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Full text of "Probleme der physiologischen und pathologischen chemie, fünfzig vorlesungen über neuere ergebnisse und richtungslinien der forschung .."

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THE  LIBRARY 

OF 

THE  UNIVERSITY 

OF  CALIFORNIA 


HERMANN  O.  L.  FISCHER 
COLLECTION 

PRESENTED  BY  HIS  WIFE 


It 


PROBLEME 

DER  PHYSIOLOGISCHEN  UND 

PATHOLOGISCHEN 

CHEMIE 


FÜNFZIG  VORLESUNGEN  ÜBER  NEUERE 
ERGEBNISSE    UND    RICHTÜNGSLINIEN 

DER   FORSCHUNG 

FÜR  STUDIERENDE,  ÄRZTE,  BIOLOGEN  UND  CHEMIKER 


VON 


Dr.  OTTO  VON  FÜRTH 

A.  ().  PROFESSOR  FÜR  ANGEWANDTE  MEDIZINISCHE  CHEMIE 

AN  DER  WIENER  UNIVERSITÄT 


I.  BAND 
GEWEBSCHEMIE 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL 

1912 


NACHDRUCK  VERBOTEN 
ÜBERSETZUNGEN  VORBEHALTEN 

Copyright  ig  12  hy  F.  C.  W,  Vo^el^  Leipzig 


ßJOCHEM. 


Add'l 


GIFT 


(3  p  ^/y 


BIOCHEM. 
UMtAKir 


DEM  VORSTANDE   DES  WIENER   PHYSIOLOGISCHEN 

UNIVERSITÄTSINSTITUTES 

HERRN 
HOFRAT  PROFESSOR  Dr.  SIGMUND  EXNER 


GEWIDMET. 


317 


VORWORT. 

Dieses  Buch  ist  aus  Vorlesungen  hervorgegangen,  die  ich 
in  den  Jahren  1905 — 1911  an  der  Wiener  Universität  über 
»Probleme  und  Tagesfragen  der  physiologischen  und  patholo- 
gischen Chemie«  gehalten  habe. 

Wie  schon  aus  dem  Titel  ersichtlich  ist,  erheben  diese  Vor- 
lesungen nach  keiner  Richtung  hin  Anspruch  auf  Vollständig- 
keit. Es  genügt,  einen  Blick  auf  die  umfangreichen  Bände- 
reihen der  neuen  Nachschlagebücher  zu  werfen,  welche  das  Tat- 
sachenmaterial der  Biochemie  in  sich  bergen,  um  sich  darüber 
klar  zu  werden,  daß  dieses  Buch,  selbst  wenn  sein  Umfang  den 
ihm  gesetzten  Raum  um  ein  Vielfaches  überschreiten  würde, 
Vollständiges  weder  bieten  könnte  noch  wollte.  In  Wirklichkeit 
ist  das  hier  Vorgebrachte  nur  eine  Auswahl  aus  der  übergroßen 
Fülle  vorliegenden  Materiales,  —  ein  Ausschnitt  aus  der  Welt 
biochemischen  Geschehens.  Dadurch,  daß  ich  aber  eine  Auslese 
treffen  mußte,  konnte  ein  stark  subjektives  Moment  bei  bestem 
Willen  nicht  vermieden  werden.  Ich  konnte  ja  eben  nur  das 
auswählen,  was  mir  besonders  ansprechend  und  zur  Darstellung 
im  Zusammenhange  dieser  Vorlesungen  in  erster  Linie  geeignet 
schien.  Ich  möchte  aber,  trotzdem  dies  eigentlich  selbstverständ- 
lich ist,  doch  ausdrücklich  betonen,  daß  das  Nichtzitieren  einer 
Arbeit  nicht  etwa  ohne  weiteres  in  dem  Sinne  gedeutet  werden 
möge,  als  ob  ich  dieselbe  für  weniger  wertvoll  halten  würde. 
Jeder,  der  sich  mit  Naturwissenschaften  befaßt,  ist  sich  ja  wohl 
im  klaren  darüber,  daß  vielfach  gerade  besonders  wertvolle 
Arbeiten  sich  kaum  dem  Zusammenhange  einer  Vorlesung  ein- 
fügen lassen,  wenn  ihre  wesentlichen  Resultate  z.  B.  in  zahlen- 
mäßigen Ermittlungen  oder  methodischen  Fortschritten  be- 
stehen.   Auch  kann  eine  Tatsache,  die  geeignet  ist,  den  Ausgangs- 


VI  Vorwort. 

punkt  für  die  wichtigsten  Forschungen  zu  bilden,  solange  sie 
noch  isoliert  und  außer  Zusammenhang  mit  unserem  sonstigen 
Wissensinhalte  steht,  wenig  geeignet  zur  Mitteilung  im  Rahmen 
einer  Vorlesung  erscheinen. 

Auch  möchte  ich  ausdrücklich  betonen,  daß  überhaupt  nur 
ein  Bruchteil  der  Literatur  direkt  zitiert  ist,  der  weitaus 
größere  Teil  jedoch  nur  indirekt  durch  Hinweise  auf  neuere  Ar- 
beiten, Monographien,  Sammelreferate  und  Literaturverzeich- 
nisse in  guten  Nachschlagebüchern  angeführt  wird.  Insbesondere 
von  Oppenheimers  »Handbuch  der  Biochemie«,  von  Abder- 
haldens »Handbuch  der  biochemischen  Arbeitsmethoden«  und 
seinem  »Biochemischen  Handlexikon«,  von  Asher  und  Spiros 
»Ergebnissen  der  Physiologie«,  von  Nagels  »Handbuch  der  Physio- 
logie«, von  Noordens  »Handbuch  der  Pathologie  und  des  Stoff- 
wechsels«, von  Oppenheimers  »Fermenten«,  von  Cohnheims 
»Chemie  der  Eiweißkörper«,  von  Biedels  »Innerer  Sekretion« 
habe  ich  ausgiebigen  Gebrauch  gemacht.  Ich  glaubte  mit  Recht 
annehmen  zu  dürfen,  daß  diese  Werke  jedem,  der  auf  dem  Gebiete 
der  Biochemie  arbeitet,  zugänglich  sind  und  nur  durch  eine 
derartige  Einschränkung  der  Literaturverarbeitung  war  es  mir 
möghch,  dieses  Buch  innerhalb  bescheidener  Grenzen  zu  halten 
und  dennoch  dem  Leser,  der  sich  über  ein  Problem  orientieren 
will,  derart  an  die  Hand  zu  gehen,  daß  er  schnell  die  ausführliche 
Literatur  eines  Gegenstandes  ausfindig  zu  machen  vermag. 

Indem  ich  bei  jedem  einzelnen  Probleme  den  gegenwärtigen 
Stand  aufzugreifen  versuchte,  mußte  ich  naturgemäß  auf  eine 
historische  Entwickelung  desselben  verzichten.  Die  in  den 
Fußnoten  zitierten  Arbeiten  sind  durchaus  nicht  immer  diejenigen, 
denen  der  größte  Anteil  an  der  Aufklärung  der  betreffenden  Frage 
gebührt,  sondern  vielfach  eben  solche,  von  denen  aus  eine  schnelle 
Orientierung  über  das  Gebiet  möglicli  ist.  Wer  eine  wissenschaft- 
liche Frage  in  ihrem  ganzen  Umfange  beherrschen  will,  wird  natür- 
lich stets  den  historischen  Werdegang  derselben  ergründen  und 
sich  in  die  einschlägigen  Originalabhandlungen  vertiefen  müssen. 
Dieses  Buch  will  sich  damit  begnügen,  den  Weg  in  dieser  Richtung 
zu  weisen. 

Auch  den  vorhandenen  tre  ff  heben  Lehrbüchern  der  physio- 
logischen Chemie   beabsichtigt   das   Buch   keinerlei   Konkurrenz 


Vorwort.  VII 


zu  machen ;  —  schon  aus  dem  Grunde  nicht,  weil  es  immerhin  die 
Elemente  der  biochemischen  Wissenschaft  als  bekannt  voraus- 
setzt und  annimmt,  daß  der  Leser  sich  dieselben  durch  das 
Studium  eines  Lehrbuches  oder  den  Besuch  einer  Vorlesung 
angeeignet  habe. 

Eine  Einschränkung  der  behandelten  Materie  habe 
ich  in  dem  Sinne  vorgenommen,  daß  ich  die  großen  Gebiete  der 
Immunitätslehre,  der  Chemotherapie,  der  physikali- 
schen Chemie  in  ihrer  Anwendung  auf  biologische  Probleme 
sowie  der  Pflanzenchemie  von  vornherein  ausgeschaltet  habe. 
Ist  doch  jede  dieser  Disziplinen  im  Laufe  der  letzten  Jahre  zu 
einer  selbständigen  Wissenschaft  herangewachsen,  die  nur  der- 
jenige voll  zu  beherrschen  vermag,  der  ihre  seine  ganze  Arbeits- 
kraft widmet. 

Als  ich  mich  nach  viel  jährigen  Vorarbeiten  entschlossen  habe, 
an  die  Niederschrift  dieser  Vorlesungen  heranzutreten,  tat  ich 
dies  von  dem  Wunsche  erfüllt,  meine  eigene  Freude  an  bio- 
chemischem Suchen  und  Erkennen  anderen,  die  danach  •  Ver- 
langen tragen,  zu  übermitteln  und  auf  diesem  Wege  meiner 
Wissenschaft  zu  dienen.  Ob  das  Buch  diesem  Wunsche  zu  ent- 
sprechen vermag,  überlasse  ich  dem  Urteile  meiner  Fachgenossen, 
deren  nachsichtiger  Beurteilung  ich  dasselbe  nunmehr  vorlege. 

Herrn  Dozenten  Dr.  Carl  Schwarz  und  Herrn  Dr.  Rudolf 
Türkei  bin  ich  für  die  mir  beim  Lesen  der  Korrekturen  ge- 
leistete wertvolle  Unterstützung  zu  besonderem  Danke  ver- 
pflichtet. 

Wien,  im  Oktober  1911. 


INHALTSVERZEICHNIS. 


Seite 


I.  Einleitung.    Hydrolytische  Eiweifispaltung i 

Die  Lehre  vom  lebenden  Eiweiß  und  die  Darstellung  kri- 
stallisierter Eiweißkörper.  Emil  Fischers  Estermethode. 
Leistungsfähigkeit  der  Estermethode.  Modifikationen  der 
Estermethode  und  des  Hydrolyseverfahrens.  Alkalihydro- 
lyse. Überblick  über  die  Bruchstücke  des  Eiweißmoleküls. 
Isomere  Leucine.  Eiweißspaltungsprodukte  von  zweifel- 
hafter Konstitution.  S3nithese  von  Aminosäuren.  Spaltung 
razemischer  Aminosäuren  in  ihre  Komponenten.  Addi- 
tionsprodukte und  Derivate  der  Aminosäuren.  Grenzen 
des  Eiweißproblcms.     Ultraspektroskopie. 

II.  Oxydativer  Abbau  der  Proteinstofife.    Eiweififaulnis .       22 

Endprodukte  der  Eiweißoxydation.  Amidartige  Ver- 
kettung der  Bestandteile  des  Eiweißmoleküls.  Perox3rprot- 
säuren.  Kyroprotsäuren.  Desaminoproteine.  Eiweißfäul- 
nis. Reduktion  und  Desamidierung.  Oxydativer  Ab- 
bau der  Aminosäuren.  Bildung  von  Aminen  aus  Amino- 
säuren. 6-Aminovaleriansäure  und  €-Aminokapronsäure. 
Amine.  Fäulnisbasen  von  unbekannter  Konstitution. 
Toxizität  der  Eiweißfäulnisprodukte.  Eiweißfäulnis  im 
Darme.  Bedeutung  der  Mikroorganismen  für  die  Ernährungs- 
vorgänge.    Giftigkeit  des  Darminhaltes. 

III.  Zyklische  Komplexe   des  Eiweifimoleküls   und   ihre 
Schicksale  im  Organismus 45 

Cyklische  Komplexe  im  Eiweißmoleküle.  Oxyphenyl- 
derivate  im  Harne  nach  Verfütterung  von  Tyrosin.  Al- 
kaptonurie.  Rolle  der  Homogentisinsäure  im  intermediären 
Stoffwechsel.  Ochronose.  Prolin  und  Oxyprolin.  Histidin. 
Tryptophan.  Hamindikan.  Indikanbestimmung.  Ska- 
tolrot,  Urorosein  und  Indolessigsäure.  Kynurensäurebil- 
dung.  Halogenbindende  S3^temc  in  Eiweißkörpern.  Farb- 
stoff des  antiken  Purpurs. 

IV.  Albumosen  und  Peptone.    Protamine  und  Histone    .       77 

Ältere  Fraktionierungsmethoden.  Neuere  Untersuchun- 
gen über  fermentative  Eiweißspaltung.  E.  Fischers  und  Ab- 
derhaldens Forschungsresultate.  Hofmeisters  Gesichts- 
punkte. Kyrine.  Chemische  Individualität  der  Peptone. 
Karbaminoreaktion  Siegfrieds.  Bestimmung  der  Pcptid- 
bindungen  durch  Formoltitration.  Protamine.  Histone. 
Arginase. 


X  Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

V.  Polypeptide 96 

Ältere  Versuche  zur  Synthese  eiweißartiger  Substan- 
zen. Synthese  von  Dipeptiden.  Kuppelung  mit  Halo- 
genacylverbindungen.  Polypeptidsynthese  mittels  chlorier- 
ter Aminosäuren.  Verkettung  von  Aminosäuren  nach  Cur- 
tius.  Gewinnung  optisch-aktiver  Aminosäuren.  Walden- 
sche  Umkehrung.  Synthetische  Polypeptide.  Oktadeka- 
peptid.  Auffindung  von  Dipeptiden  unter  den  Eiweißspal- 
tungsprodukten. Anwendung  des  Naphathalinsulfochlorids 
zur  Charakterisierung  von  Polypeptiden.  Tripeptide. 
Tetrapeptid. 
VI.  Nukleinsäuren 109 

Nukleoproteide.  Darstellung  von  Nukleinsäuren.  Hydro- 
lytische Spaltung.  Purinbasen.  Pjnimidinbasen.  Syn- 
these der  Pyrimidine.  Kohlehydratkomplexe  a)  Hexose, 
b)  Pentosen.  Quantitativer  Abbau  der  echten  Nukleinsäu- 
ren. Konfiguration  der  Nukleinsäuren.  Partielle  Spaltung 
der  Nukleinsäuren.  Inosin,  Guanosin,  Adenosin.  Inosin- 
säure.  Guanylsäure.  Fermentativer  Abbau  der  Nuklein- 
säure. Nukleinsäuresynthese  im  Organismus. 
VII.  Muskelgewebe 130 

Gerinnung  des  Muskelplasmas.  Muskelstroma.  Ver- 
breitung der  einzelnen  Muskeleiweißkörper.  Wärmestarre. 
Gewöhnung  an  hohe  Temperaturen.  Die  Totenstarre.  Che- 
mische Starre.  Lösung  der  Muskelstarre.  Erklärungsver- 
such der  Totenstarre  als  eines  Qu  ellungs  Vorganges.  Engel - 
mannsche  Theorie  der  Muskelkontraktion.  Die  Lösung  der 
Totenstarre  als  Entquellungsvorgang.  Milchsäure.  Glyko- 
gen. Phosphorfleischsäure.  Kreatin  und  Kreatinin.  Pu- 
rinkörpcr.  Karnosin.  Kamitin.  Aminosäuren,  Diamino- 
säuren,  Harnstoff.  Kohlehydrat,  Fett  und  Eiweiß  als  Quel- 
len der  Muskelkraft.  Nutzeffekt.  Chemische  Zustandsände- 
rungen  des  Muskels  bei  der  Arbeit.  Steigerung  der  Leistungs- 
fähigkeit durch  chemische  Agentien.  Lillies  Theorie  der 
Muskelkontraktion.  Bedeutung  von  Quell ungs Vorgängen. 
VIII.  Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.   .      167 

Lipoide.  Lecithin.  Jekorin.  Lecithineiweißverbindun- 
gen.  Kuorin.  Andere  Phosphatide.  Chemie  der  Nerven- 
substanz. Thudichums  Forschungsarbeit.  Fraktionierungs- 
verfahren  von  S.  Fränkel.  Leukopoliin.  Kephalin.  Mye- 
hne  und  Lecithine.  Sphingomyeün.  Protagon.  Cerebroside 
(as  Sphingogalaktoside).  Quantitative  Zusammensetzung 
der  Hirnsubstanz.  Eiweißkörper.  Reaktion  der  Nervensub- 
stanz. Färbemethoden.  Verbreitung  des  Cholins  im  Orga- 
nismus. Verfahren  der  quantitativen  Cholinbestimmung. 
Bild  der  Cholinvergiftung.  Vasodilatin.  Cholinderivate. 
Antagonismus  zwischen  Chohn  und  Adrenalin. 

IX.  Blutgerinnung 192 

Fibrinogen.  Fibrinoglobuhn.  Gcrinnungstheorie  von 
Morawitz  und  Fuld-Spiro.     Rolle  der  Kalksalze.     Throm- 


Inhaltsverzeichnis.  XI 


Seite 

bogen.  Blutplättchen.  Rolle  der  Leukocyten.  Thrombo- 
kinasen und  zymoplastische  Substanzen.  Nolfsche  Gerin- 
nungstheorie.  Glyzerinphosphorsaurer  Kalk.  Beziehun- 
gen der  Leber  zur  Blutgerinnung.  Pepton.  Gerinnungs- 
hemmende Agentien  verschiedener  Art.  Ungerinnbarkeit 
des  Menstrualblutes.  Gerinnungsbeschleunigende  Agentien. 
HämophiHe. 

X.  Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin 210 

Verbreitung  des  Hämoglobins  in  der  Tierreihe.  Hämatin 
und  Hämochromogen.  Zusammensetzung  des  Hämatins. 
Hämatoporphyrin.  Hämopyrrol.  Phonopyrrolkarbonsäure. 
Hämatinsäuren.  Hämatop)nrrolidinsäure.  Pyrrindol.  Pilo- 
tys  Formelbilder  für  das  Hämatoporphyrin  und  Hämatin. 
Abbauprodukte  des  Chlorophylls.  Respiratorische  Farb- 
stoffe. Entstehung  des  Hämoglobins.  Hämatoporphyrin 
als  photobiologischer  Sensibilisator.  Gallenfarbstoffe.  Be- 
ziehungen zwischen  Gallen-  und  Blutfarbstoff.  Bilirubin. 
Bilipurpurin.  Urobilin.  Spektrophotometrische  Urobilin- 
bestimmung.  Urobilinogen.  Verhalten  des  reinen  Urobilins. 
Bestimmung  des  Urobilinogens.  Reduktion  des  Bilirubins 
zu  Urobilin  im  Darme.  Hemibilirubin.  Kreislauf  des  Uro- 
bilins. Rolle  der  Leber.  Vermag  sich  Blutfarbstoff  direkt  in 
Urobilin  umzuwandeln? 

XI.  Eiweifistofife  des  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate 

und  Transsudate 240 

Serumeiweißkörper.  Globuline.  Albumine.  Übergang 
von  Albumin  in  GlobuHn.  Mengenverhältnis  der  Serum- 
eiweißkörper. Wiederersatz  der  Bluteiweißkörper.  Glutolin, 
Nukleoproteide,  Seromukoid,  Albumosen.  Lymphe.  Theo- 
rien betr.  die  Lymphbildung.  Beziehungen  zwischen  Organ- 
tätigkeit und  Lymphbildung.  Ödeme.  Entstehung  der 
Ödeme.  Rolle  der  Gefäßschädigung.  Bedeutung  toxischer 
Produkte  für  die  Wasseranziehung  der  Gewebe.  Kochsalz- 
retention.  Beziehung  der  Säurcbildung  in  den  Geweben  zu 
der  Genese  der  Ödeme.  M.  H.  Fischers  Glaukom theorie. 
Hemmung  der  Transsudat-  und  Exsudatbildung  durch 
Kalksalze.     Serumtherapie  der  Urticaria. 

XII.  Stfltzgewebe 261 

Knochengewebe.  Zusammensetzung  der  Knochenasche. 
Kristallisationsvorgänge  in  den  Tegumenten  niederer  Tiere. 
Pathologische  Veränderungen  der  Aschenzusammensetzung. 
Ersatz  des  Calciums  durch  Strontium.  Losungsvermögen 
des  Blutplasmas  für  Kalksalze.  Rolle  hoher  Fettsäuren  beim 
Verkalkungsvorgange.  Abbau  der  kalklösenden  Proteine. 
Rolle  von  selektiven  Adsorptionsvorgängen.  Metastatische 
Verkalkung.  Kalkablagerung  infolge  einer  Alkaleszenzver- 
änderung  der  Gewebsflüssigkeit.  Kalkschalenbildung  bei 
Weichtieren.  Knochenresorption.  Kalk-  und  Phosphor- 
stoffwechsel.    Inositphosphorsäure.     Rhachitis  und  Osteo- 


XII  Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

malacie.  Bedeutung  des  Kalkmangels  für  die  Pathogenese 
der  Rhachitis.  Trinkwasserhärte  und  Entartung.  Sterili- 
sierte Milch  und  Kalkansatz.  Magnesiumgehalt  der  Knochen 
und  Zähne.  Künstliche  Kalkverarmung  der  Knochen. 
Pathogenese  der  Osteomalacie.  Beziehung  der  Drüsen  mit 
innerer  Sekretion  zu  Vorgängen  des  Knochen  Wachstums. 
Phosphortherapie  der  Rhachitis.  Beriberi.  Knorpel.  Amy- 
loid. 

XIII.  Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion 2S6 

Gallenfisteln.  Abhängigkeit  der  Gallenselaretion  von  der 
Nahrungsmittelaufnahme.  Sekretin.  Cholagoga.  Einfluß 
der  Galle  auf  die  Darmbewegungen.  Cholämische  Erschei- 
nungen. Hämolyse  durch  Gallcnsäuren.  Hirnerscheinungen 
bei  Icterus  gravis.  Bedeutung  der  Leber  für  die  Verarbei- 
tung der  Eiweißabbauprodukte.  Ecksche  Fistel.  Alteratio- 
nen des  Stoffwechsels  nach  Leberschädigung.  Hepatotoxin. 
Icterus  per  stasin  und  per  parapedesin.  Icterus  neonatorum. 
Pathologisclie  Veränderungen  der  Gallenzusammensetzung. 
Gallensteine.     Umhüllungserscheinungen. 

XIV.  Gallensäuren,  Cholesterin 306 

Gallensäureu.  Glykocholsäure  und  Taurocholsäure.  Aty- 
pische Gallensäuren.  Darstellung  der  Cholsäure.  Synthese 
gepaarter  Ch Ölsäuren.  Cholaniin.  Reduktion  der  Cholsäure. 
Dehydroch  Ölsäure.  Dehydrocholon.  Biliansäure.  Cilian- 
säure.  Choloidansäure.  Rhizocholsäure.  Vorhandensein 
hydrierter  Benzolkerne.  Panzers  Hypothese.  Pregls  Hypo- 
these. Beobachtungen  über  die  trockene  Destillation  der 
Cholsäure.  Abhängigkeit  der  Cholsäureausscheidung  von  der 
Nahrungsaufnahme.  Cholesterin.  Vinyl-  und  Alkoholgruppe. 
Oxydativer  Abbau  des  Cholesterins.  Zahl  der  im  Cholesterin 
enthaltenen  Ringsysteme.  Andere  Sterine.  Cholesterin- 
bestimmung.     Herkunft  des  Cholesterins. 

XV.  Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem     333 

Sekundäre  Geschlechtscharaktere  bei  Fröschen.  Folgen 
der  Kastration  beim  Menschen.  Hypergenitalismus.  Ver- 
suche an  Hähnen.  Allgemein\virkung  orchitischer  Extrakte. 
Leydigsche  Zellen.  Chemie  der  Samenbildung.  Sekrete  der 
akzessorischen  Geschlechtsdrüsen.  Einfluß  von  Jonen  auf 
Spermatozoenbewegungen.  Das  Befruchtungsproblem. 
Chemotaxis.  Spezifizität  der  Befruchtung.  Spermatoxine. 
Spermasen.  Der  Bef ruch tu ngs Vorgang.  Merogonie.  Säure- 
produktion bei  der  Befruchtung.  Künstliche  Partheno- 
genese.    Befruchtungsmembran. 

XVI.  Weibliche  Sexualorgane 353 

Innere  Sekretion  der  weibHchen  Keimdrüsen.  Kastration. 
Transplantation  der  Ovarien.  Innere  Sekretion  des  Corpus 
luteum.  Sensibilisierung  der  Uterusschleimhaut  durch  das 
Corpus  luteum.  Einfluß  der  Ovarien  auf  die  Farbe  der  Nach- 
kommenschaft.    Parabiose  von  Männchen  und  Weibchen. 


Inhaltsverzeichnis.  XIII 


Seite 

Beziehungen  der  Mamma  zum  Gcnitalapparate.  Einfluß  der 
Kastration  auf  den  Stoffwechsel.  Wellenbewegungen  der 
Lebensprozesse  des  Weibes.  Giftigkeit  von  Ovarialextrak- 
ten.  Stoff  aus  tausch  zwischen  Mutter  und  Fötus.  Frucht- 
wasser. Wirksame  Substanzen  in  der  Plazenta.  Chemische 
Untersuchungen  des  Uterus.  Beobachtungen  am  überleben- 
den Uterus.  Stoffwechsel.  Willkürliche  Geschlechtsbestim- 
mung. Eklampsie.  Chemie  des  Eies.  Chemie  der  Embryo- 
genese. 

XVII.  Die  Niere 378 

Filtration,  Sekretion  und  selektive  Resorption.  Glomeru- 
lusfiltrat.  Sekretorische  Funktion  von  Nierenepithelzellen. 
Blutdruck.  Durchblutung.  Sauerstoffmangel.  Reflekto- 
rische Beeinflussung  der  Nierentätigkeit.  Isolierte  Aus- 
schaltung der  Glomeruli  und  Tubuli.  Ausscheidung  von 
Farbstoffen.  Rückresorption  von  Wasser  in  den  Kanälchen 
der  Marksubstanz.  Osmotischer  Druck  des  Nierenparen- 
chyms. Rückresorption  von  Kristalloiden  in  den  Harn- 
röhrchen. Diuretica.  Salzdiurese.  Koffcindiurese.  Energie- 
leistung der  Nierenzellen.  Lindemanns  Theorie.  Sekretions- 
arbeit der  Niere.  Prüfungsmethoden  der  Nierenfunktion. 
Überlebende  Nieren.  Zweiseitige  Harngewinnung.  Nieren- 
transplantation. Albuminurie.  Orthotische  Albuminurie. 
Erkältungsncphritis.  Einfluß  der  Kost  auf  die  Eiweißaus- 
scheidung. Blutdruckerhöhung.*  Urämie.  Anhäufung  von 
Schlackenstoffen  im  Blute.  Partielle  Nierenexstirpation. 
Verschiebung  des  Salzgleichgewichtes.  Harngifte.  Nephro- 
lysine. 

XVIII.  Die  Nebennieren 404 

Intcrrenal-  und  Adrenalsystem.  Konstitution  des  Supra- 
renins. Synthese  des  Suprarenins.  Bildung  des  Suprare- 
nins im  Organismus.  Quantitative  Bestimmung  und  Nach- 
weis des  Suprarenins.  Innere  Sekretion  der  Nebennieren. 
Einfluß  des  Nervensystems  auf  die  sekretorische  Tätigkeit 
der  Nebenniere.  Exstirpation  der  Nebennieren.  Relative  Be- 
deutung der  Rinde  und  des  Markes.  Transplantation  der 
Nebennieren.  Morbus  Addisonii.  Beziehung  der  Nebenniere 
zur  Pigmentbild ung.  Suprareninsekretion  bei  herabgesetz- 
tem Blutdruck.  Funktionsstörung  bei  Intoxikationen  und 
Infektionen.  Adrenalinämie  bei  Nephritis.  Zerstörung  des 
Suprarenins  im  Organismus.  Physiologische  Wirksamkeit 
des  Suprarenins.  Blutgefäßerkrankungen  nach  Suprarenin- 
in jektionen.  Therapeutische  Anwendung  des  Suprarenins. 
Synthese  suprarcninähnlicher  Substanzen. 

XIX.  Die  Schilddrüse 436 

Myxödem  und  Cachexia  strumipriva.  Wirkung  der 
Schilddrüsenfütterung  auf  Ausfallserscheinungen.  Trans- 
plantation der  Schilddrüse.  Scrumtherapie  der  Kachexie. 
Ätiologie  des   Kretinismus.      Wirkung  von   Schilddrüsen- 


XIV  Inhaltsverzeichnis. 


Seite 

extrakten  auf  den  Zirkulationsapparat.  Chemische  Stel- 
lung des  Jodothyrins.  Wirkung  des  Jodothyrins  auf  den 
Zirkulationsapparat.  Ashcrs  Versuche.  Hyperthyrcoidisa- 
tion.  Einfluß  der  Schilddrüsenzufuhr  auf  den  Stoffwechsel. 
Chronische  Einwirkung  des  Jodothyrins  auf  den  Organismus. 
Wirkung  des  Jodothyrins  auf  den  Stoffwechsel.  Pathologie 
des  Morbus  Basedowii.  Chirurgische  Behandlung  des  Base- 
dowkropfes. Künstlicher  Basedow  bei  Hunden.  Serum- 
behandlung des  Basedow. 

XX.  Die  Schilddrüse.    Die  Epithelkörperchen 461 

Jodgehalt  der  Schilddrüse.  Physiologische  Bedeutung  des 
Jods  in  der  Schilddrüse.  Reid-Hunts  Azctonitrilreaktion, 
Entgiftungstheorie.  Die  Epithelkörperchen.  Tetanie.  Te- 
taniegift.  Tetanie  und  Amoniak Vergiftung.  Faktoren, 
welche  die  Tetanie  begünstigen  und  hemmen.  Organ thcrapie 
mit  Epithelkörperchen.  Funktioneller  Zusammenhang 
zwischen  Schilddrüse  und  Epithelkörperchen.  Andere  Te- 
tanieformen. Epithelkörperblutungen.  Beziehungen  der 
Tetanie  zum  Kalkstoff  Wechsel. 

XXI.  Die  Hypophyse 479 

Exstirpation  der  Hypophyse.  Hypophysäre  Fettsucht. 
Akromegalie  und  Gigantismus.  Operative  Behandlung  der 
Akromegalie.  Einfluß  von  Hypophysenpräparaten  auf  das 
Knochenwachstum.  Beziehungen  der  Hypophyse  zu  der 
Schilddrüse  und  zu  den  Keimdrüsen.  Die  Hypophyse  als 
regulatorisches  Schutzorgan  des  Gehirns.  Wirkung  des 
Hypophysins  auf  die  Zirkulation.  Wirkung  des  Hypo- 
physins  auf  Blase,  Uterus,  Darm.  Therapeutische  An- 
wendung des  Hypophysins.  Diurctische  Wirkung  des 
Hypophysins.  Natur  und  physiologische  Bedeutung  der 
wirksamen  Substanz.     Die  Zirbeldrüse. 

XXII.  Milz,  Thymus  und  Knochenmark .     495 

Beziehung  der  Milz  zur  Blutbildung.  Hämolytische 
Funktion  der  Milz.  Splenomegalischer  hämolytischer  Icterus. 
Die  Milz  als  Organ  des  Eisenstoffwechsels.  Milztransplan- 
tation. Fermente.  Schilf. -Herzensche  Ladungstheorie. 
Thymus,  entwicklungsgeschichtliche  Stellung.  Eiweißzu- 
sammensetzung. Wirkung  von  Th)nnuscxtrakten.  Exstir- 
pation der  Thymus.  Wachstumsstörungen  nach  Thymus- 
ausschaltung.  Beziehung  der  Thymus  zum  Nervensystem. 
Beziehungen  der  Thymus  zu  den  Keimdrüsen.  Status  thy- 
luico-lymphaticus.  Beziehungen  zwischen  Thymus  und 
Schilddrüse.  Knochenmark.  Veränderungen  des  Knochen- 
markes unter  Einwirkung  verschiedener  Faktoren.  Lipoid- 
substanzen  des  Knochenmarkes.  Beziehung  des  Knochen- 
markes zur  Bildung  des  Fibrinogens.  Der  Eiweißkörper 
von  Bence  Jones.     Blutlymphdrüsen. 

XXIII.  Tegumentsubstanzen,  Melanine 514 

Tegumentsubstanzen.  Gerüstsubstanzen  der  niedersten 
Tierformen,  Spongin,  Gorgonin.     Verschleimung  der  Holo- 


Inhaltsverzeichnis.  XV 


Seite 

thurienhaut.  Kohlehydratartige  Hüllsubstanzen  der  Wür- 
mer. Conchiolin.  Chitin.  Ältere  Untersuchungen.  Nitro- 
chitine.  Kristallinische  Chitosansalze.  Tunicatenzellulose. 
Keratine.  Kieselsäuregehalt  der  Haare  und  Federn.  Mela- 
nin. Darstellung.  Schwefel-  und  Eisengehalt.  Abbauver- 
suche. Theorie  der  Melaninbildung.  Chromogene  Kom- 
plexe im  Eiweißmoleküle.  Pflanzliche  Tyrosinasen.  Mela- 
nose des  Insektenblutes.  Tyrosinase  in  der  Tintendrüse  der 
Cephalopoden.  Nachweis  von  Tyrosinasen  in  pigmentierten 
Tegumenten.  Nachweis  von  Tyrosinasen  in  melanotischen 
Tumoren.  Melaninbildung  bei  hämoglobinfreien  Tieren. 
Melaninbildung  in  Tumoren.  Nachweis  farbloser  Chromogene. 
Gewinnung  pflanzlicher  Tyrosinase.  Quantitative  Bestim- 
mung des  Melanins.  Wirkungsweise  der  Tyrosinasen.  Me- 
lanogen  im  Harne. 

XXIV.  Die  GeschwQlste 540 

Embryonaler  Charakter  der  Tumorzellen.  Umwandlung  von 
Karzinom  in  Sarkom.  Chemische  Übereinstimmung  zwi- 
schen Metastasen  und  ihrem  Ursprungsgewebe.  Eiweiß- 
zusammensetzung der  Tumoren.  Aschenzusammensetzung. 
Krebsgift  und  Kachexie.  Stoffwechsel  bei  Krebskachexie. 
Ox5rproteinsäurenausscheidung  beim  Karzinom.  Neutral- 
schwefel. Leicht  oxydabler  Anteil  des  Neutralschwefels. 
Vermehrte  Ausscheidung  von  Eiweißschlacken.  Fehlen  freier 
Salzsäure  im  Magensafte.  Autolyse  und  Heterolyse  in  Tu- 
moren. Atypische  Polypeptidspaätung.  Beziehung  hetero- 
lytischer  Fermente  zur  Krebskachexie.  Wirkung  des  Radiums 
auf  die  Autolyse.  Wesen  des  Serumantitrypsins.  Antitrypsin 
im  Serum  beim  Karzinom.    Katalasen  in  Tumoren. 

XXV.  Geschwülste 564 

Serodiagnostik  der  Tumoren.  Freund- Kaminersche  Zellen- 
reaktion. Meiostagminreaktion.  Pfeiffersche  Reaktion. 
Andere  serologische  Reaktionen.  Einwirkung  äußerer  Agen- 
tien  auf  das  Tumorwachstum.  Erzeugung  von  Tumoren  durch 
Injektion  von  gefärbten  Fetten.  Cohnheim-Ribbertsche 
Theorie.  Endemisches  Auftreten  maligner  Neubildungen. 
Transplantation  von  Neoplasmen  von  Menschen  auf  Tiere. 
Transplantation  von  Neoplasmen  von  Tier  zu  Tier.  Kom- 
plexe Wachstumsbedingungen.  Kultur  normaler  Gewebe 
in  vitro.  Kultur  von  Tumoren  in  vitro.  Filtrierbares  Sarkom- 
Virus.  Heilserum  gegen  Krebs.  Impfung  mit  abgeschwäch- 
tem Virus.     Immunisierung  durch  normale  Gewebsteile. 


L  Vorlesung. 
EINLEITUNG. 

Hydrolytische  Eiweißspaltung. 

Einem  jeden,  der  unbefangenen  Sinnes  das  geistige  Streben  Einleitung, 
und  Ringen  unserer  Zeit  betrachtet,  muß  sich  die  Empfindung 
aufdrängen,  daß  wir  eine  Periode  mächtiger  Bewegung  miterleben, 
die,  zum  mindesten  im  Bereiche  der  Naturwissenschaften  und 
ihrer  praktischen  Anwendung,  innerhalb  eines  einzigen  Jahres  Fort- 
schritte zeitigt,  wie  sie  in  früheren  Kulturperioden  kaum  Dezennien 
hervorzubringen  vermochten.  Allerdings  sind  die  Mitlebenden 
großer  Epochen,  da  sie  über  den  VerdrießHchkeiten  und  Rück- 
schlagserscheinungen .des  Alltages  vielfach  den  Blick  für  das 
Ganze  verlieren,  erfahrungsgemäß  weniger  geneigt,  ihrer  Zeit 
Gerechtigkeit  angedeihen  zu  lassen,  als  die  Nachlebenden. 

Aus  bescheidenen  Anfängen  hat  sich  die  Biologie,  die  Lehre 
vom  Leben,  im  Laufe  des  vorigen  Jahrhunderts  zu  mächtiger 
Entfaltung  durchgerungen.  Alexander  von  Humboldt  durfte  sich 
noch  berühmen,  die  Gesamtheit  der  naturwissenschaft- 
lichen Kenntnisse  seiner  Zeit  zu  überblicken.  Johannes  Müller, 
der  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  auf  der  Höhe  seines 
Wirkens  stand,  vermochte  immerhin  noch  die  Gesamtheit  der 
biologischen  Disziplinen  zu  beherrschen.  Seine  Schüler 
konnten  dies  nicht  mehr.  Hatte  sich  doch  neben  der  Zoologie, 
der  Anatomie  und  Botanik  sowohl  die  Physiologie  als  auch  die 
Pathologie,  aus  der  Nebelsphäre  naturphilosophischer  Speku- 
lationen an  das  Licht  geleitet,  zu  einer  selbständigen  Wissenschaft 
entwickelt.  Karl  Ludwig  und  einige  seiner  Zeitgenossen  konnten 
immerhin  noch  die  gesamte  Physiologie  bemeistern.  Heute 
lebt  niemand  mehr,  der  dies  imstande  wäre. 

V.  Fürth,  Probleme.  I 


I.  Vorlesung.    Einleitung. 


Wir  können  die  Erscheinungen  des  Lebens,  einer  natürlichen 
Einteilung  gemäß,  in  solche  morphologischer,  ph3rsikalischer  und 
chemischer  Natur  sondern.  So  ist  denn,  neben  den  morpho- 
logischen Disziplinen,  die  Biophysik  und  die  Biochemie 
jede  für  sich  zu  einer  mächtigen  Wissenschaft  herangewachsen. 
Heute  genügt  ein  Menschenleben  längst  nicht  mehr,  um  eine 
derselben  in  ihrem  vollen  Umfange  umfassen  zu  können,  und  die 
Notwendigkeit  weiterer  Spezialisierung  macht  sich  gebieterisch 
geltend.  Ich  nenne  Ihnen  nur  einige  Schlagworte,  wie  z.  B.  all- 
gemeine, vergleichende,  Sinnes-,  Nerven-  imd  Elektrophysiologie, 
physikalische  Chemie  der  Lebensvorgänge,  Kolloidchemie,  Phar- 
makologie ,  Immunitätslehre ,  Chemotherapie ,  Pflanzenchemie , 
pathologische  Chemie  usw.,  um  Ihnen  klar  zu  machen,  wie  das 
Mißverhältnis  zwischen  dem  begrenzten  menschlichen  Aufnahms- 
vermögen und  der  unbegrenzt  anwachsenden  Materie  immer 
wieder  zu  neuen,  zum  Teile  rein  künstlichen  Abgrenzungen 
zwingt. 

Eine  ungeheure  Vermehrung  der  literarischen  Produktion  geht 
mit  dieser  Entwicklung  Hand  in  Hand.  Ich  vermag  mich  niemals 
eines  Gefühles  von  Neid  zu  erwehren,  wenn  ich  zum  Beispiel 
Briefe  von  Liebig,  Wöhler  oder  Berzelius  lese  und  sehe,  wie  für  diese 
Glücklichen  jede  wissenschaftliche  Publikation  ein  Ereignis  war. 
Mit  welcher  Liebe  wurde  alles,  auch  wenn  es  nur  wissenschaft- 
liche Kleinarbeit  war,  aufgenommen,  mit  welcher  Freude  wieder 
gelesen  und  überdacht.  Wir  laufen  Gefahr,  durch  die  Masse 
literarischer  Produktion  schließlich  das  naive  Vergnügen  am 
Neuen  einzubüßen  und  der  Neugierde  verlustig  zu  werden,  die 
jedes  ursprüngliche  Individuum,  ob  jung  oder  alt,  dem  Un- 
bekanntem entgegenbringt  und  die  schließlich  die  Seele  jeder 
echten  Naturforschung  ist. 

Und  wenn  heute  in  einem  Fache,  wie  es  die  Biochemie  ist, 
der  Fachmann  im  Schweiße  seines  Angesichtes  eben  noch  imstande 
ist,  sich  über  die  Literatur  in  ihren  wichtigsten  Erscheinungen 
einigermaßen  zu  orientieren,  ist  dies  für  den  Fernerstehenden 
bereits  längst  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  geworden. 

So  will  ich  denn  den  Versuch  wagen,  Ihnen  in  einer  Folge 
zwangloser  Vorlesungen  über  neuere  Ergebnisse  und  Richtungs- 
linien biochemischer  Forschung  zu  berichten. 


Hydrolytische  Eiweißspaltung. 


Wenn  ich  also  nunmehr  daran  gehe,  Ihnen  eine  Anzahl  der  Die  Uhre  vom 
wichtigsten    Probleme   vorzuführen,    welche    die    physiologisch-  w^ß"u^,Uj^ie 
chemische  Forschung  gegenwärtig  beschäftigen,  und  dabei  ver-    Darstellung 
suchen  will,  die  Ziele  anzudeuten,  denen  sie  voraussichtlich  in  E^^emkörpeT 
nächster  Zukunft  zustreben  dürfte,  so  ergibt  es  sich  von  selbst, 
daß  ich  zunächst  auf  die  Frage  der  Eiweißkonstitution  zu 
sprechen  komme. 

Noch  liegt  die  Zeit  nicht  gar  so  weit  hinter  uns,  wo  das  unge- 
heure Eiweißmolekül  das  Mysterium  des  Lebens  in  seiner  Tiefe 
zu  bergen  und  dem  forschenden  Menschenauge  zu  verhüllen  schien, 
und  wo  die  Lehre  vom  lebenden  Eiweiß  allgemeine  Geltung 
besaß.  Zwar  war  die  Eiweißnatur  der  Blut-  und  Aleuronkristalle 
damals  schon  bekannt.  Doch  erst  seitdem  Franz  Hofmeister 
im  Jahre  1889  zuerst  seine  Methode  der  künstlichen  Dar- 
stellung von  Eieralbuminkristallen  beschrieben  und  die 
Methode  gelehrt  hatte,  um  aus  Lösungen  typischer  Proteinsub- 
stanzen Eiweißkristalle  herzustellen,  —  erst  seitdem  ist  die  Mystik 
aus  dem  Eiweißprobleme  gewichen  und  die  Lehre  »vom  lebenden 
Ei>¥eiß«  in  sich  zusammengebrochen.  Daß  wir  dem  Mysterium 
des  Lebens  seitdem  um  sehr  vieles  näher  gekommen  sind,  wage 
ich  nicht  zu  behaupten.  Immerhin  hegt  ein  Fortschritt  darin, 
daß  wir  es  nunmehr  in  der  organisierten  Zelle,  nicht  aber  im 
Eiweißmoleküle  selbst  suchen  und  daß  die  Frage  der  Eiweiß- 
konstitution aus  einem  physiologischen  ein  chemisches  Problem 
geworden  ist. 

Heute  hofft  jeder  Biochemiker,  daß  der  Tag  kommen  wird, 
wo  ein  chemisches  Formelbild  den  ganzen  Wunderbau  des  Eiweiß- 
moleküls bis  in  die  kleinste  Einzelheit  getreu  wiedergibt  und 
jedem  der  vielen  Hundert  darin  enthaltender  Atome  seinen  Platz 
anweist,  wenngleich  ein  jeder  weiß,  daß  es  keinem  der  heute 
Lebenden  beschieden  ist,  diesen  Tag  zu  schauen. 

Wir  wissen  aber  auch,  daß  der  Anbück  eines  solchen  Formel- 
bildes keineswegs  genügen  würde,  um  das  Geheimnis  des  Lebens 
unserem  Auge  zu  entschleiern. 

Wenn  wir  also  auch  weit  davon  entfernt  sind,  das  Eiweiß- 
problem derart  zu  überschätzen,  wie  es  frühere  Generationen  zu 
tun  pflegten,  so  sind  wir  uns  doch  darüber  im  klaren,  daß  es  im 
Mittelpunkte  biochemischer  Forschung  steht. 


Estermethode. 


4  I.  Vorlesung.    Einleitung. 

Ich  will  daher  damit  beginnen,  einige  der  wichtigsten  neueren 
Fortschritte  auf  diesem  Gebiete  kurz  zu  skizzieren. 
Emil  Fischers  Die  Versuche,  das  Eiweißproblem  dadurch  zu  vereinfachen, 
daß  man  Proteinsubstanzen  durch  die  Einwirkung  hydrolytischer 
Agentien  in  ihre  Bruchstücke  zerlegte,  sind  fast  so  alt,  wie  die 
physiologische  Chemie  selbst.  Dieselben  hatten  auch  bereits 
dazu  geführt,  eine  Anzahl  der  Bestandteile,  aus  denen  sich  das 
Eiweißmolekül  mosaikartig  zusammensetzt,  kennen  zu  lernen, 
als  Emil  Fischer  daran  ging,  seine  Meisterhand  an  dem  Probleme 
der  Eiweißhydrolyse  zu  erproben. 

Die  Erfolge,  die  Emil  Fischer  auf  diesem  Gebiete  errungen 
hat,  sind  längst  so  sehr  Gemeingut  aller  wissenschaftlich  gebildeten 
Biologen  geworden,  daß  ich  mich  in  dieser  Hinsicht  kurz  fassen 
kann. 

Es  mag  genügen,  Ihnen  in  Erinnerung  zu  bringen,  daß  Emil 
Fischers  »Estermethode«  auf  dem  Gedanken  beruht,  das 
durch  Säurehydrolyse  von  Proteinsubstanzen  entstehende  Ge- 
menge von  Aminosäuren  durch  Salzsäure  in  alkoholischer  Lösung 

zu  verestern: 

R.CH.NHg  R.CH.NHg 

COOH  "^  COOCCjHg) 

und  die  Ester  durch  fraktionierte  Destillation  im  Vakuum  von- 
einander zu  trennen.    Da  zunächst  die  salzsauren  Verbindungen 

der  Ester  ^'^^^'^^l^^^  entstehen,  müssen  die  Ester  selbst  erst 

freigemacht  und  abgetrennt  w-erden,  was  durch  Zusatz  von  Na- 
tronlauge und  Kaliumkarbonat  und  Ausschütteln  mit  Äther 
geschieht,  bevor  man  an  ihre  Trennung  durch  Vakuumdestillation 
herangehen  kann. 

Wer  sich  über  die  Einzelheiten  des  Vorganges  orientieren 
will,  sei  auf  das  Studium  von  Artikeln  verwiesen,  in  denen  Abder- 
halden^), E.  Fischers  langjähriger  Mitarbeiter,  seinen  reichen 
Erfahrungsschatz  auf  diesem  Gebiete  niedergelegt  hat. 

Welchen  Fortschritt  die  Estermethode  bedeutet,  wird  vielleicht 
nur  derjenige  voll  ermessen  können,  der  sich  noch  selbst  »im  alten 
Stile«  bemüht   hat,  Eiweißspaltungsprodukte   zu   isolieren,  und 

i)  E.  Abderhalden,  Handb.  d.  Biochem.  1,  347 — 396,  1908  und 
Handb.  der  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  470 — 408  (tqio). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung. 


Gelegenheit  hatte,  die  gänzliche  Unzulänglichkeit  der  älteren 
Methoden  durch  praktische  Erfahrung  kennen  zu  lernen. 

Daß  die  Estermethode  technisch  unschwierig  ist,  soll  nicht 
behauptet  werden.  Auch  setzt  sie  Laboratoriumsmittel  voraus, 
die  durchaus  nicht  allenthalben  zugängüch  sind,  insbesondere 
aber  ist  ihr  Geüngen  an  eine  vervollkommnete  Technik  der 
Vakuumdestillation  bei  sehr  niedrigem  Drucke  gebunden. 
Mit  Hilfe  einer  elektrisch  betriebenen  Gerykvakuumpumpe  ge- 
lingt es,  wenn  die  sich  entwickelnden  Dämpfe  in  den  Vorlagen 
durch  Kühlung  mit  fester  Kohlensäure  und  Äther  oder  mit 
flüssiger  Luft  sogleich  kondensiert  werden,  sehr  schnell,  den 
Druck  auf  einen  Bruchteil  eines  Millimeters  herabzudrücken  i). 
Kraffi  und  seine  Schule  haben  gezeigt,  daß  eine  Herabsetzung 
des  Druckes  von  15  Milhmetern  auf  das  sogenannte  Kathoden- 
vakmim  bei  manchen  Verbindungen  eine  gewaltige  Erniedrigung 
des  Siedepunktes  um  etwa  70 — 100°  bewirken  kann.  Was  dies 
für  so  leicht  zersetzliche  Substanzen,  wie  es  die  Aminosäureester 
sind,  zu  bedeuten  hat,  liegt  auf  der  Hand. 

Mit  Hilfe  der  Estermethode  sind  nicht  alle  Bestandteile  des 
Eiweißmoleküles  abtrennbar.  Die  Isolierung  des  Lysins  und 
Arginins,  des  Glukosamins,  der  Diaminotrioxydodekansäure  (s.  u.) 
sowie  vieler  zyklischer  Komplexe,  wie  des  Tyrosins,  Histidins, 
Oxyprolins  und  Trj^tophans  erfordert  eine  besondere  Technik. 
Dieselbe  -ist  jedoch  gerade  für  manche  dieser  Verbindungen  zu 
einem  hohen  Grade  von  Vollkommenheit  gediehen.  Es  gilt  dies 
insbesondere  für  die  von  Kossei  und  Kutscher  vortrefflich  aus- 
gearbeiteten Methoden  zur  Trennung  und  Isolierung  der  Di- 
aminosäuren^). 

Es  gibt  wohl  wenige  Gebiete  der  biologischen  Wissenschaften, 
wo  sich  die  Fülle  der  im  Laufe  weniger  Jahre  geleisteten  Arbeit 
in  imposanterer  Weise  offenbart,  als  auf  dem  Gebiete  der  Eiweiß- 
hydrolyse. Bedenkt  man,  welche  Summe  mühevoller  Arbeit  jede 
einzelne  derartige  auf  Ausbeute  abzielende  Analyse  bedeutet,  und 
überblickt  man  dann  weiter  die  Tabellen,  welche  die  Resultate 
zusammenfassen,  sowie  die  langen  Zahlenkolonnen,  die  sich  auf  die 

i)  E.  Fischer  und  Harries,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  35,  2158  (1902). 
2)  Vgl.   d.   Artikel  von   Steudel   im  Handb.    d.  biochem.     Arbcits- 
meth.  2,  188  (19 10), 


I.  Vorlesung.    Einleitung. 


keit  der  Ester 
methode. 


Mehrzahl  der  bisher  in  größerer  Menge  zugänglichen  Eiweißkörper 
beziehen,  so  bekommt  man  Respekt  vor  dem,  was  naturwissen- 
schaftliche Arbeit  in  unserem  vielgescholtenen  Jahrhunderte 
fertig  zu  bringen  vermag^). 
Leistungsfähig-  Fragen  wir  uns  nunmehr,  welche  Grenzen  der  Leistungs- 
fähigkeit der  Estermethode  vorläufig  gesteckt  sind. 

Es  ist  eine  bekannte  Tatsache,  daß  die  Summe  der  bei  einer 
Eiweißhydrolyse  isolierten  Spaltimgsprodukte  gegenüber  dem 
Ausgangsmateriale  stets  ein  Defizit  aufweist,  das  bei  vielen 
Analysen  50%  und  mehr  ausmacht.  Skraup^)  hat  sich  nun  die 
Frage  vorgelegt,  ob  dieses  Defizit  im  wesentlichen  von  der  Existenz 
bisher  unbekannter  Eiweißspaltungsprodukte  herrühre  oder  aber 
durch  die  Unvollkommenheit  der  angewandten  Methoden  be- 
dingt sei.  Es  wurden  daher  die  Rückstände,  die  bei  der  Äther- 
extraktion der  Aminosäiu^eester  zurückgeblieben  waren,  immer 
wieder  mit  Salzsäure  hydrolysiert  und  dem  gleichen  Veresterungs- 
und Abtrennungsverfahren  unterworfen.  So  wurde  aus  Gelatine 
schließlich  eine  Ausbeute  an  Aminosäuren  erzielt,  die  66%  des 
Ausgangsmateriales  betrug.  Indem  nun  Skraup  die  unvermeid- 
lichen Verluste  mit  etwa  20%  bewertete,  gelangte  er  zu  der 
Schlußfolgerung,  daß  das  Vorhandensein  erheblicher  Mengen 
eines  bisher  ganz  unbekannten  Spaltungsproduktes  der 
Gelatine  sehr  unwahrscheinlich  sei. 

Noch  günstigere  Resultate  erzielten  Osborne  und  seine  Mit- 
arbeiter^) kürzlich  bei  Verarbeitung  des  Zeins,  wobei  sie  sich 
bei  der  Veresterung  des  {von  Phelbs  und  Tillotson  herrührenden) 
Kunstgriffes  bedienten,  durch  die  alkoholische  salzsaure  Lösung 


i)  Vgl.  die  Zusammenstellung  der  Resultate  über  quantitative  Eiweiß- 
hydroljrse:  Abderhalden,  Lehrb.  der  physiol.  Chemie,  2.  Aufl.  233 — 244. 
(1909).  —  Samuely,  Handb.  d.  Biochcm.  1,  278  (1908).  —  Cohnheim, 
Chemie  der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  (1911).  —  Vgl.  insbesondere  auch  die 
zahlreichen  Arbeiten  von  Osborne  und  seinen  Mitarbeitern  in  den  letzten 
Jahrgängen  des  Americ.  Journ.  of  Physiol.  (über  Hydrolyse  von  Pflanzen- 
proteinen) sowie  die  Untersuchungen  von  Abderhalden  und  seinen 
Schülern  über  die  Zusammensetzung  und  den  Abbau  der  Seidenarten  in 
den  letzten  Bänden  der  Zeitschr.  für  physiol.  Chem. 

2)  Zd.  H.  Skraup  und  v.  Biehler,  Monatsh.  f.  Chem.  30,  467  (1909). 

3)  Th.  B.  Osborne  and  D.  B.  Jones,  Americ.  Journ.  of  Physiol.  26, 
212,  305  (ipTo).  —  Th.  B.  Osborne  and  L.  M.  Lidde,  ibid.  26,  295  (1910). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung. 


der  Aminosäuren  einen  Strom  von  Alkoholdampf  zu  leiten  und 
Zinkchlorid  als  Katalysator  hinzuzufügen.  Die  Ausbeute  an 
Aminosäuren  betrug  in  diesem  Falle  80 — 85%.  Zieht  man  die 
unvermeidlichen  Verluste  in  Rechnung,  so  wird  man  zu  der 
Schlußfolgerung  kommen,  daß  auch  hier  für  das  Reich  des  Un- 
bekannten wenig  Ramn  übrig  bleibt. 

Besonders  wertvoll  ist  ein  Versuch,  der  kürzlich  von  ähnlichen 
Gesichtspunkten  aus  am  Seidenfibroin  ausgeführt  worden  ist, 
da  es  sich  hier  um  einen  Eiweißkörper  von  einfacherer  Zusammen- 
setzung handelt  und  da  die  Analyse  von  Abderhalden  ^)  aus- 
geführt worden  ist,  sonach  von  demjenigen,  der  unter  allen 
Zeitgenossen  wohl  die  ausgedehntesten  praktischen  Erfahrungen 
auf  diesem  Gebiete  besitzt.  Der  Stickstoff gehalt  der  einzelnen 
Fraktionen  wurde  direkt  ermittelt.  Als  besonders  heikle  Operation 
erscheint  hier  das  Infreiheitsetzen  der  Aminosäureester  aus  ihren 
salzsauren  Verbindungen.  Dabei  hat  Abderhalden  neben  Natron- 
lauge festes  Kaliumkarbonat  angewandt  und  durch  vorsichtigen 
Zusatz  und  kräftiges  Schütteln  dafür  Sorge  getragen,  daß  der 
Äther  jedes  Teilchen  für  sich  umspüle  und  sofort  den  in  Freiheit 
gesetzten  Ester  aufnehmen  könne. 

Hören  wir  nun,  wie  Abderhalden  die  Fehlerquellen  des  Ver- 
fahrens beurteilt: 

»Bei  Infreiheitsetzen  der  Ester  wurden  wechselnde  Resultate 

erhalten Ohne  Zweifel  hegt  hier  eine  der  wesentlichsten 

Fehlerquellen.  Die  Infreiheitsetzung  der  Ester  erfordert  Er- 
fahrung und  Übung.  Bemerkt  sei,  daß  die  meisten  von  mir  und 
von  meinen  Mitarbeitern  veröffentlichten  Arbeiten  über  voll- 
ständige Hydrolyse  von  Proteinen  Resultate  enthalten,  die  nach 
mehrfacher  Wiederholimg  der  ganzen  Arbeit  gewonnen  worden 

sind.     Oft  ergeben  sich  ganz  beträchtliche  Unterschiede 

Im    Destillationsrückstande    verbleibt    noch    eine    ansehnliche 

Stickstoffmenge.  Aus  ihr  läßt  sich  Serinanhydrid  gewinnen 

Bei  der  Fraktionierung  der  Ester  und  beim  Eindampfen  des  Äthers 
sind  die  Verluste  relativ  groß.  Man  kann  sie  beträchtlich  ein- 
schränken, indem  man  den  von  den  Estern  abdestillierten  Äther 
mit  wässeriger  Salzsäure  ausschüttelt  und  dann  vom  Äther  ab- 

i)  E.  Abderhalden,  Z.  f.  physiol.  Chem.  68,  477  (1910). 


8  I.  Vorlesung.     Einleitung. 

trennt.     Dampft  man  den  salzsäurehaltigen  Auszug  ein,  dann 

erhält  man  noch  beträchtliche  Mengen  von  Aminosäuren 

Weitere    Verluste    entstehen    bei    der    Trennung    der    einzelnen 

Fraktionen  in  ihre  Bestandteile Hier  spielen  Erfahrung 

und  Übung  eine  große  Rolle.  Verluste  sind  jedoch  nicht  vermeid- 
bar       Es   sei   ausdrücklich   hervorgehoben,   daß   weder 

£.  Fischer  noch  ich  jemals  behauptet  haben,  daß  die  mit  Hilfe  der 
Estermethode  erhaltenen  Werte  Anspruch  auf  Exaktheit  machen. 
Niemals  war  die  Rede  von  einer  quantitativen  Bestinunungs- 
methode.  Daß  wir  niemals  daran  gedacht  haben,  die  von  uns 
gegebenen  Werte,  die  stets  als  Minimalwerte  bezeichnet  sind, 
als  quantitative  auszugeben,  geht  schon  daraus  hervor,  daß  wir 
immer,  wenn  es  sich  um  quantitative  Bestimmungen  handelt, 
nur  Tyrosin,  Glutaminsäure  und  die  Diaminosäuren  in  Betracht 
zogen.  Höchstens  das  GlykokoU  wurde  in  solchen  Fällen  noch 
mitbestimmt.« 

Bei   3 — 5  maliger   Wiederholung   des   Bestimmungsvorganges 
erzielte  Abderhalden  beim  Seidenfibroin  keine  höhere  Ausbeute 
als  78%. 
Modifikationen        Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Technik  der  Ester- 
methode  und   "i^thode  ZU  verbessern,  namentlich  in  bezug  auf  das  Freimachen 
des  Hydrolyse- der   Ester.      So   hat   z.  B.   Abderhalden^)  in   der  alkoholischen 
Verfahrens.     j^Qg^j^g  (j^r  Esterchlorhydrate  das  Chlor  quantitativ  bestimmt, 
die  berechnete  Menge  in  Alkohol  gelösten   metallischen  Na- 
triums hinzugefügt,  das  ausfallende  Kochsalz  abfiltriert  und  die 
Lösung  der  nunmehr  freien  Ester  fraktioniert  destilliert. 

Lcvene^)  wiederum  empfiehlt,  die  Ester  der  Aminosäuren, 
statt  mit  Lauge  und  Kaliumkarbonat,  mit  trockenem  Baryum- 
oxyd  und  Atzbarytlösung  in  Freiheit  zu  setzen,  wobei  sich  ins- 
besondere der  Vorteil  ergeben  soll,  daß  man  aus  dem  Destillations- 
rückstande das  Serin  in  größeren  Quantitäten  als  sonst  direkt 
darstellen  kann. 

Schließlich   wurde   von  Pribam^)    in    Skraups  Laboratorium 

i)  E.  Abderhalden  und  Rostoski,  Z.  f.  physiol.  Chem.  46, 125  (1905). 

2)  P.  A.  Levene  and  D.  D.  van  Slyke,  Biochem.  Z.  18,  440  (1908).  — 
P.  A.  Levene  and  C.  L.  Aisberg,  Journ  of  biol.  Chcin.  2,  127  (1906). 

3)  B.  O.  Pribram,  Sitzungsbcr.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.  Kl. 
11811b,  (1909),  Monatsh.  f.  Chem.  31,  51   (i9(X)). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung. 


trockenes  Ammoniakgas  mit  gutem  Erfolge  zur  Abscheidung 
der  Aminosäuren  aus  ihren  Chlorhydraten  verwendet. 

Man  hat  sich  auch  bemüht,  die  bei  totaler  Eiweißspaltung 
erzielten  Ausbeuten  durch  Abänderung  des  Hydrolyseverfahrens 
zu  verbessern.  Am  häufigsten  kommt  nach  wie  vor  Salzsäure 
zur  Verwendung;  doch  scheint  auch  die  Schwefelsäure  ebenso 
brauchbar  zu  sein.  Jedenfalls  hat  sich  die  Angabe,  daß  die  Hydro- 
lyse mit  Schwefelsäure  viel  weniger  Glutaminsäure  liefere,  als 
jene  mit  Salzsäure,  nicht  bestätigt  i).  Der  kürzlich  in  Skraups 
Laboratorium  ausgeführte  Versuch,  die  Hydrolyse,  statt  mit 
wässeriger,  mit  alkoholischer  Salzsäure  auszuführen,  hat 
keinen  besonderen  Fortschritt  gezeitigt  2),  ebensowenig  wie  der 
Versuch,  das  Kasein  durch  Methylierung  mit  Hilfe  von  Jod- 
methyl vor  der  Hydrolyse  in  alkohollösliche  Form  überzuführen  3). 

Einen  wirklichen  Fortschritt  könnte  dagegen  der  von  franzö- 
sischen Autoren  herrührende  Vorschlag  bedeuten,  die  Hydrolyse 
mit  Fluorwasserstoffsäure  auszuführen.  Dabei  soll  die 
lästige  Melaninbildung,  die  jedenfalls  in  erster  Linie  durch  die 
Zerstörung  des  Glukosamins  bedingt  ist,  ganz  ausbleiben,  ebenso 
wie  auch  die  sekundäre  Veränderung  von  Diaminosäuren  u.  dgl. 
und  die  Ausbeute  an  kristallisierbaren  Substanzen  größer  sein, 
als  bei  Anwendung  von  Schwefel-  oder  Salzsäure.  Das  Verfahren 
ist  nicht  gerade  bequem,  da  die  Anwendung  von  Glasgefäßen 
ausgeschlossen  ist.  Es  gelangte  ein  mit  dickem  Bleibleche  über- 
zogener Kupferkessel  zur  Verwendung,  auf  dem  ein  Bleidom  mit 
aufgesetztem  Bleikühler  hermetisch  schließend  aufgesetzt  war. 
Ob  die  Unbequemüchkeiten  des  Verfahrens  wirklich  durch  erheb- 
liche Vorteile  aufgewogen  werden,  müssen  erst  weitere  Unter- 
suchungen lehren*). 

Seit  jeher  war  die  Alkalihydrolyse  ein  Konkurrenz ver-       Alkali- 
fahren gegenüber  der  Säurehydrolyse.   Schon  in  den  70er  Jahren     ^^  royse. 
des  vorigen  Jahrhunderts  hatte  Schützenberger  Eiweißkörper  mit 

i)  Zd.  H.  Skraup  und  W.  Türk,  Monatsh.  f.  Chem.  30,  287  (1909). 

2)  M.  Pfannl,  Monatsh.  f.  Chemie  31,  81   (1910). 

3)  Zd.  H.  Skraup,  Krause  und  Böttcher,  Monatsh.  f.  Chem.  30, 

447  (1909).  »1,  1035  (1910)- 

4)  Hugounenq  et  Morel,  Compt.  rend.  146,  1291  (1908);  Joum.  de 

Pharm,  et  de  Chim.  28,  486  (1908). 


10  I.  Vorlesung.     Einleitung. 


heißem  Alkali  unter  Druck  in  systematischer  Weise  hydrolysiert, 
und  seitdem  hat  es  nicht  an  Versuchen  in  der  gleichen  Richtung 
gefehlt  1).  Es  treten  dabei  zunächst  die  typischen  Bruchstücke 
des  Eiweißmoleküls  auf,  welche  sodann  bei  längerer  Einwirkung 
des  Alkalis  unter  Desamidierung  und  Ammoniakentwicklung  zur 
Bildung  von  Fettsäuren  (von  der  Valeriansäure  abwärts)  führen 
können.  Aus  dem  Cystin  können  Merkaptane  entstehen; 
auch  kann  der  Schwefel  in  Form  von  Schwefelwasserstoff  ab- 
gespalten werden.  Einem  Zerfalle  des  Arginins  entstammt  das 
Ornithin  CH2(NH2) .  CHg  .  CHg  .  CHg  .  CHCNHg) .  COOH  im 
Sinne  der  seinerzeit  von  Schulze  und  Winterstein  entdeckten 
Spaltung : 


NHg  CHg.NH 


2 


,/NH 


CH«         +  HjO  =  CO<^^J^2  +  CH2 

CHg  ^      *      CH.NH2 

CH.NH2  COOH 

COOH 
Arginin  Harnstoff  Ornithin. 

Recht  interessant  ist  eine  Beobachtung  Kossels,   derzufolge 
eiweißartige   Substanzen    durch   langdauernde    Einwirkung   von 
verdünntem  Alkali  razemisiert  werden  imd  nunmehr  bei  totaler 
Hydrolyse  optisch  inaktive  Bruchstücke  liefern  können,  wie  z.  B. 
das  dl-Omithin.^) 
überblick  über        Vergegenwärtigen  wir  uns  nunmehr,  welche  zweifellos  fest- 
stücke des     gestellte   Bruchstücke    der   Eiweißabbau   bisher   ergeben   hat:^) 
Eiweißmole-         Wir  begegnen  hier  zunächst  der  Reihe  der  typischen   ali- 
phatischen Aminosäuren. 

CH2.NH2     CH,  CHs  CH3  CH3  CH3       CH3  CjHß 

I  !  \    ' 

COOH  CH.NH»  CH  CH  CH 

r^rxr^zj  CH.^H2  CH2  CH.^H2 

COOH  CH.NH2  COOH 

COOH 
Glykokoll   d-Alanin   Valin  (=d-Amino-  1-Leucin    d-Isoleucin. 

valeriansäure) 

i)  Literatur:  Samuely,  Handb.  d.  Biochcm.  1,  482  (1909);  Skraup 
und  Hummelberger,  Monatsh.  f.  Chem.  30,   125  (1909). 

2)  Kos  sei  und  Weiß,  Z.   f.  physiol.  Chem.   60,  311    (1909). 

3)  Vergleich:  E.  Abderhalden,   Lehrb.  d.  physiol.  Chem.,   2.  Aufl., 
198  (1908). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  ii 


CHg.OH 

Die  Oxyaminosäuren    sind    durch    das   1- Serin   CH.NH2 

COOK 
vertreten.    Diesem  verwandt  ist  das  Cy stein,  das  sich  vom  Serin 

durch  Austausch  eines  O  gegen  ein  S  ableitet.     Zwei  derartige 

Komplexe  sind  in  dem  als  Eiweißspaltungsprodukte  allgemein 

C  0  2 — S — S — CH  2 

verbreiteten  Cvstin  CH.NH2     CH.NH2  enthalten. 

COOK         COOK 
Es  folgen  die  Aminodikarbonsäuren: 

COOH  9^^^ 

Att  Cri2 

1-Asparaginsäure  qh^j^^h    ^^^  d-Glutaminsäure  CH2 

COOK  CH.NH2 

COOH 

CH2«^H2 
CK  2 
CH 

Weiter  die  Diaminosäuren  d-Lvsin  att*  und 

L'rl2 

CH.NH2 

COOH 

d-Arginin  C(NH) ^^jjg^j^      ;  schließlich  das  die  Kohlehydrat- 

CH2 
CH2 
CH.NHa 
COOH 

gruppe  vertretende Glukosa min  und  die  Reihe  der  zyklischen 
Eiweißspaltungsprodukte,  wo  wir  dem  Phenylalanin, 
Tyrosin,  Prolin,  Oxyprolin,  Tryptophan  und  Histidin 
begegnen.    Von  allen  diesen  soll  später  ausführlich  die  Rede  sein. 

Es  ist  interessant,  daß  manche  dieser  Eiweißspaltungsprodukte  isomere 
der  Aufmerksamkeit  des  Forschers  so  lange  entgehen  konnten, 
wie  z.  B.  das  erst  vor  kurzer  Zeit  von  Felix  Ehrlich'^)  in  der 
Melassenschlempe  entdeckte  Isoleucin,  das  mit  dem  Leucin  und 
Valin  zusammen  zu  kristallieren  pflegt.  Das  Problem  der  Tren- 
nung dieses  Säuregemisches  scheint  auch  heute  noch  nicht 
vollkommen  gelöst  zu  sein.  Levene  und  van  Slyke^)  empfehlen, 
die  Trennung  der  Leucine  vom  Valin  durch  Fällung  ihrer  heißen 
ammoniakalischen  Lösung  mit  ßleiazetat  vorzunehmen  und  so- 

i)  F.  Ehrlich,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  37,  1809  (1904)  und  F.  Ehrlich 
und  A.  Wendel,  Biochem.  Z.  8,  399  (1908). 

2)  P.  A.  Levene  and  D.  vanSlyke.  Journ.  of  biol.  Chem.  6,  391  (1909). 


Leucine. 


12  I.  Vorlesung.     Einleitung. 


dann  die  relative  Menge  der  beiden  isomeren  Säuren  aus  dem 
Drehungsvermögen  einer  salzsauren  Lösung  ihres  Gemisches  zu 
schätzen.  Es  ist  die  Frage  aufgeworfen  worden,  ob  nicht,  neben 
den  beiden  bekannten  Leucinen,  auch  noch  ein  drittes  und  zwar 

Crl2 
CH 

normales    Leucin    a„*        im   Eiweißmolekül  enthalten   sei, 

CH.NHg 
COOH 
weil    im    S kr aup  sehen   Laboratorium    das   Auftreten    normaler 

CH3 

CH 

Kapronsäure  a„"  bei  Reduktion  von  Leucinfraktionen  aus  Eiweiß- 

CHa 
COOH 

körpern   mit  Jodwasserstoffsäure,   sovne   die  Bildung   normaler 

Valeriansäure  bei  Oxydationsversuchen  beobachtet  worden  war^). 

Eiweißspai-  Außer  den  genannten  wohlcharakterisierten  Eiweißspaltungs- 

tungsprodukte  produkten  sind  noch  zahlreiche  andere  Bruchstücke  des  Eiweiß- 

von  ^ 

zweifelhafter   moleküls  beschrieben  worden,  die  ihrer  Konstitution  und  zum 

Konstitution,   j^jj  ^^^^j^  ihrer  Existenz  nach  zweifelhaft  sind. 

Am  meisten  Vertrauen  unter  denselben  dürfte  eine  von  Emil 
Fischer  und  Abderhalden^)  aus  dem  Kasein  gewonnene  Substanz 
verdienen,  die  vorläufig  als  Diaminotrioxydodekansäure  be- 
zeichnet worden  ist,  sonach  als  eine  Fettsäure  mit  12  Kohlen- 
stoffatomen,  welche  2  Aminogruppen  und  drei  Hydroxyle  enthält. 

C11H23.COOH — ^C„-(OH)3.COOH  =  CiaHaeNgOß. 

MNH2)2 

Doch  ist  ihre  Konstitution  noch  keineswegs  sichergestellt.  Die 
Substanz  ist  aus  Mutterlaugen  des  Rohtyrosins  durch  Fällung 
mit  Phosphorwolframsäure  in  nicht  unbeträchtlicher  Ausbeute 
isoliert  worden.  Sie  kristalisiert  in  leichten  Blatt chen,  die  meist 
zu  Rosetten  oder  kugeligen  Aggregaten  angeordnet  sind,  und 
gibt,  wie  so  viele  andere  Aminosäuren,  ein  in  kaltem  Wasser 
schwer  lösliches  Kupfersalz. 

i)  F.  Heckel,  Monatsh.  f.  Chem.  29,  15  (1908)  und  M.  Samec, 
ibid.  29,  55  (1908). 

2)  E.FischerundE.Abderhalden,Z.  f.  physiol. Chem.  42,  540(1904)- 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  13 


Die  Säure  stimmt  hinsichtlich  ihrer  Zusammensetzung  mit 
einer  zweibasischen  Säure  überein,  die  Skraup^)  als  Kasein - 
säure  Ci2Hi6N20ß  beschrieben  hat;  diese  soll,  ebenso  wie  die 
dreibasische  Kaseansäure  C9HieN207  ähnlich  der  Glutamin- 
säure aus  salzsäuregesättigter  wässeriger  Lösung  kristallisieren. 
Höchstwahrscheinlich  ist  die  Diaminotrioxydodekansäure  mit  der 
Kaseinsäure  identisch 2). 

Dazu  gesellen  sich  einige  Oxyaminosäuren  problematischer 
Natur,  die  sich  von  der  Bernsteinsäure  und  ihren  Homologen 
ableiten,  so  von  der  Korksäure  mit  acht  und  von  der  Sebacin- 
säure  mit  zehn  Kohlenstoffatomen.  Skraup  hat  eine  Oxy- 
aminobernsteinsäure  und  eine  Dioxydiaminokorksäure 
beschrieben,  und  Wohlgemuth'^)  glaubt  aus  den  Rückständen 
der  Esterdestillation  nach  Hydrolyse  von  Leberproteiden  eine 
Oxyaminokorksäure  und  eine  Oxydiaminosebacinsäure 
isoliert  zu  haben.  Mehrere  andere  Produkte  ähnlicher  Art,  welche 
Skraup  beschrieben  hatte,  sind  von  ihm  später  als  Gemenge 
gewöhnlicher  Aminosäuren  erkannt  worden.  Man  ersieht  daraus, 
welche  technischen  Schwierigkeiten  derartige  Substanzen,  die  in 
geringer  Ausbeute  erhältlich  und  schwer  zu  reinigen  sind,  selbst 
einem  so  vorzüglichen  Chemiker,  wie  es  der  der  Wissenschaft 
leider  viel  zu  früh  entrissene  Zdcnko  Skraup  war,  zu  bereiten 
vermögen,  und  man  wird  sich  dementsprechend  allen  diesen  Pro- 
dukten gegenüber  so  lange  skeptisch  verhalten  müssen,  als  der 
volle  Beweis  für  ihre  Existenz  nicht  erbracht  ist. 

Auch  die  Diaminoessigsäure,  welche  Drechsel  seinerzeit 
bei  der  Eiweißhydrolyse  gefunden  zu  haben  meinte,  ist  ihrer 
Natur  nach  mehr  als  fraglich  geworden*). 

Wenngleich  der  Raum,  den  Eiweißspaltungsprodukte  unbe- 
kannter Natur  im  Eiweißmolekül  noch  einnehmen  können,  wie 

i)  Zd.  H.  Skraup,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  37,  1596  (1904);  Z.  f.  physiol. 
Chem.  42,  274  (1904). 

2)  E.  Fischer,  Ber.  d.  deutsch,  chem.  Ges.  39,  530  (1906). 

3)  J.  Wohlgemuth,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  37,  4362  (1904)  und  Z.  f. 
physiol.  Chem.  44,  530  (1904). 

4)  Willstädter,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  35,  378  (ic>02).  Sörensen, 
Compt.  Rend.  des  travaux  du  Labor,  de  Carlsberg  %,  i  (1903);  Chem. 
Centralbl.   1903  II,  S.  35. 


14  I.  Vorlesung.     Einleitung. 


wir  gesehen  haben,  kein  sehr  ausgedehnter  sein  kann,  so  ist  es 
doch  recht  wahrscheinlich,  daß  noch  genug  des  Interessanten 
darin  zu  finden  ist  und  daß  insbesondere  auch  Pol yoxy säuren 
am  Aufbaue  des  Eiweißmoleküles  beteihgt  sind.  Die  Methoden 
zum  Studium  derselben  müssen  allerdings  erst  ausgearbeitet 
werden. 

Es  ist  einleuchtend,  daß  bei  einem  so  schwierigen  Problem, 
wie  es  die  Trennung  der  hydrolytischen  Eiweißspaltungspro- 
dukte ist,  unmöglich  eine  einzige  Methode  allen  gegebenen 
Anforderungen  genügen  kann.  Es  ergab  sich  daher  bald  das 
Bedürfnis,  neue  Methoden  zur  Trennung  und  Charak- 
terisierung der  Aminosäuren  zu  schaffen  und  namentlich 
überall  dort  zur  Anwendung  zu  bringen,  wo  die  Estermethode 
nicht  mehr  zu  genügen  schien. 
Synthese  von  Aus  dem  Bedürfnisse,  derartige  Methoden  zu  schaffen,  er- 
Aminosäuren.  ,^^j^g  ^^^j.  wiederum  die  Notwendigkeit,  alle  Bruchstücke  des 

Eiweißmoleküls  auf  dem  Wege  der  synthetischen  Dar- 
stellung bequem  zugänglich  zu  machen;  dieselbe  hat  eine 
Anzahl  der  besten  Chemiker  dazu  geführt,  ihre  Kräfte  in  den 
Dienst  dieses  Problems  zu  stellen.  Ohne  auf  dieses  Kapitel 
hier  näher  eingehen  zu  wollen,  mag  es  genügen,  in  aller  Kürze 
einige  Beispiele  für  die  schönen  Erfolge  anzuführen,  die  bereits 
erzielt  worden  sind  und  die  sich  auch  auf  die  hieher  gehörigen 
Substanzen  von  komplizierterer  Zusammensetzung  beziehen.  Ich 
erwähne  die  Synthese  des  Serins  von  E.  Fischer  und  Leuchs^), 
diejenige  des  Lysins  von  E,  Fischer  und  Weigert^),  die  Synthese 
des  Isoleucins^)  von  Brasch  und  Ernst  Friedmann;  auch  das 
Ornithin  ist  bereits  synthetisch  zugänglich*)  geworden,  ebenso 
wie  auch  das  Cystin^).  Von  den  zyklischen  Produkten  soll 
später  die  Rede  sein. 

i)  E.  Fischer   und   H.  Leuchs,    Ber.    d.   d.  ehem.  Ges.   35,    3787 
(1902).     H.  Leuchs  und  W.  Geiger,  ibid.  39,   2644  (1906). 

2)  E.  Fischer   und    F.  Weigert,    Ber.   d.   d.   ehem.   Ges.   35,   3772 
(1902),   J.  V.  Braun,  ibid.  42,  839  (1909). 

3)  W.  Brasch  und  E.  Fried  mann,  Hofmeisters  Beitr.  11,  376  (1908). 

4)  E.  Fischer,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  34,454  (1901).  S.  P.  L.  Sörensen, 
Z.  f.  physiol.  Chem.  44,  448  (1905). 

5)  E.  Erlen meyer  jun.,    Ber.    d.    d.    chem.    Ges.    36,   2720    (1903). 
E.  Fischer  und  K.   Raske,  ibid.  41,  893  (1908). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  15 


Eine  weitere  Aufgabe  erwuchs  den  Chemikern,  in  der  Spal-      Spaltung 
tung    der    bei    der    Synthese    erhaltenen    razemischen  An^n'osäSen 
Substanzen  in  ihre  optisch  aktiven  Komponenten.    Die  mannig-       in  ihre 
faltigsten  Hilfsmittel  sind  in  Anwendung  gebracht  worden,  um  Komponenten, 
dieses    schwierige    Problem    zu    lösen.      So    wurde   razemischen 
Leucin  durch  Erhitzen  mit  konzentrierter  Ameisensäure  in  die 
Formylverbindung    übergeführt  und    diese    durch    fraktionierte 
Kristallisation    des   Brucinsalzes    in    die   beiden    Komponenten 
aufgelöst^).    Auch  die  merkwürdige  Auswahl,  welche  niedere 
pflanzliche    Organismen    zwischen    isomeren    Verbindungen 
zu  treffen  pflegen  und  die  bewirkt,  daß  sie  die  eine  Komponente 
zerstören  und  assimiheren,  die  andere  jedoch  verschmähen,  hat 
hier  eine  Nutzanwendung  gefunden,  indem  man  Aminosäuren 
der  Einwirkung    des   Schimmelpilzes   (Penicillium  glaucum) 
überließ  oder  aber,   indem  man  sie  bei  Gegenwart  von  Zucker 
mit  Hefe  vergohr^). 

Man  hat  sich  nun  in  mannigfacher  Weise  bemüht  die  bei 
der  Eiweißhydrolyse  gewonnenen  oder  durch  die  Synthese  zu- 
gänglich gemachten  Aminosäuren  durch  Verkuppelung  mit 
anderen  Komplexen  und  durch  chemische  Eingriffe  verschie- 
denster Natur  derart  zu  verändern,  daß  sie  nunmehr  für  die 
Trennung  und  Charakterisierung  bequemere  Eigenschaften  dar- 
boten. 

Als  besonders  wertvoll  erwies  sich  die  Kuppelung  mit  Naph-     Additions- 
thalinsulfochlorid.  Pf^,**^*/  ^"^ 

Derivate  der 

R.NH2,Q    TT    gQ  Q2  — HCl4-^'^^^^^*'^^®^'^'  Aminosäuren. 

COOK        ^^    ''      ^  COOK 

die  gegenwärtig  bei  der  Trennung  und  Charakterisierung  eine 
große  Rolle  spielt. 

Eine  Zukunft  dürfte  auch  der  Naphthylisocyanatme- 
thode  Neubergs  ^)  beschieden  sein.  Dieselbe  beruht  darauf, 
daß  das  Naphthylisocyanat  CO  .  N(CioH7)  mit  Aminosäuren, 
Oxyaminosäuren,  Diaminosäuren  u.  dgl.  beim  Stehen  in  alka- 


i)  E.  Fischer  und   O.  Warburg,     Bcr.  d.  d.  ehem.  Ges.  38,  3997 
(1906). 

2)  E.  Ehrlich,  Biochem.  Z.  1,  8  (1906). 

3)  C.  Neuberg  und  A.  Manasse,  Her.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  38, 
2359  (1905).     C.  Neuberg  und  E.  Rosenberg,  Biochem.  Z.  5,  456  (1907). 


l6  I.  Vorlesung.     Einleitung. 


lischer  Lösung  schon  bei  Zimmertemperatur  sehr  leicht  unter 
Bildung  der  vom  Harnstoffe  sich  ableitenden  Naphylhydantoin- 
säuren  reagiert: 

COOK 

Während  z.  B.  das  Glykokoll  sehr  leicht  löslich  ist,  gelingt 
es,  seine  Verbindung  mit  Naphthylisocyanat  als  Bar3rtsalz  quan- 
titativ zu  fällen.  Auch  die  Silber-  und  Kupfersalze  der  Naph- 
thylisocyanat-Aminosäuren  könnten  für  die  analytische  Praxis 
Bedeutung  gewinnen.  Die  Aminosäuren  lassen  sich  aus  ihren 
Verbindungen  mit  Naphthylisocyanat  durch  Kochen  mit  Baryt- 
wasser regenerieren. 

Auch  die  von  Lippich^)  studierten  Uramidosäuren 
könnten  bei  der  Trennung  der  Aminosäuren  vielleicht  gute 
Dienste  leisten.  Die  letzteren  reagieren  mit  Harnstoff  beim 
Kochen  mit  Bar5rtwasser  unter  Ammoniakentwicklung. 

R.NH2_^NH2rn_TMTT   .^  RNH.CO.NHa 
COOK  "^  NHg  '^^  -  ^^3  +  COOK 

unter  Bildung  von  Uramidosäuren,  die  bei  Gegenwart  von  Mine- 
ralsäuren leicht  in  Hydantoine  übergehen: 

R.NH.CO.NH2  _  TT  n  .  R.NH.CO  NH 
COOK  -  "2^  +  C0,_-^'— 

Uramidosäure  Hydantoin 

Außerdem  gibt  es  noch  eine  ganze  Reilie  von  Eingriffen, 
welche  für  die  Umgestaltung  von  Aminosäuren  zum  Zwecke 
ihrer  Trennung  in  Betracht  kommen  können. 

So  die  Darstellung  der  Amide  von  Aminosäuren,  die 
durch  Einwirkung  von  Ammoniak  auf  die  Ester  unschwer  er- 
folgt 2). 


i)  F.  Lippich,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  39,  2953  (1906);  41,  2953,  2974 
(1908). 

2)  E.  Königs  und  B.  Mylo,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  41,  4427  (1909). 
P.  Ber  gell  und  J.  Fei  gl,  Z.  f.  physiol.  Chem.  54,  258  (1907)  und  frühere 
Abhandlungen. 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  I7 

Weiters  die  Überführung  von  Aminosäuren  in  Karbamino- 
säuren  nach  Siegfried^): 

R.NH2  ^rr^       R  /NH 

COOK 

Wird  z.  B.  eine  wässerige  Lösung  von  Gly kokoll  unter  Kühlung 
mit   Kohlensäure   gesättigt,   sodann   Kalkmilch   zugegeben   und 

mit  Alkohol  gefällt,  so  gelingt  es,  das  Kalksalz  der  GlykokoU- 

CH2.NH.COO 
Karbonsäure  zu  isolieren:   1  I    •       Das     entsprechende 

COO Ca  ^ 

Barj^salz  ist  in  Wasser  schwer  löslich,  derart,  daß  es  zur  Ab- 
scheidung des  Glykokolls  dienen  kann. 

In  ganz  analoger  Weise,  wie  die  Addition  der  Kohlensäure  CO  2, 
vermag  sich  die  Addition  des  Schwefelkohlenstoffes  CS2  an 
Aminosäuren  zu  vollziehen: 

R.NH2    ,    pc     —  T?  tJ    ^ 

COOK  +^^«-^-^xCSSH. 

COOK 

Diese  »Dithiokarbaminosäuren«  sind  kürzlich  von  Sieg- 
fried und  Weidenhaupt  dargestellt  worden,  und  es  hat  sich  ge- 

R.N^^ 
zeigt,  daß  die  sauren  Benzylester  derselben    i  "    ^CSS.CCHg.CgHß] 

COOK 
sehr   schön   kristallisierende,  in  Wasser  fast  unlösliche  Verbin- 
dungen sind  2). 

Ich  erwähne  ferner  das  Vermögen  der  Aminosäuren,  sich  mit 
Chlordinitrobenzol  zu  paaren^). 

CHg-NKg  .NO2  CHg-NH-CeHsCNOa)« 

1  +  CeHa^NOg  =  HCl  +  i 

COOH  ^Cl  COOK 

Recht  wichtig  scheint  mir  ferner  die  Feststellung  der  Mög- 
lichkeit, Aminosäuren  zu  Aminoaldehyden  bzw.  zu  Alde- 
hyden   niedrigerer   Fettsäuren    umzuwandeln.      Dar    erst- 


i)  M.  Siegfried,  Z.  f.  physiol.  Chem.  44,  85  (1905).   Her.  d.  d.  ehem. 
Ges.  39,  397  (1906).    H.  Liebermann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  68,  84  (1908). 

2)  M.  Siegfried   und   O.  Weidenhaupt,   Z.  f.  physiol.  Chem.  70, 
152  (1910). 

3)  E.  Abderhalden  und  P.  Blumberg,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65, 
318  (1910). 

V.  Fürth,  Probleme.  2 


l8  I.  Vorlesung.     Einleitung. 


genannte  Vorgang  wird,  wie  E.Fischer  einerseits i),  Neuberg ^) 
andererseits  gefunden  hat,  durch  Reduktion  der  Ester  mit  Na- 
triumamalgam erzielt : 

R.NH2  R.NHa 

COOCaHß  COH 

Löst  man  andererseits  a-Aminosäuren  in  Natronlauge  und 
läßt  Natriumhypochloritlösung  in  der  Wärme  einwirken,  so 
kommt  es  nach  Langheld  ^)  zur  Abspaltung  von  Kohlensäure 
und  Ammoniak  und  zur  Bildung  des  entsprechenden  Aldehyds 
der  nächst  tieferen  Reihe.  So  wird  z.  B.  Alanin  in  Acetaldehyd, 
Asparaginsäure  in  den  Halbaldehyd  der  Malonsäure  tibergeführt : 

CH,  CHa  COOH  COOK 

CH.NHa ->  ;  CHa  ->  CH«     . 

COOH  COH  CH.NH2  COH 

COOH 

Interessanter  Weise  hat  Neuberg  ^)  einen  Abbau  ähnlicher 
Art  durch  die  katal5rtische  Einwirkung  des  Sonnenlichtes 
sowie  auch  des  elektrischen  Stromes  erzielt: 

CH2.OH  CH2.OH 

CH.NHa  —- ►     ' 

COOH  ^OU 

Serin  Glykolaldehyd. 

Es  ist  seit  langer  Zeit  bekannt,  daß  aliphatische  Aminogruppen 
mit   salpetriger  Säure  nach  der  Gleichung 

R.NH2  +  HNO2  =  R.OH  +  H2O  +  N2 

reagieren.  Donald  van  Slyke  hat  diese  Reaktion,  welche  schon 
früher  einer  Methode  zur  Bestimmung  von  Aminogruppen  zu- 
grunde gelegt  worden  war,  (indem  man  den  sich  entwickelnden 
Stickstoff  auffing  und  sein  Volumen  maß),  neuerüch  durch- 
gearbeitet.   Er  läßt  die  Stickstoff entwicklung  in  einem  Apparate 


i)  E.  Fischer,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  1019  (1908). 

2)  C.  Neuberg,   Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  41,  956  (1908).     Neuberg 
und  E.  Kansky,  Biochem.  Z.  20,  450  (1909). 

3)  A.  Langheld,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  42,  392  (1909). 

4)  C.  Neuberg,    Biochem.   Z.   13,   305   (1908);    17,   270  (1909);    20, 
531  (1909). 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  19 


vor  sich  gehen,  welcher  außer  reinem  Stickoxyd  kein  anderes 
Gas  enthält.  Nach  Beendigung  der  Stickstoffentwickelung  wird 
das  Stickoxyd  durch  alkalisches  Permanganat  absorbiert  und 
der  reine  Stickstoff  gemessen.  Es  hat  sich  herausgestellt,  daß 
die  Umsetzung  bei  allen  hier  in  Betracht  kommenden  Amino- 
säuren quantitativ  verläuft,  mit  Ausnahme  des  Glykokolls  und 
Cystins,  welche  außer  Stickstoff  eine  geringe  Menge  eines  an- 
deren, durch  Permanganat  nicht  absorbierbaren  Gases  entwickeln, 
daher  zu  hohe  Werte  geben  ^). 

Schließüch  möge  noch  der  von  Engeland ^)  im  Marburger 
ph)^iologischen  Institute  ausgeführte  Versuch  Erwähnung  finden, 
die  Aminogruppe  der  Aminosäuren  durch  Behandlung  mit  Jod- 
methyl maximal  zu  methylieren.  Man  gelangt  so  schüeßüch 
vom  GlykokoU  zum  Betain, 

/CH3 
CH2.NH2  CH2-N(CH3 

COOK  CO  —  Ö         ^ 

und  von  den  höheren  Aminosäuren  aus  zu  Homologen  des 
letzteren,  die  durch  ihre  kristallisationsfähigen  Anrate  identifi- 
ziert werden  können. 

Sie    sehen  also,   daß    es  nicht  an  gangbaren  Wegen    fehlt.  Grenzen     des 
Welche  von  denselben  allerdings  zu  brauchbaren  quantitativen    ^»weißpro- 
Trennungsmethoden  für  die  Bestimmung  der  einzelnen  Amino- 
säuren führen  werden,  läßt  sich  heute  noch  nicht  sagen.    Tüch- 
tigen  analytischen   Methodikern   erschließt   sich   hier   noch   ein 
unabsehbares  Arbeitsfeld. 

Überblickt  man  die  Summe  der  dank  der  Estermethode  im 
Laufe  eines  einzigen  Dezenniums  errungenen  Erfolge,  so  erscheint 
die  Hoffnung  gerechtfertigt,  daß  wir  hier  vor  keinem  unlösbaren 
Probleme  stehen.  Daß  seine  Lösung  noch  einen  ungeheuren 
Aufwand  an  Arbeit  erfordern  wird,  ist  selbstverständlich.  Doch 
zweifle  ich  nicht  daran,  daß  die  Biochemiker  kommender  Tage 
die  zahlreichen  Bestandteile  des  imgeheuren  Eiweißmoleküls 
mit  derselben  Sicherheit  trennen  werden,  wie  etwa  heute   ein 


i)  D.  D.  van  Slyke,    Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  43,   3170   (1910);   44, 
1684  (1911). 

2)  R.  Engeland,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  42,  2962  (1909). 


20  I.  Vorlesung.    Einleitung. 


Mineralchemiker  eine  komplizierte  Gesteinsart  in  ihre  Elemente 
aufzulösen  vermag.  Nur  ist  hier  das  Problem  ein  unvergleichlich 
verwickelteres ,  schon  deswegen,  weil  es  nicht  genügt,  festzu- 
stellen, wie  viele  Moleküle  Leucin,  Tyrosin,  Arginin  usw.  sich  zum 
Aufbau  eines  Eiweißmoleküls  vereinigt  haben,  es  vielmehr  auf 
die  Reihenfolge  und  Anordnung  der  einzelnen  Bruch- 
stücke ankommt.  Faßt  man  dann  noch  die  sich  ergebenden 
Isomeriemöglichkeiten  ins  Auge,  so  begreift  man  allerdings, 
wie  die  Natur  mit  einer  beschränkten  Anzahl  von  Bausteinen 
die  anscheinend  unendliche  Mannigfaltigkeit  der  Proteinsub- 
stanzen aufbauen  konnte.  Die  Zahl  der  sich  dabei  ergebenden 
Möglichkeiten  und  Kombinationen  wächst  aber,  wie  eine  ein- 
fache Überlegung  lehrt,  derart  ins  Ungemessene,  daß  der  Blick 
sich  in  den  schwindligen  Tiefen  der  Unendlichkeit  verliert.  Die 
Hoffnung,  dieses  Chaos  zu  durchdringen  und  jemals  bis  auf  den 
Grund  der  Erscheinungen  zu  tauchen,  müßte  entschwinden, 
wenn  nicht  die  Geschichte  der  Naturwissenschaften  immer  und 
immer  wieder  die  Lehre  predigen  würde,  daß  so  manches,  was 
einer  Generation  unmöglich  geschienen  hatte,  einer  späteren  zur 
Wirklichkeit  geworden  ist. 
Ultra-  Auch  jetzt  schon  sehen  wir  in  bezug  auf  das  Eiweißproblem 

Spektroskopie.  Möglichkeiten  aufdämmern,  von  deren  Existenz  bis  vor  kurzem 
niemand  eine  Ahnung  hatte.  Es  ist  nicht  ausgemacht,  daß  das 
Problem  des  Eiweißabbaues  ausschließlich  der  chemisch-ana- 
lytischen Arbeit  zu  lasten  fallen  werde.  Vielleicht  wird  die 
Physik  der  Chemie  zu  Hilfe  kommen,  —  geradeso  wie  damals, 
als  die  Entdeckung  der  Spektralanalyse  Möglichkeiten  ge- 
schaffen hat,  an  die  vorher  kein  Chemiker  zu  denken  wagte. 
Eine  neue  Art  von  Spektralanalyse  ist  im  Werden  begriffen, 
welche  sich  nicht  an  die  zufälligen  und  willkürlichen  Grenzen 
der  sichtbaren  Strahlen  hält,  sondern  in  den  unvergleichlich 
ausgedehnteren  Sphären  jener  Strahlen  arbeitet,  zu  deren  Auf- 
nahme das  menschliche  Auge  nicht  mehr  befähigt  ist.  Schon 
heute  liegen  Untersuchungen  über  die  komplizierten  und  charak- 
teristischen Absorptionsspektra  vor,  welche  den  für  unser 
Auge  farblosen  Lösungen  von  Albuminen,  Albumosen  und  Amino- 
säuren im  Bereiche  des  Ultraviolett  eigentümlich  sind  und 
zwar  geradeso  eigentümlich,  wie  etwa  die  Streifen  im  sichtbaren 


Hydrolytische  Eiweißspaltung.  21 

Teile  des  Spektrums  für  eine  grüne  Chlorophylllösung  i).  Freilich 
bedarf  es  höchst  kostspieliger  Quarzapparate  und  photographi- 
scher Einrichtungen,  um  dergleichen  beobachten  zu  können. 
Doch  haben  schon 'jetzt  an  einfachen  chemischen  Verbindungen 
ausgeführte  Messxmgen  der  Wellenlängen  im  Bereiche  solcher 
Ultraspektren  interessante  Beziehungen  zur  chemischen 
Konstitution  ergeben,  und  es  ist  nicht  schwer,  vorauszusagen, 
daß  diese  Methode  dereinst  eine  ganze  Welt  des  Unbekannten 
erschließen  und  in  der  Chemie  der  Zukunft  eine  große  Rolle 
spielen  werde.  Hoffen  wir,  daß  sie  auch  dem  Eiweißprobleme 
zustatten  kommen  wird. 

i)  Vgl.  Ch.  Dh^re,  Recherches  spectographiques  sur  Tabsorption  des 
rayons  ultra-violets  par  les  albuminoides,  les  prot6ides  et  leurs  d6riv6s 
(Fribourg  1909)  etc.  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  169  (1910).  Vgl.  auch  C.  R. 
See.  de  Biol.  %1,  454  (1906). 


IL  Vorlesung. 

Oxydativer  Abbau  der  ProteinstoflFe. 

Eiweißfäulnis. 

Sobald  wir  uns  den  Entwicklungsgang  der  Eiweißchemie  in 
seinen  einzelnen  Phasen  vergegenwärtigen,  sehen  wir  neben  den 
Versuchen  einer  hydrolytischen  Spaltung  der  Proteinsubstanzen 
die  Bemühungen  einhergehen,  einen  Abbau  auf  oxydativem 
Wege  zu  erzielen.  Wenn  wir  die  aus  den  40er  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  stammenden  Bände  der  Liebigschen  Annalen 
durchblättern,  stoßen  wir  bereits  auf  Arbeiten  über  die  Eiweiß- 
oxydation. Waren  doch  die  Chemiker  seit  jeher  gewöhnt,  sich 
bei  der  Konstitutionsermittelung  komplizierter  Substanzen  der 
Oxydationsmethoden  als  wichtiger  Hilfsmittel  zu  bedienen. 
Endprodukte  Überblicken  wir  zunächst  jene  Endprodukte,  welche  bei 
der      Eiweiß-  ^^^^  energischer  Oxydation  von  Proteinsubstanzen    bei   saurer 

Oxydation.         ,         „     ,.     ,        -r^     1    •  11.  1         •     i,v      ttt-     -, 

oder  alkalischer  Reaktion  erhalten  worden  sind^).  Wir  begegnen 
hier  vor  allem  neben  typischen  Aminosäuren  einer  Reihe  niede- 
rer Fettsäuren,  von  der  Essigsäure  angefangen  bis  zur  Kapron- 
säure, sowie  den  zugehörigen  Aldehyden  und  Nitrilen.  Die 
Deutung  derselben  bereitet  uns  keinerlei  Schwierigkeiten;  z.B. 

CH 
I  CH3  CH3  CH3 

CH.NH2  -        -^   \  ■>   \        ^   .         ; 

I  *  CN  COH  COOK 

COOH 

ebensowenig  das  Auftreten  der  unvermeidlichen  Oxalsäure 
und    der    Bernsteinsäure.       Die    Bildung    der    Oxyglutar- 


i)  Literatur:  O.  v.  Fürth,  Biochem.  Handlexikon  4,  i.  HäJfte,  207 — 210 
(1910).  Samuely,  Handb.  d.  Biochem.  1,  493 — 500  (1909).  Cohnheim, 
Chemie   der  Eiweißkörper,    3.  Aufl.   S.  52,   143  ff.    (191 1). 


Qjcydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  23 


COOK  1) 

CH2 
säure  CH2      werden  wir  mit  dem  Abbau  der  Glutaminsäure  in 

CHOH 

COOK 
Zusammenhang  bringen  dürfen,  diejenige  der  Benzoesäure  und 

ihres  Aldehydes  mit  dem  Zerfalle  des  Phenylalanins. 

Einer  Erklärung  bedarf  dagegen  die  Bildung  des  Azetons, 
das  neben  Isovaleraldehyd  bei  der  Oxydation  von  Gelatine 
mit  Wasserstoffsuperoxyd  2)  bei  Gegenwart  von  Ferrosalz  auf- 
tritt.   Offenbar  stammen  beide  Produkte  von  dem  Leucin  her: 

CH3  CXI3  CH3  CH3  CHs  CH3 

\/  \/  \/ 

CH  CH  CO 

I  I 

Cri2  CH.2 

CH.NHg  COH 

COOK 
Leucin  Isovaleraldehyd  Azeton. 

Nicht  ohne  weiteres  verständlich  ist  der  Befund  von  Azelain- 
COOH 

säure  (CHg)?    (einer   der  Bemsteinsäure   homologen  Säure  mit 

COOH 
neun  Kohlenstoffatomen)  unter  den  Oxydationsprodukten  des 

Keratins  3).  Dieser  Befund  ist  deswegen  von  besonderem  Inter- 
esse, weil  er  auf  die  Existenz  einer  Verbindung,  in  der  mindestens 
neun  Kohlenstoffatome  in  un verzweigter  Anordnung  enthalten  sind, 
im  Eiweißmoleküle  hinweist.  Es  sei  hier  an  die  von  E,  Fischer 
und  Abderhalden  vorläufig  als  Diaminotrioxydodekansäure 
bezeichnete  Substanz,  sowie  an  die  Kasein-  und  K aseansäure 
Skraups  (s.  o.  S.  13)  erinnert. 

Auch  das  ziemüch  reichliche  Auftreten  der  Blausäure  ist 
nicht  ganz  aufgeklärt.  Es  wäre  ja  sehr  naheüegend,  dieselbe 
von  den  (CH.NH 2) -Komplexen  der  Aminosäuren  abzuleiten; 
doch  ergibt  sich  hier  die  Schwierigkeit,  daß  Aders  Plimmer*) 

i)  Habermann  und  Ehrenfeld,  Z.  f.  physiol.  Chem.  35,  231  (1902). 

2)  A.  Orgler,  Hofmeisters  Beitr.  1,  583  (1902).  C.  Neuberg  und 
F.  Blumenthal,  ibid.  2,  238  (1902). 

3)  Th.  Lissizin,  Z.  f.  physiol.  Chem.  62,  226  (1909). 

4)  R.  H.  Aders  Flimmer,  Journ.  of  Fhysiol.  31,  65  (1909). 


24  II'  Vorlesung. 


bei  Behandlung  des  Gemenges  hydrol3^ischer  Eiweißspaltungs- 
prodnkte  mit  salpetriger  Säure  (wodurch  ja  eine  Ausschaltung 
der  NH2-Gruppen  erzielt  wird)  und  nachfolgender  Oxydation 
keine  Abnahme  der  Bildung  von  Blausäure  beobachten  konnte. 

Das    Guanidin    C(NH)<^jj*   stammt   zweifellos   aus   dem 

Arginin   C(NH)  J^j^f^j^         ;  die  quantitative  Bestimmung  des- 

CH2 
CH2 
CH..NH2 

COOH 

selben  in  Form  des  schwerlöslichen  Pikrates  dürfte  für  die  Ermitt- 
lung der  in  Eiweißkörpem  enthaltenen  Argininmengen  Bedeutung 

gewinnen^). 

CO.XH2 
Das   Auftreten    der    Oxaminsäure     1  und  des  Ox- 

COOH 

CO.NH2 
amids    \  unter  den  Endprodukten   der  Eiweißoxydation 

CO.NH2 

bietet  ein  besonderes  Interesse. 

Bekanntlich  ist  Franz  Hofmeister  auf  Grund  chemischer 
und  physiologischer  Erwägungen  zu  der  für  die  weitere  Ent- 
wicklung der  Eiweißchemie  außerordentlich  wichtigen  Annahme 
gelangt,  daß  die  einzelnen  Aminosäuren  im  Eiweißmolekül  amid- 
artig  miteinander  verbunden  sind.  Die  tatsächliche  Existenz 
derartiger  Bindungen  ist  von  Emil  Fischer  sichergestellt  worden. 
Amidartige  Hofmeister^)    hat    im    Jahre   1902    diese   Anschauung    über 

Verkettung    jgj^  Aufbau  des  Eiweißmoleküles  in  einem  Vortrage,  den  er  in 
Bestandteile    der  Gesellschaft  deutscher  Naturforscher  und  Arzte  hielt,   for- 
des  Eiweiß-    muliert,  indem  er  für  die  Verkettung  der  Aminosäuren  im  Eiweiß- 
molekül das  Schema  aufstellte: 
.  .  .    NH.CH.CO   —    NH.CH.CO        —   XH.CH.CO   —    XH.CH.CO      .  .  . 

C4H9  CH2  CH2  (CHg), 

CßHi.OH  COOH  CH2.NH2 

Leucin  Tyrosin  Asparaginsäure  Lysin. 

Er  hat  weiterhin  den  Gedanken  entwickelt,  daß  bei  energischer 


i)  Zickgraf,  Otori,  Seemann,  Z.  f.  physiol.  Chcm.  41,  259  (1904); 
43,  86  (1904);  44,  229  (1905). 

2)  F.  Hofmeister,  Verh.  d.  Ges.  d.  Naturforscher  u.  Ärzte.  AUg. 
Teil.    1902.   Ergebn.  d.   Physiol.   1,  I,  787 — 792  (1902). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.      Eiweißfäulnis.  25 

Oxydation  der  Abbau  einer  solchen  Kette  in  der  Weise  erfolgen 
dürfte,  daß  die  Seitenketten  der  Verbrennung  anheimfallen,  und 
nur  der  letzte  Kohlenstoff  in  Form  eines  Karboxyles  an  der  Gly- 
cylkette  hängen  bleibt,  schUeßlich  aber  auch  unter  Kohlensäure- 
abspaltung verloren  gehen  kann: 

.  .  .    NH.CH.CO   —   NH.CH.CO   —   NH.CH.CO   —   NH.CH.CO    .  .  . 

COOK  COOK  (!:OOH  COOK 

und  weiter: 

.  .  .     NH.CH2.CO  —  NH.CHg.CO  —  NH.CH2.CO  --  NH.CH2.CO  .  .  . ; 

schließlich : 
.  .  .    NH.CO.CO    —    NH.CO.CO   —    NH.CO.CO    —    NH.CO.CO     .  .  . 

Es  ist  ersichtüch,  daß  ein  solcher  Komplex  beim  Zerfalle 
Oxalsäure,  Oxaminsäure  und  Oxamid  zu  üefern  vermag. 

Jedoch   auch   das   Auftreten   des   Oxalans   oder   Oxalur- 

CO NH  . 

säureamides     l  >C0   ist    nach   Seemann^)    an    der 

CO.NH2  NHg"^ 

Hand  desselben  Schemas  einer  Erklärung  zugängüch,  wenn  man 
sich  ein  Argininmolekül  in  derartiger  Bindung  denkt: 

.     .     .     NH.CH.CO    —     NH\^,T^„. 
R  NHx 

(CH2)8 

CH.NH2 
COOH 

Wenn  nun  das  Arginin  beim  weiteren  Verlaufe  der  Reaktion 
im  Sinne  seiner  typischen  Spaltung  (in  Harnstoff  und  Ornithin 
s.  o.  S.  10)  an  der  durch  die  Pfeile  angedeuteten  Stelle  zerfällt, 
wird  aus  ihm  zusammen  mit  dem  Nachbarmolekül  der  Kette 
der  Komplex  NH2.CO.CO.NH.CO.NH2  resultieren  können. 
Neuere  Beobachtungen  Kossels^)  über  nitrierte  Protamine 
scheinen  mir  mit  der  Annahme  einer  solchen  Argininverkettung 
jedoch  nicht  recht  vereinbar  zu  sein. 

Leo  Poüak^)  hat  in  Hofmeisters  Laboratorium  ein  Gly- 
cylglycin  NHg.CHg.CO-NH.CHg.COOH  der  Oxydation  unter- 


i)  Seemann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  44,  258  (1905). 

2)  A.  Kossei  und  E.  L.  Kennaway,  Z.  f.  physiol.  Chemie  72,  486 
(1911). 

3)  L.  Pollak,  Hofmeisters  Beitr.  7,  17  (1905). 


20  II.  Vorlesung. 


Würfen  und  daraus  der  Erwartung  gemäß  Oxalvlaminoessig- 

ICO.COOH 
säure      l  erhalten. 

NH.CH2.COOH 

Der  Genannte  meint  nun,  daß  diese  Säure  bei  weiterer  hydro- 
lytischer Spaltung  in  Oxaminsäure  NH2.CO.COOH  und  Essig- 
säure zerfalle,  wozu  jedoch  zu  bemerken  ist,  daß  dabei  ein  Re- 
duktionsvergang mit  im  Spiele  sein  müßte,  da  ja  ein  t3^ischer 
Zerfall  unter  Wasseraufnahme  zum  Auftreten  von  Glykolsäure, 
nicht  aber  von  Essigsäure  führen  müßte: 

CO.COOH  CO.COOH 

NH.CH2.COOH     =     NHo      +  CH2.COOH  . 

H.OH  "  ' 

OH 

Pcroxyprot-  Gerade  für  die  Frage,  in  welcher  Weise  die  einzelnen  Amino- 

säuren  im  Eiweißmolekül  miteinander  verkettet  sind,  bietet  auch 
die  Untersuchung  der  intermediären  Eiweißoxydations- 
produkte ein  gewisses  Interesse.  Es  gilt  dies  insbesondere  für 
die  Peroxyprotsäuren  Malys,  welche  auftreten,  wenn  man 
Eiweißkörper  bei  alkalischer  Reaktion  und  Zimmertemperatur 
mit  Permaganat  so  lange  oxydiert,  bis  die  Oxydation  nicht  mehr 
weiterschreitet.  Die  genauere  Untersuchung  der  Oxydations- 
produkte in  Hofmeisters  Laboratorium  i)  hatte  gezeigt,  daß 
Malys  Perox3^rotsäure  aus  einem  Gemenge  von  mindestens 
drei  hochmolekularen  Substanzen  besteht,  die  durch  fraktio- 
nierte Fällimg  mit  Silbernitrat,  Bleiessig  und  Quecksilberazetat 
voneinander  getrennt  werden  können.  Eine  weitere  Charak- 
terisierung derselben  erzielte  ich  seinerzeit  auf  dem  Wege  ihrer 
Veresterung.  Die  Peroxyprotsäuren  lassen  sich  nämlich  mit 
Salzsäure  in  absolut-alkoholischer  Lösung  unschwer  verestem. 
Diese  Ester  sind  überraschenderweise  in  Chloroform  leicht 
löslich,  trotzdem  es  sich  zweifellos  um  hochmolekulare  Sub- 
stanzen von  eiweißartigem  Charakter  handelt.  Durch  Verseif ung 
konnten  daraus  die  Perox3q)rotsäuren  in  anscheinend  unver- 
ändertem Zustande  wieder  gewonnen  werden  und  bot  die  bei 
Proteinsubstanzen    ganz    ungewöhnliche    Möglichkeit,    dieselben 

i)  Bernert,  Z.  f.  physiol.  Chem.  26,  272  (1898).  Ehrmann,  Inaug.- 
Dissert.  Straßburg  1903.     O.  v.  Fürth,  Hofmeisters  Beitr.  6,  296  (1905). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  27 


durch  eine  chloroformlösliche  Form  hindurch  passieren  zu  lassen, 
einen  wertvollen  Behelf  zu  ihrer  Reinigung. 

Die  Peroxyprotsäuren  werden,  wie  erwähnt,  von  Perman- 
ganat  bei  niederer  Temperatur  nicht  weiter  angegriffen.  Nun 
verlieren  sie  aber  bei  andauerndem  Kochen  mit  Barytwasser 
die  Gesamtmenge  der  (nahezu  ein  Drittel  ihres  Moleküls  aus- 
machenden) darin  enthaltenen  Oxalsäuregruppen.  Dabei  ent- 
stehen amorphe  Produkte,  die  »Desaminoprotsäuren«.  Diese 
bieten  dem  Permanganat  wieder  neue  Angriffspunkte  dar,  und  die 
vorher  zum  Stocken  gelangte  Oxydation  schreitet  nunmehr  wieder 
mit  großer  Lebhaftigkeit  weiter.  Ich  gelangte  so  zu  einer  neuen  Kyroprot- 
Kategorie  stark  sauerer,  sehr  sauerstoffreicher  Eiweißderivate, 
für  die  ich  die  Bezeichnung  »Kyroprotsäuren«  vorgeschlagen 
habe^).  Dieselbe  ist  von  dem  griechischen  Worte  »Kupo?«, 
der  Kern,  abgeleitet  und  soll  andeuten,  daß  wir  es  hier  mit  einem 
besonders  widerstandsfähigen  Anteile  des  Eiweißmoleküls  zu 
tun  haben.  Durch  Fällung  mit  neutralem  Bleiazetat  konnten 
zwei  derartige  Produkte  (A  und  B)  voneinander  getrennt  werden. 

Die  K3n:oprotsäuren  A  erwiesen  sich  als  hochoxydierte  Eiweiß- 
spaltungsprodukte;  dieselben  enthielten  im  Verhältnis  zu  ihrem 
Stickstoffgehalte  etwa  dreimal  mehr  Sauerstoff  als  das  Ausgangs- 
material, welches  aus  Kasein  bestanden  hatte.  Die  weitgehende 
Oxydation  bewirkt  eine  Lockerung  innerhalb  des  Molekular- 
verbandes des  Eiweißmoleküls;  dieselbe  kommt  in  dem  Um- 
stände zum  Ausdrucke,  daß  die  Kyroprotsäuren  viel  leicht  abspalt- 
baren »Säureamidstickstoff «  enthalten,  der  nach  voll- 
zogener Hydrolyse  in  Form  von  Ammoniak  auftritt.  Auch  ist, 
zum  Unterschiede  von  nativen  Eiweißkörpem,  ein  großer  Teil 
des  Stickstoffes  durch  salpetrige  Säure  abspaltbar.  Bei  der 
Hydrolyse  wurde  neben  viel  Oxalsäure  und  Ammoniak  Leucin 
und  Glutaminsäure  aufgefunden,  dagegen  wurden  basische 
Komplexe  darin  vermißt,  was  sich  auch  schon  in  dem  Umstände 
geltend  machte,  daß  Phosphorwolframsäure,  das  Universal- 
fällungsmittel  aller  basischen  Komplexe,  nach  vollzogener  Hydro- 
lyse in  der  verdünnten  Lösung  überhaupt  keine  Fällung  bewirkte. 
Durch   diese    Feststellung    erscheint    die   Auffassung   widerlegt. 


1)  O.  V.  Fürth,  1.  c. 


28 


II.  Vorlesung. 


daß  ein  »basischer  Kern«  im  Eiweißmolekül  enthalten  ist, 
insbesondere  erwies  sich  aber  die  Annahme  i)  unhaltbar,  daß 
die  Biuretreaktion  der  Eiweißkörper  an  die  Intaktheit  des 
Argininkomplexes  geknüpft  sei.  Denn  die  Kyroprotsäuren 
geben  noch  die  Biuretreaktion,  ohne  Arginin  zu  enthalten. 

Auch  der  seit  altersher  immer  wieder  auftauchenden  Vor- 
stellung, daß  sich  der  Aufbau  des  Eiweißmoleküls  gewissermaßen 
um  einen  resistenten, aus  zyklischen  Komplexen  zusammen- 
gesetzten Kern  gruppiere,  waren  meine  Befunde  nicht  günstig, 
da  ich  nach  Hydrolyse  der  Kyroprotsäure  nicht  einmal  die  leicht 
auffindbare  (dem  Phenylalanin  entstammende)  Benzoesäure 
nachzuweisen  vermochte. 

Fragen  wir  uns  nunmehr,  inwieweit  die  beim  Studium  der 
K5n:oprotsäure  vorläufig  gesammelten  Erfahrungen  mit  dem 
vorerwähntem  einfachen  Schema  Hofmeisters  über  den  oxy- 
dativen  Abbau  glycylglycinartiger  Ketten  übereinstimmen. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  die  Tatsache,  daß  die  Kyroprot- 
säure bei  der  Hydrolyse  zum  mindesten  Leucin,  Glutaminsäure, 
Oxalsäure  und  Ammoniak  liefert,  so  könnte  das  Schema 


.  .  .  (NH.CO.CO)x  .  .  .  - 


FNH.CH.CO' 


fNH.CH.COl 

CH2 
COOK 


CH 
CHa'CHaj 

als  allereinfachste  Möglichkeit  für  den  Aufbau  der  Kyroprot- 
säure diskutiert  werden. 

Da  stößt  man  aber  sogleich  auf  Widersprüche  zwischen 
Postulat  und  experimenteller  Beobachtung. 

In  der  untersuchten  Kyroprotsäure  ergab  sich  eine  annähernde 
Relation:  Gesamtstickstoff:  Säureamidstickstoff :  Oxalsäure  = 
I  •  V2  •  V*'»  demnach  auf  je  ein  Molekül  Oxalsäure  zwei  Atome 
lockeren  Stickstoffes,  während  obiges  Schema  nur  für  ein  Atom 
Platz  hat. 

Auch  vermögen  wir  kaum  an  der  Hand  des  Schemas  zu  be- 
greifen, wieso  auf  je  ein  N  etwa  3  O  in  der  Kyroprotsäure  Platz 
finden  sollen,  was  der  tatsächlichen  Beobachtung  entspricht. 


i)  G.  Zickgraf,  Z.  f.  physiol.  Chem.  41,  259  (1904)« 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  29 

Diese  Andeutungen  mögen  genügen,  um  Ihnen  zu  zeigen, 
daß  das  eingehende  Studium  derartiger  hochoxydierter  Eiweiß- 
derivate namentlich  für  die  Frage  fruchtbar  sein  könnte,  ob 
das  Hofmeister 'Fischersche  Schema  des  Eiweißaufbaues  allen 
Beobachtungstatsachen  genügt,  oder  ob  man  etwa  zu  kompli- 
zierteren Annahmen  verzweigter  Ketten  mit  glycylglycinartigen 
Bindungen  und  weiteren  Ringschlüssen  greifen  müsse. 

Um  derartige  Untersuchungen  erfolgreich  durchführen  zu 
können,  müßte  man  sich  zunächst  an  der  Hand  einer  Reihe 
synthetischer  Polypeptide  eingehend  darüber  orientieren, 
wie  sich  derartige  Verbindungen  bei  der  Oxydation  und  darauf- 
folgenden Hydrolyse,  sowie  etwa  auch  bei  der  Einwirkung  sal- 
petriger Säure  tatsächlich  verhalten.  Die  wenigen  Versuche, 
die  über  das  Verhalten  des  Glycylglycins,  sowie  der  sogenannten 
Curtiusschen  Base  in  dieser  Hinsicht  vorliegen^),  gewähren 
keine  ausreichende  Orientierung. 

An  der  Hand  der  so  gesammelten  Erfahrungen  könnte  man 
dann  erfolgreich  an  die  Frage  herantreten,  ob  sich  Eiweißkörper 
bei  der  Oxydation  wirklich  so  oder  wesentlich  anders  verhalten 
wie  synthetisch  hergestellte  unverzweigte  Ketten  von  Amino- 
säuren, die  einfach  in  glycylglycinartiger  Bindung  aneinander- 
gereiht sind. 

Man  müßte  die  Kyroprotsäure,  welche  Bezeichnung  nicht  ein 
bestimmtes  chemisches  Individuum,  sondern  einen  Sammel- 
begriff (etwa  wie  »Albumose«),  andeuten  soll,  in  größerem  Um- 
fange darstellen  und  unter  Anwendung  der  vervollkommneten 
Technik  insbesondere  der  Estermethode,  hydrol3^ieren. 

Die  wesentlichste  Ursache,  weshalb  der  oxydative  Eiweiß- 
abbau mit  den  Fortschritten  der  Eiweißhydrolyse  nicht  Schritt 
zu  halten  vermag,  liegt  eben  in  der  rein  technischen  Schwierig- 
keit der  Materialbeschaffung.  Ich  erinnere  mich  zum  Beispiele, 
daß  ich  nach  Permanganatoxydation  von  etwa  5  Kilo  Kasein 
II  Kilo  eines  Bleiniederschlages  von  Peroxyprotsäure  mit  Schwe- 
felwasserstoff zu  zerlegen  hatte.  Bei  Verarbeitung  von  20  Kilo 
Kasein  reichten  die  Laboratoriumshilfsmittel  nicht  mehr  aus, 
und  ich  war  genötigt,   die  Hülfe  eine  Fabrik  in  Anspruch  zu 


l)  L.  PoUak,  1.  c.    Schwarzschild,  Hofmeisters  Beitr.  4,  155  {i904)' 


30  II.  Vorlesung. 


nehmen,  die  mir  schließlich  800  g  rohe  Peroxyprotsäure  als 
Ausbeute  lieferte. 

Die  technischen  Schwierigkeiten  auf  diesem  Gebiete  sind 
also  sicherlich  sehr  groß,  aber  keineswegs  unüberwindlich,  und 
ich  zweifle  nicht  daran,  daß  dieser  Weg,  dem  Probleme  der 
Eiweißkonstitution  näher  zu  kommen,  früher  oder  später  in  kon- 
sequenter Weise  beschritten  werden  wird. 
Desamino-  Anschließend  möchte    ich   eine   Bemerkung   über   die   Des- 

proteine.  aminoproteine  anfügen.  Es  sind  dies  jene  Produkte,  die  bei 
Einwirkung  salpetriger  Säure  auf  Eiweißkörper  entstehen^). 
Bekanntlich  reagiert  die  Aminogruppe  mit  salpetriger  Säure  im 
allgemeinen  nach  der  Gleichung: 

R.NH2  +  HXO2  =  R.OH  +  N2  +  HoO, 

indem  der  Stickstoff  in  Gasform  entweicht  und  eine  Hydroxyl- 
gruppe an  Stelle  der  Aminogruppe  tritt.  Die  Einwirkung  der 
salpetrigen  Säure  bietet  uns  also  ein  bequemes  Mittel,  um  zu 
erkennen,  ein  wie  großer  Anteil  des  Eiweißstickstoffes  sich  in 
Form  freier  Aminogruppen  vorfindet.  Im  Sinne  der  Hofmeister- 
Fischerschen  Annahme  wäre  nun  von  vornherein  zu  erwarten, 
daß  jene  Stickstoff atome,  die  nach  vollzogener  Hydrolyse  in 
Form   von  Karboxylen   benachbarten  Aminogruppen   auftreten, 

.  .  .  -NH.CH.CO  XH.CH.CO-  .  .  . 

von  salpetriger  Säure  nicht  angegriffen  werden,  da  sie  ja  im  Eiweiß- 
moleküle nicht  als  NH2-Gruppen,  vielmehr  als  Imide  vorhanden 
sind.  Dagegen  mußte  man  erwarten,  daß  z.  B.  ein  im  Eiweiß 
enthaltener  Lysinkomplex  angegriffen  werde: 

.  .  .  -NH.CH.CO- -XH.CH.CO- 

CH2  CH2 

CH2  -^  CH2 

CH2  CH2 

CH2.NH2  CH2.OH 

woraus  nach  vollzogener  Hydrolyse  die  Verbindung  CH2(0H)— 
CH2-CH2-CH2-CH(NH2)-COOH,  also  Oxyaminokapron- 
säure,  resultieren  müßte.  Der  Versuch  bestätigt  die  Erwartung, 
insoferne  die  bei  Einwirkung  salpetriger  Säure  auf  Eiweißkörper 

i)  Literatur:  Samuely,  Handb.  d.  Biochem.  1,  441 — 444  (1909). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.      Eiweißfäulnis.  31 

entstehenden  gelb  gefärbten  Körper  von  saurem  Charakter,  die 
sogenannten  Desaminoproteine,  noch  die  Hauptmenge  des 
Eiweißstickstoffes  enthalten  und  bei  der  Hydrolyse  die  Mehrzahl 
der  gewöhnlichen  Monoaminosäuren  liefern.  Dagegen  werden 
nach  den  Befunden  Skraups  und  seiner  Schüler  i)  die  Diamino- 
säuren,  insbesondere  aber  das  Lysin,  ganz  oder  teilweise  ver- 
mißt. Dementsprechend  zeigt  sich  auch  bei  der  quantitativen 
Aufteilung  des  Stickstoffes  ein  Defizit  an  »basischem  Stickstoff«, 
während  »Monoamino-N«  und  der  lockere  »Säureamid-N«  intakt 
erscheinen.  Letzteres  ist  bemerkenswert,  weil  es  beweist,  daß 
der  von  der  salpetrigen  Säure  angegriffene  Stickstoff  nicht  etwa 
in  Form  endständiger  — C0.NH2-Gruppen  vorhanden  ist  2). 

Bei  Hydrolyse  des  Desaminoglutins  erhielt  Skraup  statt  der 
erwarteten  Oxyaminokapronsäure  eine  Oxyaminovalerian- 
säure,  welche  aber  offenbar  nicht  dem  Lysin  entstammt,  son- 
dern dem  (beim  Zerfalle  des  Argin  ins  auftretenden)  Ornithin 
CH(NH2)-CH2-CH2-CH(NH2)-C00H. 

Auch  bei  der  Einwirkung  von  Bromlauge  auf  Eiweißkörper 
wird  der  Argininkomplex  anscheinend  schnell  angegriffen 3). 

Die  Vorstellung,  daß  dem  Lysin  und  Arginin  eine  besonders 
»exponierte  Stellung«  im  Eiweißmolekül  zukomme,  ist  nicht 
berechtigt.  Die  Annahme,  daß  diese  Bestandteile  durch  den 
Besitz  einer  schon  im  Verbände  des  Proteins  freien  NH2-Gruppe 
ausgezeichnet  sind,  dürfte  meines  Erachtens  genügen,  um  ihre 
leichte  Angreifbarkeit  verständlich  zu  machen. 

Ich  habe  den  Eindruck,  daß  eine  systematische  Kombination 
der  Oxydationsmethoden  mit  der  Einwirkung  der  salpetrigen 
Säure  dem  Eiweißprobleme  sehr  förderlich  sein  könnte. 

Ich  wende  mich  nunmehr  einer  anderen  Seite  des  Eiweiß-  Eiweißfäulnis. 
Problems  zu:  Der  Lehre  von  der  Eiweißfäulnis. 

Ebenso  wie  durch  die  Wirkung  hydrolytischer  und  oxyda- 
tiver Agentien  gelingt  es  bekanntlich  auch  durch  die  Wirkung 

i)  Zd.  H.  Skraup,  Monatsh.  f.  Chemie  28,  447  (1907).  H.  Lampel, 
ibid.  28,  625  (1907).  W.  Traxl,  ibid.  29,  59  (1908).  österreichische  Che- 
mikerzeitung  11,  91   (1908). 

i)  S.  J.  Levites,  Biochem.  Z.  20,  228  (1908).  Z.  f.  physiol.  Chem. 
4S,  202  (1904). 

3)  Zd.  H.  Skraup  und  R.  Witt,  Monatsh.  f.  Chem.  28,  605  (1907). 


3^  II.  Vorlesung. 


De$aiTiidie- 
rung. 


von  Mikroorganismen,  das  Eiweißmolekül  in  eine  große  Anzahl 
von  Bruchstücken  zu  zerlegen.  Es  ist  allmäJUich  gelungen,  in 
den  Wust  verwirrender  Einzelbeobachttmgen,  welche  die  Eiweiß- 
fäulnis betreffen,  einige  Ordnung  zu  bringen  und  ich  werde  ver- 
suchen, Ihnen  das  Wesentlichste,  was  über  diesen  Gegenstand 
bekannt  ist,  in  aller  Kürze  mitzuteilen. 

Bei  der  Eiweißfäulnis  kommt  es  zunächst  zu  einer  hydro- 
lytischen Proteinspaltung,  bei  der  jedoch  die  einzelnen  Bruch- 
stücke alsbald  sekundären  Veränderungen  anheimfallen,  imd 
zwar  handelt  es  sich  teils  um  eine  mit  reduktiven  Vor- 
gängen einhergehende  Desamidierung,  teils  um  einen 
oxydativen  Abbau,  teils  endüch  um  eine  Abspaltung  von 
Kohlensäure  aus  Karboxylgruppen^). 
Reduktion  und  Um  eine  mit  reduktiven  Vorgängen  einhergehende  Des- 
amidierung handelt  es  sich  beispielsweise,  wenn  Phenylalanin 
zu  Phenylpropionsäure  umgeformt  wird: 

C5H5 — CH2  CgHs — CH2 

CH.NH2 ►  CH2 

COOH  tOOH 

Eine  typische  hydrolytische  Desamidierung  würde  zum 
Ersätze  der  Amino- Gruppe  durch  ein  Hydroxyl  führen: 
R.NH2+H.OH  =R.0H+NH3;  es  muß  daher  noch  eine  Re- 
duktion mitspielen,  um  das  Hydroxyl  zu  beseitigen. 

Das  gleiche  Schema  gilt  für  den  Übergang  von  Asparagin- 
und  Glutaminsäure  in  Bernsteinsäure,  bzw.  Glutarsäure, 
sowie  auch  für  die  Umwandlung  von  Tryptophan  in  Indol- 
propionsäure,  von  His tidin  (Imidazolylalanin)  in  Imida- 
zolylpropionsäure^) 

COOH        COOH       COOH        COOH 

CH2     >   CHg         CH- 

CH.NHo       CHp         CH. 


2  ^   v.iA2  y^xi.2  CHj 

I 

CHj 
COOH        COOH       CH.KH4,       CH2 


2  ^ii2  v.ii2  V.112 

COOH  CH.KH,  C] 


COOH  COOH 

Asparaginsäure    Bernsteinsäure    Glutaminsäure        Glutarsäure 

i)  Literatur:  Ellinger,  Ergebn.  d.  Phjrsiol.  16,  29  {1907).  Samuely, 
Handb.  d.  Biochem.  1,  483 — 489  und  796 — 801  (1909). 
2)  Ackermann,  Z.  f.  phy^iol.  Chem.  65,  504  (1910). 


Oxy dativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  33 


C  - 


Csh/^^CK   CH2  CeH*  ^CH  CHg 


I 


NH    CH.NH2  NH    ^xx2 

I  I 

COOH  COOH 

Tryptophan  Indolpropionsäure. 

Um  einen  typischen  reduktiven  Vorgang  handelt  es  sich 
femer  auch  bei  der  von  Brasch  beobachteten  Umwandlung 
des  Serins  in  Propionsäure: 

CH2.OH  CH3 

CH.NH2  >-  QU 2 

COOH  COOH 

Als  weitere  Phase  kann  sich  nun  an  diesen  Desamidierungs-     Oxydativer 
Vorgang  ein  oxydativer  Abbau  anschließen,  der  zu  einer  Ver-  Aminosäuren, 
kürzung   der   aliphatischen   Ketten  führt.     So    hat  z.  B.  Bau- 
mann  seinerzeit  für  den  Abbau  des  T5n:osins  bis  zum  Phenol 
nachstehendes  Schema  aufgestellt: 


I  I  I        ^       +COa  +^^2 

CH.NH2        CHg  COOH 

COOH  COOH 

Tyrosin      Oxyphenyl-    Oxyphenyl-    Kresol        Oxybenzoe-     Phenol. 
Propionsäure     essigsaure  säure 

Es  sind  nun  allerdings  berechtigte  Zweifel  geltend  gemacht 
worden^),  ob  der  Prozeß  wirklich  ganz  so,  wie  es  dieses  Schema 
angibt,  verlaufe.  Die  Oxybenzoesäure  ist  bisher  nicht  unter 
den  Fäulnisprodukten  aufgefunden  worden ;  auch  wird  man  sich 
fragen,  ob  eine  so  ausgesprochen  bakterizide  Substanz,  wie  es 
das  Kresol  ist,  wirklich  noch  weiter  von  Bakterien  angegriffen 
werden  könne. 

Daß  aber  oxydative  Prozesse  ähnücher  Art  bei  der  Fäulnis 
sich  wirklich  abspielen  könnten,  geht  mit  Sicherheit  aus  zahl- 
reichen neueren,  insbesondere  von  Carl  Neuberg  und  seinen 
Mitarbeitern  herrührenden  Untersuchungen  hervor,  die  isolierte 
Aminosäuren  der  Fäulnis  unterworfen  haben.     Wir  entnehmen 

i)  A.  Ellinger,  Ergebn.  d.  Physiol.  6,  45  (1907). 

▼.  Fürth,  Probleme.  -i 


34  II-  Vorlesung. 


aus  diesen  und  anderen  Arbeiten^),  daß  z.B.  der  Abbau  der 
Asparaginsäure  und  Glutaminsäure  ungefähr  in  folgender  Art 
verlaufen  kann: 

Buttersaure 

^  COOK  CH3  CH3  H 

Glutaminsäure  ]       CH2 ^   CH«     ^   COOK   COOK 

Asparaginsäure  J       CH2  tOOH 

COOH 
Bemsteinsäure     Propionsäure    Essigsäure  Ameisensäure. 

Bildung  von         Eine   weitere   für   die   Fäulnisvorgänge   durchaus    charakte- 

Aminen  aus      •.•iax-j        *•        ••  -j.  "ja^  j  -i 

Aminosäuren,  nstische  Art,  in  der  Aminosäuren  weiter  verändert  werden,  ist 
die  Abspaltung  von  Kohlensäure  aus  ihrem  Karboxyle 
unter  Bildung  von  Aminen: 

R.NH2  R.NH2 

]  -^   ;  +  CO«. 

COOH  H 

Wir  verdanken  die  Erkenntnis  dieses  Vorganges  einer  wich- 
tigen Entdeckung  Elltngers^),  welcher  den  Zusammenhang  zweier 
längst  bekannter  Fäulnisbasen,  des  Putrescins  und  des  Kada- 
verins  mit  dem  Ornithin  bezw.  Lysin  aufgeklärt  hat: 

CH2.NH2-CH2-CH2-CH2.NH2-COOH  =  CH2.NH2~CH2-CH2-CH2.NH2 

Ornithin  Putrescin  +  CO^ 

Tetramethylendiamin 

CH2.NH2--CH2-CH2-CH2-CH.NH2-COOH=CH2.NH2-CH2-CH2-CH2 

-CH2.NH2  +  CO2 

Lysin  Kadaverin 

Pentamethylendiamin. 

Man  hat  seitdem  eine  Reihe  ähnlicher  Vorgänge  kennen 
gelernt,  so  den  Übergang  von  Phenylalanin  in  Phenyläthyl- 
amin,  von  Tyrosin  in  Oxyphenyläthylamin  und,  nach  einer 
neuen  Entdeckung  Ackermanns^),  den  Übergang  von  Histidin  in 
Imidazolvläthvlamin: 

i)  W.  Brasch  und  C.  Neuberg,  Biochem.  Z.  13,  299  (1908).  W. 
Brasch,  ibid.  18,  380  (1909).  C.  Xeuberg  und  C.  Cappezuoli,  ibid.  18, 
424  (1908).  C.  Xeuberg,  ibid.  18,  431  (1909).  L.  Borchhardt,  Z.  f. 
physiol.  Chem.   59,  96  (1909).     P.  Newiasky,  Arch.  f.  Hygiene  66,  209. 

2)  A.  Ellinger,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  31,  3183  (1899);  32,  3543  (1900). 
Z.  f.  physiol.  Chem.  29,  334  (1900). 

3)  D.  Ackermann,  Z.  f.  physiol.  Chem.   65,  504  (1910). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.      Eiweißfäulnis.  35 


CH-NH 

C^Hg — CIT2 

^«^*  CH2 

C          N/^^ 

ins 
CH.NH2 

ÖH.NHg 

1 

(I:h.nh2 

COOH 

COOH 

COOH 

Phenylalanin 

CgHs — CH2 

1 

Tyrosin 

Histidin 

CH-NH^ 
C          N^ 

CH2.NH2 

CH2.NH2 

in  2 

CH2.^H2 

Phenyläthylamin  Oxyphenyläthylamin    Imidazolyläthylamin. 

Hierher  gehört  ferner  der  von  Kossei  ^)  kürzlich  entdeckte 
Übergang  des  Arginins  in  »Agmatin«: 

C(NH)  ^NH^CHo  ^^^^)\NHicH. 


2  NX^Xi. »^iA2 

CHo  CHo 

CH2  CH2 

CH.NH2  CH2  N^H2 

COOH 
Arginin  Agmatin, 

CH  V 

sowie  auch  die  Bildung  von  Isobutylamin  Qg'^CH— CH2NH2 

aus  Aminoisovaleriansäure^),  von  Isoamylamin  aus  dem 
Leucin^),  von  T-Aminobuttersäure  aus  der  Glutaminsäure*), 
von  ß-Alanin  aus  Asparaginsäure^: 

^^'    CH-CH2-CH(NH2)-COOH    ->  ^^'»\CH-CH2-CH2NH2 

Leuzin  Isoamylamin 

COOH  COOH 

CH2  CH2 

CHg  ->   CH2 

CH.NHg  CH2.NH2 

COOH 
Glutaminsäure    y-Aminobuttersäure 

i)  A.  Kossei,  Z.  f.  physiol.  Chem.  66,  257  (1910).  Sitzungsber.  d. 
Heidelberger  Akademie,  17.  Mai  1910.  Vgl.  auch:  Synthese  des  Agmatin, 
Z.  f.  physiol.  Chem.  68,   170  (19 10). 

2)  C.  Neuberg  und  Karezag,  Biochem.  Z.  18,  434  (1909). 

3)  Rosenheim,  Joum.  of  Physiol.  38,  337  (1909).  Barger  und 
Wal  pole,  ibid.  343  (1909). 

4)  D.  Ackermann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  66,  273  (1910).  D.  Acker- 
mann und  Fr.   Kutscher,  Z.  f.   physiol.  Chemie  66,  266  (1910). 

5)  D.  Ackermann,  Z.  f.  Biol.  56,  87  (191 1). 

3* 


36 


II. 

Vorlesung. 

COOK 

1 

COOK 

CH2 

y    1 

CH2.NH2 

C  ri2*'^I^2 

COOH 
Aspaxaginsaure  ß-Alanin. 

Beachtenswert  ist  endlich  die  von  Barg  er  ^)  geäußerte  Ver- 
mutung, derzufolge  die  von  Ackermann  unter  dem  Namen 
Putrin  beschriebene  Fäuhiisbase  durch  Kohlensäureabspaltung 
aus  dem  unter  dem  Namen  Diaminotrioxydodekansäure 
bekannten  Eiweißbausteine  (s.  o.  S.  12)  entstanden  sein  dürfte: 

Ci^HaeNgOß  =  CuHgeNgO»  +  CO^ 
Diaminotrioxy-  Putrin. 

dodckansäurc 

6-Ainino-  Einem    Spaltungsvorgange     besonderer    Art     verdankt    die 

und  €-Afnino-  ^"Aminovaleriansaure  ihre  Entstehung.  Dieselbe  ist  zu^st 
kapronsäure.  von  E,  und  H,  Salkowski  in  gefaulten  Eiweißsubstanzen  auf- 
gefunden und  später  von  Ackermann  ^)  mit  dem  von  ihm  aus 
gefaultem  Pankreas  erhaltenen  »Putridin«  identifiziert  worden. 
Man  hat  daran  gedacht,  daß  diese  Verbindung  durch  Aufspaltung 
des  Ringes  der  a-Pyrrolidinkarbonsäure  entstanden  sein  könnte. 
Es  hat  sich  jedoch  herausgestellt,  daß  sie  dem  Ornithin,  also  in 
letzter  Linie  dem  Arginin  entstamme,  aus  dem  sie  Ackermann 
auch  darstellen  konnte,  wenn  er  dasselbe  bei  Gegenwart  von 
Zucker  und  Pepton  faulen  ließ: 

OH2*^-H2  Cri2'^I*2 

I  ; 

CH2  CHg 

CHo 


CH 


Cri.xsrio  CH 


2 


2 


COOH  COOH 

Ornithin         6-Aminovaleriansäure. 

In  dem  von  Brieger  neben  zahlreichen  anderen  »Ptomainen« 
beschriebenen  Mydotoxin  glaubt  Ackermann  eine  €-Amino- 
kapronsäure  zu  erkennen,  welche  sich  vom  Lysin  in  ganz 
analoger  Weise  ableitet: 


i)  G.  Barger,  Z.  f.  physiol.  Chem.  61,  188  (1909). 
2)  D.  Ackermann,    Z.   f.  physiol.  Chem.   56,    305   {1909);    66,  482 
(1909);  «^  277,  (1910). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  37 


CH2.NH2 

CH2.NH2 

CH2 

CH2 

CH2 

->   CH2 

CH2 

CH2 

CH.NH2 

CH2 

COOH 

COOH 

Lysin 

e-Aminokapronsi 

Von  der  Umwandlung  des  Tr5T>tophans  in  Indol  und  Skatol 
wird  bei  anderer  Gelegenheit  die  Rede  sein.  Amine. 

Auch  einfache  Amine  sind  bei  bakterieller  Spaltung  von  Ei- 
weißkörpem  gefunden  worden.    So  das  Methylamin  CH8.NH2, 

das  Dimethylamin  ^^'^NNH  und  das  Trimethylamin 

CH3, 

CH3  )N,    welche    Substanzen   Emmerling^)   bei   der   Zersetzung 

CH3 

der  Gelatine  durch  den  Bacillus  fluorescens  liquefaciens,  sowie 
bei  derjenigen  des  Fibrins  durch  Streptokokken  angetroffen  hat. 
Ackermann  und  Schütze^)  betrachten  sicherlich  mit  Recht  das 
Lezithin  und  Cholin  als  Muttersubstanzen  des  in  Prodigiosus- 
kulturen  auftretenden  Trimethylamins ,  da  sie  die  Base  auf 
reinem  Eiweißnährboden  überhaupt  nicht  zu  erzeugen  vermochten 
und  die  Ausbeute  daran  durch  Zusatz  obiger  Substanzen  erheb- 
lich steigern  konnten. 

Außer  diesen  wohlcharakteristischen  Produkten  sind  noch  sehr 
zahlreiche  basische  Fäulnisprodukte    unbekannter  Konstitution 
beschrieben   worden,    welche    unter    den    antiquierten  Sanunel- 
begriff  der   »Ptomaine«  fallen 3).     Namentlich   im   Marburger 
physiologischen  Institute,   wo   die  Technik   der   Basentrennung 
dank   den  Bemühungen  Kutschers,  Steudels  und  Ackermanns  zu    Fäulnisbasen 
einem  sehr  hohen  Grade  von  Vollkommenheit  gediehen  ist,  sind  J"^"  unbekann- 
zahlreiche  derartige  Produkte  aufgefunden  worden.   Die  genaue        tion. 
Charakteristik  derselben   ist,   trotzdem    es   sich   meist    um   gut 
kristallisierende  Substanzen  handelt,   durch  die  geringe  Menge, 
in  der  sie  zugänglich  sind,  hochgradig  erschwert. 

i)  Emmerling,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  30,  1863  (1897).  Emmerling 
und  Reiser,  ibid.  S5,  701  (1902). 

2)  D.  Ackermann  und  H.  Schütze  (Physiol.  Inst.  Würzburg),  Arch. 
f.  Hygiene  78,  145  (1910). 

3)  Literatur:  Samuely,  Handb.  d.  Biochem.  1,  483 — 489,  796—801. 
(1910).  Acker  mann,  Handb.d.biochem.Arbeitsmeth.  2, 100 1 — 1043(1910). 


38  II.  Vorlesung. 


Um  nur  einige  Beispiele  aus  der  älteren  und  neueren  Lite- 
ratur zu  nennen,  erwähne  ich  das  Neuridin  Briegers,  welches, 
ebenso  wie  das  Saprin  desselben  Autors  und  das  Gerontin 
von    Grandis   vielleicht   mit   dem  Kadaverin   identisch   ist^). 

Interessant  ist  eine  aus  faulenden  Octopusmuskeln  darge- 
stellte Base  CgHiiN,  welche  bei  der  Oxydation  Nikotinsäure, 
d.  i.  Pyridinkarbonsäure  liefert  und  damit  ihre  Zugehörigkeit 
zur  Pyridinreihe  offenbart  2). 

Eine  von  Ackermann  aus  faulem  Pankreasgewebe  gewonnene 
Base,  das  Viridinin  C8H12N2O3,  ist  durch  die  intensiv  grüne 
Färbimg  ihres  Chlorides  ausgezeichnet  und  wird  von  Gold- 
chlorid in  Form  schwarzgrüner  oder  schwarzgelber  Kristall- 
blätter gefällt^).  Daneben  wurde  eine  neue  Base,  das  Marcitin 
CgHigNa,  angetroffen. 

Man  ist  nicht  ohne  weiteres  berechtigt,  jede  Fäulnisbase 
als  Eiweißderivat  anzusehen.  Können  ja  doch,  wenn  wir  z.  B. 
Pankreasgewebe  oder  Hefe  faulen  lassen,  auch  andere  Gewebs- 
bestandteile,  insbesondere  die  Nukleinsäuren  und  die  sogenannten 
»Extraktivstoffe«,  an  der  Bildung  basischer  Produkte  beteiligt 
sein. 

Das  physiologische  Interesse,  welches  das  Studium  der  Vor- 
gänge der  Eiweißfäulnis  bietet,  und  das  groß  genug  war,  um  Bio- 
chemiker vom  Range  Baumanns  und  Nenckis  zu  veranlassen, 
einen  nicht  unerheblichen  Teil  ihrer  Lebensarbeit  diesem  Probleme 
zu  widmen,  wird  noch  durch  den  Umstand  erhöht,  daß,  wie 
Ellinger^)  betont  hat,  eine  Reihe  von  Analogien  zwischen 
den  Vorgängen  des  intermediären  Stoffwechsels  und 
der  Eiweißfäulnis  bestehen,  welche  die  Hoffnung  recht- 
fertigen, daß  das  Studium  der  letzteren  auch  die  Stoffwechsel- 
lehre mit  neuen  Gesichtspunkten  bereichern  werde. 
Toxizität  der  Man  ist  früher  an  die  Untersuchung  der  Fäulnisprodukte 
^pToIhlkte"'^  in  der  Hoffnung  herangegangen,  die  Giftstoffe,  mit  denen  patho- 
gene  Bazillen  den  Organismus  überschwemmen,  in  Form  kri- 
stallisierbarer  Verbindungen    fassen    und    chemisch    charakteri- 


i)  D.  Ackermann,  Handb.  d.  biochera.  Arbeitsmeth.  2,  1027  (19 10). 

2)  Oechsner  de  Coninck,  Compt.  rend.  106,  858,   1605  (1888). 

3)  D.  Ackermann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  57,  28  (1908). 

4)  A.  Ellinger,  Ergebn.  d.   Physiol.  6,  56  (1907). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäukiis.  3g 

sieren  zu  können.  Diese  Hoffnungen  haben  sich  nur  in  sehr  ge- 
ringem Maße  verwirklicht,  und  die  Rolle,  die  derartigen  »Pto- 
mainen«  bisher  in  der  Entwicklung  der  Pathologie  beschieden 
war,  ist  keine  sonderlich  imposante.  Man  hat  sich  mit  einer 
gewissen  Resignation  damit  abgefunden,  daß  die  wichtigsten 
Stoff  Wechselprodukte  pathogener  Mikroorganismen,  wie  z.  B. 
das  Diphtherietoxin  und  das  Tetanustoxin,  vorderhand  der 
»kolloidalen«  Sphäre  angehören  oder  doch  einstweilen  von  der- 
selben nicht  losgelöst  werden  können  und  einer  exakten 
chemisch -anal5rtischen  Charakterisierung  noch  nicht  zugäng- 
lich sind. 

Es  soll  damit  nicht  gesagt  sein,  daß  die  Produkte  der  Pto- 
mainkategorie  deswegen  alle  physiologisch  durchaus  indifferent 
sind.  Es  ist  dies  keineswegs  der  Fall.  Ich  erinnere  z.  B.  nur  an 
das  von  Edwin  Faust  ^)  aus  faulender  Hefe  dargestellte,  dem 
Kadaverin  C5H14N2  anscheinend  nahe  verwandete  Sepsin 
C5H14N2O2,  welches  bei  Tieren  eine  heftige,  mit  blutigen  Durch- 
fällen einhergehende  Entzündung  des  Magendarmtraktes  her- 
vorruft. 

Man  ist  in  jüngster  Zeit  darauf  aufmerksam  geworden,  daß 
manche  durch  Kohlensäureabspaltung  aus  Aminosäuren  ent- 
standene basische  Produkte  bei  intravenöser  Injektion  den 
Blutdruck  zu  erhöhen  vermögen  und  Wirkungen  entfalten, 
die  an  diejenigen  des  Adrenalins  erinnern.  Es  gilt  dies  z.  B. 
für  das  Isoamylamin,  das  Imidazolyläthylamin,  insbesondere 
aber  für  das  Hydroxyphenyläthylamin,  und  es  ist  wahrscheinlich, 
daß  Präparaten  dieser  Kategorie  in  der  Pharmakologie  der 
Zukunft  eine  wichtige  RoUe  beschieden  sein  dürfte.  Das  aus 
dem  Histidin  abgeleitete  Imidazolyläthylamin  ist  eine  der  in 
Mutterkornextrakten   enthaltenen  wirksamen  Substanzen^). 

Wir  können  an  der  Frage  der  Toxicität  der  Eiweißfäulnis-   Eiweißfäulnis 
Produkte  nicht  vorübergehen,  ohne  wenigstens  einen  Blick  auf 

i)  E.  Faust,  Arch.  f.  exper.  Path.  51,  248  (1904). 

2)  D.  Ackermann  und  Kutscher,  Z.  f.  Biol.  54,  387  (1910).  G. 
Barger  and  Walpole,  Journ.  of  Physiol.  38,  343  (1908).  H.  H.  Dale 
and  W.  E.  Dixon,  ibid.  39»  25  (1909).  G.  Barger  and  H.  H.  Dale,  ibid. 
40,  Proc.  June  18.  1910;  41,  499  (191 1).  H.  H.  Dale  and  P.  P.  Laidlow, 
ibid.  41,  318  (1910). 


im  Darme. 


40  II.  Vorlesung. 


die  Frage  der  Eiweißfäulnis  im  Darme  und  ihrer  physio- 
logischen und  pathologischen  Bedeutung  geworfen  zu  haben. 

Die  große  Wichtigkeit  dieses  Gegenstandes  wird  ims  ohne 
weiteres  klar,  wenn  wir  uns  vergegenwärtigen,  daß  die  normalen 
menschlichen  Exkremente  zu  etwa  einem  Drittel  aus  Bakterien- 
leibern bestehen  und  daß  täglich  im  Durchschnitte  mehr  als 
loo  Billionen  Mikroorganismen  aus  dem  Körper  entfernt 
werden. 

Die  Frage,  welche  Arten  von  Organismen  bei  der  Eiweiß- 
fäulnis im  menschlichen  Darme  vorwiegend  beteiligt  sind,  ist 
eine  recht  verwickelte  i).  Die  grundlegenden  Arbeiten  auf  diesem 
Gebiete  rühren  von  dem  kürzlich  verstorbenen  Kinderarzte 
Theodor  Escherich  her;  sie  betreffen  allerdings  in  erster  Linie 
die  Verhältnisse  beim  Säuglinge.  Es  geht  aus  denselben 
hervor,  daß  das  Mekonium  unmittelbar  nach  der  Geburt  noch 
steril  ist.  Schon  wenige  Stunden  später  lassen  sich  die  ersten 
Keime  nachweisen,  die  nunmehr  schnell  zimehmen.  Im  Milch- 
kote des  Säuglings  scheinen  die  Aerobier  vorzuherrschen,  ins- 
besondere Bacterium  coli  commune  und  Bacterium  lactis 
aerogenes;  dieselben  vermögen  Kohlehydrate  leicht  zu  vergähren, 
sind  jedoch  an  sich  wenig  befähigt,  Eiweiß  zu  zerstören.  Dank 
den  Untersuchungen  Bienenstocks  wissen  wir,  daß  richtige 
Eiweißfäulnis  im  Darme  durch  Anaeorobier  zustande  kommt, 
und  zwar  dürfte  hier  vor  allem  der  obligate  Bacillus  putri- 
ficus  neben  einer  Art  Buttersäurebazillus  die  wichtigste 
Rolle  spielen.  Doch  sind  außerdem  zahlreiche  Darmbakterien 
bekannt,  die  Eiweiß  zu  zersetzen  vermögen.  Auch  sind  sicher- 
lich Aerobier  zum  mindesten  bei  der  sekundären  Veränderung 
der  bei  der  Fäulnis  auftretenden  Eiweißspaltungsprodukte  be- 
teiligt; so  soll  z.  B.  nach  H erler  der  Bacillus  putrificus  vor- 
wiegend Skatol  bilden,  während  bei  Mitwirkung  des  Bacterium 
coli  commune  Indol  entsteht  2). 


i)  Literatur:  D.  Gerhardt,  Ergebn.  d.  Physiol.  3,  I.  Abt.  115 — 124 
(1904).     A.  Scheunert,  Handb.  d.  Biochemie  3,  II,  128 — 134  (1909). 

2)  Herter,  Journ.  of  biol.  Chem.  4,  loi  (1908),  vgl.  auch:  L.  F.  Rett-^ 
gers,  ibid.  2,  71  (1906).  L.  M.  Horowitz,  Z.  f.  physiol.  Chem.  52,  95 
(1907). 


Oxy dativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  41 


Über  den  Einfluß  der  Kohlehydrate  und  der  bei  ihrer 
Gähning  auftretenden  Säuren  auf  die  Eiweißfäulnis  im  Darme 
ist  sehr  viel  geschrieben  und  diskutiert  worden,  ebenso  über 
den  Einfluß  der  Fette  und  ihrer  Spaltungsprodukte.  Vor  allem 
hat  aber  die  bekannte  übelriechende  Beschaffenheit  acholischer 
Stühle  beim  Abschlüsse  der  Gallenzufuhr  zum  Darme  aus- 
gedehnte Kontroversen  über  die  Frage  hervorgerufen,  wieso 
die  Galle  die  Eiweißfäulnis  zu  hemmen  vermöge  und  ob  es  sich 
hier  nur  um  eine  sekundäre  Wirkung  der  Störung  der  Fettre- 
sorption handle,  welche  die  Folge  einer  Hemmung  des  Gallen- 
zuflusses zum  Darme  zu  sein  pflegt.  Die  früher  so  beliebte  Lehre 
von  der  »antiseptischen«  Wirkung  der  GaUe  (und  zwar  speziell 
der  Gallensäuren)  scheint  beseitigt  zu  sein,  seitdem  man  weiß, 
daß  man  viele  Mikroorganismen  auf  Galle  ebenso  gut  züchten 
kann  wie  auf  BouiUon.  Doch  ist  es  mir  zum  Mindesten  vor- 
läufig nicht  gelungen,  mir  ein  klares  Bild  von  der  Wirkung  der 
genannten  Faktoren  zurechtzulegen  i). 

Zu  den  vielen  Fragen ,  die  von  Pasteur  aufgerollt  worden  Bedeutung  der 
sind  und  deren  Bedeutung  dem  weitausschauenden  Blicke  dieses  menfür'SrEr- 
großen  Naturforschers  nicht  zu  entgehen  vermochte,  gehört  auch   nährungsvor- 
die  Frage,  welche  Rolle  den  kleinen  Gästen,  die  der  Wirbeltier-       ^  "^^' 
darm  in  so  ungeheurer  Menge  beherbergt,  im  normalen  Haushalte 
des  Organismus  denn  eigentlich  zukommt,  ob  es  sich  hier  um 
unnütze  Schmarotzer  handle   oder   ob  eine  Art   Konsortialver- 
hältnis  zwischen  Mikroorganismen  und  dem  Tiere,  in  dessen  Darm 
sie  leben,  bestehe,  bei  dem  sowohl  Wirt  wie  Gäste  auf  ihre  Rech- 
nung kommen.     Man  hat  sich  schheßlich  direkt  die  Frage  vor- 
gelegt, ob  denn  normale  Entwicklung  und  Leben  ohne  die  An- 
wesenheit von  Mikroorganismen  im  Darme  für  Wirbeltiere  über- 
haupt  auf  die  Dauer  möglich  sei. 

Nuttall  und  Thierfelder^)  haben  seinerzeit  durch  mühe- 
volle Versuche  gezeigt,  daß  Meerschweinchen,  die  durch 
Sectio   caesarea   dem   mütterHchen   Uterus  entnommen  und  in 


1)  Literatur:  D.  Gerhardt,  Ergebn.  d.  Physiol.  3,  I.Abt.   146 — 154 
(1904).     Scheunert,  Handb.  d.  Biochemie  3,  II,  132 — 133  (1909). 

2)  G.  Nuttall  und  H.  Thierfelder,  Z.  f.  physiol.  Chem.  21,  109; 
22,  62;  28,  231  (1895— 1897). 


42  II.  Vorlesung. 


steriler  Luft  mit  steriler  Nahrung  aufgezogen  worden  waren, 
auch  trotz  völliger  Abwesenheit  von  Bakterien  in  ihrem  Darme 
gut  zu  gedeihen  vermochten.  Damit  schien  die  Frage  also  er- 
ledigt. Nun  hat  aber  kürzlich  SchoUelius^)  im  Freiburger 
hygienischen  Institute  dieses  Problem  wieder  aufgenommen,  in- 
dem er  gegen  die  genannten  Versuche  vor  allem  den  Einwand 
erhob,  ihre  Dauer  sei  eine  allzu  kurze  gewesen.  Steril  ausge- 
brütete und  gefütterte  Hühnchen  fraßen  zwar  reichlich,  gingen 
aber  stets  zugrunde.  Mischte  man  aber  rechtzeitig  aus  Hühner- 
exkrementen gezüchtete  Bakterien  der  Nahrung  bei,  so  nahmen 
die  Tiere  an  Gewicht  zu  und  entwickelten  sich  in  normaler  Weise. 
SchoUelius  hält  darum  die  Darmbakterien  für  die  normale 
Ernährung  der  Wirbeltiere,  auch  der  Menschen,  für  notwendig; 
der  Nutzen  soll  darin  bestehen,  daß  sie  die  Ingesta  für  die  Re- 
sorption vorbereiten,  durch  Reizung  der  Darmwand  einen  nor- 
malen Ablauf  der  Peristaltik  bewirken,  daß  sie  femer  pathogene 
Bakterien,  die  etwa  in  den  Darm  hineingelangt  sind,  überwuchern 
und  den  Körper  gegenüber  den  Giften,  die  von  solchen  ausge- 
schieden werden,  festigen. 

Die  Versuche  von  SchoUelius  sind  von  dem  Kinderarzt 
Moro^)  bestätigt  worden,  insoferne  er  an  Larven  der  Knob- 
lauchkröte (Pelobates  fuscus),  wenn  er  sie  in  einem  sterilem 
Medium  aufzog,  schwere  Wachstumsstörungen  beobachtete. 
Giftigkeit  des  Das  Gegenstück  zu  der  soeben  erörterten  Frage  bildet  das 
Darminhaltes.  Problem  der  Giftigkeit  des  Darminhaltes,  und  des  Ein- 
dringens toxischer,  bei  der  Eiweißfäulnis  gebildeter  Produkte 
in  den  allgemeinen  Kreislauf.  Es  ist  dies  im  ganzen  ein  sehr 
wenig  erquickliches  Kapitel,  dessen  Bearbeitung  vielfach  durch 
Abwesenheit  der  nötigen  Kritik  schwer  gelitten  hat.  Daß  bei 
der  Eiweißfäulnis  toxische  Substanzen  auftreten  können,  ist  nicht 
zu  leugnen  und  nach  dem  vorhin  über  die  Giftigkeit  mancher 
Amine  Gesagten  selbstverständlich.  Begreiflich  ist  es  auch, 
daß  Fleischnahrung  die  Eiweißfäulnis  und  damit  auch  die  Giftig- 
keit des  Darminhaltes  steigert^)  und  daß  man  etwa  bei  Ileus 


i)  M.  Schotten  US,  Arch.  f.  Hygiene  67,   177  (1908). 

2)  Moro,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  62,  467  (1905). 

3)  H.  Roger  et  M.  Garnier,  Rev.  med.  30,  233  (1910). 


Oxydativer  Abbau  der  Proteinstoffe.     Eiweißfäulnis.  43 


eine  reichliche  Anhäufung  toxischer  thermostabiler  Fäulnis- 
produkte im  stagnierenden  Darminhalte  findet i).  Die  Be- 
hauptung, daß  der  Darminhalt  für  die  eigene  Tierspezies  un- 
giftig, für  fremde  dagegen  giftig  sei,  hat  sich  nicht  bestätigt. 
Inwieweit  derartige  toxische  Eiweißspaltungsprodukte  aus  dem 
Darme  tatsächlich  resorbiert  werden,  und  welche  von  denselben 
eine  sogenannte  »Autointoxikation«  wirklich  herbeiführen 
können,  läßt  sich  vorderhand  unmöglich  entscheiden  *). 

Alle  diese  Fragen  haben  gerade  in  jüngster  Zeit  insofeme 
an  Aktualität  gewonnen,  als  der  Name  eines  berühmten  Natur- 
forschers, des  Bakteriologen  Metschntkoff ,  mit  der  Idee  in 
Zusammenhang  gebracht  worden  ist,  daß  eine  chronische 
Vergiftung  des  Organismus  durch  die  vom  Darm  her  be- 
ständig resorbierten  Fäulnisstoffe  das  menschliche  Leben  abkürze 
und  ein  vorzeitiges  Greisenalter  herbeiführe.  Diese  Idee  basiert 
einerseits  auf  der  Beobachtung,  daß  »Joghurt«  (eine  durch  den 
sogenannten  »bulgarischen  Bazillus«  in  eine  besondere  Art  milch- 
saurer Gährung  versetzte  Milch)  die  Eiweißfäulnis  im  Darme 
stark  herabsetzt,  weil  dieser  Gährungserreger  andere  Mikro- 
organismen überwuchert;  anderseits  stützt  sie  sich  aber  auf 
die  Behauptung,  daß  in  der  Heimat  des  Joghurt,  in  Bulgarien, 
unter  den  Landbewohnern  auffallend  viele  sehr  alte  Leute  leben 
und  Hundertjährige  nicht  sehr  selten  sein  soUen. 

Es  dürfte  sich  empfehlen,  zunächst  diese  letztere  Ausgangs- 
beobachtung, ob  nämlich  Menschen,  die  regelmäßig  Joghurt  zu 
sich  nehmen,  wirklich  älter  werden  als  andere,  durch  genaue 
statistische  Erhebungen  sicherzustellen.  Leider  dürfte  schon  dieses 
Postulat  in  praxi  nicht  leicht  zu  verwirklichen  sein.  Und  dann 
ergibt  sich  erst  die  weitere  sehr  schwierige  Frage,  inwieweit  denn 
gerade  der  Joghurt  und  nicht  irgendwelche  andere  Eigen tümlich- 


i)  Clairmont  und  Ranzi,  Arch.  f.  klin.  Chirurgie  73,  696  (1909). 

2)  Vgl.  H.  Roger  et  M.  Garnier,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  59,  388,  674,  677 
(1905).  Roger  et  Josue,  ibid.  60,  580  (1906).  Charrin  et  le  Play, 
Compt.  rend.  141,  136  (1905).  Külbs  (med.  Klinik  Kiel),  Arch.  f.  exper. 
Path.  55,  ys  (1906).  A.  Falloise,  Arch.  intern,  de  Physiol.  5,  159,  zit. 
Jahresber.  f.  Tierchemie  37,  459  (1907).  E.  Bloch,  Biochem.  Z.  9,  498 
(1908). 


44  II-  Vorlesung. 


keiten  der  Rasse  und  Lebensweise  für  die  Langlebigkeit  ver- 
antwortlich zu  machen  seien.  Die  gegebene  Anregung  mag  man 
aber  immerhin  als  solche  gelten  lassen.  Ist  es  doch  das  gute  Recht 
der  Menschheit,  sich  des  großen  Allbezwingers  mit  allen  ihr  zu- 
gänglichen Mitteln  zu  erwehren,  und  es  wäre  sicherlich  sehr  er- 
freulich, wenn  ein  so  einfaches  Pharmakon,  wie  vergohrene  Milch 
sich  ihr  als  wirksames  Kampfmittel  erweisen  sollte. 


IIL  Vorlesung. 

Cyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküles  und 
ihre  Schicksale  im  Organismus. 

Unter  den  Bausteinen  des  Eiweißmoleküles  sind  die  cyklischen 
Verbindungen  durch  besonders  charakteristische  und  augenfällige  CykUschcKom- 
Eigenschaften  ausgezeichnet.  Trotzdem  ist  die  Kenntnis  derselben  weiBmoihBküie 
neuen  Datums.  Es  ist  noch  nicht  gar  lange  her,  daß  ein  einziger 
Repräsentant  derselben,  dasTyrosin ,  bekannt  war,.  Heute  kennen 
wir  deren  eine  ganze  Reihe:  Das  Phenylalanin,  das  Prolin, 
das  Oxyprolin,  das  Histidin  und  das  Tryptophan: 

OH 

CH-NK  i  ^ ,  H2C1 — -CHj 


/   \ 

/\ 

1 

\ ' 

CH2 

t 

CH.NH2 

1 

1 
Cxi.Nrl2 

COOK 

COOK 

^j^  NHCH.NHg  NH 

CH.NH2  COOK 

COOK 

Phenylalanin,  Tyrosin,       Histidin,  Tryptophan,  Prolin. 

Neben  der  längst  bekannten  Oxyphenylgruppe  sehen  wir 
die  Komplexe  des  Benzols,  des  Imidazols,  des  Indols  und 
des  Pyrrols  in  den  Kernen  vertreten;  und  in  merkwürdiger 
Gleichmäßigkeit  begegnen  wir  vier  von  diesen  cyklischen  Atom- 
gruppen  in  Verbindung  mit  einer  dreigUedrigen,  aliphatischen 

CH3 

Kette,  dem  Alanin  CH.NH2. 

COOH 
Jeder  einzelne  dieser  cykhschen  Komplexe  bietet  dem  Bio- 
chemiker ein  besonderes  Interesse,  nicht  allein  wegen  seiner  Stel- 
lung im  Eiweißmoleküle,  sondern  auch  wegen  seiner  weiteren 
Rolle  und  Bedeutung  im  Haushalte  des  Körpers.    Für  die  Welt  von 


46  III.  Vorlesung. 


Vorgängen,  die  wir  unter  dem  Schlag^\'o^te  Mntermediäxer  Stoff- 
wechsel« zusammenzufassen  pflegen,  paßt  ein  Bild,  das  einst  ein 
geistvoller  Mathematiker  auf  die  Integralrechnung  angewandt 
hat,  um  die  unergründlichen  Tiefen  derselben  seinen  Hörern 
begreiflich  zu  machen.  Er  sagte,  sie  gleiche  einem  Meere,  an  dessen 
Ufern  der  Fischer  immerhin  das  sammeln  mag,  was  aus  der  Tiefe 
nach  der  Oberfläche  dringt;  doch  vermag  keines  Menschen  Auge 
die  ganze  Daseinsfülle  zu  ergründen,  welche  die  abyssischen 
Tiefen  erfüllt. 

Nun  sind  es  gerade  die  widerstandsfähigen  und  dabei  cha- 
rakteristischen cyklischen  Komplexe,  auf  die  der  Biochemiker 
leicht  zu  stoßen  vermag,  wenn  er  in  das  Meer  des  intermediären 
Stoffwechsels  seine  Tiefseenetze  versenkt.  Wir  sind  daher  über 
die  Schicksale,  welche  diese  Komplexe  im  Organismus  erfahren, 
wenigstens  einigermaßen  unterrichtet.  Ich  beabsichtige  heute, 
Ihnen  diese  Gruppen  der  Reihe  nach  vorzuführen  und  Ihnen  das 
Wichtigste  mitzuteilen,  was  wir  über  ihre  Veränderungen  im 
Organismus  durch  die  Forschungsarbeit  des  vergangenen  Dezen- 
niums erfahren  haben. 

Ich  beginne  mit  der  Benzol-  und  Oxyphenylgruppe,  die  sich 
im  Eiweißmoleküle  in  Gestalt  des  Phenylalanins  und  Tyrosins 
vorfindet. 

Bekannthch  ist  der  Organismus  im  großen  und  ganzen  darauf 
eingestellt,  die  Bestandteile  des  Eiweißmoleküles  leicht  zu  zer- 
stören. Immerhin  hatten  ältere  Untersuchungen,  insbesondere 
Oxyphenyi-  diejenige  Blendermanns  ergeben,  daß  nach  lang  dauernder 
dcrivate  im    Fütterung  mit  Tyrosin  im  Harne  Derivate  desselben  auftreten 

Harne    nach  "  *'  ti,t-x  t  ti 

verfütterung   können.     So  zunächst  die  durch  Desamidierung  direkt  aus  dem 
von    Tyrosin.  Xyxosin  entstehende  Oxyphenylmilchsäure: 

(OH)CeH4-CH2  (OHjCeH^-CHg 

I  I 

CH.NH2  +  HOH=         CH.OH  +  NH3 

COOH  COGH 

Femer  die  sich  durch  einen  Reduktionsvorgang,  bzw.  durch 
oxydativen  Abbau  aus  dieser  letzteren  abzuleitende  Oxyphenyi - 
Propionsäure  (0H).C6H4— CHg.CHg.COOH  und  Oxyphenyl- 
essigsäure  (OH).C6H4-CH2.COOH. 

Interessanterweise    tritt    die    Oxyphenylmilchsäure,    wie 


Cyklische   Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  47 


schon  Baumann  gefunden  hatte,  auch  im  menschlichen  Harne 
auf,  wenn  der  normale  Ablauf  der  Stoffwechselvorgänge  durch  eine 
Phosphorvergif  tun  g  gestört  wird.  Die  Synthese  der  genannten 
Säure,  welche  kürzlich  im  Königsberger  pharmakologischen 
Institute  gelungen  ist^),  hat  jeden  Zweifel  über  die  Identität 
der  Säure  Blendermanns  beseitigt.  Gleichzeitig  wurde  von 
Ellinger  und  Kotake  auch  ein  Irrtum  aus  der  Welt  geschafft, 
der  sich  seit  Dezennien  durch  die  Literatur  geschleppt  hatte 
und    der    das    angebliche    Auftreten    von    Oxymandelsäure 

(OH)C8H4-CH2.0H 

1  im   Harne   bei    akuter   gelber  Leberatrophie 

betrifft.  Die  Synthese  einer  solchen  Säure  ergab  ein  Produkt 
von  ganz  anderen  Eigenschaften,  als  sie  der  seinerzeit  im  Harne 
gefundenen  Substanz  eigentümlich  waren  2). 

Neben  den  genannten  Produkten  kann  auch  ein  Hydantoin 
im  Harne  mit  Tyrosin  gefütterter  Tiere  auftreten.  Dasselbe  kommt 
in  der  Art  zustande,  daß  sich  das  Tyrosin  mit  einem  Harnstoff- 
reste — CO.NH2  paart,  worauf  unter  Wasserabgabe  und  Bildung 
eines  Ringschlusses  ein  »Hydantoin«  entsteht. 

(OH).C«H4-CH2  (OH)CeH4-€H2  (OH)CeH4-CH2 

CH.NH2->                    CH.NH.CO.NH2->                   CH.NH.CO 
COOH  COOH  CO NH 

Dakin^)  hat  jedoch  gezeigt,  daß  dieses  Hydantoin  nicht  als 
intermediäres  Abbauprodukt  des  Tyrosins  aufzufassen  ist.  Wird 
razemisches  Tyrosin  verfüttert,  so  wird  nur  die  1  -Komponente, 
welche  die  im  Eiweiß  enthaltene  Form  darstellt,  im  Organismus 
verbrannt.  Die  d-Komponente  dagegen  geht  in  den  Harn  über, 
woselbst  sich,  wenn  man  denselben  bei  alkalischer  Reaktion  ein- 
dampft, die  Umsetzung  des  Tyrosins  mit  Harnstoff  und  die 
Hydantoinbildung  vollzieht. 

Eine  wesentliche  Vertiefung  erfuhr  das  Problem  des  Tyrosin-  Aikaptonurie. 
abbaues  im  Organismus,  als  die  Pathologie  der  Physiologie  zu 


i)  A.  Ellinger  und  Kotake,  Z.  f.  physiol.  Chem.  65,  397,  402  (1910). 

2)  Vgl.   K.  Fromherz  (Klinik  Fr.  Müller,  München),  Z.  f.  physiol. 
Chem.  70,  351  (1911). 

3)  H.  D.  Dakin,  Joiirn.  of  biol.  Chem.  8,  25  (19 10). 


48  III.  Vorlesung. 


Hilfe  kam  und  die  Vorgänge  bei  einer  seltenen  Stoffwechsel- 
anomalie, der  »Alkaptonurie«  dem  Verständnisse  näher 
brachte. 

Bereits  um  <iie  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  war  eine 
merkwürdige  Stoffwechselstörung  bekannt  geworden,  welche  sich 
schon  dem  Auge  des  Laien  dadurch  verrät,  daß  der  Harn  beim 
Stehen  eine  schwarze  Färbung  annimmt.  Da  sich  diese  Farben- 
wandlung bei  Anwesenheit  von  Alkalien  mit  besonderer  Intensität 
vollzieht,  wurde  für  sie  der  Name  »Alkaptonurie«  geprägt,  der 
sich  von  den  Worten  »Alkali«  und  »äTrreiv«  herleitet  und  eine 
begierige  Alkaliaufnahme  andeutet.  Das  Wesen  der  Alkaptonurie 
blieb  gänzlich  im  Dunkeln,  bis  Anfangs  der  60er  Jahre  Baumann 
seine  Meisterschaft  an  diesem  Probleme  erprobte  und  gemeinsam 
mit    seinem    Mitarbeiter    Wolkow    die    Homogentisinsäure 

OH 
OH 

1  oder  Hydrochinonessigsäure  als  Substrat  der  Alkap- 

COOH 
tonurie    und    als    Derivat    eines    cyklischen    Eiweißkemes    er- 
kannte. 

Die  S5mthese  der  Homogentisinsäure  durch  Baumann  und 
Sigmund  Fränkel  beseitigte  jeden  Zweifel  hinsichtlich  ihrer  Kon- 
stitution^). 

Alkahscher  Alkaptonham  nimmt  im  allgemeinen  beim  Stehen 
eine  braune  oder  schwarze  Färbimg  an.  Nach  C.  Th.  Mörners^) 
neuen  Beobachtungen  kann  jedoch,  wenn  Homogentisinsäure  oder 
Alkaptonham  bei  Gegenwart  von  Ammoniak  unter  Luftzutritt 
stehen  bleibt,  ein  prachtvoll  rotvioletter,  schön  kristallisierender, 
in  Wasser  schwer  löslicher  Farbstoff,  das  »Alkaptochrom« 
auftreten,  welcher  der  Gruppe  der  Chinonimidfarbstoffe  anzu- 


1)  Literatur  über  Alkaptonurie:  F.  X.  Schulz,  Ergebn.  d.  Physiol. 
1,  II,  179 — 192  (1903).  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochem.  3,  I,  665 — 66y 
(1910).  C.  Neuberg,  ibid.  4,  II,  353 — 371  (1909)  und  Nagels  Handb.  d. 
Physiol.  2,  486 — 489  (1907).  W.  Falta,  Biochem.  Centralbl.  3,  173  (1903). 
Fromherz.  ibid  8,  i  (1908).  Sarauely,  Zentralbl.  f.  Stoffw.  1,  167 — 174 
(1906).     O.  Porges,  Ergebn.  d.  Physiol.  10,  35  u.  39  (1910). 

2)  C.  Th.  Mörner.  Z.  f.  physiol.  Chemie  69,  329  (19 10). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls. 


49 


gehören   scheint   und   sich   von   dem    Komplexe 


NH 

/ 

'    ableiten 
Ö 


dürfte. 

Der  Ursprung  der  Homogentisinsäure  ist  durch  eine  Reihe  von 
Arbeiten  aufgeklärt  worden,  die  auf  der  damals  von  Friedrich 
Müller  geleiteten  Baseler  medizinischen  Klinik  von  Falta,  Lang- 
stein, E.  Meyer  und  Neubauer  ausgeführt  worden  sind^).  Aus 
denselben  geht  in  zweifelloser  Weise  hervor,  daß  die  Homogen- 
tisinsäure dem  Phenylalanin  und  dem  Tyrosin  der  Eiweiß- 
körper entstammt,  während  der  Trj^tophankomplex  an  ihrer 
Bildung  nicht  beteiligt  scheint.  Die  Menge  der  von  einem 
Alkaptonuriker  ausgeschiedenen  Homogentisinsäure,  welche  dank 
der  Fähigkeit  derselben,  ammoniakalische  Silberlösung  zu  redu- 
zieren, auf  titrimetischem  Wege  genau  ermittelt  werden  kann, 
entspricht  der  Summe  aus  Phenylalanin  und  Tyrosin,  wobei  es 
gleichgültig  ist,  ob  diese  zyklischen  Komplexe  dem  Nahrungs- 
eiweiß oder  zerfallenden  Gewebsproteiden  entstammen  und  ob  sie 
in  freiem  Zustande,  in  Form  von  Polypeptiden  2)  oder  Eiweiß- 
körpem  zugeführt  werden. 

