege  steht. 

HofffU  wir  somit  den  Nachweis  geführt  zu  hahen,  dass, 
A  die  GleichiiDg  aeg  —  di/im  lietrifft,  die  enropäiechen  Sprachen 
t  den  Bedenlungeu  „Kapfer,  Bronze"  den  ursprünglichen  Zu- 
tod  bewahrt  habun,  so  sind  wir  damit  noch  nicht  am  Ende 
Krer  Betrachtungen  augekommen. 

Im  Earopäisuhcn  hedentet  ja  aesniz  sowohl  das  Kupfer 
I  auch  die  Bronze,  und  so  erhebt  sich  die  Frage,  oli  diese 
ippelbedentung  schon  für  die  idg.  Urzeit  anzusetzen,  oder  ob 
r  Bie  VOM  einer  einfachen  Bedeutung  „Kupfer"  oder  „Bronze" 
BEOgehen  ist.  Eine  Entscheidung  hierüber  liaun  aber  nicht 
rekt  dorch  die  Sprache,  in  der  ja  eben  —  wir  können  nicht 
gen,  von  wann  an  —  die  Bedeutungen  „Kupfer"  und  „Bronze" 
lieneiiiander  liegen  —  gewonnen  werden.  Wir  gedenken  daher 
r  Erörterong    dieses  Punktes    erst    in   unserem    Schlusskapitel 


1)  In  aeinen  Biographien  of  wordK  Appendix  V  ,  The  third 
ftal"  widmet  M.  Müller  der  Frage,  welches  die  Bedi^utuiig  des  vedi- 
len  liyas  gewesen  sei,  eine  eingehende  Erlirterung.  Kr  kommt  hier- 
I  an  dem  SeliiiutB:  ,all  thereforr  we  are  jH»tifled  in  stating  poaitively 

thal  at  Ikt  Urne  of  the  Uigvtda,  besides  gÜver  atid  gold,  a  third 
tal  was  knottn  and  i^amed  liyaa;  bul  tchether  Ihat  name  referred 

tither  copper  or  iron,  or  tu  metat  in  gemral,  there  is  no  evidence 

Hinsichtlich  meiner  oben  gegebenen  ErklSrnng  der  Väja»aniyi- 

inAiVtl- Stelle    sagt    er,    diias   dieselbe  ,purely  conjuctural*    sei.     Dies 

keint  mir  nicht  gana  richtig.     Meine  Erklärung  Htützt  sich  vielmehr 

Uf  die  deutliche  ursprüngliche  Bi^de.uiung  von  scrt.  gi/dmä  .schnnrz", 

.donliel''  {—  Eisen,  vgl.  ^«/oc  oidijon;  Hesiod)    und  scrt,  löhd  „Kupfer' 

oder  .rot".     Wenn  wir  aber  enlgegen  dem  Kommentator,  den  M,  Müller 

hinsicbüich    der  ErkISruag    von   löhä   als  „Eisen"    selbst    des  Irrtums 

s«Ult>  ffi/dmä  al»  Eisen,  löhä  als  Kupfer  nehmen,  was    bleibt  dann  für 

uideres  alB  „Bronze*  übrig? 


-    62    - 

(Die  Metalle  in  ihrer  historisehen  Aufeinanderfolge)  znrfiek- 
Zukommen,  nachdem  wir  in  Kap.  IX  durch  eine  BespFechmig  der 
altidg.  Waffen  nnd  Werkzeuge  uns  ein  urteil  daiHber 
gebildet  haben^  auf  welche  der  von  den  Archäologen  nfite^ 
schiedenen  prähistorischen  Epochen  die  auf  diesem  Gebiet  sich 
uns  offenbarenden  urindogermanischen  Zustände  hinweisen.  Ent 
dann  wird  ein  Anhalt  gegeben  sein,  zu  entscheiden,  was  für  die 
idg.  Urzeit  des  genaueren  unter  *ajo8  zu  verstehen  ist. 

Hingegen  ist  an  dieser  Stelle  noch  auf  eine  zweite 
Sprachreihe  hinzuweisen,  die  ebenfalls  in  die  idg.  Uneit 
zurückgeht,  und  ebenfalls  in  sich  die  Bedeutungen  „Knpfer'' 
und  „Bronze**  vereinigt. 

Es  ist  dies  die  Reihe: 

altsl.  ruda  „Metall**,  lat.  raudus  „Erzstflck**,  altn.  randi 
„Raseneisenstein"  =  scrt.  Idhd  „Kupfer",  npers.  röif  pehL  rdd, 
baluöt  röd  aus  altp.  *rauda  (armen,  aroir  „Messing''  ans  dem 
Persischen  entlehnt)  „Kupfer",  die  auf  ein  idg.  raudhä  hinweist 

Gewöhnlich  werden  diese  Wörter  mit  dem  idg.  Ansdnick 
für  „rot**  scrt.  rudhirä,  griech.  igu^gdg  usw.  in  Verbindung 
gebracht.  Bedenkt  man  jedoch,  dass  beide  Wortreihen  in  meh- 
reren Sprachen  lautgeschichtlich  ihre  eigenen  Wege  gehen  (vgl. 
scrt.  löhd :  rtidhird,  lat.  raudus :  rubery  ruftui),  so  ist  diese  Er- 
klärung nicht  besonders  wahrscheinlich,  und  ansprechender  scheint 
es,  in  jener  idg.  Sprachreihe  mit  F.  Hommel  (Archiv  für  Anthro- 
pologie XV,  164)  uud  J.  Schmidt  (Urheimat  p.  9)  eine  nndte 
Entlehnung  aus  dem  sumerischen  Wort  für  Kupfer  :  urudu^)  zu 
erblicken^),  zumal  auch  ein  idg.  Name  des  Beiles,  scrt.  para^ 
=  griech.  Jtikexvg  gleicher  Herkunft  verdächtig  ist  (snmeriseh 
balagy  assyr.  pilakku), 

Ist  diese  Kombination  richtig,  so  würde  aus  ihr  zweieriei 
zu  folgern  sein:  einmal,  dass  die  Grundbedeutung  des  idg. 
*raudhd  „Kupfer**,    nicht    „Bronze**    war,    da   ersteres  die   aas- 


1)  Bemerkenswert  ist  der  Zusammenklang  dieses  snmeiisehen 
urttdu  mit  dem  baskischen  urraida  ^Kupfer',  und  Ich  wlH  daher  nidit 
unterlassen  zu  bemerken,  dass  F.  Hommel  (Die  samero-akkadiselie 
Sprache  und  ihre  Verwandtschaftsverhältnisse  p.  61)  in  der  Tat  einen 
sprachlichen  Zusammenhang  zwischen  Sumerern  und  Basken  behauptet 

2)  Die  Bedeutung  ^rot*  in  löhd^  Jöhita  wHre  alsdann  acdnindir 
(»kupferfarbig"). 


Ittfaliirsttliclie  Bedeutung  des  smnerischen  ui-udu    ist;    denn    wüli- 

retid  die  meisten,  wenn  nicbt  alle    anderen  Sprachen    des  Alter- 

'  iBing,  z.  ß.  das  ägyptische  ^o'"'-  ^^^^    semitische,    faehr.  nehoiet, 

das  grieeb.  ^a^fk  etc.  nur  ein  und  dasselbe  Wort  für  die  beiden 

Begriffe  „Kupfer"  und  „Bronze"    Laben,  macht  das  Sumeriscb- 

Ak^sfiische    von   dicBer  Regel    eine    bemerkenswerte  Ausnahme, 

iDsofern  in  ihm  »eben  urudu  „Kupfer"  eine  bestimmte  Bezeicb- 

uuii^  der  Bronze  zabar  vorbanden  ist.  Der  Umstand,  dass  das  erstere 

Wort  rier  einzige  Metallname  des  Sumerischen  ist,   der  nicht  mit 

■visammengesetzteD  Ideogrammen  gescbriel>eu  wird,  würde  ferner 

K'b  K.  Honimel  Die  vorsemitiscben  Kulturen  p.  400  auf  das  relativ 

^l)S(e  Alter  des  Kupfers  bei    den  Sumerern  scbliessen    lassen. 

pJeMm  uralten  Kulturvolk  also,  dessen  Wohiisitze,  ebe  sie  nacb 

Plesopolamicn  kamen,  wir  nicbt  kennen,  würden  die  Indogermanen 

■  daa  wäre  die  zweite  Folgerung   aus    der  Reibe   *rmidhA  — 

vdu  —  die  Uekanutscliafl  mil  dem  Kupfer  verdanken.     Auch 

nf  diese  Fragen  werden  wir  in  Kap.  X  /.urückkonimen. 

Hier  verbleibt  uns  nunmehr  die  Aufgabe,  uns  der  übrigen 
»ben  oder  statt  *ajo8  und  *r(iudhä  in  den  idg.  sprachen  vor- 
HHideuen  Terminologie  des  Kupfers  und  der  BrouKC  zuzuwenden. 
Wir  können  uns  hierbei  im  tvesentlicben  auf  Europa  be- 
^hrttBken.  da  die  in  ßelrucht  kommenden  iranischen  Aus- 
■Ucke  —  die  indischen  (vgl.  Pott  Etym.  Forsch.  II,  414  und 
Karabari's  Räjanighan(ti  ed.  Garbe  p.  -ilä  ff.)  bieten  nichts  von 
loterease  —  in  Zusammenhang  mit  den  europllischeu  Hpracb- 
nnd  Knhurerscbeinnngeu  zu  besprechen  sein  werden. 

Die  älteste  Bezeichnung  des  Kupfers  und  der  Bronze  auf 

Balkanhalbinsel    ist   das   schou    bei    Homer    geläufige 

ht&i.     Von  diesem  Worte  lässt  sich  /.nnäcbst   behaupten,  dass 

im  Verhältnis    zu  cidtigog  „Eisen"    ein    offenbar    älterer   Be- 

landteil  der  griechischen  Sprache  ist;   denn  während  von  dem 

latume  x"'^'>-  »teboD  iu  der  homerischen  Zeit  eine   ansehnliche 

lebendiger   Ableitungen    wie   ;i;<Uk£os,    x^i^^io?,  yabcEVi, 

ai.  j[rthiE<iiv,  j^aXuijioq,  j/ahir'iQrje  vorhanden  ist,  steht  diesem 

ni«h«ruden  Spracbtrieb  aldf}ooi,  nidtJQeog  einsam  gegenüber,  and 

t  späl«r  beginnt  auch  dieser  Stamm  Knospen  zu  treiben. 

Id    seiner  Verwendung   znr    Bildung    von    Persouennamen 
l  sich  ferner  das  Verhältnis  von  /ciäkc-  (schon  hom.  Xdixwv, 
I  Mf  rmidone,  XaixioäoiTiädi};,  Sohn  des  Obalkodon,  Königs  auf 


-    64    - 

Euböa) :  oidtjao-  vergleichen  mit  dem  von  ;jr^i'öo-  :  dgyvgo' ;  d—  k 
oidi]QO'  ^Eisen^  wird  im  Gegensatz  zn  ;raJlxdc  znr  NamengebcK  itg* 
80  gut  wie  nicht  verwendet. 

Zu  diesen  Beweisen  für  die  Priorität  ^)  des  x^^^^  ^^^  ^^^ 
oidtjQog  in  Griechenland  kommt  dann  weiter  der  Umstand,  da« 
der  älteste  Name  des  Schmiedes  ixaixevg)  und  der  Scbmiecfe 
(xcii>ce(üv,  /aAxiJeoc  douog)  von  dem  Kupfer,  resp.  der  Bronze^ 
nicht  von  dem  Eisen  hergenommen  ist,  und  endlich  und  haupt- 
sächlich die  Möglichkeit,  in  der  althellenischen  Kultur  selbst  die 
allmählich  um  sich  greifende  Verbreitung  des  alAviQog  nach- 
zuweisen. Das  homerische  Zeitalter  führt  uns  offenbar  in  eine 
Art  Übergangsepoche  von  der  Bronze  zum  Eisen.  Während  Waffen 
und  Werkzeuge  im  allgemeinen  als  aus  Bronze  herge-stellt  gedacht 
oder  bezeichnet  werden,  sind  daneben  doch  schon  eine  ganze 
Reihe  von  Gegenständen,  in  der  Ilias:  eine  Keule,  ein  Messer, 
eine  Pfeilspitze,  eine  Axt,  eine  Axe,  Tore,  in  der  Odyssee:  eine 
Axt  und  Fesseln  aus  Eisen-)  angefertigt.  Ein  eigentlicheR 
und  reines  Bronzealtcr,  von  dem  schon  die  alte  Überlieferung 
des  Hesiod  (vgl.  auch  Lucrez  V,  1282)  wusste: 

liegt  dann  aus  vorhomerischer  Zeit  in  den  mykenischen  An^ 
grabungen  mit  ihren  ehernen  Schwertern,  Dolchen,  Messern, 
Rasiermessern,  Nägeln,  Nadeln,  Speerspitzen,  Äxten  usw.  vor 
uns.  Eisen  ist  dagegen  zusammen  mit  eigentlichen  mykenischen 
Gegenständen  nur  4  bis  5  mal,  und  immer  in  der  Form  von 
Ringen,  also  als  Schmuck,  gefunden  worden. 

Nicht  ganz  sicheres  lässt  sich  über  die  Herkunft  des 
Wortes  ;raAxc$c  ermitteln.  Ganz  unwahrscheinlich  scheint  mir 
seine  Anknüpfung  an  das  scrt.  hriJcu,  hÜJcu  „Zinn''  (Curtins 
Grundz.^  p.  197).  Nicht  nur  dass  der  Bedeutungsttbergang  Zinn 
in  Kupfer  meines  Wissens  ohne  Analogon  dastehen  wflrde,  so 
ist  auch  die  Bedeutung  des  nur  einmal  neben  jatuJca  „Lack"  mit 


1)  Vgl.  die  eingehende  Erörterung  dieses  Gegenstandes  bei 
Blümner  Technologie  u.  Terminologie  IV,  38  ff. 

2)  Dass  in  den  einzelnen  Teilen  der  homerischen  Gedichte 
und  besonders  in  dem  Verhältnis  der  Odyssee  zur  Ilias  sich  eine  vor- 
wärtsschreitende Verwendung  des  Eisens  nachweisen  lasse,  Ist  oft 
behauptet  worden,  aber  schwerlich  beweisbar  (vgl.  F.  B.  Jevons 
Journal  of  Hdlenic  sitidies  VIII,  25  ff.). 


-    65    - 

räpu  ^Zinn"  wiedergegebenen  Sanskritwortes  (vgl.  B.  R.  Scrtw,) 
ine  8o  überans  vereinzelte,  dass  man  unmöglich  mit  ihr  ope- 
ieren  kann. 

Mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die  ausser  von  G.  Curtius 
ach  von  anderen  namhaften  Sprachforschern  wie  A.  Fick  (Ver- 
[leichendes  Wörterb.«.  578)  und  J.Schmidt  (Zur  Geschichte  des 
ndog.  Voc.  II,  67  und  208)  gebilligte  Identifikation  des  griechi- 
ichen  Wortes  durch  die  Stammform  x^^X^'  ™^^  ^^^  lituslavischen 
Senennungen  des  Eisens  lit.  geleüs,  preuss.  gelso,  altsl.  ieUzo. 
bt  dies  richtig,  so  wäre  in  den  genannten  Sprachen,  die  sämtlich 
las  alte  dyas  eingebttsst  haben,  ein  anderer  uralter  Name  des 
Kapfers  oder  der  Bronze  bewahrt  geblieben,  der  dann  im  Osten 
Europas  auf  das  spätere  Eisen  übertragen  worden  wäre,  ein 
Bedeutungsflbergang,  dem  wir  noch  öfters  begegnen  werden, 
iDd  der  auch  für  das  oben  erörterte  iranische  ayah  anzunehmen 
nrftre,  falls  dies  wirklich  ^Eisen'^  bedeuten  sollte. 

Neuerdings  ist  aber  auch  diese  Erklärung  des  griech. 
faXxdg,  und  zwar  von  Kretschmer  Einleitung  p.  168  Anm.  an- 
zweifelt worden.  Dieser  Gelehrte  meint,  dass  es  von  griechi- 
schem Standpunkt  näher  liege,  yaXxog  mit  dem  Namen  der 
Parpurschnecke  xdXxti,  x^^XVf  ^^^XV  '^^  verknüpfen  und  beide  in 
»ner  Grundbedeutung  „das  (die)  rote^  zu  vereinigen. 

Zweifelhaft  kann  man  auch  sein,  ob  der  in  Griechenland 
nriederkehrende  Ortsname  Chalkis,  vor  allem  die  schon  bei  Homer 
Rannte  Stadt  Chalkis  auf  Euböa,  deren  Name  nach  Plinius 
Hwt.  not.  IV,  12,  21  einst  die  ganze  Insel  bezeichnet  haben 
loll,  von  x^^^^  öd^*"  ;taAxjy  abzuleiten  sei.  Nach  späterer  Über- 
lieferung wäre  Chalkis  ein  Mittelpunkt  bergmännischer  und 
netallurgiseher  Tätigkeit  gewesen  (vgl.  Buchholz  Die  homerischen 
Bealien  I,  2  p.  322).  Doch  sollen  nach  Kiepert  Lehrbuch  der 
ilten  Geographie  p.  255  die  Ebene  und  Kreidefelsen  der  Um- 
;egeDd  kein  Metall  enthalten. 

Auf  jeden  Fall  war  Hellas  an  Kupfer  arm,  und  die  Haupt- 
nasse  seines  ;^aAx($c  ist  ihm  ohne  Zweifel  aus  Asiens  Schätzen 
Eiig;efflhrt  oder  von  dort  geholt  worden.  Scheute  man  doch 
schon  zu  Homers  Zeit  (Od.  1, 184)  nicht  die  gefahrvolle  Meerfahrt 
lach  dem  kupf erreichen  (jroiypraxxo?)  Temese  auf  der  metall- 
leieben  Insel  Kypros,  die  von  phönizischen  Kolonien  {Temese 
=  kypr.   Tama8808i\iQhx.teme8  „das  Zerfliessen",  die  Schmelz- 

Sehrader,  Sprach v«rglelohung  und  Urgeschichte  IL    3.  Aufl.  5 


—     66     — 

hütte";    vgl.  Kiepert   a.  a.  0.  p.  134  und  Lewy  Sem.  Frem 
p.  148)  bedeckt  war,  nin  x^^^^  ^^^  oidrjQog  einzutauschen, 
den  dortigen  Gruben  aber  standen    den  Phöniziern   die  KupF 
minen  der  Kaukasusländer  (Hesek.^)  XXVII,  13),  der  Sinaiha^Zi- 
insel,  des  Libanon,  der  Troas  (Strabo  c.  606)  usw.  offen. 

Übrigens  sollen  sich  die  Alten  auf  die  Kunst,   das  Ea|^/<sr 
wie    das  Eisen   zu    härten,    verstanden    haben,    wenn  wir  ihreo 
ziemlich  späten  Überlieferungen  glauben  dürfen^).     In  der  schdneo 
Quelle  UeiQijvrj  zu  Korinth    wurde   nach  Pansanias  II,  3,  3  der 
Koglv&iog   xphio^   in   glühendem  Zustand    {bianvQog  nai  ^eg/iög) 
zu  diesem  Zwecke  eingetaucht.     Doch  berichtet  Homer  von  dieser 
Kunst  noch  nichts.     Die  Stelle  Od.  IX,  391,  wo  von  dem  Schmied 
die  Rede  ist,  der  ein  Beil    in    kaltes  Wasser  eintaucht,    bezieht 
sich  auf  das  Eisen. 

Ehe  wir  aber  das  griechische  ya^^^^j  ^^^  sich  Aiich  in  das 
ngriech.  xa^xögy  ;^dA;«ft>^a,  kyp.  x^^'^^^^^  (Gr«  Meyer  Griech. 
Grammatik  p.  154)  und  von  da  in  das  zigeun.  charkom  (Tgl. 
Pott  Zigeuner  II,  168)  fortgepflanzt  hat,  verlassen,  müssen  wir 
noch  einer  sehr  merkwürdigen  Zusammensetzung  mit  x^^^y  ^^ 
altgriech.  doeixakxog  gedenken. 

Zum  erstenmal  in  der  griech.  Literatur  wird  diese  MetaD- 
^attung  in  dem  Homerischen  Hymnus  auf  die  Venus  VI,  9  ge- 
nannt, wo  von  künstlichen  Blumen  aus  ÖQeixahcog  und  kostbarem 
Gold  die  Rede  ist.  Eine  zweite  Stelle  findet  sich  in  dem  an- 
geblich Hesiodeischen  Schild  des  Hercules  V,  122 

xvtjfudag  SgeixdXxoio  qxuivov^ 
'Hqaioxov  xXvxä  6u}Qa,  jisqI  xvi^jnfjotv  i&rjxer. 

Was  dachten  sich  die   alten  Dichter   unter  jenem  sonder- 

1)  „Javan,  Thubal  (die  Tibarener  am  Pontus)  und  Mesech  (Moscher 
ebenda)  haben  mit  Dir  (Tyrus)  gehandelt,  und  haben  Dir  leibeigene 
Leute  und  Erz  auf  Deine  Märkte  gebracht.^ 

2)  Vgl.  Procius  zu  den  angeführten  Versen  Hesiods:  Atflc*  Sit 
TÖJv  o(OfJidxo)v  rrjv  gco/Atjv  ijoxovv  ol  h  xovxco  to7  yEvei  xwv  S*  &XX{or  AfisXothntij 
jreQi  xr}v  x&v  orrkcov  xaxaoxrvrjv  dihoiß(tv  xal  x(p  x^*^*P  nQ6g  toDto  ixQ&fio, 
wg  xf{i  aiötjQfü  jioog  yecjQytaVj  did  rivog  ßaq-^g  xov  x<^^^  OTgQQomHO&ittet^  (kna 
(pvoei  fÄa).ax6v '  ixXtJiovatjg  de  xijg  ßatpTfg  im  xifv  xoD  aidi^QOv  xcd  ir  tdte  JW 
?Jfioig  xQn^^^  kX{>fTv.  Vgl.  Rossignol  Les  mitaux  dans  VanHquiti  „iSiir 
fa  trempe  que  les  anciens  don?Urent  au  cuivre^  p.  237 — 242  u.  Schlie- 
mann  llios  p.  537,  814.  Neuere  Techniker  bezeichnen  ein  solches  Ver- 
fahren, Rupfer  wie  Stahl  zu  härten,  als  ganz  undenkbar  (Biümner 
a.  a.  O.  p.  51). 


67 


Worte,  das  etjiiiologiseb  doch  niclils  anderes  als  Er^  des 
I  bezeichnet?     Wälireud  bei  den  HeHiodeieclieD  Vei'seii,  die 
offenbar  an  Hoiuer  IL  XVIIl,  613  eiionern: 

ifi'fe  de  o!  Hvij/iiSai  iaroS  xoaiHtegaio 
der  Gedanke  uabe  liegt,  daas  dgeij^ainos  ^  HaaaiiEQOi  sei,  ecbeint 
hingegen  in  dem  Homerischen  Hymnus  ein  dem  Golde  sehr  nahe 
Btebendes  Metall  gemeint  zu  Bein.  Dieseii  Sinn  hat  aber  ögei- 
Xnhtoi;  augenscheinlicb  an  der  drittältesten  Stelle  der  griecbi- 
scbeo  Literatur,  au  der  es  genannt  wird,  in  dem  Kritias  de8 
Plato,  der  bei  der  Scbilderumg  seines  fabelhaften  Atlantideu- 
staates  dasselbe  mehrfach  crwähut.  Die  Insel  bringt  das  Metall, 
das  jetzt  nur  noch  dem  Namen  nach  bekannt  ist,  damals  aber 
mehr  als  blosser  Name  war  (tö  vvv  dvo/iuC<^fiFvov  /tövov,  t6te  dk 
.-fleof  drö/tarogj  an  verschiedenen  Stellen  hertor.  Nach  dem 
Golde  ist  es  das  geschätzteste  Metall  (113).  Mit  ihm  ist  die 
Mauer  der  Akropolis  überzogen  (llß).  Im  Innern  des  Tempels 
war  die  Wölbung  von  Elfenbein  mit  Veraerungeu  von  Gold  und 
doEixalKOi ;  auch  Wände,  Säulen  nnd  Fussboden  waren  damit 
belegt  (116l.  Der  Gebrauch,  der  hier  von  dem  ÖQtixahcog  ge- 
macht wird,  erinnert  lebhaft  an  die  Verwendung  des  Elektrums 
im  Paläste  des  Meuclaos  (vgl.  oben  p.  56),  und  so  liegt  die  An- 
nahme nahe,  dass,  wenn  die  Alten  überhaupt,  wenigstens  ur- 
sprünglich, mit  dem  Namen  einen  Begriff  verbanden,  was  doch 
wahrscbeialich  ist,  sie  das  in  den  ältesten  Kulturepochen  viel 
verwendete  Goldsilber  im  Auge  hatteu,  dem  sie,  neben  t]XexiQog, 
die  Bezeicbntiiig  „Erz  (=  „Metall")  des  Berges"  geben  konnten, 
ähnlich  wie  die  Ägypter  das  von  seinem  Silbergehalt  noch  nicht 
befreite  Gold  nub  en  set  „Berggold"  nannten.  In  der  Tat  wird 
oQÜxahtoQ  einmal  von  Suidas  mit  elöoq  fjXixTQov  glossiert,  wenn 
hierauf  auch  nicht  viel  zu  geben  ist.  Immerhin  scheint  mir 
diese  Erklärung  ungezwungener  als  die,  welche  Rossjgnol  iu 
BCtncm  Buch  Les  mitaux  dans  VantiquiU  p.  220  gibt').  Je 
t)  ,Cependnnt  les  poitvn  se  rappelanl  leg  serviees  nombreux  que 
le  cuiiire  avait  rendun  et  l'esfime  singulare  oft  Vavaient  d'aboril  tenu 
I«»  hommes,  idialisirent  ce  melal  et  Vappelirenl  orichalque  ou  cuipre 
ile  montagne  par  excellence  de  öe».-  et  de  ;[ai«o,-.'  Roesignol  unter- 
scheidet überhaupt  im  Gebrauch  des  Wortes  äßeixiditoi  3  Epochen: 
1.  dge  mythique  de  l'oHchalque,  S.  dge  r^el  de  l'orichalque,  &)Ucuivre 
pur.  b)  l'aüiage  du  cuivre  et  du  eine,  c)  ValHage  de  cuivre  et  de 
i'itain,  3)  dge  latin  de  l'orichtUque  (ßuriclialcum}. 


1 


—    68    — 

• 

mehr  indessen  in  Qriechenland    die  Verwendimg   des  Elektnui^z: 
abnahm,  nm  so  mehr  musste  auch  der  Ausdruck  dgetxahcog  in  d< 
Luft  schweben.     In  dem  späteren  Griechenland  wurde  es  dah( 
zur  Bezeichnung  des  dem  Qoldsilber  äusserlich  nicht  unähnlichc^j 
Messings    {xahcdg   Xevxög)    verwendet^),    das  ursprünglich  direl^^ 
in  Berg^verken,    wo    sich  Kupfer    mit   Zink  vermischt   yorfancJ^ 
gewonnen  und  erst  später  durch  künstliche  Mischung  hergestell/ 
worden  zu  sein   scheint.     Nach  Lepsius   (Zeitschrift  für   ftgypt 
Sprache  u.  Altertk.  X,  116  f.)  würde   auch  x^^o^ß^^<^  u^  der 
Septuaginta    „Erz    vom    Libanon"    =   „Messing*^    oder    „Priiu- 
metall"  sein. 

Sehr  frühzeitig  lernten  das  griech.  dgeixahcog  die  Römer 
kennen,  deren  älteste  Dichter  durch  die  volksetymologische  BU- 
düng  auricJialcum  :  aurum  verführt,  in  demselben  ein  ganz  fabel- 
haftes Metall  erblickten.  Später  bedeutet  auricJudcum,  ari- 
chalcum  (auch  ahd.  örchalc  Graff  1,468)  auch  hier  „Messing*''). 

Blicken  wir  auf  das  altgriechische  ;^aAx(ic  zurück,  so  hat 
sich  ergeben,  dass  bei  den  Hellenen  ein  Bedürfnis  nach  einem 
besonderen  Wort  für  „Kupfer"  im  Altertum  nicht  hervorgetreten 
ist,  dass  vielmehr  x^^^^  sowohl  die  Bronze  wie  auch  das  nn- 
vermischte  Rohkupfer  bezeichnet,  in  welch'  letzterer  Bedeutung 
es  bei  Homer  wahrscheinlich  in  dem  Handelsverkehr  mit  dem 
kyprischen  Temese   und   sicher   da   zu   nehmen   ist,    wo  es  ab 


1)  Vgl.  Strabo  c.  610  eart  Se  li^  mgi  xa  "Ai^Btoa,  Sg  xai6/u90S 
oidriQog  yiverai  *  eha  /nsta  yfjg  rivog  xafiivev&eis  dstoaToCei  yftvSd^yvgov  (Ziuk), 
fj  TtQoaXaßovoa  ;|^aAx6v  ro  xaXov/nevov  ylvsxcu  xQäfAOy  5  tives  Sgsixcüixo^  xahnkn 
{xQäfiay  6  xexQafiivog  x^^^  =  Messing).  Im  PeripL  maris  erythr,  f  6 
wird  6Qftx<dxoQ  nach  Afrika  eingeführt:  q>  ;|r^d>vra4  :iiQOQ  höo/aoi^  mu  df 
avyxojrrjv  dvxi  rofÄia/naTog. 

2)  Eine  ausführliche  und  lebhafte  Debatte  über  die  eigentlielie 
Bedeutung  des  griech.  dgeixa^xog  zwischen  P.  Diergart  und  B.  Neo- 
mann  findet  sich  in  der  Z.  f.  angewandte  Chemie  1901  p.  1297;  190^ 
p.  Ml,  761,  1217;  1903  p.  85,  253.  Während  der  erstere  mit  groBser 
Gelehrsamkeit  im  wesentlichen  den  in  diesem  Werke  eingenommenen 
Standpunkt  verteidigt  und  näher  begründet,  sncht  B.  Neumann  wol 
erhärten,  dass  das  griech.  Wort  schon  lange  vor  dem  ersten  vor- 
christlichen Jahrhundert,  ja  wohl  von  Anfang  an  eine  Knpfer-Zlnk- 
legierung,  also  Messing  bezeichnet  habe.  Zu  einem  gänslfch  einwand* 
freien  Resultat  scheint  es  nicht  möglich  zu  sein  in  dieser  Frage  vor> 
zudringen. 


—    69    — 

i^v^gög^)  (IL  IX,  365)  bezeichnet  wird,  während  die  übrigen 
and  häufigeren  Epitheta  von  x^^^^  *  olI^ow  ^funkelnd^,  cpaeivog 
,{^änzend",  v&gotp  „blendend ^^  eher  auf  die  goldähnliche  Bronze 
alg  auf  das  Kupfer  hinweisen. 

Erst  durch  die  Türken  hat  sich,  wie  über  die  übrige  Balkan- 
halbinsel  (alb.  baJcer,  serb.  bakavy  bulg.  bakär  etc.)^  so  auch 
Aber  das  Neugriechische  {fjuiaxägi)  ein  spezieller  Name  des  Roh- 
kupfers ausgebreitet,  der  diese  Bedeutung,  wie  es  scheint,  von 
Anfang  an  gehabt  hat  (vgl.  Vämb^ry  Die  primitive  Kultur  des 
turko-tat.  Volkes  p.  174). 

Ganz  ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  in  Italien.  Auch 
hier  bat  aes  (s.  o.),  ganz  wie  griech.  yakxdg^  lange  Zeit  hin- 
gereicht, Kupfer  und  Bronze  zusammen  zu  bezeichnen,  und  erst 
yerbältnismässig  spät,  freilich  noch  immer  früher  als  in  Griechen- 
land, kommt  ein  besonderer  Name  für  das  Kupfer  auf. 

Bedeutungsvoll  wird  hier  wiederum  die  Insel,  von  der  aus 
schon  dem  homerischen  Griechenland  das  Kupfer  zugeführt 
worden  war,  Kypros'*).  Die  erzreiche  {aerosa,  jtolvxaXxog)  Insel 
Kypros,  so  nach  einer  freilich  nicht  sicheren  Annahme  nach  ihrem 
Cypressenreichtum  im  Munde  der  Phönizier  {gofer  =  xvnaQiooog) 
genannt,  die  zuerst  den  metallischen  Reichtum  ihrer  Berge  syste- 
matisch ausbeuteten,  kam  im  Jahre  57  vor  Christo  in  den  Besitz 
der  Römer,  und  das  feine  Produkt  der  kyprischen  Kupferberg- 
werke ((US  Cyprium,  x^^^^  xvjigiog)  übertrug  bald  seineu  Namen 
auch  auf  das  gleiche  Metall  anderer  Länder.  Laugsam  bahnt 
sieh  nun  das  lat.  aes  Cyprium  oder  vielmehr  seine  volkstümliche 
Form  cuprum  (zuerst  bei  Spartiauus  Hist.  Aug.  I,  725),  cupreum, 
cyprinum  einen  weiten  Weg  nach  fast  allen  Himmelsrichtungen. 
Zunächst  dringt  das  Wort  in  das  romanische  Sprachgebiet  ein, 
wo  es  aber  nur  im  Französischen  {cuivre  =  cupreum)  bewahrt 
ist.  Die  übrigen  romanischen  Sprachen  bedienen  sich  des  latei- 
nisehen  aeramen,  aeramentum  ,,Kupfergeschirr^  (wie  griech. 
xdixco/uay  vgl.  p.  66)  =  it.  rame,  wal.  arame  (aber  alame 
i,Me8sing^ '),   sp.  arambrey  alambre  (daher  auch  bask.  alamerea 

1)  Kretschmer  a.  a.  0.  gibt  unrichtig  11.  I,  365  an. 

2)  Vgl,  über  die  Kupferfunde  auf  Kypros  Cesnola  Gypern   und 
M.  Much  Die  Kupferzeit'  p.  136. 

8)  Die  anderen  romanischen  Namen  für  das  Messing  frz.  lait(yny 
it   ottonef  sp.  IcUon  sind  nach  F.  Diez  Etym.  W.  d.  rom.  Spr.^  p.  230 


—    70    — 

neben    dem  genuinen    urraida,  vgl.  oben  p.  62),  pr.  aratriy 
airain.     Ostwärts    von    Italien    kebrt    cuprum    im    alb.    Tci^ 
„Kupfer"  wieder;    vgl.    auch    nserb.   kupor,    oserb.  kopor. 
intensivsten  aber  haben  die  germanischen  Sprachen   das   h 
Wort    in    sich    aufgenommen.     Es   lautet:    ahd.  chuphary    m\^m.d. 
kupfer,  kopfevy    engl,    copper,    dän.    köbberj    schwed.    koppc^r, 
altn.  koparr.     Von  dem  hohen  germanischen  Norden  ans  ist      es 
einerseits    in    das    Irische    (copar)    und  Cornische    {cober  ZetMss 
G,  CJ  p.  1069),  andererseits  in  das  Finnische  (Arupari),  Lappiscbe 
(kuoppar),  Estnische  {kubar-wafik)  eingedrungen.     Lappisch  air, 
airra  ist  altn.  eir,  got.  aiz, 

Dass  auch  in  Rom,  wie  in  Griechenland,  dem  historischeD 
Eisenalter  eine  Bronzezeit  vorausging,  folgt,  abgesehen  von  deo 
Funden,  auch  aus  einer  Reihe  von  Kultussatzungen,  die  den 
Gebrauch  des  Eisens  verboten  und  den  des  Erzes  vorschrieben. 
So  musste  (nach  Festus  Pauli  ed.  C.  0.  Müller  p.  106)  die 
Vestalin  das  Feuer  in  ehernem  Sieb  in  den  Tempel  tragen, 
mit  ehernem  Messer  musste  sich  der  Flamen  Dialis  rasieren, 
und  mit  ehernem  Pflug  musste  bei  Städtegründungen  der  Um- 
riss  einer  Niederlassung  gezogen  werden  (vgl.  Heibig  Die  Italiker 
in  der  Poebne  p.  80  f.). 

Wenden  wir  uns  in  den  Norden  Europas,  so  begegnet 
im  Keltischen  eine  in  allen  Mundarten  desselben  fiberein- 
stimmende Benennung  des  Kupfers  und  Erzes :  ir.  umae,  acjmr» 
emedf  PI.  emedou,  ncymr.  efydd.  Sic  würde  nach  Bezzen- 
berger  (bei  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz)  auf  eine  Grund- 
form '^um-ajo  zurückführen  und  in  ihrem  zweiten  Teil  einen 
Überrest  des  idg.  *ajo8  enthalten,  das  vielleicht  auch  dem  kelti- 
schen Wort  für  „Eisen"  :  Hsarno  (vgl.  u.  Kap.  VII)  zugrunde 
liegt.  Für  den  ersten  Teil  des  urkeltischen  *umajo  fehlt  es  an 
einer  Anknüpfung.  Da  im  Irischen  die  Bronze  cr^dumae  heisst, 
d.  i.  crid  „Zinn^  -f  umae,  und  die  Bronze  aus  Zinn  und  Kupfer 
besteht,  so  könnte  es  naheliegen,  für  das  irische  Wort  von  der 
speziellen  Bedeutung  „Kupfer^  auszugehen.  Indessen  ist  es  rein 
sprachlich  betrachtet  doch  wohl  wahrscheinlicher,  dass  crMumae 
nichts  anderes  bedeutet  als  „Zinn-Bronze^,  d.  h.  echte  Bronze  im 
Gegensatz  zu  anderen  Mischungen. 

auf  rom.  (it.)  latta  ^weisses  Blech"  (eigentl.  plata)  zurückzuführen.  VgL 
aber  dazu  Körting  Lat.-rom.  W.^  p.  529. 


i 


—    71     - 

Bei  den  GermaneD  finden  sich  neben  got.  ais  (s.  o.)  usw. 
noch  zwei  geographisch  nicht  weit  verbreitete  Ausclriteke  für 
denselben  Begriff:  agis,  ftr(F«,  engl,  hrasfi  und  ahd,  aruz,  aruzi, 
trezi,  altndd.  arut,  unsei"  „Erz".  Beide  harren  noch  einer 
sicheren  Erklärung.     Das    erstere    konnte    man    mit  lat.  femtm 

■ans  *fersum  vergleichen,  in  welchem  Falle  eine  Parallele  zh  der 
ohen  erörterten  Reihe  griecb.  ;t"^''^  n^rz"  —  aM&X.  SeUzo  „Eisen^ 
Torläge.  Für  ahd.  ai-uz  {auch  in  Ortsnamen  Aruzapafi,  Ärizperc, 
Ärizgreßi,  Ärizgruoho),  das  Kluge  Et.  W.  auf  eine  Grundform 
*arÖHuin  znrtlekfUhrt,  habe  ich  an  den  Namen  der  etrnriscben 
Stadt  Jrre^iwm  erinnert,  die  einer  der  berühmtesten  Waffenplätze 
Italiens  war  {Arretini  M.  M.  M.  sctitorum,  galeas  totidem,  pila, 

•gaesa,  hastas  longas,  mühim  quinquaginUt  summam  prn-i 
euiusque  generis  numero  expleturos,  securis,  rufra,  falces,  al- 
veolos,  molas,  quantum  in  XL  longa»  naves  opus  egget,  Liv. 
XXVIII,  45,  16).  A.  Fick  (Vergl.  W.  I*,  356)  vergleicht  grieoh. 
Äß*?  „Pfeilspitze",  G.  Meyer  Et.  W.  p.  14  alb.  arints  „Stahl", 
A.  Walde  (Et.  W.  d.  tat.  Öpr.  s.  v.  raudtis)  denkt  aufe  nene  an 
Verknüpfung  mit.  lat,  rudis  [aen  i-ude).  Eine  Entscheidung  kann 
ztirzeit  nicht  getroffen  worden.     Übrigens    deckt    sich    aruz  mit 

Iir  nicht  völlig  in  der  Bedeutung;  denn  während  von  den  beiden 
Adjektiven  mhd.  erin  und  erz!n  ersterea  nur  auf  das  Kupfer  oder 
die  Bronze  angewendet  wird  (also  =  lat.  aeneus),  bedeutet 
erzin,  nbd.  erzen  ganz  allgemein  „metallicits". 
Allen  slaviscben  Sprachen  gemeinsam  ist  die  Sippe  von 
■llel.  medl  usw.  In  einigen  Slavinen  bezeichnet  es  speziell  das 
Knpfer  gegenüber  dem  mda  (s,  o.j  „Erz";  doch  ist  die  Grund- 
bedentmig  wohl  genau  die  des  griech.  jj^i^rfc  faltsl.  midarl 
^j;a>lxoi'03'(i?",  midinica  „x"^^""''^  "Jsw.  Wahrscheiulich  hängt, 
me  wir  schon  sahen  (o.  p.  14),  das  slavische  Wort  mit  dem 
deutschen  ge-smSde,  smida  (vgl.  griech.  afiütj  „.Schnitzmesser", 
o/üXog  nebeu  /.üXo?  „Taxnsbanm",  „der  zum  Schnitzen  geeignete") 
znsammen  und  geht  mit  diesem  auf  eine  Wurzel  zurück,  deren 
Bedeutung  etwa  „künstlich  herstellen"  war.  Das  altsl.  mSdi 
I  hätte  dann  in  der  Urzeit  etwa  „ehernes  oder  kupfernes  Ge- 
^«cbmeide"  bedeutet. 

An  der  eben  besprochenen  slaviscben  Bezeichnung  des 
■fapfers  und  Erzes  nehmen  aber  die  baltiscben  nicht  teil, 
i4eren     Benennung     beider    Begriffe :    altpr.    itargian    {tearene 


-    72     - 

„Kessel"),  lit.  wärias  (vgl.  auch  szwitwarisj  skaisttoaria  neb      -e; 
misingi  „Messing")    bis   jetzt   eine  Anknüpfung   nicht  gefand       ei 
hat     Indessen  ist  es  mir  sehr  wahrscheinlich,  dass  dieses  alt^^^r. 
wargian  usw.  mit  der    ostfinnischen  Benennung  des  Knpff=»iy 
tscher.  vörgene,  soswa-wogul.  ärgin,   wotj.  irgon  zu  verkntlpP^iB 
ist,  die  auch  in  das  Ossetische  {arxi,  arxviy  Hübschmann  Os».^ 
Spr.  p.  120)  eingedrungen  ist  (vgl.  oben  p.  46, 55  über  das  ossetiselie 
Wort  für  Silber).     Sowohl  was  die  Beziehungen  des  Ossetiscbes 
wie  auch  die  des  Baltischen  zu  dem  Ostfinnischen  betrifft,  mflsseo 
hier   von   den    historischen    ziemlich  abweichende  prähistorisclie 
Völkerzusammenhäuge  vorliegen.    Jedenfalls   haben   die  Finnen, 
bevor  sie  ihre  alte  Heimat  am  Ural  verliessen,  schon  das  Kupfer 
gekannt.     Finnisch  vasJcij  läpp,  vesk,  viesk  (vgl  ung.  vas^   das 
aber  „Eisen"    bedeutet)   kehrt   im   wog.  vox  „Kupfer"    und  im 
ostjak.    vaxj    vox    tj^^'^j   Metall"    wieder,    während    Kupfer  in 
letzterer  Sprache  pafer-vox  heisst,  das  nach  Ahlqvist  soviel  wie 
„schwarzes  Kupfer"  (Schwarzkupferj    bedeuten   würde.     In  der 
Vorstellung    der    Finnen    ist    das   Kupfer    durchaus    das   älteste 
Metall.     Kupfern  ist  der  Sampo,   den  Hmarinen   schmiedet,  ein 
kupfernes    Männchen    fällt   dem    Wäinämöinen    die  Rieseneiche, 
und  auch  der  ewige  Schmiedemeister  Hmarinen   wird  mit  einem 
kupferneu    Hammer    geboren.      Vielleicht    kann    man    aus    den 
Spuren    alter    Kupferbergwerke    in    Sibirien,    den    sogenannten 
Tschuden-Schttrfen,   auf   eine    uralte    bergmännische   Gewinnung 
des  Kupfers  durch  die  ältesten  Finnen  schliessen.     Doch  wussten 
die   Wogulen   bei    der   Ankunft    der  Russen    nichts    mehr    von 
Bergbau,    und  Ahlqvist  vermutet  daher,   dass  sie  nach  Bekannt- 
schaft mit  dem  Eisenhandel  den   alten  Kupferbergbau  vergessen 
hätten  (vgl.  Sjögren  Zur  Metallkunde  der  alten  Finnen  et<j.   Ges. 
Schriften    I,   627  ff.    und  Ahlqvist    Die  Kultnrw.  d,  westf.  Spr. 
p.  63  ff.). 

Dem  Lande  südlieh  des  Ural  und  seinen  Bewohnern,  den 
Skythen,  spricht  Herodot  IV,  41  den  Besitz  des  xqXmq  ab; 
aber  IV,  81  wird  mit  seltsamem  Widerspruch  hinzugefügt,  dasB 
die  Skythen  dennoch  so  reich  an  kupfernen  oder  ehernen  Pfeil- 
spitzen {aQÖig  =  ahd.  aruz'f  s.  o.)  waren,  dass  ihr  König  Ariantas 
einen  ungeheuren,  600  Amphoren  fassenden  Kessel  aus  ihnen 
herstellen  konnte. 

Haben  wir  durch  die  bisherigen  Ausführungen  gelernt,  dass 


-    73    - 

in  den  Sprachen  Europas  nur  ganz  allmählich  eine  schärfere 
Unterscheidung  der  beiden  Begriffe  „Kupfer"  und  „Bronze'*  her- 
vortritt, 80  haben  wir  nun  schliesslich  noch  desjenigen  Ausdrucks 
zu  gedenken,  der  bei  diesem  Prozess  in  späterer  Zeit  eine  be- 
sonders wichtige  Rolle  spielt^  insofern  er  allmählich  immer  deut- 
licher die  Aufgabe  übernimmt;  die  Legierung  des  Kupfers  mit  Zinn 
gegenüber  dem  reinen  Kupfer  zu  bezeichnen:  unseres  „Bronze", 
frz.  bronce,  it.  bromo,  ngriech.  fxjiQovvCog  (mgriech.  vgl.  exet 
xal  ivo  TtÖQtag  jigovrCiveg),  alb.  brunts,  russ.  bronza  usw.  Dieses 
Wort  lautet  in  seiner  ältesten,  mittellateinischen  Gestalt  bron- 
zium  (aeSf  cuprum;  bronzina  tormentum  bellicum;  bronzinum 
vas,  vgl.  Du  Cange  Gloss.  mediae  et  infimae  Latinitatis)  und 
ist  nach  den  einen  eine  Ableitung  des  ursprünglich  deutschen 
Adj.  bruno  „braun",  brunizzo,  bt'uniccie  (brunitius),  also  „das 
bräunliche  Metall",  nach  anderen  ist  es  hervorgegangen«  aus  dem 
ebenfalls  mittell.  obryzum  (obryzum  aurum  =  yovoiov  ößgv^ov 
nGold,  welches  die  Feuerprobe  bestanden  hat",  obinissa  die 
^Feuerprobe  des  Goldes"  schon  bei  Cicero),  die  Bronze  nach 
ihrer  goldähnlichen  Farbe  bezeichnend;  vgl.  Diez  Etym.  W.  d. 
rom.  Spr.  I^,  69.  Eine  neue  und  auf  den  ersten  Blick  sehr 
bestechende  Erklärung  hat  Berthelot  in  einem  Aufsatz  Sur  le 
nam  du  bronze  chez  les  alchimiates  grecs  (Revue  archiologique 
1888  p.  294)  aufgestellt.  Dieser  sucht  als  die  älteste  Form  des 
Wortes  aus  alchimistischen  Schriften  ein  mgriech.  ßgorrtjoiov  zu 
erweisen.  Dieses  aber  entspreche  einem  lat.  aes  Brundisium^ 
da  in  Brundisinm  berühmte  Bronzefabriken,  namentlich  von  Spiegeln 
gewesen  sein  müssen  {Plin.  Rist.  nat.  XXXIII,  9.  45.  XXXIV, 
17.  40). 

Auch  gegen  diese  Herleitung  lassen  sich  aber  gewichtige 
Bedenken  geltend  machen,  die  von  K.  B.  Hof  mann  Über  das 
Wort  „Bronze"  (Berg-  und  Hütteum.  Zeitung  1890,  No.  30) 
richtig  hervorgehoben  werden.  Hof  mann  selbst  vertritt  in  diesem 
Aufsatz  die  schon  von  Pott  (Z.  f.  d.  Kunde  des  M.  IV,  264) 
ausgesprochene  Meinung,  der  zufolge  unser  Wort  „Bronze"  in 
letzter  Instanz  aus  npers.  birinj,  baluCt  brinj  „Kupfer",  „Messing" 
hervorgegangen  sei,  Wörter,  die,  wie  ich  glaube,  ihrerseits  wieder 
mit  dem  schon  oben  genannten  armen,  plinj  und  dem  kaukasi- 
schen püindi  (im  Udischen),  spilendzi  „Kupfer"  (im  Grusini- 
schen)   usw.    zusammenhängen    (vgl.  oben  p.  49).     „Wenn    man 


-    74    — 

sich  erinnert,"  sagt  Hofmann,  ^dass  schon  im  Altertam  die 
Bronze-  und  Messingfabrikation  im  persischen  Reiche  eine  hohe 
Entwicklung  erreicht  hatte,  so  hat  die  Deutung  des  Wortes  aiu 
dem  persischen  ^birindsch",  das  heute  „Messing"  bedeutet, 
etwas  sehr  bestechendes,  und  dies  um  so  mehr,  als  auch  noch 
in  einer  späteren  Zeit  das  kunstfertige  Volk  der  Araber  die 
Bronzebehandlung  von  den  Persern  gelernt  hat."  Auch  der  von 
Hofmann  um  Rat  befragte  hervorragende  Sprachforscher  6. 
Meyer  hält  a.  a.  0.  diese  Erklärung  für  wahrscheinlich:  „Es 
würde  sich  nur  darum  handeln,  das  o  gegenüber  dem  konstanten 
i  der  orientalischen  Wörter  zu  erklären.  Hier  kann  Anlehnung 
an  ein  einheimisches  [vgl.  etwa  venez.  bronza  „glühende  Kohle**?] 
Wort  im  Spiele  sein." 

Auch  ich  möchte  dieser  Herleitung  als  der  nach  Lage  der 
Dinge  ansprechendsten  beitreten,  und  zwar  nicht  am  wenigsten 
wegen  der  in  den  folgenden  Wörtern  liegenden  Analogie. 

In  den  germanischen  Sprachen  begegnen,  etwa  seit  dem 
XII.  Jahrhundert  bezeugt,  mhd.  messinCj  agls.  mästling,  altn. 
messing,  daneben  kürzere  Formen  in  mhd.  messey  Schweiz. 
mösch  „Messing".  Die  Ableitung  dieser  Wörter  aus  dem  lat. 
massa  „Metallklumpen"  darf  jetzt  wohl  als  aufgegeben  gelten 
(Vgl,  F.  Kluge  Et.  WJ  s.  v.  Messing)*);  hingegen  erklären  sich  die 
volleren  germanischen  Formen  ohne  weiteres  als  Entlehnungen  aus 
den  slavisehen  poln.  mosiqdz,  osorb.  mosaz,  nsorb.  mjesnik,  öech. 
momz,  klcinruss.  momz,  weissruss.  mosenz,  die  auf  eine  Grundform 
*mo8engjü  (Miklosich  Et.  W.)  zurückgehen  und  offenbar  nicht  von  döi 
neupersischen  Bezeichnungen  des  Kupfers  kurd.  my«,nper8.fny^,  w«, 
buchar.  miss,  kirgis.  moes  (mhd.  messe,  Schweiz,  wöäcä?)  getrennt 
werden  können.  Den  Ausgangspunkt  aller  dieser  Ausdrücke  aber 
stehe  ich  nicht  an,  einer  schon  von  Kopp  Geschichte  der  Chemie  IV, 


1)  ^Gegen  diese  herrschende  Ansicht  ist  zu  bemerken,  dass  die 
Ableitung  [mhd.  inessinc  etc.]  grössere  Verbreitung  hat  als  das  Primi- 
tivuiii  [ahd.  massa],  und  dass  eine  selbständige  Ableitung  aus  lat 
massa  in  den  verschiedenen  Dialekten  nicht  denkbar  ist;  daher  mnss 
die  Sippe  von  lat.  massa  getrennt  *  werden,  falls  man  nicht  ein  ab- 
geleitetes Wort  den  genn.  zugrunde  legen  kann.**  Was  zugunsten 
der  älteren  Ansicht  gesagt  wt*rden  kann,  findet  man  bei  P.  Diergart 
Messing,  eine  iirgeschichtlich-etymologische  Studie  Z.  f.  angewandte 
Chemie  XIV  (1901\  p.  1300. 


-    75    - 

113  gegebenen  Anregung  folgend,  in  dem  Völkernamen  der  Mossy- 
nOken  zu  erblicken ;  denn  da  von  Psendo- Aristoteles  de  mirdbilibus 
atMCultationibus  ausdrücklich  berichtet  wird:  (paal  tov  Mooov- 
foixov  ;|raAx6v  Xa/Lmgörarov  xal  kevxdrorov  elvai  ov  JiaQajuiyw- 
fiivov  avTcp  xaooixiQov  äkXä  yfjg  nvog  (Galmei,  Zinkerz)  yivojuivrjg 
awetpojuivrjg  avxc^j  so  ist  es  mir  allerdings  nicht  unwahrscheinlich, 
dass  diesem  Völkernamen  ein  barbarisch-pontisches  *mo88  oder 
*mo8sun  ^Messing"  zugrunde  liegt,  das  dann  in  die  persischen 
Mandarten  und  weiter  wanderte.  Dass  jedenfalls  nordklein- 
asiatische  oder  pontische  Völker-  und  Ortsnamen  wiederholt  in 
Beziehnng  zu  Metallen  und  Metallurgie  stehen,  beweisen  die 
Chalyber  (vgl.  griech.  x^^^W  "•  P-  83),  die  Tibarener,  hehr. 
Thubal  (vgl.  hebr.  Thuhalkain  „der  Erfinder  der  Erz-  und 
Eisenarbeit''),  die  Silberstadt  Alybe  (oben  p.  52)  u.  a.  Voll- 
kommene Sicherheit  aber  kann  leider  bis  jetzt  für  keine  der 
bisher  vorgeschlagenen  Deutungen  der  beiden  Wörter  „Bronze" 
und  „Messing''  in  Anspruch  genommen  werden. 

Ergebnisse  dieses  Kapitels:  1.  In  der  idg.  Grund- 
sprache war  als  Bezeichnung  eines  Nutzmetalls  das  Wort  *ajo8 
vorhanden,  das  entweder  „Kupfer"  oder  „Bronze"  oder  beides 
bedeutete  (weiteres  s.  Kap,  IX,  X).  2.  Ein  anderer  idg.  Metall- 
name war  *raudhäy  der  wahrscheinlich  aus  der  Sprache  der 
Sumerer  (urudu)  entlehnt  ist  und  alsdann  von  Haus  aus  „Kupfer" 
bedeutete.  3,  Eine  scharfe  sprachliche  Unterscheidung  des 
Kupfers  und  der  Bronze  ist  unter  den  asiatisch  europäischen 
Idiomen  des  Altertums  nur  im  Sumerisch-Akkadischen  {urudu 
„Kupfer",  zabar  „Bronze")  nachweisbar.  Die  anderen  Sprachen 
gebrauchen  für  beide  Begriffe  ein  und  dasselbe  Wort  (z.  B. 
hebr.  n^hoiet,  griech.  ;^aAx($^).  4.  Erst  verhältnismässig  spät 
tritt  in  dieser  Beziehung  in  Europa  eine  exaktere  Termino- 
logie auf. 


,VII.  Kapitel. 

Das  Eisen. 

Das    schwer   zu    bearbeitende  Eisen    {noXvxfAtjfrog  oürj^), 
das  sich  beute  die  Welt  erobert  hat  und  zu    den   yerbreitetsten 
Mineralien  des  Erdbodens   gehört,   besitzt   die  Eigentümlichkdt, 
dass    eS;    das  Meteoreisen    ansgenommen,    nur  in  yererztem  and 
darum    weniger    augenfälligem    Zustand    vorkommt,    and    von 
Menschenhand  geschmolzen  und  verarbeitet,  dem  Zahne  der  Zeit 
einen  geringeren  Widerstand   als   die   übrigen  Metalle  entgegen- 
stellt.    Die  prähistorische  Archäologie    befindet  sieh  daher  ihm 
gegenüber   in    der  schwierigen    Lage,    öfters  nicht   sicher  entr 
scheiden    zu    können,    ob    das  Fehlen  des  Eisens  in  bestimmten 
Kulturschichten    der   Unkenntnis    der  Menschen   mit   demselben 
oder   der   zerstörenden  Macht   der  Zeit  zuzuschreiben  sei.    Die- 
selbe ist  daher  mehr  als  bei  jedem  anderen  Metalle  auf  historische 
und  linguistische  Zeugnisse  angewiesen. 

Sie  lehren,  dass  die  Bekanntschaft  mit  diesem  Metall  in 
den  Kulturstaaten  des  Orients  über  die  geschichtlichen  Anfänge 
hinaus,  jedenfalls  aber  auf  sie  zurückgeht.  Lepsius  hat  in  seiner 
oft  zitierten  Abhandlung  das  Eisen  unter  dem  Namen  men  bereits 
in  den  ältesten  ägyptischen  Inschriften  nachgewiesen.  Doch 
scheint  die  praktische  Verwertung  des  in  den  Abbildungen  durch 
seine  blaue  Farbe  kenntlichen  Metalles  erst  mit  dem  neuen  Räch 
begonnen  zu  haben  (vgl.  Montelius  Archiv  f.  Anthropologie  1900 
p.  923).  Jedenfalls  wird  die  Priorität  des  Kupfers  auch  hier 
durch  den  bereits  erwähnten  Umstand  wahrscheinlich  gemacht, 
dass  das  Wort  für  Eisen  durch  das  Zeichen  des  Kupfers  dete^ 
miniert  wird  (vgl.  Lepsius  a.  a.  0.  p.  108).  Von  Ägypten  und 
später  von  den  Handelsfaktoreien  der  Phönizier,  Griechen  und 
Römer  am  Roten  Meer  aus  haben  sich  dann  wahrscheinlich 
eiserne  Gegenstände  und  eine  primitive  Eisentechnik,  von  Nord- 


I  nach  Süden  vorseh  reitend,  im  Iiinereu  Afrikas  ausgehreitet. 
so  den  Schein  einer  selhständigen  Entdeckung  des  Eisens  und 
seiner  Gewinnung  durch  die  Schwarzen  erweckend  ivgi.  Andrce 
Die  Metalle  bei  den  Naturvölkern  p.  3  ff.).  In  jedem  Falle 
achltesBt  sich  in  Afrika  die  Eisenüeit  unmittelbar  an  die  ätein- 
Mit  an:  die  übrigen  Metalle  sind  zoin  Teil  vom  Standpunkt 
des  Eisens  aus  benannt  (oben  p.  8  Amn.). 

Die  semitischen  Sprachen  bedienen  sich  eines  gemein- 
schaflliclicn  Ausdruckes  für  das  Eisen:  hebr.  barSzely  syr.  parzld, 
assyr.  parHllu  farab.  ßTzil  „Eisensteckel"),  was  auf  ihre  uralte 
Bekanntschaft  mit  diesem  Metalle  (ursem.  parzÜlu)  hinweist. 
1d  den  Euphrat-  und  Tigrisländern  lässt  es  sich,  Jedoch  aucli 
hier  znnächsl  ohne  praktische  grössere  Bedeutung,  bis  ine  III. 
vorchristliche  Jahrtausend  zurückführen  (vgl.  S.  Müller  Nordische 
Altertumskunde  II,  ö).  Auch  wird  schon  im  alten  Testament 
da«  Eisen  zu  den  Geräten,  als  Talent  (I.  Chron.  2.3,  14.  30,  7), 
zu  Nägeln  und  TUrbescti lägen  und  auch  zu  Waffen  (I.  .Sam. 
n,  7}  verwertet,  wenngleich  es  bemerkenswert  ist,  dass  Bronze 
weit  tiftnfiger  als  Eisen  (in  den  vier  ersten  Büchern  Mose  ist 
das  VerhUltnis  S^ :  4)  genannt  wird.  In  eine  Reihe  mit  dem 
semilischeu  Namen  des  Eisens  gehört  anch  das  sumerische 
harzn.  Ober  dessen  näheres  Verhältnis  zu  den  semitischen  Wörtern 
ich  jedoch  kein  urteil  habe   (vgl,  F.  Honimel  Die  vorsem.  Kul- 

rn  p.  409). 
Wenden  wir  nns  zu  den  indogermanischen  Völkern, 
wird  schon  in  den  liieroglyphisehen  Inschriften  die  Land- 
schaft /'er«,  d.  i.  Persien  als  ein  Hauptausfuhrort  des  Eisens 
bezeichnet  iLepsius  a.a.O.  p.  104).  So  würde  es  sicherklären, 
wenn  schon  im  Zeitalter  des  Awesta  (oben  p.  59)  das  ans  der 
Drteit  übernommene  ayah  „Kupfer",  „Bronze"  allmählich  in  die 
BedeDtnng  des  bald  die  Industrie  beherrschenden  Eisens  über- 
gegangen sein  sollte.  Dass  jedenfalls  das  letztere  in  verhältnis- 
mässig frflher  Zeit  den  iranischen  Stämmen  bekannt  war,  be- 
weist eine  mehreren  ihrer  Dialekte,  ja  sogar  dem  versprengten 
OsBetiKcben  gemeinsame  Benennung  desselben:  afghan.  dspanah, 
ittpiHii, Qsati.  äfsän,  Pamird.  «piu  etc.  (vgl.  W.TomaschekCentralas. 
St«d.  II,  70).    Eine  Erklärung  dieser  Wortsippe  fehlt  noch"). 


1)  Höbschmann   K.  Z.  XXIV,  392  denkt  an  npera.  gpUi  „weias": 


—    78    — 

Übrigens  werden  auch  von  Herodot  (VII  Kap.  61  u.  84) 
die  Perser  durchaus  als  mit  eisernen  und  ehernen  Waffen  aus- 
gerüstet geschildert.  Auch  zu  den  stammverwandten  Skythen 
war  schon  zu  Herodots  Zeit  die  Kenntnis  des  Eisens  gedrungen. 
Der  Geschichtschreiber  erzählt  lY  Kap.  62,  dass  im  Kult  des 
Ares  ein  eiserner  Säbel  (oidiJQeog  äxivdxt]';)  als  Sinnbild  dieses 
Gottes  verehrt  wurde,  und  die  Verwendung  dieses  Metalles  im 
Gottesdienst  lässt  auf  eine  sehr  alte  Bekanntschaft  mit  dem- 
selben schliessen,  während  der  Gebrauch  des  Kupfers  (Erzes) 
ausdrücklich  von  dem  Schriftsteller  wenigstens  für  einen  Teil 
der  Skythen  in  Abrede  gestellt  wird  (IV  Kap.  71). 

Das  armenische  Wort  für  Eisen  erA:af  ist  wie  der  armen. 
Name  des  Kupfers  und  vielleicht  auch  des  Goldes  und  Silbers 
(oben  p.  49)  aus  kaukasischen  Sprachen  (gruzinisch  rJcina  „Eisen'', 
lasisch  erTxina  „Eisen",  rUina  „Messer")  eingedrungen. 

Besondere  Bezeichnungen  für  das  gehärtete  Eisen,  den 
Stahl,  scheinen  in  Vorderasien  verhältnismässig  spät  aufgekommen 
zu  sein;  doch  hat  eine  derselben  eine  über  ein  ungeheures  Ge- 
biet ausgedehnte  Verbreitung  gefunden: 

Npers.  pülädj  syr.  p-l-d  (Paul  de  Lagarde  Ges.  Abb.  p.  75), 
kurd.  ptlä,  pülä,  püläd  etc.  (Justi  Dictionnaire  Kurde-Frangau 
p.  84),  pehlevi  piUäfat,  armen,  polovat  (Lagarde  Armen.  Stud. 
p.  130),  türk.  palüy  russ.  bulatüy  kiruss.  bulat  (Miklosich  Fremdw. 
8.  V.),  mizd'2eghisch  polady  bolat,  mong.  bolot,  bülät,  buriät 
(Klaproth  Asia  polyglotta^  p.  282,  Sprachati.  V,  A.  Pott  Zeit- 
schrift   f.  d.  K.  d.  M.   p.  262,    Hörn    Grundriss  S.  75,   Hflbsch- 


aw.  spaeta'y  doch  ist  mir  keine  Ableitung  einer  Benennung  des  Eliseiu 
von  einem  Adjectivum  „weiss"  sonst  bekannt. 

Justi  Wörterbuch  p.  439  stellt  zu  den  angeführten  Wörtern  auch 
aw.  haosafna,  das  er  (Handw.  s.  r.),  Geldner  K.  Z.  XXV,  579  und 
Geiger  Ostiran.  Kultur  p.  148  mit  „Kupfer*,  Spiegel  (Awosta,  übersetft, 
Vend.  XIII,  254  =  VIII,  90)  mit  „Eisen**,  Bartholomae  Altiran.  W.  mit 
„Stahl*  übersetzt,  was  lautlich  nicht  angeht. 

Im  Neupersischen  heisst  das  Eisen  ähen,  das  man  aus  *aya9ana 
erklären  kann,  oder  das  zu  balui^i  äsin^  pehl.  "jisk  (West  Giossaiy 
p.  27),  kurd  häsin,  awsin  (Justi-Jaba  W.  p.  439)  gehört.  Spiegel  Arische 
Periode  p.  35  denkt  an  Herkunft  von  asan  „Stein*  (vgl.  scrt  ä^man 
oben  p.  60  „Gestein").  Auch  P.  Hörn  Grundriss  d.  npers.  Etymologie 
S.  14  weiss  keinen  Rat. 


.  -  .  J 


Armt-nisolie  Or.  S.  1^32;.     W»  alter  und  woriii  ist   der  Dr- 

ruug  dieser  Worlreibe  zu  snchen? 

1    einem    lieBonderen    Interesse    iel    aueb    die  nsHetiscIie 

loenaong  des  Stnbles  anihin,  ä^idön  (HtlbscbmaDii  Osset.  Spr. 
]).  1j?4),  inaofeni  sie  wiedernni  aus  den  permisoben  Spraelieii 
^wo^i.  andan,  syrj.  jendon)  entlehnt  igt,  Übrigens  auch  im  Kau- 
kasus (vgl,  r.  Erc'kert  p.  132)  wiederkehrt.  So  haben  wir  also 
■tam  drittenmal  osrftnnische  WOrter  im  Ossetiscben  augetroffen, 
den  Namen  des  Silbers  \aiDzint),  des  Kupfers  [aryi),  des  Stahles 
[andun),  wozu  wir  unten  (Kap.  Villi  noch  den  des  Bleies  (itdi) 
stellen  werden,  so  dasg  die  Osseten  aus  der  Zeit  ihres  Zusammeii- 
haiigs  mit  ihren  iranischen  Brüdern  nur  Bezeichnungen  für  das 
Gold  (»uj-2(Jrin(y)  und  Eisen  {äfsän)  mitgebracht  zu  haben  scheinen. 
Die  scbuu  oben  hervcirgehobenen  kulturhistorischen  Beziehungen 
des  Ossetischen  zum  finnischen  Osten  aber  erklären  sieh  um  so 
leichler,  als  uaeh  den  ossetischen  Sagen  einstmals  der  ossetische 
•Stamm  bedeutend  weiter  nordwärts,  als  dies  gegenwärtig  der 
fall  ist,  verbreitet  war  (cgi.  Klaproth  Asiti  polygl.*  p.  83). 
h  K&rzer  können  wir  uns  über  die  indischen  Verhältnisse 
Pnen;  denn  es  ist  schon  oben  (p.  60)  bemerkt  worden,  dass  in 
wa  titi>rarischen  Denkmälern  das  Eisen  erst  gegen  den  Ausgang 
der  vedischen  Periode  mit  Sicherheit  nachzuweisen  ist,  und  dort 
sind  auch  die  ältesten  Xauieu  dieses  Metallcs  genannt  worden. 
Die  späteren  Bezeichnungen  desselben  (vgl.  Pott  Etymologische 
Forsch.  II,  416  und  Narakavis  Räjanighanfu  ed.  Garbe  p.  41, 
42)  bieten  nichts  von  Interesse.  Einer  derselben  sert.  t;astrü 
■eentl.  „Waffe"  ist  im  Munde  der  Zigeuner  als  naster  neben 
Hki)  „Stahl"  (=  kurd,  avsi»)  in  die  Welt  gewandert. 
■  Wir  gehen  nuomehr  nach  Europa  und  zwar  zuerst  nach 
dem  alten  Hellas  liber,  um  uns  auch  hier  nach  Anhaltepunkten 
fUr  das  erste  Auftreten  des  Eisens  umzusehen. 

Das  veilehenfarbige  {töen),  glänzende  (at&mv)  oder  graue 
(.loÄiö,-)  Eisen  spielt  schon  in  der  bomerischen  Dichtung  eine 
nicht  ganz  unbedeutende  Rolle.  Es  wird  wie  das  Kupfer  als 
Taoschmittel  benutzt,  wie  dieses  liegt  es  in  den  Schatzkammern 
lier  Reichen.  Bei  den  Leichenspielen  des  Patroklos  fU.  XXIII, 
Üb  f.)  setzt  Achilteus  als  Preis  einen  Eisenklumpen  ans  {aöXov 
tX^tuyor  d.  h.  „roh  gegossen,  nicht  bearbeitet";  an  Meteor- 
ist    nicht    zu  denkeuj,  von  dem  der  glückliche  Gewinner 


-    80    - 

5  Jahre  seinen  Eisenbedarf  entnehmen  solP).  Messer,  Kenlen, 
Pfeilspitzen  werden  bereits  als  aus  Eisen  gefertigt  genannt.  Ja, 
a(dt]Qog  bedeutet  zuweilen  geradezu  Beil  oder  Schwert  {hpihtem 
ävdga  aidrjoog).  Trotzdem  haben  wir  schon  oben  darauf  hin- 
gewiesen, dass  das  Verhältnis  von  ;^a>lx($^ :  oldrjgog  auf  ein  histo- 
sches  prius  des  ersteren  mit  grosser  Deutlichkeit  hinweist. 

Charakteristisch  für  dasselbe  ist  auch  eine  griechische 
Sage,  die  Herodot  I,  67,  68  tiberliefert,  und  die  er  in  die  Zdt 
des  Krösus  verlegt.  LicheS;  ein  spartanischer  Borger,  aus- 
gegangen, um  die  Gebeine  des  Orestes  zu  suchen,  kommt  in 
eine  Schmiede  {yahtfi'iov),  in  der  er  Eisen  schmieden  (oiA^gor 
liekavvouevov)  sieht.  Über  diesen  Anblick  gerät  er  in  Erstaunen 
{iv  &a)t^inaTi  7]v  ogiljoyv  to  jToierfievoi'),  Der  Schmied  (xahtivij 
nicht  aidt]Qfvg)  bemerkt  es  und  sagt:  ^Du,  der  sich  schon  Aber 
den  Anblick  der  Schmiedearbeit  verwundert,  was  wflrdest  Du 
sagen,  wenn  Du  das  gesehen  hättest,  was  ich  gesehen  habe** 
usw.  Als  Ausstattung  der  Schmiede  werden  Blasebalg  {qmai), 
Hammer  {ofpvQa)  und  Amboss  (äxfiKov)  genannt.  Diese  Gleschichte 
ist  deshalb  lehrreich,  weil  sie  erstens  in  einer  Zeit  erfunden  sdn 
muss,  in  der  die  Herstellung  des  Eisens  noch  etwas  neues  war 
{h  '&ai)jnan  tjv  ögcäv),  und  weil  der  Schmied,  von  dem  ansdrflck- 
lieh  erzählt  wird,  dass  er  otdt]QOs  bearbeitet,  trotzdem  ;|rcuU£ti? 
(xakxtjiov  „Schmiede'')  genannt  wird. 

Da  wir  nun  frQher  (vgl.  oben  p.  64)  gesehen  haben,  das 
das  Eisen  in  dem  mykenischen  Zeitalter  so  gut  wie  unbekannt 
war,  so  folgt  hieraus,  dass  es  erst  in  nachmykenischer,  aber 
vorhomerischer  Zeit  in  Griechenland  bekannt  geworden  sein  mon* 

Auch  Über  die  Gegend,  woher  die  Griechen  dieses  Metall 

1)  e^Ei  fiiv  xai  Jth'ze  neQutXouhovg  hiavrovq 

Xgeco/iterog  '  ov  fikv  ydg  ol  dre/ußofievos  ye  aidi^Qov 

„Man  kann  diese  Stelle  entweder  so  verstehen,  dass  der  Gewinner  de» 
o6Xog  aus  demselben  auf  fünf  Jahre  alle  notwendigen  eisernen  Uten- 
silien in  Vorrat,  und  zwar  in  der  Stadt,  schmieden  lässt  und  sie  dann 
zu  Hause  für  das  jedesmalige  Bedürfnis  bereit  liegen  hat;  oder  mas 
kann  annehmen,  dass  der  Landmann  dem  Schmiede  je  nach  Bedürfnis 
von  seinem  Eisenvorrate  liefert,  wie  dies  noch  heutzutage  auf  den 
Lande  nicht  selten  geschieht,  woraus  man  dann  die  Existeni  von  Dorf- 
oder Wanderschmieden  folgern  müsste*'  (vgl.  Buchholz  Die  honi.  Real 
I,  2  p.  836). 


8t     - 


keimen  lernten,  sind  einige  Vermutiinfreii  p;e»lattet.  Das  Fest- 
land Grieubcnlands  ist  hu  Eisenerzen  nichl  sonderlieh  reich 
iBlUniner  a.a.O.  p.  74),  Eine  Ausnahme  niaeht  der  Pelopnnnes, 
namentlich  am  Vorgcbirg;»  THnaron,  v/n  vielleicht  eclion  die 
Phönizier,  wenn  unsere  Gleichstellung  von  'Jaivnoov  =  bebr. 
tannür  nächmehofen"  iv^l.  oben  p.  IG)  riehtig  ist,  das  Eiecnerz 
auslicateten. 

Die  Grieehen  werden  daher  frühzeitig  auf  ausländische 
MetalUager  angewiesen  gewesen  sein,  lu  der  Tat  bat  sich  in 
Griecbeuland  schon  in  sehr  frtiber  Zeit  eine  bestimmte  Tradition 
aber  die  Herkunft  des  Eisens  festgesetzt.  Diese  wird  nümlich 
naeb  einer  sehr  alten  C'herlleferuug  in  die  Nachbarschaft  des 
Pontus  EnsiuDB,  auf  den  pbrygischeu  Idn  zurllckgcfUbrt,  in  dessen 
waldigen  Täleru  die  'IdnToi  MxriXoi:  Kelmis.  Diiuinameneus  und 
AkmüD  das  bläuliche  Eisen  gefunden  nnd  bearbeitet  haben  sollen. 
Sowohl  in  dieser,  oben  bereits  mitgeteilten  .Stelle  der  l'fioronü, 
der  ältesten,  welche  die  idäischen  Daktylen  erwähnt  (vgl.  oben 
p.  23),  als  anch  in  den  begleitenden  Worten  des  Scholiasten 
(yAjTEC  di  ^aav  xoJ  ipag/taxeii.  Kai  dj)/uovgyol  oid^gov  Xiyovrm 
itQÜnot  xni  /lEiaiXni  yeviö&at.  Scbol.  Apoll.  A.  I,  1126),  ist  aber 
ausscMiesslich  von  dem  Eisen,  nicht  von  anderen  Metallen  die 
Kedf,  so  dnss  erst  spätere  die  letzteren  noch  hinzugefügt  zu 
haben  scheinen.  Das  Parische  Marmor  {^7/  w  Mivtui;  6  nQtbioi 
ißaaiXevae  Hai  Kvdfoviay  f^Jfine  xai  alAi/Qoq  ef'gilh]  h-  rfl  *^^ff' 
c&gitntoy  tätv  'löalwv  AaKtvkiov  KUniog  xal  AufivafKvioK  hr) 
1168  ßamlEi'-oyTtK  "A<^1]vq)v  Ilnv&iovoz)  gibt  sogar  ein  bestimmtes 
Jahr  fUr  die  Entdeckung  des  Eisens  auf  dem  Ida  an. 

Werden  wir  so  durch  die  Überlieferung  an  die  Westkllste 
Kleinasiens  als  Herkunftsort  des  Eisens  geführt,  so  ist  weiterhin 
bemerkenswert,  wie  oft  hier,  im  Gegensatz  zu  dem  Mutterlande, 
im  Süden  und  im  Norden  Eigennamen  (Orts-  und  Personennamen) 
Torkommen,  die  an  das  griechische  oiöt/gos  „Eisen",  das  bis 
jetzt  aus  indogermanischen  Mitteln  nicht  hat  gedentct  werden 
können  '},;anklingen.     Vgl.  Itdagov^,  ZtdtjQovs  Stadt   nnd  Hafen 

1)  Curlius  Grundzü°>j*  u.  ^  p.  246  vorgieit-ht  acrt.  sciditas  ,ge- 
achmoUen"  und  »cirfniif .  .eiserne  Piauiie",  ahd.  inveizjait  Jriijere' 
and  meint,  ortf;?*^  bedeute  .ausgeschmolnen*.  Eine  Bekanntschaft  der 
tndnfTtsrinanen  mit  dem  Eisen  tolgf  indessen  daraus  niclit.  Pott  Et. 
Foraoh.  I"  p.  197   zieht   lit.  sividü»   (wie    auch    G.  Meyer  Griech.  Gr.* 

Sobr»dBr.  8ptiicbver«leicriui.K  luid  L'rBMchicUU  II.    3.  AuH.  6 


—    82     - 

laLyclen,  auch  ein  vulkanisches  Vorgebirge  in  Lyeien  mit  einem 
Tempel  des  Hepbästos  (Scylax  Geogr.  Min.  T.  I  p.  301), 
J^idagvvxiog  Einwohner  (Pape  Eigennamen  s.  v.)  nnd  2Mi^ 
Personenname  in  einer  lycischen  Inschrift  (M.  Schmidt  The 
Lycian  Inscriptions  p.  12).  Nach  einer  mündlichen  Mitteilung 
M.  Schmidts  ginge  aber  aus  der  Flexion  des  lycischen  Eigen- 
namens hervor,  dass  Hiddgiog  ein  einheimischer  Personenname 
gewesen  sei.  Ähnlich  begegnet  uns  im  Norden  die  Landschaft 
Sidrjvri  mit  einem  Küstenplatz  Ziötj  und  anderes  (vgl.  Brnnu- 
hof er  Fernschau,  Aarau  1 886  p.  59,  P.  v.  Bradke  Methode  p.  42). 
Erwägen  wir  nun,  dass  schon  von  Tomaschek  (Z.  f.  Orient  Phi- 
lologie I,  125)  im  Kaukasus  eine  Benennung  des  Eisens  ztdo 
(im  irdischen)  nachgewiesen  worden  ist,  so  wird  es  nicht  nn« 
wahrscheinlich,  dass  die  Bekanntschaft  mit  dem  Eisen  sachlich 
und  sprachlich  vom  Kaukasus  her  über  Kleinasien  sich  bis  nach 
Griechenland  verbreitet  hat,  eine  Auffassung,  die  nm  so  nfther 
liegt,  als  der  griechische  Name  des  Stahls  mit  Sicherheit 
auf  die  gleiche  Herkunft  hinweist. 

Einen  eigentlichen  Namen  für  den  Stahl,  dessen  He^ 
Stellung  durch  Ablöschen  dem  Homerischen  Zeitalter  wohl  be- 
kannt war  (vgl.  Od.  IX,  391),  besitzt  die  Homerische  Sprache 
noch  nicht.  Kvavog  bedeutet  nach  der  über/.eugenden  Unter- 
suchung von  Lepsius  (a.  a.  0.  p.  130)  „nie  und  nirgends  etwas 
anderes  als  einen  blauen  Farbestoff,  den  man  meist  ans 
Kupferblau  direkt  oder  dadurch  herstellte,  dass  man  einen  blauen 
(rlasfluss  daraus  machte  und  diesen  pulverisierte'*. 

Der  erste  Ausdruck  für  den  Stahl  ist  in  der  griechischen 
•Sprache  das  von  Hesiod  (scut.  137)  genannte  äddfjuxg^  -avxog^  das 
liier  mit  Bezug  auf  eine  Sturmhaube  (xvvirj)  gebraucht  wird,  nnd 

|).  247)  und  lat.  stdus,  »tderis  aus  *sidesi8  heran.  Ist  letzteres  richtig, 
80  kann  natürlich  nur  von  einer  Wurzel  Verwandtschaft  mit  oid-tfooi  die 
Rede  sein.  Trotzdem  fassen  einige  Kulturforscher  (vgl.  Lenormaot 
Anfänge  d.  Kultur  p.  58)  deswegen  das  griechische  Wort  als  MeteOT- 
<»sen  SLul{gldu8  «Gestirn''),  wozu  jeder  Grund  fehlt.  Auch  das  koptische 
benipe  „Eisen^,  welches  hierbei  gewöhnlich  als  Analogon  herangeiogeo 
wird,  weil  es  Brugsch  dem  ägypt.  bäa  en  pe-t  gleichgesetst  und  als 
Meteoreisen  aufgefasst  hatte,  erfährt  nach  Lepsius  p.  108  f.  eine  gans 
andere  Deutung.  Ja,  sogar  den  ooXog  aviozäovog  des  Homer  bat  maOf 
wie  schon  angedeutet,  für  Meteoreisen  erklärt  (vgl  Batzel  Vorgesch. 
<1.  europ.  Menschen  p.  283). 


-     83 


I  der  Wurzel  da/t  in  iVifirif/u,  /idfuUo  etc.  gestellt  in  werden 
pficgi,  80  (lass  es  wie  iioni.  n!>äitamo<;  Am  „unhezwiugbare"  sc. 
Helall  bezeiohneD  würde.  VolkstUuilieh  ist  diese  Bildung  schwer- 
ich  jemals  gewesen.  Die  eigentliche  Benennung  des  Stahles 
et  iui  Grieeliischen  vielmehr  erst  x"^'"/'  (auch  /«in/id»«};  Eur. 
äer.  162),    das  «uerdt    bei  Aescliylus  Prom.  133  genannt  wird: 

■  Htvnov  yeiii  Afia  giilvßoi  &ij}Btr  /iyiQtuv 

PS  sicher  ans  kaukastsch-pontischen  Gegenden  nach  Griechen- 
■od  eiugewaiidert  ist.  Dieses  Wort  hängt  ohne  Zweifel  mit 
lern  NameD  des  nordischen  Volkes  der  Chalyber  (X('dvߣ?, 
Xäivßon  zusammen,  die  das  Alterlnm  sowohl  nördlich  des  Pontus 
ind  Kaukasus  als  auch  slldHch  i)is  Armenien  nnd  Paphlagonien 
nit  schwankend  angegebenen  Wohnsitzen  kennt,  und  das  uacfa 
nnstimmigcn  Zenguiasen  sich  dnreb  Bergwerke  auf  Eisen  und 
Cisenm  and  Faktur  auezeichnete.  So  werden  die  uidijijojextovei 
Xälivßeg  schon  von  Aeechylus  Prom.  715  im  unniittelbiireu  Aii- 
leblnss  an  die  Nomadeu' Skythen  (^xi'&ut  ro/^ädsi)  genannt,  wozu 
Üe  He«ychi8clien  Glossen  Xäivßof  e&vot  rijg  Zxv&iaq,  ojjov 
tiAfjQOc  j'i'cfrni  ültd  XnXvßdtxtj'  t^g  S^v/ilai,  Snov  nidi'iffov  fihaiXa 
rtimtnen.  Xenophon  unterscheidet  in  seiner  Anabasis  zweierlei 
'^halyben,  die  einen  zwischen  Ara^Lcs  und  Eyros,  die  anderen 
ila  die  llnlertHocn  der  Moesyoöken  am  Ponttis.  Von  letzteren 
leisst  es  V,  b,  l  6  ßiog  ijv  toü;  Ttleiaroig  niiöiv  ämi  aidijoftag 
isw.  DftSB  auch  die  Tibarenor  und  Moscher  der  Bibel  in  die 
t^ontnsgegenden  weisen,  ist  schon  gesagt  (vgl.  oben  p  66  Anm.  1). 
t^beneo  mag  das  „nordische"  Eisen,  welches  .lerem.  15,  12  ge- 
laoDt  wird,  hierher  gehören.  So  wird  man  nur  darüber  zweifei- 
lafl  sein  könuen,  ob  das  gnech.  ;i;cUi'i/r  einfach  „der  Chalyber" 
iedentet,  oder  oh,  was  mir  das  wahrscheinlichere  ist,  beiden 
l'Olkeru  ein  barbarisch-poiiliscber  Ausdruck  fflr  Eisen  oder  Stahl 
tnde  liegt  (vgl.  oben  p.  75  über  die  Mooavyotxoi  und  oben 
t  über  'Aki'ßij}. 

Auch  im  ältesten  Latinni  maugelt  es  nicht  an  Zeugnissen, 

i  das  einstige  Fehlen  dee  Eieene  beweisen.     Unter  den  ZOnften 

lies  Nnioa  wird  der  faber  ferrarius  vermiest,  uud  dass  der  Ge- 

bniKh  de«  Eisens  in  den  ältesten  Knltnssatzungen    Überall    aus- 

ibloaeen  ist,  wurde  bereits  oben  (p.  70)  erwähnt. 

Zuerst  ist  unser  Metall  auf  italischem  Boden  in  den  Funden 


-    84    — 

von  Villanova  nnweit  Bologna  nachgewiesen  worden  (vgl.  ündset 
Das  erste  Auftreten  des  Eisens  in  Nord-Europa),  die  ihreneiU 
wieder  mit  dem  berühmten  Gräberfeld  von  Hallstatt  am  Nord- 
abhänge  des  Thorsteins  in  Zusammenhang  zu  stehen  Bcheinen^ 
wo  der  Gebrauch  des  Eisens  am  frühsten  unter  den  nOrdlichereo 
Ländern  Europas  in  grossem  Umfang  uns  entgegentritt  (v(^. 
V.  Sacken  Das  Grabfeld  von  Hallstatt,  Wien  1868).  Doch  ist 
die  Frage  der  ethnischen  Zugehörigkeit  dieser  Fundorte  noch 
eine  offene.  Jedenfalls  war  aber  auch  in  Rom,  wenn  wir  die 
Überlieferung  des  Plinius  (XXXIV,  139)  glauben  dürfen,  schon 
zur  Königszeit  das  Eisen  so  bekannt,  dass  im  Vertrag  mit  Po^ 
sina  seine  Verwendung  auf  die  Zwecke  des  Ackerbaus  beschränkt 
wurde.  Leider  hat  das  lateinische  Wort  für  Eisen  ferrum  noch 
keine  sichere  Deutung  gefunden,  so  dass  von  dieser  Seite  kein 
Anhalt  für  die  Geschichte  des  Eisens  bei  den  Italikem  geboten 
wird.  Am  wahrscheinlichsten  ist  immer  noch  (vgl.  oben  p.  11), 
dass  es  aus  *fersum  entstanden  und  mit  den  innerhalb  des  Ger- 
manischen ganz  allein  stehenden  agls.  hrcesj  engl.  hr€t88  „En'' 
zu  verbinden  ist,  so  dass  wir  ein  Analogon  zu  dem  Verh&ltniB 
von  griech.  ;fa^c5ff  „Erz"  :  lit.  geleiis,  slav.  ieUzo  „Eisen^  vor 
uns  hätten.  Andere  (zuletzt  Walde  Lat.  etym.  W.)  haben  an 
Entlehnung  aus  dem  semitischen  Wort  für  Eisen  (hebr.  band 
etc.)  gedacht  (vgl.  lat.  {c)tunica  aus  hebr.  Mtönet).  Nach 
Mommsen  Römische  Geschichte  P,  128  hätten  die  Phönizier  ihre 
Seefahrten  bis  Caere  ausgedehnt.  Einige  Tagereisen  nördlich 
von  der  hier  errichteten  punischen  Faktorei  lag  die  eisenreiche 
Insel  Elba 

Instila  inexhaustis  Chalyhum  generosa  metällis  (Vergil), 
Al^db]  (:  ai&co)  bei  den  Griechen  genannt. 

Eine  sichere  Entscheidung  zwischen  diesen  beiden  mit- 
geteilten Deutungen   des  lat.  ferrum   ist   zurzeit  nicht  möglich. 

Indem  wir  nunmehr  von  dem  Süden  zu  dem  breiten  ROcken 
unseres  Erdteils  emporsteigen,  finden  wir  einen  relativen  Mangel 
an  Eisen  in  der  ältesten  uns  geschichtlich  überlieferten  Zeit 
überall  noch  durch  klare  historische  Zeugnisse  hervorgehoben. 
Und  zwar  lässt  sich  die  Bemerkung  machen,  dasa  derselbe  is 
der  Richtung  nach  Nord-Ost  im  Zunehmen  begriffen  ist.  Nach 
der  Germania  des  Tacitus  (Kap.  6)  ^war  Eisen  in  Deutschland 
nicht  in  Menge  vorhanden^  (ne  ferrum   quidem  supereH).    hn 


rrdea  vrusste  Cäsar  vod  den  BritanDeo,  dass  Eisen  nur  am 
tere,  und  auch  liier  nur  in  uubedeutendem  Masse  vorkäme  id« 
U  Gaü.  V,  Kap.  12).  Im  Osten  uenot  Tacitua  in  dem  Stamm 
'  ;Vstier  den  pfenssifich-lettiBcljen  Spraclizweig;.  Hier  heisst  es 
ioQ  (Kap.  45):  rarua  fern,  frequen«  fustium  ums.  Seine 
IDDtaiB  beecliliesst  das  Volk  der  Fenni  {Finnen),  die  inopia 
H  „ans  Mangel  an  Eisen"  filr  ihre  Pfeile  zu  KnoehenspitzeD 
I  Zitfincht  uehmcu. 

Die  Kunde  des  Eisens  und  seiner  ßearbeitnng  rltckt  in 
lei  Richtungen  nach  dem  europäischen  und  dem  angrenzenden 
iatischen  Norden  vor;  einmal  von  Westen  nat-h  Osten,  das  andere 
Tun  Süd-Osten  nach  dem  Norden  oder  Nord-Westen.  Den 
ingspunkt  der  einen  bilden  im  Westen  die  Kelten. 
Dass  dieses  Volk  sowohl  in  der  Ausbeutnnj^  vrie  auch  in 
■  Verarbeitnng  des  Eisens,  sei  es  dnrch  griechisch-njassilio- 
ehe,  sei  es  dnrch  italische  Einflüsse  (nach  Plinius  llisf.  nat. 
1,  ö  hatte  sich  in  der  Zeit  vor  der  grossen  keltischen 
utderuug  ein  Uclvctier  namens  tlelico  fabrilem  ob  artem  ia 
I  anfgehaltenj,  in  den  letzten  vorchristlichen  Jahrhunderten 
se  Bedeutung  erlangt  hatte,  wissen  wir  durch  sichere  Zeugnisse. 
Xoch  Tacitus  (Kap.  43)  kennt  im  Osten  an  den  vorderen 
lathen  ein  dahin  versprengtes  oder  dort  zurückgebliebenes 
llisebea  Sklavcuvolk  der  Germanen,  die  Colint,  die  quo  magis 
-  denn  „der  Gott,  der  Eisen  wachsen  licss,  der  wollte 
ine  Knechte"  —  et  ferrum  eff'odimit.  .Auch  in  Gallien  selbst 
!^e  anf  Eisen  gegraben.  Besonders  berichtet  dies  Cäsar  von 
ttiturigern  de  bell.  GaU.  VII,  22,  die  sich  bei  der  Belage- 
B  von  Avarienm  sehr  nützlieh  erwiesen:  eo  gcientias  quod 
ui  eo»  magnae  «uni  ferrartae  atque  omne  genns  cuniculorum 
um  ntqae  tisUatum  est.  In  lÜesem  Zusammenhang  ist  es 
nerkenswert,  dass  die  gemeinkeltischc  Bezeichnung  des  rohen 
alles  (cytnr.  mwt/n,  Ir.  mätn,  mianach)  in  die  romanischen 
l'achen  (frz.  mine  „Bergwerk",  it.  mina  etc.)  übergegangen 
i(Thnmey8en  Kcltoromanisehes  p.  61). 

Die  Überreste   dieser   altkeltiscben  Eisenindustrie   sind    in 

u  berühmten  Fundort    bei    dem  Dorfe  Marin    am  Xordende 

I  Neoepbnrger  Sees,  genannt  La  Töne   „die  Untiefe",  in  grossen 

leo  von  eisernen  Waffen,  Werkzeugen,  Gefässen  und  .Schmuck- 

ea  zutage  getreten,  „die  sich  ebenso  von  den  ballstättischen 


-    86    - 

(8.  0.)  wie  von  den  römischen  unterscheiden^  (M.  HOmes  Ur- 
geschichte der  Menschheit).  Dass  wir  es  hierbei  wirUieb 
mit  altkeltischen  Erzengnissen  zu  tan  haben,  beweist  die  Obe^ 
einstimmung  der  Waffen  mit  den  auf  dem  Schlachtfeld  yod 
Alesia  gefundenen.  Von  keltischem  Boden  aus  hat  sich  diese 
Kultur  über  den  ganzen  Norden  Europas  ausgebreitet,  und  die 
Fundstätte  La  Töne  hat  dieser  Epoche  den  Namen  der  La-Ttee- 
Zeit  gegeben. 

Der  gemeinkeltische  Name  des  Eisens  lautete  in  seiner 
ältesten  Gestalt  *t8amo  oder  *tsdrno  (vgl.  den  burgundischen 
Eigennamen  Isamodori:  Ortus  havd  longe  a  vico,  cui  vdwla 
paganitas  oh  celehritatem  clausuramque  fortissimatn  iuper- 
stitiosissimi  templi  Gallica  lingua  Isamodori  i.  e,  ferrei  oitü 
indidit  nomen.  V.  S.  Eugendi  Abb.  mon.  St.  Claudii  in  Bor- 
gundia) :  ir.  iarn,  cymr.  haiarn,  haearn^  com.  hoern^  hem,  harn, 
arem.  hoiarn,  haiam.  Es  ist  möglich,  dass  dieses  altkeltische 
*t8'arno  nichts  als  eine  Weiterbildung  des  idg.  Namens  des 
Kupfers  oder  der  Bronze  *ajosy  *ai8  ist,  der  bei  den  Kelten  in 
der  Form  von  Hs  vorliegen  könnte  (vgl.  oben  npers.  ähen  ^Eisen'' 
aus  *ayasana?).  Sicher  aber  ist,  dass  das  altkeltische  Wort  von 
den  germanischen  Sprachen  ttbernommen  worden  ist,  in  den^ 
es  got.  eisarn,  alts.  isarn,  agls.  isem,  altn.  isarn,  ahd.  Uam 
lautet.  Das  den  germanischen  Sprachen  fremde  Suffix  -am 
(Brugmann  Grundriss  II,  138)  verrät  die  Entlehnung  aus  der 
Fremde  und  zeugt  gegen  Urverwandtschaft.  Die  Zeit  dieser 
Entlehnung  muss  als  eine  ziemlich  frühe  angesetzt  werden,  da 
die  agls.  Form  iren  (aus  *iz-drno)  neben  isem  (aus  ♦f^^mo) 
darauf  hinweist,  dass  sie  vor  Durchführung  der  deutscheu  Laut- 
verschiebung und  des  germanischen  Betonungsgesetzes  erfolgt  ist 
(vgl.  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altertum,  Anz.  XXVIIIy  308),  eine 
Erscheinung,  die  nicht  auffallen  kann,  da  wir  auch  andere  vor 
der  Lautverschiebung  erfolgte  Entlehnungen  aus  dem  Keltischen 
im  Germanischen  kennen  (z.  B.  got.  retks  aus  kelt.  ^rig-s  =  kt 
rex  ^König^).  Der  Anfang  des  IV.  vorchristlichen  Jahrhunderts, 
von  dem  an  man  auch  die  Ausbreitung  der  La-Tine-Kultnr  in 
Europa  rechnet,  dürfte  allen  Anforderungen  gerecht  werden. 

Die  ausserordentliche  Bedeutung,  die  die  Bekanntschaft  mit 
dem  Eisen  im  Norden  Europas,  zunächst  in  der  keltisch-germa- 
nischen Welt,  für  das  Leben  der  Menschen  gehabt  hat,  äussert 


-     8T     - 

ich  aacb  in  der  grossen  Zahl  der  Personennamen,  die  von  dem 
Eellisch-germaDigcbeu  iaaruo  gebildet  worden  sind.  Vgl.  altgall. 
Hrninus  (ein  Begleiter  S.  Patricks),  abret,  Vatihernux,  Phbn 
toiernin,  cyiur.  und  arem.  Haiarn,  Ifoianiscoet,  Cathoiurn 
.  (ZeiisB  Gr.  Cell.'  p.  106  und  Stokes  ürkelt.  Sprachschalz 
1.25),  aaf  deutscbem  Boden:  Isanbard,  laanbirga,  Isanperht, 
lanbrand,  Isanburg,  hangrim  und  viele  andere  (FOrstenianii 
keuUehes  Namenbneli,  Personenn.    2.  Anfl.) 

Die  germaniscben  Völker  übernehmen  nun  ibrerseits  die 
Cnltarenfgabe,  das  wertvolle  Geachenk  des  Westens  weiter  oet- 
rftrts  KB  vermitteln.  Im  Altnordischen  wird  eise  bestimmte 
Isttiiug  des  Eisens,  der  im  Norden  häufig  vorkommende  Kaseo- 
feenstein  iferrum  ochraceum)  raudi  genannt.  Dieses  Wort  hat 
I  den  flbrigvo  gennanisctien  8prachen  keine  Anknüpfung,  achliesst 
hli  aber  zn  einer  Reibe  mit  altsl.  ruda  „Metall",  tit.  rüdä 
lies  ein  slavisches  Lehnwort,  vgl.  A.  Brückner  Die  stav,  Lehnw. 
I  Litauischen  p.  128j,  Wörter,  deren  Zusammenhang  mit  lat. 
vdu«,  scrt.  löhtim  etc.  wir  bereits  oben  (p.  6^)  kennen  gelernt 
■ben.  Demnach  bedeutete  altn.  raudi  urspriinglicb  Enpfer, 
uiD  ohne  Zweifel  das  rote,  erzartige  Eisen,  eben  den  Rasen- 
■enstein.  Dieses  Wort  ist  nun  aus  dem  Nordischen  durch  das 
innische  in  die  flhrigen  westfinnischen  Spracben  eingedrungen, 
t  dsBB  es  der  eigentliche  westrinnische  Ausdruck  fUr  das  Eisenerz, 
^worden  ist:  finu.  rauta,  estn.  u,  weps.  raud,  Hv,  raud,  rdda, 
uod,  läpp,  ruovdde.  Auch  sonst  sind  zahlreiche  finnische  Aus- 
Mleke  für  das  Eisen  und  seine  Bearbeitung  germanisch-nordi- 
Grsprnngs,  So  malmi,  malvi  „Eisenerz",  takki  rautti 
nfawed.  tackjerv)  „Kobeisen",  melto-ratita,  auch  bloss  melto, 
mto,  manto,  läpp,  malddo  (sebwed,  aiiUilta)  „ungehämmertes 
len"  etc.;  aacb  die  Benennungen  der  Schmelzhütte  und  des 
iochofens  sind  entlehnt.  Daneben  fehlt  es  nicbl  an  einer  Reihe 
snainer  Wörter  (vgl.  Ablqvist  Kultuiw,  p.  67  f.  und  liuUethi 
\  l'acad.  de  St.  Peterabourg  VI,  \18}.  Denn  <las  muss  zu- 
Igebeii  werden,  dass  die  Finnen,  einmal  hingewiesen  auf  den 
iticbttim  ihrer  Seen  und  Sümpfe  (vgl.  das  oben  p.  4  über  die 
eburt  des  Eisens  mitgeteilte)  bald  zu  grosser  Fertigkeit  im 
lenhandwerk  sich  emporschwangen,  ja  vielleicht  ihre  germani- 
len  Nachbarn  überriügelten.  Lebendiges  Zeugnis  ihrer  Eiseu- 
iitniedekunst    legen    die    überaus    häufig    mit   rauta   „Eiseu" 


-    88    — 

zusammeugesetzten  Orts-  uud  Distriktsnamen  der  Finnen  ab,  wie 
Baufajäriciy  Rautawesi,  Rautäkangas  und  viele  andere,  wie 
anf  hochdeutschem  Boden  IsarnhOj  Isanpach,  Isanhus  etc.  (vgl. 
Förstemanu  Namenbuch,  Ortsn.). 

Eine  ganz  andere  Erklärung  der  westfinniscben  WOrter 
(finn.  rauta  etc.)  gibt  Lenormant  (sowohl  Die  Anfänge  der 
Kultur  I,  79  als  auch  Transactions  of  the  Soc.  of  Bibl.  Ärek. 
VI,  354),  indem  er  dieselben  mit  dem  obengenannten  akkad 
urudu  „Kupfer"  vergleicht  und  die  litu-slavischen  Anadrflcke 
7'uda  etc.  aus  ihnen  hervorgehen  lässt.  N.  Anderson  Stadien 
zur  Vergleichung  der  idg.  und  finnisch-ugrischen  Sprachen  (Dorpat 
1879)  p.  353  hält  die  westfinnischen  und  idg.  Wörter  für  ur- 
verwandt. 

Der  germanische  Ausdruck  fttr  das  Eisen  {rauta  =  rauii) 
findet  sich  aber  nur  in  den  w^  est  liehen  Sprachen  finnischen 
Stammes,  wie  ein  gleiches  mit  dem  germanischen  Namen  des 
Goldes  der  Fall  war  (vgl.  oben  p.  42).  Im  Osten  des  genannten 
Sprachgebietes  gilt,  wie  für  das  Gold,  so  auch  für  das  Eisen  ein 
anderes  Wort:  ostj.  karte^  wotj.  kortj  syrj.  kört,  tscher.  Mrtnej 
wog.  ker,  kierty  das  sich,  ebenso  wie  der  ostfinnische  Name  des 
Goldes,  nur  durch  Zurückführung  auf  das  iranische  Sprachgebiet 
erklären  lässt.  liier  bedeutet  altir.  kareta^  npers.  kärdj  bucbar. 
fj(irdy  kurd.  kir,  osset.  kard  etc.  „das  eiserne  Messer",  und  es 
ist  unschwer  begreiflich,  wie  wilde  Barbarenstämme  das  nie- 
gesehene Metall  nach  dem  Werkzeug  benannten,  an  dem  es 
ihnen  zuerst  oder  zumeist  aus  den  iranischen  Kulturländern  zu- 
geführt werden  mochte.  Auch  im  Slavischen  (poln.  kord  etc.) 
und  Litauischen  (kärdas  poln.  Lehnw.  „Sehwert",  vgl.  Brückner 
a.a.O.  p.  202)  ist  das  Wort  bekannt*). 

Inmitten  dieser  Strömungen  von  Ost   und  West    liegt   das 


1)  Vgl.  M.  BernÄt  Arische  und  kaukasische  Elemente  in  den 
finnisch-magyarischen  Sprachen  (ungarisch)  S.  390  ff.  —  Die  oben 
I).  79  besprochene  Entlehnung  des  esset,  andan  „Stahl*  aus  den  oßt- 
linnischen  Sprachen  gehört  offenbar  einer  wesentlich  späteren  Zeit  an 
als  die  Entlehnung  des  iran.  karata  in  die  ostflnn.  Sprachen.  —  Ein 
Analogen  zu  der  Verbreitungsgeschichte  des  letztgenannten  Wortei 
bildet  übrigens  das  pcrs.  tdbar,  tdfyr,  baluöl  totoär,  Pamird.  Hpdr 
„Beil",  das  nicht  nur  in  fast  allen  Slavinen  (altruss.  toporü  usw.,  Mi- 
klosich  Türk.  Elem.  p.  1),  sondern  auch  im  nngar.  topor^  tseber.  tavdr 
etc.  (Ahlqvist  p.  30)  wiederkehrt. 


—    89    - 

i-slavische   Sprachgebiet   mit   einem   gemeinsamen  Namen 

Eisens:  lit.  gele£is,    iett.  dzelscy    preuss.  gelso^    altsl.  äelezo. 

•   haben    schon    oben    (p.  65)    über   die   Verknüpfung    dieser 

rter  mit  dem  griecb.  x'^^og  gesprochen.     Die  Grundbedeutung 

nordischen  Wörter  wäre  dann  „Kupfer"  oder  „Bronze" 
rasen,  eine  Bedeutung,  die,  wie  man  wohl  vermuten  kann, 
IT  dem  durch  skythische  Stämme  vermittelten  Eiufluss  des 
1  tischen  Handels   in    die   von  „Eisen**    übergegangen  wäre. 

Endlich  bleibt  mir  in  Europa  noch  eine  ebenso  interessante 
leider  dunkle  Bezeichnung  des  Eisens  zu  nennen.  Es  ist  das 
anesische  hdkur,  auch  dkur,  der  einzige  nicht  ostensibel 
der  Fremde  entlehnte  Metallname  dieser  Sprache,  der  allen 
idarten  derselben  gemein  ist.  Die  einzige  Möglichkeit  einer 
lämng  scheint  mir  seine  Verknüpfung  mit  dem  oben  (p.  78) 
prochenen  armen,  erkaf  „Eisen**  usw.  zu  bieten  (doch  vgl. 
Meyer  Et.  W.  d.  alb.  Spr.  p.  150). 

Verhältnismässig  jung  sind,  wie  sich  nicht  anders  erwarten 
t,  auch  im  Norden  die  Namen  des  Stahles. 

immerhin  haben  die  germanischen  Sprachen  eine  in  allen 
lekten  übereinstimmende  Benennung  desselben:  ahd.  stahal^ 
1.  stahel,  Stachelf  stäl,  altn.  stdl,  engl,  steel,  die  beweist, 
s  die  Kunst,  das  Eisen  zu  härten,  hier  früh  bekannt  war. 
1  germanischem  Boden  aus  hat  Entlehnung  ins  Lappische 
lUj  neben  teräSj  teras :  Iett.  tSrauds)  und  ins  Slavische  (russ. 
!f)  stattgefunden.  Eine  sichere  Erklärung  der  germanischen 
rter  steht  noch  aus.  Man  denkt  an  aw.  staxra  „fest**.  Alt- 
nssisch  panu-staclan  „Feuerstahl**  scheint  in  seinem  2.  Teil 
iofalls  eine  Entlehnung  aus  dem  deutschen  Wort  (vgl.  Meringer 
f.  d.  österr.  Gymn.  1903  V.  Heft  S.  15  des  S.A.)  zu  sein. 

Wie  hier  vom  Westen,  so  beweist  sich  der  Slavismus  auch 
D  Osten  in  seinen  Benennungen  des  Stahles  abhängig.  Russ. 
dtü  etc.  haben  wir  in  seinem  Zusammenhang  mit  Vorderasien 
on  kennen  gelernt.  Vgl.  femer  serb.  £eliky  alb.  UeViky  türk. 
Ikj  pers.  ieUuk;  russ.  charalügü,  d2agat.  karälük,  endlich  auch 
n.  demeszek  „damasziertes  Eisen**,  serb.  demiskinja,  türk. 
''nSkij  ngriech.  di^iaxl  (Damaskus). 

Die  weiteste  Verbreitung  aber  hat  in  Europa  das  lat.  acies 

nucleui)  ferri  gefunden,    das    sich    im   Mittellateinischen    zu 

«re,  aciarium  entwickelt.     Aus  diesem  letzeren  gehen    einer- 


-    90    - 

seits  it.  acciajo,  sp.  aceroy  altport.  aceiro,  frz.  (icierj  wal.  ot^fi^ 
ang.  atzd,  sttd-  und  westslav.  ocilif  ocel,  andererseits  it.  occitMle, 
veu.  azzaley  ahd.  ecchily  ecchel  etc.  (nsl.  jeklo)  hervor  (vgl.  Diez 
Etym.  Wörterb.*  p.  5). 

Litauisch-altpr.  pliinasj  playnia  wird  wohl  richtig  mit  alte. 
fleinn  „Spitze^  Spiess**,  agls.  ftdn  „Pfeil,   Geschoss"  vergBchen. 

Ergebnisse:  1.  Eine  schon  nrsprachliche  Benennung  des 
Eisens  iässt  sich  bei  den  Idg.  nicht  nachweisen.  2.  Im  Gegen- 
teil deuten,  wie  in  den  Funden,  so  auch  in  Sprache  und  Ober- 
lieferung zahlreiche  Züge  darauf  hin,  dass  das  Eisen  bei  den 
einzelnen  idg.  Völkern  erst  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  und 
nach  dem  Kupfer  (Bronze)  bekannt  wurde.  3.  Hinsichtlich  der 
Wege,  auf  denen  sich  die  Bekanntschaft  mir  dem  Eisen  ?er- 
breitete,  lassen  sich  bis  jetzt  folgende  Zusammenhänge  wahr- 
scheinlich machen:  a)  Die  Griechen  lernten  das  Eisen  in  nach- 
mykeuischer  und  vorhomerischcr  Zeit  von  Kleinasien  und  den 
Pontusländern  her  kennen,  b)  Die  Germanen  Qbernahmen  es 
ungefähr  im  IV.  vorchristl.  Jahrhundert  von  den  Kelten,  c)  Die 
Westfinnen  verdanken  ihre  Bekanntschaft  mit  dem  Eisen 
Germanen,  die  Ostfinnen  den  Iraniem. 


VIII.  Kapit^L 

Zinn  und  Blei/) 

Die  archäologischen  üntersnchangen  haben  hinsichtlich  des 
Aaftretens  des  Bleies  and  Zinnes  im  Verhältnis  zu  einander  und 
m  den  übrigen  Metallen  noch  nicht  zu  einem  entscheidenden 
Besultat  geführt.  Soweit  man  bis  jetzt  sehen  kann,  kommt  Zinn, 
freilich  in  äusserst  geringer  Menge,  schon  während  der  Bronze- 
seit  an  zahlreichen  Fundstellen  Europas  vor,  während  das  Blei 
m  Mittel-  und  Nordeuropa  erst  in  der  Hallstattperiode,  im  Süden 
iber  schon  in  Mykenae  und  vor  allem  in  fast  allen  Schichten 
les  Barghügels  von  Hissarlik  erscheint  (vgl.  Olshausen  Z.  f. 
BthnologiC;  Verh.  IX).  Eine  Geschichte  der  beiden  Metalle  lässt 
dch  auf  diese  prähistorischen  Funde  noch  keineswegs  gründen; 
iQch  vergesse  man  nicht,  was  in  anderem  Zusammenhang  (vgl. 
p.  40)  schon  früher  bemerkt  wurde,  dass  aus  Tatsachen  wie 
ienen,  dass  in  Hügelgräbeiii  der  Insel  Amrum  einige  zinnerne 
Dolch-  und  Pfeilspitzen,  oder  dass  in  den  Tumuli  von  Rosegg 
in  Kärnten  zahlreiche  bleierne  Reiterfigürchen  gefunden  worden 
sind,  noch  keineswegs  folgt,  dass  bei  den  dortigen  Bevölkerungen 
die  betreffenden  Metalle  bereits  bekannt  und  in  ihren  Sprachen 
benannt  worden  waren. 

Jedenfalls  lehrt  die  Sprachbetrachtung,  dass  erst  bei  vor- 
gerückteren metallurgischen  Kenntnissen  Blei  und  Zinn  durch 
besondere  Benennungen  unterschieden  worden  sind.  Namentlich 
die  Sprachen  unzivilisierter  Völker  haben  für  beide,  chemisch 
loch  ganz  verschiedene  Metalle  nur  ein  Wort  aufzuweisen,  wie 


1)  Vgl.  den  Artikel  zin  in  Schades  Altdeutschem  Wörterbuch^ 
872—1882,  Blümner  Technologie  und  Terminologie  IV,  81  ff.,  K.  B. 
^ofmann  Das  Blei  bei  den  Völkern  des  Altertums,  Berlin  1885  (Vir- 
^ow-Holtzendorff)  und  den  Artikel  Cassiteriden  in  Holde rs  Altkelti- 
^b«m  Sprachschatz. 


-    92    — 

z.  B.  mordv.  Jciväj  tscherem.  vulna,  wotj.  uzves,  syrj.  ozyi,  a.a. 
zeigen.  Anch  in  der  litauisch* slavisehen  Reihe  iit.  alwas  —  irm, 
ölovo  schwanken  die  Bedeutungen.  So  scheint  der  ältere  Sinn 
im  Russischen  ^Blei"  zu  sein,  während  das  „Zinn^  in  altnusi- 
sehen  Denkmälern  6istoe  olovo  d.  h.  „reines^  o.  genannt  wird. 
Heutzutage  bedeutet  aber  ölovo  im  Russischen  nur  „Zinn'' 
(svin^cü  „Blei").  Auch  im  Lateinischen  war,  nach  den  späteren 
Bezeichnungen  plumhum  nlgnim  „Blei",  plumbum  ätbum  „Zinn" 
zu  urteilen,  ursprünglich  nur  ein  Ausdruck  fflr  beide  Metalle 
vorhanden.  Ebenso  sind  npers.  „weisses  arziz'^  =  Zinn,  und 
„schwarzes  a."  =  Blei  (FIttbschmann  Pers.  Stud.  p.  12)  sowie  dag 
von  W.  Max  Müller  (Orient.  Litz.  II  No.  9)  jetzt  im  Altägypti- 
schen nachgewiesene  dhf'i  hs  „weisses  Blei"  =  Zinn  aufzufassen. 
Doch  sind  bei  den  Kulturvölkern  von  Anfang  der  Über- 
lieferung an  besondere  Ausdrücke  für  Blei  und  Zinn  ?or- 
banden:  assyr.  abdru  und  anaku,  ägypt.  dht'i  {feht  etc.  häufig ak 
Aufschrift  von  Bleiziegeln)  und  das  eben  genannte  dhU  hs,  vediseh 
sfsa  und  trdpu,  homerisch  jnoXvßo^  und  xanahsgog,  lateinisch 
plumbum  nigrum  und  album  (neben  stannum)  etc.  Dabei  ist 
zu  bemerken^  dass  in  den  alten  Aufzählungen  der  Metalle  das 
Blei  immer  den  Schluss  der  feststehenden  Reihenfolge  bildet, 
während  das  Zinn,  wenigstens  in  den  assyrischen  Inschriften,  in 
der  Regel  zwischen  Silber  und  Bronze,  jedenfalls  vor  dem  Eisen 
(vgl.  Lenormant  Transactions  of  Bibl.  Arch,  VI,  337,  345)  seine 
Stellung  hat,  was  auf  eine  hohe  Wertschätzung  dieses  Hetalles 
in  Mesopotamien  schliessen  lässt. 

Wir  haben  gesehen,  dass  die  prähistorischen  Funde  bis 
jetzt  keine  Aufklärung  über  die  ethnischen  Zusammenhänge 
gewähren,  in  denen  Zinn  und  Blei  den  europäisch-asiatischen 
Völkern  bekannt  wurden.  Was  lässt  sich  nun  an  der  Hand  der 
Überlieferung?  und  Sprache  über  die  Herkunft  und  Verbreitong 
der  beiden  Metalle,  zunächst  für  Europa,  ermitteln? 

Bereits  Herodot  III  Kap.  115  weiss,  dass  der  HaaoksQo; 
(ebenso  wie  ro  tjXexTQov  „der  Bernstein")  ans  dem  fernsten 
Westen,  wo  seine  Kenntnis  endet,  von  den  Kaoairsoldeg  nach 
Hellas  gekommen  sei.  Doch  ist  er  über  die  wirkliehe  Lage  der- 
selben im  unklaren,  und  erst  die  Römer  haben  den  Namen  Eassi- 
teriden  auf  die  durchaus  keine  Metallgruben  enthaltenden  Scilly- 
inseln  übertragen    (vgl.  Kiepert  Lehrb.  d.  alten  Geogr.  p.  528). 


-    93    - 

Zinn  wird  vielmehr  seit  alters  bis  in  unsere  Tage  an  der  süd- 
westlichen Küste  Englands,  im  heutigen  Cornwall,  gewonnen,  wo 
es  Cäsar  De  bell.  Qall.  V  Kap.  12  kennt*).  Kurze  Zeit  nach 
ihm  beschrieb  Diodoras  V  Kap.  22  ausführlich  die  bergmännische 
Grewinnnng  des  Zinnes  an  diesem  Orte  und  seinen  Transport 
zunächst  nach  der  Britannien  vorgelagerten  Insel  Iktis,  dann 
qner  durch  Gallien  nach  Massilia  und  Narbo  (vgl.  0.  Schade 
Altd.  Wörterb.  p.  1272).  Als  Vermittler  zwischen  Britannien  und 
Hellas  sind  in  ältester  Zeit  ohne  Zweifel  die  Phönizier  zu  denken. 
Dies  folgt  nicht  nur  aus  allgemeinen  Erwägungen,  sondern  auch 
ans  der  bestimmten  Überlieferung  des  Plinius  VII,  56,  57 : 
FUmbum  ex  Cassiteride  insula  primus  adportavit  Midacritus. 
Midacritus  aber  ist  natürlich  der  phönizische  Melkarty  griech. 
VgcLxXrjg,  der  die  Phönizier  auf  ihren  Seefahrten  als  schützender 
Gott  begleitete. 

Eine  zweite  Hauptfundstätte  des  Zinnes  ist  im  nördlichei> 
Lnsitanien  anzunehmen.  Vgl.  Strabo  III,  c.  147  (nach  Posi- 
donios):  yewäo&ai  (toi»  xaxrireQOv)  d'  ^  tc  TÖig  vjzig  rovg  Avoi- 
taiHJvg  ßagßäQOig  xal  ,  .  .  .  h  de  roTg  Hgräßgoigy  oT  t^s  Avoua- 
rlag  CataTOi  ngog  &qxtov  xal  dvotv  ehiv,  l^avdeXv  (frjoiv  {TIoaBi- 
6dnnog)  rrfv  yfjv  ägyvgcOj  xarrixegcoy  xgvoco  kevxco  usw.  (vgl.  dazu 
Diodoms  V,  38,  4).  Auch  diesen  Handel  wird  man  sich  als^ 
xmiächst  in  den  Händen  der  Phönizier  liegend  vorstellen  müssen, 
sei  es  direkt,  sei  es  durch  Vermittlung  der  Tartessier,  deren^ 
Schiffe  ebenfalls  frühzeitig  die  Küsten  des  Atlantisehen  Ozeans 
zu  Handelszwecken  besuchten  (vgl.  E.  Meyer  Geschichte  des 
Altertums  II,  690  ff.). 

Wie  für  die  Bekanntschaft  mit  dem  Zinn  ist  aber  der 
Westen  Europas,  Britannien,  Gallien  und  vor  allem  wiederum 
Spanien  auch  für  den  Bezug  des  Bleis  bedeutungsvoll  geworden. 
Sowohl  die  Griechen,  bevor  die  Bleiglanzlager  des  Laurion- 
gebirges  ausgebeutet  wurden  (vgl.  Blümner  a.  a.  0.  p.  89  Anm.  1), 
wie  auch  die  Römer  waren  auf  den  Import  dieses  Metalles  aus 
den  genannten  Ländern  angewiesen.  So  begegnet  in  Lusitanien 
eine  Landschaft  Medubriga,  deren  Einwohner  ausdrücklich  Plufn- 
barü  (Plinius  IV,  21,  35)  genannt  werden.     Eine  Stsidt  Mokvßdivt] 


1)  Nascitur  ibi  plumbum  album  in  tnediterraneis  reglonibus,  in 
marUimis  ferrum,  sed  eius  exigua  est  copia;  aere  utuntur  importato. 


-    94    - 

wird  im  Gebiet  der  Mastarnen  bei  den  Säulen  des  Hercnles  er- 
wähnt. Bleierne  Barren  oder  Kacben  sind  in  England,  Frank- 
reich und  Spanien  in  Menge  gefunden  worden.  Sie  sind  mit 
Stempeln  und  Inschriften,  wie  den  Namen  römischer  Kaiser  ete., 
versehen  zum  Zeichen,  dass  sie  aus  staatlichen  Bergwerken  her- 
vorgegangen sind  (vgl.  Hofmann  a.  a.  0.  p.  10,  Blümner  a.  a.  0. 
p.  90). 

Unter  diesen  Umständen  wird  man  auch  für  die  Terminologie 
des  Zinnes  und  Bleies  in  erster  Linie  nach  Anknüpfungen  in  den 
westlichen  Sprachen  Europas  suchen  müssen.  Unverkennbar  igt 
in  dieser  Beziehung  zunächst  der  Zusammenhang  des  griechischen 
und  schon  homerischen^)  xaooksQog  mit  dem  Namen  der  Zinn- 
inseln, den  Kassiteriden,  wenngleich  die  Art  dieses  Znsammen- 
hangs  noch  nicht  klargestellt  ist  (vgl.  die  Literatur  hierüber  bei 
Lewy  Die  semit.  Fremdw.  im  Griechischen  p.  60  f.  und  Holder 
Altkeltischer  Sprachschatz).  Am  wahrscheinlichsten  dürfte  sein, 
dass  sowohl  dem  griech.  xacohegog  wie  auch  dem  Namen 
der  Zinninseln  irgend  eine  barbarische  Bezeichnung  des  Metallee 
zugrunde  liegt,  so  dass  das  Verhältnis  ein  ähnliches  war,  wie  ee 
oben  bei  ^AXvßt]  (p.  53),  Xdkvßeg  (p.  83)  und  Mooovvoucoi  (p.  75)  ve^ 
mutet  wurde.  Vielleicht  gehörte  das  betreffende  Wort  den  nicht* 
idg.  Sprachen  Britanniens  an,  da  der  altkeltische  Name  des 
Zinnes  ir.  crM  (vgl.  oben  p.  70)  war,  der  gewiss  irgendwie  mit 
dem  baskisch-iberischen  cirraida  „Zinn^  (vgl.  urraida  ^Knpfer") 
zusammenhängt.  Später  ist  griech.  xacoiregog  einerseits  in  die 
slavischen  Sprachen:  altsl.  kositerüy  nsl.  koaiter^  kroat.  koritar, 
serb.  kositer  und  ins  Walachische  kositoriüy  andererseits,  offenbar 
erst  mit  den  Eroberungszttgen  Alexanders  des  Grossen,  in  das 
Sanskrit    {kastira,    vgl.   P.    W.    II,    192)    eingedrungen*).     Das 


1)  Es  beschränkt  sich  auf  die  Ilias  und  wird  hier  zu  Verzierungen 
an  Panzern,  Schilden  und  Wagen  verwendet.  Auch  Beinschienen  ans 
Zinn,  die  aber  nur  damit  belegt  gewesen  sein  dürften,  werden  ge- 
nannt. Die  Bedeutung:  „Zinn**  wird  für  xaooiteQog  schon  von  Plinins 
Hist.  nat.  XXXIV,  IH,  47  :  JSeqiiitur  natura  plumbij  cuitM  duo  genera, 
nigrum  atque  candidum.  Album  habuit  auctoritatem  et  Iliads  tempih 
ribus  teste  Honiero^  cassiterum  ab  illo  dictum  —  als  sicher  vorausgeaetit 

2)  Im  Peripl.  maris  eryth7\  ed.  Fabricius  cap,  19  wird  ftaaöhtQos 
als  Einfuhrartikel  in  Indien  ausdrücklich  erwähnt.  —  Wohi  nnr  täu- 
schend ist  der  Zusammenklang  von  griech.  KaaolTtQiK  mit  sert.  kaMy 
kdhsya  „metallenes  Gefäss**,  ,,Metall^,  yMessing**,  altpr.  cassaye  ^Meastny*. 


.  I  d 


ftbiscLe  aus  dem  Griecliigclien  eutleliute  AVort  (kazdir)  liat  eine 
tite  WaDderDiig  in  die  afrikanischen  Sprachen  (Iceadir)  an- 
treteo. 

Auf  EinfilbruDg  ans  der  Fremde  weist  auch  die  {griechische 
leicbonng  des  Bleis,  schnn  darch  die  Verschiedenheit  der 
a  der  dasselbe  auftritt:  /löXißo^  (Honi,},  fxökvßoq, 
{vßftoi  liii  ftokvßdaivij  Hora.),  rhod.  ß6hßo.;  [in  meißohß&aai). 
Idaur.  ß6Xifi<K.  Gehl  man,  wogegen  niehts  tm  Wege  steht, 
B  der  zuletzt  genaunteu  Gestalt  des  Wortes  ans,  so  kommt 
m  mit  ihr  der  baskisch-iberi sehen  Bezeiclinung  des  Bleies 
p«n  {berunez  „von  Blei")  zienilieli  nahe.  Aus  ßüKifw<;  hätten 
h  danD  die  übrigen  griechiscbeu  ßleinamen  dnrcb  Metathese 
d   Verscbränkimg  entwickelt. 

Gern  mochte  man  ancli  das  lat.  plumbum  hier  anknüpfen, 
C  denn  zuletzt  Sommer  Handbuoh  der  lat.  Laut-  u.  Fortnen- 
»re  p.  234  die  Vermutung  ausgesprochen  hat,  /i6Xfßog  und 
tfnbum  wiLren  vielleicht  selbständige  Entlehnungen  aus  einer 
ihtidg.  Sprache  (so  iinch  Walde  Lal,  et.  Wb.  s.  v.  plumbum). 
Hicrcrseits  läest  sich  lat.  plumbum  aus  *plundho  (vgl.  lumhua 
Itsl.  lf,dvija,  abd.  lentiuj  ohne  Schwierigkeit  mit  dem  kelti- 
en  Xnmeii  des  Bleies  ir.  luaide  vermitteln,  das  man  auf  eine 
ben  *pl'indho  liegende  Grundform  *ploudho  (vgl.  got.  durnbs : 
mbs  und  zahlreiche  ähnliche  nasalierte  and  unnasalierle  Wurzel- 
ben  bei  Noreen  Abriss  der  urgerin.  Lautlehre  p.  210  f.)  zurUck- 
fOliren  kann,  so  hart  freilich  von  kulturhistorischem  Standpunkt 
xonSchst  die  Annahme  eines  urverwandten  keltisch -ilaüscben 
sinamens  wkre. 

Wie  sich  dies  nun  auch  verhalteu  möge,  auf  jeden  Fall 
BtiDt  das  eben  genannte  ir.  hiaide  auf  das  genauste  mit  den 
nnantHchen  agis.  ledd,  mhd.  IM.  ndl.  fuod  „Blei"  flberein,  die 
i  Annahme  einer  Verwandtschaft  von  lat.  plumbum  und  ir, 
üde  sicher  ein  gallisches  Fremdwort  dai-stellen  würden,  aber 
(ch  ohne  eine  solche  .\nnalime  ans  allgenieiuen  (IrUndcn 
pc h 81  w A  b r se  li  c i  n  1  i  c  b ,  ebenso  wie  der  Name  des  Eiseus 
len  p.  Ü6),  ans  dem  keltischen  Westen  cntlelint  sind. 

Dasselbe    würde    fUr    die    gemetngermaniflchen    ahd.    bliu, 

hiwts,   altn.  b/,v  (eutlehni :  westfian.  plyijy,  lyiju,  läpp,  blijo) 

'  gelten,    wenn    R.  Mucb   ^7,.   f.   deutsches  Altertum  XLIT, 

,  SCARimeskunde  p.  48)  diese  Würter  richtig    auf   ein  freilich 


—    96    — 

tatsächlich  nicht  bezeugtes  gallisches,  dem  germanischen  *bldro 
(ahd.  bläo,  altu.  bldr  „blau^)  entsprechendes  *bUvo  ans  *blivo 
zurückführt  (Rlei  =  „blaues  Metall").  Anders  Persson  B.  B. 
XIX,  273  und  Hirt  Beiträge  XXIII,  354. 

Endlich  hält  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  p.  312  aoch 
für  das  lat.  atannum  und  seine  romanische  Sippe  (it.  stagno, 
sp.  estaflo^  frz.  4tain)  keltische  Herkunft  (ans  ir.  staUj  stam^ 
sdariy  arem.  stenj  stin,  com.  stSatit  cymr.  yataen^  *stagno)  fSr 
möglich.  Doch  ist  auch  der  umgekehrte  Weg  wohl  denktttr. 
Übrigens  hat  lat.  stannum  die  Bedeutung  „Zinn"  wahrscheinlich 
erst  im  IV.  nachchristlichen  Jahrhundert  angenommen  und  vorher 
verschiedene  Bleilegierungen  bezeichnet  (vgl.  Kopp  Geschiehte 
der  Chemie  IV,  127  und  Blümner  a.a.O.  p.  81  Anm.  6). 

Eine  andere  weitverbreitete  Kette  von  Zinnnamen  in  Europa 
ist  it.  peltroy  sp.  und  portug.  peüre,  altfrz.  peautre,  niederl. 
peauter,  engl.  petDter,  ir.  p4atar  (auch  mit  8 :  engl,  spdter^  od. 
spialter,  hochd.  spiauteVy  altfrz.  espeautre).  Nach  romanischen 
Sprachgesetzen  ging  diese  Sippe  von  Italien  ans  (Diez  Etym. 
W.*  p.  240),  aber  ihr  Ursprung  ist  unbekannt. 

Noch  nicht  sicher  erklärt  ist  auch  die  germanische  Be- 
nennung des  Zinnes:  altn.,  agls.  tin^  ahd.  zin,  das  in  das  Pol- 
nische {cytm)  und  Litauische  (cinas)  und  von  Norden  her  in  die 
meisten  westfinnischen  Sprachen  (tinna)  gewandert  ist.  Am 
wenigsten  anstössig  ist  eine  Anknüpfung  des  germ.  Wortes  an 
altn.  feinn,  got.  tainsj  agls.  tdn^  ahd.  zein  „Zweigt,  „dflnnes 
Metallstäbchen*'  (Fick  Vergl.  W.  IIP,  121),  in  welcher  Fem 
die  Germanen  durch  ausländische  Kaufleute  zuerst  das  Zinn 
könnten  kennen  gelernt  haben.  Tatsächlich  wird  das  Zinn  in 
Form  dünner  Stäbchen,  namentlich  in  der  Schweiz,  nicht  seUen 
gefunden. 

Im  Osten  Europas  erlöschen  die  sprachlichen  vom  Westen 
ausgegangenen  Beziehungen  in  der  Terminologie  des  Zinnes  und 
Bleies.  Die  litauisch-slavische  Reihe:  lit.  ahcas  (liv.  alu\  altpr. 
alwis  „Zinn^,  slav.  olovo  .,Blei^  und  „Zinn^  ist  schon  oben 
erwähnt  worden.  Ich  habe  in  der  ersten  Auflage  dieses  BucheB 
eine  Entlehnung  dieser  Wr>rter  aus  dem  lat.  album  sc.  plumtmm 
angenommen,  worin  mir  Hirt  (Beiträge  XXIII,  355)  gefolgt  ist 
Später  habe  ich  diese  Erklärung  aufgegeben,  da  mir  eine  Ver- 
mittlung des  b  von  lat.  album  mit  dem  tr,  v  der  litu-slavischea 


-    97    - 

Wörter  nicht  möglich  erschien.  Nachdem  wir  jedoch  oben  bei 
ler  Besprechung  des  Goldes  in  lit.  duksas,  altpr.  auais  eine  Ent- 
ehnang,  nicht  aas  lateinischer,  sondern  ans  oskisch-umbrischer 
Sprechweise  kennen  gelernt  haben,  und  da  das  lat.  albus  in  den 
i;enannten  Mundarten  des  Italischen  tatsächlich  mit  labialer 
Jpirans  (umbr.  alfu,  alfer^  osk.  Alafaternum)  gesprochen  wurde, 
Ue  im  Litauisch-Slavischen  nur  durch  w,  v  wiedergegeben  werden 
[onnte,  nehme  ich  keinen  Anstand,  zu  meiner  früheren  Auf- 
assong  zurtlckzukehren  und  in  lit.  alwasy  altpr.  alicis,  slav. 
)lovo  ans  osk.-umbr.  alfum  (plumbiim)  eine  Parallele  zu  dem 
iben  (p.  41)  besprochenen  lit.  duksasj  altpr.  ausis  aus  sab. 
lusom  zu  erblicken.  Wie  die  slavischen  Formen  (meist  wie  im 
Etnasiscben  olovo  neben  russ.  dial.  lavl  und  mbulg.  jelovo)  sich 
:a  den  litauischen  im  einzelnen  verhalten,  wage  ich  nicht  zu 
entscheiden  (anders  über  olovo  E.  Liden  Studien  zur  altind.  und 
rergl.  Sprachgesch.  p.  94). 

Unaufgeklärt  bleibt  das  altpr.  starki^  (starstis?)  ;,Zinn^ 
nnd  die  Reihe  russ.  svin^cü,  lit.  szwlnas,  lett.  swins  „Blei^, 
lie  auch  im  liv.  mnna  und  im  zigeun.  swinzi  wiederkehrt.  Merk- 
prllrdig  ist  die  estnische  Bezeichnung  sea  tina  „Schweinezinn'', 
lie  dnrch  ein  missverständliches  Zusammenwerfen  von  russ. 
winScü  „Blei^  und  smnljä  „Schwein^  entstanden  zu  sein  scheint. 
[)ie  ostfinnische  Terminologie  der  beiden  Metalle  ist  oben  an- 
B;efQhrt  worden«  Hinzuzufügen  ist  magy.  olom^  ön  (russ.  olovo  V) 
„Blei,  Zinn"  und  zu  bemerken,  dass  nach  neueren  Untersuchungen 
Diebt,  wie  vielfach  angenommen  wird,  wotj.  uzvei!  „Zinn,  Blei^ 
und  syrj.  ozys  id.  identische  Wörter  mit  den  oben  (p.  55)  bc- 
iproehenen  wo^j.  azves  und  syrj.  ezyf(  „Silber**  sind  (vgl.  Wicli- 
tnann  a.  o.  p.  56  a.  0.). 

Eine  noch  offene,  speziell  die  Geschichte  des  Zinns  be- 
treffende Frage  ist  die,  ob  die  im  Obigen  geschilderten  west- 
eoropäischen  Zinnquellen  zugleich  auch,  und  zwar  schon  in  der 
ältesten  Zeit,  den  Bedarf  der  orientalischen  Völker  gedeckt 
haben,  wie  es  z.  B.  W.  Max  Müller  Orient.  Litz.  II  Jahrg.  No.  9 
aonimmt,  oder  ob  und  wo  in  Vorderasien  selbst  in  den  frühsten 
geschichtlichen  Epochen  Zinngruben  anzunehmen  sind.  Nament- 
licb  dürften  in  letzterem  Falle  altiranische  Zinngrnben  in  Be- 
tracht kommen.  Vgl.  hierüber  v.  Baer  Archiv  f.  Anthropologie 
IX,  265,    Winckler  Orient.  Forschungen  I,  169,   W.  Tomaschek 

Sehr  Ader.  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  II.    3.  Aufl.  7 


-   98   - 

Mittl.  (1.  Wiener  anthrop.  Ges.  XVllI,  8  (Reallexikon  p.  992). 
Die  ungeheuren  Zinnsehätze  Hinterindiens  (s.  u.)  treten  erst  im 
Mittelalter  in  die  Geschichte  ein. 

Im  übrigen  begnügen  wir  uns  damit,  das  in  der  Yorder- 
asiatischen  Terminologie  des  Zinnes  und  Bleies  Verwandte  oder 
verwandt  erscheinende,  unter  Voranstellnng  der  idg.  Sprache, 
nebeneinander  zu  setzen  (vgl.  Pott  Z.  f.  d.  Kunde  des  Morgen- 
landes IV,  260  f.): 

1.  armen,  anag,  scrt.  7iäga  —  hebr.  ^anäk,  assyr.  anäkä^ 
arab.  änuky  äthiop.  näky  kopt.  bas-neg  ^Zinn"  (vgl.  oben 
p.  92). 

2.  aw.  srvay  npers.  surhy  bnchar.  ssurby  afgb.  surup  etc. 
(vgl.  Hörn  Grundzüge  S.  161  und  Httbsebmann  Persische 
Studien  p.  74)  —  arab.  tlsrub  (vgl.  Klaproth  Asia  polygV 
p.  57)  „Blei". 

3.  buchar.  ärsisy  npers.  arztZy  armen,  aröiöy  zig.  arczicz  (vgl 
Pott  Zigeuner  II,  58),  kurd.  resasy  ersssasy  rüsas  {Jaurn* 
of  fhe  American  Or,  ISociety  X,  150)  —  arab.  roiii» 
„Zinn  und  Blei**  (vgl.  Hübschmann  Arm.  Gr.  I,  111,  511). 

4.  osset.  läla^  kurd.  Tcalaiy  hindost.  keUiy,  npers.  Ic^jUaj, 
parsi  kaläjin  (Z.  d.  D.  G.  M.  G.  XXXVI,  61),  armen. 
klayeky  ngriech.  xalaC,  alban.  kaldjy  bulg.  XroZo; — arab. 
(laTiy  türk.  kalay,  tat.  ckalaiy  tscherk.  galai,  georg.  k4ikt 
kalai  etc.  Das  verbreitetste  Wort  für  „Zinn**  im  Ori^t 
Vgl.  Klaproth  Asia  polygU  p.  97  u.  122,  Miklosich 
Türk.  Elem.  p.  87,  v.  Erckert  Die  Sprachen  des  kankns. 
Stammes  p.  158.  Sein  Ursprung  ist  in  dem  Stftdte- 
namen  Qualah  auf  Malakka  zu  suchen,  dem  Raii|rt- 
Stapelplatz  des  Zinnes  im  Mittelalter  (Tomaschek  L 
f.  or.  Phil.  I,  125).  Dasselbe  war  im  IX.  Jahrb.  ein 
„Stelldichein  für  die  Handelskarawanen  von  Ost-  imd 
Westasien"  (Heyd  Geschichte  des  Levantehandels  1, 37). 
Erst  jetzt  scheinen  die  grossen  Zinnsehätze  HinterindieBB 
in  die  Weltgeschichte  einzutreten. 

5.  osset.  ifrfi  (Klaproth  p.  89)  —  (Sagat.  ie«,  Blt.jeSy  mong. 
dzes  (vgl.  Vämbery  Primitive  Kultur  p.  175)  ^Blei". 

6.  zig.  sjscha,  scrt.  si'sa  „Blei". 

7.  kurd.  kurguschumy  afgh.  kourghächenty  bulg.  kursum, 
alb.    koriümy  ngriech.  xovqöovjm  —  osm.  l:urhtn,  cag. 


r 


IfurgaHun,    alt.    Jiorgo^in,    mong.    chorgholtsiii,    kaukas. 

ghurghaiin,    qurghusun    „ß'^i"    (vgl.  VÄmbery  a.  a.  0. 

|).  175,  Miklosich  Türk.  Eiern,  p.  101,  v.  Erckert  p.  47). 
8.    bindost.  muhca,   zig.  moUiico  (Pott  Et.  F.  I',  113  nnd 

Zige.uiier  II,  456),  ngriech.  /lolvßi? 
Die  manuigf altigen  Sanäkrtt Wörter  für  Blei  nnd  Zinn  vgl. 
bei  Pott  Etyiii.  Foreeh.  II'  p.  414  f.  und  R.  Garbe  Die  indiecben 
Mineralien  p.  36  n.  37.  Von  Interesse  iet  scrt.  ranga,  hindi 
ränga  „Zinn",  naeb  Garbe  a.  a.  0.  p.  37  Amn.  I  vielieicbt  = 
canga,  eigeuti.  „bengalisch",  nnd  ein  späterer  Name  des  Bleies 
yavanesfifa  „bei  den  Javana  (^louiern)  geBchätzt", 


Hiermit  ist  die  Reibe  der  sechs,  dem  früheren  Altertum 
bekannten  Metalle  abgeschlossen.  Zu  diesen  tritt  dann  im  IV. 
nnd  in.  Jahrhundert  allmählich  noch  die  Kenntnis  des  Zink- 
enes (Gaimei)  nnd  des  Quecksilbers  hinzn.  Das  erstere, 
zuerst  in  der  oben  mitgeteilten  Stelle  des  Pseudo- Aristoteles  (vgl. 
p.  75)  bemerkt,  wird  von  den  Rflmern  (Plinius)  mit  dem  aus 
den  griech.  xaö/ieia,  xndfüa  entlehnten  Worte  cadmea,  cadmia 
nGsJntei"  benannt,  das  sich  in  die  romanischen  Sprachen  sp., 
V"t.  ctdatnina  franz.  ca!amiiie  fortgepflanzt  (vgl.  0.  Weise 
•^'rieebische  W.  im  Lateinischen  p.  154  n.  365)  hat.  Das  deutsche 
-'"A.",  das  zuerst  im  XV.  Jahrb.  vorkommt  (vgl.  Kopp  Geschichte 
''w  Chemie  IV,  116),  ist  danke);  man  hat  an  das  abd.  zi»co 
!i»eisaer  Fleek  im  Auge"  gedacht.  Vgl.  0.  Schade  Altd.  Wörter- 
bach   Art.  zinke. 

Das  Qaecksilber  wird  zuerst  von  Tlieopbrast  als  ;i;i'tÖs- 
^S'i'*^t^iii  „flüssiges  Silber"  erwähnt  ivgl.  Kopp  a.a.O.  p.  172j. 
Daaeben  trill  dann  später  der  Ausdruck  vdQ'igyvQog  für  das 
kOttstlicb  ans  Zinnober  {ciniKthan  —  xn-vafläin)  bereitete  Queck- 
silber. So  unterscheiden  auch  die  Römer  zwischen  argentinu 
Kxrtfrn  und  kydrargyrus  „Silberwasser".  Beide  Bezeichnungen 
'les  Lateinischen  sind  dann  weiterhin  da«  Vorbild  ftlr  die  meisten 
lien^iiuangen  des  Quecksilbers  in  den  europäischen  und  vorder- 
asiatiachen  Sprachen  geworden  (vgl.  Pott  Z.  f.  d.  Kunde  des  M. 
W.  263).  Russ.  etc.  rtutt  aus  dem  Türkischen.  Doch  liegt  die 
Waltere  Verfolgung  dieses  Gegenstandes  ausserhalb  unserer  Aufgabe. 


L 


IX.  Kapilel. 

Altindogermanische  Waffen  und  Werkzeuge. 

Wir  sind  im  Kap.  VI  zu  dem  Ergebnis  gekommeo,  da» 
schon  in  der  idg.  Grandsprache  die  Benennung  eines  Nntz- 
metalles,  *ajo8,  vorhanden  war,  die  entweder  „Kupfer"  oder 
„Bronze^  oder  beides  bedeatete.  Zu  einer  Entscheidung  für 
eine  dieser  drei  Möglichkeiten  sind  wir  indessen  noch  nicht  ?o^ 
gedrungen.  Auch  haben  wir  uns  noch  kein  Urteil  darflber  bilden 
können,  ob  dieses  in  Frage  stehende  Metall  schon  in  der  üneit 
eine  gewisse  praktische  Bedeutung  erlangt  hatte,  oder  etwa  nur 
als  Schmuck,  Amulett  und  dergl.  getragen  wurde.  Nach  beiden 
Richtungen  hoffen  wir  nun  Anhaltspunkte  für  eine  Entscheidang 
zu  gewinnen,  wenn  wir  durch  eine  Besprechung  der  altidg.  Waffe» 
und  Werkzeuge  auf  Grund  der  Sprache  und  Überlieferung  den 
schon  urzeitlichen  Bestand  auf  diesem  Gebiet  festzustellen^)  luid 
alsdann  in  Verbindung  mit  den  in  den  bisherigen  Kapiteln  er- 
zielten Ergebnissen  zu  bestimmen  suchen,  auf  welche  der  Ton 
den  Prähistorikem  unterschiedenen  Epochen  (paläolithische,  oeo- 
lithische,  Kupfer-,  Bronze  ,  Eisenzeit)  dieser  Bestand  hinweist 

A.   Waffen. 

I.  (Schutzwaffen.)  In  der  hierhergehörenden  Terminologie 
findet  sich  eine  etymologische  Übereinstimmung  nur  in  den  Be- 
zeichnungen des  Schildes:  ir.  nciath  =  altsl.  Hüü  {*sqeiUh)f 
altpr.  scaytan  {staytan?).  Möglich  ist,  dass  auch  lat.  scUum 
{*8qoitO')  hierhergehört,  das  sich  freilich  ebensowohl  an  griecb. 
axmog  „Leder"  (s.  u.)  anknüpfen  lässt.  Die  GrundbedeotUDg  des 
keltischslavischen  Wortes    ist   in  ahd.  scitf  altn.  sJdd  (^tqeito-) 


1)  Auf  Vollständigkeit  in  der  Terminologie  der  betreffenden 
Begriffe  ist  es  dabei  nicht  abgesehen.  Vgl.  in  dieser  Beziehung  mein 
Kecillexikon  \i.  Waffen  und  u.  Werkzeuge. 


J 


—    101    — 

Seheit'^9  „Holz"  erhalten,  wie  anch  mhd.  bret  und  agls.  bard 
ie  Bedeutungen  „Brett^  und  „Schild^  yereinigen.  Ebenso  wie 
i  diesen  Wörtern,  wird  der  Schild  auch  in  zahlreichen  einzel- 
>rachlichen  Bezeichnungen  nach  dem  Material  benannt,  aus  dem 
r  hergestellt  ist,  entweder  nach  dem  Leder  (griech.  adxog  :  scrt. 
Hie  „Haut,  Fell",  ßovg,  ßcav,  hom.  „Stier*^  und  „Schild",  Qivög 
Baut"  und  „Schild")  oder  dem  Holz  (griech.  hea  „Schild"  und 
Weide",  ir.  fern,  vgl.  femog  „Erle",  ahd.  linta  „Schild"  und 
Linde")  oder  dem  Flechtwerk  (griech.  yeggov  =  altn.  kiarr 
Gtebüsch,  Gesträuch").  Noch  in  historischer  Zeit  entbehrten  die 
»rmanischen  Schilde  jeder  metallischen  Zutat,  wie  Tacitus  Ann. 
,  14  meldet:  Ne  scuta  quidem  (gerunt  Germani)  ferro  nervoque 
ffnata,  sed  viminum  textua  vel  tenues  et  fucatas  colore  tabulas, 
id  ähnlich  werden  wir  uns  die  teils  kleinen,  teils  ungeheuer 
rossen  Schilde  vorzustellen  haben,  mit  denen  Prokop  De  bell. 
»til.  III,  14  und  Maurikios  Ars  müitans  (ed.  Schefferus)  p.  275) 
ie  Slaven  ausrüstet^).  Wie  man  sich  in  Zeiten  der  Not  schnell 
shilde  herstellen  konnte,  wird  von  Cäsar  De  bell.  Gall.  II,  23 
Mschaulich  geschildert  {scutis  ex  cortice  factis  aut  viminibus 
^iexHSf  quae  sübitOy  ut  temporis  exiguitas  postuläbat,  pellibus 
)dmxerant).  Ebenso  werden  die  Verhältuisse  ursprünglich  in 
riechenland  und  Italien  gewesen  sein.  Der  Eindruck,  den  die 
infflbrung  metallener  Schilde  auf  die  italischen  Bauern  uiachte, 
88t  sich,  wie  Heibig  Die  Italiker  in  der  Poebeue  p.  78  richtig 
mierkt,  aus  den  Mythen  erkennen,  die  an  die  ancilia  der  Salier 
iknQpfen.  „Ein  bronzener  Schild  —  so  einzahlte  man  —  fiel 
)ID  Himmel  herab  oder  wurde  durch  göttliche  Schickung  in  der 
e^a  des  Numa  gefunden.  Damit  das  Gottesgeschenk  nicht  von 
einden  entwendet  werde,  Hess  Numa  durch  den  schmiede- 
indigen  Mamurius  elf  ganz  gleiche  Schilde  arbeiten,  welche 
it  ihrem  Vorbilde  zur  Ausrüstung  der  zwölf  Salier  dienten." 
Bemerkenswert  ist,  dass  im  Rigveda  der  Schutz  des  Schildes 
>cb  nicht  bekannt  gewesen  zu  sein  scheint,  jedenfalls  aber 
icht  genannt  wird,  und  dass  in  Übereinstimmung  hiermit  auch 
erodot  YII,  6ö  in  seiner  Schilderung  der  indischen  Krieger  im 
eere  des  Xerxes  den  Schild  nicht  erwähnt.    Auch  ist  das  scrt. 

1)  Über  die  verschiedenen  Formen  der  europäischen  und  asiati- 
chen  Schildarten  finden  sich   ^te  Zusammenstellungen   bei  W.  Rid 
eway  T?ie  early  age  of  Greece  I,  453  ff. 


—    102    — 

(nichtvedische)  sphara,  aphardka  „Schild"  nach  Th.  Nöldeke 
Über  ein  militärisches  Fremdwort  persischen  Ursprungs  im  Sanskrit 
(Sitzungsberichte  d.  Äk.  d.  W.  Berlin  1888  II;  1109)  ab  m 
einem  persischen  ^)  spara  „Schild^  (vgl.  oTtagaßagcu'  yeQgapdQoi 
Hes.,  npers.  siper)  entlehnt  zu  betrachten. 

Gar  keine  urverwandten  Gleichungen  begegnen  in  den  Be- 
nennungen des  Panzers  und  Helmes,  deren  Namen,  auch  ab- 
gesehen hiervon,  den  Eindruck  grosser  Jugendlichkeit  maehen. 
Beide  Schutzwaffen  sind  in  den  Einzelsprachen,  wie  natürlich, 
häufig  einfach  als  „Schutz"  oder  „Hülle"  bezeichnet  (vgl.  ?ed. 
värman  „Panzer**  :  sert.  var,  vrnö'ti  „verhüllen",  aw.  8ärat6ira 
„Helm",  eigentl.  „  Kopf  hülle  :  jf^m  „Kopf";  got.  hilmSj  ahd.  Aelm, 
altn.  hjälmr :  scrt.  gdrman  „Schutz").  Im  einzelnen  wird  der 
Panzer  als  „Behälter"  (griech.  i^cop?;!:  scrt.  dAdroÄ-a)  oder  nach 
seiner  Beschaffenheit  (lat.  lorica  von  lorum  „Riemen"  oder  alt- 
russ.  laty  „der  aus  Schuppen,  die  auf  Leder  aufgenäht  sind, 
hergestellte  Panzer"  :  russ.  lata  „Flick")  bezeichnet,  der  Helm 
von  früheren,  nichtmctallischen  Kopfbedeckungen  her,  die  häufig 
aus  dem  Fell  wilder  Tiere  bestehen  mochten*)  (aw.  ;|rao<)a,  npers. 
yödj  altp.  xandttf  eigentlich  die  spitze,  auch  für  einen  Teil  der 
Skythen  nach  Herod.  VIT,  64  charakteristische  altiran.  Hfltze: 
lat.  cüdo  „Helm  von  Fell";  griech.  xwerj,  eigentl.  die  „Hnnd»- 
haube";  lat.  cassis  ihgls.  hceft^  altn.  hgitr,  ahd.  huot  „Hat''), 
oder  nach  der  Ähnlichkeit  z.  B.  mit  einem  Schädel  oder  einer 
Schüssel  (grieclu  xQcivog :  xQdvov  „Schädel",  xigvov  „SchflSBel") 
benannt.  Auch  Entlehnungsreihen  sind  auf  diesem  Gebiet  Ober- 
aus  häufig.  Das  oben  genannte  aw.  ^(^oda  ist  in  das  Anneniscbe 
(xoir),  das  germanische  got.  hilms  in  das  Altslovenische  und 
Altrussische  (sUmü,  selömü),  sowie  in  das  Romanische  (mlat 
helmuSf  it.  ebno  etc.)  übergegangen.  Das  lat.  gäUa  nebst  seinen 
älteren  Formen  galear,  galerus  ist  an  das  griech.  yaihjj  ya^ 
„Wiesel"  anzuknüpfen,  wie  ja  Dolon  in  der  Ilias  (X,  335)  gerade 
eine  xvvet]  xtidhj  d.  h.  eine  Haube  ans  Wieselfell  trägt  (so  anch 
Osthoff  Parerga  I,  183  und  Walde  Lat.  et.  W.  p.  258).  Scine^ 
seits  ist  das  lat.  Wort  dann  wieder  von  den   meisten   slavisch^ 


1)  Vgl.  Herodot  VII,  61:  Uegaai  dvii  ao:tl6cov  yigga. 

2)  Vgl.  Herodot  VII,  76:  Goi^rxBs  Iti  fiev  tfjat  xe<paXgat  äXmJiexia; 
exovTsg  eaxQaxevovio. 


—    103     - 

Sprachen  (altsl.  galija),  aber  auch  vom  Deutsehen  (nihd.  gälte) 
entlehnt  worden.  Unter  den  Bezeichnungen  des  Panzers  stammt 
armen,  zrah  ans  aw,  zräda  „der  Schuppenpanzer",  den  die  Perser 
schon  auf  ihren  Zügen  nach  Griechenland  (Herod.  VII,  61)  trugen, 
ir.  luirech,  cymr.  lluryg  aus  lat.  lorica.  Der  gesarate  Osten 
Europas  hinwiederum  scheitet  erst  durch  die  Berührung  mit  dem 
keltischen  Westen  die  Kenntnis  des  Panzers  empfangen  zu  haben: 
got.  hrunjöy  ahd.  brunja,  agls.  hynie,  ahn.  brynja,  altsl.  brünjay 
bronja,  auch  altfr;  broigne,  brunie,  prov.  bronha,  mittellat.  (813) 
brugna  gehen  sehr  wahrscheinlich  auf  das  Keltische  (irisch  bruinne 
„Brust")  zurück,  vfie  misev  panzer,  mhd, panzier,  aMtr,  panchire, 
sp.  pancera,  it.  panciera  aus  it.  pancia,  sp.  panza  etc. 
„Wanst"  ipantex)  hervorgeht.  Ebenso  entspringen  mhd.  Aar- 
naschf  ahn.  hardneskjay  altfrz.  harnais,  frz.  harnois,  sp.  etc. 
ameSj  it.  arnese  in  letzter  Instanz  aus  keltischem  ir.  imm,  cymr. 
haiarn  etc.  „Eisen"  (vgl.  Diez  Etym.  W.^  p.  26^  Thurneyseu 
Kelto-rom.  p.  36  f.). 

Ebenso  lässt  sich  an  der  Hand  der  historischen 
Nachrichten  bei  den  idg.  Völkern  Nordeuropas,  von  Westen 
nach  Osten  vorwärts  schreitend,  eine  immer  grössere  ün- 
bekanntschaft  mit  Helm  und  Panzer  nachweisen.  Den  fest- 
ländischen Galliern,  den  Trägern  der  oben  p.  85  ge- 
nannten La  Tfenc-Kultur  wird  von  Diodor  V,  30  vollständige 
metallische  Rüstung  zugeschrieben  {xgdvt]  de  yalxa  negmdejtm 
ßteydiag  i^oxäg  i^  avTcöv  ^x^vra  ....  rdig  juer  yäg  Jioooy.eiTm 
ovfjLq>vf\  xigaia^)  und  ^mgaxag  exovoiv  ol  juev  oidrjgovg  äXvoi- 
dcüiTovg;  vgl.  dazu  die  von  Tac.  Ann.  III,  43  genannten  ganz  in 
Eisen  gehüllten  gallischen  cruppellarii).  Bei  den  Germanen 
dagegen  waren  zur  Zeit  des  Tacitus  Helme  und  Panzer  so  gut 
wie  nicht  vorhanden  (Germ.  Kap.  6:  rix  uni  alterive  cassis  aut 
galea  —  paucis  loricae,  Ann.  II,  14:  non  loHcam  Germano,  non 
gäUam\  den  Slaven  endlich  wird  noch  von  Prokop  B.  G.  III, 
14  jedwede  Bepanzerung  ausdrücklich  abgesprochen. 

Als  Ergebnis  dieser  Betrachtungen  können  wir  somit  hin- 
stellen, dass  metallische  Schutzwaffen,  ja  Schutzwaffen  überhaupt 
in  der  idg.  Urzeit  nicht  bekannt  waren,  vielleicht  mit  Ausnahme 

l)  Solche  Helme  hatten  auch  die  asiatischen  Thraker  bei  Herodot 
VII,  76:  €:ti  6e  xfjm  xeq>a/.fjai  »cgdvea  x<J^^^f^'  ^QO';  de  xoioi  xgnveoi  cotol  ts  xai 
xigea  ngoafjv  ßoos  x^^^^i  sjr^aav  de  xai  Äwpoi. 


—    104    — 

des  Schildes,  der,  von  nichtmetallischer  und  äusseret  primitiTer 
Beschaffenheit,  jedenfalls  bei  den  europäischen  Indogermanen  in 
sehr  frühe  Zeit  zurückgeht. 

II.  (Trutz Waffen.)  An  den  Anfang  dieser  Übersicht 
stellen  wir  die  ausgesprochenen  Fernwaffen:  Bogen  nnd 
Schleudern,  an  das  Ende  die  ausgesprochenen  NahwaffeA: 
Dolch  und  Schwert.  In  der  Mitte  finden  ihren  Platz  dietdb 
zum  Nah-,  teils  zum  Fernkampf  gebrauchten  Keule  und  Lanze. 
Axt  und  Beil  sollen  uns  bei  den  Werkzeugen  beschäftigen. 

1.  Der  Bogen.  Er  ist  ohne  Zweifel  eine  Hauptwaffe  der 
idg.  Urzeit  gewesen,  wie  zunächst  durch  zahlreiche  urverwandte 
Gleichungen  festgestellt  wird:  griech.  ßiog  „Bogen,  Bogensehne' 
=  HCYt.  jyä,  Siw.  jyä  „Bogensehne";  griech.  I6g  =  scrt.  ishu, 
aw.  im  „Pfeil";  lat.  arcus  „Bogen"  =  got.  arhvaznay  altn.  dr, 
agls.  earh  „Pfeil";  ahd.  sträla  =  altsl.  strdu  id.  Noch  in  der 
Ausrüstung  des  vedischeu  Kriegers  nimmt  der  Bogen  (scrt. 
dhdnvan :  ahd.  tanna  „Tanne",  vgl.  Osthoff  Parerga  I,  102  f. 
und  Hoops  Waldbäume  und  Kulturpflanzen  p.  115  ff.)  die  erste 
Stelle  ein.  Er  wird  daher  von  den  alten  Sängern  mit  glühender 
Begeisterung  gepriesen  (vgl.  Rigv.  VI,  65,  1  und  2): 

Der  Wetterwolke  gleichet  die  Erscheinung, 

Wenn  in  der  Schlachten  Schoss  der  Krieger  wandelt. 

Des  Panzers  Weite  schütze  Deinen  Körper, 

Und  unverwundet  gehe  ein  zum  Siege! 

Kanipfpreis  und  Küh'  erbeute  uns  der  Bogen, 
Der  Bogen  siege  in  des  Kampfes  Hitze, 
Der  Bogen  macht  dem  Feinde  Angst  und  Grauen, 
Der  Bogen  gel)'  im  Siege  uns  die  Welt! 

etc. 

Von  Pfeilarten  werden  im  Rigveda  zwei  Gattungen,  eme 
ältere  und  eine  jüngere,  unterschieden:  „Er,  der  mit  Gift  be- 
strichene {ishurdigdhä)^  hirsehhörnige,  und  er,  dessen  Maul  En 
ist  {ä'läktä  yä  rm^ugtrshny  dtho  yäsyä  dyo  mükham,  Rigv.  VI, 
75,  15;  vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  299),  welche  letztere  Sorte 
die  Inder  zur  Zeit  der  Perserkriege  führten:  'Ivdol  — rofa  xaid- 
jiHva  elxov  xai  otarovg  xaXajuivovg,  ijzl  de  aidi]Qog  fjvy  Herod.  VII 
Kap.  66.  Ebenso  ziehen  nach  Herodot  auch  die  Perser,  Meder 
und  Skythen  mit  Bogen  und  Pfeil  bewaffnet  in  den  Kampf,  wie 
diese  Waffen  auch  im  Awesta  {tiyri,  npers.  tir  „Pfeil";  vgl.  auch 
xiygiv  xakovoi  rö  tö^ev/jux  ol  Mrjdol  nach  Dionys-  Eostath.)  d«it- 


.  •>  f^  j^ 


—    lös- 
lich hervortreten.     ^Lmeveiv^  xo^eveiv  xcu  äXrj^i^eo&ai  bilden  nach 
Herodot  I,  136  die  drei  Hanptgegenstände  in  der  Erziehung  des 
jnngen  Persers. 

In  der  Armatur  des  homerischen  Heiden  macht  der 
Bogen  {t6(ov  :  lat.  taxus  ^Eibe^)  allerdings  nicht  mehr  einen 
regelmässigen  Bestandteil  aus.  Doch  gab  es  Völkerschaften  wie 
die  in  ihrer  Kulturentwicklung  überhaupt  zurückgebliebenen 
Lokrer,  die  allein  ;,auf  den  Bogen  vertrauend  und  die  wohl- 
gedrehte Flocke  des  Schafes  gen  Ilion  gezogen  waren"  (vgl.  II. 
XIII,  713  f.),  und  wie  sehr  der  Bogen  die  Hauptwaffe  der 
griechischen  Vorzeit  ausmachte,  zeigt  am  besten  das  Beispiel  des 
Herakles,  der  noch  im  Hades: 

yvfivov  x6^ov  exoyv  xcu  im  vevQfjqpiv  oi'ötoi', 
deiroy  stanzaiviov^  alel  ßaXiovii  ioixwg 

(Od.  XI,  607.) 

dem  Odysseus  entgegentritt.  Dem  entspricht  es,  dass  in  mykeni- 
scher  Zeit,  wie  die  Belagerungsszene  auf  der  Silbervase  des 
IV.  Grabes  zeigt,  der  Bogen  ohne  Zweifel  eine  Hauptwaffe  der 
damaligen  Bevölkerung  bildete,  und  zahlreiche  Pfeilspitzen,  in 
den  älteren  Schichten  lediglich  aus  Obsidian,  später  auch  aus 
Erz,  sind  unter  den  mykenischen  Altertümern  gefunden  worden 
(Tsountas  and  Manatt  p.  205  ff.).  Auch  der  barbarischen  Sitte, 
die  Pfeilspitze  mit  Gift  zu  bestreichen  {lovg  xQ^^^^^)i  wird  ein- 
mal in  der  Odyssee  (I,  260)  Erwähnung  getan,  und  vielleicht 
bedeutet  das  griech.  diatog,  für  das  bisher  eine  passende  Ety- 
mologie nicht  gefunden  ist,  als  möglicherweise  aus  *o,Fio-x6g  (lat. 
virus,  scrt.  vishd  „Gift''  =-  *fio-6g,  log)  entstanden,  geradezu 
„den  vergifteten"  sc,  log  „Pfeil".  Ähnlich  wie  bei  Homer  ist 
Pfeil  und  Bogen  auch  schon  in  der  Bewaffnung  des  servianischen 
Heeres  völlig  zurückgetreten,  und  selbst  das  Korps  der  leicht- 
bewaffneten rorarii  bedient  sich  nur  des  Wurfspiesses  und  der 
ans  Griechenland  (s.  u.)  eingeführten  Schleuder,  nicht  des  Bogens. 
Erat  später  wird  diese  Waffe  durch  die  Hilfs-  und  Bundesvölker 
wieder  in  Rom  bekannter. 

Dasselbe  ist,  wohl  unter  dem  Einfluss  der  Kriege  mit  den 
Römern^  an  deren  Panzerung  der  Pfeil  wirkungslos  abprallte, 
bei  den  keltischen  und  germanischen  Völkern  der  Fall 
gewesen.  Immerhin  ist  der  Bogen  aus  der  Bewaffnung  derselben 
nicht  ganz  verschwunden  (vgl.  Holtzmann  Germ.  Altert,  p.  14ö). 


—     106    — 

Er  ist  ans  Ulmen-  oder  Eibenholz  geschnitzt  and  heisst  daher 
im  Altnordischen  geradezu  dlmr  „Ulme"  oder  ^r  „Eibe".  Anft 
deutlichste  hervor  treten  die  Verhältnisse  der  Urzeit  aber  wieder 
bei  den  Slaven,  bei  denen  noch  zur  Zeit  des  Strategikers Han- 
rikios  der  Bogen  mit  kleinen  vergifteten  Pfeilen  die  Hanpt- 
an griff swaffe  bildete  {xeygjjvrai  df  xal  rö^oig  ^vUvoig  xai  aaymm 
/MXQOig  xeygifih'aig  ro^ixco  cpaQfxdxoiVj  Sjieg  imly  heQyrftixdv),  Leider 
erfahren  wir  nicht,  woraus  die  Spitzen  dieser  altslavischen 
Pfeile  bestanden,  ob  schon  aus  Metall,  oder  etwa  noch  ans 
Knochen,  wie  denn  knöcherne  Pfeilspitzen  von  zahlreichen  den 
Slaven  benachbarten  Stämmen,  den  Finnen  (Tac.  Germ.  Kap.  46), 
den  Sarmaten  (Pausanias  I,  21,  5),  den  Hunnen  (Ammianns 
Marc.  XXXI,  2,  9)  gemeldet  werden.  Auch  im  Westen  Europas 
weist  der  Umstand,  dass  sowohl  keltische  (ir.  saiget,  cymr.  8a€th)j 
wie  auch  germanische  Namen  des  Pfeiles  (ahd.  phü,  agls.  jpÖ, 
altu.  pila)  aus  dem  Lateinischen  {sagitta  und  pilum)  entlehnt 
sind,  vielleicht  darauf  hin,  dass  hier  erst  durch  den  Einflnss 
Roms  die  metallene  Pfeilspitze  an  Stelle  der  feuersteinernen  oder 
knöchernen  trat. 

2.  Schleudern.  Neben  Bogen  und  Pfeil  steht  als  weitere 
Waffe  im  Fernkampf  der  Schleuderstein,  dessen  sich  die 
indo-iranischen  Helden  nicht  minder  wie  die  homerischen  znr 
Zeit  unserer  Überlieferung  noch  bedienen,  indem  sie  denselben 
zunächst  durch  die  blosse  Kraft  des  Armes  (aw.  asänö  aremö- 
ahüta  „durch  den  Arm  entsendete  Schleudersteine")  entsenden. 
Ein  urverwandter  Name  hierfür  liegt  in  der  Reihe  scrt.  äfanj 
aw.  asan  =  griech.  äxcov  vor,  welch'  letzteres  Wort  aber  die 
Bedeutung  „Wurfspeer"  angenommen  hat.  Hierher  zu  stellen fct 
auch  der  steinerne  Hammer,  der  in  die  religiösen  Anschauungen 
der  ludogermanen  aufs  innigste  verflochten  ist.  Aus  der  Hand 
des  deutschen  Gewittergottos  fliegen  bald  Keil,  bald  Keule,  bald 
Hammer;  Indra  schleudert  den  ägman  (Rigv.  IV,  3,  1;  I,  18, 
1,  9),  Zeus  den  äxjuwv  (Hes.  Theog.  722).  Das  germ.  altn. 
hamarr  (auch  „Fels"),  alts.  hamur,  agls.  hamoVy  ahd.  hatnar 
selbst  ist  etymologisch  sowohl  mit  dem  ebengenannten  scrt.  rffwww» 
=  griech.  äx/ticov  wie  auch  mit  slav.  kamenl  „Stein"  verwandt*). 

1)  Ein  urverwandter  Name  für  eine  hierhergehörende  Waffe 
liegt  vielleicht  auch  in  der  Gleichung  aw.  cakuA  „Wurfhammer"  =  «!*' 
russ.  öekanü  „Streitaxt"  („Wurfaxt"?).   (Fick.) 


i 


—    107    — 

Daneben  lehren  direkte  historische  Zeugnisse^  wie  lange  der  Stein 
zur  Anfertigang  derartiger  Waffenstücke  verwendet  wurde.  In 
der  Schlacht  bei  Magh  Thiired  {Manners  and  customs  I 
p.  CCCCLVII)  waren  gewisse  Krieger  bewaffnet  j^with  rough- 
headed  gtones  held  in  iron  swathes^  (Steinhämmern  mit  eisernen 
Bftndem).  Noch  in  der  Schlacht  bei  Hastings  (1066):  lactant 
Angli  cuspides  et  diver sorum  generum  teluy  aaevissimaa  quoque 
secures  et  lignis  imposita  saxa  {Manners  and  customs  I 
p.  CCCCLIX).  —  Ob  wir  die  eigentliche,  künstlich  hergestellte 
Sohlender,  Stock-  oder  Bandschieader,  wie  wir  sie  auf  der  oben 
genannten  Belagerungsszene  die  niykenische  Bevölkerung  Griechen- 
lands führen  sehen,  bereits  für  die  Urzeit  anzunehmen  haben,. 
mag  dahingestellt  bleiben.  'Als  Nationalwaffc  wird  sie  hei  den 
Iberern  und  besonders  auf  den  Balearen  (Strabo  c.  163  und  168) 
genannt.     Lat.  funda  ist  eine  Entlehnung  aus   grieeh.  orpevöovrj. 

3.  Die  Keule.  Eine  uralte  und  gefürchtete  Waffe  des 
Fern-  und  Nah  kämpf  es  ist  bei  Indern  und  Irauiern  die 
Keule  {vdjra  =  vazra^  vädhar  =  vadare),  mit  der  sowohl  ge- 
schlendert als  geschlagen  wird.  Mit  ihr  verrichtet  Indra  seine 
gewaltigen  Heldentaten,  mit  ihr  schlägt  der  „Keulenträger^ 
{vajrin,  vdjrabähu,  väjrahasta)  den  Unhold  vrträ.  Auch  im 
Awesta  erscheinen  die  Götter,  besonders  Mithra,  mit  ihr  bewaffnet, 
Keresdspa,  der  Held  der  iranischen  Vorzeit,  führt  den  Beinamen 
gadavara^  was  nach  W.  Geiger  a.  a.  0.  p.  444  f.  und  Bartholomae 
p.  488  „Keulen träger",  „Wurf keulenträger"  (aw.  gaöd  =  scrt. 
gada,  vgl.  Osthoff  Parerga  I,  143)  bedeuten  würde,  und  noch 
bei  Firdusi  trägt  der  rechte  Held  seinen  gurz{=  vazra)  au  der 
Seite  (vgl.  P.  de  Lagarde  Ges.  Abb.  p.  203).  Auch  in  die 
homerische  Zeit  ragt  noch  die  Keule  {^onakov :  §amg,  ^a>7ieg\ 
xoQvvr}  :  xQavog  „Hartriegel"  hinein,  mit  der  der  griechische 
Nationalheros  Herakles  seine  Abenteuer  bestand.  Sie  war  nach 
Theokr.  25,  208,  ebenso  wie  die  Keule  des  Kyklopen  Polyphem 
(Od.  IX,  378),  aus  dem  Holz  des  wilden  Ölbaums  {ikatveov)  ge- 
schnitten. Mit  ihr  jagt  Orion  das  Wild  in  der  Unterwelt  (Od. 
XI,  572),  den  Keulenträger  {xoQvvi^rr]g)  Ereuthalion  schlägt  der 
jugendliche  Nestor  (II.  VII,  136);  aber  aus  den  Schlachten  der 
homerischen  Kämpfer  scheint  sie  versehwunden. 

Im  Norden  dürfte  die  cateja  der  Alten  (vgl.  Diefenbach 
Origines  Europ.  p.  287)  eine  keulenartige  Waffe  der  Kelten  (vgL 


—    108    — 

ir.  cath  „Kämpft)  und  Germauen  gewesen  sein,  und  bei  den 
Litauern  und  Prenssen  bildete  die  Keule  zur  Zeit  des  TacitoB 
(vgl.  Germ.  Kap.  45:  rarus  ferrij  frequens  fuffüum  usus)  noch 
die  Hauptwaffc.  Wie  im  Rigveda,  im  Awesta  und  bei  Homer 
erscheinen  auch  die  Helden  der  russischen  Bylinen,  vor  allem 
der  Nationalheld  Ilja  von  Morom,  mit  ihr  ausgestattet  (rosB. 
palica  „Keule").  —  Ein  idg.  Ausdruck  für  den  Begriff  der 
Keule  ist  aber  bis  jetzt  nicht  nachgewiesen  worden. 

4.  Lanze  (Wurfspeer  etc.).  Für  diese  Waffengattung 
bestehen  zahlreiche  urverwandte  Gleichungen,  die  indessen 
geographisch  nicht  weit  verbreitet  sind,  und  in  denen  die  ein- 
zelnen Glieder  nicht  immer  eine  technisch-militärische,  sondern 
öfters  eine  allgemeinere  Bedeutung  wie  „Stange",  „Stachel"  und 
dergl.  aufweisen.  Beispiele:  griech.  alxjn}]  „Lanzenspitze  =  altpr. 
aysmis  „Spiess",  lit.  j^szmas  „Bratspiess";  griech.  ööqv  „Holz, 
Baum,  Balken,  Schaft,  Speer"  =  aw.  däuru  „Stück  Holz,  Speer** 
(nach  Bartholomae  freilich  „Keule";  vgl.  auch  scrt.  cl^f^rti  „Holz- 
stück, Holzscheit,  Pflock");  scrt.  Imita  „Speer"  =  griech. xovrög 
„Stange",  lat.  contus  „Pike,  Stange";  altgall.  gaison,  gaisoi 
{raiodiai),  ir.  gae,  ahd.  ger^  agls.  gdr^  altn.  geir  „Speer"  =  griech. 
Xdlog  „Hirtenstab"  (auch  zum  Werfen);  lat.  sab.  curis  „Speer* 
=  ir.  cur  id.;  lat.  hasta  ^Spiess"  =  got.  gazds  „Stachel";  lat, 
veru,  umbr.  bertis  „Spiess"  =  ir.  bir  „Spiess,  Stachel";  arisch 
scrt.  rshti  =  aw.  arsti,  altp.  arM  „Speer"  u.  a.  m.  In  den 
Einzelsprachen  wird  der  Speer  sehr  häufig  nach  den  Baumarten 
benannt,  von  denen  sein  Schaft  stammt  (griech,  /xeXif]  „Eichel 
xQaveia  „Hartriegel",  alyavh]  „Eiche"  :  ahd.  eih,  lat,  omus  „Berg- 
eschc'S  fraxinusy  altn.  ouhr  „Esche"  u.a.),  oder  auch  als  der 
„geglättete"  sc.  Schaft  (griech.  $vot6v  :  ^ko,  altn.  skafinn :  skafa)y 
vielleicht  auch  als  der  „lange"  (griech.  Xoyxt] :  lat.  longus,  so  in 
der  2.  Auflage  dieses  Buches  und  jetzt  bei  Walde  Lat.  et.  Wb. 
p.  323,  348);  denn  von  enormer  Länge  müssen  wir  uns  den  alt- 
curopäischcn  Speer  vielfach  vorstellen  (vgl.  Reallexikon  p.  786). 

Die  Bedeutung  des  Speeres  in  der  Urgeschichte  Europas 
geht  auch  aus  den  zahlreichen  Benennungen  desselben  hervor, 
die  uns  die  Alten  aus  den  Sprachen  der  Nordvölker  überliefert 
liaben.  So  lat.  lancea^  wahrscheinlich  ein  keltisches  Wort  (vgl, 
ir.  dolecim  „ich  schleudere"),  framea  (Tacitus  Germ.  Kap.  6: 
hasta«  vel  ipsorum  vocabulo  frameas  gerunt  angusto   et  hrm 


■ro).  wohl  ebenfalls  keltisch  {vgl.  ir.  rtima  aus  *prama  „Eisen 
Spaten"   bei  Windiech  I.  T.  s.  v.  lorg  nnd  rammai),  äyyoiveg 

Speere  mit  Widerhaken"  (vgl.  ahd.  ango  „Stachel"),  aparue 
^gl.  ahd.  »per,  allD.  spjör).  gesam  (s.  o.),  matttris  u.  a. 

Wie  primitiv  dieselben  aber  noch  in  historiechcr  Zeit  viel- 
leh  waren,  geht  ani  besten  aus  der  Schilderung  des  Oermanicns 

[Pae.  Ann.  II,  14)  hervor,  der  zufolge  nur  das  erste  Glied  der 
mnaniecben  Schlachtrcihe  eigentliche  Lanzen  [kastae)  führte, 
Ihrend  die  übrigen  sich  mit  praeusta^)  („durch  Feuer  vorn 
ihärteten")  aui  brevia  tela  begnügen  mussten. 

5.    Dolch    nnd  Schwert.     Beginnen    wir    hier    mit    den 

ien  Zuständen  der  Urzeit  am  nächsten  stehenden  altslavisehen 

rerbättnissen,  so  wissen  weder  Prokopius  (De  bell.  goth.  III,  14) 
»ch  Maurikios  (a.  o,  a.  O.j  etwas  von  altslavisclien  Schwertern 
I  berichten.  Hiermit  stimmt  Uberein,  dass  es  genuiue  Bezeich- 
iDgen  dieser  Waffe  im  Slaviscben  Überhaupt  nicht  gibt.  Sie 
(isst  entweder  altul.  v»}ci,  rusB.  mecü,  entlehnt  aus  got.  mekeis, 
;Is.  mdce,  altn.  mwkir  (auch  finn.  niiekka),  oder  altsl.  apata, 
«B.  Kpaga,  das  Ostlichste  Glied  der  über  ganz  Enropa  ver- 
■eiteten  Enllehnnngsreihe  griech.  mitiitt],  sp.  espada  usw., 
ler  altsl.  koräda  (lit.  kiirdas,  alb.  kor^ei,  das  in  letzter  Linie 
if  Rw.  kareta.  npers.  kärd  „Messer"  (vgl.  oben  p.  88)  zurück- 
»ht.  Anders  bei  den  Germanen,  hei  denen  (abgesehen  von 
«.  vifheis  usw.)  mindestens  drei  nrgerraanische,  aber,  wenig- 
en« in  der  Bedeutung  „Schwert",  nicht  über  das  Germanische 
inausgehende  Namen  dieser  Waffe  vorhanden  sind:  1.  ahd. 
vert,  agla.  xireord,  altn,  gverd,  '2.  got.  haimi,  agis.  heor,  altn. 
\örr,  3.  abil.  xa/m,  agIs.  lea^,  altn.  'ittx.  Von  diesen  hat  die 
«te  noch  keine  sichere  Erklärung  gefunden.  Got.  halntn  usw. 
(hören  zu  qiirn  „Waffe,  Speer,  Pfeil".  Am  wichtigsten  in  kultnr- 
istorischer  Hinsicht  ist  die  dritte,  insofern  ahd.  xahi«  ohne 
ireifel  zu  lat.  naxum  „Steiu"  geh'trt  und  demnach  ureprünglich 
oe  steinerne  Waffe  bezeichnet  haben  muss,  die,  da  es  steinerne 

fehwerter  auch  in  der  Steinzeit  niemals  gegeben  hat,  nur  das 
,mals  übliche  kurze  steinerne  Dolchraesser  gewesen  sein  kann, 

Jlerdings  hat  man  gesagt    (vgl.  R.  Much  Festgabe    für  lleinzel 

1)  Solcher  primitiver  Lniizeii  (üxüi-t/oioi  i'.r.jt'iüfoiai)  bedietilen  sich 
eh  im  Heere  des  Xerxea  not-h  die  Libyer  nnd  Myser  (Hfrodnl  VII, 
and  74). 


-     110    — 

1898  p.  232),  dass  derartige  Wortbildungen  wie  hamar  (oben 
p.  106)  und  isahs  schwerlich  in  die  Steinzeit  selbst  znrQckgehen 
könnten,  in  der  sie,  da  damals  alle  Waffen  und  Werkzeuge  ans 
Stein  waren,  nichts  charakteristisches  gehabt  hätten.  Bedenkt 
man  jedoch  Wörter  wie  griech.  aUh]Qog  oder  agls,  Iren,  die  beide 
eigentlich  „Eisen^,  dann  aber  auch  das  aus  Eisen  gefertigte 
Schwert  bezeichnen,  so  sieht  man  nicht  ein,  warum  dieselben 
Sprach  Forgänge  wie  im  Eisenalter  nicht  auch  im  Steinalter 
möglich  gewesen  sein  sollten.  Aus  der  offenbar  grossen  Anzahl 
von  Ausdrücken  für  einzelne  Steinarten  nahmen  einige  an  be- 
stimmten Stellen  des  Sprachgebiets  den  speziellen  Sinn  gewisser 
aus  Stein  gefertigter  Gegenstände  (Hammer,  Dolchmesser  ete.) 
an,  woran  nichts  auffallendes  sein  dürfte.  Mir  scheinen  also 
-derartige  Wörter  sichere  Spuren  einer  auch  bei  den  idg.  Völkern 
einst  vorhandenen  Steinzeit  zu  sein.  Wie  die  Germanen,  ve^ 
fügen  auch  die  Kelten  über  eine  allen  Mundarten  gemeinsame 
Benennung  des  Sehwertes :  ir.  claideb,  cymr.  cleddyf,  bret  cU- 
zeff'y  urkelt.  *Madebo-  (:  lat.  ceUerej  clades),  und  der  allgemeine 
Gebrauch  eiserner,  sehr  langer,  zweischneidiger  Schwerter  {prae- 
Jongi  ac  sine  mucronihuH)  wird  von  den  Alten  (vgl.  Holtzmann 
<Jerm.  Altert,  p.  140  f.)  oft  genug  bei  ihnen  bezeugt.  Auch  bei 
den  Griechen  und  Römern  geht  natürlich  das  Seh  wert  anf 
die  Anfänge  ihrer  Überlieferung  zurück.  Die  Wörter  aber,  die 
es  bezeichnen,  griech.  ^icpog  und  lat.  gladius,  stehen  allein  and 
haben  überhaupt  noch  keine  sichere  Erklärung  gefunden.  Am 
wahrscheinlichsten  ist  für  ^i(pog  die  Annahme  der  Entlehnung  ans 
orientalischen  Ausdrücken  (aram.-arab.  saipäy  saif,  ägypt.  sSßt)f 
für  gladius  die  der  Entlehnung  aus  dem  oben  genannten  galli- 
schen *kladehO'y  *kladev0'  (trotz  Walde  Lat.  et.  Wb.  s.  v.  gla- 
dius).  Auch  steht  $iq)og,  wenigstens  in  der  homerischen  Sprache, 
noch  ganz  ohne  Ableitung  da  und  wird  zur  Bildung  von  Eigen- 
namen ursprünglich  nicht  verwendet,  während  z.  B.  die  Wörter 
für  Lanze  ^yxog  und  namentlich  ae';K/xi7  (s.  o.)  häufig  diesem 
Zwecke  dienen.  Kommen  wir  somit  auf  Grund  der  angeführten 
Tatsachen  zu  der  Überzeugung,  dass  das  metallene  Schwert  bd 
den  idg.  Völkern  zwar  in  sehr  frühe  Epochen  ihrer  Sond^- 
existenz,  aber  noch  nicht  in  die  idg.  Urzeit  zurückgeht,  so  wird 
•<lieser  Ansatz  durch  die  Gleichung: 

scrt.  asi  =  lat.  ensis  „Schwert" 


»her  bestätigt  als  wideriegt.  Piüft  man  nämlich  die  StelleD,  an 
enen  das  iodische  Wort  im  Kigvcda  gebrani^lit  wird  d,  162, 
'.,  79,  86,  ä9i,  80  ergibt  sich,  dass  dasselbe  ausscblie^licli 
Keeeer",  uiubt  „Schwert"  bedeutete,  wie  deon  auch  Böhtlingk- 
»th  es  mit  nScbiachtmesBer''  übersetzen,  und  H.  Zimmer  (Alt- 
id.  Leben  p.  297  ff.)  in  seiner  Darstellung  der  aitvediseben 
«waffnung  des  Schwertes  überhaupt  nicht  gedenkt.  An  der 
fl  zitierte»  Stelle  Herod.  VII  Kap.  61  f.,  wo  der  Schriftsteller 
ine  Trn|)penschan  über  fast  ganz  Asien  nnd  Afrika  abhält, 
erden  bei  keinem  der  aufgezäblleu  Stämme  f/^jy,  sondern  immer 
or  iy/£igidtii,  also  „kurze  Messer",  erwähnt.  Speziell  die  Perser 
■»gen  iyxfig'^n  (aw.  kareta,  s.  o.)  an  der  rechten  Seite  am 
firtel.  Ks  darf  demnach  als  sicher  gelten,  dass  die  Grund- 
edeutQng  der  Gleichung  sert,  a.^i  =  lat.  eiinht  nngefähr  dieselbe 
ar.  wie  die  des  oben  besprochenen  germanischen  «ahn  oder 
ach  die  der  Ihrakischen  axd^/uj  {—  a\tD..-*kälm  „a.  sbort  aword"; 
rgl.  slflv.  nkn/n  „Fels",  Splitter  :  lit.  Klditi  „spalten"),  nämlich 
knrzes  Uolchmesser". 

Ergebnis:  An  Trutzwaffen  verfflgten  die  !ndo- 
erinaiien  über  Pfeil  nnd  Bogen ,  Schlendersteine 
Sammer),  Keule,  Lanze  und  DolchmesBer.  Hinzu  kommt 
>xt  nnd  Beil,  von  denen  im  folgenden  Abschnitt  die  Rede 
Bio  »oll. 

B.    Werkzeuge. 

Kurzer  können  wir  uns  itber  diesen  Punkt  fassen,  da  e» 
Ich  hier  im  wesentlichen  darum  handelt,  diejenigen  Werkzeuge 
■sammetixustellcn,  die  durch  sprachliehe  Gleichungen  bereits  in 
ie  idg.  Urzeit  gerUckt  werden.  Wir  werden  dieselben  nach 
eo  Zwecken  gruppieren,  zu  denen  sie  vorwiegend  gebraucht 
rerden. 

1.  Werkzeuge  zum  Hauen.  Fltr  den  Begriff  Axt  oder 
\e  i  1  finden  sich  zahlreiche  urverwandte  Ausdrücke,  vor  allem  griech. 
■ütTtfs  =  sert. para^ii  i  vgl,  I,  106  und  oben  p.  62)  und  (auf  Europa 
CBchrfinkt'  griech.  ä^ipt],  lat.  aairia,  got.  aqizi.  Auch  als  Waffe 
at  dieses  Werkzeug  zweifellos  in  der  Urzeit  gedient,  wie  noch 
gf  indischem  ivediecb  neben  paracü  noch  Krädhiti)  nnd  irani- 
eliem  (vgl.  die  »kythische  odyig^c  „ä^/n/";  Herod.  VII,  64)  oder 
inf  germanischem  Völkergebiet  (vgl.  hier  die  fränkische  francitica), 


—    112    — 

während  in  der  Ilias  nur  erwähnt  wird,  dass  der  Troer  P^ir^i    p 
droB  eine  Streitaxt  unterhalb  des  Schildes  trug   (IL  XIII,  61!^V] 
und  dass  beim  Kampf  um  die  Schiffe  (XV,  711)  auch  df^^iu^atf 
jielUxeig  geschwungnen  worden   seien.     Sicher   war  die  Streitik^/ 
auch   in    mykenischer  Zeit   gebräuchlich  (Tsountas   and  ManAl^ 
p.  207). 

Wenigstens  in  der  Überlieferung  des  Kultus  ragt  auch  das 
steinerne  Beil  noch  in  die  geschichtlichen  Zeiten.  Bei  dem 
yon  Livius  I,  24  geschilderten  höchst  altertflmlichen  Friedens- 
schluss  zwischen  Römern  und  Albanern  heisst  es  am  Ende:  si 
prior  defedt  puhlico  consilio  dolo  malo,  tum  tu,  iUe  DiespiUr^ 
popuhim  ßomanum  sie  ferito,  ut  ego  hunc  porcum  hie  hodk 
feriam,  tantoqiie  magis  fe/into,  quanto  magis  potes  pollesgue. 
id  ubi  dixity  porcum  saxo  silice  (mit  dem  Feuersteinbeil) 
percusffä.  —  Ein  ebenfalls  als  Waffe  wie  als  Werkzeug  gebrauchtes 
Instrument  war  auch  der  Hammer  (s.  o.),  für  den  noch  auf  die 
Gleichung  lat.  maHulus  =  altsi.  mlatü  zu  verweisen  ist. 

2.  Werkzeuge  zum  Schneiden.  In  erster  Linie  ist 
hier  das  Messer  zu  nennen,  ftlr  das  eine  uralte  Bezeichnnng 
in  der  Gleichung  scrt.  hshurä  =  griech,  ^vgöv  vorliegt.  Es  war 
ein  Irrtum  Benfeys,  wenn  er  (vgl.  1, 43  ff.)  für  diese  Wörter 
von  der  speziellen  Bedeutung  „Rasiermesser^  ausging,  da  kshurd 
im  Rigveda  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  266)  immer  einfaeh 
„Messer"  bedeutet,  wie  auch  ^vqov  in  dem  homerischen  bd 
ivQov  äxjiirjg  TaTarai  jedenfalls  übersetzt  werden  kann.  Der  Ab- 
druck bezeichnete  ursprünglich  das  „geglättete"  oder  ^glättende'' 
Werkzeug  (:  griech.  ^ea)  „glätten"),  was  ebenso  für  das  älteste 
Feuersteinmesser  wie  für  das  spätere  metallene  Instrument  paait 
Auf  ersteres  bezieht  sich  auch  der  altslavische  Name  des  Messm 
noii  aus  *nogjl :  SiltpT,  nagis  „Feuerstein^  (vgl.  oben  ahd.  «ulk«: 
lat.  saxum).  Ich  stehe  nicht  an,  auch  das  lB,t.  noväcfda  „Mever- 
chen"  {*noüd  aus  *nog^Ul :  altpr.  nagis,  wie  nüdus,  ^novidus  ans 
*nog^'id((s  :  altsl.  nagü  „nackt")  hier  anzuschliessen.  —  Ein 
sichelartiges  Werkzeug  zum  Abschneiden  des  Grases  und  Ge- 
treides wird  durch  die  Gleichung  griech.  ägni]  =  altsl.  srüpi 
sichergestellt,  ein  sägen-  oder  feilen  artiges  vielleicht  durch  lat. 
fferra  „Säge"  =  griech.  §iv}]  „Feile"  {^serza :  ^sr^näy  vgl.  ahd. 
gersta  :  griech.  xgi^/]  aus  *ghrzdhä  nach  Thurueysen  K.  Z.  XXX, 
351,  vgl.  auch  Walde  p.  289). 


3.    Werkzeuge  zudi  Siechen  undBobreo.    Zu  nenuen 

bd  hier  die  Gleichungen  scrt.  ä'rä  =  ahd.  äla  ond  tat.  mibula 

«h.  Mdlo,  potn.  MZi/dIo  filr  ^Ahle,   Pfrieme"    und  griech.  jige- 

"tpoy  =  ir.  tarathar  für  „Bobrer".     Vgl.  auch  griech.  ^io?  =  lat. 

caiUtx  „Nagel"  und  griech.  xkiift!:  =  lat.  clävin,  ir.  clöi,  ebenfalls 

nrgprflnglich  „Nagel"    (später   im  Griecb.  und  Lat.  „SchUlaeel"). 

Zu    diesen  meist  allgemeineren  Zwecken    dienenden  Werk- 

mgen    kommen  noch    eine  Reihe    speziellerer    Geräte   wie    für 

i  Spinnen  die  Spindel   (sert,  iarkü  =  griech.  ärpaxroc),    für 

Ackerbau    (ausser    der    eben  genannten  Sichel)    der  Pflug 

tuen,  araur,  grieeb.  ^loorgov,  lat.  arat/iim,    ir.  arathar,    altn. 

die    Egge    {grieeh.    ö^iyij,    lat.    occa,    ahd.    egida,    lit. 

rfcito(f,    altcorn.    ocet),   die    Handmilhle   (armen,   erkan,   got. 

tirntin,  ir,  brö,    lit,  girna,  altsl.  irütiüvü).    das  Sieb    flat.  cri- 

r.    cnatkar,    abd.    rUara)    a.  a.,    die    uns    bei    der  Be- 

Ifrechnng  des  idg.  Ackerbaus    noch    näher    beschäftigen    sollen. 

Hier  erwächst  uns  nunmehr  die  Aufgabe,   uns  der  im  Ein- 

;ang    dieses    Kapitels    anfgewoifeneii    Frage    zuzuwenden,    auf 

welche  der  von  deu  Archäologen  unterschiedenen  prähistorischen 

Epochen  die  hier  zusanimengcstellten  Tatsachen   hinweisen,   und 

reiches  somit  der  eigentliche  Sinn  der  iu  Kap.  VI  festgestellten 

Bleichnng  scrt.  tiyaK,  aw.  af/ah  =  lat.  aex,  got.  aiz  gewesen  sei, 

*  die  wir  bisher  an  der  Uand   der  Sprache   und  Überlieferung 

■  bis  zu  der  Bedeutung  „Kupfer"  oder  „Bronze"  oder   beides 

rzndringen  vermochten. 

In  dieser  Beziehung  scheidet  von  einem  Vergleich  mit  der 
.  Urzeit  zunächst  ohne  weiteres  die  sogenannte  paläotitbiscbe 
»der  Ältere  Steinzeit  aus,  da  in  ihr  von  der  Bekanntschaft  mit 
ngend  einem  Metall  keine  Rede  sein  kann.  Ebensowenig  dürfen 
die  Künste  des  Spinnens  und  des  Ackerbaue,  jedesfalls  keines 
Ackerbaus  mit  Pflug  und  Egge  (vgl.  näheres  Abb.  IV,  Kap.  V 
md  VI),  für  sie  vorausgesetzt  werden.  Aber  auch  die  Waffen 
1  Werkzeuge  jener  Epoche  waren  nach  alleui,  was  wir  wissen, 
tel  weniger  differenziert  und  spezialisiert,  als  aus  den  oben  an- 
BfUhrten  Gleichungen  für  die  idg.  Urzeit  hervorgeht.  Auch 
litte  man  nach  S.Mttller  Urgeschichte  Europas  (Strassburg  ldO&> 
.  12  damals  nur  Wurfwaffen,  aber  „schwerlich  Pfeil  und  Bogen, 
t  ebensowenig  als  vorher  (d.  b.  in  der  älteren  paläolithischeu 
eiti  ein  Werkzeug,  das  als  Beil  gedient  haben  könnte",  besessen, 
d*r,  Bprac^hversleichuDR  niid  Drseacliichte  11.   3.  Aufl.  g 


-     114     - 

während    allerdings    M.  KH2    in    seinen  Beiträgen   zar  Kenntnis 
der  Quartär/eit  in  Mähren  (Steinitz  1903)   unter  den  Artefakt 
des  Lösshügels  Hradisko  p.  228  auch  Äxte  (Schaber?)  und  Pfei 
spitzen  (Wurfspeerspitzen?)  anftthrt. 

Ebensowenig  können,  um  uns  von  den  der  geschichtlichem 
Zeit    entferntesten    gleich    zu    den    ihr   am    nächsten  liegeod^c 
Epochen  zu  wenden,   als  Vergleichsobjekte    für   die    idg-  Urzeif 
die  Eisenzeit  und  die  ihr  vorangehende  jüngere  Bronzezeit 
in    Betracht    kommen;    denn    in    ihnen    beginnen    die    Schutz- 
Waffen  wie  Helm,  Panzer,  Beinschienen  alimählich  aufzukommeD 
und  ftlr  den  Krieger  notwendig  zu  werden,  während  sie,  wie  wir 
gesehen    haben,    der    idg.  Urzeit    noch    durchaus    fremd   wara. 
Einen  Einblick  in  diese  Entwicklung  gewähren   uns    am    besten 
die  mvkenischen  Ausgrabungen  (vgl.  Tsountas   and  Manatt  The 
Mycenaean  age  p.  191  ff.).     Während  wir  ftlr  die  ältere  mykc- 
nische  Periode  ^keinen  Beweis   dafür    besitzen,    dass   Harnische 
(als  verschieden  vom  Chiton)    in  Gebrauch    waren",   zeigen  xm 
die  späteren  Denkmäler  dieser  Zeit,  vor  allem  die  „Kriegerrase'^ 
von  Mykenae    (Tafel  18)    den    Helden    mit    Helm,    Panzer   nnd 
Beinschienen  ausgestattet,  wenngleich  zweifelhaft    bleiben   moM, 
welche    fiolle    bei   dieser  Bepanzerung   das  Metall    (neben   dem 
Leder  und  Fell)  spielte.     Im  Norden  Europas  besitzen   wir  die 
älteste    und    vereinzelte   Spur    metallener   Scbutzwaffen   in  den 
Überresten  eines  bronzenen  Helms,  der  in  einem  Moore  auf  See- 
land gefunden   wurde   (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertamskande 
I,   253).      Schfm    etwas    häufiger    begegnen   einzelne    bronzeoe 
Rüstungsteile  alsdann  auf  dem  Grabfeld  von  Hallstatt  (v.  Sacken 
p.  43),  also  in  der  ältesten  Eisenzeit. 

Aber  auch  die  ältere  Bronzezeit  kann  als  Trägerin  der 
idg.  Urkultur  nicht  angesprochen  werden;  denn  abgesehen  davon, 
dass  in  ihr  das  Gold,  das  die  Indogermanen  noch  nicht  be- 
Sassen  (Kap.  IV),  in  ihr  bereits  bekannter  zu  werden  begonnen 
hatte,  war  auch  die  hauptsächlichste  Angriffswaffe  dieser  Zeit, 
das  eigentliche  metallene  Schwert,  dem  idg.  Urvolk  noch 
fremd. 

Somit  bleibt  zum  Vergleich  mit  den  idg.  Verhältnissen  nnr 
die  jüngere  Steinzeit,  bezüglich  ihr  Übergang  znr 
ersten  Benutzung  des  Metalles  übrig,  und  wer  das  In- 
ventar  dieser  Epoche   an  Waffen    und   Werkzeugen   überblickt, 


-     M6 


bjnl  nicht  verkeil  neu  können,   das»   es  ein  getreuer  Spiegel  der 
Kn  geschildt'rteii  ältesten  idg.  Zustände  ist. 

Zahllose,  teilfl  reuersteinenie  (mehr  im  Westen  und  Norden), 
I  knöcherne  (mehr  im  Osten)  PfeilspitKen  legen  davon  Zeugnis 
dass  der  Bogen  die  wichtigste  TrutzwafFe  der  jltngeren 
Hnzeit  bildete,  und  gelegentlich,  v..  ß.  in  dem  Pfahlbau  von 
Bobeohäusen  oder  in  den  Ausgrabungen  am  Mondsec,  sind  eibene 
Bogen  selbst  oder  wenigstens  Briichstllcke  von  ihnen  /,utage 
getreteu'i.  Aueh  üteinerne  Hämmer  luul  eichene  Keulen  oder 
andere  keulenartige  Waffen  sind  aus  alten  Teilen  Europas  dem 
ürgeschiebtsforscher  wohl  bekannt.  Znra  Wurf  oder  Slnss  diente 
die  mit  fenerateinemer  oder  knöcherner  Spitze  versehene  Lanxe, 
im  Nahkampf  daa  zunäehst  ebenfalls  feuersteinerne  Dolch- 
messer. Schilde  sind  in  der  jüngeren  Steinzeit  zwar  noch 
nicht  nachgewiesen  worden;  dueh  halten  die  Urgeschichlsfnn>clier 
eff  ftlr  wahracheinlicb,  dass  sie  schon  damals  als  Schutzwaffe 
dienten,  allein  bei  der  leichten  Zerstörbarkeit  ihres  Materials  zu- 
grunde gingen.  An  Werkzeugen  weist  jedes  prähistorische 
Museum  in  seiner  neolitbischen  Abteilung  Äxte  und  Beile, 
Messer,  Sägen  und  Sicheln,  Ahlen,  Nadeln,  Bohrer  usw. 
in  Hülle  und  Fülle  auf.  Auf  die  Kunst  des  Spinnens  deuten 
zahllose  Spinnwirtel,  auf  die  Pflege  des  Aekerbaus der  zweifel- 
lose Anbau  von  Hirse,  Gerste  und  Weizen  sowie  Funde  von 
Üaudmflhlen,  Siebtöpfen  und  dergl,  hin.  Mit  der  Abwesen- 
heit des  Pfluges  unter  den  Funden  der  Steinzeit  wird  es  sieb 
wie  mit  der  des  Schildes  verhalten,  d.  h,  er  wird  nur  aus  Hol?. 
hjBstandcn  haben  und  so  zugrunde  gegangen  sein. 
H  In  diesen  ursprünglich  gänzlich  des  Metalles  entbehrenden 
ftüturkreis  trat  nun,  wie  die  neueren  Fori^cbungen,  vor  allem 
■6  Arbeilen  M.   Mncbs  il,  49)  mit  immer  steigender  Gewissheit 

W  1)  Ob  man  aua  dem  Umstand,  dass  in  den  aordischvn  GrUbern 
d«r  Bronzexeit  nur  höchst  seilen  bronzene  Pfeilspitzen  gefunden 
wurden,  mit  S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  253  achliesaen  darf, 
dass  damals  nur  .der  edle  Nahkampr  Mann  gegen  Mann,  wie  er  iu 
der  lliade  geecbildert  wird,  von  eigentlicher  Bedeutung  war",  möchte 
ich  bezweifeln,  da  die  nordischen  Felsenbilder  häufig  Bogenschützen 
dar&lellen  (vgl.  Monteüns  Die  Kultur  Schwedens  *  p.  69).  Man  wird 
1  MykeDae  (oben  p.  114),  noch  lange  der  Nieincmen  Pfeil- 
teen  bedient  haben  und  diese  für  zu  gemein  gehalten  haben,  sie 
I  Krieger  mit  ins  Grab  zu  legen. 


-     116    - 

dargetan  haben,  zaerst  das  mit  Zinn  nicht  legierte  Knpfe     -. 
ein,    und  zwar   in   der  Weise,    dass   ans   ihm,   abgesehen   vocr 
Schmnckgegenständen^),  zunächst  nur  ein  gewisser  kleiner  Kre^fi 
von  Artefakten,  nämlich  Beile,  Dolche  und  Pfriemen  mit  besonderem 
Häufigkeit  hergestellt  wurden.    So  sind  z.  B.  im  Mondsee  nebe^» 
4000  Stück  Werkzeugen,  Waffen  und  Schmucksachen  ans  Steu? 
oder  Knochen   29   Kupferartefakte   gefunden   worden,   nämlich: 
14  Beile,  6  Dolche,  4  Ahlen  (24:29).    Ähnlich  aber  liegen  die 
Dinge  in  vielen  Teilen  der  neolithischen  Kulturschicht. 

Und  so  können  wir  nunmehr  den  Schluss  aus  dieser  langen 
Kette  von  Beobachtungen  mit  aller  in  derartigen  Fragen  erreich- 
baren Sicherheit  ziehen:  Da  der  idg.  Bestand  an  Waffen  und 
Werkzeugen  mit  grosser  Deutlichkeit  dem  der  neoIithiscbeD 
Periode  entspricht,  an  deren  Ende  das  mit  Zinn  noch  nicht 
legierte  Kupfer  auftritt,  aus  dem  besonders  hänfig  Beile 
(scrt.  paraqü  —  griech.  nilExvg;),  Dolche  (scrt.  asi  =  lat.  enm) 
und  Pfriemen  (scrt.  ä'rä  =  ahd.  älä)  hergestellt  werden,  so 
folgt  hieraus,  dass  die  idg.  Gleichung: 

scrt.  ayas,  aw.  aydh  =  lat.  aes,  got.  aiz 
in  der   ältesten    uns  erreichbaren  Zeit  „Kupfer^  bedeutet  and 
eine  gewisse  beschränkte  praktische  Bedeutung  bereits  gehabt  bat 


1)  Eine  idg.  Gleichung  für  solche  liegt  in  der  Reihe:  scrt.  meofi 
„Perlenschnur^,  aw.  minu  „Geschmeide*  (?),  griech.  fAavvog^  lat.  monüe^ 
mellum,  millus,  altkeit,  fiavtdxijg,  ir.  muincej  altsl.  monvfto,  ahd.  memd. 


[Ergebnisse:  Die  Metalle  in  ihrer  historischen 
Aufeinanderfolge, 

Nachdem    wir   so    ilas    üiuffingreiclie  Material    der  altindo 
^nnaniäcbeti  Mctallnamcn  (ibersehcD  haben,  dürfte  es  am  Platze 
Bein,    die     wichtigsten     historischen    Ergebnisse,    /,n    denen    wir 
tkoinuieii  sind,  hier  in  Kürze  zusammenzufassen. 

1.  Die  älteste  uns  erreichbare  Kultur  der  Indogermanen 
iQrt  der  sogenannten  neolithischen  Zeit  an,  d.  b.  die  Waffen 
[  Werkzeuge  waren  noch  zum  weitaus  gröseten  Teil  aus  Stain- 
1  hergestellt.  Doch  war  bereits  ein  Metall,  das  mit  Zinn 
nicht  legierte  Kupfer,  *ajos  (scrt.  dya/i  =  lat.  aes  etc.t 
mannt,  den  Indogermanen  bekannt'),  aus  dem  ausser  rer- 
Bcfaiedenen  Schniuoksacben,  auch  bereits  einzelne  Waffen  und 
Werkzeuge ,  namen  Hieb  Beile ,  A  hien  und  Dolche  angefertigt 
wurden.  Diese  Anfertigung  geschah  auf  dem  Wege  des  Gnssea 
Id  steinernen  Formen,  so  dass  das  Vorhandensein  des  Scbmiede- 
tmadwerks  in  der  Urzeit  nicht  durch  die  Annahme  der  Bekannt- 
aft  der  Indogermanen  mit  einzelnen  kupfernen  Artefakten 
iordert  wird*).     Neben  *ajoii  bestand   in    der   idg.  Drsprache 

1)  Vgl.  Teil  I.  p.47,  49,  211.  Vgl.  .ieCzl  auch  Hoops  Wald  bäume 
Kulturpflanzen  Im  germaDiachen  Altertum  p.  343:  Die  Epoche  des 
ren  Zasammenlebens  der  indogermanischen  Volker  in  einer  Kultur- 

leinschaft  fättl  Homit  ganz  in  das  Steinzeitatter,   als    dessen   letzter 
Bbnitl  die  Kupferzeit  aufzufassen  ist." 

2)  Vgl.  M.  Much  Die  Kupferzeit  in  Europa  *  p.  3,'i3:  „Nach  Schrader 
Innt  das  Aufblühnn  der  .Schmiedekunst  erst  nach  der  Trennung  der 
ir  in  Eiuzelvölker.  Aber  gerade  der  Umstand,  dass  diese  Termi- 
ne in  der  arischen  Urzeit  noch  nicht  zu  voller  Ausbildung  gelangt 
,  stimmt  wieder,  man  möchte  fast  sagen,  wunderbar  zutreffend, 
den  Ergebnissen  der  Urgeschichtaforschung,  denen  zufolge,  wie 
den  Funden  nachgewiesen  werden  konnte,  die  erste  Bearbeitung 


-     118    — 

wahrscheinlich  noch  eine  zweite  Benennung  des  Kapfeni  ^rawffJiä 
(scrt.  I6hä  =  altsl.    /t/(2a    etcj^   die   zasammen    mit   einem  xög, 
Namen  des  Beiles  *pereku  (scrt.  paragü  =  griech.  jtilexvg)  am 
einer  östlichen  Sprache  (Sumerisch)  entlehnt  zu  sein  scheint,  so 
dass  diese  Wörter  vielleicht  den  Weg  uns  weisen,  auf  dem  du 
Kupfer  zuerst    zu   den    Indogermanen   gelangt    ist.     Zweifelhaft 
kann  man  dabei  sein,  ob  die  Entlehnung  erfolgte,  als  die  Sumerer 
schon  in  Mesopotamien  (s.  u.)  sassen,    oder   bevor  sie  dahin  ans 
einer  uns  noch  unbekannten  Urheimat  kamen. 

2.  In  diesen  Kulturznständen  erfolgte  die  Aasbreitang  der 
Indogermanen  in  Asien  und  Europa,  d.  h.  die  IndogermanisieroDg 
weiter  Strecken  der  genannten  beiden  Weltteile.  In  diesco 
Kulturzuständen  mochten  die  idg.  Völker  auch  in  ihren  ethni- 
schen Stammsitzen  noch  lange  verharren,  bis  in  Europa  von  dea 
östlichen  Gestaden  des  Mittchneers  her  ein  neues  Metall,  das  mit 
Zinn  künstlich  legierte  Kupfer,  die  Bronze,  sich  auf  dem  Wege 
des  Handels  Bahn  brach  und  vornehmlich  an  gewissen  Zentren 
des  Verkehrs,  z.  B.  in  den  skandinavischen  Ländern,  die  wegen 
des  Bernsteins  ein  erstrebtes  Handelsziel  waren,  eine  grosse  Be- 
deutung erlangte.  Fttr  die  Darstellung  der  Geschichte  dieser 
sich  allmählich  über  Europa  ausbreitenden  Bronzekoltor  versagt 
aber  die  historische  Überlieferung  ebenso  wie  die  Sprachwissen- 
schaft fast  ganz;  die  erstere,  weil  sie,  wie  in  Griechenland  and 
Italien,  nur  eben  noch  die  Ausläufer  jener  Epoche  antrifft,  die 
letztere,  weil  in  allen  alten  Sprachen,  indogermanischen  wie 
nichtindogermanischen,  die  aus  der  Urzeit  ererbten  Wörter  fflr 
das  unvermischte  Kupfer  bei  dem  Bekanntwerden  der  von  diesem 
äusserlich  wenig  verschiedenen  Bronze  benutzt  wurden,  um  diese 
mit  zu  bezeichnen.  Nur  im  Sumero-Akkadischen  besteht  neben 
urudu  „Kupfer^  noch  eine  besondere  Bezeichnung  der  Brome, 
zabar,  deren  Herstellung  aus  Kupfer  {uitidu)  und  Zinn  (aniui,  vgl 
die  oben  p.  92,  98  aufgeführten  semitisch-vorderasiatischen  Namen 
dieses  Metalles)  in  einem  Hymnus  an  den  Feuergott  (vgl.  F.  Lcnor- 


des  Kupfers  nicht  durch  Schmieden,  sondern  durch  Schmelsen  und 
Giessen  in  Formen  geschah.  Das  eigentliche  Schmiedeu  ist  offenbtr 
erst  durch  die  Entdeckung  des  Eisens  —  nicht  hervorgerufen,  tber 
zur  vollen  Entwicklung  gelangt,  und  zwar  zu  derselben  Zeit^  als  ^ 
auch  auf  die  Bronze  eine  so  kunstvolle  Anwendung  erhielt,  und  die 
Arier  in  Einzel  Völker  auseinandergegan^^en  waren.  ^ 


j 


-     119    - 

oant  Leii  nomn  de  Vairain  et  du  cuivre,  Transactions  of  the 
hciety  of  Biblical  Arehaeology  VI,  346;  dazu  F.  Hoiniiiel  Die 
orsemitischen  Kaltnren  p.  277,  409)  umständlich  beschrieben 
rird.  Ya  ist  schon  ans  diesem  Grunde  nicht  unwahrscheinlich, 
ass  wir  uns  in  Mesopotamien  in  der  Nähe  des  Erfindungsherdes 
er  Bronze,  des  Ausstrahlungspunktes  der  Bronzekultur  befinden, 
eren  Erforschung  im  übrigen  ausschliesslich  der  prähistorischen 
Tcbäologie  zufällt.  Vgl.  zuletzt  die  grosse  Arbeit  von  0.  Mon- 
ilins  Die  Chronologie  der  älteren  Bronzezeit  in  Nord-Deutsch- 
uid  und  Skandinavien  im  Archiv  ftlr  Anthropologie  XXV  und 
LXVI.  —  Erst  im  Ausgang  des  Altertums,  besonders  aber  im 
[ittelalter  sind  in  Europa  zur  deutlichen  Unterscheidung  des 
Tupfers  von  seinen  Legierungen  besondere  Namen^  Wörter,  wie 
Dscr  „Kupfer",  „Bronze*^,  „Messing"  aufgekommen,  von  denen 
as  erstere  in  letzter  Instanz  auf  die  kupferreiche  Insel  Cypern, 
ie  beiden  letzteren  auf  eine  Beeinflussung  des  Westens  durch 
ie  aufblühende  Metallindustrie  orientalischer,  namentlich  irani- 
isber  Länder  hinweisen. 

3.  Dem  Kupfer  kommt  an  Altertümlichkeit  das  Gold  nahe; 
och  lässt  sich  ein  urverwandter  Name  für  dieses  Metall  nur  bei 
en  durch  eine  engere  Verwandtschaft  verbundenen,  wahrscheinlich 
m  Hindukusch  zur  Zeit  dieser  näheren  Sprach-  und  Kulturgemein- 
cbaft  sitzenden  Indern  und  Iraniern  (scrt.  hiranya  =  aw.  zara- 
ya)  und  bei  den  seit  uralter  Zeit  benachbarten  Slaven,  Letten 
lod  Germanen  (slav.  zoloto  =  lett.  zeltn  und  got.  gulp\  also  im 
)8ten  Europas  nachweisen,  wo  das  Gold  demnach  früher  als  an 
nderen  Orten,  z.  B.  in  Italien,  aufgetreten  zu  sein  scheint.  Den 
rrieeben  wurde  es  in  frühmykenischer  Zeit  durch  semitische 
üinflüsse  (griech.  XQ^^^?  entlehnt  aus  semitisch  chärü^)  bekannt, 
ien  Kelten  zur  Zeit  ihres  grossen  Vorstosses  gegen  Italien  (ir. 
^r  etc.  ans  lat.  aurum).  Vereinzelte  archäologische  Funde  auf 
^echiscbem  oder  keltischem  Boden  aus  früheren  Epochen  können 
liebt  beweisen,  dass  das  Gold  von  den  betreffenden  Bevölkerungen 
ig  besonderes  Metall  erkannt  und  benannt  ward.  Italische  Be- 
jebangen  endlich  führten  es  auf  dem  Wege  des  Bernsteinhandels 
Ien  Litauern  und  Preussen  (lit.  duksanj  altpr.  misi^  aus  osk. 
iwfom)  zu,  die  die  Reihe  lett.  seJin^  slav.  zoloto  entweder  ver- 
oren  oder  nie  besessen  hatten. 

4.  Noch  nicht  bekannt  war  dem  idg.  Drvolk  das  Silber. 


-     120    — 

Sein  Ausgangspunkt  liegt  in  den  metallreichen  GebirgttOgeD  d» 
Sehwarzen  Meeres.  Ans  dem  armenischen  (armenisch-kaokash 
schem)  arcat  stammt  auf  dem  Wege  der  Entlehnung  unter  Ver- 
schmelzung oder  Anpassung  an  ein  idg.  Wort  für  „weiss"  eifle^ 
seits  das  iranische  erezata  und  scrt.  rajaidj  andererseits  du 
italische  argentum,  und  aus  letzterem  wieder  das  keltische  ir. 
argat.  Von  dem  schon  von  Homer  als  „Silberstadt"  bezeichneten 
pontischen  lAXvßrj  {*2!akvßri)  leiten  sich  auch  die  litu-slavo-gemuh 
nischen  Bezeichnungen  dieses  Metalles  (got.  silubr^  altsl.  «fr^frro, 
lit.  siddbras)  ab. 

5.  Aus  denselben  oder  ähnlichen  Gegenden  wie  das  Silber 
stanunt,  wenigstens  für  Griechenland,  die  Bekanntschaft  mit  dem 
Eisen,  das  in  uachmykenischer,  aber  vorhomeriseher  Zeit,  aha 
etwa  um  1100  v.  Chr.  in  Hellas  von  Kleinasien  und  demPontos 
her  erscheint  (griech.  aldrjQog  aus  kaukas.  zido-^  vgl.  x^^ 
j^Sttihl^  :  Xdkvßeg  „die  Chalyber").  Im  Norden  Europas .  haben 
um  das  V/IV.  Jahrhundert  (La-TfeneZeit)  die  Kelten  die BenutzoDg 
des  Eisens  den  Germanen  vermittelt  (got.  eisarn  aus  kelt.  *isamo\ 
die  es  ihrerseits  den  Westfinnen  zuftthrten,  während  die  Ost- 
finneu  unter  iranischem  Kultureinfluss  stehen,  ein  Verhältnis,  das 
auch  in  der  Geschichte  des  Goldes  hervortritt. 

6.  Wie  für  die  Verbreitung  des  Silbers  und  Eisens  in  Enropsk 
die  Bergzüge  des  Schwarzen  Meeres  bedeutungsvoll  gewordeo^ 
sind,  so  weisen  in  der  Geschichte  des  Bleies  und  Zinnes  zahl — 
reiche  Spuren  auf  den  Westen  Europas,  von  Spanien  bis  Eng- 
land, als  Hauptfundorte  und  Ausgangspunkte  dieser  beiden  H& — 
talle  hin. 


Nachtrag  zu  p.  75:  Nicht  zu  der  oben  hinsichtlich  des  Nam 
Mooavvoixoi  (auch  Moaovveg)  zweifelnd  ausgesprochenen  AuffasanÄ^ 
stimmt  es,  dass  schon  im  Altertum  dieser  Völkername  von  eine^ 
barbarischen  fiöaaw  „hölzerner  Turm*  abgeleitet  wurde  (vgl.  Henric«::^ 
Stephanus  s.  v.  fioaow),  Falls  also  die  angeführten  iranischen  ns 
Rupfernamen  hierhergehören^  müssten  sie  doch  unmittelbar  von  d 
Völkernamen  abgeleitet  werden. 


Carl  Geor^,  Uniyersitftts-Baohdniokerei  in  Bonn. 


I 


IV. 
DIE  URZEIT. 


jioXka  6'äv  xai  äXXa  iig  iuiodsi^eie  x6  TtaXaicv 
'EXXtj7'ix6v  SfiotoToojia  rtp  vvv  ßaoßagix^ 
diaiKOjtievov 

Thukyd.  I,  6,  4. 


^  rader,  Sprachvergleichung  und  Urgreschiehte  Tl.    S   Aufl. 


1.   Kapilel. 

Einleitung, 

Die  voraufgell  ende  Ahliaudlung  Über  das  Auftrelcn  der 
Metalle,  licsnnders  hei  den  indog.  Völkern,  hat,  so  hoffen  wir, 
!  die  Wege  geebnet  zu  eioer  richtigen  und  methodischen  Auf- 
legung der  indog.  Urzeit.  Denn  wenu  wir  oben  ansfUhrlicb 
irtert  haben,  wie  das  Auftreten  der  Metalle  und  die  allmählicb 
fortschreitende  Kenntnis  ihrer  Verarbeitung  gleichsam  eine  neue 
Knitnrwelt  dem  Mengeben  eröffnet,  so  mltssen  wir,  nachdem 
nachgewiesen  worden  ist,  dass  die  ältesten  Indogermanen  die 
Keimtnis  der  Metalle  und  der  Metallurgie 'j  im  wesentlichen  nicht 

1)  Über  das  Wort  „Metall"   aus    griech.  ^xiraXiov,   zuerst  .Grube. 

-Bergwerk",  dann  .Metall",  ist  oben  p.  10  f.  nur  kurz  gehandelt  worden, 
cht«  daher  hier  noch  einmal  darauf  zurüi'kkoinmen.  Hinsicht- 
lich seiner  ErklKrung-  stehen  sich  seit  altera  zwei  Deutungen  g'egen- 
ttber.  Die  einen  leiten  griech,  füiaXlov  , Bergwerk"  (zuerst  Herodot) 
aus  dem  Semitischen  ah,  indem  sie  es  entweder  mit  hehr.  in(e]ffj 
igeschmiedeter  Slahl"  {'mät<il  ..achtnieden")  verbinden  oder  es  zu 
hebr.  mfföW  .Tiefe,  Talgrund"  (vgl.  Lewv,  Die  semit.  Fremdw. 
steilen.  Die  andern  vereinigen  es  mit  dem  schon  bei  Homer 
bezeugten  iietoXkäui  .nachtorschen,  nachfragen'  und  suchen  nach  An- 
knüpfungen in  den  idg.  Sprachen  (vgl.  zuletat    Prellwiti  Et.  Wb.  d. 

;(riech.  Spr.*  p.  391).  So  sehr  nun  aus  sachlichen  GrUuden  (vgl.  oben 
p.  36)  eil  nahe  läjfc,  die  Phönizier  aIk  Vermittlir  des  ^ripchischcu  Worteti 
an  KU  nehmen,  so  machen  doch,  von  lautlichen  Bedenken  abgesehen, 
die  BedeutnngB Vermittlungen  zwischen  dein  griechischen  und  den 
eemitischen  Wörtern  grosse  Schwierigkeiten  (vgl.  oben  p.  1 1 }-  Es 
«cheint  mir  daher  doch  bei  nochmaliger  Überlegung  der  einheimische 
Ursprung  des  Wortes  der  wahrscheinlichere  zu  sein.  Ans  homerisch 
pnaiXAai  .ich  forsche  nach"  kann  man  nach  der  Analogie  von  ßgoriri 
ßgortdia  .donnern",  yeveiov  .Bart"  :  ysyeiäm  .ich  bekomme 
einen  Bart",  Im/iöf  .Wurf Schaufel"  ;  Xix/iäai  .ich  worfele"  usw.  mit 
Sicherheit  ein  vorhomeriaches  */ietaii^  , Nachforschung",  *fiiraiioy  .Ort 
der  Nachforschung"  folgern.    Die  Frage  wäre  daher  nur  die,    ob  sich 


—     124    — 

besassen,  nnsere  Vorstellung  von  der  kulturgeschichtlichen  Ent- 
wicklung des  Urvolks  von  vornherein  auf  dasjenige  Mass  znrflck- 
führen ;  welches  einer  jene  Hebel  der  Gesittung  noch  ent- 
behrenden Kultur  entspricht. 

80  vorbereitet,  hoffen  wir  nunmehr  imstande  zu  sein,  ein 
kulturhistorisches  Gesamtbild  der  indogermanischen  Dr- 
zeit  zu  entwerfen.  Über  diesen  Begriff  und  die  Frage,  wie  man 
ihn  fassen  und  zu  ihm  vordringen  könne,  sind  seit  geranmer 
Zeit  so  viele  und  teilweise  so  haarspaltende  Erörterungen  an- 
gestellt worden,  dass  es  dem  der  philologischen  Seite  dieser 
Untersuchungen  ferner  stehenden  Leser  schwer  fallen  dürfte,  sieh 
in  ihnen  zurecht  zu  finden. 

Es  scheint  mir  daher  nicht  unangebracht  zu  sein,  ehe  wir 
zu  unserer  eigentlichen  Aufgabe  uns  wenden,  die  ausführlichen 
Erörterungen  des  zweiten  Abschnitts  dieses  Werkes  noch  einmal 
in  wenigen  Sätzen  zusammenzufassen. 

Die  idg.  Völker,  d.  h.  diejenigen  Völker,  welche  eine  idg. 
Sprache  reden,  bilden  unter  sich  nicht  nur  eine  linguistische, 
sondern  auch  eine  ethnographische  Einheit,  mindestens  in 
dem  Sinne,  dass  in  allen  eine  idg.  Sprache  redenden  Völkern 
ein  gemeinsamer  Kern  vorhanden  sein  muss,  von  dem  aus  die 
Übertragung  der  idg.  Sprache  auf  mit  diesem  idg.  Kerne  ?e^ 
schmelzende  allophyle  Völker  möglich  war.  Die  Annahme  eine» 
idg.  Urvolks  ist  daher  eine  absolut  notwendige  Annahme,  ohne 
die  wir  uns  die  Verwandtschaft  der  idg.  Sprachen  ebensowenig 
erklären  können,  wie  etwa  die  engere  Verwandtschaft  der  slavi- 


der  Bedeutungsübergang  „Nachforschung,  Ort  der  Nachforschung'  m 
„Bergwerk"  durch  Analogien  wahrscheinlich  machen  läset.  Dies  iÄ 
nun  allerdings  der  Fall,  indem  das  bis  jetzt  in  diesem  ZuftammenbAng 
noch  nicht  beachtete  russ.  priiskü  „Grube,  Bergwerk*  genau  die- 
selben Erscheinungen  des  Bedeutungswandels  darbietet.  Dieses  durch- 
aus volkstümliche  Wort  gehört  zu  russ.  iskdti  „suchen*  =  ahd.  ewc^ 
unserem  „heischen"  und  bedeutet  ursprünglich  also  das  ^NachsacheB*. 
De  facto  bezeichnet  priiskui  1.  den  Ort,  wo  etwas  gesucht  nod 
gefunden  wird  (vgl.  fieiaXXm'  „das  Bergwerk*),  2.  das,  was  gesucht  und 
gefunden  wird  (vgl.  ^irakkov  „das  Metall").  Rüdnye  priiM  «iod 
„Kupfer"-,  zolotye  priiski  „Goldgruben"  (vgl.  Dahls  Wörterbuch  der 
lebenden  grossrussischen  Sprache).  Die  Frage,  wie  der  Stamm  futaiio- 
weitcr  zu  erklären  sei,  die  bis  jetzt  nicht  entschieden  ist,  kann  bei 
dieser  Sachlage  ausser  acht  bleiben. 


Aeu  Sprachen  olme  die  Auitalime  eines  filaTigchen  Urvolks, 
dessen  Verzweigung  in  Serben,  Czeelien,  Rassen  nsw.  vorliegt. 
Dieses  idg.  ürvolk  war  al)er  ein  ürvolk,  keine  ürrasae.  d.  li. 
alle  Eigenschaften,  die  mit  dem  Begriffe  „Volk"  verbunden  find, 
niDt^^n  wir  Hucb  hei  dem  idg.  Urvolk  voran saetzeu,  woraus  vor 
Bllem  folgt,  dass  schon  das  idg.  Urvolk,  wie  alle  liistorischcn 
Volker,  gewisse  Verschiedenheiten  in  Beziehung  auf  Körper- 
ildnng,  Sprache  and  KultnrverhäHnisse  gezeigt  linben  wird. 
r  Dieses  idg.  Urvolk  hat  sich  von  geographisch  Verhältnis- 
massig  beschränkten  Wohnsitzen  aus,  die  wir  als  seine  Ur- 
heiinnt  bezeichnen,  und  die  zn  bestimmen  eine  der  Haupt- 
anfgaben  des  folgenden  .\bschnitts  sein  wird,  in  vorhistonBchcr 
Zeit  baaplsftchlich  durch  Wanderungen  zersplittert  und  diejenigen 
Stcllnngen  eingenommen,  die  wir  die  StHtnnisitze  der  Eitizel- 
volker  nennen.  Diesen  Prozess  haben  später  die  Einzelvölker 
in  grofiseu  zeitlichen  Zwischen rilunien  voneinander  fortgesetzt, 
nie  denn  z.  B.  die  Ausdehnung  der  Slaven  im  kleinen  geuan 
it&ftselbe  Bild   darbietet,    wie    die  Aui^dehnnng    des  idg.  Urvolks 

r  grossen. 
Grössere  sprachliche  Veränderungen  aiud  mit  diesen  ältesten 
rerzweigUDgen  idg.  Stämme  trotz  ihrer  schon  für  damals  vor- 
ansznsotzendcn  Vermischung  mit  allophylen  Völkern,  ausser  viel- 
leicht auf  dem  Gebiet  des  Wortschatzes,  nicht  anzunehmen. 
Im  (iegeutcil  ISsst  sich  wahrscheinlich  machen,  dass  die  idg. 
Sprachen  noch  bei  immenser  geographischer  Ausdehnung  lange 
Zeit  eine  grosse  Homogenität  bewahrten.  Erst  mit  dem  zeitlich 
g:anz  verschiedenen  Eintreten  der  einzelnen  Zweige  in  die 
geschichtlichen  Bewegungen  tritt  eine  stärkere  Umgestaltung 
äer  idg,  Sprachen  auch  auf  dem  Gebiet  der  Laut-  und  Formen- 
lehre, nod  damit  die  Vorbedingung  durchgreifender  Dialekt- 


bildnng  hei 


r'). 