Der  Übergang  des  T)n:osins  in  Homogentisinsäure  dürfte  nach 
Neubauer^)  folgendem  Schema  entsprechend  erfolgen: 


OH 

V- 

CHj 

CH.NH 

COOK 
Tyrosin, 


OH 


OH 


2 


*  OH\   / 


OH 


i 


OH 


2 


COOH  COOH 

Oxyphenyl-  Hydrochinon- 

brenztraubensäure,      brenztraubensäure, 


OOH 


Homogentisin- 
säure. 


i)  L.  Langstein  und  E.  Meyer,  Arch.  f.  klin.  Med.  78,  i6i  (1903). 
W.  Falta  und  L.  Langstein,  Z.  f.  phy^iol.  Chem.  37,  513  (1903).  O.  Neu- 
bauer und  W.  Falta,  ibid.  42,  8i  (1904).  W.  Falta,  ibid.  81,  231  (1904). 

2)  E.   Abderhalden,  B.  Bloch   und  P.   Rostoski,  Z.  f.   physiol. 

Chem.  52,  435  (1907)- 

3)  Neubauer,  Habilitationsschr.  Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel 
1908.  Arch.  f.  klin.  Med.  95,  211  (1909).  A.  Suwa  (Klinik  Fr.  Müller, 
München),  Z.  f.  ph)rsiol.  Chem.  72,  113  (191 1). 

V.  Fürth,  Probleme.  a 


50  III.  Vorlesung. 


OH 


Man  war  früher  geneigt  die  Oxyphenylmilchsäure 


CH2 


CH2.OH 

COOH 

als  Vorstufe  der  Homogentisinsäure  anzusehen;  doch  ist  man 
von  dieser  Meinung  zurückgekommen,  da,  wie  die  direkte  Verab- 
reichung an  Alkaptonuriker  gelehrt  hat,  zwar  die  Oxy Phenyl- 
brenztraubensäure, nicht  aber  die  Ox5^henylmilchsäure  be- 
fähigt ist,  direkt  in  Homogentisinsäure  überzugehen.  Auch  haben 
auf  Veranlassung  Neubauers  ausgeführte  Versuche  i)  gezeigt,  daß 
Chlorphenylalanin  im  Organismus  in  Chlorphenylbrenztrauben- 
säure,  Furylalanin  in  Furylbrenztraubensäure  übergeht.  Bei  Ver- 
fütterung  von  m-Tyrosin  ist  die  m-Oxyphenylbrenztraubensäure 
im  Harne  direkt  nachweisbar.  Man  ersieht  daraus,  daß  der  Organis- 
mus tatsächlich  befähigt  ist,  eine  an  einem  aromatischen  Kerne 

CIt2  Crl2 

hängende  Alaningruppe  in  dem  Sinne  ch.NH  -^CO       abzubauen. 

COOH  COOH 

In  analoger  Weise  erfolgt  die  Umwandlung  von  Phenylalanin 

in  Phenylbrenztraubensäure.  Man  hat  eine  sehr  große  Zahl  von 
aromatischen  Verbindungen  an  Alkaptonuriker  verfüttert  und 
festgestellt,  welche  von  denselben  befähigt  sind,  im  Organismus 
Homogentisinsäure  zu  bilden  2).  Dabei  hat  es  sich  hinsichtlich 
der  einem  aromatischen  Kemeanhängenden  Seitenkette  heraus- 
gestellt, daß  nur  dreigliedrige  in  a- Stellung  durch  NH2.OH 
oder  O  substituierte  Komplexe  zu  Homogentisinsäure  umgeformt 

werden;     also     z.    B.    die     Phenyl-a-milchsäure  CH.OH 

COOH 
(nicht  aber,  wie  gesagt,  die  Ox5^henylmilchsäure),  die  Phenyl- 

C«Il6~^H2  C(jH5— CH2 

brenztraubensäure  CO      und  das  Phenylalanin  CH.NH  2. 

COOH  COOH 


i)  Flatow,  Z.  f.  physiol.  Chem.  64,  367  (1910),  vgl.  auch:  O.  Neu- 
bauer und  H.  Fischer,  ibid.  67,  230  (1910)  (Übergang  von  Phenylamino- 
essigsäure  CeHs — CH.NH 2    in    Phenylglyoxylsäure  CeHs — CO 

COOH  COOH) 

2)  Literatur:  C.  Neuberg,  Handb.  d.  Biochem.  4,  II,  362 — 370  (is>09). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  51 


C«Hß--CH.OH 

Die    Phenyl-ß-oxypropionsäure  CHg        ist  nicht  zur  Bil- 

COOH 
düng    der  Homogentisinsäure    befähigt,     ebensowenig  wie   die 

Phenylessigsäure        ®    ^  cooH      ^^^    ^^^     Phenylpropionsäure 

CH2  Was    die    letztgenannte    Säure    betrifft,    wird 

COOH 
dies  durch  Knoops   und  Dakins  später    zu    erörternde   schöne 

Untersuchungen  verständlich,  die  gelehrt  haben,  daß  die  Oxy- 
dation derartige  Komplexe  in  ß-Stellung  anzugreifen  pflegt;  die 
Verbrennung  der  Phenylpropionsäure  dürfte  demnach  auf  dem 
Wege   der  Phenyl-ß-ox5^ropionsäure  zu  Benzoesäure  erfolgen^). 

CeHß-CHa  CeHg-CH.OH  CeHg-COOH, 

CH2 >  CH2        ► 

COOH  COOH 

ohne  daß  Gelegenheit  zur  Entstehung  der  Homogentisinsäure 
gegeben  wäre. 

Die  größte  Schwierigkeit  bei  der  Aufklärung  der  Homogentisin- 

säurebildung  hat  das  Problem  der  »Wanderung  der  Hydroxyle« 

bereitet.     Daß  aus  dem   Phenylalanin  ein  Hydrochinonderivat 

entsteht,  daß  also  ein  Benzol  zwei  Hydroxyle  auf  oxydativem 

Wege  in  sich  aufzunehmen  vermag,  ist  leicht  verständlich.    Der 

Übergang  von  Tyrosin  in  Homogentisinsäure  dagegen  erfordert 

eine   Verschiebung   der   Hydroxyle   gegenüber   der   Seitenkette, 
OH 

^      OH 


CH. 


wobei  die  Parastellung  frei  wird. 


CH2  v.rx2 

CH.NH2  COOH 

COOH 

Das  war  allerdings  schwer  zu  erklären  und  ist  eigentlich  erst 
recht  verständlich  geworden,  seitdem  man  an  Beispielen  der 
organischen  Chemie  gelernt  hatte,  daß  derartige  Hydroxyl- 
wanderungen  tatsächlich  vorkommen;  so  z.  B.  wenn  Parakresol 
bei  Oxydation  mit  Kaliumpersulfat  Homohydrochinon  liefert: 

i)  Vgl.  H.  D.  Dakin,  Joum.  of  biol.  Chem.  4,  419  (1908). 

4* 


52  III.  Vorlesung. 


OH      CH, 
CH3  \  /  OH 

/^    ,    /\    ,    ^y^z 

OH  O  OH 

Kresol.  Toluchinol.  Homohydrochinon. 

Damit  ist  also  der  Mechanismus  des  Überganges  von  Phenyl- 
alanin und  Tyrosin  in  Homogentisinsäure  im  wesentlichen  auf- 
geklärt uud  es  ist  schließlich  als  ein  Punkt  von  sekundärer  Be- 
deutung zu  betrachten,  ob  dieser  Übergang  wirklich  genau  in 
der  Reihenfolge  des  früher  mitgeteiltem  Schemas  erfolge,  oder  ob, 
wie  Bluni^)  meint,  gleichzeitig  mit  dem  Abbaue  der  Seitenkette 
eine  Atomwanderung  und  Oxydation  am  Kerne  stattfinde. 

^     OH 

OH  y 

Früher  ist  auch   meist  die  »Uroleucinsäure«  ^^^ 

CH.OH 
COOH 
als  Vorstufe  der  Homogentisinsäure  genannt  worden.    Wir  dürfen 

jetzt  annehmen,  daß  die  unter  diesem  Namen  beschriebene  Säure 

nichts  anderes  war,  als  unreine  Homogentisinsäure*).    Es  dürfte 

aber  vermutlich  noch  eine  ganze  Weile  dauern,  bis  die  Uroleucin- 

säure  aus  der  physiologischen  Chemie  verschwunden  sein  wird; 

denn  die  Biochemiker  zeichnen  sich  meist  durch  eine  besondere 

Pietät  gegenüber  den  Irrtümern  ihrer  Vorgänger  aus.  Inder  »reinen« 

Chemie  pflegt  man  kürzeren  Prozeß  zu  machen  und  hält  es  nicht 

für  nötig,  in  jeder  Abhandlung  die  ganze  Kette  überwundener 

Irrtümer  früherer  Generationen  von  neuem  abzuhaspeln. 

Rolle  der  Ho-        Eine  noch  offene  Frage  ist  die,  welche  Rolle  die  Homogentisin- 

s^TtUnlntlr-  ^^^^^  ™  Stoffwechsel  des  gesunden  Menschen  spielt,  und  ob  sie 

mediären Stoff-  als  normales  intermediäres  Abbauprodukt  des  Phenyl- 

wechsei.      alanins  und  Tyrosins  gelten  dürfte. 

Die  Annahme  ist  sicherlich  sehr  verlockend,  daß  die  Alkapton- 
urie  nichts  anderes  darstellt,  als  eine  Störung  eines  normalen 
Stoffwechselvorganges,  der,  anstatt  ordnungsgemäß  bis  zum  Ende 

i)  L.  Blum,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  59,  269  (1908). 

2)  O.  Neubauer  und  Flatow,  Z.  f.  physiol.  Chem.  52,  375  (1907). 
A.  E.  Garrod  und  W.  H.  Hurtley,  Joum.  of  Physiol.  36,  136  (1907). 
O.  Adler,  Biochem.  Z.  21,  5  (1909). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  53 


abzulaufen,  bei  einem  intermediären  Zwischenprodukte  stecken 
bleibt.  Er  wäre  also  denkbar,  daß  auch  der  normale  Mensch  das 
Phenylalanin  und  Tyrosin  zu  Homogentisinsäure  abbaut,  diese 
jedoch  sodann  verbrennt,  während  dem  Alkaptonuriker  eben  das 
Vermögen,  Homogentisinsäure  zu  verbrennen,  abhanden  ge- 
kommen ist. 

Die  Homogentisinsäure  ist  eine  ungiftige  Verbindung,  und  diese 
ihre  Ungiftigkeit  offenbart  sich  auch  schon  in  dem  Umstände,  daß 
der  Organismus,  wenn  man  dieselbe  künstlich  einführt,  zu  ihrer 
Entgiftung  weder  Schwefelsäure  noch  Glukuronsäure  mobilisiert, 
um  sie  als  gepaarte  Säure  unschädlich  zu  machen,  noch  Ammoniak 
herbeizieht,  um  sie  zu  neutralisieren.  Der  normale  Organismus 
vermag  sie  tatsächlich  prompt  zu  zerstören.  H.  Embden^)  schied 
bei  Selbstversuchen  nach  Einfuhr  von  4  Gramm  derselben  keine 
Homogentisinsäure  aus,  und  erst  nach  Zufuhr  der  doppelten 
Menge  trat  kurzdauernde  Alkaptonurie  ein.  Der  Alkaptonuriker 
dagegen  vermag  Homogentisinsäure  nicht  zu  zerstören. 

Der  positive  Beweis  jedoch  dafür,  daß  die  Homogentisinsäure 
ein  normales  intermediäres  Stoffwechselprodukt  sei, 
müßte  erst  durch  den  direkten  Nachweis  derselben  in  normalen 
Organen  erbracht  werden.  Und  ein  solcher  ist  vorläufig  nicht 
gelungen.  Ebensowenig  vermochten  Angaben  über  das  Vor- 
kommen der  Homogentisinsäure  in  Pflanzenorganen  der  Kritik 
standzuhalten  2). 

Interessant  ist  die  Feststellung,  daß  Substanzen,  welche 
Alkaptonbildner  sind,  beim  Durchblutungsversuche  in  der  über- 
lebenden Leber  Azeton  bzw.  Azetessigsäure  bilden,  so  das 
Phenylalanin,  das  Tyrosin,  die  Oxyphenylbrenztraubensäure  und 
die  Homogentisinsäure.  Die  Oxyphenylmilchsäure  dagegen,  die, 
wie  wir  gesehen  haben,  kein  Alkaptonbildner  ist,  vermag  auch 
keine  Azetessigsäure  zu  bilden  3).    Der  Zusammenhang  zwischen 


i)  H.  Embden  (Lab.  v.  Baumann),  Z.  f.  physiol.  Chem.  18, 304  (1893). 

2)  Vgl.  E.  Schulze  und  Castoro,  Z.  f.  physiol.  Chem.  48,  387,  396 
(1906). 

3)  G.  Embden,  H.  Salomon  und  Fr.  Schmidt,  Hofmeisters  Beitr. 
8,  129  (1906).  O.  Neubauer  und  W.  Groß,  Z.  f.  physiol.  Chemie  67,  219 
(1910).  E.  Schmitz  (Stadt,  chem.  physiol.  Inst.  Frankfurt  a.  M.)  Biochem. 
Z.  28,   117  (1910). 


54 


III.  Vorlesung. 


Homogentisinsäure  und  Azeton  entzieht  sich  allerdings  vorder- 
hand unserem  Verständnisse.  Eine  Erklärungsmöglichkeit  (jedoch 
nichts  anderes)  veranschaulicht  das  Schema:^) 


OH,/ 


CH3 


CH3 
in. 


COOK 
Azetessigsäure, 


Azeton ; 


CH3 

►  (5h.oh 

COOH  COOK 

Homogentisinsäure,         ß-Oxybuttersäure, 

WO  also  angenommen  wird,  daß  der  aromatische  Kern  in  der 
Nachbarschaft  der  beiden  Hydroxyle  auseinanderreißt,  derart, 
daß  zwei  Kohlenstoffatome  desselben  an  der  Seitenkette  hängen 
bleiben.  Ob  dieser  Erklärungsversuch  aber  das  Richtige  trifft, 
mag  einstweilen  dahingestellt  sein. 

Beachtenswerterweise  wird  die  (zur  Bildung  sowohl  der 
Homogentisinsäure  als  auch  des  Azetons  untaugliche)  Oxy- 
phenylmilchsäure,  wenn  sie  einem  Kaninchen  subkutan  in- 
jiziert wird,  im  Organismus  nicht  verändert,  während  die  Oxy- 
phenylbrenztraubensäure  fast   vollständig  zerstört  wird^). 

Es  ist  die  Vermutung  ausgeprochen  worden,  daß  bei  der 
Umwandlung  von  Tyrosin  in  Homogentisinsäure  ein  Chinol  als 
Zwischenprodukt  auftreten  dürfte  3). 


OH 


H2 
CH.NH2 

COOH 
Tyrosin 


O 

IJ 


/^ 


OH 


OH 


OH 


CH2 
CO 

COOH 
Chinol 


CHg 
COOH 


Homogentisinsäure. 


Um  diese  Annahme  zu  prüfen,  hat  Dakin^)  die  Hydroxyl- 
gruppe des  Tyrosins  durch  Methyl  gedeckt,  in  der  richtigen  Voraus- 


i)  Vgl.  C.  Neuberg,  Handb.  d.  Biochem.  4,  II,  370  (1910). 

2)  Kotake  (Mediz.  ehem.  und  pharm.  Inst.  Königsberg),  Z.  f.  physiol. 
Chem.  69,  409  (19 10). 

3)  E.    Fried  mann,   Hofmeisters   Beitr.    11,   304   (1908).      O.    Neu- 
bauer, 1.  c. 

4)  H.  D.  Dakin,  Journ  of  biol.  Chem.  8,   11  (1910);  9,   139  (191 1). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  55 

Setzung,  daß  bei  einer  solchen  Substanz  die  intermediäre  Bildung 

eine  Chinols  wohl  ausgeschlossen  ist,  da  ja  ^/^^      '  nicht  in  n 

Übergehen  kann.  Auch  dieser  Körper  wurde  glatt  verbrannt. 
Es  scheint  also,  daß  die  Tyrosin Verbrennung  im  normalen  Orga- 
nismus sich  doch  nicht  an  das  obige  Schema  hält,  sondern  andere 
Wege  einschlägt,  denen  zu  folgen  wir  vorderhand  nicht  in  der 
Lage  sind.  Vielleicht  wird  die  wichtige  Entdeckung  Jaffes'^), 
derzufolge  das  Benzol  im  Organismus  unter  Sprengung  seines 
Ringes  in  Muconsäure  überzugehen  vermag, 

CH  CH 

Hc/^l|CH  hc^n:ooh 

HcL    jlcH  ^    HC>v    /COOH 

CH  CH 

Benzol  Muconsäure 

dazu  beitragen,  das  Dunkel  zu  lichten,  welches  diese  Regionen 
einstweilen  verhüllt. 

Vorderhand  ist  uns  das  eigentliche  Wesen  der  Alkaptonurie 
ein  Rätsel,  und  auch  die  Feststellung,  daß  es  sich  um  eine  »fami- 
liäre Diathese«  handelt,  die  zuweilen  mit  Polyarthritis  in 
einem  Zusammenhange  zu  stehen  scheint  und  entzündliche 
Prozesse  (in  ähnlicher  Weise  etwa  wie  der  Diabetes)  ungünstig 
beeinflußt,  bringt  uns  hier  nicht  wesentlich  weiter. 

Sehr  interessant  sind  die  Beziehungen,  die  sich  zwischen  der  Ochronose. 
Alkaptomuie  und  der  Ochronose  ergeben  haben .  Die  Ochronose 
ist  eine  sehr  seltene  Anomalie,  deren  Entdeckung  wir  Virchow 
verdanken.  Der  regelmäßige  Befund  bei  derselben  besteht  in 
einer  dunkeln  Färbung  der  Knorpel  durch  ein  in  dieselben 
eingelagertes  melanotisches  Pigment.  Außer  in  den  Knorpeln 
können  sich  auch  in  den  fibrösen  und  knöchernen  Teilen  des 
Skelettes,  in  den  Gefäßwänden,  in  der  Haut,  der  Sklera,  den 
Nägeln,  den  Muskeln  usw.  Pigmentablagerungen  vorfinden.  Es 
kann  dabei  auch  der  melanotische  Farbstoff  in  der  Niere  ausge- 
schieden werden,  wobei  sich  gelegentlich  körnige  Massen  desselben 
im  Lumen  der  Harnkanälchen  finden  und  zur  Elimination  eigen- 
tümlicher Hamzy linder  führen.    Zuweilen  dunkelt  der  Harn  in- 

i)  M.  Jaffe,  Z.  f.  physiol.  Chem.  62,   58  (1909). 


56  III.  Vorlesung. 


folge  Auftretens   eines   Melanogens  in   demselben   beim   Stehen 
nach^). 

Nun  haben  Albrecht  und  Zdarek^)  an  der  Hand  eines  in 
Wien  zur  Beobachtung  gelangten  Falles  dieser  seltenen  Anomalie 
auf  den  Zusammenhang  zwischen  Alkaptonurie  und  Ochronose 
hingewiesen,  und  es  hat  sich  nunmehr  herausgestellt,  daß  dieselbe 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  überhaupt  nur  dann  zur  Ent- 
wicklung gelangen  kann,  wenn  der  Blutkreislauf  in  abnormaler 
Weise  mit  zur  Melaninbildung  geeigneten  Phenolderivaten  über- 
schwemmt ist.  Es  kann  dies  einerseits  nach  jahrelanger  künst- 
licher Zufuhr  kleinster  Phenolmengen  der  Fall  sein, 
so  z.  B.  nach  Behandlung  eines  chronischen  Unterschenkel- 
geschwüres mit  Karbolsäureumschlägen,  anderseits  aber  bei  der 
Alkaptonurie^).  Inwieweit  dabei  »oxydative  Fermente« 
mitbeteiligt  sind,  welche  (im  Sinne  der  von  mir  entwickelten,  später 
zu  erörternden  Vorstellungen  über  die  Bildung  melanotischer 
Pigmente)  die  Homogentisinsäure  zu  Melanin  oxydieren,  mag 
dahingestellt  bleiben.  Daß  sich  das  Pigment  mit  Vorliebe  in  den 
Knorpeln  ablagert,  findet  in  dem  Umstände  eine  ausreichende 
Erklärung,  daß  ein  in  eine  Homogentisinsäurelösung  eingelegtes 
Knorpelstück  sich  schwärzlich  färbt  und  mikroskopisch  dasselbe 
Bild  wie  bei  der  natürlichen  Ochronose  zeigt,  während  das 
Bindegewebe  unverändert  bleibt*). 
Prolin  u,  Oxy-  Wir  gehen  nunmehr  in  der  Betrachtung  der  im  Eiweißmole- 
proiin.       j^^jg  enthaltenen  zyklischen  Komplexe  weiter  und  kommen  zur 

Betrachtung    des  Prolins    oder    der    a-Pyrrolidinkarbon- 
CH2    -      CH2 

säure  CH2  (TH.COOH  und  des  Oxyprolins  oder  der  Oxy- 

NH 

pyrrolidinkarbonsäure    C6H9NO3.      Beide    sind   von  Emil 

i)  Literatur  über  Ochronose:  Fromherz,  Biochem.  Centralbl.  8  i, 
(1908).  H.  Kolaczek  (Chirurg.  Klinik  Tübingen,  Vorst.  v.  Bruns), 
Beitr.   z.  klin.  Chirurgie  71,  254  (1910). 

2)  Albrecht  und  E.  Zdarek,  Z.  f.  Heilk.,  Abt.  pathol.  Anat.  23,  366 
u.   379  (1Q02). 

3)  L.  Pick,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1906,  16  bis  19.  A.  Wagner, 
Z.  f.  klin.  Med.  65,  1 19  (1908).  O.  Groß  und  E.  Allard  (Klinik  Minkowski), 
ibid.  64,  359  (1907).     V.  Pauls en.  Zieglers  Beitr.  48,  437  (19 10). 

4)  O.  Groß  und  E.  Allard,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  59,  384  (1908). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  57 

Fischer  bei  der  Eiweißhydrolyse  aufgefunden  worden.  Die 
S3mthese  des  Prolins  ist  auf  verschiedenen  Wegen  gelungen  i); 
auch  das  schwierige  Problem  der  Spaltung  des  razemischen 
Prolins  in  seine  beiden  optisch-aktiven  Komponenten  ist  bereits 
gelöst*).  Auch  Oxyp3n:rolidinkarbonsäuren  sind  synthetisch  dar- 
gestellt worden^);  und,  da  man  durch  Reduktion  des  Oxyprolins 
mit  Jodwasserstoff  und  Jodphosphonium  a-Prolin  erhalten  hat, 
kann  über  die  Natur  des  ersteren  kein  Zweifel  bestehen;  nur  die 
Stellung  des  Hydroxyls  im  Moleküle  ist  noch  unsicher;  wahr- 
scheinlich handelt  es  sich  um  ein  ß-  oder  T-Oxyprolin*). 

Sehr  lehrreich  ist  eine  Beobachtung  von  Abderhalden  und 
Kautsch^),  derzufolge  die  Glutaminsäure  beim  Erhitzen  ihres 
Calciumsalzes  in  das  entsprechende  Salz  der  Pyrrolidonkarbon- 
säure  übergeht: 

COO ^Ca OOC  COO — Ca — OOC 

CH.NH2     H2N.HC         CH         CH 

I                I         /  \        /  \ 
CH2  HgC  ^  CH2  NH     NH  CH2 

CH2  H2C        CH2-CO      CO— CH2 

COOK        HOOC 

Durch  hydrolytische  Agentien  erfolgt  leicht  eine  Aufspaltung 
des  Ringes.  Es  legt  dies  den  Gedanken  an  die  Möglichkeit 
nahe,  es  könne  im  Eiweißmoleküle  neben  dem  Ringsysteme  der 
P3m:olidinkarbonsäure  auch  ein  solches  der  Pyrrolidonkarbon- 

C-XT  2j CH  2 

säure    Cot     CH.COOH    vorkommen,    das   jedoch  bei  der  Hy- 

drolyse  nicht  als  solches,  sondern  als  Glutaminsäure  in  Er- 
scheinung tritt. 

i)  R.  Willstädter,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  33,  1160  (1900).  S.  L. 
Sörensen  und  A.  C.  Andersen,  Z.  f.  physiol.  Chem.  56,  236  (1908). 
E.Fischer  und  G.  Zemplen,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  42,  1022  (1909). 

2)  E.  Fischer  und  H.  Zempl6n,   Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  42,   2989 

(1909). 

3)  W.  Leuchs,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  38,  1937  (1905).  W.  Leuchs  und 

H.  Felser,  ibid.  41,  1726  (1908). 

4)  H.  Leuchs  und  H.  Felser,  1.  c. 

5)  E.  Abderhalden  und  K.  Kautsch,  Z.  f.  physiol.  Chem.  64, 
447  (1910)  und  68,  487  (1910). 


58  in.  Vorlesung. 


Da  die  Glutaminsäure  durch  Einwirkung  von  Alkohol 
und  gasförmiger  Salzsäure  leicht  in  den  Ester  der  Pyrrolidon- 
karbonsäure  übergeht,  diese  letztere  aber  unschwer  zu  Prolin 
reduziert  werden  kann,  ergibt  sich  ein  bequemer  Weg,  um  von  der 
Glutaminsäure  zum  Prolin  zu  gelangen*). 

Andererseits  hat  eine  Beobachtung  von  Sörensen^),  derzufolge 
beim  Eindampfen  von  a-Amino-b-oxyvaleriansäure  mit 
starker  Salzsäure  Prolin  auftritt, 


CH2-CH2  H2C CHg 

OH-CH2   CH.COOH       —       H20  =  H2C,    JcH.COOH 
NH2  ^H 

die  Möglichkeit  beleuchtet,  daß  das  Prolin  im  Eiweißmolekül 
nicht  primär  vorhanden  sei,  vielmehr  aus  Oxyaminovaleriansäure 
entstehe.  Da  Fischer  und  Böhner^)  aber  das  Prolin  auch  an- 
getroffen haben,  nachdem  sie  Gelatine  mit  Barytwasser,  d.  h. 
unter  Bedingungen  hydrolysiert  hatten,  wo  Säurewirkungen  nicht 
in  Betracht  kamen,  ist  es  docli  sehr  wahrscheinlich  geworden,  daß 
das  Prolin  als  ein  primäres  Eiweißspaltungsprodukt  zu  gelten 
habe. 
Histidin.  Unter  den  zyklischen  Komplexen  des  Eiweißmoleküls  findet 

sich    ferner    das    Histidin    CH^  ^      n    ^CH2-CH(NH2)-COOH, 

das  von  Kossei  um  die  Mitte  der  90er  Jahre  gelegentlich  seiner 
Protaminstudien  entdeckt  worden  ist.  Die  Konstitution  dieser 
basischen  Substanz  war  lange  Zeit  strittig.  Nachdem  aber 
Sigmund  Fränkel^)  das  Darstellungsverfahren  des  Histidins 
wesentlich  verbessert  hatte  ( —  es  wird  aus  dem  salzsauren  Ge- 
menge der  hydrolytischen  Eiweißspaltungsprodukte  mit  Um- 
gehung der  Phosphorwolframsäurefällung  direkt  mit  alkoho- 
lischer Sublimatlösung  niedergeschlagen  — )  und  die  Base  be- 
quemer zugänglich  geworden  war,   ist,   insbesondere  dank   den 


i)  E.  Fischer  und  R.  Böhner,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  44,  1332  (191 1). 

2)  S.  P.  L.  Sörensen,  Z.  f.  physiol.  Chemie  44,  448  (1905). 

3)  E.  Fischer  und  R.  Böhner,  Z.  f.  physiol.  Chemie  66|  118  (1910). 

4)  S.  Fränkel  (Physiol. -ehem.  Institut  Straßburg),  Monatsh.  f.  Chemie 
24,  229  (1904). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  59 


Bemühungen  von  Knoop  und  Windaus  ^)  in  Freiburg  i/B.  sowie 
von  Pauly  die  Konstitution  vollständig  aufgeklärt  worden,  und 
unterliegt  es  keinem  Zweifel  mehr,  daß  wir  es  mit  einer  ß-Imid- 
azol-a-aminopropionsäure  zu  tun  haben. 

Die  Entdeckung  eines  Imidazolkernes  im  Eiweißmolekül 
war  für  die  Biologen  eine  große  Überraschung,  um  so  willkommener, 
als  damit  die  Brücke  gefunden  schien,  welche  von  den  Eiweiß- 
körpern  zu   den  Alloxurkörpern  herüberleitet:  bildet  ja  doch 

N-C 

der  Imidazolkern  c <,        !  einen  Teil  des  Purinkernes  c<^       C— N\ 

^^N— C  \       I        /  C. 

N-C-N- 

Es  hat  sich  jedoch  herausgestellt,  daß  selbst  bei  reichlicher  Zu- 
fuhr von  Histidin  in  den  Organismus  des  Hundes  keine  deutliche 
Vermehrung  der  Purinbasen  und  der  Hamsäureausscheidung  be- 
merkbar wird;  offenbar  wird  das  Histidin  verbrannt  und  sein 
Stickstoff  als  Harnstoff  ausgeschieden  2).  Auf  welchem  Wege 
sein  Abbau  erfolgt,  ist  unbekannt. 

Daß  beim  bakteriellen  Abbau  des  Histidins  einerseits 
Imidazolylpropionsäure,  anderseits  Imidazolyläthyl- 
amin  auftreten  kann,  daß  also  seine  Alaningruppe  einerseits  zu 
Propionsäure  desamidiert,  andererseits  unter  Kohlensäureabgabe 
zu  Athylamin  umgewandelt  werden  kann^),  habe  ich  schon 
berichtet. 

Es  mag  erwähnt  werden,  daß  der  rätselhafte  Histidinkomplex 
ganz  unvermuteterweise  auch  am  ( —  sit  venia  verbo!  — ) 
anderen  Ende  der  physiologisch-chemischen  Welt  aufgetaucht 
ist.  Man  hat  einen  neuen  wichtigen  Bestandteil  des  Fleisch- 
extraktes kennen  gelernt,  der  hinsichtlich  seiner  Menge  unter  den 
nichteiweißartigen  Bestandteilen  des  Muskels  im  Vordergrunde 
steht:  das  Karnosin,  und  wird  dieses  von  seinem  Entdecker 

i)  F.  Knoop  und  A.  Windaus,  Hofmeisters  Beitr.  7,  144  (1909). 
A.  Windaus  und  F.  Knoop,  ibid.  8,  407  (1906).  F.  Knoop,  ibid.  10, 
III  (1907).  A.  Pauly,  Z.  f.  physiol.  Chemie  42,  508  (1904).  S.  Fränkel, 
Hofmeisters  Beitr.  8,  156  (1906). 

2)  E.  Abderhalden  und  H.  Einbeck,  Z.  f.  physiol.  Chem.  62,  322 
(1909)  Dieselben  und  J.  Schmid,ibid.  68,  395  (1910).  K.  Kowalewsky, 
Biochem.  Z.  28,  i  (1909). 

3)  D.  Ackermann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  65,  504  (1910). 


6o  III.  Vorlesung. 


Gulemtsch^)  als  ein  natürlich  vorkommendes,  aus  Histidin  und 
Alanin  zusammengesetztes  Dipeptid  aufgefaßt. 

Weite  Perspektiven  eröffnet  eine  Beobachtung  von  Knoop 
und  Windaus^),  welche  die  Möglichkeit  eines  Zusammenhanges 
zwischen  der  Entstehung  des  Imidazolkernes  und  dem 
Abbau  der  Kohlehydrate  erschließt.  Läßt  man  unter  ge- 
wissen Versuchsbedingungen  Ammoniak  im  Sonnenlichte  auf 
Traubenzucker  einwirken,  so  erhält  man  große  Mengen  von 
Methylimidazol.     Als  Zwischenprodukte  sind  das  Methylglyoxal 

CO     und  der  Formaldehyd  anzusehen,  die  mit  Ammoniak  leicht 

COH 

unter  Bildung  des  Imidazolringes  reagieren: 


CH3-CO  NH3  O  CH3-C — NH\ 

'  +  '     +         ;C-H   =  '     1  ^CH  +  3H2O 

:OH  NH.,  W  CH-N   ' 


Methylglyoxal,  Ammoniak,  Formaldehyd,  Methylimidazol. 

Ob  analoge  Vorgänge  etwa  beim  Aufbau  des  Histidinkomplexes 
im  Eiweißmoleküle  wirklich  mitspielen,  vermag  nun  freilich  heute 
niemand  zu  sagen.  Immerhin  sind  derartige  Beobachtungen  ge- 
eignet, die  Aufmerksamkeit  der  Forscher  nach  einer  bestimmten 
Richtung  hinzulenken  und  den  Ausgangspunkt  für  weitere 
Untersuchungen  zu  bilden. 

Ein  Postulat  für  eine  Weiterentwicklung  dieses  Kapitels  der 

Physiologie  bildet  die  Ausarbeitung  einer  exakten  Methode  der 

Histidinbestimmung.     Vielleicht  bietet  die  Möglichkeit,  das 

Histidin  als  schwerlösliches  Pikrolonat  zu  fällen 3),  ein  Substrat 

für  die  Ausarbeitung  eines  solchen.     (Die  Pikrolonsäure  ist 

CH-CHg 

ein   Pyrazolonderivat ,   in   dem  die  Stammverbindung   N     CO 

NH 
an  drei  Stellen  durch  die  Methyl,  Nitro-  und  Nitrophenylgruppe 

substituiert  erscheint.) 

Tryptophan.         Wir  gelangen  nunmehr  zur  Besprechung  des  Tryptophans, 

welches  den  eigentlichen   »chromogenen«  Komplex  des  Eiweiß- 

i)  W.  Gulewitsch,  Z.  f.  physiol.  Chemie  50,  535  (1907). 

2)  F.  Knoop  und  A.  Wind  aus,  Hofmeisters  Beitr.  6,  392  (1906). 

3)  P.  Brigl  (Physiol.  Inst.  Univ.  Berlin),  Z.  f.  physiol.  Chemie  64,  337 
(1910). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  6l 

moleküls  darstellt.  Die  Existenz  eines  solchen  ist  längst  aus 
verschiedenen,  den  Eiweißkörpern  eigentümlichen  Farbenreak- 
tionen erschlossen  worden.  Die  Reindarstellung  des  Komplexes 
im  kristallisierten  Zustande  ist  jedoch  erst  vor  lo  Jahren  Hopkins 
und  Cole  gelungen,  und  zwar  auf  Grund  der  Beobachtung,  daß 
derselbe  durch  Quecksilbersulfat  aus  schwefelsaurer  Lösung 
niedergeschlagen  werden  kann  i). 

In  der  Deutung  dieser  Verbindung  ist  man  nach  mannigfachen 

Irrwegen    zu    der  Formel   einer   1-Indolaminopropionsäure 
C — CHg 

,CH  cH.NHg   gelangt.     Die  größten  Verdienste  bei  dieser 

NH       COOH 
Feststellung  hat  sich  Alexander  ElUnger  in  Königsberg  erworben, 

der   die  Reihe    seiner   einschlägigen  wichtigen   Untersuchungen 

durch  die  elegante  Synthese  eines  dl-Tryptophans  gekrönt  hat 2). 

Vom  Indolaldehyd  ausgehend,  wurde  die  aliphatische  Seitenkette 

in  der  Weise  ergänzt,  daß  man  den  Aldehyd  mit  Hippursäure 

kondensierte : 

CgHeN.C/J?  +  CHg.NH.COXßHs ^  CgHeN.CH  =  C.NH.CO.CeHs. 

COOH  COOH 

Dieses  Produkt  wurde  durch  Reduktion  mit  Natrium  in  alkoho- 
lischer Lösung  unter  Absprengung  der  Benzoylgruppe  in  Indol- 

CgHeN-CHa-CH.NHa 

alanin  oder  Tryptophan  '  übergeführt. 

Damit  ist  also  dieses  Problem  in  gedeihlicher  Weise  zum 
Abschlüsse  gelangt  und  auch  eine  ganze  Reihe  von  Indolderi- 
vaten,  die  bei  der  Eiweißfäulnis  entstehen  und  die  den  Che- 
mikern viel  Arbeit  verursacht  hatten,  ist  in  einen  übersichtlichen 
Zusammenhang  gebracht  worden.  Ich  meine  die  Indolpropion- 
säure  und  Indolessigsäure,  das  Indol  und  Skatol.  Die 
erstgenannte  Säure  ist  seinerzeit  von  Nencki^  die  zweite  von  den 
Brüdern  Salkowski  entdeckt  worden;  doch  wurden  sie  irrtüm- 
licherweise als  Skatolessigsäure  und  Skatolkarbonsäure  gedeutet. 

i)  Literatur  über  Tryptophan:  O.  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweißkör- 
per, 3.  Aufl.  S.  29 — 31.  191 1.  E.  Abderhalden,  Handb.  d.  Biochem.  1, 
401 — ^404  (1909).    Ch.  Porcher,  Biochem.  Zentralbl.  9,  725  (1910). 

2)  A.  EUinger  und  C.  Flammand,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  40,  3029 
(1907)  und  Z.  f.  physiol.  Chemie  55,  8  (1908). 


02  III.  Vorlesung. 


Ihr  Zusammenhang  mit  dem  Tryptophan  findet  im  folgenden 
Schema  seinen  einfachen  Ausdruck: 

C Cri2  C Cri2  C CH2 

/    \  \  /    ^  I  -'       ^  i 

CeH4         CH   CH.NH2  ^  CeH4         CH  CH2       ^  CeH^         CH   COOH 

^.    /  I  ^       '  1 

NH         COOH  NH         COOH  NH 

Tr3rptophan  Indolpropionsäure  Indolessigsäure 

C CH3  CH 


^   CeH4         CH  -  -^   CgH*         CH 

NH  NH 

Skatol  Indol, 

wobei  allerdings  zu  bemerken  ist,  daß  ein  physiologischer  Übergang 
von  Skatol  in  Indol  sich  als  unwahrscheinlich  herausgestellt  hat. 

Neben  dem  Tryptophan  hat  man  in  tryptischen  Verdauungs- 
gemischen ein  sauerstoffreiches  Derivat  desselben,  das  »Oxy- 
tryptophan«,  angetroffen,  welches  die  charakteristische  Brom- 
färbung nicht  mehr  gibt  und  beim  Erhitzen  mit  Salzsäure  einen 
Chinolingeruch  entwickelt.  Die  Konstitution  desselben  ist  noch 
nicht  festgestellt^). 

Es  wäre  natürlich  von  großer  Wichtigkeit,  die  Menge  des  in 
einem  Eiweißkörper  enthaltenen  Trj^tophankomplexes  genau  er- 
mitteln zu  können.  Doch  ist  dieses  Problem  bisher  nicht  gelöst 
worden,  trotzdem  es  an  schwer  lösUchen  und  gut  abtrennbaren 
Verbindungen  des  Tryptophans  nicht  mangelt,  z.  B.  ist  das 
Pikrolonat  schwer  löslich  und  gut  charakterisiert 2).  Die  Haupt- 
schwierigkeit hegt  wohl  in  der  Labilität  des  Tryptophans,  das, 
zum  Unterschiede  von  anderen  Eiweißspaltungsprodukten,  bereits 
einer  energischen  Säurehydrolyse  keinen  Widerstand  zu  leisten 
vermag  und  nur  bei  der  milderen  tryptischen  Fermentspaltung 
auftaucht.  Es  erscheint  aber  nicht  aussichtslos,  mit  Hilfe  des 
Spektrophotometers  zu  einer  quantitativen  Tryptophan- 
bestimmung  zu  gelangen  3)   und   eine   der   zahlreichen  Farben- 

i)  E.  Abderhalden  und  M.  Kempe,  Z.  f.  physiol.  Chemie  52,  207 
(1907).     E.   Abderhalden  und  Baumann,  ibid.   55,  411    (1908). 

2)  M.  Mayeda  (Physiol.  Inst.  Heidelberg),  Z.  f.  physiol.  Chemie  51, 

261   (1907). 

3)  F.  Bardachzi  (Med. -ehem.  Lab.  Prag),  Z.  f.  physiol.  Chemie  48, 
145  (1906),  vgl.  auch:  P.  A.  Levene  und  C.  A.  Rouiller,  Journ.  of  biol. 
Chem.  2,  481   (1907). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  63 

reaktionen  dieses  »chromogenen«  Komplexes  dazu  nutzbar  zu 
machen. 

Wir  haben  davon  eine  genügende  Auswahl:  Neben  der 
Reaktion  von  Adamkiewicz  mit  Schwefekäure  und  Eisessig 
und  der  verbesserten  Form  derselben,  der  Hopkins  -  Coleschen 
Glyoxylsäurereaktion,  die  altbekannte  Violettfäxbung  mit 
Chlor-  und  Bromwasser.  Femer  verursacht  das  Tryptophan 
eine  Purpurfärbung  eines  mit  Salzsäure  befeuchteten  Fichten - 
Spanes.  Es  ist  dies  eine  Reaktion  des  darin  enthaltenen  Psmrol- 
komplexes,  ebenso  wie  dies  auch  bei  der  Farbenreaktion  mit 
Dimethylaminobenzaldehyd  C6H4<^^^^3)2  ij   ^j^^j  anderen 

aromatischen  Amiden  der  Fall  ist.  Ferner  gibt  Formal- 
dehyd 2)  bei  Gegenwart  von  Schwefelsäure  eine  charakteristische 
Reaktion  mit  Proteiden,  welche  an  dieselbe  Gruppe  geknüpft  ist. 

Die  Frage,  was  aus  dem  Tryptophankomplexe  im  Organismus  Hamindikan. 
wird,  leitet  uns  zum  Probleme  des  Harnindikans  hinüber^). 
Die  Literatur  über  diesen  Gegenstand  ist  zwar  sehr  umfangreich; 
dank  den  erfolgreichen  Bemühungen  von  Jaffe,  Ellinger  und 
ihren  Mitarbeitern  hat  sich  das  Problem  aber  soweit  geklärt,  daß 
das  Wesentliche  darüber  eigentlich  mit  wenigen  Worten  ge- 
sagt ist. 

Durch  bakterielle  Zersetzung  des  Tryptophankomplexes  der 
Eiweißkörper  wird  das  Alanin  von  der  Indolgruppe  abgetrennt, 
und  diese  letztere  tritt  im  Harne,  gepaart  mit  Schwefelsäure  oder 

auch    mit   Glukuronsäure,    als    In  doxyl  C6H4<^^^^(OH)   auf. 

Läßt  man  auf  den  indoxylhaltigen  Harn  Oxydationsmittel  ein- 
wirken, so  vereinigen  sich  zwei  derartige  Indoxylkomplexe  und 
liefern  den  schönen  blauen  Indigofarbstoff: 

i)  E.  Rhode  (Klinik  Fr.  Müller,  München),  Z.  f.  physiol.  Chemie  44, 
161  (1905). 

2)  O.  Rosenheim,  Biochem.  Joum.  1,  233  (1906).  H.  D.  Dakin, 
Joum.  of  biol.  Chem.  2,  289  (1906).  S.  F.  Acree,  Amer.  Chem.  Joum.  87, 
604  (1907). 

3)  Literatur  über  Hamindikan:  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochem.  S  I, 
610—615  (1910).  F.  Samuely,  ibid.  1,  771 — 778  (1909).  H.  Scholz, 
Inaug.-Diss.  Königsberg  1903.    M.  Jaffe,  Deutsche  Klinik  11,  199  (1907). 


64  III-  Vorlesung. 

Der  Übergang  von  Tryptophan  in  Indoxyl  erfolgt  allem 
Anscheine  nach  nur  unter  der  Mitwirkung  bakterieller  Zer- 
setzungsvorgänge; und  zwar  vor  allem  im  Darme,  aber  auch 
in  Ausnahmsfällen  bei  pathologischen  Fäulnisvorgängen  an 
anderen  Orten;  z.  B.  bei  Lungengangrän  und  putriden  Erkran- 
kungen der  Harnorgane  u.  dgl.  Wird  das  Tryptophan  Tieren 
subkutan  oder  per  os  beigebracht,  so  bleibt  der  Übergang  in 
Indoxyl  aus.  Jede  Stauung  des  Dünndarminhaltes,  in 
weit  geringerem  Maße  eine  solche  des  Dickdarminhaltes,  steigert 
die  Indoxylausscheidung.  Eine  solche  Stauung  kann  in  eleganter 
Weise  durch  »Darmgegenschaltung«  künstlich  erzeugt  werden, 
indem  eine  Darmschlinge  aus  ihrer  Kontinuität  getrennt,  um- 
gedreht und  wieder  so  eingefügt  wird,  daß  ihre  Peristaltik  nun- 
mehr den  normalen  Darmbewegungen  entgegenarbeitet^). 

Keine  der  Angaben  über  vermehrte  Indolxylbildung ,  die 
angeblich  unabhängig  von  der  Eiweißfäulnis,  infolge 
Störungen  intermediärer  Stoffwechselvorgänge  beim  Hunger,  nach 
Zuckerstich,  bei  Vergiftung  mit  Oxalsäure,  Phloridzin  u.  dgl. 
vorkommen  soll,  vermochte  der  Kritik  durchaus  standzuhalten  2). 
Eher  wäre  vielleicht  an  eine  Abhängigkeit  der  Indikanausscheidung 
von  der  Leberfunktion  zu  denken^). 

Es  ist  leicht  verständlich,  daß  Erkrankungen  des  Dünn- 
darmes der  verschiedensten  Art,  wie  z.  B.  Gastroenteritis, 
Typhus,  Darm  tuberkulöse,  Cholera  usw.,  geeignet  sind,  die 
Eiweißfäulnis  im  Darme  und  damit  auch  die  Indoxylausscheidung 
zu  vermehren.  Am  stärksten  ist  die  »Indikanurie«  bei  Fleisch- 
kost. Reichliche  Zufuhr  von  Kohlehydraten  kann  herabsetzend 
wirken,  da  die  saure  Gährung  derselben  der  Fäulnis  entgegen- 
zuwirken vermag.  Auch  sind  keineswegs  alle  Eiweißkörper  in 
bezug  auf  die  Erzeugung  der  Indikanurie  gleichwertig;  diejenigen 
vielmehr,  bei  denen  eine  äußerst  schwache  Reaktion  von  Adam- 


i)  A.  Ellinger  und  M.  Gentzen,  Hofmeisters  Beitr.  4,  171  (1903). 
A.  Ellinger  und  W.  Prutz,  Z.  f.  physiol.  Chemie  38,  399  (1903). 

2)  A.  Ellinger,  Z.  f.  physiol.  Chemie  S9,  44  {1003). 

3)  W.  V.  Moraczewski  (Lemberg),  Arch.  f.  Verdauungskrankh.  17, 
23  (1911). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  65 


kiewicz  ein  Fehlen  des  Tryptophankomplexes  anzeigt,  sind  nicht 
befähigt,  Indoxyl  zu  bilden^). 

Die  Relation  zwischen  Harnindikan  und  Darmindol  scheint 
keine  ganz  einfache  zu  sein 2).  Man  muß  nicht  etwa  glauben, 
daß  das  ganze  in  einem  Eiweißkörper  in  Form  von  Tryptophan 
enthaltene  Indol  als  Harnindikan  zum  Vorscheine  kommt. 
Auch  wenn  Indol  einem  Kaninchen  subkutan  beigebracht  wird, 
erscheint  kaum  ein  Drittel  davon  als  indigobildende  Substanz 
im  Harne;  vielleicht  wird  es  teilweise  in  den  Darmkanal  aus- 
geschieden 3).  Leichter  scheint  sich  die  Indoxylbildung  zu  voll- 
ziehen, wenn  das  Indol  direkt  in  eine  Mesenterialvene  injiziert 
wird.  Bei  der  Umwandlung  des  Indols  in  Indoxyl  scheint  die 
Leber  beteiligt  zu  sein;  zum  mindesten  bleibt  sie  bei  entleberten 
Fröschen  aus*). 

Eine  exakte  Behandlung  aller  derartiger  Fragen  setzt  natür-      indtkan- 
lich  die  MögHchkeit  voraus,  sowohl  das  Harnindikan  als  auch   Bestimmung, 
das  Kotindol  nicht  nur  mit  Sicherheit  nachweisen,  sondern 
auch  quantitativ  bestimmen  zu  können. 

Die  größte  Schwierigkeit  bei  ersterem  Probleme  besteht  in 
der  Möglichkeit,  die  Oxydation  zu  weit  zu  treiben,  so  daß  ein 

Teil  des  Indoxyls  in  Isatin  CeH4^^  j^^C(OH)  übergeht,  welches 

nun  seinerseits  sich  mit  dem  Reste  des  Indoxyls  zu  »Indigo- 
rot« verbinden  kann^).  Man  hat  den  ursprünglich  von 
Jaffe  für  die  Indikanprobe  empfohlenen  Chlorkalk  durch 
andere  Oxydationsmittel  ersetzt.  Obermayer  empfiehlt  eisen - 
chloridhaltige  Salzsäure,  Gürber  eine  Osmiumsäure- 
lösung*);     Salkowski'^)     empfiehlt      kupf  ersulfathaltige 

i)  F.  P.  Underhill,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  12,   176  (1905). 

2)  Moraczewski,  Arch.  f.  Verdauungskrankh.  14,  375  (1908).  Vgl. 
M.  Kauf f mann,  Z.  f.  physiol.  Chem.  71,  168  (1911). 

3)  F.  Großer  (Chem.  Labor.  Pathol.  Inst.  Berlin),  Z.  f.  physiol. 
Chem.  44,  320  (1905).  F.  Blumenthal  und  E.  Jacoby,  Biochem.  Z. 
29,  472  (1910). 

4)  Ch.  Gautier  und  Ch.  Hervieux,  Journ.  de  Physiol.  9,  593(1907). 

5)  A.  EUinger,  Z.  f.  physiol.  Chem.  41,  20  (1904),  vgl.  daselbst  die 
ältere  Literatur  und  die  Kontroverse  mit  Bouma  sowie  mit  Maillard. 

6)  Gürber,  Münchener  Med.  Wochenschr.   1905.    1578. 

7)  Imabuchi  (Chem.  Abt.  Pathol.  Inst.  Berlin),  Z.  f.  physiol.  Chem. 
•0,  502  (1902).     Salkowski,  ibid.  57,  519  (1908). 

V.  Fürth,  Probleme.  e 


66  III.  Vorlesung. 


konzentrierte  Salzsäure  und  hebt  hervor,  daß  ein  Überschuß 
davon  weniger  schädlicli  sei,  als  ein  solcher  von  Obermayers 
Reagens.  Nicolas^)  versetzt  den  Harn  mit  Salzsäure  und  Fur- 
furol  und  extrahiert  das  fluoreszierende  Kondensationsprodukt, 
welches  Indoxyl  mit  diesem  letzteren  liefert,  mit  Schwefelkohlen- 
stoff usw. 

Zur  quantitativen  Indikanbestimmung  im  Harne  emp- 
fiehlt sich  eine  der  Modifikationen,  die  für  das  Wangsche  Ver- 
fahren angegeben  worden  sind.  Das  Harnindikan  wird  durch 
eisenchlorid-  oder  kupfersulfathaltige  Salzsäure  in  Indigo  über- 
geführt, dieses  mit  Chloroform  ausgeschüttelt  und  durch  Titration 
und  Permanganat  (wobei  Entfärbung  erfolgt)  bestimmt*). 

Die  quantitative  Bestimmung  des  Indols  in  dem  aus 
dem  Darminhalte  gewonnenen  Destillate  kann  nach  Herter 
und  Foster^)  derart  erfolgen,  daß  man  dasselbe  mit  naphtho- 
chinonsulfosaurem  Natron  und  Alkali  versetzt;  es  entsteht 
ein  blaues  Kondensationsprodukt,  das  mit  Chloroform  ausge- 
schüttelt und  kolorimetrisch  bestimmt  werden  kann  und  das  sich 
auch  zur  Trennung  des  Indols  vom  Skatol  eignet. 

Moraczewski^)  wiederum  führt  das  Indol  im  Hamdestillate 
in  Nitrosoindol  über  und  vergleicht  die  Färbung  auf  kolori- 
metrischem  Wege  mit  einer  Nitrosoindollösung  von  bekanntem 
Gehalte. 

Zum  Nachweise  und  zur  quantitativen  Schätzung  des  Indols 
können  auch  die  schönen  Farbenreaktionen  dienen,  welche  zahl- 
reiche aromatische  Aldehyde  (z.  B.  Protokatechualdehyd, 
Nitrobenzaldehyd ,  Dimethylamidobenzaldehyd ,  Zimtaldehyd, 
Vanillin,  Safrol  ebenso  wie  der  Formaldehyd  mit  demselben 
geben  ^). 

Ich  darf  diesen  Gegenstand  nicht  verlassen,  ohne  das  Thema 


i)  E.  Nicolas,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  60,  183  (1906). 

2)  A.  Ellinger,  Z.  f.  physiol.  Chem.  88,  178  (1903).    Imabuchi,  1.  c. 

3)  C.  A.  Herter  und  M.  L.  Foster,  Journ.  of  biol.  Chem.  1,  257  (1906); 
2,  267  (1906). 

4)  Moraczewski,  Arch.  f.  Verdauungskrankh.  14,  377  (1908). 

5)  Vgl.  K.  Konto,  Z.  f.  physiol.  Chemie  48,  185  (1906).  Blumen- 
thal, Biochem.  Z.  19,  521  (1909).  H.  Seidelin,  Journ.  of  Hyg.  11,  118 
(1911). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  67 

der  Hamfarbstoffe  unbekannter  Konstitution  von  der  Kategorie     Skatoirot, 
des  Skatolrots  und  des  Uroroseins  wenigstens  gestreift  zu    \nd0ic0ig" 
haben.    Es  ist  stets  eine  mißliche  Sache,  wenn  man  über  unklare       säure. 
Dinge  eine  klare  Auskunft  geben  soll.    Ich  will  mich  daher  damit 
begnügen,  einige  Punkte,  die  mir  wesentlich  scheinen,  so  gut  ich 
sie  verstanden  habe,  zu  betonen. 

Wesentlich  scheint  mir  zunächst  folgende  Feststellung/a/Z^s^): 
Wird  das  Destillat  aus  einem  oder  mehreren  Litern  Menschenharns 
mit  Äther  ausgeschüttelt,  so  findet  sich  im  Rückstande  des  Äther- 
extraktes Indol.  Dieses  kann  nicht  aus  dem  Indoxyl  des  Harnes 
und  auch  nicht  aus  der  Indolessigsäure  (s.  u.)  stammen.  Da- 
gegen enthält  der  Harn  ein  Chromogen,  das  allem  Anscheine  nach, 
ebenso  wie  das  daraus  entstehende  sogenannte  »Skatoirot«,  bei 
der  Destillation  mit  Wasser  oder  verdünntem  Alkali  Indol  ab- 
spaltet. 

Das  Skatoirot  ist  in  neuerer  Zeit  insbesondere  von  Porcher 
und  Hervieux  sowie  von   Staat  studiert  worden*).     Das  Skatol 

CeH4<^'^   ^^H     scheint    im    Darme    durch     anders     geartete 

Fäulnisvorgänge  zu  entstehen,  als  das  Indol.  So  ist  z.  B.  der 
Bacillus  coli  communis  befähigt,  Indol  zu  bilden,  während  Skatol 
gar  nicht  oder  nur  in  Spuren  entsteht.  Man  ist  daher  von  der 
Meinung,  das  Skatol  sei  eine  Vorstufe  des  Indols,  zurück- 
gekommen und  hat  sich  die  Annahme,  daß  das  Skatol  nach  seiner 
Resorption  durch  Verlust  seiner  Methylgruppe  in  Indol  übergeht 
und  als  Indikan  im  Harne  erscheint,  als  irrig  erwiesen.  Tatsäch- 
Hch  bewirkt  subkutan  oder  per  os  beigebrachtes  Skatol  das  Auf- 
treten von  »Skatoirot«  im  Harne.  Es  ist  dies  ein  Farbstoff, 
dessen  Chromogen  in  geringen  Mengen  auch  im  normalen  Harne 
vorkommt.  Wird  solcher  Harn  mit  konzentrierter  Salzsäure  und 
einem  Oxydationsmittel  versetzt,  so  geht  er  in  einen  roten  Farb- 
stoff über,  der  von  etwa  gleichzeitig  auftretendem  Indigo  durch 
seine  Unlöslichkeit  in  Chloroform  leicht  getrennt  und  unterschieden 
werden  kann.  Dieser  Farbstoff,  der  sich  in  roten  Flocken  aus  dem 
Harne  abscheiden  kann,  dürfte  auch  mit  dem  Urorosein  von 

i)  M.  Jaffe,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  56  (Schmiedeberg,  Festschrift), 
219  (1908). 

2)  Literatur:  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochem.  1,  617  (1910). 

5* 


68  III.  Vorlesung. 


Nencki  und  Sieber  und  möglicherweise  auch  mit  dem  soge- 
nannten Uroerythrin  identisch  sein^).  Die  in  den  meisten 
Lehrbüchern  mit  großer  Ausführlichkeit  auseinandergesetzte 
Meinung,  daß  das  Skatolrot  von  einer  Skatoxylschwefelsäure 
oder  Skatoxylglykuronsäure  herrühre,  ruht  auf  einer  sehr 
unsicheren  Basis. 

Sehr  interessant  ist  nun  die  Feststellung  von  EUinger  und 
Flammand^),  daß  das  Urorosein  und  wahrscheinlich  auch  das 
Skatolrot  in  die  Klasse  der  neuentdeckten  Triindylmethan- 
farbstoffe  gehört.  Wird  z.  B.  Indolaldehyd  mit  mäßig  kon- 
zentrierter Mineralsäure  erhitzt,  so  färbt  sich  die  Lösung  bald 
intensiv  rot,  und  nach  mehrere  Minuten  langem  Kochen  scheidet 
sich  beim  Erkalten  der  Lösung  ein  in  schönen  gewundenen  Nadeln 
kristallisierender    roter  Farbstoff    ab,   dessen   Leukoverbindung 

als  Triindylmethan  HC  CgHßN  erkannt  worden  ist.    Es  liegt 

am  nächsten,  anzunehmen,  daß  diese  Leukoverbindung  entsteht, 
indem  Indolaldehyd  mit  zwei  Molekülen  Indol  zusammentritt: 

CHeN.cHo  +  J_>S;5;  =  c,h,.ch:  CsH.N 

Das  Triindylmethan  ist  aber  ganz  analog  zusammengesetzt  wie 

/C6H^.NH2 
etwa    das   Leukanilin    H.C,  CflH4.NH2.    Durch  diese  Entdeckung 

CeH4.NH2 

haben  nunmehr  auch  die  Triphenylmethanderivate ,  welche 
bekanntlich  in  der  Farbstoffindustrie  und  der  Färbetechnik 
eine  ungeheuere  Rolle  spielen,  für  die  physiologische  Chemie  aber 
bisher  bedeutungslos  waren,  auch  in  dieser  das  Bürgerrecht 
erworben. 

Ein  weiterer  wichtiger  Fortschritt,  über  den  ich  zu  berichten 
habe,  ist  der  von  Herter^)  geführte  Nachweis  des  Auftretens 
von  Indolessigsäure  im  Harne.  Es  ist  das  dieselbe  Säure, 
welche  E.  Salkowski  schon  vor  Jahren  bei  der  Eiweißfäulnis 
aufgefunden    und    irrtümlicherweise   als   Skatolkarbonsäure   be- 

i)  Ch.  Porcher  et  Ch.  Hervieux,  Journ.  de  Physiol.  7,  787  u.  812 
(1905).     F.  Staal,  Z.  f.  physiol.  Chem.  46,  236  (1903). 

2)  A.  Ellinger   und   C.  Flammand,   Z.  f.  physiol.  Chem.  62,  276 

(1909);  71,  7  (1911). 

3)  C.  A.  Herter,  Journ.  of  biol.  Chem.  4,  239  u.  253  (1908). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  69 


zeichnet  hat.  Hefter  untersuchte  nun  den  Harn  eines  an  Darm- 
störungen leidenden  Kindes,  der  eine  auffallend  schöne  Urorosein- 
reaktion^)  aufwies:  d.  h.  eine  Rotfäxbung  beim  Erwärmen  mit 
Mineralsäure.  Es  stellte  sich  nun  heraus,  daß  die  Urorosein- 
reaktion  nichts  anderes  ist,  als  eine  Reaktion  der  Indolessigsäure, 
welche  sich  bei  gleichzeitiger  Gegenwart  von  Nitriten  und  von 
Mineralsäure  abspielt.  Das  Auftreten  von  Nitriten  im  Harne 
ist  aber  eine  bekannte  Erscheinung,  die  auf  einem  durch  Bakterien- 
wirkung hervorgerufenen  Reduktionsvorgange  beruht.  Es  dürfte 
sich  auch  vermutlich  in  diesem  Falle  um  einen  Kondensations- 
vorgang unter  Bildung  eines  Triindylmethanderivates  handeln. 
Ellinger  hat  eine  nähere  Untersuchung  dieses  Farbstoffes  in 
x\ussicht  gestellt. 

So  können  wir  denn  mit  Befriedigung  die  Tatsache  feststellen, 
daß  auch  in  diesen  noch  vor  kurzem  in  hoffnungsloses  Dunkel 
gehüllten  Winkel  der  physiologischen  Chemie  einige  Lichtstrahlen 
gedrungen  sind. 

In   unmittelbarem   Zusammenhange   mit    dem    Tryptophan-  Kynurensäure- 
probleme  steht  die  Frage  der  Kynurensäurebildung.     Die 
von  Liebig  schon  vor  mehr  als  50  Jahren  im  Hundeharne  ent- 
deckte   K3murensäure  2)     ist    eine    Y-Oxy-ß-chinolinkarbonsäure 
OH 

/   \ COOH 

j  *    Da    die   Synthese    dieser   Substanz    bereits    ge- 

lungen  ist,  besteht  über  die  Konstitution  derselben  nicht  der 
mindeste  Zweifel.  Wir  sind  gewohnt,  dem  Chinolinkomplexe 
unter  den  Stoffwechselprodukten  der  Pflanze  sehr  häufig  zu 
begegnen;  gehört  doch  die  Mehrzahl  der  Pflanzenalkaloide  zu 
den  P3n:idin-  oder  Chinolinderivaten.  Dagegen  ist  ein  Chinolin- 
ring  unter  den  Produkten  des  Tierkörpers  ein  ganz  ungewohnter 
Anblick.     Mir  ist  eigentlich  nur  noch  ein  Beispiel  eines  solchen 


erinnerlich:  das  Methylchinolin  ^  CHg»  das  von  Aldrich 

N 

i)  Literatur  über  Urorosein:  Samuely,  Handb.  d.  Biochem.  1,  742 
(1909).     V.  Arnold,  Z.  f.  physiol.  Chem.  71,  i  (191 1). 

2)  Literatur  über  K]rnurensaure :  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochem. 
3,  I,  618  (1910).     F.  Samuely,  ibid.  1,  780  (1909). 


70  III.  Vorlesung. 


und  Jones  ^)  in  der  Analdrüse  des  amerikanischen  Stinktieres  ent- 
deckt worden  ist. 

Die  Kynurensäure  ist  bisher  nur  im  Harne  des  Hundes  und 
eines  nahen  Verwandten  desselben,  des  amerikanischen  Wüsten- 
wolfes, des  Coyote,  gefunden  worden^).  Es  handelt  sich  zweifel- 
los um  ein  Produkt  des  Eiweißzerfalles,  das  sich,  wie  wir 
aus  den  Arbeiten  von  L.  B,  Mendel  und  Jackson,  Gläßner  und 
Längstem,  sowie  insbesondere  aus  den  Untersuchungen  El- 
lingers^)  gelernt  haben,  vom  Tryptophan  herleitet.  Reich- 
liche Eiweißnahrung  und  Vergiftungen,  welche  den  Eiweißzerfall 
steigern,  vermehren  die  Kynurensäureausscheidung.  Dieselbe  ist, 
zum  Unterschiede  vom  Harnindikan,  unabhängig  von  der  Eiweiß- 
fäulnis im  Darme;  dagegen  scheint  die  Kynurensäurebildung  mit 
der  Ausschälung  des  Tr5T)tophankomplexes  aus  dem  Eiweiß- 
komplexe durch  die  Wirksamkeit  des  tryptischen  Fermentes 
zusammenzuhängen;  zum  mindesten  nimmf  die  Ausscheidung 
der  Kynurensäure  nach  Pankreasexstirpation  ab.  Der  Zusammen- 
hang zwischen  Tryptophan  und  Kynurensäure  ist  von  Ellinger 
durch  Fütterungsversuche  direkt  erwiesen  worden.  Interessanter- 
weise scheiden  auch  Kaninchen,  in  deren  Harne  unter  normalen 
Verhältnissen  keine  Kynurensäure  vorkommt,  solche  nach  Ver- 
fütterung  von  Tryptophan  aus.  Dagegen  ist  es  nicht  gelungen, 
die  Ausscheidung  der  Säure  bei  Menschen  oder  Katzen*)  künst- 
hch  hervorzurufen.  Über  den  Ort  der  Kynurensäurebildung  ist 
nur  soviel  bekannt,  daß  dieselbe  keinesfalls  auf  die  Leber  be- 
schränkt ist;  denn  auch  bei  Hunden  mit  Eckscher  Fistel  voll- 
zieht sie  sich  ungestört^). 

Die  Art,  wie  das  Tryptophan  im  Tierkörper  in  Kynurensäure 
übergeht,  ist  noch  nicht  ganz  aufgeklärt.  Man  wird  sich,  wie 
Ellinger^)    meint,    vorstellen    müssen,     daß    der    dreigliedrige 


i)  J.  B.  Aldrich  und  W.  Jones,  Journ.  of  experira.  Med.  2,  439  (1897). 

2)  R.  E.  Swain,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  13,  30  (1905). 

3)  A.  Ellinger,   Z,  f.  physiol.  Chemie  4S,'323  (1909)    und  Ber.  d.  d. 
ehem.  Ges.  37,   1801   (1904);  39,  2515  (1906). 

4)  J.W.  Brysch,  Diss.  Bern.  1907,  zit.  Jahresber.  f.  Tierchem.  37,  350. 

5)  E.    Abderhalden,    E.  S.  London   und   L.   Pincussohn,   Z.   f. 
physiol.  Chcm.  62,   13g  (1909). 

6)  A.  Ellinger,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  39,  2517  (1906). 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  71 

Alaninkomplex,  welcher  im  Tryptophan  dem  Indokinge  anhängt, 

zu  einem  zweigliedrigen  Komplexe  oxydiert  wird,  vielleicht  zu 

Indolglyoxylsäure : 

C.OH 

('^. fiCH-CHg  /  ^ PH-*C0  ^^^ 


CH.NH2 
^^v/CH   COOH  \/^  /CH  ^""  \/    yCH 


COOH 
\x  ^H   COOH  \X\  XCH 

NH  NH  N 


C.COOH 


und  nun  könnte  man  sich  vorstellen,  daß  das  mit  dem  Sternchen 
bezeichnete  Kohlenstoffatom  der  Seitenkette  in  den  sich  öffnen- 
den Fünferring  hineinschlüpft  und  ihn  dadurch  in  einen  Sechser- 
ring umgestaltet,  während  gleichzeitig  die  Karboxylgruppe  an 
Ort  und  Stelle  hängen  bleibt.  So  würde  sich  die  y- Stellung 
des  Hydroxyls  und  die  ß-Stellung  des  Karboxyls  in  ungezwungener 
Weise  erklären.  Vielleicht  spielt  sich  aber  der  Vorgang  auch  in 
der  Art  ab,  daß  gleichzeitig  mit  dem  Chinolinringschlusse  die 
Oxydation  in  y-Stellung  erfolgt.  Darüber  müssen  weitere  Unter- 
suchungen noch  genauere  Auskunft  geben. 

Die  Erkenntnis  dieser  Verhältnisse  macht  die  Annahme  eines 
Pyridinkernes  im  Eiweißmoleküle,  die  namentlich  aus  dem 
Auftreten  von  Pyridin  bei  der  Reduktion  der  durch  Säure- 
wirkung aus  Eiweiß  erhältlichen  »Melanoidine«  erschlossen  worden 
ist^),  ganz  überflüssig  und  zeigt  auch  vielleicht  gleichzeitig  den 
Weg  an,  wie  der  genetische  Zusammenhang  zwischen  den  in  der 
Pflanze  vorkommenden  Pyridin-  und  Chinolinringen  der 
Alkaloide  mit  den  zyklischen  Zerfallsprodukten  der  Proteine 
verstanden  werden  könnte. 

Im  Anschlüsse  an  die  Besprechung  der  zyklischen  Komplexe    Haiogenbin- 
im  Eiweißmoleküle  muß  noch  das  Problem  der  halogenbinden-  ^^jn^iweiß^^ 
den  Systeme  in  Eiweißkörpern  zur  Erörterung  gelangen.  körpern. 

Wir  wissen  einerseits,  daß  Eiweißkörpern  durch  entsprechende 
Jod-  oder  Brombehandlung  in  halogenisierte  Derivate  über- 
geführt werden  können 2);  anderseits  kommen  aber  halogen- 
haltige  Eiweißkörper  in  präformiertem  Zustande  in  der  Natur 
ziemlich  verbreitet  vor. 


i)  F.  Samuely,  Hofmeisters  Beitr.  2,  355  (1905). 
2)  Literatur  über  Halogeneiweiß:  O.  Cohnheim.  Chemie  der  Eiweiß- 
körper, 3.  Aufl.  S.  137 — 142.   191 1. 


72  III.  Vorlesung. 

Nun  wissen  wir  aber  auch,  daß  im  allgemeinen  zyklische 
Komplexe  aliphatischen  gegenüber  durch  die  Leichtigkeit  aus- 
gezeichnet sind,  mit  der  sie  Jod  oder  Brom  in  sich  aufnehmen. 
Während  bekanntlich  viele  zyklische  Verbindungen  befähigt  sind, 
Jod  oder  Brom  direkt  zu  addieren,  wenn  sie  einfach  mit  einer 
Lösung  derselben  in  Berührung  kommen,  bedarf  es  durchwegs 
verwickelterer  Vorgänge  und  verschiedener  Umwege,  um  Ha- 
logene in  eine  aliphatische  Kette  hineinzupraktizieren.  Es  war 
daher  von  vornherein  außerordentlich  wahrscheinlich,  daß  die 
Jod-  oder  Bromaufnahme  sowohl  in  den  natürlichen  wie  in  den 
künstlichen  Halogeneiweißderivaten  an  die  zyklischen  Kom- 
plexe des  Proteinmoleküles  gebunden  ist. 

Von  den  natürlich  vorkommenden  Jodeiweißverbindungen 
haben  die  folgenden  ein  besonderes  Interesse  gewonnen:  Zu- 
nächst das  von  Baumann  entdeckte,  von  Oswald  genau  studierte 
Jodeiweiß  der  Schilddrüse,  von  dem  (ebenso  wie  von  dem 
durch  Säurespaltung  daraus  gewonnenen  Jodothyrin)  später  noch 
ausführlich  die  Rede  sein  soll.  Sodann  gehört  das  Achsenskelett 
der  Gorgoniden^)  hieher,  schöner  Weichkorallen,  die  in  Gestalt 
zierlicher  Bäumchen  am  Meeresboden  wurzeln;  endlich  sind  es 
viele  marine  Schwämme,  die  in  ihrem  Parenchyme  ansehnliche 
Jodmengen  bergen  und  die  vermöge  einer  besonderen  rätsel- 
haften Affinität  die  minimalen,  im  Meerwasser  enthaltenen  Mengen 
dieses  Elementes  in  sich  konzentrieren. 

Man  hat  nun  vielfach  versucht,  festzustellen,  in  welcher  Form 
das  Jod  in  den  natürlich  vorkommenden  Proteinsubstanzen  ent- 
halten sei.  Diese  Bemühungen  waren  zunächst  bei  Untersuchung 
der  jodhaltigen  Korallen  von  Erfolg  gekrönt,  indem  es  Henze 
in  Neapel 2)  gelungen  ist,  ein  Spaltungsprodukt  derselben,  die 
Jodgorgosäure  Drechseis  als  3,5-Dijodtyrosin  zu  erkennen: 

OH 


-CH2.CH.COOH. 
NH2 

i)  Literatur  über  die  Gerüstsubstanzen  der  Gorgoniden  und  Spongien: 
O.  V.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  niederer  Tiere.  S.  445 — 451.  Jena  1903, 
2)  M.  Henze,  Z.  f.  physiol.  Chem.  51,  64  (1907);  72,  505  (1911)- 


Zyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  73 


Im  Anschlüsse  an  diese  Untersuchung  ist  es  auch  kürzlich 
zwei  amerikanischen  Forschern,  Wheeler  und  L.  B,  Mendel^)  ge- 
lungen, des  jodhaltigen  Komplexes,  welcher  in  den  Bade- 
schwämmen enthalten  ist,  habhaft  zu  werden.  Sehr  jodreiche 
Badeschwämme  aus  Florida  wurden  mit  Barytwasser  hydrolysiert 
und  der  Jodkörper  aus  der  Lösung  mittels  Silbernitrat  als  unlös- 
liches Silbersalz  abgeschieden;  dasselbe  konnte  durch  Salpeter- 
säure vom  Halogensilber  getrennt  werden.  Dann  wurde  mit 
Phosphorwolframsäure  gefällt;  aus  dem  mit  Ätzbaryt  zerlegten 
Niederschlage  wurde  schließlich  eine  in  Täfelchen  krystallisierende 
Substanz  erhalten,  die  sich  wiederum  als  3,5-Dijodtyrosin 
erwies. 

Es  ist  das  dieselbe  Verbindung,  welche  auf  synthetischem  Wege 
gewonnen  werden  kann,  wenn  man  Jod  auf  alkaHsche  T3n:osin- 
lösungen  bei  gewöhnlicher  Temperatur  einwirken  läßt 2). 

Neben  jodhaltigen  Korallen  sind  auch  bromhaltige  Anthozoen 
sehr  verbreitet.  C.  Th.  Mörner^),  der  zahlreiche  Korallenskelette 
sorgfältig  auf  Brom  geprüft  hat,  fand  dieses  Element,  das  der 
Aufmerksamkeit  früherer  Untersucher  ganz  entgangen  war,  z.  B. 
bei  den  Anthipatiden  in  einer  Menge  von  V4  bis  4%  vor,  und  er 
spricht  die  Vermutung  aus,  daß  der  Jodgorgosäure  wahrscheinlich 
eine  analog  zusammengesetzte  Bromgorgosäure  entsprechen 
dürfte,  deren  wechselnde  Menge  beim  Aufbaue  des  Korallenskeletts 
dessen  wechselnden  Bromgehalt  bedingt.  Doch  scheint  die  Rein- 
darsteUung  desselben  bisher  nicht  gelungen  zu  sein. 

Man  hatte  sich  lange  Zeit  vergeblich  bemüht,  analoge  Spaltungs- 
produkte auch  aus  Jodthyreoglobulin  und  aus  künstlichen 
Jodeiweißkörpern  zu  gewinnen,  Oswald^)  in  Zürich,  der  das 
jodhaltige  Schilddrüseneiweiß  in  dieser  Richtung  sehr  sorg- 
fältig untersucht  und  der  Wirkung  von  Trypsin,  Erepsin, 
Autoly^e,  Fäulnis  u.  dgl.  unterworfen  hat,  fand  schließlich  einen 
so  großen  Bruchteil  des  Jods  in  ionisierter  Form  vor,  daß  man 

i)  H.  L.  Wheeler  and  L.  B.  Mendel,  Joum.  of  biol.  Chem.  7,  i 
(1902)  und  Biochem.  Z.  29,  417  (19 10). 

2)  H.  L.  Wheeler  and  G.  S.  Jamieson,  Amer.  Chem.  Joum.  33, 

365  (1905). 

3)  C.  Th.  Mörner,  Z.  f.  physiol.  Chem.  51,  33  (1907);  55,  yy  (1908). 

4)  A.  Oswald,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  63,  263  (1910). 


74  III-  Vorlesung. 


wohl  annehmen  mußte,  das  ganze  Jod  werde  beim  Zerfalle  des 
Eiweißmoleküles  in  seine  kleinsten  Bruchstücke  abgespalten. 
Carl  Neuberg^)y  der  das  Jodglidin  (ein  künstlich  jodiertes 
Pflanzeneiweiß)  erst  mit  ßoprozentiger  Schwefelsäure  im  Brut- 
ofen digeriert,  sodann  aber  mit  Pankreatin  verdaut  hat,  erhielt 
schließlich  ein  undeutlich  kristallisierendes  Kupfersalz,  dessen 
Zusammensetzung  an  Jodgorgosäure  erinnerte,  dessen  Reindar- 
stellung aber  nicht  gelimgen  ist. 

Man  hat  ferner  vom  Studium  des  Verhaltens  jodierter  Eiweiß- 
körper im  lebenden  Organismus  und  ihrer  im  Harne  auf- 
tretenden Spaltungsprodukte^)  einige  Aufklärung  über  die 
Jodbindung  im  Eiweißmoleküle  erhofft. 

So  haben  Mosse  und  Neuberg^)  aus  dem  Blute  und  Harn 
von  Tieren,  die  sie  längere  Zeit  mit  Jodeigonnatrium,  der  Natrium- 
verbindung jodierter  Ovalbumine,  gefüttert  hatten,  Jodben zoe- 
säure  und  Jodhippursäure  isoliert.  Nun  weiß  man  aber,  daß 
in  Form  von  Jodproteinen  in  den  Körper  eingeführtes  Jod  seiner 
Hauptmenge  nach  als  Jodalkali  im  Harne  zum  Vorschein  kommt. 
Anderseits  aber  weiß  man  auch,  daß,  wenn  normaler  Harn  unter 
Jodalkalizusatz  konzentriert  wird,  ein  Teil  des  Jods  in  organische 
Bindung  übergehen  kann*).  Man  wird  daher  gut  tun,  sich  zu 
vergegenwärtigen,  daß  die  Jodbenzoesäure  vielleicht  sekundären 
Umsetzungen  ihre  Entstehung  verdanken  könnte. 

Immerhin  hat  es  sich  gezeigt,  daß  nach  Verabreichung  von 
Dijodt3n:osin  und  in  noch  höherem  Grade  nach  Einfuhr  eines 
Dipeptides,  welches  diese  jodierte  Aminosäure  enthält,  Jod  in 
organischer  Form  im  Harne  auftreten  kann.  Oswald  hat  aus  dem 
Harne  eine  ätherlösliche,  in  Nadeln  kristallisierende,  leicht  zer- 
setzliche  Säure  erhalten,  welche  vermutlich  einem  im  Kern  sub- 
stituierten Phenolkörper  entsprechen  dürfte,  deren  Natur  aber 
nicht  genauer  festgestellt  werden  konnte^). 

i)  C.  Neuberg,  Biochem.  Z.  26,  261   (1910). 

2)  Literatur:  Vgl.  O.  v.  Fürth  und  M.  Fried  mann,  Arch.  f.  exper. 
Pathol.,  Schmiedeberg-Festschr.   1908.    S.  217. 

3)  M.  Mosse  und  C.  Neuberg,  Z.  f.  physiol.  Chem.  37,  427  (1903). 

4)  D.  Vitale,  zit.  Jahresber.  f.  Tierchem.  28,  321  (1898).  P.  Schür- 
hof, Arch.  Internat,  de  Pharmacodyn.  14,  435  (1905). 

5)  A.  Oswald,  Z.  f.  physiol.  Chem.  62,  399  (1909);  65,  141  (1910). 
E.  Abderhalden  und  Slavu,  ibid.  61,  405  (1909). 


Cyklische  Komplexe  des  Eiweißmoleküls.  75 


Schließlich  ist  es  Oswald  gelungen,  aus  jodierten  Eiweiß- 
körpem,  dem  Jodalbacid  und  Jodglidin,  durch  vorsichtige 
Barytspaltung  nach  einem  umständlichen  Reinigungsverfahren 
Kristalle  von  3 — 5-Dij  od  ty  rosin  in  geringer  Menge  zu  erhalten  i). 

Fragen  wir  uns  nun,  welche  von  den  zyklischen  Komplexen 
des  Eiweißmoleküles  außer  dem  Tyrosin  denn  überhaupt  befähigt 
sind,  direkt  Jod  aufzunehmen,  so  ergibt  sich,  daß  dies  beim 
Phenylalanin  nicht  der  Fall  ist.  Oswald^)  hat  gezeigt,  daß 
erst  die  Gegenwart  von  Hydroxylen  dem  Benzolkerne  eine 
leichte  Bindungsfähigkeit  für  Jod  verleiht.  Nur  auf  Umwegen 
gelingt  es,  Halogenderivate  des  Phenylalanins  herzustellen  3). 

Dagegen  gelang  es  Neuberg^)  leicht,  Halogenderivate  des 
Tryptophans  zu  erhalten.  Auch  der  Imidazolkern  des  Histidins 
ließ  sich  jodieren  und  hat  Pauly^)  eine  Anzahl  von  Derivaten 

JC--=-C-C?T2.CH(NH2).COOH 

des  Dijodhistidins    n^  /NH  beschrieben. 

CJ 

Zum  Schlüsse  möchte  ich  es  mir  nicht  versagen,  an  dieser  Stelle  Farbstoff    des 

über  einen  der  schönsten  Erfolge,  welchen  die  Biochemie  in  den  ^"  *  p^^ 
letzten  Jahren  zu  verzeichnen  hat,  zu  berichten.  Es  ist  dies  die 
Konstitutionsermittlung  des  antiken  Purpurfarbstoffes.  Be- 
kanntlich nimmt  das  Sekret  der  Hypobronchialdrüse  bei  den 
sogenannten  Purpurschnecken  unter  der  Einwirkung  des  Lichtes 
eine  schöne  rotviolette  Färbung  an  und  es  hat  einige  Jahrtausende 
lang  den  Mächtigen  dieser  Erde  dazu  gedient,  den  Eindruck  ihrer 
Persönlichkeit  durch  den  Farbenglanz  ihrer  Gewänder  zu  er- 
höhen®).    Nachdem  bereits  Schunck  die  Kristallisationsfähigkeit 

i)  A.  Oswald,  Z.  f.  physiol.  Chem.  76, 310,  71,  200,  72,  374(191 1).  [Aus 
Jodeigonnatrium  konnte  dagegen  kein  Dijodtyrosin  gewonnen  werden.] 

2)  A.  Oswald,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  290  (1909). 

3)  H.  L.  Wheeler  und  S.  H.  Clapp,  Amer.  chem.  Journ.  40,  337, 
458  (1908). 

4)  C.  Neuberg,  Biochem.  Z.  6,  276.  C.  Neuberg  und  Popowsky, 
ibid.  2,  357. 

5)  H.  Pauly  und  Gundermann,  Ber.  d.  d.  chem.  Ges.  41,  3999 
(1908);  4a,  2243  (19 10). 

6)  Literatur  über  den  Purpurfarbstoff:  O.  v.  Fürth,  Vergl.  chem. 
Physiol.  niederer  Tiere,  Jena  1903.  S.  ^y^ — 381.  Sehr  vollständige  Zu- 
sammenstellung der  gesamten  Bibliographie:  A,  Dedekind,  Ein  Beitrag 
zur  Purpurkunde.  IV.  Bd.    Berlin,  Mayer  u.  Müller.     191 1.     848  Seiten. 


76  III.  Vorlesung. 


des  Purpurfarbstoffes  gezeigt  hatte,  ist  es  dem  hervorragenden 
Farbstoff  Chemiker  Paul  Friedländer^)  in  Wien  gelungen,  das  Prob- 
lem der  Purpurkonstitution  zu  lösen.  Dazu  mußten  nicht  weniger 
als  12000  Purpurschnecken  an  der  Triester  Zoologischen  Station 
verarbeitet  werden ;  und  zwar  geschah  dies  in  der  Weise,  daß  das 
Sekret  ihrer  Hypobranchialdrüsen  auf  Filterpapier  aufgestrichen 
und  dieses  sodann  zur  Entwicklung  des  Farbstoffes  belichtet 
wurde.  Das  in  den  gebräuchlichen  Extraktionsmitteln  unlös- 
liche Produkt  wurde  mit  Benzoesäureäthylester  extrahiert,  aus 
Chinolin  umkristallisiert  und  so  schließlich  in  einer  Ausbeute  von 
14  Dezigrammen  gewonnen.  Die  Analyse,  verbunden  mit  synthe- 
tischen Versuchen,  hat  nun  die  große  Überraschung  gebracht,  daß 
der  antike  Purpurfarbstoff  ein  Bromderivat  des  Indigo  ist,  und  zwar 
besteht  kein  Zweifel  darüber,  daß  es  sich  um  6,6'-Dibromindigo 

CO  CO 


\C— =C<'        ' 
NH  NH 


Br 


handelt,  das  mit  dem  synthetisch  zugänglichen  Produkte  der 
gleichen  Konstitution  eine  vollkommene  Übereinstimmung  auf- 
weist. In  der  Purpurdrüse  der  Schnecken  vollzieht  sich  also  ein 
Bromierungsvorgang,  der  den  zweifellos  aus  dem  Eiweißtrypto- 
phan  stammenden  Indolkomplex  in  ein  Chromogen  umwandelt. 
Wir  dürfen  also  auch  den  Purpurfarbstoff  fortan  wohl  den 
zyklischen  Eiweißderivaten  zuzählen. 

Nur  in  einer  Hinsicht  hat  die  Purpurforschung  zu  einer 
schmerzlichen  Enttäuschung  geführt,  nämlich  hinsichtlich  der 
Schönheit  des  Purpurfarbstoffes,  der  uns  nunmehr  durch  die 
Synthese  bequem  und  in  beliebigen  Mengen  zugänglich  geworden 
ist.  Es  ist  ein  mattes  Rotviolett,  das  unseren,  an  den  Glanz 
der  modernen  Anilinfarben  gewöhnten  Augen  nicht  mehr  zu 
imponieren  vermag.  Ich  fürchte  fast,  es  würde  manchem  Teil- 
stücke der  Herrlichkeit  klassischen  Altertums  ebenso  ergehen, 
wenn  man  es  mit  der  Exaktheit  einer  chemischen  Synthese  vor 
unseren  Augen  neu  erstehen  lassen  könnte.  Von  dem  alten 
Märchenglanze  würde  vielleicht  nicht  allzuviel  übrig  bleiben. 

i)  P.  Friedländer,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  42,  765  (1909)  und  Monatsh. 
f.  Chemie  30,  247  (1909). 


IV.  Vorlesung. 

Albumosen  und  Peptone, 
Protamine  und  Histone. 

Es  gibt  wohl  wenige  Kapitel  der  physiologischen  Chemie,  die 
so  sehr  geeignet  sind,  die  Schnelligkeit  zu  veranschaulichen,  mit 
der  sich  wissenschaftliche  Anschauungen  im  rastlosen  Wandel 
unserer  Zeiten  ändern,  wie  die  Lehre  von  den  Albumosen  und 
Peptonen.  Es  stimmt  mich  immer  nachdenklich,  wenn  ich  mir 
vergegenwärtige,  wie  wenig  von  dem  allen,  was  ich  als  Student 
mit  saurer  Mühe  mir  einst  zu  eigen  gemacht  habe,  heute  noch 
Geltung  besitzt,  und  wie  so  viele  von  den  Fragen  und  Problemen, 
die  noch  von  der  vorigen  Physiologengeneration  mit  Leidenschaft 
verfochten  und  umstritten  worden  sind,  für  uns  heute  Sinn  und 
Bedeutung  verloren  haben.  Wie  veraltet  klingen  doch  Namen 
wie  Amphopepton,  Anti-  und  Hemigruppe  an  unser  Ohr, 
an  die  ein  Forscher  vom  Range  Kühnes  einen  guten  Teil  seiner 
Lebensarbeit  verwandt  hatte!  Wie  vieles  von  dem,  was  uns  heute 
beschäftigt  und  gar  wichtig  scheint,  wird  vielleicht  schon  von  der 
nächsten  Generation  zum  alten  Eisen  geworfen  werden !  —  Doch 
das  ist  nun  einmal  ein  Schicksal,  mit  dem  sich  jeder  abfinden 
muß,  dem  es  darum  zu  tun  ist,  der  Erkenntnis  der  Natur  und  ihrer 
heiligen  Kreise  zu  dienen.  So  wollen  denn  auch  wir  uns  darob 
nicht  weiter  grämen! 

Kühnes  Lehre  ging  bekanntlich  dahin,  daß  bei  der  Einwirkung 
proteolytischer  Fermente  auf  Eiweißstoffe  zwei  Hauptgruppen  Ältere  Frak- 
von  neuen  Proteinsubstanzen  entstehen:  die  Antigruppe  und  m^thoSer 
Hemigruppe,  deren  Gemenge  das  »Amphopepton«  bildet. 
Während  die  peptische  Verdauung  auf  dieser  Stufe  stehen  bleiben 
sollte,  wurde  angenommen,  daß  bei  der  tryptischen  Verdauung 
zwar  die  resistente  Antigruppe  unverändert  bleibe,  während  im 


j 


78  IV.  Vorlesung. 


Bereiche  der  weniger  widerstandsfähigen  Hemigruppe  die  Spaltung 
unter  Bildung  immer  kleinerer  Bruchstücke  bis  zu  den  Amino- 
säuren fortschreiten  könne. 

Als  wichtigstes  Mittel  zur  Trennung  der  bei  der  enzymatischen 
Eiweißspaltung  zunächst  auftretenden  hochmolekularen  Pro- 
dukte diente  der  Kühneschen  Schule  das  Verfahren  der  Aus- 
salzung durch  totale  oder  teilweise  Sättigung  mit  Neutralsalzen. 
Dieses  Verfahren  wurde  später  nach  verschiedenen  Richtungen 
hin,  insbesondere  auch  von  Hofmeister  und  seinen  Schülern 
ausgestaltet  1);  vor  allem  wurde  das  Trennungsverfahren  mit 
Ammonsulfat  von  Ernst  Piok^),  dasjenige  mit  Zinksulfat- 
Sättigung  von  Edgar  Zunz^)  in  zielbewußter  Weise  durchgeführt. 

Ich  möchte  nun  an  der  Hand  eines  Beispieles  Ihnen  zimächst 
anschaulich  machen,  wie  sich  nach  dem  von  Pick  geübten  Ammon- 
sulfatverfahren  die  Aufteilung  des  (durch  peptische  Verdauung 
aus  Fibrin  gewonnenen)  Wittepeptons  in  eine  Anzahl  von  Frak- 
tionen etwa  gestaltet  hat. 

Durch  Halbsättigung  mit  Ammonsulfat  wurden  zunächst  die 
primären  Albumosen  gefällt,  welche  wiederum  in  die  in  salz- 
freiem Wasser  unlösliche,  durch  Dialyse  fällbare  Heteroalbu- 
mose  Kühnes^)  und  die  wasserlösliche  Protalbumose  auf- 
geteilt werden  konnten.  Die  Heteroalbumose  geht  leicht  in  eine 
koagulierte  Modifikation,  die  »Dy  salb  um  ose«,  über. 

Im  Filtrate  der  primären  Albumosen  fanden  sich  die  sekun- 
dären Albumosen.  Dieselben  wurden  in  drei  Fraktien  auf- 
geteilt: durch  Vs  Sättigung  wurde  die  i>Deuteroalbumose  A«, 
durch  nahezu  totale  Sättigung  die  »DeuteroalbumoseB«  und 
bei  weiterem  Zusätze  von  etwas  Mineralsäure  die  »Deutero- 
albumose  C«  gefällt. 

i)  Literatur  über  Albumosen  und  Peptone:  O.  Cohziheim,  Chemie 
der  Eiweißkörper.  3.  Aufl.  S.  98 — 122.  1911.  F.  Hof  nieister,  Ergebn. 
d.  Physiol.  1,  778 — 788  (1902).  O.  Hammarsten,  Lehrb.  7.  Aufl. 
S.  125 — 136.  19 10.  F.  Samuely,  Handb.  d.  Biochem.  1,  448 — 471. 
C.  Oppenheimer,  Fermente.    3.  Aufl.  147 — 159  (1910). 

2)  E.  P.  Pick,  Z.  f.  physiol.  Chem.  24,  246  (1897);  28,  219  (1899)  und 
Hofmeisters  Beitr.  2,  481  (1902). 

3)  E.  Zunz,  Z.  f.  physiol.  Chem.  27,  219  (1899). 

4)  Vgl.  P.  A.  Levene,  D.  D.  van  Slyke  and  F.  J.  Buchard,  Joum. 
of  biol.  Chem.  8,  269  (19 10). 


Albumosen  und  Peptone,   Protamine  und  Histone.  79 


Im  Filtrate  der  sekundären  Albumosen  fanden  sich  noch 
Biuretkörper,  die  »Peptone«,  welche  ihrerseits  durch  Fällung 
mit  ammonsulfatgesättigter  Jodkaliumlösung  in  zwei  Fraktionen 
aufgeteilt  werden  konnten,  sowie  auch  Substanzen,  welche  keine 
Biuretreaktion  mehr  gaben. 

Das  alte  Kühnesche  Schema  der  Eiweißspaltung  hatte  dem- 
nach etwa  folgende  Ausgestaltung  erfahren: 

Eiweiß 

I 

Primäre  Albumosen 


Protalbumose  Heteroalbumose 

i  , 
Sekundäre  Albumosen 


Deuteroalbum.  A    Deuteroalbum.  B    Deuteroalbum.  C 

i 

Peptone 


Pepton  A 


Pepton  B 


Nicht  biuretgebende  Komplexe 

I 

Aminosäuren 

Nun  hatte  Pick  weiterhin  festgestellt,  daß  die  einzelnen 
hochmolekularen  Bruchstücke  hinsichtlich  der  Elementarkom- 
plexe, aus  denen  sie  sich  zusammensetzen,  untereinander  keines- 
wegs gleichwertig  sind.  So  erwies  sich  z.B.  die  Deuteroalbumose  A 
ausWittepepton  durch  ihren  hohen  Gehalt  an  leicht  abspaltbarem 
Schwefel  als  »Thioalbumose«,  die  Deuteroalbumose  B  durch 
ihren  großen  Glukosamingehalt  als  »Glykoalbumose«;  die 
Deuteroalbumose  C  war  zwar  frei  von  T3n:osin,  enthielt  jedoch 
noch  reichlich  jenen  zyklischen  Komplex,  welcher  die  Xantho- 
proteinreaktion  venursacht  usw. 

Die  Hoffnung,  daß   wir  es  hier  mit   allgemeingültigen,   bei 
Untersuchung  verschiedener  Proteinsubstanzen  regelmäßig  wieder- 
kehrenden Gesetzmäßigkeiten  zu  tun  hätten,  ist  leider  durch  die  Neuere  Unter- 
Untersuchungen   einer  Reihe  von   Schülern  Hofmeisters  schnell  fermentative 
zimichte  geworden.    Auch  hat  es  sich  bald,  insbesondere  durch  die    Eiweißspai- 
Untersuchungen  von  E.  Zunz  über  die  Reihenfolge  des  Auftretens  ^' 

der  einzelnen  Produkte  herausgestellt,  daß  obiges  Schema  schon 
aus  dem  Grunde  kein  richtiges  Bild  liefert,  weil  z.  B.  die  Deutero- 


8o  IV.  \'orlesung. 


albumose  B  als  Anfangsprodukt,  die  Deuteroalbumose  C  als 
Endprodukt  der  pep tischen  Verdauung  auftreten  kann. 

Immerhin  hat  aber  die  Erkenntnis  der  qualitativen  Ver- 
schiedenheit der  einzelnen  bei  der  systematischen  Eiweiß- 
spaltung auftretenden  hochmolekularen  Produkte  auf  die  weitere 
Entwicklung  der  Eiweißforschung  sicherlich  belebend  eingewirkt 
und  zu  fruchtbaren  Fragestellungen  geführt. 

Wenn  die  Salzfällungsmethode  den  Hoffnungen,  welche 
man  einst  auf  sie  gesetzt  hatte,  nicht  gerecht  zu  werden  vermochte, 
so  liegt  dies,  wie  mir  scheint,  hauptsächlich  an  zweierlei  Um- 
ständen : 

Es  ist  einmal  außerordentlich  schwer,  eine  vollständige 
Trennung  hochmolekularer  Substanzen  durch  fraktionierte  Aus- 
salzung zu  bewirken.  Eine  kolloide  Substanz  »hüllt«  die  andere 
ein  und  reißt  sie  in  ihre  Fällungen  mit,  derart,  daß  nur  bei  sehr 
oft  wiederholtem  Lösen  und  Fällen  an  eine  einigermaßen  säuber- 
liche Scheidung  zu  denken  ist^). 

Anderseits  hat  sich  aber  aus  der  Untersuchung  synthetischer 
Polypeptide  seitens  der  Fischerschen  Schule  die  wichtige  Tat- 
sache ergeben,  daß  nicht  die  Molekulargröße  für  die  Aussalz- 
barkeit  maßgebend  ist,  sondern  der  Gehalt  an  gewissen 
Aminosäuren.  Ein  Polypeptid,  das  Tyrosin,  Cystin  oder 
Tryptophan  enthält,  kann  sich  als  aussalzbar  erweisen,  ohne  ein 
sehr  großes  Molekulargewicht  zu  besitzen,  und  anderseits  kann 
einem  hochmolekularen  Komplexe,  dem  diese  Bestandteile  fehlen, 
das  Kriterium  der  Fällbarkeit  mangeln.  Damit  verliert  aber 
jenes  Einteilungsprinzip  der  hochmolekularen  Eiweißspaltungs- 
produkte in  die  durch  Ammonsulfat  fällbaren  »Albumosen« 
und  die  nicht  aussalzbaren  »Peptone«  seine  Berechtigung. 

Auch  die  Vorstellung,  daß  das  ganze  Riesenmolekül  des  Pro- 
teins zunächst  in  einige  hochmolekulare  Albumosekomplexe  zer- 
fällt, daß  sich  diese  weiterhin  in  die  einfacher  zusammengesetzten 
Peptone  spalten,  bis  sich  auch  diese  endlich  in  ihre  Elementar- 
komplexe, die  Aminosäuren,  auflösen,  vermochte  der  Kritik  nicht 
standzuhalten.  Tatsächlich  verhält  sich  nach  den  Beobachtungen 
von  Emil  Fischer   imd  Abderhalden   die  Sache  so,    daß,   wenn 

i)  Vgl.  H.  C.  Haslam,  Journ.  of  Physiol.  82,  267  (1905);  36,  164  (1908). 


Albumosen  und   Peptone,   Protamine  und  Histone.  8l 


beispielsweise  Kasein  oder  Edestin  der  tryptischen  Verdauung  E.  Fischers  und 
überlassen  wird,  das  Tyrosin  meist  schon  innerhalb  zweier  Tage  "^^chunT^ 
nahezu  vollständig  aus  dem  Eiweiß  herausgespalten  und,  vermöge  resuitate. 
seiner  Schwerlöslichkeit,  in  kristallinischer  Form  an  den  Gefäß- 
wänden niedergeschlagen  wird.  Ungefähr  ebenso  schnell  wird 
etwa  das  Cystin  und  das  Tryptophan  eliminiert,  während  die 
Mehrzahl  der  aliphatischen  Aminosäuren  wie  das  Alanin,  Leucin, 
Valin,  die  Glutaminsäure  ganz  allmählich  nachfolgen.  Das 
Phenylalanin^  und  das  Prolin  werden  in  dem  Verdauungs- 
gemische selbst  nach  langer  Dauer  der  Digestion  entweder 
ganz  vermißt  oder  sie  treten  doch  nur  in  geringer  Menge  auf. 
Diese  Aminosäuren,  ebenso  wie  auch  das  Glykokoll,  bleiben  in 
einem  Komplexe  eingeschlossen,  der  sich  aus  dem  Verdauungs- 
gemische mit  Phosphorwolframsäure  niederschlagen  läßt  und  bei 
totaler  Hydrolyse  mit  rauchender  Salzsäure  neben  geringen  Mengen 
anderer  Aminosäuren  große  Mengen  von  Prolin,  Phenylalanin 
und  Glykokoll  liefert.  Man  wird  in  diesem  Komplexe  das  »Anti- 
pepton«  Kühnes  unschwer  erkennen,  das  nunmehr  in  modernem 
Gewände,  gewissermaßen  geläutert,  wieder  zum  Vorscheine 
kommt,  zum  tröstlichen  Beweise  dafür,  daß,  allen  unvermeid- 
lichen Irrungen  und  Wirrungen  zum  Trotze,  von  dem,  was  ein 
echter  Naturforscher  mit  ehrlichem  Bemühen  der  Natur  ab- 
gerungen hat,  zum  Schlüsse  doch  immer  etwas  im  dauernden 
Besitze  der  Menschheit  zurückbleibt. 

Das  alte  Schema  der  Eiweißspaltung  wird  demnach  etwa  durch 
das  folgende  zu  ersetzen  sein^): 

Eiweiß 

. ^ s 

Peptone  Peptone 


Aminosäuren  Peptone       /  . 
^ \        *'  \ 


Tyrosin,  Tryptophan,  Cystin 


/ 


Aminosäuren  Peptone 


Alanin,  Leucin,  Valin, 

Glutaminsäure         >.  \ 

Aminosäuren     Komplex 

(enthaltend  Prolin, 
Phenylalanin ,  Glykokoll) . 

i)  Vgl.    die    einschlägige    Literatur:     E.    Abderhalden,    Lehrb.    d. 
physiol.  Chemie,  2.  Aufl.  S.  223 — 226.    1909. 

V.  Fürth,  Probleme.  6 


82 


IV.  Vorlesung. 


Hofmeisters 
Gesichts- 
punkte. 


Alles  in  allem  mußte  es  als  eine  wenig  dankbare  Aufgabe  er- 
scheinen, aus  dem  bei  der  Verdauimg  auftretenden  Gemenge 
kolloidaler  Substanzen  charakterisierte  hochmolekulare  Produkte 
zu  isolieren  und  Emil  Fischer  hat  »die  verschiedenen  Sorten 
von  Albumosen  und  Peptonen,  mit  denen  die  Ph3^iologen  rechnen« 
geradezu  »unentwirrbare  Gemische«  genannt. 

Ein  weiterer  Fortschritt  auf  diesem  Gebiete  war  offenbar 
nunmehr  von  zwei  Seiten  her  zu  erwarten :  von  der  Synthese  von 
Polypeptiden  und  von  dem  analytischen  Studium  ein- 
facherer, bei  der  Eiweißspaltung  auftretender  Kom- 
plexe. 

Was  von  jeder  dieser  beiden  Arbeitsrichtungen  für  die  Zukunft 
der  Eiweißchemie  zu  erwarten  sei,  hat  Hofmeister  in  einem 
neueren  Aufsatze  objektiv  und  treffend  abgegrenzt  i): 

»Bei  den  raschen  Fortschritten,  die  die  Synthese  der  Poly- 
peptide unter  Emil  Fischers  Ägide  gemacht  hat,  könnte  der 
Gedanke  auftauchen,  die  Aufklärung  des  Eiweißaufbaues  ganz 
von  dieser  Seite  zu  erwarten.  Diese  Hoffnung  wird  sofort  zunichte, 
wenn  man  die  überaus  große  Zahl  der  dabei  gegebenen  synthe- 
tischen Mögüchkeiten  ins  Auge  faßt,  der  gegenüber  eine  noch  so 
umfassende  Arbeits tätigkeit  nicht  ausreicht.  Aus  vier  ver- 
schiedenen Aminosäuren  können,  um  ein  Beispiel  anzuführen, 
durch  einfache  unverzweigte  Verknüpfung  24  Tetrapeptide,  aus 
5  Aminosäuren  120  Pentapeptide,  aus  6  Aminosäuren  720  Hexa- 
peptide  hervorgehen  usw.  Zieht  man  weiter  die  durch  Einschal- 
tung von  Dikarbonsäuren  und  Diaminosäuren  gegebene  Möglich- 
keit von  verzweigten  Peptidketten  in  Betracht  und  bedenkt 
überdies,  daß  die  einzelnen  Aminosäuren  in  sehr  ungleicher  Zahl 
vertreten  sein  können,  so  ergibt  sich  bei  einer  Gesamtzahl  von 
etwa  15 — 19  Aminosäuren,  auch  wenn  man  von  anderen  Eventual- 
fällen (Bildung  von  Piperazinringen  und  Anhydriden  usw.)  ab- 
sieht, eine  unübersehbare  Reihe  von  Möglichkeiten.  Die  Synthese 
der  Polypeptide  wird  daher  ihr  wichtiges,  ja  oft  entscheidendes 
Votum  erst  dann  abgeben  können,  wenn  die  schrittweise  vorge- 
nommene Spaltung  schon  zu  bestimmten  gut  charakterisierten 


i)  F.Hofmeister,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  Festschr.  für  O.  Schmiede- 
berg.   S.  277.    Suppl.  1908. 


Albumosen  und  Peptone,   Protamine  und  Histone.  83 


Albumosen-  und  Peptonkomplexen  geführt  hat.  Die  Bemühung 
der  Physiologen,  zu  solchen  zu  gelangen,  ist  daher  auch 
vom  chemischen  Gesichtspunkte  aus  vollauf  gerechtfertigt. 
Überdies  wird  die  Untersuchung  solcher  gröberer  Bruchstücke 
am  besten  über  die  Lücken  Aufschluß  geben  können,  die  noch 
in  unserer  Kenntnis  der  Bausteine  des  Eiweißmoleküles  bestehen, 
da  sie  bei  Spaltung  solcher  Bruchstücke  viel  leichter  zu  bemerken 
sein  werden  als  bei  Zerlegung  des  großen  Eiweißmoleküles  selbst. 
Endlich  kann  auch  die  physiologisch  höchst  wichtige  Frage,  ob 
die  verschiedenen  Eiweißkörper  wenigstens  zum  Teil  aus  gleich- 
artigen Peptidkomplexen  aufgebaut  sind,  nur  auf  diesem  Wege 
ihre  Lösung  finden«. 

Von  dem  richtigen  Gedanken  ausgehend,  daß  ein  einzelnes 
Trennungsprinzip,  sei  es  nun  Fällbarkeit  durch  Aussalzung, 
Alkohol,  Schwermetalle  oder  Alkaloidreagentien,  der  Trennung 
der  Bestandteile  eines  Peptongemisches  nicht  zu  genügen  vermag, 
hat  nun  Hofmeister  eine  Reihe  solcher  Methoden  kombiniert. 
So  wurde  das  Verdauungsgemisch  zunächst  durch  Ammonsulfat- 
sättigung  von  albumoseartigen  Substanzen  befreit  und  das  salz- 
gesättigte Filtrat  sodann  der  Reihe  nach  mit  Kupfersulfat, 
Eisenammoniakalaun  und  Uranylacetat  gefällt,  wobei 
darauf  geachtet  wurde,  daß  die  Reaktion  annähernd  neutral 
blieb  und  daß  vor  Anwendung  des  nächsten  Reagens  das  jeweilig 
verwendete  Metall  entfernt  wurde.  Durch  diese  Metallfällungen 
werden  offenbar  Peptone  von  vorwiegend  saurem  Charakter  ab- 
geschieden. Nach  Beseitigung  derselben  lassen  sich  weitere  mehr 
basische  Peptonfraktionen  durch  Jodquecksilberkalium  in 
saurer  Lösung  abscheiden,  und  schließlich  kann  man  dann  noch 
eine  Peptonfraktion  durch  Tannin  niederschlagen. 

Aus  den  so  erhaltenen  Peptonfraktionen  wurden  nun  Derivate 
mit  Phenylisocyanat,  mit  Naphthalin- und  Benzolsulfo- 
chlorid  u.  dgl.  hergestellt  und  die  Reaktionsprodukte  schließ- 
lich in  Form  körniger,  doppelbrechender  Niederschläge  von  kon- 
stantem Schmelzpunkte  erhalten  i). 


i)  L.  H.  Stookey,  Hofmeisters  Beitr.  7,  590  (1906).  H.  S.  Raper, 
ibid.  9,  168  (1907).  F.  Rogozinski,  ibid.  11,  229  (1908).  A.  Reh,  ibid. 
11,  I  (1908). 

6* 


84  IV.  Vorlesung. 


Die  an  der  Hand  dieser  Methoden  gewonnenen  analytischen 
Resultate  sind  noch  nicht  zahlreich  genug,  um  ein  Bild  ihrer 
Leistungsfähigkeit  zu  gewähren;  es  ist  jedoch  anzunehmen,  daß 
man  bei  konsequenter  Anwendung  dieser  und  ähnlicher  Methoden 
schließlich  doch  zu  chemisch  einheitlichen  und  gut  charakterisierten 
Produkten  gelangen  wird. 

Daß  planmäßige  und  zielbewußte  Arbeit  auch  auf  dem  schwie- 
rigen Terrain  der  Peptone  Erfolge  zu  zeitigen  vermag,  wird  wohl 
jeder  Unbefangene  zugeben  müssen,  der  die  Bemühungen  verfolgt, 
die  Siegfried  im  Leipziger  physiologischen  Institute  gemeinsam 
mit  seinen  Schülern  seit  mehr  als  einem  Dezennium  diesem 
Gegenstande  gewidmet  hat^). 
Kyrine.  Durch    die    Kombination    einer    gemäßigten    Säurehydrolyse 

mit  enzymatischer  Eiweißspaltung  gelangte  Siegfried  zu  einer 
Kategorie  anscheinend  einfacher  zusammengesetzter  peptonartiger 
Substanzen,  die  bei  ihrer  totalen  Aufspaltung  neben  viel  Diamino- 
säuren  relativ  wenig  Monoaminosäuren  liefern.  Siegfried  hält 
diese  zwischen  den  hochmolekularen  Eiweißspaltungsprodukten 
und  den  letzten  Bruchstücken  einzuordnenden  Substanzen  für 
basische  »Kerne«,  die  im  Eiweißmolekül  vorgebildet  sind  und 
durch  die  vorsichtige  Spaltung  aus  der  Tiefe  desselben  heraus- 
geschält und  zutage  gefördert  werden. 

So  hat  Siegfried  seinerzeit  aus  Leim  ein  »Glutokyrin«  dar- 
gestellt, indem  er  Leimpepton  tagelang  der  Einwirkung  verdünnter 
Salzsäure  bei  Brutofentemperatur  unterwarf.  Doch  kann  die 
Enzym  Vorbehandlung  auch  ganz  wegbleiben;  jetzt  geht  Siegr 
fried  in  der  Regel  so  vor,  daß  das  Protein  einfach  mehrere 
Wochen  lang  der  Wirkung  mäßig  konzentrierter  Salzsäure  bei 
Körpertemperatur  ausgesetzt  wird *).    Die  abgespaltenen  basischen 


i)  Literatur  über  Kyrine  ii.  dgl. :  F.  Samuely,  Handb.  d.  Biochemie 
1,  472 — 475  (1909).  M.  Siegfried,  Biochem.  Handlexikon  4,  198 — 206 
(1910).  M.  Siegfried,  Ergebn.  d.  Physiol.  9,  324 — 350  (1910).  M.  Sieg- 
fried, Handb.  d.  ehem.  Arbeitsmeth.  2,  533 — 544  (1910).  Vgl.  insbesondere 
die  von  Siegfried  in  Gemeinschaft  mit  F.  Müller,  Borkel,  Scheer- 
messer,  Krüger,  Kirchbach,  Neumann,  Liebermann,  Pilz, 
Schmitz,  Lindner  u.a.  ausgeführten  Arbeiten. 

2)  Vgl.  auch  E.  Swirlowsky  (Labor,  v.  Lavvrow  in  Dorpat),  Z.  f. 
physiol.  Chemie  48,  252  (1906). 


Albumosen  und  Peptone,   Protamine  und  Histone.  85 


Komplexe  werden  aus  dem  Reaktionsgemische  mit  Phosphor- 
wolframsäure niedergeschlagen,  mit  Hilfe  von  Baryt  in  Freiheit 
gesetzt  und  schließlich  aus  schwefelsaurer  Lösung  mit  Alkohol 
gefällt.  Außer  aus  Leim  sind  derartige  Produkte  auch  aus  einer 
Anzahl  anderer  Eiweißkörper  gewonnen  worden,  so  aus  Kasein, 
Fibrin  und  Hämoglobin.  Die  Sulfate  und  Naphthalinsulfoderivate 
derselben  scheinen  leidlich  charakteristisch  zu  sein  und  die 
Phosphorwolframate  sind  sogar  gelegentlich  in  kristallinischer 
Form  dargestellt  worden.  Bei  der  Hydrolyse  treten  basische 
Komplexe  so  reichlich  auf,  daß  etwa  drei  Viertel  des  Stickstoffes 
auf  dieselben  entfallen.  Neben  dem  nie  fehlenden  Arginin  und 
neben  Lysin  ist  auch  Histidin,  Gly kokoll  und  Glutaminsäure  in 
den  Kyrinen  gefunden  worden. 

Es  ist  den  K3n:inen  sicherlich  Unrecht  geschehen,  wenn  man 
dieselben,  wie  dies  namentlich  Skraup  getan  hat,  als  zufällige 
basenreiche  Gemische  von  Aminosäuren  hinstellen  wollte.  Sieg- 
fried hält  demgegenüber  an  der  Einheitlichkeit  seiner  Kyrine 
fest  und  hat  auf  die  Konstanz  ihrer  Zusammensetzung,  trotz 
wiederholter  Umfällungen  und  bei  erneuerten  Darstellungen  hin- 
gewiesen. 

Ebenso  hält  er  durch  Verdauung  gewonnene  Peptone,  die  Chemische  in- 
(nach  Beseitigung  der  Albumosen  durch  Ammonsulfatsättigung  derPeptone. 
bei  Gegenwart  von  Schwefelsäure)  durch  Fällung  mit  Eisen- 
ammoniakalaun  aus  verschiedenem  Material  hergestellt  worden 
sind,  wie  das  Pepsin -Fibrinpepton,  das  Pepsin  -  Glutin- 
pepton,  das  Trypsin-Kaseinpepton  usw.,  für  chemisch  ein- 
heitlich^), während  z.  B.  Abderhalden^)  der  Meinung  Ausdruck 
gibt,  daß  es  bis  jetzt  in  keinem  Falle  gelungen  sei,  ein  bestimmtes 
Pepton  in  ganz  einwandfreier  Weise  als  einheitliche  chemische 
Verbindung  zu  charakterisieren.  Das  einzige  Produkt  dieser 
Art,  für  das  der  Letzgenannte  den  Beweis  der  Einheitlichkeit  für 
erbracht  hält,  wäre  ein  aus  Seide  gewonnenes  Pepton  oder  Poly- 
peptid, das  bei  seiner  Hydrolyse  in  Glykokoll,  Alanin  und  Tyrosin 
zerfiel. 


i)  Vgl.  M.  Siegfried  und  H.   Schmitz,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65, 
295  (1910). 

2)  E.Abderhalden,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie,  2.  Aufl.  S.  223.  1909. 


86  IV.  Vorlesung. 


Die  Prüfung  der  chemischen  Individualität  der  Pep- 
tone ist  sicherlich  ein  schwieriges  Problem;  Siegfried  hat  zu 
diesem  Zwecke  neben  der  Elementaranalyse  der  Peptone  und 
ihrer  Barytsalze  und  neben  dem  optischen  Drehungsvermögen 
Karbamino-  insbesondere  die  von  ihm  entdeckte  »Karbaminoreaktion« 
"^^^friei  '^^'  herangezogen  1),  von  der  schon  bei  früherer  Gelegenheit  die 
Rede  war. 

Wird  eine  Aminosäure  in  der  äquivalenten  oder  doppelt- 
äquivalenten Menge  Barytwassers  gelöst  und  nun  Kohlensäiure 
eingeleitet,  so  erfolgt  keine  Fällung  von  Barjnimkarbonat.  Wird 
aber  eine  solche  Lösung  erwärmt,  so  setzt  sich  allmählich  ein 
dicker  Niederschlag  von  kohlensaurem  Baryt  ab. 

Die  Bindung  der  Kohlensäure  unter  Bildung  einer  Karbamino- 
säure  erfolgt  nach  der  Gleichung: 

R-N    ^  +  CO2  +  Ba(OH)2  =  R-N  ^^^^  +  2H2O 

,  I 

COOK  COO Ba; 

die  Spaltung  eines  solchen  Salzes  unter  Ausfällung  von  kohlen- 
saurem Baryte  vollzieht  sich  entsprechend  der  Umsetzung: 

R-N^^QQ  +  H2O  =  R-N  ^  +  BaCOs 

'  1 

COO Ba  COOH. 

Nun  bietet  aber  der  Quotient  CO2/N  ein  bequemes  Mittel, 
um  bei  Untersuchung  eines  Aminokörpers  festzustellen,  in  welchem 
Umfange  die  intramolekulare  Kohlensäureaufnahme  in  demselben 
sich  vollzogen  hat. 

Die  Monoaminosäuren  der  Fettreihe,  wie  GlykokoU, 
Alanin,  Valin,  Leucin,  Asparaginsäure  und  Glutaminsäure,  liefern 
alle  den  Quotienten  =  1,  d.  h.  sie  wandeln  sich  bei  der  Reaktion 
quantitativ  in  Salze  der  Karbaminosäuren  um. 

Untersucht  man  aber  das  Arginin 

^(^^KNHicH2-€H2-<:H2-CH(NH2)-COOH, 

SO  findet  man  einen  Quotienten  CO2/N  =  V4,  einfach  deswegen, 

i)  Literatur  über  die  Karbaminoreaktion:  M.  Siegfried,  Ergebn.  d. 
Physiol.  9,   334 — 350  (1910)    und  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.   2, 

533  (1910)- 


Albumosen  und   Peptone,   Protamine  und  Histone.  87 


weil  nur  der  Stickstoff  der  Seitenkette,  nicht  aber  derjenige 
des  Guanidinkomplexes  C(NH)<^^JJ*  reagiert. 

CH-NH\^„ 
Beim  His tidin    C — N  '  erhält    man    den   Quo- 

CH2.CH(NH2).COOH 

tienten  V3>  weil  der  Stickstoff  des  Imidazolringes  sich  an  der 
Reaktion  nicht  beteiligt. 

Bei  der  Untersuchung  von  Polypeptiden  war  nun  zu  erwarten, 
daß  die  NH2-Gruppen  quantitativ  reagieren  würden,  nicht  aber 
die  Imidgruppen.  Das  Tetrapeptid  Triglycylglycin  NHg.CHg. 
CO-NH.CH2.CO-NH.CH2.CO-NH.CH2.COOH  sollte  demnach 
den  Quotienten  V4  ergeben;  (tatsächlich  wurde  der  Wert  Va-s 
gefunden).  Wird  aber  ein  solches  Polypeptid  hydrolysiert, 
so  wird  in  dem  Reaktionsgemenge,  das  nunmehr  freie  NH2- 
Gruppen  enthält,  der  Quotient  auf  1  ansteigen.  Bereits  eine 
geringe  Beimengung  von  freien  Aminosäuren  wird  demnach  den 
CO 2/N- Quotienten  eines  Polypeptides  erheblich  erhöhen. 

Gerade  darin  liegt  aber  der  besondere  Wert  dieser  Methode 
für  die  Untersuchung  pep tonartiger  Substanzen.  So  konnte 
z.  B.  Siegfried^)  den  Einwand*),  sein  Glutokyrin  sei  nichts 
anderes  als  ein  Gemenge  von  Amino-  und  Diaminosäuren,  dadurch 
beseitigen,  daß  er  zeigte,  der  Quotient  CO2/N  erfahre  nach  voll- 
zogener Hydrolyse  eine  Verdoppelung. 

Übrigens  empfiehlt  Siegfried  seine  Karbaminomethode 
auch  als  geeignetes  Mittel  ziu:  Fraktionierung  von  Albumosen 
und  Peptonen.  Wird  die  Lösung  eines  Peptongemenges  durch 
Kohlensäure  bei  Gegenwart  von  Barythydrat  fraktioniert  gefällt, 
so  kann  man  dann  aus  den  einzelnen  Fraktionen  durch  einfaches 
Kochen  die  Peptone  unter  Ausscheidung  von  Baryumkarbonat 
regenerieren  und  in  bezug  auf  ihr  spezifisches  Drehungsvermögen 
u.  dgl.  untereinander  vergleichen.  Beispielsweise  konnte  so  die 
Protalbumose  von  Pick  in  wenigstehs  drei  Fraktionen  zerlegt 
werd«!*). 

Daß  wir  aber  auch   auf  diesem   Gebiete  von  einer  idealen 

i)  M.  Siegfried,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  226  (1908). 

2)  M.H.Skraup  und  R.  Zwerger,  Monatsh.  f.  Chemie  26, 1403(1905). 

3)  F.  Birchard,  Diss.  Leipzig  1909  cit.  Biochem.  Zentralbl.  9.  Nr.  2131. 


88  IV.  Vorlesung. 


Übereinstimmung  von  Theorie  und  Praxis  noch  recht  weit  ent- 
fernt sind,  mag  folgendes  Beispiel  illustrieren :  Bei  einem  Glutin- 
peptone  fand  sich  ein  Quotient  CO2/N  =  V?«  Als  man  nun  aber 
die  Annahme,  daß  von  je  sieben  N- Atomen  nur  je  eines  als  freie 
Aminogruppe  reagiere,  durch  Kuppelung  desselben  Peptones 
mit  Naphthalinsulfochlorid  sicher  stellen  wollte,  ergab  sich 
die  unerwünschte  Überraschung,  daß  doppelt  soviel  Stickstoff- 
atome mit  dem  Säurechloride  reagiert  hatten,  als  der  Erwartung 
entsprach  1). 

Es  empfiehlt  sich,  derartige  Erfahrungen  im  Auge  zu  behalten, 
um  die  vorläufig  erzielten  Erfolge  ja  nicht  zu  überschätzen.    Über 
die  ersten  Anfänge  einer  chemischen  Charakterisierung  ist  man 
eben  noch  nicht  hinausgelangt  *). 
Bestimmung  Recht   fruchtbar   dürfte   sich   übrigens   die   Aminosäuren- 

^bindungen  bestimmung  durch  Formoltitration  nach  Henriques  und 
durch  Formol-  Sörenseti,  auf  die  ich  bei  späterer  Gelegenheit  noch  ausführlich 
1  ra  lon.  ^zurückkommen  werde,  auch  für  die  Lehre  von  den  Peptonen 
gestalten.  Mit  Hilfe  dieser  Methode  läßt  sich  nämlich  der 
Grad  der  Aufspaltung  von  Verdauungsprodukten,  wie  es  scheint, 
ausreichend  genau  bestimmen,  namentlich  wenn  man  vor  der 
Phenolphtaleintitration  durch  eine  Chlorsilberfällung  dafür  Sorge 
trägt,  daß  starkgefärbte  Zersetzungsprodukte  niedergerissen  wer- 
den. Es  ergab  sich  so  beispielsweise,  daß  durch  Trypsin-Erepsin- 
verdauung  »vollständig«  abgebaute  Proteine  bei  weiterer  Säurc- 
spaltung  im  Autoklaven  bei  150°  noch  einen  Gehalt  von  6 — 12% 
peptidgebundenen  Stickstoffes  aufwiesen^). 

Die  Bemühungen,  einen  widerstandsfähigen  »Kern«,  also 
gewissermaßen  den  zentralsten  und  wichtigsten  Anteil  aus  dem 
Riesenmoleküle  der  Eiweißkörper  herauszuschälen,  ziehen  sich 
durch  den  ganzen  Entwicklungsgang  der  physiologischen  Chemie 


i)  M.  Siegfried  und  H.  Schmitz,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  307  (1910). 

2)  Vgl.    auch   M.   Siegfried,    W.  Sülze,    Pflügers  Arch.    136,    185, 

712  (1911). 

3)  V.  Henriques  und  J.  K.  Gjaldbäck  (Kopenhagen),  Z.  f.  physiol. 

Chemie  67,  8  (1910).  S.  P.  L.  Sörenscn,  Biochem.  Z.  7,  405  {1907). 
S.  P.  L.  Sörensen  und  H.  Jessen  -  Hansen,  ibid.  7,  405  (1907).  Vgl. 
auch  den  Artikel  von  Ellinger,  11.  Aufl.  v.  Ncubauer-Huppert,  Analyse 
des  Harns.  643 — 647.    (1910). 


Albumosen  und   Peptone,   Protamine  und  Histone.  89 


hindurch  und  haben  auch  der  Erforschung  der  Protamine  ein 
besonderes  Interesse  verliehen. 

Wir  haben  gesehen,  daß  die  K3aine,  welche  durch  vorsichtige 
Trypsin-  und  Säurespaltung  aus  verschiedenen  Eiweißkörpem  er- 
halten worden  sind,  insgesamt  Argin  in  enthalten.  Nun  hat  Protamine. 
Kossei  betont,  daß  das  Arginin  das  einzige  in  allen  Eiweiß- 
körpem gefundene  Spaltungsprodukt  ist;  er  hat  ferner  die  Auf- 
merksamkeit auf  eine  Klasse  von  Eiweißkörpem,  die  Protamine, 
gelenkt,  in  denen  der  Hauptanteil  der  Spaltungsprodukte 
diu"ch  das  Arginin  vertreten  ist  und  die  insofern  besonders  einfach 
erscheinen,  als  die  Zahl  der  sie  aufbauenden  Komplexe  eine  relativ 
geringe  sein  dürfte. 

In  zielbewußter,  sich  über  einen  Zeitraum  von  anderthalb 
Dezennien  erstreckender  Arbeit  hat  Kossei  die  Protamine,  deren 
erster  Vertreter  in  den  70er  Jahren  von  dem  originellen  Baseler 
Naturforscher  Miescher^)  dargestellt  worden  war,  in  Gemeinschaft 
mit  seinen  Schülern  zu  einer  der  am  besten  studierten  Gruppen 
von  Proteinen  gemacht*).  Aus  den  Spermatozoen  zahlreicher 
Fische  wurden  Protamine  gewonnen;  so  haben  das  Salmin 
des  Lachses,  das  Clupein  des  Härings,  dasScombrin  der  Ma- 
krele, das  Stur  in  und  Accipenserin  verschiedener  Störarten, 
das  Cyklopterin  des  Seehasen,  das  Silurin  des  Welses,  das 
Cyprinin  des  Karpfens  und  noch  viele  andere  verwandte  Sub- 
stanzen das  Licht  der  Welt  erblickt  und  man  ist  heute  in  der  Lage, 
vom  Aufbau  der  Protamine  und  ihrer  chemischen  Stellung  ein 
einigermaßen  abgerundetes  Bild  entwerfen  zu  können. 

Die  Protamine  werden  aus  den  isolierten  Spermatozoen- 
köpfen  dargestellt,  welche  bekanntlich  im  wesentlichen  aus 
nukleinsaurem  Protamin  bestehen. 


i)  Vgl.  L.  Nelson   (Pharmakol.    Inst.    Straßburg),    Arch.    f.   expcr. 

Pathol.  59,  331,  33^  (1908). 

2)  Literatur  über  Protamine:  Kossei,  Biochem.  Zentralbl.  5,  i,  33 
(1906)  und  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  34,  3233  (1901).  O.  Cohnheim,  Chemie 
der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  S.  233 — 238.  (191 1).  F.  Samuely,  Handb. 
d.  Biochemie  1,  313 — 318  (1908).  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol.  3,  I, 
55 — 68  (1904);  5,  773 — 782  (1906).  Abderhalden,  Lehrb.  d.  physioL 
Chemie,  2.  Aufl.  239  (1909).  Steudel,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth. 
2,  442 — 448  (19 10). 


go  IV.  Vorlesung. 


Die  Darstellung  beruht  darauf,  daß  die  Spermatozoen  mit 
verdünnter  Schwefelsäure  geschüttelt  werden,  wobei  Protamin- 
sulfat  in  Lösung  geht;  dieses  wird  mit  Alkohol  gefällt,  sodann 
wieder  in  Wasser  gelöst  und  das  basische  Protamin  schließlich 
als  Pik  rat  niedergeschlagen.  Auch  die  Fällung  aus  methyl- 
alkoholischer Lösung  mit  Platinchlorid  hat  gelegentlich  An- 
wendung gefunden.  Zur  Umwandlung  des  Pikrats  in  das  Sulfat 
kann  das  erstere  in  Azeton  mit  Schwefelsäure  umgesetzt  werden, 
wobei  das  Protaminsulfat  direkt  ausfällt  und  die  Pikrinsäure 
in  Azeton  gelöst  bleibt*). 

Die  so  erhaltenen  Biuretkörper  werden,  im  Gegensatze  zu  den 
Histonen,  von  Ammoniak  nicht  gefällt.  Ihr  stark  basischer 
Charakter  offenbart  sich  schon  darin,  daß  sie  von  Phosphor- 
wolframsäure nicht  nur  bei  saurer,  sondern  auch  bei  schwach 
alkalischer  Reaktion  (d.  h.  also  nicht  nur  in  Form  der  Salze, 
sondern  auch  als  freie  Basen)  gefällt  werden.  Auch  durch  S  ch  wer- 
metalle  und  durch  Aussalzung  sind  die  Protamine  fällbar. 

Die  Analyse  der  Protamine  hat  gelehrt,  daß  dieselben  weitaus 
die  Hauptmenge  ihres  Stickstoffes  in  basischer  Form  enthalten 
und  zwar  in  Form  von  Arginin.  So  fand  Kossei  bei  seinen 
schönen,  gemeinsam  mit  Dakin  ausgeführten  Untersuchungen *), 
daß  die  Zusammensetzung  des  Salmins  in  der  Formel 

10  Mol.  Arginin  +  2  Mol.  Prolin  +  2  Mol.  Serin  +  i  Mol.  Amino- 

valeriansäure, 

diejenigen  des  Scombrins  in  dem  Verhältnisse 

6  Mol.  Arginin  +  i  Mol.  Prolin  +  2  Mol.  Alanin 

ihren  einfachsten  annähernden  Ausdruck  findet.  Es  ist  demnach 
die  Anzahl  der  Arginingruppen  doppelt  so  groß  wie  die  Gesamt- 
zahl der  Monoaminosäuregruppen.  Dieses  Verhältnis  erfährt 
auch  keine  wesentliche  Verschiebung,  wenn  man  die  Protamine 
einer  partiellen   Spaltung  unterwirft  und  die  hochmolekularen 


i)  W.  D.  Malemück  (Labor,  v.  Kurajeff),  Z.  f.  physiol.  Chemie  57, 
99  (1908).     A.  Kossei,  ibid.  69,  138  (1910). 

2)  A.  Kossei  und  H.  D.  Dakin,  Z.  f.  physiol.  Chemie  40,  565  (1904); 

41,  407  (1904);  **,  342  (1905). 


Albumosen  und   Peptone,   Protamine  und  Histonc.  gi 


Bruchstücke,  die  »Pro tone«,  untersucht;  da  stellt  es  sich  denn 
heraus,  daß  jede  einzelne  aus  dem  Proteingemische  isolierte 
Fraktion,  ebenso  wie  ihre  Muttersubstanz,  die  Hauptmenge  des 
Gesamtstickstoffs  in  Form  von  Arginin  enthält  i).  Das  Molekül 
eines  Protamins  baut  sich  also  aus  gleichartigen  Komplexen  auf, 
von  denen  jeder  doppelt  soviel  Arginingruppen  als  Monoaminosäure- 
gruppen  enthält.  Ob  nun  solche  »Diarginidkomplexe«  in 
einfachen  Ketten  zu  typischen  Polypeptiden  aneinandergefügt, 
oder  ob  sie  zu  andersartigen  Komplexen  verbunden  sind^), 
müssen  weitere  Untersuchungen  lehren.  Hier  dürfte  sich  ein 
Weg  eröffnen,  um  einem  der  Fundamentalprobleme  der  Eiweiß- 
chenüe  nahe  an  den  Leib  zu  rücken. 

Sehr  lehrreich  sind  neue  Beobachtungen  Kossei s^)  über 
nitrierte  Protamine.  Wird  Clupein  mit  rauchender  Schwefel- 
säure und  Salpetersäure  unter  Eiskühlung  verrieben,  so  entsteht 
ein  in  Wasser  unlösliches  Nitroclupein  von  rein  weißer  Farbe. 
Bei  der  Hydrolyse  desselben  wird  nun  die  Nitrogruppe  in  Ver- 
bindung mit  dem  Arginin  abgespalten.  Dabei  findet  sich  die 
Nitrogruppe  nun  aUem  Anscheine  nach  an  der  freienAmino- 
gruppe  des  Guanidinanteiles  des  Arginins,  also: 


/NH.NO2 


C(NH)    nh!cH2.CH2.CH2.CH(NH2).COOH. 

Es  ergibt  sich  daraus  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit,  daß  diese 
Aminögruppe  im  Clupein  frei,  d.  h.  an  der  Peptidbindung  nicht 
beteiligt  ist.    Die  Verkettung  des  Arginins  scheint  demnach  nicht 

nach  dem  Schema*)  1  ^C(NH) 

R  NH^.CH2.CH2.CH2CH(NH2).COOH, 

. .  NH.CH.CO-NH  CH.COOH 

viehnehr  in  der  Art  ^  CH2.CH2.CH2.NH  n^c(NH) 

zu  erfolgen. 


i)  A.  Kossei  und  H.  Pringle,  Z.  f.  physiol.  Chemie  49,  301  (1906). 
A.  Kossei  und  F.  Weiß,  ibid.  59,  281   (1909). 

2)  Vgl.  Kossei,  Biochem.  Zentralbl.  5,  i,  33  (1906). 

3)  A.  Kos  sei  und  E.  L.  Kennaway,  Z.  f.  physiol.  Chemie  72,  486 

(1911). 

4)  Vgl.  Seemann  s.  o.  S.  25. 


g2  IV.  Vorlesung. 

Die  Auffassung  der  Protamine  als  einfachster  Eiweißkörper 
schien  ins  Wanken  zu  geraten,  als  Abderhalden"^)  bei  der 
Hydrolyse  eines  Salminpräparates  eine  ganze  Reihe  von  Mono- 
aminosäuren  auffand.  Doch  dürfte  dieser  Befund  vermutlich  in 
dem  Umstände  seine  ausreichende  Erklärung  finden,  daß  die 
Hoden,  aus  denen  das  betreffende  Präparat  gewonnen  worden 
war,  sich  nicht  in  dem  Zustande  voller  Samenreife  befunden 
hatten  2). 

Kossei  stellt  sich  die  Bildung  der  Protamine  in  den  Testikeln 
derart  vor,  daß  bei  der  Reifung  des  Samens  die  Monoamino- 
säuren  mehr  und  mehr  aus  den  Eiweißkörpem  abgespalten  wer- 
den, während  basenreiche  Reste  zurückbleiben').  Wie  Mieschers 
vortreffliche  Beobachtungen  uns  gelehrt  haben,  schrumpft  bei 
Lachsen,  die  zum  Laichen  flußaufwärts  wandern,  die  Rumpf - 
muskulatur  zum  großen  Teile  ein.  Ihr  Eiweißbestand  wird 
zugunsten  der  mächtig  anwachsenden  Sexualorgane  liquidiert. 
Eine  im  Kosselschen  Laboratorium  ausgeführte  Untersuchung*) 
hat  gelehrt,  daß  die  Argininmenge,  welche  durch  das  zerfallende 
Muskeleiweiß  verfügbar  wird,  tatsächlich  ausreicht,  um  die 
Protamine  der  reifenden  Hoden  zu  versorgen. 

Man  wird  sich  vorstellen  dürfen,  daß  die  basenreichen  Prot- 
amine an  dem  einem  Ende  einer  kontinuierlichen  Reihe  von  Eiweiß- 
körpern stehen,  an  deren  anderem  Ende  die  nur  minimale  Basen- 
mengen einschließenden  Proteine,  wie  das  Seidenfibroin  und 
das  Elast  in,  ihren  Platz  finden^);  den  Übergang  von  den 
gewöhnlichen  Eiweißkörpern  zu  den  Protaminen  dürften  die 
Histone  bilden. 

Diese  Deutung  dürfte  auch  die  Histone,  deren  Klassifizierung 
den  Biochemikern  besonders  viel  Kopfzerbrechen  verursacht  hat, 
unserem  Verständnis  wesentlich  näher  bringen. 


i)  E.  Abderhalden,  Z.  f.  physiol.  Chemie  41,  55  (1904)  und  Lehrb. 
d.  physiol.  Chemie,  240.    2.  Aufl.     1909. 

2)  A.  E.  Taylor,   Journ.   of  biol.  Chem.  5,   389  (1908). 

3)  A.  Kossei,  Z.  f.  physiol.  Chemie  44,  347  (1905). 

4)  F.Weiß,  (Physiol.  Inst.  Heidelberg),  Z.  f.  physiol.  Chemie  52,  107 
(1907). 

5)  E.  Abderhalden  und   P.  Rona,  Z.  f.  physiol.  Chemie  41,  278 
(1904). 


Albumosen  und  Peptone,   Protamine  und  Histone.  93 


Die  Histone  sind  basische  Eiweißkörper,  die  aus  Leukozyten,  Histone. 
aus  lymphoiden  Organen  und  Hoden  gewonnen  worden  sind. 
Auch  die  ungefärbte  Komponente  des  roten  Blutfarbstoffes, 
das  G  lob  in,  wird  meist  den  His  tonen  zugezählt.  In  den  un- 
reifen Hoden  vieler  Tierarten  treten  Histone  zweifellos  als 
Vorstufen  der  Protamine  auf,  doch  gibt  es  eine  ganze  Reihe  von 
Fischarten  und  von  Wirbellosen,  bei  denen  auch  die  reifen 
Spermatozoen  Histone  an  Stelle  von  Protaminen  enthalten; 
das  ist  z.  B.  beim  Kabeljau  (Gadus),  der  Quappe  (Lota)  und  dem 
Seeigel  (Arbacia  und  Echinus)  der  Fall. 

In  bezug  auf  ihre  Reaktion  en  sind  die  His  tone  i)  insbesondere 
durch  folgende  Eigenschaften  charakterisiert:  Vor  allem  sind 
sie  als  starke  Basen  durch  Ammoniak  fällbar;  während  ferner 
gewöhnliche  Eiweißkörper  von  den  Alkaloidreagentien  nur  bei 
saurer  Reaktion  gefällt  werden,  ist  dies  bei  den  Histonen,  ebenso 
wie  bei  den  Protaminen  auch  bei  neutraler  oder  schwach  alka- 
lischer Reaktion  der  Fall.  Manche  Reaktionen  teilen  die  Histone 
mit  den  Albumosen;  so  erzeugt  z.  B.  Salpetersäure  in  Histon- 
lösungen  einen  Niederschlag,  der  in  der  Wärme  verschwindet  und 
in  der  Kälte  wieder  auftritt.  Auch  sind  die  Histone  einer  echten 
Koagulation  nicht  zugänglich.  Zwar  treten  beim  Kochen  ihrer 
salzhaltigen  Lösungen  Fällungen  auf,  doch  sind  dieselben  in 
Säuren  leicht  löslich,  während  einmal  geronnenes  Eiereiweiß  nur 
durch  intensive  Säurewirkung  unter  Acidalbuminbildung  in 
Lösung  gehen  kann.  Mit  den  Protaminen  teilen  die  Histone  das 
Vermögen  der  Eiweißfällung. 

Wenn  man  Histone  hydrolysiert  und  den  Stickstoff  auf 
Fraktionen  aufteilt,  so  findet  sich  in  der  Fraktion  der  Diamino- 
säuren  etwa  30 — 40%  davon,  also  weit  mehr  als  in  typischen 
Eiweißkörpern,  weit  weniger  als  in  den  Protaminen.  Auch  hier 
steht  in  der  Regel  das  Arginin  im  Vordergrunde.  Ein  aus  Karpfen- 
sperma von  Kossei  und  Dakin  gewonnenes  »Cyprinin«  mit 
einem  Lysingehalt  entsprechend  beinahe  30%  des  Gesamt- 
stickstoffes bildet  einen  merkwürdigen  AusnahmsfaU^). 

i)  Literatur  über  Histone :  O.  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweißkörper. 
3.  Aufl.  228 — 232.(1911).  R.  Burian,Ergebn.  d.  Physiol.  3,1,68 — 72(1904); 
5» 779 bis 782  (1906).  F.  Samuely,  Handb.  d.  Biochemie  1,  306 — 313  (1909). 

2)  A.  Kossei  und  H.  Dakin,  Z.  f.  physiol.  Chemie  40,  565  (1904). 


94  IV.  Vorlesung. 


Kossel  erhielt  aus  Protamin  und  Eiweiß  Niederschläge,  die 
Ähnlichkeit  mit  den  Histonen  aufweisen ;  doch  ist  man  von  der 
Meinung,  die  letzteren  seien  Protamin-Eiweißverbindungen^), 
zurückgekommen.  Ivar  Bang^)  ,der  sich  neben  Kossel  und 
seinen  Schülern  um  die  genauere  Charakterisierung  der  Histone 
besonders  verdient  gemacht  hat,  meint,  man  solle  Protamine  und 
Histone  zu  einer  einzigen  Klasse  von  Eiweißkörpem  zusammen- 
fassen, da,  wie  es  scheint,  zwischen  beiden  alle  Übergänge  in  bezug 
auf  ihren  Gehalt  an  Diaminosäiuren  und  Monaminosäuren 
existieren.  Doch  auch  in  diesem  Falle  kann  man  die  am  ein- 
fachsten gebauten  und  an  Basen  reichsten  Typen  dieser  Klasse 
als  Protamine,  die  weniger  basenreichen  und  komplizierteren 
als  Histone  bezeichnen.  Schließlich  gilt  hier  wie  überall,  daß 
es  im  wesentlichen  auf  klare  Begriffe  ankommt  und  nicht  auf 
Namen  und  Definitionen. 

Ich  möchte  das  Protaminproblem  nicht  verlassen,  ohne  noch 
einige    interessante    Seiten    desselben    wenigstens    gestreift    zu 
haben. 
Arginase.  Zunächst  die    fermentative   Protaminspaltung   durch 

die  »Arginase«:  Stellen  wir  uns  eine  Polypeptidkette  vor,  in 
die  ein  Argininmolekül  eingefügt  ist: 

NH.CH.CO-NH.CH.CO-NH.CH.CO- 

I  I 

R  R 


CH 


2 


'■"nh>(NH) 


2' 


so  werden  die  typischen  hydrolytischen  Verdauungsfermente,  wie 
das  Trypsin  und  das  Erepsin,  zwar  imstande  sein,  die  Polypetid- 
kette  zu  sprengen,  nicht  aber  etwa  den  Guanidinkomplex  derselben 
auseinander  zu  reißen.  Wohl  aber  vermag  dies  ein  eigenartiges 
Ferment,  die  »Arginase«,  das  sich  nach  Kossel  und  Dakin^) 
mit  Wasser  oder  verdünnter  Essigsäure  aus  Leber  oder  Darm- 
schleimhaut und  vielen  anderen  Organen  extrahieren  läßt  und  das 

i)  Vgl.  A.  Hunter  (Physiol.  Inst.  Heidelberg),  Z.  f.  phjreiol.  Chemie 
53,  526  (1907). 

2)  J.  Bang,  Z.  f.  physiol.  Chemie  27,  463  (1899)  und  Hofmeisters  Beitr. 

*»  115*  33^>  362  (1904);  5,  317  (1904). 

3)  A.  Kossel  und  H.  D.  Dakin,  Naturhist.  Verein  Heidelberg,  4.  März 
1904,  Z.  f.  ph^^iol.  Chemie  41,  321  (1904). 


Albumosen  und  Peptone,   Protamine  und  Histone.  95 

die  Spaltung  des  Arginins  oder  eines  argininreichen  Protamins 
im  selben  Sinne  bewerkstelligt  wie  etwa  das  Barythydrat: 

NHa 

C(NH)<^  +  H2O  = 

^NH.CHg.CH2.CH2.CH(NH2).COOH 

NHg      NH2  NHg 

/  I  I 

=  CO\  +  CH2.CH2.CH2.CH.COOH 

^NH2 

wobei  nach  der  Entdeckung  von  E.  Schulze  und  Winterstein 
Harnstoff  neben  Ornithin  auftritt.  Diese  Befunde  bringen  Ver- 
suche Richets^)  aus  den  90er  Jahren  wieder  in  Erinnerung,  der 
bei  Digestion  von  Leberextrakten  mit  Wasser  fermentative 
Harnstoffbildung  beobachtet  zu  haben  meinte. 

Jedoch  nicht  nur  die  fermentative  Spaltung,  sondern  auch 
die  fermentative  Synthese  von  Protaminen  ist  versucht 
worden.  Das  mit  Hilfe  von  Trypsin  aus  Salmin  erhaltene  Ver- 
dauungsgemisch wurde  unter  Zusatz  von  Arginin  und  Pankreatin 
monatelang  sich  selbst  überlassen.  Schließlich  wurde  daraus 
durch  Alkoholfällung  eine  Substanz  erhalten,  die  zwar  in  ihrer 
analjrtischen  Zusammensetzung  dem  Salmin  ähnelte,  deren 
Identität  mit  diesem  letzteren  aber  in  keiner  Weise  bewiesen  ist, 
wie  denn  überhaupt  die  Versuche  einer  fermentativen  Eiweiß- 
synthese bisher  leider  wenig  Greifbares  zutage  gefördert  haben  2). 

Von  den  interessanten  Versuchen  Kossels^)  über  Eiweiß - 
razemisierung  war  schon  früher  die  Rede.  Durch  wochen- 
lange Einwirkung  verdünnter  Natronlauge  auf  Clupein  wurde 
ein  »Clupeon«  erhalten,  das  seine  optische  Aktivität  eingebüßt 
hatte  und  bei  weiterer  totaler  Säurehydrolyse  razemisches  Arginin 
und  Ornithin  lieferte. 

Alles  in  allem  gehört  das  Gebiet  der  Protamine  zu  den  erfreu- 
licheren der  Eiweißchemie;  man  empfindet  bei  seinem  Betreten 
überall  dankbar  den  festen  Untergrund,  den  solide  Arbeit  hier 
geschaffen  hat  und  auf  dem  sich  solid  weiter  bauen  läßt. 

i)  Ch.  Riebet,  Compt.  rend.  118,   1125  (1894). 

2)  A.  E.Taylor  (Univ.  of  California),  Journ.  of  biol.  Chem.  5,  381  (1908). 

3)  A.  Kossei  und  F.  Weiß,  Z.  f.  physiol.  Chemie  60,  311  (1908). 


V.  Vorlesung, 
Polypeptide. 

Ältere      Ver-        Sowohl  für  junge  Menschen  als  auch  für  junge  Wissenschaften 

these  ^"^weiß-  S^'^ören   Ideale   zu   den   notwendigen   und  gesunden  Lebensele- 

artiger     Sub-  menten,  da  ihnen  die  Fähigkeit  innewohnt,  latente  Kräfte  zu  mo- 

stanzen.      bilisieren  und  nützlichen  Zielen  dienstbar  zu  machen,  wenn  auch 

die  Unerreichbarkeit  strenge  genommen  zum  Begriffe  eines  Ideales 

mit  dazu  gehört. 

Ein  solches  Ideal  unserer  Wissenschaft,  der  man,  da  sie  vor 
einigen  Menschenaltern  noch  gar  nicht  existiert  hat,  das  Attribut 
der  Jugend  schwerlich  vorenthalten  kann,  ist  die  Eiweißsyn- 
these. Der  künstliche  Aufbau  jener  unendlich  komplizierten 
Substanzen,  die,  wenn  wir  ihnen  auch  das  Leben  selbst  nicht 
länger  zusprechen  dürfen,  doch  das  Substrat  alles  Lebenden 
bilden,  galt  von  jeher  mit  Recht  als  eines  der  höchsten  Ziele 
der  Biochemie. 

Die  ersten  Versuche  einer  Eiweißsynthese  beginnen  mit  den 
Arbeiten  von  Grimmaux  über  die  Entstehung  kolloidaler  Biuret- 
körper  beim  Zusammenschmelzen  von  Harnstoff  und  Aspara- 
ginsäureanhydrid.  Später  hat  Schützenberger^)  verschiedene 
•  Aminosäuren  mit  Harnstoff  eingetrocknet  und  sodann  mit 
einem  wasserentziehenden  Kondensationsmittel,  dem  Phosphor- 
säureanhydrid, erhitzt.  Er  erhielt  so  ein  »Pseudopepton«, 
d.  h.  eine  kolloidale  Substanz,  welche  durch  Alkaloidreagentien 
fällbar  war  und  die  Biuretreaktion  ebenso  wie  die  Mülonsche 
Reaktion  gab. 

Während  die  letztgenannten  Versuche  wenig  Beachtung  ge- 
funden   hatten,    erregte    wenige    Jahre    später    eine    Mitteilung 

i)  P.  Schützenberger,  Compt.  rend.  112,   198  (1892). 


Polypeptide.  gj 


Lilienfelds  ^)  in  der  Berliner  ph)^iologischen  Gesellschaft, 
trotzdem  sie  Schützenherger  gegenüber  kaum  einen  wesent- 
lichen Fortschritt  bedeutete,  ein  geradezu  ungeheures  Aufsehen. 
Die  Älteren  unter  Ihnen  dürften  sich  noch  sehr  wohl  daran  er- 
innern, welche  Hoffnungen  damals  an  diese  vermeintliche  Ent- 
deckung geknüpft  worden  sind  und  wie  auch  die  nichtwissen- 
schaftliche Tagespresse  die  einschlägigen  Fragen  eifrig  von  dem" 
Gesichtspunkte  aus  erörtert  hat,  welche  große  soziale  Umgestal- 
tungen das  Leben  auf  Erden  wohl  bald  erfahren  werde,  wenn  man 
sein  wichtigstes  Substrat,  das  Eiweiß,  fortan  in  den  chemischen 
Fabriken  zu  bilUgen  Preisen  herstellen  könne. 

Lilienfeld  hat  nun  in  WirkUchkeit  folgendes  beobachtet: 
Beim  Erwärmen  von  GlykokoUäthylester  mit  wasserentziehenden 
Mitteln  tritt  eine  »Biuretbase«  auf,  welche  seinerzeit  von  Curliu.% 
beschrieben  worden  ist.  Wurden  nun  Ester  des  Leucins,  des 
Tyrosins,  der  Asparaginsäure  usw.  mit  dieser  Base  kondensiert, 
so  entstanden  »pep tonartige  Stoffe«;  wurde  überdies  noch 
Formaldehyd  in  den  Kondensationsprozeß  mit  einbezogen,  so 
traten  gar  Produkte  auf,  die  mit  dem  »nativem  Eiweiß  Ähnlich- 
keit aufwiesen. 

Diese  Beobachtungen  verlieren  für  uns  alles  Verblüffende, 
wenn  wir  uns  klar  machen,  wie  wenig  ein  solches  Zusammen- 
treffen von  qualitativen  Eiweißreaktionen  eigentlich  zu  bedeuten 
hat.  Ein  Teil  derselben,  wie  z.  B.  die  Aussalzbarkeit ,  gehört 
zu  den  allgemeinen  Eigenschaften  kolloidaler  Substanzen,  ein 
weiterer  Teil,  die  »Alkaloidreaktionen«,  zu  den  allgemeinen  Eigen- 
schaften basischer  Stoffe,  und  daß  ein  Produkt,  das  die  Curtius- 
sehe  Biuretbase,  sowie  Tyrosin  enthält,  die  für  Eiweißkörper 
J> charakteristische«  Biuretreaktion  und  die  Millonsche  Reaktion 
gibt,  ist  auch  nicht  sonderlich  wunderbar. 

Daß  wir  auf  diesem  und  auf  ähnlichen  Wegen  zu  wirkUchem 
echten  Eiweiß  gelangen  könnten,  ist  wohl  nicht  viel  wahrschein- 
licher, als  wenn  jemand  einen  Haufen  Lettern  in  einem  Sacke 
durcheinander  mischen,  sodann  auf  den  Tisch  ausschütten  und 
nun  hoffen  möchte,  daß  dieselben  sich  zu  einem  schönen  Gedichte 
gruppieren  würden.    Wir  können  auch  Emil  Fischer  nicht  Un- 

i)  L.  Lilienfeld,  Arch.  f.  (An.  u.)  Physiol.   1894.    383. 

V.  Fürth,  Probleme.  7 


98  V.  Vorlesung. 


recht  geben,  der  die  Bedeutung  derartiger  Synthesen  folgender- 
maßen charakterisiert:  »Wenn  es  heute  durch  einen  Zufall  mit 
Hilfe  einer  brutalen  Reaktion,  z.  B.  durch  Zusammenschmelzen 
von  Aminosäuren  in  Gegenwart  eines  wasserentziehenden  Mittels, 
gelingen  sollte,  ein  echtes  Protein  herzustellen,  und  wenn  es 
weiter,  was  noch  imwahrscheinlicher  ist,  möglich  wäre,  das  künst- 
liche Produkt  mit  einem  natürlichen  Körper  zu  identifizieren, 
so  würde  damit  für  die  Chemie  der  Eiweißstoffe  wenig  und  für 
die  Biologie  so  gut  wie  gar  nichts  erreicht  sein.  Eine  derartige 
Synthese  möchte  ich  einem  Reisenden  vergleichen,  der  im  Schnell- 
zuge ein  Land  durcheilt  und  hinterher  kaum  etwas  darüber  be- 
richten kann.  Ganz  anders  gestaltet  sich  die  Lage,  wenn  die 
S5mthese  gezwungen  ist,  schrittweise  vorzugehen  und  das  Molekül 
Stufe  für  Stufe  aufzubauen  .  .  .  Dann  gleicht  sie  dem  Fußgänger, 
der  Schritt  für  Schritt  mit  gespannter  Aufmerksamkeit  sich  den 
Weg  sucht,  der  viele  Wege  erproben  muß,  bis  er  den  rechten 
gefunden  hat.  Der  lernt  auf  seiner  langen,  mühsamen  Wanderung 
nicht  allein  die  Geographie  und  Topographie  des  Landes  gründ- 
lich kennen,  sondern  wird  auch  mit  der  Sprache  und  Kultur 
seiner  Bewohner  vertraut.  Wenn  er  schließlich  sein  Ziel  erreicht 
hat,  so  ist  er  imstande,  sich  in  jedem  Winkel  des  Landes  zurecht- 
zufinden, und,  wenn  er  ein  Buch  darüber  schreibt,  so  wird  dies 
anderen  Leuten  auch  möglich  sein.« 

Heute  sind  alle  diese  ersten  planlosen  Versuche  verschollen 
und  vergessen,  seitdem,  ausgehend  von  der  durch  Franz  Hof- 
meister und  Emil  Fischer  begründeten  Erkenntnis  eines  poly- 
peptidartigen  Aufbaues  der  Eiweißkörper,  der  letztge- 
nannte das  Werk  in  Angriff  genommen  hat,  die  verschiedensten 
Aminosäuren  zu  immer  längeren  und  längeren  Ketten  aneinander 
zu  schweißen  und  so  ein  blindtastendes  Probieren  durch  syste- 
matische und  zielbewußte  Arbeit  zu  ersetzen  i). 

i)  Vgl.  F.  N.  Schulz,  Allg.  Chemie  der  Eiweißstoffe.  Stuttgart,  Verl. 
V.  F.  Enke.    1907.    ^^6  ü. 

Literatur  über  Synthese  von  Polypeptiden:  E.  Fischer,  Unter- 
suchungen über  Aminosäuren,  Polypeptide  und  Proteine  (1890 — 1906). 
Berlin,  Verlag  von  J.  Springer.  1906.  770  Seiten.  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  39, 
530  (1905).  E.  Abderhalden,  Handb.  d.  Biochemie  1,  407 — 429  (1909) 
und  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie,    247 — 258.     2.  Aufl.    1909.    K.  Raske, 


Polypeptide.  gg 


Der  erste  Schritt  in  dieser  Richtung  war  die  Synthese  von  Synthese    von 

CH2.NH2  Dipepüden. 

Dipeptiden.     Der  Äthylester   des  Glykokolls   •  ^^,^  „      geht 

beim  Stehen  in  wässeriger  Lösung  leicht  in  ein  ringförmiges 
Anhydrid  oder  Diketopiperazin  über,  das  sich  durch  Auf- 
spaltung mit  Alkali  in  Glycylglycin  umwandelt: 


yCH.2CO;0{C2H5) 
H:NH  /NH    H 


/CH2 — CO\j( 

NH^'  >-">NH 


(CgH  5)0  ;CO-CH  8  \CO CH 2/ 

NH2.CH2.CO       -    NH.CH2.COOH 
Glycyl- Glycin. 

Nun  kann  man  ja  alle  a- Aminosäuren  vom  Gly kokoll  ableiten, 

R 

CH2.NH2         -    — >      CH.NH2,    indem    man    ein    H    durch    ein 

COOK  COOH 

entsprechend  gewähltes  Radikal  ersetzt.  So  kann  man  auf 
dem  Umwege  über  die  Anhydride  verschiedene  Dipeptide,  wie 
z.B.  Alanylalanin,  Leucylleucin,  gewinnen: 

R 

Die  wichtigste   Methode   zur  Darstellung  von   Pol3rpeptiden  KupP^^ung  »"»* 
ist  jedoch  gegenwärtig  die   Kuppelung  von  Aminosäuren  Verbindungen, 
und  von   Polypeptiden    mit   Halogenacylverbindungen 
und  nachträglicher  Ersatz  des  Halogens  durch  die  Amino- 
gruppe  mit  Hilfe  von  Ammoniak:  z.  B. 

Cl.CH2.COCl + NH  2.CH2.COOH = CI.CH2.CO-NH.CH2.COOH + HCl 
Choracetyl-  Glycin  Chloracetyl-glycin 

Chlorid 

CLCH2.CO-NH.CH2.COOH+2NH3=NH2.CH2.CO-NH.CH2.COOH+NH4Cl 
Choracetylglycin  Glycyl-glycin. 

Man  ist  mit  Hilfe  dieses  Kunstgriffes  zum  Beispiel  in  der  Lage, 
Alanin  in  Form  der  Verbindung  CH3 — CHBr — COCl,  des  Brom- 
propionylchlorids,  oder  Leucin  in  Form  des  a-Bromisokapronyl- 


Biochem.  Handlexikon  4,  I,  211 — 352  (1910).  P.  Blumberg,  Handb.  d. 
Methoden  d.  organ.  Chemie,  hrsg.  von  Th.  Weyl,  2,  8.  Lief.  S.  919 — 925 
(1910). 

7* 


100  V.  Vorlesung. 

Chlorids  ^^»>CH-CH2-CHBr-Coa,  oder  Phenylalanin  in  Form 

des  Phenyl-a-brompropionylchlorids  CeH5.CH2.CHBr.COCl  mit 
einer  Aminosäure  oder  einem   Polypeptide  zu  verkuppeln. 

Will  man  also  z.  B.  ein  Leucylglycin  darstellen,  so  wird  Glyko- 
koU  in  verdünnter  Natronlauge  gelöst  und  unter  Schütteln  por- 
tionenweise mit  a-Bromisokapronylchlorid  versetzt.  Bei  Zugabe 
von  Salzsäure  scheidet  sich  das  bromhaltige  Paarungsprodukt 
in  öliger  Form  ab,  um,  aus  ätherischer  Lösung  mit  Petroläther 
umgefällt,  bald  kristallinisch  zu  erstarren.  Durch  Behandlung 
dieses  Bromkörpers  mit  wässerigem  Ammoniak  wird  derselbe  in 
Leucylglcyin  übergeführt. 

Läßt  man  das  a-Bromisokapronylchlorid  etwa  auf  ein  Dipeptid 
einwirken,  so  wird  man  zu  einem  Tripeptide  gelangen:  z.B. 

^^'»VH-CHa-CHBr-COa  +  NH2.CH2.CO-NH.CH2.COO(C2H5)  ^ 

nach  Ammoniakbehandlung  und  Verseifung  des  Esters: 

^g3\CH.CH2CH(NH2).Ca-NH.CH2.CO-NH.CH2.COOH. 

Polypeptid-  Einen   wichtigen   Fortschritt   bedeutet   weiterhin   die    Über- 

synthese   mit-      .j  j       oi''i'j./^i_i       -jj         A 

teis  chlorierter  wmdung  der  Schwierigkeit,  Chloride  der  Aminosäuren  vom 

Aminosäuren.  R 

T}^us   CH.NHg  herzustellen,  da  dadurch  die  Möglichkeit  gegeben 

COCl 
ist,  Aminosäuren  direkt  miteinander  zu  verkuppeln. 

Wird   z.  B.   Leucin   mit   Acetylchlorid   und    Phosphorpenta- 

chlorid  mehrere  Stunden  lang  geschüttelt,  so  wandelt  sich  die 

Aminosäure  in  das  salzsaure  Leucylchlorid  cHa/^^-^^s-CH-COCl 

NH2.HCI 
um,  das  die  Flüssigkeit  als  Kristallbrei  erfüllt. 

Wie  man  etwa  vorgeht,  wenn  es  sich  darum  handelt,  eine 
Polypeptidsynthese  mittels  des  Chlorids  einer  Aminosäure  zu  voll- 
ziehen, mag  Ihnen  folgendes  Beispiel  illustrieren: 

Es  soll  die  Synthese  des  d-Alanyl-glycins  bewerkstelligt 
werden : 

CHs.CH.COCl  +  NH2.CH2.COOH  =  HCl  +  CH3.CH.CO-XH.CH2.COOH. 

I 
NH2  NH2 

Zu  diesem  Zwecke  wird  salzsaures  Alanylchlorid,  das  in  der 
angedeuteten  Weise  (mittels  Acetylchlorid  und  Phosphorpenta- 


Polypeptide.  lOI 


Chlorid)  aus  Alanin  bereitet  worden  ist,  in  die  auf  o°  abgekühlte 
Lösung  des  Glykokollesters  in  Chloroform  eingetragen.  Es  wird 
nunmehr  bei  stark  vermindertem  Drucke  eingedampft,  die  zur 
Bindung  der  Salzsäure  berechnete  Menge  Natriummethylats  ein- 
getragen und  aus  dem  Filtrate  vom  abgeschiedenen  Kochsalz 
das  Kondensationsprodukt  als  öl  erhalten.  Schließlich  wird 
noch  durch  verdünnte  Lauge  das  veresterte  Karboxyl  verseift 
und  das  d-Alanyl-glycin  so  in  kristallinischer  Form  erhalten^). 

Ein  ganz  anderes  Prinzip  der  Verkettung  von  Aminosäuren,    Verkettung 
das  zwar  für  die  Polypeptidsynthese  einstweilen  von  geringerer  säuren     nach 
Bedeutung  war,  jedoch  an  sich  sehr  interessant  ist,  rührt  von      Curtius. 
Curtius^)  her. 

Durch  Einwirkung  von  Hydrazin  NH2 — NH2  auf  Säurechlo- 
ride  oder   Ester   entstehen    Säurehydrazide    R.CO.NH.NH2. 

Dieselben  gehen  bei  Einwirkung  salpetriger  Säure  inSäureazide 

N 
über     R.CO.NH.KH2  +  HNO2  =  R.CON<^li  +  2H2O. 

Die  Säureazide  der  Aminosäuren  sind  nun  höchst  reaktionsfähige 
Verbindungen,  welche  sich  mit  Aminosäuren  in  alkalischer  Lösung 
unter  Abspaltung  von  Stickstoffalkali  paaren  können,  z.  B. 

X 

R.CO.N<,  II   +  NH2.CH2.COOH  +  2NaOH  =  R.CO.NH.CHg.COONa  + 
X 

+  NaXa  +  2H2O. 

Die  angeführten  Beispiele  dürften  genügen,  um  Sie  über  die  Gewinnung 
wichtigsten  Kunstgriffe,  die  bei  Zusammenfügung  der  Polypeptid-  ^Aminosäuren.^ 
ketten  in  Betracht  kommen,  einigermaßen  zu  orientieren.  Nur 
einen  wichtigen  Punkt  muß  ich  noch  kurz  berühren:  Die  Ge- 
winnung optisch-aktiver  Aminosäuren.  Das  Eiweiß- 
molekül baut  sich  hauptsächlich  aus  optisch-aktiven  Kompo- 
nenten auf,  und  solche  Bausteine,  nicht  aber  etwa  die  synthetisch 
erhaltenen  razemischen  Verbindungen,  müssen  wir  verwenden, 
wenn  wir  zu  eiweißähnlichen  Substanzen  zu  gelangen  hoffen. 

Einige  Beispiele  mögen  Ihnen  zeigen,  in  welcher  Art  das  schwie- 

i)  Vgl.  E.  Abderhalden,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.,  2, 
548  ff.  (1910). 

2)  Th.  Curtius,  Joum.  f.  prakt.  Chem.  (2)  70,  $7  f^-  (1904).  Literatur: 
Jahresber.  f.  Tierchemie  34,  12  (1904). 


102 


V.  Vorlesung. 


Waldensche 
Umkehrung. 


Synthetische 
Polypeptide. 


rige  Problem  der  Trennung  razemischer  Aminosäuren  in  ihre 
Komponenten  praktisch  gelöst  worden  ist;  (vgl.  S.  15): 

dl-Leucin  wurde  zuerst  in  eine  razemische  Benzoylverbin- 
dung  übergeführt,  daraus  das  Cinchoninsalz  dargestellt,  dieses 
durch  fraktionierte  Kristallisation  in  die  beiden  optisch-aktiven 
Komponenten  zerlegt  und  nun  erst  aus  jedem  derselben  das 
Leucin  wieder  in  Freiheit  gesetzt. 

Oder  aber  es  wurde  das  dl-Leucin  in  die  Formylverbin- 
dung  übergeführt  und  diese  durch  fraktionierte  KristaUisation 
der  Brucinsalze  getrennt. 

Ferner  hat  man  synthetisches  dl -Alanin  mit  Zucker  zu- 
sammen durch  Hefe  vergoren,  wobei  nur  die  eine  Komponente 
übrig  blieb.  Ebenso  ist  es  mit  Hilfe  dieser  von  Felix  Ehrlich^) 
mit  Erfolg  angewandten  Methode  gelungen,  andere  razemische 
Aminosäuren,  wie  Leucin,  Aminovaleriansäure,  Phenylalanin  und 
Serin,  zu  spalten,  indem  von  der  Hefe  stets  die  natürlich 
vorkommende  Komponente  in  erster  Linie  angegriffen  wird. 

Von  großer  Wichtigkeit  für  die  Polypeptidsynthese  ist  schließ- 
lich ein  eigenartiger  Kunstgriff,  der  es  gestattet,  von  einem  op- 
tischen Antipoden  zum  anderen  zu  gelangen.  Es  ist  dies  die 
sogenannte  Waldensche  Umkehrung,  welche  von  Emil 
Fischer  angewandt  worden  ist 2).  Läßt  man  z.  B.  auf  1- Alanin 
Nitrosylbromid  NOBr  einwirken,  so  wird  die  Aminogruppe  durch 
Brom  ersetzt  und  man  erhält  Brompropionsäure  CH3 — CHBr 
— COOH;  aber  nicht,  wie  man  erwarten  sollte,  1-Brompropion- 
säure,  sondern  merkwürdigerweise  d-Brompropionsäure,  aus  der 
man  dann  durch  Ammoniak  zum  d- Alanin  gelangen  kann.  Man 
kann  auch  die  d-Brompropionsäure  zunächst  durch  Thionyl- 
chlorid  in  das  reaktionsfähige  Säurechlorid  umwandeln,  dieses 
mit  einer  anderen  Aminosäure  kuppeln  und  dann  erst  die  Amino- 
säure durch  Ammoniak  regenerieren. 

In  planvoller  und  zielbewußter  x\rbeit  ließ  nun  Emil  Fischer 
in  seiner  vortrefflich  ausgestatteten  Wissenschaft  liehen  Werkstätte 
von  einer  Schar  gut  ausgebildeter  Mitarbeiter  und  Schüler  die 
langen  Polypeptidketten  schmieden.    Zuerst  kamen  als  Glieder 


i)  F.  Ehrlich,  Biochem.  Z.  1,  8  (1906);  8,  438  (190«). 
2)  E.  Fischer,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  40,  489  (1907). 


Poljrpeptide.  103 


die  einfachsten  und  am  bequemsten  zugänglichen  Aminosäuren 
daran,  wie  das  Glykokoll,  Alanin,  Leucin  und  Tyrosin; 
dann  kamen  unter  tätiger  Mitwirkung  Abderhaldens  aber  auch 
die  komplizierteren  oder  weniger  leicht  zugängüchen  Bausteine 
des  Proteinmoleküls  an  die  Reihe,  das  Isoleucin^),  das  Valin^), 
das  Serin^),  die  Asparaginsäure*),  das  Cystin^),  das  Phe- 
nylalanin«) das  Prolin'),  Histidin®),  Tryptophan®),  Di- 
jodtyrosin^^)  und  die  Diaminosäuren^i). 

So  wurden  denn  die  Ketten  immer  länger,  die  Kombinationen 
immer  mannigfaltiger.  Wer  sich  von  dem  Umfange  der  hier 
geleisteten  Arbeit  einen  richtigen  Eindruck  verschaffen  will,  die 
in  ihrer  Planmäßigkeit  und  Eigenart  in  der  Geschichte  der  che- 
mischen Wissenschaft  wohl  ihresgleichen  sucht,  schlage  den 
Artikel  über  Polypeptide  in  dem  neuen  biochemischen  Hand- 
lexikon auf^2j^  welches  unsere  Wissenschaft  Abderhaldens  her- 
vorragendem Organisationstalente  verdankt.  Da  kann  ein  jeder 
bequem  Heerschau  halten  und  die  ganze  Armee  an  sich  vorbei- 
defilieren lassen. 

Wenn  nun  der  Chemiker  seine  Freude  gehabt  hat,  darf  dann 

i)  E.  Abderhalden  und  P.  Hirsch,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  43,  2435 
(1910).     Dieselben  und  J.  Schüler,  ibid.  42,  3394  (1908). 

2)  E.  Fischer  und  H.  Scheibler,  Ann.  d.  Chemie  363,  136  (1908). 

3)  E.  Fischer  und  H.  Roesner,  Ann.  d.  Chemie  375,  199  (1910). 

4)  E.  Fischer  und  A.  Fiedler,  Ann.  d.  Chemie  375,  181  (1910). 
E.  Fischer  und  E.  Königs,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  40,  2048  (1907). 

5)  E.  Fischer,    U.  Sususki  und  O.  Gerngroß,    Ber.  d.  d.  ehem. 

Ges.  37,  4575  (1904);  *2,  485  (19^9)- 

6)  E.  Fischer  und  A.  Luniak,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  42,  4752  (1909). 
E.  Fischer  und  W.  Schoeller,  Ann.  d.  Chemie  357,  i. 

7)  E.  Fischer  und  G.  Reif,  Ann.  d.  Chemie  363,  118  (1908). 

8)  E.  Fischer  und  L.  H.  Cone,  Ann.  d.  Chemie  363,  107  ff.  (1908). 
E.  Abderhalden  und  Kempe,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  40,  2738  (1907). 

9)  E.  Abderhalden,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  42,  2331  (1909).  H. 
Fischer,  ibid.  42,  4320  (1909). 

10)  E.  Abderhalden  und  M.  Guggenheim,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges. 
41,  2852  (1908). 

11)  E.  Fischer  und  Sususki,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  38,  4173  (1905) 
und   Sitzungsber.  d.  preuß.  Akad.  8.  Dezember  1904. 

12)  K.  Raske,  Polypeptide,  Biochem.  Handlexikon,  4,  i  211 — 352 
(1910). 


104 


V.  Vorlesung. 


Oktadeka- 
peptid. 


aber  auch  der  Biologe  wieder  zum  Worte  kommen  und  fragen, 
ob  man  denn  auch  wirklich,  nach  Maßgabe  als  die  Polypeptid- 
ketten in  die  Länge  gewachsen  sind,  sich  Körpern  von  eiweiß- 
ähnlichen Eigenschaften  genähert  hat. 

Man  ist  jetzt  schon  glücklich  bei  einem  Oktadekapeptide 
angelangt,  also  bei  einer  Kette  von  i8  Gliedern.  Es  ist  dies  ein 
Leucyl  -  triglycyl  -  leucyl-triglycyl  -  leucyl  -  oktaglycyl- 
Glicin,  also: 

Leucin(Glycin)3-Leucin(Glycin)3-Leucin(Glycin)9 ,  d.  h.  eine 
Glycylglycinkette,  in  die  an  drei  Stellen  Leucinmoleküle  eingefügt 
sind.  Das  Molekulargewicht  dieser  Verbindung  beträgt  über 
1200,  fällt  sonach  bereits  in  die  den  Albumosen  gewöhnlich  zu- 
geteilte Größenordnung.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  diese 
Substanz  einer  Albumose  ähnlich  ist.  Sie  bildet  ein  farbloses 
Pulver,  das  selbst  nach  scharfem  Trocknen  im  Vakuum  noch  be- 
harrhch  Wasser  zurückhält.  Während  die  einfachen  Polypeptide 
gut  kristallisieren,  ist  bei  diesem  hochmolekularen  Produkte  seine 
Unkristallisierbarkeit  auffallend.  Es  ist  löslich  in  Wasser, 
und  die  Lösung  schäumt  selbst  in  starker  Verdünnung.  Sie 
ist  fällbar  durch  Tannin  und  Phosphorwolframsäure.  Die 
letztere  Fällung  zeigt  das  für  Albumosen  charakteristische  Ver- 
halten der  Lösung  in  derWärme  und  des  Wiederausfallens  in 
der  Kälte.  Die  Peptidlösung  ist  durch  Ammonsulfat  aussalz- 
bar; sie  besitzt,  im  Gegensatze  zum  süßen  Geschmacke  ihres 
Hauptbestandteiles,  des  Glycins,  den  für  Peptone  charakteristi- 
schen bitteren  Geschmack;  sie  gibt,  wie  überhaupt  die  höheren 
Polypeptide  es  zu  tun  pflegen,  die  Biuretreaktion  und  ist 
durch  Säurehydrolyse  sowie  durch  Trypsin  spaltbar.  Was  will 
man  also  eigentlich  noch  mehr?  E.  Fischer  sagt  mit  Recht, 
daß  man,  wenn  man  einem  derartigen  Produkte  in  der  Natur 
begegnete,  man  wohl  keine  Bedenken  tragen  würde,  dasselbe  als 
Protein  anzusprechen. 
Auffindung  jjjg    Annahme,    daß    die    Aminosäuren    im    Proteinmoleküle 

tiden      unter  säureamidartig  miteinander  verkettet  sind,  hat  durch  die  Auf- 
den     Eiweiß-  findung  von  Polypeptiden  unter  den  Eiweißspaltungs- 
produicten.     produkten  eine  glänzende  Bestätigung  erfahren. 


i)  E.  Frischer,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  40,   1754  (1907). 


Polypeptide.  105 


Auf  der  Karlsbader  Naturforscherversammlung  im  Jahre  1902 
machte  Emil  Fischer  die  Mitteilung,  daß  es  ihm  gemeinsam 
mit  Bergell  gelungen  sei,  aus  dem  Seidenfibroine  durch  kombi- 
nierte Hydrolyse  mit  starker  Salzsäure,  Trypsin  und  warmem 
Barytwasser  ein  kristallinisches  Dipeptid  zu  gewinnen,  das  als 
Glycylalanin  gedeutet  wurde.  Diese  Annahme  wurde  später 
von  E,  Fischer  und  Abderhalden'^)  durch  Vergleich  der  durch 
partielle  Hydrolyse  und  durch  Synthese  erhaltenen  Produkte 
sichergestellt. 

Seitdem  sind  noch  eine  Anzahl  durch  partielle  Hydrolyse  aus 
den  verschiedenen  Eiweißkörpem  gewonnene  Dipeptide  durch 
die  Untersuchungen  von  E,  Fischer,  Abderhalden,  Levene,  Osborne, 
Skraup  und  ihren  Mitarbeitern  bekannt  geworden ;  diese  Dipep- 
tide enthalten  Glycin,  Alanin,  Valin,  Leucin,  Glutaminsäure, 
Tyrosin  und  Prolin  in  verschiedenen  Kombinationen^). 

Zur  Darstellung  derartiger  Dipeptide^)  aus  dem  Ge- 
menge der  Eiweißspaltungsprodukte  empfiehlt  es  sich,  die  Eiweiß- 
körper nicht  mit  Säure  zu  kochen;  dieselben  werden  vielmehr 
der  langdauernden  Einwirkung  starker  Mineralsäuren  bei  Zimmer- 
temperatur oder  höchstens  bei  Brutofentemperatur  ausgesetzt. 
Die  Schwefelsäure  wird  mit  Baryt,  bzw.  die  Salzsäure  mit  Kupfer- 
oxydul entfernt  und  sodann  eine  Trennung  hochmolekularer  und 
einfacherer,  nicht  basischer  Spaltungsprodukte  durch  Phos- 
phorwolframsäure bewerkstelligt.  Eine  weitere  Trennung  wird 
mit  Hilfe  der  Veresterungsmethode  durchgeführt,  wobei  gas- 
förmige Salzsäure  unter  Kühlung  eingeleitet,  das  Estergemenge 
aus  den  Chlorhydraten  durch  das  berechnete  Quantum  Natrium 

i)  E.Fischer  und  Abderhalden,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  89,752  (1906). 

2)  E.Fischer  und  E.  Abderhalden,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  39,  752, 
2315  (1906);  40,  3544  (1907).  E.  Abderhalden,  Z.  f.  physiol.  Chemie 
68,"  401  (1909).  E.  Abderhalden  und  C.  Funk,  ibid.  62,  315  (1909); 
64,  436  (1910).  P.  A.  Levene  und  W.  A.  Beatty,  Journ.  of  experim. 
Med.  8,  461  (1906)  und  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  89,  2060  (1906).  P.  A.  Levene 
und  G.  B.  Wallace,  Z.  f.  physiol.  Chemie  47,  143  (1906).  Th.  B.  Osborne 
und  S.  H.  Clapp,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  18,  123  (1907).  Zd.  H.  Skraup, 
Monatsh.  f.  Chemie  29,  791  (1908).  P.  A.  Levene,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges. 
48|  3168  (1910). 

3)  Vgl.  E.  Abderhalden,  Handb.  d.  Biochemie  1,  430  (1909)  und 
Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmethoden  2,  529 — 534  (1910). 