H  1)  Wenn  Slrei  fberg  Lil.  Zenlralblatt  1906  No.  24,  Sp,  823  bemerkt, 
Bn  «zwei  Dinge  hier  fälschlich  miteinander  komhitiiert  würden:  die 
Klmiiptaiig',  dasB  eine  Kultursteig-eruug  auch  eine  Beschleunigang 
ier  LautprOKesse  herbeiführe,  und  die  davon  ganz  unabhängige  Frage 
nach  dem  Ursprong  der  Dialekigrenzen".  so  hat  er  den  Sinn  meiner 
lühningen  (P.  143  ff,)  nicht  vefRtanden;  denn  ntclit  um  Dialekt- 
lasen,  Bondern  am  Dialektbildang  handelt  es  sieh  in  ihnen,  die 
I  meiner  und  anderer  Meinung   in    erhöhtem  Masse    dadurch  her- 


-     126    — 

Dieses  idg.  Urvolk  muss  trotz  gewisser  landsehaftlicber 
Yerschiedenheiten,  die  wir  noch  erkeimeD  köDnen  (vgl.  besonder» 
unten  Kap.  IV  und  VI),  eine  im  grossen  und  ganzen  einheitliche 
Kultur  gehabt  haben.  Schon  wenn  wir  uns  ganz  im  rohen  Ter- 
gegenwärtigen ,  wie  viele  gemeinschaftliche  Züge  etwa  da» 
vedische  Zeitalter  mit  dem  homerischen  oder  germanischen  zor 
Zeit  des  Tacitus  aufweist,  während  bereits  die  Epoche  der  indi- 
schen Rechtsbücher  derjenigen  der  Perserkriege  oder  der  Krenz- 
züge  ungleich  ferner  steht,  wird  uns  klar,  dass  wir  noch  weiter 
rückwärts  schreitend  zu  einer  wirklichen  Kultureinheit  bei  Indeni, 
Griechen  und  Germanen  gelangen  müssen. 

Zu  dieser  Kultureinheit  führen  uns  erstens  die  sogenannten 
,,indogermanischen"  *)  Gleichungen  zurück.  Es  ist  richtig,  da» 
dieselben  teilweise  auf  zeitlichen  Verschiedenheiten  und  geographi- 


vorgerufen  wird,  dass  auf  einem  Sprachgebiet  infolge  gesteigerten 
geschichtlichen  Lebens  eine  grössere  Zahl  von  Persönlichkeiten 
hervortritt,  die  zugleich  den  Ausgangspunkt  bald  in  grösserer,  bald  in 
geringerer  Ausdehnung  wirkender  sprachlicher  Veränderungen  bilden. 
Über  die  Frage  der  Entstehung  der  Dialekt-  oder  Sprachgrenzen 
ist  vielmehr  an  einer  ganz  anderen  Stelle  meines  Buches  (I',  167) 
kurz  gehandelt  worden. 

1)  Über  die  Bedeutung  dieses  Wortes  vgl.  Reallexikou  p.  XIII 
=  Sprach  vgl.  u.  Urg*.  I^,  174.  Da  die  hier  gegebene  Definition  von 
H.  Hirt  übernommen  worden  ist  (vgl.  Die  Indogermanen  p.  234  f.: 
„In  wieviel  Sprachen  muss  nun  ein  Wort  vorliegen,  damit  wir  es  für 

indogermanisch  erklären  dürfen? Sind  wir  in  der  Lage,  den 

Verdacht  der  Entlehnung  auszuschliessen ,  so  braucht  ein  Wort 

nur  in  zwei  Sprachen  vorzuliegen,  die  in  historischer  Zeit  nicht  mehr 
benachbart  gewesen  sind,  wie  z.  B.  in  Italisch  und  Indisch  oder  Sla- 
visch  oder  Germanisch  und  in  Griechisch  und  in  Armenisch,  in  Kel- 
tisch und  Indisch  usw.  Natürlich  ist  bei  solchen  Gleichungen  die  Mög- 
lichkeit vorhanden,  dass  sie  nur  in  einem  Teil  des  indogermanischen 
Sprachgebietes  vorhanden  waren,  und  einem  anderen  Teil  das  Wort 
und  der  Begriff  fehlte,  aber  diese  Möglichkeit  ist  von  keiner  grossen 
Bedeutung"),  so  bin  ich  er.staunt,  dass  sie  W.  Streitberg  a.  «.  0. 
Sp.  823  nicht  gelten  lassen  will.  Was  er  aber  dagegen  vorbringt,  ist 
nur  eine  Umschreibung  dessen,  was  ich  selbst  ausgeführt  habe,  dass 
nämlich  bei  der  gegenwärtigen  Lage  unserer  Wissenschaft  leider  der 
Ausdruck  „indogermanisch"  verschiedenartige  Erscheinungen  umfasst 
Die  Ausführungen  Streitbergs  hätten  daher  nur  dann  einen  Sinn, 
wenn  er  eine  exaktere  Definition  des  Wortes  geben  könnte,  was  nicht 
der  Fall  zu  sein  scheint. 


127 


Kben  Be^onderbeiten  bcrnhen  kennen.  Eine  Oleicbung  wie  Bcrt. 
=  griech.^ot's  „die  Kuli"  kaDii  sieb  früher  feetgesetat  haben 
eine  GleichuDg  wie  sc«,  rtitlm  =  lal.  rata  „der  Wagen". 
kuie  (ileichung,  die  sich  auf  Ilaler  und  Oennaueti  beschränkt 
■•  B.  lat.  lex  =  agiB.  lagu  „Gesetz"),  kann  erat  entstanden  sein, 
diese  beiden  VOtker  den  Zusammen  bang  mit  den  übrigen 
bdogermanen  verloren  hatten,  oder  eine  Wortreihe,  die  nur  Inder 
nnd  Griechen  aufweisen  (vgl.  z.  B.  scrt.  ä'ga»  —  grieeh.  äyoi), 
luulii    von    jelier    auf    den    von  Indern  nnd  Griechen  gebildeten 

Keil  des  ürvolks,  auch  als  dassellie  noch  zusamnienbtng,  beschränkt 
iwesen  sein  usw.  Nur  im  ganzen  gcnnninien  beweieeu  die 
igenannten  partiellen,  d.  h.  die  auf  bestimmte  Völker  beschränkten 
Gleiehnngen  und  sonstigen  Übereinstimnuingen,  dass  die  relative 
Lagerung  der  idg.  Viiiker,  wie  sie  in  geBcbiehtlichen  Zeiten  vor- 
liegt, der  vor bistori sehen  entspricht.  Besonders  gilt  dies  von 
m  Bogenannlen  .Satem-  und  Centumspracben,  von  denen  die 
Bteren  immer  den  Osten,  die  lelKleren  den  Westen  des  urzeil- 
eben  Sprachgebiets  eingenomnien  haben  müssen'). 

Im  einzelnen  aber  kann  man  von  den  partiellen  Glei- 
inngen  —  und  das  sind  weitaus  die  meisten  —  nur  in  den 
ItcnstCD  Fällen  aussagen,  ob  sie  durch  Zufall  oder  nicht  dnrch 
nfall  auf  die  betreffenden  Sprachen  beschränkt  sind. 

So  störend  dies  ist,  so  fuhren  doch  auf  jeden  Fall  jene 
g.  Gleichungen    in    sehr    frühe  Zeiten    voibistoriscber  Völkcr- 

t)  Vfrl.  hierüber  Sprachvgl.  u.  UrKeach.  I*  135  und  ausführlich 
71  ff.  und  P,  172.  Wenn  daher  W.  Streitberg  a.  H.  0.  Sp.  822 
irsn  bemerkt:  .Besondtrs  fühlbar  macht  eich  dlnser  ÜbeUtand  (dAid- 
h  dasB  angeblich  jüngere  UntPrsuchnngen  nicht  immer  die  ihnen 
bührendfi  Beachtung  finden")  im  dritten  Kapitel,  das  von  den 
ilkertrennttugen  handelt:  v.  Bradkes  Unterscheidung  der  eentum- 
ä  *ai!effl -Stamme,  eine  I^inieilung  nai;h  sprachlichen  Gesichtspunkten, 
r  die  gpographische  Gruppierung  der  Völker  entspricht,  spielt 
i«rhftup(  keine  Rolle,  kaum  dass  sie  p.  135  flüchtig  er- 
Ihnl  wird",  so  sieht  man,  dass  Herr  Streitberg  seines  Amtes 
I  Kritiker  nicht  immer  mit  der  nötigen  Oewidsenhaftigkeit  waltet. 
mer  kann  von  einer  [interscheldung  der  cetttum-  und  xaiem-StB,TOTae 
Tcb  V.  Bradke,  der  dieser  längst  bekannten  Einteilung  nur  diesen 
•ht  uuprAktiechen  Namen  gegeben  hat,  nar  roden,  wer  etwa  Amerika 
D  Ämorlgo  (Vespucci)  entdeckt  sein  lilsiit,  und  drillenti  habe  ich 
ihl  in  dem  dritten,  sondern  in  dem  xweiteu  Kapitel  über  dieVölker- 
nntinget)  gehandelt. 


—     128    — 

ziisammenbänge  zurück,  in  Zeiten  z.  B.,  da  noch  ein  ethnischer 
Zusammenhang  zwischen  Italikern  und  Germanen  oder  Griechen 
und  Indern  bestand,  so  dass  wir  unter  allen  Umständen 
durch  sie  Fingerzeige  über  das  Vorhandensein  be- 
stimmter Kulturbegriffe  in  sehr  frühen  Epochen  der 
idg.  Völkergeschichte  erhalten.  Auch  ersetzen  mehrere 
partielle  Gleichungen,  die  wir  in  den  idg.  Sprachen  für  einen 
bestimmten  Kulturbegriff  finden,  das  Vorhandensein  einer  gesamt- 
idg.  Gleichung  in  dem  Sinne,  dass  wir  aus  den  ersteren  wie 
aus  der  letzteren  das  Vorhandensein  eines  Kulturbegriffs  aof 
dem  ganzen  vorhistorischen  Völkergebiet  erschliessen*)  können. 
In  formeller  Beziehung  endlich  werden  wir  namentlich  dann 
von  idg.  Gleichungen  für  kulturhistorische  Zwecke  Gebranch 
machen  dürfen,  wenn  dieselben  sowohl  in  der  Wurzel  wie  in 
den  Suffixsilben  gesetzmässige,  auf  ein  idg.  Prototyp  zurück- 
gehende Erscheinungen  (wie  z.  B.  scrt.  täkshan  =  griecb.  rix- 
Tcov)^)  zeigen. 

Zweitens  werden  wir  zu  der  Kultur  des  idg.  ürvolks 
durch  die  Vergleichung  der  Altertümer,  Sitten  und  Gebräuche, 
Rechtsanschauungen  und  Religionsformen  der  idg.  Einzelvölker 
zurückgeführt.  Bei  dieser  Vergleichung  ist  es  meines  Erachten« 
eine  Quelle  unausbleiblicher  Fehler  und  Trugschlüsse,  wenn  man, 
wie  es  z.  B.  in  den  Lei  st  sehen  Büchern  (I*,  49)  geschehen  ist, 
die    höher    zivilisierten    unter    den    idg.  Völkern,    Griechen  und 


1)  Ein  gutes  Beispiel  hierfür  geben  die  partiellen  Gleichungen 
für  die  Ziege  ab:  z.B.  scrt.  ajfa  =  lit.  ozys;  armen,  aic  =^  griech.  oI{; 
lat.  haedus  =^ got.  gaits  u.a.,  aus  denen  Lid^n  Armen.  Stadien  p.  13 
jetzt  sogar  eine  besonders  grosse  Bedeutung  der  Ziegenzucht  in  der 
idg.  Urzeit  folgert.    Vgl.  mein  Reallexikon  s.  v.  Ziege. 

2)  Ich  folgere  aus  dieser  Gleichung,  dass  schon  in  der  Urzeit 
ein  gewerbsmässiger  Handwerksmanti  (näheres  in  meinem  Keallexikon 
p.  294)  vorhanden  war.  Streitberg  a.a.O.  leugnet  die  Berechtigung 
dieser  Folgerung:  ,,ist  denn  der  Farmer,  der  ein  Blockhaus  zimmert, 
kein  rixTcav?*"  Mit  Verlaub,  das  ist  er  nicht,  sondern  er  fungiert  nur 
als  solcher.  Sowohl  das  griech.  xixxayv  wie  auch  das  scrt.  tdkshan 
schliessen  immer  das  Gewerbmässige  in  sich ;  dieses  ist  daher  auch  ffir 
das  idg.  Prototyp  dieser  Wörter  vorauszusetzen,  so  lange  man  nicht 
nachweisen  kann,  dass  das  Suffix  desselben  damals  noch  eine  rein 
partizipiale  Bedeutung  gehabt  habe.  In  dieser  Beziehung  kann  ich 
auch  nicht  mit  Meringer  Deutsehe  Litz.  1906,  No.  14,  Sp.  860  über- 
einstimmen. 


129 


iler  (liier  [iidi.T.  Griefben  und  Italer  getrennt  von  den  tllirifii-n 
Indü^ermanen  itetraelitcl,  um  das  iliiien  von  Urzeiten  her  gemein- 
scliaftliche  Kulturkapitnl  xu  ermitteln.  Alle  drei  Vülker  treten 
bei  dem  Anhelten  ihrer  CberHcferang  im  Vergleieli  zu  den 
enropäisclien  Nordindogermaiien  auf  einer  verhültni&mässig:  Ijoben 
Slufe  der  mitterielien  nnd  »ittlielieii  Zivilisation  uns  entgegen. 
Aber  Italien  ist  ein  halbe»  Jaiirtausend  vorher  dem  EinfliiBs  der 
griechischen  Kolonien,  Griechenland  ungefähr  eine  gleiche  Zeit- 
dauer den  kulturgesebir-htliehen  Anregungen  des  phi^niicigetjen 
Handelsverkehr  ausgeeetKt  gewesen.  Die  Cbereinstiminnug  beider 
Länder  in  dem  Besitz  gewigKer  Kulturgüter  oder  knlturgescbieht- 
lieL  betlentender  .Sitten  und  AiiHebauungen  kann  daher  sehr  wobl 
diirc.b  EntlehDung  von  ansäen,  der  Grieeben  von  den  Phöniziern, 
der  Italer  von  deo  Grieeben  zustande  gekommen  sein,  und  ist 
i«  in  zslillosen  Fällen  nachweisbar  und  tatsäehüeli.  AucU  die 
Frage,  üb  und  wie  weit  schon  das  alte  Indien  unter  dem  Banne 
we^tasialiscber  Kultur    gcsljtnden    hat,    ist   noeb  keineswegs  /.nv 

t gültigen  Entseheidiiug  gekommen.  Aber  aneh,  wenn  man 
dem  80  nahe  liegenden  Gedanken  einer  stnrkeii  Entlehnung 
aussen  absiebt,  ist  es  nicht  in  hobeui  Grade  wahrsebeinlicb, 
*  drei  so  nab  verwandte  V'llker,  nachdem  sie  einmal  die 
Bnbn  einer  biUieren  Knlliirentwieklung  betreten  hatten,  aus  den 
von  der  Drzeit  her  ihnen  gemeinsamen  Keimen  der  Gesitlnng 
heraus  neue,  und  »war  iliesellicn  knliurgesi-biehtliidien  Erwerbungen 
maehteij,  die  nun  den  Schein  eines  einheitlieben,  historischen 
L'rBprangs  envpeken?  Ich  sollte  meinen,  dass  das,  was  K.  B  rüg- 
Diann  oben  (P,  74)  llber  die  Zufülligkeil  in  der  Überein- 
Ktimiunug  gewisser  .Spracherscheinungen  hei   einzelnen  Gruppen 

idog.  Volker  ausgeführt  hat,  anf  dem  Gebiete  der  Kultur- 
jKbiehte  eine  verdop|>elte  Bedentung  habt-. 
i  All*  der  Hjeherste  Weg,  in  die  Urzeit  der  idg,  Volker  vor- 
Bringen,  empfiehlt  sieb  vielmehr  der  f<chon  von  Tbnkydides 
I  dem  Motto  dieser  ganzen  Abteilung)  eingescblagene,  nämlich 
Ir  Versuch,  „das  Barbarische"  in  den  hellenischen  Verbättuissen 
ied einfinden,  oder,  moderner  gesprochen,  vim  den  zurück- 
gi'bliebenen  Verhältnissen  der  idg.  Nordvfilker  aus  die  Kultur- 
entwicklnng  der  Inder,  Iranier,  Grieeben  und  Ri'juier  zu  verstehen. 
ler  diesen  enropäischen  Nordvölkern  haben  die  baltisch-slavi- 
I  Stämme,  und  nntcr  ihnen  wieder  die  Litauer,  Russen  und 


-     180     - 

Serben,  als  Bewahrer  höchsten  Altertums  eine  besondere  Wichtig- 
keit. Ihnen,  namentlich  den  Russen,  in  deren  Sprache  nnd 
volkstümliche  Überlieferung  ich  mich  seit  einer  Reibe  von  Jahren 
einzuarbeiten  versucht  habe,  ist  daher  in  den  folgenden  Duter- 
suchungen  besondere  Aufmerksamkeit  zugewendet  worden. 

Dass  wir  zur  Erschliessung  indogermanischer  Knltnr- 
verhältnisse  zunächst  ausschliesslich  die  bei  indogermani- 
schen Völkern  vorhandenen  Verhältnisse  heranzuziehen  haben, 
ist,  sollte  ich  meinen,  selbstverständlich.  Warum  sollen  wir,  um 
irgendwelche  indische,  griechische  oder  römische  Zustände  auf- 
zuhellen, zu  Hottentotten  oder  Buschmännern  unsere  Zuflucht 
nehmen,  wenn  uns  das  reichste  Material  aus  der  Überlieferung 
der  den  Indern,  Griechen  und  Römern  sprachlich  nnd  ethnisch 
verwandten  Litauer,  Russen  und  Serben  zuströmt?  So  hat 
die  Forderung,  bei  derartigen  Vergleichungen,  wenigstens  zu- 
nächst, ^innerhalb  der  Familie"  zu  bleiben,  ihren  guten  Grund, 
und  erst  eine  weitere  Aufgabe  ist  es,  die  so  gewonnene  Eigen- 
art dieser  Völkerfamilie  mit  der  einer  andern  zu  vergleichen. 
Es  ist  ein  ganz  grundloser  Vorwurf,  den  man  gegen  mich  erhoben 
hat,  dass  ich  die  „Volkskunde"  als  „eine  quantiU  n^gligeahk'^ 
betrachte,  es  mttsste  denn  sein,  dass  man  Litauer,  Serben  und 
Russen  nicht  als  „Völker"  und  ihr  Studium  nicht  als  zur  „Volks- 
kunde" gehörend  ansehe*). 


1)  Bei  diesen  methodischen  Ausführungen  glaube  ich  mich  durch- 
aus  in  Übereinstimmung:  mit  H.  Oldenberg  Indien  und  die  Religions- 
wissenschaft (1906)  zu  befinden.     „Mehr  und  Sichereres  als  der  Veda*, 
heisst  es  hier  p.  8,  , würden  uns  über  den  Glauben    der  Indoenrop&er 
wohl    —   so   müssen    wir   jetzt    annehmen    —    mittel-   und  nord- 
europäische,  germanische,    litauische  Materialien  lehren,   besftssen  wir 
nur  solche  Materialien  aus  annähernd  ebenso  hohem  Altertum.*    Wa8 
den  letzten  Teil  dieses  Satzes  betrifft,  so  wäre  es  ja  natürlich  für  uns 
noch  wichtiger,   wenn   wir  die  litauischen    und    slavischen  Materialien 
aus  um  1000  und  mehr  Jahre  früheren  Kpochen  hätten.     Dann  würde 
überhaupt    die  idg.  Urzeit    fix    und    fertig   vor    uns    liegen,    und  wir 
brauchten  uns  nicht  der  Mühe  zu  unterziehen,  sie  zu  ersch Hessen.  Im 
allgemeinen  aber  hängt  die  Altertümlichkeit  einer  Überlieferung  weniger 
von  der  Zeit  als  von  den  Umständen  ab,  und  gerade  in  dem  Abschnitt 
über  die  Religion  (Kap.  XV)  werden  wir  sehen,    dass  das  Christentum 
im  Nord  Osten   Europas    die   ursprünglichen    Verhältnisse   im    ganzen 
weniger    beeinflusst    hat,    als  so   viel  Jahrhunderte    früher   das   Brah- 
manentum  in  Indien    —  „Zu  primitiven  Formen  des  religiösen  Wesens 


Allein  luait  liat  ^csiigl:  die  KiilMirziü^täiide,  die  Du  auf 
diesem  von  Dir  gesoLJIderlen  Wege  ersehliefiBest ,  sind  nichts- 
einer  lieslimmten  ViHkergruppe,  also  iu  diegem  Falle  den  Indo- 
germanen,  spezieil  EigeutUniHclies,  sie  finden  sicli  vielmehr 
in  allen  primiliven  Verhältniasen  nnd  müssen  nicbt  als  etwas 
^Individiieliea".  sondern  als  etwas  „allgemein  MeiiscLIicIies"  be- 
zeiolinet  werden. 

Von  diesem  Einwand,  der  mit  besonderer  Emphase  von 
solchen  Gelehrten  geltend  gemacht  wird,  die  niemals  anf  irgend 
einem  Gebiete,  weder  der  indogermanischen,  noch  der  nichtindo- 
^ennanischen  Altertnmsltunde  selbständig  gearbeitet  haben,  und 
daher  geneigt  sind,  über  die  hierher  gehörigen  Fragen  lieber  zo 
epeknlieren  als  sie  zu  untersuchen,  wird  man  zunächst  sagen 
dürfen,  dass  er  entweder  richtig  oder  falsch  ist,  dass  aber  auch 
in  dem  crsteren  Falle  nichts  gegen  die  Berechtigung  der  Bestre- 
bungen der  indogermanischen  Alteriiunskunde  folgt.  Denn  wUrde 
sich  als  Resultat  laugjähriger  Forschungeu,  /u  denen  bis  jetzt 
nur  die  ersten  Anfänge  vorliegen,  seine  Richtigkeit  herausstellen, 
so  würde  sich  eben  nur  zeigen,  dass  die  Indogcmianen  zur  Zeit 
ihrer  ethnischen  und  linguistischen  Einheit  eine  Anxahl  von 
.Stämmen  bildeten,  die  sieh  in  kulturhistorischer  Beziehung  in 
nichts  von  irgendwelchen  anderen  Horden  der  gleichen  Zeitepoche 
nnlerschieden,  ein  Ergebnis,  mit  dem  wir  uns,  wie  mit  jedem 
anderen  wissenschaftlichen  Ergebnis,  abzufinden  haben  würden. 
Tatsächlich  ist  aber  jener  Einwand  ein  unrichtiger  und 
beruht  auf  falschen  Vorstellungen  von  dem,  was  mit  Rücksicht 
auf  primitive  Völkerverhältnisse  als  „speziell"  oder  „individnell" 
/.u  bezeichnen  ist.  Wohl  kehren  allgemeine  Kulturschemata,  wie 
dae  der  Gastfreundschaft,  des  Brautkanfs,  der  Blutrache,  der 
Totenverehrung  u.  s.  w.,  wie  bei  den  Indogermanen,  so  auch  hei 
zahlreichen  anderen  Völkern  des  Erdballs  wieder.  Allein  der 
individuelle  Charakter  eines  Volkes  wird  nicht  durch  das  Vor- 
handensein derartiger  einzelner,  bald  hier,  bald  dort  wieder- 
kehrender Kuttursclicmata ,  sondern  erst  durch  ihre  Gesamt- 
heit  nnd  ihr  Ineinandergreifen  bestimmt.     Es  ist  dies  ganz 


weil  jenaeits  dnr  indofuropäisflien  ZuBtande"  ( 
nncb  Oldenberg  p.  II  .die  junge  WIssünscIiAft  der  Klhnolo^ 
hierin  stimme  ich  mit  ihm  durtihaus  übercin. 


.^ 


—     132    — 

wie  bei  dem  einzelnen  Menschen:  seine  Nase,  Augen,  Ohren, 
Haare,  Arme,  Beine  kommen  geradeso  bei  zahllosen  anderen 
Personen  vor,  und  erst  das  Zusammentreffen  gerade  dieser 
Nase,  dieser  Augen,  Ohren,  Haare  u.s.  w.  bei  diesem  Indivi- 
duum machen  seine  physische  Individualität  aus.  Dazu  kommt, 
dass  auch  im  einzelnen  die  nähere  Ausbildung  und  Durchführung 
jener  allgemeinen  Kulturscheraata,  wie  bei  anderen  Völkerein- 
lieiten,  so  auch  bei  dem  idg.  ürvolk,  je  weiter  wir  in  der  Sprach- 
und  Sachvergleichung  kommen,  namentlich  im  Hinblick  auf  die 
gesellschaftliche,  rechts-  und  religionsgeschichtliche  Entwicklung, 
um  so  mehr  „individuelle"  Züge  aufweist  und  aufweisen  wird. 
Wir  hoffen,  dass  die  folgenden  Ausführungen,  zu  denen  wir  uns 
nunmehr  wenden,  zahlreiche  Beweise  hierfür   erbringen  werden. 


IL   Kapitel. 

Aus  der  Tierwelt 

jhnis  idg.  Säugetiere.    Löwe  und  Tiger.    Die  Jagd.    Idg.  Vögel- 
Die  Taube  ein  Totenvogel.    Rechts  und  links.    Die  Falkenjagd^ 
Aal.     Biene.    Schildkröte.     Ungeziefer. 

ils  soll  im  folgenden  zunächst  die  Fauna  ermittelt  werden^ 
iT  wir  uns  die  Urzeit  der  Indogermanen  umgeben  denken 
i.  Hierbei  soll  vor  der  Hand  ein  Unterschied  zwischen. 
D  und  wilden  Arten  nicht  gemacht  werden;  wohl  aber  wird 
hon  jetzt  die  Frage  beschäftigen  müssen,  welche  Schlüsse 
18  der  den  Indogermanen  bekannten  Tierwelt  auf  die  geo- 
sehe  Lage  ihrer  Urheimat  ziehen  dürfen.  Auch  einige 
I;  kulturgeschichtlich  nicht  unwichtige  Beziehungen  der 
3lt  zu  dem  Menschen  sollen  gelegentlich  schon  hier  erörtert 

D. 

Und  zwar  lässt  sich  zunächst  folgende  Liste  idg.  Säuge- 
an  der  Hand  der  Sprache  zusammenstellen: 

a)  Raubtiere. 

lund:  scrt.  Qvä\   aw.  spä,  armen.  Jtun,  griech.  xvcov,  lat. 

canisj  got.  hundsj  lit.  szü,  altpr.  sunisy  ir.  cü, 
No\t:   scrt.  üffca,   aw.  vehrka,   armen,  gaily  griech.  kvxogy 

lat.  lupusy  got.  rulfs,  alb.  uVJcy   altsl.  vlüJcüy   lit.  wilkaSj 

altpr.  wilkis, 
Jär:  scrt.  fkaha,  aw.  arSa^  Pamird.  ^ur^y  armen,  arjy  griech. 

äQXTogy  lat.  ursus  (ir.  art,  alb.  arif). 
)tter:  scrt.  udrd,  aw.  udra,  griech.  vögog,  ahd.  ottir,   lit. 

udräy  altsl.  vydra. 
Itis:  scrt.  kagikä',  lit.  sz^szkas  (Fick  B.  B.  HI,  165). 


..I . 


—     134    - 

6.  Pucbs:  scrt.  Updqd  (auch  „Schakal"),  npers.  rdbähj  armen. 

altes  ^)  (vgl.  Httbschmann  Arm.  Gr.  p.  415);  griech.  <pova 
=  got.  faühö  (vgl.  Vf.  B.  B.  XV,  135).    Beide  GleichuDgen 
sind  nicht  sicher. 
Auf  die  europäische  Gruppe  beschränkt: 

7.  Igel:  griech.  ix^vog^  ahd.  igil,  lit.  ez^s,  altsl. jeil  (armen. oznk 

8.  Luchs:  griech.  Aryf,  ahd.  luhs,  lit.  lüszia. 

9.  Wiesel:  lit.  szermü,  ahd.  Aarmo,  rätorom.  Ä:armuin;  griech. 

alekovQoq  =  9\\i\.  wüil,  wisul'^   griech.  yaJl^  =  cymr.  ferf«. 
Die  beiden  letzteren  Gleichungen  sind  nicht  sicher. 
Auf  die  arische  Gruppe  beschränkt: 
Schakal:  scrt.  srgäld,  npers.  shagäl  (?). 

b)  Nager. 

1.  Maus:    scrt.  mush,  npers.  müs,   armen,  mtikn,  griech.  /ife, 

lat.  mu8j  ahd.  müs,  altsl.  myfi. 

2.  Hase:  scrt.  ga^ä,  Pamird.^/a,  afgh.  «ot,  altpr.  sarins,  M. 

hasOy  cymr.  ceinach  (Stokes  B.  B.  IX,  88), 

3.  Biber:   aw.  hawri,    lat.  fiher,   corn.  hefer j  ahd.  hibar,  lit. 

Mhrüs^  altsl.  bebrü. 
Auf  Europa  beschränkt: 

4.  Eichhörnchen:    ir.  feoragh,  cymr.  gwytcer,  bret.  jM/ii^r 

(*ü^üe?'-),  altpr.  weicarey   lit.  tcowerSy  altsl.  veverica  (lat 
vicerra  „Frettchen"). 

c)  Einhufer. 

Pferd:  scrt.  dji^a,  aw.  o^pa,  griech.  ^uroc,  lat.  ejuti^,  ir.wi, 

alts.  ehuy  lit.  aazwä. 
Vgl.  auch  armen.  J/,  gen.  jioy  =  scrt.  A4ya. 
Auf  die  arische  Gruppe  beschränkt: 

Esel:  scrt.  khära^  aw.  x^^(^' 

d)  Zweihufer  oder  Wiederkäuer. 

1.  Rind:  scrt.  gö',  aw.  gdo,  armen,  kow,  griech.  ßovg^  lat.  hoi^ 
ir.  böj  ahd.  cAuo,  altsl.  govqdo. 


1)  VieUeicht  ist  griech.  aXiojirj^  eine  Entlehnung  aus  Vorderasien. 
Als  Fabelheld  erscheint  der  Fuchs  im  Griechischen  erst  bei  dem  Parier 
Archilochos  (frgm.  89).  Diese  Auffassung  des  Tieres  ist  wahrscheinlich 
semitischen  Ursprungs.  Vgl.  Vf.  K.  Z.  N.  F.  X»  464  und  über  andere 
Benennungen  des  Fuchses  in  Europa  Vf.  B.  B.  XV,  135. 


-    135     - 

2.  Schaf:  scrt.  dvij  griecb.  oig,  lat.  ovisy   ir.  öiy  abd.  auivi, 

lit.  awiSj  altsl.  ovlca. 

3.  Ziege:  scrt.  ajdy  lit.  of^«;  armen,  ayts,  griecb.  äff;   lat. 

haedusj  got.  ^ai^8. 
Aof  den  Ziegenbock    bezieben  sieb   wobl  aucb    aw.  büza, 
armen,  bucy  abd.  bocy  ir.  bocc  und  npers.  öapisy  lat.  caper, 
ahn.  Äflf/r. 

4.  Cerviden:    scrt.  ;*5ya    („Antilopenbock**),   lat.-germ.  alces 

(abd.  €'ZaA),  russ.  losi  („Elen")  und  scrt.  Sna  {*elna) 
„Antilope",  griecb.  Skacpog,  ikXdgy  lit.  Mnis,  altsl.  jeleni, 
cymr.  elaifiy  armen.  eXn  „Hirscb,  Hirscbkub'^. 

Auf  die  ariscbe  Gruppe  beschränkt : 

Kamel:  scrt.  üshtra,  aw. uitray  npers. ustur^ Pamird. üshtur, 
shtur,  khtür, 

c)  Vielbufer. 

Schwein:  scrt.  sükard,  aw.  At2,  griecb.  vg,  \Ki,su8y  abd.  «t^, 
altsl.  svinija. 

Femer  europäisch:  lat.  «per,  abd.  ehur^  altsl.  veprij 
arisch:  scrt.  varähd,  aw.  varäza. 

In  dieser  Liste  ist  meines  Erachtens  nichts  enthalten,  was 
bei  der  Erörterung  der  Frage  nach  der  Urheimat  der  Indo- 
germanen  zu  'verwerten  wäre.  Man  bat  zwar  gesagt,  dass  das 
Vorhandensein  von  Tieren  wie  des  Bären,  des  Wildschweines, 
des  Eichhörnchens  in  der  idg.  Fauna  das  südliche  Russland 
von  der  ältesten  Verbreitungssphäre  der  Indogermanen  ausschlössen. 
In  Wahrheit  aber  liegen  die  Dinge  so,  dass  die  genannten  Tier- 
arten zwar,  wie  natürlich,  in  den  völlig  waldlosen  Steppengegenden 
des  bezeichneten  Ländergebietes  gewöhnlich  fehlen,  in  den  die- 
selben begrenzenden  oder  in  sie  hineingreifenden  Waldgebieten 
aber  (vgl.  Kap.  IV)  ebenso  wie  im  übrigen  Europa  vorhanden 
sind   oder  waren.   Vgl.  näheres  bei  A.  Neb  ring*)  Über  Tundren 


1)  So  äussert  Nehring  über  den  Bären:  «Endlich  kommt  auch 
der  braune  Bär  (Ursus  arctos)  in  den  nördlicheren  von  Wäldern 
begrenzten  und  stellenweise  mit  Waldinseln  besetzten  Teilen  unseres 
Steppengebietes  vor^,  über  das  Wildschwein:  f,Das  gemeine  Wild- 
schwein kommt  in  den  südrussischen  und  wolga-uralischen  Steppen- 
Gebieten  heutzutage  nur  noch  selten  vor;  früher  war  es  stellenweise 
sehr  häufig",    über  das  Eichhörnchen:    „Das    gemeine    Eichhörn- 


—     136    — 

und  Steppen,  Berlin  1890  und  Die  geographische  Verbreitung 
der  Säugetiere  in  dem  Tsehemosem-Gebiet  des  rechten  Wolga- 
Ufers  sowie  in  den  angrenzenden  Gebieten  (Z.  d.  Gesellschaft  f. 
Erdkunde  XXVI). 

Dass  ei*st  recht  nichts  aus  dem  Fehlen  gemeinsamer  Namen 
für  gewisse  l'ierarten  geschlossen  werden  kann,  ist  bereits 
Sprach V.  u.  ürg.  P,  162  hervorgehoben  worden. 

Immerhin  wird  es  notwendig  sein,  unsere  Stellung  zu  der 
viel  erörterten  (vgl.  Sprachv.  u.  ürg.  I',  92,  99,  105)  Löwenfrage 
in  Kürze  darzulegen. 

Wenden  wir  uns  zuerst  nach  Asien,  so  scheinen  die  noch 
vereinigten  Arier  keine  Bekanntschaft  mit  dem  Könige  der  Tiere 
gemacht  zu  haben.  Sein  Name  ist  in  den  Gesängen  des  Awesta 
noch  unbekannt.  Wohl  aber  mussten  die  Inder  nach  erfolgter 
Loslösung  von  ihren  iranischen  Brüdern  bei  ihrer  Einwanderung 
in  das  Fünfstroniland  auf  das  furchtbare  Raubtier  stossen,  wie 
denn  der  Löwe  schon  in  den  ältesten  Liedern  des  Rigveda  ab 
schrecklichster  Feind  der  Menschen  und  Herden  gilt.  Seine 
Benennung  lautet  im  Indischen  simhäy  sithht,  ein  Wort,  da» 
entweder  den  unarischen  Ursprachen  Indiens  entstammt  oder  au8 
dem  eigenen  Wortschatz  genommen  ward,  wo  es  dann  ursprüng- 
lich ein  leopardenartiges  oder  ähnliches  Tier  (vgl.  armen,  ine  = 
siriihä    „Leopard'')  bezeichnet  haben  müsste. 

In  Europa  dürften  sämtliche  Löwennamen  (lat.  leOj  ahd. 
leicOj  UwOj  louwo,  slav.  flüu,  lit.  lewas)  mittelbar  oder  unmittel- 
bar als  Entlehnungen  aus  dem  griech.  XEcovy  keUov  zu  betrachten 
sein,  auch  wenn  bei  dieser  Annahme  einige  lautliche  Schwieri(^ 
keiten  nicht  ganz  beseitigt  werden.  Den  griechischen  Löwen- 
namen selbst  wird  man  dagegen  als  einen  auf  der  Balkauhalb- 
insel  einheimischen^  nicht  aus  den  semitischen  Sprachen  (hebr. 
ldhi\  assyr.  lahbn,  ägypt.  fabu)  übernommenen  Ausdruck  an- 
zusehen haben,  eine  Auffassung,  die  sich  auch  sachlich  wohl 
begründen  lässt. 

Allerdings  war  der  Löwe,  der  nach  paläontologischen  An* 


chen  (Sciurufl  vulgaris)  ist  zwar  von  den  waldlosen Steppenflicben 
ausgeschlossen,  kommt  aber  hie  und  da  in  unmittelbarer  Nachba^ 
Schaft  vor.  So  z.  B.  nach  Kessler  im  Kiewschen  Bezirk,  nach 
Czernay  im  Charkowschen  Gouvernement,  nach  Pallas  in  den 
Steppengehölzen  an  der  Samara"  usw. 


zeigen  (vgl.  Lubbock  Die  vorgescbichtliche  Zeit  II,  5)  einst  fast 
in  ganz  Europa  verbreitet  war,  schon  in  der  neolitbischen  Periode, 
z.B.  ans  der  Fauna  der  Schweizer  Pfahlbauten,  im  allgemeinen 
verschwunden.  Dennoch  aber  hatte  sich  nach  den  ausdrücklichen 
und  billig  nicht  zu  bezweifelnden  Nachrichten  des  Herodot 
(VII,  125)  und  Aristoteles  {^Hist.  anim.  D.  28)  in  Thrakien  und 
den  angrenzenden  Gebieten  eine  Löwenart  bis  in  die  historischen 
Zeiten  erhalten,  so  dass  der  Annahme  nichts  im  Wege  steht,  die 
Hellenen  hätten  in  Europa  selbst  den  Löwen  kennen  und  benennen 
gelernt.  Wie  aber  griech.  Utov  zu  erklären  sei,  ist  noch  nicht 
ermittelt.  Eher  als  U<ov  könnte  das  daneben  liegende  kXg  aus 
dem  Semitischen  stammen  (vgl.  hebr.  lajis). 

Weit  weniger  zurück  in  die  Geschichte  der  Indogermanen 
geht  jedenfalls  der  furchtbare  Nebenbuhler  des  Löwen  in  der 
Oberherrschaft  über  die  Tiere,  der  Tiger.  In  Indien  wissen 
die  Gesänge  des  Rigveda  noch  nichts  von  ihm  zu  erzählen,  sein 
Name  ivyäghrd)  begegnet  erst  im  Atharvaveda,  d.  h.  in  einem 
Zeitraum,  in  welchem  sich  die  indische  Einwanderung  schon 
mehr  dem  Ganges  genähert  haben  musste;  denn  in  den  Rohr- 
und Graswäldem  Bengalens  ist  die  eigentliche  Heimat  des  Tigers 
zu  suchen.  Auch  unter  den  Raubtieren  des  Awesta  geschieht 
desselben  keine  Erwähnung.  Die  Landschaft  Hyrkanien,  von 
deren  Tigerreichtum  die  späteren  Schriftsteller  des  Altertums 
besonders  viel   erzählen,    heisst   damals    Vehrhana   „Wolfsland". 

Es  ist  daher  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  >vie  H.  Hübsch- 
mann (Armen.  Stud.  I,  14)  vermutet,  der  Tiger  erst  in  ver- 
hältnismässig später  Zeit  sich  von  Indien  her  über  Teile  West- 
und  Nordasiens  verbreitet  hat.  Dazu  stimmt  das  armen,  vagr 
„Tiger",  das  Hübschmann  durch  das  Persische  hindurch  (npers. 
habr^  jedoch  älter  papara  K.  Z.  XXVI,  542)  aus  scrt.  vyäghrä 
entlehnt  sein  lässt.  W.  Geiger  zählt,  worin  ich  ihm  nicht  bei- 
stimmen kann,  den  Tiger  bereits  zur  arischen  Fauna  (vgl.  La 
cwUisation  den  Arias  II,  35,  extrait  du  Museon). 

In  Europa  ward  der  erste  Tiger  um  das  Jahr  300  v.  Chr. 
in  Athen  gesehen.  Der  König  Seleukus  (Nicator)  hatte  ihn  den 
Athenern  zum  Geschenk  gemacht,  wie  die  Verse  des  Philenion  in 
der  Neaera  besagen: 

wmsQ  SiXet^xoi  Aevo  ejir/ays  xtjv  rr/Qtr 
fjv  etdofiev  YjfAeXg.  (Athen.  XIII.  590.) 

Setarader,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  II.    S.  Aufl.  10 


—    138    — 


Über  seine  griechisch-römische  Benennung  bemerkt  Varr« 
der  erste  römische  Autor,  der  des  Tigers  erwähnt:  tigrü  qui 
ut  leo  varius;  vocabülum  ex  lingua  Armenia;  nam  ibi  et  sagUt^  ^ 
et  quod  vehementissimum  flumen  dicituvy  Tigris,  vgl.  L.  L.  V,  5^  0 
p.  102,  nur  dass  nicht  im  Armenischen,  sondern  im  Iraniscb^^Q 
tiyriy  npers.  tir  „der  Pfeil"  bedeutet. 

Aber  auch  wenn  wir  von  Löwe  und  Tiger  absehen,  entb^.;t 
die  oben  angeführte  Liste  idg.  Säugetiere  genug  Vierfüssler  f  Clr 
den  Jagdeifer  des  Urvolks.  Ein  idg.  Ausdruck  für  den  Begriff 
^Jagd"  liegt  in  aw.  ^azrd  (azrö-dadi  „Jagd  machend^)  =  grieoh. 
äyga  (dygevoj,  dygsvg)  vor.  Daneben  hat  auf  drei  auch  sonst  in 
ihrem  Wortschatz  sich  vielfach  berührenden  Sprachgebieten  ein^ 
idg.  Sprachwurzel  von  allgemeiner  Bedeutung  ttbereinstimmea 
eine  Beziehung  zur  Jagd  und  zum  Wild  erhalten.  Es  ist  die 
scrt.  riy  veti  „losgehen  auf,  bekämpfen",  das  im  lat.  tenar- 
ahd.  weiday  altn.  veidr,  agis.  icäd  {*i'oi'to)  und  im  ir. /Vod  „ Wild 
fiadach  „Jagd"  (*veidho)  wiederkehrt. 

Im  allgemeinen  wird  man  sieh  aber  hüten  müssen,  der  Jag 
in  dem  Leben  des  primitiven  Hirten  und  angehenden  Ackerbaue 
eine   sehr   bedeutsame    Rolle   einzuräumen.     Wildpret  wird  de 
Göttern    nicht    geopfert   und    nur   in   Zeiten   der   Not    gespeis 
Vielleicht    hat    daher  Tacitus   den  Charakter   unserer  Vorfahre 
richtiger  beurteilt,  wenn  er  in  offenbar  beabsichtigtem  Gegensa 
zu  den  Worten  des  Divus  Julius  de  hello  Gall.  VI,  21  vita  omni 
in  venationibus  und  IV,  1  multum  sunt  in  venationibus  Geruiani 
Kap.  13  ausdrücklich  sagt:  non  multum  venationibus,  plu 
per  otium  transigunt,  dediti  somno  ciboque.    Der  primitive  Mensch 
kämpft  aus  Not  gegen  die  Tiere,  zum  Sport  wird  dieser  Kampf 
erst  auf    höheren  Kulturstufen   und  erheischt   dann  spezielle  Be- 
nennungen.    Charakteristis(jh    ist   in    dieser  Beziehung   das  russ. 
ochöta  „Jagd",  das  im  Altrussischen  (hier  growi^i  Jagen",  eigentlich 
„hetzen")  noch  ausschliesslich  „Lust",  „Vergnügen**  bedeutet  (vgl. 
weiteres  in  meinem  Reallexikon  s.  u.  Jagd). 


In  der  Vogel  weit*),    zu  der  wir  nunmehr  übergehen,  er- 
schwert  die  Ermittlung   eines   urzeitlichen  Bestandes   die  schoi 

1)  Vgl,  manches  hierher   gehörende    bei  0.  Keller   Griech.  am 
lat.  Tiernainen  Ausland  1879  p.  441  ff.,    p.  470  ff.    und  A.  v.  Ediinge 
Krklärun.i>*  der  Tiernamen. 


—    139    — 

her  (vgl.  P,  182)  hervorgehobene  Häufigkeit  onomatopoetischer 
dangen.     So  finden  wir  als  charakteristisch: 
Fflr  die  Eule:  die  Laute  ü  und  bü: 

sert.  ülüküy  lat.  ulula,  ahd.  üwüa,  lit.  ^loasj  —  armen. 
bO'Söy  griech.  ßvag,  lat.  bübo. 
Fflr  den  Kuckuck:  ku: 

scrt.  köküä,  griech.  xoxxv^j  lat.  cucülus,  altsl.  kukavica, 
lit.  kukütij  ir.  ct^acA  (ahd.  gouch?). 
Für  den  Hahn:  fcerfc: 

scrt.  krka-vä'kuy  avv.  kahrkäsüj  kahrkatäSj  npers.  fcerfc, 
kurd,  fcurfc,  afgh.  cirgj  osset.  Äarä,  Pamird.  fcörfc,  griech. 
xiQxog  (vgl.  auch  xegxa^'  liga^j  xegxdg'  xge^j  xegxi'&aXiq' 
igcudiög,  xegxvog'  iega^  (Hesych),  ir.  cerc.  Daneben  er- 
innert an  den  Kuckucks  ruf:  scrt.  kukkufd,  altsl. 
kokotü,  russ.  köcetü,  griech.  xoxxvßöagy  agls.  cocc  (ndd. 
küken),  frz.  coq. 
Für  den  Raben  und  die  Krähe:  qor: 

griech.  xoga^y  lat.  corvus  —  griech.  xogayytj,  lat.  comix^ 
umbr.  curnaco. 
Für  den  Wiedehopf:  up: 
griech.  Bicoxp,  lat.  upupa. 
Für  den  Häher:  ki-ki\ 

scrt.  kikidwi(kiki)j  griech.  xiooa  (aus  *xixia)j  ahd.  hehara. 
Für  ein  rebhuhnartiges  Tier:  te-ter,  ti-tir. 

scrt.  HttM,  npers.  tederv,  griech.  ihga^,  rhgi^,  xetgaoiVy 

lat.  tetraOy    altsl.  tetrevü,    lit.  teterwa  (mit  vielfältigem 

Bedeutungswandel). 

Auch   sonst    haften    an    derselben  Wurzel   nicht  selten  die 

^^nnnngen  sehr  verschiedener  Vögel:  vgl.  z.  B.  \a,Ucicönia,  cönia 

Orch**  und  gena.hana,  huon  ^Hahn,  Huhn",  fjixavog'  äXcTcrgvcov 

^    Auch  scrt.  kap-6'ta  „Taube",  Pamird.  kibit  und  ahd.  habuh 

^bicht"  (miat.  capus)  scheinen  auf  dieselbe  Wurzel  (lat.  capto) 

8«en",  „greifen"  zurückzuführen. 

Von  derartigen  Benennungen  abgesehen,  stimmen  nur  wenige 
Sehiamen  in  asiatischen  und  europäischen  Sprachen  überein. 
I  nenne: 

scrt.  gyinäj  aw.  sciinö  mereyö  „Adler  oder  Falke",  griech. 

bcxTvog  „Weihe"  (armen,  gin  „milvus"?). 
Bcrt.  vdrtikä,  Pamird.  wolchj  griech.  dgzvS  „Wachtel". 


—     140    — 

scrt.  hamad,  griech.  xV'^i  lat.  anser  (ir.  g^is  „Schwan**),  germ. 
gans,  altsl.  g({8i  (viell.  aus  dem  Genn.  entlehnt),  lit.  i^lHtf 
altpr.  aansy  „ein  gangartiger  Vogel^. 
scrt.  ätiy  griech.  rtjaoa^  lat.  anas,  ahd.  anut,  altsl.  c^iy  tit 

dntis  „ein  enten artiger  Vogel". 
Häufiger  sind  Übereinstimmungen  innerhalb  Europas: 
Ahd.  arOy  altsl.  orilü,  lit.  erUlis,  com.  er  „Adler**  :  griech. 
oQvig  „VogeP  (vgl.  griech.  akrög  „Adler"  aus  *a'h-j-eTog 
n.  Benfey  :  scrt.  vi  „Vogel",  lat.  avis). 
Griech.  yegavogy  lat.  grus,  cymr.  garan,  ags.  cran,  lit.  gSmiy 

altsl.  ieravi  (armen.  krunJc)  „Kranich". 
Griech.  igwdiögy  lat.  ardea  „Reiher". 
Griech.  xoyßixog,  altsl.  kosü  „Amsel". 
Griech.  xiXX'OVQog  (*xt-X-ia),   lit.  kUIe,   lett.  zälawa  „Bach- 
stelze" (Vf.  B.  B.  XV,  127). 
Lat.  merula,  cymr.  mwyalch  „Amsel",  ahd.  meisa  „Meise". 
Lat.  turdela,  mhd.  drostel,  lit.  atrdzdas  „Drossel". 
Lat,  picus,  ahd.  specht  „Specht"  {sert  pika  „Kuckuck"?). 
Lat.  stnrnus,  ahd.  stara  „Star". 
Lat.  fuUca,  ahd.  belihha  „Wasserhuhn". 
Mit  starkem  Bedeutungswandel: 
Griech.  t/;a(>  „Star",  \sLtparray  umbr. j7ar/a  „avis  augnralis'' 

(oder  pärus  „Meise"),  ahd.  sparo  „Sperling". 
So  viel  über  die  Benennungen  idg.  Vögel.  Auch  hier  sparen 
wir  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  einige  derselben  schon  in 
vorhistorischen  Zeiten  in  die  Zucht  des  Menschen  übergegangen 
waren,  für  das  folgende  Kapitel  auf,  um  dagegen  schon  hier  die 
Bedeutung  zu  würdigen,  welche  die  Vogelwelt  im  Glauben  oder 
Aberglauben  der  Indogermanen  besitzt. 

Das  Tier  der  Wildnis  ist  dem  Menschen  auf  frühen  Kultur- 
stufen an  sich  ein  Gegenstand  scheuer  Verehrung.  An  Fuchs, 
Hase,  Wolf,  Wiesel  usw.,  die  auf  dem  Weg  des  Wandernden 
oder  in  seinem  Gesichtskreis  erscheinen,  knüpft  derselbe  freudige, 
zumeist  trübe  Ahnungen,  wie  wir  uns  heute  überhaupt  kaum 
noch  eine  genügende  Vorstellung  machen  können  von  dem  Grad 
religiöser  und  abergläubischer  Beklemmung,  mit  welcher  die  ver- 
schiedenen Erscheinungen  der  Natur  das  Gemüt  des  Menschen 
belasten*)  (vgl.  P.  Schwarz,  Menschen  und  Tiere  im  Aberglauben 
1)  Möglich  ist  daher,  worauf  neuerdings  wiederum   A.  Meillet 


—    141     — 

der  Griechen  und  Römer,  Progr.  Celle  1888  und  L.Hopf,  Tier- 
orakel und  Orakeltiere  in  alter  und  neuer  Zeit,  Stuttgart  1888). 

In  besonders  hohem  Grade  gilt  das  Gesagte  von  dem  Reich 
der  Vögel,  deren  unberechenbares  und  geheimnisvolles  Kommen 
und  Gehen  aus  dem  und  in  den  Raum,  in  welchem  man  den 
Sitz  der  Unsterblichen  wähnte,  sie  vor  anderen  Tieren  geeignet 
erscheinen  Hess,  dem  Menschen  über  den  Willen  der  Götter  oder 
Aber  das  Dunkel  der  Zukunft  Andeutungen  zu  machen.  Auch 
die  Beobachtung,  dass  es  Vögel  sind,  die  zuerst  den  nahenden 
Frflbling  und  Winter  yerkttnden,  mochte  mit  dazu  beitragen, 
ihnen  die  Gabe  der  Weissagung  zuzuschreiben,  obgleich  es  aller- 
dings nicht  in  erster  Linie  Wandervögel,  sondern  zumeist  Raub- 
vögel sind,  denen  dieselbe  eignet. 

Einige  Vögel  sind  an  sich  glück-,  andere  Unglück  verkündend. 
Zu  letzteren  gehört  neben  der  Eule,  was  weniger  bekannt  zu 
sein  scheint,  auch  die  Taube.  Die  Taube  ist  ein  indog.  Toten- 
vogel, mag  sie  nun  zu  dieser  Auffassung  infolge  ihres  schwarz- 
grauen Gefieders  (ne/ieia  :  nekög;  got.  dübö  :  ir.  dub  „schwarz") 
oder  infolge  ihrer  klagenden,  schon  von  den  Alten  bemerkten 
Stimme  gekommen  sein. 

Ulfilas  tibersetzt  Turteltaube  (xQvycov)  mit  hraivadübo  „Toten- 
taube". Die  Longobarden  errichteten,  wie  J.  Grimm  (D.  Myth.) 
ans  Paulus  Diae.  mitteilt,  auf  den  Kirchhöfen  neben  den  Gräbern 
Stangen  für  auswärts  gefallene  oder  gestorbene  Blutsverwandte, 
auf  deren  Spitze  sich  das  hölzerne  Bild  einer  Taube  befand. 

Die  gleiche  Anschauung  begegnet  uns  im  Veda.  Hier  ist 
hap/fta  „Taube"  der  Bote  der  NirftU  des  Genius  des  Verderbens, 
and  des  Yama,  des  Totengottes.  Charakteristisch  hierfür  ist 
RigvedaX,  165: 

1.  Deväh  Jcapö'ta  ishitö'  ydd  ichdn  dhütö'  nirftyä  iddm 
äjagä'ma 

tdsmä  arcdma  Tcfndvdma  niahkftim  gdm  nö  astu  dvipddS 
fäm  cätushpadS, 

„0  Götter,  was  die  eilige  Taube,  der  Nirfti  Bote,  suchend 


[Qu^iquts  hypotMses  sur  des  interdictions  du  vocdbuLaire  dana  les 
langues  Indo-Europ^ennes,  S.  A.  1906)  aufmerksam  gemacht  hat,  dass 
lie  lückenhafte  Überlieferung  vieler  idg.  Tiernamen,  z.  B.  beim  Fuchs, 
EUsen,  Bären  usw.  mit  einem  Tabu  zusammenhängt,  das  auf  ihnen 
mhte. 


—     142    — 


liierherkam,    dafür  wollen  wir   singen  und  Entsühnnng  machen: 
Heil  Bei  unserem  Zweifüssigen,  Heil  dem  Vierfttssigen.^ 


2.  Qiväh  kapö'ta  ishitö'  no  astu  anägä'  diväh  qakun/f 
grheshu, 

„Huldvoll  sei  uns  die  eilige  Taube,  ohne  Unheil,  ihr  Götter, 
der  Vogel  im  Hause." 

3.  mä'  nö  hinstd  ihä  devdh  Tcapö'ta, 

„Nicht  möge  uns  hier,  Götter,  die  Taube  verletzen." 

4.  ydsya  dütdh  prdhita  ishd  ität  tdsmai  yamä'ya  wM 
astu  mftyave, 

„Als  dessen  Bote  diese  (die  Taube)  hierher  gesandt  ist, 
dem  Yama  soll  Verehrung  sein,  dem  Tode"  usw. 

Vgl.  auch  A.  Weber  Omina  und  Portenta.  Abh.  d.  k.  6. 
d.  W.  in  Berlin  1858  und  E.  Hultzseh,  Prolegomena  zu  Vcaani- 
aräja  gäkuna  nebst  Textproben,  Leipzig  1879. 

Im  allgemeinen  aber  ist  das  Erseheinen  oder  das  Gesehrei 
desselben  Vogels  günstig  oder  ungünstig,  je  nachdem  es  von 
rechts  oder  links  erfolgt.  Hierbei  zeigt  sich  die  eigentflmliche 
Tatsache,  dass  den  Kömern  die  linkseitigen  Omina  als  glfick* 
bedeutende,  die  rechtseitigen  als  Unglück  bedeutende  gelten, 
während  bei  anderen  indog.  Völkern  das  umgekehrte  VerhÄltni» 
herrscht.  Es  wäre  daher  nicht  ohne  Interesse,  die  ursprüngliche 
indogermanische  Anschauung  zu  ermitteln. 

J.  Grimm  (Geschichte  d.  D.  Spr.  „Recht  und  Link"  p.  980 
bis  996)  hat  sich  diese  Dinge  in  folgender  Weise  zurechtgele^: 
Er  geht  von  der  unzweifelhaft  richtigen  Tatsache  aus,  dass  die 
Indogermanen  sich  ursprünglich  in  der  Weise  im  Räume  orien- 
tierten, dass  sie  das  Antlitz  der  Sonne  zuwandten,  so  dass  der 
Süden  rechts,  der  Norden  links  war.  Der  Beweis  hierfür  liegt 
in  der  Übereinstimmung  der  arischen  Sprachen  und  des  Keltischen. 
Vgl.  scrt.  prä'üc  und  pü'rca  (=  aw.  pouru)  „vorn"  =  Osten,  Bcrt 
dpara  (=  aw.  apara)  und  dpäflc  „rückwärts"  und  „westlich'' 
mit  ir.  airther  „östlich"  =  griech.  Ttagolregog  „der  vordere"  und 
ir.  siar  „westlich"  und  „hinten";  ferner  scrt.  ddkshina  (=aw. 
dasind)  „rechts"  =  Süden,  scrt.  savyd  „link"  =  Norden  mit  ir. 
dess  „rechts"  und  „südlich",  tüath  „links"  und  „nördlich".  Einen 
Rest  dieser  Anschauung  hat  auch  das  Germanische  in  seinem 
ahd.  nord  usw.    bewahrt,    welches   dem    umbrischen  Adjektivom 


143 


„ad  siuislrum"    eulfpricbt    (griech. 


„Binistro'^,  nertrulu 
„unten  befindlicli"). 
;r  Norden  war  also  links.  Da  nun,  so  argumentiert 
rimm  weiter,  das  Altertum  die  Wolmung  der  Götter  naeb 
den  setzte,  so  war  ea  natürlich,  dass  die  von  links  kommenden 
ihen  Für  giflckbringend  galten.  Diese  Anäclmnung  haben  die 
mer  bewahrt.  „Die  Griechen  aber  und  alle  anderen  mit  ihnen 
rin  Dbereinatimmenden  VJSlker.  in  der  Wanderung  gegen  Westen 
^ffen,    mussten  eich  gewöhnen,    den  Blick  nach  Abend  statt 

(Morgen  zu  richten,   und  der  heilbringende  Norden  trat  für 
«r  rechten  Seite,   während  er  früher  zur   linken   gestanden 
Diese  Darstellung   enthält  mehrere  Unwahrseheinlichkeiten. 
will  nur   eine   hervorheben.     Die   Inder,    die    dot-h    keines- 
b  von  Osten  nach  Westen  wanderten  und  auch  die  Ursprung- 
iie    Orientierang    in    den    Himmelsgegenden    beibehielten    (vgl. 
kbau  =  ddkahina),    hätten,    wenn    J.    Oriinras   Ansicht    die 
btige  wäre,  doch  in  jedem  Fall  die  alte  Anscbaunng  von  der 
IkJiehen  Verheissnng  der  linkseitigen  Omina  beibehalten  niUssen. 
'  schon  im  Rigveda  gilt  die  rechte  Seite  fllr  glückbringend. 
Bgv.  II,  42 : 
3.  dea  leranda  dakshivalo  grhä'nävi  mumangalö'  lihadrnvädt 

mtl. 

„Schreie,  o  Vogel,  rechtsber  vom  Hause,  indem  Du  Glöck 

bringet  und  Segen  verkündest", 
JRgv.  11,  43: 

1,  pradakxhinid  ahhi  grnantt  kärdpd  vdi/6  vddanta  rtuthä' 
tiaat/ah, 

-  bV""  rocbts  her  singen  die  Preissänger,  die  Vögel,  welche 
Ordnung  gemäss  sprechen." 

Im  Gegensat/,  hiei-zu  vergleiche  die  Bedeutungen  von  cä'ma 
k,  schief,  verkehrt,  ungdustig  nsw."  m.  „die  linke  Hand", 
hUngonst,  Unheil". 

TAxT   acheint  daher  aus  der  Übereinstinnnnng    des  Sanskrit, 
ischeu  und  Germanischen    {vgl.  J,  Grimm  a.  a.  0.  p.  984 

icero  div.  II,  94-    ita   nohhs  sinistra   i-ideutur,    Graji»  et 
dextra  meliora  vielmehr  zu  folgen,  dass  diese  Sprachen 

Olker    die    ursprüngliche    Anschauung    bewahrt    haben, 
tte  „reehw  —  links"  =  „glücklich  —  unglücklich"  in  diesem 


-     144    — 

ZuBammenhang  ursprünglich  niit  den  Himmelsgegenden  an  «eh 
ttberhaapt  nichts  zu  tun^  sondern  beruhte  lediglich  auf  einer 
symbolischen  Übertragung  der  Auffassung,  die  man  von  der 
rechten  und  linken  Hand  von  jeher  hatte. 

Das  indog.  Wort  für  „rechts"  (scrt.  ddkshina,  aw.  da&naj 
altsl.  desinü,  lit.  deazini,  griech.  deSiog,  lat.  dexter,  altsl.  deMj 
alb.  dja^te,  ir.  dessj  got.  taihsvö)  bedeutet  fast  überall  zugleich 
„tauglich,  geschickt".  Vgl.  auch  alts.,  agis.  suithora,  svidrt 
^rechte  Hand",  d.  h.  „fortior,  citior",  nihd.  diu  bezzer  hant 
(J.  Grimm  a.  a.  0.  p.  987;.  umgekehrt  gehört  griech.  laidgf  lat. 
laevus,  altsl.  I^vü  zu  griech.  hagög  „tepidiiSj  lenis^j  ahd.  sUo^ 
alts.  aliu  „matt,  lau"  (St.  *8laivo :  *8lwo)^  scrt.  a-^ri-män  „nicht 
ermattend"  und  in  ganz  ähnlicher  Weise  möchte  ich  auch  unser 
link  erklären.  Ich  stelle  ahd.  lencha  „linke  Hand",  niederrh. 
slinc  (St.  *slenqo) :  griech.  Xayaoog  „schmächtig"  (St.  ^slng-)  und 
lat.  langueo  „matt  sein"  (St.  *8lng'),  Got.  hleiduma  :  griech.  xiivk 
„Abhang"  ist  wohl  „die  schiefe"  im  Gegensatz  zu  rechts,  urspr. 
„gerade"  (vgl.  auch  lat.  clivium  auapicium). 

Von  der  rechten  Seite  kamen  also  die  glücklichen  Anzeichen, 
weil  rechts  so  viel  wie  „tauglich",  „geschickt"  war,  von  der 
linken  die  unglücklichen,  weil  links  für  „matt"  und  „kraftlos" 
galt.  Hierin  wird  man  also  die  älteste  idg.  Anschauung  erblicken 
dürfen  und  es  der  römischen  Altertumskunde  überlassen  müssen, 
die  daneben  in  Italien  auftretende  Lehre  von  der  Gunst  links- 
seitiger Omina  zu  erklären  (vgl.  Näheres  in  meinem  ReallexikoD 
s.v.  Rechts  und  links  und  bei  F.  B.  Jevons  Indoeuropean 
modes  of  orientation,  Classical  Review  X,  22). 

Schliesslich  und  mehr  beiläufig  sei  noch  auf  eine  Rich- 
tung hingewiesen,  in  der  die  Vogelwelt,  wenn  auch  nicht  in  der 
Zeit  vor  der  Trennung  der  Indogermanen  und  nicht  bei  allen 
idg.  Völkern,  von  kulturhistorischer  Bedeutung  geworden  ist,  anf 
die  Sitte,  mit  Falke,  Habicht,  Sperber  usw.  kleineres  Wild  zu 
jagen.     Wann  und  wo  ist  diese  Jagdart  zuerst  aufgetreten? 

V.  Hehn  (Kulturpflanzen  und  Haustiere'  p  368)  behauptete, 
die  Falkenjagd  sei  keine  deutsche  Übung,  sie  sei  vielmehr  den 
Deutschen  von  den  Kelten  zugekommen,  und  nicht  einmal  in 
sehr  früher  Zeit.  Für  diese  Aufstellung  scheint  mir  aber  jeg- 
licher Bewci»  zu  fehlen;  denn  die  Jagd  mit  Vögeln  lässt  sich, 
wenigstens  in    früheren  Epochen,    bei    keltischen  Völkern    übc^ 


-     145     - 

aupt  nicht  nachweiseD,  und  was  die  Wortreihe  ir.  sebocc,  eymr. 
»baue  —  ahd.  habuh,  altn.  haukr  „Habicht''  anbetrifft,  so  sind 
cht,  wie  Hehn  glaubte,  die  Germanen,  sondern  umgekehrt  die 
elten  (vgl.  Thurneysen  Kelto-roroanischei  p.  22)  der  ent- 
hnende  Teil. 

Im  IV.  nachchristlichen  Jahrhundert  muss  die  neue  Jagd- 
eise bei  den  Römern  aufgekommen  sein  (vgl.  Bai  st  Z.  f.  D.  A. 
L.  1883  p.94  und  W.  Brandes  Arch.  f.  lat.  Lex.  1886  p.  141 
xipUer  „Jagdfalke''),  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
ß  auf  romanischen  Boden  vom  germanischen  her  eingewandert 
t.  Hierfür  sprechen  eine  Reihe  romanischer  Termini  der  Falken- 
gd,  die  sichtlich  germanischen  Ursprungs  sind :  so  it.  sparaviere, 
Ä-  ipervier  :  ahd.  spar  wärt  „Sperber" ;  it.  gerfalco,  sp.  geri- 
'Itey  prov.  girfalcj  frz.  gerfaut  :  altn.  geirfalki  „Sperfalke" 
laist  a.  a.  0.  p.  59)  oder  aus  geierfalke\  it.  logoro.  frz.  leurre  : 
hd.  luoder  „Lockspeise".  Auch  ahd.  fdlchoj  altn.  falke,  miat. 
IcOj  it.  falcone,  frz.  faucon,  wenngleich  ich  der  von  Bai  st 
»rgeschlageuen  Ableitung  von  fallen  nicht  beistimmen  kann, 
beint,  namentlich  wegen  seiner  häufigen  Verwendung  zu  alt- 
omanischen  Eigennamen,  viel  eher  barbarischen  als  romanischen 
rsprungs  zu  sein  (vgl.  Baist  a.a.O.  p.  58). 

Ist  dies  aber  richtig,  so  könnte  die  Falkenbeize,  da  Cäsar, 
inias,  Tacitus  sie  noch  nicht  bei  den  Germanen  kennen,  hei 
tnselben  erst  im  zweiten  oder  dritten  Jahrhundert  aufgekommen 
in.  In  diese  Zeit  aber,  d.  h.  ungefähr  in  die  zweite  Hälfte 
iS  zweiten  Jahrhunderts  fällt  die  Wanderung  der  Goten  an  die 
itere  Donau  und  das  Schwarze  Meer.  Südlich  nun  von  der 
^oan,  im  alten  Thrakien,  war,  wie  wir  aus  Aristoteles  H.  A. 
36, 4  wissen,  die  Jagd  mit  Habichten  schon  in  vorchristlichen 
rhrhunderten  geübt  worden;  doch  hat  die  hier  geschilderte 
gdweise,  bei  der  Habicht  oder  Sperber  mehr  zum  Erschrecken 
j  zum  Fangen  der  kleineren  Vögel  gebraucht  werden,  im  ganzen 
voig  mit  der  eigentlichen  Beizjagd  zu  tun,  deren  Ursprünge 
>bl  überhaupt  nicht  in  dem  Waldland  Europas,  sondern  in  den 
»ten  Steppen  und  Ebenen  des  Ostens  zu  suchen  sind. 

Tatsächlich  finden  wir  nun,  dass  zu  den  den  Germanen 
aachbarten  Slaven  die  Kenntnis  der  Jagd  mit  Falke  und 
erber  durch  turko-tatarische  Stämme,  bei  denen  diese  Jagd- 
jse  offenbar  uralt  ist  (vgl.  Vamb6ry  Primitive  Kultur  p.  100), 


-     146    — 

schon  in  der  Epoche  ihres  vorethnischen  ZusammenbaDgs  gebracht 
worden  ist^  wofür  n.  a.  das  schon  der  slavischen  Gmndspracbe  ein- 
verleibte türkische  Tcaragu,  Jcergu  ^Sperber^  (=  altslov.  Jcraguj 
usw.)  ein  gewichtiges  Zeugnis  ablegt.  Auch  andere  bereits 
urslavische,  aus  dem  Türkischen  stammende  KnlturwOrter  wie 
altsl.  klobuJcü  ^pileus*^  (russ.  Mohuöökü  ^die  Falkenkappe*')  ans 
türk.  kalpdk  oder  altsl.  tvarögü  ^geronnene  Milch^  aus  türk. 
turak  (vgl.  Peisker  a.  u.  p.  162  a.  0.  p.  122)  weisen  auf  frühe  nnd 
enge  Beziehungen  der  Urslaven  zu  turko-tatarischen  Stämmen  hin. 
Im  ganzen  möchte  ich  also  glauben,  dass  die  Falkenjagd  Ton 
turko-tatarischen  Völkern  ausgegangen  und  durch  slavische  Ve^ 
mittlung  zu  den  Ostgermanen  gelangt  sei  (vgl.  unten  p.  161  f.  über 
das  Kamel),  die  sie  auf  den  Zügen  der  Völkerwanderung  Aber 
Europa  verbreitet  haben. 

Unter  den  asiatischen  Kulturvölkern  bezeugt  sie  Ktesias 
{op.  reliquiae  coli.  Bahr  250)  aus  Indien,  ohne  dass  aber  die 
indischen  Quellen,  soviel  ich  weiss,  eine  Bestätigung  dieser 
Nachricht  gebracht  hätten.  Dagegen  sind  ihre  unzweifelhaften 
Spuren  neuerdings  durch  assyrische  Inschriften,  die  aus  der 
Mitte  des  VII.  vorchristlichen  Jahrhunderts  stammen,  in  Assyrien 
und  Babylonien  nachgewiesen  worden.  Vgl.  meine  Bemerkungen 
zu  V.  Hehns  Kulturpflanzen  und  Haustieren',  p.  374  (hinan- 
gekommen  an  neuerer  Literatur:  P.  Dahms  Uie  Beizjagd  in 
Altpreussen,  Archiv  für  Kulturgeschichte  II,  1  ff.). 


Hinsichtlich  der  übrigen  Tierklassen  soll  hier  nur  anf 
zweierlei  hingewiesen  werden.  Einmal  auf  drei  Tiere,  die  in 
der  Heimatsfrage  eine  Rolle  gespielt  haben  oder  noch  zu  spielen 
berufen  sein  dürften,  unter  den  Fischen  auf  den  Aal,  unter  den 
Insekten  auf  die  Biene,  unter  den  Amphibien  auf  die  Schild- 
kröte. 

Auf  die  Frage,  ob  aus  den  europäischen  Benennungen  des 
Aals  :  lat.  anguüla,  griech.  iyxe^vg,  lit.  ungurgs^  russ.  u^oriusw. 
ein  schon  indogermanischer  Name  dieses  Fisches  erschlossen 
werden  darf  oder  nicht,  ist  schon  P,  162  hingewiesen  worden. 
Wir  haben  daselbst  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  dies  nicht 
der  Fall  sei,  dass  vielmehr  die  indogennanische  Grundbedeutung 


^^Her  genannlen  Werter    noch  ,.Sohlaiise"')    oder  „Wunu"    war. 

^^btdessen  febll  es  docb  nicht  au  Gelelirteo,  die,  sei  cb  aus  gnech. 

^^gfX'^'^'  '"i'-  aiiguUla,    sei   es    aus   griecli.  aeol.  Tfißijffi;,    lit.  «n- 

^Htari/«    (sri  Fick  P,  363)    ein   idg.  Wort    für    den  Aal    folgern. 

^^ßht  nun  nach  ßrelims  Tierleben,  Fisebe  ^  p.  399  der  Aal  iu  den 

OewHssern    des  Scbwar/eu    Meeres    nielit    vorkommt,    so    würde 

dieses  grosse  Lfindeigetiiet  Hlr  die  Lokalisierung  der  Heimat  der 

lodogernianeii  niclil  in  Betrai-ht  kommen,   vorausgesetzt  —  dass 

li«  Angaben  Brehms  richtig  sind.     Bei  der  Wichtigkeit  dieser 

Präge  habe  ich  mich  daher  um  nähere  Auskunft  an  einen    der, 

renn  nicht  den  besten  Kenner  der  Fisebe  des  Schwarzen-Meer- 

Icbieta,    Herrn  Dr.  G.  Antipa  in  Bukarest,    Direktor   des  dor- 

;et)  uatarbistoriscben  Museums,  geweudet.     Seinen  Mitteilungen 

bitoebme    ich    das  Folgende.     Zunächst    ist    es    eine   TatsBcbe, 

heutzutage  Aale  sehr  oft  im  Schwarten  Meer  nnd  in  der 

[  gefangen  werden.     Die  Frage  kann  daher  nur   die   sein, 

I  Aale  ron  jeher   in  den  genannten  Gewässern  gelebt  habeui 

ob    sie    etwa   erst    durch    Deutsehe    und    Österreich isc he 

i«cherei vereine  seit  den  fiOer  Jahren  kUiiarlicb  eingesetift  worden 

Gegen  die  lelKtere  Annahme  spricht  erstens,  dass  in  der 

Uten  Fischereiliteratnr  sich  öfters  Angaben  Über  den  Aal  in  der 

koiisu    oder    in    den  Gewässern    des   Sehwarzen    Meeres    finden 

hg\.    z.  B.   Marsigli   Danuhius    pannonivo-mijakun  IV,  ö    vom 

l^hre   1744:  „Mais  les  habitaiitx  de  Vienne,  de  Lititz,  de  Crem» 

f  dee  atttres  d/le»  situ^^s  sur  le  Jianube  atieuhnt  le  contrair^y 

mlich    dass  Aale,    die    bis    zu    4  Pfd.  wögen,    in   der    Donau 

I  und  zweitens,  (iass  die  alten  russischen  (vom  Don,  der 

frolg»,    dem    Kuban,    den    DnieprmUiidungeu)    und  griechiseben 

Kjfaer,    von    denen    die    ersteren    den  Aal  ugon,    die   letzteren 

'  nennen,  und  mit  denen  Herr  Antipa  häufig  zu  verkehren 


t)  .Schlang',  nicht  , kleine  Schlange'',  da  man  die  betreffenden 

vortbildangen  Icanm  ab  Diminutiva  aatfaesen    kann.     Damit  verliert 

r  Einwand  Penka«  (Mitteil.  d.  antbrop.  Ges.  in  Wien  XX XI 11,  355), 

t  sei  unmöglicb,  dan8  man  den  bis  zu  1,50  m  grossen  Aal  als  „kleine" 

iblange  beKeiclinet  habe,  da  doch  die  ^riiss  te  europiiiscbe  Schlange, 

I  Ringelnatter,  nur  1,60  m  gross  werde,  den  Boden.     Dass  man  aber 

den  Aal  als  Schlange  nnffasste  (altir.  esc-uitg,  wörtlich  „Snmpfschlange*), 

kann  keinen  Augenblick  bezweifelt  werden.     Vgl.  nnch  v.  Edllnger 


Tiernamen  s 


.  Aal  und  n 


I  Roaltexikon. 


-     148    - 

amtliche  Veranlassung  bat,  sich  erinnern,  Aale,  wenn  auch  selten, 
von  jeher  gefangen  zu  haben.  Was  sodann  die  Meinung  der 
Ichthyologen  betrifft,  dass  der  Aal  in  den  Gewässern  des  Sehwarzen 
Meeres  sich  nicht  vermehren  könne,  da  er  nur  in  den  grossen 
Tiefen  des  Ozeans  laiche,  und  das  Wasser  des  Schwarzen  Meeres 
«chon  bei  einer  Tiefe  von  150  m  mit  Schwefelwasserstoff  ver- 
giftet sei,  80  glaubt  Herr  Antipa,  dass  es  doch  sehr  leicht 
möglich  sei,  dass  die  Aale  auch  im  Schwarzen  Meere  Teile  mit 
reinerem  Wasser  gefunden  hätten,  wo  sie  laichen  konnten.  Vor 
allem  aber  hätten  sie,  wie  manche  andere  Fischarten,  regelmässig 
aus  dem  Mittelmeer  in  das  Schwarze  Meer  wandern  können. 
Auf  Grund  aller  dieser  Tatsachen  und  Möglichkeiten  hält  Herr 
Antipa  es  für  das  wahrscheinlichste,  dass  Aale,  wenn  auch  in 
geringerer  Zahl  als  andere  Fische,  von  jeher  im  Schwarten 
Meer  gelebt  hätten,  und  ich  möchte  hinzufttgen,  dass  ich  mir 
ohne  diese  Annahme  das  Vorhandensein  eines  gemeinslavischffl 
Namens  des  Fisches,  nämlich  des  oben  genannten  russ.  ugori 
(kleinruss.  uhor,  serb.  ugor,  poln.  wqgorz,  öech.  ühof  usw.)  übe^ 
hanpt  nicht  erklären  kann. 

Über  die  Verbreitung  der  Honigbiene,  deren  Vorhanden- 
sein im  Urland  der  Indogermanen  aus  der  Gleichung  scrt.  mddku, 
aw.  maöuj  griech.  /leih,  ahd.  meto,  ir.  mid,  corn.  med,  altsl.  medüi 
altpr.  meddo,  lit.  midüs,  medüs  „Honig"  und  „Met"  folgt,  wurde 
schon  Sprachv.  u.  ürg.  P,  127  an  der  Hand  eines  Aufsatzes 
Eöppens  gesprochen.  Es  folgt  aus  seinen  Angaben,  dass  von 
der  ältesten  Verbreitungssphäre  der  Indogermanen  die  besonders 
häufig  als  Ausgangspunkt  der  letzteren  in  Anspruch  genommenen 
Oxus-  und  Jaxartesländer  ausscheiden.  In  Europa  ist  die  Honig- 
biene überall  verbreitet,  besonders  in  den  ungeheuren  Linden- 
waldungen des  europäischen  Russland,  wo  der  lipecü :  lipa  „Linde'' 
fttr  die  feinste  Sorte  Honig  gilt.  Sie  kommt  bis  tief  nach  Klein- 
russland  vor,  und  selbst  mitten  im  Steppengebiet  kennen  wir 
zwischen  Orenburg  und  Perm  das  „Honigland^  der  Baschkiren 
(vgl.  F.  W.  Gross  im  Neuen  Ausland  I,  H.  17 — 19). 

Bisher  noch  nicht  für  Heimatsbestimmungen  verwandt  ist 
die  Schildkröte,  obwohl  sie  dazu  wohl  geeignet  erscheint.  Dass 
sie  in  dem  Urland  der  Indogermanen  vorkam,  geht  ans  der 
Gleichung  griech.  ;^e7i'<r,  ;^fAo>i'?;,  aeoL  x^^^^^h  auch;|r£>lo>v(J^(He8.)  = 
altsl.  i%,  zelüm,  ^elvi,  bezeugt  also  in  einer  Centam-  und  einer 


-     149    - 

Satemsprache  (vgl.  obeu  p.  127),  mit  Sicherheit  hervor.  Hier  an- 
zQgliederD  dürfte  auch  das  in  Glossen  bezeugte  lat.  golaia  ^)  sein^  da& 
in  dem  it.  golola,  galora  (dial.)  wiederkehrt,  während  das  sert. 
karmufa  zu  schlecht  belegt  ist,  um  etymologisch  verwendet  werdea 
ra  können.  Dagegen  liegt  eine  arische  Gleichung  in  scrt.  kaqydpa 
=  aw.  kasyapa  vor.  Was  nun  die  Verbreitung  der  Schildkröte 
inbetriffty  so  dringt  Emys  lutaria  „die  europäische  Sumpfschild- 
cröte^,  um  die  es  sich  mit  Rücksicht  auf  die  nördlicheren  Länder 
illein  handeln  kann,  nach  Brehms  Tierleben  (3.  Aufl.)  in  Ost- 
europa bis  zum  56.  Grad  nördlicher  Breite  (in  Russland  östlich 
m  zum  Syr-darja),  in  Westeuropa  aber  nur  bis  zum  46.  Grad 
fOT.  In  Deutschland  ist  sie  noch  aus  Brandenburg  und  Mecklen- 
t>nrg  bezeugt.  Hingegen  fehlt  sie,  wie  mich  Erkundigungen  bei 
Berm  Prof.  Möbius,  dem  früheren  Direktor  des  Kieler  zoologischen 
lllnseums,  und  bei  den  zoologischen  Instituten  von  Kopenhagen 
ind  Stockholm  belehrt  haben,  in  Schleswig-Holstein,  in  ganz 
Dänemark,  Schweden  und  Norwegen.  Ihre  Abwesenheit  in 
Island  wird  schon  in  Giraldi  Cambrensis  Topographia  Hihernica 
^Rer,  Brit.  medii  aevi  Script.  V)  p.  62  [caret  tortuis)  hervor- 
^hoben. 

Allein  schon  an  dem  Panzer  dieses  Tierchens  würde  also 
lie  Lehre  Penkas  von  dem  südskandinavischen  Ursprung  der 
[ndogermanen  scheitern  (vgl.  F,  112);  aber  auch  die  Anschauungen 
iron  Much,  Kossinua  (P,  117)  und  Hoops  (1^  129)  müssten  zum 
mindestens  eine  starke  Einschränkung  erfahren. 

Dass  die  Schildkröte  in  den  nordeuropäisehen  Ländern 
nicht  beimisch  ist,  lässt  sich  auch  aus  den  Einzelsprachen  wahr- 
scheinlich machen.  Ein  gemeingermanischer  oder  altgerma- 
[118 ob  er  Ausdruck  für  das  Tier  scheint  zu  fehlen*),  und  die  in 
[>ent8chland  seit  mittelhochdeutscher  Zeit  ei*scheinenden  Wörter 
Khüdkrote,  schildkrot  (vgl.  Grimms  W.)  tragen,  ebenso  wie  das 
holländische  schildpadde,  das  schwedische  sköldpadda,  das  alt- 
3nglische  tortuce,  das  neuirische  sleagdnach  (von  sleagdn  „Schale") 


1)  Dafür  eingetreten  testüdo  von  testa  „Schale"  und  *tortüca 
=  frz  tartuej  prov.  tortuga  von  tortus  ^krumm".  Ahnlich  scheint  die 
jmndbedeutung  des  armen,  kray  ^Schildkröte"  zu  sein  (vgl.  Lid^n 
Irmen.  Stud.  p.  118).  Vgl.  auch  cymr.  cetvban  ^Schildkröte"  von  ceicb 
.gebogen". 

2)  Ist  agls.  fen-'jce  „Sumpfkröte"  ^=  Schildkröte? 


—    150    — 

•den  Stempel  der  Neuheit  oder  Entlehnang  an  sich.  Die  slaviBehen 
Sprachen    haben,    wie    natürlich,    das    nrslavische   *&ely  =  x^^ 
bewahrt  (nsl.  ^^dva,  bulg.  älüva,  öech.  ielv,  poln.  £otw\  kleinnus. 
letv).  Nur  die  Grossrussen  haben  charakteristischer  Weise  bei  ihrer 
starken  nördlichen  Ausbreitung  (Moskau  liegt  ungefähr  auf  dem 
56.  Grad  nördlicher  Breite)   das  Tier  ans  ihrem  Gesichtskreis  und 
damit  das  Wort  aus  ihrer  volkstttmlichen  Sprache  verloren.    Sie 
sagen  dafür  derepächa  von  6^repü  „Schädel,  Schild".  Die  Litauer 
haben   den   umschreibenden  Ausdruck   geleiini   voarli    y^eisemer 
Frosch  ^^  In  Südrussland  aber,  auch  in  der  Steppe,  ist  die  Schildkröte 
sehr  häufig,   und   es  ist  in    hohem  Grade   bemerkenswert,  dass 
Herr  Ghwoiko   bei  seinen  Ausgrabungen  am  mittleren  Lauf  des 
Dniepr,    von  denen   in    den    folgenden  Kapiteln    noch  öfters  die 
Rede  sein  wird,  auf  dem  Boden  der  von  ihm  aufgedeckten  Wohn- 
gruben ganz  regelmässig  ein  Paar  Scbildkrötenschalen  gefunden 
hat.     Da  diese  immer  nur  auf  das  Vorhandensein  eines  Exem- 
plars schliessen  Hessen,  so  zweifelt  Herr  Ghwoiko,  dass  das  Tier 
zur    Nahrung    gedient    habe    (vgl.    Trudy  XI  archeologiieskago 
süe^da  vü  Kleve  T.  I,  762,  800).     Eher  könnte    man  an  irgend 
eine  religiöse  Bedeutung  des  Tieres  denken  *)  (vgl.  die  Nachrichte 
über  eine  solche   bei  0.  Keller    Die  Schildkröte    im  Altertnnm 
Prag  1897).     Nun   ist  freilich  hinzuzufügen,  dass  Emys  lutari 
in  vergangenen  Erdepochen,   in  glazialer   und  postglazialer  Zei*; 
wie   sich  durch    fossile  Moorfunde   erhärten  lässt,    in    den   obes 
genannten  Ländern,  in  denen  sie  in  historischer  Zeit  verschwunde:^ 
ist,   einstmals  vorhanden   war.     Den  Anhängern   jener  nordenrc^ 
päischen    Heimatshypothesen    läge    daher    die    Aufgabe    ob,    z."«: 
beweisen,  dass  die  Schildkröte  erst  nach  Abzug  der  Indogermanes:' 
aus  jenen  Ländern  ausgestorben  sei,  so  dass  sie  den  Namen  diesem 
Tieres  noch    mit  sich   führen  konnten.     Wir  vermeiden  es,  jea^ 
nebelgrauen   Fernen    in   die    Erörterung    der   idg.  Heimatsfrage^ 
wie  wir  sie  verstehen,  hereinzuziehen  (vgl.  Kap.  XVI,  Urheimat)' 
Die   zweite    hier   zu   erwähnende   Tatsache   ist    das  Vor- 
handensein auffallend  zahlreicher  idg.  Gleichungen  fürüngeziefer 

1)  Auch  wenn  nach  Herodot  I,  47  König  Krösus  von  Lydien 
eine  Schildkröte  kocht,  Ijlsst  sich  hieraus  nichts  auf  einen  Gebrauch 
des  Tieres  zur  Nahrung  schliessen;  denn  nach  dem  Zusammenhang 
der  Steile  will  Krösus  offenbar  etwas  ganz  ausserordentliches  tun,  was 
kein  Orakel  auf  Erden  solle  erraten  können. 


—    151    — 

aller  Art:  z.B.  afghan.  vra^,  armen,  luy  lit.  blusäy  altsl.  blücha 
(auch  griech.  ywkXa,  lat.  pülex?)  für  den  Floh;  griech.  xovk, 
agk.  hnituj  alb.  ^evi  (auch  lit.  glinda  and  lat.  {«tm.^)  für  die  Laus; 
griech.  fwla^  lit.  musi,  altpr.  muso,  altsl.  müSica,  lat.  mu^ca  für 
die  Fliege;  aw.  maom,  altn.  maurr,  ir.  moirhy  altsl.  mravija 
für  die  Ameise  a.  a.  Bei  dem  kosmopolitischen  Charakter 
dieser  Tiere  dürften  sie  davor  sicher  sein,  in  der  Heimatsfrage 
verwendet  zu  werden;  doch  kann  die  frühzeitige  Festsetzung  und 
zähe  Bewahrung  dieser  Ausdrücke  als  charakteristisch  für  die 
primitiven,  am  häufigsten  in  Erdgruben  gelegenen  Wohnungen 
des  Urvolks  (vgl.  Kap.  X)  betrachtet  werden. 


III.  Kapitel. 

Die  Haustiere. 

Archäologische,  linguistische,  historische  Tatsachen.  —  Ältester  Bestand 
idg.  Haustiere:  Hund,  Rind,  Schaf,  Ziege,  Schwein,  Pferd.  —  Fahren 
und  Reiten.  —    Älteste  Geschichte  des  Maultiers,  E^els  und  Kamels.  - 
Die  Katze.  —  Das  Geflügel.  —  Die  Urheimatsfrage. 

Wer  heute  in  einen  deutschen  Baaernhof  tritt  und  das 
freundliche  Leben  betrachtet;  das  sieh  hier  entfaltet:  wie  das 
stolze  Ross  gehorsam  seineu  Nacken  dem  Joche  beugt,  wie  die 
Kuh  ihr  strotzendes  Euter  der  Melkerin  darbietet,  wie  die  reich- 
wollige  Schafherde  zum  Tore  hinauszieht,  Begleitet  von  ihrem 
treuen  Hüter,  dem  Hund,  der  sieh  wedelnd  an  seinen  Hemi 
schmiegt,  dem  scheint  dieser  trauliche  Verkehr  zwischen  Mensch 
und  Tier  so  natürlich,  dass  er  kaum  begreifen  kann,  es  sei  ein- 
mal anders  gewesen. 

Und  doch  führt  uns  die  Prähistorie  in  eine  Epoche  nnsercs 
Erdteils,  in  der  es  weder  die  genannten  noch  irgend  welche 
andere  Haustiere  gab,  in  die  paläolithische  oder  ältere 
Steinzeit.  Zu  welcher  ihrer  Stationen  in  Frankreich,  der 
Schweiz,  in  Thüringen  (Taubach  bei  Weimar),  in  Mähren,  in 
Südrussland  (am  Dniepr)  usw.  wir  uns  auch  wenden  mögen,  nir- 
gends sind  in  derjenigen  Zeit,  in  welcher  der  Mensch  noch  als 
Jäger  und  von  einer  anderen  Tierwelt  als  der  heutigen,  dem 
Mammut,  Flusspferd  oder  (später)  dem  Renntier,  wilden  Pferd 
usw.  umgeben  lebte,  Tierknochen  zutage  getreten,  deren  Be- 
schaffenheit den  Forscher  auf  die  Haustiereigenschaft  der 
betreffenden  Individuen  zu  schliessen  erlaubte. 

Das  Bild  ändert  sich  sofort,  wenn  wir  zur  Betrachtung 
der  neolithischen  oder  jüngeren  Steinzeit  übergeben. 
Überall  ist  es  hier  im  grossen  und  ganzen  und  mit  den  in  der 
Natur  derartiger  Nach  Weisungen  liegenden  Schwankungen  die- 
selbe Sechsheit  von  Vierfüssleru,  nämlich: 


Hand,  Riiul,  Scbaf,  Ziege,  8cbwein  und  Pferd, 
die  nna  ebcDso  in  der  Schweiz  wie  in  Oberösterreifli,  in  Meckleo- 
hnrg  wie  in  Süliwedeii  und  Dänemark  im  Znstand  der  Zäbniung 
enlgef^entreten.  Eine  gute  Übersicht  über  diese  Verhältnisae 
hat  nenerdings  M.  Much  Die  Heimat  der  Indogermanen^  p.  177  ff. 
gegeben,  der  nnr  binitiizufügen  ist,  uui  vor  der  falscheD  Vor- 
tlellnag  za  bewahren,  als  ob  etwa  nnr  die  westlichere  Hälfte 
unseres  Erdteils  dorcb  den  angegebenen  Besitz  ansgezeichnet 
»ewesen  sei,  dass  dieselben  Haustiere  aueh  dureh  die  Aus- 
'rabungen  des  Herrn  Chwoiko  in  Kiew  (Arbeiten  des  archaolo- 
pschen  Kangresses  in  Kiew,  Mosliau  19U1)  in  der  von  ihm  am 
nittleren  Lauf  des  Dniepr  aufgedeckten  neolithiseben  Kiillnr 
laehgewiesen  worden  sind.  Im  übrigen  bietet  der  gesebilderte 
ftefnod  von  Hanstieren  der  neoUthischen  Zeit  noch  zu  zwei 
B^merknngen  Anlass.  Einmal  zu  der,  dass  zwischen  der  hana- 
ierloseu  paläolitbischen  nnd  der  baastierreiefaen  neoUthischen 
^eit  eigentliche  Übergangsepoeben  sich  nicht  oder  doch  nur 
n  sehr  beschränktem  Masse  nachweisen  lassen.  Eine  Ausnahme 
iiachen  in  dieser  Beziehung  die  dänischen  Muschelhaufen,  in 
leren  untersten  Schichten  bereils  die  Anwesenheit  des  Haus- 
mnds  bat  festgestellt  werden  krtnnen  (vgl.  znletzt  K.  Helm 
Sessische  Blätter  f.  Volksk.  IH,  21).  Ein  gleicher  Zustand 
vurde  aber  auch  am  LadogaSee  in  Bnssland  aufgedeckt,  wo 
^QU^in  (vgl.  das  Werk  Inostrsnzews  Der  Mensch  der  Stein- 
leit  am  Ladoga-See)  unter  zahlreichen  Knochen  wilder  Tiere 
:  Haustieren    ebenfalls    nur  den   Hund,    und    zwar   bereits  in 

Rassen,  auffand. 

Zweitens  ist  zn  bemerken,  dass  sieh  hinsichtlich  der  Her- 
ruft der  aufgeführten  neoHthiBchen  Haastiere  ein  Umschwung 
ler  Meinungen  insofern  vollzogen  hat,  als  die  frUher  allgemein 
lerrachende  Annahme  ihrer  asiatischen  Abstammung  jetzt  nahezu 
mfgcgeben  ist,  nnd  man  mehr  und  mehr  dazu  neigt,  dieselben 
t(m  in  Europa  selbst  einheimischen  Wildrassen  abzuleiten,  den 
llimd  von  schon  in  diluvialer  Zeit  in  Europa  lebenden  Wild- 
bunden,  das  Rind  vom  Urusstier  {Boi  primigeniug),  Schaf  und  ■ 
Ziege  von  den  noch  heute  zerstreut  im  südlichen  Europa  vor- 
kommenden Mnflon  und  der  wilden  Bezoarziege,  das  Schwein 
(  bentigeu  Wildschwein,  das  Pferd  von  dem  seit  paliioUtlii- 
r  biK  tief  in  die  bistorische  Zeit  auch  in  Europa  vorkommenden 

ler.  Sprach  veröle  leb  uiig  und  Urgetch  lebte  II.    ».  Aufl.  11 


-    154    - 

Wildpferd  (vgl.  A.  Otto  Zar  Geschichte  der  ältesten  Hattstiere^ 
Breslau,  C.  Keller  Die  Abstanimang  der  ältesten  Haustiere, 
Zürich  1902,  auch  M.  Much  a.a.O.)*  Man  yergleicbe  hiermk, 
was  im  ersten  Teil  dieses  Werkes  p.  9  ttber  die  Anschannngei 
so  hervorragender  Forscher  wie  H.  F.  Link  a.  a.  berichtet 
wnrde,  die  von  der  zentralasiatischen  Herkunft  unserer  Hmstiere 
damals  als  von  einer  selbstverständlichen  Tatsache  aus^ugoi. 
Von  dieser  Übersicht  über  den  neolithischen  Bestand  n 
Haustieren  wenden  wir  uns  den  sprachlichen  und  histori- 
schen Tatsachen  zu.  Hinsichtlich  der  ersteren  ergibt  sich,  da» 
für  alle  sechs  in  der  jüngeren  Steinzeit  in  Europa  nachweisbarai 
gezähmten  Vierfttssler  unzweifelhafte  idg.  Gleichungen  vorhaodei 
sind.     Die  wichtigsten  sind  die  folgenden: 

1.  Der  Hund:  scrt.  (;t)ä\  aw.  spä^  armen,  iuny  griech. 
xvcov,  lat.  canis^  ir.  cü,  ahd.  hund  (vgl.  Osthoff  Parer^  I, 
240),  lit.  8ZUj  altpr.  nunis, 

2.  Das  Rind:  scrt.  uJcshän,  aw.  uxsan,  got.  aühsay  cjnr. 
ych  ^der  Stier";  scrt.  gö\  aw.  gäOy  armen,  kov,  griech.  ßokj 
lat.  hds,  ir.  höy  ahd.  chuo,  altsl.  gov^do  ^Kuh";  vgl.  noch  aw. 
staora  „Grossvieh"  =  got.  atiur, 

3.  Das  Schaf:  scrt.  dt^y  griech.  ^ng,  lat.  ovi8y  ir.  di\  ahd. 
ouy  lit.  awhiy  altsl.  ovica, 

4.  Die  Ziege:  scrt.  ajd,  lit.  oi^*;  armen,  aic,  griech. 
at^  (vgl.  aw.  izaena  „aus  Fell";;  lat.  haeduHy  got.  ga%t8\  aw. 
büzay  ahd.  hoc  (vgl.  oben  p.  128  Anm.  1). 

5.  Das  Schwein:  aw.  hil  („Eber"),  griech.  ovc,  vc,  lat 
SÜ8,  alb.  i%y  ahd.  sü,  altsl.  svinija;  alb.  defy  griech.  ;^ofjOOs;  lat 
porcuHy  ir.  orCy    alid.  farahy   lit.  parszofty  »Itsl.  pras^  „Ferkel**. 

6.  Das  Pferd:  scrt.  ä^ray  aw.  aspay  griech.  {tcttoc,  lat 
equuSy  ir.  ech,  alts.  ehu,  lit.  aszirä;  griech.  7id>Xogy  got.  /W« 
„Fohlen"  (vgl.  alb.  peVe  „Stute"). 

Nun  fol<!:t  ja  aus  diesen  Gleichungen  an  sich  noch  nidit 
ohne  weiteres,  dass  sie  sich  auf  gezähmte  Arten  bezogen  haben 
müssten,  wenn  auch  rein  sprachliche  Tatsachen  wie  die  des  Vor 
•  handenseins  besonderer  Ausdrücke  für  das  Geschlecht  dei 
Tieres  wie  bei  dem  Rind  oder  für  das  junge  Tier  wie  bei 
Sehwein  und  Pferd,  oder  auch  das  Bestehen  idg.  WOrter  fttr 
den  Wagen  (vgl.  Kap.  XI),  der  doch  von  Rind  oder  Pferd  gezogen 
worden   sein  nuiss,    und  für  die  Wolle    (scrt.  tVrnäy    lat.  velluB^ 


]it.  wilna,  altsl.  vlüna,  got.  wuila,  cyiiir.  gulan,  armeD.  g^hnan), 
bei  *ler  man  kaum  an  etwas  anderes  als  an  das  Vliese  des  Haus- 
achafg  deukeo  kann,  bereitB  in  die  angegebene  Richtung  weisen. 
Der  Kreis  der  Argumente  aber,  der  ftlr  die  Annabme 
spricht,  daas  die  oben  als  neolithisch  nachgewiesenen  Haustiere 
zugleich  als  indogermanische  in  Auspruch  genommen  werden 
dttrfen,  wird  geschlossen  durch  die  Wahrnebmnng,  dass  sämtliche 
idg.  Völker  im  Besitz  dieser  Hanstiere  sich  bereits  in  den  ältesten 
historischen  Zeiten  befinden.  Eiue  Einschränkung  bedarf  dieser 
Salic  nur  hiusichtlich  des  Schweines,  dessen  Zucht  sowohl  dem 
Zeitalter  des  Rigveda  wie  dem  des  Awesta  unbekannt  ist,  ein 
Punkt,  über  den  im  VI.  Kapitel  einiges  Nähere  ku  sagen  sein 
wird.  -  Im  übrigen  aber  ist  der  Bestand  an  Haustieren  bei  den 
einzelnen  idg.  Völkern,  soweit  die  genannten  Arten  in  Betracht 
kommen,  im  wesentlichen  ein  einheitlicher.  Im  Mittelpunkt  steht 
überall  die  Zucht  des  Rindviehs.  Sein  Erwerb  bildet  ein 
Hauptziel  der  im  Rigveda  geseliilderten  Kämpfe  i^vgl.  oben 
\\.  104).  Im  Sanskrit  bedeutet  daher  g&cishi'i  eigentl.  „Streben 
nach  Kilben"  so  viel  wie  „Kampf"  überhanpt,  gat-ydv  grä'ma 
„rinderbegehrende  Schar"  ist  gleich  „Heer",  gopati  „Rinder- 
herr"  gleich  „Herr",  gäpti',  eigentlich  „RinderhUtung"  gleich 
„Wächter",  letzteres  übrigens  vielleicht  eine  uralte  idg,  Bildung, 
wenn  es  von  K.  Brugmann  I.  K.  XI,  111  mit  Recht  dem  altsl. 
iupa  „Bezirk"  verglichen  worden  ist,  dessen  ursprünglicher  Sinn 
alsdann  „ Weiderevier "  wäre  (vgl.  dazu  .1,  Peisker  Vierteljahrs- 
ächrift  für  Sozial-  n.  Wirtsc haftsgesch.  1905  p.  289  ff.j.  Ganz  ähn- 
lich wie  im  Sanskrit  wird  bei  Homer  ßovxoUovjo,  von  ßovx6Xo^ 
„Rinderhirl",  allgemein  vom  Weiden  des  Viehs  gebraucht.  Die 
gleiche  wichtige  Rolle  spielt  das  Rindvieh  auch  im  Norden 
Europas,  wo  uns  kleinere  und  unansehnlichere,  vielleicht  nocli 
die  degenerierenden  Spuren  der  Domestikation  verratende  Rassen 
entgegentreten  (vgl.  Tacitus  (ii-rm.  Cap.  f> :  Pexorum  fecunda, 
xed  plerumque  improcera.  >ie  armentw  quidem  suus  honor  aut 
gloria  fronlia).  Ott  genug  werden  wir  nns  in  den  folgenden 
Kapiteln  mit  der  bohen  wirtschaftlichen  Bedeutung  der  Knh  als 
.Milchspenderin,  als  Last-  und  Zugtier,  aber  auch  als  Wertmesser 
lind  Zahlungsmittel  bei  Brautkauf  und  Wergeid  zu  beschäftigen 
haben.  Trotzdem  ist  es  mit  den  Mitteln  der  Sprachvergleichung 
möglich  (Vgl.  1  *,  201  ff,  und  unten  Kap,  VI),  den  Blick  in  eine  Zeit 


i 


zu  lun,  wo  vielleicht  nicbt  das  Rind,  sondern  das  Schaf  im  Mi 
pankt  der  idg.  Viehzucht  ntand.  —  Etwas  zurück  tritt  wenigstens 
den  flacheren  Gebenden  Nordeuropas  die  Ziegenzucht;  doch  i 
eie  DichtsdcBtoweniger  aneh  hier  gut  bezengt.  Nach  Plinins  Hift. 
nat.  XXVIII,  191  bereiteten  die  Gallier  die  beste  Seife  m 
Ziegenfett,  nach  Flav.  Vnp.  Äurel.  X  brachte  Aureliau  vud 
seinen  Kriegszügen  gegen  Franken,  Goten  und  Sarmateu  aucli 
15000  Ziegen  als  Beute  beim,  und  für  die  Hlaven  (KneseDi  sei 
an  die  Rolle  erinnert,  die  der  Ziegenbock  als  Opfertier  in  \i\s 
an  heidnischen  Erinnerungen  reichen,  Icoljady  genannten  Weih- 
Bacbts-  und  Neujahrsliedeni*)  spielt  (vgl.  z.B.  Russische  Volhs- 
lyrik,  Ausgabe  Glasunov,  Petereburg  1H94,  Nr.  1). 

Im  ganzen  wird  also  die  wirtschaftliche  Bedentung  der 
einzelnen  Haustiere  in  der  idg.  Dmeil  sich  von  der  uns  in  den 
ältesten  bistoriBcLen  Epochen  begegnenden  nicht  wesentlich  aoler- 
scbiedeu  haben,  allerdings  mit  einer  bemerkenswerten  Ansnabue. 
über  die  int  folgenden  ausführlicher  zu  handeln  sein  wird.  Sie 
betrifft  die  Geschichte  des  Pferdes. 

Welches  war  die  wirtBchaftlicbe  Stellung  dieses  edelsleu 
unserer  Baustiere  in  der  Urteit  ?  Zunächst,  kann  man  mi! 
.Sicherheit  sagen:  nicht  die  des  gewöhnlichen  Zug-  und  Last- 
tiers, Diese  Aufgabe  fUllt,  wie  seiiou  oben  bemerkt,  in  der 
ältesten  Zeit  überall  dem  Rindvieh  zu.  Wie  dieses  im  Rigveda 
ana^-t:dh  „den  Lastwagen  ziehend"  heisat,  so  werden  anch  die 
primitiven  Fahrzeuge  der  europäischen  Nordvftlker  auf  den  römi- 
schen Darstellungen  der  Marc  Aurel-  und  Trajaneäule 
dem  gezogen.     Besondei-s  ist  dieser  Gebrauch  in  den  Satzni 


RinJ 


1)  ^Geboren  warde  Kol,iudu  am  Vorabend  des  WeihuHChtüfesiei 
jcnaeitH  des  reissenden  Strome!^.  OKoljudka,  o  Koljudka!  Dort  brenneD 
Fener,  brennen  grosse  Feuer,  um  die  Feuer  steheo  Bänke,  cichena 
Bänke.  Auf  jenen  Bänken  (sitzen)  Jünglinge  and  schöne  S 
sie  singen  Koljuda-Lleder.  In  Ihrer  Mitte  sitzt  ei 
stählernnfi  Messer.  Der  heisse  Kessel  schäumt.  Neben  dein  1 
steht  ein  Zie'genbock.  Sie  wollen  den  Ziegenbock  scblachcen; 
Freund  Haus,  komm  heraus,  hüpf  heraus!"  —  .Ich  würde  gern  her 
hüpfen,  aber  der  glühende  Stein  zieht  mich  zum  Sessel,  der  j 
Sand  hat  mein  Hersblut  ausgesaugt."  Mit  Kecht  erbllckon 
Forscher  in  diesen  Versen  die  Erinnerung  an  ein  heidnisches  Z!e{ 
opfer.     Vgl.  Kap.  XV:  Religion. 


>  EultuB  bewahrt  worden,    wofür   es    genügt,    an   den  Wagen 

r  argiriscben  llerapriesterin  bei  Herodot,  an  den  der  Nerttiim 

Tflcitna,  an  den  Krönangswagen  der  nieroringischen   Könige 

f,  zu  erinnern.     Der  erste  Wagen,  an  den  das  Pferd  gespannt 

td,  ist  vielmetir  der  Streitwagen.     Aber,    wenn   nicht  alles 

ft,  babeD  wir  es  bei  ihm  mit   einer    verhältuismilssig   epilten. 

ieu  weiten  Ebenen  der  Eupbrat-  und  TigriBtänder  entstandenen 

1  der  Kriegsführung  za  tun,  die  sich  von  hier  auf  dem  Wege 

Kultn  rüber  tragung  nach   Indien    und  Iran,    aber    auch    nach 

gypten  und  Griechenlaud  verbreitet    hat,   wo    sie    schon  durch 

ildnisse    der   mykenischen  Zeit    bezeugt    ist.     Merkwürdig   ist 

tr,  dasa  sie  vereinzelt  ancli  im  Norden  unseres  Erdteils  erscheint. 

wird    ein   Streitwagen,    vor    dem    Gefangene    geführt 

schon   auf  einem   der    Behwediselieii    Feisenbilder    des 

ezeitalters  dargestellt  (vgl.  Montelius  Die  Kultur  Schwe- 

i4j,  andererseits  weiss  sowohl  Herodot  (V,  9)   hinsicht- 

der  vun  ihm  nördlich   des  Ister   lokalisierten  Sigynnen,    wie 

Cäsar  (IV,  33)    hinsichtlich    der    britauniscben  Kelten    von 

Gebrauch  des  Streitwagens  zu    berichten.     Auch    auf   dem 

isclien  Festland  weisen  Eigennamen  wie  der  des  Volkes  der 

lonea   (gall.  reda  „der  Wagen")    oder  Eporedorix,    wörtUcli 

CüDig  der  Pferdewagen",    auf  seinen  einstigen    Gebrauch  bin. 

leichwohl  tragen  wir  Bedenken,  mit  Winternitz  (Beilage  znr 

Z.   1903,  p.  243)  den  Streitwagen   schon    dem    idg.  ürvolk 

sprechen,    da    er   schon    für   die   Urzeit    eine    Technik    des 

[enbana  voraussetzen  würde,  wie  wir  sie  in  jenen  alten  metall- 

Zeiten    schwerlich    erwarten    dürfen   (vgl.    Kap.   XI).     Viel 

icbeinlicber  scheint  es  uns    daher,    diese    auch    im  Norden 

»pas    uns   stellenweise    begegnende    Verwendung    des   Streit- 

00  als  den  Überrest  einer  grossen,  mit  der  Verbreitung  der 

te  verbandenen,  vom  Süd-Osten  unseres  Erdteils  ausgehenden 

irentlehnnng  zu  betrachten,    eine  Annahme,    die    durch   den 

grosser    gespeiehter,    auf  orientalisches   oder  griecbiscbes 

ild    hinweisender    ßronzcräder    in    Dagarn.    SUddeutsehland 

Frankreich  eine  gewichtige  StUtxe  erhält. 

Aber  auch  ein  eigentliches  Reitervolk   können  die  Indo- 

loen  schwerlich  gewesen  sein.     Nicht  als  ob  die  Kunst  des 

IB  nicht  schon  in  den  ältesten  Denkmälern,    namentlich  im 

ta,  aber  auch  in  den  bomerischen  Gedichten   und    im  Big- 


—    168    — 

yeda  erwähnt  ^)  würde.  Allein  auffallend  ist,  wie  spät  bei  den 
einzelnen  idg.  Völkern  die  Ansbildnng  einer  eigentlichen  Reiterei 
hervortritt.  In  Athen  gab  es  noch  zar  Zeit  der  Schlacht  bei 
Marathon  nnr  wenige  Familien,  die  Pferde,  und  zwar  zn  Sporte-, 
nicht  zn  Kriegszwecken  hielten,  and  im  Norden  hebt  Tadtis, 
obgleich  er  and  Cäsar  einige  germanische  Reitervölker  wie  die 
Bataver  and  Tenkterer  kennt,  doch  Germ.  Kap.  6  aasdrficklich 
hervor:  In  Universum  aestimanti  plus  penes  pedäm 
robarisy  ja  Kap.  46  stellt  er  die  Neigang  der  Slaven  (Venedi) 
zam  Fasskampf  geradezu  als  ein  Charakteristikum  dieses  Volke» 
hin,  das  sie  von  den  Sarmaten  {in  plaustro  equoque  viveniüm) 
ebenso  wie  die  Germanen  unterscheide. 

Allein  auf  der  andern  Seite  steht  doch  der  an  sich  mög- 
lichen Annahme,  dass  die  Indogemmnen  das  Pferd  nur  in  wildem 
Zustand  gekannt  hätten,  die  Tatsache  gegenüber,  dass  da» 
Pferdeopfer  bei  allen  idg.  Völkern,  den  vedischen  Indem, 
Iraniem,  Preussen,  Slaven,  Germanen,  bei  einzelnen  griechischen 
Stämmen,  bei  den  Römern,  wo  wenigstens  dem  Mars  ein  Pf^ 
geopfert  wurde,  bei  den  lUyriem,  bei  denen  es  einen  „Pferde- 
Jupiter^  (</.  Memana:  alb.  mes  „Füllen^  ans  *mandiaj  vgl.  bU. 
mannus  „Pony**,  bask.  mundo  „Pferd*^  oder  „Maultier")  gab, 
aufs  beste  bezeugt  ist.  Denn  da  wir  später  (Kap.  XV)  sehen 
werden,  dass  als  Opfergaben  an  die  Himmlischen  fast  ausschlicM- 
lieh  Hanstiere  verwendet  werden,  so  spricht  das  soweit  ye^ 
breitete  Pferdeopfer  allerdings  daf tlr,  dass  das  Tier  schon  in  der 
Urzeit  in  einem  gewissen  Verhältnis  zum  Menschen  gestanden 
habe.  Es  bleibt  unter  diesen  Umständen  nur  die  Annahme  fibrig, 
dass  das  Pferd  damals  noch  in  kleineren  oder  grösseren  Herden 
(vgl.  altsl.  stado,  lit.  stodas  ^Pferdeherde^  =  ahd.  stuot)  abseite 

1)   Für   erstere   kommen   in  Betracht  Od.  5,  371,  11.  10,  513  and 
15,  679,  für  letzteren  namentlich  V,  61,  2: 

küä  vö'  ^gväfL  kvä"  bht'gavafL  wo  sind  Eure  Pferde,  wo  die  Zü^rel? 

kathdrn  gika  kalhd  yaya  wie  konntet  Ihr*s,  woher  kamt  Ihr? 

prshfhi'  sddö  JMSö'r  yämatt  auf    dem  Rücken   der  Sitz,   in  den 
Nüstern  der  Zaum, 

jaghäni  cö'da  ishäm  auf  dem  Hinterteil  ihre  Peitsche  (?). 

fH  sakthä'ni  närö  yamüfi  die  Männer  spreizten  die  Schenkel  auf- 
einander, 

putrakrtM  nd  jdnaydff,  wie  die  Weiber  bei  der  Kindersengua;. 
Vgl.  Müller  Biographies  of  wards  p.  116. 


m  iemWi 


»•»-  riTL.    f*'^* 


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^•H 


Sil«?:     mr    asr    rit:   1' 
ut^    n    '-tnuraji-ÄTU 


f  a^  <Miie:  ^arv»fiiKr    inttmil     **f*t'-    loni    -tu    aib-   iuübi:t^:^ 
i  XacL*:-»^    CS»  £iii'     mii    u»t   £t~;i     *lr   at:    :s  >*/*»'/iK 

rgk  .  Du  Maultier  ist  daher  ,^ws  tWw  VHvwli*\-k<^w  Klo^^vi^^^^^^^ 
nrorpeimi^o.  Vielleicht  Usst  sieh  hier  ,^woh  für  de«  \>^um«^ 
ICD  Xameo  des  Tieres,  mulns.  eine  Awkwtt|^f\u^  fiude^t  I>u^».sm 
reinigt  rieb,  wenD  aus  *mHs^1o  a  eutstHuden,  $\\  oi«ev  Uu^\jh^ 
t  alb.  muik  ^Maultier-,  friaul.  rnnss.  >one#  mN^JXi»  uK*o\'* 
^1.  aaeb  nunän.  musi^oin^^  und  äHhI  m).j/i)»  mf**il  «MÄ^^lUor'» 


—    160    — 

Wörtern^  denen  nach  einer  ansprechenden  Vermntang,  ebenso  wie 
dem  lat.  mülus,  ein  Stamm  mus-  (Mvaog)  „der  Myser"  zugrunde 
liegen  würde ^)  (vgl.  G.  Meyer  I.  F.  I,  322  und  oben  p.  50). 

Dem  gegenüber  wird  der  Esel  nur  an  einer  einzigen  Stelle 
der  homerischen  Gedichte,  nämlich  II.  XI,  558  genannt,  wo  der 
Telamonier  Ajax  mit  ihm  verglichen  wird.  Wir  tan  gut,  hds 
hierbei  zu  erinnern,  dass  der  wilde  Esel  im  Orient  für  ein  Bild 
der  Kraft  und  des  Mutes  gilt,  so  dass  der  Kalif  Mervan  den  Namen 
„Esel  Dschesiras^S  d.  i.  Mesopotamiens,  führte.  In  keinem  Fall 
kann  also  der  Esel  zu  den  Haustieren  der  homerischen  Epoche 
gehört  haben.  Unter  diesen  Umständen  ist  es  nun  gewiss  auf- 
fallend, dass  das  früher  auftretende  Maultier  nach  dem  späteren 
Esel  benannt  ist:  fj/Ltlovog :  ovog  „Halbesel"  :  „Esel".  Ich  kann 
mir  dies  nicht  anders  erklären  als  durch  die  Annahme,  dass  die 
Hellenen,  als  sie  sich  selbst  der  Zucht  von  Maultieren  zuwandten, 
einzelne  Esel  oder  Eselinnen  lediglich  zum  Beschälen  oder  Be- 
schältwerden aus  der  Fremde  einführten  (vgl.  phokäisch  fivxiki 
nach  Hesych  „der  zum  Zwecke  des  Beschälens  eingeführte 
Esel",  wohl  :  scrt  muc  „semen  profundere",  griech.  ^vxlo;' 
kayrögy  dxevr/jg  etc.),  die  viel  zu  kostbar  waren,  um  der  Feld- 
und  Hausarbeit  zu  dienen.  Hiermit  stimmt  überein,  dass  in  der 
ältesten  an  Homer  anschliessenden  Lyrik  der  Esel  eher  als 
Zuchttier,  denn  als  Haustier  erscheint,  worüber  ich  K.  Z.  XXX, 
374  ff.  gehandelt  habe.  Die  erste  sichere  Erwähnung  des  Esels 
als  eines  solchen  finde  ich  bei  Tyrtäus  (fr.  6  Bergk): 

(OOJTFQ  ovot  jiisydXotg  äx^eot  teiQO/jievoi 
dfo.^oavroiai  qreQOVTFg  avayxaiyjg  vjro  kvygfjg 
^fiiav  jimtog  ooov  xag^iov  ägovga  (pigei. 

Leider  ist  der  griechisch-lateinische  Name  des  Esels  selbst 
{ovog  —  asinus)  noch  nicht  aufgeklärt.  Was  wir  nach  dem  bis- 
herigen am  ehesten  erwarten  dürften,  wäre  ein  pontisch-klein- 
asiatisches  Wort;  denn  von  wo  die  Alten  die  Sprösslinge  des 
Esels  und  Pferdes  kennen  lernten,  da  muss  auch  der  Esel  seit 
alters  einheimisch  gewesen  sein.  Nun  begegnet  im  Armenischei 
als  Benennung  des  Esels  H,  ein  Wort,  das  dem  nichtindogermani- 

1)  Auderc  sehen  lat.  mülus  (musceüus)  als  urverwandt  an  mit 
griech.  fivxk<k't  aus  dem  es  in  keinem  Fall  entlehnt  sein  kann.  Vgl. 
zuletzt  Walde  Lat.  et.  Wb.  p.  399;  doch  macht  eine  solche  Annahne 
bis  jetzt  kulturhistorisch  unüberwindliche  Schwierigkeiten. 


-     161     - 

!ii  Allarmeuischeu  entstammen  könnte,  und  das  im  Sumero- 
ladiBclien  aiisu,  anü  wiederkebi-t  (vgl.  turkn-tat,  eAelc,  eiiik 
el"  I.  Ans  einer  (ierititigen  Form  mit  veretelltem  Nasal  *an-no, 
■ino  köunte  mm  das  g^riecliiselie  äcov  {*da-vn)  und  das  latci- 
he  imno  durch  thrakisch-illyiische  Vennittlnng  hervorgegangen 
,  auf  weleii  letztere  ancli  der  ümsiand  hinweisen  kannte, 
I    das  Tier   auf    antiken,    namentlich    mazedonischen  Münzen 

Gemmen  in  Verbindung  mit  ßakcbns  und  Heilenos,  von 
CD  umgeben  auftritt.     Es  könnte  also  mit  dem  Dionygosdienst 

Nord-Osten  in  die  Balkanhalbiusel  und  weiter  westiicb 
audert  sein  (vgl.  Imbof-BIumer  und  0.  Keller  Tier-  und 
nzenbilder  auf  Münzen  und  Gemmeu  des  klassischen  Alter- 
1  nnd  oben  p,  50). 

lu  jedem  Fall  scheint  mir  der  angegebene  Aiisf^angspankt 
lieh  und  sprachlich  wahrscheinlicher,  als  die  von  V.  Hehn 
Anscblase  an  Th.  Benfey  vertretene  Entlehnung  von  öfo: 
tuinus  ans  dem  Semitischen,  hebr.  'ät&n,  nrsem.  'atdnu 
slin"  1). 

Die  norden ropäischen  Namen  des  Tieres  altir.  aagan  (agis. 
>}r  &*^-  asiltg,  agis.  eosol  il  ans  »)  und  aus  dem  Ocrmani- 
it)  wieder  aUhI.  ogüti,  Vit.  äsllag  weisen  sämilicb  als  Lehn- 
ter  auf  das  lat.  axinus  hin,  wie  auch  ir.  mtil  und  abd.  mal 
t.  mM,  agIs.  miit)  aus  lat.  malus  stammen. 

Niemals  iu  den  eigentlichen  Dienst  der  enropilischen  Indo- 
Banen  ist  bekanntlich  das  Kamel  getreten,  dessen  semitischer 
le  xäfiijXo?  (=  lit.  camelus)  erst  in  dem  Zeitalter  der  Perser- 
ge  io  Grieebenland  bekannt  geworden  zu  sein  scheint.  Die 
i  Erwähnung  findet  sich  Aesch.  Suppl.  285.  In  hohem 
de  auffallend  ist  daher  die  germanisch-slaviscbe  Bezeichnung 
es  Tieres:  got  ulbanduM,  altn.  ulfal4e,  alid.  olbento,  agIs. 
md  =  altsl.  velibqdü,   mss.    vdbljüdü  nsw.,    insofern    diese 

l)  So  jetzt  aauh  Walde  Lat.  et.  Wli.  p.4T;  dAg'egen  treoni 
llwttK  Et.  AV.'  p.  332  prieeh.  A^  von  lat.  oWntM  und  stellt  ersteres 
t  A.  Fitk  IU  lal.  owm  .LaM"  (?).  Wenn  aber  der  Esel  ureprüng- 
irar  nicht  ein  .Lasttier"  war?  -  H,  Pedersen  K.  Z.  XXXIX,  449 
ti  armen,  ti  von  sntnerisch  aniu  und  Äteilt  es  (vgl,  auch  K.  Z. 
[VlII,  19T,  205)  als  ürv«rwandl  za  der  idg.  Sippe  von  Ut.  equu»; 
gibt  er  wenigstena  rar  lal,  aninux  die  Miiglit^hkeit  einer  Entleh- 
:  anB  dem  Armenischen  zix. 


—     162    — 

Namen  in  jedem  Fall  beweisen,  dass  das  Tier  sehr  frOh  in  den 
Gesichtskreis  der  genannten  beiden  Völker  erschienen  sein  imd 
sich  in  demselben  erbalten  haben  mnss.  Vernünftigerweise  wird 
man  als  Vermittler  dieser  ersten  Bekanntschaft  mit  dem  Kaisd 
für  Slaven  nnd  Germanen  nur  an  tnrko-tatarische  Stämme  denket 
können,  in  deren  Sprachen  sich  ein  gemeinsamer  Name  für  du 
Tier  {töbey  töve)  findet,  und  unter  deren  Herrschaft  die  Slayes 
sehr  frühzeitig  und  wiederholt  geraten  sein  mögen  (vgl.  J.  Peisker 
Die  älteren  Beziehungen  der  Slawen  zu  Turko-Tataren  und  6er- 
manen,  Vierteljabrsschrift  f.  Sozial-  u.  Wirtschaftsgesch.  1905). 
Alsdann  würde  der  Ausgangspunkt  der  oben  genannten  Wort- 
reihe  im  Slavischen  zu  suchen  sein,  aus  dem  altsl.  velibqdü  — 
got.  ulhandus  sich,  wie  es  scheint,  als  „Riesenwesen^  ^)  deotei 
lässt,  eine  für  die  innerhalb  der  europäischen  Tierwelt  so  on- 
geheuerliche  und  fremdartige  Erscheinung  des  Kamels  gewiss  ai 
sich  verständliche  Bezeichnung. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  den  arischen  IndogermaDen, 
so  gebt  die  Geschichte  des  Esels  und  Kamels  bei  ihnen  in  ein 
weit  höheres  Altertum  hinauf,  als  in  Europa.  Allerdings  wajie 
ich  nicht  zu  entscheiden,  ob  wir  die  Zähmung  beider  Tiere 
bereits  der  arischen  Periode  zuschreiben  dürfen;  denn  da  scrt 
JcMra  „Esel"  =  aw.  x^^''^^  (kurd.  frer,  afgh.  x^^  usw.)  erst  in  der 
späteren  Literatur  auftritt,  scrt.  üffhfra  =  aw.  uitra  (npers. 
uSiur,  vgl.  oben  p.  135)  „Kamel"  aber  im  Veda  noch  eine 
zahme  und  eine  wilde  Büffelart  bezeichnet  und  erst  spätermit 
Kamel  zu  übersetzen  ist,  so  ist  mit  diesen  beiden  GleichoDgtt 
in  dieser  Beziehung  nicht  allzuviel  anzufangen.  Geiger  jlfttfM 
p.  28  ff.  (vgl.  dazu  Spiegel  Die  arische  Periode  p.  94,  51)  irt 


1)  Altsl.  vdXbqdii,  *velibondo  8  möchte  ich  aus  altsl.  velij  »gro«' 
(vgl.  altsl.  velt-moza  „der  Magnat'',  poln.  widgolud  i^Riesenmeiiwh'i 
russ.  velikdnü  „Riese'')  und  einem  aus  dem  Präseiis-Futurum  altsL 
bqdq  =  russ.  büdu  (sum)  „ero*  erschliessbaren  *botido-if  ^das  Wesen' 
erklären.  Zu  dem  letzteren  Stamm  gehört  auch  russ.  büdeni  «der 
Wochentag"  aus  *bondio)dtnt,  wörtlich  „der  eigentliche  Tag**  (naä(^ 
JdAöij  denX)  im  Gegensatz  zum  Festtag  {prdzdXnikü^  eigcntl.  der  «leer^ 
müssige  Tag").  Durch  welche  Lautverhältnisse  bei  der  £ntlehniio| 
des  slavischen  Wortes  in  das  Germanische  ^veLi-  in  *ulr  überging,  ver 
mag  ich  allerdings  nicht  zu  sagen;  doch  wird  man  bei  solchen  Ent- 
lehnungen schwerlich  durchaus  gesetzmässige  Erscheinungen  erwartta 
dürfen. 


J 


'  Ansielit.  das«  dieselbeu  nocli  die  wilden  Arten  bezeichnet 
tten.     Uie  Inder  hätten  dann  Dach  ihrer  Einwanderung  in  das 

Ridscbab  ÜBS  Kamel  aus  dem  GeBichtBkreiR  verloren  und  mit 
I  freigewordenen  ünhtra  eine  Buffelart  benannt,    bie  sie  da» 

bme  (zweihöckrige)  Kamel    anf    dem  Wege    des  Handels  nnd 

irkehrs  von  Baktrien  her  wieder  kennen  lernten.  Wie  aich 
\  aber  auch  verhalten  möge,  in  jedem  Fall  gehört  der  Eael 
dem  illtesteu  Bestand  an  Haustieren,  der  bei  Iraniern  nnd 
lern  zu  erreichen  ist.  Bei  den  ersteren  ist  er  das  wenigst 
rtvolle  unter  dem  staora  „Grossvieh"  :  Esel,  Rind,  Rosa,  Kamel 

fl.    Bartbolomae    Altir.    W.    p.  532).      Höher   steht    er    in 

dien.  Die  altvedisehen  Bezeichnungen  des  Tieres  sind  gardabkd 
d rd'«((6A£i,  ersteres  (nach  Lihlenbeck)  zagdrdä  „geil",  letzteres 
rii«a  n Samen flUssigkeit"  gehörend  (vgl.  oben  grieph.  /(i^ytöcetc.), 
dass  also  auch  diese  Namen  auf  die  ebenso  hei  den  Griechen 
B  Simonides  von  Amorgos  hervorgehobene  Neignng  des  Eaels  zn 
I  ißY"  a^Qodiota  bezug  nehmen.    Namentlich  die  A(;vineu,  die 

tttheiten  des  Morgenslrahls,  erscheinen  auf  einem  Eselsgespann 
f.  1,  34,  S;  (*,  74,  T);  auch  in  der  Myth.-logie  des  Awest» 
d  ein  Esel,  der  im  Weltozeau  steht,  geuannt.  Hingegen  wird 
I  Maultier  noch  nicht,   weder  im  Awesta,  noch  im  Rigveds 

trfthnt.  Cber  sein  späteres  Auftreten  in  Indien  unter  dem 
men  a^catarä  ( ;  dcca  „Pferd")  wurde  schon  oben  p.  48 
^rochen.     Wie  sich  zu  diesem    indischen  Wort   die  neuirani- 

hen  Formen  opers.  ester.  pehl.  natar,  kurd.  iatir  <*a8patarn?) 

rbalten,  ist  nicht  ganz  aufgeklärt. 

AI«  chronologisch  letzter  Ei-werb  vierfUssiger  Haustiere  ist 

Cnropa  wie  in  Asien  die  Katze  anzusehen,  deren  in  ein  hohes 
tertnm  in  Ägypten  zurückgebende  Zähmung  ebenso  wie  ihre 
ikonft  im  Imperium  Romanum  wahrscheinlich  in  den  ersten 
irhnnderten  der  Völkerwanderung  V.  Hehn  eingebend  dar- 
ttelit  hat.  Freilich  ist  es  schwierig,  genan  festzustellen,  wann 
D  erstenmal  cattuu,  catta  von  der  gezähmten  Hanskatze  gesagt 
Mit  Bestimmtheit  ist  dies  erst  um  fiUO  in  einer  Nachricht 
l  Diakon  Johannes  Über  Gregor  den  Grossen  der  Fall  (vgl. 
Siltl  Wölfflins  Archiv  V,  133  ff.),  der  eine  catlam  quasi 
iabäatricem  in  auh  gremiig  refovfhai.  um  die  Geschichte  de« 
I  richtig  zu  verstehen,  mnss  festgehalten  werden,  dass  die 
ri&nfer  der  Katze   in  Europa    zunächst    das  Wiesel    oder    die 


—     164    — 

nahverwandten  Marder  und  Iltis  gewesen  sind,  deren  urverwandte 
Namen  im  ersten  Kapitel  mitgeteilt  sind.  Und  zwar  gilt  dies 
-ebenso  von  der  Rolle,  welche  das  Wiesel  in  Mythologie  and 
Aberglauben  des  Altertums  spielt'),  wie  von  der  Bedentong, 
welche  dasselbe  als  ^Mäusefängerin^  (lat.  musUlay  anders  Walde, 
Lat.  et.  Wb.  p.  401)  hat.  In  beiden  Beziehungen  ist  die  zahme, 
ägyptische  Hauskatze  die  Nachfolgerin  des  Wiesels*)  geworden, 
und  so  ist  es  gekommen,  dass  zahlreiche  Namen  des  letzteren, 
wie  griech.  aleiovgog  und  lat.  faeles  zur  Benennung  der  ersteren 
gebraucht  worden  sind.  Nach  V.  Hehn  wäre  mit  der  Ankunft  der 
zahmen  Hauskatze  in  Europa  in  der  lat.  Volkssprache  eine  beson- 
dere Bezeichnung  für  dieselbe  aufgekommen:  mlat.  cattus,  catta 
(:  catulus),  eigentlich  ^Tierchen".  Dieses  neugebildete  Wort  sei 
die  Quelle  der  Ausdrücke  für  felis  domestica  im  ganzen  mittel- 
alterlichen und  neueren  Europa  geworden.  Dem  gegenüber  ist 
hervorzuheben,  dass  die  germanischen  Sprachen  in  ihrem  ahd. 
<:hazzay  chataro  (darüber  F.  Kluge  Paul  und  Braunes  B.  XIV, 
585,  vgl.  auch  nlid.  kitze)^  ebenso  wie  die  keltischen  in  ihrem 
altir.  caty  cymr.  cathy  bret.  caz  {*katto-8)  sehr  altertümUcbe, 
kaum  auf  Entlehnung  deutende  Bildungen  aufweisen.  Auf  das- 
selbe führt  eine  andere  Betrachtung. 

Im  Mlat.  bezeichnete  cattus,  catus  ausser  Katze  (vgl.  Da 
Gange  IP)  noch  etwas  anderes,  nämlich  eine  Art  von  Lanf- 
ganghüttcn,  unter  deren  Schutz  man  sich  den  feindlichen  Manem 
näherte.  In  diesem  Sinne  ist  cattun  offenbar  wie  lat.  cunkvbu 
„ Kaninchen **  und  „Minengang"  zu  beurteilen:  das  Bild  ist  her- 
genommen von  der  schleichenden  List,  mit  welcher  die  Katze 
das  Nest  des  Vogels  oder  das  Lager  des  Hasen  angreift.  Diese 
Kriegsmaschine  findet  sich  nun  schon  bei  dem  Kriegsschrift- 
steiler  Vegetius  erwähnt,  wo  es  Zife.  IV,  cap.  15  nach  der 
wahrscheinlichsten  Lesart  heisst:  vinecut  dixerunt  vetereSf  qua$ 
nunc  militari  bar  bar  i  CO  que  usu  Cattos  vocant.  Diese  Laof- 
ganghütten  hiessen  also  bereits  im  IV.  Jahrb.  im  Barbaren- 
munde  caffiy    und    so    scheint    es  auch  von  dieser  Seite  wahr- 


1)  Man  denke  z.  B.  an  die  Unglück  bedeutende,  über  den  We; 
laufende  Katze,  die  ganz  die  Stelle  des  Wiesels  im  Altertum   vertritt 

2)  Vgl.  Wiesel  und  Katze,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  derHaiu- 
liere  von  Dr.  B.  Placzek  (Sonderabdruck  aus  dem  XXVI.  Bande  der 
Verhandlungen  des  naturforschenden  Vereins  in  Brunn).     Brunn  1888. 


heinlicb,  daes  oDler  diesem  Worte  nicht  ein  lat.  cattus  iok 
Uoe  von  „Tierchen",  sondern  ein  keltiBch-gemianisches  *katto-s, 
vttä  verborgen  ist,  das  iirBprllnglich  die  wilde,  der  Göttin  Freya 
h&a  Eber  und  Falke  als  Zugtier  geweihte  Katze  bedeutete  und 
1  anf  die  felü  domestica  ilbertragen  wurde  (bo  aneb  Walde 
105).  Das  Wort  ging  dann,  ebenso  wie  es  mit  der  Benennung 
1  Marders  (agls.  meard  :  nilat,  martea  geschehen  ist  (vgl.  Vf. 
B.  XV,  130),  in  das  Mittellateiuische  und  Romanische  (it. 
1o,  frz.  ckat]  über  und  ist  dann  von  hier  oder  auch  direkt  von 
manischem  Boden  aus  in  die  Sprachen  des  Übrigen  Europa 
ngewandert  (gemetnsl.  kotä  „Kater",  lit.  kati'  „Katie",  kdtinas 
jlter",  ngr.  xäm/g,  xiina  naw.)' 

In  Indien  scheint  man  den  Nutzen  der  Katze  (scrt.  märjärä 
rü^äla)  als  der  Mänsefängerin  sehr  spät  kennen  gelernt  zu 
kben.  Pänini,  welcher  eine  bestimmte  Regel  aufstellt,  nach 
r  Komposita  aus  den  Namen  sprichwörtlich  feindlicher  Tier& 
Ibildet  werden  sollen,  nennt  unter  diesen  weder  Katze  und 
Bnd,  noch  Katze  mid  Maus.  Ja,  selbst  in  der  urspritnglicheik 
ieong  des  Paneatantra  scheint  der  Falke  und  nicht  die  Katze 
I  Feind  der  Mans  gegolten  zu  faaben  (vgl.  M.  Müller  Indien 
227—234). 


Wir  wenden  uns  nunmehr  zweitens  za  der  Frage,  ob  aua 
'  im  vorigen  Kapitel  besprochenen  Vogelwelt  die  eine  oder 
1  andere  Art  bereits  in  der  Ür/,eit  in  die  Zucht  des  Menschea 
lergegangen  war.  Hierbei  liegen  in  arcbäolugischer  und  linguisti- 
her  Hinsicht  die  Dinge  so,  dass  die  in  neolithischen  Scbichten 
gefundenen  Vogelknocben  bis  jetzt  nirgends  auf  die  Domesti- 
jtion  der  betreffenden  Individuen  haben  scbliessen  lassen,  das» 
'  fOr  zwei  Vogelarien,  nämlich  fUr  die  Gans:  sert.  harhad, 
eh.   p'jv,    lat.    anser,    ahd.    gane'),    lit.   ti^sis,    altpr.    «ansy 


I)  Slav.  *</on«i,  gusl  dürfte  seines  AnlautR  wegen  aUB  dem  Ger- 
nischen entlehnt  sein.  Auch  .scheint  mir  diese  Annahme  sehr  gai 
dem  zu  Btlmmen,  was  Peisker  a.  a.  0.  neuerdings  über  die  jlttesten 
llehnngen  der  Germanen  und  Slaven  ausgeführt  hat.  Das  ger- 
nische  Wort  wird  damals,  d.  h,  zur  Zeit  der  EollohnuDg  schon  die 
ime  Gans  bezeichnet  haben,  die  die  Slaven  noch  nicht  kitnnten. 
BCn.  »ag  (vgl.  I.idi^n  Armen.  Studien  p. tili    gehört    nicht   hierher. 


-    166    — 

und  für  die  Ente:  scrt.  diiy  griech.  v^aaay  lat.  anasj  ahd. 
■altsl.  c^ly  lit.  äntü  anzweifelhaft  idg.  Qleicbnngen  doh  finden. 
Natttrlich  können  die  letzteren  sieh  aber  anf  die  wilden ,  nA- 
leieht  als  Jagdtiere  besonders  geschätzten  Arten  bezogen  haben, 
^nd  die  historischen  auf  die  Zähmung  des  Geflflgels  bezflglichei 
Nachrichten  machen  es  im  hohen  Grade  wahrscheinlich^  im 
<lies  der  Fall  war. 

Weder  im  Awesta,  noch  im  Rigveda,  noch  in  der  Hin 
werden  Qans  and  Ente  als  Haustiere  genannt  Im  Oegentcil 
wird  z.  B.  Rgv.  VIII,  35  der  harhsd  anf  gleiche  Stufe  mit  Falkei 
und  Haridra vögeln  genannt  (vgl.  v.  8:  harhaä'u  iva  patatU 
adhcagä'u  „Ihr  fliegt  wie  zwei  Wandergänse**),  und  wird  in  der 
Ilias  der  xw  ^^  ^^^^  Reihe  mit  Kranichen  und  wilden  Schwänen 
gestellt  (z.  B.  II,  460:  xv^f'^  9  ysQdvoDv  fj  xvxvcov  doviixodeiQWp), 
Erst  in  der  Odyssee  (XIX,  536  ff.)  wird  erwähnt,  dass  «ch 
Penelope  eine  kleine  Herde  von  20  Gänsen  hält,  die  ihr,  wie  es 
scheint,  aber  auch  mehr  zur  Freude,  als  zum  Nutzen  dienen 
{xa(  TS  ö(piv  laivojÄai  eioogöfooa).  Von  besonderem  Interesse  ist 
in  diesem  Zusammenhang  auch  eine  Nachricht,  die  wir  Cisar 
Tcrdanken,  der  von  den  britannischen  Kelten  de  beU.  OaU.  V,  12 
berichtet:  Leporem  et  gallinam  et  anserem  gustare  faswm 
putanty  haec  tarnen  älunt  animi  eoluptatisque  causa.  Es 
ergibt  sich  also,  dass  man  im  damals  keltischen  England  noch 
um  Christi  Geburt  Huhn  und  Gans  nicht  als  Nutztiere,  wohl  aber 
^Is  Luxustiere  hielt  und  sie  mit  einer  gewi^en  religiösen  Sehe« 
igtistare  fas  non  putant)  umgeben  hatte*). 

Namentlich  die  Geschichte  des  Huhns  und  der  Taube  ist 
es,  an  der  sich  zeigen  lässt,  dass  es  zunächst  religiöse  To^ 
Stellungen  waren,  die  das  Geflügel  allmählich  an  den  Haoslinlt 
des  Menschen  gewöhnten.  Was  das  erstere  betrifft,  so  tritt  nu 
der  körperlich  aus  Indien  stammende  Haushahn  im  Awenta 
bereits  unter  zwei  Namen,  einem  profanen  kahrka  (ygl.  oben 
p.  139)  und  einem  priesterlichen  ^ardcfere«  entgegen,  letzteres  den 


1)  Von  den  alten  Preussen  berichtet  noch  Matthäus  Prätorins  in 
seinen  Deliciae  Prussicae  p.  37 :  „Die  Nadraver  halten  noch  einen  Hahn 
und  Henne  vor  heilig,  die  sie  in  ihren  Inkurtuwen  oder  Elinaegnnng 
ihrer  Häuser  zuerst  ins  Haus  lassen;  diese  werden  gehegt  und  nieht 
geschlachtet  noch  gegessen,  aber  darum  nicht  vor  Götter 
:gehalten.^ 


Kaiis  schanenden",  ac.  dae  Licht  des  Tag^es,  „tiBo  Fropbeteii" 
ieutend.  Er  ist  der  Verkündiger  des  Morgens,  das  Symixil 
Sonne,  ein  heiligea  Tier  {vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur 
S67),  sei  es,  dass  ttieeer  Kult  in  Iran  selbst  entstanden  ist, 
dass  er  ans  dem  Lande  uralter  Sonnenverehrung,  aus 
bjlonien  staniint,  von  wo  nü»  mehrere  Abbildungen  mit  betenden 
Ktem  vor  im  Osten  erscheinenden  Hähnen  bekannt  sind  (TgJ. 
tyard  Ninive  und  Babylon,  übersetzt  von  Zenker  p.  410,  411), 
t  der  Ausbreitung  der  persischen  Herrschaft  wird  das  Tier 
in  Kleinasten  und  damit  im  OeBichtskreis  der  Hellenen 
lehieiien  sein,  unter  denen  Theognis  (um  540)  seiner  zuerst 
denkt : 

»i/ioj  äXcMigi'nriar  ^O'iyyo;  eyeioofitvair, 

I  (lieber  Zeit  au  wird  der  Hahn,  auf  uns  leider  unbekannten 
egen,  sich  auch  im  Norden  Enropas  verbreitet  haben,  tlberall 
Khrnngsvull  begrQsst  als  „Sänger"  (vgl.  got. /kiha:  lat.  conere, 
cailech:\at.  cahire,  ht.  gaidgs :  yiediiti  „singen",  ultsl.  petlü: 
i  „singen")  des  Morgens  und  Vertreibers  der  nächtlieben 
nnnen,  eine  Eigenschaft  nicht  hoch  genug  zu  sehStzen  in 
er  uhrenlflsen  Zeit,  da  die  Nacht  voll  von  Schrecknissen  war. 
eh  heute  sind  im  russiseben  Volkslied  Zeitbestimmungen  wie 
c4fera  do  karü  „vom  Abend  bis  zu  den  Hähnen",  sü 
ttjfchä  l-ttrü  do  «rehi  „von  den  häufigen  Hähnen  bis  zum 
'Vgl.  griech.  ntQi  äXE>trQi'6vo)v  ^Wc  oder  lat.  gallicinium 
»,)  ganz  gewöhnlich  (vgl.  auch  Kap.  VII:  Zeitteiinng  am 
tlass)  Zum  eigentlichen  Nutztier  wird  das  Hubn  sieb  im 
rden  erst  nacb  verhältnismässig  spätem  römischen  Beispiel 
irickelt  haben,  wie  u.  a.  mehrere  dieses  Qebiet  betreffende 
Üiscbe  Lehnwörter  im  Germanischen  (ahd.  pfifßz  „der  Pips" 
lat.  pUuHa.  ahd.  mäzzön  „mausern"  aus  mütare,  ahd. 
tma  „Flaum"  aus  phhna  etc.)  zeigen. 

Wie  der  Hausthahn  seine  Zähmung  dem  Kult  orientalischer 
tncngotthciten  verdankt,  so  ist  die  Taube  als  Haustier  aus 
;  Dienst  der  semitischen  Giittin  des  Naturlcbens,  der  Zeugung 
des  Todes,  assyr.  ISiar,  kan,  'AStor,  'Aitorpf,  griech. 
migirr/  hervorgegangen  und  so  zum  Attribut  der  mit  jener 
aili«chen  Gottheit  verschmolzenen  griechischen  Aphrodite 
mrden  In  dieser  Eigenschaft  erscheint  sie  bereits  auf  myke- 
(faei)  Kunstwerken,  und  auch  bei  der  II.  XI,  632  ff.  gegebenen 


Beaehreibung  des  Becliei-H  des  Nestor,  auf  deg»eB  Henkeln  znt 
goldene  Tauben  sitzen,  ist  wobl  hereits  an  ein  dem  MenBcfadf 
vertrauteres  Tier  zu  denken.  Die  eigentliche,  weisse  Htm 
tanbe  aber  durfte  nach  einer  von  Atbeuäns  IX,  394  erhnllenri  1 
Notiz  des  Charon  von  Lampsat^us  erst  nach  dem  Untergang  der 
pereiecben  Seemacht  am  Vorgebirge  Atbos  in  Griechenlaiid 
erschieaen  sein,  nach  Hehn  vielleicht  von  gescheiterten  pbönizi- 
sehen  Scbiffen  ausgehend.  Ein  Nutztier  ist  sie  in  Europa  wohl 
erst  spät  geworden.  Noch  nach  dem  Capitniare  Karls  des  Grossen 
de  viUis  werden  turtures  nur  pro  dignitatU  causa  gehalten 
der  noch  vielfach  dunklen  Terminologie  des  Tiere«  hege^ 
zwei  nicht  unwichtige  Entlehnungsreihen:  \&tcolumba,  ir.  colid 
agls.  culufre  (colambula)  und  scrt.  kapd'tu,  a^ers.kapütar  (?j 
kabüd  „blau"),  kautar,  afgh.  kewter.  kurd.  kotir  —  al^ 
ketitaris  „Ringeltaube",  die  wohl  auf  einige  der  Wege  hinwei« 
auf  denen  die  Zucht  des  Tieres  sieh  in  Europa  »erbreitete. 


Blicken  wir  zurück,  so  hat  sieb  ergeben,  dass  der  älteel 
Viehzucht  der  Indogermanen  der  Esel  und  das  Kamel,  dei 
nrsprüngliche  Wohnsitze  sich  auf  die  semitischen  WflBtenlWt^'^ 
and  die  Steppen  des  zentralen  Asien  beschränken,  fremd  waren, 
dasB  ihnen  hingegen  das  Pferd,  dessen  Urheimat  eiDstmals  p>at 
Europa  mit  umfasste,  bekannt  war.  Dem  gegendber  finden  wir, 
dass  bei  denjenigen  Völkerstämnien,  deren  Ursprünge  mit  Sicher- 
heit in  Asien  zu  suchen  sind,  urverwandte  Namen  fDr  alle  drei 
Tiere  vorhanden  sind.  Dies  gilt  sowohl  von  den  Seiiiii 
{aasyr.  Mixu,  hebr.  »äs  „Pferd";  assyr.  gammahi,  hehr,  gdi 
„Kamel";  &9»yr.  aiänu,  hebr.  'ätdn  „Eselin";  assyr.  im^ru,  bei 
kämör  „Esel"),  wie  auch  von  den  Turko-Tataren  (a(  „Pferd', 
tobe  „Kamel",  eiiek  „Esel";  vgl.  Vambery  Die  primitive  Kullor 
des  turko-tat.  Volkes).  Es  läge  daher  der  Schlnss  nahe,  die 
älteste  Heimat  der  Indogermanen  zwar  innerhalb  der  Ver- 
breitUDgssphäre  des  Pferdes,  aber  ausserhalb  derjenigeo  de* 
Esels  und  Kamels,  also  nicht  in  der  Nähe  der  Semiten  nod 
Turko-Tataren,  also  Ulterhaupt  nicht  in  Asien  zu  suchen,  weuu 
eben  nicht  die  iMöglichkeit  (I',  161}  bestände,  dass  anoh  die 
Indogermanen  einstmals  Esel  uud  Kamel  in  wildem  Zustand  geksoDt 
und    später    die  Tiere    auf    ihren  Wanderungen    aus  den  An] 


drei     II 

1 


-     169    - 

verloren  hätten.  Immerhin  würde  bei  einer  solchen,  an  sich 
nOglichen  Annahme  es  auffallend  bleiben,  warum  die  Indo- 
^rmanen  nicht,  wie  die  Turko-Tataren  und  Semiten,  das  so 
)eqneme  und  nützliche  Kamel  sich  schon  in  der  Urzeit  dienstbar 
i;emacht  haben,  so  dass  man  jedenfalls  die  geschilderten  Ver- 
Altnisse  besser  bei  einer  europäischen,  als  bei  einer  asiatischen 
leimat  der  Indogermanen  verstehen  kann. 

Bedeutsamer  ist,  was  wir  in  diesem  Kapitel  über  den 
Lreis  der  ältesten  idg.  Haustiere  ermittelt  haben,  für  die  Be- 
irteilnng  der  Wirtschaftsstufe,  auf  der  das  Urvolk  stand,  ein 
hinkt,  zu  dem  wir  in  Kap.  VI  zurückkehren  werden. 


Seh  rader,  Sprach  verfirlefchun^  und  Urgeschichte  II.    3.  Aufl.  12 


IV.  Kapitel. 

Waldbäume. 

Arisch-europäische  und  europäische  Baumnamen.  Die  Frage  der  Ur- 
heimat. Die  Baumseele.  Wald  und  Tempel.  Qriech.  njög  und  loSc. 
Die  Eiche  der  Baum  des  höchsten  Gottes.    Pfahlkultus.    Wo  entstand 

der  Baumkultus? 

Aus  der  die  Indogernianen  umgebenden  Pflanzenwelt  soUeo 
hier  nur  die  Namen  der  Waldbäume  herausgegriffen  werden,  in- 
sofern man  aus  ihnen  seit  alters  Schlüsse  auf  die  Urheimat  and 
Wanderungen  der  Indogeimanen  zu  ziehen  versucht  hat.  Ein 
grosses  Hindernis,  das  diesem  Beginnen  im  W^ege  steht,  ist  frei- 
lich die  bedeutende  Veränderlichkeit  der  etymologischen  Reihen 
dieses  Gebietes  in  ihrer  Bedeutung,  wie  schon  P,  184  her?or- 
gehoben  wurde.  Sogar  in  ganz  nahe  verwandten  Sprachen,  ja 
auf  demselben  Sprachgebiet  treten  uns  oft  dieselben  Wörter  in 
verschiedener  Bedeutung  entgegen.  So  bezeichnet  z.  B.  altpr. 
hwis  die  Eibe,  lit.  jeicä  den  Faulbaum,  slav.  iva  die  Weide. 
Im  Litauischen  selbst  sehwankt  ^gle,  iglius  zwischen  den  Be- 
deutungen „Eibe"  und  „Tanne".  Altsl.  smru6l  ist  der  Wach- 
holder, smreca  die  Zeder,  eech.  smrk  die  Fichte,  kleinrosB. 
smerek  die  Tanne.  Altsl.  brestu,  russ.  herestü  bedeuten  „ülnic", 
bulg.  brest  auch  „Birke"  (vgl.  russ.  beresto  „Birkenrinde")  nßw. 
Unter  diesen  Umständen  steht  nichts  der  Annahme  im  Wege, 
dass  schon  in  der  idg.  Grundspraehe>  namentlich  wenn  wir  an- 
nehmen, dass  dieselbe  auf  einem  verhältnismässig  grossen  geo- 
graphischen Gebiet  gegolten  habe,  einzelne  Baumnamen  ver- 
schiedene Bedeutungen  gehabt  haben  könnten,  ein  Gesichtspunkt, 
der  sich  für  unsere  weiteren  Betrachtungen  als  wichtig  er- 
weisen wird. 

Im  folgenden  soll  nun  zunächst  eine  Cbereicht  über  die 
etymologisch  verwandten  Baumnamen  der  idg.  Sprachen  gegeben 
werden,  und  zwar  in  der  Weise,  dass  zuerst  die  den  europäi- 
schen und  arischen  Sprachen  gemeinsamen,    dann    die   sich  aof 


-     171     — 

die  earopäiscben  Sprachen  (und  das  Armenische)  beschränkenden 
jrleiehangen  aufgeführt  werden. 

A.    Europäisch-arische  Baumnamen. 

1.  Der  verbreitetste  Baumname  der  idg.  Sprachen  ist  an 
lie  Stämme  druj  dem,  doru  etc.  geknüpft  und  zeigt  im  wesent- 
ichen  drei  verschiedene  Bedeutungen,  nämlich:  a)  „Baum", 
,Holz^,  z.  B.  scrt.  aw.  dru  y,Baum",  scrt.  dd'ruj  aw.  däuru 
,Holz^,  altsl.  drüvo,  drivo  „Holz^,  alb.  drü  ^Holz,  Baum'',  got. 
riu  „Baum*^;  b)  „Eiche",  z.B.  griech.  dgvq,  maked.  hdQvUogy 
r.  dair,  daur;  c)  „Kiefer"  oder  „Föhre",  z.  B.  lit.  derwä 
, Kienholz",  lett.  danoa,  altn.  tjara,  agls.  teoru  „Teer",  altn. 
yrr  „Föhre",  ti^rve  „Kienholz"  (lat.  larix  „Lerchen bäum"?). 
<}iin  ist  oft  über  die  Frage  gehandelt  worden,  welches  die  älteste 
lieser  drei  Bedent^ingen  sein  möchte,  zuletzt  und  am  ausführ- 
ichsten  von  H.  Osthoff  Parerga  I  („Eiche  und  Treue").  Dieser 
belehrte  gelangt  zu  der  Überzeugung,  dass  von  der  Bedeutung 
^Eiche"  auszugehen  sei,  und  zwar  einerseits,  weil  er  in  der- 
krtigen  Fällen  überhaupt  die  besondere  Bedeutung  für  älter  als 
lie  allgemeine  hält^),  und  andererseits  weil  er  gegenüber  dem 
ron  ihm  scharfsinnig  und  übei-zeugend  geführten  Nachweis,  dass 
n  den  idg.  Sprachen  von  den  Stämmen  dru-,  dem-,  dorn-  zahl- 
eiche  Adjektive  etc.  für  die  Begriffe  „fest,  hart,  stark,  treu" 
vgl.  z.  B.  lit.  drütas  „stark,  fest",  ir.  derb  „sicher,  gewiss", 
icrt.  därunä  „hart",  got.  triggws  „treu,  zuverlässig")  entsprossen 
ind,  der  au  sich  richtigen  Ansicht  ist,  dass  derartige  Bedeutuugs- 
Ibergänge  nicht  sowohl  auf  den  Begriff  des  Holzes  an  sich,  als 
rielmehr  auf  den  des  festen  Holzes,  des  Kernholzes,  das  wäre 
lach  ihm  eben  die  Eiche,  zurückführen.  Da  nun  aber  auch  die 
üefer  (vgl.  Brockhaus'  Konversationslexikon  s.  v.  Holz  und 
üefer)  zu  den  „Kernholzbäumen"  gehört  und  ihr  Holz,  nanient- 
ieb  bei  gewissen  Arten  und  bei  älteren  Bäumen,  an  Härte  kaum 
liiiter  dem  der  Eiche  zurücksteht,    da   ferner   in    der  oben  auf- 


1)  Vgl.  dazu  P,  184  Anm.  1.  Wenn  Osthoff  Parerga  I,  177 
kuch  für  altsl.  dqbü  (=  ahd.  zimhar)  von  der  Bedeutung  „Eiche*"  glaubt 
LUSgehen  zu  müssen,  so  ist  dagegen  zu  bemerken,  dass  gerade  in  den 
Üteren  Sprachepochen,  nicht  nur  im  Kirchenslavischen  und  Serbischen, 
ondern  auch  im  Altrussischen  (vgl.  Sreznevskij  Mateinaty  etc.),  die 
Bedeutung  „Baum*"  für  dqbü  sehr  stark  hervortritt. 


—    172    — 

geführten  Wortsippe  die  Bedentang  „Kiefer"  (Teer)  eine  nicht 
geringere  Rolle  spielt,  als  die  Bedeutung  ^Eiche'^,  so  möchte 
ich  glauben,  dass  wir  hinsichtlich  der  Urbedeutung  der  in  Frage 
stehenden  Wortsippe  doch  über  ein  non  liquet  nicht  hinäas^ 
kommen.  Aber  selbst  wenn  man  für  dru,  dem,  dorn  eine  Ur- 
bedeutung ,,Eiche"  zugeben  wollte,  scheint  mir  die  hervorragende 
Wichtigkeit  dieser  Baumart  weniger  für  die  Urheimat  der  Indo- 
germanen,  als  vielmehr  für  diejenigen  Länder  hieraus  zu  folgen, 
in  deren  Sprachen  dru  usw.  den  »Sinn  von  Baum  angenommen 
hätte,  insofern  nur  in  ihnen,  nicht  aber  in  der  Sprache  des  idg. 
Urlandes  die  Eiche  der  Baum  xax'  i^oxrjv  gewesen  sein  mflsste. 
Im  ganzen  scheint  mir  also  die  Vorstellung  von  „der  Eichen- 
heimat "*  der  Indogermanen  (Hoops  Waldbäume  p.  119)  auf 
schiwachen  Füssen  zu  stehen,  wobei  natürlich  mit  Rücksicht  auf 
später  zu  nennende  Gleichungen  (B,  a;  1,  B,  c;  20)  nicht 
geleugnet  werden  soll,  dass  der  Baum  in  gewissen  Teilen  des 
Urlandes  vorkam  und  durch  seinen  majestätischen  Bau,  seine 
Fähigkeit,  besonders  den  Blitz  anzuziehen  usw.,  die  Aufmerksam- 
keit der  Menschen  in  hohem  Grade. auf  sich  lenkte. 

2.  Scrt.  bhürja,  osset.  barse,  Pamird.  furz,  brug,  altpr. 
berse,  lit.  b^räas,  altsl.  breza,  ahd.  birihha  „Birke**.  Auch  im 
lat.  fraxinus,  farnus  kehrt  das  Wort  wieder,  das  aber  hier,  da 
die  Birke  in  Italien,  ebenso  wie  im  übrigen  Süden  Europas  all* 
mähhch  verschwindet,  die  Bedeutung  „Esche**  angenommen  hat 
Lat.  betula,  wozu  auch  alb.  b'Utsze  gehört,  ist  ein  Lehnwort 
aus  dem  Gallischen  (ir.  bethe).  Im  Griechischen  findet  sich  m 
den  angegebenen  Gründen  gar  keine  Bezeichnung  des  Baumes. 
Das  Vorhandensein  eines  Namens  der  Birke  im  Wortschatz  der 
idg.  Grundsprache  beweist,  dass  die  idg.  Urheimat  jedenfalb 
nicht  in  den  südlichen  Halbinseln  Europas  gesucht  werden  darf» 
ein  bei  so  viel  Unsicherheit  immerhin  wichtiger  Punkt 

3.  Aw.  vaiti,  npers.  bM,  afgh.  vcUa  (scrt.  vitasd  „Rate"), 
griech.  hea,  lat.  vitex,  altpr.  icitwariy  lit.  tc^tiSy  ahd.  tcida  „Weide". 

4.  Scrt  pita-drti,  pita-dät^Uy  pitu-däru,  Pamird.  pt^,  griech. 
mrvgy  lat.  pinus  „ein  Nadelbaum**.  Vgl.  auch  scrt.  jat» 
„Lack,  Gummi**,  agls.  cicidu,  ahd.  chuti  „Kitt,  Leim**,  lat 
bitümen  „Erdpech**,  ursprünglich  wohl  „Baumharz**. 

5.  Osset.  färwy  farwe  „Erle",  ahd.  felawa  „Weide**.  Ur- 
bedeutung unsicher. 


6.  Einen  tlbcr  die  Grenzen  Europas  Liiiausgeltenden  Baimi- 
Diea  hat  man  neuerdiDgs  auch  dadurcii  -/.u  gewinnen  versucht, 
IS  man  die  europäischen  Wörter  lat.  fägua ,  ahd.  huohha 
uche",  griech.  (pijyüz  „SpeiBeeiehe"  mit  dem  kurd.  büz  „Ulme" 
■glichen  hat  (vgl.  liartboloniae  I.  F.  IX,  271,  Osthoff 
B.  XXIX,  249  ff.).  Wenn  dies  richtig  ist,  eo  gehen  doch  die 
hlElsse,  die  HoopB  Waldhäume  p.  125  ff.  daraus  gezogen  hat, 
rweit.  Er,  wie  auch  ßartholomae  {vgl,  oben  P,  184),  nehmen 
(lass  infolge  dieser  Oleicliiiug  die  Urheimat  der  ludogermauen 
lerhalb  der  Bnchengrenze  (s.  u.)  gesucht  werden  niüsste. 
olier  wissen  aber  die  beiden  Gelehrten,  dass  die  genannten 
amnamen  bei  dem  tatsächlichen  Aueeinandergehen  ihrer  Be- 
itnngen  in  der  Ursprache  den  Sinn  von  „Buche"  gehabt 
t)eD?  Es  ist  Ja  richtig,  dass  zwei  idg.  Sprachen  (Lateini)ich 
1  Germanisch)  in  dieser  Beziehung  tlbereinstimnien.  Allein 
e  andere  von  Hoops  p.  121  selbst  angeführte  Reihe  vtm 
Diunamen  :  giiech.  «irt/,  alb,  ah  „Buche"  —  armen.  hai;i  „Esche" 
gt  dieselben  Erschein nngeu,  und  hier  machen  es  die  etymo- 
;i8chen,  wiederum  von  Hoops  selbst  angeführten  Begleit- 
cheinimgen  (vgl.  u.  B,  a;  5|  so  gut  wie  sicher,  dass  nicht  von 
r  B«dcntung  „Buche"  auszagehen  ist.  Endlich  kiliiute  hier 
;li  der  schon  oben  angedeutete  Fall  vorliegen,  dass  die  an- 
Fflhrte  Wortreihe  seh<m  in  der  Ursprache  die  Bedeutung  von 
Viche"  und  von  „Ulme"  hatte,  indem  die  Indogernmnen  so- 
thl  diesseits  wie  jenseits  der  Bnchengrenze  wohnten  (s.  n,). 

Einen  enropäisch-art sehen  Baumnamen  hat  man  schliesslich 
I  der  von  mir  (B.  B.  XV,  289)  aufgestellten  Gleichung  scrt. 
änean  „Bogen"  =  ahd.  tanna  zu  folgern;  doch  dürfte  es  anch 
ir  schwer  sein,  den  Ursinn  derselben  festzustellen  (vgl.  die 
en   p.  104  angeführte  Literatur). 


ß.    Europäische  Baumnamen 
8;  die  der  Centum-  und  Salemspracbeu 
über  diese  Einteilung  der   idg.  Sprachen  Sprachv,    u.  Urg. 

l»,  71  ff.,  13Ö  und  oben  p.  127). 
1.  Die  Bekanntschaft  mit  der  Eiche  folgt  aus  einer  gemein- 
Benennung    der  Eichel:   griech.  /ffixdi'oc,    lat.  ijlans    — 
i1.  ielqdi,  armen,  kaiin. 


—     174     - 

2.  Griech.  jtevxrjj  ahd.  fiuhtay  ir.  ochtach  —  altpr.  ftmty 
lit.  puszis  ^Fichte'^;  vgl.  dazu  einen  gemeinsamen  Namen  des 
Peches  :  griech.  Twaaa,  lat.  pix,  altsl   plklü. 

3.  Lat.  ulmus,  ir.  Zem,  ahd.  elm-boum,  altn.  älmr  —  nwB. 
iZemu  „Ulme". 

4.  Lat.  alnusy  ahd.  eZ?>a,  altn.  ö/r  — ,  lit.  elJcsniSy  altd. 
jelicha  „Erle". 

5.  Lat.  orntiSj  cymr,  onn^n  —  lit.  lim,  altpr.  woasU^  ruas. 
jäseni  „Esche";  vgl.  dazu  altn.  askr,  armen,  fiagi  „Esche**, 
griech.  d^vr/y  alb.  ah  „Buche"  (oben  p.  173). 

6.  Ahd.  aapay  altn.  ösp  (griech.  äanoog  „eine  frnchtloee 
Eichenart" ;  im  Süden  verschwindet  die  Espe)  —  altpr.  oJw,  lit. 
apusze,  russ.  oshia  „Espe"  (vgl.  Hoops^)  a.a.O.  p.  122). 

7.  Maked.  xhvoTQoxog,  ykTrog,  ahd.  Unbouniy  altn.  A/,y«r, 
altcorn.  kelin  —  altsl.  klenüy  lit.  kUtoas  „Spitzahorn". 

8.  Agls.  wi^e  —  alb.  ri^,  russ.  vjazü  „Ulme"  (vgl.  Hoop» 
a.  a.  0.  p.  261). 

9.  Ahd.  linta  „Linde"  —  russ.  lutiä  „Lindenwald",  weiss- 
russ.  tut  „Bast  einer  jungen  Linde"  (lit.  lentä  „Brett",  lat 
Unter  „Kahn",  sc.  aus  Lindenholz,  griech.  ikärf]  „Fichte**;  i» 
Griechenland  verschwindet  die  Linde). 

10.  Ir.  fern  „Erle"  —  alb.  vefe  „popnhis  alba"  (armen. 
geran  „trabs";  vgl.  Liden  L  F.  XVIII,  485  ff.). 

11.  Griech.  Qaßdoq  („Weiden)rute",  lat.  verbina  —  altsl. 
vrüba  „Weide". 

12.  Griech.  uqxfv&oc;  „Wachholder"  —  altsl.  itmreii  id. 
(s.  0.).  Oder  letzteres :  armen,  niair  „pinus,  cedrus"?  Anders 
Liden  L  F.  XVIII,  007. 

13.  Griech.  xidoog,  eigentl.  „ Wa  c  h  h  o  1  d  e  r"  —  lit.  kaiagpi 
altpr.  kadagis  id.  (Reallexikon  p.  926,  Liden  I.  F.  XVIII,  491). 


1)  Hoops  a.  a.  0.  verfolgt  diese  Reibe  bis  in  die  ttirkisch-UU- 
rischen  Sprachen,  in  denen  Formen  wie  apsaky  aspak  begegnen,  die 
nach  H.  nur  als  Entlehnungen  aus  iranischem  Sprachgebiet  verBtanden 
werden  könnten,  auf  dem  der  Baumnarae  aber  nicht  bezeugt  ist.  & 
zählt  daher  den  Namen  der  Espe  zu  den  unter  A  zusammengestellten 
europäisch-arischen  Baumnamen.  Allein  auch  das  slaviscbe  osa  muss» 
wie  altpr.  ctbse  zeigt,  vor  gar  nicht  so  langer  Zeit  noch  "^opsa  gelautet 
haben,  so  dass  auch  dieses  die  Quelle  der  turko-tat.  Wörter  sein  kann. 
Vgl.  auch  Pedersen  K.  Z.  XXXIX,  462. 


175    - 


14.  Lat.  Abella  ^Apfelstadt^  {malifera  Abellä)y  ahd.  apfuly 
ir.  aball  —  lit.  öhulas,  altpr.  wähle,  slav.  jablüJeo  „Apfel". 

15.  Griech.    xgdveiay    lat.   corvus   „Kornelkirsche"    —   lit. 


JLirni^  „dea  cerasoram". 

16.  Griech.  ägva'  rd  'HgaxkewTixd  Sgva  —  alb.  afe,  altsl. 
orechü  „Nuss". 

b)  Satemsprachen. 

17.  Lit.  lazdäy  sAtpr,  laxäe,  alb.  Z'aii?/  „Haselnuss"  (anders 
Liden  I.  F.  XVIII,  487,  der  die  litauisch-preussiscben  Wörter 
mit  armen,  la^t  „Holzfloss*^  vergleicbt). 

18.  Altsl.  breistü  etc.  (s.o.)  „Ulme,  Rüster",  armen,  barti 
^Espe,  Pappel"  (Lid6n  I.  F.  XVIII,  490). 

19.  Russ.  jdlovecü  „Wacbholder",  armen,  elevin  „Zeder, 
Fichte"  iLid6n  a.a.O.  p.  491). 

c)  Centunisprachen. 

20.  Lat.  quercusj  longob.  fereha  „Eiche"  (neben  ahd. 
forha  „Föhre";. 

2L    Griech.  alylXojy*  „eine  Art  Eiche",  ahd.  eih. 

22.  Griech.  xXyi&qyi  „Erle",  nhd.  dial.  ludere,  ludern 
„Alpen-Erle". 

23.  Lat.  abiesy  griech.  äßiv  iXdrrjVj  ol  de  Jievxrjv  Hes. 

24.  Lat.  Salix,  ir.  mit,  ahd.  salaha  „Weide". 

25.  Griech.  ^kixriy  agls.  welig  „Weide"  (Hoops  L  F. 
XIV,  481). 

26.  Lat.  corulus,  ir.  coli,  ahd.  huital  „Hasel". 

27.  Griech.  äxaorog  (Hes.),  lat.  acer,  ahd.  ähorn  „Berg- 
ahorn". 

28.  Lat.  tüia,  ir.  teile  „Linde". 

29.  Lat.  pirusy  griech.  umog  „Birnbaum". 

30.  Ahd.  irihsela  „Weichselkirsche",  griech.  i^6g,  lat. 
viscum  „Mistel"  (?  vgl.  Hoops  Waldbäume  p.  545  ff.,  Liden 
a.  a.  0.  p.  496). 

Ein  gemeinsamer  Baumname  der  Centumsprachen  folgt 
gchliesölieh  aus  der  Gleichung  griech.  to^ov  „Bogen"  =  lat.  taxus 
„Eibe"  (oben  p.  105). 

Die  hier  gegebeneu  Zusammenstellungen  enthalten,  wie 
wir  schon  bemerkten,    im    einzelnen  wenig,    was   sich   fttr  die 


-     176    — 

Feststellung  der  idg.  Urheimat  verwerten  Hesse.  Wie  stehen  die 
Dinge,  wenn  wir  sie  im  ganzen  betrachten?  Das  Bild,  das 
sie  uns  alsdann  darbieten,  ist  ein  sehr  klares:  Die  Überein- 
stimmungen auf  dem  Gebiet  der  ßauninamen  sind,  sobald  wir  uns  auf 
die  Vergleich ung  der  europäischen  Sprachen  beschränken,  bänfig 
(30  Nummern),  sobald  wir  die  europäisch- arischen  Glei- 
chungen ins  Auge  fassen,  gering  an  Zahl*)  (6  Nummern).  Zor 
Erklärung  dieses  Verhältnisses  bieten  sich  drei  Möglichkeiten  dar: 
entweder  hatten  auch  die  Arier  einstmals  an  jenen  enropäiscben 
Baumnamen  teil  und  haben  sie,  vielleicht  auf  der  Wanderung  doreb 
baumlose  Gebiete,  verloren,  oder  die  europäischen  Baumnamen 
stellen  gegentlber  den  europäisch-arischen  Neuschöpfungen,  viel- 
leicht auch  Entlehnungen  aus  den  Sprachen  ureingesessner  Volker 
dar,  oder  endlich,  das  Urland  der  Indogermanen  war  so  beschaffen, 
dass  sich  aus  dieser  Beschaffenheit  eine  reichere  Terminologie  der 
Baumflora  in  den  einen  Teilen  gegenüber  einer  ärmlicheren  in 
den  anderen  erklärt.  Was  die  erste  dieser  drei  Möglichkeiten 
anbetrifft,  so  würde  sie  sich  nur  dann  über  den  Charakter  einer 
blossen  Vermutung  erheben,  wenn  es  gelänge,  solche  Fälle,  wie 
den  eben  angeführten :  ahd.  tanna  =  scrt.  dhdnvan  „Bogen", 
Fälle  also,  in  denen  sich  idg.  Baumnamen  in  arische  Waffen-, 
Werkzeug-  und  Gefässnamen  geflüchtet  hätten,  in  grösserer  An- 
zahl nachzuweisen.  Dieses  ist  bis  jetzt  nicht  geschehen.  Gegen 
den  zweiten  Ansatz  spricht  die  Tatsache,  dass  die  europäi- 
schen Baumnamen,  sprachlich  betrachtet,  nicht  den  Eindruck 
von  Neuschöpfungen  oder  prähistorischen  Entlehnungen  machen, 
und  dass  die  Annahme,  sie  könnten  aus  vorindogermanisehen 
Sprachen    herstammen,    sich    nicht    auf   irgendwelche    greifbare 

1)  Hoops  Waldbäunie  p.  115  sagt,  dass  Hirt  I.F.  I,  477  ff.  da« 
Verdienst  habe,  weitere  Baumnamen  für  die  indogermanische  (euro- 
päisch-arische) Urzeit  nachgewiesen  zu  haben.  Ich  kann  nur  Hnden, 
dass  der  einzige  neue  arische  Baumname,  den  er  zum  Vergleich  mit 
europäischen  a.a.O.  beigebracht  hat,  das  höchst  zweifelhafte  scrt.  jxir- 
kati  „Ficus  religiosa"  =  lat.  quercus  ist.  Auch  Hoops  ist  eine  solche 
Erweiterung  des  europäisch-arischen  Bestands  an  Baumnamen  nicht 
gelungen  (vgl.  oben  p.  174  Anm.  1).  Das  einzige  neue,  was  in  jüngerer 
Zeit  in  dieser  Beziehung  ermittelt  worden  ist,  ist  vielmehr  das  oben 
erörterte  kurd.  büz  „Ulme'*,  das  freilich  auch  nur  bei  Anwendung 
höchst  verwickelter  etymologischer  Kunstgriffe  mit  lat.  fdgus  usw. 
vermittelt  werden  kann. 


uiclieu  zu  stützen  veniiag.  Es  bleibt  somit  die  dritte  Müg- 
ikeit  flhrig,  gegen  die  keinerlei  Bedenken  bestehen,  sobald  wir 
nrbalb  des  ältesten  VerbreitungsgebietB  der  idg.  Vdlker  eine 
lalität  aufweisen  können,  die  auf  veriiältniEmtissig  beBcbränklem 

praphischen   Raum  den    oben    gestellten    Anforderungen    ent- 


Eine  solehe  Lokalität  ist  nun  allerdings  vorbanden,  und 
'  in  Europa  nur  einmal  vorbanden  Es  ist  dies  der  Süden 
iropäiscbcn  Rnsslands,  vielleicht  znsammen  mit  den  benacb- 
Karten  asiatiscben  Regionen,  da  es  eine  geographische  Grenze 
[wischen  Europa  und  Asien  nicht  gibt.  Ein  grosser  Teil  des 
eurupAiscben  Süd-Russlands  wird  durch  sogenannte  Wald-  oder 
L'bergaugssteppeu  gebildet,  Bezirke,  in  denen  Steppen  und  Wälder 
rielfacb  iueiiiander  greifen,  indem  einerseits  der  dichteste  Wald 
üft  unaiittelhar  au  die  Steppe  herantritt,  andererseits  ein  häufig 
sehr  ausgedehnter  Baumwuchs  an  den  Läufen  der  Flüsse  und 
auf  den  Erbtihnngeu  des  Bodens,  an  denen  Südrussland  viel 
liier  ist,  als  man  gewäbniich  annimmt,  mitten  in  die  Steppe 
ringt.  „Der  Übergang  (/.wischen  Wald  und  Steppe}",  sagt 
.  A.  U  eltner  Das  europäische  Rnssland  p.  ^6,  „vollzieht 
I  ganz  allmählich:  die  Wiesen  im  Waldland  werden  häufiger 
und  grösser  und  nehmen  immer  mehr  überhand,  so  dass  der 
Wald  halbtnselfOrmig  in  die  Steppe  vorspringt  oder  in  Inseln  in 
sie  eingesprengt  erscheint.  Namentlich  ziehen  sich  an  den  FIdss- 
läufeii  Waldstreifen  entlang,  und  auch  die  Hänge  der  in  das 
Platean  eingeschnittenen  Täler  und  Schluchten  sieht  man  oft  mit 
Wald  bekleidet,  wahrscheinlich  weil  sie  gegen  die  über  das 
Plateau  binfegenden,  austrocknenden  Winde  geschützt  sind.  Erst 
ganz  im  .'^üden  breitet  sich  die  Steppe  ohne  Dnterhrechung  in 
unendlicher  Einförmigkeit  aus.''  Ebenso  äussert  sich  Ratzel  Be- 
riebt d.kgl.säeh8.Ge8.d.W.LII,  57.  In  der  in  diesem  Wald-Steppen- 
^biel  des  südlichen  Russlands  nachweisbaren  Baumflora  (vgl. 
I)e«>mier8  A.  Nehring  Die  geographische  Verbreitung  der  .Säuge- 
liere  in  dem  Tschernoaera-Gehiete  des  rechten  Wolga-Ufers  sowie 
toden  angrenzenden  Gebieten,  Z.  d,  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin 
B  No.  4;  dazu  Fr.  Th.  Koppen  Geographische  Ver- 
lang der  Holitgewächse  des  europäischen  Rnsslands,  2  Teile, 
rsbnrg  1886,  1889j  finden  sich,  abgesehen  von  Buche  und 
{b.  u.},  die  auf  den  äassersten  Westen  beschränkt  sind,  tat- 


—     178    — 

Sächlich  alle  im  obigen  (uDter  B)  geDannteD  Arten  wieder.  Hier 
würden  wir  also  die  Drsitze  der  europäischen  Indogennanen  (mit 
Einschlnss  der  Armenier)  lokalisieren.  Südöstlich  von  ihnen,  in 
den  reineren  Steppengegenden  und  in  den  nngehenren,  heute  von 
Kalmüken  und  Kirgisen  besetzten  Distrikten  zwischen  dem  Unter- 
lauf des  Don  und  der  Wolga  sowie  der  sogenannten  aralo-kaspi- 
schen  Niederung,  in  denen  der  Baum  wuchs  fast  ganz  verschwindet, 
und  wo  daher  auch  seine  Terminologie  eine  sehr  dürftige  seia 
musste,  würden  wir  glauben,  dass  die  Vorfahren  der  Iranier  nod 
Inder  einst  sassen  oder  nomadisch  umherstreiften  (vgl.  Kap.  VI). 
So  kann  man  meines  Erachtens  wohl  begreifen,  dass  ?od  der 
reichen  Terminologie  der  Baumarten  im  Westen  und  Nordwesten 
nur  die  Namen  der  am  weitesten  in  die  Steppe  vordringendea 
Birke,  Weide  und  irgend  eines  Nadclgewächses  (mehr  Mast 
sich,  wie  wir  sahen,  durch  europäisch-arische  Gleichungen  tat- 
sächlich nicht  belegen)  bis  in  den  fernen  Süd-Osten  hinübergriffciL 
Wenn  wir  aber  die  Urheimat  der  Indogermanen  in  die 
Waldgebiete,  Waldsteppen  und  Steppen  des  südlichen  Rußslaods 
verlegen  —  was  an  dieser  Stelle  ein  blosser  Ansatz  sein  »oll, 
der  erst  im  Rahmen  späterer  Erwägungen  seine  Bestätigoog 
empfangen  wird  —,  so  steht  nichts  im  Wege,  die  Wohnsit« 
der  westlichsten  Glieder  des  idg.  Sprachstamms  so  zu  loka- 
lisieren, dass  sie  in  den  Bereich  der  Buche  hineinfallen,  die  in 
Russland  noch  in  Polen,  Wolhynien,  Podolien  und  Bessarabien 
auftritt.  Die  beiden  oben  genannten  Sprachreihen :  knrd.  M^ 
„Ulme**,  lat.  fägus,  ahd.  huohha^)  „Buche"  und  armen.  hß4 
„E8ehe*^,griech.  d^vrj^)^  alb,  ah  „Buche"  könnten  also,  wenn  einst- 

1)  Hieraus  entlehnt  altsl.  büky^  russ.  bukÜ  usw.,  da  die  Urntie 
der  Slaven  ausserhalb  der  Buchengrenze  lagen.  Dass  russ.  bozü  usw. 
^Hollunder'  mit  kurd.  büz^  lat  fägus  usw.,  wie  Hoops  p.  126  an- 
nimmt, urverwandt  sei,  ist  wenig  glaublich.  Eine  Vermutung  über  die 
Etymologie  des  Wortes  bei  A.  Brückner  Archiv  f.  slav.  Phil.  XXIII, 
626.  —  Eine  merkwürdige  Entlehnung  aus  dem  Deutschen  ist  ross. 
pichta  ..Edel-Tanne'^  {Äbies  pectinatä).  Da  diese  in  Rassland  fast  nur 
in  Polen  vorkommt  (Koppen  II,  546),  so  wäre  die  Entlehnung  «n 
sich  (wie  bei  bukü)  nicht  auffallend,  merkwürdig  aber  ist  der  An^ 
gangspunkt  dieser  Entlehnung:  ahd. /Sc/ifa,  nhd.  flehte,  das,  sovielich 
weiss,  nicht  für  tanne  gebraucht  wird. 

2)  Wahrscheinlich  ein  ursprünglich  nordgriechisches  Wort,  d» 
die  Buche  in  Griechenland  nur  im  Norden   vorkommt  (genaueres  im 


Btals  ilieE8cilH  und  jenseits  der  Buebeiigreiixc   geltend,    in  dieser 

Versehiedenheit    der    BedcatUDgen    schon    indogermanisch    Bein. 

«DZ  ähnlich  wie  die  Grenze  der  Buche  verlänft   auch    die  der 

Eibe  'Taxus  bnccato;  Koppen  II,  Karte  V),  zu  deren  Rechteo 

id   Linken    wir    die    achon    oben    angeführte  Sprachreihe  ela?. 

lea    „Weide",  lit.  jiirä  „Fanlbanni",  altpr.  invis  ■  „YAhe"' )  f&ndea. 

ßwei  wahrscheinlich  von  jeher  diesseits  der  Eihengren/.e  sititende 

Völker,  die  Griechen  nnd  Rfimer,    weisen    fflr    diesen   Banm  die 

Beboit    oben    genannte    Gieichung    nJfoc    „Bogen"    iTgl.  altn.  ^r 

^ibe"  nnd  „Bogen")  =  lat,  ta.ru3  auf.     Bemerkt  sei  noch,  dasg 

iuich  die  Ostgrenze  des  Ephcus  (Uederu  helix)  sehr  viel  gemein- 

imea    mit   der    der    Buche    und    Eibe    aufweist    (vgl.  Koppen 

|[,     Karte    III).     Allein    die    fmlier    allgemein    als    richtig    an- 

^nommene  Gleichung  griech.  zioodc  (*;(tlljocj  =  lat.  bedera.  die 

enn  richtig,  auf  gleicher  Stufe  mit  tö^ov  —  taxun  stehen  wllrde, 

Ürird  gegenwärtig  von  mehreren  Etymologen  hcKweil'ell  (vgl. /..  B. 

IWalde  Et.  Wb.  d.  lat.  .Spr.j. 

Wenn  wir  so  gesehen  haben,  daui  die  sprachli'-he  Ge«ehichte 
erer  Waldbäumc  in  ein  hohes  Aller  hinaufgehl,  so  liesse 
Weh  ein  gleiches  sagen  von  tausendi^rlei  Zllgen  der  Hitte  and 
lee  Glaubens,  die  hcIi  an  denselben  emporgerankt  haben.  Frei- 
lich wird  CS  auch  auf  diesem  Gebiete  noch  eingehenderer  For- 
sehongen  hedllrfen,  um  das  gemeinsam  Ererbte  von  dem  dnrch 
Entlehnung  oder  aach  durch  Zufall  Gemeinsamen  zu  sondern. 
Übereinstimmend  bei  den  europäischen  Nordstämmen  wie  bei 
Griechen  und  Rüniern  findet  sich  der  Glaube  an  das  Leben  des 
Baumes,  die  Banmscele.  Der  Baum  wächst,  trägt  Früchte, 
verwelkt,  stirbt  wie  der  Mensch.  So  liegt  es  einer  naiven  Phan- 
tasie nahe,  ihn  den  lebenden  Wesen  gleichzustellen.  Ana  BäumCD, 
f^o  glaubt  man,  ist  das  Menschengeschlecht  hervorgegangen.  Bei 
Homer  heissl  es  sprichwörtlich:  m-n  d-tri  dgvö^  Inat  of'd'  Anit 
AFiQtic-     Im  Norden    begegnet    der  Mythus    von    dem  Weltbanm 

ReallexikOB  p.  117)  und  dana  verschwindet.  Mit  diesem  Versch winden 
kann  die  Bedentnags Verschiebung  von  griech.  •pijj'ffc  =  lat.  fagua 
.Speise  ei  che"  —  .Buche*  zusammenhangen. 

1)  Hierher  anch  ahd.  Iwa,  Iha.  ag\».iic,  eoh,  jr.  rlo,  cymr.  j/tr  etc. 
l>ie  Keihe  wurde  in  die  obigen  Zosammen Stellungen  nicht  aufgenommen, 
weil  aie  sich  aa(  Nordenropi  beschrftnkl  nnd  et.v mo logisch  noch 
fiunkel  ist. 


-     180    — 

Yggdrasil.     Viele   Bänrne   bluten    wie  Menschen,    wenn  sie  der 
Schlag  der  Axt  trifft.     Wald  und  Hain  beleben  sich  mit  Wald- 
geistern   und  Wildfrauen,    wie    Dryaden    und   Nymphen.    Korz, 
hier  ist  die  Quelle  der  zahllosen  Wald-  und  Feldkulte  zn  snchen, 
wie    sie  W.  Mannhardt    in    seinen   beiden  Werken  Der  Baam- 
kultus  der  Gernmneu  und  ihrer  Nachbarstämme  Berlin  1875  and 
Antike  Wald-  und  Feldkulte  aus  nordenropäischer  Oberliefenmg 
erläutert  1877  (beide  Werke  neu  herausgegeben  von  W.  Heuschkel 
1904  u.  1905)  zu  entwirren  und  darzustellen    unternommen  hat. 
Namentlich    aber    hängt    mit    dieser  Grundanschaunng  von 
dem  Leben  des  Baumes  auch  die    uralte  Vorstellung   znsammeD, 
die  den  Wohnsitz  der  unsterblichen  Götter  in  den  Bäumen  sncht. 
Wälder  und  Haine  sind  die  ältesten  Tempel,    welche   die  Natur 
seU)8t  den  unsterblichen  errichtet  hat.     Ich  brauche  hierfür  nicht 
die  zahlreichen  geschichtlichen  Beispiele  anzuführen,  die  fttrdie 
Nordstämme  J.  Grimm  in  der  Deutschen  Mythologie  P,  57— 77, 
für  die  Griechen    und  Römer  C.  Boetticher   Über  den  Barnn- 
kultus  der  Hellenen  und  Römer  Beilin   18ö6    gesammelt  habeo. 
Aber  auch  in  sprachlicher  Beziehung  macht  bereits  J.  Grimm 
die  feinsinnigen   Bemerkungen:  „Tempel  ist  also  zugleich  Wald. 
Was  wir  uns  als  gebautes,  gemauertes  Haus    denken,    löst  sich 
auf,   je  früher  zurückgegangen  wird,    in    den  Begriff  einer  von 
Menschenhänden    unberührten,    durch    selbstgewachsene    Bäume 
gehegten    und   eingefriedigten    Stätte"  Myth.  P,  59,   und   „Die 
ältesten  Ausdrücke  unserer  wie  der  griechischen  Sprache  können 
sich  von  dem  Begriff  des  heiligen  Hains  noch    nicht  losreissen*^ 
Geschichte    d.  D.  Spr.  p.  116.     Hierfür    beruft    sieh  J.  Grimm 
auf  die   germanischen  Wörter   got.  alhs,   ahd.  wih,    ahd.  harttc 
{hmnigari  „Priester"),  agis.  beai'u^)  (ahd.  paraicari)^  deren  Be- 
deutung deutlich  zwischen  lucus  und  fanum  schwanken,  und  auf 


1)  Von  diesen  Wörtern  gehört  got.  alhs^  agls.  ealhy  alts.  üM 
^Tempel"  :  altlit.  elkas  „Hain",  lett.  elks  „Götze** ;  ahd.  trtÄ,  agls.  vsXk, 
altn.  v4  bedeutet  allgemein  „Heiligtum"  (got.  veihs  „heilig*) ;  ahd.  harvCy 
agls.  hearh  ist  noch  nicht  sicher  erklärt  (Vermutungen  in  meinem  Real- 
lexikon  p.  857  und  bei  Hoops  Waldbäume  p.  120).  Agls.  dearu  gehört 
zu  dem  gemeinslavischen  horü  „Fichte,  Fichtenwald".  Vgl.  auch  altn. 
barr  y,the  neecUes  or  spines  of  a  fir  tree^,  bar-skögr  „needUwood^ 
(Vigfusson).  Der  Bedeutungsübergang  von  agls.  bearu  „Wald*,  altn. 
börr  desgl.  zu  altsl.  borü  „Fichte"  ist  wie  der  von  der  tann :  die  tonn», 
der  oder  d(i8  buech :  die  buche,  das  esch,  das  asp^   die   alle  zonäcKst 


die  grieehJBcheD  li/ifvog  („heiliger  Bezirk" :  re/iwu)  DDd  SXao^ 
(=  alav.  /(i«M  „Wald"?).  „Abgezogner",  meint  J.  Grimiu,  sei 
nar  griech-  färfc  „Tempel",  Es  gehöre  zu  vaku  „ich  wohne" 
und  bedeute  „Wohnung  der  Götter".  Dieser  Erklärung  des 
kiilliirhigtorisch  so  wichtigen  Wortes  haben  sich  auch  die  neucreo 
Etymologen  angeschliisseu  nnd  die  dialektischen  Formen  hom. 
vfjtiC)  attisch  rea'ig,  äol,  vnt'Oi  auf  eine  Grundform  *nag-vo-s  (vgl. 
Svanaa,  h-daihjy)  „Wohnung"  ziirltckgefHhrt.  Allein  es  ist  mir 
sehr  zweifelhilft,  ob  diese  Deutung  sich  halten  lässt;  denn  ein- 
mal fehlt  es  vom  rein  lautgeechichtlichen  Slandpunkt  durcliaus 
an  Beispielen,  die  das  „Lantgesetz"  der  Verwandlung  eines  iiiter- 
vokalcu  nr  in  griech.  v  {ravog  ans  *na»-eo-8)  sonst  noch  be- 
stätigten. Besonders  aber  scheint  mir  ein  Drsinn  „Wohnung", 
von  dem  sieh  in  historischer  Zeit  keine  Spur  erhalten  hätte,  für 
den  Begriff  des  Tempels  im  Hinblick  auf  die  Verhältnisse  der 
^nriechischen  Urzeit  doch  allzu  abstrakt  oder  „abgezogen",  wie 
J.  Grimm  sieh  ausdrückte  ivgl.  dazu  mein  Reallexikon  p.  860). 
Ich  erlaube  mir  daher,  aufs  neue  eine  andere  Erklärung  de» 
griech.  >t;oc  vorzuschlagen,  die  zugleich  ein  Beispiel  dafQr  ist- 
■wie  anders  sich  die  Dinge  ausnehmen,  wenn  man  die  Eultur- 
■wörler  nur  Inutlieh,  und  wenn  man  sie  lautlich  und  sachlich 
(vgl.  P,  212  f.)  betrachtet. 

Zunächst  ist  darauf  hinzuweisen,  dass  griech.  v>)6^  ur- 
sprttugtich  nicht  sowohl  den  ganzen  Tempel  als  vielmehr  dei> 
innerateu  Ratim  des  kQdov  bezeichnete,  der  das  Bild  des  Gottes 
nthielt  (lö  üdvTOv,  6  atjxö?).  Was  wird  nun  n/d;  in  urgrie- 
Iiischer  Zeit,  wo  doch  natürlich  von  irgend  welchen  Knust- 
lanten  noch  keine  Rede  sein  konnte,  bedeutet  haben;' 

Die  richtige  Antwort  auf  diese  Frage  hat  bereits  Pljnius 
gegeben,  wenn  er  Hist.  nat.  XII,  1,  2  den  Gedanken  ausführt, 
idsss  Bäume  die  ältesten  Wohnsitze  der  Götter  gi^weseu  seien. 
Dies  wird  durch  unzählige  Züge  der  griechischen  Überlieferung 
istätigt.  Der  älteste  Tempel  der  ephesischen  Artemis  befand 
I  Stamm  einer  Ulme  (7ZQEfivi}i  ht  jmXsrjg)  oder  unter  dem 

LWald  ans  der  betreffendi^n  Holzart',  dann  „Wald  überhaupt"  bedeuten 

fflrgl.  Schmeller  ßair.  W.  I*    196);  auch  bIsv.  bonl  kommt  in  der  alt 

lyemeiuen  Bedeutung  von  Wald  vor  (Miklosich    Et.  W.).     Vgl.  auch 

Silva    Hnrcynia  :  lat.    quercus,    ahd.    forha,    S.  Baeenis :  nhA.   buohha^ 

1  Caesia  :  mbd.  heitter  Junge  Buche'  u.a. 


I 


—     182    — 

Stamm  einer  Eiche  {(prjyov  vtiö  Tigijuvq)),  Paasanias  8,  13,  2 
berichtet:  ngdg  dk  Tf\  nolei  ^oavov  ianv  HgTijbudog'  Tigvtcu  i&  h 
xeigq)  i^ieydl}}.  Götterbilder  werden  auf  Bäomen  oder  unter 
Bäumen  angebracht.  Es  gab  einen  Zevg  ivöevögog,  einen  Jtiwoo; 
Ivdevdgog,  eine  ^EUvt]  devögTrig  wie  eine  ^AQrtefug  xedgedrig  MW. 
(vgl.  Bötticher  a.a.O.  p.  9  ff.,  p.  142,  K.  F.  Hermann  Lchrb. 
d.  gottesdienstl.  Altertümer*  p.  91  ff.,  Baumeister  Denk- 
mäler I).  Aber  eine  noch  deutlichere  Sprache  redet  der  uralte 
Kultusuame  des  Dodonäischen  Juppiter,  des  Zevg  Nduog  {vaPu>g\ 
also  des  Zeus,  der  sonst  qyqyovaXog  „der  von  der  Eiche^  geiuuiDt 
wird,  der  i  n  der  Substanz  des  heiligen  Baumes  lebt  (arAof 
numen  habet),  dessen  Stimme  aus  dem  Rauschen  der  Eiche  er- 
schallt. Kann  dieser  Zeifg  Ndiog  etwas  anderes  als  Zevg  Mtf- 
ÖQog,  d.  h.  „der  im  Baume^  oder  „der  im  Baumstämme^  sein? 
Auf  denselben  Stamm  und  auf  dieselbe  QrundbedeatoDg 
wie  vaog  „der  Tempel^  führt  nun  nach  meiner  Meinung  diejenige 
Wortreihe  zurück,  die  schon  in  der  Ursprache  den  Nachen,  das 
Boot  bezeichnete:  scrt.  näü  neben  näva,  nävä%  lat.  nävis,  griech. 
vavg  (gen.  dor.  vöog,  ion.  vriog,  att.  veibg)  neben  *völFo,  *viy/o  in 
^Exevrjog  n.  pr,  „Habeschiff"  usw.  Wir  werden  später  von  dem 
Schiffsbau  der  Indogermanen  eingehender  zu  handeln  haben. 
Schon  jetzt  aber  kann  mit  Bestimmtheit  hervorgehoben  werden, 
dass  wir  uns  die  idg.  Boote  nicht  anders  als  ausgehöhlte  Baum- 
stämme, sog.  „Einbäume"  zu  denken  haben.  In  sprachlieber 
Beziehung  spiegelt  sich  dies  deutlich  genug  ab ;  man  denke  an 
scrt.  dä'ru  „Holz",  „Kahn",  altn.  asTcr,  mlat.  ascus  „Esche", 
„Schiff",  altn  eikja  „Eiche",  „Boot",  alts.  stammj  lat.  /Wer 
(vgl.  oben  p.  174),  caudex  und  caupultis,  mlat.  cocha,  frL 
choque,  it.  fustüy  mlat.  fustis,  it.  legno  :  ligvum  usw.,  alle  „Hol^ 
stamm"  und  „Schiff".  Ja,  norwegische  Dialekte  bieten  ein  dem 
griech.  raD<?  entsprechendes  nö,  nü  selbst  noch  in  dem  Sinne 
von  „ausgehöhlter  Baumstamm"  dar  (vgl.  Noreen  Abriss  d. 
urgerm.  Lautlehre  p.  28).  Es  scheint  mir  daher  fast  zweifelk», 
dass  raog  nicht  ursprünglich  =  „Wohnung"  ist,  sondern  da» 
wir  folgende  Bedeutungseutwickinng  anzunehmen  haben: 

I  griech. i'i;o^  „heiliger  Baumstamm'', 
idg. n^i?-,  W£Jro„Bauinstanmi"   |       „Tempel"  (Zevg  Ndiog). 

(norw.  nd,  nü)  \  griech.    (oder    idg,)     vavg    „Bn- 

banm",  „Schiff". 


-    188    - 

Die  Frage  nach  der  Wurzel  dieses  Stammes^)  kann  un- 
rtert  bleiben. 

Der  obersten  Gottheit  gehört  die  Eiche,  der  innerhalb 
europäisch-indogermanischen  Kultnrgebiets  eine  besondere 
entung  nicht  abgesprochen  werden  kann.  Ich  brauche  hier 
demm  nur  an  den  uralten  Kult  des  Dodonäischen  Zeus,  der 
•8t  q>r]yovaIog  heisst,  oder  an  den  in  einer  uralten  Eliche  auf 
I  Kapitol  verehrten  Jnppiter  Feretrius  (Liv.  1, 10)  zu  erinnern, 
i  den  Kelten  weiss  Maximus  Tyrius  (Boetticher  p.  529): 
xoi  aeßovöi  /ukv  Jia'  äyakfxa  de  Aiog  KeXxixöv  vyfrjXi]  dgvg. 
Greismar  in  Hessen  fällt  Bonifacius  die  hohe  Eiche,  welche 
fCO  Paganorum  rocabülo  appellatur  robur  Jovis.  Endlich 
igen  auch  Slaven,  Litauer  und  Prenssen  diesen  Baum  ihrem 
Donner  und  Blitz  sich  offenbarenden  altsl.  Perunü,  lit.  Per- 
4iSj  preuss.  Percunis,  Aber  auch  andere  heilige  Bäume 
den  öfters  genannt,  in  Italien  die  Buche  (vgl.  Festus  ed. 
bf Aller  8.  V.  Fagutal),  bei  den  Kelten  ein  Birnbaum  (J.  Grimm' 
tische  Mytb.  P,  67),  bei  den  Litauern  Birke,  Hasel,  Kirsch- 
DHy  Ahorn,  Eberesche,  Faulbaum,  Fichte  u.a. 

Doch  nicht  nur  der  grtlnende  Hain  und  der  lebendige 
iDn  sind  den  Indogermanen  Gegenstand  göttlicher  Verehrung 
''esen.  Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  auch  der 
lllte  und  entblätterte  Stamm,  hauptsächlich  wohl  in  Ver- 
lang mit  dem  Opfer  (vgl.  scrt.  svdru  „Opferpfosten"  =  agls. 
r  pSäule"),  religiösen  Zwecken  diente.  Es  genügt  in  dieser 
lehnng  auf  die  dem  indischen  yupa  („Opferpfosten")  dar- 
raehte  Verehrung,  auf  das  lat.  dSlubmm  „Heiligtum"  (Festus 
O.  Müller  p.  73:  Delubrum  dicebant  fustem  delibratum, 
est  decorticotum,  quem  veneräbantur  pro  deo),  auf  die  alt- 
bsische  Irmensäule,  auf  das  griechische  ^vXov  ovx  elgyao/iivov 
I.  Overbeck  Das  Kultusobjekt  bei  den  Griechen  in  seinen 
6ten  Gestaltungen,  Sitzungsb.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  1864) 
anderes  zu  verweisen  (näheres  vgl.  in  meinem  Reallexikon 
r.  Tempel,  Meringer  L  F.  XVIII,  277  und  Kap.  XV:  Die 
igion). 


1)  Zu  meiner  Genugtuung  sehe  ich,  dass  Meringer  I.  F.  XVIII, 
jetzt  ebenfalls  für  den  Zusammenhang  von  griech.  vav(:  und  veatg 
ritt.     Vgl.  auch  Beloch  Griech.  Geschichte  I,  113. 


-    184     - 

Ohne  Zweifel  ist  also  ein  tiefeingewurzelter  BanmkaltQs 
als  indogermanisch  anzusetzen,  woraus  natürlich  folgt,  dass  die 
Indogermanen  in  einem  Lande  mit  Bäumen,  und  nicht  in  der 
Wüste  lebten.  Keineswegs  aber  folgt  daraus,  dass  dieses  Land 
deswegen  in  den  undurchdringlichen  Urwäldern  gesucht  werden 
müRSte,  die  nach  der  Schilderung  der  Römer  Mittel-  und  Nord- 
europa in  weiter  Ausdehnung  bedeckten.  Umgekehrt  möchte  ich 
vielmehr  glauben,  dass  die  Verehrung  der  Bäume  nicht  in  dem 
kulturfeindlichen  Urwald,  der  seinen  Bewohnern  nur  Schrecken 
und  Leiden  darbot  (vgl.  darüber  Ratzel  a.  a.  0.  p.  55  und 
Hoops  Waldbäume  p.  91  ff.),  sondern  da  entstanden  sei,  wo 
freie  Flächen  mit  Wald  wechselten,  und  der  Hain  oder  auch  nnr 
der  einzelne  Baum  unmittelbaren  und  sichtlichen  Segen  dem 
Sterblichen  spendete. 


Die  Kulturpflanzen. 


iolopitiche^  liiiffuistisclie,  historische  Tutsaclii}!!.  —  Ältester  BcBltind 
EnltUTpflsnaen :    Gerste,   Weizen,  Hirse,   FlaciiB,  Bohne,  Mohn.  — 
Die  Urheimatfragpe.  —  Cucurbitnceen. 

Zu  den  wichtigfitcu  Ergebniesen  der  Fräbistorie  gebürt  die 
eontnis,  dass  in  Europa  und  im  Nordwesten  Kleinasicus  (Troas) 
i  in  der  jüngeren  Steinzeit  Ackerbau  getrieben  worden  ist. 
I  Markstein  bildet  auch  in  dieser  ^CKieliung  die  Entdeckung 
Schweizer  Pfablhauren,  da  der  Grund  der  Seen,  in  denen 
elben  errichtet  worden  waren,  die  denkbar  besten  Bedin- 
I  auch  für  die  tlrbaltung  der  einstmals  von  den  Bewohnern 
BT  Stationen  augebaiitea  Vegetabilien  bot.  Diese  Funde  Etind 
8t  von  0.  Heer  Die  Pflanzen  der  Pfaiilbaitteii  (1865)  be- 
febeo  worden.  Bald  aber  zeigte  sieb,  daBS  auch  ausserhalb 
Bereichs  der  Schweizer  Pfahibauten  und  der  Pfahlbauten 
lliaopt  die  Überreste  prähistorischer  Kulturpflanzen  an  den 
'  traten,  die  von  G.  Biisehan  in  seinem  Buch  Vorgescbieht- 
Botanik  i  Breslau  189Ö)  mit  denen  der  Pfahlbauten  zu- 
neogestellt  worden  sind,  eine  Arbeit,  die  dann  von  J.  Houps 
sinem  vortrefflichen  Werke  Waldb&ume  und  Kulturpflanzen 
iburg  1905)  vervollständigt  und  weitergeführt  worden  ist. 
Wenn  wir  somit  immerhin  über  ein  ziemlich  beträchtliches 
jrial  für  die  Geschichte  der  Kulturpflanzen  in  prähistorischer 
verfflgen,  so  könnte  es  doch  verhängnisvoll  werden,  wenn 
sich  Über  die  Mängel,  die  demselben  noch  anhaften,  hin- 
laschen  wollte.  Nicht  überall  liegen  die  Erhaltungabedin- 
jieii  so  günstig  wie  bei  den  Pfahlbauten,  und  aus  den  nord- 
iftiechen  Ländern  wissen  wir  (iber  dort  in  voigescbicht- 
1  Perioden  gebaute  Kulturpflanzen  fast  ansschliesslicb  etwas 
re  80  zufalliger  Dnistände,  dasd  einzelne  Körner  in  den 
noch  nicht  erhärteter  Gelasse  oder  in  den  Wandbewurf  der 

dar.  Ki>raeliv«ritklaliunir  unil  L'rgc »chic hie  II.    .1.  Anfl.  13 


—    186    — 

dnrch  Flechtwerk  hergestellten  Wohnangen  geraten  und  dadurch 
erhalten  worden  sind.  Auch  ist  zu  bedenken^  dass  gewiaee 
Kulturpflanzen  wie  z.  B.  die  Zwiebelgewächse,  die  durch  Knollen, 
nicht  durch  Samen  fortgepflanzt  werden,  keine  Möglichkeit  ge- 
währen, sie  in  prähistorischen  Schichten  nachzuweisen  (Hoops), 
und  dass  man  überhaupt,  wenigstens  was  Nordeuropa  betrifft, 
diesen  Untersuchungen  erst  seit  ganz  kurzer  Zeit^)  eine  grössere 
Aufmerksamkeit  zugewendet  hat.  Damit  hängt  es  auch  zusammen, 
dass  sich  das  ganze  von  Heer,  Buschan  und  Hoops  ge* 
sammelte  Material  auf  die  westlichere  Hälfte  unseres  Erdteils 
beschränkt  und  wir,  wie  es  übrigens  ähnlich  auch  bei  den 
Haustieren  der  Fall  ist,  vor  einem  grossen  X  stehen,  sobald 
wir  uns  ostwärts  wenden  und  etwa  die  russische  Grenze  flber- 
schreiten. 

Mit  diesen  Vorbehalten  lässt  sich  in  äusserster  Kürze  z.  Z. 
folgendes  Bild  von  dem  Bestand  europäischer  Kulturpflanzen  in 
neolithischer  Zeit  entwerfen.  Am  weitesten  verbreitet  und  am 
sichersten  nachgewiesen  sind  von  den  Getreidearten:  Gerste, 
Weizen  und  Hirse.  Sie  treten  uns  zusammen  oder  einzeln  in 
ganz  Mittel-  und  Nordeuropa  entgegen.  So  ist  z.  B.  in  der 
neolithischen  Station  von  Butmir  in  Serbien  Weizen  (nebst  Ein- 
korn) und  Gerste,  in  den  ungarischen  Niederlassungen  von  Agg- 
telek,  Felsö-Dobsza  und  Lengyel  der  gemeine  Weizen  (nebet 
Kugelweizen  und  Einkorn),  Gerste  und  Hirse  (Panicum  miHaceum) 
gefunden  worden.  In  der  Schweiz  setzt  sich  ein  vollständiges 
Bild  der  schon  zur  Steinzeit  daselbst  angebauten  GetreideaKen 
aus  zwei  Sorten  Gerste,  drei  Weizen-  und  zwei  Hirsearten  (nebst 
Einkorn,  Binkelweizen  und  zweizeiliger  Gerste)  zusammen.  Aber 
auch  bezüglich  Nordeuropas  „lässt  sich  nach  Untersuchung  vieler 
Tausende  von  neolithischen  Topfscherben  schon  jetzt  mit  Sicher 
heit  behaupten,  dass  zur  jüngeren  Steinzeit  an  vielen  Stellen 
Dänemarks  bereits  mehrere  Sorten  Weizen,  sechszeilige  Gerste 
und  Hirse  gebaut  worden  sind^  (Hoops  p.  308).  Ja,  hinsichtlich 
der  Getreidearten  sind  wir  in  der  glücklichen  Lage,  die  oben 
hervorgehobene  geographische  Beschränkung  der  früheren  Nach- 


1)  Im  Jahre  1894  übersandte  zuerst  Frede  Rristensen,  ein  jüti- 
scher DorfschuUehrer,  dem  dänischen  Nationalmuseum  ein  verkohltes 
Weizenkorn,  das  er  aus  der  Oberfläche  eines  prähistorischen  Ton- 
gefässes  losgelöst  hatte  (S.  Müller  Nordische  Altertumskunde  I,  805). 


—    187    — 

Weisungen  durch  einen  Blick  auf  den  russischen  Südosten  Europas 
erweitem  zu  können.  Auch  in  der  schon  im  II.  und  III.  Kap. 
genannten,  von  Herrn  Ghwoiko  in  Kiew  am  mittleren  Dniepr 
blossgelegten  neolithischen  Ansiedlnng  ist  Ackerbau  getrieben 
worden.  ^Als  Beweise  hierfür  mögen  dienen",  so  äussert  sich 
Berr  Chwoiko  in  einem  Brief  an  Prof.  Anutschin  in  Moskau, 
der  sich  an  ihn  in  meinem  Interesse  gewendet  hatte,  „1.  die 
Reste  des  Strohs  und  des  Kornes  (Weizen  und  Gerste)  in  den 
Erdgruben  (Resten  der  Wohnungen),  wo  auch  die  Steine  sich 
finden,  welche  als  primitive  Mühlen  oder  Zermalmungsapparate 
zu  deuten  sein  möchten;  2.  dieselben  Reste,  ^ber  in  grösserer 
Quantität  in  sogenannten  ^Plätzchen"  —  runden,  ebenen  Plätz- 
ehen, welche  wahrscheinlich  zu  religiösen  Zwecken  dienten,  aber 
auch  zur  Aufbewahrung  der  Reste  der  Abgeschiedenen.  Hier 
wurde  auch  Hirse  gefunden  und  die  ganzen  Schichten  der 
gerösteten  Weizenkörner,  auch  die  langen  Kieselstücke,  welche 
als  Sicheln  genommen  werden  können."  Alle  diese  Angaben 
haben  durch  die  inzwischen  mir  zugänglich  gewordene  Veröffent- 
lichung des  Herrn  Chwoiko  selbst  (vgl.  oben  p.  153)  ihre  Bestä- 
tigung gefunden.  —  Dagegen  konnte  in  neolithischer  Zeit  von 
Oetreidearten  bis  jetzt  nicht  der  Hafer  und  der  Roggen  nach- 
gewiesen werden.  Der  erstere  tritt  sowohl  in  der  Schweiz  wie 
auch  in  Dänemark  erst  im  Bronzealter  auf,  der  letztere  scheint 
zuerst  in  Schlesien  in  der  Übergangszeit  von  der  Bronze  zum 
Eisen  vorzukommen  (Hoops  p.  410  und  444).  Gar  keine  prä- 
historischen Funde  liegen  bis  jetzt  vom  Spelz  oder  Dinkel 
vor,  mit  Ausnahme  einer  einzigen  Ähre,  die  in  den  bronzezeit- 
liehen Pfahlbauten  der  Petersiusel  im  Bielersee  entdeckt  worden 
ist  (Hoops  p.  414).  Im  Zusammenbang  mit  den  Getreidearten 
sei  noch  auf  den  Mohn  hingewiesen,  dessen  Anbau  schon  in 
der  Steinzeit  der  Schweizer  Pfahlbauten  eine  nicht  unwichtige 
Rolle  gespielt  haben  muss,  der  aber  ausserhalb  der  Schweiz  in 
Mittel-  und  Nordeuropa  bis  jetzt  nicht  prähistorisch  zu  belegen  ist. 
Wenden  wir  uns  zu  zwei  anderen  Gruppen  von  Kultur- 
gewächsen, den  Gespinstpflanzen  und  Hülsenfrüchten,  so 
ist  von  den  ersteren  der  Flachs  {Linum  angustifolium)  in  der 
Steinzeit    in    Oberitalien,    der    Schweiz*)    und    in    Schussenried 

1) Nach  neueren, auch  Hoc  ps noch  unbekannten  Untersuchungen, 
über  die  im  Korrespondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  f.  Anthrop. 


—    188    - 

(Württemberg)  zu  belegen,  während  der  Hanf  in  älteren  pri 
historischen  Stationen  nicht  vorkommt.  Von  HülsenfrflchteD 
sind  bis  jetzt  Linsen  in  Serbien  (Butmir),  Pferdebohnen,  Platt- 
erbsen, Erbsen  und  Linsen  in  Ungarn,  Bohnen  und  Linsen  in 
Oberitalien,  Erbsen  und  Linsen  in  der  Schweiz,  die  letzteren 
auch  bei  Schussenried  gefunden    worden. 

Von  Zwiebelgewächsen  haben  wir  nach  den  obigen 
Bemerkungen  keine  Überreste  zu  erwarten,  von  Wurzel- 
gewächsen ist  aus  der  Steinzeit  allein  der  Pastinak  und  die 
Möhre  in  der  Schweiz  gefunden  worden.  Was  endlich  den  Obst- 
bau anbetrifft,  so  sind  vielleicht  die  ersten  Anfänge  der  Kul- 
tivierung bei  einer  Apfelsorte  in  der  Schweiz  (Robenhansen) 
und  in  Oberitalien  (Lagozza)  nachgewiesen  worden.  Erwähnt 
sei  noch,  dass  in  neolithischer  Zeit  auch  die  Eicheln,  die  in 
den  Schweizer  Pfahlbauten  in  grosser  Menge  in  Tongefftssen 
aufbewahrt  wurden,  und  die  Früchte  der  Wassernuss  (Trapa 
natans  L,)  dem  Menschen  zur  Nahrung  gedient  haben   dflrften. 

Wir  gehen  nunmehr  zu  den  linguistischen  Zeog- 
uissen  fttr  das  Alter  der  im  bisherigen  genannten  KnlturpflanzeD 
i)ei  den  idg.  Völkern  über.  Auch  hier  treten  uns  grosse 
Schwierigkeiten,  und  zwar  grössere  als  bei  der  Geschichte  der 
Haustiere  entgegen.  Während  es  bei  den  in  Kap.  III  uns  be- 
schäftigenden Wortreihen  fast  niemals  zweifelhaft  war,  ob  wir 
es  mit  Erb-  oder  Lehnwörtern  zu  tun  haben  (vgl.  I*,  191  ff. )^ 
wird  diese  Frage,  wie  sich  im  folgenden  zeigen  wird,  bei  den  Knltnr 
pflanzen  wiederholt  nicht  mit  völliger  Bestimmtheit  zu  beant- 
worten sein.  Dazu  kommt,  dass  gerade  in  den  verbreitetsten 
Reihen  die  Bedeutungen  oft  so  auseinandergehen,  dass  es  teils 
nur  mit  einer  gewissen  Wahrscheinlichkeit,  teils  gar  nicht  mög- 
lich ist,  den  ursprünglichen  Wortsinn  zu  ermitteln.  Ersteres  gilt 
z.  B.  für  die  beiden  Reihen :  scrt.  ydva  „Getreide,  Gerste**,  aw. 
yaca  „Getreide"  (npers.  jav  „Gerste**,  osset.  ycu,  yau  „Hirse*), 
griech.  C^d  „Spelt",  lit.  jatoät  „Getreide",  ir.  eorna  „Grerste** 
und  lat.  far  „Spelt",  got.  harizeins  „Gersten-",  altn.  harr. 
agls.  here  „Gerate",    altsl.  hüm  etc.    „eine   Hirsenart",    für  die 


i'W.  1905  p.  93  berichtet  wird,  sei  der  Schweizer  Flachs  nicht  Liiw« 
anguütifolium^  sondern  TAnutii  austriacum  L.  und  wiese  somit  wvht, 
wie  man  bisher  ge.oflaubt  hat,  auf  Herkunft  aus  dem  Süden  hin. 


J 


189 


fcop»  p.  3Ö8  ff.  die  Grundbedeutuag  „Gerste"  glaubt  feBtstoUeii 
LköDDvn,  letzteres  für  Wortsippen  wie  scrt.  cfdViMl  „eine  Hirsen- 
,  mnd.  terice,  ndl.  tarwe  „Weizen",  lit.  dij^cä  „Acker",  oder 
ili. ÄÄHga  „Spelt  (?),  scrt.  wrdticd  „.Saatfeld"  u.a.  Eine  dritte 
EigeiitOiuliclikeil  der  idg.  Gleiehtingen  auf  dem  Gebiete  der 
ÜDlturpflanzen,  nümlich  der  Umstand,    dms   sie    /.um    gröeserou 

Eo    auf   die  europäischen    Sprachen    hesebrftokt  sind,    soll 
erst  im  folgenden  Kapitel  bescliäftigen. 
Nach  diesen  Vorbemerkungen  lassen  sich  folgende   sprack- 
:n  TatBacben  den  oben  aufgeführten  arcbäologischen   gegen- 
über oder  zur  Seite  stelleu: 

Getreidearten:  Für  drei  derselben  sind  unzweifelhafte 
idg.  Gleichungen  vorbanden,  nämlich:  l.]&t.  hordeum,  &hd.  gersta 
(wahrscLeinlich  auch  g:riecb.  xqi,  xqi&i'i  und  armen,  gart)  für 
Gerste,  2.  griech.  m'^öi,  lit.  purai,  altsl.,  altruss.  pyro')  (scrt. 
püra  „Kuchen"?;  ftlr  Weizen^  vgl.  auch  arisch  scrt.  gödhü'ma, 
npers.  gendunt  iyavdö/iijv  Hesych)  „Weizen",  3.  grieeb.  /t^Xlrtj, 
lat.  milii(m,  lit.  mo/nri«  für  Hirse.  Eine  urverwandte  Gleichung 
scheint  auch  für  den  Hafer  in  lat.  avSnii,  altsl.  ovisä,  lit. 
awiM,  altpr.  ri/se  vorzuliegen,  während  der  den  litu-slaviscben 
nnd  germanischen  Sprachen  gemeinsame  Name  des  Roggens: 
altsl.  rüil,  lit.  rug^s,  agls.  ryge,  altn.  rugr,  ahd.  rokko  eine 
Entlehnung  aus  dem  von  Galen  beneugteu  tbrak.  ßgi^a,  d.i. 
*vru<jja  darstellt*).  Der  Spelz  oder  Dinkel  (Tridcum  apelta  L.i 
wird  so,  dass  Zweifel  ausgeschlossen  sind,  erst  im  IV.  nacli- 
ebristltcben  Jahrhundert  unter  dem  spätlat.  spelta  genannt,   Ada 


1)  Dieses  Wort  übersetzt  allerdings  lat.  far  und  griech.  /a.vna\ 
^aher  der  Spelt  sicher  eine  verhSItniomässig  spAte  Getreideart  iM, 
5o  durfte  »ach  für  altsl.,  allruss.  pyro  von  der  im  Griechischen  und 
dotii  dem  Sluvischen  nächstverwnndten  T.itauischeTi  erhnitenen  Bedeu- 
tung- «Weizen'  auszugehen  sein.  Vgl.  über  andprc  Glieder  dinser 
Sippe  mein  Reallexikon  p.  948  und  Uoops  p.  344. 

3)  Vgl.  auch  Uoops  p.  448.  Nach  ihm  würde  die  eigentliche 
Qn^ll«  dieser  Wortsippe  in  ostflnnischen  und  türkischen  Sprachen.  z.B. 
ot>i ja h.  ar(U,  wog,  orni.  tschuwasch.  irax  vorliegen,  die  allerdings  troiK 
ihrwH  aalautenilen  Vokals  recht  nibsisch  (rozl.  Gen.  rüi  aussehen.  In 
'üesrm  Zusammenhang  sei  auf  einen  kaukasischen  Namen  des  Roggens: 
«gnliitcti  tekil,  rutulisch  sukul  etc.  (Erckert  p.  118t  hingewiesen,  der 
■utfallend  au  die  noch  unerkWrte,  zuerst  von  Pliniua  gebrauchte  Be- 
zeichnung dieser  Oetreideart  »ecale  (it,  sigola,  frz.  neigU  etc.)  e 


—    190    - 

eine  Entlehnttng  atts  ahd.  sp^Ua,  ipälea  ist  Eine  sieber  v- 
verwandte  Reihe  liegt  dagegen  wieder  fttr  den  im  ZuMUttBefi- 
hang  mit  den  Getreidearten  oben  genannten  Mohn  vor:  grieek. 
fn/jxwv,  fiAxfovy  ahd.  magOy  mhd.  magt  nnd  mdh^n^  altfNr.mott, 
altsl.  makiL 

Gespinstpflanzen.  Urverwandt  oder  doch  mit  einem 
starken  auf  Urverwandtschaft  beruhenden  Kern  ausgestattet,  ist 
nach  allen  neueren  Forschem  die  Reihe:  griech.  Xl»ovy  Ittl^  Xaoj 
lat.  Zlnum,  linteum,  ir.  lin  etc.  (cymr.  Uiain,  com.  bret  lun 
^Leinen^),  ahd.  lin  {Una  „Leine^),  lit.  Unai^  altsl.  ttnü  für  den 
Flachs.  Ebenso  allgemein  wird  dagegen  die  Reihe:  grieeh. 
xdwaßig,  lat.  canndbisy  alb.  Jcanep,  altsl.  Jconoplja^  lit.  kanapii, 
ahd.  hanaf  etc.  für  den  Hanf  als  auf  Entlehnung  bernhaid 
aufgefasst.  Die  Sippe  wurzelt  in  letzter  Instanz  in  den  filmi- 
schen Sprachen,  wo  öeremissisch  kyAe  den  Hanf,  syrjänisch  und 
wotjak.  p\8,  puS  die  Nessel  bezeichnet,  so  dass  sich  xivraßig 
als  ein  Kompositum  mit  der  Bedeutung  „Hanfnessel*'  herauseteOt 
(vgl.  u.  p.  192  Anm.  1). 

Hülsenfrüchte,  unter  ihnen  liegt  eine  sichere  Glei- 
chung für  die  Bohne  vor:  lat.  fabay  altpr.  bäbOf  altsl.  ftoM; 
vgl.  daneben  arisch:  scrt.  md'sha,  npers.  mäi.  Die  Reibee 
armen,  sisern,  lat.  cicer,  griech.  x^eoc,  altpr.  keckers  und  griech. 
^)goßog,  igißiv&og,  lat.  ervum,  ahd.  araweiz,  altn.  ertty  beide  für 
Erbsenarten  sowie  lat.  lern  (vgl.  griech.  Xd&voog)y  ahd.  Undy 
lit.  leüzisy  altsl.  l^sta  für  Linse  sind  noch  nicht  durchsichtig 
genug,  um  ein  sicheres  Urteil  über  das  Verhältnis  ihrer  ein- 
zelnen Glieder  zueinander  zu  gestatten. 

Von  Zwiebelgewächsen  ist  auf  die  Reihe  griech.  xßo- 
fiivov  „ZwiebeP,  agls.  hrqmsariy  nhd.  ramsy  lit.  kermüsze,  m». 
ceremMj  ir.  creamhy  auf  den  letzteren  drei  Sprachgebieten  „eine 
wilde  Knoblauchart",  unter  den  Wurzelfrüchten  auf  griech. 
gaiivg,  §d(pvgy  lat.  räpa,  räpum,  ahd.  räba,  ruobay  lit.  röpey  altsl. 
repUy  alb.  repe  zu  verweisen,  wobei  fttr  die  erstere  sicher,  für  die 
letztgenannten  Wörter  höchstwahrscheinlich  Urverwandtschaft  an- 
genommen werden  muss.  Was  die  Obstarten  anbetrifft,  80 
würde  für  den  Apfel  eine  urverwandte  Gleichung  vorauszusetzen 
sein,  falls  das  Verhältnis  der  nordeuropäischen  ir.  ahhaly  ahd. 
apfuly  lit.  öhüldSy  altpr.  toobley  altsl.  ablüko  zu  dem  Namen  d^ 
italischen  „äpfelreichen"  Stadt  Abella  so  (vgl.  oben  p.  175)  auf- 


—    191     - 


KD  ist,  dasB  die  letztere  ihre  Bezeicbaan^  von  der  Frucht 
inicht  Dtngekelirt)  erhalten  hat,  wie  es  jetzt  auch  Hoops  p.  477  ff- 
annimmt.  Ein  besonderer  Name  ftlr  die  WaesernUBS  (lat.  tri- 
bulu»:  tero  „reibe";  ygl.  trUicum  „Weizen")  l&Bst  sich  nicht  nach- 
weisen, die  Eichel  hiess  griecb.  /^öAavo?  =  lat.  glans,  lit.  güe, 
altsl.  ielf^di  (oben  p.  173). 

Wenden  wir  ans  nanmehr  drittens  zn  den  historischen 
ZengoisBcn  Über  das  Alter  der  im  bisherigen  besprocheneo 
Kulturpflanzen,  zuerst  bei  den  europäischen,  dann  bei  den  ari- 
schen Indogermanen,  so  bedarf  es  keiner  besonderen  Belege 
dafBr,  dass  Gerste,  Wet/.en  und  Hirse  bei  Griechen  und 
Römern  seit  der  ältesten  Zeit  wohlbekannt  waren.  Dasselbe 
gilt  aber  auch  von  den  europäischen  NordvUlkern.  Hatte  doch 
«choD  I'ytbeas  (vgl,  Strabo  c.  201)  auf  seiner  Reise  ins  Nord- 
ineer,  also  circa  300  Jahre  vor  Christo,  auf  Thule  einen  primi- 
tive Feldbau  mit  Hirse  und  Weizen  vorgefunden:  tö  t<öv  na^ 
n&y  clyat  iiör  ^/tigaiv  xa't  ii^iwv  Tiüv  fiev  iipogiay  navrtX^  röiv 
6e  aitäviy,  xiy^gw  61  xal  äyQioii  Xaj^dvotg  xal  xagaoi?  xai  ^H^aiq 
jQtfpro&m ■  nap'  oTg  dk  oiro;  xal  fiih  yiyveiot,  xai  lö  ;io/itt 
h^ev9ev  ix^iv,  niid  aus  dem  äusserstcn  Osten  Euiopas  berichtet 
Herodot  IV,  71  von  den  skythischen  Akzoncn:  oTtov  Ae  xal 
a:tEiQOvai  xai  nnioviai  xal  xQÖ/ifwa  xai  axÖQOÖa  xal  fpaxoin;  xal 
xiyj^Qovi.  Gerste  uud  Weizen  werden  vou  Tacitus  Germ. 
Kap.  23  als  bei  den  Germanen  zur  Bierbereitung  gebräuchlich 
hervorgehoben. 

Anders  steht  es  mit  Hafer  und  Roggen.  Während  der 
erstere  bei  den  keltischen  nnd  germanischen  Völkern  seit  der 
ältesten  Zeil  als  volkstümliches  Nahrungsmittel  gebraucht  wird 
(Vgl.  Pliuins  liht-  nat..  XVIU,  149:  quippe  cum  Germamae 
popuii  «erant  «am  neque  alia  pulte  vivant),  ist  er  im  Süden  im 
wesentlichen  immer  als  Unkraut  angesehen  und  höchstens  ver- 
einzelt zu  Kutter-  und  vielleicht  zu  mediztiiit^cbcn  Zwecken  an- 
gebaut worden  (vgl.  Reallexikon  p.  3^0  f.,  Hoops  p.  407  ff.). 
Aach  der  Roggen  war  Griechen  und  Römern  nur  von  der  Feme 
bekannt.  Er  wird  ans  den  der  Ualkau-  und  .A.penninhal hinsei 
vorgelagerten  Ländern,  aus  Thrakien,  Makedonien  iGalenos  VI, 
Ö14)  nnd  gewissen  Alpengegenden  (l'linius  IJist.  nat.  XVIIl,  141) 
peldet.  Hinsichtlich  des  Spelzes  ( Triticum  speltaj  sahen 
>  BcliOD  oben,  dasg  er  unzweifelliaft  erst  unter  dem  spät- 


-     192    — 

lateinischen  Ausdruck  spelta  auftritt;  doch  sucht  Hoops  p.41lf!. 
in  ausführlicher  Erörterung  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  aoch 
Wörter  wie  griech.  fcoi  und  lat.  /hr,  die  ursprünglich  die  „Gerste* 
(s.  0.);  dann  den  gleich  der  Gerste  begrannten  Spelzweizen  (Ein- 
korn und  Emmer)  bezeichnet  hätten,  schliesslich,  und  zwar  noch 
vor  Aufkommen  des  lat.-germ.  spelta^  auch  für  den  unbegrannten 
Spelz,  d.  h.  für  den  Dinkel  gebraucht  worden  wären.  Jeden- 
falls sieht  aber  auch  er  in  dem  letzteren  eine  verhältnisrntaig 
spät  aufgekommene  Kulturpflanze.  Gut  bezeugt  ist  dagegen 
wiederum  das  hohe  Alter  der  Mohnkultur.  Schon  Homer  b^ 
zeichnet  ihn  als  hl  xi^ncp  „im  Garten^  und  xaQ7i€ß  ßgtdofUni 
„von  Samen  strotzend^,  und  für  die  frühe  Bekanntschaft  der 
Germanen  mit  ihm  darf  man  auf  das  Eindringen  des  deutschen 
mähen  ins  Vulgärlatein  (mahonus  etc.)  hinweisen.  Auch  bei  den 
Slaven,  die  sämtlich  an  der  Bezeichnung  makü  teilnehmen,  im 
besondern  schon  im  ältesten  Russland,  bildet  Mohn  mit  Bonig 
{mäkü  und  mSdü)  eines  der  volkstümlichsten  Gennssmittel. 