I06  V.  Vorlesung. 


in  Freiheit  gesetzt  und  die  Destillation  bei  niederem  Drucke  und 
einer  40*^  nicht  übersteigenden  Temperatur  durchgeführt  wird. 
Dabei  gehen  die  Ester  der  Monoaminosäuren  teilweise  über,  wäh- 
rend kompliziertere  Spaltungsprodukte  und  höher  siedende  Amino- 
säureester im  Rückstande  bleiben.  Die  letzteren  werden  noch 
durch  Ausschütteln  mit  Äther  entfernt  und  der  ungelöste  Rück- 
stand schließlich  in  Alkohol  aufgenommen.  Beim  Stehen  der 
alkoholischen  Lösung  können  aus  Dipeptidestem  entstandene  An- 
hydride sich  kristaUinisch   abscheiden.     So  wird  beispielsweise 

XH2.CTT2.CO-NH.CH.COOH 
ein  Glvcvlalanin  in  Form  des  Anhydri- 

^  ^  CH3  ^ 

des  zum  Vorschein  kommen:  '^^       V" 


CH 


3 


Hat  man  einmal  festgestellt,  aus  welchen  Komponenten  sich 
ein  gegebenes  Polypeptid  aufbaut,  so  ist  seine  chemische  Natur 
damit  noch  lange  nicht  festgestellt.  Es  ergeben  sich  dann  noch 
in  der  Regel  mehr  oder  minder  zahlreiche  Isomeriemöghchkeiten. 
Nehmen  wir  z.  B.  nur  den  einfachen  Fall  eines  Dipeptides,  das 
Anwendung  bei  seiner  Hydrolyse  in  Alanin  und  Glycin  zerfällt,  so  ergeben 
desNaphthahn-  ^j^j^  j^j.  ^j^^  solches,  von  sterischen  Konfigurationen  ganz  abge- 

zur  charakte-  sehen,  ohne  weiteres  zwei  Möglichkeiten:  Es  kann  sich  um  ein 

risierung     von  NHg.CHj.CO-NH.CH.COOH 

Polypeptiden.  Glycylalanin  I  oder    aber     um    ein 

NH2.CH.CO-NH.CH2.COOH 
Alanyl-Glycin  i,  handeln.    Die  einfache 

CH3 

Analyse  kann  da  keine  Entscheidung  bringen.  Emil  Fischer 
hat  in  einem  solchen  Falle  einen  scharfsinnigen  Kunstgriff  in  An- 
wendung gebracht.  Bekanntlich  besitzt  das  Naphthalinsul- 
fochlorid  das  Vermögen,  mit  freien  NH2-Gruppen  unter  Bil- 
dung schwerlöslicher,  haltbarer  Verbindungen  zu  reagieren.  Ein 
Glycylalanin  wird  mit    ß-Naphthalinsulfochlorid  die  Verbindung 

(C,oH,.S02)NH.CH2.CO-XH.CH.COOH 

I  geben.  Wird  diese  mit  maßig 

CH3 

verdünnter  Salzsäure  erhitzt,  so  werden  die  beiden  Glieder  der 
Polypeptidkette  auseinandergerissen.  Die  Verbindung  zwiS|Chen 
Naphthalinsulfogruppe  und  Aminosäure  dagegen  bleibt  erhalten, 


Pol5^peptide.  107 


und  bei  näherer  Untersuchung  der  Spaltungsprodukte  kommt  ein 
ß-Naphthalinsulfoglycin(CioH7S02)NH.CH2.COOH  zum  Vor- 
schein.    Hätte   es    sich  dagegen  um   eine  Alanylglycin   gehan- 

(C 1  oH  7S02)NH.CH.COOH 

delt,  so  wäre  ein  ß-Naphthalinsulfoalanin  1 

CH3 

zutage  getreten.  Abderhalden  und  C.Funk^)  haben  die  Brauch- 
barkeit dieser  Methode  am  Beispiele  eines  Tripcptides,  des 
Glycylalanyltyrosins,  dargelegt. 

Die  Bemühungen,  durch  partielle  Hydrolyse  von  Proteinen  Tripeptide. 
zu  höher  zusammengesetzten  Polypeptiden  zu  gelangen,  haben 
auch  bereits  einige  Erfolge  gezeitigt.  So  erhielt  Abderhalden^) 
durch  vorsichtige  Spaltung  von  Edestin  mit  70  proz.  Schwefel- 
säure und  nachherige  Fraktionierung  unter  Anwendung  von 
Phosphorwolframsäure,  Quecksibersulfat  und  Silbernitrat  ein 
amorphes  Tripeptid,  das  aus  Leucin,  Glutaminsäure  und  Trypto- 
phan bestand.  Aus  Schafwolle  wurde  ein  Peptid  erhalten, 
das  bei  der  Spaltung  Glutaminsäure,  Cystin  und  Tyrosin  lieferte, 
aus  Seide  ein  Alanylglycyltyrosin  usw. 

Von  besonderem  Interesse  ist  ein  Tetrapeptid,  das  E.  Tetrapcptid. 
Fischer  und  Abderhalden^)  aus  Seidenfibroin  in  der  Kälte 
durch  fraktionierte  Fällung  mit  Phosphorwolframsäure  und  Al- 
kohol dargestellt  haben.  Dasselbe  ist  ein  amorpher  Biuretkörper, 
der  in  Wasser  leichtlöslich,  mit  Alkohol  fäUbar  ist,  von  gesättigter 
Ammonsulfatlösung  in  dicken  Flocken  ausgesalzen  wird.  Auch 
Tannin,  ebenso  wie  Salpetersäure  in  salzreicher  Lösung  vermag 
ihn  zu  fällen.  .  Er  trägt  sonach  durchaus  den  Charakter  einer 
Albumose,  trotzdem  sein  Molekül  nur  aus  wenigen  Komponenten 
aufgebaut  ist.  Es  besteht  aus  je  zwei  Molekülen  Gly kokoll, 
einem  Molekül  d-Alanin  und  einem  Molekül  1-Tyrosin.  Es  gelang 
weiterhin,  das  Tetrapeptid  in  zwei  Dipeptide  aufzulösen,  von 
denen  das  eine  aus  Glykokoll  und  Alanin,  das  andere  aus  GlykokoU 
und  Tyrosin  aufgebaut  ist;  auch  wurde  mit  Hilfe  der  Naphthahn- 
sulfo-Methode  festgestellt,  daß  sich  das  Glykokoll  am  Anfange 
der  Kette  befindet.     Damit  ist  aber  noch  lange  nicht  alles  ge- 

i)  E.  Abderhalden  und  C.  Funk,  Z.  f.  physiol.  Chemie  46,  436  (1910). 

2)  E.  Abderhalden,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  373  (1909);  72,  i  (191 1). 

3)  E.  Fischer  und  E.  Abderhalden,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  40,  3544 
(1907).     E.  Fischer,  ibid.  41,  850  (1908). 


Io8  V.  Vorlesung. 


schehen.  Die  Zahl  der  durch  Stellungsisomerie  bedingten  Mög- 
lichkeiten ist  noch  immer  eine  große,  und  nicht  weniger  als  acht 
strukturisomere  Tetrapeptide  kommen  noch  in  Betracht.  Da 
hilft  nun  die  Analyse  nicht  mehr  weiter  und  die  Synthese  tritt 
in  ihre  Rechte.  Es  wird  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  alle 
acht  möglichen  Tetrapeptide  synthetisch  aufzubauen  und  nach- 
her zu  vergleichen,  welches  von  denselben  mit  dem  aus  dem 
Proteine  gewonnenen  Polypeptid  identisch  sei^).  Das  ist  nun 
freilich  leicht  gesagt.  Wissen  Sie  aber  auch,  welche  Summe  von 
Mühe  und  Arbeit  nur  dieses  einzige,  relativ  einfache  Problem  in 
praxi  bedeutet? 

Gestatten  Sie  mir,  hier  Abderhaldens  eigene  Worte  zu 
wiederholen:  »Wir  blicken  in  ein  unermeßlich  großes,  noch  ganz 
unbekanntes  Land.  Wir  sehen  einen  ganz  klaren  Weg  vorge- 
zeichnet, die  zahlreichen  Rätsel,  die  das  Eiweißproblem  noch  in 
sich  birgt,  zu  lösen.  Dieser  Weg  ist  unzweifelhaft  sehr  mühsam. 
Eine  Unsumme  von  Arbeit  und  Zeit  wird  notwendig  sein,  um 
auch  nur  die  ersten  Grundsteine  einer  exakten  Chemie  der  kompli- 
zierteren Eiweißprodukte  zu  legen,  Stufe  um  Stufe  muß  erklommen 
werden,  jahrelange  Arbeit,  ein  gewaltiges  Maß  an  Geduld  und 
Ausdauer  werden  notwendig  sein,  um  dem  ersehnten  Ziele  auch 
nur  nahe  zu  kommen.« 

Nun,  an  Geduld  und  Ausdauer  hat  es  —  dies  lehrt  die  Kultur- 
geschichte —  der  Menschheit  seit  den  Tagen,  da  sich  die  Pyra- 
miden aus  dem  Wüstensande  erhoben  haben,  niemals  gefehlt, 
wenngleich  sie  mit  diesen  vortrefflichen  Eigenschaften  leider 
nicht  stets  den  würdigsten  Zielen  zugestrebt  hat.  So  dürfen  wir 
denn  auch  hoffen,  daß  es  früher  oder  später  gelingen  wird,  die 
gewaltige  Summe  von  Kräften  verfügbar  zu  machen,  welche  noch 
erforderlich  sind,  um  das  Eiweißproblem  einem  gedeihlichen  Ab- 
schlüsse zuzuführen. 

i)  Vgl.  E.  Abderhalden,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie,  2.  Aufl.  1909. 
S.  258 — 261. 


VI.  Vorlesung. 
Nukleinsäuren. 

Nach  der  Betrachtung  des  chemischen  Aufbaues  der  Eiweiß- 
körper wendet  sich  unsere  Aufmerksamkeit  naturgemäß  dem 
organisierten  Zelleibe  und  seinen  Bestandteilen  zu.  Da  nimmt 
nun  zunächst  der  Zellkern  unser  Interesse  in  Anspruch,  jenes 
merkwürdige  Gebilde,  dessen  charakteristische  Formveränderungen 
die  rätselhaften  Vorgänge  der  Zellteilung  einleiten.  Welches  sind 
nun  die  chemischen  Besonderheiten,  welche  den  Zellkern  dem 
Zelleibe  gegenüber  auszeichnen? 

Dank  den  grundlegenden  Untersuchungen  von  Mieschety 
Kossei,  AÜmann  und  Schmiedeberg  wissen  wir,  daß  Sper- 
matozoenköpfe,  welche  gewissermaßen  als  isoherte  Zellkerne 
gelten  können,  der  Hauptsache  nach  aus  nukleinsauremProt-  Nukieopro- 
amin  bzw.  nukleinsaurem  Histon  bestehen.  Komplizierter 
liegen  die  Verhältnisse,  wenn  wir  die  Kernbestandteile  von 
Geweben  untersuchen.  Wir  stoßen  hier  zunächst  auf  phosphor- 
haltige  Eiweißkörper  oder  Nukleoproteide.  Wird  beispiels- 
weise ein  Wasserextrakt  aus  Thymus  mit  Essigsäure  versetzt,  so 
fällt  ein  solches  Nukleoproteid  aus.  Die  Nukleoproteide  lassen 
sich  in  einen  phosphorfreien  Eiweißanteil  und  in  eine  phosphor- 
haltige  Nukleinsäure  zerlegen.  Die  Nukleinsäuren  vermögen 
Eiweißkörper  zu  fällen,  und  die  so  erhaltenen  Niederschläge  sind, 
wie  Kossei  nachgewiesen  hat,  den  Nukleoproteiden  in  ihrem 
Verhalten  nicht  unähnlich  i). 

i)  Literatur  über  Nukleoprote'.de:  O.  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweiß- 
körper, 3.  Aufl.  S.  307 — 311.  (1911).  A.  Schittenhelm  und  K.  Brahm, 
Handb.  d.  Biochemie  1,  599 — 608  (1909).  F.  Samuel y,  Handb.  d.  biochem. 
Arbeitsmeth.  2,  449 — ^460  (1910). 


teide. 


HO  VI.  Vorlesung. 


Ich  will  nun  den  Versuch  machen,  Ihnen  klarzulegen,  was  wir 
über  den  chemischen  Aufbau  der  Nukleinsäuren  wissen 
und  was  wir  darüber  nicht  wissen.  Gehört  doch  dieses  Kapitel 
zu  den  allerschwierigsten  der  physiologischen  Chemie,  und  trotz- 
dem wir  im  Bereiche  desselben  namhafte  neuere  Fortschritte  zu 
verzeichnen  haben,  sind  wir  von  einer  Klarstellung  aller  ein- 
schlägigen Fragen  zweifellos  noch  recht  weit  entfernt. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  zuerst,  wie  wir  die  Reindar- 
stellung einer  Nukleinsäure  zu  bewerkstelligen  vermögen^). 
Darstellung  Zunächst   das   von   Kossei  und  Neumann  angewandte  Ver- 

^^^"säuren.""  fahren:  Will  man  z.  B.  die  relativ  bequem  zugängliche  Thymus- 
nukleinsäure darstellen,  so  wird  die  Thymusdrüse,  um  das  Eiweiß 
zu  koagulieren,  in  essigsäurehaltigem  Wasser  aufgekocht,  so- 
dann erst  zerkleinert  und  dann  mit  natriumazetathaltiger 
Natronlauge  heiß  extrahiert.  Dabei  geht  die  Nukleinsäure 
neben  Albuminaten  in  Lösung.  Die  letzteren  werden  durch 
Neutralisation  mit  Essigsäure  gefällt.  Aus  dem  Filtrate  wird  das 
Natriumsalz  der  Nukleinsäure  durch  Alkoholfällung  nieder- 
geschlagen und  durch  wiederholtes  Lösen  in  Wasser  und  Fällen 
mit  Alkohol  gereinigt.  Die  freie  Nukleinsäure  kann  durch  Fäl- 
lung mit  salzsäurehaltigem  Alkohol  gewonnen  werden. 

Die  größte  Schwierigkeit  bei  der  Darstellung  einer  Nukleinsäure 
besteht  in  der  vollständigen  Beseitigung  hartnäckig  anhaftender 
Eiweißreste.  Schmiedeberg  hat  diese  Schwierigkeit  bei  seinem  »Ver- 
kupferungsverfahren«  in  sinnreicher  Weise  dadurch  über- 
wunden, daß  er  die  rohe  Nukleinsäure  (z.  B.  protaminfreigemachte 
Fischspermatozoenköpf e )  mit  kaliumazetathaltiger  Kupfer- 
chloridlösung  behandelt .  Sodann  wird  mit  verdünnter  Kalilauge 
angerührt  und  die  blaue  schleimige  Masse  mit  Alkohol  versetzt. 
Dabei  fällt  die  Nukleinsäure  aus,  während  die  Eiweißreste  in  der 
überstehenden  Flüssigkeit  gelöst  bleiben  und  ihre  Anwesenheit 
durch  die  rötliche,  für  die  Biuretreaktion  charakteristische  Fär- 
bung in  deutlicher  Weise  verraten.  Lösung  und  Fällung  wird  nun 
so  lange  wiederholt,  bis  die  Biuretreaktion  völhg  verschwunden  und 
die  Beseitigung  der  letzten  Eiweißreste  vollkommen  sichergestellt 

i)  Literatur  über  Darstellung  von  Nukleinsäuren:  A.  Steudel,  Handb. 
d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  570 — 609  (1910). 


Nukleinsäuren .  III 


ist.     Aus  dem  schließlich  erhaltenen  Kupfersalze  der  Nuklein- 
säure kann  diese  durch  Salzsäure  in  Freiheit  gesetzt  werden^). 

Levene^)  wiederum,  der  sich  ebenfalls  um  die  Ausbildung 
der  Methodik  auf  diesem  Gebiete  sehr  verdient  gemacht  hat, 
verwendet  die  Pikrinsäure,  um  Nukleinsäuren  und  Eiweiß- 
stoffe voneinander  zu  trennen.  So  wurde  beispielsweise  Kabljau- 
sperma,  nachdem  es  zur  Beseitigung  der  basischen  Protamine 
mit  Schwefelsäiu"e  vorbehandelt  worden  war,  mit  Ammoniak 
extrahiert  und  der  mit  Essigsäure  angesäuerte  Auszug  sodann 
zur  Beseitigung  der  Eiweißkörper  mit  Pikrinsäure  gefällt.  Aus 
dem  Filtrate  letzterer  Fällung  wurde  die  Nukleinsäure  mit  Alkohol 
niedergeschlagen . 

Die  einzelnen  Methoden  können  auch  zweckmäßigerweise  mit- 
einander kombiniert  werden.  So  ist  Wilhelm  Löbisch^)  der 
Schwierigkeiten,  welche  die  Reindarstellung  der  Nukleinsäure  aus 
der  Milchdrüse  bot,  dadurch  Herr  geworden,  daß  er  die  Schmiede- 
bergsche  Methode  einerseits  mit  derjenigen  von  Levene,  an- 
dererseits aber  mit  der  von  Neumann  kombinierte. 

Wir  werden  uns  in  dem  komplizierten  Aufbau  der  Nuklein- 
säiu*en  am  schnellsten  zurechtfinden,  wenn  wir  zunächst  die  Hydrolytische 
Spaltungsprodukte*)  betrachten,  in  welche  dieselben  bei  ener- 
gischer Hydrolyse  zerfallen,  und  uns  erst  dann  darüber  klar  zu 
werden  versuchen,  wie  diese  Komponenten  sich  zusammenfügen, 
um  das  große  Nukleinsäuremolekül  aufzubauen. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  also  zunächst  die  Tatsache,  daß  die 
echten    Nukleinsäuren   bei   ihrer   hydrolytischen    Spaltung   vier 

i)  O.  Schmiedeberg,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  43,  58  (1900);  57, 
310  (1907),  vgl.  auch:  L.  Herlant,  ibid.  44,  148  (1900).  C.  L.  Aisberg, 
ibid.  51,  239  (1904).     W.  F.  Boos,  ibid.  55,  16  (1906). 

2)  P.  A.  Levene,  Z.  f.  physiol.  Chemie  32,  541  (1901);  37,  402  (1902/3); 

38,  80  (1903);  39,  4  (1903)- 

3)  W.  Löbisch  jun.  (Wiener  physiol.  Institut),  Hofmeisters  Beitr.  8, 
194  (1906). 

4)  Literatur  über  Spaltungsprodukte  der  Nukleinsäure:  O.  Cohnheim, 
Chemie  der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  191 1.  S.  294 — 306,  312 — 319.  H.  Steu- 
del,  Biochem.  Zentralbl.  6,  125  (1907).  R.  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol. 
3,  I,  72 — 106  (1904);  5,  782 — 803  (1906).  E.  Abderhalden,  Lehrb.  d. 
physiol.  Chemie,  2.  Aufl.  1909.  S.  370 — 388  (1909).  A.  Schittenhelm 
und  K.  Brahm,  Handb.  d.  Biochemie  1,  608 — 646  (1909). 


112  VI.  Vorlesung. 

Gruppen  von  Produkten  liefern:  die  Purinbasen,  die  Pyrimi- 
dinbasen,  die  Kohlehydratgruppe  und  die  Phosphor- 
säure. Wir  wollen  uns  nun  mit  jeder  einzelnen  von  diesen 
Gruppen  etwas  eingehender  befassen. 
Purinbasen.  Wir  beginnen  mit  den  Purinbasen.  Man  weiß,  daß  beim 
Zellkernzerfall,  er  möge  sich  auf  dem  Wege  der  chemischen  Spal- 
tung in  vitro  oder  des  physiologischen  Abbaues  in  vivo  voll- 
ziehen, vier  Basen,  dasGuanin,  Adenin,  Xanthin  und  Hypo- 
xanthin  auftreten  können,  welche  sich,  ebenso  wie  ihr  physio- 
logisches  Endprodukt,   die   Harnsäure   C5H4N4O3,   von   dem 

N-C 
'      I 
Purinkerne  C         C— N.  ^      herleiten. 

\  I         ^C 

Nun  hat  aber  die  Sachlage  dadurch  eine  wesentliche  Verein- 
fachung erfahren,  daß  nur  zwei  von  diesen  Basen,  das  Guanin 
und  das  Adenin,  in  den  Bau  des  Nukleinsäuremoleküls  als  pri- 
märe Zellbestandteile  eingefügt  sind,  während  die  beiden  anderen, 
das  Xanthin  und  das  Hypoxanthin,  leicht  aus  den  erst- 
genannten durch  chemische  Eingriffe  und  durch  physiologische 
Fermenteinwirkungen  entstehen,  indem  einfach  eine  zweiwertige 
Iminogruppe  unter  Ammoniakabspaltung  durch  den  ebenfalls 
zweiwertigen  Sauerstoff  ersetzt  wird: 

^  C  =  NH  +  H2O    =    ),CO  +  XHs 

Nachstehendes  Schema  wird  Ihnen  den  Aufbau  und  Zusam- 
menhang dieser  Basen  untereinander  und  mit  der  Harnsäure  klar 
machen,  wobei  ich,  größerer  Übersichtlichkeit  halber,  nur  das 
Purinskelett  mit  den  anhängenden  Iminogruppen  und  Sauerstoffen 
anschreibe,  Wasserstoffe  und  doppelte  Bindungen  innerhalb  des 
Kerngerüstes  jedoch  weglasse: 

N-C  =  NH  X-C  =  O 

I  I 

C  C-X.  XH  =  C  C-X 

IC  .    ^  C 

X-C-X^  X-C-X'^^ 

Adenin  CsHsX's        Guanin  CgHsXsO 


x-c=o  x-c=o  x-c=o 

-->  0  =  C         C-X  -^  o  =  c         c-x\ 

1,  C  ,  C  !  ^C  =  0 

X'-C-X  X-C-X  X__c-X/ 


(^-N. 


HypoxanthinCsH^X'^O        XanthinC5Tl4X403        Harnsäure  C5H4X4O 3 


Nukleinsäuren,  113 


Dieses  Schema  zeigt  Ihnen,  daß  das  Adenin  und  Guanin  durch 

Desamidierung  in  Hypoxanthin,  bzw.  Xanthin,  die  letzteren  aber 

durch   Oxydation   in    Harnsäure   überzugehen   vermögen.      Die 

Harnsäure 

NH-CO 

OC  C-NH. 

\         II         ^o 

^nh-c-nh/ 

ist  das  physiologische  Endprodukt  der  Reihe. 

Ich  werde  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  des  Purinstoff- 
wechsek  noch  ausführlich  auf  diesen  Zusammenhang  zurück- 
kommen, dem  man  es  in  seiner  klaren  Anschaulichkeit  wahrlich 
nicht  anmerkt,  welches  Aufgebot  mühevoller  Arbeit  zu  seiner 
Klarlegung  erforderlich  gewesen  ist. 

Auch    wäre    die    erfolgreiche    chemische    und   ph3^iologische 

Durcharbeitung  des  ganzen   Gebietes  wohl  schwerlich   mögUch 

gewesen,  wenn  nicht  Emil  Fischer,  ausgehend  vom  Trichlor- 

purin 

N=C.C1 

C1.C  C-NH. 

welches  leicht  aus  hamsaurem  Kali  durch  Erhitzen  mit  Phos- 
phoroxychlorid  erhalten  wird,  alle  hierbei  in  Betracht  kommen- 
den Substanzen  durch  eine  lange  Reihe  glänzend  durchgeführ- 
ter Synthesen  leichter  zugänghch  gemacht  hätte i). 

Wir  gelangen  nunmehr  zu  den  Pyrimidinbasen^),  deren  Ent-     Pyrimidin- 
deckung  wir  Albrecht  Kossei  verdanken.    Gemeinsam  mit  seinen 
Mitarbeitern  Neumann  und  Ascoli  hat  Kossei  unter  den  Zer- 
setzungsprodukten von  Nukleinsäuren  drei  Derivate  des  Pyri- 

midinkernes    C        c     aufgefunden: 


i)  E.  Fischer,  Untersuchungen  in  der  Puringruppe  (1882 — 1906). 
Berlin,  Verl.  von  J.  Springer  (1907).  608  Seiten. 

2)  Literatur  über  Pyrimidinbasen:  A.  Schittenhelm  und  K.  Brahm, 
Handb.  d.  Biochemie  1,  641 — 646  (1908).  R.  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol. 
S,  1,  91 — 100  (1904). 

V.  Fürth,  Probleme.  8 


114  VI.  Vorlesung. 

NH-<:0  NH-C  =  NH  NH-CO 

/  I  /  \  /  I  • 

CO  CH  CO  CH  CO  C.CH, 

•^NH-CH  ^XH-CH  NH-CH 

Uracil  Cytosin*)  •  Thymin 

Wie  ersichtlich,  verhält  sich  das  Cytosin  zum  Uracil,  wie  das 
Adenin  zum  Hypoxanthin.  Aus  den  wichtigen  Untersuchungen 
Steudels  und  Anderer  geht  nun  hervor,  daß  man  zum  mindesten 
für  die  typischen  tierischen  Nukleinsäuren  nur  das  Thymin  und 
Cytosin  als  primäre  Bestandteile  der  Nukleinsäure  gelten  lassen 
kann,  während  das  Uracil  einer  sekundären  Desamidierung  seine 
Entstehung  verdankt. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  vielleicht  bei  pflanzlichen 
Nukleinsäuren,  und  zwar  ist  die  primäre  Natur  des  Uracils 
im  Molekül  der  Hefe-  undTriticonukleinsäure  behauptet  worden  *). 

Der  Pyramidinkern  stellt  die  Hälfte  eines  Purinkemes  dar; 
es  erschien  daher  von  vornherein  denkbar,  daß  die  Pyrimidin- 
derivate  durch  sekundäre  Spaltungsvorgänge  aus  Purinbasen  her- 
vorgehen. So  hat  denn  auch  Burian  angegeben,  daß  durch  Ein- 
wirkung von  Schwefelsäure  in  der  Hitze  bei  Gegenwart  von 
Zucker  dem  Cytosin  oder  Uracil  ähnliche  Substanzen  aus  Purin- 
basen entstehen  können,  und  er  hat  infolgedessen  die  Präexistenz 
der  Pyrimidinbasen  im  Nukleinsäuremolekül  angezweifelt^).  Die 
Berechtigimg  dieses  Einwandes  ist  j  edoch  von  Steudel^) ,  angefochten 
worden.    Sodann  haben  aber  Osborne  und  Heyl  an  der  Triticonu- 


i)  Obige   Schreibweise    weicht    von    der    üblichen    des    Cytosins   als 

NH-C.NHg 

/  ,1 

eines   6-Aniino-2-oxypyrimidins    CO  CH         ab;  doch  scheint  mir 

dieselbe  vom  Standpunkte  chemischer  Tautomerie  aus  zulässig  und  im 
Interesse  der  Übersichthchkeit  vorzuziehen.  Analoges  gilt  für  die  Schreib- 
weise des  Adenins  und  Guanins. 

2)  R.  A.  Levene  und  W.  A.  Jacobs,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  43. 
3150  (1910).  R.  A.  Levene  und  F.  B.  La  Forge,  ibid.  43,  3164  (1910). 
Osborne  und  Harris,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  85  (1902)  und  Amer. 
Journ.  of  Physiol.  21,  157  (1907). 

3)  R.  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol.  5,  793 — 800  (1906)  und  Z.  f.  physiol. 
Chemie  51,  438  (1907). 

4)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  508  (1907). 


Nukleinsäuren.  115 


kleinsäure  den  Nachweis  geführt,  daß  man  durch  kurzdauerndes 
Erhitzen  derselben  mit  stark  verdünnter  Schwefelsäure  die  Purin- 
basen  abzuspalten  vermag.  Hat  man  diese  nun  durch  Silbersulfat- 
fällung beseitigt,  so  kann  man  durch  Einwirkung  stärkerer 
Schwefelsäure  aus  dem  Filtrate  noch  reichlich  Pyrimidinbasen 
gewinnen^).  Da  überdies  von  Steudel^)  gezeigt  worden  ist,  daß 
auch  bereits  bei  Oxydation  von  Nukleinsäure  mit  Salpetersäure 
in  der  Kälte  Pyrimidinbasen  auftreten,  (nur  wird  das  Cytosin 
durch  die  Wirkung  salpetriger  Säure  desamidiert  und  in  Uracil 
übergeführt),  liegt  gegenwärtig  kein  Grund  mehr  vor,  daran  zu 
zweifeln,  daß  die  Pyrimidinbasen  wesentliche  und  vorgebildete 
Bestandteile  des  Nukleinsäiuremoleküls  darstellen. 

Angesichts  der  großen  physiologischen  Bedeutung  der  Pyri-  Synthese  der 
midinbasen  als  wesentlicher  Bausteine  der  Zellkernsubstanz  ist    ^ 
es  von  Wichtigkeit,  daß  dieselben  nunmehr  auch  auf  synthe- 
tischem Wege  zugänglich  geworden  sind. 

Die  Synthese  der  Pyrimidine  ist  auf  mehrfache  Art  ge- 
lungen. Emil  Fischer^)  hat  den  Pyrimidinkem  aus  Harnstoff 
und  Akrylsäure  zusammengeschweißt: 

^ISTHa         CHa         ,      ,  ^  ,.  NH-CHa     Dehydrierung  NH-CH 

/  II  durch  Erhitzen  /  |  mit  Hilfe  von  /  m 

CO'  +CH  ^     CO  CH2         "'""    ^    CO  CH 

^NHa      COOH  ^NH-CO  ^NH-CO 

Harnstoff    Akrylsäure  Hydrouracil  Uracil. 

Es  hat  femer  Wheeler  eine  elegante  Pyrimidinsynthese  in 
der   Art    ausgeführt,    daß    er   Thioharnstoff     (^S<^>^h*^  und 

H  H 


io 


das  Natriumsalz  des  Formylessiefesters  i 

•^  ^  CH2  CH 


C(OH) 


^ 


OOC2H5  COOCoHrj 


i)  Th.  B.  Osborne  und  W.  F.  Heyl,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  21,  157 
(1908),  vgl.  auch:  P.  A.  Levene  und  J.  A.  Mandel,  Biochem.  Z.  9,  233 
(1908). 

2)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  48,  425  (1906). 

3)  E.  Fischer  und  G.  Roeder,  Ber.  d.  d.  ehem.  Ges.  34,  3751  (1901). 

8* 


Il6  VI.  Vorlesung. 

ZU  Thiouracil  zusammenfügte  und  den  Schwefel  in  diesem  letz- 
teren sodann  durch  Sauerstoff  ersetzte^). 

I)         NH2  2)     NaO-CH         durch  Erwärmen  in      3)         NH-CH      durch  Chlor- 

cs"^  +  tu      -^^"«-^-"!«     CS  ^H    ^^ 

^XHa  CoHßO-CO  NH-CO 


4)         ^NH-CH         I)  Thioharnstoff, 

2)  Na-Formylessigester, 

3)  Thiouracil, 


/ 
CO'  CH 


^NH-io        4)  Uracil. 

Kohlehydrat-         Wir  gelangen   nunmehr  zu  den  Kohlehydratkomplexen 
komplexe.     |     Nukleinsäuremoleküle,  wobei  wir  zwischen  den  Hexosen  und 

a)  Hexose.  ' 

Pentosen  scharf  zu  unterscheiden  haben. 

Das  Vorkommen  eines  Hexose  komplex  es  ist  in  Nuklein- 
säuren von  Kossei  und  seinen  Schülern  indirekt  aus  dem  Auf- 
treten von  Lävulinsäure  CH3.CO.CH2.CH2.COOH  bei  der  Spal- 
tung der  genannten  Substanzen  mit  starken  Säuren  längst  er- 
schlossen worden,  da  man  wußte,  daß  Hexosen  unter  gleichen 
Versuchsbedingungen  Lävulinsäure  liefern.  Die  Versuche,  das 
Kohlehydrat  als  solches  zu  isolieren,  blieben  lange  Zeit 
resultatlos,  bis  es  schließlich  Steudel^)  gelungen  ist,  wenn  auch 
nicht  den  Zucker  als  solchen,  so  doch  ein  nahes  Derivat  des- 
selben, die  »Epizuckersäure«,  zu  isolieren. 

Wird  Nukleinsäure  mit  starker  Salpetersäure  bei  Zimmer- 
temperatur gespalten,  so  erhält  man  zunächst  eine  Kristallisation 
der  Nitrate  der  Purinbasen.  Wird  sodann  die  Salpetersäure 
•  durch  wiederholtes  Abdampfen  bei  niederer  Temperatur  größten- 
teils beseitigt  und  die  Phosphorsäure  durch  Baryt,  der  Baryt- 
überschuß durch  Kohlensäure  entfernt,  so  kristaUisieren  Thymin 
und  Uracil  aus.  Durch  Fällung  des  Filtrates  mit  Alkohol  wurde 
epizuckersaurer  Baryt  als  amorpher  Niederschlag  erhalten.  Nach 
Beseitigung  des  Baryts  mit  Schwefelsäure  wurde  die  freie  Säure 
mit  Chinin  neutralisiert  und  das  in  kaltem  Wasser  schwer  lös- 

i)  H.  L.  Wheeler  und  L.  M.  Lid  die,  Journ.  Amer.  Chem.  Soc.  30, 
1152,  1156  (1908),  vgl.  auch:  H.  L.  Wheeler,  F.  H.  Merriam,  Johnson, 
Amer.  chem.  Journ.  29,  478,  492  (1903). 

2)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  50,  538  (1907);  52,  62  (1907); 
55,  407  (1908);  50,  212  (1908)  und  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  585 
(1910). 


Nukleinsäuren.  117 


basische  Säure  CeHioOg   vom  Typus  der  Zuckersäure 


liehe,  gut  kristallisierende  Chininsalz  der  Epizuckersäure  isoliert. 

Es   handelt  sich  um  eine  noch  nicht  genauer  erforschte  zwei- 

COOH 

CH.OH 

CH.OH 

CH.OH 

CH.OH 

COOH 
Es  ist  vielfach  die  Meinung  verbreitet,  daß  auch  echte  tierische   *')  Pentosen. 

Nukleinsäuren  vom  Typus  der  Thymusnukleinsäure  neben  dem 
Hexosekomplexe  noch  eine  Pen  tose  enthalten;  insbesondere  wird 
die  Farbenreaktion,  welche  die  Nukleinsäuren  mit  Phloroglucin 
und  Salzsäure  geben,  oft  als  Pentosereaktion  gedeutet.  In  Wirk- 
lichkeit stimmt  aber  diese  Farbenreaktion  keineswegs  mit  der- 
jenigen einer  Pentose  überein,  vor  allem  aber  sind  die  Furfurol- 
mengen,  die  auftreten,  wenn  eine  echte  Nukleinsäure  aus  tierischen 
Geweben  der  Destillation  mit  konzentrierter  Salzsäure  unter- 
worfen wird,  so  außerordentlich  gering,  daß  sie  keinen  Rück- 
schluß auf  die  Anwesenheit  eines  Pentosekomplexes  im  Nuklein- 
säuremoleküle  gestatten  i). 

Und  dennoch  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  die  Pentosen 
beim  Aufbaue  des  Zellkernes  eine  wichtige  Rolle  spielen.  Zwar 
läßt  sich  die  Menge  der  Pen  tosen,  die  aus  tierischen  Geweben  ge- 
wonnen werden  können,  nicht  mit  derjenigen  vergleichen,  welche 
viele  pflanzliche  Organe  in  Form  komplexer  Polysaccharide,  der 
Pentosane,  enthalten.  Wird  jedoch  ein  tierisches  Organ,  einem 
im    Laboratorium    von    Salkowski   ausgearbeiteten    Vorgange  2) 

folgend,  der  Destillation  mit  starker  Salzsäure  unterworfen,  so 

HC — CH 

tritt  Furfurol,  hC\/CHCOH  das  bekanntlich  bei  dem  gleichen 

P  ' 

Vorgange  sich  mit  großer  Leichtigkeit  aus  Pentosen  bildet,  in 


i>  Vgl.  H.  Steudel,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  58off,  (1910) 
und  Z.  f.  physiol.  Chemie  5§,  212  (1908). 

2)  G.  Grund,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  130  (1902),  vgl.  auch:  E.  Ben- 
dix  und  E.  Ebstein,  Z.  f.  allgem.  Physiol.  2,  i  (1902).  E.  Ebstein, 
Zentralbl.  f.  Stoffw.  S,  503  (1902).  O,  v.  Fürth  und  E.  Jerusalem, 
Hofmeisters  Beitr.  10,  181  (1907). 


Ii8  VI.  Vorlesung. 


nicht  ganz  unerheblichen  Mengen  im  Destillate  auf  und  kann, 
an  Phloroglucin  gebunden,  nach  Tollens  leicht  quantitativ  be- 
stimmt werden. 

Woher  stammt  nun  diese  Pen  tose?  Zweifellos  aus  den  Nu- 
kleoproteiden.  Hammarsten^)  hat  im  Pankreasnukleoproteide 
eine  Pentose  entdeckt,  die  später  genauer  studiert  und  von  Carl 
Neuberg^)  als  Xylose  bezeichnet  worden  ist. 

Was  nun  zunächst  die  Natur  der  Organpentose  betrifft, 
ist  dieselbe  von  verschiedenen  Autoren  der  Reihe  nach  als  1-Xylose, 
Arabinose,  Lyxose  und  »Karnose«  bezeichnet  worden.  Gegen- 
wärtig haben  sich  Levene  und  Jacobs  einerseits,  H aiser  und  Wenzel 
andererseits  darüber  geeinigt,  daß  die  Pentose,  welche  im  Pan- 
kreas und  im  Muskel  in  Form  komplexer  Verbindungen  (der 
Guanylsäure  und  Inosinsäure  usw.)  enthalten  ist,  eine  d  -  Ribose 
sei,  während  Neuberg  einwendet,  daß  durch  diese  Annahme  durch- 
aus nicht  alle  Widersprüche  beseitigt  werden,  welche  auf  diesem 
schwierigen  Gebiete  vorliegen.  Diese  Meinungsverschiedenheiten 
zwischen  so  vielen  exakten  Untersuchern  beweisen  nur,  daß  die 
Technik  der  Erkennung  von  Kohlehydraten  denn  doch  noch  nicht 
so  weit  gediehen  ist,  um  dort,  wo  das  Untersuchungsmaterial  nur 
in  sehr  kleinen  Mengen  zugänglich  ist,  alle  Zweifel  zu  beseitigen. 
Übrigens  ist  die  ganze  Frage  für  den  Chemiker  interessanter  als 
für  den  Biologen,  umsomehr,  als  man  ja  weiß,  mit  welcher 
Leichtigkeit  sich  Konfigurationsänderungen  in  der  Zuckerreihe 
vollziehen  können. 
Quantitativer         \yji.  wollen  nunmehr,  nachdem  wir  die  Bruchstücke  kennen 

Abbau  der 

cchtenNukiein-  gelernt  haben,  in  die  das  Nukleinsäuremolekül  bei  der  Hydrolyse 
säuren.       zerfällt,  den  Versuch  wagen,  uns  das  Bild  der  Nukleinsäure  als 
solcher  zu  rekonstruieren. 


.    i)  O.  Hammarsten,  Z.  f.  physiol.  Chemie-lO,   19  (1CS93). 

2)  C.  Neuberg,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  35,   1467  (1902). 

3)  J.  Bang,  Z.  f.  physiol.  Chemie  81,  411  (1900).  J.  Wohlgemuth, 
ibid.  87,  475  (1903).  C.  Neuberg  und  B.  Brahn,  Biochem.  Z.  5,  438 
(1907).  F.  Bauer,  Hofmeisters  Beitr.  10,  345  (1907).  P.  A.  Levene  und 
W.  A.  Jacobs,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  1198,  2102,  2703,  3247 
(1909);  48,  3147  (1910).  C.  Neuberg,  ibid.  42,  2806  (1909);  48,  3501 
(1910).  B.  Rewald,  ibid.  48,  3502  (1910).  F.  Haiser  und  F.Wenzel, 
Monatsh.  f.  Chemie  81,  357  (19 10). 


Nukleinsäuren .  1 1 9 


Da  muß  denn  nun  zunächst  zugestanden  werden,  daß  nicht 
einmal  über  die  Bruttoformel  der  bestuntersuchten  Nukleinsäuren 
dieser  Kategorie  Einigung  erzielt  werden  konnte.  Immerhin  hat 
die  Sachlage  insofern  eine  wesentliche  Vereinfachung  erfahren, 
als  man  früher  eine  unbegrenzte  Mannigfaltigkeit  von  Nuklein- 
säuren vermutet  hat,  während  man  jetzt  geneigt  ist,  anzunehmen, 
daß  man  mit  zwei  T5q>en  tierischer  Nukleinsäuren  ein  Auskommen 
finden  kann:  dem  Typus  der  Thymusnukleinsäure  und  dem 
Typus  der  Guanylsäure. 

Es  scheint,  daß  man,  wenn  man  irgend  ein  tierisches  Gewebe, 
es  möge  sich  nun  um  Thymus,  Milz,  Niere,  Darmschleimhaut, 
Pankreas,  Milchdrüse,  Plazenta,  spermareichen  Hoden  usw. 
handeln,  nach  dem  gleichen  Verfahren  verarbeitet,  Produkte 
von  ganz  oder  nahezu  übereinstimmender  Beschaffenheit  erhält, 
die  echten  Nukleinsäuren^). 

Für  die  Zusammensetzung  derselben  kommen  heute  im 
wesentlichen  zwei  Ausdrücke  in  Betracht :  die  Formel  von  Steudel 
C43H57N15O30P4  und  diejenige  von  Schmiedeberg^)  C4oH5eNi4 
026^4-  Es  entfallen  sonach  auf  je  4P  40  bis  43 Kohlenstoffatome 
und  14  oder  15  Stickstoffatome. 

Von  der  Elementaranalyse  allein  ist  hier,  wo  es  sich  um 
hochmolekulare  amorphe  Substanzen  handelt,  trotz  aller  darauf 
verwendeten  Mühe  und  Sorgfalt,  keine  sichere  Entscheidung  zu 
erwarten;  eine  solche  vermögen  nur  Spaltungsversuche  mit  quan- 
titativer Bestimmung  der  Spaltungsprodukte  zu  erbringen. 

Solche  sind  nun  von  Steudel  in  vortrefflicher  Weise  durch- 
geführt worden,  und  sie  haben  zu  dem  Resultate  geführt,  daß  die 
Nukleinsäure  bei  hydrolytischer  Spaltung  in  je  ein  Mole- 
kül Guanin,  Adenin,  Thymin,  Cytosin,  in  vier  Moleküle 
Hexose  und  vier  Moleküle  Metaphosphorsäure  zerfällt^). 

i)  P.  A.  Levene,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  12,  213  (1905).  P.  A.  Levenc 
und  J.  A.  Mandel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  46,  155  (1905);  47,  140  (1906); 
aO,  I  (1906).  W.  Jones,  Journ.  of  biol.  Chem.  5,  i  (1908).  T.  Kikkoji, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  411  (1907).  K.  Inouye  und  Y.  Kotake,  ibid.  46, 
201  (1905).     W.  Lö bisch  jun.,  Hofmeisters  Beitr.  8,  194  (1906). 

2)  O.  Schmiedeberg,  Arch.  f.  exper.   Pathol.  57,  309  (1907). 

3)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  16  (1907);  72,  305  (1911) 
und  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  580  (1910). 


120  VI.  Vorlesung. 


C4sHß7Ni503oP4  +  8H2O  +  20  =  CßHjNjO  +  C5H5N5  +  CßHeNjOj 

Guanin         Adenin        Thyniin 

+  C4H5N3O  +  4C6HiaO«  +  4HPO8 

Cytosin  Hexose    Metaphosphorsäure. 

Die  Theorie  deckt  sich  recht  gut  mit  der  praktischen  Ausbeute, 
und  eine  Differenz  von  2O,  deren  Auftreten  in  der  Gleichung 
nicht  recht  motiviert  erscheint,  fällt  bei  einer  Umsetzung  von 
40O  nicht  allzu  schwer  ins  Gewicht. 

Die  Steudelsche  Formel  hat  mancherlei  Anfechtungen  er- 
fahren. So  hat  kürzlich  Ivar  Bang^)  dieselbe  kritisiert  und  der 
Vermutung  Ausdruck  gegeben,  daß  nur  drei  Moleküle  Hexose 
in  der  Thymusnukleinsäure  enthalten  seien.  Immerhin  scheint 
es  mir,  daß  die  Steudelsche  Formel  dem  bisher  vorliegenden  Tat- 
sachenmaterial in  einfachster  Form  Rechnung  trägt;  auch 
sprechen  die  Untersuchungen  von  Jones^)  u.  a.  dafür,  daß  die 
echten  Nukleinsäuren  aus  Thymus,  Milz,  Pankreas  usw.  mit- 
einander wirklich  identisch  sind. 

Noch  komplizierter  liegen  die  Dinge  hinsichtlich  der  pentose- 
haltigen  pflanzlichen  Nukleinsäuren.  So  ist  Osborne^)  auf 
Grund  seiner  sorgfältigen  Untersuchungen  geneigt,  der  Tritico- 
nukleinsäure  die  Formel  C4iHeiNieP403i  zuzuschreiben  und 
weiter  anzunehmen,  daß  in  derselben  je  ein  Molekül  Adenin, 
Guanin,  Uracil  und  Cytosin  enthalten  ist.  Doch  wendet  demgegen- 
über Steudel^)  ein,  daß  die  Summe  der  N-Atome  in  den  angege- 
benen Spaltungsprodukten  15  beträgt,  obiger  Ausdruck  sonach 
ein  Stickstoffatom  zuviel  enthält;  auch  stimme  die  Uracilausbeute 
nicht  mit  der  Formel  überein. 

Für  die  der  Triticonukleinsäure^)  sicherlich  ähnliche  Hefe^ 
nukleinsäure  hat  eine  neue  im  Steudelschen  Laboratorium  aus- 


i)  J.  Bang,  Biochem.  Z.  27,  310  (191 1),  vgl.  auch:  R.  Burian,  Ergebn. 
d.  Physiol.  5,  783  (1906),  P.  A.  Levene  und  J.  A.  Mandel,  Biochem.  Z. 
!•,  215  (1908). 

2)  W.  Jones,  Journ.  of  biol.  Chem.  5,  i  (1908). 

3)  Th.B.Osborne  und  J.F.Harris,  Z. f. physiol.  Chemie  8*,85(i902). 
Th.B.Osborne  undF.W.Heyl,  Americ.  Joum.  of  Physiol.  21,  157  (1907). 

4)  H.  Steudel,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.,  2,  156  (19 10). 

5)  Vgl.  P.  A.  Levene  und  F.  B.  La  Forge,  Ber.  d.  deutsch,  chem.  Ges. 
43,  3164  (1910). 


Nukleinsäuren.  121 


geführte  Untersuchung^)  die  Formel  C29H42N13P8O23  als  ein- 
fachsten Ausdruck  ihrer  Zusammensetzung  ergeben  und  es  soll 
die  hydrolytische  Spaltung  derselben  nach  der  Gleichung: 

C29H42Ni,P3023  +  6H2O  =  CsHßNgO  +  CßHßNß  +C4H6N8O  +  3C6H10O5 

Guanin         Adenin        Cytosin         Pentose 
+  3H3PO8 

erfolgen. 

Dagegen  bringen  Levene  und  Jakobs^)  ihre  vorläufige  An- 
schauung über  die  Zusammensetzung  des  Moleküls  der  Hefe- 
nukleinsäure  in  folgender  schematischer  Darstellung  zum  Aus- 
drucke : 

/OH 
0=P<;-Q —     Pentose.    Adenin. 

/O 
0=P^Q —     Pen  tose.    Guanin 

0=P^-Q —    Pentose.    Cytosin. 


0=P^ 


\OH 


Pen  tose.    Uracil. 


Es  wird  sicherlich  noch  viel  Arbeit  kosten,  bis  man  diese  Ver- 
hältnisse klar  zu  überblicken  vermag,  doch  wird  die  Methode  des 
quantitativen  Abbaues  sicherlich  in  absehbarer  Zeit  zum  Ziele 
führen. 

Was  wissen  wir  nun  über  die  Art  und  Weise,  wie  sich  die  ein-  Konfiguration 
zelnen  Komponenten  zusammenfügen,  um  das  große  Nuklein-  ^^^  säuren '^^"" 
Säuremolekül  aufzubauen? 

Als  Kern  derselben  kann  die  Phosphorsäure  betrachtet 
werden. 

Man  hat  an  die  Mögüchkeit  gedacht,  daß  sich  die  vier  Phos- 
phoratome der  Nukleinsäure  zu  einer  kondensierten  Phosphor- 
säure vom  Charakter  der  Tetraphosphorsäure  zusammen- 
fügen 3), 


HO-P/^^\p — O — P  ^   P-OH 

j,  \0.'  A  A  ^     II 

O    OH  OH    OH  OH    O 


i)  K.  Kowalewsky  (Physiol.  Institut  d.  Universität  Berlin),  2.  f. 
physiol.  Cheniie  €9,  240  (19 10). 

2)  P.  A.  Levene  und  W.  A.  Jacobs,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  43, 
3151  (1910);  44,  1027  (191 1). 

3)  R.  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol.  5,  I,  104  (1904). 


122  VI.  Vorlesung. 


oder  daß  sich  die  vier  Phosphoratome  etwa  nach  dem  Schema 

oder  in  ähnlicher  Weise  gruppieren^).  Über  das  Gebiet  der  Hypo- 
these ist  man  aber  dabei  nicht  hinausgelangt. 

Hinsichtlich  der  Purinbasen  weiß  man,  daß  sie  nur  locker  im 
Verbände  des  Nukleinsäuremoleküls  haften,  derart,  daß  sie  schon 
durch  Einwirkung  starker  Mineralsäuren  in  der  Kälte  abgespalten 
werden  können,  ohne  daß  die  Phosphorsäure  gleichzeitig  aus  ihrer 
Bindung  herausgelöst  werden  muß.  Es  kann  dabei  eine  redu- 
zierende Lösung  resultieren. 

Aus  dem  Verhalten  der  Nukleinsäuren  und  der  Purinbasen 

gegen  Diazokörper  hat  Burian^)  erschlossen,  daß  die  letzteren 

im  Nukleinsäuremoleküle  an  dem  mit   »7«  bezeichneten  Atome 

1N-6C 

des   Purinkemes     2C  5C— 7N  haften.    Es  scheint  aber 

auch  das  Atom  »8«  dafür  in  Betracht  zu  kommen 3). 

Man  hat  femer  aus  dem  Umstände,  daß  bisher  keine  Ver- 
bindungen von  Nukleinsäuren  mit  Säuren  beobachtet  worden 
sind,  geschlossen,  daß  die  basischen  Gruppen  der  Purin-  und 
Pyrimidinbasen  nicht  endständig  im  Moleküle  der  Nukleinsäure 
vorhanden  sein  können*).  Andererseits  beweist  der  ausgesprochen 
saure  Charakter  der  letzteren,  daß  ein  Teil  der  Hydroxyle  der 
darin  entlialtenen  komplexen  Phosphörsäure  sicherlich  frei  ist, 
und  es  werden  die  Nukleinsäuren  meist  als  vier-  bis  sechsbasische 
Säuren  aufgefaßt. 
Partielle  Spai-  Man  hat  sich  begreiflicherweise  auch  bemüht,  das  Nuklein- 
*  kH  ^ä  ^^'  Säureproblem  dadurch  zu  vereinfachen,  daß  man  den  totalen 
hydrolytischen  Abbau  (in  ähnlicher  Weise,  wie  dies  in  so  großem 


i)  Th.  Osborne  und  J.  F.  Harris,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  120  (1902). 
J.  Bang,  ibid.  81,  425  (1909). 

2)  R.  Burian,  Ergebn.  d.  Physiol.  3, 1,  89 — 91  (1904);  Ber.  d.  deutsch, 
ehem.  Ges.  37,  708  (1904)  und  Z.  f.  physiol.  Chemie  51,  425  (1907). 

3)  H.  Fischer  (Klin.  Fr.  Müller,  München),  Z.  f.  physiol.  Chem.  60, 
6g  (1909). 

4)  Vgl.  H.  Steudel,   Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  582  (19 10) 


Nukleinsäuren .  123 


Umfange  beim  Studium  der  Proteine  geschehen  ist)  durch  einen 
schrittweisen  partiellen  Abbau  ersetzte i). 

Dabei  gelangt  man  zunächst  von  der  schwerlöslichen  und 
gelatinierenden  nativen  Nukleinsäure  (»a«)  zu  einer  leichter 
löslichen  und  nicht  gelatinierbaren  Nukleinsäure  »b«.  Wird 
die  eine  Hälfte  der  Purinbasen  abgesprengt,  so  resultiert  die 
Heminukleinsäure.  Schmiedeberg  ist  es  gelungen,  die  dem 
Nukleinsäurekerne  nur  locker  anhaftenden  Purinbasen  ganz  zu 
entfernen;  es  resultierte  so  ein  Produkt,  das  von  Schmiedeberg 
als  »Nukleotinphosphorsäure«,  von  Kossei  und  Neumann  als 
»Thyminsäure«  bezeichnet  worden  ist 2). 

Als  ein  wesentlicher  Fortschritt  ist  es  nun  zu  begrüßen,  daß 
es  Levene"^)  kürzlich  gelungen  ist,  durch  partielle  Spaltung  sowohl 
aus  echten  Nukleinsäuren,  als  auch  aus  den  gleich  zu  erörternden 
Substanzen  dieser  Reihe  vom  Typus  der  Guanylsäure  und  Inosin- 
säure  Komplexe  zu  isolieren,  die  aus  nur  zwei  Gliedern  bestehen, 
nämlich  aus  einem  Kohlehydrate,  das  entweder  mit  der  Phosphor- 
säure, oder  aber  mit  einer  Base  verbunden  ist. 

So  resultierte  aus  Thymusnukleinsäure  eine  allerdings  noch 
nicht  kristallinisch  erhaltene  Hexosephosphorsäure  und  aus 
Inosinsäure  das  schön  kristallisierende  Barytsalz  einer  d-Ri- 
bosephosphor  säure. 

Andererseits  wurde  aus  der  Inosinsäure  das  Inosin*),  aus  inosin,  Ouano- 
Guanylsäure  und  Hefenukleinsäure  das  Guano  sin,  aus  dieser^"'  enosin. 
letzteren  überdies  das  Adenosin  gewonnen.  Es  sind  dies  aus 
Hypoxanthin,  Guanin  bzw.  Adenin  und  einer  Pen  tose  zusammen- 
gesetzte Doppel  Verbindungen,  die  uns  die  Tatsache  anschaulich 
machen,  daß  die  Kohlehydratgruppe  im  Nukleinsäuremoleküle 
zwischen  Phosphorsäure  und  Base  eingeschaltet  ist. 

Phosphorsäure  -< Kohlehydrat ^  Base. 


i)  Literatur  über  partiellen  Nukleinsäureabbau:  R.  Burian,  Ergebn.  d. 
Physiol.  5,784(1906).  C.L.  Aisberg,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  51,  239  (1904). 

2)  Vgl.  H.  Steudel  und  P.  Brigl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  398  (1911). 

3)  P.  A.  Levene,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  605 — 609 
(1910).  P.  A.  Levene  und  W.  A.  Jacobs,  Ber.  d.  deutsch,  ehem. 
Ges.  41,  2703  (1908);  42,  335,   1198,  2469,  2474.  2703  (1909)- 

4)  Vgl.  F.  Kaiser  und  F.  Wenzel,  Monatsh.  f.  Chemie  29,  157  (1908); 

80,  147.  37^  (1909)- 


124  ^I*  Vorlesung. 


Dabei  ist  die  Verbindung  zwischen  Phosphorsäure  und  Kohle- 
hydrat allem  Anscheine  nach  eine  esterartige: 

I  OHv  I       OH- 

CH.OH  +  OH-   P=0    =    CH-O    — P=0  +  HjO, 
I  OH  1        OH 

während  für  die  Bindung  zwischen  Base  und  Kohlehydrat  eine 
sogenannte  glykosidartige  Bindung  in  Betracht  kommt,  z.  B. 

CHj(OH)--CH(OH)-CH(OH)-CH(OH)-<:OH  +  CfiHfiNs  = 

Pentose  Adenin 

CH20H-CH-CH(OH)-CH(OH)-CH-<:5H4N6  +  HgO 

I   --  . i 

Die  Darstellung  derartiger  Komplexe  gelingt  nicht  allzu 
schwer.  So  wurde  z.B.  zur  Gewinnung  desGuanosins  aus  der 
Guanylsäure  des  Pankreas  eine  neutrale  Lösung  dieser  letzteren 
im  Einschlußrohre  auf  135°  erhitzt.  Beim  Abkühlen  schied  sich 
das  kristallinische  Guanosin  aus  dem  Rohrinhalte  gallertig  ab  und 
konnte  durch  Umkristallisieren  rein  erhalten  werden. 

Interessanterweise  scheint  das  Guanosin  auch  in  freier  Form 
in  der  Pankreasdrüse  vorzukommen^);  SchuUze^)  in  Zürich 
hat  kürzlich  das  in  Pflanzenorganen  verbreitete  »Vernin« 
aus  Kürbiskeimlingen  in  größeren  Mengen  dargestellt  und  als 
Guaninpentosid  erkannt.  Auch  in  Samen,  im  Blütenstäube  und 
im  Mutterkorne  ist  Guanosin  gefunden  worden  ^) ;  offenbar  kommt 
derartigen  Substanzen  eine  große  physiologische  Bedeutung  zu. 

Auch  das  Inosin,  welches  aus  Hypoxanthin  und  einer  Pen- 
tose zusammengesetzt  ist,  kann  nach  den  Untersuchimgen  von 
H aiser  und  Wenzel  entweder  als  solches,  oder  aber  in  Verbin- 
inosinsäure.  dung  mit  Phosphorsäure  als  Inosinsäure*)  auftreten,  eine 
Substanz,  die  seinerzeit  von  Justus  von  Liebig  gelegentlich  seiner 
klassischen  Untersuchungen  über  die  Bestandteile  der  Flüssigkeit 
des  Fleisches  entdeckt  worden  ist.  Es  hat  sich  nämlich  ergeben, 
daß  das  Karnin,  welches  von  Weidel  als  Bestandteil  desFleisch- 

i)  P.  A.  Levene  und  W.  A.  Jacobs,  Biochem.  Z.  28,  127  (1910). 

2)  E.  Schnitze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  ••,  128  (1910). 

3)  E.  Schnitze  und  G.  Trier,  Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  143  (1910). 

4)  C.  Neuberg  und  B.  Brahn,  Biochem.  Z.  5,  438  (1907).  F.  Bauer 
(Physiol.  ehem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  10,  345  (1907).  P.  A. 
Levene  und  W.  A.  Jacobs,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  44,  746  (191 1). 


Nukleinsäuren.  125 


extraktes  beschrieben  und  später  auch  in  Pflanzen  (wie  im 
Hafer  und  der  Zuckerrübe)  aufgefunden  worden  ist,  kein  einheit- 
licher Körper,  sondern  ein  schon  durch  Wasserextraktion  trenn- 
bares Gemisch  von  H5q>oxanthin  und  Inosin  darstellt.  Dement- 
sprechend würde  die  Formel  für  das  Inosin  und  die  Inosinsäure 
etwa  folgende  Gestalt  annehmen: 

C5H3N4O CH  C5H3N4O CH 

/^CH.OH  /cH.OH 

0<  CH.OH  O.^       CH.OH 

\  I  \  I 

^ — CH  ^ — CH 

CH2.0H  CH2.o.PO<;2|^ 

Inosin.  Inosinsäure. 

wobei  auf  die  noch  strittige  sterische  Konfiguration  der  Pentose 
keine  Rücksicht  genommen  ist. 

Der  Inosinsäure  sicherlich  nahe  verwandt  ist  die  Guanyl-     ouanyisäure. 
säure  aus  dem  Pankreas. 

Hammarsten  hat  seinerzeit  ein  Nukleoproteid  aus  dem  Pankreas 
in  der  Weise  dargestellt,  daß  er  das  frische  Organ  mit  Wasser 
auskochte,  das  Filtrat  mit  Säure  fällte  und  den  gewonnenen 
Niederschlag  durch  wiederholtes  Lösen  in  Alkali  und  Fällen  mit 
Säure  reinigte. 

Aus  diesem  Nukleoproteide  hat  Ivar  Bang^)  durch  Kochen 
mit  Alkali,  Entfernung  des  Alkalialbuminates,  Neutralisation  und 
Umfällung  aus  kochendem  Wasser  seine  »ß-Guanylsäure«  er- 
halten. 

Einige  Jahre  später  hat  nun  Bang^)  gemeinsam  mit  Raaschou 
ein  neues  Verfahren  beschrieben,  um  die  schwer  zugängliche 
Guanylsäure  in  viel  bequemerer  Art  und  mit  viel  besserer  Ausbeute 
zu  gewinnen.  Während  dieselbe  nämlich  früher  nur  aus  dem 
in  heißem  Wasser  löslichen  Nukleoproteide  Hantmarstens  dar- 
gestellt worden  war,  und  die  Hauptmenge  der  Pankreasproteide 
dabei  von  der  weiteren  Verarbeitung  ausgeschlossen  blieb,  wurde 
nunmehr   das   ganze    Pankreas   durch   heiße   Natronlauge   ver- 

i)  J.  Bang,  Z.  f.  physiol.  Chemie  26,  133  (1898);  81,  411  (1900). 
2)  J.  Bang  und  Kaaschou,  Hof  meistere  Beitr.  4,  174  (1903).  J.Bang, 
Hofmeistere  Beitr.  11,  76  (1907). 


120  VI.  Vorlesung. 


flüssigt,  schließlich  mit  Essigsäure  angesäuert,  filtriert,  mit  Am- 
moniak schwach  alkalisch  gemacht,  eingeengt,  mit  Alkohol  gefällt, 
der  Niederschlag  durch  wiederholtes  Lösen  in  Wasser  und  Fällen 
mit  Alkohol  gereinigt.    So  wurde  die  a-Guanylsäure  erhalten. 

Die  a-Guanylsäure  sollte  aus  vier  Molekülen  Phosphorsäure, 
vier  Molekülen  Guanin  und  vier  Glyzerinpentosegruppen  be- 
stehen und  sich  von  der  ß-Guanylsäure  lediglich  durch  den 
Mehrgehalt  einer  Glyzerinpen tosegruppe  unterscheiden. 

Ich  habe  nun  gemeinsam  mit  Jerusalem^)  nachgewiesen,  daß 
die  Pankreasnukleinsäuren  kein  Glyzerin  enthalten.  Dazu  be- 
dienten wir  uns  des  sehr  verläßlichen  Glyzerinbestimmungsver- 
fahrens von  Z eiset  und  FaniOy  welches  darauf  beruht,  daß  Glyzerin 

durch  siedende  Jodwasserstoff  säure  in  flüchtiges  Isopropyljodid 
CHs 

CH— J  umgewandelt  und  dieses  nüt  Silbernitrat  zu  Jodsilber  um- 

gesetzt  wird.  Unsere  diesbezüglichen  Angaben  sind  von  Steudel^) 
bestätigt  und  später  auch  von  Bang^)  anerkannt  worden. 

Es  hat  sich  uns  nun  weiter  ergeben,  daß  die  Nukleinsäure, 
welche  man  nach  dem  neueren  Verfahren  von  Bang  und  Raaschou 
erhält,  durchaus  den  Charakter  der  gewöhnlichen  typischen 
Nukleinsäuren  trägt.  Es  hat  mich  dies  dazu  veranlaßt,  die 
Existenz  der  Guanylsäure  überhaupt  zu  bezweifeln.  Es  war  dies 
zweifellos  ein  Irrtum  meinerseits,  den  ich  auch  richtiggestellt 
habe*),  sobald  ich  ihn  erkannt  hatte.  Die  Sachlage  ist  nämlich, 
wie  sich  auch  aus  einer  Nachprüfung  der  Frage  durch  Steudel^) 
sowie  aus  den  Befunden  von  Levene  und  Jones  ergibt,  die,  daß 
das  Pankreas  Nukleoproteide  verschiedener  Art  enthält.  An- 
scheinend die  Hauptmenge  derselben  liefert  Thymusnuklein- 
säure, welche  sich  von  den  aus  anderen  Organen  gewonnenen 
Nukleinsäuren  der  gleichen  Kategorie  nicht  in  auffallender  Weise 
unterscheidet.     Außerdem  enthält  das  Pankreas  aber  noch  ein 

i)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  Hofmeisters  Beitr.  10,  174  (1907). 

2)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  539  (1907). 

3)  J.  Bang,  Biochem.  Z.  26,  307  (1910). 

4)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  Hofmeisters  Beitr.  11,  146  (1907). 

5)  H.  Steudel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  539  (1907).  H.  Steudel  und 
P.  Brigl,  ibid.  68,  40  (19 10). 


Nukleinsäuren.  127 


in  heißem  Wasser  lösliches  Nukleoproteid,  welches  bei  seiner 
Spaltung  wirkliche  Guanylsäure  Hefert,  d.  h.  eine  Nukleinsäure, 
welche  durch  ihren  einfacheren  Aufbau  aus  Phosphorsäure, 
Guanin  und  Pentose  von  den  t5T)ischen  Nukleinsäuren  unter- 
schieden ist. 

Diese  Feststellung  war  nicht,  wie  Bang^)  meint,  ein  »vorsich- 
tiger Rückzug«  meinerseits,  sondern  ein  offenes  Eingestehen 
eines  Irrtumes.  Es  gehört  nämlich  nicht  zu  meinen  Gepflogen- 
heiten, wenn  ich  einen  Irrtum  erkannt  habe,  mich  »vorsichtig 
zurückzuziehen«;  ich  gestehe  denselben  vielmehr  stets  unum- 
wunden ein.  Das  Verschulden  an  einem  solchen  trifft  jedoch  in 
diesem  Falle  in  erster  Linie  nicht  mich,  sondern  Bang  selbst;  denn 
es  war  ganz  selbstverständlich,  daß  ich  zum  Zwecke  des  Studiums 
der  Guanylsäure  das  neuere  Darstellungsverfahren  gewählt  habe, 
das  Bangs  Angaben  zufolge  dem  älteren  gegenüber  einen  wesent- 
lichen Fortschritt  bedeuten  sollte,  in  Wirklichkeit  aber  ganz  un- 
brauchbar ist.  Es  führt  eben  nur  das  ältere  Verfahren  zu  wirk- 
licher Guanylsäure. 

Bang^)  hat  nunmehr  die  neuere  Methode  auch  ganz  verlassen 
und  das  ältere  Darstellungsverfahren  dahin  abgeändert,  daß  er 
von  dem  Hammarstenschen  Nukleoproteide  ausgeht,  welches  durch 
Oxalsäurefällung  in  besserer  Ausbeute  gewonnen  werden  kann. 
Nach  Spaltung  desselben  durch  Alkaü  wird  die  Hauptmenge  der 
Eiweißkörper  durch  Ammonsulfat  beseitigt  und  die  Guanylsäure 
auf  dem  Umwege  der  Kupferfällung  gereinigt. 

Wenn  Bang  nunmehr  dieses  Präparat  jetzt  als  »a- Guanyl- 
säure «  bezeichnet,  so  ist  diese  selbstverständlich  keineswegs  iden- 
tisch mit  der  alten  »a-Guanylsäure «,  welche  bei  dem  Verfahren 
von  Bang  und  Raaschou  nach  Verflüssigung  des  ganzen  Pankreas 
erhalten  worden  war. 

Durch  seine  neueren  Untersuchungen  ist  Bang  zu  der  Ansicht 
gelangt,  daß  die  Guanylsäure  eine  Zwischenstellung  zwischen  der 
Inosinsäure  und  Thymusnukleinsäure  einnimmt  und  anscheinend 
komplizierter  zusammengesetzt  ist  als  diese.    i\uch  erscheint  es 


i)  J.  Bang,  Biochem.  Z.  27,  214  (1910). 
2)  J.  Bang,  Biochem.  Z.  26,  296  (1910). 


128  VI.  Vorlesung. 


ihm  zweifelhaft,  ob  die  in  anderen  Organen  gefundenen  Guanyl- 
säuren^)  mit  der  Pankreasguanylsäure  identisch  seien. 

Soviel  also  über  die  Guanylsäure,  Fast  muß  ich  fürchten, 
daß  ich  Ihre  Geduld  bereits  auf  eine  allzu  schwere  Probe  gestellt 
habe.  Ich  bitte  Sie  aber,  zu  erwägen,  daß  alle  diese  Dinge  so 
kompliziert  sind,  daß  sie,  selbst  wenn  sie  in  allen  Punkten  geklärt 
wären,  sich  kaum  mit  wenigen  Worten  auseinandersetzen  ließen. 
Noch  viel  weniger  ist  dies  heute  möglich,  wo  noch  so  vieles  in  der 
Nukleinsäurefrage  dunkel  und  widerspruchsvoll  erscheint. 
Fermentativer  Ich  möchte  noch  einige  Worte  über  den  Abbau  der  Nuklei  n- 
^we"nsto^^^^  säure  durch  Verdauungsfermente  hinzufügen.  Derselbe  ist 
namentlich  im  Kosselschen  Laboratorium  und  neuerdings  auch 
von  London  und  SchiUenhelm^)  an  Fistelhunden  studiert  worden. 
F.  Sachs  hat  besondere  Fermente,  die  Nukleasen,  beschrieben, 
welche  die  Nukleinsäure  in  ähnlicher  Weise  abbauen,  wie  dies  bei 
der  hydrolytischen  Spaltimg  der  Fall  ist.  Im  Verdauungstrakte 
wird  die  Nukleinsäure,  solange  sie  im  Magen  verweilt,  anschei- 
nend weder  verändert  noch  resorbiert ;  es  geschieht  dies  erst  unter 
der  Einwirkung  des  alkalischen  Darm-  undPankreassaftes,  vor 
allem  aber  durch  die  Wirkung  intrazellulärer  Fermente,  Auch 
Bakterien  vermögen  die  Spaltung  zu  vollziehen.  Dieselbe  läßt 
sich  sehr  hübsch  an  der  Verflüssigung  eines  Nährbodens  demon- 
strieren, der  aus  dem  gelatinierenden  a-nukleinsauren  Natron 
besteht.  Die  fermentative  Spaltung  kann  schließlich  bis  zu  den 
Endprodukten  führen.  Bei  Untersuchung  von  Hunden  mit 
Ileumfisteln  konnte  nach  Verfütterung  von  thymonuklein- 
saurem  Natrium  Guanylsäure  sowie  Guanosin  isoliert  werden. 
Nukleinsäure-  Zum  Schlüsse  möchte  ich  nur  noch  die  Frage  berühren,  ob 
Synthese     im  ^gj.  tierische  Organismus  imstande  ist,  den  Nukleinsäurekomplex 

Organismus. 

neu  aufzubauen,  oder  ob  er  etwa  auf  die  Zufuhr  desselben  durch 


i)  P.  A.  Levene  und  J.  A.  Mandel,  Biochem.  Z.  10,  221  (1908). 
W.  Jones  und  L.  G.  Rowntree,  Journ.  of  biol.  Chem.  4,  289  (1908). 

2 )  Literatur  über  fermentative  Nukleinspaltung :  O.Cohnheim,  Chemie 
der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  303.  191 1.  F.  Samuely,  Handb.  d.  Biochemie 
1,  564  (1909).  E.  Abderhalden  und  A.  Schittenhelm,  Z.  f.  ph^^^iol. 
Chemie  47,  452  (1906).  W.  Jones  und  C.  R.  Austrian,  Joum.  of  biol. 
Chem.  3,  i  (1906).  A.  Schittenhelm,  Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  10  (1910). 
E.  S.  London,  A.  Schittenhelm  und  K.  Wiener,  ibid.  72,  459  (191 1). 


Nukleinsäuren.  129 


die  Nahrung  angewiesen  ist.  Ersteres  ist  zweifellos  der  Fall. 
In  dem  in  Entwicklung  begriffenen  Ei  des  Seidenspinners^) 
und  des  Huhnes^),  im  Organismus  des  Säuglings^),  der  mit 
Milch  nur  sehr  geringe  Mengen  des  fertigen  Moleküls  zugeführt 
erhält,  im  Hungerstoffwechsel  des  Lachses*),  der  seine  Ge- 
schlechtsorgane auf  Kosten  seiner  Muskulatur  aufbaut,  überall 
kommt  es  zur  Neubildung  von  Nukleinsäuren  und  ihrer 
Bausteine,  der  Purinbasen.  Die  Einzelheiten  dieses  Vor- 
ganges sind  für  uns  aber  noch  in  tiefes  Dunkel  gehüllt.  Anderer- 
seits ist  aber  auch  festgestellt  worden,  daß  ungefurchte  Eier  einen 
bedeutenden  Vorrat  an  Nukleinsäure  enthalten  können.  So 
nimmt  überraschenderweise  im  befruchteten  Seeigelei,  wenn  im 
Laufe  von  24  Stunden  die  befruchtete  Keimmasse  im  Fortschreiten 
des  Teilungsvorganges  etwa  auf  das  Hundertfache  wächst,  der 
Nukleingehalt  nicht  merklich  zu^).  Die  Nukleinsäure  der  durch 
die  Furchung  neugebildeten  Kerne  stammt  also  lüer  aus  dem  im 
Eiplasma  abgelagerten  Vorrate,  den  die  Natur  in  diesem  Falle 
vorgesehen  hat,  wo  offenbar  die  Schnelligkeit  der  chemischen 
Nukleinsäuresynthese  mit  der  Zellteilung  nicht  Schritt  halten 
kann. 


\i)  A.  Tichomiroff,  Z.  f.  physiol.  Chemie  2,  518  (1885). 
i  2)  A.  Kos  sei,  Z.  f.  physiol.  Chemie  10,  248  (1886).     L.  B.  Mendel 
und  C.  S.  Leawenworth,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  21,  77  (1908). 

3)  R.  Burian  und  H.  Schur,  Z.  f.  physiol.  Chemie  23,  55  (1897). 

4)  F.  Miescher,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  37,  130  (1896). 

5)  E.  Masing  (Zoologische  Station  Neapel),  Z.  f.  phjrsiol.  Chemie  67, 
161  (1910). 


i 


V.  Fürth,  Probleme. 


VII.  Vorlesung. 
Das  Muskelgewebe. 

In  den  vorangehenden  Vorlesungen  war  von  dem  Materiale 
die  Rede,  aus  dem  sich  der  Zelleib  und  der  Zellkern  seiner  Haupt- 
menge nach  aufbaut.  Ich  wiU  Ihnen  nun  heute  vom  organi- 
sierten Protoplasma  einiges  erzählen,  und  zwar  von  jener  Form 
desselben,  welche  ihrer  Menge  nach  den  Hauptanteil  des  lebenden 
Körpers  ausmacht:  dem  Muskelgewebe. 

Bekanntlich  setzt  sich  die  t5q>ische  quergestreifte  Muskel- 
faser aus  einer  kontraktilen  Eiweiß masse  zusammen,  welche 
von  einer  SarkolemmhüUe  umgeben  ist.  Diese  letztere  baut  sich 
anscheinend  aus  einer  elastinartigen  Substanz  auf.  Der  Inhalt 
des  Sarkolemmschlauches  besteht  nun,  von  feineren  Struktur- 
eigentümlichkeiten abgesehen,  teils  aus  doppelbrechender  (aniso- 
troper), teils  aus  einfach  brechender  (isotroper)  Substanz, 
und  zwar  sind  die  doppelbrechenden  Teilchen,  die  Disdiaklasten 
Brückes,  in  charakteristischer  Anordnung  in  einer  flüssigen  oder 
halbflüssigen  Substanz,  dem  Sarkoplasma,  eingebettet. 
Gerinnung  des  ^^^  eiweißartige  Inhalt  des  Sarkolemmschlauches  ist  nun, 
Muskelpias-  ähnlich  wie  das  Blut,  durch  die  auffallende  Eigenschaft  spon- 
taner Gerinnbarkeit  ausgezeichnet.  Die  Tatsache,  daß 
Muskeln  kurze  Zeit  nach  dem  Tode  starr  werden,  legte  den  Ge- 
danken nahe,  daß  es  sich  hier  um  einen  Gerinnungsvorgang  handle, 
und  als  Kühne^)  nun  einen  konzentrierten  Preßsaft  aus  den  ge- 
frorenen Muskeln  von  Fröschen,  die  unter  strenger  Kühlung  zu 
»Muskelschnee«  zerrieben  worden  waren,  bereitet  hatte,  sah  er 


mas. 


i)  W.   Kühne,  Untersuchungen  über  Protoplasma,  Leipzig  1864. 


Das  Muskelgewebe.  131 


denselben  bei  Zimmertemperatur  schnell  zu  einem  festen  Klumpen 
gestehen. 

Dem  Engländer  Halliburton^)  gebührt  das  Verdienst,  zuerst 
die  neueren  Methoden  der  Eiweißchemie  dem  Studium  der  Muskel- 
eiweißkörper dienstbar  gemacht  zu  haben.  Seinen  Arbeiten  lag 
jedoch  das  Bestreben  zugrunde,  eine  weitgehende  Analogisierung 
zwischen  den  Vorgängen  der  Blut-  und  Muskelgerinnung  durch- 
zuführen. Spätere  Untersuchungen  2),  die  von  mir  unter  Leitung 
meines  Lehrers  Franz  Hofmeister  ausgeführt  worden  sind,  haben 
nun  aber  gelehrt,  daß  eine  so  weitgehende  Übereinstimmung 
tatsächlich  nicht  vorhanden  ist;  man  ist  nunmehr  zu  wesent- 
lich einfacheren  Vorstellungen  über  die  Natur  dieses  Vorganges 
gelangt. 

Meiner  Auffassung  nach  enthält  der  Muskelsaft  von  Säuge- 
tieren zwei  typische  spontan  gerinnbare  Eiweißkörper:  das 
Myosin  (=  Paramyosinogen  Halliburtons)  und  das  Myogen 
(=Myosinogen  Halliburtons).  Das  Myosin  ist  ein  globulin- 
artiger  Eiweißkörper,  der  durch  Halbsättigung  mit  Ammonsulfat, 
durch  verdünnte  Säure,  sowie  auch  durch  Dialyse  gefällt  werden 
kann  und  bei  46 — 51°  gerinnt.  Er  wird  seiner  Menge  nach  um 
das  Drei-  bis  Sechsfache  von  dem  Hauptbestandteile  des  Muskels, 
dem  Myogen,  über  troffen,  einem  in  Wasser  löslichen  Eiweiß- 
körper, dessen  klare,  goldgelbe  Lösung  bei  schnellem  Erhitzen  bei 
55 — 65°  koaguliert.  Sowohl  das  Myosin  als  auch  das  Myogen  ist 
spontan  gerinnbar,  und  zwar  das  letztere  unter  Auftreten  eines 
löslichen  globulinartigen  Zwischenproduktes,  des  »löslichen 
Myogenfibrins«,  welches  durch  einen  sehr  niedrigen  Koagula- 
tionspunkt von  30 — 40°  ausgezeichnet  ist.  Dasselbe  ist  inter- 
essanterweise ein  normaler  Bestandteil  des  Fisch-  und  Amphibien- 
muskels. Bei  der  Körpertemperatur  der  Warmblüter  ist  es  nicht 
existenzfähig,  tritt  bei  diesen  vielmehr  nur  als  postmortales 
Umwandlungsprodukt  auf  ^ ) . 


1)  W.  D.  Halliburton,  Joum.  of  Physiol.  8,  i,   33  (1888)  und  Bio- 
chemistry  of  muscle  and  nerve,  London,  John  Murray  (1904). 

2)  O.  V.  Fürth  (Pharmakalog.  Inst.  d.  d.  Univ.  Prag),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  S«,  231  (1895). 

3)  Literatur  über  EiweiBkörper  des  Muskels:   O.  v.  Fürth,  Ergebn.  d. 
Physiol.    1,    113 — 120   (1902).      W.    D.    Halliburton,    Biochemistry   of 

9* 


132  V^II.  Vorlesung. 


Meinen   Anschauungen   entsprechend  vollzieht  sich   die  Ge- 
rinnung des  Muskelplasmas  nacli  folgendem  einfachem  Schema : 

Myosin  Myogen 

I 
lösliches  Myogenfibrin 

i 

Myosinfibrin  Myogenfibrin. 

Muskelstroma.  Eine  wesentliche  Wandlung  haben  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
unsere  Anschauungen  hinsichtlich  der  Natur  des  Muskel- 
stromas  erfahren.  Bekanntlich  bleibt,  wenn  Muskeln  ohne  An- 
wendung besonderer  Vorsichtsmaßregeln  mit  Neutralsalzlösungen 
erschöpft  werden,  die  Hauptmenge  der  Muskelmasse  ungelöst 
zurück.  Man  hat  dieselbe  früher  stets  als  »Muskelstroma«  dem 
»Muskelplasma«  gegenüber  gestellt.  Eine  Untersuchung  jedoch, 
die  Paul  Saxl^)  vor  einigen  Jahren  auf  meine  Veranlassung  aus- 
geführt hat,  zeigt,  daß  die  Nichtbeachtung  postmortaler  Verände- 
rungen zu  einer  gänzlichen  Verkennung  des  Verhältnisses  zwischen 
Muskelplasma  und  Stroma  geführt  hatte.  Schon  kurze  Zeit  nach 
dem  Tode  geht  nämlich  ein  beträchtlicher  Teil  der  Plasmaeiweiß- 
körper spontan  aus  der  löslichen  in  die  schwerlösliche  Form 
über.  Werden  nun  die  zerkleinerten  Muskeln  möglichst  schnell 
unter  Eiskühlung  mit  zehnprozentiger  Ammoniumchloridlösimg 
erschöpft  und  die  postmortalen  Veränderungen  so  nach  Möglich- 
keit hintangehalten,  so  ergibt  sich  die  überraschende  Tatsache, 
daß  nicht,  wie  man  früher  gemeint  hatte,  die  Hauptmenge,  son- 
dern nur  ein  geringer  Bruchteil  (sicherlich  weniger  als  ein  Achtel) 
des  Eiweißbestandes  des  quergestreiften  Skelettmuskels  eines 
Säugetieres  aus   »Stroma«  besteht. 

Verbreitung  Hinsichtlich   der   Verbreitung   der   einzelnen    Muskel- 

der    einzelnen  ^i^ejß  1^5 j-pgj.   j^   (j^j.   Tierreihe   haben   vergleichend-physiolo- 

Muslceieiweiß-  0  x-    ^ 

icörper.  gische  Untersuchungen  gelehrt,  daß  typisches  Myogen  nur  bei 
Wirbeltieren  auftritt,  während  Wirbellose  (ich  habe  in  Neapel 
besonders    Seewalzen    und    Cephalopoden    genauer    daraufhin 


muscle  and  nerve,  London,  John  Murray  (1904).  O.  Cohnheim,  Chemie 
der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  204 — 211  (191 1).  O.  v.  Fürth,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 2,  II,  244 — 259  (1909). 

1)  P.  Saxl,  Hofmeisters  Beitr.  9,  i   (1906). 


Das  Muskelgewebe.  133 


untersucht^))  in  ihrer  Muskulatur  gerinnbare  Eiweißkörper  an- 
derer Art  enthalten.  Nach  den  Untersuchimgen  von  Hans  Przi- 
bram^)  findet  sich  das  Myosin  und  Myogen  bei  allen  Wirbel- 
tieren; das  lösliche  Myogenfibrin  findet  sich  nur  bei  Fischen 
und  Amphibien,  während  es  bei  ReptiUen,  Vögeln  und  Säuge- 
tieren nur  als  sekundäres  Umwandlungsprodukt  des  Myogens  zur 
Beobachtung  gelangt.  Das  Myoproteid,  ein  unkoagulabler-Ei- 
weißkörper,  den  ich  seinerzeit  in  den  Muskeln  von  Fischen  auf- 
gefunden hatte 3),  findet  sich  in  reichlicher  Menge  nur  bei  diesen; 
bei  Amphibien  tritt  es  höchstens  spurenweise  auf;  bei  höher 
organisierten  Tieren  wird  es  ganz  vermißt. 

Die  Wärmegerinnimg  der  Muskeleiweißkörper  steht  in  un- 
mittelbarem Zusammenhange  mit  der  Frage  der  Wärmestarre  Wärmestarre, 
und    der   Anpassung   tierischer   Organismen   an   höhere 
Temperaturen. 

üCwÄn^  hatte  festgestellt,  daß  Warmblüter  bei  47 — 50°,  Frösche 
aber  bereits  bei  35 — 40°  wärmestarr  werden.  Dieser  Unterschied 
hat  durch  meine  Beobachtungen  über  das  Vorkommen  prä- 
formierten löslichen  Myogenfibrins  im  Muskel  der  Amphibien 
seine  einfache  Erklärung  gefunden.  Sorgfältige  Beobachtungen 
über  die  stufenweise  Verkürzung,  welche  der  Muskel  bei 
langsamem  Erwärmen  erfährt,  sind  insbesondere  von  Brodie 
und  Richardson^),  sowie  im  Laboratorium  v.  Freys  in  Würzburg 
ausgeführt  worden;  dieselben  lassen  keinen  Zweifel  darüber  zu, 
daß  die  einzelnen  Plasmaeiweißkörper  im  Muskel  vorgebildet  und 
nicht  etwa  Kunstprodukte  sind. 

Durch  den  Eintritt  der  Wärmestarre  werden  nun  auch  die 
natürlichen  Grenzen  bestimmt,  welche  dem  Tier  leben  bei  hohen 
Temperaturen  gesetzt  sind.  Eine  lange  Reihe  von  Beobachtungen, 
die  sich  auf  die  verschiedensten  Tierkreise  beziehen,  lehrt,  daß 


i)  O.  V.  Fürth,  Z.  f.  physiol.  Chemie  31,  33S  (1900). 

2)  H.  Przibram,  Hofmeisters  Beitr.  2,  143  (1902)., 

3)  O.  V.  Fürth,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  8f,  259 — 262  (1895). 

4)  T.  G.  Brodie  und  S.  W.  Richardson,  Phil.  Transactions,  Lond<Mi, 
B.  IM,  127  (1899). 

5)  V.  Frey,  Sitzungsber.  d.  Würzburger  physikalisch.-med.  Ges.  1905 u. 
1906.  M.  Reißner,  Dissert.  Würzburg  1905.  Inagaki  (Phys.  Inst. 
Würzburg),  Zeitschr.  f.  Biol.  48,  313  (1906),  vgl.  auch  E.  B.  Meigs,  Amer. 
Joum.  of  Physiol.  24,  i  (1909).     A.  Moore,  ibid.  7,  i  (1902). 


134  VII.  Vorlesung. 


bei  der  weitaus  überwiegenden  Mehrzahl  niederer  tierischer 
Organismen  die  Koagulation  des  Muskelplasmas  bei  einer  Tem- 
peratur von  35 — 40°  beginnt,  und  daß  diese  Breite  gleichzeitig  auch 
die  obere  Grenze  bedeutet,  jenseits  derer  jedes  Leben  erlischt  ^). 
Gewöhnung  an  Es  liegen  aber  einige  merkwürdige  Ausnahmsfälle  vor,  die  sich 
hohe    Tempe-  ^^^f   ^^^  Tierleben   in   heißen  Quellen   beziehen.     So   sind 

Protozoen,  niedere  Krebse  und  die  Larven  einer  Fliegenart  bei 
Temperaturen  beobachtet  worden,  bei  denen  die  Muskeleiweiß- 
körper und  auch  andere  koagulable  Gewebsproteide  im  allge- 
meinen längst  geronnen  sind.  Wir  stehen  hier  vor  einer  der 
merkwürdigsten  Naturerscheinungen,  und  wir  würden  ihr  gänz- 
lich ratlos  gegenüber  stehen,  wenn  nicht  das  Moment  der  An- 
passung durch  allmähliche  Gewöhnung  herangezogen  wer- 
den könnte,  welches  zwar  an  sich  noch  keine  Erklärung  bietet, 
aber  immerhin  eine  Erklärungsmöglichkeit  näher  rückt. 

Es  liegen  bereits  einige  erfolgreiche  Versuche  vor,  Tiere  durch 
ganz  allmähliche  Temperatursteigerung  an  höhere  Temperaturen 
zu  gewöhnen.  So  hat  Dallinger^)  mit  unendlicher  Sorgfalt  und 
Mühe  Protozoen,  die  gewöhnlich  bei  15°  leben  und  bei  60° 
augenblicklich  absterben,  im  Laufe  einiger  Jahre  dahin  gebracht, 
daß  sie  bei  70°  gediehen,  jedoch  bei  15  °  sogleich  zugrunde  gingen. 
Es  hat  ferner  der  vortreffliche  amerikanische  Biologe  Davenport^) 
Kröteneier  einerseits  bei  15°,  andererseits  bei  25°  gezüchtet  und 
beobachtet,  daß  die  ausgeschlüpften  Kaulquappen  in  letzterem 
Falle  statt  bei  41°  erst  bei  43°  wärmestarr  wurden.  Dagegen 
sind  in  der  Wiener  biologischen  Versuchsanstalt  unter  der  Leitung 
Hans  Przibrams  ausgeführte  Versuche,  um  die  Koagulations- 
temperatur des  Amphibienmuskels  durch  Gewöhnung  an  höhere 
Temperaturen  zu  verschieben,  negativ  ausgefallen.  Auch  zeigte 
ein  beständig  im  heißen  Wüstensande  lebendes  Reptil,  der 
Wüstenwaran,  dieselbe  Gerinnungstemperatur  wie  andere  Rep- 
tilien*). 

i)  Literatur  über  Wärmestarre  und  Gewöhnung  tierischer  Organismen 
an  erhöhte  Temperaturen:  C.  B.  Davenport,  Experimental  Morpholog>', 
I,  219 — 273,  New  York,  The  Macmillan  Company  1897.  O.  v.  Fürth, 
Vergleich,  ehem.  Physiol.,  423 — 435.     Jena,  G.  Fischer,  1903. 

2)  W.  H.  Dallinger,  Joum.  Roy.  Micr.  Soc.  1887.    185. 

3)  Davenport  und  Castle,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  2,  227  (1896). 

4)  F.  Kriz,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  23,  560  (1907). 


Das  Muskelgewebe.  135 


Wir  gelangen  nunmehr  zur  Erörterung  einer  der  meist  um-  Die  Toten- 
strittenen  Frage  der  Physiologie :  der  Totenstarre f).  Hat  doch  ^^^"^' 
diese  auch  für  den  Laien  so  auffällige  Erscheinung  das  Interesse 
der  Menschen  erregt,  seitdem  dieselben  überhaupt  angefangen 
haben,  den  Rätseln  des  Lebens  nachzugrübeln,  und  noch  heute 
sind  wir  nicht  zu  einem  vollen  Verständnis  dieses  Phänomens 
gelangt. 

Nachdem  Kühne  die  spontane  Koagulierbarkeit  des  Muskel- 
plasmas dargetan  hatte,  schlössen  sich  die  meisten  Physiologen 
seiner  Auffassung  an,  derzufolge  die  Erscheinungen  der  Toten- 
starre durch  eine  Gerinnung  des  Muskelsaftes  bedingt  sein 
sollten. 

Demgegenüber  sind  aber  immer  wieder  Stimmen  laut  gewor- 
den, welche  einen  Zusammenhang  zwischen  den  Gerinmmgs Vor- 
gängen im  Muskelplasma  und  der  Totenstarre  leugneten,  imd 
seitdem  Nysten  im  Anfange  des  vorigen  Jahrhunderts  von  vita- 
listischen  Gesichtspunkten  aus  die  Totenstarre  als  »die  letzte 
Anstrengimg  des  sterbenden  Muskels«  bezeichnet  hatte,  sind 
immer  und  immer  wieder  der  »Kontraktionstheorie«  neue 
Anhänger  erstanden. 

So  hat  z.B.  vor  einigen  Jahren  Folin^)  die  Unabhängigkeit 
der  Totenstarre  von  den  Vorgängen  der  Eiweißgerinnung  be- 
hauptet, weil  er  beim  Vergleiche  frischer  Froschmuskeln  mit 
solchen,  die  er  durch  Gefrieren  in  einen  Starrezustand  versetzt 
hatte,  in  beiden  einen  annähernd  gleichen  Gehalt  an  koagulablem 
Eiweiß  feststellen  konnte. 

Nun  unterliegt  es  tatsächhch  keinem  Zweifel,  daß  zum  min- 
desten im  Warmblütermuskel  ein  großer  Teil  der  Muskeleiweiß- 
körper kurze  Zeit  nach  dem  Tode  in  einen  schwer  lösüchen 
Zustand  übergeht.  So  fand  Saxl  bei  seiner  vorerwähnten  Unter- 
suchung in  sofort  nach  dem  Tode  untersuchten  Kaninchen- 
muskeln etwa  88  %  gelöstes  und  nur  12  %  ungelöstes  Ei- 
weiß,  während   9  Stunden   später   schon   etwa   die  Hälfte   der 


i)  Literatur  über  Totenstarre:  L.  Hermann,  Hermanns  Handb.  d. 
Physiol.  1,  I,  140 — 153  (1879).  O.  Nasse,  ibid.  1,  I,  261 — 340  (1879). 
V.  Frey,  Nagels  Handb.  d.  Physiol.  4,  2.  Hälfte,  i.  Teil,  427 — 431  (1907). 
O.  V.  Fürth,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  252 — 259  (1907). 

2)  O.  Folin,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  9,  374  (1903). 


136  VII.  Vorlesung. 


Plasmaproteine  in  die  schwer  lösliche  »koagulierte«  Form  über- 
gegangen war. 

Wodurch  dieser  Gerinnungsvorgang  bedingt  ist,  ist  noch  nicht 
ganz  sichergestellt.  Ich  konnte  weder  Halliburtons  Annahme  eines 
(dem  Fibrinfermente  analogen)  gerinnimgsbef ordernden  »Myo- 
sinfermentes«  bestätigen,  noch  jenen  Autoren  Recht  geben, 
welche  eine  Kalkfällung  des  Muskelplasmas  annahmen,  (etwa 
in  ähnlicher  Weise,  wie  man  den  im  Blute  enthaltenen  Kalk  zur 
Fibringerinnung  in  Beziehung  gebracht  hat).  Ebensowenig 
konnte  ich  mich  der  Meinung  anschließen,  daß  es  sich  um  eine 
direkte  und  unmittelbare  Fällung  der  Muskeleiweiß- 
körper durch  die  postmortal  im  Muskel  auftretende 
Säure  handle  (also  in  dem  Sinne  etwa,  wie  eine  Lösung  von 
benzoesaurem  Natron  durch  Salzsä\u*e  gefällt  wird),  obgleich  ein 
fördernder  Einfluß  selbst  geringer  Säuremengen  auf  die  spon- 
tane Gerinnung  der  Muskeleiweißkörper  zweifellos  feststeht  i)  und 
es  nicht  unwahrscheinlich  ist,  daß  die  Milchsäureailhäufung 
die  causa  movens  darstellt,  welche  den  Ausflockungsvor- 
gang einleitet. 

Wenngleich  ich  also  früher  ein  entschiedener  Anhänger  der 
»Gerinnungstheorie «  gewesen  bin,  vermochte  ich  mich  nicht  der 
Wahrnehmung  zu  verschließen,  daß  manche  Tatsachen  durch 
dieselbe  nur  ungenügend  erklärt  werden. 

So  stellte  ich  z.  B.  Versuche  in  der  Art  an,  daß  ich  aus  den 
Muskeln  der  einen  Körperhälfte  eines  frisch  getöteten  Hundes 
einen  Preßsaft  bereitete  und  gleichzeitig  an  den  in  situ  belassenen 
Muskeln  der  anderen  Seite  den  Eintritt  der  Totenstarre  beob- 
achtete. Es  ergab  sich  nun,  daß  die  Niederschlagsbildung  in 
vitro  nicht  etwa  gleichzeitig,  sondern  einige  Stunden  später  er- 
folgte, als  die  Totenstarre  eingesetzt  hatte. 
Chemische  Weitere  Bedenken  ergaben  sich  mir  beim  Studium  der  »che- 

starre.       mischen  Starre «2).    Die  Mehrzahl  der  Substanzen,  welche  am 


i)  O.  V.  Fürth,  Hofmeisters  Beitr.  8,  543  (1903). 

2)  Literatur  über  chemische  Starre:  H.  Heinz»  Handb.  d.  experim. 
Pathol.  u.  Pharmakol.,  1,  i.  Hälfte,  576 — 587  (1905).  O.  v.  Fürth, 
Handb.  d.  Biochemie  2,  H,  257 — 259  (1909),  vgl.  auch:  O.  Seh  miede - 
berg,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  2,  62  (1874).  J.  Pohl,  ibid.  24,  142  (1888). 
Santesson,  ibid.  SO,  411  (1882).     R.  A.  Kerry  und  E.  Rost,  ibid.  SO, 


Das  Muskelgewebe.  137 


lebenden  Tiere  Muskelstarre  zu  erzeugen  vermögen,  sind  aller- 
dings auch  imstande,  die  Gerinnung  des  Muskelplasmas  zu  för- 
dern. Es  gilt  dies  für  das  Veratrin,  das  Koffein,  das  mono- 
bromessigsaure  Natron,  das  Chinin,  das  Chloroform,  das 
Natriumperchlorat  u.  a.  Es  gibt  aber  einige  Fälle,  wo  ge- 
rinnungs-  und  starrebefördernde  Wirkung  ganz  und  gar  nicht 
miteinander  parallel  gehen.  So  übt  das  Rhodannatrium  und 
das  Salizylsäure  Natrium  eine  außerordentlich  intensive  Ge- 
rinnungswirkung auf  das  Muskelplasma  aus,  ohne  dem  lebenden 
Muskel  gegenüber  einen  starreerregenden  Effekt  zu  entfalten. 
Und  umgekehrt  erzeugt  das  Fluornatrium,  in  fünfprozentiger 
Lösung  in  die  Femoralarterie  eines  frisch  getöteten  Kaninchens 
eingespritzt,  fast  augenblicklich  eine  Muskelstarre  höchsten 
Grades,  ohne  daß  von  einer  koagulationsbefördernden  Wirkung 
dieses  Salzes  in  vitro  etwas  zu  merken  wäre.  Das  mußte  mich 
stutzig  machen  und  gab  zu  denken  i). 

Das  schwerstwiegende  Argument  gegen  die  Gerinnungstheorie  Lösung  der 
der  Totenstarre  liegt  aber  meines  Erachtens  in  dem  Phänomene  Muskcistarre. 
ihrer  Lösung.  Bekannthch  vjerschwindet  die  Totenstarre  spon- 
tan nach  einiger  Zeit.  Ebenso  sah  Hermann,  der  die  Hinterbeine 
eines  lebenden  Kaninchens  durch  Eintauchen  in  Wasser  von  50° 
wärmestarr  gemacht  hatte,  in  denselben  nach  einiger  Zeit  die 
Beweglichkeit  wiederkehren.  Ähnliches  ist  für  die  Chloroform- 
starre u.  dgl.  und  femer  von  Brown- Sequard  und  Stannius  auch 
für  die  lokale  Muskelstarre  festgestellt  worden,  die  nach  zeitweiser 
Unterbrechung  der  arteriellen  Blutzufuhr  eintritt.  In 
elegantester  Weise  läßt  sich  das  Phänomen  am  Froschherzen 
demonstrieren,  das,  nachdem  es  durch  Wärme  oder  durch 
die  verschiedensten  Gifte  starr  gemacht  worden  war,  seine  regel- 
mäßige rhythmische  Tätigkeit  wieder  aufnimmt,  nachdem  man 
einige  Zeit  Lockesche  Lösung  u.  dgl.  durchgeleitet  hat.  Dem 
russischen  Physiologen  Kuliabko  ist  es  sogar  gelungen,  das  Herz 
eines  Kindes  20  Stunden  nach  dem  Tode  mittels  künsthcher 
Zirkulation  von  Lockescher  Lösung  in  regelmäßige  rhythmische 

144  (1897).    C.  Jakobi  und  Golowinski,  ibid.  Schmiedeberg-Festschr., 
286  (1908). 

I)  O.  V.  Fürth,   Arch.   f.  exper.  Pathol.  87,   389   (1896)   und  Hof- 
meisters Beitr.  3,*  543  (1903). 


138  VII.  Vorlesung. 


Tätigkeit  zu  versetzen  und  dieselbe  über  eine  Stunde  zu  unter- 
halten i). 

Man  hat  versucht,  die  Lösung  der  Muskelstarre,  welche  zweifel- 
los ganz  unabhängig  von  der  Fäulnis  erfolgt  2),  durch  die  An- 
nahme zu  erklären,  daß  das  geronnene  Eiweiß  durch  autoly- 
tische  Fermente  verdaut  werde.  Diese  Erklärung  könnte  mög- 
licherweise in  jenen  Fällen  genügen,  wo  es  sich  um  Lösimg  einer 
lokalen,  künstlich  hervorgerufenen  Muskelstarre  am  lebenden 
Tiere  handelt;  sie  versagt  aber  bei  der  normalen  physiologischen 
Totenstarre.  Die  autolytischen  Vorgänge  im  Muskel  halten  sich, 
was  ihre  Intensität  betrifft,  innerhalb  recht  bescheidener  Gren- 
zen, und  es  ist  gänzlich  ausgeschlossen,  daß,  wenn  nach  Saxls 
Feststellung  zur  Zeit  des  Vorhandenseins  der  Totenstarre  sich 
die  Hauptmenge  der  Muskeleiweißkörper  in  geronnenem  Zustande 
befunden  hat,  dieselbe  etwa  bei  der  Lösung  der  Starre  autoly- 
tisch  verdaut  worden  ist.  Man  müßte  ja  dann  in  der  Lage  sein,  die 
dabei  auftretenden  wasserlöslichen  Verdauungsprodukte  an  einer 
gewaltigen  Zunahme  des  löslichen,  nicht  koagulablen  Stick- 
stoffes im  Muskelextrakte  zu  erkennen.  Davon  ist  aber  gar  keine 
Rede^),  imd  es  war  ein  großer  Irrtum,  wenn  man  die  Tatsache, 
daß  man  mit  einer  Fleischsaftpresse  aus  einem  totenstarren  Muskel 
viel  mehr  Saft  auspressen  kann  als  aus  einem  frischen,  mit  Vogel 
dahin  deuten  wollte,  daß  der  Muskelsaft  erst  beiderAutolyse 
neu  gebildet  werde.  Allem  Anscheine  nach  handelt  es  sich 
um  eine  mit  der  Veränderung  der  Kolloide  einhergehende  Ände- 
rung der  Festigkeit  der  Wasserbindung. 

Wenn  Mellanby^)  meint,  das  Verschwinden  der  Starre  beruhe 


1)  Heubel,  Pflügers  Arch.  35,  460  (1889).     A.  A.  Kuliabko,  ibid. 
,  461  (1902)  u.  •?,  539  (1903).     A.  VV.  Simin  (Physiol.  Labor.  Tomsk), 

Zentralbl.  f.   Physiol.  18,  89  (1904). 

2)  Vgl.  J.  Karpa  (Physiol.  Inst.  Königsberg),  Pflügers  Arch.  112, 
199  (1906). 

3)  S.  G.  Hedin  und  S.  Rowland.  Z.  f.  physiol.  Chemie  $2,  537  (1901). 
R.  Vogel,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  78,  292  {1902).  S.  Schmidt- 
Nielson,  Hofmeisters  Beitr.  4,  182  (1904).  L.  Delrez,  Arch.  intern,  de 
Physiol.  1,  159  (1904).  Oker-Blom  (Physiol.  Inst.  Helsingfors),  Skand. 
Arch.  f.  Physiol.  14,  48  (1903). 

4)  J.  Mellanby,  Journ,  of  Physiol.  37,  Proc.  Physiol.  Soc.  XXXIV 
(1908). 


Das  Muskelgewebe.  139 


versuch  der 
Totenstarre  als 


auf  einer  Lösung  des  geronnenen  Muskeleiweißes  durch 
die  neugebildete  Milchsäure,  so  ist  demgegenüber  zu  be- 
merken, daß  geronnenes  Eiweiß  in  Milchsäure  bei  gewöhnhcher 
Temperatur  unlöslich  ist.  ^ 

Die  Gerinnungstheorie  kann  also  vielleicht  den  Eintritt,  keines- 
falls aber  die  Lösung  der  Totenstarre  in  befriedigender  Weise 
erklären.  Diese  Tatsache  hat  mich,  seitdem  ich,  vor  nunmehr 
fast  zwei  Dezennien,  im  Hofmeister  sehen  Laboratorium  begonnen 
hatte,  mich  mit  den  Muskelproteinen  zu  befassen,  bis  zum  heutigen 
Tage  dazu  geführt,  immer  und  immer  wieder  nach  kürzeren  oder 
längeren  Pausen  die  Frage  der  Totenstarren  neu  aufzunehmen. 
Jetzt  glaube  ich  endlich,  der  Wahrheit  auf  der  Spur  zu  sein. 

Falls  sich  die  Hoffnung  nicht  als  trügerisch  erweisen  sollte,    Erkiärungs- 
daß  es  hier  den  vereinigten  Bemühungen  der  Biologen  gelungen 
ist,  die  Lösung  eines  Rätsels  zu  finden,  an  dem  sich  die  Ph37sio-        eines 
logie   solange  vergeblich   bemüht  hat,    verdanken    wir    dies    in     Q"c**""ßs- 

°  °  ®  '  Vorganges. 

erster  Linie  den  neuesten  Fortschritten  eines  neuen  Zweiges  der 
physikalischen  Chemie:  der  Kolloidchemie. 

Karl  Spiro ^)  hat  die  wichtige  Beobachtung  gemacht,  daß  die 
Quellung  von  Kolloiden  durch  die  Gegenwart  von  freien 
Wasserstoffionen  mächtig  beeinflußt  wird,  derart,  daß  eine 
Leimplatte  bei  Gegenwart  einer  minimalen  Säure  menge  das 
Mehrfache  jener  Wassermenge  in  sich  aufnimmt,  die  sie  zu  binden 
vermag,  wenn  ihre  Quellung  sich  in  reinem  Wasser  vollzieht. 
Nachdem  der  Einfluß  von  Säuren  auf  Quellungsvorgänge  durch 
Wolf  gang  Ostwald^)  genauer  studiert  worden  war,  hat  Martin  H. 
Fischer^)  auf  die  große  Wichtigkeit  aufmerksam  gemacht,  welche 
diesem  Vorgange  mit  Rücksicht  auf  die  postmortale  Säurebildimg 
^ür  die  Erklärung  gewisser  physiologischer  und  pathologischer 
Vorgänge,   insbesondere  der   Ödeme,   zukommt.     Wir  werden 


i)  K.  Spiro,  Hofmeisters  Beitr.  5,  276  (1904). 

2)  W.  Ostwald,  Pflügers  Arch.  108,  563  (1905). 

3)  M.  H.  Fischer  und  G.  Moore,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  2f,  330 
(1907)  und  Zeitschr.  f.  Kolloidchemie,  Spezialheft  Kolloidchemie  6,  286 
(1909).  M.  H.  Fischer,  Pflügers  Arch.  125,  396  (1908)  und  Zeitschr. 
f.  Kolloidchemic  8,  Heft  3.  März  191 1.  H.  R.  Procter,  KoUoidchem. 
Beihefte,  2,  Heft  6/7  (1911).  M.  H.  Fischer,  Das  ödem.  Deutsch  von 
K.  Schorr  und  \V.  Ostwald,   Dresden,  Th.  Steinkopf  {1910). 


140 


VII.  Vorlesung. 


Engelmann- 
sche  Theorie 
der  Muskel- 
kontraktion. 


später  noch  Gelegenheit  haben,  auf  diesen  Gegenstand  ausführ- 
licher zurückzukommen.  Wenn  z.  B.  eine  Wasserleiche  außer- 
ordentlich stark  gedunsen  erscheint,  wenn  ein  frisch  ausgelöstes 
Ochsenauge  im  Wasser  so  stark  quillt,  daß  es  jm  höchsten  Grade 
»  glaukomatös«  erscheint,  wenn  endlich  eine  Niere  überraschender- 
weise nicht  nur  nach  Abbindung  ihrer  Venen,  sondern  auch  nach 
Abklemmung  ihrer  Arterien  ödematös  wird,  so  hängen  alle  diese 
Erscheinungen  mit  der  postmortalen  Säurebildung  zusam- 
men, welche  sogleich  beginnt,  sobald  der  normale  Blutkreis- 
lauf stockt  und  die  einsetzende  Säurebildung  die  Gewebe  be- 
fähigt, durch  vermehrte  Quellung  Flüssigkeit  aus  ihrer  Umgebung 
in  sich  aufzunehmen. 

Es  lag  also  wohl  nicht  allzuferne,  wenn  ich  bei  meinen  neuesten, 
gemeinsam  mit  Emil  Lenk  ausgeführten  Untersuchungen  i) 
die  Frage  aufgegriffen  habe,  ob  nicht  etwa  Quellungserschei- 
nungen auch  bei  dem  Phänomene  der  Totenstarre  mitspielen. 
Die  Vorstellung  einer  Veränderung  der  Wasserverteilung  zwischen 
den  einzelnen  Bestandteilen  der  Muskelfaser  bei  der  Zusammen- 
ziehung derselben  hegt  ja  auch  der  bekannten  Engelmannschen 
Theorie  der  Muskelkontraktion  zugrunde;  eine  solche 
Annahme  hat  (mit  verschiedenen  Varianten),  soweit  ich  sehe, 
auch  bei  den  modernen  Histologen  vielfach  Beifall  gefunden*). 
Die  Mehrzahl  der  Autoren  scheint  zum  mindesten  der  Meinung 
zuzustimmen,  daß  der  Kontraktionsakt  mit  irgendwelchen  Ver- 
schiebungen der  Wasser  Verteilung  in  der  Muskelfaser  einhergeht. 

Kürzlich  haben  sowohl  Edward  B.  Meigs^)  als  auch  Ernst 
Przibram^)  auf  die  MögUchkeit  hingewiesen,  daß  die  bei  der 
Muskeltätigkeit  innerhalb  der  Muskelfaser  vor  sich  gehende 
Säurebildung   durch   die   lokale  Änderung   der  Quellungsver- 


i)  O.  V.  Fürth  und  E.  Lenk,  Wiener  klin.  Wochenschr.  191 1  Nr.  30 
und  Biochem.  Z.  33,  341   (191 1). 

2)  Vgl.  M.  Haidenhain,  Plasma  u.  Zelle.  2.  Lief.:  Die  kontraktüe 
Substanz;  zugleich  19.  Lief.  d.  Handb.  d.  Anat.,  herausgeg.  von  K.  v. 
Bardeleben,   191 1. 

3)  E.  B.  Meigs,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  26,  191  (1910). 

4)  E.  Przibram,  Die  Bedeutung  der  Quellung  und  Entquellung  für 
physiologische  und  pathologische  Erscheinungen.  Kolloidchem.  Beihefte 
2,  Heft  1/2  (Oktober  1910). 


Das  Muskelgewebe.  141 


hältnisse  beim   Kontraktionsvorgange  eine  sehr  wichtige   Rolle 
spielen  könne. 

Meigs  gibt  nun  der  Meinung  Ausdruck,  daß,  ebenso  wie  bei 
der  Tätigkeit,  auch  beim  Absterben  die  innerhalb  der  Muskelfaser 
erfolgende  Säurebildung  eine  Wasserverschiebung  herbeiführt, 
indem  jene  Formelemente,  in  denen  die  Säure  (es  handelt  sich 
um  Milchsäure)  auftritt,  aufquellen  und  das  hierzu  erforderliche 
Wasser  der  Nachbarschaft  entziehen.  Dieser  Wasser  Verschiebung 
entspreche  aber  ein  Kontraktionszustand  des  Muskels.  Während 
jedoch  bei  der  normalen  Kontraktion  diese  Zustandsänderung 
alsbald  wieder  rückgängig  wird  ( —  man  könnte  dabei  an  eine 
Neutralisation  der  neugebildeten  Säure  durch  das  Blutalkali 
oder  an  eine  oxydative  Zerstörung  derselben  denken  — )  und  der 
Muskel  erschlafft,  wird  im  absterbenden  Muskel*  diese  Zu- 
standsänderung eben  nicht  mehr  rückgängig,  weil  die  angehäufte 
Milchsäure  nicht  mehr  verschwindet.  Der  Muskel  verharrt 
sonach  in  einem  Zustande  von  tonischer  Kontraktur.  Sollte 
diese  Auffassung  richtig  sein,  so  hätte  also  Nysten  doch  nicht 
ganz  unrecht  gehabt,  wenn  er  behauptete,  die  Totenstarre  sei 
»die  letzte  Anstrengung  des  absterbenden  Muskels«. 

Nachdem  nun  dieser  Starrezustand  einige  Zeit  lang  gedauert  Die  Lösung  der 
hat,  erfolgt  seine  Lösung.    Diese  ist  nun,  nach  meiner  und  meines  ™t"^*?f^*^  ^*^ 
Mitarbeiters    E.   Lenk  Auffassung,    durch    eine   Entquellung      Vorgang. 
bedingt,  welche  durch  die  fortschreitende  Gerinnung  der 
Muskeleiweißkörper  herbeigeführt  wird. 

Fletcher  sowie  M,  H,  Fischer'^)  haben  die  Beobachtung 
gemacht,  daß  ein  ausgeschnittener  Muskel,  den  man  in  Wasser 
oder  verdünnter  Salzsäure  quellen  läßt,  zuerst  schnell  Wasser 
aufnimmt,  nach  einiger  Zeit  aber  wieder  entquillt.  Eine  be- 
friedigende Erklärung  für  diese  Erscheinung  lag  nicht  vor.  Wir 
haben  nun  durch  eine  ausgedehnte  Beobachtungsreihe  sicher- 
gestellt, daß  diese  Entquellung,  welche  beim  Wirbeltiermuskel 
etwa  20  bis  30  Stunden  nach  dem  Tode  beginnt,  durch  die  fort- 
schreitende Gerinnung  der  Muskeleiweißkörper  bedingt 
ist.    Jede  Eiweißgerinnung  geht  nämlich  mit  einem  verminderten 


i)  W.  M.  Fletcher,  Joum.  of  Physiol.  30,  414  (1904).    M.  H.  Fischer, 
Das  ödem,  S.  57  ff.,  Dresden,  Th.  Steinkopf  (1910). 


142  VII.  Vorlesung. 


Wasserbindungsvermögen  des  kolloidalen  Systems,  also  mit  einem 
Entquellungsvorgange  einher.  Jene  Agentien,  welche  (wie  die 
Wärme,  das  Chinin,  das  Koffein,  die  Rhodansalze)  das  Muskel- 
plasma zur  Gerinnung  bringen,  ändern  das  Wasserauf nahms- 
vermögen  in  höchst  augenfälliger  Weise  derart,  daß  der  ausge- 
schnittene Muskel  in  Wasser  eingebracht,  statt,  wie  es  der  normale 
Muskel  tut,  zu  quellen,  nunmehr  entquillt.  Und  auch,  wenn  wir 
einen  frischen  Muskel  mit  einem  solchen  vergleichen,  dessen 
Totenstarre  bereits  gelöst  ist,  erweist  sich  der  letztere  als 
nicht  mehr  quellungsfähig. 

Ein  anderer  sehr  auffälliger  Unterschied  zwischen  frischen 
Muskeln  und  solchen,  deren  Starre  bereits  gelöst  ist,  ist  der,  daß 
die  in tra vaskuläre  Einspritzung  von  Chininsalzen,  Chloroform  u. 
dgl.  in  den  letzteren  keine  Starre  mehr  zu  erzeugen  vermag;  und 
doch  enthalten  solche  Muskeln  noch  viel  gerinnungsfähiges  Muskel- 
plasma und  können,  wenn  man  sie  in  heißes  Wasser  taucht, 
noch  wärmestarr  werden. 

Wir  unterscheiden  zwei  Arten  von  Starre:  Koagulations- 
und Quellungsstarre.  Die  Wärmestarre,  bei  der  der  ganze 
Muskel  weiß  und  undurchsichtig  wird,  ist  eine  echte  Koagulations- 
starre. Eine  Gerinnung  des  Muskelplasma  kann,  muß  aber 
nicht  zu  einem  Starrezustande  führen:  das  hängt  offenbar  von 
der  Art  und  SchneUigkeit  der  Gerinnung  ab.  Ein  Muskel  nach 
Lösung  der  Starre  enthält  sicherlich  noch  sehr  viel  geronnenes 
Eiweiß  und  ist  dennoch  nicht  starr.  Ein  Muskel,  in  den  wir 
Fluornatrium  eingespritzt  haben,  ist  allem  Anschein  nach  nicht 
geronnen  und  dennoch  maximal  starr.  Wir  vermuten,  daß  die 
typischen  starrcerregenden  Muskelgifte^),  auch  wenn  sie 
die  Eiweißgerinnung  im  Muskel  befördern,  die  Starre  zunächst 
dadurch  erzeugen,  daß  sie  als  Protoplasmagifte  wirken  und 
(wahrscheinlich  infolge  einer  explosiven  Säurebildung)  eine 
Wasserverschiebung  im  Muskel  hervorrufen.  Nach  Maß- 
gabe, als  die  Eiweißgerinnung  im  Muskel  fortschreitet,  erfolgt 
Entquellung  und  Lösung,  welche  auch  bei  der  chemischen 
Starre  nicht  ausbleibt. 

Wir  haben  früher  gesehen,  daß  die  Gerinnimgstheorie  allen- 


i)  Vgl.  F.  Ransom,  Journ.  of  Ph3rsiol.  42,  144  (191 1). 


Das  Muskelgewebe.  143 


falls  den  Eintritt,  keinesfalls  aber  die  Lösung  der  Totenstarre 
zu  erklären  vermag.  Wir  glauben  nun  einen  sehr  wesent- 
lichen Vorzug  der  Quellungshypothese  darin  erblicken 
zu  dürfen,  daß  sie  die  Möglichkeit  bietet,  durch  die 
einfache  Annahme  eines  Entquellungsvorganges  das 
Phänomen  der  Lösung  der  Totenstarre  in  unge- 
zwungener Weise  erklären  zu  können. 

Es  bietet  sich  uns  aber  hier  auch  die  Mögüchkeit,  unsere 
Lösungshypothese  durch  ein  Experimentum  crucis  zu  prüfen. 
Wenn  die  Lösung  der  Starre  wirkhch  durch  einen  Gerinnungs- 
vorgang bedingt  ist,  müssen  jene  Faktoren,  welche  die  Gerinnung 
des  Muskelplasmas  fördern,  gleichzeitig  auch  die  Lösung  der 
ausgebildeten  Starre  beschleunigen.  Ein  solcher  Faktor  ist  nun 
mäßige  Wärmezufuhr.  Wir  wissen,  daß  die  Gerinnung  des 
Muskelplasmas  im  Brutofen  viel  schneller  erfolgt  als  bei  Zimmer- 
temperatur* Nun  war  aber  die  Tatsache,  daß  sich  die  Totenstarre 
bei  Sonnenhitze  schneller  löst  als  bei  Winterkälte,  bereits  den 
alten  Physiologen  bekannt.  Von  dem  beschleunigenden  Einfluß 
der  Brutofenwärme  auf  den  Lösungsvorgang  konnten  wir  uns 
auch  in  einigen  Beispielen  chemischer  Starre  in  schlagender  Weise 
überzeugen.  Wäre,  im  Sinne  der  älteren  Anschauung,  nicht  die 
Lösung,  sondern  der  Eintritt  der  Totenstarre  durch  einen  Ge- 
rinnungsvorgang bedingt,  so  müßte  ja  eine  Steigerung  der  Eiweiß- 
gerinnung durch  Brutofenwärme  eine  Erhöhung,  nicht  aber  eine 
Aufhebung  des  Starrezustandes  herbeiführen.  Daß  aber  letzteres 
tatsächhch  der  Fall  ist,  fällt  schwer  in  die  Wagschale  und  zwar 
zugunsten  unserer  Anschauung,  derzufolge  die  Lösung  der  Toten- 
starre diurch  Eiweißgerinnung  bedingt   ist. 

Es  ist  Ihnen  allen  bekannt,  daß  hochgradige  Muskel- 
anstrengungen, Krämpfe  u.  dgl.  den  Eintritt  der  Totenstarre 
erheblich  beschleunigen.  Da  im  Sinne  der  Quellungstheorie  die 
Milchsäure  die  causa  movens  der  Totenstarre  ist,  Muskelan- 
strengungen aber  mit  vermehrter  Säurebildung  einhergehen,  ist 
die  vorerwähnte  Tatsache  leicht  verständlich.  Anderseits  können 
wir  vermuten,  daß  Beobachtungen,  wie  diejenigen  v.  Eiseisbergs 
über  einen  verzögerten  Eintritt  der  Totenstarre  in  Mus- 
keln nach  Durchschneidung  der  zugehörigen  Nerven 
mit  einer  veränderten  Milchsäurebildung  zusammenhängen.    Wir 


144  VII.  Vorlesung. 


werden  uns  aber  auch  nicht  darüber  wundern,  daß  die  Toten- 
starre in  einem  Muskel  unter  dem  Drucke  einiger  Sauerstoff- 
atmosphären ausbleibt;  haben  doch  Fleicher  und  Hopkins  die 
interessante  Tatsache  festgestellt,  daß  es  unter  diesen  Verhält- 
nissen zu  keiner  Milchsäureanhäufung  im  Muskel  kommt. 

Wie  erwähnt,  liegen  zahlreiche  Beobachtungen  darüber  vor, 
daß  es  gelingt,  eine  bereits  ausgebildete  Muskelstarre  zur  Rück- 
bildung zu  bringen,  wenn  man  einen  Strom  einer  indifferenten 
Flüssigkeit  durch  die  Muskelgefäße  durchleitet.  Ich  bin  nun  der 
Meinung,  daß  sich  Beobachtungen  dieser  Art  durch  die  Quel- 
lungshypothese weit  ungezwungener  erklären  lassen,  als  durch 
die  Gerinnungstheorie.  Es  ist  sicherlich  leichter,  sich  vorzustellen, 
daß  die  gequollenen  Muskelfibrillen  schnell  entquellen,  wenn  man 
die  sie  durchtränkende  Sävire  etwa  durch  das  Blutalkali  neutra- 
hsiert,als  daß  eine  geronnene  Eiweißmasse  etwa  auf  autol5^ischem 
Wege  binnen  weniger  Augenblicke  verdaut  wird. 

Nach  Versuchen,  die  kürzHch  im  Laboratorium  F.  B,  Hoff- 
manns^)  ausgeführt  worden  sind,  läßt  sich  bei  der  Einwirkung 
von  Chloroformdämpfen  auf  Froschmuskeln  zunächst  ein 
Anfangsstadium  der  Muskelstarre  erkennen,  während  dessen 
die  Beseitigung  des  chemischen  Reizes  eine  Wiederherstellung 
der  Kontraktionsfähigkeit  zur  Folge  hat.  Es  folgt  ein  zweites 
Stadium,  wo  dies  nicht  mehr  der  Fall  ist.  Im  Sinne  obiger 
Auffassung  würde  das  erste  Starrestadium  mit  einer  Änderung  der 
Wasserverteilung  im  Muskel  einhergehen  und  in  erster  Linie 
durch  eine  solche  bedingt  sein. 

Auffallenderweise  lassen  nun  aber  gerade  gewisse  Agentien, 
welche  das  Muskelplasma  in  vitro  besonders  intensiv  koagulieren, 
wie  das  Rhodannatrium  und  das  Salizylsäure  Natrium, 
jeden  starreerregenden  Effekt  vermissen,  wenn  sie  in  die  Muskel- 
gefäße eines  lebenden  oder  frisch  getöteten  Tieres  injiziert  werden. 
Diese  Beobachtung,  die  uns  vollkommen  unbegreiflich  geblieben 
war,  solange  wir  an  der  Gerinnungshypothese  festgehalten  hatten, 
erscheint  uns  nun  nut  einem  Male  leicht  verständlich:  Wenn  wir 
einem  Tiere  Rhodannatrium  in  seine  Muskeln  injizieren,  so  bleibt 
nicht  etwa  die  erwartete  Gerinnung  aus,  sondern  die  Quellung 


i)  E.  Rossi  (Physiol.  Institut  Innsbruck),  Zeitschr.  f.  Biol.  54,  299  (1910). 


Das  Muskelgewebe.  145 


und  ihr  physiologischer  Ausdruck,  die  Starre;  und  sie  bleibt  aus, 
nicht  trotzdem,  sondern  weil  eben  eine  intensive  Plasma- 
gerinnung  einsetzt,  diese  aber  zur  Entquellung  führt,  der  Starre 
also  direkt  entgegenwirkt.  Nur  die  kompakte  Gerinnung,  die 
der  Wärmestarre  entspricht,  führt  zur  Starre,  nicht  aber  die 
Gerinnung  in  feinverteilter  Form,  wie  sie  der  Wirkung  der  che- 
mischen Agentien  und  der  ph3^iologischen  Starre  eigentüm- 
lich ist. 

Wir  gelangen  also  zu  der  etwas  paradox  küngenden  Auf- 
fassung, daß  nicht  der  Eintritt  sondern  die  Lösung  der  Toten- 
starre durch  einen  Gerinnungsvorgang  bedingt  ist. 

Das  letzte  Wort  in  Bezug  auf  dieses  so  viel  umstrittene  Problem 
ist  allerdings  noch  lange  nicht  gesprochen.  Genug  der  Widersprüche, 
auf  die  ich  hier  nicht  näher  eingehen  kann,  bleiben  noch  zu  lösen 
und  unsere  Vorstellungen  werden  sicherlich  noch  mancherlei 
Korrekturen  erfahren.  Jedenfalls  aber  wird  man  künftighin  beim 
Studium  der  Totenstarre  auch  mit  dem  noch  ungenügend  erforsch- 
ten, aber  ph37siologisch  sicherUch  sehr  bedeutsamen  Kreise  der 
Quellungserscheinungen  und  nicht  mehr,  wie  es  bisher  ge- 
schehen ist,  ausschließhch  mit  Gerinnungserscheinungen  zu 
rechnen  haben. 

Auch  gewisse  degenerative  Vorgänge  im  Muskel  dürften  mit 
den  durch  Säureanhäufung  bedingten  Quellungsvorgängen  zu- 
sammenhängen. Wird  der  Ischiadikus  eines  Kaninchens  bis  zur 
Erschöpfung  gereizt,  so  bieten  die  Muskeln  in  histologischer 
Hinsicht  das  Bild  der  wachsigen  Entartung.  Dieselbe 
ist  nach  Gideon  Wells ^)  eine  Folge  der  Milchsäureanhäufung. 
Muskelstückchen,  in  vitro  mit  V4  normaler  Milchsäure  behandelt, 
zeigen  das  gleiche  mikroskopische  Bild.  Bisher  hat  sich  die 
Histologie  wenig  um  physikalisch-chemische  Fragen  gekümmert. 
Das  wird  in  Zukunft  wohl  anders  werden  müssen;  laufen  doch 
schließhch  auch  alle  Färbungs-  und  Fixierungsmethoden  auf 
kolloidchemische  Probleme  hinaus. 

Was  nun  die  Natur  der  im  Muskel  einerseits  bei  der  Tätigkeit,    Milchsäure. 
andererseits  beim  Absterben  auftretenden  Säure  betrifft,  handelt 


i)  H.  G.  Wells  (Pathol.  Laborat.  Univers,  of  Chicago),  Journ.  of 
experim.  Med.  11,  i,  (1909),  vgl.  auch  M.  H.  Fischers  Artikel  über  trübe 
Schwellung,   Zeitschr.  f.  Kolloidchemie  8,  159  (191 1). 

V.  Fürth,  Probleme.  lO 


146  VII.  Vorlesung. 


es  sich  zweifellos  in  erster  Linie  um  Milchsäure^),  wenngleich 
nicht  geleugnet  werden  soll,  daß  anscheinend  ein  geringer  Bnich-r 
teil  der  postmortalen  Säurebildung  auch  auf  Rechnung  von 
Phosphorsäure  kommt,  welche  aus  Lezithiden  und  anderen 
komplexen  Verbindungen  abgespalten  werden  kann.  Nach 
Salkowski  ist  die  postmortale  Säiurebildung  die  Fortsetzung 
eines  vitalen  Vorganges;  die  Sä\u"e  häuft  sich  eben  in  dem 
absterbenden  Muskel  an,  weil  sie  nicht,  wie  dies  während  des 
Lebens  geschieht,  ausgeschwemmt  oder  auf  oxydativem  Wege 
zerstört  wird.  Nach  Rankes  Untersuchungen  ist  die  Gesamt- 
menge Milchsäure,  welche  ein  bestimmter  Muskel  zu  bilden  ver- 
mag, dieselbe,  gleichviel  ob  die  Säureentwicklung  schnell  oder 
langsam  vor  sich  geht.  Nach  den  wichtigen  Untersuchungen 
von  Fletcher  und  Hopkins^)  bewirkt  nicht  nur  mechanische  oder 
Nervenreizung,  sondern  auch  die  Einwirkung  von  Alkohol, 
Chloroform,  höheren  Wärmegraden  u.dgl.  eine  starke  Säurebildung. 
Sehr  interessant,  wenn  auch  noch  gänzlich  unaufgeklärt  ist  eine 
Beobachtung,  derzufolge  bei  reichUcher  Zufuhr  von  Sauerstoff 
die  Milchsäure  verschwinden  kann,  um  bei  Sauers toffabschluß 
wieder  zum  Vorscheine  zu  kommen,  derart,  daß  das  schüeßlich 
erreichte  Säuremaximum  ein  konstantes  bleibt.  Vielleicht  liegt 
hier  der  Ausgangspunkt,  von  dem  aus  man  einer  Erklärung 
für  die  rätselhafte  und  sicherlich  bedeutungsvolle  Rolle,  welche 
die  Milchsäure  bei  der  Muskeltätigkeit  spielt,  näher  kommen 
könnte  3). 

Auch  eine  Angabe  von  Winterstein^),  derzufolge  der  Eintritt 
der  Totenstarre  durch  reichliche  Sauerstoffzufuhr  gehemmt 
werden  kann,  dürfte,  wie  ich  auf  Grund  der  vorhin  erörterten 
Vorstellungen  annehme,  mit  einer  Hemmung  der  Milchsäure- 
anhäufung zusammenhängen. 

i)  Literatur  über  die  Milchsäure  im  Muskel:  O.  v.  Fürth,  Ergebn.  d. 
Physiol.  2,  I,  589 — 603  (1903)  und  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  263 — 266 
(1909). 

2)  W.  M.  Fletcher  und  F.  G.  Hopkins,  Journ.  of  Physiol.  S6,  247 
(1907). 

3)  Vgl.  auch  die  Beobachtungen  von  W.  Burridgc,  Journ.  of  Physiol. 
41,  285  (1910)  u.  a.  über  Ermüdungserscheinungen  an  Froschmuskeln  bei 
Perfusion  mit  milchsaurehaltigen  Flüssigkeiten. 

4)  H.  Winterstein,  Pflügers  Arch.  129,  225  (1907). 


Das  Muskelgewebe.  147 


Eine  neue  Untersuchung  von  C.  Schwarz  hat  gelehrt,  daß 
das  Studium  des  Verlaufes  der  Wasseraufnahme  in  einem  in 
isotonischer  Kochsalzlösung  quellenden  Muskel  ein  Mittel  bietet, 
um  selbst  geringe  Aziditätsänderungen  desselben  zur  Anschauung 
zu  bringen.  Wie  schon  erwähnt,  lassen  sich  die  Gewichts- 
veränderungen eines  in  einem  indifferenten  Medium  befindlichen 
Muskels  durch  eine  durch  ein  Maximum  hindurchgehende  Kurve 
darstellen;  (Zeit  als  Abszisse,  Wasseraufnahme  als  Ordinate). 
Der  ansteigende  Teil  der  Kurve  entspricht  einer  Quellung,  der 
absteigende  Teil  einer  Entquellung  der  Muskelkolloide.  Die 
Quellungs-  und  Entquellungskurven  eines  ruhenden  und  eines 
ermüdeten  Muskels  zeigen  nun  ein  sehr  verschiedenes  Aussehen. 
Während  der  ruhende  Froschmuskel  bei  Zimmertemperatur  aus 
physiologischer  Kochsalzlösung  nur  ganz  allmählich  Wasser  auf- 
nimmt und  das  Maximum  erst  nach  3—4  Tagen  erreicht,  führt 
die  Wasseraufnahme  in  einem  ermüdeten  Muskel  meist  schon 
innerhalb  5 — 8  Stunden  zum  Maximum.  Der  Unterschied  ist 
durch  die  Milchsäurebildung  bei  der  Muskeltätigkeit  und  die 
durch  dieselbe  erhöhte  Quellbarkeit  der  Muskelkolloide  bedingt^). 

Auf  die  Frage  nach  dem  Ursprünge  derMilchsäure  imMus- 
kel möchte  ich  hier  nicht  näher  eingehen,  da  dieselbe  bei  späterer 
Gelegenheit  ausführhch  erörtert  werden  soll.  Nur  soviel  möchte 
ich  sagen,  daß  die  meisten  Physiologen  gegenwärtig  zu  der  Meinung 
hinneigen,  daß  die  Milchsäure  nicht  aus  Kohlehydraten, 
sondern  aus  Eiweiß  entsteht.  Man  hat  an  einen  Ursprung 
derselben  aus  desamidierten  Alaninkomplexen  gedacht. 

Auch  vom  Glykogen  desMuskels^)  soll  erst  später  die  Rede  Glykogen, 
sein.  Es  mag  genügen,  hier  daran  zu  erinnern,  daß  das  Glykogen 
aus  den  Muskeln  bei  der  Tätigkeit,  im  Hunger,  im  Fieber,  nach 
Zuckerstich,  beim  Pankreas-,  Adrenahn-  und  Phloridzindiabetes, 
sowie  auch  bei  den  verschiedensten  Vergiftungen  verschwindet 
und  daß  dieses  Reservekohlehydrat  einer  postmortalen  Ver- 
zuckerung infolge  der  Wirkung  diastatischer  Fermente  anheim- 
fällt. 


i)  C.  Schwarz  (Wien),  Biochera.  Z.  87,  (191 1),  vgl.  auch  W.  M. 
Fletcher,  Joum.  of  Phjrsiol.  30  (1904). 

2)  Literatur  über  Muskelglykogen:  O.  v.  Fürth,  Ergebn.  d.  Physiol. 
2,  II,  580 — 589  (1903)  und  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  259 — 263  (1909). 

lO* 


148 


VII.  Vorlesung. 


Phosphor- 
fleischsäure. 


Kreatin  und 
Kreatinin. 


Der  Muskel  scheint  ferner  eine  rätselhafte  Substanz  zu  ent- 
halten, welche  beim  Kochen  zerfällt  und  dabei  reichliche  Mengen 
von  Kohlensäure  liefert. 

Pflüger  sowie  auch  Stintzing  haben  sich  seinerzeit  vergebens 
bemüht,  etwas  Positives  darüber  zu  erfahren.  Später  glaubte 
Siegfried  in  seiner  »Phosphorfleischsäure «^)  eine  Verbindung 
in  Händen  zu  haben,  welche  bei  ihrer  Spaltung  Bernsteinsäure, 
Milchsäure  und  Kohlensäure,  sowie  ein  Kohlehydrat  liefern  und 
bei  der  Muskelarbeit  unter  Abspaltung  von  Kohlensäure  ver- 
braucht werden  sollte.  Doch  ist  die  chemische  Einheitlichkeit 
der  Phosphorfleischsäure  später  von  Siegfried  selbst  mit  Recht 
angezweifelt  worden.  Es  ist  dies  ein  gar  dunkler  Vl^inkel  der 
Muskelphysiologie,  in  dessen  Tiefe  sicherlich  noch  manches  Ge- 
heimnis verborgen  schlummert. 

In  weit  hellere  und  erfreulichere  Regionen  gelangen  wir,  wenn 
wir  unsere  Aufmerksamkeit  nunmehr  den  stickstoffhaltigen 
Muskelextraktivstoffen*)  zuwenden. 

Wir   begegnen    hier   zunächst   als   einem    Hauptbestandteile 

^N(CH3)-€H2 

des  Muskels  dem  altehrwürdigen  Kreatin  C(NH)' 

^NHa 
.N(CHs)CH2 

und  seinem  Anhydride,  dem  Kreatinin  ^(^^)\T^rT       i^r^  • 

Ich  werde  Ihnen  bei  anderer  Gelegenheit  auseinandersetzen, 
was  man  über  die  Bedeutung  und  den  Ursprung  dieser  merk- 
würdigen Substanzen  zu  wissen  glaubt.  Heute  möchte  ich  nur 
erwähnen,  daß  das  Kreatin,  wie  Gottlieb  imd  Stangassinger  ^) 
gefunden  haben,  durch  autolytische  Vorgänge  aus  einer  unbe- 
kannten Vorstufe  im  Muskel  entsteht.     Dieselbe  ist  eine  labile, 


COOH 


i)  Literatur  über  Phosphor  fleischsäure:  O.  v.  Fürth,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 2,  II,  266 — 267  (1909). 

2)  Literatur  über  Muskelextraktivstoffe:  O.  v.  Fürth,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 2,  II,  271 — 278  (1908).  D.  Ackermann,  Handb.  d.  biochem. 
Arbeitsmeth.  2,  1044  (1909). 

3)  R.  Gottlieb  und  R.  Stangassinger,  Z.  f.  physiol.  Chemie  52»  i 
(1907).  R.  Stangassinger,  ibid.  55,  295  (1908),  vgl.  auch:  J.  Seemann, 
2^itschr.  f.  Biol.  49,  333  (1907).  E.  Mellanby  (Physiol.  Labor.  Cam- 
bridge),  Journ.  of  Physiol.  36»  447  (1908). 


Das  Muskelgewebe.  14g 


nicht  dialysable  Verbindung,  welche  im  Muskel  anscheinend 
einem  allmählichen  Zerfalle  unterliegt^). 

Dem  Kreatin  nahe  verwandt  ist  das  von  Kutscher  im  Fleisch- 
extrakte aufgefundene  Methylguanidin  C(NH)<^^-^^8.  Auch 

eine  neue  Base,  dasVitiatin,  die  Kutscher  aus  dem  Fleisch- 
extrakte isoliert  hat  und  der  er  die  Formel 

NH-CHsr-CHg-N  _ 
C(NH)''  CHg    C(NH) 

zuschreibt,  müßte  imter  den  Verwandten  des  Kreatins  seinen 
Platz  finden.  Doch  ist  die  Konstitution  dieser  Substanz  noch 
keineswegs  sichergestellt^). 

Die  Purinkörper  sind  im  Muskel  durch  die  Harnsäure,  Purinkörper. 
das  Xanthin,  Hypoxanthin  und  Guanin  vertreten.  Das 
Kamin  ist,  wie  schon  früher  erwähnt 2),  aus  der  Reihe  der 
Muskelbestandteile  zu  streichen.  Dagegen  findet  sich  das  aus 
H3T>oxanthin  und  einer  Pen  tose  zusammengesetzte  Inosin, 
sowie  die  Inosinsäure,  welche  außer  den  genannten  Bestand- 
teilen auch  noch  Phosphorsäure  enthält^). 

Merkwürdigerweise  ist  ein  Hauptbestandteil  des  Muskels  bis  Karnosin. 
vor  kurzem  ganz  übersehen  worden.  Es  ist  dies  das  Karnosin, 
dessen  Entdeckung  wir  dem  russischen  Forscher  Gulewitsch  ver- 
danken. Das  von  Kutscher  aus  Fleischextrakt  isolierte  »Ignotin  « 
ist  allem  Anscheine  nach  mit  dem  Karnosin  identisch.  Dasselbe 
ist  eine  Base  von  der  Zusammensetzung  C9H14N4O3,  welche  als 
ein  aus  Histidin  imd  AI  an  in  zusammengesetztes  Dipeptid 
gedeutet  wird.  Seine  IsoHerung  beruht  darauf,  daß  es  zwar  nicht 
mit  Silbernitrat  direkt,  wohl  aber  bei  weiterem  Zusätze  von 
Barytwasser  gefällt  wird.  Nach  Zerlegung  des  Silbemieder- 
schlages mit  Schwefelwasserstoff  wird  die  Flüssigkeit  mit  Salpeter- 
säure neutralisiert  und  eingeengt,  wobei  das  Karnosinnitrat 
in  strahligen  Nadeln  auskristallisiert.  Zur  Erkennung  des  Karno- 


1)  F.  Urano  (Physiol.  ehem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  9, 
104  (1906). 

2)  F.  Kutscher,  Zentralbl.  f.   Physiol.   21,  33  und  586  (1907),   vgl. 
auch:  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  599  (19 10). 

3)  Vgl.  Vorl.  VI.  S.  124. 


150  VII.  Vorlesung. 


sins  kann  eine  in  schönen  blauen,  sechsseitigen  Tafeln  kristal- 
Usierende  Kupferverbindung,  sowie  eine  Farbenreaktion 
mit  diazotierter  Sulfanilsäure  dienen,  welche  letztere  Reaktion 
der  Histidinkomponente  des  Kamosins  eigentümlich  ist^). 

Die  neuesten  Beobachtungen  von  Gulewitsch^)  haben  ergeben, 
daß  das  Alanin,  welches  sich  mit  dem  Histidin  zum  Aufbaue  des 
Kamosins  nach  der  Gleichung 

CeHftNaOj  +  CsH^NOj-HgO  =  C9H14N4O3 
Histidin  Alanin  Kamosin 

CH, 
vereinigt,    nicht    das   typische   a- Alanin    CH.NHa    ist,   vielmehr 

COOK 
CH2.NH2 

seltsamerweise  das  ß-Alanin    CH2         .     Es    könnte   uns   dies, 

COOH 

mit  Rücksicht  auf  den  Umstand,  daß  nur  a- Aminosäuren 
sich  am  Aufbaue  der  Eiweißkörper  beteiligen,  unverständlich 
scheinen,  wenn  wir  uns  nicht  vergegenwärtigen  müßten  (vgl. 
Vorl.  II  S.  36),  daß  sich  ein  ß-Alanin  durch  Kohlensäureabspal- 
tung aus  der  Asparaginsäure  ableiten  kann: 

COOH 

CH.NHo  CH2NH0 

CH2  ^^«  -  CH2 

COOH  COOH 

Ich  habe  mich  kürzlich  gemeinsam  mit  meinem  Kollegen 
C.  Schwarz^)  bemüht,  eine  Vorstellung  über  den  Karnosin- 
gehalt  des  Muskels  zu  gewinnen.  Wir  bestimmten  zu  diesem 
Zwecke  die  Stickstoffverteilung  in  Muskelextrakten,  die  wir  in 
eine  Anzahl  von  Fraktionen  (entsprechend  dem  Kreatin  und 
Kreatinin,  den  Purinkörpern,  dem  Karnosin,  dem  Ammoniak, 
dem  Harnstoffe,  den  Polypeptiden  und  Aminosäuren)  zerlegten. 
Dabei  stellte  es  sich  heraus,  daß  in  der  Skelettmuskulatur  des 
Pferdes  etwa  ein  Drittel  des  Extraktiv-N  auf  Kreatin  und  Krea- 


i)  W.  Gulewitsch  und  S.  Amiradzibi,  Z.  f.  physiol.  Chemie  39, 
565  (1900).  W.  Gulewitsch,  ibid,  60,  204,  535  (1907);  51,  258,  527  (1907). 
R.  Krimberg,  ibid.  48,  412  (1906).  F.  Kutscher,  Z.  f.  Unters,  d.  Nähr, 
u.  Genußmittel  10,  528  (1905)  und  Z.  f.  physiol.  Chemie  50,  445  (1906). 

2)  W.  Gulewitsch  (Moskau),  Z.  f.  physiol.  Chemie  78,  434  (Aug.  191 1). 

3)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Biochem.  Z.  36,  414  (191 1),  vgl. 
auch:  W.  Skworzovv  (Med. -ehem.  Lab.  Moskau),  Z.  f.  physiol.  Chemie 
«8,  26  (1910). 


Das  Muskelgewebe.  151 


tinin,ein  weiteres  Drittel  auf  die  Karnosinfraktion  entfällt,  während 
alle  anderen  Bestandteile  zusammengenommen  nur  das  letzte 
Drittel  ausmachen.  Die  Purinkörper,  welche  man  früher  für  die 
Hauptbestandteile  des  Fleischextraktes  gehalten  hat,  bleiben 
ihrer  Menge  nach  erheblich  hinter  der  Karnosinfraktion  zurück. 
Weitere  Untersuchungen  müssen  allerdings  erst  darüber  Auskunft 
geben,  ob  diese  letztere  wirklich  vorwiegend  Kamosin  als  solches, 
oder  etwa  noch  andere  Extraktivstoffe  unbekannter  Natur  ent- 
hält. 

Ein  sehr  interessanter  Bestandteil  des  Muskels,  der  aller-  Kamitin. 
dings,  was  seine  Menge  betrifft,  anscheinend  weit  hinter  dem 
Kamosin  zurückbleibt,  ist  das  von  Gulewitsch  und  Krimberg 
entdeckte  Karnitin^).  Ein  von  Kutscher  unter  dem  Namen 
j>Novain«  beschriebenes  Produkt  hat  sich  als  mit  dem  Kamitin 
identisch  erwiesen.  Die  Arbeiten  der  erstgenannten  Autoren, 
sowie  auch  die  neuen  Untersuchungen  Engelands  aus  dem  Mar- 
burger physiologischen  Institute  haben  ergeben,  daß  das  Kamitin 
ein  a-Oxy-T-butyro-betain  ist: 

CHsv 

CH«  )N O 

CH3/J  I  • 

CH«-CH«CH.OH-CO 


«" 


Man  kann  auch  bezüglich  der  Entstehung  dieser  seltsam  kon- 
stituierten Verbindung  bereits  eine  bestimmte  Vermutung  äußern. 
Bei  der  Fäulnis  der  Glutaminsäure  kann  dieselbe  unter  Kohlen- 
säureabspaltung (vgl.  S.  35)  in  T  -  Aminobuttersäure  über- 
gehen*) und  diese  durch  erschöpfende  Methylierung  in  f-Butyro- 
betain  übergeführt  werden 3),  welches  seinerseits  mit  einem  der 


i)  W.Gulewitschund Krimberg,  Z.  f. physiol. Chemie 45, 326(1905). 
R.  Krimberg,  ibid.  48,  412  (1906);  49,  89  (1906);  50,  361  (1906);  53,  514 
(1907);  65,  466(1908);  56,  417  (1908).  F.Kutscher,  ibid.  48,  331  (190^); 
4§^47  u.  484  (1906);  50,  250  (1906),  Zentralbl.  f.  Physiol.  19,  504  (1904) 
und  Z.  f.  Unters,  d.  Nahrungs-  u.  Genußm.  19,  528  (1905);  11,  582  (1906). 
R.  Krimberg,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  3878  (1909). 

2)  D.  Ackermann,  Z.  f.  physiol.  Chemie  99,  273  (19 10). 

3)  R.  Engeland  und  F.  Kutscher,  Z.  f.  physiol.  Chemie  99,  282 
(1910).  R.  Engeland,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  2457  (1909);  43, 
2705  (1910).  Rollett  (Physiol.  Inst.  Berlin),  Z.  f.  ph)rsiol.  Chemie  99,  60 
(1910)  (Synthese  des  inaktiven  Isokamitins). 


152  VII.  Vorlesung. 


Briegerschen  Ptomaine  identisch  ist.  Durch  Oxydation  könnte 
dieses  Produkt  in  Karnitin  übergehen: 

COOK        COOK       CO O  CO O 

I  II  J      ' 

CH2  CH2         CH2    ,  CH(OH)i 

I  L  I  I  L 

CH2   -  ^  CO2  +  CH2         —  -^  CH2  ___       ->-  CH2 

I  J  !  /CH3  I  /CH3 

CH.NHa  CH2NH2  CH2 N^-CHs  CHg N^Hg 

I  "^CH,  N:Hj 

COOH 

Methyüerung  Oxydation 

Glutaminsäure    fAminobutter-    f-B^tyrobetain  Karnitin. 

säure 

Dieser  Zusammenhang  basiert  auf  der  Annahme,  daß  sich  eine 
erschöpfende  Methylierung  im  Organismus  vollzieht.  Wir 
kennen  mehrere  Beispiele  für  Methyüerungsvorgänge  im  Stoff- 
wechsel. Ob  es  sich  in  diesem  Falle  aber  wirklich  um  einen  solchen 
handelt,  müssen  erst  weitere  Untersuchungen  lehren.  Es  sind 
sicherlich  auch  noch  andere  Möglichkeiten  vorhanden,  um  die 
Entstehung  des  Karnitins  zu  erklären.  Einem  dreifach  methy- 
lierten  Stickstoffe  begegnen  wir  ja  auch  vor  allem  im  Cholin, 
einem  in  Organen  weitverbreiteten  Bruchstücke  des  Lezithins  von 

^■"3\         OH 

der  Konstitution  CH3- N  <^^pj  _^-^  qj^,  welches  auch  im  Muskel 
aufgefunden  worden  ist^);  daneben  ist  auch  ein  Oxydationspro- 
dukt desselben,  das  Muskarin  CH3-/N/^jj  — coh     gelegentlich 

im  Muskel  angetroffen  worden.  In  der  Muskulatur  von  Hai- 
fischen findet  sich  Trimethylaminoxyd*) 

0=N-€H3  neben  Betain   CH8-;N: 

x:h3  CH3/      <:h2-co 

in  nicht  allzu  geringen  Mengen.  Das  letztere  ist  auch  in  frischen 
Oktopoden-Muskeln  in  sehr  reichlicher  Menge  enthalten  3)  und 
überdies  kürzHch  unter  den  Nierenextraktivstoffen  nachgewiesen 
worden*).     Es  wäre  daher  auch  an  die  Möglichkeit  zu  denken, 


i)  F.  Kutscher,  Z.  f.  Unters,  d.  Nahrungs-  u.  Genußm.  11,  582  (1906). 

2)  A.  Suwa  (Physiol.-chem.  Abt.  d.  Physiol.  Inst.  Marburg),  Pflügers 
Arch.  128,  421   (1908);  129,  231  (1909). 

3)  M.  Henze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  76,  253  (191 1). 

4)  K.  Bebeschin  (Labor,  von  Gulewitsch),  Z.  f.  physiol.  Chemie  72, 
380  (1911).  ^ 


Das  Muskelgewebe.  153 


daß  ein  derartiger  Komplex  beim  physiologischen  Aufbau  des 
Kamitins  beteiligt  sei. 

Kutscher  hat  zwei  weitere  Basen  im  Fleischextrakte  gefunden : 
das  Oblitin  und  Neos  in.  Krimberg  ist  geneigt,  beide  als  sekun- 
däre Umwandlungsprodukte  von  Fleischextraktbestandteilen  an- 
zusehen. Das  Oblitin  soll  nach  Krimberg  ein  Äthylester  sein, 
der  sich  leicht  beim  Eindampfen  äthylalkoholischer  Karnitin- 
lösung  bildet^);  doch  wird  dies  von  Engeland  bezweifelt 2).  Das 
N eosin  scheint  in  Wirklichkeit  eine  dem  Cholin  homologe  Ver- 
bindung zu  sein^). 

Die  vergleichend-physiologische  Beobachtung  lehrt  auch  gerade  Aminosäuren, 
in  bezug  auf  die  Muskelextraktivstoffe,  mit  wie  vielgestaltigen  ^'^njinosäu- 
Mitteln  die  Natur  arbeitet,  um  ihre  Zwecke  zu  erreichen*).     So 

finden  sich  in  den  Muskeln  mancher  Muscheln  große  Mengen  von 

CH2.NH2 
Glykokoll     i  .      Im   Fleische   der   Cephalopoden    finden 

^  COOK  ^         ^ 

CH    HSO 

sich  so  große  Quantitäten  von  Taurin  qh^  nh  ''  ^^^  ^^^ 
Extrakt  aus  den  Muskeln  eines  Pulpen  zum  großen  Teile  aus 
dieser  Substanz  zu  bestehen  scheint^),  während  das  Kreatin 
und  das  Kreatinin  ganz  fehlt.  Wir  begegnen  sonach  in  der  Musku- 
latur von  Mollusken  zwei  Eiweißderivaten  ( —  das  Taurin  ist  als 

CH2.SH 
Abkömmling  des  C)^teins  CH2.NH2    aufzufassen  — ),  welche  wir 

COOK 
bei  Wirbeltieren    unter  den   Muskelextraktivstoffen    vermissen, 

dafür  aber  in  einem  Exkrete,  der  Galle,  als  Paarlinge  der  Chol- 

säure  antreffen. 

In   der   Muskulatur  der  Haifische  und   Rochen   findet  sich 

wiederum  der  Harnstoff,  der  im  Fleische  der  Säugetiere  nur  in 

minimalen   Mengen  vorkommt,   in  erstaunlich  großen   Mengen. 


i)  R.  Krimberg,  Z.  f.  physiol. Chemie  §6,417  (1908)  und  Ber.  d.  deutsch, 
ehem.  Ges.  42, 3878  (1909).  F.  Kutscher,  Z.  f.  physiol. Chemie 48, 331  (1906). 

2)  R.  Engeland,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  2457  (1909)- 

3)  Berlin  (Chem.  Abt.  d.  Physiol.  Inst.  Marburg),  Zeitschr.  f.  BioL 
57,  I    (Juni  191 1). 

4)  Literatur  über  Muskelextraktivstoffe  niederer  Tiere:    O.  v.  Fürth, 
Vergleich,  chem.  Physiol.  niederer  Tiere,  435 — 440.  Jena  (1903). 

5)  Vgl.  M.  Henze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  43,  477  (1908).    L.  B.  Men- 
del und  H.  C.  Bradley,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  17,  170  (1906). 


154  VII.  Vorlesung. 


In  den  Muskeln  mancher  anderer  Fische  ist  sehr  viel  Histidin 
und  Arginin'angetroffen  worden,  und  es  scheint,  daß  in  diesen 
Fällen  das  Karnosin,  welches  bei  Säugetieren  großen  Histidin- 
mengen  in  gebundener  Form  Raum  gewährt  i),  in  den  Hinter- 
grund tritt. 

Unser  Wissen  in  Bezug  auf  diese  Dinge  ist  nur  Stückwerk; 

aber  so  viel   kann  man  doch  aus  diesen  wenigen  Stichproben 

lernen,   daß   man  gerade  hier  die  größte  Mannigfaltigkeit  von 

Erscheinungen  erwarten  kann.     Einem  systematischen  Studium 

mit  Hilfe  von  quantitativen  Fraktionierungsmethoden   (etwa  in 

der  Art,  wie  die  Stickstoffverteilung  im  Säugetiermuskel  bereits 

studiert  worden  ist 2))  bietet  sich  hier  ein  ergiebiges  Arbeitsfeld, 

dessen  Erträgnisse  nicht  allein  der  Muskelph5^iologie,  sondern 

auch  dem  Verständnisse  mancher  Stoffwechselvorgänge  zugute 

kommen  dürften. 

Kohlehydrat,         Wir  gelangen  nunmehr  zu  der  Erörterung  der  wichtigen  Frage, 

weiß  als  Quei-  ^^^  »Quelle  der  Muskelkraft«  und  der  Beeinflussung  des 

lender  Muskel-  allgemeinen    Stoffwechsels    durch    die    Tätigkeit    der 

Muskeln.  Seit  den  längst  vergangenen  Tagen,  da  Lavoisier 
erkannt  hatte,  daß  die  Muskelarbeit  mit  einem  vermehrten 
Sauerstoff  verbrauche  einhergeht,  bis  in  die  jüngste  Gegenwart 
hinein  hat  dieses  Problem  nicht  aufgehört,  die  Physiologen 
zu  beschäftigen.  Eine  endlose  Reihe  von  Arbeiten,  welche 
insbesondere  die  Namen  von  Pettenkofer  und  Voit,  Fick  und 
Wislicenus,  Pflüger,  Rubner,  Tigerstedt,  Johansson,  Chittenden, 
Chauveau,  Benedikt,  Zuntz  und  ihrer  zahlreicher  Schüler  auf- 
weist^), deutet  den  mühevollen  Weg  an,  welchen  rastlose  Arbeit 
hier  zurückgelegt  hat.    Nahezu  allen  jenen  Meistern,  welche  die 

i)  A.  Suzuki,  K.  Joshimura,  M.  Jamakawa  und  J.  Irie,  Z.  f. 
physiol.  Chemie  62,  i  (1909),  vgl.  auch:  K.  Micko,  Z.  f.  physiol.  Chemie 
56,  180  (1908)  und  E.  Zunz,  Ann.  Soc.  Med.  Bruxelles  18,  (1904). 

2)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  1.  c. 

3 )  Literatur  über  den  Einfluß  der  körperlichen  Arbeit  auf  den  allgemei- 
nen Stoffwechsel:  C.  Speck,  Ergebn.  d.  Physiol.  2,  I,  i — 49  (1903).  O. 
Atwater,  ibid.  3,  I,  497 — 622  (1904).  R.  Tigerstedt,  Nagels  Handb. 
d.  Physiol.  1,  441 — 458  (1905).  A.  Magnus -Levy,  Noordens  Handb. 
d.  Pathol.  d.  Stoffw.  1,  231 — 262,  379 — 398  (1906).  G.  Lusk,  Ernährung 
und  Stoffwechsel,  ins  Deutsche  übertragen  von  L.  Heß,  Wiesbaden,  J.  F. 
Bergmann.    174 — 191.    1910. 


Das  Muskelgewebe.  155 


schwierige  Kunst  des  Stoffwechselexperimentes  geschaffen  und 
zu  immer  höherer  Vollkommenheit  ausgestaltet  haben,  gebührt 
hier  ein  Teil  des  Verdienstes.  Wenn  aber  das  Problem  heute, 
wie  es  scheint,  bereits  zu  einem  gewissen  Abschlüsse  gelangt  ist, 
so  verdanken  wir  dies  wohl  vor  allem  der  zielbewußten  und  uner- 
müdlichen Forschungsarbeit  der  Zuntzschen  Schule^).  So  sind 
wir  denn  in  der  erfreulichen  Lage,  die  allerwichtigsten  der  so 
schwer  errungenen  Resultate  mit  wenigen  Worten  wiedergeben 
zu  können,  wobei  ich  Sie  jedoch  bitte,  sich  vor  Augen  zu  halten, 
daß  ein  genaueres  Eingehen  auf  diesen  Gegenstand  den  Rahmen 
dieser  Erörterungen  weit  überschreiten  müßte. 

Wir  sind  uns  heute  also  im  klaren  darüber,  daß  Muskelarbeit 
in  erster  Linie  auf  Kosten  stickstof freien  Materiales  geleistet 
wird,  demnach  auf  Kosten  von  Kohlehydraten  und  Fetten.  Fett 
und  Kohlehydrat  dürfen  als  Quellen  der  Arbeitsenergie  für  ziem- 
lich gleichwertig  gelten,  wobei  allerdings  zu  bemerken  ist,  daß 
der  Organismus,  soweit  der  Vorrat  an  leicht  mobihsierbarem 
Kohlehydrate  reicht,  dasselbe  dem  Fett  gegenüber  bevorzugt. 
So  hat  man  z.  B.  bei  Soldaten  im  Beginne  eines  Marsches  einen 
hohen,  am  Ende  desselben  einen  niedrigeren  respiratorischen 
Quotienten  beobachtet,  da  zunächst  das  verfügbare  Kohlehydrat 
und  sodann  erst  Fett  verbrannt  wurde.  Die  Lehre,  daß  das 
Fett,  bevor  es  verbrannt  werden  kann,  erst  zu  Zucker  umge- 
wandelt werden  müsse,  ist  heute  verlassen;  auch  ist  man  sich 
darüber  klar  geworden,  daß  eine  solche  intermediäre  Umwandlung 
mit  dem  Verluste  von  etwa  einem  Drittel  der  verfügbaren  Energie 
verbunden  wäre.  Die  Bedeutung  der  Arbeit  für  den  Fettumsatz 
findet,  wie  allgemein  bekannt,  bei  der  Therapie  der  Fettsucht 
weitgehende  Beachtung;  ebenso  weiß  man,  daß  die  Fette  vermöge 
ihres  hohen  Brennwertes  bei  geringer  Masse  und  vermöge  der 
relativ  geringen  Leistung,  welche  die  Assimilation  derselben  den 
Verdauungsapparaten  zumutet,  bei  der  Ernährung  schwer  arbeiten- 
der Menschen  eine  große  Rolle  spielen.  Die  Tatsache  des  Zucker - 
Verbrauches  durch  arbeitende  Muskeln  tritt  auch  in  Ver- 
suchen von  Hohlweg^)  zutage,  der  nach  subkutaner  Zufuhr  von 

i)  Bornstein,    Caspari,    Frenzel,    Loeb,    Gerhartz,    Katzen- 
stein, F.  Müller,  Oppenheimer,  Reach,  Schumburg,  L.  Zuntz  u.  a. 
2)  Hohlweg,  Zeitschr.  f.  Biol.  55,  396  {191 1). 


156  VII.  Vorlesung. 


Galaktose,  Maltose  und  Saccharose  erheblich  weniger  davon  im 
Harne  zum  Vorschein  kommen  sah,  wenn  er  die  Tiere  im  Tretrade 
laufen  ließ,  als  wenn  sich  dieselben  im  Ruhezustande  befanden. 

Auch  Eiweiß  kann  zweifellos  als  Quelle  der  Muskelkraft 
dienen  und  wird  als  solche  auch  wirkUch  herangezogen,  wenn 
stickstoffreies  Material  nicht  in  genügendem  Maße  zur  Verfügung 
steht.  Der  bekannte  Versuch  Pflügers,  der  einen  ausschließlich 
mit  Eiweiß  ernährten  Hund  lange  Zeit  hindurch  arbeitsfähig  er- 
halten hat,  bildet  eine  Illustration  dieser  Tatsache,  welche  vielfach 
in  dem  Sinne  gedeutet  wird,  daß  das  Eiweiß  zunächst  zur  Zucker- 
bildung verwendet,  und  dieser  sodann  erst  bei  der  Arbeit  ver- 
braucht wird.  Ein  instruktiver  Versuch,  den  Rhode^)  im  Labora- 
torium Gottliebs  in  Heidelberg  kürzlich  mit  einer  dem  Warm- 
blüterherzen angepaßten  Modifikation  des  Kronecker-Williamschen 
Froschherzapparates  ausgeführt  hat,  lehrt,  daß  ein  durch  Aus- 
spülung von  den  Blutbestandteilen  befreites  Herz  von  seinem 
eigenen  Bestände  lebt  und  nicht  nur  Fett,  sondern  auch  Eiweiß 
verbrennt. 

Eine  von  Pugliese  auf  Grund  von  Blutanalysen  ausgesprochene 
Vermutung,  derzufolge  der  arbeitende  Muskel  Globuline  an  das 
Blut  abgeben  soll,  welche  sodann  auf  Kosten  von  Blutalbumin 
wieder  ersezt  werden,  scheint  mir  nicht  ausreichend  begründet 
zu  sein*). 
Nutzeffekt.  Eine  vielerörterte  Frage,  welche  sich  hier  anschließt,  ist  die 

nach  dem  Nutzeffekte  der  verschiedenen  Quellen  der  Muskel- 
kraft. Bekanntlich  arbeitet  z.  B.  eine  Dampfmaschine  niemals 
in  der  Art,  daß  sie  etwa  die  Gesamt-  oder  auch  nur  die  Haupt- 
menge des  Energiegehaltes,  welcher  in  Form  chemischer  Energie 
in  dem  zu  ihrem  Betriebe  erforderlichen  Kohlenquantum  ent- 
lialten  ist,  in  mechanische  Leistung  umsetzen  kann;  man  muß 
sich  vielmehr  dabei  mit  einem  Nutzeffekte  von  etwa  15%  be- 
gnügen. Ähnliches  gilt  auch  für  den  Muskelapparat,  wenn  man 
die  mechanische  Leistung  desselben  mit  dem  Energiegehalte  der 
zugeführten  Nahrung  vergleicht.    Man  hat  so  die  verschiedensten 


i)  E.  Rhode  (Pharmakol.  Inst.  Heidelberg),  Z.  f.  physiol.  Chemie  68, 
181   (1910). 

2)  A.   Pugliese  (Mailand),  Biochem.  Z.  33,   16  (1911). 


Das  Muskelgewebe.  157 


Arbeitsleistungen  studiert;  z.  B.  das  Radfahren,  das  Bergsteigen, 
die  Arbeit  am  Ergostaten  usw.  Die  modernste  Versuchsanordnung 
dieser  Art  ist  wohl  diejenige  von  Atwater,  der  als  Kraftmesser 
•ein  festgestelltes  Zweirad  benutzte  und  durch  die  Tretarbeit  eine 
D3niamomaschine  betrieb;  diese  führte  ihren  Strom  einer  Glüh- 
lampe zu  und  die  so  produzierte  Wärmemenge  wurde  direkt 
gemessen. 

Zahlreiche  Untersuchungen  haben  gelehrt,  daß  nur  etwa 
ein  Fünftel  bis  bestenfalls  ein  Drittel  der  in  der  Nahrung  ent- 
haltenen Energie  zu  mechanischer  Muskelleistung  umgewertet 
werden  kann.  Der  Rest  tritt  als  Wärme  zutage.  Es  wird  uns 
so  ohne  weiteres  verständHch,  warum  z.  B.  beim  Hunde,  der 
seinen  Wärmeüberschuß  im  wesentlichen  durch  forcierte  Atmung 
abgibt  (wobei  die  Luft  über  die  feuchte  Zunge  streicht),  nach 
vollzogener  Tracheotomie  jede  Arbeitsleistung  die  Körpertempe- 
ratur zu  exzessiver  Höhe  emportreibt;  ist  doch  in  diesem  Falle 
der    wichtigste   Mechanismus    der  Wärmeabgabe    ausgeschaltet. 

Zuntz^)  ist  der  Ansicht,  daß  die  drei  Hauptnährstoffgruppen, 
nämlich  Eiweiß,  Fett  und  Kohlehydrat,  ebenso  wie  auch  leicht 
verbrennbare  organische  Säuren,  Alkohole,  Amide  usw.,  einander 
als  Quellen  der  Muskelkraft  gleichwertig  sind  imd  daß  in  allen 
Fällen  etwa  ein  Drittel  der  umgesetzten  chemischen  Energie  in 
Form  mechanischer  Leistung  zum  Vorscheine  kommen  kann. 

Außerordentlich  umfangreich  ist  die  Literatur,  welche  jene  Chemische  Zu- 

stflndsände- 

Veränderungen  behandelt,  die  sich  einerseits  in  der  Zusammen-    rungen  des 
ßetzung  des  Muskels,  andererseits  in  derjenigen  des  Harnes  imter    Muskels  bei 
dem  Einflüsse  anstrengender  Arbeit  vollziehen;  und  doch  ist  das 
positive  Tatsachenmaterial,  welches  dabei  gewonnen  worden  ist, 
im  Grunde  genommen  recht  dürftig.    Eine  Revue  über  dasselbe 
ist  gar  bald  beendigt*). 

Zunächst  begegnen  wir  hier  den  beiden  Fundamentaltatsachen 
des  Glykogenschwundes  und  der  Milchsäurebildung  im 
Muskel.  Die  Milchsäure  kann  nach  exzessiven  Muskelleistungen 
auch  in  den  Harn  übertreten,  anscheinend  insbesondere  dann. 


i)  N.  Ziintz,  Festrede  gehalten  am  26.  Januar  1908.    Berlin,  Verl. 
von  Parey. 

2)  Vgl.  auch  O.  V.  Fürth,  Ergebn.  d.  Physiol.  2,  I,  574  ff.  (1903). 


158  VII.  Vorlesung. 


wenn  die  unter  normalen  Verhältnissen  mit  großer  Leichtigkeit 
sich  vollziehende  oxydative  Zerstörung  bei  Sauerstoffmangel  u.  dgl. 
gestört  ist. 

Der  Eiweißbestand  des  Muskels  dürfte  bei  der  Arbeits- 
leistung erhalten  bleiben,  insoweit  stickstof freies  Material  in  eineni 
dem  Kraftaufwande  entsprechendem  Maße  zur  Verfügung  steht. 
Ob  sich  dabei  wirklich  eine  Verschiebung  in  der  Relation  der 
der  Muskeleiweißkörper  vollzieht  (indem,  Steyrers^)  Angaben 
entsprechend,  der  tetanisierte  Muskel  relativ  reicher  an  Myogen 
und  ärmer  an  Myosin  wird),  oder  ob  eine  solche  Verschiebung 
nur  durch  die  Säuerung  des  Muskels  vorgetäuscht  wird,  müssen 
weitere  Untersuchungen  lehren. 

Daß  Muskelanstrengimgen  einen  vermehrten  Eiweißzerfall, 
der  auch  in  einer  vermehrten  Schwefelausscheidung  zum  Aus- 
drucke gelangt,  herbeiführen  können,  steht  fest.  Es  kann  z.  B. 
nach  einer  Bergbesteigung  eine  vermehrte  Stickstoffausscheidung 
am  Marschtage  selbst  vermißt  werden,  sich  jedoch  an  dem  darauf- 
folgenden Ruhetage  geltend  machen.  Es  ist  aber  in  solchen  Fällen 
stets  fraglich,  ob  wir  es  hier  mit  einer  ph)^iologischen  oder  patho- 
logischen Erscheinung  (dem  Effekte  von  Dj^pnoe,  Unterer- 
nährung u.  dgl.)  zu  tun  haben. 

Dunkel  ist  die  Rolle,  welche  Fette  und  Lecithide  bei  der 
Muskeltätigkeit  spielen.  Während  die  letzteren  in  den  Skelett- 
muskeln ihrer  Menge  nach  weit  hinter  den  gewöhnlichen  Fetten 
zurückbleiben,  scheinen  sie  z.  B.  im  Hundeherzen  mehr  als  die 
Hälfte  des  Ätherextraktes  auszumachen.  Zuntz  ist  geneigt, 
insbesondere  jene  schwerextrahierbaren  Fettsubstanzen,  welche 
der  Muskelfaser  selbst  angehören  und  in  der  kontraktilen  Substanz 
als  solcher  verteilt  sind,  in  direkte  Beziehung  zur  Muskeltätigkeit 
zu  bringen  2). 

Von  der  hypothetischen  «Aldehydsäure <(  Siegfrieds,  welche, 
im  Ruhezustande  zu  Phosphorfleischsäure  oxydiert,  bei  der 


i)  A.  Steyrer,  Hofmeisters  Beitr.  4,  234  (1907). 

2)  Vgl.  E.  Bogdanow  (Tierphysiol.  Inst,  landwirtsch.  Hochschule, 
Berlin),  Pflügers  Arch.  65,  81  (1896);  68,  408  (1897).  V.  Rubow  (Pharm. 
Inst.  Kopenhagen),  Arch.  f.  cxper.  Pathol.  52,  173  (1905).  Erlandsen, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  51,  71   (1907). 


Das  Muskelgewebe.  15g 


Arbeit  unter  Kohlensäureabspaltung  verbraucht  werden  soll, 
war  bereits  die  Rede. 

Was  die  stickstoffhaltigen  Extraktivstoffe  des  Muskels 
betrifft,  hat  das  Kreatin  von  altersher  als  »Ermüdungsstoff  «i) 
des  Muskek  gegolten.  Bei  Reizung  isolierter  Froschmuskeln 
haben  Graham  Brown  und  Cathcart^)  eine  geringe  Kreatin- 
Kreatininzunahme  konstatiert  und  Pekelharing^)  findet,  daß  im 
Tonus  befindliche  Muskeln  mehr  Kreatin  zu  bilden  vermögen 
als  ruhende.  Doch  handelt  es  sich  dabei  um  an  sich  recht  gering- 
fügige Verschiebungen. 

Was  femer  das  Verhalten  der  Purinkörper  betrifft,  geht 
Muskelarbeit  unter  Umständen  mit  einer  vermehrten  Ausscheidung 
der  Harnsäure  und  der  Purine  einher,  welche  namentlich  dann 
deutlicher  bemerkbar  wird,  wenn  man  den  Harn  nach  der  Arbeit 
nicht  in  Tagesportionen,  sondern  in  kurzen  Perioden  untersucht. 
Nach  Burian  soll  die  Muskelzelle  beständig  Hypoxanthin  bilden, 
das  im  Ruhezustande  zu  Harnsäure  weiter  oxydiert  wird,  beim 
Tetanus  dagegen  reichlicher  auftritt  und  größtenteils  in  un- 
verändertem Zustande  in  das  Blut  gelangt*).  In  Übereinstimmung 
damit  ist  nach  großen  Muskelanstrengungen  gelegentlich  eine 
relative  Vermehrung  der  Purinbasenausscheidung  auf  Kosten 
der  Harnsäure  beobachtet  worden^).  Doch  bedürfen  alle  diese 
Dinge,  ebenso  wie  das  Verhalten  des  Inosins  und  der  Inosin- 
säure  bei  der  Muskelarbeit,  dringend  eingehenderer  Unter- 
suchungen. 

Es  ist  übrigens  wenig  wahrscheinlich,  daß  die  Menge  irgend 


i)  Auf  die  Ermüdungstoxine  Weichhardts  und  die  zahlreichen 
Versuche  dieses  Autors,  die  Ermüdungsstoffe  mit  Hilfe  der  Methoden 
der  Immunitätslehre  näher  zu  charakterisieren,  gehe  ich  lüer  nicht  ein,  da, 
soweit  ich  es  zu  beurteilen  vermag,  in  dieser  Richtung  noch  keine  endgülti- 
gen Resultate  vorliegen.  (Vgl.  W.  Weichhardt,  Über  Ermüdungsstoffe, 
Verl.  von  Ferd.  Enke.    66  Seiten.)     Stuttgart  19 10. 

2)  T.  Graham  Brown  und  E.  P.  Cathcart,  Joum.  of  Physiol.  87, 
Proc.   Physiol.  Soc.  March.   21,   (1908). 

3)  C.  A.  Pekelharing  und  C.  J.  C.  van  Hoogenhuyze,  Z.  f.  physiol. 
Chemie  64,  262  (1910). 

4)  R.  Burian,  Z.  f.  physiol.  Chemie  43,  532  (1905).  V.  Scaffidi, 
Biochem.  Z.  30,  473  (191 1);  33,  247  (191 1). 

5)  Kennaway,  Joum.  of  Physiol.  38,   i   (1909). 


l6o  VII.  Vorlesung. 


eines  der  stickstoffhaltigen  Extraktivsstof fe  des  Muskels  ( —  man 
muß  dabei  auch  an  das  wenig  bekannte,  aber  sicherlich  sehr 
wichtige  Karnosin,  sowie  an  das  Karnitin  denken  — )  bei  der 
Muskelarbeit  eine  grobe  Verschiebung  erfahre;  wenigstens  hat 
eine  Stichprobe,  die  ich  gemeinsam  mit  C.  Schwarz  in  der 
Weise  ausgeführt  habe  i),  daß  wir  die  N-Verteilimg  in  den  Schenkel- 
muskeln eines  Hundes  im  Ruhezustande  imd  nach  Erschöpfimg 
durch  anhaltenden  Tetanus  vergUchen,  keinerlei  Anhaltspunkte 
für  eine  solche  ergeben. 

Von   großer   Wichtigkeit  ist  sicherüch  die  sich  unter  dem 
Einflüsse  der  Muskelarbeit  vollziehende  Veränderung  der  Wasser- 
V er t eilung  im  Organismus*).     Beim  Hunde  wird  die  bei  der 
Arbeit    produzierte    Wärme    hauptsächlich    durch    Wasserver- 
dunstung und  nur  zum  geringen  Teile  durch  vermehrte  Strahlung 
und  Leitung  abgegeben.    Jedoch  auch  beim  Menschen  kann  der 
Wasserverlust  nach  außerordentlichen  Anstrengungen  sehr  groß 
sein  xmd  sogar  mehrere  Kilogramme  betragen.    Die  Ausscheidung 
von  Wasser  wird  nicht  sogleich  durch  Wasseraufnahme  vollständig 
kompensiert,  derart,  daß  es  zu  einer  Wasserverarmung  kommt,  die 
sich  namentlich  in  einer  Bluteindickung  und  einer  Zunahme  der 
Trockensubstanz  im  Bereiche  der  Skelettmuskulatur  äußert. 
Steigerung  der        Man  hat  sich  vielfach  bemüht,  der  Lösung  der  Frage  nach  der 
^k^*it°d^*iii^"  Quelle  der  Muskelkraft  auch  auf  dem  Wege  näher  zu  kommen, 
chemische     daß  man  den  Einfluß  verschiedener  chemischer  Agentien  auf  die 
Agentien.      Leistimgsfähigkeit  des  arbeitenden  Muskels  auf  experimentellem 
Wege  studiert  hat. 

So  hat  man  gefunden,  daß  das  Kon traktions vermögen  des 
isoHerten,  überlebenden  Herzen  unter  dem  Einflüsse  von  Harn- 
stoff^) und  der  verschiedensten  Aminosäuren*)  länger  er- 
halten bleibt ;  doch  scheint  es  mir  nicht  ausreichend  klargestellt 
zu  sein,   inwieweit    etwa  eine  Neutralisation  der  sich  bei  der 


i)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Biochem.  Z.  30,  413  (191 1). 

2)  H.  Gerhartz  (Laborat.  von  Zuntz),  Pflügers  Arch.  133,  397  (1910). 

3)  S.  Baglioni,  Zentralbl.  f.  Physiol.  19,  385  (1905)  und  Zeitschr.  f. 
allgem.  Physiol.  6,  71,  213  (1906).  E.  L.  Backmann,  Zentralbl.  f. 
Physiol.  19,  771   (1905)  und  Skand.  Arch.  f.  Physiol.  20,  5  (1908). 

4)  F.  Lussana,  Arch.  di  Fisiol.  8, 473  (1909),  Arch.  Internat,  de  Physiol. 
^  393  (1910)  und  C.  R.  Sog.  de  Biol.  65,  60  (1908). 


Das  Muskelgewebe.  l6l 

Muskelarbeit  anhäufenden  Milchsäure  durch  Aminogruppen  bei 
diesem  Effekte  beteiligt  ist. 

Es  haben  femer  eine  große  Anzahl  ergographischer  Beob- 
achtungen an  Menschen  und  physiologische  Experimente  an 
Tieren,  verbunden  mit  den  praktischen  Erfahrungen  von  Berg- 
steigern, Radfahrern  usw.,  gezeigt,  daß  die  Zufuhr  größerer 
Zucker-  und  Alkohol  mengen  den  ermüdeten  Muskel  unter 
Umständen  zu  neuen  Kraftleistungen  zu  befähigen  vermag  i). 
Gemeinsam  mit  meinem  Kollegen  C.  Schwarz^)  an  dem  Gastroc- 
nemius  lebender  Katzen  ausgeführte  Versuche  haben  uns  jedoch 
darüber  belehrt,  daß  diese  Leistungsvermehrung  in  nervösen 
Einflüssen,  insbesondere  auch  in  einer  erregenden  Wirkung  auf 
die  nervösen  Endapparate  oder  die  »rezeptiven  Substanzen« 
Langleys  eine  ausreichende  Erklärung  findet.  Dagegen  vermag 
weder  die  Zufuhr  von  Zucker,  noch  von  Alkohol  einen  mit 
Hilfe  von  Kurare  nervösen  Einflüssen  vollständig  entzogenen, 
arbeitenden  Warmblütermuskel  unmittelbar  und  momentan  zu 
einer  erhöhten  Arbeitsleistung  zu  befähigen,  die  etwa  im  Sinne 
einer  direkten  Umsetzung  zugeführter  chemischer 
Energie  in  kinetische  Energie  gedeutet  werden  könnte'). 

Wohl  aber  fanden  wir  eine  Reihe  von  Substanzen,  die  be- 
fähigt sind,  das  Muskelplasma  extra  corpus  zur  Gerinnung 
zu  bringen  (wie  das  Rhodannatrium,  das  Salizylsäure  Natrium, 
das  Veratrin,  das  Chinin,  das  Koffein),  in  hohem  Grade  geeignet, 
die  Arbeitsleistung  des  Muskels  zu  steigern.  Dabei  handelt  es 
sich  neben  einer  erregenden  Wirkung  auf  nervöse  End- 
apparate, welche  durch  Kurare  ausgeschaltet  werden  kann, 
auch  hier  um  eine  direkte  Einwirkung  auf  die  kontraktile 
Muskelsubstanz. 

Der  Grundgedanke,  daß  Veränderungen  gleicher  Qualität, 
welche    schließlich    zu    einer    Gerinnung    des    Muskelplasmas 


i)  Literatur  über  den  Einfluß  des  Zuckers  und  des  Alkohols  auf  die 
Muskelleistung:  R.  Heinz,  Handb.  d.  experim.  Pathol.  u.  Pharmakol. 
1, 1,  598  ff.,  Jena  1905.  H.  H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  Experim.  Phar- 
makol.  S.  352 — 364.    (19 10). 

2)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Pflügers  Arch.  129,  525  (1909). 

3)  Vgl.  J.  Grober,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  95|  137  (1908).  H.  A. 
Stewart,  Journ.  of  experim.  Med.  12,  59  (1910), 

V.  Fürth,  Probleme.  II 


l62  VII.  Vorlesung. 


führen,  in  ihrem  ersten  Stadium  den  Muskel  zu  erhöhter  Lei- 
stung befähigen,  ist  zuerst  von  Hermann  ausgesprochen  worden. 
Dieselbe  Idee  findet  sich  in  einer  Mitteilung  Lillies^)  wieder,  der 
an  den  Schwimmplättchen  einer  durchsichtigen  Rippenqualle 
direkt  beobachtet  hatte,  daß  vermehrte  Kontraktilität  mit 
koagulativen  Veränderungen  innerhalb  der  kontraktilen  Fibrillen 
Hand  in  Hand  geht.  Kürzlich  hat  F.  B.  Hofmann^)  bemerkt, 
daß  sowohl  die  kurzdauernde  Erwärmung  bis  hart  an  die 
Grenze  der  Wärmestarre,  als  auch  die  gemäßigte  Einwirkung  von 
chemischen  Agentien,  welche  die  Gerinnung  des  Muskelplasmas 
beschleunigen,  zunächst  eine  reversible  Verkürzung  und  erst 
bei  verstärkter  Einwirkung  eine  bleibende  Starrekontraktur 
herbeiführt. 
Liuies  Theorie  Lillie  hat  dem  Gedanken  Ausdruck  gegeben,  daß  in  einem 
kontraktion'  kolloidalen  Systeme,  entsprechend  der  ungeheuren  Ausdehnung 
der  Oberfläche,  welche  die  beiden  Phasen  trennt,  eine  große 
Energiemenge  in  Form  von  Oberflächenspannung  verfügbar 
sei.  Kommt  es  nun  in  einem  solchen  Systeme  zu  einer  erhöhten 
Aggregation  kolloidaler  Teilchen  und  schließlich  auch  zur  Ge- 
rinnung, so  sei  eine  verminderte  Oberflächenentfaltung 
und  zugleich  auch  eine  verminderte  Oberflächenspannimg  die 
Folge  und  es  werde  dementsprechend  verfügbare  potentielle 
Energie  zu  kinetischer  Energie  umgeformt.  Im  Sinne 
dieser  Hypothese  wäre  demnach  eine  reversible  Aggregation 
von  Kolloidteilchen  die  wesentliche  Veränderung,  welche  die 
Kontraktion  einer  Muskeif ibrille  bedingt 3). 

Es  wäre  nun  naheliegend,  daran  zu  denken,  daß  de  ge- 
rinnungsbefördernde  Wirkung  der  im  Muskel  auf-^ 
tretenden  Milchsäure  eben  jener  Faktor  sein  könnte,  welcher 

i)  R.  S.  Lillie,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  16,  117  (1906). 

2)  F.  B.  Hof  mann,  Versammig.  d.  deutsch,  physiol.  Ges.  Würzburg, 
Juni  1909;  Zentralbl.  f.  Physiol.  23,  299  (1909). 

3)  O.  Lehmann  (Die  neue  Welt  der  flüssigen  Kristalle,  Leipzig  191 1, 
S.  330  ff.)  ist  durch  Beobachtungen  an  flüssigen,  scheinbar  lebenden 
Kristallen  auf  den  Gedanken  gebracht  worden,  die  Ursache  der  Muskel- 
kraft sei  die  molekulare  Richtkraft,  welche  bei  jeder  Kristallisation  in 
Erscheinung  tritt,  jene  Kraft  also,  welche  z.  B.  eine  TonzeUe,  in  deren  Poren 
eine  Salzlösung  auskristallisiert,  zum  Bersten  bringt;  zu  einer  genaueren 
physiologischen  Formulierung  dieser  Idee  ist  er  jedoch  nicht  gelangt. 


Das  Muskelgewebe.  163 


die  erhöhte  Aggregation  der  Kolloidteilchen  im  Sinne  der  Lillie- 
sehen  Hypothese  bewirkt.  Die  »Arbeitsstarre  «  d.  h.  die  Tatsache, 
daß  manche  Gifte  den  Muskel  nur  dann  starr  machen  können, 
wenn  er  vorher  Arbeit  geleistet  hat  (wie  dies  von  Julius  Pohl^) 
für  das  monobromessigsaure  Natron,  von  Santesson^)  für 
das  Chinin  festgestellt  worden  ist),  dürfte  mit  der  Säurebildung 
bei  der  Muskeltätigkeit  unmittelbar  zusammenhängen. 

Während  also  die  Lilliesche  Hypothese  zur  Erklärung  der  Bedeutung  von 
Muskelkontraktion   ihren    Schwerpunkt    in    der   Annahme   von  ^"!!^fn^°'' 
Aggregationsvorgängen  im   Plasma  sucht,  stützt  sich  die 
schon  früher  erwähnte  Engelmannsche  Theorie  über  den  Ursprung 
der   Muskelkraft   auf   die   Annahme   einer   geänderten   Wasser- 
verteilung im  Muskel  infolge  von  Quellungsvorgängen. 

Aus  eingehenden  physikalischen  Untersuchungen,  d'e  Paul 
Jensen  und  H.  W.  Fischer^)  über  die  Schmelzwärme  des  Muskels 
ausgeführt  haben,  ergab  sich  die  Tatsache,  daß  das  Wasser 
im  Muskel  leicht  weitgehenden  Zustandsänderungen  \mterliegt, 
in  dem  Sinne,  daß  stärker  alterierte  Muskeln  eine  festere  Wasser- 
bindung aufweisen. 

Das  wesentlichste  an  der  Engeltnannschen  Vorstellung  ist  die 
Annahme  einer  geänderten  Wasserverteilung  im  Muskel. 
Engelmann  findet,  daß  bei  der  Kontraktion  Flüssigkeit  aus  der 
isotropen  in  die  anisotrope  Schicht  übertritt,  ohne  daß  sich  das 
Gesamtvolumen  des  Muskels  dabei  ändert*).  Nach  Mc.  Dou- 
gall^)  wäre  die  Muskelkontraktion  das  direkte  mechanische 
Resultat  einer  Quellimg  der  fibrillären  Elemente  auf  Kosten  der 
sarkoplasmatischen  Flüssigkeit;  nach  Holmgren^)  schwindet  bei 
der  Kontraktion  die  spezifisch  färbbare  Materie  der  »Quer- 
scheiben«, während  an  den  »Grundmembranen«  neue  Sub* 
stanz  mit  besonderen  tinktoriellen  Eigenschaften  auftritt.  Wir 
können  auf  diesen  Gegenstand  hier  nicht  näher  eingehen.     Es 


i)  J.  Pohl,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  24,   142  (1888). 

2)  Santesson,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  89,  448  (1892), 

3)  P.  Jensen  und  H.  W.  Fischer,  Zeitschr.  f.  allgem.  Physiol.  11,  23 
{1910). 

4)  Th.  Engel  mann,  Über  den  Ursprung  der  Muskelkraft,  Leipzig  1893. 

5)  Mc.  Dougall,  Joum.  of  Anat.  and  Physiol.  82,  193  (1898). 

6)  E.  Holmgreen,  Arch.  f.  mikr.Anat.  75,  240  (1910). 

II* 


164  VII.  Vorlesung. 


dürfte  genügen,  auf  die  geistvolle  und  eingehende  Kritik  hinzu* 
weisen,  der  Wilhelm  Biedermann^)  in  einem  Artikel  über  die  ver- 
gleichende Physiologie  der  irritablen  Substanzen  die  einzelnen 
Kontraktionstheorien  kürzlich  unterzogen  hat.  Man  wird  aus 
derselben  soviel  entnehmen,  daß  der  Tatbestand  der  Wasser- 
verschiebung im  Muskel  während  der  Kontraktion  kaum  zweifel- 
haft ist.  Auch  Hürthle  fand  bei  seinen  sorgfältigen  Unter- 
suchungen, daß  sich  bei  der  Kontraktion  die  räumliche  Beziehung 
zwischen  Fibrillen  und  Sarkoplasma  derart  ändert,  daß  die 
Zwischenräume  zwischen  den  Fibrillen  abnehmen;  Meigs  zwei- 
felt nicht  daran,  daß  bei  der  Kontraktion  Flüssigkeit  aus  dem 
Sarkoplasma  in  die  Fibrillen  übertritt  und  so  die  mechanische 
Ursache  der  Verkürzung  wird  usw. 

Nach  ZufUz^)  wird  die  Tatsache,  daß  die  verschiedensten 
Nährstoffe,  wie  Eiweiß,  Fett  und  Kohlehydrat,  als  Quellen  der 
Muskelkraft  wesentlich  gleichwertig  erscheinen,  leichter  verständ- 
lich, wenn  man  osmotische  Prozesse  als  Mittel  zur  Um- 
wandlung chemischer  Energie  in  kinetische  Leistung  ansieht. 

Wird  eine  mit  einem  Gewichte  belastete  Violinsaite  in  Wasser 
suspendiert  und  dieses  plötzlich  erwärmt,  so  verkürzt  sich  die 
Darmseite  infolge  stärkerer  Quellung  und  leistet  durch  Heben 
des  Gewichtes  Arbeit.  Engelmann  war  nun  geneigt,  anzunehmen, 
daß  Wärmebildung  im  Muskel,  welche  durch  Oxydation  von 
Kohlehydraten  ausgelöst  wird,  in  analoger  Weise  die  Wasser- 
verschiebung im  Muskel  einleitet.  Es  ist  nun  aber  mit  Recht 
gegen  diese  Auffassung  geltend  gemacht  worden,  daß,  wenn 
die  Muskeln  eines  Insektenflügels  mehr  als  hundertmal  in  der 
Sekunde  abwechselnd  sich  kontrahieren  und  wieder  erschlaffen, 
es  ganz  undenkbar  sei,  daß  eine  abwechselnde  Erhitzung  und 
Abkühlung  einzelner  Müskelelemente  im  gleichen  Tempo  erfolge. 
Dazu  ist  der  Vorgang  der  Wärmeleitung  viel  zu  langsam  3). 

Dagegen    hat    die    von    Meigs^)   geäußerte    Auffassung,    die 


i)  Literatur:  W.  Biedermann,  Ergebn.  d.  Phjrsiol.  8,  147 — 211  (1909). 

2)  N.  Zuntz,   Die  Kraftleistungen  im  Tierkör|)er   (Festrede),    1908. 
Berlin,  Verl.  von  Parey. 

3)  J.  Loeb,  Vorlesungen  über  die  Dynamik  der  Lebenserscheinungen, 
S.  91.   Leipzig  1906. 

4)  E.  B.  Meigs  1.  c.    S.  140. 


Das  Muskelgewebe.  165 


Wasserverteilving  in  der  Muskelfaser  und  damit  auch  der  Kon- 
traktionsvorgang werde  durch  Säureentwicklung  in  den 
Fibrillen  eingeleitet,  welche  infolge  derselben  aufquellen  und 
das  hierzu  erforderliche  Wasser  dem  umgebenden  Sarkoplasma 
entziehen,  sicherlich  vieles  für  sich,  wenngleich  wir  uns  heute  keine 
klare  Vorstellung  darüber  zu  machen  vermögen,  welche  Faktoren 
die  Entquellung  bewirken.  Man  könnte  dabei  freilich  an  eine 
Neutralisation  der  Milchsäure  durch  das  Blutalkali  oder  an  eine 
t)xydative  Zerstörung  derselben  denken.  Wie  sich  ein  solcher 
Vorgang  der  abwechselnden  Quellung  und  Entquellung  aber  mehr 
als  hundertmal  im  Verlaufe  einer  Sekunde  abspielen  soll,  ist  uns 
vorläufig  ganz  unverständlich.  Und  solange  dies  der  Fall  ist, 
kann  die  genannte  Auffassung,  so  ansprechend  sie  an  sich  wohl 
sein  mag,  nur  als  Möglichkeit  einer  Erklärung,  nicht  aber  als  eine 
solche  gelten. 

Es  ist  zu  hoffen,  daß  neue  Untersuchungen  von  Wolf  gang 
Pauli,  die  derselbe  einstweilen  nur  in  einer  vorläufigen  Mit- 
teilung i)  angekündigt  hat,  uns  auf  diesem  Gebiete  um  ein  Stück 
weiterbringen  werden.  »Die  durch  Verbrennungs-  bzw.  Spaltungs- 
prozesse an  der  Grenze  von  Sarkoplasma  und  Fibrillen  gebildeten 
Saurem ,  sagt  Pauli  »in  erster  Linie  die  Kohlensäure  und  Milch- 
säure, bringen  die  Fibrillen  zur  Quellung  und  damit  zur  Ver- 
kürzung. Diese  Anschauung  ist  nicht  nur  durch  unsere  Er- 
fahnmgen  über  Thermodynamik  und  den  Stoffwechsel  des  Muskels 
gestützt,  sie  entspricht  auch  den  Messungen  der  Quellungs-  und 
Entquellungsgeschwindigkeit.  Ferner  ...  ist  es  uns  gelungen, 
auf  dieser  Grundlage  mit  entsprechenden  Modellen  die  bio elek- 
trischen Erscheinungen  am  Muskel,  die  Strombildung 
in  den  elek  tri  sehen  Organen  gewisser  Fische  zu  demonstrieren 
und  theoretisch  zu  erklären.  Die  gleichzeitige  Aufklärung  der 
Kontraktion  und  der  sie  begleitenden  elektrischen  Phänomene 
scheint  uns  eine  Forderung,  der  eine  Theorie  der  Muskelzuckung 
entsprechen  muß.  Unsere  Theorie  der  Muskelkontraktion  geht 
mit  der  auf  anderem  Wege  gewonnenen  Anschauung  parallel, 
nach   der  die  Zusammenziehung  bei  der  Totenstarre  an  die 

i)  W.  Pauli,  Wiener  klin.  Wochenschr.  191 1,  956.  (Diskussions- 
bemerkung zu  einem  von  mir  am  16.  Juni  191 1  in  der  k.  k.  Ges.  d.  Ärzte 
in  Wien  gehaltenen  Vortrage.) 


l66  VII.  Vorlesung, 


Milchsäurebildung  in  der  Grenzschicht  von  Fibrillen  und  Sarko- 
plasma  geknüpft  ist.  Unseres  Erachtens  besteht  somit  nur  ein 
Unterschied  des  Grades  zwischen  der  Kontraktion  eines  gereizten, 
ausgeschnittenen  Muskels  in  sauerstoffreiem  Medium  .  . .  und  der 
Zusanimenziehung  in  der  Totenstarre«'). 

Im  ganzen  gewinnt  man  immerhin  den  Eindruck,  daß  die 
Nebel,  welche  das  Wesen  einer  der  wundersamsten  Naturer- 
scheinungen unseren  Blicken  entziehen,  sich  einigermaßen  zu 
lichten  beginnen. 


VIII.  Vorlesung. 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz, 

Cholin. 

Eine  Betrachtung  der  Lebensvorgänge,  welche  sich  in  der  Lipoide. 
Sphäre  chemischer  Erscheinungen  abspielen,  kann  nicht  an  den 
Lipoiden  achtlos  vorübergehen.  Wenn  wir  in  den  Eiweiß- 
körpem  das  wichtigste  Baumaterial  der  Zelle  kennen  gelernt 
haben,  so  begegnen  wir  hier  jenem  Faktor,  welcher  für  die  phy sio  - 
logische  Abgrenzung  der  Zelle  gegen  die  Außenwelt  von  aller- 
größter Bedeutung  ist^).  Wissen  wir  doch  aus  den  grundlegenden 
Versuchen  Overions,  daß  die  Gegenwart  von  Lipoiden  in  einer 
innerhalb  gewisser  Grenzen  semipermeablen  Grenzschichte  die 
Aufnahme  von  Nährstoffen,  die  Abgabe  von  Exkreten,  kurz  den 
gesamten  Haushalt   der  Zelle  in  mächtigster  Weise  beeinflußt. 

Die  von  Overton  herrührende  Bezeichnung  »Lipoide«  ist 
zunächst  nicht  anderes  als  ein  physikalischer  Sammelbegriff, 
der  alle  jene  Zellbestandteile  umfaßt,  die,  gleich  dem  Fette,  leicht 
in  Äther,  Chloroform  und  ähnlichen  Stoffen  löslich  sind. 

Ivar  Bang,  dem  wir  eine  gründliche  neue  Monographie*)  über 
die  Lipoide  und  ihr  biochemisches  Verhalten  verdanken,  teilt  die 
Lipoidstoffe  zweckmäßigerweise  in  vier  Hauptgruppen  ein:  die 
Fette,  die  Cholesterine,  die  Stickstoff-  und  phosphorhaltigen 
Phosphatide  und  die  stickstoffhaltigen,  jedoch  phosphorfreien 
Cerebroside. 

Hier  soll  nun  zunächst  von  den  Phosphatiden  die  Rede  sein. 

Viele  Dezennien  lang  hat  nur  ein  Vertreter  dieser  großen  und 
wichtigen   Körperklassen  Beachtimg  gefunden:  das   Lecithin, 

i)  Vgl.  H.  H.  Meyer,  Münchenermed.Wochenschr.  1909,  Nr. 31,  1577. 
2)  J.  Bang,  Chemie  und  Biochemie  der  Lipoide.    Wiesbaden  191 1. 


l68  VIII.  Vorlesung. 


welches  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  Gobley  aus 
Eidotter  dargestellt  worden  war.  Erst  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
ist  man  darauf  aufmerksam  geworden,  daß  das  Lecithin  nichts 
anderes  darstellt  als  einen  » Spezialfall «  und  daß  Phosphatide 
der  verschiedensten  Art  im  Tier-  und  Pflanzenreiche  allgemein 
verbreitet  vorkommen. 
Lecithin.  Eine  kurze  Betrachtimg  des  Lecithins  ist  für  uns  sehr  lehr- 

reich. Das  Lecithin  galt  seit  langer  Zeit  für  eine  Verbindung  von 
genau  bekannter  Konstitution.  In  allen  Lehrbüchern  der  Chemie 
findet  sich  seine  Formel, 

CHg.O —  Fettsäureradikal 
CH.O         Fettsaureradikal 

CHs 
OH 

welche  die  Tatsache  zum  Ausdrucke  bringt,  daß  diese  komplizierte 
Verbindung  bei  hydrolytischer  Spaltung  in  je  ein  Molekül 
Glyzerin,  Phosphorsäure,  Cholin  und  zwei  Moleküle  einer 
hohen  Fettsäure  zerfällt. 

Revidiert  man  nun  aber  die  Literatur  des  letzten  Dezenniums, 
so  bemerkt  man  mit  Erstaunen,  daß  das  Lecithin  in  Wirklichkeit 
eine  recht  unvollkommen  bekannte  Substanz  ist^). 

Die  Unsicherheit  bezieht  sich  zunächst  auf  die  Fettsäure- 
komponenten. Die  eine  der  beiden  Fettsäuren  scheint  im 
allgemeinen  Stearinsäure  zu  sein;  für  die  andere  kommen  außer 
der  Palmitinsäure  und  Ölsäure  auch  Säuren  der  Linol-  und 
Linolensäurereihe,  die  in  höherem  Grade  ungesättigt  sind,  in 
Betracht 2).  Im  Zusammenhange  damit  steht  die  Tatsache,  daß 
das  Lecithin  eine  »autoxydable«,  höchst  zersetzliche  Verbindung 


i)  Literatur  über  Lecithin:  W,  Glikin,  Handb.  d.  Biochemie  1,  137  bis 
141(1909).  A.  Kanitz,  ibid.  2, 1,  237 — 239(1910).  J.  Bang,  1.  c.  S.  27bis 
66  Xi^ii). 

2)  V.  Henriques  und  C.  Hansen,  Skand.  Arch.  f.  Physiol.  14,  390 
(1903)-  Cousin,  Compt.  rend.  187,  68  (1903).  A.  Erlandsen,  Z.  f. 
physiol.   Chemie  51,  71  (1907). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  169 

ist.  Viele  Handelspräparate,  wie  z.  B.  das  durch  Chlorkadmium- 
f ällung  gewonnene  »Agfa-Lecithin  «,  sind  als  Zersetzungsprodukte 
zu  betrachten.  Sehr  lehrreich  ist  eine  Beobachtung  Heubners^), 
derzufolge  Lecithincadmiumchlorid  trotz  seiner  schönen  Kristall- 
form beim  Umkristallisieren  fortwährend  Veränderungen  seines 
Phosphor-  und  Kadmiumgehaltes  erleidet. 

Derselbe  Autor  hat  auch  beim  Kochen  von  Lecithinpräparaten 
mit  Alkohol  die  Abspaltung  stickstoffhaltiger  Gruppen 
beobachtet.  Es  haben  femer  einige  Beobachter  bemerkt,  daß 
man  bei  Lecithinspaltung  nicht  die  gesamte  berechnete  Cholin- 
menge  erhält  2)  und  daraus  den  Schluß  gezogen,  daß  die  Cholin- 
gruppe  nicht  die  einzige  stickstoffhaltige  Gruppe  im  Lecithin, 
die  übliche  Formel  des  letzteren  daher  zu  verwerfen  sei.  Dem- 
gegenüber möchte  ich  nun  allerdings  bemerken,  daß  ich  gelegent- 
lich einer  Arbeit  über  quantitative  Cholinbestimmung,  die  unter 
meiner  Leitung  kürzlich  ausgeführt  worden  ist*),  vielfach  Gelegen- 
heit gehabt  habe,  mich  davon  zu  überzeugen,  daß  auch  das  Cholin 
höchst  zersetzlich  ist,  derart,  daß  man  seine  Fällungen  mit  be- 
sonderen Vorsichtsmaßregeln  behandeln  muß,  wenn  man  sehr 
große  Verluste  dieser  Substanz  vermeiden  will. 

Hinsichtlich  der  relativen  Stellung  der  Fettsäureradikale 
und  des  phosphorsauren  Cholins  im  Lecithinmoleküle  ist  eine 
Entscheidung  zwischen  den  beiden  hier  in  Betracht  kommenden 
Formeln 

CHg.O —  Fettsäure  CHg.O Fettsaure 

I  I 

CH.O Fettsäure  und    CH.O phosphorsaures  Chohn 

I  I 

CH2.O phosphorsaures  Cholin  CH2.O—  Fettsäure 

zugunsten  der  ersteren,  asymetrischen  Formel  gefallen,  da  man 
bei  Spaltung  des  Lecithins  optisch-aktive  Glyzerinphosphorsäure 
erhalten  hat  und  nur  die  Verbindung 


i)  W.  Heubner,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  59,  420  (1908). 

2)  G.  Moruzzi  (Lab.  Thierfelder), 'Z.  f.  physiol.  Chemie  55,  352  (1908). 
Mac  Lean  (Labor.  Thierfelder),  ibid.  55,  360  (1908);  59,  223  (1909)  und 
Biochem.  Joum.  4,  240  (1909). 

3)  T.  Kinoshita,  Pflügers  Arch.  182,  607  (1910). 


170  VIII.  Vorlesung. 

CH2.OH  CH2.OH 

•(Lh.oh  CH.O-PO<^^S 

I  nicht  aber  ^^" 

CH2-O .  CH2.OH 

OH  ;po 

OH/ 

ein  asymetrisches  Kohlenstoff atom  enthält  i). 

Große  Unsicherheit  herrscht  in  bezug  auf  das  Vermögen  des 
Lecithins,  nicht  nur  mit  Säuren  und  Basen,  sondern  auch  mit 
Kohlehydraten,  Eiweißkörpern  sowie  auch  mit  Substanzen 
unbekannter  Beschaffenheit,  z.  B.  Kobragift,  Bienengift, 
Enzymen  u.  dgl.,  »Verbindungen«  einzugehen.  Wird  z.  B.  eine 
Lösung  von  Lecithin  und  Glukose  in  Alkohol  eingetrocknet,  so 
erweist  sich  die  letztere,  welche  an  sich  in  Äther  und  Benzol  ganz 
jckorin.  unlöslich  ist,  nunmehr  darin  leicht  löslich.  Allerdings  trübt  sich 
eine  solche  ursprünglich  klare  ätherische  Lecithin -Glukose- 
lösung nach  einiger  Zeit,  indem  der  Zucker  wieder  ausfällt.  Es 
liegt  gar  kein  Grund  vor,  hier  von  einer  echten  chemischen  Ver- 
bindung zwischen  Lecithin  und  Zucker  zu  sprechen;  auch  ist  von 
einer  konstanten  Zusammensetzung  einer  solchen  gar  keine  Rede. 
Es  handelt  sich  vielmehr  um  eine  jener  »Umhüllungser- 
scheinungen«, auf  die  ich  bei  anderer  Gelegenheit  noch  zurück- 
kommen werde.  Das  kolloidale  Lecithin  umhüllt  gewissermaßen 
die  Zuckerteilchen  und  bewirkt  so  eine  weitgehende  Veränderung 
ihrer  Lösungsverhältnisse  *).  Derartige  Adsorptionsvorgänge 
waren  früher  nur  wenig  bekannt,  und  man  war  vielfach  geneigt, 
dort  neue  chemische  Individuen  anzunehmen,  wo  wir  alte  Bekannte 
unter  geänderten  physikalisch-chemischen  Bedingungen  wieder- 
finden. So  sind  wir  denn  auch  gegenüber  den  aus  verschiedenen 
Organen  darstellbaren  »Jekorinen«,  welche  Lecithin,  Zucker  und 
eventuell  auch  schwefelhaltige  Komplexe  in  sich  einschließen, 
recht   skeptisch   geworden^).     Es   sind   allerdings   auch   wieder 


i)  R.  Willstädter  und  K.  Lüdecke,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  $7, 
3753  (1904);  vgl.  auch  Ulpiani,  Gazz.  chim.  ital.  1901. 

2)  J.  Bing,  Skand.  Arch.  f.  Physiol.  11,  166  (1901).  P.  Mayer, 
Biochem.  Z.  4,  545  (1907). 

3)  J.  Meinertz,  Z.  f.  physiol.  Chemie  46,  376  (1905).  M.  Siegfried 
und  H.  Mark,  ibid,  46,  492  {1905).  Waldvogel  und  Tinte  mann,  ibid. 
47,  129  (1906). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  171 


Stimmen  laut  geworden,  welche  die  chemische  Einheitlichkeit 
gewisser  Jekorine  behaupten.  So  soll  das  seinerzeit  von  Drechsel 
entdeckte  Leberjekorin  kein  Gemisch  sein,  vielmehr  eine 
chemische  Verbindung,  in  der  sich  der  Zuckergehalt  sowie  die 
Relation  N2  :  Pi  trotz  verschiedener  Reinigungs-  und  Umfällungs- 
prozeduren  recht  konstant  erhält  i). 

Daß  diese  Verhältnisse  auch  in  die  Methodik  derLecithin- 
bestimmung  ein  Element  der  Unsicherheit  hineinbringen,  liegt 
auf  der  Hand.  Unter  den  zahlreichen  Methoden  sei  hier  nur  das 
Verfahren  der  quantitativen  Fällung  des  Lecithins  aus  ätherischer 
Lösung  durch  Azeton  unter  Zusatz  alkoholischer  Magnesium- 
chloridlösung besonders  erwähnt  2). 

Ähnliche  Betrachtungen,  wie  für  die  Jekorine,  gelten  auch  LecitWneiweiß- 
für  die  Lecithin -Eiweißverbindungen,  zu  denen  die  »Vitel-  ^^"^  "  ""^^"* 
line  «,  »Lecithalbumine  «  u.  dgl.  gehören.  Für  die  früher  so  eifrig 
erörterte  Streitfrage,  ob  es  sich  hier  mn  »chemische«  oder  »physi- 
kalische« Verbindungen  handelt,  wird  heute  kein  übermäßiges 
Interesse  aufzubringen  sein;  wissen  wir  doch,  daß  diese  Grenzen 
bei  so  komplizierten  und  ungenügend  bekannten  Verbindungen, 
wie  es  die  Eiweißkörper  sind,  unmöglich  scharf  gezogen  werden 
können^). 

Der  Kreis  unserer,  die  Organlipoide  betreffender  Kenntnisse  Kuorin. 
hat  eine  wesentliche  Erweiterung  erfahren,  seitdem  Erlandsen^) 
die  lecithinartigen  Substanzen  des  Muskels  genauer  untersucht 
hat.  Durch  Zerlegung  des  Ätherextraktes  aus  Herzen  in  eine  in 
kaltem  absolutem  Alkohol  lösliche  Fraktion  (Lecithin)  und  eine 
darin  unlösliche  Fraktion  (Kuorin)  stellte  er  fest,  daß  neben  den 
gewöhnlichen  Lecithinen  (NiFj)  auch  Phosphatide  N1P2  im 
Muskel  vorkommen,  (analog  gewissen  ähnlich  zusammengesetzten 
Phosphatiden,  welche  Thudichutn  schon  früher  aus  Gehirn 
isoliert  hatte).  Das  Kuorin  ist  ein  Monoaminodiphosphatid, 
welches  bei  der  Hydrolyse  Glyzerinphosphorsäure,  eine  (offenbar 


i)  A.  Baskoff,  Z.  f.  physiol.  Chemie  57,  395,  (ic)o8);  61,  426,  (1909). 

2)  J.  Nerking,  Biochem.  Z.  23,  262  (1909). 

3)  Literatur  über  Lecithin-Eiweißverbindungen:  J.  Bang,  1.  c.  62 — 66; 
vgl.  auch  G.  Galeotti  und  Giampalino,  Arch.  di  Fisiol.  5,  503  und 
Biochem.  Zentralbl.  8,  322  (1909). 

4)  A.  Erlandsen,  Z.  f.  physiol.  Chemie  51,  71  {1907), 


172  VIII.  Vorlesung. 


mit  dem  Cholin  nicht  identische)  alkaloidartige  Base  und  drei 
Fettsäureradikale  liefert,  (während  das  Lecithin  nur  zwei  Fett- 
säurereste enthält).  Die  Fettsäuren  zeichnen  sich  durch  einen 
niedrigen  Schmelzpunkt  und  Wasserstoffgehalt  und  eine  hohe 
Jodzahl  aus  und  scheinen  teilweise  der  LinolsäurereiheCnH^n^^O^ 
oder  gar  der  Linolensäurereihe  CnK^^^fß^  anzugehören. 
Andere  Phos-  Es  sind  seitdem  noch  eine  große  Anzahl  von  Lipoidsubstanzen 
phatide.  bekannt  geworden,  welche  sich  in  ihren  Eigenschaften  und  der 
Relation  N  :  P  vom  Lecithin  unterscheiden.  So  fand  sich  ein 
Phosphatid  N2P1  im  Eidotter^)  und  im  Pferdepankreas*). 
Das  Neottin,  welches  S.Fränkel  aus  Eidotter  nach  Erschöpfung 
mit  Azeton  durch  nachherige  Extraktion  mit  heißem  Alkohol  in 
kristallinischer  Form  erhalten  hat,  ist  einTriaminomonophosphatid 
N3P1,  welches  bei  der  Hydrolyse  anscheinend  Cholin  und 
von  Fettsäuren  Palmitinsäure,  Stearinsäure  und  Cerebronsäure 
C26H50O3  liefert^).  Auch  das  »Karnaubon«  aus  Nieren,  welches 
seinen  Namen  der  unter  seinen  Spaltungsprodukten  auftretenden 
Karnaubasäure  €24114^02  verdankt,  weist  die  Relation  N3P1 
auf*),  ein  stark  ungesättigtes  Phosphatid  aus  der  Niere  dagegen 
die  Relation  N3P2^).  Ein  Phosphatid  NjPj  aus  Rinderpankreas 
lieferte  bei  der  Spaltung  Myristinsäure  C14H28O2  und  eine  Base, 
die  nicht  wie  das  Cholin  drei,  sondern  angeblich  vier  Methyl- 
gruppen enthält;  dasselbe  wurde  mit  dem  Namen  »Vesalthin« 
belegt*).  Alle  diese  Substanzen,  ebenso  wie  die  von  Schulze  und 
W tnter stein'^)  studierten  pflanzlichen  Phosphatide  sind  noch 
höchst  unvollkommen  bekannt ;  die  genauere  Erforschung  der- 
selben bietet  sicherlich  ein  nicht  undankbares  Arbeitsfeld. 

Wir  wenden  uns  aber  nunmehr  der  Betrachtung  jenes  Gewebes 
zu,  bei  dessen  Aufbau  die  Lipoidsubstanzen  in  ganz  besonders 
hervorragendem  Maße  beteiligt  sind.  Ich  meine  die  Nerven - 
Substanz. 


i)  M.Stern  und  H.Thicrf eider,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  370  (1907). 

2)  S.  Fränkel  und  Offer,  Biochem.  Z.  26,  53  (1910). 

3)  S.  Fränkel  und  Bolaffio,  Biochem.  Z.  9,  44  (1908). 

4)  E.  K.DurhamundC.Jacobson,Z.  f.  physiol. Chemie  64, 302(1910). 

5)  S.  Fränkel  und  A.  Nogueira,  Biochem.  Z.  16,  366  (1909). 

6)  S.  Fränkel  und  G.  A.  Pari,  Biochem.  Z.  17,68  (1909);  18,  37  (1909). 

7)  E.  Schulze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  52,  54  (1907).  E.  Winterstein, 
Smolenski,  Stegmann,  ibid.  58,  500,  506,  522,  527  (1908 — 1909). 


Phosphatide,  Chjemie  der  Nervensubstanz,  Cholin. 


173 


Ich  bin  mir  vollkommen  im  klaren  darüber,  daß,  wenn  ich 
den  Versuch  wagen  will,  die  wichtigsten  Wege,  welche  die 
Forschung  auf  diesem  Gebiete  gegenwärtig  wandelt,  kurz  zu 
skizzieren,  ich  vor  einer  sehr  schwierigen  Aufgabe  stehe.  Waren 
doch  seit  jeher  die  meisten  Biochemiker  gewohnt,  die  Nerven- 
substanz als  eine  Art  »Nolimetangere«  anzusehen,  an  das  sich 
vorsichtige  Leute  lieber  nicht  allzu  nahe  heranwagen.  So  ist 
denn  auch  der  Werdegang  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  auf 
diesem  Gebiete  ein  durchaus  eigenartiger  und  at5^ischer  gewesen. 
Ich  kann  natürlich  nicht  versuchen,  Ihnen  denselben  hier  historisch 
zu  entwickeln;  doch  erfordert  es  die  Gerechtigkeit,  daß  ich  wenig- 
stens eines  Mannes  gedenke,  dessen  Lebensarbeit  dazu  geholfen 
hat,  der  Forschung  die  Pfade  zu  weisen,  die  sich  seitdem  als  gang- 
bar bewährt  haben.  Ich  meine  den  Londoner  Arzt  Thudichum, 
einen  der  originellsten  Charakterköpfe  unserer  Wissenschaft. 

Wird  Gehimmasse  mit  warmem  Alkohol  extrahiert,  so  scheidet 
sich  aus  dem  Auszuge  beim  Erkalten  jene  Substanz  ab,  welche 
Vaujuelin  als  »weiße  Materie«  bezeichnet  und  Liebreich 
später  mit  dem  Namen  »Protagon«  belegt  hat.  Auf  dieses 
leicht  zugängliche  und  auffällige  Produkt  hat  sich  nun  die  Auf- 
merksamkeit der  Gehimf orscher  in  erster  Linie  konzentriert. 
Alle  anderen  Lipoidsubstanzen,  welche  das  Nervengewebe  auf- 
bauen, haben,  trotzdem  sie  ihrer  Menge  nach  das  Protagon  sehr 
erheblich  übertreffen,  im  ganzen  nur  wenig  Beachtung  gefunden. 
Da  war  es  denn  Thudichum,  der  zuerst  in  geduldiger  Arbeit  eine 
systematische  chemische  Durchforschung  der  Nervensubstanz 
und  eine  Fraktionierung  der  darin  enthaltenen  Lipoide  versucht 
hat.  Seine  Zeitgenossen  haben  von  diesen  Bemühungen  wenig 
Notiz  genommen  und  erst  im  Verlaufe  des  letzten  Dezenniums 
hat  man  die  Entdeckung  gemacht,  daß  Thudichums  Schriften 
eine  reiche  Fundgrube  für  jeden  bilden,  der  sich  auf  dieses  Terri- 
torium wagt. 

Allerdings  muß  hinzugefügt  werden,  daß  Thudichums  wissen- 
schaftliche Isoüerung  ihre  natürhchen  Gründe  hatte.  Derselbe, 
ein  gebürtiger  Deutscher  und  aus  Liebigs  Schule  hervorgegangen, 
war  als  praktischer  Arzt  in  London  tätig,  woselbst  er  sich  ein 
Privatlaborator  um  für  seine  Zwecke  eingerichtet  hatte.  Er  be- 
trachtete nunmehr  die  Gehirnchemie  gewissermaßen  als  Privat- 


Chemie  der 
Nerven- 
substanz. 


Thudichums 
Forschungs- 
arbeit. 


174  VIII.  Vorlesung. 


besitz,  zu  dem  er  anderen  den  Zutritt  am  liebsten  ganz  verwehrt 
hätte.  Ich  erinnere  mich,  irgendwo  in  seinen  Schriften  gelesen 
zu  haben,  daß  er  sich  mit  großen  Kosten  eine  gewaltige  Platin- 
retorte angeschafft  hatte,  um  seine  Lösungsmittel  daraus  ab- 
zudestillieren ;  er  äußert  sich  nun  imgefähr  in  dem  Sinne,  daß 
jeder,  der  nicht  über  ausreichende  Opferwilligkeit  und  Mittel 
verfüge,  um  sich  eine  ebensolche  Platinretorte  anzuschaffen, 
lieber  die  Hände  von  der  Gehimchemie  weglassen  sollte.  Aus 
ähnlichen  Empfindungen  heraus  hielt  sich  nun  Thudichum  für 
verpflichtet,  fast  jeden  Zeitgenossen,  der  auf  dem  Gebiete  der 
Himchemie  tätig  war,  wegen  seiner  wirklichen  oder  vermeint- 
lichen Irrtümer  in  überaus  heftiger  Weise  anzugreifen. 

Die  Nichtbeachtung,  welche  Thudichums  Schriften  so  lange 
Zeit  hindurch  zuteil  geworden  ist,  findet,  außer  in  persönlichen 
Momenten,  auch  in  dem  Umstände  eine  ausreichende  Erklärung, 
daß,  angesichts  einer  krausen  Terminologie  und  wenig  übersicht- 
lichen Darstellungsweise,  das  Studium  der  Thudichumschen 
Schriften  1)  viel  Selbstverleugnung  erfordert.  Auch  wird  man  ihm 
den  Vorwurf  nicht  ersparen  können,  daß  er  allzu  schnell  bereit 
war,  imgenügend  gereinigte  und  mangelhaft  isolierte  Substanzen 
als  wohlcharakterisierte  chemische  Individuen  hinzustellen. 

Es  kann  hier  unmöglich  meine  Aufgabe  sein,  Ihnen  die  mannig- 
fachen Versuche  vorzuführen,  welche  seit  mehr  als  einem  halben 
Jahrhunderte  zur  Trennung  der  Gehimlipoide  ausgeführt  worden 
sind.  Wer  sich  für  die  Einzelheiten  dieses  Wissensgebietes 
interessiert,  findet  in  einigen  neuen  Monographien  2)  eingehende 
Belehrung.  Ich  möchte  Ihnen  nur  als  Beispiel  eines  solchen 
Trennungsverfahrens  dasjenige  von  Sigmund  Fränkel  kurz 
skizzieren  und  an  der  Hand  desselben  die  wichtigsten  Typen 
charakterisieren,   welche  sich   aus  der  verwirrenden  Fülle  von 


i)  J.  L.  W.  Thudichum,  Die  chemische  Konstitution  des  Gehirns 
des  Menschen  und  der  Tiere.     Tübingen,  1901  (F.  Pietzker). 

2)  Literatur  über  Gehimlipoide:  S.  Fränkel,  Ergebn.  d.  Physiol.  8, 
212  (1909)  und  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  5,  I^  613 — 636  (1911). 
J.  Bang,  1.  c.  und  Biochem.  Handlexikon  3,  224 — 249  (191 1).  W.  Gra- 
mer, Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  774 — 814  (19 10)  und  Biochem. 
Handlexikon  3,  250 — 267  (191 1).     W.  Glikin,  Handb.  d.  Biochemie  1, 

143  (1909)- 


Phosphatide,  Chemie  der  Xervensubstanz,  Cholin. 


175 


Fraktionie- 
rungsverfah- 

ren  von 
S.  Fränkel. 


Namen,  Definitionen  und  Widersprüchen  einigermaßen  scharf 
abheben. 

Um  die  zerkleinerte  Himmasse  zu  entwässern  und  für  Extrak- 
tion mit  den  eigentlichen  Lipoidlösungsmitteln  geeignet  zu 
machen,  wird  dieselbe  nach  5.  Fränkel  zunächst  mit  Azeton  erst 
in  der  Kälte,  dann  in  der  Siedehitze  behandelt.  Dabei  gehen 
wasserlösliche  Extraktivstoffe  und  große  Mengen  von  Chole- 
sterin, jedoch  nur  sehr  geringe  Mengen  anderer  Lipoide  in 
Lösung.  Wird  nunmehr  die  von  Azeton  befreite  Himmasse  im 
Vakuum  getrocknet,  so  läßt  sie  sich  zu  einem  feinen  Pulver  zer- 
reiben, und  dieses  kann  in  einem  großen,  aus  verzinntem  Metall 
verfertigten  Soxhletapparate  mit  Petroläther  extrahiert  werden. 
Dabei  gehen  vorwiegend  ungesättigte  Phosphatide  in  Lösung. 
Wird  hinterher  mit  Alkohol  erschöpft,  so  erhält  man  die  Fraktion 
der  gesättigten  Phosphatide. 

Dieses  Extraktionsverfahren  sondert  also  die  Himlipoide  in 
vier  Hauptgruppen: 

1.  Cholesterin, 

2.  azetonlösliche  Phosphatide, 

3.  ungesättigte  azetonunlösliche  Phosphatide, 

4.  gesättigte  Phosphatide^). 

Aus  dem  Azetonextrakte  des  Menschenhimes  isoüerten  S.  Frän-    Uukopoinn. 
kel  und  Elias ^)   ein   ungesättigtes,    kristallisiertes    Pentamino- 
monophosphatid    (N5P1),    das    »Leukopoliin«,    welches   keine 
einzige  Methylgruppe  am  Stickstoffe,  also  sicherlich  kein  Cholin 
enthält,  dagegen  einen  Kohlehydratkern  einschließen  soll. 

Betrachten  wir  nunmehr  die  Gruppe  der  ungesättigten 
azetonunlöslichen  Phosphatide. 

Dieselbe  umfaßt  die  Unterabteilimgen  der  Lecithine,  Kepha- 
line  und  Myelin e.  Durch  Fällung  der  petrolätherischen  Lösung 
mit  Alkohol  kann  die  Gruppe  des  Kephalins  abgetrennt  werden. 

Das  Kephalin,  welches  seinerzeit  von  Thudichum  entdeckt 
worden  ist,  nimmt  seiner  Menge  nach  unter  den  Gehimphospha- 
tiden  den  ersten  Rang  ein.    Dasselbe  ist,  ebenso  wie  das  typische 


Kephalin. 


i)  Vgl.  auch  das  neuere  Verfahren  der  fraktionierten  Extraktion  von 
Gehimlipoiden:  S.  Fränkel,  Biochem.  Z.  19,  254  (1909).  S.  Fränkel 
und  L.  Dimitz,  ibid.  28,  295  (1910). 

2)  S.  Fränkel  und  H.  Elias,  Biochem.  Z.  28,  320  (1910), 


176  VIII.  Vorlesung. 


Lecithin,  ein  Monoaminomonophosphatid  N^Pi,  welches  bei  der 
Hydrolyse  Glyzerinphosphorsänre,  zweierlei  hohe  Fettsäuren  und 
eine  Base  liefert.  Die  Glyzerinphosphorsäure  ist  mit  der- 
jenigen, welche  man  aus  dem  Lecithin  erhält,  nicht  identisch, 
vielmehr  entgegengesetzt  optisch-aktiv^).  Von  den  hohen  Fett- 
säuren ist  die  eine  die  Stearinsäure,  die  andere  dagegen  die 
>Kephalinsäure«.  Nach  einer  von  Parnas^)  im  Laboratorium 
Hofmeisters  ausgeführten  Untersuchung  scheint  es  sich  um  eine 
Isomere  der  Lmolsäure  von  der  Zusammensetzung  C18H32O2  zu 
handeln,  welche  durch  Palladiumschwarz  und  Wasserstoff  zu 
Stearinsäure  CigH3e02  reduziert  werden  kann.  Hinsichtlich  der 
Natur  der  Base  besteht   keine   Klarheit.     Nach   der   Meinung 

Waldemar  Kochs^)   findet  sich   nur    ein   Methyl   am   Stickstoff 

/OH 
und  soll  es  sich  um  eine  Verbindung   N:  CHj  handeln, 

^<:h2-ch2.oh 

während  Cousin^)  unter  den  Spaltungsprodukten  des  Kephalins 
außer  Cholin  keine  andere  Base  isolieren  konnte;  es  ist  also  sehr 
wohl  möglich,  daß  der  erstgenannte  ein  Zersetzungsprodukt  in 
Händen  hatte. 

Das  Kephalin  kann,  nach  einem  von  Falk^)  im  Hofmeister  sehen 
Laboratorium  ausgearbeiteten  Vorgange  auch  in  der  Weise  ge- 
wonnen werden,  daß  getrocknetes  Gehirn  mit  Benzol  extrahiert, 
der  Rückstand  der  Benzollösung,  nach  Beseitigung  der  in  Azeton 
lösüchen  Substanzen,  in  Äther  gelöst  und  mit  Alkohol  gefällt 
wird. 

Die  quantitative  Bestimmung  der  Kephaline  nach  Koch  und 
Woods^)  beruht  auf  Extraktion  der  Phosphatide  mit  Alkohol  und 
Äther  und  Trennung  der  Kephaüne  von  den  Lecithinen  durch 
Fällung   der   ersteren   mit   alkoholischer   Bleiazetatlösung;   jede 

1)  S.  Fränkel  und  L.  Dimitz,  Biochem.  Z.  21,  337  (1909). 

2)  J.  Parnas  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Biochem.  Z.  22,  411 
(1909),  vgl.  auch:  Cousin,  Journ.  de  Pharm,  et  de  Chimie  (1906). 

3)  W.  Koch,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  184  (1902),  vgl.  auch:  S.  Frän- 
kel und  E.  Neubauer,  Biochem.  Z.  21,  321  (1909). 

4)  H.  Cousin,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  62.  238  (1907)  und  Joum.  de  Pharm, 
et  de  Chimie  (6)  25,  177  (1907). 

5)  F.  Falk  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Biochem.  Z.  16,  187 
(1909), 

6)  W.  Koch  und  H.  S.  Woods,  Journ.  of  biol.  Chem.  1,  204  (1906). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  177 


Fraktion  wird  nach  Neumann  mit  Salpetersäure  und  Schwefel- 
säure oxydiert  und  der  Phosphor  darin  titrimetrisch  bestimmt. 

Thudichum  trennt  »Myeline«,  Phosphatide  mit  entschieden    Myeiineund 
saueren  Eigenschaften,  dadurch  von  dem  Kephalin,  daß  dieselben      Lecithine, 
{zum  Unterschiede  von  dem  ätherlöslichen  Kephalinblei)  in  Äther 
unlösliche  Bleisalze  geben.     Doch  ist  über  diese  Myeline  nichts 
Sicheres  bekannt. 

Hinsichtüch  der  Lecithine  ist  noch  zu  bemerken,  daß  nach 

S.  Fränkel  und  K,  Linnert  das  Lecithin  aus  Menschenhirn,  das 

»Sahidin«  merkwürdigerweise  wesentlich  anders  beschaffen  ist, 

als   dasjenige   aus   Eidotter   und  Ochsenhirn,    insofern   dasselbe 

ein  Triaminodiphosphatid  (N3P2)  sein  und  von  den  vorhandenen 

.drei  Stickstoff atomen  nur  eines  in  Form  von  Cholin  enthalten 

soll.   Diese  bisher  ansche'nend  nur  als  Kadmiumchloridverbindung 

analysierte  Substanz  ist  vorläufig  viel  zu  ungenau  bekannt,  als 

daß   es  möglich   wäre,   sich   über  die   chemische    Individualität 

derselben   ein   Urteil  zu  bilden.     Da   es  ja  sehr  schwierig  ist, 

Menschenhirn  in  größeren   Mengen   in  ganz  frischem  Zustande 

zu  erhalten,   dürfte  auch  die   Möglichkeit,   daß  hier  sekundäre 

Veränderungen  eine  Rolle  spielen,  nicht  ganz  von  der  Hand  zu 

weisen  sein. 

Wir  kommen  nunmehr  zu  der  Gruppe  der  gesättigten 
Phosphatide.  Thudichum  war  der  Meinung,  daß  neben  dem 
Kephalin,  dem  Hauptrepräsentanten  der  ungesättigten  äther- 
löslichen Phosphatide,  das  in  Äther  unlösliche  »Sphingomyelin« 
der  Hauptbeistandteil  der  Hirnphosphatide  sei.  Dasselbe  ist  in 
•der  beim  Abkühlen  eines  warmen  alkoholischen  Gehirnextraktes 
ausfallenden  »weißen  Materie«  von  Vauquelin  enthalten,  aus 
der  durch  Alkoholextraktion  einerseits  Sphingomyelin,  anderer-  Sphingomyelin. 
seits  ein  Gemenge  von  »Cerebrosiden«  dargestellt  werden  kann. 
Es  dürfte  vorderhand  kaum  möglich  sein,  sich  über  den  chemischen 
Aufbau  des  Sphingomyelins,  das  kürzlich  von  Rosenheim  und 
Tebb^)  kristaUinisch  gewonnen  worden  ist,  ein  klares  Urteil  zu 
bilden.  Dasselbe  ist  anscheinend  ein  Diaminomonophosphatid 
^N2Pi),    das   bei   der  Hydrolyse  Phosphorsäure   (jedoch  kein 


i)  O.  Rosenheim  und  M.  Ch.  Tebb,  Journ.  of  Physiol.  S8,  Proc. 
physiol.  Soc.  27.  Febr.  (1909). 

V.  Fürth,  Probleme.  12 


178  VIII.  Vorlesung. 


Glyzerin),  »Sphingostearinsäure«,  Sphingol  (einen  Alkohol 
von  der  fraglichen  Zusammensetzung  C28H3e02),  Cholin  und 
vielleicht  auch  eine  alkaloidartige  Substanz,  das  Sphingosin 
C17H35NO2,  liefert. 

Neben  dem  Sphingomyelin  soll  die  Gruppe  der  gesättigten 
Phosphatide    noch    ein    Diaminomonophosphatid    (N2P1),    das 
»Amidomyelin«   und    ein  Diaminodiphosphatid  (N2P2),     das 
i> Assurin«  enthalten. 
Protagon.  Wir  sind  jedoch  hier  bereits  im  Bereiche  des   Protagons 

angelangt,  jener  Substanz,  welche  anscheinend  die  Hauptmasse 
der  3»  weißen  Materie  «  von  Vauquelin  ausmacht  und  über  deren 
chemische  Individuahtät  und  Einheitlichkeit  sich  die  Gelehrten 
im  Laufe  eines  halben  Jahrhunderts  nicht  zu  einigen  vermochten^). 
Während  auf  der  einen  Seite  (so  neuerdings  insbesondere  von 
Rosenheim  und  Tebb)  das  Protagon  als  ein  Gemenge  von  Cere- 
brosiden  und  Phosphatiden  hingestellt  wird,  läßt  sich  andererseits 
nicht  leugnen,  daß  dasselbe  eine  gut  kristallisierende  Substanz 
ist,  welche,  wie  zahlreiche  Analysen  lehren,  ohne  wesentliche 
Änderung  ihrer  Zusammensetzung  und  ihrer  Eigenschaften  oft 
umkristaUisiert  werden  kann.  Eine  Zwischenstellung  nehmen 
jene  Autoren  ein,  welche  meinen,  das  Protagon  sei  zwar  kein 
Rohgemenge  von  Phosphatiden  und  Cerebrosiden,  wohl  aber 
ein  Gemisch  mehrerer  homologer  Protagone.  Mir  scheint  es  am 
wahrscheinlichsten,  daß  die  Protagone  lockere,  leicht  dissoziable 
Verbindungen  zwischen  Cerebrosiden  und  Phosphatiden  sind, 
welche  nur  unter  gewissen  Verhältnissen  existenzfähig  bleiben  und 
sehr  leicht  (so  auch  schon  bei  andauernder  Behandlung  mit  heißem 
Alkohol)  in  ihre  Komponenten  zerfallen  2).  Die  Tatsache,  daß 
man,  wie  es  Rosenheim  und  Tehb  gelungen  ist,  Protagon  regene- 
rieren kann,  wenn  man  unter  passenden  Verhältnissen  Lösungen 

i)  Literatur  über  Protagon:  W.  C ramer,  Biochem.  Handlexikon  3, 
251 — 258  (191 1)  und  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  774 — 814 
(19 10).  J.  Bang,  Chemie  und  Biochemie  der  Lipoide.  y6 — yy,  Wiesbaden 
.1911.  S.  Fränkel,  Ergebn.  d.  Physiol.  8,  239 — 243  (1909);  vgl.  ins- 
besondere die  Arbeiten  von  Liebreich,  Gamgee,  Baumgarten,  Kos- 
sei u.  Freytag,  Ruppel,  Posner  u.  Gies,  Thierfelder  u.  Wörner» 
Lockhead,  Wilson  u.  Gramer,  Rosenheim  u.  Tebb. 

2)  Vgl.  O.  Hammarsten,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie,  S.  575.  7.  Aufl. 
1910. 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin. 


179 


seiner  Zersetzungsprodukte  mischt,  scheint  mir  keineswegs  gegen 
eine  solche  Auffassung  zu  sprechen. 

Bei  hydrolytischer  Spaltung  des  Protagons  hat  man  neben 
den  gewöhnlichen  Zersetzungsprodukten  der  Lecithine 
(Glyzerinphosphorsäure,  Cholin,  hohen  Fettsäuren^))  insbesondere 
Sphingomyelin  und  Cerebroside  angetroffen. 

Mit  den  letztgenannten  wären  wir  nun  glücklich  bei  der 
letzten  Hauptgruppe  von  Himbestandteilen  angelangt. 

Man  kann  Cerebroside  in  sehr  verschiedener  Weise  gewinnen. 
W,  Müller  hat  sie  seinerzeit  durch  Zerkochen  des  Gehirns  mit 
Baryt  und  nachfolgende  Extraktion  mit  Alkohol  erhalten ;  Kossei 
und  Freytag  stellten  sie  aus  Protagon  durch  Erwärmen  mit 
methylalkoholischer  Atzbarytlösung  imd  Extraktion  des  Nieder- 
schlages mit  Alkohol  dar;  Thudichum  behandelte  die  »weiße 
Materie«  mit  Bleizucker  und  Ammoniak  in  der  Wärme  und 
erschöpfte  sodann  die  Bleifällung  mit  Alkohol  usw.  Es  sind  so 
zahlreiche  Produkte  unter  verschiedenen  Namen  isoliert  worden 
(Cerebrin,  Homocerebrin,  Kerasin,  Phrenosin,  Enke- 
phalin,  Aminocerebrinsäureglykosid,  Cerebron^)).  Das 
reinste  und  weitaus  am  besten  charakterisierte  dieser  Produkte 
ist  das  letztgenannte,  und  es  scheint  nicht  unwahrscheinUch,  daß 
die  anderen  Cerebroside  als  Umwandlungsprodukte  aufgefaßt 
werden  könnten,  die  durch  Einwirkung  von  Reagentien  aus  dem 
Cerebron  entstanden  sind.  Vielleicht  sind  auch  zwei  Cerebroside 
präformiert,  etwa  außer  dem  letztgenannten  noch  das  Kerasin 
von   Thudichum. 

Das  Cerebron^),  welches  von  T hier f eider  und  seinen  Mit- 
arbeitern genau  studiert  worden  ist,  dürfte  mit  dem  »Phrenosin« 
Thudichums  identisch  sein.  Dasselbe  wird  am  besten  in  der  Art 
gewonnen,  daß  Protagon  in  chloroformhaltigem  Methylalkohol  bei 

i)  Neben  Stearinsäure  und  Palmitinsäure  hat  S.  Fränkel  auch  Myris- 
tinsäure  C14H28O2  und  Laurinsaure  C12H24O2  angetroffen. 

2)  Literatur  über  Cerebron:  W.  Cramer,  Biochem.  Handlexikon  3, 
258 — 267  (1911). 

3)  E.Wörner  undH.Thierfelder,  Z.  f. physiol. Chemie 80,  542(1900). 
H.  Thierfelder,  ibid.  48»  21  (1904)  44,  366  (1905);  46,  518  (1905). 
Kitagawa  und  H.  Thierfelder  ibid.  49,  286  (1906).  A.  Argiris, 
ibid.  57,  288  (1908).  W.  J.  Gies,  Journ.  of  biol.  Chem.  30,  159  (1906). 
H.  Loening  und  H.  Thierfelder,  ibid.  «8,464  (1910);  74,  282  (1911). 


Cerebroside 
(=3  Sphingo- 
galaktoside). 


12' 


i8o 


VIII.  Vorlesung. 


Quantitative 
Zusammen- 
setzung der 
Hirnsubstanz. 


gelinder  Wärme  gelöst  wird.  Beim  Stehen  der  Lösung  scheidet 
sich  das  Cerebron  allmählich  in  harten  weißen  Krusten  ab,  die 
durch  Behandlung  mit  ammoniakalischem  Zinkhydroxyd  und 
UmkristaUisieren  aus  chloroformhaltigem  Methylalkohol  weiter 
gereinigt  werden. 

Die  Spaltung  des  Cerebrons  durch  verdünnte  Schwefelsäure 
soll  etwa  nach  der  Gleichung 


C48H93NO« 
Cerebron 


+  2H2O  =  CgßHßoOs  +  C17H36NO2  +  CeHigOe 
Cerebronsäure    Sphingosin      Galaktose 


erfolgen^).  Was  die  Cerebronsäure  betrifft,  ist  dieselbe  durch 
Herstellung  einer  Acetylverbindung  als  Oxysäure  charakterisiert 
worden.  Es  ist  interessant,  daß  das  bekannte  Bindungs vermögen 
des  Gehirns  für  Tetanusgift  vorwiegend  an  die  Cerebronsäure- 
komponente  geknüpft  zu  sein  scheint*).  Das  Sphingosin  ist 
eine  basische  Substanz  von  unbekannter  Konstitution,  welche 
für  die  schöne  Rotfärbung  verantwortlich  gemacht  wird,  welche 
das  Cerebron  (ähnlich  wie  eine  Gallensäure)  mit  konzentrierter 
Schwefelsäure  bei  Gegenwart  von  Rohrzucker  gibt.  Die  Galak- 
tose kann  vermöge  ihres  Reduktions Vermögens  (nach  einem  von 
Noll^)  vorgeschlagenen  und  von  W,  Koch^)  weiter  ausgestalteten 
Verfahren)  zur  quantitativen  Bestimmung  der  Cerebroside  und 
unter  der  (allerdings  unbewiesenen)  Voraussetzung,  daß  alle 
Cerebroside  der  Nervensubstanz  in  gebundener  Form  im  Protagon 
enthalten  seien,  auch  zur  Bestimmung  dieses  letzteren  dienen. 

Man  hat  sich  vielfach  bemüht,  über  die  quantitative  Zu- 
sammensetzung des  Gehirns  Genaueres  zu  erfahren.  Nach  Sigmund 
Fränkel^)  besteht  die  Gehirntrockensubstanz  zu  etwa  einem 
Drittel  aus  eiweißartigen  Substanzen  und  zu  zwei  Dritteln 
aus  Lipoiden;  rund  10%  entfallen  auf  Cholesterin,  und  30% 


j)  Das  Sphingosin  dürfte  mit  der  «Amidocerebrinsäure  C17H37NO2 
von  A.  Bethe  (Arch.  f.  exper.   Pathol.  48,  73  [1902])  identisch  sein. 

2)  K.  Takaki  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  11, 
228  (1908). 

3)  A.  Noll  (Physiol.  Inst.  Marburg),  Z.  f.  physiol.  Chemie  27,  370  (1899). 

4)  W.  Koch,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  11,  303  (1904). 

5)  S,  Fränkel,  Biochem,  Z.  19,  265  (1909),  vgl.  auch:  S.  Fränkel, 
Wiener  Med.  Wochenschr.  1909,  Nr.  47.  S.  Fränkel  und  Di  mit  z, 
Biochem.  Z.  28,  295  (1910).    K.  Linnert,  ibid.  26,  44  (1910). 


Phosphatide,  Chqmie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  i8l 


auf  ungesättigte  Verbindungen.  Waldemar  Koch^)  fand  im  Corpus 
callosum  etwa  30%  eiweißartige  Substanzen,  5%  Extrak- 
tivstoffe, 15%  Cholesterin,  15%  Cerebroside,  15% 
Lecithin,  11%  Kephaline  und  Myeline  und  4%  schwefel- 
haltige Substanzen*).  Alle  derartigen  Untersuchungen  sind 
noch  nicht  weit  über  das  Stadium  der  groben  Schätzung  hinaus- 
gediehen und  es  wird  wohl  noch  lange  dauern,  bis  man  die  Metho- 
den so  weit  ausgebildet  hat,  daß  man  die  Nervensubstanz  mit 
einiger  Präzision  in  ihre  wichtigsten  chemischen  Bestandteile 
quantitativ  aufteilen  kann. 

Man  hat  sich  von  der  Ausbildung  einer  derartigen  Methodik 
wichtige  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  des  Gehirnes 
versprochen  und  etwas  wie  die  Entstehung  einer  chemischen 
Diagnostik  psychischer  Erkrankungen  erhofft.  Man  wird 
gut  daran  tun,  derartige  Erwartungen  vorderhand  wenigstens 
nicht  allzu  hoch  zu  schrauben.  Man  muß  sich  ja  vergegen- 
wärtigen, daß  die  große  Masse  des  Gehirns,  die  weiße  Substanz, 
aus  Leitungsbahnen  besteht  und  daß  der  eigentliche  Schauplatz, 
wo  sich  die  geheimnisvolle  Welt  psychischer  Vorgänge  abspielt, 
die  graue  Rindensubstanz  ist,  ein  Material,  dessen  chemische 
Beschaffenheit  im  normalen,  geschweige  denn  im  pathologischen 
Zustande  so  gut  wie  unbekannt  ist.  Daß  bei  so  groben  anato- 
mischen Veränderungen,  wie  sie  z.  B.  die  progressive  Paralyse 
zur  Folge  hat,  eine  Verarmung  des  Nervensystems  an  phosphor- 
haltiger  Substanz  konstatiert  werden  konnte  3),  ist  nicht  zu  ver- 
wundem. 

Auch  mag  eine  Beobachtung  von  Nadina  Siebet^)  über 
Phosphatid  Verluste  im  Gehirne  mit  Alkohol  chronisch  behandelter 
Hunde  hier  Erwähnung  finden. 

Ob  man  aber  jemals  imstande  sein  wird,  feine  chemische 
Alterationen,  die  sich  etwa  auf  eine  Zellenschicht  einer  um- 
schriebenen Himrindenregion  beschränken,  auf  dem  Wege  che- 
mischer Analyse  zu  konstatieren,  weiß  ich  nicht.    Jedenfalls  wird 

i)  W.  Koch,  Amer.  Journ.  of  Physiol.   11,  328  (1004). 

2)  Literatur  über  die  quantitative  Zusammensetzung  des  Zentral- 
nervensjrstems:    G.  Peritz,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  282 — 299  (1909)- 

3)  Noll.  Mott,  Halliburton  u.  a. 

4)  N.  Sieber,  Biochem.  Z.  23,  304  (1900). 


l82  VIII.  Vorlesung. 


dies  aber  eine  Verfeinerung  der  analytischen  Methodik  voraus- 
setzen, die  wir  uns  heute  mit  bestem  Willen  noch  nicht  vorstellen 
können.  Damit  soll  aber  die  Unmöglichkeit  einer  solchen  keines- 
wegs behauptet  werden.  Noch  vor  nicht  gar  langer  Zeit  schien 
Vio  Milligramm  die  Grenze  einer  exakten  Wägung  zu  bedeuten, 
und  heute  hält  man  schon  dabei.  Tausendstel  Milligramme  zu 
wägen.  Und  schließlich  muß  auch  im  nüchternsten  Forscherkopfe 
der  Phantasie  und  der  Hoffnung  ein  gewisser  Spielraum  erhalten 
bleiben.  Denn  diese  beiden  sind  es  ja,  welche  den  Forscher  davor 
bewahren  müssen,  angesichts  der  ebenso  notwendigen  wie  be- 
schwerlichen Kleinarbeit  des  Alltages  zu  verzagen. 

Übrigens  braucht  man  sich  gar  nicht  in  die  grauen  Nebel  einer 
fernen  Zukunft  zu  verlieren,  um  auf  Probleme  aus  der  Biochemie 
des  Nervensystems  zu  stoßen,  die  eines  eingehenden  Studiums 
harren. 
Eiweißkörper.  Da  wären  z.  B.  die  Eiweißkörper  der  Nervensubstanz: 
die  von  Halliburton^)  beschriebenen  Neuroglobuline  und  die 
phosphorhaltigen  Neuroproteide,  von  denen  namentlich  die  erst- 
genannten interessante  Analogien  zu  den  Muskeleiweißkörpem 
zu  bieten  scheinen. 
Reaktion  der  Da  wäre  ferner  die  Frage  der  Milchsäurebildung  in  der 
^^stanz"''  Nervensubstanz.  Die  letztere  reagiert  im  normalen  Zustande 
neutral  oder  schwach  alkalisch;  postmortal  tritt,  besonders  in 
der  grauen  Substanz,  Milchsäure  auf.  Eine  Zunahme  der  Azidität 
bei  der  Tätigkeit,  wie  sie  seinerzeit  von  Molleschott  und  Bat- 
tistini  u.  a.  behauptet  worden  ist,  wurde  von  Halliburton  und 
Brodie^)  bei  Untersuchung  der  marklosen  Fasern  in  den  Milz- 
nerven des  Hundes  vermißt.  Dagegen  soll  nach  Robertson^)  die 
Azidität  des  Geliirns  durch  langdauernde  Reizung  sensibler 
Nerven  eine  (durch  Eintragen  der  Schnittfläche  in  Neutralrot 
nachweisbare)  Zunahme  erfahren,  die  angeblich  ausbleibt,  wenn 
das  Gehirn  vor  der  Reizung  mit  Eserin  gelähmt  worden  ist. 

Färbe-             Ein  weiteres  Arbeitsgebiet  dürfte  die  Frage  des  Reduktions- 
methoden.   

i)  W.  D.  Halliburton,  Biochemistry  of  Muscle  and  Nerve.   London, 
John  Murray  (1904),   102. 

2)  T.  G.  Brodie  and  W.  D.  Halliburton,  Journ.  of  Physiol.  28,  181 
(1902). 

3)  T.  B.  Robertson,  Arch.  intern,  de  Physiol.  6,  388  (1908). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  183 

Vermögens  des  Nervengewebes  darbieten.  Bekanntlich 
bilden  gewisse  basische  Farbstoffe,  wie  z.  B.  das  Methylen- 
blau, farblose  Leukoverbindungen;  Ehrlich  hat  gefunden, 
daß  nach  in tra vitaler  Methylenblauinjektion  jene  Organe,  welche 
ein  lebhaftes  Sauerstoffbedürfnis  besitzen,  den  Farbstoff  zur 
Leukobase  reduzieren.  So  erklärt  es  sich,  daß  das  Gehirn  eines 
normalen  Tieres  sich  nach  intra vitaler  Methylenblauinjektion 
kaum  deutlich  färbt.  Dagegen  fand  Herter^),  daß  sich  die  Hirn- 
rinde mit  Äther  narkotisierter  Katzen  blau  färbt  und  diese  Er- 
scheinung ist  offenbar  als  Ausdruck  des  verminderten  Sauerstoff- 
bedürfnisses narkotisierter  Gewebe  zu  betrachten. 

Viel  Arbeit  wird  ferner  erforderlich  sein,  um  den  Färbe - 
methoden  des  Nervensystems,  welche  bei  der  anatomischen 
Durchforschung  desselben  eine  so  gewaltige  Rolle  spielen,  eine 
befriedigende  chemische  Deutung  zu  geben. 

So  beruht  z.  B.  die  Marchische  Färbung,  d.  h.  eine  in  degene- 
rierten Nervenfasern  durch  eine  Mischung  von  Osmiumsäure 
und  Müllerscher  Flüssigkeit  hervorgerufene  schwarze  Färbung, 
anscheinend  darauf,  daß  die  in  den  Lecithiden  enthaltenen  hohen 
ungesättigten  Fettsäuren,  wie  die  Ölsäure  und  die  Kephalinsäure, 
bei  der  Degeneration  in  Freiheit  gesetzt  und  der  Einwirkung  der 
Osmiumsäure  leichter  zugängüch  werden.  Dabei  findet  eine 
Reduktion  von  Osmiumtetroxyd  statt  2).  Unbekannt  ist  dagegen 
beispielsweise  die  chemische  Natur  der  »Nißlsäure«  und  der 
»Fibrillensäure«  Bethes^),  d.  h.  jener  Substanz,  welche  die 
Grundlage  der  durch  die  Nißlsche  Färbung  hervortretenden 
Kömchen,  beziehungsweise  der  durch  die  basischen  Farbstoffe 
färbbaren  fibrillären  Elemente  des  Achsenzylinders  bildet. 

Unaufgeklärt  ist  ferner  die  Natur  der  sogenannten  »Polari- 
sationsbilder« im  Nerven.  Bethe^)  fand,  daß  ein  einige  Minuten 
von  einem  konstanten  elektrischen  Strome  durchflossener  Frosch- 


i)  C.  A.  Herter,  Z.  f.  physiol.  Chemie  42,  496  (1904). 

2)  Vgl.  W.  D.  Halliburton,  Biochemistry  of  Muscle  and  Nerve.  Lon- 
don, John  Murray  (1904),   140. 

3)  A.Bethe,  Allgem.  Anat.u.  Physiol.  des  Nervensystems.  Leipzig  (1903). 

4)  A.  Bethe    (Physiol.    Inst.    Straßburg),    Arch.   f.   exper.    Pathol., 
Schmiedeberg-Festschrift  575  (1908),  vgl.  auch  Zeitschr.  f.  Biol.  52,  146 

(1909)- 


184  VIII.  Vorlesung. 


nerv  bei  nachfolgender  Fixierung  mit  Alkohol  und  Färbung  mit 
basischen  Farbstoffen  eine  Verstärkung  der  Färbbarkeit  an  der 
Kathode,  eine  Verminderung  derselben  an  der  Anode  aufweist. 
Abgestorbene,  durch  Wärme  oder  Ammoniakdämpfe  abgetötete 
oder  durch  Narkotika  unerregbar  gemachte  Nerven  lassen  die 
Polarisationsbilder  vermissen.  Wird  aber  in  einem  narkotisierten 
Nerven  durch  Übertragung  in  physiologische  Kochsalzlösung  die 
Erregbarkeit  wiederhergestellt,  so  kehrt  auch  wieder  die  Möglich- 
keit zurück,  ein  Polarisationsbild  zu  produzieren.  Bethe  hält 
daher  das  letztere  für  den  morphologischen  Ausdruck  des 
Pflügerschen  Elektrotonus  und  nimmt  an,  daß  eine  in  den 
Nervenfasern  vorhandene  färbbare  Substanz  durch  den  elek- 
trischen Strom  eine  räumliche  Verlagerung  erfährt,  (wobei  einer 
erhöhten  Färbbarkeit  an  der  Kathode  eine  erhöhte  Erregbarkeit 
entspricht),  während  Seemann^)  die  Spezifizität  der  Erscheinung 
und  die  Richtigkeit  dieser  physiologischen  Deutung  bestreitet. 

Das  chemische  Verhalten  markhaltigcr  und  markloscr 
Nervenfasern  ist  von  Falk  im  Laboratorium  Hofmeisters^)  geprüft 
worden,  indem  dieser  den  Nervus  ischiadicus  vom  Menschen  mit 
Milznerven  vom  Rinde  verglich.  Die  markhaltigen  Nervenfasern 
enthalten  allerdings  viel  mehr  benzollösliche  Substanzen.  Doch 
scheint  der  Unterschied  nur  ein  quantitativer  und  kein  quaUtativer 
zu  sein. 

Alles  in  allem  begegnen  wir  im  Bereich  der  Chemie  der  Nerven- 
substanz zwar  manchen  gesunden  Ansätzen,  aber  kaum  irgendwo 
einem  einigermaßen  abgeschlossenen  Wissensgebiete.  Bedenkt 
man,  welche  ungeheure  Summe  von  Detailarbeit  bei  der  morpho- 
logischen Durchforschung  der  normalen  und  der  pathologisch 
veränderten  Nervensubstanz  bereits  geleistet  ist  und  noch  täglich 
geleistet  wird,  während  die  chemische  Forschung  hier  noch  kaum 
über  die  ersten  Anfänge  hinausgelangt  ist,  so  wird  man  sich  über 
das  gegenwärtig  obwaltende  Mißverhältnis  in  der  MobiHsierung 
wissenschaftlicher  Arbeitskräfte  ohne  weiteres  klar.  Allerdings 
muß  zugestanden  werden,  daß  die  Vorbildung  zum  Färben  und 
mikraskopischen  Untersuchen  von  Rückenmarksschnitten  u.  dgl. 

i)  J.Seemann  (Physiol.  Inst. München),  Zeitschr.  f. Biol.  53,287  (1910). 
2)  Falk  (Physiol. -ehem.  Inst.  Straßburg),  Biochem.  Z.  13,  153  (1908). 


Phosphatide,  Chetnie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  185 


wesentlich  leichter  und  bequemer  erreichbar  ist,  als  die  viel  kom- 
pliziertere chemische  Schulung. 

Wir  können  das  Gebiet  der  Phosphatide  nicht  verlassen,  ohne    Verbreitung 
ein  physioloßfisch  sehr  interessantes  Zersetzungsprodukt  derselben  ^!?  Choims  im 

*^    J  o  o  ^  Organismus. 

berührt  zu  haben:  das  Cholin,  welches  beim  Zerfalle  von  Lecithin 
und  ähnlich  konstituierter  Substanzen  mit  größter  Regelmäßig- 
keit auftritt. 

Es  ist  seit  langer  Zeit  bekannt,  daß  die  intravenöse  Injektion 
von  Auszügen  aus  manchen  frischen  Organen  eine  ausgesprochene 
Blutdrucksenkung  bewirkt^).  Nachdem  nun  Lohmann^)  auf 
das  Vorkommen  von  Cholin  in  der  Nebenniere  und  auf  seinen 
Antagonismus  der  blutdrucksteigernden  Wirkung  des  Adrenalins 
gegenüber  hingewiesen  hatte,  ist  von  meinem  Kollegen  C.  Schwarz^) 
und  mir  der  Nachweis  erbracht  worden,  daß  die  Blutdrucksenkung, 
welche  nach  Injektion  von  Schilddrüsenextrakten  zur  Be- 
obachtung gelangt,  mit  dem  Cholin  zusammenhängt;  ähnliches 
wurde  gleichzeitig  und  unabhängig  von  uns  auch  von  Lohmann^) 
beobachtet.  Wir^)  haben  femer  gezeigt,  daß  Cholin  auch  in 
Darmextrakten  vorkommt  und  daß  zum  mindesten  ein  Teil 
der  »Sekretin Wirkung«,  d.  h.  des  Vermögens  von  Darmextrakten, 
bei  intravenöser  Injektion  Pankreassekretion  auszulösen,  mit 
ihrem  Cholingehalte  in  Zusammenhang  steht. 

Das  Cholin  ist  ferner  in  l5mipha tischen  Organen*),  im  Pankreas, 
Ovarium,  Hoden  und  in  der  Niere''),  in  der  Plazenta®),  im  Fleische^), 


i)  Vgl.  Swale  Vincent  and  Sheen,  Journ.  of  Physiol.  29,  242  (1903). 

2)  A.  Loh  mann  (Physiol.   Inst.  Marburg),   Pflügers  Arch.   118,  215 

(1907);  128,   142  (1909)- 

3)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Verh.  d.  25.  Kongr.  f.  innere  Med., 
1908,  S.  404  und  Pflügers  Arch.  124,  361  (1908). 

4)  A.  Loh  mann,  Sitzungsber.  d.  Ges.  z.  Bef.  der  Naturwissenschaften, 
Marburg,    15.  Mai  1908. 

5)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Pflügers  Arch.  124,  427  (1908). 

6)  C.  Schwarz  und  R.  Lederer,  Pflügers  Arch.  124,  353  (1908). 

7)  J.  Gautrelet,  Compt.  rend.  148,  995  (1909)  und  Physiol.  Kongreß, 
Wien  1910. 

8)  R.  Böhm,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  19,  87  (1885). 

9)  F.  Kutscher,  Z.  f.  Untersuch,  d.  Nahrungs-  u.  Genußm.  11,  582 
(1907). 


i86 


VIII.  Vorlesung. 


mung. 


im  Gehirne  1),  im  Blutserum 2)  und  der  Galle*)  gefunden  worden: 
Kurz  es  ist  ein  ganz  allgemein  verbreiteter  Organbestandteil. 
Verfahren  der  Um  gewisse  Zweifel  zu  beseitigen,  die  von  verschiedenen 
Choiin^Ktim-  ^^^^^^  hinsichtlich  des  Vorkommens  des  Cholins  in  Organ- 
extrakten geäußert  worden  waren,  habe  ich  einen  japanischen 
Kollegen,  Professor  Kinoshita^),  veranlaßt,  ein  Verfahren  der 
quantitativen  Cholinbestimmung  auszuarbeiten.  Dasselbe 
beruht  auf  der  Lohmannschen  Darstellungsmethode,  wobei  das 
aus  den  Geweben  extrahierte  Cholin  mit  einem  Basenfällungs- 
mittel niedergeschlagen  und  schließlich  als  Croldsalz  rein  darge- 
stellt wird.  Es  wurde  aber  überdies  in  der  zur  Wägung  ge- 
brachten Goldverbindung,  zur  Kontrolle  ihrer  Reinheit,  auch 
der  Gehalt  an  Methylgruppen  nach  dem  Verfahren  von  Herzig 
und  Meyer  quantitativ  bestimmt.  Bei  der  Darstellung  der  Gold- 
verbindung müssen  gewisse  Kautelen,  wie  Lichtabschluß  und 
Trocknung  im  Vakuum  bei  niedriger  Temperatur,  sorgfältig  ein- 
gehalten werden,  um  große  Verluste  zu  vermeiden.  In  den  so 
untersuchten  verschiedenen  Organen  des  Rindes  fand  sich  ein 
Cholingehalt  von  o,oi — 0,03%. 

Bei  Untersuchung  des  Cholins  erwies  sich  dieses  als  eine  sehr 
differente  Substanz.  Die  Injektion  erzeugt  schon  in  geringen 
Dosen  ein  charakteristisches  Vergiftungsbild:  Man  beob- 
achtet eine  starke  Blutdrucksenkung,  Ungerinnbarkeit  des  Blutes, 
heftige  Darmperistaltik,  zuweilen  Krämpfe,  sowie  stets  eine  leb- 
hafte Sekretion  von  Speichel,  Magensaft,  Pankreassaft,  Galle  und 
Tränenflüssigkeit.  Die  Blutdrucksenkung  ist  durch  eine  Gefäß- 
erweiterung und  eine  Blutstauung  im  Herzen  bedingt.  Nach 
vorangegangener  Atropinisierung  bewirkt  das  Cholin  statt  emer 
Blutdrucksenkung  eine  Blutdrucksteigerung.  Dieselbe  ist  viel- 
leicht durch  eine  Lähmung  der  diktatorischen  Elemente  in  der 
Gefäßwand  bedingt,  wodurch  ein  konstriktorischer  Effekt  auf 
glatte  Muskeln  in  den  Vordergrund  tritt.  Am  isolierten  Darme 
oder  Uterus  entfaltet  das  Cholin  eine  physostigminartige  Wirkung. 
Es  ist  nicht  ganz  klargestellt,  inwieweit  ein  Teil  des  Vergiftungs- 


Bild     der 

CholinveN 

giftung. 


i)  Swale  Vincent  und  Cramer,  Joum.  of  Physiol.  30,  143  (1904). 

2)  E.  L  et  sc  he,  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  31  (1907). 

3)  O.  Jacobsen,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  6,  1026  (1873). 

4)  T.  Kinoshita  (Physiol.  Inst.  Wien),  Pflügers  Arch.  132,  607  (1910). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  187 


bildes  mit  der  durch  die  Gefäßerweiterung  bedingten  Hirnanämie 
unmittelbar  zusammenhängt i). 

Nun  ist  aber  behauptet  worden,  daß  die  beschriebenen 
Wirkungen,  insbesondere  auch  die  Blutdrucksenkung  vielleicht 
doch  nicht  dem  Cholin  als  solchen,  sondern  einemU  m  wandlungs  - 
Produkte  desselben  angehören,  das  so  leicht  aus  dem  Cholin 
entsteht,  daß  nur  besondere  Vorsichtsmaßregeln  die  Entstehung 
desselben  hintanzuhalten  vermögen.  Reines  Cholin,  das  frisch 
umkristallisiert  und  vor  Licht  und  Luft  geschützt  worden  ist, 
sollte  angeblich  stets  eine  Erhöhung  des  Blutdruckes  bewirken 
und  wenig  giftig  sein*).  Modrakowski  spricht  von  muskarin- 
ähnlichen  Wirkungen,  und  es  wäre  sicherlich  sehr  naheliegend, 
das  »Vasodilatin«  Popielkis,  d.h.  jenes  in  Organextrakten  ent- 
haltene basische  Agens,  welches  Blutdrucksenkung  und  Drüsen- 
sekretionen auslöst,  als  Umwandlungsprodukt  des  Cholins 
aufzufassen.  Es  ist  daher  nicht  ohne  weiteres  verständlich,  warum 
Popielski  in  emer  seiner  letzten  Mitteilungen  hervorhebt,  das 
»Vasodilatin«  habe  mit  zersetztem  Cholin  nichts  zu  tun, 
während  er  andererseits  feststellt,  daß  beim  Aufbewahren 
reinen  Cholins  eine  blutdruckherabsetzende  Substanz  auftritt  8). 
Vielleicht  kommen  bei  Untersuchung  der  Blutdruckwirkung 
von  Organextrakten  allerdings  daneben  auch  Basen  einer 
anderen  Klasse  in  Betracht,  wie  z.B.  das  Imidazolyläthyl- 
amin,  (s.  o.  S.  39)  welches  in  Extrakten  der  Darmschleimhaut 
gefunden  worden  ist*). 


i)  G.  Modrakowski  (Inst,  experim.  Pharm.  Lemberg),  Pflügers  Arch. 
124,  601  (1908);  133,  291  (1910).  L.  Popielski,  ibid.  128,  191,  222  (1909). 
F.  Müller,  ibid.  134,  289  (1910)  und  Med.  Klinik  (1910),  22.  E.  Abder- 
halden und  F.  Müller,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  420  (1910).  J.  Pal, 
Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  i   (1910). 

2)  L.  Popielski,  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  925  (1910).  F.  H.  Borut- 
tau,  Mitteil,  auf  der  Tagung  d.  deutsch,  physiol.  Ges.  Würzburg  1909. 
Zentralbl.  f.  Physiol.  23,  291  (1909),  vgl.  auch  die  anschließenden  Dis- 
kussionsbemerkungen. 

3)  L.  Popielski,  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  926,  (1910)  Anmerkung, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  250  (1910)  und  Gazeta  lekarksa  Aug.  19 10,  zit. 
Zentralbl.  f.  die  ges.  Biol.   19 10,  Nr.  2512. 

4)  G.  Barger  und  H.  H.  Dale,  Joum.  of  Physiol.  41,  499  (1910). 


Vasodilatin. 


l88  VIII.  Vorlesung. 


Was  nun  aber  die  Frage  betrifft,  in  welchem  Sinne  das  Cholin 
tatsächlich  den  Blutdruck  beeinflußt,  hat  Reid  Hunt^)  bei  seinen 
überaus  gründlichen  Untersuchungen  an  beinahe  200  verschiedenen 
Cholinderivaten  regelmäßig  nur  Blutdrucksenkung  gefunden. 
Ebenso  erhielten  L.  B.  Mendel  und  Underhill^),  sowie  Lohmann^) 
mit  sehr  sorgfältig  gereinigten  Präparaten  eine  Drucksenkung. 
/.  Pal^)  fand  je  nach  Art  der  Narkose  Blutdruckerhöhung  oder 
Erniedrigung. 

Schließlich  ist  diese  Frage,  die  so  viel  Staub  aufgewirbelt  hat, 
durch  eine  neuerliche  Untersuchung  von  Abderhalden  und  Franz 
Müller^),  wie  ich  glaube,  endgültig  erledigt  worden. 

»Das  Ergebnis  unserer  neuen  Versuchsreihe  ist, «  schreiben  die 
Genannten,  »daß  die  Höhe  der  Dosis,  die  Art  der  Narkose,  be- 
gleitende Nebenumstände  von  erheblichem  Einflüsse  auf  die 
Art  der  Blutdruckwirkung  des  Cholins  sind.  Dosen  von  etwa 
I  mg  pro  Kilo  wirken  auch  bei  sicher  nicht  reinem  Cholinchlorid 
nur  blutdrucksenkend.  Das  Vorhandensein  von  Verunreinigungen 
ist  aus  dem  Verlaufe  der  Blutdruckskurve  allein  nicht  zu  er- 
schließen. Wir  müssen  daher  bei  unserer  früher  geäußerten 
Meinung  bleiben,  daß  die  typische  Wirkung  des  Cholins,   d.  h. 

kleiner  wirksamer  Mengen,  die  Blutdrucksenkung  ist Es 

schien  uns  schließhch  der  Wissenschaft  wenig  dienhch  zu  sein, 
durch  immer  wieder  aufgenommene  Versuche  Befunde  zu  erheben, 
denen  von  Popielski  und  seiner  Schule  doch  widersprochen 
werden  konnte.  Der  einfachste  Weg,  eine  vollständige  Klärung 
der  ganzen  Fragestellung  herbeizuführen,  war  durch  einer  wechsel- 
seitigen Austausch  der  Cholinpräparate  gegeben Wir  hatten 

beiderseits  unreine  Präparate  (Trimethylamingeruch!)  in  Händen. 
Uns  ergaben  sie  Blutdrucksenkung,  Popielski  erhielt  mit  diesen 
unreinen  Präparaten  Blutdruckerhöhung Aus  dieser  Fest- 


i)  R.  Hunt  and  R.  de  Taveau,  Journ.  of  Pharmakol.  and  experim. 
Ther.   1,  303  (1909). 

2)  L.   B.  Mendel  und  F.    P.   Underhill,  Zentralbl.   f.    Physiol.   24, 
Xr.  7  (1910). 

3)  A.  Loh  mann,  Zeitschr.  f.  Biol.  56,  Mai   191 1. 

4)  J.   Pal,  Zeitschr.  f.  exper.   Pathol.  9,   191   (Aug.   191 1). 

5)  E.  Abderhalden  und  F.  Müller,  Z.  f.  physiol.  Chemie  74,  252 
(Sept.    191 1). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  189 


Stellung  ergibt  sich  mit  aller  Deutlichkeit,  daß  nicht  die  an- 
gewandten Präparate  die  Ursache  der  verschiedenartigen  Resultate 
sind,  sondern  daß  die  verwendete  Dosis  und  die  Art  der  Versuchs- 
anordnung  das  Entscheidende  ist.« 

Hans  Horst  Meyer  erwähnt,  daß  das  Cholin  die  Magenperi-  Choiinderivate. 
staltik  unvergleichlich  viel  schwächer  steigert,  als  das  (die  auto- 

CH3  OH 

nomen  Apparate  sehr  stark  erregende)  Neurin  CHg— N   (^j^^^y 

welches  z.  B.  durch  Bakterienwirkung  aus  Cholin  hervorgeht  und 
von  Lohmann,  neben  demselben  in  den  Nebennieren  gefunden  worden 
ist.  Meyer  meint,  das  Neurin  könne  gelegentlich  sehr  wohl  die 
Ursache  einer  gesteigerten  Lebhaftigkeit  der  Magendarmbe- 
wegungen beziehungsweise  eines  erhöhten  Vagustonus  sein^). 
Auch  ist  es  höchst  wahrscheinlich,  daß  das  aus  Darmextrakten 
gewonnene,  neuerdings  sogar  in  den  Handel  gebrachte  »Peri- 
staltik-Hormon«  Zuelzers^)  (ebenso  wie  das  »Motilin«  von 
Enriquez  und  Hallion)  dem  Cholin,  beziehungsweise  Umwand- 
lungsprodukten desselben  seine  Wirksamkeit  verdankt  3). 

Das  Cholin  steht  dem  physiologisch  sehr  wirksamen,  imFliegen- 

'  OH 

pilze     enthaltenen     Muscarin     CH3    N   ^y^  ^qj^     nahe.       Audi 

hat  uns  eine  neue  wertvolle  Untersuchung  von  /?.  Hunt  und 
Taveau^)  in  Washington  gelehrt,  daß  manche  Derivate  des 
Cholins  äußerst  giftig  sind.  So  gehört  das  Acetylcholin,  welches 
bereits  in  Dosen  von  0,00000001  Gramm  pro  Kilo  Tier  einen  Ab- 
fall des  Blutdruckes  bewirkt,  zu  den  wirksamsten  Substanzen,  die 
wir  überhaupt  kennen. 

So  scheint  es  mir  denn  nicht  unwahrscheinlich,  daß  dem 
Cholin  und  seinen  Derivaten  in  der  Pathologie  und  Pharmakologie 
der  Zukunft  eine  wichtige  Rolle  beschieden  sein  dürfte. 

Man  hatte  bereits  gehofft,  durch  den  Nachweis  von  Cholin 


1)  H.  H.  Meyer  und  R.  Gottlicb,  Experim.  Pharmakol.  S.  160(1910). 

2)  Zuelzer,  Dohrn  und  Marxer,  Berliner  klin.  Wochenschr.  66 
2065  (1908). 

3)  L.   Popielski,  Pflügers  Arch.  128,  203  (1909). 

4)  Reid  Hunt  und  R.  de  Taveau,  Journ.  of  Pharm,  and  exper. 
Ther.  1,  303  (1909)  und  Hygienic  Laboraty  Bulletin,  Nr.  y^.  Washington 
(1911). 


igo  VIII.  Vorlesung. 


in  der  Cerebrospinalflüssigkeit  einen  Anhaltspunkt  für  das 
Vorhandensein  schwerer  degenerativer  Erkrankungen  des  Nerven- 
systems erbringen  zu  können,  und  hat  ferner  diese  Base  als  einen 
Faktor  in  der  Ätiologie  der  Epilepsie  in  Betracht  gezogen. 
Doch  kann  man  nicht  behaupten,  daß,  abgesehen  von  zahlreichen 
Publikationen,  dabei  einstweilen  \del  herausgekommen  wäre^). 
Antagonismus  Der  Umstand,  daß  das  Cholin  den  Blutdruck  herabsetzt,  dem 
zwtachOT  Cho-  Adrenalin  sonach  entg^engesetzt  wirkt,  hat  manche  Autoren 
naiin.  auf  den  Gedanken  gebracht,  daß  ein  physiologischer  Antago- 
nismus zwischen  diesen  beiden  Substanzen  besteht:  beide  sollten 
auf  dem  Wege  »innerer  Sekretion«  in  das  Blut  gelangen  und  die 
Aufgabe  erfüllen,  durch  zweckmäßig  dosierte  Gegenwirkung  den 
Gefäßtonus  auf  der  richtigen  Höhe  zu  erhalten*).  Dazu  muß 
nun  allerdings  bemerkt  werden,  daß  zwischen  einer  solchen  Vor- 
stellung und  dem  bisher  erbrachten  Nachweise,  daß  verschiedenen 
Organen  eine  blutdruckherabsetzende  Substanz,  welche  dem 
Cholin  nahe  steht,  durch  Extraktionsmittel  entzogen  werden 
kann,  noch  eine  ganze  Welt  von  unbewiesenen  Annahmen  liegt. 
Auch  bitte  ich  Sie,  folgendes  zu  überlegen:  Wir  kennen  zwar 
die  Spaltungsvorgänge  bei  der  Verdauung  von  Lecithiden 
nicht  genau.  Jedenfalls  wird  dabei  aber  Cholin  in  Freiheit  ge- 
setzt'), und  es  ist  nicht  ohne  weiteres  einzusehen,  warum  diese 
gegen  kochendes  Barytwasser  resistente  Substanz  nicht  wenigstens 
teilweise  als  solche  zur  Resorption  gelangen  sollte.  Wenn  nun  aber 
lecithinreiche  Nahrung  verdaut  wird,  so  können  dabei  vermutlich 
Cholinmengen  in  das  Blut  gelangen,  die  ganz  unvergleichlich 
größer  sind  als  jene  Quanten,  welche  angebüch  von  den  Organen 
durch  »innere  Sekretion«  geliefert  werden,  um  im  physiologischen 
Widerspiele  mit  dem  Adrenalin  den  Gefäßtonus  zu  reguHeren. 
Welche  ungeheuere  Gefahr  für  diesen  letzteren  und  damit  auch 
für  das  Leben  des  Individuums  müßte  also  z.  B.  entstehen, 
wenn  ein  Mensch  eine  so  lecithinreiche  Nahrung,  wie  es  etwa 


i)  A.  Rieländer,  Gynäkol.  Rundschau  (1907),  530.  D.  Handels- 
mann, Z.  f .  Nervenheilk.  35,  428  (1908).  F.  Kutscher  und  F.  Rieländer, 
Monatsschr.  f.  Geburtsh.  25, 819  (1908).  M.  Kauf  f  mann,  Neurol.  Zentralbl. 
27,  260  (1908).    W.  Webster,  Biochem.  Joum.  4,  117  (1909). 

2)  J.  Gautrelet,  Joum.  de  Physiol.  11,  227  (1909). 

3)  B.  Slowtzoff,  Hofmeisters  Beitr.  7,  508  (1906). 


Phosphatide,  Chemie  der  Nervensubstanz,  Cholin.  191 

eine  Portion  »Hirn  mit  Ei«  ist,  zu  sich  genommen  hat.  Und  doch 
weiß  die  praktische  Erfahrung  nichts  von  derartigen  Fährlich- 
keiten  zu  berichten. 

Ich  meine  also,  daß  wir  hier,  wie  überall,  gut  daran  tun  werden, 
unsere  physiologischen  Theorien  so  einzurichten,  daß  dieselben 
zu  den  Erfahrungen  des  täglichen  Lebens  nicht  in  direktem  Wider- 
spruche stehen. 


IX.  Vorlesung. 
Blutgerinnung. 

Bevor  wir  nunmehr  in  der  Betrachtung  des  chemischen  Auf- 
baues von  Gewebsteilen  und  Geweben  weitergehen,  muß  sich 
unsere  Aufmerksamkeit  zunächst  dem  Blute  zuwenden,  jenem 
geheimnisvollen  Medium,  das,  wenn  es  auch  nicht,  wie  man  einst 
gemeint  hatte,  der  Sitz  des  Lebens  selbst  ist,  doch  alles  Lebende 
durchtränkt  und  mit  dem  für  sein  Gedeihen  erforderlichen 
Nährmateriale  versieht. 

Diese  erste  Vorlesung,  die  wir  dem  Blute  widmen,  soll  den 
Vorgängen  der  Blutgerinnung  gelten,  einer  ebenso  rätsel- 
haften wie  auffälligen  Erscheinung,  die  so  recht  geeignet  ist,  auch 
dem  Laien  ad  oculos  zu  demonstrieren,  daß  Blut  »ein  ganz  be- 
sonderer Saft«  sei. 

Welche  Anziehung  das  Problem  der  Blutgerinnung  seit  jeher 
auf  den  forschenden  Menschengeist  ausgeübt  hat,  ersieht  man 
aus  dem  geradezu  ungeheuren  Umfange  der  einschlägigen  Litera- 
tur. Ein  Verzeichnis  derselben  in  einer  von  Morawitz  verfaßten 
Monographie  1)  umfaßt  nahezu  ein  halbes  Tausend  Nummern. 
Man  fragt  sich  unwillkürlich,  ob  man  mit  einem  so  unermeßlichen 
Aufwände  an  Forschungsarbeit  einer  postmortalen  Veränderung 
nicht  vielleicht  allzu  viel  Ehre  erwiesen  hat.  Darauf  muß  man 
wohl  antworten,  daß  dies  vielleicht  für  die  Physiologen  gilt, 
keinesfalls  aber  für  die  Pathologen.  Vergegenwärtigen  wir  uns, 
welche  Fülle  wichtigster  pathologischer  Fragen  das  Gerinnungs- 
problem in  sich  schließt  (Thrombose,  Embolia,  fibrinöse  Pneu- 
monie, kruppöse  Membranen,  exsudative  und  adhäsive  Entzün- 
dung seröser  Häute,  Wundheilung,  hämorrhagische  Diathese 
usw.),  so  verstehen  wir  ohne  weiteres,  wieso  es  kommt,  daß  sich 

i)  P.  Morawitz,  Ergebn.  d.   Physiol.  4,  307 — 422  (1906). 


Blutgerinnung.  193 


immer  wieder  Menschen  finden,  die  mit  zäher  Beharrlichkeit  der 
Natur  dieselben  neugierigen  Fragen  vorlegen,  auf  die  sie  bisher 
die  Antwort  in  so  konsequenter  Weise  verweigert  hat. 

Ich  bezweifle  sehr,  daß  heute  irgendwo  ein  Mensch  lebt,  der 
das  Gerinnungsproblem  vollkommen  beherrscht  und  alles  Wissens- 
werte gelesen  und  assimiliert  hat,  was  darüber  geschrieben  worden 
ist  und  was  in  einem  wahren  Wirbel  von  Namen,  Begriffen,  Ab- 
straktionen, Definitionen  und  Widersprüchen  den  Kopf  eines 
jeden  Adepten,  der  sich  darein  vertieft,  schwindeln  macht.  — 
Fürchten  Sie  darum  nicht,  daß  ich  Sie  mit  einer  Auseinander- 
setzung dieser  Materie  allzusehr  beschweren  werde.  Ich  kann 
innerhalb  der  Grenzen,  die  diesen  Vorlesungen  gesteckt  sind, 
gar  nicht  daran  denken,  den  Entwicklungsgang  der  Gerinnungs- 
lehre vor  Ihnen  erstehen  zu  lassen  und  den  vielen,  vielen  For- 
schem gerecht  zu  werden  oder  auch  nur  ihre  Namen  zu  nennen, 
welche  derselben  ihre  Arbeit  gewidmet  haben.  Ich  kann  nichts 
anderes  tun,  als  zu  versuchen,  den  heutigen  Stand  der  Ge- 
rinnungslehre in  großen  Zügen  zu  skizzieren.  Wer  eingehendere 
Belehrung  wünscht,  sei  auf  die  vortrefflichen  ausführlichen  Mono- 
graphien von  Morawitz  sowie  auch  auf  den  durch  seine  Klarheit 
ausgezeichneten  Artikel  verwiesen,  den  Hammarsten,  einer  der 
besten  Kenner  dieses  Gegenstandes,  demselben  in  seinem  Lehr- 
buche gewidmet  hat^). 

Beginnen  wir  mit  der  Betrachtung  jenes  Materiales,  aus  dem    Fibrinogen. 
das  Fibrin  entsteht! 

Es  ist  dies  das  Fibrinogen,  ein  globulinartiger,  bei  niedriger 
Temperatur  koagulierender  und  durch  Halbsättigung  mit  Koch- 
salz aussalzbarer  Eiweißkörper.  Auf  dem  Umstände,  daß  das 
Fibrinogen  sehr  leicht,  und  zwar  noch  vor  Beginn  der  Globulin - 
fällung  von  Ammonsulfat  ausgesalzen  wird,  beruht  eine  Methode 
zur  quantitativen  Bestimmung  desselben,  die  seinerzeit  im 

i)  Literatur  über  Blutgerinnung:  P.  Morawitz,  1.  c.  und  Handb.  d. 
Biochemie  2,  II,  40 — 69  (1909).  O.  Hammarsten,  Lehrb.  d.  physiol. 
Chemie,  242  u.  294  ff.,  7.  Aufl.  (1910),  vgl.  auch  Boruttau.  Nagels 
Handb.  d.  Physiol.,  Ergänzungsband  70 — 78,  1910.  C.  Oppenheimer, 
Die  Fermente,  S.  318 — 335,  3.  Aufl.  Leipzig  19 10.  L.  Lob,  Biochem. 
Zentralbl.  6,  829,  889  (1907).  P.  Morawitz,  Handb.  d.  biochem.  Arbeits- 
meth.  5,  I,  222 — 280  (191 1). 

V.  Fürth,  Probleme.  13 


194  IX.  Vorlesung. 


Hofmeister  sehen  Laboratorium  ausgearbeitet  worden  ist^).  Die- 
selbe hat  es  ermöglicht,  die  Bedingungen,  unter  welchen  das 
Fibrinogen  in  vermehrter  oder  verminderter  Menge  im  Blute 
auftritt,  genauer  kennen  zu  lernen.  Schon  den  Ärzten  vergan- 
gener Jahrhunderte  war  bei  ihren  erfolgreichen  Bemühungen, 
ihre  Patienten  durch  ausgiebige  Aderlässe  von  allen  Beschwer- 
nissen, die  mit  dem  Erdendasein  nun  einmal  untrennbar  ver- 
bunden sind,  endgültig  zu  befreien,  die  »Crusta  phlogistica« 
namentlich  bei  entzündlichen  Erkrankungen  aufgefallen,  ein 
speckiges,  voluminöses  Gerinnsel,  das  sich  auf  der  Oberfläche 
eines  vor  der  Gerinnung  schnell  sedimentierenden  Aderlaßblutes 
bildet.  Es  hat  sich  nunmehr  ergeben,  daß  der  Fibringehalt  des 
Blutes  großen  Schwankungen  unterworfen  ist.  So  hat  man  z.  B. 
beim  Erjrsipel,  Scharlach,  akuten  Rheumatismus,  bei  Pneumonie 
imd  Staphylokokkeninfektionen  verschiedener  Art,  ebenso  auch  bei 
Syphilis  eine  »Hyperinose«  oder  Vermehrung  des  Fibringehaltes 
im  Plasma  oft  beobachtet,  bei  vielen  anderen  Infektionskrank- 
heiten dagegen  regelmäßig  vermißt.  Von  der  Meinung,  das  Fibri- 
nogen stamme  aus  den  zerfallenen  Leukocyten,  ist  man  abge- 
kommen; denn  abgesehen  davon,  daß  die  Menge  der  weißen  Blut- 
körperchen diejenige  des  Fibrinogens  nicht  decken  könnte,  wird 
eine  Vermehrung  des  letzteren  bei  der  Leukämie  vermißt.  Als 
Ursprungsort  des  Fibrinogens  scheint  vor  allem  die  Leber  und 
das  lymphoide  Gewebe  in  Betracht  zu  kommen,  der  Darm 
vielleicht  nur  durch  seinen  Gehalt  an  letzterem  2).  Wird  das  Blut 
von  Tieren  nach  Magendie  und  Dastre  künstlich  fibrinogen- 
frei  gemacht,  indem  man  es  portionenweise  aus  der  Ader  läßt^ 
defibriniert  und  wieder  in  das  Gefäßsystem  injiziert,  so  erfolgt 
innerhalb  kurzer  Zeit  eine  Neubildung  des  Fibrinogens. 

Diese  Regeneration  des  Fibrinogens  soll  jedoch,  wie 
Nolf  beim  Frosche  gezeigt  hat,  ausbleiben,  wenn  die  Leber  vor- 
her exstirpiert  worden  ist.  Auch  soll  die  nach  Leberläsionen  ver- 
schiedener Art  (wie  z.  B.  nach  Phosphorvergiftung,  Injektion  von 
Paraffin  in  die  Arteria  pancreatico-duodenalis,  Anlegung  einer 


i)  W.  Reyc,  Inaug.-Dissert.  Straßburg  1898. 

2)  Vgl.  die  Arbeiten  von  Langstein  u.  Meyer,  Pfeiffer,  P.  Th. 
Müller,  R.  Winternitz,  Morawitz  u.  Rehn,  Mathews,  Dastre, 
Doyon,  Wolf  u.  a. 


Blutgerinnung. 


195 


Eckschen  Fistel)  beobachtete  Gerinnungshemmung  zum  min- 
desten teilweise  auf  Fibrinogenmangel  zu  beziehen  sein^). 

Im  geronnenen  Blute  findet  sich  das  »Fibrinoglobulin«  Fibrino- 
Hammarstens.  Die  Annahme,  daß  sich  das  Fibrinogen  bei  seiner  g^o^uiin. 
Gerinnung  in  diese  Substanz  und  in  Fibrin  spalte,  ist  besonders 
durch  die  Untersuchungen  von  Huiskamp  unwahrscheinlich  ge- 
worden. Es  scheint,  daß  es  sich  vielmehr  um  einen  präformierten 
Plasmabestandteil  handelt,  vielleicht  auch  um  eine  lockere  Bindung 
zwischen  Fibrinoglobulin  und  Fibrinogen*). 

Die  Blutgerinnung  beruht  nun  darauf,  daß  das  Fibrinogen, 
das  im  Plasma  in  feiner  Verteilung  enthalten  ist,  sich  in  fester 
Form  geronnen  abscheidet. 

Als  Ursache  dieser  Gerinnung  wird  seit  Buchanan  und  Alexander 
Schmidt  im  allgemeinen  ein  fermentatives  Agens,  das  »Fibrin - 
ferment«,  angesehen. 

Auf  die  mannigfachen  älteren  theoretischen  Vorstellungen 
über  die  Wirkungsart  desselben,  die  insbesondere  an  die  Namen 
von  A,  Schmidt,  Pekelharingy  Wooldridge,  Lilienfeld,  Arthus  usw. 
geknüpft  sind,  gehe  ich  hier  nicht  ein,  sondern  begnüge  mich 
damit,  Ihnen  die  moderneren  Vorstellungen  zu  entwickeln,  zu 
denen  Morawitz^)  einerseits,  Spiro  und  Fuld^)  andererseits  hin- 
sichtlich  der  Entstehung  des  Fibrinfermentes  gelangt   sind. 

Nach  den  im  großen  und  ganzen  untereinander  übereinstim- 
menden Ansichten  dieser  Autoren  wäre  die  Entstehung  des  Theorie 

Morawitz 

Fibrinfermentes  (Thrombins)  ein  komplizierter  Vorgang,  bei 
dem  mindestens  dreierlei  Faktoren  beteiligt  sind:  das  Thrombo- 
gen  (=  Plasmozym),  die  Thrombokinase  (=Cytozym)  und 
Kalksalze.  Das  fertige  Ferment  wäre  dann  erst  befähigt,  das 
Fibrinogen  zur  Gerinnung  zu  bringen.  Der  Gerinnungs Vorgang 
würde  demnach  durch  folgendes  Schema  veranschaulicht: 

i)  Vgl,  Doyon,  Morel  und  Kareff,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  60,  681,  860, 
862  (1906)  und  Joum.  de  Physiol.  8,  783  (1906). 

2)  Vgl.  die  Arbeiten  von  O.  Schmiedeberg,  W.  Heubner  (Z.  f.  phy- 
siol. Chemie  45,  355  [1905]  und  Arch.  f.  exper.  Pathol.  49,  229  [1902]),  Pa- 
tein  (C.  R.  Soc.  de  Biol.  60,  346,  470  [1906]),  W.  Huiskamp  (Physiol. 
Labor.  Utrecht)  (Z.  f.  physiol.  Chemie  44,   182  [1905];  46,  273  [1905]). 

3)  P.  Morawitz,  Hofmeisters  Beitr.  4,381  (1904);  5,  133  (1904)  und 
Arch.  f.  klin.  Med.  70,   i  (1904). 

4)  E.  Fuld  und  K.  Spiro,  Hofmeisters  Beitr.   9,   171   (1904). 

13* 


Qerinnungs- 
von 
und 

Fuld-Spiro. 


igö  IX.  Vorlesung. 


Thrombogen  Kalksalze  Thombokinase 


Fibrin ferment   --    -     ^  Fibrinogen 


Fibrin 

RoUederKaik-  Was  zunächst  die  Rolle  des  Kalkes  betrifft,  ist  die  Not- 
wendigkeit  desselben  für  den  Gerinnungsvorgang  insbesondere 
von  Arthus  und  Pages  betont  worden.  Auch  wissen  wir,  daß 
kalkfällende  Salze,  wie  das  Natriumfluorid,  Oxalate  und  Zitrate 
gerinnungshemmend  wirken.  Im  Sinne  obiger  Anschauungen 
wäre  die  Anwesenheit  von  Kalksalzen  nur  für  die  erste,  nicht 
aber  für  die  zweite  Phase  des  Gerinnungsvorganges  notwendig. 
Auch  ist  dies  nicht  etwa  in  dem  Sinne  zu  verstehen,  daß  das 
Fibrinferment  eine  »Kalkverbindung  «  sei.  Es  ist  vielmehr  gezeigt 
worden,  daß  eine  kalkfreie  Fibrinogenlösung  durch  kalkfreies 
fertiges  Fibrinferment  zur  Gerinnung  gebracht  werden  kann^). 

Thrombogen.  Betrachten  wir  nunmehr  die  anderen  Faktoren,  welche  im 
Sinne  der  erörterten  Theorie  bei  der  Gerinnung  in  Betracht 
kommen:  Da  wäre  nun  zunächst  dasThrombogen,  dasMorawitz 
jetzt  für  einen  Bestandteil  des  zirkulierenden  Blutes  ansieht, 
(während  er  früher  der  Meinung  gewesen  ist,  daß  es  aus  geformten 
Elementen,  insbesondere  aus  den  Blutplättchen  stamme).  Nach 
Nolf  dürfte  das  Thrombogen  wahrscheinlich  in  der  Leber  gebildet 
werden.  Von  den  zur  Gerinnung  erforderlichen  Faktoren  würden 
dementsprechend  drei  (das  Fibrinogen,  die  Kalksalze  und  das 
Thrombogen)  im  strömenden  Blute  vorgebildet  sein 2).  Es  fehlt 
darin  nur  ein  Faktor:  die  Thrombokinase. 

Man  hat  die  Blutgerinnung  von  jeher  mit  der  Unversehrtheit 
der  Leukocyten  und  Blutplättchen  in  Zusammenhang  ge- 
bracht und  die  vielfach  gemachte  Beobachtung,  daß  das  Blut 


i)  Vgl.  insbesondere  die  Arbeiten  von  Hammarsten,  Arthus, 
Pag^s,  Green,  Ringer  ii.  Sainsbury,  Pekelharing.  Lilienfeld, 
Wooldridge,  Sabatani,  Hörne,  Fleig  u.  Lefebre.  Nach  CoUing- 
wood  (Journ.  of  Physiol.  38,  Proc.  Physiol.  Soc.  79  [1909])  sollen  Calcium- 
ionen  für  die  Blutgerinnung  nicht  unbedingt  notwendig  sein. 

2)  Vgl.  dagegen:  L.  I.  Rettger,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  24,  406 
(1909)  (der  die  Existenz  präformiertcn  Thrombogens  im  Blute  leugnet). 


Blutgerinnung.  197 


ungeronnen  bleibt,  solange  es  mit  dem  gänzlich  intakten  Gefäß- 
endothel  in  Berührung  steht  oder  wenn  es  sehr  vorsichtig  unter 
öl  oder  in  paraffinierten  Gefäßen  aufgefangen  wird,  auf  eine 
den  Gerinnungsvorgang  begleitende  Schädigung  dieser  korpusku- 
laren Elemente  bezogen.  Im  Sinne  der  in  Rede  stehenden  Theorie 
würde  nun  die  Thrombokinase  (ein  thermolabiles  und  durch 
Alkohol  fällbares  Agens  unbekannter  Art)  aus  zelligen  Elementen 
stammen,  und  zwar  aus  Leukocyten,  Blutplättchen,  jedoch  auch 
aus  Gewebszellen^). 

Was  die  Blutplättchen  anbelangt,  haben  zahlreiche  Be-  Blutplättchen, 
obachter  dieselben  zur  Blutgerinnung  in  Beziehung  gebracht; 
diese  scheint  auch  in  der  Tat  unter  dem  Einflüsse  der  Blutplätt- 
chen rascher  und  stärker  einzutreten.  Doch  ist  wohl  zu  beachten, 
daß  die  Gerinnung  auch  bei  Abwesenheit  derselben  erfolgen  kann, 
wie  dies  im  Blute  mancher  Vögel  sowie  in  der  Lymphe  beobachtet 
worden  ist.  Man  hat  ferner  bemerkt,  daß  Blutplättchen-Emul- 
sionen  nach  einiger  Zeit  spontan  eine  gelatinöse  Gerinnung  er- 
fahren*). Die  im  Verlaufe  von  perniziösen  Anämien  sowie  von 
Purpura  hämorrhagica  gelegentlich  beobachtete  verminderte 
Gerinnbarkeit  des  Blutes  ist  auch  mit  einer  starken  Verminderung 
der  Blutplättchenmenge  in  Zusammenhang  gebracht  worden.  Die 
Blutplättchen  sind  äußerst  labile  Gebilde  und  namentlich  gegen 
Alkali  höchst  empfindlich.  Deetjen^)  hat,  um  lebende  Blutplätt- 
chen bequem  beobachten  zu  können,  Blut  aus  einem  Einschnitt 
in  die  Fingerbeere  auf  einen  Objektträger  und  unter  ein  Deck- 
gläschen aus  Quarz  gebracht»  da  schon  die  vom  gewöhnlichen 
Glase  abgegebenen  minimalen  Alkalimengen  schädlich  wirken 
können.  Auch  wird  behauptet,  daß  die  normale  Blutgerinnung 
damit  in  Zusammenhang  steht,  daß  das  Blut  beim  Austritte  aus 
den    Gefäßen    durch  Abgabe   von    Kohlensäure   alkalisch    wird. 


i)  Vgl.  dieArbeiten  vonBizzozero,Hayem, Lilienfeld, Schwalbe, 
Delezennes,  Bürker  (Pflügers  Arch.  192,  36),  Vinci  u.  Christoni 
(Arch.  Internat,  de  Physiol.  8,  104  [1909]),  Le  Sourd  et  Pagniez  (Journ^ 
de  Physiol.  11,   i   [1909]). 

2)  Schittenhelm  und  Bodong,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  54,  222 
(1906). 

3)  H.  Deetjen  (Inst,  für  Krebsforschung),  Z.  f.  physiol.  Chemie  6S, 
I   (1909). 


igS 


IX.  Vorlesung. 


Rolle    der 
Leukocyten. 


weswegen  es  auch  gelingen  soll,  die  Gerinnung  hintanzuhalten, 
wenn  man  das  frische  Blut  mit  einer  Kohlensäureatmosphäre 
überlagert. 

Außerordentlich  zahlreich  sind  die  Angaben  über  die  Betei- 
ligung der  Leukocyten  beim  Gerinnungsvorgange.  Während 
aber  die  älteren  Autoren  dabei  meist  einen  Zerfall  der  Leukocyten 
im  Auge  hatten,  wurde  später  ein  Austritt  von  Zellbestandteilen 
( » Plasmoschise «  nach  Löwit)  bzw.  ein  sekretorischer  Vorgang^) 
in  Betracht  gezogen.  Recht  instruktiv  sind  in  dieser  Hinsicht 
Beobachtungen  über  den  Gerinnungsvorgang  bei  Wirbellosen*). 
So  hat  man  bei  manchen  Echinodermen  und  Crustaceen  bemerkt, 
daß  die  amöboiden  BlutzeUen  sich  zunächst  agglutinieren,  ein- 
ander gegenseitig  mit  ausgestreckten  Fortsätzen  festhalten  und 
zu  einer  Art  Plasmodium  verschmelzen,  worauf  sich  erst  darin 
ein  Netzwerk  von  Fibrinfäden  um  sie  herum  bildet.  Ducceschi^) 
sah,  daß  die  mit  Kokain  narkotisierten  Leukocyten  sich  nicht 
agglu t inier ten,  sich  vielmehr  mit  eingezogenen  Pseudopodien  zu 
Boden  senkten. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  man  nicht  nur  aus  Leuko- 
cyten und  Blutplättchen,  sondern  auch  aus  anderen  Organen,  am 
reichlichsten    anscheinend    aus    kemreichen    Geweben   Throm- 
Thrombokina-  bokinasen  extrahieren  kann  * ) .    Angaben  über  dieselben  kommen 
plastische  Sub^  unter  den   verschiedensten   Namen   in   der  Literatur  in  großer 
stanzen.       Zahl  vor;  z.B.  gehören  die  »Gewebsfibrinogene«  von  W^ooW- 
fidge,  das  Cytozym  von  Fuld  und  Spiro,  die  Koaguline  von 
Leo  Loeb,  die  thromboplastischen  Substanzen  von iVo// hier- 
her ß).    L,  Loeb  spricht  ihnen  eine  gewisse  Spezifität  zu,  insofern 


i)  Vgl.  insbesondere  die  Arbeiten  von  Arthus  und  Dastre. 

2)  Vgl.  die  Literatur  über  Gerinnungsvorgänge  bei  Wirbellosen:  O.  v. 
Fürth,  Vergleich,  ehem.  Physiol.  der  niederen  Tiere.  S.  46  u.  84 ff.  Jena 
1903,  sowie  zahlreiche  Publikationen  von  Leo  Loeb  und  dessen  Sammelref. 
Biochem.  Zentralbl.  6,  829,  866  (1907),  vgl.  auch  L.  Loeb,  Pflügers  Arch. 
ISl,  465   (1910). 

3)  Ducceschi,  Arch.  ital.  de  Biol.  S9y  211  (1903)  und  Hofmeisters 
Beitr.  8,  381   (1903). 

4)  Vgl.  auch  die  Angaben  von  Th.  R.  Boggs,  Arch.  f.  klin.  Med.  79, 
547  (1904),  über  den  Kinasegehalt  in  den  Blutkörperchen. 

5)  L.  Loeb,  Hofmeisters  Beitr.  9,  185  (1907),  Virchows  Arch.  176,  10 
(1904)  u.  a.  O.    L.  Loeb  und  M.  S.  Fleisher,  Biochem.  Z.  28,  169  (1910). 


Blutgerinnung.  igg 


»Koaguline«  der  einen  Tierart  dem  Fibrinogen  einer  anderen 
gegenüber  versagen  können;  auch  scheinen  Gewebskoaguline  mit 
den  Leukocytenkoagulinen  nicht  ganz  identisch  zu  sein^).  Es 
wäre  wohl  heute  noch  eine  vergebliche  Mühe,  so  mangelhaft 
charakterisierte  Dinge  in  ein  System  bringen  zu  wollen.  Immer- 
hin hebt  sich  wenigstens  eine  Kategorie,  diejenige  der  vielgenann- 
ten »zymoplastischen  Substanzen«  von  Alexander  Schmidt^ 
(insofern  dieselben  alkohoUöslich  und  hitzebeständig  sind),  von 
den  alkoholunlöslichen  und  thermolabileto  Thrombokinasen 
scharf  ab. 

Die  Wirkung  der  Thrombokinasen  läßt  sich  vielfach  an  der 
Bildung  intravaskulärer  Gerinnungen  nach  intravenöser  In- 
jektion von  Gewebsextrakten  demonstrieren.  Einen  hierher 
gehörigen  lehrreichen  Versuch  hat  auch  Delezennes  angegeben: 
Wird  Vogelblut  derart  aufgefangen,  daß  jede  Berührung  des- 
selben mit  den  Geweben  vermieden  wird,  so  gelingt  es,  aus  dem- 
selben ein  Plasma  durch  Zentrifugieren  zu  gewinnen,  das  bis  zur 
beginnenden  Fäulnis  ungeronnen  aufbewahrt  werden  kann.  Wird 
jedoch  diesem  Plasma  etwas  Gewebssaft  hinzugefügt,  so  gerinnt 
es  alsbald,  und  es  läßt  sich  zeigen,  daß  die  Gerinnung  in  jenen 
Regionen  einsetzt,  wo  sich  Anhäufungen  von  Leukocyten  finden. 

Eine  interessante  Zweckmäßigkeitseinrichtung  des  Organismus 
ist  die  Erhöhung  der  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes 
nach  hochgradigen  Blutverlusten.  Die  Rettung  gar  manches 
Verwundeten,  dessen  rotes  Lebensnaß  aus  einem  verletzten  Blut- 
gefäße unrettbar  versickert  wäre,  ist  dieser  Einrichtung  zu  danken, 
deren  Mechanismus  von  van  der  Velden^)  dahin  gedeutet  wird, 
daß  der  Blutverlust  Hydrämie  bewirkt,  und  daß  die  Gewebs- 
flüssigkeit, welches  in  die  Gefäße  einströmt,  um  dieselben  zu 
füUen,  viel  Thrombokinase  mit  hineinschwemmt. 

Schwerer  zu  deuten  sind  Beobachtungen  über  die  hämo- 
styptische  Wirkung  der  Gliederabschnürung.  Seit  den 
Zeiten  der  hippokratischen  Schule  ist  venöse  Stauung  zu  Zwecken 
der  Blutstillung  verwandt  worden.    Van  der  Velden  konnte  nun 


i)  Vgl.  auch  die  Arbeiten  von  Buchanan,  Rauschenbach,  Foa 
u.  Pellacani  u.  a. 

2)  R.  V.  d.  Velden,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  61,  37  (1909). 


200  IX.  Vorlesung. 


tatsächlich  nicht  nur  in  dem  Kapillarblute  der  teilweise  gestauten 
Extremität,  sondern  auch  in  demjenigen  des  freien  Rumpfkreis- 
laufes eine  starke  Erhöhung  der  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes 
nachweisen.  Es  scheint,  daß  die  temporäre  Abbindung  von 
Gliedmaßen  zu  jenen  therapeutischen  Maßnahmen  zählt,  die  bei 
richtiger  Anwendung  zu  praktischen  Erfolgen  führen  können  i), 
daher  einige  Aufmerksamkeit  verdienen. 

Es  lag  nahe,  den  Versuch  zu  machen,  Präparate  von 
»Thrombokinase«  zur  Blutstillung  zu  verwenden.  Batelli^) 
hat  solche  kürzlich  in  der  Weise  dargestellt,  daß  er  Wasser- 
extrakte aus  tierischen  Lungen  mit  Essigsäure  fällte,  sodann 
den  Niederschlag,  mit  Soda  genau  neutralisiert  und  mit  etwas 
Alkohol  vermengt,  bei  niedriger  Temperatur  trocknete.  Die 
Anwendung  zur  Blutstillung  erfolgt  in  der  Weise,  daß  man  einen 
mit  dem  Pulver  bestäubten  Tampon  auf  die  Wunde  drückt. 

Es  sind  gegen  die  eben  erörterte  Blutgerinnungstheorie  man- 
cherlei Einwände  geltend  gemacht  worden,  so  von  Pekelharing^) 
u.  a.  Die  Fortschritte  der  Kolloidchemie,  insbesondere  der  Lehre 
von  der  gegenseitigen  Ausfällbarkeit  von  Kolloiden  in  Abhängig- 
keit von  ihrer  elektrischen  Ladung,  konnten  auch  auf  die  Vor- 
stellungen über  das  Wesen  der  Blutgerinnung  nicht  ohne  Einfluß 
bleiben.  Meiner  Empfindung  nach  bedeutet  der  Übergang  von 
der  chemischen  Schematisierung  zu  einer  physikalisch- 
chemischen Auffassung  des  Problems,  wie  er  insbesondere 
NoifscheOe-  in  den  Arbeiten  von  Nolf^)  und  von  Reitger ^)  zum  Ausdrucke 
"theorie.       g^^^iiigt»  einen  ganz  wesentlichen  Fortschritt. 

Man  könnte  dementsprechend,  (anlehnend  an  Vorstellungen, 
die  seinerzeit  von  Spiro  und  Ellinger^)  entwickelt  worden  sind) 
annehmen,  daß  das  Wesen  der  Blutgerinnung  auf  einer  Störung 
eines   an   sich   labilen  Gleichgewichtes   und   der   gegen- 


i)  R.  van  der  Veldcn,   Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  8,  483  (191 1). 

2)  F.  Batelli,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  68,  789  (1910). 

3)  C.   A.   Pekelharing,  Biochem.   Z.   11,   i   (1908). 

4)  A.  Nolf  (Laborat.  de  Physiol.  Liege),  Arch.  Internat,  de  Physiol. 
5,   I,   115,  306  (1908);  7,  280,  379,  411   (1909)- 

5)  L.   Rettger  (Physiol.   Laborat.   Johns  Hopkins  Univers.),  Amer. 
Journ.  of  Physiol.  24,  406  (1909). 

6)  K.  Spiro  und  A.  Ellinger,  Z.  f.  physiol.  Chemie  23,  121  (1897). 


Blutgerinnung.  201 


seitigen  Ausfällung  mehrerer  Kolloide  durch  einander 
beruht.  Seiner  Menge  nach  steht  dabei  sicherlich  das  Fibrino- 
gen weitaus  im  Vordergrunde.  Unter  Verwertung  jenes  umfang- 
reichen Beobachtungsmateriales,  welches  in  der  Theorie  von 
Fuld- Spiro  und  Morawitz  seinen  Ausdruck  findet,  könnte  man 
das  Thrombogen  und  Thrombozym  als  jene  Kolloide  an- 
sehen, welche  neben  dem  Fibrinogen  hier  in  Betracht  kommen 
und  auch  die  gerinnungsbefördernde  Wirkung  der  Kalk- 
salze, von  der  ja  die  neuere  Kolloidchemie  so  viel  zu  berichten 
weiß,  spielt  dabei  offenbar  mit.  Es  ist  nun  klar,  daß  ein  so  labiles 
Gleichgewicht,  wie  es  eine  Fibrinogenlösung  im  Plasma  darstellt, 
durch  die  mannigfachsten  physikalischen  und  chemischen  Fak- 
toren im  Sinne  einer  verminderten  oder  erhöhten  Stabilisierung 
beeinflußt  werden  kann ;  wir  werden  z.  B.  ohne  weiteres  verstehen, 
daß  die  Berührung  mit  den  Unebenheiten  einer  Wandfläche, 
oder  mit  einem  in  dem  Systeme  auftretenden  Niederschlage  einer 
schwerlöslichen  Substanz,  oder  aber  der  Zusatz  eines  so  komplexen 
Substanzgemenges,  wie  es  ein  »zymoplastischer «  Organextrakt 
ist,  das  Gleichgewicht  zu  stören  geeignet  ist.  Ob  allerdings  in 
einem  solchen  Vorstellungskreise  für  den  Begriff  eines  »Fibrin- 
ferments«  überhaupt  noch  Platz  ist,  ist  sehr  fraglich.  Nolf 
leugnet  ein  solches,  und  auch  Rettgers  Befund,  demzufolge  das 
»Thrombin«  in  wässeriger  Lösung  relativ  thermostabil  ist  und 
sich  aus  inaktiv  gewordenen  Lösungen  leicht  reaktivieren  läßt, 
spricht  nicht  zugunsten  eines  fermentativen  Vorganges.  Da- 
gegen hat  Mellanby^)  kürzlich  wiederum  die  Theorie  von  Fuld- 
Spiro  und  Morawitz  gegenüber  derjenigen  von  Nolf  verfochten 
und  ist  für  die  fermentative  Natur  des  Gerinnungsvorganges 
eingetreten. 

Auch  in  den  Anschauungen  einiger  anderer  Autoren  kommt  das 
Bestreben  deutlich  zum  Ausdrucke,  die  Fortschritte  der  Kolloid- 
chemie der  Lehre  von  der  Blutgerinnung  dienstbar  zu  machen. 

So  hält  Iscovesco^)  das  Fibrinogen  und  das  Fibrin  für  ver- 
schiedene Phasen  ein  und  desselben  Stoffes,  wobei  das  Fibrinogen 


■      i)  J.  Mellanby  (Physiol.   Laborat.  Cambridge),   Journ.  of  Physiol. 
38,  441   (1909). 

2)  H.  Iscovesco,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  60  und  61  (1906), 


202  IX.  Vorlesung. 


das  Hydrosol  oder  die  lösliche  Phase,  das  Fibrin  das  Hydrogel 
oder  die  unlösliche  Phase  darstellt.  Friedemann  und  Friedenthal^) 
nehmen  an,  daß  der  Phase  des  eigentlichen  Gerinnungsvorganges 
eine  Phase  vorangeht,  wo  durch  die  Einwirkung  der  gerinnungs- 
erregenden Agentien  eine  Änderung  in  der  elektrischen  Ladung 
des  kolloidalen  Systems  hervorgerufen  wird. 

Glyzerinphos-  Efnst  Freund^)  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  bei  dem 
''^^KaUc'^^^  Gerinnungsvorgange  neben  den  Eiweißsubstanzen  und  dem  Kalk 
auch  ein  Phosphorsäurekomplex  eine  Rolle  zu  spielen  scheine. 
Wird  Lecithin  mit  alkoholischer  Lauge  verseift,  die  Lösung  mit 
Calciumchlorid  gefällt  und  der  (aus  Kalkseifen  und  glyzerin- 
phosphorsaurem  Kalk  bestehende)  Niederschlag  mit  Wasser 
extrahiert,  so  erhält  man  eine  Lösung,  die  sich  durchaus  wie 
»Fibrinferment«  verhält;  sie  übt  auf  Fibrinogen  typische  Ge- 
rinnungswirkung aus  und  büßt  ihre  Wirksamkeit  durch  Auf- 
kochen ein.  Interessanterweise  ließ  sich  in  Fibrinfermentlösungen, 
die  nach  Alexander  Schmidt  bereitet  worden  waren,  tatsächlich 
das  Vorhandensein  von  glyzerinphosphorsaurem  Kalk  nachweisen. 

Beziehungen  Unaufgeklärt,  jedoch  vielfach  beobachtet,  sind  die  Beziehun- 

mutßfrinnung^  ^^^  ^^^  Leber  zur  Blutgerinnung.  Im  Verlaufe  schwerer 
Lebererkrankungen,  cholämischer  Zustände  und  dergleichen  ist 
vielfach  eine  erhöhte  Neigung  zu  Blutungen,  eine  Art  hämorrha- 
gischer Diathese,  beobachtet  worden^).  Es  ist  Doyon,  Gautier 
und  anderen  französischen  Autoren*)  auch  mehrfach  gelungen, 
eine  verminderte  Gerinnbarkeit  des  Blutes  durch  experimentelle 
Schädigungen  der  Leberfunktion  künstlich  herbeizuführen,  so 
durch  Leberexstirpation  beim  Frosche,  durch  hepatotoxisches 
Serum,  durch  Injektion  von  Atropin  in  den  Ductus  choledochus, 

i)  U.  Friedemann  und  H.  Friedenthal,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol. 
3,  73  (1906).    ' 

2)  E.  Freund,  Mitteil,  am  8.  intcmat.  Physiologen- Kongreß,  Wien 
(Sept.   1910)  und  Wiener  klin.  Wochenschr.  23,  Nr.  18  (19 10). 

3)  F.  Kauders,  Wiener  med.  Wochenschr.  57,  314,  ^y^  (1907).  P. 
Morawitz  und  R.  Bierich  (Med.  Klinik  Straßburg),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  56,  115  (1907). 

4)  Doyon,  Gautier,  Morel,  Kareff,  Policard,  Joum.  de  Physiol. 
7,639(1905);  8,  227,  1003  (1906);  9,  405  (1907);  12,  197  (1910)  und  zahl- 
reiche Artikel  in  C.  R.  Soc.  de  Biol.  59—70.  Vgl.  auch  G.  H.  Whipple 
und  S.  H.  Hurwitz,  Journ.  of  experim.  Med.  IS,  (191 1). 


Blutgerinnung.  203 


von  Galle  in  eine  Mesenterialvene  oder  von  geschmolzenem 
Paraffin  in  die  Arteria  pancreaticoduodenalis  u.  dgl.  Auch 
nach  Anlegung  einer  Eckschen  Fistel,  nach  Chloroformnarkose 
und  bei  Phosphorvergiftung  ^)  ist  ein  vermindertes  Gerinnungs- 
vermögen des  Blutes  bemerkt  worden.  Inwieweit  es  sich  dabei 
etwa  ausschließlich  um  eine  Fibrinogenverminderung  (s.  o.)  oder 
aber  um  eine  Stabilisierung  des  vorhandenen  Fibrinogens  infolge 
des  Auftretens  gerinnungshemmender  Substanzen  handelt,  ist 
nicht  klargestellt .  Ein  »Antithrombin«  läßt  sich  durch  physio- 
logische Kochsalzlösung  aus  der  Leber  (insbesondere  nach  wieder- 
holtem Durchfrieren  derselben)  extrahieren  2).  Nolf^)  nimmt  in 
Übereinstimmung  mit  vielen  anderen  Autoren  an,  daß  die  Leber- 
endothelien  befähigt  sind,  ein  »Antithrombin«  in  das  Blut 
hinein  zu  sezernieren.  Wird  das  Blut  eines  hungernden  Hundes 
durch  eine  überlebende  Hundeleber  durchgeleitet,  so  wird  zu- 
nächst kein  Antithrombin  gebildet;  wohl  aber  setzt  die  Anti- 
,thrombinsekretion  ein,  wenn  dem  Durchblutungsblute  etwas 
Pepton  zugefügt  worden  ist. 

Es  stimmt  dies  mit  den  überaus  zahlreichen  Beobachtungen  Pepton, 
über  die  gerinnungshemmende  Wirkung  des  Peptons  überein. 
Dasselbe  wirkt  in  vitro  kaum  antikoagulativ,  es  bedarf  vielmehr, 
um  seine  Wirkung  entfalten  zu  können,  der  Mitwirkung  des  leben- 
den Organismus,  und  zwar  scheint  dabei  eine  Antithrombin- 
sekretion  in  der  Leber  die  wichtigste  Rolle  zu  spielen.  Rätsel- 
haft ist  vorderhand  die  dabei  zutage  tretende  Immunität, 
welche  bewirkt,  daß,  nachdem  man  bei  einem  Hunde  durch  eine 
Peptonin jektion  das  Blut  ungerinnbar  gemacht  hat,  eine  weitere 
Peptonin jektion  am  nächsten  Tage  meist  unwirksam  bleibt*). 
Nach  Spiro  und  E Hinget^)  handelt  es  sich  um  Bildung  eines 
spezifischen  Antikörpers. 


i)  R.  Morawitz,  Hofmeisters  Beitr.  8,  i  (1906). 

2)  M.  Doyen,  A.  Morel  et  A.  Policard,  C.  R.  See.  de  Biol.  70,  175, 
341,  615  (1911). 

3)  P.  Nolf  (Laborat.  de  Physiol.  Liege),  Arch.  internat.  de  Physiol. 
9,  407  (1910)  und  Arch.  de  Fisiol.  7  (Festschr.  für  Fano)  (1909). 

4)  Literatur   über  Gerinnungshemmung   durch   Pepton:     Morawitz, 
Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  6^ — 66  (1909). 

5)  K.  Spiro  und  A.  Ellinger,  Z.  f.  physiol.  Chemie  2S»  121  (1897). 


204  IX.  Vorlesung. 


Gerinnungs-  Man  hat  außer  dem  Pepton  noch  eine  große  Anzahl  physio- 

Agentien "  ver-  logischer  Faktoren  und  Agentien  kennen  gelernt,  welche  der 
schiedener  Art.  Blutgerinnung  entgegenzuwirken  vermögen. 

Längst  bekannt  ist  die  gerinnungshemmende  Wirkung  der 
kalkfällenden  Salze  und  der  Neutralsalze  in  höheren 
Konzentrationen,  welche  bei  der  Darstellung  von  »Salzplasmen« 
Verwertung  findet. 

Sehr  eingehend  ist  die  gerinnungshemmende  Wirkung  des 
Mundsekretes  der  Blutegel  studiert  worden,  auf  die  man 
durch  den  Umstand  aufmerksam  gemacht  worden  ist,  daß  Blu- 
tungen aus  Blutegelbissen  sich  oft  nur  schwer  stillen  lassen  und 
daß  das  von  den  Blutegeln  aufgenommene  Blut  sein  Gerinnungs- 
vermögen eingebüßt  hat.  Den  wirksamen  Bestandteil  desselben, 
das  »Hirudin  «,  hat  Franz  zu  isolieren  versucht.  Eine  Immunität 
gegen  dasselbe  ist  von  Wendelstadt  erzielt  worden  i).  Offenbar 
hat  die  Natur  viele  Lebewesen,  die  darauf  angewiesen  sind,  sich 
ihre  Nahrung  durch  Aufsaugen  von  Wirbeltierblut  aus  Einstichen 
zu  verschaffen,  mit  ähnlichen  gerinnungshemmenden  Sekreten 
ausgestattet,  so  z.  B.  die  Zecke 2)  (Ixodes  ricinus)  und  das  Anchy- 
lostoma  caninum^). 

Auch  die  in  verschiedenen  Schlangengiften,  insbesondere 
auch  im  Kobragifte  auftretenden  gerinnungshemmenden  Agentien 
sind  vielfach  studiert  worden. 

Schwierig  zu  deuten  sind  viele  Beobachtungen  über  die  in 
tierischen  Organen  verschiedenster  Art  vorkommenden 
gerinnungshemmenden  Substanzen.  So  erhielt  z.  B.  Conradi^) 
in  Hofmeisters  Laboratorium  aus  frischen  Organen  gerinnungs- 
bef ordernde,   aus   autolysierten   gerinnungshemmende   Extrakte. 


i)  Literatur  über  das  Mundsekret  der  Blutegel:  O.  v.  Fürth,  Vergl. 
ehem.  Physiol.  der  niederen  Tiere,  S.  179 — 181.  Jena  1903.  F.  Franz 
(Pharm.  Inst.  Göttingen),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  49,  342  (1902).  Wen- 
delstadt, Arch.  internat.  de  Pharm.  9,  407  (1901).  Mellanby,  Journ. 
of  Physiol.  38,  441  (1909).  A.  Bodong  (Pharm.  Inst.  Göttingen),  Arch. 
f.  exper.   Pathol.  52,  242  (1904). 

2)  Sabbatani,  Arch.  ital,  de  Biol.  $1,  ^y  (1899). 

3)  L.  Loeb  und  A.  J.  Smith,  Zentralbl.  f.  Bakter.  S7,  93  (1904). 
L.  Loeb  und  M.  S.  Fleisher,  Journ.  of  infectious  diseases  7,  625  (19 10). 

4)  Conradi  (Physiol. -ehem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  1, 
136  (1902). 


Blutgerinnung.  205- 


Vielleicht  steht  damit  die  Beobachtung  im  Zusammenhange,  daß 
nach  Injektion  der  »Gewebsfibrinogene «  von  Wooldridge  einer 
»positiven  Phase«  gesteigerter  Gerinnungsfähigkeit  eine  »nega- 
tive Phase«  verminderter  Gerinnungsfähigkeit  folgen  kann.  Es 
gelang  Pugliese^),  thermostabile  gerinnungshemmende  Substanzen 
aus  verschiedenen  Geweben  in  der  Weise  darzustellen,  daß  er 
Organextrakte  mit  Bleiacetat  fällte  und  in  dem  entbleiten  Filtrate 
mit  Alkohol  einen  Niederschlag  erzeugte.  Er  neigt  zu  der  von 
Spiro  und  Ellinger^)  geäußerten  Ansicht,  derzufolge  sich  gerin- 
nungsbefördernde  und  -hemmende  Substanzen  im  Blute  in  einer 
Art  von  Gleichgewicht  befinden;  und  zwar  sollen  die  ersteren 
vorwiegend  durch  Zerfall  von  Formelementen,  die  letzteren  aber 
aus  verschiedenen  Geweben,  namentlich  aus  der  Leber  auf  sekre- 
torischem Wege  in  das  Blut  gelangen.  Auch  aus  einer  Reihe 
anderer  Arbeiten^)  ergeben  sich  Anhaltspunkte  für  das  Vorkom- 
men gerinnungshemmender  Agentien  im  normalen  Blute.  Die 
Injektion  von  Darmextrakten  scheint  regelmäßig  gerinnungs- 
hemmend zu  wirken*). 

Man  hat  viel  Mühe  darauf  verwandt,  die  verschiedenen  gerin- 
nungshemmenden Agentien  hinsichtlich  ihrer  Wirkungsart  ge- 
nauer, insbesondere  als  »Antithrombine«  und  »Antikinasen «  zu 
charakterisieren 5);  doch  meine  ich,  daß  man  die  Erörterung  der- 
artiger Fragen  ruhig  auf  einen  Zeitpunkt  verschieben  kann,  wo 
man  in  das  Wesen  des  Gerinnungsvorganges  einen  klareren  Einblick 
haben  wird,  als  er  uns  heute  noch  beschieden  ist.  Solange  die 
Existenz  eines  Fibrinfermentes  nicht  sichergestellt  ist,  erscheint 
es  wenig  verlockend,  den  Unterschied  zwischen  Antithrombinen 
und  Antikinasen  ausführlich  zu  erörtern. 

Interessant  ist  die  Beobachtung,  daß  das  Blut,  welches  während    ungerinnbar- 
der  Menstruation  die  Uterusschleimhaut  passiert,  ungerinnbar  **^''*  ^^'*  ^^"" 

'^  '         ^^  strualblutes. 

1)  A.  Pugliese,  Arch.  ital.  de  Biol.  44,  292  (1905)  und  Journ.  de 
Physiol.   7,  437  (1905). 

2)  K.  Spiro  und  A.  Ellinger,  Z.  f.  physiol.  Chemie  2S,   121   (1897). 

3)  Morawitz.   Fuld,  Muraschew,  L.  Loeb  u.a. 

4)  F.  Czubalski  (Pharm.  Inst.  Lemberg),  Pflügers  Arch.  121,  395 
(1908). 

5)  Vgl.  die  Tabelle  bei  Morawitz,  Ergebn.  d.  Physiol.  4,  410 — 411 
(1905). 


206 


IX.  Vorlesung. 


Gerinnungs- 
beschleuni- 
gende 
Agentien. 


ist,  ohne  daß  die  Gerinnbarkeit  des  Gesamtblutes  der  Norm 
gegenüber  irgendwelche  Veränderungen  aufweist.  Offenbar 
kommt  der  Uterusschleimhaut  die  Fähigkeit  zu,  das  Blut  der- 
art zu  verändern,  daß  es  sein  Gerinnungs vermögen  einbüßt^). 

Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Gerinnbarkeit  zum 
Zwecke  der  Blutstillung  bei  gefährlichen  Blutungen  zu  erhöhen. 

Schon  in  alter  Zeit  stand  die  Kochsalztherapie  der  Blu- 
tungen in  hohem  Ansehen.  Es  hat  sich  nun  in  der  Tat  gezeigt, 
daß  das  Kochsalz  bei  stomachaler,  subkutaner  und  intravenöser 
Zufuhr  geeignet  ist,  die  Gerinnungsfähigkeit  des  Blutes  zu  er- 
höhen. Die  sicherste  Anwendungsweise  ist  die  letztgenannte  und 
es  soll  die  Zufuhr  mehrerer  Kubikzentimeter  einer  hypertonischen 
Kochsalzlösimg  gut  vertragen  werden.  Ob  es  sich  dabei  um  eine 
vermehrte  Thrombokinaseausschwemmung  handelt,  mag  einst- 
weilen dahingestellt  bleiben*).  Von  der  therapeutischen  Anwen- 
dung der  Kalksalze  wird  später  die  Rede  sein. 

Recht  interessant  ist  eine  Angabe  von  Moscati^),  derzufolge 
nach  intravenöser  Injektion  von  Stärkekleister  die  Blut- 
gerinnung viel  rascher  als  unter  normalen  Bedingungen  erfolgt. 
Aus  einigen  klinischen  Beobachtungen  scheint  hervorzugehen, 
daß  ein  solcher  Eingriff  unschädlich  ist  und  als  Hämostaticum 
ausgezeichnete  Dienste  leisten  kann.  Es  bleibt  jedoch  abzu- 
warten, ob  sich  dieses  Mittel  weiterhin  praktisch  bewähren  wird. 

Seitdem  Dastre  und  Floresco^)  angegeben  haben,  daß  intra- 
venöse Gelatine  in  jektion  die  Gerinnung  des  Blutes  hochgradig 
zu  beschleunigen  vermag,  hat  diese  Medikation  einige  praktische 
Bedeutung  gewonnen,  trotzdem  die  Meinungen  über  die  Wirk- 
samkeit einer  solchen  sehr  geteilt  sind.  Zum  Zwecke  der  intra- 
venösen Injektion  werden  gegenwärtig  sterile  Lösungen  reinster 
Gelatine  in  zugeschmolzenen  Röhren  in  den  Handel  gebracht. 
Der  Mechanismus  der  Wirkung  dieses  Eingriffes  ist  unbekannt; 
man  hat  die  verschiedensten  Faktoren  zur  Erklärung  herange- 


i)  G.  M.  Cristea  und  W.  Denk,  Wiener  klin.  Wochenschr.  {1910),  234. 

2)  R.  van  der  Velden,  Zeitschr.  f.  experim.  Pathol.  7,  290  (19 10). 

3)  G.  Moscati,  Atti  d.  R.  Accad.  med. -Chirurg,  di  Napoli  1906,  zit. 
Physiol.  Zentralbl.  21,  415  {1907). 

4)  A.  Dastre  und  N.  Floresco,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  48,  243  u.  358 
( 1 896). 


Blutgerinnung.  207 


zogen;  so  eine  schädigende  Wirkung  der  Gelatine  auf  die  Blut- 
plättchen, eine  Vermehrung  der  Fibrinogenmenge,  eine  erhöhte 
Agglutination  der  Blutkörperchen,  eine  Reaktion  des  Organismus 
auf  artfremdes  Eiweiß  u.dgl. i). 

Ich  will  meine  Erörterungen  über  das  Wesen  der  Blutgerinnung,  Hämophilie, 
die  nach  keiner  Richtung  hin  irgend  einen  Anspruch  auf  Voll- 
ständigkeit erheben,  mit  einer  kurzen  Besprechung  der  Hämo- 
philie oder  Bluterkrankheit  beschließen,  einer  ausgesprochen 
familiären  Diathese,  welche  merkwürdigerweise  fast  ausschließlich 
das  männliche  Geschlecht  befällt.  Diese  tückische  Anomalie, 
welche  verschulden  kann,  daß  ein  scheinbar  völlig  gesunder  Mensch 
im  Anschlüsse  an  eine  Zahnextraktion  oder  eine  geringfügige 
Verletzung  plötzlich  an  Verblutung  zugrunde  geht,  ist  im  Verlaufe 
der  letzten  Jahre  mehrfach  studiert  worden.  Man  muß  zwischen 
einer  allgemeinen  und  einer  auf  einen  bestimmten  Gefäßbezirk 
lokalisierten  Hämophilie  unterscheiden;  so  kann  z.  B.  eine 
Hautblutung  sich  ganz  normal  verhalten  und  leicht  stillbar  sein 
und  die  Hämophiüe  sich  nur  bei  einer  Blutung  im  Bereiche  der 
Schleimhaut  des  Verdauungstraktes  manifestieren. 

Was  nun  das  Wesen  der  Hämophilie  betrifft,  scheint  die- 
selbe auf  einer  Anomalie  in  der  Thrombokinaseproduktion 
seitens  der  Gewebe,  insbesondere  der  Gefäßwandzellen,  zu  be- 
ruhen 2).  Das  Fibrinogen  dagegen  dürfte  in  normaler  Menge 
vorhanden  sein. 

In  manchen  Fällen  von  Hämophilie  ist  das  Blut  an  sich  nicht 
ungerinnbar;  es  gerinnt  vielmehr  nach  seiner  Entleerung; 
trotzdem  kann  eine  Verletzung  eine  unstillbare  Blutung  hervor- 
rufen, weil  die  Gerinnung  nicht  am  richtigen  Orte  erfolgt,  um 
eine  Thrombosierung  der  klaffenden  Gefäße  zu  bewirken.     Die 


i)  H.  Kaposi  (Labor,  v.  Gottlieb  in  Heidelberg),  Mitteil.  a.  <!• 
Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  18,  373  (1904).  G.  Gesa  na,  Arch.  di 
fisiol.  5,  425  (1908).  £.  Lütkens,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  55,  116  (1906). 
W.  Grau,  Arch.  f.  klin.  Med.  101,  150  (1910),  vgl.  daselbst  auch  die 
Literatur.  Weitere  Literaturangaben:  P.  Morawitz,  Ergebn.  d.  Physiol. 
4,  412  (1905). 

2)  Sahli,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  56,  264  {1905).  P.  Morawitz  und 
J.  Lossen,  Arch.  f.  klin.  Med.  94,  iio  (1908).  T.  Addis,  Brit.  Med. 
Journ.   1422  (5.  Nov.   1910). 


2o8  IX.  Vorlesung. 


Vorbedingung  dazu,  nämlich  die  Abgabe  von  Thrombokinase 
seitens  der  Gefäßwände  soll  eben  ausbleiben,  und  wenn  die 
Gerinnung  des  entleerten  Blutes  schließlich  doch  erfolgt,  so  ge- 
schieht dies  anscheinend,  weil  die  zerfallenden  Leukocvten 
Thrombokinase  zu  produzieren  vermögen.  Bei  allgemeiner 
Hämophilie  kann  aber  die  Thrombokinase  auch  in  den  Leuko- 
cyten  fehlen:  in  diesem  Falle  wird  eben  auch  die  Gerinnung  des 
entleerten  Blutes  ganz  ausbleiben. 

Man  hat  nun  versucht,  die  Fortschritte  der  physiologischen 
Erkenntnis  direkt  der  Therapie  der  Hämophilie  dienstbar  zu 
machen  und  die  fehlende  Thrombokinase  künstlich  zu  ersetzen, 
indem  man  die  blutenden  Stellen  mit  Verbandstoffen  tamponierte, 
die  mit  Extrakten  aus  Milz,  Thymus,  Leber  u.  dgl.  oder  auch 
mit  Rinderserum  imprägniert  worden  waren,  oder  indem  man  dem 
Blute  die  fehlenden  Bestandteile  durch  intravenöse  Einverleibung 
normalen  Menschen-  oder  Tierserums  ersetzen  wollte.  Es 
sind  tatsächhch  Fälle  beobachtet  worden,  wo  das  Blut  von  Hämo- 
philen durch  Injektion  von  normalem  Menschenserum  seine  nor- 
male Gerinnbarkeit  für  einige  Wochen  wieder  erlangt  hatte,  derart, 
daß  man  kaum  mehr  imstande  war,  durch  Einstiche  mit  einer 
Nadel  Blut  zu  erhalten*). 

Ein  anderer  (von  Wright  empfohlener)  Weg,  um  die  Gerinn- 
barkeit des  Blutes  zu  erhöhen,  ist  die  Zufuhr  von  Kalksalzen. 
Trotzdem  dies  von  manchen  Seiten  her  geleugnet  wird  2),  scheint 
mir  der  Einfluß  der  Kalksalze  auf  die  Gerinnbarkeit  des  Blutes 
ausreichend  festgestellt  zu  sein.    Die  Gerinnungszeit®)  des  Blutes 

i)  P,  Emile -Weil,  Presse  medicale  i8.  Okt.  1905  und  Bull.  Soc. 
m6d  Hop.  2.  Nov.  1906.  P.  Nolf,  Le  scalpel  et  Liege  medical  61,  7^'  85 
<i909).  P.  £mile-\Veil  und  G.  Boy6,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  66,  516,  67, 
454  (1909).  A.  Herry,  ibid.  68,  531,  603  (1910).  E.  W.  Baum,  Mitteil, 
a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  20,  i  (1909).  F.  Trembur,  ibid.  20, 
815  (1909);  22,  93  (1910).  P.  F-mile-Wcil,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  61,  588, 
662  (1906). 

2)  Addis,  Quart.  Journ.  of  Med.  (Januar  1909),  vgl.  dagegen  A.  E. 
Wright  und  W.  E.  Paramore,  Lancet,-  1905  II,   1096. 

3)  Literatur  über  die  Methoden  zur  Bestimmung  der  Gerinnungszeit: 
(Methoden  von  Vierordt,  Wright,  Sabrazös,  Schultz,  Milian, 
Bürker,  Brodie  u.  Rüssel,  Morawitz  u.  Bierich,  Buckmaster, 
Kottmann),  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  5,  I,  235 — 252  (191 1). 


Blutgerinnung.  209 


läßt  sich  bequem  nach  einem  von  PFngA^  angegebenen  Verfahren 
prüfen,  indem  man  einen  (einem  Einstiche  in  die  Fingerbeere 
entnommenen)  Blutstropfen  in  einer  Kapillarpipette  aufsaugt,  die 
Blutsäule  im  Wasserbade  bei  37°  der  Gerinnung  überläßt  und 
den  Zeitpunkt  der  letzteren  durch  Ausdrücken  des  Blutes  auf 
Filtrierpapier  prüft.  Beim  gesunden  Menschen  ist  so  eine  Stan- 
dardzahl von  2^/2  Minuten  festgestellt  worden  i).  Eine  Koagula- 
tionszeit bis  4  Minuten  ist,  wie  systematische  Untersuchungen 
auf  der  v.  Eiselsbergschen  Klinik  in  Wien  gelehrt  haben  2),  für  das 
betreffende  Individuum  harmlos.  Eine  längere  Gerinnungsdauer, 
welche  sich  im  gewöhnlichen  Leben  etwa  nur  durch  Neigung  zu 
Nasenbluten,  Sugillationen  u.  dgl.  verrät,  kann  bei  größeren  Ope- 
rationen recht  gefährlich  werden.  Es  ist  daher  empfohlen  worden, 
vor  der  Vornahme  einer  Operation  das  Gerinnungsvermögen  des 
Blutes  auf  jeden  Fall  zu  prüfen,  und  wenn  sich  dasselbe  etwa  als 
unzulänglich  erweist,  durch  Kalkzufuhr  eine  Korrektur  vorzu- 
nehmen, um  so  die  drohende  Gefahr  abzuwenden.  2 — 3  g  Cal- 
ciumacetat, einige  Tage  lang  stomachal  zugeführt,  sollen  imstande 
sein,  die  Gerinnbarkeit  des  Blutes  auf  die  Dauer  von  Wochen  auf 
ein  normales  Maß  zu  erhöhen  3). 

i)  H.  Weiß,  Wiener  klin.  Wochenschr.  2S,  839  {1910),  vgl.  daselbst 
auch  die  ältere  Literatur  über  Methodik  der  Bestimmung  der  Gerinnungs- 
-zeitl). 

2)  Denk,  Wiener  klin.  Wochenschr.  2S,  303  (19 10). 

3)  H.  Weiß,  1.  c. 


■V.  Fürth,  Probleme.  I4 


X.  Vorlesung. 
Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin. 

Neben  dem  Gerinnungsvermögen  ist  die  augenfälligste  Eigen- 
schaft, welche  das  Wirbeltierblut  anderen  tierischen  Säften  gegen- 
über auszeichnet,  seine  rote  Färbung.  Lange  bevor  die  Men- 
schen etwas  von  respiratorischen  Farbstoffen  und  ihrer  physio- 
logischen Funktion  ahnten,  hatte  sich  in  ihnen  die  Überzeugung 
festgesetzt,  daß  dieser  rote  Saft,  mit  dessen  Entströmen  aus 
den  Adern  sie  das  Leben  von  Mensch  und  Tier  verrieseln  sahen, 
eines  der  wesentlichsten  Lebenselemente,  wenn  nicht  das  Leben 
selbst  sei. 
Verbreitung  Bekanntlich  rührt  die  rote  Färbung  des  Wirbeltierblutes  vom 

des  Hämo-    Hämoglobin   her   und  dieser  respiratorische  Farbstoff  findet 

globins  in  der  ^.  *  -ri,       , 

Tierreihe.  Sich  dann  an  zelhge  Elemente,  die  roten  Blutkörperchen,, 
gebunden.  Die  vergleichend-physiologische  Betrachtung  belehrt 
uns  darüber,  daß  die  fundamentale  Funktion  des  Hämoglobins 
nicht  an  das  Vorkommen  derartiger  zelliger  Elemente,  vielmehr 
an  den  Farbstoff  als  solchen  geknüpft  ist.  Denn  das  Hämoglobin 
findet  sich  nicht  nur  im  Blute  der  Wirbeltiere,  sondern  auch 
in  den  Körperflüssigkeiten  vieler  Wirbellosen;  bei  den  letz- 
teren aber  nur  ausnahmsweise  in  zelligen  Elementen,  meist  in 
freier  Form  im  Plasma  gelöst.  Wir  begegnen  dem  Hämo-^ 
globin  im  Blute  zahlreicher  Würmer  (bei  Chätopoden,  Gephy- 
reen,  Nemertinen  und  Hirudineen).  Bei  den  Mollusken  tritt 
das  Hämoglobin  stark  in  den  Hintergrund,  ebenso  bei  den  In- 
Sekten;  sehr  verbreitet  findet  es  sich  dagegen  bei  niederen 
Crustaceen  (insbesondere  im  Blute  gewisser  Branchiopoden,^ 
Ostracoden  und  Copepoden).  Eine  Gesetzmäßigkeit  in  der  Ver- 
breitung des  Hämoglobins  in  der  Tierreihe  läßt  sich  vorläufig 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  211 


nicht  ableiten.  Auch  wissen  wir  einstweilen  viel  zu  wenig  über 
die  physiologisch-chemischen  Lebensbedingungen  niederer  Tiere, 
um  eine  Deutung  ernsthaft  versuchen  zu  können.  So  mag  es 
denn  auch  dahingestellt  bleiben,  ob  die  mehrfach  geäußerte  An- 
nahme berechtigt  ist,  die  einen  relativen  Mangel  an  verfüg- 
barer Atemluft  mit  dem  Auftreten  des  Hämoglobins  bei 
niederen  Lebensformen  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringt  i). 

Das  Hämoglobin  ist  bekanntlich  eine  komplizierte,  eiweiß-  Hämatin  und 
artige,  durch  ihr  Kristallisationsvermögen  ausgezeichnete  Sub-  "^^^^n*^^ 
stanz.  Dieselbe  läßt  sich  leicht  in  zwei  Hauptbestandteile  zer- 
legen: in  eine  farblose  Eiweißkomponente,  das  Globin,  und  in 
einen  Farbstoffanteil,  das  Hämatin.  Weitaus  der  Hauptanteil 
des  riesigen  Hämoglobinmoleküls  entfällt  auf  das  Globin;  doch 
ist  dieser  Teil  der  weniger  interessante.  Das  Globin  ist  ein  Eiweiß- 
körper von  basischem  Charakter,  der  bei  seiner  Hydrolyse  reich- 
liche Histidinmengen  liefert  und  sich  nach  F,  N,  Schulz^)  hin- 
sichtlich seiner  Stellung  (etwa  zusammen  mit  den  Histonen) 
zwischen  typischen  Proteinsubstanzen  und  Protaminen  einreihen 
läßt.  Derselbe  unterscheidet  sich  in  seinen  Hauptreaktionen 
nicht  von  anderen  Eiweißstoffen.  Was  aber  das  Hämoglobin 
besonders  charakterisiert  und  was  ihm  das  Gepräge  eines  »respira- 
ratorischen  Farbstoffes  «  erteilt,  ist  die  kleinere  Komponente  des- 
selben, das  Hämatin.  Dieses  kann  leicht  aus  seinem  Zusammen- 
hange mit  dem  Globin  herausgelöst  und  isoliert  werden.  Es  ist 
im  Vergleich  mit  dem  Hämoglobin  eine  einfache  Verbindung. 
Das  Hämoglobin  mag  wohl  im  Riesenbaue  seines  Moleküles, 
Hüfners  Berechnung  entsprechend,  etwa  600  Kohlenstoff-,  1000 
Wasserstoff-,  160  Stickstoff-,  180  Sauerstoffatome  und  daneben 
ein  einziges  Eisenatom  beherbergen;  dieses  letztere  findet  sich 
nun  in  dem  unvergleichlich  kleineren  Hämatinmoleküle  wieder, 
dessen  Zusammensetzung  durch  die  Formel  C34H34N4Fe06 
gegeben  ist. 

Gerade  dieses  eine  Eisenatom,  welches  in  dem  riesigen  Atom- 
haufen des  Hämoglobins  nahezu  verschwindet,  steht  jedoch  offen- 

i)  Literatur  über  das  Hämoglobin  bei  Wirbellosen:  O.  v.  Fürth, 
Vergl.  ehem.    Physiol.   d.   niederen  Tiere,   S.  43 — iii.   Jena   1903. 

2)  F.  N.  Schultz  (Physiol. -ehem.  Inst.  Straßburg),  Z.  f.  physiol. 
Chemie  24,  449  (1898).     J.  Bang,  ibid.  27,  463  (1899). 

14* 


212  X.  Vorlesung. 


bar  mit  der  fundamentalen  Funktion  dieses  letzteren,  nämlich 
mit  seinem  Vermögen,  Sauerstoff  in  lockerer  Bindung  fest- 
zuhalten, in  unmittelbarem  Zusammenhange.  Vermag  doch 
das  Hämoglobin,  je  einem  Eisenatome  entsprechend,  ein  Molekül 
Sauerstoff  zu  binden  und  sich  dabei  in  das  hellrot  gefärbte  Oxy- 
hämoglobin  zu  verwandeln.  Wird  eine  Lösung  dieses  letzteren 
in  das  Vakuum  der  Luftpumpe  gebracht,  oder  läßt  man  einfach 
einen  Wasserstoff-  oder  Stickstoffstrom  längere  Zeit  hindurch- 
streichen, so  genügt  dies,  um  die  lockere  Sauerstoffbindung  zu 
lösen  und  das  hellrote  Oxyhämoglobin  in  das  dunkelrot  gefärbte 
reduzierte  Hämoglobin  zurückzu verwandeln.  Von  dem  Sauer- 
stoffbindungsvermögen des  Blutfarbstoffes  soll  nun  erst  später, 
bei  Behandlung  der  Stoffwechselvorgänge,  ausführlich  die  Rede  sein ; 
hier  sei  nur  noch  erwähnt,  daß  auch  das  Hämatin  als  Träger 
des  Sauerstoffes  in  zwei  Formen  existenzfähig  sein  muß:  einer 
oxydierten  und  einer  reduzierten.  Die  oxydierte  Form  ist  das 
Hämatin  als  solches.  Wird  eine  alkalische  Hämatinlösung 
(welche  in  durchfallendem  Lichte  rot,  in  dünnen  Schichten  jedoch 
grünlich  erscheint)  mit  einem  passenden  Reduktionsmittel,  z.  B 
mit  Hydrazinhydrat,  versetzt,  so  schlägt  die  Färbung  in  ein 
schönes  Kirschrot  um,  welches  der  Farbe  des  reduzierten  Hä- 
matins  oder  Hämochromogens  entspricht. 

Wer  sich  über  diese  interessante  Verbindung  genauer  belehren 
will,  sei  auf  die  prächtig  ausgestattete,  aus  dem  Kobertschen  Insti- 
tute hervorgegangene  Monographie  von  Walter  Dilling^)  ver- 
wiesen, (woselbst  auch  die  noch  gegenwärtig  strittige  Frage  über 
die  Art  der  Entstehung  des  Hämochromogens  unter  Einwirkung  von 
Pyridin,  Piperidin  u.  dgl.  ausführlich  erörtert  wird),  sowie  auf 
die  neuesten  Arbeiten  von  Zeyneks  und  seiner  Schüler*)  und  auf 
eine  das  Kohlenoxydhämochromogen  betreffende  Arbeit  von 
Pregl^)  aufmerksam  gemacht. 


i)  W.  Di  Hing,  Atlas  der  Kristallformen  und  der  Absorptionsbänder 
der  Hämochromogene,  mit  einem  Vorwort  von  R.  Kobert.  Verlag  von 
F.  Enke.    Stuttgart  1910. 

2)  F.  Bardachzi,  Z.  f.  physibl.  Chemie  70,  205  (1910).  E.  Kalmus, 
ibid.  218.     R.  V.  Zeynek,  ibid.  224.    Vgl.  auch  Cevidalli,  Arch.  ital.  de 

Biol.  43,  Z^7  (1905)- 

3)  F.   Pregl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  44,  173  (1905). 


Hämatin,  Bilirubin.  Urobilin.  213 


Das  Sauerstoffbindungsvermögen  des  Blutfarbstoffes  ist  also 
an  das  Eisenatom  in  seinem  Moleküle  geknüpft,  nicht  aber  seine 
Qualität  als  Farbstoff.  Durch  Einwirkung  starker  Säuren  gelingt 
es  leicht,  das  Eisen  aus  dem  Hämatinmoleküle  zu  entfernen,  und 
man  gelangt  so  zu  dem  Hämatoporphyrin,  dem  sein  präch- 
tiges, vierstreifiges  Spektrum  und  die  schöne  Färbung  seiner 
Lösungen  zu  einer  ziemlichen  Popularität  verholfen  haben. 

Die  Zusammensetzung  des  Hämatins^)  war  lange  Zeit  Zusammen- 
strittig. Trotzdem  es  bekanntlich  sehr  leicht  geüngt,  dasselbe  ^Häm^in^^ 
in  ein  kristallisier  bares  Derivat,  das  Hämin,  überzuführen  (jene 
Verbindung,  welche  sich  in  Form  zierlicher  mikroskopischer  Kri- 
stalle abscheidet,  wenn  man  Blutpulver  am  Objektträger  mit 
einer  Spur  Kochsalz  und  Eisessig  erwärmt),  und  auch  nachdem 
bereits  unzählige  Analysen  dieser  Verbindung  ausgeführt  worden 
waren,  konnte  man  sich  lange  Zeit  nicht  einmal  über  die  Relation 
Fe  :  N  ins  klare  kommen.  Jetzt  ist  der  Streit  so  ziemlich  erledigt, 
und  man  hat  sich  im  allgemeinen  auf  die  Hoppe-  Seylersche  Formel 
C34H34N4Fe05  soweit  geeinigt,  daß  wohl  nur  mehr  die  Zahl  der 
Wasserstoff atome  in  derselben  etwas  zweifelhaft  geblieben  ist. 
Es  hängt  dies  mit  der  Frage  zusammen,  ob  das  Eisen  im  Hämatin 
zwei-  oder  dreiwertig  sei. 

Nach  Küster^)  muß  man  aber  annehmen,  daß  das  Hämatin 
und  Hämin  das  Eisen  im  Ferrizustande  enthalten,  wobei  im 
ersteren  Falle  die  Hydroxyferrigruppe  =Fe — OH ,  im  letzteren  die 
Chlorferrigruppe  =Fe — Cl  mit  Pyrrolkomplexen  in  Verbindung 
steht.  Die  dem  Hämatin  entsprechende  Ferro  Verbindung  ist 
das  Hämochromogen.  (Die  Frage  der  Wertigkeit  des  Eisens 
im  Hämoglobin  soll  erst  bei  anderer  Gelegenheit,  wenn  von  dem 
Sauerstoffbindungsvermögen  desselben  die  Rede  ist,  erörtert 
werden.) 

Ist  das  Fe  im  Hämatin  demnach  als  dreiwertig  zu  betrachten, 
dann  würde  obige  (in  die  meisten  Lehrbücher  aufgenommene) 
Formel  der   Regel  widersprechen,    derzufolge  die  Summe  aller 


i)  Literatur  über  die  Zusammensetzung  des  H&matins  und  H£mins» 
F.  N.  Schulz,  Ergebn.  d.  Physiol.  1,  I,  511  (1902).  B.  v.  Reinbold» 
Biochem.  Handlexikon  6,  228 — 242  (1911). 

2)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  66,  165  (1910);  71,  loo  (191 1) 
und  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  43,  370  (1910). 


214  ^-  Vorlesung. 


Valenzen  in  einer  Formel  eine  gerade  sein  muß,  und  kämen 
vielmehr  die  Ausdrücke  C34H33N4Fe05  oder  Cs4Hs5N4Fe05  für 
das  Hämatin  und  C34H32N4Fe04Cl  oder  C34H34N4Fe04Cl  für 
das  Hänün  in  Betracht^). 

Alle  Behauptungen,  denen  zufolge  bei  der  Darstellung  des 
Hämins  mit  Hilfe  von  Eisessig,  Amylalkohol  u.  dgl.  diese  Ver- 
bindungen in  das  Molekül  eintreten  sollten,  sind  unrichtig.  Es 
gibt  kein  Azethämin  u.  dgl.,  sondern  nur  ein  Hämin.  Hetper 
und  Marchlewski  haben  gezeigt,  daß  man  ein  und  dasselbe  Hämin 
erhält,  wenn  man  bei  der  Darstellung  statt  der  Essigsäure  Pro- 
pionsäure benutzt*). 

Piettre  und  Vila^)  erhielten  durch  Behandlung  von  kristalli- 
siertem Hämoglobin  mit  ameisensäurehaltigem  Methylalkohol 
Kristalle  von  der  Beschaffenheit  der  gewöhnlichen  Häminkristalle, 
welche  jedoch  angeblich  kein  Chlor  enthielten.  Dieses  wäre 
demnach  kein  integrierender  Bestandteil  der  Häminkristalle. 

Überraschend  und  schwer  verständlich  ist  eine  Angabe  der 
genannten  Autoren,  derzufolge  es  ihnen  gelungen  wäre,  durch 
vorsichtige  »Verseifung«  dieses  kristallinischen  Hämatins  ebenso 
wie  auch  des  gewöhnlichen  Hämins  eine  stickstofffreie  Sub- 
stanz, anscheinend  eine  Fettsäure  in  relativ  großer  Ausbeute, 
einem  erheblichen  Bruchteile  der  Trockensubstanz  entsprechend, 
zu  gewinnen.  Eine  Nachprüfung  dieses  Befundes  wäre  dringend 
erwünscht,  um  so  mehr,  als  der  negative  Stickstoffbefund  mit 
Hilfe  der  unverläßlichen  Lasseigneschen  Probe  erhoben  worden  ist. 

Das  Hämatin  ebenso  wie  das  Hämin  enthält  jedenfalls  zwei 
Hydroxyle  von  sauerem  Charakter,  welche  es  befähigen,  ein 
Dinatriumsalz  und  andere  Salze  zu  bilden*).     Nach  Küster^) 


i)  M.  Nencki  und  Zaleski,  Z.  f.  physiol,  Chemie  43,  ii  (1904). 
P.  Eppinger,  Dissert.  München  1907.  W.  Küster  und  K.  Fuchs,  Ber. 
d.  deutsch,  ehem.  Ges.  40,  2023  (1907).  W.  Küster,  ibid.  43,  370  (1910) 
imd  Z.  f.  physiol.  Chemie  66,  169  (1910),  vgl.  auch  Reinbold,  1.  c. 

2)  J.  Hetper  und  L.  Marchlewski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  42,  65 
(1904),  vgl.  auch  St.  V.  Siewert  (Pharm.  Inst.  Straßburg),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  58,  386  (1908). 

3)  Piettre  und  Vila,  Compt.  Rend.  141,  734,  1041  (iS>o5)»  vgl.  auch 
Piettre,  ibid.  148,   1213  (1909). 

4)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  66,   191   (1910). 

5)  W.  Küster,  1.  c.  S.  248. 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  215 


wären  die  saueren  Eigenschaften  des  Hämins  und  Hämatins  mit 
hoher  Wahrscheinlichkeit  auf  das  Vorhandensein  zweier 
Karboxyle  zurückzuführen;  auch  Piloty  und  Merzbacher^)  sind 
zu  dem  gleichen  Resultate  gelangt  und  haben  weiterhin  die 
(inzwischen  bereits  fallen  gelassene)  Annahme  gemacht,  daß 
das  Eisenatom  im  Hämatin  und  Hämin  an  die  zwei  Karboxyl- 
gruppen  gebunden  sei. 

Dem  gegenüber  hat  aber  Richard  WillstäUer,  dessen  Forschun- 
gen über  das  Chlorophyll  die  Chemie  dieser  (dem  Hämatin  ver- 
wandten) Verbindung  auf  eine  neue  Basis  gebracht  haben,  darauf 
hingewiesen,  daß  (ebenso  wie  das  Magnesium  im  Chlorophyll) 
die  Chlorferrigruppe  im  Hämin  nur  an  den  Stickstoff  gebunden 
ist;  es  handelt  sich  in  beiden  Fällen  um  komplexe  Metallverbin- 
dungen, in  denen  die  Konfigurationen 

enthalten  sind  2). 

Es  wäre  übrigens  wirklich  nicht  einzusehen,  wie  im  Dime- 
thyläther  oder  im  Diäthyläther  des  Hämins,  wenn  das 
Eisenatom  an  zwei  Karboxylgruppen  gebunden  wäre,  gleich- 
zeitig zwei  Alkylgruppen  an  derselben  Stelle  ihr  Unterkommen 
finden  sollten.  Daß  diese  Äther  aber  tatsächüch,  einem  Eisen- 
atom entsprechend,  zwei  Alkoxylgruppen  enthalten,  geht  schon 
aus  den  Analysen  von  Nencki  und  Zaleski  hervor  8). 

In  seiner  neuesten  Arbeit  (s.  u.)  hat  übrigens  Piloty  die  An- 
nahme, daß  die  sauren  Hydroxyle  des  Hämatins  in  Karboxyl- 
gruppen enthalten  seien,  ganz  fallen  gelassen  und  denselben  die 
Stellung  von  Phenolgruppen  zugewiesen. 

Das  Hämin  ist  eine  reaktionsfähige  Verbindung.  Es  vermag 
nicht  nur,  wie  Küster^)  gefunden  hat,  bei  Einwirkung  von  sie- 
dendem Anilin  vier  bis  acht  Moleküle  dieser  Base   zu    ad- 


i)  O.   Piloty,  Annal.  d.  Chemie  366,  237  (1909).     O.   Piloty  und 
S.  Merzbacher,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  3253  (1909). 

2)  R.  Willstädter,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  3985  (1908). 

3)  M.  Nencki  und  J.  Zaleski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  30,  384  (1900). 

4)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  40,  423  (1904). 


2l6  X.  Vorlesung. 


phyrin. 


dieren,  sondern  kann  auch,  wie  ich  beobachtet  habe,  selbst  mit 
eiskaltem  Phenylhydrazin  unter  heftiger  Erhitzung  spontan 
reagieren.  Bei  der  Einwirkung  von  Bromphenylhydrazin 
ergab  sich  eine  Addition  von  drei  Molekülen  dieser  Verbindung 
auf  ein  Molekül  Hämin^). 

Durch  Einwirkung  bromwasserstoffsäuregesättigten  Eisessigs 

auf  Hämin  wird  (nach  einem  seinerzeit  von  Nencki  angegebenen 

Häniatopor-    Verfahren)    das    Hämin    in    Hämatoporphyrin    C34H3gN40e 

übergeführt.    Diese  Umsetzung  soll  nach  Zaleski^)  entsprechend 

der  Gleichung 

C84H88N4Fe04Cl  +  2H2O  +  2HBr  =  CsiHsg^^O«  +  FeBr«  +  HCl 

erfolgen. 

Von  den  sechs  Sauerstoffatomen  des  Hämatoporphyrins 
dürften,  den  vorerwähnten  Untersuchungen  Pilotys  entsprechend, 
vier  in  zwei  COOH-Gruppen  enthalten  sein;  die  zwei  anderen 
finden  sich  wahrscheinlich  in  alkoholischen  Hydroxylen.  Dem- 
entsprechend gibt  das  Hämatoporphyrin  ein  Dinatriumsalz 
C34H3eNa2N40e,  jedoch  Ester,  welche  vier  Alkylgruppen  ent- 
halten, z.  B.  C34H34(CH3)4N40e  ^).  Das  Hämatoporphyrin  ist 
nicht  nur  in  Alkalien,  sondern  auch  in  verdünnten  Mineralsäuren 
leicht  löslich  und  bildet  unter  Aufnahme  von  zwei  Molekülen 
Salzsäure  ein  charakteristisches  Chlorhydrat,  hat  demnach  gleich- 
zeitig saure  und  basische  Eigenschaften.  Es  wird  dies  darauf 
bezogen,  daß  beim  Übergange  von  Hämin  in  Hämatoporphyrin 
durch  Abspaltung  des  (an  Stickstoff  gebundenen)  Eisens  Imido- 
gruppen  frei  werden. 

Bei  Behandlung  des  Hämatoporphyrins  mit  Zinn  und  Salz- 
säure tritt  als  erstes  Reduktionsprodukt  das  Dcsoxy hämato- 
porphyrin C34H3gN406  auf*).  Ein  weiteres  Reduktionspro- 
dukt ist  das  Mcsoporphyrin  C34H33N4O4,  welches  Zaleski^) 
durch  Reduktion  des  Hämins  mit  Jodwasserstoff  und  Jodphos- 
phonium  erhalten  hat.    Ein  weiteres,  um  noch  zwei  Sauerstoff- 


i)  O.V.Fürth,  Annal.  d.  Chemie  351,  i  (1906)  (Festschr.  f.  A.  Lieben). 

2)  J.  Zaleski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  87,  74  (1902). 

3)  Vgl.  B.  V.  Reinbold,  1.  c.  S.  246 — 247  (Anmerkung). 

4)  O.  Piloty,  Annal.  d.  Chemie  366,  237  (1909). 

5)  J.  Zaleski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  87,  54  (1902). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  217 


atome  ärmeres  Produkt  ist  das  Phylloporphyrin  C34H33N4O2, 
welches  bisher  aber  noch  nicht  durch  direkte  Umwandlung  aus 
den  vorerwähnten  Verbindungen,  sondern  nur  als  Derivat  des 
Chlorophylls  (s.u.)  erhalten  worden  ist.  Die  Reihe  dieser  Ver- 
bindungen präsentiert  sich  also  folgendermaßen: 

Hämatoporphyrin  C3  4H3  8N40e 

Desoxyhämatoporphyrin  C  3 4H  3  8N4O  5 
Mesoporphyrin  C34H38N4O4 

Phylloporph  yrin  (^84H38N402 

Trotzdem  das  Hämatin  und  seine  Derivate  so  vielfach  unter-  Hämopyrro!. 
sucht  worden  waren,  gehörte  noch  vor  etwa  zehn  Jahren  der  Farb- 
stoff des  Blutes  zu  den  hinsichtlich  ihrer  chemischen  Konstitution 
völlig  unbekannten  Substanzen.  Es  fehlte  sogar  jeder  bestimmte 
Anhaltspunkt,  der  auch  nur  seine  Einreihung  in  eine  der  che- 
mischen Hauptkategorien  irgendwie  ermögücht  hätte.  Da  war 
es  das  Genie  Marcel  Nenckis,  das  hier  blitzlichtartig  das  tiefe 
Dunkel  erhellte  und  der  Forschung  neue  gangbare  Wege  wies ; 
und  zwar  geschah  es  durch  die  Entdeckung  des  Hämopyrrols, 
daß  der  tote  Punkt,  auf  den  die  Forschung  hier  angelangt  war, 
glücklich  überwunden  wurde. 