Unter  den  Gespinstpflanzen  ist  der  Anbau  des  Flachses 
bei  den  europäischen  Indogermanen  uralt.  Für  Griechen  und 
Römer  bedarf  dies  wiederum  keiner  Zeugnisse.  Für  Gallien  und 
Germanien  genügt  es,  auf  die  Berichte  des  Plinius  (HiH.  not. 
XIX,  8 :  tmmo  vero  Galliae  universae  vela  texuntj  tarn  quidem 
et  transrhenani  hostes,  nee  pulchriorem  aliam  vestem  eorum 
feminae  novere  ....  in  Germania  autem  defoaaae  atque  9ub 
terra  id  opus  agunt)  und  des  Tacitus  (Oerm.  Kap.  17:  Und 
amictus)  zu  verweisen.  Hingegen  wird  der  Hanf  erst  von 
Herodot  IV,  74,  75  als  eine  Pflanze  des  fernen  Skythiens  und 
Thrakiens  genannt,  in  deren  Dampf  man  sich  badet  and  be- 
rauscht, die  man  aber  auch  (wenigstens  in  Thrakien)  zum  Weben 
verwendet.  Über  sein  allmähliches  Bekanntwerden  im  Norden 
haben  wir  keine  älteren  historischen  Nachrichten  *).  —  unter  den 


1)  Vgl.  Sprachvgl.  u.  Urg.  P,  140.  Hierzu  bemerkt  Streitberg 
Lit.  Zentralbl.  1906  p.  823,  dass  es  f,eini^ermas8en  schmerzlich*  sei 
dass  von  mir  die  xawa^i^-Stelle  Herodots  noch  immer  zur  Datierung 
der  Lautverschiebung  benutzt  werde,  obwohl  Hirt  Beitr.  XXIII,  319 
den  Irrtum  in  Muchs  Argumentation  dargetan  habe.  Indessen  ver- 
stehe ich  diese  Schmerzen  Streitbergs  nicht:  denn  dass  der  Hanf 
im  Norden  Europas  sehr  spät  erschienen  ist  und  also  das  lautverschobene 
germ.  hanaf  zu   einer  späten  Datierung  der  germanischen  Lautver- 


fllsenfrUcliteii  dürfte  der  Preis  des  Alterliiiiis  der  Holme 
lafta  vtdgaris)  zuzagestchen  sein,  und  zwar  wegen  der  wieb- 
[en  Rolle,  die  sie  im  Totenkult  (vgl,  Kap.  XV)  als  Speise 
ITnterirdischeD  spielt  (vgl.  L.  v.  Schröder  Das  Bohnen- 
Vbot  bei  Pythagoras  und  im  Veda,  Wiener  Z.  f.  d.  Knnde  des 
orgenlandc»  XV,  18"  (f.).  Ausserdem  wird  sie  von  Homer 
t6auos  neben  hjiflti-Ooc  „Erbse"),  dnreh  die  aUitalischen  Bauern- 
men  Fabmit,  Fahidius,  Fiifetiu»  ("aber  auch  Pho  :  ptsum  „Erbse" 
d  Lenta/ue :  lens  „Linse"),  dnrch  PtiuiuB  Hist.  nat.  XVllI, 
1)1  als  Hauptrruobt  deB  cisalpincD  Galliens  ffaba,  sine  qua  nihil 
mßciuni)  nnd  durcb  die  Namen  der  Nordsfeinseln  Fabaria 
ninius  IV,  97)  und  Baunoma  (IV,  94;  vgl.  altn.  baun  „Bohne") 
izeogt,  falls  unter  der  Frucht,  die  diesen  InSL'lu  den  Namen 
Bgeben  hat,  nieht  eine  wilde  Pflanze  (I'isum  maritimum)  /.v 
torstehen  ist  iHoops  i).465).  —  Der  Gebrauch  von  Zwiebel- 
Swächseu  ist  im  Süden  wie  im  Norden,  bei  Homer  [ttoö- 
yy),  wie  bei  Thrakern  (Athen.  IV,  p.  131)  nnd  Skythen  is,  o.) 
;  bezengt,  während  es  hinsichtlieh  des  Rübenbaus  hier  wie 
1  an  allen  Nachrichten  fehlt.     Über  den  Gennes  der  Eicheln 

biebung  benutzt  werden  kann,  folgt  nai:h  wi«  vor  erstens  darau», 
I  der  Hanf  iircliäologiscli  in  Europa  nichl  nachsu weisen  ist,  und 
reitens  daraus,  das»  ihn  Herodol  als  Kulturpflanze  noch  nicht  kennl. 
I  den  Worten  dieses  Suiiriftstellers  ergibt  sich  jedenfalls,  das»  die 
ripchen  den  Hftnf  noch  nicht  aus  dem  Nnrdeu  Europas  in  die  Balkau- 
llbiDSi')  iriit^ebrachi  haben  (vgl.  auch  Hoops  p.  473),  und  ebenso 
!  gewisse  Wahrscheinlichkeit  —  mehr  iet  von  mir  nicht  gesagt 
rden  — .  dass  er  ausserhalb  Thrakiens  und  Skythien»  in  Europa 
nrhaapC  damals  unbekannt  war.  —  Auszugehen  hl  für  die  europäi- 
1  Hanfnanien  nach  ihrer  oben  p.  190  gegelienen  Deutung,  mit  der 
teb  Hoops  a.  «.  O.  UberehiHtimmt  (vgl,  auch  Walde  Lal.  et,  Wb,). 
I  einem  Tinntschen  Kompositum  *kana-pi»  „Hanfnessel",  das  alP 
ibnirort  insSkythische  und  Thrakiscbe  (Herod.  xtirra^it)  eingedrungen 
I  wird.  In  welcher  Reihenfolge  die  Uanfnauien,  xa  denen  auch 
DBD.  kanap',  kurd.  kinif,  nperu.  fcanab  gebären,  sich  hiervou  los- 
ISat  haben,  wird  kaum  zu  sagen  sein.  Ganz  unwahrseheinlich  ist 
lenfalls  die  Annahme  Hirts  (a.a.O.  p.  334),  dass  die.  elavischen 
:  dem  Germanischen  encstaminten  (vgl,  I'eisker  a.  o,  p.  Iiiä 
E>.  p.  80  ff.).  —  In  Beziehungen  zu  dem  nicht  zusanimengeseizten 
Uaoheu  kyne  ivgl.  auch  turko-tat.  kin-dür,  kendir  „Hanfl  scheint 
eh  daa  noch  spHter  zu  erwähnende  arische  »ana  „Hanf  zu  stehen. 
s  mit  palatalem  »  (scvt.  ga>/ä)  anlautet,  vermag  ich  nicht 
:  sagen. 


-    194    - 

und  wilder  oder  halbwilder  Obstarten  8.  Kap.Yni  (^eiae  and 
Trank).  Eine  vereinzelte  Mitteilung  Aber  die  Verw^idnng  der 
WaBBernnBB  verdanken  wir  Plinins  (Eist  not.  XXII,  27: 
Thraces^  qui  ad  Sirymona  häbitant^  folüa  tribuli  equoi 
saginant,  ip$i  nucleo  vivunt  panem  faeientes  prai- 
dulcem  et  qui  contrahat  ventrem). 

Gegenüber  diesen  zwar  sehr  lückenhaften,  aber  im  wesent- 
lichen ausreichenden  Nachrichten  hinsichtlich  der  altearopftischeD 
Kaltarpflanzen  ist  die  Frage,  welche  Eoltorgewilchse  der  ari- 
schen Urzeit  oder  auch  nur  der  ältesten  indischen  nnd  irani- 
schen Epoche  angehören,  bei  der  Dürftigkeit  unserer  Quellen  uf 
diesem  Gebiete  kaum  zu  entscheiden.  Die  einzige  Feldfrocht, 
die  im  Awesta  und  zugleich  auch  im  Rigveda  genannt  wird, 
ist  ydva;  aber  obgleich  dieses  Wort  im  späteren  Sanskrit  nnd 
auch  in  neuiranischen  Dialekten  (pers. /at?,  osset.  yew  „Gerste^ 
aber  digorisch  yau  ^Hirse^)  die  Oerste  bezeichnet,  ist  es  doeh 
nach  Zimmer  (Altind.  Leben  p.  239)  zweifelhaft,  ob  dieses 
Wort  ursprünglich  eine  so  engbegrenzte  Bedeutung  hatte.  Anch 
W.  Geiger  (Ostiran.  Kultur  p.  löi)  schwankt,  ob  er  yava  mit 
„Gerste"  oder  „Weizen"  wiedergeben  soll,  und  Bartholomae 
(Altiran.  Wb.)  übersetzt  es  ganz  allgemein  mit  „Getreide". 

Dem  Flachs  der  Europäer  (vgl.  oben  p.  190)  steht  der 
Hanf  der  Arier  gegenüber  (scrt.  hhangd  =  aw.  bangha)y  ur- 
sprünglich^ ganz  wie  bei  den  Skythen  (oben  p.  192),  wohl  nur 
wegen  der  berauschenden  Wirkung  seines  Dekoktes  geschfttEt. 
Im  Rigyeda  ist  hhangd  ein  Beiwort  des  Soma,  als  Hanf  be- 
gegnet es  zuerst  im  Atharvaveda.  Im  Iranischen  ist  heng  noch 
beute  ein  Name  des  berauschenden  Haschisch  (W.  Geiger  O.K. 
p.  152).  Daneben  kommt  ebenfalls  im  Atharvaveda  eine  als  wild- 
wachsend bezeichnete  Ilaufart,  qandj  vor,  ein  Wort,  das  offenbar 
Beziehungen  zu  dem  oben  (p.  192  Anm.  1)  genannten  finnischen 
Tceue  „Hanf"  hat  (vgl.  auch  osset,  sannay  san  „Wein"  und  skytb. 
ouvdjiTiVy  thrak.  oavdjiai,  wie  iran.  heng  „Hanf"  und  „Haschtsch^). 
Im  Qatapathabrähmana  werden  aus  diesem  ganä  gefertigte  Schnuren 
und  Gewänder  genannt. 

Von  anderen  Kulturpflanzen,  die  zwar  nicht  im  Rigveda, 
wohl  aber  in  anderen  vedischen  Texten  vorkommen,  scheinen 
Weizen  und  Bohne  (vgl.  oben  p.  189,  190)  in  den  neuiraniscben 
Dialekten  und  im  Sanskrit  übereinstimmend  benannt  zu  sein.    Das- 


i^wlbe  ^U  Ton  derjenigen  Pflanze,  die  später  die  Hauptnahrang 
der  Inder  bildete,  dem  Reis,  scrt.  vrihi  {=  afgban.  rrii^,  npere. 
gurinj,  vaTinj\  hieraus  armen,  brinj);  doch  wird  man  ans  pfianzen- 
geographischen  Gründen  hier  mit  Sicherheit  eine  von  Indien 
ausgehende  Entlebnungareihe  annehmen  können. 

Über  den    indisch -iranischen   Soma,   ebenso    wie    Über  den 
europäischen  Wein,  vgl.  Kap.  VIII  (Speise  und  Trank). 


Überschauen  wir  die  im  bisherigen  für  das  Alter  der  Kultur- 
pflanzen bei  den  idg,  Völkern  angeführten  prähistorischen,  lin- 
guistischen und  histurischen  Tataachen,  so  stimmen  alle  drei 
Beweismittel  in  Beziehung  anf  sechs  Pflanzenarten  überein: 
nämlich  in  Beziehung  auf  die  drei  Getreidesorten,  die  Gerste, 
den  Weizen  nnd  die  Hirse,  ferner  für  den  Flachs,  die  Bohne 
nnd  den  Mnlin.  Den  Anbau  dieser  Pflanzen  würden  wir  also 
bereits  einem  vorhistorischen  Ackerban  der  Indogermanen  zu- 
scbreiben,  natürlich  nicht  in  dem  Sinn,  als  ob  daneben  nicht 
noch  andere  Knitnrpflanzen  bestanden  haben  könnten. 

Dieses  Ergebnis  unterscheidet  sieh  von  demjenigen,  zu  dem 
Hoops  in  seinem  oft  genannten  Buch  gekommen  ist,  insofern, 
als  Hoops  nur  die  Halmfrilehte  (Gerste,  Weizen  und  Hirse^  als 
„indogermanisch"  gelten  lassen  will.  Indessen  scheint  mir  der 
Weg,  anf  dem  Hoops  zu  seiner  Anschauung  gelangt  ist,  nicht 
einwandfrei  zn  sein.  Indem  näiiitich  Hoops  den  Ausdruck 
-indogenuanisch"  nur  auf  die  Zeit  anwendet,  in  der  wir  uns  die 
Inder  nnd  tränier  noch  mit  den  Übrigen  Indogermanen  verbunden 
denken  müssen,  und  demnach  fUr  jeden  als  indogermanisch  zu 
bezeichnenden  Kulturbegriff  die  Übereinstimmung  der  europäi- 
,  sehen  nnd  arischen  Sprachen  fordert,    stösst   er   auf   die   schon 

hervorgehobene  Schwierigkeit,  dass  gerade  die  von  Europa 
I  Asien  hinüber  reichenden  Gleichungen  für  Kultur)iflanzen 
'  fvgl.  ansser  den  oben  p.  188  f.  angeführten  noch  scrt.  »aiyd  „Feld- 
frucht, Getreide,  Korn",  aw,  bahya  „Getreide",  cymr.,  cum. 
haidd,  bret.  heiz  „Gerste",  gall.  {sjasia  „Roggen"  und  scrt. 
dhänä's  „Getreidekörner",  aw.  dänä  id.,  mpers.  ddn,  npera. 
däna  „Korn",  lit.  düna  „Brot")  so  sehr  in  ihren  Bedeutungen 
auseinandergehen,  dass  es  unmilglich  erscheint,  eine  gesicherte 
Urbedeutung  anzusetzen.  Anders  ist  es,  wenn  wir  uns  auf  die 
n  n  r    in    den    europäischen  Sprachen    belegten    Gleichungen    he- 


-    196    — 

schränken,  die  in  ihren  Lautverhältnissen  ebenfalls  die  Sparen 
höchsten  Altertums  an  sich  tragen.  Es  scheint  mir  nun  dabei 
inkonsequent  von  Hoops  zu  sein,  auf  der  einen  Seite  z.B.  für 
die  Hirse,  für  die  es  nur  die  eine  auf  Europa  beschränkte  Glei- 
chung: griech.  piskivrj,  lat.  müium,  lit.  maZ/id«  gibt,  das  Prädikat 
^indogermanisch^  in  Anspruch  zu  nehmen,  dasselbe  aber  Sprach- 
reihen  wie  den  oben  angeführten  für  Flachs,  Bohne,  Mohn  za 
verweigeiD,  obgleich  er  doch  selbst,  ganz  wie  es  hier  geschieht, 
diese  Sprachreiheu  nicht  auf  Entlehnung  beruhen  lässt.  Änf 
jeden  Fall  aber  müssen  schon  hier  die  Schlüsse^  die  Hoops  aos 
dem  augeblich  auf  Gerste,  Weizen  und  Hirse  beschränkten  Besitz 
der  Indogermanen  an  Kulturpflanzen  gezogen  hat,  als  nicht 
stichhaltig  bezeichnet  werden.  Eine  in  der  angegebenen  Weise 
bezeichnete  Gruppe  von  Kulturpflanzen  kehrt  nämlich  nach 
Hoops  während  der  jüngeren  Steinzeit  Mittel-  und  Nordeuropas 
nur  in  den  norddeutsch-nordischen  Gebieten  wieder.  Dieseo 
stehe  eine  durch  einen  wesentUch  grösseren  Reichtum  an  Kultur- 
pflanzen (z.  B.  Lein,  Erbse,  Mohn,  Apfel)  charakterisierte  |,circniD- 
alpine^  Zone  (die  nördlichen  Vorländer  der  Alpen  zusammen  mit 
Bosnien,  Ungarn,  Oberitalien,  in  welchen  beiden  letzteren  Lin- 
dem auch  Faba  vulgaris  neolithisch  bezeugt  ist)  gegenüber.  Da 
nun  die  Indogermanen  nach  seiner  Meinung  nur  Gerste,  Weizen 
und  Hirse  (nicht  auch  Lein,  Bohne,  Mohn)  kannten,  so  sei  die 
Urheimat  der  Indogermanen  in  den  norddeutsch-nordischen 
Gegenden  zu  suchen.  Gerade  umgekehrt  müssten  wir  vielmehr 
auf  Grund  unseres  oben  ermittelten  Bestands  an  idg.  Kultur- 
pflanzen die  Urheimat  der  Indogermanen,  bezüglich  ihres  weit- 
lichen Flügels  (vgl.  Kap.  VI),  nicht  allzufern  von  jenem  „drcom- 
alpinen''  Kulturgebiet  suchen,  wenn  wir  es  überhaupt  für  möglich 
hielten,  bei  der  schon  oben  kurz  charakterisierten  Lage  der  For- 
schung dergleichen  Dinge  für  die  Urheimatfrage  schon  jetzt  ent- 
scheidend zu  verwerten. 

Unsere  Kenntnisse  auf  diesem  Gebiet  sind,  wie  nicht  genug 
betont  werden  kann,  noch  allzu  lückenhaft  und  geographisch 
allzu  beschränkt,  um  derartige  Schlüsse  zu  erlauben.  Aus  ganz 
Norddeutschland,  das  nach  Hoops  als  Heimat  der  IndogermaDen 
in  erster  Linie  in  Betracht  käme  (vgl.  auch  Kap.  XVI:  Urheimat]| 
hat  dieser  Gelehrte  aus  neolithischer  Zeit  ein  einziges  Gerstenkorn 
zutage  fördern  können  (p.  305),  ein  Gerstenkorn,  das  nach  Ansicht 


197 


I  *1es  Finders  noch  dazu  vielleicht  ein  Haferkoni  ist,  und  wenn  wir 
nach  einer  Mitteilung  A.  Goetzes  dieBem  einen  Getreidekorn  auch 
iioch  ein  zweites  (Abdruck  eines  Weizenkoma  auf  einer  ornamen- 
tierten Seherbe  ans  einem  Steinkaniraergrab;  Klögelu,  Kreis  Lelie; 
Ilerliner  Vßlkermusenm)  an  die  Seite  stellen  können,    so  müssen 
<Ioch  diese  xwei  KOrner  deu  ganzen   „iirindogermaniscben"  Aeker- 
K  l>nii  tragen,    und  eine  einzige  Bohne,    die  sich  etwa  diesen  zwei 
BGetreidekÖrnern  irgendwo  in  Norddeutschlaiul  /.ugesellte,    würde 
pdaf:  ganze  Gebäude,  das  Honps  aufgeführt  bat,  fallen.     Wie  iift 
nines  Hoops  selbst  den  sprachlichen  imd  historischen  Tatsai-hen 
gegenllber   das    völlige  Vereagen    der    l-'unde    konstatieren  1    So 
_   beim  Mohn,  der  Hohne,  dem  Hafer,    die    er   sämtlich,    wenn 
anch     nicht    fllr    „indogemisnisch",    so    doch  bei  den  Germanen 
far  sehr  alte  prähistorische  KnlliTrpflan/,en  hält,    und  von  denen 
•dtr  erstere  in  Mittel-  und  Nordeiiropa    (ausser  der  Schweiz)  gar 
Inicht,    die    zweite  in  Nordeuropa  erst  in  der  Vi^lkerwanderungs- 
nnd    der    dritte    in  Deutschland  selbst  iu  historischer  Zeit 
kerst    ganz    spät    durch  Funde  zu  belegen  ist.     Und   seihst  wenn 
I  wahr  wäre,  dass  die  Indogermanen  nur  den  Anbau  von  Halm- 
E- fruchten  gekannt  hätten,    und    wenn    die    zukünftige  Forschung 
den  Satz,    dass  der  neotithische    nordeuropäische  Ackerbau    sich 
auf  Gerste,    Weizen    und  Hirse    beschränkt  hätte,    durchaus  be- 
stätigte, würden  dann  nicht  den  vnn  Hoops   aus  diesen  beiden 
Tatsachen  gezogenen  Schlüssen,  die  oben  erwähnten  Ausgrabungen 
des  Hemi    Chwoiko   am    mittleren    Oniepr,    durch    die    ein  da- 
selbst   betriebener    neolithischer    Ackerhau    mit    Gerste,    Weizen 
und  Hirse    an    den  Tag   gekommen    ist,    den  Hoden    unter   den 
Füssen  entziehen?     Kurz,    ich    niöelite    glauben,    dass    von  dem 
Hoopsflchen  Versuch,  so  interessant  er  an  und  für  sieh  ist,  doch 
I  dasselbe    gesagt    werden    ninss,    wie    über    die    Konstruktionen 
IVnchs  nnd  Kossinnas  (H,  2\\  f.),  dass  sie   nämlich    zu   ein- 
seitig auf  den  durch  die  Prähistorie  in  der  westlichen  Hälfte 
Europas  gemachten,    auch    an    sich    für   derartige  Schlüsse  noch 
keineswegs  ausreich ewlen  Erfahrungen  aufgebaut  sind. 

Immerhin  ist    es    mir    erfreulich,    dass    ich    mit    einem    so 

t  Srihidlichen  und  umsichtigen  Forscher,    wie  Hoops,    wenigstens 

in  dem   t^gebnis  zusammentreffe,   dass  die  Kultur  von  Gerste, 

Weizen  nnd  Hirse  bis  in  die  idg,  Urzeit,  genauer  Ins  in  gewisse 

Teile  des  Urlands  (Kap.  VI),   znriickgehe.     Hoops    glaubt    nun. 


1^ 


—    198    — 

noch  einen  Schritt  weiter  tun  und  (vgl.  p.  357  ff.)  nachweiBen  m 
können,  dass  unter  diesen  Getreidearten  wiedemm  die  Gente 
das  Uanptgetreide  der  Indogermanen  gewesen  sei.  Dies  aber, 
so  schliesst  er  weiter  mit  L.  Geiger  (Sprachvergl.  n.  Urg.  P, 
93),  weise  auf  ein  Land  mit  kurzen  Sommern,  also  auf  Nord- 
Europa,  einschliesslich  des  nördlichen  Deutschlands,  hin.  Ich  will 
die,  wie  mir  scheint,  gegenüber  unseren  Forschungsmitteln  zn 
sehr  ins  Spezielle  gehende  Frage  nach  dem  Hauptgetreide  der 
Indogermanen  auf  sich  beruhen  lassen,  kann  mich  aber,  falb 
dieses  Hauptgetreide  did  Gerste  war,  den  hieraus  abgeleitetes 
Folgerungen  ebenfalls  nicht  anschliessen. 

Ich  liesse  es  mir  gefallen,  wenn  die  Sache  so  läge,  dass 
ein  eigentlicher  Anbau  dieser  Getreideart  etwa  nur  bei  den 
Nordvölkern  nachweisbar  wäre  (auch  russ.  Hto  bedeutet  ttbrigeos 
im  Norden  wie  unser  „Korn"  schlechthin  „Gerste"),  und  in  die 
Kultur  der  Inder,  Griechen  und  Römer  der  Gebrauch  dieser 
Halmfrucht  nur  noch  in  Spuren  hereinragte.  Da  aber  der  Verf. 
(p.  371  ff.)  selbst  hervorhebt,  dass  im  ältesten  Indien  i die  Gerste 
neben  dem  Reis  eine  „hervorragende  Stellung"  einnahm,  und  sie 
in  Griechenland  sogar  das  „Hauptgetreide"  ausmachte,  woraus 
doch  folgt,  dass  das  damalige  Klima  dieser  Länder  ihrem  Anbau 
günstig  gewesen  sein  muss,  so  verstehe  ich  nicht,  wie  man  ans 
der  Bedeutung  der  Gerste  bei  dem  indogermanischen  Crvolk 
etwas  über  seine  Urheimat  folgern  will. 

Auch  aus  den  bisherigen  Untersuchungen  über  die  sogenannte 
Urheimat  der  Kulturpflanzen,  d.h.  über  die  Gegenden,  in  denen 
sie  aus  wilden  Stammformen  zuerst  hervorgegangen  sind,  dürfte 
sich  in  der  Frage  nach    der  Urheimat   der  Indogermanen,  etwa 
in  dem  Sinne,  dass  man  sagen  könnte,  auf  diese  oder  jene  Zone 
wiese    der    als    indogermanisch    erhärtete    Anbau    von    Gerste, 
Weizen,  Hirse,  Flachs,  Bohne  und  Mohn  hin,  noch  kein  irgendwie 
sicherer    Anhalt    ergeben.      Denn    mag    man    nun  das  De  Can- 
dollesGhe  Buch  Der  Ursprung    der  Kulturpflanzen    (deutsch   von 
E.  Goetze,  Leipzig  1884)   oder   die   neuesten   Forschungen  in 
diesen  Fragen,    wie  sie  von  Engler  in  der  Neubearbeitung  des 
He  huschen  Werkes  oder  in   dem  Hoops'schen  Buch    mitgeteilt 
werden,  durchnehmen,    man  wird  doch  sagen  müssen,    dass  wir 
hier  noch  in  einem  Meer  der  Ungewissheit  schwimmen,  und  dass 
der  Satz  Humboldts:  „Der  Ursprung,  das  erste  Vaterland  der  dem 


Menschen  Dützlichstea  Gewächse,  welche  ihm  seit  den  fernsten 
Zeiten  folgen,  ist  ein  ebenso  nndurchdriDglicbeB  Geheimaia  wie 
die  Heimat  aller  Hanstiere",  wenigstenB  was  die  Pflanzen  be- 
triffl,  noch  kaum  widerlegt  ist. 

Wichtiger  ist  die  Tatsache,  dass  der  Bestand  an  Kultur- 
pflanzen, den  wir  für  die  europäiseli-indoiiermanische  ürgeschicbie 
oben  ermittelt  zu  haben  glatiben,  in  den  wichtigsten  Punkten 
ancb  indem  ägyptisch-semitischen  Kulturkreis  wiederkehrt, 
wo  ebenfalls  Gerste,  Weizen,  Flachs  und  Bohne  zu  den  ältesten 
Knlturfrllt^hten  gehören.  Hinsichtlich  des  Vorkommens  der  Hirse 
i.hebr.  dohan?)  bei  den  Semiten  sind  die  Akten  noch  nicht  ge- 
schlossen (vgl.  mein  Reallesikim  p.  375,  Hoops  p.  326),  während 
der  Mohn  bis  jetzt  allerdings  nicht  als  ägyptisch-semitisch  be- 
zeichnet werden  kann.  Aber  auch  nach  der  negativen  Seite  bin 
fehlen  in  dem  ägyptisch-semitischen  Kulturkreis  gerade  die 
Pflanzen,  die  ganz  sicher  auch  bei  den  europäischen  Indogennanen 
erst  spät  erschienen  sind,  wie  Roggen  und  Hanf,  ebenso  der 
Hafer,  über  dessen  Alter  bei  den  europäischen  Indogermanen  ich 
mir  indessen  noch  kein  abschliessendes  Urteil  erlauben  mOchte. 
Im  ganzen  gewinnt  man  so  den  Eindruck,  dass  die  älteste  Schicht 
unserer  Kulturpflanzen  sieh  aus  dem  ägyptisch -semitischen  Kultur- 
kreis über  Europa  verbreitet  habe  und  so  auch  zu  den  europäi- 
SL'lien  Indogerniauen  (vgl.  Kap.  VII)  schon  in  vorhistorischer  Zeit 
gelangt  sei.  Dies  würde  man  jedenfalls  eher  verstehen  können, 
wenn  man  die  letzteren  im  sluUicheu  Russland,  als  wenn  man 
sie  in  Schleswig-Holstein,    Dänemark    und  Schweden    lokalisiert. 

In  noch  höherem  Grade  gilt  dies  von  mehreren  bisher  noch 
nicht  genannten  Gleichungen ,  die  wir  bei  H  o o p a  vergeblieh 
ttuchen,  für  eine  oder  mehrere  Cucurbitaceen  arten.  Man 
kann  bei  ilmen  aus  pflanzengeograpbischen  Gründen  (vgl.  V.  Hehn 
Kulturpflanzen'  p.  309  ff.)  nur  an  den  Flaschenkürbis  (Latjfnartn 
culyaris  Ser.)  oder  die  Zuckermelone  (Cucumis  Meto  L.)  oder 
beide  denken.  Es  sind  dies  die  Gleichungen:  scrt.  carbhata, 
cirbhati  „cucumis  utilissimus"  =  lat.  Cucurbita  „Kürbis"  (mit 
sekundärer  Reduplikation  nach  vu-cutnix);  sert.  karkafl,  karkäru 
„eine  KUrbisart"  =  agls.  hirerhmette  „Kürbis"  (vgl.  Über  beide 
Gleichungen  Walde  Lat,  et.  Wb.  p.  154);  gnech.  atxova,  aixvi:, 
nixvo';  „Gurke"  =  altsl.  fyhy  „Kürbis"  (Fick  1*,  449,  Prell- 
witz Et.  Wb."  p.  411).     Diese  beiden  Pflanzen  haben  auch    bei 


—    200    — 

den  Turko-Tataren  urverwandte  Namen  (Jrat-uw,  Ikabun  „MeloDC^ 
l'abdl^,  Tiacäk  „Kürbis^,  und  ihre  Urheimat  würde  nach  V&m- 
bery  (Die  primitive  Kultur  p.  217)  in  den  Steppenrandgebieten 
der  seit  alters  von  Turko-Tataren  bewohnten  Länder  zu  snchen 
sein.  Nur,  wenn  wir  unter  den  in  Europa  in  Betracht  gezogenen 
Gegenden  das  südliche  Russland  als  Heimat  der  Indogermanen 
in  Anspruch  nehmen,  vielleicht  mit  nicht  unerheblicher  Ausdeh- 
nung derselben  in  die  benachbarte  asiatische  Steppenregion,  liease 
sich  die  Bekanntschaft  der  Indogermanen  mit  derartigen  Pflanzen 
in  gebautem  oder  nicht  angebautem  Zustand  begreifen.  An 
Schwierigkeiten  fehlt  es  allerdings  auch  hierbei  nicht  ganz. 
Waren  jene  Pflanzen  in  der  Urzeit  noch  wild,  so  versteht  man 
nicht,  wie  ihre  Namen  bei  Ausbreitung  der  Indogermanen  sich 
erhalten  konnten.  Waren  sie  aber  damals  schon  angebaut,  so  ist 
zu  bedenken,  dass  Cucurbitaceenkerne  nirgends  in  prähistorischen 
Siedelungen  Alteuropas  nachgewiesen  worden  sind,  ein  Umstand, 
der  nach  den  obigen  Ausführungen  allerdings  nicht  besonders  schwer 
wiegt.  Auf  jeden  Fall  müssen  die  Anhänger  der  nordearopäi- 
8(;hen  Hypothese  sich  mit  jenen  Gleichungen,  von  denen  mir 
namentlich  die  dritte  (griech.  aexova  =  altsl.  tyky)  wohlbegrflndet 
erscheint,  sich  ebenso  wie  mit  dem  idg.  Namen  der  Schild- 
kröte (griech.  x^^*'^  =  ^'te'«  ^^h\  vgl.  oben  p.  148  f.)  ausein- 
andersetzen. 


VI.  Kapitel. 

Viehzucht  und  Ackerbau. 

I.  Europäisch-arische,  europäische  und  arische  Ackerhaug:leichuDgen. 
Schlüsse  aus  ihnen.  II.  Der  älteste  Ackerhau  der  idg.  Völker :  Gering- 
schatzuDg  desselben.  Der  Hakenpflug.  Wilde  Feldgraswirtschaft. 
Kein  Privateigentum.  Grad  der  Ansässigkeit.  Kein  Obst-  und  Gartenbau. 
III.  Die  älteste  Viehzucht  der  idg.  Völker:  Bedeutung  dieser  Wirt- 
schaftsform.    Rindvieh-   und   Schafzucht.     Schweinezucht.     Das   Salz. 

Urheimat. 

Aus  den  Kapiteln  III  (Haustiere)  und  V  (Kulturpflanzen) 
geht  hervor,  dass  sowohl  die  Viehzucht  wie  auch  der  Ackerbau 
in  die  indogermanische  Urzeit  zurückgeht,  und  so  könnten  wir 
diesen  Abschnitt  schliessen,  ehe  wir  ihn  begonnen  haben,  wenn 
es  sich  nicht  nunmehr  um  die  schwierige  Frage  handelte,  das 
Verhältnis  dieser  beiden  Produktionszweige  zuein- 
ander in  der  idg.  Urzeit  festzustellen.  In  dieser  Beziehung 
gehen  die  Ansichten  der  Forscher  heutzutage  mehr  denn  je  aus- 
einander. Während  V.  Hehn  (Sprach v.  u.  ürg.  I',  38  ff.), 
P.  y.  Bradke  (I',  48)  und  viele  andere  die  Indogermanen  fttr 
reine  Nomaden  hielten,  bei  denen  der  Ackerbau,  wenn  er  über- 
haupt bekannt  war,  eine  kaum  zu  nennende  Rolle  spielte,  sind 
die  neueren,  wie  z.  B.  M.  Much  (P,  117)  und  J.  Hoops 
(oben  p.  185)  der  Ansicht,  dass  der  Indogermane  in  wirtschaft- 
licher Beziehung  von  einem  heutigen  westfälischen  Bauer  nicht 
wesentlich  verschieden  gewesen  sei. 

Unter  diesen  Umständen  wird  es  gut  sein,  ehe  wir  selbst 
ein  Urteil  über  die  Wirtschaftsstufe  der  idg.  Ur/.eit  abgeben, 
möglichst  objektiv  und  unter  möglichster  Vermeidung  aller  solcher 
Schlagwörter  wie  Noraadentum^  Halbuomadentum ,  Pfingbau, 
Hackbau  usw.,  die,  wenn  sie  von  bestimmten  Einzelverhältnissen 
ans  verallgemeinert  werden,  leicht  mehr  Verwirrung  als  Klarheit 

Sehrader,  Sprachver^leichonf?  and  Urgeschichte  11.   S.  Aufl.  M 


—    202    — 

bringen,  die  Zeugnisse  zusammenzustellen,  die  wir  für  den  Be- 
trieb des  Ackerbaus  und  der  Viehzucht  bei  den  altidg.  Völkern 
besitzen. 

I.  Die  sprachlichen  Gleichungen  auf  dem  Gebiete 
des  Ackerbaus.  Wir  können  hier  an  die  im  vorigen  Kapitel 
gemachte  Bemerkung  anknüpfen,  dass  die  etymologisch  ver- 
wandten Benennungen  bestimmter  Kulturpflanzen  sich  nahezu 
ausschliesslich  auf  die  europäischen  Sprachen  beschränken,  and 
können  nun  hinzufügen,  dass  dasselbe  auch  bei  den  allgemeineD, 
auf  die  Technik  des  Ackerbaus  bezüglichen  Gleichungen  der  Fall 
ist,   wie  aus  der  folgenden  Übersicht  unwiderleglich  hervorgeht: 

A.    Europäisch-arische  Ackerbaugleichungeu. 

1.  Lit.  du7ia  „Brof*  —  sert.  dhdnä\  aw.  dänd  „Getreide- 
korn". 

2.  Griech.  Xaiov,  altn.  U  —  scrt.  l^ivi,    lavüra    „Sichel". 

3.  Griech.  Tuiooot  „stampfe",  jntadvt]  „enthülste  Gerste'*, 
lat.  pinso  „zerstosse",  altn.  fis,  ahd.  fesa  „Spreu",  altsl.  püa 
„stosse",  pUeno  „Mehl"  —  scrt.  pish  „zerreiben",  pishfä  „Mehl*, 
aw.  pistra  „Mehl". 

4.  Griech.  reXoov  —  scrt.  karshu,  aw.  Jcaria  „Furche'*: 
doch  ist  die  Gleichung  nicht  sicher,  da  griech.  xekoov  zunächst 
-Grenze"  (vgl.  liXog)  zu  bedeuten  scheint  und  vielleicht  eher 
mit  griech.  neXo^^  TieXofiaij  jz6?.og  („die  Stelle,  wo  der  Pflug  ge- 
dreht wird")  als  mit  scrt.  Icrshäti  „er  pflügt"  verbunden  werden 
muss.  Vgl.  V.  Bradke  Methode  p.  124  und  Prell witz  Fest- 
schrift für  Friedländer  p.  386  Anm.  —  Vgl.  noch  B,  10. 

B.    Europäische  Ackerbaugleichungen. 

1.  Griech.  ägorgov,  lat.  aratrum,  ir.  arathaVy  altn.  ar&r-- 
armen,  araur  „Pflug". 

2.  Griech.  ägoo),  lat.  arare,  ir.  airim,  altsl.  orati,  lit  drti 
^pflügen". 

3.  Griech.  6(pvigj    lat.  vömisy   ahd.  wagansot   aJtpr.  wagm 
„Pflugschar"  (vgl.  aueh  griech.  yvfi=  lat  bura  8.  u.). 

4.  Griech.  d^ivi],  lat.  occa,  occarey  ahd.  egjan^   egidm^  fit 
aJcM,  akäcz*io8j  altcom.  ocet  „Egge". 

5.  Griech.  retoc,  rusB.  niva  „Brachland,  Aeker^. 


-    20g    — 

(>.  Lal.  serOj  cymr.  heUj  ir.  M  „Same*',  got.  saian^  altsl. 
9ej({,  lit.  «^fi  „säen^. 

7.  Lat.  s^men,  ahd.  «dmo,  altsl.  «^m^,  altpr.  semen,  lit. 
*emw  „8ame". 

8.  Lat.  grdtmm,  got.  kaürnj  altpr.  syrne,  altsl.  2rÄ/?o 
^Korn". 

9.  Griech.  aon»/,  lat.  aarpere,  ir.  «<?rr,  altsl.  srupü,  lett. 
«rpe  ^Sichel''  «vgl.  auch  lat.  /aZj?  =  lit.  dalgis  „Sense"). 

10.  Griech.  /nU?/,  lat.  moiere,  ir.  melim,  got.  mala?!,  a\t^\, 
meljq,  lit.  nmlti,  alh.  m/«/  („Mehl")  „mahlen"  i griech.  aA£</j 
irehört  nicht  hierher,  sondern  ist  vielleicht  eher  mit  armen,  d^lal 
^mahlen",  avv.  a,^a  „gemahlen"  aus  *arta,  npers.  drd  „Mehl" 
5U  verbinden  K 

11.  Lat.  porca,  ahd.  furuh,  altbret.  rec,  armen,  herk 
„Furche". 

12.  Griech.  retxkoy'  kiy.vor  Hes.,  lit.  neköjii  („schwinge 
Setreide  in  einer  Mulde")  „worfeln". 

13.  Griech.  dfmo),  ahd.  mdjan  „mähen";  griech.  diiir]r6^ 
=  ahd.  mäd  „Ernte". 

14.  Lat.  eribrum,  ir.  criathm\  ahd.  ritara  „Sieb". 

15.  Griech.  äkofs,  «xo;^,  altschwed.  lö  „Tenne". 

16.  Griech.  äxvai,  lat.  acu^,  got.  atiHj  ahana  „Ähre,  Spreu". 
Zuletzt  sei  auf   zwei  Sprachreihen    hingewiesen,    die   zwar 

Etnch    im  Sanskrit    wiederkehren,    aber  nur  in  den  europäischen 
Sprachen  (und  im  Armenischen)  einen  agrarischen  Sinn  aufweisen: 

17.  Griech.  äygo^,  lat.  ager,  got.  akrs  —  scrt.  djra.  Die 
rediscbe  Grundbedeutung  ist  die  „der  mit  Gras  oder  Kräutern 
lewaebsenen  Ebene,  besonders  im  Gegensatz  zum  Berg"  (vgl. 
^ra  SS  mann  Wörterbuch  zum  Rigveda;,  während  in  den  europäi- 
icben  Sprachen  vom  Anfang  der  Überlieferung  an  neben  jener 
illgenieinen  Bedeutung  die  des  Ackerlands  {Btrt.  urvärä)  dent- 
ich  hei*vortritt  *). 

1)  Die  Fra^e,  ob  Hcrt.  djra  von  c^  ^treiben"  abgeleitet  ist  und, 
UTA»  immerhin  sehr  wahrscheinlich  ist,  eigentlich  „Tritt''  bedeutet,  kann 
labet  ganz  bei  Seite  gelassen  werden.  Damit  erledigen  sich  die 
ilin Wendungen,  die  Hirt  Anzeiger  f.  idg.  Sprach-  und  Altertumsk. 
5111,  10  und  Streitberg  (1.  F.  XVI,  184  Anm.  1)  gegen  die  aus  dem 
(Terhältnis  von  scrt.  d^'ra  :  griech.  ayQog  etc.  von  mir  und  Mering«r 
^•sogenen  Schlüsse  erbebt. 


—  ao4  - 

18.  Got.  qairnusj  ir.  hrö,  lit.  glrnay  altsl.  frönöcö,  armen. 
erkaii  „HandmUhle^  —  scrt.  grä'ran  ^Stein  zum  AuBpretten  des^ 
Soinasafts". 

C.    Arische  Aekerbaugleichungen. 

1.  Scrt.  sasyä  =  aw.  hahya  „Aussaat^  (doch  vgl.  |obeü 
p.  195). 

2.  Scrt.  Icarsh  (krshtdyas  „Ackerbauer"  d.  h.  Menschen)  = 
aw.  kars  „Furchen  ziehen"  (vgl.  oben  p.  202). 

3.  Scrt.  urvdrä  „Saatfeld"*  =  aw.  urrara  „Nutz-  und  Nähr- 
pflauze"  (doch  vgl.  oben  p.  189). 

4.  Scrt.  diHrd  =  npers.  däi  „Sichel". 

5.  Scrt.  phä'la  „Pflugschar",  „Art  Schaufel"  =  npere. 
supär  „Pflug"  (?). 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage,  welche  Schlüsse  wir  vor 
allem  aus  den  unter  A  und  B  zusammengestellten  sprachlichen 
Tatsachen  zu  ziehen  berechtigt  sind.  Zunächst  ohne  Zweifel 
den,  dass  wir  keiner  der  vorhistorischen  Epochen  de» 
Indogermanentunis  den  Ackerbau  völlig  abzuspreehen 
berechtigt  sind.  Hierauf  weisen  sowohl  die  unter  A  ge- 
nannten allgemeineren  Ackerbaugleichungen,  wie  auch  die  im 
V.  Kap.  aufgezählten,  Europäern  und  Ariern  gemeinsamen  Namen 
von  Kulturpflanzen  mit  Bestimmtheit  hin,  wenngleich  es,  wie  ^ir 
(p.  188)  sahen,  kaum  möglich  ist,  den  ältesten  und  eigentlichem 
Sinn  dieser  letzteren  mit  Bestimmtheit  zu  ermitteln.  Schwieriger 
ist  es,  das  Verhältnis  der  unter  A  genannten  Tatsachen  zu  den 
unter  B  mitgeteilten  richtig  zu  beurteilen.  Es  bieten  sich  hier, 
genau  wie  im  IV.  Kap.,  bei  der  Besprechung  der  Waldbinme, 
drei  Möglichkeiten  dar.  Entweder  haben  auch  die  Arier  an 
den  unter  B  genannten  Wortreihen  ursprtlnglich  teil  gehabt  nnd 
diesen  einstigen  Anteil  später  aus  irgendwelchen  GrOnden  ver- 
loren, oder  die  auf  die  europäischen  Sprachen  (mehrfach  ein- 
schliesslich <les  Annenischen)  beschränkten  Gleichnngen  stellen 
im  Verhältnis  zu  denen  unter  A  spätere,  wenn  auch  immer  noch 
prähistorische  Neuerwerbungen  dar,  oder  endlich  die  unter  A 
und  B  geschilderte  V^erteilung  der  idg.  Aekerbaugleichungen 
war  im  wesentlichen  so  von  Anfang  an,  d.  h.  vom  Anheben  der 
Zeit  an,  bis  zu  der  wir  mit  unseren  Mitteln  vorzudringen  ver- 
mr^gen,    vorhanden,    indem    die    bei    den   westlicheren  Stimniea 


—    205    — 

Ausgebildete  Ackerbauterminologie  nur  in  vereinzelten  Fällen  bis 
tn  den  östlicheren  reichte,  da  bei  diesen  der  Ackerbau  eine 
geringere  Rolle  als  \m  Westen  spielte  (vgl.  hierzu  auch  E. 
le  Michelis  Lorigine  degli  Indo-Europei  p.  4X6— 479).  Für 
lie  erstere  dieser  drei  Möglichkeiten  fehlt  es  an  jeder  positiven 
kgründung.  Was  die  zweite  anbetrifft,  so  machen  zwar  ein- 
eine der  unter  B  zusamiuengefassten  Wortreihen  den  Eindruck, 
ils  ob  sie  relativ  späte  Spracherscheinungen  wären,  wie  z.  B.  die 
J,  17  geschilderte  Bedeutungsentwicklung  des  griech.  a;'od?  oder 
lie  B,  6  aufgezählten  Bezeichnungen  des  Säens  (lat.  seroy  got. 
aiani,  falls  man  sie  richtig  mit  scrt.  prd-sita  „dahinschiessen(P 
md  griech.  ir^^u  {^si-se-mi)  vergleicht  (dagegen  Osthoff  Par- 
rga  I,  197).  Auf  der  anderen  Seite  ist  es  aber  doch  willkUr- 
ich,  bloss  wegen  der  Verschiedenheit  ihrer  geographischen  Ver- 
breitung z.  B.  eine  Reihe  wie  agow  —  arare  (B,  2)  für  jünger 
Is  eine  Reihe  wie  pinso  —  pish  (A,  3)  oder  eine  Gleichung  wie 
luna  —  dhänd'  (A,  l »  für  älter  als  eine  Gleichung  wie  HQui/jy 
\ardeum,  gersta  (oben  p.  189)  zu  erklären.  Unter  diesen  Cni- 
täoden  scheint  uns  die  beste,  weil  einfachste  und  die  Dinge 
:aoz  wie  sie  liegen  nehmende  Erklärung  die  dritte  Möglichkeit 
0  bieten,  wodurch  wir  in  Verbindung  mit  den  Erörterungen  des 
wap.  IV  (Waldbäume)  zugleich    die  folgende  Parallele  erhalten: 

Waldsteppe  und  Waldgebiet.  Baumarme  Steppe. 

.,.  ,       , ,      -x    4   1     1.  Viehzucht  mit  geringen  Spuren 

Viehzucht  mit  Ackerbau.  ,       *  ,     , 

des  Ackerbaus. 

Westen  (Europäer).  Osten  (Arieri. 

Wenn  wir  nun,  wie  es  in  Kap.  IV  auf  Grund  der  Ter- 
linologie  der  Waldbäume  geschehen  ist,  den  Schauplatz  der 
Itesten  Entwicklung  der  idg.  Völker  in  den  Süden  des  europäi- 
chen  Russlands  verlegen,  so  treffen  wir  hier  bei  deu  Skythen, 
ie  wir  alsdann  als  Nachfolger  der  Indogermanen  in  dem  Besitz 
sner  Länderstreck.en  zu  betrachten  hätten,  genau  dieselbe  Zwei- 
nliing  in  Viehzüchter  und  Ackerbauer  wieder,  wie  wir  sie  auf 
rrnnd  der  Sprache  für  das  idg.  Urvolk  vorausgesetzt  haben. 
[lerttber  berichtet  Herodot  IV,  17  ff.  das  Nachstehende:  „Ge- 
sebnet  von  dem  an  der  Mündung  des  Dniepr  ( Borysthenes) 
elegenen  Emporion  wohnen  zunächst  die  Kallipiden,  hellenisierte 


SkytheSy   nördticb   aber   vod   ihnen   ein  anfkres  Volk,  im  Ab- 
zogen bemt    Dteee  sowie   die  KallifMen   lebeo   etMi  wie  die 
Skythen,   aber  säen   und   verzebren    Weizen   ebenso   wie  sneli 
Zwiebehi,   Knoblancb,    Linsen   und    Hirse.    NOrdlieh   wiedenm 
von  den  Alazonen  wohnen  die  Pflflger-Skythen,  die  Weizen  niekt 
zum  Oenuss,  sondern  zum  Verkauf  anbauen.  .....    Wenn  man 

aber  den  Dniepr  ttberschreitet,  so  begegnet  vom  Meere  her  zoerat 
das  ^ Waldland ^  {^Ykalt));  von  hier  an  wohnen  die  Landbaner- 
Skythen.  Diese  erstrecken  sich  ostwärts  ungefähr  3  Tagereiseo 
bis  zum  Fluss  navrixdjttjg  (Samura?),  aber  Dniepr-aufwärts  eine 
Schiffahrt  von  11  Tagen.  Ostwärts  von  diesen  Landbaoer- 
Skythen  wohnen  weiterhin,  wenn  man  den  Pantikapes  über- 
schreitet, die  Nomaden-Skythen,  die  nicht  säen  und  nicht  pflflgeo. 
Von  Hylaea  abgesehen,  ist  dieses  ganze  Land  kahl  von  Bäumen. 
Diese  Nomaden  reichen  ostwärts  14  Tagereisen  weit  bis  zum 
Fluss  (rerros  (Donetz?).  Jenseits  des  Gerros  ist  das  sogenannte 
KönigsSkythien,  und  diese  Skythen  sind  am  stärksten  und  l^esten 
und  halten  die  übrigen  Skythen  für  ihre  Sklaven.^  Ich  bin  der 
Meinung,  dass  man  eine  schlagendere  Parallele  zu  den  hypo- 
thetisch vorausgesetzten  idg.  Verhältnissen  nicht  finden  kann. 
Aber  auch  von  anderen  alten  und  neueoren,  indogermanischen 
und  nichtindogermanischen  Völkern  werden  gleiche  Zweiteilnngen 
überliefert.  So  erzählt  Herodot  selbst  (I,  125)  das  gleiche  wie 
von  den  Skythen,  auch  von  den  Persem,  deren  zahlreiche  yhff 
oder  Stämme  ebenfalls  teils  agorijoeCf  teils  vo^iddef;  waren^  nnd 
durch  Vämbery  Primitive  Kultur  p.  103  wissen  wir,  dass  die 
Turko-Tataren  seit  alters  in  zwei  Hauptabteilungen,  die  Ärdtfet 
und  ('omrti,  d.  h.  die  wandernden  und  ansässigen  Nomaden,  zer- 
fielen, von  denen  sich  die  ersteren  ausschliesslich  mit  Viefazneht 
beschäftigten,  während  die  letzteren  die  Kultivierung  einiger 
urbaren,  an  Flüssen  gelegenen  Landstriche  schon  frühzeitig  be- 
trieben. 

Kürzer  kOnnen  wir  uns  über  die  unter  C  zusammengestellten 
arischen  Ackerbaugleichungen  fassen,  die,  wie  die  hinzugefügten 
Verweisungen  lehren,  zumeist  uns  schon  als  vielleicht  europäiflcb- 
arische  Entsprechungen  begegnet  sind.  Bezeichnend  ist  den 
europäischen  Gleichungen  gegenüber  ihre  geringe  Anzahl,  um  «> 
mehr,  als  die  Arier  (vgl.  P,  62)  eine  engere,  dialektisch  nur 
wenig  gespaltene  Spracheinheit  bilden.     Auf  keinen  Fall  lernen 


—    2«    - 

wir  dmcb  sie  ndur;  als  wm  wir  nach  dem  bisherige  erwarten 
mftiaeB,  daas  nämlieb  aaeh  die  lader  nnd  Iranter  vod  der  ältesten 
Zeit  ber  Tentanden,  Farehen  zu  ziehen  (scrt.  karsh  =  aw.  kari) 
and  Saaien  auszustreuen  (scrt.  saayd  =  aw.  hahga).  Im  ttbrigen 
werden  wir  in  Kap.  XVI  (Urheimat)  noch  einmal  auf  diese  arische 
Knltoreinheit  zu  sprechen  kommen,  die  sich  mit  einiger  Sicher- 
heit an  den  Abhängen  des  Hinduknsch,  also  in  weiter  Ent- 
fernong  yon  dem  südlichen  Russland,  lokalisieren  lässt,  von  der 
wir  aber  glauben  möchten,  dass  nicht  alle  iranischen  Stämme 
an  ihr  den  gleichen  Anteil  hatten. 

Wenn  wir  somit  den  Ackerbau  als  eine  schon  indoger 
manische  Wirtschaftsform  anerkennen,  die  aber  im  Westen  des 
orzeitlicben  Völkergebiets  stärker  als  im  Osten  hervortrat,  so 
fragt  es  sich  nun,  was  wir  im  einzelnen  über  das  Wesen  und  die 
Bedeutung  dieses  ältesten  Ackerbaus  wissen. 

II.  Der  älteste  Ackerbau  der  idg.  Völker.  Die 
Beschäftigung  mit  ihm  —  das  soll  als  der  erste  charakteristische 
Zog  hervorgehoben  werden  —  hat  den  Bevölkerungen  Alt- 
earopas als  eine  des  freien  Mannes  unwürdige  gegolten. 
So  hebt  Herodot  V,  6  von  den  Thrakern  hervor,  dass  bei  ihnen 
^untätig  zu  sein  für  das  schönste,  Ackerbauer  zu  sein  für  das 
schimpflichste  gälte^,  nnd  dass  es  „am  rühmlichsten  sei,  von 
Kri^  und  Räuberei  zu  leben^.  Ganz  im  Einklang  hiermit  be- 
richtet Caesar  VI,  22  von  den  Germanen,  dass  sie  „dem  Ackerbau 
keinen  besonderen  Wert  beimessen"  {agriculturae  non  student), 
und  Tacitns  Germ,  Kap.  14  fllgt  hinzu:  Nee  arare  terram  aut 
^xspectare  annum  tarn  facile  persuaseris  quam  vocare  hostem 
ei  vulnera  mereri.    pigrum  quin  immo  et  iners  videtur  sudore 

m 

acquirere  quod  possis  sanguine  parare,  woraus  dann  weiter 
folgt,  was  Kap.  15  erzählt  wird:  Delegata  domus  et  penatium 
et  agrorum  cura  feminis  senibti sqiie  et  inflrmissimo 
cuique  ex  familia.  Ganz  ähnlich  wird  von  den  epirotischen 
Athamanen  (Herakleides ^)  XXIII)  berichtet,  <las8  die  Frauen 
den  Acker  bestellen,  während  die  Männer  als  Hirten  in  die 
Berge  ziehen,  was  das  unvergleichlich  angenehmere  Geschäft  ist. 
Charakteristisch    ist    in    diesem    Zusammenhang    auch    das    got. 

äwdgeg. 


-    208    — 

arhaips  „Arbeit"  (d.  h.  die  „lästige  und  beBchwerliche  A^beit^ 
Paul),  dessen  erster  Teil  *arba-  dem  slavischen  rabü  „SklaTc^* 
entspricht,  so  dass  sieb  als  Grundbedeutung  „Eneehteswerk'* 
(slav.  räbota  „Sklavenschaft",  „Arbeit")  ergibt.  Wie  wir  oben 
sahen,  dass  die  „königlichen"  Skythen,  ohne  Zweifel  aosschlieas* 
lieh  Viehzüchter,  alle  westlichen  Skythen,  vorwiegend  Acker- 
bauer, als  ihre  Sklaven  ansahen,  so  wird  man  anzunehmen  haben, 
dass  überall,  wo  im  alten  Europa  eine  unterjochte  neben  einer 
freien  Bevölkerung  lebte,  der  ersteren  die  Pflege  des  Ackerb«» 
zufieP).  Direkt  hierauf  weist  der  Satz  der  Germania  Kap.  24 
hin:  Frumenti  modum  dominus  auf  pecoris  aut  cesiis  (serto) 
ut  colono  iniungitj  et  nervus  hactenus  paret.  Der  Ärmere,  der 
keine  Sklaven  hatte,  wird  sich  mit  Frauen,  Kindern  und  Greisen 
beholfen  haben. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zur  Schilderung  dieses  von  der 
freien  und  männlichen  Bevölkerung  so  gering  geachteten  Ge- 
werbes selbst,  so  kann  zunächst  kein  Zweifel  bestehen,  Am 
jener  prähistorische  Ackerbau  bereits  mittels  des  Pfluges  aus- 
geübt wurde,  und  nicht  etwa,  wie  man  es  selbst  noch  hinsicht- 
lich der  alten  Germanen  irrtümlich  behauptet  hat  (vgl.  darüber 
Hoops  p.  499  ff.),  ein  blosser  Hackbau  gewesen  ist.  Dies  folgt 
am  sichersten  aus  den  unter  B,  1  und  B,  3  aufgeführten  or- 
verwandten  Benennungen  (lat.  ai'atrum  und  vomis  mit  ihren 
Sippen),  von  denen  die  ersterc  sogar  bis  nach  Armenien  reicht. 
Allerdings  erfahren  wir  durch  diese  Gleichungen  nichts  über  die 
Beschaffenheit  jenes  ältesten  Pfluges;  doch  treten  in  dieser  Be- 
ziehung andere  linguistische  sowie  archäologische  und  literarische 
Zeugnisse  ein.  Im  Gotischen  lieisst  der  Pflug  hdha,  ein  Wort, 
das  dem  scrt.  qä'khä  und  lit.  szakä  „Ast"  entspricht,  womit 
weiterhin  auch  scrt.  gankii  „Pfahl",  altsl.  sqkü  „Ast"  und  ir. 
cechty  manx  keeaght  „Pflug"  zu  verbinden  ist.  Auch  die  sla- 
vische  Sippe  russ.  «ocAa  „Hakenpflug"*),  poln.  socha  „Pflugsech**, 

1)  Wenn  Caesar  IV,  1  berichtet,  dass  jährlich  der  eine  Teil  der 
Sueben  in  den  Krieg  ziehe,  der  andere  zu  Hause  bleibe:  «c  fuquB 
agri  cuitura  nee  ratio  atque  usus  belli  intermittitur^  so  folgt  daran» 
natürlich  nicht,  dass  die  freien  Männer  der  Sueben  selbst  den  Acker 
bebaut  hätten.  Der  Ackerbau  wurde  vielmehr  nur  unter  ihrem  Schutt 
von  Frauen,  Kriegsuntüchtigen  und  Sklaven  ausgeübt. 

2)  Ausführliche  Beschreibung  der  russ.  sochd  bei  Dahl  Erkü- 
rendes Wörterbuch  der  lebenden  ^rossrussischen  Sprache  IV,  290. 


—    209    — 

einruss.  posoiöyna  „Grundsteuer  nach  der  Zahl  der  Pflüge" 
jht  auf  eine  Grundbedeutung  „Knüttel",  „Ast",  „Baumstamm" 
rück.  Noch  Hesiod  Werke  und  Tage  v.  427  ff.  rät  dem  Land- 
aDn,  sich  selbst  im  Gebirge  oder  auf  dem  Feld  ein  Krumm- 
»Iz  {yvri  =  lat.  hüra)  aus  Eichenholz  zu  suchen  und  jederzeit 
?ei  Pflüge,  ein  amoyvov  ägorgov,  d.  h.  einen  aus  einem  Stück 
irgestellten  und  ein  nriKtov  ägoigory  einen  aus  mehreren  Stücken 
sammengefügten  Pflug  in  Bereitschaft  zu  halten.  ^  Bei  Thorn 
Westpreussen  (Hoops  p.  503)  ist  tatsächlich  ein  solches 
*Ttßyvov  äooTgovj  ein  aus  Eichenwurzel  hergestellter  Hakenpflug 
•D  etwa  3  m  Länge  gefunden  worden.  Wohl  als  jirjxrdy  ägorgov 
»11t  sich  dagegen  der  älteste  bis  jetzt  nachgewiesene  Pflug  von 
38trnp  in  Jütland  dar,  der  von  S.  Müller  Chm^ue,  joug  et 
ors  (Copenhague  1903)  ausführlich  beschrieben  worden  ist.  Es 
inn  also  nicht  bezweifelt  werden,  dass  der  älteste  europäische 
lug  ein  sogenannter  Hakeupflug  war  und  in  seiner  ältesten 
38talt  einfach  aus  einem  einzigen,  hakenförmig  gebildeten  As^ 
sstand,  der  in  sich  Grindel  und  Schar  vereinigte,  nur  dass 
K5h,  wie  es  auch  bei  dem  Thorner  Pflug  vermutlich  der  Fall 
Etr,  an  dem  hinteren  Teil  der  Schar  ein  Stab  als  Lenkstange 
5h  befunden  haben  wird.  Dass  dieser  Pflug  schon  in  der  ür- 
it  von  Rindern,  und  nicht  etwa  nur  von  Menschen  (Sklaven, 
raaen;  gezogen  worden  sei,  lässt  sich  zwar  nicht  direkt  be- 
eiden; da  aber  zweifellos  das  Rind  schon  in  der  Urzeit  als 
igtier  benutzt  wurde,  ferner  ein  Felsenbild  von  Bohuslän  in 
»hweden  aus  der  Bronzezeit  (Hoops  p.  500)  einen  von  Rindern 
tzogenen  Hakenpflug  darstellt,  endlich  auch  der  oben  genannte 
ähistorische  Hakenpflug  von  Döstrup  in  Jütland  an  der  Deichsel 
ne  Vorrichtung  zum  Anschirren  des  Zugviehs  zeigt,  wird  man 
hwerlich  bestreiten  können,  dass  das  Rind  auch  in  dieser  Be- 
ßhimg  schon  in  den  Dienst  des  Menschen  getreten  sei. 

Eine  verhältnismässig  späte  Erfindung  ist  dem  Hakenpflug 
igenüber  der  Räderpflug,  dessen  Ursprünge  von  Plinius  Hisf, 
2t.  XVni,  172  auf  die  rätischen  Gallier  zurückgeführt  werden :  Non 
ridem  inventum  in  Raetta  OaWae,  ut  ducLs  adderent  tali  (näm- 
ch  einem  Pflug  mit  breiterer,  schaufelartiger  Schar)  rotulas, 
\tod  gentis  vocant  plaumorati.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich, 
ass  in  dem  ersten  Teil  des  letztgenannten  Wortes  sich  die  ger- 
tanisch-slavische  Sippe:  ahd.jy/IuojjT,  agh.  pUg,  sMn.  plögr,  rosa. 


~    310   — 

plugü,  klriiis.  pluh  etc.,  lift  plvkgüg  (vgl.  atirk  dH^jXu&ity  na. 
plugu}  yerbirgt.  Ihr  Urepnmg  ist  aoch  nieht  sieher  ermittelt; 
doch  kano  es  als  sehr  wahrscbehilich  betraebtet  werden,  im 
die  Slaven  das  Wort  von  den  Germanen  entlehnt  haben  imd 
nicht  umgekehrt  (vgl.  an  neuerer  Literatur  Meringer  LF.XVI, 
185  f.,  XVII;  109  ff.,  Hoops  Waldbäume  und  KultorpflanieQ 
p.  506,  J.  Peisker  Vierteljahrsschrift  f.  Sozial-  und  Wirtschaft»* 
geschichte  1905  p.  87  ff.). 

Wenn  wir  somit  gesehen  haben,  dass  das  eigentliche  Aeke^ 
haugerät,  der  Pflug,  zwar  schon  in  der  Urzeit  bekannt.  Aber 
noch  von  sehr  primitiver  Beschaffenheit  war  und  im  besonden 
noch  jeder  metallischen  Zutat  entbehrte,  so  haben  wir  uns  nan- 
mehr  der  Frage  nach  der  technischen  Höhe  jenes  Ackerbao» 
überhaupt  zuzuwenden.  In  dieser  Beziehung  sind  wir  fast  an»- 
schliesslich  auf  die  bekannten  Nachrichten  des  Caesar  und  Taeitos 
über  den  Ackerbau  der  alten  Oermanen  angewiesen:  Neqw 
quisquam  agri  modum  certum  aut  fines  habet  proprios;  tei 
magistratus  ac  principes  in  annos  »ingulos  gentihus  cognatiom- 
busque  hominum,  qtii  tum  una  coierunt,  quantum  et  quo  kco 
risum  est,  agri  attribuunt  atque  anno  poxt  alio  transire  cogtint 
(De  bell.  Oall.  VI.  22  von  allen  Germanen).  Sed  privati  ac 
separati  agri  apud  eos  nihil  est^  neque  longius  anno  remanere 
uno  in  loco  incolendi  cau^a  licet  {De  bell.  GalL  IV,  1  von  den 
Sueben).  Agri  pro  numero  cultoriim  ab  universis  inpices  {(nk 
tinicersis  cicis'i)  occupantur,  quos  mox  inter  se  secundum  di- 
gnationem  partiunfur :  facilUatem  parfiendi  camporum  ipatia 
praebent :  arva  per  annos  mutant^  superest  et  ager  (Germ. 
Kap.  26).  Jedermann  weiss,  dass  diese  wenigen  Sätze,  so  klar 
sie  im  ersten  Augenblick  erscheinen,  der  genaueren  Erklftrang 
eine  solche  Fülle  von  Schwierigkeiten  darbieten,  dass  es  biß  auf 
den  heutigen  Tag  trotz  der  grossen  Literatur,  die  sich  darüber 
nngehäuft  hat  (vgl.  darüber  am  besten  Hoops  p.  483  ff.),  i» 
vieler  Beziehung  noch  nicht  zu  einer  communis  opinio  gekommen 
ist.  Es  niuss  daher  hier  für  unsere  Zwecke  genügen,  aus  diesen 
Nachrichten  dasjenige  herauszugreifen,  was  gegenwärtig  allgemein 
zugestanden  zu  werden  scheint.  Es  sind  dies  aber  vor  allem 
die  zwei  Sätze,  dass  erstens  die  Germanen  noch  kein  Privat- 
eigentum an  Grund  und  Boden  hatten,  und  dass  zweitens 
das  landwirtschaftliche  System  derselben  als   das  einer  wilden 


.j 


Feldgraswirtsekaft  la  beaeichiien  ist  Dms,  n»  mit  dem 
letitereo  Pnakte  zn  begiiMei,  die  alten  Germanen  in  der  Weise 
ilea  Aekerban  ansfibten,  das»  sie  immer  nnr  einen  Teil  der  aa- 
ftavbaren  Fl&che  mit  SommerfrtlchteD  bestellten  und  nach  Eia- 
bringnng  der  Ernte  denselben  der  Grasnotznng  überliessen,  geht 
am  deutlichsten  ans  den  Worten  des  Taeitas:  arva  per  anrioa 
mutant,  superest  et  ager  hervor.  Aber  auch  die  Änsserungen 
Caesars  armo  post  alio  transire  cogunt  und  neque  longius  anno 
refnanere  uno  in  loco  incolendi  causa  licet  werden  sich  schwer- 
lich auf  etwas  anderes  beziehen;  denn  die  beiden  genannten 
Züge  des  Fehlens  des  Privateigentums  und  des  jährlichen  Flur- 
wechsels scheinen  im  Altertum  überall  als  die  charakteristischen 
Eigenschaften  des  barbarischen,  nordeuropäischen  Ackerhaus 
betrachtet  worden  zu  sein,  wie  auch  aus  den  bekannten,  den 
Ackerbau  der  Geten  betreffenden  Versen  des  Horaz  III,  24  her- 
vorgeht : 

melius 
viimnt  et  rigidi  Getae, 

iiHinetata  quibua  iuyera  liberas 
fragen  et  Cererem  ferunt, 

nee  culfttra  placet  longior  annuo. 

Der  andere  Punkt,  die  ünbekanntschaft  der  Germanen  mit 
dem  Begriffe  des  Privateigentums  an  Grund  und  Boden,  die  von 
Caesar  zweimal  so  uneingeschränkt  behauptet  wird,  hängt  mit 
der  Frage  nach  der  technischen  Höhe  des  damaligen  Ackerbaus 
aber  insofern  aufs  engste  zusammen,  als  von  einer  grösseren  Iji- 
tensität  der  Bodenbenutzung  selbstverständlich  erst  die  Rede  sein 
kann,  nachdem  das  Land  in  Privatbesitz  oder  wenigstens  in 
Privatnutzung  übergegangen  ist.  Sehr  charakteristisch  sind  in 
dieser  Beziehung  die  Bemerkungen,  die  ein  so  scharfsichtiger 
Beobachter  wie  Th.  v.  Bernhardi  (Geschichte  Russlands  Hl, 
113)  über  die  Nachteile  des  russischen  Mir*)  macht:  „Diese 
berkömmliche  landwirtschaftliche  Verfassung,  der  zufolge  jede 
Dorfgemeinde  ihre  Feldflur  als  Gesamtheit,  als  Genossenschaft 
besitzt  oder  inne  hat,  so  dass  keine  einzelne  Familie  ein  vvirk- 
licheSy  ein  Sondereigeutum  in  der  Flur  hat  und  nützt,  vielmehr 
die  sämtlichen  Ackerlose  nach  einem  kurzen  Turnus  von  drei 
Jahren,  wenn  nicht  noch  öfter,  wieder  zusammengeworfen  werden, 


1)  Ausführlicher  wird  über  ihn  in  Kap.  XIII   gehandelt  werden. 


—    212    - 

behufs  einer  neuen  veränderten  Verteilung  unter  die  sämtlichen 
Genossen  des  Verbandes  —  diese  Verfassung  schliesst  nicht  nnr 
jeden  Fortschritt  des  landwirtschaftlichen  Betriebs  aus,  Sonden 
auch  jede  rationelle  Behandlung,  jede  Pflege  des  Grundes  nnd 
Bodens.  Sie  ist  ohne  Zweifel  mit  ein  Grund  der  geringen  An- 
hänglichkeit an  sein  heimatliches  Dorf,  der  geringen  Neigung 
zum  Ackerbau,  die  man  an  dem  russischen  Bauern  wahminunt. 
üie  Anhänglichkeit  an  den  angeerbten  Acker  kennt  der  ruBsische 
Lan<lmann  in  der  Tat  nicht. ^  Alle  diese  Sätze  gelten  unein- 
geschränkt auch  von  dem  ureuropäischen  Ackerbau,  den  wir  nns 
in  der  ältesten  Zeit  sogar  noch  um  eine  Stufe  primitiver  als  den 
des  russischen  Mir  vorzustellen  haben  werden,  indem  ohne  Zweifel 
die  den  ein/einen  Familienverbänden  {gentes  cognationesgue 
hominum)  zugewiesenen  Ackerquoten  von  ihnen  gemeinsam  bebaut 
und  abgeerntet  wurden,  worauf  dann  der  Ertrag  unter  die  ein- 
zelnen verteilt  ward.  So  fand  es  Diodorus  Siculus  V,  34  anch 
hei  keltiberischen  Stämmen:  omoi  xaiY  Sxaoiov  hos  duuoovfum 
Tfjr  xcogav  yFa)Qyovoi,  xa\  rovs  xaQJiovg  xoirojKHOvjiievoi  fieiaöi' 
ddaniv  exdoTfu  to  ih£Q<k  xai  Tofc  vooq)ioafXEvoic:  ti  yecogyois  Mimof 
To  TToöarijLiov  re&eixaoi.  Erst  zur  Zeit  des  Tacitus  scheint  auf 
Grund  sich  wiederholender  Verlosungen  eine  Sondernutznng  des 
Bodens  durch  die  einzelnen  Hausväter  {secundum  dignationm 
parfiuntur)  stattgefunden  zu  haben. 

Nicht  minder  hängt  hiermit  auch  die  geringe  Anhänglich- 
keit an  die  heimatliche  Scholle,  ein  gewisser  „Nomadentrieb^ 
zusammen,  der,  wie  von  Bernhardi,  so  von  zahlreichen  anderen 
Kennern  des  russischen  Volkstums  (vgl.  z.  B.  A.  Le  roy-Beaulieu 
Das  Reich  des  Zaren,  deutsch  von  Pezold,  I*,  128)  hervor- 
gehoben  wird,  und  den  wir  ebenso  bei  den  alteuropäischen  Be- 
völkerungen antreffen. 

So  glaubte  Caesar,  wie  aus  seinen  auf  die  erste  der  oben 
angeführten  Stellen  folgenden  Worten  hervorgeht,  dass  die  Ger- 
manen jährlich  nicht  nur  ihre  Äcker,  sondern  auch  ihre 
Wohnungen  wechselten,  und  eine  ausserordentlich  lebhafte, 
noch  heute  nicht  geschlichtete  Streitfrage  hat  sich  darüber  ent- 
sponnen, ob  Caesar  in  dieser  Auffassung  geirrt  habe^),  oder  wie, 
wenn  dies  nicht  der  Fall  sein  sollte,  dieser  ganz  ausserordentliche 

l).Vgl.  zuletzt  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Altertum  XXXVI,  lOSff- 


—    213    — 

Mangel  an  Sesshaftigkeit  zu  erklären^)  sei.  Wir  verzichten  dar- 
anfy  auf  diese,  wie  es  scheint,  niemals  ganz  zn  erklärenden  Ver- 
bältnisse näher  einzugehen,  da  durch  anderweitige  Zeugnisse 
jedenfalls  so  viel  feststeht,  dass  das  Verhältnis  nicht  nur  der 
Grermanen,  sondern  auch  der  übrigen  alteuropäischen  Völker  /u 
lern  Boden  der  Heimat  noch  ein  sehr  lockeres  gewesen  sein  muss. 

Dass  die  Völkerschaften  der  Hellenen  bei  ihrem  Eintreten 
n  die  Weltgeschichte  noch  von  einer  tief  eingefleischten  Wander- 
ust  beseelt  waren,  hat  bereits  Thukydides  (1,  Kap.  2)  mit  ge- 
Yohntem  Scharfsinn  erkannt.  „Das  jetzt  sogenannte  Hellas^, 
lagt  er  I,  Kap.  3,  „ist  offenbar  nicht  von  alters  her  fest  be- 
nedeit gewesen,  sondern  es  haben  in  früheren  Zeiten  ümsiede- 
nngen  stattgefunden,  und  leichtlich  verliess  eine  jegliche  Gemein- 
ichaft,  von  irgend  einer  Überzahl  bedrängt,  ihre  Wohnsitze.  Denn 
la  es  damals  noch  keinen  Handel  und  keinen  furchtlosen  Ver- 
liehr  zu  Wasser  oder  zu  Lande  gab,  und  ein  jeder  nur  insoweit 
»ein  Land  bebaute  {vejudjueyoi  tf  rd  afrrwy),  als  zum  Leben  nötig 
i^ar,  ohne  Reichtümer  zu  sammeln,  ohne  ßaumpflanzungen  an- 
Külegen  {ovde  yrjv  qjinevovteg),  war  es  mit  keinen  Schwierigkeiten 
v'erbnnden,  die  Heimat  zu  verlassen;  blieb  es  doch  ungewiss,  ob 
nicht  bei  dem  Mangel  befestigter  Plätze  ein  anderer  kommen 
und  einem  das  Erworbene  rauben  werde,  und  war  man  doch 
überzeugt,  den  täglichen  Bedarf  allüberall  finden  zu  können^. 

So  tritt  uns  auf  dem  klassischen  Boden  des  alten  Griechen- 
lands genau  dasselbe  Wandervolk  entgegen,  welches  viele  Jnhr- 
Imnderte  später  die  griechisch-römischen  Schriftsteller  in  dem 
forden  Europas  wiederfanden.  „Allen  Völkern  dieses  Landes^ 
Deutschlands),  sagt  Strabo  Kap.  291,  „gemein  ist  die  Leichtig- 
ceit  der  Auswanderungen,  wegen  der  Einfachheit  ihrer  Lebens- 
nreise,  und  weil  sie  keinen  eigentlichen  Ackerbau  kennen  (din  ro 
nif  yecoQyeir)  und  keinen  Vorrat  sammeln,  sondern  in  Hütten 
wohnen  und  nur  den  täglichen  Bedarf  besitzen.  Ihre  meiste 
Sfahmng  nehmen  sie  vom  Zugvieh,  gleich  den  Wanderhirten;  so 
lass  sie,  diese  nachahmend,    ihren  Hausvorrat  auf  Wagen  laden 

1)  V^l.  zuletzt.  J.  Hoops  Waldbäuiiie  und  Kulturpflanzen 
().  611  ff.,  der  in  den  von  Tacitus  geschildertiMi  Verhältnissen  den  nor- 
malen altg'ennauischen  Zustand  erblickt,  von  dem  die  Nachricht  dos 
DacMir  nur  einen  durch  kriegerische  Rücksichten  bedingten  Ausnahme- 
BQHtand  darstelle. 


-    214    - 

und  mit  den  Viehherden  sich  wenden,  wohin  ihnen  beliebt'^ 
Vergleichen  wir  hiermit  ferner,  was  Prokop  {De  hell.  GM.  III, 
14  p.  334)  von  den  üxkaßrjvoi  (Slaven)  berichtet,  dass  de  in 
elenden  Hütten  weit  voneinander  entfernt  wohnten  nnd  jeder  oft 
seinen  Wohnsitz  wechselte,  so  kann  es  keinem  Zweifel  nnter- 
liegen,  dass  die  Indogermanen  bei  ihrem  Eintritt  in  die  Geschichte 
trotz  des  Ackerbans,  den  sie  trieben,  noch  wenig  sesshaft  waren. 

Hierzu  stimmt  aufs  beste,  dass  auch  die  letzte  und  sicherste 
Stufe  sesshafter  Agrikultur,  die  ßanmzucht,  den  enropaiscben 
Indogermanen  der  Ur/cit  noch  gänzlich  unbekannt  gewesen*)  ist. 
Wie  Thukydides  ausdrücklich  von  den  ältesten  Griechen  be 
richtet,  dass  sie  noch  keine  Baunipflanzungen  angelegt  hätten 
(ordf'  qcTFvoi'Teg),  so  sagt  Tacitus  von  den  Germanen  (Kap.  26): 
Neque  enim  cum  uhertate  et  amp/ifudine  sali  labore  confendunt^ 
ut  pomaria  connerant  et  prata  neparent  et  hortos  rigent :  #<rffl 
terrae  aeifes  imperatur. 

Zugleich  mit  der  Gewöhnung  an  festere  Wohnsitze  hllt 
Ferner  der  der  Urzeit  noch  unbekannte  Garten-  und  Gemüsebao 
seinen  allmählichen  Einzug,  alles  Tatsachen,  die  seit  V.  Hebos 
Buch  über  die  Haustiere  und  Kulturpflanzen  von  niemandem 
bezweifelt  werden  können  (vgl.  auch  mein  Keallexikon  o.  Obst- 
bau und  Baumzucht,  Gartenbau),  und  die  sämtlich  sieb  in 
4las  Bild,  das  wir  für  die  altidg.  Zeiten  von  dem  Verhältnis  des 
Menschen  zu  dem  Land,  das  er  bewohnt,  entworfen  haben,  anfo 
beste  fügen. 

Nur  so  erklärt  sich  endlich  auch  der  wichtige  ümstaiMi, 
<la8s  ursprünglich  nicht  die  Völker  nach  den  Ländern  (z.  B.  Eng- 
länder, Amerikaner),  sondern  die  Länder  nach  den  Völkern  (z.  B 
lit.  Priisai  ^die  Preussen"  nnd  ^Preussenland^)  benannt  werden, 
dass  die  Heimatszngehörigkeit  eines  Menschen  nach  dem  Volk, 
nicht  nach  dem  Land  (z.  B.  Eevixpwv  6  H^vaiog)  bestimmt  wird 
und  der  Begriff  des  ^ Vaterlands^  zweifellos  von  dem  GescUeebt 
ausgeht  (z.  B.  Homerisch  mirgr}  und  altrnss.  rodü  „Gtescbleebt'', 
dann  „Vaterland",  russ.  rödina  „Heimat",  aber  im  weissron. 
födzina  anch  noch  „die  Gesamtheit  der  Verwandten '^),  dem  m 
Mensch  angehört  (näheres  vgl.  in  meinem  Realiexikon  s.  v.  Staat). 

1)  Ober  wilde  Obstbäume  vgl.  oben  p.  175.  Am  frühesteo  itt, 
wie  eR  scheint,  der  Apfelbaum  in  Kultur  genommen  worden  (vgl 
oben  p.  188,  190). 


—    215    — 

ÜBter  diesen  Umständen  ist  es  schwer  begreiflich,  wie 
lenere  Forscher  wieder  in  den  alten  Germanen  and  Indogermanen 
5in  sesshaftes  und  emsiges  Baaernvolk  haben  erblicken  können. 
!Aan  hat  zwar  gesagt,  nnr  ein  solches  habe  die  Scharen  hervor- 
)riogen  können,  die  einst  das  römische  Reich  in  Trümmer 
(chlugen.  Aber  diese  Schalten  verliessen  doch  eben  die  Heimat, 
%'eil  der  nur  flüchtig  bestellte  Boden,  der  heute  vielleicht  die 
;ehnfache  Zahl  von  Menschen  ernährt,  sie  nicht  ernähren  konnte. 
,Je  hoher  die  Lehensform",  so  äussert  sich  V.  He  hu  zu  dieser 
?^rage,  „die  ein  Volk  erreicht  hat,  desto  geringer  der  Prozent- 
»at/,  den  es  zu  kriegerischen  Zwecken  verwendet;  bei  noch  un 
;täten  Völkern  wandert  und  kämpft  jeder  erwachsene  Mann. 
iätten  die  Deutschen  emsig  den  Boden  bestellt,  dann  wären  sie 
Iberhaupt  nicht  ausgezogen,  das  römische  Reich  in  Trümmer  zu 
»oblagen."  Man  hat  ferner  berechnet,  dass  ein  Nomadenstanmi 
üochasiens  von  nur  10000  Köpfen  zu  seiner  Ernährung  allein 
(cboii  ein  Gebiet  von  der  Grösse  des  Königreichs  Sachsen  brauche. 
Wie  hätten,  meint  man,  z.B.  die  Sueben,  angenommen,  dass  sie 
ifoiuaden  waren,  allein  schon  100000  Mann  in  den  Krieg  schicken 
«.önnen  (Caes.  IV,  1)?  Allein  man  vergisst,  dass  Hochasien 
[licht  Europa  ist,  und  dass  wenigstens  von  uns  nicht  behauptet 
kvird,  die  Germanen  oder  Indogermanen  seien  Nomaden  ge- 
wesen, sondern  nur,  der  Ackerbau  habe  bei  ihnen  eine  neben- 
sächliche und  verachtete  Rolle  gespielt.  Noch  weniger  sollte 
man  sich  für  das  angebliche  Bauerntum  der  Indogermanen  auf 
die  vorgeschichtlichen  Funde  berafen.  Sie  lehren  uns  zwar  die 
wichtige  Tatsache,  dass  schon  in  neolithischer  Zeit  Ackerbau 
getrieben  wurde;  aber  über  seine  Intensität,  Ausdehnung  und 
Bedeatung  können  sie  trotz  der  Ausführungen  M.  Muchs  (Heimat 
der  Indogermanen)  gegenüber  den  oben  angeführten  historischen 
Pactis,  die  wir  doch  wohl  einstweilen  der  Prähistorie  zu  Liebe 
nicht  ganz  ignorieren  dürfen,  schwerlich  etwas  aussagen^).    Und 


1)  Man  hat  auf  die  Pfahlbauten  (vgl.  Kap.  X)  als  angebliche 
Zeugen  einer  festen  Siedelung  der  Indogermanen  hingewiesen.  Allein 
erstens  wissen  wir  gerade  für  diejenigen  Gegenden,  in  denen,  wie 
z.  B.  in  der  Schweiz,  die  meisten  Pfahlbauten  uns  begegnen,  nicht,  ob 
sie  in  älterer  Zeit  von  indogcrmaDischen  Völkern  bewohnt  waren,  und 
sweitens  steht  für  jene  Epochen,  in  denen  wir  mit  fortwährenden 
Kämpfen  und  Überfällen  zu  rechnen  haben,   nichts  der  Annahme  ent- 


—    216    - 

zwar  dies  nui  so  weniger,  als  wir  die  nnzweideatigsten  Nach- 
richten darüber  besitzen,  worin  der  eigentliche  Schwerpunkt  der 
altindogermanischen  Wirtschaft  beruhte. 

III.    Die    älteste    Viehzucht   der   idg.  Völker.    Un- 
mittelbar au  die  Worte:  neque  longius  anno   remanere  uno  in 
hco  incolendi  causa   licet    schliesst  Caesar  IV,  1  den  Satz  an: 
neque  multum  frumentOj   sed   maximam  partem  lade 
atque   pecore    cinint    und    unmittelbar  an   die  Worte  (VI,  22): 
Of/rlcu/turae  non  Student    den  Satz:    maiorque  pars  rictus 
in  lade,  caseo,  carne  consistit.     Nimmt   man    hierzu   die  Nach- 
richt des  Tacitus  {Germ.  Kap.  5):    eae   (nämlich   das  Grossvieh) 
8o/ae  et  gratU»imae  opes  sunt,  so  kann  meines  Erachtens  auch 
nicht  der  leiseste  Zweifel    l)estehen,    dass   die    Hauptwirtscbafts- 
form    der    alten  Germanen    die   Viehzucht    bildete,    zu    der  der 
Ackerbau    nur    eine    für    die  Volksernährung   erst    durchaus  in 
zweiter  Linie  stehende  Ergänzung  darbot.     Zu  derselben  Ansicht 
ist  Peiskcr  in  seinem  schon   genannten  Buch:  Die  älteren  Be- 
ziehungen der  Slaven  zu  Turko-Tatareu  und  Genuanen  und  ihre 
sozialgeschiclitliche  Hedeutun<c  hinsichtlich  der  Slaven  gekommen, 
die,  bevor  sie  unter  die  turko-tatarische  Herrschaft  kamen,  nach 
seiner  Meinung  ganz  vorwiegend  Viehzüchter,  namentlich  Rinder- 
züchter, ebenso  wie  die  Germanen  des  Caesar  und  Tacitna  waren. 
Er  folgert    dies    einerseits    aus    der   ansehnlichen   einheimischen 
Nomenklatur  für  Gross-  und  Schmalvieh  in  den  slavischen  Sprachen 
(z.  B.    für    das  Rindvieh    altsl.  goc^o    „Rind^,    kraca    „Knb", 
bi/kü  „Stier",  tefq  „Kalb",  colü  „Ochse"),   andererseits  ans  dem 
gemeinslavischen  äupa,  das  in  den  einzelnen  slavischen  Sprachen 
„Bezirk",  im  Serbischen  spezioli  den  Wohnungsbezirk  des  pleme 
„Stammes"    bedeutet,    dessen   ältester  Sinn    aber  „Weidebezirk*^ 
[regio  pastoria,    compascua)    war.      Noch    das  Gesetzbuch  des 
serbischen  Kaisers  Dusan  bestimmt:  „Eine  ^upa  soll  der  (anderen) 
hipa   nichts   mit  Vieh  abweiden  usw."    (vgl.  Peiaker  p.  103). 
Vgl.  auch  oben  p.  lof). 

Und  ebenso  müssen  wir  uns  die  Volkswirtschaft  der  Hei- 
leuen vorstellen  zu  der  Zeit,  als  sie  sich  in  der  von  Thakydides 
(ol)en  p.  213i  geschilderten  Weise  über   die  Balkanhalbinsel  ver- 

(^o'j^en,   dass  der  eine  Stamm  den   anderen    vertrieben  und   in  seinen 
Pfahlbauten  weiter  gehaust  habe. 


—     217     — 

breiteten.  Noch  im  Epos  heissen  die  Bewohner  wohlliahender 
Städte  jioXvßovxai  und  jioXvQgtjvFg.  Der  Reich  tarn  der  Fürsten 
beruht  (Od.  II,  75)  auf  xeififjXia  (z.  B.  nngemünzteni  Metair>  und 
nQoßaoi^  =  jiQoßaTQy  „Vieh**.  Königssöhne  weiden  die  Herden  des 
Vaters.  Hirtengötter,  z.B.  Apollon,  der  selbst  nach  der  Hürde 
(ajiekka)  benannt  ist,  sind  die  Hauptgötter  der  Griechen,  ..ein 
Beweis,  dass  die  Viehzucht  für  das  gesamte  Volk,  vom  Knecbt 
und  Taglöhner  bis  zum  Häuptling  hinauf,  die  Haupt besebäftigung 
bildete"  vgl.  I.  v.  Müller  Privataltertttmer  -  p.  241,  E.Meyer 
Gesehiclitc  des  Altertums  H,  79ff. ».  Nicht  anders  ist  bei  den 
vedischen  Ariern  die  Viehzucbt  „als  Haupterwerbsquelle  zu 
betrachten**,  wofür  es  genügt  auf  die  Darstellung  der  vedisclien 
Volkswirtschaft  in  H.  Zimmers  Altindischem  Lehen  p.  221  ff. 
zu  verweisen,  und  aucb  in  den  awestischen  (fätbä  s  ist  im  («egen- 
satz  zu  den  späteren  Teilen  des  Awesta  noch  die  Kuh  der  eigent- 
liche Mittelpunkt,  um  den  sich  Leben  und  Streben  des  ganzen 
Volkes  dreht  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  p.  403j. 

Dass  diese  Verhältnisse  aber  zugleich  die  ältesten  indo- 
gemiaoischen  Zustände  darstellen,  darauf  weist  eine  Fülle  sprach- 
licher und  historischer  Tatsachen  mit  vollkommener  Sicherheit 
hin.  Zunächst  die  in  Kap.  HI  zusammengestellten  Namen  der 
Haustiere,  die  im  Gegensatz  zu  den  meisten  Ackerbau- 
gleichuDgeu  sich  über  das  gesamte  idg.  Sprachgebiet  erstrecken. 
•Es  kann  kein  Zweifel  sein*',  sagt  Winternitz  mit  Recht,  „dass 
zAhlreicbe  Ausdrücke,  die  sieb  auf  die  Viehzucht  beziehen,  gemein- 
iadogenuanisch  sind  und  dem  Wortschatz  der  Ursprache  zu- 
geBcbrieben  werden  müssen,  während  eine  gemeinsame,  auf  den 
Aekerban  bezügliche  Terminologie  nur  in  den  Sprachen  der 
earopiÜ8chen  und  nicht  auch  der  arischen  Indogermanen  nach- 
weisbar ist.*'  Sodann  das,  was  Kap.  VIH  und  Kap.  XV  (Religion' 
Aber  die  älteste  Nahrung  und  Opferdar bringung  (Götter- 
speisang)  auseinandergesetzt  werden  wird,  woraus  sich  ergibt,  dass 
Fleischnabmng  und  Opferung  der  viei-füssi^on  Haustiere  anderen 
Speisen  und  Spenden  gegenüber  in  der  ältesten  Zeit  durchaus  in 
dem  Vordergrund  stehen.  Nicht  minder  wichtig  ist  die  in  Kap.  IX 
erörterte  Tatsache,  dass  Leder-  und  Pelzkleidung  ohne 
Zweifel  die  älteste  Umhüllung  der  Indogermanen  gebildet  hat. 
Von  nicht  geringerer  Bedeutung  ist  auch  die  in  meinem  Real- 
lexikon   (s.  V.   Körperteile;    ausführlich    besprochene    Erscbei- 

8e h rader.  Sprachrertrleicliiing  uud  Urf^eschfohte  II.   3.  Aufl.  15 


-    218    — 

nuuff,  dasB  schoo  io  der  Urzeit  eine  eingehende  anatomische 
Kenntnis  des  tierischen  nnd  menschlichen  Leibes  vorhanden  war, 
die  nur  durch  die  hänfige  Übnng  des  Schlachtens  des  Viehes  n 
profanen  und  sakralen  Zwecken  gewonnen  worden  sein  kann 
(vgl.  auch  V,  164  Anm.)-  Dies  alles,  verbunden  mit  zahlreichen 
Zügen  des  Familien-  nnd  Stammeslebene  (Kap.  XIII),  die  in 
dieser  Zusammenstellung  nur  auf  der  Wirtschaftsstnfe  der  Vieh- 
züchter wiederkehren,  erheben  es  über  jeden  Zweifel,  dass  die 
Indogermanen  ganz  vorwiegend  ein  Volk  von  Viehzüchtern  ge- 
wesen sind*). 

Im  Mittelpunkt  dieser  ältesten  Viehzucht  stand,  woraif 
schon  in  Kap.  III  hingewiesen  wurde,  das  Rindvieh,  die  Kuh,  das 
Zug-,  Schlacht-,  Opfer-,  Milchtier,  der  Reichtum  und  Wertoieaer 
der  Urzeit. 

Hieraus  folgt  zugleich,  dass  wir  kein  Recht  haben,  uns  die 
lodogermanen,  wie  schon  mehrfach  betont  worden  ist,  als  eigent- 
liche Nomaden  vorzustellen,  als  Wanderhirten  und  Reitemomaden, 
wie  sie  die  west-  und  ostturkestanischen  Steppen  nnd  Wüsten 
durchstreifen.  „Das  strenge  Reitemomadentum'^,  sagt  Peisker 
a.  a.  0.  p.  11  nach  v.  Middendorf  und  V&mböry,  „kennt  keine 
Rinderzucht.  Das  Rind  verdurstet  bald,  es  ist  nicht  schnell- 
füssig  und  ausdauernd  genug,  um  die  ungeheuren  Wandernngeo 
mitmachen  zu  können ;  es  ginge  an  Erschöpfung  zugrunde,  bevor 
es  im  Frühjahr  die  Sommerweiden  und  im  Herbst  die  Winter- 
quartiere erreicht  haben  würde.  Auch  bietet  ihm  die  Steppe  ffir 
den  Winter  keine  entsprechende  Nahrung,  und  der  Hirt  bitte 
keinen  besonderen  Nutzen,  weil  das  wandernde  Rind  keine  oder 
wenig  Milch  gibt  und  als  Tragtier  dem  Pferd  nnd  Kamel  an  der 
unerlässlichen  Schnelligkeit  bedeutend  nachsteht.     Das  eigentliche 


1)  Alles  dies  habe  ich  bereits  in  der  zweiten  Auflage  dieses 
Buches  und  besonders  in  meinem  Reallexikon  (s.  v.  Viehsucht)  ftiU' 
einandergesetzt.  Winternitz  Beilage  z.  Allg.  Z.  1903,  Nr.  253  be- 
merkt da/u:  „Und  da  stehe  ich  nicht  an,  mich  rückhaltlos  zu  der  Ad* 
sieht  Schraders  zu  bekennen,  dass  die  noch  zu  erschli essende  Wirt- 
schaftsform des  idg.  Urvolks  die  Viehzucht  war.  Die  von  ibm 
angeführten  Gründe  halte  ich  für  durchaus  zwingend,  und  H.  Hirt 
(vgl.  P,  49),  der  die  entgegengesetzte  Ansicht  vertritt,  hat  auch  nicht 
einen  dieser  Gründe  widerlegt.'  Durchaus  nichts  neues  hat  H.  Hirt 
auch  in  dieser  Beziehung  in  seinem  Buche  Die  Indogermanen  vo^ 
gebracht. 


J 


-    219    - 

Zucht-  und  Nährtier  des  zentralaBiatischeD  Nomaden  ist  das  Schaf 
und  neben  ihm  das  Pferd."  Wollen  wir  ans  daher  nach  ethno- 
graphischen Parallelen  zu  der  Wirtschaftsstufe  der  Indogermanen 
umsehen,  werden  wir  besser  tun,  uns  den  afrikanischen  Vieh- 
zQchtem  zuzuwenden.  „Rindviehzucht",  heisst  es  hier  von  den 
Kaffem  (vgl.  Winternitz  Was  wissen  wir  von  den  Indogermauen ? 
Beilage  z.  Allg.  Z.  1903  Nr.  252;,  „ist  der  Kaffern  grösste 
Leidenschaft  und  Gottesdienst,  und  ein  Haupthindernis  für  bessere 
Landwirtschaft.  Sie  weiden  ihre  Augen  an  dem  Vieh  mit  so 
grosser  Lust,  dass  ihre  Phantasie  sich  Tag  und  Nacht  damit 
beschäftigt.  Sie  besingen  und  loben  dessen  Eigenschaften,  ver- 
gleichen es  mit  den  höchsten  Ideen  von  vernünftigen  Menschen 
und  noch  höheren  Kräften.  .  .  .  Um  Vieh  zu  bekommen,  tut 
der  Kaffer  alles."  Und  von  denselben  Kaffern  berichtet  £.  Grosse 
Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft  p.  90: 
„Von  vielen  Stämmen  wird  hier  (in  Afrika)  auch  Ackerbau 
ipetrieben;  aber  die  Pflanzenkultur  gilt  ihnen  neben  der  Vieh- 
zucht als  eine  niedrige,  nebensächliche,  beinahe  unwür- 
dige Beschäftigung.  Das  gleiche  Verhältnis  tritt  bei  den 
Kaffem  und  ihren  benachbarten  Verwandten  hervor.  Auch  sie 
mögen  die  Früchte  des  Feldes  nicht  entbehren,  aber  die  Feld- 
arbeit ist  ihnen  verächtlich  und  verhasst;  ihr  Herz  hängt  allein 
an  den  Herden,  welche  den  Mittelpunkt  ihres  ganzen  Lebens 
bUden."" 

Den  Schwerpunkt  in  der  Vieh  Wirtschaft  der  ludogermauen 
bildete  also  die  Rindviehzucht.  Und  doch  sind  wir  schon  früher 
einer  Spur  begegnet,  die  in  noch  ältere,  vorindogermanische 
und  andersartige  Verhältnisse  zu  weisen  scheint.  Wir  haben 
Dimlich  oben  (P,  201  f.)  gesehen,  dass  die  älteste  Bedeutung 
der  schon  idg.  Kollektivbezeichnung  für  Vieh  (scrt.  pägu  =  got. 
faihu)  „Schaff  (also  nicht  „Rind^)  gewesen  ist,  wodurch  sich 
der  Blick  in  eine,  wir  wiederholen  es,  vorindogermanische  Zeit 
eröffnet,  in  der,  wie  bei  den  wirklichen  Nomaden,  so  auch  bei 
den  Indogermanen  nicht  das  Rind,  sondern  das  Schaf  das 
Hanptherdentier  bildete. 

Und  so  lässt  sich  nun  das  Bild  der  indogermanischen  Wirt- 
schaftsform folgendermassen  entwerfen:  Die  Indogermanen  waren 
in  der  Zeit,  in  der  die  ersten  Stämme  sich  von  dem  Grundstock 


—     220    — 

abzusondern  begannen,  ein  Volk  von  Vieh-,  besonders  von  Rind- 
viehzi1chtei*n.  Der  Ackerbau  war  ihnen  nicht  gänzlich  unbekannt, 
doch  können  wir  nicht  sagen  (vgl.  Kap.  V),  welche  Kulturpflanzen 
sich  über  das  ganze  Völkergebiet  erstreckten.  Erkennen 
können  wir  nur,  dass  ein  bereits  mit  dem  Pflug  betriebener  und  Ober 
den  Anbau  von  Gerste,  Weizen,  Hirse,  Flachs,  Bohne  und  Mohn 
verfügender  Ackerbau  in  prähistorischer  Zeit  deutlicher  bei  den 
westlichrriMi  Gliedern  des  idg.  Sprachstanims  hervortritt, 
ohne  sich  jedoch  auch  hier,  ftber  ein  von  der  freien  männlichen 
Bevölkerung  verachtetes,  den  Menschen  noch  nicht  an  die  Scholle 
bindendes  Anhängsel  der  Viehzucht  zu  erheben. 

In  diesen  Rahmen   lassen    sich    noch    zwei   weitere   kultur- 
historische und  linguistische  Tatsachen  einfügen.     Wir  haben  in 
Kap.  III  gesehen,    dass  die  Schweinezucht    den    Indem  nnd 
Iraniern  fremd  ist,    während  sie  bei  den  übrigen  Indogermanen. 
ebenso  wie  die  der  übrigen  Haustiere,  seit  der  ältesten  Zeit  her- 
vortritt.    Auf  die  europäischen  Sprachen  ist  auch  die  idg.  Glei- 
chung für  das  junge  Schwein:    lat.  porctiSj   ir.  orc,  ahd.  farakj 
lit.    paPüzas,   altsl.  pras^    beschränkt.      Da    nun    einerseits  die 
Schweinezucht  naturgemäss  für  ihren  Betrieb  das  Vorhandensein 
umfangreicher  Eichen-    und  Buchenwälder    voraussetzt,    anderer- 
seits aber  überhaupt  sich  eher  an  den  Ackerbau  und  eine  grossere 
Si'sshaftigkeit    als    an    die    reine  Viehzucht    anlehnt,    so  stimmt 
dieses  Hervortreten    des    gezähmten  Schweines    im    Westen  de» 
idg.  Völkergebietes  aufs  beste  mit  der  Verteilung  von  Wald  und 
Steppe,   Ackerbau  und  Viehzucht  überein,   wie   wir   sie   für  die 
idg.  Urheimat  angenommen  haben.     Dieselbe  geographische  Ver- 
breitung wie  die  meisten  Ackerbaugletehnngen    hat   in  den  id^- 
Sprachen  zweitens  das  Salz:  griech.  älg,    lat.  sat,  got.  jwrft,  ir. 
üalanny  cynir.  halauy  altsl.  soltj  lett.  näh,  armen,  nl  (vgl.  grieeh. 
iiooToovj    lat.    arafrum,    ir.  arathar,    altn.  ardr,    armen,   artmr 
„Pflug"  I.     Da  nun  di(*  Pflanzenkost,  die  mit  der   grösseren  Be- 
tonung   des    Ackerbaus   natürlich    an  Bedeutung   gewinnt,   dem 
Körper  das  in  ihm  enthaltene  und  für  ihn   notwendige  Kochwilz 
durch  ihren  Kaligehalt  entzieht,    so    dass   es  von  aussen  ergänzt 
werden  niuss,  so  lässt  sich    die  Beschränkung    des    idg.  Worte* 
für  Salz  auf  die  westlicheren  Glieder  des  idg.  Sprachstamms  ohne 
Schwierigkeit    so    erklären,   dass    hier  das    in    der    Natur  («n 
den  nördlichen  Gestaden   des  Schwarzen  Meere«)    in  Menge  v(»r- 


—    221     - 


laudene  Kochsalz  in  seiner  Wichtigkeit   für   die  Ernährang  des 
lenscben  im  Westen  früher  als  im  Osten  erkannt  wurde. 

So  können  wir  die  auf  Seite  205  gewonnenen  Parallelen 
och  um  zwei  weitere  Glieder  vermehren  und  erhalten  so  die 
Leiben : 


Waldsteppe  und  Waldgebiet. 
Viehzucht  mit  Ackerbau. 

Schweinezucht. 

Salz. 


Baumarme  Steppe. 

Viehzucht  mit  geringen 

Spuren  des  Ackerbaus. 

Unbekanntschaft  mit  der 

Schweinezucht. 

Dnbekanntschaft  mit  dem  Salze. 


Westen  (Europäer). 


Osten  (Arier). 


VII.  Kapitel. 

Die  Zeitteilung. 

1.  Die  Jahreszeiten:  Winter.  Frühling.  Sommer.  Spuren  einer  ältereo 
Zweiteilung.  Das  Jahr.  Zählung  nach  Jahreszeiten.  2.  Mond  und 
Monat.  Schwangerschaftsberechnung.  Zerteilung  des  Mondmonats  in 
zwei  Hälften.  Aberglaube.  Mond-  und  Sonnenjahr.  Die  12  Nächte. 
Monatsnamen.  Das  idg.  Jahr  ein  «Witterungsjahr".  8.  Tag  und  Nacht. 
Zählung   nach   Nächten.    Die  Nacht   beginnt   den  Volltag.    Der  Tag. 

Tagesteilung.  —  Allgemeines. 

Wenn  ich  an  die  Geschichte  des  Ackerbaues  und  der 
Kulturpflanzen  einen  kurzen  Überblick  Aber  die  Ursprünge  der 
idg.  Zeitteilung  anreihe,  so  geschieht  dies,  weil  beide  Materien 
gewissermassen  in  einem  ursächlichen  Zusammeuhaug  miteinander 
stehen.  Mit  Recht  bemerkt  J.  Grimm  (Geschichte  d.  D.  Spr.): 
^Erst  nnter  ackerbauenden  Völkern  ordnen  sich  Gottesdienst  und 
Zeitteilung^ y  und  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  erst  deqeoige^ 
welcher  die  Saat  dem  Schosse  der  Erde  anvertraut  und  tod 
ihrem  Wachsen  und  Gedeihen  Glttck  und  Reichtum  fflr  sich  mid 
die  Seinen  hofft,  dass  es  erst  der  Landmann  ist,  welcher  eis 
lebhafteres  Interesse  an  einer  genaueren  Einteilung  der  Zeit 
nimmt.  Da  wir  nun  in  dem  bisherigen  gesehen  haben,  dass  die 
Indogermanen  in  ihrer  Urzeit  noch  weit  von  der  Hohe  eines 
sesshaften  Ackerbanvolkes  entfernt  waren,  so  wird  es  yon  Wich- 
tigkeit sein,  zu  untersuchen,  ob  das,  was  wir  Aber  die  ftlteite 
Zeitteilang  ermitteln  können,  mit  diesem  Ergebnis  im  Einklang  steht. 

Nicht  minder  wird  es  fttr  das  Verständnis  des  historischen 
Kalenders  der  einzelnen  idg.  Völker  wertvoll  sein,  den  gemein- 
samen Kern  zu  finden,  der  ihnen  zugrunde  liegt.  Und  endlich 
ist  es  unzweifelhaft,  dass  die  Einteilung  der  Zeit  bei  einem 
Volke,  z.  B.  die  Frage,  wie  viele  und  welche  Jahreszeiten  es 
unterschied,  eng  mit  der  Lage  und  dem  Klima  des  Loindes  ver- 


-     223     — 


tpQpft  ist,  in  welclieni  es  wohnt,  m  das«  wir  auch  naeli  dieser 
Inite,  d.h.  hinsichtlicb  der  Frage  der  id^.  Urheimat,  auf  einige 
Bilere  Änhaltepmiktc  hoffen  dllrfen. 

1.     Die  Jahreszeiten. 

Aaf  dem  .Slandpuakt   eines   fast   ausBcblieBslieh    von    dem 

tragt    seiner  Herden    lebenden  Volkes    re^t    der    EtufluBS    des 

jlTitterun^weehseb  den  Mensehen  zuvörderst  20  einer  doppelten 

lüttaebtiiug   an:    er    antci-scheidet   /.wiaehen   derjenigen  Jahres- 

pit,  in  welcher  w  mit  seinen  Herden  die  oft  Tausende  von  Kilo- 

Wtem  entfernten  Sommerweiden  he/ieht,    and    der,    in   welcher 

vor  den  Unbilden    der    Witterung    in    geschlitztere    Winter- 

lartiere  flüchtet. 

Dürfen  wir  VAnibery  Primitive  Kultur  p.  Iö2  f.  glanbeu, 
>  haben  die  tnrko-tatarischen  Völker  in  ihrer  Urzeit  lediglich 
7.wei  Jahreszeiten,  Somnier  und  Winter,  nnterschieden,  in  deren 
Benennungen  sich  noch  die  Zustände  eines  Nomadenvolkes  deut- 
di  abspiegeln  würden.  \)cr  Name  des  Sommers  jciz  wäre  so- 
I  wie  die  „Jahreszeit,  in  welcher  man  sich  ausdehnen  kann" 
„ausbreiten",  j'flzi  „Ebne",  jazilatnalf  „auf  die  Weide,  auf 
!  Steppe  gehen"),  während  die  Benennung  den  Winters  }f,iii, 
\  die  schneeige  (Ifaj-iii,  yaUi-lfii'  pSchneegestöbcr")  Jahreszeit 
ideute. 

Wie    sind    nun    in    dieser  Beziehung    die  ältesten   idg.  Zn- 
kndc  zu  beurteilen? 

Die    airi    schärfsten    in    den  idg.  Sprachen  charakterisierte 
I  in  deneeiben  am  weitesten  verbreitete  Henennung  einer  Jahres- 
yi  ist  ohne  Frage  die  des  Winters: 

BCrt,  kemantä,  hema»  i„im  W."),  hitnä,  liimti  lancli  „Kälte";, 
IT.  zayan,  zj/am  (Noui.  zyd),  armen,  jmern  ijiun  ^Schoee";, 
liech.  ;^a/iiäv  (xia'tv  „Schnee"!,  I at.  AiemK  tauch  „Unwetter"»,  ir. 
»4,  altsl.  zima,  lit.  Hemä,  alb.  dimm,  genn.  ^n-gimus  ,.jäbr- 
iUx  Salica,  Kern  Taal  u.  Letterb.  II,  143,  vgl.  lal. 
[«,  tritnug  usw.  „zwei-,  dreijährig",  grieeh.  ///«igcjj-,  yumnin 
ßegenbock,  Ziege",  eigentl.  „Jährling"!. 

Die  Wurzel  ist  unbekannt;  aber  in  dem  itedeutnngswandel 
■  aiigefQhrteu  Sippe  (Winter,  Sturm,  Schnee;  spiegelt  sieii  die 
|lur  eines  nordischen  Winters    ab,    was    auch    durch  das  Vor- 
^Itdenttein einer  idg.  Wurzel  t'Ur  schneien:  aw. a/ui^i/  (aber  rafm 


—    224    — 

y,Sclmet»"),  lat.  ninguere.  nix,  griecli.  i'«V«i  >'*9'a,  got.  «mS/v, 
lit.  sni^ga^,  altsl.  snegü,  ir.  tmechta  ttestätigt  wird.  Dazn  koiDiDt 
die  Übereinstiinmnng  von  ahd.  f«  mit  aw.  isu  f,fro8tig,  eisig'*. 
Der  «j^enannten  Sippe  für  den  Winter  stehen  nan  zunächst 
zwei  Gleichungen  gegenüber,  die  miteinander  gemein  haben,  im 
sie  eine  freundlichere  Jahreszeit  bezeichnen.     Es  sind: 

1.  scrt.  raaanfd,  aw.  vanhar  (npers.  behdr)  =  scrt.  casar, 
armen,  ginnin,  altsl.  resna,  altn.  rar,  lat.  v^,  com.  guainim 
(gl.  r«r',  griech.  lag  „Frühling*^,  lit.  wasarä  „Sommer"  (?gl. 
russ.  tennrnka  „Sommersprosse"). 

2.  sert.  ndmä  ,, Halbjahr,  Jahr*^  —  aw.  Aa/w,  armen.  am<m 
(amr  „Jahr*^i,  ir.  sam,  samraify  ahd.  .sumtfr  „Sommer". 

Es  ergibt  sich  also,  dass  wir  für  die  idg.  Oiiindsprache 
zunächst  eine  Drei h ei t  von  Jahreszeiten:  Winter,  Frühling nnd 
Sommer  anzusetzen  haben.  Tatsächlich  findet  sich  eine  solche 
Dreiteilung  des  Jahres  auch  bei  mehreren  idg.  Einzelvölken. 
So  im  ältesten  Indien  {trai/ö  va  ftavah  samratsarasya,  (^(A. 
Brdhiu.j  bei  Aeschylui»:  ysiu(bvy  eag,  i^coos,  bei  den  GermaneD 
(los  1'acitus  (Germ.  Kap.  26 :  tinde  annum  quoque  ipm/m  non  w 
fotidem  digerunf  species:  hieirts  et  rer  et  aestas  intettectum  ef 
rocahdhi  hahenty  autumni  perhide  nomen  et  bona  ignorantur\ 
Gleichwohl  fehlt  es  nicht  an  Spuren,  die  darauf  hindeaten,  daesin 
einer  noch  älteren  Zeit,  ganz,  wie  es,  wie  wir  oben  sahen,  bei  den 
Turko-Tataren  der  Fall  war,  nur  zwei  Jahreszeiten,  nämlich 
Winter  und  Sommer  unterschieden  wurden.  Diese  Sparen  and 
die  folgenden:  1.  Unterscheidet  sich  der  Name  der  von  der 
Wurzel  ves  (scrt.  ras  „erstrahlen")  gebildeten  Jahreszeit  von 
<len  beiden  anderen,  wie  überhaupt  von  allen  alten  Jahreszeit- 
benennungen dadurch,  dass  er  niemals  und  nirgends  als  pan 
pro  toto  für  das  ganze  Jahr  gebraucht  wird,  eine  Aosdrocks- 
weise,  auf  die  unten  zurückzukommen  sein  wird.  Es  folgt 
hi<'raus,  dass  die  Bildungen  mit  re^  ursprünglich  nicht 
sowohl  eine  Zeitdauer,  als  einen  Zeiteintritt,  eben  den 
Eintritt  der  ^leuchtenden,  hellen'^  Zeit  bezeichnet 
haben  müssen.  2.  Lässt  sich  der  Stamm  ^sam-  ^Sommer' 
(sert.  sdinä  „Halbjahr^)  nur  schwer  von  dem  daneben  liegendeo 
scrt.  sanid  „el)en,  gleich**,  aw.  hamay  griech.  6^i6c:,  lat.  rimäu 
trennen,  so  dass  sich  als  Grundbedeutung  „gleiche,  zweite  HftUtc 
des  Jahres"  ergibt,     o.  Kann    man    die   Wahrnehmang   macbeo« 


«. 


..  ^ 


-    226     - 

in  den  Einzeleprachen  sehr  hänfig  zwei,  niemals  drei  JahreB- 
eitbenennnngen  in  ihrer  Suffixbildnng  aufeinander  eingewirkt 
aben,  wie  sert.  himantd :  vasantd,  aw.  zyafa  :  ham,  armen. 
mehn :  amarfiy  germ.  wintar  :  sumary  ir.  gam  :  sam  zeigen. 
.  Finden  sieb,  namentlich  anf  keltischem  und  germanischem 
k>den,  deutliche  Überreste  einer  alten  Rechnung  nach  Semeste/n 
ägis.  missere,  altn.  misseri).  Für  die  Kelten  ist  hierbei  auf  den 
on  Thumeysen  Z.  f.  kelt.  Phil.  II,  525  behandelten  altgallischen 
aalender  von  Coligny,  für  die  Germanen  auf  zahlreiche  Rede- 
k-eudangen  der  Poesie  und  der  Rechtssprache  wie  alts.  thea 
.ahda  so  filu  wintro  endi  sumaro  gilihd  oder  agis.  wintren  oiid 
ufneres  (Rechtsformel)  zu  verweisen.  Vgl.  auch  Beda  De 
tmporum  ratione  Kap.  15:  Item  principäliter  ammm  fotum  in 
lue  temporaj  hyefnin  ndelicet  et  aefttatisy  digeruid, 

Ist  es  aber  richtig,  dass  *«em-  ursprünglich  das  „andere 
lalbjahr*^  war  oder  bedeutete,  so  findet  in  diesem  Zusamnieii- 
lang  vielleicht  noch  eine  bisher  nicht  genannte  idg.  Jahreszeit- 
Benennung,  nämlich  altsl.  jaru  „Frühling'',  griech.  cogn  (vgl.  djrtnof]) 
,frenndliche  Jahreszeit'',  „Jahreszeit"  —  ^oi.jer,  aw.  yär  „Jahr* 
lat.  honms  „heurig")  ihre  Erklärung.  Die  Grundbedeutung 
lifser  Sippe  ist  nicht  etwa  speziell  „Frühling",  sondern  vielmehr 
«Vtthling  und  Sommer  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  in  dieser 
teit  gesäten  und  reifenden  Früchte.  Besonders  deutlich  folgt 
lies  aus  den  slavischen  Sprachen  (serb.  jar,  jari  „Sommer", 
■arica  „Sommerweizen",  russ.  jarovoe  „Sommergetreide"  etc.). 
s^benso  aus  dem  Griechischen,  wo  dn-togi],  wörtl.  „später  Teil 
Icr  <ogif^  für  (ogtj  auf  eine  ursprüngliche  Bedeutung  „Sommer" 
linweist.  Nicht  weniger  tritt  der  Begriff  der  Reife  im  Grie- 
ihiachen  in  unserem  Wort  hervor.  Auch  im  deutschen  „Jahr" 
^Otetjahr",  „Fruchtjahr",  „ein  gesegnet  Jahr")  zeigt  er  sich  noch. 

Vielleicht  lässt  sich  aber  zu  einer  noch  älteren  Grundbedeu- 
;nng  vordringen.  Die  Etymologen  leiten  die  Sippe  von  scrt.  yd 
,^gehen"  ab.  Es  fragt  sich  nur,  in  welchem  Sinne  dies  gemeint  sein 
Lönne.  Ich  möchte  im  Hinblick  auf  scrt.  yd-trd  „der  Austrieb" 
md  aw.  a-yä-^ima  (von  *a'yä'i^a,  Gegensatz:  *yd'(fra)y  ur- 
^prfioglich  „das  Fest  der  Heimkehr  von  Hirt  und  Herden  aus 
ler  Senne"  (Barth olomae)  die  Vermutung  —  mehr  kann  es 
latürlich  nicht  sein  —  wagen,  dass  *.yer-  in  vorindogermanischer 
ileit  in  Verbindung  mit  *sam''   die  Epoche    bezeichnete,   in   der 


-     226    — 

man  nach  den  Schrecken  des  Winters  auf  die  Sommerweiden 
zog,  also  das  gleiche,  wie  das  oben  genannte  tnrko-tat.  gaz.  Da 
dies  zugleich  die  Zeit  war,  in  welcher  in  den  mehr  ackerbtn* 
treibenden  Gegenden  die  Halmfracht  gesät  wnrde  mud  zur  Reife 
kam,  so  mochte  die  Bedeatnng  des  Wortes  frflhzeitig  in  Be- 
ziehung za  diesen  Tatsachen  gesetzt  werden. 

Somit  ist  das  älteste,  was  sich  Aber  die  idg.  Jahreszeitea 
ermitteln  lässt,  das  folgende.  Man  nnterschied:  1.  den  Winter 
mit  Schnee  und  Eis,  griech.  x^^M^^  ^^^  seine  Sippe,  2.  des 
Sommer,  teils  ahd.  sumar  usw.,  teils  griech.  dig^  usw.  geoaont 
Zwischen  beide  schob  sich  schon  in  der  Urzeit  lat.  eer  mid 
seine  Sippe  ein,  die  aber  noch  keine  eigentliche  Jahreszeit,  son- 
dern nur  den  Eintritt,  ^^das  Aufleuchten^  des  freundlichen  Wetten 
bezeichnete. 

Einige  Tatsachen  au8  der  Geschichte  der  allmählichen  Ver- 
mehrung der  Jahreszeiten  bei  den  Einzelvölkern  werden  nn» 
am  Schluss  des  nächsten  Abschnitts  und  am  Ende  dieses  Kapitels 
beschäftigen.  Hier  erhebt  sieh  noch  die  wichtige  Frage,  ob 
in  der  Urzeit  bereits  der  Begriff  einer  Zusammenfassung  tod 
Winter  und  Sommer,  bezügl.  von  Winter,  Frflhling  und  Sommer, 
der  Begriff  des  Jahres  einen  sprachlichen  Ausdruck  gefunden  hatte. 

Dies  scheint  nun  wirklich  der  Fall  gewesen  zu  sein.  Es 
entsprechen  sich  scrt.  safh-vat-s-arä  „Jahr^,  safhtmtsam  ^m 
Jahr  lang^,  parivatsarä  „ein  volles  Jahr^,  vatsardj  gmfk 
j^eros  „Jahr^,  alb.  ri^t  „Jahr^',  si-viet  „in  diesem  Jahre*, 
lat.  vetus^)  „alt^,  altsl.  oetüchü,  lit.  wetuszas  desgl.  Daneben 
scrt.  parüt^  Pamird.  pard,  par-vouz  (Tomaschek  C.  St.  p.  19); 
osset.  färe,  npers.  pär,  armen,  heru  (Hübschmann  Arm.  St 
I,  39,  Osset.  Spr.  65)  =  griech.  TteQvni,  altn.  fj(^p.  Auch  noeb 
zwei  weitere  idg.  Gleichungen  von  geringerer  geographischer 
Verbreitung  sind  anzuführen:  1.  lit.  mStas  =  alb.  moi  „Jahr** 
(B.  B.  VIII,  9),  deren  ursprüngliche  Bedeutung  (W.  mi)  ^Zeit- 
mass^  ist,  wie  auch  im  Slavischen  Wörter  wie  bulg.  godim 
„Jahr",  serb.  god  mit  wurzelverwandten  Wörtern  in  der  Beden- 

1)  Auch  das  lat.  Adjektivuin  hatte  ursprünglich  die  Bedentang 
^Jahr,  Alter,  Altertümlichkeit",  vgL  K.  Brugmann  K.  Z.  XXIV,  88. 
J.  Schmidt  Die  Pluralbildungen  der  idgr.  Neutra  p.  84.  Anden 
Thurneysen  K.  Z.  XXX,  485. —  Über  g^riech.  htavj6g^  das  noch  nicht 
sicher  erklärt  ist,  vgl.  K.  Brugmann  I.  F.  XV,  87. 


-     227     - 

lg  „Zeit',   „Fest"  <polii.  i/ody,    6e<^b.  kod)   /iisnmmenFlieKMeu ' * 
iklosich  Et.W.p.61).    3.  got.  it^n  =  lat.  annua  ans  *iihw-8 
BniDdbedeutniig  dutikel). 

Häafig:er  aber  als  solcher  Anstlrtlcke  scheint  man  sieb  hei 
}r  JahreazählQDg  in  der  Urzeit  anderer  Mittel  bedie&t  /.a  haben, 
inmal  werden  näniiicb  in  den  alten  Texten  die  Jahreszeiten 
ibeneinander  aufgezählt. 

So  heisst  es  im  Hildebrandslied:  ic  wallöta  »umaro  eidi 
nntro  aehntic  (—  S(i  Jahre,  60  Semester),  im  Heiland  a.  a.  thmi 
habda  a6  filu  tcintro  endi  gumaro  gilibd.  Aach  im  Kigveda 
begegnen  Sfttze  wie  „Hundert  Herbste  lebi.-  zunehmend  an  Kraft, 
hundert  Winter  and  handt-rt  Lenze".  Abnliehes  bei  Houicr  und 
Ipnst.  Es  liegt  auf  der  Hand,  daes  eine  derartige  schwcrfälligie 
breite  Anadmcksweise  vorwiegend  hei  poetischen  Gelepen- 
iten,  K,  B.  in  den  feierlichen  Zauber-  und  SegeiiHsprIlcbeii.  wie 
scboD  die  Urzeit  kainile  (vgl.  1'',  32),  üblich  war. 
Den  Bedürfnissen  der  täglichen  Rede  genDgte  es,  das  kiliif- 
B  oder  vergangene  Jahr  kni7.weg  durch  eine  einzelne  Jahres- 
t  XU  bezeichnen  (parm  pro  toto).  Unverkennliar  geht  durch 
I  idg.  Sprachen  der  Zng.  die  ursprüngliche  Bedeutong  HiDer 
ireszeit  zn  vergessen  und  dieselbe  zum  Ausdruck  der  ver- 
igten Jahreszeiten  zn  benutzen.  Und  zwar  werden  in  diesem 
ine,  wie  wir  schon  sahen,  sämtliche  im  obigen  genannte  Jahres- 
IteD  ndt  Ausnahme  der  von  der  Wurzel  t^es  gebildeten  ge- 
.ucht.  Zahlrfiches  andere  kommt  aus  den  Einzelsprachen 
KD.  So  übersetzt  ülfilas  die  Worte  ywlj  aiftoygoovaa  dtndnca 
mit  qini)  hlüprinnaiidei  tralih  rititi-tins,  wie  auch  agis.  dn- 
ttre  „einjährig"  bedenict.  Im  Slavischen  ist  yto  „Sommer" 
I  (mit  godä  wechselnd)  „Jahr".  Das  scrt.  i^anid  „HerbM" 
•d  im  Aweata  durchauti  für  „Jahr"  gebraucht  (vgl.  aber  osset. 
•d  „Sommer"  neben  npers.  sdZ  „Jahr"!,  und  zu  dem  indischen 
selbst  bemerkt  A.  Weber  Ind.  Siud.  XVII.  2^2:  JMe 
tnoe  Zählung  in  den  Sprüchen  der  Ritnaltexte,  bis  zu  den 
iga-gütra  bin,  ist  nach  llerbsteu.  Es  repräsentiert  dies  eine 
ittelstnfe    zwischen    iler    alten  Zählung    nach   Wintern  (himäM) 

1)  Za  alaviech  ynilü  .Zeil,  Fi.'st,  Jahr"  ütelle  ii'li  griech.  htf/tA-n 
g  nach  dem  Fe§te'  W.i/eil).  Die  bisherigp  Deutung  dieses  Wortes 
,der  auf  dem  Fasse  [irrS-)  Folgende"  lilsst  einp  Bfüiehungr  zum  I-Vaii>. 
RS  Immer  hat,  vermissen. 


—    2:>8    — 

tuid  der  späteren  nach  Regenzeiten  {t-arshäni),  entsprechend  der 
mittlerweile  vor  sich  gegangenen .  Verschiebung  der  Wohnsitze.'' 

Die  hier  im  Indogermanischen  nachgewiesenen  Bedentung»- 
Übergänge  wiederholen  sich  in  den  finnischen  Sprachen.  So 
heisst  im  Mordv.  kiza  ^Sommer,  Jahr^,  im  Ostjakischen  id 
,, Winter,  Jahr";  daneben  besteht  im  Ostjakischen  ein  tallMä 
^Winter  und  Sommer^  =  Jahr.  Aber  auch  ein  gemeinsam« 
Wort  für  den  Jahresbegriff  haben  diese  Sprachen:  finn«  ruo$\, 
weps.  wo8j  ostj.  öt,  Tomaschek  hält  dasselbe  für  identiiiek 
mit  idg.  vet,  ttf  (Pamird.  p.  19),  wenn  richtig,  gewiss  ein  bedent- 
«anier  Kultur/.usanimenhang. 

Näheres  über  den  Charakter  des  idg.  Jahres  wird  erst  am 
Schlnss  des  folgenden  Abschnitts  zu  sagen  sein. 

2.     Mond  und  Monat. 

Unter  den  Gestirnen,  die  das  Hinmielsgewölbe  schmücken, 
hat,  wie  anderen  Völkern,  so  den  Indogermanen  der  Mond  in 
seinem  ewigen  Wechsel  zuerst  den  Wandel  der  Zeit  yerkflndet 
Oninium  admirationem,  sagt  Plinius  Hist,  naf.  II,  9,  41,  rinei 
norlssimum  sidus  terrisque  famÜMrissimum,  Mond  und  Monat 
gehen,  zuweilen  unter  kleinen  Suffixverschiedenheiten,  im  Indo* 
germanischen  ineinander  über:  so  im  scrt.  md'g,  aw.,  altpere. 
m(}h,  im  altsl.  mesqci^  im  lit.  mSnü  {m^nesui  nur  ^Monat"),  im 
got.  mena  „Mond** :  m^nöps  ^Monat".  Öfters  ist  nur  der  Mi 
diesem  Stamme  gehörende  Name  des  Zeitmasses  erhalten,  und  fflr 
den  des  Ucstirns  sind  neue  Wörter  eingetreten:  so  griech.  /itp^' 
oe/j/vtj  «Mond"  (oikag  „Glanz^,  aber  auch  jiii^rt]  „Mond^),  lat. 
metisis  (A/ene  y,dea  menstrnationi^^) :  lüva  (lucAre  „leuchten'*), 
armen,  amis  „Monat"  :  lusin  „Mond"  (lucere),  altir.  mi  :  eica 
-,M()nd**.     Vgl.  auch  alb.  moi  „Monat". 

Die  Wui7.el  dieser  ganzen  Sippe  (über  ihre  Lautverbftlt- 
nisse  vgl.  J.  Schmidt  K.  Z.  XXVI,  345)  wird  mit  Recht  in  dem 
idg.  miy  scrt.  mä'-mi  „ich  messe"  gesncht,  so  dass  der  Mond 
sich  selbst  als  „den  Messer  der  Zeit",  wie  es  M.  Müller  t» 
<lrü(*kt.    the  golden  hand  on  the  dark  dial  of  heaven  darstellt 

In  dem  durch  ihn  bedingten  Monat  haben  wir  demnach 
den  ersten  und  sichersten  Ansatz  einer  geordneten  Zeitteilung 
bei  den  idg.  Völkern  zu  erblicken. 


—     2-29    — 

Der  reine,  ungebundene  (synodisehe)  Mondinonat  betrügt 
bekanntlich  29  Tage,  12  Stunden,  44  Minuten,  3  Sekunden,  und 
dass  er  in  diegwT  v(m  der  Natur  gegebenen  Dauer  sowohl  in  der 
ür/eit  als  auch  bei  den  einzelnen  Völkern  noch  eine  geraume 
Zeit  gi'golten  habe,  dafür  spricht  unter  anderen  mit  grosser 
Wahrscheinlichkeit,  dass  einer  der  wichtigsten  Vorgänge,  deren 
Ende  genau  zu  berechnen  war,  die  Dauer  der  Schwanger- 
Bcliaft  in  früheren  Perioden  nicht  auf  9,  sondern  auf  lU  Monate 
festgesetzt  wurde. 

Wenn  in  der  vedisehen  Zeit  ein  Kind  als  ein  reifes,  aus- 
jretragenrs  bezeichnet  v>erden  soll,  so  wird  (»s  daqamasya  ^ein 
zehnmonatiges^  genannt.  In  einem  (lebet  um  Fruchtbarkeit  des 
Weibes  wird  gesagt: 

tarn  te  ydrbham  harrhiiahe  —  tiacamr  mäsi  siitave  „Um 
die  •  im  vorhergehenden  näher  bestimmte)  Frucht  bitten  wir  Dieb 
Enr  Niederkunft  im  10.  Mond**.  Ebenso  ist  im  Awesta  die  nor- 
male Zeit  der  Entbindung  der  zehnte  Monat  (Geiger  0.  K. 
p.  236),  wie  sie  nicht  weniger  Herodot  (VI,  69)  als  solche  be- 
zeichnet, und  auch  bei  den  Römern,  z.  B.  in  den  zwölf  l'afeln 
kehrt  die  gleiche  Rechnung  wieder.  Am  frühsten  erwähnt  sie 
in  Enropa  der  homerische  Hynmus  auf  Hermes  v.  11.  Vgl. 
Leist  ül>er  den  Begriff  eines  zehnmonatlichen  Schwangerschafts- 
Jahres  (Altarisches  7W  gentium  p.  262  ff.)  und  W.  H.  Roseher 
Die  enneadiscben  und  heptomadischen  Fristen  und  Wochen  der 
ältesten  Griechen  (Abh.  d.  phil.-hist.  Kl.  der  kgl.  Sachs.  Ges. 
d.  W.  XXI,  IV  p.  10  ff.). 

Der  Monat  wird  naturgemäss  durch  die  beiden  sich'  ent- 
gegenges4»tzten  Phasen  des  Mondlichtes,  Voll-  und  Neumond,  in 
zwei  Hälften  geteilt,  welche  die  Inder  pürr^a-pahthd  und  apara- 
pakjfhä  „vordere"  und  „hintere"  Seite  (Zimmer  Altind.  L. 
p.  364)  oder  ipüdapaksh4i  und  krshnapaksha  „helle*^  und  ^dunkle" 
Hälfte  nennen.  Auch  die  Ausdrücke  ydra  und  äyava  kommen 
schon  in  vedisehen  Texten  für  dieselben  Begriffe  vor.  Ich  mr>chte 
dieses  ydra  zu  t/üran  ,ijung"  (t/äv-iyans,  yär-ishta)  stellen  und  mit 
lit.  jdunas  mentl  ^Neumond"  vergleichen.  Am  Anfang  der  einen 
Hälfte  steht  die  Neumondsnacht  {amäräsyd\  am  Anfang  der 
anderen  die  Vollmondsnacht  (paurnamäm). 

Die  Zweiteilung  des  Monats,  die  wir  bei  den  Indern  ge- 
fnndeii  haben,   setzt    auch    das  Awesta   voraus    (veiger  a.a.O. 


-     230     - 

p.  ol6'>.  Im  Griechischen  weisen  auf  dieselbe  die  Aiudrfleke 
fjLYjvoQ  iorauh'ov  und  /xrjvog  q>{^ivovxog  (vgl.  auch  dixofirppla  ^ Voll- 
mond^) hin,  obgleich  in  historischer  Zeit  an  dieselben  eine  Ein- 
teilung des  Monats  in  3  Dekaden  anknüpft  (zunehmende  Sichd, 
mehr  oder  weniger  volle  Scheibe,  abnehmende  Sichel).  Auch 
bei  den  Germanen  treten  in  dem  Bericht  des  Taeitns  Oem, 
Kap.  1 1  Neu-  und  Vollmond  {cum  aut  inchoatur  luna  out  im- 
pleturi  als  die  hervorstechendsten  Phasen  des  Mondlichtes  auf, 
und  ebenso  wird  in  dem  altgallischen  Kalender  von  Coligoy 
(s.  o.)  jeder  Monat  in  zwei  scharf  getrennte  Hälften  geteilt,  wobei 
über  der  zweiten  das  Wort  atenoux,  das  man  als  y,gro8Be*'  oder 
^ Vollmondsnacht"  gedeutet  hat,  geschrieben  steht.  Endlich  irt 
auch  für  die  römische  Monatsteiiung  von  den  idüs  auszugehen, 
ohne  Zweifel  den  Vollmondsnächten  {idüs  vielleicht  nach  Meyer- 
Lübke:  dem  oben  genannten  ir.  dsce  „Mond^  ans  *eid'skiam\ 
denen  gegenüber  die  calendae  den  ,,Rufetag^  {calare,  xaiär) 
bezeichneten,  d.  li.  den  Tag,  an  dem  der  Neumond  aosgenifeB 
wurde.  Pur  eine  weitere  Einteilung  des  Monats  als  in  zwei 
Hälften  fehlt  es  für  die  Urzeit  an  sicheren  Spuren;  doch  sucht 
Röscher  a.  o.  a.  0.  aus  der  langen  Geltung  des  synodischen 
Monats  (circa  29  Vs  Tage)  bei  den  Einzel  Völkern,  bezüglich  ans 
der  Auffassung  desselben  als  reinen  ,.Lichtmonats^  (circa27  Vs  Tage, 
d.  h.  des  Zeitraums,  während  dessen  der  Mond  wirklich  am 
Himmel  sichtbar  ist)  die  zahlreichen  7-tägigen  (4  X  7  =  28)  ood 
9-tägigen  (3  X  9  =  27)  Fristen  und  Wochen  zu  erklären,  die 
uns  auch  hei  den  idg.  Völkern  begegnen.  Ansätze  zu  derartigen 
Bildungen  könnten  also  schon  in  der  Urzeit  vorhanden  ge- 
wesen sein. 

Der  Mond  ist  der  Messer  der  Zeit,  daher  ist  er  der  Herr 
über  Wachsen  und  Vergehen,  als  von  dem  Vorrücken  der  Zeit 
bedingt.  Dazu  kommt,  dass  man  dem  Mondlicbt  schon  früh- 
zeitig einen  direkten  F]influs8  auf  die  Vegetation  der  Erde,  den 
Menschen  und  seine  Schicksale  zuschreibt.  Es  ist  nicht  die  Auf- 
gabe dieser  Arbeit,  den  roten  Faden  zu  verfolgen,  an  welchem 
dieser  Glaube  oft  dunkel  und  unheimlich,  oft  kindlich  und  heiter 
sieh  durch  Altertum  und  Neuzeit  hindurchzieht.  Nur  einige  der 
ältesten  Zeugnisse,  aus  denen  hervorgeht,  wie  mächtig  der 
Glaube  an  die  Bedeutung  der  Mondphasen  öfters  in  die  Ge- 
schichte   der   idg.  Völker    eingegriffen  hat,   seien  hier  erwähnt 


—    281     — 

Oum  ex  captims  quaererety  berichtet  Caesar  de  bell,  GalL  I,  50, 
juamohrem  Ariovistus  proelio  non  decertaret^  hanc  reperiehat 
causam,  quod  apud  Gennanos  ea  consuetudo  esset,  ut  matres- 
famüiae  eorum  sortibus  ac  vaticinationibus  declararent,  utrum 
proelium  committi  ex  usu  esset  necne;  eas  ita  dicere:  non  esse 
fojf  Germanos  superare,  si  ante  novam  lunam  proelio 
eontendissent.  Die  Erklärung  fügt  Tacitus  Germ.  Kap.  11 
binza:  Coeunty  nisi  quid  fortuitum  et  subitum  incidit,  certis 
diebus  cum  aut  inchoatur  luna  aut  impletur;  nam  agendis 
rebus  hoc  auspicatissimum  initium  credunt.  Ganz 
ihnlich  leisten  die  in  den  Anschauungen  des  Altertums  länger 
als  andere  Hellenen  befangenen  Spartaner  den  Atheniensern  vor 
Marathon  keine  Hülfe,  weil  sie  nicht  ausziehen  dürfen  /ifj  oi 
TtUlQsoq  iüvTog  rov  xvxXov  (Herod.  VI,  106).  Vgl.  auch  die 
athenische  Bestimmung,  von  der  Zenobius  und  andere  (Roseher 
p.  56)  berichten:  inelgrito  *A&fjvaioi<;  orgariav  i^dysiv  jigo  rfjg  xov 
ßOfrog  ißdo/Lifjg. 

Mag  man  nun  den  ungebundenen  Mondmonat  von  29Vty 
bezflgl.  27  ^/s  Tagen,  mit  10,  dem  oben  erwähnten  Schwanger- 
ecbaftsjahr,  mit  12,  unserer  gewöhnlichen  Monatszahl,  oder  mit 
13  multiplizieren,  welche  Anzahl  der  Monate  bei  zahlreichen  ost- 
anatischen  Völkern  üblich  ist  (vgl.  Schief ner  Das  dreizehn- 
monatige  Jahr  und  die  Monatsnamen  der  sibirischen  Völker  MÜanges 
Busses  tome  III,  307  ff.),  in  keinem  Falle  geht  die  Zahl  der 
Monate  in  dem  Sonnenjahr  von  365^4  Tagen  auf,  und  es  erhebt 
rieb  darum  die  wichtige  Frage,  ob  schon  in  der  Urzeit  der  Ver- 
mich  gemacht  worden  sei,  einen  Ausgleich  zwischen  Mond-  und 
Sonnenjahr  herzustellen. 

In  der  Tat  hat  Albrecht  Weber  in  seiner  Abhandlung 
Zwei  vedische  Texte  über  Omina  und  Portenta  p.  388  die  Ver- 
nutong  geäussert,  dass  die  zwölf  geweihten  Nächte,  welche  im 
rediscben  Altertum  vorkommen,  und  die  auch  im  Okzident, 
namentlich  bei  den  Germanen,  begegnen^),  als  solch  ein  Versuch 
inzQBehen  seien.  Hiergegen  hat  aber  der  genannte  Gelehrte  in 
leoerer  Zeit  selbst  Bedenken  erhoben,  indem  er  „Indische  Studien^ 


1)  Eine  Spezialuntersuchung  über  die  „Zwölften*^  wäre  erwünscht. 
rgL  E.  H.  Meyer  Indog.  Mythen  II,  526,  Ludwig  Der  Rigveda  VI,  232, 
k.  Hildebrandt  Ritualiiteratur  etc.,  Grundriss  III,  2  p.  5  f . 


-     232    - 

XVII,  224  sagt:    „Und    wenn    aicb    nun  die  Frage  erhebt,  was 
denn  wohl  etwa  diesen  zwölf  Tagen  eigentlich    zugrunde  liegen 
mag,  so  liegt  jedenfalls  der  Gedanke  nahe,  sie  als  den  Versuch 
anzusehen,  zwischen  dem  354tägigen  Mondjahr  (unstreitig  wohl 
der   ältesten    Form    der    Jahresrechnung)   und    dem    366tägigeu 
Sonucnjahr  eine  Ausgleichung   herzustellen,    durch    welche  trotz 
der  im  Volke  üblichen  Rechnung  nach  Mondzeit  doch  eben  auch 
dem  faktischen  Sachverhalte,  wonach  der  „Lauf  der  Sonne*'  den 
Umfang  des  Jahres  bestimmt,  Rechnung  getragen  werden  sollte. 
Man  verlegte  die  zwölf  überschüssigen  Tage  au  den  Schluss  de« 
Mondjahrs  und  gewann  so  in  ihnen  teils    ein  Korrektiv   ffir  die 
Zeitrechnung,    teils  eine  heilige  Zeit,    die    für  das  je  kommende 
Jahr  als  vorbedeutsam  galt.     Bedenken  macht   eine   solche 
Auffassung  darum,  weil  wir  dann  durch  die  Übereinstimmung, 
die  in  bezug  auf  die  Zwölften    zwischen  Indern    und   Germanen 
vorliegt,  genötigt  werden,  ein  so  richtiges  Verständnis  der  Mond- 
und    der  .Sonnenzeit  bereits    für    die  indogermanische  Urzeit  an- 
zunehmen,   was    dann    aber    doch    immerhin  seine  nicht  geringe 
Schwierigkeit  hat,   da  man    den  Trägem   derselben   eine  solche 
Kenntnis  doch  wohl  schwerlich  auf  Grund  eigener  Beobachtungen 
zutrauen  darf.^     Einen  Ausweg  aus  diesen  Schwierigkeiten  glaubt 
endlich  Weber  (Sitzungsb.  d.  kgl.  preuss.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin 
phil.-hist.  Kl.  XXXVII,  2)  in  der  Annahme  zu  finden,   dais  die 
12  Nächte  zwar  schon  idg.  seien,  aber  in  der  Urzeit  dnreh  die 
Semiten  von  Babylon  her  entlehnt  worden  wären. 

Auch  ich  halte  es  aus  allgemeinen  (Gründen  für  unwahr* 
scheinlich,  dass  das  Rechenexempel,  welches  in  der  Ausgleicbaog 
des  Mond-  und  Sonnenjahres  liegt,  schon  von  dem  Urvolkc  ge- 
löst war.  Besondere  Erwägungen  führen  zu  der  Annahme, 
dass  sie  ihm  überhaupt  unbekannt  war. 

So  bedeutungsvoll  in  sprachlicher  wie  sachlicher  Beziehung 
der  Mond  als  ^Messer  der  Zeit^  uns  entgegen  getreten  ist,  ebeaio 
geringfügig  sind  die  Beziehungen,  welche  die  alten  Namen  der 
Sonne^j  zu  Zeit  und  Zeitteilung  haben.  Aus  dem  Grieehi- 
sehen  könnte  man  violleic-ht  das  zuerst  in  der  Odyssee  auf- 
tretende krxd[inQ  „Jahr"  (-arr)  hierherstellen,  wenn  es  „Wandel 
des    Lichts"^    oder    „Lichtkreis'^     vgl.    nach    Fick   äßd'  rgoxp^j 

1     nie  Namen  der  Sonne  \'^\.  Kap.  XV. 


—    288    — 

Bes.)  wirklich  bedeuten  sollte.  Im  Italischen  möchte  nmbrisch 
ue,  paelignisch  uus  j^anni,  annutn^  (Bttcheler  L.  LX.)  hier- 
liergehGren,  das  zu  etrnrisch  ü»ä  j^Sol  et  Eoa^y  lat.  aur-öra 
ra  stimmen  scheint.  Scrt.  ftU'vrtti  ist  eine  ganz  junge  Bildung. 
Im  flbrigen  ist  mir  aber  keine  Bezeichnung  des  Jahres  bekannt, 
die  von  dem  Umlauf  der  Sonne  oder  überhaupt  von  Namen  der 
Sonne  hergenommen  wäre.  Wenn  daher  Ideler  in  seinem 
Handbuch  der  Chronologie  die  linguistische  Bemerkung  macht: 
„Was  endlich  das  Jahr  betrifft,  so  mag  hier  zu  dem,  was  über 
die  Dauer  und  die  verschiedenen  Formen  desselben  gesagt  worden 
ist,  nur  noch  eine  Bemerkung  hinzukommen,  dass  das  diesen 
Begriff  bezeichnende  Wort  in  fast  allen  Sprachen  einen  Kreis- 
lauf,  eine  Wiederkehr  in  sich  selbst  bezeichnet^,  so  ist  dieselbe 
fir  das  idg.  Gebiet  entschieden  falsch. 

Und  noch  folgender  Gesichtspunkt  befestigt  mich  in  der 
Überzeugung,  dass  die  Indogermanen  vor  ihrer  Trennung  nicht 
Aber  die  Zeitrechnung  nach  reinen,  ungebundenen  Mondmonaten 
hinaasgekommen  sind.  Sobald  nämlich  eine  Einrechnung  des 
Mondjahrs  in  das  Sonnenjahr  stattgefunden  hat  und  der  Monat 
damit  von  dem  Wechsel  des  Mondlichts,  der  seine  Quelle  war, 
losgelöst  worden  ist,  ergibt  es  sich  von  selbst,  dass  die  in  den 
Kreis  des  Jahres  eingefügten  Monate  zu  bestimmten  jährlich 
wiederkehrenden  Individu^  werden,  für  welche  eine  Namen- 
gebung  durchaus  notwendig  ist.  Hätte  nun  dieser  Vorgang  be- 
reits in  der  Urzeit  sich  vollzogen,  so  wäre  durchaus  zu  erwarten, 
dass  in  der  grossen  Masse  idg.  Monatsnamen^,    die    uns    aus 


1)  Vgl.  J.  Grimm  Geschichte  der  deutschen  Sprache,  Kap.  VI: 
Feste  und  Monate,  K.  Weinhold  Die  deutschen  Monatnamen,  Halle 
1S69,  F.  Miklosich  Die  slavischen  Monatsnamen  (Deukschrilten  d. 
philos.-hist.  Kl.  d.  Kais.  Ak.  d.  W.  XVII,  1—30)  Wien  1868,  Krek  Ein- 
leitung in  die  slav.  Literaturg^eschichte*  p.  510  ff.  Wichtig  für  die 
Vergleichung  ist  auch  die  schon  g-enannte  Arbeit  Schiefners  Das 
dreisehnmonatige  Jahr  etc.  sowie  Grotefeiid  Zeitrechnung  I,  s.  v. 
lionatfaiamen.  Für  die  Griechen  kommen  in  Betracht:  K.  F.  Her- 
nann Über  griechische  Monatskunde,  Göttiugen  1844,  Th.  Bergk  Bei- 
trage zur  griechischen  Monatskunde,  Giessen  1845,  für  die  tränier: 
A.  Bezzeiiberger  „Einige  avestische  Wörter  und  Formen",  Nach- 
richten von  d.  K.  Gesellschaft  der  W.,  Göttingen  1878  p.  251  ff.,  K.  Roth 
Der  Kalender  des  Avesta  und  die  sogenannten  GAhanbär  Z.  d.  D.  M.G. 
1880  p.  698  ff.,  W.  Geiger  Ostiranische  Kultur,  De  Harlez  Der 
Sehrftder,  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  II.  S.  Aufl.  16 


-    284    — 

alter  wie  ueuer  Zeit  Qberliefert  sind,  wenigstens  hier  und  da  sich 
Spuren  einer  ursprunglichen  Übereinstimmung  zeigten.  AUein 
das  Gegenteil  davon  ist  der  Fall.  Nicht  nur,  dass  die  idg. 
Spracbfamilien  in  der  Benennung  ihrer  Monate  gänzlich  von 
einander  abweichen,  so  zeigen  auch  die  Sprachen  dieser  ein- 
zelnen Spracbfamilien,  wie  z.  B.  der  germanischen  und  sfaiTi- 
sehen,  der  litauischen,  auf  diesem  Gebiete  eine  so  bante  dialek- 
tische Mannigfaltigkeit,  dass  Jeder  Gedanke  an  eine  nrsprflngliche 
Gemeinschaft  ausgeschlossen  werden  muss.  Jede  Möglichkeit 
aber,  ein  idg.  Altertum  der  12  Nächte  zu  erweisen,  fällt  weg, 
wenn  es  neuerdings  Tille  {Jule  and  Christmas^  there  place  tu 
the  Germank  year,  London  1899)  gelungen  ist,  den  Nachweis 
zu  führen,  dass  die  sagenumwobenen  Zwölften  nur  der  gennt- 
nische  Abglanz  des  christlichen  Dodekahemeron  seien,  der 
heiligen  Zeit  zwischen  Weihnachten  und  Epiphanias,  zwischen 
dem  alten  und  neuen  Erinnerungstag  der  Menschwerdung  Chrisd. 
Derselbe  Gelehrte  sieht  auch  die  vier  Jahrpunkte  des  SoDDen- 
Jahrs,  die  Sonnenwenden  und  Nachtgleichen,  als  nicht  im  nordi- 
schen Heidentum  wurzelnd  an,  ein  Punkt,  auf  den  wir  in  Kap.  XV 
(Religion)  zurückkommen  werden. 

So  gelangen  wir  zu  dem  Ergebnis,  dass  das,  was  in  der 
idg.  Grundsprache  als  *vetos  bezeichnet  wurde,  lediglich  ein 
„Natur-  oder  Witterungsjahr"  (vgl.  ituch  G.  Bilfinger  Unter- 
suchungen über  die  Zeitrechnung  der  alten  Germanen  I,  Stutt- 
gart 1899)  war,  d.  h.  nichts  als  eine  Zusammenfassung  der 
Jahreszeiten,  also  des  Winters  und  Sommers  oder  Winters,  Frflt 
lings  und  Sommers.  Daneben  lief  die  Zählung  nach  Monden, 
d.  b.  reinen  Mond-Monaten  unausgeglichen  her,  und  feste  Monats- 
bezeichnungen waren  nicht  vorhanden. 

Hingegen  mögen  allgemeinere,  von  den  Witterungszuständen 
oder  den  Beschäftigungen  der  Menschen  etc.  hergenommene  Zeit- 
bestimmungen, die  gleichsam  auf  der  Grenze  zwischen  Jahres- 
zeiten und  Monaten  stehen,  in  ziemlich  frühe  Epochen  znrflck- 
gehen.  So  im  Germanischen  die  schon  von  Beda  De  mengäm 
Anglorum  genannten  Ohili  (got.  jiuleis,  sAtn.jöl  „Weihnachten**, 

Avcstische  Kalender  und  die  Heimat  der  Avesta-Religlon,  Verh.  d. 
internat.  Orier.talisten-Kongresses  II,  237  ff.  —  Alte  Monatsnamen  der 
Inder  siehe  bei  Zimmer  Altind.  Leben  p.  370.  Vgl.  auch  mein  Real- 
lexikon  s.  v.  Mond  und  Monat. 


i 


—     235    — 

«gl8.  geohhol  „Jul",  *jeqh'dlay  vielleicht  =  griech.  *Ce(pog  in 
CitpvQog  „Westwind",  Coq)og  „Finsternis",  also  „die  dunkle  Zeit") 
fttr  Januar  und  Dezember^  Lida  (vielleicht  =  slav.  leto  „Sommer")  ^) 
fflr  Juni  und  Juli.  So  im  Griechischen:  ägotog  „Pflügezeit" 
(auch  „Jahr";,  onogriTog  „Saatzeit",  ipmaXiä  „Baumpflanzangs- 
3teit"  (vgl.  Cnger  Zeitrechnung  in  I.  v.  Müllers  Handbuch  P, 
724).  So  im  Iranischen  das  schon  oben  genannte  ayä^rima 
,iZeit  des  Eintriebs  von  der  Alm",  paitii.  hahya^  eigentl.  „Ge- 
treide mit  sich  bringend"  usw. 

Eine  schon  idg.,  d.  h.  —  charakteristischer  Weise — europäisch- 
idg.  Bezeichnung  dieser  Art  liegt  in  der  Beihe  got.  mans  „^e^oc", 
ahd.  aran  „Ernte",  altsl. ^'6«6n{,  russ.  öseni,  altpr.  aasanis  „Herbst", 
lat.  annöna  „Ertrag  an  Getreide"  vor.  Vgl.  auch  oben  p.  225 
Aber  got.  jer  etc. 

3.     Nacht  und  Tag. 

Wenn  der  Zeitmesser  der  Urzeit  der  Mond  und  nicht  die 
Sonne  ist,  so  versteht  sich  die  Zählung  nach  Nächten,  nicht  nach 
Tagen  fast  von  selbst.  Auch  dürfte  es  kaum  nötig  sein,  Zeug- 
nisae  für  diese  bekannte  Sitte  des  hohen  Altertums  beizubringen. 
Im  Sanskrit  heisst  daga-räträ  (:  rätrt  „Nacht" )  ein  Zeitraum  von 
10  Tagen,  rdgänigam  „Nacht  fflr  Nacht"  ist  =  „täglich".  „Lasst 
uns  die  alten  Nächte  (Tage)  und  die  Herbste  (Jahre)  feiern", 
aagt  ein  Hymnus.  Im  Awesta  ist  die  Zählung  nach  Nächten 
{xiapj  xiapafiy  xiapar)  in  noch  höherem  Grade  durchgeführt. 
Unter  den  Germanen,  bei  denen  dieser  Gebrauch  schon  dem 
Tacitus  aufgestossen  ist  {nee  dierum  numerum  sed  noctium 
computant  Oerm.  11),  begegnen  in  den  deutschen  Bechtsalter- 
tOmem  unzählig  oft  Formeln  wie:  sieben  nehte,  vierzehn  nackte 
zu  vierzehn  nechten.  Im  Englischen  sagt  man  noch  heute  fort- 
night ^  sennight.  Vgl.  auch  mhd.  ze  tßihen  nahten  „Weih- 
nachten" usw. 

Denselben  Gebrauch  bezeugt  für  die  Kelten  Caesar  de  heUo 
OaU.  VI,  18.     {GaUi  se  omnes  ab  Dite  patre  prognatos  praedi- 


1)  Vgl.  auch  lit.  Htu8,  lietua  „Regen **?  In  Russland  betrachtet 
man  den  Regen  als  Vorboten  der  schönen  Jahreszeit,  und  die  Kinder 
begrüssen  ihn,  wie  den  Frühling  selbst,  mit  altüblichen  Liedern  (vgl. 
A.  Leroy-Beauliea  Das  Reich  der  Zaren  I*,  135). 


-    286    - 

cant  idque  ab  druidibus  proditum  dicunt.  Ob  eam  cauMim 
gpatia  omnis  temporis  non  numero  dierumy  sed  nodmm 
finiunt.)  Im  engsten  Zasammenhang  hiermit  steht  aber,  dass  die 
Nacht,  aus  welcher  nach  alter  Volksanschannng  der  Tag  geboreu 
ward,  diesem  vorangeht.  In  den  streng  formelhaften  altpersischen 
Keilinschriften  heisst  es  xmpavä  rauöapativä  ^bei  Nacht  und 
Tag^.  Im  Sanskrit  kommt  neben  ahörätrd,  aharnU^a  aocb 
rdtryahan  ^Nacht"  und  „Tag*^  und  naJctamdinam  „bei  Ta^ 
und  Nacht**  vor.  Die  Athener  begannen  den  Volltag  {rvjipfi' 
fiEQov)  mit  Sonnenuntergang.  Dasselbe  taten,  wie  z.  B.  agie. 
frigeckfen  „Donnerstag  Abend",  eigentl,  „Abend  zum  Freitag" 
zeigt,  die  Germanen.  Nox  ducere  diem  ridetur,  sagt  daher 
Tacitus  von  ihnen,  dies  natales  et  mensium  et  annorum  initia 
nie  observantf  ut  noctem  dies  subsequatur  Caesar  von  den  Kelten. 
Auch  auf  slavischem  Boden  galt»  wie  die  Komposita:  altsl.  noitt- 
dinijej  altruss.  noHiedinl,  nosöedlninica,  nostedinica  für  riws. 
sütki  „der  Zeitraum  von  24  Stunden''  zeigen,  der  gleiche  Brauch. 

Mit  dieser  Bedeutung  der  Nacht  als  eines  Zeitmasses  der 
Urzeit  stimmt  es  überein,  dass  au  ihrem  idg.  Namen  —  ähnlich 
wie  an  denen  des  Winters  und  Monats  —  die  Einzelsprachen  mit 
grösster  Zähigkeit  festgehalten  haben:  vgl.  scrt.  näkti,  näkta, 
aw.  naxturu  „nächtlich",  grieeh.  vv^y  lat.  nox^  altsl.  nosth  Ut» 
TiaktiSy  alb.  nate,  got.  nahtSy  altir.  innocht  „diese  Nacht".  Idg. 
Grdf.  *noqt'.  Die  Wurzel  ist  dunkel.  Auf  die  arischen  Sprachen 
beschränkt  sich  die  Gleichung  von  scrt.  kshapj  kshapd'  =  aw. 
xsap  usw.  (s.  o.). 

Den  Übereinstimmungen  in  der  Benennung  der  Nacht  gegen- 
über gehen  die  idg.  Sprachen  in  derjenigen  des  Tages,  weniger 
in  der  Wurzel  als  in  der  Suffixbildung,  weiter  auseinander:  die 
enge  Geschlossenheit  unserer  Sprachsippe  in  der  Terminologie  de» 
Winters,  Mond-Monats  und  der  Nacht,  der  drei  Haupt- 
pfeiler der  ältesten  Zeitteilung,  wird  nicht  erreicht  durch  die 
Übereinstimmungen,  welche  die  Namen  des  Sommers,  der  Sonne 
und  des  Tages  zeigen. 

Der  alte  Name  des  Tages  ist  wahi*scheinlich  eine  Bildung 
von  der  W.  di?;  „strahlen"  gewesen;  vgl.  scrt.  dft-,  dyäm-dyaxij 
dite-dire  „Tag  für  Tag",  lat.  diis,  altir.  dia,  armen,  tiv;  da- 
neben (nach  Kluge  Z.  f.  d.  Wortf.  VIII,  145)  vielleicht  von  einer 
anderen  Wurzel  (vgl.  ahd.  zi-t,  agis.  ti-ma) :  scrt.  dina,  altsl.  dinh 


j 


-    287    - 

lit  dienä  (vgl.  lat.  nün-dinunif  peren-dinus,  got.  sin-teiiM).  Auf 
das  Arische  beschränkt  ist  scrt.  ähan  =  iran.  ^azan  (Spiegel 
A.  P.  p.  98). 

Wie  der  Übergang  vom  Winter  zum  Sommer  durch  Bil- 
dungen von  der  Wurzel  scrt.  vas  „aufleuchten"  bezeichnet  wurde 
(vgl.  oben  p.  224),  so  dient  dieselbe  ebenso  dazu,  den  Wechsel 
von  Nacht  und  Tag  auszudrücken.  Von  veSy  us  ist  einmal  scrt. 
väsard  ^der  ganze  Tag",  das  andereuial  der  idg.  Name  der 
vielbesungenen,  rosenfingrigen  Morgenröte  (scrt.  ushäs,  aw.  uSah, 
griech.  fjdjgy  lat.  auröra,  lit.  auszrä)  gebildet. 

In  der  Benennung  des  Abends  gehen  die  idg.  Sprachen 
in  Gmppen  auseinander.  Es  decken  sich  scrt.  döshä'  „Abend, 
Dunkel"  und  aw.  daom;  griech.  ioTiega  und  lat.  vesper,  altir. 
fescor,  cymr.  ucher  {^vespero-);  altsl.  reöerü  und  lit.  teäkaras. 
Die  beiden  letztgenannten  Gleichungen  scheinen  untereinander 
und  mit  dem  armen.  giSer  zusammenzuhängen,  ohne  dass  dieses 
Verhältnis  bis  jetzt  lautlich  aufgeklärt  wäre. 

Für  eine  weitere  Teilung  des  Tages  in  der  Urzeit  fehlt 
jeder  sprachliche  und  sachliche  Anhalt,  und  das  kann  nicht 
unverständlich  erscheinen.  In  einer  Zeit,  in  der  die  Glieder 
eines  Volkes  vorwiegend  einer,  und  zwar  der  sehr  eintönigen 
Beschäftigung  der  Viehzucht  hingegeben  leben,  liegt  das  Bc- 
dllrfnis  nach  einer  exakten  Tagesteilung  selbstverständlich  noch 
in  weitem  Felde.  Die  Bezeichnungen,  welche  sich  in  spärlichem 
Masse  bilden,  werden,  der  täglichen  Lebensweise  entnommen, 
notgedrungen  sich  in  Begriffen  bewegen,  die  auf  einer  höheren 
Lebensstufe  schnell  in  Vergessenheit  geraten. 

Solche  der  Begriffssphäre  der  Urzeit  entsprechende  Be- 
nennungen der  Tageszeiten  mögen  etwa  gewesen  sein:  scrt.  sam- 
gavii  „Vormittag"  =  „die  Zeit,  wenn  die  Kühe  zusammengetrieben 
werden",  griech.  ßov'XvTov-de  =  „die  Zeit,  wenn  die  Kühe  los- 
geschirrt werden",  ir.  imbüarach  „beim  Anbinden  der  Kühe", 
„morgens",  scrt.  abhipitvd  „Einkehr  und  Abend'',  lit.  pütüs 
< :  scrt.  pitü  „Nahrung")  „Mittag"  und  andere.  Auf  die  Bedeu- 
tmg,  die  das  Krähen  der  Haushähne  allmählich  für  die  Ein- 
teilnng  der  Nacht  gewann,  ist  schon  oben  (p.  167)  hingewiesen 
wordenj*). 


1)  Nach   dem    russischen    Volksglauben    „schmähen    die  ersten 


—    238    — 

Da  wir  in  diesem  Kapitel  zuweilen  unseren  Blick  ver- 
f^leichend  auf  die  Kultnrverhältnisse  der  Finnen  gerichtet  haben, 
so  sei  schliesslich  noch  erwähnt,  dass  auch  auf  diesem  Sprach- 
gebiet die  Namen  des  nach  der  Sonne  und  dem  Tageslichte 
benannten  Tages  auseinandergehen,  während  die  Benennaog  der 
Nacht  im  Ostfinnischen  wie  im  Baltisch-Finnischen  dieselbe  ist 
(Ahlqvist  a.  a.  0.). 


Blicken  wir  auf  die  eingangs  dieses  Kapitels  aufgeworfenen 
Fragen  zurück,  so  folgt,  was  zunächst  das  Problem  der  idg. 
Urheimat  anbetrifft,  ans  den  mitgeteilten  Tatsachen,  dass  die 
Indogermanen,  was  wir  schon  aus  dem  Vorhandensein  der  Birke 
(oben  p.  172)  im  urzeitlichen  Sprachschatz  folgerten,  in  einem 
Lande  gelebt  haben  müssen,  dem  ein  nördlicher  Winter  mit 
Schnee  und  Eis  wohlbekannt  war.  Femer  gebt  aas  der 
Einteilung  des  idg.  Jahres  in  zwei  Jahreszeiten,  Winter  nnd 
Sommer,  in  die  sich  eine  kurze  Übergangszeit  des  Frühlings 
hineinschob,  hervor,  dass  dieses  Urland,  wenn  in  Europa,  in  der 
östlichen  Hälfte  desselben  gesucht  werden  muss.  Nichts  ist  fflr 
das  europäische  Russland,  sowohl  für  die  Steppengegenden,  wie 
auch  für  die  Waldgebiete  so  charakteristisch,  als  der  fast  on- 
vermittelte  Übergang  von  einem  sehr  kalten  Winter  zu  eioea 
verhältnismässig    warmen    Sommer.      Selbstverständlich   gibt  es 


Hähne  dit^  Mitternacht'',  „die  zweiten  (vor  der  Morgenröte)  vertreiben 
die  Teufel'*,  „die  dritten  (bei  der  Morgenröte)  rufen  die  Sonne  xun 
Himmel''  (Melnikow  In  den  Wäldern  III,  248  der  russ.  AuBg.).  - 
Den  Tag  teilten  die  russischen  Bauern,  solange  sie  noch  keine  Uhren 
hatten,  nach  üpovodi  ein.  Eine  üpovodX  ist  der  Zwischenraum  Bwisehen 
Mahlzeit  und  Mahlzeit,  zwischen  Ausruhen  und  Ausruhen.  Im  Winter 
gibt  es  drei  üpovodi,  im  Sommer  vier.  Man  kann  also  z.  B.  sagen: 
„Ich  habe  bis  zur  zweiten  üpovodi  geschlafen",  d.  i.  im  Sommer  die 
Zeit  zwischen  Frühstück  und  Mittagessen,  von  8  Uhr  früh  bis  Mittag 
(Melnikow  a.  a.  0.  III,  154).  Auf  eine  g'leiche  Tageseinteilung  scheint 
das  gemeingerm.  got.  undaümi — :  sert.  antdr^  lat.  ifüer  «^wischen'' 
hinzuweisen,  woraus  sich  die  verschiedene  Bedeutung  des  Wortes  (nt^ 
undem  „Vormittag",  ahd.  untom  „Mittag**,  altn.  undom  j^Mltte  iwischen 
Mittag  und  Abend"  gut  erklärt.  Ursprünglich  war  offenbar  die  ffin- 
zusetzung  einer  Zahl  nötig:  1.,  2.,  3.  undom. 


1 


-    289    - 

eine  sogar  sehr  charakteristische  Übergangszeit^)  zwischen  Winter 
und  Sommer,  eben  die  vesndy  allein  dieselbe  ist  zu  kurz,  um  mit 
der  zimd  oder  dem  Uto  auf  gleiche  Stufe  gestellt  und  als  eigent- 
liche Jahreszeit  betrachtet  zu  werden.  Vgl.  hierüber  A.  Leroy- 
Beaalieu  Das  Reich  der  Zaren  P,  136. 

Was  die  allmähliche  Vermehrung  der  Jahreszeiten  an- 
betrifft, so  ist  es  begreiflich,  dass  bei  der  Ausbreitung  der  Indo- 
germanen  nach  den  südlichen  Ländern  in  diesen  vor  allem 
neue  Ausdrücke  für  den  Sommer  hervortreten,  die  denselben  als 
„Gluthitze*^  oder  ähnlich  bezeichneten,  wie  dies  in  lat.  aestas  ( :  nX^oj 
„brenne";  und  in  griech.  iHgog  (=  scrt.  hdras  „Flammengluf*) 
der  Fall  ist.  Besonders  deutlich  spiegelt  sich  eine  allmähliche 
Verschiebung  des  heimatlichen  Klimas  in  den  indischen  Jahres- 
zeiten ab.  Vcm  einer  Dreiteilung  des  Jahres  schritt  man  noch 
in  vedischer  Zeit,  je  mehr  man  die  alten  Sitze  im  Penjab  ver- 
liess,  zu  einer  Fünfteilung:  vasantä,  grtshmd  {aesta^-,  äigog), 
rarshä  („Regenzeit"),  gardd,  hemantd-^^ra  (qigird  „kühl")  oder 
unter  Scheidung  der  beiden  letztgenannten  Abschnitte  zu  einer 
Secbsteilnng  (vgl.  B.  R.  unter  ftü  „Jahreszeit").  Die  heutigen 
Hindns  endlich  unterscheiden:  Baras,  die  Regenzeit,  Juli  und 
Ang^st,  Scharady  die  drückende,  feuchte  Saison  nach  dem  Regen, 
September,  Oktober,  Hemantüy  die  kühle  Jahreszeit,  November, 
Dezember,  Sisira,  die  tauige  Jahreszeit,  die  Periode  der  kühlen 
Morgen  und  der  Nebel,  Januar,  Februar,  WcLsantj  Frühling,  März, 
April,  Grischma,  die  glänzende,  strahlende,  heisse  Jahreszeit, 
Mai,  Juni  (Schlagintweit  Indien  II,  173  Anm.)- 

In  kulturhistorischer  Hinsicht  weisen  die  überaus  primi- 
tiven Verhältnisse,  die  wir  als  idg.  aufgedeckt  haben,  und  die 
ihre  Entsprechungen  besonders  in  der  ältesten  finnischen  und 
tnrko-tatarischen  Zeitteilung  finden,  auf  noch  sehr  primitive  Zu- 
stände hin.  Besonders  ist  hervorzuheben,  dass  der  älteste  idg. 
Kalender  noch  keine  Beeinflussung  durch  das  sumerisch -baby- 
lonische Sonnenjahr  zeigt,  das  seine  auch  die  Zeitteilungen 
der  idg.  Völker  mächtig  bestimmende  Einwirkung  offenbar  erst 
ausgeübt  hat,  nachdem  die  einzelnen  idg.  Völker  in  ihren 
historischen  Wohnsitzen  angekommen  waren.     Es  ist  dies  um  so 


1)  Hierdurch  erledigen   sich   auch  die  Ausführungen    Kretsch- 
mers  Einleitung  p.  66. 


-    240    — 

bemerkenswerter,  als  wir  auf  anderen  Gebieten  einzelnen  Abb- 
strablnngen^)  sumerischer  (sninerisch-babylonischer)  Knhor  auf 
das  idg.  Urvolk  früher  begegnet  sind  (vgl.  oben  p.  118  und  p.  199; 
Aber  das  idg.  nnd  snmerisch-babyl.  Zahlenwesen  ygl.  Kap.  XI: 
Handel  und  Wandel). 


1)  Sehr  unsicher  ist  der  von  Zimmern  bei  E.  Sehr  ad  er  Keil- 
inschriften und  das  alte  Testament'  p.  425  vermutete  Zusammenhaof: 
des  idg.  Wortes  für  Stern:  scrt.  star,  aw.  star,  armen,  {uti,  griecb. 
aaxi^Qt  lat.  Stella,  com.  steren,  got.  staimöt  ahd.  stemo  mit  dem  baby- 
lonischen lätar  =  Venus. 


VIII.  Kapitel. 

Speise  und  Trank. 

Mensch  und  Tier.  Fleisch-  und  Pflanzenkost.  Das  Salz.  Die  Funde. 
Fischkost.  Die  Verwendung  der  Milch  in  der  Urzeit.  Butter  und 
Käse.  Met  und  Stutenmilcli.  Das  Bier  bei  den  nördlichen,  der  Wein 
bei    den    südlichen  Indogermanen  Europas.     Sura  und  Soma   bei  den 

Ariern. 

Ein  feinsinniger  Beobachter  des  Menschenlebens  (R.  v.  I be- 
ring Gegenwart  1882  Nr.  37»  bat  in  geistvoller  Weise  den  Ge- 
danken ausgeführt,  dass  aller  Brauch^  mit  dem  die  Sitte  die 
menschliche  Befriedigung  der  tierischen  Bedürfnisse  des  Essens 
und  Trinkens  umgeben  hat,  dem  Bestreben  entspringe,  die  Ge- 
meinsamkeit, die  in  diesem  Punkte  Mensch  und  Tier  haben,  zu 
verdecken  oder  wenigstens  zu  verschleiern.  Ohne  Zweifel  aber 
ist  die  Empfindung,  die  diesem  Bestreben  zugrunde  liegt,  eine 
modenic.  Der  primitive  Mensch  fühlt  sich  als  Tier  mit  dem 
Tiere,  und  noch  die  Sprache  der  Veden  schliesst  in  dem  Worte 
pdi'äras  {  :  pag/t  -,Vieh")  Menschen  und  Tiere  zusammen.  Der 
Mensch  ist  ihr  dripä'd  paquväm  „das  zweifüssige  Tier"  neben 
dem  cötushpäd  ,,deni  vierfüssigen'*,  eine  Ausdrucksweise,  die 
(vgl.  umbr.  dupursun  y^hipedibun^  neben  peturpursus)  vielleicni 
in  die  idg.  Vorzeit  zurückgeht.  So  bietet  denn  auch  die  idg. 
Ornudsprache  keine  besonderen  Bezeichnungen  für  die  Befriedigung 
des  Hungers  (scrt.  ad  „essen",  lat.  edo)  und  Durstes  (scrt.  pä, 
lat.  bibo)  bei  Mensch  und  Tier,  und  erst  allmählich  gelingt  es 
den  einzelnen  Sprachen,  besondere  termini  für  beide  zu  schaffen, 
ohne  es  indessen  überall  zu  einer  so  scharfen  Scheidung  wie  in 
unserem  neuhochd.  „essen"  und  „fressen",  „trinken"  und  „saufen^ 
ZQ  bringen. 

Aber  auch  die  Sorgfalt,  die  der  Mensch  auf  die  Auswahl 
und  Zubereitung  seiner  Speisen  und  Getränke  verwendet,  bat 


—     242     — 

von  jeher  einen  richtigen  Schluss  anf  die  Kulturstufe  über- 
haupt gestattet,  auf  der  er  sich  befindet.  Der  ixeXag  Cfoftog  i^ 
mit  einem  Fusse  noch  im  Barbarentume  stehenden  Lakoniers 
behagt  keinem  Athener  der  perikleischen  Zeit,  und  der  gräzi- 
sierte  Römer  der  Kaiserzeit  rümpft  die  Nase  über  die  bäurischen 
Gross-  und  ürgrossväter,  „deren  Worte  nach  Lauch  und  Zwiebeln 
dufteten"  (Varro  bei  Nonius  p.  201,  5).  Wenn  aber  somit  das 
Wie  der  Befriedigung  körperlicher  Bedürfnisse  in  einem  gewissen 
Zusammenhang  mit  der  geistigen  und  kulturliehen  Höhe  eines 
Volkes  steht,  so  wird  es  von  besonderem  Interesse  sein,  was 
sich  an  der  Hand  der  Sprache  und  Kulturgeschichte  über  die 
Nahrung  der  vorhistorischen  Indogermanen  ermitteln  lässt,  hier 
zusammenzufassen. 

Ob  aninialischc  oder  vegetabilische  Kost  die  erste  Nahniug 
des  Menschen  gewesen  sei,  diese  oft  aufgeworfene  Frage  Itet 
sich  ebensowenig  mit  Sicherheit  beantworten  wie  die,  ob  das 
Vorwiegen  animalischer  oder  vegetabilischer  Ernährung  einen 
besonderen  günstigen  Einfluss  auf  die  geistige  und  körperliche 
Entwicklung  der  Völker  habe.  Die  ethnologischen  Tatsachen 
(vgl.  Th.  Waitz  Anthropologie  der  Naturvölker  I,  62  f.)  lehren 
vielmehr,  dass  überall  diejenige  Nahrung  für  ein  Volk  (wie  ancb 
für  den  einzelnen)  die  beste  ist,  die  seinem  durch  Klima  ood 
Lebensweise  bedingten  Organisums  am  meisten  entspricht,  und 
dass  geistiger  Fortschritt  sowohl  bei  pflanzen-  als  auch  bei 
fleischessenden  Völkern  gefunden  werden  kann.  Da  nun  einer- 
seits so  viel  sicher  ist  (vgl.  oben  p.  238),  dass  die  idg.  Ur- 
heimat in  einem  gemässigten,  auf  animalische  Kost  hinwetsenden 
Klima  zu  suchen  ist,  andererseits  schon  in  vorhistorischen  Zeiten 
der  Übergang  von  der  Viehzucht  zu  einem  wenn  auch  primitiven 
Ackerbau  gemacht  worden  war,  so  dürfte  für  die  Urzeit  von 
vornherein  die  Wahrscheinlichkeit  einer  kombinierten  Tier-  nnd 
Pflanzenkost  einleuchten. 

Die  Indogermanen  treten  sämtlich  als  fleiscbesaende  Völker 
in  der  Geschichte  auf,  und  nur  bei  den  Indem  war  schon  in 
vedischer  Zeit,  offenbar  aus  klimatischen  Gründen,  die  Fleiseh- 
nahrung  mehr  und  mehr  der  Milch-  und  Pflanzenkoet  gevrichen 
(vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  268).  Zwei  Bezeichnungen  des 
Fleisches  gehen  aber  augenscheinlich  bis  auf  die  idg.  Grund- 
sprache zurück.     Es  ist  dies  einmal  scrt.  kravyaj  kroüis  =  grieeh. 


!os,  VVfirtirr,  die  ursprünglich,  wie  die  naheslefaeuden  lat.  o-uor, 

.  krüri,  altir.  crii  „Blut''  zeigen,  das  rohe  lahd.  rö  ans  ^krö). 
Üge  Fleisch  beKeichoeten,  (vndererseitB  BPrt,  mäihsd.  armen. 
I,  altpr.  mensa,  lil.  mie»tt,  altel.  m^jtc,  alb.  tu/^,  got.  mimz, 
Deiclit  eine  urzeitlichc  BencnnuD^  des  7.11  bereiteten  Fleiscbes, 

9    dass   die   Anfänge    der    Kilcfaenkunst   den    Indogeruianen 

lUnt  waren,  geht  ans  einer  zienjiich  erhebliehen  Zahl  von 
erwandten  (Jleiohiingen  fttr  dieselbe  liervor.  Die  wichtigst i.-ii 
d:  »crl- pac  pkoc^ben,  hacken,  braten",  nw.paö  [npen.  pu.itfn 
Dcben"),  griech.  Tfinnio,  „koehe,  backe",  lat.  coquere  „kochen" 
1.  aber  auch  paiiem  coquere  nnd  coctile  „Ziegelstein",  poplna 
u-kflche",  ein  oskiHcb-umhrisches  Wort),  altsl.  pekq  „backe, 
,  eorn.  pebei-  „pistor";  scrt.  hhrajj  „rösten",  griecb. 
,  lat. /W30 :  ßriech.  ^atyio,  ahd.  bahhan;  iit.  kep«  „brate, 
'.  griech.  fioio-xÖTtui  „Bäcker";  armen,  ep'em  „koche", 
ecli.  ft/'<"  'd-  Besonders  beliebt  mag,  wie  im  Rigveda  (vgl. 
lomer  AltiudiBchcs  Leben  p.  iJ71)  nnd  bei  Homer,  das  Braten 

.SpicBH  (Iher  dem  offenen  Fener  gewesen  sein;  doch  ist 
L>h  das  Kochen  in  irdenen  Gefässen  (vgl.  Kap.  X)  uralt,  wie 
B.    der    germanische    Opferbranch     (got.    mups    „Opferlier" : 

.  giodtini  zeigt.  Ob  daher  die  Gleichnng  scrt.  ;/r)»,  yäshäv, 
.  jüg,  Alts\.  jackn  „lirllhe"  mehr  den  ans  dem  Fleisch  heim 
Aen  <ie«selben  llber  dem  Fener  ansbrndelnden  Saft  oder  eigent- 
te  Bouillon  bezeichnet  habe,  wird  sieb  schwer  sagen  lassen, 
eine  besondere  Feinlieit  mochte,  wie  noch  bei  Homer  ill. 
i,ll,  501),  das  Mark*;  der  Knochen  angesehen  werden,  eine 
ibUngsspeisc  aller  karnivoren  Natnrv'ilker  (vgl.  Lubbock  Die 
;^8chicht liehe  Zeit  11,  37).  Verstanden  »ich  aber  die  Indo- 
tnauen  bereits  anf  die  Zubereitung  des  Fleisehes  mit  Hilfe 
I  Feuers,  so  schliesst  dies  doch  den  nebenhergehenden  Gennss 
I  roben  (scrt.  ämd,  griech.  ibuöi,  \r,  6m)  Fleisches,  den  he- 
luUich  nicht  einmal  nnsere  Kultur  ganz  überwunden  bat,  nicht 
i.  Von  den  Germanen  wenigstens  berichtet  dies  Pomponius 
la  III,  3»  ansdrUcklich.  Nach  diesem  Schriftsteller  genossen 
lere  Vorfahren  das  rohe  Fleisch  entweder  frisch  (recenn)  oder. 

dem  sie  es  mit  H&uden  nnd  Füssen  mürbe  gewalkt  hatten. 

noch  das  erste  Wikingergesetz  mnsate  ausdrücklich  verbieten, 

t  »crl.  mt\}jän,  aw.  maef/a.  altsl.  mozgil.  ab< 


—    244     - 

dass  rohes  Fleisch  gegessen  werde.  „Viele  Menschen^,  h&sA 
es  in  demselben,  „hegen  die  Sitte,  rohes  Fleisch  in  ihre  KIdder 
zu  wickeln  und  so  zu  sieden,  wie  sie  es  heissen;  aber  das  ist 
mehr  eine  Wolfs-  als  eine  Menschensitte^  (Weinhold  Alts. 
Leben  p.  148).  Bei  den  Indern  gelten  allerdings  nur  Dämonen 
und  Zauberer  als  kravyä'd  „rohes  Fleisch  fressend'^ ;  doch  haben 
auch  die  Inder  des  Rigveda  bereits  eine  höhere  Eultnretnfe 
erreicht  als  die  Germanen  an  der  Schwelle  der  Geschichte. 

Was  die  Tiere  anbetrifft,  die  dem  ürvolk  zur  Nahrung 
dienten,  so  lieferten  bei  einem  viehzttchtenden  Volk  in  erster 
Linie  natürlich  die  Herden  das  Schlachtvieh  (neque  muUum  fn- 
mento  sed  maxhnam  partem  lade  atquepecore  —  „Herdenvieh"  — 
rivunty  Caesar  von  den  Sueben  IV,  Kap.  1).  Hierzu  mochte,  wenn 
auch  seltener,  der  Genuss  der  Jagdbeute,  den  Tacitus  bei  den 
Germanen  kennt  (recens  fera^  Kap.  23),  treten.  Auffallend  ist 
es  jedenfalls,  dass  bei  Homer  nur  zweimal  und  zwar  nur  in  d» 
Odyssee  vom  Verspeisen  des  Wildprets,  wilder  Ziegen  (IX,  154) 
und  eines  Hirsches  (X,  InT),  die  Rede  ist,  und  noch  dazu  beide- 
mal in  Fällen,  wo  es  nichts  anderes  zu  geniessen  gab.  Im 
Kigveda,  wo  Jagden  auf  wilde  Tiere  doch  mehrfach  erwähnt 
werden,  scheint  der  Genuss  des  Wildprets  ganz  unbekannt  ge- 
wesen zu  sein.  Man  jagte  daher  in  der  Urzeit  augenscheinlich 
mehr,  um  die  gefährlichen  Feinde  der  Herden  und  Ansiedelungen 
zu  vernichten,  als  um  des  Nutzens  willen,  den  man  von  der 
Jagdbeute  erhoffte  (vgl.  oben  p.  138). 

Einen  trefflichen  Kückschluss  auf  die  bei  den  Indogermanen 
verspeisten  Tiere  gestatten  die  ältesten  Bestimmungen  über  die 
als  Opfer  (vgl.  Kap.  XV)  gestatteten  (griech.  Ugda  „Schlaeht- 
vieli").  So  werden  bei  den  Indern  als  Opfertiere  Ross,  Bind, 
8chaf,  Ziege,  bei  den  Iraniern  Hengste,  Rinder  und  Kleinvieh,  bei 
Griechen  und  Römern  Ochsen,  Schafe,  Ziegen  und  Schweine  be- 
zeichnet. Bei  den  Germanen  werden  Pferde-,  Rinder-,  Schweine- 
und  Ziegenopfer  genannt.  Wildpret,  Geflügel  und  Fische  and 
dem  ältesten  Opferritual  fremd,  weil  sie  entweder,  wie  das  Ge- 
flügel (oben  p.  165  ff.),  in  der  Urzeit  noch  unbekannt  waren 
oder,  wie  Wildpret  und  Fische  (I*,  162  f.,  vgl.  auch  Kap«  XI), 
nicht  zu  den  Lieblingsspeisen  der  Menschen  gehörten. 

Zu  der  animalischen  Nahrung  trat  als  vegetabilische  in 
der    ältesten  Zeit   die   Frucht   der   wildwachsenden    Obetbänme 


-    246    - 

agrestia  poma  Tac.  Germ.  Kap.23)y  deren  etymologisch  über- 
iQ8timmeDde  Namen  oben  (p.  175)  mitgeteilt  sind,  und,  woran 
oan  kaum  wird  zweifeln  können,  die  Eichel  (lat.  glansy  griech. 
^dXavoqj  altsl.  ielc^i,  armen,  kaiin).  Werden  doch  die  in  ihrer 
Lnltarentwicklnng  zurückgebliebenen  Arkader  ausdrücklich  als 
\aiannfiq)dyoi  „Eichelesser^  bezeichnet,  und  weiss  doch  Plinius 
XVI,  5,  6)  zu  berichten,  dass  man  bisweilen  bei  Hungersnot 
irot  aus  Eicheimehl  buk  (vgl.  Hei  big  Die  Italiker  in  der  Poebne 
).  72  f.).  Ja,  in  einem  altenglischen  Runenlied  (Wülker  I, 
J3i— 337)  wird  die  Eichel  geradezu  als  ^Nahrung  des  Fleisches 
für  die  Menschenkinder^  bezeichnet. 

Besouders  im  Westen  des  vorhistorischen  Sprachgebiets 
^ritt  dann  immer  mehr  die  Halmfrucht  in  die  Reihe  der  un- 
ntbehrlicheo  Lebensmittel.  Vor  allem  wird  man  das  auf  der 
|>rimitiyen  Handmühle  (got.  qairnus  usw.  vgl.  Kap.  VI,  p.  204) 
^wonnene  Mehl  in  der  Form  des  Breies  genossen  haben,  für 
len  eine  idg.  Gleichung  in  griech.  jiöAtoc  =  lat.  puls  vorliegt. 
(fach  Plinius  Hist.  not.  XVIII,  149  hätte  Hafergrütze  eine  Haupt- 
rpeiae  der  alten  Germanen  gebildet,  und  nach  demselben  Autor 
SVIII,  83  hätten  die  Römer  lange  Zeit  nicht  von  Brot,  sondern 
ron  Brei  [puls)  gelebt. 

Doch  ist  auch  die  Bekanntschaft  der  Indogermanen  mit 
iem  Brot  uralt,  wie  schon  die  Gleichungen  griech.  nkd^vor  ■= 
ihd.  flado  „Fladen'*  und  (vielleicht)  lat.  libum  =  got.  hlaifsy 
nfad.  lebe-kuoche  (altsl.  chlebü  wahrscheinlich  aus  dem  Gerniani- 
ichen  entlehnt)  zeigen^).  Dieses  urzeitliche  Brot  müssen  wir  uns 
ib  ungesäuert  und  darum  schwer,  flach  und  unverdaulich  vor- 
^len.  In  Rom  mnsste  derselbe  Flamen  Dialis,  der  sich  den 
3art  mit  ehernem  Messer  rasieren  musste  (oben  p.  70),  sicli 
lach  der  farina  fermento  imbuta  enthalten.  Aus  Plinius  XVIII, 
>8  lässt  sich  ersehen,  dass  der  Gebrauch  der  Bierhefe  zum  Brot- 
)acken  in  den  barbarischen  Ländern  damals  noch  auf  Gallien 
md  Spanien  beschränkt  war,  und  in  unserem  bröt  (agls.  br^ad, 
iltn.  hraud),  das  selbst  von  Haus  aus  ^Bierhefe"  (=  ßgomog 
hl  HQi^(üv  Tiofia  Hes.)  bedeutet,  dürfte  gegenüber  dem  urzeit-* 
liehen  hlaifs  ein  verhältnismässig  junger  Ausdruck  für  das  ge- 
tänerte  Brot  vorliegen. 


1)  Vgl.  über  die  verschiedenen  Deutungen  der  zuletzt  «genannten 
IflTortflippe  Walde  Lat.  et.  Wb.  8.  v.  libum. 


-    246    - 

In  naturnotwendigem  Zusanimenhang  mit  dem  GeDuas  der 
Halmfrucht  steht,  wie  schon  in  Kap.  VI  gezeigt  worden  ist,  der 
des  Salzes^  dessen  idg.,  aber,  wie  die  meisten  Ackerban- 
gleichnngen,  auf  Europa  (und  Armenien)  beschränkte  Bezeich- 
nung, lat.  sal  etc.,  wir  ebenfalls  bereits  kennen  gelernt  babeo. 
Zeugnisse  dafür,  dass  der  Mensch  bei  reiner  Fleischnahnmg  des 
Salzes  nicht  bedarf,  liegen  aus  Europa  einerseits  in  der  Nach- 
richt des  Pausanias  (I,  12),  den^ufolge  die  auf  der  Stufe  der 
Viehzucht  stehen  gebliebenen  Epiroten  die  schon  yon  Homer 
genannten  Menschen  waren,  die 

ovde  §'  äkeooi  juefuyfxivov  eldag  edovoij 
andererseits  in  dem  von  Athenion  (Athenaeus  XIV,  p.  661)  be- 
richteten altgriechischen  Opferbrauch  vor,  den  den  Göttern  dar- 
gebrachten Eingeweiden  der  Opfertiere  Salz  nicht  binzuzufflgeo 
(ov  yäg  rjoav  ovömo)  elg  Tijv  roiavrrjv  XQV^^^  iSevQtj/jiivoi),  VoD 
dem  altindischen  Opfer  (vgl.  Oldenberg  Religion  des  Veda 
p.  413^)  waren  überhaupt  gesalzene  Speisen  ausgeschlossen. 
Nimmt  man  hinzu,  dass  im  Awesta  und  Rigveda  überhaupt  noch 
kein  Wort  für  Salz  genannt  wird,  so  findet  auch  von  dieser 
Seite  unsere  oben  p.  221  entwickelte  Ansicht,  dass  bei  den  öat- 
iichen  Gliedern  des  Urvolks,  und  wo  sonst  etwa  noch  fast  aus- 
schliesslich Viehzuclit  getrieben  wurde,  das  Salz  noch  aobekannt, 
d.  h.  nicht  verwertet  und  darum  nicht  benannt  war,  ihre  Best&tigODg. 
Die  Frage  aber,  woher  den  übrigen  Indogermanen  das  für  ihre  Er- 
nährung notwendige  Salz  kam,  ist  nicht  schwer  zu  beantworten, 
wenn  in  den  Kap.  II — VI  der  Schauplatz  der  ältesten  idg.  Entwick- 
lung mit  Recht  im  südlichen  Russland  gesucht  worden  ist.  Das 
Meer,  an  dem  alsdann  jedenfalls  die  westlichen  Glieder  des 
idg.  Sprachstamms  sassen  (lat.  mare,  ir.  mutr,  got  mareij  altsL 
morje,  lit.  märes)  ist  alsdann  das  Schwarze^)  Meer  gewesen,  in 


1)  Der  Einwand  von  Hoops  Waldbäume  p.  382  ff.,  dass,  wenn 
das  Meer,  an  dem  auch  nach  ihm  die  Indogermanen  sassen,  dts 
Schwarze  Meer  gewesen  wäre,  man  erwarten  solle,  „dass  gerade  die 
Sprachen  der  südlichsten,  dem  Schwarzen  Meere  ursprünglich  am 
nächsten  wohnenden  Stämme,  also  das  Griechische  und  Indo-iranisehe, 
einen  gemeinsamen  Namen  für  „Meer"  entwickelt  hätten",  scheint  mir 
nicht  stichhaltig.  Denn  erstens  steht  der  Annahme  nichts  im  Wege, 
dass  die  Indoiranier  an  den  Sippen  von  lat.  sal  und  mare  deswegen 
nicht  teilnehmen,  weil  ihre  Sitze  in  der  Urzeit  nicht  bis  zum  Schwanen 


—    247    - 

dessen  an  seinen  nördlichen  Ufeni  gelegenen  Limans  bekanutlieb 
noch  jetzt  ein  ungeheurer,  zum  Gebrauch  fertiger  Saizreichtum 
zutage  tritt  und  seit  Urzeiten  zutage  getreten  ist.  Wie  für  diese 
von  der  Natur  hier  mühelos  dargebotenen  vSchätze  die  Indo- 
germanen  später,  da,  wo  sie  sich  vom  Meere  entfeniten,  mtthe 
vollen  Ersatz  in  dem  kunstlosen  Absieden  des  Wassers  eifer- 
sflchtig  gehüteter  und  gierig  umstrittener  Salzquellen  suchen 
nmssten,  ist  von  V.  Hehn  in  seiner  Schrift  Das  Salz  (2.  Aufl. 
1901)  ausführlich  dargestellt  worden. 

Dem  Bild,  das  wir  im  bisherigen  von  der  ältesten  Nahrung 
der  Indogermanen  gewonnen  haben,  entspricht  im  wesentlichen 
das  in  den  Ausgrabungen  der  neolithischen  Epoche  und  ältesten 
Metallzeit  Europas  zutage  tretende.  In  erster  Linie  ist  auch 
hier  das  Fleisch  der  Jagd-  und  Herdentiere  (hier  zuweilen  in 
dieser  Reihenfolge)  zu  nennen.  „Ein  durchgehendes  Merkmal 
«eines  (des  Pfahlbauem)  Küchenmoders  ist,  dass  alle  Knochen, 
die  Mark  oder  anderen  essbaren  Inhalt  haben,  geizig  bis  auf 
diesen  ärmlichen  Inhalt  ausgebeutet  sind''  (Rütimeyer  Pfahl- 
bmtenb.  v.  F.  Keller  III,  VII  Anm.  1).  An  Vegetabilien  haben 
«eh  verkohlte  wilde  Äpfel  (auch  Birnen)  massenhaft  in  den 
Schweizer  Pfahlbauten  gefunden.  Sie  waren  in  mehrere  Teile 
zerschnitten  und  scheinbar  für  den  Winterbedarf  zurückgelegt 
(Labbock  Die  vorgeschichtliche  Zeit  I,  207).  Auch  verkohlte, 
geschälte  Hälften  von  Eicheln  fanden  sich  in  Möringen  (Pfahl- 
baatenb.  III,  63).  In  den  Pfahlbauten  der  Poebne  fanden  sich 
ebenfalls  Eicheln  in  grosser  Menge,  und  zwar  in  Tongefässen 
aufbewahrt,  so  dass  es  wahrscheinlich  ist,  „dass  sie  nicht  nur 
zur  Mast  für  die  Schweine,  sondern  auch  den  Menschen  zur 
Speise  dienten"  (Hei big  a.  a.  0.  p.  17). 

Die  Nachrichten  endlich  über   die  Verwendung   der  Halm- 


Meere  reichten,  und  zweitens  wäre  es.  was  die  Griechen  anbetrifft, 
doch  nur  etwas  im  Leben  der  Sprache  ganz  gewöhnliches,  wenn  sie 
ein  der  Sippe  mare  angehörendes  Wort  verloren  hätten  und  dafür 
ik  »Salz**  und  „Meer"  gebrauchten.  Überdies  scheint  in  griech. 
»b7(^)A«vß4  »Flut**,  eigentl.  „Vollmeer**  (vgl.  auch  lat.  wuria  „Salzlache**) 
ein  ziemlich  sicherer  griech.  Anverwandter  der  idg.  Sippe  mare  vor- 
handen zu  sein  (vgl.  Prellwitz  Et.  W.  d.  griech.  Spr.*  p.  375  und 
Walde  Lat.  et.  Wb.  p  400). 


-    248    — 

frncht,  die  man  auf  steinerDen  Kornquetschern  vm  mahlen  ver- 
stand;  fasst  Lnbbock  in  folgender  Weise  (a.  a.  0.  p. 207)  za- 
sammen:  „Noch  unerwarteter  war  die  Auffindung  tou  Brot  oder 
richtiger  Zwieback;  denn  seine  Beschaffenheit  ist  so  dicht,  im 
es  scheint,  als  ob  keine  Hefe  dazu  benutzt  worden  ist.  Die 
Brote  waren  rund  und  flach,  hatten  eine  Dicke  von  1  Zoll  bis 
zu  15  Linien  und  besassen  einen  Durchmesser  von  4 — 5  Zoll 
mach  Heer  war  die  zerquetschte  Masse  zu  einem  Teige  an- 
gemacht und  zwischen  heissen  Steinen  gebacken).  In  anderen 
Fällen  scheint  man  die  Körner  geröstet,  grob  zwischen  Steinen 
zerstampft  und  dann  entweder  in  grossen  irdenen  Töpfen  auf- 
bewahrt oder  leicht  angefeuchtet  genossen  zu  haben. ^  Aach  in 
den  Pfahlbauten  des  Mondsees  sind  von  M.  Much  hefenloee 
Brote  aufgefunden  wurden.  Vgl.  noch  Heer  Bemerkungen  über 
die  Landwirtschaft  der  Ureinwohner  unseres  Landes,  Pfahlbanten- 
berichte  III,  111  ff. 

Ein  Unterschied  der  archäologischen  und  linguistisch- 
historischen  Tatsachen  ergibt  sich  hingegen  insofern,  als  in 
weiten  Teilen  des  ältesten  Europa  die  Fisch  nahm  ng  ohne 
Zweifel  eine  wichtigere  Rolle  gespielt  hat,  als  oben  und  P,  163  fflr 
die  Indogermanen  angenommen  worden  ist.  Von  paläolithischer 
Zeit  an  ist  in  Europa,  wie  zahlreiche  Funde  von  Harpunen  ond 
anderen  Fischereigeräten  zeigen,  an  vielen  Orten  ein  emsiger 
Fischfang  betrieben  worden,  der  auch  in  neolithischer  Zeit,  wie 
die  Schweizer  und  Oberösterreiehischeu  Pfahlbauten,  aber  ancb 
die  dänischen  und  schwedischen  Funde  zeigen,  noch  andauerte. 
Vielleicht  haben  wir  es  hier  zunächst  mit  vor-  und  nicht-indo 
germanischeu  Völkerschichton  zu  tun,  mit  denen  die  von  Osten 
her  sich  ausbreitenden,  die  Fische  ursprünglich  gering- 
schätzenden indogermanischen  Viehzüchter  allmftblicb 
verschmolzen,  und  deren  Gewerbe  und  Nahrungsweise  sie  im 
Laufe  der  Zeit  annahmen.  Bemerkenswert  ist  in  diesem  Zu- 
sammenhang jedenfalls,  dass  Chwoiko  in  seinem  öfters  (p.  1^ 
usw.)  genannten  Aufsatz  über  neolithische  Siedlungen  am  mittleren 
Dnieper  p.  800  ausdrücklieh  hervorhebt,  dass  die  Überreste 
von  Fischen  hier  im  Vergleich  mit  denen  von  Haus- 
tieren und  wilden  Vierfüssleru  ausserordentlich  selten 
seien.  Keinerlei  Überreste  und  Zeugen  eines  daselbst  betriebenen 
Fischereigewerbes  sind  in  den  Pfahlbanten  der  Poebne  (Helbif 


249 


!  itüliker  in  der  Poeboe  p.  15),  sowie  in  Tiryns  nuii  Mykeiuie 
,   163  Aiim.j  zutage  getreten. 

Wie  Ulckenliaft  aber  unsere  Kenntnis  der  ällestea  Eruäh- 
tDgBweiHe  wäre,  wenn  wir  sie  nur  aus  den  prähistorischen 
Piinden  ecliöpften,  zeigt  um  besten  der  Umstand,  dass  wir  durch 
die  letzteren  Uberhaapt  nichts  Ober  eins  der  wichtigsten  Nabrungs- 
mittel  der  ünseit  erfahren  würden,  über  die  Milch  und  ihre 
Benutzung  zn  Butter  und  Käse.  Dass  die  Indogermanen  als 
yai.a>iToiQoif>ovviK,  wie  es  Caesar  V,  14  von  den  Britanniem  (die 
lade  et  rarne  i-ivfiiit)  und  VI,  22  von  den  Germanen  (maior 
pars  cictus  eorum  in  lade,  caueo,  cariie  coniietit),  Plinius 
Hist.  nat.  XI,  41,  96  überhaupt  von  den  barbarae  gentes 
quae  litcfe  rivuni)  berichtet,  in  die  Geschichte  eintreten  (vgl. 
auch  noch  Jordanea  Kap.  51  von  den  Gotki  minores  :  nüiilque 
ahundan»  nijti  armenta  dinersi  generis  pecoi-um  et  pascaa  — 
Jiam  /acte  aluntur  plerique),  und  dass  also  scbou  dem  ürvolk  die 
Milcb  seiner  Herden,  seiner  Kttbe,  Schafe  und  Ziegen,  viel- 
leicht anch  seiner  Stuten  i's.  n.)  in  allererster  Linie  zur  Nahrnng 
diente,  kann  in  keiner  Weise  bestritten  werden.  Urverwandte 
Bexeicbnungen  für  den  Begriff  „Milcb"  sind  schon  oben  (I*,  172) 
aiigefniirt  worden.  Merkwürdig  ist,  dads  der  AuedrQck  für  das 
Melken:  griecb.  AftiXyvi,  lat.  mulgeo,  ir.  blichtm  (ir.  melg 
„Milch"],  abd.  melckan  (got,  müukn  „Milch",  fühta,  ein  alt- 
genn.  Milcbgericbt,  hieraus  entlehnt  altsl.  mUko),  altsl.  mfüzq 
(rasa,  molözeco  etc.  „Biestmilcb")  bei  E^uropäern  und  Ariern  fscrt. 
dub)  rerschieden  ist.  Vielleicbt  weist  auch  dies  auf  einen  alten 
Kultnrgegensatz  zwischen  dem  Westen  und  Osten  des  ürlands 
hin,  den  wir  freilich  im  einzelnen  niebt  bestimmen  können. 

Für  die  weitere  Verwertung  der  Milch  in    der  Urzeit   sind 

die  folgenden  Gleichungen  von  Wichtigkeit:    sert.    ä'jya  „Opfer- 

bulter",  lat.  unguentum  „Salbe",    altpr.  anctan,   ahd.   aiicho,  ir. 

„Battcr";   acit.    sarpin    „ausgelassene    Butter",    kypr.  H<;",- 

agis.    seaif  „Salbe",    alb.  g'alp   „Bntter";    scrt.    »ä'ra 

'ounene  Milch",  lat.  serutn,  griech.  ögoV  „Molken";  aw.  türi 

j  gewordene  Milch",  „Molke",  tnirt/a  „käsig"  =  griecb. 

'  „Käse"   u.  a. 

Wir  lernen  ans  ihnen,    dass    mau    schon    in  der  Urzeit  die 

;tet)  Beetandteile  der  Milcb  auszuscheiden    verstand,   weniger 

lll  zum  Gentiss,  der  in  dem  Trinken  der  Buttcimilch    besteht. 

aller.  ^S^.^«^^1n■e^Bl  eich  Uli»  und  L:rKe«-hli:hle  II.   B.  A.ifl.  IT 


-     250    - 

als  vielmehr  zum  Schmieren  (scrt,  lip,  griecb.  dkouptj  =  altd. 
prilepü  „Salbe^)  des  Haares  und  Salben  des  Körpers.  Fflr 
diesen  Gebranch  der  Butter  wie  anch  des  Tierfettes  kann  ich 
mich  in  sachlicher  Hinsicht  auf  V.  Hehns  Ausführungen  Kultürpfl.^ 
p.  154  ff.  beziehen,  in  sprachlicher  auf  die  schon  angeführten  B^ 
deutungsübergänge  zwischen  Butter  und  Salbe.  Hierher  gehört 
auch  altsl.  mndo  „Butter^  und  „Salbe^^)  {mazl  „Salbe^,  maztaa 
^schmieren":  griecli.  juf'juay-'iiiivrjy  fmyevg  etc.),  und  ahd.  srifa, 
agls.  säpe  „die  bei  den  nördlichen  Völkern  zum  Färben  der 
Haare  ursprünglich  verwendete  Seife"  =  lat.  «^&um')  (♦«a«6-tMii) 
„Fett,  Talg''.  Die  südlichen  Völker,  Griechen  und  Römer,  haben 
also  ihre  Vorliebe  für  das  Salben  des  Körpers  aus  der  Uraeit 
mitgebracht,  nur  dass  bei  ihnen  das  edlere  Öl  und  kostbare  aos- 
ländische  Spezereien  den  urzeitlichen  Schmalz-  und  Fettgebranch 
frühzeitig  verdrängten.  Doch  hat  auch  hier  die  Urzeit  ihre 
deutlichen  Spuren  hinterlassen.  Ein  altes  Wort  für  die  Salbe 
ist  im  Griechischen  iivgov.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
dies  zunächst  dem  hehr,  mor,  aram.  murräh  „Saft  der  arabischen 
Myrrhe"  entspricht,  aus  welchem  es  entlehnt  ist.  Aber  der 
griechische  Ausdruck  kommt  auch  mit  anlautendem  o  (afivgof) 
vor,  das  keinen  Anhalt  in  den  semitischen  Sprachen  findet  Ich 
nehme  daher  an,  dass  im  Griechischen  zwei  verschiedenartige 
Bestandteile  miteinander  verschmolzen  sind,  ein  phöniziscb-semi- 
tischer  und  ein  einheimischer,  und  dass  in  dieser  Sprache  von 
alters  her  ein  ojtwgov  oder  *ojli€oov  „Salbe",  „Schmiere",  vorhanden 
war,  das  dem  ahd.  smero  „Fett,  Schmiere",  got  smairpra 
„Fett",  altn.  smjör,  ir.  smir  „Mark"  entsprach.  Während  dann 
die  nordischen^)  und  auch  die  arischen  Völker  (scrt.  ghjid,  aw. 
raoyna  „Butter",    parsi   raogan,    pers.    röghan^    Pamird.  rughnj 

1)  Der  spezielle  Ausdruck  für  Butter  ist  im  Russischen  koroek 
mdslo  (koröva  „Kuh"),  <|:anz  wie  ahd.  chuo-sm^o^  und  ähnlich  wie 
»rriech.  ßovivQov^  eij^entl.  „Kuhquark**. 

2)  Lat.  säpo^  nach  Plinius  „Haarsalbe^,  ist  ein  keltisch-f^enDini- 
sches  Wort  und  wahrscheinlich  aus  einem  westgerm.  ^sdpön-,  das  neben 
*)täipon  (ahd.  seifa)  bestanden  haben  muss,  entlehnt. 

3)  Ein  gemeingerm.  Ausdruck  der  Butterbereitung  ist  altn.  kimaj 
engl,  churn  „Butterfass**,  agls.  öyman,  nhd.  kernen  „buttern*;  er  wird 
mit  dem  oben  genannten  got.  qairnus  „Handmühle*  zusammenhKngeo, 
da  das  Butterfass  Ähnlichkeit  mit  dieser  letzteren  hatte.  Erst  in 
X.  Jahrh.  kommt  ahd.  butera  auf. 


-    261     - 

röghün  etc.)  die  primitive  Kunst  der  Drzeit  bis  znr  eigeDtlicheo 
Batterbereitnng  vervollkommneten,  gaben  sie  Griechen  und  Römer, 
in  ihren  neuen  Wohnsitzen  mit  dem  semitischen  Ölbaum  und 
seiner  Frucht  bekannt  geworden,  ganz  auf. 

Den  Käse  der  Urzeit  werden  wir  uns  am  besten  als  das 
vorstellen,  was  Tacitus  Germ,  Kap.  23  als  lac  concretum  ^kon- 
densierte Milch  ^  bezeichnet,  und  in  Beziehung  worauf  Plinius 
a.  o.  a.  0.  sagt:  mirum  barbaras  genteSy  quae  lade  vivuntj 
ignorare  aut  spemere  tot  saeculis  casei  (d.  h.  des  geformten 
und  getrockneten  Käses)  dotem,  densantes  id  alioqui  in 
acorem  iucundum  et  pingue  butyrum.  Gerade  dieser  acor 
iucundus  liegt  in  der  ursprünglichen  Bedeutung  des  iat. 
c(Meug  ausgesprochen,  das  etymologisch  zu  dem  slaviscben,  russ. 
kviisü  ^säuerlicher  Geschmack^,  „säuerliches  Getränk^*  gehört. 
Auch  die  einzige  echt  germanische  Bezeichnung  des  Käses,  altn. 
ostr  (f'mu,  juusto  „Käse^)  weist,  als  zu  \sit.  jus  „Brühe^  (vgl.  oben 
p.  243)  gehörend,  auf  ein  flüssiges  Gericht.  Selbst  im  Rigveda 
wird  nur  ein  Schlauch  mit  saurer  Milch,  kein  eigentlicher  Käse 
genannt  (Zimmer  Aitind.  Leben  p.  227),  und  auch  im  Awesta 
kann  payöfsüta  :  payah  „Milch^  =  Pamird.  pdi,  päi,  pöi  „ge- 
ronnene Milch",  „Quark"  sehr  wohl  von  lac  concretum  ver- 
standen werden. 

Eigentlichen,  geformten  Käse  {*formaticu8  =  frz.  fromage, 
it.  formaggio,  vgl.  auch  ahd.  formizzi)  haben  die  Nordvölker 
erst  durch  die  Römer  kennen  gelernt  und  damit  das  Iat.  ccLseus 
(ir.  caiae,  ahd.  chdsi^  agis.  iyse)  übernommen.  Im  Osten  haben 
die  Siaven  sehr  frühzeitig  ihr  tvarog  (unser  mhd.  quark)  aus 
turko- tatarischen  Sprachen  (dzagat.  turak,  türk.  torak  „Käse") 
entlehnt.  Es  bedeutete  bei  diesen  Reiternomaden  speziell  die  in 
Lederschläuche  gezogene  und  dadurch  zum  Gerinnen  gebrachte 
Milch  (vgl.  J.  Peisker  Ältere  Beziehungen  der  Siaven  p.  122f.). 


Ebensowenig  wie  über  den  Milchgenuss,  würden  wir  über 
die  geistigen  Getränke  der  Indogermanen  allein  durch  die 
prähistorischen  Funde  etwas  erfahren.  Auch  hier  sind  wir  aus- 
schliesslich auf  die  Sprache  und  Überlieferung  angewiesen.  Sie 
lehren  nns,  dass  die  sanfte  Labung  der  Milch  dem  Durst  unserer 
vorzeitlichen  Ahnen  keineswegs  genügte,  und  wie  wir  bei  den 
meisten,    selbst   bei    den    rohsten   Naturvölkern    dem    Bestreben 


-    252    — 

begegnen,  durch  die  Herstellung  eines  berauschenden  Getränkes 
aus  Wurzeln,  Kräutern  u.  dergl.  sich  die  Möglichkeit  eines  kurzen 
Entrücktseins  aus  dem  irdischen  Jamniertale  zu  verschaffen,  so 
kann  auch  unseren  idg.  Vorfahren  die  Poesie  des  Rausches  nicht 
verborgen  gewesen  sein.  Ja,  es  ist  nicht  unwahrscheinlichy  dass 
der  Nationalfehler  des  Trunkes,  den  Tacitus  bei  den  Germanen 
fand,  ein  Erbe  idg.  Vorzeit  ist.  Wohin  wir  uns  jedenfalls,  ancb 
abgesehen  von  den  Germanen,  in  der  idg.  Völkerwelt  wenden^ 
ob  zu  den  Kelten  oder  Thrakern,  den  Preussen  oder  Skythen, 
den  Indern  oder  Iraniern,  überall  treten  uns  dieselben  trunkfesten 
und  trankfröhlichen  Männer  entgegen,  und  zahlreiche  Götter- 
gestalten wie  der  indische  Indra  oder  der  griechische  Henkle» 
oder  der  germanische  Thor  sind  ebenso  gross  in  der  Verflbong 
kühner  Abenteuer  wie  in  der  Vertilgung  ungeheurer  Massen  von 
Speise  und  Trank  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Mahlzeiten  and 
Trinkgelage).  Auch  in  dieser  Beziehung  haben,  wie  beilänfig^ 
bemerkt  sei,  die  heutigen  Russen  die  Stufe  der  Urzeit  noch  treu 
bewahrt,  die  sie,  wie  andere  Völker,  überwinden  werden.  Ihr 
besonderes  Unglück  liegt  nur  darin,  dass  der  Schnaps,  du 
„  Wässerlein  ^  (vodkä),  der  seinen  unheimlichen  Siegeszag  Aber 
Europa  seit  dem  XV.  Jahrh.  antrat,  die  Russen  noch  auf  der 
Stufe  der  Urzeit  vorfand  und  so,  statt  oder  neben  harmloserem 
Getränk,  zum  eigentlichen  Volksgetränk  wurde. 

Das  Getränk,  in  dem  sich  die  Urzeit  berauschte,  war  der 
Met:  scrt.  mddhu  „Süssigkeit,  süsser  Trank  und  Speise,  Met^'r 
später  auch  ,,Honig^,  aw.  madu  „süsser  Trank^'  (vielleicht  der 
haomayW.  Geiger  p.  231  f.,  nach  Bartholomae  p.  1114  „Beeren- 
wein"), griech.  ^le^  „Wein**  (vgl.  fxe&i]  „Trunkenheit"),  ahd. 
mefu,  altsl.  medü  „Honig,  Wein^,  lit.  midüs  „Met*^,  media 
„Honig"  (Kurschat),  altir.  mid  „Met"  (mesce  =  *medce  „ebrieUu^ 
Die  Bedeutung  „Honig",  welche  diese  Wortreihe  in  zahlreichen 
Sprachen  hat,  sowie  der  Begriff  der  Trunkenheit^),  den  «e 
entwickelt,  zeigen,  dass  wir  es  hier  mit  einem  berauschenden 
Getränk  zu  tun  haben,    dessen  wesentlichster  Bestandteil  Honig; 

• 

1)  Vgl.  auch  die  Reihe  scrt.  mddati  „ist  trunken",  vndda  „Tranken* 
heit*',  aw.  mada  ^Rausch trank",  lat.  matttAS  „trunken"  =  scrt.  matta 
id.,  die  von  der  im  Text  angeführten  nicht  immer  scharf  gesondert 
werden  kann,  und  deren  Grundbedeutung  „feucht  sein**  (,fencht- 
fröhlich"),  lat.  madeo  zu  sein  scheint. 


2f.3 


Wesen  aciii  iiiiiss,  für  den  in  den  enropäischen  Spmchen  noch 
eine  zweite  BeDcnnung:  griecli.  fxfXi,  Int.  mel,  g^ot.  miUp,  ir. 
mil,  alb.  mjal'  fauch  anuen.  mein  hestehl. 
m  Neben  dem  Met  wird  man  nach  dem  oben  {p.  156  ff.)  über 
Be  Stellung  des  Pferdes  im  ältesten  Haushalt  der  Indogermanen 
Bemerkten  auch  die  Stutenmilch  n\s  berausuhendes  Getränk 
aaznerkennen  haben,  obgleich  ihr  Gebrauch  allerdings  nur  anf 
«inem  verhältnismässig  beschränkten  geographischen  Gebiet,  näm- 
hch  bei  den  Iraoiera  (vgl.  W.  Geiger  Ostiran.  Kultur  p.  328 
and  Bartholomae  Altiran,  W,  s,  v.  xiäudray-).  den  Skythen 
iHerodot  IV,  2)  und  den  alten  Preussen  {Script,  rer.  prus».  I, 
M:  pro  potu  habent  ....  vtelficratum  neu  medonem  et  lac 
MKrirum,-  vgl.  altpr,  amcinan  „Pferdemilch")  bezeugt  finden. 
H  Mit  der  grosseren  Betonung  des  Ackerbans  und  dem  all- 
Isfthlicben  Übergang  der  Indogermanen  zn  festeren  Wohnsitzen 
wird  der  Met,  der  sich  am  längsten  in  den  zur  Bienenzncht  vor- 
trefflich geeigneten  Wohnsitzen  der  glavischen  Völker  erhielt, 
ebenso  wie  die  .Stutenmilch,  immer  mehr  durch  voUkommnere 
Getränke,  bei  den  Ariern  durch  Soma  (aw.  haoma)  und  Sara 
(aw.  Aura),  bei  den  Europäern  durch  Bier  und  Wein  in  den 
intergrund  gedrängt. 

Das  älteste  Bier,  das  die  Alten,  ausser  in  Germanien 
'fte,  Kap.  23),  auch  in  Spanien  [cerea]  und  Gallien  (cerresia 
and  xögfia).  in  Illyrien  und  Pannonien  [xeibaja),  bei  den  Thra- 
kern (naQaßirj,  Phrygern  {^oSrof)  uud  Armeniern  vorfanden,  wird 
man  am  besten  als  ein  Übergangsgetränk  vom  Met  zn  noBerem 
Bier  mit  Hopfen  und  Malz  auffassen.  So  fand  es  Posidonios 
'Atheuäus  IV  p.  16*>)  und  Pytheas  (Strabo  IV  p.  201)  bei  den 
Iten,  bezieh nngs weise  im  fernen  Thnle ;  nagii  dr  roU  hnode- 
^v&oq  miQtvov  /irra  jiiXnoi  iaxti'aa/.th'ov  und  nag'  ot 
ihtK  xal  /leXt  yiyvezai  >tal  lö  .lö/ta  ivcfii&ev  fjjeiv.  Dieses 
listoriacbe  Bier  entbehrte  noch  des  Hopfens,  der  erst  im 
lalter  durch  Anregungen,  die  von  Ostasien  und  der  slavi- 
fn')  Welt  ftDSgiugen  (vgl.  die  Reihe:  ßiiv,  ^Mm/ri,  tat. zomh'k. 

1}  Aul   (iieso  Tswauhe   geBtÜut,    liai  V..  Kulm  K.  Z.  XXXV.  3\:i 

dit    geruianiacben  alid.  bior,    agls.  beör,    ahn.  björr   als  Entleh- 

»  dem  sUvischen  pivo,  allpr.  pima  .Bier'    autgelaaal,    und 

r  h*t>e  diB  gemaniaulie  Sippe   gegenüber    dem  gerni.-slav. :  agls. 

i,  talod,  nltn.  äl,   Mt.  al&a,    altsl.  olü,    dem    un^j'eliopflpu  Bier,    das 


-     264    — 

slav.  chmell,  chm^liy  altn.  humally  mlat.  humulus),  znr  Kultar- 
pflanze  nnd  znm  regelmässigen  Ingrediens  des  braanen  Tranke» 
geworden  ist;  doch  mag  man  vorher  andere  Mittel  zu  dem 
gleichen  Zweck  wie  Eichenrinde,  Fichtensprossen  oder  die  stark 
duftende  HowJ^a,  welche  die  Paeonier  za  ihrer  Ttagaßifj  ve^ 
wendeten,  gebraucht  haben.  Anch  die  Knnst  des  Malzen» 
wird  nocli  anbekannt  gewesen  sein.  Man  wird  vielmehr  in  der 
ältesten  Zeit  das  gequollene  Getreide  unmittelbar  zur  Bier- 
bereitung benutzt  haben,  so  dass  bei  den  Armeniern  nach  Xeno- 
phons  Anabasis  (IV,  5,  26)  noch  die  Gerstenkörner  in  den  Miscb« 
krügen  nmberschwanimen.  Auch  die  Fertigkeit,  das  Bier  haltbar 
zu  machen,  hat  sich  erst  ganz  allmählich,  nach  Plinius  XIV, 
149  zuerst  in  Spanien  entwickelt.  Bei  den  Litauern  wurde  e» 
noch  zur  Zeit  des  Lasicius  (De  diis  Samagitanim  p.  44)  beate 
gebraut,  um  schon  am  folgenden  Tage  getrunken  zu  werdoi. 
Wo  das  Getreide  knapp  war,  wird  man,  wie  beim  Brote  (ob^ 
p.  245),  auch  hier  zur  Eichel  gegriffen  haben,  wie  denn  der 
ärmsten  russischen  Landbevölkerung  ein  telud^vy  kvasü  ^Eiehel- 
kwas^  nur  zu  gut  bekannt  ist. 

Es  muss  also  ein  nichtswürdiges  Getränk  gewesen  sein,  ao 
dem  man  sich  in  der  Urzeit  berauschte,  und  an  dem,  wie  die 
Gleichungen  ahd.  briuican,  agls.  breöwanj  altn.  brugga  „brauen*': 
phryg.  ßgvrov  „Bier"  (s.  o.),  ßgovrog'  ix  xqi^cöv  Jtopui  Hes.  und 
agls.  beorma  „Bärme"  =  alb.  brum  „Sauerteig**,  lat.  fermmhm 
„Hefe,  Gärungsmittel"  zeigen,  gewiss  auch  die  Griechen  and 
Römer  teilnahmen,  bevor  sie  in  ihren  historischen  WohnsitEen  in 
den  Besitz  einer  Kulturpflanze  kamen,  die  zunächst  f&r  ihr  eigene» 
Volksleben,  dann  auch  für  das  des  übrigen  Europa  von  unerme» 
lieber  Bedeutung  werden  sollte,  der  mtis  mnifera,  des  Wein- 
stockes. 

Während  das  Altägyptische  {arp,  woraus  griech.  ^omclr 
die  iranischen  (pers.  mai,  kurd.  mei  =  aw.  mada^  scrt.  miifi 
„Ranschtrank")  und  die  nichtidg.-kleinasiatischen  Sprachen  (lyd- 
jii(oka$)  mit  ihren  Benennungen  des  Weins  abgesondert  und  alMn 
stehen,  werden  die  Westsemiten  (arab.-äthiop.  irain,  hebr.  jajia 
aus  *wam)    mit  den  Armeniern  {gini  aus  *rotno-,    *voini(h)  und 

gehopfte  bezeichnet.  Indessen  sind  die  Lautverhältniase  noch  nicht 
aufgeklärt,  und  jedenfalls  muss  ahd.  bior  usw.  auf  germanischem  Boden 
sehr  alt  sein  (vgl.  I.  F.  XVII,  32). 


D  europäiachen  ludogerniaDcu  ^griecb.  j-ointi,  alb.  reiif  aus 
jind,  tftt.  rfnum,  got.  cein,  slav.  Wno,  alttr.  /in)  dnrcli  eine 
mieinsame  Benciiuuttf,'  deBselben  verbuoden.  Da  nnn  einerseits 
See  Wortgrnppe  eine  etymologiscbe  ADkuUpfnug;  nur  in  den 
logermaniecbeD  Sprachen  (vgl.  lat.  vi-t'm  „Weiuetoek",  vlmen, 
ro,  griech,  ('<^i',  t'idi-  „wilder  Wein")  findet,  andererseits  der 
'eitiBtock  gerade  in  Pontns,  Armenien  und  im  Süden  des  Kan- 
i  die  «delaten  Frllcble  ohne  Kultur  des  Mensehen  bervor- 
higt  (vgl,  A,  de  CandoUe  Ursprung  der  KulturpFlanzen  p,  236), 
scheint  mir  die  nächste  Erklärung  fllr  den  angefahrten 
nitiscb-indogerniaui sehen  Zusauimeubaitg  die  /.n  sein,  dass  ein 
rntiflclicB  *eoino  (vgl,  armen,  gini)  zusammen  mit  der  Wein- 
lltnr  sich  in  vorhistorischer  Zeit  sowohl  zu  den  Westseuiiteu 
I  auch  nach  der  Balkauhalbineel  und  Italien  vgl.  oben  p-  5Ü 
iit.  1)  auf  dem  Wege  früher  Entlehnung  verbreitete,  von  welchem 
ttteren  Lande  ans  es  dann  in  frlibbistorischer  Zeit  durch  die 
mer  dat.  viimm}  naeh  dem  Norden  Europas  getragen  wurde. 
Diese  Auffassung  ist  mir  bei  der  in  meinem  Realleiikon 
V.  Wein)  und  bei  V,  Hehn  Kulturpflanzen  und  Haustiere^ 
9U  Ff.  geechilderten  kulturhistorischen  Gesanitlage  immer  noch 
!  wahrscheinlichere,  Uoch  muss  bemerkt  werden,  dass  wir 
B  bei  einer  Reihe  wie  armen,  ffhii,  all),  cfim,  griech.  ulroc, 
[.  rimim  in  der  P,  195  hervorgehobenen  Lage  liefinden,  lin- 
itttisch  nicht  eutseheiden  zu  können,  oh  wir  es  mit  Urverwandt- 
iiaft  oder  aller  Entlehnung  der  betreffenden  Wörter  zu  tun 
Die  Möglichkeit  ist  daher  nicht  ausgesehloB»en,  dass  die 
f  efOhrte  Wortsippe  einen  uriudogermanisehen  Namen  des  Weins, 
litlrlich  noch  des  wilden,  enthält.  Zugunsten  dieser  Annahme 
\  man  anfahren,  dasss  nach  den  neueren  Foim'hungen  Viti« 
tifera  ausser  in  den  oben  angeführten  Ländern  auch  in  .Stld- 
«sland,  in  ganz  Stideurupa  und  in  Teilen  Mitleleuropaa  spontan 
wie  denn  auch  Überreste  des  wilden  Weinstocks  in  stein- 
broDzezeitlichen  Niederlassungen  Italiens  und  vielleicht  des 
idenseegebiets  zutage  getreten  sind  (vgl.  Hoops  Waldbäitme 
■291,  300).  Die  Nurdenropäer  hätten  dann  in  ihren  späteren 
bhnntzen  den  Stamm  *eomo-  einfrehHBsl,  nm  ihn  später  durch 
römisclw  Weinkultur  aufs  neue  zu  erhalten  (vgl.  oben 
14H  ff.  Über  die  Schildkröte;.  Hedenken  sollte  man  aber,  dass, 
in    den    eingeführten  Weinnamen    eine    urverwandte   Sippe 


-    256    - 

erblickt,  aas  den  angegebenen  pflanzengeographischen  GrttDden 
jeden  Gedanken  an  eine  nordeuropäische  Herkunft  der  Indo- 
germanen  aufgeben  ninss. 

Wir  haben  nun  noch  mit  wenigen  Worten  bei  den  beiden 
schon  genannten  Getränken  zu  verweilen,  welche  die  arischen 
Völker  miteinander  gemein  haben,  dem  sürä  (hurä)  und  dem 
sö'ma  {haomä).  Über  die  Zusammensetzung  des  ersteren  wissen 
wir  nichts  bestimmtes.  Das  Petersburger  Wörterbuch  gibt  ab 
Bedeutung  „geistiges  Getränk^,  „Branntwein*^  an.  Bemerkeos- 
wert ist  aber,  dass  sowohl  die  tatarischen  wie  die  ostfiomscben 
Sprachen  eine  sehr  ähnlich  klingende  Bezeichnung  des  Bieres: 
wog.  sartty  wotj.  und  syrj.  sur^  ung.  ser,  tscher.  sra^  tatar.  sra 
(Ahlqvist  p.  51)  besitzen,  die  wahrscheinlich  eine  Entlehomig 
aus  iranischem  Sprachgebiet  darstellen.  Auch  weist  E.  Kuhn 
(K.Z.  XXXV,  313)  darauf  hin,  dass  altindische  Rezepte  die 
gürä  eher  als  bierähnliches  Getränk  kennzeichneten.  Awestiseh 
hurä  hinwiederum  ist  (nach  Bartholomae  Altiran.  Wb.  p.  1837) 
sicher  eine  Art  Milch  wein,  Kumys  (s.  o.)  gewesen;  doch  kommt 
auch  ein  bierartiges  Getränk  (von  yava  bereitet)  im  Awesta  for 
(Bartholomae  p.  533).  Zu  einer  Sicherheit,  was  sürärhurä  in 
der  arischen  Urzeit  bedeutet  hat,  ist  also  nicht  vorzudringen. 

Was  den  Soma  betrifft,  der  bei  beiden  Völkern    als  Gott 
wie  als  Trank  gedacht  wird,  beiden  Völkern  Reichtum  an  Vieh 
und  Nachkommenschaft    verleiht,    bei   beiden    Völkern   auf  das 
engste   in    den  Kultus    verwebt  ist   (vgl.  Spiegel    Die  Ariscbe 
Periode  p.  168  ff.),   so    sind,    namentlich  auf  R.  Roths  Betrieb 
(Z.  d.  D.  M.  G.  XXXV,  680—692),  sowohl  russischer-  wie  eng- 
lisdieraeits    sorgfältige    botanische    Nachforschungen     angestellt 
worden,    um  den  irdischen  Repräsentanten  der  göttlichen  Soms- 
pflanze  {yam  hramdnah  viduh    „die    die  Priester  kennen"),  fflr 
die  die  heutigen  Inder  und  Parsen    aber    allerlei  Surrogate  ver- 
wenden, in  den  Gebirgen  des  Hindnkusch  oder,  den  Tälern  des 
Oxus  wieder  zu  entdecken.     So  hoffte  man   einen   festen  Punkt 
in  der  Frage  nach  der  arischen  Urheimat  zu  gewinnen.    Leider 
haben  alle  angestellten  Untersuchungen  bis  jetzt  kein  greifbares 
Resultat  ergeben.     Vgl.  über  dieselben   M.  Müller  Biographie 
of   words    and    the   home    of    the   Aryas  p.  222  ff.,    über  den 
Haoiiia  auch  Bartholomae  Altiran.  Wb.  p.  1734. 


Kleidung. 


Felltracht.  Dif  nmOne*.  Da»  Gerben.  Das  Fileen.  Das  Flechten, 
Tenninolo^e  des  Webene  und  Spinnens.  Das  Material  dieeer  beiden 
KÜDKte.  Ver^letchung  der  Hltgeriniinisclien,  altgriechi sehen  und  alt- 
TÖmittcben  MAnnertracht.  Mnntet,  Schurz.  Hose.  Schuhwerk.  Kopf- 
bedeckungen.    Schmuck.     Tätowieren    und    Schminken.      Der   Waid. 

DaoB  die  Indogermaneii  achou  vor  ilirer  Trennung,  wo 
aiieb  immer  ilire  Heimat  gewesen  ist,  nicht  mehr  in  paradiesi- 
scher Nacktheit  wandelten,  beweist  die  durch  Tast  alle  Sprachen 
anserea  Stammes  sich  hindurchziehende  Wnrtel  veit  „ankleiden", 
der  überaus  zahlreiche  Benennungen  des  Kleides  und  des  eich 
Kleidens  in  diesen  .Sprachen  entstammen  (scrt.  rdsman,  vdsana, 
cdstrti,  vägäna,  rw.  ritnh,  rnnhana,  rnstra,  griech.  fwi'/u,  ef/wi, 
^o^tjc,  iat.  ventiif  cestio,  got.  gariisjan  usw.).  Den  entgegen- 
gesetzten Begriff  der  Nacktheit  bezeichnet  die  Gleichung:  scrt. 
nagitä,  altsl.  nnqü,  Wi.nü'yas,  Iat  iiüdus  [*nogv-ido),  got.naqap». 
«Itir.  nocht. 

».  Daes  ein    viehifflchtcndes  Volk,    wie    es    die  Indogermaiien 

IFftreo,  zu  seiner  Bekleidung  nicli  nicht  die  Felle  der  geschlachteten 
iSerilentiere  sowie  auch  die  der  erlegten  Jagdbeute  entgehen 
liesfl.  ist  an  sieh  selbst verBtänd lieh  nnd  wird  fUr  die  nörd- 
lichen Indogermanen,  fllr  Briteo  und  Germanen,  ausdrflcktich  von 
Caesar  (rf^  hvH.  <iaU.  V,  14,  VI,  21)  nnd  von  Tacilns  iOerm. 
Kap  17)  bezeugt.  Die  Goten  hatten  sich  an  diese  Felltracht  so 
jEiewöhnt,  dasB  sie  vom  römischen  Hofe,  wo  sie  nicht  in  ihrer 
Nstionalkleidang  ei-seheinen  durfton,  zurückgekehrt,  sieh  alsbald 
wieder  in  ihre  Seliaffelle  hüllten  (oi'di;  h'  toTc  xKtfiiotg  dai, 
Reckmann  Beitr.  /.  0.  d.  Erf.  V,  1,  261.  Diese  fnr  die  Goten 
liier  ausdrUcklicIi  be/,eugtc  Tracht  aus  Schafpelzen,  die  noch  im 
heutigen    RiiDslaiid    die    Xatlonalkleidung    der  Bauern    ist    ( russ. 


—    258    — 

otcina\  lässt  sich  bis  in  die  ersten  Zeiten  der  gennaoiBcbeD 
Überlieferung  zurückverfolgen.  In  Übereinstimmung  mit  Caesar 
(Germani . . .  pdlibus  aut  parvis  renonum  tegimentis  utunlur) 
spricht  auch  Saliustius  {Germani  intutum  renonibus  corptu 
tegunt  und  Vestes  de  peUibfis  renones  rocantur)  die  renone^^k 
ein  nationales  Kleidungsstück  den  Germanen  zu.  Dass  dieses 
Wort  nichts  mit  altn.  hreimi  ^Renntier^  zu  tun  haben  kann,  ist 
bekannt.  Ich  nehme  renones  für  *t^ren'6H-es  —  denn  in  lateini- 
schem Mund  ninsste  sich  der  in  dieser  Sprache  zugefügte  Anlaat 
vr  zu  /•  vereinfachen  —  und  stelle  es  dem  griech.  vren-  in 
.^oXvQQrjveg,  scrt.  ürana  und  vpi-  in  äQtjvj  ägvog,  ägveuig  gleieh 
(so  jetzt  auch  Walde  Lat.  et.  Wb.)-  Auch  in  Griechenland 
werden  ägvaxideg  „Schafpelze"  genannt. 

Denn  ebenso  verharrten  hier  die  in  ihrer  Knltnrentwicklnng 
zurückgebliebenen  Stämme  oder  die  niedrigeren  Bevölkerangs- 
schichten  noch  lange  bei  der  ui*sprünglichen  Felltracht.  So  tro^ 
man  in  Phokis  und  Euböa  Röcke  aus  Schweinsleder  (Paus.  VIII, 
1,  ö),  die  ozoliscben  Lokrer  hüllten  sich  in  ungegerbte  Tier- 
häute (Paus.  X,  38,  3),  Hirten,  Heloten  und  Sklaven  trugen  die 
sogenannte  dup^iga  (I.  Müller  Privataltert.-  p.  72).  Seitat 
homerische  Helden,  wie  Agamemnon  und  Diomedes,  werden, 
gleich  Herakles,  dem  Helden  der  griechischen  Urzeit,  uns  noch 
im  Schmuck  ihrer  Felle  geschildert. 

Auch  die  Sprache  bietet  zahlreiche  Belege  für  das  Vor- 
handensein einer  ursprünglichen  Felltracht:  got.  j^iui^a  „Gewand^ 
ist  von  A.  Bezzeuberger  ansprechend  mit  griech.  rdxoc  i,Vlieff^ 
{xaxco'vdxr)  „ein  Sklavenkleid")  verglichen  worden,  die  germa- 
nische Sippe  got.  paida^)  (ga-paid&n  ^iviveiv^jf  ahd.  pheit,  alts. 
peda  stimmt  genau  zu  griech.  ßairr]  „Kleid  aus  Ziegenfell^,  das 
griech.  x^^f^^^  „Oberkleid"  entspricht  dem  thrak.  CoA/u^c  »F^'''' 
und  auch  für  lat.  paUa,  paUium  (vgl.  zuletzt  Walde  Lat  et 
Wb.  s.  V.)  dürften  Beziehungen  zu  lat.  pellu  kaum  von  der 
Hand  zu  weisen  sein. 


1)  Ausführlich  handelt  über  sie  A.  Thumb  Z.  für  deutsehe  Wort- 
forschung VII,  261  ff.  Er  kommt  zu  dem  Schluss,  dass  die  germAiü' 
sehen  Wörter  aus  dem  griech.  ßcUtij  entlehnt  seien,  namendicb,  weil 
dieses  die  als  ursprünglich  vorauszusetzende  Bedeutung  yZiegenfell^ 
noch  aufweise,  während  die  germanischen  Ausdrücke  nur  ,,Rock*  ^»w 
Ziegenfell)  bedeuteten. 


—    259    - 

Da88  man  sich  frühzeitig  darauf  verstandeD  haben  wird^ 
das  spröde  Leder  durch  allerhand  Manipulationen  fbr  den  Ge- 
brauch geschmeidig  zn  machen^  ist  an  sich  wahrscheinlich. 
Aach  scheint  eine  urverwandte  Gleichung  für  eine  solche  in  der 
Reihe:  scrt.  carmormnä'  „Gerber",  altpr.  mynix  id. :  lit.  minti 
„treten,  gerben"  vorzuliegen ') ;  doch  tritt  in  den  einzelnen  Sprachen 
erst  spät  eine  deutliche  zwischen  den  Begriffen  7, Fell"  und 
„Leder"  unterscheidende  Terminologie  (vgl.  mein  Reallexikon 
s.  V.  Leder)  hervor.  Die  primitive  Technik  einer  mit  Hilfe  des 
Fetts  ausgeübten  Gerberei  (Sämiscb-  oder  Ölgerberei)  schildert 
Homer  II.  XVII,  389  ff.: 

UK  d*  Ä*  dvrjQ  tavQoto  ßoog  fisydXoio  ßofiijv 
iaoTaty  dtbff  tovv«v,  fie^ovoav  dXoi<pfj' 
Sf^dfisvot  d*  dga  joiye  diaoTavTeg  ravvovoi 
xvxl6o\  atpoQ  öt-  te  ixfiw;  eßrjj  dvvei  de  t'  dkoitpiq 
ntiXkdtv  iXxövtcov^    rnwrai  de   tf  näaa  dicutQo. 

Ihr  gegenüber  zeigen  die  im  bronzezeitlichen  Europa  bis  jetzt 
nachgewiesenen  Lederreste  Beispiele  der  Alaun-  oder  Weiss- 
gerberei (vgl.  lat.  alüta  „Leder"  :  a/öwew  „Alaun"). 

Indessen  brauchten  sich  die  Indogermanen  für  die  Her- 
stellung ihrer  Kleidungsstücke  keineswegs  mehr  auf  die  Felle 
der  Tiere  zu  beschränken. 

Neben  dem  Gerben  des  Leders  lassen  sich  noch  zwei 
andere  uralte  Formen  der  Stoffgewinnung,  das  Filzen  und 
Flechten,  unterscheiden.  Ersteres,  die  Kunst,  die  auf  geschichtete 
Wolle  des  Schafes  oder  anderer  wolletragender  Tiere  mit  Wasser 
zo  besprengen,  mit  Hilfe  des  klebrigen  Fettes  in  eine  feste  Masse 
zu  verwandeln,  dann  zu  pressen  und  zu  walken,  ist  namentlich 
bei  den  nomadischen  Völkern  turko-tatarischen  Stammes  zu  Hause. 
DasB  sie  jedoch  auch  den  Indogermanen  bekannt  gewesen  ist, 
darauf  weist  die  allerdings   auf  Europa    beschränkte  Gleichung: 

griech.  mXoq  „Filz",  lat.  piUeuSy  ahd.  filzy  altsl.  plüstf 
dentlich  hin*). 


1;  Aus  dem  „Treten'  entwickelt  sich  der  Begriff  des  Gerben» 
ameh  in  griech.  diyfnr :  diqxo  „kneten,  walken^,  mhd.  zipfen  „trippeln^. 
Von  dübü  „Eiche*  abgeleitet  ist  russ.  dubitt  ^g^erben'^  wie  frz.  temner 
„rot  gerben*  :  tan  ans  ahd.  tanna  (vgl.  dazu  Ho ops  Waldbäume  p.  115). 

2)  Die  Lautverh&ltnisse  dieser  Reihe  sind  noch  nicht  völlig  auf- 
geklärt; doch  scheinen  mir  die  Wörter  nach  Form  und  Bedeutung  zn 
nahe  xu  liegen,  um  sie  voneinander  trennen  zu  dürfen. 


—    260    - 

Bedeotnngs voller  und  folgenreicher  erweist  sich  auf  idg. 
Sprach-  und  Völkergebiet  die  Knnst  des  Pleehtens,  in  der  die 
Natnr  selbst  als  Lehrerin  des  Menschen  gelten  kann;  demi 
Schlingpflanzen  und  ineinander  gewachsene  Banmzweige  mossten 
von  selbst  den  primitiven  Menschen  anf  diese  wichtige  Technik 
hinweisen.  Die  idg.  Wnrzel  für  dieselbe  ist  prek^  wie  folgeode 
Zusammenstellong  dentlieh  macht: 

griech.  nXixcDf  lat.  plectOy  ahd.  flihtuj  altsl.  pletq,  pl^ 
scrt.  pragna  „Geflecht,  Korb". 

Vgl.  auch  scrt.  rdjju  „Strick,  Seil" :  lit.  rezgu  „flechte'', 
„stricke"  (altsl.  rozga  „Zweig,  Rute"). 

Embryonisch  ist  aber,  wie  ich  dies  in  Handelsgeschichte  und 
Warenkunde  I,  161  iT.  weiter  aasgeführt  habe,  in  der  Kunst  des 
Flechtens  bereits  die  des  Webens  and  ebenso  die  des  Spin- 
nens enthalten:  „Entspringt  die  letztere  aus  der  Fertigkeit,  ohne 
Benutzung  eines  Querfadens  Haargeflechte,  Bänder  and  der- 
gleichen Dinge  durch  einfaches  Drehen  herzustellen,  so  fthneh 
erstere  am  meisten  der  Kunst  des  Korbflechters,  welcher  in 
seinem  Handwerk  den  Querfaden  anzuwenden  gelernt  hat  lo 
der  Tat  lässt  sich  eine  scharfe  Grenzscheide  zwischen  Spinnen 
einer-,  Weben  andererseits  und  Flechten  weder  sachlich  noch 
historisch  ziehen."  „Auch  setzt  die  Weberei  keineswegs,  wie 
wir  wohl  meinen,  durchaus  und  überall  das  Spinnen  vorane. 
Die  Bewohner  der  meisten  Südseeinseln  wissen  den  Webstuhl 
geschickt  zu  gebrauchen,  spinnen  aber  nicht,  sondern  stellen  ihre 
Webstücke  aus  Baststreifen  her." 

Nach  diesen  sachlichen  Vorbemerkungen  wenden  wir  ans 
zu  der  Terminologie  des  Webens  und  Spinnens  in  den  idg. 
Sprachen,  in  der  Hoffnung,  einige  Anhaltspunkte  zu  finden,  m 
die  Frage  zu  beantworten,  wie  weit  die  Indogermanen  vor  ihrer 
Trennung  es  in  beiden  Techniken  gebracht  haben. 

A.     Das  Weben. 

Folgende  Gruppen  etymologischer  Entsprechungen  lassen 
sich,  nach  der  Häufigkeit  ihrer  Vertretungen  geordnet,  anter 
scheiden: 

1.  Idg.  vS  {vei):  scrt.  id  „weben"  (vgl.  Whitney  Ind. 
Gr.  p.  266),  ö'tu  „Einschlag",  timä  „Flachs",  griech.  ^-t^ 
„Aufzug"    („Mittel  zum  Weben",   vgl.  v^-rgo-v   „Rocken":»'^)» 


„Wolle"    iweh-bar",    vgl.  h'-rö-g  „löabar"),  lit.   icii-rtm 

{binnf",  ahd.  wti-t,  alt,  vä-d  (gewebtes)  „Gewaod",  lat.  pehim 

Wie,  Tneli"  'V).     Daneben  idg.  *i-ijeti,  scrt,  vätf-ati  „er  weht", 

.  sü-vi-to  „LeinwaDd",  ariln  „Seide",    tta-KoJ  „liclatorium" , 

■  fi-g-i'"  „webe"  (i'J. 

2.  Idg.  vebh  :  8Crt.  ürva-vdbhi  „Wollweberin"  =  „Spinne", 
*uhda  „gewoben",  Paoiird.  waf,  npera.  bdfad  „er  webt", 
..  wafuii  „weben"  i^Tomaachek  Pamird.  II,   124  f.),  griech. 

,  trpi),  i'ipartijt^,  {■<f>aoin,  vqnati,  iipvif^i,  ahd.  iceban,  agia. 
^efan.  aJtn.  vefa  „weben",  altu.  veftr,  reptr  „Einsehlag";  agIa. 
weß  desgl.,  mbd.  wiß  „feiner  Faden",  agis.  wefi,  abd.  irefel 
,EiD8chlag",  alb,  cerf  „webe"  ans  *cebh-nio. 

3.  Griech.  Srto/iai  „webe"  (*m-joftat),  dyrlov  „ein  Teil  des 
Mtnhla"    (diüCoftai,    anorganisch    wie    ofäCto    neben    a<pnrioi, 

B/ui.  äa/ia),   alb.  ent    „weben",    acrt.   dtka   (ausdrücklich    im 
als    „gewoben",     vj/utd    bezeiehnet),    aw.    adka    (*^t-k(i) 
wand*'. 

4.  Griech.  xqekw  „webe",    Kigxij  „Weberin",    xqöxii   „Ein- 
■*,  ttegMig  „Schiffchen",  altsl.  krosno  „Weberstuhl"  (Benfey 

.11,315).     Gmndbedeatuiig  „feateehlagen"  ivgl.  auch  Prell- 
|tz  Ef.  Wb.  d.  griecli.  Spr.  *  p.  243). 

,  Lat.  texo,  textor,  textura.  textrinum,  tHa  „Auf/.ng", 
ttimen  „Einscblag",  allsl.  tükati  „weben",  i\-tükü  „Auf/.ng", 
vetdij  „Weber";  doch  ist  es  lautlich  wahrsubeinlicher,  dasn  das 
lat.  texo :  »crt.  taksh  „kUnatlich  verfertigen"  iF.  Miklosieh 
Lex.  palanonl.^  IOI61  zn  stellen  ist,  während  die  Grnudbedentnng 

*alt8l.  tükati  „weben"  in  tiik-n({ti  „einateeken"  (Miklosieh 
W.  p.  368)  bewahrt  winde. 
6.  Grieeh.  täni)^,  tjz-  „Decke,  gewebtes",  uouiran.  tab 
.spinnen,  weben"  (npers. (rt/ÜflA,  täftik,  tiftik);  vgl.  Toiuaschek 
II,  142.  Indessen  wäre  es  möglich,  dass  in  jüni-j^  dn  schon 
Bterisehes  Lehnwort  aus  iraniaeheni  Kulturkreis  vurliegt  (vgl. 
:  s\tp.*carda;  hiQiov:  npers.  Idleh;  advöaHov:  npers.  »andali. 
.  auch  Lid^n  L  F.  XIX,  .331. 

Blicken  wir  anf  diese  eben  erörterten  Gleichungen  znrUck, 

fscbeint    aieh    mir,    namentlich    ans   den  Nummern   I — 3,   mit 

'  Wahracheinlichkeit  zn  ergeben,    dass   bereite    in   der  Ur- 

iche  ausgebildete  termini    für   das  Weben   —  in  Unterschied 

|dem  Flechten  —  vorhanden    waren,    die   anf   gewisse   Fort- 


—    262    — 

schritte  in  dieser  Kunst  scbliessen  lassen.  Diese  Fortsehritte, 
welche  zu  einer  Differenzierung  der  sprachlichen  AnsdrflidLe  für 
Flechten  and  Weben  führten,  können  nur  in  der  Erfindnog  eiiieB 
primitiven  Apparates  bestanden  haben,  nm  die  Herstellong  kunst- 
loser Stoffe  für  den  Weber  oder  die  Weberin  za  erleichtern. 
Prüfen  wir  die  Terminologie  des  Webstahls  in  den  idg.  Spracheo, 
die  ich  in  ihren  Grandzttgen  Handelsgeschichte  und  Warenkonde 
I,  172  ff.  mitgeteilt  habe,  so  fällt  die  häafige  Verwendong  der 
\V.  stä  zar  Benennang  sowohl  des  ganzen  Webstahls  als  aieh 
des  Aufzugs,  als  auch  endlich  des  Webers  selbst  in  die  Augen 
(vgl.  griech.  loioi;  „Webstuhl",  ot/jjluov  „Aufzug",  lat.  gtawienj 
lit.  stäkles  „Webstuhl",  altn.  vefstadr,  scrt.  sthdvi  „Weber"). 
Es  lässt  dies  darauf  schliessen,  dass  der  älteste  idg.  Webeapparat 
aufrecht  stand,  und  der  Webende  stehend  vor  demselben  t&tig 
war  {ioTov  troixeoi'^ai),  ein  Ergebnis,  zu  dem  Ähren s  durch  eine 
Vergleichuug  des  gräco-italischen  und  altnordischen  Webstnhb 
fPhilologus  XXXV,  H8Ö  ff.)  auch  auf  rein  sachlichem  Wege 
^^ekommeu  ist. 

Weiteres  möchte  ich  für  die  Einrichtung  des  ältesten  Webe- 
apparates an  der  Hand  der  Sprache  nicht  zu  erschliessen  wagen. 
Dürfen  wir  den  weiteren  Resultaten  des  genannten  Gelehrten 
trauen,  so  würde  zu  deu  Charakteristicis  des  ältesten  Webstuhls 
noch  die  Spannung  der  Kette  durch  Webesteine,  das  Webai 
nach  aufwärts  und  das  Dichtschlagen  des  Gewebes  mit  der 
oTidt'hi  gehören. 

B.     Das  Spinnen. 

1.  alb.  tjer  „spinne",  scrt.  tarJcüj  Pamird.  g-tarkh^  griech. 
äiQuxiog  „Spindel"  :  lat.  torqueo  „drehe''. 

2.  griech.  veoi  {v/j'&w,  vrj'&i;,  X^Q'^'^^j  ^^A^^  '^oig,  vrftQO^)} 
lat.  neo  {nemeriy  vettisj  „spinne '^j  sltir.  snimaire  „Spindel^,  #iimi 
^Mpinning^  (B.  B.  XI,  91)  —  ahd.  näan  „nähen^,  got.  nifHo 
„Nadel''  etc.  Der  gleiche  Bedeutungsübergang  liegt  in  lit.  irerp^ 
„spinne",  warpste  „Spindel"  :  griech.  ^djirw  {fpi-jco)  „nähe" 
vor  Vi  Die  idg.  Wurzel  des  griech.  v£a>,  hnni  etc.  lautete  9^ 
{ne)  und  bedeutete,  wie  got.  snörjö  „Korb",  ahd.  «ntcor  „Scbniur; 

1)  Im  Sanskrit  gehört  vdrpas  ^List,  Kunstgriff  hierher  (vffl 
(povw  etc.  ^cuiTEiv),  Ein  Analogen  ist  griech.  xärnffta,  x&oo  fta  ^lederne 
Sohle",  „Anzettlung,  Intrigue**:  suo  „nähe**  Osthoff  M.  ü.  IV,  189. 


—    268    — 

Band*^,  altir.  sndthe  ^Faden^  and  andere  zeigen,  eigentlich 
^flechten*^.  Daneben  lag  (wie  oben  vei  neben  ve)  eine  Wurzel 
mui  {nei),  die  in  altsl.  ni-tlj  niHa  „Faden^  and  8crt.  ni-vi 
fiScharz'^  („gesponnenes^)  erhalten  ist.  Vgl.  W.  Schalze  K.  Z, 
XXVII,  426. 

3.  sert.  hart  ^spinnen^,  npers.  kartinah  „Spinnengewebe^, 
Pamird.  6rt  (Tomaschek  II,  77),  ir.  certle  „glomus^  (B.  B. 
IX,  88).  —  Die  ursprüngliche  Bedeutung  „flechten^  scheint  in 
scrt  käfa  „Geflecht"  (vgl.  auch  crtä'mi  „hefte  zus."),  lat.  crätes, 
griech.  xd^TaJlo^,  xvQxog,  got.haürdsy  lit,krdtai  „Gitter",  preuss. 
korto  „Gehege"  erhalten. 

4.  Auf  die  europäischen  Nordsprachen  beschränken  sich: 
got.  spinnany  cymr.  cy-ffiniden  „Spinne,  Spinngewebe"  {-ffin 
ans  *8pin')j  lit.  pinü  „flechte"  und  altsl.  prqsti  „werc"  (*prend-), 
let.  prest  „mit  der  Spindel  spinnen".  Vgl.  auch  griech.  xlco^o) 
^spinne",  lat.  colus  „Rocken". 

Überblicken  wir  diese  Terminologie  des  Spinnens  in  den 
idg.  Sprachen,  namentlich  in  Vergleich  mit  der  oben  erörterten 
des  Webens,  so  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  Reihen,  die 
in  Form  und  Bedeutung  gleichmässig  durch  das  ganze  oder  fast 
ganze  Sprachgebiet  übereinstimmen,  wie  die  Bildungen  von  den 
Wnrzeln  ve  und  vebh,  hier  nicht  gefunden  werden.  Neben  der 
Bedeutung  „spinnen"  ist  hier  überall  noch  die  Bedeutung  „flechten" 
lebendiger,  als  dies  bei  den  Ausdrücken  für  „Weben"  der  Fall 
war.  Man  kann  hieraus  schliessen,  dass  das  Bedürfnis,  die 
Kunst  des  Spinnens  von  der  des  Flechtens  zu  unterscheiden, 
später  erwachte  als  der  Wunsch,  weben  und  flechten  sprachlich 
voneinander  zu  trennen. 

Nichtsdestoweniger  dürfte  schon  in  der  Urzeit  dasjenige 
Instrument  erfunden  gewesen  sein,  welches  die  erste  Stufe  des 
Übergangs  vom  Flechten  zum  Spinnen  begründet,  die  Spindel. 
Es  scheint  dies  aus  der  schon  genannten  Gleichung : 

scrt.  tarkü  (vedisch),  iran.  s-tarkhy  griech.  äxgaxxogj  alb. 

tUr  „spinne" 
zo  folgen.  In  jedem  Falle  sind  die  in  derselben  enthaltenen 
Namen  der  Spindel  sehr  hohen  Alters.  Die  ihnen  zugrunde  liegende 
Wurzel  terq  (=  lat.  torqueo  „drehe")  ist  im  Arischen  ganz 
erloschen  und  im  Griechischen  nur  mit  labialem  Auslaut  {rgincü 
„wende*")    erhalten.     Auch    die  Bedeutung    des  Suffixes   -ro   in 


-     264    — 

griecb.  ä'xgax'Tog  (au8  *sfp.-trq'to)j  das  nicht  ^znsammengedreht" 
—  was  keiDen  Sinn  ergibt  — ,  sondern  nur  „zusammendrehend^ 
(vgl.  rXri'Td'g  „duldend**,  Brugmann  Grundriss  II,  205  ff .)  be- 
deuten kann,  ist  altertümlich. 

Bemerkenswert,  wenn  auch  von  geringerer  Tragweite,  ist 
ferner  der  Umstand,  dass  der  Name  des  Wirteis  in  vielen 
Sprachen  einhellig  von  der  W.  vert  „drehen*^  gebildet  wird: 
scrt.  vartana,  vartuld,  lat.  verticiUus^  altsl.  vreteno,  mhd.  wiM, 
ir.  fertasy  von  denen  das  indische,  slavische  und  germanische  (loirtf 
aus  *tDirtin)  Wort  auch  auf  Suffixgleichheit  beruhen  dürften. 
Über  das  Material  der  Technik  des  Spinnens  und  Webens, 
die  wir  also  in  ihren  Orundzügen  bis  in  die  Urzeit  der  idg. 
Völkerwelt  zurttckverfolgen  können,  ist  kein  Zweifel  möglich. 
Da  das  Schaf: 

scrt.  ävi,    griecb.  ^i'c,    lat.  ovüf,    lit.   attiSf   altsl.  oükä, 

got.  avi-,  abd.  outoi 
den  Indogermanen   bekannt   war,   da  seine   Wolle  gleichmftsi% 
in  allen  idg.  Sprachen  benannt  ist: 

scrt.  ü'rnä,  tat.  läna  und  vellusy  lit.  toüna^  altsl.  oMiMr 

got.  tmllay  cymr.  gulan,  armen.  geX-many 
da  endlich  alle  idg.  Völker  mit  der  Verarbeitung  der  Wolle  ver- 
traut in  die  Geschichte  eintreten,  so  ist  kein  Grund  vorhanden, 
diesen  Textilstoff  trotz  gewisser  technischer  Schwierigkeiten,  die 
seine  Verarbeitung  verursacht,  der  idg.  Urzeit  abzusprechen. 
Über  die  Geschichte  des  Flachses  und  Hanfes  ist  bereits  oben 
(Kap.  XV)  gehandelt  worden.  Das  auf  Urverwandtschaft  be- 
ruhende Wort  für  Flachs  zieht  sich  gleichmässig  durch  alle  idg. 
Sprachen  Europas  hin.  Linneue  Gewandung  kennt  schon  Tadtni 
Germ.  Kap.  XVII  bei  den  germanischen  Frauen,  eine  Nachricht, 
die  durch  Plinius  Hist.  nat.  XVIII,  1,  2  bestätigt  wird. 

Ebenso  hebt  Caesar  {de  bell.  Galt,  lll,  13),  als  er  voodra 
aus  Tierfellen  bestehenden  Segeln  der  Vencter  erzählt,  ausdrfid- 
lich  hervor,  dass  dies  nicht  «geschehe  propter  Uni  inopiam 
atque  eins  usus  inscientiam. 

Auch  bei  Homer  werden  die  Parzen,  die  den  Faden  de» 
Schicksals  spinnen,  als  Flachs-,  nicht  wie  später  als  Wolle- 
spinnerinnen gedacht: 

voxfQov  avTF  r«  neiaerai,  aaaa  oi  Alna 
yetvofievo^}  ijrevtjae  Xivfit,  oxe  /itv  tixe  fti^tffQ. 


-     3fi5    - 

Es  S(^:iK-iiit  mir  daber  eine  willkllrliclie  AnnHlime  V.  Uehiis 
tn  seiD,  <ia8s  dieses  Xirov  erat  vnn  Asieu  her  eingefalirt  werden 
tunsste,  oder  daas  Xit-ov  eigentlich  nicht  Flachs,  sondern  nur 
Bast  bedeutet  habe  (Knlturpflanzen^  p.  588).  Doch  kann  zu- 
gegeben werden,  dass  die  tirieehen  in  ihrer  neuen,  zu  Flachsbau 
wenig  geeigneten  Heiiiiiit  die  Benutzung  des  Flachses  hinter  der 
der  Wolle  zurücktreten  iiessen  ^Hanclelsgeschichte  nnd  Wureu- 
kande  I,  191). 

Ich  denke  slso,  wir  haben  ein  Ket-ht,  dit-  Gewandstoffe 
der  indogennanen,  für  deren  Bezeichnung  wir  schon  mehrere 
Oleichnugen ')  kennen  gelernt  haben,  wenigstens  was  die  curopäi- 
Rcben  Indogennanen  betrifft,  uns  ebensowohl  aus  Linnen  wie 
ans  Wolle  verfertigt  vor/.uatellen. 

Blicken  wir  von  den  linguistigch-historiscben  auf  die 
archäologischen  Zeugnisse,  so  kann  soviel  gesagt  werden, 
dass  die  EQnste  des  Webens  und  Spinnens,  aueb  den  letzteren 
nacb,  in  zahlreichen  Gegenden  unseres  Erdteils  big  in  die  älteste 
Metallzeil,  ja  bis  in  die  neolitbische  Epoche  zurückgehen.  Die« 
blgt>  ansser  aus  einzelnen  prähistorischen  Geweberesten  (vgl. 
allgemeinen  G.  Bnschan  Über  prähiBtorische  Gewebe  und 
»piDSte,  Brannsehweig  1889),  aus  zahlreichen  Funden  tüneruer 
Webergewichte  und  Spinnwirtel,  die  wir  aus  den  meisten  Teilen 
t  besitzen.  Nur  im  Norden  Europas  fehlen  bis  jet2t  in 
"3eu  älteren  Perioden  beide  'vgl.  S.  Müller  Nordische  Alter- 
tnmakunde  1,  450.  Urgeschichte  Europas  p.  148),  während  in  den 
oft  genannten  sUdrussiscben  Ausgrabungen  des  Herrn  Chwoiko 
(oben  p.  153)  sowohl  W  c  berge  wich  te  wie  Spinnwirtel  (russ. 
grüzilo  and  prjaslicat  wiederholt  aufgefunden  worden  sind 
(p.758,  T.'jg,  762,  774,  775,  790,.  Welches  Material  daselbst 
verwobea  und  versp'innen  wurde,  scheint  aber  noch  nicht  fest- 
gestellt Gewebereate  selbst  kennen  wir  in  etwas  grösserem  um- 
fang bis  jetzt  nur  an  zwei  geographisch  weit  voneinander  ge- 
irennten  Stellen.     Zunächst  die    keineswegs   seltenen    Linnen- 


1)  leb  füge  noch  hinzu  scrt.  rfrdpf  „Mantel':  ]\t.  drapanä  ,Kie\A' 
ibemerkenswen,  aber  unerklllrt  ist  frz.  drap);  scrl.  mala  (Rgv.)  „Gf- 
wand*  (n.  B.  R-:  TiUä  .gerben"?)-  lit.  miias  „feines  Tuch"  (griech. 
iiaiiöt  .Vliess");  griech.  iä/jtrj  , Gewand";  lit.  lOpa«  .Stüi-k  Tucli. 
Lappen";  lat.  pannu»  „Stück  Tnch',  nhd.  fana  .Zeug",  altsl.  opona 
.Vorhang";  kltal.  plattno  „Li-inwand"-  aitn.  faldr  „Mantel*  i.f.  Schmidt). 

RebrkdIT,  t4prrtchccr«1elehunir  und  Crreiietilcht»  II.    S.  Aan.  t^ 


-    266    — 

zenge,  die  in  den  Schweizer  Pfahlbanten  z.B.  in  Robenhansei 
zutage  getreten  sind.  Einige  derselben  ttbersebreiten  die  Ktmst 
des  Korbfieehtens  nicht.  „Es  besteht^,  so  lantet  die  Sohildmng 
eines  derselben  (Berichte  III,  116),  y^ans  parallel  nebeneioander 
liegenden  dünnen  Schnüren  von  Flachs  (Zettel),  die  ans  zwei 
Fäden  zusammengedreht  sind.  Quer  durch  diese  SchnOre  sehHnges 
sich  ähnliche  Schnüre  von  Flachs  (Eintrag),  je  eine  von  der 
anderen  in  einem  Abstände  von  Vs  ^^''-  ^^  Ganze  bildet  zwar 
nicht  ein  dichtes,  straffes,  aber  dessenungeachtet  sehr  zähes  Ge- 
flecht^. Andere  Zeugstücke  wiederum  verraten  grossere  Kunst- 
fertigkeit und  können,  nach  dem  Urteil  der  SachverständigeD, 
nicht  ohne  einen  einfachen  Webeapparat  verfertigt  worden  dein, 
wie  einen  solchen  versuchsweise  der  Züricher  Bandfabrikant  Paar 
konstruiert  hat.  Vgl.  über  die  ganze  Frage  den  Aufsatz  Flachs- 
industrie auf  den  Pfahlbauten  (B.  IV,  14  ff.).  Umgekehrt  wie 
hier,  wo  Wollenstoffe  ganz  zu  fehlen  scheinen,  bestehen  ans 
solchen  ausschliesslich  die  Männer-  und  Frauentrachten,  die  ia 
Eichensärgen  jütischer  und  schleswig-holsteinscher  Grabhügel  auf- 
gefunden worden  sind  (vgl.  S.  Müller  Nordische  Altertums- 
kunde I,  268  ff.).  Sie  gehören  nach  dem  genannten  Forscher 
der  älteren  Bronzezeit  an,  während  aus  der  Steinzeit  überhaupt 
keine  Oewebestoffe,  ja  überhaupt  keine  Überreste  irgendwelcher 
Bekleidung  bekannt  geworden  sind.  Dass  man  ans  solchen  ve^ 
einzelten  Tatsachen  noch  keine  allgemeinen  Schlüsse  über  die 
Verteilung  von  Wolle  und  Flachs  im  neolithischen  Europa  zu  äehen 
berechtigt  ist,  wird  der  besonnene  Prähistoriker  gewiss  gern  zugeben. 

Es  bleibt  uns  nun  noch  die  Frage  zu  erörtern,  ob  rieh  Ober 
die  Form  und  Art  der  idg.  Kleidungsstücke  etwas  ermittelB 
lasse.  Da  anzunehmen  ist,  dass  dieselben  sich,  je  nach  den 
verschiedenen  Wohnorten  und  ihren  Klimaten,  rasch  veriodert 
und  neue  Ausdrücke  notwendig  gemacht  haben,  da  ferner  mi- 
zweifelhaft  auf  diesem  Oebiete  in  sachlicher  wie  sprachlieher 
Hinsicht  eine  ungeheure  Entlehnung  von  Volk  zu  Volk  Statt- 
gefunden hat  —  denn  die  Mode  war  in  alter  wie  neuer  Zeit  so 
Wanderungen  geneigt  — ,  so  könnte  eine  Erforschung  des  U^ 
sprünglichen  im  einzelnen  unmöglich  erscheinen. 

Nichtsdestoweniger  glaube  ich,  dass  die  Orundzflge  der 
idg.  Tracht,  wenigstens  soweit  die  Männer  dabei  in  Betracht 
kommen,  noch  erkennbar  sind. 


Der  locus  das.'iicus  über  die  geriaanisehe  Tracht  ist  be- 
lianntlicb  das  vielutustritteiie  und  leider  auch  >iel  umetreitbare 
XVII.  Kapitel  der  Germania.  Die  wichtigslen  Sätze  lanten: 
Tegumen  Omnibus  sagum  ßbula  aut,  xi  desit,  spinn  connertum: 
cetera  iniecti  totos  dies  iuxta  forum  aique  ignem  aguvt.  locu- 
pletvsaimi  veste  distinguuntur,  noii  fluitante  sktit  Sarmatae  ae 
Parthi,  sed  stncta  et  singulos  artus  exptimente. 

Ans  dieser  Stelle  lernen  wir  folgendes :  Zunächst  war 
allen  Germanen  das  sagum.  ein  mit  Fibula  oder  Dorn  genesteltes 
8tttck  Zeug,  gemeinsam.  Das  gallo-germaniscbe  (vgl.  Diefen- 
bacb  O.  E.)  Wort  hat  noch  keine  sichere  Erklärung  gefunden 
(vgl,  lit.  sagis  „Reisekleid  der  Frauen"?),  Daes  eß  meist  ans 
Wolle  bestand,  gebt  aus  seinen  romanischen  ete.  Vei'v.weigungen 
hervor:  sp.  prov.  »m/n,  it.  saja,  fi-z,  naief  mhd.  sei,  altir.  sdi 
(Diez  p,  280j,  die  aämtlit-h  Wollenstoff  bezeichnen. 

Zweitens:  Während  das  sagum  von  allen  getragen 
wurde,  befanden  sich  nur  die  locupledssimi  im  Besitz  eines 
Leibrocks  (oeatis),  der  eng  am  Körper  anlag.  Wenn  Mttllen- 
hoff  veiftis  durch  „Stoff  des  Unterkleides"  übersetzt,  damit  also 
allen  Geimaueo  ein  solches  ztiBpricbt,  so  ist  dies  eine  dorcli 
anderweitige,  nicht  in  der  Sprache  oder  in  unserem  Kapitel  be- 
gründete Rücksichten  veranlasäte  Annahme  des  berflhmten  Ger- 
manisten, der  ich  mich  nicht  anschliessen  kann. 
Il  Drittens:  Abgesehen  von  dem  Mantel  (sagum)  hatten  die 
PJKm  locupletissini  keine  Kleidung  {cetera  intecii). 
*  Dieser  Schilderung  der  altgermaniscbeii  Tracht  entsprechen 

die  Zustände,  wie  wir  sie  in  der  ältesten  Zeit  bei  Griechen  nnd 
Römern  finden  oder  voraussetzen  müssen,  mit  ziemlicher  Ge- 
nauigkeit. Auf  gleicher  Stufe  mit  dem  sagum  der  Germanen 
steht  die  toga  (itego)  der  Römer  nnd  die  x^diva  der  Griechen, 
unter  der  toga  wurde  bei  den  RUmeru  die  tunica,  unter  der 
ylniva  bei  den  Griedien  der  x""'^'  getragen.  Da  nun  diese 
beiden  Wörter  itunica  und  x'^Mt-t  ohne  jeden  Zweifel  uralte  Ent- 
lehnungen aus  dem  Semitischen  (vgl.  hebr.  ketonet  „Leibroek"! 
t^ind,  and  wir  ausserdem  wenigstens  ftlr  die  Römer  die  bestimmte 
Überlieferung  besitzen,  dass  ihrer  ältesten  Tracht  die  tunica 
fremd  war  (vgl.  Gellius  Noct,  Att.  VI!,  VJ,  3:  viri  autevi 
Romani  primo  quidem  sine  ttmicis  toga  sola  amicti  fuerunt). 
so    ergibt    sich    durch    diese  ühereinstimmnng    der    Germanen, 


1 


-     268    — 

Griechen  und  Römer  der  Mantel  als  das  Kleidungsstück  im 
i^oxrjv  der  idg.  Urzeit,  neben  oder  nnter  dem  ein  Leibrock  noch 
nicht  vorhanden  war.  An  Stelle  der  tunica  trngen  die  ältesten 
Römer  zur  Bedeckung  der  Scham  den  Schurz:  subligaeuUm 
oder  cinctus.  Vgl.  Porphyr,  ad  Horati  Art,  Poet.  50:  omiMi 
enira  Cethegi  unum  marem  servaverunt  Romae ....  ntfii^iuiiii 
enim  tunica  usi  sunty  ideoque  cinctutos  eos  dixü^  quaniam 
cinctum  est  genus  tunicae  infra  pectus  aptata£.  Ebenso  wir 
der  Schurz  (tJie  breech-doth  or  loin-apron,  draum  between  the 
legs  and  girded  at  the  waist),  wie  die  Denkmäler  (vgl.  Tsoantas^ 
and  Manatt  The  Mycenaean  age  p.  159  ff.)  mit  grosser  Dent- 
lichkeit  zeigen,  ein  regelmässiges  und  das  neben  dem  Mantel  ein- 
zige Kleidungsstück  des  mycenischen  Zeitalters.  Da  nun  fflr 
den  Begriff  der  Gürtung  eine  zweifellose  idg.  Gleichung  vor 
liegt:  aw.  ydh  „gürten",  griech.  Ccovwjui,  l^wfjLa^  i^dnniy  lit.  jfiito 
„Gürtel"  (aw.  yästa,  griech.  fcooTo?),  jüsmü  „Gurt",  altsl.  pq/o^i 
„Gürtel",  so  wird  man  nicht  fehlgeben,  ausser  dem  Mantel,  aücb 
den  Lendenschurz  als  idg.  Kleidungsstück  anzuerkennen. 

Merkwürdig  ist,  dass  Tacitus  an  der  oben  genannten  Stelle 
nichts  über  einen  von  den  Germanen  unter  dem  Mantel  ge- 
tragenen Schui-z  zu  berichten  weiss;  doch  sind  wir  durch  ander- 
weitige Quellen  genugsam  unterrichtet,  dass  er  vorhanden  war, 
allerdings  in  der  schon  etwas  veränderten  Gestalt  der  Hose^ 
die  wir  als  nationales  Kleidungsstück  ebenso  bei  den  GrennaoeD 
wie  bei  ihren  westlichen,  keltischen  und  östlichen,  slaviscbeoO 
Nachbarn  antreffen.  Ihr  ältester  Name  ist  das  gemeiDgermanisehe 
ahd.  bruoh,  altn.  bröky  agls.  bröCy  ein  Wort,  das  im  Germini' 
sehen  wurzelt  (agls.  br^c  „Steiss"  =  lat.  suffräginea  MHinterbpg 
der  Tiere";  vgl.  frz.  culotte  „Hose"  :  lat.  cuZu«  „Hinterer"),  nnd 
von  hier  aus  (nach  der  ersten  Lautverschiebung)  zu  den  Kelten 
(altgall.  bräcttj  Gallia  bracata)  und  noch  später  zu  den  Slaven 
(russ.  brjüki)  gedrungen  ist.  Die  Germanen  wird  man  daher 
als  die  Erfinder  der  Hose  d.  h.  des  vervoUkonunneten  Scharzes, 
wenigstens  für  Europa,  ansehen  dürfen.  Wie  sich  hienu  die 
Hosentracht  der  Perser,  Meder,  Skythen  u^w.  historisch  verhält, 

1)  Prokop.  B.  G.  III,  14.  Nach  seinen  Worten  war  es  mehr  ein 
Schurz  als  eine  Hose,  den  die  SxXaßrjvol  xcti  'Avtcu  trugen:  nwag  dk  M 
Xtrcäva  oifde  xQtßwviov  exovoi,  dXXa  fiövag  ras  dya^vgidae  ivoQ/MHfdfuroi  ftiw 
ig  tä  aidoTOf  ovito  ig  Ttfv  avfißoXtfv  rols  hainioig  xo^Anovrcu. 


-    269    - 

ist  noch  Dicht  genügend  aufgeklärt  (vgl.  Arbois  de  Jubainville 
Le  pantalon  gauloiSy  Revue  Arch^ologique  IW  sMe^  tomel,  Mai- 
Juin  1903).  Zur  Zeit,  wo  die  Römer  die  Bekanntschaft  der  europäi- 
schen Nordvölker  machten,  waren  dieselben,  vor  allem  die  6er- 
Dianen,  wie  die  Darstellung  derselben  namentlich  auf  der  Marcus- 
Säule  zeigt,  bereits  durch  den  Besitz  der  Hose  neben  nacktem  Ober- 
körper und  Mantel  charakterisiert  (vgl.  mein  Reallexikon,  s.  v. 
Kleidung  p.  433).  Vielleicht  führt  uns  aber  die  Prähistorie 
in  eine  Epoche  zurück,  in  der  es  auch  im  Norden  noch  keine 
Hosen  gab.  Die  schon  oben  genannten,  in  Jütland  und  Schleswig- 
Holstein  aufgefundenen  Männertrachten  der  älteren  Bronzezeit 
weisen  sie  nämlich  noch  nicht  auf.  unter  einem  weiten,  vorn 
Kosammenziehbaren  Mantel  wurde  der  Körper  vielmehr  lediglich 
durch  ein  wollenes  viereckiges,  nicht  genähtes  Stück  Zeug  um- 
hOllt,  das,  von  einem  Ledergürtel  zusammengehalten,  oben  bis 
zur  Brust,  unten  bis  zum  Knie  reichte,  und  so  eine  Art  Mittel- 
ding zwischen  Rock  und  Schurz  bildete.  Über  den  ältesten 
Fnnd  einer  Hose  bei  einer  wohlerhaltenen  Mannesleiche  im  See- 
moor  zwischen  Damendorf  und  Eckernförde  (Schleswig-Holstein) 
vgl.  Historische  Vierteljahrsschrift,  herausg.  v.  G.  Seeliger  IV, 
1901,  I.Heft,  Nachrichten  u.  Notizen  II,  151. 

So  haben  wir,  glaube  ich,  ein  gutes  Recht,  als  älteste 
männliche  Kleidungsstücke  der  Indogermanen  den  Mantel  und 
Schurz  (Hose)  zu  bezeichnen.  Was  die  Frauen  betrifft,  so 
könnte  es  scheinen  (vgl.  Tacitus  Kap.  27:  nee  alitis  feminis 
quam  viris  habitus,  Nonius  p.  540,  31 :  toga  non  solum  viri,  sed 
eüam  feminae  utebantur),  als  ob  ihre  Tracht  von  der  männ- 
lichen ursprünglich  überhaupt  nicht  verschieden  gewesen  sei; 
doch  ist  es  bis  jetzt  noch  nicht  möglich  gewesen,  die  histori- 
schen, kunstgeschichtliehen  und  prähistorischen  Zeugnisse  (vgl. 
mein  Reallexikon,  s.  v.  Kleidung)  in  dieser  Beziehung  unter 
einen  Hut  oder  in  deutliche  Entwicklungsreihen  zu  bringen. 

Für  den  Schutz  der  Füsse  wurde  frühzeitig  gesorgt.  Vgl. 
grieeh.  xQtjjug,  lat.  carpisculum,  agls.  hrifeling,  lit.  kürpe,  altpr. 
kurpe  „Schuh",  ir.  cairem  „Schuhmacher**.  A.uch  weist  die 
Gleichung:  armen,  bok,  altsl.  bosüy  lit.  bäsas  (ahd.  bar)  „bar- 
fos»"  auf  vorhistorische  Schuhbekleidung  hin.  Über  Kopf- 
bedeckungen ist  schon  Abb.  III,  Kap.  IX  gesprochen  worden, 
über  Seh  muck  gegenstände  ebenda  p.  116. 


-     270    — 

Sehr  wabrscbeinlich  haben  wir  anch  ein  Recht,  den  IndcH 
germanen  die  Sitte  der  Tätowierung  zuzusprechen.  Diebisto* 
rischen  und  archäologischen  Zeugnisse  bierfttr  sind  in  meinem 
Reallexikon  s.  y.  Tätowierung  gesammelt  worden  und  soUen 
hier  nicht  wiederholt  werden.  Eine  diesen  Zwecken  dienende, 
in  die  Urgeschichte  Europas  zurückgehende  Pflanze  ist  der  Waid 
{Isatis  tinctoria  L.) :  lat.  vitruntj  griech.  todxig  (♦/fT-oart^),  got. 
vizdila,  ahd.  weitj  agls.  wäd  {toaisdo  im  Capitulare  de  rillii). 
Er  wächst  (nach  Brockhaus'  und  Meyers  Konversationslexikoo) 
wild  nur  im  mittleren  und  südlichen  Europa,  und  würde  abo, 
ähnlich  wie  der  idg.  Name  der  Schildkröte  (oben  p.  148  ff.);  ebes- 
falls  Zeugnis  gegen  eine  nordeuropäische  Heimat  der  Indogermanen 
ablegen.  Hinzugefügt  sei  hier  nur  noch,  dass  auch  die  deoi 
Tätowieren  nah  verwandte  Kunst  des  Schminkens  nicht  etwa» 
modernes  ist,  sondern  sich  gerade  im  dunkelsten  Russland  nach 
dem  Zeugnis  der  Volkslieder  am  ausgeprägtesten  findet.  Weisse 
und  rote  Schminke  {hüüa  und  rumjdny)  sind  die  gebränch» 
liebsten  Verschönerungsmittel  der  russischen  Bäuerin.  Auf  dm 
Hochzeiten  sammeln  die  Brautführer  zugunsten  der  Braut  Gaben: 
na  silice  (kleine  Ahle),  na  myllce  (Seife),  na  alt/ja  rumjcm 
(rote  Schminke),  na  Mlyja  hüila  (weisse  Schminke). 


X.   Kapitel. 

Wohnung. 

Idg^.  *dofno-s  „Haus".     Die  unterirdische  Wohnuu>»:.    Pfahlbauten.    Das 
Material  der  idg.  Hütte.     Ihre  älteste  Form.    Tür.    Fenster.    Hausrat. 

Töpferei.    Der  Ofen.    Die  russische  izbä. 

Dass  die  iDdogermanen  in  Hütten   oder   Häusern    (scrt. 
damäy  griecb.  dofwg^  lat.  domus,  altsl.  domü)  niit  Türen  (scrt. 
dur,  aw.  dvary  griecb.  &vga,  lat.  fores,  altsl.  dvlrly  lit.  dürys, 
got.    daür,   altir.   dortut),   Pfosten  (scrt.  ä'tä,   aw.  qi&yäj   lat. 
antaey  armen,  dr-andy  altn.  önd  „Vorzimmer"),    Pfeilern  (scrt. 
itbü'ndy    aw.  stünüy  griecb.   an^krjy  abd.  stollo)^   Dacb    (griecb. 
teyogy  areyogy  abd.  dahy  lit.  stögas)  nsw.  wobnten,  gebt  aas  den 
angefübrten  Gleicbungen  mit  Sicberbeit  bervor.    Auch  beben  die 
Alten  gerade  mit  Rücksiebt  auf  die  kulturhistoriscb  am  meisten 
zurückgebliebenen  Glieder  der  idg.  Völkerwelt,  die  Slaven,  aus- 
drücklieb bervor,  dass  sie  sieb  durcb  die  Fähigkeit,  feste  Hänser 
2u  bauen,  von  den  benachbarten,  auf  ihren  Pferden  und  Wagen 
lebenden  Sarniaten  deutlich  unterschieden,    und   daher   nicht  so- 
wohl   diesen,    als    vielmehr    den  Germanen,  von  denen  also  das 
gleiche  galt,    zuzuzählen  seien  (vgl.  Tacitus  Genn.  Kap.  46). 

Es  fragt  sich  nun,  was  sich  näheres  über  die  Anlage  und 
Cinrichtung    dieser   ältesten    idg.  Wohnungen  ermitteln  lässt. 
Zunächst  ist  hier   von    den    unterirdischen   oder   halb- 
unterirdischen,    d.  b.  in   die  Erde  eingegrabenen  Wohnungen 
asu  sprechen,    deren  Vorhandensein  bei   zahlreichen  idg.  Völkern 
iiafs  beste  überliefert  ist.     Am  ausführlichsten  ist  die  Schilderung 
Yitruvs    De    architect,    II,    1,    5    hinsichtlich    der    Phryger: 
Phryges  vero,  qui  campestribus  locis  sunt  hahifanfes,   propter 
inopiam  Mvarum   egentes    matena    eltgunt   tumulos    naturales 
eosque  medios  fossura  distinentes  et  itinera  perfodientes   dilor 
tont  spatiay  quantum  natura  loci  patitur.  insuper  autem  stipites 


—    272     - 

int  er  se  religantes  metas  efficiuntj  quas  harundinibus  et  sar- 
mentis  fegentes  exaggerant  supra  hahitationes  e  terra  maxirm 
grumos.  ita  hiemes  calidissitnaSy  aestates  frigidwsimas  efßmrd 
tectorum  ratione.  Auch  bei  den  Armeniern  fand  Xenophon 
(Anab,  IV,  5,  24)  xarayeioi  olxiai.  Ihr  Eingang  war  wie  die 
Öffnung  eines  Brunnens,  nach  unten  sich  erweiternd.  Fflr  das 
Zugvieh,  das  also  mit  unter  die  Erde  genommen  wurde,  waren 
Zugänge  gegraben.     Die  Menschen  stiegen  auf  einer  Leiter  hinab. 

Von  den  Germanen  berichtet  Tacitns  Germ.  Kap.  16: 
solent  et  subterraneos  specus  aperire  eosque  mtUto,  insuper  fimo 
oneranty  mbfugium  hiemis  et  receptaculum  frugibtis,  quia  rigorm 
frigorum  eins  modi  locis  molliunt,  et  si  quando  hostis  advefut^ 
aperta  populatury  abdita  autem  et  defossa  aut  ignorantur  aut 
eo  ipso  fallunt  quod  quaerenda  sunt.  Diese  Nachricht  erhält 
ihre  weitere  Bestätigung  durch  Plinius  Hist,  nat.  XIX,  1,  2: 
In  Germania  autem  defossi  atque  sub  terra  id  opus  (texendi) 
agunt. 

Sehr  häufig  wird  die  unterirdische  Bauweise  auch  von 
skythischen  ^)  d.  h.  nordpontischen  Stämmen  berichtet,  deren  gemüt- 
liches Winterleben  der  Dichter  höchst  idyllisch  schildert: 

Ipsi  in  defossis  specuhus  secura  sub  alta 
otia  agunt  terra,  congestaque  robora  totanque 
advolvere  focis  ulmos  ignique  dedere. 
Hie  noctem  ludo  ducuiit  et  pocula  laeti 
fermento  atque  acidis  imitantur  vitea  sorbis, 

Verg.  Georg.  III,  376  ff.  Natürlich  hat  der  hauptstädtische 
Dichter  derartige  Behausungen,  von  deren  Schattenseiten  nach 
neueren  Analogien  V.  H  e  h  n '  (p.  529  f.)  ein  anschauliches  Bild  gibt, 
niemals  betreten.  Vielmehr  ist  auch  dies  ein  Zug  jener  Romantik, 
welche  die  klassischen  Schriftsteller  so  oft  über  das  nördliche 
Barbarentum  ausgegossen  haben. 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  literarischen  Nachriebten  ist 
in  den  idg.  Sprachen  nicht  selten  die  Benennung  des  Hauses  ans 
Wörtern  für  „Grube"  oder  „Höhle"  hervorgegangen.  So  ist  scrt. 
grhd  „Haus"  mit  aw.  gereda  „Höhle"  zu  vergleichen.     Aus  dem 


1^  "EqpOQO^  ^e  loTg  Kt/nfxsgiotg  Jtgoooixayv  q?Tjoi  avrovg  Iv  xataysÜHi  olxiaii 
oixeTVy  äg  xaXovaiv  agyillag,  Strab O  p.  351 .  ^AgyEXXa'  otxrjfia  Maxtdortxi^t 
Sjisq  ^eofialvovxeg  Xovovtai,  Suidas.  Vgl.  L.  Diefenbach  0.  EL  p.  91» 
233  f.  und  O.  Hoffmann  Die  Makedonen  p.  61. 


-    273    - 

aw.  kata  „Keller",  „Grabstätte"  ist  die  gewöhnliche  Benennung 
des  Hanses  im  Neupersischen  (Jced)  und  in  den  Pamirdialekten 
[Icetj  c4d)  hervorgegangen^),  wie  dehn  in  allen  Teilen  Irans 
(Geiger  Ostiran.  Kultur  p.  217)  unterirdische  Wohnungen  sich 
noch  heute  finden.  Auf  die  wichtige  Gleichung:  griech.  yvTia 
„xakvßri^y  ^'dakajÄtj'^ ^  „ij  xatä  yijv  oixjjaig^^  =  altn.  kofi  „Hütte", 
agls.  cofa  „Gemach",  mhd.  kohe  „Stall,  Kofen",  ahd.  chubisi 
„Hütte"  wurde  schon  P,  214  hingewiesen.  Ahd.  tum,  der 
eigentliche  Name  für  die  von  Tacitus  genannten  subterranei 
specuSf  wird  von  einigen  Gelehrten  zu  grieeh.  rdfpog  „Grab", 
mqjQog  „Graben",  ^ottko  „begrabe"  gestellt,  was  freilich  von 
anderen  bestritten  wird.  Zunächst  ist  jedenfalls  tunc  mit  ahd. 
tunga  „Düngung"  (vgl.  bei  Tacitus :  Insuper  fimo  oiierant)  zu 
verbinden. 

Auch  die  Prähistorie  weist  auf  die  weite  Verbreitung  der- 
artiger ganz  oder  halb  unterirdischer  Wohnungsanlagen  in  unserem 
Erdteil  hin.  Die  am  Mittellauf  des  Dniepr  blossgelegten  neolithi- 
schen  Ansiedlungeu  (vgl.  oben  p.  150,  153,  187,  248)  befanden  sich 
ausschliesslich  in  derartigen  Erdhütten,  die  von  Chwoiko  (p.  799) 
folgendermassen  beschrieben  werden:  „Zum  Zweck  der  Herstellung 
dieser  Erdhütten  (zemljänka)  wurde  in* der  oberen  Schicht  des 
Bodens  bis  zu  einer  Tiefe  von  80—40  cm  ein  Platz  ausgeschnitten 
in  der  Art  eines  länglichen  Vierecks  oder  Kreises  von  3 — 5  m  in 
der  Länge  oder  im  Durchmesser;  in  der  Mitte  dieses  Platzes 
wurde  eine  Grube  von .  entsprechender  Gestalt  ausgegraben  mit 
einer  Tiefe  von  ^/4 — P/g  m  und  einer  Breite  und  Länge  von 
2 — 2V2  m.  Auf  der  einen  Seite  wurde  ein  Zugang  gelassen, 
wenn  nötig,  mit  Stufen.  In  der  diesem  Eingang  gegenüber 
gelegenen  Wand  der  Grube  wurde,  etwas  erhöht  vom  Boden, 
ein    Ofen    in    der    F  nm    einer    gewölbten    Grotte*)   aus- 


1)  Bemerkt  se:  ilass  im  Finnischen  das  Haus  ganz  wie  im  Irani- 
schen Denaunt  ist:  finn.  kota^  estu.  koda^  mordv.  kud,  tscherem.  kuda. 
Liegt  hier  Entlehnung*  vor?  Echt  finnisch  ist  jedenfalls  finn.  sauna, 
estn.  saun  etc.,  „die  unterirdische  Wohnung". 

2)  Vielleicht  erklärt  es  sich  hieraus,  dass  in  der  gemeinslavischen 
Reihe:  altsl. pe^i;  russ.  pe6X  etc.  die  Bedeutungen  „Ofen"  und  „Höhle" 
nebeneinander  liegen.  Grundbedeutung:  „Backraum (altsl.pei^i  „backen") 
in  Form  einer  Höhle".  Der  slavische  Ausdruck  ist  in  weiter  Ausdeh- 
nung auch  ins  Finnische  {petsi  „Ofen")  gewandert. 


—    274    - 

gemeisselt  mit  einör  kleinen  Öffnung  zum  Abzug  des  Rauches, 
oder  es  wurde  statt  dessen  an  derselben  Wand  ein  runder  Herd 
angelegt,  dessen  einer  Teil  sich  in  der  Grube  bef and,  deaen 
anderer  Teil  in  die  unter  ihm  ausgemeisselte  Wand  mfiDdete, 
wo  dieselbe  Öffnung  für  den  Rauch,  wie  bei  den  Öfen,  aus- 
geschlagen war.  Hierauf  wurde  der  äussere  Rand  des  erst- 
genannten Platzes  mit  in  die  Erde  eingeschlagenen  Pfählen  am- 
zäunt  in  Art  eines  Staketes  oder  Zaunes,  der  mit  Lehm-  ver- 
schmiert ward  und  niedrige  Wände  bildete,  auf  denen  das  der 
Form  des  ganzen  Gebäudes  entsprechende  Dach  ruhte.  Walir* 
scheinlich  wurde  dieses  ausserdem  innen  von  einem  oder 
einigen  Pfeilern  gestützt,  besonders  wenn  es  mit  Reisig  bedeckt 
und  noch  obendrein  mit  Erde  überschüttet  oder  mit  Rasen  belegt 
war.^  In  diesen  Zusammenhang  sind  auch  die  sog.  Trichter- 
gruben oder  Mard eilen  zu  stellen,  über  deren  Charakter  ab 
Wohnungen,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  Südbayem,  F.  S. 
Hartmann  (Zeitechrift  für  Ethnologie  1881  XIII,  237  ff.,  Tgl. 
auch  M.  Mueh  in  den  Mitteil,  der  Wiener  anthrop.  Ges.  VII, 
318  ff.)  gehandelt  hat.  Dieselben  zeigen  nach  Hartmaun  in 
der  Regel  kreisrunde  Form  und  haben  bei  einer  Tiefe  von 
2  bis  4  m  einen  Durchmesser  von  11 — 15  m.  Nach  der  Tiefe 
verlaufen  sie  seltner  in  Trichterform,  sondern  zeigen  gewöhslicli 
kesselartige  Ausbuchtungen.  Dieselben  dienten  in  der  Regel  m 
als  unterbau  der  Wobnungen,  und  über  ihnen  erhob  sich  eise 
dann  natürlich  gleichfalls  runde  Hütte,  deren  Konstruktion  aber 
nicht  weiter  zu  erkennen  ist.  Ein  sehr  interessanter  Fund  dieser 
Art  ist  in  der  vorgeschichtlichen  Ansiedlung  innerhalb  der  so- 
genannten Türkenschauze  bei  Lengyel  unfern  von  FtUifkircheD 
(Ungarn)  gemacht  worden.  Es  zeigten  sich  hier  unterirdisehe, 
in  den  festen  Löss  gegrabene  Wohnungen.  „Dieselben  »ad 
kreisrund,  nicht  viel  höher,  als  dass  ein  Mann  stehen  kann;  dorch 
eine  kleine  Öffnung  fand  der  Zugang  wahrscheinlich  auf  einem 
senkrecht  angebrachten  Steigbaum  statt.  Am  Grunde  der  Hök- 
lungen  fanden  sich  Reste  von  Tongeschirr,  Webstuhlgewicbte  und 
Überbleibsel  der  Herde"  (M.  Much). 

Solche  Mardellen  sind,  wie  in  Deutschland,  Ungarn,  Frank- 
reich und  England,  auch  in  Dänemark  (hier  selten),  in  Böbment 
in  Italien  (vgl.  S.  Müller  Urgeschichte  Europas  p.  25)  und  in 
der  Schweiz  (Hartinann  a.  a.  0.  p.  242)  gefunden  worden,  und 


zum  mindesten  als  sehr  walirBcheinlicti   i>elraclitet   werden 
inii,   d&B8  zu  derselben  Zeil,  in  welcber  die  Seen   der  Seliweiz 
Inrcli    Pfahlbauern    bevölkert    waren,    aaeh    das    trockene    Land 
iwohnt  war,    so   können    wir  ans  hier  die  Pfahlbauten   im  See 
id  die  Mardellen  auf  dem  Land  sehr  wohl  nebeneinauder  denken. 
Hiermit  sind  wir  bei  einer  zweitt^n,  ebenfalle  im  Bereich 
idg.  V^ilkerwelt,    vor   allem  in  der  Schweiz,   Ober'lsterreicb, 
ilien,   Süddeutachland,  aber  «uch    in  Mecklenburg,    Pommern, 
ilpreUBseu,  Galizien,  Bosnien  usw.  weit  verbreiteten  Fundamen- 
ierunpsarl  der  Wohnungen,  dem  Pfahlrost,  angekommen.   Auch 
sie    besitzen   wir    literarische  Nachrichten,  besonders   eine 
ibeusvolle    Schilderung    Herodots  V,   16,    betreffend    die  Pfahl- 
bauten   der  Paeonier,    eines    tbrakischen,    also  indogermanischen 
Volks  im  See  Prasias:  „Auf  hohen  Balken  befinden  sieb  in  der 
Mitte  des  Sees  brettenie  Gerttete,  die  mittele  einer  Brücke  einen 
engen  Zugang  vom  Lande  hi'r  haben.     Die  das  Gerüst  tragenden 
Pfähle  haben  zuerst  alle  Bürger  gemeinsam  eingeschlagen,  weitere 
Pfähle  aber  stellen  sie    nach  Mas^gahe   des    folgenden  Brauches 
ntf:  Wer  heiratet,  stellt  für  jede  Frau  drei  Pfähle  auf,   die   er 
■tie  dem  Orb^los-Gehirge  herbeischafft,     und  jeder  hat  zahlreiche 
Wrauen.     ^o  wohnen  sie,  indem  ein  jeder  öher  die  auf  dem  Ge- 
Het  errichtete  Hütte,  in  der  er  lebt,    regiert,    und  an  der  unten 
«Qrch  das  Gerüst  hindurch  eine  Tür  angebrncht  iat,   die  in  den 
See  fuhrt.     Die  kleinen  Kinder  binden  sie  mit  einem  .Strick  am 
F'usse    fest,    damit    sie    nicht    hinnnterfallcn.     Den  Pferden  und 
Zugtieren  bieten  sie  Fische  als  Nahrung,  von  dcneu  es  eine  un- 
geheure Menge  gibt"  usw.     Bedenkt  man  nun,  dass  diese  Paeoni- 
echen  Pfahlbauem,  wie  aus  dieser   und  anderen  Nachrichten  zu 
folgern  ist,  nicht  nur  Fischer,  sondern  auch  Viehzüchter  und  Acker- 
bauer —  denn  sie  tranken  Bier  (oben  p.  '2b4j  —  waren,  dazu  auch 
Flachs  anbauten  und  ihu  verspannen  (Herod.  V,  12;i,  so  entspricht 
dfts  Kultnrbild,   welches  sich  hier  ergibt,    in   allem  wesentlichen 
lem,  das  nns  die  Schweizer  und  Oberösterreichisclien  Pfahlbauten 
«D    der  jüngeren  Steinzeit    an    enthüllen,     Dass   aber  derartige 
^blkonstruktionen  als  Unterbau   der  W^ohnungeu   nicht  nur  in 
llflSBen  und  Seen,  sondern  auch  auf  dem  festen  Lande   errichtet 
Nirden,  lehren  uns  die  Pfabidürfer  in  den  Terramare  der  Emilia 
>gl.  Heibig   Die  Italifcer  in  der  Poebne)   mit  besonderer  Deut- 
lehkeit.     Es  dürfte  kaum  mOglich  sein,  zu  entscheiden,  ob   man 


u 


i 


-    276    — 

derartige  Bauten  zuerst  auf  dem  festen  Land  oder  im  AVasser 
errichtet  habe.  Sie  boten  in  beiderlei  Beziehung  offenkundige 
und  auf  der  Hand  liegende  Vorteile  dar. 

Des  weiteren  lässt  sich,  wie  ich  glaube,  zweierlei  für  die 
ältesten  Häuser  der  Indogermanen  mit  genügender  Sicherheit 
feststellen:  erstens  das$$  das  Material  zu  denselben  lediglich 
aus  Holz,  Flechtwerk,  Lehm,  nicht  aus  Stein  bestand,  und  zwei- 
tens dass  die  gewöhnliche,  vielleicht  älteste  Form,  wenigstens 
der  nicht  auf  Pfählen  errichteten  europäischen  Hütte,  der  Kreis 
gewesen  ist. 

Wenden  wir  uns  zunächst  zu  dem  ersten  Punkte,  so  liegen 
die  Verhältnisse  naturgemäss  am  durchsichtigsten  und  einfachsten 
bei  den  nördlichen  Völkern.  Nach  dem  Bericht  des  Tacitns 
Germ,  Kap.  16  war  den  Germanen  der  Gebrauch  des  Mörtels 
und  der  Ziegeln  unbekannt :  maferia  ad  omnia  utuntur  informi 
et  citra  speciem  auf  delectationem.  Desgleichen  sagt  Herodian 
VII,  2  von  Maximinus:  „er  brannte  {anno  234)  die  ganze  Gegend 

(der  Alemannen,  Chatten,  Hermunduren)  nieder auf  das 

leichteste  erfasst  das  Feuer  sämtliche  Wohnungen;  denu  aus 
M;.i  gel  an  Steinen  und  Ziegeln  sind  dieselben  ganz  aus  HoU*^ 
vsw.  Doch  müssen  wir  uns  diese  ältesten  germanischen  Häuser 
nicht  als  eigentliche  Blockwerksbauten  mit  horizontal  geschichteten 
Baumstämmen,  sondern  vielmehr  in  der  Weise  vorstelleo,  dass 
aufrecht  gestellte  Baumstämme  oder  Stangen  durch  Flechtwcrk 
miteinander  verbunden  wurden.  So  beschaffen  sind  die  auf  der 
Marcus-Säule  dargestellten  Gebäude.  „Die  Häuser,  fünf  an  der 
Zahl,  sind  alle  rund  im  Grundriss,  bis  auf  das  grösste  oben 
rechts,  welches  viereckig  erscheint  (Tafel  VII),  aufgebaut  ans 
aufrechten,  durch  drei  bis  vier  Flechtseile  in  Abständen  über- 
einander verbundenen,  nicht  dicken  Stämmen."  Auch  sprachliche 
Gesichtspunkte  weisen  auf  die  hohe  Bedeutung  des  Flecbtwerks 
bei  jenen  alten  Bauten  hin  (vgl.  schon  I*,  213).  So  steht  im 
Althochd.  irant  „die  Wand"  neben  got.  vandu^  „Rute**,  lit. 
tcanta  „Badequast";  im  Gotischen  selbst  wird  die  Wand  rflrfdj«^ 
faltn.  veggr)  genannt,  das,  aus  *voj-u-8  hervorgegangen,  zu  der 
im  vorigen  Kapitel  p.  260  besprochenen  Wurzel  vei  {*vijf^ 
gehören  dtlrfte,  die  dann  hier  ursprtlnglich  soviel  wie  „flechten" 
bedeuten    würde  ^).      Im    Russischen    haben    wir  plötnikü  fder 

1)  Got.  baürgs-vaddjus  reixog,  grundu-vaddjus   ^efiiXiov,    Zu  der 


Zimmermaitu'*  iiiid  opiötü  „die  Mauer",  beide  zu  plenti  „flecbten", 
'Vbw.  Als  genieinsame  Eigen tUndicbkeit  der  ii.irdischeii  Vtilker 
rWird  von  Plinius  Hist.  nat.  XVI,  3(3,  64,  v  ie  von  zahlreichen 
'anderen  Autoren,  das  Strohdach  augegu uen :  Teguio  earum 
^iarutiditmm  domus  mias  »eptentr'ionales  popttli  operiunt,  darant- 
.fue  aecii  tecta  fnlia. 

1  Der    indirekte  Beweis    aber    dafür,    daps    .Steinbaaten    den 

'Qermarien  fremd  waren,  wird  durch  den  Umstand  geliefert,  dass 
ifast  alle  anf  diese  neue  Kanst  be-/.üglieben  Ausdrücke  dem  La- 
teißiscben  entstammen.  Es  geuügt  in  dieser  Hinsiebt  aaf  die 
Zusammenstellungen  von  W.  Franz  Lat.-roni.  Elemente  im  Alt- 
hocbd.  Strassburg  1S84  zu  verweisen.  Mau  vgl.  ahd.  müra  = 
vmOtTUs,  ziegal  =  tegula,  vioHere  =   mortarhim,  pfost  =  postit, 

angeführten  ErkllLiimg  stimiiit,  dan»  die  g'ermaDistrhcn  Befestigungen 
Kot  d«r  SiegesB&ule  Marc  Aureis  (F.  Dahn  UrgeacbichtA  II.  173)  sicht- 
E  Uch  am  oberen  Ende  aus  FlechCwerk  hergestellt  sind.  In  demselben 
K  Sinn,  in  welchem  hier  die  W.  vei  gebraucht  ist,  kommt  auch  lat. 
E  texo  vor.  Vgl.  Ovid  Fant.  VI,  261  vom  Hltesten  Tempel  der  Vesta: 
m  quae  nunc  aere  vides,  nHptäa  tum  tecla  videret, 

9^  et  parit»  lento  vimine  textug  erat. 

k,  Von  grossem  Interesse  ist  in   diesem  Zusammeubnng  auch,  was 

1  A.  Schliz  Das  steiOKeitliehe  Dorf  Grossgartach  (Sluttgart  1901)  p.  lü 
bemerkt:  „Der  Bau  der  HütlenwHnde  [welche  übrigens  ebenfalls  in  de» 
Boden  ziemlich  tief  eingegraben  waren]  zeigt  sii-h  deutlich  in  Ab- 
drücken des  Wandbewurfa:  Stangenholz  von  5—6  cm  Durchmesser, 
niud  oder  gespalten,  wird  senkrecht  in  den  Boden  gestellt.  Zwischen 
diesen  Stangen  werden  dünnere  ca.  3  cm  starke,  biegsame  Stangen 
quer  durcbflochten,  so  dass  zunächst  ein  fester  Verband  von  Flechi- 
:werk  enisteht  Diese  zunächst  einfache  Wand  ist  von  beiden  Seiten 
;  einer  ans  I.ehm  und  UAcksel  hergestellten  Verputzmasse  beworfen, 

dass  das  ganne  Flechtwerk  vellbomme»  verstrichen  ist In 

den  meisten  Wohnungen  zeigt  dieser  Glattstrich  überall  die  Formen 
dnes  rötlich-gelblichen  Wasserfarbanstrichs.  Die  Besitzer  der  hervor- 
tagenden Wohnung  auf  dem  .Slumpfwöraehig"  haben  sich  jedoch 
biermit  nicht  begnügt.  Auf  dem  gelben  Grund  sind  Zickzackmustei- 
fn  Form  von  krHftlgeu  abwechselnd  weissen  und  roten,  satten  Farb- 
Btreifen  von  1  cm  Breite  in  grossen  Zügen  aufgemalt."  Vergleiciieu 
wir  hiermit,  was  Tacittis  den  oben  im  Text  angeführten  Worten  hinzu- 
fügt: quaedam  loca  dÜigentius  iltiuunl  terra  ita  pura  oc  DplendetUe, 
vi  picluram  ac  lineamenta  colorum  imitetur,  so  ergibt  sich,  dass 
die  Winde  der  germanischen  Häuser  zur  Zeit  des  Tacitus  nicht  wesenl- 
Ucb  von  denen  des  steinzeitlichen  Dorfes  Grossgartach  verschiedeu 
gewesen  eein  können 


1 


—    278    — 

pMlari  =  püarius,  turri  =  turris,  pforzih  =  porticuSj  chdlth  = 
cälx  und  andere  (bei  F.  Kluge  in  Pauls  Grnndriss  P,  333 ff. 
und  R.  Meringer  Das  deutsche  Haus  p.  37).  Schon  im  Jahre 
3ö6  fand  Julian  bei  den  Alemannen  zwischen  Rhein  und  Main 
ganze  Dörfer  nach  dem  Muster  römischer  Villen  erbaut  (F.  Dahn 
Urgeschichte  I,  56  nach  Ämni.  Marc). 

Bereits  vor  diesem  römischen  Einfluss  hatten  ttbrigeos  die 
Germanen  vielleicht  einiges  im  Bauwesen  den  Kelten  abgesehen, 
worauf  die  Entlehnung  des  got.  TcHikn  „Turm,  oberes  Stock- 
werk, Speisesaal"  aus  gall.  celicnon  „Turm"  (Stokes  BeitrÄge 
II,  100,  108)  hinweist. 

Ähnlich  liegen  die  Dinge  bei  den  Slaven.  Dasa  die 
Veneti  schon  im  1.  Jahrhundert  nach  Chr.  im  Gegensatz  zn  den 
Sarmaten  in  plaustro  equoque  viventibus  Häuser  bauten,  haben 
wir  schon  oben  gesehen.  Wie  elend  dieselben  aber  noch  nach 
Jahrhunderten  beschaffen  gewesen  sein  müssen,  lehrt  der  Bericht 
des  Prokop  B.  G.  III,  14  von  den  2!xkaßrivoi  und  ^Avtai  {olxom 
dk  iv  xakvßaig  olxzQaig  dieaxrj/usvoi  JioUfp  /Jikv  in  diU^iUuy). 
Auch  hier  zeigt  die  Sprache,  dass  wir  nur  an  Holzbauten  denken 
dürfen,  da  ^es  an  gemeiuslavischen  Ausdrucken  fehlt,  die  zur 
Annahme  berechtigen,  dass  die  Slaven  der  Urzeit  auf  die  Steip- 
baukunst  sich  verstanden"  (Krek  Einleitung^  p.  145).  Viehoehr 
sind  die  Slaven  auf  diesem  Gebiet  Schüler  einerseits  der  Griechen 
in  Byzanz,  andererseits  ihrer  germanischen  Nachbarn,  was  hier 
nicht  weiter  ausgeführt  werden  soll.  So  entstammt  z.  B.  dem 
griechischen  nXiv&og  altsl.  plinüta,  dem  mgriech.  äaßearog  altal. 
izmstä,  dem  griech.  jege/uvov  altsl.  trimü  ^Turm^,  dem  deutschen 
chalch  altsl.  klakü,  dem  deutschen  ziegal  russ.  Hgdi  usw.. 

Bemerkenswert  ist,  dass  eine  in  allen  Slavinen  wieder- 
kehrende Benennung  des  ganzen  Hauses  (altsl.  hyzü  hsw.)  dem 
Germanischen  entnommen  wurde  (ahd.  hüs  etc.,  ungewissen  Ur- 
sprungs). Auch  altsl.  hlivü  „StalP,  JUevina  ^Haus"  sind  wahr- 
scheinlich gleicher  Herkunft^). 


1)  ^gi-  gct.  Mäiv  „Grabhügel",  «gehöhltes  Grab*,  wonebeo  eine 
Bedeutung  „unterirdische  Wohnung  ftkr  das  Vieb^  (vgl.  oben  M. 
tunc:  Tatpog,  rdtpQos)  anzusetzen  sein  wird.-  In  dieser  dürfte^  das  Wort 
zu  den  Slaven  gewandert  sein,  die  vorher  das  Vieh  im  Winter  in 
ihren  eigenen  Zemljanken  untergebracht  haben  werden  (s.  untes). 
Vgl.    auch    Peisker   a.  a.  0.    p.  69.    —    Wichtige  Mitteilungen  ftbei 


Aber  aucli  iui  Süden  Europas  Laben  sicii  trotz  der  Fracbt 
des  Marmors,  die  uns  hier  blendet,  unzweifelhafte  Spnren  de» 
ursprduglicheD  Hllttenbaua  erhalten.  „Griechen  und  Italiker 
kannten,  als  sie  in  die  beiden  klassiächeu  Halbinseln  einwanderten, 
keine  andere  Wohnstätte,  als  die  aue  Stroh,  Reisig  oder  Lehm 
errichtete  Hfitte."  Den  »rchäoiogiachen  Nachweis  fflr  diese  Be- 
hauptung hat,  namentlich  fUr  das  alte  Italien,  W.  Heibig  Die 
Italiker  iu  der  Poebne  p.  45  ff.  geführt.  Dieselbe  lägst  sich  anch 
durch  sprachliche  Beobachtungen  stützen.  So  weist  das  griech, 
jci^oi  „Mauer",  JoTxoi  „Wand"  =  osk.  feihusn  „muros"  durch 
seine  Verwandtsoliaft  mit  scrt.  deht  „Aofwurf .  Wall"  und  mit 
alln.  deig  „Teig",  got.  dfigan  „ans  Ton  bilden",  lal.  fingere, 
figulus  „Tupfer"  deutlich  auf  Lehm-,  nicht  auf  Steinwände  hin. 
Das  {jrieeh.  ^pfxp^  „Daeh"  {-.foiipK)  „bedecke"}  ist  identisch  mit 
■qrof  „Rohr",  und  anderes. 

Mitten  zwischen  diesen  gtroh-  und  rohrbedeckten  Lebm- 
1  Hulzhfllten  der  Balkanhalbinael  erhoben  sich  dann,  von  asia- 
ichen  SteinmetKen  {tpoinxi  xavöyi  „nach  phönikiscbem  Kanon", 
vgl.  griech.  xnviöv  „Richtscheit":  hebr.  qdneh  „Messrohr")  auf- 
geführt, die  steinernen  Paläste  der  griechischen  Fürsteugeschlechter. 
wie  sie  die  Aasgrabungeu  von  Tiryns  usw.  dem  staunenden  ßUek 
gezeigt  haben,  und  die  auch  für  die  folgenden  Jahrhunderte  und 
för  das  homerische  Zeitalter  das  freilich  unerreichte  Vorbild  des 
griechischen  Anaktenhanxea  waren. 

Endlieh  sind  auch  den  arischen  Indogermanen  in  der 
älteeten  Zeit  Steinbauten  noiih  unbekannt  gewesen.  In  der 
Epoche  des  Atharvaveda  war  das  indische  Haus  ein  reiner 
Uolzban,  der  von  Zimmer  (Altind.  Leben  p.  Iö3i  folgender- 
massen  geschildert  wird:  „«Strebepfeiler  —  wohl  vier  — wurden 
auf  festem  Grunde  errichtet,  .Stützbalken  lehnten  sich  schräg 
wider  dieselben;  Deckbalken  verbanden  die  Grund-  und  Eck- 
pfeiler des  Hauses;  lange  Bambusstäbe  lagen  auf  ihnen  und  bil- 
deten als  Sparren  das  hohe  Dach.  Zwischen  den  Eckpfeilern 
wurden    je    nach  Grösse    des  Baues    versnhiedene  Pfosten    noch 


»ehe,  den  Uaunbitn  betretrcnde  Wörter  in  den  slaTiBchen.  heaonders 
Vjadslavtschen Sprachen  macht  jetzt  M.  Marko  Znr  Gescttichte  des 
Istamlicheti  Hanies  bei  den  .Sttdslaveii  (9.  A.  aus  Band  XXXV  und 
KVI  rter  Mclg:.  der  Autlirop.  GuaelUclinri  in  Wieni  Kap.  b. 


-     280    -    . 

aufgerichtet.  Mit  Stroh  oder  Rohr,  in  Bündel  gebundcD,  fflllte 
man  die  Zwischenräume  in  den  Wänden  ans  und  tiberzog  ge- 
wisseraiassen  das  Ganze  damit.  Riegel,  Klammem,  Stricke, 
Riemen  hielten  die  einzelnen  Teile  zusammen.*^ 

Kürzer  können  wir  uns  über  den  zweiten  der  beiden  oben 
aufgestellten  Sätze  fassen,  dass  nämlich  die  gewöhnliche  Form, 
wenigstens  der  europäischen  Hütte,  der  Kreis  gewesen  sei. 

Die  germanischen  Hütten^  welche  die  Reliefs  der  Sieges- 
säule Marc  Aureis  darstellen,  sind,  wie  wir  schon  sahen,  vor- 
wiegend rund.  Ebenso  beschreibt  Strabo  p.  197  die  Wohnangei 
der  Beigen:  rovg  d^  ohtovg  ix  oavidcov  xal  yigQcov  ixovoi  /ueyälovi 
^oXoEideig,  SqcKpov  noXvv  imßdXkovteg,  Auch  die  Urform  der  itali- 
schen Hütte  ist  durch  Hei  big  als  eine  runde  erwiesen  worden, 
wie  er  namentlich  aus  der  primitiven  Konstruktion  des  ältesten 
Vesta-Tempels  ♦  folgert.  Grundrisse  runder  oder  ovaler  Hütten 
sind  sowohl  nördlich  wie  südlich  des  Po  vielfach  gefunden  worden, 
und  die  in  der  Umgegend  von  Bologna  aufgedeckten,  den  Umbrern 
zugeschriebenen  Wohnungsreste  beschreibt  Montelius  La  cMUr 
sation  primitive  de  Vltalie  p.  408  wie  folgt:  Les  cabanes  om- 
briennes  4taint  von  des  ou  arrondies  (oblongues)  sauf  un 
trds  petit  nombre  qui  Üaient  rectangulmres.  Le  diamüre  de 
1a  plupart  des  fonds  ronds  est  de  3 — 5  m^res.  Hs  sont  en- 
tourds  de  trous  contenant  le  bois  dicomposi  des  poteaux,  gui 
avec  des  roseaux,  couvert  d'argile,  formaient  les  parois  des 
huttes.  Auch  in  Orcbomenos  hat  man  (vgl.  den  Beriebt  der 
„Woehe^  No.  5,  1904)  aus  neolithischer  Zeit  runde,  hier  aber 
bereits  steinerne  Wohnhäuser  gefunden«  Auf  eine  ursprüng- 
lich rundliche  Anlage  der  idg.  Hütten  weisen  femer  die 
auch  in  anderer  Beziehung  für  die  Geschichte  des  HaoslMins 
wichtigen  sogenannten  Hausurnen,  welche  man  namentlich  in 
Italien,  Deutschland  und  Dänemark  gefunden  ^)  hat,  und  die  trotx 
vieler  Verschiedenheiten  im  einzelnen  doch  im  grossen  mitein- 
ander gemein  haben,  „dass  zur  Aufnahme  der  aus  dem  Leichen- 

1)  Über  neuere  italienische  Funde  vgl.  G,  Ä,  CoUini  e  R  Mwr 
garelli  La  necropoli  di  villa  Cavalletti  nel  commune  di  GrottafemiUii 
Roma  1902.  Ebenso  förderten  die  Ausgrabungen  Bonis  auf  dem 
Forum  Romanum  Hausurnen  zutage.  In  Deutschland  ist  u.  a.  eine 
neue  Hausurne  im  Frühjahr  1887  zu  ünseburg  im  Magdeburgischen 
gefunden  worden. 


-     381     - 

inde  ^esaiimiekeii  Überreste  des  Toten  eiu  Tongefäss  in  Foriu 
eines  Hiiubcs  henutict  wurde,  um!  dass  dieses  Hans  stets  eine 
j,TOB8e,  durch  eine  versetzbare  und  vermittelst  einer  queren  Ver- 
scbluBBstaDge  vod  aussen  zu  schliessende  Tür  besass"  (Virebow 
Über  die  ZeitbeBtimmun^  der  italiaclien  und  deutseben  HaDsurnen, 
Sitzungsberichte  d.  Akad-  d.  W.  /.u  Berlin   l!l!83  p.  1008). 

Hinsichtlich  ihrer  Gestalt  schildert  Heibig  iDie  Italiker 
iu  der  Poebne  p.  50)  die  latiuisehen  Hausurnen  der  Nekropole 
von  Alba  longa  folgendermaesen:  „Die  Urnen  stellen  rnndliehe 
Hotten  dar,  deren  Wände  man  sich  aus  Lehm,  Reisig  oder 
nuderen  vergänglichen  Stoffen  aufgeführt  zu  denken  hat.  Das 
Dach  scheint  ans  Lagen  von  Stroh  oder  ßobr  bestanden  zu 
iiaben  und  wird  durch  Rippen  zusammengehalten,  die  in  der 
Wirklichkeit  offenbar  aus  Holz  gearbeitet  waren.  Es  entbehrt 
des  fllr  das  spätere  italische  Wohnhaus  bezeichnenden  Coni- 
plnvinms.  Vielmehr  diente,  um  das  Licht  in  den  inneren  Raum 
hinein-  und  den  Rancli  aus  demselben  heranszulassen,  die  TUr- 
nffnung  und  ausserdem  bisvFeilen  eine  kleine  dreieckige  Luke, 
welche  einige  dieser  Asehengefässe  an  dem  vorderen,  wie  an 
dem  hinteren  Abfalle  des  Daches  erkennen  lassen." 

Auch  fUr  die  deutschen  Urnen,  sowohl  für  die  biencnkorb- 
artigeu  oder  backofenähnli(:hen  als  auch  fOr  die  eigentlichen 
ITansumen  kommt  Lisch,  der  erste  wissenschaftliche  Bearbeiter 
dieser  Denkmäler  (Jahrb.  d.  Vereins  f.  Mecklenburg.  Geschichte 
XXI,  249),  KU  der  Ansieht,  dass  die  rnndliche  Form  die  ureprüng- 
liehe  Gestalt  dieser  Urnen  gewesen  sei.  „Wirft  man  einen  ver- 
gleichenden Bliek  anf  die  Gestalt  dieser  Urnen,  sn  drängt  es 
sich  niiwjllkhriich  auf,  dass  sie  die  Entwicklung  des  alten 
Wobnbauses  darstellen.  Die  älteste  Form  des  Hauses  geben 
ohne  Zweifel  die  Urnen  von  Burg-Chemnitz  und  Rönne,  welche 
die  TUr  im  Dache  haben,  wie  die  Wohnungen  ungebildeter  Völker 
nft  die  Tilr  im  Dache  haben,  zum  Schutz  gegen  wilde  Tiere'"); 
mau  8tieg  auf  Leitern  hinein,  welche  man  nach  sich  zog,  und 
so    war    man    durch    die   steilen  glatten  Wände   mehr  gesichert. 

■  sind  sicher  diejenigen  runden  Hänser,  wie  die  Urnen  von 


I)  Vielleicht  1«  es  aber  wahrsclieiiil klier,  äasa  der  unter  licr 
he  befind  liehen  Tür  Üegenile  Teil  des  Hannes  nJH  in  die  i''rde 
■ftben  EU  denken  ist.     V;;!.  rtben  über  die  Mnrdellen. 

habrader.  «prmcl>verKlerchunc  und  UrK«acl>IfliU  lt.    s.  Aull.  19 


-     282    — 

Kiekindemark  und  Klas,  welche  die  Tür  in  der  Seitenwand 
haben  ^).  Das  jüngste  Haus  wird  wohl  durch  die  Urne  ?od 
Aschersleben  dargestellt ;  dieses  Haus  war  viereckig,  mit  hohem, 
steilem  Strohdache,  ein  überraschendes  Vorbild  der  jetzigen  ge- 
ringen Landhäuser.^  Endlich  ist  auch  auf  griechischem  Gebiet, 
in  Melos,  eine  in  vormy kenische  Zeit  fallende  Hausume,  die 
mehrere  runde  Hütten  darstellt,  zutage  getreten.  Nimmt  num 
dies  alles  zusammen  mit  den  obigen  Ausführungen  über  die  An- 
lage der  Zemljanken  und  Mardellen,  so  kann  man  über  die  ur- 
sprüngliche Gestalt  der  indogermanischen  Hütte  (vgl.  auch  0. 
Montelius  Die  runde  Hüttenform  in  Europa,  Archiv  f.  Anthro- 
pologie XXIII,  1895  p.  451  ff.)  nicht  wohl  zweifelhaft  sein,  wenn 
auch  zuzugeben  ist,  dass  die  rechtwinklige  Anordnung  der  Wände, 
wie  sie  namentlich  die  Pfahlbauten,  aber  auch  die  Wohnhänser 
des  oben  (p.  277  Anm.)  genannten  Dorfes  Grossgartach  zeigen, 
sich  frühzeitig  der  rundlichen  zugesellten. 

Des  weiteren  lässt  sich  über  die  Beschaffenheit  und  innere 
Ausstattung  des  idg.  Wohnhauses  noch  das  Folgende  sagen.  Mit 
einiger  Wahrscheinlichkeit  dürfen  wir  uns  über  der  Tür  des  idg. 
Hauses,  die,  nach  Ausweis  der  Hausuiiien,  ein  vorgesetztes  Brett 
war,  oder,  nach  Ausweis  der  Sprache  (vgl.  got.  haürdsj  altn. 
hurd  „Tür"  =  lat.  crdtes  „Flechtwerk")  aus  Flechtwerk  bestand 
und  durch  einen  nagelartigen  Verschluss  zu  versperren  war  (vgl* 
griech.  xlrjk  =  lat.  clävis  „ Schlüssel'* ;  lat.  clävtiSy  ir.  d4i  PL 
„Nagel"),  eine  Art  von  Vordach  vorstellen,  das  auf  zwei  oder 
mehr  Pfosten  (vgl.  oben  scrt.  sthü'nä  und  seine  Sippe)  ruhte, 
und  für  das  eine  idg.  Bezeichnung  vielleicht  in  der  schon  oben 
j^enannten  Reihe :  scrt.  ä'tä  „Türpfosten",  lat.  anta  (templum 
in  antis),  altn.  önd  „Vorzimmer'',  armen,  dr-and  „Raum  an  der 
Türschwelle"  zu  finden  ist.  Durch  die  Tür  gelangte  man  in 
den  Herdraum,  ohne  Zweifel  den  einzigen  Raum  des  Haoses, 
der  der  ganzen  Familie  zugleich  als  Wohn-,  Speise-  und  Schlaf- 
zimmer diente,  und  in  den  man  in  Zeiten  bitterster  Kälte  auch 
das  sonst  im  Freien  überwinternde  Vieh,   so   gut    es   ging,  mit 


1)  Am  nächsten  stehen  diesem  Typus  (Lisch  p.  247)  die  Bar- 
barenhäuser auf  der  Siegessäule  Marc  Aureis,  nur  dass  die  Türen 
—  Fenster  fehlen  auch  hier  durchaus  —  bei  ihnen  länger  und  schmiler 
als  dort  sind. 


9fiS 


hinein  naiiin.  So  gcliildert  es  z.  B.  LasiciuH  De  diis  Nnmn- 
gitaniiii  p.  45  bei  den  Litauern:  Mapalia,  quae  tnrreg  appel/ant, 
mrgum  angusta,  atqtie  qua  fumtis  et  foetor  exeat,  aperla,  ex 
tiqnh,  emseribus,  striunine,  cfirtirihits  fariunt.  in  kia  homines 
mm  omni  pecuHo,  in  pavimento  tabulato  atiinte,  kahitani  (vgl. 
weiteres  in  meinem  Reallexikon  s.  v.  Stall  nnd  Schenne).  Die 
Fiainme  des  Herdes  igriech.  ioiia  =  lat.  Vesta;  acrt.ä'sa  „Aselie", 
Afihtrf  „Fenerplatz"  =  lal.  ära,  ambr.  asa  „Altar"),  die  den 
religiös  verehrten  Mittelpunkt  des  Hauacs  bildete  (vgl.  auch 
Kap.  XV:  Religion),  nnd  in  der  Asclie  während  der  Nacbt  sorg- 
fältig bewahrt,  frllli  angeblasen')  wurde,  mnsste  gleichzeitig  den 
drei  verBohicdeneD  Zwecken  der  Erwärmung,  Speisezubereitniig 
und  Erlenchtnng  dienen.  Charakteristisch  für  die  zweite  Anf- 
alle ist  es,  daas  in  mehreren  Fällen  die  Benennungen  des  spä- 
teren Ofeuff  hervorgegangen  sind  aus  denen  des  Topfes,  der  über 
dem  Herdfeuer  aufgehängt  oder  in  die  Asche  desselben  hinein- 
geschoben wnrde  (vgl.  got.  aäbim,  altnorw,  og»  „Ofen",  griecb. 
üifü^i  „Backofen"  :  lat.  aulla,  auxilla  „Topf",  sert,  ukhä'  „Koch- 
topf" und  lat.  fornus  „Ofen"  :  gemeinsl.  *geniü,  altsl.  ijrünA 
iHerd,  Topf,  Ofen").  Die  Leuchtkraft  des  Herdes  ward  unter- 
stützt durch  den  an  der  Wand  befestigten  Kienspan,  wie  es 
noch  bei  Homer  i^aig)  der  Fall  ist.  In  der  russischen  izhd  liefert 
die  ludina  („Kienspan")  bekanntlich  noch  heute  die  einzige  Be- 
lenchtitng,  wie  in  Litauen  der  ühurgg  (vgl.  ostpreuss.  Schibber 
=  Kienspan).  Fenster  (vgl.  I',  164)  waren  in  dem  ältesten 
Haas  noch  nicht  vorhanden.  Fftr  den  Zutritt  des  Tageslichts 
und  den  Abzug  des  Herdraucbs  sorgte  die  meist  geöffDCt  stehende 
Tltr  und  ein  kleines  Rancblocb  im  Dach,  welches  sich  un- 
aiittelbar  und  ungetrennt  Über  dem  Herdranm  erhob  (vgl.  mein 
llexikon  u.  Diicli). 
Eigentlicher  Hansrat*)    war  so  gut  wie  nicht  vorhanden. 


1)  Vä  Ogipoiki  eiiS  oynei  ne   /•ziitivalt   „In  O.  Iiatle    mau    nocb 
K  dl«  Feuer  angebUtteü"  (bei  M«lnikow  In  den  VV»lilern  I,  Kap.  10) 

t  beinahe  wie  eine  feste  Zeilbestimniung.  V^l.  alcn.  kveykja  .an- 
'xllndea*,  eigenll.  „lebendig  mauhen".  Über  die  Entzändung  neaen, 
besonders  heilig'eD  Feutirs  vgl.  Kap.  XV  (Religion). 

2)  Vgl.  die  1°,  S13  angegebenen  Schriften  R.  Meringers.    Hin- 
riiommen  sind  R.  Heringer  Das  deutsche  Hau«  und  Hein  Hausrat, 

?1906niid  die  oben  p.  278  Anm,  1  nngeführteRchiili  M.Murkos 


—    284    — 

Alle  die  Gegenstände,  wie  Bett,  Stnhl,  Bank,  Tisch,  die  wir 
heute  auch  in  der  kleinsten  Hütte  für  unentbehrlich  halten,  ver- 
wandeln sich,  in  je  ältere  Zeiten  wir  zurückgeben,  in  immer 
primitivere  Begriffe.  Man  schlief  und  sass  auf  der  Streu,  statt 
in  Betten  und  auf  Stühlen.  So  fand  es  Strabo  III,  p.  164  o. 
IV,  p.  197  {xal  rovTo  xe  xal  x6  ;ua/>t£t;v«v  xoivdv  iori  toTc  IßrjQoi 
jiQog  xovq  KeXxovg  —  jiafÄevvovoi  6k  xal  fiixQ^  '^^  ^^  TtoiJioi  xm 
xa&eCojuevoi  öemvovoiv  h  axißdai)  bei  Iberern  und  Galliern  ebenso, 
wie  es  schon  vor  hundert  Jahren  A.  Linhart  Versuch  einer 
Geschichte  von  Rrain  III,  p.  302  für  die  ältesten  Slaven  auf 
Grund  der  Sprache  voraussetzt:  „Ihr  Nachtlager  nahmen  sie 
auf  der  Erde,  auf  blossem  Streu.  Dieses  zeigt  die  jetzige  Be- 
zeichnung des  Bettes  an,  Postela  [altsl.  postelja  „Bett**:  stdj(^ 
stüati  j^stemere^].  Das  Bettgestelle,  Polster  und  Küssen  sind 
Gemächlichkeiten,  die  sie  später  kennen  gelernt  haben."  „Der 
Tisch  war  weiter  nichts  als  ein  Stol,  neben  dem  sie  anf  der 
Erde  sassen."  Eine  charakteristische  Sprachreihe  liegt  in  dieser 
Beziehung  in  der  Gleichung:  ahd.  bolstar  „Kissen",  slov.  blazina 
„Federbett",  serb.  blazina  „Kissen",  altpr,  pobalso  „Pfühl**,  hat- 
sinis  „Kissen",  aw.  bardzU  „Decke,  Matte",  scrt.  barhis  „Streu, 
Opferstreu"  vor.  Die  älteste  Bedeutung  hat  offenbar  das  San- 
skrit bewahrt.  Wenn  man  aber  zum  Speisen  auf  der  Erde  sass, 
so  luussten  die  Tische,  von  denen  man  speiste,  ganz  niedrig  sein. 
Tatsächlich  hören  wir  von  solchen  sich  nur  wenig  von  der  Erde 
erhebenden  Tischen  durch  Athenäus  IV,  p.  151  wiederum  bei 
den  Kelten,  und  Tacitus  Germ.  Kap.  22  bemerkt  von  den  Ger- 
manen, dass  jeder  seinen  eigenen  und  besonderen  Tisch  gehabt 
habe.  Noch  weiter  rückwärts  wird  dieses  niedrige  und  besondere 
Tischchen  nichts  anderes  als  ein  tönernes  Gefäss  gewesen  sein, 
wie  es  in  der  germanischen  Reihe:  got.  biupSy  altn.  bjödr,  ahd. 
beot  ausgesprochen  liegt,  die  zugleich  „Schüssel"  (hieraus  altsL 
bljudo  j^patina^)  und  „Tisch"  bezeichnet.  So  wird,  was  etwa 
an  Hausrat  in  der  idg.  Hütte  vorhanden  war,  in  erster  Linie 
dem  Bereich  der  Töpferkunst  angehört  haben,  die,  wie  zahl- 
reiche   Gleichungen   (z.  B.    scrt.  carü  „Kessel,    Topf",   ir.  ccft, 


mit  sehr  lehrreichen  Details  über  die  primitive  Beschaffenheit  des 
Hausrats  bei  den  Balkanvölkern,  namentlich  des  Tisches.  Vgl.  ^nch 
Meringer  I.  F.  XIX,  448  (über  das  Bett),  449  (über  den  Tisch). 


kverr  „Kessel"  oder  das  oben  genauntc  sc-it,  ukkä'  usw.) 
zei^eu,  in  die  idg.  Urzeit  nnd  nach  Ausweis  der  Fände  bis  in 
die  neolithiscbe  Epocbe  znrUckgebt.  Aach  sie  stand  noch  auf 
riiter  verhältnismässig  niedrigen  -Stufe,  da  sie,  wie  die  ueoliihiscbe 
Keraniiii  beweist,  iiocii  der  Erfindung  der  DrehBcheibe  entbehrte. 
Solche  iediglich  mit  der  Hand  g^earbeitele  Gefässe,  deren  sich 
die  Arvalen  bei  ihren  Knittisbandlungen  bedienten,  sind  in  dem 
Hain  der  Dea  Dia  gefanden  worden  (vgl.  W.  Heibig  Die 
Italiker  in  der  Foebne  p.  87),  Ohne  Drehacheibe  wird  auch  in 
Indien  die  sog.  I.Tckä,  d.  b.  der  Topf,  angefertigt,  dessen  Her- 
fltelinng  bei  der  Agoiciti,  der  Schichtung  eines  Feneraltai-s,  vor- 
geachrieben  wirrtM- 


1)  Vgl.  A.  HiNcbiandt  Ritualliteralur  etc.  (GrundrisH  der  indo 
Khen  Phil.  III.  3  p.  8).  Da  die  Stellt;  für  den  PrähiHtoriker  ein 
proeses  Interesse  hat,  stütze  ich  sie  hierher:  „Rflty&yaiia  (ein  alter 
l.phrcr)  sagt  16,  3,  23;  Der  Opferer  machi  einen  Topf,  nachdem  er  mit 
einem  Sprach  ,dti  biat  das  Haupt  des  Maklia'  Erde  dazu  entnommen 
hat.  24.  Eine  Spanne  breit  und  hoch.  25.  Bei  einem  fünffachen  Tier- 
opfer fünf  Spannen  oder  einen  Pfeil  breit.  2fi.  Mil  dem  Sprach  „mögen 
die  Vasna  dich  bereiten"  breitet  er  den  entnomnieneu  Ton  aus  [bd  dass 
die  Onindllilche  entsteht].  37.  Nachilf.iii  er  von  allen  Seiten  [von  dieser 
Orunitfiilcho)  den  Rand  in  die  Höhe  gebogen  hat,  trägt  er  [auf  diesen 
Kand]  den  ersten  Tonkluinpen  auf  mit  den  Wortt-n  „die  Adityas  sollen 
dich  beratenen".  29.  Er  ebnet  [daaGeWss]  mit  dem  Spruch  ,die  Kndras 
sollen  dich  herstellen".  30.  Bei  dem  oberen  Drittel  [des  Topfes)  macht 
er  [aus  Ton)  einen  ringsumluufen  den  Stab  oder  Gürtel  mit 
den  Wutten  ,du  bist  ein  Gürtet  für  Aditi".  3L  [Vou  unten]  nach  oben 
vier  weitere  Stabe  [buh  Ton]  iu  allen  vier  Richtungen  bis  au  den 
lauerst  reifen.  4.  I.  An  ihren  oberen  Enden  bringt  er  nnch  oben 
xn  Frauenbrfisten  äh  nliche  [Tonieile]  an.  S.  Man  versieht  den 
Topf  mit  ftwei  Brüsten,  nach  einigen  mit  acht  Brüsten."  Nach  einem 
anderen  Lehrer  (Hiranyak^vin)  soll  für  einen  Mann,  der  mehrere  Franen 
hat,  die  erste  Fran  die  Herstellung  des  Topfes  Übernehmen.  Wieder 
ein  anderer  Kotnnientator  äpricht  vou  einer  am  Hals  des  Gefttsses  be- 
findlichen Linie,  die  einem  Gürtel  ahnlich  sei  (Bandkeramik?)  usw. 
Die  in  eckige  Klammern  eingeschlossenen  Stellen  sind  ErgUnzungen 
da»  Übersetzers.  —  Nun  macht  Heibig  a,  o,  a.  0,  darauf  aufmerksam, 
dass  in  Latium  der  Übergang  von  einer  jedes  mechanischen  Hilfs- 
mittels entbehrenden  Technik  zur  Anwendung  der  Drehscheibe  durch 
ein  Verfahren  vermittelt  werde,  , welches  darin  bestand,  dass  man  den 
Bswänden  vermöge  des  Einsetzens  hölzerner  Reifen  die 
ilriife  Richtung  ku  gehen  suchte.  Die  Eindrucke  solcher  Reifen 
1   an    den  Innenseiten  der  meisten  in  dem  Arvalhaine  gefundenen 


—    286    — 

Aas  dem  Vorstehenden  ergibt  sich;  dass  wir  für  die  idg» 
Völker  als  ältester  Wohnstätte  von  der  halb  oder  mehr  in  die 
Erde  eingegrabenen^  aus  Holz  und  Flechtwerk  zusammengefflgten^ 
meist  rundlichen  Hütte  auszugehen  haben,  die  aus  dem  einzigen 
Herdraum  bestand  und  vor  der  Tür  eine  kleine  Vorhalle  (Vor- 
dach) hatte.  Solche  ^Herdhäuser^  sind,  allerdings  meist  in 
rechtwinkliger  Anordnung  ihrer  Wände,  noch  in  den  verschie- 
densten Teilen  Europas  und  Asiens  erhalten  (vgl.  Meringer 
Das  deutsche  Haus  p.  8).  Besonders  dürfte  das  armeniBche 
Bauernhaus  jenen  ältesten  Typus  mit  grosser  Treue  aufweisen 
(vgl.  darüber  Ter-Mowsesianz  Das  armenische  Bauembaos  in 
den  Mitteil.  d.  anthrop.  Ges.  zu  Wien  XXH,  125  ff.). 

Andererseits  ist  man  aber,  auch  bei  den  Nordvölkem,  sehr 
frühzeitig  darauf  ausgegangen,  neben  dem  Herdraum  für  die 
einen  oder  anderen  Zwecke  besondere  Räume  zu  gewinnen.  Schon 
das  oben  genannte  neolithische  Haus  von  Grossgartach  weist 
neben  dem  sehr  tief  gelegenen  Herdraum  mit  der  Herdgmbe 
noch  einen  zweiten,  höher  gelegenen,  aber  nicht  erwärmbarai 
Raum  auf,  kann  also  bereits  als  ein  ^zweizeiliges^  bezeichnet 
werden.  Dieser  Ansatz  ist  nun  in  frühen  nachchristlichen  Jahr- 
hunderten in  Oberdeutschland,  da,  wo  barbarische  und  römische 
Kultur  znsammenstiessen,  durch  die  unter  dem  Druck  des  nörd- 
lichen Klimas  erfolgte  Erfindung  des  Ofens  weiter  entwickelt 
worden,  so  dass  das  oberdeutsche  Haus  von  jetzt  ab  zwei  heiz- 
bare Räume,  den  Herdraum  und  den  Ofenraum,  d.  h.  die  dorcb 
den  von  aussen  heizbaren  Ofen  gewärmte  Stube  besitzt.  Dieser 
neue  Kulturträger,  der  Kachelofen  („Kachel**  aus  lat.  caculdh 
ist  das  römische  Hypokaustum,  in  die  primitive  Wohnung  des 
Barbaren  übertragen.  Sein  Name  ist  in  unserem  Worte  „Stube* 
erhalten.  Dieses  stammt  aus  einem  aus  ital.  stufa,  frz.  Ļw 
„Ofen"  und  „Badestube"  erschliessbaren  griech.-lat.  *extufa  (vgl. 
griech.  Tt'<^oc  „Dampf",  ital.  tufo  „Dunst").  Die  Bedentuny 
„Ofen"  ist  z.  H.  noch  in  engl,  stove  „Küchenofen"  erhalten  (vgl. 
zum  Bedeutungsübergang  „Ofen"  —  „Stube"  auch  lat.  dibawf 
„Ofen"  —  agls.  cleofan  „Zimmer"  und  lat.  pensüe  „der  auf  den 


Gefässe  deutlich  erkennbar".  Ich  möchte  daher  fragen,  ob  nicht  «ucb 
in  den  von  Kätyftyana  genannten  „ringsumlaufenden  Stäben  oder 
Gürteln**  solche  hölzerne  Reifen  (also  nicht  tönerne  Wülste)  verstandca 
werden  könnten. 


—    287    — 

Silnlen  des  Hypokaußtnm  schwebende  Raum",  frz.  poile  „Ofen"  — 
agls.  pisUj  ahd.  pfiesal  ^Gemach").  Den  Siegeszug  dieses  ober- 
dentscheu  Hauses  mit  Küche  und  Stube  zu  den  Tschechen, 
Magyaren,  Sttdslaven  bis  nach  Bosnien  und  der  Herzegowina, 
wo  es  mit  dem  romanischen  Kaminhaus  zusammenstiess,  haben 
Meringer  Das  deutsche  Haus  p.  25  (vgl.  auch  Wissenschaft- 
liche Mitteilungen  aus  Bosnien  und  der  Herzegowina  VII)  und 
Marko  Zur  Geschichte  des  volkstümlichen  Hauses  bei  den  Süd- 
slaven (a.  0.  a.  0.)  erschöpfend  behandelt. 

Noch  unerforscht  sind  dagegen  die  näheren  sprachlichen 
and  sachlichen  Zusammenhänge,  die  zwischen  der  germanischen 
stuba  und  der  russischen  übä  bestehen.  Der  erste,  der  das  letztere 
Wort  und  zwar  in  der  Form  Hha  nennt,  ist  der  Araber  Ibrahim 
ibn  Jakub  (um  970  n.  Chr.),  der  berichtet,  dass  die  Slaven  in  so 
bezeichneten,  mit  einem  Ofen  versehenen  Holzhütten  ihre  Dampf- 
bäder zubereiteten^).  Natürlich  schliesst  dies  nicht  aus,  dass  die 
Slaven  derartige  Öfen  schon  damals  auch  in  ihren  gewöhnlichen 
Wohnstätten  errichteten,  zumal  bis  auf  den  heutigen  Tag  die 
Bauern  sehr  oft  ihr  sonnabendliches  Schwitzbad  in  dem  Ofen 
der  izbä  selbst  nehmen,  Bade-  und  Wohnraum  also  in  diesem 
Falle  ein  und  dasselbe  ist  (vgl.  Melnik  Russen  über  Russland 
p,  63).  Stellen  wir  uns  die  Wohnungen  der  Urslaven  etwa  so 
vor,  wie  es  oben  p.  273  f.  an  der  Hand  der  neolithischen  Aus- 
grabungen am  Dnieper  ausführlich  geschildert  ist,  so  besteht 
ihnen  gegenüber  das  eigentlich  Charakteristische  der  russischen 
izbd,  worunter  zunächst  immer  der  wärnibare  Teil  der  Wohnung  (im 
Gegensatz  zu  der  an  der  andern  Seite  der  aeni  „Flur"  gelegenen, 
nicht  heizbaren  görnica  und  den  kWU)  zw  verstehen  ist,  darin, 
dass  man  den  alten  Herd  oder  Herdofen  ganz  und  gar  in  dem 
Denen,  aus  Backsteinen  gemauerten  Ofen  aufgehen  liess.  Man 
l>ehielt  also  den  alten  urzeitlichen  und  einzelligen  Herdraum  bei, 
lur  mit  dem  Unterschied,  dass  man  in  ihm  statt  eines  Herdes 
>der  Herdofens  einen  gleichzeitig  der  Erwärmung  wie  auch  der 
Speisezubereitung,  ja  selbst  dem  Badebedürfnis  dienenden  Ofen 
errichtete.     Auch  die  urslavische  Bezeichnung  p46ka  (s.  o.)  behielt 


1)  Vor  ihrer  Bekanntschaft  mit  dem  Ofen  der  itba  badeten  viel- 
eicht die  Russen  wie  die  Skythen  (Herod.  IV,  74,  7r>)  im  Dampf  des 
lur  anf  glühenden  Steinen  erhitzten  Hanfsamens. 


—     288    — 

man  für  diesen  Ofen  bei,  während  man  das  fremde  izbä  =  germ. 
stuba  nnr  für  den  Raum  verwendete,  in  dem  die  p46ka  stand. 
Die  letztere  wurde  von  der  Stube  selbst  aus  geheizt  und  entbehrte 
ursprünglich  der  Esse,  so  dass  der  Rauch,  wie  dies  in  der  d^maja 
izbd  „der  schwarzen  izhd'^  noch  jetzt  der  Fall  ist,  durch  ein  Loch 
im  Dach  und  die  Schiebefenster  der  Wände  abziehen  muaste. 
Gesonderte  Räume  vertreten  die  Ecken  der  izbd,  die  ganz  be- 
stimmten Zwecken  dienen  und  bestimmte  Namen  tragen:  auf  der 
einen  Seite  vom  Eingang  der  „Koch-  oder  Frauen winkeP  (mit 
dem  Ofen),  auf  der  andern  „der  HeiTcnwinkeP  (mit  einem  anch 
als  Pritsche  dienenden  Kasten  für  Pferdegeschirr  u.  dergL), 
dem  Ofen  gegenüber  „der  Handmühlenwinkel^  (mit  der  Haod- 
mühle,  wo  die  Frauen  arbeiten),  schliesslich  „der  schöne"  oder 
„grosse"  Winkel  mit  den  Heiligenbildern  und  dem  Tisch  (vgl. 
Dahl  Wörterbuch  s.  v.  izbä).  Schwieriger  zu  beantworten  ist 
die  Frage,  aus  welcher  germanischen  Sprache,  und  von  welchem 
germanischen  Volke  die  Russen  ihr  izbd  {istba,  istopka^  mü- 
topüka,  istobka)  und  damit  die  Kenntnis  des  Stubenofens  ent- 
lehnten. Graf  üvarow,  der  einzige,  soviel  ich  weiss,  der  in 
den  Moskauer  Drevnosti  II  (Materialien  für  ein  archäologisches 
Wörterbuch  p.  17  ff.)  aus  Chroniken  und  Volksliedern  eineReihe 
von  Tatsachen  zur  Geschichte  des  russischen  Hauses  gesammelt 
hat,  ist  geneigt,  einen  starken  skandinavischen,  durch  die  Var- 
Jäger  vermittelten  Einfluss  auf  die  altrussische  Baukunst  an- 
zunehmen. Gleichwohl  wird  man  aus  lautlichen  Grtlnden  das 
inissische  istba  eher  als  an  das  altn.  stofa,  stufa  „Baderaum  mit 
Ofen'',  au  das  kontinentaldeutsche  stuba,  oberdeutsch  fftupa  an- 
knüpfen, aus  dem  auch  die  übrigen  slavischen  Sprachen  (vgl. 
Murko  p.  98  ff.)  direkt  oder  indirekt  entlehnt    haben.    Wann*] 


l)  Meringer  Das  deutsche  Haus  p.  65,  der  als  Quelle  fürunser 
„Stube"  ausser  romanisch  *extufa  auch  noch  ein  urgermanisches 
*stubön  („Badestube**):  „stieben"  anuimmt,  möchte  aus  dem  Akzent 
des  russischen  izbä  folgern,  dass  dieses  Wort  aus  dem  Germanischen 
entlehnt  wurde,  als  es  hier  noch  *sttib6'n  hiess.  Ob  er  hierbei  bedacht 
hat,  in  wie  frühe,  vorchristliche  Jahrhunderte  (vgl.  I^,  140)  er  mit  dieser 
Annahme  zurückgehen  muss?  Das  ursprünglich  dreisilbige  russische 
istübä  wird  seinen  Akzent  einfach  nach  den  zahllosen  Vorbildern  von 
borodd,  borozdd,  borond,  golovd,  zelizd,  slobodd  usw.  gebildet  haben. 
Übrigens  widerspricht  sich  Mer  inger,  wenn  er  einerseits  a.  a.  0.  p.W 
aus   der   frühen  Herübernahme    des  Wortes    -Hanf"   ins  Germanische 


—    289    — 

und  auf  welchem  Wege  dies  geschehen  ist,   vermag  ich  freilich 
nicht  zu  sagen. 

In  jedem  Falle  aber  hat  erst  die  izbd  mit  ihrem  gewaltigen 
Ofen  dem  Russen  sein  Vordringen  bis  zum  Ural  und  nach  Sibirien 
emiöglicht,  so  dass  den  beiden  kein  geringes  Verdienst  um  die 
nordöstliche  Ausbreitung  des  idg.  Sprachstamms  zugeschrieben 
werden  muss. 


(vgl.  oben  p.  192)  eine  sehr  frühe  Bekanntschaft  der  Germanen  mit 
der  Badestube  folgert,  und  auf  der  andern  Seite  (p.  76  f.)  zu  Tacitus 
Oerm.  Kap.  22 :  stcUim  e  somiw  .  .  .  lavantur,  saepius  calida  bemerkt, 
dass  bei  diesen  Worten  nur  an  ein  warmes  Waschen  gedacht  werden 
könnte. 


XL  Kapitel. 

Handel  und  WandeD. 

Tauschen.  Kaufen  und  Verkaufen.  Zahl  und  Mass.  Der  Fremde. 
Die  Gastfreundschaft.  Stummer  Tauschhandel  und  Marktverkehr. 
Handel  und  Wandel  in  der  Sprache.    Furten  und  Wege.  Der  Wagenban. 

Die  Schiffahrt. 

Der  Gedanke,  ein  fremdes  Gut  gegen  einen  Teil  der  eigeoen 
Habe  einzutauschen,  ist  ein  so  naheliegender,  dass  wir  ihn  auf 
jeder  Kulturstufe  voraussetzen  dürfen.  Ein  solcher  Tausch  ißt 
aber  von  einem  regelrechten  Kaufgeschäft,  das  deutlich  in  die 
beiden  Seiten  des  Kaufens  und  Verkaufens  zerfällt  und  diesen 
Namen  eigentlich  erst  bei  dem  Vorhandensein  des  metallischen 
Wertmessers,  des  Geldes,  verdient,  noch  weit  entfernt.  Bei  dem 
Tausch  ist  der  Käufer  zugleich  Verkäufer  und  umgekehrt,  und 
es  kann  uns  daher  nicht  wundernehmen,  wenn  die  kaufmännische 
Terminologie  der  idg.  Sprachen  noch  deutliche  Spuren  diesei 
primitiven  Zustandes  verrät. 

Der  Begriff  des  Tauschens  wird  in  den  idg.  Sprachen 
durch  die  W.  mei  ausgedrückt,  die  in  scrt.  mSy  mäyati,  derid. 
mitsatS,  im  lat.  münus  „(Gegen)gabe",  mütare  ( :  *moi4a)y  im 
litu-slavischen  malnas-mena  „Tausch"  etc.  vorliegt.  Der  Gegen- 
stand, für  den  ein  anderer  eingetauscht  wird,  später  „der  Kauf- 
preis**, ward  in  der  Grundsprache  durch  *vesno  (scrt.  void^ 
griech.  cSroc,    lat.    v^num,    armen,  gin)    bezeichnet*).     Die  von 

1)  Dieses  Kapitel  stützt  sich  auf  die  ausführlichere  Behandlung 
dieses  Gegenstandes  in  meinem  Buche  Linguistisch-historische  For- 
schungen zur  Handelsgeschichte  und  Warenkunde  I  (Die  Ursprünge 
des  Handels  und  Wandels  in  Europa)  Jena  1886. 

2)  Nicht  sicher  ist,  ob  auch  altsl.  v&no  „Mitgift"  hierher  oder  w 
der  \\  217  g-enannten  Sippe  gehört;  doch  kommt  im  Altrussischen 
vinoy  venOf  vinno  auch  in  der  allgemeinen  Bedeutung  ^Bezahlung* 
vor,  und  altsl.  etc.  v4niti  bezeichnet  nur  „vendere**. 


-     291     - 

diesem  Substantiv  abgeleiteten  Verben  (scrt.  vasnay  „feilschen") 
verteilen  sich  gleichniässig  anf  den  Begriff  des  Eaufens  (griech. 
&v€Ofxaiy  armen,  gnem)  und  Verkaufens  (lat.  vinire^  vSnumdare). 
Einheitlicher  scheint  die  Bedeutung  in  der  Reihe :  scrt.  krt-nä'-mi, 
ir.  crenim,  griech.  jiglaiuai  „kaufe",  altruss.  krinuti  „kaufen"^ 
auch  „bezahlen",  vgl.  auch  lett.  kreens,  kreena  nduda  „Geschenk 
an  die  Braut"  (eigentlich  „Kaufpreis",  vgl.  ßezzenberger  in 
s.  B.  XII,  78). 

Wie  spät  namentlich  im  Norden  Europas  das  Bedürfnis 
auftrat,  Käufer  und  Verkäufer  sprachlich  auseinander  zu  halten, 
zeigt  am  besten  die  germanische  Sippe  von  got.  kaupön^  altn. 
kaupa,  ahd.  choufan,  agls.  ceäpian,  die  „das  Wesen  des  Handels 
Dach  allen  Seiten"  (kaufen,  verkaufen,  Handel  treiben  usw.) 
sprachlich  umfasst.  Dass  wir  es  hier  mit  frühzeitigen  Entleh- 
Düngen  aus  dem  Lateinischen  zu  tun  haben,  und  dass  die  älteste 
Bedeutung  der  germanischen  Wörter  war  „mit  einem  caupo 
Handelsgeschäfte  treiben",  glaube  ich  an  dem  angegebenen  Orte 
p.  88  ff.  namentlich  durch  Hinweis  auf  die  ganz  analoge  Erschei- 
nungen darbietenden,  aus  lat.  mango  entlehnten  Worte:  ahd,  man- 
gäriy  agls.  manger e,  altn.  mangari  „mercator^,  agls.  mangiany 
altn.  manga  „negotiari^  etc.  erwiesen  zu  haben.  Aber  auch 
das  einheimische,  noch  nicht  sicher  erklärte^)  got.  bugjan,  agls. 
bycgan  hat  neben  der  regelmässigen  Bedeutung  von  „kaufen" 
auch  die  von  „verkaufen^  (vgl.  das  Glossar  zu  Ulphilas  von 
Gabelentz-Löbe). 

Naturgemäss  vervollständigt  sich  die  Terminologie  des  Kaufs 
auch  durch  Ausdrücke,  die  auf  die  Grundbegriffe  „Geben", 
„Nehmen",  „Anbieten"  zurückgehen.  So  im  scrt.  parä-dä  „um- 
tauschen",  lit.  pardüti   „verkaufen",    griech.   Anodidoo^ai,  altsl. 

1)  Au8führlich  hat  sich  mit  diesen  Wörtern  M.  Müller  Bio- 
graphies  p.  76  ff.  beschäftigt.  Er  sieht  als  Grundbedeutung  des  agls. 
bycgan  an  to  bend  or  break  off  a  piece  from  a  coii  of  gold  (altn. 
baugrz  got.  biugan  „biegen").  Da  aber  „biegen"  nicht  „brechen"  ist, 
and  bei  der  Bezahlung  mit  Ringstücken  alles  auf  letzteres  ankommt, 
so  scheint  mir  diese  Erklärung  nicht  annehmbar.  Wahrscheinlicher 
dünkt  mir,  dass  got.  bugjan  „kaufen"  {baühta)  in  demselben  Sinne  zu 
bugjan  (bdug)  „biegen"  gehört,  in  welchem  sich  griech.  .TcoAeo),  efuioXdw, 
mmXiofAat :  niXw  „drehen",  lit.  ivercziü'8  „verkehre  im  Handel"  :  lit.  wertü 
=  lat.  verto  „wende*  stellt,  so  dass  die  Bedeutungsentwicklung  war: 
,aD8bie^en",  „sich  wenden",  „verkehren",  „im  Handel  verkehren". 


-    292    — 

prodati  „verkaufen";  im  lat.  emo  „kaufe"  =  got.  nima  „uehme'^, 
lit.  imüy  altsl.  imqf  ir.  -em^  im  agls.  sellan  „verkaufen",  altn. 
seljüy  sali  „Übergabe,  Verkauf" :  lit.  sülau,  sulyti  „darbietend 
Es  ist  aber  eine  natürliche  Folge  jeglichen  Tauschverkehrg, 
dass  mit  der  Zeit  auf  den  verschiedenen  Handelsgebieten  solche 
Gegenstände  im  Handel  besonders  hervortreten,  die,  von  allen  in 
gleicher  Weise  begehrt,  zugleich  geeignet  sind,  für  alle  flbrigen 
Waren  einen  Wertmesser  abzugeben.  Es  kann  aber  nach  dem 
schon  oben  p.  löö  erwähnten  und  „Handelsgeschichte  und  Waren- 
kunde" p.  113  ff.  ausführlich  dargestellten  kein  Zweifei  darüber 
obwalten,  dass  schon  in  der  Urzeit  und  noch  in  den  ältesten 
geschichtlichen  Perioden  das  Vieh  der  eigentliche  Wertmesser 
der  Indogermanen  gewesen  sei,  wie  dies  auch  von  vornherein 
bei  einem  von  dem  Ertrage  seiner  Herden  fast  ausschliesslich 
lebenden  Hirtenvolk  nicht  anders  zu  erwarten  ist.  Nehmen  wir 
hinzu,  dass  schon  in  der  Urzeit  ein  auf  dezimaler  Rechnung 
beruhendes  Zahlensystem,  mindestens  bis  Hundert  —  die  Be- 
nennungen der  Zahl  Tausend  gehen  gruppenweise  auseinander 
(sert.  sahäsray  aw.  hazanray  griech.  ;cttio/;  got.  pusundi,  altsl. 
tysqHtüj  lit.  tükstantis ;  lat.  mille,  ir.  mil)  —  ausgebildet^)  war, 


1)  Neuerdings  hat  man  auch  lat.  mille  {*smt'§hHl'i)  mit  griech. 
xihoi  etc.  zu  verbinden  gesneht  und  dann  für  die  keltischen  Wörter 
Entlehnung  aus  dem  Lat.  angenommen  (?).  —  Im  übrigen  wird  be- 
kanntlich das  idg.  Dezimalsystem  in  den  europäischen  Sprachen  durch 
die  Spuren  eines  Sexagesimal-  oder  Duodezimalsystems  durch- 
kreuzt (vgl.P,  106  f.),  dessen  Ursprung  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  auf 
Babylon  zurückzuführen  ist.  Die  in  die  Augen  fallendste,  hie^he^ 
gehörende  Erscheinung  ist  die,  dass  im  Griechischen,  Keltischen  und 
Lateinischen  nach  der  60  mit  der  Ordinalzahl,  statt  mit  der  Kardinal- 
zahl, weiter  gezählt  wird  (griech.  ißdo^^xoyra  :  e^rfxovxa,  ir.  sechtmogd' 
sesca,  lat.  septuäginta  [aus  *septumaginta] :  sexaginta).  Hier  wird  man 
nicht  umhin  können,  einen  vorhistoriHchen  Zusammenhang  anzunehmen. 
Wir  erinnern  dabei  an  das  Kap.  V  (am  Ende)  über  die  mögliche  Her- 
kunft  gewisser  ureuropäischer  Kulturpflanzen  aus  semitischem  KultQ^ 
kreis  Gesagte.  In  ihrer  Gefolgschaft  könnten  auch  die  ersten  Aus- 
strahlungen des  babylonischen  Zahlensystems  über  Kleinasien  su  den 
Ursitzen  der  europäischen  Idg.  nördlich  der  Donau  und  des  Schwarxeo 
Meeres  gelangt  sein,  während  die  östlicher  sitzenden  Arier  in  beiden 
Fällen  von  diesen  Kultureinflüssen  unberührt  blieben.  Erkennen  wir 
hier  Spuren  eines  von  Osten  gekommenen  Sexagesimalsystems  an,  so 
begegnet  uns  daneben,   namentlich  im  Westen  Europas,    in  den  kelti- 


-    293    - 

Hlenken  wir  ferner,  dass  auch  der  Begriff  des  „Messens"  und 
38  „Masses'*  einheitlich  in  den  idg.  Sprachen  benannt  ist  (scrt. 
ä'mij  mi-mi,  griech.  jueigovy  lat.  me-tior,  lit.  mierä,  altsl.  m^a, 
fl.  auch  got.  mitafiy  griech.  /biedi/jLvog,  lat.  modius  etc.),  wobei 
^r  nrzeitliche  Mensch  unzweifelhaft  von  den  ihm  von  der  Natur 
;rliehenen  Rörpermassen,  Finger  und  Fiugerspanne,  Arm  und 
rmspanne  („Elle"  und  „Klafter"),  Fuss  und  Fussspanne  ans- 
og, so  wird  man  zugeben  müssen,  dass  alle  Vorbedingungen 
nes  primitiven  Tauschhandels  schon  in  der  Drzeit  gegeben 
aren. 

Hierbei  haben  wir  zunächst  den  Handeisverkehr  im  Auge, 
T  sich  zwischen  den  Mitgliedern  eines  und  desselben  Stamme» 
itwickelte,  und  es  erhebt  sich  nunmehr  die  Frage,  ob  denn 
ich  zwischen  den  Angehörigen  fremder  Stämme,  mochten  die- 
Iben  nun  indogermanischem  Blute  angehören  oder  nicht,  schon 

der  Drzeit  geordnete  Handelsbeziehungen  denkbar  sind. 

Der    primitive  Mensch    betrachtet    nur   denjenigen  als  sich 

irch  Rechtsgemeingeschaft    verbunden,    der  demselben  Stamme 

ie  er  angehört:  der  Fremde  ist  schutzlos  und  rechtlos,  ja,   da 

-emder  und  Feind  in  der  Anschauung  der  Urzeit  identisch  sind, 

ist  es  ein  verdienstliches  Werk,  den  Fremden  zu  töten,  ihn 
JD  Göttern  zu  opfern  oder  'zum  Sklaven  zu  machen.  Diese 
imitive  Ethik  ist  in  den  idg.  Sprachen  noch  ziemlich  deutlich 
kenn  bar. 


ben  Sprachen,  der  Einfluss  einer  Vi gesima Ire chnung;,  in  der  also 
e  20  eine  herrschende  Rolle  spielt  (z.  B.  ir.  da  fichit^  2x20  =  40),  und 
B  man  gern  als  eine  Entlehnung  aus  den  Sprachen  der  urspiünglich 
n  Westen  Europas  bevölkernden  iberischen  Stämme  ansieht,  da  die 
Mahnung  nach  Zwanzigern  noch  heute  dem  letzten  Rest  der  Iberer, 
n  Basken  (vgl.  F.  A.  Pott  Die  quinare  und  vigesimale  Zählmethode 
i  Völkern  aller  Weltteile,  Halle  1847),  eignet.  Tut  man  dies,  so  muss 
%n  nur  noch  die  weitere  Konsequenz  ziehen  und  auch  Dänemark 
id  Norddeutschland,  im  Süden  auch  Illyrien  (das  heutige  Albanien) 
jh  einst  von  einer  den  Iberern  verwandten  Bevölkerung  besetzt 
nken,  da  sich  in  den  Sprachen  aller  der  genannten  Länder  Spuren 
les  Vigesimalsystems  zeigen,  eine  Konsequenz,  gegen  die  wir  nichts 
lEQwenden  hätten,  ja  für  die  manches  andere  spricht  (vgl.  Kap.  XII 
I  Schluss  und  Kap.  XVI:  die  Urheimat),  die  aber  zu  einer  Lokali- 
(rang  der  idg.  Urheimat  in  Norddeutscbland  oder  Dänemark  nicht 
mmt. 


-     294    — 

Freund  ist,  wer  der  Sippe  oder  dem  Stamme  angehört: 
«hd.  loini  „Freund^  stellt  sich  zn  altir.  coibnes  ^affinitas^j  fine 
„der  Stamm";  lat.  civis  „der  Mitbürger"  {civis  hostisque  „Freund 
und  Feind")  gehört  zu  dem  germanischen  Stamm  "^heiwa  (got. 
heivafrauja  „Hausherr",  agls.  hiwan  etc.);  dessen  Grnndbedentang 
offenbar  „Sippe",  ,,famiUa^  ist,  und  der  im  scrt.  qifva  in  der 
Bedeutung  von  ;,lieb,  hold,  wert,  teuer"  vorliegt^)  (vgl.  P,  203). 
Umgekehrt  zeigen  eine  Reihe  von  Wörtern,  die  in  milderen  Zeiten 
die  Bedeutung  „Gast",  „Gastfreund"  angenommen  haben,  in  der 
Urzeit  unzweifelhaft  noch  einen  finsteren  und  bedrohlichen  Sinn. 
So  bedeutet  griech.  ^ivoq  {^h-fo-g)  „der  Gastfreund"  ursprünglich 
den  Feind,  den  Kriegsfeind  {^evor  61  noXifuoi,  ol  de  rovg  IliQoa; 
Hes.),  die  slavo-germanischen  altsl.  gostl,  got.  gasts  sind  identisch 
mit  lat.  hostisj  fostis  „Fremder"  {peregrinu8\  „Feind",  erst 
hospes  {*ho8ti-pet8)  bezeichnet  den  „Gastfreund";  altir.  aech, 
oegi  „Gast"  bedeutet  entweder  „feindlich"  (agls.  fäh,  "^potko-s) 
oder  „dem  Tode  verfallen"  (ahd.  feigi^  *poighO'8).  Bedenkt  man 
dazu,  dass  noch  in  altgermanischer  Zeit  der  Totschläger  des 
Fremden  nicht  friedlos  und  landflüchtig  wird,  und  der  Ausländer 
kein  Wergeid  beanspruchen  kann  (Grimm  Rechtsaltertttmer 
p.  397  ff.),  erwägt  man  ferner,  wie  oft  in  den  idg.  Sprachen 
Namen  für  die  Begriffe  „unglücklich,  gottvergessen"  et<;.  ans 
Benennungen  für  „heiraat-,  sippelos"  hervorgehen  (vgl.  ahd. 
elilentij  engl,  icretch  =  agls.  vrecca  „Verbannter",  got.  unsibjü^ 
griech.  Aq^gtjTCDg  etc.),  so  kann  man  über  die  Gesinnung  des 
höchsten  Altertums  dem  Fremden  gegenüber  nicht  zweifelhaft  sein. 

Diese  Anschauung  der  Urzeit  von  der  Rechtlosigkeit  des 
Fremden,  die  prinzipiell  erst  durch  die  Lehren  des  Christentnnis 
überwunden  worden  ist,  wurde  nun  schon  im  frühen  Altertum 
gemildert  durch  die  allmählich  aufkommende  Überzeugung,  dass 


1)  Ob  in  diesem  Fall  die  Bedeutung  «lieb^  oder  ^Sippe'  das 
prius  gewesen  sei,  ist  trotz  der  apodiktischen  Behauptung  Streit- 
bergs Lit.  Zentralbl.  1906  p.  824,  der  das  letztere  annimmt,  Schwerin 
sagen.  Mir  scheint  im  Hinblick  auf  Bedeutungsentwick langen  wie  scrt. 
priyä  „lieb''  —  got.  freis,  eigentl.  „zu  den  Lieben,  d.  h.  zum  Stamme 
gehörend",  dann  „frei"  oder  scrt.  aryd  „freundlich*  —  ä'rya,  eigentl. 
„zu  den  Freunden  gehörend",  dann  „der  Arier"  (vgl.  mein  Reallexikon 
p.  806)  das  erstere  das  wahrscheinlichere.  Vgl.  in  diesem  Sinne  auch 
H.  Hirt  Z.  f.  d.  Phil.  XXIX,  301. 


395 


r  Fremde  als  solcher  /.war  immer  ealex  bleibe,  liass  es  aber 
le  Htttliclie  Pflichl,  die  nach  und  nach  auch  als  nicnschliehe 
tzau^  (tue)  anerkannt  wurde,  sei,  Lebeii  nud  Gut  des  Fremden 
Bchtitzen  und  ihn  als  Gast  an  das  heilig  Feuer  des  Herdes 
Fzuaehmen.  Wie  verhalten  sieh  nun  die  beiden  Weltanscbaunngen 
p  Fremdenverfolgung;  und  der  Fremdenverehrung  historiach  zn- 
lander?  Aus  welchen  Motiven  ist  die  ev^evia  der  historischen 
\  der  (ä^fviVi  der  urgescbicbtiichen  Epochen  entaprungen? 

Die  Antwort  anf  diese  Fragen  habe  ich  in  meinem  Buche 
udelsgesebichte  und  Warenkunde  I  fl686)  zu  gehen  und  es 
selbst  wabrae heinlieh  zu  machen  versucht,  dasB  es  lediglich  die 
dtlrfnisee  des  Handels  waren,  welche  die  gastfreundschaft- 
ben  Gesinnungen  in  der  Brust  der  Menschen  erweckt  haben, 
defli  Austausch  vou  Geschenken,  welcher  als  eine  Pflicht  der 
Mi  unauflüslich  mit  der  Gastfreundschaft  verbunden  ist,  habe 
I  ebendaselbst  die  symbolisehe  Erinnerung  an  den  Austansch 
r  Waren  erkannt,  der  die  Veranlassung  und  den  eigentlichen 
reck  gastfrenndschaftlicher  ßQudnisse  bildi'te. 

Kurze  Zeit  nach  mir  hat  Rudolf  von  Ihering  in  der 
otacben  Rundschau  (1886/87  Band  111  April-Juni  1887)  Über 
ü  gleichen  Gegenstand  (Die  Gastfreundschaft  im  Altertum 
357  ff.,  p.  420  ff.i  gehandelt. 

Es  ist  mir  erfreulich,  in  der  Beurteilung  des  Ursprungs 
«es  für  das  alte  Volkerleben  so  überaus  wichtigen  Faktors  mit 
«em  Gelehrten  im  wesentlichen  /.uuamm engetroffen  zu  sein, 
ich  R.  V.  I  bering  gibt  als  ein  Hauptergebnis  seiner  Unter- 
Uiung  p.  412  an:  „Das  Motiv,  welches  die  Gastfreundschaft 
Altertum  ins  Leben  gernfen  und  sie  zu  dem  gemacht  bat, 
18  sie  ward,  war  nicht  ethischer,  sondern  praktischer 
t,  nicht  das  uneigennützige  der  Menschenliebe,  sondern  das 
distische  der  ErniQgticbung  eines  gesicherten  Handelsverkehrs; 
De  den  gesicherten  Rechtsschutz  wäre  ein  internationaler  Handels- 
rkehr  zur  Zeit  der  Rechtlosigkeit  des  Fremden  unmöglich 
weseD."  Aneb  darin  stimme  ich  mit  1  bering  Uberein,  dass 
F  die  Form  und  Gestaltung  der  Gastfreundschaft  in  den  klassi- 
len  Landern  unzweifelhaft  das  Vorbild  der  Phönizier  —  man 
ike  an  das  ov/tßoloy  der  Griechen,  die  teasera  hospitaüs  der 
mer,  ckiri  aSlychoth  „Seherbe  der  Gastfieundschaft"  der 
Dter  —   eingewirkt    bat.     Nur  soweit   möchte   ieh   nicht    mit 


-    296    — 

I bering  gehen,  die  Gastfreundschaft  geradezu  als  eine  Erfindung 
des  phönizischen  Handels  aufzufassen.  Das  Institut  der  Gast- 
freundschaft begegnet  keineswegs  nur  in  Europa,  sondern  wird 
auf  dem  ganzen  Erdball  und  auf  den  verschiedensten  Knltnr- 
stufen  gefunden  (G.  Haberland  Die  Gastfreundschaft  auf  nie- 
deren Kulturstufen,  Ausland  1878  p.  281  ff.),  fast  überall  auch 
hier  mit  dem  Austauschen  von  Geschenken  zwischen  Gast  und 
Gastgeber  verbunden.  Auch  bei  den  Indogermanen,  und  zwar 
gerade  auch  bei  den  europäischen  Nordvölkern,  Kelten,  Ger- 
manen und  Slaven  finden  wir  diesen  „Geschenkhandel^  Ton 
frühester  Zeit  an  durch  zahlreiche  Nachrichten  bezeugt  (vgl.  die 
Belege  in  meinem  Reallexikon,  s.  v.  Gastfreundschaft),  und 
man  wird  daher  kein  Bedenken  zu  tragen  brauchen,  für  die 
oben  angeführte  Gleichung:  lat.  hostis  =  got.  gaste,  altsl.  gosti 
schon  für  die  Urzeit  die  Doppelbedeutung:  1.  „Feind",  2.  (im 
Verhältnis  zu  dem  durch  Geschenkhandel  verbundenen)  „Gast" 
anzusetzen^).  Darauf,  dass  man  sich  in  alter  Zeit  ein  solches 
gastfreundschaftliches  Verhältnis  nur  in  der  Weise  vorstellen 
konnte,  dass  man  annahm,  der  Fremde  trete  für  eine  gewisse 
Zeit  in  die  Familie  des  Gastgebers  ein,  wurde  schon  P,  204 
hingewiesen.  In  hohem  Masse  charakteristisch  für  diese  Auf- 
fassung ist  das  lat.  hospes  aus  ^hosti-potis  „Gastfreund",  ur- 
sprünglich zweifellos  nur  der  aufnehmende,  nicht  der  aufgenommene. 
Dieser  aufnehmende  wird  als  potis  des  Fremden  bezeichnet,  also 
mit  demselben  Ausdruck,  der  das  Oberhaupt  der  Familie  be- 
zeichnet, und  über  den  in  Kap.  XII  ausführlich  gesprochen 
werden  wird. 

Neben  dem  durch  die  Gastfreundschaft  vermittelten  Handd 
gibt  es  aber  noch  zwei  primitivere  Formen  des  Warenaustausches, 
die  wir  als  den  stummen  Tauschhandel  und  als  die  Anfänge  des 
Marktverkehrs  bezeichnen  können,  und  die  wir  für  die  älteste 
idg.  Völkerwelt  in  Abrede  zu  stellen  ebenfalls  keinen  Grund 
haben.  Der  erstere  findet  statt,  wenn  die  eine  Partei  an  einem 
dazu  bestimmten  Orte  ihre  Waren    niederlegt   und    sich   in  ihr 


1)  Zu  dieser  von  der  noch  in  meinem  Reallexikon  vorgetragenen 
Auffassung  abweichenden  Darstellung  bin  ich  durch  die  überzeugenden 
Ausführungen  von  Winternitz  Beilage  z.  AHg.  Zeitung  1903  p. 339 
veranlasst  worden.  Vgl.  auch  meine  Besprechung  der  Gastfreundschaft 
in  Hastings  Dictionary  of  Religion  and  Ethics  {Aryan  RMgion), 


rsteck  7.iirUck/,ieht,  worauf  der  Käufer  erBelieinI,  um  sein 
Aqnivaleot  iielten  den  ausgestellten  Waren  ansznhreiten  und  eich 
ebenfalls  Nclileniiigst  zu  entfernen.  Wird  dasselbe  abgeholt, 
so  igt  das  GeKchäft  geschlossen,  wenn  inclit,  ist  der  Käufer  ge- 
nötigt, Zulagen  an  Tanschgütern  zu  machen  (Kaliecher  Der 
Handel  auf  primitiven  Kulturstafeu  Z,  f.  Vfllkerpaych.  n.  Spraehw. 
X,  378  ff.)-  Eine  Stufe  höher  steht  der  Marktverkehr.  Zwei 
Stumme  einigen  sich,  dass  za  bestimmter  Zeit  an  neutralem  Ort 
der  Waffenlänu  im  Interesse  des  Handels  schweigen  soll.  Die 
Waffen  werden  abgelegt,  und  unter  dem  Schutze  des  Markt- 
friedens nähern  sieh  die  Handelnden. 

Wenn  somit  trotz  des  Kremdenhasses  und  der  Rechtlosig- 
keit des  Fremden  die  Indogermanen  sebun  in  der  Urzeit  anch 
mit  anderen  Stämmen  Handel  getrieben  nnd  auf  diesem  Wege 
fremde  Kulturgüter  erhalten  haben  können,  wie  denn  auch 
die  Prähisturie  schon  in  neolithiBcher  Zeit  bestehende,  zum  Teil 
weit  reichende  Handelsverbindungen  ermittelt  hat  (vgl,  A.Götze 
Über  neolithisehen  Handel,  Festsehrift  für  Bastian),  so  wird  es 
anch  sprachlich  betrachtet  wahrscheinlich,  dass  schon  in  der 
Urzeit  ein  gewisser  Verkehr  xu  Handelszweeken  stattgefunden 
hat.  Wenigstens  ist  es  beachtenswert,  dass  in  der  idg.  W.  per 
Kchun  in  der  Ursprache  Wandel  und  Handel  /.usammengefloBsen 
sein  raflssen.  und  zwar  dienen  dem  ersteren  das  sert.  pur, 
piparti  „hinühersetzen",  aw.  par  „hinüberhringen",  grieeb.  sirgäo} 
■  :iogei<ofi.ai)  „durchreisen",  ebenso  Ttgt'jooco  {Od.  IX,  491)  = 
\-njtixjat.  got.  faran,  farjan,  dem  letzteren,  grieeb.  mgäiu,  nlo- 
ni/u,  nijignaxtD,  irisch  reiiin  {*pemim},  reccim  „verkaufe",  lit. 
pi^kti  n)(Aufen"  etc.  Es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  die  id^'. 
Bedeutung  dieser  Wurzel  war  „(binUber)reiBeu,  um  ein  Tausch- 
geschüft  zu  machen".  Späteren  Epochen  gehören  die  gleicli- 
artigen  ahd,  tcantalön  „verkehren"  :  wanfalöd  „rendif^,  uuan- 
ilelunga  ^negotium  ,  griech.  lififtßeodtu :  lat.  migrare  und  andeic 
vgl.  oben  p.  291   Anm.)  nn. 

Niclit  znfäUig  ist  es  vielleicht  anch,  dass  das  idg.  Wort 
Filr  die  Furt;  ahd,  vurt,  kelt.  -ritum,  aw.  peretu  „P^irt,  Brltcke" 
Hat.  portusj,  grieeb.  Ji6gi><;  von  der  eben  besprochenen  Wurzel 
per  abgeleitet  ist.  Furt  war  somit  ursprünglich  wohl  „der  Ori, 
t  man  (meist  in  Handelsgeschäften)  hinllbersetzte",  Anch  das 
ibrejtetste  idg,  Wort  für  den  Weg:  scrt-  pdnthäi*,  pä'thas  etc. 

d«t,  Sprachvergleich uiiK  und  Urneechtchte  II.    S,  Aufl.  '20 


—    298    — 

aw.  pa&-^  griech.  naxog,  lat.  pons,  osk.  pont-tramy  altol.  fcifl^ 
arm.  hun  nimmt  öfterS;  wie  im  ArmenischeD  und  ItaUseh^, 
die  Bedeutung  von  y,Furt'^y  resp.  von  y,Steg^  an;  denn  die  Rich- 
tungen der  Strassen,  auf  denen  sich  das  Urvolk  bewegte,  mochten 
eben  in  erster  Linie  durch  die  Lage  der  Furten  bestimmt  werden. 
Dazu  kommt  nun,  dass  die  Indogermanen  sowohl  fflr  die 
Zwecke  des  eben  besprochenen  Verkehrs,  wie  fflr  die  Bedflrf- 
nisse  des  Ackerbaus,  da,  wo  dieser  in  dem  ürland  bedeutsamer 
hervortrat  (Kap.  VI),  wie  endlich  auch  fflr  die  Zeiten  der,  in  je 
ältere  Epochen  wir  zurückgehen,  um  so  häufigeren  Wandeningen 
ganzer  Stämme  schon  in  der  Urzeit  mit  einer  ziemlich  weit- 
gehenden Technik  des  Wagenbaus  bekannt  waren,  wie  ao8 
ihrer  schon  in  der  Ursprache  vorhandenen  Terminologie  folgt. 
Davon  abgesehen,  dass  fast  alle  idg.  Sprachen  sich  zur  Bezeich- 
nung des  Wagens  einheilig  der  Wurzel  ve§h  bedienen:  scrt. 
vä'hanaj  griech.  öxri^a,  ^x^g,  ahd.  toagany  altsl.  vozü,  lit.  m- 
ÜmaSy  altir.  fin  {^veg-n)  finden  sich  folgende  Teile  des  Wagens 
übereinstimmend  benannt: 

Das  Rad:  lat.  rata,  lit.  räiasy  ahd.  radj  altir.  raih\  scrt 

rdtha,  aw.  ra&a  („Wagen"). 

„  :  scrt.  cdkrdy   griech.    xvxXogy   agls.    hweohl  (*{^ 

qlö)  —  ohne  Reduplikation:  altsl.  XroZo,  hltik.hvil 

Der  Radkranz:    griech.  hvg,    lat.  vittis   (ursprtlngl.  wohl 

„Weide"). 
Die  Achse:  scrt.  dksha,  griech.  Afcuv,  äfA-a^a  („Ein-achser" 
nach   Meringer),    lat.   axi8j   ahd.   ahsa^  altsl. 
osly  lit.  aszis* 
Die  Nabe:  scrt.  nä'bhiy  agls.  nafuy  ahd.  no&a,  altpr.  noMf. 
Die  Ltlnse:  scrt.  äniy  ahd.  lun,  agls.  lynes,  altsl.  lumm* 
Die  Deichsel:    lat.  tSmdy   ahd.  dihsala^   altn.  pisl^  agk 
piod,  altpr.  teansis  (?). 
„  :  scrt.  tshd-y   nsl.   serb.   oje,    griech.  ofi/f  „Stener- 
rüder"  (eigentl.  „Deichsel"  des  Schiffes). 
Das  Joch:  scrt.  yugd,  griech.  ^vyövy  lat  iugumy  gotjukj 

altsl.  igOy  lit.  jüngaSy  cymr.  um. 
Das  Kummet:  scrt.  gdmydy  aw.  simäy  armen,  samü,  griech. 

xrjfjuigy  ndl.  haarriy  westf.  harne. 
Der  Ztlgel:  scrt.  näsyüy  griech.  ^vla  (?). 

„  :  griech.  tfjXrjgay  dor.  aCiij^y  lat.  Uh^im. 


In  dieser  ZueamiuenBlelluiig  fehlt,  wie  uiaD  eieLt,  eine  em- 
litliche  Beuennnng  der  RadBpeicIie  (sert.  ard,  griecb.  xM'ifi^, 
■adiug,  ahd.  apeikha}.  Vielleicht  weist  dies  darauf  hin,  dass 
uns  das  Rad  der  Ur/eil  uocb  als  ein  speiclienloses 
4eukeD  luOssen  In  der  JilleRteu  Zeit  wusste  man  /.wei  Räder 
nur  dadnrcli  herzustellen,  dass  man  sie  zusammen  mit  der  sie 
verbindenden  Achee  aus  dem  .StUck  eines  Baumstammes  heraus- 
liackle,  und  es  inuse  schon  als  ein  Fortschritt  bezeichnet  werden, 
dass  man  sich,  offenbar  schon  vor  der  Trennung  der  Völker, 
darauf  verstand,  die  Achse  als  ein  beeonderes  .Stück  beiTtnstellen 
Dud  sie  mit  Hilfe  der  LlUise  im  tympanum  La  befestigen. 

Dem  sn  gewonnenen  liilde  entspricht  die  Schilderung,  die 
die  Alten  von  dem  römischen  plaui*trum  entwerfen:  „Die  Räder 
«n  dem  Plaustrum  sind  nicht  gespeicht,  sondern  es  sind  tym- 
lana,  die  mit  der  Achee  susammenbängen  und  mit  einer  eisernen 
rhiene  umlegt  sind.  Die  Achse  wird  mit  den  Rädern  um- 
Ireht;  denn  die  Räder  werden  an  den  Spiiuleln  oder  her- 
'agenden  änssersten  Teilen  des  Rades  befestigt"  (Probns 
j,.  i'erg.  Georg,  l.).  (lanv.  ähnlieh  muss  auch  der  von  Rin- 
dern gezogene  germanische  Wagen  gewesen  sein,  der  auf  der 
Siegessäule  des  Marc  Aurcl  abgebildet  ist.  In  Bosnien  werden 
noch  heute  Wagen  ganz  ohne  Verwendung  von  Eisen  her- 
gestellt (vgl.  darUher  Meringer  .Silznngsb.  d.  Wiener  Ak.  Bd.  144. 
VI,  63  f.;. 

Die  aralte  Bekanntschaft  der  Indogeruutnen  mit  der  Kunst 
des  WagenbauB  kann  aber  als  eine  cbarakteristiscbe  tLigentUm- 
ticbkeil  dieser  Völkersippe  betrachtet  werden,  durch  die  sich 
dieselbe  ebenso  von  den  umwohnenden  .Stämmen  finnischer  wie 
lUirko-tatariseber  Herkunft  unterscheidet.  Alles,  was  sich  in  den 
niscben  .Sprachen  auf  die  Kunst  des  Wagenbaus  bezieht,  ist 
vischer  oder  gcrmaniscber  Herkunft  (Ahtqvist  KultnrwOrter 
^p.  125).  Ebenso  ist  nach  Vämbery  (Primitive  Knltur  p.  128i 
den  Türken  der  Wagen  x,u  allen  Zeiten  eine  fremde  Erfindung 
gewesen.  DafUr  ist  den  Bewohnern  der  asiatischen  .Steppen  seit 
Uralter»  das  Kamel  dienstbar  gewesen,  das  Zelt  und  Weib  und 
Kind  auf  seinem  geduldigen  RUcken  trägt.  Die  Indogermaneii 
aber,  denen,  wie  wir  oben  p.  161,  168  sahen,  die  Bekanntschaft  mit 
diesem  wertvollen  Trangportlier  abging,  das  gleichsam  Zugtier 
and  Wagen  vereinigt,   waren    frUbzeiti-f   auf    die  Erfindung  des 


-    300    ~ 

letzteren,   einer  Hauptbedingung   ihres  Daseins   im  Znstand  der 
Ruhe  wie  der  Wanderung,  angewiesen^). 

Im  schroffsten  Gegensatz  zu  dem  sprachliehen  Reichtum,, 
den  wir  soeben  in  der  urzeitlichen  Terminologie  des  Wagen- 
baus gefunden  haben,  steht  die  ausserordentliche  Armut  der 
urverwandten  Gleichungen,  die  sich  auf  das  Gebiet  der  Schiff- 
fahrt  beziehen,  denn  es  sind  nur  zwei  Begriffe,  die  auf  diesem 
Gebiet  zwischen  Europa  und  Asien  gleichmässig  benannt  sind: 
das  Rudern  (scrt.  aritras,  artiram,  griech.  ighrjg,  Iqfxfmf 
TQit]Qi]g,  lit.  ir-tif  ir-klas,  ir.  räm,  lat.  rimu^f  tririmis,  ratusj 
ahd.  ruodar  etc.)  und  das  Fahrzeug,  welches  gerudert  wurde 
(scrt.  näüy  altp.  nävi,  aw.  äpö  nävayüo  ^schiffbare  Flüsse^,  griech. 
vavg^  lat.  naviSf  altir.  nöi^  armen,  nav,  nihd.  nuue^  altn.  naust 
„Schiffsstation").  Ich  habe  oben  p.  182  f.  nachzuweisen  rer- 
sucht,  dass  diese  letztgenannte  Sippe  in  der  Urzeit  nichts  als 
einen  ausgehöhlten  Baumstamm,  einen  sogenannten  Einbanm, 
bezeichnet  hat,  wie  solche  in  verschiedenen  prähistorischen 
Epochen  unseres  Erdteils  zutage  getreten  sind  (vgl.  näheres  bei 
Georg  H.  Boehmer  Prehistoric  naval  architecture  of  the  north 
of  Europe,  Washington  1893).  Innerhalb  der  europäischen 
Sprachen  scheint  eine  übereinstimmende  Bezeichnung  des  Mastes 
in  ahd.  mastf  altn.  masfr  =  lat.  malus  (^mazdo-s)  vorzuliegen; 
doch  macht  es  sowohl  die  Entwicklung  des  Wortes  innerhalb 
der  germanischen  Sprachen  (altn.  mastr  erst  aus  dem  Angel- 
sächsischen) wie  auch  das  neben  lat.  malus  liegende  irische 
maide  (*mazdO'S)  y^ligtium,  haculus^,  altir.  mntan  „Keule"  wahr- 
scheinlich, dass  für  die  Sippe  von  einer  Grundbedeutung  „Stange'^ 
auszugehen  ist,  zumal  der  Gebrauch  von  Mast  und  Segel  sieh 
bei  den  germanischen  Völkern  mit  Sicherheit  erst  bei  den 
Wikinger  Schiffen  nachweisen  lässt  (vgl.  mein  Reallexikon  u» 
Segel  und  Mast).  Im  übrigen  gehen  aber  auch  in  Europa  die 
Namen  für  Begriffe  wie  Segel,    Rahe,   Anker,    Steuer,  Kiel  etc. 


1)  In  Kürze  sei  hier  noch  auf  die  interessanten  Mitteiliuijfeo 
Meringers  (Das  deutsche  Haus  p.  71)  über  ein  fahrbares  Schlitten- 
kufenhaus  hingewiesen,  das  sich  noch  heute  in  der  Herzegowina  findet» 
und  das  dazu  dient,  das  Wohnhaus  im  Sommer  an  die  Felder  heran- 
zufahren. Meringer  bringt  hiermit  die  slavische  Sippe  v€ia  ,Hütte» 
Zelt,  Vorhaus"  in  Verbindung,  die  schwer  von  voeü  „Wagen*  (8.  o.) 
getrennt  werden  kann.    Vgl.  auch  Meringer  I.  F.  XIX,  401. 


"weit  anseinander.  Ebenso  fehlen  mit  weuigeu  AuMiiahmcii  iiid» 
germanische  Gleichungen  für  besondere  Arten  von  Fahrzeugen, 
für  den  Fischfang  (vgl.  P,  162  f.  und  oben  p.  248),  für  die 
Windrichtangen  (abgesehen  von  iat,  C'aurus  =  lit.  sziaurps,  altel. 
xirverü  „Nordwind"),  für  bedeutendere  Seetiere'),  für  das  Wetter 
auf  der  See,  für  charakteristische  Merkmale  der  Meerealand- 
schaft  usw. 

Dazu  kommt  nun,  dass  sich  an  der  Hand  sprachlieLer  Zeug- 
nisse, die  ich  Handelsgeschichte  und  Warenkunde  I,  43  ff.  (vgl. 
auch  Vf.  Die  Deutachen  und  das  Meer,  Wissenseb.  Beili.  d.  Allg. 
deutschen  Sprachvereins  XI.  Heft  und  mein  Reallexikou  s.  t. 
Schiffahrt)  eingehend  erörtert  habe,  nachweisen  Jäüst,  dass  bei 
den  Indogermanen  Europas  eine  hfihere  Entwicklung  der  See- 
fahrtskunst erst  in  früh  historischer  Zeit,  und  xwav  von  zwei 
Punkten  unseres  Erdteils  aus,  deren  geographische  Beschaffenheit 
gleichsam  von  selbst  ein  EuiporblUhen  der  Schiffahrt  bedingte, 
stattgefunden  hat:  es  sind  dies  einmal  die  von  Griechen  besetzte 
OstkQste  der  lialkanhatbinsel  und  die  Inselwelt  des  ägäischen 
Meeres,  das  andere  Mal  die  Gestade,  welche  die  westliehe  Oat- 
seekUste  nmsohliessen,  die  alte  Heimat  germauiacber  St&mme. 
Wie  in  der  Terminologie  der  Nautik  die  Griechen  die  Lehr- 
Mjeister  des  südlichen  Europas  gewesen  sind,  so  gehen  im  Norden 
auf  diesem  Gebiet  die  mächtigsten  Anregungen  von  der  germani- 
schen Welt  einerseits  auf  die  romanischen,  andererseits  -  auf  die 
finnischen,  litauischen  und  slavischen  Stämme  ans,  die  in  anderer 
Richtung  wiederum  den  Einfluas  der  griechisch -byzantiDiachen 
Nautik  zeigen  und  so  gewissermassen   den  Kreis  scbliessen. 

Nimmt  man  dies  alles  zusammen,  so  kann  man  nur  zu  dem 
■Scliluss  gelangen,  dass  die  Schiffahrt  im  Leben  der  urzeitlicheu 
Indogermanen  noch  keine  bedeutsame  Rolle  gespielt  hat.  Wenn 
wir  die  Ursitze  der  Indogermanen  in  das  stldliche  Russland, 
nordwärts  der  Gestade  des  Sehwarzen  Meeres  (vgl.  oben  p.  171) 
verlegen,  erklärt  sich  dieser  Zug  ihres  Lebens  aufa  be«te; 
denn    gerade    diese  Küsten    haben,    vielfach    durch  tide- Flächen 

1)  Wenn  lit.  K^ua/us  „ein  grösserer  Meerfiech,  vielleicht  der 
MeersaufiBCh"  liem  a!tn.  hvalr,  agls.  hn-ml,  ahd.  ual,  n-elira  „Walfiach", 
uibd.  welg^^  a,ltpr.  kaiig  ^Wels''  t^utspricht.  was  niuht  sicher  Ist,  so 
würde  doch  die  Bedeutuii^süberein stimm uu^  des  GermaniscItoD  und 
Altpreufisischen  lehren,  Aans  von  der  Bedt-utuiig'  .Wels''  ausnugehen  ist. 


—    302    - 

und  Salzsteppen  von  ihrem  fruchtbaren  Hinterland  getrenDt,  in- 
folge des  Mangels  natürlicher  Häfen  und  bei  der  hänfigen  Ver- 
sandung ihrer  Flussmttndungen  niemals  im  Altertum  eine  erheb- 
lichere Schiffahrt  hervorgebracht.  Auf  keinen  Fall  haben  wir 
ein  Recht;  uns  die  Indogermanen  mit  H.  Hirt^)  (Schiffahrt 
und  Wanderungen  zur  See  in  der  Urzeit  Europas,  Beilage  z. 
Allg.  Z.  1898  Nr.  51)  und  M.  Much  (vgl.  I»,  118)  nach  Art 
kühner  Wikinger  vorzustellen,  die  von  ihrer  angeblichen  Heimat 
an  der  Ost-  oder  Nordsee  indogermanische  Sprache  und  Kultur 
zu  Schiff  bis  an  die  Ufer  des  Indus  getragen  hätten.  Dies 
schliesst  natürlich  nicht  aus,  dass  einzelne  Zweige  des  idg.  Dr- 
Volks  schon  in  früher  Zeit  auf  ihren  Einbäumen  auch  über  an- 
bedeutende  Meeresstrassen  zu  setzen  wagten,  wie  dies  z.  B.  die 
Thraker  bei  ihrem  Übergang  nach  Kleinasien  oder  die  Kdtea 
bei  ihrem  Übergang  nach  Britannien  getan  haben  müssen. 


1)  Warum  H.  Hirt  in  dem  genannten  Aufsatz  (=:  Die  Indo- 
germanen I,  398)  sieb  so  für  die  seemännische  Tüchtigkeit  der  bdo- 
germanen  ereifert,  ist  mir  um  so  unverständlicher,  als  bei  seiner 
neuesten  Lokalisierung  der  indogermanischen  Urheimat;  in  der  Um- 
gegend von  Berlin  oder  Posen  (vgl.  unten  Kap.  XVI),  abgesehen  von 
den  Germanen,  denen  auch  wir  immer  sehr  frühe  Vertrautheit  mit  dem 
Meere  zugeschrieben  haben,  alle  übrigen  Indogermanen  ihre  unend- 
lichen Marschrouten  zu  ihren  eigentlichen  Stammsitzen  durch  du 
Binnenland  Europas  und  Asiens  zurücklegen  mussten.  Wenn  dtna 
weiter  der  genannte  Verfasser  aus  Gleichungen  wie  scrt.  ürmi  =  tgls* 
ivielm  »Woge*  oder  griech.  Tjnsigog  „Festland"  =  nhd.  Ufer  oder  Ut 
vadum  „seichte  Stelle**  =  ndd.  watt  den  Charakter  einer  idg.  See- 
landschaft  erschliesst  (H,  701),  so  überzeugt  ersieh  vielleicht  davon, 
dass  auch  die  Pleisse  Wellen  und  Ufer  und  seichte  Stellen  btt. 
Ebensowenig  ist  es  dem  Vf.  (II,  667)  gelungen,  irgendwie  gesicherte 
Gleichungen,  die  das  Prädikat  „indogermanisch"  nach  der  von  ihm 
selbst  (vgl.  oben  p.  126  Anm.  1)  gegebenen  Begrenzung  dieses  Worte» 
verdienten,  für  Fischereigeräte  und  Fischarten  zusammenzubringen. 
Zweifelhaft  mag  scrt.  jhashd  „Fisch**  ^  schwed.  gärs  „Kaulbarsch*  sein: 
indessen  gehört  letzteres,  wie  mhd.  bar 8  „Barsch" :  Borste^  Bürgte,  doch 
wohl  zu  scrt.  Jiärshati  „wird  starr**.  Über  griech.  nigieti,  ahd.  forhaiM 
vgl.  mein  Reallexikon  u.  Forelle.  Was  schliesslich  die  Fischnahmng 
(vgl.  I»  162,  und  oben  p.  248)  anbetrifft,  so  folgert  der  Vf.  Die  Indo- 
germanen II,  517  (=  Reallexikon  p.  602)  aus  den  altidg.  Opferbrftncben 
ja  jetzt  selbst,  dass  sie  „nicht  oder  doch  nicht  regelmässig^ 
zu  den  Genüssen  der  Indogermanen  gehört  habe. 


XII.  Kapitel. 

Die  Familie. 

Hypothesen  über  die  Entwicklung  der  menschlichen  Familie.  Unsere 
Aufgabe.  I.  Die  idg.  Verwand tschaffsuamen:  1.  Vater,  Mutter, 
Sohn,  Tochter,  Bruder,  Schwester.  2.  Geschwister  des  Vaters  und  der 
Mutter,  Neffe,  Vettern,  Orosseltem,  Enkel.  3.  Die  Verschwägerung. 
EUrklärung  der  gefundenen  Verhältnisse.  IL  Die  idg.  Eheschliessung: 
Kauf-  und  Raubehe.  III.  Mann  und  Weib:  a)  ,er  selbst",  b)  Die 
Lage  der  Frauen :  Polygamie,  Zeugungshelfer,  Ehebruch  bei  Mann  und 
Weib,  Kinder-  besonders  Mädchenaussetzung,  Witwenverbrennung, 
Anschläge  der  Ehefrauen  gegen  das  Leben  des  Mannes.  Zusammen- 
fassung Lichtblicke:  Die  Frau  als  Prophetin,  Ärztin  und  im  Krieg. 
IV.  Herdgemeinschaften:  Die  idg.  Grossfamilie  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  russischen  Familienbildung  und  der  serbischen 
Zadruga.  Die  Schwiegermutter.  Snochaöestvo,  Separatio  a  mensa,  — 
Voridg.  Mutterrechtsfamilie  in  Europa.    Der  Schwestersohn. 

Schon  an  der  Schwelle  europäischer  Überlieferung,  bei 
Homer,  tritt  uns  eine  Auffassung  der  Ehe  entgegen,  wie  sie 
iDDiger  und  reiner  auch  auf  modernen  Kultnrstafen  nicht  gedacht 
werden  kann: 

f 

"ExTOQ,  sagt  Andromache  II.  VI,  429,  dzd^  ov  /uoi  iooi 
naxriQ  xal  Tt&tvia  jn^trjQf  f]dk  xaaiyvi]Tog,  av  di  juoi  ^aXegog 
TiaQaxohrjg  und  Odyssee  VI,  182  fügt  hinzu: 

ov    juiv    ydg    rov    ye    xQeXaaov   xal  ägeiov  f)  o&'  6/xoq)QO' 

viovre  voi^fiaai  olxov  ix^l'^ov  AvrjQ  fjdi  yvvtj 

^Denn  nichts  ist  besser  und  wünschenswerter  auf  Erden, 
Ais  wenn  Mann  und  Weib,  in  herzlicher  Liebe  vereinigt, 
Ruhig  ihr  Haus  verwalten." 

Dnd  dennoch  muss,  wie  jede  menschliche  Einrichtung,  auch 
dieses  Verhältnis  des  Mannes  zum  Weibe  von  niederen,  noch 
im  Leben  der  Tiere  halbversteckten  Anfängen  seinen  Ausgang 
genommen  haben.  Es  fragt  sich,  ob  wir  noch  imstande  sind, 
die  hier  waltenden  Entwicklungsreihen  mit  einiger  Deutlichkeit 
zu  bestimmen. 


-     304    -^ 

Die  gewöhnliche  Auffassung  dieses  Entwicklungsganges  geht 
auch  für  die  Geschichte  der  menschlichen  Familie  von  der  Pro- 
miscuität  der  Geschlechtsverhältnisse,  d.  h.  von  einem  Zustand 
auS;  in  welchem  innerhalb  einer  gewissen  Gemeinschaft  jedem 
mit  jeder  der  Geschlechtsverkehr  freistand.  Bei  der  hieraus  sich 
ergebenden  Unsicherheit  der  Vaterschaft  eines  Kindes  sei  es 
natürlich  gewesen,  die  Verwandtschaft  desselben  nicht  nach  dem 
Vater,  sondern  nach  der  Mutter  zu  bestimmen,  und  so  wurzele 
hier  derjenige  Zustand  der  Familie,  den  man  als  den  des 
Mutterrechts  oder  der  Weiberlinie  bezeichnet.  Auf  der  anderen 
Seite  stelle  die  Polyandrie,  d.  h.  die  eheliche  Gemeinschaft  eines 
gewöhnlich  durch  Verwandtschaft  verbundenen  Kreises  von  Männern 
mit  einem  Weibe,  die  noch  in  dem  sogenannten  Levirat  auch 
hei  höherstehenden  Völkern  ihre  Spuren  hinterlassen  habe,  einen 
Übergang  zu  monogamischer  Ehe  und  zu  der  Vaterlinie  dar. 
Das  nunmehr  allmählich  erkannte  Verwandtschaftsverhältnis  des 
Kindes  zum  Vater  habe  zunächst  das  zur  Mutter  vollständig  ver- 
drängt, und  erst  ganz  zuletzt  seien  die  gleichen  verwandtschaft- 
lichen Beziehungen  des  Kindes  zu  beiden  Eltern  anerkannt  worden^). 

Gegen  diese  oder  ähnliche  Auffassungen  der  Dinge  sind 
namentlich  von  C.  N.  Starcke  Die  primitive  Familie  in  ihrer 
Entstehung  und  Entwicklung  (Leipzig  1888)  vielfach  nicht  un- 
begründete Bedenken  erhoben  worden.  Starcke  sucht  die  ver- 
schiedenen Formen  der  menschlichen  Ehe  überhaupt'  weniger 
aus  geschlechtlichen  (die  nach  seiner  Meinung  nie  zur  Ehe 
geführt  hätten),  als  aus  ökonomischen  Bedürfnissen  des  primi- 
tiven Menschen  zu  verstehen.  Derselbe  habe  eine  Sklavin,  eine 
Wirtschafterin  gebraucht,  die  ihm  das  Erworbene  zusammenhalte. 
Hierzu  sei  dann  aus  praktischen  und  religiösen  Gründen  der 
Wunsch  hinzugekommen,  Kinder  zu  erhalten.  Dass  dieselben 
auch  von  ihm  gezeugt  seien,  darauf  habe  der  Mann  von  Haos 
aus  kein  Gewicht  gelegt,  da  alles,  was  das  ihm  gehörende  Weib 
hervorgebracht  habe,  ihm  zu  eigen  gewesen  sei.  Erst  ganz  all- 
mählich sei  die  Ehe  zunächst  für  das  Weib,  dann  auch  für  den 


1)  Vgl.  unter  anderen  L  üb  bock  Die  Entstehung  der  Civilisation 
1875  p. 59— 167,  oder  F.  v.  Hellwald  Die  menschliche  Familie  nach 
ihrer  Entstehung  und  Entwicklung,  Leipzig  1879.  Der  energischste 
Vertreter  der  Mutterrechtstheorie  ist  J.  J.  Bachof  en  Das  Mutterrecht, 
Stuttgart  1861  und  Antiquarische  Briefe,  Strassburg  1880 — 86. 


l^Mann  za§:leich  aiicli  der  Mittelpunkt  des  geBclilechtlichen  Lebens 
£;eworden.  Dae  Miitterrecht  oder  die  Weiberlioie  sielit  Stareke 
▼ielfaub  ab  eine  spätere  Bildung  an,  die  Jedenfalls  niclits  mit 
tKeflexionen  über  die  angebliche  üneicberbeit  der  Vaterechaft  xu 
tnii  babe. 

Es  ist  glUcklicherweiee  nicht  nnsere  Aufgabe,  eine  beBtimniie 
Stellnng  ?.u  den  hier  gestreiften  weittragenden  Problemen')  eiu- 
xutiebmen.  üneer  Ziel  ist  ein  viel  bescheideneren  und  beschränk- 
!  teres:  es  gilt  für  uns  ein  Bild  der  Ebe  and  Paniilienorcanisation 
Id  der  Crzeit  der  idg.  Vrdker  zu  entwerfen,  und  nur  deswegen 
■war  es  nfltig,  der  Streitfragen,  wek-hc  sieb  an  den  Ursprung 
,dcr  menseblichen  Ehe  überhaupt  knüpfen,  auch  hier  mit  einigen 
^Worten  /.u  gedenken,  weil,  wie  wir  noch  sehen  werden,  dieselben 
-■ach  in  das  von  an»  /.ti  bcbandelndi-  Gebiet  an  einigen  Stellen 
liineinrageu,  das  wir  im  übrigen  von  allen  Spekulationen  über 
die  Urzustände  der  Menschheit  loszulfieen  und  anf  den  Boden 
reiD  historischer  Korsebung  itu  stellen  bemithl  sein  werden. 

Wenn  somit  der  Umfang  unserer  Aufgabe  ein  geringerer 
ist,  so  ist  doch  der  Inhalt  derselben  ein  so  ungemein  reicher, 
dass  wir  von  vornherein  darauf  verzichten  müssen,  ihn  in  dem 
Rahmen  diese)?  Buches  auch  nur  annähernd  /.u  erschöpfen.  Wir 
werden  uns  daher  darauf  beschränken,  auf  einige  für  die  Be- 
urteilung der  idg.  P^auiilie  und  ihre  Weiterentwicklung  besonders 
wichtige  Pnnkte  hier  näher  einzugchen,  und  beginnen  mit  einer 
Beiraclitung  der  idg.  Verwandi8chaftsuamen*j,  in  der  Hoff- 
nung, dasB  wir  bereits  durch  diese  etwas  näheres  iiber  die  Orga- 
nisation der  idg.  Familie  erfahren  werden. 

I.    Dia  idg.  Verwandtschafteuamen 
Wir  eröffnen  die  Erürlerung  der  idg.  Verwandtschaf Isnamen 
mit   einer  Gruppe  von  Personen,  deren  Benennungen  sich  in  Form 

1)  Am  hesleu  orientiert  über  dieselben  jelzl  WeBlermart-k  Ge- 
schichte der  iiienschlicheD  Ehe  (Hialory  of  human  marriaye),  2.  Aufl. 
Berlin  1902.  Ein  gutes  Buch  ist  such  E.  GrOBse  Die  Formen  der 
Familie  und  die  Fornifn  der  Wirtschaft,  Freiburg  I89ß. 

2)  Vgl.  besonders  B.  Delbrück  Die  indogermaniHChpn  Ver- 
wand tBcliaftanamen.  Ein  Beitrag  zur  vert^leichenden  Altertumskunde. 
Des  XI.  Bandes  der  Abliandluii^en  der  philologisch-histnrischen  Klasse 
der  Königl.  Sachs.  Geaellschatt  der  Wissen  anhaften  Nr.  V,  Leipzig  1889. 


—    306    - 

und  BedentoDg  besonders  zäh  erwiesen  haben,    nämlich  mit  den 
Namen 

1.    des  Vaters,   der  Mutter,    des  Sohnes,    der  Tochter, 

des  Bruders,  der  Schwester. 

Vater:  scrt.  pitdr,  aw.  pitar^  armen,  haitj  griech.  jwr^ß, 
lat.  pater,  ir,  athirj  got.  fadar. 

Mutter:  sci-t.  mätävy  aw.  mätary  armen,  matr,  grieeh. 
jutjrtiQy  lat.  mäteTy  ir.  mdthir,  ahd.  muotar,  altsl.  moHy  altpr. 
mothey  müti  —  lit.  motS  „Weib"  {mötyna  „Mutter"),  alb.  moin 
„Seh  wester  **. 

Neben  diesen  organischen  Bildungen  ziehen  sich  durch  die 
idg.  Sprachen  noch  Vater-  und  Mutternamen  mehr  onomato- 
poetischen Charakters.     So  für 

Vater:  scrt.  tätd,  griecb.  r^rra,  lat.  tatüy  ahd.  toto  etc. 
(Grimm  W.  B.  II,  1312),  lit.  titis  (neben  tewas)^  alb.  fo^e, 

grieeh.  äna  neben  najuta,  lat.  atta,  got.  attay  altsl.  o^icf, 
alb.  at^)\  für 
Mutter:    scrt.    nanä'  (grieeh.    vdwtjy   vewa    „Tante",  de8 
Vaters  und  der  Mutter  Schwester),  alb.  nancf 

ahd.  ama  (lat.  am-ita  „Tante",   des  Vaters  Schwester), 

sp.,  port.  ama,  alb.  aTTte, 
lat.  mamma,   alb.  meine   (grieeh.  fid^fiiri,   meist  „Gross* 
mutter"),  auch  altn.  mönoy  ahd.  muoma  y^materUra^^ 
ndd.  möme,  lit.  momä\   ahd.  muoia  =  grieeh.  ijum. 
Wie  man  sieht,  sind  also  für  den  Vater  die  Laute  t  (oDdp), 
für   die  Mutter  m    und    n    charakteristisch;    nur   in    slavischen 
Sprachen  kommt  auch  wYin  „Vater"  (oscrb.)  vor;  doch  vgl.  Del- 
brück a.  a.  0.  p.  73  =  451  Anm.  *. 

Eine  gemeinsame  Benennung  des  Elternpaares  ist  in  den 
indog.  Sprachen  nicht  nachweisbar.  Dieser  Begriff  wird  in  deo 
Einzelsprachen  ausgedruckt  durch  Wörter  wie  grieeh.  roxtje^f  ywA^ 
lat.  parenteSf  lit.  gimdytojei  „die  Erzeuger^,  slav.  rodiieU  id., 
got.  herusjöa  (vgl.  got.  hairan),  ahd.  eltiron  „die  älteren**  und 
ähnliches.    Einen  altertümlicheren  Eindruck  machen  Bildungen  wie 


1)  Hierher  g'ehört  wahrscheinlich  auch  ahd.  adal  etc.  ^Geschiecht* 
und  nodal  „Erbsitz",  eigentlich  „väterliches*  (vgl.  grieeh.  jidtga  ,6«- 
ßchlecht"  :  nan^g). 


-     307     - 


.  fadrein  n.  „Eltern",  eine  zu  ^ol.  fti dar  gebörende  Kollekliv- 
bildung  im  Sinne  von  „Vatei-schafl",  '/.a  der  als»  die  Mutter 
sHIIechweigend  hin/.ngerecliiiet  wird.  Auch  der  Dual  oder  PInra) 
1  Wortes  für  Vater  ist  in  alten  Zeiten  in  der  Bedeutung  von 
Täter  und  Mutter  gehraucbl  worden. 

Sohn:  eert.  aünä«,  aw.  humt,  grieidi.  i'iV,  got.  utintis,  lit. 
Knü«,  altsl.  si/nü, 

Bcrt.  puträ,  aw.  pu&ra; 

Tochter:  scrl.  duhitdr,  aw.  duydar,  armen,  duiftr  (ustr 
Bobn",  HabsebmaDn  A.St.  47),  griech.  ^ryärtig,  got.  daüktar, 
i.  duktS,  allsl.  dum. 

Bruder:  scrt.  hkrä'tar,  aw.  brätar,  armen,  eXbair  (grieeh. 
ie''r'l9'  ^öei<f)di;  Hea.),  lat.  fräter,  ir.  brdtJiir,  got.  bröpar,  lit. 
roterHia,  altpr.  brate,  altsl.  brafrä. 

.S*;hweßter:  scrt.  scdaar,  aw.  xcatikar,  armen.  Soir  (griech. 
90  siehe  iinteni,  lat.  soror,  ir.  Mtur,  got.  gvistar,  lit.  sea&,  altsl. 
tstra. 

Während  die  LKleiner  dasidg.  Wort  für  Sohn  und  Tochter 
pnrlns  verloren  haben,  wofür  nie  filiuit,  ßia  nSfiugling"  gebrauchen, 
ftben  dieüriecben  die  alten  Ausdrücke  für  Hrnder  nud  Schwester 
fe  auf  gewisse  Überreste  eiugebtlsst.  Den  Ersatz  bilden  AöeXipög 
bc.  äfteh'pi}!}  im  Suffix  nach  di'n  übrigen  Verwand tschaftsnamen), 
'^Xipt^  „der  idie)  demselben  Mutterleib  eutaprosHene"  (vgl.  aneli 
ttoyäoTuiQ,  AyiiatoQc^'  äSfiXqr'oi  didvfwi,  dyiiazatQ,  Bcrt.  sftdara  ^ 
R  +  udard  „Bauch",  osset.  dig.  Ünsutcär  =  an  +  «uwär  „Mutter- 
rib"(*)  und  das  dunkle    Hnaiyvti^og.  auch  bloss  xdaig. 

Über  das  in  seiuer  urBprUnglicben  Bedeutung  fast  ganz  ver- 
blasste  i'oijTT/g  wird  spättr  (Kap.  Xlll)  /.ii   handeln   sein.     Hier 
^jioch  ein  Wort  über  das  schon  vorhin  genannte  fop^c  =  lal-  aordresl 
^k         Hesych    erklärt    eog    mit    d^yiirr/Q    Qnd    ävet/wq,    ^ogeg  mit 
^Kßoa^xoyifi,   avyyeveig.     Die  Erklärung    der    drei    letztgesannten 
^^Bedeutungen  scheint  mir  in  dem  Vergleich  mit   dem   lat.  conso- 
hrini  {'coti-sosr-ini)  zu  liegen.     Dieses  Wort  bezeichnete  ursprüng- 
lich die  Kinder  eines  Gesch Winter-,  d.  h.  ursprünglich  Schwestern- 
paares (abd.  gi-swistar,  altndd.  giguatruon),  dann  aber  auch  die 
Kinder  zweier  Brüder  ifratres  potrueles,  Hororeit  patruele»)  und 

11  In  den  rusgischeii  Volksliedern  wird  nur  Beseithnunjir  von 
tcbwistem  sebr  oft  der  Ausdruck  edinoatröbny,  iidnoulrübriy  :  ufröba 
teib'  (fehrniichi 


-    308    — 

-eines  Bruders  und  einer  Schwester  {amitini,  amitinae).  Vgl. 
Corp,  iur,  civ.  XXXVIII,  X,  1.  Ebenso,  meine  ich  nun,  be- 
deutete eogeg  ursprünglich  „Schwestern",  dann  „Schwestern- 
kinder",  „Geschwisterkinder"  {ävetpioi).  Bezüglich  des  Mangeb 
einer  sprachlichen  Ableitung  wäre  auf  hom.  xaalyvrj[t(Kt  urepr. 
j^frater'^j  dann  auch  j^fratris  liheri^  {consohrini^  äveipm)  zu  ver- 
weisen. Dieser  Verwandtenkreis  ist  also  bei  Sogeg  unter  Ä^f 
xovxeg,  ovyyevetg  gemeint,  so  dass  nur  die  Angabe  Hesych8:lb^* 
{>vydxrjQ  (statt  ädeX(pri)  auf  einem  Irrtum  beruhen  würde. 

Auf  die  etwaigen  Wurzelbedeutungen  der  bisher  besprocheneo 
Verwandtschaftswörter  gehen  wir  hier  aus  schon  früher  (P,  185  f.) 
angegebenen  Gründen  nicht  weiter  ein.  Das  einzig  sichere  scheiDt 
mir  zu  sein,  dass  die  idg.  Benennung  des  Sohnes  aus  der  Wurzel 
sü  „zeugen,  gebären"  (scrt.  sü  „Erzeuger"  und  „Erzeugerin") 
hervorgegangen  ist;  doch  hat  F.  Kluge  (Z.  f.  deutsche  Wort- 
forschung VII,  164)  neuerdings  versucht,  dieselbe  vielmehr  zn 
dem  Pronominalstamm  sce,  sco  (s.  u.)  zu  stellen,  so  dass  es  so- 
viel wie  „der  Angehörige"  bedeuten  würde  (vgl.  »wä-ster,  sm- 
huVj  Hwi-gur,  gi-swia,  altn.  svi-lja), 

2.     Die  Geschwister  des  Vaters  und  der  Mutter,  Neffe, 
Vetter,  die  Grosseltern,  die  Enkel. 

Die  in  dem  vorigen  Abschnitt  besprochenen  Verwandt- 
fichaftsnamen  waren  durch  die  grosse  Konformität  ihrer  Bildung, 
die  mit  Ausnahme  des  idg.  Sohnesnamens  überall  die  Suffixe 
'ter,  resp.  er  aufwies,  ausgezeichnet.  Auch  die  Festigkeit  ihrer 
Bedeutungen  wurde  nur  durch  vereinzelte  Fälle  des  Answeichens 
derselben  durchbrochen. 

Anders  stehen  die  Dinge  bei  dem  Kreis  von  Personen,  zu 
deren  Terminologie  wir  uns  nunmehr  wenden.  Innerhalb  der- 
selben ist  von  einer  Einheit  der  Wortbildung  seltener  die  Rede, 
und  die  Bedeutungen  der  hier  zu  nennenden  Verwandtschafts- 
wörter scheinen  in  einem  fortgesetzten  Fluss  begriffen.  Wir 
wollen  uns  zunächst  einen  Überblick  über  die  einschlagenden 
Verhältnisse  zu  verschaffen  suchen  und  erst  später  zusehen,  ob 
sich  vielleicht  eine  Erklärung  derselben  finden  lässt. 

Als  die  in  Form  und  Bedeutung   am  meisten    übereinstim- 
mende Reihe  ist  hier  der  Name  des  Vaterbruders  zu  nennen: 


scrt,  pitfrya,  Rw.  tüirifo,  griech.  ti'Itqio';,  \&l.  pntruuti,  abd. 
fatureo,  agle.  faedera. 

Eine  idg.  Bezeiehuung  des  Miitterbruders  fehlt.  Im 
Sanskrit  begegnet  mätuld  {vielleicbt  =  *mäta-tulya,  vgl,  täta- 
tu/ya  „vatei-äbnlich",  ^Obeim  väterl.  Seits"),  im  Griechischeo 
fiifTffuii  (Lach  jtärQUK,  später  auch  „Grossvater  mtltterl.  Seits"), 
im  Arnieniscbeii  Heri  (  :  Hoir  „SdiweBter"), 

Besonders  bäafig  wird  aber  in  den  europäischen  Hpraeben 
der  Name  des  MiUterbruders  von  einem  Stamme  gebildet,  der 
iirspvtlnglicb  den  Grosavater,  resp.  die  Grossniutter  bezeichnet 
bat.     Hierher  gehören: 

lat.  apua  „Grossvater" :  anunculua;  got.  av6  „Grossmutter", 
altn.  de  „  ürgrossvater" ;  abd,  6heim,  agls.  e&m,  altfr.  ^m  (dnnkel 
in  der  Wortbildung)  —  lit.  atr^nan,  preuss.  aicis,  altsl.  uj,  ujkn, 
sämtlich  „avuTictilug^  —  mcyrar.  etci-thr,  aeorn.  eui-ter  „Onkel". 
Wie  man  sieht,  gebt  die  Snffixbiidung  des  lateinischen,  germa- 
niscben,  litauischen  nud  keltischen  Wortes  fUr  den  Mutterbrudcr 
gänzlich  auseinander. 

Eine  Parallele  findet  dieser  Bedeutnngsflbergang  ron  Grogs- 
vater ^  Mntterbruder  in  dem  von  Grosavater  —  Vaterbmder, 
wie  er  in  folgender  Reibe  vorliegt: 

altsl.,  russ.  dedä  „avus",  griecb.  T)ji>»;  „GroBBrniitter"  — 
ru88.  djddja,  lit.  dMis  „Vaters  Bruder"  (dede.  didzias  „Vetter", 
vgl.  abd.  fatureo  „Oheim",  dann  „Vetter"),  griecb.  &etos  (ans 
*&tl-jQi  „Vater-  und  Mutterbruder". 

Vgl.  noch  lit.  strujua  „Greis":  altsl.  stryj,  stryjcl  „patruug'^ 
iMiklosicb  Et.  W.,  daxuLeskien  hei  Ueihrüek  p.ll9  =  497). 

in  mancher  Beziehung  eine  Ergänzung  zu  dem  in  den 
vorigen  beiden  Gruppen  geschilderten  Bedeutungswandel  bildet 
dasjenige  Verwandtschaftswort,  das  von  den  in  dieser  ganzen 
.\hteiluug  zn  behandelnden  Benennungen  die  weiteste  Verbreitung 
innerhalb  der  idg,  tipracben  zeigt  und  in  sich  die  Bedeutungen 
„Enkel"  und  „Neffe"  vereinigt,  daneben  aber  aneh  eine  all- 
gemeine Bedentung  „Abkömmling"  aufweist :  das  lat.  nepos  mit 
seiner  Sippe: 

Sanskrit:  ndpät,  ndpiar  „Abkömmling  Überhaupt,  Sohn,  im 
bes.  Enkel",  in  der  älteren  Sprache  vorzugaweise  in  der 
allgemeinen,  in  der  späteren  nnr  in  der  Bed.  „Eskel" 
gebraucht  (B.  R.).  —  naptf  „Tochter",  „Enkelin". 


—    310    — 

Iranisch:  aw.  napät,  naptar,  napti  „Enkel,  Enkelin",  nop^ya 

„Abkömmling^,  „Generation^. 
Griechisch:  vmodeg  (an  jiovg  angelehnt)  „Brut**  (?  vgl.  K.  B rüg- 
mann I.  F.  XX,  218),  ä'vetpiög  „Geschwisterkind"  (d-roi-o- 
=  &'ve7wt-jo  „der  mit  jemand  zusammen  Abkömmling  ist^), 
veÖTTtgar  {fuüv  ^yaregegüt^.  „Enkelinnen"  (für*v€;ior-ß<«?). 
Lateinisch:     nepos    „Enkel",    später    auch     „Neffe",    nepik 

„Enkelin". 
Germanisch:    agls.    nefa  „Enkel",    „Neffe",    altn.  nefe  „Ver- 
wandter", ahd.  nefo,  mhd.  neve  „Schwestersohn,  seltener 
Bradei-ssohn,  auch  Oheim,  dann  allgemein  Verwandter^ 
(Kluge),  altn.  nipt  „Schwestertochter,  Nichte",  ahd.  niftj 
mhd.  nifteP). 
Litauisch:  nepotis  „Enkel",  neptis  „Enkelin". 
Altslov.:    netiß    „Neffe",    nestera  „Nichte"   (vgl.  Delbrück 

p.  121  =  499). 
Altirisch:  nia  „Schwestersohn",  neckt  „Nichte". 

Ein  Blick  auf  das  Angeführte  zeigt,  dass  sich  die  Be- 
deutungen „Neffe",  „Vetter"  etc.  nur  innerhalb  der  europäischen 
Sprachen  finden,  auf  die  auch  der  Bedeutungswandel  vonGron- 
vater  —  Oheim  beschränkt  ist.  Auch  innerhalb  der  europäischen 
Sprachen  ist  die  Bedeutung  „Enkel"  zweifellos  die  ältere  und 
nrsprOnglichere. 

Die  arischen  Sprachen  haben  fOr  den  Bruderssohn  einen 
eigenen  Ausdruck  ausgebildet: 

scrt.  bhrä'trvya  =  aw.  hrätuirya. 

Hiermit  sind  meines  Erachtens  im  wesentlichen  die  Über- 
einstimmungen erschöpft,  die  sich  in  den  Benennungen  des  hier 
in  Frage  stehenden  Kreises  von  Verwandten  finden.  Doch  bleiben 
noch  einige  Worte  tlber  die  Schwestern  von  Vater  und  Matter, 
über  die  Grosseltern  und  Enkel  zu  sagen. 

Die  Namen  der  Schwestern  Tiqog  TtajQÖg  werden  von  denen 
Tigdg  ^tjTQÖg  in  den  Einzelsprachen  meist  scharf  geschieden.  So 
im  lat.  amita :  matertera^  im  germanischen  ahd.  basüf  agls.  fapfi^ 
sltfr.  fethe :  ahd.  muomaj  agls.  mödrie^  ndd.  mödder  (vielleieht 
=  griech.  /LitjTQvtdy  armen,  mauru,  die  aber  beide  „Stiefmutter^ 

1)  Got.  nipjis  „Verwandter"  ist  nach  W.  Schulze  K.  Z.  XL 
411  ff.  von  dieser  Sippe  zu  trennen  und  zu  scrt  nftya  «eingeboren, 
ungehörig''  zu  stellen. 


bedeuten,  so  dasa,  wcdei  die  Gleiclmng  Überhaupt  richtig  ist,  die 
Wahrscheinliehkeit  für  die  letztere  Bedeutnng  als  die  ureprUng- 
licbe  spräche),  altsl.  strina  (:  stryj)  iteta,  tetka.  Im  Griecbi- 
Bcben  scheint  kein  deutlicher  Unterschied  zwischen  Wörtern  wie 
i>Eta,  TijfUi,  i'ilvvtj  gemacht  worden  zu  stin, 

Die  Namen  der  Grosseltern  weisen,  abgesehen  von  den 
oben  angeführten  Übereinatimmungen  von  lat.  avus  =  gol.  avd, 
wozu  auch  armen,  hav  „Grossvater,  Vorfahr"  zu  stellen  ist,  auf  keine 
nrsprllnglieben  Bildunj^en  hin.  Man  nennt  den  Grossvater,  resp. 
die  Grossmutter  entweder  schlechtbin  die  Alten:  abd.  tmo,  ana 
=  lat.  rt«i/s  „alte  Frau",  altel.  bcü>a  „Grosaniutter",  oder  man 
hilft  sich  mit  Zusammensetzungeu  wie  scrt.  mäiamaha,  griech. 
iityaÄOfii'iTtiQ,  /ttjTQOTiäTmQ,  ir.  nenmdthir  etc.  Ein  Lallwort  ist 
griecb.  .^(I^JK^^,  dunkel  aw.  nyäka  =  apers.  nyäka,  npers.  niyä, 
vgl,  altpers.  apa-nyäka  „Ahnherr"  u.  a.  Dagegen  ist  fllr  den 
Enkel  noch  auf  eine  spezielle  Übereinstimmung  des  Deutschen, 
Slaviscben  und  Litauischen  hinzuweisen: 

abd.  enimhili,  altsl.  vünukü,  Ut.  anukas, 
die  meirit  als  „kleiner  Ahn"  (abd.  nno)  gedeutet  werden,  eine 
Erklärung,  ffir  die  neuerdings  W.Sehiilze  K.Z.XL,  409  unter 
Berufung  auf  die  Sitte,  häufig  den  Enkel  nach  dem  Grossvater 
/u  benennen'),  mit  Enfseliiedenbeit  eingetreten  ist.  Ist  dies 
richtig,  60  mUsste  abd.  eninchüi  von  den  slaviscben  Formen 
fpoln.  wni^k,  klruss.  onük,  woraus  lil.  anukax),  aus  denen  ich 
I.  F.  XVII,  35  ff.  das  deutsehe  Wort  als  Entlehnung  abgeleitet 
hatte,  und  mit  denen  sich  W.  .Schulze  leider  nicht  auseinander- 
setzt, getrennt  werden,  womit  es  sein  Interesse  in  diesem  Zn- 
sammenhang verlöre.  In  jedem  Fall  bat  das  erst  spät  bezeugte 
Wort  „Enkel"  im  Deutschen  einen  älteren  Ausdruck  für  diesen 
Hegriff,  abd.  äiekter  ( :  scrt.  tue  „Nacbkommenschaft")  verdrängt. 

3.    Die  Verscb  wägerung  {afßiiitas). 
Ich  stelle  an  die  tipitze  dieses  Abschnitts  einen  Satz,  dessen 
Richtigkeit  ich  im  folgenden  zu  erweisen  hoffe,   und  der,   wenn 
er  richtig  ist,  mir  einen  höchst  wichtigen  Schlüssel  für  das  Ver- 


I)  Nicht  be.weiakrtlftig  aclieint  mir  dabei  griech.  'Artinatgoi  zu 
sein;  denn  es  liegt,  wenigatens  für  mein  Gefühl,  bei  dieser  Kamen- 
grebuQg  doch  wohl  der  Wunsch  am  ^ach^ten:  diesi^s  Kind  inöf^e  ein 
Abbild  oder  Ersatz  seines  Vaters  sein! 


—    312    — 

ständnis  der  altidg.  Familie  zu  enthalten  scheint.  Ich  bin  näm- 
lich der  Meinung,  dass  sich  durch  idg.  Gleichungen  nur  die  Ver- 
schwägerung der  Schwiegertochter  mit  den  Verwandten  des 
Mannes,  nicht  aber  die  des  Schwiegersohnes  mit  den  Verwandten 
der  Frau  belegen  lässt. 

Das  junge  Paar,  durch  welches  die  Verschwägerung  zweier 
Sippen  erfolgt,  besteht  aus  der  Schwiegertochter  (den  Eltern  des 
Mannes  gegenüber)  und  aus  dem  Schwiegeraohn  (den  Eltern  der 
Frau  gegenüber).  Wir  finden,  dass  nur  der  Name  der  erstereo 
ein  begründetes  Anrecht  auf  idg.  Altertum  hat.  Die  Schwieger- 
tochter heisst: 

scrt.  snushd%  osset.  noatä  (vgl.  Hübschmann  Osset.  Spr. 
p.  52),  aimen.  nu,  griech.  wog,  lat.  nurus^  ahd.  snura,  altsi. 
snüchüj  alb.  nuse  (?). 

Nur  im  Keltischen  (corn.  guhit)  und  Litauischen  {maH\) 
scheint  das  Wort  nicht  zu  belegen.  Obgleich  es  sich  nicht  be- 
weisen lässt,  so  ist  es  doch  wahrscheinlich,  dass  die  alther- 
gebrachte Deutung  des  idg.  *8nu8d  als  „Söhnin"  {^sunu-sä)  dw 
richtige  trifft. 

Dem  Namen  der  Schwiegertochter  gegenüber  gehen  die 
Bezeichnungen  des  Schwiegersohns:  9>(tri,jö!mätarj  aw.  zämätar, 
griech.  yafxßgogy  lat.  gener,  lit.  i^ntas,  altsl.  z^ti,  alb.  dendtr 
sichtlich  auseinander  und  zeigen  eine  zweifellose  Übereinstinunnng 
nur  in  den  durch  nähere  Verwandtschaft  miteinander  verbundenen 
Sprachen,  nämlich  in  der  arischen  und  litu-slavischen  Gruppe. 
Allein  auch  wenn,  abgesehen  hiervon,  einige  dieser  Wörter  unterein- 
ander etymologisch  zusammenhängen  sollten,  lässt  sich  erweisen, 
dass  sowohl  die  genannten  Wörter  wie  auch  andere  ältere  Be- 
nennungen des  Schwiegersohns  ursprünglich  eine  allgemeinere 
Bedeutung  gehabt  und  zu  gleicher  Zeit  den  Schwiegersohn  and 
Schwager  (so  z.  B.  scrt.  jä'mätar  und  russ.  zjatiy)  oder  den 
Schwiegersohn,  Schwager  und  Schwiegervater  (so  z.  B.  griech.  yaii- 
ßgog  und  Jievdegög,  armen,  aner,  unser  „ Eidam **),  d.  h.  mit  einem 
Wort  den  Heiratsverwandten  ganz  im  allgemeinen  bezeichnet  haben. 
Man  kann  also  mit  grosser  Bestimmtheit  sagen,  dass  in  der  Ursprache 


1)  Dasselbe  gilt  vom  serb.  zef :  „Für  die  ganze  Familie,  aus  der 

meine  Frau  stammt,   bin   ich  der  zetj   und  Gross  und  Klein   sagt  von 

mir    „unser  zet^**    (Rovinskij    Montene^o,  Sbornik  d.  kais.  Ak.  d.  W. 
St.  Petersburg  LXXXIII  Nr.  3  p.284). 


nur  ein  Wort  fllr  die  Schwiegertocliler,  nicht  aber  für  den 
Schwiegersohn  vorhanden  war  (vgl,  Vf.  Über  Bemehoungen  der 
Heiratsvenvandlschaft  hei   den  idg.  Völkern,  I.  F.  XVII,  II  ff.i. 

Von  den  Kindern  wenden  wir  uns  za  den  Schwiegereltern: 

der  Schwiegervater:  sert.  ^rdfura,  aw.  a-rowMra,  arnien. 
ukesr-air  („Mann  der  Seh  wieger  inalter"),  grieeb.  exvQÖi;,  lat.  soctr, 
got.  svaikra,  abd.  auehur,  altsi.  avekrü^),  lit.  szesziüras,  alh. 
ci4hff,  com.  hnijeren-^ 

die  Schwiegermutter;  scrt.  frafcd',  armen,  akesur,  lat. 
gocrua,  altsl.  svekry,  grieeh.  rttvgii,  got,  sriiihrn,  ahd.  suigor, 
alb,  ci^hrn:,  com,  kveger. 

Die  idg.  Oraudfonnen  (vgl  W.  Sebulze  a.  a.  0.  p.  400) 
lauteten  *svdkuro-s  (8Crt.  i^vä^ra  —  ahd.  nuehur)  und  *areftrw'-* 
iscrt.  ^'cn^Tji'  =  abd.  suigar),  Ihre  Dentnug  ist  natUrlieh  nn- 
sicher.  Nicht  uDwahrsebetnlich  scheint  mir  ihre  Zerlegung  in 
den  Prononiinalstamm  sre  {vgl.  oben  p.  308)  und  den  Nominal- 
stamm  kiiro-,  den  man  mit  grieeb.  xigio':  vergleichen  kann,  so 
dass  sich,  wie  Curtins  Grdz.*  p,  136  will,  der  Sinn  von  'diog 
xv(iioq  (nämlich   der  *iiiiuiid)  ergäbe*). 

Diese  Wörter  werden  nun  in  mehreren  Einzelspracben  (z.  B. 
im  Latein  und  GermaniBchenj  tintcrscbiedslog  von  den  Eltern  des 
Mannes  wie  von  denen  der  Frau  gehraucht;  allein  es  fehlt  nicht 
au  deutlichen  Spuren,  welche  beweisen,  dass  dieser  Zustand  kein 
altertllmlicher  oder  wenigstens  kein  urzeitlicher  ist. 

In  der  bomerisrhen  Sprache  wird  fxiwk,  fm-in'i  lediglich 
von  den  Eltern  des  Mannes  gesagt,  während  fQr  den  Vater 
der  Frau  ein  besonderes  Wort,  das  schon  oben  genannte  .^«^■öee(!? 
Uscrt.  hdndhu  „Verwandtschaft,  GenoBsensebaFt,  Verwandter"  j 
besteht.  Der  gleiche  Znstand  herrscht  oder  herrschte  im  Litaui- 
schen, wo  das  veraltende  uzenziüras  nur  für  den  Vater  des  Manne», 
für  den  der  Frau  aber  ü'azicis  (:Iat.  fn-or)  gilt  oder  galt.  Aach 
im  ArmeDiscben  ist  skexur   nur  „Mutter    des  Mannes"    (zokatic 


1)  Das  k  statt  k  iti  den  sUiisclien  Wörtern  ist  aufrallend. 

3)  Jedes  Weib  bedarf  im  grieeh.  Hecht  einen  xvqicv;  dieser  ivi. 
(ür  eine  unverheiratete  Person  der  Vater  oder  nSchste  Blutsverwandte, 
für  eine  verheiratete  der  Mann.  Jedenfalls  scheint  mir  diese  Deutung 
von  fKvgiit  derjenigen  Bernekera  (1.  F.  X,  15&)  vorzuziehen,  nacli 
der  icuro'  =  slav.  iurl  „Bruder  der  Frau"  (•fceuro-)  wäre,  aus  der  sich 
aber  Ifir  curg^  ein  annehmbarer  Sinn  nicht  er<i^ib[. 

Sebrader,  Slpmchversleiebunit  nnil  LlrEB*^!) lohte  11.   S.  Aufl.  31 


i 


—    314     — 

„Mutter  der  Frau**).  Endlich  weisen  auch  die  von  F.  Krauss 
(Sitte  und  Brauch  der  Südslaven  Wien  188.5  p.  3  ff.)  mitgeteilten 
Tabellen  der  sttdslaviscben  Verwandtschaftsnamen  deutlich  darauf 
hin,  dass  die  Wörter  sveJcrü,  svekry  ausschliesslich  zur  Bezeich- 
nung der  Manneseltern  verwendet  wurden  (vgl.  p.  8  :  12,13),  nnd 
dasselbe  ist  in  den  tlbrigen  slavischen  Sprachen  (z.  B.  bei  mss. 
sväkrüy  »vekrövi)  der  Fall.  Für  die  Eltern  der  Frau  besteheo 
besondere  Namen,  z.  B.  russ.  testl^  täaöa^  die  bis  ins  Altprens 
sische  {tutics  „Schwäher**)  reichen. 

In  dieser  Übereinstimmung  von  vier  grossen  Sprachzweigen 
muss  aber  der  ursprüngliche  Zustand  sich  abspiegeln;  deno 
wollte  man  etwa  annehmen,  dass  ixvgög  von  Haus  aus  den  Vater 
des  Mannes  wie  der  Frau  bezeichnet  habe,  und  erst  später  ein- 
zelne Sprachen  den  Luxus  einer  gesonderten  Benennung  sich 
gestattet  hätten,  so  würde  man  es  als  einen  ganz  unerklärlichen 
Zufall  bezeichnen  müssen,  dass  vier  ganz  verschiedene  Sprach- 
gebiete (Griechisch,  Litauisch,  Armenisch,  Slavisch)  darauf  ver- 
fielen, ixvQog  gerade  in  dem  beschränkten  Sinne  von  ^Vater  des 
Mannes^  zu  gebrauchen.  Dazu  kommt  ferner,  dass  auch  die 
noch  ausstehenden  idg.  Gleichungen  für  Grade  der  Verscbwäge- 
rung  sich  lediglich  auf  das  Verhältnis  der  Frau  zu  den  Mannen 
verwandten  beziehen.     Es  sind: 

der  Bruder  des  Mannes:  scrt.  devdVj  armen,  toij/r, 
griech.  öariQy  lat.  Uvirj  lit.  deweris,  altsl.  deverüy  agls.  täc&r, 
ahd.  zeihhur  M; 

die  Schwester  des  Mannes:  griech.  ydXcog,  yaA&üc,  Ut. 
geöSy  altsl.  zlüva;  vgl.  phrygisch:  ydUagog-  ^Qvyixdv  Svo/m  (8C. 
ovyyenxov),  yeXagog'  ädeXq)ov  yvr'rj  Hes.  Im  Sanskrit  ist  das  Wort 
nicht  zu  belegen;  hier  heisst  die  Schwester  des  Mannes  ndnändar^ 
nanandar ; 

1)  Dieses  nur  in  Glossen  bezeugte  Wort  wird  alimählich  dnrck 
unser  „Schwager**  verdrängt,  das  W.  Schulze  R.  Z.  XL,  406  in  der 
Form  suagur  bereits  aus  dem  Anfang  des  IX.  Jahrhunderts  nachweisti 
und  das  er  aus  *8vikuro-8  «zum  Schwiegervater  gehörend^  deutet.  Die 
Ausführungen  dieses  Gelehrten  haben  mich  in  der  Richtigkeit  meiner 
Vermutung  irre  g-emacht,  dass  unser  „Schwager*  eine  Entlehnung  ftv 
siav.  svojakü,  sväk  „der  Heirats  verwandte**  sein  könnte  (I.  F.  XVn. 
11  ff.)t  obwohl  die  mannigfaltige  Bedeutungsentwicklung  unser» 
^Schwager**,  namentlich  auch  im  Sinne  von  „Schwiegersolm*  besser  n 
dieser,  als  zn  der  ErklJtrun^  W.  Schulzes   (vgl.  a.a.O.  p.407)  pwrt. 


Frauen  von  Brildern  dcsGatleii:  scrt.  yätaras  {yälar 
,die  Fran  des  divdr"),  griecli,  eIvüteqes,  X^A.  jamtrieen,  a\.l»,  j^tvy 
Tfratvia^ ',  die  Frau  des  Bruders  des  Gatten:  serb.-kroat,  jefrun, 
^.jetorta,  die  Frauen  der  Brüder  sind  einander j/c^rre  (Krause 
,0.  p.  9),  lit.  intt  „Frau  des  Bruders",  iett.  jentei-e. 

Auch  liier  fehlt  es  an  irgendwie  aicliereu  Glejcliungen  für 
9ea  Brnder  der  Frau  (scrt.  sydfd,  Ht.  laigönag,  altsl.  mrJ)  oder 
die  ScLwester  der  Frau  (armen.  Reni,  altsl.  «)mH,  lit.  steäin^) 
gäni^licli. 

Somit  halte  icL  den  am  Eingang  dieses  Abschnitts  auf- 
gestellten SatK  für  erwiesen '),  und  wir  kömien  uus  zu  den 
Schltlsseu  wenden,  die  wir  aus  den  im  bisherigen  besprochenen 
Tatsachen  zu  ziehen  berechtigt  sind. 

Wir  haben  nach  ihnen  von  einem  Zustand  der  altidg. 
FamilienorganisaiioD  auszugeben,  in  dem  der  Begriff  der  Ver- 
Bctiwägeruug  ledigHcfa  binsicbllicb  der  Verwandten  des  Mannes 
gegeuflher  der  Frau  ausgebildet  war;  denn  mit  der  Ehe  trat  ein 
Weib  ans  dem  Kreia  ihrer  Anverwandten  in  den  des  Mannes 
Ober,  was  sie  aber  mit  diesem  vereinigte,  zerriss  zugleich  ihre- 
bisherigen  Familienbande,  knüpfte  nicht  neue  zwischen  ihrer  und 
des  Mannes  Sippe  an.  Das  Weib  verschwand,  sozusagen,  in 
dem  Hause  des  Ehegatten. 

1)  Gegen  dii-  Richtigkeit  desselben  könnie  inRu  niuinfie  Wissens 
nur  aut  die  Gleitliung  giiecii.  äüioi-  ol  udcltpäi  yoi/ahtas  ioxtitStn;,  aTlioi' 
ei-j'raiißooi  (Hesychl,  tiXlovti'  ei  ädrlipäi  y^/tavtii,  ö/idya/ißgoi  (PoHok) 
=  altii.  roilar  „the  huabandx  of  two  sislera'  fVigfuHson,  Kluge  K.  Z, 
XXVI,  86)  hinweisen ,  iuBofern  dnrdi  sie  eine  verwandtscliaftliche, 
durch  ihre  Frauen  vermit leite  Beziehung  von  Männern  nus- 
^edrfickt  würde.  Aber  einen  sokhen  VerwaiidtBcbHftägrad  kann  man 
sich  aueli  sehr  wohl  innerhalb  des  Rfthuiens  einer  und  derselben 
Familie  cnl.stAnden  denken,  namentlich  wenn  man  von  jfi'o^en  idg, 
Herdgenieinflchnlten  ausK'eht  (worübt^r  untenl).  Die  äütot  könnten  ur- 
sprünglich Brüder  oder  Vetlern  gewesen  sein,  welche  Schwestern 
KU  Frauen  hatten.  In  rormeller  BäKiehung  wird  sich  iititiw  :  tUiort«  ver- 
halten, wie  ahd. ge-gU'io  :  jrtdo  (Qeschwel".  M.  Müller  vergleicht  mitniiliiii 
iiocb  scrl.  ayäld  (suirL  pj/d/rf),  was  Delbrück  p.  161  (539)  mit  Recht 
«nrUckwetsl.  —  Einen  anderen,  theoretisch  möglichen  Einwand,  dass 
lieben  allen  oben  genannten  Gleichungen  für  die  Mannesverwandten 
iD  der  llraprache  noch  ebensolche  für  die  Weibesver wandten  vorhanden 
pesen  sein  konnten,  die  KuDLIlig  verloren  gegnngen  seien. 
■  uns  den  1",  IG'3    erörierlen  GeBichiepunkieii   für  nicht    er- 


-     316     - 

Am  deatlicbsten  ist  die  Erinnerung  an  einen  solchen  Zustand 
in  den  rnssischen  Volksliedern  erhalten.  Hier  ist  iu£dja  staronäy 
wörtlich  ^die  Fremde",  im  Gegensatz  zu  rodü,  roänjä,  rodü- 
pUmjay  dem  eigenen  Geschlecht,  der  stehende  Ausdruck  fflr  die 
Familie,  in  die  das  Mädchen  bei  der  Hochzeit  eintritt,  wie  nm- 
gekehrt  der  Bräutigam  in  den  Hochzeitsliedem  als  6ttienknÄ 
„Fremdling",  „fremder  Fremdling  aus  der  Fremde"  bezeichnet 
wird.  Auch  die  vielerörterte,  mit  snochd  „Schnur"  fast  gleich- 
bedeutende Benennung  der  Braut  und  jungen  Frau,  nevista,  die 
schwerlich  etwas  anderes  als  „die  Unbekannte"  bedeuten  kann 
(so  zuletzt  Zubaty  Archiv  für  slav.  Phil.  XVI  und  Rhamm 
Globus  LXXXII,  271  ff.;  vgl.  auch  Archiv  XXVIII,  456),  findet 
in  diesem  Anschauungskreis  ihre  verhältnismässig  beste  Erklärung, 
insofern  das  Wort,  wenn  man  es  in  dem  Sinn  von  „die  Unbekannte'*, 
d.  h.  .,,die  Fremde",  nimmt,  den  uaturgemässen  Gegensatz  zu  deio 
iuäeninü  bildet:  was  der  letztere  für  die  Familie  der  Frau,  ist 
die  nevesta  für  die  Familie  des  Mannes. 

Setzt  man  derartige  Ausdracksweisen,  die  in  dem  Volkslied 
schon  mehr  formelhaft  und  ihres  eigentlichen  Inhalts  beraubt 
sind,  als  sich  mit  der  wirklichen  Auffassung  der  Menschen  noch 
deckend  an,  so  wird  man  damit  dem  ältesten  idg.  Zustand  nahe 
kommen,  von  dem  aus  allmählich  sich  eine  Annäherung  der 
beiden  durch  eine  Heirat  in  Beziehung  getretenen  Familien  oder 
Geschlechter  vollzog.  Damals  wird  zuerst  der  Freier  die  An- 
gehörigen seiner  Braut  in  ihrer  Gesamtheit  als  die  „Angeheirateten*^, 
„Verbundenen"  „durch  Eid  verpflichteten",  „Angehörigen"  be- 
zeichnet, und  diese  werden  umgekehrt  mit  denselben  oder  ähn- 
lichen Ausdrücken  den  Mann  der  Tochter  und  dessen  Leute 
benannt  haben.  Teil  weis  schon  genannte  Wörter  wie  griedi. 
yafzßfjog  ( :  ydfzog  „Heirat")  „Schwiegervater,  Schwiegersohn, 
Schwager,  Heiratsverwandter  tlberhaupt",  griech.  juv&eQog:  scrt. 
bändhu  („Verbundener")  ebenfalls  „Schwiegervater,  Schwieger- 
sohn, Schwager,  Heiratsverwandter  überhaupt",  westgerm.„Eidam^ 
agls.  ädum:  got.  aips  („Eid")  „Schwiegervater,  Schwiegersohn, 
Schwager",  ahd.  MtoiOy  geswto  aus  *sveio  {suus,  vgl.  lat  nmt 
aus  *meio-it)  „Schwager,  Schwiegervater,  Schwestermann,  Heirat»- 
verwandter  überhaupt",  altsl.  statu  und  svojakü  (Bildungen  von 
.wo  „«uu«")  mit  ungefähr  derselben  Bedeutungsentfaltung  u.  a. 
(vgl.  I.  F.  XVII,  11)  legen  hiervon  Zeugnis  ab.     Somit  worden 


;  Verbältiiißse  scbou  in  vorliislorischer  Zeit  sich  entwiukelt 
haben.  Erst  den  Einzeisprachen  wm-  die  Anebitdung  einer 
schärferen   Terminologie   der  VerBcbwüf-eruugsgrade,    abgeselieu 

Eier  von  den  älteren  Beziehungen  der  Schwiegertochter  zu 
Ängebörigeii  des  Maunes,  vorbehalten. 
Im  engsten  Zusanimenbang  aber  mit  den  bisherigen  Ana- 
rnngen  steht  es,  wenn,  ebensowenig  wie  durch  die  Braut 
und  junge  Fran  Verwandtschaft  liebe  Beziebnngen  zu  den  An- 
gehörigen derselben  angeknüpft  wnrdeu,  eine  ebenso  geringe 
Beachtung  auch  die  durch  das  zur  Mutter  gewordene  Weib  ver- 
mittelte HIntg verwandtscbaft  zwischen  ihren  Verwandten  und 
ibren  und  ihres  Mannes  Kindern,  wenigstens  xnnächst,  bei  den 
Indogermanen  fand.  Es  ist  somit  nach  meiner  Auffassung  kein 
Zufall,  dass  wohl  des  Vatere,  nicht  aber  der  Mntter  Bruder  über- 
einstimmend in  den  idg.  Sprachen  benannt  ist,  und  Überhaupt 
lediglich  kognatische  Verwandtaehaftsgrade  sieh  durch  arzeitliche 
(ileicbungen  nicht  belegen  lassen  (vgl.  P,  225  f.). 

Am  frühesten  werden  sich,  aber  wiederum  erst  auf  dem 
Boden  der  Einzelsprachen,  deutliche  Benennungen  fUr  den  Mutter- 
brnder  herausgebildet  haben,  der  bei  der  allmählicb  aufkom- 
menden Beachtung  der  durch  die  Mutter  vermittelten  Verwandt- 
schaft natürlich  die  wichtigste  Rolle  gespielt  hat.  Warum  man, 
wie  wir  oben  (p.  309)  gesehen  haben,  bei  seiner  Benennung  in 
mehrfach  von  der  idg.  Bezeichnung  des  Grossvaters 
0-8  ausging,    ist  noch  nicht  völlig  aufgekl&rt').    Sicher   aber 


1)  Delbrück    a,  a,  0.    p.  104  (4H2)  nimmt  an.  datM  *aoo-s    von 

I  den  Vater  der  Mutter  bezeichnet   Imlie.     Sein  Sinn  sei  (vgl. 

^t.  Avati  „er  tut  wohl,  fördert"')  „Schützer''   oder  , Gönner"    gev/unan 

und  habe  zuerst  allein,  spAter  mit  seinen  Ableitungen  auch  den  Bruder 

rter  Mutter    bezeichnet,  der  eine    tthnllcUe   Affekt! onsKtellung  wie    der 

■GtOBsvaler   dem  Kinde    gegenüber   dngenoinmen    habe.      Doch    darf 

Pa  übersehen  werden,  daap  für  *avo-g  weder  die  spezielle  Bedeutung 
ttr  der  Hutter'  noch  ^Muiterbruder"  erwieeen  werden  kann,  und 
t  die  Deutung  „Gönner"  oder  ,Schütser"  doch  zu  sehr  «n  die  I* 
!8S  erörterten  .idylliflchen'  Deutungen  der  Verwandtschattsnameu 
iTlnnert,  um  für  sebr  wahrscheinlich  zu  gelten.  —  K.  Brngmann 
I  F.  XV,  93  möchte  xu  lat.  auixn  auch  das  griech.  o.'a  .Erde"  aus  'avia 
,  doch  Ist  zu  bemerken,  dase  wohl  die  Verbindung  .Mutter  Erde* 
i  Kap.  XVI  Religion),  nicht  aber  „GroHaniutler  Erde',  darcfa  die 
lu  seiner  Bedeutung  „Erde*  gekommen  sei,  zu  belegen  ist. 


~    318    — 

ist,  dass  diese  Bedeutnngsverschiebung  innerhalb  der  AbleitUDgen 
des  Stammes  *avO'  von  „ Gross vater'*  zu  „Mutterbnider'*  die 
weitere  Bedeatungsverscliiebung  innerhalb  des  idg.  *nepdt'  von 
j,Enkel"  zu  „Neffe **  (zunächst  „Schwestersohn **)  zur  Folge  hatte  (so 
auch  Delbrück  p.  127  =  505).  Eine  wichtigere  sachliche  Rolle 
hat  der  Mntterbrnder,  der  in  der  Mntterrechtsfamilie  dem  Rinde 
gegentlber  die  bedeutsamste  Peraönlichkeit  ist,  bei  den  idg.  Völ- 
kern nicht  gespielt.  Eine  Ausnahme  machen  die  Germanen  nnd 
Kelten,  bei  denen  früh  eine  gewisse  Ehrenstellung  des  Mutter* 
bruders  gut  bezeugt  ist.  Was  die  Inder  anbetrifft,  so  haben  die 
Untersuchungen  Delbrücks  ergeben,  dass  hier  erst  allmählich 
der  mätuld  „Mutterbruder"  in  die  Stellung  des  pitfvya  „Vater- 
bruder" eingedrungen  ist.  Schlüsse  von  hieraus  zugunsten  des 
Mutterbruders  auf  die  idg.  Urzeit  können  also  nicht  gezogen 
werden.  Noch  einmal  werden  wir  am  Ende  dieses  Kapitels  anf 
diese  Verhältnisse  zurückkommen. 

II.    Die  idg.  Eheschliessung. 

Die  idg.  Ehe  beruht  auf  dem  Kaufe  des  Weibes*)  (vgL 
P,  216).  Dieser  Zustand  liegt  bei  den  meisten  idg.  Völkern  noch 
klar  und  deutlich  vor  und  wirkt  bei  einigen  bis  an  die  Schwelle 
der  Gegenwart  fort. 

Von  dem  alten  Griechenland  sagt  Aristoteles  Polit. II, 5,  U 
(II,  8  p.  1268b,  39)  ausdrücklich:  xovg  yäq  ägxaiovg  vofiovg  Ikr 
äjikovg  elvai  xal  ßagßagixovg'  ioidriQoq^OQOvvzo  re  ydg  ol  *EÜi;yf? 
xai  rag  yvvalxag  ioyvouvro.  Eine  Jungfrau  wird  im  home- 
rischen Zeitalter  ä/.(fJ€oißoia  genannt  „ein  Mädchen,  das  seinen 
Eltern  einen  guten  Preis  einträgt",  und  mit  Recht;  denn  zuweilen 
werden  namhafte  {djicigeoia)  ¥dva  dem  Vater  des  Mädchens  dar- 
gebracht.    Vgl.  z.  B.  II.  XI,  244  f: 

:iQ(bd^  ixazov  ßovg  dtoxn',  e:ieixa  de  x^Xi    vniavtj, 
atyag  ojuov  xal  S'ig,  rd  oi  aanexa  noiftaivovro. 

Ebenso  treffen  wir  die  Ehe  durch  Kauf  mit  Sicherheit  bei 
den  Thrakern  wieder  (Herod.  V,  Kap.  6),  bei  denen  noch 
Fürst  Seuthes  dem  Xenophon  {Anab,  VII,  2)  sagen  konnte:  2oi 
dSf  <h  Eevo(f(b%*^    xai   ßt}yaT€Qa    dcooo)    xal    fing  od  for«  dvyäaig* 


1)  V^l.  K.  Hermann   Zur  Geschichte   des  Brautkaufs   bei  de» 
idg.  Völkern.    Progr.  Bergedorf  bei  Hamburg  1904  (Progr.-Nr.  832). 


ivi'/ao/iai  Hgtfxioi  vii/iio,  iiiid  dasselbe  ist  bei  den  allen  Litauern 
[er  Fall,  wie  wir  ans  Michalonin  Lituatti  De  moribue  Tartarorum, 
Uuanorum  et  Moschorum  fragmina  ed.  Grasser  Basileae  161Ö 
fahren,  wn  es  p.  28  beieet:  qitemadmodum  et  in  nnsfra  olim 
»olpehatuT  porentibus  pro  sponsia  pretlum,  quod  krieno 
Kailfprei«-':  scrt.  kri-nä'-mi,  lett,  kreens,  kreena  iiiiuda  „ein 
schenk  au  die  Biant")  a  Samagitia  nocatur  (oben  p.  291). 
eniger  wird  der  Braiitkaiif  als  alte  Sitte  auch  für  die 
rrenssen  schon  von  Peter  von  Dusbur^  [Script,  rer.  Pruss.  l, 
Secundum  anHqiiam  eonxuetudinem  hoc  habent  Prutheni 
HC  in  wm,  t/uod  uxnres  snax  emuiit  pro  certa  summa  pe- 
iae)  be/eiigt. 

Bei  den  allen  SInven  musste  Vladimir  den  byitantinischen 
Kaisern  für  die  Hand  ibrer  Schwester  Anna  zwei  Städte  als 
Kaufpreis  (ctfno  s.  n.)  geben  (vgl.  Krek  Analecta  Oraeciensia 
.  187),  und  die  VorBtellunft,  dasa  die  Ehe  ein  Kauf  sei,  diirch- 
Ifcht.  wie  wir  noch  sehen  werden,  in  mehr  oder  weniger  deut- 
icben  Sparen  noch  das  gante  heutige  russische  Volkslied. 

Auch  die  bekannte  Nachricht  des  Tacilas  in  der  Germania 

Lap.  19    {-.Dotem  non  uxor   marito,    sed  uxitri  maritus   offert. 

UeTsuni   pari^nte»   et   propinqui  ac   munera  probitnt.    non  ad 

Üicias   muliehri-x  quaes'tta  ner  quihus  nnaa  nupta  cnmntar,  ged 

wej*  et  freimlum  eqtium  et  acutum  cum  framea  gladioque.    In 

lunera   u.ror   eiccipitun    kann    man    trotü   der  sell- 

■nen  Ausdrucksweise    des    den    Sinn    seines    Berichts    offeubar 

icht  recht  verstehenden  Schriftstellers  nicht  andere  als  auf  eine 

(chlige  Kanfehe  bezüglich  auffassen,  /.umal  uns  bei  den  meisten 

Ermanischen  Stämmen,    nanieutlieh   bei  den  Longobarden,    Bur- 

indern,  Sachsen,  Angelsachsen  usw.  die  unzweideutigsten  Zeug- 

!  fnp  eine  solche  vorliegen.     Allein  schon  der  fast   bei  allen 

lennaoen  wiederkehrende  Ausdruck  „eine   Frau   kaufen"  =  hei- 

.  B.  alts.  ^r    fhea    magail   luibda    gihoht   im   te  brüdiu) 

kann  gar  nicht  anders  als  von  einem  einst  bestehenden  wirkliehen 

Brantkanf  verstanden  werden.     Auch  Ober  die  Kelten,  Kyniren 

irie  Iren  (vgl.  ausser  E.  Hermann    neuerdings  A.  de  Jubain- 

lille  La  famiUe  reltique,  Paris  1905  p,  121).  besilxen  wir  nicht 

Mzii ve rate h ende,    das  Vorhandensein    der  Kaufebe    betreffende 

icliricbten.      Nur    hei    den    Galliern    fand    schon    Caesar    {De 

I  Oall.  VI,  19)   ein    eigentQuiliches  System    der  Ausstattung 


—    320     - 

des  Mädchens  mit  einer  Mitgift  vor.  Den  schwächsten  Abglanz 
der  indogermanischen  Sitte  treffen  wir  in  Italien,  wo  nur  der 
Scheinkauf  der  plebejischen  coemptio  eine  schwache  Erinneraog 
an  den  Brautkauf  der  idg.  Urzeit  bewahrt  hat.  Ganz  aber  wieder 
auf  dem  Boden  des  höchsten  Altertums  stehen  wir  in  den  Vedeo, 
in  denen  ohne  Zweifel  die  Kaufehe  {gattlJcaviväha)  herrschte,  und 
reiche  Geschenke  des  Tochtermannes  an  den  Schwiegervater, 
einmal  100  Kühe  (vgl.  oben  Inajov  ßovg)  mit  dem  Wagen  genaimt 
werden.  Noch  Strabo  c.  709  konnte  berichten:  „Sie  (die Inder) 
heiraten  viele  den  Eltern  abgekaufte  Frauen,  indem  sie  beim 
Empfang  ein  Gespann  Ochsen  dafür  geben. ** 

Wenn  demnach  die  Braut  in  der  Urzeit  dem  Vater  abgekauft 
wurde,  so  liegt  auf  der  Hand,  dass  die  Begriffe  der  Mitgift 
oder  Aussteuer  damals  überhaupt  noch  nicht  dem  Menschen 
aufgegangen  sein  konnten.  Der  sprachliche  Ausdruck  für  die- 
selben entwickelt  sich  häufig  in  der  Weise,  daas  Wörter,  die 
ursprünglich  den  Kaufpreis  des  Mädchens  bezeichneten,  allmih- 
lieh  in  dem  Sinne  von  Mitgift  verwendet  werden;  denn  der  Gang 
der  kulturgeschichtlichen  Entwicklung  ist  offenbar  der,  dass  der 
gezahlte  Kaufpreis  zunächst  von  dem  Vater  behalten  wird,  dann 
aber  in  milderen  Zeiten  dem  Mädchen  ganz  oder  teilweis  ab 
Brautschatz  folgt  ^),  bis  endlich  die  Leistungen  der  Eltern  an  die 
Braut  die  Leistung  des  Bräutigams  entweder  aufheben  oder  m 
blossen  Form  herabsinken  lassen. 