Indem  Nencki  und  Zaleski^)  Hämin  mit  Hilfe  von  konzen- 
trier tester  Jodwasserst  off  säure  und  von  Jodphosphonium  einer 
äußerst  energischen  Reduktion  unterwarfen  und  das  Reaktions- 
gemisch bei  alkalischer  Reaktion  destillierten,  wurde  das  Hämo- 
pyrrol  in  Form  eines  penetrant  riechenden,  flüchtigen,  leicht  ver- 
änderlichen Öles  von  stark  basischen  Eigenschaften  gewonnen. 
Dasselbe  wurde  in  Form  eines  Pikrates  und  einer  Quecksilber- 
chlorid-Doppelverbindung analysiert  und  als  ein  Pyrrolderivat 
von  der  Zusammensetzung  CgHigN  erkannt.  Die  Pyrrolnatur 
des  Produktes  verrät  sich  schon  durch  die  schöne  Rotfärbung, 
die  es  einem  mit  Salzsäure  befeuchteten  Fichtenspane  erteilt. 

Die  Reindarstellung  des  Hämopyrrols  ist  erst  vor  kurzem 
Piloty^)  in  München  gelungen.  Derselbe  ging  vom  Hämato- 
porphyrin aus,  das  in  rauchender  Salzsäure  gelöst,  mit  Hilfe  von 


i)  M.  Nencki  und  J.  Zaleski,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  84,  997 
(1901). 

2)  O.  Piloty,.Annal.  d.  Chemie  S66,  237  {1909).  O.  Piloty  und 
E.  Quitmann,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  46^3  (1909). 


2l8  X.  Vorlesung. 


Zinnchlorür  und  Stanniol  reduziert  wurde.  Aus  der  hellgelb 
gewordenen  Lösung  konnte,  nachdem  sie  durch  Elektrolyse  von 
Zinn  befreit  und  im  Vakuum  eingeengt  worden  war,  die  flüchtige 
Base  bei  sodaalkalischer  Reaktion  durch  einen  Dampfstrom  ab- 
destilliert werden.  Das  Rohöl  wurde  nunmehr  einer  sehr  sorg- 
fältigen fraktionierten  Destillation  unterworfen,  wobei  sich  aus 
den  höchstsiedenden  Fraktionen  flache  Tafeln  von  quadratischem 
Habitus  abschieden,  die  von  der  öligen  Mutterlauge  durch  Ab- 
saugen getrennt  werden  konnten.  Daß  man  das  Hämopyrrol 
früher  nur  in  öliger  Form  erhalten  hatte,  hegt  an  dem  Umstände, 
daß  das  Rohöl  neben  dem  Hämopyrrol  eine  Beimengung  enthält 
(vielleicht  ein  hydriertes  Derivat  des  Hämopyrrols),  welche  den 
Schmelzpunkt  desselben  außerordentlich  stark  herunterdrückt. 

Das  rohe  Hämopyrrol  wandelt  sich  leicht  beim  Stehen  an  der 
Luft  in  ein  rötlich  gefärbtes  Produkt  um,  das  in  einer  Reihe  seiner 
Eigenschaften  mit  dem  Urobilin  übereinstimmt;  auch  im 
Organismus  vollzieht  sich  eine  ähnliche  Umwandlung;  ob  es  sich 
aber  dabei  wirklich  um  Urobilin  als  solches  handelt,  ist  keineswegs 
festgestellt  und  erscheint  mir  (aus  später  ersichtlichen  Gründen) 
wenig  wahrscheinlich. 

Das  Hämopyrrol  gibt  eine  Reihe  zum  Teil  recht  kom- 
plizierter, intensiv  gefärbter  Azo-  und  Diazoverbindungen. 
So  ist  z.  B.  aus  Hämopyrrol  durch  Benzoldiazoniumchlorid  bei 
Gegenwart  von  Salzsäure  ein  in  blutroten  Säulen  kristalUsierendes 
Produkt  CgHiiN(CeH5— N=-N-)2  erhalten  worden i). 

Während  das  Hämopyrrol  früher  für  ein  Methyl- Propylpyrrol 
gegolten  hat,  ist  dasselbe  nunmehr  als  ein  Dimethyl-äthyl-pyrrol 
erkannt  worden  2): 

CH  3 — (^ — C — CH.  2 — CxT.  3 

II    I! 
HC   C-^CHj 

\/ 
NH 


i)  H.  Gold  mann,  G.  Hetper  und  L.  Marchlewski,  Z.  f.  ph3rsiol. 
Chemie  45,  176  (1905).  L.  Marchlewski  und  J.  Rettinger,  Biochem. 
Z.  10,  437  (1908)  und  Z.  f.  physiol.  Chemie  54,  151  (1907).  L.  March- 
lewski, ibid.  61,  276  (1909).  L.  Marchlewski  und  Mostowski,  ibid. 
51,  464  (1907);  5«,  316  (1908). 

2)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  55,  505  {1908).  L.  Marchlewski, 
ibid.  56,  319  (1908).  O.  Piloty  u.  E.  Quitmann,  Ber.  d.  deutsch, 
ehem.  Ges.  42,  4693  (1909).     O.  Piloty,  Annal.  d.  Chemie  377,  314  (19 10). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  219 


Als  eine  dem  Hämopyrrol  nahestehende  Substanz  ist  nach   Phonopyrroi- 
Piloty^)  die  Phonopyrrolkarbonsäure  karbonsäure. 

CH2.C-C~CH2.CH2.COOH 

CH,.(^  C 
NH 

ZU  betrachten,  welche  bei  Reduktion  des  in  rauchender  Salzsäure 
gelösten  Hämatoporphyrins  mit  Zinn  neben  dem  Hämopyrrol 
und  einer  noch  später  zu  besprechenden  Substanz,  der  Hämato- 
pyrrolidinsäure,  auftritt  und  dem  Rückstande,  welcher  nach 
Abtreiben  des  Hämop3nTols  zurückbleibt,  nach  Säurezusatz  durch 
Äther  entzogen  werden  kann. 

Der  Name  »Phonopyrrolkarbonsäure«  ist  von  qpovo^  = 
vergossenes  Blut  hergeleitet.  Früher  ist  dieselbe  Säure  als  H  ä  m  o  - 
pyrrolkarbonsäure  bezeichnet  worden.  Doch  hat  es  sich  er- 
geben, daß  die  Säure  nicht  mit  dem  Hämopyrrol 

C  H  3 — j-^ 1 — CH  2.CH  3 

LcHa  ,  sondern  mit  dem  isomeren  Phonopyrrol 


zusammenhängt. 
NH 
Von  der  Phonopyrrolkarbonsäure  und  dem  Hämopyrrol  lassen 
sich  auch  eine  Reihe  von  Derivaten  ableiten,  die  Küster^)  in 
einer  langen  Serie  vortrefflicher  Arbeiten  aus  den  verschieden- 
sten Hämatinderivaten  durch  Oxydationsprozesse  erhalten  hat; 
es  sind  dies  die  Hämatinsäuren  und  ihre  Derivate.     Nach-      Hämatin- 
stehendes    Schema   mag    Ihnen    den  Zusammenhang    derselben 
untereinander,    mit    dem    Hämopyrrol    und    mit    der   Hämato- 
pyrrolidinsäure  (s.u.)  klarmachen: 


1)  O.  Piloty,  Annal.  d.  Chemie  366,  237  (1909);  877i  3^4  (1910). 

2)  W.  Küster  und  Mitarbeiter,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  29,  821 
(1896);  30,  105  (1897);  32,  677  (1899);  33,  3021  (1900);  35,  1268,  2948 
(1902);  37,  2470  (1904)  und  Z.  f.  physiol.  Chemie  28,  i,  34  {1899);  44,  399 
(1905);  64,  301  {1908);  55,  505  (1908);  59,  6z  (1909);  «1,  1^4  (1909).  Vgl. 
auch  die  übersichtliche  Zusammenstellung:  Biochem.  Handlexikon  6, 
261 — 276  (1911). 


220 


X.  Vorlesung. 


Hämatopyrrolidinsäure 


2.CH2.COOH 


CH,- 

i;   ,. 

CUs-C   CH 

NH 

Phonopyrrolkarbonsäure 

Oxydation  unter 


\ 


CHj — C — C — CH2.CH3 

;i   i: 

HC   CH-CHs 
NH 


AbSprengung  einer 

Methylgruppe  a 

CH  s-C=C-<:H  2.CH  2.COOH 


CO   CO 
NH 


Hämopyrrol 

Oxydation 

unter 
Abspaltung 
einer 
Methyl- 
gruppe 
von 

Methyl  -Athylmaleinsäureimid 


Imid  der  dreihastschen  Hämatinsiure 

Abspaltung       ^  '  '\ 

\      von  CO2      ^  ^ 

aCHs-C=C-CH2.CH3      CHs-C-  =C-<:H2.CH2.C00H 


CO  CO 
NH 


CO  CO 
O 
Anhydrid  der  dreibasischen  H£mattnsäure 


CH,-C: 


iC — C  H  2  .CH  3 


CH.,-C 


COOH  COOH 
Methyläthylmaleinsäure 


=C-CH«.CH,.COOH 


COOH  COOH 
Dreibasische  Hämaünsäure 


Fast  dieselben  Substanzen,  wie  bei  der  Reduktion,  werden 
erhalten,  wenn  man  das  Hämatoporphyrin  mit  Hilfe  der  Kaii- 
sch melze  aufspaltet.  Man  erhält  auch  hier  basische  Bestand- 
teile, insbesondere  Hämopyrrol  und  eine  Säure,  die  mit  der  Phono- 
pyrrolkarbonsäure zwar  nicht  identisch,  ihr  aber  doch  äußerst 
ähnlich  ist.  Von  den  sechs  Sauerstoff atomen  des  Hämatopor- 
phyrins  finden  sich  anscheinend  vier  in  Form  von  zwei  COOH- 
Gruppen,  die  bei  der  Spaltung  als  Phonopyrrolkarbonsäure  zu- 
tage treten^). 
Hämatopyrro-  Außerordentlich  interessant  sind  die  Betrachtungen,  welche 
lidinsäure.  piioiy2)  über  die  Konstitution  der  Hämatopyrrolidinsäure 
angestellt  hat,  einer  Substanz,  welche  bei  Reduktion  des  Hä- 
matoporphyrins  mit  Zinn  oder  Zink  und  Salzsäure  auftritt,  und 


i)  O.   Piloty  und  S.  Merzbacher,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42 
3253,  3258  (1909). 

2)  O.  Piloty  und  E.  Quitmann,  Annal.  d.  Chemie  877,  314  (1910). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin. 


221 


welche   unter  gewissen  Versuchsbedingungen  leicht  als    Pikrat 
isoliert  werden  kann.     Dieser  Säure  wird  die  Konstitution 


COOH 
CH      NH 

-c     ^  c       n:.ch8 


CHs-C 

CH3 


-CCHo.Cr* 


x:h      c- 

NH         CH, 

zugeschrieben.  Sie  setzt  sich  also  aus  einem  Molekül  Phono- 
pyrrolkarbonsäure  und  einem  Molekül  Hämopyrrol  zu- 
sammen, und  der  Zerfall  derselben  kann  an  der  durch  den  Pfeil 
bezeichneten  Stelle  erfolgen. 

Piloty  vermutet,  daß  im  Hämin,  Hämatin  und  Hämato- 
porphyrin  die  Hämatopyrrolidinsäure  in  der  Form  des  Ring- 
S3^tems 

C-CH  2-COOH 


CH3-C 


C 


CH3 


NH 
x:^        ^C-CH 


8 


NH  C 

1 
R 


X 


C-  .CH  2  .CH  3 


enthalten  ist,  welches  sich  bei  der  Bildung  dieser  Säure  an  der 
durch  den  Pfeil  markierte  Stelle  aufspaltet.  Ein  solches  Ring- 
S3^tem,   das   Pyrrindol 


HC- 


-c/ 


/ 


HC^      /C, 

NH         CH 


NH 


/' 


CH 


welches  übrig  bleibt,  wenn  man  im  vorigen  die  Seitenketten  eli- 
miniert, wäre  dem  Anthracen  vergleichbar,  nur  daß  der  zentrale 
Sechsring  nicht  zwei  Benzole,  sondern  zwei  Pyrrolringe  mit- 
einander verbindet. 


Pyrrindol. 


222 


X.  Vorlesung. 


Pilotys 
Formelbilder 

für  das 

Hämatopor- 

phyrin  und 

Hämatin. 


Es  ist  ohne  weiteres  verständlich,  daß  Derivate  eines  solchen 
Systems  Farbstoff  Charakter  tragen;  auch  ist  es  Piloiy^)  be- 
reits gelungen,  ein  Derivat  dieser  Reihe,  das  Dimethyl-hydro- 
pyrrindol,  S3aithe tisch  darzustellen.  Dasselbe  neigt  stark  zur 
Polymerisation  und  geht,  mit  Oxydationsmitteln  behandelt, 
leicht  in  rote,  violette  und  grüne  Farbstoffe  über. 

Piloty^)  macht  nun  den  Versuch,  Formelbilder  für  das  Häma- 
tin, Hämin  und  Hämatoporphyrin  aufzustellen,  wobei  er  aller- 
dings ausdrücklich  betont,  daß  er  die  beigebrachten  Tatsachen 
zwar  für  hinreichend  hält,  um  eine  brauchbare  Arbeitshypothese 
zu  schaffen,  aber  keineswegs  für  genügend,  um  den  exakten  Be- 
weis für  die  aufgestellten  Formeln  durchzuführen. 

Es  darf  für  erwiesen  gelten,  daß  sich  der  Blutfarbstoff  aus 
vier  Pyrrolderivaten  aufbaut,  und  zwar  sind  dies  zwei  Moleküle 

Crl3.  C C.Cxi  2>Cxi  3 

Hämopyrrol       h.u  /CCH,  und   zwei   Moleküle   Phono- 

CH  3.C C-CH  2.CH  2.COOH 

pyrrolkarbonsäure    CHj.Cx  .tu,  Piloty  hält    es 

NH 
nun  weiterhin  für  erwiesen,  daß  ein  Molekül  Hämopyrrol  und 

ein  Molekül  Phonopyrrolkarbonsäure  fester  miteinander  ver- 
bunden seien,  als  das  andere  Paar  dieser  Komponenten,  so  daß 
das  erste  Paar  bei  der  Reduktion  mit  Metall  imd  Salzsäure  in 
Form  eines  noch  zusammenhängenden  Komplexes  erhalten  wird, 
der  Hämatopyrrolidinsäure,  während  das  andere  Paar 
einzeln  und  voneinander  losgelöst  auftritt. 

Piloty  stellt  nun  für  das  Hämatoporphyrin  C34H3gN40e 
folgendes  hypothetisches  Formelbild  auf: 

CH2.COOH  CHg.COOH  OH 


i 


CH,.C 


3- 


CH,.C 


XH 


NH 


CH|CH 


CH 


C-  -C 


/ 


CH 

\ 


C- 


C 


c 

ÖH 


-C.CH2   CH3.C 
CH3 


Y 


c. 


-C.CH2.CH3 

I 
'C.C  H3 


NH 


NH 


i)  O.   Piloty,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  43,  489  (1910). 
2)  O.   Piloty,  Annal.  d.  Chemie  877,  314  (1910). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin. 


223 


Es  erscheint  ganz  plausibel,  daß  ein  derartiger  Körper  bei 
energischer  Reduktion  leicht  in  Hämatopyrrolidinsäure,  Phono- 
pjrrolkarbonsäure  und  Hämopyrrol  zerfällt,  (die  Pfeile  deuten 
die  Stellen  an,  wo  sich  dieser  Zerfall  vollziehen  müßte),  daß  er 
femer  bei  gelinder  Reduktion  erst  ein  Hydroxyl  (Desoxyhämato- 
porphyrin  C34H38N4O5),  dann  das  andere  Hydroxyl  verliert 
(Mesoporphyrin  C34H3gN404);  daß  er  ein  Dinatriumsalz  bilden, 
vier  Alkylgruppen  und  auch  zwei  Moleküle  Salzsäure  binden  kann. 
Sie  erklärt  dagegen  nicht  die  (von  Piloty  angezweifelten)  Angabe 
Küsters'^),  derzufolge  ein  Molekül  Hämin  drei  bis  vier  Moleküle 
Hämatinsäure  liefern  könne,  läßt  vielmehr  nur  zwei  Moleküle 

dieser  Säure  erwarten. 

r-CHgCOOH  .t— CH2.CO) 

=  H2O  +    i         /         der 

NH  <--      N 

beiden  Karboxyle  und  gleichzeitigen  Ersatz  zweier  Imido- 
wasserstoffatome  durch  die  zweiwertige  Gruppe  =Fe(OH)  bzw. 
=FeCl  kann  man  sich  aus  dem  Hämatoporphyrin  das  Hämatin 
bzw.  Hämin  abgeleitet  denken: 

CO — CH2  OH 


Durch  Lactambildung 


CH2.CO 


CHa.C 

I 

CHa.C 


./ 


c/ 


c 


N 


N 

^^c^'   ^\c/ 


CH: 


=CH 


\c. 


c 


C.OH 


-0,Cri2*CH3*    0113.0 


\ 


\ 


CH- 


Ä 


-C- 


\c. 


-O.Cxio.C'H) 


/ 


/' 


-C 


N 


N 


CH3 


-Fe  (OH) 


Hämatin 

Soviel  über  die  Piloty  sehe  Hypothese.  Das  letzte  Wort  in 
dieser  schwierigen  Frage  ist  ja  sicherlich  noch  lange  nicht  ge- 
sprochen; doch  kann  man  jedenfalls  der  weiteren  Entwicklung 
derselben  mit  großem  Interesse  entgegensehen. 

Von  besonderer  allgemein -biologischer  Bedeutung  ist  die  Tat- 
sache, daß  das  Chlorophyll  bei  energischem  oxydativen  und 
reduktivem  Abbau  zu  denselben  Endprodukten  führt  wie  der 
Blutfarbstoff»). 

i)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  44,  399  (1905). 
2)  Literatur  über  Abbauprodukte  des  Chlorophylls:    R.  Willstädter, 
Biochem.  Handlexikon  6,  i — 22  (191 1). 


Abbaiipro- 

dukte  des 

Chlorophylls. 


224  ^'  Vorlesung. 


Beim  Abbau  des  Blattfarbstoffes  stießen  seinerzeit  Schunck 
und  Marchlewski  auf  das  bereits  erwähnte  Phylloporphyrin 
C34H3gN402,  desesn  Formel  sich  nur  durch  ein  Minus  von  4O 
von  derjenigen  des  Hämatoporphyrins  unterscheidet ;  auch  weisen 
die  Spektren  beider  Substanzen  eine  geradezu  überraschende 
Ähnlichkeit  miteinander  auf.  Marchlewski^)  stellte  durch  künst- 
liche Eisenanlagerung  an  das  Phylloporphyrin  einen  Farbstoff, 
das  Phyllohämin,  her,  welcher  in  höchst  frappanter  Weise  an 
die  Häminkristalle  erinnert.  Es  ist  femer  Nencki  und  March- 
lewski gelungen,  durch  Reduktion  von  Phyllocyanin  mit  Jod- 
wasserstoffsäure und  Jodphosphonium,  genau  wie  aus  Hämin, 
Hämopyrrol  zu  erhalten,  und  schließlich  gewann  Marchlewski 
sowie  auch  Willstädter  aus  einer  Reihe  von  Chlorophyllabkömm- 
lingen durch  oxydativen  Abbau  Substanzen,  welche  vollkommen 
mit  den  Hämatinsäuren  und  ihren  Derivaten  übereinstimmen. 

So  erscheint  denn  der  langgesuchte  Zusammenhang  zwi- 
schen den  respiratorischen  Pigmenten  des  Tierreiches 
und  den  assimilatorischen  Farbstoffen  des  Pflanzen- 
reiches nunmehr  definitiv  festgestellt  und  wiederum  ein  Stück 
jener  Scheidewand  gefallen,  welche  das  Tierreich  vom  Pflanzen- 
reiche trennt  und  welche  frühere  Generationen  mit  soviel  Respekt 
zu  betrachten  pflegten. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  schöne  Entdeckung  Will- 
Städters,  derzufolge  das  Chlorophyll  nicht  Eisen,  sondern  Magne- 
sium enthält,  und  zwar  in  ganz  ähnlicher  Weise  an  den  Stickstoff 
der  Pyrrolkerne  gebunden.  Offenbar  ist  sowohl  die  assimilato- 
rische Tätigkeit  des  Chlorophylls  als  auch  die  respiratorische 
Wirksamkeit  des  Hämoglobins  an  die  Gegenwart  von  Metallen 
geknüpft,  welche  allem  Anscheine  nach  hier  die  Rolle  von  Kata- 
lysatoren spielen  und  die  Reaktionsgeschwindigkeit  der  sich  in 
den  Organen  abspielenden  Prozesse  beeinflussen. 
Respiratori-  Es  scheint  nun  eine  Regel  zu  sein,  daß  die  Gegenwart  derartiger 

sehe  Färb-  metallischer  Katalysatoren  für  den  normalen  Ablauf  respira- 
torischer Vorgänge  notwendig  ist.  So  findet  sich  im  Blute  vieler 
Mollusken  und  Crustaceen  das  rote  Hämoglobin  durch  das  blaue 
Hämocyanin  vertreten;  das  arterielle  Blut  eines  Octopus  ist 


i)  L.  Marchlewski,  Biochem.  Z.  3,  320  (1907). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  225 

blau,  das  venöse  farblos.  Das  Hämocyanin  ist  nun  ein  kristalli- 
sierbarer Eiweißkörper,  der  ähnlich  wie  das  Hämoglobin  Sauer- 
stoff locker  zu  binden  vermag,  jedoch  merkwürdigerweise  kein 
Eisen,  sondern  Kupfer  enthält^). 

Wir  kennen  noch  eine  Reihe  anderer  »respiratorischer 
Farbstoffe«:  so  das  rote  Echinochrom  der  Seeigel,  das  rote 
Hämerythrin  gewisser  Gephyreen,  das  grüne  Chlorocruorin 
mancher  Borstenwürmer.  Dieselben  sind  erst  ganz  ungenügend 
chemisch  untersucht;  doch  scheint  in  allen  diesen  Pigmenten  die 
Gegenwart  organisch  gebundenen  Eisens  erwiesen  zu  sein. 

Es  ist  viel  über  die  Frage  gestritten  worden,  ob  das  Hämo-  Entstehung  des 
globin  im  Tierkörper  direkt  dem  Chlorophyll  des  Pflanzen-  "ä'"<>g'«>*''"«- 
reichs  entstammt.  Es  wäre  immerhin  denkbar,  daß  sich  dieses 
im  Organismus  des  Pflanzenfressers  direkt  oder  indirekt  in  Hämo- 
globin umwandelt,  und  daß  auch  das  Hämoglobin  des  Fleisch- 
fressers in  letzter  Linie  aus  dieser  Quelle  stammt.  Tatsache  aber 
ist  es  jedenfalls,  daß  der  embryonale  Organismus  Hämoglobin 
produzieren  kann,  ohne  hämoglobin-  oder  chlorophyllhaltige  Nali- 
rung  direkt  aufgenommen  zu  haben  und  daß  Pflanzenfresser 
auch  bei  chlorophyllfreier  Nahrung  zu  gedeihen  vermögen. 

Mir  scheint  die  Annahme  am  wahrscheinlichsten,  daß  der 
Zusammenhang  zwischen  Hämoglobin  und  Chlorophyll  darauf 
beruhen  dürfte,  daß  beide  demselben  ringförmigem  Kom- 
plexe im  Eiweißmoleküle  entstammen.  Wir  kennen  zwei 
Mosaiksteine  im  Wunderbau  des  riesigen  Eiweißmoleküles,  welche 
<ien  Pyrrolkem  enthalten,  also  jenen  Komplex,  welcher  dem 
Hämoglobin  und  Chlorophyll  gemeinsam  ist ;  es  ist  dies  die  t^y r ro  - 
lidinkarbonsäure  und  das  Tryptophan.  Es  ist  wohl  an- 
zunehmen, daß  einer  derselben  oder  beide  beim  Aufbau  des 
Hämatins  und  Chlorophylls  beteiligt  sind.  Die  Art,  wie  dies 
geschieht,  zu  ergründen,  ist  ein  Problem,  dessen  Lösung  wohl 
erst  den  Biochemikern  späterer  Generationen  vorbehalten  bleiben 
dürfte. 


i)  Literatur  über  Hämocyanin  und  andere  respiratorische  Farbstoffe 
wirbelloser  Tiere:  O.  v.  Fürth,  Vergl,  ehem.  Physiol.  d.  niederen  Tiere, 
S.  43 — III,  Jena  1903.  Vgl.  auch  M,  Henze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  48, 
290  (1906).  Ch.  Dher6,  C.  R.  See.  de  Biol.  64,  788  (1908).  C.  L.  Aisberg 
and  E.  D.  Clark,  Journ.  of  bioL  Chem.  8,   i   (1910). 

V.  Fürth,  Probleme.  I  c 


220  X.  Vorlesung. 


Hämato-  Das  Studium  der  Hämatinderivate  bietet  übrigens,  nebenbei 

^^^photo"  ^^  bemerkt,  nicht  nur  ein  ph3^iologisches,  sondern,  wie  aus  neuen 
biologischer  Versuchen  von  WaÜher  Hausmann  hervorgeht,  auch  ein  nicht 
isaor.  ggj^j^ggg  pathologisches  Interesse.  Es  hat  sich  nämlich  im  An- 
schlüsse an  die  bekannten  Untersuchungen  Tappeiners  und  seiner 
Schüler  über  photodynamische  Substanzen  herausgestellt,  daß 
das  Hämatoporphyrin  ebenso  wie  das  ihm  nahe  verwandte 
Chlorophyll  ein  stark  wirksamer  photobiologischer  Sensi- 
bilisator  ist,  welche  Eigenschaft  mit  der  Fluoreszenz  seiner 
Lösungen  zusammenzuhängen  scheint.  Während  z.  B.  Para- 
mäcien  in  einer  Hämatoporphyrinlösung,  solange  sie  sich  im 
Dunkeln  befinden,  kemerlei  Schaden  erleiden,  werden  sie  bei 
Belichtung  schnell  abgetötet.  In  ähnlicher  Weise  ist  ein  photo- 
dynamischer Effekt  an  roten  Blutkörperchen  nachweisbar, 
auf  die  eine  Hämatoporphyrinlösung  nur  im  Lichte  stark  hämoly- 
sierend  wirkt.  Ähnliches  gilt  aber  auch  für  lebende  Warmblüter. 
Weiße  Mäuse,  denen  eine  kleine  Hämatoporph3ninmenge  ein- 
geführt worden  ist,  verhalten  sich,  wenn  sie  im  Dunkeln  ver- 
weilen, noch  nach  Wochen  normal.  Im  Lichte  entwickelt  sich 
aber  sehr  schnell  ein  ganz  charakteristisches  Vergiftungsbild, 
welches  mit  Lichtscheu,  Dyspnoe,  Rötung  und  Schwellung  der 
Ohren  sowie  Hautödemen  einhergeht  und  schnell  zum  Tode 
führti). 

Nun  tritt  aber  das  Hämatoporphyrin  unter  gewissen  patho- 
logischen Verhältnissen  in  ziemlich  reichüchen  Mengen  im  Harne 
auf,  so  z.  B.  bei  der  Sulfonalvergiftung,  und  es  fragt  sich,  ob  nicht 
dabei  irgend  etwas  von  photodynamischer  Wirkung  zu  bemerken 
sei.  Es  ist  dies  auch  in  der  Tat  der  Fall.  Bei  der  unter  dem 
Namen  Hydroa  aestiva  bekannten  Hautkrankheit,  die  mit 
starker  Einwirkung  des  Sonnenlichtes  zusammenhängt,  ist  oft 
das  Zusammentreffen  der  Eruptionen  des  Exanthems  mit  dem 
Auftreten  von  Hämatoporphyrin  im  Harne  beobachtet  worden  2). 
Kaninchen  reagieren,  wenn  man  bei  ihnen  durch  Sulfonal  eine 


i)  W.  Hausmann  (Physiol.  Inst.  d.  Hochschule  f.  Bodenkultur  in 
Wien),  Biochem.  Z.  14,  275  (1908);  15,  12  (1908);  16,  294  (1909);  30,  276 
(1910)  und  Wiener  klin.  Wochenschr.  21,  Nr.  44  (1908);  22,  1820  (1909); 
28,   1287  (1910). 

2)  Vgl.  S.  Ehr  mann,  Arch.  f.  Dermatol.  97,  83  (1909). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  227 

Hämatoporphyrinurie  hervorruft,  auf  intensive  Belichtung  mit 
Hautaffektionen,  die  bei  normalen  Tieren  fehlen^).  In  einem 
Falle  von  Lebersyphilis,  die  mit  Hämatoporph3ninurie  ein- 
herging, wurden  Nekrosen  an  den  dem  Lichte  ausgesetzter 
Körperstellen  beobachtet*)  usw. 

Eine  merkwürdige  Vergiftung,  die  Buchweizenerkran- 
kung,  erinnert  durch  ihre  Erscheinungen  an  die  Sensibilisation 
durch  Hämatoporphyxin.  Auch  spricht  manches  dafür,  daß  eine 
der  großen  Plagen  der  Menschheit,  die  Pellagra,  zu  den  »Sensi- 
bilisationskrankheiten «  zu  rechnen  ist*).  Es  ist  festgestellt 
worden,  daß  die  Erjrtheme  der  Pellagrösen  mit  der  Belichtung 
zusammenhängen,  und  daß  die  Hautaffektionen  bei  denselben 
zu  beginnen  pflegen,  wenn  die  Kranken  im  Frühjahre  sich  in 
erhöhtem  Maße  dem  Sonnenlichte  aussetzen.  Mit  Rücksicht 
auf  die  Annahme,  daß  vorwiegende  Maisernährung  mit  der 
Pellagra  zusammenhänge,  sind  Beobachtungen  sehr  interessant, 
denen  zufolge  bei  mit  Mais  gefütterten  Tieren  charakteristische 
Hautveränderungen,  Haarausfall  u.  dgl.  im  Zusammenhange  mit 
der  Belichtung  auftreten  können.*). 

Etwas  besser  als  über  den  Aufbau  sind  wir  über  den  Abbau       Gallen- 
des  Blutfarbstoffes  im  Organismus  orientiert.     Wir  wissen,  daß    Beziehungen 
der  Gallenfarbstoff  als  das  wichtigste  phs^iologische  Abbau-  zwischen   Oai- 
produkt  desselben  zu  betrachten  ist  und  daß  diese  Umwandlung      farbstoff. 
sich  vorwiegend  in  der  Leber  vollzieht.     Wir  verdanken  diese 
Erkenntnis  vor  allem  den  bekannten  und  viel  zitierten  Arbeiten 
von  Naunyn,  Minkowski  und  Stadelmann,  aus  denen  hervorgeht, 
daß  der  Icterus  nach  Darreichung  von  blutkörperchenzerstören- 
den  Giften    (wie   Arsenwasserstoff,    Phosphor,   Toluylendiamin) 
kein  hämatogener,  sondern  ein  hepatogener  ist.     Derselbe 
kommt    einfach   dadurch   zustande,    daß   die  Gallenwege   nicht 
imstande    sind,    die   Abfuhr    des    (aus    dem    Hämatinmateriale 
zerfallender  Blutkörperchen  massenhaft  gebildeten)   Gallenfarb- 


i)  A.   Perutz,  Wiener  klin.  Wochenschr.  23,  122  (1910). 

2)  H.  Königstein  und  L.  Heß,  zit.  n.  Hausmann,   BicKhem.  Z. 

«0,  315  (1910). 

3)  W.  Hausmann,  Wiener  klin.  Wochenschr.  23,  1287  (1910). 

4)  Horbacewski,    Raubitschek    (zit.    n.    W.    Hausmann)    und 
A.  Lode,  Wiener  klin.  Wochenschr.  28,  1160  (1910). 

15* 


228  X.  Vorlesung. 


Stoffes  zu  bewältigen,  derart,  daß  sich  derselbe  durch  Rück- 
resorption in  das  Blut  zurückstaut.  Auch  intravenös  injiziertes 
Bilirubin  wird  durch  die  Galle  ausgeschieden.  Durch  Beobach- 
tungen an  einem  Gallenfistelhunde,  dem  abgemessene  Hämatin- 
mengen  subkutan  injiziert  worden  waren,  hat  Brugsch  festgestellt, 
daß  der  Übergang  von  Blutfarbstoff  in  Gallenfarbstoff  ein  nahezu 
quantitativer  ist^).  Hämatoporphyrin  wird  sicherlich  teilweise 
als  solches  in  der  Galle  ausgeschieden,  und  es  ist  fraglich,  ob 
es  zu  einer  Vermehrung  der  Gallenfarbstoff  menge  führt*). 

Es  ist  viel  über  die  Frage  gestritten  worden,  ob  auch  außerhalb 
der  Leber  die  Umwandlung  des  Blutfarbstoffes  in  Gallenfarbstoff 
sich  vollziehen  könne.  Das  von  Virchow  in  alten  Blutergüssen 
aufgefundene  Hämatoidin,  das  in  schön  ausgebildeten  Kristallen 
von  ziegel-  oder  rubinroter  Farbe  auftritt,  ist  ein  eisenfreier,  dem 
Bilirubin  oder  dem  Hämatoporphyrin  nahestehender  Farbstoff; 
Nencki  und  Zaleski  haben  es  für  Mesoporphyrin,  viele  andere 
Forscher  für  Bilirubin  gehalten.  In  der  Plazenta  des  Hundes 
und  der  Katze  findet  sich  ein  orangefarbener  kristallisierender 
Farbstoff  neben  einem  grünen,  amorphen  Pigmente;  es  scheint 
sich  dabei  interessanterweise  um  BiUrubin  und  Biliverdin  zu 
handeln^).  Pieitre^)  behauptet,  bei  Tieren,  denen  die  entleerte 
Gallenblase  mit  Blut  angefüllt  und  abgebunden  worden  war,  im 
Laufe  einiger  Monate  die  Neubildung  von  Bilirubin  auf  Kosten 
des  Hämoglobins  erzielt  zu  haben. 

Die  nahen  Beziehungen  des  Bilirubins  zum  Blutfarb- 
stoffe stehen  jedenfalls  außer  Frage.  Dasselbe  hat  die  Zu- 
sammensetzung C32H3eN40e  ^),  welche  derjenigen  des  Hämatom 
porphyrins  nahesteht.  Auch  sind  diese  beiden  Verbindungen 
früher  vielfach  als  Isomere  hingestellt  worden.  Bei  Oxydation 
des  Biürubins  mit  Chromsäure  in  Essigsäurelösung  ist  Häma- 


i)  Th. Brugschund  Joshimoto,Zeitschr.f.exper.  Pathol.  8,639(1911). 

2)  Th.  Brugsch  und  Kawashima,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  8,  645 
(1911). 

3)  C.  Etti,  Jahresber.  f.  Tierchemie  1,  233  (1871);  2,  287  (1872). 

4)  Piettre,  Compt.  Rend.  148,   1213  (1909). 

5)  W.  Küster,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  35,  1275  (1902)  und  Z.  f. 
physiol.  Chemie  59,  63  (1909).  W.  R.  Orndorff  und  J.  R.  Teeple,  Amcr. 
Chem.  Journ.  33,  215  (1905),  Chem.  Zentralbl.   1905   I,   1253. 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  229 


tinsäure^),  bei  seiner  Zinkstaubdestillation  H am opyrrol  nach- 
gewiesen worden  2). 

Das  Studium  des  Bilirubins  wird  durch  die  große  Umstand-  Bilirubin, 
hchkeit  seiner  Reindatstellung  wesentlich  erschwert.  Ein 
Verfahren,  um  Bilirubin  in  reinem,  kristallisiertem  Zustande 
direkt  aus  Galle  zu  gewinnen,  fehlt  einstweilen.  Man  bereitet 
dasselbe  nach  einem  von  Küster^)  herrührenden  Vorgange  am 
besten  aus  den  Gallensteinen  von  Rindern,  welche  sehr  reich  an 
Bilirubinkalk  sind.  Die  feingepulverten  Konkremente  werden 
zunächst  (zur  Beseitigung  des  Cholesterins  und  der  gallensauren 
Salze)  mit  Äther  und  siedendem  Wasser  erschöpft.  Aus  dem 
Bilirubinkalke  wird  sodann  der  Farbstoff  durch  Behandlung  mit 
Essigsäure  in  Freiheit  gesetzt;  es  folgt  eine  Behandlung  mit 
Wasser,  Alkohol  und  Eisessig  und  schHeßlich  mit  Chloroform. 
Die  Reindarstellung  erfolgt  durch  Umkristallisieren  aus  heißem 
DimethylaniUn  oder  auch*)  aus  einem  Gemenge  von  Chloroform 
mit  diesem  Lösungsmittel  oder  aber  endlich  aus  einer  Chloroform- 
Chininlösung.  Als  Nebenprodukt  tritt  dabei  in  reichlichen  Men- 
gen ein  amorpher  grüner  Farbstoff,  das  Choleprasin,  auf,  das 
sich  durch  seine  Schwerlöslichkeit  in  Alkohol  vom  Biliverdin 
unterscheidet  und  offenbar  sekundären  Um wandlungs Vorgängen, 
welche  die  Ausbeute  wesentlich  beeinträchtigen,  seine  Entstehung 
verdankt.  Man  erhält  so  schließhcli  das  Bilirubin  in  Form  von 
dunkelroten  schiefen  Säulen  oder  von  keulen-  und  wetzstein- 
förmigen  Kristallen^). 

Bekanntlich  geht  das  Bilirubin  durch  Oxydation  leicht  in 
andere  grün,  blau,  rot  und  gelb  gefärbte  Farbstoffe  über  und 
betüht  die  Gmelinsche  Reaktion  mit  ihren  unzähligen 
Modifikationen  auf  dieser  Tatsache.     Die  unter  Einwirkung  des 


i)  W.  Küster,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  32,  67/  (1899). 

2)  Orndorff  und  Tecple,  1.  c. 

3)  W.  Küster,  Z.  f.  physiol.  Chemie  26,  314  (1899);  47,  294  (1906)  und 
llaodb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  635 — 640  (1910). 

4)  W.  R.  Orndorff  und  J.  R.  Teeplc,  1.  c. 

5)  Literatur  über  Gallenfarbstoffe:  F.N.Schulz,  Ergebn.  d.  Physiol.  2, 
l,  174 — 179(1903).  Fr.  Müller,  Handb.  d.  Biochemie  1,  731 — 735  (1909), 
B.  V.  Reinbold,  Biochem.  Handlexikon  6,  277 — 292  (1911).  R.  v.  Zeynck 
in  »Der  Harn«,  Handb.  hcrausgeg.  von  C.  Xeubcrg,  Berlin,  J.  Springer, 
191 1,  S.  948 — 955. 


230  X.  Vorlesung. 


Luftsauerstoffes,  sowie  bei  vorsichtiger  Oxydation  mit  Jod  u.  dgL 
auftretende  grüne  Färbung  rührt  von  Biliverdin  C32H5eN40<j 
her;  bei  weiterer  Oxydation  tritt  das  blaue,  schön  fluoreszierende 
Cholecyanin  und  schließlich  das  bräunlichgelbe  Choletelin 
(C32H86N4O12?)  auf. 

Obermayer  und  Popper^)  haben  durch  Anwendung  einer  äußerst 
empfindlichen  Reaktion  (blaugrüner  Ring  bei  Schichtimg  mit 
einer  kochsalz-  und  jodkaliumhaltigen  Jodtinktur)  gezeigt,  daß 
der  Gallenfarbstoff,  welcher  auch  im  Harne  Gesunder  spurenweise 
auftritt,  bei  gewissen  Krankheiten,  ohne  daß  Icterus  vorhanden 
zu  sein  braucht,  vermehrt  ausgeschieden  wird;  so  bei  Leber- 
krankheiten, unkompensierten  Herzfehlern,  Pneumonie, 
Gelenkrheumatismus  usw.  Auch  im  pneumonischen  Spu- 
tum ist  regelmäßig  Bilirubin  vorhanden. 
Biiipurpurin.  Dem  mit  einer  Mineralsäure  angesäuerten  Alkoholextrakte  aus 
Rindergalle  kann  durch  Äther  ein  Farbstoff  entzogen  werden, 
das  Biiipurpurin  von  Löbisch%  das  in  dunkel  violetten,  metal- 
lisch glänzenden  Schuppen  kristallisiert  imd  dessen  Lösimgen 
durch  ihren  schönen  Dichroismus  ausgezeichnet  sind;  sie  er- 
scheinen rot  violett  im  durchfallenden,  grün  im  auffallenden  Lichte. 
Es  scheint  sich  hier  um  ein  Anhydrid  des  Bilirubins  zu  handeln : 
CsgHseN^Oe— H20=C32H34N405 . 

Andererseits  \idJi  Marchlewski^)  gezeigt,  daß  das  Biiipurpurin, 
welches  mit  dem  »Cholehämat  in«  älterer  Autoren  identisch  ist, 
auch  mit  dem  Phylloerythrin  übereinstimmt,  einem  Umwand- 
lungsprodukte des  Chlorophylls,  das  aus  dem  Fäces  mit  Gras  ge- 
fütterter Kühe  gewonnen  werden  kann.  Es  macht  also  den  Ein- 
druck, als  ob  ein  Umwandlungsprodukt  des  Chlorophylls, 
das  aus  dem  Darme  resorbiert  worden  ist,  mit  der  Galle  zur 
Ausscheidung  gelangen  könnte.  Die  Galle  scheint  übrigens  auch 
ungefärbte  Vorstufen  dieses  Pigmentes  zu  enthalten,  aus  denen 


i)  F.  Obermayer  und  H.  Popper,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908, 
895. 

2)  W.  F.  Löbisch  und  M.  Fischler,  Monatsh.  f.  Chemie  24,  335 
(1903)  und  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.  Kl.  112,  II  b, 

159  (1903). 

3)  L.  Marchlewski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  43,  207  (1904);  45,  466 

(1905). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobüin.  23 1 


dasselbe  unter  Einwirkung  des  Luftsauerstoffes  entsteht.  Aus 
Galle  von  Schafen  verschwindet  dieser  Farbstoff  bei  chlorophyll- 
freier Trockenfütterung,  um  nach  Grasfütterung  sogleich  wieder 
zu  erscheinen. 

In  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  der  Frage  des  Häma-  UroblUn. 
tinabbaues  im  Tierkörper  steht  das  Problem  des  Urobilins, 
als  eines  Farbstoffes,  welcher  einer  Reduktion  des  Gallen- 
farbstoffes im  Darme  seine  Entstehung  verdankt.  Diese  von 
Jaffe  in  den  sechziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  entdeckte 
interessante  Substanz  entsteht  im  Harne  aus  einem  farblosen 
Chromogen,  dem  (von  Sa*7fo^  genauer  studierten)  Urobilinogen, 
das  sich  mit  größter  Leichtigkeit  in  Urobüin  umwandelt.  Im 
frischen,  normalen  Harne  kommt  nach  Sattlet  nur  Urobilinogen 
vor;  in  pathologischen  Hamen  kann  anscheinend  gelegentlich 
auch  fertig  gebildetes  Urobilin  zur  Ausscheidimg  gelangen. 

Die  Literatiu"  über  das  Urobilin  ist  außerordentüch  umfang- 
reich und  voll  von  Widersprüchen  i).  Die  Urobiline,  die  von  zahl- 
reichen Autoren*)  dargestellt  worden  sind,  werden  keineswegs 
gleichlautend  geschildert,  und  noch  viel  weniger  gilt  dies  von  den 
sogenannten  Urobilinoiden,  die  durch  Reduktion  bzw.  Oxy- 
dation aus  Gallenfarbstoffen,  aus  Hämopyrrol  und  anderen  Blut- 
farbstoffderivaten  erhalten  worden  sind.  Da  nun  aber  das  Uro- 
bilin in  sehr  geringen  Mengen  zugänglich  ist,  konnten  die  meisten 
der  chemischen  Kriterien,  die  man  sonst  zur  Prüfung  der  che- 
mischen Reinheit  imd  Einheitüchkeit  anzuwenden  pflegt,  hier 
nicht  in  Betracht  kommen.  Man  hat  daher  stets  auf  die  optische 
Untersuchung  dieses  Farbstoffes  den  größten  Wert  gelegt,  um- 
somehr  als  er  durch  sein  wohlcharakterisiertes  spektrales  Ver- 
halten und  durch  die  prächtige  Färbung  seiner  Lösungen  aus- 
gezeichnet ist:  eine  ammoniakalische  Lösung  desselben  erscheint 


i)  Literatur  über  Urobilin:  Neubauer  und  Huppert,  Anal3rse  des 
Harns,  10.  Aufl.  1898,  513 — 535.  H.  Kayser,  Handb.  d.  Spektroskopie 
4,164 — 172(1908).  K. Thomas,  Über  Urobilinogen.  Inaug.-Dissert.  Frei- 
burg  (1907).  O.  Hammarsten,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemiep  S.  702 — 707, 
7.  Aufl.  1910.  F.  Müller,  Handb.  d.  Biochemie  1,  y^6 — 739  (1909). 
A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  631 — 634  (1910).  B.  v.  Rein- 
bold,  Biochem.  Handlexikon  6,  282 — 288  (191 1). 

2)  Jaffe,  Mac  Munn,  Eichholz,  Garrodu.  Hopkins,  Sailletu.  a. 


2-32  X.  Vorlesung. 


bei  Gegenwart  von  etwas  Chlorzink  rosarot  mit  prachtvoller, 
grüner  Fluoreszenz. 

Auch  bei  den  Versuchen  zur  quantitativen  Bestimmung 
des  Urobilins  waren  die  optischen  Qualitäten  desselben  aus- 
schlaggebend. Den  älteren  Methoden  gegenüber  (die  auf  der 
Beobachtung  der  Schichtendicke  oder  Verdünnung  beruhten,  bei 
welchen  der  charakteristische  Absorptionsstreifen  oder  die  Fluo- 
reszenz des  Urobilins  eben  bemerkbar  wurde  oder  verschwand) 
stellte  ein  von  Friedrich  Müller  und  Dietrich  Gerhardt^)  ausgear- 
spektrophoto-  beitetes  spektrophotometrisches  Urobilinbestimmungs- 
"biHnbestinv^'  verfahren  einen  wesentlichen  Fortschritt  dar;  doch  nimmt 
miinR.  auch  dieses  Verfahren  auf  die  ungemein  große  Labilität  des  Uro- 
bilins niclit  ausreichende  Rücksicht;  auch  wurde,  da  das  Absorp- 
tionsverhältnis des  Urobihns  damals  nicht  bekannt  war,  dasjenige 
des  nahe  verwandten  Hydrobilirubins  von  Maly,  welches  durch 
Reduktion  aus  dem  Bilirubin  hervorgeht,  den  Berechnungen  zu- 
grunde gelegt. 

Nun  bietet  aber  die  spektrophotometrische  Methode,  insbeson- 
dere die  Ermittelung  des  Absorptionsverhältnisses  eines 
mit  einem  charakteristischen  Absorptionsspektrum  ausgestat- 
teten Farbstoffes  (durch  Ermittelung  des  bei  einer  Lösungskonzen- 
tration C  gegebenen  Extinktionskoeffizienten  E  nach  der  Relation 

A  =  ^)  einen  außerordentlich  wertvollen  Maßstab  seiner  Rein- 
heit. Von  zwei  miteinander  zu  vergleichenden  Präparaten  eines 
und  desselben  Farbstoffes  wird  man  dasjenige  als  das  reinere  zu 
betrachten  haben,  welches  ein  größeres  Extinktions vermögen  und 
dementsprechend  das  kleinere  Absorptionsverhältnis  besitzt,  da- 
her bereits  in  geringerer  Konzentration  das  gleiche  Extinktions- 
vermögen geltend  macht. 

Ich  habe  daher  einen  meiner  Schüler,  Herrn  Charnas^),  ver-- 
anlaßt,  auf  dem  Wege  der  quantitativen  Spektrophotometrie  zu 
ermitteln,  wie  die  Reindarstellung  und  quantitative  Bestimmung 
des  Urobilins  in  rationeller  Weise  bewerkstelligt  w;erden  könnte. 

Es  hat  sich  nun. herausgestellt,  daß  das  Urobilin  nicht  nur 
gegen  gröbere  chemische  Eingriffe,  wie  Säure-  und  Alkalieinwir- 


i)  D.  Gerhardt,  Inaug.-Dissert.  Berlin  1899,  Z.  f.  klin.  Med.  32  (11^97). 
2)  D.  Charnas,  Biochem.  Z.  20,  401   (1908). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  233 


kung  in  der  Wärme,  sondern  auch  gegen  die  dauernde  Einwirkung 
»indifferenter«  Lösungsmittel,  wie  Alkohol,  Chloroform  u.dgl. 
sowie  gegen  Belichtung  so  außerordentlich  empfindlich  ist  und 
davon  in  seiner  Färbekraft  in  so  hohem  Grade  beeinträchtigt 
wird,  daß  die  Versuche,  das  fertige  Urobilin  in  exakter  Weise 
auf  spektrophotometrischem  Wege  zu  bestimmen,  von.  vornherein 
aussichtslos  erscheinen  mußten. 

Die  Reindarstellung  und  quantitative  Bestimmung  des  Uro-   UrobiUnogen. 
bihns   gelingt   vorderhand   wenigstens   nur   auf   dem   Wege   des 
Urobilinogens. 

Die  Überfülu-ung  des  Urobilins  in  Urobilinogen  kann  in 
leidlicher  Weise  durch  Reduktion  mit  Natriumamalgam  in 
Sodalösung  bewerkstelligt  werden,  wenn  das  neu  entstehende 
Alkali  durch  gleichzeitige  Einleitung  eines  Kohlensäurestromes 
beseitigt  wird.  Doch  ist  bei  jedem  chemischen  Reduktions- 
verfahren die  Gefahr  der  »Überreduktion«  unter  Verlusten  an 
Urobilinogen  vorhanden.  Dagegen  gelingt  die  Überführung  des 
Urobilins  in  Urobilinogen  im  Harne  sehr  leicht  imd  anscheinend 
vollständig  durch  Einleitung  der  alkalischen  Harngärung. 
Durch  ein  geeignetes  Verfahren,  wobei  der  vergorene  Harn  mit 
Weinsäure  angesäuert  und  mit  Äther  extrahiert,  der  Extrakt 
schließlich  durch  Petroläther  von  Verunreinigungen  befreit  wird,  ge- 
lingt es,  völlig  farblose  Urobilinogenlösungen  zu  erhalten. 

Wird  eine  solche  Lösung  belichtet,  so  wandelt  sich  die  Sub- 
stanz schnell  in  Urobilin  um,  welches  dann  vermittelst  einer 
äußerst  vorsichtigen  Behandlung  (durch  Aussalzung  mit  Ammon- 
sulfat,  Alkoholextraktion  bei  niederer  Temperatur,  Eindunsten 
i^nd  Trocknen  im  Vakuum  bei  sehr  niedrigem  Drucke)  rein  ge- 
wonnen werden  kann. 

Das  reine  Urobihn  stellt  ein  amorphes  Pulver  von  grünlicliem  Verhalten  des 
Metallglanze  dar,  dessen  Lösungen  durch  ihre  schönen,  satten  uns. 
Färbungen,  sowie  durch  ihre  prachtvolle  Fluoreszenz  ausgezeichnet 
sind.  Die  elementare  Zusammensetzung  desselben  ist  noch  nicht 
mit  Sicherheit  festgestellt,  doch  geht  schon  aus  den  vorliegenden 
orientierenden  Analysen  mit  Sicherheit  hervor,  daß  die  von 
Garrod  und  Hopkins^)  geäußerte  Meinung,  das  Urobilin  enthalte 

1)  A.  E.  Garrod  und  F.  G.  Hopkins,  Joiirn.  of  Physiol.  29,  112 
(1896);  22,  451   (189.8). 


234 


X.  Vorlesung. 


Bestimmung 

des    UrobilU 

nogens. 


nur  etwa  halb  soviel  Stickstoff  wie  das  Hydrobilinibin  bzw. 
das  Bilirubin,  unzutreffend  ist;  der  Stickst  off gehalt  des  Urobilins 
steht  vielmehr  demjenigen  der  genannten  Verbindungen  sehr 
nahe.  Das  Extinktions vermögen  als  Maß  für  die  Färbekraft 
erwies  sich  für  dieses  reinste  Urobilin  außerordentlich  hoch  und 
übertrifft  dasjenige  des  Hydrobilirubins,  welches,  auf  Grund 
von  Vterordts  Ermittelungen,  bisher  der  Bestimmung  des  Uro- 
bilins zugrunde  gelegt  worden  war,  um  ein  Mehrfaches.  Die 
älteren  Zahlenangaben  über  den  absoluten  Urobilingehalt  des 
Harnes  sind  also,  da  auf  Basis  unrichtiger  Standardzahlen  ge- 
wonnen, nicht  brauchbar,  und  dies  um  so  weniger,  als  die  Zer- 
setzlichkeit  des  Urobilins  und  seine  Neubildung  aus  etwa  noch 
vorhandenem  Urobilinogen  dabei  nicht  genügend  berück- 
sichtigt worden  ist. 

Nun  liegt  es  aber  auf  der  Hand,  daß  es  für  ph5^iologische 
Zwecke  vor  allem  darauf  ankommt,  die  Summe  Urobilin  +Uro- 
bilinogen  zu  bestimmen;  diese  ist  von  Interesse,  nicht  aber 
jener  zufällige  Bruchteil  des  Urobilinogens,  der  sich  gerade  unter 
den  gegebenen  Verhältnissen  bereits  in  Urobilin  umgewandelt  hat. 

Das  Problem,  diese  Summe  Urobilin +Urobilinogen  im 
Harne  quantitativ  zu  bestimmen,  ist  nun  von  Charnas 
in  der  Weise  gelöst  worden,  daß  zunächst  durch  Vergärung 
des  Harnes  alles  darin  vorhandene  Urobilin  in  Urobilinogen 
umgewandelt  wird.  Sodann  wird  angesäuert,  ausgeäthert  und 
die  Urobilinogenlösung,  wenn  nötig,  durch  Petroläther  von  ver- 
unreinigenden Farbstoffen  befreit. 

Die  quantitative  Bestimmung  des  Urobilinogens  erfolgt 
schließlich  auf  spektrophotometrischem  Wege  mit  Hilfe  der 
Ehrlichschen   Reaktion   mit   Dimethylamidobenzalde- 

hyd^)  CflH^/    xCH,  und  beruht  auf  der  Tatsache,  daß  sich  dieses 

\COH 

Reagens  in  einer  mineralsäurehaltigen  Lösung  mit  Urobilinogen 
unter  Bildung  eines  roten,  durch  einen  charakteristischen  Absorp- 
tionsstreifen ausgezeichneten  Farbstoffes  umsetzt.    Unter  genauer 


i)  P.  Ehrlich,  Med.  Woche  1901,  151.  Pröscher  (Labor,  von  Ehr- 
lich), Z.  f.  physiol.  Chemie  81,  520  (1900).  O.  Neubauer,  Münchener 
med.  Wochenschr.  1903,  1846.  R.  Bauer  (Klinik  Neußer,  Wien),  Zen- 
tralbl.  f.  innere  Med.  26,  833  (1905).     K.  Thomas,  1.  c. 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  235 


Einhaltung  gewisser  Kautelen  erfolgt  diese  Umsetzung  quanti- 
tativ. 

Man  kann  die  spektrophotometrische  Bestimmung  auf  ge- 
wichtsanalytischem Wege  unter  Verwertung  eines  von  Saillet 
angegebenen  Prinzipes  kontrollieren,  indem  man  die  ätherische 
Urobilinlösung  im  Scheidetrichter  mit  reinem  Wasser  versetzt 
und  zur  Überführung  in  Urobilin  einen  Tag  dem  Sonnenlichte 
aussetzt.  Das  Urobilin  wird  (im  Gegensatze  zum  ätherlöslichen 
Urobilinogen)  vom  Wasser  leicht  aufgenommen,  aus  seiner  Lösung 
durch  Sättigung  mit  Ammonsulfat  gefällt,  abfiltriert,  lufttrocken 
mit  absolutem  Alkohol  extrahiert  und  die  filtrierte  alkoholische 
Lösung  schließlich  in  einem  gewogenen  Schälchen  getrocknet  und 
zur  Wägung  gebracht. 

Die  Arbeiten  über  die  physiologische  Bedeutung  des  Urobilins 
hatten  unter  dem  Umstände  zu  leiden,  daß  eine  exakte  Methode 
zur  Bestimmung  des  Hamurobilins  bis  vor  kurzem  nicht  existiert 
hat  und  eine  solche  zur  genauen  Ermittelung  des  Urobilingehaltes 
der  Fäces  auch  heute  noch  nicht  ausgearbeitet  ist.  So  wird  es 
erklärlich,  daß  die  Rolle,  welche  dem  Urobilin  im  Haushalte  des 
normalen  und  pathologisch  veränderten  Organismus  zukommt, 
recht  unvollkommen  bekannt  ist. 

Im   normalen   Organismus   ist   der   Ursprung   des   Urobilins  Reduktion  des 
sicherlich,  wie  Friedrich  Müller  angegeben  hat,  ein  enterogener.  urobiün^    im 
Das  Bilirubin    der  Galle   wird   im   Darme   durch   einen       Darme. 
Reduktionsprozeß    infolge    des  Zusammenwirkens    der 
Darmbakterien  mit   der  Schleimhaut  zu  Urobilinogen 
umgewandelt.    Doch  scheint  letztere,  nach  den  neuen  Unter- 
suchungen von  Steensma  ^)  nur  eine  untergeordnete  Rolle  zu  spielen, 
indem  ihre  Bedeutung  sich  darauf  beschränken  dürfte,  die  Reduk- 
tionswirkung, welche  von  anaeroben  Bakterien  ausgeübt  wird, 
zu  begünstigen.  (Dagegen  hatten  französische  Autoren  behauptet*), 
die  Reduktionswirkung  sei  im  wesentlichen  durch  die  Wirkung 
der  Epithelzellen  bedingt;  dieselbe  bleibe  in  Kulturen  der  Darm- 
bakterien aus,  werde  dagegen  durch  Extrakte  aus  der  Dünndarm- 


i)  F.  A.  Steensma,  Mitteü.  am  VIII.  Internat.  Physiologenkongreß, 
Wien,  Sept.  19 10,  Zentralbl.  f.  Phj^iol.  24,  816  (1910). 

2)  Gilbert  und  Hercher,  C.  R.  See.  de  Biol.  $S,  597,  802  (1907). 


236  X.  Vorlesung. 

Schleimhaut,  angeblich  unter  Mitwirkung  einer  Katalase,  prompt 
bewirkt.)  Die  Reduktion  erfolgt  unter  normalen  Verhältnissen 
vorwiegend  im  Dickdarme,  also  dort,  wo  die  bakteriellen  Pro- 
zesse die  größte  Rolle  spielen.  Es  ist  oline  weiteres  verständlicli, 
weshalb  starke  Abführmittel  die  Urobilinausscheidung  im 
Harne  herabsetzen,  und  weshalb  dieselbe  bei  Abschluß  der 
Galle  vom  Darme  ganz  sistiert;  warum  ferner  beim  Säuglinge 
das  Auftreten  des  Urobilins  mit  demjenigen  einer  bakteriellen 
Darmflora  zusammentrifft.  Die  Reduktion  des  Bilirubins  ist 
unter  normalen  Verhältnissen  eine  so  intensive,  daß  die  frischen 
Fäces  keinen  Gallenfarbstoff  enthalten,  sondern  nur  Urobili- 
nogen,  welches  an  der  Luft  sehr  bald  in  Urobilin  übergeht.  Die 
Behauptung,  daß  die  Färbung  des  Fäces  im  wesentlichen  vom 
Urobilin  herrühre,  ist  sicherlich  unrichtig  *).  Beim  Kaninchen 
fehlt  das  Urobilin  sowohl  im  Darme  als  auch  in  den  Fäces  2). 
Hemibiiirubin.  Es  ist  nun  für  die  Urobilinfrage  von  größtem  Interesse,  daß 
es  kürzlich  Hans  Fischer^)  auf  der  Klinik  Friedrich  Müllers  in 
München  gelungen  ist,  eine  urobilinogenartige  Substanz  durch 
Reduktion  von  Bilirubin  mit  Natriumamalgam  in  schön  kristalli- 
siertem Zustande  zu  erhalten.  Die  Isolierung  dieses  Körpers, 
die  unter  strengem  Ausschluß  von  Sauerstoff  erfolgen  muß, 
beruht  darauf,  daß  sich  derselbe  sowohl  aus  sauerer  als  auch 
aus  alkalischer  Lösung  mit  Chloroform  extrahieren  läßt.  Aus 
Essigäther  und  Ligroin  kristallisiert  derselbe  in  scliönen,  großen 
Prismen.  Demselben  kommt  die  Zusammensetzung  CigHgjNgOs 
zu,  und  man  könnte  sich  ihn  aus  dem  halben  Moleküle  des 
Bilirubins  C32H86N4OQ  durch  einfache  Aufnahme  von  zwei 
Wasserstoff atomen  entstanden  denken.  Eine  Lösung  dieser  Sub- 
stanz, für  welche  der  Entdecker  den  Namen  Hemibiiirubin 
vorschlägt,  verhält  sich,  von  ihrem  neutralen  Charakter  abgesehen, 
ähnlich  wie  eine  Urobilinogenlösung:  sie  gibt  die  Reaktion  mit 
Dimethylamidobenzaldehyd  und  wandelt  sich  an  der  Luft  mit 
großer    Schnelligkeit    in     einen    orangeroten,    sodann     braunen 


1)  F.  A.  Steensma,  1.  c. 

2)  Fromhold  (Laborat.  Salkowski),  Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  340(1907) 
und  Zeitschr.  f.  cxper.  Pathol.  9,  268  (1911)  (Therap.  Klinik  Moskau). 

3)H.    Fischer   (Klinik   Friedrich    Müller,    München),    Z.    f.    physiol. 
Chemie  73,  204  (1911). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  237 


Farbstoff  mit  grünem  Oberflächenschimmer  um,  der  das  spek- 
trale Verhalten  und  die  Reaktionen  des  Urobilins  zeigt. 

Ein  Teil  des  im  Darme  gebildeten  Urobilinogens  gelangt  mit  Kreislauf  des 
den  Fäces  zur  Ausscheidung.  Ein  anderer  Teil  aber  wird  resor- 
biert und  durch  den  Blutkreislauf  der  Leber  zugeführt,  gelangt 
von  dort  aus  in  die  Galle  und  mit  dieser  in  den  Darm  zurück, 
vollführt  also  einen  vollständigen  Kreislauf.  Ob  allerdings 
der  Hauptanteil  des  resorbierten  Urobilins  sich  an  diesem  Kreis- 
laufe beteiligt,  ist  nicht  sichergestellt;  es  ist  sehr  wohl  möglich, 
daß  die  Leber  denselben  anderweitig  verarbeitet.  Manche  Autoren 
vermuten  eine  Rück  Verwandlung  des  Urobilins  in  Bili- 
rubin. Injiziert  man  Hunden  Urobilin,  so  soll  unter  Umständen 
nicht,  wie  man  erwarten  möchte,  Urobilin,  sondern  Bilirubin  in 
den  Harn  übertreten;  auch  soll  unter  diesen  Umständen  die  Bili- 
rubinausscheidung  in  der  Galle  vermehrt  sein^).  Dagegen  be- 
wirkt eine  Verfütterung  von  Urobilin  in  Keratinkapseln  beim 
Menschen,  ebenso  auch  subkutane  oder  intravenöse  Einführung 
beim  Kaninchen  eine  bedeutende  Vermehrung  dieses  Farbstoffes 
im  Harne  2).  Wie  Sie  sehen,  handelt  es  sich  hier  um  ganz  un- 
genügend geklärte  Verhältnisse. 

Sichergestellt  dagegen  ist  die  Tatsache,  daß  die  Leber  bei  Rolle  der  Leber, 
der  Verarbeitung  des  Urobilins  irgendwie  beteiligt  ist;  derart, 
daß  Leberläsionen  verschiedener  Art,  z.  B.  Lebercirrhose, 
Phosphor-  und  Chloroformintoxikation  usw.,  eine  vermehrte  Uro- 
bilinausscheidunng  bewirken  können.  Es  hängt  offenbar  viel- 
fach vom  Zustande  der  Leber  ab,  ob  das  im  Darme  entstan- 
dene Urobilin  in  den  Harn  übertritt  oder  nicht,  und  es  hat  der 
Urobilinnachweis  im  Harne  infolgedessen  für  die  Diagnose  von 
Leberaffektionen  eine  gewisse  Bedeutung  gewonnen^).    Auch 


i)  Th.  Brugsch  und  K.  Kawashima,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  8, 
645   (191 1). 

2)  A.  A.  Ladage,  Inaug.-Dissert.  Leyden  1899,  zit.  n.  Jahresber.  f. 
Tierchemie  1899,  838.     Fromhold,  1.  c. 

3)  F.  Fischler  (Med.  Klinik  Heidelberg,  Vorst.  Krehl),  Münchener 
med.  Wochenschr.  1908,  142,  vgl.  auch  Tefik  und  Ibrahim,  Zeitschr. 
f.  Urologie  S,  703  (1909).  Doyon,  Gautier  und  Policard,  C.  R.  Soc.  de 
Biol.  65,  574  (1908);  66,  616  (1909).  E.  Münzer  und  F.  Bloch,  Arch. 
f.  Verdauungskr.  17,  260  (191 1). 


238  X.  Vorlesung. 

die  bei  Infektionskrankheiten  (wie  beim  Scharlach  und  den  Masern) 
auftretende  Urobilinurie  dürfte  mit  einer  Leberschädigung  zu- 
sammenhängen ^). 

Eine  andere  Frage  dagegen  ist  die,  ob  die  Leber  das  Urobilin 
selbständig  zu  bereiten  vermag,  ob  also  eine  hepatogene 
Urobilinurie  existiert.  Es  ist  Fischler  in  Heidelberg*)  gelungen, 
durch  vorsichtige  Vergiftung  von  Hunden  mit  Phosphor  und 
Amylalkohol  eine  künstliche  Lebercirrhose  zu  erzeugen. 
Wurde  nun  bei  solchen  Hunden  die  Galle  durch  eine  komplette 
Fistel  nach  außen  abgleitet,  derart,  daß  nichts  davon  in  den  Darm 
gelangte,  so  hätte  man  erwarten  können,  daß  solche  Tiere  nicht 
mehr  imstande  wären,  Urobilin  zu  produzieren.  Trotzdem  rea- 
gierten dieselben  angeblich  auf  einen  (z.  B.  durch  intravenöse 
Wasserinjektion  erzeugten)  vermehrten  Zerfall  roter  Blutkörperchen 
mit  Urobilinausscheidung  in  der  Galle.  Die  Beweiskraft  dieser 
Versuche  wird  jedoch  von  Hildebrand^)  angefochten,  der  sowohl 
eine  hepatogene  als  eine  hämatogene  Entstehung  des 
Urobilins  leugnet  und  nur  den  bakteriellen  enterogenen 
Entstehungsmodus  gelten  läßt.  Es  scheint  übrigens,  daß 
auch  in  infizierten  GaJlenwegen  eine  bakterielle  Reduktion  des 
Bilirubins  zu  Urobiün  bzw.  Urobiünogen  erfolgen  kann. 
Vermag  sich  Es  ist  nun  allerdings  meiner  Meinung  nach  vorläufig  noch 
direkt  in  Uro-  keineswegs  ausgeschlossen,  daß  sich  imter  der  Wirkxmg  bak- 
biiin      umzu-  terieller  und  fermentativer   Prozesse  Blutfarbstoff  direkt  in 

Urobilin  verwandeln  kann.  Im  allgemeinen  ist  die  Urobihnurie, 
die  nach  toxischem  Blutkörperchenzerfalle  oft  zur  Beob- 
achtung gelangt,  ja  sicherlich  ebensowenig  »hämatogen«  wie  der 
zugehörige  Icterus.  Der  Vorgang  ist  vielmehr  einfach  der,  daß 
aus  den  zerfallenden  Erythrocyten  viel  Gallenfarbstoff  in  der 
Leber  bereitet  wird  und  dieser  nun  seinerseits  den  Darmbakterien 


wandeln? 


i)  E.  Räch  und  A.  v.  Reuß  (Pädiatrische  Khnik  Wien),  Zeitschr.  f. 
Kinderheilk.  2,  460  (1911). 

2)  F.  Fischler,  Z.  f.  physiol.  Chemie  47,  3^6  (1906);  48,  419  (1906 
Arch.  f.  khn.  Med.  93,  427  (1908)  und  Deutsch,  med.  Wochenschr.  34, 
869  (1908). 

3)W.  Hildebrand,  Münchener  med.  Wochenschr.  56,  710,  763 
(1909)1  Deutsche  med.  Wochenschr.  34,  2 161  (1908)  und  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  59,  351  (1906). 


Hämatin,  Bilirubin,  Urobilin.  239 


reichliches  Material  zur  Urobilinbereitung  liefert.  Es  liegen  nun 
aber  doch  Beobachtungen  vor,  welche  eine  Urobilinbildung  in 
hämorrhagischen  Ergüssen  und  bei  der  Organautolyse^) 
wahrscheinlich  machen.  Gerhardt^)  hat  bei  einem  Falle  von 
Karzinom  der  Gallenblase  mit  hämorrhagischen  Ascites  reichliche 
Mengen  von  Urobilin  (neben  Bilirubin)  im  Harne  nachgewiesen, 
obgleich  sich  später  bei  der  Sektion  eine  völlige  Verlegung  des 
Ductus  choledochus  ergab.  Trotzdem  kann  auch  in  solchen 
Fällen  die  hämatogene  Urobilinurie  vielleicht  nur  vorgetäuscht 
sein,  Es  ist  dies  nach  Steensma^)  z.  B.  bei  ikterischen  Hunden 
mit  unterbundenem  Ductus  choledochus  der  Fall.  Wenn 
dieselben  Blutungen  in  den  Magendarmkanal  bekommen,  so  soll 
Urobilin  deswegen  auftreten,  weil  mit  dem  Blute  gleichzeitig 
Bilirubin  in  den  Darm  hineingelangt  ist.  Immerhin  scheint  mir 
dieses  Problem  ebenso  wie  die  Frage  des  Urobilinkreislaufes 
einer  weiteren  Bearbeitung  noch  dringend  bedürftig.  Brugsch 
und  Retzlaff^)  schätzen  die  Menge  Gallenfarbstoff,  die  täglich 
in  den  Darm  entleert  wird,  auf  etwa  2  Gramm;  davon  sollen 
sich  unter  normalen  Verhältnissen  i — 2  Zentigramm,  bei  Urobilin- 
urie aber  i — 2  Dezigramm  im  Harne  wiederfinden ;  also  jeden- 
falls nur  ein  geringer  Bruchteil. 

Auch  wäre  festzustellen,  ob  nicht  etwa  das  Hämatopor- 
phyrin,  welches  sich  z.  B.  bei  Bleikoük  und  Sulfonalvergiftung  oft 
gleichzeitig  mit  Urobilin  im  Harne  findet,  nicht  etwa  eine  direkte 
Quelle  des  letzteren  bilden  könne  ^). 


i)  A.  Magnus  Levy,  Hofmeisters  Beitr.  2,  26,  278  (1902). 

2)  D.  Gerhardt,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  32,  303  (1897). 

3)  F.  A.  Steensma,  1.  c. 

4)  Th.  Brugsch  und  Retzlaff,  Referat  in  Wiener  klin.  Wochenschr. 
191 1,  Nr.  25. 

5)  Vgl.  auch  die  unter  der  Leitung  von  Th.  Brugsch  ausgeführten  Ver- 
suche von  Tsuchija  über  Urobilinausscheidung  nach  Fütterung  und  In- 
jektion von  Blut  (Zeitschr.  f.  experim.  Pathol.  7,  352  [1909]),  ferner  eine 
Angabe  von  Bif fi  (Bull.  Scienze  med.  1907,  zit.  Biochem.  Zentralbl.  7,  265 
[1908]),  derzufolge  im  Leichenblute  des  Menschen  reichhch  Urobilin  und 
Urobiünogen  vorkommen  soJl,  während  es  im  Leben  normalerweise  fehlt. 


XL  Vorlesung. 

Eiweißstoflfe  des  Blutserums,  Lymphbildung, 

Exsudate  und  Transsudate. 

Nachdem  wir  nunmehr  die  beiden  augenfäUigsten  Eigenschaften 
des  Blutes,  seine  Farbe  und  seine  Gerinnungsfähigkeit  sowie  deren 
Substrat,  kennen  gelernt  haben,  wendet  sich  unsere  Aufmerk- 
samkeit naturgemäß  dem  ungefärbten  Anteile  des  Blutes  und 
seinen  der  Menge  nach  wichtigsten  Bestandteilen  zu,  den  Eiweiß- 
körpern, welche  in  gelöster  Form,  als  Serumeiweißkörper, 
die  Blutbahnen  erfüllen  und  nach  Passieren  der  Gefäßwände,* 
als  Bestandteile  der  Lymphe,  die  Gewebe  durchtränken. 
Senimeiweiß-  Man  pflegt  die  Serumeiweißkörper  in  Globuline  und  Albu- 
'^''  mine  einzuteilen^).  Die  Bezeichnung  »Globuline«,  die  von 
Alexander  Schmidt  herrührt,  ist  eigentlich  recht  veraltet,  da  sie 
der  irrigen  und  längst  widerlegten  Meinung  entstammt,  daß  die 
Globuline  dem  Zerfalle  von  Leukocyten  ihre  Entstehung  ver- 
danken. Bekanntlich  unterscheiden  sich  die  Globuline  durch  ihre 
leichtere  Fällbarkeit,  ihren  sauren  Charakter  und  ihre  Unlöslich- 
keit in  reinem  Wasser  von  den  Albuminen. 
Globuline.  Es  liegen  zahlreiche  Versuche  vor,  um  die  Gesamtheit  der 

»Globuline«  (d.h.  der  durch  Halbsättigung  mit  Ammonsulfat 
fällbaren  Serumbestandteile)  in  mehrere  Fraktionen  zu  zerlegen. 
Namentlich  das  Hofmeister  sehe  Verfahren  der  fraktionierten  Salz- 
fällung mit  Ammonsulfat  hat  zu  diesem  Zwecke  Anwendung  ge- 

i)  Literatur  über  die  Eiweißstoffe  des  Blutserums:  O.  Hammarsten, 
Ergebn.  d.  Physiol.  1,  330 — 354  (1902).  P.  Morawitz,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 2,  II,  70 — 80  (1909).  F.  Samuel  y,  Handb.  d.  biochcm.  Arbeits- 
meth.  2,  356—376  (1910). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  24 1 

funden  und  Fuld  und  Sptro^)  sowie  Ernst  Pick^)  haben  das 
bereits  durch  Drittelsättigung  fällbare  »Euglobulin«  von  dem 
schwerer  fällbaren  »Pseudoglobulin«  gesondert .  Später  ist  diese 
Aufteilung,  die  ziemlich  allgemeine  Aufnahme  gefunden  hat,  je- 
doch noch  weiter  geführt  worden:  man  hat  das  Globulin  in  drei 
Fraktionen  getrennt^),  bzw.  sowohl  das  »Eu-«  als  auch  das 
»Pseudoglobulin«  in  einen  in  Wasser  löslichen  und  in  einen 
darin  unlöslichen  Anteil  sondern  wollen*).  Die  Meinungen  über 
den  Wert  derartiger,  auf  einem  einzigen  physikalischen  Prinzipe 
basierender  Trennungsmethoden  sind  aber  geteilt ;  man  hat  immer 
mehr  und  mehr  einsehen  gelernt,  daß  die  Fällungsverhältnisse 
von  Eiweißkörpern  durch  die  Gegenwart  von  Beimengungen  und 
durch  an  sich  wenig  auffällige  sekundäre  Veränderungen  in  hohem 
Grade  abgeändert  werden;  es  kann  daher  die  Frage  vorderhand 
keineswegs  für  erledigt  gelten,  wie  viele  Serumglobuline  tatsäch- 
lich existieren. 

Ahnlich  liegen  die  Dinge  auch  für  die  Albumine.  Hier  Albumine, 
waren  die  Verhältnisse  allerdings  insofern  wesentlich  günstiger, 
als  es  durch  Anwendung  des  Hofmeisierschen  Verfahrens  Gürber 
gelungen  ist,  das  Serumalbumin  kristallisiert  zu  erhalten.  Hof- 
meister hat  das  Eieralbumin  in  der  Weise  in  kristallisierter  Form 
dargestellt,  daß  er  durch  Halbsättigung  mit  Ammonsulfat  die 
Globuline  beseitigte  und  das  Filtrat  nunmehr  durch  ganz  lang- 
sames Eindunsten  bei  Zimmertemperatur  konzentrierte.  Bei 
Anwendung  dieses  sinnreichen  Verfahrens  gelingt  es  unschwer, 
namentHch  wenn  man  etwas  Säure  hinzufügt,  das  Serumalbumin  in 
wohlausgebildeten  Kristallen  zu  gewinnen.  Man  hat  verschiedene 
mikroskopische  Kristallformen  unterschieden :  neben  einfachen 
•Nadeln  schöne  bergkristallähnliche  Formen,  aus  hexago- 
nalen  Prismen  mit  aufgesetzter  Pyramide  bestehend  usw.  Doch 
wäre  es  verfehlt,  daraus  ohne  weiteres  auf  eine  chemische  Vielheit 
schüeßen  zu  wollen;  denn  es  ist  gelungen,  die  einzelnen  Formen 
-durch  Umkristallisieren  in  einander  überzuführen.  Auch  ist  man 
nicht  ohne  weiteres  berechtigt,  den  nicht  kristallisierenden  Ei- 


i)  E.  Fuld  und  K.  Spiro,  Z.  f.  physiol.  Chemie  31,  132  (1900). 

2)  E.   P.  Pick,  Hofmeisters  Beitr.  1,  351   (1902). 

3)  O.  Porges  und  K.  Spiro,  Hofmeisters  Beitr.  3,  277  (1903). 

4)  E.  Freund  und  J.  Joachim,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  407  (1902). 

^.  Fürth,  Probleme.  l6 


242  XI.  Vorlesung. 


weißrest,  der  unter  allen  Umständen  bei  Verarbeitung  von  Serum- 
albumin zurückbleibt,  als  »Conalbumin«  dem  kristallisierten 
Albumin  gegenüberzustellen;  denn  wir  vermögen  die  Momente, 
welche  hier  die  Kristallisation  hemmen,  vorderhand  keineswegs 
zu  übersehen.  Andererseits  schließt  aber  auch  die  Identität  der 
Kristallformen  die  Möglichkeit  nicht  ganz  aus,  daß  es  sich  um 
ein  Gemenge  verschiedener  chemischer  Individuen  handelt;  man 
hat  z.  B.  beobachtet,  daß,  wenn  man  ein  Gemenge  aus  Serum- 
albumin und  Ovalbumin  bereitet  und  mit  Hilfe  von  Ammon- 
sulfat  dann  die  Kristallisation  einleitet,  völlig  gleichartige  Kristalle 
zur  Ausscheidxmg  gelangen  können.  Sie  sehen  also,  die  Verhält- 
nisse sind  hier  recht  wenig  geklärt  i). 
Übergang  von  Das  Verhältnis  der  einzelnen  Serumeiweißkörper  zueinander 
Albumin      m  erscheint  in  einem  wesentlich  veränderten  Lichte,  seitdem  Moll^) 

Globulin.  ' 

im  Laboratorium  von  Pohl  in  Prag  gezeigt  hat,  daß  kristalli- 
siertes Serumalbumin  durch  Erwärmen  auf  60°  bei  schwach 
alkalischer  Reaktion  eine  Umwandlung  in  einen  Körper  erleidet, 
der  in  seinen  Eigenschaften  durchaus  mit  dem  Globulin  über- 
einstimmt. Diese  Übereinstimmung  bezieht  sich  sogar  auf  das 
Verhalten  gegenüber  der  Präcipitinreaktion,  und  zwar  soll  das 
Albumin  zunächst  in  Pseudoglobulin  und  dieses  in  Euglobulin 
übergehen.  Bei  Körpertemperatur  trat  nun  allerdings  diese  Ver- 
änderung nicht  ein,  und  es  läßt  sich  vorläufig  auch  nicht  sagen,, 
ob  dieselbe  von  physiologischer  Bedeutung  ist;  es  wäre  aber 
immerhin  sehr  wohl  möglich,  daß  der  Organismus  über  kata- 
ly tische  Mittel  verfügt,  welche  einen  Ablauf  dieser  Reaktion  auch 
bei  Körpertemperatur  bewirken  könnten.  Übrigens  scheint  zum 
mindesten  ein  Übergang  der  verschiedenen  Globulinarten  in- 
einander sich  bereits  bei  der  Autolyse  zu  vollziehen  3).  Ein  Über- 
gang von  Albumin  in  Globulin  soll  z.  B.  im  Blute  von  Hunden 
nach  Antipyrindarreichung  vor  sich  gehen*). 


i)  Literatur  über  kristallisiertes  Serumalbumin:  F.  N.  Schulz,  Die 
Kristallisation  von  Eiweißstoffen,  Jena  1901.  Inagaki,  Phys.  med.  Ges. 
Würzburg  1905.     Gruzewska.  Compt.  Rend.  128,   1535   (1899). 

2)  L.  Moll,  Hofmeisters  Beitr.  4,  563  (1903);  7,  311  (1905). 

3)  A.  E.  Taylor,  Joum.  of  biol.  Chem.  1,  345  (1906). 

4)  Cervello;  F.  Breinl  (Labor,  von  J.  Pohl,  Prag),  Arch.  f.  expcr. 
Pathol.  62,  357  (1910);  «5,  309  (191 1). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  243 

Da  das  Senimalbumin  (nach  Abderhalden)  kein  Glykokoll  und 
ziemlich  reichlich  Cystin  enthält,  das  Globulin  dagegen  weniger 
Cystin  und  ziemlich  viel  Glykokoll,  vermutet  Breinl,  daß  bei  der 
unter  Schwefelabspaltung  sich  vollziehenden  Umwandlung  von 
Albumin  in  Globulin  ein  Teil  des  im  Albumin  vorhandenen  Cystins 
in  Glykokoll  umgesetzt  wird: 

C  H  0 — S — S — OH  2 

I  I  CHjjNHg 

CH.NH2      CH.NH2     -        ->     1 

!  I  COOK 

COOK         COOK 

Die  quantitative  Bestimmung  der  einzelnen  Serum-    Mengenver- 
eiweißkörper  wird  meist  nach  den  von  Hofmeister  und  seinen  häitnis    der 
Schülern  2)  ausgearbeiteten  Prinzipien  in  der  Weise  vorgenommen,       körper. 
daß  man  eine  durch  Salzfällung  isolierte  Fraktion  auf  ein  Filter 
bringt,  mit  demselben  Medium,  in  dem  die  Fällung  erfolgt  ist, 
gut  auswäscht,  durch  Hitzewirkung  koaguliert  und  dann  salzfrei 
wäscht.     Schließlich   wird   entweder   das   direkte   Gewicht   der 
Fällung  festgestellt  (in  diesem  Falle  muß  man  mit  einem  vorher 
gewogenen  Filter  arbeiten)  oder  der  Stickstoff gehalt  der  Fällung 
nach  Kjeldahl  ermittelt. 

Man  hat  so  die  Gesamtmenge  der  Globuline  durch  Halbsätti- 
gung mit  Ammonsulfat,  diejenige  der  Albumine  im  Filtrate  durch 
totale  Sättigung  ermittelt.  Oder  es  wurde,  wenn  es  sich  um  un- 
geronnenes Plasma  handelte,  zunächst  das  Fibrinogen  mit  Koch- 
salz, sodann  die  Gesamtheit  der  Globuline  durch  Sättigung  mit 
Magnesiumsulfat  bestimmt.  Oder  man  ging  auch  so  vor,  daß 
man  durch  Sättigung  mit  Kaliumacetat  die  Summe  von  Fibrinogen 
und  einen  Teil  des  Globulins,  sodann  durch  Halbsättigung  mit 
Ammonsulfat  die  Gesamtheit  der  Globuline  fällte  usw.  3). 

Die  Zahl  der  Untersuchungen,  die  über  die  Relation  der 
einzelnen  Serumeiweißkörper  zueinander  unter  den  ver- 
schiedensten  physiologischen   und   pathologischen   Bedingungen 


i)  Vgl.  E.  Abderhalden,  Lehrb.  d.  physiol.  Chemie,  2.  Aufl.   1909, 
S.  233—234. 

2)  Pohl,    Kauders,    Spiro,    Reye,    Wallerstein,    Lewinsky, 
Haak  u.  a. 

3)  Vgl.  F.  Samuely,  Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  373  (1910), 
vgl.  auch  die  Literatur  bei  Porges  und  Spiro,  1.  c. 

i6* 


244  ^^'  Vorlesung. 


ausgeführt  worden  sind,  ist  eine  große ^ ) .  Man  hat  so  im  Hunger- 
zustande, sowie  auch  bei  den  verschiedensten  Infektionen 
und  Immunisierungs  Vorgängen  eine  mehr  oder  minder  starke 
Vermehrung  der  Globuline  beobachtet.  (Das  wenige,  was  in  dieser 
Beziehung  hinsichtlich  des  Fibrinogens  als  festgestellt  gelten  kann, 
ist  schon  früher  erwähnt  worden.)  Man  hat  insbesondere  in  bezug 
auf  die  Immunitätslehre  auf  diese  Methode  einige  Hoffnungen 
gesetzt,  die  aber  nicht  in  Erfüllung  gegangen  sind.  So  ist  z.  B. 
ein  starker  Anstieg  der  Euglobulinfraktion  im  Serum  gegen 
Diphtherie  immunisierter  Pferde  beobachtet  worden;  doch  kann 
dieser  nicht  etwa  durch  das  Antitoxin  als  solches  bedingt  sein, 
da  Ernst  Pick^)  zeigen  konnte,  daß  dieses  (ebenso  wie  das  Teta- 
nusantitoxin und  das  Typhusagglutinin)  zum  mindesten  im 
Pferdeserum  nicht  der  Euglobulin-,  sondern  der  Pseudoglobulin- 
fraktion  anhaftet.  Erwähnung  verdient  die  Trennung  der  laben- 
den und  der  labhemmenden  Substanzen  des  Blutserums, 
welche  Fuld  und  Spiro ^)  nach  demselben  Prinzipe  gelungen  ist. 
Zahlreiche  mühevolle  Versuche  über  die  Eiweißrelation  in  Exsu- 
daten,Transsudaten,  nephritischen  Harnen  usw.*)  haben, 
soweit  ich  dieselben  zu  übersehen  vermag,  nicht  viel  Positives  zu- 
tage gefördert.  SoUte  sich  die  Auffassung  bestätigen,  derzufolge 
die  einzelnen  Serumeiweißkörper  untereinander  in  einem  geneti- 
schen Zusammenhange  stehen,  so  wäre  von  dieser  Seite  her  auch 
in  Zukunft  wohl  schwerlich  viel  zu  erwarten. 
Wiederersatz  Nicht  uninteressant  sind  in  dieser  Hinsicht  Versuche  über  den 
^^'^'^köroer^*^  Wiederersatz  der  Bluteiweißkörper.  Manche  Tiere,  na- 
mentlich Kaltblüter,  vertragen  Blutentziehungen  sehr  gut,  vor- 
ausgesetzt, daß  man  für  einen  Ersatz  der  Blutflüssigkeit  durch 
ein  passendes  Medium  Sorge  trägt. 


1 )  Literatur  über  die  Relation  der  SerumeiweiBkörper  unter  verschiede- 
nen physiologischen  und  pathologischen  Bedingungen:  P.  Morawitz, 
Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  77 — 80  (1909),  vgl.  auch  Th.  St.  Githens 
(Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  5,  515  (1904). 
Gibson  und  Banzhof,  Journ.  of  exper.  Med.  12,  411  (1910). 

2)  E.  F.  Pick,  Hofmeisters  Beitr.  1,  350  (1902). 

3)  E.  Fuld  und  K.  Spiro,  Z.  f.  physiol.  Chemie  31,  132  (1900). 

4)  J.  Joachim,  Pflügers  Arch.  93,  558  (1903).  O.  Groß  (Med.  Klinik 
Straßburg),  Arch.  f.  klin.  Med.  86,  578  (1906). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  245 

So  hat  z.  B.  Nolf^)  gefunden,  daß  man  einem  Hundshai 
zirka  vier  Fünftel  seines  Blutes  entziehen  kann,  wenn  man  das- 
selbe durch  Meerwasser,  das  auf  einen  passenden  osmotischen 
Druck  verdünnt  ist  und  überdies  etwas  Harnstoff  enthält,  ersetzt. 
Nach  Morawitz^)  kann  das  Blut  von  Hunden  zum  großen  Teile 
durch  eine  Aufschwemmung  gewaschener  Hundeerythro- 
cy  ten  ersetzt  werden,  wenn  man  nur  dafür  sorgt,  daß  der  Viskosi- 
tätsverlust des  Blutes  durch  Gummizusatz  ausgeglichen  wird. 
Man  kann  so  den  Eiweißgehalt  des  Blutserums  auf  etwa  ein 
Drittel  des  normalen  Wertes  herabdrücken,  und  es  war  inter- 
essant, zu  beobachten,  in  welcher  Weise  sich  die  Regeneration 
unter  diesen  Verhältnissen  vollzieht.  Diese  geht  selbst  im  Hunger- 
zustande schnell  vor  sich,  und  zwar  überwiegt  im  Anfange  die  Al- 
buminfraktion; später  sistiert  der  Zuwachs  an  Albumin  und  es 
erfolgt  eine  Globulin  Vermehrung.  Es  macht  also  den  Eindruck, 
als  ob  ein  Albuminvorrat  in  den  Organen  aufgespeichert  wäre, 
der  nach  Bedarf  an  das  Blut  abgegeben  wird,  während  das  Glo- 
bulin erst  durch  einen  sekundären  Vorgang  zu  entstehen  scheint, 
(was  ja  mit  der  Mollschen  Auffassung  übereinstimmen  würde). 

Außer  den  genannten  Eiweißkörpem  finden  sich  sicherlich 
noch  kleine  Mengen  von  Proteinsubstanzen  anderer  Art  im 
Blutserum. 

Ob  das  »Glutolin«  von  Faust^)  als  ein  präformierter  Serum-  oiutoiin,  Nu- 
bestandteil  gelten  darf,  ist  sehr  fraglich.    Hammarsten^)  weist    seromulwfd' 
auf  die  Möglichkeit  hin,  daß  es  sich  um  ein  durch  die  kombinierte    Aibumosen. 
Einwirkung  von  Salz  und  Säure  denaturiertes  Globulin  handeln 
könnte. 

Bemerkenswert  ist  die  von  Pekelharing  beobachtete  konstante 
Anwesenheit  eines  Nukleoproteids*)  im  Blutserum,  das  mit 


i)  P.  Nolf,  Arch.  intern,  de  Physiol.  1,  96. 

2)  P.  Morawitz,  Hofmeisters  Beitr.  7,  153  (1906);  C.  Inagaki 
(Ph)^iol.  Inst.  Würzburg),  Zeitschr.  f.  Biol.  49,  77  (1907). 

3)  E.  Faust  (Pharmakol.  Inst.  Straßburg),  Arch.  f.  exper.  Pathol. 
41,  218  (1898). 

4)  O.  Hammarsten,  Ergebn.  d.   Physiol.  1,  337  (1902). 

5)  Pekelharing,  Zentralbl.  f.  Physiol.  1895,  102.  Huiskamp, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  32,  145  (1901).  E.  Freund  und  J.  Joachim,  ibid. 
36,  407  (1902). 


246  XI.  Vorlesung. 


dem  Aufbau  und  Abbau  nukleinhaltiger  Gewebselemente  in  Be- 
ziehung stehen  dürfte.  In  dieser  Hinsicht  ist  die  im  Hoffneisier- 
sehen  Laboratorium  gemachte  Beobachtung  einer  enormen  Ver- 
mehrung dieser  Substanz  bei  einem  Falle  von  Sepsis  bemerkens- 
wert^). 

Zweifelhaft  sind  femer  die  Angaben  über  das  Vorkommen 
eines  unkoagulablen  Seromukoids,  welches  bei  hydrolytischer 
Spaltung  reduzierende  Substanz  und  zwar  Glukosamin  liefert*), 
insofern  es  auch  hier  nicht  ganz  ausgeschlossen  erscheint,  daß 
es  sich  um  ein  durch  sekundäre  Veränderungen  aus  koagulablen 
Serumpro teiden  entstandenes  Produkt  handelt^).  Es  macht  sich 
hier,  ebenso  wie  bei  der  Frage  des  Vorkommens  von  Albumosen 
im  Blutserum,  die  große  Schwierigkeit  geltend,  das  Blut  unter 
sicherer  Vermeidung  sekundärer  Spaltungsvorgänge,  die  zum  Auf- 
treten albumoseartiger  Produkte  führen  können,  zu  koagulieren. 
Es  kommt  dabei  vor  allem  auf  die  Einhaltung  zweckmäßiger 
Reaktions Verhältnisse  an;  Embden  und  Knoop^)  versuchten 
seinerzeit  dieser  Bedingung  dadurch  zu  genügen,  daß  sie  das  Blut 
bei  Gegenwart  von  primärem  Kaliumphosphat  auskoagulierten. 
Ich  möchte  aber  auf  diesen  Gegenstand  sowie  auf  den  »Rest- 
stickstoff« hier  nicht  weiter  eingehen,  da  derselbe  später  bei 
Gelegenheit  der  Frage  der  Eiweißresorption  im  Darme  noch  aus- 
führlich erörtert  werden  soll. 
Lymphe.  Indem   ich   nunmehr   zur   Besprechung   der   Lymphe   und 

ihrer  Bildung  übergehe,  will  ich  hier  doch  wenigstens  einige 
der  Hauptergebnisse  kurz  erörtern,  zu  denen  die  Forschung  auf 
diesem  vielbearbeiteten  und  vielumstrittenen  Gebiete  gelangt  ist. 
Ein  ausführlicheres  Eingehen  auf  diesen  in  das  bioph3^ikalische 
Gebiet    hineinreichenden    Gegenstand    verbieten    allerdings    die 


i)  G.  Liebermeister  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters 
Beitr.  8,  439  (1906). 

2)  Zanetti,  Ann.  di  Chimica  e  farmacol.  12,  (1897).  zit.  n.  Jahresber. 
f.  Tierchemie  27,  31.  A.  Eichholz,  Journ.  of  Physiol.  23,  173  (1898). 
Bywaters,  Journ.  of  Physiol.  35,  Proc.  Physiol.  Soc.  III.  (1906)  und 
Biochem.  Z.  15,  322,  344  (1909). 

3)  K.  A.  H.  Mörner,  Z.  f.  physiol.  Chemie  34,  254  (1901). 

4)  G.  Embden  und  F.  Knoop  (Physiol.-chem.  Inst.  StraOburg), 
Hofmeisters  Beitr.  3,  120  (1903). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  247 

Grenzen,  welche  diesen  Erörterungen  gesteckt  sind,  und  ich 
möchte  es  nicht  xinterlassen,  diejenigen,  welche  sich  über  diese 
recht  schwierige  Materie  sowie  über  die  Literatur  genauer  zu 
belehren  wünschen,  auf  die  vortrefflichen  kritischen  Sammel- 
referate von  Ellinger^),  Hamburger^),  Asher^),  Höber^),  Overton^) 
und  Magnus^)  zu  verweisen. 

Die  grundlegenden  Arbeiten  Carl  Ludwigs  und  seiner  Schüler      Theorien 
hatten  zunächst  zu  der  Anschauung  geführt,  daß  die  Entstehung  *>«*'|^®"^^ 
der  Lymphe  auf  eine  Filtration  des  Blutplasmas  durch  die  Ka-      biidung. 
pillarwände  zurückzuführen  ist.     Im  letzten  Dezennium  des  ver- 
gangenen Jahrhunderts  trat  jedoch  Heidenhain  mit  einer  Lehre 
in  den  Vordergrund,  derzufolge  manche  Erscheinungen   auf  dem 
Gebiete  der  Lymphbildung  nicht  auf  rein  physikalischem  Wege 
durch  Filtration  und  Diffusion  erklärt  werden  können,  vielmehr 
auf  eine  besondere  sekretorische  Tätigkeit  der  Kapillar- 
endothelien  hinweisen. 

Die  Frage,  welche  von  diesen  beiden  Anschauungen  zutreffend 
sei,  hat  nun  im  Laufe  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  eine  sehr  um- 
fangreiche Literatur  gezeitigt.  Unter  den  zahlreichen  Autoren, 
welche  sich  an  dieser  Kontroverse  in  verdienstvoller  Weise  be- 
teiligt haben,  möchte  ich  nur  einige  wie  Hamburger,  Starling, 
Bayliss,  Lazarus- Barlow,  Cohnstein,  Asher,  0.  Cohnheim,  Spiro, 
BoUazzi,  Carlson,  Magnus,  Kordnyi,  Gley  und  ihre  Schüler  und 
Mitarbeiter  besonders  erwähnen.  In  allen  nur  erdenklichen 
Kombinationen  sind  die  Entstehungsbedingungen  der  Lymphe 
modifiziert  worden  und  man  hat  diese  in  bezug  auf  die  Druck- 
verhältnisse in  den  Lymphstämmen,  auf  ihren  Gehalt  an  Wasser, 
Eiweiß,  Zucker  und  Salzen,  auf  ihren  osmotischen  Druck  u.  dgl. 
auf  das  sorgfältigste  untersucht.  Sehr  zahlreiche  Versuche  sind 
so  mit  den  lymphtreibenden  Mitteln  ausgeführt  worden,  und 


i)  A.  Ellinger,  Ergebn.  d.  Physiol  1,  I,  355 — 394  (1902). 

2)  H.   J.   Hamburger,  Osmotischer  Druck  und    lonenlehre  II,   30 
(1904). 

3)  L.  Asher,  Biochem.  Zentralbl.  4,  i,  45  (1905). 

4)  R.  Höber,  Koränyi-Richters Handb. :  Hiysikal.  Chemie  und  Medizin 
1»  345  (1907)-   Physikaliche  Chemie  der  Zelle  und  der  Gewebe.  3.  Aufl.  191 1. 

5)  E.  O verton,  Nagels  Handb.  d.   Physiol.  2,  851 — 876  (1907). 

6)  R.  Magnus,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  99 — 115  (1909). 


248  XI.  Vorlesung. 

die  von  Heidenhain  herstammende  Unterscheidung  zwischen  den 
eine  eiweißreiche  Lymphe  produzierenden  Lymphagoga  erster 
Ordnung  (hierher  gehören  Extrakte  aus  Krebsmuskehi,  Blut- 
egeln, Muscheln,  verschiedenen  Säugetierorganen,  femer  Pepton 
Hühnereiweiß,  Bakterienprodukte,  Erdbeeren,  Himbeeren)  und 
den  eine  wasserreiche  Lymphe  erzeugenden  Lymphagoga  der 
zweiten  Ordnung  (wie  Zucker,  Harnstoff,  Kochsalz  und  andere 
Salze)  hat  dabei  eine  große  Rolle  gespielt.  Man  hat  den  Druck 
in  den  Arterien  und  Venen  gemessen  und  denjenigen  in  den 
Kapillaren  zu  berechnen  versucht,  wobei  man  die  Druckver- 
hältnisse durch  Unterbindung  der  Aorta  und  einzelner 
Arterienstämme,  durch  Abklemmung  der  Pf  ort  ad  er  und  der 
unteren  Hohlvene,  sowie  abgesonderter  Venengebiete 
(wie  derjenigen  der  Niere,  der  Speicheldrüse,  des  Hodens  und  der 
Extremitäten)  modifizierte  und  gefäßverengende  und  -er- 
weiternde Nerven  durch  Reizung,  Durchschneidung  imd  Gift- 
wirkung spielen  ließ.  Man  hat  femer  durch  Aderlässe  die  Fül- 
lung des  Gefäßsystems  verringert  und  umgekehrt  durch  Infusion 
hjT)er-,  hypo-  und  isotonischer  Lösungen  der  verschiedensten 
Salze,  von  Zucker,  Harnstoff  usw.  eine  vermehrte  FüUung  der- 
selben bewirkt;  man  hat  die  Viskositäts Verhältnisse  des 
Blutes  durch  Infusion  von  Leim-  und  Gummilösungen  ab- 
geändert; man  hat  mit  besonderer  Mühe  und  Sorgfalt  die  spezi- 
fische Tätigkeit  einzelner  Organe  (wie  der  Speicheldrüsen, 
der  Nieren,  der  Leber,  des  Pankreas,  der  Muskeln)  in  ihrem  Ein- 
flüsse auf  die  Lymphbildung  studiert  usw. 

Fragen  wir  nun  schließlich,  was  bei  dieser  Fülle  experimen- 
teller Arbeit,  die,  wie  ich  ehrlich  eingestehen  will,  wohl  niu:  von 
jemanden,  der  auf  diesem  Spezialgebiete  Fachmann  ist,  ganz 
richtig  bewertet  werden  kann,  sich  als  Endresultat  ergeben  hat, 
so  kommen  wir  leider  zu  der  Einsicht,  daß  auch  heute  noch  keine 
Einigung  über  die  Grundfragen  erzielt  worden  ist.  Manche 
Fachleute  stehen  unbedingt  auf  dem  Standpunkte,  daß  alle  hier 
in  Betracht  kommenden  Erscheinimgen  rein  physikalisch- 
chemisch erklärt  werden  können.  So  resümiert  z.  B.  Ellinger^), 
»daß  keine  Tatsache  bekannt  ist,  welche  uns  zwingt,  bei  diesem 

i)  1.  c.  S.  392. 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  249 

Prozesse  die  Mitwirkung  anderer  Kräfte  anzunehmen,  als  der- 
jenigen, welche  wir  auch  außerhalb  des  Tierkörpers  wirksam 
sehen  und  welche,  um  einen  Ausdruck  Heidenhains  zu  gebrauchen, 
physikalisch  definierbar  sind«. 

Gegenüber  einer  solchen  Auffassung  weist  z.  B.  ein  anderer 
Kenner  diese  Gebietes,  Magnus^),  in  seiner  Zusammenfassung 
auf  die  von  zahlreichen  Forschem  gemachte  Beobachtung  hin, 
daß  die  Lymphe  und  die  Gewebsflüssigkeiten  eine  höhere 
molekulare  Konzentration  besitzen  können,  als  das 
Blut;  die  dafür  vielfach  gegebene  Erklärung,  daß  aus  den  Blut- 
gefäßen eine  dem  Blut  isotonische  Flüssigkeit  in  die  Gewebe 
trete,  und  daß  erst  durch  die  Tätigkeit  der  Gewebszellen  die  mole- 
kulare Konzentration  der  Gewebsflüssigkeit  erhöht  werde,  sei 
nicht  befriedigend. 

»Es  scheint  mir  unmöglich, «  sagt  Magnus,  Kiaß  dauernd  im 
Blute  und  in  der  Lymphe  ein  solcher  Unterschied  in  der  mole- 
kularen Konzentration  besteht,  ohne  daß  besondere  Einrich- 
tungen vorhanden  wären,  welche  diesen  Druckunterschied  auf- 
recht erhalten.  Es  ist  wohl  am  nächstüegenden,  wenn  wir  diese 
Kräfte  in  die  Gefäßwand  selbst  verlegen  und  ihnen  die  Fähigkeit 
zuschreiben,  ein  Druckgefälle  auf  ihren  beiden  Seiten  aufrecht 
zu  erhalten «...  Und  weiter  heißt  es :  »Überblicken  wir  die 
Tatsachen  über  die  Bildung  der  Gewebsflüssigkeiten  nunmehr  in 
ihrer  Gesamtheit,  so  ergibt  sich  über  die  hierbei  wirksamen  Kräfte 
ungefähr  folgendes  Bild :  Das  Blut  und  die  Gewebsflüssigkeiten 
stehen  in  einem  regen,  gegenseitigen  Austausch.  Dieser  wird 
bedingt  erstens  durch  hydrostatische  Druckunterschiede,  welche 
zwischen  Blut  und  Gewebe  auftreten  (Filtration),  und  zweitens 
durch  alle  Konzentrationsunterschiede,  welche  in  den  Säften 
innerhalb  und  außerhalb  der  Gefäßbahn  entstehen  (Osmose 
und  Diffusion).  Der  größte  Teil  der  beschriebenen  Phänomene 
läßt  sich  auf  diese  Vorgänge  ziurückführen.  Die  »physiolo- 
gische Komponente«,  d.h.  die  von  den  Gefäßwänden  selbst 
produzierte  Energie  spielt  nur  eine  geringe  Rolle,  eine  geringere 
jedenfalls,  als  es  bei  der  Darmwand,  den  Nieren,  Speicheldrüsen 
usw.  der  Fall  ist.    Das  Vorhandensein  eines  dauernden  Konzen- 

i)  1,  c.  S.  113. 


250  XI.  Vorlesung. 


trationsunterschiedes  zwischen  den  Gewebsflüssigkeiten  und  dem 
Blute  spricht  aber  sehr  für  die  Annahme  einer  solchen  Trieb- 
kraft in  den  Geweben.« 

Daß  Heidenhain  aber  zu  weit  gegangen  ist,  wenn  er  z.  B.  die 
soauffälligeWirkungdenLymphagoga  erst  er  Ordnung  einfach 
als  gesteigerte  Sekretion  der  Kapillarendothelien  deuten 
wollte^),  kann  wohl  heute  für  ausgemacht  gelten.  Nach  Stär- 
linge) muß  man  dabei  an  eine  vermehrte  Durchgängigkeit 
der  Lebergefäße  denken,  welche  anscheinend  den  Hauptanteil 
des  gesteigerten  Lymphstromes  liefern;  Asher  und  Kusmine^) 
vermochten  durch  Untersuchung  von  Leberstücken,  die  sie  Hun- 
den vor  und  nach  Injektion  von  Pepton,  Krebsmuskel-  und  Blut- 
egelextrakt entnahmen,  typische  Veränderungen  der  Leber- 
zellen, die  sich  auf  Glykogengehalt,  Vakuolisierung,  Färb- 
barkeit  u.  dgl.  bezogen,  nachzuweisen. 
Beziehungen  Leon  Asher  gebührt  vor  allem  das  Verdienst,  durch  eine  Reihe 

Orgaiitätitj-  ^'^^  Arbeiten,  die  er  in  konsequenter  Weise  mit  zahlreichen  Mit- 
keitu.  Lymph- arbeitern*)  durchgeführt  hat,  die  Beziehungen  zwischen 
biWung.  Lymphbildung  und  Organstoffwechsel  aufgeklärt  zu  haben. 
Nach -4  sA^f  ist  die  Lymphbildung  ein  Maß  der  Arbeit  der  Organe. 
Wird  z.B.  bei  einem  Hunde  Speichelsekretion  hervorgerufen, 
indem  man  seine  Mundschleimhaut  mit  Essigsäure  bepinselt, 
so  sieht  man  eine  vermehrte  Lymphmenge  aus  den  zugehörigen 
Lymphgefäßen  strömen;  dabei  ist  nun  freilich  die  Drüse  auch 
von  einer  vermehrten  Blutmenge  durchströmt.  Daß  diese 
letztere  aber  dabei  nicht  das  wesentliche  Moment  bildet,  geht 
aus  dem  bereits  von  Cohnheim  hervorgehobenen  Umstände  her- 
vor, daß  Atropin  Speichel-  und  Lymphsekretion  zum  Versiegen 
bringt,  ohne  die  Zirkulation  zu  alterieren*).  Andererseits  sprechen 
auch  Asher s  neueste  Erfahrungen  dafür,  daß  ein  Zusammenhang 
zwischen  der  Höhe  des  Kapillardruckes  und  der  Lymph- 
bildung  nicht   besteht.      Hingegen   kann    ein   Zusammenhang 


i)  Vgl.  auch  P.  Nolf,  Arch.  Internat,  d.  Physiol.  3,  229  (1905). 

2)  E.  H.  Starling,  Journ.  of  Physiol.  1$,  224  (1894);  17,  30  (1894). 

3)  L.  Asher  und  Kusmine,  Zeitschr.  f.  Biol.  46,  554  (1905). 

4)  Barbara,  W.  J.  Gies,  F.  W.  Busch,  Kusmine,  B.  Böhm  u.  a. 

5)  L.  Asher  und  Barbara,  Zeitschr.  f.  Biol.  S6,   154  (1898). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  25 1 

zwischen  Kapillardruck  und  den  austreibenden  Kräften  für 
die  gebildete  Lymphe  allenfalls  angenommen  werden^). 

Ebenso  wurde  von  Asher  und  anderen  Forschern*)  für  die 
Leber,  den  Darm,  das  Pankreas,  die  Schilddrüse,  die 
Muskeln  ein  gewisser  Zusammenhang  zwischen  der  Lymph- 
bildung und  der  spezifischen  Organtätigkeit  vielfach  festgestellt. 

Manche  Wahrnehmungen  über  Anschwellung  und  stärkere 
Durchfeuchtung  arbeitender  Organe  sind  übrigens  bereits  alten  Da- 
tums, Beobachtungen,  wie  z.  B.  diejenigen  über  die  ly  mphagoge 
Wirkung  des  Blutes  ermüdeter  Tiere  illustrieren  die  Schwie- 
rigkeit der  Deutung  derartiger  Befunde  3).  In  einer  seiner  neueren 
Arbeiten  isiAsher^)  zu  der  Schlußfolgerung  gelangt,  »daß  jedenfalls 
in  einem  Organ,  der  Speicheldrüse,  der  Flüssigkeits-  und  Stoff - 
austausch  zwischen  Blut-  und  Gewebsflüssigkeit  ausschließlich 
durch  die  infolge  der  Drüsenzellentätigkeit  geschaffenen  osmo- 
tischen und  Diffusionspotentiale  geregelt  wird.  Weder 
Filtration  noch  spezifische  Aktion  der  KapiUarendothelien  haben 
hieran  einen  Anteil.«    (Vgl.  dagegen  die  Auffassung  von  Magnus.) 

Es  gilt  für  die  Frage  der  Lymphbildung  etwas  ähnliches  wie 
für  diejenige  der  Blutgerinnung:  Man  würde  den  ungeheueren 
Aufwand  an  Mühe  und  Arbeit,  der  auf  diese  Probleme  verwandt 
worden  ist,  und  der  durch  die  erzielten  Aufklärungen  schwerlich 
aufgewogen  wird,  wohl  nicht  ganz  begreifen,  wenn  nicht,  hier 
wie  dort,  das  physikalische  Problem  außerordentlich  wichtige 
pathologische  Fragen  einschUeßen  würde.  So  steht  denn  die 
Lehre  von  der  Bildung  der  entzündlichen  Exsudate  und 
der  Ödeme  mit  den  vorhin  erörterten  Fragen  im  allerengsten 
Zusammenhange,  und  das  sind  eben  Dinge,  mit  denen  der  Arzt 


i)  M.  Cuttat -Galizka  (Physiol.  Inst.  Bern),   Zeitschr.   f.   Biol.   56, 

309  (191 1). 

2)  H.J.Hamburger,  Zeitschr.  f.  Biol.  $0,143  (1894).  F.  A.Bainbridge 
(Physiol.  Labor.  University  College,  London),  Joum.  of  Physiol.  28,  204 
(1902);  S2,  I  (1904).  G.  d'Errico,  Arch.  Internat,  de  Physiol.  3,  168 
(1905)»  vgl.  dagegen  A.  J.  Carlson,  J.  R.  Greer  und  F.  C.  Becht,  Amer. 
Joum.  of  Physiol.  !•,  860  (1907). 

3)  G.  d'Errico,  Arch.  intemat.  de  Physiol.  S,  156  (1905).  G.  Japelli 
und  G.  d'Errico  (Labor.  Bottazzi),  Arch.  di  Fisiol.  4,  315  (1907)  und 
Zeitschr.  f.  Biol.  60,  i  (1907). 

4)  L.  Asher,  Biochem.  Z.  14,  123  (1908). 


252  XI.  Vorlesung. 


täglich  zu  tun  hat  und  deren  Aufklärung  zu  den  dringendsten 
Forderungen  der  medizinischen  Wissenschaft  gehört. 
Ödeme.  Hier  soll  nur  von  einigen  Teilfragen  dieser  Probleme  die  Rede 

sein,  umsomehr,  als  andere  Seiten  derselben  in  allen  Lehrbüchern 
der  allgemeinen   Pathologie  ausführlich  behandelt  werden. 
Entstehung  der        Da  ist  es  zunächst  die  Frage  der  Ödeme,  die  unser  Interesse 
Ödeme.       y^^  biochemischen  Gesichtspunkten  aus  ganz  besonders  in  An- 
spruch nimmt  1). 

Wir  wollen  uns  in  aller  Kürze  vergegenwärtigen,  daß  die 
Pathologen  die  (von  Zirkulationsstörungen  unmittelbar  hervor- 
gerufenen) »kardialen«  Ödeme,  die  entzündlichen,  nephri- 
tischen, kachektischen,  neuropathischen  Ödeme  usw.  zu 
unterscheiden  pflegen.  Eine  Reihe  der  verschiedensten  Faktoren 
kann  bei  der  Ödembildung  beteiligt  sein,  so  eine  Erschwerung 
des  Abflusses  aus  den  Lymphwegen,  eine  Zunahme  des  Druckes 
innerhalb  des  Gefäßsystems  und  eine  Abnahme  des  Druckes 
außerhalb  desselben,  eine  vermehrte  Permeabilität  der  Kapillar- 
wände, welche  wiederum  durch  Veränderungen  der  Gefäßwände 
als  solcher  oder  aber  durch  Alterationen  der  Blutflüssigkeit  be- 
dingt sein  kann ;  es  können  femer  Veränderungen  des  osmotischen 
Druckes  der  innerhalb  und  außerhalb  der  Kapillaren  befindlichen 
Flüssigkeit  eine  Rolle  spielen  usw.*). 

Was  aber  die  Neugierde  des  Biochemikers  besonders  reizt, 
sind  die  so  geheimnisvollen  nephritischen  Ödeme,  die  unab- 
hängig von  Zirkulationsstörungen  und  Entzündungsvorgängen 
auftreten  und  verschwinden  und  das  klinische  Krankheitsbild 
einer  Nierenentzündung  unter  Umständen  ganz  beherrschen 
können.  In  der  Pathologie  früherer  Zeiten  hat  die  VorsteUung, 
daß  das  Blut  bei  der  Nephritis  infolge  der  Eiweißverluste  mit 
dem  Harne  wässerig  und  eiweißarm  werde,  und  daß  es  infolge 
der  »Hydrämie«  und  der  »Hypalbuminose«  zur  Entstehung 

i)  Physiologisch-chemische  Literatur  über  Ödeme:  C.  v.  Noorden, 
Handb.  d.  Physiol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  1,  1043 — 1047  (1906).  L.  Krehl, 
Pathol.  Physiol.,  5.  Aufl.  118 — 127  (1907).  A.  v.  Koränyi,  Physikalische 
Chemie  u.  Medizin,  Handb.  herausgeg.  v.  Koränyi  und  Richter,  2,  160 — 179 
(1908).  H.  Gideon  Wells,  Chemical  Pathology  p.  276 — 305  (1907). 
H.  Gerhartz,  Handb.  d.  Biochemie  2,  H,  137 — 162  (1909). 

2)  Vgl.  G.  Wells,  1.  c.  S.  255. 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  253 

der  Ödeme  kommt,  eine  große  Rolle  gespielt.  Diese  Vor- 
stellungen sind  ebenso  unrichtig  wie  die  Voraussetzungen,  auf 
denen  sie  basiert  waren.  Die  klassischen  Versuche  von  Julius 
Cohnheim  und  von  Licktheim  haben  gezeigt,  daß  die  Hydrämie 
als  solche  nicht  zur  Entstehung  von  Ödemen  führt,  —  selbst 
dann  nicht,  wenn  das  Blut  von  Tieren  mit  der  mehrfachen  Menge 
physiologischer  Kochsalzlösung  verdünnt  oder  wenn  die  Hälfte 
desselben  durch  eine  solche  ersetzt  wird.  Zum  Zustandekommen 
der  Ödeme  bedarf  es  des  Hinzutrittes  eines  weiteren  wichtigen 
Faktors:  der  Gefäßschädigung.  Wird  eine  solche  durch  die  Rolle  der  Ge- 
Wirkung einer  Jodpinselung,  von  Sonnenbrand  u.  dgl.  künstlich  ^äßschädigung. 
erzeugt,  so  hat  die  durch  Infusionen  künstlich  herbeigeführte 
Hydrämie  ein  Hautödem  zur  Folge. 

Auf  die  Gefäßschädigungen  ist  es  offenbar  auch  zurückzu- 
führen, wenn  Magnus^)  durch  Vergiftung  mit  Äther,  Chloro- 
form, Arsen,  Phosphor  u.dgl.  Bedingungen  herbeizuführen 
vermochte,  unter  denen  eine  Kochsalzinfusion  Ödeme  zur  Folge 
hat  und  wenn  P,  F,  Richter^)  bei  Uran  Vergiftung  eine  mit 
Hautödemen  einhergehende  Nephritis  auftreten  sah.  (Besonders 
starke  Hautödeme  hat  der  Letztgenannte  beobachtet,  wenn  er  die 
Wirkung  des  Urans  mit  derjenigen  eines  stark  gefäßerweiternden 
Mittels,  des  Amylnitrits,  kombinierte.)  Um  eine  derartige 
Vergiftung  der  Gefäßwände  scheint  es  sich  aber  auch  zu  handeln, 
wenn  nach  Exstirpation  der  Nieren  oder  bei  einer  schweren 
Nephritis  die  Exkretion  eine  weitgehende  Schädigung  erfährt 
und  toxische  Produkte  sich  in  den  Geweben  anhäufen. 

Dabei  mag  aber,  neben  der  Gefäßschädigung,  noch  ein  anderer     Bedeutung 
Faktor  mitspielen,  nämlich  der  Umstand,  daß  derartige  toxische  i°^*f*^*'!^.  ^[^ 

__,  ,.*        '    ^  1         r        \  ^  ir  i        dukte  füf  dic 

Produkte    die    Anziehungskraft    der    Gewebe    für    das     wasseran- 
Wasser  erhöhen.    So  erklärt  es  sich  denn,  daß  bei  manchen    Ziehung  der 

Oewebe. 

Fällen  von  chronischem  Morbus  Brightii,  wie  v,  Noorden  hervor- 
hebt, Ödeme  monatelang  unverändert  bestehen  bleiben  und  selbst 


i)  R.  Magnus,  Arch.  f.  exper.   Pathol.  42,  250  (Hirschwald,    1899). 

2)  P.  F.  Richter  (Klinik  Senator),  Senator-Festschrift.  S.  283,  Berlin 
1904  und  Berliner  klin.  Wochenschr.  42,  384  (1905);  46,  2133  (1909). 
Heinecke  und  Meyerstein,  Arch.  f.  klin.  Med.  90,  loi  (1907). 
Schlayer,  Hedinger  und  Takayasu  (Tübinger  medizinische  Klinik), 
Arch.  f.  klin.  Med.  91,  59  (1907). 


254  ^I-  Vorlesung. 

einer  konsequenten  Verminderung  der  Wasserzufuhr  hartnäckig 
widerstehen,  trotzdem  gleichzeitig  die  Diurese  nichts  zu  wünschen 
übrig  läßt  und  man  den  Eindruck  gewinnt,  daß  die  Niere  recht 
wohl  befähigt  ist,  die  normale  Wasserausfuhr  zu  bewältigen^). 
In  dieser  Hinsicht  ist  die  Beobachtung  sehr  lehrreich,  daß  nach 
subkutaner  Kochsalzinjektion  ein  lokales  ödem,  welches  bei 
Gesunden  innerhalb  einiger  Stunden  verschwindet,  bei  Nieren- 
kranken tagelang  bestehen  kann  2). 

Es  handelt  sich  bei  dergleichen  Wirkungen  vermutlich  in  erster 
Linie  um  Stoffwechselprodukte,  deren  Ausscheidung  infolge  der 
damiederliegenden  Nierenfunktion  erschwert  ist.  Ein  russischer 
Autor  hat  aus  dem  Umstände,  daß  das  Serum  von  Tieren,  denen 
eine  Nierenarterie  unterbunden  worden  ist,  angeblich  bei  anderen 
Tieren  lymphtreibend  wirkt,  auf  den  Übertritt  lymphagog  wir- 
kender Nierenzerfallsprodukte  (»Nephroblaptine«)  in  den 
Blutkreislauf  geschlossen  ^ ) . 
Kochsalz-  Man  hat  nun  in  neuerer  Zeit  zwei  Faktoren  näher  kennen 

gelernt,  welche  beide  bei  der  Anziehung  der  Gewebe  für  das 
Wasser  eine  bedeutsame  Rolle  zu  spielen  scheinen:  das  Koch- 
salz und  die  Milchsäure. 

Nachdem  Koränyi  eine  Therapie  der  Wasserretention  auf  dem 
Wege  einer  Bekämpfimg  der  Retention  gelöster  Substanzen  emp- 
fohlen hatte,  sind  von  Widal,  Achard,  Strauß  und  sehr  vielen 
anderen*)  zahlreiche  Beobachtungen  über  eine  günstige  thera- 
peutische Beeinflussung  von  Ödemen  durch  Einschränkung 
der  Kochsalzzufuhr  mitgeteilt  worden;  sehr  häufig  ist  ein 
Parallelgehen  zwischen  Kochsalz-  und  Wasserretention  unver- 
kennbar. Es  scheint,  daß  schon  der  normale  Kochsalzgehalt  der 
Nahrung  die  Flüssigkeitsmenge  des  Körpers  um  1^/2  bis  3  Liter 
vermehren  kann^);  eine  vermehrte  Kochsalzzufuhr  kann  auch 
unter   normalen   Verhältnissen    eine   vermehrte    Retention   von 


retention. 


i)  Vgl.  C.  V.  Noorden,  1.  c.  S.  1046. 

2)  O.  Reiche!,  Zentralbl.  f.  innere  Med.  1898,  1041. 

3)  Timofeew,  Arch.  f.  exper.   Pathol.  60,  264  (1909). 

4)  Literatur  über  die  Beadehungen  zwischen  Kochsalzretention  und 
Ödemen:  A.  v.  Kordnyi,  1.  c.  S.  165.  H.  G.  Wells,  1.  c.  S.  293. 
J.  W.  Blooker,  Arch.  f.  kün.  Med.  96,  80  (1909). 

5)  F.  Mendel,  Münchener  med.  Wochenschr.  56,  433,  516  (1908). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  255 

Wasser  zur  Folge  haben.  Eine  solche  Retention  wird  aber,  wenn 
ira  Verlaufe  einer  Nephritis  die  Gefäßwände  eine  Schädigung  er- 
fahren haben,  oder  wenn  etwa  bei  einer  Herzerkrankung  die  Kreis- 
laufwiderstände gesteigert  sind,  zur  Ausbildung  von  Ödemen 
führen  können.  Andererseits  wird  man  z.  B.  die  günstige  Wir- 
kung der  Kochsalzentziehung  auf  einen  tuberkulösen  Ascites  un- 
schwer verstehen  können:  Das  Blut,  welches  einen  konstanten 
Kochsalzgehalt  benötigt,  wird  denselben  bei  Einschränkung  der 
Salzzufuhr  durch  Aufnahme  von  Salz  aus  den  Geweben  zu  er- 
gänzen suchen  und  dieses  nimmt  sozusagen  eine  entsprechende 
Wassermenge  mit^). 

Die  günstige  Wirkung  der  Milchdiät  bei  Nephritis  wird  von 
manchen  Autoren  auf  den  niedrigen  Kochsalzgehalt  der  Milch 
bezogen. 

Sehr  interessant  und  wichtig  sind  Versuche,   durch  welche  Beziehung  der 
Martin  H.  Fischer^)  die  RoUe  klargestellt  hat,  welche  der  Milch-  i^*^o*^"Sfn 
Säurebildung  in  den  Geweben  in  bezug  auf  Wasserbindungs-  zu  der  Oenese 
vermögen  derselben  zukommt.     Ich  habe  bereits  bei  Erörterung    ^^^  Ödeme, 
der  Totenstarre  Gelegenheit  gehabt,  auf  dieses  Moment  hinzu- 
weisen, dessen  große  Bedeutung  für  zahlreiche  physiologische  und 
pathologische  Vorgänge  früher  ganz  übersehen  worden  ist. 

Die  Ödembildung,  welche  in  der  Niere  nach  Unterbindung  der 
Nierenvene  zur  Entwicklung  gelangt,  ist  bekanntlich  stets  im 
Sinne  der  Cohnheimschen  Theorie  als  Folge  des  erhöhten  Blut- 
druckes und  als  »Stauungsödem«  gedeutet  worden.  Es  ist  nun 
höchst  überraschend,  daß  auch  nach  Unterbindung  der 
Nierenarterie  sich  ein  ödem  ganz  ähnlicher  Art  ausbildet, 
und  daß  dabei  die  Gewichtszunahme  des  Organes  ebenso  groß  ist, 
wie  nach  Abbindung  der  Nierenvene,  trotzdem  doch  unter  diesen 
Verhältnissen  von  einem  »Stauungsödeme«  gar  keine  Rede  sein 
kann.  In  ganz  analoger  Weise  ist  nach  Unterbindung  der 
Leberarterie  beim  Kaninchen,  also  bei  Abnahme  des  Blut- 
druckes, eine  Gewichtszunahme  des  Leber  beobachtet  worden. 


1)  W.  Alwens,  Therapie  der  Gegenwart  51,  100  (1910). 

2)  M.H.Fischer  und  G.Moore,  Zeitschr.  f.  KoUoidchem.  5, 286  (1909). 
M.  H.  Fischer,  Pflügers  Arch.  125,  396  (1902)  und  KoUoidchem.  Beihefte 
If  93  (i9io)'  M.  H.  Fischer,  Das  Ödem.  In  deutscher  Sprache  herausgeg. 
von  K.  Schorr  und  W.  Ostwald.    Dresden  Verl.  von  Steinkopf.    1910. 


256  XI.  Vorlesung. 


Die  Erklärung  dieses  auf  den  ersten  Blick  so  überraschenden 
Phänomens  ist  eine  einfache.  Wir  wissen,  daß  jede  Störung  der 
normalen  Blut-  und  Sauerstoffzufuhr  zu  den  Geweben  prompt 
eine  abnorme  Säureanhäufung  in  denselben  auslöst  i)  und  wir 
wissen  auch,  daß  es  sich  dabei  um  die  Bildung  von  Milchsäure 
handelt;  es  ist  dies  ein  physiologischer  Vorgang,  der  in  der  post- 
mortalen Säurebildung  seine  Fortsetzung  und  gewisser- 
maßen einen  vergröberten  Ausdruck  findet.  Schon  die  Anwesen- 
heit kleinster  Säuremengen  genügt  aber,  wie  ich  Ihnen  schon 
früher  (Seite  139)  auseinandergesetzt  habe,  um  das  Wasserbin- 
dungsvermögen der  Zellkolloide  erheblich  zu  erhöhen.  Ich  habe 
Ihnen  mitgeteilt,  daß  diese  Säurequellung  allem  Anscheine  nach 
bei  den  Phänomenen  der  Totenstarre  eine  wichtige  Rolle  spielt. 
Dieselbe  Grundursache  liegt  der  Quellung  von  Wasserleichen 
zugrunde.  Jedoch  auch  die  Ödembildung,  welche  M.  H.  Fischer 
bei  lebenden  Fröschen  nach  Vergiftung  mit  Strychnin,  Morphin, 
Arsenik,  Uransalzen  u.  dgl.  beobachtet  hat,  wird  von  ihm  als 
Folge  abnormer  Säurebildung  gedeutet,  ebenso  auch  die  ganze 
große  Reihe  von  Erscheinungen,  welche  seit  Virchow  unter  dem 
Namen  der  »trüben  Schwellung«  in  der  pathologischen  Ana- 
tomie eine  so  bedeutsame  Rolle  spielen. 

Die  Säurebildung  und  die  durch  dieselbe  bewirkte  Quellung 
ist  als  eines  der  Momente,  welche  bei  der  FlüssigkeUsretention 
in  den  Geweben  mitwirken,  in  Betracht  zu  ziehen,  selbstverständ- 
lich aber  nicht  als  das  einzige.  Es  ist  daher  mit  Recht  gegen 
die  allzu  einseitige  Auffassvmg,  welche  M.  H,  Fischer  dem  Problem 
der  Ödeme  zuteil  werden  ließ,  Einspruch  erhoben  worden.  Es 
geht  sicherlich  nicht  an,  die  Tatsache,  daß  bei  Ödemen  sich  die 
Hauptmenge  der  Flüssigkeit  gar  nicht  in  den  Zellen,  vielmehr  in 
den  Gewebsmaschen  findet,  einfach  zu  ignorieren  und  die  Be- 
teihgvmg  vasomotorischer  Einflüsse  u.  dgl.  außer  acht  zu  lassen*). 
M.  H.  Fischers  Martin  H.  Fischer  glaubt,  ausgehend  von  der  Beobachtung, 
Glaukom-  ^j^ß  ein  frisch  ausgelöstes  Ochsenauge  in  einem  sauren  Medium 
vom   Zustande   normaler   Straffheit   zu   demjenigen   steinharter 


i)  Nach  Hoppe-Seyler,  Araki,  Zillcsen  u.  a. 
2)  F.  Marchand  (Pathol.  Inst.  Leipzig),  Zentralbl.  f.  Pathol.  22,  625 
(Juli   191 1). 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  257 

Spannung  übergehen  kann,  daß  die  Grundursache  für  das  Glau- 
kom, welches  ja  durch  eine  vermehrte  Spannung  charakterisiert 
erscheint,  in  einer  pathologischen  Säurebildung  und  einer  ver- 
mehrten Wasseraufnahme  der  Kolloide  des  Augeninneren  gelegen 
ist.  Fischer  hat  aber  auch  gleich  die  praktischen  Konsequenzen 
aus  seiner  Theorie  gezogen  und  sich  gesagt,  daß,  falls  das 
Glaukom  durch  eine  vermehrte  Quellung  bewirkt  ist,  es  auch 
gelingen  sollte,  dasselbe  durch  Agentien,  welche  einer  solchen 
Quellung  entgegenwirken  (z.  B.  Salzlösungen  passender  Art 
und  Konzentration)  therapeutisch  günstig  zu  beeinflussen.  Er 
behauptet  nun,  durch  die  subkonjunktivale  Injektion  einiger 
Tropfen  einer  Natriumzitratlösung  bei  einer  größeren  Anzahl  von 
Glaukomfällen  eine  prompte  Verminderung  der  Spannung  erzielt 
zu  haben.  Diese  Verminderung  der  Spannung  tritt  ungefähr  in 
den  ersten  zehn  Minuten  nach  erfolgter  Injektion  ein  und  kann 
so  ausgiebig  sein,  daß  die  Spannung  des  Auges  unter  das  normale 
Maß  sinkt.  Die  Wirkung  einer  solchen  subkonjunktivalen  In- 
jektion hält  durch  drei  bis  sechs  Tage  (oder  selbst  länger)  an  und 
wird  von  einer  Besserung  aller  subjektiven  Symptome  des  Glau- 
koms, ausgenommen  der  Blindheit,  die  eine  Folge  von  strukturellen 
Veränderungen  ist,  begleitet.  Soviel  ich  weiß,  hat  die  Fischersche 
Glaukomtheorie  einstweilen  weder  bei  Ophthalmologen  noch  bei 
Physiologen  eine  freundhche  Aufnahme  gefunden^);  dennoch 
scheint  es  mir,  daß  dieselbe  alle  Beachtung  verdient.  Sicherlich 
ist  das  Glaukom  ein  komplizierter  Vorgang;  aber  unbeschadet 
der  Bedeutung  aller  jener  Faktoren,  die,  im  Sinne  der  bisher 
gültigen  Lehren,  dasselbe  unmittelbar  verursachen,  läßt  es  sich 
vorderhand  sicherlich  nicht  ausschUeßen,  daß  im  Gefolge  der 
eingetretenen  Zirkulationsstörungen  eine  Säurebildung  einsetzt 
und  durch  Quellungsvermehrung  der  Kolloide  des  Augeninnern 
bei  der  intraokularen  Drucksteigerung  mitwirkt.  Ebenso  scheint 
mir  der  Grundgedanke,  eine  künstliche  Entquellung  der  Augen- 
kolloide auf  chemischem  Wege  zu  versuchen,  durchaus  beachtens- 
wert und  geeignet,  der  Therapie  neue  Wege  zu  weisen.  Ob  aller- 
dings Fischer  mit  seiner  Natriumzitratmedikation  bereits  etwas 


i)  Vgl.  E.  V.   Knape  (Physiol.  Inst.  Hcisingfors),  Skandin.  Arch.  f. 
Physiol.   23,   162  (19 10). 

V.  Fürth.  Probleme.  17 


258 


XI.  Vorlesung. 


Hemnmng  der 
Transsudat-  u. 
Exsudatbil- 
dung durch 
Kalksalze. 


Brauchbares  gefunden  hat,  ist  eine  andere  Frage,  die  nur  auf 
dem  Wege  einer  ausgedehnteren  praktischen  Erfahrung  beant- 
wortet werden  kann. 

Ich  möchte  Ihnen  anschließend  von  anderen  interessanten, 
und  wie  ich  glaube,  auch  praktisch  sehr  wichtigen  Versuchen, 
die  Ergebnisse  physiologisch-chemischer  Forschung  der  Therapie 
unmittelbar  dienstbar  zu  machen,  etwas  erzählen:  ich  meine  die 
Versuche  zur  Hemmung  der  Transsudat-  und  Exsudat- 
bildung  durch  Kalksalze. 

Ein  englischer  Forscher,  WrigfU^),  hat  (im  Anschluß  an  Beobach- 
tungen über  die  fördernde  Wirkung  der  Kalksalze  auf  die  Blut- 
gerinnung) den  Flüssigkeitsaustritt  aus  dem  Blute  in  die  Gewebe 
mit  der  Gerinnbarkeit  des  Blutes  in  Zusammenhang  gebracht. 

Er  bezog  Urticariaformen,  die  nach  Zufuhr  von  kalkfällen- 
den Pflanzensäuren,  wie  Oxalsäure  und  Zitronensäure,  beobachtet 
worden  sind,  auf  eine  Kalkverarmung  des  Blutes;  er  hat  ferner 
(ebenso  wie  Netter^))  über  Heilerfolge  berichtet,  die  er  bei  ver- 
schiedenen Urticariacruptionen  und  bei  lokalen  Ödemen 
durch  Verabreichung  von  Kalksalzen  erzielte.  Es  ist  nun  durch 
Versuche,  welche  Chiari  und  Januschke  kürzlich  im  Laboratorium 
von  Hans  Horst  Meyer^)  ausgeführt  haben,  der  exakte  Beweis 
erbracht  worden,  daß  Pleuraergüsse  bei  Tieren  (wie  sie  durch 
Vergiftung  mit  Jodnatrium,  Thiosinamin  und  Diphtherietoxin  er- 
zeugt werden)  ebenso  wie  auch  entzündliche  konjunktivale 
Ödeme  des  Kaninchenauges  (nach  Senfölinstillation)  durch  An- 
reicherung des  Organismus  mit  Calciumsalzen  ganz  verhindert 
oder  sehr  abgeschwächt  werden  können. 

Ein  Erfolg  bei  derartigen  Versuchen,  welche  ganz  entschieden 
zu  einer  therapeutischen  Nutzanwendung  bei  Trans-  und  Exsuda- 
tionen verschiedener  Art  ermutigen,  wird  am  sichersten  bei 
subkutaner  Einverleibung  der  (allerdings  nicht  ungiftigen) 
Kalksalze  zu  erwarten  sein,  da  bei  der  Verabreichung  per  os 


i)  A.  E.  Wright,  Lancet  1896  I,  153,  II,  807  und  British  Joum.  of 
Dermatology  (1896). 

2)  A.  Netter,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  62,  462,  572,  62,2  (1907). 

3)  R.  Chiari  und  H.  Januschke  (Pharmakol.  Inst.  Wien),  Wiener 
klin.  Wochcnschr.  1910,  Nr.  12  und  Arch.  f.  cxper.  Pathol.  65,  120  (191 1). 
H.  H.  Meyer,  Münchener  med.  Wochenschr.   19 10,  Nr.  44. 


Eiweißstoffe  d.  Blutserums,  Lymphbildung,  Exsudate  u.  Transsudate.  259 

doch  wohl  nur  geringe  Mengen  dieser  letzteren  resorbiert  werden. 
Der  Bonner  Pharmakologe  Leo^)^  der  die  Versuche  des  Meyerschen 
Laboratoriums  durchaus  bestätigt  hat,  erzielte  übrigens  auch 
durch  Eingießung  einer  Chlorcalciumiösung  in  den  Magen,  sowie 
durch  Einträufelung  direkt  in  den  Conjunctivalsack  bei 
künstlich  erzeugten  Bindehautentzündungen  günstige  Erfolge. 
Die  Nutzanwendung  bei  Diphtherie,  Laryngitis  u.  dgl.  ist  nahe- 
liegend ;  und  es  ist  wohl  kein  Zufall,  daß  die  lokale  Applikation 
des  Kalkwassers  von  altersher  auf  Grund  rein  praktischer  Er- 
fahrungen, z.B.  bei  Behandlung  von  Darmkatarrhen,  Rachen- 
affektionen, Verbrennungen  in  der  Medizin  dauernd  ihren 
Platz  bewahrt  hat.  Auch  über  günstige  Beeinflussung  der 
Pneumonie  liegen  Angaben  vor 2).  Wie  der  Kalk  dabei  eigent- 
lich wirkt,  ob  eine  verminderte  Durchlässigkeit  der  Gefäße,  ob 
eine  vermehrte  Gerinnbarkeit  des  Blutes  dabei  in  erster  Linie 
in  Betracht  kommt,  ist  nicht  klargestellt. 

Man  hat  mit  Recht  diese  Befunde  mit  Beobachtungen  von 
Kurt  Herbst^)  an  Seeigeleiern  in  kalkarmem  Seewasser 
in  Beziehung  gebracht.  Durch  das  Fehlen  von  Calcium  im 
umgebenden  Medium  wird  der  Verband  der  Furchungszellen 
membranloser  Seeigeleier  derartig  aufgelockert,  daß  die  einzelnen 
Zellen  zum  Teil  durch  geringe  Zwischenräume  voneinander  ge- 
trennt erscheinen.  Bringt  man  dann  die  Eier  in  kalkhaltiges 
Seewasser  zurück,  so  schließen  sich  die  Zellen  wieder  aneinander. 

Unaufgeklärt  sind  die  Befunde  Leo  Loebs^)  und  seiner  Mit- 
arbeiter, denen  zufolge  die  Injektion  großer  Mengen  physiolo- 
gischer Kochsalzlösung  mit  einem  Zusätze  von  Calciumchlorid 
zwar  die  Flüssigkeitsausscheidung  durch  die  Nieren  und  in  den 
Darm  hemmt, diejenige  in  die  Peritonealhöhle  dagegen  deutlich 
vermehrt. 


i)  H.  Leo,  Deutsche  med.  Wochenschr.   191 1. 

2)  Lauder  Brunton,  British  med.  Journ.  1907  I,  616.  Net- 
ter, 1.  c. 

3)  K.  Herbst,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  9,  424  (1900). 

4)  L.  Loeb,  S.  M.  Fleischer  und  D.  M.  Hoyt,  Zentralbl.  f.  Physiol. 
22,  496  (1908),  vgl.  auch  Journ.  of  experini.  Med.  11,  291,  470,  480  (1909); 
12,  288  (1910). 

17* 


200  XI.  Vorlesung. 

Scrumtherapie  Zum  Schlüsse  möge  noch  die  Tatsache  Erwähnung  finden, 
er  ur  caria.  j^ß  ^  ^^  jüngster  Zeit  gelungen  ist,  äußerst  hartnäckige,  mit 
quälendem  Juckreize  verbundene  Fälle  von  Urticaria  durch 
Injektionen  normalen  Menschenserums  prompt  zu  heilen. 
Man  hat  ferner  auf  diesem  Wege  bei  Ekzemen,  Strophulus, 
Prurigo  und  Pemphigus  bedeutende  Besserungen,  ja  sogar 
vielfach  Heilungen  erzielt.  Eine  Erklärung  für  diese  Wirkungen 
läßt  sich  vorläufig  nicht  geben  i).  Jedenfalls  eröffnen  sich  aber 
auch  von  hier  aus  erfreuliche  und  wichtige  Perspektiven  für  die 
Zukunft.  Wir  Biochemiker  sind  ja  bisher  hinsichtlich  der  prak- 
tisch-therapeutischen Nutzanwendung  der  Erkenntnisse  unserer 
Disziplin  nicht  so  sehr  verwöhnt  worden,  als  daß  wir  die 
sich  hier  ergebenden  Möglichkeiten  nicht  dankbar  zur  Kenntnis 
nehmen  sollten. 

i)  Vgl.  Linser  (Tübingen),  Internistenkongreß,  Wiesbaden   191 1. 


XII.  Vorlesung. 
Stützgewebe. 

Nachdem  wir  uns  in  den  letzten  Vorlesungen  mit  den  Flüssig- 
keiten, welche  die  Organe  durchströmen  und  durchsickern,  be- 
schäftigt haben,  mag,  indem  wir  in  unseren  gewebschemischen 
Betrachtungen  weiterschreiten,  die  heutige  Vorlesung  den  Stütz - 
Substanzen  gewidmet  sein. 

Das  Problem  der  Stütz-  und  Gerüstsubstanzen  erscheint 
relativ  einfach  und  etwas  eintönig,  solange  sich  imsere  Betrachtung 
auf  den  Kreis  der  Wirbeltiere  beschränkt  und  die  stets  gleich- 
förmige Wiederholung  derselben  chenüschen  Bauelemente  (i.  e. 
Bindegewebe,  Knorpel,  Knochen)  in  einer  Fülle  wechselnder 
äußerer  Formen  feststellt.  Doch  bunt  und  vielgestaltig  wird  das 
Bild,  wenn  sich  unser  Blick  über  den  Kreis  der  höchstorganisierten 
Lebewesen  hinaus  zu  einer  Betrachtung  der  Gesamtheit  der 
niederen  Lebensformen  erweitert.  Neben  einer  Vielheit  der 
typischen  Albuminoide,  welche  erst  die  vervollkommnete  Me- 
thodik der  modernen  Eiweißforschung  in  das  rechte  Licht  rücken 
wird,  begegnen  wir  den  jod-  und  bromhaltigen  Eiweiß- 
körpern gewisser  Schwämme  und  Korallen,  der  tierischen 
Zellulose  der  Tunikaten,  und  in  weiter  Verbreitung  einem 
stickstoffhaltigen  Kohlehydrate,  dem  Chitin  usw.^)  Von  einigen 
dieser  Stoffe  soll  bei  späterer  Gelegenheit  noch  die  Rede  sein. 

Was  aber  dieser  Vielheit  chemischer  Gewebsformen  gemeinsam      Knochen- 
ist  und  was  sie  zu  ihrer  physiologischen  Funktion  als  Gerüst- 
substanzen stempelt,  das  ist  ihr  Vermögen,  große  Kalkmengen 
in  sich  abzulagern  und  dauernd  festzuhalten.    Das  nähere  Studium 

i)  Literatur  über  die  Gerüstsubstanzen  der  Wirbellosen:  O.  v.  Fürth, 
Vergl.  ehem.  Physiol.  d.  niederen  Tiere,  S.  440 — 490  u.  571 — 581.  Jena  1903. 


gewebe. 


202  XII.  Vorlesung. 


dieses  Verkalkungsvorganges   bietet  nun  dem  Biochemiker  ein 
reizvolles  Problem,  mit  dem  wir  uns,  von  der  Betrachtung  des 
Wirbeltierknochens   ausgehend,    zunächst   etwas   näher   be- 
fassen wollen. 
Zusammen-  Die  auffallend  konstante  Aschenzusammensetzung  der 

^^  Knochen-^'^'^  Knochen  war  bereits  den  älteren  Biochemikern  aufgefallen,  und 
asche.  Hoppe- Seyler  hatte  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  in  den 
Knochen,  sowie  auch  im  Schmelz  der  Zähne  die  Relation  zwischen 
Calcium  und  Phosphorsäure  derjenigen  des  Apatits  sehr  nahe 
steht  und  annähernd  durch  die  Formel  3Ca3(P04)2.CaC03  aus- 
gedrückt werden  kann  *).  Die  Art,  wie  man  sich  diese  vier  Moleküle 
zu  einem  neuen  großen  Moleküle  vereinigt  denken  könnte,  mag 
durch  das  Schema 

PO4. 

Ca    ..         Ca 

PO4  ^^  .PO4 

Ca  Ca    COa     Ca  Ca 

PO4  c^  PO4 

Ca    ^^       Ca 

PO4 

angedeutet  werden.  Ob  aber  die  Dinge  wirkhch  so  einfach  liegen, 
ist  recht  zweifelhaft.  Andere  Untersucher  haben  kompliziertere 
Relationen  gefunden.  So  hat  z.  B.  Gabriel^)  das  wenig  durch- 
sichtige Verhältnis  Ca3(P04)2 +Ca6HP50i3 +aqu.  angegeben,  wo- 
bei einige  Prozente  Kalk  durch  Magnesia,  Kali,  Natron,  einige  Pro- 
zente Phosphorsäure  durch  Kohlensäure,  Chlor  und  Fluor  ver- 
treten sein  sollten.  Man  muß  sich  hier  zunächst  fragen,  ob  denn 
das  Suchen  nach  einer  bestimmten  und  konstanten  »Formel« 
überhaupt  berechtigt  ist  und  ob  man  es  nicht  vielmehr  mit  einer 
Niederschlagsbildung  zu  tun  hat,  bei  der  ein  inkonstantes  und 
je  nach  den  Bedingungen  variierendes  Gemenge  schwer  löslicher 
Salze  sich  eben  in  der  organisierten  Knochensubstanz  nieder- 
schlägt. Hofmeister  ist  auf  Grund  neuerer  Versuche  3)  zu  der 
Annahme  gelangt,  daß  die  Konstanz  in  der  Zusammensetzung  der 
Knochensubstanz  nicht  durch  die  Bildung  einer  bestimmten 
Verbindung,  sondern  durch  den  annähernd  konstanten  Karbonat- 


i)  Vgl.  Th.  Gaßmann.  Z.  f.  physiol.  Chemie  70,   161  (1910). 

2)  Gabriel,  Z.  f.  physiol.  Chemie  18,  257  (1893). 

3)  M.  Tanaka  (Labor,  von  F.  Hofmeister),  Biochem.  Z.  35,  113  (1911)- 


Stützgevvebe.  263 


und  Phosphorgehalt  des  Blutplasmas  und  der  Lymphe  bedingt 
ist.  Auch  Versuche  von  G.  Wells  führten  zu  einer  ähnlichen 
Schlußfolgerung. 

Ein  Einwand  gegen  eine  solche  Auffassung,  deren  Berechtigung     Kristaiiisa- 
sicherlich  nicht  ohne  weiteres  geleugnet  werden  kann,  ergiebt  sich  {„  ^en  Tegu- 
vielleicht    aus    der    vergleichend -physiologischen    Betrachtung,  nienten  niede- 
Es  ist  erwiesen,  daß  die  in  den  Tegumenten  niederer  Tiere 
abgelagerten    Kalksalze    \delfach    eine     kristallinische    Be- 
schaffenheit besitzen^). 

Die  Meinung,  daß  die  Conchylienschaleein  Kristallisations- 
produkt sei,  ist  schon  zu  Beginn  des  vorigen  Jahrhunderts  auf- 
getaucht. Hinsichtlich  der  »Spicula«  der  Kalkschwämme 
und  der  Kalkteilchen  des  Echinodermenskelettes  hat 
V.  Ebner^)  die  Meinung  geäußert,  jedes  einzelne  Spiculum  sei  ein 
Kalkspatkristall,  der  jedoch  in  seiner  morphologischen  Gestaltung 
vom  lebenden  Organismus  beeinflußt  wird.  Im  gleichen  Sinne 
hat  Haeckel  von  »Biokristallen«  gesprochen .  Wilhelm  Bieder- 
mann^) hat  beobachtet,  daß  ein  (an  sich  nicht  doppelbrechender) 
dünner  Flächenschliff  durch  einen  Crustaceenpanzer,  wenn 
man  ihn  in  Wasser  einlegt,  nach  einiger  Zeit  mit  zahlreichen, 
glänzenden  prismatischen  Kristallen  bedeckt  erscheint  usw.  Es 
fragt  sich  nur,  ob  man  berechtigt  ist,  diese,  bei  Wirbellosen  ge- 
wonnenen Erkenntnisse  durch  einen  Analogieschluß  auf  die  Ver- 
kalkungsvorgänge im  Wirbeltierkörper  zu  übertragen.  Die  Ant- 
wort auf  diese  Frage  muß  ich  Ihnen  nun  allerdings  leider 
schuldig  bleiben. 

Daß    das    Verhältnis    der    anorganischen    Bestandteile*)    zu-  Pathologische 
einander    unter    pathologischen    Bedingungen    eine    wesentliche      ^g^^  ^j^^ 
Verschiebung  erfahren  kann,  unterliegt  keinem  Zweifel.    So  geht  Aschenzusam- 
z.  B.  bei  hochgradiger  Rhachitis  die  Abnahme  des  Aschengehaltes    "^^"^^  ^""^* 
anscheinend   mehr   auf  Kosten  des  Kalkes   als   auf  Kosten  der 


i)  Literatur  über  KristaHbildung  in  Tegumenten:    O.  v.  Fürth,  1.  c. 

571—575. 

2)  V.  V.  Ebner,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Mathem.-naturw.  Kl. 

«5,  I,  54  (1887). 

3)  W.  Biedermann,  Zeitschr.  f.  allgem.  Physiol.  1,   154  (1902). 

4)  Literatur  über  Zusammensetzung  der  Knochen  und  Zähne:  H.  Ar o n , 
Handb.  d.  Biochemie  2,  II,   178 — 212  {1909). 


264 


XII.  Vorlesung. 


ciums  durch 
Strontium. 


Phosphorsäure  vor  sich^)  und  gleichzeitig  nimmt  auch  der  relative 
Gehalt  an  Magnesium  zu  2).  Ak  pathologische  Erscheinung  ist 
es  vielleicht  auch  zu  deuten,  daß  man  beim  Vergleiche  von  Zähnen 
der  Jetztzeit  mit  prähistorischen  Zähnen  den  Magnesia- 
gehalt der  ersteren  bedeutend  höher  gefunden  hat  5). 
Ersatz  des  Cai-  Es  hat  an  Versuchen  nicht  gefehlt,  die  natürUchen  Aschen- 
bestandteile des  Knochens  künstlich  durch  andere  zu  ersetzen. 
So  kann  man  z.  B.  das  Stron tiu  m  in  relativ  bedeutenden  Mengen 
in  Knochen  zur  Ablagerung  bringen,  ohne  daß  es  gelingen  würde, 
den  so  der  Nahrung  fehlenden  Kalk  im  vollen  Umfange  durch 
dasselbe  zu  ersetzen.  Werden  kalkarm  gefütterte  wachsende 
Tiere  lange  Zeit  hindurch  mit  kleinen  Strontiumdosen  gefüttert 
oder  bringt  man  dieselben  dem  im  embryonalen  oder  infantilen 
Stadium  befindlichen  Organismus  indirekt  bei,  (indem  man  das 
Strontium  an  gravide  oder  säugende  Tiere  verfüttert),  so  ent- 
steht ein  der  Rhachitis  sehr  ähnliches  Krankheitsbild,  welches 
durch  eine  starke  Hemmung  der  Resorption  bei  gleichzeitiger 
Vermehrung  der  Apposition  im  Bereiche  der  Wachstumszonen 
charakterisiert  erscheint.  Dieselbe  kann  an  Stellen,  wo  mecha- 
nische Reize  angreifen,  zu  mächtigen  periostalen  Anlagerungen 
führen,  und  man  hat  neuerdings  empfohlen,  das  Strontium,  das 
(ähnlich  dem  Phosphor)  einen  starken  formativen  Reiz  auf  das 
osteogene  Gewebe  ausübt,  bei  Rhachitis,  Osteomalacie  und 
schlechter  Callusbildung  therapeutisch  zu  verwenden*). 

Die  Art,  wie  man  sich  die  Ablagerung  und  Resorption 
von  Kalksalzen  in  den  Geweben  vorzustellen  hat,  ist  kürz- 


Lösungs  ver- 
mögen des 


Blutplasmas 

für   Kalksalze,  hch  von  Franz  Hofmeister  in  einem  zusammenfassenden  Artikel 

in  anregender  und  lichtvoller  Weise  behandelt  worden^). 

Betrachtet  man  die  im  Blute  vorhandene  Menge  von  Phosphor- 
säure, Calcium  und  Alkalikarbonat,  so  müßte  es  darin  zu  einer 


1)  J.  A.  Schabad,  Arch.  f.  Kinderheilk.  52,  47  (1909). 

2)  C.  Cattaneo,  La  Pediatria  7,  497  (1909). 

3)  Th.   Gaßmann,  Z.  f.  physiol.  Chemie  63,   397   (1909). 

4)  Helene  Stöltzner,  Biochem.  Z.  12,  119  (1908).  F.  Lehnert 
(Klinik  von  Stöltzner),  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  72,  395,  611  (1910).  und 
Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An.  46,  468  (1909);  47,  205  (1909).  C.  Ohme, 
ibid.  49,  248  (19 10). 

5)  F.  Hofmeister,  Ergebn.  d.   Physiol.   10,  429 — 453  (1910). 


Stützgewebe. 


265 


Abscheidung  von  schwerlöslichem  tertiärem  Calcium- 
phosphat  kommen,  wenn  nicht  schon  normalerweise  im  Blut- 
plasma Einrichtungen  gegeben  wären,  die  eine  solche  Abscheidung 
verhindern.  Schon  Kühne  hat  darauf  hingewiesen,  daß  das 
Bluteiweiß  einer  solchen  Kalkfällung  entgegenwirkt.  Man 
kann  diese  Schutzwirkung  nach  Hofmeister  in  einfacher  Weise 
demonstrieren,  wenn  man  Pferdeserum  mit  äquivalenten  Mengen 
von  Calciumchlorid  und  Dinatriumphosphat  versetzt.  Das  Medium 
wird  dabei  opaleszent,  doch  kommt  es  nicht  zu  einer  Nieder- 
schlagsbildung (wie  bei  den  in  Wasser  ausgeführten  Parallel- 
versuchen), und  zwar  selbst  dann  nicht,  wenn  man  soviel  Alkali 
hinzufügt,  daß  tertiäres  Calcium phosphat  ausfallen  sollte.  Der 
Kolloidgehalt  des  Plasmas,  genügt  um  diese  Erscheinung  zu 
erklären.  Die  interessanten  Versuche  von  Wolfgang  Pauli^)  lassen 
keinen  Zweifel  darüber  bestehen,  daß  der  Organismus  in  den  Ei- 
weißkörpem  seiner  Säfte  über  Mittel  verfügt,  um  schwerlösüche 
Elektrolyte  in  einem  für  den  physiologischen  Bedarf  ausreichenden 
Ausmaße  zirkuüeren  zu  lassen  und  daß  die  dabei  gebildeten 
Salzionen-Eiweißkomplexe  den  Charakter  reversibler  Adsorp- 
tionsverbindungen tragen. 

Es  ergibt  sich  nunmehr  die  Frage,  durch  welche  Umstände 
die  Ablagerung  der  im  Blute  gelösten  Kalksalze  beim  Ver- 
kalkungsvorgange in  den  Geweben  ausgelöst  wird.  Man  hat 
bereits  eine  ganze  Reihe  solcher  Faktoren  kennen  gelernt. 

So  wissen  wir,  daß  hohe  Fettsäuren,  welche  bekanntlich 
schwerlösliche  Kalkseifen  bilden,  befähigt  sind,  als  »Kalkfänger« 
aus  dem  Blute  Kalk  aufzunehmen. 

Kloiz^)  fand  in  Zelloidinkapseln  mit  Natriumstearat  und 
Natriumpalmitat  nach  längerem  Verweilen  in  der  Peritoneal- 
höhle von  Kaninchen  einen  erheblichen  Kalkgehalt. 

Hofmeister  und  Tanaka^)  brachten  verschiedene  Organe  von 
Kaninchen,  darunter  ein  Stück  Netz  in  eine  Schale,  durch  die  bei 


i)  W.  Pauli  und  M.  Samec,  Biochem.  Z.  17,  235  (1909).  W.  Pauli, 
Wiener  med.  Wochenschr.   19 10,  Nr.  39. 

2)  O.  Klotz,  Journ.  of  experim.  Med.  7,  633  (1905),  vgl.  auch  F.  J. 
Fischler  und  W.  Groß,  Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An.,  Festschr.  f.  Arnold, 
1905,  326. 

3)  F.  Hofmeister,  1.  c.  S.  439. 


Rolle  hoher 
Fettsäuren 
beim  Ver- 
kalkungs- 
vorgange. 


266 


XII.  Vorlesung. 


Abbau     der 

kalklösenden 

Proteine. 


Rolle  von 
selektiven 
Adsorptions- 
vorgängen. 


Körpertemperatur  ein  langsamer  Strom  einer  Lösung  von  saurem 
Calciumphosphat  und  Calciumkarbonat  floß;  (dieselbe  war  durch 
Suspendieren  von  Calciumphosphat  in  Wasser  und  Durchleiten 
von  Kohlensäure  hergestellt  worden).  Nach  mehrwöchentlicher 
Dauer  des  Versuches  hatte  sich  im  Fette  des  Netzes  soviel  Kalk 
abgelagert,  daß  es  starr  geworden  war  und  sich  sandig  an- 
fühlte. 

Man  hat  nun  daran  gedacht,  daß  die  Bildung  von  Kalk- 
seifen  vielleicht  stets  der  Verkalkung  vorangeht.  Dagegen 
sprechen  jedoch  die  sorgfältigen  Beobachtungen  von  Gideon 
Wells'^)  in  Chicago.  In  Knorpeln  und  in  verkalktem  Materiale 
verschiedenster  (normaler  und  pathologischer)  Herkunft  fanden 
sich  allerdings  stets  minimale  Kalkmengen  in  einer  in  Äther  und 
kochendem  Alkohol  löslichen  Form ;  da  sich  dieselben  aber  auch 
in  Knorpeln  fanden,  die  keiner  Verkalkung  unterliegen,  ist  es 
unwahrscheinlich,  daß  sie  beim  Verkalkungsvorgange  eine 
wesentliche  Rolle  spielen. 

Ein  weiterer  Faktor,  der  beim  Verkalkungsvorgange  beteiligt 
sein  könnte,  wäre  der  Abbau  der  Bluteiweißkörper,  welche, 
wie  wir  vorhin  gesehen  haben,  beim  Kalktransporte  sicherlich 
eine  wichtige  Rolle  spielen.  Wie  Pauli  und  Samec  gezeigt  haben  ^), 
vermögen  die  bei  der  peptischen  Verdauung  an  Stelle  des  lösenden 
Proteins  tretenden  Abbauprodukte  zwar  die  Löslichkeit  von 
Kalkkarbonat  zu  erhöhen;  die  Löslichkeit  des  Kalkphosphates 
erscheint  jedoch  eher  erniedrigt.  Der  physiologische  Abbau  einer 
Karbonat  und  Phosphat  enthaltenden  Eiweißlösung  könnte  also 
vielleicht  die  Bildung  eines,  der  Knochenerde  entsprechenden, 
an  Phosphat  reichen  und  an  Karbonat  armen  Niederschlages 
ermöglichen. 

Ein  anderer,  bei  der  Erklärung  des  Verkalkungsvorganges  in 
Betracht  kommender  Faktor  wäre  eine  spezifische  physi- 
kalisch-chemische Affinität  des  Knorpels  imd  anderer  der 
Verkalkung  zugänglicher  Gewebsarten  zu  den  Kalksalzen.  Wells^) 


i)  H.  G.  Wells,  Journ.  of  Med.  Research.  14,  491  (1906);  17,  15  (1907); 
22,  501  (1910),  vgl.  auch  R.  v.  Zeynek,  F.  Amesedcr  und  A.  Selig, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  415 — 465  (191 1). 

2)  W.  Pauli  und  M.  Samcc,  1.  c. 

3)  1.  c. 


Stützgewebe.  267 


hat  Stücke  verschiedener  Gewebe  in  die  Bauchhöhle  von  lebenden 
Kaninchen  gebracht  und  beim  Knorpel,  im  Gegensatze  zu  anderen 
Geweben,  nach  einigen  Wochen  einen  Verkalkungs Vorgang  be- 
obachtet. Zwar  keinen  solchen,  aber  immerhin  eine  elektive 
Adsorption  von  Calciumionen  hat  Meinhard  Pfaundler^) 
beim  Einlegen  von  Knorpelstücken  in  Chlorcalciumlösung  bemerkt. 
Versuche  von  Kossa^),  der  bei  Kaninchen  durch  Jodoformver- 
giftung degenerative  Vorgänge  und  Kalkinfiltration  in  der  Leber 
zu  erzeugen  vermochte  (in  erhöhtem  Maße  bei  künstlicher  Kalk- 
zufuhr), beweisen,  daß  degenerative  Vorgänge  der  Gewebe  mit 
einer  gesteigerten  Aufnahmsfähigkeit  für  Kalk  einhergehen 
können,  was  sich  ja  mit  vielfachen  pathologischen  Erfahrungen 
deckt;  (Verkalkung  von  erkrankten  Gefäßwänden,  Tuberkeln 
u.  dgl.). 

Virchow  hat  seinerzeit  festgestellt,  daß  bei  reichlicher  Zer-  Metastatische 
Störung  von  Knochensubstanz,  wie  sie  z.  B.  bei  Osteomalacie,  v^''*^^'*^""ß- 
Caries  und  Osteosarkomen  vorkommt,  die  Kalbübersättigung  des 
Blutes  zu  Ablagerungen  von  Kalk  in  verschiedenen  Organen, 
insbesondere  in  der  Lunge,  im  Magen  und  in  der  Niere  führen 
kann.  Man  hat  sich  mehrfach  bemüht,  dergleichen  »Kalk- 
metastasen«  künstlich  zu  erzeugen. 

So  haben  Hofmeister  und  Tanaka^)  bei  Kaninchen,  denen 
verschiedene  Kalksalze  in  größerer  Menge  beigebracht  worden 
waren,  regelmäßig  Kalbablagerungen  in  den  der  Injektionsstelle 
benachbarten  Geweben  beobachtet;  (so  z.  B.  nach  mehrfachen 
intraperitonealen  Injektionen  ausgebreitete  Verkalkung  des 
subserösen  Gewebes).  Zuweilen  fanden  sich  jedoch  auch  Verände- 
rungen in  fernabliegenden  Geweben  und  gelegentlich  wurden  auch 
mikroskopisch  erkennbare  Verkalkungsherde  im  Herzen,  in  der 
Brust-,  Rücken-  und  Extrenütätenmuskulatur  angetroffen. 

Askanazy^)  hat  die  Vermutung  ausgesprochen,  daß  die  von    Kaikabiage- 
Kalkmetastasen  am  häufigsten  befallenen  Organe  (Lunge,  Magen-  ^^^^^   Aikai«- 

zenzverände- 

1)  M.  Pfaundler,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  60,  123  (1904).  vgl.  dagegen  ''"^fjjgjjüsgj^.^' 
H.  G.  Wells  and  J.  H.  Mitchell,  Joum.  of  Med.  Research.  22,  501  (1910).     ^^  j^^j"   '^" 

2)  J.  V.  Kossa,  Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An.  29,  163  (1901). 

3)  F.  Hofmeister,  1.  c.  S.  445. 

4)  M.  Askanazy,  Festschrift  f.  Jaffe,  Braunschweig  1901,  zit.  n. 
Hofmeister.  1.  c.  S.  447. 


268 


XII.  Vorlesung. 


Kalkschalcn- 
bildung  bei 
Weichtieren. 


Knochen- 
resorption. 


Schleimhaut  und  Niere)  deswegen  zum  Schauplatze  von  Ver- 
kalkungsvorgängen werden,  weil  in  ihnen  die  Produktion  saurer 
Sekrete,  beziehungsweise  die  Abgabe  von  Kohlensäure  und  infolge^ 
dessen  eine  Alkaleszenzzunahme  ihrer  Gewebsflüssigkeit 
erfolgt. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  ein  ähnlicher  Vorgang,  nämlich 
eine  durch  Kohlensäure  Verlust  bedingte  Alkaleszenzzunahme, 
auch  bei  der  Kalkschalenbildung  niederer  Tiere  eine 
wichtige  Rolle  spielt.  Man  hat  die  Beobachtung  gemacht,  daß, 
wenn  bei  einer  Schnecke  durch  Abtragung  eines  Schalen- 
fragmentes ein  Teil  des  Lungensackes  freigelegt  wird,  bereits  nach 
kurzer  Zeit  im  Bereiche  des  Defektes  die  Bildung  einer  zarten 
Membran  beginnt,  die  aus  rhomboidalen  Calciumkarbonat- 
kristallen  besteht;  dieselbe  nimmt  schnell  an  Dicke  zu  und  führt 
bald  zu  einem  Verschlusse  des  Schalendefektes.  Diese  Erscheinung 
ist  nun  in  der  Weise  gedeutet  worden,  daß  das  Blut  der  Weichtiere 
durch  seinen  Gehalt  an  Kohlensäure  befähigt  ist,  kohlensauren 
Kalk  in  gelöster  Form  zu  führen.  Wenn  nun  die  Kalksalze  im 
Bereiche  eines  Schalendefektes  mit  der  Lymphe  an  die  Körper- 
oberfläche gelangen,  kristallisiert,  nach  Maßgabe  als  die  Kohlen- 
säure entweicht,  das  Karbonat  aus^).  Ich  habe  seinerzeit  den 
Vorschlag  gemacht,  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  in  der  Weise 
zu  prüfen,  daß  man  einen  kleinen  Glaszylinder  über  den  Schalen- 
defekt einer  Schnecke  stülpt,  hermetisch  an  die  umgebende  Schale 
ankittet  und  den  so  abgeschlossenen  Raum  mit  Kohlensäure 
füllt.  Sobald  der  Kohlensäuredruck  größer  wird  als  der  Partiar- 
druck der  Kohlensäure  im  Blute,  könnte  die  letztere  nicht  mehr 
abdunsten  und  die  sonst  prompt  erfolgende  Heilung  des  Schalen- 
defektes müßte  nun  ausbleiben.  2) 

Eine  nicht  minder  bedeutsame  Rolle  dürfte  die  Kohlensäure 
bei  den  Vorgängen  der  Knochenresorption  spielen.  Hof- 
meister und  Tanaka^)  ließen  einen  langsamen  Strom  von  Wasser, 


i)  Moynier  de  Villepoix,  Compt.  Rend.  118,  317  (1891)  und  Jourii. 
de  l'Anat.  et  de  Physiol.  28,  627  (1892). 

2)  O.  V.  Fürth,    Vcrgl.   ehem.    Physiol.    d.    niederen   Tiere.     S.  579. 
Jena  1903. 

3)  F.  Hofmeister,  1.  c.  S.  436.    M.  Tanaka  (Labor,  von  F.  Hof- 


Stützgewebe.  269 

physiologischer  Kochsalzlösung  oder  von  Blutserum  nach  Sättigung 
der  Flüssigkeit  mit  Kohlensäure  bei  Brutofentemperatur  über 
gewogene  Knochen  und  Elfenbeinplatten  fließen  und  konnten 
so  eine  lösende  Wirkung  erzielen,  die  reichlich  genügen  dürfte, 
um  die  Knochenarrosion,  wie  sie  bei  pathologischen  Prozessen 
beobachtet  wird,  zu  erklären.  Auch  an  gewogenen  Elfenbein- 
nadeln, die  unter  aseptischen  Kautelen  in  verschiedene  Gewebe 
lebender  Kaninchen  eingestochen  worden  waren,  ließ  sich  nach 
einiger  Zeit  eine  Gewichtsabnahme  feststellen. 

Wir  gelangen  nunmehr  zur  Frage,  in  welcher  Art  und  mit  Kalk-  und 
welcher  Auswahl  der  Organismus  das  ihm  mit  der  Nahrung  Stoffwechsel 
dargebotene  kalk-  und  phosphorhaltige  Material  zum  Knochen- 
aufbau zu  verwerten  vermag.  Trotz  des  stattlichen  Umfanges 
der  Literatur,  welche  die  Vorgänge  des  Kalk-  und  Phosphor- 
stoffwechsels^)  betrifft,  wird  das,  was  ich  Ihnen  über  diesen 
Gegenstand  zu  sagen  habe,  gar  bald  gesagt  sein. 

Zweifellos  erfolgt  die  Kalk-  und  Phosphorsäureausscheidung 
nicht  nur  durch  den  Harn,  sondern  zum  großen  Teile  auch  durch 
den  Darm  (nach  Erwin  Voit  vorwiegend  durch  den  Dickdarm), 
derart,  daß  unter  Umständen  die  Hauptmenge  desselben  letzteren 
Weg  einschlagen  kann.  Die  Verteilung  der  Kalkausscheidung 
auf  Harn  und  Darm  wird,  wie  es  scheint,  in  erster  Linie  von  der 
Gegenwart  von  Phosphorsäure  beeinflußt.  Das  beim  Zu- 
sammentreffen von  Kalk  und  Phosphorsäure  entstehende  Cal- 
ciumphosphat  scheint  die  Nieren  schlecht  zu  passieren  und 
daher  vorwiegend  im  Darme  ausgeschieden  zu  werden.  Wird 
z.  B.  viel  Kalk  mit  der  Nahrung,  etwa  in  Gestalt  von  Milch, 
zugeführt,  so  kann  die  zirkulierende  Phosphorsäure  größtenteils 
gebunden  und  in  den  Darm  ausgeschieden  werden,  während  sie 
sonst  in  den  Harn  übergeht.     Umgekehrt  kann  der  Kalk  durch 


meister),    Biochem.    Z.  35,    112  (1911),    vgl.    dort    die    ältere   Literatur 
<Maly,  Donath,  Flesch,  Tillmanns). 

i)  Literatur  über  Kalk  und  Phosphorstoffwechsel:  A.  Magnus -Levy, 
Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  II.  Aufl.  1,  457 — ^464  (1906). 
A.  Tigerstedt,  Nagels  Handb.  d.  Physiol.  1,  523 — 537  (1905).  P.  Mora- 
witz,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  312 — ^"^^  (1910).  Albu  und  Neuberg, 
Physiol.  u.  Pathol.  d.  Mineralstoffwechsels,  Berlin  1906.  L.  F.  Meyer. 
Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,  317  (1908). 


270  XII.  Vorlesung. 


Phosphorsäurezufuhr  in  den  Darm  abgelenkt  werden i).  Es  ist 
also  oft  schwierig,  zu  beurteilen,  wieviel  von  demCalciumphosphat, 
das  sich  im  Kote  findet,  unresorbierten  Nahrungsbestand- 
teilen entstammt  und  wieviel  davon  durch  Sekretion  in  den 
Darm  gelangt  ist.  Die  Unkenntnis  dieser  Dinge  macht  zahlreiche 
ältere  Stoffwechselversuche  wertlos.  Angesichts  der  komplizierten 
Verhältnisse  ist  es  auch  nicht  zu  verwundern,  daß,  trotz  vieler 
mühevoller  Untersuchungen,  wenig  Sicheres  darüber  bekannt  ist, 
in  welcher  Gestalt  (ob  in  Form  von  anorganischer  Phosphorsäure, 
Glyzerinphosphorsäure,  Lecithin,  Nukleinen,  Nukleoproteiden) 
zugeführter  Phosphor  am  besten  assimiliert  und  als  Knochen- 
baumaterial verwendet  wird  2). 
inositphos-  Eine  neue  und,  wie  ich  glaube,  in  physiologischer  Hinsicht 

p  orsäure.  ^^^^  interessante  Seite  ist  dem  Probleme  des  Phosphorstoff- 
wechsels neuerdings  dadurch  abgewonnen  worden,  daß  man  es 
mit  demjenigen  des  Inosits^)  in  Zusammenhang  gebracht  hat. 
Nachdem  die  Existenz  eines  phosphorhaltigen  Pflanzenbestand- 
teiles "*),  der  bei  der  Spaltung  Inosit  liefert,  seit  langem  bekannt 
gewesen,  war,  ist  die  Reindarstellung  dieses  Körpers,  des  Phytins, 
vor  einigen  Jahren  Posternak^)  gelungen.  Trotzdem  das  schön 
kristallisierende  Calcium-Magnesiumdoppelsalz  dieser  Verbindung 
gegenwärtig  bereits  von  einer  Schweizer  Fabrik  in  den  Handel 
gebracht  wird,  ist  die  Konstitution  derselben  noch  nicht  ganz 
sichergestellt.  Gegenüber  den  von  Posternak  entwickelten  kom- 
plizierten Vorstellungen  fassen  E,  Winter stein^)  sowie  Neuberg'') 
das    Phytin   als   eine   Verbindung   auf,   welche    Inosit    (Hexa- 


i)  Vgl.  Granström,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  195  (1908).  Oeri  (Klinik 
His,  Basel),  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  67,  288,  307  (1909).  R.  Berg,  Biochem. 
Z.  30,  107  (1910). 

2)  Vgl.  u.  a.  P.  Marfori,  Schmiedeberg- Festschr.,  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  1908,  378.  K.  Togami,  Med.  Klinik  1908,  1837.  J.  A.  Schabad, 
Zeitschr.  f.  klin.  Med.  67,  454  (1909). 

3)  Literatur  über  Inosit:  V.  Gräfe,  Biochem.  Handlexikon  2,  551 — 572 
(1911). 

4)  Vgl.  E.  Winterstein,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  30,  2299  (1907). 
E.  Schulze  und  E.  Winterstein,  Z.  f.  physiol.  Chemie  40,  120  (1903). 

5)  S.  Posternak,  Compt.  Rend.  137,  202,  ^^y,  439  (1903). 

6)  E.  Winterstein,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  118  (1908). 

7)  C.  Neuberg,  Biochem.  Z.  9,  551,  560  (1908);  16,  406  (1909). 


Stützgevvcbe.  271 


CH.OH 
oxyhexahydrobenzol)      ^Tjur-i       l^u   r^x.T     präformiert    enthält. 

CH.riC  CH — Oll 

CH.OH 

Der  Letztgenannte  vermutet,  daß  die  Konstitution  des  Phytins 
vielleicht  der  Formel 

(0H)8P-0-P(0H), 

l  i 

CH CH 


(0H)3P-0-CH       CH-O-P(OH), 

0  !  o 

1  I         '  I 

(OH)8P-0-CH CH-O-P(OH), 

entspricht,  während  Starkenstein^)  auf  Grund  seiner  (im  Pohlschen 
Laboratorium  ausgeführten)  Untersuchungen  der  Meinung  ist, 
daß  an  jede  CH.OH-Gruppe  des  Inosits  je  eine  Phosphorsäure 
herantritt  und  daß  sich  je  zwei  Phosphorsäuren  unter  Austritt 
von  Wasser  zu   Pyrophosphorsäure    H4P2O7    kondensieren: 

CH.OH y  0=P  Q^ 

!  o 

CH.OH >  0=P^  qJ^ 

Hinsichtlich  der  Rolle,  welche  diese  Verbindung  als  Nahrungs- 
bestand t  teil  im  Stoffwechsel  spielt *),  entwickelt  Starkenstein 
die  Vorstellung,  daß  wachsende  Individuen  dieselbe  zu  spalten 
vermögen,  wobei  die  Phosphorsäure  zurückgehalten  und  ver- 
wertet wird;  der  schwer  angreifbare  Inosit  wird  zeitweise  in  den 
Geweben  abgelagert  und  gelangt  allmählich  zur  Ausscheidung. 
Erwachsene  Individuen  vermögen  die  Inositphosphorsäure  an- 
scheinend schwerer  zu  verwerten  und  scheiden  dieselbe  teilweise 
ungespalten  aus. 

i)  E.  Starkenstein  (Pharmakol.  Inst.  Prag,  Vorst.  J.  Pohl),  Biochem. 
Z.  $•,  56  (1910). 

2)  Vgl.  auch  L.  B.  Mendel  und  F.  P.  Underhill,  Amer.  Joum.  of 
Physiol.  17,  75  (1906).  E.  V.  Mac  Callum  und  E.  B.  Hart,  Joum.  of 
biol.  Chem.  4,  497  (1908),  (die  fermentative  Phytinspaltung  betreffend). 


272  XII.  Vorlesung. 


Dieser  Auffassung  entsprechend  würde  der  freie  Inosit  als 
ein  Abfallsprodukt  des  Phosphorsäurestoffwechsels  auf- 
zufassen sein  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  die  mit  ihm 
verbundene  Phosphorsäure  beim  Knochenaufbau  eine  wichtige 
Rolle  spielt.  Man  wird  jedenfalls  künftig  bei  den  Bilanzen  des 
Phosphorstoffwechsels  auch  mit  der  Inositphosphorsäure  zu 
rechnen  haben,  welche  im  Harne  bei  Anwendung  der  Magnesia - 
fällung,  wie  es  scheint,  leicht  der  anorganischen  Phosphorsäure 
zugerechnet  wird. 