Hierfür  ist  auf  das  homerische  Sivov,  iedvov  zu  verweisen, 
welches  dem  westgerm.  *wetmo  (agls.  weotuma,  ahd.  uAdurnHj 
Kluge  Nomin. Stammb.  X)  genau  entspricht  (vgl.  P,  216 f.).  b 
der  homerischen  Sprache  sind  die  Siva  fast  noch  ausschliesslich 
die  Geschenke  an  die  Braut  oder  an  ihre  Eltern.  Mv&Ea9ai  nnd 
eöva  gehören  zusammen.  Od.  VIII,  318  fordert  Hephästos  seine 
?dva  zurück,  weil  seine  Frau  ihn  betrogen  habe.  Der  Vater  nnd 
die  Brüder  der  Penelope  wünschen  (XV,  18),  dass  letztere  den 
Eurymachos  heiratet: 


1)  Besonders  charakteristisch  ist  in  dieser  Beziehung,  daat  der 
schon  oben  genannten  vedischen  Festsetzung  des  Kaufpreises  für  ein 
Mädchen  auf  100  Kühe  mit  dem  Wagen  in  den  Rechtsbflchera  der 
offenbar  spätere  Zusatz  hinzugefügt  wird:  that  (gift)  he  shatUd  make 
bootlesH  (by  returning  it  to  the  giver).  Vgl.  Apastaniba  Apharism»  tm 
the  sacred  law  of  the  Hindu»,  ed.  Bühler  II,  6,  13,  12. 


Nur  au  einer,  resp.  2  Stelleo  der  Odyssee  (l,  278,  11,  196) 
fd  das  Wort  von  der  Mitgift  verstanden  (vgl.  KirchLoff  Di« 
»ni.  Odyssee  p,  243).  Eheneo  sind  die  germ.  buvgund,  wittimo, 
ves.  iritma,  agis.  weotvma,  alid.  iridumo,  anser  „irittum"  ur- 
irUnglicIi  alte  Nanieti  für  den  Kaufpreis  des  Mädcliens,  also 
oiit  loügoh.  meta,  alta.  mundr  u.  &.  und  liaben  erst 
ittler  tcilweifi  andere  Bedeutungen  angenonimi'n  (ßrinim  R.  A. 
424.  Scliade  Alld.  W.i. 

Entsprechend  werdeu  auch  im  Altrussisclien  fflr  dag  scljon 
nu  Ip.  290  Aüni.)  genannte  le^iio  die  Folgenden  Bedetitnngen  an- 
heben: 1.  „Üe7.nldnng",  „das,  was  befahlt  worden  ist",  2.  ipef/yi/, 
„die  Beitaliliiug,  welebe  Für  die  Braut  befahlt  \rnrde,  oder  die 
litgiFt,  wukdie  der  Freier  der  Braut  zu  geben  pflegte"),  3.  TtQoii, 
idänoje  („das,  was  der  Vater  der  Braut  dem  Freier  gibt"). 
^1.  J)  r K K n e vsk  i  j  Materialien  f (Ir  ein  alirussiselies  Wörter- 
ich 1.  487. 

Ancti  fflr  das  irisebe  tindscra  gibt  Windiseh  Ir.  Texte 
gl.  naeli  A.  de  Jubainville  a.a.O.  p.  144)  die  Bedeutungs- 
ttwickeSung  an;  „I.  der  Kaufpreis  für  die  Braut,  von  seiten  der 
lern  gefordert,  vuu  seiten  des  Modellen»  selbst,  2.  die  dem  Manne 
gcbraelile  Mitgift". 

Neben  der  .Sitte  des  BrautkauFs  /.iebt  sieb  aber  durch  das 
Altertum  noch  eine  zweite  buchst  primitive  Form  der  Ehe- 
iblieesung.  die  sich  auch  bei  zahlreichen  anderen  Völkern,  sei 
)  ala  rauhe  Wirklichkeit,  sei  es  als  symbolische  SeheinbandltiDg 
lebweisen  Ifisst,  die  Ehe  durch  Raub  M('  AgTinyfji).  In  Indien 
Hland  fUr  den  Eheriluä  durch  Entführung  des  Mädchens  ein 
Honderer  Name,  die  Räkshasa-Ehe,  die  auf  die  Kshatriya 
frieger-,  Adelskaste)  liesebränkt  war.  Nach  den  bei  Dionys  von 
blikamasB  (II.  3ü)  dem  Romultis  hei  Gelegenheit  des  Rauhes 
er  Sabinerinuen  in  den  Mund  gelegten  Worten,  sei  in  ganz 
iechenland  die  Raubebe  althergebrachte  Sitte  und  die  ehreu- 
Mlate  aller  Eheschliessungsformcn  gewesen  (rgönior  oi'futävrtor, 
ai  yii/toi  Talg  ywat^iv,  hiirpavsaTaxog).  Von 
Der  eigeiitllmlichen  Uestaltnng  derselben  in  Sparta  (l-yä/iow  di' 
uty^g)  entShlt  Plntarch  im  Lykurg  Kap.  15.  Auch  in  Rom 
brte  man  viele  daselbst  geltenden  Ilnchzcitsitten  auf  eine  einst 


-    322    — 

bestehende  Raubebe  zurück.  Vgl.  Damentliefa  Festns  p.  289^. 
Rapi  simulabatur  virgo  (bei  der  Überftthrnng  in  das  Hans  des 
Mannes)  ex  gremio  matris  aut,  td  ea  non  est,  ex  proxima 
iiecessitudine,  cum  ad  viimm  trahitur^  quod  videlicet  ea  res 
feliciter  RomuJo  cessit  usw.  Alle  diese  und  zahlreiche  andere 
auf  neuere  idg.  oder  niehtidg.  Völker  bezügliche  Nachrichten 
geben  zu  Fragen  Änlass,  auf  die  sich  nicht  immer  eine  befrie- 
digende Antwort  geben  lässt.  Wann  kann  man  überhaupt  davon 
sprechen,  dass  bei  einem  Volke  die  Sitte  der  Raubehe  besteht, 
und  wodurch  unterscheidet  sie  sich  von  der  zu  allen  Zeiten  ond 
unter  allen  KultuiTcrhältnissen  vorkommenden  gewöhnlichen  Ent- 
führung eines  Mädchens?  Wie  verhält  sich  die  Raubebe 
chronologisch  und  geographisch  zu  der  im  bisherigen  geschilder- 
ten Kauf  ehe?  Fand  der  Raub  in  der  Regel  mit  Übereinstimmung 
des  Mädchens  oder  ohne  dieselbe  statt?  Wie  gestaltete  sich 
das  Verhältnis  des  Räubers  und  der  Geraubten  zu  den  Eltern 
der  letzteren?  usw.  Am  eingehendsten  hat  sich  mit  diesen 
Fragen  bis  jetzt  L.  Dargun  Mutterrecht  und  Raubehe  (Breslaa 
1883)  beschäftigt,  der  aus  dem  ganzen  Erdball  eine  ausserordent- 
liche Fülle  hierhergehöriger  Notizen  gesammelt  hat,  ohne  dass  man 
indessen  auch  nur  an  einer  einzigen  Stelle  sich  ein  deutliches  Bild 
der  einschlägigen  Verhältnisse  machen  könnte,  und  doch  sind 
wir  wenigstens  hinsichtlich  eines  der  idg.  Völker  in  der  Lage, 
die  Institution  der  Raubehe  an  Schilderungen  aus  der  Gegenwart 
eingehend  zu  studieren  und  zugleich  diese  Schilderungen  mit 
guten  Überlieferungen  aus  der  Vergangenheit  zu  vergleichen. 
Dieses  Volk  sind  die  Russen. 

(Kauf    und  Raubehe  in  Russland.) 

In  der  Chronik  Nestors  (ed.  Miklosich)  Kap.  X  findet  sich 
die  folgende  Schilderung  der  altslavischen  Sitten  (vgl.  dazu 
Schlözer  Russische  Annalen  I,  125 ff.):  „Sie  hatten  ihre  Ge- 
wohnheiten und  das  Gesetz  ihrer  Väter  und  ihre  Überlieferungen, 
ein  jedes  Volk  hatte  seine  Sitte.  Die  Poljanen  (das  sind  die 
Polen  in  der  Gegend  um  Kiew)  hatten  die  stille  und  sanfte  Art 
ihrer  Väter  und  Sehamhaftigkeit  vor  ihren  Schwiegertöchtern 
und  ihren  Schwestern,  ihren  Müttern  und  Eltern;  auch  ihren 
Schwiegermüttern  und  Schwägern  bezeugten  sie  grosse  Ehrfurcht; 
sie  hatten  hochzeitliche  {hraöny)  Gewohnheit.     Der  Freier  ginj; 


■iclit  seihst  iincli  seiner  Biant  ;iiiii  sie  /.u  boleo,  d.  Ij.  rauiien?), 
MOilerii  sie  TUlirteD  sie  ihm  abends  zu  und  brachten  am  Morgen, 
•ras  fllr  gic  gegeben  wurde 'j.  Aber  die  DrevljaDen  („die  Waid- 
Heule",!  lebten  in  viehischer  Art;  sie  lebten  wie  wilde  Tiere:  sie 
tfiteten  einander,  asseii  unreines  und  hatten  keine  Ehen  {hrakü), 
kondern  entftlhrten  {ufnyf^achu  ufody)  die  Jungfrauen.  Und  die 
Badiniii^en  (Söline  Radims  am  8o/.j  und  die  Vialii^en  (Sühne 
VJatkos  an  der  Oka)  und  die  8everer  („Nordleute")  hatten  einerlei 
Bitten:  Hie  lebten  io  den  Wäldern  wie  wilde  Tiere  und  asaen 
Hlles  unreine:  sie  führten  nnzüebtige  Reden  vor  ihren  Eltern 
lud  Schwiegertöchtern.  Ehen  (brakü)  hatten  sie  nicht,  sondern 
Bpielplätze  7.wi.<tclien  den  Di^rfein,  nnd  zu  diesen  S|)icleu  und 
Tttnzen  und  allerlei  leufliscben  Spieleu  kamen  sie  zusammen,  und 
^  entführte  {umyl:achu)  sich  jeder  das  Weib,  mit  dem  er  ciu» 
jewordeu  war.     Auch  hatten  sie  je  xwei  oder  drei  Weiber." 

Ans  der  augefllhrten  .Stelle  ergibt  sich,  dass  in  der  von 
kr  Chronik  geschilderten  Zeit  zwei  Formen  der  EheschliessaDg 
{b  Rnssland  nebeneinander  bestanden,  die  regelrechte  Ehe, 
\rakä  genannt,  ein  Wort,  das  im  Oeehieehen  und  Polnischen 
[nach    Sreznevskij)    „Auswahl"    (vyboräj    bedeutet,    nnd    die 

nubeh  e,  russ.  tim^känie.  Es  ist  nun  eine  Überaus  interessante 
Tatsache,  dass  dieses  Verhältnis  noch  in  dem  heutigen  europäischen 
ftnssland  besieht,  nnr  mit  dem  Unterschied,  dass  die  Ranbehe 
dem  brakfi  in  gewisse  versteckte  Gegenden  des  äussersten 
Ostens  zurtickgewichen  ist.  Über  die  Formen  der  Eheschliessung 
bei  der  ländlichen  Bevölkerung  Russlands  sind  wir  durch  da» 
Werk  V.  Sejns  Der  Grossrnsse  in  seinen  Liedern,  Fest- 
^bräuchen,  fiewohnheiten,  Aberglauben,  Erzählungen,  Legenden 
(Petersburg  1890),  dessen  L  Band  in  seiner  zweiten 
Itlfte  fast  ganz  den  Hoeb/eitshrüuchen  und  -liedern  gewidmet 
aafs  besre  anlerrichtel.  Aus  ihm  erfahren  wir  über  den 
imkü  und  liher  das  umylänie  folgendes: 

a)   Der  hriikü,    die  Ehe  durch  Kauf.     Es    kann    nicht 

zweifelt  werden,    dass  die  russische  Ehe    im  Volksbewusstsein 

l'i  Diene  letzteren  Wort«  sind  nicht  ganz  klar,  aumsl  auch  di« 
indti-hriften  autteinanderKehen.  In  dp.v  einen  üest  man:  prinoAaxu 
»</,  ito  tidadnie,  in  der  andern  priiioiaxu,  ito  na  nej  vdadute.  Kn 
«ntweder  von  der  Mitgift  oder  dem  Kaufpreis  die  Rede.  Vgl.  ztt- 
it  KljuCcvski.i  Lehrgang  der  russischen  Geschithte  I.  140  ^russ ). 


—     324     — 

und  in  Wirklichkeit  eine  Eaufehe  ist  oder   zum    mindesten      Wir 
(vgl.  auch  oben  p.  321).     Am  deutlichsten  tritt  dies,   wie  n^tür' 
lichy    in    den    östlichsten    Gouvernements    hervor.     So   heridtet 
Sejn    p.  691  f.    aus    dem    Gouvernement    Ni2egorod    über    die 
Verhandlungen  zwischen  den  Vätern  des  Burschen  und  des  Mäd- 
chens und  deren  Verwandten  beim  svatotatvö  ;,der  Brautwerbung^• 
„Die  Sippe  des  Freiers  spricht":  ;,Wir  haben  einen  Käufer,  Ihr 
habt  eine  Ware.     Wollt  Ihr  nicht  Eure  Ware  verkaufen?"  Man 
antwortet,  die  Ware  sei  noch  zu  jung,    unerfahren  in   der  Wirt- 
schaft   und   habe  sich    noch   nicht   mit  Kleidern  usw.  versehen. 
Endlich  kommt  man  überein,  und  die  Verwandten  des  Mädebeos, 
nachdem  sie  sich  hinsichtlich  der  „Ware*^,   d.  h.  der  Braut,  ent- 
schieden haben,  fangen  an,    die  Bedingungen   mitzuteilen,   anter 
denen  sie  bereit  sind,  die  Tochter  zu  verheiraten.     Diese  Bedin- 
gungen bestehen  in  der  Vereinbarung  {vygovorü)  der  Tischgelder, 
<lie  der  Vater  des  Freiers  vor   der  Hochzeit   an    den  Vater  der 
Braut  bezahlen   muss.     Dieser  vygovorü  beläuft  sich  auf  10  bis 
50  Rubel   und    mehr,   je   nach    den  Verniögensverhältnissen  der 
einen    und    der   andern    Eltern.     Ausser  Geld    wird    noch  ana- 
bedungen:   eine  bestimmte  Masse    von  Weizenmehl,    Rindfleisch 
und    Malz     für    die    Sippe    der    Braut    usw.      Schliesslich 
reicht    man  sich    die  Hände    (bijutü  po  rukamüy    woher  dieser 
ganze  Akt  rukohitle  genannt   wird),    ein  Dabeistehender  schlägt 
durch,    und  die  Zecherei    beginnt."     Oder  p.  715:     „Wenn  die 
Eltern  übereinstimmen,  so  antworten  sie,  sie  seien  nicht  abgeneigt, 
in  ein  verwandtschaftliches  Verhältnis  einzutreten  {porodnÜisja)\ 
dann  geht  die  Svacha  (die  Brautwerberin)  an  den  Tisch   heran, 
und  es  beginnt  der  Handel  um  die  klddka  für  die  Braut  .... 
,So  gefallt  Euch  also  mein  Käufer",    sagt  sie,    „und  ans  gefällt 
Eure  W^are;  also  für  wie  viel  wollt  Ihr  Eure  Ware  dem  jungen 
Käufer  verkaufen?^     Nun    beginnt  ein  Handel,    wie    wenn   man 
eine  Kuh  verkauft."    Als  klddka  für  die  Braut  gibt  man  10  bis 
50  Rubel,   eine  leichte  Sommerbluse,   ein   oder   zwei  Schafpelze 
für    die  Braut,    eine   leichte    Sommerbluse    aus  Nanking,    baum- 
wollenen Stoff  oder  Tuch,  vatoinikü  (?)  aus   denselben  Stoffen, 
3 — 5  Eimer   Schnaps,    2 — 4  Pud  Rindfleisch,   eine    mira  Hirse, 
Weizenmehl,  Fisch,  Filzschuhe  für  die  Braut,  Bastschuhe,  Fnsfl- 
lappen,    Falbeln.     Die   ganze  Hochzeit    kommt   dem  Freier  aaf 
SO— 200  Rubel    zu    stehen."     Gouvernement    Orenbarg   p.  751: 


;  klddka  oder  der  kalymü,  d.  i.  die  Bezahlung  für  ilie  Braut 
btztere8  ein  taiarischeB  Wort)  steigt  bis  auf  100  K.,  die  gewöhn- 
iche  8uiiime  ist  äö— ^30  R.  In  der  klddka  eind  eiDgesohlossen : 
leid,  Pelzwerk,  Pilzsi'hulie  oder  Stiefel,  Filz,  Schnaps,  Fleisch, 
letreide  usw.,  je  DAchdein,  was  der  Verheirater  oder  die 
Irant  brauchen.  Nach  der  rjdda  (der  „ÄbniachuDg''j  vitll- 
leben  die  Parteien  das  rukobitie  (s.  it.j  uud  reichen  sieh,  wie 
11  einem  IlaudelggeHehäft  auf  dem  Hazar,  die  Hände,  trinken 
was  Schnaps  nnd  besliniüien  den  Ta^-  der  „Sauferei"." 

Xnn  hat  ohne  Zweifel  diese  klddka,  wörtlich  „Hinterlegung", 
D  offenbar  später  fUr  das  altrnss.  veno  (oben  p.  321)  eingetre- 
loes  Wort,  die  Neigung,  ganz  im  Einklang  mit  den  obigen  Ans- 
Ifarungen,  mehr  und  mehr  als  diejenige  Summe  betrachtet  zu 
rerden,  die  in  erster  Linie  dazu  dienen  soll,  den  Dranteltern 
;  Kosten  fUr  die  Hocbxeit,  für  die  Mitgift  fpi-iddnoje)  des 
Ifidchens,  die  aber  nur  au«  Wäsche  und  einigen  Kleidern  etc. 
wtebt,  für  die  zahllosen  Geschenke,  die  von  dem  Mädchen  an 
o  Brftntigam,  dessen  Familie,  ihre  Freundinnen  und  Verwandten 
rteilt  werden  inössen,  für  die  endlosen  Gastereien  nsw.  /.u 
rleicbtern.  Trotzdem  geht  die  uralte  Auffa«Bung  der  Ehe  als 
Ines  Kaufes  des  Mädchens,  deutlich  ans  denj  Umstand  hervor, 
i  die  Bciion  angeführte  stereotype  Formel:  „Wir  haben  gehört, 
Us  Ihr  eine  Ware  habt,  damit  sie  sich  nicht  verliegt,  hat  sicli 
uns  ein  Käufer  gefunden"  nach  den  .Sejnsehen  Materialien 
leb  fast  in  ganz  Kussland  belegen  lässt,  nnd  zahllose  Hoehzeits- 
rftncbe  und  -lieder  sich  nicht  anders  als  so  verstehen  lassen. 
Wer  wie  sull  man  Wendnugen  wie  die  folgenden  anders  auf- 
I?  „Dunkel,  dunkel  ist  es  draussen,  dunkler  noch  im 
yanengeniacb .  Die  Bojaren  fd.  i.  da»  Geleite  des  Freiers)  halten 
cTore  belagert.  8ie  handeln,  handeln  nni  DunjaSa."  „Handle, 
Indle  Bruderlein,  gieb  mich  nicht  billig  fort,  fordere  fUr  mich 
DOR.,  ftlr  meine  Flechte  lOUO  R.,  fUr  meine  Schilnheil  gibt's 
liuen  Preis"  oder:  „Brllderlein,  plage  Dich,  ßrüderlein  wider- 
jtze  Dich!  Verkauf  die  Schwester  nicht  für  Geld  oder  Gold! 
fohl  ist  die  Schwester  dem  Bruder  lieb,  lieher  ist  ihm  das  Gold" 
igl.  weiteres  bei  Ralston  The  songn  of  tke  Russian  people' 
r283ff.).  Auch  das  propftl  neve'sty  „das  Vertrinken  der  Braut" 
t  ein  feststehender  Ausdruck.  In  diesem  Zusammenbang  ver- 
ebt man   auch    die    russischen  Mädchenmärkte,    von   denen 


—    326     - 

« 

schon  Krek  Analecta  Graec.  p.  18U  (vgl.  auch  E.  Hermann 
I.  F.  XVII,  385  ff.)  berichtet  hat.  Sejn  erzählt  von  ihnen 
aus  dem  Gouvernement  Tverl  p.  631:  ^Noch  bis  auf  meine  Zeit 
haben  diese  ^^Spaziergänge"  (guljänfja)  den  Charakter  einer 
Brautschau  getragen.  Die  Eltern  der  Freier  gingen  rings  nni 
die  ganz  unbeweglich,  wie  Statuen,  stehenden  Mädchen,  betrach- 
teten sie  aufmerksam  von  allen  Seiten,  ja  drehten  sogar  ihre 
Köpfe,  um  sich  zu  überzeugen,  ob  ein  solches  Mädchen  nicht 
schiefhalsig  und  krumm  sei  oder  schiele.  Manchmal  ging^  «e 
auch  ein  wenig  bei  Seite,  blinzelten  und  flüsterten,  indem  sie 
gleichsam  die  Ware  abschätzten.  Alles  dies  legt  von  einem 
einst  bestehenden  Brautkauf  Zeugnis  ab.^ 

b)  umykdnk  ^die  Raubehe^.  Aus  demselben  Gouvernement 
Ni^egorod,  aus  dem  wir  oben  einige  wichtige  Nachrichten  die 
Eaufehe  betreffend  mitteilten,  aus  dem  unendlichen  Waldbezirk 
der  unterhalb  Ni^ni-Novgorods  von  links  in  die  Wolga  münden- 
den  Vetluga  berichtet  Sejn  a.  a.  0  p.  708  das  folgende:  „Aber 
meine  Darstellung  wäre  durchaus  nicht  vollständig,  wenn  ich  in 
ihr  nicht  noch  die  sogenannten  „Diebesehen"  (vorötskija^) 
Hvädlby)  berührte.  Solche  „Diebesehen"  gehen  vorzugsweise  die 
armen  Bauern  ein.  Ein  armer  Vater  eines  Freiers  hat  kein  Geld 
für  den  vygovorü  der  Braut  (s.  o.)  und  für  die  Hochzeit.  Er 
schlägt  deshalb  seinem  Sohne  vor,  sich  selbst  eine  Braot  zn 
suchen.  Der  Sohn  beginnt  in  den  Spinnstuben  {bes^dka)  umher- 
zulaufen und  findet  ein  Mädchen.     Manchmal  schnell,  manchmal 

muss  er   lange  von  Dorf  zu  Dorf  wandern Sein  Vater 

fähi*t  zum  Popen,  um  zu  fragen,  ob  es  möglich  sei,  eine  solche 
Ehe  zu  schliessen.  Der  Pope  sträubt  sich  anfangs,  aber  schliess- 
lich stimmt  er  zu,  wenn  ihm  der  Bauer  einen  „roten"  (d.  h.  einen 
10  Rubelschein)  auf  den  Tisch  legt  und  einen  Krug  Vodka  dazustellt. 
Der  Tag  der  Hochzeit  wird  bestimmt,  und  davon  der  Braut  Mit- 
teilung gemacht.  Alles  das  geschieht  heimlich.  In  der  Nacht 
vor   der  Hochzeit   schirren    der  Oheim    oder   ältere  Bruder  des 


1)  ivorü  „der  Dieb^.  Diese  Ehen  heissen  auch  9vädiby  fixö- 
dxytnü,  uvödomü^  ub^'gomü  („durch  Entlaufung,  Entführung,  Entrinnung'), 
oder  endlich  samokrutki.  Dieses  letztere  Wort  bedeutet  eigentlich  ein 
Mädchen,  das  sich  am  Hochzeitstage  selbst  das  Haar  nach  Art  ver- 
heirateter Frauen  zurecht  macht  {okruödtt)^  was  sonst  ihre  Freundinnen 
besorgen,   eine  in  den  Hochzeitliedern  oft  geschilderte  Zeremonie. 


reiers  ein  Taar  I*fenle  ati  aiul  falireii  iiiit  dem  Freier  in  das 
9rf,    iti    dem  die  Braut    lebt.     Der  Obeim    bleibt    im  Scbijtteii 

iben  dem  Dorf,  aber  der  Freier  geht  zur  Braut  oder  zn  ihrer 
Ute,  mit  deren  Hilfe  die  Sache  abgekartet  wurde.  Die  Taote 
ht  ans  Fenster  desjenigen  Bauernhauses,    in    dem    die  Spiun- 

Hbe  stattfindet  und  rnft  ihre  Nichte    nach  Hause.     Die    macht 

Bb  sofort  auf.  Die  nbrigen  Mädchen  ahnen  nichts  und  fahren 
sich  zu  amtlsieren  und  ihre  Lieder  zu  singen.     Inzwischeu 

bleichen  sich  hinter  den  Höfen    an    den  Schneegrnben    vorbei 

»i  Schatteu,    von  denen    einer  lüu  Bllndel  mit  Kleidern    trägt. 

lese  drei  Schatten  erreiche»  den  Schürten  und  jagen  über  Hals 
i  Kopf  ins  Kirchdorf  zur  Trauung.     In  der  Mehrheit  der  Fälle 

dingt  es  den  Liebenden  oder,  besser  gesagt,  den  Verlobten,  sich 

■  der  Verfolgung  trauen  zu  lassen,  doch  manchmal  haben  sie 
Mnen  Erfolg,  und  dann  ereignen  sich  zahlreiche  wunderbare 
^ndslgeechicbten.  Zuerst  fühlt  sich  der  Vater  der  Ausreiseeriu 
irpflichtet,  zum  Popen  zu  laufen  und  zu  fordern,  dass  er  seine 
tcbter  nicht  trauen  möchte,  andernfalls  werde  er  sieb  morgen 
IUI  Archiereus  beklagen.  Der  Pope  fängt  an,  ihm  zuzureden. 
tr  Bauer  nennt  ihn  in  seinem  Zorn  einen  „.Strubelpeter''  (?AVo- 
tty>  und  länft  im  Kirchdorf  herum,  um  »eine  Tochter  zu  sucheu. 
Iweilen  findet  er  sie  und  verprügelt  sie,  wenn  nicht  die  Ver- 
mdten  von  seilen  des  Freiers  fllr  sie  eintreten.  Die  Tochter 
^  dabei  gewtlbnlich:  ,Und  wenn  Du  mich  totschlägst,  Valer- 
ien, ich  werde  nicht  uugetrant  nach  Hause  gehen.  Wenn  Du 
ich  aber  mit  Gewalt  wegführst,  ersäufe  oder  erhänge  ich  mich,' 

,  Vater  bleibt  bei  solchem  Protest  nur  übrig,  sich  zu  be- 
lligen und  irgend  eine  Abmachung  mit  dem  neuen,  ungebetenen 
ntü  (dem  Vater  des  Freiers)  einzugehen,  oder  auf  die  Sache 
n  spQckcn"  und  nach  Uause  zu  fahren.  Meistenteils  findet  er 
ligens  die  Ausreisserin  nicht,  und  dann  sitzt  er  mit  den  übrigen 
U-waudten  auf  der  Kirchenwaehe  oder  an  den  KirchentUren  und 
irtet  die  Zeit  ab,  wenn  man  sie  in  die  Kirche  führt.  Da  hilft 
er  der  „rote"  den  Ausreissern.  Die  errinderischen  Kirehen- 
ener  bemühen  sich  mit  allen  Kräften,  die  Braut  in  die  Kirche 
I  bringen.  Und  wenn  ihnen  dies  durchaus  nicht  gelingt,  nehmen 
!  xur  List  ihre  Zuflucht  (worauf  mehrere  Geschichten  erzählt 
erden,    wie  Pope    und  Kirchendiener  die  Kitern  der  Braut    an 

■  Nase  herumführen)  ....     Am  Tage  nach  der  Trauung  be- 


—     328    — 

gibt  sich  das  junge  Paar  gewöhnlich  zu  den  Eltern  der  Braut, 
wirft  sich  ihnen  zu  Füssen  und  empfängt  fast  immer  Verzeibnng. 
Nur  selten  verzeiht  ein  Vater  nicht,  besonders  nachgiebig  ist  er, 
wenn  der  junge  Schwiegersohn  aus  dem  Schlitten  ein  FSsschen 
mit  Vs  Fimer  Schnaps  herbeischleppt.  Manchmal  bleibt  der  Vater 
auch  hartnäckig,  so  dass  man  zwei-  oder  dreimal  ihn  deswegen 
begrftssen  muss.  Schliesslich  verzeiht  er  aber  doch  und  seg^net 
seine  Kinder,  wobei  er  der  Tochter  auch  ihre  Mitgift,  die  in 
verschiedenen  Kleidungsstücken  besteht,  herausgibt.*^ 

Eine  erwünschte  Bestätigung  und  Ergänzung  erhalten  die^ 
Nachrichten  durch  P.  J.  Melnikow^)  (Andrej  Peßerskij)  in 
seinem  Roman  „In  den  Wäldern",!,  Kap.  VII:  „Raubehen  f«tHf- 
dtba  uxödomü)  sind  ganz  gewöhnlich  bei  den  Raskolnikem  jen- 
seits der  Wolga.  Man  versteht  darunter  die  Entführung  eines 
Mädchens  aus  dem  elterlichen  Hause  und  ihre  heimliche  TrRonn; 
bei  einem  Raskolniker  Popen,  aber  noch  öfter  in  rechtgläubigen 
Kirchen,  damit  der  Bund  um  so  fester  werde.  Denn  die  Traoong 
bei  einem  Raskolniker  Popen  muss  man  immer  noch  beweisen, 
aber  in  einer  richtigen  Kirche  wird  die  Vereinigung,  auch  wenn 
man  nicht  nach  altem  Ritus  getraut  worden  und  mit  dem  Lauf 
der  Sonne  (pösoloni)  um  das  Lesepult  der  Kirche  herumgeführt 
worden  ist*),  unvergleichlich  dauerhafter:  einen,  der  in  einer 
grossrussischen  Kirche  getraut  worden  ist,  den  kann  man  nicht 
von  seinem  Weibe  trennen,  man  tue,  was  man  wolle.  Deswegen 
nehmen  die  Raskolniker  bei  ihren  Raubehen  häufiger  ihre  Zuflucht 
zu  einem  strenggläubigen  Popen,  besonders  wenn  es  einem  armen 
Teufel  gelingt,  die  Tochter  eines  „Tausendtalemianns^  (tpsjaSniki) 
zu  ergattern.  Die  Gewohnheit,  Raubehen  zu  bewerkstelligen,  ist 
jenseits  der  Wolga  uralt   und  erhält   sich    mehr   infolge   davon, 


1)  Melnikow  (f  1882)  hatte  in  seiner  Eigenschaft  als  Unter 
suchungsnchter  zahlreiche  Reisen  in  den  von  Raskolnikern  bewohnten 
Landschaften  gemacht  und  verwendete  die  hierbei  gesammelten  Er- 
fahrungen zu  überaus  interessanten,  in  seinen  Romanen  verstreuten 
Kulturschilderungen. 

2)  Ein  uralter  Hochzeitsbrauch  (vgl.  bei  D &h\:  pösdoni xodüa  «äe 
ging  mit  dem  Lauf  der  Sonne,  von  Osten  nach-  Westen,  von  recht« 
nach  links**  =  ^sie  wurde  getraut**),  der  lebhaft  an  die  indische  und 
römische  Sitte  erinnert,  bei  der  Hochzeit  das  Opferfeuer  zu  umwandeln, 
indem  man  dasselbe  zur  Rechten  hatte  (vgl.  Winternitz  Beilage  mr 
Allg.  Z.  1903  Nr.  258  p.  293). 


da88  in  der  dortigen  Bevölkerung  jedem  bei  den  Eltern  lebenden 
Mädchen  ein  tranrigeg  Lob  zuteil  ward.  Ein  Mädchen  echfttzt 
man  in  der  Familie  »Ir  billige  Arbeiterin  und  liebt  es  nicbt,  sie 
„ehrlich"  ii^sttju)  zu  verheiraten.  ,Ein  Mädchen',  so  hciset  es,  ,mQB8 
das  elterliche  Salz  und  Brot  abarbeiten  —  dann  kann  sie  gehen, 
wohin  sie  will'.  Aber  dieser  Abarbeitungstermin  ist  für  die 
Töchter  ein  langer:  bis  zu  30  Jahren  und  mehr  ist  sie  gebunden, 
bei  den  Eltern  als  Arbeiterin  zn  dienen."  Es  wird  dann  erzählt, 
wie  zahlreiche  solcher  Mädchen,  namentlich  wenn  sie  nicht  flott 
Dnd  nicht  hflbsch  sind,  sitzen  bleiben,  schliesslich  mit  einigen 
Schicksalagenossinnen  im  Hinterhof  des  Vaters  ein  kleines  Kloster 
eröffnen  und  eich  vom  Unterrichten  der  Dorfjugend  ernähren. 
Sodann  heiast  es  weiter:  „Ein  flottes  und  btlbscbes  Mädchen  aber 
geht  anders  vor.  Sie  wird  in  den  Spinnstubenabenden  oder  beim 
Chorovodfl  mit  einem  jungen  Burschen  bekannt,  der  unweigerlich 
aas  einem  andern  Dorf  sein  muss,  sie  gewinnen  einander  lieb 
und  beginnen  darUlter  nachzudenken,  ob  die  Eltern  das  Mädchen 
„ehrlich"  verheiraten  wollen,  oder  ob  es  angebracht  ist,  eine 
Ranbche  zu  schliessen').  Wenn  keine  Hoffnung  anf  Zustimmaug 
seitens  der  Eltern  vorhanden  i»t,  nimmt  das  Madchen  heimlich 
ihre  Mitgift  und  Kleidung,  tibergibt  sie  dem  Geliebten  und 
begibt  sich  selbst  an  den  bestimmten  Ort.  Der  Freier  wirft  die 
Brant  in  seinen  Schlitten  nnd  jagt  mit  den  Gefährten  Hals  über 
Kopf  zum  Popen.  Die  Ellern  spannen,  sobald  sie  von  der  Flucht 
des  Mädchens  erfahren,  die  Pferde  an,  machen  sich  zur  Ver- 
folgung auf,  bringen  Verwandte  und  Nachbarn  auf  die  Beine 
und  zerstreuen  sich  nach  allen  Seiten,  nm  die  Flüebtlinge  zu 
Sueben.  Zuweilen  trifft  es  sich,  daus  man  sie  einholt,  nnd  als- 
bald fängt  man  an,  sie  bei  dem  Hochzeitsgefolge  faerausznbauen 
i^otbicäti  nereatw").  Zuweilen  kommt  es  zu  Bliitvergieseen.  Ge- 
wöhnlich aber  gelingt  es  dem  Freier,  mit  der  Braut  zum  Popen 
zu  eilen  und  sich  trauen  zu  lassen.  Dann  führt  der  Ehemann 
seine  junge  Frau  zu  seinen  Filltern.  Diese  erwarten  sie  schon  — 
sie  wiBsen,  dass  der  Sohn  ausgezogen  ist,  ihnen  eine  Schwieger- 
tochter zu  rattben,  d.  h.  eine  neue  billige  Arbeitskraft   ins  Haus 


1)  »vädtbu  uxödomü  igrätf.  Der  gewöhnücho  Ausdruck  filr 
,eiue  Hochzeit  feiern'  ist  im  Russischen  igrdti,  eigentlich  „spielen', 
wohl  hergenommen  von  der  Beobachtung  tJer  Bräuche,  die  beim  Spiel 
wie  bei  der  Hochzeil  althergebrachi  sinil. 


L 


1  vergleich  uhk  unil  Criteii: 


22 


-     330    — 

ZU  bringen,  mit  Freuden  treten  sie  daher  den  Neuvermählten 
entgegen.  Am  andern  oder  dritten  Tag  begibt  sich  der  Neo- 
vermählte mit  seinem  Weibe  zu  dem  Vater  der  Frau,  um  Ver- 
zeihung zu  erbitten.  Dort  nimmt  man  ihn  mit  Zanken,  die 
Tochter  mit  Verfluchungen  auf.  Das  ganze  Dorf  läuft  zusam- 
men, um  zu  sehn,  veie  die  ^Jungen^S  nachdem  sie  sich  tief  bi8 
zur  Erde  verbeugt  haben,  ohne  zu  zucken,  mit  dem  Antlitz  am 
Boden  vor  Vater  und  Mutter  daliegen,  Verzeihung  erbittend. 
Aber  Vater  und  Mutter  schimpfen,  schelten  und  fluchen,  treten 
mit  den  Füssen  auf  ihre  Köpfe  und  fangen  dann  an,  sie  durch- 
zuprügeln, der  Vater  mit  der  Peitsche,  die  Mutter  mit  dem  Stil 
der  Bratpfanne.  Schliesslich  gibt  das  elterliche  Herz  nach.  Aof 
Schläge  und  Zank  folgt  der  Friede,  allein,  abgesehen  von  dem, 
was  die  Braut  vor  der  Flucht  dem  Bräutigam  übergeben  konnte, 
wird  ihr  keine  Mitgift  gegeben.  Auch  gibt  es  bei  einer  solchen 
Raubehc  keinen  görny  stolü  ^)  und  keine  Geschenke,  und  alles 
endet  mit  zwei  Gastmählern  von  Seiten  der  Eltern  des  Mannes 
und  der  Frau.  Nicht  selten  geschieht  es  auch,  dass  die  beider- 
seitigen Eltern,  wenn  sie  nicht  reich  sind,  heimlich  vor  den 
Leuten,  ja  vor  der  nahen  Verwandtschaft  sich  untereinander  Aber 
die  Hochzeit  der  Rinder  besprechen  und  zur  Vermeidung  der  Ans- 
gaben  für  Trinkgelage  und  Geschenke  usw.  beschliessen,  keine  „ehr- 
liche^ Hochzeit  zu  feiern  {ne  igräti  svddiby  c^sHju).  Dann  befehlen 
sie  den  Kindern,  selbst  die  Hochzeit  zu  bewerkstelligen,  wie  sie 
es  verstehen.  Dabei  wird  aber  das  ganze  Zeremoniell,  wie  im 
Ernstfall,  auf  das  genauste  innegehalten:  die  Verfolgung  naek 
allen  Seiten,  Zanken  und  Fluchen,  das  Treten  mit  den  Fflsfien, 
das  Schlagen  mit  der  Peitsche  und  der  Topfgabel  vor  den  Angea 
der  versammelten  Dorfbewohner,  kurz  alles,  wie  es  sich  gehört. 
Aber  wenn  das  elterliche  Hei*z  weich  wird  und  die  Hände,  mit 
denen  sie  die  Neuvermählten  züchtigen,  müde  werden,  machen 
sie  Friede,  und  mit  derselben  Topfgabel,  mit  der  die  Mutter  ihre 


1)  So  oder  „Fürfltentisch''  (Jcnjdzij  stolü)  heisst  das  Gastmahi 
Klas  am  zweiten  Tag  nach  der  Hochzeit  den  Verwandten  der  Fran  b« 
den  Neuvermählten  gegeben  wird.  Vgl.  §ejn  a.a.O.  p.  717  Anm. *• 
Seine  Hauptzeremonie  besteht  in  einer  allgemeinen  Rüsserei  der  Ver- 
wandten untereinander  und  mit  den  Neuvermählten.  Es  erinnert  leb- 
haft an  die  persischen  und  römischen  Verwandtenmahle  und  das  ttw 
osculi  (vgl.  Leist  Altarisches  Jus  civile  I,  49). 


ffoi'hter  zllehtigte,  oiael)!  sie  sieli  daran,  ans  dorn  Ofen  iHe  Töpfe 
ßrangüubolen,  »tu  mit  dem  eigens  zu  diesem  Zweck  hereilelen 
lerichte  den  lieben  Heliwiegersohn  /-u  bewirten." 


Versuchen  wir  aus  den  biBhengen  Mitleitungeu  die  cliarak- 
ri^iscbeii  Züge  jener  nissiscben  Raubeben  fest/UBtellen,  indem 
bir   zugleich   noch  einen   Blick   auf  die  in  vieler  Beziehung  ver- 
wandten u  Itlitauischen  Zustünde  werfen,   su  sind  es  die  fol- 
fenden:     1.  Die  ausgesproclieue  Absiebt  jener  rnseiBcben  Raub- 
■faen  ist  die,  den  e^govorü  («.  ii.)  und  die  anderen  Ausgaben  für 
Ipie  regelmässige  üocbzeit  icu  vermeiden.     2.  Die  Raubebe  fiudet 
_  lor  zwischen  Angehörigen  verschiedener  Dßrfer  statt.    3,  Sieselzi 
Einverständnis  von  Seiten  des  Mädchens  voraus,  das  (bei  Nestor} 
auf   den    Spielplätzen    zwischen    den     Dörfern,    (bei    Sejn    und 
_M  einikow)    in   den   Spinnsttiben    und    beim  ChorovodO    erzielt 
|[ird.     Anwendung  von  Gewalt  wider  den  Willen  des  MadcheoK 
^rd  dagegen  in  dem  Werk  des  Erzbischofs  Claus  Magnus  Htsto- 
de   gentibus   septeiitrionalihu^  (Somae   lööö)    erwähnt,    wo 
Ich    eine    ziemlich    eingebende   Kcbildemng   der  Raubehen   der 
tlM^vüae,   Hutheni,  Litkuani,  Lioonienses,  Curetes  findet  (vgl, 
bargun  a.a.O.  p.  95  F.)-    4.  Als  Vcrtr^ante  des  Mädchens  tigu- 
■lert  eine  Taute    (vgl.  in   der  oben  zitierten  Stelle  des  Plutarch 
yk.  die  vr/KpemQia,  welche  die  Geraubte  nnterstützt),  als  Vertraute 
I  Burschen   der  Onkel  oder  ein  älterer  Bruder.    Vgl.  Lasicius 
I  diig  Samagitarum  Kap.  56:     Nee   ducuntur    (puellae),    ntd 
\apiuntur    in    mairimomum,    reteri   Lacedaemoniorum    more  a 
Lycurgo  instituto.     RapiuntuT  autem  non  <ih  iptut  nponso,    sed 
a  duobuK    eins    cognatix').     b.  Die   Verfolgung    von  Seiten    der 
Eltern  der  Braut  ist  im  allgemeinen  durchaus  ernst  gemeint.    Es 
■oumt  dabei  oft  zu  Blut  vergi  essen.     6.  Nach  gelungenem  Raube 

l)  Vgl.  daan.  auch  Matthäus  Pr»etoriU8  DtHciae  Prussicae 
.  Pierson  p.  69:  .Ern.smua  FranciBCUB  in  aeiuem  Sittenspiegel  lib.  S: 
b  3,  p,  958  erzehlet  von  denPreussen:  ihre  mannbaren  TAcliter  lislten 
.  vielen  Orten  kleine  Otöckleln  nder  Schellen,  wel<:he  mit  einem 
ilndlein  am  Gürtel  festg'emacbt  bis  an  die  Knie  hingen,  damit  den 
Freiern  ein  Zeichen  gesehen  würde,  dass  das  Ohst  reif  wäre.  Jedocii 
baten  sie  eich  nicht  selbst  nn,  sondern  Hessen  sich  raffen  und  reisseii 
_to  den  Ehestand;  sie  wurden  aber  nicht  vom  Bräutigam  seihet,  son- 
1  dessen  zwei  nächsten  Freunden  entfUhrl.  Nach  snicher  Ent- 
BBhran^  geschah  erat  die  Werbung  hei  den  Eltprn." 


—    332    — 

folgt  gewOhDlicfa  Versöhnong.  Vgl.  LiEtsicins  a.  a.  0.:  ac 
poatquam  raptae  sunt,  tunc  primum  requisito  parentum  con- 
sensu  matrimonium  contrahitur.  7.  Oft  wird  der  Ranb  nur 
zum  Schein  ausgeführt.  Auch  dann  aber  werden  die  Riten  de« 
Ernstfalls  durchaus  bewahrt.    Ein  unterschied  in  der  Sehildenug 

V 

Nestors  und  derjenigen  Sejns  und  Melnikows  zeigt  sich 
insofern,  als  in  der  ersteren  die  Raubehe  ein  grösseres  TerritorimD 
einnimmt  und,  ebenso  wie  die  regelmässige  Ehe,  bestimmten  Volks- 
stämmen eigen  ist,  während  in  den  jüngeren  Quellen  sie  sieb 
wesentlich  zurückgezogen  hat  und  neben  der  Kaufehe  bei  dem- 
selben Volksstamm  vorkommt. 

Wenn  wir  aber  nach  den  oben  mitgeteilten  Spuren  em 
Recht  haben,  Kauf-  und  Raubehe  nebeneinander  bereits  fflr  die 
idg.  Urzeit  anzusetzen,  so  werden  wir  nicht  iiTcn,  das  VerhältniB 
dieser  beiden  Eheschliessungsformen  zueinander  vorwiegend  nach 
den  slavisch-russischen  Analogien  aufzufassen.  Wir  werden  dabei 
von  dem  oben  p.  316  geschilderten  Zustand  auszugehen  haben, 
in  dem  die  einzelnen  Familiensippen  (russ.  rodü)  sich  noch  ab 
„Fremde^  bei  aller  Stammesverwandtschaft  gegenüber  standen. 
Es  herrscht  durchaus  Sippenexogamie,  die  teils  auf  Kauf,  teik, 
wo  man  den  Kaufpreis  ersparen  will  oder  nicht  über  ihn  verfügt, 
auf  Raub  beruht.  In  den  einen  Teilen  des  Urlands  wird  mehr 
dieser,  in  anderen  mehr  jener  Brauch  hervorgetreten  sein.  Im 
allgemeinen  geschieht  der  Raub  mit  Übereinstimmung  des  Häd* 
chens,  er  steht  insofeiii  sittlich  höber  als  die  Kaufehe,  bei  der 
das  Mädchen  eine  Ware  in  der  Hand  des  Vaters  bildet.  Gelegen- 
heit, sich  kennen  zu  lernen,  werden  den  beiden  Geschlechtern 
die  Stammesversammlungen,  Stammesmärkte  und  Stammesfeste 
(Kap.  XI,  XIII,  XIV,  XV)  geboten  haben.  Man  war  bestrebt, 
nach  geschehenem  Raub  einen  friedlichen  Ausgleich  herbeizufflbrra. 
Andrerseits  werden  Sippenfehden  propter  raptas  virgines  et  arri- 
piendasj  wie  es  Claus  Magnus  für  die  nördlichen  Völker  hervor- 
hebt, und  wie  es  Rovinskij  (Sbomik  LXIII,  251)  auch  ans  dem 
alten  Montenegro  ausführlich  berichtet,  an  der  Tagesordnung  ge- 
wesen sein.  In  jedem  Falle  haben  Kauf  und  Raub,  ebenso  wie 
bei  den  finnisch-ugrischen  Stämmen  (vgl.  L.  v.  Schröder  a. 
p.  333  Anm.  angegebenen  Ort),  so  auch  bei  den  Indogermanen  von 
jeher  nebeneinander  bestanden. 


Die  idg.  Wurzel,  dnrch  die  der  Begriff  des  HeirateiiB  in 
idg:.  Sprachen  RBsgedrUckt  wird,  ist  red-.vedh  (tiber  den 
'ecüeel  der  Media  nnd  Media  aspirata  im  Auslaut  vgl,  Hrug- 
um  Grandriss  l*,  2,  633).  Zn  ihr  gehören  einerseits  die  schon 
nannten  griech.  Mvov,  agls.  iteotuma  (eigentl.  „Preis  für  die 
imfUlirnng"),  andererseits  lit,  icedüy  nitruss.  vodiii  (Steigerungs- 
•m  zu  veati,  vedy),  vodimaja  „Ehefran",  scrt.  cadhü'  .Junge 
lefrau",  aw.  tadü  „Weib,  Frau",  vaörya  „lieiratsfähig".  Die 
niidbedentung  (vgl.  auch  ir.  fedaim  „ich  führe",  fedan  „Ge- 
»nn")  ist  tiberall  „fül[ren''M-  Ans  den  Einzelsprachen  vgl.  aert. 
\hali  „er  führt  sich  ein  Weib  heim"  {auch  aw.  miz  „ein  Weib 
amfßbren"),  lat.  uxorem  dacere,  griecli.  ywaitea  äyenikit  u.a. 
Scheinen  diese  sprachlichen  ZeugnisHe  somit  auf  eine  schon 
der  Urzeit  Ublichi^  feierliche  Heimftihrnng  der  Braut  (vielleicht 
t  ochsenbeapanntem  Wagen,  wie  sie  ein  berllhmter  HoehzeitB- 
D1DII8  des  Bigveda  X,  88  achildertj  hinzuweisen,  so  ist  es  nicht 
irabrscheinlich,  dass  sich  ans  der  Plllle  idg.  Hochzeitsgehräacbe, 
er    die  wir   teilweis    bereits  sehr   ausfObrliche  Sammlungen^) 

t)  Bemerkt  sei,  daas  das  Verbum  auch  von  dem  „verheiraten* 
liraucht  wjrd.  So  altruas.  oeali  za  koga  \v  ae  ie  rrremj^  ehoij^xu 
igänidt  cesti  ta  Jaropolka )  und  im  Awesta  mit  upa  :  upa  vd  ■nairikqrn 
]aya&a  „so  müge  mau  iliiien  eine  Triiu  zur  Elie  geben".  Vgl.  aucb 
irod.  r,  34:  S-^cta-  tiS  naidl  yvrabia.  Am  hHuFigsten  abftr  wird  da» 
rbeiraten,  wie  nach  dem  Gesagten  natürlich,  als  ein  .Uerauag'ehen'' = 
t.  pra  da,  giiech.  htiovi'ta,  lit.  Utd^iH,  russ.  otfidäti  und  vydatX 
mutS),  got-t'n  fragibtim  fliinj<ntvtth-i!''  oder  anch  bloss  als  ein  .Geben' 
I  MädcheuE    von    Seiten    der    Eltern    bezeichnet   (vgl.   W.  Schulae 

Z.  XL,  402). 

2)    Vgl.    E.    Haas    Die    H ei rategeb rauche    der    Inder    nach   den 

ij-asütra  [Weber  Indische  Studien  V.  267  ff.).  M.  Winternftz  Das 
btdisehe  Hochzeitsrituell  nach  dem  Äpastambfya-Grhyasütra  etc. 
mkachriften  d.  Wiener  Ak.  d.  W.  phll.-hiBi.  Kl.  XL,  1  (f.  1892),  Th. 
iChariae  Zum  altindischen  Hochzeitsritual  (Wiener  Z.  f.  d.  Runde 
Horgenl.  XVII),  A.  Roüsbach  Untersuch  an  gen    über    die  rdmische 

I,  Stuttgart  1853,  E.  Samter  Familienfeste  der  firiechen  und  Kömer, 
irlln  1901.  B.  W.  LeiBi  Altaristbes  Jtu  gentium,  Jena  1889. 
.T.Bchröder  Die  Hochzeitsgebräache  der  Est^-n  und  einiger  anderer 
Disch-Bgrischer  Völkerschatten  in  Vergleichung  mit  denen  der  idg. 
Iker,  Berlin  1888,  meia  Keatleilkon,  s.  v.  Heirat,  M.  Winter- 
U  Beilage   i.  Allg.  Zeitung  1903.  p.  243  [f.,    E.  Hermann  Beiträge 

den  idg.  Hochzeit«  brau  eben  L  F.  XVlf,  3T3  II.     ErschSpfend  fäi  die 
jhen  Hochzeitsbriluche  ist  das  oben  genannte  Werk  P.  V.  äejaa 


—    334    — 

besitzeDy  noch  eine  Reihe  anderer  Momente  zusammensteUeD 
Hessen,  die  mit  überraschender  Genauigkeit  bei  Ariern  nnd  Euro- 
päern wiederkehren,  dass  sich  mit  einem  Wort  ein  idg.  Hoch- 
zeitszeremoniell  ermitteln  Hesse,  das  in  die  vier  Stofen  der 
Werbung,  d.  h.  des  Brauthandels,  der  Vorgänge  in  dem  Hame 
der  Braut,  der  Heimfahrung  und  der  Vorgänge  in  dem  Hause 
des  Mannes  zerfallen  wttrde.  Doch  soll  an  dieser  Stelle  ein 
solcher  Versuch  nicht  unternommen  werden  (vgl.  I',  218).  Auf 
einiges  hiergehörige,  wie  die  auch  in  dem  Hochzeitszeremonidl 
besonders  hervortretende  Verehrung  des  Feuers  nnd  Wassere  soll 
in  Kap.  XV  (Religion)  hingewiesen  werden. 

Wenn  nach  dem  Bisherigen  ein  Zweifel  dartlber  nicht  be- 
stehen kann,  dass  das,  was  wir  „Ehe^  nennen,  d.  h.  eine  dauernde, 
durch  feierliche  •  Gebräuche  eingeleitete  Lebensgemeinschaft  zwi- 
schen Mann  und  Weib,  bereits  in  der  idg.  Urzeit  vorhanden  war, 
so  ist  es  doch  in  hohem  Grade  bezeichnend,  dass  ein  Ausdruck 
für  diesen  Begriff  danjals  offenbar  nicht  existierte,  wie  mit  Hiu- 
sieht  auf  die  Griechen  schon  Aristoteles  (Politik  I,  Kap.  3)  klar 
erkannte,  indem  er  sagte,  dass  es  in  seiner  Sprache  einen  eigent- 
liehen  Namen  für  das  eheliche  Verbundensein  von  Mann  und 
Weib  nicht  gäbe:  ävciw juov  yäg  rj  yvvaixog  xai  ävdgog  avCevfy^ 
(vgl.  dazu  Delbrück  a.  a.  0.  p.  62  =  440 ff.).  Dasselbe  ist  der 
FaU  hinsichtlich  des  Begriffes  der  „Gatten"  (vgl.  Delbrück 
p.  56  =  434)  und  der  zu  Vater  und  Mutter  gewordenen  Gatteo, 
der  „Eltern"  (oben  p.  306).  AHe  drei  Erscheinungen  erklären 
sich  ohne  weiteres  aus  dem  Umstand,  d^s  in  der  Urzeit  daa 
Verhältnis  des  Mannes  zu  dem  Weib  und  zu  den  Kindern  von 
dem  des  Weibes  zu  dem  Manne  und  zu  den  Kindern  noch  ein 
so  völlig  verschiedenes  war,  dass  man  nicht  darauf  verfallen 
konnte,  die  beiden  als  ein  Paar  aufzufassen  (vgl.  auch  P,  165), 
da  dieser  Begriff  doch  immer  das  V^erbundensein  zweier  gleich- 
artiger Wesen  voraussetzt. 

Aus  diesem  Grund  wird  auch  das  Heiraten  bei  Mann  und 
Weib  in  zahlreichen  idg.  Sprachen  als  etwas  durchaus  verschiedene» 
angesehen  und  verschieden  benannt  (z.  B.  griech.  ya^mv  xn^ :  ya- 
ß^mo&ai  Tivi,  lat.  uxorem  ducere  :  nuhere,  russisch  äenitisja :  vjH 


Der  Grossrusse   in   seinen  Liedern,   Gebräuchen  usw.  I,  2  «Hoehseit»- 
lieder"  (Petersburg  1900). 


gäviuzii  nsw.),  niid  im  allgenieineu  konmieii  erst  auf  vorgerlickteren 
Kultnrstufen  gemeinsame  Ansdiücke  wie  uoser  „heiraten"  oder 
frz.  »e  marter  auf '). 

Der  eigentliche  Zweck  der  idg-,  anf  Kauf  gegrdniieten  und 
änrch  die  Heimfahrnng  vollendeten  Ehe  ist  die  Erzeugung  zahl- 
reicher  Söhne,  die  auf  der  einen  Seite  daa  Geschleeht  des  Vaters 
weiterführen  und  nach  den  Satzungen  der  das  Reehtslehen  bc- 
tierrschenden  Blutrache  (vgl.  Kap.  XIV:  Das  Hecht)  seine  und  des 
Geschlechtes  .Sicherheit  verbUrgeü  sollen,  uud  auf  der  andern 
Beite  durch  Darbringung  der  Totenopfer  (vgl,  Kap.  XV:  Die  Reli- 
Ipon)  für  die  Seelenruhe  des  Vaters  zu  sorgen  haben.  Mädchen, 
die  dem   Vater  höchstens  einen    guten  Kaufpreis  einbringen   und 

ie  Beerdigungs-  und  Eriunerungsbräncbe  nur  mit  ibreu  Klage- 
ledern begleiten  können,  sind  ein  unerwünschter  Besitz,  dessen 
n  sich  häufig  dnrch  Aussetzung  entledigt  (vgl.  weiteres  unten). 
Die  angegebeneu  Grllnde  machen  zugleich  die  Ehe  zu  einer 
rechtlichen  und  religi'tsen  Notwendigkeit,  und  die  Erscheinung 
des  Hagestolzen  ist  daher,  wie  ich  dies  in  meiner  Schrift  Die 
ßchwiegertnutter  und  der  Hagestolz  (Braunschweig  1904)  naher 
•DSgeftlhrt  habe,  ein  spätes  und  in  seinen  Ursprüngen  verhältnis- 
Uftssig  klar  llbersebbares  Kultur-  oder  besser  Überkulturerzeognis-). 
So  sehr  ist  man  von  der  Notwendigkeit  der  Ehe  überzeugt,  das» 
ncfa  auch  auf  idg.  Hoden  bis  in  uralle  Zeit  ein  Brauch  verfolgen 
IfiBst,  demzufolge  man  sogar  dem  toten  Junggesellen  ein  Weib 
KOtraut,  das  ihm,  wie  die  Witwe  dem  Witwer  (s.  u.)  ins  Jenseits 

i!gen  mQBs  (vgl.  meine  Schrift  Toteuhochzeit^)  Jena  1904,  dazu 

praohvgl.  u.  Drg.  P,  219ff.). 


:.  0.),  da»  ursprünglich 
der  Frau  gehianchen : 


1)  Doch  kann  nnan  im  LitAuiSL-lien  wed: 
r  vom  Manue  gej^olten  haben  liann,  ancb  ' 
ji  jaü  witiusi  ,H»t  sie  subon  gelieiratel?" 

S)  Einige  neuere  Beobaehtungeii  hinsichtlieh  der  Geschichte  des 
Bag^eslolsen  werde  ii^h  in  dem  Werlt  von  R.  K  ossmanu  u.  Jul. 
feiss  Mann  und  Weib  (Sluct^art),  Kap.;  ,Der  Mann  als  Ua^estolz" 
littet  Jen. 

3)  Inawischen  hat  sich  mein  Material    für    die    interesBante  Sitte 

kr  „Totenboehzeiten"  nicht  unbetrüchtlich  vermehrt,     Aua  Melnikow 

Ib  den  W&Idern  II,  307  F.  fUge  ich  hinza,  dasa  ienseitit  der  Wolga  der 

lUch    herrscht,    bei    der  Beerdigung   einer  Jungfrau  .wie  bei  einer 

iheeit*   Geschenke  zu    verteilen   und  ihren  &arg,    „wie    das  Brant- 

1"   mit  Roggen   aBsmlegen.     Aus  Hessler  Heesische  Landes-  und 


-    336    — 

ni.    Mann  und  Weib. 

Wenn  wir  nnn  dazu  übergehen,  das  Verhältnis  der  beiden 
Geschlechter  zueinander  innerhalb  der  Ehe  näher  za  betrachten^ 
sprechen  wir  naturgemäss  zuerst  von  dem  Manne,  der  sie  begrflndet 
hat  und  an  der  Spitze  des  Hauses  steht: 

Volkskunde  II  (Marburg  1904)  p.  152  ersehe  ich,  dass  in  Hessen  die 
Särge  von  Junggesellen  von  Kranzmädchen  begleitet  sein  müssen,  die 
vier  Wochen  lang  Trauer  tragen.  Auch  Sartori  bietet  in  seinem 
reichhaltigen  Gymnasialprogramm  Die  Speisung  der  Toten  (Dortmund 
1903)  p.  22  Anm.  2  eine  Reihe  von  Belegen  für  die  Sitte,  das  Begrftbui 
Unverheirateter  wie  eine  Hochzeit  zu  feiern;  doch  gibt  kein  einzigei 
seiner  Beispiele  den  von  mir  (Totenhochzeit  p.  14)  bei  den  Slaven  nach- 
gewiesenen charakteristischen  Zug  wieder,  dem  zufolge  dem  toten 
Mädchen  tatsächlich  ein  Bräutigam  (von  ihren  Angehörigen  „Schwieger- 
sohn" genannt)  und  dem  toten  Burschen  tatsächlich  eine  Braut  su- 
gewiesen  wird.  Sartori  hat  daher  auch  den  eigentlichen  Sinn  aller 
dieser  Bräuche  nicht  erkannt  und  begnügt  sich  zu  ihrer  Erklärung 
mit  der  Bemerkung:  „Totenfeier  und  Hochzeitsfeier  haben  in  den 
Ausserlichkeiten  mancherlei  Gemeinsames,  und  die  Kinder  gehen  in 
beiden  Fällen  den  Eltern  verloren." 

Was  das  von  Ibn  Fadhlan  (Totenhochzeit  p. 20 ff.)  geschilderte 
Leichenbegängnis  eines  reichen  russischen  Kaufmannes   betrifft,  dem 
ein   lebendiges  Mädchen  auf  den  Scheiterhaufen  mitgegeben  wird,  so 
habe  ich  mit  Berufung  erstens   auf  die  ausdrückliche  Nachricht  des 
Arabers  Massudi,    der   zufolge  „die  Heiden,  die  im  Lande  der  Cha- 
saren  leben,   und  zu  denen  die  Slaven  und  Russen  gehören*,   ^wenn 
einer  als  Junggeselle   stirbt,   ihn    nach   seinem   Tode  ve^ 
heiraten",  zweitens  mit  Bezug  auf  die  Tatsache,  dass  die  von  Ibn 
Fadhlan  creschilderten    Beg^räbniszeremonien    zu    einem    grossen  Teil 
Hochzeitsbräuche   sind,    die    Ansicht    ausgesprochen,   dass  jenes 
Leichenbegängnis  eine  der  von  Massudi  gemeinten  russischen  Toten- 
hochzeiten  sei.    Nachdrücklicher,  als  es  früher  von  mir  geschehen  ist, 
hatte  ich  noch  auf  die  Lieder  hinweisen  sollen,    die   das  Madchen  an- 
stimmt, und  in  denen,   wie   die  Dolmetscher  dem  Ibn  Fadhlan  berich- 
teten, sie  „von  ihren  Lieben  Abschied  nimmt".    Niemand,  der  mit  den 
Sitten  der  russischen  Volksheirat  auch  nur  flüchtig  bekannt  ist,  kann 
in  diesen  Liedern  die  pläöa  („das  Weinen")  oder  das  priöUdnie  („das 
Klagen")   verkennen,   die  zu   dem  eisernen  Bestand  jeder  russischen 
Bauernhochzeit  gehören,  und  mit  denen  das  Mädchen  sich  von  Vater, 
Mutter,   Brüdern,   Schwestern   usw.   feierlich   verabschiedet   (Beispiele 
solcher  hochzeitlichen  Klagelieder  bei  §ejn  a.a.O.).    Nach  diesen  Aus- 
führungen wolle  man  den  Wert  der  von  F.  Ka  uff  mann  (Z.  f.  deutsche 
Philologie  1907,  Heft  1)  gegen  die  Ergebnisse  meiner  Schrift  erhobenen 
Einwendungen  einschätzen. 


f  a)  („Er  selhat".]  Der  idg.  Ausdruck  für  diesen  Mann 
Segt  in  der  Spnichreihe :  scrt.  pdti  „Gebieter,  Herr,  Gatte" 
[patitvä  „Ehe"),  aw,  pali,  paiti  „HeiT,  Gatte",  griech.  Tidaig 
.Gatte",  lit.  päli  „Gälte.  EhemaDo".  got.  -faßH  {hrüp-fapg  „Herr 
jungen  Frau"),  Es  ergibt  sich  hieraus  ein  idg.  *poti~s 
'  und  „Ehegatte".  Dasaelhe  Wort  liegt  ancb  in  einem 
idg.  Kompositum:  seit,  däih-paü  „Hausherr",  aw.  däng- 
Hansberr",  „gebietender  Herr"  =  griecb.  deo-Tiötjjc  „Herr" 
dessen  erster  Bestnndteil  das  oben  p.  271  erwähnte  idg. 
für  „Haus"  im  Sinne  von  „Familie"  enthält.  Dem  idg. 
stand  eine  "potni  (ecrt.  pdtnl  „Ehefrau.  Herrin",  aw. 
i(  , Herrin,  Gebieterin"  =  grieeb.  .iötwu,  ein  ehrendes  Bei- 
fllr  Ältere  Frauen,  vgl.  auch  P,  187)  zur  Seite.  Dieses 
'poti-n  hat  man  früher  häufig  von  dem  scrt.  Verbuiu  pä'-ti 
schützt"  abgeleitet  und  damit  den  Begriff  des  Schutzes,  den 
är  gewährt,  aU  lieaonders  eliarakteristiech  für  die  Stellung  des 
Hansraters  angesehn.  Allein  das  indische  Verbum  kommt  in 
ien  europäischen  Sprachen  nirgends  vor,  und  die  Vokalisation 
lies  idg.  *p6ti  würde,  wenn  man  es  von  scrt.  pä  =  aw.  pay 
.schützen"  (vgl,  Bartholoniae  Altiran.  Wb.  Sp.  885)  ableitet,  so 
erliebliche  tuorpholn^rieche  Sclitvierigkeiten  tnauhen,  dagg,  wenn 
sieh  eine  andere  Erklärung  fUr  idg.  *poti  fände,  diese  schon  vom 
rormetlen  Standpunkt  aus  den   Vorzug  verdienen  wOrde. 

In  dieser  Beziehung  ist  zunächst  darauf  hinzuweisen,   dass 

Litauischen    neben    dem    oben    genannten  pdts  ein  Pronomen 

iiita  „er  selbst"  {pati  „sie  selbst")  liegt.    Auch  dieser  Pronominal- 

iiamm  erweist  sich  als  indogermanisch,  einerseits  dadurch,    dass 

als  solcher  auch    im  awestiscben    xrae-pati    „er  selbst"    (vgl. 

Bartholomae  Altiran.  Wb.  Sp.  1860)    zn   belegen  ist,   anderer- 

leits  dadurch,  dass  er,  wie  jetzt  allgemein  angenommen  wird,  in 

ItT    Verwendung    als    Partikel    auch    in    mehreren    anderen  idg. 

'Sprachen  vorkommt:    z.  B,  grieeb.  n'-jiore,    ü-nzi    „was,    warum 

rerade",    lat.  meo-pte    ingenio,    eo-pte  „eo  ipso",    mibipte,    wie 

,  Un-paf    „ebcndort"  a.  a.    (vgl.   Brugmann  Kurze  vergl.  Gr. 

619),     Es  kann  also  kein  Zweifel    darüber   bestehen,    dass  es 

der  idg.  Grundsprache  einen  doppelten  Stamm  *poti  gab: 

1,  *poti-  „Herr"  und  „Ehemann", 

2.  *pati-,    als    Pronomen    und    Partikel    gebraucht,    „er 
selbwt". 


-     338     — 

Natürlich  hat  das  Verhältnis  dieser  beiden  Stämme  die 
Forseher  seit  langer  Zeit  beschäftigt.  Bopp  (Vergl.  6r.  II •,  162) 
sprach  sich  gegen  eine  Identifikation  derselben  ans.  Pott  (Et 
Forschungen  II S  1  p.  854  ff.,  vgl.  auch  IP,  2,  p.  222 ff.)  und 
Schleicher  (Comp.  §  91)  für  eine  solche,  indem  sie  dabei  von 
der  Auffassung,  dass  „Herr"  die  primäre,  „er  selbst**  die  sekun- 
däre Bedeutung  sei,  als  von  etwas  Selbstverständlichem  ausgingen. 
Diesen  Standpunkt  nimmt  auch,  so  viel  ich  sehen  kann,  die 
neuere  Forschung  ausnahmslos  ein,  ohne  dass  man  bisher  auch 
nur  ein  einziges  Beispiel  für  den  Bedeutungsübergang:  „Herr'' 
—  „er  selbst"  beigebracht  hätte.  Der  Gedanke,  dass  das 
Verhältnis  ein  umgekehrtes  sein  könnte,  dass  also  eine  Beden- 
tungsentwicklung :  „er  selbst"  —  „Herr"  anzunehmen  sei,  ist,  so 
viel  ich  sehe,  von  niemandem  ausgesprochen  worden.  Dnd  doch 
ist  eine  solche,  wie  ich  nunmehr  zeigen  werde,  in  den  idg. 
Sprachen  häufig  und  fügt  sich  aufs  beste  in  das,  was  wir  Aber 
die  Stellung  des  Haushenn  in  altindogermanischen  Zeiten 
wissen,  ein. 

Auf  diesen  Sprachgebrauch  wurde  ich  zuerst  durch  eine 
Eigentümlichkeit  der  grossrussischen  Kaufmannssprache  aufmerk- 
sam, über  die  sieh  Morawskij  in  seinem  Echo  der  russischen 
Dnterhaltungssprache^  p.  57  folgeudermassen  äussert:  „„Er  selbst*^ 
{samü)j  das  ist  der  charakteristische  Ausdruck,  mit  dem  im 
Kaufmannsleben  der  Hausherr,  das  Haupt  der  Familie,  bezeichnet 
wird.  „Er  selbst^  bringt  sämtliche  Hausgenossen  zum  Zittern, 
angefangen  mit  der  „sie  selbst"  (samä),  d.  i.  der  Hausfrau,  bis 
zu  den  Gehilfen.  Die  Devise  eines  solchen  Titü  Tityiü  feiner 
bekannten  Figur  einer  Komödie  Ostrovskijs,  des  genialen 
Schilderers  des  russischen  Kaufmannslebens)  ist  das  bekannte: 
,Wage  nicht,  Dich  meinem  Willen  zu  widersetzen!'  Überhaupt 
ist  das  „Selbstnarrentum^  (samodürstvo)  ein  hervorstechender 
Zug  des  Titü  Tityöü.^  Obgleich  nun  diese  russischen  Kauf- 
leute, die  vielfach  Raskolniker  (s.  o.  p.  328)  sind,  in  ihren  Sitten  und 
Gebräuchen  sehr  viel  Altertümliches,  besonders  die  unbedingte 
patria  potestas  des  Hausherrn  über  Frau  und  Kinder,  bewahrt 
haben,  glaubte  ich  doch  anfangs,  dass  es  sich  bei  dem  geachil- 
derteu  Gebrauch  von  „er  selbst^  und  „sie  selbst^  um  eine  jüngere 
Besonderheit  ihrer  Ausdrucksweise  handele.  Bald  aber  erkannte 
ich,    dass   sie  auch  hierin    etwas    durchaus  Volkstum  liebes   mid 


BJfellos  L'raltes  erbalten  liabeii.  Zuuäcbst  ist  im  WeissrussiscbeD 
(vgl.  das  Wörterbucb  von  NoeijviöQI  die  Verwendung  von  »um»* 
im  Sinne  von  xozjdinü  und  von  samd  im  Sinne  von  .rozjdika 
„Hansherr  und  Hausfrau"  offenbar  ganz  gewöhniicb:  „DersamA 
hat  Dich  zn  sicli  gerufen",  „Gehe  ku  dem  «amd".  „Obne  den 
mmä  werde  ieb  es  nitdit  geben",  „Trage  es  zur  mmd",  „Wie 
die  gamd  es  sagt,  so  wird  es  geschebu",  „Frage  die  «anid"  sind 
weissrussis(;be  Ausdrucksweisen.  Aber  aanh  im  Polnischen  und 
Czecbiscbeu  ist  die  Verwendung  der  beiden  Wörter  für  „Herr" 
und  „Krau",  wie  ein  Blick  in  die  Wörterbücher  der  betreffenden 
Sprachen  zeigt,  so  gewObnIieh.  dass  man  nicht  bezweifeln  kann, 
dass  es  sieb  um  einen  alten  und  weitverbreiteten  Spracligebrauch 
bandeil,  zu  dem  in  gewissem  Sinue  ancb  russ.  sam4cü  für  Männ- 
chen, sömka  f(lr  Weibcbe»  (bei  Tieren)  gehört. 

Und  dasselbe  ist  auf  germanischem  Spracbboden  der 
Fall.  In  einem  sehr  interessanten  Aufsatz  Der  Verkehr  der  Ge- 
»ichlechter  nnte,r  den  Slaven  in  seinen  gegensätzlichen  Erschei- 
uungeu  (Globus  LXXXH  Nr.  7,  p.  ^77)  sagt  K.  E  b  a  m  ni  das 
folgende:  ^Cs  muss  bei  allen  skandinavischen  Germanen  üblich 
gewesen  sein,  den  Hauswirt  schlechtweg  n]it  der  Anrede  „er 
»elbst''  /u  bezeichnen.  Ich  kann  diesen  Brauch  aus  drei  vonein- 
ander entlegenen  Stellen  nachweisen.  P.  Saeve  sagt  bei  Beschrei- 
bung des  alten  Bauernlebens  auf  der  Insel  Gotland  (Al:erns 
fiignr  187Ö,  S.  64):  ,.\ber  in  der  Stube  war  es  doch  stets  der 
Vater.  Bauer  oder  „er  selbst"  {han  nja/er),  der  Herr  war,  im 
Vorsitz  sass,  oft  mit  dem  Hut  auf  dem  Kopf.  Ferner  zweimal 
aus  Dänemark.  In  dem  Führer  durch  das  dänische  Volksmuseum 
in  Kopenhagen  (Veileder  til  DanaJct  Fo/kemuneum,  Seite  15) 
heisst  es  bei  der  Besohreibiiug  der  alten  Stube  von  Ingelstad  auf 
Seeland:  „hier  (auf  der  Ofenbanki  brachte  „er  selbst"  ihanneiel), 
d.  h.  der  Bauer,  den  Tag  und  Abend  zu,  wenn  die  Arbeit  and 
die  sechs  Mahlzeiten  ihn  nicht  hinderten'.  Für  Jütland  endlich 
ergibt  sich  die  Gepflogenheit  aus  Molbeeks  Dansc  Diulect- 
Lexikon  (Kopenhagen  1841),  wo  nnter  stavn  die  Frage  angeführt 
wird:  aer  han  siael  til  stamis^  ,!8t  er  selbst  (der  Bauer)  da- 
heim'?" Auch  in  Ivar  Aasens  Norse  Ordbog  (Christiania  1873) 
fiuden    sich   p.  tiö7    unter    njölc    die    folgenden  Angaben:    Han 

»Iv:  Huutibonden   el.  Formanden,    Ho    sjulf  :  Huusmodereti, 

]ei  gjttlre :  .\fand  og  kone  i  Hattet. 


-     340    — 

Endlich  treffen  wir  auch  das  himsdf  und  hersdfj  was 
Rhamm  entgangen  ist,  in  dem  in  Frage  stehenden  Sinne  in 
England  wieder.  In  W rights  The  English  Dialect-Dictionaiy 
heisst  es:  h  im  seif  ^a  term  applied  to  the  husband  or  moiter 
of  the  Speaker^,  z.  B.  The  servant  said  ,himself  was  not  at 
home\  His  wife  heard  me  asking  after  him  and  shoutedihä 
himaelf  hos  gone  to  the  herrings  und  her  seif  „a  wife^j  z.  B. 
Hou)  is  herselff  Herself  is  gone  to  town. 

Ganz  in  Übereinstimmung  hiermit  wird   in   einer  Dichtung 

Moria  O'Niells,  einer  irisch-englischen  Dichterin,    y^Songs  of  th 

Ölen  of  Antrino^  {The  Grace  for  light)  folgendes  gesagt:     . 
Her  seif  would  take  the  rushlight  and  light  U  for  us  all, 
An'  r,God  he  thanked^!  she  would  say,  ^now  we  have  a  light^, 
Then  we  he  to  quet  the  langhin'  and  pushin'  on  the  floor 
And  think  of  One  tvho  called  us  to  come  and  he  forgiven; 
Him  seif  'nd  put  his  pipe  down  an'  say  the  good  word  more, 
r,May  the  Lamh  of  God  lead  us  aü  to  the  Light  of  Heaven!* 

Aus  den  übrigen  idg.  Sprachen  ist  bis  jetzt  nur  etwa  auf 
das  griech.  ainbq  M(pa  „der  Meister  hat  es  gesagt^  und  auf  das 
Jat.  ipsa  in  der  Bedeutung  von  domina  (Delbrück  p.  57=435) 
hinzuweisen.  Vielleicht  kommt  noch  mehr  zutage.  Aber  das 
reiche  aus  dem  slavischen  und  germanischen  Sprachgebiet  für  den 
Bedeutungsübergang  von  „er  selbst"  in  ^Herr"  beigebrachte  Material 
genügt,  um  hinsichtlich  des  idg.  *poti-s  nunmehr  den  folgenden 
Schluss  zu  rechtfertigen:  Da  in  der  idg.  Grundsprache  neben 
einem  substantivischen  *poti'S  „Herr",  „Ehegatte"  ein  damit 
völlig  identisches  pronominales  *poti  „selbst"  liegt,  ein  Bedentangs- 
übergang von  „Herr"  zu  „selbst"  in  den  idg.  Sprachen  aber 
nirgends  nachzuweisen  ist,  so  folgt  aus  diesem  allen,  dass  yon 
der  letzteren  Bedeutung  auszugehn,  und  die  im  Slavischen  and 
Germanischen  nachzuweisende  Sitte,  den  Hausherrn  als  „er  selbet'' 
7.U  bezeichnen,  als  bereits  indogermanisch  anzusetzen  sei. 

Selbstverständlich  muss  dieser  Bedeutungsübergang  in  sehr 
früher  Zeit  stattgefunden  haben,  da  er  von  Bildungen  wie  sert 
pdtyati  „er  ist  Hcit  über  etwas"  oder  lat.  potior  aliqua  re  „ich 
werde  Herr  von  etwas"  bereits  vorausgesetzt  wird,  eine  An- 
schauung, der  nicht  das  geringste  im  Wege  steht  ^). 


1)  Ich  will  nicht  verhehlen,  dass  ich  die  hier  erörterte  Frage  mit 
•einem  hervorragenden  Sprachforscher  durchgesprochen  habe  und  dabei 


p 


Ein  Wort  ist  Bcblie&sHch  Doeh  über  dae  idg.,  neben  *poti-s 
„Herr",  „Eliegatte"  liegende  und  (nach  K.  Brugmann  Grnnd- 
ries  II,  315)  sue  diesem  durcb  eine  falsche  Analogiebildung  nach 
Wörlern  wie  Bcrt.  tdkshan  :  takshnf  entstandene  *potni  zu  sagen, 
d.  h.  tlber  die  „sie  selbst''  neben  dem  „er  selbst".  DasB  es 
nifht  angebt,  aus  diesem  *potnl  „sie  seibat"  irgendwelche 
Schlüsse  auf  eine  „parentalreehtliche"  8telluiig  oder  gar  eine 
Gleichstellnng  von  Mann  und  Fran  in  der  idg.  Urzeit,  wie  man 
es  früher  getan  hat  (vgl.  1',  I87f.i,  zu  ziehen,  geht  allein  schon 
aus  dem  oben  über  die  Stellung  der  russischen  samd  dem  samü 
gegenüber  bemerkten  hervor.  Wie  diese  rtissiscbe  aamd,  mag 
auch  die  idg.  *pot7if  dem  übrigen  Hause  oder  wenigstens  den  weib- 
lichen Mitgliedern  desselben  gegenüber  (s.  u.)  eine  gewisse  Ehren- 
Stellung  eingenommen  haben,  dem  *poti-8  selbst  gegenüber  war 
sie,  ebenso  wie  die  samä  in  ihrem  Verhältnis  zum  samü,  ohne 
Zweifel  die  zitternde  Sklavin.  Dies  folgt  aus  allem,  was  wir 
über  die  Lage  der  Frauen  iu  der  idg.   Drzeit  wissen. 

auf  einen  unerwarteten  Widerspruch  geiiCoBBen  bin,  den  dernelbe 
foIgendermaBsen  formuliert  hat;  „Der  Begriff  „Herr*  ist  gewiaa  ein 
sehr  «her,  .selbst'  aber  ein  stienilich  junger,  wie  sich  nicht  nur  aus 
der  ErwRgung,  sondern  auch  ans  den  »ehr  mannigfachen  Darsiellungen 
ergibt,  die  er  in  den  verüchtedenen  Sprachen  ertahren  hat.  Daher  ist 
mir  ,Herr"  —  , selbst'  viul  wahrscheinlicher  als  .selbsi'  —  .Herr". 
Aber  entscheidend  iet  das  natürlich  nicht.  Ihre  Beispiele  zeigen  deut- 
lich, daas  .selbst'  den  Sinn  von  „Herr"  annehmen  kann,  wo  ein  Wort 
fftr  .Herr'  längst  besteht;  und  es  lässt  sich  auch  nichts  dagegen  etn- 
weuden,  dasa  es  ein  solches  Wort  ganz  verdrUngt  habe.  Es  bleibt  also 
eigentlich  nichts  Übrig,  als  das»  wir  nicht  annehmen  dürfen,  eine 
Sprache  habe  eher  einen  Aundrucli  für  „selbst'  als  für  „Herr"  be- 
sessen.'' Ich  möchte  hierauf  erwidern,  itaHS  mir  der  Satz,  dass  unter 
allen  Umstanden  der  Begriff  „Herr"  »Her  wie  der  Begriff  „selbsl"  sei, 
als  eine  petitio  principü  erscheint,  dnss  ich  aber  auch,  wenn  derselbe 
richtig  ist,  nichts  gegen  die  Annahme  einzuwenden  hätte,  dase  *poti 
.seltut"  in  der  idg.  Grundsprache  ein  alleres  Wort  für  .Herr"  ver- 
drängt habe.  Die  Hauptsache  ist  immer,  dass,  rein  sprachhisiorisch, 
nicht  Bprachphiloäophisch  betrachtet,  *poti  .selbst"  ebenso  alt  wie  *poti 
.Herr*  ist,  und  dass  es  für  den  B eden tu ngs Übergang  „selbst"  —  «Herr* 
sahireiche,  für  den  umgekehrten  l*eine  Analogien  gibt.  Übrigens  zeigt 
auch  der  Begriff  „Herr"  „in  den  verschiedenen  Sprachen  sehr  mannig- 
fache Darstellungen".  Vgl,  unser  „Herr",  engl,  Lord,  ital,  signore  usw., 
die  Bämtlich  in  ihrer  gegenwilrtigen  Bedeutung  nachweislich  sehr 
jung  sind. 


-     342     — 

b)  Die  Lage  der  Frauen.  Zunächst  ist  darauf  hio- 
zuweisen,  dass  sich  erst  nach  der  Trennung  der  einzelnen  Völker 
-die  reinere  Fomi  der  Monogamie  aus  der  Polygamie  der  ünteit 
entwickelt  hat.  Treffen  wir  doch  unzweideutige  Spuren  der 
Vielweiberei  noch  in  den  Hymnen  des  Rigveda'),  namentlich  bei 
Königen  und  Vornehmen,  an  (vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.324f. 
und  Delbrück  p.  162  =  540),  berichtet  doch  Herodot  I,  Kap.  135 
Ton  den  alten  Persern  ausdrücklich:  yajLUovai  d'  exaarog  avtd» 
jioXJidg  juev  xovQidiag  yvväixag,  'JioXXcp  d'  hi  nXevvag  jiOiUaxdc 
xxcüviaij  und  tritt  doch  bei  unserem  eigenen  Volk  im  Anbegiim 
seiner  Geschichte  die  Vielweiberei  im  Westen  noch  als  Ausnahme 
(Tac.  Germ,  Kap.  18),  im  Norden  aber  als  Regel  (Weinhold 
Altn.  Leben  p.  219)  uns  entgegen.  Auch  für  die  Gallier  Itat 
der  Bericht  Caesars  de  hello  GalL  VI,  Kap.  19:  et  am 
paterfamiliae  inlustriore  loco  natus  decesntj  propinqui  cwn- 
veniunt  et,  ejus  de  morte  si  res  in  suspicionem  üenit,  de  uxo- 
ribus  in  servilem  modum  quaestionem  habent  auf.  Vielweiberei 
schliessen.  Oder  wie  sollte  man  den  Plural  uxoribus  anders 
verstehen?  Das  gleiche  wird  endlich  auch  von  den  alten  Thra- 
kern (Herodot  V,  5),  Paeoniern  (oben  p.  275),  Prenssen  (?gl. 
Hartknoch  Das  alte  und  neue  Preussen  p.  177)  und  Slayeo 
(oben  p.  319  und  Krek  Litg.*  p.  362)  berichtet. 

In  der  Tat  ist  nicht  abzusehen,  wenn  nach  altidg.  Brauch 
-die  Frau  durch  Kauf  oder  Raub  in  den  Besitz  des  Mannes  über- 
ging, warum  ein  Bedenken  dagegen  hätte  obwalten  sollen,  sei 
es,  wenn  die  eine  Gattin  dem  Hauptzwecke  antiker  Ehe,  der 
Erzeugung  männlicher  Nachkommenschaft  nicht  genügte,  sei  es, 
wenn  der  vermehrte  Reichtum  des  Besitzers  vermehrte  Arbdt 
tind  Beaufsichtigung  nötig  machte,  sei  es,  wenn  es  wünschens- 
wert war,  neue  Familienverbindungen  anzuknüpfen,  sich  auf  den 
gleichen  Wege  eine  zweite  und  dritte  Frau  zu  erwerben. 

Indessen  wird  man  gut  tun,  der  Polygamie  der  Urzeit  keine 
allzugrosse  Ausdehnung  zuzuschreiben;    denn    es   liegt   auf  der 


1)  Auch  später  ist  in  Indien  die  Zahl  der  Weiber  nicht  gesets- 
rnässig  beschränkt  gewesen;  doch  begpnügt  man  sich  mehr  und  mehr 
mit  einer  legitimen  Gattin.  Es  scheint,  dass  die  sakrale  GemeioBchsft 
von  Mann  und  Frau  hierauf  von  Einfluss  gewesen  ist.  Vgl.  JoUj 
Über  die  rechtliche  Stellung  der  Frauen  bei  den  alten  Indern,  Sitznngtb. 
'd.  phil.-hist.  Klasse  d.  Münchner  Akademie  1876,  §  13. 


[and.  ilass  Aer  Wunscli  nadi  dem  Besit/  iiielirerer  durch  Kauf 
I  erwerbender  und  auch  im  Falle  de»  Raubs  ta  erhaltender 
Tciber  nicht  jedem  ausfuhrbar  gewesen  isl.  Für  gewöhnlich 
tochle  man  daher  nui'  im  Falle  der  Kinder-,  namentUeb  der 
gbnlosigkeit  der  Frau  zn  einer  Tiweiten  Heirat  schreiten.  Es  ist 
£ht  nnintereseant  zu  sehen,  wie  von  diesem  Gesichtspunkt  ans 
Bj  den  Sudslaven  noch  gegenwärtig  Bigamie  in  Gestalt  einer 
tellvertreterin  (namiegtnica)  gestattet  ist.  In  höchst  anscban- 
iher  Weise  erzählt  Krause  a.  a.  0.  p.  Ü28ff.,  wie  es  in  einem 
dcheu  Fall  hergehl. 

Aber  auch,  wenn  der  Mann  als  die  Ursache  der  Kinder- 
Bigkeit  galt,  scheint  der  Urzeit  ein  Ausweg  zu  Gebote  gestanden 
,  haben,  reehtmässige  Kinder  dem  Hause  zu  verschaffen.  Bei 
ideni,  Griechen  und  Germanen  findet  sich  der  rohe  Brauch, 
i  der  Ebcherr  sich  durch  einen  Stellvertreter,  der  nrsprBng- 
ih  vielleicht   der  Manneebruder   oder    ein    anderer    naher  Ver- 

tndter  war,  sieb  hei  seiner  Fran  Nachkommen  erzeugen  lassen 
mn  (vgl.Leist  Altarisches  ./m«  gentium  p.  Iüf>,  Gräco-i talische 

jchtsgesehichte  p.  4Ö.  Grimm  R.  A.  p.  443  und  mein  Real- 
Xikon  s.  V.  Zeugungsbelfei).  Jedenfalls  scheint  mir  ein 
lieber  Brauch  in  die  idg.  Auffassungsweise  des  Ebeverliältnisses 
üb  aufs  beste  zu  fügen.     Die  Frau  gebfirt  dem  Manne  mit  Leib 

1  Leben,  und  was  sie  hervorbringt,  ist  sein  Eigentum,  wie  das 
nlb  seiner  Kuh  oder  die  Frucht  seines  Ackers.  Der  Mann  sieht 
ich  das  von  der  Frau  geborene,  von  einem  anderen  ge- 
Xtgte  Kind  als  das  seine  au,  wenn  die  Zeugung  nur  mit  seinem 
^illen  geschehen  ist.  Es  ist  im  Grunde  derselbe  Gedanke  des 
ibedingten  Cigentumsrechles  Aber  die  Frau,  wenn  der  Skandi- 
ivier  sieb  nicht  scheut,  das  Bett  der  Ehefrau  dem  Gastfreund 
Knbieten  (Weinhold  Altnord.  Leben  p.  447). 

In  denselben  Ideenkreis    gehört  es,    wenn    der    naive  Sinn 

I  frllhen  Altertums  in  dem  geschlechtlichen  Umgang  des  ver- 
lirateten  Mannes  mit  anderen  Weihern  nichts  sittlieb  AustOssiges 
ttlickt,    während  der  Ehebruch  der  Fran   mit  den  härtesten 

"afen  geahndet  wird,  weil  er  in  das  Eigentumsrecht  des  Manues 
pgreift     Der  bomeriacbe  Held  spricht  ohne  Scheu  von  seinen 

»weibern,    wie    Agamemnon  (II.  IX,   128  ff.)  dem    zürnenden 

Kbill  «UBser  der  BriseYs,  deren  Bett  er  aber  nicht  bestiegen  zu 
1  feierlich  versichert,   seine    sieben  tesbischen  Weiher    und 


-    344    - 

nach    der  Einnahme  Trojas   zwanzig   der   schönaten  Troeriimefi 
und  schlieBBlich  als  Eheweib  eine  seiner  Töchter  (äyäeivoy  ^ohne 
Kaufpreis")  zusichert.     Die  AvrjTij  oder  dovQixjrjTrj  naXiaxk  steht 
im  allgemeinen  unbeanstandet    neben   der  xovQidiYj  äiox(K»    Die 
Tötung  der  im  Ehebruch   betrofTenen  Frau   ist    in  Griechenland 
zwar  nicht  mehr  zu  belegen;  dafür  trifft  sie  der  moralische  Tod, 
die  Atiroie    {drijucov    ttjv    roiavTtjv    yvvaixa    xal    t6v  ßiov  äßimor 
avrfj  TiaQaoxevdCcov),    In  Kyme  ward  die  Ehebrecherin  auf  einem 
Esel  durch   die  Stadt  geführt  und    auf    einem  Stein    zur  Schaa 
gestellt  (K.  F.  Hermann  Lehrbuch  der  griech.  R.  A.,  beraosg. 
V.  Th.  Thalheim  p.  18).     Der  Mann  fordert    die  Sdva   znrfiek 
(oben  p.  320  f.)  und  darf  den  in  flagranti  ertappten  Buhlen  er- 
schlagen^) (Hermann  a.  a.  0.  p.  37  Anm.  5). 

Genau  den  urzeitlichen  Standpunkt  stellt  die  altrömische 
Rechtsauf fassnng  dar,  wie  sie  Cato  bei  Gell.  10,  23  äussert:  In 
aduUerio  uxorem  tuam  fti  prehendisseSj  sine  iudieio  impune 
necares  (bis  auf  die  lex  Julia  de  adulterüs) :  üla  te,  si  aduUe- 
rares  sive  tu  adulterarere,  digito  non  auderet  contingere,  neque 
ius  est.  Ebenso  ist  es  bei  den  Nordgermanen  (Weinbold  Altn. 
Leben  p.  248,  250).  Dem  Manne  ist  das  ausgedehnteste  Kon- 
kubinat gestattet,  die  Frau,  im  Ehebruch  ergriffen,  darf  samt 
ihrem  Buhlen  erschlagen  werden.  Etwas  milder,  auf  den  Begriff 
der  griechischen  Atimie  hinauslaufend,  ist  die  Bestrafung  der 
Ehebrecherin  bei  den  Westgermanen  des  Tacitus  {Oerm,  Kap.  XIX): 
paucissima  in  tarn  numerosa  gente  adulteria,  quorum  poena 
praesens  et  maritis  permissa:  accisis  crinibus,  nudatamf 
coram  propinquis  expellit  domo  maritus  ac  per  omnem  vicum 
verbere  agit,  womit  aufs  beste  die  Nachricht  des  Bonifacios 
(Monum,  Magunt.  ed.  Jaff^  p.  172)  hinsichtlich  der  Sachsen 
übereinstimmt:  Aliquando,  congregato  exercitu  femineo,  flagd- 
latam  eam  mulieres  per  pagos  circumquaque  ducuntj  virgi$ 
caedentes  et  vestimenta  eius  abscindentes  iuxta  cingulum.  Da- 
gegen bestimmt  wieder  lex  Visig.  III,  4,  4  (Grimm  R.  A.  p. 450): 
si  adulterum  cum  adultera  maritus  vel  sponsus  occiderit,  pro 
homidda  non  teneatur,  und  auch  bei  den  Sachsen  kam  es, 
wiederum  nach  Bonifacius,  vor,  dass  sich  die  Ehebrecherin  anf 

1)  Vgl.  über  die  sehr  lehrreichen  Verhältnisse  des  Gortynischeo 
Rechts  F.  Bücheier  und  E.  Zitelmann  Das  Recht  von  Gortyn  IM 
p.  101  ff. 


bOpfen  niiDtpte,  und  der  Eliebreeher  Aber  ihrem  Grabe  gehäogt 

urd«. 

Auch  naeli  sUdgkvischein  Gewohnlieitsrecht  darf  der  ge- 
kränkte Mann  deo  Buhlen  und  die  Ehebrecherin  auf  der  Stelle 
Iftten.  Zuweilen  wird  in  den  VolitBÜedern  erwähnt,  daes  die 
Fran  erst  später  von  Pferden  zu  Tode  geschleift  wird  (Kraus» 

Ea.  0.  Sil,  566). 
Im  alten  Indien  lassen  sich  Knnknbinat  und  Polygamie 
Iten  scharf  voneinander  scheiden.  Über  die  Behandlung  der 
Ehebrecherin  stehen  mir  aue  den  älteren  Quellen  keine  Nach- 
richten zn  (jebote.  In  den  späteren  Rechtsbüehern  (Jolly  a,  a.  0. 
§  12)  ist  der  Ehebruch  der  Frau  natürlich  ein  legitimer  Ornnd 
fOr  ihre  VerotofisuDg.  Daxn  soll  man  einer  Ehebrecherin  nur  (He 
uotdllrftigste  Nahrung  reichen,  ihr  das  Haar  scheren  (vgl,  oh(>n 
die  Nachricht  des  Tacitus),  sie  schlecht  kleiden  und  /.ur  niedrig- 
sten Hklavenarbeit  aubatton.  Aber  auch  die  Todesstrafe  der 
Ebebreeherin  kommt  vor  (Jolly  Recht  und  Sitte,  Grundriss  der 
guiuarischen  Phil.  IIj. 

^P  Eine  weitere  Folge  des  Kaufes  der  Frau,  die,  vrie  wir 
HUlon  sahen,  dadurch  /.um  unbeschränkten  Eigentum  des  Mannes 
g;eworden  ist,  ist  die  wohl  beglaubigte  Tatsache  (vgl.  mein  Real- 
lexikon 8.  V.  Ehescheidung),  dass,  in  je  frühere  Zeiten  wir 
/.urßckgehen,  die  Verstossung  der  Ehefrau  dem  Manne  um  so  mehr 
erleichiert  wird,  während  diese  mit  unlösbiiren  Banden  nn  ihren 
Gebieter  gefesselt  bleibt.  Sprengt  sie  dieselben,  so  trifft  sie  auch 
^er  der  Tod  {Lex  Burg.  XXXIV,  I  :  Si  qua  mulier  muritum 
H^wn,  CMi  legitime  iuncta  est,  diinigerit,  neretur  in  lutfi). 
^m  Dieselbe  Gewaltherrschaft  des  Gatten  Dber  das  Eheweib 
^Att  nns  auch  in  dem  Umstand  entgegen,  dass  hinsichtlich  der 
Kinder,  die  das  Weib  gebiert,  der  Vater  durch  die  bei  Indern, 
Griechen,  ROmeni  und  Germanen  gemeinsame  Hitte  des  Aufhebens 
{»yfUQäoikit,  tollere,  gancipere)  des  Kindes  zu  entfoheiden  bat, 
ob  dasselbe  leben  oder  sterben,  d.  h.  ausgesetzt  werden  soll. 
Bei  den  Germanen  kann  es  wenigstens  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  in  dieser  Angelegenheit  lediglich  der  Wille  des 
Vaters  entscheidet  (Grimm  R.  A.  p.  4.'i5ff.,  Weinhold  Alln. 
Leben  p.  260),  und  auch  im  alten  Rom  ist  das  Verkaufs-  and 
lUDgsrecht  des  Kindes  als  der  konsequente  Ansflnss  der  Valer- 
ien Gewalt  7,n  betrachten  (Marqnardt  Privatleben  p.  3,  81). 

der    .SpruclivcrKlciGliuni;  und  Dr^solilclitc  II.   S   AuH.  23 


—     346     — 

Etwas  weniger  klar  liegen  die  Dinge  bei  den  Indern.  Eine 
%StelIe  im  Rigveda  (V,  2,  1)  könnte  nach  Ludwig  (Rigveda VI, 
142)  darauf  bezogen  werden,  dass  auch  in  Indien  die  Matter  das 
Kind  dem  Vater  „gibt"  ^),  eine  Stelle  der  Taittiiriya-Safnhitä 
(Zimmer  Altind.  Leben  p.  319,  Ludwig  Rigveda  V,  568)  be- 
richtet, so  scheint  es,  von  dem  Aussetzen  von  Töchtern  und 
deutet  auf  die  schon  oben  genannte  Sitte  des  Aufhebens  des 
Kindes  durch  den  Vater-)  hin.  Wenn  dagegen  in  den  Sfitras 
ausdrücklich  Vater  und  Mutter  als  diejenigen  genannt  werden, 
welche  die  Macht  haben,  ihre  Söhne  zu  geben,  zu  verkaufen  and 
zu  Verstössen  (vgl.  bei  Leist  Altar.  Jtis  gent.  p.  115),  so  werdwi 
wir  kaum  irren,  diese  Auffassung  nicht  als  etwas  ursprüngliches, 
sondern  lediglich  als  die  Folge  der  immer  mehr  aufkommenden 
Anschauung  zu  betrachten,  dass  Mann  und  Weib  die  beiden 
Hälften  eines  und  desselben  Körpers  seien  (vgl.  Jolly  Sitzungsb. 
p.  437). 

Auch  in  Griechenland  war  der  iy^vigiainog  „das  Aussetzen 
in  tönernen  Gefässen"  sehr  verbreitet.  Ebenso  der  Verkauf  der 
Kinder,  den  noch  zu  Solons  Zeit  kein  Gesetz  verhinderte  (Plutarch 
Solon  23,  13).  Nur  in  Theben  war  die  Aussetzung  durch  ein 
strenges  Gesetz  verboten,  dafür  aber  der  Verkauf  im  Falle  höchster 
Armut  gesetzlich  geregelt  (Aelian  ]\  H,  II,  7).  Dass  hierbei 
auch  in  Griechenland  tiberall  der  Wille  des  Vaters  (nicht  der 
beiden  Eltern)  als  oberste  Instanz  über  Leben  und  Tod  des 
Kindes  anzusehen  ist,  kann  kaum  bezweifelt  werden,  wenn  der- 
selbe auch  frühzeitig  durch  Hinzuziehung  eines  Familien-  oder 
Sippenrates  begrenzt  wurde.  In  Sparta,  wo  das  Kind  von  einem 
gewissen  Alter  an  nicht  mehr   den  Eltern,    sondern   dem  Staate 


1)  kuniärdm  m(Ud  yuvatifn,  sdmubdham 
gühä  hibharti  nä  dddäti  pitri', 

2)  Die  Stelle  lautet:  tasmät  striyam  paräsyanti,  ut  putnänsam 
haranti  (6.  5,  10,  3).  „Deshalb  setzt  mau  ein  Mädchen  aus,  einen  Knaben 
hebt  man  auf"  {tollunt,  dvaigovvrai).  Anders  Böhtlingk  (Z.  d.  D. 
Morgenl.  Ges.  XLIV,  494):  „Einen  Sohn  hebt  man  bei  seiner  Geburt 
vor  Freude  in  die  Höhe,  ein  Mädchen  legt  man  bei  Seite" ;  doch  macht 
<ier  genannte  Gelehrte  in  den  Berichten  d.  Kgl.  sächs.  Ges.  d.  W. 
(15.  Dez.  1900)  das  Zugeständnis,  dass  d&a  pardsyanti  auf  einen  ,,Ge8tiis 
bei  der  Geburt  eines  Mädchens"  und  „als  symbolische  Verstossmi^ 
•desselben  gedeutet  werden  könne.  Im  modernen  Indien  waren  Mädchen- 
morde  bis  tief  in  die  Zeiten  der  englischen  Regierang  tiberans  häufig- 


-     34T     - 

ifirte,  rit  ytvrtjßkv  ovx  i/i-  nrQi'K  <>  y^vvi]ini^  (also  wie  ander- 
wärt«) T()£<fuv,  sondern  iiTiv  <)  vimT»-  at  nyiaßthajot  eulecliieden 
über  die  Anfnalime  des  Kindes  (PIntarcb  Lycurg  XVI),  wie  das- 
selbe auch  iii  Roni  .^^wf  ärd^nat  toi;  tyyioTii  oixoT-at  (Dion.  Hai. 
U.   15)  ?or  der  Aussetznn^  vorge/.eigt  werden  musete. 

UetMffeu  wurden  vou  der  Ans8et/.uug  ausser  kranken, 
scliwäcblieben  und  hiusiciitlicli  ihres  Ursprungs  verdäcbtigen 
Kindern  zumeist  Tüchter,  deren  Besitz  der  vedischen  Welt  ein 
„Jammer"  ist  (^vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  320).  Dieselbe  An- 
schantiDg  durchzieht  aucli  das  griechische  (Herinann-Blümuer 
Privatalt.  p.  282),  römische  (Marquardt  Privatleben  p.  3)  und 
germanische  (Weinhold  Altnord.  Leben  p.  2t30)  Altertum  und 
ist  nicht  ungeeignet,  ebi-nfalle  ein  Streiflicht  auf  die  Auffassung 
des  Weibes  in  der  Drxeit  v.n  werfen ';- 

Dass  ferner  dasselbe  Verkaufs-  und  Tötungsrecht  wie  über 
die  Kiniler  dem  Ilanshfrrn  auch  Über  das  Weib  selbst  von  Haus 
aus  zugestanden  habe  (vgl.  Ilher  die  Gallier  Caesar  VI,  19:  vir! 
in  uxores,  a'icitt  in  Uberon,  rttiie  necisque  halient  pofestatem,  Über 
die  Nordgermanen  Weinhold  Altn.  Leben  p.  249,  ober  Rom 
Knssbacb  Rom.  Ehe  p.  20),  ist  nicht  minder  in  dem  Charakter 
der  idg.  Ehe  begrilndet,  wenn  auch  gerade  diese  Hftrten  am 
frühsten  durch  die  Anteilnahme  der  weiblichen  Sippe  an  den  Ge- 
schicken ihrer  Blutsverwandten  gemildert  wurden;  doch  ist  bei 
den  Germanen  der  Verkauf  der  Frau  lange  üblich  und  im  eng- 
lischen Recht  bis  in  die  neueste  Zeil  gestattet  gewesen  (vgl. 
B.  Bartsch  Die  Rechtsstellung  der  Frau,  Leipzig   \%(i'6  p.  62). 

i — 

■  1)  Vgl.  BuaaeD  über  Rus»lari(l,  licrausg.  von  J.  Mülnik,  PrAiik- 
m\  a.M.,  p.70  (Alexander  Nowikot  ,Dns  Dorf"):  .Über  einen  Knaben 
freni  sich  die  ganse  Familie,  ein  Mädcben  iHt  ort  von  vornherein  ein 
ungebetener  Gast  und  weckt  nur  in  dem  Herzen  der  Mntter  ein 
rreDdio:es  Gefühl.  Beinalie  In  ganz  RuBHJand  herrscht  folgender  Brauch  ■ 
wenn  einem  jung  verniBhllen  Paar  das  erste  Kind  geboren  wird,  und 
e«  ist  ein  Mädchen,  »o  packen  am  nAchsIen  Tage  die  Freunde  den 
Vater,  legen  ihn  über  und  prügeln  ihn.  Das  geschieht  nicht  nur 
fi>~inbo1iBch,  Hondern  es  wird  latHBcblich  bis  zu  Tränen  und  Striemen 
;reBchlagen.  und  er  .darf  etj  nichl  Ü1>elnehmen  —  denn  ao  will  es  dei- 
Brauch,"  Ähnlich  wird  In  den  Abruzzeii  der  Vater  einei«  Müdchens 
auf  einen  Keel  mit  dem  Gesicht  nach  dem  .Schwan»  gesetzt  und  durchs 
Dorf  geführt  (vgl.  P  A.  Kovinskij  Sbornik  d.  kais.  Ak.  d.  W.  in  St. 
Peteraburg  LXin,  S33). 


-    348    — 

In  genauestem  Znsanimenhang  mit  diesem  unnmBcbr&nkteft 
Besitzrecht  des  Hausherrn  über  die  Gattin  stehen  meiner  Meinnnf 
nach  auch  die  grausamen  Bestimmungen,  welche  das  frtthe  idg» 
Altertum  über  die  überlebende  Frau,  die  Witwe  (scrt. vuttdod, 
lat.  mduüy  ir.  fedh,  altsl.  vidova,  got.  viduvöy)  verhängt  £8 
kann  kaum  einem  Zweifei  unterliegen,  dass  die  Sitte  des  gemeiB- 
Bcbaftlicben  Todes  der  Frau  mit  dem  Manne  eine  altindogerma- 
nische,  wenn  auch,  ähnlich  wie  die  Polygamie,  nur  bei  den 
Reichen  und  Mächtigen  übliche  Einrichtung  ist,  die  einerseitB 
aus  dem  Wunsche  hervorgeht,  dem  Manne  in  sein  Grab  alles 
dasjenige  mitzugeben,  was  iui  Leben  ihm  teuer  gewesen  ist  (ygl. 
Kap.  XVI:  Religion),  andererseits  den  Zweck  hat,  das  Leben 
des  Hausherrn  sicherzustellen  (vgl.  Caesar  de  hell.  GM,  VI, 
Kap.  19)  und  zu  einem  Gegenstand  steter  Angst  und  Fürsorge 
der  Seinen  zu  gestalten  (s.  u.j.  Über  den  Brauch  der  Witwen- 
Verbrennung  bei  den  nördlichen  Indogermanen  hat  bereits  V.  Hebn' 
(p.  531  ff.)  erschöpfend  gehandelt.  Spuren  derselben  finden  sich 
aber  auch  in  Griechenland  (Pausanias  VI,  2,  7)  und  Italien'). 

Bei  den  Indern  herrschen  bereits  im  Rigveda  mildere  Sitten, 
wie  ein  Hymnus  (X,  18,  7)  zeigt,  wo  dem  an  der  Leiche  ihres 
Gatten  trauernden  Weibe  die  tröstenden  Worte  zugerufen  werden: 

Erhebe  Dich,  o  Weib,  zur  Welt  des  Lebens: 
Des  Odem  ist  entflohn,  bei  dein  Du  sitzest, 

Der  Deine  Hand  einst  fasste  und  Dich  freite, 
Mit  ihm  ist  Deine  Ehe  nun  vollendet. 

(Geldner-Kaegi  70  Lieder.) 

Auch  in  den  au  den  Veda  sich  anschliessenden  Literatnr- 
epochen  und  in  den  ältesten  Rechtsbfichem  findet  sich  nach 
R.  Garbe  Die  Witwen  Verbrennung  in  Indien  (Deutsche  Rnod- 
schau,  März  1903)  keine  Erwähnung  dieses  schrecklichen  Brancbes. 
Trotzdem  ist  auch  Garbe,  ebenso  wie  H.  Zimmer  (Altindiscbes 
Leben)  und  vor  diesem  E.  B.  Tylor  (I^mitive  Culture  I),  der 


1)  Daneben  lässt  sich,  wie  Delbrück  (p.  160=  538)  gezeigt  bat,  ein 
idg.  Ausdruck  für  den  Witwer  nicht  nachweisen.  Auch  dies  ist 
charakteristisch,  da  in  der  Urzeit  offenbar  ein  Mann,  der  seine  Frau 
verloren  hatte,  ein  bedeutungsloser  BegrilT  war. 

2)  In  den  „umbrischen'*  Brandgräbern  Oberitaliens  finden  sich 
mehrfach  weibliche  Skelette,  die  Montelius  La  civilisaiion  primUict 
de  VItalie  p.  462  für  die  mitgegebener  Frauen  hält. 


r 


349 


Aneiclit,  dase  es  aicli  hei  dem  in  Indien  bis  in  die  Voraeit 
fiblichen  MitBterbeii  der  Witwe  nicbt  um  eine  mittelslterliclie 
grausHoie  Erfindung  der  Brnlimanen.  sondern  nin  einen  in  den 
genannten  aitidg.  Zuständen  wur/elnden,  eine  Zeitlang  xnrltck- 
getretenen  nnd  danu  wieder  neu  belebten  Brauch  bandelt;  denn 
schon  die  Hegleiter  Alesanders  des  Grnssen  auf  dessen  Zuge 
nach  Indien,  Aristobniog  ivgl.  Strabo  p.  714)  und  andere  (vgl. 
DiodorusSieulus  XIX,  33},  hatten  gehört,  „dass  dort  die  Weiber 
sieb  freiwillig  mit  ihren  Männern  verbrennen,  nnd  es  denen,  die 
es  sich  nicht  gefallen  lassen,  zur  Schande  gereicht". 

Nachdem  die  Anschauungen  menschlicher  geworden  sind, 
zeigen  sich  die  Spuren  des  alten  Verhältnisses  noch  in  dem  Verbot, 
welches  gegen  die  Wiederverheiratnng  der  Witwe  erlassen  wird. 
So  fand  es  Tacitus  <Germ.  Kap.  19)  in  westgermanischen  Staaten 
fin  quihun  taiitum  virginen  iiubunt),  und  auch  im  alten  Griechen- 
land ngÖTfQiii'  dt  xaäerrr^xn  toic  yin-atsii-  In  ävSoi  t'mo&ayövri 
jpiim'my  (Faus.    II,  31,  7). 

Als  Susserst  charakteristisch  für  <ia8  Verhältnis  der  Ehe- 
tgatten  in  der  idg.  Urzeit  können  endlich  die  zahlreichen  Nach- 
iichten  gelten,  die  wir  bei  den  meisten  id^;.  Vfilkei-n  über  häufige 
Jlord-,  namentlich  Giftmord  versuche  der  Frauen  gegen  ihre  Männer 
nod  Vorkehrungen  der  letzteren  gegen  diese  Nachstellungen  be- 
sitzen. So  bringt  Diudortis  Sicnlus  (a.  o.  a.  0.)  die  indische 
Witwen  Verbrennung  in  ursächlichen  Zusammenhang  mit  Kahl- 
reichen  Giftmordversucben  der  indischen  Frauen,  gegen  die  die 
■Gewissheit,  mit  dem  Manne  zu  sterben,  eine  Sehntzwebr  gebildet 
ibabe,  und  es  scheint  mir  kein  ausreichender  Grund  vorbanden 
-ztl  sein,  mit  Garbe  an  der  Richtigkeit  dieses  in  anderer  Be- 
-fiehung  den  Eindruck  der  Wahrhaftigkeit  machenden  Berichts 
TO  zweifeln.  In  Rom  konnte  der  Mann  nach  den  Legen  Regiae 
■(vgl.  Plutarcb  Rom.  Kap.  22)  seine  Frau  Verstössen  td  ifat^/mufiif, 
-lExvwv  JJ  ahiAüv  vnußoXfi  „wegen  (liftmord versuch  und  der 
Cnterschiebang  von  Kindern  und  Schlüsseln"  (wenn  wir  dieser 
Interpunktion  der  Steile  bei  Iheriug  Vorgeschiciite  der  Indo- 
«nropäer  p.  420  vertrauen  dürfen).  Im  Jahre  329,  also,  da  die 
„gute  alte  Zeit"  in  Rom  noch  herrschte,  versuchten  nicht  weniger 
als  170  römische  Matronen  (Livius  VIII,  18i  ihre  Männer  durch 
■Gift  zu  beseitigen.  Auf  die  Nachricht  des  Caesar  von  peinlichen 
Untersuchungen  gegen  die  gallischen  Ehefrauen,  wenn  ihr  Mann 


-    350    - 

gestorben  war,  wurde  schon  oben  (p.  348)  hingewiesen.  Nicht 
weniger  häufig  ist  in  den  germanischen  Volksrechten  (vgl 
Löning  Geschichte  des  germanischen  Kirchenrechts  II,  621)yon 
Nachstellungen  der  Frauen  gegen  das  Leben  des  Ehemanneg 
die  Rede. 

Eine  lebendige  Illustration  erhalten  diese  Vorgänge  grauer 
Vergangenheit  durch  das  heutige  russische  Volksleben,  in  dem 
die  Frau  im  wesentlichen  dieselbe  niedrige  Stellung  einnimmt, 
die  wir  für  die  idg.  Ehefrau  voraussetzen  müssen  *).  Überaos 
häufig  wird  in  den  russischen  Volksliedern  (vgl.  z.  B.  Sobo* 
levskij  III,  s.  V.  zamuiestvo)  erzählt,  wie  die  Frauen  ihre  ver- 
hassten  Eheherren  und  oft  grausamen  Peiniger  erwürgen,  vergiften 
oder  sonstwie  aus  der  Welt  schaffen.  Wollte  man  glauben,  Am 
hier  poetische  Übertreibungen  und  Verallgemeinerungen  vorlägen, 
so  würden  uns  prosaische  Berichte  über  dieselben  Zustände  eioes 
besseren  belehren.  So  besitzen  wir  eine  Erzählung  des  bekannten 
Schriftstellers  Maminü  Sibirjakü:  Otrava  „die  Giftmörderin" 
(Uralische  Erzählungen  I).  Die  Heldin  der  Erzählung  hat  schon 
manchen  Bauer,  der  es  mit  seiner  Frau  zu  toll  trieb,  ins  Jen- 
seits befördert.  Endlich  wird  sie  entlarvt  und  nach  Sibirien 
geschickt.  Hierzu  äussert  sich  ein  Bauer,  namens  Vachruika, 
folgendermassen :  „Erstlich  —  diese  Weiber  sind  Närrinnen  (dafö 
sie  nämlich  Otrava  verraten  haben);  sie  hätten  sich  mit  ihren 
Zähnen  an  Otrava  festbeissen  müssen,  da  sie  ihr  Schutz  und 
Schirm    war.     Wie    man    die  Frauen   jetzt  bei  uns    peinigt,  ist 

1)  Dasselbe  gilt  von  den  Südslaven.  Kein  Montenegriner  vc^ 
gisst,  wenn  er  von  Frau  oder  Tochter  spricht,  sein  oprosHte  sVe^ 
zeihf^  hinzuzufügen.  Die  Frau  küsst  jedem  Mann  die  Hand,  entschuJit 
ihn  und  wäscht  ihm  die  Füsse.  Sie  ist  immer  dem  Manne  zu  Diensten. 
Er  wird  ihr  keinen  Trunk  Wasser  geben,  selbst  wenn  er  ihn  tur 
Hand  hat.  Wehe  dem  Weibe,  das  die  struka  (eine  Art  Plaid)  ihres 
Mannes  mit  der  ihrigen  verwechselt;  es  kann  ihr  Tod  sein.  In  dem 
steinigen  Teile  Montenegros  kann  man  lange  Karawanen  von  Frauen 
sehen,  die  auf  ihren  Schultern  Bretter,  Ziegelsteine  und  andere  Bau- 
materialien wie  Lasttiere  einherschleppen;  aber  auch  in  anderen  Tdlen 
Montenegros  ruht  die  Arbeit,  besonders  auch  die  ganze  Wartung  de» 
Viehs,  fast  ausschliesslich  auf  den  Schultern  des  Weibes  usw.  So  lauten 
die  Mitteilungen  Rovinskijs  (vgl.  Kap.  XIII),  des  gegenwärtig  wohl 
besten  Kenners  Montenegros  und  Serbiens,  der  noch  dazu  sichtlich 
bemüht  ist,  diesen  Verhältnissen  eine  Lichtseite  abzugewinnen.  Vgi^ 
auch  Rhamm  im  Globus  LXXXII,  274,  Serbien  betreffend. 


-     861     — 

ihr ei'k lieh."  Dann  t'r/.alilt  er  eine  Reihe  geradezu  enlsetülicher 
Alle  golelicr  Missliandlungeo  und  fährt  iiöchst  naiv  fort:  „Alle 
^anen,  die  es  tiicht  cuehr  aushalten  konnten,  gingen  zur  Otrava, 
id  die  gab  ihnen  ihr  Mittel  und  lehrte  »ie  es  gebrauchen.    Nnu, 

■  die  Männer  war  es  ininier  eine  Drohung,  Aucb  meine  FZvlaclia 
«Ute  mich  einmal  in  dieser  Weise  vergiften.  Damals  kriegte 
Ifa  ein  solches  Reiasen  im  Baueb,  schlimiuer  wie  der  Tod:  als 
man  in  meinen  Eingeweiden  Gras  mäbte.  Damals  daehte 
h  gleich  an  die  Otrava,  Ja,  nnsere  Weiber  haben  einen  schweren 
erlöst  erlitten.  Jetzt  haben  sie  nichts,  womit  sie  sich 
Dr  ihren  Männern  schül/.en  können.'^  Und  als  er  hinaus- 
gangen  ist,  sagt  Ivanü  Anionyi-n,  der  Gemeindeschreiber:  „Ja, 

*    wahr    ist,    uiuhb    wahr    bleiben  .  .  .    Die  Baaern   sind  wie 

1  wilden  Tiere,  und  die  Frauen  vergiften  sie,  so  ist  s  in  allen 
Crfeni."  Und  der  Feldscher  fUgt  hinzu:  „Ja,  ja,  jedes  grössere 
orf  hat  seine  eigene  Otrava."  Auch  sonst  macht  die  rassische 
orfdichtnug  mit  Vorliebe  von  dem  Motiv  des  Giftmords,  be- 
iDgen  von  der  Frau  an  dem  verhassten  Fhemann,  Gebrauch. 
DfUr  noch  auf  ein  in  kullurhistoriseher  Beziehung  in  mamiig- 
icher  Hinsicht  inleressantes  Stock  von  N.  GarinQ  „Ein  Dorf- 
[Sbornikü  iovami^estm  y,Znaiue**  za  1903  (jodü,  I. 
^ershnrg  19Ü4)  verwiesen  sei. 

Ee  ist  diesen  Tatsachen  gegenüber  eine  verzweifelt  naive 
rage,  ob  die  Stellung  der  idg.  Frau  eine  ..ziemlieh  hohe"  oder 
„niedrige"  gewesen  sei,  and,  ob  es  sich  „um  eine  bewuaste 
[niedrignng  handle,  weuu  die  P'rau  arbeite"  (vgl.  11.  Hirt  Die 
idogermanen  11,444,  71(5).  Die  idg.  Frau  war  ganz  einfach  ein 
MchOpF  zweiler  Ordnung.  .Als  solches  wird  sie  vom  Manne 
j^eseben,  als  solches  betrachtet  sie  sich  selbst  und  sieht  die 
sfaandhing,  die  ihr  zuteil  wird,  wenn  sie  nicht  alles  Mass  über- 
Bigt,  als  die  natllrliche  Ordnung  der  Dinge  an.  Jene  russi- 
hen  Frauen,  wie  sie  uns  die  Volkslieder  schildern,  werden 
bbt  nur  von  ihren  Mannern  gesuhlngen,  sondern  sie  wollen 
ich  geschlagen  sein,  Sie  würden  es  als  unbegreifliche  Schlapp- 
,  ja  als  Kälte  von  seilen  ihres  Mannes  empfinden,  wenn  sie 
■t,  Rftscbig.  ungehorsam,  untreu  gewesen  sind,  nnd  dei-selbe 
jllte  sie  nicht  handgreiflich  „belehren"  iuiitl),    wie    der  tech- 

iche  Ausdruck    ftlr    „schlagen"    heisst.     Die    Peitsche    in    der 
I  des  Mannes  ist  diesen    schwachen    und    leidctiscliaftliclteii 


-     852    - 

Wesen  ein  Zeichen  Heiner  Stärke  und  Männlichkeit,    nud  jeder- 
zeit   haben    diese   Eigenschaften   den    Frauen    imponiert.    Nach 
einem  häufigen,  vielfach  variierten  Thema  der  Volkslieder  (ygl 
§ejn    Der   Grossrusse    I  Nr.  464,    Sobolevskij  IV,  804)  be- 
klagt sich  ein  junger  £hemann,  dass  seine  Frau  ihn  nicht  liebe, 
die  Freude  hasse,  den  Leuten  ihr  Antlitz,    ihm  den  Rücken  zu- 
kehre.    Vergebens  fährt  er  nach  Nowgorod,  um  ihr  Shawl  und 
Schleier,  nach  Kasan,  um  ihr  seidene  Strümpfe  uud  safrangelbe 
Schuhe  zu  kaufen.     Es  ist  alles  umsonst.     Sie  sagt:  ^^Das  ist  alles 
ganz  hübsch,  aber  Dich  mag  ich  nicht,  Dich  will  ich  nicht,  Dabist 
mir  viel  zu  grün.^    Da  endlich  kauft  er  ihr  auf  dem  Jahrmarkt  die 
seidene  Peitsche,  und  siehe  da,  alles  ändert  sich :  ^ Lieben  Leate, 
beglückwünscht  mich  zu  meiner  Frau ! '   Sie  liebt  mich,  sie  liebt 
die  Freude.     Sie  wendet  den  Leuten   den  Rücken   und  mir  ihr 
Antlitz  zu.^     Ähnliches    erzählt  6l6bü  Uspenskij    in   seinem 
kulturhistorisch    äusserst    wertvollen  Werk   Vlasti  zendi  p.  löl. 
Er   führt  uns   eine  Frau    aus   der    „guten  alten  Zeit*'  vor.    Sie 
klagt  über  die  „neuen  Ordnungen^:    „Ja,   ja,  was  mein  Seliger 
war,    der  war  auch  ein   rechter  Tyrann    [istirdnitü):   die  Zähne 
haben    mir    weh    getan,    dass   ich  kaum  essen  konnte,    und  die 
Kinnladen  hat's  mir  zusammengezogen.     Und  mein  Gesicht,  Da 
meine  Liebe,  das  hat  der  Selige  zugerichtet,  dass  es  schwarz  wie 
Eisen  war.     Nun,  ich  hab'  alles  erduldet.     Ich  hab'  geweint  und 
es  erduldet,  aber  ich  hab's  verstanden,     und  jetzt,  rühr' nur 
so  ein  Luder  mit  dem  Finger  an,  gleich  wird  sie  Dich  umbringen.'^ 
Aber,  wird  man  einwenden,    das   ist  so  bei  den  Russen, 
das  ist  nichts  Ursprüngliches,  das  ist  Entartung  von  der  frommen 
Sitte  unserer  idg.  Vorfahren.     Wenden  wir  uns  also  zu  den  Sfld- 
slaven,    „deren    Verhältnisse    den    indogermanischen    ähnlicher 
sind,  wie  sonst  irgend  etwas  in  unserer  Überlieferung"  (H.  Hirt 
L  F.  XIII,  Anzeiger  p.  12).     Auch  hier  sind  die  jungen  Frauen 
mit  der  Sanftmut  der  Männer  gar  nicht  zufrieden.     „Ein  inter- 
essantes Beispiel  bildet  Tekia,  die  Mutter  berühmter  Helden.  Ihr 
erster  Mann  trieb  Ziegen  nach  Hause    und    wagte    sie,    die   m 
Spinnrad    sass,    nicht    mit    dem    Befehl,    sich    um   das  Vieh  zn 
kümmern,    zu    stören.     Da    sagte    sie:    „Das  ist  kein  Mann  für 
mich'',  und  lief  fort.    Ebenso  erging's  ihr  mit  dem  zweiten.   Eni 
als  der  dritte  bei  einer  ähnlichen  Gelegenheit,    weil  sie  die  von 
ihm][erbeuteten  Türkenkühe  nicht  eingetrieben    hatte,    ihr  einen 


—     354     - 


IV.    Die  Herdgemeinschafb. 

Dass  in  der  idg.  Urzeit  der  Sobn,  wenn  er  heiratete,  nicht 
ein  eigenes  Herdfener  entzündete,  sondern  mit  seinem  Weib  und 
den  von  diesem  geborenen  Kindern  in  Herdgemeinschaft  mit 
seinen  Filtern  blieb,  darf  als  die  regelmässige  Lebensgewohnbeit 
angesehen  werden.  Nur  unter  dieser  Annahme  erklärt  sieb  die 
sorgfältige  Terminologie,  welche,  wie  wir  in  Abschnitt  I  sahen, 
schon  in  der  Ursprache  für  die  Beziehungen  der  jungen  Fraa 
zu  den  Angehörigen  ihres  Mannes  bestand.  Aber  auch  die  ge- 
schichtlichen Nachrichten  weisen  auf  diese  FamilienkoDstrnktion 
mit  zwingender  Deutlichkeit  hin.  Als  Agamemnon  in  der  ilias 
IX,  141  ff.  den  Peliden  versöhnen  möchte,  sagt  er  u.  a.: 

ei  de  xev  ^AQyog  Ixoifie^'  ^AxaXxov^  w^q  dgovQrfg, 
yafißgog  xev  f4ot  eoi'  xiooy  de  fiiv  toov  X)geoTUf 
og  jnoi  TTjXvyexog  tgeq^ezat  dakifj  evi  JioXXfj. 
rgeig  Öe  fioi  eiot  dvyatgeg  ivi  fieydgq)  F.v:ti^xj(p, 
Xgvoo&efÄig  xai  AaoStxt]  xai  'Iqpidvaaoa' 
TOLcov  fjv  x'  i&eXjjai  (piXrjv  dvdedvov  dyio^io 
JiQog  oixov  IlfjXfjog  '  eyw  5'  hti  fieiXia  dcooco 
jtoXXd  fidX\  8oö'  ovjico  rig  efj  ejiid(oxe  OvyaxQi, 

Also:  ^Achilleus  soll  mein  Eidam  werden;  er  soll  ohne 
Kaufpreis  eine  von  meinen  Töchtern,  welche  er  will,  (nicht  in 
sein  Haus,  sondern)  in  das  seines  Vaters,  Peleus,  führen.  Ja, 
ich  will  ihm  noch  Geschenke  (juelXia)  dazugeben,  wie  sie  noch 
niemals  ein  Vater  seiner  Tochter  gegeben  hat."  Aus  dem  ältesten 
Rom  erfahren  wir  durch  Plutarch:  „M.  Crassus  war  der  Sohn 
eines  geehrten  Vaters  und  einstigen  Triumphators;  aber  er  wurde 
in  einem  kleinen  Haus  mit  zwei  Brüdern  erzogen.  Und  seine 
Brüder  hatten  noch  bei  Lebzeiten  der  Eltern  Frauen.  Und  alle 
setzten  sich  an  denselben  Tisch."  Ferner  heisst  es  bei  Valerins 
Maximus  (IV,  8,  vgl.  Plutarch  Aem.  Paul.  V)  von  der  Familie 
der  Aelier:  Quid  Aelia  familia,  quam  locuples!  Sededm  eodm 

tempore  Aelii  fueruntj    quibus    una    domuncula    erat <^ 

unus  in  agro  Vejente  fundus  minus  multo  cultores  deMerant 
quam  dominos  habebat.  Um  einen  Herd,  versichert  ausdrück- 
lich Plutarch,  waren  hier  also  16  Männer  desselben  Familien- 
namens mit  ihren  Frauen  und  zahlreichen  Kindern  versammelt. 
Gänzlich  unverständlich  aber  würde  uns  ohne  die  Voraussetzung 


iner  ZHJeclK'ii  Klk-iii  mul  verbeiraleicti  Süliticu  l)c»tchendoit 
lerdgemeinechaft  vor  allem  das  slavisclie  Volksleben  sein,  wie 
i  nns  die  rna»iBeheu  nnd  KcrInsL-lieii  Volkslieder  scliildeni.  Hier 
tbeii  ävU  die  idg.  ZiistHnde  offenbar  am  längsten  erhalten,  iinil 
I  ist  datier  kein  Zufall,  da^s  untei'  den  uodernen  die  slavisehen 
iprnelien  die  ]i,  311ff.  genannten  idg.  Versebwägerungebexeieh- 
angen  ivgl.  /..  B.  aerb.  srekar  „Vater  des  Mannes",  Hrekrva 
Mniter  den  Mannes",  snakit  pScIiwiegertocliter",  djever  „Brnder 
:  Mannes",  zaovu  „Scbwester  des  Mannes",  jetrva  „Frau  des 
trnders  des  Mannes")  am  treusten  bewahrt  haben.  Wiederholt 
ird  in  den  niss.ischen  Volksliedern  erzählt,  welchen  Kampf  die 
te^sta  'vg\.  oben  p,  316)  bei  dem  Eintritt  in  die  nene  Familie 
I  bestehen  hat,  wie  sie  der  .Scbwiegervaier  eine  „Bärin",  die 
lehwicgerniutlcr  eine  „Menacheufresserin",  der  Schwager  eine 
Schlampige",  die  Schwägerin  „eine  Faulenzerin"  usw.  nennen, 
nd  wie  ihr  Mann  danu  die  „Junge"  lehrt,  diesen  Angriffen  zu 
«gegnen.  Ganz  gleiche  Verhältnisse  wie  das  russische  Volks- 
setzt  ohne  Zweifel  schon  der  Rigveda  voraus,  und  wenn 
i  B,  X,  85,  27  der  Neuvermählten  zugerufen  wird: 
„So  sthalt'  und  »'uke  dt^nn  im  Ha«s 
o>i  Schwieger  und  ob  Sohwicgerin, 
I  die  Schwflper  und  difl  Suhwüs^erin. 

nie  sind  Dir  gleiclifalls  imlertnii", 

I  wird  der  jungen  Arierin  in  diesen  Versen  sichtlicb  nichts 
ideres  gewünscht,  als  dass  sie  den  im  russischen  Volkslied  aus- 
ihrlich  geschilderten  Kampf  mit  den  ,\ngehörigen  des  Mannes 
egreicb  besteheu  müge  Wiederholt  berichten  uns  auch  die 
issischen  Volkslieder  von  den  Art)eilen,  welche  die  „Junge"  im 
men  Hause  zu  verrichten  hat,  wie  sie  fur  den  Schwiegervater 
etreide  dreschen  und  trocknen,  fllr  die  Schwiegermutter  Lein- 
and  anzetteln,  wie  sie  deni  Schwager  „das  gute  Pferd  satteln", 
(r  Schwägerin  „die  rflhrentllrmige  HaarFlechte  flechten"  muss, 
lies  dies  ist  selbstverständlich  nnr  bei  einem  räumlichen  Zu- 
itnnien wohnen  der  betreffeiidi.-ii  Personen  itenkbar.  In  die  izbä 
Her  solchen  nissisehen  Orossfarailie  ftlbrt  uns  z,  B.  Turgeniew 
\  dem  ersten  Sttlck  der  Memoiren  eines  Jägers  ein,  in  dem  von 
gem  leibeigenen  Mauern,  namens  Chorl,  berichtet  wird,  der  mit 
ler  ganzen  Schar  erwachsener  Sfihne  und  deren  Frauen  zii- 
unmcnlebt,  oder  Mrignrovii^n  in  seiner  kultnrbistorisrh  bedeut- 


-    856    — 

«amen  Erzählung  „Die  Fischer",  in  der  Glßbü,  der  Held 
Romans,  sein  Quartier  ausser  mit  seiner  Frau  und  zwei  un- 
verheirateten Söhnen  noch  mit  zwei  verheirateten  Söhnen  und 
•deren  Frauen  und  Kindern  teilt  (vgl.  auch  Wallaee  Rassland 
IK  94:  „Eine  Bauernfarailie  vom  alten  Schlag"  und  A.  Leroy- 
Beaulieu  Das  Reich  der  Zaren  I«,  398  ff). 

Es  ist  die  altrussische  patriarchalische  Grossfamilie  {pairi- 
<irchdllnaja  hoUsdja  8emljd\  die  hier  uns  überall  entgegentritt, 
und  an  deren  Spitze  mit  uneingeschränkter  väterlicher  Gewalt 
der  Vater,  Gross-  oder  auch  Drgrossvater  steht,  genannt  der 
7, Alte"  (starikü),  der  „Hausherr"  {xozjdinü)  oder  „der  Growe" 
{boUMkü).  Es  ist  eine  Bluts-,  aber  auch  eine  Gütergemeinschaft, 
4ind  alles,  was  die  Söhne,  sei  es  in  der  Heimat,  sei  es  in  der 
Fremde,  erarbeiten,  fliesst  in  die  gemeinschaftliche  Kasse,  deren 
Verwaltung,  ohne  dass  er  jemandem  Rechenschaft  geben  müsstc, 
<lem  „Alten"  zusteht.  Er  ist,  wenn  nicht  de  iurej  so  doch  dt 
facto  der  Eigentttnjcr  des  Familienguts.  „Als  seine  Erben  er- 
scheinen die  Familienmitglieder,  vor  allem  die  Söhne  und  andere 
rechtsfähige  Familienmitglieder,  welche  selbständige  Mitglieder 
und  Steuerzahler  in  der  Dorfgemeinde  (obScinä)  werden  können. 
Die  Teile  der  einzelnen  Söhne  und  anderer  Familienmitglieder 
werden  oft  durch  Verfügungen  des  Hausherrn  bei  Lebzeiten  be- 
stimmt, wodurch  sein  privilegiertes  Anrecht  auf  das  Eigentum, 
und  nicht  der  Familiencharakter  desselben  gekennzeichnet  wird. 
In  Abwesenheit  einer  vom  Vater  vorgenommenen  Verteilung  er- 
halten die  Söhne  und  mündigen  Familienmitglieder  gleiche  Teile. 
Die  Verteilung  geschieht  „nach  Vätern"  (po  otcdmü)^  d.  h.  zum 
Erbe  werden  berufen  und  empfangen  dasselbe  nur  die  nächsten 
selbständigen  Familienmitglieder,  die  Häupter  der  Einzelfamilien, 
in  welche  die  Grossfamilie  zerfällt,  wenn  man  nicht  vorzieht,  auf 
genossenschaftlicher  Grundlage  (s.  u.)  weiter   zu   leben.     Bereits 

abgeteilte  Kinder    oder  Familienmitglieder    erben   nicht 

Töchter  erben  in  der  patriarchalischen  Familie  nur  dann,  wenn 
beim  Tode  des  Vaters  keine  Erben  männlichen  Geschlechts  vor- 
handen waren,  fähig,  eine  Wirtschaft  zu  führen.  Bei  letzteren, 
wenn  solche  vorhanden  sind,  liegt  die  Verpflichtung,  die  Töchter 
zu  verheiraten  und  nach  Gutdünken  auszustatten,  Bestimmangen, 
die  in  die  Epoche  der  russischen  Pravda  zurückgehen  und  den 
Zusammenhang   zwischen    dem    heutigen    Bauernrecht    mit   dem 


nUleu    bi'weiseu"    i  V.   N  e  O  n  j  e  vn    Enzyklopädist  lies    Würterbuclh 
SXVIII,  550). 

Alles  das  eintl  Züge,  die  dae  bßchsle  idg.  Altertum  widei- 
Ipiegelu  (vgl.  mein  Keallexikuii  u.  Familie,  Eigentum  nud 
Brhscliaft). 

Nun  gibt  es  aber  in  Rnssland  neben  der  eben  beachric- 
Mneii  patriarchalischen  noch  eine  zweite  Art  von  (jroaefamJlie, 
ftmlich  eine  mehr  genoeisenschAftlielje  {/temijd  arl4lmaga 
^o),  die  aus  einigen  Brüdern  mit  ihrer  Nachkonimenacliaft  be- 
teht,  die  sich  nach  dem  Tode  des  Vaters  nicht  abgeteilt  haben, 
Mweileu  aber  aneh  aus  Personen,  die  nicht  miteinander 
rwaudt  sind  und  dann  „ZuBaramenteger"  (sklddniki)  oder 
^CenosBen"  {»jdbry)  heisseu.  An  der  Spil;«e  steht  meist  ein 
gewählter  boltidkü-domoxozjdinü.  Das  Eigeiitnni  wird  als 
;enoSsenschaftliebeB  betrachtet.  Auch  die  ErhbeBtimniungen  sind 
Mdere:  z.B.  erben  hier  auch  die  Weiber,  Witwen  und  Tßcliter, 
Wenn  es  in  ihrer  Linie  keinen  Mann  gibt  (vgl.  NeSaJevTl  a.a.O.). 
Fou  einer  solchen  FaniiliengenoHsenschaft,  derjenigen  der  äofro- 
idtsch,  die  aber  nnr  aus  Verwandten  l>estand,  wird  z.  B.  an& 
Kursk  berichtet.  Sie  „nmfasste  ( 1  Sl'2}  42  Fereonen,  die  —  wenig- 
ens  die  Männer  —  alle  von  einem  gemeinsamen,  vor  etwa 
)  Jahren  verstorbenen  Vorfahren  stammten,  dessen  Sfilme  und 
kch  deren  Tode  die  Enkel  und  Urenkel  abgemacht  hatten,  unter 
ieitong  eines  von  ihnen  gemeinsam  Wirtschaft  und  Landban  v.a 
reiben.  1872  zählte  diese  Familie  acht  verheiratete  Paare, 
rei  W'itwen  und  mehr  als  20  junge  Leute  und  Rinder  beiderlei 
JAchlechls:  alle  bewohnten  denselben  Hof  oder  Dwor,  der  aus 
rt«r  Isbas  besiand"  (vgl.  Leroy-Heaulieu  I-,  404  Anm.  2). 

Am  nächsten  dieser  soelien  geschilderten  FamiliengenoBsen- 
ishaft  kommt  <lie  in  den  letzten  Jahren  besonders  häufig  he- 
udelte  serbische  zadruga.  Eine  solche  Hausgenossenschaft 
»teht  nach  der  Schilderung  von  Krauss  (Sitte  and  Brauch 
ki  den  Südslaven  p.  64  ff.)  aus  einer  Vereinigung  von  an  An- 
ibt  big  zu  60 — 70  Mitgliedern,  die  untereinander  Blutsverwandte 
Veiten  bis  dritten  Grades  „selbstverständlich  nur  in  mäun- 
Icher  Linie"  sind.  An  ihrer  Spitze  steht  ein  Hausverweser 
pwOhnlich  domacin),  dem  zwar  die  grftssten  Ehren  erwiesen 
rerden,  der  aber  nicht,  wie  der  römische  pater  familias,  als 
krr  und  Eigenlllmer  des  Fnmilienvermögens  zu   betrachten  ist. 


-    358    — 

Das  letztere  gehört  vielmehr  den  sämtlichen  männlicben  er- 
wachsenen Hausgenossen  gemeinschaftlich.  Die  Hansgenosaen- 
«chaft  wohnt  vereinigt,  doch  so,  dass  das  eigentliche  Haas 
{ogniSfije  „die  Feuerstätte")  allein  von  dem  Hausverweser  und 
seiner  Familie  bewohnt  wird,  um  das  sich  dann  in  hufeisen- 
förmigem Halbkreis  die  Wohnungen  der  übrigen  Mitglieder,  die  nur 
Schlafkammern  sind,  herumgruppieren.  Die  Mahlzeiten,  für  welche 
die  domacica  zu  sorgen  hat,  werden  gemeinsam  eingenommeD. 
Erst  essen  die  Männer,  dann,  was  übrig  bleibt,  die  Frauen. 

Gegen  die  Alterttimlichkeit  dieser  Institution  sind  in  neuerer 
Zeit  namentlich  von  J.  Peisker  Die  serbische  Zadruga  (Z.  f. 
Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  VII,  211  ff.)  schwerwiegende 
Bedenken  geltend  gemacht  worden.  Nach  ihm  wäre  dieselbe 
«ine  verhältnismässig  junge  Erscheinung.  Auszugehen  wäre  ffir 
ihre  Geschichte  von  einem  in  den  ältesten  serbischen  Chryso- 
bullen  geforderten,  von  Byzanz  ausgehenden  und  zum  Zweck  der 
Steuereintreibung  ersonnenen  bini  ac  ferw/System,  nach  dem  je 
zwei  oder  drei  verheiratete,  untereinander  nicht  notwendig 
verwandte  Männer  eine  wirtschaftliche  Einheit  für  Steuer-  nnd 
Frondienst  gebildet  hätten.  Hieraus  sei  dann  unter  dem  Druck 
der  ebenfalls  byzantinischen  und  von  den  Türken  beibehaltenen 
„Rauchsteuer"  {xanvixovj  serb.  dimnica),  die  ein  möglichst  langes 
Zusammenbleiben  au  einer  Rauchstelle  (focus)  geradezu  prä- 
miiert habe,  die  geschichtliche  zadruga  entstanden. 

Ohne  Zweifel  lernen  wir  aus  den  Peiskerschen  Aus- 
führungen, dass  äussere  Gewalten  auf  die  Erhaltung  und  wirt- 
schaftliche Ausgestaltung  der  serbischen  zadrtiga  von  grosscDi 
Einfluss  gewesen  sind,  wie  auch  in  Russland  (vgl.  Neöajevü 
a.  a.  0.)  die  Leibeigenschaft  und  die  Behörden  auf  die  Bei- 
behaltung der  Grossfamilie  aus  wirtschaftlichen  Gründen  nnd 
zum  Zwecke  der  bequemeren  Steuereintreibung  immer  bedacht 
gewesen  sind.  Ihnen  besonders  wird  es  zuzuschreiben  sein,  wenn 
in  Russland  wie  in  Serbien  auch  nichtverwandte  Personen  in 
die  Familiengenossenschaft  oder  Hausgemeinschaft  aufgenommen 
werden  können.  Auf  der  andern  Seite  geht  aber  Peisker  zu  weit 
wenn  er  aus  den  von  ihm  angeführten  Tatsachen  Schlüsse  aat' 
das  ausschliessliche  Bestehen  von  Einzelfamilien  in  Einzel- 
höfen bei  den  Serben  zur  Zeit  ihrer  Einwanderung  in  die  Balkan- 
halbinsel zieht.     Unter   allen    slavischen  Sprachen  bat,    wie  wir 


i  oben  i]).^bbi  »<alit!D,  gerade  das  Serliisclie  aiu  Ireuslen  ilie 

iogerniaiiiscliei),  ein  räuiulit^bea  Zusammenleben  der  UroBS- 
oilie  beweisenden  Vev wand tschafts Wörter  bewahrt,  and  aucii 
I  Familienleben    selbst    wird    in    den    serbisoben    Volksliedern 

beza  mit  deneelben  Farben  wie  in  den  russischen   gesebildert. 
dieselben  GrUnde  gestutzt,    bat    auch    K.  Rliamm    Globus 

EXXII  p.  276  diesen  Teil  der  Peiskersehen  Aosfflhrungen 
t  Beebt  zurückgewiesen.  Aneh  scheint  mir  die  Eiufilhrung 
es  biui  ac  terni-Syatemä  sowie  die  Bestimmung  (vgl.  l'eisker 

215j,  dass  auch  der  Einzelne  ijedinak)   sich    einen  Genossen 

iitniki    zulegen    müsse,    nur    bei    einem    seit    alters  Hn  Herd- 

meinscbaften,  die  vielleicht  damals  schon  -ta  zerfallen  drohten, 

wObnten  Volke  möglich  zu  sein. 

Somit,  glaube  ich,  haben  wir  ein  Recht  /.u  der  Annalime,  dass 
der  idg.  Urzeit  die  Deszendenten  eines  Mannes   so  lange  bei- 

laadcr  blieben,  als  der  gemeinsame  Aszendent  lebte  oder  die 
tria  potestas  körperlieb  und  geistig  ausüben  konnte,     und  da 

r  Orond  zu  der  Vermutung  Laben  (8.  unten),  dass  in  der  illleston 

it  die  Eben  sehr  frühzeitig  geschlossen  wurden,  so  wird  es 
1  oft  ereignet  haben,  dass  unter  eiueni  and  demselben  Da(.'hc- 

Ibne  und  Enkel,  ja  Urenkel  beieinander  lebten.  Aber  auch 
I  möchte  ich  zum  mindesten  für  sehr  wabrseheinlicli  halten, 
e  diese  patriarcbalisebe  Grossfamilie  auch  nach  dem  Tode  des 
ters,  Gross-  oder  Urgrossvaters  nicht  selten  beieinander  blieb 
I    dann    mehr  einen  genosaenscbnFtlichen   Charakter    annahm. 

ich  bei  den  Armeniern  liegen  diese  beiden  Formen  der  Gross- 

milie    noch    beute    nebeneinander.     ^Das  Hans",    berichtet  Dr. 

irchudarian  bei  Lcist  Altariscbes  .Ins  eivile  1,497.  „bildet 
!  festgeHcbiosseue  Gemeinschaft,    und    zwar    wird    diese  nicht 

dttrcb  gelöst,  dass  die  Söhne  beiraten  und  ein  eignes  Haus 
Isden.  Vielmehr  geht  die  absolute  Flerrscbaft  des  Hausbalters 
t  auf  die  von  den  Söhnen  und  Enkeln  gegründeten  Familien, 
es  lebt  zusammen    nach    dem   keinen  Widerspruch   duldenden 

illen  des  Hausherrn.  Die  Verfügungen  desselben  sind  un- 
lersprechlicb.  Was  die  Söhne  erwerben,  kommt  in  die  gemein- 
le  Kasse,  aus  der  die  zum  Hause  gehörenden  Frauen  ernährt 
rden.  Stirb!  der  Hausherr,  so  wird  der  älteste  Sohn  (hier 
»Iso  die  Nachfolge  fest  geregelt)  der  Beherrscher  des  Haus- 
lens  und  so  noch  ferner  in  der  dritten  Generation." 


-     360    - 

Ans  diesem  gemeinsamen  Zusammenleben  so  zahlreicher 
verwandter  Personen  unter  einem  Dache,  ja,  wie  in  Kap.  X 
(Wohnung)  gezeigt  wurde,  häufig  in  einem  Raum,  sollen  nun 
noch  einige  charakteristische  Züge  angeftthrt  werden,  die  darauf 
Anspruch  erheben  können,  in  die  idg.  Urzeit  zniilckzngehen. 

Es  ist  in  dieser  Beziehung  eine  richtige  Beobachtung,  weim 
T urgente w  in  der  oben  erwähnten  Erzählung  seiner  Zapiski 
hinsichtlich  der  Frau  des  Hausvaters  bemerkt,  ^dass  ihre  Söhne 
ihr  keine  Beachtung  schenkten,  dass  sie  aber  die  neveüy,  also 
die  Frauen  dieser  Söhne,  „in  der  Furcht  Gottes^  hielt,  während 
sie  hinwiederum  ihren  Mann  fürchtete  und  auf  seinen  Befdd 
sich  gehorsam  auf  den  Ofen  (den  Lieblingsplatz  älterer  Leute) 
zurückzogt.  In  diesem  Milieu  wurzelt,  wie  ich  dies  in  meiner 
Schrift  Die  Schwiegermutter  und  der  Hagestolz  näher  ausgeführt 
habe,  das  gespannte,  ja  feindliche  Verhältnis,  das  sich  zwischen 
der  Mannesmutter  und  der  Schwiegertochter  überall  auf  idg. 
Boden  nachweisen  lässt,  während  das  bei  uns  fast  sprichwört- 
liche Zerwürfnis  zwischen  Schwiegersohn  und  Weibesmutter  erst 
eine  späte  Erscheinung  ist.  überall  sind  die  Schwiegertöchter, 
wie  dem  Schwiegervater,  so  auch  der  Schwiegermutter  gegen- 
über nach  dem  geltenden  Gewohnheitsrecht  zum  strengsten  Ge- 
horsam verpflichtet  gewesen,  eine  Verpflichtung,  der  die  Römer 
durch  die  schon  in  den  Königsgesetzen  enthaltene  Bestimmung, 
dass  die  Schwiegertochter  verflucht  sein  solle,  die  es  wage,  die 
Hand  zum  Schlag  gegen  die  Schwiegereltern  zu  erheben,  sogar 
einen  gesetzgeberischen  Ausdruck  verliehen  haben  {^Si  nwm* 
[sc.  verberit  par entern] y  sacra  divis  parentum  estod^  in  Sem 
Tullij  nach  Th.  Mommsen  bei  C.  G.  Bruns  Fontes  iuris  So- 
mani  antiqui^  p.  8). 

Aber  auch  in  anderer  Beziehung  mochte  die  Zucht  nnd 
Ordnung  der  idg.  Grossfamilie  schon  in  der  Urzeit  durch  jene 
jungen  Frauen  nicht  selten  bedroht  werden,  indem  sie  den  Wün- 
schen des  Schwiegervaters  nicht  zu  wenig,  sondern  zu  viel  ent- 
gegenkamen. Das  Snochaöestro,  d.  h.  die  Buhlerei  der  Schwieger- 
väter mit  den  Schwiegertöchtern,  bildet  noch  heute  einen  in  dem 
Wesen  der  Grossfamilie  wurzelnden  Übelstand  des  russischen 
Volkslebens,  der,  wie  wir  oben  (p.  322  f.)  sahen,  schon  in  Nestors 
Chronik  hervorgehoben  und  von  zahlreichen  neueren  Schriftstellern 
erwähnt    wird.      Nach    ihnen  (vgl.  namentlich  OUhü  üspenddj 


tti  zemli  p.  läöff.)  ist  die  EiBcbeitiiing  lolgenderiuaBBeii  zn 
liearteileD.  Die  rnäeiacben  Bauern  heirateten  in  der  Zeit  der 
Leibeigenschaft  sehr  frllb,  der  Barsche  mit  18,  das  Mädchen  mit 
16  Jahren  (vgl.  Leroy-Beaulieu  I*,  412);  aber  sogar  noch 
fiel  frühere  EhcBcblieesungen  mltesen  vorgekommen  Bein').  Die 
folge  ist,  A&m  der  Baner  nach  25 jähriger  Ehe  noch  sehr  leistuugB- 
l^big,  die  Fran  aber  durch  harte  Arbeit  und  zahlreiche  Ge- 
burten —  die  Russen  sind  eins  der  kinderreichsten  Völker 
Europas  —  erscht^pft  ist.  Dazu  kommt,  dass  der  Bauer  in  seiner 
Jflngliugszeit  die  Freude  der  Liebe  oft  nur  im  Raub  geniesgt, 
da  er  häufig  unmittelbar  nach  der  Hochzeit  auf  lange  Jahre  in 
die  Städte  auf  Arbeit  gebt  und  während  seiner  kurzen  An- 
wesenheit zu  Hause  vrährend  der  Feste  noch  durch  die  langen 
ond  häufigen,  strenge  Keuscbbeil  vorschreibenden  Fasten  ver- 
hindert wird,  sich  seiner  Frau  zu  nahen.  So  kommt  er  häutig 
erst  in  einem  Alter  von  4U  und  50  Jahren  zu  einem  behaglichen 
Lebensgennss.  Da  treten  ihm  nun  in  dem  Hause,  dessen  nn- 
bescbräukter  Herr  er  inzwischen  geworden  ist,  die  jungen,  ihrer 
Männer  oft  entbehrenden  Frauen  seiner  Söhne  entgegen.  Was 
wander,  dass  es  da,  bei  dem  Mangel  an  anderer  Gelegenheit*), 
zn  einem  xnochaiestto  kommt,  das  die  Ehefrau  selbst  nicht  allzu 
tragisch  nimmt.  „Was  soll  ich  tun",  sagt  eine  solche,  als  sich 
die  Schwiegertochter  bei  ihr  beschwert,  „ich  tiin  eine  alte  Fran 
und  kann  mich  nicht  mehr  auf  solche  Sachen  einlassen,  aber  du 
mtiBSt  deinen  Schwiegervater  ehren,  weil  er  das  Haupt  des  ganzen 
Hauses  ist  und  dich  ans  Barmherzigkeit  tränkt  und  nährt"  (vgl. 
Melnikow  In  den  Wäldern  I,  108). 

Auch  dieser  Zug  des  russischen  Dorflebens  ist  nicht  eine 
besondere  Scbeusslichkeit  der  Russen,  sondern  wie  zahllose  andere 
nur  das  Oberbleibsel  eines  Znstandes,  den  auch  die  übrigen  idg. 
Volker  einmal  durchlaufen  haben. 

Namentlich   im   ältesten  Rom,  wo,  wie   in   Rnssland,  alle 


1)  Dto  Volkslieder  sind  voll  von  Klagen,  das»  reife  MHdchen  an 
reine  Knaben  verkuppelt  werdeui  Die  Amnie  TatJAnaa  in  Put^chlcins 
Evgenij  OneginB  III,  18  hatte  mit  18  Jahren  geheiralel,  und  ihr  Mann 
war  noch  jünger  geweeen. 

2)  Eine  An  von  Prostitution  bilden  «uf  den  Dörfern  die  notddlki 
.die  Soldatenfrauen",  d.  Ii.  die  auf  dem  Dorf  zurückbleibenden  Frauen 
der  znr  Fahne  früher  au/  lö,  jet/t  auf  5  Jahre  einberufenen  BurBchen. 

SebradsT,  Sprach versic Ich uue  nnd  Ur^eachlcbla  II.   9.  Aufl.  ^^ 


-     362    — 

Vorbedingungen  des  snochadestvo  gegeben  waren:  die  strenge 
patria  potesta^j  das  gemeinsame  Wohnen  (vgl.  oben  p.  354),  die 
frühen  Heiraten  (vgl.  L.  Friedlaender  Darstellungen  ans  der 
Sittengeschichte  Roms  P,  p.  563  ff.),  müssen  derartige  Vor- 
kommnisse häufig  gewesen  sein  und  wurden  in  den  Redner- 
Bchulen  als  Übungsthema  behandelt  (vgl.  Schwiegermutter  und 
Hagestolz  p.  104). 

In  den  ältesten  indischen  Texten  wird  der  Schwieger- 
tochter eingeschärft,  dass  sie  sich  voll  Scheu  und  Scham  vor 
ihrem  Schwiegervater  zurückzuziehen  habe;  ja,  es  wird  als  grobe 
Unschicklichkeit  betrachtet,  wenn  Schwäher  und  Schnur  auch 
nur  miteinander  schwatzen  (vgl.  Delbrück  Verwaudtsebafto- 
nanien  p.  136  S.-A.=  514).  Es  ist  schwerlich  zu  kühn,  dies  als 
eine  übertriebene  Reaktion  gegen  das  urzeitliche  siwchafestvo 
aufzufassen.  Überhaupt  wird  Schweigen  und  äusserste  Zurück- 
haltung  bei  mehreren  idg.  Völkern  der  jungen  in  ein  neues  Hans 
eintretenden  Frau  zur  Pflicht  gemacht  (vgl.  E.  Hermann  I.  F. 
XVII,  377  ff.  und  Rhamm  im  Globus  LXXXII,  194  ff.). 

So  ist  es,  wie  nach  unseren  obigen  Ausführungen  über  die 
Lage  der  idg.  Frau  nicht  anders  zu  erwarten,  eine  tiefe  Klnft, 
welche  die  Stellung  der  Männer  von  derjenigen  der  Frauen  im 
altindogermanischen  Hause  trennt,  zu  deren  Charakterisiening 
schliesslich  noch  auf  einen  seltsamen  und  weitverbreiteten  Ge- 
brauch hingewiesen  werden  soll,  den  wir  als  Separatio  (der  Frauen) 
a  mensa  bezeichnen  können. 

{Separatio  a  mensa.) 

Seitdem  ich  in  der  zweiten  Auflage  dieses  Buches  zuerst 
auf  ein  bei  mehreren  idg.  Völkern  bestehendes  Verbot,  das  die 
Frauen  von  den  Mahlzeiten  der  Männer  ausschliesst,  hingewiesen 
habe,  sind  Belege  für  diesen  Brauch  nahezu  aus  allen  Teilen 
der  idg.  Völkervvelt  beigebracht  worden. 

Beginnen  wir  in  Europa  und  bei  den  Griechen,  so  speisen 
bei  Homer  die  Frauen  durchaus  getrennt  von  den  Männern  und 
werden  überhaupt  nur  ungern  im  Männersaal  geduldet.  Ab 
Nausikaa  (Od.  VII,  12)  vom  Strande  heimkehrt,  geht  sie  nicht 
zu  den  drinnen  sehmauseudcu  Männern,  vielmehr  wird  ihr  Ton 
der  alten  Schaffnerin   besonders  das  Mahl  zubereitet.     Nur  Gut- 


-    «63    - 

tinnen  wie  Kirke  und  Kalypso  werden  nicht  von  dieser  separatio 
a  mensa  betroffen.  Aus  Athenaeus  (XV  p.  644*^:  rhragag  noieiv 
xQOJieCag  tö>v  ywaix(bv  ebid  ooi,  E^  dk  tcov  ävdgcbv)  lernen  wir, 
dass  auf  dem  hier  beschriebenen  Hochzeitsfest  Männer  and  Frauen 
wenigstens  an  verschiedenen  Tischen  speisten.  Wenden  wir  uns 
nordwärts  den  Makedon en  zu,  so  erklärt  nach  Herodot  V,  18 
ihr  König  Amyntas,  als  eine  persische  Gesandtschaft  mit  Berufung 
auf  die  heimische  Sitte  {^^julv  vojuog  iarl  xoToi  Uigofjoif  kneäv  dem- 
vor  TiQOTi^wjue&a  juiya,  rote  xal  rag  nakXaxäg  xal  tds  xovgidlag 
ywaixag  iodyeo&ai  nagidgovg)  stürmisch  die  Anwesenheit  von 
Frauen  beim  Mahle  fordert:  vojuog  juev  "^juTv  ye.  ion  ovx  ovrog, 
mä  xexo)Q^o^ai  ävdgag  yvvaixojv.  Bei  den  Persern  herrschte 
damals  also  schon  die  „bunte  Reihe^^;  doch  gehen  über  erstere  die 
Nachrichten  auseinander  (vgl.  Brissonius  De  regno  Persarum 
p.  216,  217).  Verweilen  wir  weiter  im  Osten  Europas,  in  der 
litauisch-slavischen  Welt,  so  berichtet  schon  Peter  von 
Dusburg  von  den  allen  Preussen,  nachdem  er  (vgl.  oben  p.  319) 
von  ihrem  Frauenkauf  gesprochen  hat, :  Unde  servat  eam  sicut 
ancillam,  nee  cum  eo  comedit  in  mensa  et  singulis  diebtis 
domesticorum  et  hospitum  lavat  pedes.  Bei  den  ihnen  benach- 
barten Weissrussen  setzen  sich  beim  Leichenmahl  „die  Männer 
an  den  einen  Tisch,  etwas  höher  hinauf  {na  kute  „im  Winkel 
des  Heiligenbilds"),  die  Weiber  an  einen  andern"  (vgl.  Sejn 
Sbornik  51  Nr.  3,  p.  555;.  Auf  die  in  der  serbischen  Zadruga 
herrschende  Sitte  wurde  schon  oben  p.  358  hingewiesen.  „In  der 
Gegend  von  Agram  müssen  die  Weiber  hinter  und  zwischen  den 
sitzenden  Männern  stebn  und  zwischen  ihren  Schultern  und  über 
ihren  Köpfen  in  die  Schüssel  langen.  In  Dalmatien  warten  die 
Weiber  bei  Tische  auf,  ohne  sich  zu  setzen,  sie  speisen  nachher  allein, 
wobei  die  Jüngsten,  wenn  sie  nicht  am  Feuer  sitzen,  den  andern 
mit  dem  Kienspan  leuchten"  (vgl.  K.Rhamm  im  Globus  LXXXII, 
Nr.  7.  p.  278).  Nach  einer  privaten  Mitteilung  desselben  Gelehrten 
hätten  noch  bei  dem  alten  MiloS  Obrenovi6  Fürstin  und  Töchter 
selbst  vor  Gästen  bei  der  Tafel  nach  altserbischer  Sitte  gestanden. 
Auch  bei  den  Germanen  erweist  sich  das  Getrenntspeisen  der 
beiden  Geschlechter  als  die  ursprüngliche  Sitte.  Die  Nibelungen 
sind  nach  Bechelären  gekommen.  Der  Markgraf  RuedegSr  und 
seine  Gemahlin  gehen  ihnen  entgegen.  Dann  (Nib.  ed.  Zarncke 
p.  255)  heisst  es: 


-    364    - 

Nach  gewonheite       dö  schieden  sie  sich  da, 
ritter  unde  frouwen       die  gierigen  anderstoä, 
dö  rihte  man  die  tische       in  dem  sale  uM: 
den  vil  lieben  gesten      man  diente  tvillecliche  sU, 

Durch  der  geste  liebe      hin  ze  tische  gie 
niwan  diu  marcgravinne:        ir  tohter  si  dö  He 
beltben  M  den  kinden      da  si  von  rehte  sa^. 
das  ^  *'"'  ^^^^  ensähen^        die  geste  milete  sire  dag. 

Also:  von  den  Frauen  geht  nur  die  Markgräfin  zu  Am 
Männertischy  um  ihren  Pflichten  als  Hausfrau  zu  genügen.  Vgl. 
weiteres  bei  Weinhold  Die  Deutschen  Frauen  II*,  189.  Aus  Däne- 
mark wird  auch  von  dem  oben  bei  den  Slaven  uns  begegnendeo 
Stehen  der  Frauen  bei  der  Mahlzeit  neben  den  sitzenden  Männern 
berichtet.  In  dem  Führer  durch  das  Volksmuseum  in  Kopen- 
hagen (vgl.  Rhamm  a.  a.  0.  p.  278)  heisst  es  bei  der  Beschrei- 
bung einer  Stube  aus  dem  mittleren  Seeland :  ,,Der  obersten  Bank 
durfte  das  Gesinde  sich  nur  bei  den  Mahlzeiten  nähern.  Die 
Knechte  sassen  auf  der  Fensterbank,  der  Mann  auf  der  Hochzeits- 
bank, während  die  Hausfrau  und  die  andern  Frauenzimmer 
stehend  speisten,  die  Frau  zunächst  dem  Manne,  Töchter  und 
Mägde  links  von  ihr.  Sie  stand  aufrecht,  während  selbst  der 
Hirtenjunge  sitzend  speiste'^  und  hinsichtlich  einer  Bauernstube 
auf  der  Insel  Samsoe:  „Weun  eine  junge  Frau  im  Hause  ist, 
steht  sie  und  die  Mägde  vor  dem  Tische  und  speisen,  die  alte 
Frau  sitzt  am  andern  Tischende/^  Aus  den  keltisch- roma- 
nischen Ländern  haben  wir  das  Zeugnis  des  Galfr.  Monumetensis 
IX,  13  (bei  A.  Schultz  Höfisches  Leben  P,  422):  (Nach  der 
Krönung)  üle  (Arturus)  ad  suum  palatium  cum  mris,  haee 
(regina)  ad  aliud  cum  mulieribus  epulatum  incedunt.  Äntir 
quam  namque  consuetudinem  Trojae  (!)  servantes  Briiones  con- 
sueverunt  mares  cum  maribus,  mulieres  cum  mulieribus  festiooi 
dies  separatim  celebrare.  Es  kann  also  keinem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  auch  im  ganzen  romanisch -germanischen  Westen 
unseres  Erdteils  die  ältere  Sitte  die  Trennung  der  Geschlechter 
bei  den  Mahlzeiten  vorschrieb.  Andererseits  lässt  sich  aber  ancht 
wenigstens  in  den  besseren  Kreisen,  die  „bunte  Reihe'^  ausdrflck- 
lich  als  „der  Franzoyser  site"  bezeichnet,  von  ziemlich  früher 
Zeit  an  hier  nachweisen  (vgl.  Wein  hold  a.a.O.,  A.  Schnitz 
a.  a.  0.  und  Pietsch  Z.  f.  deutsche  Phil.  XVI,  231).    Namentlich 


«cfaeiDen  bei  den  Germanen  die  Frauen  frühzeitig  tu  den  Trink- 
gelagen zugelassen  worden  zu  sein,  wie  z,  B.  die  von  Paulus 
Diaconns  II,  28  erzählte  Geschichte  zeigt,  nach  der  Alboin  bei 
einer  solchen  Gelegenheit  sein  Weib  Rosamunde  zwingt,  aus  dem 
Schädel  ihres  Vaters  zu  trinken.  Aus  Skandinavien  wird  von 
der  Sitte  berichtet  (vgl.  Weiuhold  Altn.  Leben  p.  460),  tvi- 
menning  „paarweise",  Mann  und  Weib,  wie  sie  das  Los  vereinigte, 
ZH  trinken.  Hingegen  möchte  ich  die  im  Heliand  v.  147  (Heyne) 
von  den  Ehegatten  gebrauchte  Ausdrucks  weise  gibenkeon  endi 
gibeddeon  „Bank-  und  Bettgenossen"  auf  nichts  anderes  als  das 
gemeinsame  Wohnen  von  Mann  und  Frau  beziehen. 

Werfen  wir  schliesslich  noch  einen  Blick  auf  die  asia- 
tischen Indogermanen,  so  begegnet  uns  in  der  heutigen  arme- 
nischen Grossfamilie  genau  dasselbe  Bild  wie  in  der  serbischen 
Zadruga:  ,,Bei  allen  Mahlzeiten  essen  die  Frauen  getrennt"  (Dr. 
Barchudarian  hei  Leist  Altariscbes  Jus  civile  I,  499).  Über 
die  alten  Perser  vgl,  oben  p.  363.  Aueb  aus  dem  ältesten  Indien 
sind  neuerdings  (vgl.  Winternitz  Beilage  z.  AUg.  Z.  1903 
Nr.  253,  p.  261j  Zeugnisse  für  das  Getrenntspeisen  beider  Ge- 
schlechter beigebracht  worden.  Im  fkUa^paihabrähmana  I,  9,  2,  12 
ist  von  dem  patiiliami/äjaii  die  Rede,  einem  Opfer,  das  gewissen 
Gottheiten  nebst  ihren  Weibern  dargebracht  wird.  Dabei  heisst 
es:  he  therebtf  conceals  tthia  offering)  frotn  them\  and  accor- 
dingly  Yäjhavalliya  (ein  alter  Lehrer)  nayi«:  Mlieneper  human 
tcomen  here  eut  (they  do  «o)  apart  from  rnen.  DazuX,  5,2,  9 
(betreffend  die  Sohneser/eugung) :  ,,Der  Mann  soll  nie  in  Gegen- 
wart seiner  Gattin  essen;  denn  nur  so  wird  ihm  ein  kräftiger 
Sohn  geboren,  und  die  Frau,  in  deren  Gegenwart  der  Mann  nicht 
isst,  gebiert  einen  kräftigen  Sohn." 

Nach  dem  allen  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dasB 
das  Getrenntspeisen  von  Mann  und  Frau,  sei  es  in  verschiedenen 
Räumen,  sei  es  an  verschiedenen  Tischen,  sei  es  endlich  auch 
nur  80,  dasB  die  Frauen  stehend  neben  den  sitzenden  Männern 
ihre  Mahlzeiten  einuehmen,  eine  uralte  idg,  Sitte  ist,  die  im 
Norden  und  Osten  Europas  und  bei  den  Armeniern  unter  der  länd- 
lichen Bevölkerung  noch  heute  herrseht. 

Demgegenüber  fällt   es  auf,  dass  in  der  Formnlieruug  der 
U bolischen  Ehescheidung 

„Separatio  quoad  thorum  et  jnennam" 


-    366    - 

die  Gemeinschaft  des  Tisches  gerade  als  charakteristisch fttr 
den  Begriff  der  Ehe  angesehen  wird.  Es  schien  daher  wichtig, 
etwas  über  das  Alter  dieser  Formulierung  in  Erfahmng  zu  bringen. 
Hierüber  hatte  F.  Knie p  die  Güte,  mir  folgendes  mitzateilen: 
/Ehescheidung  von  Tisch  und  Bette'  scheint  ein  ganz  moder- 
ner Ausdruck  zu  sein.  Nach  J.  H.  Boehmer  lus  eccl.  UbA^ 
tit,  19  §  49  geht  die  Sache  hauptsächlich  auf  Augustus  zurQck, 
aber  ein  älterer  Ausdruck  wird  gewesen  sein:  aeparari  quoad 
cohabitationem.  Es  heisst  bei  Böhmer:  separantur  quoai 
cohabitationem,  quae  vulgo  vocatur  ^Die  Ehescheidung  von  Tisch 
und  Bette'.  Noch  im  Trident.  Conc,  sessio  24  de  reform.  matr. 
c.  8  heisst  es:  ob  multas  catisas  separationem  inter  coniuges 
quoad  thorum  seu  quoad  cohabitationem  ad  certum  incertumve 
tempus  fieri  posse  decrevit  (ecclesin),^^  So  stimmt  also  auch  dies 
mit  den  obigen  Ausführungen  aufs  beste  überein.  Dabei  darf 
man  sich  das  Aufkommen  der  Sitte  des  Zusammenspeisens  Ton 
Mann  und  Frau  vielleicht  in  der  folgenden  Weise  vorstellen: 
Das  einzige  idg.  Volk,  bei  dem  ich  keine  Nachricht  Ober  iu 
Getrenntspeisen  der  beiden  Geschlechter  bis  jetzt  habe  finden 
können,  ist  das  römische.  Im  Gegenteil  berichtet  Valerios 
Maximus  II,  1,  2:  Feminae  cum  viris  cubantibus  sedentes  cem- 
tabant.  Vgl.  auch  oben  p.  354  „alle  setzten  sich  an  denselben 
Tisch^^  Da  nun  in  Rom  frühzeitig  die  Frauen  eine  bessere 
Stellung  erhielten,  was  sich  in  dem  Zurücktreten  des  Brautkanft, 
in  der  Anteilnahme  des  Mädchens  an  der  Erbschaft  zu  gleichen 
Teilen  mit  den  Söhnen,  in  ihrer  Ausstattung  mit  einer  Mitgift, 
in  dem  Zurückweichen  der  Manus-Ehe  vor  der  freien  Ehe  nsw. 
zu  erkennen  gibt,  so  liegt  die  Vermutung  nahe,  das  Znsammen- 
speisen der  beiden  Geschlechter  möchte  zuerst  in  Italien  anf- 
gekommen,  von  da  in  die  romanische  Welt  übergegangen  fl^ 
und  (s.  0.)  von  hier  wieder,  aus  der  höheren  Gesellschaft  in  die 
niedere  herabsteigend,  sich  über  Europa  verbreitet  haben  oder 
noch  verbreiten. 

Die  idg.,  agnatisch  aufgebaute  und  unter  der  absoluten 
Gewalt  des  *potis  oder  *dem8poti8  stehende  Herdgemeinschaft 
stellt,  trotz  aller  Barbarei,  die  mit  ihr  verbunden  ist,  ein  kraft- 
volles und  zukunftsreiches  Gebilde  dar,  wohl  geeignet,  sieghaft 
den  Kampf  mit  anderen  Familienordnungen  zu  bestehen,  die  ibr 


bei  der  Ansbreitiiiiff  des  Indogerinaüenluitis  Ohet-  Asien  und  Europa 
«ntgegentreten  mochten.  TaUäcblich  finden  wir  nun  in  den- 
jenigen Gebieten  unseree  Erdteile,  die  wir  nus  in  bistorisL'ber 
oder  vorbislonscber  Zeit  von  Nifibt-Iudogermanen  besetzt  denken 
mflssen,  die  unverkennbaren  Spuren  einer  anderen  Familien- 
ordnnng,  nämJicIi  die  des  Mutterrecht?  oder,  ailgi^'nieiner  und 
Torsicbtigcr  ansgedrllckt,  einer  anderen  Stellung  der  Frau,  als 
wir  sie  von  den  Indogermauen  ber  gewfibnt  sind.  Beginnen  wir 
mit  Griechenland,  so  ist  uns  einerseits  bei  den  epizephyriscbeu 
Lükrem  ein  Adel  von  hundert  Geschlecbletn  in  weiblicher  Linie 
bezengt,  andererseits  besitzen  wir  von  der  Insel  Kos  ein  Naniens- 
rerzeichnis,  in  dem  eine  lange  Reihe  von  Personen  aufgezählt 
wird,  j,die  auf  (•rund  ihrer  in  weihlicher  Linie  gerechneteii  Ab- 
•tAmmung  an  einem  bestimmten  Kultus  teil  haben,  und  die  ihrem 
'Hamen  ausser  dem  des  Vaters  stets  noch  den  der  Mutter  bei- 
fügen, bei  der  auch  die  weiteren  Vorfahren  oft  bis  zur  dritten 
cOder  vierten  Stelle  angegeben  sind,  während  die  Abnenreihe  in 
raännlieher  Linie  nie  Uber  den  Vater  hinausgeführt  ist"  (vgl. 
J.  Toepfer  Altische  Genealogie  p.  I9L'ff.).  Ohne  Zweifel  aleheu 
niiese  Tatsachen  ethnisch  in  Verbindung  westlich  mit  der 
iGewohnheit  der  altetruskiscben  Grahinachriftcu,  die  dem  Ver- 
Morbenen  weit  hänliger  den  Namen  der  Mutter  als  den  des  Vaters 
beigeben,  östlich  mit  den  Sitten  und  Gebräuchen  der  Lykier, 
von  denen  aufs  beste  bezeugt  wird,  „dass  sie  sich  nach  der  Mutter 
und  mütterlichen  Grossmutter  benennen",  oder  „da^  sie  die 
Weiber  mehr  als  die  Männer  ehren  und  das  Krbe  den  Töchtern, 
nicht  den  Söhnen  hinterlassen",  oder  „dass  sie  seil  alters  von 
Frauen  beherrscht  werden"  (vgl.  die  Belege  in  meinem  Real- 
lexikoD  8.  V.  Matterrecht).  Wir  kommen  also  za  dem  Schluss, 
dasa  im  südlichen  und  südöstlichen  Europa,  bevor  die  ludoger- 
manen  daselbst  festen  Fuss  fassten,  eine  nach  oder  von  Klein- 
asien hin-  oder  berUberreichcude  Bevölkerung  sass,  hei  der 
Mutterreelit  und  Fraueuherrsehaft,  nicht,  wie  bei  den  Indoger- 
mauen, Vaterrecbt  und   Franenkneehtung  galten, 

Dasscllie  ist  «lier  auch  im  später  keltisclien  Südwesten, 
Westen  und  Nordwesten  Europas  der  Fall.  Von  den  Kantabrern,  die 
HU  dem  grossen  nichtindogermanischen  Spraclistamni  der  Iberer 
gehörte»,  der  sich  einst  von  Spanien  weit  nach  Frankreich  er- 
streckte, erfahren  wir   dnreh  Strabo  IIl,  p.  165,  dass  hier   die 


—    368    — 

Männer  ihren  Frauen  eine  Mitgift  gaben,  dass  die  eigentlichen 
Erbinnen  die  Töchter  waren  und  von  diesen  die  Brüder  ver- 
heiratet wurden:  „Es  gibt  hier  eine  Art  von  Frauenherrschaft" 
Auf  den  balearischen  Inseln  (Diod.  Sic.  V,  17),  die  ebenfalls  ?od 
den  Ureinwohnern  Spaniens  besetzt  waren,  herrschte  eine  so 
grosse  Wertschätzung  der  Frauen,  dass,  wenn  solche  von  See- 
räubern gefangen  worden  waren,  man  für  ein  Weib  drei  od^ 
vier  Männer  als  Lösegeld  bot.  Bei  den  Pikten  endlich,  die  zn 
der  vorindogermanischen  Bevölkerung  Englands  gehörten  (?gl. 
H.  Zimmer  Z.  d.  Savignj- Stiftung  f.  Rechtsgeschichte  XV.  Rom. 
Abt.  p.  209)  bestand  noch  bis  ins  IX.  Jahrhundert  n.  Chr.  ein 
deutlich  ausgebildetes  Mutterrecht,  ohne  dass  hier  indessen  die 
Frau  eine  besonders  hohe  Stellung  einnahm;  doch  regelte  das 
Mutterrecht  die  Erbschaft,  und  auf  einen  Piktenherrscher  folgte 
unweigerlich  der  Sohn  der  Schwester. 

Dies  alles  sind  gut  überlieferte,  kulturgeschichtliche  Tat- 
sachen, an  denen  sich  nicht  rütteln  lässt.  Es  scheint  nun  aber, 
dass  eine  nichtidg.  Bevölkerung  und  mit  ihr  Erscheinungen  des 
Mutterrechts  noch  über  andere  Teile  des  nördlichen  Europa  ver- 
breitet waren,  und  zwar  solchen,  die  später  entweder ,  ebenfalls 
von  Kelten  oder  aber  von  Germanen  besetzt  wurden.  Es  tritt 
uns  nämlicb  bei  diesen  Völkern  eine  Institution  entgegen,  die 
man  doch  wohl  nur  als  die  Folge  einer  Berührung  mit  mutter- 
rechtlichen Einrichtungen  auffassen  kann,  die  Institution  einer 
besonderen  Ehrung  des  Schwestersohnes.  Von  den  Germanen 
berichtet  in  dieser  Beziehung  Tacitus  (rcrm.  Kap. 20:  Sororum 
filiis  idem  apud  avunculum,  qui  ad  patrem  honor.  Quidam 
saiictiorem  arctioremque  hunc  neocum  sanguinis  arbitrantur  ä 
in  accipiundis  obsidibus  magis  exigunty  tanquam  ii  et  animum 
firmius  et  domum  latius  teneant.  Denn  da  das,  was  Tacitos  im 
Anschluss  hieran  über  den  Erbschaftsgang  bei  den  Germanen 
berichtet  (heredes  tarnen  successoresque  sui  cuique  liberij  ^ 
nullum  testamentum,  Si  liberi  non  sunt,  proximus  gradus  in 
possess^ione  fratres,  patruiy  avunculi),  ganz  dem  entspricht,  was 
wir  bei  einem  idg.  Volk  zu  finden  erwarten  dürfen  (vgl.  mein 
Reallexikon  u.  Erbschaft),  so  sieht  die  so  bevorzugte  Stellung 
des  Schwestersohns  ganz  wie  etwas  von  aussen  in  andersartige 
Verbältnisse  Hineingetragenes  aus.  Auch  steht  die  Nachricht  des 
Tacitus  nicht  allein.    Ebenso  tritt  in  den  dänischen  Volksliedern 


-    369    - 

Danmarks  gande  Folkeviser,  ed.  Axel  Olrik)  ein  besonders 
3nger  Zusammenhang  zwischen  Mntterbruder  und  Schwestersohn 

0 

liervor,  indem  der  Ietztei;e  häufig  (z.  B.  IV  Nr.  325)  sein  Leben 
fflr  den  ersteren  einsetzt,  während  hingegen  der  Vaterbruder  in 
len  dänischen  Volksliedern  (mehr  als  500)  überhaupt  nicht  ge- 
lannt  wird.  Ähnlich  liegen  die  Dinge  in  der  altenglischen  Über- 
lieferung (vgl.  Francis  B.  Gummere  The  sister's  son  in  An 
English  miscellany,  presented  to  Dr,  FurnivaU,  Oxford  1901 
^T.  XVII).  Auf  keltischem  Boden  kann  man  an  die  von  Livius 
Vj  34  berichtete  gallische  Wandersage  erinnern,  der  zufolge 
\mbigatu8  seine  beiden  Seh  wester  söhne,  Bellovesus  und  Sego- 
iresus,  in  die  Feme  schickt  ^). 

Ich  möchte  also  glauben,  dass  die  Indogermanisierung 
Europas  (vgl.  P,  147  ff.)  zugleich  einen  Sieg  der  vaterrecht- 
lichen über  die  vorher  daselbst  herrschende  mutterrechtliche 
Pamilie  bedeutete.  Auch  dies  würde  uns  nötigen,  den  Ausgangs- 
punkt der  Indogermanen  nicht  im  Süden,  Westen  oder  Norden 
imseres  Erdteils  zu  suchen,  wo  Rest6  des  einstigen  Mutterrechts 
Gtlleuthalben  uns  begegnet  sind  (vgl.  auch  oben  p.  292  Anm.  über 
äpnren  einer  einst  ebendaselbst  geltenden  Vigesimalrechnung), 
sondern  vielmehr  in  den  nach  Asien  zu  offen  stehenden  Teilen, 
wo  die  patriarchalische,  polygamische  und  agnatische,  auf  Raub 
>der  Kauf  gegründete  Familie  der  Indogermanen  auf  dem  un- 
geheuren Raum  vom  westlichen  Sibirien  bis  nach  China  zahllose 
Entsprechungen  findet. 


1)  Wer  sich  davor  scheut,  die  Institution  des  Schwestersohns  bei 
Grermanen  und  Kelten  aus  einem  voridg.  Mutterrecht  abzuleiten,  müsste 
EU  ihrer  Erklärung  an  das  1^,231  kurz  berührte  Verhältnis  von  Bruder 
lind  Schwester  in  der  Urzeit  anknüpfen,  was  mir  zwar  auch  möglich, 
iber  doch  nach  der  ganzen  Lage  der  Dinge  weniger  wahrscheinlich 
icheint. 


XIII.  Kapitel. 

Sippe  und  Stamm. 

I.  Die  Qeschlechts verbände  in  der  Herzegowina  und  in  Montenegro.- 

II.  Die  Spuren   dieser   Zustände    bei    den   übrigen   idg.  Völkern.  - 

III.  Sippe  und  Stamm  bei  dem  idg.  Urvolk,    Wanderungen  der  Indo- 

germanen.   Entwickelung  des  Völkerschaftsbegriffs.   Arier. 

Während  die  Grnndzüge  der  idg.  Familienordnung  trotz 
aller  Verschiebungen  und  Verflaehungen,  die  mit  ihr  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  geschehen  sind,  mit  grösserer  oder  geringerer 
Deutlichkeit  bei  den  einzelnen  idg.  Völkern  sich  noch  heate  er- 
kennen lassen,  ist  dies  bei  den  in  der  Urzeit  ohne  Zweifel  vor- 
haudenen,  über  die  Familie  hinausgehenden  verwandtachaftlicben 
Verbänden  fast  nicht  mehr  möglich.  Zwar  spielt  der  Begriff 
der  über  die  Sonderfamilie,  die  fast  überall  die  idg.  Grossfamilie 
abgelöst  hat,  hinausgehenden  Verwandtschaft  auch  in  den  heo- 
tigen  Gesetzgebungen,  z.  B.  in  den  Bestimmungen  über  die  Erb- 
schaft oder  die  Eheschliessung,  eine  gewisse  Rolle.  Im  übrigen 
aber  hat  der  Begriff  des  Staates,  indem  dieser  zu  seiner  Grund- 
lage den  territorialen,  nicht  den  verwandtschaftlichen  Zusammen- 
hang der  Menschen  nahm,  die  ursprünglichen  Zustände  nabezo 
völlig  vernichtet.  Aber  auch  für  den  einzelnen  und  in  rein  per- 
sönlicher Hinsicht  fängt  der  Begriff  der  weiteren  Verwandtschaft, 
abgesehen  von  regierenden  und  altadligen  Häusern,  an,  immer 
gegenstandsloser  zu  werden.  Die  ausserordentliche  Entwicklang 
des  Verkehrs  in  der  Neuzeit,  die  Freizügigkeit,  die  Auswande- 
rung usw.  zersprengen  immer  mehr  die  einstigen  örtlichen  Zu- 
sammenhänge der  Familien,  und  die  wenigsten  Menschen  kömien 
heutzutage  noch  das,  was  früher  jeder  konnte,  nämlich  von  ihren 
Ahnen  mehr  als  etwa  ihren  Grossvater  namhaft  machen. 

Unter  diesen  Umständen  würde  die  Ermittlung  der  ältesten 
idg.  Verhältnisse   unmöglich    sein,   wenn   sich   nicht  an  einigen 


—    371     - 

ganz  wenigen  und  versteckten  Stellen  des  idg.  Völkergebiets  die 
arsprüngliehen  Zustände  dennoch  mit  grösster  Treue  erhalten 
hätten.  In  erster  Linie  ist  dies  in  den  Berggegenden  der  Her- 
zegowina und  Montenegros  der  Fall,  Ländern,  die  zwar  eben- 
falls seit  geraunter  Zeit  in  einem  Übergang  zu  den  modernen 
Staatseinrichtungen  begriffen  sind,  die  aber  doch  noch  jetzt  einen 
unter  diesem  leicht  zu  entfernenden  Firnis  liegenden  Geschlechter- 
Staat  mit  vollkommner  Deutlichkeit  erkennen  lassen.  In  dieser 
Beziehung  erweisen  sich  die  südslavischen  Verhältnisse  als  weit- 
aus altertümlicher,  als  die  der  Russen,  deren  ursprflngliche  Ver- 
fassnngszustände  durch  die  wiederholten  Perioden  einer  schwer 
auf  ihnen  lastenden  Knechtschaft  seitens  turko  -  tatarischer  und 
germanischer  Völker  vielfach  verändert  worden  sind.  Ich  werde 
daher  im  folgenden  mit  einer  Schilderung  von  ^ Stamm"  und 
^Sippe*'  in  der  Herzegowina  und  Montenegro  an  der  Hand  der 
beiden  Werke:  F.  Krauss  Sitte  und  Brauch  der  Südslaven,  Wien 
1885  und  (besonders)  P.  Rovinskij  Montenegro  in  Vergangen- 
heit und  Gegenwart  (Sbornik  der  kais.  Ak.  d.  W.  in  St.  Peters- 
burg XLV,  LXIII,  LXXX,  1888,  1897,  1905)  beginnen.  Dieser 
Schilderung  werde  ich  einzelne  Züge  aus  der  Kulturgeschichte 
der  übrigen  Slaven  hinzufügen^).  Sodann  werde  ich  in  einem 
zweiten  Abschnitt  untersuchen,  inwieweit  die  Spuren  der  in  dem 
ersten  Abschnitt  geschilderten  Zustände  sich  noch  bei  den  übrigen 
idg.  Völkern  nachweisen  lassen,  um  dann  drittens  eine  Re- 
konstruktion der  idg.  Zustände,  namentlich  auch  an  der  Hand 
der  einschlägigen  urverwandten  Terminologie,  zu  versuchen. 

I.    Stamm  und  Sippe  in  der  Herzegowina  und 

in  Montenegro. 

1.  Sowohl  das  pleme  „der  Stamm",  wie  auch  das  bratstvo 
,,die  Sippe",  das  im  allgemeinen  eine  Unterabteilung  des  pleme 


1)  Wichtig  hierfür  wären  auch  die  Untersuchungen  Hans 
Schreuners  zur  Verfassungsgeschichte  der  böhmischen  Sagenzeit 
(Leipzig  1902),  in  denen  der  Versuch  gemacht  wird,  der  Chronik  de» 
Cosmas  einen  höheren  Grad  geschichtlicher  Wahrheit  zu  entlocken, 
als  ihr  bis  jetzt  zugestanden  wurde;  doch  habe  ich  auf  Anführungen 
von  Einzelheiten  verzichtet,  da  ich  mich  kurz  fassen  muss,  und  die 
Nachrichten  des  Cosmas  mir  immerhin  mehr  Licht  von  den  idg.  Ver- 
hältnissen zu  empfangen,  als  ihnen  zu  spenden  scheinen. 


—    372    — 

bildet,  leiten  ihren  Ursprung  von  einem  gemeinsamen  Stammyater 
oder  dessen  Söhnen,  untereinander  Brüdern  (daher  der  Name 
bratstvo  :  brat  „ Bruder ''),  ab.  Ein  scharfer  Unterschied  läset  sich 
zwischen  den  beiden  Begriffen  daher  nicht  machen.  Man  kann 
nur  sagen,  dass  das  bratstvo  unter  allen  Umständen  mit  fast 
geschichtlicher  Genauigkeit  seinen  Anfang  und  seinen  Urahneo 
kennt,  während  bei  dem  pleme  dieser  letztere  mehr  oder  weniger 
eine  volkstümliche  Fiktion  ist  und  der  territoriale  Zusammen- 
hang vielfach  bereits  eine  ebenso  wichtige  Rolle  spielt,  wie  der 
verwandtschaftliche.  Dies  äussert  sich  einerseits  darin,  dass  in 
einem  pleme  öfters  auch  untereinander  nicht  verwandte  braisiva 
infolge  von  Zusiedelnng  beieinander  wohnen,  und  dass  zweitens 
die  Namen  der  plemena  zwar  häufig,  ganz  wie  die  der  bratstvüj 
patronymisch  gebildet,  z.  B.  die  Vasojeviöiy  Bilopavliöiy  Ozriniäj 
Ku6i^)  usw.,  nicht  minder  häufig  aber  auch  nach  einer  Ortlich- 
keit  oder  dem  Territorium  gegeben  sind,  z.  B.  Katunskaja 
nahija,  Reckaja  n.,  Cermnickaja  n,  usw.  (nahija  ^Gebiet,  terri- 
torium"). 

Im  allgemeinen  bildet  das  pleme  die  oberste  verwandt- 
schaftlich gedachte  Einheit;  doch  können  auch  wiederum  mehrere 
plemena  untereinander  sich  als  Verwandte  betrachten.  So  glauben 
z.  B.  die  Ozriniiiy  Pipery  und  Vasojeviäi,  dass  sie  von  drei  Brüdern 
abstammen,  und  begrüssen  sich  untereinander  mit  den  Worten: 
o,  moj  rodo  ,,mein  Verwandter". 

Das  bratstvo  hinwiederum  teilt  sich  in  Verwandtschaften 
(rod)  oder  „engere  bratstva^,  für  die  bei  den  Vasojeviü  der 
Ausdruck  trbuch  „Mutterleib"  besteht.  Die  unterste  Einheit 
bilden  die  Familien  {porodica,  famelja)  oder  Häuser  {ku6a\ 

Von  den  genannten  Ausdrücken  kommen  rod  und  plem 
auch  in  anderen  slavischen  Sprachen  mit  entsprechender  Bedea- 
tung  vor.  So  berichtet  Nestor  von  den  ältesten  Slaven:  ävjaclm 
koido  sü  svojimü  rodomü  i  na  st>ojichü  mestachü,  vladejuiie 
koido  rodomü  svojimü  „sie  lebten  ein  jeder  mit  seiner  Verwandt- 
schaft und  auf  seinen  Plätzen,  indem  ein  jeder  über  seine  Ver- 
wandtschaft regierte".  Im  Russischen  ist  rodü-plemja  der  voll- 
ständige,  volkstümliche   Ausdruck    für   die   Blutsverwandtschaft 


1)  Ich  gebe  die  montenegrinischen  Namen  meist  in  der  (nissi- 
schen)  Transkription  Rovinskij*s. 


eines  Meuscheo.  Im  Altrusstscben  bedeutet  plemja  (Dach  dem 
Wörterbueli  SrezDevekija)  „Naclikomnienschaft",  „Familie", 
„Verwandlschatt",  „Stamm"  {^i'Xal,  tribus),  „Volk"  {^{hog,  gens), 
füemenlnyl  ist  „der  Verwandte  yon  Vaters  Seite",  plemenlmkü, 
plemjenlnikü  „der  Verwandte"  (vgl.  rtiss.  plemjdnnikü  „Netfe"). 
Hingegen  lässt  eich  bratsteo  in  der  angegebenen  politischen 
Bedeutnng  aneserhalb  des  Südelavischen  nicht  nachweisen. 

2.  Der  innige  Zusammenhang  der  Mitglieder  eines  pleme 
oder  bratatvo  untereinander  tritt  nach  den  verschiedensten  Rich- 
tungen hervor: 

a)  in  Beziehnng  auf  den  Namen  des  einzelnen.  Jeder 
Montenegriner  benennt  sieh  vor  allem  nach  dem  bratstvo  oder 
pleme,  dem  er  angehört.  XatUrüch  werden  diese  Namen  aber 
nnr  von  Auasenstehenden  gebraucht,  wenn  der  Betreffende  z.  B. 
Mcb  in  einem  anderen  pleme  oder  in  der  Stadt  ansiedelt:  Jovan 
Piper,  Novo  Ku6,  Pavle  Vasojevic.  Hinzu  kommen  dann  noch 
die  Namen  des  Vaters,  Grossvatere  und  der  betreffenden  HäuBcr- 
gTDppe,  so  dass  einer  z.  B.  mit  seinem  vollständigen  Namen 
nach  Krause  hcissen  kann:  Joto  Petra  Markovi('a  Janlcovi^a 
Kovaievida,  d.  i.  Jovo,  Sohn  des  Peter,  des  Marknssohns,  (au» 
dem  Hause)  Jankoviß,  (aus  dem  bratslro)  KovaSevitS; 

b)  in  sakraler  Beziehung.  Als  erstes  Zeichen  der  Ge- 
schlecbtseinheit  dient  die  Verehrung  eines  und  desselben  Hei- 
ligen im  ganzen  pleme.  So  feiern  die  }'a)iojevici  den  Tag  des 
heiligen  Alexander.  Andere  plemena  verehren  den  hl.  Nikolaus, 
den  hl.  Johannes,  den  Erzengel,  die  hl.  Petkovica  usw.  Als  ein 
besonderes  Zeichen  der  religiösen  ludividnalisternng  kann  an- 
gesehen werden,  dass  im  alten  Montenegro,  wo  die  bratstva  fUr 

I  sieb  ein,  wenn  auch  noch  so  kleines,  nicht  verzweigtes  pleme 
I  darstellen,  jedes  hratatvo  seine  eigene  Kirche  hat,  die  nur  seine 
'  Mitglieder  besuchen.  So  finden  sieh  z.  B.  bei  den  Negusi 
1  15  Kirchen  auf  400  Häuser; 

li  c)    in   militärischer   Beziehung.     Sowohl    dag  pleme  wie 

f  das  bratstvo  bilden  militärische,  zusammen  im  Kriege  kämpfende 
I  Einheiten.      Selbst   in    gemischten  Siedelungen    teilt    man    sich, 

wenn  es  in  den  Krieg  geht,  nach  Bratstven.    Ja,  selbst  wer  in 
'  der  Stadt  wohnte,  begab  sieh,   um  seinen  Kriegsdienst  zu  tun, 

in  sein  pleme  oder  bratstro,  und  eret  in  neuester  Zeit  bilden  die 

Stadtbewohner  eigene  Bataillone; 


-    374    — 

d)  in  konnubialer  Beziehung.  In  alter  Zeit  heirateteo 
die  Kuci  niemals  untereinander  und  nahmen  sich  ihre  Frauen  au 
einem  anderen  pleme.  Deswegen  verheirateten  sie  sich  oft  mit 
Albanerinnen  und  gaben  ihre  Töchter  nach  Albanien.  Ebenso 
machten  es  die  Vasojecici^  und  mehr  oder  weniger  herrschte  der- 
selbe Brauch  bei  allen  plemena.  Auf  keinen  Fall  heiratete  man 
aus  demselben  bratstvo  oder  gar  demselben  rod  (Exogamie). 
Jetzt  ist  es  anders; 

e)  in  Beziehung  auf  gegenseitigen  Schutz.  Das  BewnaBt- 
sein  seiner  Blutsverwandtschaft  legt  dem  Montenegriner  seine 
wichtigste  Verpflichtung  auf :  den  Seinigen  andern  gegenflber  in 
Recht  und  Unrecht  beizustehen.  In  alter  Zeit  geriet  oft  ein 
pleme  mit  dem  andern  wegen  der  tödlichen  Beleidigung  eines 
seiner  Mitglieder  in  Krieg  und  verband  sich  dabei  mit  dem 
Landesfeind,  dem  Türken  oder  Amanten;  denn  pleme  und  rod 
standen  höher  als  Nationalität  und  Olaube.  Wenn  man 
sich  dann  vei-söhnte  und  Frieden  schloss,  nahmen  beide  plemena 
daran  teil,  und  oft  kamen  bei  solchen  Gelegenheiten  1000  Mann 
und  mehr  zusammen.  In  der  Gegenwart  ist  Blutrache  eines 
ganzen  pleme,  bratstvo  oder  rod  unmöglich;  doch  nehmen  ein- 
zelne von  diesem  Geist  erfüllte  Persönlichkeiten  noch  immer 
hier  und  da  zu  ihr  ihre  Zuflucht.  —  Auch  bei  den  übrigen 
Slaven,  z.B.  bei  den  Polen  (vgl.  Rovinskij  Sbornik  63  p.  141) 
haftete  die  Blutrache  an  den  oben  genannten  Geschlechts- 
verbänden; 

f)  in  Beziehung  auf  das  Eigentum  an  Grund  und 
Boden.  Der  eigentliche  Eigentümer  des  Grund  und  Bodens 
war  das  pleme^  und  noch  die  gegenwärtige  Gesetzgebung  be- 
stimmt, dass,  wer  unbew^egliches  Eigentum  veräussem  will,  es 
zuerst  den  „Nahen",  d.  h.  den  Mitgliedern  des  bratstvo  oder 
pleme,  den  Nachbarn  oder  Dorfbewohnern  anbieten  muss.  Der 
Wohnnngsbezirk  eines  pleme  hiess  tupa  (vgl.  über  dies  viel- 
deutige Wort  Rovinskij  Sbornik  45  p.  444  ff.  und  Kraus» 
a.a.O.  p.  18  ff.),  dessen  ältester  Sinn  „Weidebezirk"  (vgl.  oben 
p.  155,  216)  gewesen  zu  sein  scheint.  Den  örtlichen  Mittelpunkt  des 
pleme  bildete  der  grad  „Burg"  oder  „Stadt".  Im  übrigen  bat 
jetzt  jede  einzelne  Familie  ihren  besonderen  Teil  Landes  in 
eigentümlichem  Besitz,  der  mit  Getreide  bestellt  oder  mit  Obst- 
bäumen   bepflanzt,  von   einer  Mauer  oder  einem  Zaun  umgeben 


-    375    — 

ist.  In  gemeiasamer  Verwaltung  des  bratstvo  befindet  sich  nur 
der  Bergwald  mit  den  Sennereien  und  dem  gemeinsamen  Holz- 
beatand.  Auch  die  Mühlen  gehören  dem  br.  gemeinsam.  Das 
bratstvo  bewohnt,  je  nach  seiner  Seelenzahl,  ein  oder  mehrere 
Dörfer  in  der.  Regel  ausschliesslich.  Eine  Reihe  von  Dörfern 
trägt  direkt  die  Namen  der  sie  besiedelnden  bratstva:  z.  B. 
Prliy  Radomant/f  Drecuny,  Bukiceviöiy  Bolevici  usw. 

Ähnliche  Spuren  eines  gemeinschaftlichen  Besitzes  an  Grund 
und  Boden  seitens  der  einzelnen  Geschlechtsverbände  treten  uns 
auch  bei  anderen  slavischen  Völkern  entgegen,  z.  B.  bei  den 
Polen  die  gleiche  Verkaufsbeschränkung  des  unbeweglichen  Eigen- 
tums Fremden  gegenüber  (vgl.  Rovinskij  a.  a.  0.).  Das  treueste 
Abbild  der  ursprünglich  vorauszusetzenden  Zustände  aber  würde 
der  noch  heute  in  Russland  bestehende  Mir,  die  Dorfgemeinde 
mit  Gesamteigentum  des  Grund  und  Bodens,  darstellen,  wenn 
sich  diese  Bildung  als  eine  altertümliche  und  ursprünglich  auf 
verwandtschaftlicher  Basis  beruhende  erweisen  lässt  *). 

1)  Das  Wort  miril  bedeutet  schon  im  Altrussischen  (vgl.  Srez- 
nevskij  Materialy)  dreierlei:  1.  „Friede",  2.  „Welt",  3.  „Gemeinde". 
Die  neurussische  orthographische  Scheidung  zwischen  dem  Wort  in 
seiner  ersten  und  in  seinen  beiden  letzteren  Bedeutungen  ist  sekundär. 
Auszugehen  ist  ohne  jeden  Zweifel  von  der  Bedeutung  „Friede",  wie 
sich  durch  Vergleichung  mit  scrt.  mi-trä  „Freund",  mi-träm  „Freund- 
schaft",  lit.  tny-limas  „geliebt"  etc.  auch  etymologisch  erhärten  lässt 
Aus  der  Bedeutung  „Friede"  muss  sich  dann  der  Sinn  von  „Friedens- 
bezirk" =  Gemeinde  entwickelt  haben.  Dies  kann  (vgl.  oben  2,e  und 
Kap.  XLV:  Recht)  nur  so  verstanden  werden,  dass  mirii  „Friede"  im 
Gegensatz  zu  mUtt  „Rache"  ursprünglich  denjenigen  Verwandten- 
kreis bezeichnete,  der  unter  sich  zu  Frieden,  andern  gegenüber  zur 
Rache  (Blutrache)  verpflichtet  war.  So  erhalten  wir  mirü  =  rodü 
^Geschlecht"  (vgl.  oben  p.  372).  Die  Bedeutung  „Welt"  ist  erst  unter 
christlichen  Anschauungen  erwachsen.  Ursprünglich  hiess  es  vest  mirü, 
d.h.  der  ganze  Friedensbereich. 

Bedenken  wir  nun,  dass  dieser  mirü  (jetzt  auch  öbs6ina  „Ge- 
meinde" genannt)  die  wichtigsten  seiner  Eigenschaften  mit  den  alten 
Geschlechtsverbänden  teilt,  das  Gesamteigentum  des  Grund  und  Bodens, 
die  gegenseitige  Haftung,  jetzt  vorwiegend  in  den  Steucrangelegen- 
heiten  (vgl.  oben  2,  e),  und  eine  ultra -demokratische  Verfassung,  der 
zufolge  alle  Gemeindeangelegenheiten  in  der  Versammlung  der  Haus- 
väter entschieden  und  die  Beamten  der  Gemeinde  ausschliesslich  von 
dieser  gewählt  werden  (vgl.  oben  3  a  und  b),  so  fällt  es  schwer,  an 
der  Ursprünglichkeit  dieser  ganzen  Bildung  zu  zweifeln. 

Nun  ist  mir  natürlich  bekannt,  dass  seit  Öiöerinü,  J.v.  Keussler 


—    376    — 

3.    Die  RegieruDg  des  Stammes  und  der  Sippe. 

a)  Die  Volksversammlung.  Alle  Gewalt  lag  beim  Volke, 
das  dieselbe  durch  seine  Vertreter  in  den  Volksversammlimgen 
{sbor,  skupStinä)  ausübte.  Deswegen  hatte  jedes  pleme  besondere 
Punkte,  die  für  solche  Versammlungen  dienten,  einen  schatten- 
reichen Hain,  einen  wasserreichen  Brunnen  etc.  Jetzt  sind  dieie 
Plätze  mit  dem  Dahinschwinden  der  Bedeutung  jener  Volks- 
versammlungen  verödet.  Die  Versammlungen  waren  nicht  regel- 
mässige, sondern  wurden  nur  bei  wichtigen  Gelegenheiten  b^ 
rufen,  z.B.  zum  Zweck  der  Wahl  eines  Vojevoden  (s. u.),  der 
Beilegung  langjähriger  Fehden,  der  Schlichtung  von  Rechts- 
streitigkeiten, die  den  allgemeinen  Frieden  bedrohten,  der  Fflb- 
rung  von  Verhandlungen  mit  den  Landesfeinden  usw.  Es  gab 
auch  Versammlungen  der  einzelnen  hratatva^  Dörfer  und  Ge- 
schlechter irod).  Sie  fanden  ebenfalls  an  bestimmten  Ponkteo, 
manchmal  auch  in  einem  Hause  statt.  Hier  wurden  die  An- 
gelegenheiten der  engeren  Kreise  erledigt. 

b)  Die  Häupter.     An  der  Spitze  aller  dieser  Geschlechts- 


(Zur  Geschichte  und  Kritik  des  bäuerlichen  Gemeindebesitzes  in  Bnas- 
land  T.  1—3,  1876—1887)  u.  a.  eine  starke  wissenschaftliche  Strömmig 
besteht,  nach  der  die  altrussische  Gemeinde  ihren  angeblich  spftten 
UrspniDg  „einzig  und  allein  der  Verpflichtung  zur  Entrichtung  der 
Steuern"  verdanke  (vgl.  auch  R.  Hildebrand  Recht  und  Sitte  I,  Jena 
1896,  p.  183  und  V.  Kljuöevskij  (russisch)  Kurs  der  russ.  Gkschiehte, 
Moskau  1906,  II,  378).  Ich  möchte  mir  mein  Urteil  in  dieser  wichtig 
Frage  daher  noch  vorbehalten.  Immerhin  möchte  ich  es  aber  für 
wahrscheinlich  halten,  dass  in  dem  russ.  mirü,  ähnlich  wie  in  der 
serbischen  zadruga  (vgl.  oben  p.  357  ff.),  alte  und  neue  Elemente  sich 
mischen.  Ich  möchte  glauben,  dass  die  altrussischen  oder  urslawischen 
Sippendörfer,  von  deren  einstiger  Existenz  noch  Dorfnamen  wie 
iid6ia,  Mirjatiöi,  Didiöi,  DMogostiöi  (vgl.Kljuäevskij  1, 139)  Zeagm« 
ablegen,  bei  der  Ausbreitung  der  Russen  im  Osten  Europas  in  der 
Regel  sich  spalteten,  und  diese  Besiedeluug  in  der  Tat  meistenteils  in 
Einzelhöfen  oder  ganz  winzigen  Dörfern  erfolgte.  Dann  wurden  nun 
Zwecke  der  Steuererhebung  derartige  Einzelsiedelungen  von  den  Be- 
hörden wiederum  zu  grösseren  Gemeinden  zusammengelegt,  die  jetst 
zwar  nicht  mehr  durch  Verwandtschaft  unter  sich  verbunden  waren, 
aber  nach  dem  nirgends  ganz  erloschenen  oder  vergessenen 
Vorbild  des  echten  urslavischen  mirü  ihr  Leben  führten. 

Bemerkt  sei,  dass  auch  V.  Hehn  (De  morihus  Ruthenorum  p.l62) 
den  russischen  mirü  unbedenklich  mit  den  entsprechenden  Einrich- 
tungen der  verwandten  Völker  vergleicht. 


Rrbändc  standen  gewählte  Häupter,  die  iirHprUn^licIi  vielleicht 
r  ijlatar  „Haupt"  (z.  B.  pleminski  „des  Stammes")  oder  ata- 
tta,  ttarejiina  „der  Alte"  hiessen,  fllr  die  aher  frühzeitig  auch 
londere  Namen  wie  Vojevode,  Knez,  Serdar  u.  a.  aufgekommen 
Nur  über  den  Vojevoden  soll  hier  ausführlicher  gesprochen 


Der  Vojevode  war  vor  allem  Heerführer;  deswegen  mn88te 
dif  Wahl  natürlich  auf  denjenigen  fallen,  der  eich  besonders  als 
guter  Krieger  bewährt  hatte.  Die  Wahl  galt  für  lehensläDglicb, 
(loch  konnte  er  abgesetzt  werden,  wenn  er  das  Vertrauen  des 
Volkes  nicht  rechtfertigte.  Rr  konnte  seine  Würde  auf  seine 
Kinder  vererben,  bedurfte  aber  dazu  der  Zustimmung  des  Volkes, 
das  nn  Stelle  des  Sohnes,  wenn  dieser  nicht  geeignet  schien, 
einen  anderen  Verwandten  des  Vojevoden,  /,.  B.  seinen  Neffen, 
erwählen  konnte ;  denn  die  Erbfolge  haftete  im  allgemeinen  an 
dem  hraintvo,  dem  der  Vojevode  des  betreffenden  pleme  an- 
gehi'irte,  wenigstens  so  lange,  nh  das  bratstvo  die  Macht  hatte, 
sein  Vorrecht  zu  verteidigen.  Von  jeher  gab  es  bestimmte  an- 
gesehene Gesehicehter,  die  nicht  de  iure,  aber  de  facto  das  Pri- 
vilegium hatten,  dem  Volk  seine  Führer  zu  gehen.  Immer  spielte 
aber  die  Persönlichkeit  des  Betreffenden  die  Hauptrolle.  Er 
weidete  ursprünglich  seine  Herden  wie  die  anderen  auch,  und 
erst  allmählich  gelang  es  ihm,  wie  gesagt,  infolge  militärischer 
Verdienste,  zum  Vojevoden  berufen,  alle  äusseren  und  inneren 
Angelegenheiten  des  pleme  in  seiner  Hand  zu  vereinigen.  Nicht 
alle,  sondern  nur  die  stärkeren  plemeva  hatten  ihre  eigenen 
Vojevoden,  die  schwächeren  ordneten  sich  anderen  unter.  Im 
wesentlichen  mit  der  Stellnng  des  Vojevoden  gleichbedentend 
ftcheint  auch  die  des  sudsl.  iapan,  des  Vorstehers  einer  iupa 
&■].  oben  p.  374),  gewesen  zu  sein  (vgl.  Kraus»  a.  a.  0.  p.  ä6  ff.). 
H|  Die  Verfassung,  die  wir  also  in  der  Herzegowina  und  in  Mon- 
^pegro  finden,  ist,  soweit  man  von  einer  solchen  sprechen  kann, 
eine  rein  demokratische  mit  einem  gewählten,  zuweilen  erh- 
lichen,  dann  aber  immer  noch  der  Bestätigung  durch  das  Volk 
bedürftigen  Oberhaupt  gewesen,  und  es  kann  nicht  bezweifelt 
werden,  dass  dies  der  älteste  politische  Zustand  der  -Slaven  Uher- 
haopl  war.  Auf  der  einen  Seite  erfahren  wir  durch  den  ■Sti'a- 
■  Maurikios  (Ende  des  VI.  Jahrb.;  vgl.  Arrinni  Teicticu  et 
mricil  Art.  müit.  I.  XII,  ed.  Sehefferus,  Upsaliae  1664, 
dtr.  fiprucbverRlelchune  und  rrseschlchtt  II.    9,  AuH.  'i^ 


—    378    — 

p.  281),  dass  die  Slaven  viele  „Könige"  {^fjyeo)  hatten,  die  in 
fortwährender  Fehde  miteinander  lagen;  auf  der  anderen  dareh 
Prokop  B.  6.  \l\y  14,  da88  die  Slaven  und  Anten  in  demokrati- 
schen Verhältnissen  lebten,  und  alle  wichtigen  Dinge  vor  die 
Volksversammlung  (xoiv6v)  gebracht  wurden.  Man  wird  ohne 
Schwierigkeit  in  den  Qfjyeg  die  Vojevodeu  und  in  dem  xotvov  die 
skupitina  wiedererkennen. 

II.  Inwieweit  spiegeln  sich  die  Verhältnisse  der  sfld- 
slavischen    bratstvo    und    pleme    bei    den     übrigen   idg. 

Völkern  ab? 

Indem  ich  mich  zu  der  Beantwoi-tung  dieser  Frage  wende, 
bedaure  ich,  auf  die  keltischen  Zustände,  obgleich  das  Sta- 
dium der  ältesten  Rechtsquellen  dieser  Völker  {Ancient  latcs  of 
Ireland,  Ancient  latcs  and  institutes  of  Wales  etc.)  auch  in  dieser 
Beziehung  eine  reiche  Ausbeute  verspricht,  zurzeit  noch  nicht 
näher  eingehen  zu  können.  Doch  soll  einzelnes  bei  Besprechaog 
der  den  Kelten  ethnisch  und  linguistisch  (vgl.  P,  169)  am  nächsten 
stehenden  Germanen  und  Italiker  bertlhrt  werden. 

a)  Die  Germanen.  Dem  Begriffe  des  sfidslavischen 
bratstvo  und  pleme  entspricht  hier  die  Sippe:  urgerm.  got. 
sibja,  agls.  sibby  ahd.  sippa  (einzelsprachlich  auch:  got.  knöpsj 
ahd.  fara,  chunniy  agls.  mdbgd)  und  der  Gau  (lat.  pagus): 
urgerm.  got.  gavi,  ahd.  gouwi.  Das  letztgenannte  Wort,  urgerm. 
^ga-avia-m  ( :  griech.  o\r)  „Dorf"  aus  *oviäy  oli^xtjg  „Dorfbewohner", 
näheres  vgl.  Reallexikon  p.  799)  bedeutet  ursprtlnglich  „Gemein- 
schaft von  Dörfern**  oder,  was  dasselbe  ist,  „Gemeinschaft  von  Dorf- 
sippen". In  ihm  tritt  die  territoriale  Grundlage  der  Zusammen- 
gehörigkeit schon  deutlicher,  als  in  den  stidslavischen  pUme 
oder  nachija  (vgl.  oben  I,  1)  hervor.  Auch  ist  zu  bemerken, 
dass  zur  Zeit  des  Caesar  und  Tacitus,  sowohl  bei  Kelten  wie 
Germanen,  der  pagus  im  allgemeinen  nur  als  Unterabteilung  der 
eivitas  oder  Völkerschaft  erscheint;  doch  fehlt  es  weder  hier,  noch 
dort  (vgl.  Brunner  Deutsche  Rechtsgeschichte  I,  115)  an  Bei- 
spielen, die  die  einstige  politische  Selbständigkeit  der  einzelnen j^o^' 
verbürgen.  Tritt  so  auf  der  einen  Seite  das  territoriale  Moment 
bei  den  Germanen  schärfer  hervor,  so  ist  doch  auf  der  anderen 
Seite  der  Verwandtschaftsgedanke  noch  immer  der  herrschende. 
Ganz  in  südslavischer  Weise  (vgl.  oben  I,  1)  leitet  die  vonTacitns 


^erm.  Kap.  2}  hewaLrte  gcrnianisphe  8laiiiiii8age  die  Her- 
kanft  der  WeBtgerinaDeii  von  tirei  Brüdern,  SOhnen  des  Mannas, 
Sohnes  dea  Tniseo,  ab.  Was  ferner  von  dem  alten  Wales  (vgl.  Öi- 
raldus  Camhriae  descr.,  nach  F.  Walter  Das  alte  Wales  p,  33) 
bericbtet  wird:  Genealogiavt  quoque  generis  sui  etiam  de  populo 
quilibet  observat,  ei  nov  solum  aros,  atavos,  ted  uaque  ad 
xextam  vel  septimam,  et  ultra  procul  generationem  memoriter 
et  promte  genus  enarrant,  hat,  wie  z.  B.  die  umfangreichen  Ge- 
nealogien der  Sachsenchronik  /.eigen,  aach  bei  den  Germanen 
gegolten,  und  nach  dem  gemeinsamen  Stumiuvater  benennen  sich 
mittelst  des  urgermanischen  Sulfixes  -inga  (altn.  Ylfingar,  agls. 
IVtflfingan.  uihd.  Wtil/iiige)  übereinstimmend  die  Mitglieder  der 
einzelnen  Sippen  (vgl.  oben  I,  2,  a).  Zugleich  rllckt  dieser 
Stammvater  in  die  Zahl  der  Götter  oder  Halbgötter  ein  (vgl. 
Jordauis  Kap.  13:  tarn  proceres  suos,  quorum  quasi  f'ortuna 
vlncebant,  non  puros  homines,  sed  i<emideos,  id  est  ansis,  voca- 
verunt),  und  sein  Kult  bildet  naturgemäss  einen  weiteren  be- 
deutungsvollen Mittelpunkt  der  Sippe  (vgl.  oben  I,  2,  b).  Im 
Krieg  (vgl.  I,  2,  c)  kämpfen  die  Angehörigen  der  Sippen  bei- 
einander, wie  es  Tacitus  Germ.  Kap.  7  lienchtet;  Non  caans 
wec  fortuUa  conglobatio  furmam  auf  cfiaeum  facit,  sed  familiae 
ac  propinquitatea,  wie  es  auch  für  die  alten  Cymren  {füraldus 
Vambriae  descr.  Kap.  10)  bezeugt  wird:  Per  turbita  igitur  et 
familias  capite  sibi  praefecto  gentis  huiug  iuventus  mcedit. 
.\ncb  im  Übrigen  haben  alle  fUr  einen  nud  einer  für  alle  ein- 
zustehen, wie  dies  auf  germanischem  Boden  besondei's  in  dcD 
.Satzungen  der  Blutrache  (Tacitus  Germ.  Kap.  21)  hervortritt: 
•'^'uscipere  tarn  immicitian  xeu  patris  seu  propinqui  quam  atni- 
i-itiag  necesse  est;  iiec  implacabiles  durant.  Luüur  enim  etiam 
homicidium  certo  armentorum  ac  pecorum  numero,  recipitque 
satiefactionem  unitersa  domus,  utiUter  in  publicum,  quia  peri- 
lulosiores  inimicitiae  sunt  iu.Tta  libertatem  (vgl.  oben  I,  2,  e). 
Dasselbe  gilt  von  den  Kelten:  Genus  super  omnia  diligunt,  et 
damua  sanguinis  atque  decorii  acriter  ulciscuntur:  vindicis 
enim  animi  sunt  et  irae  cruentae,  nee  solum  twvas  et  reeentes 
iniurias,  verum  etiam  ceteres  et  antiquas  eelut  instantes  vindi- 
care  parati  (Giraldus  Cnmbrtae  descriptio  Kap,  17).  Endlich 
ivgl.  1,  2,  f)  ist  die  germanische  Sippe  auch  eine  Wirtschafts- 
und Bodengenossenscbaft    gewesen,    wie   aus    den    bereits   oben 


—    380    — 

p.  210  angeführten  Stellen,  die  hier  nicht  wiederholt  werden 
sollen,  mit  Sicherheit  hervorgeht.  Auf  den  Begriff  des  Sippen- 
dorfs  weisen  die  zahlreichen  mit  dem  patronymischen  Suffix 
'inga,  -ingen  gebildeten  Ortsnamen  wie  agls.  Centingas,  liu- 
mingas  etc.  hin,  und  die  von  den  römischen  Schriftstellern  auf 
germanischem  Boden  genannten  oppida  werden  ursprünglich  nichts 
als  dürftig  befestigte  Mittelpunkte  der  Gaue  gewesen  sein,  in  die 
man  nur  in  Zeiten  der  Gefahr  flüchtete  (vgl.  Caesar  De  beü, 
GaU.  V,  21  von  den  britannischen  Kelten:  oppidum  autem 
Britanni  vocant,  cum  8Üv<is  impedüas  vcUlo  atque  foeea  ms- 
nxerunt,  quo  incursionis  hostium  vitandae  causa  convemrt  am- 
suerunt). 

In  Beziehung  auf  die  altgermanische  Regiernngsform 
müssen  wir  uns  aufs  neue  erinnern,  dass  zur  Zeit  des  Tacitns  die 
Sippen  und  Gaue  sich  bereits  in  der  höheren  Einheit  der  cwUa» 
zusammengefunden  hatten,  die  teils  von  Königen,  teils  von  einer 
Mehrheit  von  Fürsten  regiert  werden.  In  beiden  Fällen  liq[t 
das  politische  Schwergewicht  in  der  Volksversammlung,  d^ 
condlium  (Tacitus  Germ.  Kap.  11:  de  minoribus  rebus  prin- 
cipes  Consultant,  de  maioribus  omnes).  Wie  demokratisch  es 
in  einer  solchen  Volksversammlung  herging  (mox  rex  vd  pm- 
ceps,  prout  aetas  cuique,  prout  nobüitas,  prout  decus  belhrumf 
prout  facundia  est,  audiuntur  auctoritate  suadendi  magis  quam 
iubendi  potestate)  hat  uns  Tacitus  a.  a.  0.  mit  lebendigen  Farben 
geschildert.  In  diesem  condlium  werden  auch  die  prinoft» 
gewählt  (Tacitus  Kap.  12),  aber,  wie  die  geschichtlichen  Tat- 
sachen lehren,  immer  aus  edlen  Geschlechtem.  Für  die  Könige 
wird  diese  Wahl  aus  dem  Adel  von  Tacitus  (Kap.  11)  direkt 
bezeugt.  Ihre  Würde  ist  in  beschränktem  Sinne  erblich,  andrer- 
seits gibt  es  genug  Fälle,  wo  der  König  von  seinen  Untertanen 
aus  verschiedenen  Gründen  abgesetzt  wird.  Am  grössten  ist  seine 
Gewalt  im  Kriege.  Überhaupt  hat  sich  die  Königswürde  unter  kriege- 
rischen Verhältnissen  erst  in  der  Zwischenzeit  von  Caesar  bis  Tacitus 
entwickelt.  Noch  der  erstere  berichtet  {de  beU.  GaU.  VI,  23:  öm« 
bellum  civitas  aut  illatum  defendit  aut  infert,  magiftratus,  g^ 
eo  bello  praesint,  ut  vitae  nedsque  habeant  potestatem,  Mi- 
guntur.  In  pace  nullus  est  communis  magistratus,  sed  prin- 
cipes  regionum  atque  pagorum  inter  suos  ius  ducunt  contro- 
versiasque  minuunt    Dieser  Znstand  hat  sich  bei  den  Altsacbsen 


381     — 


"^Beda  fiisf.  ecci.  V,  Kap.  lOj  noch    lange    erbalteu:    Xon    enim 
hnhcnt  regem  idem  Antiqui  Saxones,    ued  satrapas    (aldorman 
iu  Bedae  Übersetzung)  plurimos  auae  gentt  praeposHo»,  qui  m- 
^ffruente  belli  articulo  mittunt  aequaliter  sortes  et    guemcunque 
^Hpr«  offtendeiHt,    hunc    tempore    belli    ducem    omnes  sequuntur, 
Hfellic  obtemperant,  peracto  autetn  hello  rurmm  aequalis  potentiae 
omnes   ßuvt    »atrapae.     Ein    sogenannter    rex    ist    also    in   den 
KöDigsstaalen  des  Tacitus  nichts  anderes,    ab  ein  princeps    ge- 
wesen, der  die  ihm  aU  „Herzog"   lahd.  herizogo,    altn.   hertoge) 
Ibcrtragene    Würde    verstanden    hatte,    auch    im    Frieden    bei- 
itbelinlten,  ganz  wie  wir  oben  (p.  '611)  gesebeu  haben,  das»  auch 
imelne   Vojevodeu    meliiereD   plemena    voratandeii.      Über    die 
fÜnkünfte  der  principe»  heisst  es  bei  Tacitns  Kap.  15:  Mos  est 
civitatibus  nitro  ac  cirilim  coiiferre  principibtis  vel  armentorum 
l  fruguin  quod  pro  honore  acceptum  etiam  necessitatlhus  sub- 
Es  gab  also  nur  freiwillige  Geschenke. 
bj  Die  Griechen.     II.  il,  362  rät  Nestor,    der  Vertreter 
„giiteD  alten  Zeit",  dem  Agamemnon,  die  Hellenen  nach  Sippen 
1  Stämmen  aufz-nstellen ;  dann,  sagt  er,  werde  man  die  Tüchtig- 
st der  ein^telneu    am    besten  erlceunen,    wenn  jeder  bei  seinen 
nten  kämpfe; 

xqTi-'  SyioiK  KaTh  <pvXa,  xaik  rpQ^tgas,  'AyAii^iirov, 
&s  TQ'fltQi  ii'Qtpgiiipiy  iQ/ffii,  <pBia   fit  g'vXni^. 

Nehmen  wir  hierzu  II,  IX,  63,  wo  derjenige  als  ä^fQtjroio 
„flippenlos"  und  Ariimo;  „herdlos"  bezeichnet  wird,  der  den 
Bflrgerkrieg  liebl,  so  haben  wir  aiifh  hier  die  von  den  Süd- 
slaren  her  uns  bekannte  Stnfenfolgc  geschlechlsverwandter  Ver- 
bände: ioria  „die  Herdgemeinschaft"  (sUdsl.  dorn,  auch  ognistije 
Idie  Feuerstätte"),  ^'^"Jrgij  „die  Sippe"  oder  „die  Brüderschaft" 
Mdsl.  braintvo),  rpTikov  „der  Stamm"  (audsl.  pleme)  auf  das  deut- 
^bste  vor  uns. 
\  Auch  in  späterer  Zeit  treten  uns  die  Begriffe  des  (pvi.oy 
äer  der  qwkri  (letzteres  eigentlich  ein  Kollektirum  zu  dem 
hteren)  nnd  der  <fs^'ixqi}  allenthalben  entgegen,  doch  so,  dass 
sie  mehr  oder  weniger  bereits  territorial  und  zu  Teilen  der  nöhi 
oder  des  Staates  geworden  sind,  was  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  naturlieh  auch  schon  in  homerischer  Zeit  der  Fall  war;  doch 
der  alte  Nestor,  „der  drei  Menschenalter  sah",  immerhin 
Mfa  die  volle  Blüte  desGeschlec-htcrstaats  in  Griechenland  erlebt 


-    382    - 

haben.  Auch  später  leuchten  die  Grnndzüge  desselben  nocb 
überall  hindurch.  „Die  Phylen",  sagt  E.  Meyer  (Geschichte 
des  Altertums  II,  88)  mit  Recht,  ^sind  nichts  anderes,  als  Ver- 
bände mehrerer  Phratrien ;  wie  diese  ruhen  sie  auf  der  Idee  der 
Blutsgemeinschaft;    ihre    Angehörigen    werden    als  Nachkommen 

eines  gemeinsamen  Ahnherrn  gedacht Die  Phylengenosseo 

bilden  eine  Kultusgemeinschaft,  sie  haben  ihre  eigenen  Beamten, 
sie  handeln  und  stimmen  gemeinsam,  auch  wenn  ihre  Wohnsitze 
weit  voneinander  liegen.^  An  die  einstige  Geschlossenheit  des 
Grundbesitzes  innerhalb  der  Phyle  (vgl.  oben  I,  2,  f)  erinnert 
es,  wenn  in  Kreta  nach  dem  Gortynischen  Gesetz  die  „Erb- 
tochter" in  Ermangelung  von  Verwandten  von  einem  Phylen- 
genossen  geheiratet  werden  musste,  und  der  allgemein  griechische 
Ausdruck  für  das  Privateigentum,  xkrjQog  „Los"  (=  russ.u&WoW 
„der  Teil",  den  «der  einzelne  Bauer  im  Mir  erhält)  weist  mit 
grosser  Deutlichkeit  darauf  hin,  dass  einst  überall,  wie  in  Sparta 
durch  Lykurg,  eine  Aufteilung  des  früher  allen  gemeinsam  ge- 
hörigen Grundeigentums  stattgefunden  hat.  Noch  in  dem  von 
Demosthenes  {in  Macart,  p.  1069)  herangezogenen  Gesetz  wird 
den  (pQatoQeg  auch  ein  bevorzugtes  Anklagerecht  in  Mordsacben 
zugesprochen,  als  letzter  Rest  ihrer  einst  bestehenden  Verpflichtnn|p 
zur  Blutrache,  deren  Ausübung  in  homerischer  Zeit  bei  den  hm 
(hat)  ruht.  Dieser  Name  hinwiederum  liegt  der  kretischen  haigiaf 
wie  dort  die  Phratrie  genannt  wird,  zugrunde. 