Man  ist  übrigens,  nebenbei  bemerkt,  auch  über  die  physio- 
logische Bedeutung  des  Inosits  als  solchen  noch  keineswegs 
im  klaren.  Man  hat  von  jeher  nach  einer  Beziehung  des 
Inosits  C6HX2O6  zu  den  Kohlehydraten  gefahndet  und  es 
wäre  ja  sicherlich  denkbar,  daß  wir  es  hier  mit  einer  der  ersten 
Etappen  einer  Umwandlung  des  Zuckers  in  zyklische  Produkte 
zu  tun  haben.  Doch  ist  ein  solcher  Zusammenhang,  trotz  ver- 
einzelter Angaben  über  paralleles  Auftreten  von  Glykosurie  und 
Inositurie^),  noch  keineswegs  bewiesen^).  Nach  Rosenberger, 
der  die  Widerstandsfähigkeit  des  Inosits  gegen  heiße  Salpeter- 
säure und  Kalilauge  zur  Isolierung  desselben  benutzt  hat,  soll 
der  Inosit  in  tierischen  Organen  in  Form  einer  Vorstufe,  des 
Inositogens,  vorhanden  sein,  welche  einer  postmortalen  fermen- 
tativen  Aufspaltung  unterliegt.  Das  sind  alles  ungeklärte  Dinge. 
Die  uns  hier  zunächst  interessierende  Erkenntnis  eines  Zusammen- 
hanges des  Inosits  mit  dem  Phosphorstoffwechsel  scheint 
mir  aber  immerhin  auf  einer  festen  Basis  zu  ruhen,  wobei  wir  es 
einstweilen  dahingestellt  lassen  wollen,  ob  der  im  Tier-  und 
Pflanzenreiche  allgemein  verbreitete  Inosit  ein  Zerfallsprodukt 
oder,  wie  Meülere^)  meint,  ein   nutzbarer  Reservestoff  sei. 

Ob  das    Phytin   für   die  Therapie   der  Rhachitis  u.  dgl. 

irgendwie  brauchbar  ist,  wird  erst  die  praktische  Erfahrung  zu 

entscheiden  haben. 

Rhachitis  und        Wir  gelangen  nunmehr  zu  einem  schwierigen  Kapitel :  zu  einer 

Erörterung  derjenigen  Störungen  des  Mineralstoffwechsels,  welche 

i)  G.  Meilldre  et  P.  Fleury,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  67,  343  (1909). 

2)  P.  Mayer,  Biochem.  Z.  2,  393  (1907),  vgl.  auch  E.  Starkenstein, 
Zcitschr.  f.  exper.   Pathol.  5,  378  (1909). 

3)  G.  Meilldre,  Journ.  de  Pharm,  et  de  Chim.  28,  289  (1908). 


Ostcomalacie. 


Stützgewebe.  273 

in  das  Bereich  der  Rhachitis  und  der  Osteomalacie  hinein 
gehören.  Sie  werden  nicht  von  mir  erwarten,  daß  ich  auch 
nur  im  entferntesten  den  Versuch  wage,  diese  ungeheure  Materie, 
welche  ja  einen  nicht  geringen  Bruchteil  der  Pädiatrie  in 
sich  einschließt,  im  Rahmen  dieser  Vorlesungen  erschöpfend 
zu  behandeln.  Ich  muß  mich  naturgemäß  darauf  beschränken, 
einiges,  was  mir  vom  Standpunkte  des  physiologischen  Chemikers 
als  wissenschaftlicher  Reingewinn  erscheint,  aus  diesem  Literatuf- 
wuste  herauszuholen.  Sie  werden  leider  sogleich  Gelegenheit 
haben,  sich  davon  zii  überzeugen,  daß  dies  nicht  allzuviel  ist. 
Gibt  es  doch  wohl  wenige  Gebiete,  wo  das  Mißverhältnis  zwischen 
der  Menge  literarischer  Produktion  und  dem  Zuwachse  an  Er- 
kenntnis ein  so  krasses  ist,  wie  gerade  hier^). 

Sehr  zahlreiche  Autoren  haben  die  Ursache  der  Rhachitis  in     Bedeutung 
•einem    primären  Kalkmangel   sehen   wollen   und   denselben  ^^  ^?:l^^^}' 

^  °  .  gels     für     die 

teils  auf  eine  verminderte  Kalkaufnahme,  teils  auf  eine  vermehrte  Pathogenese 
Kalkabgabe  bezogen.  Mühevolle  Bilanz  versuche  haben  jedoch  ^^^  Rhachitis. 
zwischen  dem  Verhalten  normaler  und  rhachitischer  Kinder  in 
Bezug  auf  ihren  Kalkstoffwechsel  keinen  eindeutigen  Unterschied 
ergeben 2).  Auch  hat  man  keinen  Grund,  anzunehmen,  daß  das 
Kalkaufnahmsvermögen  des  Darmes  bei  der  Rhachitis  etwa 
Schaden  leidet.  Da  femer  die  Beobachtung  gemacht  worden  ist, 
daß  der  absolute  Kalkgehalt  der  Knochen  bei  der  Rhachitis 
zwar  abnimmt,  dabei  aber  gleichzeitig  derjenige  der  Weicht^ile 
anscheinend  stationär  bleibt,  oder  gar  zunehmen  kann^),  hat  die 
Kalkmangelhypothese,  welche  die  Lehre  von  der  Rhachitis  so  lange 
Zeit  hindurch  vollkommen  beherrscht  hat,  viel  an  Boden  ver- 
loren. Viele  Autoren  stehen  heute  ganz  auf  dem  Standpunkte, 
das  Wesen  der  Rhachitis  bestehe  darin,  daß  das  osteogene  Ge- 
webe, trotzdem  ihm  genügend  Kalk  zu  Verfügung  steht, 


i 

"I 
I 


i)  Literatur  über  den  Mineralstoffwechsel  bei  Rhachitis  und  Osteomalacie: 
L.  Mohr,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffwechsels,  2.  Aufl.  2,  853 — 871 
<I907).     P.  Morawitz,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  312 — ^^^  (1910). 

2)  Vgl.  Crohnheim  und  F.  Müller  (I^bon  von  Zuntz),  Biochem. 
Z.  9,  76  (1908). 

3)  H.  Brubacher  (Physiol.  Inst.  München),  Zeitschr.  f.  Biol,  27,  517 
<i89o).     Stöltzner,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  5#,  208  (1899). 

V.  Fürth,  Probleme.  iS 


274  ^I^-  Vorlesung. 


zur  rechtzeitigen  Assimilation  und  Ablagerung  der 
Kalksalze  ungeeignet  geworden  ist^).  Nach  Meinhard 
Pfaundlers^)  Auffassung  sollen  die  Zellen  des  osteoiden  Gewebes 
die  Eigenschaft  der  Kalkadsorption  eingebüßt  haben. 

Der  kürzlich  verstorbene  ausgezeichnete  Straßburger  Pathologe 
Friedrich  von  Recklinghausen^)  hat  einen  großen  Teil  seiner  rast- 
losen Lebensarbeit  dem  Rhachitisprobleme  gewidmet  und  in  einem 
jüngst  erschienenen  Werke  niedergelegt.  Für  uns  ist  es  nun  von 
Interesse,  daß  er  eine  scharfe  Trennung  von  Rhachitis  und  Osteo- 
malacie  von  der  Hand  weist  und  daß  er  sich  der  Annahme  einer 
ursächlichen  Bedeutung  erhöhter  Kalkberaubung  oder  ver- 
minderter Kalkzufuhr  gegenüber  skeptisch  verhält. 

Die  Bedeutung  anderer  Umstände  für  die  Pathogenese  der 
Rhachitis  soll  sicherüch  nicht  bestritten  werden.  Es  wäre  aber 
meines  Erachtens  dennoch  ganz  verfehlt,  wenn  man  die  Kalk- 
mangelhypothese  für  erledigt  halten  woUte.  Sorgfältige 
Untersuchungen,  die  im  Zuntzschen  Institute*)  ausgeführt 
worden  sind,  haben  zu  dem  wichtigen  Ergebnisse  geführt,  daß, 
wenn  man  den  normalen  Kalkgehalt  der  Milch  und  die  normale 
Gewichtszunahme  des  Säugüngs  berücksichtigt,  für  den  an  der 
Mutterbrust  genährten  Säugling  eben  nur  ein  knappes  Auslangen 
hinsichtlich  der  Kalkzufuhr  besteht;  jedes  raschere  Wachstum, 
insbesondere  aber  jede  Überernährung  mit  kalkfreier  Nahrung; 
birgt  also  die  Gefahr  des  Kalkmangels  und  damit  anscheinend  die 
der  Rhachitis  in  sich.  Die  Milch  der  Mütter  rhachitischer' Kinder 
soll  besonders  kalkarm  sein.  Bei  Kuhmilch-  und  Kindermilch- 
nahnmg  soll  es  wiederum  die  schlechte  Ausnutzung  der  an  sich 
genügend  vorhandenen  Kalksalze  sein,  welche  dahin  wirkt,  daß 
der  menschliche  Körper  während  des  ersten  Lebensjahres  vielfach 
unter  dem  Einflüsse  einer  relativ  kalkarmen  Ernährung  steht ^). 


i)  Vgl.  F.  Lehnerdt,  Ergebu.  d.  inneren  Med.  6,   120  (1910). 
2)M.   Pfaundler,  Jahrb.  f.   Kinderheifk.   60,   123   (1904). 

3)  F.    V.    Recklinghausen,    Untersuchungen    über    Rhachitis    und 
Osteomalacie.     Verl.  von  Gustav  Fischer.    Jena  19 10. 

4)  H.  Aron  und  Seebauer,  Biochem.  Z.  8,  i  (1907).    H.  Aron,  ibid. 
12,  28  (1908). 

5)  Vgl.  auch  Dibbelt,  Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An.  48,   147  (i9io> 
und  Arbeiten  aus  dem  pathol.  Inst.  Tübingen  (Baumgarten)   1908  u> 


Stützgewebe.  275 


Sollte  sich  diese  Auffassung  bestätigen,  so  liegt  die  große  praktische 
Bedeutung  dieser  Erkenntnis  auf  der  Hand:  Man  würde  durch 
rechtzeitige  prophylaktische  Kalkgaben  viel  Elend  und 
Krankheit  aus  der  Welt  schaffen  können.  Es  fragt  sich  nur, 
warum  man  bisher  mit  Kalkzulagen  zu  der  Nahrung  bei  der 
Rhachitis  so  wenig  Erfolge  erzielt  hat.  Vielleicht  nur  deswegen, 
weil  man  damit  viel  zu  spät  gekommen  ist:  Die  Erscheinungen 
der  Rhachitis  treten  nämlich  mit  deutlich  erkennbaren  klinischen 
Symptomen  erst  zu  einer  Zeit  auf,  wo  der  pathologische  kalkarme 
Knochen  längst  gebildet,  das  Kalkdeficit  des  Gesamtstoffwechsels 
aber  auch  längst  schon  wieder  ausgeglichen  ist.  Es  ist  daher 
leicht  verständlich,  daß  man  zu  dieser  Zeit  Geschehenes  nicht 
mehr  ungeschehen  machen  kann  und  mit  einer  Kalkzulage  zur 
Nahrung  nicht  mehr  viel  ausrichten  wird. 

Es  ist  klar,  daß  eine  Nahrung,  welche  unter  normalen  Ver- 
hältnissen für  den  Kalkbedarf  des  weiblichen  Körpers  gerade 
ausreicht,  unzureichend  werden  kann,  wenn  durch  eine 
Schwangerschafts-  und  Stillperiode  der  Kalkbedarf  ge- 
steigert wird.  Nach  Dibbelts^)  lehrreichen  Versuchen  zeigen 
trächtige,  kalkarm  ernährte  Hündinnen  Knochenveränderungen 
infolge  von  Kalk  Verlusten.  Die  im  mütterlichen  Blute  kreisenden 
Kalksalze  werden  offenbar  infolge  einer  stärkeren  Affinität  zu 
den  fötalen,  knochenbildenden  Geweben  hingezogen.  Wird  durch 
die  Nahrung  kein  ausreichender  Ersatz  geboten,  so  werden,  da  dem 
Blute  eine  bestimmte  Lösungsfähigkeit  für  Kalksalze  innewohnt, 
stets  neue  Kalkmengen  dem  mütterlichen  Skelette  entzogen  und 
dem  fötalen  Knochengewebe  zugeführt;  so  wird  eine  Art  von 
Osteomalacie  eingeleitet.  Nach  dem  Wurfe  kehrt  sich  die 
Sachlage  insofern  um,  als  die  Mutter  nunmehr  mit  der  Milch 
nur  wenig  Kalk  verliert,  während  sich  bei  den  Jungen  (mit 
den  rhachitischen  vergleichbare)  Knochenveränderungen  geltend 
machen  können. 


1909.     J.  A.  Schabad,  Arch.  f.  Kinderheilk.  54,  83  (1910)  und  Fortschr. 
d.  Med.  28,  1057  (1910).    W.  Birk  und  A.  Orgler,  Monatsschr.  f.  Kinder- 
heilk. 9,  544  (1910).    H.  Bahrdt  und  Edelstein,  Jahrb.  f.  Kinderheilk. 
72,  16,  Ergänzungsheft  (1910). 
i)  1.  c. 

i8* 


276  Xir.  Vorlesung. 


Trinkwasser-         Die  Auffassung,  derzufolge  eine   frühzeitige   prophylak- 
harte  u.  Ent-  tische  Kalkzufuhr  den  menschlichen  Organismus  vielleicht  vor 

mancher  Schädigung  bewahren  könnte,  findet  in  den  neuen  Unter- 
suchungen von  Rose  und  Ragnar  Berg  eine  wichtige  Stütze^). 
Auf   Grund   eines   außerordentlich   umfangreichen   statistischen 
Untersuchungsmateriales  haben  die  Grenannten  den  Beweis  zu 
erbringen  versucht,  daß  zwischen  der  Härte  (also  dem  Erdal- 
kaligehalt)   des  Trinkwassers  und  gewissen  Entartungs- 
erscheinungen  eine    direkte   Beziehung   besteht.      Je    härter 
das  Trinkwasser,  desto  höher  der  Prozentsatz  militärtauglicher 
junger  Leute,   desto  weiter  der  Brustumfang  und  desto  größer 
die   Körperlänge,   desto   länger  die  Stillungsdauer  der  Frauen, 
desto  geringer  die  Häufigkeit  der  Rhachitis  und  desto  geringer 
die  Zahn  Verderbnis.     Die   Trinkwasserhärte  soll   ihren   Einfluß 
auf  den  Organismus  vor  allem  bei  der  Zubereitung  der  Speisen 
geltend   machen,    insofern   die   Verarmung   derselben   an    Kalk 
und    Magnesia   durch   Auslaugung   damit   zusammenhängt.     Es 
wird    vorgeschlagen,    um   einer    solchen   entgegenzuwirken,    alle 
Gemüse  im  Dampftopfe  mit  nur  ganz  wenig  Wasser  zu  kochen. 
Es  ist  sicherlich  nicht  ausgeschlossen,  daß  dergleichen  unschein- 
baren und  bisher  kaum  beachteten  Dingen  in  der  Volkshygiene 
späterer  Zeitalter  eine  gewaltige  Bedeutung  beschieden  sein  wird. 
Hier  eröffnet  sich  sicherlich  für  Leute,  die  mit  der  nötigen  Beharr- 
lichkeit ausgestattet  sind,  ein  aussichtsreiches  Arbeitsgebiet;  es 
sind  gar  hohe  Ziele,  die  in  weiter  Feme  winken.     Doch  glaube 
ich,  aufrichtig  gestanden,  nicht,  daß  die  Dinge  so  einfach  liegen. 
Außer  der  Trinkwasserhärte  u.  dgl.  spielen  wohl  sicherlich  noch  un- 
zählige andere  Dinge  mit.    Daß  man  mit  so  einfachen  Annahmen 
schwerlich  sein  Auskommen  finden  dürfte,  wird  z.  B.  jeder  zu- 
geben müssen,  der  das  österreichische  Salzkammergut  kennt  und 
dem  die  vorzeitige  Zahnverderbnis,  die  insbesondere  bei  Frauefi 
in  manchen  Gegenden  geradezu  endemisch  ist,  aufgefallen  ist. 
Daß  eine  Kalkarmut  des  Trinkwassers  daran  schuld  ist,  kann 
in  diesem  Falle  niemand  behaupten. 


i)  C.  Rose,  Deutsche  Monatsschr.  f.  Zahnheilk.  1904 — 1908,  i;  auch 
separat,  Verlag  von  J.  Springer,  Berlin.  R.  Berg,  Biochem.  Z.  24,  282 
(1910);  26,  204  (1910). 


Stützgewebe.  277 


Eine  für  die  Säuglingsemährung  wichtige  Frage  ist  die,  ob    sterilisierte 
das  Sterilisieren    der  Milch  den  Kalkansatz  ungünstig  be-  ^*^^**  u-  Kaiic- 
einflußt.      Crohnheim^)    hat    auf   Grund   seiner   im    Zuntzschen 
Institute  durchgeführten   Versuchsreihen  diese  Frage  bejahend 
beantwortet    und   vom    Gebrauche   sterilisierter    Milch   bei   der 
Ernährung  von  Säuglingen  dringend  abgeraten. 

Bei  der  Rhachitisfrage  kommt  außer  dem  Kalk  übrigens  wohl    Magnesium- 
auch    das    Magnesium    in    Frage;    der    Magnesiumgehalt    in    ß^*'^^*    ^^^ 

,,...,  TT  t  1  .,  1        ..„  .         ,      .      Knochen    und 

rnacnitiscnen  Knochen  kann  siebenmal  großer  sem   als  m       zahne, 
normalen^).   Auch  bei  der  Osteomalacie  kann  der  Kalkverlust 
im  Knochen  durch  Magnesium  teilweise  ersetzt  werden,  derart, 
daß  der  Gehalt  an   letzterem  schließlich  den  Kalkgehalt  sogar 
übertreffen  kann  3). 

Außerordentlich  zahlreich  sind  die  Versuche,  durch  kalk- 
arme Nahrung  beziehungsweise  durch  »Entkalkung  des 
Körpers  durch  Säurezufuhr«  der  Rhachitis  wie  der  Osteo- 
malacie ähnliche  Symptome  bei  Tieren  künstlich  zu  produzieren. 

Versuche  mit   kalkarmer  Ernährung  sind  schon  in  der     Künstliche 
ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  von  Chossai  an  Tauben     Kaikverar- 
tind  sodann  von  vielen  Autoren  in  großer  Zahl  an  Säugetieren        chen. 
ausgeführt  worden*).    Eine  künstliche  Entkalkung  der  Knochen 
wurde  durch  Zufuhr  von  Milchsäure,  Oxalsäure,  verdünnter 
Schwefelsäure  und  saurem  Natriumphosphat^)  versucht. 
Dazu  kommen  zahlreiche  Beobachtungen  über  Ernährung  mit 
Futtermitteln,    welche    eine    Asche    von    saurer    Reaktion 
liefern    (wie   Zerealienkömer),    oder   reich   an   Oxalsäure   sind 
(wie  Rübenschnitzel),  oder  die  (wie  die  in  manchen  Bergwerks- 
und   Hüttendistrikten    gewachsenen    Futterpflanzen)    Schwefel- 


i)  Crohnheim  und  F.Müller  (Labor.  Zuntz),  Jahrb.  f.  Kinderheilk. 

57,  45  (1903)- 

2)  Vgl.  Th.  Gaßmann,  Z.  f.  physiol.  Chemie  70,  161  (1910). 

3)  C.  Cattaneo,  La  Pediatria  8,  497  (1909);  Jahresber.  f.  Tierchemie 
39,  428. 

4)  C.  Voit,  Forster  und  Erwin  Voit,  Lehmann,  König,  Ba- 
ginsky,  Rohloff,  Aron  u.  Seebauer,  Stöltzner  (Pflügers  Arch.  122, 
599  [1908])  u.  a. 

5)  Heitzmann,  Baginsky,  Weiske,  Caspari,  Götting  (Virchows 
Arch.  197,  1  [1909])  u.  a. 


278  XII.  Vorlesung. 


säure  in  größeren  Mengen  enthalten  (»Hüttenrauchfutter«)^). 
Man  hat  femer  eine  Entkalkung  der  Knochen  dadurch  herbei- 
zuführen versucht,  daß  man  junge  wachsende  Tiere  dauernd  mit 
phosphorarmer  Nahrung  gefüttert  hat.*) 

Bei  einem  Teile  derartiger  Versuche  wiu"de  nichts  anderes 
erzielt  als  eine  Art  mehr  oder  minder  hochgradiger  Osteoporose; 
das  heißt,  die  Knochen  wurden  dünn,  wasserreich,  kalkarm  und 
brüchig.  Man  hat  gelegentlich  beobachtet,  daß  ein  mit  sauerem 
Futter  ernährtes,  anscheinend  ganz  gesundes  Tier  bei  einem 
Sprunge  plötzlich  gelähmt  zusammenbrach,  weil  seine  morsche 
Wirbelsäule  entzweigeknickt  war. 

Bei  manchen  anderen  Versuchen  wurden  Veränderungen 
beobachtet,  die  sicherlich  an  Rhachitis  erinnern:  Wucherungs- 
vorgänge an  Periost  und  Knorpeln,  Verdickungen  der  Epiph5rsen, 
Verkrümmungen  u.  dgl.  Doch  sind  viele  Autoren  der  Meinung, 
daß  die  Erzeugung  einer  echtenRhachitis  bisher  auf  experimen- 
tellem Wege  nicht  gelungen  ist.  Während  bei  der  letzteren  eine 
mangelhafte  Ablagerung  der  Kalksalze  im  osteoiden  Gewebe  das 
Wesentliche  zu  sein  scheint,  tritt  bei  den  künstlichen  Entkalkungs- 
versuchen  eine  gesteigerte  Resorption  verkalkten  Knochengewebes 
ein,  während  die  Verkalkung,  des  osteoiden  Gewebes  in  normaler 
Weise  vor  sich  geht'). 
Pathogenese  Die  Vorstellung,  daß  die  menschliche  Osteomalacie  die 
^^\aSe^'"^  Folge  einer  Lösung  der  Knochenerde  durch  eine  in  den  Knochen 
angehäufte  Säure  (etwa  Milchsäure)  sei,  welche  einige  Zeit  lang 
in  der  Pathologie  eine  Rolle  gespielt  hat,  ist  eigentlich  bereits 
durch  den  vor  vielen  Jahren  im  Laboratorium  Hoppe-Seylers^) 
erbrachten  Nachweis  erledigt  worden,  daß  die  Relation  zwischen 
Kalk,  Phosphorsäure  und  Kohlensäure  bei  dieser  Erkrankung 
eine  Verschiebung  erfährt,  die  durch  einen  Säurelösungsvorgang 

i)  Literatur  über  kalkarme  und  säurereiche  EmAhrung:  H.  Aron, 
Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  195 — 202  (1909).  Stöltzner,  Pathologie  und 
Therapie  der  Rhachitis.    Berlin,   1904. 

2)A.  Lipschütz  (Pharmakol.  Inst.  Gottingen),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  62,  210  (19 10). 

3)  Götting,  1.  c. 

4)  M.  Levy,  Z.  f.  physiol.  Chemie  19,  239  (1894).  Cappezzuoli, 
Biochem.  Z.  16,  355  (1909).  F.  H.  McCrudden,  Amer.  Joum.  of  Physiol. 
17,  32  (1906). 


Stützgewebe. 


279 


nicht  erklärt  wird.  Das  eigentliche  Wesen  dieser  Erkrankung  ist 
uns  auch  heute  noch  unbekannt.  Das  einzige,  was  wir  mit  einiger 
Sicherheit  behaupten  können,  ist  ein  Zusammenhang  der  Affektion 
mit  den  Vorgängen  im  weiblichen  Sexualapparate.  Daß  die 
Gravidität  eine  gewisse  »  physiologische  «  Osteomalacie  herbeizu- 
führen vermag,  ist  nach  dem  früher  Gesagten  verständlich.  Daß 
femer  eine  Entfernung  der  Keimdrüsen  die  Osteomalacie  gün- 
stig beeinflussen  kann,  ist  von  FefUing  angegeben  und  seitdem  von 
vielen  Seiten  her  bestätigt  worden.  Durch  welchen  Mechanismus 
die  Ovarien  jedoch  ihren  Einfluß  auf  den  Kalk-  und  Phosphor- 
stoffwechsel geltend  machen,  ist  nach  wie  vor  unbekannt i). 

Man  hat  sich  auch  bemüht,  die  Funktion  anderer  Drüsen  mit 
»innerer  Sekretion«  mit  den  Vorgängen  des  Knochenwachstums 
in  Zusammenhang  zu  bringen ;  es  gilt  dies  insbesondere  für  die 
Thymus,  die  Thyreoidea  und  die  Nebennieren.  Ich  werde 
noch  Gelegenheit  haben,  bei  Besprechung  dieser  Organe  darauf 
zurückzukommen . 

Bei  Verabreichung  von  Schilddrüsenpräparaten  an  Kre- 
tins, schilddrüsenberaubte  und  normale  Tiere  ist  eine  Be- 
schleunigung der  Verkalkungsvorgänge  und  dadurch  ein  vor-  Sekretion  zu 
zeitiger  Abschluß  des  Knochen  Wachstums  erzielt  worden  2).  Vorgängen  des 
Auffallend  ist  die  Angabe  französischer  Autoren,  daß  bei  Hunden,  Wachstums, 
denen  kleine  Knochenstücke  mit  Hilfe  eines  Trepans  ausge- 
schnitten und  wieder  eingepflanzt  oder  denen  künstliche  Frak- 
turen beigebracht  worden  waren,  die  Ossifikationsvorgänge 
durch  tägliche  subkutane  Adrenalininjektionen  sehr  günstig  be- 
einflußt worden  sind  3).  Die  über  den  Einfluß  des  Adrenalins  auf 
die  Kalkausscheidung  vorliegenden  Angaben  lauten  so  wider- 
sprechend, daß  damit  vorderhand  nichts  anzufangen  ist*).     Bei 


Beziehung 
der  Drüsen 
mit  innerer 


i)  Literatur  über  den  Einfluß  der  Kastration  auf  den  Stoffwechsel: 
A.  Magnus -Levy,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.  1,  415 — 423 
(1906),  vgl.  auch  F.  Heymann  (Labor.  Salkowski),  Z.  f.  physioL  Chemie 
41,  246  (1904).  J.  E.  Goldthwaite,  C.  F.  Painter,  R.  B.  Osgood 
and  F.  H.  McCrudden,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  14,  389  (1905), 

2)  VgL  E.  Bircher,  Arch.  f.  klin.  Chir.  91,  554  (1910). 

3)  VgL  auch  neuere  Angaben  über  Adrenalintherapie  der  Osteo- 
malacie. 

4)  G.  Etienne  und  Fritsch,  Journ.  de  Physiol.  11,  1084  (1909). 
P.  Carnot  und  G.  J.  Slavu,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  68,  832  (1910). 


28o 


XII.  Vorlesung 


Phosphorthe- 
rapie der 
Rhachitis. 


Beriberi 


jungen  Tieren  ist  nach  Exstiqjatibn  der  Thymus  neben  anderen 
Störungen  als  Teilerscheinung  einer  *Cachexia  thymipriva«  auch 
mehrfach  eine  Hypoplasie  des  Skeletts,  sowie  eine  abnorme 
Biegsamkeit  und  Brüchigkeit  der  Knochen  beobachtet  worden  *). 
Inwieweit  es  sich  bei  derartigen  Effekten  um  eine  Folge  allge- 
meiner Stoffwechselstörungen  und  inwieweit  um  spezifische 
Organwirkungen  handelt,  läßt  sich  vorderhand  nicht  entscheiden. 
Auch  sind  Versuche,  die  Rhachitis  durch  Verfütterung  dieser 
Organe  therapeutisch  zu  beeinflussen,  resultatlos  geblieben. 

Überblickt  man  die  Menge  von  Versuchen,  die  seit  Dezennien 
angestellt  worden  sind,  um  die  pathologischen  Wachstums- 
vorgänge der  Knochen,  insbesondere'  die  Rhachitis  therapeutisch 
zu  beeinflussen,  so  fällt  die  Bilanz  nicht  sonderlich  erfreulich  aus. 
Am  reellsten  dürften  doch  noch  die  Resultate  der  (seinerzeit  von 
Kassowitz  befürworteten)  therapeutischen  Phosphordar- 
reichung sein.  Wie  man  seit  Wegners  Untersuchungen  weiß, 
wird  die  Knochenbildung  durch  Phosphor  in  merklicher  Weise 
beeinflußt,  insofern  bei  jungen  Tieren  an  der  Wachstumszone  der 
Epiphysen  anstatt  spongiöser  Substanz  kompaktes  Knochen- 
gewebe gebildet  wird  und  es  scheint,  daß  heute  die  Mehrzahl  der 
Pädiater  sich  zu  der  Ansicht  bekehrt  haben,  daß  der  Phosphor 
den  rhachitischen  Prozeß  günstig  zu  beeinflussen  vermag*). 

Höchst  interessant  ist  übrigens,  wie  ich  hier  nebenbei  an- 
führen möchte,  die  von  Schautnann,  Aron  (Manila)  u.  a.  be- 
hauptete Tatsache,  daß  eine  der  wichtigsten  und  unheimlichsten 
Tropenkrankheiten,  die  Beriberi,  möglicherweise  durch  eine 
Störung  des  Phosphorstoffwechsels  bedingt  sein  könnte.  Es 
scheint,  daß  ein  großer  Teil  der  als  Beriberi  bezeichneten  Krank- 
heitserscheinungen durch  dauernde  einseitige  Ernährung  mit 
poliertem  »weißem  «  Reis  verursacht  ist.  Durch  den  Prozeß  des 
Polierens  wird  aber  das  an  organischem   Phosphor  (speziell  an 


i)  H.  Klose  und  H.  Vogt,  Beitr.  z.  klin.  Chir.  69,  i  (1910)  (Ausführ- 
liche Literatur).  C.  Hart  und  C.  Nord  mann,  Berliner  klin.  Wochenschr. 
(1910),  815.  M.  Lucien  und  J.  Parisot,  Arch,  med.  experim.  22,  98 
(1910). 

2)  Vgl.  J.  A.  Schabad,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  68,  94  (1909).  Birk 
(Univers.- Kinderklinik  Breslau),  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.  7,  450  (1908). 


Stützgewebe.  281 


Phytin)  reiche  Perikarp  entfernt.  Beim  Übergange  zu  einer 
phosphorreichen  Nahrung  sind  angeblich  gute  Heilerfolge  erzielt 
worden.  Bei  Hühnern  gelang  es  durch  ausschließliche  Ernährung 
mit  weißem  Reis  eine  Art  Polyneuritis  hervorzurufen^).  Eine 
Nachprüfung  der  Schaumannschen  Phospho'rmangeltheorie 
durch  eine  eigens  eingesetzte  Beriberi-Studienkömmission  hat 
nun  allerdings  Tatsachen  zutage  gefördert,  welche  der  genannten 
Hypothese  nicht  sonderlich  günstig  sein  dürften.  Fütterungs- 
versuche an  Tieren  scheinen  zwar  zu  ergeben,  daß  die  Reiskleic 
wirklich  einen  Schutzstoff  gegen  Beriberi  enthält;  doch  wird 
dieser  durch  Erhitzen  auf  etwa  130°  wirkungslos.  Es  ist  nicht 
gerade  wahrscheinlich,  wenn  auch  nicht  unmöglich,  daß  ein 
wirksames  Phosphatid  bei  dieser  Temperatur  zerstört  werden 
sollte  2). 

Nachdem  wir  uns  über  die  wichtigsten  Fortschritte  orientiert      Knorpel, 
haben,   die  in  bezug  auf  das   Knochengewebe  und  seipe  Ver- 
kalkung in   physiologisch-chemischer   Richtung   zu   verzeichnen 
sind,  wendet  sich  unsere  Aufmerksamkeit  nunmehr  dem  Knor- 
pel zu'). 

Nach  C.  Th.  Mörners  Untersuchungen  enthält  der  Knorpel 
(neben  leimgebender  Substanz,  einem  Albuminoid  und  »Chondro- 
mukoid«) als  wichtigsten  und  charakteristischen  Bestandteil  die 
Chondroitinschwefelsäure.  Dieselbe  findet  sich  in  allen 
knorpeligen  Teilen  des  Körpers  (auch  in  den  Gefäßwänden)  sowie 
auch  in  pathologischen  Knorpelbildungen,  während  sie  in  allen 
anderen  normalen  Geweben  angeblich  vermißt  wird*).  Die 
grundlegenden  Forschungen  Oswald  Schmiedebergs ^)  haben  ge- 
lehrt, daß  das  nicht  reduzierende  Chondroitin,  welches  mit  der 

i)  H.  Aron  und  F.  Hocson,  Philippine  Joum.  of  Science  18,  81,  98 
(1910). 

2)  Schau  mann,  4.  Tagung  der  deutschen  tropenmedizinischen  Ges: 
Dresden,  18. — 20.  Sept.  191 1.  Y.  Teruuchi  (Tokio),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  dl 
ges.  Biol.  12,  719  (1911). 

3)  Literatur  über  Chemie  des  Knorpelgewebes:  H.  Aron,  Handb.  d. 
Biochemie  2,  II,  212 — 219  (1909). 

4)  C.  Th.  Mörner,  Skandin.  Arch.  f.  Physiol.  1,  210  (1889)  und  Z.  f. 
physiol.  Chemie  12,  396  (1888);  20,  356  (1894),  vgl.  auch  Jahresber.  f. 
Tierchemie  24,  402  (1894). 

5)  O.  Schmiedeberg,  Arch.  f.  exper.  PathoL  28,  355  (1891). 


282  XII.  Vorlesung. 

Schwefekäure  zu  einer  Ätherschwefelsäure  verbunden  ist,  beim 
Kochen  mit  verdünnter  Minerabäure  unter  Abspaltung  von 
Essigsäure  in  eine  gummiähnliche,  wasserlösliche,  stark  re- 
duzierende einbasische  Säiu"e,  das  Chondrosin  CuHaiNOn 
übergeht.     Schmiedeberg  war  der  Meinung,  daß  das  Chondrosin 

als  eine  Verbindung  der  Glukuronsäure 
COOK  CH2.OH 

CH.OH  CH.OH 

a!!*^!!    mit  dem  Glukosamin   S*^??     aufzufassen  sei. 

CH.OH  CH.OH 

CH.OH  CH.NHg 

COH  COH 

Diese  Meinung  hat  jedoch  durch  neuere  Untersuchungen  keine 
Bestätigung  erfahren.  Friedrich  Müller^)  und  Steudel^)  sprachen 
hinsichtlich  des  Auftretens  des  Glukosamins  bei  der  Chondrosin- 
spaltung  Bedenken  aus.  Orgler  und  Neuberg ^)  vermißten  aber 
auch  die  Glukuronsäure;  sie  beobachteten  femer,  daß  der  kolloidale 
Charakter  und  das  Molekulargewicht  des  Chondrosins  mit  der  von 
Schmiedeberg  angenommenen  einfachen  Formel  nicht  im  Ein- 
klänge stehen,  und  kamen  zu  dem  Schlüsse,  daß  es  sich  nicht  um 
eine  Verbindung  einer  N-freien  Kohlehydratsäure  mit  einem 
N-haltigen  Zucker  handelt,  sondern  daß  umgekehrt  der  Stickstoff 
in  Form  einer  Kohlehydratsäure  vorliegt,  die  an  eine  N-freie 
Substanz  geknüpft  ist.  Die  erstere  wurde,  auf  Grund  der  Analysen 
ihres  schön  kristallisierenden  Kupfersalzes  vermutungsweise  als 
Tetraoxyaminokapronsäure  CeHjaNOe  angesprochen.  Da- 
gegen fand  Sigmund  Fränkel^),  daß  das  Chondrosin  mit  Phloro- 
glucin  und  Salzsäure,  sowie  auch  mit  Orcin  und  Salzsäure  charakte- 
ristische Farbenreaktionen  gibt,  welche  auf  einen  Glukuronsäure- 
komplex  hinweisen.  In  zwei  von  vielen  Versuchen  gelang  es  ihm, 
durch  Aufspaltung  des  Chondrosins  eine  amorphe  Säure  von  der 
Zusammensetzung  CeHnNOe  zu  gewinnen,  die  er  als  Amino- 
glukuronsäure     anspricht.       Die     Bildung    des     Chondrosins 


i)  F.  Müller,  Zeitschr.  f.  Bio!.  42,  534  (1901). 

2)  H.  Steudel,  Z.  f.  physioL  Chemie  S4,  359  (1902). 

3)  A.  Orgler  und  C.  Neuberg,  Z.  f.  physiol.  Chemie  S7,  407  (1903). 

4)  S.  Fränkel,  Festschr.  f.  Adolf  Lieben,  Leipzig  1906,   und  Ann.  d. 
Chem.  S51,  344  (1906). 


Stützgewebe.  283 


aus    seinen   beiden   Komponenten   könnte   also   etwa   nach   der 
Gleichung 

(C6HiiN06)x  +  (C6Hi206)x  =  xHgO  +  (Ci2H2iN0n)x 

erfolgen. 

Ich  möchte  darauf  hinweisen,  daß  Kondo^),  der  kürzlich  in 
Hofmeisters  Laboratorium  ein  bequemeres  Darstellungsverfahren 
für  Chondroitinschwefelsäure  aus  Nasescheidewandknorpeln  aus- 
gearbeitet hat,  auf  Gnmd  seiner  Analysen  dieser  Verbindung  die 
Zusammensetzung  CJ6H27NSO16  zuschreibt.  Denkt  man  sich 
aus  dieser  Verbindung  Schwefelsäure  und  Essigsäure  abgespalten, 
so  kommt  man  zu  Werten,  die  obiger  Chondrosinformel  nicht  allzu 
ferne  stehen. 

In  welcher  Form  die  Chondroitinschwefelsäure  im  Knorpel 
enthalten  ist,  wissen  wir  nicht.  Da  Alkalisalze  derselben  in 
Eiweißlösungen  Niederschläge  hervorrufen,  wird  man  hier 
auf  ziemlich  komplizierte  physikalisch-chemische  Bindungsver- 
hältnisse gefaßt  sein  müssen. 

In  naher  Beziehimg  zur  Frage  der  chemischen  Konstitution  Amyloid, 
der  Knorpelsubstanz  steht  diejenige  des  Amyloids 2).  Als 
»Amyloid«  hat  bekanntlich  Virchow  eine  unter  pathologischen 
Verhältnissen  (im  Anschlüsse  an  protrahierte  Eiterungen,  an 
Tuberkulose,  S5^hilis  u.  dgl.)  in  verschiedenen  Organen  erfolgende 
Anhäufung  einer  eigentümlichen  Eiweißsubstanz  in  Form  kon- 
zentrisch geschichteter  Körnchen  bezeichnet.  Auch  bei  Pferden, 
die  zum  Zwecke  der  Antitoxingewinnung  jahrelang  mit  Diphtherie- 
toxin  und  mit  Aderlässen  behandelt  worden  waren,  entwickelt  sich 
eine  amyloide  Entartung  innerer  Organe  3).  Das  Amyloid  ist 
durch  charakteristische  Farbenreaktionen  ausgezeichnet;  so  nimmt 
es  mit  Jodlösung  eine  braune,  mit  Methylviolett  eine  rosenrote 
Färbung   an.      Nach    Oddis   und   Krawkows^)    Untersuchungen 

i)  K.  Kondo  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Biochem.  Z.  26,  116 
(1910),  vgl.  auch  Pons,  Arch.  intemat.  de  Physiol.  8,  393  (1909). 

2)  Literatur  über  Amyloid:  H.  G.  Wells,  Chemical  Pathology, 
S-  347 — 352  (1907).    F.  Samuely,  Handb,  d.  Biochemie  1,  327  (1909). 

5)  P.  A.  Lewis  (Harvard  Medical  School),  Joum.  o£  med.  Reseao'ch 
15,  449. 

4)  A.  P.  Krawkow  (Labor,  von  Schmiedeberg),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  46,  19s  (1898),  vgl.  auch  Oddi,  ibid.  SS,  ^76  (1893). 


284  XII.  Vorlesung. 


sollte  nun  das  Amyloid  eine  esteraxtige  Verbindung  zwischen 
Eiweiß  und  Chondroitinschwefelsäure  sein.  Im  direkten  Wider- 
spruche zu  dieser  Angabe  steht  jedoch  die  Tatsache,  daß  Olav 
Yianssen^)  im  Laboratorium  Hofmeisters  mechanisch  isoliertes 
Amyloid  (es  handelte  sich  um  die  aus  »Sagomilz«  ausgelösten 
speckigen  Körnchen)  frei  von  Chondroitinschwefelsäure  gefunden 
hat.  Da  sich  jedoch  andererseits  beim  Vergleiche  normaler  und 
amyloid  entarteter  Organe  in  letzteren  eine  deutliche  Vermehrung 
in  Bezug  cCüf  gepaarte  Schwefelsäure  ergab,  erscheint  es  keineswegs 
aus  geschlossen,  daß  die  Amyloidablagerung  dennoch  in  irgend- 
welcher Beziehung  zu  der  Chondroitinschwefelsäure  steht  und  es 
hat  zum  mindesten  den  Anschein,  als  ob  dieselben  pathologischen 
Prozesse,  die  zur  amyloiden  Entartung  führen,  zugleich  eine  Ver- 
mehrung von  Chondroitinschwefelsäure  zur  Folge  haben  könnten. 

Der  Umstand,  daß  sich  lokale  Amyloidablagerungen 
zuweilen  (am  Larynx,  an  der  Nase,  in  den  Bronchien)  in  der 
Nachbarschaft  von  Knorpeln  finden,  hatte  den  Gedanken  nahe 
gelegt,  daß  es  sich  um  eine  Überproduktion  von  Chondroitin- 
schwefelsäure handelt,  welche  eine  zirkumskripte  EiweißfäJlung 
bewirkt.  Durch  den  vorerwähnten  Befund  Hanssens  ist  aber 
allen  derartigen  Überlegungen  einstweilen  jede  solide  Basis  ent- 
zogen worden.  Auch  über  die  Natur  des  dem  Amyloid  zugrunde 
liegenden  Proteins  sind  wir  nicht  orientiert;  die  Angabe  Neu- 
bergs^),  dasselbe  sei  sehr  reich  an  basischen  Komplexen  und  etwa 
den  Histonen  vergleichbar,  hat  durch  Untersuchungen  aus  dem 
Laboratorium  Kossels^)  keinerlei  Stütze  gefunden.  Man  kann 
einstweilen  nicht  einmal  sicher  sagen,  inwieweit  die  für  das 
Amyloid  charakteristischen  Eigenschaften  in  die  chemische  und 
wie  weit  sie  in  die  physikalische  Sphäre  hineingehören.  So  fand 
z.  B.  M.  B.    Schmidt^),   daß   in  den  lebenden  Tierkörper  im- 


i)  O.  Hanssen   (Physiol.-chem.   Inst.   Straßburg),   Biochem.   Z.   18, 
185  (1908). 

2)  C.   Neuberg,  Verh.   d.  deutsch,   pathol.   Ges.   (1904),   S.  19    (Er- 
gänzungsheft z.  Zentralbl.  f.  Pathol.  15). 

3)  M.  Mayeda,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  469  (1908). 

4)  M.  B.  Schmidt,  Verh.  d.  deutsch,  pathol.  Ges.  (1904),  S.  2    (Er- 
gänzungsheft z.  Zentralbl.  f.  Pathol.  15.) 


Stützgewebe.  285 


plantierte  Stücke  amyloiden  Gewebes  ihre  Jodreaktion  einbüßten, 
die  Methyl  Violettreaktion  dagegen  beibehielten.  Wichtig  ist  die 
Feststellung  des  letztgenannten  Autors,  daß  das  Amyloid  nicht 
etwa  durch  Umwandlung  des  Zellprotoplasmas  entsteht,  sondern 
allem  Anscheine  nach  aus  einer  flüssigen,  die  Gewebs-  und 
Lymphspalten  infiltrierenden  Vorstufe,  deren  Gerinnung 
oder  Fällung  an  Ort  und  Stelle  möglicherweise  durch  einen 
enzymatischen  Vorgang  bedingt  sein  könnte. 


XIIL  Vorlesung. 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion. 

Wir  wollen  nunmehr,  nachdem  wir  uns  mit  dem  Muskel-, 
Nerven-  imd  Stützgewebe  beschäftigt  haben,  zu  der  Betrach- 
tung der  »parenchymatösen«  Organe  übergehen  und  da  müs- 
sen wir  unsere  Aufmerksamkeit  zunächst  der  Leber  zuwenden. 
Man  könnte  angesichts  der  dominierenden  Bedeutung  der  Leber 
für  zahlreiche  Stoffwechselvorgänge  ganz  wohl  bei  Besprechung 
dieses  Organes  einen  großen  Teil  der  Lehre  von  der  Ernährung 
mit  einbeziehen.  Es  soll  dies  jedoch  hier  nicht  geschehen,  sondern 
die  Leber  zunächst  nur  als  sekretbereitendes  Organ  näher  be- 
trachtet werden. 
Gaiicnfistein.  Daß  die  Galle,  als  das  Sekret  des  größten  parenchymatösen 
Organes,  das  Interesse  der  Ph3^ologen  von  jeher  in  Anspruch 
genommen  hat,  ist  leicht  verständlich.  Weniger  verständlich 
ist  es  aber,  wieso  es  kommt,  daß  wir,  trotzdem  Schwann  bereits 
im  Jahre  1844  die  erste  Gallenblasenfistel  angelegt  hatte,  über 
die  sekretorische  Funktion  der  Leber  auch  heutigentags  noch  recht 
unvollständig  orientiert  sind.  Es  mag  dies  zum  großen  Teile  auf 
die  Mängel  der  älteren  Gallenfisteltechnik  zurückzuführen  sein. 
Dieselbe  hat  nunmehr,  insbesondere  dank  den  Bemühungen  von 
Dastre  und  von  Pawlow^),  eine  wesentliche  Verbesserung  erfahren. 
Der  Letztgenannte  geht  derart  vor,  daß  er  die  Mündung  des 
Ductus  choledochus  aus  dem  Duodenum  an  die  äußere  Körper- 
oberfläche verlegt,  indem  er  die  Papille  mit  einem  kleinen  Stücke 
der  Darmschleimhaut  herausschneidet  und  in  die  Bauchwunde 
einnäht.    Das  hört  sich  ganz  leicht  an,  ist  aber,  wie  der  Erfinder 


1)  J.  P.  Pawlow,  Die  physiologische  Chirurgie  des  Verdauungskanals". 
Ergebn.  d.  Physiol.  1,  I,  272 — 277  (1902). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  287 


selbst  zugibt,  in  praxi  recht  schwierig,  umsomehr,  als  die  vor- 
trefflichen Einrichtungen  und  geschulten  Hilfskräfte,  wie  sie  im 
St.  Petersburger  Institute  für  experimentelle  Medizin  vorhanden 
sind,  ja  leider  nicht  überall  zu  Gebote  stehen^). 

Die  Abhängigkeit  der  Gallensekretion  von  der  Nah-  Abhängigkeit 
rungsaufnähme   ist   von  Heidenhain ,   Barbira  und    anderen  s^kreüon^von 
festgestellt  worden.    Am  stärksten  ist  die  Sekretions  Vermehrung  der  Nahnings- 
nach  Fleischnahrung,  während  Fett  schwächer  und  Kohle-     »"*"«*»'"«• 
hydratnahrung  anscheinend  am  schwächsten  wirkt*). 

Worauf  diese  Vorzugsstellung  der  Fleischnahrimg  beruht, 
ist  nicht  klar.  Auch  die  Extraktivstoffe  des  Fleisches  sind 
angeblich  imstande,  die  Gallensekretion  zu  fördern,  während 
Harnstoffzufuhr  in  noch  so  großen  Dosen  wirkungslos  ist^). 
Femer  ist  die  Art  des  zugeführten  Eiweißes  nicht  gleich- 
gültig; A.  Loeb^)  hat  im  Laboratorium  Ashers  festgestellt, 
daß  nach  Verabreichung  von  Kasein  und  Gliadin  weniger  Galle 
gebildet  wird,  als  (ceteris  paribus)  nach  Fleischfütterung;  dagegen 
haben  Albumosen  eine  ausgesprochen  cholagoge  Wirkung. 

Im  großen  und  ganzen  scheint  die  Gallensekretion  denselben  Sekretin. 
Einflüssen  zu  unterliegen,  wie  die  Pankreassekretion  und 
beide  werden  von  der  Nahrungsaufnahme  in  ganz  paralleler  Weise 
beeinflußt*).  Es  ist  interessant,  daß  das  sogenannte  »Sekretin« 
seine  Wirkung  auch  auf  die  Gallensekretion  geltend  macht. 
Bayliß  und  Siarling^),  denen  wir  die  Entdeckung  des  Sekretins 
und  der  damit  zusammenhängenden  Phänomene  verdanken, 
haben  festgestellt,  daß  die  Gallensekretion,  welche  ebenso  wie  die 
Pankreassekretion  durch  den  Austritt  des  saueren  Chymus  aus 
dem  Magen  ausgelöst  wird,  auch  diurch  direkte  Einführung  ver- 
dünnter Salzsäure  in  das  Duodenum  ausgelöst  werden  kann  und 


i)  Literatur  über  Zusammensetzung  und  Sekretion  der  Galle:  J.  Wohl- 
gemuth,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  202 — 215  (1910). 

2)  J.  P.  Pawlow,  Die  Arbeit  der  Verdauungsdrüsen.  Wiesbaden  1903. 

3)  A.  G.  Barbara,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  Physiol.  12,  652  (1898). 

4)  A.  Loeb  (Physiol.  Inst.  Bern),   Zeitschr.  f.  Biol.  55,  168  (191 1). 

5)  Vgl.  H.  H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  Experim.  Pharmakol. 
S.  145.    1910. 

6)  W.  M.  Bayliß  und  E.  H.  Starling,  Ergebn.  d.  Physiol.  5,  677 
(1906).  E.  H.  Starling,  Lectures  on  recent  advances  in  the  Physiology 
of  Digestion.  S.  115.    London  1906. 


388  XIII.  Vorlesung. 


zwar  ist  das  auch  der  Fall,  nachdem  alle  nachweisbaren  Verbin- 
dungen zwischen  der  Leber  und  dem  Zentralnervens5^tem  durch- 
trennt worden  sind.  Intravenöse  Injektion  von  »Sekretin  <f,  das 
heißt  eines  mit  verdünnter  Säure  hergestellten  Kochextraktes  aus 
Darmschleimhaut  vermag  die  GaUen-  und  Pankreassekretion  an- 
zuregen und  die  genannten  Autoren  sind  der  Ansicht,  daß  der 
'  gleiche  wirksame  Bestandteil  auch  intra  vitam  unter  dem  Ein- 

flüsse des  saueren  Chymus  im  Darme  entsteht,  in  die  Zirkulation 
übergeht,  auf  dem  Blutwege  zu  den  genannten  Drüsen  gelangt 
und  die  physiologische  Auslösung  der  Sekretion  derselben  bewirkt. 
Fleig  hat  jedoch  festgestellt,  daß  die  Einführung  von  Säure  in  eine 
Jejunumschlinge  auch  dann  Gallensekretion  auszulösen  vermag, 
wenn  die  betreffende  Darmpartie  durch  Unterbindung  von  Lymph- 
gefäßen und  Venen  ganz  aus  der  allgemeinen  Zirkulation  ausgeschal- 
tet worden  ist,  derart  daß  in  diesem  Falle  nur  die  Annahme  eines 
nervösen,  durch  die  Säure  veranlaßten  Reflexes  zur  Erklä- 
rung herangezogen  werden  kann^).  Ich  möchte  mir  die  eingehen 
dere  Erörterung  dieses  verwickelten  Problems  auf  eine  spätere 
Vorlesung,  in  der  von  der  Pankreassekretion  die  Rede  sein  wird, 
versparen  und  hier  nur  erwähnen,  daß  ich  durch  eine  gemeinsam 
mit  meinem  Freunde  C.  Schwarz^)  ausgeführte  Untersuchung 
zur  Überzeugung  gelangt  bin,  daß  ein  Teil  der  Sekretinwirkung 
mit  dem  Cholingehalt  der  Darmextrakte  zusammenhängt. 
Neuere  Untersuchungen  (s.  o.  S.  187)  deuten  vielleicht  darauf  hin, 
daß  die  sekretionserregende  Wirkung  nicht  nur  dem  unveränderten 
Cholin  ak  solchen,  sondern  auch  nahen  Umwandlungsprodukten 
desselben  eigentümlich  ist. 
Cholagoga.  Die   Frage,    durch   welche   chemische   Agentien   die   Gallen- 

sekretion ausgelöst  werden  kann,  hat,  schon  mit  Rücksicht  auf 
die  praktische  Frage  der  Therapie  der  GaUensteinkoliken,  die 
Ärzte  von  jeher  sehr  interessiert  und  Sie  werden  in  älteren  Hand- 
büchern eine  stattliche  Zahl  von  Cholagogen  Mitteln  angeführt 
finden.  In  der  modernen  experimentellen  Pharmakologie  ist 
wenig  davon  übrig  geblieben.    Ein  gewisser  Effekt  scheint  unter 


i)  C.  Fleig,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  55,  353  (1903),  vgl.  auch  A.  Falloisc» 
Bull.  Acad.  roy.  de  Belgique  1903,  1106,  zit.  n.  Jahresber.  f.  Tierchemie  33, 
613.     E.  Wertheimer,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  55,  286  (iS)03)- 

2)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Pflügers  Arch.  124,  427  (1908).    ' 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  289 

Umständen  immerhin  dem  Salizylsäuren,  benzoesauren  und 
Ölsäuren  Natron,  sowie  den  Albumosen  eigentümlich  zu  sein.  Doch 
sehr  viel  Aufhebens  kann  man  damit  schwerlich  machen^).  Genau 
genommen  kennen  wir  eigentlich  nur  dreierlei  Faktoren,  durch 
die  anscheinend  ein  kräftiger  und  konstanter  Reiz  auf  die  Gallen- 
sekretion ausgeübt  werden  kann:  zwei  derselben,  nämlich  die 
Einführung  von  Säure  in  den  Darm,  sowie  die  Sekretin- 
{Cholin-,  Vasodilatin-)wirkung  haben  wir  bereits  kennen  gelernt. 
Der  dritte  Faktor  ist  die  Aufnahme  von  gallensauren 
Salzen  in  den  Kreislauf. 

Der  Physiologe  Schiff  hat  bereits  vor  vielen  Jahren  die  Be- 
obachtung gemacht,  daß  Verabreichung  von  Galle  per  os  bei 
einem  Gallenfisteltiere  eine  intensive  Sekretion  hervorruft.  Die 
aus  dem  Darme  zur  Resorption  gelangten  gallensauren  Salze 
können,  nachdem  sie  auf  dem  Wege  der  Pfortader  in  die  Leber 
gelangt  sind,  von  dieser  wieder  in  die  Galle  ausgeschieden  werden 
und  so,  neuerlich  in  den  Darm  zurückgelangend,  einen  Kreislauf 
vollführen. 

Stadelmann  und  seine  Mitarbeiter  stellten  fest,  daß,  wenn 
Gallensäure  per  os  eingeführt  wird,  mindestens  die  Hälfte  davon 
innerhalb  eines  halben  Tages  in  der  Galle  wieder  erscheint 2). 

Man  macht  von  der  Cholagogen  Wirkung  der  gallensauren 
Salze  auch  therapeutischen  Gebrauch;  es  gelangt  neuerdings  ein 
Präparat  unter  dem  Namen  »Ovogal«  in  den  Handel,  welches 
aus  einer  Verbindung  von  Gallensäuren  mit  Hühnereiweiß  besteht 
und  vom  Magen  weit  besser  vertragen  wird  als  Galle  oder  native 
Cholate.  Nach  Darreichung  des  Mittels  wurde  bei  Gallenfistel- 
hunden  eine  Vermehrung  der  Gallenmenge  beobachtet,  die  parallel 
mit  der  Größe  der  verabreichten  Dosen  anstieg®). 

Das  Pilocarpin  bewirkt  Kontraktionen  der  Gallenblase;  da- 


i)  Vgl.  H.H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  I.e.  S.  145—146.  A.  P.Wino- 
gradow,  Arch.  f.  [An.  u.]  Physiol.  1908,  313.  W.  W.  Weinberg,  Zentral- 
blatt f.  Physiol.  u.  Pathol.  d.  Stoffw.  6,  7  (1911).  (Hat  zumeist  starke 
Wirkung  von.  Seifen  und  Albumosen  beobachtet.) 

2)  Literatur  über  den  Kreislauf  der  Gallensäuren:  Wcintraud, 
Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.  1,  764 — 767  (1906). 

3)  Eichler  und  Latz  (Klinik  Senator),  Arch.  f.  Verdauungskrankh. 
15,  557    (1909).     A.  W.  Winogradow,  1.  c. 

V.  Fürth,  Probleme.  I9 


290 


XIII.  Vorlesung. 


Einfluß  der 
Galle  auf  die 
Darmbewe- 
gungen. 


gegen  vermag  es  in  Dosen,  die  hinreichen,  um  ausgiebige  Speichel- 
und  Schweißabsonderung  zu  erregen,  die  Gallenabscheidung  an- 
scheinend nicht  zu  steigern^).  Auch  das  Karlsbader  Wasser, 
das  in  der  Therapie  der  Leber-  und  Gallenblasenaffektionen  eine 
so  große  Rolle  spielt,  kann  nicht  den  gallen treibenden  Mitteln 
zugezählt  werden. 

Von  der  wichtigen  Rolle,  welche  der  Galle  bei  den  Vorgängen 
der  Resorption  und  Verdauung,  namentlich  bei  derjenigen 
der  Fette  zukommt,  soU  in  einer  späteren  Vorlesung  die  Rede 
sein.  Heute  möchte  ich  Ihnen  zunächst  über  einige  neuere 
Untersuchungen  berichten,  welche  den  Einfluß  der  Galle  auf 
die  Darmbewegungen  betreffen. 

Leon  Asher  und  Schüphach^)  beobachteten  die  Einwirkung 
der  Galle  auf  die  Darmbewegungen,  indem  sie  einerseits  die  Be- 
wegungen des  überlebenden  Katzendarmes  nach  der  Methode  von 
Magnus  registrierten,  andererseits  aber  an  lebenden  Hunden  mit 
Vellascher  Fistel  die  Zeit  beobachteten,  die  eine  Hartgummi- 
oder Siegellackkugel  brauchte,  um  das  isolierte  Darmstück  von 
einem  bis  zum  anderen  Ende  zu  durchwandern.  Es  ergab  sich, 
daß  Galle  stets  eine  vermehrte  Peristaltik  des  Rektums 
bewirkt,  die  Bewegungen  des  Dünndarms  dagegen  eher  hemmt. 
(Eine  Herabsetzung  des  Tonus  und  der  Rhythmik  der  Darm- 
bewegungen ist  auch  im  Laboratorium  Bottazzis  bei  Versuchen 
am  überlebenden  Katzendarme  bemerkt  worden*).  Beob- 
achtungen über  Beeinflussung  der  Darmperistaltik  durch  Galle 
sind  übrigens  keineswegs  ganz  neuen  Datums .  In  einem  Papyrus, 
der  etwa  auf  deis  Jahr  1300  v.  Chr.  zurückdatiert,  wird  unter  an- 
deren Klystierrezepten  ein  Gemenge  von  Rindergalle  und  Kuhmilch 
als  unfehlbares  Abführmittel  empfohlen  und  Galen  bezeichnete 
die  Galle  als  ein  »natürliches  Klystier«*).     Doch   waren   diese 


i)  Pr6vost  und  Binet,   Baldi,   Zeri  u.   a. 

2)  A.  Schüpbach  (Physiol.  Inst.  Bern),  Zeitschr.  f.  Biol.  51,  i  (1908). 
L.  Asher,  VII.  Internat.  Physiologenkongreß,  Heidelberg  1907,  vgl.  auch 
Zeitschr.  f.  Biol.  54,  (1910). 

3)  G.  d'Errico,  Zeitschr.  f.  Biol.  54,  286  (1910),  vgl.  auch  Berti, 
Arch.  di  fisiol.  6,  306  (1909).  Hallion  et  Nepper,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  SS, 
26(1907).     C.  Eckhard,  Zentralbl.  f.  Physiol.  IS,  49  (1899). 

4)  Zit.  nach  G.  d'Errico,  1.  c.  S.  287. 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  291 

uralten  Beobachtungen  längst  der  Vergessenheit  anheimgefallen 
und  erst  im  Anschlüsse  an  die  vorerwähnten  ph3^iologischen 
Untersuchungen  hat  man  in  jüngster  Zeit  wieder  zu  diesem  im 
vollen  Sinne  des  Wortes  »natürlichen  «  Heilmittel  greifen  gelernt. 
Nach  den  Beobachtungen  von  Gläßner  und  Singer^)  ist  die 
Wirkung  einer  rektalen  Applikation  einer  Gallenemulsion 
oder  einiger  Dezigramme  Cholsäure  eine  ganz  charakteristische: 
nach  5 — 10  Minuten  stellt  sich  Stuhldrang  ein,  und  da  die  ent- 
leerten Fäzes  jede  Verflüssigung  oder  flüssige  Beimengung  ver- 
missen lassen,  gewinnt  man  den  Eindruck,  daß  der  Vorgang  dem 
physiologischen  Def  äkationsakte  sehr  nahe  steht .  Diese  Medikation , 
welche  bei  hartnäckiger  Darmträgheit,  bei  paralytischem  Ileus, 
bei  postoperativer  Darmparese  u.  dgl.  empfohlen  wird,  dürfte 
als  eine  wirklich  wertvolle  Bereicherung  des  Arzneischatzes  zu 
bezeichnen  sein.  Die  Wirkung  per  os  ist  eine  unsichere,  offenbar 
weil  der  größte  Teil  der  Gallensäuren  schon  im  Dünndarme  zur 
Resorption  gelangt  und  daher  den  Dickdarm  gar  nicht  mehr 
erreicht. 

Ich  möchte  nun  weiterhin  die  Frage  kurz  berühren,  in  welcher 
Weise  eine  Störung  der  normalen  sekretorischen  Funk- 
tion der  Leber  ihre  Wirkungen  auf  den  Organismus  geltend 
macht. 

Wir  begegnen  hier  jener  großen  Gruppe  pathologischer  Er-  choiämische 
scheinungen,  die  man  unter  die  Schlagworte  »Icterus  gravis«, 
Cholämie,  akute  gelbe  Leberatrophie  usw.  einzureihen 
pflegt 2)  und  die  zu  jenen  Phänomenen  in  einer  nahen  Beziehung 
stehen,  die  nach  künstlicher  Leberschädigung  durch  Phos- 
phorvergiftung sowie  durch  Anlegung  einer  Eckschen  Fistel 
(d.  h.  einer  direkten  Verbindung  zwischen  Pfortader  und  unterer 
Hohlvene)  beobachtet  worden  sind.  Man  war  früher  vielfach 
geneigt,  diesen  ganzen  Komplex  von  Erscheinimgen  auf  eine  Über- 
schwemmung des  Kreislaufes  mit  Gallenbestandteilen,  i.  e.  eine 
»Cholämie«  zu  beziehen.     Doch  haben  derartige  Vorstellungen 


Erscheinun- 
gen. 


i)  K.  Gläßner  und  G.  Singer,  Wiener  klin.  Wochenschr.  2%,  Nr.  i 
(1910). 

2)  Vgl.  O.  Minkowski,  Icterus  und  Leberinsufficienz.  Deutsche 
Klinik  am  Eingange  des  zwanzigsten  Jahrhunderts  5,  687  (1905),  vgl. 
Landau  (Labor,  von  Zuntz),  Arch.  f.  klin.  Med.  79,  546  (1904). 

19» 


292  XIII.  Vorlesung. 

im   Laufe   des   letzten   Dezenniums  wesentliche   Modifikationen 
erfahren. 

Auf  eine  Überladung  des  Organismus  mit  Gallenbestandteilen 
ist  vor  allem  selbstverständlich  der  Icterus  als  solcher  zurück- 
zuführen, ebenso  wie  gewisse  mit  demselben  unmittelbar  zusammen- 
hängende leichtere  Störungen  (wie  Hautjucken,  Kopfschmerzen, 
Mattigkeit,  Xanthopsie  u.  dgl.);  auch  gewisse  Schädigungen  der 
Nieren  dürften  hierher  gehören,  ebenso  wie  die  bei  Icterus  so 
häufig  beobachtete  Pulsverlangsamung.  Man  pflegte  bisher 
die  letztere  auf  eine  Einwirkung  der  im  Blute  angehäuften  Gallen  - 
säuren  einerseits  auf  den  Herzmuskel  als  solchen,  anderseits 
auf  die  im  Vagus  verlaufenden  Herzhemmungsfasern  zu  beziehen. 
Es  ist  jedoch  kürzlich  im  Laboratorium  Leon  Asher^  gezeigt 
worden,  daß  Galle  nur  auf  den  nervösen,  nicht  aber  auf  den 
muskulären  Apparat  des  Froschherzens  einwirkt^). 
Hämoiyse  Komplizierter  liegen  die  Dinge  schon  hinsichtlich  der  hämor- 

**"^rt^*"*"    rhagischen    Diathese,    welche    vielfach    im    Verlaufe    eines 
»Icterus  gravis«  beobachtet  wird. 

Man  könnte  dabei  immerhin  an  eine  Abnahme  der  Blut- 
gerinnbarkeit denken,  umsomehr,  als  eine  solche  bei  Phosphor- 
vergiftung tatsächlich  beobachtet  worden  ist*)  und  eine  Beziehung 
der  Leber  zu  den  Vorgängen  der  Blutgerinnung,  wie  ich  Ihnen 
schon  früher  (S.  202)  auseinandergesetzt  habe,  wirklich  feststeht. 
Ob  es  sich  dabei  um  eine  Abnahme  des  Fibrinogens  oder  des 
»Fibrinfermentes«  oder  um  beides  handelt,  mag  einstweilen 
dahingestellt  bleiben. 

Daß  Gallensäuren  ferner  die  Fähigkeit  besitzen,  rote  Blut- 
körperchen zu  lösen,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Es  ist  aber 
ganz  und  gar  nicht  bewiesen,  daß  bei  den  verschiedenen  Icterus- 
formen  die  Gallensäuren  im  Blute  wirklich  vermehrt  sind  und, 
selbst  wenn  dies  der  Fall  ist,  dürfte  diese  Anhäufung  wohl  viel 
zu  unbedeutend  sein,  um  eine  Hämoiyse  zu  bewirken.  Früher 
ist  klinischersei ts  gelehrt  worden,  die  Herabsetzung  der  Körper- 
temperatur bei   Icterus  beruhe  darauf,  daß  durch   die  Gallen- 


i)  Glur  (Physiol.  Inst.  Bern),  Zeitschr.  f.  Biol.  52, 479  (1909),  vgl.  auch 
S.  J.  Meltzer  and  W.  Salant,  Joum.  of  experim.  Med.  8,  127  (1906). 

2)  Vgl.  M.  Jacoby,  Z.  f.  phy«iol.  Chemie  36,  174  (1900).  Doyon, 
Morel  und  Kareff,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  58,  493  (1905). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  293 


Säureanhäufung  viele  rote  Blutkörperchen  zugrunde  gehen ;  infolge- 
dessen seien  die  Oxydationen  herabgesetzt  und  die  sich  daraus 
ergebende  Verminderung  des  Stoffwechsels  komme  in  einer 
Herabsetzung  der  Körpertemperatur  zum  Ausdrucke.  Ich  führe 
dies  als  klassisches  Beispiel  eines  ganzen  Turmbaues  von  An- 
nahmen an,  dessen  Basis  ebenso  unsolide  konstruiert  ist  wie 
jedes  einzelne  seiner  Stockwerke.  Die  moderne  Klinik  räumt 
erfreulicherweise  mit  dergleichen  nichts  weniger  als  einwandfreien 
Konstruktionen  schnell  und  gründlich  auf.  Bayer  in  Innsbruck 
hat  übrigens  festgestellt,  daß  die  Wirkung  der  Gallensäuren  sich 
im  Blute  ganz  anders  äußert,  als  etwa  in  einer  wässerigen  Lösung: 
Die  Anwesenheit  der  Serumeiweißkörper  mildert  alle  toxischen 
Effekte  der  Gallensäuren,  insbesondere  auch  ihre  hämolytische 
Wirkung.  Es  dürfte  dies  auf  eine  adsorptive  Affinität  der  Cholate 
zu  Serumeiweißkörpem  zu  beziehen  sein,  welche  auch  in  dem 
Umstände  zum  Ausdrucke  kommt,  daß  Serum  die  Diffusion  von 
Gallensäuren  verzögert.  Daß  umgekehrt  Kochsalzzusatz  die 
Gallenhämolyse  steigert,  wird  mit  Änderungen  der  Oberflächen- 
spannung in  Zusammenhang  gebracht  ^ ).  Wie  kompliziert  übrigens 
die  physikalisch  -  chemischen  Verhältnisse  hier  liegen,  lehren 
Beobachtungen  von  Fenyvessy^)^  denen  zufolge  ein  an  sich 
hämolytisch  wirksames  Gallensäure-Serumalbumingemenge  durch 
Erhitzen  auf  60°  inaktiviert  wird. 

Wichtig  ist  eine  Beobachtung  von  G.Joanno  wies  und  E.P.Pick^), 
welche  in  der  Leber  mit  Toluylendiamin  akut  vergifteter  Hunde 
intensiv  wirkendes  Hämolysin  gefunden  haben,  das  wahrschein- 
lich unter  dem  unmittelbaren  Einflüsse  des  Giftes  gebildet  wurde 
und,  bemerkenswerterweise,  ätherlöslich  und  hitzebeständig  war. 
Die  mit  autolytischen  Prozessen  einhergehende  Organhämolyse 
wird  offenbar  durch  das  Auftreten  hämolytisch  wirksamer  hoher 


i)  G.  Bayer  (Inst.  f.  allgem.  u.  experim.  Pathol.,  Innsbruck),  Biochem. 
Z.  5,  368  (1907);  »,  58  (1908);  18,  215,  234  (1908). 

2)  B.  V.  Fenyvessy  (Hygien.  Inst.  Budapest),  Biochem.  Z.  5,  114 
(1907),  vgl.  auch  P.  Bermbach,  Pflügers  Arch.  118,  205  (1907)-  J-  Schei- 
fele  (Labor.  O.  Frank),  Inaug.-Dissert.  Gießen  (1909)- 

3)  G.  Joannowics  und  E.  P.  Pick  (Inst.  Paltauf,  Wien),  Zeitschr. 
f.  experim.  Pathol.  7  (1909). 


294  XIII.  Vorlesung. 


Fettsäuren  bedingt,  welche  sich  aus  nicht  wirksamen  Lipoiden 
beim  Zerfalle  dieser  letzteren  abspalten. 

Daß  die  Leber  bei  der  physiologischen  Zerstörung  der  roten 
Blutkörperchen  eine  wichtige  Rolle  spielt,  habe  ich  bereits  in 
einer  früheren  Vorlesung,  als  von  der  Gallenfarbstoffbildung  die 
Rede  war,  erörtert.  In  dieser  Hinsicht  sind  übrigens  auch  neuere 
Versuche  von  Heß  und  Saxl^)  nicht  ohne  Interesse;  aus  denselben 
scheint  hervorzugehen,  daß  de  normale  Leber  in  ihr  enthaltenes 
Hämoglobin  auf  autolytischem  Wege  in  kurzer  Zeit  zu 
zerstören  vermag,  während  sich  dieser  Zerstörungsvorgang  in 
einer  nüt  Phosphor,  Arsen,  Chloroform,  Diphtherietoxin  u.  dgl. 
vergifteten  Leber  angebhch  viel  langsamer  vollzieht. 

In  welcher  Weise  der  Hämoglobinzerfall  in  der  Leber  vor  sich 
geht,  ist  nichts  genauer  bekannt.  Das  Eisen  desselben  findet 
sich  teilweise,  an  Eiweiß  gebunden,  in  der  Leber  vor.  Dieses 
Produkt,  das  »Ferra t in«  Schmiedebergs,  ist  nicht,  wie  man  früher 
gemeint  hatte,  eine  Ferrialbuminsäure,  Es  handelt  sich  vielmehr, 
wie  aus  den  Untersuchungen  Salkowskis^)  und  seiner  Schüler 
hervorgeht,  um  ein  Nukleoproteid  von  höchst  wechselndem  Eisen- 
gehalte, in  dem  das  Eisen  nur  in  sehr  lockerer  Bindung  (wenn  auch 
der  Schwefelammoniumprobe  gegenüber  maskiert)  vorhanden  ist. 
Hirnerschei-  Man    war    früher    vielfach    geneigt,    die    schweren   Hirn- 

terus  gravis.  Erscheinungen  (wie  Delirium,  lokale  und  allgemeine  Krämpfe, 
Coma)  im  Verlaufe  eines  Icterus  gravis  auf  eine  Anhäufung  von 
Gallensäuren  im  Blute  zurückzuführen.  Im  Tierexperimente 
bedarf  es  allerdings  der  Einführung  relativ  großer  Dosen  von 
Gallensäuren  in  den  Kreislauf  um  derartige  Erscheinungen  herbei- 
zuführen. Kleine  Mengen  sind  dagegen,  wie  A .  Biedl  und  i?.  Kraus 
sowie  Bickel  gezeigt  haben,  nur  dann  wirksam,  wenn  sie  direkt  mit 
der  Hirnoberfläche  in  Berührung  gebracht  werden'*).   Bruno ^),  ein 


i)  L.  Heß  und  P.  Saxl  (Klinik  von  Noorden,  Wien),  Biochem.  Z.  19, 

274  (1909). 

2)  E.  Salkowski,  Scaffidi,  Capezzuoli,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58, 
272,  282  (1908);  59,   19  (1909);  66,   10  (1909). 

3)  A.  Biedl  und  R.  Kraus,  Zentralbl.  f.  innere  Med.  1898,  1185. 
A.  Bickel,  Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der 
Cholämie.    J.  F.  Bergmann.    Wiesbaden  1900. 

4)  J.  Bruno,  Deutsche  med.   Wochenschr.   1899,   Nr.  23. 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  295 

Schüler  GoUliebs,  hat  gegen  die  Versuche,  die  nach  subduraler 
oder  intracerebraler  Injektion  von  gallensauren  Salzen  auftreten- 
den Krämpfe  zur  Erklärung  der  Krampfzustände  bei  Cholämie 
heranzuziehen,  den  Umstand  geltend  gemacht,  daß  bei  der  Ver- 
teilung vom  Blute  aus  die  Konzentration  der  gallensauren  Salze 
in  den  Krampfzentren  des  Nervensystems  keineswegs  so  hoch 
zu  steigen  braucht  als  bei  Injektion  selbst  scheinbar  sehr  kleiner 
Dosen  direkt  in  das  Gehirn  und  er  hat  die  Meinung  ausge- 
sprochen, die  letztere  Methode  sei  überhaupt  zum  Studium  der 
Allgemeinwirkungen  im  Blute  zirkulierender  Substanzen  durchaus 
ungeeignet. 

Es  kann  wohl  heute  keinem  Zweifel  mehr  unterliegen,  daß  die     Bedeutung  j 

Mehrzahl  jener  Erscheinungen,  welche  früher  als  Cholämie  ge-  ^[^  verarbei-'^ 
deutet,  d.  h.  auf  eine  Überschwemmung  des  Blutes  mit  Gallen-  tung  der   Ei- 
bestandteilen bezogen  worden  sind,  tatsächlich  auf  eine  Störung    ^^jo^u^fe" 
der  Leberfunktion    und   zwar   insbesondere    ihrer   Rolle   bei 
Verarbeitung   der  Eiweißabbauprodukte  bezogen  werden 
müssen.    Die  Erscheinungen  der  Cholämie  erinnern  sehr  an  jene 
Erscheinungen,    welche    Minkowski    bei    seinen     entleberten 
Gänsen  beobachtet  hat,  wenn  dieselben  mit  stickstoffreicher 
Kost  gefüttert  worden  waren. 

Auch  die  merkwürdigen  Intoxikationserscheinungen  bei  Hun-  Ecksche  Rstei. 
den,  denen  durch  Anlegung  einer  Eckschen  Fistel  das  Pfort- 
aderblut direkt  in  die  untere  Hohlvene  abgelenkt  wird,  gehören 
hierher.  Bei  solchen  Hunden  treten,  nach  den  grundlegenden 
Versuchen  von  Hahn,  Massen,  Nencki  und  Pawlow^),  bei  fleisch- 
freier Kost  keine  Intoxikationserscheinungen  ein.  Die  Vergiftungs- 
erscheinungen nach  Fleischfütterung,  welche  in  tetanischen 
Krämpfen,  Ataxie,  Anästhesie,  Verlust  des  Seh-  und  Hörver- 
mögens  u.  dgl.  bestehen,    sind   von   den    russischen    Forschern 

auf    eine  Anhäufung    von   Karbaminsäure    ^^\£qoii   (einer 

hypothetischen  Vorstufe  des  Harnstoffes)  bezogen  worden.  Hawk 
vermochte  jedoch  kürzlich  zu  zeigen,  daß  Verfütterung  oder 
intravenöse  Injektion  von  Natriumkarbamat  bei  Hunden  mit 
Eckscher  Fistel  keine  Vergiftungserscheinungen  auslöst,  ebenso- 


i)  Hahn,  Massen,  Nencki  und  Pawlow,  Arch.  f.  exper.  Pathol. 
32,  161  (1892). 


296  XIII.  Vorlesung. 

wenig  wie  Liebt gs  Fleischextrakt.  Dagegen  konnte  bei  solchen 
Tieren,  bei  denen  auch  nach  Fleischfütterung  das  Vergiftungs- 
bild ausgeblieben  war,  dasselbe  durch  Zugabe  von  Liebt gschem 
Extrakte  zur  Fleischkost  produziert  werden  i). 

Andererseits  scheint  die  Leber  bei  der  Assimilation  der  Abbau- 
produkte der  Nahrungseiweißstoffe  keine  ganz  unersetzbare  Rolle 
zu  spielen.  Zum  mindesten  gelang  es  Abderhalden  und  London 
auch  bei  Hunden  mit  Eckscher  Fistel  ebenso  wie  bei  normalen 
Tieren  das  Nahrungseiweiß  durch  vollständig  abgebautes  Eiweiß 
zu  ersetzen^). 

Es  ist  heute  wohl  noch  nicht  möglich,  diese  verwickelten 
Verhältnisse  vollkommen  zu  übersehen.  Um  so  höher  ist  die 
Wichtigkeit  der  Eckschen  Operation  einzuschätzen,  insoferne 
diese  eben  die  experimentelle  Ausschaltung  des  größten  parenchy- 
matösen Organes  für  physiologische  Zwecke  gestattet.  Die  Tecli- 
nik  dieses  Eingriffes,  welcher  sicherlich  zu  den  allerschwierigsten 
Problemen  der  Ph3^iologie  zählt,  ist  neuerer  Zeit  vielfach  mod- 
fiziert  und  insbesondere  von  London  sehr  vervollkommnet  worden  ^). 
Einen  interessanten  Fortschritt  im  Sinne  einer  wesentlichen  Er- 
leichterung des  operativen  Eingriffes  scheint  mir  femer  ein  Ver- 
fahren zu  bedeuten,  das  Ernst  Jerusalem^)  kürzlich  im  Labora- 
torium von  Bickel  in  Berlin  ausgearbeitet  hat.  Das  Problem, 
die  Pfortader  und  die  untere  Hohlvene  (in  ihrem  Anteile  unterhalb 
der  Leber)  ohne  Blutverlust  und  gleichzeitig  ohne  Sistierung  der 
Zirkulation  zu  eröffnen,  wird  dabei  in  folgender  Weise  gelöst: 
An  jedes  der  Gefäße  wird  parallel  zu  seinem  Verlaufe  eine  passend 
geformte  Klemme  mit  schmalen  Branchen  derart  angelegt,  daß 
ein  etwa  6  cm  langer  und  wenige  Millimeter  breiter  Zipfel  resultiert, 
während  der  größte  Teil  des  Gefäßes  für  Blut  durchgängig  bleibt. 


i)  P.  B.  Hawk,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  21,  259  (1908),  vgl.  auch 
G.  Bolognesi  (Pfortader Unterbindung),  Arch.  ital.  de  Biol.  46,  51  (1906). 

2)  E.  Abderhalden  und  E.  S.  London,  Z.  f.  physiol.  Chemie  54,  80 
(1907),  vgl.  auch  Abderhalden,  Funk  und  London,  ibid.  51,  269  (1902). 

3)  Rothberger  und  Winterberg,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  1, 
312  (1905).  Gulecke,  ibid.  3,  706  (1906),  vgl.  Fischler  und  Schröder 
(Klinik  Krehl),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  61,  428  (1909).  London,  Handb. 
d.  biochem.  Arbeitsmeth.  3,  114  (1910). 

4)  E.  Jerusalem,  (aus  d.  experim. biol.  Abt.  d.  pathol.  Instituts Berhn), 
Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  837  (1910). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  297 

Es  gelingt  unschwer,  die  beiden  abgeklemmten  Zipfel  der  Hohl- 
vene und  Pfortader  einander  so  weit  nahe  zu  bringen,  daß  sie 
einander  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  berühren.  Die  beiden 
Zipfel  werden  nunmehr  zunächst  durch  zwei  durchgreifende  Nähte 
aneinander  fixiert.  Dann  kann  man  sie  ohne  jeden  Blutverlust 
eröffnen  und  die  klaffenden  Gefäßwunden  durch  feine  Nähte  ihrem 
ganzen  Umfange  nach  in  aller  Ruhe  und  mit  der  nötigen  Sorgfalt 
vernähen,  während  das  Lumen  der  Gefäße  größtenteils  frei  bleibt 
und  eine  normale  Zirkulation  des  Blutes  erfolgt.  Schließlich 
werden  die  Klemmen  entfernt,  und  durch  Ligatur  der  Vena 
portae  unterhalb  ihres  Eintrittes  in  die  Leber  wird  nun- 
mehr der  ganze  Blutstrom  der  Pfortader  von  der  Leber  dauernd 
abgelenkt. 

Von  den  zahlreichen  Beobachtungen  über  Alterationen  des    Alterationen 
Stoffwechsels  bei  Störungen  der  Leberfunktion,  wie  sie  ^echseis^^nach 
im  Verlaufe  der  mannigfachsten  Leberaffektionen  (Lebercirrhose,    Leberschädi- 
Tumoren,  Erkrankungen  der  Gallenwege  usw.),  bei  akuter  gelber        ^"^' 
Leberatrophie  und  bei  Phosphorvergiftung,  nach  Leberläsionen 
und  bei  der  Eckschen  Fistel  zur  Beobachtung  gelangen,  wird  später 
noch  oft  die  Rede  sein.    Dieselbe  beziehen  sich  vor  allem  auf  die 
Ausscheidung     von     Harnstoff,     Harnsäure,    Ammoniak, 
Aminosäuren  und  Oxyproteinsäuren,  ferner  auf  die  Milch- 
säure, die   aromatischen  Oxysäuren,   den  Zucker  u.  a.^) 

Die,  theoretisch  genommen,  ideale  Methode  zur  experimentellen  Hepatotoxin. 
Ausschaltung  der  Leber  wäre  wohl  die  Behandlung  von  Tieren  mit 
einem  streng  spezifischen  cytotoxischen  Serum.  Es  ist 
Joannovics^),  indem  er  Tiere  2^/2  Jahre  lang  mit  blutfrei  ge- 
waschener Leber  behandelte,  gelungen,  ein  organspezifisches 
Hepatotoxin  herzustellen,  das  geeignet  war,  bei  anderen  Tieren 
schwere  Leberschädigungen  hervorzurufen.  Auch  Fießinger^) 
konnte  nach  Vorbehandlung  von  Tieren  mit  Leber  einen  Anti- 
körper gegen  dieses  Organ  mit  Hilfe  der  Komplementbindungs- 


1 )  Literatur  über  den  Stoffwechsel  bei  Leberalterationen:  W.Weintraud, 
Xoordens  Handb.  d.  Pathol.  des  Stoffw.,  2.  Aufl.  1,  741 — 827  (1906). 
C.  Neuberg,  Handb.  d.  Biochemie  4,  II,  334 — 338  (1910). 

2)  G.  Joannovics,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1909,  228,  vgl.  dort 
die  ältere  Literatur. 

3)  X.  Fießinger,  Journ.  de  Physiol.  1§,  657,  671  (1908). 


298  XIII.  Vorlesung. 


methode  nachweisen.     Doch  war  dieser  allerdings  nicht  streng 
spezifisch.    Interessanterweise  soll  auch  bei  Lebercirrhose  (infolge 
Resorption  degenerierten  Lebergewebes)  ein  Leberantikörper  im 
Blute  auftreten. 
Icterus    per  Kehren  wir  jetzt  noch  einmal  zu  der  Frage  der  Sekretions- 

stasin  und  per  Störungen  der  Leber  und  zu  deren  auffallendster  Äußerung,  dem 

parapedesin.  ^  ° 

Icterus^),  zurück.  Ich  möchte  nämlich  noch  Ihre  Aufmerksam- 
keit auf  den  Umstand  lenken,  daß  die  Ansichten  hmsichtlich  des 
Wesens  desselben  noch  immer  ziemHch  weit  auseinander  gehen. 
Hans  Eppinger,  dem  es  gelungen  ist,  den  Verlauf  der  intraacinösen 
Gallenkapillaren  durch  eine  Färbemethode  deutlich  kenntlich  zu 
machen,  vermochte  beim  mechanischen  Stauungsicterus  direkt 
zu  beobachten,  daß  die  GaUenanhäufung  in  den  Gallenkapillaren 
zu  einer  Erweiterung  und  varikösen  Ausbuchtung  derselben  führt ; 
schließlich  können  die  überdehnten  Gallenkapillaren  platzen  und 
ihren  Inhalt  in  die  perivaskulären  Lymphräume  ergießen.  Der- 
artige Erweiterungen  und  Rupturen  der  intraacinösen  Gallen- 
kapillaren hat  Eppinger  nun  auch  nach  Phosphorvergiftung, 
sowie  bei  Lebercirrhose  beobachtet  und  er  ist  daher  geneigt^ 
auch  den  bei  derartigen  Affektionen  auftretenden  Icterus  als 
Stauungsicterus  zu  deuten.  Bereits  Stadelmann  hat  auf  die  Ver- 
mehrung der  Gallenkonsistenz  nach  Vergiftung  mit  Phosphor 
(ebenso  wie  auch  nach  Beibringung  blutlösend  wirkender  Gifte, 
wie  Arsen  Wasserstoff  und  Toluylendiamin)  aufmerksam  gemacht, 
und  es  ist  daher  leicht  verständlich  und  stimmt  auch  mit  Be- 
obachtungen von  Joannovics^)  aus  dem  Paltaufschen  Institute 
überein,  daß  die  Verstopfung  der  feinsten  Gallenkapillaren  durch 
geronnene  Gallenmassen  (»Gallenthromben«)  den  Abfluß  des 
Sekretes  bei  den  verschiedenen  Formen  des  toxischen  Icterus 
erschweren  kann.  Bei  der  Lebercirrhose  wiederum  werden  die 
Gallenkapillaren  durch  das  erst  wuchernde,  dann  schrumpfende 
Bindegewebe  komprimiert.  Trotzdem  die  Befunde  Eppingers^) 
durch    diejenigen    einiger    anderer    Autoren    im    wesentlichen 


i)  Literatur  über  Icterus:    O.  Minkowski,     Deutsche  Klinik,    1.  c. 
H.  Eppinger,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,  107 — 156  (1908). 

2)  G.  Joannovics,  Zeitschr.  f.  Heilk.  25,  25  (1904). 

3)  H.  Eppinger,  Zieglers  Beitr.  81,  230  (1902);  33,  123  (1903). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  299 


bestätigt  worden  sind^),  machte  sich  von  anderer  Seite  her  das 
Bestreben  geltend,  das  mechanische  Moment  bei  der  Erklärung 
des  Icterus  möglichst  in  den  Hintergrund  zu  drängen.  Die  ge- 
schädigten Leberzellen  sollen  die  Fähigkeit  eingebüßt  haben,  ihr 
Sekret  in  normaler  Weise  gegen  die  Gallenkapillaren  hin  zu 
sezernieren,  derart,  daß  dasselbe  (direkt  oder  vielleicht  auch 
auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen)  in  das  Blut  gelangt.  Für  diese 
Änderung  der  Sekretionsrichtung  ist  das  Schlagwort  »Para- 
cholie«  geprägt  worden. 

Minkowski,  der  Hauptvertreter  dieser  Hypothese,  hat  seine 
Ansichten   hinsichtlich   der  Entstehung  des    Icterus   dahin   zu-  i 

sammengefaßt,  daß  eine  allgemeine  Gelbsucht  nur  durch  Resorp- 
tion von  Galle  innerhalb  der  Leber  entstehen  kann ;  diese  wieder-  ; 
um    könne    entweder    durch    Hindernisse    in   den    Gallenwegen 
bedingt  sein  (Icterus  per  stasin),  oder  aber  diu'ch  Funktions-  | 
Störungen  der  Leberzellen,  welche  die  Absonderung  der  Gallen-  | 
bestandteile  nach  einer  fehlerhaften  Richtung  ziu*  Folge  haben 
(Icterus  per  parapedesin)^).     Daß  die  Annahme  der  letzt- 
genannten   Icterusart   aber  wirklich   unentbehrlich   ist,    scheint 
mir  allerdings  vorderhand  noch  keineswegs  bewiesen  zu  sein. 

Eine  in  der  Literatur  viel  diskutierte  Frage  ist  ferner  diejenige  Icterus  neona- 
nach  dem  Wesen  des  Icterus  neonatorum^).  Diese  Erschei-  tor""i- 
nung  ist  offenbar  viel  häufiger,  als  man  früher  anzunehmen 
pflegte:  Dieselbe  tritt  bei  mehr  als  80%  aller  Neugeborenen  auf*). 
Diese  Icterusform,  welche  meist  am  zweiten  oder  dritten  Lebens- 
tage zu  beginnen  pflegt,  ist  schon  dadurch  von  anderen  Icterus- 
formen  unterschieden,  daß  der  Harn  hier  niemals  gelösten  Gallen- 
farbstoff enthält.  Man  hat  dem  Icterus  neonatorum  die  mannig- 
fachsten Deutungen  gegeben.     Sehr  vielfach  wurde  derselbe  mit 

i)  Abramow  und  Samoilovicz,  Virchows  Arch.  176,  255  (1904). 
Abramow,  vibid  181,  201  (1905). 

2)  O.  Minkowski,  1.  c.  S.  660.  St.  Sterling  (Klinik  Minkowski, 
Breslau),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  64,  468  (1911). 

3)  Literatur  über  Icterus  neonatorum:  W.  Knöpf elmacher,  1.  c. 
Quincke,  Nothnagels  Handb.  d.  inneren  Med.  18,  138.  H.  Eppinger, 
1.  c.  S.  151 — 154.  J.  Wohlgemuth,  Handb.  d.  Biochemie  8,  I,  217 — 219 
(1910). 

4)  W.  Knöpfelmacher  (Inst,  von  Weichselbaum,  Wien),  Jahrb. 
f.  Kinderheilk.  67,  36  (1908). 


300  XIII.  Vorlesung. 


einem  erhöhten  Untergange  von  roten  Blutkörperchen 
in  Zusammenhang  gebracht.  Spät  abgenabelte  Kinder,  denen 
sozusagen  noch  eine  überschüssige  Blutportion  aus  der  Plazenta 
zuteil  geworden  ist,  sollen  denselben  intensiver  zeigen  als  andere. 
Daß  mit  einer  solchen  Deutung  nicht  etwa  alles  erklärt  ist,  geht 
schon  aus  der  einfachen  Tatsache  hervor,  daß  es  weder  durch 
Hämoglobininjektionen  noch  durch  Bluttransfusionen  mit  Sicher- 
heit geüngt,  Icterus  zu  erzeugen.  Eine  andere,  insbesondere  von 
Quincke  vertretene  Hypothese  besagt,  daß  beim  Neugeborenen 
viel  Gallenfarbstoff  aus  dem  mit  Mekonium  erfüllten  Darme  zur 
Resorption  gelangt;  dabei  wäre  einerseits  zu  beachten,  daß  die 
Umwandlung  des  Bilirubins  in  Urobilin,  wie  sie  sich  im 
Darme  des  Erwachsenen  durch  Bakterienwirkung  unter  normalen 
Verhältnissen  vollzieht,  hier  infolge  des  Fehlens  von  Mikro- 
organismen ausbleibt;  andererseits  könnte  man  aber  auch  daran 
denken,  daß,  solange  noch  der  Ductus  Arantii  offensteht, 
die  Möglichkeit  gegeben  erscheint,  daß  vom  Darme  aus  resorbierter 
Gallenfarbstoff  mit  dem  Pfortaderblute  unter  Umgehung  der 
Leber  direkt  in  den  allgemeinen  Kreislauf  gelangen  kann.  Die 
ganze  Annahme  wird  jedoch  durch  den  von  Wilhelm  Knöpf  ei- 
nlacher^) erbrachten  Nachweis  hinfäUig,  daß  der  Icterus  neo- 
natorum auch  dann  eintritt,  wenn  man  das  Mekonium  unmittel- 
bar post  partum  durch  hohe  Eingießungen  beseitigt  hat. 

Die  von  Virchow  herrührende  und  von  hervorragenden 
Pädiatern  und  Gynäkologen  vertretene  Anschauung,  der  Icterus 
neonatorum  sei  ein  einfacher  mechanischer  Stauungsicterus 
(wobei  man  an  einen  Verschluß  des  Gallenganges  durch 
einen  Schleimpfropf,  oder  aber  an  eine  Cholangitis  infolge 
Einwanderung  von  Bakterien  gedacht  hat)  kann  für  erledigt 
gelten,  da  die  histologische  Untersuchung  der  Gallenkapillaren 
nach  den  übereinstimmenden  Angaben  einiger  Autoren  2)  keinen 
Anhaltspunkt  für  die  Annahme  emer  Gallenstauung  ergeben  hat. 
Dagegen  ist  eine  Überfüllung  der  Blutkapillaren  beobachtet 
worden  und  Knöpfelmacher  ist  geneigt,  in  Anlehnung  an  die  vor- 
erwähnten   Anschauungen    Minkowskis    einen     »Icterus    per 

i)  1.  c. 

2)  Abramow,  Virchows  Arch.  17«,  255  (1908);  181,  201  (1905). 
W.   Knöpfelmacher,  1.  c.     H.  Eppinger,  1.  c.  S.  153. 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  30 1 

diapedesin«  anzunehmen.  Die  Leberzellen  der  Neugeborenen 
sollen  zwar  in  den  ersten  Lebens  tagen  imstande  sem,  die  Mehr- 
arbeit einer  erhöhten  Gallenproduktion  zu  leisten,  dagegen  ver- 
mögen sie  anscheinend  nicht,  den  notwendigen  Sekretionsdruck 
aufzubringen,  um  die  Galle  in  den  mit  zäher  Galle  überfüllten 
Gallenkapillaren  genügend  rasch  fortzubewegen.  Im  Sinne  dieser 
Annahme  wäre  der  Icterus  neonatorum  demnach  wahrscheinlich 
als  die  Folge  einer  Sekretionsanomalie  der  Leber  zu  deuten; 
doch  bleibt  die  weitere  Entwicklung  dieser  Frage  abzuwarten. 

Ganz  auffallend   mangelhaft  sind  wir   über   die  Verände-  Pathologische 
rungen     der    chemischen    Zusammensetzung    der   Galle  g^^d^er^Ga"|"n. 
unter    pathologischen    Verhältnissen    orientiert.      Es    ist    zusammen- 
ja  selbstverständlich,  daß  ein   Sekret,    das   nicht  direkt   nach      s«*2""g- 
außen  entleert  wird,    nicht  so  genau  bekannt  sein    kann  wie 
etwa  der  Harn.     Daß   aber  die  pathologischen  Veränderungen 
des  Sekrets  der  größten  Drüse  des  Körpers,  genau  genommen, 
so  gut  wie  unbekannt  geblieben  sind,  beweist  nur,  wieweit  auf 
manchen   Gebieten    der   Pathologie    die    chemische   Erkenntnis 
hinter    der    morphologischen    Erforschung   zurückgeblieben    ist. 
Es  wäre  allmählich  wirklich  an  der  Zeit,  daß  dies  anders  würde. 

Das  wenige  Wissenswerte,  das  hinsichtlich  pathologischer 
Gallen  Veränderungen  bekannt  ist,  bedarf  nicht  vieler  Worte. 
Als  Gegenstück  zu  der  (schon  mehrfach  erwähnten)  reichlichen 
Farbstoffbildung  nach  toxischem  Blutkörperchenzer- 
fall wäre  die  pigmentäre  Acholie  zu  betrachten,  die  bei 
fettiger  Degeneration  der  Leber,  bei  Tuberkulose  u.  dgl.  wieder- 
holt bemerkt  worden  ist^).  Auf  die  auffallende  Armut  der 
Galle  an  Gallensäuren  bei  Amyloidleber  hat  bereits  Hoppe- 
Seyler  aufmerksam  gemacht.  Unter  Umständen  kann  Blut  und 
Eiweiß  in  die  Galle  übertreten.  So  beobachtete  Pilzecker  im 
Laboratorium  Kossels ,  daß  nach  Arsen  Vergiftung  reichlich  koagu- 
lables  Eiweiß  mit  der  Galle  ausgeschieden  werden  kann,  noch 
bevor  solches  im  Harne  nachweisbar  wird.  Nach  Phosphor- 
vergiftung floß  aus  der  Tiefe  der  Leber  eine  dicke  braunrote 
Flüssigkeit,  die  zahlreiche  rote  Blutkörperchen  und  die  »Schatten  « 

i)  Ritter;    ferner  Robin,  Kimura  (Klinik  F.  Müller,  München), 
Arch.  f.  klin.  Med.   79,  275  (1904). 


302  XIII.  Vorlesung. 


solcher  enthielt i).  Gürber  und  Hallauer^)  sahen  nach  intra- 
venöser Kaseineinspritzung  bei  Kaninchen  diese  Proteinsubstanz 
nicht  nur  in  den  Harn,  sondern  auch  in  die  Galle  tibergehen, 
Sigmund  Lang^)  machte  das  Vorkommen  von  Fibrinogen  in 
der  Galle  phosphorvergifteter  Tiere  wahrscheinlich*).  Bei  akuter 
gelber  Leberatrophie  wurde  gelegentlich  das  Auftreten  von 
Leucin  und  Tyrosin  in  der  Galle  beobachtet  u.  dgl. ;  alles  das 
kann  jedoch  nur  als  Stückwerk  gelten. 
Gallensteine.  Die  praktisch  wichtigste  Seite  des  Gallenproblems  ist  die 
Frage  nach  der  Entstehung  der  Gallensteine*).  Die  Ausschei- 
dung ursprünglich  gelöster  Bestandteile  eines  Sekretes  in  Kon- 
krementform  ist  sicherlich  in  erster  Linie  ein  chemischer  Vorgang, 
und  es  gehört  zu  den  schönen  Träumen  und  Hoffnungen  unserer 
Wissenschaft,  daß  sie  vielleicht  dereinst  über  die  Macht  verfügen 
wird,  die  pathologischen  Niederschlagsbildungen  verschiedener 
Art  und  damit  auch  alles  durch  dieselben  verursachte  Unheil  zu 
verhindern.  Leider  ist  es  noch  weit  bis  dahin.  Einstweilen  wollen 
wir  uns  in  nüchterner  Weise  die  Frage  vorlegen,  ob  wenigstens  die 
erste  Hälfte  des  WegSs  zurückgelegt  ist  und  ob  wir  uns  zum 
mindesten  über  die  Ursachen  der  Steinbildungen  einigermaßen 
im  klaren  sind. 

Die  menschlichen  Gallensteine  bestehen  bekanntlich  meist  aus 
Cholesterin  oder  Bilirubinkalk  oder  aber  aus  einem  Gemenge 
beider  Stoffe.  Andere  Niederschlagsbildungen,  wie  z.  B.  Calcium- 
karbonat-  und  phosphat  treten  den  erstgenannten  Stoffen 
gegenüber  ziemlich  in  den  Hintergrund. 

Während  ältere  Autoren  vielfach  geneigt  waren,  einen  ver- 
mehrten Gehalt  der  Galle  an  Cholesterin  u.  dgl.  für 
die  Konkrementbildung  verantwortlich  zu  machen,  ist  man 
später  von   dieser  Anschauung  zurückgekommen.     Wir  wissen 


i)  A.  Pilzecker,  Z.  f.  physiol.  Chemie  41,   157  (1904). 

2)  A.  Gürber  und  B.  Hallauer  (Physiol.  Inst.  Würzburg),  Zeitschr. 
f.  Biol.  45,  372  (1904). 

3)  S.  Lang  (Klinik  von  Friedrich  Kraus,  Berlin),  Zeitschr.  f.  exper. 
Pathol.  3,  473  (1906). 

4)  Literatur  über  Chemie  der  Gallensteine:  Naunyn,  Klinik  der 
Cholelithiasis.  Verl.  von  F.  C.  W.  Vogel.  Leipzig  1892.  J.  Wohlgemuth^ 
Handb.  d.  Biochemie  3,  II,  219 — 223  (1910). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  303 

jetzt,  daß  die  normale  Galle  so  viele  Lösungsmittel  für  das  an  sich 
in  Wasser  unlösliche  Cholesterin  enthält,  daß  anscheinend  größere 
Mengen  davon,  als  je  in  der  Galle  wirküch  vorkommen,  durch  die 
Cholate,  Seifen  und  Fette  derselben  in  Lösung  gehalten  werden 
könnten.  Die  Konkrementbildung  ist  jedenfalls  in  erster  Linie 
durch  eine  Verschiebung  der  Lösungsverhältnisse  bedingt. 

Es  war  vor  allen  das  Verdienst  von  Naunyn  und  seiner  Schule, 
die  große  Bedeutung  der  Stauung  und  der  Infektion  für  die 
Vorgänge  der  Steinbildung  dargelegt  zu  haben.  Die  Ursache, 
warum  die  Galle  des  gesunden  Menschen,  trotzdem  sie  mit  dem 
Darminhalt  in  offener  Verbindung  steht,  steril  bleibt,  liegt  offen- 
bar in  der  stetigen  Strömung  derselben,  welche  einer  Ansiede- 
lung von  Mikroorganismen  entgegenwirkt.  Jede  Störung  dieses 
Strömungs Vorganges  bringt  die  Gefahr  einer  Infektion  mit  sich, 
zu  der  sich  noch  die  Möglichkeit  des  Eindringens  von  etwa  zirku- 
lierenden Mikroorganismen  vom  Blute  her  gesellt.  Ich  muß 
es  mir  versagen,  auf  diese  Verhältnisse  hier  näher  einzugehen,  und 
begnüge  mich,  diesbezüglich  auf  die  vortrefflichen  Monographien 
von  Naunyn^)y  Riedel^),  Lenhartz^)  und  Paltauf^)  zu  verweisen. 

Die  Frage  des  Ursprunges  des  Cholesterins  in  der 
Galle  werde  ich  in  der  nächsten  Vorlesimg  zu  erörtern  haben. 
Ich  möchte  aber  gleich  heute  betonen,  d2^ß  man  berechtigt  ist, 
dasselbe  seiner  Hauptmenge  nach,  ebenso  wie  andere  Gallen- 
bestandteile, als  ein  Produkt  des  allgemeinen  Stoffwechsels,  nicht 
aber  als  ein  Umwandlungsprodukt  desquamierter  Epithelien 
der  Gallenwege  anzusehen^). 

Daß  auch  die  letzteren  (ebenso  wie  die  Zellen  anderer  Schleim- 
häute, z.  B.  der  Bronchialschleimhaut)  bei  ihrem  Zerfalle  Chol- 
esterin liefern  können,  geht  aus  vielen  Beobachtungen  hervor. 
So  gelang  es  z.  B.  Waketnan,  den  Cholesteringehalt  in  der  Blasen- 
galle durch  Injektion  von  Sublimat,  Phenol  oder  Ricin  in  dieselbe 


i)  1.  c. 

2)  Riedel,  Erfahrungen  über  die  Gallensteinkrankheit.    Berlin  1892. 

3)  H.  Lenhartz,   Stintzing  und   Penzoldts    Handb.  d.   spez.  Ther. 
4.  Aufl.  2,  702  (1909). 

4)  R.  Palt  auf,  Artikel  » Gallen  wege«  in  Lubarsch-Ostertag,  Ergebn. 
d.  pathol.  Morphol.  u.   Physiol.  3,  337 — 341  (1896). 

5)  Bacmeister,  Biochem.  Z.  27,  223  (1910). 


304  XIII.  Vorlesung. 


ZU  vermehren.   Wie  groß  der  Anteil  dieses  Faktors  an  der  Steinbil- 
dung allerdings  ist,  dürfte  vorderhand  schwer  abzuschätzen  sein*). 

Die  größte  Bedeutung  bei  der  Lösung  des  Cholesterins  dürfte 
den  gallensauren  Salzen  zufallen,  welche  im  Verein  mit  Seifen 
die  Rolle  von  )>  Schutzkolloiden  «  spielen  und  das  in  Wasser  ganz 
unlösliche  Cholesterin  in  kolloidaler  Lösung  erhalten.  Jede  Ent- 
fernung dieser  Schutzkolloide  kann  zu  der  Ausbildung  von  Chole- 
sterinsteinen führen.  Eine  solche  Entfernung  kann  nur  in  ver- 
schiedener Art  erfolgen:  Die  Untersuchungen  von  Thudichum^), 
Alfred  Exner  und  Heyrovsky^),  Bacmeister^),  Schade^)  u.  a. 
haben  gelehrt,  daß  neben  einer  Zerstörung  der  Gallensäuren 
durch  bakterielle  Prozesse  auch  ihre  Zerstörung  durch 
autolytische  Vorgänge  in  steriler  Galle  sowie  auch  die 
Resorption  seitens  der  Gallenblasenwand  in  Betracht  kommt. 
Neben  den  Vorgängen  rein  chemischer  Natur  kommen  aber 
sicherlich  bei  der  Ausfällung  des  Cholesterins  auch  physikalisch- 
chemische Momente  in  Frage. 
Umhüiiungs-  Es  ist  eine  allgemeine,  für  kolloidale  Systeme  gültige  Regel,  daß 
ersc  einungen,  entgegengesetzt  geladene  Kolloide  einander  infolge  Ausgleiches 
der  in  ihnen  enthaltenen  Elektrizitätsmengen  ausfällen.  Nach 
demselben  Prinzip  können  negativ  geladene  Gallenkolloide 
durch  positive  Kolloide  der  verschiedensten  Art  niedergeschlagen 
werden,  wobei,  wie  es  scheint,  Serumeiweißkörper,  die  Proteine 
von  Bakterienleibem,  die  Eiweißkörper  abgestoßener  Epithelien, 
transsudierte  Kalksalze  u.  dgl.  in  Betracht  kommen«). 

Überhaupt  sind  die  Lösungsverhältnisse  der  kolloidalen 
Gallenbestandteile  viel  komplizierter,  als  man  früher  geahnt  hatte. 
So  ist  man  z.  B.  durch  Hammarsten'')   darauf  aufmerksam  ge- 


i)  Vgl.  H.  G.  Wells,  Chemical  Pathology  S.  379.   1907. 

2)  Thudichum,  Virchows  Arch.  156,  384  {1899). 

3)  A.  Exner  und  H.  Heyrovsky  (Klinik  Hochenegg  und  Inst. 
E.  Ludwig,  Wien),  Wiener  klin.  Wochenschr.   1908,  213. 

4)  Bacmeister  (Pathol.  Inst.  Freiburg,  Dir.  Aschoff),  Münchener 
med.  Wochenschr.  1968,  211,  283,  339  und  Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An. 
44,  528  (1908). 

5)  H.  Schade,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  8,  92  (19 10). 

6)  Lichtwitz,  Arch.  f.  klin.  Med.  92,  100  (1907).  O.  Porges,  KoUoid- 
chem.  Beihefte  5,  301. 

7)  O.  Hammarsten,   Ergebn.   d.    Physiol.   4,    17 — 19  (1905). 


Die  Leber  und  ihre  sekretorische  Funktion.  305 


worden,  daß  die  Gallenphosphatide  die  (sonst  durch  Äther 
aus  alkoholischer  Lösung  fällbaren)  gallensauren  Salze  zum  Teil 
in  Lösung  halten  können.  Umgekehrt  können  aber  Phosphatide, 
die  an  sich  in  Äther  leicht  löslich  sind,  durch  Äther  teilweise  mit 
den  ausfallenden  Salzen  der  Gallensäuren  niedergeschlagen  werden. 
(Früher  glaubte  man,  daß  die  gallensauren  Alkalien  vollständig 
durch  Äther  fällbar  sind  und  daß  sich  alles  Lecithin  in  der 
alkoholätherischen  Fraktion  gelöst  findet.)  Daß  die  Unkenntnis 
derartiger  Verhältnisse  zu  den  gröbsten  Fehlem  bei  der  quanti- 
tativen Gallenanalyse  führen  kann,  und  daß  der  Wert  vieler 
älterer  Zahlenangaben  dementsprechend  ein  recht  problematischer 
ist,  liegt  auf  der  Hand.  Es  kann  aber  andererseits  auch  nicht 
bezweifelt  werden,  daß  derartige  Faktoren,  die  in  das  große 
Gebiet  der  »Umhüllungserscheinungen«  fallen,  bei  der 
Bildung  der  Gallenkonkremente  eine  bedeutsame  Rolle  spielen. 

Das  kolloidal  gelöste  Cholesterin  befindet  sich  in  der  Galle 
gewissermaßen  in  einem  labilen  Gleichgewichte.  Wir  werden 
uns  daher  nicht  darüber  wundern  dürfen,  daß  dasselbe  z.  B. 
durch  bakterielle  Infektion  gestört  wird.  Die  Beobachtimg, 
daß  aus  einer  mit  Cholesterin  gesättigten  Lösung  gallensaurer 
Salze  im  Brutschranke  langsam  ein  Cholesterinsediment  ausfällt, 
nachdem  man  dieselbe  bakteriell  infiziert  hat,  liefert  dazu  eine 
lehrreiche  Illustration  ^ ) . 

Ist  aber  die  Störung  eines  physikalisch-chemischen  Gleich- 
gewichtes bei  der  Steinbildung  ein  ausschlaggebendes  Moment, 
so  kann  man,  auch  ohne  vom  Fortschreiten  der  Wissenschaft 
geradezu  Wunder  zu  erwarten,  immerhin  hoffen,  daß  man  einst 
Mittel  und  Wege  finden  wird,  um  diese  Gleichgewichtsstönmg 
hintanzuhalten.  Ich  schäme  mich  ganz  und  gar  nicht,  offen  ein- 
zugestehen, daß  mir,  bei  allem  gebührenden  Respekte  vor  der 
reinen  Wissenschaft,  dennoch  jene  Ergebnisse  derselben  am  meisten 
Freude  bereiten,  von  denen  ich  ( —  mit  oder  ohne  Berechtigung  — ) 
erwarten  zu  dürfen  glaube,  sie  könnten  immittelbar  dazu  beitragen, 
eine  gewisse  Summe  positiver  Leiden  aus  der  Welt  zu  schaffen. 


i)  G6rard,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  58,  348  {1905).     Kramer,  Joum.  of 
experim.  Med.  9,  310  (1907). 


V.  Fürth,  Probleme.  20 


XIV.  Vorlesung. 

Gallensäuren,  Cholesterin. 

In  der  heutigen  Vorlesung  soll  ims  der  chemische  Aufbau 
zweier  Kategorien  wichtiger  Gallenbestandteile  beschäftigen:  Der 
Gallensäuren  und  der  mit  ihnen  möglicherweise  verwandten 
Cholesterine. 
GaUenaftnren.  Unter  den  Bestandteilen  der  Galle  stehen  neben  den  Gallen- 
farbstoffen die  Gallensäuren  im  Vordergrunde .  Die  Erkenntnis 
ihrer  chemischen  Konstitution  gehört  daher  zu  den  wichtigsten 
Problemen  der  Physiologie.  Seit  mehr  als  50  Jahren  haben  zahl- 
reiche Biochemiker  ihre  Kräfte  an  dieser  Aufgabe  erprobt,  die 
auch  heute  noch  ihrer  definitiven  Lösung  harrt, 
oiykochoi-  Die  typischen  Gallensäuren  der  Säugetiergalle  sind  bekannt- 

lich die  Glykocholsäure  und  die  Taurocholsäure^),  zwei 
gepaarte  Säuren,  welche  durch  Einwirkung  hydrolytischer  Agen- 
tien  in  ihre  Komponenten  zerfallen.  Diese  sind  auf  der  einen 
Seite  die  Cholsäure  C24H40O6,  auf  der  andern  Seite  das  Glyko- 
koll  und  das  Taurin.  Von  diesen  Komponenten  ist  nur  die  Chol- 
säure für  die  Galle  spezifisch.  Das  Glykokoll  und  das  Taurin 
dagegen  sind  Eiweißderivate.  Während  das  Glykokoll  bekannt- 
lich ein  direktes  Eiweißspaltungsprodukt  ist,  gehört  das  Taurin 
nicht  zu  den  bei  der  hydrolytischen  Spaltung  des  Eiweißmoleküls 
unmittelbar    auftretenden    Bruchstücken    desselben.      Doch    ist 


sflure  u.  Tau 
rocholsflure. 


i)  Literatur  über  die  Chemie  der  Gallensäuren:  O.  Hammarsten, 
Handb.  d.  biochem.  Arbeitsmeth.  2,  644  (191  o).  F.  Samuely,  Handb. 
d.  Biochemie  1,  820 — 838  (1909).  E.  Abderhalden,  Lehrb.  d.  physiol. 
Chemie,  II.  Aufl.  S.  683  (1908).  O.  Hammarsten,  Lehrb.  d.  physiol. 
Chemie,  VII.  Aufl.  S.  390 — 400  (1910).  F.  Knoop,  Biochem.  Handlexikon 
*,  310—330  (1911). 


Gallensäuren,  Cholesterin.  307 


durch  die  (im  Hofmeisterschen  Laboratorium  ausgeführten)  Unter- 
suchungen Friedmanns  ^)  und  v.  Bergmanns  ^)  sichergestellt 
worden,  daß-  das  Taurin,  mit  einem  Eiweißspaltungsprodukte, 
dem  Cystein  zusammenhängt: 

CHg-SH  CH2.HSO8  CH2.HSO8 

CH.NH2 >    CH.NH2      >    CH2NH2 

COOH  COOK 

Cystein  Cysteinsäure  Taurin 

Ebenso  wie  man  in  vitro  das  Cystein  durch  Oxydation  in 
Cysteinsäure  und  diese  durch  Kohlensäurespaltung  in  Taurin 
überführen  kann,  vermag  auch  der  Organismus  offenbar  eine 
analoge  Überführung  zu  bewerkstelligen.  Zum  mindesten  be- 
wirkt gleichzeitige  Zufuhr  von  Cystin  und  Cholsäure  vermehrte 
Ausscheidung  von  Taurocholsäure  in  der  Galle  eines  Hundes, 
dem  dieses  Sekret  durch  eine  Fistel  nach  außen  abgeleitet  wird. 

Merkwürdigerweise  begegnen  wir  diesem  Nebeneinander  von 
Glykokoll  und  Taurin  noch  auf  einem  anderen,  allerdings  recht 
abgelegenen  physiologischen  Gebiete.  Die  vergleichende  Bio- 
chemie belehrt  uns  darüber,  daß  diese  beiden  Substanzen,  welche 
nicht  zu  den  typischen  Extraktivstoffen  des  Wirbeltiermuskels 
gehören,  sich  in  auffallend  großen  Mengen  in  den  Muskeln 
mancher  Mollusken  finden;  so  hat  man  in  der  Muskulatur 
mancher  Muscheln  viel  Glykokoll,  in  derjenigen  der  Kopffüßler 
viel  Taurin  gefunden  3). 

Die  Regel,  daß  die  Wirbeltiergalle  Glykocholsäure  oder 
Taurocholsäure  oder  aber  beide  Säuren  enthält,  ^ilt  nicht  ohne 
Ausnahmen.  Eine  solche  hat  Hammarsten^)  entdeckt,  als  er  die 
Galle  verschiedener  Fische,  insbesondere  diejenige  des  Haifisches 
Scymnus  borealis  untersuchte.  Da  stellte  es  sich  denn  heraus, 
daß  die  Galle  der  bisher  untersuchten  Plagiostomen  statt  der 
gewöhnlichen  gepaarten  Gallensäuren  Schwefelsäureester  enthält, 
die     durch    hydrolytische   Spaltung    in    Schwefelsäure    und    in 

i)  E.  Fried  mann,  Hofmeisters  Beitr.  3,  i  (1902);  ibid.  3,  184  (1902); 
4,  486  (1903). 

2)  G.  V.  Bergmann,  Hofmeisters  Beitr.  4,   192  (1904). 

3)  Vgl.  Literatur  bei  O.  v.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  der  niederen 
Tiere.    S.  437.    Jena  (1903). 

4)  O.  Hammarsten,  Z.  f.  physiol.  Chemie  24,  323  (1898). 

20  • 


308  XIV.  Vorlesung. 


»Scymnole«  zerfallen .  Letztere  sind  Substanzen  von  anscheinend 
alkoholischem  Charakter,  welche  durch  ihre  Fähigkeit,  die 
PeUenkof ersehe  Reaktion  zu  geben,  ihre  Zugehörigkeit  zur  Chol- 
säurereihe  verraten,  andererseits  aber  in  manchen  ihrer  Farben- 
reaktionen auch  an  das  Cholesterin  erinnern.  Hammarsten 
schreibt  dem  a-Scymnol  die  Zusammensetzung  C27H4e05,  dem 
ß-Scymnol  die  Formel  C22H50O  zu,  von  denen  die  erstere  der 
Cholesterinformel  C27H44O  recht  nahe  steht.  Ich  erwähne  dies 
ausdrücklich,  weil  wiederholt  auch  von  anderer  Seite  her  auf 
die  Möglichkeit  der  Existenz  von  Beziehungen  zwischen  den 
Cholsäurederivaten  und  dem  Cholesterin  hingewiesen  worden  ist^). 
Bemerkenswerterweise  enthält  die  Haifischgalle  daneben  weder 
typische  Gallensäuren  noch  Cholesterine. 
Atypische  Es  sind  außerdem  noch  eine  große  Anzahl  atypischer  Gallen- 

Oaiiensauren.  gäuren  beschrieben  worden;  man  hat  solche  aus  der  Galle  des 
Schweines,  des  Nilpferdes,  der  Nagetiere^  des  Eisbären,  des 
Walrosses,  der  Seehunde  und  der  Gans  dargestellt  und,  so  gut  es 
eben  ging,  analysiert  und  charakterisiert*).  Insbesondere  den 
sorgfältigen  Untersuchungen  Hammarstens  ')  gebührt  hier  rühmende 
Erwähnung. 

Neben  Säuren  mit  24  Kohlenstoffen  finden  sich  solche  mit  27, 
aber  auch  solche  mit  nur  22,  18  und  19  Kohlenstoffatomen,  und 
immer  wieder  treten  Glykokoll  und  Taurin  als  typische  Paarungs- 
produkte auf. 

Darstellung  Als   Paradigma  der  Gallensäuren  muß  uns  die  Cholsäure 

y^  fl'  C24H40O6  gelten,  welche  am  bequemsten  zugänglich  ist  und 
daher  das  Ausgangsmaterial  für  die  Mehrzahl  der  einschlägigen 
Untersuchungen  bildet.  Es  mag  mir  daher  gestattet  sein,  über 
das  ihrer  Darstellung  zugrunde  liegende  Prinzip  einige  Worte 
zu  sagen.  Dieselbe  beruht  darauf,  daß  ein  größeres  Gallen- 
quantum mit  starker  Lauge  anhaltend  gekocht  wird,  um  eine 
vollständige  Spaltung  der  gepaarten  Gallensäuren  in  ihre  Kom- 
ponenten zu  erzielen.     Säuert  man  sodann  mit  Salzsäure  an,  so 


i)  A.  Windaus,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  2558  (1909). 

2)  Literatur:   F.  Samuely,  Handb.  d.  Biochemie  1,  832  (1909). 

3)  O.  Hammarsten,  Z.  f.  physiol.  Chemie  61,  454  (1909);  68,  iio 
(19 10);  74,   123  (1911)  und  frühere  Untersuchungen. 


Gallensäuren,  Cholesterin.  309 


fällt  die  rohe  Cholsäure  in  Form  zäher  Klumpen  aus,  die  leicht 
abgetrennt  werden  können.  Die  Reindarstellung  der  Cholsäure 
beruht  nun  auf  ihrer  Eigenschaft,  sich  beim  Verreiben  mit  Alkohol 
zu  einem  schön  kristallisierenden,  ein  Molekül  Kristallalkohol 
enthaltenden  Produkte  zu  vereinigen,  das  diu'ch  weiteres  Um- 
kristallisieren leicht  rein  erhalten  werden  kann.  Zuweilen  stößt 
man  aber  bei  der  Darstellung  auf  erhebliche  Schwierigkeiten, 
namentlich,  wenn  man  dieselbe  in  den  Sommermonaten  vor- 
nimmt, insofern  sich  die  Rohsäure  einer  Umwandlung  in  das 
kristallisierte  Alkoholat  beim  Verreiben  mit  Alkohol  unzugänglich 
erweist.  Es  war  daher  für  die  Gewinnung  der  Cholsäure  eine 
Beobachtung  von  Pregl^)  von  besonderer  Wichtigkeit,  der  ge- 
funden hatte,  daß  man  die  Rohsäure  kristallisierbar  machen  kann, 
wenn  man  durch  Fällung  ihrer  Lösung  mit  Bariimichlorid  kristalli- 
sationshemmende  Beimengungen  entfernt.  Einen  weiteren  metho- 
dischen Fortschritt  bedeutet  der  Vorgang  von  Langheld^).  Wird 
nämlich  eine  alkoholische  Lösung  der  Rohsäure  mit  Natronlauge 
anhaltend  erwärmt,  so  scheidet  sich  das  cholsäure  Natron,  wenn 
die  Versuchsbedingungen  zweckmäßig  gewählt  werden,  in  Form 
von  Kristallnadeln  ab  und  es  gelingt  dann  ohne  weiteres,  die  aus 
dem  Natriumsalz  freigemachte  Cholsäure  aus  Alkohol  kristallisiert 
zu  erhalten. 

Pregl^)  geht  neuerdings  zur  IsoHerung  der  Cholsäure  derart 
vor,  daß  er  nach  Zerkochen  der  Galle  mit  Natronlauge  zunächst 
mit  Äther  ausschüttelt  und  Fettsäuren  u.  dgl.  dadurch  von  vorn- 
herein entfernt.  Er  erzielt  so  durch  Fällung  mit  Eisessig  und 
Salzsäure  die  Abscheidung  eines  direkt  kristallisationsfähigen 
Säuregemenges,  welches  aus  Cholsäure,  Choleinsäure  und  Desoxy- 
cholsäure  besteht.  Durch  Alkoholbehandlung  sowie  durch  Ein- 
fügung des  Langheldschen  Verfahrens  gelingt  es  so,  die  Cholsäure 
auch  aus  »Sommergalle«,  deren  Verarbeitung  sonst  besondere 
Schwierigkeiten  darbietet,  leicht  zu  isolieren. 

Die  Reingewinnung  der  Cholsäure  wird  durch  den  Umstand 
erschwert,  daß  in  der  verseiften  Galle  als  normale  und  wie  man 


i)  F.  Pregl,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-natarw.  Kl.  111, 
IIb,  Oktober  1902. 

2)  K.  Langheld,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  380  (1908). 

3)  F.  Pregl  und  H.  Buchtala,  Z.  f.  physiol.  Chemie  74,  198  (191 1). 


310  XIV.  Vorlesung. 


jetzt  wohl  annehmen  darf,  präformierte  Begleiter  derselben  zwei 
andere  Säuren  auftreten:  Die  Choleinsäure  Latschinoffs  und 
die  Desoxycholsäure^)  von  Mylius.  Man  hat  dieselben  irrtüm- 
licherweise für  identisch  gehalten.  Tatsächlich  handelt  es  sich 
aber  um  isomere  Verbindungen,  denen  beiden  die  Formel 
C24H40O4  zukommt.  Sie  unterscheiden  sich  von  der  Cholsäure, 
mit  der  sie  von  Pregl^)  unter  der  Bezeichnung  der  »drei  spezi- 
fischen Gallensäuren«  zusammengefaßt  werden,  durch  einen 
Mindergehalt  an  Sauerstoff.  Ihre  Abtrennung  von  der  Cholsäure 
basiert  auf  der  Schwerlöslichkeit  ihrer  Barytsalze. 

Im  Gegensatze  zu  den  beiden  genannten  Säuren  ist  die  Existenz 
der    »Fellinsäure«  von    Schotten  recht  zweifelhaft  geworden. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  einer  näheren   Betrachtung  der 

Cholsäure  zu   und  vergegenwärtigen   uns   zunächst,   daß   ihre 

Bruttoformel  soweit  aufgelöst  worden  ist,   um   die  Gegenwart 

zweier   primärer    und    einer   sekundären   Alkoholgruppe,    sowie 

eines  Karboxyls  darin  sicherzustellen: 

CH.OH 

C24H40O5  =  C^oHai     j  cHg.OH 

^COOH 

Synthese  ge-  Das  Karboxyl  vermittelt  bei  den  natürlich  vorkommenden 
^**8äure?**^*  gepaarten  Säuren  die  Verbindimg  mit  dem  Taurin  und  GlykokoU. 
Es  ist  auch  Bondi  und  Müller^)  gelungen,  künstlich  die  Paarung 
der  Cholsäure  mit  diesen  Substanzen  zu  bewerkstelligen  und 
Produkte  zu  erhalten,  die  mit  den  natürlich  vorkommenden 
GaUensäuren  vollkommen  übereinstimmten.  Der  dabei  ein- 
geschlagene Weg  führte  nach  dem  bekannten  Schema  von 
Curtius  von  der  Cholsäure  zu  ihrem  Ester,  von  diesem  diuch 
Einwirkung  von  Hydrazinhydrat  zum  Hydrazid  und  von  diesem 
schließlich  durch  salpetrige  Säure  zum  Säureazid. 

R.COOH ->  R.COOC2H5 .,.  R.CO.NH.NH2  -         -y  R-CO.Nj. 

Es  wurde  so  aus  der  Cholsäure  C23H39O3.COOH  ihr  Azid 
C28H39O3.CON3  erhalten,  und   dieses  setzt   sich   in   alkalischer 


i)  F.  Pregl,   Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.  Kl.  111, 
IIb  (1902). 

2)  F.  Pregl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  158  (1910).  Vgl.  K.  Langheld, 
Ben  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  378  (1908). 

3)  S.  Bondi  und  E.  Müller,   Z.  f.  physiol.  Chemie  47,  499  (1906). 


Gallensauren,  Cholesterin. 


311 


Lösung  mit  Glykokoll  oder  Taurin  zu  glyko-  bzw.  taurocholsaurem 
Alkali  unter  Abspaltung  von  Stickstoff alkali  um. 

Andererseits  hat  Curtius^)  aus  dem  Cholalazid  durch  Kochen 
mit  Alkohol  das  entsprechende  Urethan  und  aus  diesem  durch 
Hydrolyse  das  Amin  erhalten, 

C23H39O3.CON3    C28H39O3.NH.COOC2H5   C23H3«0,.NH2 

Azid  Uretban  Amin 

und  er  schließt  aus  dem  Umstände,  daß  dieses  Amin,  nicht  aber 
ein  Aldehyd  einer  um  einen  Kohlenstoff  ärmeren  Säure  entstanden 
ist,  daß  das  Karboxyl  der  Cholsäure  nicht  mit  der  Gruppe  CH.OH 
unmittelbar  verbunden  sei,  vielmehr  am  Hauptkerne  ohne  be- 
nachbarte sekundäre  Alkoholgruppe  aufsitzt. 

Da  es  im  allgemeinen  gelingt,  Alkoholgruppen  bei  entsprechend 
energischem  Vorgange  zu  reduzieren,  lag  es  nahe,  dies  auch  bei 
der  Cholsäure  zu  versuchen.  Es  gelang  auch  in  der  Tat,  durch 
Reduktion   mit   Jodwasserstoff  und   rotem    Phosphor   von   der 

.CH.OH  .CHj 


Cholamin. 


Reduktion 

der 
Cholsflure. 


Cholsäure  C20H 


20-^^31 


CH, 
CH, 
COOH 


CH^'loH  ™  ^^^  Verbindung    C20H31 
'  COOH 
beziehungsweise  zum  Anhydrid  derselben  zu  gelangen.    Dieselbe 

ist  als   »Cholylsäure«  bezeichnet  worden*). 

Der  aussichtsvollste  Weg  zum  Abbaue  der  Cholsäure  war  zwei- 
fellos der  Weg  der  Oxydation,  und  ich  will  nun  versuchen,  die  in 
dieser  Richtung  vorliegenden  Angaben  übersichtlich  zu  gruppieren. 

Zunächst  begegnen  wir  hier  der  Dehydrocholsäure Hammar-  Dehydrochoi- 

stens^),  welche  durch  Oxydation  der  Cholsäm^e  mit  Chromsäure 

in  essigsaurer  Lösung  erhalten  worden  ist.    Die  Formel  derselben 

lautet  C24H34O5;  dieselbe  unterscheidet  sich  durch  das  Fehlen 

von  sechs  Wasserstoffatomen  von  der  Formel  der  Cholsäure  und 

wird  so  gedeutet,  daß  die  Alkoholgruppen  der  letzteren  durch 

Oxydation  in  Aldehyd-  bzw.  Ketongruppen  übergegangen  sind: 

CH.OH 
CH2.OH 

CH2.OH        "^  ^2on3i    jcOH 


säure. 


ConH 


20"Sl 


,CO 
ICOH 


COOH 
Cholsäure 


C20H31 

'cOOH 
Dehydrocholsäure 


i)  Th.  Curtius,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  30,  1389  (1906). 

2)  Senkowski,  Monatsh.  f.  Chemie  19,  15  (1898).  F.  Pregl,  Pflügers 
Arch.  71,  303  (1898). 

3)  O.  Hammarsten,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  14,  71  (1881). 


312 


XIV.  Vorlesung. 


Dchydro- 
cholon. 


BlUansäure. 


Als  ein  in  anderer  Richtung  verlaufender  Oxydationsvorgang 
ist  dagegen  die  Bildung  des  Dehydrocholons  von  Pregl^)  zu 
deuten.  Diese  Substanz  entsteht,  wenn  Cholsäure,  in  Eisessig 
gelöst,  der  Einwirkung  heißer  konzentrierter  Schwefelsäure  unter- 
worfen wird.  Der  sich  dabei  abspielende  oxydative  Vorgang  gibt 
sich  durch  das  Entweichen  von  schwefeliger  Säure  zu  erkennen; 
beim  Eingießen  in  Wasser  fällt  ein  amorpher  Körper  aus,  dessen 
Lösungen  durch  eine  äußerst  intensive  grüne  Fluoreszenz  aus- 
gezeichnet sind  und  dessen  Zusammensetzung  der  Formel 
^24^28^  entspricht.  Er  enthält  also  um  12  Wasserstoffatome 
weniger  als  die  Cholsäure.  Die  Bestimmung  der  Molekular- 
refraktion und  der  Dispersion  dieser  Substanz,  sowie  die  Beob- 
achtung, daß  dieselbe,  im  Gegensatz  zu  der  nicht  nitrierbaren 
Cholsäure,  direkt  Nitrogruppen  aufnimmt,  hat  Pregl  zuerst  zu  der 
Annahme  geführt,  daß  dieCholsäure  zu  der  Reihe  der  hydrierten, 
karbozyklischen  Verbindungen  gehört  und  daß  bei  der 
Einwirkung  der  Schwefelsäure  eine  Dehydrierung  und  Umwand- 
lung einfacher  Bindungen  in  doppelte,  benzolartige,  erfolgt. 

Wird  die  Cholsäure  der  Einwirkung  von  Permanganat  in  alka- 
lischer Lösung  bei  niederer  Temperatur  unterworfen,  so  gelangt 
man  zu  der  Biliansäure  von  Cl^e,  oder  richtiger  gesagt,  zu  einem 
Gemenge  zweier  isomerer  Säuren,  der  Biliansäure  und  Isobilian- 
säure,  die  durch  die  verschiedene  Löslichkeit  ihrer  Barytsalze 
getrennt  werden  können.  Die  Formel  der  Biliansäure  C24H840g 
ist  soweit  aufgelöst  worden,  daß  man  die  Gegenwart  von  zwei 
Ketongruppen   und   von   drei   Karboxylen    darin    erkannt  hat: 

ICO 
CO 
COOH 
COOH 
COOH 

Der  für  dieCholsäure  charakteristische  Komplex  von  24 Kohlen- 
stoff atomen  ist  demnach  in  der  Biliansäure  noch  erhalten.  Wie 
außerordentlich  stark  das  Gefüge  dieses  Atomverbandes  ist,  geht 
aus  Untersuchungen  hervor,  die  ich  kürzlich  gemeinsam  mit 
Jerusalem^)  ausgeführt  habe.     Wir  hofften  dieses  komplizierte 


i)  F.  Pregl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  45,  166  (1905). 

2)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  Biochem.  Z.  2§,  375  (1909). 


Gallensauren,  Cholesterin.  313 


Ringsystem  ( —  denn  um  ein  solches  handelt  es  sich  — )  sprengen 
und  so  einen  tiefgehenden  Abbau  des  Cholsäuremoleküles  bewerk- 
stelligen zu  können,  indem  wir  Biüansäiure  der  Einwirkung  der 
Kalischmelze  unterwarfen.  Dabei  konnte  allerdings  nur  ein 
kleiner  Bruchteil  der  angewandten  Substanzmenge  in  kristalli- 
sierter Form  wiedergefunden  werden  und  wir  waren  recht  über- 
rascht, als  die  nähere  Untersuchung  ergab,  daß  es  sich  allem 
Anscheine  nach  um  eine  neue  isomere  Modifikation  der 
Biliansäure  handelt.  Die  Analysen  der  von  dieser  letzteren, 
sowie  von  der  Isobiliansäure  zweifellos  verschiedenen  Substanz 
stimmten  wiederum  am  besten  auf  die  Formel  C24H84O8. 

Zu  einem  weiteren  Abbaue  führt  die  Einwirkung  heißer  ciiiansäure. 
alkalischer  Permanganatlösung.  Man  gelangt  so  von  der  Bilian- 
säure zu  der  Ciiiansäure  Lasser -Cohns.  Die  Formel  derselben 
ist  von  Pregl^)  nunmehr  sichergestellt  worden;  dieselbe  lautet 
C2oH230g.  Auch  die  Natur  der  darin  enthaltenen  Sauerstoff- 
atome ist  soweit  aufgeklärt,  daß  wir  wissen,  es  handle  sich  um 
eine  dreibasische  Säure,  die  überdies  zwei  Ketongruppen  enthält : 

/CO 

CO 

C20H28O8  =  C16H26    <  COOH, 

COOK 
COOH 

Zwar  ist  zu  bemerken,  daß  die  gewöhnlichen  Ketonreaktionen  in 

diesem  Falle  versagen;  doch  können  die  beiden  extrakarboxylen 

0-Atome  nach  der  Gewinnungsweise  und  den  Eigenschaften  der 

Cihansäure  wohl  nur  Karbonylgruppen  angehören. 

In  analoger  Weise  wie  die  Cholsäure  zu  Biliansäure  bzw. 
Isobiliansäure  oxydiert  wird,  liefert  die  vorerwähnte  um  ein  O 
ärmere  Choleinsäure  zwei  analoge,  jedoch  um  ein  O  ärmere 
Oxydationsprodukte  von  der  Zusammensetzung  C24H34O7;  es 
sind  dies  die  Cholansäure  Tappeiners  und  die  Isocholan- 
säure  Latschinoffs. 

Noch  einige  Schritte  weiter  führt  der  oxydative  Abbau  der 
Cholsäure  durch  Einwirkung  von  Salpetersäure. 

So   gelangte   Letsche^)   in  Tübingen    durch  Oxydation    von 


i)  F.  Pregl,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.   Kl.  111, 
IIb,  Oktober  1902. 

2)  K.  Letsche,  Z.  f.  physiol.  Chemie  61,  215  (1909). 


314 


XIV.  Vorlesung. 


Choloidan- 
säure. 


Rhizochol- 
sSure. 


Cholsäure  mit  einem  Salpeterschwefelsäuregemisch  in  recht 
befriedigender,  etwa  einem  Viertel  des  Ausgangsmateriales  ent- 
sprechender   Ausbeute    zu    einer    wohldefinierten,    gutkristalli- 

/COOH 

COOK 

sierenden,  fünfbasischen  Säure    C19H28O10  =  Ci4Hg3      COOH 

COOH 

^COOH 

Noch  eine  Stufe  tiefer  steht  die  Choloidansäure.  Schon  die 
älteren  Untersucher  der  Gallensäuren  (wie  Rettenbacher,  Clive  und 
Latschinoff)  berichten  über  ein  bei  Oxydation  derselben  mit 
Salpetersäure  auftretendes  schön  kristallisierendes  Produkt,  das 
als  Choloidansäure  oder  Cholekampfersäure  bezeichnet  worden  ist. 
Später  hatte  Panzer^)  (der  ihm  die  Formel  C14H22O6  zuschrieb) 
dasselbe  wieder  in  Händen.  Demgegenüber  hat  aber  Pregl^) 
ganz  kürzlich  gezeigt,  daß  die  Choloidansäure  stets  auftritt,  wenn 
eine  der  drei  » spezifischen «,  der  normalen  Galle  eigentümlichen 
Gallensäuren  (nämlich  Cholsäure,  Choleinsäure  oder  Desoxychol- 
säure)  mit  Salpetersäure  unter  geeigneten  Bedingungen  oxydiert 
wird  und  daß  dieselbe  eine  vierbasische  Säure  von  der  Zusammen- 
setzung C18H28O8  ist.  Damit  war  auch  gleichzeitig  der  Nachweis 
geliefert,  daß  die  drei  spezifischen  Gallensäuren  in  bezug  auf  die 
Anordnimg  von  18  C-Atomen  ihres  Moleküls  miteinander  identisch 
sein  müssen. 

Wir  gehen  nunmehr  zur  Betrachtung  der  kleinsten  Bruch- 
stücke über,  welche  bei  der  Zertrümmerung  des  Cholsäure- 
moleküls  auftreten. 

Da  ist  zunächst  die  Benzolpentakarbonsäure 

COOH    COOH 


\ 


/ 


COOH-( 


\ 


\ 


^  / 


COOH    COOH 

ZU  erwähnen.  Hugo  Schrötter^)  in  Graz  hat  gemeinsam  mit 
seinen  Mitarbeitern  vor  einigen  Jahren  die  Beobachtimg  ge- 
macht, daß  eine  Säure,  die  er  als  Rhizocholsäure  bezeichnete, 


i)  J.  Panzer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  48,  181  (1906). 

2)  F.  Pregl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  160  (1910). 

3)  H.   Schrötter,    Weitzenböck,    Witt,    Sitzungsber.    d.    Wiener 
Akad.  117,  i  (1908). 


Gallensauren,  Cholesterin.  315 

durch  Einwirkung  von  konzentrierter  Schwefelsäure  bei  Gegen- 
wart von  metallischem  Quecksilber  (also  ähnlich  wie  es  bei  dem 
Aufschließungsverfahren  des  Kjedahlprozesses  geschieht)  und 
nachfolgende  Behandlung  mit  konzentrierter  Salpetersäure  aus 
Cholsäure  erhalten  wird.  Da  er  dieselbe  Säure  diurch  analoge 
Behandlimg  auch  aus  Cholesterin,  Terpentin  und  Kampfer  er- 
hielt, nahm  er  an,  daß  zwischen  den  genannten  Substanzen  ein 
genetischer  Zusammenhang  besteht  und  daß  sowohl  der  Chol- 
säure als  dem  Cholesterin  eine  terpenartige  Struktur  zugrunde 
liegt.  Später  ist  aber  Schrötter  darauf  aufmerksam  geworden, 
daß  seine  Rhizocholsäure  mit  der  Benzolpentakarbonsäure  iden- 
tisch ist,  welche  seinerzeit  von  Friedel  und  Graft  durch  Ein- 
wirkimg von  konzentrierter  Schwefelsäure  auf  Kohle  erhalten 
worden  war,  also  bei  der  Verkohlung  der  verschiedensten  orga- 
nischen Substanzen  auftreten  kann.  Schrötter  hat  daraufhin  alle 
konstitutiven  Schlußfolgerungen,  die  er  auf  der  Rhizocholsäure 
aufgebaut  hatte,  zurückgezogen.  Nun  ist  aber  Pregl  kürzlich 
wieder  auf  diese  Säiu"e  zurückgekommen  und  hat  darauf  auf- 
merksam gemacht,  daß  die  Benzolpentakarbonsäure  bei  der 
Einwirkung  von  Schwefelsäure  auf  Cholsäure  und  Cholesterin 
in  etwa  zehnmal  größerer  Ausbeute  gewonnen  wird,  wie  z.  B.  aus 
Kampfer  und  Terpentinöl,  also  dennoch  vielleicht  einer  prä- 
formierten Konfiguration  ihre  Entstehung  verdankt. 

Ich   habe  nunmehr   einiger   Produkte  zu  gedenken,   welche  Vorhandensein 
Panzer^)  durch  energische  Oxydation  von  Cholsäure  mit  Salpeter-    ßgn^oik'l-ne 
säure  erhalten  hat.     Neben   der  vorerwähnten   Choloidansäure 
und   der   Benzolpentakarbonsäure   fanden   sich    Derivate    eines 
vollkommen    hydrierten    Benzolkernes,    und    zwar    ein 
hellgelbes     Harz,     das    als     Oxyhexahydrophthalsäure 

OH    COOK 


C 
HgC/^CHj 


CH 


CH 
COOH 


2 


1)  Th.  Panzer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  6§,  376  (1909). 


3l6  XIV.  Vorlesung. 


aufgefaßt  wurde.  Daneben  vermochte  Panzer  noch  eine  Reihe 
von  Substanzen  zu  isolieren,  die  möglicherweise  als  Bruchstücke 
eines  hydrierten  zyklischen  Systems  aufgefaßt  werden  können, 

CHs-CH-COOH 

SO  die  a-Methylglutarsäure  iH^  ,    die    Glutar- 

CH2-COOH 
CH2-COOH 

I  ^  CH2-COOH 

säure     CHg  ,    die   Bernsteinsäure      i  und 

I  CH2-COOH 

CH2-COOH 

die  vollkommen  uncharakteristische  Oxalsäure. 
Panzers  Hypo-        Der  Grundkohlenwasserstoff  der  Cholsäure 

these. 

.CH.OH  ^CHj 


^241^40^6  =  ^20^81      j  QH^lOH  ->      C20H8I 


^  COOK 


CH 

CH, 

CH, 


•  =  C24H42 


weist  gegenüber  der  gesättigten  aliphatischen  Verbindung  mit 
der  gleichen  Kohlenstoff  zahl  C24H50  einen  Mindergehalt  von 
acht  H-Atomen  auf.  Unter  der  Voraussetzung,  daß  nun  gar  keine 
doppelten  Bindungen  vorhanden  seien  und  dieses  Minus  an  H 
ausschließlich  auf  Rechnung  von  Ringschlüssen  komme,  müßte 
man  annehmen,  daß  in  der  Cholsäure  vier  vollkommen 
hydrierte  Ringe  enthalten  sind.  Panzer  hat  eine  Annahme 
dieser  Art  durch  das  hjT)othetische  Schema 


CH2     CH2CH..OH  Cri2     Cri2 

.^       /\,      /'\      /\       /\ 
/       \/       \/       \/       \/       \ 


CH      CH      CH      CH 


CH2 
CH, 


CHj 

CH21  CH      CH      CH2    CH 

\     '\    /'\      \    /\    y 
\      \/    \      \/    \/ 

CH2    CH     COOHCH2    CH 

CH2.OH  CH2.OH 

angedeutet. 

Diese  Formel  steht  jedoch  im  Widerspruche  mit  einem  Be- 
funde von  Langheld^)  aus  dem  Laboratorium  von  Harries.  Dieser 
erhielt  durch  Behandlung  von  in  Chloroform  aufgeschwemmter 
Cholsäure  mit  Ozon  ein  Ozonid  von  der  Zusammensetzung 
C24H40O9.  Da  die  Cholsäure  Brom  nicht  zu  addieren  vermag, 
beweist    diese    Ozonidbildung    das    Vorhandensein    einer    ver- 


i)  K.  Langheld,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  1023  (1908). 


Gallensauren,  Cholesterin.  317 

steckten  Doppelbindung.  Daraus  folgt  nun  aber,  daß  die 
Cholsäureformel  nicht  Raum  für  vier  RingS3^teme,  sondern  nur 
für  drei  RingS3^teme  bietet. 

Davon  ausgehend  ist  nun  Pregl^)  zu  folgender  Überlegung 
gelangt : 

Der  Grundkohlenwasserstoff  der  Biliansäure  Pregis    Hypo- 


CHa 

CHg 

CHg  =s  C24H44 

CH, 


these. 


CO 
CO 
Ci»H8i   {COOK     list    C19H21 
COOK     ^ 
COOK  » CH3 

und  dieser  unterscheidet  sich  von  dem  aliphatischen  gesättigten 
Kohlenwasserstoffe  mit  24  C- Atomen  C24H50  durch  einen  Minder- 
gehalt von  6  H- Atomen.  Pregl  meint  nun,  diese  Differenz  von 
6  H- Atomen  könne  nicht  durch  die  Annahme  doppelter  Bindungen 
erklärt  werden,  da  die  Biliansäure  durch  ziemlich  energische 
Oxydation  von  Cholsäure  mit  Permanganat  erhalten  wird, 
sondern  nur  durch  die  Annahme  dreier  total  hydrierter 
Ringsysteme. 

Durch  weitere  energische  Oxydation  geht  die  Biliansäure  in 

ICO 
CO 
COOH   über.    Der  Grundkohlen- 
COOH 
COOH 

ICH2 
CH2 
CHj  =  C20H38.      Dieselbe    weist 
CH3 
CHa 

gegenüber  dem  gesättigten  aliphatischen  Kohlenwasserstoff  C20H42 
einen  Mindergehalt  von  4  H  auf.  Da  nun  die  Ciliansäure  gegen  die 
verschiedensten  Oxydationsmittel  außerordentlich  widerstands- 
fähig ist,  so  ist  nach  Pregis  Meinung  die  ungezwungenste  Annahme 
für  die  Konfiguration  ihres  Moleküls  diejenige  zweier  total 
hydrierter  Hexahydrobenzolringe,  die  durch  eine  ein- 
zige unverzweigte,  gesättigte,  aliphatische  Kette  mit 
einander  verbunden  sind  und  welche  außer  den  drei  Karb- 
oxylen  keine  Seitenketten  tragen. 

Für    den    Grundkohlenwasserstoff    der    Ciliansäure    C20H33 


i)  F.  Pregl,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  167  (19 10). 


3l8  XIV.  Vorlesung. 


würde  sich  dann  folgendes  Formelbild  ergeben  (wo  die  Stellung 
der  CHs-Gruppen  ganz  willkürlich  gewählt  ist): 

CHa   CH, 

H2      H2  H        H 

CHg — ri\  H — Crig — CHg — Crl2 — Crl2 — Cri2 — ^H^  /"2 


H2       H2  "2       H2 

Pregl  geht  nun  einen  Schritt  weiter  und  argumentiert  folgender- 
maßen : 

Die  Bildung  von  Ciüansäure  aus  Biliansäure  bzw.  Cholsäure 
erfolgt  unter  dem  Verluste  von  4  C- Atomen,  wobei  aus  einem 
Körper  mit  drei  hydrierten  Ringsystemen  ein  solcher  mit  nur 
zwei  Ringsystemen  hervorgeht.  Der  Verlust  von  4  C- Atomen  ist 
also  mit  der  Sprengung  des  dritten  Ringes  gleichbedeutend. 

Pregl  stellt  nun  die  Hypothese  auf,  daß  der  Cholsäure  folgende 
Konstitution  zukommt  (wo  die  Stellung  der  Substituenten  und 
der  doppelten  Bindung  ganz  willkürlich  gewählt  ist): 

CH2.OH  CH2.OH 

\ 

n.2        H2  H  H 

cooh-h/  III.  \h-ch2-<:h2-<:h2-ch2-<:h2-h/  ii.  ^h«     =  C24H40OB 

^2       Hg  n^/     i      \h-OH 


H         H 

oder  aber  eine  analoge  Formel,  in  welcher  der  Dopp>elkern  die 


Gestalt  \ ^/     \    besitzt. 


_/ 


Dabei  wäre  der  Ring  III  derjenige,  welcher  bei  der  Oxydation 
die  hydrierte  Oxyphthalsäure  Panzers  liefert,  daher  ihn 
Pregl  als  den  n^Panzerschen  Ring«  bezeichnet.  Der  Ring  I  ist 
am  labilsten  und  wird  bei  der  Oxydation  zu  Ciliansäure  gesprengt. 
Der  Ring  II  endlich  mit  den  daran  hängenden,  zu  Karboxylen 
oxydierten  Seitenketten,  mit  den  Resten  der  Zwischenkette 
und  des  Ringes  I  soll  bei  der  Oxydation  mit  Schwefelsäure  nach 

COOK    COOH 


Schrötter   als   Benzolpentakarbonsäure     COOH^^"^-^  zum 


COOH    COOH 


Vorscheine  kommen. 


COOH*      '^^  Grundkohlen- 


Gallensauren,  Cholesterin.  319 

Auch  die  Choloidansäure  oder  Cholekampfersäure  soll 

sich  nach  Pregl  leidlich  diesem  Schema  einfügen.    Derselben  ent- 

/COOH 

spricht  die  Formel  CigHggOg  =  Ci^Hg* 

XOOH 
Wasserstoff  ist  demnach  CigHse,  der  sich  vom  Grenzkohlen- 
wasserstoff CisHgs  nur  durch  eine  Differenz  von  2  H  unterscheidet. 
Das  bedeutet  soviel,  als  daß  die  Choloidansäure  nur  einen  voll- 
kommen hydrierten  Ring  enthält.  Hier  ist  also  auch  der  Ring  II 
bereits  gesprengt  worden,  und  nur  der  Panzersche  Ring  ist  übrig 

geblieben : 

COOK  COOK 


\ 

H2  H2  CH     v>xz2 


COOH-H^  ^  NH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH/ 

Hl       Hg  COOK 

Beim  Schmelzen  zersetzt  sich  die  Choloidansäure  und  geht  dabei 
in  Brenzcholoidansäure  über,  der  Pregl  die  hypothetische 

Konstitution    COOH-<^^"  — ;-(CH 2)  j-CH-CHs    zuschreibt . 


K^'        V 


ioOH 
Durch  Natronkalkdestillation  der  Cholekampfersäure  erhielt 

Panzer  ^ )  einen  Kohlenwasserstoff ,  dem  er  die  Formel  C 1  iH  1  e  beilegt . 
Pregl  vermutet  aber,  daß  er  vielleicht  tatsächlich  den  Kohlenwasser- 
stoff CiaHga,  nämlich  ''^/-  -XH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH,, 


also  Normalheptylbenzol  in  Händen  gehabt  habe. 

Anschließend  möchte  ich  Ihnen  nun  über  den  Abbau  der  Chol- 
säure  durch  trockene  Destillation  kurz  berichten. 

Ich  hatte,  wie  bereits  erwähnt,  gemeinsam  mit  Jerusalem  fest- 
gestellt, daß  der  Atom  verband  der  Cholsäure  und  auch  noch 
derjenige  der  Biliansäure  ein  so  festes  Gefüge  besitzt,  daß  der- 
selbe selbst  einem  so  mächtigen  Eingriffe,  wie  es  die  Kali- 
schmelze  ist,  Widerstand  zu  leisten  vermag. 

Diese  Erkenntnis  brachte  mich  auf  den  Gedanken,  daß  eine  Beobachtungen 
genauere  Untersuchung  der  bei  der   trockenen  Destillation      ^^^^  **^^ 
der  Cholsäure  und  ihrer  Derivate   auftretenden  Produkte  dem    stiiiation  der 
Studium  ihrer  Konstitution  vielleicht  zustatten  kommen  könnte.     Cholsäure. 


i)  1.  c. 


320  XIV.  Vorlesung. 


Einige  Vor  versuche  über  diesen  Gegenstand  lagen  bereits  vor. 

Schon  vor  mehr  als  30  Jahren  hatte  Destrem^)  im  Laboratorium 
Schützenbergers  die  Beobachtung  gemacht,  daß  bei  der  Zinkstaub- 
destillation der  Cholsäure  ein  Kohlenwasserstoff  auftritt,  dem 
er  die  Formel  C24H32  zuschrieb. 

Später  wurde  dieses  Destillationsprodukt  von  Schotten^)  unter- 
sucht. Dieser  stellte  fest,  daß  man  bei  trockener  Destillation  der 
Cholsäure  ein  zähflüssiges,  gelbes  oder  gelbbraunes,  grün  fluores- 
zierendes öl  bekommt,  das  keinen  konstanten  Siedepunkt  zeigt. 
Auf  Grund  seiner  Analysen  behauptete  nun  Schotten y  es  handle  sich 
nicht  um  einen  Kohlenwasserstoff,  sondern  vielmehr  um  ein  An- 
hydrid der  Cholsäure,  welches  nach  derGleichung2C24H4o05 — 
7H20=C48Hee03  aus  der  Cholsäure  entstanden  sein  sollte. 

Schließlich  hat  noch  Pregl^)  die  Destillationsprodukte  der 
Cholsäure  in  der  Hand  gehabt  und  festgestellt,  daß  sich  dieselben 
durch  Wasserdampfdestillation  in  einen  flüchtigen  und  einen 
nichtflüchtigen  Anteil  zerlegen  lassen.  Er  beobachtete,  daß  die 
Substanz  mit  Salpetersäure  unter  Bildung  eines  gelben  Nitro- 
körpers  und  mit  Brom  unter  Entbindung  von  Bromwasserstoff- 
säure reagiert.  Anal3^en  hat  Pregl  nicht  vorgenommen.  So  war 
es  denn,  als  ich  gemeinsam  mit  E.  Lenk^)  an  eine  genauere 
Untersuchung  der  Destillationsprodukte  der  Cholsäure  heran- 
ging, nicht  einmal  klargestellt,  ob  es  sich  um  einen  Kohlenwasser- 
stoff oder  um  eine  sauerstoffhaltige  Verbindung  handelt. 

Wir  gingen  einerseits  von  der  Cholsäure,  anderseits  von  der 
Bihansäure  aus  und  sahen  bei  der  trockenen  Destillation  beider 
anscheinend  identische  Produkte  zum  Vorscheine  kommen  und 
zwar  einerseits  solche  von  öliger,  andererseits  solche  von 
wachsartiger  Beschaffenheit.  Ganz  im  Beginne  der  Destillation 
wurde  von  uns  nämlich  stets  das  Auftreten  eines  wachsartigen 
Produktes  in  den  Vorlagen  bemerkt,  das  früheren  Beobachtungen 
ganz  entgangen  war.  Dasselbe  trat  in  den  späteren  Stadien  der 
Destillation  nicht  mehr  auf  und  konnte  unschwer  von  der  Haupt- 
menge der  öligen  Destillationsprodukte  abgetrennt  werden. 

i)  Destrem,  Compt.  Rend.  87,  880  (1878). 

2)  Schotten,  Z.  f.  physiol.  Chemie  10,  197  {1886). 

3)  F.  Pregl,  Pflügers  Arch.   71,  307  {1898). 

4)  O.  V.  Fürth  und  E.  Lenk,  Biochem.  Z.  26,  406  (19 10). 


Gallensauren,  Cholesterin.  32 1 


Die  Menge  des  öligen  Destillationsproduktes  war  eine  be- 
trächtliche. Die  Ausbeute  an  Rohöl  betrug  stets  mindestens 
ein  Drittel,  unter  Umständen  jedoch  auch  mehr  als  die  Hälfte 
des  Ausgangsmateriales. 

Ein  aus  dem  Rohöle  durch  Wasserdampfdestillation  isolier- 
barer flüchtiger  Anteil  erwies  sich  uns  als  ein  Kohlenwasser- 
stoff, der  außerordentlich  leicht  verharzt  und  auch  bei  sehr 
niedrigem  Drucke  nicht  unzersetzt  destilliert  werden  kann. 
Unsere  Molekulargewichtsbestimmungen  und  Anal3^en  belehrten 
uns  darüber,  daß  die  Destremsche  Formel  C24H32  unrichtig  ist, 
daß  es  sich  vielmehr  um  einen  Verband  von  12 — 17  Kohlen- 
stoff atomen  handelt. 

Qualitative  Versuche  über  die  Aufnahme  von  Brom  und 
von  Jod  ergaben,  daß  in  einem  Moleküle  unseres  Kohlen- 
wasserstoffes ein  Atom  Halogen  substituiert  wird.  Daraus 
geht  hervor,  daß  der  Kohlenwasserstoff  keinesfalls  aliphatische 
ungesättigte  Bindungen  enthält.  Sonst  wären  ja  einem  Moleküle 
entsprechend  mindestens  zwei  Atome  Halogen  addiert  worden. 

Offenbar  handelt  es  sich  nicht  um  eine  Addition  nach  dem  T)q)us 

!  I 

-C  -CBr 

II  +  Brg  =     i        ,     sondern    um    eine    Substitution    an    emem 
-C  -CBr 

I 

zyklischen  Kerne  nach  dem  Schema  RH +Br2=R.Br +HBr. 

Da  sich  demnach  durch  direkte  Halogenaddition  in  unseren 
Produkten  keine  doppelten  Bindungen  nachweisen  ließen,  haben 
wir  den  Versuch  gemacht,  die  An- oder  Abwesenheit  »maskierter« 
doppelter  Bindungen  durch  Bestimmung  der  Molekular- 
refraktion sicherzustellen. 

Bekanntlich  ist  die  Molekularrefraktion,  ermittelt  nach  der 
Formel  von  Lorenz  und  Lorentz, 

MR  ^     2~     •    \j  »  WO  M  das  Molekulargewicht, 

R  die  spezifische  Refraktion, 
n  den  Brechungsindex, 
d  die  Dichte 

bedeutet,  eine  additive  Eigenschaft,  die  sich  aus  der  Summe 
der  Atomrefraktionen  berechnen  läßt  und  durch  die  Gegenwart 
doppelter  Bindungen  in  erheblicher  Weise  beeinflußt  wird,  derart, 

V.  Fürth,  Probleme.  21 


322  XIV.  Vorlesung. 


daß  die  Größe  der  Molekularrefraktion  einen  Rückschluß  auf  die 
Anzahl  der  im  Moleküle  enthaltenen  doppelten  Bindungen  ge- 
stattet. Wir  haben  nun  eine  Anzahl  verschiedener  Präparate 
unserer  flüchtigen  öle  mit  Hilfe  eines  Abbeschen  Refraktometers 
untersucht  und  gut  miteinander  übereinstimmende  Resultate  er- 
halten. Dieselben  führen  (unabhängig  davon,  welche  der  in 
Betracht  kommenden  Formeln  man  der  Berechnung  zugrunde 
legt)  zu  der  Annahme  der  Existenz  dreier  doppelter  Bil- 
dungen im  Moleküle  unseres  Kohlenwasserstoffes. 

Die  neben  der  Hauptmenge  des  Öles  nur  in  geringen  Mengen 
auftretenden  wachsartigen  Destillationsprodukte  erwiesen 
sich  zu  unserer  Überraschung  als  sauerstoffhaltige  Substanzen, 
deren  Zusammensetzung  den  Formeln  C17H28O2  oder  C17H24O2 
oder  analogen  Ausdrücken  mit  16  oder  18  Kohlenstoffen  ent- 
sprechen dürfte.  Anscheinend  handelt  es  sich  dabei  um  labile, 
nur  während  der  ersten  Stadien  der  Destillation  auftretende 
Vorstufen  unseres  Kohlenwasserstoffes.  Da  derselbe,  wie  wir 
zeigen  konnten,  auch  aus  der  Ciliansäure  bei  der  trockenen 
Destillation  entsteht,  diese  aber  als  ein  Körper  mit  nur  zwei 
hydrierten  Ringsystemen  gedeutet  wird,  könnten  unsere  Befunde 
ganz  wohl  mit  der  Preglschen  Hypothese  in  Einklang  gebracht 
werden.  Sollte  sich  die  letztere  bestätigen,  so  würde  sich  das 
Verhalten  des  Kohlenwasserstoffes  wohl  am  ungezwungensten 
durch  die  Annahme  deuten  lassen,  daß  demselben  die  Formel 
C17H24  oder  C17H22  zukomme  und  daß  er  sich  aus  dem  der 
Ciliansäure  zugrunde  liegenden  hydrierten  Diphenylpentan- 

komplexe  ^^  ,^(CH2)5--.'  ^     durch    partielle    Dehy- 

drierung  bzw.  durch  sekxmdäre  Bildung  eines  Drei-  oder  Vier- 
ringsystems ableite.  Wir  sind  gegenwärtig  damit  beschäftigt, 
diese  Annahme  durch  weiteren  oxydativen  Abbau  unseres 
Kohlenwasserstoffes  zu  prüfen. 

Soviel  also  über  die  rein  chemische  Seite  der  Frage! 
Abhängigkeit         Sie  sehen,  daß  wir  von  einem  Abschlüsse  dieser  Probleme  wohl 
ausscheidung   i^och    ziemlich  weit  entfernt  sind.     Auch  über   Ursprung  und 
von  der  Nah-  Entstehung  der  Gallensäuren  wissen  wir  wenig  Positives.     Der 
™a^e.       Einfluß     der    Zusammensetzung    der    Nahrung    auf    die    Aus- 
scheidung von    Gallensäuren  ist  vor  einigen  Jahren  von  Good- 


Gallensauren,  Cholesterin.  323 


mann^)  im  Laboratorium /fo/wm/^rs  neuerlich  untersucht  worden. 
Es  ergab  sich,  daß  die  Gallensekretion  bei  einem  Fistelhunde 
durch  eiweißreiche  Kost  stärker  angeregt  wird  als  durch 
Hundekuchen.  Am  stärksten  war  jedoch  die  durch  direkte 
Cholsäurezufuhr  bewirkte  Steigerung.  Weder  Verfütterung  chole- 
sterinreicher  Nahrung  (Kalbshim)  noch  direkte  Einführung  von 
Cholesterin  in  das  Blut  hatte  einen  sehr  merklichen  Einfluß 
und  es  erscheint  wenig  wahrscheinlich,  daß  die  Cholsäure  etwa 
aus  dem  im  Blute  zirkulierenden  Cholesterin  stammt;  ebenso- 
wenig gelang  es,  die  Cholesterinausscheidung  in  der  Galle  durch 
Cholsäurezufuhr  zu  steigern ;  man  hat  daher  vom  physiologischen 
Standpunkte  aus  vorderhand  keinen  Grund,  die  Cholsäure  etwa 
als  Vorstufe  des  Cholesterins  anzusehen. 

Chemischerseits  ist  von  jeher  nach   einem  Zusammenhange    CholesterliL 
zwischen  Cholsäure  und  Cholesterin  gefahndet  worden,  und  vor 
nicht  langer  Zeit  hat  Windaus^)  auf  eine  Analogie  zwischen  den 
Formeln  des  Cholesterins  und  der  Cholsäure  hingewiesen: 

L/^l2.^-'JLl\y^     TT      /vOOrl  (^rl3\^TT  r^vx    r*ii    r*     tr      i^xi  /^t-t 

CH,        \u^  '  C^.   ^Hj 

.     CH.(/h  CH.OH 

Cholsäure  Cholesterin. 

Es  wird  Ihnen  daher  vielleicht  nicht  unwillkommen  sein,  wenn 
ich  hier  eine  kurze  Erörterung  der  Konstitutionsfrage  des 
Cholesterins  unmittelbar  anschließe  und  Ihnen  die  spärlichen 
Resultate  mitteile,  zu  denen  die  Forschung  nach  langer  und 
mühseliger  Arbeit  auf  diesem  Gebiete  bisher  gelangt  ist. 

Das  Cholesterin,  welches  aus  Gallensteinen  oder  aus  Gehirn 
leicht  in  großer  Ausbeute  gewonnen  werden  kann,  schön  kristal- 
lisiert und  vermöge  seiner  Eigenschaften  { —  es  ist  unlöslich  in 
Wasser,  leicht  löslich  in  Äther  u.  dgl.  und  haltbar  — )  sich  ohne 
Schwierigkeiten  reinigen  läßt,  macht  zunächst  sicherlich  den 
Eindruck  einer  Substanz,  die  geeignet  ist,  dem  Chemiker  so  recht 
Freude  zu  bereiten.     Daß  sich  hinter  dem  gewinnenden  Äußern 

i)  E.  H.  Goodman  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters 
Beitr.  9,  91  (1907),  vgl.  dort  die  ältere  Literatur. 

2)  A.  Wind  aus,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  2558  (1908). 

21* 


324  XIV.  Vorlesung. 


gruppe. 


bei  näherer  Bekanntschaft  auch  minder  sympathische  Eigen- 
schaften verborgen  halten,  geht  wohl  zur  Genüge  aus  dem  Um- 
stände hervor,  daß,  trotzdem  sich  viele  ausgezeichnete  Chemiker 
seit  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  an  dieser  Substanz 
abgemüht  haben,  man  heute  noch  nicht  einmal  darüber  im 
klaren  ist,  in  welche  der  chemischen  Hauptkategorien  dieselbe 
einzureihen  sei. 

Dank  einer  Reihe  neuerer  vortrefflicher  Untersuchungen, 
unter  denen  ich  namentlich  die  mit  unermüdlicher  Konsequenz 
durchgeführten  Arbeiten  von  Julius  Mauthner  (teilweise  gemein- 
sam mit  Suida)y  sowie  diejenigen  von  Windaus  und  Steifiy  Diels 
und  Abderhalden,  Neuberg,  Willstädter  hervorheben  möchte,  ist  die 
Cholesterinformel  C27H4eO  nunmehr  zu  dem  Ausdrucke 

pxT        CH — Crl2 — ^»*2 — ^17*^26 — CH   aa  Cri2 

CH2    CH2  aufgelöst  worden  1). 

CH.OH 
Vinyi-  und  Die     Doppelbindung    in    der    endständigen    Vinylgruppe 

...  CH=CH2  befähigt  das  Cholesterin,  Halogen  zu  binden: 

R— CH  =CH2  +Br2  =R— CHBr— CHgBr. 

Ebenso  erfolgt  auch  eine  Addition  alkoholischer  Salzsäure. 

Neben  dieser  offen  zutage  tretenden  Doppelbindung  scheint 
jedoch  noch  eine  maskierte  Doppelbindung  im  Cholesterin 
enthalten  zu  sein,  welche  erst  bei  Behandlung  mit  Ozon  manifest 
wird^).  Durch  Reduktion  des  Cholesterins  mit  Natrium  in 
Amylalkohol  oder  durch  Einleiten  von  Wasserstoff  in  die  mit 
Platinmoor  versetzte  ätherische  Lösung  erhält  man  das  Di- 
hydrocholesterin  R — CH2 — CH3. 

Der  sekundären  Alkoholgruppe  .  .  .  CH.OH  verdankt  das 
Cholesterin  die  Fähigkeit,  Säurcester  zu  bilden.  Namentlich 
die  Ester  höherer  Fettsäuren  (der  Palmitin-,  Stearin-  und 


1 )  Literatur  über  chemische  Eigenschaften  und  Konstitution  des  Chole- 
sterins: W.  Glikin,  Handb.  d.  Biochemie  1,  I,  128 — 136  (1909).  J.  Bang, 
Chemie  und  Biochemie  der  Lipoide.  S.  20 — 27.  Verl.  von  Bergmann. 
Wiesbaden  191 1.  A.  Windaus,  »Sterine«  in:  Biochem.  Handlexikon  3, 
268 — 309  (191 1). 

2)  E.  Molinari  und  P.  Feneroli,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41, 
2785  (1908). 


Gallensauren,  Cholesterin.  325 

Ölsäure  und  anscheinend  auch  der  Elaidinsäure,  sowie  anderer 
Säuren)  sind  physiologisch  und  pathologisch  interessant;  sie  sind 
beispielsweise  im  Wollfette  (Lanolin),  ferner  nach  Hürthle^) 
im  Blutserum  enthalten.  Auch  doppelbrechende  Substanzen 
aus  pathologischen  Organen  gehören  hieher.  So  ist  eine  kristal- 
lisierte, in  der  »großen  weißen«  Niere  des  Menschen  auf- 
tretende Substanz  von  Panzer^)  im  Laboratorium  Ernst  Ludwigs 
als  Ester  des  Cholesterins  mit  einer  ungesättigten  Fettsäure  er- 
kannt worden;  auch  eine  im  Xanthomgewebe  enthaltene 
Substanz  3)  ist  offenbar  hierher  zu  zählen.  Derartige  Verbindungen 
sind  übrigens  auch  in  physikalisch-chemischer  Hinsicht  sehr 
interessant,  insofern  sie  eine  kristallinisch-flüssige  Phase  zeigen, 
und  0.  Lehmann^)  hat  nicht  unrecht,  wenn  er  sich  der  Er- 
schließung einer  »neuen  Welt «,  nämlich  derjenigen  der  »flüssigen 
Kristalle«  rühmt.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  daß  manches 
Rätsel  aus  dem  Bereiche  des  Lebendigen  in  den  noch  kaum 
betretenen  Gebieten  dieser  neuen  Welt  verborgen  schlummert  und 
des  Entdeckers  harrt. 

Die  Hydroxylgruppe  des  Cholesterins  ist  bei  Behandlung 
mit  Phosphorpentachlorid  durch  Chlor  ersetzbar ; 
(R.OH-  ->R.C1);  metallisches  Kalium  oder  Natrium  ver- 
drängt daraus  ein  Wasserstoffatom  (R.OH — >.R.OK).  Durch 
Oxydation  der  Hydroxylgruppe  mit  Kupferoxyd  entsteht  aus 
Cholesterin  das  entsprechende  Keton,  das  Cholestenon: 

p-rr      Crl.Crl2'Crl2  Ci7ri26 — Cri  =  Crl2      ^)' 

CH2    CH2 

CO 
Durch  Behandlung  des  Cholesterins  mit  wasserentziehenden 
Mitteln  resultieren  Cholesterylene: 

i)  C.  Hürthle,  Z.  f.  physiol.  Chemie  21,  331  (1895),  vgl.  dort  die 
ältere  Literatur. 

2)  Th.  Panzer  (Med. -ehem.  Inst.  Wien),  Z.  f.  physiol.  Chemie  48,  519 
(1906);  54,  239  (1907),  vgl.  auch  A.  Wind  aus,  ibid.  65,  iio  (1910). 

3)  J.   Pringsheim,  Biochem.  Z.  15,  52  (1908). 

4)  O.  Lehmann,  Die  neue  Welt  der  flüssigen  Kristalle.  Leipzig, 
Akademische  Verlagsanstalt  191 1. 

5)  O.  Diels  und  E.  Abderhalden,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  37, 
3099  (1904). 


326 


XIV.  Vorlesung. 


Oxydativer 
Abbau  des 
Cholesterins. 


CH 


^TT   /CH.CH.o.Cri2-Ci7**26 — CH  =  CHj 


CH 


\ 


CH, 


/ 


CH 


(iH, 


\ 
CH. 


bzw.     die    isomere    Verbindung         *  /   *.     Bei  der  Reduktion 


CH 


mit  Wasserstoff  in  Gegenwart  von  Platinschwarz  liefern  beide 
das  von  MatUhner  dargestellte  Cholestan: 


CöHii— Ci7H2  6*CH2.CHj     ^). 

*H2     CH2 

\    / 
CH2 


6 


Eine  um  2  H  ärmere  Verbindung  ist  das  Cholesten: 

C5H11 — Ci7H26'CH  =  CH2 

CHo  CHo 


\ 


CH 


2 


Die   Kenntnis  der    verzweigten   Seitenkette  des   Chole- 


sterins   ^^')^CH-CH2-CH2- ist    auf    den     von     Windaus^) 

erbrachten  Nachweis  basiert,  daß  bei  Oxydation  des  Cholesterins 
mit  heißer  rauchender  Salpetersäure  neben  Bernsteinsäure  Dini- 

troisopropan    ch'^/^'xNO^    auftritt. 

Ein  besonderes  Interesse  bieten  die  Versuche  zum  oxydativen 
Abbau  des  Cholesterins.  Die  am  tiefsten  stehenden  Abbau- 
produkte scheinen  drei  wasserlöshche  amorphe  Säuren  zu  sein, 
die  von  Mauthner  und  Suida  durch  Oxydation  mit  Salpetersäure 
oder  mit  Kaliumpermanganat  erhalten  worden  sind  und  deren 
Isolierung  auf  der  Eigenschaft  ihrer  Kalksalze  beruht,  in  der 
Hitze  aus  ihrer  wässerigen  Lösung  auszufallen,  um  sich  beim 
Erkalten  wieder  zu  lösen.  Diese  vierbasischen  Säuren,  denen  die 
Formeln  Ci2Hie08,  CigHigOg  und  C14H29O9  zugeschrieben 
werden,  zeigen  das  Gemeinsame,  daß  sie  als  Karboxylderivate  von 
Kohlenwasserstoffen  der  Formel  CnH2n  aufzufassen  sind,  was 


i)  L.  Tschugueff  und  W.  Fomin,  Ann.  d.  Chem.   375,  288  (1910). 
2)  A.  Windaus,  Über  Cholesterin,  Habilitationsschrift.   Freiburg  i,  Br. 


1903. 


Gallensauren,  Cholesterin.  327 


mit   der  Vermutung  in  Einklang  steht,   daß  wir  es  im  Chole- 
sterin mit  gesättigten  Ringsystemen  zu  tun  haben i). 

Genauer  bekannt  sind  die  höheren  Oxydationsprodukte  des 
Cholesterins.  Es  kann  beim  oxydativen  Abbau  zunächst  zu  einem 
neuen  Ringschlusse  kommen,  wobei  die  endständige  Vinylgruppe 
beteiligt  ist.    Z.  B. 


^6^11»^17^26»^^ 

C5Hii,Ci7H26 — CO 

CHj  Crlg  Crl2 

-^             OT2    C  =  CH 

\       / 

\      / 

CH.OH 

CH.OH 

Bei  intensiverer  Oxydation  hat  besonders  Windaus^)  eine  ganze 
Reihe  mehrbasischer,  gut  kristallisierender  Säuren  erhalten: 

^  öH  1  i»C  1 7H  2  6 — CH=^H  2  C  5H  ij.C  1 7H  2  6 — ^CH=CH  2 


/      \                                                        /      \ 
CHj    CH2  ►  COOH  CHg         ^ 

CH.OH  COOH 

C5Hu.Ct7H26 — CO  C5Hii.Ci7H26»COOH 

/   \   I  /   \ 

COOH  CO  COOH  >  COOH  COOH. 

COOH 

Die  letzterwähnte  Trikarbonsäure  zerfällt  bei  Oxydation 
mit  rauchender  Salpetersäure  in  a-Oxyisobuttersäure  und  eine 
Tetrakarbonsäure: 


^5»>CH.CH2.CH2.Ci7H2e-COOH  +  60  = 

COOH  COOH 

=  ^5»  \cH(OH).COOH  +  COOH-C17H26-COOH  +  H2O. 

CH3/  /  V 

COOH  COOH 

Bei  Einwirkung  heißer  Chromsäure  erhielt  Windaus  dagegen 
eine  andere,  um  eine  CHg-Gruppe  reichere  Tetrakarbonsäure 
neben  Azeton:^) 


1)  J.  Mauthner  und  W.  Suida,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  112, 
IIb,  Februar  1903. 

2)  Literatur:    A.Wind  aus,  Biochem.  Handlexikon  3,  294  ff.  (1911)- 

3)  A.  Windaus,   Ber.   d.  deutsch,  ehem.  Ges.    41,   2568   (1908);  42, 
3770  (1909). 


328  XIV.  Vorlesung. 


^^«)CH.CH2.CH2.Ci7H2e.COOH  +40  = 

CÖOH  COOH 

=  ^5*   CO  4-  COOH.CH2.C17H28-COOH  +  H2O 

COOH  COOH 

Sie  sehen,  daß  die  bisherigen  Forschungen  sich  gewissermaßen 
an  der  Oberfläche  des  Cholesterinmoleküles  gehalten  haben.  Ein 
großer  Komplex  von  17  Kohlenstoffatomen  im  Zentrum 
desselben  ist  seiner  Natur  nach  völlig  unaufgeklärt.  Daß  es  sich 
um  ein  kompliziertes  Ringsystem  handelt,  ist  schon  von  Weyl, 
Mauthner  und  Suida  u.  a.  betont  worden.  Die  zahlreichen 
schönen  Farbenreaktionen^)  des  Cholesterins  sprechen  sicher- 
lich nicht  gegen  eine  solche  Annahme.  Eine  derselben,  die 
mit  Methylfurfurol,  ist  nach  Neuberg  und  Raiichberger^)  dem 
Cholesterin,  den  Gallensäuren,  Terpenen,  Kampfern  und  der 
Abietinsäure  gemeinsam.  Auf  Grund  der  wichtigen  (von  Tschirch 
und  Studer^)  ausgesprochenen)  Tatsache,  daß  die  Harzsäuren 
der  Koniferen  fast  alle  »Cholesterinreaktionen «  liefern,  also  dem 
Cholesterin  anscheinend  nahe  stehen,  haben  Windaus  und  Stein^) 
der  Ansicht  Ausdruck  gegeben,  daß  das  Cholesterin  ein  Kohlen- 
wasserstoff sei,  dem  die  Stammsubstanz  der  Harzsäuren  zugrunde 
liegt,    nämlich    ein    reduziertes    Methylpropylphenanthren    oder 

I 
Reten.  Damit   würde   das  Cholesterin   demnach 

C3H7|^       I 

'         CH3 

als  ein  kompliziertes,  sich  von  einem  Phenanthren  ableitendes 
Terpen  charakterisiert  sein,  d.  i.  als  Vertreter  einer  Körperklasse, 
die  im  Pflanzenreiche  eine  gewaltige  Rolle  spielt,  im  Tierreiche 
aber  bisher  ganz  vermißt  wurde.  (Das  Muskon  aus  Moschus, 
der  Träger  des  bekannten  penetranten  Riechstoffes  dieses  Sekretes, 

i)  Vgl.  Glikin,  Handb.  d.  Biochemie  1,   13 — 14  (1909). 

2)  C.  Neuberg    und  D.  Rauchbergcr,    Salkowski-Festschrift   279; 
Jahresber.  f.  Tierchemie  34,  62  (1904). 

3)  A.  Tschirch  und  B.  Studer,   Arch.  d.   Pharm.  241,  523  (1903). 

4)  A.  Windaus  und  Stein,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  37,3699(1904). 


Gallensauren,  Cholesterin.  329 


ein  Keton  CisHggO  oder  CieHsoO  bildet  vielleicht  eine  Ausnahme 
von  dieser  Regel  i). 

Windaus  und  Stein  waren  früher  der  Meinung,  daß  im  Chole-    zahl  der  im 
Sterin  fünf  reduzierte  Ringe  stecken.    Die  Erkenntnis  der  end-     Cholesterin 

^  enthaltenen 

ständigen  Vmylgruppe  hat  diese  Meinung  jedoch  umgestoßen.    Ringsysteme, 
Das  neue  Formelbild  des  Cholesterins 

pTT    /Cri.Cri2.Cri2.Ci7ii2  6 — ClT=Cri2 

Cxl2     Cri2 
CH.OH 

bietet  für  eine  solche  Annahme  keinen  Raum.  Der  zugehörige 
Kohlenwasserstoff  C27H4e  ist  um  10  H  ärmer  als  der  zugehörige 
Grenzkohlenwasserstoff  C27H56.  Ein  Minus  von  2  H  kommt  aber 
auf  Rechnung  der  Vinylgruppe.  Es  bleibt  also  ein  Minus  von  8  H. 
Das  würde,  wenn  es  sich  um  vollkommen  gesättigte  Ringsysteme 
handelt,  vier  Ringschlüsse  bedeuten.  Das  Ozonbindungsver- 
mögen  scheint  aber,  wie  erwähnt,  noch  auf  das  Vorhandensein 
einer  maskierten  Doppelbindung  hinzuweisen;  in  diesem  Falle 
wäre  nur  die  Annahme  von   drei  Ringschlüssen  erforderlich. 

Betrachten  wir  jetzt  das  tiefste  wohlcharakterisierte  Chole- 
sterinabbauprodukt,     die    Tetrakarbonsäure    von     Wind  aus 

COOH.C  1 7H  2  6-COOH 

COOK  COOK 

Denken  wir  uns  die  vier  Karboxylgruppen  durch  Wasserstoffatome 
ersetzt,  so  gelangen  wir  zu  dem  Kohlenwasserstoffe  C17H30.  Der 
zugehörige  Grenzkohlenwasserstoff  C17H36  ist  um  6  H  reicher. 
Das  würde  demnach  drei  Ringschlüsse  bedeuten.  Falls  auch 
dieser  Komplex  aber  noch  eine  maskierte  Doppelbindung 
enthält,  würde  sich  daraus  die  Folgerung  ergeben,  daß  der  schwer 
angreifbare  Komplex  von  17  Kohlenstoffatomen  im 
Inneren  des  Cholesterinmoleküles  kein  Phenantren- 
derivat,  sondern  ein  Zweiringsystem  ist.  Und  da  ist  es 
nun,  in  Bezug  auf  die  immer  wiederkehrende  Behauptung  einer 
nahen  Verwandtschaft  zwischen  Cholsäure  und  Chole- 
sterin sehr  interessant,  daß  nach  Pregls  Annahme  jener  Grund- 


i)  H.  Walbaum,  Joum.  f.  prakt.  Chemie  78,  488  (1906). 


330 


XIV.  Vorlesung. 


komplex,  welcher  der  Cholsäure,  der  Biliansäure  und  der  Cilian- 
säure  zugrunde  liegt,  ein  hydrierter  Diphenylpent ankomplex 

CF12    CH2  Ctlj    Cfif 

QU — CH2 — 01x2 — CH2 — Cri2 — Cri2 — CH.^  ydi^  ^^ 


CH 


/ 


Andere  Ste- 
rine. 


Cri2     Cxl2  0x12     Ori2 

=  O17HJ2 

sein  soll.  Stellen  wir  uns  vor,  daß  einer  dieser  Kerne,  eine  maskierte 
Doppelbindung  enthält,  so  würden  wir  wiederum  zu  dem  Kohlert- 
wasserstoffe  C17  H30  gelangen.  Das  ist  nun  allerdings  eine  sehr 
auffallende  Übereinstimmung,  und  man  kann  der  weiteren  Ent- 
wicklung dieser  Fragen  mit  großer  Spannung  entgegensehen. 

Außer  dem  typischen  Cholesterin  sind  noch  zahlreiche  andere 
Sterine^)  beschrieben  worden,  z  B.  das  Isocholesterin  aus 
Wollfett,  das  Koprosterin  aus  dem  Darminhalte,  die  Sterine 
der  niederen  Tiere  und  der  Pflanzen.  Die  genauere  Er- 
forschung derselben  bietet  noch  ein  unabsehbares  Arbeitsfeld. 
Der  Vergleich  des  typischen  Cholesterins  und  seiner  Abbau- 
produkte mit  denjenigen  eines  Cholesterins,  das,  wie  z.  B.  das 
Brassicasterin  aus  Rüböl,  28  statt  27  Kohlenstoffe  ent- 
hält, dürfte  interessante  Aufschlüsse  geben.  Neben  Cholesterin 
scheinen  auch  Oxycholesterine  in  den  Geweben  präformiert 
vorzukommen  *) . 

Man  bemüht  sich  auch  vielfach,  die  Frage  der  Herkunft  des 
es  immung.  Cholesterins  auf  rein  physiologischem  Wege  zu  lösen.  Diesen 
Bestrebungen  werden  neuere  Fortschritte  in  der  Technik  der 
quantitativen  Cholesterinbestimmung^)  sicherlich  zu- 
gute kommen.  So  verwertet  z.  B.  Windaus  zu  diesem  Zwecke 
die  Schwerlöslichkeit  einer  komplexen  Verbindung,  welche  das 
Digi tonin  (ebenso  wie  auch  andere  Saponine)  mit  dem  Cholesterin 
liefert.  Da  Cholesterinester  nicht  mit  dem  Digitonin  reagieren, 
ergibt  sich  die  Möglichkeit,  zuerst  das  freie  Cholesterin,  sodann 
aber,  nach  Verseifung  der  Ester  mit  Natriumälkoholat,  auch  das 
gebundene  Cholesterin  in  Organen  zu  bestimmen.  Auf  die 
Farbenreaktion,  welche  das  Cholesterin    mit  Eisessig  und  kon- 

i)  Literatur:  A.  Windaus,  Biochem. Handlexikon  3,  296 — 309  (1911). 
Welsch,  Inaug.-Dissert.  Freiburg  i.  B.  (1909). 

2)  J.  Lif schütz,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,  175  (1909);  63,  222  (1909). 

3)  A.  Windaus,  Z.  f.  physiol.  Chemie  65,  110  (1910). 


Cholesterin- 


Gallensauren,  Cholesterin.  331 


zentrierter  Schwefelsäure  liefert,  ist  ferner  ein  kolorimetrisches 
Bestimmungsverfahren  gegründet  worden. i) 

Gallenfistelbeobachtungen  an  Tieren 2)  imd  Menschen^)  haben  Herkunft  des 
für  einen  direkten  physiologischen  Zusammenhang  zwischen  c^'oiesterins. 
Cholsäure  und  Cholesterin  bisher  keine  Anhaltspunkte  er- 
geben. Das  im  Darme  vorkommende  Cholesterin  stammt  teils 
direkt  aus  der  Nahrimg,  teils  aus  der  Galle,  teils  aber  auch,  wie 
Versuche  an  abgebundenen  Darmschlingen  lehren,  aus  den  Epithel- 
zellen und  Sekreten  der  Darmschleimhaut.  Eiweißhaltige 
Nahrung  steigert  die  Cholesterinausscheidung;  ebenso,  wie  .Be- 
obachtungen aus  Röhmanns  Laboratorium  lehren*),  der  durch  To- 
luylendiamin  bewirkte  Blutkörperchenzerfall.  Es  wäre  denk- 
bar, daß  das  mit  der  Galle  ausgeschiedene  Cholesterin  zum  nicht 
unerheblichen  Teile  aus  den  beständig  zugrunde  gehenden  Blut- 
körperchen stammt  und  daß  sich  der  Organismus  des  Cholesterins, 
ebenso  wie  der  Gallenfarbstoffe,  einfach  als  Schlacken  durch  die 
Galle  entledigt.  Ein  Teil  des  (direkt  aus  der  Nahrung  oder  mit 
der  Galle)  in  den  Darm  gelangenden  Cholesterins  scheint  aus 
demselben  wieder  zu  verschwinden,  wobei  es  nicht  klargestellt 
ist,  inwieweit  es  sich  dabei  um  Resorption  und  inwieweit  etwa 
um  bakterielle  Zerstörung  handelt.  Daß  Schleimhaut- 
epithelien  Cholesterin  im  Sinne  Naunyns  neu  zu  produzieren  ver- 
mögen, ist  durch  die  Untersuchungen  von  Aschoff^)  an  der  Gallen- 
blase unwahrscheinlich  geworden.  Es  scheint  vielmehr,  daß 
Epithelzellen  die  Ester  des  Cholesterins  mit  hohen  Fettsäuren 
resorbieren  können,  dieselben  sodann  spalten,  die  Fettsäuren  an 
die  Lymphe  abgeben,  das  Cholesterin  dagegen  zurückhalten,  um 
sich  seiner  sodann  auf  sekretorischem  Wege  zu  entledigen.  Neuere 
Untersuchungen,  bei  denen  der  Cholesteringehalt  der  Nahrung 
und  der  Fäzes,  sowie  derjenige  des  Eies  und  des  ausgeschlüpften 
Hühnchens  verglichen  wurde,  ergaben  überhaupt  keinen  sicheren 
Anhaltspunkt  für  eine  Neubildung  des  Cholesterins  im  tierischen 

i)  A.  Grigaut,  C.  R.  Soc.  de  Biol.   68,  827  (1910). 

2)  E.  H.  Goodmann,  1.  c. 

3)  Bacmeister,  Biochem.  Z.  21,  223  (1910). 

4)  Ch.  Kusumoto  (Physiol.  Inst.  Breslau),  Biochem.  Z.  14,  407,  411, 
416  (1908). 

5)  L.  Aschoff,  Münchener  med.  Wochenschr.   1906,  38. 


332  XIV.  Vorlesung. 

Organismus.  Angesichts  der  allgemeinen  Verbreitung  der  Sterine 
in  der  Tierreihe  fällt  es  aber  doch  schwer,  zu  glauben,  daß  wir  es 
nur  mit  umgewandelten  Phytosterinen  aus  pflanzlicher  Nahrung 
zu  tun  haben ^).  Denkbar  wäre  es  aber  immerhin.  Rätselhaft 
sind  auch  die  sogenannten  Xanthome,  geschwulstartige  Neu- 
bildungen, die  aus  großen  Cholesterinablagerungen  bestehen  und 
mit  Cholesterinanhäufungen  im  Blute  (bei  Gallenstauung  u.  dgl.) 
zusammenzuhängen  scheinen  2).  Sie  sehen,  auf  diesem  Gebiete 
der  Physiologie  fehlt  es  für  arbeitswillige  Leute  wahrlich  noch 
nicht  an  Arbeitsgelegenheit. 


i)  Gardner,  Doree,  Ellis,  Fräser,  Sandner,  Proc.  Physiol.  Soc. 
B.  80,  212,  227  (1908);  81,  109,   129,  230  (1909);  82,  559  (1910). 

2)  F.  Pinkus  und  L.  Pick,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1908,  Nr.  ^^. 


XV.  Vorlesung. 

Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungs- 
problem. 

Da  wir  nunmehr  bei  der  biochemischen  Betrachtung  der  ein-  Männliche 
zelnen  Organe  und  ihrer  Funktionen  angelangt  sind,  ist  es  wohl  Sexualorgane, 
nur  recht  und  billig,  wenn  wir  unsere  Aufmerksamkeit  zunächst 
jenen  Organen  zuwenden,  welche  der  Schauplatz  der  geheimnis- 
vollsten und  unbegreiflichsten  Geschehnisse  sind,  die  wir  im 
Bereiche  des  Lebendigen  kennen:  den  Fortpflanzungsorganen. 
Die  Biochemie  hat  sich  redlich  bemüht,  das  ihrige  zur  Erforschung 
jener  unbekannten  Welt,  welche  das  Werden  alles  tierischen 
Lebens  in  sich  schließt,  beizutragen  und,  wenngleich  sie  vorder- 
hand noch  keinen  Grund  haben  mag,  auf  das  hier  Erreichte  be- 
sonders stolz  zu  sein,  so  hoffe  ich  doch,  Ihnen  durch  die  heutige 
Vorlesung  klarmachen  zu  können,  daß  immerhin  schon  einiges 
erreicht  worden  ist  und  daß  begründete  Hoffnung  besteht,  in  ab- 
sehbarer Zeit  noch  viel  mehr  zu  erreichen. 

Indem  ich  nun  mit  der  Erörterung  der  Biochemie  der  männ- 
lichen Sexualorgane  beginne,  möchte  ich  zunächst  auf  die  inter- 
essante und  aktuelle  Frage  der  inneren  Sekretion^)  derselben 
eingehen.  Versuchen  wir  also,  uns  klar  zu  machen,  auf  welchen 
Tatsachen  die  Annahme  eigentUch  basiert,  daß  den  männlichen 
Geschlechtsdrüsen  eine  innere  Sekretion  zukommt. 

Die  schönsten  und  eindeutigsten  Beobachtungen  auf  diesem  Sekundäre  Ge- 
Gebiete beziehen  sich  auf  den  Frosch.     Man  beobachtet  beim   "ak^^^^^^^^^ 

—  Fröschen. 


i)  Literatur  über  innere  Sekretion  männlicher  Sexualorgane:  H.  Ger- 
hartz,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  345 — 349  (ipio).  A.  Biedl,  Innere 
Sekretion.    327  ff.    Urban  und  Schwarzenberg.    Wien   19 10. 


334  ^V-  Vorlesung. 


Frosche  den  Bninstperioden  entsprechend  die  Entwickelung  ge- 
wisser sekundärer  Geschlechtscharaktere,  welche,  wenn 
die  Laichzeit  vorüber  ist,  wieder  verschwinden.  Die  bei  der  lang- 
dauernden Umklammerung  des  Weibchens  außerordentlich  in 
Anspruch  genommenen  Vorderarmmuskeln  des  Männchens 
werden  von  vornherein  hypertrophisch,  während  sich  die  Daumen- 
b allen  gleichzeitig  mit  einer  schwarzen  Schwiele  überziehen. 
Das  Merkwürdigste  ist  aber  die  Ausbildung  des  »Umklamme- 
rungsreflexes«. Sigmund  Exner^)  schildert  diesen  Vorgang 
folgendermaßen :  »Wenn  man  einem  männüchen  Frosche  mit  dem 
Finger  die  Brusthaut  berührt,  so  wirkt  das  wie  die  Berührung 
jeder  anderen  Körperstelle  im  Laufe  des  größten  Teiles  des  Jahres. 
Führt  man  diese  Berührung  aber  im  Frühjahr  zur  Paarungszeit 
aus,  so  umklammert  er  mit  aller  Kraft  den  Finger  und  ist  nicht 
zu  bewegen,  ihn  wieder  frei  zu  lassen.  Man  kann  ihm  nun  die 
Hinterbeine,  ja  man  kann  ihm  den  Kopf  wegschneiden,  immer 
noch  umklammern  die  Vorderbeine  den  Finger,  sobald  die  übrig 
gebliebene  Brusthaut  berührt  wird.  Die  Erregung  der  Berührung 
löst  also  hier  reflektorisch  in  einem  eng  begrenzten  und  uns  wohl- 
bekannten Strange  von  Ganglienzellen  Bewegungsimpulse  aus, 
die  vor  einem  Monat  oder  nach  einem  Monat  nicht  ausgelöst  wor- 
den wären.  Die  Zellen  funktionieren  anders,  sie  stehen  unter 
dem  Einflüsse  der  geschwellten  Sexualdrüse  imd  stehen  unter 
ihrem  Einflüsse  auch  dann  noch,  wenn  diese  mit  anderen  Körper- 
teilen weggeschnitten  worden  ist.  Mit  anderen  Worten,  das 
Zentrum  ist  durch  das  Sekret  der  Drüse  in  seinen  Funktionen 
alteriert. « 

Werden  Frösche  zur  Zeit  der  Geschlechtsruhe  kastriert,  so 
bleibt  die  Ausbildung  des  sekundären  Geschlechtscharaktere  aus. 
Nußbaum^)  konnte  nun  zeigen,  daß  nach  Implantation  von 
Hodenstückchen  in  den  dorsalen  Lymphsack  diese  nach  und 
nach   aufgesaugt   werden,   gleichzeitig  aber  ein   Wachstum  der 

i)  S.  Exner,  Männlich  und  Weiblich,  Festschr.  f.  Rudolf  Chrobak 
(Beitr.  z.  Geburtsh.  u.  Gynäkol.  Verl.  Alfred  Holder),  Wien  1903;  vgl. 
auch  S.  Baglioni,  Zentralbl.  f.  Physiol.  25,  233  (191 1). 

2)  M.  Nußbaum,  Ergebn.  d.  Anat.  u.  Entwicklungsgesch.  15,  39 
(1906)  und  Pflügers  Arch.  126,  519  (1909);  129,  iio  (1909),  vgl.  auch 
E.  Pflüger,  ibid.  116,  375  (1907)- 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  335 


Brunstorgane  herbeiführen,  was  auch  von  einem  so  strengen 
Kritiker,  wie  es  Pflüget  war,  als  Beweis  für  die  Wirkung  einer  in 
die  Körpersäfte  gelangten  chemischen  Substanz  anerkannt  worden 
ist.  Kürzlich  haben  nun  femer  Eugen  Steinach^)  sowie  auch 
Harms^)  in  sehr  interessanten  Untersuchungen  den  Nachweis 
geführt,  daß  der  Umklammerungsreflex,  welcher  auf  einer  Herab- 
setzung des  Hemmungstonus  beruht,  bei  Kastraten  durch  In- 
jektion von  Hodensekret  wieder  ausgelöst  wird.  Die  Hoden- 
substanz sezerniert  diesen  spezifischen  Brunststoff  nicht  etwa 
zu  jeder  Zeit.  Am  kräftigsten  wirkt  vielmehr  das  Sekret  brün- 
stiger Männchen;  nach  dem  Ablaichen  wird  es  ganz  unwirksam. 
Diese  »Erotisierung«  des  Zentralnervensystems  scheint 
auf  einer  elektiven  Aufnahme  der  wirksamen  Substanz,  welche 
man  mit  Sigmtmd  Exner^)  als  »Androl«  bezeichnen  könnte, 
zu  beruhen.  Wenigstens  vermag  auch  die  Zentralnervensubstanz 
brünstiger  Männchen  den  Umklammerungsreflex  bei  Kastraten 
auszulösen.  Unter  einem  großen  Material  normaler  Männchen 
von  Rana  fusca  fand  Steinach  stets  einen  gewissen  Prozentsatz 
»Impotenter«,  d.h.  solcher  Tiere,  bei  welchen  der  Umklam- 
merungstrieb gänzlich  fehlte.  Die  Injektion  von  Hoden  potenter 
Männchen  ruft  nun  fast  ausnahmslos  bei  den  Impotenten  die 
Neigung  zur  Umklammerung  hervor  und  es  gelingt,  durch  wieder- 
holte Injektionen  die  Impotenz  dauernd  zu  beheben.  Eine  große 
Zahl  von  Kontrollversuchen  lehrte,  daß  alle  anderen  Organsäfte, 
mit  Ausnahme  der  Hoden-  und  Nervensubstanz,  unwirksam  sind. 
Nur  noch  die  weibliche  Keimdrüse  erwies  sich  (wie  auch 
Harms^)  gefunden  hat)  zur  Erotisierung  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  geeignet.  Das  sind  klare  und  eindeutige  Beobachtungen, 
die  unsere  Erkenntnis  um  ein  gutes  Stück  weitergebracht  haben. 
Jedoch  auch  viele  Beobachtungen  über  die  Folgen  der  Kastra- 
tion bei  Menchen,  Säugetieren  und  Vögeln  sprechen  zugunsten 

i)  E.  Steinach,  Zentralbl.  f.  Physiol.  24  (1910). 

2)  W.  Harms  (Biol.  Labor.  Bonn),  Pflügers  Arch.  133,  27  (1910). 

3)  S.  Exner,  1.  c. 

4)  W.  Harms,  1.  c.  vgl.  auch  J.  Meisenheimer,  Zool.  Anz.  38,  53 
(1911),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  12,  480  (Regeneration  der  Daumen- 
schwiele bei  kastrierten  Fröschen  nach  Transplantation  von  Hoden  oder 
von  Ovarialsubstanz). 


336  XV.  Vorlesung. 


der  Annahme  einer  inneren  Sekretion  der  männlichen  Sexual- 
organe. 
Folgen  d.  Ka-        Hinsichtlich  der  Wirkung  der  Kastration  auf  den  mensch - 
Menschen,     liehen    Organismus   haben   insbesondere   die   systematischen 
Untersuchungen   von    Tandler   und    Groß^)    an    den    Skopzen 
wichtige    Aufschlüsse    ergeben.      Die    in    Rumänien    ansässigen, 
hauptsächlich  als  Droschkenkutscher  tätigen  Skopzen,  welche  die 
Sitte  der  Frühkastration  ausüben,  sind  durch  gewisse  körperliche 
Eigentümlichkeiten    ausgezeichnet.       Ein     auffälliges    Fett- 
werden ist  bei  Skopzen  und  Eunuchen  zwar  häufig,  jedoch  keines- 
wegs immer  beobachtet  worden.     Regelmäßig  finden  sich  Ano- 
malien der  Haarbildung,  welche  im  Gesichte  meist  ganz  aus- 
bleibt;  Achsel-  und  Schamhaare  entwickeln  sich   nur  spärlich, 
und  die  letzteren  grenzen  sich  horizontal  gegen  die  Bauchhaut  ab. 
Der  Kehlkopf  bleibt  infantil,  weshalb  die  Stimme  einen  infan- 
tilen Charakter  bewahrt,  nicht  aber  einen  weiblichen  Charakter 
annimmt,  wie  denn  überhaupt  Erfahrungen  an  Menschen  imd 
Tieren   übereinstimmend   ergeben,    daß   die   Frühkastration   bei 
männlichen  Individuen  niemals einUmschlagenindenhetero- 
sexuellen  Typus,  vielmehr  nur  die  Persistenz  des  infan- 
tilen Charakters  bewirkt.    Damit  stimmt  auch  die  zuerst  von 
Seilheim  an  Menschen  und  Tieren  beschriebene  verzögerte  Ver- 
knöcherung  der   Epiphysenfugen   bei    Kastraten   überein. 
Nach   Tandlers  interessanten  Beobachtungen  bedingt  eine  späte 
Reife   der  Sexualdrüsen    ein    verstärktes    Längenwachstum    der 
Extremitäten   und   damit   Hochbeinigkeit;   umgekehrt   führt 
dagegen  Frühreife  eine  frühzeitige  Verknöcherung  der  Epiphysen- 
fugen  und   Kurzbeinigkeit   herbei.     Die   geringere   Körpergröße 
der  Südländer  steht  vielleicht  mit  ihrer  frühen  Geschlechtsreife 
im   Zusammenhange.     Nach   den   Erfahrungen   der   Tierzüchter 
sind  für  frühreife  Rassen  vielfach  kurze  Extremitäten  charakte- 
ristisch 2).    Bemerkenswerterweise  liegen  mehrfach  Beobachtungen 
an  Tieren  über  Hemmung  und  vorzeitigen  Stillstand  des  Knochen- 
wachstums nach  Injektion  oder  Verfütterung  von  Hodensubstanz 

i)  J.  Taridler  und  S.  Grosz,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  27 — 30 
(1909 — T910),  vgl.  auch  J.  Tandler,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1910,  458. 

2)  Vgl.  A.  C.  Geddes,  Proc.  Soc.  Edinburgh  31,  100  (191 1),  zit.  n,  Zen- 
tralblatt f.  d.  ges.  Biol.   191 1,  Nr.  1735. 


Mannliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  337 


vori).  Von  sonstigen  Eigentümlichkeiten  der  Kastraten  wäre 
noch  die  mit  dem  infantilen  Charakter  übereinstimmende  längere 
Persistenz  der  Thymus  besonders  zu  erwähnen;  femer  fiel 
Tändlet  und  Groß  die  Kleinheit  der  Thyreoidea  sowie  die 
bereits  im  Röntgenbilde  in  vivo  nachweisbare  Vergrößerung 
der  Hypophyse  auf.  Letztere  ist  besonders  interessant,  weil 
sie  den  Gedanken  an  eine  Verwandtschaft  zwischen  »eunuchoidem 
Hoch-  und  Fettwuchs«  und  der  Akromegalie  nahelegt. 

Als  von  der  Natur  angestellte  Gegenversuche  verdienen  Beob-  Hypergenita- 
achtungen  über  Hypergenitalismus  unser  besonderes  Inter-  **"*"^' 
esse.  Ein  von  Knöpfelmacher  beobachteter  sechsjähriger  Knabe 
besaß  einen  deutüchen  Bartanflug,  eine  tiefe  Stimme  und  pflau- 
mengroße Hoden.  Ein  anderer  von  Secchi  beobachteter  Knabe 
von  weniger  als  zehn  Jahren  besaß  einen  langen  schwarzen  Bart. 
Die  Ursache  dieser  Anomalie  war  in  offenkundiger  Weise  die 
mächtige  Vergrößerung  eines  Hodens  durch  einen  Tumor;  nach 
operativer  Entfernung  desselben  bildeten  sich  die  Symptome  der 
vorzeitigen  Pubertät  allmählich  zurück  und  der  Knabe  nahm 
einen  normalen,  seinem  Alter  entsprechenden  Habitus  an  2). 

Lehrreich  sind  auch  die  Beobachtungen  über  Hodentrans- 
plantationen, die  Steinach^)  bei  Ratten  ausgeführt  hat.  Tiere, 
bei  welchen  die  Hoden  in  früher  Jugend  aus  dem  Becken  an  die 
Innenfläche  der  seitlichen  Bauchmuskulatur  transplantiert  worden 
waren,  entwickelten  sich  zu  voller  Männlichkeit. 

Ein  besonders  geeignetes  Material  für  Studien  über  die  innere  Versuche  an 
Sekretion  der  männlichen  Sexualdrüsen  sind  junge  Hähne.  Hähnen. 
Eine  vollständige  Kastration  solcher  führt  eine  Ausbildung 
des  »Kapaun« -Typus  herbei,  der  diurch  Neigung  zur  Fettbildung 
und  durch  das  Fehlen  der  Attribute  der  Männüchkeit  charakteri- 
siert ist.  Solche  sind  in  diesem  Falle:  der  Kamm,  die  Bartläpp- 
chen und  Sporen,  der  stattUche  Federschmuck,  die  Fähigkeit 
imposanter  Stimmentfaltung  usw.  Zahlreiche  Hodentransplan- 
tationsversuche sind  an  Hähnen  u.  a.  im  Laboratorium  Sigmund 


i)  Literatur  bei  Biedl,  1.  c.  S.  352. 

2)  Literatur  über  Hypergenitalismus:    A.  Biedl,  1.  c.  S.  340 — 341. 

3)  A.  Lode  (Physiol.  Inst.  d.  Wiener  Univ.),  Wiener  klin.  Wochenschr. 
1895,  345,  vgl.  dort  die  ältere  Literatur. 

V.  Fürth,     Probleme.  22 


338  XV.  Vorlesung. 


Exners  von  Lode  und  von  Foges^)  ausgeführt  worden.  Es  hat 
sich  gezeigt,  daß  die  Zurücklassung  eines  minimalen  Stückes 
lebenden  Hodenparenchyms  genügt,  um  die  volle  Ausbildung 
des  Kapauntypus  hintanzuhalten.  Andererseits  zeigten  Hähne, 
denen  Foges  die  Testikel  so  erfolgreich  transplantiert  hatte,  daß 
sich  massenhaft  lebende  Spermatozoen  darin  fanden,  doch  keinen 
vollen  Hahncharakter  mehr,  nahmen  vielmehr  eine  Zwischenstel- 
lung ein.  Es  ist  A.  Löwy  anscheinend  gelungen,  bei  jungen  Ka- 
paunen diurch  Verfütterung  von  Hodensubstanz  eine  Beeinflussung 
der  sekundären  Geschlechtscharaktere  zu  erzielen ;  doch  sind  diese 
Untersuchungen  nicht  zum  Abschlüsse  gelangt*). 

Eine  der  sonderbarsten  Beobachtungen  über  die  Abhängig- 
keit sexualer  Charaktere  \'on  den  Keimdrüsen  ist  wohl  diejenige 
an  einem  hermaphroditischen  Edelfinken,  der  auf  der  einen 
Seite  einen  Hoden  und  männliche  Färbung,  auf  der  anderen  Seite 
aber  ein  Ovarium  imd  weibliche  Färbung  besaßt). 
Aiigcmeinwir-  Der  Versuch,  die  differente  Wirkung  des  inneren  Sekretes 
^tische?  Ex-'  "männlicher  Sexualdrüsen,  welche  dem  Gesagten  zufolge  nicht 
trakte.  wohl  bezweifelt  werden  kann,  therapeutisch  zu  vei"werten,  war 
allzu  naheliegend,  als  daß  er  hätte  unterlassen  werden  können. 
Die  Sehnsucht  nach  einem  Verjüngungsmittel  (Sie  alle  kennen 
wohl  Heines  schönes  Gedicht  von  der  Insel  Bimini),  die  so  alt 
ist  wie  die  Menschheit  selbst,  hat  Brown- Sequards  bekannte  Mit- 
teilungen über  die  merkwürdigen  Allgemeinwirkungen  der  In- 
jektion  von  Hodenextra kteri  gezeitigt.  Man  hat  dieselbe  mit 
dem  Spermin*),  einer  Base  von  nicht  genau  bekannter  Natur, 
die  zuerst  von  Schreiner  dargestellt  worden  ist  und  ungefähr  die 
Zusammensetzung  C6H14N2  oder  C5H12N2  besitzt,  in  Zusammen- 
hang bringen  wollen.  Den  kritiklosen  Anpreisungen  des  »Sper- 
min um  Poehl«als  physiologischen  Katalysators  der  oxydativen 
Vorgänge  im  Organismus  zur  Hebung  der  Zeugungs-  und  Muskel- 
kraft kann  nicht  der  Wert  objektiver  wissenschaftlicher  Beobach- 

i)  A.  Foges,  Zentralbl.  f.  Physiol.  1898,  898,  vgl.  auch  C.  C.  Guthrie, 
•Proc.  of  the  Soc.  for  experim.  Biol.  and  Med.  VII,  43,   19 10. 

2)  A.  Löwy,  Ergebn.  d.  Physiol.  2,  I,   140  (1903). 

3)  M.  Weber,  Zool.  Anzeiger  18,  508  (1890), 

4)  Literatur  über  Spermin:    F.   Samuely,  Handb.  d.  Biochemie  1, 
816—817  (1909). 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  33g 

tungen  zuerkannt  werden  und  die  mit  demselben  ausgeführten 
Wunderkuren  gehören  sicherlich  größtenteils  in  das  Gebiet  der 
Suggestion.  Alle  Beachtung  dagegen  verdienen  die  in  sorgfäl- 
tigster Weise  und  unter  möglichstem  Ausschlüsse  der  durch  die 
Suggestion  u.  dgl.  verursachten  Fehler  ausgeführten  Ergograph- 
und  Hantelversuche  von  Zoth^)  und  Pregl^),  Dieselben  führten 
zu  dem  Ergebnisse,  daß  Injektionen  von  Hodenextrakten  zwar 
die  Leistungsfähigkeit  der  Muskeln  nicht  unmittelbar  steigern, 
daß  aber  deren  dauernde  Einverleibung  die  Muskeln  befähigt, 
einen  höheren  Grad  von  Leistungsfähigkeit  durch  Übung  zu 
erlangen,  als  dies  sonst  der  Fall  wäre. 

Ein  zweifelloser  und  unmittelbarer  Einfluß  der  Kastration 
männlicher  Individuen  auf  den  allgemeinen  Stoffwechsel  ist 
nicht  sichergestellt.  Die  vereinzelten  einschlägigen  Beobachtungen 
von  A.  Löwy  und  Richter  einerseits,  von  Lüthje  andererseits 
lauten  widersprechend.  Auch  könnte  eine  mäßige  Herabsetzung 
des  Stoffumsatzes  nach  der  Kastration  in  erster  Linie  sehr  wohl 
durch  eine  Änderung  des  psychischen  Verhaltens  und  durch  ein 
sich  daraus  ergebendes  ruhigeres  Verhalten  bedingt  sein^). 

Es  fragt  sich  weiterhin,  welcher  Anteil  der  Sexualdrüsen  Leydigsche 
für  die  Ausbildung  der  männlichen  Sexualcharaktere  verantwort-  Zeilen, 
lieh  zu  machen  ist.  Tandler  und  Groß  haben  diurch  Versuche 
über  den  Einfluß  der  Röntgenbestrahlung  der  Hoden  auf 
die  Geweihbildung  bei  Rehböcken  diese  Frage  dahin  ent- 
schieden, daß  es  nicht  die  durch  die  Bestrahlung  in  spezifischer 
Weise  schwer  geschädigten  Samenzellen  sind,  auf  die  es  dabei 
ankommt,  vielmehr  sind  es  anscheinend  die  im  interstitiellen 
Hodengewebe  vorhandenen  sogenannten  »Leydigschen  Zellen«, 
welchen  die  innersekretorische  Leistung  zufällt. 

Gehen  wir  nunmehr  zu  einer  kurzen  Betrachtung  der  che-  chemie  d.  sa- 
mischen  Zusammensetzung  der  männlichen  Sexualprodukte  über,    menbiidung. 
Die  chemische  Erforschung  der  Spermatozoen  hat,  seitdem 
dieselbe  durch  die  Untersuchungen  Mieschers  über  die  Lachsmilch 


1)  O.  Zoth,  Pflügers  Arch.  62,  335  (1896);  69,  386  (1898). 

2)  F.  Pregl,  Pflügers  Arch.  62,  379  (1896). 

3)  Literatur  über  den  Stoffwechsel  nach  der  Kastration:    A.  Magnus - 
Levy,  Noordens  Handb.  d.   Pathol.  d.  Stoffw.,    2.  Aufl.   1,  415   (1906). 

22* 


340  XV.  Vorlesung. 


begründet  worden  ist,  manchen  Fortschritt  zu  verzeichnen.  Wer 
sich  darüber  ausführlich  belehren  will,  findet  in  den  Monographien 
Burians^)  dazu  Gelegenheit.  Es  möge  hier  genügen,  Sie  in  aller 
Kürze  daran  zu  erinnern,  daß  die  reifen  Spermaköpfe  zu  un- 
gefähr 95%  aus  nukleinsaurem  Protamin  bestehen;  ein 
großer  Teil  des  Restes  entfällt  auf  eine  eisenhaltige,  eiweißartige 
Substanz  (das  Karyogen  Mieschers),  Die  Schwänze  sind  neben 
ihrem  Eiweißgehalte  reich  an  Fett,  Lecithin  und  Cholesterin. 
Unreife  Spermatozoen,  sowie  auch  die  reifen  Samenzellen  mancher 
Tiere  enthalten  an  Stelle  der  Protamine  die  basenärmeren 
Histone.  Die  Frage  des  Chemismus  der  Samenbildung  deckt 
sich  zum  großen  Teile  mit  der  Frage  der  Entstehung  der  Prot- 
amine und  Nukleinsäuren.  Das  Wichtigste  über  die  neueren 
Fortschritte  in  der  Aufklärung  letzterer  Fragen  habe  ich  Ihnen 
bereits  früher  mitgeteilt  (s.  o.  VI.  Vorlesung). 

Das  klassische  Material  für  derartige  Untersuchungen  ist  der 
Lachs,  dessen  Hoden,  während  er  im  Hungerzustande  aus  dem 
Meere  flußaufwärts  wandert,  gewaltig  auf  Kosten  seiner  Musku- 
latur wachsen.  In  weiser  Zweckmäßigkeit  hat  die  Natur  dafür 
Sorge  getragen,  daß  die  Umbildung  vorwiegend  nur  die  Seiten- 
rumpfmuskeln  betrifft,  die  unentbehrliche  Muskulatur  des  Herzens 
und  der  Flossen  jedoch  verschont.  Dabei  handelt  es  sich  nicht 
etwa  um  einen  Untergang  der  einzelnen  Fibrillen,  sondern  um 
eine  Verdünnung  derselben,  sowie  um  einen  mit  Fettinfiltration 
einhergehenden  Schwund  der  interfibrillären  Substanz.  Gleich- 
zeitig wird  die  Muskulatur  hochgradig  anämisch,  während  die 
enorm  geschwellte  Milz  einen  großen  Teil  der  Blutmenge  zurück- 
hält und  allmählich  an  den  Hoden  abgibt.  Das  Blut  erscheint 
zu  dieser  Zeit  sehr  globulin-  und  lecithinreich.  Material  zur 
wissenschaftlichen  Verwertung  dieses  merkwürdigen  Naturexperi- 
mentes findet  sich  u.  a.  in  Noel  Patons^)  Arbeiten,  der  Mieschers 


i)  Literatur  über  Chemie  der  Spermatozoen:  K.  Burian,  Ergebn.  d. 
Physiol.  3,  48 — 106  (1904);  5,  768 — 846  (1906),  vgl.  auch  A.  Kanitz, 
Handb.  d.  Biochemie  2,  I,  268 — 271  (1910).  H.  Gerhartz,  ibid.  3,  I, 
349—358  (1910). 

2)  D.  Noel  Paton,  Report  of  investigations  of  the  life-history  of 
Salmon  Fishery  (board  of  Scotland),  Glasgow  1898. 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  341 


am    Rheinlachse   begonnene    Untersuchungen    an    den    Lachsen 
schottischer  Fischereistationen  fortgesetzt  hat. 

Den  Vorgang  der  Protaminbildung  faßt  Kossei  bekannt- 
Uch  so  auf,  daß  das  Eiweiß  des  Samenbildungsmateriales  an 
Monoaminosäuren  verarmt,  während  die  basischen  Komplexe 
zurückbleiben.  Burian^)  meint,  man  werde  sich  kaum  vorstellen 
dürfen,  daß  die  Loslösung  der  Monoaminosäuren  von  den  Histonen 
unmittelbar  zu  den  Protaminen  führt.  Wäre  dies  der  Fall, 
so  müßte  das  Molekulargewicht  nicht  mehr  als  ^/2  bis  ^/a  von 
jenem  der  Histone  betragen.  Angesichts  des  hohen  Molekular- 
gewichts der  Protamine  sei  dies  jedoch  sehr  unwahrscheinlich. 
Man  werde  vielmehr  annehmen  müssen,  daß  aus  den  Histonen 
zimächst  kyrinartige  Komplexe  von  relativ  niedrigem  Molekular- 
gewicht herausgeschält  werden;  erst  durch  die  Vereinigung  einer 
Anzahl  derartiger  Komplexe  untereinander  sollen  die  Protamine 
entstehen. 

Eine  weitere  die  Biochemiker  interessierende  Frage  aus  der   Sekrete   der 
Physiologie  der  männlichen  Sexualorgane  ist  die  nach  dem  Ein-    gch^^Oe- 
flusse    des    Sekretes    der    akzessorischen    Geschlechts-   schiechtsdrü- 
drüsen  auf  den  Befruchtungs Vorgang.    Bekanntlich  mengt  sich         ^^' 
der  Samenflüssigkeit  während  der  Ejakulation  das  Sekret  der 
Samenblasen,  der  Prostata  und  der  Cowperschen  Drüsen  bei  und 
die  Anwesenheit  desselben  wird  von  vielen  Physiologen  als  not- 
wendige Vorbedingung  für  einen  normalen  Ablauf  des  Zeugungs- 
aktes angesehen.    So  hat  z.  B.  Steinach^)  gezeigt,  daß,  wenn  man 
bei  Ratten  die  Samenblasen  und  die   Prostatalappen  entfernt, 
zwar  das  Begattungs vermögen  nicht  aufgehoben  erscheint,   die 
Zeugungsfähigkeit  jedoch  erloschen  ist.     Bei  manchen  Tieren  ist 
zum  mindesten  eine  Seite  der  Funktion  der  akzessorischen  Ge- 
schlechtsdrüsen   offenkundig.      So    enthält,    nach    den    Unter- 
suchungen von  Camus  und  Gley,  das  Prostatasekret  des  Meer- 
schweinchens und  des    Igels  einen   Stoff,   welcher  den   Samen- 
blaseninhalt schnell  zur  Gerinnung  bringt:  dabei  ist  anscheinend 
ein  Ferment,  die  »Vesikulase«,  tätig.    Es  entsteht  so  ein  Pfropf, 
der  das  Abfüeßen  des  Samens  aus  der  Scheide  verhindert.    Auch 


i)  R.  Burian,  Ergebn.  d.   Physiol.  5,  829  (1906). 
2)  E.  Steinach,  Pflügers  Arch.  56,  330  (1894). 


342  XV.  Vorlesung. 


eine  agglutinierende  Wirkung  des  Prostatasekretes  den 
Samenfäden  gegenüber  kann  vielleicht  von  physiologischer  Be- 
deutung sein.  In  vielen  Fällen  treffen  aber  derartige  Erklärungen 
nicht  zu.  Es  ist  daher  sicherlich  bemerkenswert,  daß  durch  die 
Beobachtungen  mehrerer  Autoren^)  die  Tatsache  des  Vorkommens 
von  Stoffen  im  Prostatasafte  anscheinend  festgestellt  worden  ist, 
welche,  wie  Fürbrtnger  sich  ausdrückt,  »imstande  sind,  das  in  den 
Spermatozoen  schlummernde  Leben  vermöge  spezifischer  vitaler 
Eigenschaften  auszulösen  und  ihnen,  sit  venia  verbo,  das  sicht- 
bare Leben  zu  geben«. 
Einfluß  von  Da  Über  die  Natur  jenes  Bestandteiles  des  Prostatasekretes, 
Jonen  auf  Sper-  ^ej^her  die  günstige  Wirkung  auf  die  Vitalität  der  Spermatozoen 
wegungen.  ausübt,  nichts  bekannt  war,  habe  ich  seinerzeit  meinen  Schüler 
Hirokawa^)  mit  der  Aufgabe  betraut,  etwas  darüber  in  Erfahrung 
zu  bringen.  Dieser  stieß  im  Verlaufe  seiner  Untersuchung  zunächst 
auf  die  überraschende  Tatsache,  daß  einfache  Verdünnung 
einer  Emulsion  von  Rattensperma  mit  physiologischer  Koch- 
salzlösung die  Lebensdauer  der  Samenfäden  sehr  erheblich  her- 
absetzt. Dieses  Medium  ist  also  für  die  Samenfäden  nichts  weniger 
als  »physiologisch«,  vielmehr  in  hohem  Grade  different.  Diese 
deletäre  Wirkung  konnte  durch  Zusatz  einer  minimalen  Alkali - 
menge  behoben  werden,  war  also  offenbar  durch  eine  Verschie- 
.  bung  der  Alkaleszenzverhältnisse  des  Mediums  infolge  der  Ver- 
dünnung bedingt.  Dieses  auffallende  Verhalten  hat  uns  nun  dazu 
geführt,  den  Einfluß  von  lonenwirkungen  auf  die  Sperma- 
tozoenbewegungen  eingehender  zu  studieren.  Ich  hatte  dabei 
erwartet,  die  von  Jacques  Loeb  beim  Studium  der  Rhythmik 
muskulärer  Organe  beobachteten  Gesetzmäßigkeiten  anzu- 
treffen ;  gerade  das  Gegenteil  davon  war  aber  in  Wirklichkeit  der 
Fall.  Umgekehrt  wie  bei  den  Muskeln  ist  eine  reine  Kalium - 
chloridlösung  mindestens  ebensogut  befähigt,  die  Bewegungen 
der   Samenfäden   zu   unterhalten,   wie   eine   Natriumchlorid- 

-i)  Köllicker,  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  7,  208  (1856),  Fürbringer,  Ber- 
liner klin.  Wochenschr.  1886,  477,  E.  Steinach  (1.  c),  Welcker,  Arch.  i. 
[Anat.  u.]   Physiol.   1899,    340. 

2)  W.  Hirokawa  (Physiol.  Inst.  Univ.  Wien),  Biochem.  Z.  19,  291 
(1908);  vgl.  auch  J.Iwanow,  Arch.  f.  Veterinärwiss.  1,  42  (1910)  (russisch), 
zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  11,  Nr.  2301. 


Mannliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  343 

lösung.  Dagegen  erscheint  das  für  Muskeln  ganz  indifferente 
Lithiumchlorid  exzessiv  giftig,  und  zwar  weit  giftiger  als  das 
für  Muskeln  so  deletäre  Bar3mmchlorid.  Diese  Beobachtungen 
sind  mir  erst  einigermaßen  verständüch  geworden,  seitdem  ich 
aus  Lillies^)  und  Höbers^)  Untersuchungen  erfahren  hatte,  daß 
für  die  Flimmerbewegungen  ähnliche  Verhältnisse  gelten. 
Die  Rhythmik  dieser  letzteren  und  diejenige  der  Muskelbewe- 
gungen sind  offenbar  ihrem  innersten  Wesen  nach  grundver- 
schiedene Dinge  und  die  Motilität  der  Samenfäden  dürfte  eine 
besondere  Form  von  Flimmerbewegung  sein.  Überdies  sind  die 
physikalischen  und  chemischen  Faktoren,  welche  dieselbe  günstig 
oder  ungünstig  beeinflussen,  nur  recht  unvollkommen  bekannt^). 

Hirokawa  vermochte  nun  weiterhin  die  Beobachtungen  von 
Steinach  und  Welcher,  betreffend  den  günstigen  Einfluß  des 
Prostatasekretes  auf  die  Vitalität  der  Samenfäden, 
durchaus  zu  bestätigen.  Einen  ebenso  günstigen  Effekt  auf  die 
Lebensfähigkeit  von  Rattenspermatozoen  wie  das  Prostatasekret 
der  Ratte  ergab  auch  menschliche  (in  Kondomen  gesammelte) 
Samenflüssigkeit.  Die  Lebensdauer  der  Samenfäden  konnte 
durch  dieselbe  (nach  entsprechender  Verdünnung  mit  physiolo- 
gischer Kochsalzlösung)  auf  mehr  als  das  Zehnfache  verlängert 
werden.  Bei  näherem  Zusehen  ergab  sich  jedoch,  daß  Blut- 
serum die  gleiche  Wirkung  ausübte,  welche  also  keineswegs  als 
eine  besondere  EigentümHchkeit  sexualer  Sekrete  gedeutet  werden 
darf.  Dieselbe  findet  in  der  natürlichen  Alkaleszenz  der 
letzteren  eine  ausreichende  Erklärung,  und  man  hat  vorderhand 
gar  keinen  Grund,  die  geheimnisvolle  Wirksamkeit  eines  spe- 
zifischen Sekretbestandteiles  anzunehmen,  der  befähigt  wäre, 
das  »schlummernde  Leben«  der  Samenfäden  zu  erwecken. 

Was  die  physiologische  Bedeutung  der  »Spermakonien«*) 
in  männlichen  Geschlechtsdrüsensekreten  sei,  ist  vorläufig  nicht 
zu  entnehmen.    Es  sind  dies  kleinste  korpuskulare  Elemente,  die 

i)  R.  S.  Lillie,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  10,  419  (1904). 

2)  R.  Höber,  Biochem.  Z.  17,  518  (1909). 

3)  Vgl.  G.  Günther,  Pflügers  Arch.  118,  561  (1907).  K.  N.  Krschisch- 
kovsky  (russisch),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  1910,  Nr. 2035.  C.Fleig, 
C.  R.  Soc.  de  Biol.  67,  162  (1909). 

4)  E.  Wiener,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,  910. 


344  ^V-  Vorlesung. 


mit  den  gewöhnlichen  optischen  Hilfsmitteln  nicht  wahrnehmbar 
sind.     Betrachtet  man  ein  Spermatröpfchen  aber  »ultra-mikro- 
skopisch«   in   der   Dunkelfeldbeleuchtung,    so    sieht    man,    wie 
Königstein^)  unter  Kreidls  Leitung  beobachtet  hat,  eine  Fülle 
tanzender  und  glitzernder  Pünktchen,  und  zwar  stammen  diese 
kleinsten,  diu"ch  ihr  Aufleuchten  eben  noch  wahrnehmbaren  Ele- 
mente aus  dem  Prostatasekrete. 
Dm  Befraeh-        Versuchen  wir  nunmehr,  uns  darüber  klar  zu  werden,  welchen 
tmiKtproDiem.  ^^^-gj!  ^^  neuere  biochemische  Forschung  bisher  an  der  Ent- 
wicklung des  Befruchtungsproblemes  genommen  hat. 
Chemotaxis.  Nachdem  vor  einigen  Dezennien  die  Entdeckung  der  Chemo- 

taxis eine  neue  Welt  von  Reaktionen  von  geradezu  unbegreif- 
licher Feinheit  erschlossen  hatte,  erwuchs  die  Hoffnung,  daß  es 
der  Chemie  vergönnt  sein  könnte,  die  treibenden  und  richtenden 
Kräfte,  welche  die  Spermatozoen  zu  dem  Ei  hin  und  in  dasselbe 
hineinleiten,  zu  ergründen.  Diese  Hoffnung  schien  um  so  berech- 
tigter, als  der  große  Botaniker  Pfeffer  für  eine  Art  pflanzlicher 
Organismen,  die  Spermatozoen  von  Farnen,  gezeigt  hatte, 
daß  dieselben  durch  chemotaktische  Anziehung  ihren  Weg  zu 
den  Eizellen  finden.  »Das  Spermatozoon  sucht  die  Eizelle  auf 
und  wird  auf  den  richtigen  Weg  geführt,«  schrieb  Verworn^)  in 
seiner  gedankenreichen  »Allgemeinen  Physiologie«,  »fast  überall 
in  der  lebendigen  Welt  durch  die  chemotaktische  Wirkung,  welche 
die  Stoffwechselprodukte  der  Eizelle  auf  die  freibeweglichen  Sper- 
matozoen ausüben.  Daß  unter  den  unzähligen  Scharen  von  Sper- 
motozoen  der  verschiedensten  Tiere,  welche  an  manchen  Stellen 
das  Meer  bevölkern,  jede  Art  die  richtige  zu  ihr  gehörige  Eizelle 
findet,  eine  Tatsache,  die  sonst  überaus  wunderbar  erscheinen 
müßte,  ist  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  eine  unmittel- 
bare Folge  der  Chemotaxis  und  erklärt  sich  sehr  einfach  dadurch, 
daß  jede  Spermatozoenart  chemotaktisch  ist  nach  den  spezi- 
fischen Stoffen,  welche  die  Eizelle  der  betreffenden  Art  charak- 
terisieren.« —  Nun  ist  eine  so  allgemeine  Fassung  dieser  Lehre 
freilich  nicht  experimentell  begründet  und  verschiedene  Stich- 
proben, die  angestellt  worden  sind,  waren  derselben  nicht  günstig. 


i)  H.  Königstein»  Wiener  klin.  Wochenschr.  1910,  Nr.  15. 
2)  M.  Verworn,  Allgem.  Physiol.,  2.  Aufl.   1897,  S.  440. 


Männliche  Sexnalorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  345 


Doch  scheint  es  mir,  daß  solche  erst  in  weit  größerer  Zahl  an- 
gestellt werden  müßten,  ehe  man  über  die  Bedeutung  der  Chemo- 
taxis für  den  Befruchtungsvorgang  zu  einem  abschließenden 
Urteile  gelangen  könnte.  Dabei  braucht  es  sich  nicht  gerade 
nur  um  anlockende  Wirkungen  zu  handeln,  welche  die  Eier  auf 
Spermatozoen  ausüben.  Wie  Loew^)  im  Laboratorium  Sigmund 
Exners  gezeigt  hat,  wirkt  nämlich  die  Uterusschleimhaut  der 
Ratte  positiv  chemotaktisch  auf  Rattenspermatozoen.  Wird  ein 
Stückchen  Uterusschleimhaut  einerseits,  ein  anderes  Gewebs- 
Stückchen  desselben  Individuums  andererseits  auf  einen  Objekt- 
träger gebracht  und  ein  Tropfen  Samenflüssigkeit  hinzugefügt, 
so  schwimmen  die  Spermatozoen  gegen  die  Uterusschleimhaut 
heran  und  bohren  sich  mit  ihren  Köpfen  in  dieselbe  ein.  Ähn- 
liches wurde  für  die  Uterusschleimhaut  des  Kaninchens  und  des 
Hundes  und  auch  für  die  Tubenschleimhaut  des  letzteren  beob- 
achtet. Verschiedenheiten  der  Alkaleszenz  sind  dabei  offenbar 
nicht  das  treibende  Moment;  es  hat  vielmehr  den  Anschein, 
als  ob  chemotaktische  Kräfte  beim  Einwandern  der  Spermatozoen 
in  den  weiblichen  Genitalapparat  in  der  Richtung  gegen  das 
Ovarium  hin  wesentlich  beteiligt  wären.  Doch  bedarf  es  auch 
auf  diesem  Gebiete  dringend  einer  Verbreiterung  der  vorliegenden 
Untersuchungen . 

Die  schönen  Arbeiten  v,  Dungerns^)  haben  nun  aber  gelehrt,  spezifizität  d. 
daß  die  Natur  auch  noch  über  ganz  andere  Kategorien  von  Mittehi  Befruchtung. 
verfügt,umdieSpezifizitätderBefruchtungzu wahren.  Allem 
Anscheine  nach  können  die  Eier  Stoffe  enthalten,  welche  das  Ein- 
dringen von  arteigenen  Spermafäden  durch  Erregungshem- 
mung (imd  daraus  resultierende  Senkrechtstellung  derselben  in 
bezug  auf  die  Oberfläche)  fördern,  das  Eindringen  von  artfremdem 
Sperma  dagegen  durch  Toxine,  Agglutinine  sowie  durch 
erregende  Reize,  welche  die  Samenfäden  in  tangentialer  Rich- 
tung von  den  Eiern  abgleiten  lassen,  hindern.  Auch  hier  harrt 
noch  ein  gewaltiges  und  fast  unbestelltes  Arbeitsfeld  geduldiger 
und  zielbewußter  Arbeit. 


i)  O.  Loew  (Physiol.  Inst.  d.  Wiener  Univ.),  Sitzungsber.  d.  Wiener 
Akad.  111,  III,   118  (1903),  vgl.  dort  die  Literatur. 

2)  E.  V.  Dungern,  Zentralbl.  f.  Physiol.  15,  i  (1901)  und  Z.  f.  allgem. 
Physiol.  1,  34  (1902). 


346  XV.  Vorlesung. 


Die  Spezifität  der  Befruchtung  ist  übrigens  keine  so  absolute, 
wie  dies  im  allgemeinen  angenommen  wird.  So  waren  z.  B.  alle 
Versuche,  die  Eier  des  Seeigels  durch  die  Spermatozoen 
von  Seesternen  zu  befruchten,  fehlgeschlagen,  bis  der  geniale 
Jacques  Loeb^)  den  Versuch  machte,  diese  Hybridisation  durch 
eine  passende  Änderung  der  Zusammensetzung  des  Seewassers 
herbeizuführen.  Da  ergab  sich  denn  die  merkwürdige  Tatsache, 
daß,  wenn  man  das  Seewasser  durch  Zusatz  von  etwas  Natronlauge 
oder  Soda  leicht  alkaüsch  macht,  man  Seeigel  durch  den  Samen 
von  Seestemen  und  von  Schlangensternen  leicht  befruchten  kann. 
Es  scheint  sich  dabei  um  eine  Beeinflussung  der  Samenfäden, 
nicht  aber  der  Eier  zu  handeln;  vielleicht  wird  die  Art  und  Leb- 
haftigkeit der  Bewegungen  ersterer  abgeändert,  vielleicht  aber 
auch  ihre  Oberflächenbeschaffenheit  in  einer  Weise  modifiziert, 
daß  sie  leichter  in  das  Innere  des  Seeigeleies  einzudringen  ver- 
mögen. 

Sperma toxine.  Daß  die  Physiologie,  um  dem  Befruchtungsprobleme  beizu- 
kommen, auch  die  Hilfsmittel  der  Immunitätslehre  wird  in  An- 
spruch nehmen  müssen,  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden.  Die 
wichtigen  Untersuchungen  von  Landsteiner,  von  Metschnikoff  und 
anderen  haben  die  Wirkung  spermatoxischer  Immunsera 
kennen  gelehrt.  Der  Organismus  von  Tieren,  die  mit  Sperma 
einer  anderen  Gattung  vorbehandelt  worden  sind,  reagiert  darauf 
mit  der  Bildung  von  Immunkörpern  derart,  daß  z.  B.  die  be- 
treffenden Samenfäden  in  der  Bauchhöhle  vorbehandelter  Tiere 
viel  schneller  absterben  als  in  derjenigen  normaler  Tiere.  Sie 
finden  diese  Probleme  in  den  Handbüchern  der  Immunitätslehre 
im  Zusammenhange  mit  den  »  Cytotoxinen  «  ausführlich  erörtert. 
Dunhar  hat  kürzlich  auf  serologischem  Wege  (mit  Hilfe  der 
Präcipitin-  und  Komplementbindungsmethode)  recht  merkwür- 
dige hierher  gehörige  Tatsachen  festgestellt.  Fische,  die  einander 
so  unähnlich  sind  wie  der  Aal  und  die  Forelle,  reagieren  sero- 
logisch als  nahe  Verwandte.  Die  männlichen  Geschlechts- 
zellen der  Forelle  aber  reagieren  gegenüber  dem  Fleische  der 


i)  J.  Loeb,  Vorlesungen  über  die  Dynamik  der  Lebenserscheinungen. 
S.  236.    Leipzig  1906. 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  347 


Forelle  und  ebenso  gegenüber  ihren  weiblichen  Geschlechts- 
zellen wie  artfremdes  Eiweiß  i). 

Die  Versuche,  den  Befruchtungsvorgang  durch  Extrakte  und  Spermasen. 
Preßsäfte  aus  Sperma  zu  ersetzen  und  auf  Fermente  (»Sper- 
masen«) zu  beziehen,  sind  als  fehlgeschlagen  zu  betrachten. 
Scheinbar  positive  Resultate  sind  durch  Versuchsfehler,  insbeson- 
dere aber  durch  Nichtbeachtung  parthenogenetischer  Vorgänge 
vorgetäuscht  worden*). 

Was  die  Natur  des  Befruchtungsvorganges  als  solchen  Der  Bcfruch- 
betrifft,  hat  der  Biochemiker  vorderhand  leider  nur  sehr  wenig  *""gsv®'^g^"K- 
dazu  zu  bemerken.  Gegenüber  den  Versuchen  von  Af .  H,  Fischer, 
W.  Ostwald  und  anderen,  das  Problem  auf  das  physikalisch-che- 
mische Gebiet  hinüberzuleiten,  möchte  ich  mich  vorderhand  reser-  J 
viert  verhalten.  So  soll  z.  B.  die  Astrosphärenbildung,  die  bei 
jedem  Befruchtungsvorgange,  ob  durch  Sperma,  ob  durch  Partheno- 
genese ausgelöst,  beobachtet  wird,  ein  Koagulationsvorgang 
sein;  ferner  soll  der  Entwicklungsvorgang  mit  der  Aktivierung 
von  Peroxydasen  und  Katalasen  zusammenhängen,  welche 
angeblich  beim  Vermischen  von  Ei-  und  Spermaextrakt  er- 
folgt 3)  u.  dgl.  Wir  können  uns  keiner  Täuschung  darüber 
hingeben,  daß  wir  hier  vorderhand  nur  in  morphologischer  Hin- 
sicht wirklich  festen  Boden  unter  den  Füßen  haben.  Ein  Ein-  , 
gehen  auf  die  hier  vorhegenden  Daten  kann  ich  mir  um  so  mehr 
ersparen,  als  Sie  alles  Wissenswerte  darüber  in  dem  schönen 
Werke  über  Experimental-Zoologie,  mit  dessen  Fertigstellung 
mein  Freund  Hans  Przibram^)  gegenwärtig  beschäftigt  ist,  finden 
können.  Was  uns  daran  vom  physiologischen  Standpunkte  aus 
besonders  interessiert,  ist  der  Umstand,  daß  die  alte  Lehre  von 
der  Kernkopulation,  d.i.  der  Notwendigkeit  einer  Vereini- 
gung von  Spermakern  und  Eikern  für  den  Befruchtungsvor- 
gang, längst  nicht  mehr  zu  Recht  besteht :  »Auch  Stücke  unbe- 
fruchteter Eier  ohne  Eikern  entwickeln  sich  nach  Zusatz  von 

i)  W.   P.  Dunbar,  Zeitschr.  f.  Immunitätsforsch.  4,  740  (19 10). 

2)  Literatur:    O.  v.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  d.  niederen  Tiere. 
S.  607  ff.    Jena  1903. 

3)  W.  Ostwald,  Biochem.  Z.  6,  409  (1907). 

4)  H.  Fr zibr am,  Experimental-Zoologie  I.    Leipzig  und  Wien.    Verl. 
von  F.  Deu ticke   1907. 


348 


XV.  Vorlesung. 


Säureproduk- 
tion  bei  der 
Befruchtung. 


Samen  anscheinend  normal,  wie  Boveri,  Deläge,  Morgan  u.  a.  für 
Mcrogonie.  Seeigel  und  andere  Tiere  nachgewiesen  haben  (Merogonie). 
Werden  Eier  kurz  nach  der  Besamung,  wo  dieselben  beim  Seeigel 
sehr  plastisch  sind,  so  daß  sie  in  lange  Fäden  auseinander  gezogen 
und  durchrissen  werden  können,  wenn  sie  durch  vorsichtiges 
Schütteln  ihrer  Hülle  beraubt  wurden  (Driesch),  auf  diese  Art 
in  kernhaltige  imd  kernlose  Tropfen  geteilt,  so  können  die  letz- 
teren abermals  besamt  werden^). « 

Einige  Beobachtungen/.  Loebs^)  scheinen  darauf  hinzuweisen, 
daß  der  Befruchtungsvorgang  vielleicht  mit  einer  Säureproduk- 
tion einhergeht.  Werden  nämlich  frischbefruchtete  und  unbe- 
fruchtete Eier  desselben  Seeigelweibchens  in  neutralrothaltiges 
Seewasser  gebracht,  so  färben  sich  beide  gleichmäßig.  Werden 
dieselben  aber  dann  in  reines  Seewasser  übertragen,  so  entfärben  sich 
die  unbefruchteten  Eier  allmählich,  während  die  befruchteten 
den  Farbstoff  zm-ückhalten.  Das  befruchtete  Ei  bindet  also 
Neutralrot  fester  als  das  unbefruchtete,  und  da  es  sich  hier  um 
einen  basischen  Farbstoff  handelt,  liegt  die  Annahme  nahe,  daß 
eine  vermehrte  Säureproduktion  den  Befruchtungsvorgang  be- 
gleitet. Doch  sind  natürlich  auch  viele  andere  Deutungen  dieser 
Erscheinung  möglich. 

Ich  kann  es  mir  hier  nicht  versagen,  einen  Streifblick  auf  die 
merkwürdige  Erscheinung  der  künstlichen  Parthenogenese 
zu  werfen^). 

Im  Jahre  1899  hat  Jacques  Loeb  die  Tatsache  mitgeteilt,  daß. 
es  ihm  gelungen  sei,  in  unbefruchteten  Seeigeleiem  durch  Ein- 
wirkung chemischer  Agentien  die  parthenogenetische  Entwicke- 
lung  bis  zum  Pluteus  auszulösen,  also  bis  zu  jenem  Stadium,  das 
auch  von  Seeigellarven,  die  mit  Sperma  in  normaler  Weise  be- 


Künstliche 
Parthenoge- 
nese. 


i)  H.  Przibram,  1.  c.  S.  7. 

2)  J.  Loeb,  Biochem.  Z.  2,  34  (1906). 

3 )  Literatur  über  künstliche  Parthenogenese:  J .  L  o  e  b ,  Untersuchungen 
über  künstliche  Parthenogenese  und  das  Wesen  des  Befruchtungsvorganges. 
D.  Ausg.  von  E.  Schwalbe.  Leipzig  1906.  Vorl.  über  d.  Dynamik  der 
Lebenserscheinungen,  S.  239 — 253.  1906.  Handb.  d.  Biochemie  2, 1,  81 — 103 
(1910),  vgl.  auch  O.  V.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  S.  602 — 610.  Jena 
1903.  H.  Przibram,  Experimental  -  Zoologie  I,  Embryogenese.  S.  9  ff . 
Wien  1907 ;  (ausführliches  Literaturverzeichnis). 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungssystem.  349 

fruchtet  worden  waren,  bei  ihrer  künstlichen  Aufzucht  im  Labora- 
torium im  allgemeinen  nicht  überschritten  wird.  Es  war  den 
Biologen  längst  bekannt,  daß  sich  manche  Lebewesen  Genera- 
tionen hindurch  ohne  Befruchtung  fortpflanzen,  so  die  Blatt- 
läuse, manche  Schmetterlinge  und  anscheinend  auch  manche 
Crustaceen.  Von  den  Bienen  weiß  man,  daß  sich  aus  den  von 
der  Königin  abgelegten  Eiern,  soweit  sie  befruchtet  sind,  Weib- 
chen, soweit  sie  jedoch  unbefruchtet  sind,  Männchen  entwickeln. 

Tichomifow  hatte  bei  den  Eiern  des  Seidenspinners  ein  etwas 
radikales  Mittel,  nämlich  ein  kurzdauerndes  Eintauchen  in  kon- 
zentrierte Schwefelsäure  zur  Auslösung  des  Entwickelungsvor- 
ganges  verwendet.  R.  Hertwig  hatte  durch  Behandlung  unbe- 
fruchteter Seeigeleier  mit  Strychninlösung  den  Anfang  einer 
Kemteilungsfigur  hervorgerufen.  Von  Mead  war  bemerkt  worden, 
daß  das  Ei  des  marinen  Ringelwurmes  Chaetopterus  auch  ohne 
Samenzusatz  zur  Ausstoßung  der  Polkörperchen  veranlaßt  werden 
kann,  wenn  man  dem  Seewasser  etwas  Kaliumchlorid  zusetzt; 
femer  hatte  Morgan  gesehen,  daß  unbefruchtete  Seeigeleier,  die 
einige  Zeit  im  Seewasser  verweilt  hatten,  dessen  Salzkonzen- 
tration gesteigert  worden  war,  sich,  sobald  man  sie  in  normales 
Seewasser  zurückbrachte,  zu  teilen  begannen.  Alle  diese  merk- 
würdigen Wahrnehmungen  hatten  wenig  Beachtung  gefunden. 
Als  aber  Loeb  durch  einen  passenden  Zusatz  von  Magnesium - 
Chlorid  zum  Seewasser  eine  Segmentation  des  unbefruchteten 
Seeigeleies  auszulösen  und  die  Entwickelung  bis  zum  Pluteus- 
stadium  zu  leiten  vermochte,  wurde  das  Interesse  der  wissen- 
schaftlichen und  der  Laienwelt,  wie  Ihnen  allen  gewiß  noch  sehr 
wohl  erinnerlich  ist,  in  einer  Weise  entfesselt,  wie  dies  schwerlich 
durch  die  Mitteilung  einer  physiologischen  Tatsache  jemals  zuvor 
geschehen  ist.  Die  von  keinem  Sachkundigen  (und  von  Loeb 
selbst  am  allerwenigsten)  geteilte  Hoffnung,  daß  es  gelungen  sei, 
das  Mysterium  der  Zeugung  in  das  Reagensglas  zu  bannen,  konnte 
selbstverständlich  nicht  in  Erfüllung  gehen.  Dagegen  ist  und 
bleibt  es  Jacques  Loebs  unvergängliches  Verdienst,  der  physikalisch- 
chemischen Behandlung  einer  Reihe  wichtiger  biologischer  Pro- 
bleme neue  Bahnen  eröffnet  zu  haben. 

Ich  will  immerhin,  an  der  Hand  von  Loebs  Monographien, 
den  Versuch  wagen,   Ihnen  in  aller  Kürze  einige  der  wichtigsten 


350  XV.  Vorlesung. 


Resultate  von  allgemein -biochemischem  Interesse  zu  skizzieren, 
wie  sie  sich  aus  Loebs  eigenen  Arbeiten,  sowie  aus  denjenigen 
von  0.  und  R,  Hertwig,  Morgan,  Herbst,  Yves-Delages,  Bataillon, 
Mathews  und  sehr  vieler  anderer  auf  diesem  Gebiete  ergeben 
haben. 

Es  stellte  sich  bald  heraus,  daß,  wenn  die  Entwicklung  un- 
befruchteter Seeigeleier  durch  hypertonische  Magnesiumchlorid- 
lösungen in  Gang  gebracht  wird,  es  sich  dabei  keineswegs  nur  um 
eine  spezifische  Ionen  Wirkung  handelt.  Jede  beliebige,  an  sich 
nicht  zu  giftige  Lösung,  deren  osmotischer  Druck  um  etwa 
50%  höher  Hegt  als  derjenige  des  Seewassers,  kann  unter  geeig- 
neten Versuchsbedingungen  Parthenogenese  auslösen ;  auch  braucht 
es  sich  nicht  gerade  um  Elektrolyte  zu  handeln,  so  ist  z.  B.  auch 
Zuckerlösung  wirksam.  Die  entwickelungserregende  Wirkung 
einer  hypertonischen  Lösung  kann  aber  auch  durch  längeres  Ver- 
weilen in  sauerstoffreiem  Seewasser,  femer  in  solchem,  das 
kleine  Mengen  von  Cyankalium,  Chloralhydrat,  von  Säure 
oder  Alkali  enthält,  ausgelöst  werden.  »Man  gewinnt  den 
Eindruck, «  sagt  Loeb^),  »daß  Säuren  und  Alkalien  ganz  allgemein 
die  Entwicklung  unbefruchteter  Eier  anzuregen  imstande  sind. 
Die  Behandlung  der  Eier  mit  hypertonischer  Lösung  ist,  wie  es 
scheint,  nur  ein  Eingriff  von  sekundärer  Bedeutung,  der  dazu 
dient,  die  Oxydationsvorgänge  in  die  richtigen  Bahnen  zu 
leiten. «  Über  diese  letzteren  wissen  wir  nun  allerdings  nicht  sehr 
viel.  Auffallend  sind  immerhin  die  Befunde  von  Warburg% 
sowie  von  Mey erhoff),  die  in  Neapel  festgestellt  haben,  daß  das 
befruchtete  oder  unbefruchtete  Seeigelei  in  einer  hypertonischen 
Lösung  oder  einer  reinen  Kochsalzlösung  unvergleichlich  mehr 
Sauerstoff  verbrauchen  kann  als  im  Seewasser  und  daß  auch 
OH- Ionen  sowie  Spuren  von  Kupfer,  Silber  oder  Gold  die  Atmung 
der  Eier  um  viele  hundert  Prozent  steigern.  Auch  eine  Tempe- 
raturerhöhung kann  die   Parthenogenese  einleiten  usw.     Sie 


i)  J.  Loeb,  Handb.  d.  Biochemie  2,  I,  95   (1910). 

2)  O.  Warburg  (Zool.  Station  Neapel),  Z.  f.  physiol.  Chemie  57,   i 

(1903);  60,  443  (1909);  ««,  305  (1910). 

3)  O.  Meyerhof  (Zool.  Station  Neapel),  Biochem.  Z.  33,  291  (191 1); 
35,  246,  316,  480  (191 0- 


I 

I 


Männliche  Sexualorgane.    Das  Befruchtungsproblem.  351 

sehen  also,  es  kann  dies  durch  vorsichtige  Eingriffe  der  allerver- 
schiedensten  Art  geschehen,  und  es  liegt  wirklich  nahe,  den  Ablauf 
des  Entwickelungsvorganges  im  Ei  mit  dem  Ablaufen  eines  Spiel- 
werkes zu  vergleichen,  das  seine  Melodie  stets  in  gleicher  Weise 
zutage  fördert,  wie  immer  auch  der  Eingriff  beschaffen  ist, 
durch  den  der  Hebel  umgelegt  und  die  aufgezogene  Spiralfeder 
freigegeben  wird. 

In  einem  wesentlichen  Punkte  jedoch  schien  der  partheno-  Befruchtungs- 
genetische Entwicklungsvorgang  von  dem  natürlichen  verschieden     "»embran. 
zu  sein:  in  dem  Vorgange  der  Membranbildung.     Sobald  ein  I 

Spermatozoon  in  das  Seeigelei  eindringt,  bildet  dasselbe  bekannt- 
lich eine  »Befruchtungsmembran  «,  —  anscheinend  als  Folge  eines 
Verflüssigungsvorganges  im  Ei,  durch  den  eine  Oberflächen- 
lamelle abgehoben  wird.  Bei  der  durch  hypertonische  Lösungen 
eingeleiteten  Parthenogenese  blieb  nun  diese  Membranbildung 
aus.  Loeb  hat  jedoch  nunmehr  eine  Methode  gefunden,  um  auch 
bei  dem  parthenogenetischen  Entwicklungsvorgange  eine  Mem- 
branbildimg  zu  erzielen.  Es  gelingt  dies  dadurch,  daß  man  dem 
Seewasser  eine  kleine  Menge  einer  Fettsäure  (Essigsäure,  Pro- 
pionsäure, Buttersäure  u.  dgl.)  zusetzt,  die  Eier  kurze  Zeit  hin- 
einbringt und  dann  wieder  in  normales  Seewasser  überträgt. 
Bringt  man  solche  Eier  einige  Minuten  nach  der  künstüchen 
Membranbildung  in  hypertonisches  Seewasser,  so  geht  die  Kern- 
teilung vor  sich  und  die  Eier  entwickeln  sich  nüt  derselben  Ge- 
schwindigkeit zu  normalen  Larven,  als  ob  sie  mit  Samen  be- 
fruchtet worden  wären.  Statt  einer  Fettsäure  kann  man  auch 
jedes  behebige  andere  fettlösende  Mittel  verwenden:  So  hat 
z.  B.  Hertwig  mit  Chloroform,  Herbst  mit  Benzol,  Xylol  und  Toluol 
gearbeitet.  Auch  Mittel,  welche  Cytolyse  verursachen,  wie 
Saponin,  Digitalin,  gallensaure  Salze  sind  bei  vorsichtiger  An- 
wendung befähigt,  Membranbildung  und  Parthenogenese  auszu- 
lösen. Der  Anstoß  zur  Entwicklung  des  Eies  scheint  dabei  auf 
der  Verflüssigung  eines  Lipoides  an  der  Oberfläche  zu  be- 
ruhen und  Loeb  meint,  daß  auch  der  Spermakopf  vielleicht  der- 
artige Hpoidverflüssigende  Substanzen  enthalten  könnte. 

Die  Auslösung  einer  parthenogenetischen  Entwicklung  scheint 
bisher  nur  bei  niederen  Tieren  (insbesondere  bei  Echinodermen, 
Mollusken,  Anneliden  und  Insekten)  gelungen  zu  sein.  Bei  Wirbel- 


352  XV.  Vorlesung. 


tieren  ist  man,  soviel  ich  weiß,  bisher  über  die  ersten 
Furchungsstadien  nicht  hinausgekommen.  Jedenfalls  aber  sehen 
Sie,  daß  diese  Forschungsrichtung,  wenn  sie  auch  nicht  alle 
Hoffnungen,  die  ihr  zugeflogen  kamen,  zu  erfüllen  vermochte, 
immerhin  der  Natur  manches  Geheimnis  abzuringen  im- 
stande war. 


XVI.  Vorlesung. 

Weibliche  Sexualorgane. 


Gestatten  Sie  mir,  Ihnen  in  der  heutigen  Vorlesung  zunächst  Innere  Sekre- 
die  wichtigsten  Tatsachen  vorzuführen,  aus  denen  auf  die  Existenz  Hchen  Kelml 
einer  inneren   Sekretion    der   weiblichen  Keimdrüsen^)       drflsen. 
geschlossen  werden  kann. 

Es  ist  da  vor  allem  die  längstbekannte  Tatsache  der  Atrophie  Kastration, 
bzw.  der  mangelhaften  Ausbildung  des  Uterus  nach  vollzogener 
Kastration  zu  erwähnen.  Im  Zusammenhange  damit  steht  bei 
kastrierten  Frauen  ein  Ausfall  jener  periodischen  Veränderungen 
im  Bereiche  der  Genitalorgane,  welche  in  den  menstruellen 
Blutungen  zum  Ausdrucke  gelangen. 

Ich  habe  in  der  vorigen  Vorlesung  erwähnt,  daß  die  Früh- 
kastration männlicher  Individuen  eine  Fortdauer  infantiler  Cha- 
raktere, nicht  aber  das  Einsetzen  andersgeschlechtlicher 
Zeichen  zu  bedingen  pflegt.  Dagegen  kann  beim  weiblichen 
•Geschlechte  die  Exstirpation  der  Keimdrüsen  offenbar  das  Ein- 
setzen heterosexueller  Merkmale,  welches  sich  aus  der  hermaphro- 
ditischen Uranlage  des  Geschlechtsapparates  ungezwungen  er- 
klärt, zur  Folge  haben.  So  hat  man  z.  B.  bei  Hirschen  beob- 
achtet, daß  ältere,  steril  gewordene  Weibchen  ebenso  wie  solche 
mit  erkrankten  Ovarien  zur  Geweihbildung  neigen.  Diese  gehört 
aber  hier  zu  den  ausgesprochenen  männlichen  Sexualcharakteren : 


I )  Literatur  über  die  innere  Sekretion  weiblicher  Sexualdrüsen:  A.Löwy , 
Ergebn.  d.  Physiol.  2,  130 — 146(1903).  W.  M.  Bayliß  und  E.  H.  Starling, 
ibid.  5,  684 — 690  (1906).  Boruttau,  Nagels  Handb.  d.  Physiol.  2,  39 — 43 
<I907).  Sellheim,  ibid.  2,  100 — 104  (1907).  Swale -Vincent,  Ergebn. 
-d.  Physiol.  9,  504 — 588  (1910).  A.  Biedl,  Innere  Sekretion  326 — 17 'j , 
^1910).    (Ausführliches  Literaturverzeichnis.) 


V.  Fürth,  Probleme. 


2^ 


354  XVI.  Vorlesung. 


die  Geweihe  sind  t5rpische  männliche  Kampf organe,  welche  ihre 
völlige  Reife  erst  vor  Beginn  der  Brunstperiode  erlangen  und  einige 
Zeit  nach  Beendigung  derselben  wieder  abgeworfen  werden^). 
Doch  ist  dergleichen  durchaus  nicht  die  Regel ;  so  fanden  Tandler 
und  Helly^)  bei  ihren  Untersuchungen  über  den  Einfluß  der 
Frühkastration  auf  die  Körperform  des  Rindes,  daß  der  weibliche 
Kastrat  sich  in  seiner  Körperform  durchaus  nicht  dem  männ- 
lichen T5rpus  nähert. 
Transpianta-  Der  Beweis  für  die  innere  Sekretion  der  Ovarien  ist  nun  durch 
Ovarien!  ^^^^  lange  Reihe  glücklich  durchgeführter  0  varial transplan - 
tationen  geführt  worden.  Knauers  Tierversuche  zeigen,  daß 
die  Entfernung  der  Ovarien  das  Vorkommen  von  Brunst- 
Perioden  verhindert,  daß  sich  dieselben  aber  wieder  einstellen^ 
wenn  Ovarialgewebe  in  die  Muskulatur  des  betreffenden  Indi- 
viduums implantiert  wird.  Halban  exstirpierte  bei  Pavianen,, 
welche  eine  der  menschlichen  ähnliche  Menstruation  besitzen, 
die  Ovarien  und  verpflanzte  sie  unter  die  Bauchhaut,  woselbst 
sie  unter  Erhaltung  ihrer  normalen  Struktur  einheilten;  inter- 
essanterweise blieb  die  Menstruation  hier  erhalten,  um  sogleich 
auszubleiben,  wenn  die  eingeheilten  Ovarien  später  entfernt  wur- 
den. Sogar  die  Implantation  artfremder  Ovarien  ist  gele- 
gentlich gelungen.  So  sah  Bucura^)  den  Eierstock  eines  Meer- 
schweinchens bei  einem  kastrierten  Kaninchen  sich  in  fimktions- 
tüchtigem  Zustande  erhalten,  indem  die  Folhkel  darin  zur  Reife 
gelangten  und  .die  Kastrationsatrophie  des  Uterus  ausblieb. 
Dagegen  waren  Versuche  mit  Injektion  von  Ovarialextrakten 
kaum  von  Erfolg  begleitet,  wenngleich  es  dadurch  gelegentlich 
bei  Hündinnen  gelungen  sein  soll,  gewisse  Zeichen  der  Brunst 
(Schwellung  der  Vulva  u.  dgl.)  zu  erzeugen*). 

Schöne  und  deutliche  Erfolge  sind  durch  die  Ovarientrans- 
plantation  auch  beim  Menschen  erzielt  worden.  So  gelang  es 
z.  B.  bei  einem  an  Amenorrhoe  leidenden  Mädchen  durch  Trans- 

i)  Röhrig,  Arch.  f.  Entwicklungsmech,  8—11  (1899 — 1901). 

2)  J.  Tandler  und  K.  Helly,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  31,  289.. 

3)  K.  Bucura,  Zeitschr.  f.  Heilk.«  28,  185  (1907). 

4)  Vgl.  Swale -Vincent,  Ergebn.  d.  Physiol.  9,  505  (1910).  F.  H^ 
Marshall  und  W.  A.  Jolly,  Quart.  Joum.  of  Physiol.  1,  115,  zit.  n.  Zen- 
tralbl.  f.  Physiol.  23,  718  (1909)  u.  a. 


Weibliche  Sexualorgane.  355 


plantation  des  Ovariums  einer  anderen  Frau  in  ihren  Fundus 
uteri  regelmäßige  Menstruation  zu  erzeugen.  Bei  einer  anderen 
Frau,  der  beide  Ovarien  exstirpiert  worden  waren,  versuchte  man, 
das  eine  (anscheinend  noch  gesunde)  Ovarium  in  die  Bauchwand 
zu  implantieren ;  später  stellten  sich  bei  dieser  Patientin  vaginale 
Blutungen  von  menstruellem  Charakter,  verbunden  mit  einer 
schmerzhaften  Schwellung  des  implantierten  Ovariums,  ein.  Bei 
einer  Patientin,  der,  nach  Exstirpation  beider  Ovarien,  ein  kleines 
Stück  Ovarialgewebe  in  den  Oberschenkel  implantiert  worden 
war,  bUeb  das  ganze  Heer  von  Ausfallserscheinungen,  welche  man 
im  Anschlüsse  an  die  doppelseitige  Kastration  zu  sehen  gewohnt 
ist,  aus;  die  Menstruation  war  erhalten  und  das  Geschlechtsleben 
blieb  sonach  in  objektiver  und  subjektiver  Hinsicht  intakt^). 

Eine  vieldiskutierte  Frage  ist  diejenige  nach  dem  Einflüsse 
des  Ovariums  auf  die  Eifixation;  ein  solcher  wird  z.  B.  aus 
einer  Beobachtung  L,  Fränkels  erschlossen,  derzufolge  bei  einem 
Kaninchen,  dem  das  Ovarium  wenige  Tage  nach  der  Kopulation 
exstirpiert  worden  ist,  die  Eifixation  im  Uterus  ausbleibt*). 

Born  und  der  Gynäkologe  Fränkel^)  haben  die  Lehre  von  innere  Sekre- 
einer  inneren  Sekretion  des  Corpus  luteum  energisch  ver-  t*o"<*^ Corpus 
treten.  Der  letztere  beobachtete,  daß,  wenn  man  beim  Kaninchen 
alle  Corpora  lutea  durch  Ausbrennen  zerstört,  dieser  Eingriff  das 
Zustandekommen  der  Gravidität  verhindert,  ebenso  den  Eintritt 
der  Brunst,  daß  er  eine  regressive  Metamorphose  des  Uterus  ver- 
anlaßt usw.,  während  Brandwunden  an  anderen  Stellen  des 
Ovariums  angeblich  diese  Folgen  vermissen  lassen.  Heute  dürfte 
jene  Lehre,  welche  die  innersekretorischen  Vorgänge  ausschließ- 
lich in  die  Corpora  lutea  verlegen  wollte  und  den  Ausgangspunkt 
für  zahlreiche  Untersuchungen  gebildet  hat,  von  der  großen  Mehr- 
zahl der  Gynäkologen  verlassen  zu  sein;  auch  scheinen  Fränkels 
Versuche,  Anomalien  der  Menstruation,  Gravidität  und  Laktation 
durch  »Luteintabletten«  aus  den  gelben  Körpern  von  Kuh- 
ovarien  therapeutisch  zu  beeinflussen,  wohl  im  großen  und  ganzen 


i)  Cramer,    Pankow,    Kayser,    Tuffier    und    Chapman    (Brit. 
med.   Joum.  1910,  1543)  u.  a. 

2)  L.  Fränkel  und  F.  Cohn,  Anal.  Anzeiger  20,  294  (1901). 

3)  L.  Fränkel,  Arch.  f.  Gynäkol.   68,  438  (1903)  und  Zentralbl.  f. 
Gynäkol.  28,  621  (1904). 

23* 


356  XVI.  Vorlesung. 


nicht  sehr  viel  Anklang  gefunden  zu  haben.  Es  hat  femer  z.  B. 
Mandl  gezeigt,  daß  bei  einem  Tiere,  dem  man  ein  Ovarium  zwei 
Tage  post  coitum  ganz  exstirpiert,  das  andere  unter  die  Haut 
implantiert  hat,  eine  Gravidität  ungestört  zu  Ende  gehen  kann, 
trotzdem  es  unter  diesen  Verhältnissen  in  dem  transplantierten 
Ovarium  gar  nicht  zur  Bildung  eines  Corpus  luteum  kommt. 
Doch  fehlt  es  auch  gegenwärtig  nicht  an  Stimmen  zugunsten  einer 
innersekretorischen  Bedeutung  der  Corpora  lutea*).  Der  gegen- 
wärtige Stand  dieser  Lokalisationsfrage  wird  meines  Erachtens 
von  Tandler ^)  in  folgender  Weise  zutreffend  charakterisiert:  »Der 
innersekretorische  Anteil  wird  beim  Manne  repräsentiert  durch 
die  interstitiellen,  die  Leydigschen  Zellen,  bei  der  Frau  durch 
die  analogen  Zellen  des  Stroma  ovarii,  bzw.  der  Follikel 
und  diurch  jene  des  Corpus  luteum.  Von  diesen  innersekretori- 
schen Elementen  sind  meiner  Ansicht  nach  alle  funktionellen  und 
morphologischen  Veränderungen  des  Körpers,  welche  wir  als 
Folgeerscheinungen  physiologischer  und  pathologischer  Vorgänge 
an  den  Geschlechtsdrüsen  zu  bezeichnen  gewohnt  sind,  und  außer- 
dem die  normale  Entwicklung  und  Reifung  der  Geschlechtsdrüsen 
abhängig. « 
Sensibiiisie-  In  einer  durchaus  originellen  Weise  hat  kürzlich  Leo  Loeb*) 

^»chieimhaut^  ^^^  Beweis  für  eine  innere  Sekretion  des  Corpus  luteum 
durch  das  Cor-  ZU  erbringen  versucht.  Nach  den  Untersuchungen  dieses  For- 
pus  u  cum.  ^(.jjgj.g  gelingt  es  nämüch  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen 
unter  gewissen  Bedingungen,  die  Bildung  mütterlicher  Pla- 
zenten künsthch  durch  mechanische  Reize  auszulösen.  Als 
solche  können  z.  B.  tiefe  Einschnitte  in  den  Uterus  dienen.  Es 
genügt  jedoch  unter  Umständen  auch,  einfach  Fremdkörper, 
z.  B.  dünne  Glasröhrchen,  in  das  Lumen  des  Uterus  einzuführen, 
um  eine  Umwandlung  der  uterinen  Schleimhaut  in  eine  mächtige 

1)  L.  Mandl,  Festschr.  f.  Chrobak,  344  ff .  (1903). 

2)  P.  Bouin  et  P.  Anccl,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  66,  505,  605,  689  (1909). 
L.  Loeb,  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  203  (1910),  vgl.  auch  Jardry,  Drevet, 
Lambert,  Jahresber.  f.  Tierchemie  87,  513  (1907). 

3)  J.  Tandler,  Wiener  klin.  Wochenschr.    19 10,  460. 

4)  L.  Loeb.  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  203  (1910)  und  Medical  Record. 
June  25,  19 10.  Daselbst  auch  weitere  Literatur.  Vgl.  auch  Arch.  f.  Ent- 
wicklungsmcch.  32  und  Journ.  of  the  Amcr.  med.  Soc.  5S  (1910). 


Weibliche  Sexualorgane.  357 


Lage  von  mütterlichem  Plazentargewebe  herbeizuführen;  es 
gelingt  also  leicht,  die  Wirkung  des  Eies  durch  indifferente  Fremd- 
körper nachzuahmen.  Doch  soll  dabei  eine  »  Sensibilisierung« 
der  Uterusschleimhaut  durch  die  intakte  Funktion  des 
Corpus  luteum  Vorbedingung  sein.  Da  nun  aber  anscheinend 
gezeigt  werden  konnte,  daß  eine  solche  Abhängigkeit  des  Uterus 
vom  Corpus  luteum  auch  nach  erfolgter  Transplantation  des 
ersteren  weiter  besteht,  glaubt  Loeb  dadurch  mit  Sicherheit  den 
Nachweis  erbracht  zu  haben,  »daß  das  Corpus  luteum  eine  Sub- 
stanz bereitet,  die  durch  die  zirkulierenden  Körperflüssigkeiten 
dem  Bindegewebe  der  uterinen  Schleimhaut  zugeführt  wird,  sich 
mit  diesem  in  spezifischer  Weise  bindet,  und  daß  dann  in  dieser 
chemisch-sensibilisierten  Schleimhaut  durch  mechanische 
Reize  die  mütterliche  Plazentabildung  bewirkt  wird«. 

Ein  sehr  eleganter  Beweis  für  die  Funktion  transplantierter    Einfluß  der 
Ovarien  ist  von  Guthrie  erbracht  worden,  indem  er  zeigen  konnte,    ^parbe^der  ^ 
daß  durch  die  überpflanzten  Organe  bei  reinrassigen  weißen  oder  Nachkommen- 
schwarzen Hühnern  die  Farbe  der  Nachkommenschaft  be-       sc  at. 
einflußt  wird:  Transplan tiert  man  einer  schwarzen  Henne  das 
Ovarium  eines  weißen  Individuums  und  bringt  sie  dann  mit  einem 
schwarzen  Hahn  zusammen,  so  erhält  man  neben  rein  schwarzen 
Jungen  auch  solche  mit  weißen  Füßen.    Transplan  tiert  man  einer 
weißen  Henne  das  Ovarium  einer  schwarzen  Henne  und  belegt 
sie  mit  einem  weißen  Hahn,  so  ist  die  Mehrzahl  der  Nachkommen 
gefleckt^). 

Die  vielfach  verbreitete  Meinung,  daß  zwischen  »mann-  Parabiose  von 
liehen  und  weiblichen  Säften«  ein  fundamentaler  Widerstreit  ^^"l^bchen"^ 
bestehe,  ist  dadurch  widerlegt  worden,  daß  transplantierte  Ova- 
rialanlagen  aus  weiblichen  Raupen  sich  in  kastrierten  männ- 
lichen Raupen  zu  völlig  normalen  Ovarien  entwickelt  haben 2). 
Auch  ist  das  Kunststück  gelungen,  Mäuse  verschiedenen  Ge- 
schlechtes in  Parabiose  derart  miteinander  zu  vereinigen,  daß 


i)  C.    C.    Guthrie,   VII.    internal.    Physiologenkongreß,   Heidelberg 
1907,  Zentralbl.  f.  Physiol.  21,  486  (1907). 

.  2)  Meisenheimer,  Zool.  Anz.   35,    15.  Febr.  1910,  zit.  n.  Biochem. 
Zentralbl.  1910,  Nr.  68. 


358  XVI.  Vorlesung. 


dieselben    in   ausgezeichnetem   Ernährungszustände   monatelang 

ihre  Säfte  untereinander  austauschten^). 

Beziehungen  Besonderes  Interesse  ist  den  ph)^iologischen  Beziehungen 

**G^n1Suppr  ^^^  weiblichen  Brustdrüse  zum  Genitalapparate«)  ent- 

rate.         gegengebracht  worden.     Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  das 

Wachstum  der  Mammae  nicht  sowohl  vom  Uterus  als  von  den 

Ovarien  beeinflußt  wird.    Das  vielfach  beobachtete  periodische 

Anschwellen  der  Brustdrüsen  bei  der  Menstruation  der  Frauen 

und  bei  der  Brunst  mancher  Tiere  weist  gleichfalls  deutlich  auf 

einen  Zusammenhang  mit  den  Ovarien  hin. 

Es  fragt  sich  nun  aber  auch,  durch  welche  Momente  die 
wichtigste  physiologische  Veränderung  der  Milchdrüse,  die 
Schwangerschaftshypertrophie   derselben,   ausgelöst  wird. 

Der  bekannte  Versuch  von  Goltz  und  Ewald,  welche  eine 
Hündin,  der  das  ganze  Lumbosakralmark  exstirpiert  wor- 
den war,  in  normaler  Weise  gebären  und  dem  Geschäfte  der 
Säugung  obüegen  sahen,  hatte  bereits  den  Gedanken  nahe  gelegt, 
daß  der  Zusammenhang  zwischen  Geschlechtsorganen  und  Brust- 
drüsen kein  nervöser,  sondern  ein  chemischer  ist.  Durch  Ver- 
suche iJiW^r^s^),  der  bei  einem  Meerschweinchen  eine  in  die  Nähe 
des  Ohres  transplantierte  Brustdrüse  am  Ende  der  Schwan- 
gerschaft Milch  sezemieren  sah,  sowie  durch  ähnliche  Versuche, 
die  an  Kaninchen*)  in  bezug  auf  die  vollständige  Isoüerung  der 
Brustdrüse  von  jedem  nervösen  Zusammenhange  mit  den  Geni- 
talien angestellt  worden  sind,  ist  eine  solche  chemische  Kor- 
relation zur  Gewißheit  geworden.  Man  hat  sich  zwar  vergebens 
bemüht,  eine  Funktionshypertrophie  der  Milchdrüse  durch  In- 
jektion des  Blutes  trächtiger  Tiere  künstüch  zu  produ- 
zieren^); doch  ist  diese  Lücke  in  der  physiologischen  Beweis- 
führung  durch   ein   merkwürdiges   Naturexperiment   inzwischen 


i)  B.  Morpurgo,  Arch.   di  Fisiol.  6,  27,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges. 
Biol.  10,  61  {19 10). 

2)  Literatur  über  Auslösung  der  Milchsekretion:    Basch,  Ergebn.  d. 
Physiol.  2,  130 — 146  (1903). 

3)  Ribbert,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.   1898. 

4)  M.   Pf  ist  er,  Beitr.  z.  Geburtsk.  u.  Gynäkol.  5,  441  (1901). 

5)  Knöpfelmacher,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  56,  791  (1902),  vgl.  auch 
G.  d'Errico,  La  Pediatria  19 10,  Nr.  4. 


Weibliche  Sexualorgane.  359 

ausgefüllt  worden.  Dasselbe  betrifft  die  zusammengewachse- 
nen Schwestern  Blazek,  von  denen  die  eine  gravid  geworden 
war  und  in  normaler  Weise  ein  Kind  zur  Welt  gebracht  hatte, 
worauf  auch  in  den  Brustdrüsen  der  nicht  graviden  Schwester 
eine  deutüche  Milchsekretion  festgestellt  werden  konnte.  Offenbar 
handelt  es  sich  hier  um  zwei  in  Parabiose  lebende  Individuen 
und  ist  durch  das  gemeinsame  Blut  der  zur  Auslösung  der  Lakta- 
tion nötige  Reizkörper  von  der  Schwangeren  aus  auf  die  Brust- 
drüse des  zweiten  Individuums  übertragen  worden^). 

Ein  solcher  Reizstoff  (»Hormon«)  könnte  nun  etwa  aus  dem 
Ovarium,  dem  Uterus,  der  Plazenta  oder  aber  aus  dem 
Fötus  stammen.  Halban,  der  das  in  dieser  Richtung  zur  Ver- 
fügung stehende  große  künische  Material  sorgfältig  gesichtet  hat, 
ist  zu  dem  Schlüsse  gekommen,  daß  nicht  etwa  das  Ovarium  oder 
der  Uterus,  sondern  vielmehr  die  Plazenta  als  Quelle  des  »Hor- 
mons« in  Betracht  kommt.  Auch  der  Fötus  soll  nicht  ausschlag- 
gebend sein;  denn  auch  in  jenen  Fällen,  wo  dieser  längst  abge- 
storben war  oder  gar,  wie  bei  Molenschwangerschaft,  ganz  gefehlt 
hatte,  traten  die  Schwangerschaf  tsver  änderimgen  der  Mamma  auf. 
Auch  hat  Halban^)  die  Frage,  warum  die  Sekretion  der  Brust- 
drüsen erst  nach  der  Geburt  einsetzt,  dahin  beantworten  wollen, 
daß  nicht  die  Entfernung  des  Fötus,  sondern  die  Ausstoßung 
der  Plazenta  für  die  Auslösung  des  Sekretionsreizes  das  Wesent- 
liche sei. 

Andererseits  aber  ist  es  Starling  und  Miss  Lane-Claypon^),- 
welche  jungfräulichen  Kaninchen  in  zahlreichen  Versuchen  Ex- 
trakte aus  Ovarien,  Plazenten,  Uterusschleimhaut  imd  Föten 
injizierten,  in  einigen  Fällen  gelungen,  durch  die  Auszüge  aus  den 
letzteren  eine  Hyperplasie  des  sezernierenden  Drüsengewebes  zu 
erzeugen.  Man  hat  die  Beweiskraft  dieser  Versuche  durch  ver- 
schiedene Argumente,  insbesondere  aber  auch  durch  den  Hinweis 
bekämpft,  daß  ähnliche  Veränderungen  auch  durch  die  Brunst 
hervorgerufen  werden  können.  Andererseits  sind  Starlings  Be- 
funde inzwischen  von  Foä^),  sowie  auch  von  Biedl  und  König- 


i)  K.  Basch  (Prag),  Deutsche  med.  Wochenschr.  21,  987  (1910). 

2)  J.  Halban,  Arch.  f.  Gynäkol.  76,  406  ff .  (1905). 

3)  Lane-Claypon  und  E.H.  Starling,  Proc.  Roy.  See.  77,  505  (1906). 

4)  C.  Foä,   Arch.  di  Fisiol.  5,  520,  621   {1908). 


360  XVI.  Vorlesung. 


stein^)  im  wesentlichen  bestätigt  worden.  »In  unseren  Ver- 
suchen«,  sagt  Biedl^),  »zeigte  es  sich,  daß  bei  jungfräulichen 
Kaninchen  weder  die  wiederholte  intraperitoneale  Injektion  von 
Plazentaextrakten,  noch  die  Implantation  frischer  Kaninchen- 
plazenta in  die  Bauchhöhle  irgendwelche  histologische  Verände- 
rungen in  der  Brustdrüse  hervorrufen.  Bei  allen  jenen  virginalen 
Tieren,  welche  Embryonenextrakte  intraperitoneal  injiziert  erhiel- 
ten oder  denen  ein  bis  mehrere  Kaninchenembryonen  intraperitoneal 
implantiert  wurden,  fand  sich  eine  mehr  oder  minder  starke 
Entwicklung  der  Brustdrüsen  .  .  .  Die  experimentelle  Prüfung 
weist  somit  entgegen  der  Deduktion  von  Halban  den  Fötus  als 
die  Quelle  des  wachstumserregenden  Hormons  der 
Brustdrüse  nach.« 

Nun  ist  es  aber  kürzlich  R.  Leder  er  und  E.  Przibram^)  im 
Wiener  serotherap>eutischen  Institute  geglückt,  einen  deutlichen 
Einfluß  von  Plazentaextrakten  auf  die  Milchsekretion 
darzutun.  Durch  Einführung  eines  dünnen  Katheters  in  den 
Ausführungsgang  der  Brustdrüse  einer  Ziege  ist  es  ihnen  gelungen, 
einen  kontinuierlichen  Milchstrom  zu  erhalten  und  die  in  der  Zeit- 
einheit abgesonderte  Milchmenge  an  einem  kalibrierten  Steig- 
rohre zu  messen.  Es  konnte  so  nachgewiesen  werden,  daß  die 
intravenöse  Injektion  frischer  Plazentaextrakte  die  Milchsekre- 
tion zu  steigern  vermag.  Da  Plazentaextrakt,  in  größeren  Dosen 
injiziert,  neben  einer  gesteigerten  Milchsekretion  auch  Speichel- 
•fluß  und  vermehrte  Peristaltik  bewirkt,  läge  es  sehr  nahe,  dabei 
an  eine  Wirkung  des  Cholins  bzw.  eines  Umwandlungsproduktes 
desselben  (des  »Vasodilatins«)  zu  denken,  wenn  die  Autoren 
nicht  ausdrücklich  hervorheben  würden,  daß  es  sich  um  eine  für 
die  Plazenta  organspezifische  Wirkung  handelt,  und  daß  Plazenta- 
extrakte durch  längeres  Stellenlassen  oder  einstündiges  Erwärmen 
auf  65°  diese  Wirkung  einbüßen. 

Neueste  Untersuchungen  von  Aschner  und  Grigoriu^)  sprechen 


i)  A.BiedlundR.  Königstein, Zeitschr.  f.exper.  Pathol.  8,  358  (1910). 

2)  A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  S.  343  (19 10). 

3)  R.    Lederer   und   E.    Przibram,    VIII.    internal.    Physiologen- 
kongreß Wien  19 10;  Pflügers  Arch.  1S4,  531  (1910)  (vgl.  dort  die  Literatur). 

4)  B.  Aschner  und  Cht.  Grigoriu  (Klinik  Schauta,  Wien),  Arch.  f. 
Gynäkol.  94,  H.  3  (1911). 


J 


Weibliche  Sexualorgane.  36t 


aber  dagegen,  daß  die  beobachtete  Wirkung  von  Plazentaextrakten 
u.  dgl.  auf  die  Milchsekretion  wirklich  spezifisch  ist.  Es  gelang 
den  Genannten,  durch  Extrakte  aus  Plazenta,  Föten  und  aus 
Ovarien  bei  virginalen  Tieren  Hypertrophie  der  Brustdrüse  sowie 
Milchsekretion  hervorzurufen.  Bei  milchfreien  Muttertieren,  die 
früher  einmal  laktiert  hatten,  genügt  vielleicht  jedes  Lympha- 
gogum,  um  Milchsekretion  auszulösen.  Man  wird  daher,  wie 
ich  glaube,  vorderhand  gut  daran  tun,  die  weitere  Entwicklung 
der  Frage  abzuwarten  und  aus  Befunden  der  erwähnten  Art  keine 
allzuweit  gehenden  physiologischen  Schlüsse  zu  ziehen.  Eine  auf- 
fallend konstante  galaktagoge  Wirkung  ist  ferner  kürzhch  von 
Schäfer^)  mit  Hypophysenextrakten  erzielt  worden. 

Neuere  Untersuchungen  haben  übrigens  gezeigt,  daß  die 
Gravidität  keine  notwendige  Vorbedingung  für  die  Laktation 
darstellt.  Auch  dem  Saugakte  kommt  ein  bedeutender  Einfluß 
auf  die  Funktion  der  Brustdrüse  zu^).  Es  ist  femer  bei  Kaninchen 
gelungen,  durch  Yohimbin  nicht  nur  eine.  Hyperämie  der  Ge- 
schlechtsorgane, sondern  auch  eine  stärkere  Entwicklung  der 
Brustdrüsen  zu  erzeugen^). 

Welcher  Art  der  Vorgang  ist,  welcher  durch  die  hypothetische 
Hormonwirkung  in  den  Milchdrüsen  ausgelöst  wird,  ist  unbekannt. 
Aus  den  im  Laboratorium  Hofmeisters  von  Hildebrandt^)  aus- 
geführten Untersuchungen  geht  hervor,  daß  der  Eiweißabbau, 
insoweit  ein  solcher  in  einer  vermehrten  Tätigkeit  autolytischer 
Fermente  zum  Ausdrucke  gelangt,  in  der  sezernierenden  Drüse 
vermehrt  ist;  es  wurde  dies  in  dem  Sinne  gedeutet,  daß  von 
dem  wachsenden  Ei  ein  den  autolytischen  Zerfall  innerhalb  der 
Milchdrüsenzellen  hemmender  Impuls  ausgeht,  der  nach  Elimi- 
nation des  Embryos  wegfällt. 

Während  die  Ovarien  durch  ihre  innere  Sekretion  für  die  nor- 
male Entwicklung  der  Mamma  zu  einem  funktionsfähigen  Or- 
gane offenbar  notwendig  sind,  sind  sie  für  die  Fähigkeit  der  ent- 

i)  E.  A.  Schäfer  und  K.  Mackenzie,  Proc.  Roy.  Soc.  84,  H.  568, 
Serie  B,  S.  16,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  12,  Nr.  252. 

2)  H.  Gramer,  Münchener  med.  Wochenschr.   1909,   1521. 

3)  W.  Gramer  und  F.  H.  Marshall  (Edinbourgh),  The  Joum.  of 
Economic  Biology  1908. 

4)  P.  Hildebrandt,  Hofmeisters  Beitr.  5,  463  (1904). 


362  XVI.  Vorlesung. 


wickelten  Drüsen,  Milch  zu  produzieren,  sicherlich  nicht  un- 
entbehrüch.  Erfahrungen  an  Tieren  und  Menschen  lehren  sogar, 
daß  ein  Ausfall  der  Ovarienfunktion  die  Müchproduktion  eher 
zu  steigern  vermag.  Die  durchschnittliche  Milchleistung  der 
Kühe  scheint  durch  die  Kastration  im  allgemeinen  erhöht  zu 
werden,  wobei  die  Milch  durch  einen  vermehrten  Fettgehalt  aus- 
gezeichnet ist^). 
Einfluß   der  Man  hat  sich  vielfach  bemüht,  eine  Beziehung  von  Stoff- 

Kastration  auf  wechselvorgängen  zu  der  Fimktion  der  weiblichen  Keimdrüse 

den  Stoff-  * 

Wechsel.  festzustellen*).  Man  hatte,  da  ein  Ausfall  der  letzteren  mit  einer 
gewissen  Neigung  zum  Fettansätze  einhergeht,  erwartet,  eine 
Herabminderung  des  Gaswechsels  nach  der  Kastration  zu 
finden.  Doch  ist  durch  die  bisher  vorliegenden  Versuche  (ich 
nenne  insbesondere  diejenigen  von  Löwy  und  Richter ,  Lüthje, 
Leo  Zuntz,  Mc  Crudden)^)  der  eindeutige  Beweis  eines  solchen 
nicht  erbracht  worden. 

Die  auffallende  Besserung,  welche  nach  Fehlings  Entdeckung 
vielfach  im  Verlaufe  der  Osteomalacie  nach  Kastration  beob- 
achtet worden  ist,  hat  eine  umfangreiche  Literatur  über  den 
Einfluß  der  weiblichen  Keimdrüsen  auf  den  Kalkstoffwechsel 
gezeitigt*). 

Sellheim^)  hat  gefunden,  daß,  wenn  man  einem  jugendüchen 
Individuum  die  Ovarien  exstirpiert,  das  Knochen  Wachstum  sehr 
stark  beeinflußt  wird,  insofern  die  Verknöcherung  der  Epiph3^en- 
fugen  an  den  Extremitäten,  sowie  auch  der  Nähte  an  den  Schädel- 
knochen   auffallend    verzögert    erscheint.      Umgekehrt    bewirkt 


1)  H.  Lejoux,  Chem.  Zentralbl.  1890,  586.  A.  Foges,  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1908,  137.  J.  Roßmeißl  (Tieräxztl.  Hochschule  Wien), 
Biochem.  Z.  16,  164  (1909). 

2)  Literatur  über  den  Einfluß  der  Kastration  auf  den  Stoffwechsel: 
A.  Magnus -Levy,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  1, 
415 — 423  (1906).  G.  V.  Bergmann,  Handb.  d.  Biochemie  4,  II,  194 — 207 
(1910). 

3)  F.  H.  McCrudden,  Joum.  of  biol.  Chem.  7,  185  {1910). 

4)  Neumann  und  Vas,  Curatolo  und  Taruli,  Falk,  Senator, 
Neumann,  Serggio,  Goldwait,  Painter,  Osgood  u.  McCruddenu.  a. 

5)  Seilheim,  Beitr.  z.  Geburtsh.  u.  GynäkoL,  2,  Heft  V  (1899)  und 
Nagels  Handb.  d.  Physiol.  2,  II,   102  ff.  (1907). 


Weibliche  Sexualorgane.  363 


Fütterung  junger  Hühner  mit  Ovarialsubstanz  nach  A.  Löwy^) 
einen  vorzeitigen  Stillstand  des  Knochenwachstums.  »Zu- 
sammenfassend ist  zu  sagen, «  meint  v.  Bergmann^)  bei  Erörterung 
der  einschlägigen  Literaturangaben,  »daß  die  Kastration  an  ganz 
jungen  Tieren  zu  eiiler  verlangsamten  Verknöcherung  und  damit 
auch  zu  langsamerer  Verkalkung  führt  als  bei  nicht  kastrierten 
Tieren  gleichen  Alters;  daß  zweitens  bei  ausgewachsenen  Tieren 
ein  Einfluß  der  Kastration  auf  den  Mineralstoffwechsel  nicht 
erkennbar  ist,  ausgenommen  in  den  Fällen  von  Osteomalacie, 
bei  denen  eine  Heilungstendenz  deutlich  ist.  Als  Ausdruck  dieser 
Heilungstendenz  zieht  das  Skelettsystem  von  neuem  die  Mineral- 
bestandteile an,  die  es  infolge  des  osteomalacischen  Krankheits- 
prozesses vorher  verloren  hatte,  was  bisweilen  zu  deutlicheren 
positiven  Phosphor-  und  Kalkbilanzen  im  Gesamthaushalte 
führen  kann.«  In  Übereinstimmung  mit  den  letzterwähnten  Be- 
funden steht  die  Tendenz  zu  einer  vermehrten  Ausscheidung  des 
Kalkes  und  der  Phosphorsäure  nach  Zufuhr  von  Ovarialsubstanz  3). 
Ich  bin  mir,  wie  ich  offen  eingestehen  will,  nicht  ganz  im  klaren 
darüber,  inwieweit  die  oben  mitgeteilten  Beobachtungen  Wider- 
sprüche in  sich  bergen. 

Bekanntlich  gelangt  in  den  menschlichen  Ovarien  in  regel-    Weiienbewe- 
mäßigen  Zwischenräumen  von  je  vier  Wochen  ein  Ei  zur  Reife,  ^bensprozLse^ 
und  gleichzeitig  mit  der  Vergrößerung  der  umgebenden  Follikel    des  Weibes. 
vollziehen  sich  in  den  anderen  Teilen  des  Genitaltraktes  eine  Reihe 
von   »Empfangsvorbereitungen«,  die  dem  Ei  im  Falle  seiner  Be- 
fruchtung zustatten  kommen  würden  und  die,  wenn  das  aus- 
getretene  Ei    unbefruchtet    zugrunde   geht,   schnell   rückgängig 
gemacht  werden.  Man  spricht  daher  nicht  mit  Unrecht  von  regel- 
mäßigen Wellenbewegungen  der  Lebensprozesse  des  Wei- 
bes*), und  man  beobachtet,  abgesehen  von  den  im  Bereiche  der 
Geschlechtsorgane  sich  vollziehenden  Veränderungen,  periodische 
Schwankungen  physiologischer  Vorgänge,  deren  Maximum  wenige 
Tage  vor  Beginn  der  Menstrualblutung  gelegen  ist.     Derartige 
Schwankungen  sind  in  bezug  auf  Blutdruck  und  Temperatur 

i)  A.  Löwy,  Ergebn.  d.   Physiol.  2,   189  (1903). 

2)  G.  V.  Bergmann,  1.  c.  S.  207. 

3)  Vgl.  A.  Löwy,  Ergebn.  d.  Physiol.  2,   147  (1903). 

4)  Vgl.  Sellheim,  1.  c.  S.  104. 


364  XVI.  Vorlesung. 


dargetan  worden;  in  bezug  auf  den  respiratorischen  Gas- 
wechsel dagegen  werden  sie,  wie  Leo  Zuntz^)  gezeigt  hat,  ver- 
mißt. Anscheinend  handelt  es  sich  in  erster  Linie  um  vaso- 
motorische Prozesse.  Es  wird  behauptet,  daß  es  bei  Frauen  im 
Klimakterium,  deren  Temperatur  keine  rhythmischen  Wellen- 
bewegungen mehr  zeigt,  durch  »  Oophor in  «-Zufuhr  angeblich 
gelingen  soll,  dieselben  wieder  hervorzurufen*).  Interessant 
sind  neuere  Beobachtungen  von  /.  Neumann  und  Herrmann^), 
aus  denen  hervorgeht,  daß  der  Lipoidgehalt  des  Blutes 
(kenntlich  an  einer  Trübung  des  Alkoholextraktes  durch  Wasser- 
zusatz) beim  geschlechtsreifen  Weibe  und  bei  der  Hündin  zykli- 
schen Schwankungen  unterliegt.  Zur  Zeit  der  Menstruation  bzw. 
der  Brunst  findet  sich  eine  Verminderung  des  Lipoidgehaltes, 
während  Klimakterium,  Kastration  ebenso  wie  auch  Schädigung 
der  Ovarien  durch  Röntgenbestrahlung  Lipoidämie  herbeiführt; 
auch  die  physiologische  Gravidität  hat  Lipoidämie  zur  Folge, 
was  auf  einen  im  Verlaufe  derselben  sich  einstellenden  zeitweiligen 
Funktionsausfall  des  FoUikelapparates  der  Keimdrüse  bezogen 
werden  könnte.  Was  die  Natur  der  in  Rede  stehenden  Lipoide 
betrifft,  scheint  es  sich  einerseits  um  Cholesterinester,  anderer- 
seits um  Phosphatide  zu  handeln. 
Giftigkeit  von  Einem  ganz  anderen  Kapitel  gehören  offenbar  die  zahlreichen 
trakten  Angaben  über  giftige  Substanzen  an,  welche  namentlich  von 
französischen  Autoren*)  in  den  Extrakten  aus  den  Sexualdrüsen 
der  verschiedensten  Wirbeltiere  gefunden  worden  sind  xmd  deren 
Injektion  bei  den  Versuchstieren  schwere  Krankheitserscheinun- 
gen, eventuell  den  Tod  herbeiführen  soll.  Bei  Schilderung  der 
Symptome  kehren  Angaben  über  Blutdruckerniedrigung  regel- 
mäßig wieder.     Biedl^)  hat  bei  Prüfung  in  verschiedener  Weise 


i)  L.  Zuntz,  Arch.  f.  Gynäkol.   78,  106  (1906). 

2)  V.  d.  Velde,  Über  den  Zusammenhang  zwischen  Ovarialfunktion, 
Wellenbewegung   und   Menstrualblutung.     Jena    1908. 

3)  J.  Neumann  und  E.  Herrmann  (Inst.  Weichselbaum  und  Kli- 
nik Schauta,  W^ien),  Wiener  klin.  Wochenschr.  24,  Nr.  12  (191 1),  vgl. 
auch  die  Diskussion,  ibid.  24,  Nr.  14. 

4)  Loisel,  Lambert,  Hallion,  Livon,  Linossier  u.  a.,  vgl.  auch 
Patta,  Arch.  di  farmacol.   1907. 

5)  A.  Biedl,  Innere  Sekretion  358,  (1910). 


Weibliche  Sexualorgane.  365 

bereiteter  Extrakte  aus  Ovarien  niemals  spezifische  hämodyna- 
mische  Wirkungen  wahrgenommen,  viehnehr  nur  uncharakteristi- 
sche Effekte,  welche  auf  das  Vorhandensein  gerinnungsbeför- 
dernder  Substanzen  in  diesen  Extrakten  hindeuteten.  Da- 
gegen bezeichnet  neuerdings  Schickele^)  (auf  Grund  seiner  im 
Hofmeister  sehen  Institute  sowie  in  der  Straßburger  Frauenklinik 
ausgeführten  Untersuchungen)  als  charakteristische  Wirkung  einer 
intravenösen  Injektion  von  Preßsäften  und  Extrakten  aus  Ova- 
rien, Corpus  luteum  und  Uterus:  neben  einer  intensiven  Blut- 
drucksenkung  eine  Hemmung  der  Blutgerinnung,  Auf- 
treten von  Krämpfen,  von  vermehrter  Darmperistaltik 
und  Harnentleerung.  Ich  vermag  mich  des  Eindruckes  nicht 
zu  erwehren,  daß  das  meiste  von  dem,  was  hier  beobachtet  worden 
ist,  in  das  große  Kapitel  durchaus  unspezifischer  Wirkungen 
des  Cholins  und  seiner  Umwandlungsprodukte  gehören  dürfte. 

Wir   verlassen   nunmehr   die   Frage   der   innersekretorischen        Stoff- 
Funktion  der  weiblichen  Keimdrüse,  um  wenigstens  einen  Bück     *^*taJ^ 
auf  das   Problem  des  Stoffaustausches  zwischen  Mutter    Mutter  und 
undFötuszu  werfen .    Wenn  Sie  die  diesen  Gegenstand  betreffen-       '**'**• 
den  Monographien  von  Leo  Zuntz^)  und  etwa  Bruno  Wolffs^) 
Abhandlung  über  die  Chemie  des  Fruchtwassers  zur  Hand  neh- 
men, werden  Sie  über  die  Fülle  der  hier  bereits  geleisteten  Detail- 
arbeit sicherüch  erstaunt  sein.     Wenn  ich   aber  nunmehr  aus 
dieser   Menge  von   Einzelbeobachtungen   herauszuschöpfen   ver- 
suche, was  mir  sicherer  Gewinn  von  allgemein-biologischem  Inter- 
esse zu  sein  scheint,  sehe  ich  mit  Unbehagen,  wie  die  Materie  mir 
förmlich  unter  den  Händen  zerrinnt.  Ich  werde  Sie  (ich  weiß  wirk- 
lich nicht,  ob  meine  Auffassung  oder  die  Natur  des  Gegenstandes 
daran  schuld  ist)  bitten  müssen,  hier  mit  Wenigem  vorüeb  zu 
nehmen. 

Daß  einfache  Salze,  wie  Jodkali  oder  salicylsaures  Natron, 
die  Plazenta  leicht  passieren,  und  daß  dieselbe  dem  Durchtritte 


i)  G.   Schickele  (Physiol.-chem.   Inst.   u.   Frauenklinik  Straßburg), 
Münchener  med.  Wochenschr.  1911,   123. 

2)  Vgl.  H.  Busquet  et  V.  Pachon,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  68,  223  (1910). 

3)  L.  Zuntz,  Ergebn.  d.  Phy^iol.  7,  403 — 443  (1908)  und  Handb.  d. 
Biochemie  4,  II,  93 — 103  (19 10). 

4)  B.  Wolff,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  709 — 741  (1910). 


366  XVI.  Vorlesung. 


einer  kolloidalen  Lösung  von  Silber  oder  von  Kieselsäure 
Widerstand  leistet^),  ist  eigentlich  selbstverständlich.  Vereinzelte 
Beobachtungen  eines  Überganges  von  Antitoxinen  und  Agglu- 
tinen  von  der  Mutter  auf  den  Fötus  scheinen  dafür  zu  sprechen, 
daß  dieser  Widerstand  kein  absoluter  ist.  Es  erinnert  dies  an 
das  Verhalten  des  Darmepithels,  von  dem  wir  wissen,  daß  ea 
zum  mindesten  bei  jugendlichen  Individuen  unter  Umständen 
auch  für  unzersetztes  Eiweiß  durchgängig  sein  kann*).  Man 
wird  aber  vermuten  dürfen,  daß  dies,  ebenso  wie  für  den  Darm, 
den  Ausnahmsfall  bildet,  und  daß  das  Eiweiß  die  Plazenta  im 
allgemeinen  nur  im  abgebauten  Zustande  passiert'). 

Daß  eine  gewisse  Analogie  zwischen  dem  resorbierenden 
Darmepithel  und  dem  Epithel  der  Plazentarzotten  besteht, 
scheint  auch  aus  Hofbauers  Beobachtungen  über  Fettresorp- 
tion in  der  Plazenta  hervorzugehen.  Es  macht  den  Eindruck, 
als  ob  das  Fett  bei  der  Resorption  eine  Spaltung  erleiden  würde. 
Zum  mindesten  war  nach  Verfütterung  von  Fett,  das  mit  Sudan 
oder  Alkanna  gefärbt  war,  an  gravide  Individuen  der  Farbstoff 
zwar  im  mütterlichen  Fette  nachweisbar,  dagegen  waren  die  Fett- 
tröpfchen in  den  Chorionzotten  und  in  den  Depots  des  Fötus  stets 
ungefärbt.  Der  Übergang  von  Fett  von  der  Mutter  auf  die. 
Frucht  ist  an  trächtigen  Meerschweinchen  dargetan  worden,  in- 
dem man  denselben  Kokosfett  beigebracht  hat  und  die  (für  diese 
Fettart  charakteristische)  Laurinsäure  in  den  Föten  nachwies. 

Daß  umgekehrt  auch  kolloidale  Produkte  vom  Fötus  an 
das  mütterliche  Blut  abgegeben  werden  können,  ersehen  wir 
aus  den  Versuchen  von  Kreidl  und  Mandl^),  welche  zeigen  konn- 
ten, daß  der  fötale  Organismus  bereits  während  des  intrauterinen 
Daseins  auf  eine  Vorbehandlung  mit  einer  körperfremden  Blutart 
mit  der  Bildung  spezifischer  Hämolysine  reagiert  und  dieselben 
zum  Teil  an  die  Mutter  abgibt. 

i)  J.  Hof  bauer,  Gnindzüge  einer  Biologie  der  menschlichen  Plazenta. 
W.  Braumüller.     1905. 

2)  F.  Ganghofner  und  J.  Langer,  Münchener  med.  Wochenschr.  1904, 
1501. 

3)  Ascoli,  Z.  f.  physiol.  Chemie  36,  498  (1902). 

4)  A.  Kreidl  und  L.  Mandl  (Physiol.  Inst.  d.  Wiener  Universität), 
Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.  118,  III,  Juli  1904. 


Weibliche  Sexualorgane.  367 


Für  korpuskulare  Elemente,  selbst  für  solche  von  ultra- 
mikroskopischen Dimensionen,  scheint  die  Plazenta  un- 
durchdringlich zu  sein.  Es  geht  dies  aus  Beobachtungen  hervor, 
die  Oshima^)  unter  Kreidls  Leitung  ausgeführt  hat.  Nach  reich- 
licher Fettfütterung  finden  sich  {Neumanns^)  Beobachtungen  zu- 
folge) im  Blute  ultramikroskopische  Partikelchen,  die  als  resor- 
bierte Fetteilchen  anzusehen  sind.  Bei  Untersuchung  des  Blutes 
von  Föten  verschiedener  Tiergattungen  erwies  sich  nun  der  Blut- 
befund des  Embryo  ganz  unabhängig  von  demjenigen  der  Mutter, 
und  auch  wenn  das  Serum  der  letzteren  mit  ultramikroskopischen 
Fetteilchen  förmlich  überschwemmt  war,  konnte  ein  Übertritt 
derselben  in  das  fötale  Blut  ausbleiben. 

Daß  die  Chorionzotten  auch  bei  der  Eisenassimilation  eine 
RoUe  spielen,  folgt  aus  der  Tatsache,  daß  mütterliche  Erythro- 
cyten  an  der  Oberfläche  der  2k)tten  zugrunde  gehen  und  daß  das 
darin  enthaltene  Eisen  im  Chorionepithel  mikrochemisch  nach- 
weisbar wird  3).  Fruchtwasser. 

Es  ist  von  jeher  viel  über  die  Frage  diskutiert  worden,  ob  die 
Amnion-  und  Allantoisflüssigkeit  ein  kindliches  oder  ein 
mütterliches  Produkt  oder  aber  ein  Gemisch  beider  sei.  Viele 
Autoren  sind  heute  der  Meinung,  die  alleinige,  direkte  Quelle 
dieser  Flüssigkeiten  wäre  der  Embryo,  welcher  befähigt  ist,  die- 
selben vermöge  seiner  vitalen  Tätigkeit  zu  produzieren*).  Man 
nimmt  vielfach  an,  daß  diese  Flüssigkeiten,  zum  mindesten  ihrer 
Hauptmenge  nach, als  Harn  von  der  fötalen  Niere  sezerniert 
werden;  es  ist  zweifellos,  daß  dieselben  erhebliche  Mengen  nicht 
koagulablen  Stickstoffes  in  Form  von  Harnstoff,  Allantoin  u.  dgl. 
enthalten.  Ein  direkter  Beweis  für  die  Funktionsfähigkeit  der 
fötalen  Niere  ist  von  Kreidl  und  Mandl^)  dadurch  erbracht  worden, 
daß  sie  zeigen  konnten,  daß  nach  Injektion  von  Phloridzin  in 
den  Fötus  sich  reichlich  Zucker  im  Fruchtwasser  findet,  während 


i)  F.  Oshima,  Zentralbl.  f.  Physiol.  21,  297  (1910)  (ausgef.  im  Physiol. 
Inst.  Wien  unter  Leitung  von  A.  Kreidl). 

2)  A.  Neu  mann  (Physiol.  Inst.  Wien),  Zentralbl.  f.   Physiol.  21,  102 
(1907). 

3)  J.  Hofbauer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  40,  240  (1903). 

4)  Vgl.  die  Literatur:  B.  Wolf  f,  Handb.d.  Biochemie»,  I,  732  ff.  (1910). 

5)  A.  Kreidl  und  L.  Mandl,  Monatsschr.  f.  Geburtsh.  20,  H.  4  (1904). 


368  XVI.  Vorlesung. 

nach  Injektion  des  Giftes  in  das  Muttertier  nur  sehr  geringe 
Mengen  davon  in  das  Fruchtwasser  übertreten.  Auch  konnte 
gezeigt  werden,  daß  in  allen  Fällen,  wo  der  Fötus  Substanzen, 
z.  B.  Farbstoffe,  direkt  zugeführt  bekommt,  die  Niere  in  Funktion 
tritt.  Ob  allerdings  auch  normalerweise  eine  regelmäßige  Aus- 
scheidung des  fötalen  Harnes  in  das  Fruchtwasser  erfolgt,  ist  aus 
diesen  Versuchen  nicht  zu  entnehmen,  und  die  Autoren  sind  der 
Meinung,  daß  unter  normalen  Verhältnissen  die  harnfähigen 
Substanzen  auf  dem  Wege  der  Plazenta  zur  Mutter  zurückkehren 
und  von  dieser  ausgeschieden  werden  dürften. 

Andererseits  scheinen  in  die  mütterlichen  Gefäße  injizierte 
Substanzen  sicherlich  vielfach  erst  nach  Passieren  des  Fötus  in 
das  Fruchtwasser  überzugehen^).  Daß  jedoch  eine  Fruchtwasser- 
bildung auch  ohne  Mitwirkung  der  fötalen  Niere  möglich  ist, 
beweist  die  Beobachtung  einer  Mißbildung,  wo  trotz  fehlender 
Niere  dennoch  Fruchtwasser  vorhanden  war*).  (Allerdings  kann 
nicht  mit  Bestimmtheit  behauptet  werden,  daß  in  diesem  Falle 
das  Fruchtwasser  rein  mütterlichen  Ursprunges  war,  da  es  wohl 
möglich  ist,  daß  die  Schweißdrüsen  des  Fötus  hier  vikariierend 
für  die  Nieren  eingetreten  sind.)  Der  Beweis  für  die  Möglichkeit, 
daß  Stoffe,  ohne  den  Fötus  zu  passieren,  von  der  Mutter  aus 
direkt  in  das  Fruchtwasser  übergehen  können,  scheint 
durch  die  Versuche  von  N.  Zuntz^)  erbracht  zu  sein,  insofern  dem 
Muttertiere  intravenös  beigebrachtes  indigschwefelsaures  Natron 
stets  im  Fruchtwasser,  nicht  aber  im  Fötus  nachgewiesen  werden 
konnte,  außer  etwa  im  Magendarmkanal  des  letzteren,  wohin  der 
Farbstoff  offenbar  durch  Verschlucken  des  Fruchtwassers  gelangt 
war.  Da  dieser  Versuch  auch  dann  gelungen  ist,  wenn  der  Fötus 
vorher  abgetötet,  eine  aktive  Mitwirkung  desselben  also  ganz 
ausgeschlossen  war*),  vermag  ich  nicht  recht  einzusehen,  wie  die 
Beweiskraft  desselben  trotzdem  angefochten  werden  kann.  Ein, 
wie  ich  glaube,  einwandfreier  Beweis  für  die  direkte  Beteiligung 

i)  NoelPaton,  B.  P.Watson  and  J.Kerr,Transact.  of  theRoy.  Soc. 
■of  Edinburgh  46,  71  (1908);  Jahresber.  f.  Tierchemie  S8,  502  (1908). 

2)  Ahlfeld,  Arch.  f.  Gynäkol.  14,  286  (1879). 

3)  N.  Zuntz,  Pflügers  Arch.  16,  548  (1878),  vgl.  dagegen:  Wiener, 
Arch.  f.  Gynäkol.  17,  24  (1881). 

4)  Vgl.  L.  Zuntz,  1.  c. 


Weibliche  Sexualorgane.  369 


des  mütterlichen  Blutes  an  der  Zusammensetzung  des  Frucht- 
wassers ist  kürzlich  von  Wohlgemuth^)  erbracht  worden.  Der- 
selbe fand,  daß  eine  Erhöhung  des  Diastasegehaltes  nach  Unter- 
bindung des  Pankreasganges  bei  den  Muttertieren  auch  dann  im 
Fruchtwasser  (ebenso  wie  im  mütterlichen  Blute)  nachweisbar 
ist,  wenn  man  die  Föten  intrauterin  abgetötet  hat. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  der  Fötus  reichüche  Mengen 
von  Fruchtwasser  trinkt  \md  die  Bestandteile  desselben  von  sei- 
nem Verdauungstrakte  aus  resorbiert.  Ob  aber  dem  Frucht- 
Wasser  auch  etwa  eine  Bedeutung  als  Ernährungsflüssigkeit 
zukommt  oder  ob  es  einfach  als  Exkret  zu  gelten  hat,  ist  nicht 
klargestellt. 

Man  hat  auf  den  Nachweis  von  allerhand  Fermenten  in  der  wirksame 
Plazenta,  welche  die  Hauptkategorien  von  Nahrungsbestand-  ^j^^  piazenta." 
teilen  zu  spalten  vermögen,  großen  Wert  gelegt*).  Doch  glaube 
ich  nicht,  daß  damit  für  die  ph3^iologische  Erkenntnis  viel  ge- 
wonnen ist.  Findet  sich  doch  dergleichen  so  ziemlich  in  allen 
Organen,  wo  man  sich  der  Mühe  unterzieht,  darnach  zu  suchen. 
Auch  mit  der  Extraktion  »wirksamer  Bestandteile  «  aus  der  Pla- 
zenta hat  man  kein  Glück  gehabt.  Blutdrucksteigernde 
Substanzen  darin*)  haben  sich  als  Fäulnisprodukte  (Hydroxy- 
phenyläthylamin  und  Isoamylamin)  erwiesen*),  die,  wie  ich 
Ihnen  bei  früherer  Gelegenheit  auseinandergesetzt  habe  (Seite  39), 
durch  Kohlensäureabspaltung  aus  Eiweißderivaten  entstehen. 

Ein  Grebiet,  das  einer  S3^tematischen  physiologisch-chemischen     Chemische 
Durchforschung  noch  dringend  bedürftig  ist,  betreten  wir,  wenn    dV  Uterus!^ 
wir    unsere    Aufmerksamkeit    dem    Uterus    zuwenden.      Die 
Fortschritte,  welche  die  Biochemie  des  Muskelgewebes  zu  ver- 
zeichnen hat,    sind  diesem,    seinem  Hauptanteile  nach  musku- 


i)  Wohlgemuth  und  Massone,  Arch.   f.  Gynäkol.   94,  72   (191 1). 

2)  Savare  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  », 
141(1907).  W.Loeb  und  Higuchi,  Biochem.Z.22,3i6(i909).  P.Bergell 
und  Liepmann,  Münchener  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  46.  Nattan- 
Larrier  und  Ficai,  Joum.  de  Physiol.  18,  60  (1908).  Cramer  und 
Lochhead,  Joum.  of  Physiol.  43,  Proc.   Physiol.  Soc.  XXV.  (1906). 

3)  Dixon  und  Taylor,  Zentralbl.  f.   Physiol.  21,  487  (1907)- 

4)  O.  Rosenheim  (Inst,  von  Halliburton,  London),  Journ.  of 
Physiol.  88,  337  (1909)- 

V.  Fürth,  Probleme.  24 


370  XVI.  Vorlesung. 


lären  Organe  bisher  nur  zum  allergeringsten  Teile  zustatten  ge- 
kommen. Und  doch  bietet  jene  Fülle  von  Erscheinungen,  welche 
mit  dem  physiologischen  Wachstum,  der  Schwangerschaftshyper- 
trophie, der  Involution  im  Wochenbette,  der  Rückbildung  im  Kli- 
makterium, mit  der  myomatösen  Geschwulstbildung  und  der- 
gleichen verknüpft  sind,  gerade  für  die  biochemische  Forschung 
ein  aussichtsreiches  Arbeitsgebiet.  Beachtet  man,  bei  wie  sub- 
tilen Fragen  die  morphologische  Durchforschung  des  weiblichen 
Genitalapparates  bereits  längst  angelangt  ist,  während  wir  auf 
chemischem  Gebiete  selbst  über  die  gröbsten  Verhältnisse  noch 
nicht  orientiert  sind,  so  ergibt  sich  ein  Mißverhältnis,  das  nur 
in  der  traditionellen  Vorliebe  für  eine  rein  morphologische  Ar- 
beitsrichtung seitens  der  Gynäkologen  einigermaßen  seine  Er- 
klärung findet.  So  sind  wir,  um  nur  einige  Beispiele  anzu- 
führen, über  die  Eiweißkörper  des  Uterus,  über  die  Quellungs- 
und Gerinnungsverhältnisse  derselben,  über  die  vitale  und  post- 
mortale Milchsäurebildung,  über  Glykogenanhäufung  und  die 
fermentative  Spaltung  dieses  Kohlehydrates,  über  die  Inosit- 
bildung,  über  Menge  und  physiologische  Bedeutung  stickstoff- 
haltiger Extraktivstoffe  (wie  des  Kreatins,  des  Kreatinins,  der 
Xanthinbasen,  des  Carnosins  und  Carnitins)  so  gut  wie  gar  nicht 
orientiert.  Von  dem  Gedanken  ausgehend,  daß  die  Rückbildung 
des  Uterus  im  Wochenbette  vielleicht  auf  autolytischen  Pro- 
zessen beruhen  könnte,  haben  bereits  Langstein  und  Neubauer^), 
wenn  auch  vergebens,  nach  einer  Steigerung  der  Vorgänge  der 
Selbstverdauung  im  puerperalen  Uterus  gefahndet;  der  Nach- 
weis einer  solchen  Steigerung  scheint  Ferroni^)  nunmehr  wirk- 
lich gelungen  zu  sein. 
Beobachtun-  Es  ist  selbstverständlich,  daß  die  chemischen  Zustandsän- 
bencfenUtm^^^  derungen  des  Uterus  in  seiner  physiologischen  Reaktionsfähigkeit 
zum  Ausdrucke  gelangen  müssen;  es  ist  als  ein  großer  Fort- 
schritt  zu   verzeichnen,    daß   es   E.  Kehrer ^)   im    Laboratorium 

i)  L.  Langstein  und  O.  Neubauer,  Münchener  med.  Wochcnschr. 
1902,  Nr.  30. 

2)  Ferroni,  Autoreferat  im  Biochem.  Zentralbl.   5,  Nr.  2198. 

3)  E.  Kehrer,  VII.  internat.  Physiologenkongreß,  Heidelberg, 
Zentralbl.  f.  Physiol.  21,  490  (1907),  Arch.  f.  Gynäkol.  81,  160  (1907)  und 
Arch.  f.  exper.   Pathol.  58,  ^66  (1908). 


Weibliche  Sexualorgane.  371 


Rudolf  Gottliebs  gelungen  ist,  die  Technik  der  Untersuchung  des 
überlebenden  Uterus  und  seiner  Bewegungen  zu  einem  hohen 
Grade  der  Vollkommenheit  auszuarbeiten.  Die  Versuche  sind 
analog  der  von  Magnus  für  das  Studium  der  Bewegungen  des 
Dünndarmes  angegebenen  Methode  ausgeführt  worden,  wobei  das 
einerseits  fixierte,  andererseits  mit  einem  Schreibhebel  verbundene 
Organ  in  sauerstoffgesättigter  Ringerscher  Flüssigkeit  beobachtet 
wird.  Das  überlebende  Uterushorn  der  Katze  führt,  ähnlich  wie 
der  Darm,  pendeiförmige  Kontraktionen  aus,  die  nach  12  Stimden 
noch  ebenso  kräftig  sind  wie  in  der  ersten  Stunde.  Experimente 
an  lebenden  Tieren  haben  eine  vollständige  Übereinstimmung 
mit  den  Befunden  am  überlebenden  Organe  ergeben  und  die  Wir- 
kung vieler  Gifte  kann  so,  statt  am  lebenden  Tiere,  an  dem  ersteren 
geprüft  werden.  Kehr  er  vermochte  zu  zeigen,  wie  die  Uteruskon- 
traktionen durch  Mutterkornpräparate  bis  zum  Tetanus  ge- 
steigert werden.  Auch  ist  der  überlebende  Kaninchenuterus  das 
feinste  Reagens  zum  Nachweise  minimalster  Suprareninmengen, 
insofern  Lösungen  dieser  Substanz  noch  in  einer  Verdünnung  von 
I  :  250  Millionen  Kontraktionen  hervorrufen.  Es  ergab  sich 
weiterhin  die  sehr  merkwürdige  Tatsache,  daß  der  Uterus  der 
Katze  seine  Reaktionsweise  in  der  Schwangerschaft  vollständig 
ändert.  Bei  der  Katze  in  nicht  trächtigem  Zustande  bewirkt 
Suprarenin  eine  Hemmung  der  Bewegungen  bei  tiefem  Tonus, 
während  es  bei  der  trächtigen  Katze  das  stärkste  aller  Erregungs- 
mittel ist. 

Auf  die  Stoffwechselveränderungen  in  der  Schwanger- 
schaft und  im  Puerperium  möchte  ich  hier  nicht  näher  eingehen; 
das  Tatsächliche  darüber  finden  Sie  in  Magnus- Levys  vortrefflicher 
Monographie^)  über  die  Physiologie  des  Stoffwechsels  zusammen-  Stoffwechsel, 
gestellt.  Die  vorhegenden  Beobachtungen  beziehen  sich,  außer 
auf  die  Eiweißbilanz  von  Mutter  und  Kind,  vorwiegend  auf 
das  gelegentliche  Auftreten  bzw.  die  vermehrte  Ausschei- 
dung   von    Albumosen^),    Aminosäuren  3) ,    Oxyprotein- 


i)  A.  Magnus -Levy,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl. 
1,401    4i5(i9o6),vgl.auchBaretDaunay,  Journ.de  Physiol.  7,832(1905). 

2)  Fischel,  Arch.  f.  Gynäkol.  24,  400,  (1883);  26,  120  (1885).     Ehr- 
-ström,  ibid.  63,  695  (1901). 

3)  V.  Lecrsum,  Biochem.  Z.  11,   121   (1908). 

2A* 


372 


XVI.  Vorlesung. 


Willkürliche 
Geschlechts- 
bestimmung. 


säuren^),  Azetonkörpern,  Glyoxylsäure*)  U.dgl.  bei  Schwan- 
geren, Gebärenden  und  Wöchnerinnen.  Auf  einzehie  Befunde,  ins- 
besondere auch  auf  die  puerperale  und  postpuerperale  Glukosurie 
und  Laktosurie,  werde  ich  später,  bei  Behandlung  der  Stoff- 
wechselvorgänge, noch  zurückkommen.  Ob  die  von  verschiedenen 
Seiten  her  geäußerte  Meinung,  daß  Vorgänge  einer  relativen 
Insuffizienz  der  Leberleistung  bei  den  beobachteten  Stoff- 
wechselanomalien wesentlich  beteiligt  seien,  eine  tatsächliche 
Grundlage  besitzt,  müssen  weitere  Untersuchungen  lehren. 

Interessante  Stoffwechselfragen  knüpfen  sich  an  die  experi- 
mentell erzeugte  Verlängerung  der  Tragdauer,  die  Kreiil 
und  Mandl  bei  Kaninchen  dadurch  gelungen  ist,  daß  sie  das  eine 
gravide  Hom  des  Uterus  ganz  entfernten  und  in  dem  anderen 
nur  eine  Eikammer  beließen,  und  zwar  jene,  welche  dem  Uterus 
zunächst  gelegen  war ;  sofern  es  nicht  durch  den  Eingriff  als  solchen 
zu  einem  Abortus  kam,  machte  der  zurückgelassene  Fötus  eine 
weitergehende  Entwicklung  bei  verlängertem  intrauterinen  Leben 
durch  ^). 

Daß  sich  die  Wissenschaft  den  hie  und  da  auftauchenden  Ver- 
suchen gegenüber,  das  Problem  der  willkürlichen  Ge- 
schlechtsbestimmung auf  diätetischem  Wege  zu  lösen,  vor- 
derhand durchaus  ablehnend  verhalten  hat,  war  nicht  nur  ihr 
Recht,  sondern  sogar  ihre  Pflicht.  Auch  Angaben,  wie  denjenigen 
eines  italienischen  Autors*),  der  durch  subkutane  Lecithinin- 
jektionen  bei  Kaninchen  eine  außerordentlich  starke  Vermeh- 
rung der  weiblichen  Nachkommenschaft  erzielt  liaben  will,  wird 
man  skeptisch  gegenüber  stehen  müssen,  solange  nicht  von  an- 
derer Seite  her  eine  zweifellose  Bestätigung  derartiger  Befunde 
vorliegt. 

Den  Fragen,  welche  mit  der  Biochemie  des  weiblichen  Sexual- 
apparates zusammenhängen,  schließt  sich  das  große  und  viel- 
umstrittene Problem  der  Eklampsie  an.     Sie  wissen,  daß  das 


i)  H.  Salomoniind  P.  Saxl,  Beitr.  z.  Karzinomforschung,  1910,  H.  2. 

2)  J.  Hofbauer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  52,  425  (1907). 

3)  A.  Kreidl  und  L.  Mandl,  Wiener  klin.  Wochenschr.  21,  Nr.  23 
{1908). 

4)  A.  Russo,  Rendic.  R.  Accad.  dei  Lincei,  Serie  5a,  XVI,  362,  zit. 
Zentralblatt  f.  Physiol.  21,  363  (1907). 


Weibliche  Sexualorgane.  373 


Studium  dieses  Erscheinungskomplexes,  dessen  Bild  jedem,  der  Eklampsie, 
es  auch  nur  einmal  gesehen  hat,  unvergeßlich  bleibt,  in  der  gynä- 
kologischen  Literatur  einen  gewaltigen  Raum  einnimmt,  und  daß 
man  vielfach  von  der  Biochemie  eine  Lösung  dieses  unheimlichen 
Naturrätsels  erhofft  hat^).  Leider  hat,  wie  ich  widerstrebend 
bekennen  muß,  unsere  Wissenschaft  bisher  den  in  sie  gesetzten 
Erwartungen  auf  diesem  Gebiete  in  keiner  Weise  entsprochen. 
Die  alte  Frerichsche  Lehre,  welche  die  Eklampsie  mit  der  Urämie 
zusammenwerfen  wollte,  ist  längst  verlassen,  da  man  weiß,  daß 
Eklampsie  ohne  jede  Nieren  Veränderung  auftreten  kann.  Die 
Lehre  von  einer  abnormen  Erregbarkeit  der  Hirnzentren 
vermochte  nicht  zu  befriedigen.  Die  Lehre  Bouchards  von  einem 
spezifischen  Eklampsiegifte,  das  angeblich  im  Serum  der 
Kranken  in  vermehrter  Menge  zirkuliert,  während  die  Giftigkeit 
des  Harnes  vermindert  ist,  vermochte  der  Kritik  nicht  stand- 
zuhalten. Für  den  Begriff  eines  »urotoxischen  Koeffizien- 
ten«, so  schön  und  gelehrt  dieser  Name  auch  klingen  mag,  ver- 
mögen wir  seinem  Erfinder  mit  bestem  Willen  nicht  dankbar  zu 
sein.  Auch  fanden  Graf  und  Landsteiner^)  das  eklamptische 
Serum  zwar  giftiger  als  in  der  Norm;  doch  ergab  sich  auch  bei 
anderen  Krankheiten  ein  ähnlicher  Grad  von  Toxizität.  Ebenso- 
wenigvermögen wir  uns  für  die  Zweifeische  Lehre,  welche  die  Milch- 
säure  in  den  Mittelpunkt  der  Pathologie  der  Eklampsie  rücken 
wollte,  irgendwie  zu  begeistern.  Wir  wissen  viel  zu  genau,  daß  der 
Organismus  auf  vermehrte  Muskelanstrengung,  auf  unzählige  In- 
toxikationen sowie  auf  Sauerstoffmangel  mit  einer  vermehrten 
Anhäufung  von  Milchsäure  reagiert^).  Die  vermehrte  Ausscheidung 
neutralen,  unoxydierten  Schwefels  im  Harne  Eklamptischer  weist 
ja  vielleicht  auch  auf  eine  Hemmung  der  Oxydationen  hin.  Wer 
vermöchte  jedoch  zu  behaupten,  daß  gerade  dieses  Moment  das 
primäre  sei?  Die  Theorie,  derzufolge  die  Eklampsie  vom 
Fötus  ausgeht,  ist  wohl  schwerlich  mit  der  Tatsache  vereinbar, 


1 )  Chemische  Literatur  über  Eklampsie :  L.  Z  u  nt  z ,  Handb.  d.  Biochemie 
3, 1,  366 — 375  (1910).  H.  G.  Wells,  Chemical  Pathology,  p.  439 — 443,  1907. 

2)  Graf  und  Landsteiner,  Zentralbl.  f.  Gynäkol.  1909,  142. 

3)  Vgl.  A.  ten  Doeschate  (Physiol.  Labor.  Utrecht),  Z.  f.  physiol. 
Chemie 54, 1 5 3  ( 1 907 ).  H.  F ü t h  und  G.  Lockemann,  Zentralbl.  f.  Gynäkol. 
1906,  Nr.  41. 


374  XVI.  Vorlesung. 


daß  dieser  pathologische  Komplex  auch  nach  einer  Entbindung 
bei  mazerierter  Frucht,  ja  sogar  bei  Blasenmole  auftreten  kann^). 
Die  vermehrte  Tätigkeit  autolytischer  Fermente,  die 
angeblich  von  der  Plazenta  aus  den  Organismus  überschwemmen 
und  z.  B.  in  der  Leber  zu  vermehrten  autolytischen  Vorgängen 
führen  sollen *),  kann,  wie  ich  glaube,  ebensogut  eine  sekun- 
däre Erscheinung  sein  und  möglicherweise  mit  einer  vermehrten 
Säuerung  der  Gewebe  zusammenhängen.  Immerhin  ist  die  ver- 
mehrte Autolyse  und  die  verstärkte  Tätigkeit  des  (in  Hofmeisters 
Laboratorium  aufgefundenen)  desamidierenden  Plazentarfermen- 
tes')  ein  Punkt,  der  im  Auge  behalten  werden  kann.  Die  Veitsche 
Lehre  von  der  Zellendeportation,  d.  h.  der  Verschleppung 
morphologischer  Elemente  der  Plazenta  als  Ursache  der  Eklam- 
psie, hat  viel  Interesse,  jedoch  noch  mehr  Widerspruch  erregt*). 
Weichhardt  sieht  das  spezifische  Gift  als  ein  Endotoxin  an,  das 
aus  den  Plazentarzotten  freigemacht  wird;  doch  soll  dieses  Endo- 
toxin nach  Dryfuß^)  seine  Wirksamkeit  nur  der  uncharakteristi- 
schen, blutkoagulierenden  Wirkung  von  Nukleoproteiden  ver- 
danken. Der  Versuch  von  Freund  und  Mohr,  die  Eklampsie  durch 
die  hämolytische  Wirkung  aus  der  Plazenta  stammen- 
der Ölsäure  zu  erklären,  darf  nach  Untersuchungen,  die  im 
Faustschen  Laboratorium  ausgeführt  worden  sind,  für  verunglückt 
gelten®).  Liepmann'^)  fand  das  aseptisch  hergestellte  Trocken - 
pulver  aus  eklamptischen  (nicht  aber  aus  normalen)  Plazenten, 
wenn  er  es  Kaninchen  intraperitoneal  injizierte,  hochgradig 
toxisch;  doch  vermochte  Dryfuß  auch  diese  Befunde  nicht  zu 
bestätigen. 

Wenn  wir  aus  allem  dem  die  Bilanz  ziehen,  so  ergibt  sich, 
wie  ich  fürchte,   für   unbefangene   Leute   die   wenig   erfreuliche 


i)  F.  Hitschmann,  Zentralbl.  f.  Gynäkol.   1904,   1089. 

2)  J.  Hofbauer,  Z.  f.  Geburtsh.  61,  200  (1908). 

3)  B.  J.  Dryfuß,  Biochem.  Z.  7,  493  (1907),  vgl.  Savare  (  Physiol.- 
chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr.  9,  141  (ic^j). 

4)  Vgl.  Lichtenstein,  Arch.  f.  Gynäkol.  8Ä,  435  (1908). 

5)  1-  c. 

6)  O.  Polano  (Pharmakol.  Inst.  Würzburg,  Vorst.  E.   St.  Faust), 
Zeitschr.  f.  Geburtsh.  65,  581  (1910). 

7)  W.  Liepmann,  Münchener  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  15  u.  51. 


Weibliche  Sexualorgane.  375 

Tatsache,  daß  wir  der  Eklampsie  als  einer  ihrem  eigentlichen 
Wesen  nach  kaum  bekannten  Erscheinung  gegenüberstehen. 
Der  ungeheure  Umfang  der  vorliegenden  Literatur  vermag  daran 
leider  nichts  zu  ändern.  So  ist  denn  auch  die  Therapie  dieser 
Affektion  über  die  Behandlung  der  Symptome  \md  über  tastende 
Versuche  (wie  z.  B.  neuerdings  die  Nierendekapsulation  oder 
die  Beibringimg  von  Hirudin^))   noch  nicht  hinausgekommen. 

So  viel  also  über  diesen  Gegenstand. 

Ich  möchte  meine  Erörterungen  über  die  Biochemie  des  weib- 
lichen Sexualapparates  mit  einem  kurzen  Hinweise  auf  die  che- 
mische Erforschung  des  Eies  abschließen 2). 

Weitaus  am  genauesten  ist  die  Chemie  des  Hühnereies  Chemie  des 
bekannt.  Die  Proteinsubstanzen  des  Hühnereies  haben  ja  einen 
erheblichen  Teil  jenes  Materiales  geliefert,  aus  dessen  Durch- 
forschung die  moderne  Eiweißchemie  erstanden  ist.  Das  Hühner- 
eiweiß war  ferner  jenes  Produkt,  an  dem  durch  Franz  Hofmeisters 
denkwürdige  Untersuchungen  3)  die  Möglichkeit  der  künstlichen 
Kristallisation  schwerkristallisierender  Proteinsubstanzen  dar- 
getan worden  ist.  Eine  lange  Reihe  von  Arbeiten*)  betrifft  das 
Ovoglobulin  und  seine  Fraktionierung,  die  Aufteilung  des 
Albumins  in  das  kristallisierende  »Ovalbumin  «  und  das  amorphe 
»  Conalbumin «,  das  Studium  des  nicht  koagulablen,  kohlehydrat- 
reichen Ovomukoids,  das  im  Dotter  enthaltene  phosphorhaltige 
Ovovitellin  und  die  Beziehungen  desselben  zu  der  daraus  isolier- 
baren eisenhaltigen  Nukleinsubstanz,  dem  »Hämatogen«  usw., 
ohne  daß  (ganz  abgesehen  von  den  Konstitutionsproblemen) 
auch  nur  in  rein  deskriptiver  und  methodischer  Hinsicht  ein 
Abschluß   der  Hauptfragen   einigermaßen   erzielt  worden   wäre. 

Ein  prächtiges  Material  für  physiologisch-chemische  Unter- 
suchungen sind  ferner  die  Fischeier,  insbesondere  jene  Arten 
derselben,  die  (analog  den  Aleuronkristallen  mancher  Samen) 
kristallisierte  Eiweißkörper,  die  sogenannten  Dotterplättchen, 


i)  F.  Engelmann,  Zeitschr.  f.  Geburtsh.  68,  640  (191 1). 

2)  Literatur  über  die  Chemie  des  Eies:    J.  Pächtner,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 8,  I,  433—447  (19 10). 

3)  F.  Hofmeister,  Z.  f.  physiol.  Chemie  14,  165  (1899);  16,  187  (1891). 

4)  Literatur  über  die  Eiweißkörper  des  Eies:    F.  Samuely,  Handb.  d. 
biochem.  Arbeitsmeth.  2,  377 — 383  (19 10). 


376  XVI.  Vorlesung. 


enthalten.     Man  kann  z.  B.  aus  den  großen  runden  Eiern  der 
Rochen  leicht  erhebliche  Mengen  derselben  gewinnen. 

Auch  die  Eier  mancher  Avertebraten  sind  in  einer  für 
systematische  chemische  Untersuchungen  ausreichenden  Menge 
zugänglich,  so  z.B.  die  Seidenspinnereier,  die  Eier  von  großen 
Crustaceen,  welche  Material  für  das  Studium  von  Dotterpig- 
menten geliefert  haben  usw.  ^).  Der  vergleichend-physiologischen 
Forschung  eröffnet  sich  hier  noch  ein  schier  unermeßliches  Ar- 
beitsfeld. 

Das  gleiche  gilt  für  das  chemische  Studium  der  Eient Wick- 
lung. 
Chemie  d.  Em-  Ein  Anfang  ist  hier  bereits  durch  umfassende  und  systema- 
bryogenese.  tische  Untersuchungen  am  Hühner-,  Forellen-  und  Seiden- 
spinnerei, die  wir  Luciani,  Bohr  und  Hasselbach,  Tangl  und 
Parkas,  L.  B,  Mendel,  Abderhalden  und  anderen  Autoren  ver- 
danken^), gemacht  worden.  Dieselben  betreffen  die  Bilanz  in  bezug 
auf  Sauerstoff,  Kohlensäure,  Wasser  und  Stickstoff,  auf  Eiweiß, 
Fett,  Kohlehydrate  im  allgemeinen,  Glykogen  im  besonderen, 
auf  Aminosäuren,  Purinsubstanzen,  auf  Lecithin  und  Chole- 
sterin, auf  anorganische  Substanzen  usw.  Tangl  und  Parkas^) 
haben  ferner  durch  ihre  wertvollen  kalorimetrischen  Unter- 
suchungen den  Begriff  der  »Entwicklungsarbeit«  eingeführt, 
d.  h.  der  in  Kalorien  ausgedrückten  Energiemenge,  welche  der 
Aufbau  von  einem  Gramm  Embryo  erfordert.  Es  hat  sich  dabei 
li erausgestellt,  daß  bei  der  Entwicklung  des  Hühnereies  etwa 
zwei  Drittel  der  gesamten  verbrauchten  chemischen  Energie  als 
solcher  zum  Aufbau  des  Embryos  dienen  und  daß  ein  Drittel 
als  Entwicklungsarbeit  in  andere  Energiearten  umgewandelt 
wird.    Es  hat  sich  ferner  ergeben,  daß  in  den  Anfangsstadien 


i)  Literatur  über  die  Chemie  der  Avertebrateneier:  O.  v.  Fürth,  Vergl. 
ehem.  Physiol.  d.  niederen  Tiere.    S.  596 — 602.    Jena  1903. 

2)  Literatur  über  Eientwicklung:  J.  Pächtner,  Handb.  d.  Biochemie 
3,  I,  444 — 447  (1910).  Vgl.  L.  B.  Mendel  und  Mitarbeiter,  Amer.  Joum. 
of  Physiol.  20,  81,   117,   197  (1907);  21,  64,  69,  77  (1908). 

3)  F.  Tangl,  Pflügers  Arch.  93,  327  (1903).  K.  Parkas,  ibid.  98, 
490  (1906).  F.  Tangl  und  K.  Parkas,  ibid.  104,  173  (1908).  F.  Tangl, 
ibid.  121,  423  {1908).  F.  Tangl  und  A.  v.Mituch,  ibid.  121,  437  (1908). 
F.  Tangl,  ibid.  130,  55  (1909).  Vgl.  E.  Abderhalden  und  Kempe, 
Z.  f.  physiol.  Chemie  53,  398  (1907). 


Weibliche  Sexualorgane.  377 


der  Embryogenese  zur  Entwicklung  der  lebenden  embryonalen 
Substanz  die  Umwandlung  einer  größeren  Menge  chemischer 
Energie,  also  größere  Arbeit  erforderlich  ist,  als  zur  Entwicklung 
derselben  Substanzmenge  in  den  reiferen  Stadien  und  daß 
(wie  ja  zu  erwarten  war),  die  Entwicklung  des  Organismus  ceteris 
paribus  einen  größeren  Energieumsatz  beansprucht  als  die  Er- 
haltung nach  vollendetem  Wachstum;  daß  femer  die  zur  Ent- 
wicklungsarbeit im  Hühnerei  nötige  Energie  hauptsächlich  aus 
dem  chemischen  Energievorrate  des  Eifettes  geschöpft  wird,  daß 
Kalkschale  und  Schalenhaut  sich  am  Stoffumsatze  beteiligen, 
daß  während  der  Bebrütung  kein  Stickstoff  aus  dem  Eiinhalte 
verloren  geht  und  dergleichen  mehr. 

Angaben  über  die  chemischen  Veränderungen  des  Eies  der 
Ringelnatter  unter  Berücksichtigung  der  gleichzeitigen  morpho- 
logischen Veränderungen  rühren  ferner  von  Sommer  und  Wetzel 
her  usw. 

Wir  haben  hier  die  ersten  Ansätze  vor  uns,  die  sich  (es  ist 
unschwer  dies  vorauszusagen)  im  Laufe  der  Zeit  zu  einem  neuen 
Wissenzweige,  der  Chemie  der  Embryogenese,  entwickeln 
dürften.  Wir  wollen  hoffen,  daß  es  dieser  Forschungsrichtung 
dereinst  vergönnt  sein  wird,  die  Lösung  mancher  Daseinsrätsel, 
denen  gegenüber  ihre  ältere  Schwester,  die  morphologische 
Embrj'ologie,  versagt,  ausfindig  zu  machen.  Daß  wir  selbst 
allerdings  noch  allzuviel  davon  erleben  werden,  ist  nicht  zu  er- 
warten. Das  sind  eben  Dinge,  die  ihrer  Natur  nach  nur  langsam 
der  Zukunft  entgegenreifen  können. 

i)  A.  Sommer  und  G.  Wetzel,  Arch.  f.  [An.  u.]  Physiol.  1904,  389. 


XVII.  Vorlesung. 


Die  Niere. 


Filtration, 

Sekretion 

u.  seleictive 

Resorption. 


Die  heutige  Vorlesung,  die  ein  ungefähres  Bild  des  gegen- 
wärtigen Standes  der  Lehre  von  der  Nierenfunktion  vor  Ihnen 
entrollen  soll,  wie  sich  dasselbe  dem  Auge  des  phj^iologischen 
Chemikers  darbietet,  bereitet  mir  ( —  ich  will  es  Ihnen  nicht 
verhehlen  — )  schwere  Sorgen.  Die  Materie,  die  dieses  Kapitel 
umfaßt,  ist  so  ungeheuer  umfangreich,  daß  eine  gewissenhafte 
historische  Entwicklung  und  eine  durchaus  objektive  und  voll- 
ständige Erörterung  jedes  »Für«  und  jedes  »Wider«  in  allen 
Punkten  ungefähr  soviel  Raum  erfordern  dürfte,  wie  für  die 
Gesamtheit  dieser  Vorlesungen  zu  Gebote  steht.  Wenn  ich  also 
das,  was  mir  die  Quintessenz  des  Ganzen  zu  sein  scheint,  in  den 
engen  Rahmen  einer  Vorlesung  zusammenzudrängen  versuche, 
so  kommt  ein  stark  subjektives  Moment  mit  ins  Spiel.  Das  läßt 
sich  leider  nicht  vermeiden.  Ich  kann  Ihnen  eben,  wenn  ich  nicht 
eine  Monographie  schreiben  will,  hier  nichts  anderes  bieten,  als 
ein  Bild  davon,  wie  sich  diese  ganze  Frage  eben  in  meinem 
Kopfe  spiegelt;  und  nur  als  solches,  nicht  aber  als  dogmatische 
Feststellung,  bitte  ich  Sie,  meine  heutigen  Auseinandersetzungen 
hinzunehmen. 

Wenn  wir  uns  klarmachen  wollen,  wie  die  Niere  Blutflüssig- 
keit zu  Harn  umzuwandeln  vermag,  können  wir  die  Tatsachen 
zunächst  um  drei  Hauptbegriffe  herum  gruppieren:  Die  Fil- 
tration, die  Sekretion  und  die  Rückresorption;  und  zwar 
verstehe  ich  die  Filtration  im  Sinne  der  Ludwigschen  Lehre,  der- 
zufolge  ein  Blutfiltrat  (Plasma  minus  Eiweiß)  die  Glomeruli 
passieren  kann.  Die  Sekretion  verstehe  ich  im  Sinne  Heiden- 
hains  als  aktive  und  selektive  Tätigkeit  der  Nierenepithelien ; 
endlich  die  Rückresorption  als  die  Fähigkeit  gewisser  Nieren- 


Die  Niere.  379 


elemente  (namentlich  der  Marksubstanz),  eine  Wasserentziehung, 
beziehungsweise  eine  selektive  Aufsaugung  gelöster  Bestandteile 
vorzimehmen. 

Jedes  einzelne  dieser  Momente  ist  bei  älteren  Erklärungs- 
versuchen bevorzugt  worden,  und  wenn  dies  nicht  m  allzu  ein- 
seitiger Weise  geschehen  wäre,  hätte  sich  der  bekannte  Streit 
zwischen  der  Ludwigschen  Filtrationstheorie  und  der  Heiden- 
haitischen  Sekretionstheorie  meines  Erachtens  schwerlich  so 
endlos  in  die  Länge  gezogen.  Die  Anhänger  der  ersteren  waren 
bekanntlich  der  Meinung,  die  Hambildung  werde  ausreichend 
durch  die  Annahme  erklärt,  daß  das  eiweißfreie  Glomerulus- 
filtrat  auf  seinem  Wege  durch  die  Hamkanälchen  durch  Rück- 
resorption  von  Wasser  konzentriert  wird.  Die  Anhänger 
Heidenhains  dagegen  betonten  die  Entstehung  des  Harnes  durch 
einen  selektiv-sekretorischen  Prozeß^). 

Wie  ich  nun  zu  Ihrer  schnellen  Orientierung  vorausschicken 
möchte,  bin  ich  der  Meinung,  daß  beide  Parteien  recht  gehabt 
haben,  und  daß,  wie  gesagt,  allen  drei  Hauptfaktoren  (Filtration, 
Sekretion,  Rückresorption)  ihr  Anteil  an  den  Vorgängen  der 
Hambildung  zukommt. 

Wir  werden  uns  mit  jedem  einzelnen  dieser  Faktoren  zu  be- 
fassen haben.  Um  mir  aber  von  vornherein  etwas  Kredit  zu 
verschaffen  und  Ihnen  zu  beweisen,  daß  ich  mit  dieser  Auffassung 
keineswegs  allein  stehe,  zitiere  ich  einige  Schlußsätze  aus  einer 
gründlichen  Monographie,  in  der  Metzner^)  das  einschlägige  Material 
kritisch  verarbeitet  hat:  »Die  hypothetische  Annahme  Ludwigs, 
das  Glomerulusfiltrat  werde  auf  seinem  Wege  durch  die 
Hamkanälchen  durch  Wasserresorption  konzentriert,  hat 
durch  die  neueren  Untersuchungen  eine  starke  Stütze  erhalten. 
Eine  einfache  Diffusion  ist  dabei  allerdings  nur  zum  geringsten 
Teile  im  Spiele ;  es  muß  dafür  eine  aktive  Tätigkeit  der  Epithelien 


i)  Literatur  über  die  Vorgänge  der  Hambildung:  K.  Spiro  und  H. 
Vogt,  Ergebn.  d.  Physiol.  I,  414 — 437  (1902).  R.  Metzner,  Nagels  Handb. 
d.  Physiol.  2,  II,  207 — 292(1907).  R.Magnus,  Nagels  Handb.  d.  Physiol. 
3, 1,  477 — 535  (1910).  R.  Höber,  Koränyi  und  Richters  Handb.  d.  physikal. 
Chemie  u.  Med.  1,  380 — 435  {1907).  Koranyi,  ibid.  2,  133 — 222.  L. 
Asher,  Biochem.  Zentralbl.  2,  i — 10,  33 — $7  (1906). 
2)  R.  Metzner  1.  c. 


38o  XVII.  Vorlesung. 


filtrat. 


in  den  Henleschen  Schleifen,  in  den  Tubulis  contortis  und  wohl 
auch  in  den  Sammelröhren  in  Anspruch  genommen  werden, 
zumal  da  mit  dieser  Wasserentziehung  eine  auswählende  Rück- 
resorption gelöster  Bestandteile  verbunden  ist Harnsäure, 

Phosphorsäure  und  blutfremde  Stoffe  werden  in  den  Harn- 
kanälchen  durch  echte  Sekretion  ausgeschieden.  Das  gleiche 
gilt  sehr  wahrscheinlich  für  den  Harnstoff,  der  aber  im  Glomerulus 
auch  mitfiltriert.« 

Ein  schroffer  Gegensatz  zwischen  Ludwigscher  imd  Bownumn- 
Heidenhainscher  Theorie  besteht  nicht.  Eine  ähnliche  Auffassung 
ist  übrigens  schon  früher  von  Otto  Löwi^)  scharf  formuliert  worden. 
Glomerulus-  Die  Annahme  einer  Glomerulusfiltration  drängt  sich  bei 
der  Beobachtung  auf,  daß  im  Blute  gelöste  Kristalloide  vielfach 
der  ausgeschiedenen  Wassermenge  proportional  »ausgeschwemmt« 
werden  2). 

Andererseits  liegen  aber  auch  wieder  Beobachtungen  vor,  welche 
eine  Unabhängigkeit  der  Ausscheidung  von  Wasser  und 
gelösten  Bestandteilen  klar  zur  Anschauung  bringen.  So  hat 
z.B.  die  Beobachtung  des  Verhältnisses  A  :  NaCl  gezeigt,  daß  der 
osmotische  Druck  des  Harnes  bei  lebhafter  Diurese  unter  Um- 
ständen niedriger  werden  kann  als  derjenige  des  Blutes,  die 
Kochsalzkonzentration  aber  gleichzeitig  höher s).  Sehr  instruktiv 
sind  neue  Beobachtungen,  die  Burian^)  an  Wasserwirbel- 
tieren, die  einen  dem  Blute  gegenüber  stark  hypotonischen 
Harn  ausscheiden,  ausgeführt  hat.  Eine  etwaige  Rückresorption 
von  Salzen  in  den  Harnkanälchen  ist  hier  so  ziemlich  auszu- 
schließen, da  gerade  jene  Nierenabschnitte,  die  man  bei  höheren 
Säugetieren  für  die  Resorption  verantwortlich  zu  machen  pflegt, 
bei  den  niedrigen  Tieren  gar  nicht  oder  nur  mangelhaft  ausgebildet 
sind;  die  hypotonische  Beschaffenheit  ist  hier  offenbar 
bereits   dem  Glomcrulussekrete  eigentümlich.     Da  sich 


i)  O.  Löwi    (Pharmakol.    Inst.    Marburg),    Arch.    f.    exper.    Pathol. 
48,  436  (1902). 

2)  Vgl.  R.  Magnus,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  45,  210  (1901).  O.  Löwi, 
iV^id.  48,  410  (1902). 

3)  Michaud,  vgl.  L.  Asher,  Biochem.  Zentralbl.  2,  41  (1906). 

4)  R.   Burian   (Physiol.    Abt.   d.   zoolog.    Station   Neapel),    Pflügers 
Arch.  136,  741  (19 10)  (Hering-Festschrift). 


Die  Niere.  381 


aber  durch  Filtration  (auch  durch  ein  aus  Kolloiden  bestehendes 
»Ultrafilter«)  die  molekulare  Konzentration  des  eiweißfreien 
Blutfiltrates  nicht  ändert,  wird  man  wohl  auch  schon  hinsichtlich 
der  Bereitung  des  Glomerulussekretes  komplizierteren  Vor- 
stellungen Raum  gönnen  müssen. 

Hinsichtlich  der  Zellen  der  gewundenen  Harnkanälchen   Sekretorische 
ist,  wie  Noll  bei  kritischer  Erörterung  des  vorliegenden  experi-  Nierencpithei" 
mentell-histologischen   Untersuchungsmateriales  hervorhebt,   die       zeiien 
Natur  derselben   als    »echter  Drüsenzellen«  längst  erkannt 
worden;   er  bemerkt  daher  mit   Recht,   daß  jede  Theorie   der 
Hambereitung,  welche  nur  mit  einer  absondernden  Tätigkeit  in 
den  Glomerulis  und  mit  ausschließlichen  Resorptionsvorgängen  in 
den   Harnkanälchen   rechnet,    nach   dem   heutigen    Stande   der 
Forschung  als  unhaltbar  zu  bezeichnen  ist^). 

Legen  wir  uns  nunmehr  die  Frage  vor,  welches  die  notwendigen 
physiologischen  Vorbedingungen  für  eine  normale  sekretorische 
Tätigkeit  der  Nierenepithelien  sind,  so  wäre  hier  zunächst  ein 
zureichender  Blutdruck,  eine  ausgiebige  Blutdurchströmung 
und  Sauerstoffversorgung  der  Niere  zu  nennen. 

Was  zunächst  den  Einfluß  des  Blutdruckes  betrifft,  über  den  Blutdruck, 
wir  durch  die  Untersuchimgen  von  Grützner,  Starling  u.  a. 
orientiert  sind,  ist  zu  bemerken,  daß  die  Harnabsonderung  bei 
Tieren  gewöhnlich  aufhört,  sobald  der  Blutdruck  unter  eine 
gewisse  Grenze  (ca.  30 — 40  mm  Hg)  absinkt.  Wird  das  Blut 
jedoch  durch  Infusion  großer  Mengen  physiologischer  Kochsalz- 
lösimg in  hohem  Grade  hydrämisch  gemacht,  so  erfolgt,  wie 
GoUlieb  und  Magnus^)  gezeigt  haben,  die  Hamabsonderung  bereits 
bei  einem  minimalen  Blutdrucke. 

Ein  mächtig  wirksames  Diuretikum,  der  Hypophysen- 
extrakt 3),  vermag  noch  bei  ungemein  niedrigem  Blutdrucke 
Diurese  zu  erzeugen. 

E.  Frey^)  hat  neuerdings  wieder  die  Anschauung  vertreten. 


i)  Literatur  über  die  Histologie  der  Nierenepithelien:   A.  Noll,  Ergebn. 
d.  Physiol.  6,  i — 28  (1907). 

2)  R.  Gottlieb  und  R.Magnus,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  45,  248  (1901). 

3)  R.   Magnus    und    E.   Schäfer,    Journ.    of    Physiol.    27,    Proc. 
Physiol.   Soc.   IX  (1901). 

4)  E.  Frey  (Pharm.  Inst.  Jena),  Pflügers  Arch.  112,  107  (1906). 


382  XVII.  Vorlesung. 


daß  Druckdifferenzen  zwischen  dem  Inhalte  der  Kapillarnetze 
der  Glomeruli  und  Tubuli  von  allergrößter  Bedeutung  für  die 
Nierentätigkeit  sind;  es  wäre  also  angeblich  in  letzter  Linie  die 
Herzkraft,  welche  die  osmotische  Arbeit  der  Niere  leistet. 
Durchblutung.  Was  die  Abhängigkeit  der  Nieren tätigkeit  von  der  Durch- 
blutung des  Organes  betrifft,  ist  dieselbe  unter  anderen  von 
Gottlieb  und  Magnus'^)  auf  dem  Wege  onkometrischer  Versuche, 
von  Lamy  und  A,  Meyer^),  sowie  von  Barcroft  tmd  Brodie^)  durch 
direkte  Messung  der  aus  den  Nieren  abströmenden  Blutmenge 
studiert  worden.  Die  Letztgenannten  haben,  unter  Anwendung 
einer  sehr  ausgebildeten  Versuchstechnik,  nicht  nur  die  Strömungs- 
geschwindigkeit des  Blutes  in  den  Nieren,  sondern  gleichzeitig 
auch  die  Gase  im  Blute  der  Nierenarterie  und  -vene,  den  os- 
motischen Druck  im  Harne  und  im  Blute  u.  dgl.  bestimmt.  In 
vielen  Fällen  hat  sich  bei  derartigen  Versuchen  ein  Parallelismus 
zwischen  Durchblutung  und  sekretorischer  Tätigkeit  der  Nieren 
ergeben;  doch  kann  ein  solcher  unter  Umständen  auch  völlig 
vermißt  werden. 
Sauerstoff-  Daß    das    sezernierende    Nierenepithel    gegen    Sauerstoff- 

mangel,      man  gel  sehr  empfindlich  ist,  und  daß  sowohl  venöse  Stauung 
als  auch  eine  kurzdauernde  Störung  der  arteriellen  Blutzufuhr 
geeignet    ist,    tiefgreifende    Schädigungen    der    Nierentätigkeit 
herbeizuführen,  ist  längst  bekannt. 
Reflektorische        Auf  die  Frage,  ob  man  die  Existenz  sekretorischer  Nerven 
deTNierentä^  ^^^  ^^^  Niere  zuzugeben  genötigt  ist,  oder  ob  man  mit  der  An- 
tigkeit.       nähme  vasomotorischer  Nerven  auskommt*),  möchte  ich  hier  nicht 
näher  eingehen.    Daß  die  Nierentätigkeit  auf  reflektorischem 
Wege  weitgehend   beeinflußt   werden   kann,   unterliegt   keinem 
Zweifel.      Ich    hatte   selbst,   gemeinsam    mit   meinem    Kollegen 
C.  Schwarz,  kürzlich  Gelegenheit,  ein  interessantes  Beispiel  einer 


i)  R.  Gott  lieb  und  R.  Magnus,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  45,  223 
(1901). 

2)  H.  Lamy  und  A.  Meyer,  Journ.  de  Physiol.  8,  258  (1906)  und 
spätere  Arbeiten. 

3)  J.  Barcroft  und  T.  G.  Brodic,  Journ.  of  Physiol.  3S,  52  (1905). 

4)  Literatur  über  Einfluß  des  Nervensystems  auf  die  Nierentätigkeit: 
R.  Metzner,  1.  c.  S.  280 — 284.  K.  Spiro  und  H.  Vogt, .  Ergebn.  d. 
Physiol.  1,  I,  417 — 420  (1902). 


Die  Niere.  383 


derartigen  reflektorischen  Beeinflussung  kennen  zu  lernen.  Wir 
sahen,  daß  ein  peritonealer  Reizzustand,  der  durch  Injektion 
von  Pankreasgewebe,  Terpentinöl  oder  Aleuronat  bei  Tieren 
künstlich  hervorgerufen  worden  war,  die  Sekretionstätigkeit  der 
Niere  derart  beeinflussen  kann,  daß  die  Ausscheidung  der  ge- 
lösten Bestandteile  erheblich  abnimmt,  ohne  daß  die  Menge 
der  Harnflüssigkeit  gleichzeitig  eine  auf  fallende  Verminderung 
zeigen  müßte,  und  wir  vermochten  nachzuweisen,  daß  Beob- 
achtungen über  eine  Hemmung  der  Suprareninglukosurie 
durch  intraperitoneale  Injektionen  von  Pankreasge- 
webe durch  dieses  Verhalten  eine  ungezwungene  Erklärung  fin- 
den, ohne  daß  man  einen  geheimnisvollen  Antagonismus  zwischen 
den  »Hormonen  «  des  Pankreas  und  der  Nebennieren  heranziehen 
müßte  ^). 

Eine  funktionelle  Trennung  der  Tubuli  undGlomeruli  isolierte    Aus- 
ist mehrfach  versucht  worden.    Der  größten  Popularität  in  dieser  Qi^^emfi  und 
Richtung  erfreut  sich  ein  Versuch  von  Nußbaum^  welcher  Autor       Tubuii. 
eine  solche  Trennung  dadurch  zu  erzielen  versuchte,  daß  er  beim 
Frosche  die  Nierenarterie  unterband.    Dabei  werden  die  Glomeruli 
ausgeschaltet,  während  die  von  der  Nierenpfortader  versorgten 
Tubuli  noch  funktionsfähig  bleiben  und  die  Elimination  injizierter 
Farbstoffe  zu  vollziehen  vermögen.     Bainbridge  und  Beddard 
vermochten  weiterhin  bei  solchen  Fröschen  auch  eine  Harnstoff- 
diurese  zu  erzielen  und  so  den  Beweis  dafür  zu  erbringen,  daß  die 
Tubuli  als  solche  wirklich   die   Harnstoffausscheidung  bewerk- 
stelligen können. 

Einen  ähnlichen  Effekt  hat  Lindemann  durch  Injektion 
von  öl  in  die  Nierenarterie  erzielt;  dabei  werden  die  Glomeruli 
durch  Embolisierung  ausgeschaltet. 

Man  hat  ferner  eine  funktionelle  Trennung  der  Nierenelemente 
auch  durch  Gifte  zu  erzielen  gehofft.  Kantharidin  soll  angeb- 
lich hauptsächlich  die  Glomeruli  lädieren  und  die  Tubulus- 
epithelien  intakt  lassen,  das  Sublimat  dagegen,  ebenso  wie  vom 

i)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Biochem.  Z.  81,  113  (191 1). 

2)  Literatur  über  Lokalisierung  der  sekretorischen  Nierenfunktion: 
K.Spiro  undH.Vogt,Ergebn. d.  Physiol.  1,429 — 434(1902).  R.Magnus. 
Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  521 — 524  (1910),  vgl.  auch  Bainbridge  und 
Beddard,  Biochem.  Journ.  1,  255  {1906). 


384  XVII.  Vorlesung. 


von    Farbstof 
fen. 


Nierenbecken  aus  inj  iziertes  Natriumfluorid  soll  sich  umgekehrt 
verhalten^). 