Am  zahlreichsten  und  deutlichsten  aber  haben  sich  die  an 
Stamm  und  Sippe  haftenden  Einrichtungen  und  Anschauungen  in 
Griechenland  in  Beziehung  auf  denjenigen  Begriff  erhalten,  der 
zugleich  als  etwas  uraltes  und  als  etwas  verhältnismässig  neaes 
bezeichnet  werden  muss,  dem  des  yivog  oder  des  Geschlechts. 
Dieses  Wort  wird  von  Haus  aus  ganz  wie  das  sttdslaviache 
rod  (I,  1)  zu  beurteilen  sein,  d.  h.  es  bedeutete  eine  Unter- 
teilung der  (pQrJTQr}  ijbratstvo),  konnte  zugleich  aber  auch  ?on 
jeder  auf  Zeugung  beruhenden  Verwandtschaft  gebraucht  werden. 
Natürlich  rechnete  sich  jeder  ursprünglich  als  zu  einem  yho; 
gehörend.  Allmählich  aber  wurde  unter  den  neuen  Verhältnissen 
Griechenlands  dieser  Ausdruck  mehr  und  mehr  nur  auf  reiebe 
und  adlige,  d.  h.  durch  die  Taten  ihrer  Vorfahren  bekanntere 
Geschlechter  angewendet,  die  mit  dem  zu  allen  Zeiten  in  der 
Verbindung   von  Adel   und  Reichtum  hervortretenden  Konserva- 


risniUA  die  alten  charakterigtiBchen  Züge    der    ur/.eitlic1jeD   ver- 

»ndtB  eh  artlichen  Verbände    treu    bewahrten.     So  benennen  sieb 

!  Mitglieder    eines    Geschieehte    mit    dem    gentilicisc;hen,    von 

ueni    wirkh'eben  oder  fingierten  Aboherrn  abgeleiteten  Namen, 

r    den    das  Suffix    -da    (Sijj     charakteristisch    ist:    UjQf.töui. 

[tt/uo>vlAai,   Keq>aXidt2i,  EvfioXntdnr ;  doch  liegen,  ähnlich  wie  bei 

m  sUdsIavisehen  pUme  (I,  1),  auch  bereits  geograpbisebe 
«griffe  l,t.  B,  Jexehiü;,  ^nXa/tifioi)  oder  Beaebäftignngszweige 
BovZvyK,  Aiytiomii/ioi)  dem  Geacblechtsnamen  Kiigrunde,  Der 
BfoeinBame  Stammvater  ist  zugleich  der  Schut^geist  des  y/yoc 
'gl.  I,  2,  b  und  oben  p.  379):  „Toten-,  Heroen-  und  Gcnlilkultns 
eh'^ii  ineinander  tlber  und  ineinander  auf."  Die  Abstammung 
ird  nur  in  männlicher  Linie  gerechnet.  Zahlreiche  attische  Drtrfer 
nd  Demen  tiiud  einfach  nach  den  Geschlechtern  benannt,  die  sie 
ewohnen  (vgl.  oben  1,  2,  f  nnd  p.  376  Anm.):  Philaidai,  Pah- 
lif  lonidai,  'AlUaXifku,  Al-Qt&ai,  ElßfalÜai.  „Das  Gebiet  von 
(  zerfällt  in  „Türme"  (jrüoj'os  „Burg"i,  d.h.  offenbar  Adels- 
Drgen,  die  den  Namen  einzelner  Personen  tragen;  ähnlich  war 
(  Gebiet  von  Ephesos  organisiert"  (oben  I,  2,  f)  uaw.  (vgl, 
1.  M  eyer  Geschichte  des  Altertums  II,  306  ff.  und  Töpfer  Attische 
Jftlogie  p.  3  ff.). 
Da,  wie  wir  sahen,  von  einer  politischen  Selbständigkeit  des 
bylon  öder  der  Phyle  in  historischer  Zeit  nicht  mehr  die  Rede  sein 
Bau,  80  vermag,  ähnlich,  wie  wir  es  bei  den  Germanen  beobachtet 
,  die  älteste  Verfassung  derselben  sich  nur  in  derjenigen 
eft  Staates  zu  spiegeln,  dessen  Teile  das  Phylon  oder  die 
byle  geworden  sind,  in  dieser  Beziehung  zeigt  das  homerische 
iOnigtum  allerdings  keine  Spur  einer  Wahlmonarebie  mehr.    Die 

leht  des  Königs  erbt  vielmehr  vom  Vater  auf  den  Sohn,  wird 

er  durch  die  ihm  zur  Seite  stehenden  yigovre;  „Slarosten" 
^logeq  ^Ai-  iiifiiYvtEi)  erheblich  eingeschränkt,  die,  wie  er  selbst. 

ich  ßaoiXijn;  „Könige"  genannt  werden,  und  in  denen  es  daher 
ihr  nahe  liegt,  einstige  Häupter  selbständiger  Phyien  und  Stämme 
I  erblicken.  Die  Gewalt  des  Königs  ist  im  Kriege  eine  grosse, 
nc  geringere  im  Frieden,  wo  er  fllr  den  Staat  opfert,  und,  zu- 

mmen  mit  den  Geronten,  als  Schiederichter  waltet.  Seine 
BbeDsfllhmug  ist  eine  einfache.     Königssöhne  weiden  noch  die 

Brden  des  Vaters.     Seine  Einktlnfte    sind  ähnlich    wie  die  der 

rnianisehen  Küuige :  freiwillige  Geschenke  und  Gebühren  (doi- 


—    384    — 

Tivai  und  Mfuoreg),  daza  erhält  er  ein  Kronland,  beim  Mahl  den 
Ehrenplatz  and  die  grösste  Portion.  Dem  Könige  mit  den 
Geronten  gegenüber  ist  die  Bedeutung  der  VolksYersammliuig 
eine  geringe  und  mehr  passive,  doch  lehrt  ein  Blick  auf  dea 
den  Hellenen  nächststehenden  Stamm  der  Makedonen,  die  dis 
Recht  der  griechischen  Urzeit  offenbar  treu  bewahrt  haben,  dsM 
dies  nicht  der  ursprüngliche  Zustand  gewesen  sein  kann ;  denn  hier 
ruhte,  wie  wir  aus  einer  Notiz  des  Curtius  (VI,  8,  25)  erfahrai, 
zum  mindesten  die  oberste  Kriminalgerichtsbarkeit,  ganz  wie  bei 
den  Germanen  (Tac.  Germ.  Kap.  12:  licet  apud  concüium  accu- 
sare  quoque  et  discrimen  capitis  intendere),  im  Frieden  bei  dem 
Volk,  im  Krieg  bei  dem  Heere  (vgl.  Kap.  XIV). 

c)  Die  Römer.  In  dem  ältesten  Rom  ist  vor  allem  aof 
zwei  Bildungen  zu  verweisen,  von  denen  die  eine  freilich  nnr 
durch  die  Sprachvergleichung,  aber,  wie  ich  glaube,  mit  ver- 
hältnismässig, grosser  Sicherheit  erschlossen  werden  kann.  In 
meinem  Reallexikon  p.  223  ff.  habe  ich  nämlich  den  Nachweis 
zu  führen  versucht,  dass  die  lat.  Sippe  von  vindex,  vindicerej 
vindiciae,  vindicta,  vindicare,  vindicatw  auf  einen  Stamm  *Denir 
zurückführt,  der  dem  ir.  fine  ^Verwandtschaft,  Familie,  Stamm, 
Joint  family^  (coibnes  „Verwandtschaft"),  ahd.  uAni  „Freund" 
(wer  zur  Verwandtschaft  gehört)  genau  entspricht.  Ist  diese 
Zusammenstellung  richtig  (Zustimmung  bei  Walde  Lat.  Et. Wb. 
p.  674),  so  ergeben  sich  für  den  durch  ^veni-  bezeichneten  Be- 
griff der  Sippe  folgende  drei  in  der  prähistorischen  Zeit  Roms 
geltende  Bedeutungssphären:  1.  Wie  lat.  vindex  „der  Bürge" 
{*veni'deicify  eigentl.  „einer,  der  auf  die  Sippe  hinweist",  zu- 
gunsten jemandes,  wodurch  er  für  ihn  bürgt)  zeigt,  sind  die  Mit- 
glieder der  Sippe  verpflichtet,  in  jeder  Weise,  namentlich  auch 
vor  Gericht,  für  einander  einzutreten  (vgl.  auf  altkeltischem 
Boden  die  altcymrische  Bestimmung:  Ut  moris  estj  vadem  h 
offert  pro  iuvene  tota  cognatio,  et  cavere  iudicio  sistiy  Walter 
Das  alte  Wales  p.  135  Anm.  1).  2.  Aus  lat.  vindex  „Rächer^, 
vindicare  „rächen",  vindicta  „Rache"  (ebenfalls  eigentlich  „Hin- 
weisung auf  die  Sippe",  diesmal  in  dem  Sinne,  dass  die  Ver* 
folgung  einer  Bluttat  oder  die  Busse  für  eine  solche  als  Sippen- 
Sache  erklärt  wird)  geht  hervor,  dass  auch  im  ältesten  Rom  die 
Mitglieder  einer  Sippe  in  Sachen  der  Blutrache  handelnd  und 
leidend    untereinander    verbunden    waren.      Hinsichtlich    der  ir. 


tlieB  über  allen  Zweifel  erliabeu.  Vgl.  H.  dArhois 
Jubainville  La  famille  Ceftique  (Paris  1905)  p  1:  Lt 
mchus  Mör  nous  apprend  que,  dans  hl  famille  irlandaine, 
,  il  !/  a  quatre  groapes  de  prochen  parente  qui  impporient 
In  respoiisabiliti  du  crime  ou  du  dHit  de  qtdconque  fait  partit 
de  ces  groupef,  ce  sovf  la  gelßne,  la  derb/ine,  la  iarfine.  et 
)ndfine.  Ces  qualre  ynmpes  peureiit  Hre  contraint»  ä  paffer 
i  compoiiition  due  pour  crime  oa  d4lii  covtmis  par  un  de  leur 
mbren  (vgl.  auch  oben  p,  374).  3.  Lat.  chidicare  (vindicia, 
^indidae)  iu  der  Bedeutung  „etwas  als  sein  Eigentum  erklären" 
(wiedernm  eigentlich:  „auf  die  Sippe  hinweisen",  dieenial  indem 
Sinne,  dass  ieh  etwa»  als  ihr,  d.  b.  mir  gehörend  iu  Anspruch 
ueliuie)  beweist.  daBS  auch  auf  römischem  Boden  einstmals  ein 
tiesamieigentum  der  verwandtschaftlichen  Verbäitde  in  Beziehnng 
auf  den  unbeweglichen  Besitit  bestand.  Vgl.  dazu  wiederum 
d'Arboia  de  Jnbainville  a.a.O.  p.  .39:  Les  quatre  branchea 
de  la  fine  eont  theoriquemi'nt  proprietaire  indiviv  de  la 
succeasiott  laiasie  par  l'autenr  de  cea  quatre  brancheit-  Das 
Eigentum  vererbt  sich  daher  innerhalb  der  fine.  Finecjia»  ist 
das  gemeinsame  der  Familie  gehörende  Eigentum,  Erbschaft, 
Nachfiilge,  Recht  der  Familie  new.  Hn  charakterisiert  diese  von 
den  Juristen  leider  bis  jetzi,  soviel  ich  sehen  kann,  nicht  beachtete 
Erklärung  des  lat.  vinde^,  rindicare  auch  anf  italischem  Boden 
(las  Wesen  der  Sippe  nach  den  drei  Seiten  der  gemein- 
samen K Orgschaft,  der  gemeinsamen  Blutrache  und 
des  gemeinsamen  Eigentums. 
^L  Aus  der  vorgeschichtlichen  in  die  geHchichtücbe  Zeit  Tllhrt 
^h  die  lat.  gern,  etymologisch  nnd  in  seiner  geschichtlichen 
HbtwiekiuDg  am  nächsten  dem  griech.  ylvo?  (yiyropai,  gignuj 
stehend.  Lat.  gern  verhall  sich  zn  dem  eben  erörterte»,  in  histo- 
rischer Zeit  als  selbständiges  Wort  nntergegangeneu  *veni-  ganz 
«ie  grieth.  yeroi  /.u  der  in  historischer  Zeit  in  seiner  arsprUng- 
liehen  Bedeutung  vielfach  verschobenen  q>gt}jQTj.  Wie  die  j-ei»;, 
haben  die  genten  zahlreiche  charakteristische  ZUge  der  ültesten 
verwandtschaftlichen  Verbände  bewahrt.  Der  Verwand tschafls- 
begriff  der  gena  ist  agnatisch.  „Das  seiner  Ableitung  nach 
durchsichtige  Grundwort  ruht  auf  dem  Begriff  der  Erzeugung, 
1  zwar  in  dem  rechtlichen  Sinne  der  die  Gewalt  des  Vaters 
■  den  Sohn  begründenden  Ze4igung.     Daraus  gehen  die  beiden 


3 


—    386    — 

Begriffe  des  Hauses  und  des  Geschlechtes  hervor:  jenes  sind  die 
in  der  Gewalt  eines  lebenden  Ascendenten  vereinigten  Freien^ 
dieses  die  Freien,  welche  in  einer  solchen  vereinigt  sein  würden, 
wenn  keine  Todesfälle  eingetreten  wären ^  (vgl.  Mommsen  Rom. 
Staatsrecht  III,  1  p.  9).  Das  Kennzeichen  des  Geschlechts  ist 
das  nomen  gentile,  der  Name  des  gemeinsamen  Ahnherrn,  der 
ebenso  wie  der  Name  des  yivog  oder  bratstvo  dem  Individoom 
anhaftet:  Qu.  Fdbius  Quinti  =  Quintus  ans  der  Fabischen  genSj 
in  des  Qu.  potestas.  Die  Geschlechtsgenossen  heissen  genHlHf 
auch  patres  „Hausväter",  patricii.  Innerhalb  derselben  unter- 
scheidet das  römische  Erbrecht  die  sui,  adgnati  (mit  nachweis- 
baren gradus)  und  die  übrigen  gentües  (XII  Tafeln:  si  adgnatus 
nee  escit,  gentües  familiam  habento).  Man  hat  gemeinsame 
Sacra  und  gemeinsame  sepulcra  (vgl.  Marqnardt  Privatleben 
p.  353).  Alte  Geschlechter  wie  die  Aemilii,  Cornelii,  Fabii 
haben  gewissen  Landquartieren  ihre  Namen  gegeben  (vgl. 
Mommsen  Römische  Geschichte  P,  3ö),  und  von  der  einstigen 
Stärke,  Geschlossenheit  und  selbständigen  Handlungsfähigkeit  der 
Gentes  legen  die  Taten  und  Schicksale  der  306  Fabier  ein  be 
redtes  Zeugnis  ab. 

Im  übrigen  soll  auf  die  römischen  und  italischen  Verhält- 
nisse hier  nicht  weiter  eingegangen  werden,  da  sie  im  allgemeinen 
eher  geeignet  erscheinen,  Licht  von  den  übrigen  idg.  Völkern 
zu  erhalten,  als  es  ihnen  zu  spenden.  Doch  ist  bemerkenswert, 
dass  sich  gerade  in  Italien  in  lat.  rex  ^der  König"  und  nmbr. 
tuta  „die  Gemeinde'^  zwei  schon  idg.  Ausdrücke  erhalten  haben, 
auf  die  im  dritten  Abschnitt  dieses  Kapitels  zurückzukommen 
sein  wird. 

d)  Die  Inder  und  Iranier  (Arier).  Nach  Herodot  I, 
125  zerfielen  die  Perser  in  eine  Reihe  von  ysrrj,  wie  die  tlit 
oagyddai,  Magdtptoi,  Mdojiioiy  Tlavi^taXaloi,  drjgovoiaXoif  regfiäfw 
usw.  Der  Begriff  des  yevog  teilt  sich  wieder  in  (pQtjxgai  ((p^- 
TQiai).  So  waren  z.  B.  eine  <PQi^rQrj  der  Pasargaden  die  Jl;fm/tf- 
vidai  oder  altp.  die  Haxämanisiya  {-iyay  vgl.  Fabiif  TuUü)y  so 
genannt  nach  ^Axaifiivrigy  altp.  HaxämaniSj  dem  Stammvater^ 
dessen  Deszendenz  von  Herodot  VII,  II  sorgfältig  aufgezählt 
wird.  Diese  ohne  Zweifel  urarische  Stammeseinteilnng  von  yimi 
und  (pQYjxQai  spiegelt  sich  noch  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  im 
Veda  und  im  Awesta  ab.     In  ersterem  ist  die  oberste  politische 


inlieit  des  N'olkes  der  jihui  oticr  „Stainiu".  Die  iiäciiste  ünter- 
IteJlung  des  Stammes  ist  die  tii;  „Sippe"  oder  (Örtlicb)  „Gau", 
ie  iiäehKte  (hrjtinman  „die  Verwandtschaft"  (  =  grä'ma  „Dorf"), 
i  wieder  aus  „Familien"  (putr4  „Sölme")  znaammengesetzt  ist 
gl.  H.  Zimmer  Allindisches  Lebeu  |i.  158  ff.).  Im  Awesta 
idet  den  iintereten  Teilbef^riff  /itn<i;j(r  „das  Haue";  darauf  folgt 
„Dorf,  Dorfecbaft.  Gemeinde"  (aucb  das  dariu  gelegene 
Berrenhaus"),  dann  zantu  „Landkreis"  und  darüber  dahyu 
kiandgehiet" .  Wie  man  sieht,  ist  im  Aweata  im  Vergleich  mit 
mi  Kigveda  die  ganze  Terminologie  echon  mehr  aus  der  ver- 
indtschafitichen  in  die  lokale  i-iphäre  übergegangen;  doch  läset 
sh  ihr  ui-Bprttnglielier  .Siini  noch  deutlich  erkennen.  Von  den 
nianuten  indischen  und  iranischen  Ausdrücken  entspricht  uäm- 
I  am  genauesten  scri.  jdtta  und  aw.  zanttt  dem  Herodoteisclieu 
o?,  insofern  alle  drei  Wörter  zu  dem  lat.  {/igno  (acrt.  Jan, 
.  zan,  griecb.  yi-p-ofiai)  ^zeugen,  gebären"  gehören,  woraus  folgt, 
188  auch  scrt.  jäna  und  aw.  zantu  von  Haus  aus  einen  auf  ge- 
pinsfluier  Abstammung  beruhenden  Verwandten  kreis  bezeichnen 
I8B.  Als  Unterabteilung  dieses  Begriffes  ergibt  sieh  dann,  als 
F  gleicher  Stufe  mit  der  Ilerodoteischen  i/'Qi'jiijii  stehend,  schon 
'  die  ariache  Urzeit  sert,  ci^  zusammen  mit  jänman  (vgl,  oben 
Isl.  bratatno  mit  rod)  =  aw.  eis  „Sippe",  dann  „Dorfgemeinde". 
S8  wir  uns  aucb  die  ansehen  Heere,  genau  wie  die  slavisehen, 
rmaniacben,  griecbiscben  und  italischen  nach  solchen  Sippen 
)rdnet  vorstellen  müssen,  geht  aus  der  vedischen  Überlieferung 
eh  mit  Sicherheit  hervor.  So  wird  im  Rigveda  Manyu  angerufen, 
er  von  Abteilung  zu  Abteilung  gehend  (m^a^vi^m)  die 
neger  zum  Kampfe  anfeuern  möge,  oder  so  werden  an  einer 
deren  Stelle  derselben  Hymnen  die  Unterabtei Inugen  der  vi^ 
idrUcklich  als  suhandhu  „Verwandte"  bezeichnet. 

Auch  in  staatsrechtlicher  Beziehung  erhalten  wir  durch  den 

^vedft  wiotitige  Analogien  zu  dem  bisherigen.     An    der  Spitze 

I  Stammes    steht    der  König    (scrt.  rä'jan),    der   durch    die 

Hksversammlung  gewählt    wird.     Doch  gibt  es  Stämme, 

denen    Ürgrossvater,    Grossvater,    Vater    und  Sohn  nachein- 

8er  herrschen.     Die  Verhältnisse  Hegen  hier  also  ganz  wie  bei- 

flslaven  (i,  3,  b)  und  Germanen  (oben  p.  380).     Bei  den  Persem 

I  nach  Herodot  die  'Ayai/irvidni  diejenige  i}^q)jjq>j,   h'&iv  ol 

lies    61  tliQUiibw    yfyiWnmt:     Im   Kriege    heisst    der    König 


-    3«8    — 

sdtpati  ^der  starke  Herr^,  er  bringt  Opfer  für  deo  Stamm  dar, 
er  heisst  gö'pä  jdnctsya  (griech.  Tzoifjtrjv  kacov,  agis.  folces  hyrde). 
Seine  Einkünfte  l)estehen  aus  freiwilligen  Geschenken  und  einem 
Hauptteil  der  Beute.  Neben  oder  unter  ihm  steht  der  vifpdti 
=  aw.  vispaiti  „Herr  der  vig^.  Überall  ist  die  Macht  der  Herr- 
schenden durch  den  Willen  des  Volkes  beschränkt,  das  ihn  in 
den  Volksversammlungen:  scrt.  sabhä',  admitij  vidätha  äussert. 
Erwähnt  seien  noch  als  lokale  Mittelpunkte  des  Wohnungs-  und 
Weidebezirks  des  Stammes  die  festen  Burgen  (scrt.  pür\  in  die 
man  in  Zeiten  der  Not  mit  seiner  Habe  aus  den  offenen  Dorf- 
siedelungeu    flüchten    konnte   (vgl.  Zimmer  a.  a.  0.  p.  142  ff.). 

KI.     Sippe  und  Stamm  in  der  idg.  Urzeit. 

Auf  Grund  der  im  bisherigen  mitgeteilten  Tatsachen  lässt 
sich  unter  Heranziehung  der  in  dieses  Gebiet  einschlagenden  and 
bis  hierher  aufgesparten  urverwandten  Gleichungen  der  idg.  6e- 
sch]er*.hterstaat  mit  ausreichender  Sicherheit  rekonstruieren. 

Wir  haben  in  dem  vorhergehenden  Kapitel  über  die  idg. 
Herdgemeinschaft,  *domo-  (scrt.  danidy  griech  do/nog,  lat.  domuij 
altsl.  domü)y  gesprochen,  an  deren  Spitze  mit  unbeschrankter 
patria  potestas  der  *dem'8'poti-  (scrt.  ddmpati  =  griech.  dm- 
jioTi^g)  stand.  In  ihr  blieben  die  Söhne  eines  und  desselben 
Vaters  mit  ihren  Frauen  und  Kindern  jedenfalls  bis  zum  Tode 
des  gemeinschaftlichen  Erzeugers ,  vielleicht  auch  länger,  zu- 
sammen wohnen.  Mochte  nun  aber  die  Auflösung  und  Aufteilong 
einer  solchen  Herdgemeinschaft  früher  oder  später  erfolgen,  auf 
jeden  Fall  blieben  die  ausscheidenden  Brüder  mit  ihren  Nach- 
kommen untereinander  auf  das  engste  verbunden  und  bildeten 
eine  Geroeinschaft,  die  man  am  besten  nach  sttdslavischer  Analogie 
als  „Brüderschaft"  oder  nach  germanischer  als  „Sippe**  bezeichnen 
wird.  Der  idg.  Ausdruck  hierfür  liegt  in  dem  oben  genannten 
scrt.  vig  =  aw.  viSy  altp.  vi&y  griech.  J^ix-  (in  xQixä-J^ixeg),  lat. 
vtcus,  altsl.  vlsij  got.  veihSy  ir.  fih,  alb.  vise.  Wenn  hierbei  im 
Iranischen  und  in  den  europäischen  Sprachen  die  Bedeutung 
„Dorf"  sich  als  die  vorherrschende  erweist,  so  ist  dies  die  natur- 
gemässe  Folge  der  oben  oft  genug  hervorgehobenen  Erscheinong^ 
dass  die  Brüderschaft  oder  Sippe  in  ein  oder  mehreren  Dörfern 
beieinander  wohnte.  An  der  Spitze  der  *öik'  stand  der  *vtk' 
poti  (scrt.  vig-pdti,  aw.  vis-paiti  =  lit.  wiSsz-patSf  jetzt  „regie- 


»der  Herr",  „Gott"),  vou  deescn  Befu^igscn  unten  die  Rede 
wird.  Docli  werden  Bchon  in  der  Urzeit  die  einzelnen 
-es  nur  Bellen  fUr  sich  allein  gestanden,  sondern  in  der  Reg<^l 
«rden  mehrere  eich  /,u  der  höheren  Einheit  dessen,  wae  man 
Kb  griechischer  Analogie  als  „Phyle"  oder  nach  slavischer  als 
Pleme",  d.  h.  als  „Slanim"  bezeichnen  kann,  zuRniiiineDgeschlossen 
Aach  diese  Vereiiiignngen  wurden  als  auf  gemeinsamer 
betamronng  hernhend  angesehen,  die  aber  von  Anfang  an,  im 
cgensatz  zu  „Brüderschaft"  und  Sippe,  mehr  eine  Fiktion  als 
Hrklichkeit  gewesen  sein  wird.  Immer  häufiger  wird  es  vor- 
^orameu  sein,  dass  aacb  untereinander  bicht  verwandte  „Brflder- 
ibaften"  oder  „Sippen"  sich  7,11  einem  „Stamm"  zusammen- 
«en.  Überwog  noch  der  Gedanke  der  gemeinschaftlichen 
bstammang,  so  werden  die  Bezeichnnngen  des  Stammes  im 
^entliehen  die  der  Sippe  gewesen  sein.  Als  spezifischer  AilB- 
mck  fUr  den  ersteren  Begriff  dürfte  idg,  *teutä  (nmbr.  tota, 
.  tauto  „eivitas",  ir.  tüath,  got.  piuda,  ahd.  diota  „Vulk". 
I^)r.  taiito  „Land")  anzusehen  sein,  eigentlich  „Gesamtheit" 
lt.  tötus),  obgleich  die  betreffenden  Glieder  der  Einzelsprachen 
mtlich  schon  fortgeschrittene,  aus  dem  Staium  entwickelte 
Ulitische  Gebilde  bezeichnen.  An  der  Spitze  des  Stammes  stand 
ST  *rgg  (ecrt.  rd'j,  rä'jnn  =  lat.  rSx,  ir.  ri),  über  den  unten  mehr. 
Uie  älteste  nnd  zäheste  Organisation  der  Indogermanen 
t  aber  die  Sippe  gewesen.  Ihre  Mitglieder  benennen  sich 
ich  dem  gemeinsamen  Stammvater,  von  dessen  Namen  sie  den 
tigeu  durch  ein  jiatronymiBches  Suffix  (io-,  vgl.  oben  p,  38D) 
Meiteu.  Sie  verehreu  die  Geister  der  Vorfahren  gemeinsam. 
e  kftmpfen  im  Krieg,  in  verwandtschaftlichen  Verbänden  neben- 
uander  aufgestellt.  Sie  heiraten  nicht  innerhalb  derselben  Sippe 
kd  vielleicht  auch  nicht  innerhalb  desselben  Stammes,  wie  wir 
bei  den  Sfidslaven  (1.  2,  A)  fandeu,  und  worauf  auch  dss 
gls.  gibleger  und  das  griecb.  a!/ia  i/xrpvkiov  „Blutschande"  hin- 
iweisen  scheinen.  Sie  sind  untereinander  zur  Ausübung  der 
btrache,  idg.  *qoinä  (aw.  ka^A  =  grieeh.  tioiv»))  verpflichtet. 
Teideplätze  und  Ackerland  gehören  ihnen  gemeinsam.  Dorf 
d  Sippe  sind  identische  Begriffe. 

Die  Entscheidung  Über  die  .Angelegenheiten  der  Sippe  liegt 
i  der  Sippenversammlung,  idg,  "sebhä  (scrt,  säbhä'  „Versamm- 
igs-,  Gemeindehans"  =  got.  sibja,  ahd.  sippa  „Sippe",  das  sich 


—    890    - 

sprachlich  als  eine  AbleitaDg  von  *8ebhd  erweist)^  in  der  die 
*dem'8'poti  mit  ihren  Leuten  zusammenkommen,  nnd  die  anter 
der  Leitung  des  *vlk'poti  oder  Sippenherrn  steht^  der  auch  in 
ihr  gewählt  wird^).  Daneben  werden  Volksversammlungen  des 
ganzen  Stammes  bestanden  haben,  denen  der  *rS§  prftsidiert. 
Auch  dieser  geht  aus  der  Wahl  des  Volkes  hervor ;  doch  werden 
starke  Sippen  es  verstanden  haben,  längere  Zeit  hindurch  einen 
der  Ihrigen  bei  der  Wahl  als  *rS§  durchzusetzen.  Dieser  ist 
4m  Frieden  im  allgemeinen  von  der  Volksversammlung  abhängig. 
Grössere  Macht  hat  er  im  Kriege.  Seine  Einkünfte  bestehen 
aus  freiwilligen  Ehrengaben  und  einem  grösseren  Anteil  an  der 
Beute.  Die  offenen  Dorfansiedelungen  der  Sippen  lagern  sieb 
um  befestigte  Plätze  (scrt.  i^tlr  =  griech.  716hg  „Stadt**,  MtpÜis 
„Schloss*'),  in  die  man  sich  in  Zeiten  der  Not  mit  seinen  Herden 
flüchtet. 

Diese  hinsichtlich  der  Beschaffenheit  der  idg.  Sippe  hier 
gewonnenen  Ergebnisse  stimmen  mit  dem,  was  nach  E.  Grosse 
(Die  Formen  der  Familie  und  die  Formen  der  Wirtschaft)  für 
Stämme  von  Viehzüchtern,  „welche  die  Viehzucht  als  Haupt- 
Produktion  betreiben,  gleichviel  ob  sie  daneben  noch  Tiere  jagen 
oder  Pflanzen  sammeln  und  bauen*',  zu  erwarten  ist,  durch- 
aus überein;  denn  diese  Stufe  der  Viehzüchter  kennt,  wie  die 
Indogermanen,  fast  ausschliesslich  Vater-,  d.  h.  agnatisch  auf- 
gebaute Sippen,  deren  hervorstechendste  Bedeutung,  wiederum 
wie  bei  den  Indogermanen,  in  den  Zwecken  des  Krieges  liegt. 
Wenn  daneben  bei  den  europäischen  Indogermanen  der  Sippe 
schon  für  die  Urzeit  auch  eine  gewisse  Bedeutung  als  Wirt- 
schaftsgenossenschaft zugesprochen  werden  muss,  so  liegt  dies 
darin  begründet,  dass  ein  Teil  ihrer  Stämme  (vgl.  Kap.  VI)  sieb 


1)  Es  könnte  auffallend  erscheinen,  dass  dasselbe  Wort  *poa, 
das  zunächst  für  den  mit  absoluter  Gewalt  an  der  Spitze  des  Hauses 
stehenden  Hausherrn  galt  (vgl.  oben  p.  336  ff.),  auch  verwendet  wurde, 
um  den  ganz  und  gar  von  den  Entscheidungen  der  ^dem-s-poH  ab- 
hängigen Sippenherrn  (*vik'poti)  zu  bezeichnen.  Dasselbe  ist  aber 
auch  im  Russischen  der  Fall,  wo  Bildungen  von  dem  Stamme  star- 
„alt^  {starikü,  stdrostay  staräinä)  ebensowohl  den  mit  absoluter  Gewalt 
herrschenden  Familienvater  wie  den  Vorsteher  des  auf  rein  demoi^ra- 
tischer  Grundlage  beruhenden  Mir  und  des  Volost  bezeichnen  (vgl. 
Leroy-Beaulieu  P,  10,  15). 


ecbou    in    der  Drxeit    der  von  Grosse  neben  den  Vielizüchteru 
DDterBchiedenen  Stufe  der  niederen  Ackerbaner  zuueigle. 

In  der  Gestalt  einzelner  oder  vereinigter  Sippen  (Stämme) 
(glauben  wir  auch  die  Ausbreitung  und  die  Wanderungen  der 
Indogermanen  nns  verlaufen  denken  zu  sollen.  Audi  mit  dem 
stärkeren  Hervortreten  des  Ackerbaus  bei  den  westlieben  Indo- 
germanen  war  ja  die  Zeit  der  Wandernng  auf  idg.  Boden  keines- 
weg:B  vorüber.  Es  ist  in  diesem  Buebe  genugsam  bervorgeboben 
worden,  dass  dieselbe  bis  an  die  Sebwelle  der  Gescbicbte  nnd 
über  (iieaelbe  hinaus  reiebte.  Es  war  ein  offenbar  gewöbniieber 
Vorfall,  dass  eine  Reihe  von  Geschlechtaditrfern,  des  mühseligen 
Ackerbaus  überdrüssig  oder  von  dem  Wunsch  nach  besserem 
Ackerboden  geleitet,  wie  die  Helvetier  des  Caesar,  ihre  Halm- 
trucht  abmähten,  die  leichtgezimmerten  Hütten  abbrachen,  Kind 
und  Kegel  auf  die  oehsenbespannten  Wagen  luden  und  in  der 
Ferne  ihr  Heil  suchten.  Das  süsse  Wort  „Vaterland"  (vgl,  oben 
p.  214i  hatie  noch  keinen  Klang  für  diese  primitiven  Menschen. 
Es  erhält  ihn  erst,  nachdem  an  Stelle  der  Verwandtschaft  das 
Territorium  die  Basis  der  politischen  Einheit  geworden  ist.  In 
diesen  Zeiten  der  Wanderung  ist  Volk  und  Heer  (ahd.  (olc, 
woraus  altsl.  plükä  „Schar",  „Heer",  vgl.  auch  griecb.  Stj/KK 
^Volk"  =  altir.  däm  „Gefolgschaft  eines  Königs",  Windiach 
H.  d.  k.  säcbs.  0.  d.  W.  pbil.-hist.  Kl.  1886  p-  246  und  lat. 
populu8,  eigentl.  „Heer",  vgl.  populari  „verheeren")  ein  nnd 
dasselbe,  der  Olanherr  oder  der  reg  wird  zum  Her/.og  oder  zum 
rojevoda.  Oft  mag  es  dabei  vorgekommen  sein,  dass  auch  nach 
erfoehtenem  Sieg  und  in  ruhigeren  Verhältnissen  mehrere  zu 
einem  kriegerischen  Unternehmen  verbundene  Stämme  unter  der 
nunmehr  straffer  angezogenen  Herrschaft  eines  Stammesherrn 
beieinander  blieben,  wodurch  der  Begriff  des  Stammes  in  den  der 
Völkerscliaft  überging.  Der  Anfang  ku  dieser  Entwicklung, 
die  nns  schon  in  die  historischen  Zeiten  hineinführt,  ist  im  Norden 
Europas  im  keltischen  Westen  gemacht  worden,  wie  die  Über- 
nahme des  keltischen  -rix  (=idg,  *reg  erst  „Stammes"-,  dann 
„Völkerscbaftsköuig")  seitens  der  Germanen  (got.  reiks)  beweist, 
die  ihrerseits  wieder  ihr  chuning  (ebenfalls  erst  „Stammes"-, 
dann  „Völkerechaftskönig",  vgl.  alid.  chuniii  „Stamm,  Volk") 
den  Slavcn  laltsi.  kün^gü)  vermittelt  haben.  Völlig  parallel  mit 
diesen  Entlehnungen  gehen  die   von    altgall.  ambacttix  „Gefolgs- 


—    892    — 

maDn  des  Fürsten^  in  das  GermaDiscbe  (got.  andbaJttij  ahd. 
ambahti)  and  weiter  in  das  Slavische  (altrnss.  jabetnik^  in  der 
ältesten  russischen  Pravda  neben  den  me6nikü  pSebwertträger" 
gestellt).  Obne  Zweifel  waren  die  neuen  Volkerschaftskönige 
überall  bestrebt,  durch  ein  reisiges  Gefolge  ihre  Herrschaft 
sicherzustellen. 

Ich  muss  mir  leider  versagen,  auf  die  Weiterentwicklang 
aller  dieser  Verhältnisse  hier  des  näheren  einzugehen,  und  möchte 
zum  Schlüsse  dieses  Abschnitts  nur  noch  eine  Frage  in  Kflrze 
streifen,  ob  nämlich  die  verschiedenen  Clane  oder  Clanverbin- 
dungen, die  wir  uns  in  der  Urzeit  denken  mtlssen,  bereits  durch 
einen  einheitlichen  Namen  verbunden  werden.  Es  fehlt  nicht  an 
Gelehrten,  welche  in  der  Tat  dieser  Ansicht  sind  und  meinen, 
dass  der  gemeinsame  Name  der  Indogermauen  Arier  gewesen 
sei,  was  aus  der  Übereinstimmung  des  scrt.  ä'rya,  aw.  airya 
mit  dem  einheimischen  Namen  Irlands  Eriu,  J^renn  hervorgehe 
(Zimmer  B.  B.  III,  137).  Aber  auch  die  Richtigkeit  dieser 
Zusammenstellung  zugegeben  —  sie  wird  bezweifelt  von  Win- 
disch (Kelt.  Spr.  p.  139) — ,  möchte  ich  doch  nicht  wagen,  einen 
derartigen  Schluss  auf  dieselbe  zu  gründen.  Wohin  wir  uns  bei 
den  Indogermauen  Europas  wenden,  finden  wir  überall,  sei  es  in 
Griechenland  oder  Italien,  sei  es  bei  Slaven  oder  Germanen,  eine 
Zersplitterung  der  mit  verschiedenen  Sondemamen  benannten 
Stämme  und  erst  ganz  spät  das  Aufkommen  noch  dazu  häufig 
von  aussen  stammender  Kollektivnamen.  Dass  Inder  und  Iranier 
sich  gleichmässig  drya,  ä'rya,  airya  nennen,  ist  gerade  ein  Be- 
weis ihrer  ungemein  nahen  Verwandtschaft,  der  auf  idg.  Boden 
keine  zweite  gleichkommt.  Der  genannte  Wortstamm  mag  aneb 
bei  anderen  idg.  Völkern  vorkommen  (vgl.  Ario-vistus,  ir.  ofre, 
airech  j^nobüis"^  =  scrt.  ärydka),  dass  er  aber  ein  Rollektivname 
der  sämtlichen  Indogermauen  gewesen  sei,  halte  ich,  sobald  wir 
uns  wenigstens  das  ürvolk  in  eine  Mehrzahl  von  Stämmen  oder 
Clanen  zerspalten  vorstellen,  sachlich  für  unwahrscheinlich. 


XIV.  Kapitel. 

Das  Recht  (Strafrecht). 

[ndogiermtinisi^heuodBlIgemeiDo  vergleichendeRecbtsgeschichte,  Momm- 
■ens  Fragen  zum  ältesten  Strafrecht  der  Kulturvölker.  Ihre  Be«nt- 
wortung  vom  Standpunkt  der  idg.  Altertumekuode  Die  Blntruche. 
StrU  ägas  =  gi'iech.  Üyog.  Der  dolus.  Das  crimen  publicum  im  Sinne 
pdei  Uraieit.  Das  Aufgeben  der  .SelbBthilfc  im  Sta&t.  Die  „Satsuagen" 
•  Uraelt.  Diebütahi.  Sippenmord.  Noizueht.  Blntschande.  Eid  und 
k)lteBnrteil,     Haussncliuns'-     TodeMstrafe  und  Vfrbannnng.     Wergeid 


In  der    vergleiclientlen  Rechiegeseliicfite   sind    bisher,    eot- 

brecbend  dem  P,  222  erörterten  Vertaältnis  der  \äg.  Alterlums- 

mde    7.n    der   allgemeinen    verg;leichenden   Vülkerkunde,    zwei 

ftichlaDgen  hervorgetreten.     Die    eine    beschränkt  »ich    anf  den 

loreh    die    Linguistik    als    higtoriech    cohärent    erwieeenen    idg. 

jl'filkerhoden,    om    lediglich    auf   ihm    dureh   Sprach-    und  Sach- 

orgleichuDg  die  Entwicklung  dee  Rechts  von  der  Urzeit   bis  in 

"die    hiBtoriBcheu  Epochen    zu    verfolgen.     Ihr  Hauptverlreter   ist 

B.  W.  Leist   in    seinen  I",  49  (vgl.   oben  p.  128  f.)  genannten 

Werken.      Die    andere    lässt    ihren    Blick    gleichzeitig    anf   den 

RecbtBbildnngen  der  ganzen  Erde  rnhen,  um  mehr  durch  Analogie- 

Bchlüsge    als   dnreb    ein    eigentliche»   hiBtoriBcheH   Verfahren    die 

Entwicklnngegcscbichte  des  Rechts  in  der  Menschheit  festzustellen. 

inr  Charakterisierung  dieser  Richtung    kann    anf   die  bekannten 

ihriften  Joseph   Kohlers  verwiesen  werden.     In  jedem   Falle 

ist  man   sich    dahin    geeinigt,    dass    die  Ursprünge    des  Rechlä 

■  durch  Vergleiehung  ermittelt  werden  können,  nnd 

erade  die  bedeutendsten  Rechtsforscher  haben  sich    schliesslich 

I  dieser  Überzeagnng  bekehren  mflssen.     So  hat  noch  in  seinem 

ßreisenalter  R.  v.  Iliering  in  seinem  Werke  Vorgeschichte  der 

idoenropäer  >)  ivgl.  I",  50)  den  Versuch  gemacht,   sieb    in    die 


1)  Ausführlich  von  mir  besprochen  D.  L.-Z.  1895, 

ghrndcr.  SgirichrerKldclniDK  und  ürgeaebtcble  II.   S.  Anf]- 


—    394    — 

Probleme  der  idg.  Altertumskunde  einzuarbeiteu,  und  kurz  ror 
seinem  Tode  bat  Tb.  Mommsen,  der  „in  seinem  römischen 
Strafrecbt  sieb  alles  Vergleiebens  der  römiscben  Ordnungen  mit 
nicbtrömiscben  in  strenger  Besebränkung  entbalten  batte'',  eine 
Reibe  von  Fragen,  die  das  älteste  Strafrecbt  der  Kulturvölker 
betreffen,  formuliert  und  sie  einer  Anzabl  von  ausgezeichneten 
Kennern  der  einzelnen  zur  Vergleicbung  herangezogenen  Rechte, 
Juristen  und  Philologen,  zur  Beantwortung  vorgelegt.  So  ist  das 
im  Jahre  1905  nach  Mommsens  Tode  von  K.  Bin  ding  heraos- 
gegebene  Werk  entstanden:  Zum  ältesten  Strafrecbt  derKnltor- 
völker.  Fragen  zur  Rechtsvergleichung,  gestellt  von  Tb.  Mommsen, 
beantwortet  von  H.  Brunner,  B.  Freudentbai,  J.  Goldziher, 
H.  F.  Hitzig,  Tb.  Noeldeke,  H.  Oldenberg,  G.  Roethe, 
J.  Wellbausen,  U.  von  Wilamowitz-Moellendorf f '). 

Ein  Blick  auf  die  Namen  der  hier  genannten  Mitarbeiter, 
unter  denen  Semitisten  wie  Noeldeke  und  Well  hause  o 
neben  Germanisten  wie  Roethe  oder  Sanskritisten  wie  Olden- 
berg stehen,  lehrt,  dass  Mommsen,  obwohl  wir  gerade  in 
ihm  (vgl.  P,  22  f.)  einen  Vertreter  des  Standpunkts  der  idg. 
Altertumskunde  hätten  erwarten  können,  im  Prinzip  mehr  anf 
dem  Boden  der  allgemeinen  vergleichenden  Rechtsgeschichte 
steht.  Auf  der  andern  Seite  aber  bilden  doch  die  idg.  Völker, 
in  deren  Kreis  man  freilich  schmerzlich  die  Hereinziehung  des 
keltischen  und  slaviscben^)  Rechts  vermisst,  so  sehr  den  Mittel- 
punkt und  Hauptgegenstand  des  genannten  Buches,  dass  das- 
selbe auch  für  unsere  besonderen  Zwecke  von  hervorragender 
Wichtigkeit  ist.  und  da  es  zurzeit  noch  nicht  möglieb  seil 
dürfte,  das  Recht  oder  auch  nur  das  Strafrecbt  des  idg.  ürvolks 
im  Zusammenhang  darzustellen,  sebeint  es  mir  in  diesem  des 
ältesten  Recht  gewidmeten  Kapitel  angebracht,  mich  auf  die 
Beantwortung  der  von  Mommsen  gestellten  Fragen  vom  Stand- 
punkt der  idg.  Altertumskunde  zu  beschränken. 

1.     „Die    Verfehlung    des    Menschen,    mag   sie  in 
seinem  Wesen  (monntrum)   oder    in   seinem    Handeln  ge- 


1)  Besprochen  von  J.  Kohler  D.  L.-Z.  XXVI  Nr.  29,  19(fö. 

2)  Vgl.  S.  Rundstein  Die  vergleichende  Methode  in  ihrer  An- 
wendung* auf  die  slavische  Rechtsgeschichte.  Z.  f.  vergl.  Rechtsw.  XV. 
210  ff. 


-   ai»5  — 

eben  Bein,  imterliegl  in  den  Urzu^tütulcu  des  metiscli- 

jlicbeu  Dageliis  wüIiI  ledigUcli  dem  Götterzoru  und  der 

Dscheurac'he.   Es  fragt  sich,  ob  dieser  dem  Strafver- 

■ahreu  voraufgehende  Zustand   effektiv    nachgewiesen 

erden  kann." 

Bei  der  Beautwortung  dieser  Frage    ist    zunächst    auf  die 

p-oBse  Bedeutung  hinzuweisen,    die  in  der  idg.  Urzeit  noeli  die 

^UenachenracUe"  oder  Selbsthilfe  gehabt  haben  muss.     Schon  im 

'lurigen  Kapitel   wurde    hervorgehoben,    wie    die  Solidarität    der 

sich    nicht    am  wenigsten    io    der    Verpflichtung    zur 

platrsche  zeigt,  die  au  dem  Begriff  der  Sippe  anderen  Sippen 

igenilber  haftet.     Dieser   eoibryouiselie  Kern   jedes  Strafrechts 

lAsst  sich  uoeh  bei  alleu  idg.  Vütkeni  nachweisen,  bei  den  eiiieu, 

wie  Afghanen,  Albnneseu,    auf  Korsika  niid  Sardinien,    bei    den 

SlldslAveu    (vgl.    Miklosich    Die    Blutrache    hei    den    Siaven, 

teiikschr.  d.  Wiener  Ak.  pbii.-hist.  Kl.  XXXVI,  127  ff.  uud  St. 

ki  Über  die   wrozda,   Warschau   1899}    fast    bis    in  die 

Gegenwart  hereiuragend,    bei    den   anderen,    wie   deu   Griechen, 

armsuen,    Kelten,  Ostslaven    wenigstens    in    der    ältesten  über- 

rferong  noch  in  voller  Deutlichkeit  erhalten,    bei    deu    dritten, 

toie  im  Awesla,  Veda  uud  bei  den  Riimern,  nur  noch  in  Spuren 

rprhsndeu.     Am  energischsten  haben    die  Römer,    das   Juristisch 

jilagteste  der  idg.  Völker,  schon  zur  Zeit  der  ältesten  Quellen 

^e  Stufe  der  Selbsthilfe  verlassen,  deren  Spuren  nur  im  Privat- 

^afreeht  noch  deutlich  hervortreten  (vgl.  üitzig  a.  a.  0.  p.  36j, 

pihrend   sie    im    Öffentlichen  Strafrecht    kontrovers  sind,     über 

tiiadieiai,  v-indirfa  vgl.  oben  p.  .^84  f.     Überall  aber,  wo  uns  bei 

Indogermanen  das  Institut    der  Blutrache    begegnet,   treffen    wir 

aagleicb  die  Müghcbkeil  an,   die  Rache  der  geschädigten  Sippe 

ircb  das  Wergeid  abzukaufen  und  damit  die  Konsequenzen  der 

Htst  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  forterbenden  Fehde    zu  niU- 

So  heisst  es  schon  bei  Homer: 

>cai  fiiy  ils  le  xuoij'vj/ioio  '/'OF^« 
^oiri/f  1/   or  ^aii6i  i6iiaia  te&rr/iäius' 
xal  ^'  6  /ih-  ir  li^fiiii  fihei  ai'noft    :i6XX'  rLioitoa;, 


Fdr  die  Germanen  gilt  der  Satz  des  Tacitus  Germ.  Kap.  21 : 
äpere  tarn  inimicitias  seu  patris  aeii  propinqui  quam   ami- 


—    896    — 

citias  necesse  est;  nee  implacabiles  durant:  luitur  enim  etiam 
Jiomicidium  certo  armentorum  ac  pecorum  numero  redpüque 
satisfactionem  universa  domus.  Auch  im  Awesta  werden  Mord- 
taten durch  Geldsummen  {^aStö-6inanhö)y  zuweilen  auch  durch  die 
Darbringung  junger  Mädchen  {näiri-dinanhö),  gebüsst  (W.  Geiger 
Ostir.  Kult.  p.  453,  andere  Bartholomae).  Da  nun  RothZ.  d. 
D.  M.  G.  XLI,  672  (vgl.  auch  Bühler  Das  Wergeid  in  Indien, 
Festgruss  an  Roth  p.  44)  ebenso  im  Veda  die  Spuren  des  Wer- 
geides nachgewiesen  hat,  welches  hier  sogar  mit  einem  dem 
germ.  agls.  w^re,  mhd.  were  (=  ahd.  toeragelt)  entsprechenden 
väira,  väira-deyay  väira-yätana  benannt*)  wird,  so  werden  wir 
nicht  irren,  die  Möglichkeit  der  Ablösung  der  Blutrache  durch 
eine  Viehbusse  bereits  als  indogermanisch  anzusehen. 

Das  Verbum,  welches  ursprünglich  die  Ausübung  der  Rache, 
sowohl  die  blutige  wie  auch  die  durch  Busse  herbeigeführte,  be- 
zeichnete, war  scrt.  ci,  med.  cdy^y  aw.  Ä,  griech.  xlvofiai.  Das 
dazu  gehörende  Substantivura  ist  aw.  kainä  „Strafe,  Vergeltung, 
Rache"  =  griech.  noivri  „Blutrache"  und  „Wergeid". 

Wenn  es  somit  keinem  Zweifel  unterliegen  kann,  dass  eine 
grosse  Zahl  von  Übeltaten,  deren  Verfolgung  in  historischer  Zeit 
dem  Strafrecht  zufällt,  in  der  idg.  Urzeit  noch  der  „Menschen- 
rache", Selbsthilfe  oder  Sippenrache  überlassen  war,  so  geht  die 
Mommsensche  Frage  doch  dahin,  ob  dies  bei  allen  der  FaD 
gewesen  sei,  oder  ob  bei  gewissen  Verbrechen  bereits  eine  Straf- 
verfolgung seitens  der  Allgemeinheit  stattfand,  unter  der  in  Be- 
ziehung auf  die  idg.  Verhältnisse  nach  den  Ausführungen  des  vorigen 
Kapitels  nur  der  Stamm  verstanden  werden  kann.  Indessen 
kann  eine  entscheidende  Antwort  hierauf,  ebenso  wie  auf  die 
weitere  Frage,  ob  gewisse  Übeltaten  in  der  Urzeit  als  den  Zorn 
und  die  Strafe  der  über  der  Allgemeinheit  waltenden  Gottheiten 
herausfordernd  angesehen  wurden,  erst  in  den  folgenden  Ab- 
schnitten gegeben  werden. 

2.  „Das  Eintreten   der  Gemeinde   in    die  Ahndang 
solcher    Verfehlung    des    einzelnen    Menschen    ist   die 


1)  Hingegen  dürfte  altruss.  vira  eine  Entlehnung  aus  dem  0er- 
manischen  sein;  doch  sieht  L.  v.  Schröder  Indogermanisches  Wer 
geld,  Festgruss  an  Roth  p.  49  auch  dieses  Wort  als  urverwandt  mit 
bcrt.  vdira  an. 


ßeoesis 


n/*tu 


des  Siraf verfaliiens.  Dieser  Vorgang  seibat 
it,  wie  alle  Zeugung,  nur  retrospektiv  erkennbar; 
ber  die  Frage  kann  gesti-llt  werdeu,  ob  und  wie  für 
lese  drei  Momente  —  Verbrechen,  Strafe,  Strat- 
eriebt  —  sich  Begriffe  und  teehuiBcbe  Bexeiehnungeu 
ingestellt  haben." 

Die  Beantwortung  dieser  l'^'age  seitens  der  oben  genannten 
limtelforscber  zeigt,  dass  die  Terminologie  ftlr  die  BegiiFfe  Ver- 
sehen, Strafe  und  Strafgericht  in  den  älteren  Epucben  der 
EinzeUpracbeu  noch  sehr  dürftig  aasgebildet  war.  „Technische 
Bezeicbnungen  fllr  Verbrechen  {Adixtj/ia)  und  Strafe  (dtnij,  Cvf'^> 
Tiftui^ia}" ,  sagt  Preudenthal  hinsichtlich  des  Griecbiscben, 
id  erst  in  der  Prosa  des  fünften  vorcbristlieben  Jahrhunderts,  und 
'ar  ioBbesondere  bei  den  Attikern,  festzustellen.  Während  ferner 
ler  umfassendere  Begriff  des  Gerichtes  idixaatijffior)  dem  grie- 
chischen Rechte  bekannt  ist,  fehlt  ihm  ein  besonderes  Wort  für 
■Strafgericht."  Anch  das  älteste  römische  Strafrecbt  entbebrt 
eines  aUgemeinen  technisebeo  Wortes  zur  Bezeichnung  der  Strafe 
■od  des  Vergehens.  Für  den  ei-steren  Begriff  verwendet  das 
PUesIe  öffentliche  .Strafrecht,  das  nur  die  Todesstrafe  kennt 
Xs- a.),  suppUciiim,  das  nach  Momnisen-Hitzig  „Kniebeugung" 
ivon  der  knieenden  Hallting  des  Hinzurichtenden)  bedeuten  würde, 
wahrscheinheh  aber  eigentlich  „Besänftigung"  sc.  der  Götter 
(s.  n.j  bezeichnet.  Der  älteste  Ausdruck  fUr  Frivatstrafe  ist 
^mnum  „das,  was  gegeben  wird".  Von  der  gleichen  Bedeu- 
tung aus  hat  siah  poena,  entlehnt  aus  dem  oben  genannten  griecb. 
.•wxviy,  allmählich  zu  einer  Bezeichnung  der  Strafe  Uberbaupt  ent- 
wickelt. Als  allgemeine  Benennungen  des  Vergehens  kommen 
ehesten  noj^a,  der  schädigende  Erfolg  des  Vergehens  [nocere), 
id  delktum,  die  sittliche  Verfehlung,  in  Betracht.  Auch  für 
Strafverfahren  fehlt  eine  allgemeine  Bezeichnung.  Im  Ger- 
anischen (vgl.  Branner  nud  Roethe  a.  a.  0.)  gibt  es  ein 
leingermaniscbes  Wort  für  Verbrechen  (got.  fairhia,  agls. 
ahd.  firhia)  und  fllr  Strafe  (got.  fraveit,  abd.  tchi;  vgl. 
mser  „Verweis"!;  hingegen  fehlt  ein  aller  Ausdruck  für  Ge- 
richt, zu  dessen  Bezeichnung  vielmehr  lange  „die  uralten  Aus- 
drflcke  fllr  „Versammlung"  (Ding,  Mahl)  mitbenutzt  werden". 
Indien  (vgl.  Oldenberg  a.  a.  0.)  ist  der  technische  Ausdruck 
das  Delikt  aparädha  „Verfehlung'^,    dem    für  Strafe  dan^a, 


—    398    — 

Wörtlich  „Stock**,  entspricht;  doch  waren  beide  Wörter  zur  Zeit 
des  Atharyaveda  wahrscheinlich  noch  nicht  ausgeprägt.  Ganz 
mangelhaft  ist  auch  die  Terminologie  des  Begriffes  von  Becht 
und  Gericht  entwickelt.  Ein  jüngerer  Ausdruck  ist  vyavahäray 
^geschäftliches  Treiben"  (business). 

Bei  so  bewandten  Dingen  wird  man  sich  nicht  wundeni 
dürfen,  dass  auch  das  Lexikon  der  idg.  Grundsprache  arm 
an  Bezeichnungen  für  die  Begriffe  Verbrechen,  Strafe  und  Straf- 
gericht ist.  Der  am  schärfsten  ausgeprägte  Ausdruck  für  Ver- 
brechen liegt  in  der  Gleichung: 

scrt.  ä'gas  =  griech.  äyog 
vor,  deren  eigentliche  Bedeutung  uns  unten  (vgl.  u.  4)  d» 
näheren  beschäftigen  wird.  Daneben  wäre  noch  auf  lat.  sotiSf 
sontis  „schuldig"  =  ahd.  sunta,  agls.  st/nriy  altn.  synö  „Sünde* 
zu  verweisen.  Eine  ganz  allgemeine  Bezeichnung  der  Strafe 
enthält  die  Gleichung  lat.  eastigo :  scrt.  (;ägti  „Züchtigung".  Ffir 
die  Benennung  des  Strafverfahrens  ist  darauf  zu  verweisen,  dass 
das  im  vorigen  Kapitel  besprochene  scrt.  sdbhä  =  got.  sibja^ 
eigentlich  „Sippenversammlung",  „Sippe"  im  Sanskrit  auch  die 
Bedeutung  „Gerichts Versammlung"  angenommen  hat,  wodurch 
sich  ein  wichtiges  Analogen  zu  der  oben  erwähnten  Bedeutung^* 
entwicklung  des  ahd.  mahal,  got.  mapl  „öffentliche  Versamm- 
lung" darbietet. 

Im  übrigen  würde  eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Ter- 
minologie der  Begriffe  Verbrechen,  Strafe,  Gericht  im  Sinne  dcs^ 
VIII.  Kapitels  des  ersten  Teiles  dieses  Werkes  (Kulturhistorische 
Begriffsentwicklung)  ohne  Zweifel  wichtige  Tatsachen  ftlr  die 
Beantwortung  der  Mommsenschen  Frage  zutage  fördern.  Ein 
bescheidener  Anfang  dazu  ist  in  meinem  Reallexikon  s.  v.  Ver- 
brechen, Strafe,  Recht  gemacht  worden. 

3.  „Die  staatliche  Ahndung  trifft  die  menschliche 
Verfehlung  immer  nur  in  ihrer  äusseren  Erscheinung; 
aber  früh  vollzieht  sich  die  Ausscheidung  der  von  dem 
menschlichen  Wollen  unabhängigen  menschlichen  Ver- 
fehlung von  derjenigen,  die  aus  sittlich  fehlerhaftem 
Willen  hervorgeht.  Erst  damit,  dass  die  staatliche 
Ahndung  sich  nur  gegen  diejenige  äusserliche  Yet- 
fehluüg  richtet,   welche   durch   eine   seelische   hervor- 


uerufeii  wird,  troieii  die  Hefrriffe  des  Verbrechens  und 
die  Korrelaten  des  StrafprozeRses  niid  der  Srrafe  in 
lie  Erßc'lieinaag." 

Fllr  die  id^.  Urzeit  ist,  wie  ce  scheint,  von  einem  Zustand 
l.«ittlielien  Empfindens  ansxugchen,  in  dem  ein  Unterschied  zwi- 
litcheD  gewollter  and  nicbt  gewollter  Übeltat  nicht  gemacht,  son- 
dern lediglich  der  objektive  Tatbestand  in  Erwägnug  gezogen 
wurde.  Dieser  Zustand  liegt  in  dem  heroischen  Zeitalter  der 
Griechen  nucb  deutlich  vor  un&  (vgl.  Hermann-Thalheim 
Lebrbnch  der  griech.  Rechtsalt.  ji.  121*,  Rohde  Psyche  I*,  265, 
Gilbert  Heiträge  x.  Entw.  d.  grieeli.  Gerichtsverfahrens  in 
Fleckeisens  Jahrb.  XXIII.  Suppl.  Ö04).  Dasselbe  ist  in  der  ger- 
manischen Götter-  nnd  Heldensage  der  Fall  (vgl.  Brunner 
nd  Koetlie  a.  a,  0.  p.  55  und  64).  Auch  hmsichtlich  der 
Inder  bemerkt  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  TU:  „Die  Tendenz  ethi- 
when  Fortsehritts  im  Strafrecht,  welche  schliesslich  dahin  führt, 
las  unabsichtliche  Vergehen  der  .Strafe  zu  entziehen,  ist  im  Recht 
ider  indischen  Rechtsbllcher  längst  erwacht,  aber  doch  noch 
veit  davon  entfernt,  ihr  Ziel  erreicht  zu  haben."  Mehr- 
Cach  tritt  der  nicht  gewollten  Übeltat  gegenüber  die  Eutsühnung 
(piaeulum,  e.rpiatio)  an  Stelle  der  Strafe  (vgl.  Hitzig  a.  a.  0. 
p,  34  hinsichtlich  der  Römer,  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  76  hin- 
Mchtlich  der  luder). 

Es  ergibt  sich  also,  dass  alle  Versuche,  eine  Übeltat  nach 
dem  ilir  zugrunde  liegenden  fehlerhaften  Willen  za  beurteilen, 
erst  der  Entwicklung  der  Einzcivdlker  augehören,  und  da  wir 
anter  2)  einen  deutlichen  bereits  idg.  Ansdrnck  für  das  Ver- 
brechen (scrt.  ä'ga«  =  griech.  äyot;)  kennen  gelernt  haben,  so 
kann  der  Mimimsensche  Gedanke,  dass  die  Begriffe  des  Ver- 
brechens usw.  rill  derSprache?r  erst  in  die  Erscheinung  getreten 
seien,  als  die  staatliche  Ahndung  sich  nur  gegen  diejenige  ausser- 
liehe  Verfehlung  zu  richten  angefangen  habe,  die  durch  eine 
««elische  hervorgcrnfen  worden  sei,  nicht  für  richtig  gelten 
(s.  n.  4). 

Solche  Versuche,  zwischen  gewollter  und  nicht  gewollter 
Übeltat  zu  unterscheiden,  niiVgeu  bei  den  EiuzelvOlkern  teilweise 
in  sehr  frühe  Zeit  zurückgehen.  Auf  germanischem  Boden 
gehnrt  hierher  die  Ansbildang  des  allen  ätammen  eigenen  Aos- 
dnicks  ahd.  fäni,    agis,  fär  „Nachstellnng"    (gol.  ßrja   „Nach 


—    400    — 

Steiler^),  der  in  Ablaut  zu  dem  oben  genannten  gemeingermani- 
sehen  got.  fairina  „ Verbrechen'*  zu  stehen  schein t,  so  dass  ein 
Verbrechen  diejenige  feindliche  oder  schädliche  Handlang  wäre, 
der  eine  „Nachstellung^  zugrunde  liegt.  In  Qriecfaenland  hat 
man  frühzeitig  den  Unterschied  zwischen  ixovoiog  (scrt.  u^, 
ugäntam  „wollend^)  und  äxovoiog  auch  in  Beziehung  auf  die 
meuschlichen  Verfehlungen  erkannt,  aber  noch  im  ältesten  Attika 
(Paus.  I,  28;  8)  bestand  in  dem  Palladion  ein  besonderer  Ge- 
richtshof Toig  äjzoTCTeivaoiv  äxovoioig.  In  Rom  unterscheidet  man 
in  den  Königsgesetzen  zwischen  prudens  und  imprudenSf  oder 
bezeichnet  den  vorsätzlichen  Mörder  mit  dolo  sciens  morti  duU 
(lat.  dolus  =  griech.  dokog).  Innerhalb  der  imprudenten  oder 
nichtdolosen  Handlungen  gewinnt  man  dann  später  den  unter- 
schied zwischen  culpa  (altlat.  colpaj  osk.  kulupu;  leider  ety- 
mologisch ganz  dunkel,  vgl.  Walde  Lat.  et.  Wb.)  ^Fahrlässig- 
keit" und  casus  „Zufall". 

4.  „Die  staatliche  Ahndung  der  Straftat  des  ein- 
zelnen richtet  sich  zunächst  und  notwendig  gegen  die 
der  Gemeinde  selbst  zugefügte  Schädigung  [lat.  crimen 
publicum]^  nicht  als  Notwehr,  wie  sie  der  Kriegführung 
zugrunde  liegt,  sondern  als  Vergeltung  des  Bruches 
der  dem  Genieindeverband  zugrunde  liegenden  sitt- 
lichen Verpflichtung." 

Es  ist  hier  nunmehr  der  Platz,  über  den  eigentlichen  Sinn 
der  schon  unter  2)  und  3)  genannten  idg.  Gleichung  scrt.  d'goi 
=  griech.  äyog  {dnägas  —  dvaytjg)  zu  handeln.  Indem  ich  mich 
hierbei  auf  die  Ausführungen  meines  Reallexikons  p.  905  beziehe, 
ergibt  sich,  dass  in  der  älteren  griech.  Literatur  der  Ausdruck 
äyog  in  Beziehung  auf  folgende  Straftaten  angewendet  wird; 
auf  Landesverrat,  Königsmord,  Eingriff  in  die  königUche  Ge- 
walt, Vatermord,  Verletzung  der  Bestattungspflicht  und  de« 
Asylrechtes  der  Götter.  Setzen  wir  diesen  Bedeutungsinhalt 
des  griech.  äyog,  wogegen  der  (seltene)  Gebrauch  des  scrt 
ä'gas  jedenfalls  nicht  streitet,  in  seinen  Grundzügen  bereits  ab 
indogermanisch  an,  so  ergibt  sich,  dass  schon  in  der  idg.  Urzeit 
der  Begriff  des  öffentlichen  Deliktes  erkannt  worden  war,  indem 
die  gegen  die  Allgemeinheit  oder  gegen  die  diese  schirmenden 
Geister  und  Götter  gerichteten  Untaten  als  „Frevel"  oder  „Greuel* 


401 


(ä'gas  =  Hj'os)  bezeicliuet  wurden.  Als  seli  tat  verstau  dlicli  folgt 
weiterhin  hieraus,  dnss  solcfae  Verbrechen  nicht  der  „Menucfaen- 
rache"  oder  beaser  „Privatrache"  {Sippenrache)  Überlassen  bleiben 
konnten,  sondern  vor  der  Allgemeinheit,  gegen  die  sie  gerichtet 
waren  (vgl.  oben  über  scrt.  eabhä'  „Gerichtshof"),  auch  fest- 
gestellt  und  von  ihr  geahndet  wurden.  Am  sfliärfsten  ist  dieser 
also  schon  idg.  Begriff  des  öffentlichen  Vergehens  (crimen 
pyAlicum,)\m  ältesten  rJimischen  Kei'ht  erhalten.  „Es  ist  nach 
rßniischer  Auffassung  die  der  ücnieinde  selbst  zugefügte  Schä- 
digung; das  Einschreiten  der  Gemeinde  erscheint  ursprünglich 
als  ein  Akt  der  Selbsthilfe  des  Gemeinwesens;  die  Strafverfolgung 
und  .Strafvollstreckung  steht  bei  den  Organen  des  Oenieiuwesens; 
die  Strafe  ist  öffentliche  Strafe"  (Hitxig).  Nur  solche  Verbrechen 
werden  in  der  ältesten  Zeit  mit  öffentlicher  Strafverfolgung  be- 
droht, die  sich  unmittelbar  gegen  die  Existenz  des  Gemeinwesens 
richten,  die  perduellio,  woruuler  ursprünglich  nicht  nur  Überlauf 
und  Landesverrat,  sondern  auch  die  Tötung  des  Gemeinde- 
beamten (vgl.  Hitzig  p.  37)  zu  vei-stehen  ist,  und  das  socrilegium, 
Entwendung  und  Schändung  der  Heiligtümer,  beide  also  in- 
haltlicb  sich  mit  dem  griech.  äyo^  deckend.  Aber  auch  bei  den 
Germanen  (vgl.  Roethe  p.  65)  tritt  die  Scheidung  zwischen 
üffentlichem  und  privatem  Delikt  uns  noch  mit  genügender  Deut- 
lichkeit insofern  entgegen,  als  die  Straftaten,  je  nachdem  sie 
„Acht"*  oder  „Fehde"  (lllütrache)  hervorrufen,  sich  in  zwei 
Gruppen  sondern  lassen.  Von  diesen  entspricht  die  erstere, 
welche  die  sogenannten  „Meintaten"  (abd.  mein,  agls.  man,  altn. 
mein  „Falschheit,  Unrecht,  PVevel"),  wie  Landesverrat,  herisliz, 
Tötung  geheiligter  Personen,  Sakrileg  unifasst,  ungefähr  dem 
Kreis  des  griech.  Syog,  nur  dass  bei  den  Germanen  hierher  be- 
reits eine  Anzahl  von  Untaten,  wie  Mord  (d.  i.  verheimlichter 
Totschlag)  und  Brandstiftung  gestellt  wurden,  die  von  Hans  aus 
nicht  hierher  gehören.  Die  Aburteilung  solcher  Meintaten  durch 
das  concilium  wird  von  Tacitus  Germ.  Kap,  12  geschildert: 
distinctto  poenarum  ex  delicto:  proditores  et  trannfugas  arbo- 
rihuif  mspendunt,  ignavox  et  imbeUes  et  corpore  infames  coeno 
ac  palude  inievta  inxuper  crate  merguni. 

So  kann  also  nunmehr  auch  auf  die  erste  der  oben  (unter  1) 
gestellten  Fragen,  ob  nämlich  in  der  idg.  Urzeit  die  Verfehlungen 
des  Menschen  lediglich  der  Menschenrache  (Privatrache)  Über- 


—    402    — 

lassen  gewesen  seien,  eine  bestimmtere  Antwort  als  bisher,  und 
zwar  in  verneinendem  Sinne  gegeben  werden.  Neben  den 
ansscbliesslicb  der  Privatracbe  zufallenden  Vergebungen  des  Men* 
seben  stand  vielmehr  schon  in  der  Urzeit  ein  Kreis  von  gegen 
die  Allgemeinheit  gerichteten  Untaten,  die  in  dem  Lexikon  der 
Ursprache  als  scrt.  ä'ga^  =  griech.  &yoq  bezeichnet,  von  der  All- 
gemeinheit auch  untersucht  und  bestraft  wurden.  Dass  diese  Art 
von  Verbrechen  zugleich  auch  direkt  oder  indirekt  als  gegen 
die  Götter  gerichtet  angesehen  wurde,  deren  Zorn  es 
daher  zu  besänftigen  galt,  geht  ebenso  aus  dem  bisherigen  wie 
aus  dem  folgenden  (vgl.  u.  9)  hervor. 

5.  ^Die  staatliche  Ahndung  kann  weiter  sieh 
richten  gegen  die  dem  einzelnen  von  dem  einzelnen 
zugefügte,  zunächst  dem  Racheverfahren  unterliegende 
Handlung  als  Regelung  und  weiterhin  als  Beseitigung 
der  Selbsthilfe.  Die  Grenzen  und  Formen  dieses  staat- 
lichen Einschreitens  sind  durchaus  positiver  Art  und 
daher  in  stetigem  Flusse  begriffen." 

Als  ältester  Zustand  des  idg.  Strafrechts,  soweit  von  einem 
solchen  die  Rede  sein  kann,  ergibt  sich  aus  dem  bisherigen,  dass 
in  der  Urzeit  nur  solche  Untaten  als  „Verbrechen"  angesehen 
wurden,  welche  sich  gegen  die  Allgemeinheit  und  ihre  Gdtter 
richteten,  und  dass  nur  diese  von  der  Allgemeinheit  verfolgt  nnd 
bestraft  wurden,  während  die  grosse  Masse  der  den  einzdnen 
betreffenden  Delikte  der  Privat-  oder  Sippenrache  überlassen 
blieb.  Die  weitere,  mit  ihren  Anfängen,  wie  wir  noch  seben 
werden,  vielleicht  noch  in  vorgeschichtlichen  Völkerzusammen- 
hängen wurzelnde  Entwicklung  ist  nun  die,  dass  mit  dem  Über- 
gang des  Stammstaates  (Kap.  XIII)  in  den  politischen  Staat 
einerseits  der  Kreis  der  öffentlichen  auf  Kosten  der  privaten 
Delikte  immer  mehr  erweitert,  andererseits  die  Selbsthilfe  oder 
Blutrache  von  der  Gesetzgebung  des  Staates  zunächst  Obemommen 
und  geregelt,  dann  immer  mehr  beschränkt  und  schliesslicb  be- 
seitigt wird.  Diese  Entwicklung  lässt  sich  naturgemäsS  deut- 
licher bei  den  nordeuropäischen  Völkern,  als  im  Sflden  verfolgen. 
So  beginnt  z.  B.  die  älteste  Fassung  des  russischen  Rechtes 
in  der  Pravda  Jaroslavs  mit  den  beiden  Sätzen:  1.  ^Erschlägt 
der  Mann  einen  Mann,   so    räche  der  Bruder   den  Brnder,   oder 


r  Sohn  den  Vntev,  oder  der  Valer  den  Solui,  oder  der  Bruders- 
ilin  oder  der  Scbweatersihu.'    2.  „Wenn  niemand  da  isr,  welclier 
Ichf,  dann  40  Grivneii  für  den  Kopf,   wenn  es  ein  Rnfise  .  .  . 
iiBw.     Das  Geael/.    hat    hier   aiso   die   alte  volkstllmtiehe 
Einriehtnng:    der  BIntraehe    ganz    einfach  ilbernummen,    hat   die 
Bereehtignng    nt    ihr    aber   anf  bestimmte  Verwandtscbahskreise 
beschrfinkt  und,  „wenn  niemand  daist,  der  rftche",  ein  Wergeid, 
das    ohne    Zweifel    zunächst     der    Gesehildigte    ungeschmälert 
empfängt,  festgesetzt.  Bei  den  Germanen  (vgl.  Brunner  a.  a.  0. 
p.  56)  hatte   schon    /.nr  Zeit    dea  Tacitus  „in  Fehdesachen"    der 
Verletzte    die  Wahl    zwischen  Rache    im  Wege   der  Fehde   und 
Geltendmacliung  eines  Anspruchs  :uif  .Sllhngeld  (Wergeid,  Bussci, 
ffird  es  eingeklagt,  so  fällt  ein  Teil  der  Compuaitio  als  Friedens- 
leid Ifrednn,    fries.   fretko,    agis.  wite    an    die    Rechlsgcnoasen- 
jtebaft    t'Tac.   Germ.   Kap.   12:    Pars   mulctae   regi    eel    civitaii, 
trt  ipai,  tpii  vhidicatur,  cel  propinquis  eiu«  exsohitnr).     „Mit 
rstarkung   der   Staatsgewalt    wird    der  Kreis    der    Missetaten, 
Inrf«  faida  crescere  potest,  mehr  und  mehr  eingeschränkt.''     In 
|tom    'vgl.  Hitzig  p.  36)    zeigt    besonders   die  Geschichte  des 
nivatdelikts  sowohl  das  einstige  Bestehen  wie  auch  die  allmfth- 
Isbe  Uherwindnug    der    Selbsthilfe.     Noch    in    den    XII  Tafeln 
VUI,  2,  Schftll)  steht  der  Satz:    .sV   memhrum    mpsit,   ni   cum 
_  t  paeit,  tafio  esto  („Vergeltung  durch  Gleiches  mit  Gleichem"). 
Doch  steht  daneben    (VIII,  3)    die    weitere  Bestimmung:    Manu 
fUstite  ni  OH  fregit  lihero,  C.C.C,  ai  serno,  C.L.  poenam  („Busse", 
_8.  o.i  subito. 

Diese  wenigen  Beispiele  niügen  ftlr  die  Charakterisierung 
ieser  in  der  Form  verschiedene»,  im  Prinzip  überall  gleichen 
Intwicklung  genttgen,  die,  abgesehen  von  einzelnen,  in  die  Ur- 
Mt  zurückgehenden  Spuren  Is.  u.)  auf  dem  Boden  der  Einzel- 
Blker  verläuft  nnd  daher  hier  nicht  ausfllbrlieher  erflrtert  zn 
Irerden  braucht. 


).     „Das    Strafverfahren    hat    die    staatliclie   Ord- 

lang,  das  Gesetz,  zur  Voraussetzung  und  ist  notwendig 

iv.     Fl\r    Erkenntnis    der    vergleichenden    Volke r- 

(itwicklnng  dürfte  es  vnrztigsweiae  sich  eignen,  weil 

hncrseits   die    eigentlich    primitiven  Zustände    hinter 

amselhen  liegen,  andererseits   die  Individualität  der 


—    404    — 

Völker  hier  in  frühester  Zeit  und  unter  im  grossen 
und  ganzen  gleichartigen  Voraussetzungen  dabei  in  die 
Erscheinung  tritt.  Eine  möglichst  prägnante  Zu- 
sammenfassung der  erkennbaren  Grundformen  des  Ver- 
brechens (7),  der  Ermittlung  (8),  der  Strafe  (9)  scheint 
sich  zu  empfehlen." 

Die  „Ordnung",  die  dem,  wie  wir  gesehen  haben,  schon  in 
der  idg.  Urzeit  in  Beziehung  auf  publica  crimina  vorhandenen 
Strafverfahren  zugrunde  liegt,  ist  die  auf  uralter  Sitte  (scrt. 
svadhä'  „gewohnter  Zustand",  „Eigenart"  =  griech.  S&og  «Ge- 
wohnheit,  Sitte,  Brauch";  vgl.  auch  got.  sidusy  altn.  sidr,  abd. 
situ)  beruhende  der  Sippe  und  des  Stammes  und  ihrer  Versamm- 
lungen (vgl.  Kap.  XIII).  Gesetze  im  Sinne  der  von  einem  Gesetz- 
geber erlassenen  und  schriftlich  niedergelegten  Satzungen  waren 
damals  natürlich  noch  nicht  vorhanden  (vgl.  mein  Realiexikon 
u.  Recht).  Immerhin  scheinen  Sprachreihen  wie  griech.  91- 
jLuoreg,  scrt.  dhä'man,  got.  ddms :  griech.  ridTj/M  „ich  setze"  oder 
lat.  lex  =  altn.  log,  PI.  „Gesetz"  :  got.  ligan,  lagjan  „liegen", 
„legen"  darauf  hinzudeuten,  dass  sich  in  jenen  Sippen-  und 
Stammesversammlungen  schon  in  der  Urzeit  bei  den  unter  Lei- 
tung des  Sippen-  und  Stammesvorstehers  {rix)  stattfindenden 
Verhandlungen  über  die  gegen  die  Allgemeinheit  gerichteten 
Missetaten  gewisse,  natürlich  noch  sehr  flüssige  und  von  der 
Stimmung  des  Augenblicks  beeinflussbare  Grundsätze  ausgebildet 
hatten,  die  einmal  „gesetzt",  auch  für  zukünftige  Fälle  als  Vor- 
bild dienten.  Was  sodann  die  einzelnen  Seiten  dieses  demnach 
schon  für  die  Urzeit  vorauszusetzenden  Strafverfahrens  anbetrifft, 
also  die  Fragen,  welche  einzelne  Verbrechen  schon  damals  ab 
solche  deutlich  erkannt  und  benannt  waren,  welche  Mittel  man 
anwandte,  um  den  Schuldigen  zu  ermitteln,  in  welcher  Weise 
man  ihn  bestrafte,  so  lässt  sich  hierauf  vom  Standpunkt  der  idg. 
Altertumskunde  bis  jetzt  das  Folgende  antworten: 

7.     „Grundformen    des    Verbrechens:    a)    Unmittel- 
barer Angriff  auf  den  Staat  (Überlauf,   Landesverrat). 

b)  Tötung    der  von   der  Gemeinde  geschützten  Person. 

c)  Entfremdung  des  Gemeindeeigentums,  d)  Entfrem- 
dung des  von  der  Gemeinde  geschützten  Privateigen- 
tums,    e)    Blutschande,     f)    Notzucht   und    Verfflhrang 


405 


r  Jungfrau    und  der  Ehefrau,     g)  Kflrperverletznng-. 
fe)  SachheBchädignng." 

Wie  für  die  Erkenntnis  der  Entwjckinng  des  Verbrechens- 

'Iwgriffs  im  allgemeinen  (vgl.  ii.  2),  8«  würde  es  anch  för  die 
Frage,  wie  die  einzelnen  Verbrechen  allmälitich  erkannt  worden 
sind  nnd  sieh  gegeneinander  abgegrenzt  haben,  von  bober  Be- 
dentnng  sein,  wenn  die  etymologische  Forschung,  die  hierbei  in 
erster  Linie  heranzuziehen  ist,  mehr,  als  es  bis  jetzt  zn  ge- 
schehen pflegt,  die  einschlägigen  Wörter  und  Wortgmppen  nicht 
einzelnen,  sondern  nach  kulturhistorischen  Kategorien  geordnet 
imtersTichen    wollte,    ein  Weg,    den    ich    in   meinem  Reallexikon 

_  (8.T.  Mord,  Diebstahl,  Raub,  Verwandtenelie  (Blutschande), 
tTotzncht,  Ehebruch,  Körperverletzung)  eingeschlagen  habe. 
Einige  wiebtigere  Ergebnisse  sind  hierbei  die  folgenden: 

Ad  b).  Tötungaverhreeben,  Während  die  Tötung  eines 
iDversippten  Mannes  in  der  Urzeit  ganz  und  gar  der  Piivatrache 
wrlassen  war  und  in  keiner  Weise  dem  Begriffe  des  ä'gas  — 
ffyos  untergeordnet  wurde'),  musste  bei  der  ausserordentlichen 
Bedeutung  des  Verwand tsehaftsverband es  hei  dem  Drvolk  die 
Erschlagung  eines  Sippeugenossen  als  etwas  ungeheures  erscheinen 
und  frdhzeitig  eine  Bezeichnung  fordern.  Eine  solche  liegt  in 
dem  lat.  p^ri-cida  vor,  das  von  den  neueren  Etymologen  (vgl. 
z.B.  Brugmann  Grundriss  1%  2,  801,  W.  Prellwitz  Et.  Wb.  d. 
griech.  Spr'  p.  367,  A.  Walde  Et.  Wb.  d.  lat.  8pr.  p.  449) 
nahezu  einstimmig*)  zu  griechisch  .tijo;  aus  *päso-s  „der  Ver- 
wandte" gestellt  wird.  In  der  Tat  kann  eine  schlagendere  Wort- 
erklärung gar  nieht  gefunden  werden,  und  die  Juristen  würden 
daher  gut  tun,  die  sprachlich  gar  nicht  zu   begründende  Momm- 

-«enache  Auffassung    des   par{r)icidium    als    „arger   Mord"  {per- 

1)  So  ist  es  noch  bei  Homer.  So  wird  Od.  XV.  •>-22ff.  Theokly- 
aenoB,  der  in  Argns  einen  Mann  erM-hlageii  hatu  und  flüctitfg:  ward, 
«on  TelemachoB  aufgenoinnien,  ohne  dass  es  irgend  einer  Reinigung, 
wie  sie  später  Ubllcli  iai,  bedurft  hUtte.  Auch  Odysseus  eelbi^t  (Od. 
Sni,  256  ff.)  fürchtet  nicht  den  Abscheu  seioer  Hörerin,  »ts  er  in  einer. 

renn  auch  f^rdichteten,    ErzÄlilyng  sich  als  einen  Mann    hinstellt,    der 
I  andern  meuchlings  im  Hinlerhnlt  eriichlug. 

2)  Nor  Brtal  Mim.  »oc.  lingu.  XII.  76  hat  neuerdings  wieder 
kn  Vereueh  gemacht,  paricida  aus  'patricida  zu  erklaren.  Eine 
kehrlft  von  I.unalc  De  paricidii  vocia  origine,  Odessa  1900  ist  mir 
bebt  zugänglich  geworden. 


—    406    — 

dudlioj  periurus  etc.),  an  der  auch  Hitzig  (p.  87)  noch  festhält, 
endlieh  fallen  zu  lassen.  Inhaltlich  entspricht  dem  lat.  pariciia 
^Verwandtenniörder^  auf  keltischem  Boden  genau  altir.  fin-gal 
„Mord  eines  Stammesgenossen  oder  Verwandten^,  fin-galach  „one 
who  has  killed  a  tribesman^,  fin-galcha  Gl.  zu  parricidalia 
arma  (vgl.  über  ir.  fiiie  oben  p.  384  f.).  Die  früheste  Stelle,  io 
der  paricida  auftritt,  ist  ein  Königsgesetz  des  Numa:  si  qui 
hominem  liberum  dolo  sciens  morti  duü,  paricidas  esto.  Da 
nun  lat.  liber  ^frei^  zusammen  mit  griech.  iievdeQog  zu  alUL 
Ijudü,  ahd.  Hut  ^Volk^  gehört  (Beistimmung  bei  A.  Walde 
a.  a.  0.  p.  334),  also  eigentlich  den  Volksgenossen  bezeichnete, 
so  kann,  wie  dies  schon  Brunneume ister  Tötungsverbrecheo 
im  altröm.  Recht  (1887)  wollte,  der  angeführte  Satz  nur  bedeutei: 
„Wer  einen  Volksgenossen  (d.  h.  einen  zur  Allgemeinheit  des 
vStammes  oder  der  Stämme)  gehörenden  Menschen  absichtlich 
tötet,  soll  wie  ein  Verwandtenmörder  behandelt  werden,  d.  b.  er 
soll,  wie  die,  welche  die  Hand  gegen  die  Schwiegereltern  erhebt 
(oben  p.  360)  sacer  sein.  Damit  wird  der  Mord  oder  Totschlag 
überhaupt  dem  Begriff  des  ä'gas  —  äyog  eingereiht. 

Ad  d).  Eigentumsverletzung.  Während  mau  im  all* 
gemeinen  sagen  muss,  dass  die  Terminologie  der  einzelnen  Verbrechen 
sowohl  in  der  idg.  Grundsprache  wie  auch  in  den  älteren  Epocbes 
der  Einzelsprachen  noch  eine  sehr  unbestimmte  und  schwankende 
war,  macht  hiervon  die  Nomenklatur  des  Diebstahls  eine  sehr 
bemerkenswerte  Ausnahme.  Bereits  idg.  Bezeichnungen  für  dieses 
Verbrechen  liegen  in  den  Reihen:  scrt.  st^ndy  täyü  „Dieb",  aw. 
tdya  „Diebstahl'*,  altsl.  tati  „Dieb",  ir.  tdid  „Diebstahl";  griecb. 
hUtitio,  lat.  clepere,  got.  hlifan;  griech.  qxoQy  lat.  für.  Die 
neben  allen  diesen  Reihen  liegenden  Ausdrücke  für  „heimlich'^, 
„verstohlen"  (scrt.  stäydt  „heimlich",  altpr.  auklipta^  ,ver 
borgen",  lat.  furtim  „heimlich")  machen  es  sicher,  dass  mit  allen 
diesen  Wörtern  das  heimliche  Nehmen  im  Gegensatz  zu  de» 
offenen  oder  gewaltsamen  Nehmen,  dem  Raub,  der  noch  niehti 
entehrendes  hat^),  gemeint  ist.  Diesen  heimlichen  Dieb  darf 
man,  namentlich  des  Nachts  und  wenn  er  sich  zur  Wehre  setzt, 


1)  Noch  Telemachos  (Od.  III,  70  ff.)  nimmt  keinen  Anstoss  daran. 
(i;i8s  man  ihn  fragt,  ob  er  vielleicht  ein  Räuber  sei,  der  über  das  Meer 
schweife  und  unter  Einsatz  seines  Lebens  andern  Leid  bringe. 


4o: 


IBcb  deu  ältesten  griechiaclieu,  ittiuischeii,  germiiiiiaelieii  und 
slaviBchen  Ijesetxgebungen  (vgl.  die  ßi-lege  in  meinem  Keallexikon 
p.  137  fF.i  straflos,  töten,  worauB  sifli  viclleiebt  eine  sclion  idg. 
becbUanscliauung  ableiten  lässt,  der  zufolge  die  Tötung  dee  auf 
ffenerTal  ergriffeneu  Diebee  nie  Li  die  Blutracbederltetrcffeuden 
Ippe  hervorv-nrufen  pflegte.  Da  wir  ferner  im  folgenden  Ab- 
ihnitt  m,  l>)  Heben  werde»,  daes  selioii  in  der  Urzeit  walir- 
ifaeinlicb  ein  begtimnileg  Ermittln ng&verfubreii  gc^en  deu  nicht 
'  offener  Tat  ergriffenen  Dieb  beBtund,  sn  liegt  die  Vermutung 
das8  der  lieimlicbe  Diebstahl  oder  gewisse  Formen  des- 
riheu  schon  in  vorhistorischer  Zeit  in  deu  Kreis  der  von  der 
Allgemeinheit  verfolgbaren  Übeltaten  einbezogen  wurden,  ähnlich 
!  auch  bei  den  Germaneti  der  schwere  Diebstahl  y.u  den  uu- 
Uinbaren,  dnrch  Hjnrichtting  /.u  ahndenden  Meintaten  gerechnet 
Brunner  p.  57)  oder  in  Rom  fllr  den  Ernlediehtitahl  in  deu 
Wolf  Tafeln  Öffentliche  Strafverfolgung,  d.  Ii.  Todesstrafe  vor- 
»eheu  ward  (Hitzig  p.  39). 

Adea.  Fj.  Sittlichkeitsverbrechen.  Ihre  Terminologie  ist 
I  den  idg.  Sprachen  der  älteren  Zeit  besonders  dürftig  ausgebildet. 
'  Grund  dieser  Ei'scheinung  liegt  offeubar  darin,  daBS  auf  der 
ifamaligen  .Stufe  der  geschlechtlichen  Sittlichkeit  dem  Geschlechts- 
nltt  nicht  diejenige  eittliche  Bedeutung  beigelegt  wurde,  die  wir 
ihm  heute  beilegen  oder  beilegen  sollten.  Ob  man  ein  Weib 
'erwnndetc  oder  es  zum  Beischlaf  zwang,  in  beiden  Fällen  wird 
Han  nur  die  Gewalt  erblickt  haben,  die  ihr  angetan  wurde,  und 
»che  forderte.  So  ist  im  Griechischen  der  Begriff  der  Notzucht 
:  aus  dem  der  fiin  oder  i'/fou',  im  Lateinischen  erst  ans  dem 
Wo  fFrendenthal  p.  13,  Hitzig  p.  41 1  hervorgegangen, 
lutsprecbend  erkannte  man  im  Ebebrnch  das  eigentliche  Unrecht 
iäobt  in  dem  Beischlaf  mit  der  fremden  Ehefrau,  sondern,  ganz 
He  hei  dem  Diebstahl,  in  dem  heimlichen  Einbi-ueh  in  einen 
niden  Bezirk.  Ganz  wie  den  auf  offener  Tat  ergriffenen  Dieb, 
tarf  man  daher  auch  den  auf  offener  Tat  ergriffenen  Ehebrecher 
teh  römischem,  germanischem,  indischem,  griechischem  Recht 
trafloB,  d.  li.  ohne  sieb  der  Gefahr  der  Blutrache  auszusetzen, 
ten  (vgl.  die  Belege  in  meinem  Reallexikou  s,  v.  Eliebrucbl. 
I  Femer  ein  Ehebruch  des  Mannes,  ausser  mit  einer  fremden 
lefraa,  in  der  Urzeit  nicht  denkbar  war  [ölten  p.  344),  und  es 
W&Tter  fttr  Ehe  (nl>en  p.  334i    in    der   ältesten    Zeit    llbcrbaupt 


—     408    — 

nicht  gegeben  hat,  so  versteht  man  ohne  weiteres,  warum  die 
Nomenklatur  des  Ehebruchs  eine  junge  sein  muss.  Dasselbe  gilt 
von  derjenigen  der  Blutschande.  Zwar  waren  die  Heiratsbräache 
der  Urzeit  durchaus  exogame  (oben  p.  389),  aber  lediglich  ans 
wirtschaftlichen,  nicht  ans  sittlichen  Gründen.  Was  Roethe  p.66 
von  den  Germanen  aussagt,  dass  bei  ihnen  in  vorchristlicher  Zeit 
Blutschande  schwerlich  hart  bestraft*  worden  sei,  ist  gewiss  ab 
der  ursprüngliche  Zustand  anzusetzen,  zu  dem  auch  stimmt,  dass 
es  bei  den  nordeuropäischen  Völkern  eine  häufige  ErscheiiODg 
ist,  dass  der  Sohn  die  von  seinem  Vater  hinterlassenen  Weiber 
als  die  seinigen  übernimmt.  Wie  freilich  aus  derartigen  Ver- 
hältnissen in  vorchristlicher  Zeit  sich  z.  B.  bei  Indern  und  Römern 
das  Verbot  gewisser  Verwandtenehen  und  damit  der  Begriff  der 
Blutschande  entwickeln  konnte,  ist  noch  in  mancher  Beziehung 
dunkel. 

8.  „Das  Ermittlungsverfahren  steht  naturgemftss 
unter  den  Normen  des  historischen  Beweisens,  und  die 
positive  Satzung  greift  in  eigentlich  prinzipielle 
Fragen  hier  wenig  ein.  Die  folgenden  Punkte  indes 
dürften  allgemeine  Erwägung  verdienen. 

a)  Die  Unzulänglichkeit  der  einfachen  Befragung 
zur  Ermittlung  des  Tatsächlichen  drängt  auf  diesem 
Gebiet  sich  überall  auf.  Inwieweit  hier  Verstärkung!- 
mittel  der  Frage  durch  körperlichen  Zwang  (Folterung 
des  Angeschuldigten  und  des  Zeugen)  von  der  Geseti- 
gebung  zugelassen  oder  vorgeschrieben  sind,  verdient 
Erwägung." 

Über  das  Alter  der  Folter  und  ihre  Nomenklatur  bei  den 
idg.  Völkern  liegt  eine  eingehendere  Untersuchung  bis  jetzt  nicht 
vor.  Aus  der  Beantwortung  unserer  Frage  seitens  der  genannten 
Einzelforscher  scheint  hervorzugehen,  dass  es  sich  bei  diesem 
Zwangsmittel  der  Untersuchung  um  eine  den  Indogermanen  ur- 
sprünglich fremde  Erfindung  handelt,  die  zunächst  in  den  Ver- 
hältnissen des  Sklavenstandes  aufgekommen  ist. 

b)  „Dass,  was  der  Mensch  nicht  wissen  kann,  der 
Gottheit  bekannt  ist,  und  dass  diese  unter  umständen 
durch  bestimmte  Zeichen  die  Bejahung  oder  Ver- 
neinung   der   Schuldfrage   dem  Gerichte   kundgibt,  ist 


ne  weitere  KonBeqaenz  der  Uiiznläiiglichkeit  des  kri- 


wie 


Je  priniitiTer  das  kriminelle  ErmittlnngBverfahren  (vgl.  auch 
l'ti.  c)  uoch  bei  dem  idg.  Urvolk  geweeeD  sein  mnss,  eine  nm  80 
wichtigere  Rolle  wird  in  deaiselheo,  wie  es  noch  bei  den  Ger- 
manen  (Brunner  p.  58,  Roethe  p.  66)  der  Fall  war,  der  Eid, 
d.h.  der  Reiaigangeeid  des  Beschnidigten  gespielt  haben.  Dass 
der  Begriff  des  Eides  dem  idg.  Urvolk  wohlbekannt  war,  geht 
ans  den  Gleichnngen:  scrt.  am  (amit  „er  schwur"),  griecb. 
S/uwfii\  osset.  ard  „Eid",  armen,  erdnum  „schwöre",  altsl.  rota 
„Eid";  ir.  deth  =  got.  aiptt  mit  Sicherheit  hervor.  Dieser  älteste 
Eid  (vgl.  mein  Reallesikou  u.  d.  Wort)  charakterisieil  sich  als 
eine  Selbstverflttcbung,  die  man  unter  Berührung  eines  bestimmten 
Körperteils  oder  Gegenstands  in  dem  Sinne  gegen  sieh  aus- 
spricht, dass  der  berührte  Körperteil  oder  Gegenstand,  wenn  man 
die  Unwahrheit  sage,  Verderben  leiden  oder  einem  bringen  solle. 
Wie  bedeutsam  der  Eid  als  Reiiiignngsmittel  auch  auf  römischem 
Joden  in  jirähiRtorischer  Zeit  gewesen  sein  muss,  geht  dentlich 
1  dem  lat,  iüs  „Recht"  hervor.  Dieses  Wort  hat,  wie  i&räre 
^inen  Eid  leisten"  beweist,  ursprünglich  ^Eid"  bedeutet  und 
tatgpricht  etymologisch  genau  dem  awestisclien  *i/aos  in  yanidä 
„Reinigung,  Purifiitierung.  Entseuchung"  (scrt.  yöa  N.  „Heil"). 
Die  Grundbedeutung  von  lal.  iüs  kann  als"  nnr  „Reinigungseid" 
(vgl.  auch  altn.  manna  skirgf,  wßrtlich  „Mensehenreinignng" : 
got.  skeirg  „rein"  =  Eid)  gewesen  sein,  und  hat,  später  natür- 
lich vergessen,  dem  ganzen  Rechtsbegriff  seinen  Namen  gegeben'). 
Prinzipiell  auf  gleicher  .Stufe  mit  dem  Eid  stehl  auch  dasGottes- 
urteil  (vgl.  mein  Reallexikon  ».  d.  Wort),  das  im  Grunde 
nur  eine  verschärfte  Form  desselben  darstellt  und  daher  vielfach 

taeb  ebenso  wie  der  Eid  bezeichnet  wird  {vgl.  altn.  gudn  skinil 
Gottesurteil",  scrt.  <;apdtka  „Eid"  und  „Gottesurteil"). 
1)  Was  an  dieser  Bodeutuiigseutwicklung:,  sobald  rna;i  aiminimt, 
■es  das  rflmische  Reeht  in  prShiBtorischei'  Zeit  auf  gleicher  oder  ahn- 
ch«r  Stufe  nie  dns  altgeruinoiHche  gestaDden  hat,  iinwahrticheinUch 
sein  soll  (vgl.  Walde  Lal.  et.  Wb.  p.313),  verstehe  ich  nicht.  In  jedem 
Fall  hatl«  W.  für  dnn  auch  von  ihm  angenommenen  Zusnminenhatig 
zwischen  lat.  iüs  nnd  aw.  yaoidd  eine  wahrBcheiulicher«  Bpdeutunps- 
entwicklun^  ausfindig  machen  müssen,  bei  der  meines  Erachtens  immer 
vra  in»  .Eid*  (iuräre)  Auszugehen  wäre. 

Sprüh vurgUlehUDff  und  Urgeichlohte  U.   3,  Aufl.  21 


—    410    — 

Neben  dem  Reinigungseid  bestand  fttr  den  Fall  des  Dieb- 
stahls (7,  a)  schon  in  der  Urzeit  vielleicht  noch  ein  anderes  Er 
mittlungsverfahren,  die  feierliche  Haussuchung,  bei  der  der 
Bestohlene  nackt  und  von  Zeugen  begleitet  sich  in  das  Haus 
des  vermeintlichen  Diebes  begibt,  um  nach  dem  gestohlenen  Gnte 
zu  suchen  (vgl.  mein  Reallexikon  s.  v.  Diebstahl). 

c)  „Das  Ermittlungsverfahren  selbst  bewegt  sich 
in  zweiGrundformen,  der  magistratischen  Untersnchnng 
und  dem  durch  den  Magistrat  herbeigeführten  und  ge- 
leiteten Schiedsgericht.  Inwieweit  das  letztere  im 
Strafverfahren  zugelassen  wird,    verdient    Erwägung." 

Besondere  Personen,  die  mit  der  Ermittlung  eines  Ver- 
brechens und  dem  urteil  über  den  Verbrecher  berufsmässi; 
beauftragt  gewesen  wären,  sind  fflr  die  Urzeit  nicht  anzunehmeD 
(vgl.  mein  Reallexikon  u.  Richter).  Was  vielmehr  Curtins  VI, 
8,  25  über  die  nächsten  Verwandten  der  Hellenen,  die  länger 
als  diese  in  primitiven  Verhältnissen  verharrenden  Makedoneo 
berichtet:  De  capitalibus  r^i>u8  vetusto  Macedonum  modo  in- 
quirebat  exercitus,  in  pace  erat  vulgi,  dass  also  die  Untersnchaog 
von  Kapitalverbrechen  im  Frieden  bei  der  Volksversammluig, 
im  Kriege  bei  dem  Volk  in  Waffen,  der  Heeresversammlnng, 
ruhte  (vgl.  weiteres  bei  0.  Hoffmann  Die  Makedonen  p.  21), 
wird  als  ältester  idg.  Zustand  überhaupt  anzusetzen  sein.  Die- 
selbe Volksversammlung  wird  zugleich,  wie  nach  den  oben  p.  376 
angeführten  südslavischen  Analogien  zu  vermuten  ist,  sich  häufig 
als  Schiedsrichter  aufgeworfen  haben,  wenn  die  das  ganze 
Dasein  des  ürvolkes  durchziehenden  Familien-  und  Sippenfehden 
allzu  grossen  Umfang  annahmen  und  allzusehr  die  Sicherheit  and 
<len  Bestand  des  Stammes  bedrohten. 

9.  „Grundformen  der  Strafe,  a)  Tötung.  Die  Auf- 
fassung derselben  lässt  sich  vielleicht  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  bestimmen;  ob  die  einzelnen  Formen 
der  Hinrichtung  fruchtbare  Momente  fttr  die  Ver- 
gleichung  abgeben,  ist  mir  zweifelhaft.^ 

Die  Todesstrafe  ist  in  der  idg.  Urzeit  die  einzige  Strafe 
für  die  unter  der  Bezeichnung  d'gas  —  äyog  zusammengefassten 
Verbrechen,  und  da  nur  diese  einer  Strafverfolgung  seitens  der 
Allgemeinheit  unterlagen,  somit  die  einzige  Strafe  ü  berhaupt 


Ißweiien  (vgl.  mein  Keallexikon  ii.  .Strafe).  Sie  wurde,  wenn 
1  Täterschaft  offenbar  war,  oder  der  Verdäcbtigie  sich  durch 
Sd  oder  Gottesarteil  i'e.  u.  8,  b)  nicht  zu  reinigen  vermocht  hatte, 
I  dem  Schuldigen  von  der  Gemeinde  selbst  durch  Steinigung 
ler  TotpeitBchuug,  wobei  der  Delinquent  an  einen  Pfahl  ge- 
isdeu  wurde,  vollzogen  (.vgl.  die  Belege  Reallexikon  p.  834). 
tu  man  des  Übeltäters  nicht  habhaft  geworden,  so  traf  den- 
dben  die  Friediosigkeit  oder  Acht,  durch  die  er  aus  dem  Stamm 
igestosseu  wurde  nnd  busRlos  von  jedermann  erschlagen  werden 
ennte.  Eine  idg.  Bezeichnung  für  einen  solchen  Ausgestossenen 
gt  in  der  Reihe: 

Bcrt.  paräi-fj,  „Verbannter"  =  agU.  wrecca,  alts.  wreklio, 
id.   reccho,  altn.  rekr. 

Wie  der  Begriff  des  ä'gag  =  äj-os  seihst  nicht  nur  gegen 
t  GenieinscJjafr  des  Stammes,  sondern  auch  gegen  die  den 
Stamm  scbirmenden  Geister  nnd  Gfltter  gerichtet  ist,  so  wird 
auch  die  Todesstrafe,  wie  dies  bosonders  bei  den  Römern  (Hitzig 
p.  47)  und  Germanen  (Brunner  p.  59,  Uoetlie  p.  66}  hervor- 
tritt, 8t^ho^  in  der  Ur/eit  eine  gewisse  sakrale  Bedeutung  gehabt, 
d.  h.  man  wird  geglaubt  haben,  dnrch  die  Hinrichtung  zugleich 
I  Zorn  der  beleidigten  GOtter  zu  besänftigen  (lat.  supplicium : 
^plicarp).  Es  ist  daher  hier  der  Platz,  noch  kurz  auf  die  Frage 
Eazngehen,  welche  der  unzähligen  in  der  idg.  Urzeit  verehrten 
Geister  und  Gütler  (Kap,  XV:  Die  Religion)  in  der  ältesten  Zeit 
dnrch  ein  ä'gas  —  äyoi  beleidigt,  und  welche  es  infolgedessen 
durch  die  Todesstrafe  des  Verbrechers  zn  besänftigen  galt.  Bei 
Aescbylus  Septem  v.  1017  heisst  es  von  Polyneikes:  «j-oc  iSe 
■''.'ü  ^yiiiv  xtHTijaejai  &e(7>v  JtaTonuov,  oO;  thifuian^  5df  utqA- 
it-vft'  iTiaxrov  ifißako»-  fiQei  :i6Xiv,  also:  „er,  der  das  Heer  gegen 
die  Stadt  führte,  war  im  Leben  ein  Greuel  der  ih(ov  naT(t(jia)v 
und  soll  es  —  als  ünbeerdigter  —  nun  auch  im  Tode  sein", 
s  &eoi  naxQißui  aber  sind  nach  der  ausfuhrlichen  Besprechung 
s  Ansdrucks  durch  Caland  (Toten Verehrung  p.  69)  —  wenig- 
)  nreprttnglieh  —  nicht  die  Uimmlischen  oder  die  ihnen 
"uichstverwandten  Götter,  also  nicht  Zeus,  Apollo,  Athene  usw., 
sondeni  niemand  anders  als  die  göttlich  verehrten  Seeleu  der 
Vorfahren,  die  Heroen  des  Stammes  oder  der  Sippe,  denen  in 
I  festlfindiscbeu  Griechenland  noch  später  ein  reicher  Kultus 
»idmet  ist  (vgl.  E.  Rohde  Psyclie  I-,  167  ff.j.     Wir  werden 


—    412    — 

unten  ansftthrlicher  sehen,  dass  die  Grundpfeiler  der  gesellschaft- 
lichen Organisation  der  Indogermanen  auf  dem  Ahnenknltus  be- 
ruhen, und  es  ist  daher  eine  fast  selbstverständliche  Anschaumig, 
dass  die  Seelen  dieser  verehrten  Vorfahren  mit  eifersüchtiger 
Strenge  über  der  Bewahrung  der  alten  Ordnungen  in  Familie 
und  Sippe,  und  über  der  Erweiterung  der  Sippe,  dem  Stamm, 
wachend  gedacht  werden  (vgl.  Kap.  XV,  Abschnitt  I).  Besonden 
deutlich  reden  auch  in  dieser  Beziehung  die  römischen  Ver- 
hältnisse. Nach  einer  schon  oben  p.  360  genannten  Stelle  der 
Königsgesetze  sollen  der  Sohn,  der  den  Vater,  oder  die  Schwieger- 
tochter, die  die  Schwiegereltern  schlägt,  sacer  und  scu^a  den 
divis  parentum  sein.  Auch  hier  kann  unter  divi  parentum 
schwerlich  etwas  anderes  als  die  deoi  naxqcpoi  der  Griechen  ver- 
standen werden,  und  so  möchte  ich  überhaupt  glauben,  dass 
die  älteste  Verknüpfung  von  Recht,  Sitte  und  Religion  in  der 
Verehrung  der  Toten,  nicht  in  dem  Kult  der  Himmlischen  (Kap.  XV, 
Abschnitt  II)  zu  suchen  ist,  die  zunächst  nur  als  starke  Helfer 
innerhalb  des  Bereichs  derjenigen  Naturgewalt  angerufen  wurden, 
der  sie  ihr  Dasein  verdankten. 

b)  „Verlust  der  Freiheit."  Man  kann  diese  Frage  im 
Sinne  von  Verknechtung  oder  von  Gefängnisstrafe  verstehen. 
Mommsen  (vgl.  a.  a.  0.  16  Anm.  3)  meinte  sie  (auf  eine  briefliehe 
Anfi'age)  in  dem  ersteren.  In  diesem  würde  ihre  Beantwortung 
für  uns  von  der  Vorfrage  abhängen,  ob  für  die  idg.  Urzeit  be- 
reits das  Vorhandensein  eines  Skiavenstandes  anzunehmen  sei 
oder  nicht.  Da  wir  aber  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Stände) 
diese  Frage  aus  triftigen  Gründen  ^)  verneinen  zu  müssen  glauben, 
so  kann  selbstverständlich  auch  von  einer  Versetzung  in  den 
Sklavenstand  während  der  Urzeit  keine  Rede  sein.  Als  früheste 
Form  der  Verknechtung  wird  man  die  Schuldhaft  (vgl.  mein 
Reallexikon  u.  Schulden)  anzusehen  haben.  Als  eine  ganz 
späte  Form  der  Strafe  stellt  sich  der  Verlust  „der  körperlich 
freien  Bewegung"  (Gefängnisstrafe)  dar  (vgl.  Reallexikon  p.  836). 
Ihre  älteste  Gestaltung  ist  das  Schlagen  in  den  Block.  Vgl. 
Sprachvergl.  u.  Urg.  P,  164  Anm.  1,  wo  noch  auf  russ.,  klein- 


1)  Zu  dem  gleichen  Ergebnis  kommt  K.  Brugmann  in  seioem 
Aufsatz  Zu  den  Benennungen  der  Personen  des  dienenden  Standes  in 
den  idg.  Sprachen  I.  F.  XIX,  377  ff. 


—     413     - 

H.,  poln.  dyhy  „Fussfesselu".  poln.  dyba  „Pranger",  lit.  dybä 
:  altal.  dqfiö  „Eiche"  ( vgl.  Miklosich  Et.  Wb.  p.  48)  hätte  ver- 
KeD  werden  kOunen. 

c)  „Körperverstümmluug:,"  Wo  sie  in  älterer  Zeit  ala 
greaetzliche  Strafe  Forkomrat  'vgl.  mein  Reailexikou  u.  Körper- 
Terletzung),  ist  sie  vom  Staate  aus  den  Gewohnheiten  der 
Privatraclie  Ubernooimen,  die  nuf  dem  Grundsatz.  „Gleiches  mit 
Gleichem"  (talio)  beruhte. 

d)  „Die  LöBnng  durch  eine  Wert le istung  unter- 
liegt mehrfacher  Erwägung:  aa)  Der  Kreis  des  Delikta, 
auf  den  sie  sicherstreckt,  ist  festzustellen,  bb}  Weiter 
inwieweit  die  Hö  he  der  Wertleiatung  entweder  all- 
gemein durch  Gesetz  oder  im  Einzelfall  durch  richter- 
liches Ermessen  oder  durch  ein  gemisebtes  Verfahren 
«gerichtliche  Schadensscbätzung  uebst  gesetzlicher  Ver- 
vielfachung) festgestellt  wird,  ce)  Endlich  ob  bei  dem 
in  Okonnmischer  Schädigung  eines  Dritten  bestehen- 
den Delikt  blosse  Schadlosbaltuug  bezweckt  wird, 
oder  ob  die  Lösung  darüber  hinausgeht  (Scbadens- 
eraatz  mit  Zuschlag),    oder  endlich    ob   sie   da  eintritt, 

ED  ökonomische  Schädigung  nicht  vorliegt." 
Alle  nicht  in  den  Kreis  des  ä'gas  —  äyoc  fallenden  Übel- 
ten  waren  in  der  idg.  Urzeit  noch  der  Privatrache  (Blut-, 
Sippenrache)  Uberlasaen.  Wie  die  idg.  Bezeichnung  dieser  letz- 
teren, *qoinä  (aw.  kuSnä  =  griech.  :ioivii)  zugleich  auch  die  Ab- 
lösung der  Rache  durch  Busse  bezeichnete,  so  war  es  seit  Ur- 
zeiten möglich,  sich  und  seine  Hippe  von  der  Wiedervergeltung 
durch  eine  Wertleistung  an  Vieh  (namentlich  an  Kühen)  los- 
zukaufen'). Hierbei  müssen  sich  im  Laufe  der  Zeit  mehr  oder 
weniger  feste  Sätze  ausgebildet  haben.  So  werden  z.  B.  über- 
einstimmend 100  Kühe  als  Wergeld  für  den  erschlagenen  Mann 
hei  Indern,  Germanen  und  Slaven  genannt.  Aber  auch  alle 
öbrigen  der  Privatrache  überlassenen  Übeltaten  {Körper-  und 
.Sach  Verletzungen,  Beleidigungen,  Notzucht  usw.)  werden  es  all- 
ifthlich  zu  gewohnheitsmässigen  Taxen   gebracht   haben,  gegen 


1)  Wie  es  hierbei  noch  vor  kurzem  in  .Monlenet^ro  herging,  wird 
vergl.   Uecbtsgeschjchle   XV   (Montenegrinische    Rechts- 
•chichte  von  Milan  Paul  JovnnovW),  p,  134  beschrieben. 


—    414    - 

deren  Zahlung  man  von  der  Wiedervergeltnng  abstand.  Diese 
Taxen  werden,  je  mehr  die  Selbsthilfe  vom  Staate  absorbiert 
wird,  dnrch  die  Gesetzgeber  als  Strafen  übernommen;  doch  ffihrt 
die  Verfolgung  dieses  Gegenstandes  zu  weit  in  die  Geschichte 
der  Einzelvölker,  um  hier  ausführlicher  erörtert  zu  werden  (ygl 
mein  Reallexikon  u.  Blutrache  und  Körperverletzung,  so- 
wie die  Beiträge  der  genannten  Einzeiforscher  in  Mommsens 
Fragen  zum  ältesten  Strafrecht  9). 

Aus  den  vorstehenden  Ausführungen  ergibt  sich,  dass  das 
Strafrecht  des  idg.  ürvolks  zwar  noch  auf  einer  niedrigen  Stufe 
stand,  aber  immerhin  doch  schon  eine  gewisse  Ordnung  zeigte, 
die  durch  die  oben  erörterten,  bereits  der  idg.  Grundsprache  an* 
gehörenden  Ausdrücke  wie  aw.  kadnä  =  griech.  noivri  „Blut- 
rache" (und  ihre  Ablösung  durch  Wertleistung);  scrt.  väira  = 
agls.  were'{gild)  „Wergeld**;  scrt.  ä!g<i8  =  griech.  äyoq  „Ver- 
brechen" (gegen  die  Allgemeinheit);  scrt.  täyü  =  altsl.  tati  „Dieb"; 
scrt.  am  =  griech.  öjuvvjlu  „ich  schwöre" ;  scrt.  parävfj  =  agls. 
torecca  „der  Verbannte"    allein   schon   hinreichend  verbürgt  ist. 

Schwieriger  dürfte  es  z.  Z.  sein,  die  älteste  Geschichte  des 
Eigentumrechts,  das  Verhältnis  von  Sippen-  zum  Privat- 
eigentum, bei  den  idg.  Völkern  zu  erörtern.  Einiges  über  diesen 
wichtigen,  aber  vielfach  noch  nicht  geklärten  Gegenstand  vgl 
in  den  Kapiteln  XI,  XII  und  XIII. 

Die  wichtigsten  Züge  des  Familien  rechts  sind  in  Kap.  XII 
enthalten. 


XV.  Kapitel. 

Die  Religion. 

Einleitung:  Geschichtliches.  M.  Müller.  A.  Kuhn.  W.  Schwartz. 
W.  Mannhardt.  E.  H.  Meyer.  0.  Gruppe.  I.  Die  Verehrung  der 
Toten.  Begraben  und  Verbrennen.  Die  Beigaben.  Der  Unsterb- 
lichkeitsglaube. Das  Begräbniszeremoniell  (Ausstellung  der  Leiche. 
Totenklage.  Leichenzug.  Leichenschmaus).  Der  Ahnenkult  (^Die 
Väter.**  Totenfeste.  Stätten  der  Verehrung.  Speisung  und  Tränkung 
der  Vorfahren.  Totenspeisen.  Stimmung.  Bettler).  Die  allgemeine 
Bedeutung  des  Totendienstes.  Totenreiche.  II.  Die  Verehrung 
der  Himmlischen.  1.  Die  Himmlischen  selbst  (Litauische  und 
römische  Sondergötter.  Die  altindogermanischen  Himmelsmächte.  Ihre 
Namen  und  Erscheinungsformen.  Vater  Himmel  und  Mutter  Erde. 
Welträtsel  und  Mythus).  2.  Der  Kult  der  Himmlischen  (Zauber  und 
Opfer.  Zauberer,  Priester  und  Arzt.  Stein-,  Pfahl-  und  Baumkultus. 
Feste.    Die  Sonnenwenden).  —  Das  Schicksal  und  das  Erraten  der 

Zukunft. 

Als  die  Begründer  einer  vergleichenden  Mythologie,  die 
zunächst  als  identisch  mit  einer  vergleichenden  Religionsgeschichte 
der  idg.  Völker  angesehen  wurde,  müssen  M.  Müller  und  Adal- 
bert  Kuhn  bezeichnet  werden,  deren  Anschauungen,  so  sehr  sie 
anch  im  einzelnen  oft  auseinandergehen,  doch  im  Grunde  so  viel 
Verwandtes  besitzen,  dass  sie  hier  zusammen  betrachtet  werden 
dürfen.  Dieselben  gründen  sich  auf  drei  Hauptvorstellungen 
dieser  beiden  Grelehrten,  nämlich  erstens  auf  die  schon  durch 
die  Brüder  Grimm  erweckte  Überzeugung,  dass  der  Mythus 
nicht  etwa  die  Schöpfung  höher  stehender  Volkskreise,  etwa 
eines  Priester-  oder  Sängerstandes  sei,  sondern  dass  derselbe 
ebenso  wie  die  Sprache  selbst  in  den  Tiefen  der  Volksseele 
wurzele,  zweitens  in  der  Überzeugung,  dass  in  den  zum  Teil 
unzweifelhaft  auf  naturalistischer  Grundanschauung  beruhenden 
Liedern  des  fiigveda,  dessen  genaueres  Bekanntwerden  in  die 
Zeit   der    besten  Arbeitskraft    beider  Gelehrten  fiel,    die  älteste 


—    416    — 

Form  idg.  Götterglanbeus  vorliege,  nnd  drittens  in  der  Be- 
obachtung, dass  eben  diese  Lieder  des  Rigveda  mit  den  Mythen 
der  verwandten  Völker  sowohl  inhaltlieh  wie  spraehlich  so  viel 
Übereinstimmung  zeigten,  dass  dieselbe  bis  in  die  Epoche  der 
idg.  Urzeit  zurückgehen  mtisste.  Derartige  idg.  Mythenzyklen 
hat  A.  Kuhn  in  grosser  Anzahl  zu  ermitteln  versucht,  worüber 
auf  seine  Arbeiten  über  Gandharven  und  Kentauren,  (K.  Z.  I), 
^Egivvg,  Saranyü'  (ebenda),  über  Manus,  Mivcog,  Mannus  (K.  Z. 
IV,  81  ff.),  'Egjuijg,  Saramä,  Säramßya,  Wuotan  (Haupts  Z.  VI, 
117  ff.),  über  die  Herabkunft  des  Feuers  und  des  Göttertrankes 
(Berlin  1859)  und  andere  verwiesen  sei.  Besonders  kühn  in  der 
naturalistischen  Deutung  mythischer  Namen  zeigt  sich  M.  Müller, 
dessen  mythologische  und  religionsgeschichtliche  Studien  in  den 
Vorlesungen  über  die  Wissenschaft  der  Sprache,  den  Elssays,  der 
Einleitung  in  die  vergleichende  Religionswissenschaft,  in  Origin 
and  grotcth  of  religion  (London  1880)  usw.  vorliegen. 

Eine  Zusammenstellung  dessen,  was  M.  Müller  auf  diesem 
Gebiete  noch  am  Ende  seines  Lebens  für  möglich  hielt,  bieten 
die  Biographies  of  tcords  p.  188—198  (religion  and  myth). 
Hier  begegnen  Gleichungen  wie  HjiMcov  =  scrt.  apÖTmuvdn  „r«?- 
moving,  opening^,  H^tjvj]  =  scrt.  ahanä'  ^morning^y  day^,  "Axd- 
Xevg  =  scrt.  *aharyu,  from  ahar  j^day^,  Bgiatjtg,  if  for  *Bag- 
07]igy  the  offspring  of  Brises,  conquered  by  Oreeks,  gicen  to 
Achilles  =  scrt.  hfsaya  the  offspring  of  Bfsaya^  conquered  by 
pani  usw. 

Der  Ursprung  des  Mythus  liegt  nach  der  Ansicht  beider 
Forscher  in  dem  Wesen  der  Sprache  selbst.  „Es  ist",  sagt 
A.  Kuhn  (Die  Entwicklungsstufen  der  Mythenbildung  Abb.  d. 
ßerl.  Ak.  d.  W.  1873),  „ein  mehr  und  mehr  zu  allgemeiner 
Geltung  kommender  Satz,  dass  die  Grundlage  der  Mythen  auf 
sprachlichem  Gebiet  zu  suchen,  und  dass  Polyonymie  nnd  Homo- 
nymie die  wesentlichsten  Faktoren  derselben  seien. ^ 

Diese  Mannigfaltigkeit  des  Ausdrucks  beruht  aber  einmal 
auf  der  Eigenschaft  der  Sprache,  bei  aller  Suhstantivbildonig 
immer  nur  eine  einzelne  an  dem  betreffenden  Gegenstand  haftende 
Eigenschaft  hervorzuheben,  wie  wenn  die  Nacht  zugleich  als  die 
schwarze,  dunkle,  feuchte  usw.  bezeichnet  wird;  das  andere  Mal 
auf  der  poetischen  Übertragung,  wie  wenn  z.  B.  die  Strahlen  als 
Zügel,  Finger,  Hände  oder  Kühe  bezeichnet  werden.    Ursprflnglieb 


irte  man  /..  B.,  „das  Tagefliicbt  ist  verscbwunden,  die  Naeht  ist 
gekonnuen",  bald  aber  biees  es  mit  poetischer  Übertragung:  „dJe 
Kübe  sind  versehwunden,  der  finstre  NaclitgeiBt  hat  sie  geraubt". 
So  enlscbwaüd  allmäblicb  das  Verständnis  des  ui'sprUnglicben 
.Ansdrat'ks,  Man  erzählte  von  den  Rindern  des  Helios  oder  von 
dem  Riiiderranb  des  Caous  usw..  und  der  Mythus  war  fertig. 
Überaus  verwandt  ist  die  Auffassung  M.  Müllers,  dessen 
Btraclitangsweise  in  dem  Satze  gipfelt :  „Mythologie  ist  nur  eine 
Bte  Form  der  Sprache."  Wie  er  die  ersten  Anfänge  mytliologiaclien 
Ansdmcks  sich  denkt,  zeigt  z.  B.  das.  was  er  Ortgin  anä  growth 
of  religion  p.  190  ff.  über  die  Hilfsverba  bemerkt.  Diese  wie  eng^ 
lisch  he  in,  to  be,  I  ira»  hatten  ursprilnglirli  eine  vollere  Bedeu- 
nog  und  bezeichneten  soviel  wie  „atmen"  (scrt.  as,  äs-u  „Atem"), 
■trachsen"  igriech.  tpwo),  „wohnen"  (scrt.  aas).  Wenn  die  alten 
girier  daher  irgend  etwas  ober  Sonne,  Mond,  Erde,  Berge,  Fltlgai' 
aussagen  wollten,  so  konnten  sie  nicht  wie  wir  sagen  z.  B.  „die 
Sonue  ist  da"  oder  „es  regnet",  sondern  sie  konnten  nur  denken 
und  sich  ausdrtlcken  „die  Sonne  atmet'  <s>iri/6  asti),  „der  Regen 
regnet",  Oberhaupt  ist  es  dem  alten  Arier  nur  müglich  ge- 
wesen, die  Gegenstände  seiner  Wahrnehmung  als  aktiv  wirkende 
zu  bezeichnen.  Die  Sonne  ist  der  Erleuchter,  Erwärmer,  Nährer, 
der  Mond  der  Messer,  die  Morgenröto,  die  Erweckerin  usw.: 
„Ilere,  in  llie  lorrenf  depili  of  /.anguage,  !ie  t/ie  true  germn  of 
what  ire  aflencards  call  (iguriam,  animisni,  anthropopathism, 
ttnthropomorphism^  ip.  181).  Wie  sich  M,  Müller  den  weiteren 
Verlauf  der  Mythenbildung  denkt,  zeigt  /,.  B.  der  Mythos  von 
Apollo  und  Daphne :  es  gab  in  der  Ursprache  ein  *<lah-anä  — 
•Vvf-rrj  „die  brennende"  („leichtbrennende"),  eine  Be/.eichnung 
sowohl  für  die  Morgenröte  als  auch  für  die  Lorbeerpfianze.  Von 
der  Morgenröte  erzählte  man,  die  Sonne  habe  sie  verfolgt.  All- 
mählich verlor  sich  nun  in  der  Sprache  duipvi}  in  dem  Sinne 
von  Morgenröte,  und  nun  erzählte  man,  Apollo  (die  Sonne)  habe 
eine  Nymphe,  namens  Daphne,  verfolgt,  welche  die  Götter  als- 
dann in  einen   Lorbeer  verwandelt  hätten. 

Der  Gmndlon,   welcher  durch    die   gesamte  Mythenbildnng 

idg.  Volker  hindurclikltngt,  ist  nach  der  MUller-Knhnscheu 

Kbannng  also  die  Belebung  und  Deutung  der  Natur  und  ihrer 

icbeinnugen.    nicht    am    wenigsten    aber   die  Vorstellung    von 

lern  Kampf,   einem  Gegensat»  in  denselben,   mochte  man  den- 


—    418    — 

selben  nun  mehr  iu  dem  Schauspiel  des  Gewitters  und  der  Wolken- 
bildnugen  oder  mehr  iu  dem  täglich  sich  wiederholenden  Wechsel 
von  Tag  und  Nacht  erblicken.  „Die  Hauptgrundlage  der  fie- 
ligionen  und  Mythen  der  meisten  idg.  Völker^,  sagt  A.  Kahn 
Über  Entwicklungsstufen  a.a.O.  p.  126,  „bildet  der  Kampf  zwi- 
schen den  Mächten  des  Lichts  und  der  Finsternis,  der  bekannt- 
lich bei  keinem  derselben  so  scharf  ausgebildet  ist,  wie  bei  den 
alten  Baktrern.  Wie  bei  diesen,  so  ist  auch  bei  allen  flbrigen 
die  Überlieferung  vom  endlichen  Siege  des  Lichts  durchgedrungen, 
durch  welchen  die  Mächte  desselben  zur  Herrschaft  gelangen, 
während  die  der  Finsternis  zeitweise  oder  dauernd  gefesselt  oder 
besiegt  werden.  Dass  dieser  endliche  Sieg  des  Lichts  schon  bei 
allen  ludogermanen  zur  Zeit,  als  sie  noch  ein  Volk  waren,  znr 
allgemeinen  Überzeugung  geworden  sein  mtlsse,  davon  liegt  ong 
bekanntlich  ein  Zeugnis  in  ihrer  Bezeichnung  der  Götter  durch 
ein  Wort  vor,  welches  der  Wurzel  div  „leuchten^  entstammt 
und  somit  ein  Beweis  ist,  dass  sie  die  Macht  dieser  leuchtenden 
Wesen  als  Beherrscher  und  Lenker  ihres  Lebens  anerkannten 
und  verehrten.  ** 

Gegen  diese  Grundanschauungen  der  genannten  beiden  Ge- 
lehrten haben  sich  nun  in  neuerer  Zeit  von  verschiedenen  Seiten 
her  mit  nicht  geringerer  Sachkenntnis  geführte  Angriffe  ge- 
richtet, welche  teils  eine  wesentliche  Modifikation  der  MflUer- 
Kuhnschen  Anschauungen  bezweckten,  teils  eine  völlige  Ver- 
nichtung derselben  versuchten.  Die  MüUer-Kuhusche  Schule  war 
bei  ihrer  Rekonstruktion  des  idg.  Götterglaubens  im  wesent- 
lichen von  den  ältesten  literarischen  Denkmälern  der  idg.  Völker, 
von  dem  Veda,  dem  Awesta,  von  Homer,  von  der  Edda  ans- 
gegangen.  Der  moderne  Volksglaube  war  erat  in  zweiter  Linie 
herangezogen  worden,  und  wo  dies  geschehen  war,  waren  die 
Gestalten  desselben  nach  Grimmschem  Vorbild  als  (hauptsächlich 
durch  das  Christentum  veranlasste)  Verblassungen  der  altheidni- 
schen Götter  und  Heroen  aufgefasst  worden.  Die  Volkssage  von 
dem  wütenden  Heer  und  dem  wilden  Jäger  war  der  letzte  Über- 
rest des  alten  hochheiligen  Wuotandienstes.  »Der  alte  Gott 
verlor  sein  zutrauliches  Wesen,  seine  nahen  Zflge,  und  ging  in 
den  Begriff  einer  finsteren,  schreckenden  Gewalt  über,  welcher 
immer  noch  gewisse  Einwirkung  verblieb.  Den  Meosehen  nnd 
ihrem  Dienste  gleichsam  abgestorben,    irrte    und  schwebte  er  in 


-    419     - 

I  Lufteu  tenfliecli  hikI  gespenstig"  (J.  Grimm  Deutsche  Mjtb. 
n>.  870). 

Diese  AiiBcbannng'  liatte  bereite  im  Jahre  1849  W.  Scliwartz 
in  einem  Programm  Der  Volksglaube  und  das  alte  Heidentum 
geuiissbilligt  und  den  Nachweis  /u  fuhren  versnchl,  dass  der 
moderne  Volksglaube,  weit  davon  entfernt,  nur  die  Trflmmer 
eiBcr  höheren  Mythologie  zu  enthalten,  vielmehr  in  sehr  vielen 
Fällen  die  Wurzeln  tren  bewahrt  habe,  ans  welchen  jene  höheren, 
in  der  Edda  nnd  sonst  waltenden  Gottheiten  entsprossen  seien. 
Diese  Meinung,  getragen  von  der  mehr  und  mehr  in  gan»  Europa 
erwachenden  Freude  an  der  Samndnng  der  noch  heute  im  Volke 
lebenden  Sagen,  Märchen,  Sitten  nnd  Gebrauche  hat  nun  all- 
mählich 7.U  der  Begründung  einer  neuen  Richtung  der  ver- 
gleichenden Mythologie  geführt,  dii'  ihre  nanihaftesteii  Vertreler 
I  Dentschlaud  in  Wilhelm  Manuhardt  und  in  Elard  Hugo 
Meyer  gefunden  hat. 

Mannbardt  hat  seinen  Absagebrief  an  die  Müller  Kuhnscbe 
Richtung  in  dem  Vorwort  xu  dem  11.  Bande  seiner  Wald-  und 
eldknite')  geschrieben.  „Ich  darf",  sagt  er  p.  XIV,  „mit  dem 
Mtändnis  nicht  zurückhalten,  dass  nach  meiner  Ansicht  die  ver- 
teichende  idg.  Mythologie  die  Früchte  noch  nicht  getragen  hat, 
elcbe  man  allzu  hoffnungsreich  von  ihr  erwartete.  Der  sichere 
ßewiun  beschränkt  sich  doch  auf  einige  sehr  wenige  Oottes- 
namen  (wie  Dyaus-ZeuB-Tius,  Parjanya-Ferkunas,  Bhaga-Bog, 
Varuna-Uranoe  usw.)  und  Mytbenausälze.  und  im  übrigen  auf  zahl- 
TOche  Analogien,  welche  aher  noch  nicht  notwendig  historiscbe 

Ifirverwandlschaft    begründen Ich    fürchte,   dass   die  6e- 

^■Bhichte  der  Wiesensehaft  sie  'Parallelen  wie  i^ttrameya —  Her- 
'tteias)  einmal  eher  als  geistvolle  Spiele  des  Witzes,  denn  als- 
bewäbrte  Talsachen  zu  verzeichnen  haben  wird"  usw.  Dagegen 
wird  es  ihm  immer  klarer,  dass  unsere  mythologischen  Hand- 
hficber  der  antiken  Mythologie  nnr  enthalten,  was  das  verfeinerte 
Leben  städtischer  Kreise  aus  dem  ursprünglichen  Volksglauben 
geschaffen    bat.     „Nun    schimmert    unter    dieser  Mythologie  der 


1)  W.  Maunlinidl  Antike  Wald-  und  Feldkulte  au*  nordpuropfti- 
gker  ÜberHefwunK  erlftuWrl,    Berlin  1S77    und    Der  Raumknltos   d«ir 
ITRtaneD  nnd    ihrvr  Nachbarstlltnme,  Berliu  ISTä  [btitde  Wi>rke  jetui 
I  heraoHgug.  v.  W.  Heusclikelj. 


—    420    — 

Gebildeten  mit  einmal  eine  Volksmytbologie  hervor,  welche 
die  überraschendsten  Ähnlichkeiten  mit  den  VolksUberlieferuugen 
der  nord europäischen  Bauern  bekundet.^  Diese  Analogien  er- 
strecken sich  auf  Volkssagen,  Märchen  und  Gebräuche,  nicht 
minder  wie  auf  mythische  Personifikationen,  auf  die  verwandten 
Gestalten  der  Moosleute  und  Holzfräulein  (=  Dryaden),  der  wilden 
Männer  (=  Kyklopen,  Kentauren,  Pane,  Satyrn),  der  Wasser- 
muhme (=  Thetis)  usw.  usw.  Kurz,  alle  die  Geister,  itelche  im 
Altertum  und  in  der  Neuzeit  Feld  und  Wald  und  Haus  bevölkern, 
gehören  dem  Kreise  der  ursprünglichen  Vorstellungen  an,  aus 
welchem  so  manche  erhabene  Götter-  oder  Heldengestalt  noch  — 
nachweisbar  —  hervorgegangen  sei.  „So  bestätigt  sich^,  damit 
sehliesst  das  genannte  Buch,  „durch  gewichtige  Analogie  Schwartzes 
Entdeckung,  dass  der  Volksglaube  der  Bauern  die  noch  grössten- 
teils in  unmittelbarem  Zusammenhang  stehenden  Keime  der  höheren 
Mythologie  in  sich  berge." 

Dieselbe  Vorstellung  von  einem  Geister-,  einem  Dämonen- 
glauben mehr  als  von  einem  Götterglauben  bei  dem  idg.  Urvolk 
begegnet  uns,  und  zwar  in  Verbindung  mit  der  namentlich  von 
anthropologischer  Seite  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  ge- 
stellten Ahnentheorie,  nach  welcher  aller  Götterglaube  von 
der  Totenverehrung  seinen  Ausgang  genommen^)  habe,  bei  Elard 
Hugo  Meyer,  nach  Mannhardts  Tode  wohl  dem  besten  Mythen- 
kenner  Deutschlands,  dem  Herausgeber  von  J.  Grimms  Deutscher 
Mythologie. 

Nach  der  Ansicht  dieses  Gelehrten  durchläuft  die  Mythen- 
geschichte drei  Hauptperioden,  welche  er  als  die  des  Seelen-, 
Geister-  und  Götterglaubens  bezeichnet  (vgl.  Indogerm. 
Mythen  I,  210  ff.).  In  der  ersten  Periode  beginnt  das  mythische 
Denken  mit  der  Vorstellung,  dass  die  Seele  nach  dem  Tode  noch 
einige  Zeit  weiterlebt  und,  zum  Teil  in  Tieren  oder  Pflanzen 
verkörpert,  den  Freunden  nützen  und  den  Feinden  schaden  könne. 
Diese  Seelen  bedürfen  der  Ernährung.  Der  älteste  Opferbraach 
ist  Totendienst.  Diese  Glaubensstufe,  die  der  Belebung  der 
Naturerscheinungen   überall    vorangeht,    haben    alle    Völker   der 


1)  Vgl. z.B.  J.  Lippert  Die  Religionen  der  europäischen  Kultor- 
völker,  der  Litauer,  Slaven,  Germanen,  Griechen  und  Römer  in  ihrem 
geschichtlichen  Ursprung,  Berlin  1881. 


—     491     — 

■Erde  durchlaufen.  Noch  bei  einigen  Kultmvölkern  wie  Chinesen, 
Ägyptern,  Römern  iBt  der  Totenknit  der  Kern  ihrer  Religion 
geblieben.  Die  Kulturstufe  dieser  Periode  ist  die  des  Jagdlebens. 
Während  der  zweiten  Periode  werden  die  Seelen  mehr 
Bnd  mehr  Geister,  /.nnial  Windgeisler,  dann  aneh  Gewitter-  und 
Rcgendämonen.  Aus  ihre»  Seharen  treten  schon  einzelne  In- 
dividuen mit  mythischen  Eigennamen  hervor.  Die  Lichtwesen 
stehen  noeb  zurUck.  Die  Kulturstufe  ist  die  des  Hirtenlebens. 
Die  idg.  Völker  haben  diese  Periode  noch  zum  gröseten  Teil 
miteinander  verlebt,  am  längsten  die  arisch-helleniBchen  Völker. 
Als  ein  Beispiel  dieses  also  recht  eigentlich  indogermanische a 
Glaubens  sucht  E.  H,  Meyer  die  sachliehe  und  sprachliche  Iden- 
tität der  Gaudbarven  und  Kentauren  zn  erweisen,  die  er  alK 
Wiud-  und  Wetterdämonen  fasst'). 

Die  dritte  Periode,  in  welcher  die  individualisierten  Einzel- 
dämonen  sowie  die  Licbtgottbeiten  zu  Göttern  werden,  findet 
die  idg.  Völker  bereits  getrennt,  zu  Ackerbau  und  staatlicher 
Kultur  übergegangen.  „Wenn  trotzdem  die  Ähnlichkeit  zweier 
Gottheiten,  z.  B.  zweier  verschiedeuer  idg.  Völker,  llberrascht,  si» 
beruht  dieselbe  mehr  auf  der  Gleichartigkeit  der  in  den  früheren 
Perioden  geschaffenen  Elemente,  aus  denen  das  höhere  Gebilde 
besteht,  und  auf  einer  analogen  Fortentwit-khing  dei'selben  als 
anf  einer  gemeinsamen  Hcrvorbriugung  dieses  Gebildes," 

Wenn  somit  in  dieser  Richtung  der  vergleichenden  Mytho- 
!  die  lichten  Himnielsgölter  der  idg.  Urzeit  von  ihren  Thronen 
estOrzt  und  dafür  Scharen  von  Wind-  und  Wettergeistern  ein- 
jetretcu  waren,  so  bleibt  hier  nun  noch  schliesslich  eines  Ver- 
ioches  zu  gedenken,  welcher  dazu  bestimmt  ist,  der  Vorstellung 
I  einem  Götterglauben  der  Urzeit,  welcher  Art  er  auch  immer 
,  den  Todesstoss  zu  versetzen  und  die  Indogermanen  schlecht- 
l^n  als  religionslos  zu  erweisen.  Es  ist  dies  das,  wie  ich  glaube, 
D  hohem  Grade  bedeutsame  Werk  OttoGrnppesDie  griechischen 
Kulte  und  Mythen  in  ihren  Beziehungen  zu  den  orientalischen  Reli- 
gionen, von  welchen  bisher  nur  der  erste  Band  (Leipzig  1887j  er- 
Rhienen  ist,  welcher  in  zwei  Kapiteln  erstens  eine  Übersicht  über  die 


1)  Weibliche  Wesen    gleicher  oder   ahnlicher    Art   sucht  ihnen 
|t.  Schröder  (Griechische  Götter  und  Heroen  1.  1887)  in  den  Apaaras, 
r  Aphrodite,  den  Schwanenjnn^rraaen  nsw.  sur  Seite  zn  stellen. 


—     422    

• 

wichtigsten  Versuche,  die  Entstehang  des  Kaltus  und  des  Mythos  n 
erklären^  nud  zweitens  ttber  die  wichtigsten  Denkmäler,  welche  von 
der  Geschichte  des  Mythos  und  des  Kultus  berichten,   enth&lt^). 

Die  Richtigkeit  der  drei  Fundamentalsätze,  auf  denen,  wie 
wir  oben  (p.  415)  bemerkten,  die  Mttller-Kuhnschen  Hypothesen 
beruhten,  und  welche  auch  von  den  Dämonisten  wenigstens  nicht 
prinzipiell  aufgegeben  waren,  wird  von  0.  Gruppe  schlechter- 
dings geleugnet.  Der  Mythos  ist  nicht  die  religiöse  Sprache  des 
Volkes,  er  ist  die  Schöpfung  und  das  Eigentum  der  höheren 
Gesellschaftsklassen,  bewusste  Dichtung,  ein  Teil  der  Kunst- 
poesie.  Der  Rigveda  —  hier  wandelt  der  Verfasser  auf  dem 
von  Ä.  Ludwig  eingeschlagenen  und  von  A.  Bergaigne  weiter 
verfolgten  Wege  —  ist  weit  davon  entfernt,  uns  das  Walten 
naiver  Naturpoesie  zu  enthüllen.  Er  ist  schon  in  seinen  ältesten 
Teilen  voll  „verzwickter"  Theologie,  voll  priesterlichen  Raffine- 
ments. Nichtsdestoweniger  bleibt  er  für  uns  die  wichtigste 
Quelle,  au  welcher  wir  noch  deutlich  den  Ursprung  aller  Religion 
und  aller  mythischen  Ausdrucksweise  aus  gewissen,  später  Kultus 
genannten  Manipulationen  erforschen  können ;  denn  der  Ritus  ist 
der  Ursprung  aller  Religion.  Der  Priester  giesst  Fettströme  in 
das  lodernde  Feuer,  um  den  Anbruch  des  Tageslichtes  zu  fördern. 
Diese  Ströme  werden  brünstige  Kühe  genannt,  die  zu  ihrem 
Jungen,  Agni,  hinströmen,  sich  mit  ihm  zu  vermählen.  So  ist 
dieser  nun  als  zeugungskräftiger  Stier  in  den  Schoss  seiner 
Mütter  gesetzt,  sich  mit  ihnen  selbst  zu  erzeugen  (p.  4öö).  Schon 
die  ungetrennten  Indogermanen,  obwohl  sie  keine  Götter  kannten, 
übten  gewisse  Manipulationen,  aus  denen  später  Kultushand- 
lungen  hervorgingen,  und  mit  denen  Vorstellungen  yerknfi|rft 
waren,  die  sich  dereinst  zu  mythologischen  und  zuletzt  zu  dogma- 
tischen Ideen  verdichten  oder  umgestalten  sollten  (p.  121).  So 
heisst  es  von  dem  Trankopfer  (p.  277):  ^  Der  Kultusakt  warniebt 
€twa  nur  mit  einem  Gelage  verbunden,  sondern  er  war  recht 
eigentlich  ein  Gelage,  man  verehrte  die  Götter,  indem  man  sieh 
berauschte,  und  der  Genuss  des  Rauschtranks  war  die  Andacht" 

Und  endlich  drittens:  Alles,  was  die  vergleichende 
>>prachwissenschaft   bisher   an   augeblichen   indogeroi. 

1)  Vgl.  Bari.  Philolog.  Wochenschrift  1888  Nr.  29/80  (B.  Fritwche), 
The  ClassiccU  Revew  Febr.  1888  (F.  B.  Jevons),  Deutsche  Literatur- 
zeitung 1888  Nr.  14,  Lit.  Zentralblatt  1889  Nr.  14. 


43S 


Blitlerhcncnriungeii  oder  an  angeblichen  indogerm.  Aus* 

^rücken    Tllr  Kultusliandliin^en   zutage    gefördert  liat, 

^t  entweder  lautlich  nnhegrUndet  oder  inhaltlich  ohne 

Beweiskraft.     Nur  ffir  die  ariBclien  .Stämme  wird  p,  125  „ein 

beachr&uktcs   Mass    prirailivei'    Zeremonien"    für    die    Crzeit    /.u- 

f^egeben. 

^_  Bestehen  bleibt   und    der  Erklärung    bedaiF  die  unleugbare 

^Hpbereingtimninng    der   Religionen    in    ihren  Mythen   uud  Kulten, 

^Büne  Cbereintitimmung,    welche    »ich    aber  weit   über   das   indog. 

^boikergebiet    hinans    erstreckt.     Auch    hierans  folgt,   dam  diese 

^BBSRmmenh&nt^e  sich  nicht  ans  einer  Vererb angstheorie  erklären 

^Kueen,    vielmehr    beruhen    sie  —  und    hier   liegt   der  Kernpunkt 

der  flruppeschen  Bestrebungen  —  in  einer  ungeheuren  Entlehnung, 

dureh  welche    „vorderasiatische   und   ägyptische  Reiiginnsforuien 

im   grossen  Uiufaug    nach  ßriecbenland,    nach  Indien    und    nacli 

Mittel-  nnd  Nordenropa  importiert  wurden". 

Uen  Beweis  dieser  Hyputhese   sollen   die   folgenden  Bände 

erbringen ;  in    dem    vorliegenden    soll    nur   der  Boden    für  diese 

K|^Qffa»saDg  geebnet  werden,    worüber    anf    die  §§20—35  (Über 

^HÜe  SJtiglichkeit,  die  Vererbungstheorie  dnrch  die  Annahme  nacb- 

"Ifftlflicher  Übertragung  y.u  ersetzen)  zu  verweisen  ist, 

Wenn  wir  nnn  auch  auf  diesem  schwierigsten  und  um- 
i^trittensten  Gebiet  selbst  versuchen'),  das  Erbe  der  idg.  Crzeit 
/u  ermitteln,  so  lassen  sich  ans  der  grossen  Masse  religiöser  Vor- 
tellnngen  und  (iehräuche,  die  sich  bei  den  altidg.  Völkern  finden, 
,anächst  zwei  Grnppen  aussondern,  dii'  es  auf  ihre  vorhistorische 
irknnft  zu  untersuchen  gilt.  Es  sind  dies  erstens  die  auf  die 
rebrnng  des  Toten  bezQglichen  und  zweitens  diejenigen 
Anschauungen  nnd  Riten,  die  sich  auf  den  Kult  n*'^''  Himm- 
liscben"  beziehen,  fUr  die  schon  in  der  idg.  Grundsprache  der 
Ausdruck  scrt.  divii  =  iat,  deus,  lit.  di^icoK,  ir,  dia,  altn.  ttvar 
Bert,  dydus,  griech.  Zn^,  Iat.  Juppiter,  eigtl.  „der  Htoimel") 
itand.  Nach  diesen  beiden  Gruppen  soll  daher  der  Stoff  im 
;enden  gegliedert  werden. 

1)  Ausführlicher  isi  dies  in  einem  grciaseren  Aufsatz  geaclieben, 

Bicbfflr  J>Ha>>tinss  Dictionary  of  Heligion  and  Ethics  geschrieben 

.  und  der.  wi»  Icli  lioffen  darf,  bald  gedruckt  vorlif^eu  wird.    Auf 

I  Artikel  [Aryan  reliifton)  werde    icli    mich    daher   im  folpendeu 

innger  SU  l)eiiiRhen  tialion. 


—    424    — 

I.   Die  Verehrung  der  Toten. 

Die  erste  Frage,  die  udb  hier  za  beschäftigen  hat^  ist  die, 
in  welcher  Weise  das  idg.  Urvolk  seine  Toten  bestattete,  oder, 
da  es  sich  hierbei  nur  um  den  Modus  des  Begrabens  oder  Ver- 
brennens  handeln  kann,  ob  das  idg.  Urvolk  seine  Toten  begrub 
oder  verbrannte.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  diese  Frage  in  dem 
ersteren  Sinne  zu  beantworten  ist.  Die  prähistorische  Forschung 
hat  den  tiberzeugenden  Nachweis  geführt,  dass  auf  dem  in  ge- 
schichtlicher Zeit  von  idg.  Völkern  besetzten  Boden  das  Be- 
graben der  unverbrannten  Leiche  als  die  ältere  Bestattungsform 
zu  betrachten  ist  und  die  jttngere  Steinzeit  im  Verein  mit  der 
Epoche  des  ersten  Auftretens  des  Metalles  in  Gestalt  des  Kupfers 
nahezu  vollständig  ausfallt.  Da  nun  oben  p.  113  ff.  gezeigt 
worden  ist,  dass  die  Kultur  des  idg.  Urvolkes  lediglich  stein- 
kupferzeitliche  Verhältnisse  aufweist,  so  ergibt  sich  der  Schloss 
auf  die  Bestattnngsform  der  Urzeit  hieraus  ohne  weiteres. 

Dazu  kommt,  dass  sich  die  Verbältnisse  der  idg.  Einzel- 
völker besser  verstehen  lassen,  wenn  wir  von  dem  Begraben  als 
von  der  älteren  Bestattungssitte  ausgehen.  Dies  gilt  namentlich 
von  den  Griechen.  Allerdings  tritt  uns  in  der  homerischen 
Welt  der  Leichenbrand  in  vollkommener  Durchfahrung  entgegen. 
Aber  vor  der  homerischcD  liegt  die  mykenische  Epoche,  die  uns 
in  ihren  Schachtgräbem,  Kammern  und  Gewölben  die  Leiche  in 
unverbranntem  Zustand  zeigt,  und  wollte  man  gegen  dieses 
Argument  den  Einwand  erheben,  dass  es  sich  bei  der  Bevöl- 
kerung, die  diese  Grabstätten  errichtete,  möglicherweise  um 
nichtgriechische  Stämme  handele,  so  würde  doch  der  im  Jahre 
1901  im  Nordwesten  der  Stadt  Athen  aufgedeckte  umfangreiche 
Friedhof  den  Beweis  erbringen,  dass  man  im  griechischen  Mutter- 
land in  der  ältesten  Zeit  die  Verstorbenen  begrub  und  nicht  ver- 
brannte; denn  aus  den  19  ältesten  (Dipylon-)Gräbem  dieser  Toten- 
stätte sind,  mit  einer  einzigen  Ausnahme,  unverbrannte  Skelette 
an  den  Tag  gebracht  worden  (vgl.  A.  Brückner  und  E.  Pcr- 
nice  Ein  attischer  Friedhof,  Mitteilungen  des  kaiserl.  deutschen 
arch.  Inst.  Athen.Abt.  XVIII). 

Aus  Rom  haben  wir  die  bestimmte  Überlieferung  des 
Plinius  {Rist.  nat.  VII,  187):  Ipsum  cremare  apud  Romanas 
non  fuit  veteris  instituti;  terra  condebantuVy  und  es  scheint  be- 


4S5 


knklich,    selbst    caeh    Aufdeckung   der  frülizeitigen  Sporen  des 

•eichenhrando»    auf    dem   Forum  Bomanum  durch  Prot.   Boni, 

iselbe    ausser    acht    zu    lassen.     Ancb    weist    das    lat.    sepelio 

Snnr  „begraben")  durch  seine  genaue  (von  Walde  Et.  Wb.  der 

Spr.    mit    unrecht    bezweifelte)    Übereinstimmung  mit  Bcrt. 

Mmpary  ^dienen,  buldj^en,  ehren"  und  lat.  Orcun  „die  [Jnter\velt'' 

got.   airahi   „Grabesböhie"  auf  eine  unter  grossen  Feierlicb- 

eiten  erfolgende  Beisetzung  der  Leiche  im  Grabe  hin. 

Freilich  ist  die  Ausbreitung  der  Sitte  des  Leicbenbrandes, 
immer  sie  ibrea  AuBgang^pnnkt  genommen  haben  mag'),  in 
der  westlichen  Hälfte  des  nördlichen  Europa  zu  frühzeitig  und 
zn  intensiv  erfolgt,  als  dass  die  römiscix^n  Autoren  bei  Kelten 
und  Germanen  noch  die  nur  durch  die  Präliistorie  aufdeckbaren 
Spuren  der  ältereu  Beatattangsart  (vgl.  Montelins  Archiv  fUr 
Anthropologie  XVII,  151  ff.)  hätten  antreffen  könneu.  Hin* 
gegen  liegen  im  Osten  Europas,  znnäcliBt  bei  den  Thrakern,  dann 
bei  Litaneru  nnd  Prcussen,  aber  auch  wohl  bei  den  alten  Slaven 
Begraben  nnd  Verbrennen  oebeneinander,  ohne  dass  es  müglich 
wftre,  die  Priorität  des  einen  oder  anderen  zu  bestimmen.  Doch 
glauben  wir,  dass  wer  das  ganze  archäologische  und  historiaebe 
Kacbrichtenmaterial  (vgl.  mein  Heallexikun  s.  v.  Bestattung 
aad  R  i  d  g  e  w  a  y  Early  age  of  Oreece ,  Kap.  VII)  über- 
blickt, den  Einilrnck  gewinnt,  dass  in  dem  ganzen  heidnischen 
Enropa  im  Grunde  die  Beerdigung  Überall  der  herrschende 
firancb  war,  der  durch  den  Leichenbrand  hier  mehr,  dort  weniger, 
hier  danernder,  dort  vorübergehender  nur  eingeschränkt,  bezüglich 
stellenweis  beseitigt  wnrde.  Wenn  J.  Grimm  Über  das  Ver- 
brennen der  Leichen  (Kl.  Sehr.  II,  211)  anderer  Meinung  war, 
50  geschah  dies  auch  deswegen,  weil  er  das  griech.  I^ibrtui 
„begrabe"  und  „verbrenne",  das  entweder  zu  ahd.  ttinc  „Grube", 
flUnterirdische  Wohnung"  (so  nach  meinem  Vorgang  Kluge  und 
Sapitza)  oder  zu  armen,  damhan  „Grab,  Gruft,  Grabmal"  (so 
bid^D,  Armen.  Stiid.  p.  42)  gehört,  fälschlich  mit  scrt.  fap,  lat. 
peo,  grieeh.  ri^'^a  „Asche"  verband. 

1)  Vielleii^lit  von  (t<;r  sumerischen  Bevölkerung  Babylons  aus, 
fto  im  JaKre  1887  in  den  Ruinen  st  Ktten  Surghul  und  El  Hibba  weite 
h^bplätze  mit  verbriinnten  Leichen  aufgefunden  worden  sind  (vgl. 
a,  Kotdewey  Z.  f.  Assyriologie  II,  403  ff.).  Die  Semiten  und  Etruskn- 
begrubeo  ihre  Leichen. 

»oHrailer.  SpracbvcrglalchnnB  and  Drgeachtebte  II.    3.  AOfl.  ^8 


-    426    - 

Endlich  darf  man  sich  auch  nicht  durch  den  Umstand,  da» 
der  Veda  im  allgemeinen  von  der  Sitte  des  Leichenbrandes  be- 
herrscht wird,  tlber  deren  verhältnismässige  Jagend  täuschen 
lassen;  denn  noch  im  Rigveda  (X,  15,  14)  werden  neben  den 
^vom  Feuer  verbrannten^  auch  „vom  Feuer  nicht  verbrannte'', 
in  Himmelsfreuden  lebende  Vorfahren  unterschieden,  und  bei  dem 
iranischen  Brudervolk  der  Inder  war  ohne  Zweifel  bei  Fürsten 
.  wie  Gemeinen  die  Beerdigung  der  von  den  Vätern  ererbte  Braoeh. 

Ich  kann  also  E.  de  Michaelis,  Vorigine  degli  Indo- 
Europei  (p.  71 — 76,  80 — 83),  nicht  das  Recht  zugestehen,  die 
Sitte  des  Leichenbrandes  als  urindogermanisch  anzusetzen  und 
aus  diesem  Ansatz  Schlüsse  auf  die  Lage  der  idg.  Urheimat  zu 
stieben. 

Mochten  nun  aber  die  Indogermanen  in  der  Urzeit  ihre 
Toten  begraben  oder  verbrennen,  sicher  ist  jedenfalls,  dass  sie 
dem  unverbrannten  oder  verbrannten  Leichnam  allerhand  für  den 
Gebrauch  des  Toten  bestimmte  Beigaben  in  das  Grab  mitgaben 
oder  dieselben  auf  dem  Scheiterhaufen  mit  der  Leiche  ver- 
'  brannten,  damit  sie  dem  Toten  in  das  Jenseits  folgten.  ^^Noch 
heute^,  erzählt  Sejn  von  den  Weissrussen  (Sbornik  der  Kais. 
Ak.  d.  W.  in  St.  Petersburg  LI  Nr.  3  p.  534),  „senken  sie 
nach  dem  Totenamt  den  Verstorbenen  in  das  Grab  zusammen  nait 
Gegenständen,  die  von  ihm  besonders  geschätzt  und  ihm  bei 
Lebzeiten  besonders  lieb  waren.  Wenn  er  z.  B.  seinem  Gewerbe 
nach  ein  Schuhflechter  war,  so  legen  sie  ihm  unweigerlich  einen 
angefangenen  Bastschuh  hin,  wenn  er  ein  Zimmermann  war,  oder 
sonst  ein  Handwerker,  dann  geben  sie  ihm  eine  Axt,  einen 
Meissel,  einen  Hobel,  eine  Feile.  Abgesehen  von  diesen  Dingen 
geben  sie  jedem  Toten  ins  Grab  mit :  Brot,  Salz,  Eier  für  einen 
Eierkuchen,  Nüsse,  Bier  und  Schnaps  in  einer  Flasche,  ebenso 
wie  eine  kurze  Tabakspfeife  mit  Tabak  und  Feuerzeug  oder  eine 
Tabaksdose  mit  Schnupftabak.^  Dieselben  Verbältnisse  wie  hier 
im  XIX.  Jahrhundert  der  christlichen  Zeitrechnung  begegnen 
uns  auf  jenem  oben  erwähnten  altathenischen  Friedhof,  dessen 
älteste  Gräber  mit  Waffen  und  Geschirr  aller  Art,  mit  Töpfen 
voll  von  Speisen  und  Getränken  aufs  reichlichste  versehen  sind. 
In  den  jüngeren  Grabstätten  werden  diese  Beigaben  immer 
seltener,  bis  man  schliesslich  nur  noch  den  Frauen  ihr  Putzgerät, 
den  Kindern  ihr  Spielzeug  beilegt.     Rein  zum  Symbol   ist,  was 


'^nst  realistiscbe  Wirklichkeit  war,  in  deo  Zeileo  der  vediachea 
HymDen  gewordeo,  nach  denen  man  iRigr.  X,  18)  dem  toteu 
Krieger  seinen  Bogen  erst  auf  den  Sfheiterbaufen  mitgibt,  nm 
ihn  Bpilter  wieder  ihm  aus  der  Pland  zu  nehmen,  oder  nach 
denen  man  die  Gattin  des  Verstorbenen  erst  sich  neben  den 
Gatten  legen  lässt,  um  ihr  dann  7.u  befehlen,  nSicb  wieder  xur 
|;WeIt  der  Lebenden  ?,u  erbeben"  (vgl.  oben  p.  348  über  Witwen- 
Verbrennung).  So  bilden  diese  Verbältnisse  ein  Mnsterbeispiel 
den  in  der  nietbodologiscben  Einleitung  dieses  Bncbes 
218,  230i  erörterten  Satz,  dase  die  Zustände  der  L'rzeit  im 
>Bten  Europas  oft  in  der  Gegenwart  noch  treuer  erbalten  sind 
den  ältesten  Denkmälern  der  kulturbiatoriscb  fort- 
Hchritteneren  Völker. 

Aus  dem  Angeführten  folgt,  dase  die  Indogermanen  an  ein 
'^tieben  nach  dem  Tode  glaubten;  denn  nur  bei  dieser  Anscbaunng 
lassen  eich  die  für  den  unmittelbaren  Gebrauefa  des  Toten  be- 
stimmten Beigaben  erklären.  Erst  ganz  aUmäblicb  hat  derMenscb 
das  Phänomen  des  Todes  einigermassen  verstehen  gelernt.  Noch 
beute  denkt  eich  der  russische  Bauer,  dass  ein  Verstorbener  ganz 
gnt  hören  und  verstehen  könne,  was  man  zu  ihm  sage,  und  dass 
nur  nicht  imstande  sei,  seine  Gedanken  und  Gefühle  zn 
»aern  (vgl,  Sejn  a.  a,  0.  p.  520).  Der  ünsterblichkeitsglaube 
t  somit  der  Kindheitsstnfe  der  Menschheit  eigen. 

Schon  in  ihrer  Grundsprache  haben  die  Indogermanen,  wie 

die    inneren  und  äusseren  Teile  ihres  Leibes  (vgl.  I',   164), 

I  auch  für  das  Lebensprinzip,  die  Seele,  feste  Ausdrücke  gehabt, 

ile    in    den    beiden    Gleichungen:    sert.    ätrnän  „Hauch,  Leben, 

jele"   =   ahd.  ätum  „Atem,  Seele"   und  scrt.  Tnd»as  „der  innere 

,  Geist,  Seele"   =   griech.  /liyus  (vgl.  auch  lat.  Minerva  auB 

nesova)    „Kraft,    Mut,    Streben"    vorliegen.     Diese    geistige 

RDtenz,  als  Hauch  {\t.  atkach],  Rauch  (griech.  difftöq,  altsl.  dumo 

'■„der  Gedanke'^:  scrt.  dkiimä,  lat. /dwiu«  „der  Ranch")  oder  Wind 

Jat.  animiis  „Seele":  griech.  äve/wi  „Wind")  gedacht,  löst  sieb 

mit  Eintritt  des  Todes  von  dem  Körper  los,  um,  zunächst  in  der 

Mähe    des  Grabes,  ein  selbständiges  Dasein  zu  fuhren.     Hieraus 

latwickeln  sich  dann  zahlreiche,  je  nachdem  sie  behandelt  werden, 

pfjts    frenndliche,    teils    feindliche    Seelenwesen,    für  die  in  den 

Sprachen    eine    reiche    nud   charakteristische  urverwandte 

prniinologie  vorhanden  ist.    Hierher  gehört  die  Reihe:  lit.  dtßäge 


—    428    — 

^Atem,  Geist^y  altol.  duehü  id.,  duia  „Seele^ :  lit.  dwenüf  dtcUH 
^ hauchen^,  altgall.  dusii  „Drnckgeister,  Maren^,  mhd.  getwäi 
yyGespenst^,  lat.  FSrMiaj  ein  Totenfest,  ans  dem  sich  ein  nrtprflng' 
liebes  *feri8  =  *dkve8is  „Geist  eines  Toten^  ergibt  Wabraeheiii- 
licb  ist  aueb  das  grieeb.  ^eög  „Gott^  ans  *dhves0'9  (vgl.  ^iö-fpmoq) 
hier  anzuknüpfen,  dessen  nrsprtlnglicbe  Bedeutung  alsdann  „gütüieb 
verehrter  Geist  eines  Toten^  gewesen  ist  (so  ancb  Prellwitz 
und  Walde;  abweichend  Bechtel  in  B.  B.  XXX,  267).  Be* 
dentungsverwandte  Gleichungen  sind  femer  scrt  dinSthf  aw.  dr%j 
=  ahn.  dvfmgTj  abd.  gitroc  „Unhold,  Gespenst"  (agls*  driag 
„larya  mortui")  und  altn.  dlfr,  agls.  oeHfy  mhd.  cdp  „Elfe,  ge- 
spenstiges Wesen,  Alp"^,  ursprünglich  ebenfalls  „Geister  der  Tot»^ 
(Tgl.  mein  Reallexikon  s.  t.  Zwerge  und  Riesen)  =  sert. fUM 
„3  kunstreiche  elbische  Wesen  im  Rigveda"  (E.  Z.  IV,  102)  u.a. 

Eine  besondere  Bedeutung  gewinnen  nun  in  religions-  uad 
kulturgeschichtlicher  Beziehung  diese  Totengeister  für  den  Ver- 
wandtenkreis,  zu  dem  sie  gehören,  und  über  dessen  Wohl  und 
Wehe  sie  walten.  Das  sind  die  indischen  pitdras  ^^die  Väter^, 
die  griechischen  '&eoi  natgcooi  (ios  Urzeitliche  zurückversetzt,  naeh 
dem  obigen:  „die  Geister  der  Väter")  oder  die  xQnojidxoQeg  „die 
ürgrossväter",  oder  die  ^Q(oeg  {fJQOig i^oi.  svirs  „geehrt"?),  die 
lateinischen  dt  parentes  (vgl.  parenfaZiet  „das  Totenopfer", |wr«i- 
tare  „ein  Totenopfer  darbringen")  oder  die  Dim  mänes  (altlat 
mänus  „gut"),  die  gotischen  Anses  (agls.  ^se  „Elfe",  ygl.  oben 
über  altn.  dlfr),  die  russischen  roditeli  „Eltern",  die  weissrussischen 
d^jady  „Grossväter"  {ßvjaty  d^jady  „die  heiligen  Grossväter") 
usw.  An  dem  einzelnen  Herdfeuer,  über  dessen  Verehrung  unten 
zu  handeln  sein  wird,  lokalisiert,  werden  sie  zu  Hausgeistein, 
zu  Schützern  der  Herdgemeinschaft.  Hierber  gehören  d«r  griech. 
ÖLya'&og  daljLuov  (vgl.  Roh  de  Psycbe  I*,  225),  die  römischen  j»«»^- 
tes  „die  drinnen"  (vgl.  penus,  penitua  penetrare)  und  Idres^  die 
ihren  von  Wissowa  (Religion  und  Kultus  der  Römer  p.  148) 
mit  Unrecht  bezweifelten  Zusammenhang  mit  dem  Dienst  der 
Toten  schon  durch  das  dazu  gehörige  larva^  lArua  „böser  Geist, 
Gespenst"  und  Lärentaliaj  ein  Totenfest  {ä :  ä  wie  äcuo :  dc^, 
vgl.  auch  Walde  Et.  Wb.  d  lat.  Spr.  s.  v.  lärua)  beweisen,  der 
gemeingermanische  „Kobold",  „der  im  Hanse  waltende"  (vgl.  P, 
214),   der  russische  domovöj^),  „der  im  Hause"  u.a.    Äusserhek 

1)  Ausführlich  über  den  russischen  domovöj  Ralston  The  8<mgs 


429 


f/KUT 

Kfich 


illt    man   sich    die    Seeleu    der  Vei'storbeneD   gern    unter    dem 

Bilde    der    ScfalaDge  ^or,   deren  am  Boden  sich  fortschlängelude 

Bewegangen   an   die   halb  unter,    linlb  über  der  Erde  gcdacliten 

Geister  erinnern  mochten.    Hieraus  hat  sich  dann  bei  den  Rüraern 

(vgl.   Wissowa  Religion  und  Knltng  p.    155)  und  Litauern,  die, 

wie  wir  noch  sehen  werden,  auch  sonst  in  religionsgcschicbtlicber 

Beziehung    merkwürdige  Übereinstimmungen  miteinander  zeigen, 

ein  hauslicher  8clilangenkultu8  (vgl.  La siciua  De  diia  Sama- 

gitarttm  p.  51  :  Xutnunt  ettam  quam  deos  penates  nigri  colorh, 

108  et  quadrupedes  quosdam  serpente^,  Giuoitoa  —  \it.  giicäte 

ichlange"  —  vocatoH)  entwickelt'}.     Auf  die  Übereinstimuiungen 

dem  Namen  dieses  Tieres  haben  wir  I',   Iti2  hingewiesen.     Es 

kann   also    eine  tiefe   knlturhistorisclie  Bedeutung  gehabt  haben. 

Diesen  Toten   ist   nun   bei  allen   altidg.  Vülkern   ein  bis  in 

die    feinsten  Einzelheiten  ausgebildeter  Kult  gewidmet  gewesen, 

iD   GrundzUge  ohne  Zweifel  in  die  idg.  Ur/.eit  zurückgehen, 

id    die    es   mit  Hülfe    der  idg.  Altertumskunde  zu  erscblieesen 

Von   besonderer  Wichtigkeit  erweisen  sich   für  diese  Auf- 

tbe  die  litauischen    und    slaviscben,  namentlich  die  rassischen 

iOBtÄnde,    von    denen   die  ersteren  von  Johanne»  Menecius  {De 

'tacrificiU  et  idolatria  veterum  BoruHsorum,  LivoHum  aliarum- 

que  vicinarum  gentium^    Script.  Rer.  Liv.  If,  389),  die  letzteren 

von  Kotljarevskij*)  Über  die  Gegräbnisbräucbe  der  heidnischen 

^^aven   (äbornik  der   kaiserl.  Ak.  iu  St.  Petersburg  XLIX)  und 

Hv  tJui  Ruimian  penple  p.  119  ff.    Er  hat  sehr  viel 
^■xÄr  familiaris   geiueitisam.    Besonders    interesaai 
ziehuu^  die  Überführung;  des  domovdj  zusammen 
bei  einem  WohDun gs Wechsel  aus  dem  xlten  Han«  insueue.  wo  er  von 
_dem    Hausherrn  mit  den  Worten:    „Willkommen,  Gross  Väterchen,  am 
1  Ort!"  begrübst  wird.    Ebenso  wechselte  in  Rom  der  Lär  fami- 
mil    der    Familie    das  Haus.    Gleich    beim  Eincrilt  in  die  neue 
Vohnnng  wurde  ihm  ein  Opfer  dargebracht.     Vgl.  Plautus  Trin,  v.  39: 
Laretn  Corona  noxtruvi  decorari  volo: 
Uxor,  venerare  ut  nnbin  haec  habifalio 
Bona  fauala  füix  fortuncUaqat  evenat. 
1)  Kne   Spur  dieses  -Schlan^fendienstes  findet  sieb  auch  bei  den 
^ngobarden,    die    nach  iler  Vits  Barbali  im  geheimen  das  Bild  einer 
^er  verehrten  (vgl.  Hirt  Die  Indogermanen  II.  151). 

S)  Hicteilungen    aus   diesem  vorsäglichen,  in  Westeuropa  wenig 
itsten  Werlie   finden  sich  bereits  bei  Ralston   TIte  songs  of  ihe 
uätm  peopCe  Kap.  V  (Funeral  nong»),  London  1873. 


dem  rti mischen 
t  in  dieser  Be- 
dem  Ofenfener 


—     430    - 

von  P.  V.  §eJD  Materialien  zur  Kenntnis  des  Lebens  nnd  der 
Sprache  der  russischen  Bevölkerung  des  Nordwestens  (Weiß»- 
russland),  I,  2,2.  Abteilung:  Begräbnis-  und  Gedächtnisbränche, 
Leichenklagen  und  Klagegesänge  tlber  Veratorbene  (Sbomik  51 
Nr,  3,  Petersburg  1890)  dargestellt  worden  sind  (vgl.  auch  noch 
§ejn  Der  Grossrnsse  in  seinen  Liedern,  Bräuchen,  Gewohnheiten, 
Aberglauben,  Märchen,  Legenden  usw.  Petersburg  1898,  1900, 
2.  Teil  p.  777  ff.).  Ausgehend  von  diesen  bedeutsamen  Materialien, 
habe  ich  in  der  oben  p.  423,  Anm.  1  genannten  Abhandlung  fflr 
Hastings  Dictionary  of  religion  die  Grundlagen  des  idg.  Toten- 
dienstes zu  erschliessen  versucht  und  beschränke  mich  daher 
hier  darauf,  eine  Übersicht  ttber  das  dort  Gebotene  zu  geben. 
Zu  unterscheiden  ist  zunächst  zwischen  der  Pflege,  die  dem 
Toten  bei  der  Bestattung  und  derjenigen,  die  ihm  nach  der- 
selben von  Seiten  der  Verwandten  zu  teil  wird.  Mit  besonderer 
Deutlichkeit  tritt  die  Übereinstimmung  der  Begräbnisbräuche,  zu 
denen  nattlrlich  auch  die  oben  vorweg  genommene  Niederlegang 
der  Totenbeigaben  gehört,  bei  einer  Vergleichung  der  litn- 
slavischen  mit  den  altgriechischen  Riten  (vgl.  Roh  de  Psyche 
P,  218  ff.)  hervor.  Es  lassen  sich  vier  Akte  des  Begräbnis- 
zeremoniells unterscheiden: 

1.  Die  Ausstellung  der  Leiche  (griech.  jigMeoig). 
Nachdem  der  Tote  feierlich  gewaschen  und  bekleidet  worden 
ist,  wird  er,  mit  den  Füssen  zur  Tür  gewendet,  zur  Besichtigung^ 
für  Freunde  und  Verwandte  aufgebahrt. 

2.  Die  Totenklage  (griech.  ^gifvog).  Durch  alle  Phasen 
der  Bestattung,  besonders  aber  durch  die  Dauer  der  Ausstellung 
der  Leiche  ziehen  sich  die  von  den  Weibern  der  Verwandtschaft 
angestimmten  Totenklagen,  die  von  leidenschaftlichen  und  hand- 
greiflichen Ausbrüchen  des  Schmerzes,  wie  Zerkratzen  des  Ge- 
sichts und  Busens,  begleitet  sind.  Oft  nimmt  die  Totenklage 
den  Charakter  eines  Zwiegesprächs  mit  dem  Toten  an^). 

3.  Der  Leichenzug  (griech.  ixtpogd).  Am  dritten  Tage 
wird  die  Leiche  aus  dem  Hause  getragen  und  (in  Rnssland  viel- 
fach auf  einem  Kufen  wagen  —  russ.  sdni  „Schlitten'')  nach  dem 


1)  Hinzugekommen  an  neuester  Literatur:  E.  E.  Blümml  Ge^ 
manische  Totenlieder  mit  besonderer  Berücksichtigung  Tirols,  Archiv 
f.  Anthropologie  N.  F.  V  (XXXIII),  Heft  3/4. 


Friedhof  gefahren.  Nach  WinterDitz  (Beilage  zur  Allg.  Z. 
1903  Nr.  25b)  hätte  iu  der  Jdg.  ümeit  eine  dreimalige  Üni- 
»andlniig  dea  Grabes  Eeiten»  der  Leidtragenden  stnttgef unden ; 
Soch  kanti  ich  diesen  Brauch  bis  jetzt  hei  deu  Slaven  nicht 
Klegen. 

4.  Der  LeichenscbraanB  (ntgidempov).  Wenn  man  vom 
Friedhof  kommt,  mnss  mau  sich  vor  allem  waschen.  Dann  wird 
iBin  Mahl  liergeriehtet  fgriecb.  ii'ni-or  dairvvai,  ruas.  prdvitl  gtolü). 
Bei  demselben  gedenkt  iiiftu  aueachliesslich  der  guten  Taten  des 
Verstorbenen  (Weiteres  a.  u.). 

Was  die  Pflege  der  Toten  nach  ihrer  Bestattung,  also 
den  eigentlichen  Ahnenkult  betrifft,  so  gilt  es,  die  titu-alavische 
Überlieferung  vor  allem  mit  den  nächst  dieser  am  vollständigsten 
bewahrten  altindischen  Riten  (0.  Donner  Das  Pindapitryajßa 
Kler  Manenopfer  mit  Klössen,  Berlin  1870,  W.  Caland  Über 
Fotenverebrung  bei  einigen  der  idg.  Völker,  Amsterdam  1086, 
Altindiseher  Ahnenkultus,  Leiden  1893,  Oldenberg  Die  Religion 
les  Veda,  paeeim)  in  Beziehung  zu  setzen,  um  alsdann  von  hier 
ins  die  trllmmerhaflen  Nachrichten  der  übrigen  idg.  Vülker  ver- 
liehen zu  lernen.  Auf  diesem  Wege  lassen  sich  folgende  Punkte 
lls  auf  vorgesc  hiebt  liehen  Znsammenhängen  beruhend  znsammen- 
ilelleu: 

1.  Die  „Väter"  walten  als  mächtige  Götter  über  dem  Wohl 
1er  Familie,  und  an  sie  wendet  mau  sich  in  allen  Nfiten  des 
Iglichen  Lebens,  Besonders  die  Kiiidererzeugung,  auf  der  der 
testand  des  Hauses  beruht,  steht  unter  ihrer  Obhut.     Sie  gelten 

als  sehr  streng  und  reizbar,  nnd  mau  muss  sich  hüten,  ihren 
Zorn  dnrcb  Nichtbeobachtung  der  Gebräuche  /,u  erregen.  Der 
_  Verstorbene  tritt  nicht  sofort  in  die  Zahl  der  „Väter"  ein.  Bevor 
feierlich  in  ihre  Mitte  aufgenommen  wird,  vergeht  eine  ge- 
lrisse   Zeit,    während  der  seine    Seele  gespenstig  berumschweift. 

2.  Die  Verehrung  der  „Väter"  ist  an  bestimmte  Zeitenge- 
inden,    die   in    besondere    und    allgemeine  Totenfeste  zer- 

tlleu.     Die  ersteren  werden  in  dem  Kreis  der  Familie  gefeiert, 

|er  der  Verstorbene  angehörte  (nach  Menecius  z.  B.  amlll.,  VL, 

.  und  XL.  Tage),  die  letzteren  (die  indische  Ashtakafeier,  die 

^echischen    'Ai-ifeaTtjQia,    die    römischen    FSral'm,    Lärentalia, 

I,  in  Litauen  das  Fest  des  Flachsgottes  Wnizgantkos  und 

Totengottes     Vielona   und    das    Wurstfest    Skierntuwes,   in 


-    432    - 

Russland  4—6  ToteDfeate,  darnnter  die  rculunieä)  werden  tob 
dem  ganzen  Volke  begangen.  Bei  den  ersteren  FristbestimmaDgei 
spielen  die  ungeraden  Zahlen,  die  überhaupt  den  Toten  gehöret, 
eine  wichtige  Rolle. 

3.  Die  Stätte,  wo  man  den  Toten  ihre  Mahlzeit  auftischt, 
ist  zunächst  das  Grab,  in  dem  er  ruht,  und  um  das  herum  in 
der  ältesten  Zeit  wohl  auch  das  oben  erwähnte  LeichenmaU 
(mgldsmvov  „das  Mahl  um  deu  Grabhügel^)  stattfand.  Als  Steil- 
Vertretung  des  Grabes  ist  die  Grube  (lat.  mundus)  zu  betracbteo. 
Auch  auf  Kreuzwegen,  einer  Lieblingsstätte  für  Beerdigungen  in 
ältester  Zeit,  wurde  gern  der  Toten  gedacht.  Später  ziehen  sich 
diese  Erinnerungsfeiern  mehr  in  die  Wohnungen  der  Menschen 
zurück  oder  werden  am  Grab  u  n  d  in  den  Wohnungen  abgehalten. 

4.  Auch  die  wichtigsten  Riten,  unter  denen  sich  die  Spei* 
sung  und  Tränkung  der  toten  Vorfahren  Tollzog,  lassen  sich 
noch  ermitteln^).  Die  Bewirtung  derselben  beginnt  mit  ihrer 
feierlichen  Herbeirufung  (z.  B.  in  Weissrussland : 

„Ihr  heilig'eii  Grossvater,  wir  rufen  Euch, 

Ihr  heiligen  Grossväter,  kommt  zu  uns! 

Es  gibt  hier  alles,  was  Gott  gegeben  haf  usw.), 

und  schliesst  mit  ihrer  ebenso  feierlichen  Entlassung  (Weiss- 
russland: 

„Ihr  heiligen  Grossväter,  Ihr  seid  hierher  geflogen, 
Ihr  habt  getrunken  und  gegessen. 
Flieget  jetzt  wieder  nai*h  Hause!**  usw.) 

Für  das  Erinnerungsmahl  selbst  lassen  sich  die  drei  Sätze  auf- 
stellen: 1.  Speise  und  Trank  wird  für  die  „Väter"  während  der 
Mahlzeit  von  den  Schmausenden  auf  den  Tisch  ausgeschüttet 
2.  Was  bei  der  Mahlzeit  unter  den  Tisch  fällt,  gehört  den  Toten, 
die  keine  Verwandten  oder  Freunde  haben.  3.  Reste  von  Speise 
und  Trank  werden  nach  der  Mahlzeit  in  Gefässen  zum  Genuas 
der  „Väter"  aufgestellt. 

5.  Einer    besonderen   Untersuchung   bedarf  noch  die  Fest- 


1)  Eine  reiche  Fülle  über  den  ganzen  Erdboden  verbreiteter 
Bräuche  tlndet  sich  bei  Sartori  Die  Speisung  der  Toten  (Schul- 
programm, Dortmund  1903).  DaBS  wir  es  bei  dem  Totendienst  mit 
einer  allgemein  menschlichen  Einrichtung  zu  tun  haben,  wurde  schon 
oben  p.  131  bemerkt.  Für  uns  handelt  es  sich  darum,  ihre  besondere 
Grestaltung  bei  den  Indogermanen  zu  ermitteln. 


—     433     - 

Eellnng:  der  Speisen  und  Getränke  ,  mit  deneu  inaiidie  Toten 
lewirtete.  Vorlänfig  lässt  sich  sagen,  dans  BotiDen  (vgl.  oben 
190}  und  Houig  oder  Met  (vgl.  ausser  scrt.  mädhu  usw.  oben 
,  202  nouL:  aert.  sutd  „Somaopfer,  Somasaft"  =  ruse.  sytd 
LUonigwKSBer",  häufig  zur  WUrzuDg  der  ToteDSpeUen  gebraucht) 
Bter  ihnen  eine  wichtige  ttoUe  spielteu, 

,  Wie    bei    den    Leichenmahlen    (s.    o.),  ist  auch  bei  den 

Eriunerungsfeiern    die    Sliinmung    der  Teilnehmer  zunächst  eine 

ist«   und  schweigsame  (laf.  gUicerniiim   „Mahl  der  Schweigen- 

len"?(.     Man    glaubt    durchaus,    dass    die  Seelen  der  Väter  an- 

CBend  seien.     Allmählich  aber  geht,  teils  unter  dem  Einfluse  der 

■Ktcblieb    genossenen    Alcoholica,    teils,    weil    man   glaubt,    dass 

nllzn    langer  Schmerz  den  Verstorbenen  nicht  angenehm  sei,  die 

aofänglicbe    Traurigkeit    in  ausgelassene  Fröhlichkeit  über,  und 

leicben-    wie    Erinnermigsmabl    (beide    lassen  sieh  nicht  immer 

tentlich  scheiden)  endigen  mit  Tanz,  Maskerade  und  Musik,  be- 

mders  aber  mit  Spielen  und   Wetlkämpfen'). 

7.  Schliesslich  sei  auf  die  bei  den  slavischen  Völkern 
trrschende  Sitte  hingewiesen,  bei  den  Totenfeiern  ganxe  Seharen 
fOn  Bettlern  und  Krlippebi  festlich  zu  bewirten,  eine  Sitte,  mit 
ler  die  in  Indien  an  den  ^räddha's  obligatorische  Speisung  der 
vhmane.n  offenbar  in  engem  Zusatnoienhang  steht. 

So  scheu  wir  schon  in  der  Or/eit  Lebende  und  Tote 
durch  einen  fest  geregelten  Totendieust  verbunden,  dessen  Aus- 
übung hei  der  „näheren  Verwandtschaft"  des  Verstorbenen  ruht 
_  Diese  näheren  Verwaudten  sind  im  Griechischen  die  dj'/ioiei^,  io 
tom  die  propinqui  sobrino  tenus.  in  Indien  die  sapinda,  d.  h. 
;  KIoBsgeooseen,  diejenigen  Verwandten,  welche  die  „Klösse" 
be't.  pinda ;  auch  in  Weissrussland  sagt  man  ria  kUckachä  „auf 
löBsen",  d.  h.  bei  einem  Leichenmahl,  nu  klecki  jemu  „nun 
ihm",  d.  b.  er  wird  bald  sterben)  den  drei  Vorfahren 
Vater,  Gross-,  ürgrossrater)  darzubringen  verpfticbtet  sind.  Gab 
schon  in  der  Urzeit  den  Begriff  einer  solchen  Nahverwandt- 


1)  Zu  den  von  Winternilz  Beil.  2.  Allg.  Z.  1903,  Nr.  259  p.  301 

mir  tbei  Hnstings)  für  die  «j-m«,-  ijimiipioi   bei^ebracliteu  Zeuff- 

u  möchte   ich  noch  Herod.  V,   8  hiuaichtlich  der  Thraker  hinzu- 

1[  X^l"*  ^  X''^'"^  äy&ya  n&fTm  Taytoror,   h  iip  lö  iiryioia  (JfSio  tl&rxcn 

i  Uf^  liovrafiaxliji. 


-     434    — 

Schaft,    so   mnss    sie  den   Charakter   dieser  indischen  Sapinda- 
genossenschaft  gehabt  haben. 

Iq  erster  Linie  sind  es  aber  doch  immer  die  Söhne,  von 
denen  der  Vater  nach  seinem  Tode  die  Darbringnng  der  Toten- 
opfer erwartet,  wie  sie  auch  die  nächsten  zur  Ausübung  der 
Blutrache  für  den  beleidigten  oder  getöteten  Vater  sind.  Seine 
Sicherheit  im  Leben  und  seine  Ruhe  im  Tode  liegt  bei  ihnen. 
Daher  erklärt  sich  der  heisse  Wunsch  nach  Söhnen,  der  uns  in 
der  ganzen  idg.  Welt  entgegentritt.  Offenbar  aber  konnten  solche 
Söhne  nicht  mit  jedem  beliebigen  Weibe  gezeugt  werden,  es 
bedurfte  vielmehr  dazu  der  Frau,  die  unter  feierlichen  Bräuchen 
dem  Manne  ^ zugeführt^  worden  ist.  Darum  muss,  worauf  bereits 
oben  p.  335  hingewiesen  wurde,  die  Ehe  schon  in  der  Urzeit 
als  eine  unausweichliche  Notwendigkeit  gegolten  haben,  der  sieh 
in  der  Regel  niemand  entziehen  konnte  und  wollte. 

Wie  die  Verwandten  im  Leben  zusammen  oder  wenigstens 
benachbart  gewohnt  haben,  so  werden  sie  auch  familien-  und 
sippenweis  begraben.  Dem  altn.  cetthaugar  „Geschlechtshügel^ 
für  Friedhof  entspricht  im  gleichen  Sinn  das  russ.  (Dial.) 
roditeliskoje  meato  „Ort  der  Vorfahren".  Über  historische  und 
archäologische  Zeugnisse  für  diesen  Brauch  vgl.  mein  Reallexikon 
s.  V.  Friedhof  und  M.  Much  Mittl.  d.  anthrop.  Ges.  in  Wien 
XXXVI,  90  f. 

Auf  diesen,  wie  es  scheint,  besonders  an  Strassen  und 
Kreuzwegen  (s.  o.)  angelegten  Sippenfriedhöfen  dachte  man  sich 
in  der  Urzeit  die  Seelen  der  Vorfahren  in  der  Tiefe  der  Erde 
oder  in  der  Nähe  des  Grabes  hausen.  Eigentliche,  in  weiter 
Entfernung  von  dem  Grabe  unter  oder  über  der  Erde  gelegene, 
von  mächtigen  Herrschern  regierte,  mit  Straförtern  für  die  Bösen 
und  Lustgefilden  für  die  Guten  versehene  Totenreiche,  wie 
die  arische  Totenwelt  des  Jama  und  der  Jamt,  der  griechische 
Hades  {**A-J^idä  („Ort  der  Unsichtbarkeit"),  das  getische  Toten- 
reich des  Gottes  Zäk/uo^ig  oder  reßeXü'Cig  (Herod.  IV,  94),  das 
gemeingermanische  got.  halja,  ahd.  hella  „Ort  der  Verbergung", 
vergl.  lat.  celare)^  das  angelsächsische  neorxna-wong  (vergl. 
A.  Leitzmann,  Beitr.  z.  Gesch.  d.  deutschen  Spr.  u.  Lit.  XXXU,  1 
und  F.  Kluge,  Z.  f.  deutsche  Wortf.  VIH,  144),  das  gemein- 
slavische  raj  (lit.  rojus)  u.  a.,  sind,  abgesehen  vielleicht  von  ge- 
wissen   vorgeschichtlichen    Ansätzen   (vgl.  die  wurzelverwandten 


-    435     - 

ViHona    „tieus   aniiuarnra",    altn,    ValhöU,    griecli.   'Hivaiov, 

ffTjivoiovAit.iciles  „Geister   der  Verstorbenen'*,   alta.  valr,  agls. 

wl   „der  Tote   des  Scblacblfeldea"),   einzetvolktiGhe    nnd    also 

lerliftltnisnifisBig:  späte  Bjldung:en.    Ancb  hierüber  bitte  ich  meine 

ftagftlbrungen  in  Uastings  Dictionnry  o/'  religion  zu  vergleichen. 


i 

■Pe 


II.   Die  Verehrung  der  „Himmlischen". 

1.   Die  „HimiLiliHchen"  selbst. 

Wie   für    die  Religion    üherhaupl,  so   ist   auch  für  die  des 

idg.  ürvolkes  voa   einem  Zustand    anbegrenzler  Fähigkeit,   das 

Unbelebte  zu  beleben  nnd  zu  vergöttlichen,  aaaxugehen,  den  man 

mit   den    Anthropologen    als    AnimismuH    bezeichnen    kann.     Es 

gibt  daher  von  Anfang  an   so  viele  Götter,  als  es  Gegenstilnde, 

Handlungen  nnd  Zustände  gibt,  die   ein  Gefühl  religiöser  Sehen 

dem  Menschen  auszulösen  imstande  eind. 

DieBe   unbegrenzte    Fähigkeit,   GOtter    zu   bilden,    um    mit 

tm  Usenerscben ' j  Ausdruck  zu  reden,  „Sondergötter"  zu  schaffen, 

ittliche  Wesen,  die  sich  zunächst   streng   innerhalb  der  Sphäre 

Begriffes  hallen,  der  ihrem  Namen  zugrunde  liegt,  lässt  sich 

iter    den    idg.  Völkern    mit     besonderer    Deutlichkeit    bei    den 

Litauer-Preussen    und   Römern   verfolgen.     Was    hinsichtlich 

der  ersteren  ein  jesuitischer,   im  -Anfang   des  XVIl.  Jahrhunderts 

das  polnische  Livland  bereisender  Missionar  berichtet;  IH  varios 

deo»  hahent,  olium  coeli,  aiiam  terrae,  quibus  alii  Hubsunt, 

ul    dii  pinvium,    agrorum,   frumentorum,    kortorum, 

\ecorum,  equorum,  raccarum,  iic  singtdarium  necessi- 

tarn  proprion,   was   auch    Helmold   Chronica    Slavorum  ed. 

'ertz  1.  I  p.  163  von  den  heidnischen  Westslaven  mitteilt:    Inter 

multiformia  rero  deorum  numina,  quibus  ari-a,  silras, 

trietitias    aique    voluptates   attribuunt,    non    diffitentur 

in  celis  celeri«  imperitantem,  die  Worte,  mit  denen  Cen- 

inoB  die  zahllosen  Gottheiten   der  römischen    Indigilamenta 

irakteriaiert:  Sed  et  alii  sunt  praeterea  (d.  b.  ausser  den 

sn  Kultgöttem)  dei  complures   hominum   ritam  pro 

quigqae   portione    adminieulantea,    quoa    cofentem 

1)  Vgl,  H.  UsBner  Gfitteruainen.  Versuch  eintn-  Lehre  von  der 
HlgiÖHen  Begriffsbildun^.  Bonn  1896  (darin  F.  Solmsens  Aus- 
brnngen  über  die  Keli^ion  der  Litanur  nnd  Preusseo), 


-    436    — 

cognoscere  indigitamentorum  UhH  aatis  edocebuntf  alles  das  kt 
nur  der  UDbeholfene  Versach  römischer  oder  römisch  gebildeter, 
an  eine  beschränkte  Zahl  grosser  Götter  des  fortgeschritteneD 
Heidentums  gewöhnter  Berichterstatter,  die  ihnen  befremdliche 
Erscheinung  eines  uneingeschränkten  Animismus  zam  Ausdruck 
zu  bringen.  Die  Analogien  zwischen  den  beiden  genannten 
Religionsgebieten  ^)  sind  zu  schlagend,  um  von  irgend  jemandem 
geleugnet  werden  zu  können. 

Wie  es  in  den  baltischen  Ländern  auf  dem  Gebiet  der 
ftlr  ihre  Bewohner  besonders  wichtigen  Viehzucht  zunächst 
einen  Gott  gibt,  der  im  allgemeinen  für  das  Vieh  sorgt,  dann 
eine  Göttin  für  die  Vermehrung,  einen  Gott  für  das  Füttern, 
einen  Gott  für  das  Weiden  der  Herden,  femer  Götter  für  das 
Rindvieh,  die  Pferde,  die  Schafe,  die  Schweine,  das  Federvieh, 
die  Bienen,  für  ihr  Ausschwärmen  und  das  Ausschneiden  des 
Honigs,  für  die  Kälber,  für  die  Ferkel,  für  die  Lämmer,  ja  für 
das  Geschmeiss  der  Bienen,  so  sind  auf  dem  Felde  des  für  die 
altrömische  Kultur  grundlegenden  Ackerbaus  in  der  Volks- 
religion besondere  Gottheiten  unterschieden  worden  für  die  Aus- 
saat {Säturniis :  sero,  auch  Seia  und  Segetiä),  für  die  Ernte 
{Consus  :  condere,  Opa),  für  das  Wachstum  (Ceres) j  die  Blüte 
(Flora),  die  Frucht  (Pömöna),  den  Misswachs  (Röbigus),  für 
alle  einzelnen  Akte  des  Pflügens  und  Bestellens,  Mähens  und 
Einscheuerns,  für  das  Düngen  (StercuUnius)  usw.  Wie  in  Hans 
und  Hof  bei  den  Preussen  und  Litauern  ein  „Herr  des  Gehöftes", 
ein  Behüter  des  Hauses,  ein  Gott  des  Gesindes,  eine  Herrin  des 
Herdes,  eine  Gottheit  der  Brunnen,  des  Wechsels  der  Wohnung, 
der  Feuersbrunst  vorhanden  war,  so  in  Rom  ein  Gott  der  Türen 
(Jänm)y  eine  Göttin  der  Türangeln  (Cardea)  und  der  Schwellen 
(Lima),  eine  Göttin  des  Herdes  (Ventä)  und  der  Feuersbrunst 
(Stata  mäter).  Wie  im  Bereich  des  Familienlebens  in  Preuss^ 
und  Litauen  ein  Schutzgeist  im  allgemeinen,  femer  eine  Gottheit 
des  Beilagers  für  Mädchen  und  eine  solche  für  Burschen,  eine 
Göttin  der  Entbindung,  ein  Heilgott,  ein  Gott  des  Todes  ver- 


1)  Vgl.  für  die  Preussen  und  Litauer  UsenerC-Solrasen)  Götter- 
namen p.  79ff.,  für  die  Römer  H.  Peter  Indigitamenta  in  Roschers 
Lexikon  d.  g-riech  u.  röm.  Myth.;  dazu  Wissowa  Echte  und  falsche 
^Sondergötter",  Ges.  Abh.  zur  römischen  Religions-  und  Stadtgesch., 
München  1904,  p.  304  ff. 


437 


'  cbrt  wurden,  so  in  Koni,  aasser  dem  fillgenieinea  >ScliutzgeiBt 
{Genhu),  eine  Göttin  der  Geburt  {Mater  AJatuta,  t'armenta),  eine 
Göttin  der  Geburt  und  des  SterbeiiB  {Genita  Mona),  eine  Göttin, 
die  Mann  nnd  Frau  versöhnt  ( Viriplrtcn),  ein  Gott  des  Beischlafs 
{Mutunut  Tutttiius),  Gottheiten  für  alle  Akte  der  Eheschliesanng 
und  des  Beilagers,   für  das  Fieber  (Febris),    ftlr  die   Bchädlichen 

^jAnsdlloBtongen  {Meßtis),  für  den  Tod  [Larenta,  Cnrna,  Vejovü), 

Wftr  das  Begräbnis  (Libitiva). 

^p  Indessen  wtirde  man  irren,  wenn  man  in  diesen  Analogien 

mehr  als  blosse  Analogien,  also  etwa  gemeinBame,  vorhistorische 
Begriffsbildnngen  erkennen  wollte.  Was  darcb  sie  als  vor- 
historisch erwiesen  werden  soll,  ist  vielmehr  lediglich  die  Fähig- 
keit nnd  der  Trieb,  jeden  für  den  primitiven  Menschen  bedeulungs- 
voUen  Natur-  oder  Kulturbegriff  zu  einer  Gottheit  auszugestalten 

fid  die  so  geschaffenen  Götter  in  ihrer  nrsprflnglicheu  Sphäre 
ae  Zeitlang  festzuhalten. 
Was  von  derartigen  Bildnugen,  wie  sie  im  Bisherigen  ge- 
hildert  worden  sind,  schon  in  der  idg.  Urzeit  vorhanden  war, 
wird  sich  schwerlich  jemals  mit  Sicherheit  ermitteln  lassen. 
Zweifellos  aber  ist,  dass  sieh  schon  damals  aus  der  nnüber- 
^Hebbaren  Menge  ursprünglich  vorauszusetzender  Sundergötter  eine 
^M  besonders  hohem  Grade  das  religiöse  Empfinden  der  Menschen 
^^pregende  Klasse  von  Weeen  losgelöst  hatte,  ftlr  die  in  der 
^BDrspracbe  der  schon  oben  genannte  Gattungsname : 
^^  Bcrt.  d^td.    lat.  deus,   üt.  dUwaa,  ir.  diu,  altn.  tivar,  N.  Fl., 

■  „die  Himmtischen"  bestand.     Schon  in   dem  früher  angeführten 
HissioDsbericht,    sahen   wir,    wurde    bei    den   Litnnem  an   erster 
Stelle  der  Gott  des  Himmels  genannt,  und  ausdrtlcklich   hervor- 
^^^boben,  dass  die  übrigen  Sondergötter  als  unter  diesem  nnd  einem 
^^Bott  der  Erde  stehend  betrachtet  würden  (suft^Hnfi.  Nicht  weniger 
^Bieten   aber   auch   in   den   Qbrigen  preussisch-Utaniscben  Quellen 
^^Ke  grossen  Himmclsgewalten   in   der  Keligion  dieser  Völker  vor 
allen  anderen  Gottheiten  bedeutungsvoll  hervor.     Vgl.  Peter  ton 
Dnsbnrg,  den  Herausgeber  der  ersten  prenssischen  Chronik  (1326): 
ErraJtdo    omnem   creaturam  pro   deo   colueruitt,  sciHcet  solem, 
lunatn  et  Stellas,  tonitrua  (Scriptores  rer.  Pruss.  I,  53),  Ckron. 
mrd.    Teut.   von    Blunienaa :    Prisco    gentilitatis    errore    imhuti 
mnem  ornalum  caeli  atque  terrae  adorantes{Srript.\,bZ kmaA) 
Erasmus  Stella  De  Boruggiae  Antiquitatibus  bei  Giynaeus 


—    438    — 

Novus  OrbiSy  Basel  1537,  p.582:  Solem  et  Lunam  deos  amnium 
primos  crediderunt,  Tonitrua  fulgetraaque  ex  consensu  gentium 
adoräbant  usw. 

GaDz  in  ÜbereioBtimroung  hiermit  wird  von  zwei  anderen 
indogermanischen  Völkern,  einem  europäischen  nnd  einem  asi- 
atischen, bei  denen  wir  die  ursprtlngliehen  Verhältnisse  mit  be- 
sonderer Treue  uns  bewahrt  denken  dürfen,  durch  zwei  in  per- 
sönliche Berührung  mit  diesen  Völkern  gekommene,  einwandsfreie 
Schriftsteller  in  ganz  unzweideutiger  Weise  ausgesagt,  dass  die 
Verehrung  der  Naturgewalten  die  Grundlage  ihrer  Religion  bilde. 

Es  sind  dies  einmal  die  Germanen,  von  denen  Caesar  de 
beU,  Gall.  VI,  Kapitel  21  berichtet:  Qermani  multum  ab  hae 
{Gallorum)  consuetudine  differunt,  Nam  neque  druides  habentf 
qui  rebus  divinis  praesinty  neque  sacrificiis  student.  Deorum 
numero  eoa  solos  ducunty  quos  cernunt  et  quorum 
aperte  opibus  tuvantur,  Solem  et  Vulcanum  et  Lunam, 
reliquoH  ne  fama  quidem  acceperunt. 

Es  sind  dies  zweitens  die  Perser,  über  die  der  Bericht 
des  Herodot  (I,  Kap.  131)  lautet:  äyäk/Luna  jaev  xal  vrjovg  xai 
ßcDjuovg  ovx  iv  vofup  noievfxevovg  lÖQVEO'&ai,  äXkä  xal  xdiai  nouvat 
jLUOQirjv  im(p€QOvoiy  dbg  jukv  ijuoi  doxieiv,  Sri  ovx  iv&QmnoqwioQ 
ivofjuoav  Tovg  t^eovg  xaxd  tieq  ol  TEürjveg  elvai,  ol  de  vo/iiCovoi 
All  fikv  btl  xä  vyjfjXoTaxa  x(ov  ovQiwv  ävaßaivovxeg  ^alag  igömj 
xov  xdxXov  ndvxa  xov  ovgavov  Ala  xaXiovxeg'  ^ovoi  Ök 
^klcp  xe  xal  aeXrivfi  xal  yfj  xal  tzvqI  xal  vdaxi  xal  ävifioig. 
xovxoioi  /xev  07]  fwvvoioi  '&vovai  ägxtj'^evy  ijufie/MX&i^xaoi  di  xal 
xfj  Ovgavifi  &u€iv,  nagd  xe  lAoovgUov  fxa'&dvxeg  xai  ^Agaßkov, 

Auch  den  Bericht  desselben  Herodot  (FV,  59)  über  die  zum 
mindesten  stark  iranisierten  Skythen  (vgl.  Kap.  XVI)  darf  man 
in  diesem  Zusammenhang  anführen:  ßeovg  jukv  jLMvvovg  xovode 
iXdoxovxaif  Tiaiirjv  jukv  fxdhaxa,  im  dk  Ala  xe  xal  rfjv,  vo/ulConeg 
xrjv  rfjv  xov  Aiog  elvai  yvvaixa. 

Überblickt  man  diese  Zeugnisse  und  vergegenwärtigt  sich 
weiter,  wie  für  alle  diese  in  ihnen  genannten  Himmelsgewalten 
unanfechtbare  idg.  Bezeichnungen  vorhanden  sind,  aus  denen, 
wie  sich  noch  weiter  zeigen  wird,  bei  den  Einzelvölkem  die 
Namen  machtvoller  Götterpersönlichkeiten  hervorgingen,  so  ge- 
hört ein  erhebliches  Mass  von  Zweifelsucht  dazu,  es  bestreiten 
2U  wollen,   dass    die  Verehrung    der    ^Himmlischen^    (*d€it)o-$) 


leben  dem  Totenkult  den  eigentliclieu  Kern  der  idg.  Religionen 
ijidete. 

An  der  Spitze  dieser  Verehrung  steht  der  Himmel  selbst: 
scrt.  dyäüa  (in  je  ältere  Zeit  wir  zurückgehen,  um  90  deut- 
licher der  siclitbare  Himmel  selbst)  =  griech.  Zevi,  lat.  Diespiter, 
Juppiter  (letzteres  aus  Ja  piter  =  Zfv  .-rorf^),  wohl  auch  (trotz 
^^remer  I.  F.  HI,  3ül)  =  altn.  Tyr,  ahd.  Ziu,  dem  germuni- 
^■ehen  Kriegsgott.  Gewßhnlich  wird  dies  sich  so  ergebende  idg. 
^^gif/Stia  auch  dem  lat.  dien  „der  Tag"  gleichgestellt,  so  daas  der 
^^Blinmel  in  der  idg.  Urzeit  zunächst  als  der  Träger  des  Tages- 
^Bcbts  gegolten  hätte')- 

^V         Als    besondere    Gottheit    steht    in    der   Urteil    neben    dem 
^^Himme)  der  das  GemUt  des  primitiven  Menschen  wohl  am  mäch- 
tigsten erscliütternde  Donner,  dessen  idg.  Bezeichnung  in  slav. 
perunä  „Donner"   nnd  „Doiiiiergott",  Ut.  perkünag  ehsnao  t\deus 
tonitruum  ac  tempentatum"^)  =  scrt.  parjäni/a  „der  Gewittergott" 
mit  der  Grundbedeutung  ^der  schlagende"  (nltsl.  plrati,    armen. 
kark-anem,    Aor.    kari    „Bchlagen")    vorzuliegen    scheint    (vgl. 
E.   Liden    Armen.   Studien    1906    p.  88  ff.).     Einzelsprachliche 
Bildungen  derselben  Art  sind  das  gemeingermanische  ahd.  Dunar, 
^_*ltDdd.  Thunar,  altn.  Thörr  und  dae  gemein  keltische   TaraTws, 
^■heide    „Donner"    und    „Donnergott"    (vgl.    ahd.    donar    und   ir. 
^Ktranti  „Donner").     Als  Neubildung   ist   es  zu   betrachten,  wenn 
^^Owohl  der  griech.  Zeus  (eXaxf  ovQavöy  evgi>v  h'  aldsQt  xai  vf(pi- 
Xijai)   wie   auch   der  lat.  Juppiter  zugleich    als   Himmels-    nnd 
Gewittergott  auftreten. 
^K  Nicht  geringere  Verehrung  mUssen  auch  die  ewigen  grossen 

^Blichtgestalten  des  Himmels,  die  Sonne,  die  Morgenröte,  der 
^^kond  genossen  haben:  die  Sonne:  scrt.  gücar  (sä'rya  und  svär 
^B(  aw.  heare),   griech.  &ßiXto?  (kret.  Hes.),  iilXio?,  iiXio^,    lat.  gdl, 

^^  1)  Eine  neue   wichtigt;  Rolle  sucht  L.  v.  Schröder  dem    idg. 

Hlmmelsgrott  zuzaerteileo,  indem  er  annimmt,  daea  derselbe  zugleich 
,das  huchste  gute  Wesen"  der.  urzeitlichen  Indogermanen  gewesen  sei 
[vgL  Verb,  des  II.  interaatlouAlen  Kongresses  für  allgemeine  ReÜgiuns- 
Bchiuhte  in  Basel,  1905,  p.  ä!)f.).  Mau  wird  abzuwarteu  haben,  was 
k  T.  Schrödt-r  zur  Begründung  dieser  Ansicht  vorbringi'n  wird,  der  wir 
ich  nnsern  obigen  (p.412)  Bemerkungen  über  das  »IteatB  Verhältnis 
r  Götter  zu  der  Sittlichkeit  der  Menschen  natürlich  sehr  skeptisch 
in  Sb  erstehen. 


-    440    — 

got.  sauü  (N.  neben  sunnd  F.),  meynir.  heul,  altpr.  saulej  lit. 
säule;  —  die  Morgenröte:  sert.  tishäs  and  i^rä',  aw.  uiahy 
griech.  ^<og,  äol.  avcog,  lat.  «wrora,  lit.  atf«2Ta;  —  der  Mond: 
sert.  mä'Sy  aw.  mäh,  griech.  fu^m],  got.  mSnay  Kt.  mSnü.  An 
Vergöttlichungen  dieser  Liehtgestalten  bei  den  EinzelTölkem  sind 
zn  nennen:  Bei  den  Litauern  die  sagenumwobene  SauUUj  die 
mit  dem  Mond  (M^ü)  verheiratet  ist,  und  Auszrä  „die  Morgra« 
röte^  (vgl.  bei  Laricius  De  diis  Samagitarum  :  Au9ca  —  liei 
auszrä  —  dea  est  rcuiiorum  solis)'^  bei  den  Germanen:  Snmm 
(im  zweiten  Merseburger  Zauberspruch :  Sinthgunt  d.  i.  der  Mond, 
eigentlich  „Weggenosse''  sc.  der  Sonne,  Sunna  era  swUter),  nf 
deren  Bedeutung  auch  der  agls.  sunnandfen  =  ahd.  sminunäbend, 
d.  i.  der  Vorabend  vor  dem  Tag  der  Sunna  hinweist^  Ostara  (agls. 
Eostrae),  eigentlieh  die  Göttin  des  Frübrots,  dann  weil,  wie  im 
indischen  Ritual  (ygl.  Hillebrandt  Vedische  Mythologie  II,  26ff.)^ 
offenbar  auch  im  germanischen  die  Morgenröten  des  Jahres^ 
anfangs  eine  wichtige  Rolle  spielten,  die  Göttin  des  Frühlings- 
anfangs ;  bei  den  Römern  Sol  und  Luna,  vgl.  dazu  sab.  Äu$d 
(laurora)  t^SoI^,  dessen  Priester  Auselii  (Aurelii  famüia)  hiesseo; 
bei  den  Griechen  "HAio^,  Mi^rtf,  Zekrjinij  ^Hcog;  bei  den  Inders: 
Süryäj  die  Sonnengöttin,  die  ihre  Hochzeit  mit  dem  Mond  {Sdma) 
feiert,  Mäs  und  die  vielbesungene  UsTuzs. 

Zu  den  Lichtgestalten  des  Himmels  gehört  auch  das  im 
Blitz  zur  Erde  hemiederfahrende  Feuer:  sert.  a^i  =  lat  i^w, 
lit.  ugnis,  altsl.  ogni.  Dieser  Reihe  entstammen  die  litauische 
Ugnis  szwentä  „die  heilige  ügnis"  und  in  Indien  die  erhabene 
Gestalt  des  schon  vedischen  AgnL  Feuergötter  sind  auch,  schon 
ihrem  Namen  nach,  der  griech. 'Hiyjaeoro?  {\&(pai  „Anzflndung'') 
und  der  lateinische  Vulcanus  (von  *volkä  =  sert.  ulkä  „Feuer- 
brand"). Besondere  Verehrung  geniesst  das  auf  dem  Herd  des 
Hauses  lokalisierte  Feuer:  lat.  Vesta  =  griech.  lozltj,  arkad. 
J^ioxla.  Die  Grundzüge  dieses  Kultes  finden  wir,  wie  bei  den 
Skythen  (Taßvtl  „die  Göttin  des  Herdfeuers" :  sert  tdpati,  aw. 
fop,  npers.  täbad,  lat.  tepesco  „wärmen,  warm  werden"),  so 
bei  den  Litauern  und  Preussen  wieder.  Hieronymus  von  Prag 
stiess  hier  auf  ein  Volk  (geris),  quae  sacrum  colebat  ignem 
eumque  perpetuum  appellabat.  Sacerdotes  templi  materiam^  ne 
deficerety  ministrabant.  Dieses  heilige  Feuer  wird  nach  einer 
bei   Indern,    Griechen,   Römern,    Germanen    und  Litauern  nach- 


441 


■reiebareu  ^enieinBameu  Sitte  iu  der  Weise  gewonDeii,  dass  ein 
ptab  aiiK  liartem  Holz  in  eine  Scbeibe  aus  n-eiebeni  Holz  liin- 
ingebohrt  und  so  lange  herumgedreht  wird,  bis  durch  diese 
TOD  den  primitiven  Völkern  überall  dem  Alit  der  Zcagiing  ver- 
glichenen Reibung  Feuer  lierausspringt  (vgl.  A.  Kubn  Die 
Herabkunft  des  Feners  p.  36,  L'sener-Solmsen  Götteruanien 
.  87). 

So  bleiben    die  vom  Hiitimel   wehenden    oder  ihm  entstam- 
inden  Winde   und  Wasser  Übrig.     Ein    idg.  Name    für   den 
nteren    Begriff  liegt   in   der  Gleichung   Bert,  vät/ti  =  \it.  _u>^ju, 
pijas    „Wind"    vor.     Ilir    entstammt    der    vedische    Väyu,   der 
Tiechifiche  AtoXfK   i*J^>)-jo-Ä(n;)    und    der    litauische    ll'ejo-patis. 
Bin    orsprOnglieher    Windgntt    ist    wohl    auch    der    geruiaiiisehe 
fl/'idan'O'dinn;   doch  ist  e?  zweifelhaft,    ob   sein  Name  mit  dem 
cat'n    „Wind"    verbunden    werden    darf.     Hinsichtlich    des 
fftssers  fehlt  es  zwar  nicht  an  Zeugnissen,  die  ans  allen  Teilen 
idg.  (lebJetes  von   der  Verehrung  von    Quellen   nnd  Flüssen 
lericbten,     auch    lassen    sich    Götternaraen    wie    lat.    Xeptünux 
|f:aw.  tiaptö  „feaclit"),  griech    NijQei'-s  S:vopcic  „fliessend"),  scrt. 
ypsarä'  {-.ap  „Wasser")  Kosamnienstellen,  die  wie  die  russischen 
~ vodjan^e   { :  t-odä   „Wasser")  von    dem    feuchten    Element    her- 
genommen sind;  allein   etymologisch  durchgehende  Reihen,  wie 
bei  den   tlbrigeu  Himmelsgewalten,    sind    hier    Docli    nicht    nach- 
Haewiesen  worden. 

^B         In  dem  Himmel    mit   den    an    ihm    sich   abspielenden  oder 

^bm  ihm  ausgehenden  Naturerscheinungen,  dem  Donner,  der  Sonne, 

^Bem  Mond,  der  Morgenröte,  dem  Feuer,  Wind  nnd  Wasser  haben 

^Bfir  also  die  ältesten  Götter  der  Jndogermauen,  ihre  eigentlichen 

^^A*  (=i^g-  *deit>og)   zu    erblicken.     Es    waren    auf  ein    bflheres 

Piedestal  der  Verehrung  gerückte  Sondergötter,  aber  doch  immer 

BBr  SondergOtler,  die  sich  zunächst  streng  innerhalb  der  Sphäre 

»ihrer    begrifflichen    Entstehung    hielten.      In    dyäüs    —   Zevc  — 

^bitppUer,    in   agni  —   ignis  —    uijnis   usw.  verehrte  man  iu  der 

M^rzeit    die    geheimnisvolle    Kraft,    den    Teil    des    Unendlichen, 

die  göttliche  Anima,    die    dem  Menseben   in  den  Erscheinungen 

des   Himmels    und    des    Feuers    entgegentrat,    aber  noch    keinen 

persönlich  gedachten  Gott,    wie  den  homerischen  Zeus  oder  den 

indiscben  Agni,    die  auch   ausserhalb    ihrer   begrifflichen  Sphäre 

machtvoll  wirken.     Es  lassen   eich    in    der  idg.  Ursprache  noch 

',  äpraubvcrsUlohunB  und  Orsex'tatobte  11.   3.  Aufl.  39 


—    442    - 

keine  Götternamen  nachweisen,  weil  es  in  der  Urzeit  noch  keine 
persönlichen  Götter  und  dämm  noch  keine  Eigennamen  der  Götter 
gab.  Es  gilt  von  den  Indogermanen  dasselbe,  was  Herodot  11, 
52  von  den  Pelasgern  berichtet,  dass  sie  nämlich  zwar  zu  Göttern 
beteten  {ßediai  bievxoftevoi)^  dass  sie  ihnen  aber  noch  keine  Bei- 
wörter und  keine  Namen  gegeben  hatten  (inoyvvjLurjv  de  ovV 
ovvojbui  ijioiovvTO  ovöevl  avTÖJv), 

Freilich  muss  man^  um  dies  zu  verstehen,  zwei  leicht  mit- 
einander zu  vermengende  Begriffe  scharf  voneinander  halten,  den 
Begriff  des  persönlichen  und  den  des  personifizierten 
(jottes.  So  fremd  dem  ürvolk  der  erstere  war,  so  geläufig,  ja 
so  notwendig  musste  ihm  der  zweite  sein.  Der  Mensch  kann 
das  Übersinnliche  nur  in  der  Sinnlichkeit  des  Bildes  verstehen. 
Wenn  man  einen  Weissrussischen  Bauer  nach  dem  Wesen  seines 
Perun  fragt,  dessen  appellativische  Grundbedeutung  „Donner" 
ihm  noch  ganz  durchsichtig  ist,  so  sagt  er  noch  heute:  „Das  ist 
ein  grosser,  breitschultriger  Dickkopf  mit  schwarzem  Haar, 
schwarzen  Augen,  goldenem  Bart.  In  der  rechten  Hand  hat  er 
einen  Bogen,  in  der  linken  einen  Köcher  mit  Pfeilen.  Er  fährt 
am  Himmel  in  einem  Wagen  und  entsendet  feurige  Pfeile"  (vgl. 
Dahl  Erklärendes  Wb.  der  lebenden  grossrass.  Sprache  III', 
104).  Tief  eingewurzelt  ist  ferner  im  russischen  Volk  die  Vor- 
stellung, dass  die  Sonne  als  ein  goldhörniger,  silberhufiger  Hirsch 
(oUnl)  über  den  Himmel  laufe,  jede  Kreatur,  die  sie  anschant, 
zur  Freude  und  zum  Leben  erweckend  (vgl.  Melnikow  In  den 
Wäldern  IV,  128  ff.).  So  eingewurzelt  ist  diese  primitive  Per^ 
sonifikationswut  in  der  slavischen  Welt,  dass  ganz  leblose  Kultn^ 
begriffe  wie  das  lat.-griech.  calendae  „der  Neujahrstag"  sich  in 
lebende  Wesen  verwandelt  haben^  und  in  der  Umgegend  von  Moskao 
noch  heute  am  heiligen  Abend  ein  junges  Mädchen,  Jcoljada  ge- 
nannt, im  weissen  Hemd  unter  feierlichen  Liedern  nmbergefahren 
wird.  Ebenso  ist  es  bereits  in  der  idg.  Urzeit  gewesen,  und  alle 
die  oben  angeführten  „Himmlischen*^  sind  teils  im  Bilde  von 
Menschen,  teils  —  denn  in  je  frühere  Zeit  wir  zurückgehen,  um 
so  mehr  verwischt  sich  der  Unterschied  von  Mensch  und  Tier  — 
in  dem  von  Tieren  verehrt  worden  (vgl.  hierüber  näheres  in 
Hastings  Dictionary  of  Religion), 

Und  vielleicht  lassen  sich  noch  andere  Ansätze,   aus  denen 
sich  später  kunstvolle  und  farbenprangende  Systeme  der  Götte^ 


(weit  eulwickelten,  fllr  die  Urzeit  annelimeD,  obwolil  hier  der 
Pbftnlaeie  schon  ein  grfSgserer  äpielranni  als  in  den  bitilieri^en 
Erörtemugen  eing'cräUDit  werden  uiuse. 

Die  üntereelieidang   des    grammatiBchen  Oesehleelitea    war 
ichon  in  der  Urzeit  vorhanden.     Es  gab  infolgedeaseu  schon  da- 
IdlRts,  da  die  hegiunende  Persnnifil^ation  sich  natargemäas  an  das 
iGenits  des  Appellati vams  anschloss,  raännlicbe,  und  es  gab  weil»- 
l'liche    Natnrgrott heilen.     Dyäu»    und    Agni   subienen    dem    Indo- 
fgeniianen  männliche  Wesen,   TsAa«  (die  Tochter  des  di/ätis  schon 
im  Veda)  war   ihm  ein  Weih.     Sonne  und  Mond  wurden  in  ge- 
schlechtliche Gegensätze  gebracht,  s»  da»s  die  Rolle  de»  Mannes 
I  bald  dem  einen,  bald  dem  anderen  Gestira  zufiel'^. 

Damit  ist  aber  die  Vergleichuug  der  Vorgänge  in  der  Natur 
f'ttit  den  irdischen    der   menseblichen  Phantasie  wesentlich  näher 
•erüekt.     und  nach  dem  Vorbild  der  irdischen  Familie,  wo  der 
HEinriuBS  des  einzelnen  dem   Willen  des  Herrn  und  Vaters  gegen- 
über verschwindet,  regt  sieb  allmählich  leise  das  BcBtreben,  auch 
Macht   der   Naturgewalten   gegeneinander  abzustufen.     Das 
liegt  in  der  Natur  selbst  begründet.     Die  Farbenpracht  des  jungen 
Frttbrots    töten    die  Strahlen    der    höher    steigenden    Sonne,    die 
kmoe  sellist  verbirgt  sich  hinter  dunklem  Gewölk,  schnell  rauscht 
ld>e  Macht  des  Gewittersturmes  vorUber,  ewig  unverändert  schaat 
Fmr  der  Himmel  Tag  und  Nacht  auf  die  Erde  herab,     und  wie 
alle  Naturerscheinungen,    die    das  Auge    des    Indogermauen    be- 
obachtet, von  ihm  ihren  Ausgang  nehmen,  so  liegt  die  Auffassung 
nahe,  dass  er  der  Erzeuger  und  Vater  sei; 

acrt.  dyäüti  pitd',  griech.  Zet's  mixi/Q    (AeviiiTVQos '  &e6g 

TiaQÜ  Tvfiqiaiot;  in  Epims,  Ues.),  lat.  Ju-piter. 

)  ,ln  Avr  Verachiedeiilieit  des  Gesuhlccbtes,  das  Germanen  und 

lomAnen  den  HiiomelBkürpern  beigelegt,  eprii^bt  sich  die  Verschieden- 

ihrer  Naturaurrassung    am  deutlichsten   aus.    Unseren  Vorfahren 

l^lu-  die  Sonne  eine    milde,  giilige  Frnu,  der  stille  Mond  führte  ihnen 

I  hÜD gründen  Frost  uiibewölkter  WinteniHchte   ins  Gedttclitnis.    Am 

Sttelmfter  wird    der   Mond    weiblich    gedacht,    die    sanfte  Mondgöttin 

IftDd  aller  Jireatur   in    ihren  schwersten  Nücen    bei,     Der  unendliche 

Zauber  jener  [Agesheileu  MondnKchte   de»  Südens    lilnst    die    mvtholo- 

gieche  VorstetJuDg  noch   beute  verstehen  und  nachonii>rinden.    Helios 

d^egen  Ist  der    harte,   gestrenge  Herr,    der    mit    Keinen  I'feileu  Tod 

lad  Verderben  sendet.     Ihnen  erliegen  die  Kinder  der  FInr,  ihnen  er- 

Igen  die  Mennchen.'    Nissen  Über  aliitniisches  Klima,  Verband!,  d. 

.  V«r«.  deutscher  Philologen  1880,  p  HO. 


—    444    — 

In  der  Tat  ist  die  VerbiDdung^  in  der  hier  das  Wort 
„Vater^  mit  dem  Wort  ^Himmel^  erseheint,  eine  so  gleichmässige 
nnd  enge,  dass  die  Annahme  unwahrscbeinlieh  erseheint,  dieselbe 
sei  erst  von  den  Einzelvölkem  hergestellt  worden. 

Dem  ^  Vater  HimmeP  gegenüber  aber  kann 

scrt.   devä,   lat.   deus,   ir.  dia,    lit.  diiwaSy    altn.   ticar 
( :  div  „strahlen^  ebenso  wie  dyäüs  gehörig) 
seine  Kinder,  die  Himmelserzeugten,  Himmlischen  bezeichnet  haben. 

Als  Gattin  dieses  „Vater  Himmel^  hat  gewiss  schon  in  der 
Urzeit,  wie  es  von  den  Skythen  (oben  p.  438)  ansdrficklich  be- 
richtet wird,  die  „Mutter  Erde"  gegolten.  Schon  im  Rigveda 
erscheint  neben  dem  „Vater"  Dyäus  eine  Mutter  JFfthivi.  Dieses 
pfthivt  entspricht  genau  dem  agls.  folde  „Erde",  nnd  von  diesem 
folde  heisst  es  in  einem  agls.  Flursegen,  vielleicht  dem  ältesten 
Stfick  agls.  Poesie,  das  wir  besitzen: 

„Hai  wes  thu,  folde,  fira  moder^ 
beo  thu  growende  an  godes  fcethme, 
fodre  gefylled  firum  to  fiytte.*^ 

.,Heil  sei  Dir,  Erde,  Menschenmutter, 
Werde  Du  fruchtbar  in  Gottes  Umarmung. 
Fülle  mit  Frucht  Dich,  den  Menschen  zu  Nutze.* 

(Wülcker.) 

So  geht  auch  bei  den  Thrakern  aus  der  Ehe  des  Himmels- 
gottes mit  der  Erdgöttin  He/iiXrj  (vgl.  die  litauische  Z'emyna  von 
lit.  äSme,  altsl.  zemlja  „Erde"  =  Zefxikrj)  der  herrliche  idaJwofo?, 
der  „Himmelssohn^  hervor,  und  nach  dem  russischen  Volks- 
glauben naht  sich  der  Gromä  gremuiij  „der  rollende  Donner* 
oder  der  leuchtende  Jarü,  JarilOy  der  Frttblingsgott,  der  Mati- 
syra-zemija,  der  „feuchten  Mutter  Erde"  zur  ehelichen  Be- 
gattung*). 

Dieses  im  Bisherigen  geschilderte  Bedürfnis,  die  Himmels-  und 
Naturgewalten  zu  personifizieren  oder  zu  animalisieren,  ist  aber 
im  Grund  nur  der  Ausfluss  eines  dem  Menschen  immanenten  Ver- 
langens nach  Welterkenntnis  und  Weltverständnis,  auf  das  noch 
zwei  weitere,  schon  der  idg.  Urzeit  angehörende  Erscheinungen 
zurückgehen,   die   wir  als   Welträtsel  und  Weltmythus  be- 


1)  Natürlich  soll  der  Glaube  an  eine  Erdmutter  im  obigen  nicht  ftl» 
etwas  speziHsch  indogermanisches  hingestellt  werden.  Vgl.  A.  Dietrich 
Mutter  Erde.    Ein  Versuch  über  Volksreligion.    Leipzig  u.  Berlin  1906. 


-    445     — 

iichuen  kJiiiiien.  Auch  für  ibre  näbere  Cbarakteriöieruiig  uiuss 
Iwr  an  dieser  Stelle  auf  meine  BehaDdluug  dieser  Begriffe  in 
Castings  Dictionary  of  Religion  verwitsea  werdeu. 

2.  Der  Kalt  der  Himmlischen. 
Älter  als  Opfer  und  Gebet,  mit  denen  man  sieb  au  die 
lütter  wendet,  ist  auch  bei  den  idg,  Völkern  die  zauberiscbe 
landlung  nnd  das  zauberische  Wort,  mit  denen  man  die  in 
ien  Erscbeinangen  waltenden  Geister  sich  dienstbar  macbt, 
Eanber  und  Opfer  sind  Krllclitej  demselben  Baume  entsprossen, 
i  auch  in  der  Sprache  zum  Ausdruck  kömmt,  wenn  z.  B. 
ou  der  Wurzel  kar  (acrt.  kfnö'ti  „er  macbt")  einerseits  scrt. 
•ärmaji  „das  Opfer",  andererseits  aber  auch  sert,  krtyä'  „Bc- 
exung,  Zauber,  Hexe",  lit.  keras  „Zauber",  altsl.  6arü  id.  ab- 
eleitet  werden.  In  Indien  glaubt  mau  den  Regen  dadurch  ber- 
eizanbern  zu  können,  dass  man  den  8oma,  den  „gekelterten" 
Bert,  au)  durt'h  die  Seihe  giesst.  Nur  ein  Nachklang  dieser 
Vorstellung  scheint  es  zu  sein,  wenn  man  in  Griecbonland  fUr 
,68  regnet"  sagt:  Ztvq  i'f.i,  eigentl.  „Zeus  keltert"  (ti«:scrt.  su) 
nd  den  Regen  durch  Darbringung;  von  Honig  herbeilockt  (vgl. 
kindisch  Festgruss  au  Roth  p.  140,  Oldenberg  Religion  des 
Ted»  p.  459,  0.  Gruppe  Grieeh.  Mythologie  I,  819).  Kein  Be- 
leutnngsUbergang  ist  ferner  in  den  idg.  Sprachen  häufiger  als 
1er  von  „sprechen"  oder  „singen",  d.  h.  feierlich  und  rhythmisch 
Iprechen  zu  „zaubern"  :  grieeh.  ^jicpdo^  „Zauberer",  impöt}  „Zauber- 
[ne!":^äi5aj  „ich  singe  dazu";  ahd.  galstar  „Zaubergesaug", 
«tläri  „Zauberer" :  galan  „singen";  altsl.  bajati  „fabolari,  in- 
antare,  mederi",  balija  „Zauberer",  serb.  bajati  „zaubern",  alt- 
IM-  bajanü  „ineantalor"  (Bojanü  schon  im  Slovo  o  polky 
for«»^) :  grieeh.  fprjfU,  lat.  fdri  „sagen";  \\t.  iaweti  „zaubern": 
Tt.  kävaW^)  „er  ruft"  usw.  Mit  solchen  Zaubersprüchen,  die 
ter  nur  dann  wirksam  sind,  wenn  sie  bis  auf  die  letzte  Silbe 
1  wiedergegeben  werden-),  heilt  man  bis  tief  in  die  histori- 


I)  Anders  Leskieu  l.F.XIII,  117,  der  lit.  iaiveti  „Kauberii"  eu 
züii  „verderben'  intr.  stellt,  was  auch  nioglicli  Ut,     Namentlich  hätte 
ich  L.    auf   ru*s.  pärtilt,  pöria   „behexen,    Behexung",   eigentl.  „ver- 
erben, Verderbuag"  berufen  können. 

S]  So  ist  es  noch   heute  in  Russland:    .Das  russische  Volk,    das 
Sachen  desOlaubene  feei  am  Buchstaben  und  der  Gewohnheit  hänj^t. 


—    446      - 

sehen  Zeiten  Krankheiten  und  Wanden  (s.  a.)»  befreit  die 
Schwangere  von  ihrer  Leibesfrucht,  lockt  Geister  and  Gütter 
heran,  verflacht  sich  selbst  für  den  Fall  eines  Meineids  (oben 
p.  409),  dringt  in  das  Dnnkel  der  Zakanft  ein  usw. 

Trotzdem  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  sich  ang 
diesem  Wust  des  Aberglaubens  schon  in  der  idg.  Urzeit  eigent- 
liche Kaltformen  herausgehoben  haben.  Hierauf  weisen  ersten» 
eine  nicht  geringe  Zahl  sakraler  Gleichungen,  die  sichtlich  Aber 
die  Sphäre  der  Zauberei  hinausführen:  griech.  5yoc  „Verehrung, 
Opfer"  =  scrt,  yajä»  „Verehrung"  :  scrt.  ya;,  aw.  yaz  „opfern**, 
„durch  Opferung  verehren"  (griech.  äCojLuxi  „verehre  mit  reli- 
giöser Scheu");  aw.  spenta  „heilig"  =  lit.  szwefltasy  altsl.  sv^tü 
id.,  wahrscheinlich  auch  got.  hunsly  altn.,  agls.  hwl  „Opfer'' 
(anders,  aber  kaum  richtig  G.  Makler  Festgabe  für  Fick.  Göt- 
tingen 1903);  griech.  iegog  „heilig"  =  sab.  aisos  „Gebet,  Bitt- 
opfer", umbr.  esunu,  volsk.  esaristrom  „Opfer";  lat.  vicHma 
„Opfertier"  =  got.  veihs  „heilig",  veiha  „Priester",  veihan  „hei- 
ligen"; ahd.  zebar,  agls.  tifer,  altn.  tafn  „Opfertier"  =  lat.  dape* 
„Opferschmaus";  griech.  ^vxofxm  =  lat.  voceo  „bete,  gelobe"; 
griech.  Xvtrj^  kioao^ai  =  lat.  litare  „opfern";  got.  blötan  „opfern" 
=  lit.  mäldä  „Gebet"  u.  a.  Dazu  kommt,  dass  wir  bei  allen 
idg.  VölkeiD,  auch  den  zurückgebliebensten,  schon  in  ihren 
ältesten  Überlieferungen  eigentliche,  wenn  auch  noch  äusserst 
primitive  Opferriten  antreffen.  Überblicken  wir  diese  Zeugnisse, 
wie  ich  sie  in  Hastings  Dictionary  zusammengestellt  habe,  so 
lassen  sich  folgende  charakteristische  Züge  des  ältesten  Opfer- 
brauehs erkennen.  Es  wird  zunächst  kein  Opf  erfeuer  angebrannt, 
wie  es  Herodot  I,  132  ausdrücklich  von  den  Persern  {ovre  two 
ävaxaiovoi  luiiovreg  iWeiv)  und  IV,  60  ausdrücklich  von  den 
Skythen  {ovre  nvg  ävaxavoag)  berichtet.  Nachdem  das  Opfertier 
getötet,  bei  den  Skythen  und  Russen  (nach  Ibn  Fadhlan)  erwürgt, 
bei  den  Litauern  (vgl.  Lasicius  Kap.  49)  mit  Knütteln  erschlagen 
worden  ist,  wird  das  Fleisch,  meist  in  gekochtem  Zustand,  zum 
Genuss  für  die  Götter,  wie  bei  den  Persem,  auf  einer  Opferstreu 

bewahrt  die  feste  Überzeugung,  dass  das  kirchliche  Gebet  ebenso  wie 
der  Zauberspruch  nur  dann  wirken  kann,  wenn  in  ihnen  auch  nicht 
ein  einziges  Wort  ausgelassen  oder  verändert  worden  ist**  (Melnikow 
In  den  Wäldern  III,  260).  Vgl.  damit,  was  Wissowa  p.  32  fast  mit 
denselben  Ausdrücken  über  die  römischen  carmina  berichtet. 


Ausgebreitet  oder,  ivie  bei  deo  Litauern,  in  alle  Winkel  des 
lausee  mit  den  Worlen  zerstreut:  Aectpe,  o  Zemiennik  (das  ist 
[er  Gott,  deui  dns  von  Lasicias  beschriebene  ErnleopTer  dar- 
Igcbraclit  wird)  grata  animo  sacrificium  atque  laetiis  corneae. 
h  kommt  es  vor,  dass  die  Opferleiber,  wie  bei  den  Gennaiien 
TacilUB  Ann.  I,  f)l)  oder  bei  den  Russen  (oacb  Um  FadUlan)  an 
tttomen  aufgeliängt  werden.  Die  Hauptsache  igt  immer,  dass 
die  Opfer  nicht,  wie  bei  ludern.  Griechen  (tfriu  „ich  opfere", 
fegentl.  „ich  lasse  in  Rauch  auCgeheu",  vgl.  lat.  fümua)  und 
Ritmern  uicbl  durch  den  Rauch  eines  Opferfeuers  gen  Himmel 
geschickt  werden,  sondern  dat^s  die  Gütter  «selbst  zum  Mahle 
herabsteigen  mUsscn,  wozu  es  einer  besonderen  Einladung  oder 
Peschwfirung  bedarf  (vgl.  Herodot  I.   1.^2), 

Der  Sinn  dieser  Darbietungen  kann  kein  anderer  sein,  als 
ie  Götter  nach  dem  Grandsat/,  do  ut  des  durch  dieselben  Speisen, 
ie  anch  der  Mensch  geniesst,  ftlr  die  Dienste,  die  man  von 
hnen  erwartet,  Mi  stärken  und  fähig  zu  machen.  Daher  kommt 
,  ilass,  wie  den  Hauptteil  der  menschlichen  Nahrung  das  Fleisch 
r  Merdentiere  ausmacht  (vgl.  oben  p.  216  und  Kap.  VIII}, 
tiod,  Schaf,  Ziege')  mid  Schwein  {letzteres  nicht  bei  den  Ariern) 
ach  die  wiciltigsten  öpfertiere  sind.  Dabei  wird  öfters  nach 
iner  gewissen  Analogie  zwischen  Gott  und  Opfertier  in  Ge- 
sblecht,  Farbe  usw.  gestrelit  (vgl.  Oldenberg-)  a-  a.  U.  p.  357, 
fiasowa  a.  a.  O.  p.  ."!48),  die  auf  gewisse  Nebenzwecke  des 
)pfers  hinzudeuten  scheint;  doch  ist  mir  Ahnliches  bei  den  Nord- 
idogermsnen  bis  jetzt  nicht  begegnet.  Nur  in  das  Opfer  des 
'ferdes,  das  auch  in  dem  Haashalt  der  Menschen  eine  besondere 
{ellnng  einuabm  (vgl.  oben  p.  156  ff.),  scheinen  sich  sehr  frflhzeitig 
oeh  andere  Opfergedanken  eingeschlichen  zu  haben  (vgl. 
,  Negeli-iii  Das  Pferd  im  ariscben  Altertum,  Königsberg 
e03).  Wildpret  (oben  p.  138,  244j,  Geflllgel  (p.  165  ff.)  uml 
ische  (vgl.  I',   163,  oben  p.  248,  302),  wie  sie  als  menschliche 

1)  Ein  Zie^ennpfer  (v^l.  oben  p,  156)  wird  auch  von  LasEciu^ 
'  iHix  ISamngilartim  Kap.  54  bei  Ava  Litnut-rn  und  Prpusseii  be- 
irieben. Die  hier  gegeben«  Si;bilderung'  bildei  offenbar  A\<-  Grund. 
>e  zu  dem  h.  a.  O,  angeführten  Koljada-Lied. 

2)  Vgl.  dazu  autb  A.  Hitlebrandt  Tiere  und  Götter  im  vedi- 
teu  Ritual,  83.  Jahresbericht  der  ni^hleKi>ichen  (leKellHchHrt  für  vaicr- 
iiliwhe  Kultur.     Breslau  1905. 


—    448    — 

Speisen  nicht  beliebt  waren,  sind  auch  dem  ältesten  Opfer- 
gebrauch  fremd.  Ebenso  das  Salz  (oben  p.  220,  246),  dessen  man 
bei  vorwiegender  Fleischnahrung  nicht  bedarf.  Der  Rauschtrank 
fttr  Menschen  (oben  p.  252)  und  Götter  ist  der  Met. 

Nur  das  Menschenopfer,  das  mit  finsterem  Blick  aas 
der  Urgeschichte  aller  idg.  Völker  herausschaut,  reiht  sich  bis 
jetzt  schwer  in  den  im  übrigen  klar  hervortretenden  allgemeinen 
Opfergedanken  ein  (vgl.  darttber  mein  Reallexikon  s.  v.  Opfer 
und  in  Hastings  Dictionary  s.  v.  Aryan  Religion). 

Wenn,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  auch  bei  den  idg. 
Völkern,  dem  Opfer  und  Gebet  die  Zauberhandinng  und  der 
Zauberspruch  vorausgegangen  sind,  so  folgt  daraus  von  selbst^ 
dass  auch  der  Vorläufer  des  Priesters  der  Zauberer  gewesen 
sein  muss.  Auch  diese  Entwicklung  liegt  in  der  Sprache  deut- 
lich vor  uns.  Zunächst  in  dem  scrt.  brahmdn  Masc.  „der  Priester" 
und  brdhman  Neutr.  „die  Andacht^.  Man  hat  neuerdings  er- 
kannt (vgl.  M.  Haug  Über  die  ursprüngliche  Bedeutung  des 
Wortes  hrahma,  Sitzungsb.  d.  kgl.  bayr.  Ak.  d.  W.  zu  München 
1868,  II.  80  ff.,  R.  Pischel  Götting,  gel.  Anzeigen  1894,  p.  420, 
H.  Osthoff  B.  B.  XXIV,  113 ff.),  dass  für  diese  Wortsippe  von 
der  Grundbedeutung  „Zauberspruch'*  auszugehen  ist,  woraus  sich 
für  brahmdn  Masc.  der  ursprüngliche  Sinn  „Kenner  von  Zauber- 
sprüchen'*  ergibt.  Derselbe  würde  als  schon  indogermanisch  an- 
zusetzen sein,  wenn,  was  ich  noch  immer  für  das  wahrschein- 
lichste halte,  diesem  scrt.  brahmdn  das  lat.  flämen  (vgl.  die 
Literatur  über  dieses  Wort  bei  Walde  Lat.  et.  Wb.)  entspricht. 
Auf  jeden  Fall  ist  auch  für  das  lateinische  Wort  seiner  Bildung 
nach  (vgl.  agmen,  Carmen  etc.)  von  einem  neutralen  Begriff  aus- 
zugehen, nach  Wissowa  (p.  413)  „Funktion  des  Opfervoll- 
ziehers'S  die  eben  auf  der  Stufe  der  Urzeit  zunächst  in  dem 
Rezitieren  des  den  Gott  herbeirufenden  Zauberspruches  bestand. 
Ähnliche  Erscheinungen  treten  auch  in  den  zahlreichen  Ab- 
leitungen von  der  idg.  W.  vid,  mid  „wissen,  kennen"  uns 
entgegen.  Einerseits  gehören  hierher  aus  dem  Altrussischen 
vedunü  „Zauberer",  also  „der  Wissende"  xar  i^oxqv,  v^dl  „Zau- 
berei", vedima  „Hexe",  vedlstvo  „Zauberei",  andererseits  die 
Bezeichnung  des  altgallischeu  Priesterstands  druida^  ir.  drtf», 
d.  i.  ^dru'vids  „der  sehr  wissende"  (vgl.  Thurneysen  in  Hol- 
de rs   Altkeltischem   Sprachschatz).     Hierher    sind    etymologisch 


44fl 


IcL  diL'  in  den  preusgisch-litauiscbeu  Quellen  häufig  <:eiianuteu 
lewut  {*ieaidtcut  =  gneeh.  eldtijg,  •/fifJ/tü;  „der  wisBende"?), 
\delotte,  waideler,  iraidler  (vgl.  altpr.  leaist  nwisaen",  wai- 
\ai  „wir  wissen",  Katdleimai  „wir  waidlen",  d.  b.  wir  ver- 
riciiten  beidnische  grotteedienstlicbe  Gehräucbe)  zu  stellen,  die 
man  ebensowohl  als  Zauberer  wie  als  Priester  bezeicbnen  kann. 
Sie  sind  Diener  eines  kritce  genannten  OberpriesterB,  und  es 
acbeint,  dass  alle  einzelnen  Gottheiten  ihre  besonderen  Weidler 
gehabt  haben.  Su  hieeaen  die  Weidler  des  Wa8sergottea»ar*uMeH 
(Vgl.  griech.  A'i/gfiV  oben  p.  441},  die  der  geheiligten  Tiere 
»treronei  (allpr,  gwlrins,  lit.  äwieris  „wildes  Tier"),  die  der  hei- 
ligen Wälder  medziorei  (altpr.  median  „Wald")  usw.  (vgl.  Mattb. 
Praetorias  Deliciae  Pmsiicae  oder  Preuasische  Schaubühne 
p.  16  ff.).     Von  hesimdereni  Interesse  aber  ist  es,    dass  die  zan- 

Irisclieu  Eigenschaften  und  Gaben  dieser  Weidler  innerhalb 
peB  Gesehlechtes  weiter  erbten;  denn  gerade  dieser  Zuj;, 
b.  das  Gebnndcnsein  des  Priestertums  an  bestimmte  Gi'schlecbter, 
1  es.  der  bei  /.ablreichen  idg.  Völkern  wiederkehrt. 
Hierfllr  ist  in  Indien  auf  die  heiligen  Clane  der  Vojivihtd' s, 
t  Vi^cämitrii'n,  der  Bharadväja's,  m  Griechenland  .luf  die 
sakralen  Geschlechter  der  Ev/ioijiidai,  'ErEoßovräöai,  'Ilovxidat, 
KtvtiQtidtu  usw.,  bej  den  Germanen  auf  die  prienterlicben  Familien 
der  norwegischen  Goden,    in  Italien    auf    die  Fratres  Arvales, 

»b.  auf  die  Sippe  der  Arvaten  mit  ihrem  Krhgesang:  Enon 
»es  iuvate,  Eno»  Marmor  iacato  und  anderes  zu  verweisen. 
Insoweit  möchte  ich  also  glauben,  dass  man  von  dem  Vor- 
handensein eines  Priesterstandes  schon  in  der  idg,  Urzeit  sprechen 
darf,  als  bereits  damals  gewisse  heilige  Familien  vorhanden 
{Haren,  d.h.  solche,  die  sich  im  erblichen  Besitz  besondei's  wirk- 
Der  Zanberformeln,  -lieder,  vielleicht  auch  Tänze  (vgl.  z.  13. 
i  lateinischen  Salier)  befanden,  um  die  Götter  herbeizulocken, 
wisfi  konnten  die  oben  geschilderten  Opfer  von  den  Haus- 
lern, für  den  Stamm  von  dem  „König"  (vgl.  oben  p.  390)  dar- 
feracht  werden,  aber  gern  wird  man  sich  dabei,  wie  es  Herodot 
a  den  Persern  berichtet,  der  Beihilfe  eines  oder  mehrerer 
pissenden"  bedient  haben. 

Einen    Teil    jener    priesterlichen    Tätigkeit    wird    alsdann 

lerlich    aneh   die    Behandlung  und    Ueilnng  der  Krankheiten 

Ist.   medeor,    medictis  =   aw.  vt-mad    -Arzt", 


-    460    — 

^heilen^)  gebildet  haben,  die  man  überall  als  die  Eingebungen 
böser  Geister  auffasst.  Arzt,  Zauberer  und  Priester  dürften  in 
jenen  ältesten  Kulturepochen  identisch  gewesen  sein.  Im  Awesta 
wird  neben  urvarö-iaesaza  ^Heilung  durch  Pflanzen"  und  Tcarei^- 
baesaza  „Heilung  durchs  Messer"  ausdrücklich  ein  mq^rö-baiiaza 
„Heilung  durch  Zaubersprüche"  unterschieden,  und  noch  bei 
Homer  (Od.  XIX,  457)  wird  das  aus  der  Wunde  des  Odyssens 
strömende  Blut  durch  Beschwörung  gestillt  {ijiaoidfj  ö'  dfia 
xekaivov  eoxe&ov).  Die  gleiche  Wundenbehandlung  kennt  sogar 
noch  Pindar  Pyth.  lil,  51. 

Diesen  kulturhistorischen  Tatsachen  folgt  der  Bedeutungs- 
wandel des  schon  oben  erwähnten  altsl.  zu  (pr]/My  färi  gehörigen 
bajatiy  bajq  ^.fäbulari,  incantare,  mederV^,  bulg.  baja  „Zauber- 
sprüche hersagen,  dadurch  hellen",  altsl.  balija  „Zauberer^ 
baiist vo  „Heilmittel",  russ.  bächarl  „Arzt"  (vgl.  Miklosicb 
Et.  W.  p.  5)  treulich  nach.  Auch  im  slav.  vraci  (a.  a.  0.  p.  395) 
f Hessen  die  Bedeutungen  „Arzt"  und  Zauberer"  ineinander. 

Von  der  Art  solch  heilender  Zaubersprüche  können  wir  uns 
noch  aus  Überresten  des  germanischen  und  indischen  Altertums 
eine  Vorstellung  machen  (vgl.  P,  32). 

Auch  die  frühzeitige  Kenntnis  heilender,  namentlich  Gift- 
pflanzen entstammender  Kräuter  wird  die  Wirksamkeit  jener 
geheimnisvollen  Zaubersprüche  unterstützt  haben.  Vgl.  aw.  vis- 
ci&ra  „ein  von  einer  Giftpflanze  stammendes  Heilmittel",  griech. 
(fdg/Liaxov  (nach  OsthoflF  a.  a.  0.  p.  149  zu  lit.  buriüy  bürti  „Zan- 
berei  treiben"),  got.  lubja-leisei  „Giftkunde,  Zauberei",  altu.  lyf 
„Arzneimittel,  Heilmittel".  ,Auch  das  griech.  ido/xai  (:l6g  =  scrt. 
vishä)  bedeutete  vielleicht  ursprünglich  mit  „Heiltränken  ver- 
sehen", „dadurch  heilen'*. 

Besondere  Namen  für  den  Arzt  treten  natürlich  erst  spät 
auf;  doch  scheint  die  arische  Urzeit  über  einen  solchen  verfügt 
zu  haben:  scrt.  bhinhäj,  bhishajä,  aw.  baeäazyuy  npers.  bizük 
armen.  bzUk).  Auf  einer  alten  Entlehnung  von  West  nach  Ost 
beruht  die  Reihe: 

ir.  liaig  „Arzt",  got.  lekeis,  altsl.  leJcü  „Arznei". 

Auch  hier  tritt  aber  der  Begriff  des  Zauberers  und  Be- 
Sprechers  noch  in  mhd.  Idchencerey  lächenen  hervor^). 

1 )  Was  die  Krankheitsnamen  betrifft,  so  ist  es  vielleicht  nicht 
zufällig,  dass  sich  gerade  für  Krätze  und  Ausschlag  mehrere  übereiD* 


Schon  in  dem  Voi'lier(;:e!iendeii  halH-u  wir  wiederlioll  bereits 

■  die  idg.  Urzeit  zwiscben  vei'Buhiedenen  Stufen  des  GHtter 

j^Bubens  und  des  G<)tterdienBte6  nnlerseliieden,  eine  AuffasBUDg, 

'die  dem   niclit  wunderbar   erscbeinfn   kann,    der  bedenkt,  das» 

derartige    Obereitianderliegeude  Scbiebten    des  religiösen  Lebens 

bei  allen  gescbicbtliclien  Völkern  bis  anf  die  Kultur  dee  heutigen 

Images  auf  dns  deutliehete  hervortreten.     Doch  wird  es  gut  seiu, 

ms  diesen  Gesichtspunkt  besonders    zu  vergegenwärtigen,    wenn 

mehr    kurz    llber    die    Stätten    der    ältesten    Gottes- 

rerehruug  berichten. 

Es  ist  eine  in  primitiven  Religionen  über  den  gaiixeii  Erd- 
kreis verbreitete  Erscheinung,    dass  man   si<:h  in    allerhand  über 
den  Erdboden    eraporrageuden  Gegenständen,    vor  allein  aber  in 
Steinen,  Klötzen  und  Bäumen  eine  göttliche  Anima  vorstellt 
und    dieser    eine     fetiscliartige    V'erehning    entgegenbringt    (vgl. 
E.  B.  Tylor  Die  Anfänge  der  Kultur  II,   161  ff-,  216  ff.).     Auch 
t>ei  den  indogeriDaniscben  Völkern  lässt  sieh  diese  tiefste  Stufe 
1  des  religiösen  Lebens  noch  in  historischer  Zeil  naehweisen,  wofür 
ich  die  Zeugnisse  in  HaLStings  Dictiotiart/  znsammengcBtcllt  habe. 
Überblicken  wir  dieselben,    so  wäre  nichts  irriger,    als  die 
ihnen    sich    aussprechenden    religiösen    Gedanken    gescbieht- 
lich    auf   eine  Stui'e   zu    stellen.     Kann    doch    nii'bt   zweifelhaft 
äein,  dass  in  zahlreichen,  ja  vielleicht  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
^Hu    betreffende  Kultobjekt    nichts   als    das    äussere  Symbol    ist, 
^^pter  dem  eine  auch  ausserhalb  desselben  existierende  und 
^Hhr    gelegentlieh    in    ihm    anwesende    Gottheit    verehrt    wurde. 
^Bmdrerseits  lässt  sich  aber  auch  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  in 

KM!''>n>B°<l^  ^uennuDgren  in  den  idg.  Spractien  finde»  (vgl.  ai;rt.  dadi-ü 
lil.  äedericiTti,  ahd.  zitaroh  Fick  P,  106;  sc«,  piiinän.  iwt.  paman; 
lil.  gausy»,  ahd.  siurra  Fick  IP,  iBb);  denn  diese  Krankheit  rnusste 
bei  dem  Schmutz  nnd  der  Unreinllchkelt,  von  denen  wir  uns  dax  Leben 
in  dar  Urzeit  begleitet  denken  müssen,  besonders  häufig  sein.  Ausser- 
dem gibt  es  Gleichungen  für  Geschwüre  («crt.  ärgaa,  grieth,  cImik.  lat. 
uiciMl,  für  Eiter  (scrl.  pO'ya,  griech,  jivi),  lat.7>as,  armen.  Au,  \it.püUi). 
für  den  Hasten  (scrl,  kds,  lil.  köxiu,  allelkaiäl,  ahd.  huostQ,  ir.  crmidi, 
für  das  Erbrechen  (scrl.  ram,  griech.  e/Aiai,  lat.  vomo.  lit.  wimti,  altn. 
loma]  u.  a.  —  Eine  erneute  (vgl.  I",  24)  Sammlung  und  Vergleichung 
der  idg.  Krankheitsnamen  würde  nicht  nur  für  die  Geschichte  der 
1,  Bondern  auch  für  die  allgemeine  KultnrgeBchichle  von  Wichtig- 
H^t  Min.     Vgl.  einstweilen  mein  ftealloxikon  n.  Arzt  und  Krankheit. 


_  des 


—    452    — 

ihnen  noch  deutlich  die  Spuren  einer  Zeit  hindarchbliekcD,  in 
der  man  wirklich,  wie  bei  den  rohsten  Naturvölkern  den  Stein, 
Pfahl  oder  Baum  selbst  als  Gott  anbetete,  indem  man  sie  direkt 
als  Inkorporationen  einer  göttlichen  Anima  betrachtete.  Wenn 
Rostowski  (vgl.  Brückner  Archiv  f.  slav.  Phil.  IX,  33,  35) 
von  den  Litauern  berichtet:  Akmo  (^der  Stein")  saamm  gran- 
diu8  .  .  .  saxa  pro  diu  culta:  quae  Uli  lingua  pairia  „oi- 
meschenes  niete^^  [lett.  yjatmeschanas  meta^^  „adiciendi  locus"].... 
in  quae  ciborum  analecta  pro  libamine  coniectäbant:  quibus 
caesorum  animantium  cruorem  aspergebant  quaeque  contingere 
ipsis  fas  esset  victimariisy  wenn  Theophrast  (Charakt.  Kap.  17) 
von  Leuten  erzählt,  die,  wenn  sie  an  geölten  Steinen  an  Scheide- 
wegen vorübergehen,  es  nicht  versäumen,  aus  ihren  Ölfläschchen 
<)l  auf  dieselben  zu  giessen,  auf  die  Knie  zu  fallen  und  feier- 
liche Begrttssungen  darzubringen,  wenn  man  im  ältesten  Italien 
ein  vom  Bast  entkleidetes  Holf^,  das  delübrum  (oben  p.  183),  als 
Gott  verehrt,  wenn  man  in  Litauen  (vgl.  Brückner  a.  a.  0., 
Üsener-Solmsen  Götternamen  p.  87)  die  heiligen  Bäume  wie 
lebende  Wesen  schmückt,  beschenkt,  verehrt  usw.,  so  hält  es 
schwer,  derartige  Vorgänge  anders  zu  beurteilen,  wie  wenn  man 
^auf  den  Gesellschaftsinseln  rohe  Holzstücke  oder  Bruchstücke 
von  Basaltsäulen  anbetete,  die  in  einheimischer  Art  gekleidet 
und  mit  Öl  bestrichen  waren,  und  ihnen  Opfer  darbrachte,  da 
man  sie  kraft  der  ^Atna"  oder  der  Gottheit,  die  sie  erfüllt  hatte, 
als  mit  göttlicher  Gewalt  begabt  ansah"  (Tylor  II,  163). 

Ich  möchte  mir  daher  den  Entwicklungsgang  dieser  Ideen 
(ähnlich  wie  Frazer  in  seinem  Buch  The  golden  bough)  etwa 
in  der  folgenden  Weise  vorstellen:  Es  gab  auch  bei  den  idg. 
Völkern  eine  ferne  Zeit,  in  der  Stein,  Pfahl  und  Baum  als  wirk- 
liche Fetische  verehrt  wurden.  Als  nun  in  dem  genannten 
Völkerkreis  —  und  zwar  schon  in  der  Urzeit  —  in  dieser 
Annahme  unterscheide  ich  mich  von  Frazer  —  der  Kult  ^der 
Himmlischen"  mehr  und  mehr  hervortrat,  fingen  dieselben  an« 
Verbindungen  mit  den  genannten  Kultobjekten,  vor  allem  mit 
dem  heiligen  Baum,  dessen  Wachsen  und  Welken  die  meiste 
Analogie  zu  den  als  Menschen  oder  Tiere  gedachten  Göttern  dar- 
zubieten schien,  und  seinem  Ableger,  dem  Klotz  oder  Pfahl,  an 
dem  sich  am  leichtesten  die  allmählich  aufkommenden  mensch- 
lichen Kennzeichen  der  Götter  anbringen  Hessen,  einzugehen,  in- 


Wem  Stein,  Klot?.  uoti  Baum  nuumelir  imr  als  Symbole  und 
gelegentliche  Wohnstätlen  eben  jener  „Himmlisclien",  z.  B.  die 
Eiche  als  Wobnstätte  des  Gewittergotls,  der  gerade  in  sie  mit 
Vorliebe  berabfnhr,  angesehen  wurden.  In  dieser  Versehmelznng 
des  Kniles  der  „Hinimliecben"  mit  einem  urweltlicben  Stein-, 
Pfahl-  und  Baumfetischiamus  liegen  KOmit  die  Grundlagen  jenes 
iudiigcmia Diseben  Banm-  und  Pfabidienates.  von  dem  bereits  oben 
p.   119fl'.  die  Rede  gewesen  ist. 

Diesem  Baumkultns  /.ur  Seite  tritt  in  früher  Zeit  ein  Höben- 
knltus,  der  namentlicb  bei  Persern,  Grieeben,  ROmern  und  Ger- 
manen  7,n   belegen   ist.      Wird    bei  jenem    den    „Himmliscben" 
gewissermaseeii    zugemutet,    aus    ihren    luftigen  Höhen    /.ur  Erde 
liemiedcrzuateigeu,    so    sucht    sich    bei    diesem    der  Mensch    mit 
Reinen  Gaben  7.11  ihnen  /.ii  erheben. 
^        Dnse   diese  Darbietungen   an   die  „HimuiliBcben"  schon  in 
^■r  Urzeit  an  beRtimmte  Zeiten   gekntlpft  waren,  geht  schon 
Hpi  der  Gleichung;  griech.  fogrij,  ion.  Satr^  „Fest"  =  scrl.i-nifd 
^BatKung,  Gottesdienst"  (vgl.  z.  B.  mahdrrata,    eigentl.  „grosses 
Fest",  wie  unser  nihd.  höchzH).  Die  Frage  ist  nur,  welches  diese  certi 
die»  bei  den  Indogermanen  gewesen  seien.     In  dieser  Beziehung 
muss    noch    fast    altes  von    der   zukünftigen  Forschnng  erwartet 
werden,    der  sich    in    der  Aufgabe    einer  vergleichenden  Heorto- 
logie    ein    weites    Feld    erßflTnet.     Es   soll    daher    hier    nur    anf 
einen  besonders  naheliegenden  Punkt  eingegangen  werden,  näni- 
licb  auf  die  Frage,    ob  die  Feier  der  sogenannten  vier  Jahres- 
innkte    und  vor   allem   die    der  sommerlichen    und  wjnter- 
eben  Sonnenwende  als  älteste  Festeszeiten  der  idg.  Völker 
trachtet  werden  dürfen. 

Nach  dem,    was  wir   oben  (Kap.  VI)  llber  die  älteste  idg. 
Bitteilnng  und  das  idg.,  in  reine,  ungebundene  Mondmonaie  zer- 
lUeode    Natnrjahr   auseinandergesetzt   haben,    kann    die    Frage 
dieser  Form    nur  verneint  werden.     Alle    exaktere,    auf   die 
Kenntnis  der  .Sonnenbahn  gegründete  Zeitteilung  ist  für  die  Arier 
rie  ftlr   die  europäischen  Indogermanen    von  Babylonien    aus- 
gegangen.    Hier  muss    daher   auch    die  Unterscheidung  der  vier 
Jabreepunkte  in  früher  Zeil  aufgekommen  sein  und  sieb  in  langer 
Wanderung  zu  Griechen  (vgl.  Herodol  II.   109]  und  Römern  und 
1  ihnen  ans  nach  dem  Norden  Europas  verbreitet  haben.     Schon 
r  absolnte  Mangel    einer  alten,    fibereinstimmenden    und  volks- 


—    454    - 

tümlichen  Terminologie  für  die  Begriffe  der  Nacbtgleichen  und 
Sonnenwenden  in  den  nordenropäischen  Sprachen  zeigt,  dass  hier 
jüngere  Erscheinungen  vorliegen.  Die  Bezeichnungen  der  Nacht- 
gleichen  in  den  germanischen  Sprachen:  ahd.  ^bennaht,  agte. 
efennight,  altn.  jafndcegri  (vgl.  auch  russ.  ravnod^nstvie  und 
ravnonöscie)  sind  offenbar  nichts  als  Übersetzungen  des  lat. 
aequinoctium  und  griech.  hrj/LisQia.  Auch  die  untereinander 
ganz  abweichenden  germanischen  Ausdrücke  für  „Sonnenwende'': 
mhd.  sunwende  (russ.  solncevorötü),  sungiht,  sunstede,  sommer- 
tag,  agls.  sunnstede,  altn.  sölhvarf  zeigen  ihre  Abhängigkeit  von 
dem  lat.  solstitium  dadurch,  dass  sie,  wie  dieses,  nur  von  der 
Sommersonnenwende  gebraucht  werden,  während  für  die 
Wintersonnenwende  (lat.  hrüma,  d.  i.  brevissima)  überhaupt  keine 
älteren  Ausdrücke  bestehen. 

Wenn  demnach  Sonnenweudfeiern  bei  den  idg.  Völkern 
als  solche  nichts  Uraltertümliches  sein  können,  so  soll  doch 
damit  nicht  behauptet  werden,  dass  die  in  den  auf  sie  bezüg- 
lichen Sitten  und  Gebräuchen  hervortretende  Übereinstimmung 
durchweg  auf  späterer  Übertragung  und  Wanderung  beruhe. 

Ein  in  den  sich  um  die  Sommersonnenwende  oder  den 
Johannistag  (Iwanstag  bei  den  Slaven)  schlingenden  Riten  be- 
sonders hervortretender  Punkt  ist  die  innige  Verbindung,  in  der 
in  ihnen  die  beiden  von  den  Indogermanen  so  hochverehrte 
Elemente  des  Feuers  und  Wassers  auftreten.  Überall  brennt 
man  Feuerstösse  an,  um  die  man  herumtanzt,  oder  über  die  man 
—  meist  paarweise  —  hinwegspringt.  Überall  aber  tritt  auch  in 
irgeu4  einer  Form  dem  Feuer  das  Wasser  zur  Seite,  sei  es,  dass 
man  sich  vor  Anbrennen  des  Holzstosses  oder  nachher  in  dmn* 
selben  badet  —  der  Beiname  des  russischen  Johannes  ist  Kupala 
„der  Bader"  (russ.  Icupdtl  „baden**)  — ,  sei  es,  dass  man  Feuer- 
räder  in  die  Flut  gelangen  und  dort  verlöschen  lässt,  sei  es,  daflB 
man  eine  Puppe  (im  Russischen  wiederum  kupalo  genannt),  mit 
der  man  vorher  durch  das  Feuer  gesprungen  ist,  in  den  Flusfl 
wirft.  Am  augenscheinlichsten  ist  diese  Verbindung  in  einem 
altindischen  Sonnenwendbrauch,  wie  er  am  Mahävratafest,  d.  h. 
(nach  Hillebrand't  Romanische  Forschungen  V,  299)  am 
Sommersonnenwendfest  (später  ist  M.  die  Wintersonnenwende), 
üblich  war:  Unter  Trommelschlag  ziehen  Frauen,  die  gefüllte 
Wasserkrüge  tragen,  dreimal  um  ein  Feuer  von  rechts  nach  link» 


rfid  wjedernui    von    links   nach    rechts  hernu],  singen  ilabei  ein 
Lied,  da8  mit  den  Worten  Bchlieflet; 

„Die  Kllbchen  die  wulleii  wir  badenl  Der  BtlSBe  Ssft". 
und  giessen  nach  dem  letzten  Runii^nng   dne  Wasser  ins  Feuer, 
(Us  sie  30  verlöBchen. 

In  diesem  SonnenwendbraiicL  am  Mahüvrata  -  Fest,  das 
andserdem  nicht  etwa  einem  Sonnengott,  sondern  dem  Indra,  dem 
Spender  des  erquickenden  Regens,  gewidmet  ist,  haben  Hille- 
Ijrnndt  (a.  a,  0. 1  undOldenberg  (Die  Keligion  des  Veda  p.  445, 
507)  einen  uralten  Regensiauber  (s.  o.  p.  445)  erkannt,  und  es 
liegt  daher  nahe,  dasselbe  fltr  die  bei  den  europäischen  Indo- 
gerniauen  uns  am  Johannistage  begegnende  Verbindung  des 
Feuers  und  Wassers  zu  vermuten.  Dazu  kommt  dit:  folgende 
lleobaclitnng.  In  der  Anschauung  aller  idg.  Völker  mitleleuropäi 
scher  Breiten  bildet  die  Zeit  um  .lohanni  eine  Art  „Regensebeide" 
in  dem  Sinne,  dass  der  vor  Johanni  fallende  Regen  sehr  nütz- 
lich und  von  I'riester  und  Gemeinde  vom  Himmel  zu  erflehen 
sei,  dass  hingegen  nach  Jobanni  der  Regen  keinen  Nutzen,  ja 
Schaden  bringe.  Über  den  Johannistag  selbst  gehen  die  Mei- 
nungen auseinander.  Die  Uanern  des  russischen  Gouvernements 
Archangel  sagen:  „J'diannisregen  sind  besser  als  ein  goldener 
llcrg",  andere  Volker  sind  der  entgegengesetzten  Meinung  (vgl. 
biertiber  ausführiieh  Alexis  Verraoloff  Der  landwirtschaftliche 
Volkskalender,  Leipzig  19UfJ,  p.  296  ff.).  Ho  scheint  mir  die 
Vermutung  nicht  zu  kühn,  dass  wir  in  allen  diesen  Bräuehen 
die  Spuren  eines  ohne  spezielle  Rücksicht  auf  den  längsten  Tag 
gefeierten  Mittsonimerfestes  vor  uns  haben,  zu  dessen  feierliehen 
Riten  es  unter  anderem  gehörte,  zum  letztenmal  in  dein  be- 
treffenden 8ommer  durch  einen  Regenzanber  Nass  aufWciden 
und  Acker  herabzuf leben.  Die  Auffassung  Mannbardts  Der 
Baunikultns  p.  497,  516,  521  ff.,  derznfolge  in  den  Mittsommer- 
feiern an  sieh  ein  Sonneuzauber  zu  erblicken  sei,  indem  das 
Feuer  das  Licht  und  die  Wärme  der  Sommersonne  darstellen 
solle,  durch  welche  zu  ihrem  Gedeihen  die  Vegetation  hindurch- 
gehen müsse,  wird  hierdurch  weiter  nicht  berührt. 

Noch  möchte  ich  aber  darauf  hinweisen,  dass  dieselbe 
innige  Verbindung  von  Feuer  und  Wasser,  die  uns  in  der  Jobannis- 
zeit  entgegengetreten  ist,  auch  hei  dem  höchsten  Fam i I i  en- 
feste  begegnet,  das  die  Indogcrmanen  kannten,  der  Hochzeit. 


—    456    — 

Das  Nähere  hierüber  bitte  ich  in  meinem  Reallexikon  b.  t. 
Heirat  (5.  Feuer  und  Wasser)  nachzulesen.  Wärme  und  Feuch- 
tigkeit würden  hier,  ganz  wie  beim  Regenzauber,  das  Symbol 
der  Fruchtbarkeit  sein,  unter  dem  Mann  und  Weib  zur  Erzeugung 
zahlreicher  Söhne  zusammengeführt  wurden  (vgl.  oben  p.334). 

Reste  eines  zweiten  idg.  Festes,  eines  Fr ühiingsfestes, 
liegen  vielleicht  in  der  Verehrung  der  germanischen  Ostara  (agb. 
Eostrae)  und  indischen  Ushas,  welche  letztere  im  Ritual  ihren  spe- 
ziellen Platz  am  Jahresanfang  beim  Prätaranuväka  des  Agnishtöma- 
Opfers  hatte,  das  mit  grosser  Feierlichkeit  im  Frühjahr  (vgl.  Hille- 
brandt  Vedische  Mythologie  II,  26  ff.)  stattfand.  Es  scheint, 
dass  sich  besonders  auf  dieses  Fest  die  von  L.  v.  Schröder 
(Ligho,  Refrain  der  lettischen  Sonnenwendlieder,  Mittl.  d.  anthrop. 
Ges.  in  Wien  XXII)  als  indogermanisch  erwiesene  Vorstellung 
bezieht,  dass  die  Sonne  bei  ihrem  Erscheinen  an  gewissen  Tagen 
tanzt,  hüpft,  sich  schaukelt  oder  spielt. 


Wenn  wir  demnach  in  den  ältesten  religiösen  Vorstellungen 
der  Indogermanen  zwei  grosse  Kreise,  den  Seelenkult  und  die 
Verehrung  der  Himmlischen,  unterschieden  haben,  so  ist  hier 
schliesslich  noch  einer  dritten  Macht  zu  gedenken,  deren  Er- 
kenntnis, wie  ich  glaube,  zu  dem  ältesten  des  alten  gehört,  ob- 
wohl sich  religionsgeschichtliche  Untersuchungen  bisher  nur  selten 
mit  ihr  beschäftigt  haben,  des  Schicksals.  Es  ist  ursprüng- 
lich (vgl.  alles  Nähere  bei  Hastings  Dictionary  of  Religion 
and  Ethics)  der  „Anteil"  (vgl.  griech.  /xdiga :  fiigog^  aJoa :  lat. 
aequusy  russ.  casti  „Teil,  Los,  Schicksal,  scdstije  „Glück*^, 
nescdsttje  „Unglück",  auch  dölja  :  altsl.  dolü,  delü  „Teil**),  der 
dem  Menschen  durch  den  Akt  der  Geburt  von  der  Mutter 
angeboren,  oder  bei  der  Geburt  ihm  von  weiblichen  Seelenwesen 
verliehen  worden  ist,  die  teils  als  „Gebärerinnen"  (vgl.  slav, 
roManicy  :  russ.  roditi,  ra&ddtl  „parere",  griech.  Elkei&vicu  „die 
Göttinnen  der  Geburtswehen",  lat.  Parcae  ipario),  teils  direkt  ab 
„Mütter"  (vgl.  den  keltisch -germanischen  Kult  der  nuUronaey 
matres,  matrae),  teils  als  „Zuteilerinnen"  (nordruss.  udünlcy: 
udiljdtl  „zuerteilen")  bezeichnet  werden.  Entweder  spinnen 
sie  (daher  altn.  urdvj  agls.  wyrd,  ahd.  wurt  „Schickaal"  :  ahd. 
wirty  vnrtel  „Spindel"),  oder  sie  sprechen  (lat.  fätum:fäi% 
russ.  roJcü   „Schicksal"  :  altsl.  rekq  „ich  sage";    vgl.  auch   altn. 


-     457     - 

erlqgj  agls.  orlceg,  ahd.  urlag,  eigentl.  „ürgesetz",  russ.  sudihä, 
eigentl.  „urteil";  jenen  „Anteil"  dem  Menschen  zu.  Eine  idg. 
Bezeichnung  für  diesen  Begriff  liegt  vielleicht  in  der  Gleichung:* 
griech.  ^diga  {*morja)  =  agls.  mcBre,  altn.,  ahd.  mara  „Mahr", 
altsl.  mora  „Hexe,  Alp,  Trud",  ir.  mor'[r]igain ,  gl.  lamia, 
„Alpkönigin"  vor.  Das  Wort  hätte  alsdann  ursprünglich  ,.das 
zuerteilte"  (griech.  juigog,  st/uagTai)  bezeichnet  und  hätte  sich 
einerseits  im  Griechischen  mit  einem  überaus  häufigen  Be- 
deutungsübergang zur  Bezeichnung  von  Schicksalswesen  (vgl. 
B.  Schmidt  Das  Volksleben  der  Neugriechen  I,  210),  anderer- 
seits in  den  nordeuropäischen  Sprachen,  ganz  wie  das  oben  ge- 
nannte nordruss.  udünlca  (vgl.  A.  N.  Veselovskij  Sudiba- 
dolja  in  den  volkstümlichen  Vorstellungen  der  Slaven,  Sbomik 
d.  kais.  Ak.  d.W.  in  St.  Petersburg  46,  173  ff.),  zur  Benennung 
von  Mahren  entwickelt,  die,  wie  La  istner  Rätsel  der  Sphinx 
II,  342  gezeigt  hat,  überall  die  engsten  Beziehungen  zu  Glücks- 
nnd  Schicksalsgeistern  haben. 

Ein  idg.  Ausdruck  für  den  Versuch,  in  diese  dunkle  Welt 
des  Schicksals  auf  dem  Weg  des  Zaubers  einzudringen,  liegt  in 
der  Reihe:  lit.  «aifa«  „Zeichendeuterei",  seitones  „Zeichendeuter", 
altn.  seidr  „eine  bestimmte  Art  von  Zauber,  auch  um  die  Zu- 
kunft zu  erforschen",  mcymr.  huty  ncymr.  hüd  „praestigiae", 
altcom.  hudol,  gl.  magus  =  griech.  oIto^  (ionisch  bei  Homer 
für  *olTog)  „Geschick,  bes.  Unglück".  Die  Mittel,  deren  sich  die 
einzelnen  idg.  Völker  für  diesen  Zweck  bedienen,  sind  unerschöpf- 
lich und  bieten  zum  Teil  sehr  weitgehende  Analogien.  Man  weis- 
sagt aus  dem  Flug  und  dem  Geschrei  der  Vögel,  aus  Himmels- 
and anderen  Naturerscheinungen,  aus  dem  Opfer  und  den  Ein- 
geweiden des  Opfertiers,  besonders  der  Leber,  aus  dem  Blut 
von  Mensch  und  Tier,  aus  den  Angängen  von  Tieren,  aus  dem 
Rauschen  der  Eichen,  aus  Feuer  und  Rauch,  aus  den  Träumen, 
aus  Baumlosen,  aus  Missgeburten,  aus  dem  Wiehern  der  Rosse 
und  aus  tausenderlei  anderen  Dingen. 

Jeder,  der  diese  zahllosen  Zeugen  dunkelsten  Aberglaubens 
unbefangen  betrachtet,  wird  sich  sagen,  dass  dieses  ganze  Kapitel 
der  Zeichendeuterei  nicht  auf  dem  Boden  irgendwelcher  ver- 
nünftigen Überlegung,  von  dem  sie  R.  v.  I bering  in  seinem 
Buch  Vorgeschichte  der  Indoeuropäer,  p.  441  ff.  abzuleiten  ver- 
sucht   hat,    sondern    in    dem   kindlichen,    traumumfangenen  und 

Schrader,  Sprachvergleiohang  und  Urgeschichte  IL    8.  Aufl.  «"^O 


—    45«     - 

phantastischen  Seelenzustand  des  primitiven  Menschen  wurzelt. 
T6  ydg  elcD&bq  ov  xeqagj  sagt  Theophrast  De  plantis  V,  3,  und  in 
diesem  kurzen  Satz  scheint  mir  ein  Schlüssel  fär  das  Verständnis  des 
Zeichenorakels  zu  liegen.  Für  den  primitiven  Menschen  ist  nur 
der  kleinste  Teil  seines  inneren  und  äusseren  Lebens  eiax&6g. 
Überall  erschrecken  ihn  Wunder  und  Zeichen.  Die  Gestalten 
seiner  Träume,  vor  allem  die  des  furchtbaren  Alptraums  (vgl.  ausser 
Laistner  a.a.O.  noch  H.  Röscher  Ephialtes,  eine  pathologisch- 
mythologische  Abhandlung  über  die  Alpträume  und  Alpdämonen 
des  klassischen  Altertums,  Abb.  d.  kgl.  Sachs.  Ges.  d.  W.  phil.- 
hist.  Kl.  XX,  1900),  der  in  den  ungesunden  mit  Kohlendnnst 
geschwängerten  Räumen  der  Urzeit  besonders  häufig  gewesen 
sein  muss,  sind  ihm  Wirklichkeiten.  In  den  Pflanzen  und  Tieren, 
in  den  Steinen  und  Sternen  leben,  wie  in  dem  eigenen  Innern, 
Seelen,  an  die,  wie  wir  oben  sahen,  das  Schicksal  gebunden  ist. 
Kann  es  da  wundernehmen,  wenn  in  der  Welt  der  Träume,  in 
dem  Rauschen  der  Bäume,  in  dem  Fluge  der  Vögel  die  Schatten 
der  Zukunft  geheimnisvoll  den  Menschen  umschweben?  Dieser 
angstvollen,  schreckhaften  und  nervösen  Stimmung  des  primitiven 
Seelenlebens  bemächtigt  sich  die  Kunst  priesterlicher  Zeichen- 
deuter, die  —  betrogene  Betrüger  —  immer  neue  Mittel  er- 
sinnen, um  der  Zukunft  ein  Rätselwort  abzulocken,  deren  Hand- 
werk aber  immer  im  Gninde  auf  den  einen  Gedanken  hinaus- 
läuft, die  Wahrscheinlichkeit  oder  Unwahrscheinlichkeit  eines 
zukünftigen  Ereignisses  von  dem  Eintritt  eines  anderen,  der 
Willensbestimmung  des  Menschen  entzogenen  Ereignisses,  dem 
Angang  eines  Vierfüsslers,  dem  Schrei  eines  Vogels,  dem  Leuchten 
eines  Blitzes  usw.  abhängig  zu  machen. 

So  durchzieht  ein  tief  fatalistischer  Grundgedanke  die  indo- 
germanischen Religionen,  den  in  Europa  bis  in  die  Gegenwart 
am  treusten  die  sla  vi  sehen  Völker  bewahrt  haben  (vgl.  F. 
Krauss  Srec'a,  Glück  und  Schicksal  im  Volksglauben  der  Süd- 
slaven, Wien  1886).  Gewiss  nicht  zufallig.  Die  Slaven  sind 
der  ursprünglichen  Heimat  der  Indogermanen  (Kap.  XVI)  am 
nächsten  geblieben  und  darum  am  spätesten  in  die  Geschichte 
eingetreten.  Nichts  aber  befreit  die  Seele  so  sicher  von  dem 
dumpfen  Druck  fatalistischer  Vorstellungen,  wie  die  grossen 
Taten  eines  lebendig  pulsierenden  geschichtlichen  Lebens. 


XVI.  Kapitel. 

Die  Urheimat. 

Die  neueste  Literatur  der  Urheimatfrage.  Kritik  ihrer  Behandlung*. 
Die  Lösung  des  Problems:  L  Die  Stammsitze  der  Einzelvölker.  II.  Lin- 
guistisch-historische Tatsachen.  Ergebnis:  Die  Ausgangsländer  der 
Indogermanen  lagen  im  Norden  und  Westen  des  Schwarzen  Meers. 
III.  Hier  war  auch  die  Urheimat  der  Indogermanen:  1.  paläogeogra- 
phische  (und  anthropologische),  2.  urgeschichtliche,  3.  linguistische 
Gesichtspunkte,   die   hierfür   sprechen.      Die  Trennung   des  Urvolks. 

In  der  ersten  Abhandlung  dieses  Werkes  (Kap.  I  und  IV) 
ist  die  Literatur  der  Urheimatfrage  ungefähr  bis  zum  Jahre  1904 
erörtert  worden.  Unmittelbar  darauf  sind  fast  gleichzeitig  eine 
grössere  Anzahl  von  Forschern  mit  neuen  Arbeiten  auf  diesem 
Gebiet  hervorgetreten,  über  die  in  Kürze  zu  berichten  daher 
unsere  nächste  Aufgabe  sein  wird.  Die  Schriften,  um  die  es 
sich  dabei  handelt,  sind  die  folgenden: 

J.  Hoops  Waldbäume  und  Kulturpflanzen  im  germanischen 
Altertum,  Strassburg  1905;  K.  Helm  Die  Heimat  der  Indo- 
germanen und  der  Germanen  (Sonderabdruck  ans  den  Hessischen 
Blättern  für  Volkskunde,  III,  1,  1905);  H.  Hirt  Die  Indogermanen, 
ihre  Verbreitung,  ihre  Heimat  und  ihre  Kultur  I,  Strassburg  1905, 
II,  1907;  Louis  Erhardl  Die  Einwanderung  der  Germanen  in 
Deutschland  und  die  Ursitze  der  Indogermanen  (Historische 
Vierteljahrschrift,  1905,  4.  Heft);  A.  Fick  „Matthäus  Much,  die 
Heimat  der  Indogermanen'^  (ausführliche  Besprechung  des  P, 
117  ff.  genannten  Buchs  in  den  Beiträgen  zur  Kunde  der  idg. 
Sprachen,  herausg.  v.  A.  Bezzenberger  und  W.  Prellwitz  1905, 
XXIX,  225  ff.). 

Die  Quintessenz  der  Schlüsse  des  Hoopsschen  Buchs  lässt 
sich  in  drei  Sätze  zusammenfassen: 

1.    Den  Indogermanen    war   die  Buche    (lat.  fdgtis,   ahd. 


-     460    — 

huohha  „Buche",  griech.  (prjydg  ^Eiche",  kurd.  büz  „Ulme"} 
bekannt.  Ihre  Heimat  muss  also  westlich  der  BachengreDZ& 
Königsberg — Odessa  gesucht  werden,  jedoch  darf  sie  nicht  in 
Nord-Europa,  einschliesslich  Dänemarks,  lokalisiert  werden,  weil 
die  Buche  hier  erst  zur  Bronze-  oder  gar  zur  Eisenzeit  ihren 
Einzug  hielt. 

2,  Der  urindogermanische  Ackerbau  beschränkte  sich  auf 
den  Anbau  von  Gerste,  Weizen,  Hirse.  Eine  so  begrenzte  Gruppe 
von  Kulturpflanzen  kehrt  während  der  jüngeren  Steinzeit  Mittel- 
und  Nord-Europas  nur  in  den  nordisch-norddeutschen  Gebieten 
wieder.  Diesen  steht  eine  durch  einen  wesentlich  grösseren  Reich- 
tum an  Kulturpflanzen  (z.  B.  Erbse,  Mohn,  Flachs,  Apfel)  charak- 
terisierte „circumalpine"  Zone  (die  nördlichen  Vorländer  der 
Alpen  zusammen  mit  Oberitalien,  Bosnien,  Ungarn)  gegenüber. 
Die  Urheimat  der  Indogermanen  lag  also  in  den  nordisch -nord- 
deutschen Gegenden. 

3.  Das  Hauptgetreide  der  Indogermanen  war  die  Gerste. 
Dies  weist  auf  ein  Land  mit  kurzen  Sommern,  also  auf  Nord- 
Europa,  einschliesslich  des  nördlichen  Deutschland,  hin. 

Alle  drei  Argumente  stimmen  also  nur  hinsicht- 
lich Norddeutschlands  überein.  Hier  ist  demnach  die 
Heimat  der  Indogermanen  zu  suchen. 

Was  gegen  diese  Argumente  im  einzelnen  einzuwenden 
ist,  wurde  schon  oben  p.  173,  195  ff.,  198  f.  ausführlich  hervor- 
gehoben. Hier  sei  nur  noch  darauf  hingewiesen,  dass  die 
Hoopssche  Beweisführung  im  ganzen  nicht  frei  von  Wider- 
sprüchen ist,  und  die  drei  verschiedenen  Gesichtspunkte  in  der 
Tat  nur  sehr  ^annähernd  zu  einem  einheitlichen  Resultat  führen". 
Denn  schiiesst  man  das  an  prähistorischen  Getreidefunden  ver- 
hältnismässig reiche  Skandinavien  wegen  des  Buchenarguments 
von  der  ältesten  Verbreitungssphäre  der  Indogermanen  aus,  m 
entzieht  man  damit  auch  dem  zweiten,  dem  Ackerbauargument, 
die  Grundlagen,  insofern  gerade  in  Norddeutschland  (vgl.  oben 
p.  196  f.),  das  wiederum  wegen  des  Gerstenarguments  von  den 
deutschen  Ländern  am  ehesten  als  Heimat  der  Indogermanen  in 
Betracht  käme,  Vegetabilien  aus  neolithischer  Zeit  so  gut  wie 
nicht  gefunden  worden  sind.  Es  ist  daher  sehr  begreiflich,  wenn 
Hoops  p.  382  den  Wunsch  hegt,  es  möchte  sich  in  Zukunft 
herausstellen,   dass   die  Buche  doch  früher  nach  Dänemark  vor- 


-     461    — 

• 

gedrungen  sei,   als  nach  dem  jetzigen  Stand    der  Forschung  an- 
zunehmen erlaubt  ist^). 

Während  J.  Hoops  in  einigen  der  von  ihm  hervor- 
gehobenen Gesichtspunkte  mit  L.  Geiger  (P,  93)  tibereinstimmt, 
spinnt  der  zweite  von  uns  oben  genannte  Forscher,  Karl  Helm, 
Gedankenreihen  weiter,  die  uns  ähnlich  schon  bei  Cuno  (I',  97), 
Vodskov  (P,  51),  Penka(I»,  112  f.),  Kretschmer  und  Ratzel 
(I*,  128)  begegnet  sind.  Die  idg.  Sprach-  und  Völkereinheit  ist 
aus  zahllosen  Gruppen  kulturloser  Menschen,  das  ist  etwa  der 
Gedankengang  der  Helmschen  Schrift,  innerhalb  eines  durch 
die  natürlichen  Verhältnisse  gegebenen  grossen  Verkehrsgebietes 
erwachsen.  Von  diesem  waren  durch  bedeutende,  den  Verkehr 
hindernde  Schranken  abgeschlossen:  Indien,  Iran,  Armenien  und 
Vorderasien,  das  Donau-  und  Alpengebiet,  die  apenninische  und 
die  pyrenäische  Halbinsel.  In  diese  Länder  sind  die  Indo- 
germanen  daher  erst  später  als  Einwanderer  gelangt.  Anders 
liegen  die  Verhältnisse  in  den  diesen  Ländern  nördlich  vor- 
gelagerten weiten  Ebenen  von  Zentralasien  bis  Nordwesteuropa, 
die  nirgends  nennenswerte  Verkehrshindernisse  aufweisen.  Dieses 
ungeheure  Ländergebiet  ist  daher  als  die  Urheimat  der  Indo- 
germanen  zu  bezeichnen.  In  einem  Teil  desselben,  d.  h.  im 
wesentlichen  in  ihren  alten  historischen  Stammsitzen  sind  auch 
die  Germanen  zu  Germanen  geworden.  Von  der  Epoche  der 
dänischen  Muschelhaufen  bis  in  spätere  vorhistorische  und  histo- 
rische Zeiten  haben  hier  immer  nur  Germanen  oder  Prägermanen 
gesessen  (vgl.  Penka  P,  113).  Wohl  weist  die  Kultur  der 
jüngeren  nordischen  Steinzeit  eine  grosse  Zahl  neuer  Errungen- 
schaften auf,  aber  diese  erscheinen  nicht  gleichzeitig  und  unver- 
mittelt, sondern  in  einem  langen  Zeitraum  nacheinander  ohne 
merkliche  Sprünge,  so  (lass  der  kulturelle  Zusammenhang  zwi- 
-schen  der  älteren  und  der  jüngeren  Steinzeit  vollkommen  ge- 
sichert ist.  So  ergibt  sich  das  Resultat,  dass  jene  primitiven 
Mensehen  der  Muschelhaufen  die  Ahnen  der  Völker  waren,    die 


1)  Das  Unsichere  in  der  Begründung  der  Hoops  sehen  Heimat- 
hypothese erkennt  auch  Ernst  H.  L.  Krause  (in  den  Göttingischen 
Gelehrten  Anzeigen  1906,  II,  p.  922),  der  im  übrigen  dem  von  ihm  be- 
sprochenen Buch  volle  Gerechtigkeit  widerfahren  lässt.  Krause  selbst 
neigt  sich  p.  944  der  Ansicht  zu,  dass  „Indogermanien  mit  seiner  Haupt- 
masse in  Kleinrussland  und  Wolhynien  gelegen  habe*'. 


—     462    - 

noch  Id  historischer  Zeit  hier  gesessen  haben:  der  GermaneD. 
^Um  nicht  missverstanden  zu  werden,  setze  ich  ausdrücklich 
hinzu:  nicht  der  Indogermanen,  die  eine  viel  weitere  Heimat 
hatten,  und  von  welchen  diese  Gruppe  nur  einen  kleinen  Tdl 
bildete." 

Wir  werden  auf  die  diesen  Ausführungen  zugrunde  lie- 
genden Anschauungen  unten  des  näheren  einzugeben  haben  und 
beschränken  uns  vorläufig  hier  nur  auf  den  Hinweis,  dass  die 
Auffassung  des  Verfassers  notwendigerweise  zu  der  schon  P, 
192  ff.  zurückgewiesenen  Annahme  führt,  die  idg.  Kulturwörter, 
also  die  Übereinstimmung  der  idg.  Sprachen  in  der  Bezeichnung 
solcher  Begriffe  wie  „Schwiegertochter"  (oben  p.  312),  „Tür" 
(oben  p.  271),  „Joch"  (p.  298),  „Gott"  (oben  p.  437)  usw.  könnte 
auf  dem  ungeheuren  Räume  von  Hochasien  bis  zum  atlantischen 
Ozean  sich  neu  gebildet  haben. 

In  jedem  Fall  ist  auch  die  Helm  sehe  Arbeit,  ebenso  wie 
diejenige  von  Hoops,  ernster  Beachtung  wert.  In  wesentlich 
geringerem  Masse  gilt  dies  von  dem  Hirtschen  Buch^).  Erstens 
ist  es  überhaupt  schwierig,  die  Lokalisierung  der  Urheimat  in 
demselben  festzustellen;  denn  während  auf  der  einen  Seite  fftr 
die  letztere  ganz  im  allgemeinen  die  „nordeuropäische  Tief- 
ebne, in  der  sich  vorläufig  die  genaueren  Grenzen  nicht  be- 
stimmen Hessen"  (p.  197),  in  Anspruch  genommen  wird,  und 
p.  183  hervorgehoben  wird,  dass  die  Weichsel  als  wichtige 
Sprachgrenze  die  „Mittellinie"  der  Urheimat  gebildet  habe, 
erfahren  wir  zu  unserem  Erstaunen  aus  der  Vorrede  (p.  V),  das 
Buch  werde  von  dem  „Grundgedanken"  beherrscht,  dass  „die 
Heimat  der  Indogermanen  in  der  grossen  nord-ost- deutschen 
Tiefebne  zu  suchen  sei"  und  ersehen  aus  der  Karte  IV,  die  der 
Verfasser  seinem  Werke  beigegeben  hat,  dass  die  Weichsel  nicht 
die  „Mittellinie",  sondern  die  äusserste  Ostgrenze  der  Heimat 
der  Indogermanen  bildete.  Nicht  minder  widerspruchsvoll  sind 
die  Schlüsse,  die  der  Vf.  aus  den  sprachlichen  Tatsachen  auf 
dem  Gebiet  der  ürheimatfrage  (wie  übrigens  in  allen  Teilen 
seines  Buches)  zieht.  So  wird  p.  189  von  der  oben  genannten 
Gleichung  lat.  fdgus  =  kurd.  büz,    wie    mir   scheint,    mit  Recht 


1)    Über    dasselbe   habe  ich  mich  geäussert  Deutsche  Litz.  1906 
Nr.  7  und  ebenda  liW  Nr.  14. 


im 


gesagt,  „«In»»  SU'  /.»  ieoliei'i  sei,  um  dn»  Gewielit  <les  Gebäudes, 
)  (nSmlicli  von  Huojikj   auf    ihr   crriclitet  werden  soll,    lr«g:en 
1  kßiiuen",  wälirciid  in  itcr  Auiiicrkung  /.u  dieser  .'SIelle  (p.  623) 
taf  die   in   der  aii{:egcbenen  Weise  cliiiraklerigierien  Gleicbung 
„die    ältesten  SiUe   der  Indo^enimnen    iii    der  Bncbenregion 
I  suflien  sind",  wie  auc-b  auf  der  Karti-  angegeben  wird.    Noch 
Irastigeher    ist    die    liobaii<lliuig    der    L il w  en f r af^e.     Ganz    in 
Kivlinimnng  mit  I ",   l(i'^  wird  geaagl,  ilass  man  aus  dein  Felden 
Ines  geDieinsumen   Wortes  ftlr  „Li'we"   niebt  auf  eine  löwenlose 
Heimat  der  Indogermanen  sehliessen  dürfe  (p.  187).  weil  ja,  wenn 
das  Tier  aus  ilcm  flesiL-htakreis  verschwand,  aacb  sein  Name  ver- 
schwinden miisBle.    Dann  aber  fälirtder  Verfasser  fort:  „Im  llbrigeo 
Ikaiu  der  Ldwe  selbst  in  .SUdeuropa  vor  (vgl.  oben  p.  137).    Findet 
■üch  dabei  kein  Name  fUr  ilin,so  Hp riebt  das  gegen  diese 
BGegend."     Der  Verfasser  erkennt  also  niebt,  dase  er  den  eben 
von    ilini    getadelten   Scbhiss    in    derselben    Haelie    selber    /if^lit. 
ünler  diesen  Umständen  wird  man  eine  Förderung  des  Heimat- 
^itbiems  von  dieser  Seile  sohwerlicb  erwarten  kdnnen.     In  Wirk- 
tebkeit    maebt    der    Vf.   aueb    gar    keinen    ernstlichen    Versuch, 
^ne  osteDropäiMclie  oder  ostdculsebc  These    dnrcb   eine  eigent- 
[che  Ueweisfdhrung  zu  begründen.     An  Stelle  einer  solchen  steht 
Helmehr  die  unbestimmte  Vorstelinng,  dass  von  der  .Spree,  Oder 
|der  Weichsel  her,  als  von  dem   „Mittelpunkt  des  von  dem  'idg.) 
Iprachstamin  besetzten  Gebietes"  (vgl.  p.  183;  man  denke:  Posen 
„Mittelpunkt"  des  idg.  Sprachgebietes!)  sich  die  Ausbreitnog 
'  Indogenuanen  am  besten  erkläre. 

Wenn  aber  Hoops  und  Hirt  {letzterer  wenigstens  nach 
br  zweiten  der  von  ihm  in  ein  und  demselben  Buch  geäusserten 
Meinungen)  insnfcrn  übereinstimmen,  dass  sie  die  ürbeimat  der 
Indogermanen  in  alten  von  Germanen  besetzten  Ländern  suchen, 
and  Helm  die  germanischen  Stanimlande  wenigstens  als  einen 
^eil  der  idg.  Urheimat  anffasat,  ist  die  vierte  iler  oben  ge- 
Ktmlen  Schriften,  <lie  Lonis  Erbardts,  dem  Nachweis  gewidmet, 
i  die  Indogermanen  von  nllcn  anderen  Teilen  Europa-Asiens 
'  ausgegangen  sein  könnten,  als  gerade  von  den  Ger- 
icnländern. 
Die  ßeweisfilbrung  Erbardts  ist  eine  durchaus  historische, 
igrtlndet  auf  die  Nachrichten,  die  wir  in  der  Germania  des 
icitoB   und    soDSt    Über    die    Siedelnng   und    Wanderungen   der 


-    464    — 

germanischen  Völkerschaften  finden.  Im  Westen  zwar  haben 
einige  Stämme  wie  die  Friesen  und  Chatten  ihre  schon  zu 
Taeitus'  Zeit  festgegrUndeten  Sitze  auch  in  der  Folf^ezeit  be- 
wahrt. Die  östlichen  Stämme  aber,  die  Tacitns  unter  dem 
Namen  Sueben  zusammenfasst,  sehen  wir  in  einer  ewigen  Unruhe 
begriffen.  Schon  zu  Caesars  Zeit  erscheinen  sie  unter  Ariovists 
Führung  in  Gallien.  Später  haben  sie  ihren  Namen  nach  dem 
Südwesten  Deutschlands  verpflanzt.  Von  den  östiich-suebisch- 
vandalischen  Stämmen  ist  die  grosse  Völkerwanderungsbewegung 
ansgegangen.  Scheinen  diese  Völker  schon  so  von  einem  tief- 
liegenden Wandertrieb  nach  dem  Westen  beseelt,  so  ist  für  die 
Frage,  ob  die  Germanen  als  Eingewanderte  oder  Ureingesessene 
zu  betrachten  seien,  von  besonderer  Wichtigkeit  ihr  Verhältnis 
zu  den  Kelten.  Überall  werden  diese  vor  den  Germanen  her- 
getrieben. Ihre  Herkunft  aus  dem  Osten  beweisen  die  Cotini  in 
den  Karpaten,  die  Bojer  in  Böhmen,  die  Helvetier  am  rechten 
Ufer  des  Oberrbeins.  Überall  sind  sie  hier,  bis  auf  geringe  Reste, 
von  den  Germanen  vertrieben  worden,  die  im  Westen  den  Rhein 
überschreiten,  Belgien  germanisieren  und  sich  in  ElsassLoth- 
ringen  mit  den  Völkerschaften  der  Vangiones,  Triboci  und  Ne- 
metes  niederlassen.  Wie  die  Kelten  vor  den  Germanen,  so 
weichen  vor  den  Kelten  wieder  die  nichtindogermanischen  Iberer, 
die  Urbevölkerung  des  europäischen  Westens,  zurück,  während 
im  Rücken  der  Germanen  slavische  Völker  nachdrängen.  So 
liegt  in  den  Völkerbewegungen  des  nördlichen  Europa  ein  von 
Osten  nach  Westen  gerichteter  Wandertrieb  noch  deutlich  vor 
unseren  Augen,  der  es  unmöglich  macht,  die  Germanen  fflr 
Autochthonen  der  später  von  ihnen  besetzten  Länder  zu  halten. 
An  sich,  meint  der  Vf.,  würden  die  hier  vorgetragenen  An- 
schauungen sehr  wohl  zu  der  Hypothese  stimmen,  die  die  Heimat 
der  Indogermanen  im  südlichen  Russland  sucht  (P,  124).  In- 
dessen sieht  er  sich,  namentlich  mit  Rücksicht  auf  zwei  Um- 
stände, nämlich  erstens  mit  Rücksicht  darauf,  dass  eine  gewisse 
Präsumption  bestände,  dass  Slaven  und  Iranier  den  Ursitzen 
am  nächsten  geblieben  seien,  und  zweitens  darauf,  dass  gewisse 
Kulturelemente  schon  in  der  Urzeit  durch  semitische  Vermitt- 
lung den  Indogermanen  zugeführt  worden  sein  müssten,  schliess- 
lich, wie  schon  H.  Brunnhofer^)  (P,  95  Anm.  1)  vor  ihm,  in 
1)   Indessen   scheint    Brunn  hofer    jetzt   vielmehr   die   Wolga- 


—    465    - 

die  Gegend  am  Kaukasus,  namentlich  Transkaukasien,  das  Strom- 
gebiet des  Kur,  als  Wiege  des  idg.  Sprach-  und  Völkerstamms 
geführt. 

In  dieser  Ansicht  trifft  er  mit  dem  fünften  und  letzten  der 
oben  genannten  Forscher,  mit  A.  Fick,  dem  hochverdienten 
Nestor  der  deutschen  Sprachwissenschaft,  zusammen,  den  wir 
P,  99  als  Verfechter  einer  in  den  weiten  Gründen  Turans  „zwi- 
schen Ural,  Bolor  und  Hindukusch"  gelegenen  Heimat  der  Indo- 
germanen  kennen  gelernt  haben. 

Nach  Ausscheidung  der  Räume,  die  vernünftigerweise  nicht 
in  den  Verdacht  kommen  können,  die  Wiege  unserer  Völker- 
familie gebildet  zu  haben,  bleibt  eine  Zone  von  wechselnder 
Breite  zwischen  dem  Rhein  und  dem  Hindukusch  übrig.  Inner- 
halb derselben  sind  für  die  verschiedenen  Gruppen  der  idg. 
Völker  zunächst  drei  verschiedene  Ausgangspunkte  zu  unter- 
scheiden. Kellen,  Italiker  und  Griechen  sind  aus  der  germani- 
schen Heimat  am  Nord-  und  Ostseestrande  abzuleiten,  eine  An- 
schauung, in  der  er  Kossinna  (P,  117  ff.)  folgt,  dessen  Arbeit 
indessen  Fick  schwerlich  aus  eigener  Anschauung  kennt  ^),  und 
der  er,  als  einer  rein  archäologischen,  begreiflich  genug  völlig 
kritiklos  gegenübersteht.  Die  Illyrier  (Albanesen),  Thraker, 
Geten,  Daker,  Phryger  und  Armenier  stellen  sich  am  nächsten 
zu  don  Litu-Slaven,  deren  Urheimat  im  südlichen  Russland  zu- 
gleich die  ihre  ist.  Die  dritte  Gruppe,  die  Inder  und  Iranier 
(Arier),  sind  aus  der  Gegend  um  den  Elbrus,  südlich  vom  Kau- 
kasus ausgegangen,  da  der  Kern  des  arischen  Volkstums  von 
jeher  in  Medien  und  Persis  zu  suchen  ist.  Der  Vereinigungs- 
punkt aller  drei  Gruppen  lag  im  oder  am  Kaukasus:  südlich 
Sassen  die  Arier,  nördlich  die  Europäer.  „Wer  will,  kann  sich 
auch  für  den  Norden  (des  Kaukasus)  entscheiden,  so  dass  die 
Arier  durch  das  kaspische  Tor  nach  Süden  vorgedrungen  wären" 
(p.  246).  Halten  wir  dieses  „wer  will'*  fest,  und  bedenken  wir, 
dass  doch  auch,  wie  es  natürlich  Fick  selbst  annimmt,  die  Ger- 


gegenden als  Aus^angsland  der  Indogermanen  zu  betrachten.  Vgl. 
dessen  Russlands  Aufschwung  oder  Niedergang?,  Bern  1906,  Kap.: 
^Wolgabriefe'*  p.  39. 

1)  Zeugnis  hierfür  legt  die  häufige  falsche  Schreibung  sowohl 
des  Namens  Rossinna  selbst  wie  auch  der  von  diesem  gebrauchten 
Termini  ab. 


-    4r>«   — 

Dianen,  Kelten,  Itaiiker  und  Griechen,  bevor  sie  ihre  weite  Reise 
nach  dem  Nord-  und  Ostseestrand  antraten,  im  engsten  Anscblass 
an  die  übrigen  Europäer  ihre  Sitze  gehabt  haben  müssen,  so 
sehen  wir  auf  diesem  Wege  Fick  ebenfalls  im  europäischen 
Südrussland  als  der  Heimat  aller  Indogermauen  angelangt^). 


Wenn  wir  von  dem  Jahre  1808  an  zählen,  in  dem  Fried- 
rich von  Schlegel  in  seinem  Buche  Sprache  und  Weisheit  der 
Inder  (P,  8)  die  Herkunft  des  idg.  Sprachstamnis  aus  Indien 
ableitete,  so  ist  jetzt  gerade  ein  Jahrhundert  über  der  Erörterung 
des  idg.  Heimatproblems  verflossen.  Und  wenn  wir  nun  be- 
denken, dass  in  diesem  langen  Zeitraum  alle  auf  die  Kunde  vom 
Menschen  bezüglichen  Wissenschaften,  die  Sprachwissenschaft, 
Geschichte,  Geographie,  Anthropologie,  Prähistorie  sich  nach  und 
nebeneinander  und  teilweise  durch  ihre  hervorragendsten  Ver- 
treter mit  dieser  Frage  abgequält  haben,  und  wir  dennoch  heute, 
wenn  wir  ehrlich  sind,  sagen  müssen:  „Da  steh'  ich  nun,  ich 
armer  Tor,  und  bin  so  klug  als  wie  zuvor",  so  wird  man  jeden- 
falls zugeben  müssen,  dass  es  nicht  gerade  das  Gebiet  der  idg. 
Heimatfrage  ist,  auf  dem  der  menschliche  Scharfsinn  seine  glän- 
zendsten Triumphe  gefeiert  hat.  Ja,  es  ist  durchaus  verständlich, 
dass  von  Zeit  zu  Zeit  immer  Forscher  mit  der  Behauptung  auf- 
getreten sind:  die  Frage  sei  deshalb  nicht  beantwortet,  weil 
sie  falsch  gestellt  sei.  Es  habe  niemals  eine  Urheimat  der 
Indogermauen  gegeben,  die  vielmehr  im  wesentlichen  überall,  wo 
wir  sie  in  frühhistoriselier  Zeit  fänden,  als  Autochthonen  zu  be- 
trachten seien. 

Es  geht  aus  dem  Bisherigen  hervor,  dass  ich  nicht  dieser 
Ansicht  bin,  dass  ich  vielmehr  in  jeder  Beziehung  an  der  Vor- 
stellung festhalte,  das  idg.  Urvolk  habe  sich  in  prähistorischer 
Zeit  von  einer  geographisch  verhältnismässig  beschränkten  Ur- 
heimat aus  durch  Wanderungen  in  diejenigen  Gebiete  aus- 
gedehnt, die  wir  als  Stammsitze  der  idg.  Einzelvölker  bezeichnen 
können.     Der  Grund,    der    mich    bei    dieser  Anschauung   zu  be- 


1)  Von  ebendaher  leitet  auch  W.  Christ  in  einer  postumen 
Schrift  Sprachliche  Verwandtschaft  der  Gräko-Itaier  (Sitzungsb.  d.  kgl. 
Bayer.  Ak.  d.  W.  1906  Heft  U)  die  Indogermanen  ab,  deren  vermut- 
liche Wanderungen  von  hier  aus  eingehend  erörtert  werden. 


liirri'ii  zwiugl,  ist  ein  iloiipeller:  eiuiijal,  weil  ich  inii'  die  Eiu- 
eit  der  idg.  Spraclieii  im  Hllgemeitieii  und  die  Übereiustiiomung 
er  idg.  KulturgleichuDgen  im  besonderen  nur  auf  bGRcliräuktem 
£Ograpliiscben  Unumi?  entetaudun  denken  kann  (I",  191  ff.j, 
iveilens  und  bauptBäeblicli,  weil  wir  bei  den  meisten  idg. 
inzelvälkern  ibrc  Verbreitung  von  einst  verbältnismäBsig 
l^n  Stammsitzen  über  teilweis  ungeheure  Gebiete  tatsüc blieb 
iobaebten  können  (l*,   löti,  oben  p.  125),    und  der  Heblusa  von 

len  historiseben  auf  die  vorbisloriselien  Zeiten  für  uns  in  dieser 

le/.iebung  die  einzige  Leuelite  auf  dem  dunklen  Weg  durcb  das 
,nd  der  Urgeschichte  ist.  Wenn  wir  trotzdem  in  der  Beant- 
'ortung  der  Krage  nach  der  Urheimat  der  Indogeruianen  bis 
itzt  so  geringe  Fortschritte  gemaclii  haben,  oder  vielleicht  besser 
Esagt,  bis  jetzt  eine  so  geringe  Einhelligkeit  der  Forscher 
7.ielt  worden  ist,  so  liegt  nach  meiner  Überzeugung  der  Grund 

larin,  dass  von  den  verscbiedcnsten  Seiten  her  in  die  Erörterung 

licses  Problems  fortwährend  Gesichtspunkte  eingemengt 
orden    sind    und    noch  werden,    die   dasselbe  eher   zu 

lerwirren  als  y.n  klären  imstande  sind, 

Es  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dass  die 
!lat,  wie  es  scheint,  moderne,  auf  anthropologische  oder  ur- 
eschicbtliche  oder  beiderlei  Gesiclitspnnkte  gestützte  Lehre  von 

ler  iiord europäischen  Herkunft  der  Indogermanen,  wobei  es 
'cnig  darauf  ankommt,  ob  man  sie  von  der  Ostsee  oder  Nord- 
le,  aus  Dänemark  oder  Schweden  oder  endlich  gar  (mit  Lapouge) 
HS  einem  untergegangenen  Land  zwischen  England  und  JUlland 

ibleitet,  durch  ihre  Einfaclibeit  und  Geschlossenheit  auf  den 
rsten  Hlick  und  fUr  diis  grosse  Publikum  etwas  Bestrickendes 
at.  Wie  einst  der  Graf  Gobineau  in  seinem  Kassenwerk  alle 
allere  Kultur  der  allen  Welt  in  einem  Indogermanen-  oder 
riertum  wurzeln  Hess,  so  sind  jetzt  in  diesem  Indogermnnentum 
iederum  die  Germanen  das  fllhrende  Volk  geworden.  Die  eJn- 
geu  echten  Indogermanen  sind  nach  dieser  Ansicht  die  Ger- 
iiincu,  die  von  ihren  uurdeoropäischen  .Stammlaudern  aus  mit 
Qmer  neuen  Scharen  Europa  und  Asien  Überflutet  und  zahl- 
in fremdartigen  Völkern  ihre  Sprache  und  Sitten  aufgezwungen 

ruben'j.     n^')^  ^"  wird  an  deutschem  Wesen    noch    einmal   die 


1}  Mit  ßcL'bt  Tii&c|jt  Ernst  H.  L.  Krause   ,K'i 
i  Stammland  der  BlondeD  und  der  ) ndogermiiiien  s 


I  Skandinavien 
a?'  (Globus  83, 


—    468    - 

Welt  genesen",  so  konnte  schon  der  erste  indogermanische  Heer- 
könig sagen,  der  zu  Wasser  oder  zn  Land  mit  seinen  lang- 
schädligen,  blondhaarigen  und  riesenhaften  Gesellen,  wohlaus- 
gestattet  mit  prachtvoll  polierten  Steinwaffen,  wohlversehen  mit 
zierlichen,  den  Proviant  bergenden  Kugelamphoren,  die  durch 
einen  blühenden  Ackerbau  an  Gerste,  Weizen  und  Hirse  geseg- 
neten Fluren  der  Heimat  verliess,  um  in  die  Ferne  zu  ziehen. 

Eine,  wenigstens  für  ein  germanisches  Gemüt,  gewiss 
sympathische  Auffassung,  wenn  nur  ebenso  sympathisch  auch 
ihre  Begründung  wäre.  Denn  wenden  wir  uns  zunächst  den 
anthropologischen  Grundlagen  derselben  zu,  so  wurzeln 
diese,  will  mir  scheinen,  in  einem  ganz  offenbaren  circulus 
vitiosus:  „Die  Indogermanen  sind  von  Nordeuropa  ausgegangen.^ 
„Warum?"  „Weil  sie  dolichokepha),  blond  und  gross  waren.** 
„Warum  waren  sie  das?"  „Weil  sie  von  Nordeuropa  aus- 
gegangen sind."  Es  wird  sich  lohnen,  diese  drei  Kriterien  der 
Dolichokephalie,  Blondheit  und  Grösse  gesondert  zu  betrachten, 
weil  jedenfalls  so  viel  feststeht,  dass  diese  drei  Eigenschaften 
nicht  durch  ein  naturnotwendiges  Band  miteinander  verknüpft 
sind,  indem  es  bekanntlich  ebensowohl  brünette  Dolichokephale 
wie  blonde  Brachykephale  usw.  gibt  (vgl.  näheres  bei  Kretschmer 
Einleitung  p.  42  f.).  Selbst  in  Schweden,  dem  angeblich 
klassischen  Lande  der  Dolichokephalie,  lässt  sich  nach  6. 
Retzius  und  Carl  M.  Fürst  Anthropologia  Suecica,  Stockholm 
1902  (Bericht  von  E.  Schmidt  in  Schwalbes  Jahresb.  über  die 
Fortschritte  der  Anatomie  etc.,  Literatur  1902,  III.  Abt.)  keine 
Wechselbeziehung  zwischen  Farbenmerkmalen  und  Kopfindex 
oder  Körpergrösse  nachweisen.  Wenden  wir  uns  demnach  zuerst 
zu  dem  Kriterium  der  angeblichen  Dolichokephalie  der  Indo- 
germanen, so  würde  die  erste  Frage  die  sein,  ob  denn  überhaupt 
die  Schädelbildung  des  Menschen  etwas  Stabiles  und  ausschliessHch 
Hereditäres  und  somit  geeignet  sei,  uralte  Gruppierungen  der 
Menschheit  zu  erhärten,  oder  ob  nicht  vielmehr,  wie  dies  schon 
früher  K.  E.  v.  Baer  und  I.  Ranke  (Kretschmer  p.  38), 
neuerdings  vor  allem  A.  Ny ström  (Formen Veränderungen  des 
menschlichen    Schädels    und   deren    Ursachen,   Archiv  f.  Antbro- 

p.  109)  darauf  aufmerksam,  dass  gerade  die  Germanen  in  historischer 
Zeit  dies  nicht  getan  haben,  wie  der  Untergang  der  germanischen 
Sprachen  in  Russland,  Italien,  Frankreich,  Spanien  zeigt. 


~    469    — 

pologie  XXVII)  aiigeDommen  haben,  Dolichokepbalie  und  Brachy- 
kephalie  ein  variables,  von  der  Bodenbeschaffenheit  und  den 
menschlichen  Beschäftigungsarten  abhängiges  Element  darstelle. 
Gerade  auf  idg.  Boden  könnte  manches  für  diese  Anschauung 
sprechen.  So  begegnen  unter  den  34  dänischen  Schädeln  der 
jüngeren  Steinzeit  10  brachy-,  16  raeso-,  8  dolichokephale 
(Nyström  p.  626),  während  in  der  Denik ersehen  Karte  (P,  148) 
Dänemark  als  ein  Land  mit  rein  dolichokephaler  Bevölkerung 
eingezeichnet  ist^).  Umgekehrt  sind  die  schwedischen  Steinzeit- 
schädel vorwiegend  dolichokephal,  aber  die  Messung  von  500 
lebenden,  erwachsenen  Schweden  ergab  nach  Nyström  nur  102 
Dolichokephale,  dagegen  297  Mesokephale  und  101  Brachy- 
kephale*).  In  beiden  Fällen  würden  also  Verschiebungen  des 
Breitenindex  bei  wahrscheinlich  derselben  Bevölkerung  ein- 
getreten sein.  Ist  aber  der  menschliche  Schädel  ein  so  ver- 
änderliches Ding,  wie  es  Nyström  annimmt,  so  kann  er  natürlich 
überhaupt  nicht  zu  Rasseneinteilungen  der  Menschheit  dienen. 
Aber  auch  wenn  man  an  seine  Stabilität  glaubt,  ja  wenn  man 
—  aus  allerdings  unerfindlichen  Gründen  —  die  Indogermanen 
für  reine  Dolichokephale  hält,  würde  darin  noch  nicht  der 
geringste  Beweis  für  ihre  nordeuropäische  Herkunft  liegen.  Über 
die  Schädel  des  Steinzeitvolks  von  Lengyel  in  Ungarn  hat  sich 
R.  Virchow  (Z.  f.  Ethnologie  1890)  folgendermassen  geäussert: 
^Was  dieses  letztere  betrifft,  so  zeigt  es  viele  Analogien  des 
Schädelbaues  mit  den  neolithischen  Stämmen  Nordeuropas.  Ja, 
man  könnte  leicht  so  weit  gehen,  ihm  eine  arische  (indo- 
germanische) Abstammung  zuzuschreiben,  oder  umgekehrt,  in 
ihm    einen   der    Urstämme    zu   sehen,   von  welchem  die 


1)  Nyström  p.  627  freilich  sagt:  „In  grösserem  Massstab  aus- 
geführte Messungen  der  Schädel  der  heutigen  Dänen  gibt  es  meines 
Wissens  nicht;  aber  nach  einer  von  mir  ausgeführten  Messung  einer 
geringen  Anzahl  solcher  Schädel  zu  urteilen,  hat  es  den  Anschein,  als 
ob  bei  ihnen  die  Brachykephalie  und  Mesokephalie  vorherrschend 
wären.^  Man  sieht  also,  wie  viel  auch  in  diesen  rein  statistischen 
Dingen  noch  unsicher  ist. 

2)  Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  nach  G.  Retzius  und 
Carl  M.  Fürst  (a.  o.  a.  0.),  denen  zufolge  es  unter  45680  21jährigen 
Rekruten  57%  Mesokephale,  SO^Iq  Dolichokephale  und  13%  Brachy- 
kepbale  gab.  Aber,  möchte  ich  als  Laie  fragen,  haben  diese  21  jäh- 
rigen jungen  Burschen  ihre  damaligen  Schädel  auch  später  behalten? 


-     470     - 

Arier  abzuleiten  seien.^  Man  sieht  also,  dass  in  dem 
Scbädelbau  nach  Virchow's  Darstellung  an  «ich  k^in  Anhalt 
gegeben  sein  kann,  ob  er  vom  Norden  oder  Sttd^i  stammt. 
Nimmt  man  zu  dem  allen  hinzu,  wie  einer  der  hervorragendsten 
Kraniolo^en  Europas,  J.  K  ollmann  (Archiv  f.  Anthropologie  XXII 
und  XXV),  sich  v^iederholt  dahin  ausgesprochen  hat,  dass  in 
unserem  Erdteil  seit  der  neolithischen  Periode  „immer  dieselben 
Rassen  durcheinander  wandern  und  sich  lieben  und  hassen  und 
abstossen  und  wieder  vertragen**,  dass  „weder  die  Burgunder, 
noch  die  Alemannen  oder  die  Franken,  noch  die  Völker,  die 
ihre  Toten  in  den  Kurganen  begraben  haben,  jemals  nur  aus 
Abkömmlingen  einer  und  derselben  europäischen  Rasse,  sondern 
stets  aus  mehreren  europäischen  Rassen  bestanden,  die  neben 
und  unter  einander  lebten",  dass  Jedes  dieser  Völker  zusammen- 
gesetzt sei  aus  den  Abkömmlingen  reiner  Rassen,  also  aus 
Lang-  und  ßreitgesichtern,  aus  Lang-  und  Kurzköpfen,  aus 
Blonden  und  Brünetten  und  aus  den  Mischlingen  dieser  euro- 
päischen Rassen,  die  sich  nach  und  nach  aus  der  Kreuzung 
derselben  entwickelten'*,  so  wird  man  endlich  doch  damit  auf- 
hören müssen,  wie  es  Forscher  wie  Kretschmer,  Winternitz, 
Helm  u.  a.  schon  längst  gefordert  haben,  die  Frage  nach  der 
Lang-  oder  Kurzschädligkeit  der  Indogermanen  in  das  idg. 
Heimatproblem  einzumengen'). 

Etwas  besser  steht  es  mit  der  Beweisbarkeit  der  Prädikate 
blond  und  gross,  die  man  dem  Urvolk  gegeben  hat.  Nicht 
nur  aus  den  allgemeinen  Gründen,  die  schon  V.  Hehn  (P,  154) 
geltend  gemacht  hat,  sondern  auch,  weil  es  sich  mehr  und  mehr 
herausstellt,  dass  auch  bei  Griechen  und  Römern  einen  Teil 
ihres  Schönheitsideals  die  Eigenschaften  der  Grösse  und  Blondheit 
gebildet  haben  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Körperbeschaf feo- 
heit  der  Indogermanen,  dazu  den  Nachtrag  zu  diesem 
Artikel  und  De  Lapouge  L'Aryen,  son  rdle  social ^  Paris  1899), 
und  es  eine  allgemeine  Erfahrung  ist,  dass  solche  Schönheits- 
ideale von  den  herrschenden,  also  von   den    erobernden  Klassen 


1)  Selbstverständlich  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  dass  die 
Frage,  warum  an  der  einen  Stelle  die  Dolichokephalie,  an  der  andern 
die  Brachykephalie,  an  der  dritten  die  Mesokephalie  überwiege, 
seitens  der  Anthropologie  und  Ethnographie  nicht  ernstester  Erwägung 
würdig  sei. 


ibgeleilel  werdeu.  Ut-r  hedauei'liclie  In'tuiii,  <lcr  «laliei  immer 
pieder  von  zsibtreicben  Aoturen  iiegaagen  wird,  i»I  nur  der,  Aasb 
■e  jene  EJgenacbaften  als  ein«»  fast  atiBschliesalk'lien  Besitz  den 
9ermanen  beilegen.  Vielmehr  werden  alle  curopäiscben  Nord- 
rOlker  von  den  Alten  als  gross  and  als  /laXuxü-,  evf^l''■,  ^cjttü- 
utd  Tnißffäjgixfi  geschildert.  Schon  Herodot  iIV,  108)  bezeichnet 
:  Budinen  im  ästlicben  Europa  als  e&vog  löv  fiiyn  xai  nolkot- 
riavuöy  rt  tiSv  la^c^KQmq  nai  :ivQQ6r.  Die  Slaven  sind  nach 
•rokop  (B.  G,  III,  14,  et'^^xHc,  »int/ioi  »nd  vmgvßQin,  die 
ietoniscben  Kranen  in  Thrakien  heissen  invi'}ni,  die  getiseheu 
toralli  ßar,i  usw.  (vgl,  W,  Tomaschek  Die  alten  Thraker  I, 
t)5,  Sitzuugsb.  d.  Kais.  Ak.  d.  W.  phii.-hisl.  Cl.   Wien.   1281. 

üleichwobi   haben   wir  kaum   ein  Recht,   uns   das  idg.  Ur- 

nlk  als  eine  völlig  homogene  blonde  und  grosse  Menschenmasae 

ror/nstellen.      Vielroebr    werden    aiieli    in    Beziehnug  auf  Kom- 

llcston  nnd  .Statur,  je  nacb   den    verschiedenen   uSfäramen   schon 

der    Dr/.eit    Verschiedenheiten    geberrecht    haben.     Lehrreich 

iod  in  dieser    Beziehung    die    Verhältnisse    der   Montenegriner, 

ron  denen  man  annehmen  darr,  dass  sie  in  der  Abgeschlossenheit 

hres  Berglaudes  auch  in  somatischer  (wie  in  kulturgeschichtlicher) 

Hinsicht  manche  Züge  des  urzeillicheu  Lebens  treuer  als  andere 

Völker  bewahrt  haben,    und    über    die    Kovinskij    Montenegro 

(Sbornik  LXIII  Nr.  3  p.  2HH  fl',)  ausführlich  berichtet.     Nachdem 

er  bervorgehohen  hat,  dass  die  Htatur  des  Montenegriners  Uber- 

mittelgross  bis  sehr  gross  sei,  fährt  er  fort:   „Was  die  Farbe 

der  Angcn  nnd  Haare   anbetrifft,  so   möchte   ich   mich   nicht   zu 

entscheiden    unterfangen,    welche     Elemente     überwiegen.       Es 

scheint  mir,  das?  es  mehr   schwarze  und  braune  als  graue  und 

^^blane  Augen  gibt,  und  wohl  auch  mehr  schwarze  und  kastanieu- 

Hiubige   oder  dunkelblonde  als    blonde  Ilaare.     Durch    hellere 

^Varben   zeichnen    sich    die    Stämme   der  BelopavHd,  Pivljane, 

^■)robi\jaki  nnd  Pipery  ans.     Aber  gleichzeitig  treffen  wir  auch 

^Boter  den  schwarzhaarigsten  .Stämmen  wie  denjenigen  der  Ku6i, 

^Bekljane,  CermniCauc  dieallerhellstenblonden  Elemente  an," 

Es  ergibt  sieb  also,  dass  nicht  der  geringste  Grund  vorliegt, 

selbst  wenn   man  sich  das   idg.   Urvolk  als   vorwiegend    gross 

nnd  hell  voi'stellt,  es  deswegen  gerade  aus  den  Germanenländern 

lervorqDellen  za  lassen. 

und   doch    haben    derartige,    wir   wiederholen  es,   gänzlich 


-    472     — 

nnbegründete  und  als  solche  jetzt  eigeutlieh  anch  allgemein  zu- 
gegebene Vorstellungen  ohne  Zweifel  auch  die  Prähistoriker 
beeinflussty  deren  urheimatliche  Konstruktionen  man  tlberhaupt 
nur  verstehen  kann,  wenn  man  annimmt,  dass  sie  von  einer 
nordeuropäischen  Urheimat  der  Indogermanen  als  von  etwas 
Selbstverständlichem  und  nicht  erst   zu   Beweisendem   ausgehen. 

Dies  gilt  hauptsächlich  von  den  Arbeiten  M.  Muehs  und 
Kossinnas,  deren  Lehren  bereits  F,  177  ff.  so  ausführlich  dar- 
gestellt und  kritisch  beleuchtet  worden  sind,  dass  ich  mich  hier 
auf  eine  Zusammenfassung  meiner  Bedenken  gegen  dieselben 
beschränken  kann. 

Diese  Bedenken  beziehen  sich  erstens  auf  die  von  beiden 
Forschern  beliebte  beweislose  Gleichsetzung  gewisser  Kultnr- 
bezirke  mit  bestimmten  Völkern,  in  Sonderheit  mit  dem  Drvolk 
der  Indogermanen.  Dies  gilt  von  der  Identifizierung  der  stein- 
zeitlichen Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Europa  mit  der  Ver- 
breitung der  Feuerstein-Geräte  und  Waffen  bei  Mucb,  ebenso 
wie  von  der  als  blosses  Axiom  auftretenden  Behauptung  Kossinnas, 
dass  ein  norddeutscher  Kulturbezirk  mit  Megalithgräbern  und 
Tiefomairientik  der  Tongefässe  das  Heimatland  der  Indogermanen 
gebildet  habe.  Sie  beziehen  sich  zweitens  auf  die  bei  Much  fast 
gänzlich,  bei  Kossinna  gänzlich  beweislose  Erklärung  der  unter- 
schiedenen Kulturgruppen  durch  Völkerwanderungen  (nicht 
etwa  durch  Handel  oder  Kulturübertragung),  wofür  man  bei  ersterem 
z.B.  auf  seine  Auffassung  der  ältesten  Bernsteinfunde,  bei  Kossinna 
auf  seine  Kugelamphoren  und  alles  übrige  verweisen  kann.  Drit- 
tens darauf,  dass,  selbst  wenn  man  die  ausschliessliche  VerbreitUDg 
derartiger  Kulturgruppen  durch  Völkerwanderungen  zugäbe,  doch 
jeder  Beweis  dafür  fehlt,  dass  diese  Wanderungen  wirklich  von 
Nord  nach  Süd,  bezüglich  von  West  nach  Ost  gingen,  dass,  wie 
es  in  einer  lesenswerten  Besprechung  des  Much  sehen  Buches 
(G.  Fritsch  Politisch-anthropologische  Revue  III,  2,  p.  108) 
heisst,  „der  Pfeil,  der  die  Richtung  andeutet,  nicht  zuweilen 
richtiger  seine  Spitze  der  entgegengesetzten  Seite  zukehre." 
Viertens  darauf,  dass,  wenigstens  bei  Kossinna,  das  Material 
der  Tatsachen  ein  unbeschreiblich  dürftiges  ist,  fünftens 
darauf,  dass  bei  beiden  Forschern  die  Altertümer,  auf  denen  sie 
ihre  Konstruktionen  aufbauen,  fast  ausschliesslich  der  besser 
untersuchten  westlichen  Hälfte  Europas  entnommen  sind,  während 


!er  Osten  nnseres  Erdteils  niid  die  gesaniteii  iranischen  Länder 
unberlU'ksii'hligrl  bleiben.  So  werden  /..  B.  mittelst  einer  Kuyel- 
aniphore  bei  Koesinna  die  Arier  (Indn-Iranier)  hie  /.nni  Dniepr 
befördert,  dniui  werden  sie  lioffnun^sloe  ihrem  weiteren  Oeschick 
preisgegeben.  Der  Fehler,  der  ganz  im  Anfang  der  nrheimat- 
liclien  Unterstie Illingen  gemacht  wurde,  dass  Dtan  BnBsehlieHHiicfa 
von  den  iiidieeli- iranischen  Verhällnieeen  aus  die  Creitze  aller 
Indogermanen  hegtimtnen  wollte,  wiederholt  sich  hier  in  um- 
gekehrter Kichtuug. 

Dazn  bedenke  man,  dase  kein  ein/.igee  dieser  [irähistorisehen 
Argumente  von  den  Mitforschern  auf  dicBcni  Gebiete  anerkannt 
worden  ist.  daxs  Kossinna  die  BeweiBfUhrung  Muebs  in  Bausch 
nnd  Bogen  verwirft,  dasü  Mneh  (in  der  2.  Auftage  Beines  Bucliea) 
diejenige  Koesinnas,  soviel  ich  sehen  kann,  ignoriert,  daas 
K.  Helm,  mit  dem  wir  uub  noch  weiter  beschäftigen  mll^sen, 
p.  n  geradezu  erklärt,  dass  „wir  berechtigt  seien,  dieser  archäo- 
logischen Paläontologie  das  grOsste  Misstrauen  entgegenzu- 
bringen", daes  einer  der  hervorragendsten  unserer  Frähistoriker 
M.  Hoernes,  im  Globus  LXXXIII,  Itil  so  weit  gebt,  „diese 
einfache  Identifizierung  von  [iräliistorischen  TOpfen  mit  hiatortBchen 
VolkBBtämmen"  durch  Kossinna  für  „einen  Scherz",  „pine 
Farodie"  zu  halten,  wenn  „es  dem  Autor  damit  nicht  heiliger 
Ernst  wäre'.  Das  alles  bedenke  man,  nnd  man  wird  es  keinem, 
der  an  historiseh-philologische  Methode  gewohnt  ist,  verUbeln 
können,  wenn  er  diesen  urheimatlichen  Hypotheken  der  Dr- 
geschichteforscher  vor  der  Hand  völlig  ablehnend  gegenüber 
steht,  ohne  dass  es  deswegen  notwendig  wäre,  zu  beBtreiten, 
dnsB  auch  in  diesen  Werken,  namentlich  in  demjenigen  M.  Muchs, 
;a)snche  feine,  ftlr  die  Urgesebichle  unseres  Stammes  wichtige 
■obaehtnng  enthalten  ist. 

Einen  wi-scntlichen  Fortschritt  bedeutet  den  genannten 
Otiten  gcgenllber  in  methodischer  Beziehung  schon  der 
[oopseche  Versuch  (oben  p,4ö9),  ans  den  Waldbäumcn  und 
ialturpflanzen  die  idg.  Urheimat  zu  ermitteln,  insofern  liier 
idenfalls  der  ernsthafte  Versuch  gemacht  wird,  eine  bestimmte 
.altnrzone  als  Schauplatz  einer  bestimmten  Epoche  des  vor- 
istorischen  Indogermanentams  durch  Hachforschung  und 
Iprachvergleiehnng  zu  erweisen.  Dass  dieser  Versuch, 
ie  ich  glaube,  nicht  gelungen  ist,  liegt  an  den  Umständen,  die 

Sehradcr,  SirtactiverKtelohaiig  niid  UrgcBohlCtite  II.   3.  Aatl.  31 


-     474     - 

obeu  p.  173,  195  ff.,  199  ansfttbrlich  erörtert  worden  sind  und 
hier  nicht  wiederholt  werden  Bollen.  Auch  ist  hervorznbeben, 
dass  Hoops  (Waldbäame  p.  384)  selbst  ansdrücklich  und  sehr 
richtig  bemerkt,  dass  eine  so  komplizierte  Frage  wie  die  nach 
der  Urheimat  der  Indogermanen  nicht  endgültig  durch  der- 
artige Kriterien,  wie  sie  von  ihm  geltend  gemacht  worden  seien, 
entschieden  werden  könne. 

In  einer  ganz  anderen  Richtung  sucht  K.  Helm  (oben 
p.  461)  die  Urgeschichte  für  die  Frage  der  idg.  Urheimat  aus- 
zubeuten, von  der  er,  wie  wir  gesehen  haben,  wenigstens  einen 
Teil  in  die  altgermanischen  Länder  verlegt.  Von  der  älteren 
Steinzeit  der  Muschelhaufen  (Kjökkenmöddinger)  an,  so  argu- 
mentiert H.,  lässt  sich  in  Dänemark  niemals  ein  plötzlicher  und 
unvermittelter,  totaler  Kultnrwechsel,  sondern  immer  nur  eine 
kontinuierliche  Weiterentwicklung  der  Kultur  feststellen.  Dies 
wäre  undenkbar,  wenn  etwa  in  neolithisclier  Zeit  ein  idg. 
Völkereinbruch  daselbst  stattgefunden  hätte.  Daher  müssen  die 
Germanen,  bezüglich  ihre  Vorfahren,  eeit  der  älteren  Steinzeit 
der  Muschelhaufen  in  Dänemark  ansässig  sein.  QmocI  erat 
demonstrandum.  Indessen  liegen  die  Dinge  doch  nicht  so 
einfach,  wie  der  Verfasser  uns  glauben  machen  möchte.  Zunächst 
wäre  darauf  hinzuweisen,  was  der  Verf.  p.  12  Anm.  2  auch 
selber  tut,  dass  immer  noch  hervorragende  Gelehrte  an  der 
Meinung  festhalten,  dass  die  Muschelhaufen  überhaupt  nicht 
Zeichen  einer  Kulturperiode,  sondern  „eines  örtlich  beschränkten 
Kulturzustandes  seien,  der  sehr  gut  mit  anderen  höheren  gleich- 
zeitig sein  konnte^.  Man  könnte  auch  hervorheben,  dass  sich 
dieselben  Muschelhaufen  nicht  nur  in  Dänemark,  sondern  auch  an 
allen  Küsten  Westeuropas,  in  Frankreich,  Portugal,  Irland  und 
in  Sardinien,  also  gerade  in  solchen  Ländern  finden,  die  wir  uns 
mit  Recht  (vgl.  Kap.  XII  am  Ende)  von  nicht  indogermanischen 
Völkern  besetzt  denken.  Repräsentierten  aber  etwa  die  Muschel- 
hau fen  eine  der  nichtindogermanischen,  neben  den  indogerma- 
nischen bestehenden  Kulturen  Alteuropas,  so  würde  natürlich 
die  ganze  Beweisführung  Helms  von  vornherein  gegenstandslos 
sein.  Nun  bin  ich  allerdings  nicht  dieser  Meinung,  sondern 
glaube,  dass  die  Kultur  der  Steingräber  mit  Viehzucht,  Acker- 
bau, Totenbestattung,  geschliffenen  Steinwerkzeugen  usw.  gegen- 
über derjenigen  der  Muschelhaufen,    in    der  alle   diese  Kultur- 


~    475     - 

•erroDgenschafteD  im  wesentlichen  noch  fehlen^  und  die  neuer- 
dings auch  bei  der  Aufdeckung  eines  Seeländer  Torfmoors  zu- 
tage getreten  ist  (vgl.  Beilage  z.  Allg.  Zeitung  1907  Nr.  10, 
p.  79),  eine  neue,  höhere  Epoche  darstellt,  die  sich  trotz  Helm 
2um  mindesten  am  einfachsten  aus  dem  Auftreten  einer  neuen 
Bevölkerung  erklärt.  Ob  und  inwieweit  es  demgegenüber  Helm 
gelungen  ist,  durch  Nachweis  kontinuierlicher  Übergänge  diese 
Ansicht  zu  erschtlttem,  kann,  da  es  sieh  dabei  um  eine  Reihe 
von  Einzelheiten  handelt,  hier  nattlrlieh  nicht  entschieden  und 
onr  bemerkt  werden,  dass  8.  Müller,  doch  wohl  der  beste 
Kenner  dieser  Verhältnisse,  in  der  Frage  nach  der  Verschieden- 
heit oder  Identität  der  Bevölkerungen  während  der  älteren  und 
jüngeren  Steinzeit  in  Dänemark  über  ein  non  liquet  nicht  hinaus- 
kommt. 

Aber  gehen  wir  einen  Schritt  weiter  und  geben  wir  dem 
Verfasser  zu,  dass  die  Kultur  der  Muschelhaufen  sich  zu  der- 
jenigen der  Steiugräber  durch  kontinuierliche  Übergänge  und 
bei  gleichbleibender  Bevölkerung  entwickelt  habe,  was  steht, 
wenn  andere  Kriterien  dafür  sprechen,  der  Annahme  ent- 
gegen, dass  erst  innerhalb  der  neolithischen  Zeit  eine 
lieue  Bevölkerung  mit  im  wesentlichen  gleicher  Kultur  sich  mit 
•der  alten  vermischt  habe?  Wohl  haben  wir  in  diesem  ganzen 
Buch  die  Ansicht  vertreten,  dass  die  urindogermauische  Kultur 
neolithischen  Charakter  trage;  aber  niemals  haben  wir  diesen 
Satz  umgedreht  und  behauptet,  dass  neolithisch  und  indo- 
germanisch identische  Begriffe  seien.  Wir  stehen  vielmehr,  so- 
lange nicht  das  Gegenteil  bewiesen  ist,  durchaus  auf  dem 
Standpunkt,  den  M.  Hoernes  Urgeschichte  des  Menschen 
p.  224  so  präzisiert:  ^Wir  leugnen  jedes  engbegreuzte  Centrum 
für  die  Ausbreitung  der  neolithischen  Kultur  in  Europa  und 
können  nicht  zugeben,  dass  diese  Kultur  mit  all  ihren  in  ver- 
schiedenen Ländern  beobachteten  Merkmalen  jemals  —  sei  es 
in  Europa,  seji  es  in  Asien  —  Eigentum  eines  Volksstammes 
gewesen  sei.''  Auch  möchten  wir  fragen:  kann  Helm  etwa  in 
Indien,  Griechenland,  Italien,  alles  Länder,  in  die  nach  ihm 
selbst  (oben  p.  461)  die  Indogermanen  eingewandert  sind, 
lediglich  durch  archäologische  Kriterien  nachweisen,  von  welcher 
Zeit  an  die  prähistorischen  Denkmäler  Indogermanen  angehören? 
Wenn  er  das  aber  nicht  kann,   mit  welchem   Reoht    folgert  er 


-    476    — 


aus  dem  vielleicht  an  sieh  richtigen  Umstand,  dass  durch  die 
Altertümer  ein  Wechsel  der  steinzeitlichen  Bevölkerung  in  den 
nördlichen  Ländern  nicht  bewiesen  werden  kann,  dass  ein 
solcher  nicht  stattgefunden   habe?^)     Man  könnte  glauben. 


1)  Darauf,    dass  in    späteren  Epochen   infolg^e  grösserer  Diffe- 
renzierung  der  Kulturen    auch    die  BodenRltertümer    bestimmten  Völ- 
kern, z.  B.  Kelten,  Slaven,  Franken  usw.  zugeschrieben  und  daher  an 
ihnen    auch    Bevölkerungsbewegungen    studiert    werden    können,   ist 
schon  oben    (P,  211)   hingewiesen  worden.    —    Während   des  Druckea 
dieses  Kapitels  ging  mir  eine  Besprechung  der  Helmschen  Arbeit  von 
R.  Much  (Mitteilungen  der  Wiener  anthropol.  Ges.  1907)  zu.     Ganz  in 
unserem  Sinne    äussert    sich    dieser  Gelehrte  über  die  Argumentation 
Helms   folgendermassen :   „Seine  Ausführungen  über   den   Zusammen- 
hang der  beiden  Steinzeitperioden  sind  in  der  Tat  sehr  beachtenswi*rt 
und  machen  an  sich  schon  die  Arbeit  zu  einer   verdienstlichen.    Aber 
wenn  er  meint,  dass  ein  indirekter  Beweis  für  die  Kontinuität  der  Be* 
völkerung  erbracht  sei,  sofern  es  nicht  gelinge,  eine  neolithische  Ein- 
wanderung nachzuweisen,  halte  ich  das  für  einen  methodischen  Fehler. 
Man  muss  doch  fragen,  wie  sich  denn  in  einer  Zeit  sehr  unentwickelter 
und    weithin    sehr    gieiehmässiger  Kultur   eine  Einwanderung   in   der 
Hinterlassenschaft  bemerkbar  machen  soll,  zumal  wenn  diese  Einwan- 
derung nicht  von  fernher,  wenn  sie  langsam  erfolgte  und  wenn  etwa 
nur  eine  herrschende  Schicht  über  eine  ältere  Bevölkerung  sich  legte. 
Es  ist  richtig,   dass    wir   das  Eindringen    der  Slawen   in    Deutschland 
oder  der  Sachsen  und  Angeln  in  Britannien  aus  den  Funden  erkennen: 
aber  sind  wir  heute  auch  schon  so  weit,   in  den  Funden  Frankreichs, 
Englands  oder  Italiens  den  Anteil  der  ersten  Indogermanen  von  dem 
ihrer  Vorgänger  reinlich  scheiden  zu  können?     Und  sind  wir  imstande, 
für    die    Kökkenmöddingerzeit    an    der    Hand    der    Funde    die    Indo- 
germanen irgendwo  abzugrenzen,   so  wie    wir   etwa    nach    diesen  die 
Kelten  in  Italien  abgrenzen  können  ?    Ich  glaube,  dass,  je  weiter  wir 
zurückgreifen,  destoweniger  mit  archäologischem  Material  in  ethnolo- 
gischen Fragen  zu  beweisen  sein  wird.     Für  die  britischen  Insehi   ist 
es  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass  hier  die  Indogermanen  eine  ältere 
Bevölkerung  sich  unterworfen  und  bis  auf  den  letzten  Rest  sich  sprach- 
lich angeglichen  haben.     Was    steht    grundsätzlich   der  Annahme  ent- 
gegen, dass  ähnliches  auch  in  Dänemark  und  auf  der  skandinavischen 
Halbinsel    ~    nur  hier  früher    —    erfolgt  ist?     Selbst  für  die  Zeit  der 
grossen  Steingräber    halte  ich    für  Dänemark    eine  Bevölkerung  noch 
nicht  erwiesen,  aus  der  ohne  Nachschübe  von  aussen  die  der  Bronre- 
und  Eisenzeit  auf  demselben  Boden  erwachsen  konnte.     Und  wer  sagt 
uns,    wo  in  der  jüngeren  Steinzeit   und  nun  gar  in  der  Kjökkennukl- 
dingerzeit  die  Grenzen  etwa  zwischen  den   späteren  Kelten    und  Ger- 
manen verliefen  ?     Und  dass  also,  wenn  sie  schon  Indogermanen  waren^ 


Hebt 


diese   Aiisehauimgeii  der   fitilier    {1",  151)   aiiB^esprocLeuen 

Meiiinng    widerspräcben ,     der    /.ufotge    die     weitgehende    Indo- 

germaniuernng    Asiens   und    Europas    auf"  eine  relativ   „hflhere 

Gesitllin^"    der    sich    ausbreitenden    ludugermanen   in   Ver^leidi 

mit  den  Urbevölkerungen  hinzuweisen  scheine.     Dies  ist  indessen 

nii'br  der  Fall,  sobald   mau  den  ßcgrifr  der  „höheren  Uesittung" 

iiiclit  nur  in  der  Äusseren  und  materiellon  Kultur,    von    der  wir 

durcli  die  prähistorischen   [>eukmHler  Übrigens   auch    nur   Bnich- 

stik-ke   kennen,    sondern    vor    allem    auch    in    den  sozialen    und 

iligiüsen   Institutionen  sucht.     Wir  haben  in  Kap,  XII  gesehen, 

die    Indogemmnen    in    scharf     ausgeprägter    Vatertaniilie 

)btOQ.     Könnte   die   europäische   Urbevölkerung   bei   im   Übrigen 

weseDtticb   gleichen    äusseren    Kulturverbältnisseu    nicht    unter 

der  Herrschaft  des  Matterrechtes  gestanden  haben  (vgl,  Kap.  XII 

SchUiss)?     Wir  haben  iu  Kapitel  VI  gesehen,  das»  die  Indo- 

Tmaoeu    iu    erster  Linie    VielizUchier    gewesen    sind,    denen 

ipferkeitund  Erobernngslust  zu  alten  Zeiten  die  Brust  geschwellt 

ibeu.     Konnte  die  europäische  Urbevölkerung  nicht  den   Fried- 

ihen    Ackerbau    fleissiger    betrieben    haben?      Wir    haben    in 

iji.  XV  gesehen,    dass  den   Indogermanen    neben   dem  Toien- 

[ieiist  ein  ausgeprägter  Kult    des    „Vaters    Himmel"    und    „der 

Himmlischen"  eignete.     Konnte   die    europäische  Urbevölkerung 

nicht  ausschliesslich  dem  Ahnenknitns   gedient  haben?     Hat   der 

l'rähistoriker    etwa     Mittel,     solche    eventnellen     Annahmen     zu 

widerlege»  ? 

Aber  es  »eil     Wir  wollen  einmal  zugeben,  dass  die  Ans- 

nUirungen  Helms  von  A — Z  stiebhaltig  seien.   Anch  dann  wäre 

nicht    viel   fUr   die   Urbeimatfrage    gewonnen.      Haben    doch  die 

ueneren   Untersuchungen   über  die   Flora    der   Muschelhanfenzeit, 

der  die  Eiche,  nicht,  wie  man  bisher  glaubte,  die   Kiefer  der 

tchende  Raum  war,  diese    ganze  Kultur   In    jüngere  Zeiten 

bgertlekt,   als  man  bisher   annahm.      „Uer   Mensch   hat    sich 

t    Jahrtausende   nach   dem    Aufhören     der   Vereisung    iu    den 

■dischen  Ländern  niedergelassen.      In    der   glazialen   Tundren- 

he,    welche    der    Eisxeit    folgte,   und   auch    in    der  näcbst- 

lenden    Periode,  als    Birke,   Espe  und  Kiefer   anfingen,  den 


9  KAkkenjiiHridin^erleutn  gerarti?  Vorfahren  il«r  Germanen  siml?    Die 
Ikehf  liegt  jedenfalls  lanfre  nicht  Ml  E^intach,  als  Helm  sie  sich  vnrstellt.' 


—     478     — 

sumpfigen  oder  sandigen  Boden  zu  besiedeln,  war  das  Land  zu 
unwirtlich)  um  den  Menschen  zur  dauernden  Niederlassang 
einzuladen.  Erst  als'  mit  der  zunehmenden  Erwärmung  die 
grossen  Laubwälder  ins  Land  zogen,  fand  auch  der  Mensch 
sich  ein''  (Hoops  Waldbäume  p.  78).  Machen  wir  also  die 
Germanen  mit  Helm  zu  Anwohnern  dieser  Muschel  häufen,  nun 
gut,  so  mtlssen  wir  uns  sofort  nach  einer  neuen  und  älteren 
Heimat  ftlr  sie  umsehen. 

Wir  können  damit  die  anthropologischen  und  nrgeschicht- 
liehen  Beweisführungen  zugunsten  einer  irgendwo  in  Nordeuropa 
gelegenen  Heimat  der  Indogermanen  verlassen.  Erwähnt  sei  nur 
noch,  dass  auch  dieses  Hinausrtlcken  der  Urheimat  an  die  äusserste 
Peripherie  der  frtthistorischen  Verbreitungsgrenze  der  Indo- 
germanen einem  der  neusten  Autoren  noch  nicht  gentigt  hat, 
der  vielmehr,  gestützt  auf  die  bisher  erörterten  Argumente  und 
angeblich  im  Awesta  und  Rigveda  enthaltene  hoch-  oder  höcbst- 
nordische  Erinnerungen  (vgl.  P  109  Anm.  1)  kurzer  Hand  die 
Heimat  der  Indogermanen  an  den  Nordpol  verlegt.  Es  ist  dies 
G.  Biedenkapp  (vgl.  P,  121)  in  seinem  Buch:  Der  Nord- 
pol als  Völkerheimat,  Jena  1906.  In  der  Tat  haben  die  Er- 
forschung des  Nordpols  und  die  der  idg.  Urheimat  viel  Gemeinsames. 
Viele  Leute  haben  sie  entdecken  wollen,  mancher  ist  dabei  ver- 
unglückt, und  keiner  hat  sie  gefunden,  d.  h.  mit  Ausnahme  des 
Herrn  Biedenkapp,  der  soeben  wenigstens  die  Urheimat  der  Indo- 
germanen am  Nordpol  entdeckt  hat.  Möchte  es  nun  auch  Herrn 
Nansen  gelingen!  Die  Heimat  der  Indogermanen  am  Nordpol! 
Es  klingt  wie  aus  einer  Faschingsnummer,  und  doch  hat  das  Buch 
das  Gute,  dass  es  uns  zeigt,  .wohin  wir  kommen,  wenn  wir  uns 
bei  der  Erörterung  dieser  Fragen  über  alle  historischen 
Daseinsbedingungen  der  Völker  hinwegsetzen. 

Neben  der  Anthropologie  und  Urgeschichte  hat  auch  die 
Geographie  in  die  Erörterung  der  idg.  Urheimatfrage  von 
verschiedenen  Seiten  her  eingegriffen.  Gewiss  mit  Recht!  Wenn 
wir  die  Urheimat  einer  Völkergruppe,  ihre  älteste  Verbreitnug, 
ihre  frühesten  Wanderungen  usw.  feststellen  wollen,  wie  könnten 
wir  dabei  die  Beschaffenheit  des  Geländes  unberacksicbtigt 
lassen,  in  dem  sich  diese  Vorgänge  abgespielt  haben?  Dieses 
Gelände  ist  nicht  von  Anfang  an  so  wie  heute  gewesen.  Es 
hat  eine  Zeit  gegeben,  da  Europa  von  Nord-    und    Inner- Asien 


-     479     - 

dnrch  Meer,  Seen  nnd  Eis  getrennt,  hingegen  mit  Afrika  und 
Sttdwestasien  landfest  verbunden  war.  Es  hat  auch  eine  Zeit 
gegeben,  in  der  ^eine  Inland eismasse  von  300  bis  1000  m  Dicke 
das  nördliche  und  mittlere  Russland  bedeckte'^,  in  der  „weiter 
im  Westen  die  ganze  skandinavische  Halbinsel,  Grossbritanuien 
bis  auf  einen  schmalen  südlichen  Streifen,  Irland,  der  Raum, 
den  heute  Ost-  und  Nordsee  einnehmen,  damit  natürlich  die 
Inseln  beider  Meere  und  die  cimbrische  Halbinsel  mit  Eis  bedeckt 
waren ^S  in  der  „ausserdem  sich  von  Rnssland  her  das  Inlandeis 
südwestwärts  bis  zur  RheinmUndung  zog,  so  dass  Norddeutscbland 
mit  Eis  bis  an  den  Nordrand  der  Mittelgebirge  bedeckt  war^, 
in  der  „in  Mitteleuropa  die  Alpen  bis  über  den  Fuss  hinaus  ver- 
gletschert gewesen  sind^  usw.  Alles  dies  kann  gegenwärtig 
als  feststehend  angesehen  werden.  Die  Frage  ist  nur,  kann  es 
direkt  mit  der  Ermittelung  der  idg.  Urheimat,  d.  h.  mit  der 
Feststellung  desjenigen  geographisch  relativ  beschränkten  Gebietes 
in  Znsammenhang  gebracht  werden,  von  dem  die  idg.  Wanderungen 
ausgegangen  sind.  Jene  Ansätze  der  Paläogeographen  sind  ja 
vollkommen  zeitlos,  und  man  kann  den  letzteren,  wie  ich  oft 
erprobt  habe,  keine  grössere  Verlegenheit  bereiten,  als  mit  der 
Frage:  wann  haben  die  Zustände  geherrscht,  welche  Du  da 
beschreibst?  „Kaum  eine  Frage",  sagt  Melchior  Neumayr 
Erdgeschichte  II,  651,  „wird  häufiger  von  den  Laien  an  den 
Geologen  gerichtet  als  nach  der  Dauer  der  vergangenen  Perioden, 
und  kaum  auf  irgend  eine  Anfrage  ist  er  so  wenig  imstande, 
eine  bestimmte  und  befriedigende  Antwort  zu  geben.  Das  einzige, 
was  er  sagen  kann,  ist,  dass  es  sich  um  ungeheuer  lange  Zeit- 
räume handelt,  um  Ziffern,  von  deren  Grösse  nnd  Bedeutung 
man  sich  kaum  mehr  eine  Voratelinng  zu  machen  imstande  ist." 
Dasselbe  gilt  natürlich  im  speziellen  auch  von  dem  Zeitraum,  der 
seit  der  letzten  Vergletschernng  Europas  in  der  Richtung  auf 
die  Gegenwart  verflossen  ist. 

Demgegenüber  bedenke  man,  dass  kein  einziges  der  idg. 
Völker  sich  geschichtlich  mit  Sicherheit  vor  dem  Jahre  2o00 
V.  Chr.  nachweisen  lässt,  und  man  wird  den  Ansatz  des  III.  oder 
IV.  Jahrtausends  v.  Chr.,  also  einer  Zeit,  da  in  Babylonien  und 
Ägypten  bereits  geschichtliches  Leben  blühte,  als  Zeitpunkt  der 
ältesten  idg.  Ausbreitung  schon  ziemlich  hochgegriffen  finden. 
Auch  würden   wir,   worauf  Wintemitz   Beilage    z.  AUg.  Zeitung 


-    480     — 

1903  p.  132  mit  Recht  hingewiesen  hat,  da  sich  die  meDschiicbe 
Sprache  immer,  wenn  auch  in  geschichtlichen  Zeiten  stärker  ab 
in  vorhistorischen,  verändert,  ohne  Zweifel  nicht  mehr  in  der 
Lage  sein,  die  idg.  Spracheinheit  nachweisen  zu  können,  wenn 
wir  etwa  als  Trennungsepoche  der  Indogern^anen  statt  des  111. 
oder  IV.  vielmehr  das  XXX.  oder  XL.  Jahrtausend  v.  Chr.  an- 
setzen wollten.  Aus  alledem  ergibt  sich,  dass  wir  es  bei  der 
ältesten  Ausbreitung  der  Indogermanen  mit  einer  an 
der  Schwelle  der  Geschichte  verlaufenden  Völker- 
bewegung in  neolithischer,  ja,  wegen  der  Bekanntschaft 
der  Indogermanen  mit  dem  Kupfer,  in  spät-neolithischer 
Zeit  zu  tun  haben,  in  der  nicht  nur,  wie  oben  gezeigt,  die 
Völker  Europas  bereits  aus  Mischungen  von  Lang-  und  Kurz- 
köpfen, Lang-  und  Breitgesiehtern,  Blonden  und  Brünetten 
bestanden,  sondern  in  der  auch  die  geographischen 
Verhältnisse  der  Oberfläche  Europas  bereits  dieselben 
wie  in  den  frühhistorischen  Perioden  waren. 

Nichtsdestoweniger  möchte  ich  glauben,  dass  jene  paläo- 
geographischen  Tatsachen  auch  für  die  idg.  Heimatfrage  nicht 
durchaus  gleichgültig  sind,  und  zwar  in  einer  doppelten  Hinsicht. 

Wenn  jene  wiederholten  Vergletscherungen  Europas  zu- 
sammen mit  den,  nach  Ansicht  der  Geologen,  auf  sie  folgenden 
Tundren-  und  Steppenbildungen  sich  auch  viel  zu  früh  abgespielt 
haben,  als  dass  die  indogermanischen  Völkerbewegungen  in  irgend- 
welche direkte  Beziehungen  zu  ihnen  gebracht  werden  könnten, 
so  haben  jene  .urzeitlichen  Verhältnisse  doch  immerhin  ihre 
Schatten  bis  in  die  historischen  Zeiten  geworfen.  Von  hober 
Bedeutung  ist  in  dieser  Hinsicht  das  III.  Kapitel  des  Hoopsschen 
Buches:  Wald  und  Steppe  in  ihren  Beziehungen  zu  den  prä- 
historischen Siedlungen  Mitteleuropas.  Der  Urwald,  so  un- 
gefähr führt  der  Verfasser  aus,  ist  immer  der  Feind,  niemals  der 
Freund  des  Menschen  gewesen,  der  ihn  deshalb  mehr  gemieden 
als  aufgesucht  hat.  Es  ist  aber  eine  irrige  Vorstellung,  sich  das 
mittlere  und  nördliche  Europa  in  frUhhistorischer  Zeit  ans- 
schliesslich  von  Urwald  bedeckt  zu  denken.  Vielmehr  ist  das- 
selbe an  dauernd  ohne  Walddecke  gebliebenen  Strecken  reicher, 
als  man  bisher  geglaubt  hat.  Solche  waldfreie  oder  waldarme 
Strecken  finden  sich  nun  aus  Gründen,  deren  Erörterung  hier 
zu  weit  führen  würde  (vgl.  dazu  auch  Krause  a.  a.  0.  p.  929  f.), 


—     481     - 

vorwiegend  auf  altem,  der  Vergletscherung  gefolgten  Steppeu- 
boden:  „Es  lassen  sieb  deutlieb  zwei  Züge  unterscbeiden,  die 
nach  Osten  zu  mit  den  pontischen  Steppen  in  Verbindung 
stehen  ....  Der  Haupt/ug  führte  von  den  pontischen  Steppen 
die  Donanlinie  aufwärts  nach  Mähren,  Süddeutschland  und  der 
Schweiz,  wo  namentlich  das  untere  Alpenvorland  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung  von  Niederösterreich  bis  zum  Jura,  ferner  die  Hoch- 
flächen der  Schwäbischen  und  Fränkischen  Alb,  das  Vorland 
des  Schwarzwaldes  und  das  Neckarland  sowie  die  oberrheinische 
Ebene  von  ausgedehnten  Steppen  bedeckt  waren.  Auf  der 
Hochsteppe  der  Fränkischen  Alb,  im  Maingebiet  und  im  nörd- 
lichen Böhmen  begegnete  sich  dieser  Zug  mit  einem  anderen, 
der  von  den  pontischen  Steppen  aus  nördlich  an  den  Karpaten 
entlang  nach  Norddeutschland  verlief,  wo  wir  im  mittleren  Elbe- 
und  Saalegebiet,  in  der  Kyffhäuser  Gegend  und  am  Ostrand 
des  Harzes  auf  altem  Steppenboden  stehen,  der  sich  wahr- 
scheinlich durch  Nordwestdeutschland  bis  nach  Belgien  und 
Nordfrankreich  fortsetzte.''  Auf  diesen  beiden  Linien,  die  wir 
kurz  als  die  Pontus  Donaulinie  und  Pontus-Karpatenlinie  bezeichnen 
können,  lassen  sich  seit  paläolithischer  Zeit  auch  die  meisten 
menschlichen  Ansiedlungen  nachweisen.  Sie  werden  wir  daher  auch 
für  die  ältesten  Wanderungen  der  Indogermanen  in  erster 
Linie  ins  Auge  zu  fassen  haben.  Hiermit  ist  natürlich  über  den 
Ausgangspunkt  dieser  idg.  Völkerbewegung  noch  nichts  gesagt, 
der  vielmehr  auf  ganz  anderem  als  anthropologischem,  ur- 
geschichtlichem oder  paläogeographischem  Wege  zu  bestimmen 
sein  wird.  Nachdem  dies  aber  geschehen  sein  wird,  liegt 
doch  die  Frage  nahe:  kann  in  jenem  Raum,  den  wir  als 
Ausgangspunkt  der  Indogermanen  in  Anspruch  nehmen,  die  idg. 
Sprach-  und  Völkereinheit  auch  entstanden  sein,  eine  Frage, 
bei  der  wir  zum  zweiten  Male  mit  jenen  geologischen  Tatsachen 
in  Berührung  kommen  werden 

Eine  Reihe  von  Anregungen,  wie  aus  dem  Hoopsschen 
Buche,  habe  ich  für  die  Erörterung  der  Heimatfrage  auch  aus 
den  Arbeiten  F.  Ratzeis  (P,  128)  über  diesen  Gegenstand 
empfangen  (vgl.  auch  dessen  Aufsatz,  Der  Ursprung  der  Arier 
in  geographischem  Licht,  Die  Umschau  1899  Nr.  42  u.  43). 
Allerdings  muss  ich  gestehen,  dass  es  mir,  trotz  eifrigen  Studiums 
und  wiederholter    Befragung    hervorragender    Fachgenossen    des 


—    482    — 

Vf8.,  nicht  gelungen  ist,  Überall  ein  klares  Bild  von  der  Ar- 
gumentation Ratzeis  zu  gewinnen.  Der  Grand  hierfür  scheint 
mir  darin  zu  liegen,  dass  Ratzel  in  den  genannten  Arbeiten  vier 
verschiedene  Gesichtspunkte  nicht  genügend  auseinander  ge- 
halten hat,  nämlich  erstens  die  Frage  nach  der  Entstehung 
der  idg.  Sprach-  und  Völkereinheit,  zweitens  die  Frage  nach 
derOrtlichkeit,  wo  die  T  r  ennung  der  idg.  Sprach- und  Völkereinbeit 
stattfand,  drittens  das  Problem  der  Entstehung  der  idg.  Einzel- 
völker, das  R.  V.  Jhering  (P,  50)  bereits  streifte,  und  viertens 
endlich  die  Beziehungen  des  Indogermanentunis  zu  den  von  den 
Prähistorikern  unterschiedenen  Kulturepochen  der  Stein-,  Broiize- 
und  Eisenzeit.  Immerhin  treten  in  den  Ratzeischen  Arbeiten 
doch  zwei  Sätze  mit  grosser  Deutlichkeit  hervor:  erstens  dass 
an  der  Bildung  des  idg.  Urvolkes  die  pontischen  Steppen  und 
Übergangsgebiete  zwischen  Wald  und  Steppe  den  grössten  Anteil 
haben,  zweitens  dass  die  Donau-  und  Dniestrstrasse  für  die 
Ausbreitung  der  Indogemianen  von  grosser  Bedeutung  gewesen 
sind.  Nimmt  man  hinzu,  dass  von  dem  ungeheuren  Raum,  den 
Ratzel  schliesslich  als  Urheimat  der  Indogermanen  in  Anspruch 
nimmt  („er  nmfasst  den  nördlichen  Teil  des  Zweistromlandes, 
Armenien  und  den  Kaukasus,  Kleinasien  und  ist  durch  dag 
Schwarze  Meer,  die  nördliche  Balkanhalbinsel,  die  Donau  und 
den  Dniester  mit  Inneneuropa,  durch  die  Ostsee  mit  Nordeuropa 
verbunden"),  Kleinasieu  und  Armenien  ausscheiden,  da  die  idg. 
ViUker,  hierher,  wie  wir  noch  weiter  sehen  werden,  ganz  sicher 
erst  in  späterer  Zeit  gelangt  sind,  so  zeigt  sich,  dass  das 
Ratzeische  Endergebnis,  abgesehen  von  der  weiten  Ausdehnung 
seines  Ursprungslandes  gegen  Norden,  von  dem  10  Jahre  frtther 
in  „Sprachvergleichung  und  Urgeschichte"  gewonnenen  nicht 
wesentlich  verschieden  ist,  so  dass  ich  F.  Ratzel  ebenso  wie 
A.  Fick  (oben  p.  465),  eher  zu  den  Anhängern  als  Gegnern 
einer  nordpontischen  Urheimat  der  Indogermanen  zählen  möchte. 
Noch  einmal  werden  wir  zu  den  Ausführungen  dieses  Gelehrten 
bei  der  Erörterung  der  Entstehung  der  idg.  Sprach-  und 
Völkereinheit  zurückkehren,  für  die  sie  mir  den  grösseren 
Wert    zu  haben  scheinen. 

Es  hat  sich  ergeben,  dass  wir  bei  der  ältesten  Ausbreitang 
der  Indogermanen  es  mit  einer  in  spätneolithischer  Zeit  fast  ao 
der    Schwelle   der  Geschichte   verlaufenden  Völkerbewegnng  zu 


-     483     — 

tnn  haben.  Es  folgt  hieraus,  dass  wir  die  zuverlässigsten 
Kriterien  für  die  Bestimmung  des  Ausgangspunktes  dieser  Völker- 
bewegung in  den  frUhgesehichtlichen  Verhältnissen  selbst 
zu  erwarten  haben  werden.  Indem  wir  uns  daher  nunmehr  zu 
der  positiven  Erörterung  des  Heimatproblems  wenden,  werden 
wir  zunächst  die  ältesten  Stammsitze  der  idg.  Einzelvölker 
und  ihre  Bedeutung  fflr  die  Bestimmung  der  idg.  Urheimat  fest- 
zustellen suchen.  In  einem  zweiten  Abschnitt  werden  wir  die 
in  diesem  ganzen  Werk  zerstreuten  linguistisch-historischen 
Anhaltspunkte  f(tr  die  Ermittelung  des  idg.  Driands  sammeln. 
Drittens  werden  wir  alsdann  die  Frage  erörtern,  ob  in  dem- 
jenigen geographischen  Bezirk,  von  dem  zufolge  der  im  ersten 
und  zweiten  Abschnitt  gewonnenen  Indizien  die  Ausbreitung  der 
Indogermanen  ausging,  auch  die  Entstehung  der  idg.  Sprach- 
und  Völkereinheit  zu  denken  ist. 

I.  Die  ältesten  Stammsitze  der  idg.  Einzelvölker  und 
ihre  Bedeutung  für  die  Bestimmung  der  idg.  Urheimat^). 

Die  idg.  Sprachen  zerfallen  je  nach  dem  Geschick,  welches 
in  ihnen  den  uridg.  Palatallauten  C^,  kh,  §,  gh)  zuteil  geworden 
ist,  in  solche,  die,  an  Stelle  der  palatalen,  spirantische  und 
in  solche,  die  in  gleichem  Falle  /T-Laute  aufweisen.  Ein 
gutes  Beispiel  hierfür  bietet  das  Zahlwort  für  Hundert,  idg. 
*kmtöm:  scrt.  qatäy  aw.  satem^  lit.  szifhtas  gegenüber  griech. 
exaxövy  lat.  centum^  altir.  c^t,  got.  hund.  Man  hat  sich  daher 
gewöhnt,  diese  beiden  Gruppen  der  idg.  Sprachen  als  Satem- 
und  Centumsprachen  zu  bezeichnen,  und  erblickt  einstimmig  in 
diesen  Lautverhältnissen  die  Spuren  dialektischer,  schon  in  der 
idg.  Grundsprache  vorhandener  Unterschiede.  Da  wir  nun  die 
Wahrnehmung  machen  können  (vgl.  schon  P,  172  und  oben 
p.  127),  dass  noch  die  älteste  geschichtliche  Lagerung  der  idg. 
Einzelvölker  diesen    vorgeschichtlichen    dialektischen  Unter- 


1)  Vgl.  hierzu  R.  v.  Erckert  Wanderungen  und  Siedelungen 
der  germanischen  Stämme,  Berlin  1901,  Karte  II:  Indogermanische 
Völker  in  Europa  zu  Anfang  des  VI.  Jahrhunderts.  Wir  begrüssen  in 
diesem  Werk  den  ersten  kartographischen  Versuch,  die  Ethnographie 
Europas  auf  Grund  der  linguistischen  Errungenschaften  darzustellen. 
Im  einzelnen  weichen  wir  nicht  selten  von  den  Erckertschen  Auf- 
stellungen ah. 


—     484     - 

schied  insofern  widerspiegelt,  als  die  Centumvölker  noch  heute 
den  Westen,  die  Satemvölker  den  Osten  des  idg.  Sprachgebiets 
einnehmen,  so  erhellt  hieraus  die  wichtige  Tatsache,  dass  in  dem 
relativen  Lagerangsverbältnis  der  idg.  Einzel  Völker  zueinander 
durch  die  Ausbreitung  der  Indogermanen  keine  allzu  grosse 
Verschiebung  eingetreten  sein  kann,  und  es  ergibt  sich  von 
vornherein  der  Satz,  dass  diejenige  Lokalisierung  der  Urheimat 
die  wahrscheinlichste  sein  wird,  welche  allzu  beträchtliche,  rein 
imaginäre  Translokationen  der  Einzelvölker,  z.  B.  der  Inder  vön 
den  Ufeni  der  Spree  nach  Indien,  der  Griechen  aus  den  Gefilden 
des  südlichen  Schwedens  nach  der  Balkanhalbinsel  usw.  vermeidet 
und  in  der  frühhistorischeu  Lagerung  der  Eiuzelvölker 
nicht  viel  mehr  als  ein  vergrössertes  und  auseinander 
gezogenes  Bild  ihrer  Lagerung  in  der  Urheimat  erblickt. 
Wir  haben  früher  von  einem  „sich  Aufrollen"  des  idg.  ürvolkes 
gesprochen  und  müssen  nun  die  in  Geschichte  und  Sprache  vor- 
liegenden Spuren  „eines  sich  Zusammenziehens"  der  idg.  Einzel- 
völker in  der  Richtung  auf  einen  gemeinsamen  Mittelpunkt  fest- 
zustellen suchen,  aber  immer  unter  peinlichster  Berücksichtigung 
des  geschichtlich  TatsächHchen  oder  wenigstens  Möglichen 
und  Wahrscheinlichen. 

Beginnen  wir  unsere  Besprechung  mit  dem  östlichen  Flügel 
der  Satemvölker,  so  scheidet  von  der  ältesten  Verbreitungs- 
sphäre der  Indogermanen  zunächst  das  eine  Zeitlang  als  ihre 
Heimat  in  Anspruch  genommene  Indien  aus;  denn  es  kann 
nicht  bezweifelt  werden,  dass  eine  Besiedelung  Indiens  durch  das 
Sanskritvolk,  und  zwar  von  Nord- Westen  her  stattgefunden  hat, 
eine  Bewegung,  welche  in  den  Gesäugen  des  Rigveda  noch  als 
im  Verlaufen  begriffen  geschildert  wird.  Die  Inder  dieses  Zeit- 
alters, deren  Hauptsitze  an  den  Ufern  des  Sindhu  (Indus)  za 
suchen  sind,  haben  von  der  Gangä  (Ganges),  welche  nur  ein- 
mal in  Rigveda  genannt  wird,  noch  keine  direkte  Kunde.  Auch 
bis  zu  den  Mündungen  des  Indus,  bis  zum  arabischen  Meer 
scheinen  sich  ihre  Sitze  damals  noch  nicht  erstreckt  zu  haben 
(vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  21  f.).  In  sehr  anschaulicher 
Weise  spiegelt  sich  dieses  allmähliche  Vordringen  der  indischen 
Stänmie  nach  Süd  und  Ost  in  der  verschiedenartigen  Einteilung 
und  Benennung  des  Jahres  in  älteren  und  neueren  Sprachperioden 
des  Sanskrit  ab,  wie  wir  dies  oben  p.  227,  239   ausführlich  dar- 


4»f) 


'  feitlelli  haben.  Da  nun  das  älteste  iDdiech  vun  tleiii  ältesten 
Iraniücli  ricIi  k»uin  inelir  ab  eine  griechiscbe  oder  deniselie 
Muudni't  von  der  anderen  nnterscheidet,  so  erhellt  hieran»,  dase 
wir  die  Inder,  <lie  sieh  ja  auch,  ganz  wie  die  Iranier,  als  Arier 
bi.'Keichneten  Iver^l.  oben  p.  ii^2),  zunächst  bis  auf  iranischen 
Boden  erfolgen  könne«,  von  wo  sie,  am  wahrsclieinliehsten  auf 
dem  alten  V'llker-  und  Hamlelsweg  entlang  dem  Kabul  in  das 
Indnstal  eingewandert  sind. 

Auf  iraniscliem  ViSlkerb<tden,  anf  den  wir  daher  sufort 
übergehen  können,  ist  die  ftlr  unsere  Zwecke  wichtigste  Frage 
die  naeli  dem  Verhältnis,  in  dem  die  zwcirellos  alliranisehen 
Vr.lker,  Meder  und  Perser,  die  Stfinime,  die  da.s  Ostiraniacli  des 
Awesta  sprachen  usw..  zu  denjenigen  nomadischen  oder  halb- 
nomadischen  VolkerBchafteo  stehen,  die  im  Norden  Irans  von  der 
kirgisisch-lurkmenisoben  Steppe  In»  lief  in  das  europäische 
Russland  reichen,  und  von  den  Allen  als  Saken,  äkythen, 
8koloten  (diese  Namen  hängen  untereinander  wohl  auch 
etymologisch  zusammen)  und  Sarmaten  bezeichnet  werden.  Alf 
Antwort  auf  diese  Frage  kann  gegenwärtig  mit  Sicherheit  gesagt 
werden,  das«  die  Skythen  eine  arische  Sprache  redeten  und 
der  tirnndstock  dieser  Vßlker  also  ein  arischer  war.  Dies  folgt 
nicht  nur  ans  den  zahlreichen  skylhisehen  Figennanien,  Feraonen- 
namen,  wie  den  mit  -:nr;  (z.  R.  Kukäiai';)  =  aw.  j-rfoya  „Fllrst" 
gebildeten,  Göllernamen,  z.  Ü.  Tnßitl,  die  Herdgöttin:  aw.  tup 
„beiss  sein",  l-loyi/i^aoa,  Venus  Urania,  *ar!jnma-pnna  „die 
^^larkannige" :  aw,  häsu  „Arm  der  Menschen  und  flüfter"  (vgl, 
^Bobolevsky  Archiv  fQr  slavische  Philologie  XXVIII,  449), 
^Hiosanamen  wie7'ivai^:  &w.däiiu  „Flnss"  (vgl.SoboleFsky  Archiv 
^^XVII,  240,  der  wahraehcinlich  macht,  dass  gewisse  Skyihen- 
stänime  die  Media  in  die  Tenuis  verschoben),  sondern  auch  aus 
den  allerdings  selteneren  andersartigen  Wrirtem  wie  h-ägrei;,  nach 

Bttodot  =  ^vAf)6-/vvoi:  aw.  nar  „Mann"  mit  Alpha  privativum 
ler  ol6ß  „Mann"  =  aw.  rfra.  Ferner  zeigen  sowohl  dieslavischen 
le  auch  die  ostfinnischen  Sprachen  sehr  alte  Entlehnungen  aus 
dem  iraniscfaeu  Sprachenkreis,  die  natürlich  nur  durch  Skythen 
vermittelt  sein  künnen,  wie  z.  B.  das  gemeinslavische  f>ogü  „fiott" 
aus  aw.  baya  oder  die  oslfinnischen  Bezeichnungen  des  Goldes  und 
EJsenB  (oben  p.  42,  SU).  Endlich  spricht  auch  das  kleine  kau- 
uiscfae    Völkchen    der    Osseten    bekanntlich     noch    heute    eine 


—     486     — 

rein  iranische    Sprache  und  muss    als  ein  letzter  hochnordiseher 
Rest    der    Sarmaten   und   Skythen   betrachtet   werden.     Die  Er- 
kenntniB  aber,  das8  die  Skythen  Arier  waren,  beantwortet  zugleich 
die    Frage    nach    den    ältesten  Stammsitzen   der  letzteren:    „Da 
wir^,  sagt  E.  Meyer  Geschichte  des  Altertums  I,  514  mit  Recht 
,,wohl   einen    Übergang   von  unsteter   zu  sesshafter  Lebensweise 
uns  vorstellen  und  geschichtlich  nachweisen   können,   nicht  aber 
in  gleichem  Umfang  das  umgekehrte,  so  wird  anzunehmen  sein, 
dass  die  sesshaften  Arier  ans  der  turanisch-stidrussischen  Steppe 
in    ihre    späteren    Wohnsitze   gelangt   und    hier    zu  einer  höher 
entwickelten  Kultur  übergegangen  sind,  dass  sich   also  ihre  An- 
siedelung ähnlich  vollzogen  hat,  wie  jetzt  die  türkischer  Stämme 
in  denselben  Gebieten  oder  wie  der  Semiten   in  Syrien   und  im 
Tigrisland.^     Auch  ganz  direkt  werden  im  Altertum  (vgl.  Animi- 
anus  Marc.  XXXI,  2,  20)   die  Perser  als  originitus  Skythen  l>e- 
zeielinet.     Schwieriger  ist  es,  den  Weg  zu  bestimmen,    auf  dem 
sich    diese    nord-südliche   Ausbreitung    der  Arier  vollzogen  hat. 
Während  man  frtther  meist  an  eine  von  den  Oxus-  und  Jaxartes- 
ländern    ausgehende    Besiedelung    Irans    dachte,    fassen    neuere 
Gelehrte    vielfach,    besonders    seitdem    Scheftelowitz    K.  Z. 
XXXVIII,  260  ff.  in  den  Kossäern  des  Zagrosgebirges,  die  Baby- 
lonien    von    1700    bis    1100    v.  Chr.    beherrschten,   und  in   den 
Mitiani,   die  im    XVI.  Jahrhundert    in    Mesopotamien    regierten, 
Iranier  erkannt  zu  haben  glaubt,   Medien  und  Persis   als  „Kern 
punkte  des  arischen  Volkstums^  ins  Auge.     Ich  möchte  glauben, 
dass  auch  der  Annahme  einer  sowohl   vom  Westen    (durch  die 
Kaspischen   Tore)   als   auch    vom   Osten  (längs  des    Oxns  und 
Jaxartes)  ausgehenden  Besiedelung  Irans  nichts  im  Wege  steht. 
Die  gemeinsame  Ausbildung  der  ältesten,  speziell  arischen  (indisch- 
iranischen)  Spracheigentümlichkeiten  wäre  alsdann  schon  in  die 
nordische   Heimat   in    den    Grenzgebieten  Europa-Asiens  zu  ver- 
legen.      Vielleicht    weist   in    diese    Zeit    das    finnisch-ugrische, 
finn.  mehiläinen,  mordv.  nieJciy  mei,  tscherem.  mükJy  müxij  ung. 
m^h  etc.     „Biene"    zurück,    das  aus  dem  arischen,  scrt.  mäksha 
„Fliege,  Biene''  =  aw.   maxü  „Fliege"   entlehnt   zu  sein    schemt 
in  einer  Epoche,    da    die   arischen    Wörter,    wie    in  der   Grund- 
sprache, noch  e  statt  a  im  Stamme  hatten  (vgl.  K.  B.  Wiklund 
Le    monde    oriental    I,^   p.  56).      Daneben    könnte    in    späterer 
Zeit  eine  speziell   arische    Kulturperiode,   deren  Schauplatz  W. 


-    487     - 

Geiger  (Mus^on  1884)  an  die  beiden  Abhänge  des  Hindakusch 
verlegt,  hier  oder  anderswo  gedacht  werden.  Denn  es  ist  mir 
dnrehans  anwahrscheinlieh,  dass  au  jenen  arischen  (indisch-ira- 
nischen) Kniturgleichungen,  z.  B.  an  der  grossen  Zahl  der 
indisch-iranischen  Knltnrwörter  anf  dem  Gebiete  der  Religions- 
gescbichte,  alle  iranischen  Stämme,  also  anch  die  skythischen, 
einmal  teil  hatten.  Vielmehr  möchte  ich  glanben,  dass  diese  von 
uns  jetzt  in  gleicher  Weise  als  „arisch^  bezeichneten  Kultur- 
wörter  in  Wirklichkeit  sehr  verschiedenen  Epochen  angehören. 
Doch  ist,  soviel  ich  sehen  kann,  diese,  wie  mir  scheint,  nahe- 
liegende Frage  noch  nicht  aufgeworfen,  geschweige  beantwortet 
worden  (vgl.  oben  p.  207). 

Die  Skythen  waren  also  ihrem  Grundstock  nach  Arier. 
Das  ist  sicher.  Ebenso  sicher  ist  aber,  dass  zahlreiche  von 
ihnen  beherrschte  und  ebenfalls  als  Skythen  bezeichnete  Stämme 
nicht  reine  Arier  oder  auch  nur  reine  Indogermanen  gewesen 
sind.  Vielmehr  geht,  worauf  zuletzt  I.  Peisker  (Die  älteren 
Beziehungen  der  Slawen  zu  Turkotataren  und  Germanen)  mit 
Nachdruck  hingewiesen  hat,  aus  den  Nachrichten  des  Herodot 
und  Hippokrates  deutlich  hervor,  dass  jedenfalls  die  nordpontischen 
Skythen,  die  jene  beiden  griechischen  Gewährsmänner  am  besten 
kannten,  in  Lebensweise  und  Eörperbildung  zahlreiche  un- 
verkennbare turkotatarische  oder  uralaltaische  Züge  aufweisen, 
so  dass  Peisker  die  Skythen  geradezu  als  ^iranisierte  Ural- 
Altaier^  bezeichnet.  Auf  jeden  Fall  ergibt  sich,  dass  in  dem 
eurasischen  Steppengebiet  einstmals  arische  Stämme  ausgedehnte 
oral-altaische  Bevölkerungsschichten  unterworfen  und  sich  mit 
ihnen  vermischt  haben  müssen.  Von  einer  solchen  Unterwerfung 
haben  wir  vielleicht  noch  Ktinde.  Wir  wissen,  dass  bis  zum 
VIII.  (?)  Jahrb.  v.  Chr.  die  skolotischen  Skythen  westlich  nur 
bis  zum  Don  sassen,  von  dem  an  bis  zur  Donau  das  Volk  der 
Kimmerier  {Kt^ijuegioi)  wohnte.  In  der  genannten  Zeit  wurden 
diese  Kimmerier  von  den  westwärts  vordringenden  Skythen,  die 
sich  an  ihre  Stelle  setzten,  aus  ihrem  Lande  vertrieben.  Als 
selbstverständlich  kann  dabei  angenommen  werden,  dass  Reste 
der  alten  Bevölkerung,  z.  B.  die  Taurer  in  der  Krim,  die  nach 
dem  Kimmeriern  heisst,  zurttckblieben  ^)  (vgl.  E.  Meye  r  Geschichte 


1)  Dies  geht  auch  indirekt  aus  Herodot  IV,  1  —3  hervor,  wo  er- 


-     488     — 

des  Altertums  1,544  nach  Herodot  IV,  11).  Nnn  besitzeD  wir 
über  die  Nationalität  der  Kimnierier,  die  jedenfalls  von  den 
Skythen  mit  seltener  Schärfe  von  den  Alten  geschieden  werden, 
keine  direkten  Nachrichten.  Bedenkt  man  jedoch,  dass  die  oben 
erwähnten  ural-altaischen  Charakterzüg:e  nach  den  Berichten 
des  Herodot  und  Hippokrates  gerade  bei  den  nordpontischen 
Skythen  mit  besonderer  Schärfe  hervorgetreten  sein  miissen,  so 
liegt  der  Verdacht  nicht  fern,  dass  die  Kimmerier  Turkotataren 
waren,  und  die  pontischen  Skythen  ein  Gemisch  von  Ariern  und 
Kiuimeriern  darstellen.  Indessen  soll  dieser  Faden  erst  an  einer 
späteren  Stelle  wieder  aufgenommen  und  hier  nur  noch  auf  ein 
Kriterium  hingewiesen  werden,  welches  unsere  obigen  Annahmen 
über  die  ältesten  Wanderrichtungen  der  Arier  zu  bestätigen 
scheint.  Aus  dem  anregenden  Büchlein  Bacmeisters  Aleman- 
nische Wanderungen  (Stuttgart  1867)  wissen  wir,  dass  wandernde 
Völker  sich  gern  von  ihren  alten  Flussnamen  begleiten  lassen. 
Nun  haben  wir  im  Rigveda  die  sagenberOhmte  Rasd  (vgl.  scrt. 
rasa'  „Feuchtigkeit"),  «die  grosse  Mutter**  {mätd  maht)y  die  um 
des  Himmels  Höhe  fliesst,  über  die  es  schwer  ist,  hinüber- 
zukommen. Dieses  vedische  Rcutä  entspricht  genau  dem 
awestischen  Ranhd,  dem  Namen  eines  ebenfalls  sagenhaften 
Stromes  „mit  breiten  Ufern".  Beide  Namen  aber  hat  bereits 
K.  Kuhn  (K.  Z.  XXVIII,  214)  mit  der  von  Ptolemaeus  er- 
haltenen Bezeichnung  des  breitufrigen  „Mütterchens"  Wolga 
*Pa,  verknüpft,  das  aus  *ra8d,  *rad  wohl  entstanden  sein  kann. 
Stellt  man  zu  diesem  rasdranhd  nun  auch  noch  den  auf  alt- 
iranischem Boden  so  häufigen  Flussnamen  AraxeSy  der  bei 
Herodot  mehrfach  sicherlich  identisch  mit  dem  Jaxartes ^)  ( =  aw. 
raiihd?)  ist,  aber  auch  im  Süden  des  Kaukasus  und  in  Persis 
wiederkehrt,  so  würde  sich  in  der  geographischen  Verbreitung 
dieses  Flussnamens  die  oben  besprochene  nordsüd  liehe  Wanderungs- 
richtung der  Arier  in  einem  östlichen  und  westlichen  Zweig 
treulich  abspiegeln. 


zählt  wird,  dass  die  Skythen  bei  Verfolgung  der  Kimmerier  28  Jahre 
ausser  Landes  blieben,  und  während  dieser  Zeit  die  skythischen  Frauen 
sich  mit  ihren  Sklaven,  d.  h.  den  zurückgebliebenen  Elementen  der 
Kimmerier,  einliessen:  ex  tovtcov  6fj  (ov  oqri  rcov  dovXwv  xai  twv  yt^veuxwr 
tJi€Tgu<fTj  veöitjg. 

J)  Herodot  I,  202,  IV,  11;  vgl.  Zimmer  Altind.  Leben  p.  15. 


4S9 


^wcb 


Daneben    besteht   eine    zweite    Kette   zasaiiimenbängender 

Inssuamen,    die    sicbtlicb    von  dem    iraniscbeu    (awest.)    dänu, 

let.    don    „FIdss"    abgeleitet    sind    (vgl.   Sobolevsky   Arcliiv 

XVII,  240  ff.).     Es  sind  von  Osten  nach  Westen  vorschreitend 

hon  oben  genannten  Tajiais  (Dun),  der  JJatiapris  (Diiiepr), 

•naniTits  (Üniestr)    und  Danuvius  (Donan).     Die  drei  zuletzt 

snannteo  Flnesnaiuen  werden  noch  nicht  von  Herodot  genannt, 

dafür    die    Bezeiclinnngen    BoQvaUiviji,    Tvotj';   und    "Imgog 

«etet.     Sobolevsky    ist    nun    der  Meinung,   daes  die  letzteren 

Ansdrlicke    der  ekytbischen    Sprache,    die  auch   nach  ihm  eine 

iranische  war,  angehört  hätten  nnd  erst  um   den  Beginn  unserer 

^Aera    durch    die    sarmatigchen ,    von    dänu    abgeleiteten    Kamen 

irdrängt  worden  seien.     Bedenkt  man  jedoch,   dass  weder  Bo- 

■IH>i)i:,   noch    TvqTji;,   noch    'laiyoi;  mit  irgend  welcher  Wahr- 

iheinliehkeit    aus    dem    Iranischen    erklärt    werden  können,    so 

mochte    ich    eher  vermuten,    dass    diese    Flassnamen    der  nicfat- 

iraniscben  Sprache  der  oben    genannten  Kimnierier    angehörten, 

an  den  Mündungsgebieten  der  betreffenden  FlUnse  haften  blieben 

nnd    SU    den    griechischen    Kolonisten    und    dnrcb    sie    Herodot 

bekannt  wurden,    während   die   mit   dänu  gebildeten  Namen  die 

echt  äkythischen  (iranischen),  vielleicht  schon  indogermanischen*) 

sind,  aber  mehr  im  Innern  des  Landes  galten    und   darum,    was 

aneh  Kiepert  Lehrbuch  der  alten  Geographie  p.  339    Aura.  2 

vermutet,    erst    sp&ter    genannt    werden    (Danumus   hei    Satlust, 

DanaitruB  und  Danapri«  bei  Ammiauns  Marcellinus). 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu    den    europäischen  Satem- 
Jkem  nnd  beginnen  ihre  Bespreehnng  mit  den  Slaven. 

Es  ist  bekannt,  dass  diese  Völker  ini  ersten  Jahrhundert 
iBerer  Zeilrechnung  unter  dem  Namen  Veneti  (Tacitus  Germ. 
eap.  46)  oder  Venedi  (Plinins  kigt.  nat.  IV,  13,  27j  zum  ersten 
Haie  in  die  Geschichte  eintreten,  und  schon  in  dieser  Zeit  lassen 
ih  ihre  Wohnsitze  mit  einiger  Genauigkeit  angeben.    Dieselben 


1)  Es  liegt  u&he,  mit  dem  iranischen  dänu  „FIusb"  auch  deti 
thrakJDchen  San-danus,  den  Ihessaliscben  'Am-Sarof,  den  ilnliechen  'Hg'' 
tay6i  und  den  keltisch-ligurischen  Bho-danuii zu  verbinden  (vgl.  Bremer 
Ethnographie  der  germanischen  Stfimme  in  PauIb  Gnindriss  111',  781). 
In  jedem  Falle  ist  die  Verknüpfnng  des  Dänumus  mil  dem  irauischeu 
Wort  etnleuchtender  ale  seine  Ableitnng  von  einem  keltischen  "tUnu 
.tortl»'',  wie  sie  Müllen  hoff  vorschlug. 

.  SpruebverKlaletinng  und  Crgeaehlchti  11.    S.  Aufl.  32 


—     490    - 

können  nämlicb  einerseits  den  Nordrand  des  Pontns  noch  nicht 
berührt  haben,  da  diese  Gegenden  von  den  Sarmaten  oder  San- 
romaten  besetzt  gehalten  wurden,  andrerseits  können  sie  im 
Westen  weder  die  Karpaten  noch  die  Weichsel  überschritten 
haben;  denn  bis  zu  dem  genannten  Flüss  kennt  Tacitas  ger- 
manische Stämme,  die  sich  teilweis,  wie  in  den  Bastamen,  Ober 
dieselben  hinans  bis  nach  dem  heutigen  Galizien  und  weiter  er- 
streckten, und  in  den  alten  getischen  oder  dakischen  und  panno- 
nischen  Eigennamen,  die  uns  in  reicher  Anzahl  überliefert  sind, 
hat  man  bis  jetzt  keine  Spur  von  Slavismus  entdecken  können. 
Müssen  im  Anfang  unserer  Zeitrechnung  die  Wohnsitze  der 
Slaven  demnach  nördlich  der  Pontischen  Steppen  und  östlich  der 
Weichsel  und  der  Karpaten  gesucht  werden,  so  lässt  es  sich 
ferner  wahrscheinlich  machen,  dass  schon  5  Jahrhunderte  früher 
in  den  genannten  Gegenden  der  gleiche  Volksstamm  ans&ssig  war. 
Herodot,  der  erste,  welcher,  wie  wir  bereits  sahen,  von  dem  Osten 
Europas  einige  Kunde  bringt,  nennt  nordwärts  der  Skythen«  welche 
den  Unterlauf  der  vier  grossen  Ströme  Dniestr,  Bug,  Dniepr,  Don 
besetzt  halten,  mehrere  Stämme,  die  er  ausdrücklich  als  nicht- 
skythisch  bezeichnet.  Einer  derselben  waren  die  ^ev^o^  die  nach 
Herodot  IV,  17  nördlich  von  den  2xt;#ai  ägoi^geg  wohnten.  Nach 
demselben  Geschichtschreiber  fliesst  der  Tvgtig  (Dniestr)  ans  einem 
grossen  Sumpf,  der  „das  Land  der  Skythen  und  das  der  Neuren 
trennt^  (IV,  öl).  Alle  Autoren,  von  ^afatik  bis  auf  den  heatigeD 
Tag,  stimmen  nun  darin  überein,  dass  in  diesen  Nevgol,  deren 
Name  in  nordwestlicher  Richtung  in  dem  der  Stadt  Nur  (Nuriska 
zemljay  Nurjaninü)  am  Nurec,  einem  Nebenflüsschen  des  Bog 
(Zuflusses  der  Weichsel),  wiederkehrt  (vgl.  Näheres  bei  W.  To- 
masche k  Kritik  der  ältesten  Nachrichten  über  den  skythiscben 
Norden  II  im  117.  Band  der  Sitzungsb.  d.  Wiener  Ak.  p.  3)  die 
Urslaven  zu  erblicken  sein.  Zweifelhafter  ist  es,  wie  weit  ihr 
Land  sich  ostwärts  erstreckte,  da  es  sich  schwerlich  ausmachen 
lässt,  ob  die  an  die  Neuren  angrenzenden,  von  Herodot  ebenfalb 
von  den  Skythen  getrennten  Audrophagen,  Melanchlänen  und 
Budinen  (vgl.  oben  p.  471),  wie  Müllenhoff  Deutsche 
Altertumskunde  III,  18  für  die  beiden  ersteren  annimmt,  eben- 
falls Slaven,  oder  wie  andere  (z.  B.  Braun  Untersuchungen  auf 
dem  Gebiet  der  gotisch-slavischen  Beziehungen  I,  Sbornik  64 
Nr.  XII  p.  83)  glauben,  bereits  Finnen  sein.      Wenn  man  Wert 


'darauf  legt,  das»  in  dem  urslavisclieu  Wörterbacb  eiaü  Bezeichnung 
fitr  die  Buche  fehlt,  deren  Name  von  den  »laviseben  Einzel- 
sprachen (vgl.  z.  B.  ru»B.  huktii  ans  dein  Deutschen  entlehnt 
wurde,  wflrde  es  sich  empfehlen,  die  ursiavischen  Wohnsitze 
ans  dem  Quellgebiet  der  Dniestr  etwas  ostwärts  zu  rücken, 
vorausgesetzt  freilieb,  dase  die  östliche  Bucheugrenne  damals 
dieselbe  wie  heute  war').  Im  grossen  nnd  ganzen  aber  herrscht 
in  dienen  Fragen  eine  erfreuliche  Übereinstimmung  der  in  Betracht 
kommenden  Forscher,  öfi  spricht  eich  MUllenboff  Deutsche 
A.-K-  folgendermassen  ans:  „Naeb  alledem  können  wir  als 
Kesnttal  der  bisherigen  Untersuchungen  hinsteilen,  dass  die 
.Slaven  in  den  ältesten  uns  bekannten  Zeiten  von  den  Karpaten 
und  dem  oberen  Laufe  der  Weichsel  nm  die  grosse  Sumpfregion 
berunt  nördlich  bin  an  die  Waldaihöhen,  dann  ostwärts  gegen 
die  Finnen  bis  in  den  ersten,  obersten  Bereich  der  Wolga  nnd 
des  Don  verbreitet  waren  .  .  .  Die  älteetc  nnd  eigentliche 
Heimat  der  HIaven  war  demnach  das  Gebiet  des  mittleren  nnd 
oberen  Dnieprs",  und  ganz  ähnlich  heisst  es  auch  in  der  neuesten 
Behandlung  dieses  Gegenstandes  bei  M,  Rruäevökyj*)  Ge- 
schichte des  ukrainischen  Volkes,  Leipzig  19C>6  p.  GH:  „So 
haben  wir  fUr  das  urslavische  Territorinm  die  Strecke  von  dem 
karpatischen  Vorgebirge  bis  zur  Alauner  (Valdajer)  Hochebene, 
die  Länder  des  oberen  und  des  mittleren  Duiepr  (doch  sind  die 
Territorien  östlich  vom  Duiepr  und  auch  in  der  Nachbarschaft 
des  Niemenbassins  bestreitbar)  und  die  Länder  zwischen  der 
^JFeichsel  und  dem  Niemen  bis  zum  Meere  (insofern  diese  Länder 
^bcht  von  gotischen  und  litauischen  Ansiedeinngen  eingenommen 
^Haren  *).     Woher    die  Slaven    in    dieses    Territorium    eingertlckt 

^^B         I)  Gewöhnlich  wird  mit  d«r  heutigen    östlichen  Buchen^r^nze 

^Hbn  den  Forschern  wi«  mit  einer  seil  ewigen  Zeiten  feststehenden  Tat- 

^^Mehe  gereehnet.  »'ithrund  doch  die  Oedchichte  der  nördlichen  Bui'hen- 

grenze  zeiyt,    wie    variabel   die  Verbreitung  dieseä  Baumes  im  Laufe 

der  Zeil  geweaen  ist. 

2}  Wir  mucheri  auf  dieses  Werk  auch  deshalli  hier  besonders 
auFtni-rksam.  weil  in  ihm  eine  grosse  Menge  von  die  Uileste  Ethno- 
graphie und  Urgeschichte  des  europAiächeu  Ostens  buireff ender,  in 
elaviechen  Sprachen  niedergelegtt-r  Literatur  verieichnct  und  charak- 
BlUiert  wird,  die  im  Wt^sten  nicht  oder  wenig  bekannt  kt. 

i))  Ähnlich  auch  L.  Niederle  Slovanske  »tarozilnouli  l.  1. 
rpraj!«  1902  (uat-h  J.  Peisker  Die  alleren  Beziehungleu  der  Slavon 


—    492    — 

sein  könoteo,  dafür  fehlt  es  an  jedem  Anhalt.  Merkwürdig  ist 
die  Übereinstimmung  des  Namens  der  beiden  Flüsse  Bug,  des 
Nebenflasses  der  Weichsel  und  des  sich  in  das  Schwarze  Meer 
ergiessenden  (der  südliche  heisst  bei  Herodot  ^'Yjtavig,  bei 
Jordanes  Vagus).  Vielleicht  sind  die  Slaven  einstmals  ans  dem 
Bereich  des  einen  (des  südlichen)  in  den  des  anderen  gewandert. 

Nordwärts  der  Slaven  sass  der  mit  ihnen  anfs  engste  rer- 
bundene  preassisch-lettische  Sprachzweig,  der  zuerst  in  den 
Aestii  des  Tacitus  (Kap.  45)  an  der  Bernsteinküste,  hierauf  in 
den  Galindae  und  Sudini  des  Ptolemäns  als  den  Venedi  be- 
nachbart genannt  wird.  Müllenhof f  a.a.O.  p.  22  macht  68 
wahrscheinlich,  dass  ^die  Ausbreitung  des  gesamten  Stammes 
von  Süden  oder  Südosten  her  vor  sich  gegangen  sei,  und  dass 
somit  die  Sumpfregion  des  Pripet  einmal  seine  natürliche  Süd- 
grenze  und  die  erste  Basis  seiner  Ausbreitung  gewesen  sei'^. 
Nach  einer  Auseinandersetzung  J.  v.  Fierlingers  (K.  Z.  XXVII, 
480)  ginge  aus  der  von  Herodot  überlieferten  NamensgestaltUDg 
NevQoi,  in  welcher  das  balto-slavisehe  Lautgesetz  der  Verwand- 
lung von  idg.  et?,  eu  in  or,  ou  (griech.  ijtXev-oa,  lit.  pldutiy  altsl. 
plutiy  plovq)  noch  nicht  eingetreten  sei,  hervor,  dass  sicherlich 
im  V.  Jahrhundert  die  baltoslavische  Spracheinheit  noch  bestanden 
habe  (vgl.  I»,  138). 

Von  wann  an  dieser  Sprachzweig  bis  zur  Bernsteinkflste 
gesessen  habe,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.    Nach 


zu  Turkotataren  und  Germanen  p.2).  —  Allerdings  widerspricht  diese 
Lokalisierung  der  slavischen  Urheimat  der  Tradition  der  ältesten 
Kiewer  Chronik:  „Nach  langen  Zeiten  siedelten  sich  die  Slaven  an 
der  Donau  an,  dort,  wo  heute  das  Ungarische  und  Bulgarische  Land 
ist;  von  hier  aus  verbreiteten  sich  diese  Slaven  in  die  Länder  und 
haben  eigene  Namen  angenommen.'^  Aber  mit  Recht  bemerkt  Uru- 
2evdkyj  p.68:  „Diese  Tradition  widerspricht  der  ganzen  Summe  unserer 
Kenntnisse  über  die  slavische  Kolonisation,  sie  ist  eine  misslungene 
Hypothese  eines  Kiewer  Buchgelehrten.  Sie  hat  sich  in  jenen  Zeiten, 
als  sich  das  Andenken  an  die  slavische  Migration  bereits  verwischt 
hatte,  aus  allerlei  Tatsachen  herausgebildet,  z.B.  aas  den  Erwähnungen 
der  Donau  in  der  Volkspoesie,  aus  biblischen  Erzählungen  über  die 
allgemeine  Verteilung  der  Völker  aus  dem  Süden  — ,  wurde  aber  >'iel- 
leicht  hauptsächlich  durch  frische  Tatsachen  der  Verdrängung  der 
Slaven  aus  dem  mittleren  und  unteren  Donaugebiet  im  X. — XI.  Jahrb. 
eingehaucht;  sogar  in  den  Volksüberlieferungen  hatte  sie  offenbar 
keinen  Anhaltspunkt.*' 


—    493    — 

A.  Bezzenberger  {Bulletin  de  VAcad&mie  Imperiale  des 
Sciences  de  St.  Pitershourgj  Nouvelle  S^rie  IV  —  XXXVI  — , 
51)  Hessen  sieb  Angehörige  des  litauischen  Stammes  schon  vor 
ungefähr  5000  Jahren  (?)  ostwärts  vom  karischen  Haff  durch 
prähistorisch-linguistische  Kombinationen  nachweisen. 

Ebenso  wie  der  Norden  des  Pontus,  ist  in  erkennbarer, 
historischer  Zeit  auch  der  Westen  desselben  von  idg.  Satem- 
völkem  besetzt. 

Die  ausgedehnten  Striche  zwischen  dem  Unterlauf  des  Ister 
und  den  Gestaden  des  ägäischen  Meeres  und  der  Propontis  hält 
im  Altertum  der  Volksstamm  der  Thraker  besetzt,  den  Herodot 
(V  Kap.  3)  für  das  grösste  aller  Völker  nach  den  Indern  an- 
sieht. Die  dürftigen  Überreste  der  thrakischen  Sprache  (vgl. 
P.  de  Lagarde  Ges.  Abb.  p.  278  ff.,  A.  Fick  Spracheinheit 
p.  417,  W.  Tomaschek  im  130.  B.  d.  Wiener  Sitzungsb., 
G.  3Ieyer  B.  B.  XX,  116,  P.  Kretschmer  Einleitung  p.  217) 
reichen  hin,  um  in  ihnen  die  Spuren  eines  zur  europäischen  Ab- 
teilung der  idg.  Sprachen  gehörigen  Idioms  (vgl.  die  reiche  Ent- 
faltung des  europ.  e  z.  B.  in  yevxov  „Fleisch",  Cetgala  „Topf" 
oder  des  europ.  l  z.  B.  in  ^aXfidg  „Bärenfell",  ^ikai  „Wein", 
oHdijurj  „Schwert")  und  seine  Zugehörigkeit  zu  den  die  palatalen 
Gutturale  durch  Sibilanten  ersetzenden  Sprachen  {Cetoaia  =  griech. 
XVToa,  ^ikai  =  griech.  ;ca>Uc,  di^ogy  diCa  „Burg"  =  griech.  relxog) 
festzustellen.  Nördlich  des  Istros  treffen  wir  die  von  den  Grie- 
chen Geten,  von  den  Römern  Daker  genannten  Völker  an, 
deren  thrakische  Abstammung  durch  die  Zeugnisse  der  Alten 
(Strabo  p.  303 :  nagä  rcbv  Feraw  öjuoyXconov  roig  ßgq^lv  S^'ovg, 
p.  305 :  6/wyX(OTToi  d*  elalv  ol  Adxoi  TÖig  rhaig)  feststeht.  Von 
dakisch-getischen  Wörtern  sind  leider  nur  einige  Pflanzennaraen 
auf  uns  gekommen,  die  in  den  seltensten  Fällen  (vgl.  z.  B. 
dakisch /iavTc/a  „Brombeere"  =  alb.  man,  mand  „Maulbeerbaum") 
deutbar  sind. 

Sicher  ist  ferner,  dass  von  Thrakien  aus  ein  grosser  Teil 
Kleinasiens  seine  idg.  Bevölkerung  erhalteq  hat.  Zunächst 
ist  bekannt,  dass  die  Thraker  selbst  ostwärts  über  die  Meerenge 
sich  weit  nach  Vorderasien  ausgebreitet  haben  (vgl.  Zeuss  Die 
Deutschen  und  die  Nachbarstämme  p.  258).  Nach  der  ein- 
helligen Meinung  des  Altertums  war  aber  auch  das  Volk  der 
Phryger  aus  Europa  eingewandert  und  ursprünglich  den  Thra- 


—    494    — 

kern  stammverwandt.  Die  Makedonen  erinnerten  eich  noch  einer 
Zeit  (Herod.  VII  Kap.  73),  in  der  die  Phryger,  damals  nnter  dem 
Namen  Bglyegy  ihnen  ovvoixot  waren,  und  von  Strabo  p.  471 
werden  die  Phryger  geradezu  als  änoixoi  rcov  Sg<pcQ)v  bezeichnet 
(vgl.  die  weiteren  Zeugnisse  der  Alten  bei  Fiek  a.  a.  0.  p.  408  f.). 
Ja,  vielleicht  lässt  sich  diese  von  der  Balkanhalbinsel  ausgehende 
östliche  Bewegung  der  Indogermanen  noch  weiter  verfolgen. 
Nach  den  Nachrichten  der  Alten  (Herod.  VII  Kap.  73  und  Eudoxnß 
bei  Eustath.)  vgl.  Zeuss  a.  a.  0.  p.  2ö9)  waren  mit  den  Phrygem 
wiederum  die  Armenier  aufs  nächste  verwandt,  so  dass  also 
auch  dieses  Volk  einmal  seine  Wohnsitze  in  Europa  gehabt 
haben  müsste. 

Diese  Überlieferungen  der  Alten  werden  nun  in  ihrem  Werte 
ausserordentlich  erhöht  durch  den  Umstand,  dass  sie  durch  die 
sprachliche  Betrachtung  der  genannten  Völker  vollkommen  be- 
stätigt werden.  Sowohl  das  Phrygische  (P.  de  Lagarde 
Ges.  Abb.  p.  283,  Fick  Spracheinheit  p.  411,  B.  B.  XXIX,  236 ff.) 
wie  auch  das  Armenische  (Hübschmann,  Armen.  Gram- 
matik I)  zeigen  dieselben  charakteristischen  Eigenschaften,  wie 
sie  eben  für  das  Thrakische  hervorgehoben  worden  sind  (europ.  e 
in  phryg.  C^kxia  =  altsl.  zlakü  „Gemüse**,  C^jud  =  griech.  x^l^ 
„Quelle",  armen,  ein  =  griech.  ^kaq)og  „Hirsch",  gelmn  =  lat. 
vellus  „Vliess";  europ.  l  in  phryg.  ßaXijv  „König",  xixXt]  „der 
grosse  Bär",  eigentl.  „Rad" :  griech.  xvxXogj  armen,  ail  =  lat. 
alius,  gail  =  scrt.  vfka  „Wolf";  die  Sibilanten  statt  der  palataleo 
Verschlusslaute  in  phryg.  oe/iov  =  altsl.  semu  „diesem",  C^Xxta 
„Gemüse",  s.  o.,  ai*men.  iun  „Hund"  =  scrt.  frd',  sar  „Höhe" 
=  griech.  ndga).  Besonders  ist,  was  das  Armenische  anbetrifft, 
noch  darauf  hinzuweisen,  dass  dieses  auch  eine  ganze  Reibe 
speziell  europäischer  Kulturwörter  (Ausdrücke  für  den  Pflng, 
den  Honig,  das  Salz,  den  Wein,  die  Handmühle  etc.)  in  seinem 
Sprachschatz  aufweist.  Es  kann  also  nicht  bezweifelt  werden 
und  wird  es  wohl  auch  von  niemand,  dass  sich,  in  kaum  näher 
zu  bestimmender  Zeit  (vgl.  oben  p.  49)  ein  breiter  Strom  von 
Indogermanen  vom  Norden  der  Balkanhalbinsel  längs  der  west- 
lichen und  südlichen  Gestade  des  Schwarzen  Meers  bis  tief  nach 
Kleinasien,  nach  dem  späteren  Armenien  ergossen  hat,  wo  das 
allophyle  Volk  der  HXagödioi  (assyr.  Urartu)  noch  lange  Armenier 
und  Iranier  getrennt  zu  haben  scheint. 


-     495     - 


Sioiiiit  kJinuten  wir  uns  direkt  zu  den  Centiiin-Völkern 
(GriecheD,  Rfimern,  Selten  uud  Germanen)  wenden,  wenn  nicht 
zDvor  noch  eines  Sprachgebiets  in  Kfirze  ta  gedenken  wäre, 
desBeu  Zugehörigkeit  zu  der  einen  oder  andern  Gruppe  der  idg. 
•Sprachen  amgtritten  ist,  des  altillyriGchen.  Ohne  Zweifel 
gehrtren  d\v  Albaneaen  (vgl.  G.  Meyer  B.  B.  VlII,  IKö  ff., 
Etym.  Wörterbuch  des  Albanesischen  1H91  etc.),  die  wir  beute 
auf  dem  Boden  des  allfu  liiyriens  finden,  zu  den  Satem- Völkern 
'alb.  vise  „Orte"  =  scri.  rit;,  lat.  ricus;  dimm  „Winter"  =  altsl. 
zmta;,  und  da  eine  Reibe  aitillyrischer  Ortsnamen,  wie  Dimallum, 
eine  Stadt  auf  zweigipfligem  Hügel  (vgl.  alb.  di  „zwei",  mal' 
„Berg"),  Aovye.ov,  eine  Sumpfgegend  in  Utrien  (vgl.  alb.  Ugate 
„Sumpf"),  Tergeniä  „Triest"  (vgl.  alb.  trege  „Markt"(  sich  un- 
schwer aus  dem  AlbanesiBchen  erklären  lassen,  so  haben  zahl- 
^reichc  Gelehrte  angenoumien,  dass  die  heutigen  Albanesen  die 
HClreinwohner  lllyiiens  seien.  Aaf  der  andern  Seite  werden  aber 
^■ne  Veneter,  deren  Stammsitze  im  Norden  der  Adria  die  Ver- 
'tiindnng  zwischen  der  Apennin-  und  Balkanhalbinsel  herstellten, 
voD  den  Alten  ausdrücklich  als  zu  den  Illyriem  gehörig  an- 
gesehen (vgl.  Herodot  I,  196:  'li.Xvgi<ur  'Evnuik\  und  da  nun 
die  Veneter,  nach  den  allerdings  sehr  dürftigen  Resten  ihrer 
.Sprache  (vgl.  Pauli  Altitalische  Forschungen  III:  Die  Veneter 
nod  ihre  Schriftdenkmäler)  zu  scbliesaen,  eine  Centuni-8pracbe 
geredel  zu  haben  scheinen  (venet.  eyo  „ich"  —  lat,  ego  gegenüber 
Mt.aaz.  a.\ts\.  azü;  venet.  fini-^nw«  gegenüber  thrak,  .ftrÄov-Cf'-'jc, 
scrUjan  „gebären"),  so  haben  audere  (vgl.  H.  Hirt  Die  Stellung 
des  lllyrisehen  im  Kreise  der  idg.  Sprachen,  Festschrift  für  Kiepert, 
ebenso  K.  ßrugmann  Kurze  vergl.  Gramm,  p.  4)  das  gleiche 
für  die  alten  lilyrier  angenommen  and  glauben,  dase  die  Albanesen 
von  Haus  aus  einen  tbrakischen  Stamm  darstellen,  der  in  früher 
Zeit  in  Illyrien  eingehrochen  sei-  Ein  Vorteil  dieser  letzteren 
Anschaanng  ist,  dass,  wenn  die  alten  lilyrier  eine  Centum- 
Spraehe  redeten,  wir  alsdann  in  früh  historischer  Zeit  eine  un- 
DD t e rbroe b e ne    Kette    von  Centum- Völkern    vor    uns    haben, 

Eie  VOD  den  Italikern  bis  zu  den  Griechen  reicht. 
Wie  eicii  dies  nun  auch    verhalten   möge,    auf  jeden  Fall 
nd  die  letzteren  von  dem  Nordwesten  der  Balkanhalbinsel  aus- 
gegangen.    Ihre  Stammsitze  weisen   in    das  s{>äter   illyrisch    ge- 
wordene Epirns,     Hier,  um  Dodona  nnd  im  Tale  des  Achelous, 


-    496    — 

dessen  Nebenfluss  Inachos  auch  am  Oeta  und  in  Argos  wieder- 
kehrt, suchte  schon  Aristoteles  {Meteorol.  I,  353  a)  die  ägxaia 
"Eildg.  In  Dodona  war  das  uralte  Nationalheiligtum  des  sich  in 
dem  Bfauschen  der  Eiche  offenbarenden  Zeus  (oben  p.  182).  Hier 
in  Hellopia  (über  die  Namen  auf  -op  vgl.  £.  Meyer  Geschichte 
des  Altertums  II,  67  f.)  wohnte  der  Priesterstamm  des  Dodo- 
näischen  Zeus,  die  ^EXXoi  oder  Zekkol  (II.  XVI,  234),  und,  wenn 
wir  uns  an  das  eiinnern,  was  oben  p.  449  über  schon  in  der 
idg.  Urzeit  vorhandene  heilige  Sippen  und  Stämme  auseinander- 
gesetzt worden  ist,  liegt  es  nahe,  den  späteren  Nationalnamen 
der  Hellenen  mit  diesen  ZeXXoi  (die  in  der  illyrischen  Umgebung 
ihr  anlautendes  s  bewahrt  hätten)  zu  verknüpfen.  Jedenfalls 
geht  von  Dodona,  sei  es  auf  ^em  Landweg,  durch  das  Gebiet 
der  Veneter,  sei  es  auf  dem  Seeweg,  durch  die,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  aus  lUyrien  nach  Italien  gekommenen  Japyger 
und  Messapier,  die  römische  Bezeichnung  der  Hellenen  als  Graeci 
aus;  denn  wiederum  nach  Aristoteles  wohnten  im  innem  Epirus 
um  Dodona  ol  xaXovfievoi  tote  fxkv  rgaixoiy  vvv  di  'EkXrjveg.  Aus 
Epirus  sind  nach  Herodot  VII,  176  die  Thessaler  nach  Thessalien 
gedrängt  worden.  Vom  Pindus  ist  der  den  Thessalern  am  näch- 
sten verwandte  Volksstamm  der  Makedoncn  ausgegangen,  der 
das  makedonische  Reich  gründete,  das  ^schon  vor  König  Archelaos 
aus  einer  Vereinigung  verschiedener  Völker  [thrakisch- 
illyrischer  und  echt  griechischer]  unter  der  Führung  und  \'or- 
herrschaft  der  griechischen  Maxeddveg  und  ihres  Adels"  bestand  *) 
(0.  Hoffmann  Die  Makedoncn,  ihre  Sprache  und  ihr  Volkstum, 
Göttiugen  1906).  Im  Pindus  haben  einst  auch  die  Dörfer,  deren 
Wanderungen  den  Abschluss  der  griechischen  VölkerbewegungCD 
gebildet  haben,  gesessen,  nach  Herodot  I,  56  damals  Maxedv6v 
[edvog)  „das  makedonische'^  genannt. 

Wie  Griechenland  seine  indogermanische  Bevölkerung   von 
Nord- Westen  her  empfangen  hat,    so  müssen  sich  die  Italiker 


1)  Gerade  wenn  dies  so  ist,  haben  wir  schwerlich  ein  Recht,  alle 
uns  als  «makedonisch''  bezeugten  Glossen  auf  eine  einheitliche 
Sprache  zurückzuführen.  Dieselben  werden  vielmehr  teils  echt  grie- 
chisch (thessalisch),  teils  thrakisch-illyrisch  sein.  Letztere«  wird  nament- 
lich auch  von  denjenigen  Fällen  gelten,  in  denen  in  den  makedoni- 
schen Glossen  eine  Media  an  Stelle  der  Aspirata  steht  (6dro<;  ..Tod* 
für  *{>dvog  etc.). 


—    497    — 

(Osker,  Umbrer,  Latiner)  in  der  Apenninhalbinsel  umgekehrt  von 
Nord-Osten  her  ausgebreitet  haben.  Mit  Recht  wird,  der  dori- 
schen Wanderung  vergleichbar,  als  letztes  Moment  dieser  Be- 
wegungen der  Vorstoss  der  sabellischen  Stämme  gegen  Süden 
angesehen,  der  noch  in  historischen  Zeiten  verläuft  und  Sam- 
nium,  Campanien  und  Lukanien  seine  italischen  Bewohner  zu- 
führt. Auch  die  durch  Überlieferung  und  Sage  bezeugte  einst- 
malige Machtstellung  der  Umbrer  im  Norden  der  Halbinsel  bis 
hin  zum  Fusse  der  Alpen  verdient  in  diesem  Lichte  betrachtet 
zu  werden.  Früher  und  keine  Spuren  zurücklassend,  hätte  dann 
der  latinische  Stamm  westlich  des  Gebirges  in  den  offenen  Tal- 
gründen sich  niedergelassen  (vgl.  Th.  Mommsen  Römische  Ge- 
schichte V  p.  112  f.  und  Kiepert  Lehrbuch  der  alten  Geographie 
p.  382  f.).  Hierzu  stimmt  auch,  dass  wir  den  Nordwesten,  Westen 
und  Süden  Italiens  (mit  Einschluss  Siziliens)  ursprünglich  von 
nichtitalischen,  wahrscheinlich  oder  sicher  überhaupt  nicht  indo- 
genuanischen  Völkern,  den  Ligurern^),  Etruskern*)  und  Si- 
kauern^)  besetzt  finden.  Auch  im  Süd-Osten,  in  den  Land- 
schaften Apulien  und  Calabrien,  wohnten  stammfremde,  aber  indo- 
germanische Stämme,  die  Messapi  er,  deren  Sprachreste  (vgl. 
Kretschmer  Einleitung  p.  263)  Beziehungen  zu  den  gegen- 
überliegenden Völkerschaften  der  Balkanhalbinsel  zeigen;  doch 
lässt  sich  aus  dem  vorliegenden  Sprachmaterial  kaum  entscheiden, 
ob  sie  wie  die  Albanesen  eine  Satem-,  oder  wie  die  illyrischen 
Veneter  eine  Centumsprache  redeten. 

Für  die  weitere  Anknüpfung  der  Italiker  an  andere  idg. 
Völker  ausserhalb  Italiens  kommen  folgende   zwei    linguistische 

1)  Über  sie  hat  sich  eine  stattliche  Literatur  angesammelt  (vgl. 
H.  Hirt  Die  Indogermanen  II,  563).  Die  linguistische  Hauptarbeit  ist 
aber  noch  immer  die  von  K.  Müllen  ho  ff  Deutsche  Altertumsk.  III. 
Nach  seiner  Ansicht  war  das  Ligurische  keine  idg.  Sprache. 

2)  Die  Etrusker  sind  sicher  keine  Indogermanen.  Was  sie  aber 
waren,  und  woher  sie  stammen,  ist  unbekannt.  Mit  ihnen  verwandt 
waren  die  Raeter,  die  in  das  Alpengebiet  versprengt  worden  oder 
in  ihm  zurückgeblieben  sind. 

3)  DerCbarakter  der  altsizilischen  Sprache  wird  von  Kretschmer 
(Einleitung  p.  43  Anm.  1)  für  nichtindogermanisch,  von  Thurneysen 
(K.  Z.  XXXV,  212  ff.)  dagegen  für  italisch  gehalten.  Möglich  ist  auch, 
dass  auf  Sizilien  verschiedene  Sprachen  herrschten.  Jedenfalls  werden 
von  Strabo  VI  p.  270  mit  Berufung  auf  Ephoros  die  Iberer  als  erste 
Besiedler  Siziliens  genannt. 


—    498    — 

und  geographische  Gesichtspunkte   in    erster  Linie   in  Betracht: 
1.  Das  Italische  steht    innerhalb   des   idg.  Sprachenkreises  dem 
Keltischen   am    nächsten,    mit   dem    es  wichtige  Übereinstim- 
mungen auf  dem  Gebiete  der  Laut-  (vgl.  lat.  quinquey  ir.  c(Hc : 
griech.  ji^vt«,  scrt.  päfican,  altsl.  p^ti)  und  Formenlehre  (vgl.  z.  B. 
lat.  riri,  altir.  mciqi  „des  Sohnes** :  griech.  umov,  scrt,  ä^tasya, 
oder  die  Bildung  eines  Passivs  und  Deponens  auf  -r  :  ir.  ßechedar, 
lat.  sequitur)  teilt.     In  Beziehung  auf  den  Wortschatz  tritt,  wie 
das  Keltische,   auch    das  Germanische   sehr  nahe  an  das  Ita- 
lische   heran   (vgl.  P,  169  und  H.  Hirt   in   Zachers  Z.  XXIX, 
289  ff.).     Es  kann  also  darüber  kein  Zweifel  bestehen,  dass  das 
Italische    in    vorhistorischer    Zeit    den    beiden    genannten  Nord- 
sprachen,  besonders   aber   dem  Keltischen,    benachbart  gewesen 
sein  muss,  eine  Nachbarschaft,  deren  Schauplatz,  da  die  Ankunft 
der  Kelten    in  Oberitalien    bekanntlich    erst    in    historische  Zeit 
fällt,  ausserhalb  Italiens  gesucht   werden   muss.     2.  Für  die  Be- 
stimmung des  Ausgangspunktes  der  Italiker  und  des  Weges,  auf 
dem    sie    in    die  Apenuinhalbinsel  gelangten,   erweisen   sieh   die 
folgenden  Bemerkungen  F.  Katzeis  (Berichte  d.  kgl.  sächs.  Ges. 
d.  W.  phil.-hist.  Kl.  LH,  84  f.)   als   von   erheblicher  Bedeutung: 
„Für  Italien   ist   der  Eintritt  von  Nordosten  her   der  natürliche, 
denn  auf  dieser  Seite  ist  Italien  am  zugänglichsten.     Die  Wege 
nach    dieser    Ecke    kommen    von    der    Donau    her.^      ,,Der 
leichteste  Übergang    über    die  Alpen    lag    im  Südost.     Das    be- 
weisen  auch    die  Funde  [insofern  sie    auf   uralte  Handels-  und 
Völkerwege   hindeuten].     Die    Umgebungen   der   beiden   grossen 
Naturwege  durch  die  Ostalpen  zur  Adria,   des  Predilpasses  und 
des    über    den  Birnbaumer  Wald,    den    niedrigsten    und    südöst- 
lichsten Teil  der  Julischeu  Alpen,  führenden  Weges,    femer  das 
in  der  Fortsetzung  des  letzteren  Weges  liegende  Krain   sind  80 
reich    an  Funden  aus   der  Hallstätter  Zeit,    dass    man    hier  die 
Verbindung    zwischen    einem    Ausstrahlungsgebiet    im    östlichen 
Oberitalien  und  den  nordalpinen  und  dann  bischen  Fundstätten 
zu  sehen  meint.     In  Krain  begann  auf  dem  Laibachflnss  der  in 
die  Save    und  Donau  sich  ergiessende  Verkehr.**     „Die  natür- 
liche Nordpforte  Italiens   führt   durch   die  Julischen  Alpen   und 
weist  auf  die  mittleren  Donauländer  als  das  mit  Italien 
durch  die  Natur  zum  engsten  Zusammenhang  berufene 
Gebiet  hin.** 


—     4SW    — 

In  eben  dieses  mittlere  Donnutal    verlegt    die  neaere  Fur- 
ichiiug    nun    auch    mit    immer  waehBender  Übereinstimmung:  die 
eigentliche  Basis  der    keltiseheu  Völkerverbreitung.     Nocli   im 
11.  Jahrhundert  v.  Chr.  war  gnuz  SQddeutschlaml  von  Kelten  be- 
indem   den  Raum  zwischen  Bodensee  und  Main  die  Hel- 
veiier  einnahmen.     An   sie  schlössen    sich    in  Bölimen    die   Bnji, 
Oallica  utraque  gens  (Tacitns  Germ.  Kap.  28),  und  noch  weiter 
totlicb  zog  sieh  in  den  Cotiui  {Cotinos  GalHca  lingua  coarguit 
I  esse  Germanog,  Kap.  43)    und    anderen  Stämmen  (Bremer 
771)eiue  Kette  gallischer  Volker  bi«  zu  den  Karpaten.    Nun  sind 
Caesar  De  hell.  Galt.  VI,  24  und  diesem  folgend  Tacitus  Herrn. 
£ap.  28  ja  allerdings  der  Meinung,  dass  es  sieb  hierbei  um  Kolonien 
bandle,  die  von  den  Gnlliem  zur  Zeit  ihrer  grösseren  Maehtfülle 
Aber  den  Rlieiu  ostwärts  geschickt  seien,  und  Livius  (V,  :{4)  weiss 
TOD    einem  Zug    des  Sigovesus    in    den  Hercyuiscbeu   Wald    zu 
leriehten.     Allein    diese  Annahmen    der    alten   Autaren    stimmen 
10  wenig  zu  der  Tatsache,   dass  wir  die  Ostlich  des  Rheins  von 
Kelten  besetzten  Länder  au    der  Hand   der  Ortsnamen    als  seit 
den  ältesten  Zeiten  von  ihnen  innegehabt  erweisen  können,  dass 
lie  Ansicht  der  neuereu,  jene  Kumbiuationen  der  Alten  beruhten 
auf  einer    fälschlichen  Übertragung  der    historischen  Wan- 
derungen des  Keltenzuges  nach  Italien  im  Anfang  des  IV.  Jahr- 
hunderts auf  die  uralte  Ansässigkeit  der  Kelten    in  Süddeutsch- 
Lhnd,  Böhmen  und  den  Karpatenländern  viel  Bestechendes  bat'). 
■Ygl.    an    neuerer    Literatur    Über    die    Stammsitze    der    Kelten: 
10.  Bremer  a.  a.  0.,    der    indessen    die  Verbreitung    der   Kellen 
rgegen  Osten    zu    weit    ausdehnt    und    sogar    noch    in   den  oben 
1.490  besprochenen  slavischen  NevQoi  Kelten  erblickt,  R.  Much 
iDeutscIie  .Stamnieskunde,  2.  Aufl.  IM.'i,   der  ebenfalls  p,  41  der 
Ansicht  ist,  dass  „die  Ausbreitung  der  Kelten  ihren   ersten  Aus- 
;ang  von  einem  Bereich  aas  genommen    zu    haben   scheint,    der 
Wesentlich    auf    heute    deutschen    Boden    fällt",    H.    d'Arbois 
!  Jubainville  Leu  Celles  depuiit  les  tempa   les  plun    anciens 
i  Van  100  avant  noire  ire,   19u4,  der  als  Stammsitze  der 


1)  V>!:1.  »ben  p.  4ÜI  Anm.  3  über  die  sInvUrhe,  Tradition.  Es 
|lräre  eine  InCereaEanKi  Aufgabe,  atlK  bui  den  idg'.  Völkern  begegnenden 
Berkunf telegen  den  im  Zusammenhang:  eu  untersuchen.  Ks  würde  dann 
als  es  jetzt  der  Fall  ist,  hervortreten,  ob  ihnen  irgend  ein  Wert 
lad  weleher  zu^enHprechen  ist. 


—    500    — 

Kelten  das  beutige  SüddeutschlaDd  zwischen  Donau,  Main  und 
Rhein  ansieht,  dazu  L.  Erhardt  a.  o.  a.  0.  p.  493. 

Von  den  Donaulandschaften  aus  hat  dann  zunächst  eine 
starke  Ausbreitung  der  Kelten  besonders  in  nördlicher,  nord- 
westlicher und  westlicher  Richtung  nach  Nordwestdentschland 
(s.  u.),  Frankreich  und  Britannien  stattgefunden.  In  Gallien  selbst 
nehmen  die  Kelten  früher  den  Norden  und  die  Mitte  des  Landes 
als  den  Süden  ein.  Bis  zu  dem  iberischen  Keltenzug  bildete  im 
Westen  die  Loire,  bis  zu  dem  Zuge  nach  Italien  die  obere  Rhone 
oberhalb  Lyons  die  Südgrenze  der  Kelten  (Müllenhoff  Deutsche 
Altertumskunde  II,  240). 

Damit  können  wir  zu  dem  letzten  der  idg.  Hauptvölker, 
den  Germanen,  übergehen,  deren  älteste  Stammsitze  festzustellen 
eine  der  schwierigsten,  wenn  nicht  die  schwierigste  Aufgabe 
der  alteuropäischen  Ethnographie  ist. 

Verhältnismässig  durchsichtig  liegen  die  Verhältnisse  in 
West-  und  Mitteldeutschland.  Hier  sehen  wir  an  der  Hand 
der  sprachlichen  Zeugnisse  die  Germanen  in  stetem  siegreichen  Vor- 
dringen west-  und  südwärts  gegenüber  dem  vor  ihnen  zurück- 
weichenden keltischen  Element  begriffen.  Eine  sorgfältige  Prü- 
fung der  Benennungen  der  Nebenflüsse,  welche  von  rechts  in 
den  Rhein  münden,  wie  sie  von  K.  Müllenhoff  D.  A.  II,  207  ff. 
unternommen  worden  ist,  zeigt,  dass  das  keltische  Element  im 
Binnenland  ursprünglich  weit  über  diesen  Strom,  der  selbst  einen 
wahrscheinlich  keltischen  Namen  trägt,  hinüberreichte.  Die 
Flussnamen  Main,  Lahn,  Sieg,  Ruhr,  Emscher,  Lippe  sind  un- 
deutsehen,  keltischen  Ursprungs.  Zum  mindesten  bildete  daher 
die  Wasserscheide  zwischen  Rhein  und  Weser  ursprünglich  einmal 
die  Grenze  zwischen  germanischer  und  keltischer  Zunge,  die 
aber  wahrscheinlich  noch  bis  zu  dem  Gebirgswall  des  Harzes, 
Thüringer  Waldes  und  Fichtelgebirges  gehört  wurde  (vgl.  näheres 
bei  Bremer  p.  774).  In  Thüringen  und  im  Königreich  Sachsen 
weisen  die  Finne  an  der  ünstrut  (aus  kelt.  penno  „Kopf")  und 
Fergunna,  das  Erzgebirge  (aus  keltisch  *Perkunia  d.  i.  Hercynia) 
auf  frühere  Anwesenheit  von  Kelten  und  ihre  Verdrängung  durch 
Germanen  hin. 

Die  schwierigsten  Probleme  liegen  im  Norden  und  Osten. 
Seit  wann  sind  Germanen  in  Skandinavien  ansässig?  Und  seit 
wann  sind  Germanen  an  der  Weichsel  und  im  Norden  der  Kar- 


in 

BlIDI 


laten  anEUDehmeii  ?  Diese  F'ragen  Biod  in  neuerer  Zeit  sehr 
ver«!hie<leii  beantwortet  worden.  So  verlegt  R.  Much  (Pentache 
Stamtnesk linde  190U),  der  im  übrigen  (p.  17)  die  ürsitze  der  Indo- 
gerniaucn  innerhalb  dee .Stromgebietes  der  Dona«  sucht'j,  die  Ur- 
heimat der  Germanen  ausBcliliessHch  in  das  südliche  Skandinavien. 
„Man  wird  sicher  nicht  zu  weit  zurückgreifen",  heisst  es  p.  26  ff. 
(ebenso  *  p.  26),  „wenn  man  den  Beginn  der  jUngeren  Steinzeit 
im  südlichen  Skandinaneu  vor  den  Anfang  des  dritten  vorclirist- 
lieben  Jahrtausende  setzt.  Wäre  aber  damals  auch  schon  Deutsch- 
land oder  auch  nur  N^orddeutscbland  von  Germanen  bewohnt 
gewesen,  so  müsaten  wir  erwarten,  dass  die  Unterschiede  zwistiien 
Nord-  nnd  Südgermanen  zn  Beginn  unserer  Zeitrechnung — zumal 
in  sprachlicher  Hinsicht  —  weit  grössere  seien,  als  sie  tatsäch- 
lich Bind."  Dieser  letztere  Umstand  erkläre  sieh  nur,  „wenn  Deutsch- 
land von  einem  engeren  nordischen  Bereiche  aus  seine  sprachlich 
massgebende  Bevölkerung  erhalten  hat",  im  schroffsten  Gegen- 
satz hierzu  erklärt  0.  Brenner  in  einem  Aufsatz  ^Zur  germani- 
ßchen  Urgeschichte"  (Beilage  z.  Allg.  Z.  1904,  Nr.  136),  dasa  „die 
vereinzelt  (?)  aufgetretene  Meinung,  dass  Skandinavien  der  Ursitz 
der  Germanen  sei,  jetzl  die  Forschung  wohl  nirgends  mehr  störe". 
Er  tut  dies  im  Hinblick  auf  ein  in  dem  genannten  Aufsatz  von 
ihm  ausfuhrlich  besprochenes  Werk  A.  M.  Hansens  Landnäm 
in  Norge  (Kristiania  1904),  in  dein  dnrch  eine  hier  nicht  näher 
erörternde  Vergleich ung  der  dänischen,  schwedischen  nnd 
rwegischen  Ortsnamen  mit  den  Epochen  der  Stein-,  Bronze- 
id  Eisenzeit  der  Nachweis  geführt  wird,  den  auch  E.  Mogk 
(Historische  Z,  94  p.  471)  für  gelungen  erklärt,  dass  Bieh  die  Ger- 
manen in  Skandinavien  allmählich  vom  änssersten  Südwesten  der 
Halbiaael  ans  ausgebreitet  hätten.  Immerhin  geht  aber  auch  aus  den 
Hansenschen  Untersuchungen  soviel  hervor,  dass  Germanen  oder 
Indogermanen  bereits  im  lll.,  spätestens  im  II.  Jahrtausend  znm 
mindesten  in  Dänemark  gesessen  haben.  Nach  0.  Bremer 
endlich  würden  die  groasen  Steingräber  in  Dänemark  nnd  Schweden 
Kwar  auch  Germanen  angehören,  doch  hält  er  mit  dieser  Anf- 
inng  eine  Einwandernng  der  Skandinavier   in  den  genannten 


1}  In  der  3.  Auflage  des  genannten  Bnuhes  wird  hingegen  .dan 
unlere  Europa  einechlieselicb  des  aüdlichen  Skandinaviens"  als  itlg. 
trhelmat  beieichnet  (p.  17). 


—    502    - 

Ländern  erst  im  IV.  vorchristlichen  Jahrhundert  (p.  789)  für  ver- 
träglichy .  eine  Anschauung,  in  der  ihm  schwerlich  jemand  bei- 
stimmen wird,  es  sei  denn,  dass  vorher  die  ganze  Präbistorie 
auf  den  Kopf  gestellt  wird. 

Was  die  Ostgermanen  anbetrifft^  so  neigt  man  gegen- 
wärtig dazu,  dieselben  erst  verhältnismässig  spät  in  die  Weichsel- 
gegenden einrücken  zu  lassen,  sei  es,  indem  man  annimmt,  die- 
selben seien,  wie  es  die  von  Jordanes  bewahrte  Wandersage  der 
Goten  will  (vgl.  oben  p.  499  Anm.  1),  von  Skandinavien  her- 
übergekommen, sei  es  dass  man  glaubt,  dieselben  hätten  einst 
vor  den  anglofriesischen  und  svebischen  Stämmen  an  der  untern 
Elbe  gesessen.  Indessen  scheint  mir  diese  Auffassung,  jedenfalls 
vom  Standpunkte  der  Geschichte  und  Sprache,  ziemlieh  will- 
kürlieh zu  sein.  Denn  das  weitaus  erste  germanische  Volk  be- 
tritt ja  doch  im  Osten  den  Schauplatz  der  Geschichte,  die 
Bastarnen,  die  bereits  um  das  Jahr  178  v.  Chr.  als  Hilf»- 
truppen  in  dem  Heere  des  makedonischen  Königs  Perseas  im 
Krieg  gegen  die  Römer  genannt  werden.  Ihre  Heimat  lag  da- 
mals am  nördlichen  Ufer  der  Niederdonan,  wo  sie  als  bnjXc&e^ 
^Ankömmlinge^  bezeichnet  werden  (vgl.  K.  Zeuss  Die  Deut- 
schen und  die  Nachbarstämme  p.  129).  Dorthin  müssen  sie  von 
den  Karpaten  gekommen  sein,  wo  vdr  noch  später  ihre  Stamn- 
verwandten  treffen  (Much  p.  134,  ^  p.  130).  Dazu  kommt,  dass 
wir  im  Germanischen  vor  der  ersten  Lautverschiebung  auf- 
genommene Lehnwörter  aus  dem  Thrakiscben  bentzen,  dem  da» 
Germanische  also  sehr  früh  benachbart  gewesen  sein  mosa,  vor 
allem  das  oben  (p.  192  Anm.  1)  besprochene  Wort  „Hanf"  (Wei- 
teres bei  R.  M  u  c  h  p.  39,  -  p.  38).  Umgekehrt  wurden  vor  der- 
selben Zeit  Wörter  wie  das  germanische  ^peJcu  (got.  faihu  „Vieh") 
in  das  Litauische  (pekus)  entlehnt,  und  auf  noch  viel  frühere 
Epochen  slavisch-germanischen  Sprachaustausches  und  also  slavo- 
germaniseher  Nachbarschaft  weisen  Entsprechungen  wie  got  gidp 
„Gold"  —  slav.  zlatOy  lett.  selts  (oben  p.  42)  und  ahd.  lahs  —  rast. 
JÖ8081,  lit.  lasziszähiu  (vgl.  Kretschmer  Einleitung  p.  108).  Auch 
der  Name  des  uralten  Grenzflusses  zwischen  Germanen  und  Slaven, 
der  Weichsel  (agls.  Wisle,  slav.  Vislaj  lat.  Vistula),  kann  nur  als 
von  Haus  aus  slavo-germaniseh  d.  h.  als  bei  beiden  Völkern  uralt 
angesehen  werden  (Mttllenhoff  II,  207,  v.  Fierlinger  K.  Z. 
XXVII,  479).     Es  scheint  mir  also  vom  Standpunkt  der  Sprache 


-     503     - 

und  Gescbicbte  nicht  anzugeben,  die  Länder  zwiseheu  Oder  und 
Wet(.-bsel  von  der  Klteeten  VerbreitnDg:ss[)bäre  der  Germniien  aus- 
ziischliessen '). 

Somit  würden  wir  uns  die  ältesten  germanischen  Völker- 
verbäUnisse  folgendennanseii  voretellen.  In  die  Länder  zwischen 
Eibe  und  Weichsel  bis  hinauf  nach  Schleswig- Holstein,  Jiltland, 
Dänemark  und  Schonen  waren  in  spät neolithise her  Zeit  indo- 
germanische Stämme  eingerückt.  Üheraus  lange  wurde,  wie 
schon  ]*,  139  ff.  weitläufig  auseinandergesetzt  worden  ist,  in 
diesen  Ländern  die  indogermanische  Ursprache  im  wesentlichen 
treu  bewahrt,  und  erat  an  der  Schwelle  der  Geschichte,  d.  h. 
mit  di'm  Anheben  des  VorrUckens  der  Germanen  gegen  die  Kelten 
im  Westen  und  Süden  ca.  im  IV,  oder  Ili.  Jahrhundert  treten 
die  spezifisch  germanischen  Spracberscheinungen  auf,  darunter 
die  erste  germanische  Lautverschiebung  noch  unter  der  Herr- 
schaft des  alten  freien  idg,  Akzeuts.  Wer  bezweifelt,  dass  eine 
solche  lautliche  Umwälzung  auf  dem  grossen  Gebiete  wirksam 
»ein  konnte,  das  wir  damit  als  prägermanisch  in  Anspruch 
genommen  haben,  möge  bedenken,  dass  R.  Mnch,  obgleich  er. 
wie  wir  sahen,  die  Germanen  von  einem  ganz  kleinen  Bezirke 
nusgehen  tässt,  genau  dasselbe  annehmen  muss,  wenn  er,  wie  er 
es  tut,  die  Germanen  noch  vor  der  ersten  Lantverschiehung  nach 
Tbilringen  (■„Finne"  aus  kelt.  penno,  vgl.  Mueh  p.  51,  *  p,  5Ö) 


1)  Dasselbe  wiirdtt  auch  aus  den  AuBführunfren  J.  PeUkers 
(Die  Alteren  BesiebUD^^eii  der  Slaven  su  Turkotataren  und  Geruianen 
p.  97)  rolgen,  wenn  ee  ihm  ^eluugen  ist,  nachzuweisen,  dass  mehrere 
der  germanischen  Lehnwörter  im  AltBla\-iaehen,  a,  B.  altsl.  mliko  .Miluh-, 
nicht  aus  dem  Gotischen,  sondern  aus  dem  Westgermanischen  stainmren ; 
doch  vgl.  meine  Besprechung  dieser  Arbeit  in  F.  Kluges  Z.  I.  deutsche 
WorttorechunglMT,  —  Nach  einer  freundlichen  Miiteilung  Peiskers, 
der  mit  elugebenden  Vorarbeiten  zu  eiuer  Geschichte  des  PMuges 
beschäftigt  ist,  würde  auch  aus  der  BeschsFrenheit  des  urgermauiscben 
(Grosäpfluges'  die  Herkunft  der  Gemisnen  aus  dem  südlichen  Kuss- 
land 2U  folgern  sein,  da  dieser  „Grosspflug*  ein  offenbarer  Steppen- 
pring  sei;  denn  nur  die  Steppe  erfordere  eine  vollständige  Wendung 
der  Grassnarbe.  .Den  Grosspflng  brachten  die  Germanen  au»  ihrer 
trüberen  Heimat  mit  tmd  hielten  an  ihm  auch  in  ihren  späteren  Wohn- 
sitzen rund  um  die  Nordsee  fest,  wo  er  nicht  nur  nicht  notwendig, 
sondern  sogar  ganz  überflüssig  ist.'  Sowohl  der  Grosspflug  wie  auch 
die,  russische  sochd  seien  mittelbar  agyiitischeu  Ursprungs  (vgl, 
unten  p.6I3;. 


—    504    — 

und  noch  vor  der  ersten  Lautverschiebung  in  Berührung  mit 
den  Thrakern  {^hanapiz  „Hanf"  aus  thrak.  ^Jcdnäbis^  vgl.  Mucb 
p.  39,  ^  p.  38)  kommen  lässt.  Die  besonderen  Sprachbeziehungen 
zwischen  Ost-  und  Nordgermanen  kann  man  sich  dann  auch  bei 
unserer  Anschauung  ungefähr  so  wie  Mnch  p.  75,  ^  p.  73  vor- 
stellen,  d.  h.  so,  dass  man  annimmt,  später  tatsächlich  aas 
Skandinavien  herübergekommene  Nordgermanen ,  vielleicht  die 
Goten,  hätten  seit  Urzeiten  im  Osten  ansässige  Germanen 
sprachlich  mehr  oder  minder  beeinflusst. 

Werfen  wir  den  geschilderten  Tatsachen  gegenüber  nun- 
mehr die  Frage  nach  der  Heimat  oder  dem  ältesten  Ausgangs- 
punkt der  idg.  Völker  auf,  so  liegt  für  den  historisch  Den- 
kenden, d.h.  für  den,  der  diese  Heimat  unter  äusserster 
Schonung  der  historischen  Verhältnisse  zu  bestimmen 
sucht,  ihre  Beantwortung  schon  in  jenen  Tatsachen  selbst.  Wir 
haben  die  Arier  aus  den  Steppengebieten  des  Schwarzen  und 
Kaspischen  Meeres  hervorquellen  sehen.  Wir  haben  die  Stamm- 
sitze der  Slaven  und  Litauer  im  Norden  des  Pontns  Euxinos 
und  den  ganzen  Westen  desselben  Meeres  von  dem  grossen  Volk 
der  Thraker  besetzt  gefunden,  das  seine  Stämme  südlich  des 
Schwarzen  Meeres  weit  nach  Kleinasien  entsendet  und  die  Völker- 
schaften der  Phryger  und  Armenier  ins  Leben  ruft.  An 
diese  das  genannte  Meer  fast  wie  ein  Gürtel  umgebenden  Satem- 
Völker  schliessen  sich  westlich  und  nordwestlich  die  Centum- 
stämme  an.  unter  ihnen  haben  wir  die  Hellenen  bis  in  den 
Nordwesten  der  Balkanhalbinsel  verfolgen  können.  Die  Her- 
kunft der  Italer  weist  aus  zwingenden  linguistischen  und  geo- 
graphischen Gründen  in  das  mittlere  Donautal,  wo  auch  die  Stamm- 
sitze der  ihnen  am  nächsten  verwandten  Kelten  zu  suchen  sind. 
Nördlich  von  ihnen  sitzen  in  den  Flussgebieten  der  Weichsel, 
Oder  und  Elbe  die  Germanen,  und  es  gehört  keine  grosse 
Kühnheit  dazu,  sie  dahin  aus  den  nördlichen  Karpatenländem, 
von  denen  aus  sie  zuerat  in  die  Geschichte  eintreten,  einrücken 
zu  lassen,  ebensowenig  wie  dazu,  den  östlichsten,  arischen  Flügel 
der  Indogermanen  für  die  Urzeit  etwas  näher  an  die  ihnen  nächst 
verwandten,  weil  ebenfalls  zu  den  Satemstämmen  gehörigen,  Slaven 
und  Litauer  heranzurücken.  So  erhalten  wir  ein  Ländergebiet, 
als  dessen  geographischer  Mittelpunkt  die  Steppen,  Waldsteppen 
und  Waldgebiete  der  nördlichen  und  nordwestlichen  Gestade  des 


—     505     - 

'  Schwarzen  Meereg  anzusehen  sind.  Mhd  hat  sieb  frjlher  die 
Indiigermanen  bei  ihrer  Ausbreitung  alu  von  einem  immer  in 
gleicher  Richtung  verlaufenden  Wandertrieb  beseelt  gedacht.  Die 
Analogie  der  Ausdehnung  der  Einzelvölkcr  von  ihren  oben  er- 
örterten Stammsitzen  ans  lehrt  uns  aber,  dass  wir  diese  Vor- 
stellung berichtigen  müssen.  Die  Expansion  der  Slaven  vom 
II. — VII.  Jnhrhnnilert  ist  westlich  und  südlich  gerichtet,  der 
später  eine  nilrdlicbe  und  östliche  folgt.  Die  Germanen  haben 
Mob  westlich,  südlich,  nOrdlicb  und  südöstlich,  die  Kelten  nörd- 
licb.  westlicb  später  auch  Östlich  aosgedebut.  Die  Hellenen  sind 
nordostlich,  südöstlich  und  sfldlicb  gewandert.  Die  Thraker 
haben  ihre  .Scharen  südlich  und  östlicb  entsendet.  In  östlicher 
und  «ildlicher  Ricbtung  ist  auch  die  älteste  Ausbreitung  der  Arier 
vor  sich  gegangen  usw.  Alles  dies  weist  darauf  bin,  dass  ea 
geraten  ist,  den  Ausgangspunkt  der  Indogerraanen  eher  in  der 
Mitte  des  oben  bezeichneten  Ländergebietes,  als  an  seinen  üusser 
sten  Enden  zu  suchen.  Hiermit  stimmt  anch  das  schon  I",  91 
angefllbrte,  auf  naturgcschichtlichen  Analogien  beruhende  Argu- 
njent  Lathamu  Uberein:  „Wenn  wir  zwei  Zweige  derselben 
Spracbklasse",  90  schlops  dieser  Gelehrte,  „besitzen,  die  getrennt 
voneinander  sind,  und  von  denen  einer  ein  grösseres  Gebiet  bat 
and  mehr  Varietäten  ^eigt,  während  der  andere  geringeren 
umfang  und  grössere  Homogenität  besitzt,  so  ist  anzunehmen, 
dass  der  letztere  von  dem  ersteren  abstaninit,  und  nicht  um- 
gekehrt." Hieran»  zieht  Latham  mit  Recht  den  Schluss,  dass 
das  Arische  sich  von  der  östlichen  oder  südöstlichen  Grenze  des 
Litauischen  (nicht  umgekehrt)  losgelöst  habe.  Es  ist  nicht  richtig, 
wenn  Winternitz  (Was  wissen  wir  von  den  Indogermanen ?  p.  140) 
unter  Berufung  auf  Umstände,  wie  den,  dass  ^d\e  [an  Zahl  geringen] 
Auswanderer  der  britischen  Inseln  das  weite  Nordamerika  oder 
Australien  in  wenigen  Jahrhunderten  erfllllt  haben",  dieses 
Lathamsche  Argument  für  nicht  stichhaltig  hält;  denn  der 
Hauptnachdrnck  in  demselben  liegt  offenbar  auf  dem  „Mehr  der 
Varietäten"  (nicht  auf  der  grösseren  Zahl  des  Volkes),  das  fllr 
das  Ursprnngsgehiet  eines  Stammes  beweisend  sein  soll.  Dieses 
„Mehr  der  Varietäten"  kann  aber  gerade  heute,  wo  wir  wissen, 
dass  die  kleinasiatischen  Indogermanen  (Phryger  und  Armenier) 
I  Europa,  nämlich  von  der  Westseite  des  Pontus,  stammen, 
im  Norden    und  Westen   des  Schwarzen  Meeres   (in  Slaven, 

Sohrodar,  Spruihverglclchang  ond  Cr^eacliIthtB  II,    3.  Antl.  38 


—    506     — 

Litaaern,  Geten,  Daken,  Thrakern,  Phrygern,  Armeniern,  Illyriem, 
Hellenen)  gefanden  werden,  „die  grössere  Homogenität"  nor  bei 
den  Ariern  (Indern  und  Iraniem).  Dasselbe  Argument  Lathams 
richtet  sich  aber  auch  gegen  die  neaerdings  so  beliebte  Gleicb- 
Setzung  der  Indogermanen  mit  den  Germanen;  denn  es  ist 
offenbar  derselbe  prinzipielle  Fehler,  die  gesamten  Indogermanen 
von  den  Mündungen  der  Elbe  und  Oder  oder  gar  von  Skandi- 
navien abzuleiten,  als,  wie  frtther,  sie  aus  den  Oxns-  und  Jaxartes- 
ländern  oder  gar  aas  Indien  hervorgehen  za  lassen^). 

Somit  kann  die  Antwort  anf  die  oben  gestellte  Frage  nur 
lauten:  Die  Heimat,  das  Ausgangsgebiet  der  idg.  Völker 
ist  nördlich  und  westlich  des  Schwarzen  Meeres  mit 
Einschluss  eines  grösseren  oder  geringeren  Teiles  des 
Donautals  zu  suchen.  Von  hier  hat  ihre  Ausbreitung,  was 
Europa  betrifft,  zunächst  auf  dem  Donau-  und  dem  Karpaten- 
weg  stattgefunden.  Es  sind  dieselben  Gegenden^  in  denen,  wie 
wir  oben  (p.  480  f.)  sahen,  Hoops  die  Spuren  postglazialer  Steppen- 
bildnngen  in  uralten  Waldlichtungen  und  sonnigen,  von  einer 
zum  Ackerbau  einladenden  Origanum-Flora  bedeckten  und  darum 
durch  zahlreiche  prähistorische  Ansiedelungen  ausgezeichneten 
Plätzen  nachgewiesen  hat.  Mit  Rdcksicht  auf  die  Verbreitung 
eben  dieser  Origanum-Flora,  des  Nährbodens  eines  primitiven 
Landbaus,  den  wir  nach  Kap.  V  und  VI  seit  uralter  Zeit  nament- 
lich für  die  westlichen  Glieder  des  idg.  Sprachstamms  voraus- 
setzen müssen,  hat  neuerdings  auch  Hansen  a.a.O.  den  Sitz 
der  indogermanischen  ürkultnr  in  Südrussland  und  der  nörd- 
lichen Balkanhalbinsel   gesucht   (vgl.  Brenner  a.a.O.  p.  482). 

Dieses  so  gewonnene  Zentrum  der  indogermanischen  Völker- 
weit  finden  wir  im  Süden,  Westen,    Nordwesten   und  Nordosten 


1)  Es  ist  einer  der  unbegreiflichen  Widerspräche  des  Hirtseben 
Buchs,  dass  der  Vf.  den  Grundsatz,  dass  es  geraten  sei,  die  Indo- 
germanen von  dem  Zentrum  ihres  ältesten  historischen  Verbreitungs- 
gebietes ausgehen  zu  lassen,  zwar  richtig  aufstellt  (p.  183:  „Anders 
[nämlich  wie  bei  Germanen  und  Kelten]  wird  es  auch  bei  den  Indo- 
germanen nicht  gewesen  sein.  Ganz  naturgemäss  wird  man  demnach 
die  Urheimat  im  Mittelpunkt  des  von  dem  Sprachstamm  besetsten  Gebiets 
suchen'^),  dass  er  auch  die  Beweiskraft  des  Lath am. scheu  Arguments 
(p.  617)  anerkennt,  und  dann  doch  tatsächlich  die  Urheimat  der  I. 
zwischen  den  Mittellauf  der  Elbe  und  den  Unter-  und  Mittellauf  der 
Weichsel  verlegt. 


uro, 


Eni'opas  in  der  ältesten  gescbicbtlichon  Zeit  von  einem  Kranz 
alliiphyler,  niclitindogeniiaDiscber  Völker  umgeben,  die  sieb 
fiffeiihar  vor  dem  machtvoll  sieb  ausbreitenden  Indogermanentttm 
nii'hr  nnd  mehr  an  die  Peripherie  nneere»  Erdteils  «nrltckgexogen 
lialjen.  Es  ist  nnr  eine  Fortsetüung  dieser  nratten  Indogermani- 
eierung  Europas,  wenn  in  geschichtlicher  Zeit,  abgesehen  von  den 
in   Spanien,    auch    die    letzten   Reste    jener    allophylen 

rfilker  verschwunden  sind,  und  andererseits  auch  der  Osten 
nropas  indogermanisch,  d.  h.  russisch  geworden  ist.  Auf  diese 
Vrdker  ist  in  einem  andern  Zneammenhang  (Kap.  XII  am 'Schlnss) 
ansfflhrlii'h  hingewiesen  worden,  was  hier  nicht  wiederholt  werden 
soll.  Für  noch  offen  inftchle  ich  die  Frage  halten,  ob  auch  im 
Norden,  in  den  altgermanischen  Stamuländern,  die  Indogermaoen 
oder  Prägennanen  bereits  eine  nicbtindogermanischeBt^völkerung 

■vorfanden.  Es  fehlt  nicht  an  Spuren,  die  darauf  hinweisen, 
bh  nenne  die  Reste  einer  Vigesimslrecbnung  im  Dänischen  (oben 
p,'JQ2  Antn.),  die  Institution  des  Schwestersohns  in  England  und 
Dänemark  (oben  p.  361^),  den  Umstand,  dass  gerade  in  den  ger- 
tnaniscbeu  Sprachen  die  Ausbildung  der  Begriffe  „Freiheit"  und 
„frei"  auf  einen  uralten  Gegensntz  zwischen  einer  herrschenden 
and  verknechteten  Bevölkernngsschicht  mit  besonderer  Schärfe 
bindcutet  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  -Stände;.  Auch  Hansen 
nimnjt  in  dem  genannten  Buch  mit  grosser  Bestimmtheit  an  der 
Hand  archäologischer  und  antliropologischer  Krilerien  för  Däne- 
mark und  Norwegen  eine  vorindogermanische,  allophyle,  nicht 
etwa  mit  den  Lappen  identische  Bevölkerung  an. 

Bei  dieser  Häufigkeit  uralter  Vdlkermiscbnngen,   bei  diesem 
ichschichten    indogermanischer    Über     andere     indogermaniache 
häer  indogermanischer  Über  nichtindogermaniscbe  Stämme  nach 
ludogermnneu    suchen  zu  wollen,    ist  eine  vergebliche 
Siiehesnilthe.     Noch  einmal  aber  sei  darauf  hingewiesen  (vgl.  P, 
dass  diese  unleugbaren  Vülkerniisidinngen    von  Sprach- 
mischungen, ausser  vielleicht  auf  dem  Gebiet  des  Wortschatzes, 
iel   wir  bis  jetzt    erkennen  können,   in  älteren  Zeiten 
Bebt  begleitet  gewesen  sind '). 

ll    Eine    wichtige    lüerh ergeh Örig-e    Arbeit ,    auf    die    ii^h    durch 

If.SlreJtberg:  Lii.  Z.  1906,  Nr.  24  »urmerkeaiu  geworden  bin,  ift  die 

irge  Hetopls  Language-Bltialry  and  Speei:h- Differentiation  in  tite 

■e  ofSaceMixturt  i  American  FhÜoL  Anaodation  XXIX.  ai  IT.  1,  um  so 


—    508    — 

IL  Die  linguistisch-historischen  Anhaltspunkte  für 
die  Ermittlung  des  idg.  ürlands. 

Wir  beschreiten  nunmehr  einen  von  dem  bisherigen  gans 
verschiedenen  Weg,  der  uns  aber  zu  demselben  Ziel  der  Ermitt- 
lung der  idg.  Urheimat,  bezüglich  der  idg.  Ausgangsländer,  führen 


mehrmals  sie  eine  vollkommene  Bestätigung  meiner  Anschauungen  enthält. 
Hempl  weist  nämlich  nach,  dass  unter  den  Verhältnissen,  unter  denen 
wir  uns  die  Ausbreitung  der  Indogermanen  in  Europa  vorzustellen  haben, 
deren  Züge  die  meiste  Ähnlichkeit  etwa  mit  der  Wanderung  der  Angeln 
und  Sachsen  nach  Britannien  gehabt  haben  werden,  nach  den  geschicht- 
lichen Analogien  an  eine  Beeinflussung  des  Indogermanischen  durch 
die  Sprache  der  Eingeborenen  infolge  von  Lautsubstitution  nicht  ge- 
dacht werden  könne,  und  deckt  ausführlich  die  Widersprüche  auf,  die 
H.  Hirts  Begründung  dieser  Theorie  (I.  F.  IV,  36)  enthält.  Eine  eigent- 
liche und  direkte  Beeinflussung  der  Sprache  der  Erobernden  durch 
die  Unterworfenen  nimmt  Hempl  nur  für  den  Fall  an,  wo  „die  Eroberer 
Nachbarn  sind,  die  das  eroberte  Land  zu  einer  Provinz  machen,  welche 
sie  kolonisieren  und  entnationalisieren'',  und  denkt  dabei  in  erster 
Linie  an  die  Komanisierung  der  Provinzen  des  römischen  Reiches. 
Doch  wäre  hierzu  zu  bemerken,  dass  die  Ausbreitung  der  Russen  und 
des  Russischen  im  finnischen  Osteuropa  gerade  dieser  letzteren  Er- 
scheinung am  meisten  ähnelt,  und,  wie  P,  151  gezeigt  worden  ist,  das 
Russische  dennoch  keine  „finnische  Lautsubstitution"  aufweist.  Auf- 
nahme einzelner  Wörter  in  die  Sprachen  der  Eroberer  nimmt  Hempl 
(mit  uns)  bei  beiden  der  hier  unterschiedenen  Eventualitäten  an.  Solche 
sind  nach  V.  K.  Poräezinskij  „Indoeuropäische  Altertümer  vom 
Standpunkt  der  gegenwärtigen  Wissenschaft,  aus  Anlass  der  neuen 
Auflage  von  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  I  und  II,  1*  (Journal 
des  Ministeriums  für  Volksauf  klär  ung  1906)  aus  dem  Finnischen  auch 
in  die  grossrussische  Literatursprache  eingedrungen.  —  Im  übrigen 
inusste  es  mir  I*,  151  vollkommen  fern  liegen,  auf  das  Problem  der 
Sprachmischung  im  ganzen  einzugehen.  Für  mich  kam  es  lediglich 
auf  die  Hervorhebung  der  Tatsache  an,  dass  in  den  altidg.  Sprachen 
weder  in  Lauten,  noch  in  Formen  Beeinflussung  durch  die  Idiome 
ureingesessener  Völker  bis  jetzt  wahrscheinlich  g^emacht  worden  ist. 
Dass  mir  Ascolis  Name  auch  in  diesem  Zusammenhang  selbstver- 
ständlich wohlbekannt  war,  hätte  W.  Streitberg  aus  Sprachvergl. 
u.  Urgeschichte*  p.  160  Anm.  ersehen  können.  Er  ist,  wie  so  viele 
andere,  dem  Streben  nach  Kürzung  der  älteren  Literaturangaben  (vgl. 
das  Vorwort)  zum  Opfer  gefallen.  Am  meisten*  dürfte  für  die  Fest- 
stellung der  vorindogermanischen  Bevölkerungen  Europas  noch  aus 
der  Ortsnamenforschung  zu  erhoffen  sein.  Ein  neueres  Werk  auf 
diesem  Gebiete  ist  das  A.  Fick's  Vorgriechische  Ortsnamen  als  Quelle 
für  die  Vorgeschichte  Griechenlands  verwertet.    Göttingen  1906. 


-    509    - 

wird,  indem  wir  die  in  diesem  Werk  zerstreuten  linguistisch- 
historischen  Anhaltspunkte  zur  Bestimmung  des  Urlands  zu- 
sammenfassen. 

In  dieser  Beziehung  herrscht  zunächst  allgemeine  Über- 
einstimmung darüber,  dass  dieses  ürland  in  nördlichen  Breiten 
gesucht  werden  muss.  Hierfür  spricht  einerseits  (nach  p.  238) 
das  Vorhandensein  eines  deutlichen  Ausdrucks  für  den  Winter 
(sert.  Mmantdy  griech.  xeifjLoyv,  lat.  hiems,  altsl.  zima  usw.)  mit 
Schnee  (aw.  snaSg  „schneien",  griech.  viq?£i,  lat.  nixy  got. 
sndits  usw.)  und  Eis  (aw.  iau,  ahd.  is)  im  idg.  Sprachschatz, 
andererseits  (nach  p.  172)  der  Umstand,  dass  zu  den  wenigen 
durch  arisch-europäische  Gleichungen  belegbaren  Baumnamen  die 
Birke  (scrt.  bhürja,  osset.  barse,  lit.  b^räas,  ahd.  birihha  usw.) 
gehört,  die  in  den  südlichen  Ländern  verschwindet. 

Wenn  somit  von  dem  ältesten  Verbreitungsgebiet  der  Indo- 
germanen  die  südlichsten  Länder  für  die  Urheimatfrage  aus- 
scheiden, so  gilt  das  gleiche  auch  für  den  höchsten  Norden 
Europas  und  für  den  äussersten  Osten  ihrer  asiatischen 
Ausdehnung.  In  Norwegen.  Schweden,  Dänemark,  Jütland, 
Schleswig-Holstein  dürfen  die  Ursitze  der  Indogermanen  des- 
wegen nicht  gesucht  werden,  weil  in  dem  Wortschatz  der  idg. 
Grundsprache  (nach  p.  148)  ein  Ausdruck  für  die  Schildkröte 
{griech.  xikvgj  altsl.  ielüvi)  und  (nach  p.  270)  für  den  Waid 
(griech.  lodiig^  lat.  vitrum,  got.  vizdild)  vorhanden  war,  in  den 
genannten  Ländern  aber  weder  das  genannte  Tier,  noch  das 
zum  Tätowieren  in  der  Urzeit  benutzte  Färbemittel  in  wildem, 
bezüglich    ungebautem    Zustand    vorkommt*).     Die    Oxus-    und 


1)  Nach  Krause  Gott.  Gel.  Anz.  1906,  Nr.  12  p.  946  wäre  es 
v^anz  unglaublich^,  dass  „die  alten  Germanen  Gelegenheit  gehabt 
hätten,  wilden  Waid  zu  sammeln''.  „Diese  Pflanze  kommt  in  Mittel- 
europa nur  in  den  wärmsten  Lagen  durch  Kultur  eingebürgert  vor.  Viel- 
leicht kannten  die  Germanen  im  Altertum  die  lebende  Pflanze  über- 
haupt noch  nicht,  sondern  bekamen  die  Wurzel  als  Droge.  Im  Mittel- 
alter ist  Waid  in  Süd-  und  Mitteldeutschland  in  Menge  gezogen,  für 
Norddeutschland  i»t  der  Anbau  nicht  nachgewiesen,  jedenfalls  wurde 
der  Hauptbedarf  dort  durch  £infuhr  gedeckt."  Doch  kommen  in  den 
osteuropäischen  Sprachen  einheimische  und  altertümliche  Namen  für 
den  Waid  vor  (vgl.  mein  Reallexikon  s.  v.  Waid).  Eine  genaue  Unter- 
suchung, wo  Isatift  tinctoria  einheimisch  sei,  wäre  nach  alledem  er- 
wünscht. 


-    510    - 

Jaxartesländer  aber  scheiden  aus,  da  aus  der  Gieichong:  8crt. 
mädhu  =  griech.  /le^  asw.  (p.  252)  folgt,  dass  der  Honig  dem 
idg.  Urvolk  bekannt  war,  die  Honigbiene  (nach  P,  127)  aber 
ursprünglich  in  Turkestan  nicht  einheimisch  ist.  Kommen  wir 
aaf  diesem  Wege  dazu,  die  idg.  Urheimat  auf  der  mittleren 
Linie  des  ältesten  Verbreitungsgebietes,  jedoch  nicht  an  ihrem 
östlichen  Ende  zu  suchen,  so  müssen  wir  uns  aber  auch  hüten, 
dieselbe  zu  weit  gegen  den  Westen  vorzurücken.  Vielmehr  weisen 
zwei  Tatsachen  auf  den  Osten  Europas,  bezüglich  die  Grenz- 
länder zwischen  Europa  und  Asien  hin.  Einmal  der  Umstand, 
dass  zwar  in  dem  Wortschatz  der  Ursprache  deutlich  drei 
Jahreszeiten,  nämlich  Winter,  Frühling  und  Sommer  (p.  223) 
unterschieden  wurden,  dass  aber  die  Wahrnehmung  (p.  224),  dass 
der  idg.  Name  des  Frühlings  (scrt.  vasantd,  griech.  eaoj  lat 
vSr  usw.)  nicht,  wie  der  des  Winters  und  Sommers,  als  pars 
pro  toto  zur  Bezeichnung  des  ganzen  Jahres  verwendet  wurde, 
den  Schluss  erlaubt,  der  Frühling  sei  in  dem  Urland  mehr  eine 
kurze,  wenn  auch  noch  so  charakteristische,  Übergangszeit  zwi- 
schen Winter  und  Sommer  als  eine  eigentliche  Jahreszeit  ge- 
wesen, was  zu  der  Natur  des  osteuropäischen  Frühlings  sowohl 
in  den  russischen  Wald-  wie  Steppengegenden  aufs  beste  stimmt 
(p.  238  f.).  Zweitens  ist  für  die  idg.  Urzeit  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit die  Bekanntschaft  mit  einer  wilden  oder  angebauten 
Cucurbitaceenart :  griech.  obcvg  „Gurke"  =  altsl.  tyky  „Kürbis** 
(p.  199)  anzunehmen,  was  ebenfalls  empfiehlt,  die  Urheimat  nicht 
zu  fern  von  den  eurasischen  Steppengebieten  zu  lokalisieren. 

Nachdem  damit  sozusagen  die  Grenzpfähle  für  die  Ab- 
steckung des  Urlands  im  grossen  gesetzt  worden  sind,  können 
wir  versuchen,  innerhalb  derselben  zu  genaueren  Bestimmungen 
vorzudringen.  Durch  die  Sprachen  der  idg.  Völker  zieht  sich 
ein  tiefer,  längst  bemerkter  Kulturgegensatz.  In  den  Sprachen 
der  europäischen  Indogermanen  finden  wir  einerseits  eine  aas- 
gebildete Terminologie  der  Waldbäume  (Kap.  IV),  andererseits 
eine  ebensolche  des  Ackerbaus  (Kap.  V  und  VI),  die  in  beiden 
Fällen  nur  in  verhältnismässig  schwachen  Spuren  bis  zu  den 
Ariern  hinüberreicht.  Da  es  sich  nun  wissenschaftlich  nicht 
beweisen  lässt,  weder,  dass  auch  die  Arier  an  jenen  Namen  der 
Waldbäume  oder  Kulturpflanzen  und  anderer  Ackerbau-termini 
einmal    teilhatten,    noch   auch,     dass    dieselben    verhältnismässig 


511 


wenn  auch  vorhistorische  Neuerwerbungen  iler  Kumpäer 
larBtelleu,  so  empfiebll  es  sich,  deu  geschilderten  Zustand  als 
tteu  erreichbar  ältesten  einfach  /.u  akzeptieren  und  dar- 
aus den  Schlus«  zu  ziehen,  dass  die  Indogermauen  im  Otiten  des  Ur- 
ti  ISteppeu  und  fast  aussehliesslich  von  Viehzucht,  im  Westen 
L'hergangssteppen,  Waldsteppen  and  Waldgebieten  und  nicht 
*  mehr  ansschliesslieh  von  Viehzucht,  sondern  ünch  von  Ackerbau 
lebten.  Xehinen  wir  hinzu,  daäs  ebenfallt)  nur  bei  den  Europäern 
die    an    Waldland    und    Ackerbau    gebundene    ächweinezncht 

^f^f.  '/20'j  nnd  die  Bekanntschaft  mit  dem  bei  vegetabilischer  Nah- 
fang  zum  notwendigen  Genussniittel  werdenden  Salze  (p.  220) 
lieh  als  prähistorisch  erweisen  lässt,  so  gewinnen  wir  das  fol- 
gende, schon  p.  221  entworfene  Bild  der  ältesten  idg.  Kultur- 
eatwicktung: 


Valdsteppe 

und  Waldgebiei. 

Viehzucht 

mit  Ackerbau. 

Schweineüucht. 

Salz. 

West«!] 

(Enropäcr). 

Baumaruie  .Steppe. 

Viehzucht  mit  geringeu  .Spuren 

des  Ackerbaus. 

Unbekanutsehaft  mit  der 

.Schweinezucht. 

Unbekanntschaft  mit  dem  Salze. 


Osten  (Arier). 


^P  Ein    Terrain    aber,    auf    dem   diese    Voraussetzungen   ohne 

weiteres  ihre  geographischen  Grundlagen  finden,  ist  in  unserem 
Erdteil  nnr  einmal  vorhanden.  Es  sind  die  Steppen,  Wald- 
steppen und  Waldgebiete  derjenigen  Länder,  welche  den  Norden 
nnd  Westen  des  Schwarzen  Meeres  umsäumen,  das  alsdann 
unter  der  Gleichung;  tat.  mare  =  got.  marei  usw.  zunächst 
gemeint  war,  nnd  dessen  reiche  .Salzlager  der  nördlichen  Gestade 
[rtlhzeitig  dem  ürvoik  das  seinen  Ackerbau  treibenden  Stämmen 
inenlbohrliche  Mineral  liefern  konnten  (vgl.  p.  246  Anm.  1). 
Der  Versuch  einer  Lokalisierung  der  idg.  Einzelv«lker,  bezUg- 
Uich  ihrer  Vorfahren,  anf  dem  bezeichneten  Gebiet  im  einzelnen 
■MrDrde,  abgesehen  von  der  Erkenntnis,  dass  die  Satemvölker  den 
(Osten,  die  CentumvOlker  den  Westen  des  ürlandes  einnahmen, 
ns  zur  Verfügung  stehenden  Mittel  II bersch reiten.  Auch 
^t  die  Verteilung  von  Wald  nnd  Steppe  nicht  immer  dieselbe 
[eweeen;  denn  wenn  die  uralte  Waldlosigkeit  der  sUdrusgisehen 
Bteppe   auch    im  allgemeinen  feststeht,   so    ist  doch  der  Baum- 


-    512    - 

wuchs  an  manchen  Stellen  früher  zweifellos  ein  dichterer  ge- 
wesen,  nnd  gerade  die  Ackerbaner,  nicht  die  Nomaden,  haben 
sich  vielfach  als  die  ärgsten  Wald  verwüster  erwiesen  (vgl.  Ratzel 
Berichte  d.  Sachs.  Ges.  d.  W.  LH, 62).  Einen  gewissen  Anhaltspankt 
bieten  vielleicht  die  Namen  der  Buche:  lB,t.  fägus,  ahd.  buohha 
(vgl.  oben  p.  173^)  und  Eibe:  lat.  taxus^  griech.  rd^ov,  letzteres 
„Bogen"  (oben  p.  179),  insofern  dieselben  darauf  schliessen 
lassen,  dass  die  Centumvölker  von  jeher  diesseits  der  Ostgrenze 
dieser  beiden  Bäume,  die  —  ganz  im  rohen  (Genaueres  bei 
Koppen,  vgl.  Anm.  1)  —  von  Königsberg  nach  der  Krim  läuft, 
Sassen.  Ob  diese  Ostgrenze  freilich  auch  vor  Jahrtausenden 
dieselbe  wie  heute  gewesen  ist,  möchte  ich,  da  palae- 
ontologische  Untersuchungen  über  die  östliche  Geschichte 
dieser  Bäume  nicht  vorzuliegen  scheinen,  wie  schon  gesagt,  nicht 
zu  behaupten  wagen. 


1)  Ich  spreche  also  nicht  Jetzt  dem  Buchenbeweis  jeden  Wert 
ab**,  wie  Bartholomae  Litbl.  für  germ.  und  rem  Philologie  1907, 
Nr.  2,  p.  4  sagt.  Skeptisch  rerhalte  ich  mich  nur  zu  der  Beweiskraft 
des  neuerdings  zu  lat.  fägus^  ahd.  buohha  gestellten  kurd.  hüz^  erstens 
weil  mir  seine  Zusammengehörigkeit  mit  der  europäischen  Sippe  doch 
nicht  über  allen  Zweifel  erhaben  scheint,  zweitens,  weil  das  kurdische 
Wort  nicht  „Buche**,  sondern  „Ulme"  bedeutet.  Wenn  Bartholomae 
a.a.O.  p.  4  sagt:  „Bei  der  Wortmessung  (Wertmessung?)  der  auf  ur- 
sprachlich *bhd§08 :  *hhü§08  zurückgehenden  einzelsprachlichen  Wörter 
ist  jedenfalls  wohl  im  Auge  zu  behalten,  dass  sie  in  den  Sprach- 
gebieten, darin  die  Buche  heimisch  ist,  auch  wirklich  tiberein- 
stimmend die  Buche  bezeichnen  ~  so  im  germanischen  und  itali- 
schen — ,  während  in  den  übrigen  überall  ein  anderer  Laubbaum 
damit  benannt  wird,  die  Speiseeiche  bei  den  Griechen,  der  Hollunder 
bei  den  Siaven  [?,  vgl.  oben  p.  178  Anm.  1]  und  die  Ulme  bei  den 
Iraniern**,  so  ist  das  letztere  insofern  nicht  richtig,  als  dabei  voraus- 
gesetzt wird,  der  Baum  sei  den  iranischen  Ländern  durchaus  fremd. 
Die  Rotbuche  kommt  aber  nicht  nur  im  ganzen  Kaukasus,  sowohl  dem 
nördlichen  wie  auch  in  Transkaukasien,  vor,  sondern  sie  hat  auch 
einen  armenischen  Namen  {Gadtscharadzar,  Gadtschari^  Gadshi)  und 
wird  aus  den  persischen  Provinzen  Ghilan,  Masenderan  und  Asferabad 
gemeldet  (vgl.  F.  Koppen  Holzgewächse  des  europäischen  Russland 
etc.  II,  159).  An  den  äussersten  Grenzen  Kurdistans  wird  sie  in  den 
nördlich,  bezügl.  nord-östlich  vom  Urmia-See  gelegenen  Gebieten  ge- 
nannt, während  Belege  für  ihr  Vorkommen  im  Innern  Kurdistans  bis 
jetzt  nicht  vorhanden  zu  sein  scheinen  (Notiz  des  Herrn  Bornmüller, 
Herbarium  Haussknecht  in  Weimar).  Ossetisch  heisst  die  Buche  tars, 
in  Talysch  alesch  (vgl.  weiteres  bei  Koppen  a.  a.  0.). 


—    513    — 

Gegen  die  Herleitnng  der  Indogermanen  aus  dem  südlichen 
Rnssland  und  dem  unteren  Donautal  hat  man  auf  eine  Reihe  von  Er- 
scheinungen derTiergeographie  hingewiesen,  die  zu  dieser  Hypo- 
these angeblich  nicht  stimmen.  Es  sind  dies  die  wirklich  oder  ver- 
meintlich idg.  Namen  des  Bären,  Wildschweins,  Eichhörn- 
chens, des  Aales  und  Lachses,  alles  Tiere,  die  in  den  südrussi- 
schen  Steppen,  bezüglich  den  Flüssen  des  Schwarzen  Meeres,  wie 
man  gemeint  hat,  nicht  vorkommen  sollen.  Von  diesen  scheidet  das 
Eichhörnchen  ohne  weiteres  aus,  da  sein  Name  (p.  134)  sich  auf  die 
Sprachen  der  auch  nach  unserer  Auffassung  in  den  Waldgebieten 
des  Pontusgebietes  sitzenden  Europäer  beschränkt.  Die  idg. 
Namen  des  Bären  und  Wildschweins  (p.  133,  135)  kehren 
allerdings  auch  hei  den  Ariern  wieder;  doch  ist  auch  das  Vor- 
kommen dieser  Tiere  in  den  Steppengebieten  (p.  135  Aum.  1) 
unzweifelhaft,  was  hinsichtlich  des  Bären  schon  Kretschmer 
Einleitung  p.  58  hervorgehoben  hat.  Hinsichtlich  des  Aales  ist 
es  erstens  zweifelhaft,  ob  ein  urverwandter  Name  dieses  Fisches 
anzunehmen  ist,  und  zweitens  ist  sein  uraltes  Vorkommen  in 
dem  Stromnetz  des  Schwarzen  Meeres  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich (P,  162  und  oben  p.  146  ff.).  Der  oben  (p.  502)  ge- 
nannte Name  des  Lachses  endlich  beschränkt  sich  auf  das 
Germanische  und  Baltisch-Slavische  und  entspricht  somit  nicht 
den  Anforderungen,  die  wir  nach  P,  174  und  oben  p.  126 
Anm.  1  an  ein  sicher  „indogermanisches"  Wort  stellen.  Und  da 
wir  oben  p.  500  ff.  die  ürsitze  der  Germanen  in  das  Quellgebiet 
der  Weichsel,  die  der  Balto-Slaven  oben  p.  489  ff.  in  das  des 
Niemen  verlegt  haben,  so  steht  der  Annahme  einer  sehr 
frühen  Bekanntschaft  mit  dem  Lachse,  der  bekanntlich  seine 
Wanderungen  in  den  Flüssen  der  nördlichen  Meere  hoch  strom- 
aufwärts macht,  seitens  der  genannten  Völker   nichts   im   Wege. 

Umgekehrt  aber  sprechen  für  eine  Lokalisierung  der  idg. 
Ursitze  in  den  europäisch  asiatischen  Grenzgebieten  auch  die 
mannigfachen  prähistorischen  Kulturbeziehungen  zwischen  dem 
idg.  Urland  und  den  orientalischen  Kulturzentren.  Dieselben 
sind  doppelter  Art.  Einmal  ist  von  den  Sumerern  her  ein  Name 
des  Kupfers  und  des  Beils  (p.  118)  zu  den  Indogermanen,  Ariern 
und  Europäern,  gedrungen.  Das  andre  Mal  machen  sich  sumerisch- 
semitische,  bezüglich  ägyptisch  -  semitische  Einflüsse  bei  den 
noch  vereinigten  Europäern  auf  dem  Gebiete  des  Zahlen wesens 


—    514     - 

(p.  292  Anin.  1)  und  der  KulturpflanzeD  (p.  199)  geltend.  Id 
beiden  Fällen  aber  liegt  es  doch  gewiss  nahe,  die  Drsitze  der 
Indogermanen  nicht  za  weit  vom  Schwarzen  Meere  loszureissen, 
längs  dessen  nördlichen  and  südlichen  Ufern  jene  ältesten 
orientalischen  Kultars trömungen,  die  ersteren  bis  zu  dem  im 
wesentlichen  noch  geschlossenen  Verbreitungsgebiete  aller  In- 
dogermanen, die  letzteren  über  Kleinasien  und  darum  uar 
bis  zu  den  Europäern,  vordringen  konnten. 

So  sind  wir  auf  dem  linguistisch-historischen  Wege  zu  dem- 
selben Ergebnis  geführt  worden,  wie  bei  unserer  rein  historischen 
Betrachtungsweise,  nämlich  dem,dass  die  Ursitze  der  Indo- 
germanen in  den  Ländern  nördlich  und  westlich  des 
Schwarzen  Meeres  zu  suchen  sind.  Vielleicht  ist  es  in- 
dessen vorsichtiger,  zunächst  statt  von  „Ursitzen'',  „Urheimat"  usw. 
(so  oft  wir  derartige  Ausdrücke  auch  schon  im  bisherigen  uui  der 
Kürze  und  Verständlichkeit  willen  gebraucht  haben)  nur  von  ,,Aas- 
gaugsländern^  der  Indogermanen  zu  sprechen  und  es  erst  von  einer 
weiteren  Betrachtung  abhängig  zu  machen,  ob  diese  „Ausgangs- 
länder'* zugleich  auch  als  die  „Urheimat'',  d.  h.  als  der  geogra- 
phische Bereich  angesehen  werden  müssen,  in  dem  sich  die  idg. 
Sprach-  und  Völkerverwandtschaft  gebildet  hat^). 


1)  Am  nächsten  kommt  meine  Urheimathypothese,  besonders  in 
der  Fassung,  die  ihr  in  diesem  Buche  gegeben  worden  ist,  der  von 
E.  de  Michaelis  in  seinem  P,  129  genannten  Werke  vertretenen  An- 
schauung. Es  wäre  sehr  wünschenswert,  wenn  dieses  Werk,  allerdings 
mit  wesentlichen  Kürzungen,  aber  mit  Berücksichtigung  der  neuesten 
Literatur  über  diesen  Gegenstand  dem  deutsehen  Leser  zugänglich 
gemacht  würde.  Eine  weit  grössere,  sowohl  die  von  mir,  wie  auch  die 
von  E.  de  Michaelis  rekonstruierten  Ursitze  umfassende  Urheimat  der 
Indogermanen  nimmt  M.  Zaborowski  in  einer  Reihe  von  Artikeln 
La  patrie  originaire  des  Äryens  (Vapr^s  O.  Schrader  {Revue  de  VEcdt 
d* Anthropologie  1903)  an:  „D'autre  pari,  si  en  Europe  on  recherche 
de  mime  quelle»  r4fndences  ont  successivement  occup4es  les  ancHns 
de  ces  peuples  aryens,  on  se  retrouve  invariablement  ram,en4  vers  k 
Centre  et  vers  VEst.  De  so7'te  que  du  fait  seid  de  cette  dotible  con- 
sidäration  relative  aux  r^sidences,  d'un  cöte  des  anc^tres  des  Indo- 
Iranienff,  et  de  Vauire,  des  ancitres  des  Grecs,  LatinSy  Celtes  et  Ger- 
maitis^  710US  sommes  forc4s  de  placer  la  patrie  originaire  commune 
des  Aryens  dans  cette  zone  m,itoyenne  de  VEurope  qui  s^etend  du  nord- 
est de  VAdriatique,  du  haut  Danube  et  de  la  BohSme^  d  la  mer  Cos- 
pienne  et  au  Caucase.^     Der  Mittelpunkt   dieses   ungeheuren  Gebietes 


III.  Hat  sich  in  den  Auggangaländerii  der  Indogermanen 
nördlich  nnd  westlich  des  Pontiis  die  iii^.  Sprach-  und 
Völkereinheit  auch  gebildet? 
E^  koninieii  l)ei  der  Beantwortung  dieser  Präge  iialäo- 
[eographiscbe  (und  antbropologiscbe),  prilhistorigch-ai'chäolngische 
ind  linguistische  Gesichtspunkte  in   Betracht. 

.    Paläogeographieche   und   anthropologische  Ge- 

McbtBpnnkte.     P.  Kretschnier  erklärt  in  seiner  Einleitnng  in 

griechische  Sprache  p.  60,  das«  von  dem  ältesten  Verhreitunga- 

Egebiet  der  Indogermanen    „im   europäischen   Norden   die   skandi- 

Fiiavischen    Länder   und   das  nördliche    und   östliche  Dentschland 

mit   Sicherheit    in    Wegfall    kämen,    da     diese    Gebiete    in    der 

Diluvial/eit  unter  Gletschern  und  Inlaitdeiis  begraben  und  so  gut 

^wie    unbewohnbar  gewesen   seien".      Wenn    wir    nun    auch    mit 
Lesern  Ergebnis   in    der    strikten  Form,    in    der  es   hier   ausge- 
Iprochen  wird,  aus  den  oben  p.  47»  ff.  angefOlirten  Gründe«  nicht 
Übereinstimmen    können,    so    wird    man    doch  jedenfalls  zugeben 
müssen,    dass   das    Problem    der    Ursprünge    der    Indogerniaueu 
nicht  einfacher  wird,  wenn  wir  genötigt  sind,    nach   Feststellung 
der  Ansgaagsl  ander   der    Indogermanen    mit    Rücksicht    anf    die 
Verglelschernng,  der  sie  einstmals  atisgesetut  waren,  nach   einer 
anderen  und   eigentlichen  Heimat  derselben   zu   suchen.     In    der 
Tal  sehen  wir  denn  auch,    dass    Forscher    wie    Hoops,    Helm 
und  Hirt,    dii-   sämtlich    die  .^usgangsländer   der  Indogenuanen 
auf  dem  einst  vereisten  Hoden  Nordeuropas  suchen,   über  diesen 
„kitzlichen"     Punkt     mit     Stillschweigen     hinweggehen.        Nur 
Penka  (P,  ll:iff.;  ist  mutig  genug,   seine  Indogermanen   ihren 
_4olichokephslen  Sehädelban,  ihre  Blondheit   und    riesigen  Leiher 
^ch  in  Mitteleuropa  erwerben  und  erst  nach   Aufhören   der  Eis- 
nach     Skandinavien     auswandern     zu     lassen     (vgl.     auch 
.  Wilser  Stammbaum  der  idg.  Völker  und  Sprachen,  Jena  19U7, 
,  2ä).     In  jedem  Fall  ist  es  daher  doch  wohl  ein  Vorzug  einer 


^tirde  aleo  der  von  mir  angenommenen  Urheimat  entapretrhea.  Die 
lewejHführuDg  Zaborawski's  in  im  weeientlicheu  eine  anthropolo- 
Hche;  doi'h  sind  mir  leider  diu  früheren  Arbeiten  Z.'s,  welche  die- 
telbe  entholien,  nicht  KUgÜni^lich  genuaeu.  Den  Schauplatz  der  indo- 
Iranischen  Entwiuklnrig  verlegt  Z.  in  die  Tttler  des  Araxes  nnd  Kur, 
sfld-we.atlicfa  vom  knspist^hen  Meer  (p.  303), 


—    516     — 

Heiraathypothese,  wenn  sie  uns  gestattet,  die  Indogermanen  auf 
dem  Raame  entstehen  zu  lassen,  von  dem  sie  ausgegangen  sind. 
Prüfen  wir  daraufhin  die  Verbreitung  des  nordeuropäisehen 
Binneneises,  wie  sie  von  M.  Neumayr  II,  592  (hauptsächlich 
nach  Penck)  kartographisch  dargestellt  worden  ist,  so  ergibt 
sich,  dass  im  Osten  Europas  das  Eis  erst  etwas  westlich  von 
Kasan  bis  ungefähr  zum  50.  Breitengrad  herabfällt,  in  dessen 
Nähe  seine  Südgrenze  mit  mehreren  nördlichen  und  südlichen 
Ausbuchtungen  sich  in  ihrem  westlichen  Verlauf  bis  zur  Rhein- 
mündung, England  und  Irland  im  grossen  und  ganzen  hält.  Es 
zeigt  sich  also,  dass  die  von  uns  als  Ausgangspunkt  der  Indo- 
germanen in  Anspruch  genommenen  Länder  nördlich  und  westlich 
des  Pontus  von  jeher  eisfrei  gewesen  sind,  und  dass  daher  von 
diesem  Gesichtspunkt  aus  nichts  im  Wege  steht,  sie  zugleich 
als  ihre  Ursprungsländer  aufzufassen. 

Mit  dieser  Raumfrage  steht  nun  im  engsten  Zusammenhang 
die  Frage  nach  der  „Rasse"  des  idg.  ürvolks,  wie  sie  zuletzt 
von  F.  Ratzel  behandelt  worden  ist.  „Die  helle  Rasse",  sagt 
dieser  in  der  Umschau  1899  Nr.  42,  „kennen  wir  aus  der  Ge- 
schichte als  die  Rasse  Europas,  Nordafrikas  und  Vorderasiens. 
Sie  wohnt  nördlich  von  der  Negerrasse,  westlich  und  südlieh 
von  der  mongoloYden  Rasse  .  .  .  Den  äussersten,  höchsten  und 
vielleicht  auch  jüngsten  Zweig  am  Baum  dieser  Rasse  bildet  die 
weisse  oder  blonde  Rasse,  die  noch  entschiedener  nördliche 
Wohnsitze  hat  ....  Indem  wir  die  Frage  nach  dem  Ursprung 
der  hellen  und  der  weissen  Rasse  aufwerfen,  müssen  wir  uns 
klar  machen,  dass  ihre  Beantwortung  nur  unter  zwei  Voraus- 
setzungen möglich  ist.  Der  Ursprung  der  hellen  Rasse  reicht 
in  eine  Zeit  zurück,  wo  das  heutige  Europa  noch  nicht  bestand. 
Dieser  Ursprung  hat  sich  in  einem  älteren  Europa  abgespielt, 
das  wesentlich  anders  war  als  unser  Europa.  Und  er  ist  nur 
denkbar  auf  einem  sehr  weiten  Raum.  Dasselbe  gilt  auch  für 
den  Ursprung  der  weissen  Rasse  ....  Die  helle  Rasse  konnte 
sich  auch  nur  da  entwickeln,  wo  die  Mischung  mit  mongoloYden 
und  negroYden  Elementen  ausgeschlossen  war.  Sie  muss  von 
beiden  Rassen  schärfer  getrennt  gewesen  sein  als  heute. 

Die  Geschichte  Europas  zeigt  uns  nun  eine  Zeit,  wo  Meer, 
Eis,  Seen  und  Sümpfe  Nordasien  von  Osteuropa  sonderten; 
Europa  war  damals  nicht  eine  Halbinsel  von  Nordasien,  sondern 


-    517    - 

von  Vorderasien,  und  ausserdem  hing  es  mit  Afrika  zusammen, 
aber  bald  legte  sich  die  Wüste  zwischen  Nordafrika  und  Inner- 
afrika. 80  war  ein  grosses  und  ziemlich  geschlossenes  Gebiet 
gegeben,  in  dem  die  helle  Rasse  ihre  Sondermerkmale  ausbilden 
konnte.  Wir  glauben  also,  dass  die  helle  Rasse  in  Europa, 
Nordafrika  und  Vorderasien  entstanden  ist.  Inwieweit  Nordasien 
an  dieser  Entwickelung  beteiligt  war,  werden  künftige 
Forschungen  zu  zeigen  haben.  Wir  halten  es  einstweilen  nicht 
für  wahrscheinlich,  weil  sonst  die  helle  Rasse  ihren  Weg  nach 
Nordamerika  hätte  finden  müssen^  das  in  einem  Abschnitt  der 
Diluvialzeit  mit  Nordasien  zusammenhing. 

Als  das  Eis  sich  von  Nordeuropa  zurückzog,  Hess  es  einen 
weiten  Raum  frei,  nach  dem  nun  Einwanderungen  von  Süden 
und  Südosten  her  stattfinden  konnten.  Wir  finden  von  der  neo- 
lithischen  (jüngeren  Stein)  Zeit  an  eine  Bevölkerung,  die  der 
heutigen  an  körperlichen  Merkmalen  gleicht,  in  Nordeuropa,  in 
einem  grossen  Teile  des  norddeutschen  Tieflandes,  und  im  Donau- 
land. Es  ist  wahrscheinlich,  dass  auf  diesem  Boden,  also  auf 
Neuland,  die  weisse  Rasse  sich  entwickelt  hat,  eine  echt  kolo- 
niale Rasse,  begünstigt  durch  den  weiten  Raum,  die  entfernte 
Lage,  den  jungfräulichen  Boden  und  durch  die  Verbindung  mit 
dem  Südosten,  wo  die  höchste  Kultur  in  Vorderasien  und  Nord- 
afrika aufblühte,  deren  Keime  sich  in  derselben  Zeit  entfaltet 
haben  mögen,  in  der  Eis  die  Nordhälfte  Europas  bedeckte. 
Diese  Verbindung  wurde  durch  das  Steppenland  Südosteuropas 
nach  Innerasien  und  nach  den  Kaukasusländern,  durch  die 
Balkanhalbinsel  nach  Kleinasien  zu  vermittelt. 

Die  Reinheit  der  Merkmale  dieser  Rasse  zeigt,  dass  sie 
noch  ferner  von  fremden  Beimischungen  sich  entwickelt  hat,  als 
die  helle  Rasse,  von  der  sie  einen  Zweig  bildet.  Aber  indem 
sie  nun  nach  Süden  vordrang,  begegnete  sie  älteren  Völkern 
der  hellen  Rasse,  die  in  um  so  grösserer  Menge  afrikanische 
Elemente  aufgenommen  hatten,  je  weiter  südlich  ihre  Sitze 
lagen.  Es  entstanden  Durchdringungen  der  älteren  und  jüngeren 
Glieder  der  hellen  Rasse,  deren  Wirkungen  wir  in  den  all- 
mählichen Obergängen  der  beiden  in  der  Bevölkerung  Europas 
sehen.  Deren  Rassenextreme  liegen  im  Süden  und  sind  da- 
zwischen aber  breit  vermittelt.^  „Mit  dieser  Rassenent- 
Wickelung^,  heisst  es  dann  Berichte  II,  144f.  weiter,  „^i^  ^^^^ 


—    518    - 

in  eine  Jahrzehntaasende  hinter  an»  liegende  geo- 
logische Vergangenheit  hineingreift,  kann  die  Ans- 
breitnng  der  arischen  Sprachen  in  Eoropa  und  Asien 
nnr  insofern  in  Verbindung  gebracht  werden,  als  diese 
Sprachen,  als  sie  sich  entwickelten,  die  Rassen  ror- 
fanden,  die  im  qnartären  Europa  sieh  festgesetzt  hatten. 
Ans  ihnen  bildeten  sie  eine  neue  Völkerverwaudtschaft 
durch  die  uralten  Prozesse  des  Verkehrs,  der  Er- 
oberung, der  Kolonisation,  der  Verschmelzung  und 
auch  der  Ausrottung.  Dabei  blieben  alte  Rassen- 
unterschiede im  Süden  und  Norden  erhalten.^ 

Gegen  diese  Auffassung  der  Dinge  habe  ich  nicht  das 
geringste  einzuwenden.  Sind  dieselben  aber  so  verlaufen,  wie 
hier  geschildert  wird,  so  bleibt  gar  nichts  ttbrig,  als  den  Schau- 
platz, auf  dem  jene  neue,  indogermanische  Völker?erwandtsehaft, 
in  der  doch  nun  einmal  „Helle^  und  „Weisse^  unauflöslich  mit- 
einander verschmolzen  sind,  sich  entwickelte,  da  zu  suchen,  wo 
diese  beiden  Rassen  aneinanderstiessen,  und  so  erblicke  ich  in 
Zusammenhang  mit  den  früher  (p.  482)  angeführten  Erörterungen 
Ratzeis  in  ihm  einen  überzeugten  Verteidiger  der  südost- 
europäischen Ursprünge  der  Indogermanen. 

2.  Prä  bis  torisch  archäologische  Gesichtspunkte. 
Wir  sind  in  diesem  Werk  immer  aufs  neue  zu  dem  Ergebnis 
gelangt,  dass  die  Kultur  der  idg.  Urzeit  derjenigen  entspricht, 
die  wir  vom  archäologischen  Standpunkt  aus  als  neolithische, 
speziell,  weil  durch  den  Besitz  des  Kupfers  ausgezeichnet,  als 
spätneolithische  bezeichnen.  Die  nächstliegende  Frage  ist 
daher  die,  ob  wir  in  Südrussland  und  den  westpontischen 
Ländern  dieselben  Spuren  derselben  neolithischen  Epoche  wie  in 
der  westlichen  Hälfte  Europas,  besonders  auch  wie  in  Skandi- 
navien, finden.  In  der  Tat  haben  nun  gerade  solche  Forscher^ 
die  im  übrigen  die  Ursprünge  der  Indogermanen  aus  den  alt- 
germanischen Ländern  ableiten,  auf  eine  solche  Übereinstimmung 
der  Funde  aufmerksam  gemacht.  So  führt  Pen ka  Herkunft  der 
Arier  p.  47  ff.  nicht  weniger  als  drei  „archäologische  Autoritäten" 
an,  nämlich  Worsaae,  H.  Wankel  und  besonders  Montelins, 
welcher  letztere  bekanntlich  selbst  die  Germanen  vom  Schwarzen 
Meere  ausgehen  lässt,  die  „die  Identität  der  neolithischen 
Kultur  Skandinaviens  mit  der  neolithischen  Kultur   Südrusslands 


Bnd    der    aD^remteiiden    polDigchen    Länder    festgestellt    haben". 
Aber  «ach  M,  Mueh  Heimat  der  Indogennaneii  p.  13  findet,  das« 
„da»  «Udliche  Schweden  und  ein  beschränkter  Teil  von  Norwegen, 
gtLiiv.  Dänemark  mit  »Iten   ingeln,    da^    lieulige  Deutsche    Reich, 
die  Niederlande   und   Belgien,   GroBsbritaunien    nnd    Irland,  das 
nördlicbe  Frankreich,    die    Seliweix    und  Oberitalien,   Österreich- 
Ungarn,    Russisch-Polen     und    das     ganze     Qnellgebiet 
[des    Dniesters,    dea   Dniepers    und    der    oberen    Wolga, 
Idie  Balkanbalbinsel  mit  Griechenland  nnd  den  Inseln,  endlich 
I  die   gegenüberliegenden  Gestade   von  Kleinaeien    in    dem   /.utage 
I  getretenen    Steingerät    eine    solche  Verwandtschaft    zeigen,    dass 
■an  iiieht  selten,  besonders  wenn  das  Material,  das  ja  mehr  oder 
[  weniger    dem  Boden    der    verschiedenen  Länder    entnommen    ist 
I  snd  deshalb  wechselt,  nicht  deutliehe  Weisung    gibt,    gar    nicht 
[  sagen  könnte,  ans  welchem  Lande  das  eine  oder   andere    Kund- 
|«tQck  stamme".     Auch  auf  die  ffrters  in  diesem  Werke  genannten 
I  neolilhischcn    Ansgrabungcu    des  Herrn    Chwoiko  am  mittleren 
I  Dniepr  möchte  ich  hinsichtlich  der  Haustiere  (oben  p.  153),   der 
\  Knitnrpflanzen  (p.  187),  des  Hflitenbanes  (p.  273  f.),  der  Schild- 
krttte   ip.  lf)0),  des    Fischgenasses    (p.   248)    hinweisen    und   nur 
fain/ufllgen,     dass    innerhalb  dieser    von    Chwotko    blossgelegten 
neolithischen  Knlturi^ustände  auch  eine   Gussform    für    metallene 
Beile  aufgefunden  worden  ist  (Arbeiten  des  archäol.    Kongresses 
■  in   Kiew,    Moskau    l'^)l,    p.   762).      Aber   anch    abgesehen    von 
[  diesen    mir    allein    im    Original     bekannt     gewordeneu    Arbeiten 
L'Chwoikos  sind  in  neuerer  Zeit  durch  russische   Gelehrte   Überaus 
|-reielie    und    interessante    Funde    aus    dem   Neolith    der   Ukraine 
rzDlage    gefördert    worden,    über  die   wir  jetzt   durch   das   schon 
Loben    genannte   Werk   M.    Hrusevskyjs    Geschichte    des   ukra- 
■tischen    (rnthenischen)  Volkes    (Leipzig    1906),    p.  25  ff.  mnd 
FAnhang  2)  eine  gute  Übersicht  erhalten.    Seinen  Gesamteindruek 
rfasst  HruSevskyj  p.  30  in  die  bezeichnenden  Worte  zusammen: 
l^lm  ganzen  entspricht  das  Bild  der  materiellen  Kultur 
['der  spätneolithtschen  Epoche,  welche  die  ukrainischen 
f  AuHgrabungen  entrollen,  ziemticb  genau  jenem  Bilde, 
(das   die    linguistischen  Forschungen  uns   von  der  indo- 
upäischen   Kultur    an    der  Grenze    des   Neolith    nnd 
tder  Metallkultnr  vor  der  Ansiedlung  der  iudoeuropäi- 
|«ehen  Stämme  geben."      Täteu    unsere  Frähistoriker,    die   so 


-    520    — 

voreilig  gerade  die  nordeuropäische  Gestaltung  der  neolitbischen 
Epoche  der  uriudogermanischen  Kultur  gleichgesetzt  haben,  nicht 
gut  daran,  ihr  Studium  diesen  ukrainischen  Materialien,  deren 
Behandlung  durch  sie  nur  gewinnen  könnte,  zuzuwenden  und 
alsdann  zu  einer  Revision  ihrer  Behauptungen  zurückzukehren?^) 
Auch  westlich  vom  Pontus  stossen  wir  z.  B.  in  dem  schon  oben 
p.  469  genannten  prlihistorischen  Schanzwerk  von  Lengyel  im 
Tolnaer  Komitat  (vgl.  M.  Much  Kupferaeit*  p.  49)  auf  eine  neo- 
lithische  Kultur,  von  der  ich  durchaus  nicht  einzusehen  vermag, 
warum  sie  vom  Norden  gekommen  und  nicht  dahin  vorgedrungen 
sein  könnte. 

Nun  ist  diese  neolithische  Kultur  natürlich  nicht  dem 
Menschen  als  ein  Geschenk  des  Himmels  in  den  Schoss  gefallen. 
Sie  hat  sich  vielmehr,  sei  es  an  einem  Ort,  von  dem  aus  sie 
anderswohin  übertragen  worden  wäre  (vgl.  P,  210),  sei  es  an 
mehreren  Orten,  aus  niederen  Zuständen,  die  in  den  Denk- 
mälern der  älteren  Steinzeit  vor  uns  liegen,  allmählich  ent- 
wickelt. Die  weitere  Frage  ist  daher  die:  kann  eine  solche 
Entwickeluug  auch  in  den  Ländern  nördlich  und  westlich  des 
Pontus  stattgefunden  haben?  Oder,  mit  anderen  Worten:  lassen 
sich  Spuren  des  paläolithischen  Menschen  auch  hier  nach- 
weisen? Dies  ist  nun  allerdings  der  Fall.  In  einer  Strasse  der 
Stadt  Kiew  selbst  sind  zusammen  mit  Knochen  des  Mammuts 
zahlreiche  Steinwerkzenge  der  palaeolithischen  Epoche  zutage 
gekommen  (vgl.  Chwoiko  a.  a.  0.  p.  736  ff.).  Der  interessanteste 
Fund  aber  war  der  Schneidezahn  eines  Mammuts,  auf  dem  ver- 
schiedene Zeichnungen,   eine   Schildkröte,    scheinbar   ein    Vogel 

1)  Von  besonderem  Interesse  ist  in  diesen  ukrainischen  Aus- 
grabungen der  neolitbischen  und  spätneolithischeu  Zeit  die  zutage 
gekommene  teilweise  gemalte  und  gravierte  Keramik,  die  unverkenn- 
bare Analogien  mit  der  trojanischen  und  vormykenischen  Kultur  zeigt, 
und  von  der  Spuren  auch  in  Bessarabien,  Rumänien,  Bosnien  und 
Kappadocien  gefunden  worden  sind.  Auf  dem  archäologischen  Kon- 
gresö  von  Charkow  (16.— 27.  August  1902;  vgl.  den  Bericht  über  den- 
selben p.  87)  suchte  Prof.  von  Stern  diese  Zusammenhänge  durch  eine 
Völker-  und  Kultur  Wanderung  zu  erklären,  die  vom  Schwarzen  Meer, 
an  dem  einst  die  Griechen  gesessen  hätten,  ausgegangen  sei.  Auf 
jeden  Fall  sieht  man,  dass  hier  überall  höchst  bedeutsame  Fragen 
auftauchen,  denen  die  deutsche  Forschung  sich  mehr  als  bisher  zu- 
wenden sollte. 


I 


und  eiu  Kahn  (vgl.  Tafel  XVII)  eiii^eiiut  waren.  Es  ergibt 
Biiifa  also,  dass  in  jener  Epocbe  im  sUdlicIien  Russland  ein  älinltck 
kuDstbegnbtes  Volk,  wie  in  den  HOblen  des  Büdlicben  Fraokreicbs 
(vgl.  i.  It.  8.  Muller  Urgescblcbte  Europas  p.  10  f.j,  gelebt  haben 
Vgl.  Weiteres  bei  M.  HruSev^kyj  a.  a.  0.  p.  22  ff. 
Westlich  vom  Scbwar/.en  Meer  sind  mir  Üherresle  des  diluvialen 
Menschen  erst  aus  Mähren  (M.  KMz  Beiträge  zur  Kenntnis  der 
Quartärzeit  in  Mähren,  Steinilz  1903)  nnd  Kroatien  (Dr.  K. 
Gorjauovic-Kramherger  Der  Diluviale  Mensch  in  Krapina 
in  Kroatien,  Wiesbaden  1906|  bekannt.  Doch  genügt  das 
Gesagte,  um  Jedenfalls  7,n  beweisen,  dass  in  SUdrussland  der 
Mensch,  wall rscbein lieh  in  einer  Zwisebeneiazeit  (C  h  woi  ko 
p.  748),  schon  in  der  paläolithiseben  Epoche  lebte,  während  auf 
dem  einst  vergletseberten  Boden  der  allgermaniscben  Lämler 
Beste  des  paläolithiseben  Menschen  nicht  vorkommen  (Kretsrhmer 
p,  6(1  nach  Penekj.  Demnach  liegen  die  Dinge  also  ganz  wie 
nnter  1.:  Verlegen  wir  die  lleimat  der  Indogermaneu  in  die 
altgermauiscbeii  Länder,  so  können  wir  sie  hier  nnr  bis  in  die 
neoiithisehe  Zeit  oder  höchstens  bis  in  die  chronologisch  eben- 
falls nicht  allzu  entfernte  Epocbe  der  KjOkkenmöddinger  (oben 
p.  477  f.)  znrÜcWühren  und  müssen  sofort  die  neue  Frage  auf- 
werfen, woher  sind  sie  in  die  allgermanischen  Länder  ein- 
gewandert"? Lassen  wir  hingegen  die  Indogermaneu  von  den 
pouCiscben  Gebieten  ausgeben,  so  kOnnen  sie  daselbst  von 
der  paläolitbiscben  Ära  an,  in  der  wir  llberbaupt  die  ersten 
sicheren  8pnreu  des  Menschen  in  Europa  antreffen,  ansässig 
gewesen  sein.  Dass  sie  es  aber  auch  wirklich  waren,  erbellt 
«UB  dem  Folgenden. 

3.  Linguistische  Gesichtspunkte.  Wir  haben  oben 
an  der  Hand  der  Ratzeischen  Ausfllhrnngen  ober  die  vermut- 
liche Entstehung  der  hellen  und  weissen  Kasse  gesprochen,  inner- 
halb deren  sieb  die  indogermanische  Sprach-  und  Völkereinheit 
allmähtich  entwickelt,  d,  h.  gegenüber  anderen  Sprach-  und 
Vfilkereinbeiten  derselben  Rassen  abgegrenzt  haben  niuss.  Die 
weitere  Frage  ist  daher  die,  ob  sieb  die  .Spuren  jenes  Prozesses 
noch  verfolgen,  oder,  mit  anderen  Worten,  ob  eich  noch  irgend- 
welche prähistorischen  Beziehungen  des  idg.  zu  anderen  Sprach - 
atämmen  nachweisen  lassen. 

In  dieser  Hinsicht    bat   ntau    längere  Zeit   an  eine  nähere 

Setirader,  Spr^ehversldchunB  uud  UrgMEhicbLe  II.   1.  Aufl,  'i^ 


-     522    — 

Verwandtschaft  der  Indogermanen  mit  den  Semiten  gedacht^  ja 
sich  dnrch  den  Glauben   an  eine   solche  Verwandtschaft  in   der 
Lokalisierung   der   idg.    Urheimat    bestimmen   lassen  (I',  13, 92, 
102  f.).      Diese    Ansicht    darf  jetzt    als  aufgegeben  gelten,  und 
mit  Recht    sagt  Winternitz   (Beilage  z.  Allg.  Z.  1903  Nr.  238 
p.  132):      „Es    ist   sehr  wohl  möglich,    dass,    wie  das  öfter  be- 
hauptet   worden    ist,    die  indogermanischen    und   die  semitischen 
Sprachen  miteinander  verwandt  sind,   und   dass  es    einmal    eine 
„indogermanisch-semitische  Ursprache^  gegeben  hat,  aus  welcher 
beide  grossen  Sprachfamilien    abzuleiten  wären.      Ich    sage:    es 
ist  möglich;  aber  unmöglich  ist  es,  den  Beweis  zu  erbringen; 
denn  diese  „indogermanisch-semitische  Ursprache''  würde  in  eine 
so    ferne    Vergangenheit    zurückgehen,    dass     alle    Spuren    der 
Verwandtschaft   in    geschichtlicher    Zeit  bereits    verwischt   sein 
müssten.^     Auch  ist  man  neuerdings  wieder  viel   eher    geneigt, 
die    Ursitze    der   Semiten    mit  E.  Schrader    (Z.  d.  D.  M.  Ges. 
XXVII,  417  ff.)  u.  a.  in  Arabien,    statt  mit  A.  v.  Kremer  und 
F.  Hommel  (P,  103)  in   Zentralasien,  also,  wenigstens   einiger- 
massen,  in  Nachbarschaft  von  den  Indogermanen  zu  suchen.    Ja, 
es  fehlt  nicht    an  Gelehrten,  welche  die  Ursprünge  der  Semiten 
überhaupt   nicht   in  Asien,    sondern   in   dem  Arabien  gegenüber 
gelegenen  abessinischen  Hochland  suchen,    die  Semiten  also  von 
den  Hamiten  ableiten  möchten^). 

Im  Gegensatz  hierzu  wächst  sichtlich  die  Zahl  derjenigen 
Forscher,  die  für  engere  Beziehungen  der  indogermanischen  zn 
den  finnisch-ugrischen  Sprachen  eintreten,  eine  Ansicht,  die 
nach  dem  Vorgang  N.  Andersons  (Studien  zur  Vergleichung 
der  Indogermanischen  mit  den  Finnisch-ugrischen  Sprachen) 
und  Donners  (Vergleichendes  Wörterbuch  der  Finnischen 
Sprachen)  neuerdings  mit  voller  Entschiedenheit  von  H.  Sweet 
{The  history  of  language^  London  1900)  und  K.  B.  Wiklnnd 
(Finnisch-ugrisch  und  Indogermanisch,  Le  monde  onental  1906, 


1)  Für  Arabien  sind  neuerdinors  eingetreten  Hugo  Winckler 
in  Helmolts  Weltgeschichte  III,  in  E.  Schraders  Keilschriften  und  das 
alte  Testament*  und  an  anderen  Orten,  für  Afrika  Hub.  Grimme  Die 
weltgeschichtliche  Bedeutung  Arabiens.  Mohammed  (Weltgeschichte 
in  Charakterbildern,  München,  1904),  und  Merk  er  Die  Masai  (vgl. 
dazu  Mein  hof  Z.  f.  Ethnologie  1904,  p.  735  ff.).  Skeptisch  äussert  sich 
Th.  Nöldeke  Die  semitisclien  Sprachen.    2.  Aufl.,  1899. 


ri93 


,  1  ]).  43  ff.)  ausgesprocheu  uod  begründet  wordeu  ist  (vgl.  aiu-|j 

[',  125).     Die  finniscli-ugriaclien  Viilker  sind  in  körperlicher 

leziebung,  wie  die  IndogemtaDiacheD,  Miscfastäimiie,  \a  deuen  sieb 

mm  minäesten  die  belle,  Ja  weisse,  meiet  dolichokepbale  und  die 

bon  jeher  im  Imierti  Hocliasiens    wnr/.elnde   mongohiTde,    turko- 

tetarische  Rasse   unterBcheiden    laEsen.     Die    helleu  Bestandteile 

*iyg\.  Penka    Die  Herkunft    der    Arier   p.   24  f.,    Kretschnier 

Einleitung  p.  30  f.)  treten  liesonders  in  Europa,  bei  Finnen    und 

ICstbeu,  die  niongoloYden  ZUge  banptsäeblich  hei  den  asiatischen 

Zweigen    des    finnisch-ugrischen    Stammes    bervor.      Hinsichtlich 

der  finniscb-ugriacben  Spracben   besteht  freilich  die  Öchwierig- 

keit,  dass  ihre  Östlicheren  Glieder,  sowohl    das   Perraiscbe    (Syr- 

jäniscb,  Wotjakisch    nsw.),    wie    auch  das  Ugrische  (Ostjakiscb, 

Wogdliscb  etc.)  noch  nicht  genügend  erforscht  worden  sind,  um 

in  grösserem  Umfang  eine  finnisch-ugrische  Ursprache,  die   man 

t-der  indogermanischen  gegenflherstellen  konnte,    /u  konstruieren, 

Gleichwohl  sind    die  Analogien,    die    man    schon  jetzt  zwischen 

K-den  idg.  und  finno-ugriscben  Sprachen  festgcstollt  hat,  so  zahlreich, 

lass,  wie  ich  glaube,   nnr   ein   Uhertrieheuer   und    unfruchtbarer 

jBkeptizismus   sie    als    ein    blosses    Werk    des  Zufalls   betrachten 

Stann.     Einige  der  wichtigsten  sind  fnamentlicb  nach  Wiklund) 

nie  folgenden: 

In  der  Deklination  stimmen  die  beiden  Sprachgebiete  in 

""der  Bildung  des  Accus.  Sing,   auf  -m  üherein.      Finnisch   Icalan 

aus  *kalam,  tscheremissisch  Jcolom,  wogulisch  yulme,  kamassinisch 

(samojedischj  kolam  „den  Fisch"  entspricht  scrt.  vfka-m,  griech. 

Xi'xo-v,    lat.    lupu-m.      Dazu    tritt    ein    gemeinsamer    Partitivus, 

bezügl.  AblativuB,    der    auf    beiden  Sprachgebieten   durch    einen 

_dentalen  Versehlusslaul   charakterisiert   ist:    fiun.  ulkoa  aus  *ul- 

Stoda,    läpp,  älkot    aus    *dlkodti  „von    aussen",    mordv.  tojgada 

KTOD    der  Feder",    samojed.   fuada    „von    hinten"  =  scrt.  vrkäd 

Ltod    dem  Wolfe",  pa^d'd  „von  hinten",    lat.  Gna'ivöd,    später 

Der  Nominativua  Sing,  wird  oder  wurde  deiugegenUber 

binf  beiden  Sprachgebieten  ohne  Endung  gebildet:  im  Finnischen 

sei  kaHa  „der  Fisch",   kylä  „das  Dorf"    (Nominal.  =  Stamm), 

1  Indogermanischen  entsprechen  Fälle   wie  scrt.  dqvä  „Stute", 

riech,  z^ig«,  lat.  terra,  griech.  xvwv,  Tiarijß  usw.     Das  -«,  das 

Wi  gewissen  Stämmen  den  Nominativ  im  Indogermanischen  bildet 

vfka-8,  griech.  ^^;(i'-c,  got.  ganu-»,    ist    offenbar  sekundär 


-    524    — 

und  entspricht  dem  demonstrativen  Pronomen:  scrt.  sa,  griech.  ^^ 
got.  sa  „der^'  =  wotjak.  so,  läpp,  son,  finn.  hän  ans  *sän  „er^ 
sie^.  Erstarrt  läge  nach  Sweet  (p.  118)  dieses  s  anch  in  finni- 
schen Formen  wie  parmas,  parmas-na  „in  dem  Bnsen^  neben 
parma  vor.  So  erhalten  wir,  da  aach  der  oben  genannte  fin- 
nische Stamm  Jcala  „Fisch"  im  Indogermanischen  wiederkehrt 
(s.  u.),  ein  finnisch -indogermanisches  Paradigma:  *k€da  „der 
Fisch",  *Jcalam  „den  Fisch",  *Jcala'd{a)  „von  dem  Fisch".  Ein 
Dualis,  wie  im  Indogermanischen,  kommt  noch  im  Wogalischen 
and  Ostjakischen  vor. 

In  der  Konjugation  überrascht  die  Übereinstimmung  der 
Personalendungeu  in  den  I.  und  II.  Personen :  finn.  elän  ans 
*eläm  „ich  lebe",  elät  „du  lebst",  elämme  „wir  leben",  elätte 
„ihr  lebt"  müssen  in  ihrer  Bildung  in  einem,  wenn  auch  noch 
nicht  aufgeklärten  Zusammenhang  mit  dem  idg. :  scrt.  bibharmij 
griech.  tI'9i]ilu;  scrt.  v^ttha,  griech.  oh^a,  got.  laM  „du  lasest"; 
scrt.  bhdrämasiy  griech.  (dor.)  (pigojuegy  lat.  agimtui;  scrt.  bhärathay 
griech.  (pegere,  altsl.  berete  stehen.  Dazu  ist  auf  beiden  Sprach- 
gebieten die  III.  Pers.  PL  zweifellos  nominalen  Ursprungs.  Finn. 
he  antavat  ,,8ie  geben"  ist  eigentlich  ii  donantes,  scrt.  bhdranti, 
griech.  (pegovri  (dor.)  kann  nicht  von  scrt.  bhdrarUas,  griech. 
(pegovreg  „die  tragenden"  getrennt  werden,  wobei  das  -»  von 
(pegovri  vielleicht  mit  dem  Pluralzeichen  -e  in  ol,  tnnoij  kvxo-i-oi 
verglichen  werden  darf.  Eine  Einzelheit  der  verbalen  Stamm- 
bildung liegt  in  dem  gemeinsamen  Gebrauch  des  Frequentativ- 
suf fixes  'Sk :  finn.  ui-ske-nt-ele-n  „ich  schwimme"  :  scrt.  gdcchati 
„er  geht",  griech.  ßdoxe  „gehe".  Von  Tempusstämmen  begegnet 
im  Mordvinischen,  Wogulischen,  Tscheremissischen,  Ostjakischen, 
Samojedischen,  vielleicht  auch  im  südwestlichen  Finnischen  und 
Esthnischen  (Stamm  palu,  Prät.  palu-sin)  ein  Präteritum  auf  -s 
(vgl.  Eliot  Finnish  grammar  XXX),  das  in  dem  idg.  «-Aorist 
wiederzukehren  scheint  (scrt.  ddikshi,  griech.  idei^a,  lat.  dixf). 
Ein  Futurum  ist  im  Finnisch-ugrischen  nicht  vorhanden,  und  war 
es  vielleicht  ursprünglich  auch  nicht  im  Indogermanischen  (vgl. 
F,  135). 

Ganz  augenfällig  stimmt  der  Anlaut  der  Pronomina  auf 
beiden  Sprachgebieten  überein:  läpp,  mon,  finn.  minäy  wotjak» 
mon  „ich",  vgl.  scrt.  mdj  griech.  /le,  lat.  mS;  läpp,  don,  finn. 
sind  aus  *tinäy  wotjak.  ton  „du",  vgl.  scrt.  tüdm,  griech.  tv,  lat. 


,  läpp. 


,  finD.  hält  i 


*sän,  wotjak.  so  „er,  aie",  vgl.  scrt. 


,  griecb.  6,  got.  aa;  lapp.  dat,  fion.  tämä,  votjak.  ta  „dieser", 

Srgl.  scrt.  tddy  grieeU.  rti,  got.  pata;  lapp.  gi,  finn.  ken,  wo^jak. 

„wer",    vgl.   scrt.   ktie,   got.   hos,    lit.  käs,    aw.  6i-i  „wer", 

;h.  TiV,  lat.  quig\  lapp.  jukko.  fioD.  joka  „welcher"  (relativ), 

scrt.  yds,  griech.  5^,  got.  jabai  „wenn". 

Aach  auf   dem  Gebiete    der  S tarn mbil düng   zeigen   sich 

zahlreiche  Entspreclinngcii,    von  denen  ich  nur  anf  die  Überein- 

«timmnng    des  Superlativsuffixes,    finn.   -ima-,   Nom.    -in,    lapp, 

^L^(i)niU(t  (f'wa. pahiii  „der  scbliuimste",  lapp.  buHremum  „der  hente") 

^Kmit  idg.  -mo  (scrt.  madkyamd,   upamd,    tat.  summug  aus   *sup- 

^Bmus)  verweisen  will.     Weiteres  hei  Wiklnnd  p.  öü  f. 

^B  Endlich  bietet  auch  der  Wortschatz    eine  ganze   Anzahl 

^■finniscb-ttgriBeh-indogermauisciier  Enfsprechnngen,   die  nach  dem 

^Kürteil    der    vorzllglicbsten    Kenner    des    ersteren    Sprachgebiets 

H'nicht  auf  Entlehnung  aus    einer    idg.  Einzelsprache,    dem   Irani- 

Bvefaen  (vgl.  oben  p.  485),  dem  LitaniBcben,  Slaviscben  oder  Ger- 

mftniscben    beruhen    können.     Z.  B.  finn.  me»i   (St.    med-   oder 

met-)  „Honig",    niordv.   med,    tscher.  my,    syrj.  ma,    ostj.  mag, 

wog.  fflfiM,    ung.   mfc  =  idg.   *medha    (oben  p.  252);    finn.    vesi 

jSt.  ved-  oder  re(-)  „Wasser",   morAv.wed,  tscher.  rif,  vyt,  syrj. 

Dg,  rit,   ung.  riz  =  scrt.  uddii,    griecb.  vStuQ,  altsl.  poda, 

;ot.  catd;    finn.  iiimi   „Name",    mordv.    lern,    tscher.    lim,    lym, 

fliyrj.  nim,    ostj.  nem,    wog.  näm,    ung.  n4i-  =  scri.  nd'maa,  lat. 

tömen  nsw.:  finn.  ruoiii   „Jahr",  weps.  wos.  ostj.  At  =  idg.  vet-, 

,  ae'oj}  toben  p.  22ti,  228/;    finn.  kala  „Fisch",  lapp.  guölfe, 

mordv.  kal,  tscher.  kol,  wogul.  x^'i  &((!■  =  '^t.  squalua,  altpr.  kali», 

altn.  kpalr  (oben  p.  301}  und  vieles  andere. 

kNnn  kann  tnan  natürlich  auch  auf  zahlreiche  Diskrepanzen 
r  beiden  Sprachgebiete  hinweisen,  allein  es  zeigt  sich  hei 
berer  Betrachtung,  dass  dieselben  kein  nnUbei-steiglicbes  Hin- 
aemis  ftlr  die  Annahme  eines  uraprönglicben  Zusammenhangs 
derselben  sind.  So  stimmen  die  Zahlwörter  im  Finoisebugri- 
echen  und  Indogermanischen  nicht  zusammen;  aber  auch  das 
Saniojedische,  das  ganz  sicher  eine  finnisch-ugrisebe  Sprache 
ist,  weicht  auf  diesem  Gebiete  vom  Finnisch-ugrischen  ab.  Die 
Zahlwörter  bilden  also  kein  absolut  notwendiges  Kriterium  der 
Verwandtschaft  zweier  Sprachen.  Die  finnischen  Spraciien  haben 
keinen  Geschlechtsunterschied,  die  indogermanischen  kennen 


—    526    — 

das  Gesetz  der  Vokalbar monie  nicht;  doch  lässt  sich  zeigen^ 
dass  beide  ErscheinuDgen  aaf  beiden  Sprachgebieten  verhältnis- 
mässig junge,  wenn  im  ersteren  Fall  aach  noch  in  der  idg.  Ur- 
zeit wurzelnde  Entwickelungen  sind.  Weiterhin  hat  man  darauf 
aufmerksam  gemacht  (vgl.  H.  Wink  1er  Ural-altaische  Völker 
und  Sprachen,  Berlin  1884,  p.  86  ff.),  dass  mehrere  der  oben  auf- 
geführten finnisch-ugrisch-indogermanischen  Übereinstimmungen, 
z.  B.  die  auf  dem  Gebiet  der  Pronomina,  auch  in  anderen  Sprach- 
familien wiederkehren  und  darum  nicht  beweisend  seien.  So- 
werde  der  Explosivguttural  k  überall  häufig  zur  Bezeichnung 
der  Frage  verwendet.  Oder  so  ginge  auch  in  den  meisten  afrika- 
nischen Sprachen  die  I.  Person  auf  -m,  -ma,  -me,  -am  aus.^ 
Dies  mag  richtig  sein.  Allein  mir  scheint  auf  diesem  Gebiete 
Ähnliches  zu  gelten,  wie  von  den  p.  131  besprochenen,  in  die 
idg.  Urzeit  zurückgehenden  Kulturschemata,  die  wohl  ver- 
einzelt, aber  nicht  in  ihrer  Gesamtheit  und  in  ihrem  Ineinander- 
greifen auch  anderwärts  wiederkehren.  Und  so  schliessen  wir 
uns  rückhaltlos  der  Meinung  derjenigen  an,  die  in  diesen  finnisch- 
ugrischen  und  indogermanischen  Analogien  die  Spuren  proetbni- 
scber  Zusammenhänge  der  beiden  Sprachstämme  erblicken. 

Tut  man  dies  aber  (wie  z.  B.  auch  H.  Hirt  Die  Indo- 
germanen  II,  577),  und  nimmt  man  infolgedessen  uralte  Nach- 
barschaft der  beiden  Sprachstämme  an,  so  scheiden  damit  aufs^ 
neue  die  altgermanischen  Länder  als  Urheimat  der  Indogermanen 
aus,  und  ein  weiteres  Argument  für  ihre  Lokalisierung  im  süd- 
lichen Russland  tritt  hinzu.  Denn  in  jedem  Fall  müssen  wir 
jene  Epoche  finnisch-ugrischer  und  indogermanischer  Gemein- 
schaft, in  der  eben  erst  die  Keime  des  beiderseitigen  Sprach- 
baus vorhanden  waren,  in  eine  ungemein  frühe  Zeit  verlegen,  in 
eine  Zeit,  für  die  wir  nun  wirklich  mit  der  geologischen  Ver- 
gangenheit unseres  Erdteils  rechnen  müssen.  Alsdann  aber  bleiben 
als  ursprüngliche  Wohnsitze  der  finnisch-ugrischen  Völker  nur 
die  Gebiete  westlich  von  dem  mittleren  Ural  bis  zu  einer  Linie 
übrig,  die  man  sich  etwa  von  Norden  nach  Süden  durch  die 
Mündung  der  Wetluga  in  die  Wolga  bis  zum  50.  Breitengrad 
gezogen  denkt.  Nördlich  und  westlich  von  diesen  Länderstrichea 
war  Europa  mit  Eis,  dann  mit  Tundren  und  Steppen  bedeckt. 
Jene  ältesten  Berührungen  der  Finnen  und  Indogermanen  können 
daher  nur  an  der  mittleren  Wolga  stattgefunden  haben,    wo  be- 


I  kauotlicli  noeii  heute  in  Tscheremiggen,  Mordvineu  und  Wotjaken 

I  finniscbe  Stämme  sitzen.     In  die  Gebiete  westlich  des  Urals  ver- 

[legt    auch  Wiklnnd    (a.a.O.  p.  55)   die    Urheimat   der    Finno- 

LDgrier,    was   wiederum    zu    dem   Bienenarg^ument   Köppons  (I'. 

ll^T)  aufs  beste  stimmt.     Erst  nachdem  im  Westen    und  Norden 

^as  Eis  zurückgegangen  und  der  Wald  sieh    ausgebreitet    hatte, 

"  andererseits  der  Ural  {vgl.  Ratzel  Berichte  II,  35),   der  bisher 

Europa  und  .\sieu    nahezu    voneinander    abgesperrt    hatte,    weg- 

aamer  geworden    war,    wird    sich    der    fimiisch-ugrische  Spraeh- 

LstamiM   llber    den  Norden  Osteuropas    und  Asiens  ausgebreitet 

Fbabeii,  in  letzterem  mit  starken  turkn-tatarischeu  Elementen  ver- 

pachmelzend. 

.Somit  üiehcn  wir  nunmehr  ans  allem  Bisherigen  unsere  Fol- 
Ig^rnngen  dahin:  Als  Ansgangsläuder  der  ludngermanen 
leind  aus  historischen  und  linguistischen  Gründen  die 
i;€lebiete  im  Norden  nnd  Westen  des  Schwarzen  Meeres 
trachten.  Hier  ist  aber  auch  nach  paläogeogra- 
Iphiechen, anthropologischen, prä  historischen  und  glotto- 
E^^öuiscben  Gesichtspunkten  die  eigentliche  Urheimat 
P^icser  Völker  zu  suchen. 

Damit  könnten  wir  unsere  Erörterung  des  idg.  Heiniat- 
problems  beendigen,  wenn  nicbt  schliesslich  noch  ein  Wort  Über 
das  endliche  Auseinandergehen  des  idg.  ürvolks  /.u  s.igen  wäre, 
4a8  dann  allmählich  in  die  geschiehtlicbeu  Zeiten  binli herfuhrt. 
Gerade  von  den  Ländern  nürdlich  nnd  westlich  des  Poutus  aus 
iBst  sich  dasselbe  auf  Grund  geechichtiicher  .\nalogien 
ahne  Schwierigkeit  verstehen. 

Schon  vor  der  Mitte  des  ersten  Jahrtausends  v.  Chr.  sehen 
ivir  nach  Herodot  IV,  11  den  hocbasiatischen  Stamm  der  Massa- 
[eten  auf  die  iranischen  Skythen  drücken  and  sie  über  die 
Folga  und  den  Don  bis  zur  Donau  drängen.  Von  dem  Zeit- 
alter Alexanders  des  Grossen  an  schieben  sieb  die  ebenfalls 
iranischen  Sarmaten  (vielleicht  durch  ähnliche  Feinde  bedrückt) 
in  der  gleichen  Richtung  westlich  vorwärts.  Im  Jahre  375 
n.  Chr.  gibt  das  asiatisch  uomadische  Reitervolk  der  Hannen  den 
Anstoes  zur  germanischen  Völkerwanderung.  Ums  Jabr  555 
herrschen  die  ural-altaiscben  Avaren  bis  zur  Donan  und  bis  nach 
Dacien.  Es  folgen  fortwährende  Einbrüche  der  türkischen  Cba- 
(dren,  Knmanen,  Petschenegen  usw.     Im  Jahre  1224  erfolgt  der 


-    528    — 

erste   Einfall   der  Mongolen    anter   Tschingis-chan,    1227 — 1242 
der  zweite  anter  Baty-chan. 

Immer  sind  also  direkt  oder  indirekt  hochasiatische,  tarko- 
tatarische  oder  mongolische  Nomadeuvölker  von  Einflass  aaf  die 
Völkergeschichte  Süd-Ost-Europas  gewesen,  das  ihnen,  seit  Earopa 
seine  heatige  Gestalt  angenommen  hat,  offenstand.  Könnte  ein 
Gleiches  nicht  schon  während  der  Schiassepoche  des  idg.  Ur- 
Yolks  der  Fall  gewesen  sein,  ja,  dieselbe  herbeigeführt  haben? 
Wir  haben  oben  (p.  487  f.)  gesehen,  dass  vor  den  Skythen  in  den 
Ländern  vom  Don  bis  zur  Donau  das  rätselhafte  Volk  der  Kim- 
merier  herrschte,  und  aus  dem  doppelten  Umstand,  dass  einer- 
seits diese  seit  der  ältesten  Zeit  von  den  Skythen  mit  bemerkens- 
werter Schärfe  unterschieden  werden,  andererseits  die  von  Herodot 
und  Hippokrates  geschilderten,  ursprünglich  iranischen,  aber 
stark  mit  unterworfenen  kimmerischen  Volksbestandteilen  ge- 
mischten Skythen  in  ihrem  Typus  und  in  ihrer  Lebensweise 
unverkennbare  turko-tatarische  Züge  aufweisen,  geschlossen,  dass 
die  Kimmerier  selbst  ein  turko-tatarisches  Volk  gewesen  sein 
möchten.  Dieser  Schluss  scheint  durch  eine  neue  Deutung  des 
Namens  der  Kimmerier,  an  dem  sich  viele  Gelehrte  bis  jetzt 
vergeblich  versucht  haben  ^),  eine  Bestätigung  zu  empfangen. 
Nach  H.  Vämbery  Die  primitive  Kultur  des  turko-tatarischen 
Volkes  p.  103  und  133  zerfielen  die  Turko-Tataren  seit  altere 
in  zwei  Hauptabteilungen,  von  denen  die  einen  jiirüJc  und  ÄröcfeA, 


1)    Oewöhnlich   bringt  uian  Kif^fiiQioi  mit  der  Hesychglosse  xifi- 
fiegog  dx^vg'  ^filxXr}  zusammen  und  erinnert  an  Od.  XI,  14: 

sv^  de  Kififieglciiv  dvÖQ&v  dfjfiog  xe  n6Xtg  it, 

^EQi  xai  VB<piXjj  xexaXvfiiLisvot. 
W.  Tomaschek  Kritik  d.  ältesten  Nachrichten  (Sitzungsb.  d.  Wiener 
Ak.  CXVI,  64)  erblickt  darin  den  Namen  eines  kaukasischen  Berg- 
stamms und  denkt  an  georg.  gmiri  „Held",  „Riese**,  laz  qomöri  „tapfer*'. 
Auf  dasselbe  läuft  es  wohl  hinaus,  wenn  Vs.  Miller  (bei  M.  H rü- 
ge vskyj  Geschichte  des  ukrainischen  Volkes  I,  91  Anm.  1)  ein  osset. 
gumirita  „Riese**  heranzieht.  A.  Fick  endlich  deutet  die  Kimmerier 
(B  B.  XXIX,  237)  als  die  „verständigen"  {xlfABQog'  vovg,  <^qvyeg  bei 
Hesych).  Alles  das  ist  wenig  einleuchtend.  —  Die  Kimmerier  wegen 
des  einzigen  kimmerischen  Königsnamens  Teuspa  (im  Assyrischen), 
wie  E.  Meyer  Gesch.  d.  A.  I,  516  zweifelnd  tut,  als  iranische  Skythen 
aufzufassen,  dürfte  auch  nicht  angehen.  Vgl.  noch  über  die  Kim- 
merier V.  M.  Sysojew  Bericht  über  den  XII.  archäolog.  Kongress  in 
Charkow  p.  194. 


—    529    - 

die  anderen  6omruj  d.  h.  die  wf^ndernden  and  die  ansässigen 
Nomaden  genannt  warden,  und  von  denen  „die  ersteren,  mit  der 
Viehzucht  sich  ausschliesslich  beschäftigend;  von  dem  Ackerbau 
sich  gänzlich  fernhielten,  während  letztere,  wenngleich  ebenfalls 
Steppenbewohner  und  mit  Viehzucht  beschäftigt,  die  Kultivierung 
einiger  urbaren,  an  Flttssen  gelegener  Landstriche  schon  frühzeitig 
betrieben  hatten"  (vgl.  oben  p.  206).  Da  wir  nun  den  Ausdruck 
jüriik  mit  voller  Deutlichkeit  in  den  Ivgxai  des  Herodot  (IV,  22) 
wiederkehren  sehen,  liegt  es  nahe,  die  6omru  mit  den  Kiju/bLigioi 
(bibl.  Oomar,  assyr.  Oimirrai)  zu  verknüpfen  und  anzunehmen, 
dass  ein  dieser  Abteilung  der  Turko-tataren  angehöriges  Volk  sich 
zuerst  als  ein  fremdartiger  Keil  in  die  Stämme  des  idg.  Drvolks 
hineinschob  und  seine  erste  Spaltung  in  Europäer  und  Arier  ver- 
ursachte. 

Wir  sind  uns  selbstverständlich  bewusst,  dass  dies  sachlich 
und  sprachlich  nicht  mehr  als  eine  Vermutung  sein  kann,  wollten 
aber  doch  zeigen,  wie  wir  uns  etwa  den  Prozess  der  ersten 
Spaltung  des  ürvolks  auf  dem  Boden  geschichtlicher  Vor- 
aussetzungen, von  dem  mau  alle  diese  Fragen  nur  zu  leichten 
Herzens  losgelöst  hat,  vorstellen  können. 


Nachträge  und  Berichtigungen. 

Einige  Unebenheiten  und  Ungenaiiigkeiten  der  Umschreibung 
und  Accentuation  der  Wörter  sind  in  den  im  nächsten  Abschnitt 
folgenden  Wörterverzeichnissen  stillschweigend  ausgeglichen,  bzw.  ver- 
bessert worden.  Diese  bitte  ich  daher  in  einem  zweifelhaften  Falle  zu 
vergleichen. 

I.  Abhandlung  (vgl.  P,  238). 

p.  46.  Prellwitz  Etymologisches  Wörterbuch  der  griechischen 
Sprache  liegt  jetzt  (seit  1905)  in  zweiter  Auflage  vor. 

p.  81.    Ebenso  R.  Much  Deutsche  Stammeskunde.    Leipzig  1905. 

p.  82.  Ebenso  F.  Seiler  Die  Entwicklung  der  deutschen  Kultur 
im  Spiegel  des  Lehnworts  1905. 

p.  83.  Die  Bibliographie  der  Lehnwortliteratur  in  den  nord- 
europäischen Sprachen  bedarf  einiger  Ergänzungen,  teilweis  auch  aus 
der  Zeit  vor  1905:  1)  Germano-Slavisches:  J.  Peisker  Die  älteren 
Beziehungen  der  Slawen  zu  Turko-tataren  und  Germanen  und  ihre 
sozialgeschichtliche  Bedeutung  (Sonderabdruck  aus  der  Vierteljahr- 
schrift für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte  III,  Stuttgart  1905).  Vgl. 
auch  M.  Murko  Zur  Geschichte  des  volkstümlichen  Hauses  bei  den 
Südslawen  (Separatabdruck  aus  Band  XXXV  und  XXXVI  der  Mit- 
teilungen der  anthrop.  Ges.  in  Wien.  1906),  besonders  Abschnitt  V. 
2)  Lateinisch-Keltisches:  J.  Loth  Les  mots  latins  dans  les  langues 
brittoniques  {gallois^  armoricain,  comique).  Paris  1892,  und  J.  Ven- 
d  r  y  e  s  De  hibemicis  vocabuliSy  quae  a  latina  lingua  originem  duxe- 
runt,  dissertationem  scripsit  atque  indices  construxit.  Paris  1902.  Vgl. 
auch  J.  Zwicker  De  vocabulis  et  rebus  Gcdlicis  sive  Transpadanis 
apud  Vergüium.  Dias.  Leipzig  1905.  3)  Lateinisch-Germanisches: 
Burckhardt  Norddeutschland  unter  dem  Einfluss  römischer  und  früh- 
christlicher Kultur,  eine  Studie  zu  den  altniederdeutschen  Lehnwörtern 
(Archiv  für  Kulturgeschichte  III.  H.  3.  4.  1905).  4)  Romanische 
Sprachen:  H.  Berger  Die  Lehnwörter  in  der  französischen  Sprache 
der  ältesten  Zeit,  Leipzig  1899,  und  G.  Paris  Les  mots  d'emprunt  dans 
le  plus  ancien  Frangais  im  Journal  des  Savants  1900. 

p.  107.  Nach  W.  Streitberg  Lit.  Zentralblatt  1906  Nr.  24  hätten 
L.  und  W.  Lindenschmit  schon  1842  in  den  Hennebergischen  Vereins- 
heften und  1846  in  den  „Rätseln  der  Vorwelt  —  oder  Sind  die  Deutschen 
eingewandert"  den  europäischen  Ursprung  derlndogermanen  verfochten. 

II   Abhandlung  (vgl.  I»,  236). 

p.*135.  Nach  neueren  Auffassungen  sollen  die  Futurbildungen 
lat.  videbo  und  ir.  no  charub  nichts  miteinander  zu  tun  haben  (vgl. 
F.  Sommer  Handbuch  der  lat.  Laut-  und  Formenlehre  p.  573). 

p.  136.  In  seiner  Besprechung  von  Sprachvgl.  und  Urgeschichte 
18  (Journal  des  Ministeriums  für  Volksauf klärung  1906)  ftihrtV.  K.  Por 
iezinskij  p.  25  die  Gesichtspunkte  aus,  welche  nach  seiner  Meinung 
dafür  sprechen,  dass  das  sigmatische  Futurum  {dwa/co)  eine  urindo- 
germanische, einst  allen  idg.  Sprachen  gemeinsame  Bildung  sei. 

p  138.  Ich  muss  R.  M  u  c  h  in  seiner  Besprechung  von  Sprach- 
vgl.  und  Urgeschichte  P  (Mitteilungen  d.  Wiener  anthrop.  Ges.  1907) 


531 


rechl  gebeu,  dn6h  man  aus  der  Entleliiiuiijr  von  Ferguniia  iius  *Per- 
«iint'a  iHercynia)  nicht  schlieäHen  darf,  datts  zur  Zeit  des  Eintritts  der 
dentscheu  Lautverschiebung  p  im  Keltischen  noch  unversehrt  erhalten 
geblieben  sei,  ,da  auch  ein  1000  Jahre  vor  der  germaniachen  Laat- 
'Verachiebung  enilehntüs  ^yercunia  zu  jenem  J-'ergunna  hsite  werden 
miUsen",  Ira  übrijcen  Biehl  R.  Muth  in  den  «.  a.  0.  erörterten  Frajcen 
duFchana  auf  miiintirn  Standpunkt, 

p.  140,  Entgangen  ist  mir  H.  Meyer's  Aufsalsi  .['rsprung  der 
frertnanischen  Lautverschiebung'  <Z.  f.  deutsche  Alterturnttk.  1900,  in 
dem  ein  weseiittieh  früherer  Ursprung  der  deutschen  Lautveracbiebunp 
Angenommen  wird.  —  Ebenda  Z.  lö.  19  v.  u.  lies  'tihun,  *sebün. 

p.  146.  ForSezioskij  a.  a.  O.  p.  28  zeigt,  dass  die  von  mir  an- 
^fUhrCen  litauischen  Formen  Mi,  tu  sich  wahrscheinlich  auch  nicht 
mehr  in  allen  Feinheilen  mit  den  indogermanischen  Urformen  decken. 

p.  151.  Über  das  Problem  de,r  Mischsprachen  vgl,  noch  IP,  607  Anm. 

p.  153,  Z.  S  u.  3  v.  0.  Gegen  R.  Muchs  Einwand  a.  a.  O.,  ,das» 
in  diesem  Fülle  meiue  erst  zu  begründenden  Ansichten  über  die 
Urheimat  der  Indogermanen  schon  zum  Ausgangspunkt  weiterer 
Schlüsse  mache",  ist  zu  bemerken,  dass  Jedenfalls  die  Kelten,  wie 
Ton  niemandem  bezweifelt  wird,  in  den  von  ihnen  besetzten  Landern 
rine  uichtidg.  (iberische)  Urbevölkerung  vorgefunden  haben. 

p.  I&6,  Z.  11.  Hierzu  bemerkt  K.  Much  a,  a.  0,  mit  Recht,  dasa, 
da  die  Chatten  weiter  existierten,  nur  von  der  völligen  Vernichtung 
ihres  Heeres  gesprochen  werden  kann. 

p.  174,  Z,  9  V.  u.  ergänze  am  Schluss  das  Wort  .Sprache". 

p.  201.  Wenn  R.  Much  zu  serl.  pdf ii  =  got.  faihu,  ursprünglich 
iiScliaf,  dann  .Vieh*  bemerkt,  dass  dieser  Bedeutungsübergang  nicht« 
Besonderes  sei,  da  er  auch  im  altislAndi sehen  umati  „Kleinvieh",  aber 
•uch  .Vieh"  im  allgemeinen  (einschlieBsiich  des  Groasviehs):  ahd.  S7na- 
kmäe,  Hmalaz  vihu,  unserem  »Schmaltier"  vorliege,  ho  äbersieht  er, 
[iüss  auf  Island  die  Schafzucht  im  Mittelpunkt  der  Viehzucht 
■  t  e  h  t,  so  das:«  sich  der  Bedeulungsübergaug  auf  Island  aus  denselben 
Oder  ähnlichen  Gründen  erktürt,  wie  $ie  im  Text  für  eine  ferne  vor- 
Ireschichtliche  Zeit  angenommen  worden  sind.  Ich  erblicke  daher  in 
:dem  von  R.  Much  angeführten  Fall  eine  Re^tätigung  und  keine  Wider- 
Ingung  meiner  Ansicht. 

p.  20S,  Z.  4  V.  u.  lies  sc«.  fS'va  und  Z.  5  v.  u,  gol.  heiwafrauja. 

p.  204.  Z,  8  V.  o.  lies  Mt.  ii-iä<e-. 

III.  Abhandlung. 

p.  10.     Zu  grieeh    /lijaXlor  vgl.  noch  p.  123  Anin.  1. 

p.  22.  Den  Schmied  IVieland  deute)  F.  Kluge  jetzt  anaprechend 
.  deutsche  Wortforschung  VIII,  144  als  „Kuusihand*  i'Wethandui]. 

p.  43,  Z.  7  V.  0.  (und  an  einigen  anderen  Stellen)  lies  BernAt 
mhard)  MuncAcsi, 

p.  62,  Anm.  I,  Das  hier  genannte  baskische  urraida  .Kupfer" 
deutet  H.  Schuchardt  (brieflich)  als  da«  ,goldahu liehe",   abgeleitet 


-    532    - 

▼on  MrÄe,  urre  (vgl  p.  39  urre-ä)  „Gold",  das  vielleicht  semitischen  Ur- 
sprungs  (assyr.  JjLurä^)  sei. 

p.  69.  Zu  frz.  cuifyre  gehören  noch  sp.  ptg.  cobre.  Auch  in  ita- 
lienischen Mundarten  kommt  das  Wort  nach  H.  Schuchardt  vor. 
Ebenda  lies  Z.  7  v.  u.  baskisch  alambre-a,  das  zwar  von  Basken  ge- 
braucht wird,  nicht  aber  als  baskisches  Wort  angesehen  werden  kann. 

p.  77,  Z.  3  V.  u.  lies  Pamird  spin. 

p.  94.  Das  hier  genannte  baskische  drraida  (zirraida)  kommt 
nach  Schuchardt  nur  bei  Larramendi  vor.  Das  gewöhnliche  Wort  ist 
das  aus  dem  Romanischen  entlehnte  ezteinu.  Die  Erklärung  von  dr- 
raida ist  unsicher;  für  dasselbe  verweist  Schuchardt  noch  auf  ein 
ebenfalls  bei  Larramendi  genanntes  bask.  zirberuki  ^Zinngiesserztnn', 
^stannum  plumbo  admixtum^,  das  in  ztr  (zirraida)  „Zinn*,  berun  „Blei* 
<vgl.  p.  95)  und  das  Suffix  -ki  zu  zerlegen  sei. 

p.  95.  In  der  Reihe:  ir.  lüaide,  agls.  leady  mhd.  Idt  füge  noch 
russ.  luditl  „verzinnen'',  luzänie  „Verzinnung*',  auch  altruss.  luditi  hinzu. 
Doch  fragt  sich,  wie  alt  das  Wort  auf  slavischem  Boden  ist.  In  den  süd- 
slavischen  Sprachen  kommt  es  nach  einer  Mitteilung  M.  Murko's  nicht  vor. 

p.  1 12.  Mit  griech.  Qivri  „Feile**  und  lat.  aerra  „Säge*  hängt  offen- 
bar auch  scrt   srnt.  arnV  „Sichel**  zusammen. 

IV.  Abhandlung. 

p.  139,  Z.  19  V.  u.  lies  grich.  inoy^. 

p.  140  Anm.  1.  Die  hier  genannte  Arbeit  A.  Meillet^s  scheint 
kein  S.  A.,  sondern  eine  selbständige,  A.  J.  Vendryes  zum  3./7.  06  ge- 
widmete kleine  Schrift  zu  sein. 

p.  172,  Z.  15  V.  u.  lies  alb.  bl'efeze. 

p.  203,  Z.  11  V.  o.  lies  armen,  aiani. 

p.  204,  Z.  11  V.  0.  lies  npers.  das. 

p.  210.  Über  die  Etymologie  von  russ.  sochä  vgl.  neuerdings 
ätrekelj  Archiv  f.  slav.  Phil.  1906  p.  494. 

p.  224,  Z.  12  V.  o.  lies  armen,  am. 

p.  231,  Z.  1  V.  u.  lies  A.  Hillebrandt. 

p.  235,  Z.  17  V.  u.  lies  scrt.  ni^äni^ara. 

p.  250.  Z.  15  V.  u.  lies  got.  smairpr, 

p.  288,  Z.  3  V.  u.  lies  russ.  zelezd. 

p.  292,  Z.  22  V.  u.  lies  ir.  mile. 

p.  333,  Z.  7  V.  0.  lies  russ.  vedü, 

p.  335  Anm.  3  (Totenhochzeit;  vgl.  auch  P,  219):  Mit  der  Methode 
und  den  Ergebnissen  meiner  Schrift  „Totenhochzeit**  erklären  sich  in 
teil  weis  ausführlichen  Besprechungen  einverstanden:  Zachariae  (Z. 
des  Vereins  für  Volkskunde  XV,  232  ff.),  A.  Brunk  (Zentralblatt  f. 
Anthropologie  X,  p.  146-148),  H.  Kjaer  (Nordisk  Tidskrift  for  Filologi, 
3.  Reihe  14/2  p.  90),  J.  Toutain  (Revue  de  Vhist  des  rel.  52  p.  325), 
S.  Rein  ach  {Revue  critique  1904  Nr.  2)  u.  a. 

p.  521.  Vgl.  auch  M.  Hoernes  Der  diluviale  Mensch  in  Europa. 
Braunschweig  1903,  ein  Buch,  das  mir  erst  nach  Abschluss  des  Druckes 
zugänglich  geworden  ist. 


Wörterverzeichnis*)  der  indogermanischen  Sprachen 

zu  Abhandlung  III  und  IV. 


1.   Indisch. 

(Das  Sanskrit  ist  un- 

bezeichnet.) 

dkiha  298. 
agni  440.  441.  443. 
agnishtäma  456. 
ßj  203. 

ajä  128.  135.  154. 
äjra  203. 
dtka  261. 
ad  241. 
ädikshi  524. 
anad-vdh  156. 
dnägas  400. 
antdr  238. 
op  441. 
dpara  142. 
aparapakshd  229. 
aparddha  397. 
ap<:2'd  19. 
dpdnc  142. 
ap^rnuv^n  416. 
apsard'  441. 
od^in  (zigeun.)  79. 
abhipitvd  237. 
am,  amt^  409   414. 
amdvdst  229. 
dyava  229. 

aya«  10.  45.  58.  59.  60. 
61.  65.  113.  116.  117. 
ard  299. 
aritra  300. 
arc2tcz  (zig.)  98. 
drya  392. 
aryd  294. 
dr^as  451. 
ara^t  317. 


dj?i  135.  154.  264. 
dqan  106. 
a^rshd'  19. 
rtfman  17.  60.  78.  103. 

106. 
d^vttj  dgvdyägvasya  134. 

154.  163.  523. 
aqvatard  48.  163. 
ashfadhdtu  61. 
a«,  dsu  417. 
a.vi  110.  111.  116. 
asrimdn  144. 
cfAan,  d/iar,  ahand'  237. 

416. 
ahördtrd^  ahami^a 

236. 
d'^a«  127.  398.  399.400. 

401.    402.    405.    406. 

410   411.  414. 
d'jya  249. 
dni  ^98. 
d7(J  271.  282. 
dti  140.  166. 
d^mdn  427. 
dmd  243. 
drd  118.  116. 
ä'rya,  dryaka  392. 
<J«Ä^rf  283. 
dsa  283. 
i^/rt/  104. 
ishurdigdha  104. 
fi<Äd'  298 
ukshdn  154. 
u&Ätf'  17.  19.  283.  285. 
uddn  525. 
udfrä  133. 
upamd  525. 
timd  260. 


urana  258. 

urvörd  189.  203.  204. 

tiZöÄ-a  139. 

w/Ä-^r  440. 

wfdn^  4(X). 

t^ÄÄd«,  w«r4'  237.  440. 

443.  456. 
üshtra  102.  135.  163. 
ü'rnd  154.  162. 
ürnavdbhi  261. 
ÄrTwi  302. 
r'itÄÄa  133. 
rtü  239. 
rtuvrtti  233. 
r6Äw  21.  25.  428. 
r^/ifi  108. 
r'^ya  135. 
€7ia  135. 
<57m  260. 

kansä,  kdhsya  94. 
Ärd^a  263. 

kapö'ta  139.  141.  168. 
kar^   kffid'tij  kdrman 

15   445. 
karkafti  karkdru  199. 
A:ar<  263. 
karsh,  fcrsÄd/i  202. 204. 

207. 
karshü'  202. 
Ärafffcd'  133. 
kagyapa  149. 
fcd*  525. 
kasttra  94. 
kdrmdrd  15. 
kdldyasa  60. 
A:^  451. 
kikidtvi  139. 
kukkufd  139. 


♦)  Einis'e  Unebenheiten  der  Umschreibung  und  Accentuierung  etc. 
sind  in  den  folgenden  Wörterverzeichnissen  stillschweigend  ausgeglichen 
worden.  Die  altindischen  und  altiranischen  Wörter  sind,  wie  im  Text, 
so  auch  hier  fast  ausschliesslich  im  Stamme  mitgeteilt,  z.  B.  scrt.  ddmay 


nicht  ddma-s  „Haus*'. 


-    534 


Jcunta  108. 
kumbhä  17. 
krkavdku  139. 
krfyä'  445. 
krshnapaksha  229. 
kfshndyas  60. 
Ä:/-s/i«  204. 
kelUy  (hindost.)  98. 
kökild  139. 
kravya,  krauis  242. 
kravyd'd  244. 
krtudmi  291.  319. 
kshap,  kshapd  236. 
kshurd  112. 
ÄrÄrtra  134.  162. 
(5ra/l<7d  484. 
^rarfd  107 
gäcchati  524. 
gdvishti  155. 
gavyan  gräfnafi  155. 
gardabhd  163. 
(7dr</d  163. 
^äilgiya  43. 
^rÄd  272. 
i^d'  127    134.  404. 
gödhü'ma  189. 
gö'pati  155. 
g6pä\  göpd'  jdnasya 

155.  388. 
grama  387. 
grä'van  204. 
grtshmd  239. 
flf/ir^d  250. 
coÄrrd  298. 
catushpdd  241. 
candrabhüti,   candra- 

löhakGy  candrahdsa 

46. 
carw  284. 

carbhafOy  cirbhatt  199. 
^arT/Mi-mnd  259. 
crtd'mi  263. 
ci,  cdi/€  396. 
jafu  172. 
jatuka  64. 
Jan  495. 
Jdwa  3b7. 
jdnman  387. 
jd'mdtar  312. 
jdmbava^  jdmbünada 

42.  43. 
J.yd'  104. 
jhashd  302. 
fafc^Ä  261. 
tdkshany  takshnV  128. 

341. 
tdpati  425.  440, 
^rtrfcji  113.  262.  263. 


^d^d  306. 

tdtatulya  309. 

Wrf  525. 

tdmralöha  60. 

/dt/u  406.  414. 

<i«m  139. 

fMC  311. 

/rdpw  65.  92. 

/üdc  101. 

füdm  524. 

ddkshina  142. 143.  144. 

danda  397. 

dadrü  451. 

ddma  271.  388. 

ddmpati  337.  388. 

</arf ,  dargatd  45. 

da^amasya  229. 

dagardtrd  235. 

tid/rd  204. 

dd'rw  108.  171.  182. 

ddrund  171. 

rfina  236. 

det;.  div4'-divi,  dydvi- 

dyavi  286.  418.  444. 
ddr  271. 
dÄ'rvd  189. 
dt/Ä  249. 
duhitdr  307. 
d^yd  423.  437.  444. 
d^tdr  314.  315. 
d^Äf  279. 

dydü«  423.  439.  441. 
dydüs  pitd'  443. 
dbsÄd'  237. 

dvipd'd  pagü'ndm  241. 
drdpi  265. 
dni  171. 
druh  428. 

dhanvan  104.  173.  176. 
dham,  dhmd,  dhmd'td, 

dhmdtds  dftis  16. 
dÄdnd'  195   202.  206. 
dhd'man  404. 
dhdraka  102. 
dhümd  427. 
naktavidinam  236. 
ndkta,  ndkti  236. 
nagnd  257. 
nawd'  306. 
ndndndar  314. 
ndpdt,  naptar,  naptt' 

309. 
ndiya  98. 
wd''6/ii  298. 
nd'man  525. 
ndva,  ndvd't  ndü  182. 

3Ü0. 
wd^.Va  298. 


n«va  310. 
nirrti  141. 
niqdnicam  235. 
nfvi  263. 
pdfican  498. 
jpoc  243. 
pani  416 
pd/i,  pdtntj  patUvd 

337  ff. 
pdtyati  330. 
patnisarhydjas  365. 
pdnthds  297. 
par,  piparti  297. 
para9u62.lll.ll6.ll8. 
parä-dd  291. 
pardvr'j  411.  414. 
parivatmard  226. 
parut  226. 
parkati  176. 
parjdnya  439. 
pd^u,  pafu  219.  241. 
pagcd'd  523. 
pd  241. 
pd7i  337. 
pdmdn  451. 
/jjfca  140. 
pinda  433. 
pt7*dr  306. 
pitdras  21.  428. 
pi<u  237. 
pitrvya  309.  318. 
pittald  61. 
piptlika  34. 
pt>Ä,  pwÄ^d  202.  206. 
pttadru,    pUaddrUj 

pUuddru  172. 
pitalöha  61. 
pu<rd,  pu^r^  307.  387. 
pur  388.  390. 
pü'ya  451. 
pö7-a  (?)  189. 
pt2'rt;a,   pürvapdkshä 

142.  229. 
PfthivV  444. 
pdumawd«!  229. 
pra  dd  133. 
praqna  260. 
prdsita  205. 
prdtaranuvdka  466. 
prd'nc  142. 
priyd  294. 
pÄd7a  204. 
bdndhu  313.  316. 
öarÄi«  284. 
bahudhmdtd  60. 
bibharmi  524. 
örd^man,  &raAmdn448 
bhangd  194. 


—    535    — 


bJiarädväja  449. 
bhäranti,     bhärantaSf 

bhärcUhas,     bhärä- 

masi  524. 
bhishdj,  bhishajd  450. 
bhürja  172.  509. 
bhrßjj  243. 
bhrd'tar  307. 
bhrd'trvya  310. 
mdkshd  486. 
tnajjdn  243. 
mani  116. 

mddatiy  mattd  252. 
md^a  252   254. 
mddhu  148.252.433.510. 
mdnas  427. 
mand'  36. 
manu  416. 
md2a  265. 
mahdrajata  87. 
mahdvrata  453. 
md  524. 

w4,  wim€  228.  293. 
tnämsd  243 
mdtamaha  311. 
wd/ar  306. 
m^d  maM  488. 
mätuld  309.  318. 
madhyamd  525. 
mdrjdrd  165. 
md'^^a  190. 
md*«  228.  440. 
wi^ra  375. 
muc  160. 
müsh  134. 

in€jmdyaU,mit8at€290. 
mulwa  (hindost.),  7nol- 

liwo  (zigeun.)  99. 
mld  265. 

yßji  yajäs  46.  446. 
yajatd  45. 
ydma  141. 
ydva^  ydvtycms,  ydvi- 

shia  229. 
ydva  188.  194.  256. 

290. 
yavanisfifa  99. 
.Vd«  525. 
yätar  315. 
y4  ^d/rd  225. 
^u^d  298. 
yüvan  229. 
ytl'pa  183. 
yü'8,  yushdn  243. 
rafiga.rdnga  (hind.)99. 
ro/a^d  45. 46.  47. 49.  50. 

51.  52.  120. 
rajatdm  hiranyam  46. 


rdjju  260. 
rd/JÄa  127.  298. 
rasa,  rasd'  163.  488. 
rd'j,  rd'jan  387.  389. 
rd^trt,  rdtryahan  235. 

236. 
rd'säbha  163. 
rudhird  62. 
rüpya ;   rupd   (bind.), 

rt«6,  rupp  (zigeun.) 

.06. 
totn',  lavitra  202. 
Zi>  250. 
«öpdfd  134. 
ZöÄd.  /(JÄiYa  60.  61.  62. 

87.  118. 
vanga  (bind.)  99. 
vdjra  107. 
vajrin,  vdjrabdhu,  vd- 

jrahasta  107. 
vaisard  226. 
vddhar  107. 
üarfÄö'  333. 
vam  451. 
Vrtr,  vrnö'ti  102. 
vardhd  135. 
vartana^  vartuld  264. 
vdrtikd  139. 
vdrpas  262. 
vdrman  102. 
t;«rsÄd',  varshdni  228. 

239. 
va*  224.  237.  417. 
vasantd ,    vasar    224. 

225.  239.  510. 
vdsishta  449. 
vasnd,  va»nay  290. 291. 
vdsmariy   vdsana,   vd- 

stra,  vdsdna  257. 
t;dÄa<€  333. 
rd,  vdyati  261. 
vd'^a  441. 
vd'wa  143. 
t;dyu  441. 
vdsard  237. 
vd'hana  298. 
i?i  140. 
viddtha  388. 
viddla  165. 
vi'dhdvd  348. 
Wf  387.  388.  495. 
vi^amvigam  387. 
vt^pdti  388. 
i;i9i;d'mi<ra  449. 
vi«/^d  105.  450. 
rf,  v^'^i  138. 
vr'ka,  vr'kaUf  vr'kam^ 

vr'kdd  133.  494.  523. 


tv^rd  107. 
r^^a^d  172. 
t;^'«/ia  524. 
vd'ira^vä'iradiya^vd'i' 

raydtana  396.  414. 
vyavahdra  398. 
vydghrd  137. 
vyutd  261. 
t;7'a<d  453. 
rrf/it  195. 
jaTlÄrw  !>08. 
fand  193.  194. 
f  a/d  483. 
gapdtha  407. 
qdmyd  298. 
farac/  227.  239. 
fdrw  109. 
qdrvian  102. 
fafd  134 
gastrd  79. 
fd'Ar/id  208. 
Qätakumbha  42. 
fd.sa'  398. 
gigird  239. 
Quklapaksha  229. 
^U7i,    fvan,    (vd'    133. 

154.  494. 
f^ra  291. 
gdulkavivdha  320. 
gydmd  60.  61. 
fj/^nd  139. 
grdddha  433. 
ft'dfm'a,  fvajrÄ'  313. 
«a  525. 
«df/>a<i  388. 
sapary  425. 
aapiiida  433. 
ÄOÖÄd'    388.    389.  398. 

401. 
«amd  224. 
«dmd  224. 
sdmiti  388. 
samgavd  237. 
sarhvatsam^     samvat- 

sard  226. 
saranyü'  416. 
sardmd^        sdramiyd 

416.  419. 
sarpis  249. 
savyd  142. 
saster  (zigeun.)  79. 
«a^^yd  195.  204.  207. 
sahdsra  292. 
.vd'ra  249. 
simhd^  siihhV  136. 
Hindhu  484. 
.st'«a  92.  98. 
«u  445. 


-    536    - 


subandhu  387. 

8tUd  433. 

fturä  256. 

sü  308. 

sükard  135. 

8ünü  307. 

sü'rya^    süvar,    svar, 

439.  440. 
Ä/'nf,  «rnf  532. 
srgäld  134. 
södara  307. 
«<5wd  (hind.)  56. 
sonakaif  sonegai 

(zigeun.)  56. 
sö'ma  256.  440. 
sdumSrava  43. 
jif^dr  240. 
jf^d2/d^  406. 
stind  406. 
«^Äam  262. 
sthü'nä  271.  282. 
atnushä'  312. 
sphara^  apharaka  102. 
syäldy  gyüld  315. 
svadhd'  404. 
svddhiti  111. 
«vdru  183. 
Hvarria  56. 
svdsar  307. 
Hvidita^  svidani  81. 
swinzi  (zigeun.)  97. 
sjscha  (zigeun.)  98. 
Aa^n&d    140.   165.   166. 
/^d.va  134. 
hdvati  445. 
Ädra«  239. 

charkom  (zigeun.)  66. 
harmuta  (?)  149. 
härshaU  302. 
Ädtofca  42. 
himd,    himd,    Mman^ 

h^mantd    223.    225. 

227.  239.  510. 
Airanva32.  39.45. 119. 
hiranydyi       hiranya- 

rartant  33. 
ÄrCfcw,  /iZ{A:u  64. 

2.  Iranisch 

a)  Awestisch  und  Alt- 
persiscli 

adka  261. 

apanyäka  (altp.)  311. 

apara  142. 

ayah   58.  65.  77.   113. 

116. 
ayöx^sta     {dyökiust 

pehl.)  10. 


ayösaipa  16. 

ayd^nma  225.  235. 

airya  392. 

ar^a  133. 

ariti  (auch  altp.)  106. 

asan  78.  106. 

asdnö  aremöiütö  106. 

6töpa  134.  154. 

azrödadi  138. 

aia  203. 

erezata  46.  47.  48.  52. 

120. 
erezatösaipa  16. 
<jti>yd  271. 
2«u  224.  509. 
iza^a  154. 
iiw  104. 
ux^an  154. 
Mrfra  133. 
urvard  204. 
urvaröhaHaza  450. 
w«aÄ  237.  440. 
uUra  135.  162. 
Äraönd   389.    396.    413. 

414. 
kahrkdsttj     kahrkatät 

139. 
kareia  88.  109.  111. 
kareföbaHaza  450. 
Ärar^,   Araria  20'2.  204. 

207. 
kasyapa  149. 
kdy  396. 

^add,  igaSavard)  107. 
^aü  (^do)  134.  154. 
gereda  272. 
xaoda;  xauda  (altp.) 

102. 
xara  134.  162. 
xumba  17. 
xsa&ra  vairya  13. 
2;.vap,  xäapan^  xäapar 

235.  236. 
xsapa^vd    rauöa^pa- 

tivd  (altp.)  236. 
x^aya  485. 
Xffäiidri  253. 
cakus  106. 
dz  «.  /cd.v  396. 
cw  525. 
i2/d  104. 
^ap  440.  485. 
tanura  16. 
<d.ya  406. 
^eyW  104.  138. 
<ört,  tüirya  249. 
^Äfrya  309. 
*daosa(daosatara)  237. 


do^'na  142.  144. 

do^yu  387. 

*ddnd  (ddnökari)  195. 

202. 
ddfiu  485.  489. 
dd(u)ru,  dru  108.  171. 
d§ngpati  337. 
duySar  307. 
rfvar  271. 
dru^F,  drMj  428. 
päd  ipak)  243. 
pa^i,  pat^i  337. 
paitUhahya  235. 
päd  298. 
pa^«  337. 
payah  251. 
payöfsüta  251. 
prtr  297. 
par  öderes  166. 
pouru  ipaurvä)  142. 
pd(y)  337. 
pdman  451. 
peretu  297. 
piVar  306. 
pwra  17. 
pw7ra  202. 
pwi^ra  307. 
ha^^azya  450. 
ftaya  485. 
bau-ri  134. 
bangha  (banhä)  194. 
barifzis  284. 
6dz2/  485. 
öÄza  135.  154. 
6rd^ar  307. 
brdtruya  310. 
naxfuru    {upanaxtar) 

236. 
napät,  naptij   naptar, 

naptya  310. 
napta  441. 
ndv  (auch  altp.),  dp^ 

ndvayä  300. 
war  485. 
ndiricincLh  396. 
nmdna  387. 
nydka  (auch  altp.)  311. 
moo:,^?  486. 
mat^a  252.  254. 
madu  148.  252. 
maz^a  243. 
maoiri  151. 
md^ar  306. 
mdA  (auch  altp.)  228. 

440. 
m<j^6'baiikaa  450. 
minu  116. 
yaoidd  409. 


-    537    - 


yava  188. 

yaz  446. 

yär  225. 

yäh,  ydsta  268. 

vaiti  172. 

vad  (mit  upa)  333. 

vadar  107. 

va^  333. 

vadrya  333. 

ra/ra  223. 

va/VA,  vahhana^  vastra 

257. 
vanhar  224. 
varäza  135. 
{;a2;  333. 
voera  107. 
vehrka  133. 
vtmaef.  vtmddaya  449. 
i;tra  485. 

i?fjf  (altp.  in^)  387.  388. 
vispati  388. 
vUHOra  450. 
rai?a  298. 
rawÄrf  488. 
raoyna  250. 
«a^a  16. 
sainö  mereyö  139. 
«a/a  (^a^em)  483. 
Mra,  Häravära  102. 
M'md  298. 
staara  154.  163. 
slaxra  89. 
«<ar  240. 
«^tZna  271. 
spaita  55.  78. 
«paw,   «ön   («pd)  133. 

154. 
spenta  446. 
^a^^  223.  509. 
«rwi  98. 
zantu  387. 
sayan  223. 

zaranya  32. 39. 41. 119. 
«art  (zairi)  59. 
zdmätar  312. 
«rd^a  103. 

zyam  (Z2^<!l)  223.  225. 
iaHö-einah  396. 
Aootita  252.  253.  256. 
haxämanis  386. 
*hao8afna  (haosafna' 

ina)  78. 
Aam  224.  225. 
Juima  224. 
A^usanra  292. 
AoAya  195.  204.  207. 
hü  135.  154. 
hunu  307. 


Atird  253.  256. 
xoaipati  337. 
x^aiihar  307. 
x^'flÄura  313. 

b)  Skythisch. 

'ÄQylfiJiaaa  485. 
evd^^e?  485. 
KoXd^atg  485. 
o/dß  485. 
oa^'a^i^  11. 
öavc^jrrtv  194. 
Taßtti  440.  485. 
TaVaic  485. 

c)  Neuiraniscbe 
Sprachen 
(Lateinische  Wort- 
folge). 

änsuwär  osset.dig.  307. 
äfsdn  osset.  77.  79. 
dhen^   dhengar  npers. 

15.  78.  86. 
alesch  (in  Talysch)  512. 
anduuj    ändön   osset. 

79.  88. 
arxi,  arxvi  (osset.)  72. 

79. 
ärd  npers.  203. 
ard  osset.  409. 
arztz     npers.,      drsis 

buchar.  92.  98. 
ds^  pehl.,  didn  baluA!, 

awsin  kurd.  59.  78. 

79. 
astm  pehl.  46. 
astar  pehl.  163. 
awzeste,  äwzist  osset. 

46.  79. 
babr    (hebr)^    papara 

npers.  137. 
bdften,    bdfad   npers. 

261. 
barse  osset.  172.  509. 
bM  npers.  172. 
behär  npers.  224. 
benff  npers.  194. 
birinj    npers ,     brinj 

baluCjl  73. 
bizisk  npers.  440. 
büz    kurd.     173.    176. 

178.  460. 
6aluk  npers.  89 
6apis  npers.  135. 
x6d  npers.  102. 
d&ne  {ddnä)  npers.  195. 
dds  npers.  204. 
don  osset.  489. 


Schrader,  Sprachvergleichang  and  Urgesoliichte  11. 


ester  npers  48.  163. 
färe  osset.  226. 
farwe,  färw  osset.  172. 
furz^  öru^Pamird.  172. 
gendum  npers.  (yotySö- 

fitjv  Hes.)  189. 
gumirita  osset.  528. 
gurinj  npers.  195. 
gurz  npers.  107. 
hdsui,  hdsinger  kurd. 

15.  78. 
jev  t/ar)  npers.  188. 194. 
isttr  kurd.  163. 
izdt  osset.  79.  98. 
kala  osset.,  kalai  kurd., 

kcUay  npers.,  kaläjin 

parsi  98. 
kanab    npers.,     kinif 

kurd.  193. 
kärd      npers.,      gärd 

buchar.,   ktr   kurd., 

kard  osset.  88. 
karttnah    npers.,     &ft 

Paniird.  263. 
ked    npers.,    ket,    6id 

Pamird.  273. 
ker  kurd.,  ;ifar  afghan. 

162. 
kebüdf  kebüter  ikabüd, 

kapütar)n  per  s.  Mtir 

kurd.,   kewter  {kau- 

tar)  afghan.  168. 
fccrfc  npers.,Ä:Mrfc  kurd., 

6irg  afghan.,  k'arl^ 

osset.  139. 
kibit  Paniird.  139. 
kurguschum       kurd., 

kourghdchem^  afgb. 

98. 
Idleh  npers.  261. 
mai,  mei  kurd.,  npers. 

254. 
mdA  npers.  190. 
mis^  mys  npers.,  miss 

buchar.,  mya  kurd. 

74. 
mü-s  npers.  134. 
naeqra,  nuqrja  npers., 

nughra  baluöf  46. 
nost'ä  osset.  312. 
öspanahf  ösptna  afgh. 

77. 
pdif  pdi,  pöi  Pamird. 

251. 
pdr  npers.,  pard,  par- 

wuz  Pamird.  226. 
ptld,püld,pülddkuTd.j 

piUdd  npers.  78. 

8.  Aufl.  35 


-    538 


pU  Pamird.  172. 
puxten  Dpers.  243. 
püldfai  pehl.  78. 
resaSf    erssas,     räsas 

kurd.  98. 
röbdh  npers.  134. 
röyen  {röghan)  npers., 

rüghn,   röghün  Pa- 
mird. 250. 
röi  npers.,  röd  pehl.  62. 
särd  oßset.  227. 
sdl  npers.  227. 
sandal  npers.  261. 
sanna,  san  osset.  194. 
siftan  npers.  16. 
8%m  npers.  46.  48. 
sipM  npers.  55. 
siper  npers.   (onagaßd- 

gai '  ysQQotpoQoi  Hes.) 

102. 
soi  afgh.,  8üi  Pamird. 

134. 
spln  npers.,   spin  zar 

afgh.  46.  77. 
spin  Pamird.  77. 
starkh  Pamird.  262.263. 
suyzärinä,       sjzyärtn 

osset.  32.  79. 
supdr  npers.  204. 
8urb     npers.,      ssurb 

buchar.,  surub  afgh. 

98.  [134. 

»^eydl    (shagäl)    npers. 
tdften   {tdbad)   npers. 

440. 
täften   {tdftah,  tdftik, 

tiftik)  npers.  261. 
tars  osset.  512. 
teber    {tabar)    npers., 

towdr  baluM,  üpdr 

Pamird.  88. 
tederv  npers.  139. 
t%r  npers.  104.  138. 
v^stur  npers.,    üshtur, 

shtur^  khtür  Pamird. 

135.  162. 
vala  afgh.  172. 
vraza  afgh.  151. 
vriz^  afgh.  195. 
wafun  osset.,  wafPa,- 

mird.  261. 
ivolch  Pamird.  139. 
yau,   yev,    yeu    osset. 

188.  194. 
yurs  Pamird.  133. 
zer  npers.,   kurd.,  zar 

afgh.,     baluöi,     ser 

buchar.  32. 


3.  Armenisch. 

al  220. 

alam  203. 

alvU  134. 

am,  amarn  224.  225. 

amis  228. 

anag  98. 

aner  312. 

all  494. 

aic  {ayts)  128.  154. 

astl  240. 

araur  113.  202.  220. 

arcat'  47.   48.    49.    60. 

52.  120. 
ardid  98. 
aroir  62. 
arj  133. 
barti  175. 
bziSk  450. 
bok  269. 
bv^6  (boiö)  139. 
buc  135. 
brinj  195. 
gadt  schar  adzar^  ^adt- 

schari,  gadschi  512. 
gail  133.  494. 
gart  189. 
garun  224. 
gelmn    igeXman)   155. 

264.  494. 
geran  174. 
gin,  gnem  290.  291. 
gi7ii  '35.  25.  254.  255. 
gi^er  237. 
damban  425. 
dustr  307. 
drand  271.  282. 
elbair  {eXbair)  307. 
eievin  175. 
ein  {eXn)  135.  494. 
erdnum  409. 
erkan  113.  204. 
erkat'  49.  78.  89. 
epem  243. 
zarik  32. 
zokand  313. 
zrah  i03. 
ine  136. 
last  175. 
^M  151. 
xoir  102 
Aö/m  173.  245. 
kanafi  193. 
fc/a.VcA'  98. 
/tW  134.  154. 
ki'unk  140. 
/rr<Ttt/  149. 


hair  306. 

harkanem,  hart  439. 

Äaci  173.  174.  178. 

hav  311. 

^6r^  203. 

^eru  226. 

hu  451. 

Aun  298. 

ji  134. 

Jiun  223. 

jwicrn  223.  225. 

mair  174. 

mair,  mauru  306.  310. 

me^r  253 

metal  10. 

mt^  243. 

mukn  134. 

rwit;  300. 

ww  312. 

mn  133,  154,  494. 

ozni  134. 

oski  32.  49. 

t^^r  307. 

pHnj  49.  73. 

poiovat  78. 

«a^  165. 

samik  298. 

«ar  494. 

sisern  190. 

skesur,    skesrair  813. 

ra<7r  137. 

^ai^r  314. 

^tr  236. 

ein  139. 

• 

keni  315. 
Ä-otV  307.  309. 
keri  309 
€j?  50.  160.  161. 

4.  Phrygisch. 

ßaX^v  494.  ' 
/?evrov  253.  254. 
ydXXagog  314. 
yAot'oos  35.  39. 
CsXxia  494. 
Cevfid  494. 
xixXf)  494. 
xifiEQog  528. 
aejiiov  494. 

5.  Griechisch. 

(Altgriechisch  an- 
bezeichnet: Dialekte 
in  Klammern.) 

a/?a  232. 

a/?eA<oc  (kret.)  439. 

d/?«'  175 

dya^og  dai^icov  428. 


—    539    - 


-dydaTCOQ  307. 

<i;y(oveg  spät^iech.  109. 

ayeo^cu  ywcuxa  333. 

ayog  446. 

Syog  127.  398.  399.  400. 

401.  402. 4(^.406. 4 14. 
ayQOf  dygevSj  dygevio  138. 
dyg6g  203.  205. 
dyxtaxetg  433. 
•dSdfiag  82. 
dddfÄaoxog  83. 
ddeXq>6g,  dSslqjtj  307. 308. 
ddi?etj^  397. 
a^vTOv  181. 
deXioi  315. 
dCoßÄai  446. 
;^j^vd,  M^vi;  416. 
aia  316. 
myavetj  108. 
AlyeiQoxofAOi  383. 
aiylXoixp  175. 
Alyvnxtog  16. 
aieXovQog   134.  164. 
aierog  140. 
Ai&dXf)  84. 
Al^aXldcu  383. 
ar^o>,  cui^v,  al^oyj  58. 

69.  79.  84.  239. 
af/ia  i/nfpvXiov  389. 
oft  128.  135.  154. 
ylTo^off  441. 
aioa  456. 
äi>^j5  108.  110. 
^xaOTog   175. 
ä?e/n(ov,   'AfCfiCDv   16.    17. 

24.  80.  106. 
axovoio;  400. 
^xcov   106. 
y4Aa^o^<o<  494. 
Oilffxr^t'wv   139. 
axieo  203. 
aXxifAog  471. 
AX?e/neQ>vidcu  383. 
(Uo(97}7  250. 
^.?  220.  247. 
«f^aoc  181. 
'^Av/^iy  52. 54. 83. 94. 120. 

^(orj  203. 
d/,(OJuj^  134. 
a/a>;  203. 
dua^a  298. 
A/nd(o  203. 
d^eißea^i  297. 
dfieXyeo  249. 
dfirfxog  203. 
ai'ayjy?  400. 
avofdvog  344. 
izvcu^eroi^at  345.  346. 


ävsßÄog  427. 

dvforto?  381. 

avuytoff  307.  308.  310. 

Av^eaxiJQia  431. 

dvr/or  261. 

dvr/ov  261. 

^-ivTijraTßOf  311. 

a^ev/a  295. 

a^i'viy   111.   112. 

d^oyy  298. 

djieXXa  217. 

'AjieIXwv  416. 

ojtetf&og  xQvaög  57. 

MjTcdavoV  (thess.)  489. 

d;rio;  175. 

(bro^iidoo^m  291. 

Agd^Tjg  488. 

Mßyavde6v«off  51. 

d^yv^oc  52.  53.  64. 

dgyvQioy  53. 

aff^«s-  71.  72.^ 

d^ijv,  d^cJf ,  d^f<of  258. 

dQHBv^og  174. 

dQHxog  133. 

d^vaxiid«^  258. 

d^oTO^  235. 

dßorpov,  nrjfcxdvy  avxöyvov 

d.  113.  202.  209.  220. 
dgöü)  202.  205. 
dgjtayijg  did  321. 
d^jri;   112.  203. 
d^roxd;ro^  243. 
Sigva  xd  'HQoxXecoxixdnb, 
dQxaioL  'EXXdg  496. 
äaßeaxog  mgriech.   278. 
doijjnt  ngriech.  46.  48. 
äof)fÄog  46. 
'Aotßay  Aotßeoyv  48. 
dajiQog  174. 
Aardgxrj  167. 
dori;^  240. 
dxgaxxog   113.  262.  263. 

264. 
Axgetdai  383. 
drra  306. 
äxxoficu  261. 
avXrjga  (dor.)  298. 
Avgidat  383. 
avTo^  f^J^a  340. 
at'ä);  (aeol.)  440. 
d9>a/  19.  440. 
d(pgi^xo)g  294.  381. 
Axcuftevidat  384. 
/4;|r<Ü«;ff  416. 
d;uvi7  203. 
dcurdi;  261. 
ßalxrj  258. 
/^dAavoff  173.  191.  245. 


ßaXayrfq>dyot  245. 

ßaaiX^eg  383. 

ßdofce  524. 

ßaOvog  16. 

/?/a  407. 

/^id;  104 

ßoXißog    rhod.,    ßdXi^og 

epidaur.  95. 
B^gva^ivrjg  489. 
BovCvyeg  383. 
ßovxoXogj  ßovfcoXsovxo  155 
ßovXvxovde  237. 
/?orc  101.  127.  134.  154. 
ßovxvgov  250. 
Bgiyeg  494. 
Bgiorjtg  416. 
ßgovxrj,  ßgovxdo)  123. 
ßgovxriaiov  iiigriech.  73. 
ßgovxog  245. 
/?ras   139. 
^wv  101. 

ycda;tfTor^097ot>vT«ff  249. 
yaJlfjy,  yoA^  102.   134. 
yd^cüff,  ^aidco;  314. 
ya/ußgög  312.  313. 
ya^etv,  yafieia^i  334. 
ydfiog  316. 
y/i'o;  206.  382.  383.  385. 

386.  387.  ^ 
yevetovy  yevetdo}  123. 
yigavog  140. 

riggog  206. 
ylyvofim  386. 

^xrvo?  (maked.)  174. 

ydfjxeg  23. 
yor^r^  306. 
Pgcufcoi  496. 
yviy  202.  209. 
yv;ra  273. 

Fvtpxog  ngriech.  16. 
<5ajyß  314 

da/doio;,  daiddJUeo  19. 
dafff  283. 

AaßÄvaßxevevg  23.  24. 
^vo^  (maked.)  496. 
dd^vA^o;  (maked.)  171. 
ddtpvrj  417. 
Jeijrdrvpo;  443. 
AexeXexeig  383. 
<5«^dc  144 
dea:z6xi]g  337.  388. 
deytetVt  dig)(o  259. 
d^fiog  391. 
dtdCoftat  261. 
SiaofÄaj  dofia  261. 
dixi;,  dixaaxrjgiov  396. 
dijutoxi  ngriech.  89. 


—    540    - 


Ai<5waog,     A.    Mevdgog 

182.  444. 
ÖKf&eQa  258. 
öixoßÄTjvia  230. 
döXog  400. 
dofAog  271.  388. 
ddgv  108. 

dovQixxriTfj  yraXXcLxlg  344 
ÖQvg  171. 
dö^rrvai  383. 
la^  224.  510. 
eßdofirixoma  292. 
iyxetQiStoy  111. 
l^/eJlvff  146.   147. 
eyXVTOiOßAÖg  346. 
idei^a  524. 
C(5vov,    esdvovy    djictgiaia 

I'dva318.320.333.344. 
e^og  373 
l^oc  404. 
eMcuc  449. 
elXtoveg  315. 
EUel&vtat  456. 
efftagrat  457. 
«Vdreßf?  315. 
Eigeaidai  383. 
kxaxöv  483. 
ixdovvat  333. 
exovoiog  400. 
eXVQOg,    EXVQOL    313.    314. 
ixqjogd  430. 
ikaiveov  gojiaXov  107. 
eAdri;    174. 

i?.a(pog,  ikXog  135.  494. 
iXev^egog  406. 
fA/>tfjy  (arkad.)  175. 
lilxof  451. 
•EAAo/  496. 

l'A9?o?,  £^^0?  (kypr.)  249. 
e/4iä>  451. 
ifijioldo)  291. 
mavTd?  226. 
nn'Vfit,  elfia  257. 
e^rixovxa  292. 
Ibß,  foßfff  307.  308. 
sogrij  453. 
htrfdco,     ejtqydögf     i7zq)dij 

445. 
^//9^a  227. 

kjiixavoTa  dxSvrta  109. 
tjiXevaa  492. 

RTOy    139. 
igißiv^og   190.   193. 
eghrjg,  igezfiog  300. 
fg€(fo>   279. 
jFoivt;?  416. 
*Egfifjg  416. 
IJo;r<ff  254. 


^^v^^  62.  69. 
i^Qx^ia?  139.  140. 
iö^ff  257. 
kaniga  237. 

ior/a ;     ßiazia     (arkad.) 
^  283.  381.  440. 
rrai  382. 
haigia  382. 
'Ejeoßovxddai  449. 
Äof  226. 
evkrjga  298. 
svfAYjXfig  471. 
EviAohiidcu  383.  449. 
ev^svia  295. 
ev^ofiai  446. 
ixTvog  134. 
ly^cM  243. 
Cm  188.  192. 
Zfv?,  Z.  :ran}^,  Z.  Mev- 
dßoff  182. 423.439. 441. 
Zev?  iJe«  445. 
Ci(pvgog  235. 
tJ7A*/a  397. 
C6(pog  235. 
tvyov  298. 

^oiarog  268. 
^cAto^,  rjktog,  "HXiog  489. 
^  440. 

tjixavög  139. 
TJXexrgog  6,   rjj    rjXexrgöv 

56.  57.  67.  92. 
f^Aexrco^  56. 
^Aoc  113. 
'HXvoiov  435. 
^fxlovog  159.  160. 
^/a  298. 
rjneigog  302. 
TIgaxXfjg  93. 
'Hgtdavog  489. 
^ßwff  428. 
'HovxtSat  449. 
tjrgiov  260. 
"HqpaioTog  19.  440. 
^cü?  237.  240. 
i9<UAi?  17. 
i^currc»  273.  425. 
i?£i'a  311. 
i^^ro^  309. 
^i?<,ycOf  ßeXyTveg  23. 
■&ifjit0xeg^  ^dfiig  295.  384. 

404. 
i?W  428. 
-^igfiaoiga  16. 
i^/Tßo?  224.  239. 
^eaqparog  428. 
'&gfjvog  430. 
^ydrrig  307.  808. 


^^<fe  427. 

W(?a  271. 

^tSgriS  102. 

Ido/Mu  450. 

7da2b<  aaxTi;Jbi23.25.81. 

/c^  139. 

(e^(^  446. 

UgetoVy  legsJä  181.  244. 

rf7)ti<  205. 

IxzTvog  139. 

Tfißfjgig  (aeoi.)  147. 

/^<fc  175. 

^<;  79. 

7ov/^<  383. 

/<^ff  104. 

/<i?  450. 

Irvoff  17.  283. 

iJCTOc,   ^rroVy   2k?roi  184. 

154.  524. 
/ö(iT«ff  270   509. 
ioTj/Lugia  454. 
/aT<fe  262. 
"lorgag  489. 
/T^a  101.   172. 
frv?  298. 
^Ivgxai  529. 
xadßxeiaj  xadfAla  99. 
xctAar  Dgriech.  98. 
xGuUrv  230. 
xdfiijXog  161. 
xa;4ivof  16.  17. 
xavcov  279. 
xdwaßig  1 90. 
xa;rvix<^  358. 
xa^  494. 
xdgxivoi  16. 
xd^roAo^  263. 
xaofc,  xaalyvrjTog^lJ^O^. 
xaaaixeoog,    Kaoöixegldeg 

92.  94. 
xdtTTjgf    xdrra    Dgriech. 

165. 
xdtTVfiaf  xdaavfia  362. 
xatojvdxri  258. 
xidgog  174. 
ÄTA^«^  23.  24. 
xdßÄfiegog  dxXvg  528. 
xigxa^j  xegxi'&aXlg,  xig- 

xog,  xegxds  139. 
xegxig  261. 
xigvoy  102. 
KetpaXidoi  383. 
xf7|U(i?  298. 
xiXXovgog  140. 
Kinfiigioi  487.  528.  529. 
JTiw^dai  449. 
xiwaßdgt  99. 
Klgxrj  261. 


—    541     - 


xiooa  139. 
xiaaög  179. 
xXhfjfo  406. 
xXfj^Qtj  175. 
xlrjU  113.  282. 
xkflQos  882. 
xJliyor^o;ifo;  (maked.) 

174. 
xXiTvg  144. 
xJlco^o)  263. 
xvi^firj  299. 
xoxxvß6ag  139. 
x6xxv^  139. 
xov/g  151. 
xovxog  108. 
xöga^  139. 
KoQir^iog  rcdxög  66. 
ifc^yi^  (?)  23. 
xoQVvrf,  xogwi^rrje  107. 
xoQWvri  139. 
xovgtdirj  äXox<K  344. 
xovgaov/ii  D^iech.   98. 
xdtpixos  140. 
xgdveia  108.  175. 
xQdv(Kf  xQoyov  102. 
xgdvog  107. 
xgkig  243. 
xgexfOt  xQOxij  261. 
x^e^  139. 
xQTjjtlg  269. 

xor,  ;e^<^112.  189.  205. 
x^f(^  190. 
xgSfivov  190.  193. 
xvafioi  193. 
;etkcyo;  82 
xi;;«;off  298.  494. 
xv>lAo.TO^/a>v  18. 
xwhjy    xwhj  xjidhj  82. 

102. 
xvjtaQioaog  69. 
KvjtQiog  jfoixrfff  69. 
xvQxog  263. 
xvcoy  133.  154.  523. 
Jlayopc^  144. 
Jlc^^^o;  190. 
JUuov  202. 
Amc^f  144 
Xelgiov  261. 
JUicov,  iUcoy  136.  137. 
Xeo^tj  18. 
JUvxo^  XQvaög  57. 
A<a^<^  144. 
jlixjtioc,  hxfidm  123. 
A«xtw  203. 
JliVov,  AiTi,  Anra  190. 
;irff  137. 
^in;,  Xiaoofiai  446. 


;it7^  134. 

XvxdßoQ  232. 

^vxo^  23. 

^vxo;  23. 

ilvxo^,  Avxov,  Jlvxoiat  133. 

523.  524. 
Jltrrrfff  261. 
Jlco^  265. 

fiaytvst  /nefiayfüvtf  250. 
^Mx  306. 
McüceddytSf     Maxedvov 

i&vog  496. 
/ioJUa;  265. 
fidfÄfirj  306. 
^idwog  116. 
/iff  t24. 

fueyaXo/ni^TTjQ  311. 
jLiidifivog  293. 
^^v,;i^l48.252.5J0. 
fielXia  354. 
^iilo^  ^wfAog  242. 
/EiiAo^  aidfiQog  60.  61. 
/uiAi  253. 
^e;/i7   108. 
^eA/vi;  189.  196. 
1*^^  427. 
/[ii^oc  456.  457. 
^^roJUov  10.  123.  124. 
fitmXXdo}  123. 
jU«raJU»c  34. 
/ihgov  293. 
[ATjXOiV,  fiaxiov  190. 

f^V^iß^V^Vi  Mrfvri  228. 440. 
ßAfjvog  loTafievoVf  qy&ivov' 

xog  230. 
fi^tijQ  306. 

firjTQOJtdxCOQ    311. 

firjXQVtd  310. 

^ifjXQoyg  309 

/ir^off  71. 

Mivwg  416. 

juvd  36. 

fivdea^t  320. 

fiotga  456.  457. 

fÄÖXißogj    fioXvßog,    /idXv 

ßdog  92.  95. 
fioXvßi  ngriech.  99. 
MoXvßdlvri  93. 

fAOÖOW   120. 
Moaavvoixot ,     Moöovpbs 

83.  94.  120. 
fjmaxcLQi  ngriech.  69. 
fjuiQovv^oQ  Dgriech.  73. 
/ivia  151. 
fivxXog  160. 
il/vAa?  23. 
/ivAi}  203. 
fivQ/irjxeg  34. 


flVQOV  250. 

juvff  134. 

3/va(iff  160. 

/it;;t^<^  (phok.)  160.  163. 

va/o>,  haaaa,  evda^ip^  181. 

iVaioff  (ZnJff)  181.  182. 

vdxo^  258. 

yowa,  vdyvrjf   viwa  306. 

311. 
voui;,   *^<>?)  vec^/    vavoc 

(aeol.)  181.  182.  300. 
vo^c^  441. 
yatJff  182.  300. 
verxAov  203. 
v««fe  202. 
ve<l;nr^ai  310. 
vi^ro^ffff  310. 
vigxegog  143. 
iV«;^/  490.  492. 
v^Q>,  Im;  260.  262. 
n^^ojj  vtf^k,  ^f*f^t  y^otg, 

v^Qoy  262. 
iSrjye«^^  441.  449. 
vijaaa  140.  166. 
v^xgov  260. 
y/9>a,  v/g?»  224.  509. 
WfjKpevxgia  331. 
wo;  312. 
w^  236. 
wx^rjfiegov  236. 
vcögoyt  69. 
^av^tfe  471. 
^eroff  294. 
^fw  108. 
^/^off  110.  111. 
^vgdr  112. 
^vorc^  108. 
6  525. 

SßgvCov  XQVoiov  73. 
6ydax(OQ  307. 
o/  524. 

ofi;,  olrjxrjg  378. 
ofiy^  298. 
oryo;  35.  50.  255. 
^«;  135.  154.  264. 
ola^a  524. 
(^lOTd;  105. 
oixog  457. 
^v^  189. 
<J/i<fe  224. 
öfioydaxcog  307. 
^o;  53.  160.  161. 
dl/y«;  113.  202. 
6$vfj  173.  174.  178. 
Sfiwfii  409.  414. 
djKogij  225. 
6gelx(iXxog  66.  67.  68. 
^w;  140. 


—    542    — 


ogevg^  ovgevg  159. 

Sßoßos  190. 

6e6g  249. 

SgiKpog,  ogoqji^  279. 

dgri^  (ion.)  453. 

Sqtv^  139. 

Ss  525. 

6<pv{g  202. 

d/off,  SxrjficL  298. 

Ilaiovidai  383. 

^dAa<  30. 

IlavxtydjiTjg  206. 

najinog  311. 

noQoiieQog  142. 

IlaaaQyadai  386. 

jrari;^,  naxegeg  21.  306. 

jrccTOff  298. 

Jiar^i^jjrar^  214.306.523 

;raT^(^o<  d£0<  411.  428. 

jrar^Q)^  309. 

JleiQtjvfj  66. 

jfiXsia  141. 

;riA£xv?     62.    111.     112. 

116.   118. 
jT^Jlog  141. 

stiXcOf  jieXo^ai  202.  291. 
jiev^EQÖg  112.  313.  316. 
nrfVTf  498. 

jre^acü,  negvrffti  297. 
jteQiÖeuivov  431.  432 
TteQXf]  302. 
TtBQvat  226. 
Ttioaoi  243. 
jtevxi]  174. 
jnyo?  405. 
nfjxvg  523. 
;rrAo^  259. 
nuiQaoxM  297. 
nioaa  174. 
^tVv?  172. 
jrJlai^avov  245. 
jiXsfcco  260. 
jiXrj{fi)fivQig  247. 
jr^/vdo?  278. 
noifJiTjv  ka(av  388. 
jTOin}  389.  396.  397.  413. 

414. 
jtoXtog  79. 
.^<^;i<^  381.  390. 
Wxo?  202. 
noXxog  245. 
noXvßovtai  217. 
TtoXvxfAYiTog  aidfjQog  76. 
stoXvQQTjv  217.  258. 
jioXvxaXxog  65. 
Jiogevofiat  297. 
nogog  297. 
jiöoi^,  Tiotvia  337. 


jiQi^aoa)  297. 

Tigiajuai  291. 

Jtgoßaaigf  Jigößatov  217. 

jTQO&eoig  430. 

:rpo/^  321. 

311100(0,  jntodvrj  202. 

Ät»?7  451. 

nvQdygrj  16. 

Ttvgyog  383. 

stvQog  189. 

TtoiXecOj  jzojXeofiai  291. 

jicoAo^  154. 

gdßdog  174. 

gatoxijg  16. 

^Cür/?  107. 

Qcbrro)  262. 

QOJtvg^  ^qwg  190. 

ßV»^  112.  532. 

^ivo^  101. 

^odov  261. 

^ojroAov,  Qöjjreg  107. 

oaxxeo)  30. 

odxog  101, 

2cLXajnivioi  383. 

oaV^o^ov  261. 

aexwa  199.  200. 

ö^Aa^  228 

of^j/viy,  SeXrivri  228.  440. 

ZsXXoi  496. 

HefieXtj  444. 

Zegtfpog  16. 

ai]x6g  181. 

mdi/^eo;,  0.  dxivdxTjg  63. 

78.  ^ 
aiSrjQtvg  15.  81. 
otdrjQOTSXTOveg  83. 
oidijQog    15.    64.  66.   80. 

81.  120. 
2idi]govg,  SidoQOvg^  Si- 

ddgiogf  ZidcLQVVTiog^  2i- 

dijvTjj  2iörj  81.  82. 
oixvgj  oixvog  199.  510. 
SxXaßrjvoi  214. 
Sxv^ai    dgoxfjQegf  rofid- 

deg  206. 
oxvxog   100. 
a/u/i^.};   15.  71. 
ofiiXog  71. 
ofitvvrj  15. 
OfAVQOV   250. 

o<^Ao?  a^To/ocovo;  79.  82. 

a;ra^   109 

ojioQt]x6g  235. 

oxeyog  271. 

oxtjXrj  271. 

oxtjfKOv  262. 

ovg  154. 

o(pd^(o,  otpdxjoj  261. 


otpevdovri   107. 
09?^^  16.  80. 
7Vx<Va^ov  16.  81. 
TKrcuf  489. 
xdsiTjg  261. 

273.  431. 
xdfpgog  273. 
T^off  271. 
r«;fOff  279.  493. 
xixxcov  128. 
reAoc  202. 
reilaov  202. 
r£A;frwc  23. 
xtfievog  181. 
TefÄiotj  65. 
xifAvca  181. 
xigefivoy  278. 
xsQexgov  113. 
xixQCi^j  xhgi^f  xergdtar  139 
T^a  306. 
xetpga  425. 
Tij5^  309. 
r/^/4i  404.  524. 
xtfioygia  397. 
xivofiai  396. 
xijtoxef  juxxe  337. 
TiV  525. 
xXrjxög  264. 
To  525. 

xoxTjsg  306. 

Tdlor  105.  175.  179.  512. 

xgsjxo)  263. 

xgiTjgrjg  300. 

T^<ro;rdro^^  428. 

xgtxdtxeg  388. 

XSTIXO-,  TXVQQO-Xg,)  471. 

Tßvycov  141. 

Ti5  524. 

7\;pi7C  489.  490. 

Tt;^(K  249. 

Tv^To^  286. 

r/?e<ff  407. 

vdgdgyvgog  99. 

v^^o^  133. 

vioff,  *vvff  307. 

viiTv,  rtw  (vijj,  v«fe)  255. 

TTa/iy  206. 

•rjroviff  492. 

vnig\r&Qog  471. 

vq>aiv(o,    vifi^,    wpccvxixi^y 

vqmotaf  vfpaotg,  i^pvifff 

261. 
^ff  135.  154. 
9?ctctv<^  69. 
fpdg/*axoy  450. 


—    643    — 


(pag/aaxeTg  24. 

(fsgvrj  321. 

(pegofieg,  (pegovrif  <pdgexej 

(pigovtes  524. 
(ptiYog  173.  179.  460. 
(fTfyoycuog  182.  183. 
(pijfii  445.  450. 
(plcogl  Dgriech.)  40. 
<pova  (lak.)  134. 
fpgdrogsg  382. 
^grizrig  307. 381 .  382.387. 
(pgritrig,  tpgaxgia  386. 
q>gvy(o  243. 
fpvXrj,  qwkov  373.  381. 
9>i)oa  16.  80. 
(fvxcLXtd  235. 
9^^;ö)  417. 
qxoyo)  243. 
9?<ü^  406. 
jfalbff  108. 
xdAig  493. 

XdXxeog,    x^^^"'^i    X^' 

xi^iogy  jfcUxjJßjyc  63. 
;|ro>lxevc  15.  63.  64.  80. 
XaXxevü)  63. 
XaXifecov  63.  64. 

18.  63    64.  71.  80. 
Xahcog  10.  23.  59  63. 64. 

65.  66.  68.  69.  71.  72. 

75.  80.  84,  89. 
XaXxoXißavog  68. 
X(iXxovgy6g  71. 
XOihtmfia  ngriech.  66. 69. 
XaXxoiVy     XaXxtodovud- 

ÖTjg  63. 

XdXvyfy     x^^ß^^^^    '^^' 

83.  120. 
Xdkvßsg,  XdXvßot  83.  94. 

120. 
Xaivßff  54. 

XdXxf],  X<^^Vt  MoAxV  65. 
xdrkoman  (kypr.)  66. 
Xeificjv  223. 224. 226. 509. 

(aeol.)  148.  150.  200. 

509 
xegyijTig  252. 
X^vfia  494. 
Xeco  16. 

xnv  140.  165.  166. 
xiXioi  292. 

xifiagosy  ;|r/]Eiai^a  223. 
jfiTctw  207. 
;fia>v  223. 
xXcuva  267. 
xXafivg  258. 
/^orydf  39. 


xXcogog  35. 

/oavoi  16. 

;)for|0O?  154. 

Xgisa^m  iovg  105. 

/ßvöoff  35.  53.  64.  119. 

Xgvöij  Xegocvfjoog  33. 

;ftrroff  dgyvgog  99. 

/VT^  493. 

jlfcü^a  524. 

y)dg  140. 

\pvXXa  151. 

cojud^  243. 

wvsofiai  291.  344. 

(ovo^  290. 

c5e»7  225.  226. 

6.   Thrakisch. 

AvXovCev9jg  495. 

/^ß/C«  189. 

reßsXii'Ctg  getisch  434. 

yivxov  493. 

bil^og,  dii:a  493. 

^aXfiog,  ZcU/uo^<c  434 .493. 

Cergata  493. 

C<>lai  493. 

xowCa  paeon.  254. 

fiavteia  dakisch  493. 

jtagaßif]  paeoi).253.254. 

oavdjiai  194. 

Sandantut  489. 

axdXjLiTj  111. 

axdgxtj  51. 

7.   Illyrisch 

und  Venetisch. 

Argentaria  52. 
Dimallum  495. 
Enignus  venet.  495. 
e;uo  venet.  495. 
-4ot7fov  494. 
3fenzana  158. 
sdbaja  253. 
Tergeste  495. 

8.  Albanesisch. 

aÄ  173.  174.  178. 
albdn  14. 
aTH«  306. 
dr  40.  52. 
arints  71. 
ar^dnt  52. 
afe  175 
ari  133. 
a^  .306. 
haker  69. 
ftr^ffze  172. 
ferum  254. 
brunts  73. 


der  154. 

di  495. 

dtmm  223.  495. 

djaMe  144. 

drw  171. 

^^der  312. 

^eni'  151. 

^*  154. 

ent  2<;i. 

ev^'tY  15. 

^ori',  fVori-ni  40. 

<^a/p£  (<7'aZp)  249. 

hekur,  ekur  89. 

fcaZdjf  98. 

kanep  190. 

fcordff  109. 

koräum  98. 

kovdts  14. 

Ätpr«  70. 

raii^f  175. 

%aff  495. 

ma^'  495. 

man,  mand  493. 

mew«  306. 

mes  158. 

mt.^  243. 

mjaV  253. 

mice  203. 

moi  226. 

mot  226. 

«lofr«  306. 

mtisk  50.  159. 

wan«  306. 

nate  236. 

nu.9e  312. 

pei>  154. 

pl'uar  210. 

repe  190. 

sivjet  226. 

^a^£  306. 

<7ef  {tjer)  262.  263. 

^re^c  495. 

täel'ik  89. 

li/'A:  133. 

vcn'  261. 

vine  50.  255. 

refc  174. 

vi^  174. 

rise  388.  495. 

vjeTufy  vjehefe  313. 

vje^  226 

9.  Italisch. 

(Lateinisch  un- 
bezeichnet) 

ÄbeUa  {mall f er a)  175 
abies  175. 
accipiter  145. 


—    544    - 


acer  175. 

ades  ferri  89. 

acuOf  acer  428. 

actis  203. 

adgnati  386. 

aeneus,   ainus  58.  71. 

aeramerif  aeramen- 

tum  H9. 
aes   7.  39.  58.  59.  60. 

61.  69.  73.    113.  116. 

117. 
aes  Brundisium  73. 
„     Cyprium  69. 
„     rüde  7.  71. 
w    signatum  7. 
aequinoctium  454. 
aeguu5  456. 
ae^^a«  239. 
Aestii  492. 
a^cr  203. 
agimits  524. 
agmen  448. 
ahinus;  ahesnes  nmhr. 

59. 
aims  sab.  446.    ^ 
Alafaternum   osk.  97. 
albus;  alfum,  alfu^  al- 
fer urabr.  97. 
a/ce&'  135. 
aZmx  494. 
aZnu^  174. 
alümen  259. 
aZtZ^a  259. 
am?7a  306.  310. 
amitini  308 
anav  140.  166. 
ancüia  101. 
anguiUa  146.  147. 
animus  427. 
ann($7ia  235. 
anntf«  227. 
an»er  140.  165. 
an^ae  271.  282. 
anus  311. 
aper  135. 
ara  283. 
ararc  202.  205. 
aratrum  113.  202.  208. 

220. 
ardea  140. 
arcw«  104. 
argentum ;     aragetud 

osk.  49.   51.  52.  58. 

120. 
argentum  vivum  99. 
ArrStium  71. 
Arvales  (fratres)  449. 
a«a  uinbr.  283. 


o^cia  111. 

asinus  50.  160.  161. 

atta  306. 

aura  40. 

aureus  40. 

aurichalcum  68. 

awrts  41. 

auröra    38.    233.    287. 

440. 
aurügo  38. 
au^um ;    ausum    sab. 

38.    39.   40.    41.   52. 

97.  119. 
Ausel,  Au^elii  sab.  440. 
auxitla,  aulla  283. 
avina  189. 
ai;i*  140. 
avunculus  309. 
aüM-v  309.  311.  317. 
axis  298. 
Baunonia  193. 
6erM,v  (reruftw«)  unibr. 

108. 
ftc^uZa  172. 
bibo  241. 
&{niu^  223. 
bitümen  172. 
6^/;  134.  154. 
brüma  454. 
ftööo  139. 
6öra  202.  209. 
caballus  159. 
cacula  286. 
cadmea^  cadmia  99. 
caiare  167.  230. 
calendae  230.  442. 
caix  27b. 
camilus  161. 
camJwu«  17. 
ca/i«re  167. 
camVf  133.  154. 
cannabis  190. 
caper  135. 
capto  139. 
Cardea  436. 
carTwen,  carmina  446. 

448. 
Carmenta  437. 
Carna  437. 
carpisculum  269. 
nd^eu^  251. 
cassis  102. 
casttgo  398. 
caf^ja  107. 
cattus,  catta  163.  164. 

165. 
cattüus  164. 
caudex  182. 


caupo  291. 
caupuLus  1S2. 
Cauru«  301. 
celare  4d4. 
cellere  15.  110. 
cen^tifit  488. 
c«rdo  15. 
ccrea,    c«rt7««a    hisp. 

258. 
C«r««  436. 
ctc«r  190. 

cic^nia,  cönia  189. 
ctnna&aW  99. 
cinctus  268. 
cftn«  294. 
clddes  110. 
cZdrw  113.  282. 
c^dtn^  282. 
clepere  406. 
c2f6anu«  286. 
cZtvmm  auspicium  144. 
coc<i/e  243. 
columba,      cclumbula 

168. 
co/t/«  268. 
conc^emnare  a<2  metal- 

la  10. 
conc^cr«  436 
consobrini  307.  308. 
Consus  436. 
contuH  108. 
coguerc   (pan«m)  243. 
comiaj  139. 
comu«  175. 
coru/t^  175. 
corrw«  139. 
cr<f^e«  263.  282. 
crtbrum  118.  203. 
crimen  publicum  400. 

401.  404. 
cruen^u«  50. 
CTMor  243. 
crtippciiarti  103. 
cucülus  189. 
cucur&t7a  199. 
cAcfere  15.  102. 
culpa;    colpa    altlat., 

iculupu  osk.  400. 
ctl^uis  268. 
cuniculus  164. 
ctfprum,  cupreum, 

cyprinum  69.  70.  73. 
curiir  sab.  108 
curnaco  umbr.  189. 
damnum  897. 
Danuvius,    Danapris, 

DanastruB  489. 
dapes  446. 


—    546    — 


delictum  d97. 

delübrum  183.  452. 

deus  423.  437.  441.  444. 

dexter  144. 

dies  236.  439. 

Diespiter  489. 

Dtvi  mdnes  428. 

dtxt  524. 

e/o^u«  400. 

domina  340. 

domu,y  271.  388. 

dös  321. 

dupur^t/«  umbr.   241. 

ebur  135. 

6rfo  241. 

c^o  495. 

Üectrum  56. 

«mo  292. 

ensis  110.  111.  116. 

6<7uu«  134.  154.  161. 

eopte  337. 

^rvum  190. 

e«t/nu    umbr.,     e«ari- 

strom  volsk.  446. 
exlex  295. 
expiatio  399. 
/öföa  190. 
Fabaria  193. 
faber  14. 
Fabius,  Fabidius, 

Fufetius  193. 
Fabricius  14. 
/aeZe«  164. 
/VJ/7WJJ    173.    176.    178. 

179.  459.  512. 
/Vite  203. 
fänum  180. 
/Vir  188.  189.  192. 
färi  445.  450.  456. 
färtna    fermento    im- 

buta  245. 
fdtum  456. 
i^'cöWif  437. 
feihuss  08k.  279. 
i-^^rd/m  428.  431. 
fermentum  254. 
ferrum  71.  84. 
/J6er  134. 

figuluSy  fingere  279. 
/Ötu«,  filia  307. 
/74men  448. 
/Ziltn/«  471. 
Flora  436. 
/bcu«  358. 
foUis  16.  17. 
forceps  16. 
/orw  271. 
fornax  16. 


/bmu«  16.  283. 
framea  (germ.)  108. 
/rd^er  307.  308. 
fraxinus,  famus  108. 

172. 
/H(gro  243. 
fuiica  140. 
/ttmu«  427. 
/wnda  107. 
für  406. 
furtim  406. 
gaesum^  gisum  (kelt.) 

108    1U9. 
galea,  galear^  galirtts 

102. 
Galindae  492. 
gener  312. 
Genius  437. 
Genita  Mana  437. 
.^ctiij  373.  385.  440. 
gentiles  386. 
y?V/io  385.  387. 
gladius  110. 
y/an«  173.  191    245. 
^/(^^  314. 

GnaivOd,  Gnaeo  528. 
qolaia  149. 
6?ra6ci  496. 
gränum  203. 
5rril.s  140. 
/^aedujf   39.    128.    135. 

154. 
Äa^^a  108.  109. 
hedera  179. 
Hercynia  500. 
AtVmj»  223.  421.  509. 
hordeum  189.  205. 
homus  225. 
hospes  294. 
hostis,  fostis  294. 
hydrargyrus  99. 
janitrtces  315. 
t/dwu«  436. 
«dw.9  230. 
iym^  440.  441. 
imprüdens  400. 
incan^arc  450. 
incus  16. 
iniüria  407. 
infcr  238. 
ip^a  340. 
iugum  298. 
Jupiter,  Juppiter  423. 

441.  443. 
iÄrare  409. 
iil«  243.  251. 
ttl^  295.  409. 
2^  co7»cre/um  251. 


laevus  144. 

ZdTia  264. 

lancea  108. 

langueo  144. 

Z4r,  ZiJr  familiariSy  la- 

res  428.  429. 
Larenta  437. 
Lärentalia  428.  431. 
iarix  171. 
Lemüria  431. 
/en^  151. 

/en«,  Lentulus  190. 193. 
/€0  13f>. 
/^mV  314.  . 
Zc5C  127.  404. 
Zi6cr  406. 
Libitina  437. 
Itbum  245. 
lignum  182. 
Lima  436. 
Zin/cr  174.  182. 
Itnum,  linteum  190. 
W^ar6  446 
longus  108. 
ZörCca  102.  103. 
Wrww  102.  298. 
ZÄcere  228. 
ZÄct^  180. 

Züna,  Zruna  228.  440. 
lupus,  lupiy  lupum  133. 

523. 
madeo,  mattus  252. 
malleus  16. 
mahonus  (vulgärlat.) 

192. 
mdZu«  300. 
mamma  306. 
mango  291. 
manr^u«  158. 
mänus  428. 
marc  246.  247.  511. 
martulus  112. 
massa  74. 

mataris  109.  [437. 

tn^S^er,  m.  üfa^u^a  306. 
mdtertera  310. 
matrönae,  matres, 

matrae  456. 
m^  524. 
medeor,  medicus  449. 

450. 
Medubriga  93. 
3fe/?<iÄ  437. 
meZ  253. 
mensis  228. 
meopte  ingenio  337. 
meruZa  140. 
metallum  10. 


-    546    - 


mitior  293. 
meus  316. 
Midacritus  93. 
migrare  297. 
mihipte  337. 
müium  189.  196. 
mi/Ze  292. 
mina  36. 
Minerva  427. 
modius  293. 
molere  203. 
monilBj  mellunifmilltis 

116. 
tw(wiÄ<r?i?n  394. 
moriarium  277. 
mulgeo  249. 
mÄZM.v50.  159. 160.161. 
mundus  432. 
mÄ /?!/,♦?,    mütare    167. 

290. 
muria  247. 
wiöru*-  277.  312. 
mtl«  134. 
muxca  151. 
mu.stf.la  164. 
Afu^untijT  TutunuH  437. 
wc2t7*6-  182.  300. 
neo,  n§men,  nHtis  262. 
nepös,  neptis  309.  310. 
Neptünus  441. 
ncr^rw,  nertruku  uin- 

br.  143. 
ninguere,  nix  224.  509. 
rz^men  525. 
novdcula  112. 
wox  236. 

noaca,  nocere  397. 
ntl&o  334. 
nöf/M«  112.  257. 
nündinum  237. 
wurus  312. 
obrussa,  obryzum  au- 

rum  73. 
occa,   occare  113.  202. 
<m^^«  161. 
oppidum  380. 
0/>Ä  436. 
Orctis  425. 
orichalcum  68. 
orm^Ä  108.  174. 
0W5  135.  154.  264. 
pdj^u«  378. 
pallay  Pallium  258. 
pannus  265. 
pantex  103. 
paraveridus  159. 
Parcae  450.  [428. 

parentarCf  parentälia 


parentes  (dii)  306.  428. 
parere  456. 
pdricida,  päricidium 

405.  406. 
parva ;   parfa    umbr. 
^dru«  140.  [140. 

pafcr  306. 
pater  familias  357. 
patres  386. 
po/rea  362 
patincii  386. 
pcrfriicZc«  fratres, 

sorores  307. 
patruus  309. 
pecus  7. 

pecunia,   peculium  7. 
penätes  428. 
jyensile  286. 
penus^  penitus,  pene- 

trare  428. 
perduellio  401.  406. 
peregrinus  294. 
perendinus  237. 
periürus  406. 
peturpursus  umbr.241 . 
piaculum,  399. 
pfct^,v  140. 
ptlarius  278. 
pilleus  259. 
pllum.  106. 
pm«o  202.  205.     s 
pfim^  172. 
pirus  175. 
ptsum,  Piso  193. 
pf/wC^a  167. 
ptjc  174. 
plaustrum  299. 
pZec^o  260. 
plüma  167. 
Plumbarii  93. 
plumhum,  pl.  album, 

nigrum  92.  95.  96. 
poena  397.  403. 
Pömöna  436. 
pon.9  298. 

ponttram,  osk.  298. 
popina  243. 
poptdari  391. 
popuZu«  391. 
porca  203. 
porcuÄ  154.  220. 
porticus  278. 
portus  297. 
postis  277. 
potestas  362.  386. 
potior  340. 
propinqui  .sohrino 

tenus  433. 


prüdens  400. 

piUex  151. 

/mZ5  245 

ptl«  451. 

gtterctt«  175.  176.  181. 

quinque  498. 

giii<;  525. 

radius  299. 

ropa,  r<2pum  190. 

rflrfw  300. 

raudus  62.  71.  87. 

r^wt«  300. 

ren<^e«(germ.)257.258. 

r^  381.  386.  389.  391. 

404. 
Rhodanua  489. 
rt^2«  71. 
Eöbtgus  436. 
rörarii  105. 
ro<a  127.  298. 
ruber^  rüfus  62. 
sacer  412. 
sacrilegium  401. 
sagitta  106. 
sagum  267. 
jTd/  220.  246. 
«aZix  175. 
$dpo  250. 
sarpere  203. 
Säturnus  436. 
jfoa^um  109.  112. 
«dl^um  100. 
^<!&um  250. 
secale  189. 
/S^ia,  Segetia  436. 
^^men  203. 
sepelio  425. 
.septuagintaf  sexaginta 

292. 
sequitur  498. 
Äcro  203.  205.  4:^6. 
««rra  112.  532. 
«erum  249. 
^f(fu«  82. 
silentus  50. 
silicemium,  433. 
Simonis  224. 
«ocer,  Äocru«  313. 
«<5Z,  Äof  439.  440. 
Holstitium  454. 
«on«  398. 
«oror  39.  307. 
sparus  109. 
^e;^a(8pätlat.)189.192. 
squalus  301.  525. 
stdmen  262. 
stannum,  92.  96. 
i^^o/a  nutzer  436. 


—    547    — 


Stella  240. 
Stercullnius  436. 
stumus  140. 
subligdculum  26b. 
sublimen  261. 
subtUa  113. 
^twfifit  492. 
suffrägines  268. 
summus  525. 
*t*o  262. 
supplicare,8upplicium 

397.  411. 
«t2«  135.  154. 
suscipere  345. 
^d/io  413. 
<a^a  306. 

<axws  106. 174. 175.512. 
tegula  277. 
^^a  261. 
timo  298 

^epeo,  Upesco  425.  440. 
^crra  523. 

tessera  hospitalis  295. 
^6^a  149. 
testüdo  149. 
^c^rao  139. 
^6X0,   textory   textura^ 

textrinum  261.  277. 
^ih'a  175. 
toga  207. 
<o/iere  345.  346. 
torqueo  262.  263. 
fo?^t/«  149. 
tötus;  tota,  tuta  umbr., 

touto  08k.  386.  389. 
tribulus  191. 
tribus  373. 
<Hinu«  223. 
triremis  300. 
trUicum  191. 
/fl  525. 

^um'ca  84.  267. 
turdila  140. 
<urn«  278. 
^ttr^ur  168. 
tympanum  299. 
u/eu.<f  451. 
u^ntu«  174. 
ulula  139. 
un^uen^um  249. 
upupa  139. 
öro  38. 
ursus  133. 
tit^  pälign.  233. 
MÄor,  i/xorem  ducere 

313.  333. 
vadum  302. 
FaywÄ  492. 


vallus  113. 

F^jfot;!«  437. 

tfi/u«  154.  264.  494. 

väum  261. 

vinari  138. 

Fene<t,  Venedi  489. 

vinire^  vinumdare  291 . 

i;^r  224.  226.  510. 

verbina  174. 

verticillus  264. 

rer^o  291. 

vcn^  108. 

Vesper  237 

F^jf^a  283.  436.  440. 

t;e«<i*-,  ve«ü'o  207.  257. 

t^e^u«  234. 

vidima  446. 

rfct*.^  388.  495. 

vidua  348. 

vieo  255. 

vtmen  255. 

vtndcx,  vindicere,  vin- 
dicta,  vindiciaey  vin- 
dicatio 384.  385. 395. 

vinum  50.  255. 

inVi  498. 

Viriplaca  437. 

t/'fni«  105. 

viscum  175. 

Fw^wia  502. 

t^«E  172. 

vttis  255. 

t^i^ujf  298. 

vitrum  270.  509. 

m'üerra  134. 

Volcänus,  VitlcantM 
19.  22.  440. 

vömis  202. 

romo  451. 

voveo  446. 

lO.Mittellateinisch 
und  Romanisch. 

(Mittellateinisch      un- 
bezeichnet.) 

acciajo  it.  90. 
acciale  it.  90. 
acero  sp.  90. 
aceiro  altportug.  90. 
aciare,  adarium  90. 
acier  frz.  90. 
airain  frz.  70. 
alame  wal.  69. 
alambre  sp.  69. 
a97ia  sp.  ptg.  306. 
arame  wal.  69. 
arambre  sp.  69. 
ame«,  amese  sp.  it.  103. 


a^cu.y  182. 
azzale  venez.  90. 
broigne,  bronie  altfrz., 

bronha  prov.  103. 
bronzium,     bronzina, 

bronzinum  vas  73. 
branzo  it ,  bronza  ve- 
nez., bronce  frz.  73 

74. 
brugna  103. 
bruno  it.  sp.  ptg.  73. 
calamina  frz.  99. 
calamine  frz.  99. 
capus  139. 
cAa^  frz.  165. 
cheval  frz    159. 
choque  picenisch   (co- 

^MC  frz.)  182. 
co&re  sp.  ptg.  532. 
cocha  182. 
co^  frz.  139. 
cuivre  frz.  69. 
ddotte  frz.  268. 
diäble  boiteux  frz.  26. 
cirajp  frz.  26. 
e2mo  it.  102. 
Servier  frz.  145. 
espada  sp.  109. 
e^eau^re  altfrz.  96. 
estano  sp.  66. 
^^am  frz.  96. 
^tuve  frz.  286. 
/Viico  mlat.,  falcone  it., 

faucon  frz.  145. 
florinus;    fiorino    it., 

florin  frz.  40. 
formaggio  it.,  fromage 

frz.  251. 
fredus  463. 
/uÄ^a  it.  182. 
/ti«^w  182. 

Galand  altfrz.  21.  22. 
^o^^o  it.  165. 
geri falte  sp.,  gerfalco 

it.,  girfalcproY.y  ger- 

faut  frz.  145. 
Gt^ano  sp.  16. 
galokif  galora  it.  (dial.) 

149. 
hamas  altfrz.,  hamois 

frz.  las. 

helmus  102. 
humulus  254. 
fcarmt«n  rhätorom.  134 
kositoriü  wal.  94. 
laiton  frz.  69. 
/o^on  sp.  69. 
/a^a  it.  70. 


—    548    — 


legno  it.  182. 

logoro  it.,    leurre  frz. 

145. 
marier  frz.  335. 
marteg  165. 
m^al  frz.  10. 
mina  it.,  mmc  frz.  85. 
mus8    friaul.,    musso 

venez.j  muscoiu  wal. 

159. 
obryzum  73. 
ottone  it.  69. 
o<2^i  wal.  90. 
pancia  it.,   pansa  sp. 

103. 
panciera  it.,  pancera 

sp.,  panchire  altfrz. 

103. 
peautre  altfrz   96. 
peltro  it.   sp.   ptg.  96. 
po^ie  frz.  287. 
plugu  wal.  210. 
ram€  it.  69. 
.^aya  sp.,  sa/a  it.,  «aic 

frz.  267. 
sägola  it.,  «ei^Ze  frz.  1 89. 
signore  it.  341, 
sparaviere  it.  145. 
stagno  it.  96. 
«<u/a  it.  286. 
taiiner  frz.  259. 
tortua  149. 
tortue    frz.,      tortuga 

prov.  149. 
^w/b  it.  286. 

11.  Keltisch. 

(Irisch  unbezeichnet.) 

a6a/^  (aöÄaO  175.  190. 
aire,  airech  392. 
rtinm  202. 
airiher  142. 
ambacttis  altgall.  391. 
arafhar  113.  202.  220. 
Argento-dubrum^ 
coxoifr  maguSj  -va- 

ria  altgall.  51. 
argat,    arget;    ariant 

cymr.farchanzcoTn.f 

archant  bret.  47.  51. 

52.  120. 
art  133. 

(8)asia  altgall.  195. 
<i88an  161. 
atenoux  altgall.  230. 
athach  427. 
athir  306. 
awr  cymr.  89. 


befer  com.  134. 

bele  cvmr.  134. 

bethe  172. 

bir  108. 

blichim  249. 

bö  134.  154. 

bocc  135. 

bräca  altgall.  268. 

6ra<Äir  307. 

brö  113.  204. 

&rt/mne  103. 

cailech  167. 

cairem  269. 

cai^e  251. 

casad  451. 

ca/;    ca^A   cymr.,    co« 

bret.  164.*^ 
Catihemus      altbret, 

Cathoiam  arem.  87. 
ceeacht  inanx,  cecht  ir. 

208. 
ceinach  cvmr.  134. 
celicnon  altgall.  278. 
cerc  139. 
cerd  15. 
cerile  263. 
c^^  483. 
cewban,    cewb    cymr., 

149. 
claideb ;  cleddyf  cymr., 

clezeff  bret.  110. 
c/cJ  113.  282. 
coibnes  294.  384. 
cdfc  498. 
co^i  175 
colum  168. 

copar;  co&er  corn.  70. 
core  284. 
cremnh  190. 
cr^d  70,  94. 
creduma,  crMumaeAO. 
crenim  291.  [57. 

criathar  113.  203. 
crti  243. 
cu  154.  133. 
cüach  139. 
ct/r  108. 

cyffiniden  cymr.  263. 
dmr,  cfawr  171. 
ddm  391. 
rfer^,  dergor  57. 
(f6^«  142.  144. 
dta  236. 

dia  423.  437.  444. 
dolecim  108. 
doru/f  271. 
druida   altgall.,    drüi 

448. 


du&  141. 

dusii  altgall.  428. 

ech  134.  154. 

üain  cymr.  135. 

-em  292. 

emed  altcymr.  70. 

eö  179 

eoma  188. 

Eparedortx  altgall.  1 57 

er  corn.  140. 

Eriu.  Brenn  392. 

^ca  228.  230. 

escung  147. 

etoithr  racymr.,  euiter 

altcorn    309. 
fedaim,  fedan  333. 
ftdb  348. 
/•^  298. 
feoragh  134. 
/"er»,  femog  101.  174. 
/•erte«  264. 
/•««cor  237. 
/^d,  fiad^ch  188. 
/!cÄ  (/U)  388. 
figim  261. 
/"in  255. 

/Sn(2,  findruine  57. 
^nc  294.  385.  406. 
fingaly  fingalach,  fin- 

gcdcha  406. 
gai  igae)  108. 
gaison,  gaisos  altgall. 

108. 
gam  223.  225. 
garan  cymr.  140. 
gäis  140. 
goba\   gof  bret.  corn. 

cvmr.  14. 
G^ofranti«;  Gobannitio 

altgall. ,    Gouannon 

cymr.  14. 
guaintoin  corn.  224. 
^Ai^  corn.  312. 
gulan  cymr.   155.  264. 
gwiber  bret.,  gwywtr 

cymr.  134. 
hoianiy  haearn  cymr , 

hoern,    hemj    harn 

corn.,  haiam  arem. 

86.  103. 
Haiam^     Hoiamscoti 

cymr.  arem.,  Hoier- 

nin  alt  bret.  87. 
haidd  cymr.  corn.  195. 
hcUan  cymr.  220. 
hebauc  cymr.  145. 
?ieiz  bret.  195. 
heu  cymr.  203. 


—    649    - 


heul  mcymr.  440. 
htä      mcymr.,        hüd 

ncymr.,    hudol   alt- 

corn.  457. 
hveger,  hvigeren  com. 

313. 
tarn  86.  103. 
imb  249. 
imbüarach  237. 
innocht  236. 
iou  cymr.  298. 
Isamodori  altgall.  77. 
kelin  altcorn.  174. 
xoQfia  altgall.  253. 
lern  174. 
liaig  450. 
lin-^    lien  com.    bret., 

lliain  cymr.  190. 
lorg  109. 
hiaide  95. 
luirech;   lluryg  cymr. 

103. 
lusin  228. 
maide^  matan  300. 
fiavidxrjg  altgall.   116. 
ma^i  altgall.  498. 
mdthir  306. 
m^in,  mianach  85. 
mc/^  249. 
meZiw  203. 
mesce  252. 
tut  228. 

mid;  med  com,  148  252. 
mü  253. 
«li/c  292. 
mitall  10. 
moirb  151. 
inor{r)igain  457. 
muince  116. 
Twuer  246. 

muyyalch  cymr.  140. 
mww  cymr.  85. 
necÄ^  310. 
ma  310. 
nocA^  257. 
no  (wdO  300. 
ocet  altcorn.   113.  202. 
ochtach  174. 
öegi  294. 
de^A  409. 
öi  135.  154. 
dm  243. 

onnen  cymr.  174. 
(^;  our,  eur  cymr.  39. 
orc  154.  220. 
p4atar  96. 
peber  com.  243. 
penna  altgall.  500. 508. 


rdm  300. 

rama,  rammai  109. 

ra^A  51. 

ra^Ä  298. 

rec  altbret.  203. 

reccim  297. 

reda  altgall.  157. 

renim  297. 

ri; -rix  altgall.  389.391. 

-ritum  altgall.  297. 

8di  267. 

saiget ;  «ae^A  cy  mr.  1 06. 

sali  175. 

salann  220. 

«am,  samrad  224.  245. 

«cra^A  100. 

sebocc  145 

sechedar  498. 

sechtmoga,  sesca  292. 

senmäthir  311. 

«err  203. 

«ar  142. 

irf/  203. 

Mur  39.  307. 

sleagdrif      sleagdnach 

149. 
«mir  250. 
sndthe  263. 
snechta  224. 
«Tiim,  snimaire  262. 
«^an ,  «^ain,  «cf an ;  «<^an 

corn.,«<en,  «<m  arem. 

96. 
steren  com.  240. 
tdid  406. 

TVzrafio«  altgall.  439. 
tarathar  113. 
^ci7c  175. 
iindscra  321. 
^orann  439. 
fi^^A  142.  389. 
ucher  cymr.  237. 
umae  70 
ych  cymr.  154. 
ystaen  cymr.  96. 
yw  cymr.  179. 

12.  Germanisch. 

(Gotisch 
unbezeichnet.) 

adal  ahd.  306. 
ddum  agls.  316, 
de  altn.  309. 
(ßtthaugar  altn.  434. 
dhom  ahd.  175. 
aA«,  ahana  203. 
aA«a  ahd.  298. 
aip8  316.  407. 


ai«  58.  59.  61.  70.  71. 
116.  113. 

akrs  203. 

äla  113.  116. 

alah  alts.  180. 

a/Ä«  180. 

dlmr  altn.  106.  174. 

alp  ahd.,  mhd.,  cc^^ 
SLgls.yälfrfdlfa  liodij 
t;md;/a  altn.  21. 428. 

ama  ahd.  306. 

ambahti  ahd.  392. 

ambosz  nhd.  16. 

ana,  ano  ahd.  311. 

anapöz  ahd.  16. 

andbahti  392. 

afi^o  ahd.  109. 

ancho  ahd.  249. 

.^n«e«  428. 

anuf  ahd.  140.  166. 

änwintre  agls.  227. 

apfui  ahd.  175.  190. 

agizi  111.  , 

dr  agls.  59. 

aran  ahd.  235. 

araweiz  ahd.  190. 

arbaips  208. 

arcfr  altn.  113.202.  220. 

arhazna  104. 

aro  ahd.  140. 

artiz  ahd.,  art//  altndd.^ 
Aruzapah^  Arizperc^ 
Ärizgrefti^    Ariz- 
gruoba  ahd.  59.71.72. 

asatis  235 

asiltis;  asaa  agls.  161. 

aspa  ahd.,  das  asp 
nhd.  174.  180. 

askr  altn.  108. 174. 182. 

atta  306. 

d^um  ahd.  427. 

apn  227. 

at^Afi«  283. 

aühsa  154. 

aürahi  425. 

aurar  altn.  40. 

auzri  ahd.  135. 

am-  264. 

arö  309.  311. 

bahhan  ahd;  243. 

ftairan  306. 

6ar  ahd   269. 

barizeins'j  barr  altn. 
188. 

barr^  barskögr  altn.l  80 

bars  mhd.  302. 

basa  ahd.  310. 

baugr  altn.  291. 


—    550    — 


bau7i  altn.  193. 
baürgsvaddjus  276. 
bearu  agls.  180. 
belihha  ahd.  140. 
bäor  agls.  253. 
beomia  agls.  254. 
beot  ahd.  284. 
bere  agls.  188. 
btrusjös  306. 
bezzer  haut  diu  mhd. 
&e&ar  ahd.  134.     [144. 
bior  ahd.,   öjfdrr  altn. 

253.  254. 
biHhha  ahd.  172.  509. 
biuga7i  {baug)  291. 
biupit;  bjödr  altn.  284. 
52^0  ahd.,  blär  altn.  96. 
622U  ahd.,  bip  altn.  95. 
6oc  ahd.   135.  154. 
blötan  446. 
bolstar  ahd.  284. 
bölvasmidr  altn.  15. 
ftorti  agls.  101. 
ftörr  altn.  180. 
borstCf  bürste  nhd.  302. 
örae^agls ,  6raÄ«  engl. 

61.  71    84. 
bräc  agls.  268. 
&rfeY  mhd.  101. 
briutvan  ahd.,  breowan 

agls.,    brugga   altn. 

254. 
dr($^  ahd.,  ör^ad  agls., 

braud  altn.  245. 
bröpar  307. 
bruoh  ahd.,  6roc  agls., 

6rdfc  altn.  268. 
brunjö;   brunja  ahd., 

brynja  altn.,    byme 

agls.  103. 
brupfapff  337. 
bugjan  (baühta)\  byc- 

gan  agls.  291. 
buohha  ahd.,cfa9  buech 

nhd.    173.    178.    180. 

181.  459.  460.  512. 
butera  ahd.  250. 
rfaA  ahd.  271. 
daüthar  307. 
cfaier  271. 

deigan\  deig  altn.  279. 
diehter  ahd.  311. 
dlhsala  ahd.  298. 
diofa  ahd.  389. 
</öms  404. 

donar^Dunar  ahd.  439. 
draugr    altn.,     dr^ag 

agls.  428. 


drostel  mhd.  140. 

ii^<}  141. 

dvergr  altn.,    dweorg 

agls.  21. 
eo/A  agls.  180. 
ea^u  agls.  253. 
eam  agls.  309. 
earA  agls.  104. 
äbennaht    ahd.,    e/*en- 

r/2^A^  a^ls.  454. 
egjan,  egida  ahd.  113. 

202. 
e^u  alts.  134.  154. 
eidam  nhd.  316. 
eiA  ahd.  108.  175. 
€i7c;a  182. 
eir  altn.  59.  70. 
mam  86.  120. 
eisc&n  ahd.  124. 
ecchil,  ecchel  ahd.  90. 
^iaÄ  ahd.  135. 
elüenti  ahd.  294. 
elira  ahd.  174. 
älmbouvi  ahd.  174. 
eltiron  ahd.  306. 
€m  altfr.  309. 
eninchüt  ahd.  311. 
ingimus  lex  Sah  223. 
eo^oZ  agls.  161. 
er,  ^,  ecr  ahd.  59.  71. 
^rin  mhd.  59.  71. 
erezi    ahd.,    crj    nhd. 

10.  71. 
erzirij  erzen  mhd.,  nhd. 

71. 
&rsmid  ahd.  15. 
ertr  altn.  190. 
esch  das  nhd.  180. 
^e  agls.  428. 
eyrer  altn.  40. 
/•«dar  306.  307. 
fadrein  307. 
faedera  agls.  309. 
/ViA  agls.  294. 
faihu  7.  219   502. 
fairina  394.  397. 
falcho  ahd.,  /Vzifce  altn. 

145. 
/aZdr  altn.  265. 
fallen  nhd.  145. 
/«fio  ahd.  265. 
fara  ahd.  378. 
/"dra    ahd.,    fd^r   agl8. 

399. 
/araÄ  ahd.  154.  220. 
faran,  farjan  297. 
fatureo  ahd.  309. 
-/•a/>«  337. 


fapu  agls.  310. 
/Vzt^^^  134. 
ftigi  ahd.  294. 
/•«tou?a  ahd.  172. 
fenyce  agls.  149. 
(eon  agls.  7. 
f^pdia  langob.  175. 
Fergtmma  altgerm.  500 
f^ja  399. 
f^a  ahd.  202. 
/"e^A«  altfr.  310. 
filz  ahd.  259. 
Finne  die  nhd.  500. 503. 
fjjh-p  altn.  226. 
firina  sihd.,firen  agls. 

307. 
/;«  altn.  202. 
fiuhta,    fiuchta    ahd., 

/?cA<c  nhd.   174.  178. 
flAdo  ahd.  245. 
fl^än  agls.,  fleinn  altn. 

90. 
^iA^u  ahd.  260. 
/b/c  ahd.,  folces  hyrde 

agls.  388.  391. 
folde  agls.  444. 
/brAa  ahd.  175.  181. 
forhana  ahd.  302. 
formizzi  ahd.  251. 
fortnight  engl.  235. 
fragibtim  in  333. 
francisca  fränk.  111. 
fraveit  397. 
/r«i«  294. 
fretho  fries.  403. 
frigefkfen  agls.  236. 
/u/a  154. 
tmr^  ahd.  297. 
/uruA  ahd.  203. 
gcßrs  schwed.  302. 
gaüs  128.  135.  154. 
galan,  galstar.  galäri 

ahd.  445. 
gälte  mhd.  103 
gans  ahd.  nhd.  140. 165. 
gapaidön  258. 
gär  agls.  108. 
^a^^ir  294. 
gavasjan  257. 
//avi  378. 
gazds  108. 
geirfalki  altn.,   geier- 

falke  nhd.  145. 
geohhol  agls.  235. 
^^r  ahd.,  ^e»r  altn.  108. 
5r^«/*a  ahd.    112.    189. 

205. 
gesmtde  ahd.  71. 


-    551     — 


gesicio  alid.  308.  315. 
gettvds  mhd.  428. 
(fibenkeon  endi  gibed- 

deon  alts.  365. 
gisustruon  SLltndd  307. 
gistvistar  ahd.  307. 
gitroc  ahd.  428. 
Giuli  agis.  234. 
gouch  ahd.  189. 
gouwi  ahd.  378. 
grunduvaddjus  276. 
gudifskirsl  altn.  404. 
//ui/>   39.    41.    42.   43. 

119.  502. 
Gypsies  engl.  16. 
haam  ndl..  harne  westt 

^^98 
^o&uA  ahd.  139.  145. 
hcett  Hgls.  102. 
Äa/r  altn.  135. 
hairus  109. 
Äa(;a  434. 
hana  139.  167. 
Äa/ia/"  ahd.  190.  192. 
hart  sjalvr^  hart  sael^ 

han  sjelv,    ho  sjelf, 

dei  sjelve  skand.  339. 
hamar    ahd ,     hamor 

agls.,    hamur    alts., 

hamarr  altn.  17. 106. 

110. 
harmo  ahd.  134. 
hamasch  mhd.,  hard- 

neskja  altn.  103. 
har^iCf  harugari  ahd. 

180. 
Iiasal  ahd.  175. 
Aa^o  ahd.  134. 
haukr  altn.  145. 
Äatirt/.y  263.  282. 
hearh  agls.  180. 
Mhara  ahd.  139. 
heister  mhd.  181. 
heivafrauja  294. 
AeUa  ahd.  434. 
A^^m  ahd.  102. 
/«eor  agls.,  Iijärr  altn. 

109. 
herisliz  ahd.  401. 
herizogo  ahd.,  hertoge 

altn.  381. 
Ai7m5  ;hjdlmr  altn.102. 
himselff  herseif  engl. 

340. 
hinkebein  nhd.  26. 
ÄZdi/5  245. 
Ato'f  278. 
hleiduma  144. 


Äh/an  406. 
hlynr  altn.  174. 
hnitu  agls.  151. 
ÄÖÄa  208. 
höchzU  mhd.  453. 
Aö«r  (Ä9f<r)  altn.  102. 
houwan  ahd.  15. 
hraivadübö  141. 
hrifelmg  agls.  269. 
hreinn  altn.  258. 
humall  altn.  254. 
hunds;  hund  ahd.  133. 

154. 
;^u;»d  483. 
hunsl;  hüsl  altn.  agls. 

446. 
Auo7*  ahd.  139. 
huosto  ahd.  451. 
Äuof  ahd.  102. 
ÄurcT  altn.  282. 
Aö5  ahd.  278. 
/^i;a^r  altn.,  Airce^  Agls. 

301.  52.1. 
/üOÄ  525. 
At;e/  altn.,  hweohl  agls. 

298. 
hwerhwette  agls.    199. 
Äi?C7T  altn.  285. 
jabai  525. 

jafndaegri  altn.  454. 
jam  altn.  20. 
lamglumra,  lamsaxa 

altn.  20. 
Idumingas  agls.  380. 
jf^r  225.  235. 
i^27  ahd.  134. 
jöl  altn.  234. 
ircn  agls.  86.  110. 
U  ahd.  224.  509. 
tsam  ahd.,  altn.,  alts., 

iserm  agls.  86. 
IsamhOf  Isanpachy 

Isanhus  ahd.  88. 
Isanbard,    Isanbirga, 

Isanperthy  laan- 

braiidy  Isariburg, 

Isangrim  ahd.  87. 
juk  298. 
jitUeis  234. 
ttt'^i,  fAa,  ahd.,  iw,  eoh 

agls.  179. 
cÄaicÄ  ahd.  278. 
chaltsmid  ahd.  15. 16. 
kamtn  mhd.  17. 
cAd^'  ahd.  251. 
kaupöfi]  kaupa  altn., 

ciapiari  agls.  291. 
/catim  203. 


chazzOf    chataro   ahd. 

164. 
A:(?ii7m  278. 
Centingas  agls.  380. 
fcemew  nhd.  250. 
kiarr  altn,  111. 
kima  altn.  250. 
/:2Yze  nhd.  164. 
cleofan  agls.  286. 
fcnö}?«  378. 
cocc  agls.  139. 
co/Vi  agls.,   kofi  altn., 

fco6e  mhd.  273. 
koparr  altn  ,   koppar 

8chwed,ykobber  dän., 

copper  engl.  70. 
choufan  ahd.  291. 
cran  agls.  140. 
chubisi  ahd   273. 
küken  nhd.  139. 
culufre  agls.  1H8. 
cÄunwi   ahd.  378.  391. 
chuning  ahd.  391. 
cAuo  ahd.  134.  154. 
chuo-sm^ro  ahd.  250. 
chupfar  ahd ,  kupfer^ 

kapfer  mhd.  70. 
küpferin  geschirrrihd, 

59 
c/iu^i  ahd.  172. 
churn  engl.  250. 
kveykva,  kvejkja  altn. 

283. 
ciüidu  agls.  172. 
öyman  agls.  250. 
dt^.«e  agls.  251. 
IdchencBre^  lächenen 

mhd.  450. 
lagjan  404. 
/ayu  agls.  127. 
/aA«  ahd.  502.  513. 
2a^<  (Zi^an.)  524. 
Z^  altn.  202. 
Z^ad  agls.  95.  532. 
Ubekuoche  mhd.  245. 
Z^fcm  450. 
lencha  ahd.  144. 
lentin  ahd.  95. 
leodslaho  ahd.  25. 
Z^'o,  Z^tro,  louwo  ahd. 

136. 
I/ida  agls.  235. 
Zt^an  404. 
Zfn,  Itna  ahd.  190. 
Itnboum  ahd.  174. 
Zin/c  nhd.  144. 
/tfm  ahd.  190. 
linta  101.    174. 


-    552    — 


Ijödasmidr  altn.  15. 25. 

Hut  ahd.  406. 

16  altschwed.  203. 

log  altu.  404. 

Lord  engl.  341.    [582. 

löt  mhd.,  lood  ndl.  95. 

lubjcdeisei;    lyf  altn. 

450. 
ludere ,    ludern    nhd. 

dial.  175. 
luhs  ahd.  134. 
lun  ahd.,  lunisa  alts., 

^^716«  agls.  298. 
luoder  mhd.  145. 
wdc/  ahd.  203. 
mdgd  agls.  378. 
m«Fyo  ahd.,  mage,  mä- 
hen mhd.  19Ö.  192. 
mahal  ahd.  398. 
mdjan  ahd.  203. 
malan  203. 
9nd7i  agls.  401. 
manga^  mangari  altn., 

mangiany    mangere 

agls.,  mangäri  ahd. 

291. 
mannaskirsl  altn.  409. 
Mannus  altgerm.  416. 
mara  ahd.,  altn.  mcßre 

agls   4f)7. 
marei  246.  511. 
mar^  ahd.  243. 
W106?  ahd.,  mastr  altn. 

800. 
mästling  agls.  74. 
mo/)/  398. 
maurr  altn.  151. 
meard  agls.  165. 
mem  ahd.  altn.  401. 
meisa  ahd.  140. 
mikeis;  mcekir   altn., 

m^cc  agls.  109. 
m^lchan  ahd.  249. 
/ueA;^a  altgerm.  249. 
m^a  228.  440. 
me/ine  ahd.  116. 
m^nöps  228. 
messe    mhd.,      mösch 

Schweiz.,      messing 

nhd.  altn.  74. 
m^/a  langob.  321. 
Tn^Yo,  miYt/  ahd.  148.252. 
milip  253. 
miluks  249. 
mms  243. 
mitan  293. 
missere  agls.,  misseri 

altn.  225. 


mödrie  agls.,  mödder 

ndd.  310. 
moeme    ndd. ,     m<^fki 

altn.  306. 
mortere  ahd,  277. 
mi^Z  ahd.  agls.,  mtUZ 

altn.  161. 
mundr  altn.  321. 
muoma,    tnuoui    ahd. 

306. 
muotar  ahd.  306. 
twöra  277. 
mil«  ahd.  134. 
mt2zz^n  ahd.  167. 
ndan  ahd.  262. 
naba  ahd.,  na/u  agls. 

298. 
nahts;   ze  u^hen  nah- 
ten ,     sieben    nehte, 

viei*zehn    nacht,    zu 

vierzehn     neckten 

mhd.,  nhd.  235.  236. 
naqaps  257.  [800. 

naue  mhd.,  naust  altn. 
n^/b  ahd.,   nefa  agls., 

we/c  altn ,  neve  mhd. 

310. 
neorxnawong  agls.434. 
nipla  262. 
n^ma  292. 
mp^   altn.,   7iift  ahd., 

m/^e/  mhd.  310. 
nipjis  310. 
w<5,  Tiö  norw.  182. 
nord  ahd.  142. 
'Oditm  altn.  441. 
d;;  altn.  253. 
ölr  altn.  174. 
ömZ  altn.  271,  282. 
ör  altn.  104. 
ösp  altn.  174. 
ovan  ahd.  17. 
ogn  altnorw.  283. 
öheim  ahd.  309. 
olbento    ahd.,    olfend 

agls.  161. 
ore  engl.  59. 
örchalc  ahd.  68. 
Ostara  (agls.  Eostrae) 

440.  456. 
OÄ^r  altn.  251. 
o^^ir  ahd.  138. 
ouy  ouun  ahd.  154.  264. 
paida ;  pida  a,\ta,f  pheit 

ahd.  258. 
panzier  mhd.,  pancer 

nhd.  103. 
parawari  ahd.  180. 


pewter  engl,  peauter 

niederl.  96. 
p/«ri^  ahd.  159. 
pfiesal  ahd.  287. 
pfiffte  ahd.  167. 
pAfZ  ahd.,  pÜ  agls.,  pi/a 

altn.  106. 
phtlari  ahd.  278. 
pfiuog  ahd.,  pk(^  agls., 

pZ(i^r  altn.  209. 
pflüma  ahd.  167. 
pforzih  ahd.  278. 
p/OÄ«  ahd.  217. 
pi^Ze  agls.  287. 
pott,  potte  niederl.  17. 
pö^an  ahd.  11. 
quark  mhd.  251. 
qaimus  113.  204.  245. 

250. 
rad  ahd.  298. 
rdba,  ruoba  ahd.  190. 
ram«  nhd.  dial.,  hram- 

sa    (hramsan)   agls. 

190. 
raudi  altn.  62.  87. 
reccho  ahd.,  rcArr  altu. 

411. 
reiks  86.  391. 
r^^ara  ahd.  113.  203. 
rö  ahd.  243. 
rokko  ahd.,  ry^/c  agls., 

rugr  altn.  189. 
ruodar  ahd.  300. 
«a  525. 
«a/u»   ahd.,    sax  altu., 

seaa?  agls.   109.  110. 

111.  112. 
saian  203.  205. 
salaha  ahd.  175. 
«att  220 
sdmo  ahd.  203. 
«dpe  agls.  250. 
sauil  440. 
sdubs  243. 
«ea//*  aels.  249. 
«ei  mhd.  287. 
seidr  altn.  457. 
seifa  ahd.  250. 
«eZ/an  agls.,  selja,  sali 

altn.  292. 
sennight  engl.  235. 
^ja ;  «tppa  ahd.,  sibb 

agls.  378.  389.  398. 
sibleger  agls.  389. 
sidus ;  sihi  ahd.,  «i(fr 

altn.  404. 
silubr  53.  120. 
«tn^'n«  237. 


^H 

-*  SM    — 

^^H 

^^BinlhguHi  ahiJ.  440, 

»uehiir  ahd,  308,  313. 

^^^^^B 

Jtiodan  aM.  343. 

auigar  ahd,  308.  318. 

ulbandua:     ulfalde                      ^^H 
altn.  161.  162.                               ^^H 

aiurra  ahii.  461. 

««mar  ahd,  224,225.226, 

gkiifa,»kaflnn  altn.  108. 

Sunna  440, 

undatim;  undomaltn,,                     ^^^| 

skälm  altn    lll. 

nungiht.  »unstede,  mn- 

undern  ng\».,unlorii                    ^^^M 

»knrs  409. 

w^ide   mhd.,   Ntiitn- 

ahd.  238,                                        ^H 

achibtier    nhd.    ost- 

s(ede  agis,  454. 

unsibjis  994.                                     ^H 

preuss.  283. 
^^Schildkröte,  schiUfkrot 

sunnö  440. 

nodal  ahd,  306.                                ^H 

sunnuiKiäenä       ahd,, 

urdr  altn.  456,                                 ^H 

^^t     nhd.,      Hchildpadde 

sunnanctfen      agls., 

urfag  ahd..  orlag  agls.,                     ^^^| 
0)'%  altn.  457.                             ^H 

^H   tidl.,       »köldpadda 

440, 

^K  schu-ed.  149, 

«UH/a  ahd,.  symt  agls,, 

iirlaiismit  ahd.  15.                          ^^H 

^H)ctt  ah<t.,  >M(f  altn.  100. 

st/fi</  altn,  398. 

tlHiVa  ahd,  139.                                ^^H 

^■M«o  ahd.,  sieu  Alts.144, 

aunu»  807.  623. 

Ufti^altn  ,  n-ät  ahd.  261.                    ^^H 

^^riinc  niederrhein.  144. 

üvaihra,  svaihrö  313, 

K-tirf  agls.  138.                                 ^^H 

^B  »maita  schwed.  »7. 

sK'Mzjaw  ahd.  81. 

icäd  Hgis,  270.                                 ^^H 

^Ktmair^r,-  »mSro  ahd.. 

«wfi-  agiB.  183 

!.-a(Jt</us  276.                                     ^H 

^B    m;är  250. 

«M-ft-i    ahd.,     »M-ecird 

u-n^a»  ahd    998.                                 ^^H 

^■mf<(aahd,ll.ll>.42,TI. 

agls.,  .«jerd  altn.  109. 

wa^anao  ahd,  202.                          ^^H 

n-aisdo  Cap.  du  villU                    ^^^| 

«tft-s  428. 

^^K))/tn;    «niiVfr    altn, 

swior  altn.  im.  315. 

^H 

^^H  «mtd     ahd,,     smi/). 

«u>Io,  gtsiiAo  ahd,  316. 

tr<tf,  RefiVa  ahd.  301.                      ^^1 

^H   »mid  Aßls.  14.  15, 
^^Bmtt'emeisCer  mhd.  26. 

xvistar;  gw^ter  mhd. 

Wtdand  ahd.  21.                             ^^H 

30». 

ValhSil  aliii.  435,                             ^H 

HSdf„"  IS'   509. 

takjem  schwed.  87, 

VTa^o  abd.  21.                                   ^H 

Wcoc  agiB.  314, 

(.'a{raltn.,i('(E{agls,4S.^.                     ^^^| 

«jdrjtf  ais! 

tafn  altn,  446. 

vandua  276.                                      ^^H 

«nuor  ahd.  969. 

(aJAjfuO  144. 

irant  ahd.  276.                                 ^^1 

«nur«  ahd,  312, 

lains:  teinn  altn.  96. 

xcaniaUn,     u-antalöil,                    ^^^M 

Ȋihmrf  altn,  454. 

län  flgl§,  ffi. 

uuandelunga     ahd,                   ^^H 

^F    aommertag  mhd,  454. 

fanna  »hd.,  tanne,  tan 

vär  altn,  224,        [297,                     ^H 

nhd.    104.    173.   176. 

i'aM  525.                                            ^H 

^H  aparuiiri  ahd.  145, 

178.  180.  259, 

tru»  ndd.  302.                                   ^^1 

^K«pecA^  ahd.  UO. 

tarice    niederl,,    mnd. 

altn.  180.                                       ^^M 

189. 

ur^bati     ahd,,     ivefaii                     ^^H 
agls.,  re/'d  altn.  261.                     ^^M 

^^^Ud,  H;»e/»i  ahd.  190. 

teoru  agiB.  171, 

^^BfMRe)-  enKlp.  npiauler 

Thimar  altnd.,   Tkörr 

veftr,  vepir  altn,,  ueft                        ^^M 

^^r    nhd.,    tpialter    nie- 

alln,  439. 

agls.,  «.t/l  mhd.,  u!¥-                   I^H 

^     derd.  96, 

tjara  altn,  171, 

/*££  ahd..    «'«/{  agls.                      ^^1 

«pgj-  ahd.,  spiö»-  altn. 

(i/er  aglB.  446, 

^M 

109. 

^7(11  agls.  936. 

t-eßtadr  alln.  269                               ^H 

spinnan  363. 

tin  altn.  agie.  96. 

i.'«f/^r  altn,  276,                                   ^H 

«tura  nhd.  IJO. 

«uar  altn.  423. 437, 444. 

lueidfj  ahd.,  L'etcfr  altn.                     ^^H 

»taftal    abd.,      a^Ae/, 

tortuce  engl.  149. 

^H 

Stachel,    «tai    mhd.. 

loto  ahd.  306, 

veiA»,    t'ei'Ad,     veihan                     ^^H 

0t<if  aitn  ,  «Ceel  engl. 

triggvn  171. 

180.  388.  446.                                 ^H 

11.  89. 

Ww  171, 

Dein  2fi5.                                            ^^M 

»(a(md;«(fimoahd.240 

(un7rt  ahd.  273. 

weit  ahd,  270,                                   ^^M 

»(amm  alts.  1S3. 

(unr  ahd.  273.  425. 

v4l  altn,  21    22,                                ^^M 

«hwf  154. 

turri  ahd.  278. 

Wtiland  agls.,  irieto»'                     ^^H 

rt(rf(o  ahd.  271. 

((.■fmenninf/  altn.  365. 

ahd.  21.  22.  531,                           ^H 

tlrala  ahd.  104. 

twfrc  ahd,  21. 

ii-elig  agls    175.                                    ^^H 

atuba.  ttupa  ahd.,  tto- 

7^  aitu,  439. 

»eis  mhd  301.                                 ^^M 

fa,Ktufa  aXirt.,  Steve 

iura«,  (urr  altn  171, 

ueotiima  agls,  320. 821 .                     ^^M 

engl,  256.  S86. 

bala  525. 

^H 

«fuot  ahd.  1B8, 

fcmda  389. 

irfragelt    ahd.,     it-»"e-                     ^^H 

Sil  ahd.  135.  154. 

;.(x;agls.,Ä^?altn.298, 
puaundi  292. 

fj/i^/J,     (0^«     agls.                     ^^M 

»uagur  ahd.  314. 

mhd.  396.  414.                              ^^H 

36                      ^^^^^M 

—    554    — 


iviöe  agls.  174. 
totda  ahd.  172. 
widumo  ahd.,  wittimo 

burgund.,        tvitma 

fries.  321. 
viduvö  848. 
vnelfn  agls.  302. 
xvigsmid  agls.  15. 
w^  agls.,  trfÄ  ahd.  180. 
uihsda  ahd.  175. 
tcini  ahd   294.  384. 
tüintar  ahd.  225. 
wir<,  tcirtil,  tvirtel  ahd. 

nhd.  264.  45G. 
r^^'  alfa  altn.  21. 
tri«iZ,  u'2.<fui  ahd.  134. 
vizdüa  270.  509. 
Wisle  agls.  502. 
i/;lzf  ahd.,   wite  agls., 

397.  403. 
PFöcfan,  Wuotan  ahd. 

441. 
Völundr  altn.  21.  22. 
t;ama  altn.  451. 
ivrecca  agls.,  tvrekkio 

alts.,     wretch    engl. 

294.  411.  414. 
ttiZ/«  133. 
Wülfinge  mhd.,    TF^/Z- 

fingas  agls.,  Ylfingar 

altn.  379. 
imWa  155.  264. 
tvundersmid  agls.  15. 
t^^r^  ahd.,  iryrrf  agls. 

456. 
t^  altn.  106. 
z^ar  ahd.  446. 
zeihhur  ahd.  314 
zetn  ahd.  96. 
ziegal  ahd.  277.  278. 
zimbar  ahd.  171. 
zin  ahd.  96. 
zink  nhd.  99. 
zinco  ahd.  99. 
zipfen  inhd.  259. 
zttaroK  ahd.  451. 
2f^  ahd.  236. 
^M  ahd.  439. 

13.  Baltisch. 

(Litauisch 
unbezeichnet.) 

abae  altpr.  174. 
akUi.aki^ciios  113. 202. 
alüs  253. 
aZira.v;  aZtci«  altpr.  92. 

96.  97. 
anctan  altpr.  249. 


dntis  140.  166. 
anukas  311. 
apu5z^  174. 
ar^f  202. 
äsilas  161. 
aswinan  altpr.  253. 
as5am«  altpr.  235. 
a«z  495. 
aszis  298. 
aszwä  134.  154. 
aukliptas  altpr.  406. 
(it/Zc^a^;  at/m  altpr.  41. 

97.  119. 
Ausca  440. 
au5i<N'  41. 
at/Äzra  237.  440. 
awynas  \awis  altpr.309. 
aivis  135.  154.  264. 
awiiä  189. 
aysmis  altpr.  108. 
&aöo  altpr.  190. 
balsinis  altpr.  284. 
&df«a^  269. 
öe6ni«  134. 
b^rzas;     berse     altpr. 

172.  509. 
blusä  151. 

broterUis\  brote  307. 
öuHw,  öiir^i  450. 
cassoye  altpr.  94. 
cina.v  96. 
cZa/(5riÄ  203. 
dederwinS  451. 
didis^    dide,    dSdzius 

309. 
derwd  \darwa  lett.  171. 
deszini  144. 
deweris  314. 
cfy&a  413. 
diena  237. 

6fi^t^?a«  423.   437.  444. 
dirt/;a  189. 
drapand  265. 
drütas  171. 
dwW^  307. 
ditna  195.  202.  205. 
dürys  271. 
dwesiüf  dwSstiy  dwäsi 

427.  428. 
dzelse  lett.  89. 
?<yi€,  Sglitts  170. 
6^a«  altlit.,    eZA:«  lett. 
eiksnis  174.  [180. 

^nijf  135. 
er^ifj;  140. 
ez^«  134. 
gaid^Sj  giedöti  (gUd- 

mi)  167. 


gelez\s\  gelso  altpr.  11. 
65.  84.  89. 

geleüni  warli  150. 

g^ru'4  140. 

^'  191. 

gimdijtojai  306. 

Jrima  113.  204. 

glinda  151. 

tmÄ  292. 

in^^  315. 

invis  altpr.  170.  179. 

irii,  irklas  300. 

md£(^'  333. 

^ivaa  139. 

jdtimis  mhiü  229. 

jawät  188. 

jentere  lett.  315. 

jSffzmas  108. 

j^ta  170.  179. 

jüngas  298. 

jüstüf  jüsmü  268. 

kadagys;  kadgis   alt- 
pr. 174. 

^aZ»«  altpr.   301.   525. 

kälwis;     kaUeys    lett 
14.  15. 

XcdZ^i  15.  16. 

kanäpis  190. 

kdrdas  88.  109. 

Äas  525. 

Xco^^,  kätinas  165. 

fc6cA:«r«  altpr.  190. 

Xcej^n^^  243. 

fccro«  445. 

Xcermt^^z^  190. 

keutaris  altpr.  168. 

H^Z^  140. 

Kimis  175. 

kliwoH  174. 

A;or^o  altpr.  263. 

Xcd^'u  451. 

fcr^I^at  263. 

kreenSy  kreena  nduda 
lett.  291. 

Xcntre  altpr.  449. 

kuküH  139. 

fci^f7>e ;  kurpe  altpr.  269. 

laigönas  315. 

Zas^d ;  ZaxcZe  altpr.  175. 

laaziszä  502. 

Z«ft^a  174. 

lenszis  190. 

Z^u;a«  136. 

Zinat  190. 

Zdpo«  265. 

lüszis  184. 

marna«  290. 

maldä  446. 


—    555    - 


malnös  189.  196. 

mdlti  203. 

marti  312. 

märis  246. 

meddo  altpr.  148. 

median  altpr.  449. 

medüs  252. 

medziorei  altpr.  449. 

tn«n«a  altpr.  243. 

mhiü,  m'4ne8%8  228. 440. 

mitas  226. 

midüsy  medüs  148. 252. 

mierä  293. 

mie^ei  243. 

9ni^a.v  265. 

mylimas  375. 

min^i ;  mynix  altpr.259. 

misinge  {misingi)  72. 

mofce  allpr.  190. 

moma  306. 

mo^^',  fnötyna\  mothe^ 

müti  altpr.  306. 
mwsi\  muso  altpr.  151. 
na&t«  altpr.  298. 
nagis  altpr.  112. 
naktls  236. 
nefcdjM  203. 
neptis^  nepotis  310. 
nügas  257. 
döö^ojf  175.  190. 
oiyi(  128.  135.  154. 
panustaclan  altpr.  89. 
pardÜH  291. 
pa/j<,  paft  337. 
pafszas  154.  220. 
pikus  502. 
perkü  n  as^    Ferküncu ; 

Percunis  altpr.  183. 

439. 
peu^e  altpr.  174. 
piitüs  237. 
pifw  390. 
pinü  263. 
pt>fch*  297. 
piwin  altpr.  253. 
p^du^t  492. 
pliinas ;  playnis  altpr. 

90. 
pliügas  210. 
pohalso  altpr.  284. 
pr^^  lett.  263. 
priikdlas ;      preicalis 

altpr.  16. 
iVti^at  214. 
püdas  17. 
püliai  ipülei)  451. 
purai  189. 
pM«2i«  174. 


rd^air  298. 

rcz^A  260. 

röju^  434. 

rdpe  190. 

rürfd  10.  11.  87.  88. 

rugys  189. 

rudtninXco«  14. 

«a^t«  267. 

4fai<a^;  seitones  altpr. 
457. 

.vd^«  lett.  220. 

sansy  altpr.   140.  165. 

sasins  altpr.  134. 

säuM,  Saul€le\  saule 
altpr.  440. 

sausys  (saüsis)  451. 

«e?^«  lett.  8.  26^5. 

.v^ti,  .v^^i;  semeii  alt- 
pr. 203. 

/r6«u  307. 

sidäbras ;  sirablan  alt- 
pr. 53.  120. 

syme  altpr.  203. 

.vtrpe  lett.  203. 

skaXstwaris  72. 

scaytan  altpr.  100. 

Skierstuvves  431. 

^AriWt  111. 

tmiigaa  224. 

«<<!tA;/^v  262. 

starkis  altpr.  97. 

stodas  158. 

siögas  271. 

sträzdan  140. 

fftruju^  309. 

sülaUj  sülyti  292. 

jfunzVf  altpr.  133.  154. 

jftenujr  307. 

sicäine  315. 

tnvidüs  81. 

«trin«  lett.  97. 

«ii?fWfi«,  «ceronet  alt- 
pr. 449. 

«za/cd  208. 

^ermtl  134. 

szSszkas  133. 

«Msztt^ra«  313. 

sziauTys  301. 

«zti9l^a«  483. 

«z^  133.  154. 

HZtventas  446. 

szivinas  97. 

ÄZtcUit' arw  72. 

^ou^o  altpr.  389. 

teamns  aJtpr.  298 

^enpd^  337. 

tirauds  lett.  89. 

te^eru;a  139. 


^^^tÄ  306. 

tistica  altpr.  314. 

tükstantis  292. 

udrd  133. 

ti^^ni^,   Ugnis  szwerUä 

440.  441. 
ungurys  146.  147. 
ÖÄi«  174. 
ü^tzwis  313. 

wäkaroH  237. 

tcaQuis  altpr.  202. 

icaideleTy  waidelotte, 
waidleimai  altpr. 
449. 

waist,  waidimait  wai- 
deumt  449. 

if  dn^a  276. 

icarcne  altpr.  71. 

u'drias;  wargian  alt- 
pr. 71.  72. 

warpste  262. 

U'flward  224. 

tt'crfu  333.  335. 

wiSjiSyW^jaSy  Wijopatiff 
441. 

Weizganthos  431. 

tc^Ws  435. 

ivämti  451. 

tt'erpu  262. 

wertü,  tcercziüs  291. 

U'ituszas  226. 

weivare  altpr.  134. 

weümoH  298. 

Vielona  431.  435. 

vniszpats  388. 

unika8\  wükis  altpr. 
133. 

tirUrui  155.  264. 

t;i/«6  altpr.  189. 

t/-^^t«  172. 

tvitwan  altpr.  172. 

woasis  altpr.  174. 

u?o5^e  altpr.    175.  190. 

tt'dro«  261. 

icou?er^  134. 

wutris  altpr.  14. 

i^Mi»  140.  165. 
zaweti  445. 
z^toua  lett.  140. 
zeZ^tf,  «eZ<«  lett.  41.  42. 

43.  119.  502. 
z^^a«  312. 
i^m^,  Z'em^na  444. 
ziburys  283. 
ziemd  223. 
zu^i  445. 
zttTiM«  449. 


—    556     - 


14.  Slavisch. 

(Altslovenisch 
unbezeichnet.) 

ablüko  190. 

azü  495. 

artHtnago  tipa  semtjd 

russ   357. 
qti  140.  166. 
atükü  261. 
baba  311. 
bajati,    bajq^    balija^ 

balistvo;  baja  bulg., 

bdchari    russ.    445. 

450. 
bajanü,    Bojanü    alt- 

russ.  445 
bqdq  162. 
bebrü  134. 
büila  {na  büyja  bilila) 

russ.  270.  ' 
b4restä  russ.  170. 
bert'sfo  russ.  170. 
berete  524. 
besMka  russ.  326. 
btjütüpö  rukamürMBs. 

324. 
blazhia  serb.,  8lov.284. 
ft^udo  284. 
WöcÄa  151. 
bobil,  190. 

bollUkü  russ.  356.  357. 
ftOTM  180.  181. 
borodäf    borozddj    bo- 

rond  russ.  288. 
bosü  269. 
6ozÄ  russ.  168. 
brakii,  brdöny  russ.322. 

323. 
bratrü  307. 
bratstvo   südsl.    371 — 

376.    377.    378.    381. 

382.  386.  387. 
brMü;  brist  bulg.  170. 

175. 
briza  172. 
brjüki  russ.  28. 
brönza  russ   73. 
briinja,  bronja  103. 
büdent  russ.   162. 
ftuf/t^  russ.-  162. 
feMfc?7  russ    178.  491. 
buky  178. 
bürii  188. 
büldtu      russ.,      öw/a^ 

kleinruss.  78.  89. 
ö|/ä:?7  216. 
cigeli  russ.  278. 


darß  445. 
6a8tX  russ.  456. 
dekanü  altruss.  106. 
6elik  serb.  89. 
6er emM  russ.  190. 
ö^repü,  öerepdcha  russ. 

150. 
cistiju  igrätX  svddXbu 

russ.  329.  330. 
distoe  olovo  altruss.  92. 
öuzdja  storo7id,  öuze- 

ninü  russ.  316. 
dqbü  171.  413. 
dUü  309. 
cf^Z?^  456. 
demiäkinja  serb.,   rfe- 

meszek  poln.  89. 
deslnü^  destü  144. 
d^verii  314. 
djddja  russ.  309. 
djever  serb.  355. 
dimnica  serb.  358. 
dinf  236. 
dd//flf  russ.  456. 
do;?7  456. 
domaöin,     domaöica 

serb.  357.  358. 
domoxozjdinfi       russ. 

367. 
domü;  dorn  südsl.  271. 

381.  388. 
domovöj  russ.  428.  429. 
driivo,  drivo  171. 
dw&w.  duöi^f  russ.  259. 
duchü  428. 
duina  427. 
duj^a  428. 
rfö,«e  307. 

dyöa,  dyöy  poln.  413. 
dzjacly  weissruss.  428. 
edinoutröbnyj    odnou- 

tröbny  russ.  307. 
famelja   inönten.  372. 
galija  103. 
<7(f5f;  <gfu«f  140.  165. 
god  BGrh. ^godifia  bulg., 

gody  poln.,  T^odöech. 

226.  227. 
golovd  russ.  288. 
goniti  138. 
görnica  russ.  287. 
görny  stolü  russ.  330. 
iyos^r  294.  296. 
^or^rfo  134.  154.  216. 
grad  südsl.  374. 
Gromn  gremüöij  russ. 

444. 
^7T?n?7  283. 


grüzüo  russ.  265. 
guljäntja  russ.  326. 
charalügü  russ.  89. 
cW^öö  245. 
chUvü^  chUvina  {hUvü) 

278. 
chmili,  chmelt  254. 
xozjdinü,        xozidika 

russ.  339.  356. 
cAyzß  (ÄjyzfT)  278. 
t^o  298.* 
i^etnu  russ.  174. 
imq  292. 
Iva  170. 
t26d  {istba,  istüba,  isto- 

pküy   istobka^   itba\ 

6^naja    izbd    russ. 

283.  287.  288.  355. 
iskdtl  russ    124. 
istirdniil  russ.  352. 
izvistü  278. 

jabetnikü  altruss.  392. 
jablüko  175. 
jdlovecü  russ.  175. 
Jartz;  jar,  JaW,  jarica 

serb.,  jarovöe  russ. 

225. 
t/art7,  Jarilo  russ.  444. 
jdaenX  russ.  174. 
jedinak  serb.  359. 
Jcfc^o  nsl.  90. 
jeleni  135. 
jelicha  174. 
jelovo  mbulg.  97. 
jesent  235. 
j^try;     jetrva      serb.- 

kroat.,  jetorva  bulg. 

315. 
iczf  134. 
jucha  243. 
fcai^*  bulg.  98. 
kalymü  russ.  325. 
kamina  17. 
Äramy,  /cam«nf  17.  106. 
ArojyiZr  451. 

klddka  russ.  324.  325. 
Wafcß  278. 
klickt    nu  jemy,    na 

kWckachü  weissruss. 

433. 
fc^eni^  174. 
^^t  russ.  287. 
klobukü ;       klobiiöökü 

russ.  146. 
klokdiy  russ.  327. 
knjdzij  stolü  russ.  330. 
köcetü  russ.  139. 
fcofco^Ä  139. 


^M 

-■  557     - 

^iH 

l^aljadä  russ,   156.  442. 

»ledö;  m*üü  russ.  148. 

ofui-o:    ä'oi'o  ruaa.  92,               ^^H 

kolo  '298. 

192.  252, 

^H 

konoplja  190. 

mfdi  11.  15.  42.  71. 

o;t:  %3,                            ^H 

kopor    oserb,.    kupor 

Qȟk  klruss,  311.                       ^^H 

Dserh,  70. 

71, 

op^dM  ruas.  277.                         ^H 

koröva  russ,  260. 

mrfj<i  203. 

o;)Ona  265.                                       ^^M 

korüda;  koi-d  whi.  m. 

miiin  290. 

oprostile  moutcu.  350.                 ^^H 

109. 

in^ra  293,  324. 

oratf  202,                                          ^H 

kos«  140 

vii»>irX  228, 

o>-^(^A<!  175.                                       ^H 

kovaöJ  14.  16. 

ni^M  243. 

i^T-f/r;   140.                                         ^H 

fcfluaii,  kujq  14.  16. 

mWr;    metfö  russ.  109. 

ä«enr  rusB.  235,                           ^H 

uhVS,  v«i/[  mirü  ruas. 

ovi  298.                                             ^H 

frfwifoj-  kroal.  94. 

376.  376, 

o»r/ü  161,                         ^H 

kolü  166. 

mmi  375, 

o,>rfna  russ.  174,                          ^^M 

fcrdsiy  146. 

mfcsrä,  mfafcff  159. 

otbivdtl  neviHtu  russ.               ^^M 

krava  216. 

mlalü  112, 

329.                                            ^H 

krinuti  altruau.  291. 

mUA:o  249.  503, 

offcf;  po  otfämü  ruas,               ^^H 

ftroTOO  261. 

mläxq  249. 

306.  356.                                   ^H 

/crß«r  243. 

molöxetjo  ruaa.  249. 

o/f^öff  ruaa,  333.                         ^H 

fcr«!fi  inoDten.  372. 

monisto  116, 

oiidina  ruaa.  258.                        ^H 

kukavica  139, 

moj-a  467. 

oviea  136.  164.  264.                   ^H 

kffnefffl  391. 
kßpm.Kupata,Kupaio 

morje  246. 

mamz  oaerb,,  mje^nifr 

ovlsü  189.                                    ^H 
pnfica  russ.  108.                         ^^M 

ruM,  464. 

naorb,  mo»ia  Ceuh., 

pqli  298.                                           ^H 

kuriiim  hulg.  98. 

moKj'qdi  polo,,    mo- 

pekq  343,                                  ^H 

A-unT     do    «7l    veäera 

P«nirii7,  peru/iß  slav.               ^^H 

russ.  167. 

mravija  IBl. 

183,  439.                                    ^^1 

A'uf^  na  weissrusa.  363. 

mörffca  161. 

pim,  pMi  167.                         ^B 

kuznX,  kuenici  15. 

m^ffc«'  iia  ruaa.  270. 

v^s/f ;  peei,  pifka  ruas.               ^^1 

koatS  rasa.  251. 

mj/il  184. 

273.  387.                                   ^H 

laii/  altruKS,,  lata  rU8s. 

nagfi  112,  257. 

pe«fi  273.                                     ^H 

102. 

««cAy'c   monten,   372. 

p^ff  498.                                       ^H 

Jarf  russ.  diol.  97. 

378- 

p^cAüa  ruas.  178.                         ^^H 

lfkt^  450. 

nakovalo  IG, 

piA-et!  174.                                    ^^H 

»4»!    181. 

namiextnica  serb,  343. 

pfnifi  489,                                   ^^M 

I&o  227.  235.  239. 

nnroj  261. 

pi&eno,  piS(i  202,                        ^H 

Ihm  144, 

ne«^o.vfr>  rut^a,  456. 

»f'L-o  253.                                      ^H 

ip^wija  96, 

neiiß,  neslera  310, 

;};<ida  ruaa.  386.                          ^H 

^       li^ta  19U. 

neoi^ta  rusa,  316.  356, 

platXno  265.                                 ^^1 

^^      »nfi  190, 

360. 

pfeme   südal.,    p{^;a                ^H 

^H      ifpa,  »peciT  riua,  148. 

nitt.  uiita  263. 

russ.  216.  323.  371-                ^H 

^H      irml  13t!. 

«fra  ruea.  202. 

377.  381.  383.                            ^H 

^B    ^d)T  4oe. 

vom.  noitedJjiije;  f,oi- 

^H      {o«T  russ.  135. 

eedlni,    noieefJtnlni- 

kü.plemj^ntnika  alt-                ^H 

^H      /(;«»«[  rusB.  602. 

ca,  noMedlnica  k\1- 

ruaa.,    plemjiifinikü                ^^M 

^B     lii4ina  rQ9s.  263. 

ruaa.  236, 

ruBB,  373.                                   ^H 

^H     ^iMJf».     lui^ie    russ., 

nozT  112. 

pUminski  glavar  mon-                 ^^| 

^H         ftidtf/  altruss.  532. 

Nur.  NurUka  ztmlja, 

ten,  377.                                     ^^| 

^B      /uf    wcisaruas-,     futli' 

Surjaniiiii.     Nurec 

plef<i.  ptMti   260,  277.                  ^H 

^H          rusB.  174. 

490, 

ptötnikil  ruaa.  276.                       ^H 

^B      inafcff  100.  192. 

öbifina  ruaa.  356  376. 

pft(^i7       ruas.,      pluh                ^^M 

^^M      ma»lo\  korövlje  mdslo 

nc^fC.ocfJsüd-n.wpMBl. 

klrusa.  210.                               ^H 

^M          nisa   250. 

90. 

p;ifA:>T  391.                                    ^^1 

^H      mati  306, 

plfSM^r  269,                                ^^M 

^^1      MaU-Hvra-xentlja  russ. 

368.  381, 

pluti.  plovq  492.                        ^^M 

^H 

ochö/a  russ.  138. 

pojasii  268,                                  ^^1 

^^1     nuizf,  masati  260. 

oje  dbI„  serb,  29S. 

porodica  monten,  372.                ^^H 

^B     m«<<niA;i!  altrius.  392, 

ofcniAf«  russ,  326, 

paroduiftnja  russ.  334.                ^^1 

—    558  '  — 


pörfitXj  pöröa  russ.  445. 
pösolonl   xoditX  russ. 

328. 
poso.^cyna  klruss.  209. 
postelja  284. 
pras^  154.  220. 
prdmti  stolü  russ.  431. 
prazdtnikii  russ.   162. 
presti  263. 
pricitänie  russ.  336. 
priddnoje  rus8.321.325. 
priiskfi,  rudnyje,  zolo- 

tyje^pHiski  russ.  124. 
prmpn  250. 
prjasUca  russ.  265. 
prodati  291.  292. 
propiti   nevestu   russ. 

325. 
jjyro  189. 

rabüy  rahota  slav.  208. 
radunica  russ.  432. 
raj  slav.  434. 
ravnonösöie,      ravno- 

denstvie  russ.  454. 
rekq  456. 
r^pa  190. 
rjäda  russ.  335. 
rorf?7  russ.,  rod  südsl. 

214.316  332,372.374. 

375.  376.  382.  387. 
rodfi'plemja  russ.  316. 

372. 
rödina  russ.,   rodzina 

weissruss.  214. 
roditeli  russ.  306.  428. 
roditelUkoje    m^sto 

russ.  434. 
rodnjd  russ.  316. 
rodo   o   moj   monten. 

372. 
rokH  russ.  456. 
rota  409. 
rozga  260 
roidanicy  ;  roditi,  raz- 

däti  russ.  456. 
roiiy  rzi  russ.  189. 
rtutX  russ.  99. 
rwda  10.  11.  15.  62.  71. 

87.  88.  118 
rudnik  poln.  14.  15. 
rukobittje  russ. 324.325. 
rumjdny  russ.  270. 
HizX  189 
samüy  samd  russ.  338. 

339.  341.  [339. 

sam^cv,  sdmka  russ. 
samodtirstvo  russ.  338. 
samokrutki  russ.  326. 


^dne  russ.  430. 
sqku  201. 
s5or  monten.  376. 
scästXje  russ,  456. 
sime,  s^jq  203. 
«emt/d  russ.  357. 
semu  494. 
s^ni  russ.  287. 
sestra  307. 
s^verü  301. 
.ytreftro  53.  120. 
sjdbry  russ.  357. 
«Ara^a  slav.  111. 
sklddniki  russ   357. 
skupUina  m  on  te  n .  376. 

378. 
slobodd  russ.  288. 
«mr^ci,  smrftöXySmrica ; 

ÄwrAr  cech.,  sinerek 

kleinruss.  170.  174. 
sn^gii  224. 
sniivha;  snochd  russ., 

snaha  serb.  312.  316. 

355. 
snochd^estvo  russ.  303. 

360.  361.  362. 
.sochd  russ.  poln.  208. 
solddtka  russ.  361. 
soZr  220. 

solncerorötü  russ.  454 
spata   109. 
Än7/>?7  112.  203. 
.s^aäo  158. 
s^a^f  russ.  89. 
starikü^  stdrosta^  star- 

sind,  starijsina  russ. 

südsl.  356.  377.  390. 
steljq,  stXlati  284. 
stiMnik  serb.  359. 
sMla  104. 
strina  311. 
*^^Ji  stryjcX  309. 
^t^/Xcz  russ.  236. 
sudXbd  russ.  457. 
*t7mYo  261. 
Ä2/n?7  307. 
«j/^d  russ.  433. 
svddXbUy  SV.  uxd(2o7n?7, 

uh^gomü,  uvödomü^ 

SV.  ?flrrd<f  326.  329. 
svdm  316.  327. 
svatovstvö  russ.  324. 
svekrti,    svekry ;    twä- 

kritf   svekrövX  russ., 

svekar.svekrva  serb. 

313.  314.  355. 
svetil;  svjaty  dzjady 

weissruss.  428.  446. 


svila  261. 

svin^cü  russ.  92.  97. 

svinija;   avinXjä  russ. 

97.  135.  154. 
svlstX  315. 

svojdkUj  svdk  slav.  314. 
szydlo  poln.  113. 
ii(/2o  cech.  113. 
«iicc  na  russ.  270. 
slSmü;  selomü  altruss. 

102. 
äpdga  russ.  109. 
Mitü  100. 
jhirr  313.  315. 
tatX  406.  414. 
<e2^  216. 
tetr&üü  139. 
<e«<f,  /eV4da  russ.  314. 
Titü,  Titycu  russ.  338. 
toporü  altruss.  88. 
trbuch  monten.  372. 
tr6mü  278. 
tukati,  tükalij  261. 
tykyn\XB\.  199.200.510. 
tysqMa  292. 
tysjaönikn  russ.  328. 
tvarogü  146.  251. 
u6dstokü  russ.  382. 
M(H/r  russ.  351. 
udünXca,  udeljdtimss. 

456.  457. 
ügorX  russ.,  wÄor  klein- 
russ.,    tiÄor    cech.^ 

M^or  serb.  146.  147. 

148. 
umykdniej  umykdchu 

russ.  u.altsl.  323. 326. 
üpovodX  russ.  238. 
utröba  russ.  307. 
vecerft  237. 
vMunu,  vedi,  v^dtma^ 

vidXstvo  altruss  44S. 
ve/f&qcfä;       uelbljiidu 

russ.  161.  162. 
veWJ  162. 

velikanü  russ.  162. 
veÜ-moza  162. 
vinOy  v^iti;  vinOy  veno^ 

oinno    altruss.   290. 

319.  321.  325. 
vepri  135. 
vesna\  vesnd  russ.  224. 

239. 
vesnüSka  russ.  224. 
vesti,  vedü  russ.,  vesti 

za  kogo  altruss.  333. 
vetüchü  226. 
viverica  134. 


—    559    — 


viza  slav.  300. 
u'^gorz  poln.  148. 
ictelgolud  poln.  162. 
rXdova  348. 
vino  slav.  255. 
vira  altrnss.  396. 
vXhX  288 
Vhla  502. 
vjazft  russ.  174. 
vluna  155.  264. 
fZ?7Ä:?7  133. 
icnf^k  poln.  311. 
t'oda:   t'odd  russ    441. 

525. 
voditif   vodimaja   alt- 

ru8s.  333. 
vödka  russ.  252. 
rodjanyje  russ.  441. 
vojevoaa  raonten.  391. 
?y?//7  216. 
t'or?7,  vorovskdja  svd- 

dtba  russ.  326. 
vozü  298.  300. 


vradf  450. 
vriteno  264. 
wrozda  poln.  395. 
vrüba  174. 
vüntikü  311. 
?;?7<rr  14. 
vydati  russ.  333. 
vyhorü  russ.  323. 
vydra  133. 
vygovorii  russ.  321  324. 

326. 
zadruga  südsl.  358. 376. 
zämuzUf    z.  vyjti,   za- 

müzestvo  russ.  333. 

334.  350. 
zaova  serb.  355. 
zelenX  39. 
zemlja  444. 
zemljdnka  russ.  273. 
z^^f;    z/a^r   russ.,    ze^ 

serb.  312. 
zima;  zimd  russ.  223. 

239.  495.  509. 


z^a^z  494. 

zZa^o;  zdZo^o  russ.  39. 
41.  42.  43.  119.  502. 

zlüva  314. 

«rt7no  203. 

zelqdX  173.  191.  245. 

zelezä  russ.  288. 

«c/feo  65.  71.  84.  89. 

zeluvX{ztly,zely)  \zelvaj 
zolvGy  zXlXvX,  ielXvi 
altruss.,  zelva  nsl., 
zelv  öcch.,  zlüva 
bulg.,  zo^ii;'  poln., 
zelv  kleinruss.  148. 
150.  200.  509. 

zelud^vy  kvasü  russ. 
254. 

zenitXsja  na  russ.  334. 

zeravX  140. 

zito  russ.  198. 

irünnvü  113.  204. 

zupa,  zupan  slav.  155. 
216.  374.  377. 


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