Einen  unmittelbaren  Hinweis  auf  die  sekretorische  Tätigkeit 
der  Tubuli  findet  man  in  Beobachtungen  über  die  Anhäufung  von 
Kömchen  in  denselben  nach  Verfütterung  von  Harnsäure  *) 
sowie  über  die  Bildung  farbloser  Blasen  bei  Zuckerdiurese  usw. 
Interessante  Analogien  für  dergleichen  Beobachtungen  bringt  die 
vergleichend-physiologische  Untersuchung,  so  z.  B.  die  Kon- 
krementbildung  in  den  Bojanusschen  Organen  von  Mollusken, 
ferner  die  Harnbildung  in  den  Nieren  der  Crustaceen;  man  be- 
merkt in  der  Harnflüssigkeit  der  letzteren  runde  Bläschen,  und  die 
histologische  Beobachtung  des  sezernierenden  Epithels  ergibt 
alle  Übergänge  zwischen  Zellen,  deren  innere  Membran  durch 
ein  Bläschen  eben  vorgewölbt  wird,  und  solchen,  wo  die  ab- 
geschnürte Blase  nur  mehr  durch  einen  dünnen  Stiel  mit  dem 
Zellprotoplasma  in  Verbindung  steht 3). 
Ausscheidung  Sehr  zahlreich  sind  die  Versuche,  die  Nierenfunktion  durch 
das  Studium  der  Ausscheidung  injizierter  Farbstoffe  auf- 
zuklären. Dieselben  weisen  auf  Heidenhains  berühmten  Versuch 
zurück,  der  in  die  Blutbahn  von  Tieren  injiziertes  indigschwefel- 
saures  Natron  in  den  Epithelien  der  Tubuli  contorti,  im  Lumen 
der  letzteren  sowie  in  weiter  stromabwärts  gelegenen  Abschnitten 
widerfand,  während  die  Glomeruli  meist  imgefärbt  geblieben 
waren.  Andere  Untersuchungen*)  (wie  diejenigen  von  Grützner, 
Schmidt,  Dreser,  Gurwitsch,  Ribbert,  Basler,  Höber  u.  a.)  scheinen 
mir  im  allgemeinen,  soweit  ich  dieselben  zu  übersehen  vermag, 
für  eine  sekretorische  Funktion  der  TubuU  zu  sprechen,  wenn- 
gleich sie  auch  andere  Deutungen  nicht  ausschUeßen.     So  hat, 

i)  F.  Bottazzi  und  Onorato,  Galeotti,  de  Bonis  (Labor,  von 
Galeotti,  Neapel),  Arch.  f.  [An.  u.]  Physiol.   1906,  271. 

2)  Ebstein  und  Nicolaier,  Minkowski  u.  a. 

3 )  Literatur  über  die  Nierensekretion  niederer  Tiere :  O.  v.  F  ü  r  t  h ,  Ergebn. 
d.  Physiol.  1,  395  (1902)  und  Vergl.  ehem.  Physiol.  258 — 303,   Jena  1903. 

4)  Literatur  über  Farbstof fausscheidung  in  den  Nieren:  Noll,  1.  c. 
R.  Magnus,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  519 — 521  (1910).  R.  Höber, 
Physik.  Chemie,  2.  Aufl.  1906,  S.  351  ff.  und  Koranyi-Richters  Handb.  1, 
405 — 412  (1907).  Vgl.  auch  Höber  und  Königsberg,  Pflügers  Arch. 
108,  s^3  (1905)'  Höber  und  Chassin,  Zeitschr.  f.  Kolloidchem.  3,  76 
(1908).    Höberund  Kempncr  u.  a. 


Die  Niere.  385 


um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  v.  Sobieranski  der  Meinung 
Ausdruck  gegeben,  daß  der  Farbstoff,  welcher  in  den  Epithelien 
auftritt,  zunächst  von  den  Glomerulis  aus  in  das  Lumen  der 
Harnkanälchen  und  von  da  aus  durch  Resorption  in  das 
Zelleninnere  gelangt  ist,  nicht  aber  auf  sekretorischem  Wege, 
vom  Blute  aus  die  Zellbasis  passierend,  eindringt.  Im  allgemeinen 
scheint  sich  allerdings  der  in  den  Tubulusepithelien  sichtbar  wer- 
dende Farbstoff  auf  dem  Wege  der  Ausscheidung,  nicht  aber  auf 
demjenigen  der  Resorption  zu  befinden.  Man  hat  sich  nun  weiter- 
hin die  Frage  vorgelegt,  von  welchen  Faktoren  die  Aufnahme 
eines  Farbstoffes  in  die  sezernierenden  Nierenepithelien  ab- 
hängig sei.  Da  hat  sich  aus  den  Arbeiten  Höbers  und  seiner  Mit- 
arbeiter die  Tatsache  ergeben,  daß  es  nicht  die  Lipoidlöslich- 
keit  ist,  welche  hier  die  maßgebende  Rolle  spielt;  lipoidlösliche 
u»d  -unlösliche  Farbstoffe  können  sich  in  derselben  Vakuole  auf- 
gespeichert finden;  es  erfolgt  also  keine  »selektive  Lösung«. 
Es  hat  sich  vielmehr  gezeigt,  daß  der  Grad  des  Aufnahmsvermögens 
in  erster  Linie  vom  Lösungszustande  abhängt:  Jene  Farb- 
stoffe, welche  von  den  Nierenzellen  sehr  schwer  aufgenommen 
wurden,  erwiesen  sich  durchwegs  hinsichtlich  ihrer  Lösungs- 
verhältnisse als  hochkolloidal.  Die  Epithelien  können,  wie 
Gur witsch  gezeigt  hat,  einen  Farbstoff  zunächst  in  Vakuolen 
konzentrieren,  und  es  scheint,  daß  die  Vakuolen  entweder  ihren 
Inhalt  in  das  Lumen  des  Hamkanälchens  entleeren,  oder  aber 
daß  sie  etwa  als  Ganzes  ausgestoßen  werden ;  man  hat  auch  daran 
gedacht,  daß  der  Kolloidgehalt  des  normalen  Harnes  mit 
den  »Schatten«  derartiger  ausgestoßener  Vakuolen  zusammen- 
hängen könnte. 

Eine    sekretorische   Funktion    der  Tubuli   kann   nicht    Rückresorp- 
böstritten  werden.     Manche  Autoren  sind  nun  der  Ansicht,  daß  g^^  j^  ^^^  ^^^ 
die  Annahme  einer  solchen  neben  den  Filtrationsvorgängen  näichen      der 

•         t  /^ «  1  •  1—»  11  ••  11        1       1       ixj_         T^   j_    ivi3rKSu0Si3nz. 

in  den  Glomerulis  zur  Erklärung  aller  beobachteten  lat- 
sachen  genügt.  Neben  dieser  Anschauung,  die  von  manchen 
Kennern  dieses  Gebietes  wie  Magnus,  Barcroft,  Höber,  Asher  u.  a.  ^) 


i)  Vgl.  R.  Magnus,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  509,  534  (1910)- 
J.  Barcroft  and  H.  Straub,  Journ.  of  Physiol.  41,  145  (1910).  J.  Bock 
(Kopenhagen),  Arch.  f.  exper.   Pathol.  57,   183  (1907);  58,  227  (1908). 

V,  Fürth,  Probleme.  25 


386  XVII.  Vorlesung. 


vertreten  wird,  macht  sich  jedoch  auch  die  eingangs  erwähnte 
Auffassung  geltend,  daß  neben  den  Vorgängen  der  Filtration 
und  Sekretion  im  Bereiche  der  Glomeruli  imd  Tubuli  eine 
weitere  Eindickung  des  Harnes  durch  Wasserresorption 
in  den  Kanälchen  des  Nierenmarkes  erfolgt.  Gestatten 
Sie  mir,  Ihnen  die  wichtigsten  Tatsachen,  die  mir  zugunsten 
dieser  Annahme  zu  sprechen  scheinen,  in  aller  Kürze  vorzuführen. 

Zu  einer  solchen  Annahme  hat  zuerst  die  vergleichend-anato- 
mische Beobachtung  geführt,  derzufolge  bei  im  Wasser  leben- 
den Wirbeltieren,  die  also  nicht  auf  Wassersparung  an- 
gewiesen sind,  das  Kanalsystem  des  Nierenmarkes  weit  weniger 
ausgebildet  ist  als  bei  Landtieren  i). 

Im  gleichen  Sinne  ist  die  Beobachtxmg  gedeutet  worden, 
daß  von  den  Nieren  ausgeschiedene  Farbstoffe,  Hamsäure- 
konkremente  u.  dgl.  sich  erst  im  Marke  dichter  ballen, 
daß  sich  femer  bei  Albuminurie  das  Eiweiß  erst  daselbst  zu  kom- 
pakten Zylindern  verdichtet.  Die  Annahme  resorptiver  Vor- 
gänge im  Bereiche  des  Nierenmarkes  ist  femer  aus  histologischen 
Beobachtungen  nach  Injektion  von  Farbstoffen,  Ferro- 
cyankalium  und  dergleichen  in  das  Nierenbecken  be- 
ziehungsweise in  das  Markparenchym  erschlossen  worden 2); 
femer  auch  aus  dem  Umstände,  daß  man  in  den  einen  Ureter  eines 
Tieres  eingebrachtes  Indigokarmin  nach  einigen  Minuten  in  der 
anderen  Niere  vorgefunden  hat  usw. 

Es  wäre  sehr  verlockend,  die  auffällige  Steigerung  der  Harn- 
menge und  Verminderung  der  Hamkonzentration  nach  operativer 
oder  traumatischer  Läsion  des  Nierenmarkes  im  gleichen 
Sinne  zu  verwerten,  wenn  es  sich  nicht  ergeben  hätte,  daß,  die 
verschiedensten  Eingriffe,  z.  B.  das  Abtragen  eines  Nierenpoles, 
das  Abziehen  der  Nierenkapsel,  einen  ähnlichen  Effekt  herbei- 
zuführen vermögen  3). 


i)  G.  Hüfncr,  Zur  vergleichenden  Anatomie  und  Physiologie  der 
Hamkanälchcn.    Leipzig  i866. 

2)  H.  Ribbert,  Virchows  Arch.  93,   169  (1883). 

3)  H.  Ribbert,  1.  c.  H.  H.  Meyer,  Sitzungsber.  d.  naturwiss.  Ges. 
zu  Marburg,  Juli  1902.  K.  Bujniewiz,  Le  Physiologiste  russe  2,  196, 
zit.  n.  Ergebn.  d.  Physiol.  1,  427.  vgl.  auch  Bradford,  Journ.  of  Physiol. 
23^  415   (1898).     Ruschhaupt,  Pflügers  Arch.  91,  619  {1902). 


Die  Niere.  387 


Eher  könnten  Beobachtungen  über  toxische  Läsion  der 
Nierenepithelien  herangezogen  werden.  So  hat  z.  B.  De  Bo- 
nis^),  als  es  ihm  gelang,  durch  Injektion  einer  Fluornätriumlösung 
vom  Ureter  aus  die  Tubulusepithelien  größtenteils  zu  zerstören, 
ohne  die  Glomeruli  zu  schädigen,  ein  Absinken  der  Harnkon- 
zentration bemerkt. 

Beobachtungen  über  die  Harnabsonderung  bei  Abfluß- 
erschwerung  ergaben  widersprechende  Resultate,  sind  daher 
hier  auch  nicht  ohne  weiteres  verwertbar*). 

Beweisender  scheinen  mir  Versuche  zu  sein,  die  Hirokawa^)  osmotischer 
seinerzeit  auf  meine  Veranlassung  ausgeführt  hat.  Derselbe  ver-  ^"^renparen^" 
glich  den  osmotischen  Druck  der  Nierenrinde  und  der  chyms. 
Marksubstanz  nach  einem  von  Filehne  und  Biber feld  her- 
rührenden Verfahren,  indem  er  aus  dem  Nierenparenchym  heraus- 
geschnittene, genau  gewogene  Würfelchen  serienweise  in  Salz- 
lösungen von  wechselnder  Konzentration  einbrachte  und  nun 
durch  Wägung  beobachtete,  ob  sie  nach  einiger  Zeit  Wasser  auf- 
genommen oder  abgegeben  hatten.  Es  ergab  sich  nun  so  die 
Tatsache,  daß  der  osmotische  Druck  der  Nierenrinde  ein  sehr 
konstanter  ist;  derselbe  wurde  bei  den  untersuchten  Säugetieren 
»innerhalb  der  Grenzen  des  osmotischen  Druckes  einer  ein-  bis 
zweiprozentigen  Kochsalzlösung  gefunden,  und  zwar  unabhängig 
von  der  Konzentration  des  gleichzeitig  ausgeschiedenen  Harnes, 
derart,  daß  er  selbst  dann  keinen  höheren  Wert  erreicht,  wenn 
sich  der  osmotische  Druck  des  letzteren  zu  einem  sehr  hohen 
Niveau  erhebt.  Dagegen  ist  der  osmotische  Druck  des 
Nierenmarkes  außerordentlich  veränderlich;  er  ist  fast  aus- 
nahmslos größer  als  derjenige  der  Nierenrinde,  und  zwar  in  um  so 
höherem  Maße,  ein  je  konzentrierterer  Harn  ausgeschieden  wird. 
Erzielt  man  durch  Wasserinfusion  die  Ausscheidung  eines  stark 
verdünnten  Harnes,  so  gelingt  es,  den  osmotischen  Druck  des 
Nierenmarkes  bis  zu  demjenigen  der  Nierenrinde  herunter- 
zudrücken.    Ich  glaube,  Sie  werden  mir  darin  Recht  geben,  daß 


i)  De  Bonis,  Arch.   f.  (An.   n)    Physiol.  1906,   271. 

2)  Vgl.    die    Beobachtungen    von    Steyrer,    Pfaundler,    Cushny, 
Allard,  Gogitidse  u.  a. 

3)  W.  Hirokawa,  Hofmeisters  Beitr.   11,  458  (1908).     (Ausgeführt 
unter  Leitung  von  O.  v.  Fürth  im  Physiol.  Inst.  Wien.) 

25* 


388  XVII.  Vorlesung. 


sich  dieses  Verhalten  in  ungezwungener  Weise  durch  die  Annahme 
einer  im  Nierenmarke  erfolgenden  Rückresorption  von  Wasser 
erklären  läßt.  Man  hätte  sich  also  vorzustellen,  daß,  solange  der 
Harn  innerhalb  der  gewundenen  Harnkanälchen  verweilt,  seine 
molekulare  Konzentration  niedrig  bleibt  und  daß  dieselbe  erst 
beim  Passieren  des  Röhrensystems  des  Nierenmarkes  bis  zu  einem 
Vielfachen  des  osmotischen  Blutwertes  ansteigen  kann.  Wenn 
man  nun  nicht  ( —  und  dazu  liegt  wahrhaftig  gar  kein  Grund 
vor  — )  die  Hauptleistung  hinsichtlich  der  sekretorischen  Über- 
führung des  Harnstoffes  und  der  anorganischen  Hambestandteile 
aus  dem  Blute  in  den  Harn  den  Henleschen  Schleifen  und  den 
Sammelröhren  der  Marksubstanz  zuerkennen  will,  liegt  es 
wohl  am  nächsten,  an  eine  Rückresorption  von  Wasser  in 
der  letzteren  zu  denken.  Ich  gebe  aber  ohne  weiteres  zu, 
daß  auch  diese  Befunde  nicht  eindeutig  sind.  So  bin  ich 
von  befreundeter  Seite  i)  darauf  aufmerksam  gemacht  worden, 
daß  die  Marksubstanz  infolge  der  größeren  Lichtung  ihres  Kanal- 
S5^tems  größere  Mengen  fertigen  Harnes  zu  bergen  vermag, 
was  bei  Bestimmung  des  osmotischen  Parenchymdruckes  auch 
mit  ins  Gewicht  fallen  kann. 
Rückresorp-  Die  wichtigsten  Beweisgründe  für  die  Existenz  einer  selektiven 

staHoiden  In  d  Resorption  im  Bereiche  des  Nierenmarkes  sind  meines 
Harnröhrchen.  Erachtens  durch  neuere  Untersuchungen  aus  dem  Laboratorium 

Hans  H.  Meyers^)  erbracht  worden.  Es  hat  sich  durch  Versuche 
Grünwalds  über  die  Chlorausscheidung  an  chlorarmgefütterten 
Kaninchen  als  sehr  wahrscheinlich  ergeben,  daß  die  Ausscheidungs- 
stelle des  Kochsalzes  der  Glomerulus  ist.  Während  der  prozen- 
tuelle Kochsalzgehalt  der  Nierenrinde  nur  sehr  geringen  Schwan- 
kungen unterworfen  ist,  unterliegt  derjenige  des  Nierenmarkes 
je  nach  dem  Kochsalzreichtum  des  Tieres  großen  Veränderungen 
die  am  einfachsten  durch  Vorgänge  der  Rückresorption  erklärt 
werden  können.  Unter  der  Wirkung  einer  Diuretinvergiftung 
scheint  sich  eine  Lähmung  dieser  Rückresorption  zu  voU- 


i)  Briefliche  Mitteilung  von   Prof.    Julius   Pohl. 

2)  H.  Fr.  Grünwald  (Pharmakol.  Inst.  Wien),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  60,  360  (1909).  M.  Nishi,  ibid.  62,  329  (1910),  vgl.  auch  E.  Freu- 
denberg, Inaug.-Dissert.  München  1910,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol. 
11,  838  (1911). 


Die  Niere.  389 


ziehen.  Auch  kann  man  bei  chlorarm  gefütterten  Tieren  durch 
dieses  Gift  immer  wieder  Kochsalzausscheidung  erzeugen,  bis 
die  Tiere  schließlich  an  Chlormangel  zugrimde  gehen. 

Noch  lehrreicher  sind  analoge  Versuche  von  Nishi  über  die 
Zuckerausscheidung.  Es  hat  sich  ergeben,  daß  die  Nieren- 
rinde normalerweise  zuckerhaltig  ist.  Der  Zucker  wird  auf 
dem  Wege  durch  die  Hamkanälchen  rückresorbiert,  derart 
daß  der  Harn  im  Bereiche  des  Markes  zuckerfrei  wird.  Ist  da- 
gegen das  Glomerulusfiltrat  infolge  Hyperglykämie  abnorm 
zuckerreich  oder  ist  die  Rückresorption  des  Zuckers  unzureichend 
oder  findet  endlich  (und  dies  scheint  bei  der  Phloridzinvergiftung 
der  Fall  zu  sein)  eine  Zuckerausscheidung  in  den  Harnkanälchen 
statt,  so  kommt  es  zu  einer  Glukosurie. 

Hans  H.Meyer^)  hält  daher  (und,  wie  ich  glaube,  mit  vollem 
Rechte)  die  durch  frühere  Untersuchungen  wahrscheinlich  ge- 
wordene Tatsache,  daß  die  Tubuli  diffusible  Kristalloide 
zu  resorbieren  vermögen,  durch  die  vorliegenden  Untersuchungen 
für  sicher  bewiesen.  Für  die  Rückresorption  von  Wasser 
hat  auch  Ernst  Frey^)  kürzlich  zahlreiche  Beobachtungen  bei- 
gebracht. 

Ich  komme  nunmehr  zu  der  Frage,  wie  man  sich  die  Wirkungs-  Diuretica. 
weise  der  Diuretica  zu  denken  habe.  Ein  genaueres  Eingehen 
auf  die  außerordentlich  umfangreiche  Literatur^)  dieses  Grenz- 
gebietes erscheint  hier  nicht  möglich  und,  da  dieselbe  in  allen 
Lehrbüchern  der  Pharmakologie  eingehend  behandelt  wird,  wäre 
ein  solches  auch  überflüssig.  Ich  möchte  Ihnen  nur  an  zwei 
Beispielen  (der  Salzdiurese  und  der  Koffeindiurese)  zeigen,  daß 
sich  die  im  vorstehenden  entwickelten  Anschauungen  sehr  gut 
mit  den  Erfahrungen  über  die  verschiedenen  Arten  von  Diurese  I 

in  Einklang  bringen  lassen.  Ich  glaube,  ich  kann  dabei  wirklich 
nichts  Besseres  tun,  als  mich  einfach  der  Führung  eines  der  hervor- 


i)  Hans  H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  Experimentelle  Pharmako- 
logie, S.  296  ff.    19 IG. 

2)  E.  Frey  (Jena),  Mitteil,  am  VIII.  internat.  Physiologenkongreß, 
Wien  19 IG  und  Pflügers  Arch.  189,  435,  465,  512,  532  (191 1). 

3)  Literatur  über  die  verschiedenen  Formen  von  Diuresen:  R.  Magnus, 
Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  493 — 513  (1910),  vgl.  auch  E.  Bürgi  (Bern), 
Verh.  d.  Kongr.  f.  innere  Med.  Wiesbaden  28,  306  (191 1). 


390  XVII.  Vorlesung. 


ragendsten  Kenner  dieses  Gebietes,  Hans  H.  Meyers^),  zu  über- 
lassen. 

Saizdiurese.  Das  Wesen  der  Salzdiurese  wird  von  demselben  in  folgender 

Weise  charakterisiert.  »Ein  Mittel  zur  Erzeugung  von  Hydrämie 
bietet  die  Erhöhung  des  osmotischen  Druckes  im  Blut 
durch  Stoffe,  die  gar  nicht  oder  nur  langsam  die  Gewebsmembranen 
durchdringen,  aus  den  Geweben  daher  Wasser  in  Lymphe  und 
Blut  hineinziehen.  Selbstverständliche  Bedingung  aber  ist,  daß 
diese  Stoffe  die  Glomerulusmembran  leicht  passieren,  der  Filtration 
daselbst  also  keinen  osmotischen  Widerstand  entgegensetzen; 
gelangen  sie  dann  mit  dem  Blutwasser  in  die  Tubuli,  so  werden  sie 
hier,  wenn  man  eine  ph3^iologische  Rückresorption  von  Wasser 
annimmt,  die  Resorption  osmotisch  behindern,  gewissermaßen 
Tubulusdiarrhöe  bewirken  und  so  die  Harnmenge  vermehren. 
Die  diuretischc  Salzwirkung  wäre  darnach  doppelter  Art, 
erstlich  Hydrämie  und  zweitens  Diarrhöe  in  den*Tubulis. 
Vielleicht,  ja  wahrscheinlich  kommt  auch  noch  ein  drittes  Moment 
in  Betracht,  eine  Entquellung  des  Blutplasmas  durch  Salze; 
sie  entziehen  den  Blutkolloiden  Wasser  und  machen  es  leichter 
filtrierbar,  indem  sie  es  von  dem  Quellungsdruck  befreien,  der  sich 
der  Filtration  entgegensetzt«. 

Koffeindiurese.  Was  die  Kof feindiurese  betrifft,  hat  v.  Schröder  dieselbe 
als  eine  Folge  der  Erregung  der  sezernierenden  Nieren- 
epithelien  angesehen.  Auf  Grund  neuerer  Erfahrungen,  unter 
denen  insbesondere  die  Experimente  Otto  Löwis^)  und  die  vor- 
erwähnten Versuche  Grünwalds  zu  nennen  sind,  ist  man  aber 
berechtigt,  die  Momente  einer  verstärkten  Nierendurch- 
blutung und  der  damit  verbundenen  vermehrten  Filtration  und 
anscheinend  auch  eine  gehemmte  Rückresorption  in  den 
Harnkanälchen  in  den  Vordergrund  zu  stellen.  Die  Bedeutung 
der  ersteren  ist,  außer  durch  zahlreiche  onkometrische  Messungen, 
insbesondere  durch  die  eleganten  Versuche  0.  Loewis  dargetan 
worden:   auch    wenn  eine  Volumsvermehrung  der  Niere  durch 


i)  H.  H.  Meyer  und  R.  Göttlich,  1.  c.  S.  298. 

2)  O.  Löwi  (gem.  mit  W.  M.  Flctscher  und  V.  E.  Henderson), 
Arch.  f.  exper.  Pathol.  53,  15  (1905),  vgl.  auch  E.  Frey,  Pflügers  Arch. 
1^5,  175  (1906). 


Die  Niere.  391 


Einschluß  in  eine  feste  Gipskapsel  verhindert  wurde,  schoß  das 
Blut  bei  der  Koffeinwirkung  hellarteriell  gefärbt  durch  die  er- 
weiterten Gefäße,  wie  denn  auch  Gottlieb  und  Magnus  bei  ihren 
Versuchen  gelegentlich  eine  Volumszunahme  der  Niere  trotz  ge- 
steigerter Nierenzirkulation  vermißt  hatten. 

In  einem  gewissen  Gegensatze  zu  diesen  Anschauungen  steht  Energieiei- 
die  Auffassung  Ashers^),  derzufolge  jede  Diurese,  weil  sie  mit  ^^""gnjli  ^^^ 
vermehrtem  Sauerstoffverbrauche  und  gesteigerter  Kohlensäure- 
abgabe einhergeht,  im  wesentlichen  auf  einer  »Energieleistung 
derNierenzellen«  beruhen  soll,  wobei  die  Wirkung  der  Diiu-etica 
auf  den  Kreislauf  angeblich  nur  von  sekundärer  Bedeutung  ist. 
Einen  Hinweis  auf  einen  Zusammenhang  zwischen  vermehrter 
Zelltätigkeit  und  sekretorischer  Leistung  erblickt  Asher  in  dem 
Umstände,  daß,  sobald  man  die  Nierenzellen  durch  Zufuhr 
von  Benzoesäure  und  GlykokoU  zu  vermehrter  Hippursäure- 
synthese  zwingt  (»Aktivitätsmethode«),  auch  gleichzeitig 
eine  vermehrte  Kochsalzausscheidung  bemerkbar  wird. 

Der  Vollständigkeit  halber  möchte  ich  noch  eine  neue,  von  Lindemanns 
W,  Lindemann  ^)  in  Kiew  aufgestellte  Theorie  der  Harnabsonderung  Theorie, 
kurz  erwähnen.  Dieser  Hypothese  zufolge  soll  die  Absonderung 
der  hamfähigen  Substanzen  damit  beginnen,  daß  sich  konzen- 
trierte Lösungen  der  letzteren  in  Vakuolen  der  Epithelzellen  der 
gewundenen  Kanälchen  ansammeln.  Solche  Vakuolen  werden  so- 
dann angeblich  durch  den  kutikularen  Bürstensaum  durchgepreßt. 
Die  auf  diese  Weise  in  das  Lumen  ergossene  Flüssigkeit  findet 
nun  in  der  Richtung  der  Nierenpapille  einen  größeren  Wider- 
stand als  in  der  Richtung  gegen  den  Glomerulus,  daher  sich  die 
Flüssigkeit  in  die  Glomeruluskapseln  zurückstaut. 
Dort  erfolgt  ein  Diffusionsaustausch  zwischen  Harn  und 
Blut.  Dadurch  wird  aber  die  Flüssigkeitsmenge  innerhalb  der 
Glomeruluskapseln  derart  vermehrt,  daß  der  Widerstand  der 
unterhalb  gelegenen  Abschnitte  überwunden  wird  und  der  Harn 
in  der  Richtung  gegen  den  Ureter  zu  abfließen  kann.     Auf  die 


i)  L.  Asher,  Therap.  Monatsh.  22,  643  (1908)  und  Zeitschr.  f.  Biol. 
46,  61  (1905).  Asher  und  Tropp,  ibid.  45,  143  (1904).  Asher  und 
Brück,  ibid.  47  (1906). 

2)  W.  Linde  mann,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  59,  196  (1908). 


392  XVII.  Vorlesung. 


Erörterungen,  durch  die  Lindemann  diese  Theorie  plausibel  machen 
zu  können  glaubt,  vermag  ich  hier  nicht  näher  einzugehen. 
Sekretionsar-         Es  ist  (insbesondere  von  Dreser,  Koeppe,  GaleoUi  und  v.  Rhorer) 
beit  der  Niere  ^,jg|  ^^he  und  Scharfsinn  auf  Versuche  verwandt  worden,  die 

Sekretionsarbeit  der  Niere  auf  rechnerischem  Wege  zu  er- 
mitteln. Analog  wie  man  leicht  die  Arbeit  berechnen  kann,  die 
erforderlich  ist,  um  ein  Gas  von  einem  bestimmten  Volumen  auf 
ein  anderes  kleineres  Volumen  zu  komprimieren,  könnte  man 
auch  z.  B.  die  Arbeit  berechnen,  welche  die  Niere  leistet,  wenn 
sie  eine  Harnstofflösung  von  jener  Konzentration,  wie  sie  sich 
im  Blute  findet,  auf  die  weit  größere  Hamstoffkonzentration  des 
Nierensekretes   »  komprimiert «. 

Geht  ein  Grammolekül  einer  gelösten  Substanz  von  der  niederen 
Konzentration  C2  auf  die  höhere  Konzentration  Cj  über,  so  kann, 
bei  isothermer  und  reversibler  Leitung  dieses  Prozesses,  derselbe 

Ci 

mit    einem    minimalen  Aufwände  von  Arbeit  A=RTln  zr-  ge- 

leistet  werden  (wo  R  die  Gaskonstante,  T  die  absolute  Tempe- 
ratiu"  bedeutet). 

Höber^)  hält  aber  alle  derartigen  Berechnungen  für  ziemlich 
wert-  und  zwecklos ;  die  Sekretionsarbeit  der  Niere  könnte  nämlich 
nur  dann  annähernd  richtig  berechnet  werden,  wenn  die  Partial- 
konzentrationen  sämtlicher  Blut-  und  Harnbestand- 
teile bestimmbar  wären  und  wenn  man  andererseits  annehmen 
könnte,  daß  die  Nierenarbeit  ein  reversibler  Prozeß  ist.  Weder 
die  eine,  noch  die  andere  Voraussetzung  trifft  jedoch  in  Wirklich- 
keit zu. 
Prüfungsme-  Mit  wenigen  Worten  sei  hier  der  neueren  Prüfungsmetho- 
den der  Nierenfunktion  gedacht.  Hierher  gehören  neben  der 
Bestimmung  der  Wasser-,  Stickstoff-  und  Kochsalzausscheidung 
die  Versuche  über  die  Schnelligkeit,  mit  der  die  Niere  den  Organis- 
mus von  eingeführten  körperfremden  Substanzen,  wie  Jod- 
kalium,  Salizylsäure,  Methylenblau,  Indigokarmin,  usw. 
befreit;  ferner  die  Beobachtungen  über  den  zeitlichen  Verlauf 
und    die    Intensität    der   Zuckerausscheidung    nach    subkutaner 


thoden  d.  Nie 
renfunktion 


i)  R.  Höber,  Physikal.  Chemie  der  Zelle  und  der  Gewebe,   2.  Aufl. 
1906,  S.  484  und  Koränyi- Richters  Handb.  1,  415  (1907). 


Die  Niere.  393 


Applikation  von  Phloridzin.  Vor  allem  gehört  aber  die  außer- 
ordentlich umfangreiche  Literatur^)  über  die  physikalisch- 
chemische Untersuchung  des  Harnes  hierher,  insbesondere 

in  Bezug  auf  molekulare  Konzentration,  elektrische  Leit- 

A 

fähigkeit,   die  Relation  .^  ^,,  die  Titrations-  und  lonen- 

NaCl 

azidität  usw.  Man  hat  insbesondere  auf  die  Ausbildung  der 
physikalisch-chemischen  Methodik  große  Hoffnungen  hinsichtlich 
der  praktischen  Diagnostik  der  Nierenkrankheiten  gesetzt,  welche 
nur  zum  allergeringsten  Teile  in  Erfüllung  gegangen  sind.  Ich 
vermag  zum  mindesten  nicht  recht  einzusehen,  inwiefern  man  durch 
die  Anwendung  komphzierter  physikalisch-chemischer  Methoden 
in  praktisch -diagnostischer  Hinsicht  weiter  kommt  als  etwa 
durch  Bestimmung  des  spezifischen  Gewichtes,  des  Gesamtstick- 
stoffes und  des  Kochsalzes.  Es  sollte  mich  herzlich  freuen,  falls 
die  weitere  Entwicklung  der  Wissenschaft  mich  eines  Besseren 
belehren  und  ich  mit  dieser  skeptischen  Auffassung  unrecht  be- 
halten sollte. 

Man  hatte  gehofft,  durch  Versuche  an  der  überlebenden  überlebende 
Niere  bequeme  Bedingungen  für  das  Studium  der  Physiologie 
der  Harnsekretion  zu  schaffen.  /.  Munk  und  Senator y  Jacobj, 
Pfaff,  Sollmann  und  Hatscher  and  andere  Autoren  haben  viel 
Mühe  auf  die  Ausbildung  der  Methodik  derartiger  Versuche  ver- 
wandt. Es  hat  sich  so  herausgestellt,  daß  schon  die  Defibri- 
nierung  des  Blutes  den  Sekretionsvorgang  schädigt  und  daß  es 
daher  besser  ist,  mit  Blut  zu  arbeiten,  dessen  Gerinnung  durch 
Blutegelextrakt  gehindert  wird;  daß  ferner  ein  Zusatz  von  Harn- 
stoff zum  Blute  günstig  wirkt;  daß  Veränderungen  des  Blut- 
druckes den  Sekretionsvorgang  stark  beeinflussen,  daß  dieser 
durch  einen  intermittierenden  Druck  begünstigt  wird  usw.  Alles 
in  allem  gewinnt  man  den  Eindruck,  daß  sich  die  überlebende 
Niere    nicht    sonderlich    für    das    Studium    der    physiologischen 

i)  Literatur  über  Prüfungsmethoden  der  Nierenfunktion:  C.  v.  Noor- 
den,  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.  2.  Aufl.  1,  969  ff.  (1906).  P.  H.  Rich- 
ter, Deutsche  Klinik  4,  97  (1907).  J.  Biberfeld,  Med.-naturwiss.  Arch. 
2,  503  (1910).  Koränyi,  Koränyi  u.  Richters  Handb.  2,  133 — 222. 
G.  Kapsammer,  Nierendiagnostik  und  Nierenchirurgie,  I,  S.  8 — 109. 
Wien  und  Leipzig  1907. 


Nieren. 


I 


I 


394 


XVII.  Vorlesung. 


Zweiseitige 
Harngewin- 
nung. 


Nierentrans- 
plantation. 


Leistungen  dieses  Organes  eignet.  Von  dem  sekretorischen  Ver- 
mögen der  Nierenepithelien  bleibt  dabei  anscheinend  nicht  \'iel 
übrig,  und  wenn  dem  Ureter  auch  schließlich  Flüssigkeit  ent- 
strömt, ist  das,  was  man  zu  sehen  bekommt,  schwerlich  viel  mehr 
als  ein  Filtrationsvorgang,  nicht  aber  etwa  normale  Hambildung. 

Als  einen  nicht  unwichtigen  Fortschritt  in  der  Methodik  der 
Nierenforschung  möchte  ich  die  im  Laboratorium  Lindemanns 
in  Kiew  erfolgte  Ausarbeitung  eines  Verfahrens  zweiseitiger 
Harngewinnung  bei  Dauerversuchen  bezeichnen.  Zu  die- 
sem Zwecke  wird  die  Blase  durch  einen  Längsschnitt  vollständig 
in  zwei  Teile  getrennt,  derart  daß  auch  der  Anfangsteil  der 
Urethra  mitgespalten  wird.  Jede  Blasenhälfte  wird  dann  für  sich 
vernäht,  so  daß  man  schließlich  eine  doppelte  Harnblase  erhält 
und  in  der  Lage  ist,  mittelst  Katheters  den  Harn  jeder  Niere  ge- 
sondert zu  gewinnen^). 

Einer  der  schönsten  neueren  Erfolge  physiologischer  Technik 
ist  das  Gelingen  der  Nierentransplantation.  Zwei  ameri- 
kanische Experimentatoren,  Carrel  und  Guthrie,  haben  unter 
Anwendung  einer  neuen  Technik  der  Gefäßnaht  das  unglaubliche 
Kunststück  zuwege  gebracht,  Nieren  mit  ihren  Gefäßen,  Nerven 
und  entsprechenden  Stücken  der  Aorta  und  Vena  cava  von  einem 
Hunde  auf  einen  anderen  zu  transplantieren  und  vollständig 
funktionsfähig  zu  erhalten.  Sie  sahen  einen  Hund,  dem  sie  beide 
Nieren  herausgeschnitten  und  dafür  eine  Niere  eines  anderen 
Tieres  eingepflanzt  hatten,  acht  Monate  lang  leben.  Die  Trans- 
plantation gelang  sogar  noch,  nachdem  die  Zirkulation  in  den 
zu  übertragenden  Organen  für  dreiviertel  Stunden  unterbrochen 
worden  war  2).  Wenn  man,  nebenbei  bemerkt,  hört,  daß  es  den 
Meistern  aus  dem  Lande  der  »unbegrenzten  Möglichkeiten« 
gelungen  ist,  einem  Hunde  ein  amputiertes  Bein  durch  das 
Bein  eines  anderen  Hundes  zu  ersetzen  und  zu  normaler 
Anheilung  zu  bringen,  fängt  man  an,  auch  obigen  Erfolg  zu  be- 
greifen, und  wenn  es  heute  .schon  Leute  gibt,  die  eine  Zeit  er- 


i)  C.  Tscherniachowski,  Zeitschr.  f.   Biol.   52,   355   (1909). 

2)  C.  G.  Guthrie,  Joum.  of  the  Amer.  med.  Assoc.  51,  1658;  54,  349, 
831  (1910).  A.  Carrel,  ibid.  51,  1662  (1908)  und  Journ.  of  experim. 
Med.  12,   146  (1910). 


Die  Niere.  395 


hoffen,  wo  man  Menschen  mit  unbrauchbar  gewordenen  Nieren 
einfach  dadurch  gesund  machen  wird,  daß  man  ihnen  eben  neue 
Nieren  einsetzt,  darf  man  dies  zwar  als  weitgehenden  Optimismus, 
aber  kaum  mehr  als  völlige  Narrheit  bezeichnen.  Jedenfalls 
beschäftigt  man  sich  auch  diesseits  des  Ozeans  bereits  an  vielen 
Orten  damit,  die  Technik  der  Nierentransplantation  zu  erlernen^). 

Von  den  zahlreichen  Problemen  der  Nierenphysiologie  hat  für  Albuminurie, 
den  Arzt  keines  ein  so  unmittelbares  Interesse  wie  die  Frage, 
unter  welchen  Bedingungen  die  Niere  für  Eiweiß  durchlässig 
wird.  Ich  möchte  hier  aus  der  ungeheueren  Literatur  dieses 
Gegenstandes  nur  einige  wenige  Punkte  als  Probleme  heraus- 
heben, die  mir  für  den  Biochemiker  gegenwärtig  am  interessan- 
testen erscheinen*). 

Nicht  jedes  Eiweiß  wird  von  der  Niere  zurückgehalten.  Es 
ist  seit  langem  bekannt,  daß  im  Blute  zirkulierendes  artfremdes 
Eiweiß,  z.  B.  Hühnereiweiß,  von  der  Niere  eliminiert  wird.  Auch 
hängt  die  Durchlässigkeit  der  Niere  in  bezug  auf  Eiweiß  nicht 
etwa  einfach  von  den  Diffusionsverhältnissen  ab;  denn  wir 
kennen  Fälle,  wo  das  sehr  schwer  diffusible  »Euglobulin«  die 
Niere  leichter  passiert  als  das  leichter  diffusible  Albumin.  Eine 
einfache  Beziehung  zwischen  den  Eiweißquotienten  (d.  h.  dem 

Albumin 

Verhältnis  >,—    ,.   )  des  Blutes  und  des  Harnes  besteht  nicht 
Globuhn 

(vgl.  auch  S.  244). 

Hinsichtlich  der  Frage  der  physiologischen  Albuminurie 
teilen,  soviel  ich  sehe,  gegenwärtig  die  meisten  Autoren  den  Stand- 
punkt MörnerSy  der  die  Anwesenheit  kleiner,  aus  dem  Blute 
stammender  Eiweißmengen  für  erwiesen  hält.  Wird  der  Harn 
mit  Essigsäure  versetzt,  so  wird  dieses  Eiweiß  durch  gleichzeitig 
im  Harn  vorhandene  kleine  Mengen  von  Chondroitinschwefel- 
säure  oder  Nukleinsäure  (von  zerfallenden  Zellkernen  der 
Hamwege  herrührend)  gefällt,  und  diese  Fällung  kann  die  An- 
wesenheit einer  Mukoidsubstanz  vortäuschen. 


i)  Vgl.  Garre,  Deutsche  med.  Wochenschr.   35,    1735   (1909). 

2)  Literatur  über  Albuminurie:  L.  Krehl,  Pathol.  Physiol.  522 — 534. 
5.  Aufl.  1907.  C.  V.  Noorden,  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  1, 
1008  ff  (1906).    A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  653 — 660  {1910). 


396  XVII.  Vorlesung. 


Albuminurie. 


Daß  Zirkulationsstörungen  der  verschiedensten  Art  zu 
Albuminurie  führen  können,  ist  allgemein  bekannt.  Solche  mögen 
(vielleicht  neben  im  Blute  zirkulierenden  Ermüdungsstoffen)  bei 
den  nach  übermäßigen  Körperanstrengungen  beobachteten 
Albuminurien  mitspielen.  So  hat  sich  bei  zwölf  Teilnehmern 
eines  über  100  Kilometer  umfassenden  Dauermarsches  Eiweiß 
neben  Nierenepithelien  und  Zylindern  der  verschiedensten  Arten 
im  Harne  gefunden  i). 
Orthotische  Großes  Interesse  ist  im  Laufe  der  letzten  Jahre  der  seltsamen, 

mit  der  aufrechten  Körperhaltung  zusammenhängenden  ort  ho- 
tischen Albuminurie  entgegengebracht  worden.  Für  zahl- 
reiche Fälle  dieser  Affektion  ist  durch  Jehle  der  Zusammenhang 
mit  einer  durch  die  Krümmungsveränderung  der  Wirbelsäule  ver- 
ursachten Zirkulationsstörung  im  Bereiche  der  Vena  cava  inferior 
sichergestellt  worden  *).  Es  ist  jedoch  anscheinend  nicht  angängig . 
alle  Albuminurien  dieser  Art  rein  mechanisch  zu  erklären,  da  man 
auch  in  Fällen  hochgradiger  Lordose  jede  Andeutung  davon  ver- 
mißt hat^).  Manche  Scharlachrekonvaleszenten,  deren  Harn 
eiweißfrei  ist,  reagieren  auf  eine  entsprechende  Veränderung  der 
Körperhaltung  mit  Eiweißausscheidung*).  Viele  Fälle  ortho- 
tischer  Albuminurie  sind  durchaus  gutartiger  Natur;  auch  puer- 
perale Formen  der  Affektion  gehören  hierher.  In  manchen  Fällen 
allerdings  ist  dieselbe  der  Vorläufer  einer  Nephritis.  Zuweilen 
kann  die  Albuminurie  auch  durch  eine  lokale  Zirkulationsstörung 
im  Bereiche  einer  Niere  bedingt  sein  und  es  ist  auch  schon  ge- 
lungen, die  Diagnose  einer  solchen  durch  getrenntes  Auffangen 
der  Sekrete  beider  Nieren  mittels  Ureterenkatheters  zu  stellen*). 

Zu  einer  ebenso  sonderbaren  wie  lehrreichen  Täuschung  hat 


i)  Baldes,  Heichelheim  und  Metzger,  Münchener  med.  Wochen- 
schr.  53,   1865  (1906). 

2)  L.  Jehle,  Münchener  med.  Wochenschr.  55,  12  (1908).  Die  lordo- 
tische  Albuminurie,  F.  Deuticke  1909.  R.  Fischl,  Zeitschr.  f.  exper. 
Pathol.  7,  379  (1910);  9,  317  (191 1),  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.  9,  641 
(191 1),  vgl.  auch  A.  Lob  (med.  Klinik  Straßburg),  Deutsch.  Arch.  f.  klin. 
Med.  88,  452  (1905). 

3)  L.  Langstein,  Habilitationsschr.  Berlin  1907  (Leipzig,  G.  Thieme) 
und  Med.-naturwiss.  Rundschau   1909,  Nr.  2. 

4)  Nothmann,  Bruck,Verh. d.Ges.  f.  Kinderheilk.  25, 152, 155  (1908). 

5)  K.  V.  Stejskal,  Wiener  klin.  Wochenschr.  21,  493  (1908). 


Die  Niere. 


397 


die  orthotische  Albuminurie  beim  Studium  der  Erkältungs-  Erkäitungs- 
nephritis  geführt.  Daß  Erkältungsschädlichkeiten  in  der  Ätio-  "^^  "  *^' 
logie  der  Nephritis  eine  Rolle  spielen,  läßt  sich  bei  aller  Skepsis 
nicht  wohl  bestreiten.  Da  sind  nun  aber  einmal  Versuche,  die 
von  Lindemann  in  Kiew  über  »Exonephropexie«  ausgeführt 
worden  sind,  recht  instruktiv.  Hunde,  denen  die  Nieren  direkt 
unter  die  Haut  verlagert  worden  waren,  um  sie  weiteren  Ein- 
griffen leicht  zugänglich  zu  machen,  vertrugen  andauernd  die 
russische  Winterkälte,  ohne  irgendwelche  Nierenschädigungen 
zu  erleiden^).  Es  war  nun  wirklich  schwer  verständlich,  wieso 
es  gelingen  soll,  bei  Hunden  durch  kurzdauernde  Abkühlung  der 
unteren  Extremitäten  eine  experimentelle  Nephritis  hervor- 
zurufen 2).  Bei  Nachprüfung  derartiger  Angaben  zeigte  es  sich 
nun  zunächst  in  der  Tat,  daß,  wenn  die  Hunde  eine  Viertelstunde 
lang  einem  sehr  kalten  Bade  ihrer  Hinterbeine  ausgesetzt  worden 
waren,  es  bei  ihnen  zu  einer  Eiweißausscheidung  kam.  Dann 
aber  stellte  es  sich  weiter  heraus,  daß  die  abgekühlten  Hunde  aus- 
nahmslos gesund  blieben,  wenn  sie  im  Bade  nicht  in  aufrechter 
Stellung  auf  den  Hinterbeinen,  vielmehr  auf  allen  Vieren  standen 
und  daß  die  vermeintliche  »Erkältungsnephritis «  sich  ebenso 
prompt  infolge  Lordosierung  der  Wirbelsäule  einstellte,  auch  wenn 
man  das  kalte  Bad  ganz  weggelassen  hatte ^). 

Eine  andere  den  praktischen  Arzt  sehr  interessierende  Seite    Einfluß  der 
des  Albuminurieproblems  ist  die  Frage  nach   dem  Einflüsse  '^E/vvefßaus?*^ 
der   Kost   auf   die   Eiweißausscheidung   bei   Nephritis,     scheidung. 
Wenn  man  sich  auch  heute  im  klaren  darüber  ist,  daß  die  Inten- 
sität der  Albuminurie  nicht  immer  und  unter  allen  Verhältnissen 
ein  richtiges  Maß  für  die  Schwere  des  Zustandes  abgibt,  so  wird 
man  doch  in  sehr  vielen  Fällen  den  Ablauf  der  Erkrankung  nach 
dem  Steigen  und  Sinken  der  Eiweißausscheidung  einigermaßen 
richtig  einschätzen  können  und  es  hat  sich  daraus  logischerweise 
das  Bestreben  entwickelt,  diuch  Darreichung  einer  richtig  ge- 
wählten Kost  die  Albuminurie  herunterzudrücken.    Carl  v.  Noor- 


i)  W.  Linde  mann   (Pathol.    Inst.    Kiew),    Arch.    f.   exper.    Pathol. 
(Schmiedeberg-Festschr.)   S.  349  (1908). 

2)  Siegel,  Zeitschr.  f.  exper.   Pathol.  5,  319  (1908). 

3)  R.    Polak   (Pharmakol.    Inst.    Böhm.    Univ.    Prag),   Wiener  klin. 
Wochenschr.   19 10,  359. 


398  XVII.  Vorlesung. 

den,  der  über  außerordentlich  reiche  Erfahrungen  auf  diesem  Ge- 
biete verfügt,  betont  den  schädlichen  Einfluß  hoher  Eiweiß  - 
gaben  und  hält  selbst  das  einseitige  »Milchregime«,  das  ja 
bekanntlich  bei  der  Behandlung  der  Nephritiden  eine  so  große 
Rolle  spielt,  für  allzu  eiweißreich.  Um  die  Arbeitsansprüche  an  die 
erkrankte  Niere  nach  Möglichkeit  herabzunündem,  empfiehlt  er, 
den  Energiebedarf  des  Patienten  auf  der  Höhe  des  akuten  entzünd- 
hchen  Prozesses  ausschließlich  durch  Verabreichung  von  Zucker- 
wasser und  Reissuppen  mit  Rahm-  und  Butterzusatz  zu  decken. 
Die  althergebrachte  Meinung  von  der  Wichtigkeit  einer  Unter- 
scheidung zwischen  weißem  und  schwarzem  Fleisch,  von 
der  Schädlichkeit  der  Fischnahrung  u.  dgl.  hält  er  für  un- 
berechtigt. »Verlauf  und  Schwere  der  Nierenerkrankungen  und 
insbesondere  der  Schrumpfniere«,  sagt  v.  Noorden^),  »sind  viel 
unabhängiger  von  Spitzfindigkeiten  und  Künsteleien  in  der  Nah- 
rungszufuhr, als  man  gewöhnUch  annimmt.  Ich  bin  überzeugt, 
daß  man  dazu  kommen  wird,  den  Patienten  eine  viel  breitere  Ab- 
wechslung in  der  Diät  zu  gestatten,  als  die  meisten  Arzte  heute 
noch  wagen;  die  Einsicht  wird  durchdringen,  daß  man  vielen 
chronischen  Nierenkranken  durch  allzu  einseitige  Diät  geschadet 
hat  und  daß  es  viel  wichtiger  ist,  durch  abwechslungsreiche  ge- 
mischte Diät  die  Kräfte  hoch  zu  halten,  als  in  schematischer  Weise 
eine  Diät  zu  empfehlen,  von  der  man  hofft,  daß  sie  die  Eiweiß- 
ausscheidung um  einige  Zehntel  Gramm  am  Tage  herunterdrückt. 
Die  Eiweißausscheidung  ist  nicht  ein  Maß  für  die  Größe  der  Gefahr, 
in  der  die  Patienten  schweben. «  Ich  habe  den  Eindruck,  daß  auf 
diesem  Gebiete  durch  ein  passendes  systematisches  Zusammen- 
wirken des  Tierexperimentes  und  der  klinischen  Erfahrung  noch 
sehr  viel  ersprießliche  biochemische  Arbeit  zu  leisten  wäre,  wie 
ich  denn  überhaupt  der  Meinung  bin,  daß  die  physiologische 
Chemie  durch  eine  intensivere  Beschäftigung  mit  praktisch- 
wichtigen Fragen  nur  gewinnen  könnte,  auch  wenn  sie  dabei 
gerade  nicht  immer  den  tiefsten  und  letzten  Problemen  biologi- 
schen Erkennens  direkt  zusteuert.  Es  tut  eben  meines  Erachtens 
weder   jungen   Wissenschaften   noch   jungen    Menschen   auf   die 


i)  C.  V.  Noorden,  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  1,  1015 — 1018 
(1906). 


Die  Niere. 


399 


Dauer  gut,  die  Fühliuig  mit  den  Erfordernissen  des  praktischen 
Lebens  ganz  zu  verlieren;  und  schließlich  bleibt  die  Verminderung 
der  in  der  Welt  vorhandenen  Summe  positiver  Leiden,  bei  aller 
Wertschätzung  des  reinen  Erkennens,  zum  mindesten  für  meine 
Empfindung  doch  das  höchste  Ziel  menschlicher  Bestrebungen. 

Die  Ursache  der  für  manche  Nierenerkrankungen  so  charakte-  Blutdrucker- 
ristischen  Erhöhung  des  Blutdruckes  liegt  gänzlich  im  Dun-  ^öhung. 
kein.  Es  ist  unbekannt,  welchen  Anteil  die  Retention  normaler 
und  welchen  diejenige  pathologischer  Stoffwechselprodukte  daran 
nimmt.  Auf  die  (meines  Erachtens  wenig  eindeutigen)  Versuche, 
die  Blutdruckerhöhung  mit  einer  Anhäufung  des  inneren  Sekretes 
der  Nebenniere  in  Beziehung  zu  bringen,  werde  ich  bei  Be- 
sprechung dieses  Organes  noch  zurückkommen. 

Ich  möchte  diese  Vorlesung  nicht  abschließen,  ohne  die  Aus-     ür*mle. 
f allserscheinungen  nach  Schädigung  der  Nierenfunktion 
sowie  den  Gegenstand  der  Urämie  zum  mindesten  gestreift  zu 
haben. 

Bekanntlich  faßt  man  unter  der  Bezeichnung  »Urämie« 
einen  ziemüch  vielgestaltigen  Symptomenkomplex  zusammen,  der 
sich  im  Anschluß  an  Läsionen  der  Nierenfunktion  einstellen  kann 
und  in  dessen  Vordergrunde  Störungen  des  Sensoriums,  Krämpfe 
und  andere  das  Nervensj^tem  betreffende  Erscheinungen  stehen^). 

Wir  befinden  uns  der  Urämie  gegenüber  in  einer  ähnlichen 
Lage,  wie  sie  bei  Erörterung  der  Eklampsie  (welche  ja  un- 
streitig mit  der  Urämie  einige  Ähnlichkeit  aufweist)  geschildert 
worden  ist:  Wir  müssen,  trotz  des  ungeheueren  Umfanges  der 
einschlägigen  Literatur,  ehrlich  bekennen,  daß  uns  das  eigent- 
liche Wesen  dieses  Zustandes  unbekannt  geblieben  ist. 

Es  erscheint  mir  nun  in  bezug  auf  die  Beurteilung  des  Gegen- 
standes ein  Punkt  von  Wichtigkeit,  der  vielfach  nicht  genügend 
beachtet  wird.    Man  ist  meist  gewohnt,  alle  Ausfallserscheinungen 


I)  Literatur  über  Urämie:  Senator,  Die  Erkrankungen  der  Nieren. 
Nothnagels  Handb.  d.  spez.  Pathol.  (1896).  Ascoli,  Vorlesungen  über 
Urämie  (1903).  H.  Strauß,  Die  chronischen  Nierenentzündungen  (1903). 
C.  V.  Noorden,  Die  Krankheiten  der  Nieren.  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw., 
2.  Aufl.  1, 969 ff.  (1906).  L.KrehK  Pathol.  Physiol.,  5. Aufl.  1907,  539—544. 
vgl.  auch  das  Literaturverzeichnis  und  die  Erörterung  der  neueren  Literatur 
bei  F.  Obermayer  und  H.  Popper,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  72,  332  (1911)- 


400  XVII.  Vorlesung. 


nach  Schädigung  der  Nierenfunktion  kurzweg  der  »Urämie  «  zuzu- 
rechnen, und  es  wird  dabei  vielfach  übersehen,  daß  dieselben  ganz 
und  gar  nicht  das  Bild  derselben  zu  bieten  brauchen.  Krehl^) 
hebt  mit  Recht  hervor,  daß  bei  manchen  Fällen  von  letaler  Anurie 
der  Tod  derart  erfolgt,  daß  unter  allmählichem  Weicher-  und 
Kleinerwerden  des  Pulses  der  Körper  gewissermaßen  in  den  Tod 
hinüberschläft,  ohne  daß  von  den  für  die  Urämie  charakteristischen 
Krämpfen  oder  von  einer  Blutdruckerhöhung  etwas  zu  merken 
wäre.  So  gehen  z.  B.  auch  Ratten  nach  doppelseitiger  Nieren- 
exstirpation  ohne  irgend  welche  Krampferscheinungen  in  koma- 
ähnlichem Zustande  zugrunde  2). 
Anhäufung  v.  Nachdem  Traubes  Theorie  des  Hirnödems  als  Ursache  der 
fen  im  Blute"  Urämie  sich  als  unhaltbar  erwiesen  hatte,  traten  die  zahlreichen 

Theorien  von  der  Anhäufung  von  Schlackenstoffen  in  den 
Vordergrund,  und  man  hat  den  Harnstoff,  das  Ammoniak, 
das  Kreatin,  das  Kreatinin,  die  Harnsäure,  die  Amino- 
säuren, das  Kochsalz,  die  Kalisalze,  endlich  die  gesamte 
Erhöhung  der  molekularen  Konzentration  der  Reihe  nach 
für  die  Urämie  verantwortlich  machen  wollen.  Doch  ist  keiner 
dieser  Erklärungsversuche  so  recht  befriedigend.  Ascoli  hat  dar- 
getan, daß  nicht  einmal  die  Summe  der  Giftwirkungen  aller  harn- 
fähigen Substanzen  zur  Erklärung  der  urämischen  Intoxikation 
ausreicht.  »Dennoch  kann  man  nicht  sagen,«  bemerkt  Carl 
V.  Noorden^)  in  sehr  treffender  Weise,  »daß  die  Frage  der  direkten 
Giftwirkung  von  Retentionsstoffen  durch  diese  negativen  For- 
schungsresultate befriedigend  abgeschlossen  sei.  Unsere  Methoden 
zur  Prüfung  des  Giftwertes  sind,  noch  grob  und  mangelhaft.  Vor 
allem  ist  ihnen  vorzuwerfen,  daß  wir  mit  ihnen  nur  akute  Gift- 
wirkungen hervorrufen,  während  sich  bei  Nephritis  die  Gift- 
wirkung kürzestens  über  viele  Tage,  gewöhnlich  über  Monate  und 
Jahre  verteilt.  Wie  anders  sich  ein  akutes  und  ein  chronisches 
Vergiftungsbild  dem  Kliniker  und  dem  Experimentator  präsen- 
tieren kann,  lehrt  z.  B.  der  Saturn ismus. «  Es  wird  auch  mit 
Recht  hervorgehoben,  daß  das  Blut  vielleicht  auch  gar  nicht  die 

i)  L.  Krehl,  I.  c.  542. 

2)  W,  Birkelbach  (Chir.  Klinik  Marburg),  Zeitschr.  f.  expcr.  Pathol. 

8,  465  (1910)- 

3)  C.  V.  Noorden,  1.  c.  S.  1042. 


-1 


Die  Niere.  401 


rechte  Stelle  ist,  wo  wir  das  Gift  suchen  müssen;  kann  doch  z.  B. 
bei  der  Tetanusvergiftung  das  Toxin  längst  aus  dem  Blute  ver- 
schwunden sein,  trotzdem  Zellen  lebenswichtiger  nervöser  Zentren 
eine  tödliche  Dosis  davon  enthalten. 

Wenngleich  es  sicherlich  Fälle  von  Urämie  gibt,  wo  eine 
»Schlackenstauung«  nicht  zu  konstatieren  ist  und  anderer- 
seits auch  Fälle,  wo  die  molekulare  Konzentration  des  Blutes 
erheblich  gesteigert  ist,  ohne  daß  urämische  Erscheinungen  her- 
vortreten, ist  doch  offenbar  bei  der  überwiegenden  Mehrzahl 
urämischer  Erkrankungen  eine  Erhöhung  des  osmotischen 
Druckes  sowie  des  Reststickstoffes  im  Blute  zu  konstatieren. 
Sehr  bemerkenswert  ist  in  dieser  Hinsicht  eine  neuere  Beobach- 
tung von  Obermayer  und  Popper^),  welche  das  Indikan,  das 
im  normalen  menschlichen  Serum  bei  den  verschiedensten  Er- 
krankungen regelmäßig  vermißt  wird,  in  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl urämischer  Sera  nachzuweisen  vermochten,  derart,  daß  sie 
seiner  Anwesenheit  eine  diagnostische  und  prognostische  Bedeu- 
tung zuschreiben.  Es  ist  übrigens  durchaus  einleuchtend,  daß 
eine  in  ihrer  exkretorischen  Leistung  geschädigte  Niere  den  hoch- 
gradig harn  fähigen  Harnstoff  leichter  bewältigt  als  andere 
stickstoffhaltige  »Extraktivstoffe«,  derart,  daß  sich  die  letz- 
teren im  Blute  und  in  den  Geweben  stauen.  Eine  solche  Rück- 
stauung von  Extraktivstoffen  tritt  auch  in  den  Versuchen  von 
Soeibeer,  Bradford  u.  a.  nach  totaler  und  partieller  Nierenexstir- 
pation  deutlich  zutage. 

Man  wird  übrigens  beachten  müssen,  daß  selbst  eine  künst-  Partieile    Nie- 

rcricxstirD3~ 

liehe  Reduktion  der  Menge  funktionierenden  Nieren-  ^^^^ 
gewebes  auf  ein  Viertel  noch  keine  Einschränkung  der  Stickstoff- 
ausscheidung zur  Folge  haben  muß ;  es  zirkuliert  in  solchen  Fällen 
offenbar  mehr  Blut  durch  den  Nierenrest  und  es  kann  sogar 
reichlicher  Harnstoff  und  Wasser  ausgeschieden  werden  als  vorher. 
So  zeigte  bei  einem  gesunden  Manne,  dem  eine  Niere  infolge  einer 
traumatischen  Ruptur  exstirpiert  werden  mußte,  die  Stickst off- 
ausscheidung  nur  geringe  Abweichungen  von  der  Norm  und  die 
zurückbleibende  Niere  vermochte  schon  lange,  bevor  eine  kom- 
pensatorische Hypertrophie  eingetreten  war,  die  Arbeit  für  beide 

i)  1.  c. 

V.  Fürth,  Probleme.  26 


402  XVII.  Vorlesung. 

Nieren  zu  verrichten.  Nach  Exstirpation  einer  Niere  kann  die 
Konzentration  des  von  der  anderen  Niere  gelieferten  Harnes  etwa 
auf  das  Doppelte  der  Norm  ansteigen^).  John  *)  sowie  Birkel- 
bach^)  haben  kürzlich  in  einer  Reihe  eleganter  Versuche  die  Wir- 
kung doppelseitiger  Nierenexstirpation  bei  Parabioseratten 
studiert;  es  hat  sich  dabei  ergeben,  daß  die  Nieren  des  einen 
Doppeltieres  kompensatorisch  für  diejenigen  des  anderen  ein- 
treten können  und  daß  diese  vikariierende  Funktion  sogleich 
nach  der  Nierenexstirpation  einsetzt.  Schließlich  bildet  sich  aber 
doch  ein  kachektischer  Zustand  aus,  dem  das  Doppeltier  erliegt, 
ohne  daß  es  zu  typischer  Urämie  kommt.  Die  Sektion  ergab  bei 
den  nephrektomierten  Tieren  Hyperämie  der  Organe,  Stauungs- 
erscheinungen und  Ödeme,  bei  den  nicht  nephrektomierten  Part- 
nern dagegen  schwerste  Anämie  und  Fettinfiltration. 
Verschiebung  Es  lag  ja  sicherlich  nahe,  die  Urämie  mit  einer  Kochsalz - 
^     w^cjftT*^  Stauung  im   Organismus  in   Zusammenhang  zu  bringen,  doch 

haben  die  vorHegenden  Untersuchungen  von  Rumpf  u.  a.  keinen 
sicheren  Anhaltspunkt  für  die  ausschlaggebende  Bedeutung  einer 
solchen  geboten.  Immerhin  beachtenswert  scheint  mir  dagegen 
der  von  Ceconi^)  geäußerte  Gedanke,  daß  die  Urämie  möglicher- 
weise mit  einer  Verschiebung  des  Salzgleichgewichtes  im 
Organismus  zusammenhängen  könnte.  Das  Kochsalz  in  reinem 
Zustande  besitzt  nach  den  Beobachtungen  von  Jacques  Loeb  eine 
hochgradige  Giftigkeit,  welche  durch  die  gleichzeitige  Anwesenheit 
anderer  Salze,  wie  z.B.  des  Kaliumchlorids  und  Calcium- 
chlorids,  aufgehoben  wird.  Da  nun  bei  Nephritis  die  Aus- 
scheidung des  Kochsalzes  angeblich  liinter  derjenigen  der  anderen 
Salze  zurückbleibt,  kann  sich  eine  Störung  des  Salzgleich- 
gew ichtcs  ergeben,  und  da  bei  Urämieleichen  eine  Zunahme  von 
NaCl,  eine  Abnahme  von  KCl  und  CaCl2  gefunden  worden  ist,, 
wäre  immerhin   daran   zu   denken,    daß   die   Urämie   mit   einer 

i)  Vgl.  H.  V.  Haberer  (chirurg.  Klinik  v.  Eiseisberg,  Wien)^ 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1906,  823.  Bradford,  Joum.  of  Physiol.  2S» 
415  (1908).  Pcarce,  Journ.  of  experim.  Med.  10,  632  (1908).  Dodds- 
Parker,  Lancet.    6.  Febr.   1909,  386. 

2)  W.  John,  Zeitschr.  f.  exper.   Pathol.  6,   16  (1909). 

3)  1-  c. 

4)  A.  Ceconi,  Münchener  med.  Wochenschr.  56,  H.  10  (1909). 


Die  Niere.  403 


4 
I 


solchen  Gleichgewichtsverschiebung  zwischen  antagonistisch  wirk- 
samen Elektrolyten  zusammenhängen  könnte.    Damit  soll  aber  [ 
nicht  etwa  gesagt  sein,  daß  dies  wirklich  der  Fall  ist. 

Während  sich  die  bisher  erörterten  H5^othesen,  so  labil  sie  Harngifte, 
an  sich  sein  mögen,  doch  wenigstens  an  definierte  chemische 
Substanzen  halten,  verlieren  wir  jeden  festen  Boden  unter  den 
Füßen,  wenn  wir  uns  auf  das  insbesondere  von  französischen 
Autoren  kultivierte  Gebiet  der  »Harngifte«  begeben.  Ich 
gestehe,  daß  ich  mich  weder  dafür  zu  erwärmen  vermag,  daß  man 
die  Giftigkeit  des  Harnes  dadurch  prüft,  daß  man  denselben  Tieren 
intravenös  injiziert,  noch  aber  mich  übermäßig  begeistern  kann, 
wenn  man  diese  Prüfung  in  der  Weise  vornimmt,  daß  man  kleine 
Fische  in  den  Harn  hineinsetzt  und  nun  beobachtet,  wie  lange 
sie  darin  am  Leben  bleiben.  Ich  glaube  nicht,  daß  man  aus  der 
gänzlich  undefinierbaren  Summe  physikalischer  und  chemischer 
Schädlichkeiten,  die  bei  derartigen  Versuchen  in  Betracht  kommen, 
irgendwelche  zuverlässige  Schlüsse  ziehen  kann. 

Es  ist  der  Gedanke  geäußert  worden,  daß  der  Organismus  in  Nephroiysine. 
ähnlicher  Weise,  wie  er  auf  die  Anwesenheit  von  Bakterientoxinen 
mit  der  Bildung  von  Antitoxinen  reagiert,  den  Zerfall  und  die 
Resorption  von  Nierenelementen  mit  der  Bildung  spezifischer 
»Nephroiysine«  beantwortet.  Da  ein  nephrolysinhaltiges 
Serum,  wenn  man  es  gesunden  Tieren  beibringt,  angeblich  nephri- 
tische Erscheinungen  erzeugen  kann,  hat  man  die  Urämie  mit  der 
Giftwirkung  derartiger  Nephroiysine  in  Zusammenhang  bringen 
wollen.  Als  Anregung  zu  weiteren  Nachforschungen  (jedoch  auch 
nur  als  solcher)  mag  man  dieser  Hypothese  immerhin  einige 
Beachtung  schenken^). 

Man  wird,  wenn  man  in  der  Urämiefrage  weiterkommen  will, 
sich  vor  kritikloser  Phantasterei  ebenso  zu  hüten  haben  wie  vor 
einer  allzu  ängstlich-pedantischen  Betrachtungsweise,  welche, 
aus  Furcht  vor  der  Möglichkeit  eines  künftigen  Irrtumes,  lieber 
in  der  Gewißheit  der  gegenwärtigen  Unkenntnis  verweilt.  Es 
kommt  hier,  wie  überall,  eben  darauf  an,  den  goldenen  Mittelweg 
ausfindig  zu  machen. 


i)  Vgl.  H.  Pribram    (Med.   Klinik   Prag),    Deutsches  Arch.   f.  klin. 
Med.  102,  457  (191 1). 


26* 


XVIII.  Vorlesung. 
Die  Nebennieren. 

In  der  heutigen  Vorlesung  soll  von  den  Nebennieren  die  Rede 
sein.  Damit  betreten  wir  wieder  das  Gebiet  jener  Erscheinungen, 
welche  mit  dem  Begriffe  der  »inneren  Sekretion«  zusammen- 
hängen, eines  viel  mißbrauchten  Schlagwortes,  welches  im  Laufe 
des  letzten  Dezenniums  zu  einer  gewaltigen  Popularität  gelangt 
ist.  Dasselbe  bezieht  sich  auf  die  Funktion  einiger  Organe, 
deren  physiologische  Rolle  und  Bedeutung,  ungeachtet  eines 
großen  Aufwandes  von  Mühe  und  Arbeit,  in  tiefes  Dunkel  gehüllt 
ist.  »Denn  eben  wo  Begriffe  fehlen,  da  stellt  ein  Wort  zur  rechten 
Zeit  sich  ein«;  —  so  sprach  einmal  ein  weiser  Mann,  der  zwar  von 
»inneren  Sekretionen  «  noch  nichts  ahnte,  dafür  aber  über  manche 
andere  Dinge  um  so  besser  Bescheid  wußte. 

Versuchen  wir  es  denn,  uns  zunächst  die  wichtigsten  Punkte 
klar  zu  machen,  die  in  bezug  auf  die  Erforschung  der  Physiologie 
der  Nebenniere^)  bisher  zu  verzeichnen  sind. 
Interrenal- und  Da  ist  zunächst  die  Tatsache  hervorzuheben,  daß  die 
^^"*^^' *'"*  Nebennieren,  wie  Biedl^)  in  seinem  wertvollen  und  lehrreichen 
Werke  über  »Innere  Sekretion  «  auseinandersetzt,  weder  morpho- 
logisch noch  genetisch,  weder   physiologisch   noch   pathologisch 


i)  Literatur  über  die  chemische  Physiologie  der  Nebenniere:  Swale 
Vincent,  Ergebn.  d.  Physiol.  9,  451 — 586  (1910).  R.  Hirsch,  Handb. 
d.  Biochemie  8,  I,  308 — 331  (1910).  H.  Boruttau,  Nagels  Handb.  d. 
Physiol.  2,  II,  18 — 35  (1907)  u.  Ergänzungsbd.  131 — 141  (19 10).  A.  Biedl, 
Innere  Sekretion,  Verl.  von  Urban  v.  Schwarzenberg,  19 10,  120 — 280. 
G.  Bayer,  Lubarsch-Ostcrtag,  Ergebn.  d.  pathol.  Anat.  14,  19 10.  O.  v. 
Fürth,  Biochem.  Handlexikon  5,  495 — 503  (1910). 

2)  A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  S.  123 — 232,  vgl.  auch  Swale -Vin- 
cent, Ergebn.  d.   Physiol.  9,  510 — 520  (1910). 


Die  Nebennieren.  405 


einheitliche  Organe,  vielmehr  aus  der  Vereinigung  von  zwei 
verschiedenen,  von  einander  unabhängigen  Organ- 
systemen hervorgegangen  sind.  Organe,  die  den  Nebennieren 
der  Säugetiere  an  die  Seite  zu  stellen  sind,  finden  sich,  mit  Aus- 
nahme des  Amphioxus,  innerhalb  der  ganzen  Wirbeltierreihe.  Es 
scheint,  daß  bei  allen  tiefer  als  die  Lurche  stehenden  Wirbeltieren, 
z.  B.  bei  den  Selachiem,  an  Stelle  der  Nebennieren  zwei  voll- 
kommen getrennte  Organsysteme  sich  finden :  Das  aus  dem  Meso- 
derm  stammende,  der  Nebennierenrinde  analoge  » Inter- 
renalsystem«  einerseits  und  das  dem  Nebennierenmarke 
gleichwertige  »Adrenalsystem«,  welches  gemeinsam  mit  dem 
Sympathicus  sich  von  einer  ektodermalen  Anlage  herleitet.  »Die 
Entstehung  der  Nebenniere  ist  nur  ein  späterer  Abschnitt  der 
Entwicklungsgeschichte  beider  Systeme,  der  letzte  genetische  Vor- 
gang, bei  welchem  eine  Vereinigung  von  Interrenal-  und 
Adrenalgewebe  stattfindet  .  .  .  Die  vergleichende  Embryologie 
erbringt  somit  den  genetischen  Beweis  für  zwei  selbständige 
Nebennierensysteme  im  Tierkörper,  zeigt  aber  andererseits 
eine  in  der  Phylogenese  stetig  zunehmende  und  inniger  werdende 
Vereinigung  derselben.  Angesichts  dieser  Tatsache  taucht  die 
Frage  auf,  ob  durch  diese  Verschmelzung  nur  ein  morphologisch 
einheitliches  Organ  entstanden  ist,  oder  ob  wir  in  der  Verbindung 
der  zwei  heterogenen  Systeme  auch  den  Ausdruck  einer  engeren 
funktionellen  Zusammengehörigkeit  beider  und  in  der  Nebenniere 
vielleicht  eine  funktionelle  höhere  Organeinheit  erblicken  sollen.« 
Die  letztere  Auffassung  findet  aber,  wenn  man  die  Sachlage  ob- 
jektiv betrachtet,  eigentlich  nur  in  der  anatomischen  Gefäßanord- 
nung in  Rinde  und  Mark  eine  gewisse  Stütze.  Sie  schien  auch 
einen  physiologischen  Untergrund  zu  gewinnen,  als  französische 
Autoren  eine  Vorstufe  des  Adrenalins  in  der  Nebennieren- 
rinde gefunden  zu  haben  behaupteten;  eine  Nachprüfung  durch 
Gustav  Bayer ^)  hat  jedoch  Versuchsfehler  als  Basis  dieser  ver- 
meintlichen  Entdeckung  ergeben. 

Das     »Adrenalgewebe«   erscheint   durch   seine   Fähigkeit, 
Adrenalin  oder  Suprarenin,  den  charakteristischen  Bestand- 


i)  G.  Bayer  (Inst.  f.  allgem.  u.  expcrim.  Pathol.  Innsbruck),  Biochem. 
Z.  20,  178  (1909). 


4o6  XVIII.  Vorlesung. 


teil  des  Nebennierenmarkes,  zu  produzieren,  ausreichend  gekenn- 
zeichnet. Der  Nachweis  desselben  kann  leicht  auf  physiologischem 
oder  auf  morphologischem  Wege  erfolgen,  auf  ersterem  durch 
Prüfung  auf  eine  blutdrucksteigernde  Wirkung  der  Ex- 
trakte bei  intravenöser  Injektion.  (So  ist  z.B.  die  Natur  der 
Suprarenalkörper  von  Selachiern  sowie  diejenige  des  ^Zucker- 
kandischen  Organes«  durch  Biedl  und  Wiesel^)  zweifellos  fest- 
gestellt worden.) 

Der  histologische  Nachweis  beruht  auf  der  Eigenschaft  des 
Suprarenins,  eine  Lösung  von  Kaliumbichromat  unter  Braun- 
färbung zu  reduzieren,  über  die  Verbreitung  und  Bedeutung  des 
»chromaffinen  Gewebes«  sind  wir  insbesondere  durch  die 
schönen  Untersuchungen  von  Alfred  Kohn  unterrichtet  worden. 
Die  Säugetiere  allein  von  allen  Tieren  besitzen  ein  ganz  von 
»Rindensubstanz«  umgebenes  Nebennierenmark  2).  Kohn  ist  der 
Meinung,  daß  das  Mark  nichts  anderes  ist  als  wie  eine  in  die  »Neben- 
nierenrinde« eingeschlossene  Gruppe  chromaffiner  Zellen.  Eine 
auffallende  Masse  chromaffinen  Gewebas  kann  z.  B.  beim  Huride 
nachgewiesen  werden,  wenn  man  die  Eingeweide  aus  der  Bauch- 
höhle entfernt  und  die  freigelegten  retroperitonealen  Gebilde  mit 
Kaliumbichromat  durchtränkt.  Das  »Paraganglion  aorti- 
cum«  von  Kohn  offenbart  sich  bei  dieser  Behandlung  als  ein 
dunkelbrauner  welliger  Streifen,  welcher  sich  vorne  an  der  Bauch- 
aorta hinzieht  3).  Beim  Neugeborenen  scheint  das  chromaffine 
Gewebe  erhöhte  Bedeutung  zu  besitzen:  Das  Nebennierenmark 
ist  bei  ihm  stark  entwickelt;  auch  findet  sich  am  Ursprünge 
der  Arteria  mesenterica  inferior  ein  stark  entwickeltes  f^Zucker- 
kandlsches  Organ«,  das  vorwiegend  aus  chromaffinen  Zellen 
besteht.  Beim  Erwachsenen  atrophiert  das  Organ  früher  oder 
später.  Chromaffines  Gewebe  findet  sich  ferner  am  Herzen  in 
der  Nähe  der  linken  Coronararterie  in  solcher  Menge  angehäuft, 
daß  die  Menge  desselben  diejenige  in  der  Nebennierenmarksub- 
stanz  übertreffen  kann*).    Auch  die  Karotisdrüse  besteht  aus 


i)  A.  Biedel  und  J.  Wiesel  (Inst.  f.  allgem.  u.  experim.  Pathol.  Wien), 
Pflügers  Arch.  91,  435  (1902). 

2)  Vgl.  Swalc-Vincent,  1.  c.  S.  515. 

3)  Swale-Vincent,  1.  c.  S.  517. 

4)  J-  Wiesel,  Wiener  klin.  Wochenschr.  19,  72^  (1906). 


Die  Nebennieren.  407 


Gruppen  chromaffiner,  von  Nervenfasern  durchsetzter  Zellen  usw. 
Es  scheint,  daß  diese  »Paraganglien «  nach  Exstirpation  der 
Nebenniere  sowie  nach  krankhafter  Degeneration  derselben  unter 
Umständen  hypertrophieren  können,  und  es  liegt  nahe,  an  eine 
vikariierende  Tätigkeit  derselben  zu  denken.  Jedenfalls 
machen  es  diese  Verhältnisse  verständlich,  daß  auch,  falls  die 
sekretorische  Tätigkeit  des  chromaffinen  Apparates  eine  lebens- 
wichtige Rolle  zu  erfüllen  haben  sollte,  die  Exstirpation  der  Neben- 
nieren nicht  den  Tod  des  Versuchstieres  notwendigerweise  zur 
Folge  haben  muß. 

Die  Frage  nach  der  chemischen  Konstitution  des  blut-  Konstitution 
drucksteigernden  Bestandteiles  der  Nebenniere  ist  nunmehr  ganz-  ^^^  ni^n"^*^^*^^ 
lieh  abgeschlossen.  Nachdem  Oliver  und  Schäfer  in  London  im 
Jahre  1895  die  merkwürdige  blutdrucksteigernde  Wirkung  des 
Nebennierenextraktes  entdeckt  hatten,  ist  die  Frage  nach  der 
Natur  des  außerordentlich  zersetzlichen  Bestandteiles  von  vielen 
Seiten  her  in  Angriff  genommen  worden.  Ich  habe  seinerzeit  für' 
diese  Substanz,  die  von  mir  in  Hofmeisters  Laboratorium  (wne 
später  der  Vergleich  mit  dem  kristallisierten  Präparate  ergeben 
hat)  frei  von  nachweisbaren  Beimengungen  dargestellt  worden 
war,  die  Bezeichnung  »Suprarenin«  vorgeschlagen.  Der  letzte 
Schritt  zur  Reindarstellung  ist  jedoch  erst  Takamine  und  Aldrich 
gelungen,  als  sie  fanden,  daß  die  Substanz,  welche  sie  »  Adrena- 
lin« nannten,  aus  konzentrierten  Lösungen  durch  Ammoniak  in 
kristallinischer  Form  abgeschieden  werden  kann.  Damit  war  für 
die  weitere  Forschungsarbeit  eine  feste  Grundlage  gegeben.  Heute 
gehört  die  lange  Kette  von  Streitfragen  und  Irrtümern,  welche  sich 
an  die  Erforschung  des  Suprarenins  geknüpft  hatte,  längst  der 
Vergangeheit  an.  Innerhalb  eines  einzigen  Dezenniums  ist  der 
mühevolle  Weg,  der  von  der  Entdeckung  der  physiologischen 
Bedeutung  dieser  Substanz  zu  ihrer  fabriksmäßigen  synthetischen 
Darstellung  geführt  hat,  durchmessen  worden  ^),  und  heute  zweifelt 


i)  Vgl.  insbes.  die  Arbeiten  vonMoore,S.Fränkel,  Mühlmann, Gür- 
ber,  Fürth,  Abel,  Metzger,  Aldrich,  Takamine,  Pauly,  Jowett, 
Bertrand,  Fried  mann  u.  a.  (Literaturverzeichnis  bei  O.  v.  Fürth, 
Biochem.  Zentralbl.  2,  i  [1903]  und  Biochem.  Handlexikon  5,  495 — 503 
[191 1],  Swale-Vincent,  1.  c.  und  G.  Bayer,  1.  c). 


4o8 


XVIII.  Vorlesung. 


Synthese  des 
Suprarenins. 


Bildung  des 

Suprarenins 

im  Organismus. 


niemand  mehr  daran,  daß  dem  Suprarenin  die  Formel 

OH-     ^  ,-CH(OH)-CH2.NH2(CH,) 


OH- 


\^ 


zukommt. 


Die  Synthese  des  Suprarenins  ist  in  der  Weise  bewerk- 
stelligt worden,  daß  ein  durch  Umsetzung  von  Chloracetobrenz- 
katechin  mit  Methylamin  entstehendes  Keton  (das  Adrenalon) 
mittek  Aluminiumspänen  in  Gegenwart  von  Mercurisulfatlösung 
zum  Alkohol  reduziert  worden  ist^): 

->      CoHa(OH)2  -> 


CeH3(OH)2.  -, 

"cOCHgCl 
Chloracetobrenzka  techin 


^    CeHs(OH)2 
CO.CH2.NH(CH,)        CH(OH).CH2  NH(CHs) 


Adrenalon  Suprarenin. 

Bereits  das  Adrenalon  zeigt  die  charakteristische  Blutdruck- 
wirkung; dieselbe  wird  jedoch  durch  Reduktion  des  Ketons  zum 
Alkohol  um  -ein  Vielfaches  verstärkt. 

Auch  durch  Umsetzung  der  Verbindung  (OH)2.C6H3.CH(OH). 
CH2CI  mit  Methylamin  wird  eine  Substanz  von  gleichem  pharma- 
kologischen Verhalten  wie  das  Suprarenin  erhalten  2);  doch  ist 
es  zweifelhaft,  ob  es  sich  dabei  wirklich  um  Suprarenin  als  solches 
handelt*). 

Auf  synthetischem  Wege  gelangt  man  zunächst  zu  dem 
razemischen  dl  -  Suprarenin.  Die  Spaltung  desselben  gelingt 
durch  Überführung  in  das  Bitartrat,  da  die  beiden  optisch- 
aktiven Komponenten  eine  sehr  verschiedene  Löslichkeit  in 
Methylalkohol  aufweisen*).  Das  natürlich  vorkommende  Supra- 
renin ist  linksdrehend.  Das  künstlich  gewonnene  d- Supra- 
renin ist  bedeutend  schwächer  wirksam  als  das  1- Suprarenin^). 

Die  Art,  wie  das  Suprarenin  im  Organismus  entsteht,  ist  gänz- 
lich unbekannt.     Es  liegt  dabei  natürlich  am  nächsten,  an  die 


i)  Stolz,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  X^es.  37,  4149  (1904),  Farbwerke 
vorm.  Meister,  Lucius  u.  Brüning.  Deutsches  Reichspatent  Klasse  129, 
Nr.  1 52814,  155652  u.  157300.  E.  Fried  mann,  Hofmeisters  Beitr.  6»  92 
(1904);  8,  95  (1906). 

2)  Böttcher,  Ber.  d.  .deutsch,  ehem.  Ges.  42,  253  (1909). 

3)  Pauly,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  42,  484  (1909). 

4)  Flächer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  58,   189  (1908). 

5)  E.  Abderhalden  mit  F.  Müller,  Thies,  Slavu,  Z.  f.  ph3^iol. 
Chemie  58,  185  (1908);  59,  22,  129.  Cushny,  Joum.  of  Physiol.  87,  130 
(1908). 


Die  Nebennieren.  409 


zyklischen  Komplexe  des  Eiweißmoleküles  zu  denken. 
Eine  unter  sehr  vielen  Möglichkeiten  findet  in  der  Friedmannschen 
Vermutung  ihren  Ausdruck,  derzufolge  das  Suprarenin  aus 
einem  h3^othetischen  Oxyphenylserin  xmter  Methylierung 
und  Kohlensäureabspaltung  entstehen  könnte  i). 

(OH)C«H4.CH(OH).CH(NH2).COOH  ^  (OHjgCeHs.CHCOHj.CHCNHCHs). 
COOK >  (OH)2CeH8.CH(OH).CH2(NH.CH3). 

Behauptungen,  denen  zufolge  Suprarenin  bei  Autolyse  von 
Nebennieren  in  Gegenwart  von  Tyrosin,  Brenzkatechin  oder 
Tryptophan  auf  fermentativem  Wege  neu  gebildet  werden 
sollte  2),  sind  durchaus  unsicherer  Natur  und  teilweise  bereits 
direkt  widerlegt^);  das  gleiche  gilt,  wie  schon  erwähnt,  für 
Angaben  über  das  Vorkommen  eines  »Proadrenalins«  in  der 
Rindensubstanz  der  Nebenniere. 

Die  hier,  ebenso  wie  bei  vielen  anderen  mit  der  Nebennieren-    Quantitative 
Physiologie  zusammenhängenden  Fragen  herrschende  Unsicher-  Bestimmung  u. 
heit  ist  vor  allem  durch  die  Mängel  der  bei  der  quantitativen    Suprarenins. 
Bestimmung   des    Suprarenins    angewandten    Methodik    hervor- 
gerufen worden.    Es  ist  dies  um  so  bedauerücher,  als  die  schönen 
Farben-  und  Reduktionsreaktionen  des  AdrenaUns  zweifellos  sehr 
günstige  Vorbedingungen  für  eine  exakte  Bestimmxmg  schaffen. 
So  habe  ich  schon  vor  vielen  Jahren  ein  brauchbares  kolori- 
metrisches  Bestimmungsverfahren  ausgearbeitet,  das  auf 
der  Vulpianschen  Reaktion  beruht,  d.  h.  auf  der  prächtigen  Kar- 
minfärbung, welche  eine  Suprareninlösung  bei  Gegenwart  von 
Eisensalzen  und  bei  alkahscher  Reaktion  annimmt*).     Auf  die 
analoge  schöne  smaragdgrüne  Färbung,   welche  bei  saurer 
Reaktion  eintritt,  hat  später  Battelli^)  ein  Bestimmungsverfahren 
gegründet.   Französische  Autoren®)  basierten  ein  solches  auf  der 

i)  E.  Friedmann,  1.  c. 

2)  Halle,  Hofmeisters  Beitr.  8,  276  (1906).  Abelous,  Soulie  et 
Toujan,  C.  R.  Soc.  e  Biol.  1905 — 1906.  H.  Boruttau,  Zentralbl.  f. 
PhysioL  21,  474  (1907). 

3)  G.  Bayer,  Biochem.  Z.  20,  178  (1909).  A.  J.  Edwins  and  P.  P. 
Laidlow,  Joum.  of  Physiol.  40,  275  (1910). 

4)  O.  V.  Fürth,  Z.  f.  physiol.  Chemie  20,  115  (1900). 

5)  F.  Battelli,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  54,  571  {1902). 

6)  Abelous,  Soulie  et  Toujan,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  57,  301  (1906). 


4IO  XVIII*  Vorlesung. 


Rosafärbung,  welche  Suprareninlösungen  bei  Jodeinwirkung 
annehmen:  sie  versetzten  die  zu  untersuchende  Flüssigkeit  n-it 
Jodlösung,  fügten  Stärke  hinzu,  beseitigten  den  Jodüberschuß 
mit  Hyposulfit  und  verglichen  schließlich  die  entstandene  Rosa- 
färbung kolorimetrisch  mit  einer  analog  behandelten  Standardlösung 
von  bekanntem  Suprareningehalte.  Die  Verläßlichkeit  des  letzt- 
genannten Verfahrens  scheint  mir  jedoch  recht  fraglich,  wie  denn 
auch  der  Suprareninnachweis  mittels  Quecksilberchlorids^),  wel- 
cher auf  einer  analogen  oxydativen  Umsetzung  unter  Auftreten 
einer  Rosafärbung  beruht,  sich  nicht  ohne  weiteres  als  brauchbar 
erwiesen  hat  2).  Eine  Modifikation  der  Jodmethode  unter  An- 
wendung von  Jodsäure  ist  beim  Nachweise  minimaler  Supra- 
reninmengen ^)  von  Nutzen.  Bemerkenswert  ist  ferner  eine  Beob- 
achtung G.  BayerSy  derzufolge  verschiedene  Farbenreaktionen  des 
Suprarenins  bei  Gegenwart  aromatischer  Amidos ulfonsäuren 
(z.  B.  der  Sulfanilsäure)  eine  bedeutende  Steigerung  ihrer  Emp- 
findlichkeit erfahren*). 

Daß  auch  die  physiologisclien  Methoden  des  Suprareninnach- 
weises,  auf  die  ich  später  noch  zurückkommen  werde,  sehr  wert- 
volle Dienste  leisten  können,  ist  allgemein  bekannt.  Es  gilt  dies 
sowohl  für  den  kymographischen  Nachweis  der  Blutdruck - 
Steigerung,  als  auch  für  die  Meyersche  Arterienstreifen- 
methode,  für  die Laze'^wscÄ^j  Durchströmungsmethode,  für  die 
(aus  dem  Gottliebschen  Laboratorium  hervorgegangene)  Prüfung 
am  überlebenden  Uteruspräparate  sowie  für  die  Ehrmann- 
sche  Froschbulbusmethode.  Der  Umstand  jedoch,  daß  die 
Spezifität  insbesondere  der  letztgenannten  Reaktion  vielfach  be- 
deutend überschätzt  und  alles,  was  die  Pupille  eines  enukleierten 
Froschbulbus  mydriatisch  macht,  ohne  weiteres  als  Suprarenin 
angesprochen  worden  ist,  hat  so  manchen  Irrtum  verschuldet. 
Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  das  Blutserum  Substanzen 
enthält,    die    nicht  nur   der  Froschpupille,    sondern    auch   dem 


i)  Comessati,  Münchener  med.  Wochenschr.  1908,  Nr.  ^y\  Zentralbl. 
f.   Physiol.  2S,   175  (1909). 

2)  K.  Boas,  Zentralbl.  f.  Physiol.  22,  825  (1909);  2S,  252  (1909). 

3)  S.  Fränkel  und  Allers,  Biochem.  Z.  18,  40  (1909).     L.  Krauß, 
ibid.  22,  131  (1909),  vgl.  A.  J.  Ewins,  Joiim.  of  Physiol.  40,  317  (i9io)< 

4)  G.  Bayer,  Biochem.  Z.  20,  178  (1909). 


Die  Nebennieren.  411 


überlebenden   Uterus    gegenüber    sich    ähnlich   wie    Suprarenin 
verhalten^). 

Die  feinere  Ausgestaltung  der  Methodik  des  Nachweises  und  innere  Sekre- 
der  quantitativen  Bestimmung  des  Suprarenins  hat  auch  in  die  *'°"ntereif*'^" 
so  wichtige  Frage  der  inneren  Sekretion  desselben  einige  Klar- 
heit gebracht.  Bereits  vor  mehr  als  50  Jahren  hatte  Vulpian, 
der  Entdecker  der  »eisengrünenden  Substanz«,  behauptet,  daß 
die  letztere  aus  den  Nebennierenzellen  in  die  Blutbahn  sezerniert 
wird,  daß  die  Nebenniere  sonach  eine  echte  Blutgefäßdrüse  ist. 
Zahlreiche  spätere  Untersucher  haben  sodann  in  der  Nebennieren- 
vene korpuskulare  Elemente  gefunden,  welche  die  Farbenreak- 
tionen des  Suprarenins  geben  2),  Die  Entdeckung  der  blutdruck- 
steigernden Wirkung  des  letzteren  ergab  die  Möglichkeit,  den 
Übertritt  dieser  Substanz  in  die  Blutbahn  auch  auf  physiolo- 
gischem Wege  zu  prüfen^).  Es  geschah  dies  in  der  Weise,  daß  das 
aus  den  Nebennierenvenen  abströmende  Blut  aufgefangen  und 
untersucht  wurde.  Auch  versuchte  man  durch  temporäre  Ab- 
klemmung der  Vene  den  Suprareninzufluß  zeitweise  aus  dem  Blute 
fernzuhalten  und  man  hat  eine  Blutdrucksteigerung  nach  voran- 
gegangener Senkung  beobachtet,  wenn  das  in  den  Nebennieren 
anscheinend  gestaute  Suprarenin  nach  Beseitigung  des  Hinder- 
nisses wieder  dem  Blute  zuströmen  konnte. 

Man  wird  auf  Grund  des  vorliegenden  Beobachtungsmateriales 
den  Übertritt  von  Suprarenin  in  das  fließende  Blut  nicht  wohl 
bezweifeln  können.  Die  in  einem  Kubikzentimeter  Cavablut 
eines  Kaninchens  enthaltene  Suprareninmenge  ist  auf  0.000,0001 
bis  0.000,0005  Gramm,  das  in  der  Gesamtblutmenge  eines  Men- 

i)  Vgl.  P.  Trendelenburg,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  63,  161  (1910). 
E.  Bröking  und  F.  Trendelenburg,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med. 
103,  168  (191 1).  O'Connor  (Pharmakol.  Inst.  Heidelberg),  Münchener 
med.  Wochenschr.  58,   1439  (Juli   191 1). 

2)  Literatur:  G.  Bayer,  Ergebn.  d.  pathol.  Anat.  14,  28  (1910),  vgl. 
auch  O.  Stoerk  und  H.  v.  Haberer,  Arch.  f.  mikr.  Anat.  72,  481   (1908). 

3)  Cybulski,  Biedl,  Dreyer,  Strehl  und  Weiß,  Battelli,  Sal- 
violi  und  Pezzolini,  Ehrmann  (Pharmakol.  Inst.  Heidelberg),  Arch. 
f.  exper.  Pathol.  53,  97  (1905);  55,  39  (1906).  Watermann  und  Smit, 
Pflügers  Arch.  124,  198  (1908).  Yourfg  und  Lehmann,  Journ.  of  Physiol. 
37,  Proc.  Physiol.  Soc.  (1908).  L.  Asher,  Zcntralbl.  f.  Physiol.  24,  20 
(1911). 


412  XVIII.  Vorlesung. 


sehen  enthaltene   Quantum  auf  etwa    12  Milligramm  geschätzt 

worden  1). 
Einfluß  des  Bicdl^)  hat  seinerzeit  angegeben,  daß  die  Sekretion  der  Neben- 

Nervensy-     jjjgj-g  ^jgj^^  Einflüsse  des  Nervensystemes  unterworfen  ist, 

Sterns  auf   die.  .         -^ 

sekretorische   und  daß  die  Nervi  splanchnici  nicht  nur  Gefäßnerven,  sondern 
Tätigkeit    der  j^^^.]^  Sekretionsnerven  für  dieses  Organ  führen.     Dieser  Befund 

Nebenniere.  ° 

hat  mehrfach  Bestätigung  gefunden^).  Eine  sehr  beachtenswerte 
Methode,  um  die  innere  Sekretion  der  Nebenniere  und  deren  Ab- 
hängigkeit von  nervösen  Einflüssen  zu  studieren,  ist  kürzlich  von 
Asher  angegeben  worden.  Beim  Kaninchen  werden  alle  von  der 
Aorta  abdominalis  abgehenden  Arterien,  mit  Ausnahme  der- 
jenigen, welche  zu  den  Nebennieren  verlaufen,  abgebunden  und 
hierauf  alle  Eingeweide  mit  Ausnahme  der  Nebenniere  und  der 
Leber  exstirpiert.  Hierauf  wird  die  Pfortader  abgebunden,  das 
Rückenmark  hoch  durchschnitten,  künstliche  Atmung  eingeleitet 
und  der  Blutdruck  der  Carotis  oder  Femoralis  geschrieben. 
Man  erhält  so  ein  stundenlang  brauchbares  Präparat.  Faradische 
Reizung  der  Nervi  splanchnici  ergibt  nun  eine  merkliche  Blut- 
drucksteigerung. Nach  Abklemmung  der  Nebennierengefäße  hört 
jeder  Effekt  der  Splanchnicusreizung  auf,  um  sich  wieder  einzu- 
stellen, nachdem  die  Abklemmung  beseitigt  worden  ist;  daraus 
ergibt  sich,  daß  es  wirklich  eine  Mehrabsonderung  von  Suprarenin 
ist,  welche  den  Blutdruck  hier  in  die  Höhe  treibt*).  Dagegen  ist 
Vagusreizung,  sowie  auch  Atropin  und  Pilokarpin  in  Bezug 
auf  die  Nebennierensekretion  unwirksam^). 

Im  Zusammenhange  mit  dem  eben  Gesagten  gewinnen  Beob- 
achtungen, die  kürzlich  von  amerikanischen  Autoren®)  in  Bezug 
auf  den  Einfluß  von  psychischen  Erregungen  auf  die  sekre- 
torische Funktion  der  Nebenniere  mitgeteilt  worden  sind,  ein 

i)  Ehrmann,  1.  c.  Watermann  and  Smit,  1.  c.  A.  FränkeU 
Arch.  f.  exper,   Pathol.  60,  395  (1909). 

2)  A.  Biedl,  Pflügers  Arch.  67,  443  (1897). 

3)  G.  P.  Dreyer,  Amer.  Joum,  of  Physiol.  2,  203  (1899).  Water- 
mann and  Smit,  1.  c.     Tscheboksaroff,  Pflügers  Arch.  137,  (1910). 

4)  L.  Asher,  Zentralbl.  f.   Physiol.  24,  Nr.  20  (191 1). 

5)  Tscheboksaroff,  1.  c.     Ehrmann,  1.  c. 

6)  W.  B.  Cannon  and  D.  dela  Paz  (Harvard  Medical  School),  Journ, 
of  the  Amer.  Med.  Assoc.  66,  742  (191 1)  und  Amer.  Joum.  of  Physiol.  28, 
64  (191 1). 


Die  Nebennieren.  413 


erhöhtes  Interesse.  Bei  der  Katze  bewirkt  z.  B.  Furcht  eine 
Reihe  von  Reizerscheinungen  von  Seiten  des  Sympathicus:  Er- 
weiterung der  Pupillen,  Bewegungshemmung  des  Darmes  und  des 
Magens,  beschleunigte  Herztätigkeit,  Sträuben  der  Haare  u.  dgl. 
Es  ergab  sich  nimmehr  die  Frage,  ob  nicht  auch  etwa  eine  gleich- 
zeitig vermehrte  sekretorische  Tätigkeit  der  Nebennieren  nach- 
weisbar sei,  und  in  der  Tat  war  im  Blute  einer  Katze,  die  durch 
einen  bellenden  Hund  in  einen  Zustand  hochgradiger  Aufregung 
versetzt  worden  war,  eine  sehr  merkliche  Steigerung  des  Supra- 
reningehaltes  des  Blutes  dem  Ruhestande  gegenüber  nachweisbar. 
(Als  sehr  empfindliches  Testobjekt  dienten  hier  Längsstreifen 
aus  Darmmuskulatur,  die  dem  Suprarenin  gegenüber  in  einer 
Verdünnung  des  letzteren  von  i  :  20  Millionen  empfindlich  sind.) 
Die  Autoren  machen  darauf  aufmerksam,  daß  andauernde 
Sympathicusreizung,  welche  Ashers  Befunden  zufolge  auch 
eine  andauernde  Blutdrucksteigerung  zur  Folge  haben  kann, 
möglicherweise  als  Folge  einer  erhöhten  Nebennierensekretion 
zu  atheromatösen  Gefäßerkrankungen  sowie  zu  Glukosurie 
führen  könnte;  es  wäre  wirklich  verführerisch,  an  eine  Beteiligung 
eines  ähnlichen  Zusammenhanges  bei  jenen  Vorgängen  zu  denken, 
wo  sich  pathologische  Erscheinungen  der  genannten  Art,  wie  dies 
so  häufig  der  Fall  ist,  im  Anschlüsse  an  heftige  und  andauernde 
Gemütsbewegungen  einstellen.  Es  ist  ja  selbstverständlich,  daß 
Hypothesen  solcher  und  ähnlicher  Qualität  mit  der  schärfsten 
Kritik  behandelt  werden  müssen.  Dennoch  meine  ich,  daß  es 
der  klinischen  Forschung  zum  Nachteil  gereichen  müßte,  wenn 
sie  derartigen,  ihr  durch  das  Experiment  gegebenen  Anregungen 
gegenüber  sich  von  vornherein  durchaus  ablehnend  verhalten 
wollte. 

Angaben  über  Verminderung  des  Suprareningehaltes  der 
Nebennieren,  bzw.  vermehrten  Übertritt  dieser  Substanz  nach 
erschöpfender  Muskelarbeit^),  sowie  nach  langdauernder  Nar- 
kose*) haben  keine  eindeutige  Bestätigung  gefunden^).    Ahnliche 

i)  F.  Battelli  et  G.  B.  Boatta,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  54,  1203  (1902). 
H.  Schur  und  J.  Wiesel,  Wiener  klin.  Wochenschr.   1908,  247. 

2)  H.  Schur  und  J.  Wiesel,  1.  c.  J.  Hornowski,  Arch.  de  med. 
exp6rim.  21,  702  (1909). 

3)  R.  H.  Kohn  (Physiol.  Inst.  Prag),  Pflügers  Arch.  128,  519  (1909). 


414  XVIII.  Vorlesung. 


Angaben  in  bezug  auf  Einfluß  des  Hungers^),  der  Ka- 
stration^),  der  Erkältung^)  sowie  einer  langen  Agonie*) 
bedürfen  dringend  einer  Nachprüfung*). 

Dagegen  könnte  vielleicht  der  Zuckerstich  auf  dem  Wege 
der  Splanchnicusreizung  eine  intensive  Suprareninsekretion  aus 
dem  chromaffinen  Gewebe  der  Nebenniere  auslösen,  und  man 
mußte  immerhin  daran  denken,  ob  nicht  der  Piqurediabetes  eine 
Suprareninglukosurie  sei.  Kahn  beobachtete,  wenn  er  einem 
Kaninchen  eine  Nebenniere  exstirpierte,  dann  den  Zuckerstich 
machte  und  sodann  die  zweite  Nebenniere  auf  der  Höhe  der 
Glukosurie  exstirpierte,  daß  die  Chromierbarkeit  in  der  letzteren 
fast  vollständig  verschwunden  war.  Dagegen  leugnet  E.  Th, 
von  Brücke,  daß  das  Zustandekommen  des  Piqurediabetes  durch 
eine  gesteigerte  Adrenalinsekretion  bedingt  ist,  da  er  die  vaso- 
konstriktorische  Wirkung  des  während  der  Zuckerstichglukosurie 
entnommenen   Serums  nicht  gesteigert  fand^). 

W^ird  bei  einem  Hunde  die  Aorta  in  der  Brusthöhle  kurze  Zeit 
komprimiert,  so  steigt  der  Blutdruck  nachher  etwas  höher,  als 
er  vor  der  Kompression  gewesen  war.  Popielski^)  will  dies  als 
Wirkung  der  während  der  Kompression  der  Aorta  gebildeten  und 
nach  Aufhebung  des  Druckes  aus  den  Nebennieren  ausgeschwemm- 
ten Suprareninmengen  erklären.  Daß  der  Vorschlag  dieses  For- 
schers, bei  Kollaps  und  Vergiftungen  die  Aorta  für  kurze  Zeit  zu 
komprimieren,  um  dadurch  nachher  eine  Blutdrucksteigerung  zu 


i)  F.  Venulet  und  G.  Dimitrowsky,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  %%y 
460  (1910).  F.  Luksch  (Pharmakol.  Inst.  Prag,  V^orst.  J.  Pohl),  ibid.  %hy 
161   (1911). 

2)  F.  Schenk  (Pharm.  Inst.  Prag,  Vorst.  J.  Pohl),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  %\^  362  (191 1). 

3)  K.   Reicher,  Berliner  klin.  Wochenschr.    1908,   1435. 

4)  A.  Cevidalli  und  F.  Leoncini,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol. 
10,  Nr.  219  (19 10). 

5)  R.  H.  Kahn  (Physiol.  Inst.  Prag),  Pflügers  Arch.  140,  209  (191 1). 
N.  Watermann  (Rotterdam),  ibid.  142,  104  (191 1).  E.  Th.  v.  Brücke 
(Physiol.  Inst.  Leipzig),  Münchener  med.  Wochenschr.   191 1,   1389. 

6)  L.  Popielski  (Inst.  f.  experim.  Pharm.  Lemberg),  Pflügers  Arch. 
139,  571  (1911).  H.  Schiota  (unter  Leitung  von  A.  Kreidl,  Wien), 
Pflügers  Arch.  128,  431  (1909).  R.  Th.  Schwarzwald,  Zentralbl.  f. 
allg.  Pathol.   1909,  503. 


Die  Nebennieren.  415 


erzielen,  bei  den  Praktikern  viel  Anklang  finden  wird,  erlaube 
ich  mir  zu  bezweifeln. 

Falls  die  innere  Sekretion  der  Nebennieren  wirklich,  wie  es  Exstirpation 
dem  Mitgeteilten  zufolge  den  Anschein  hat,  einen  so  mächtigen  <i- Nebennieren. 
Einfluß  auf  den  Blutdruck  ausübt,  muß  man  wohl  von  vornherein 
erwarten,  daß  die  Exstirpation  der  Nebennieren  als  ein 
folgenschwerer  Eingriff  zu  betrachten  sei.  Seitdem  Brown-  Sequard 
im  Jahre  1856  aus  seinen  Versuchen  den  Schluß  gezogen  hatte, 
daß  der  Wegfall  beider  Nebennieren  innerhalb  kurzer  Zeit  zum 
Tode  führt,  wird  in  einer  schier  endlosen  Literatur,  auf  die  ich 
hier  nicht  genauer  eingehen  möchte,  die  Frage  der  Lebenswichtig- 
keit der  Nebenniere  erörtert,  ohne  daß  man  bisher  zu  einer  end- 
giltigen  Einigung  gelangt  wäre. 

Die  meisten  Autoren  sind  wohl  gegenwärtig  der  Meinung,  daß 
der  Ausfall  beider  Nebennieren  innerhalb  kurzer  Zeit  zum  Tode 
führt  und  sind  geneigt,  die  zahlreichen  Beobachtungen,  welche 
das  Überleben  von  Tieren  nach  Exstirpation  beider  Nebennieren 
betreffen,  auf  die  kompensatorische  Hypertrophie  akzes- 
sorischer Organe  (s.o.)  zurückzuführen,  wie  denn  auch  nach 
Ausschaltung  niu*  einer  Nebenniere  die  vikariierende  Mehr- 
leistung der  anderen  vielfach  in  einer  kompensatorischen  Hyper- 
trophie zum  Ausdrucke  gelangt  i). 

In   Bezug  auf  die   Frage   der  relativen   Bedeutung  der  Relative     Be- 
Rinde  und    des  Markes  für  die  Erhaltung    des  Lebens    ist  n^®"*""^  ^^^ 

..  ^  Rinde    u,    des 

Biedl  der  Meinung,  daß  für  das  überleben  der  Tiere  die  Rinde,  Markes, 
oder  richtiger  gesagt,  das  Interrenalgewebe  unentbehrlich  ist. 
Säugetiere,  denen  der  Hauptanteil  der  Nebennieren  operativ  ent- 
fernt worden  war,  konnten  überleben,  wenn  man  ihnen  etwa 
ein  Achtel  der  Organe  zurückgelassen  hatte,  vorausgesetzt,  daß 
der  zurückbleibende  Anteil  aus  Rindengewebe  bestand.  Die 
Zerstörung  des  Nebennierenmarkes,  soweit  sich  dieselbe  nach 
Spaltung  des  Organes  auf  operativem  Wege  ausführen  ließ,  blieb 
in  Biedls  Versuchen  ohne  schwere  Folgen.  Dagegen  ist  es  ihm 
nie  gelungen,  Tiere,  bei  denen  durch  möglichst  sorgfältige  Ab- 
tragung die  Nebennierenrinde  entfernt   und  die   Marksubstanz, 

i)  Literatur  über  Ausfall  der  Nebennieren:   A.  Biedl,  Innere  Sekretion 
132 — 164,  1910.    Swale-Vincent,  Ergebn.  d.  Physiol.  9,  521 — 541  (1910). 


4l6  XVIII.  Vorlesung. 

soweit  ak  tunlich,  geschont  worden  war,  am  Leben  zu  erhalten. 
Im  gleichen  Sinne  fielen  Versuche  an  Selachiem  aus,  bei  denen 
durch  die  vollkommene  örtliche  Trennung  der  Interrenal-  und 
Adrenalorgane  von  vornherein  günstige  Versuchsbedingungen  ge- 
schaffen sind.  Auf  die  experimentelle  Exstirpation  des  Adrenal- 
S5^tems  mußte  hier  zwar  verzichtet  werden.  Dagegen  gelang  es 
insbesondere  bei  Rochen,  eine  totale  Exstirpation  des  Inter- 
renalgewebes  auszuführen.  »Spätestens  drei  Wochen  post  opera- 
tionem«  sagt  Btedl,  »gingen  solche  ihrer  Interrenalorgane  be- 
raubte Rajiden  unter  den  Erscheinungen  allgemeiner  Prostration 
zugrunde  .  .  .  Durch  die  Versuche  glaube  ich  wohl  einwandfrei 
den  Beweis  erbracht  zu  haben,  daß  die  Ausrottung  des  Interrenal- 
gewebes  allein  mit  der  Fortdauer  des  Lebens  unvereinbar  ist 
und  unter  Erscheinungen  zum  Tode  führt,  welche  den  nach 
Nebennierenexstirpation  zu  beobachtenden  an  die  Seite  zu 
stellen  sind.« 

Leider  sind  die  Erscheinungen  nach  Ausfall  der  Neben- 
nieren so  wenig  charakteristisch  (es  handelt  sich  um  Abmagerung, 
Absinken  der  Temperatur,  Muskelschwäche,  Prostration  u.  dgl.), 
daß  mit  diesen  Symptomen  wenig  anzufangen  ist. 

Transpianta-  j)[q  Methode  der  Organtransplantation,  welche  z.  B.  bei 
nieren.  der  Erforschung  der  Pankreasfunktion  so  große  Fortschritte  ge- 
zeitigt hat,  vermochte  einstweilen  auf  dem  Gebiete  der  Neben- 
nierenphysiologie nur  geringe  Erfolge  zu  erzielen  und  man  war 
bis  vor  kurzem  der  Meinung,  daß  nach  Verpflanzung  der  Neben- 
nieren zum  mindesten  das  Mark  unter  allen  Umständen  ver- 
schwindet. Allerdings  ist  es  v.  Haberer  und  Stoerk  gelungen,  indem 
sie  die  Nebennieren  unter  Erhaltung  eines  Gefäßstieles  in  die 
benachbarten  Nieren  transplantierten,  Dauererfolge  zu  erzielen. 
Doch  handelt  es  sich  ja  in  diesem  Falle  doch  nur  um  eine  Dis- 
lokation bei  erhaltener  Blut  zufuhr,  nicht  aber  um  die  Einheilung 
eines  vollständig  losgelösten   Organes*). 

Morbus   Addi-        Die  großen  Lücken,  welche  die  Symptomatologie  der  Neben- 
sonii.        nierenexstirpation   in  unserem  Wissen  gelassen  hat,   sind  auch 


i)  V.  Habercr  und  Stoerk,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,  305  u.  '^2>^. 
H.  Schiota  (unter  Leitung  von  A.  Kreidl,  Wien),  Pflügers  Arch.  128, 
431  (1909). 


Die  Nebennieren.  417 


durch  das  seit  mehr  als  einem  halben  Jahrhunderte  mit  großem 
Eifer  betriebene  Studium  des  Morbus  Addisonii  nur  sehr  un- 
vollständig ausgefüllt  worden^).  Die  Pathologie  und  Klinik  der 
Nebennierenerkrankungen,  von  der  uns  v.  N ausser s  und  Wiesels 
Monographie  ein  abgerundetes  Bild  entwirft,  legt  der  Biochemie 
zahlreiche  Fragen  vor,  auf  die  einstweilen  leider  jede  Antwort 
fehlt. 

Unter  den  Symptomen  des  Morbus  Addisonii  steht  neben  der 
charakteristischen  Pigmentanomalie,  der  »Bronzehaut«,  hoch- 
gradige Muskelschwäche,  ein  Komplex  gastrointestinaler 
Störungen  sowie  eine  auffallende  Abmagerung  im  Vorder- 
grunde. Inwieweit  die  Läsion  der  Nebennieren  als  solche,  in- 
wieweit diejenige  benachbarter  sympathischer  Nervenapparate 
für  diese  Erscheinungen  verantwortlich  zu  machen  ist,  läßt  sich 
einstweilen  kaum  mit  Sicherheit  auseinanderhalten.  Seitdem 
man  die  charakteristische  Blutdruckwirkung  des  Suprarenins 
kennen  gelernt  hat,  ist  auch  dem  Verhalten  des  Blutdruckes 
beim  Morbus  Addisonii  besondere  Aufmerksamkeit  geschenkt 
worden.  Es  gibt  nun  allerdings  Fälle  dieser  Erkrankung,  wo  der 
Blutdruck  auffallend  niedrig  ist ;  diesen  stehen  aber  auch  wiederum 
andere  Fälle  gegenüber,  wo  derselbe  kein  auffallendes  Verhalten 
zeigt*). 

Allzuviel  ist  also  damit  einstweilen  nicht  anzufangen. 

Die  Untersuchung  des  Stoffwechsels  hat  wenig  Charakteristi- 
sches geboten.  Beachtung  verdient  die  Angabe  von  0.  Porges^), 
derzu folge  Hypoglykämie  ein  charakteristisches  Symptom  des 
Morbus  Addisonii  sein  soll.  Die  Zahl  der  diesbezüglich  vorliegen- 
den Beobachtungen  ist  vorderhand  zu  gering,  um  ein  definitives 
Urteil  zu  gestatten;  (immerhin  ist  Hypoglykämie  auch  bei  neben- 
nierenlosen Hunden  beobachtet  worden). 

i)  Literatur  über  Morbus  Addisonii:  E.  v.  Neuss  er,  Die  Erkrankungen 
der  Nebenniere.  Nothnagels  Handb.  18(1899).  E.  v.Neusserund  J.Wiesel, 
ibid.  2.  Aufl.  Wien.  Alfred  Holder.  1910.  A.  Bittorf,  Die  Pathologie 
der  Nebennieren  und  der  Morbus  Addisonii.    Gustav  Fischer.  Jena  1908. 

2)  Vgl.  E.  Münzer  (Prag),  Med.  Klinik  1910,  Nr.  24. 

3)  O.  Porges  (Klinik  v.  Noorden,  Wien),  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  69, 
341  (1910).  H.  Schirokauer  (Berlin),  Berliner  klin.  Wochenschr.  48, 
H.  23  Aug.   191 1. 

V.  Fürth,  Probleme.  27 


4l8  XVIII.  Vorlesung. 


Ich  werde  in  einer  späteren  Vorlesung  noch  Gelegenheit  finden, 
Ihnen  auseinanderzusetzen,  wie  wenig  gefestigt  unsere  Vorstel- 
lungen über  die  wirkliche  Rolle  des  Suprarenins  bei  der  ph3^iolo- 
gischen  Zucker mobilisierung  sind.  Es  hätte  daher  wenig  Sinn, 
wenn  ich  hier  die  Frage  diskutieren  wollte,  ob  die  Adynamie  bei 
der  Addisonschen  Krankheit  wirklich  eine  Folge  der  Herab- 
setzung des  Blutzuckergehaltes  sei. 
Beziehung  der  Ein  gewisser  Fortschritt  ist  vielleicht  in  bezug  auf  die  Patho- 
Nebennicre    genese  der  Bronzehaut  zu  verzeichnen.     Seinerzeit  von  mir 

zur     Pigment-  *^ 

biidung.  entwickelte  Vorstellungen  über  die  enzymatische  Pigmentbildung 
durch  Einwirkung  oxydativer  Fermente  auf  zyklische 
Chromogene^)  haben,  wie  es  scheint,  gegenwärtig  ziemlich 
allgemeine  Aufnahme  gefunden.  Daß  tierische  »Tyrosinasen« 
auch  Suprarenin  unter  Bildung  dunkelgefärbter  Produkte  zu 
oxydieren  vermögen,  habe  ich  bereits  im  Hofmeister  sehen  La- 
boratorium beobachtet.  Später  hat  Neuberg  gezeigt,  daß  ein  aus 
einem  melanotischen  Tumor  gewonnenes  Ferment  auf  Suprarenin 
im  Sinne  einer  Farbstoffbildung  einwirkt^).  Wenngleich  ich  der 
Meinung  bin,  daß  man  viel  zu  weit  geht,  wenn  man  (wie  es  Jäger 
tut  3))  das  Suprarenin  als  Muttersubstanz  für  alle  eisenfreien  Pig- 
mente des  Organismus  hinstellen  will,  liegt  es  doch  sicherlich  nahe, 
daran  zu  denken,  daß  das  Suprarenin,  direkt  oder  indirekt,  irgend 
etwas  mit  der  Pigmentbildung  der  »Bronzed  Skin«  zu  tun  habe 
und  zwar  könnte  man  vermuten,  daß  eine  Vorstufe  des  Supra- 
renins, welche  unter  normalen  Verhältnissen  im  Nebennieren- 
marke in  dieses  letztere  umgewandelt  wird,  wenn  sie  unter  patho- 
logischen Bedingungen  dieser  Umwandlung  entgeht,  sich  nunmehr 
im  Blute  anhäuft  und  unter  gewissen  Bedingungen  in  der  Haut 
oder  in  Schleimhäuten  unter  Mitwirkung  von  Enzymen  einer 
oxydativen  Umwandlung  in  »Melanin«  unterliegt.  Neuere  Ver- 
suche deuten  nun  tatsächlich  darauf  hin,  daß  sich  ein  Chromogen 
nach    Läsion    der   Nebennieren    in    der    Haut    anhäufen   kann. 


i)  O.  V.  Fürth  und  H.  Schneider,  Hofmeisters  Beitr.  1,  229  (1901). 

2)  C.  Neuberg,   Virchows  Arch.    192,    514    (1908)    und    Zeitschr.    f. 
Krebsforschung  8,   195  (19 10). 

3)  A.   Jäger,  Virchows  Arch.  198,  62  (1909). 


Die  Nebennieren.  41g 


Meirowski^)  hat  auf  der  Klinik  Neißer  in  Breslau  gezeigt,  daß 
vom  Körper  losgelöste  Haut  unter  Umständen  beim  längeren 
Verweilen  im  Wärmekasten  eine  Pigmentvermehrung 
aufweist,  wobei  neues  Pigment  aus  einer  ungefärbten  Mutter- 
substanz entsteht,  derart,  daß  dieses  Verfahren  einen  gewissen 
Maßstab  für  die  Leistungsfähigkeit  der  Haut  in  bezug 
auf  Pigmentbildung  abgibt.  Dieser  Versuch  gelingt  nun  in 
der  Regel  beim  Menschen  nur,  wenn  die  Hautproben  dem  be- 
treffenden Individuum  während  des  Lebens  oder  kurz  nach  dem 
Tode  entnommen  worden  sind.  Dagegen  fiel  mit  der  Haut  eines 
Falles  von  Addisonscher  Krankheit  der  Versuch  auffallender- 
weise noch  nach  5  Tagen  positiv  aus.  In  analoger  Weise  hat 
Königstein^)  kürzlich  beobachtet,  daß  die  Haut  von  Himden 
nach  Exstirpation  der  Nebennieren  durch  eine  gesteigerte 
Fähigkeit  zu  postmortaler  Pigmentbildung  ausgezeichnet  ist. 

Wie  Sie  sehen,  hat  weder  das  Studium  der  Nebennieren- 
exstirpation  noch  dasjenige  der  Addisonschen  Krankheit  viel  zur 
Klärung  der  Frage  beigetragen,  ob  und  inwieweit  die  »innere 
Sekretion«  des  Suprarenins  aus  der  Nebennierenmarksubstanz  in 
die  Blut  bahn  hinein  ein  lebenswichtiger  Vorgang  sei. 

Wenn  die  Aufgabe  des  Suprarenins  wirklich  darin  besteht,    Suprarenin- 
den  Blutdruck  zu  regulieren,  wäre  zu  erwarten,  daß  eine  künst-  herabgesrtztein 
liehe  Herabsetzung  des  Blutdruckes  mit  einer  vermehrten     Blutdruck. 
Suprareninsekretion    beantwortet  wird.     Eine  solche  bzw.  eine 
Verminderung  des  Suprareningehaltes  der  Nebennieren  ist  jedoch 
nach  Blutdruckherabsetzung  durch  Wittepeptoninjektionen^)  sowie 
durch  Aderlässe*)  vermißt  worden.     Eine  Regulierung  des  er- 
niedrigten   Blutdruckes    durch    vermehrte    Suprareninsekretion 
scheint  also  nicht  zu  bestehen. 

Dagegen  fand  Paul  Trendelenburg,  daß,  wenn  der  Blutdruck 
einer  Katze  durch  starken  Aderlaß  herabgesetzt  wird,  zwar  die 
Minutenausflußmenge  des  Nebennierenblutes  sehr  erheblich  ab- 


i)  E.  Meirowski,    Frankfurter   Zeitschr.    f.   Pathol.  2,    438    (1909), 
vgl.  H.   Königstein,  Münchener  med.  Wochenschr.  1909,  2305. 

2)  H.  Königstein,  Wiener  klin.  Wochenschr.  82,  Nr.  17  (1910). 

3)  Nowicki,  Virchows  Arch.   205,    100  (191 1). 

4)  P.  Trend elenburg  (Pharmakol.  Inst.  Freiburg),  Zeitschr.  f.  Biol. 
57,  90  (Sept.   19 11). 

27* 


420  XVIII.  Vorlesung. 


nimmt,  die  Suprareninkonzentration  aber  so  gesteigert  wird, 
daß  die  in  der  Zeiteinheit  austretende  Menge  dieser  Substanz 
kaum  verringert  erscheint.  Das  macht  den  Eindruck,  als  ob 
der  Organismus  immerhin  das  Bestreben  hätte,  auch  bei  nie- 
drigem Blutdrucke  eine  normale  Suprareninzufuhr  zum  Blute 
aufrecht  zu  erhalten. 
Funktions-  Es  hat  nun  aber  weiterhin  Luksch^)  im  Laboratorium  von 

Störung  bei    j^iHi^s  Pohl  sehr  interessante  Studien  über  die  Funktionsstö- 

Intoxikationen  '' 

und  rung  der  Nebennieren  bei  Intoxikationen  und  Infek- 
infektionen.  tionen  angestellt.  Bei  Tieren,  die  mit  Phosphor  oder  Diph- 
therietoxin  vergiftet,  durch  Nierenausschaltung  urämisch 
gemacht,  mit  Bacterium  coli,  Tuberkelbazillen  oder 
Staphylokokken  infiziert  worden  waren,  wurde  eine  Herab- 
setzung des  Suprareningehaltes  der  Nebennieren  festgestellt.  Der 
Gedanke,  daß  das  Versagen  der  Herzarbeit,  wie  es  im  Verlaufe 
verschiedener  Infektionen  und  Vergiftungen  so  oft  beobachtet  wird, 
unter  Umständen  durch  ein  Versiegen  der  Suprareninsekretion  und 
durch  eine  sich  daran  anschließende  Erschlaffung  des  Gefäß- 
systems verursacht  sein  könnte,  hat  sicherlich  etwas  sehr  Be- 
stechendes. Einstweilen  liegt  die  Frage  so,  daß  ein  Teil  der 
erwähnten  Befunde,  soweit  sie  sich  auf  die  Phosphorvergiftung  2) 
und  die  Urämie^)  beziehen,  bestätigt  worden  ist,  während  ein 
Zusammenhang  des  Diphtherietodes  mit  einer  Erschöpfung  des 
chromaffinen  Systems  von  anderer  Seite  bestritten  wird*).  Meines 
Erachtens  sollte  man  es  nicht  unterlassen,  diesem  Gegenstande 
auch  weiterhin  Beachtung  zu  schenken.  In  tierärztlichen  In- 
stituten wäre  auch  Gelegenheit  geboten,  einschlägige  Beobach- 
tungen an  größeren  Tieren  anzustellen,  deren  Nebennieren  solche 
Dimensionen  besitzen,  daß  man  den  Suprareningehalt  darin  in 
ganz  exakter  Weise  auf  kolorimetrischem  Wege  (s.  o.)  bestimmen 

i)  F.  Luksch,  Wiener  klin.  Wochenschr.  18,  345  (1905),  Berliner 
klin.  Wochenschr.  1909,  Nr.  44.     Lotos,  Prag,  30.  November  1909. 

2)  Formiggini,  zit.  n.  Biochem.  Zentralbl.  10,  Nr.  2042  (1910).  E. 
Neubauer  und  O.  Porges  (Klinik  v.  Noorden,  Wien),  Biochem.  Z.  32, 
290  (191 1). 

3)  J.  Parisot  et  A.  Herter,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  1907,  II  821. 

4)  R.  Ehrmann,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  55,  39  (1906).  B.  Hannes, 
Deutsch.  Arch.  f.  kUn.  Med.  100,  287  (19 10). 


Die  Nebennieren.  42 1 


kann.  Solange  man  nicht  mit  chemischen,  sondern  nur  mit 
physiologischen  Methoden  (Froschpupillenversuchen  u.  dgl.)  ar- 
beitet, wird  es  ohne  grobe  Täuschungen  nicht  abgehen. 

Wie  wenig  verläßliche  und  eindeutige  Resultate  die  Versuche  Adrenalin- 
liefern, minimale  Suprareninmengen  mit  Hilfe  der  Ehrmann-  ^"'^l^j!!  ^^' 
sehen  Froschbulbusmethode  (Erweiterung  der  Pupille  eines 
enukleierten  Froschauges)  quantitativ  bestimmen  oder  auch  nur 
schätzen  zu  wollen,  lehrt  ein  Blick  auf  die  Literatur  über  »Adre- 
nalinämie  bei  chronischer  Nephritis«.  Vor  einigen  Jahren 
hat  eine  Mitteilung  von  Schur  und  Wiesel'^),  derzufolge  »Herz- 
h3^ertrophie,  Gefäßschädigung  und  hoher  Blutdruck  bei  Ne- 
phrosen auf  die  erhöhte  Funktion  des  chromaffinen  Gewebes  zu 
beziehen  sei«,  sehr  großes  Aufsehen  erregt.  Die  Befunde  der 
genannten  Autoren,  welche  auch  angaben,  »daß  sich  im  Nephri- 
tikerserum  auch  chemisch  mittelst  der  Eisenchloridreaktion  Adre- 
nalin nachweisen  läßt,  daß  mithin^die  mydriatische  Wirkung  mit 
Sicherheit  auf  Adrenalin  bezogen  werden  muß«,  haben  eine  er- 
staunlich große  Zahl  von  Nachprüfungen  hervorgerufen*).  Die 
Resultate  derselben  lauten  durchaus  widersprechend.  Eine  von 
A,  Fränkel^)  im  Laboratorium  Gottliebs  ausgeführte  Untersuchung, 
bei  der  eine  Methode  angewandt  wurde,  welche  dem  Froschbulbus- 
verfahren  entschieden  weit  überlegen  ist,  (nämüch  die  Beobach- 
tung des  überlebenden  Kaninchenuterus  nach  Kehr  er),  ergab, 
daß  im  Blutserum  Gesunder  Suprarenin  regelmäßig  in  kleinen 
Mengen  aufgefunden  werden  kann,  daß  aber  bei  chronischer,  mit 
Hypertonie  verbundener  Nephritis  niemals  einer  Steigerung  der 
Menge  desselben  der  Norm  gegenüber  nachweisbar  ist.  Bei  der 
für  die  chronische  Nephritis  charakteristischen  Blutdrucksteigerung 
kann  also  sicherlich  nicht  dem  Suprarenin  die  Hauptrolle  zufallen, 
und  dies  um  so  weniger,  als  Fränkel  bei  einer  anderen  Erkrankung, 
dem    Morbus    Basedow ii,    eine    scheinbare    Vermehrung   des 

i)  H.  Schur  und  J.  Wiesel,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1907,  Nr.  23, 
27,  40  und  Deutsche  med.  Wochenschr.  1907,  2136. 

2)  Literatur  über  die  Bedeutung  des  Suprarenins  bei  dauernder  Blut- 
drucksteigening,  Nephritis  und  Herzhypertrophie:  G.  Bayer,  Ergebn.  der 
pathol.  Anat.  14,  56 — 69  (1910). 

3)  A.  Fränkel  (Pharmakol.  Inst.  Heidelberg),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  60,  395  (1909). 


422  XVIII.  Vorlesung. 


Suprarenins  im  Blute  auf  das  Vier-  bis  Achtfache  beobachtet  hat, 
ohne  daß  von  Hypertonie  irgend  etwas  zu  merken  gewesen  wäre. 

Man  wird  es  mir  auch  schwerlich  übel  nehmen  können,  wenn 
ich  mich  der  kürzlich  aufgetauchten  Lehre  von  der  »Autoadre- 
nalinintoxikation« gegenüber  skeptisch  verhalte,  derzufolge 
eine  Blutung  in  das  Nebennierenparenchym  unter  Umständen  zu 
einer  Überschwemmung  des  Körpers  mit  Suprarenin  und  zu 
einer  tödlichen  Intoxikation  führen  soll^). 
Zerstörung  des  Eine  für  das  Verständnis  der  physiologischen  Rolle  des  Supra- 
organismus!"  renins  bedeutsame  Frage  ist  die,  wie  denn  diese  Substanz  aus 
dem  Organismus  verschwindet.  Bekanntlich  klingt  die  charak- 
teristische Blutdrucksteigerung  nach  intravenöser  Injektion  von 
Suprarenin  sehr  schnell  im  Verlaufe  weniger  Minuten  ab  und 
es  mußte  sich  die  Frage  aufdrängen,  wie  diese  auffällige  Er- 
scheinung denn  zu  erklären  sei. 

Nach  den  Anschauungen  \^n  Straub  ist  das  Suprarenin  ein 
»Potcntialgift«,  d.  h.  ein  Gift,  dessen  Effekt,  unabhängig  vom 
absoluten  Giftgehalt  der  seiner  Wirkung  unterliegenden  Zellen, 
nur  dann  zur  Geltung  gelangt,  wenn  ein  Konzentrationsgefälle 
in  bezug  auf  den  Giftgehalt  der  spezifisch  beeinflußbaren  Ele- 
mente und  deren  Umgebung  besteht.  Für  das  Suprarenin  gelten 
insofern  besondere  Verhältnisse,  als  dasselbe  einer  raschen  Zer- 
störung anheimfällt,  daher  sich  ein  definitiver  Gleichgewichts- 
zustand zwischen  empfindlichen  Zellen  (z.  B.  den  glatten  Muskeln 
der  Gefäßwand)  und  deren  Umgebung  nicht  einzustellen  vermag 2). 

Die  Frage  der  Suprareninzerstörung  ist  durch  Angaben  kom- 
pliziert worden,  denen  zufolge  das  Serum  der  Versuchstiere  auch 
noch  nach  Abklingen  der  Suprareninwirkung  so  große  Mengen 
des  intravenös  injizierten  Giftes  enthalten  sollte,  daß  diese  normaler- 
weise bei  einem  anderen  Tiere  noch  eine  t5^ische  Blutdruck- 
steigerung erzeugen  könnten^). 

i)  L.  Materna  (Pathol.  Inst.  Graz),  Zieglers  Beitr.  z.  pathol.  An. 
48,  236  (1910). 

2)  W.  Kratschmer,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  57,  423  (1907).  H.  Ritz- 
mann,  ibid.  61,  231  (1909).    P.  Trendelendurg,  ibid.   63,   161    (1910). 

3)  O.  Weiß  und  J.  Harris,  Pflügers  Arch.  103,  510  (1904).  R.  Ehr- 
mann, Arch.  f.  exper.  Pathol.  53,  97  (1905).  J.  de  Vos  und  Koch- 
mann,  Arch.  internal,  de  Pharmacodyn.   14,  81   (1905). 


Die  Nebennieren.  423 


Diese  Angaben,  welche  das  Problem  in  die  dunklen  Regionen 
der  Giftgewöhnung  hinüberzudrängen  schienen,  haben  jedoch 
keine  allgemeine  Bestätigung  gefunden  i).  Kürzlich  hat  Paul 
Trendelenburg  ^)  die  Frage  neuerlich  mit  Hilfe  der  anscheinend 
sehr  brauchbaren  Läwenschen  Methode  3)  untersucht,  wobei  die 
hinteren  Extremitäten  von  Fröschen  unter  konstantem  Drucke 
mit  Ringerlösung  durchströmt  werden  und  der  vasokonstriktorische 
Effekt  des  Suprarenins  sich  aus  einer  Verminderung  der  Ausfluß- 
menge ergibt.  Trendelenburg  gelangt  zu  dem  Resultate,  daß  die 
Zerstörung  des  Suprarenins  im  Warmblüterorganismus  mit  dem 
Absinken  der  Blutdrucksteigerung  völlig  parallel  geht  und  daß, 
sobald  der  Druck  zur  Norm  zurückgekehrt  ist,  die  gesamte  zu- 
geführte Suprareninmenge  auch  schon  aus  dem  Kreislaufe  ver- 
schwunden ist.  Wie  diese  Zerstörung  aber  vor  sich  geht,  ist 
nicht  genau  bekannt.  Versuche,  die  ich  seinerzeit  gemeinsam 
mit  Gustav  Embden^)  an  durchlüftetem,  mit  Suprarenin  ver- 
setztem Blute  ausgeführt  habe,  deuten  darauf  hin,  daß  es  sich 
dabei  um  eine  oxydativeZerstörung^)  handelt,  die  durch  das 
Blutalkali  (und  vermutlich  auch  durch  andere  Katalysatoren) 
beschleunigt,  durch  Säureionen  jedoch  gehemmt  wird.  Mit  letz- 
terem Umstände  imd  mit  der  postmortalen  Säurebildung  in  den 
Geweben  hängt  es  wohl  zusammen,  daß  Etnbden  und  ich  bei 
Organbreiversuchen  vielfach  jeden  Suprareninschwund  vermißt 
haben,  und  daß  Kreischmer^)  durch  Säureinfusionen  das  Ab- 
klingen der  blutdrucksteigemden  Wirkung  sehr  erheblich  ver- 
zögern konnte.  Das  von  Langlots  untersuchte  schnellere  Ab- 
klingen der  Wirkung  beim  Erwärmen,  das  langsamere  bei  der 
Abkühlung  von  Tieren  stimmt  mit  der  katalytischen  Oxydations- 
beschleunigung durch  Wärmezufuhr  überein. 

i)  J.  Jakson,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  23,  226,   1908/09. 

2)  P.   Trendelenburg    (Pharm.    Inst.    Freiburg),    Arch.    f.    exper. 
Pathol.  63,  161  (1910). 

3)  A.  Läwen,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  51,  415  (1904). 

4)  G.  Embden  und  O.  v.  Fürth  (Physiol. -ehem.  Inst.  Straßburg), 
Hofmeisters  Beitr.  4,  421   (1904). 

5)  F.  Battelli,   C.  R.  Soc.  de  Biol.  1902,   1179,   1518.     E.  Siegel, 
Pflügers  Arch.  138,  617(1911).    B.  Scholz,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med. 

102,  117  (1911). 

6)  W.  Kretschmer,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  57,  438  (1907). 


424  XVIII.  Vorlesung. 


Daß  Suprarenin  unter  physiologischen  Bedingungen  in  den 
Harn  übertreten  kann^),  ist  wiederholt  behauptet,  doch  niemals 
wirklich  bewiesen  worden.  Dagegen  scheint  ein  solcher  Übertritt 
sich,  wie  zuerst  Cybulskt  beobachtet  hat,  nicht  allzu  schwer  zu 
vollziehen,  wenn  der  Organismus  mit  Suprarenin  (insbesondere 
durch  intrastomachale  Einverleibung  desselben)  überschwemmt 
wird  2). 
Physioiogi-  Daß  eine  physiologisch  so  bedeutsame  und  so  differente  Sub- 

sche  Wirksam-  gtanz  wie  das  Suprarenin  ( —  dasselbe  entfaltet  bei  intravenöser 

keit  des  Supra-  ^  ^ 

renins.  Injektion  schon  in  einer  Dosis  von  einem  Millionstel  Gramm 
pro  Kilo  Tier  einen  deutlichen  blutdrucksteigemden  Effekt  — ) 
nach  allen  Richtungen  hin  in  bezug  auf  ihre  physiologischen 
Wirkungen  geprüft  worden  ist,  ist  selbstverständlich.  Der 
geradezu  ungeheure  Umfang  der  einschlägigen  Literatur  ge- 
stattet mir  nicht,  auf  die  Einzelheiten  derselben  einzugehen; 
ich  werde  mich  vielmehr  mit  einem  kurzen  Überblicke  der 
wichtigsten  Resultate  begnügen  müssen  3). 

Die  für  das  Suprarenin  so  charakteristische  Blutdrucksteigerung 
ist  durch  eine  hochgradige  Kontraktion  peripherer  Gefäße, 
sowie  durch  eine  Verstärkung  der  Herzarbeit  bedingt.  Für  die 
Beobachtung  der  ersteren  hat  sich  neben  dem  Kymographion- 
versuche  das  im  Laboratorium  von  M.  von  Frey^)  ausgearbeitete 
Studium  der  Tonusänderungen  ausgeschnittener  Arte- 
rienstreifen als  fruchtbar  erwiesen.  Es  hat  sich  weiterhin 
gezeigt,  daß  nicht  alle  Gefäßgebiete  sich  dem  Suprarenin  gegen- 
über gleichwertig  verhalten,  daß  vielmehr  die  Gefäße  der  Lunge 
und    des  Gehirnes,    sowie    auch   die  Coronargefäße    abweichend 

i)  Vgl.  G.  Commcssati  (Padua),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  60,  233 
(1909).  H.  Schur,  Wiener  klin.  Wochenschr.  19M,  1587.  Diem  (Klinik 
Eichhorst,  Zürich),  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  94,   174  (1908). 

2)  G.  Embden  und  O.  v.  Fürth,  1,  c.  W.  Falta  und  L.  Ivcovic 
(Klinik  v.  Noorden),  Wiener  klin.  Wochenschr.  22,  Nr.  51  (1909). 

3)  Literatur  über  physiologische  Wirkungen  des  Suprarenins:  H.  Bo- 
ruttau,  Nagels  Handb.  d.  Physiol.  2,  II,  24 — ^6  (1907)  und  Ergänzungs- 
band, 131  (1910).  Swale-Vincent,  Ergebn.  d.  Physiol.  9,  541 — 560 
(19 10).  G.  Bayer,  Ergebn.  d.  pathol.  An.  14,  43 — 55,  83 — 89,  96 — 98,. 
125 — 132   (1910).     A.  Biedl,   Innere  Sekretion,    172 — 222   (1910). 

4)  V.  Frey,  Sitzungsber.  d.  physiol.  med.  Ges.  Würzburg  1905.  O.  B. 
Meyer,  Zeitschr.  f.  Biol.  48,  352  (1906);  50,  93  (1908). 


Die  Nebennieren.  425 


reagieren.  Die  im  Beginne  der  Blutdrucksteigerung  vielfach 
beobachtete  Puls  verlangsamung  ist  auf  eine  Reizung  des 
Vaguszentrums,  die  Beschleunigung  der  Herzaktion  auf  der 
Höhe  der  Wirkung  auf  eine  Erregung  der  Nervi  accele- 
rantes  zu  beziehen.  Systematische  Versuche  von  Langley, 
Ellioty  Brodie,  Dixon  und  anderen  Forschern  haben  gelehrt, 
daß  das  Suprarenin  auf  die  verschiedensten  Organe  in  gleicher 
Art  einwirkt  wie  die  Reizung  der  das  betreffende  Organ  ver- 
sorgenden sj^mpathischen  Nervenfasern.  Daß  es  sich  um 
eine  direkte  Beeinflussung  der  glatten  Muskelfasern  handelt,  ist 
schon  durch  den  Umstand  unwahrscheinlich  geworden,  daß  die 
Muskeln  verschiedener  Organe  auf  das  Suprarenin  durchaus 
verschieden  und  zwar  bald  mit  Tonussteigerung,  bald  mit 
Tonushemmung  reagieren.  Da  die  Wirkung  auch  durch 
Nervendegeneration  nicht  aufgehoben  wird,  kann  das  Suprarenin 
seinen  Angriffspunkt  nur  in  den  sympathischen  End- 
apparaten haben,  und  zwar  betrachtet  Langley  auf  Grund 
ausgedehnter  Untersuchungen,  die  sich  nicht  nur  auf  das  Supra- 
renin, sondern  auch  auf  das  Nikotin,  Kurare  und  auf  andere 
Gifte  beziehen,  eine  zwischen  Nerven  und  Muskel  eingeschaltete, 
histologisch  j edoch  nicht  differenzierbare  »rezeptiveZwischen- 
substanz«  als  den  Angriffsort  der  Wirkung. 

Das  Suprarenin  wirkt  auf  die  glatte  Muskulatur  des  Ver- 
dauungskanals, der  Harnblase,  der  inneren  Genitalorgane, 
der  Haut,  der  Bronchien  usw.,  allgemein  ausgedrückt,  im  Sinne 
einer  Tonusänderung  ein,  und  zwar  stimmt  der  Effekt  mit  einer 
Reizung   der   zuführenden  Sympathicusfasern  überein^). 

Ein  besonderes  Interesse  bietet  die  Wirkung  des  Suprarenins 
auf  die  glatte  Muskulatur  der  Iris.  Die  Pupille  des  enu- 
kleierten  Froschauges  reagiert  dem  Suprarenin  gegenüber,  wie 
Ehrmann  gezeigt  hat,  mit  einer  geradezu  unglaublichen  Empfind- 
lichkeit, derart,  daß  sie  dasselbe  bereits  in  einer  Verdünnung  von 
I  :  10  Millionen  durch  den  Eintritt  der  Mydriasis  anzeigt.  Auch 
beim  intakten  Frosche  bewirkt  Applikation  des  Giftes  maximale 
Pupillenerweiterung.  Ganz  anders  dagegen  verhält  sich  das 
Säugetier;  hier  ist  unter  normalen  Verhältnissen  die  Instillation 

i)  Vgl.  auch:  L.  Lichtwitz,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  65,  214  (1911)- 


426  XVIII.  Vorlesung. 


des  Suprarenins  in  bezug  auf  die  Pupillenweite  ganz  oder  fast 
ganz  unwirksam.  Wird  jedoch  das  Ganglion  cervicale  supremum 
des  Sympathicus  reseziert,  so  tritt,  wie  Melizer^)  gefunden 
hat,  nach  Einträufelung  von  Suprarenin  in  den  Bindehautsack 
eine  Pupillenerweiterung  ein,  die  beim  intakten  Tiere  ausge- 
blieben war.  Otto  Löwi^)  gebührt  das  Verdienst,  den  Wegfall 
sympathischer  Hemmungen,  der  offenbar  im  Eintritte  der 
Suprareninmydriasis  beim  Säugetier  zum  Ausdrucke  gelangt  und 
den  er  z.  B.  nach  Pankreasexstirpation,  bei  manchen  Fällen  von 
Diabetes  und  von  Morbus  Basedowii  beobachtet  hat,  methodisch 
verwertet  zu  haben.  Zak^)  hat  die  Suprareninmydriasis  bei  den 
verschiedensten  Formen  peritonealer  Reizung  (bei  Magen- 
karzinomen, nach  verschiedenen  Bauchoperationen,  bei  Peri- 
tonitis usw.)  wahrgenommen.  Shima^)  hat  unter  Kreidls  Leitung 
gefunden,  daß  von  einer  bestimmten  Region  des  Frontallappens 
des  Großhirnes,  sowie  vom  Zervikal-  und  oberen  Dorsalmarke 
aus  Hemmungen  zum  Sphinkter  pupillae  verlaufen,  deren  Ausfall 
den  Eintritt  der  n^ Löwischen  Reaktion«  bedingt.  Fröhlich  und 
Löwi^)  sahen  dieselbe  unter  dem  Einflüsse  kleiner  Kokain  mengen, 
E,  P,  Pick  und  Pineles^)  bei  Tieren,  die  mit  körperfremden 
Eiweißkörpern  vorbehandelt  worden  waren,  eintreten  usw.  Es 
scheint  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  daß  das  Löwische 
Phänomen  ein  sehr  wertvolles  Reagens  auf  gewisse  Zustands- 
änderungen  im  Bereiche  des  sympathischen  Nervensystems  dar- 
stellt, deren  genaueres  Studium  und  deren  Wertung  weiterer 
Forschungsarbeit  vorbehalten  bleibt. 

Das  Suprarenin  übt  nicht  nur  auf  glatte  Muskeln  und  das 
Herz,  sondern  auch  auf  quergestreifte  Skelettmuskeln 
eine   charakteristische   Wirkung  aus.     Dieselbe   kann   an   Kalt- 


1)  J.  J.  Meltzer    und  C.  Meltzer,    Zentralbl.   f.    Physiol.    17,    651 
(1908),  18,  317  (1904)  und  Amer.  Joum.  of  Physiol.  11,  28,  40  (1904). 

2)  O.  Lövvi,  Arch.  f.   exp.   Path.   59,   83   (1908). 

3)  E.  Zak,   Verh.  d.  25.   Kongr.  f.  innere  Med.  1908,  392,   Pflügers 
Arch.  182,   147  (1910). 

4)  R.  Shima,  Pflügers  Arch.  126,  269  (1909);  127,  99  (1909). 

5)  A.  Fröhlich  und  O.  Löwi,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  62,  159  (1910). 

6)  E.  P.  Pick  und  F.  Pineles,  Verh.  d.  25.  Kongr.  f.  innere  Med. 
1908,  366.     H.  Boruttau,  Pflügers  Arch.  78,  97  (1899). 


Die  Nebennieren.  427 


blütermuskeln  leicht  demonstriert  werden.  Wird  die  Schenkel- 
muskulatur eines  Frosches  durch  rhythmische  elektrische  Rei- 
zung vom  Ischiadicus  aus  fast  ganz  erschöpft,  so  kann  eine 
Suprarenininjektion  eine  Wiederherstellung  der  Arbeitsfähigkeit 
bewirken.  Auch  hier  scheint  es  sich  nicht  um  eine  direkte  Be- 
einflussung der  kontraktilen  Substanz,  vielmehr  mn  eine  Sensibili- 
sierung von  Nervenendapparaten  zu  handeln.  Erscheinungen 
dieser  Art  können  auch  am  Warmblütermuskel  hervorgerufen 
werden,  wenn  man  durch  Durchschneidung  des  Bulbus  u.  dgl. 
die  Zirkulationsverhältnisse  entsprechend  modifiziert  hat^). 

Eine  durch  das  Suprarenin  hervorgerufene  Sekretions- 
steigerung ist  von  Langley  an  der  Speicheldrüse  und  den 
Tränendrüsen  von  Säugetieren,  von  Ehrmann  (im  Laboratorium 
GoUliebs)  an  den  Hautdrüsen  der  Frösche  beobachtet  worden*). 
Offenbar  handelt  es  sich  auch  hier  um  Reizung  sympathischer 
Nerven. 

Von  der  Beeinflussung  von  Stoffwechselvorgängen 
durch  das  Suprarenin,  insbesondere  aber  von  seiner  so  charak- 
teristischen glukosurischen  Wirkung  soll  erst  im  Zusammen- 
hange mit  dem  Kohlehydratstoffwechsel  die  Rede  sein. 

Eine  Gewöhnung  des  Organismus  an  wiederholte  Supra- 
renindosen,  insbesondere  eine  Abschwächung  der  Wirkung  des 
im  Organismus  vorkommenden  1  -  Suprarenins  durch  Vorbe- 
handlung mit  synthetisch  gewonnenem  r-Suprarenin 
ist  behauptet  worden;  doch  liegen  diesbezügüch  keine  überein- 
stimmenden Angaben  vor 3). 

Unter    den    Wirkungen    wiederholter    Suprareninin jektionen 

i)  Vgl.  Dessy  und  Grandis,  Arch.  ital.  de  Biol.  41,  225  (1904). 
A.  Panella,  ibid.  48,  430  (1907).  J.  Joteyko,  Journ.  mM.  de  Bruxelles, 
1903,  417,  439,  449.  W.  Radwanska,  Anz.  Akad.  Krakau  1910;  Bio- 
chem.  Zentralbl.    (19 10).    Nr.  1645. 

2)  J.  N.  Langley,  Journ.  of  Physiol.  27,  237  (1901).  R.  Ehrmann, 
Arch.  f.  exper.  Pathol.  53,  137  (1905). 

3)  A.  Fröhlich  (Pharmakol.  Inst.  Wien),  Zentralbl.  f.  Physiol.  23,  254 
(1909).  E.  Abderhalden  und  Slavu,  Z.  f.  physiol.  Chemie  59,  129 
(1909).  E.  Abderhalden  und  K.  Kautsch,  ibid.  61,  119  (1909). 
E.  Abderhalden,  K.  Kautsch  und  F.  Müller,  Z.  f.  physiol.  Chemie 
62,  404  (1909).  N.  Waterman,  Z.  1  physiol.  Chemie  63,  290  (1909);  74, 
272  (Sept.  191 1).  L.  Pollak  (Pharmakol.  Inst.  Wien),  ibid.  68,  69  (1910). 


428  XVIII.  Vorlesung. 

Blutgefäßer-  sind  es  vor  allem  die  Blutgefäßerkrankungen,  welche  das 
krankungen  Interesse  von  Physiologen  und  Pathologen  ganz  besonders  zu 
nininjektionen  fesseln  vermochten.  Die  zuerst  von  Josue  gemachte  Wahr- 
nehmung, daß  oftmalige  intravenöse  Injektion  kleiner  Supra- 
reninmengen  insbesondere  bei  Kaninchen  schwere  arteriosklero- 
tische Veränderungen  der  großen  Arterien  hervorrufen  kann, 
ist  so  außerordentlich  oft  nachgeprüft  und  bestätigt  worden, 
daß  die  negativen  Befunden  einzelner  Autoren  dem  gegenüber 
nicht  in  Betracht  kommen  i).  Der  vorgebrachte  Einwand,  daß 
arteriosklerotische  Veränderungen  auch  als  Spontanerkrankung 
bei  Kaninchen  sehr  häufig  vorkommen,  trifft  nicht  zu.  Denn 
ein  Beobachter*)  hat  bei  Untersuchung  eines  Riesenmateriales 
von  vielen  hundert  Kaninchen  eine  solche  nur  in  3  Prozent 
der  Fälle  angetroffen;  dagegen  hat  ein  anderer  Beobachter*) 
unter  70  Kaninchen,  die  zahlreiche  Suprareninin jektionen  er- 
halten hatten,  ein  einziges  gefunden,  bei  dem  Aorten  Verände- 
rungen ganz  ausgeblieben  waren.  Meines  Erachtens  ist  es  also 
wirklich  Skepsis  am  unrechten  Platze,  wenn  man  etwa  die  Er- 
scheinung als  solche  in  Frage  ziehen  will. 

Dieselbe  verdient  schon  wegen  ihrer  Analogie  zu  der  mensch- 
lichen Arteriosklerose  ein  besonderes  Interesse.  Die  Existenz 
einer  solchen  Übereinstimmung  wird  allerdings  immer  und  immer 
wieder  bestritten.  Eine  sehr  gründliche  Untersuchung,  die  von 
Braun^)  im  PaÜaufschen  Institute  ausgeführt  worden  ist,  lehrt 
jedoch,  daß  zwischen  Suprarenin-  und  menschlicher  Arterio- 
sklerose wirklich  weitgehende  Analogien  bestehen.  Die  Supra- 
reninwirkung  auf  die  Gefäße  betrifft  eine  seröse  Durchtränkung 
der  Media,  hypertrophische  Veränderungen  der  Gefäßmuskulatur 
und  eine  Schädigung  der  elastischen  Elemente.  Die  Schädigung 
der  muskulösen  Elemente  ist  in  ihren  Anfängen  schwer  zu  er- 


i)  Literatur  über  Blutgefäßerkrankungen  nach  Suprarenininjektionen: 
G.  Bayer,  Ergebn.  d.  pathol.  An.  14,  72 — 82  (1910).  A.  Biedl,  Innere 
Sekretion,  223 — 229  (1910). 

2)  A.  Bennecke,  Virchows  Arch.  191,  360  (1908). 

3)  F.  Falk  (Med.  Klinik  Graz),  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  4.  360 
(1907). 

4)  L.  Braun  (Inst.  f.  allgem.  u.  experim.  Pathol.,  Vorst.  Paltauf, 
Wien),  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturvv.  Kl.  116,  III.  (1907). 


Die  Nebennieren.  429 


kennen.  Man  findet  zu  einer  Zeit,  wo  die  Media  noch  wenig  ver- 
ändert ist,  bereits  hyperplastische  Intimawucherungen,  die  später 
einen  degenerativen  Charakter  annehmen. 

Was  die  Ursache  dieser  Veränderungen  betrifft,  ist  vorder- 
hand keine  Einigung  darüber  erzielt  worden,  ob  die  blutdruck- 
steigernde Wirkung  des  Suprarenins  aLs  solche  in  erster 
Linie  für  die  Erkrankung  verantwortlich  zu  machen  sei,  oder 
ob  eine  toxische  Beeinflussung  der  Gefäße  im  Vorder- 
grund stehe. 

Daß  der  erstere  Faktor  wesentUch  beteiligt  ist,  kann,  wie 
ich  glaube,  nicht  wohl  bezweifelt  werden,  da  vielfach  festgestellt 
worden  ist,  daß  blutdrucksteigernde  Substanzen  der  ver- 
schiedensten Art  (wie  Ergotin,  Nikotin,  Digitoxin,  Strophantin, 
Chlorbaryum)  unter  Umständen  ähnliche  Gefäßveränderungen  zu 
erzeugen  geeignet  sind.  Auch  ist  durch  Biedl  und  Braun ^)  gezeigt 
worden,  daß  analoge  Gefäßläsionen  künstlich  bei  verschiedenen  Ver- 
suchstieren erzeugt  werden  können,  wenn  man  die  Aorta  ober- 
halb des  Abganges  der  Nierenarterie  wiederholt  kurze  Zeit  kompri- 
miert und  zwar  scheint  es,  »daß  nicht  die  Drucksteigerung  allein, 
sondern  die  mit  der  plötzlichen  Druckänderung  einsetzenden 
starken  Schwankungen  im  Arteriensystem,  durch  welche  die 
Elastizität  der  Gefäßwand  in  besonderer  Weise  in  Anspruch  ge- 
nommen wird,  für  die  Gefäßschädigungen  verantwortlich  zu 
machen  sind«. 

Andere  Autoren,  wie  z.B.  Falk^),  haben  nicht  die  mecha- 
nische, sondern  die  toxische  Schädigung  der  Gefäßwand  be- 
sonders hoch  eingeschätzt.  Ich  vermute,  daß  beide  Momente 
ihren  Anteil  an  derselben  haben  dürften. 

Josue  war  ursprünglich  geneigt,  die  Atheromatose  beim  Men- 
schen ganz  allgemein  als  eine  Folge  einer  Hypersekretion 
der  Nebennieren  anzusprechen.  Diese  Auffassung  hat  auf 
berechtigten  Widerspruch  gestoßen  und  ist  gegenwärtig  wohl 
allgemein  verlassen.  Dagegen  scheint  mir  die  Frage,  ob  es  nicht 
Fälle  gibt,  wo  ein  solcher  Zusammenhang  tatsächlich  besteht. 


i)  A.  Biedl  und  L.  Braun,  Wiener  klin.  Wochenschr.  20,  709  (1909). 
A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  229  (1910). 
2)  F.  Falk  1.  c. 


430  XVIII.  Vorlesung. 


durchaus  erwägenswert  zu  sein.  Man  wird  mir  zugeben  müssen, 
daß  ein  Fall,  wie  derjenige  von  Wiesel^),  wo  bei  einem  zweijährigen 
Kinde  bei  der  Obduktion  hochgradige  Arteriosklerose  und  gleich- 
zeitig ein  großer,  aus  chromaffinen  Zellen  bestehender  Tumor 
angetroffen  wurde,  immerhin  zu  denken  gibt. 
Therapeut!-  Die  physiologische  Wirksamkeit  des  Suprarenins,  insbesondere 

sehe    Anwen-  ^y^^  ^^j^^  Vermögen,  in  minimalen  Dosen  eine  Zusammenziehung 
Suprarenins,    von  Blutgefäßen  und  muskulösen  Organen  hervorzurufen,  mußte 
naturgemäß  zu  einer  ausgebreiteten  therapeutischen  Anwendung 
desselben  führen. 

Die  Anwendung  des  Suprarenins  (mit  und  ohne  Zusatz  von 
Kokain)  zum  Zwecke  der  Anämisierung  und  Anästhesie- 
rung zu  chirurgischen  Zwecken,  die  Rolle,  welche  es  in  der 
Ophthalmologie,  Rhino-  und  Laryngologie,  Otiatrie,  Gynäkologie 
und  Urologie  spielt,  ist  so  allgemein  bekannt,  daß  ich  keine 
Worte  darüber  zu  verUeren  brauche. 

Ob  die  Fähigkeit  des  Suprarenins,  den  Uterus  zu  Kontrak- 
tionen anzuregen,  sich  in  der  Praxis  als  Mittel  zur  Stillung 
postpuerperaler  Blutungen  bewähren  wird,  müssen  weitere  Be- 
obachtungen lehren. 

Eine  sehr  interessante  praktische  AnwendungsmögUchkeit 
des  Suprarenins  bei  Vergiftungen  ergibt  sich  aus  den  Versuchen 
von  Alfred  Exner^).  Dieselben  sowie  spätere  Beobachtungen  in 
ähnlicher  Richtung 3)  haben  gelehrt,  daß  Gifte,  wie  Strychnin, 
Physostigmin,  Akonitin,  Atropin,  Kurare  sowohl  aus  der  Peri- 
tonealhöhle als  auch  aus  dem  Digestionstrakte  und  dem  sub- 
kutanen Gewebe  weit  langsamer  resorbiert  werden,  wenn  man 
durch  Suprareninzufuhr  eine  lokale  Anämisierung  hervorruft.  Es 
ist  z.  B.  empfohlen  worden,  bei  einer  frischen  Zyankaü Vergiftung 


i)  J.  Wiesel,  Wiener  klin.  Wochenschr.  22,  404  (1909). 

2)  A.  Exner  (Wien),  Zcitschr.  f.  Heilk.,  Abt.  f.  Chir.  24,  302  (1903) 
und  Arch.  f.  exper.   Pathol.  50,  313  (1904). 

3)  S.  J.  Meltzer,  Transact.  of  the  Assoc.  of  americ.  Physicians  19, 
(1904)  und  Amer.  Journ.  med.  Soc.  129,  114  (1905).  A.  Patta,  Arch.  di 
farmac.  4,  Fase.  7/8  (1903)  und  Arch.  ital.  de  Biol.  46,  463  (1906).  A.  Pa- 
nella  (Pisa),  Atti  della  Soc.  Toscana  di  Scienze  Naturali  22,  (1906),  Arch. 
ital.  de  Biol.  47, 17  (1907).  H.  Januschke  (Pharmakol.  Inst.Wien),  Wiener 
klin.  Wochenschr.  23,  Nr.  8  (1910). 


Die  Nebennieren.  431 


Suprarenin  per  os  zu  geben,  den  Magen  auszuspülen  und  dann 
noch  einmal  Suprarenin  in  den  Magen  einzuführen;  nach  Ablauf 
der  ersten  halben  Stunde  soll  dann  keine  Lebensgefahr  mehr 
bestehen  1). 

Hervorragendes  Interesse  beanspruchen  die  Versuche  über 
Verwendung  des  Suprarenins  zur  Bekämpfung  schwerer 
Herz-  und  Gefäßkollapszustände.  Trotzdem  Rudolf  Gott- 
lieh  schon  im  Jahre  1897  gezeigt  hatte,  daß  bei  einem  Tiere, 
dessen  Herz  durch  schwere  Vergiftung  mit  Chloralhydrat  oder 
mit  Chloroform  bereits  zum  Stillstande  gebracht  worden  ist,  der 
tief  abgesunkene  Blutdruck  durch  Nebennierenextrakt  fast  mo- 
mentan wieder  gehoben  werden  kann,  während  das  Herz  seine 
normale  Tätigkeit  wieder  aufnimmt,  dauerte  es  sehr  lange,  bis 
man  ernstlich  begonnen  hat,  diese  Substanz,  welche  vielleicht 
das  stärkste  Analepticum  ist,  welches  wir  zurzeit  besitzen, 
der  Therapie  dienstbar  zu  machen.  Ich  erinnere  mich  noch  sehr 
wohl,  daß  nur  die  feste  Überzeugung,  dem  Nebennierenextrakte 
wohne  in  dieser  Hinsicht  eine  heilsame  Kraft  inne,  welche  durch 
keinen  anderen  Bestandteil  des  Arzneischatzes  erzetzt  werden  kann, 
mich  bei  jahrelanger  Arbeit  davor  bewahrt  hat,  zu  verzweifeln, 
wenn  das  so  kostbare  und  gleichzeitig  so  labile  Material  mir  immer 
wieder  unter  den  Händen  schwand.  Und  als  ich  dann  endlich  glück- 
lich so  weit  war,  daß  die  wirksame  Substanz,  das  Suprarenin,  prak- 
tisch frei  von  Beimengungen,  in  zugeschmolzenen  Röhrchen  sterili- 
siert und  fertig  zur  intravenösen  Einspritzung,  fabriksmäßig  dar- 
gestellt wurde,  nahm  ich  mit  Enttäuschung  wahr,  daß  die  Ärzte 
von  diesem  mächtigen  Analeptikum  (abgesehen  von  vereinzelten 
Anwendungsversuchen  bei  Herzkollaps  im  Verlaufe  der  Nar- 
kose) eigentlich  nichts  wissen  wollten.  Es  mußten  erst  wieder 
viele  Jahre  ins  Land  gehen,  bis  dasselbe  Gegenstand  allgemeinerer 
Aufmerksamkeit  geworden  ist.  Kreislaufstörungen  wie  sie  im 
Verlaufe  der  verschiedensten  Infektionskrankheiten  sowie 
der  Peritonitis  sich  so  oft  einstellen  und  die  unter  den  Begriff 
der  »Kollapses«  fallen,  galten  früher  allgemein  als  Äußerungen 
von    »Herzschwäche«.      Durch    Rombergs    und    Päßlers    Unter- 


i)  J.  L.  Jona,  Intercolon.  med.  Journ.  of  Australia  7,  20,  zit.  n.  Zen- 
tralbl.  f.  Physiol.  24,  339  (1910). 


432  XVIII.  Vorlesung. 


suchungen  ist  man  jedoch  darauf  aufmerksam  geworden,  daß 
die  charakteristische  Blutdrucksenkung  vielfach  durch  eine  Vaso- 
motorenlähmung bedingt  ist,  wobei  die  Darmgefäße  mit  Blut 
überfüllt,  die  Gefäße  des  Gehirnes  und  der  Haut  jedoch  blutleer 
werden  und  das  Herz  erst  sekundär  durch  die  mangelhafte  Fül- 
lung in  Mitleidenschaft  gezogen  wird. 

L.  Heidenhain^)  hat  nun  im  Wormser  Krankenhause  damit 
begonnen,  sobald  bei  einem  Peritonitiker  der  Blutdruck  in  ge- 
fahrdrohender Weise  absank  und  die  gewöhnlichen  Excitantien 
versagten,  intravenöse  Kochsalzinfusionen  unter  Zusatz  einer 
kleinen  Suprareninmenge  anzuwenden.  Man  bemerkte  alsbald, 
daß  der  Puls  kräftiger  und  regelmäßiger  wurde,  während  das 
Gesicht  sich  rötete,  und  es  gelang  so  durch  wiederholte  Injektionen, 
Kranke  unter  Umständen  über  eine  gefährliche  Krankheitsperiode 
hin  wegzubringen . 

Auch  viele  andere  Ärzte  sind  bei  Wiederholung  des  Heiden- 
hainschen  Verfahrens  zu  der  Annahme  gelangt,  daß  die  Methode 
direkt  lebensrettend  wirken  kann^). 

»  Das  Adrenalin  «  schreibt  Kothe  auf  Grund  der  auf  der  Sonnen- 
burgschen  Klinik  in  Berlin  gesammelten  Erfahrungen,  »ist  das 
stärkste  Analeptikum,  welches  wir  zurzeit  besitzen.  Intravenöse 
Adrenalininjektionen  eignen  sich  besonders  für  akute  gefahr- 
drohende Störungen  der  Herz-  und  Atmungstätigkeit.  Sie  sind 
das  wirksamste  Mittel  bei  schweren  Kollapsen  im  Gefolge  der 
Lumbalanästhesie  und  Narkose,  sowie  bei  jedem  schweren 
chirurgischen  Shock  «. 

Auch  bei  der  Herzschwäche  Diphtheriekranker  hat  die 
Suprarenintherapie  Anwendung  gefunden  3).  Bei  der  Behandlung 
des  Herzkollapses  im  Verlaufe  von  Infektionskrankheiten  wird 
von   manchen  Seiten  die  subkutane  Injektion  großer  Dosen  be- 


i)  L.  Heidenhain,  Mitlcil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  18, 
S37  (1908). 

2)  Kothe,  Therapie  d.  Gcgenw.  95  (1909).  Meißl  (Gynäkol.  Abt. 
Latzko,Wien),  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,  835.  Cal mann,  Münchener 
med.  Wochenschr.  1908,  308,  2364.  O.  Rothschild  (Frankfurt  a.  M.), 
ibid.  1908,  Nr.  12.  J.  John  (Mannheim),  ibid.  1909,  1221.  Holzbach 
(Tübingen),   ibid.    1911,  Nr.  21. 

3)  Pospischil,   Wiener  klin.   Wochenschr.   1908,    1046,    1095. 


.  Die  Nebennieren.  433 


vorzugt^).     Ich  habe  seinerzeit  gemeinsam  mit  D.  Gerhardt  ge- 
.zeigt,  daß  man  durch  sehr  langsame  intravenöse  Infusion  von 
Suprarenin  den  Blutdruck  eines  Tieres  sehr  lange  Zeit  hindurch 
auf  der  Höhe   erhalten   kann 2).     Straub^)   hat  auf  Grimd   der 
Untersuchungen  Kretschmers  die  pharmakologischen  Grundlagen 
für    die   intravenöse    Suprarenin therapie    dahin    festgelegt,    daß 
man  dieses  Mittel,  welches  einer  unglaublich  raschen  Zerstörung 
im  Organismus  anheimfällt,  lange  Zeit  hindurch  ganz  langsam 
in  stark  verdünnter  Lösung  einfließen  und  so,  ohne  eine  kumu- 
lative  Wirkung   oder   aber   eine   Abschwächung   befürchten   zu 
müssen,  absolute  Mengen  beibringen  kann,  die,  auf  einmal  ge- 
geben, tödlich  wirken  müßten.     Daß  die  unvorsichtige  Anwen- 
dung eines  so  außerordentlich  differenten,  in  millionstel  Grammen  i 
wirksamen  Mittels,  wie  es  das  Suprarenin  ist,  nicht  ohne  Gefahren  ! 
sein  kann,  ist  für  jeden  denkenden  Menschen  selbstverständlich;  | 
ich  habe  mich  übrigens  schon  vor  vielen  Jahren  veranlaßt  ge-  \ 
•sehen,  vor  einer  wahllosen  und  unbedachten  Anwendung  des- 
selben zu  warnen*). 

Interessanterweise  scheint  dem  Suprarenin  auch  in  der  Therapie 
des  Asthma  bronchiale  eine  Zukunft  beschieden  zu  sein. 
Angeblich  soll  man  imstande  sein,  den  stärksten  Asthmaanfall 
durch  subkutane  Suprareninin jektionen  zu  koupieren.  Falls 
'wirklich,  wie  dies  vielfach  behauptet  wird,  der  asthmatische  An- 
fall durch  einen  auf  Vagusreizung  beruhenden  Krampf  der  Bronchi- 
t)len  ausgelöst  werden  sollte,  wäre  an  eine  durch  einen  Antagonis- 
mus des  Suprarenins  dem  autonomen  System  gegenüber  be- 
dingte Wirkung  zu  denken^). 

Die   große   therapeutische   Bedeutung   des   Suprarenins   hat,      Synthese 
nachdem  seine  chemische  Konstitution  erkannt  worden  war,  zu  ähnUcher"sub- 

stanzen. 


i)  Eckert  ( Uni vers.- Kinderklinik  Berlin),  Therap.  Monatsh.  1909,  414. 
Kirchheim  (KUnik  Mattes,  Düsseldorf),  Münchener  med.  Wochenschr. 
.1910,  2694. 

2)  O.  V.  Fürth,   Z.  f.  physiol.  Chem.  26,  24  (1898). 

3)  W.  Straub,  Münchener  med.  Wochenschr.   1911,    1388. 

4)  O.   V.    Fürth,   Deutsche  med.   Wochenschr.   1902,   7^^- 

5)  Vgl.  E.  Frank  (Wiesbaden),  Deutsch.  Arch.  f.  khn.  Med.  103,  397 
<JuH   191 1). 

V.  Fürth,   Probleme.  28 


434  XVIII.  Vorlesung. 


der  synthetischen  Daxstellung  einer  neuen  Kategorie  pharmako- 
logisch interessanter  und  ihm  nahe  verwandter  Substanzen  geführt. 
Analog   der    Slolzschen   Suprareninsynthese   hat   man    durch 

Umsetzung  der  Verbindung  i  mit   den   ver- 

schiedensten   primären,   sekundären  und  tertiären  Aminen  Ver- 


bindungen  von  der  allgemeinen  Formel 

OH — 


/ 


-CH,-CH.NH, 


I-CO-CH2.NC,  j^' 

dargestellt,  wo  R  und  R'  entweder  ein  Wasserstoff atom  oder  ein 
aliphatisches  Radikal  (z.  B.  Methyl,  Acetyl,  Amyl)  oder  eine 
aromatische  Gruppe  (z.  B.  Phenyl,  Naphthyl  u.  dgl.)  bedeutet. 
Durch  Reduktion  derartiger  Aminoketone  ist  man  zu  stärker 

wirksamen  Aminoalkoholen  qh— l     ;— CH— CHj-N   ?,     gelangt. 

^       I 
OH 

Die  suprareninartige   Wirksamkeit  derartiger  Verbindungen   ist 

von   Otto   Löwi   und   Hans  Horst  Meyer ^)   sowie   von   Dakin^} 

näher     untersucht     worden.        Interessanterweise     zeigt    auch 

OH 

bereits    das    Oxyphenyläthylamin 

welches  von  Barger  und  Dale^)  im  Mutterkome  gefunden  worden 
ist,  dem  Suprarenin  ähnliche  Wirkungen,  wenngleich  sein  blut- 
drucksteigernder Effekt  weit  geringer  ist.  Die  S5^tematische 
Untersuchung  zahlreicher  ähnlich  konstituierter  Amine  hat 
ergeben,  daß  die  physiologische  Wirksamkeit  derartiger  Ver- 
bindungen um  so  stärker  ist,  je  mehr  ihr  Aufbau  demjenigen 
des  Suprarenins  ähnelt.  Ein  Benzolring  mit  einer  aus 
zwei    Kohlenstoffatomen    gebildeten  Seitenkette,    die 

endständig   die  Aminogruppe   trägt  wird 

\    /    C-  C    rsHg, 

zweckmäßigerweise  zur  Basis  dienen,  wenn  man  nach  Art  des 
Suprarenins  (durch  Reizung  sympathischer  Elemente)  wirksame 

i)  O.  Löwi  und  H.H.Meyer,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  5S,  213  (ick)5)* 

2)  H.D.DakinJourn.ofPhysiol.S2(Proc.Physiol.Soc.XXXIV)(i905). 

3)  G.  Barger,  Journ.  of  theChem.  Soc.  95,  1123,  1720,  2193  und  Arch. 
f.  exper.   Pathol.  61,   113  (1909). 


Die  Nebennieren.  435 


Substanzen  synthetisch  aufbauen  will.    Eine  Erhöhung  der  Wirk- 
samkeit wird  durch  Einführung  von  2  Phenolhydroxylen  in 

OH     ^ 
3-,  4-Stellung  ^^  -C-CNH     herbeibeigeführt  usw.i). 

Ein  in  manchen  Gegenden  zur  Bekämpfung  von  Durchfällen 
verwendeter  Auszug  aus  Gerstenkeimen  verdankt  seine  Wirksam- 
keit  einem   »Alkaloide«,  dem  Hör  den  in,   das,  seinem  Aufbau 

CH,.CH,N^S» 
OH- 


«•^"2^^    CH 


3 


entsprechend,  sich  gleichfalls  dieser  Reihe  einfügt^). 

So  sehen  wir  denn,  wie  sich  Physiologie,  Pharmakologie  und 
Chemie  hier  schwesterlich  die  Hände  reichen  und  gemeinsamen 
Zielen  zustreben  und  wie  das  alte  und  stets  erneute  Streben  der 
Menschheit,  der  Natur  das  Geheinmis  ihrer  verborgenen  ur- 
eigensten Heilkräfte  abzulauschen,  sich  im  modernen  Gewände 
ausnimmt. 


i)  G.  Barger  und  H.  H.  Dale,  Joum.  of  Physiol.  41,  19  (1910). 

2)  E.  L6ger,  Compt.  Rend.  142,  108  (1906);  14S,  234,  916  (1906). 
Goebel,  Arch.  Pharm.  244,  435  (1906).  L.  Camus,  Arch.  intemat.  de 
Pharmacodyn.  16,  43  (1906).  G.  Barger,  Joum.  ol  the  Chem.  See.  95, 
2193  (1910).  K.  W.  Rosenmund,  Ber.  d.  deutsch,  chem.  Ges.  4S,  306 
(1910). 


28* 


XIX.  Vorlesung. 
Die  Schilddrüse. 

Indem  ich  in  der  Erörterung  der  Physiologie  jener  Organe 
fortfahre,  denen,  der  gegenwärtig  landläufigen  Bezeichnungs- 
weise gemäß,  die  Eigenschaft  einer  »inneren  Sekretion  «  zukommt, 
mag  die  heutige  Vorlesung  der  Schilddrüse  gewidmet  sein. 
Bei  einiger  Überlegung  wird  es  Ihnen  ohne  weiteres  klar  werden, 
daß  eine  »innere  Sekretion«,  d.  h.  das  Vermögen,  physiologisch 
differente  Stoffe  an  den  Kreislauf  abzugeben  und  dadurch  eine 
Femwirkung  durch  »Hormone«  auf  andere  Organe  auszuüben, 
sicherlich  kein  Vorrecht  der  Nebenniere,  der  Schilddrüse,  der 
H5T>ophyse,  der  Thymus,  der  Keimdrüsen,  des  Pankreas,  der 
Zirbeldrüse  und  der  Glandula  carotica  ist.  Beruht  doch  vielmehr 
das  wundervolle  Ineinandergreifen  aller  Organfunktionen  eben 
darauf,  daß  jedem  Gewebe  und  jeder  Zelle  eine  »innere  Sekretion  « 
zukommt,  welche  eine  chemische  Korrelation  derselben  mit 
anderen  Zellen  und  anderen  Geweben  herstellt. 

Die  Schilddrüse  ist  ein  Organ,  das  dem  Physiologen  sicherlich 
sehr  viel  des  Interessanten  darbietet,  an  dem  der  Chemiker  aber 
bisher  wenig  Freude  erlebt  hat.  Während  man  bei  Beschäftigung 
mit  der  Nebenniere,  wenn  man  sich  über  die  ungeheueren  Lücken 
unserer  Kenntnisse  in  Bezug  auf  die  physiologische  Bedeutung 
dieses  Organes  hinreichend  klar  geworden  ist,  wenigstens  den 
Trost  behält,  ein  außerordentlich  wirksames  Produkt  der  »inneren 
Sekretion«  gefaßt,  analysiert  und  chemisch  aufgeklärt  zu  haben, 
bleibt  uns  ein  ähnlicher  Trost  (bei  im  übrigen  gleicher  Ausdehnung 
unserer  Wissenslücken)  in  bezug  auf  die  Schilddrüse  verwehrt. 
Daran  hat  leider  auch  die  Entdeckung  des  so  hoch  berühmten 
»Jodothyrins «  nichts  zu  ändern  vermocht. 


Die  Schilddrüse.  437 


Die  Schilddrüsenphysiologie  wäre  heute  wahrscheinlich  erheb- 
lich weiter,  wenn  dieses  Organ  sich  nicht  der  Nachbarschaft  der 
Glandulae  parathyreoideae  erfreuen  würde.  Der  Umstand, 
daß  man  erst  relativ  spät  erkannt  hat,  daß  es  sich  hier  um  zwei 
grundverschiedene ,  funktionell  und  entwicklungsgeschichtlich 
wohlgesonderte  Organsysteme  handelt,  macht  leider  einen  großen 
Teil  der  einschlägigen  älteren  Literatur  ziemlich  wertlos.  Auch 
möchte  ich  Sie  gleich  hier  darauf  aufmerksam  machen,  daß 
jedermann,  der  sich  über  die  vergleichende  Physiologie  von 
Schilddrüse  und  Nebenschilddrüsen  einigermaßen  orientiert  hat, 
sehr  wohl  weiß,  daß  auch  nicht  alle  neueren  Literaturangaben 
über  »Exstirpation  der  Schilddrüse  imter  sorgfältiger  Schonung 
der  Epithelkörperchen  «  ganz  wörtlich  zu  nehmen  sind^). 

Immerhin  ist  man  heute  doch  wenigstens  so  weit,  daß  man  die 
Ausfallserscheinungen  nach  Ausschaltung  der  Schilddrüse  und 
der  Epithelkörperchen  auseinanderzuhalten  und  wohl  zu  defi- 
nieren vermag. 

Also  machen  wir  uns  zunächst  klar,  durch  welche  Erschei-  Myxödem  und 
nungen  der  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion  bei  Mensch  strumipriva. 
und  Tier  charakterisiert  erscheint.  Die  erbarmungslose  Natur 
ist  hier  dem  Messer  des  experimentierenden  Physiologen  mächtig 
zu  Hilfe  gekommen,  indem  sie  Tausenden  und  Abertausenden  von 
menschlichen  Wesen  die  Wohltat  einer  normal  funktionierenden 
Schilddrüse  verwehrt  hat ;  so  liegen  denn  die  zusammengehörigen 
(von  Gull,  Ord,  Charcot,  Reverdin  und  Kocher  begründeten) 
Symptomenkomplexe  des  Myxödems  und  der  Cachexia  strumi- 
priva ziemlich  scharf  umrissen  vor.  Sie  werden  durch  die  Be- 
obachtungen, welche  v.  Eiselsberg,  Horsley,  Edmunds,  Biedl,  Pick 
und  Pineles  u.  a.  an  thyreoidektomierten  Schafen,  Ziegen  und 
Affen,  V,  W  agner 'J  auf  egg  und  Schlagenhaufer  an  Hundekretins 
ausgeführt  haben,  ergänzt*). 


1)  Vgl.  Hagenbach,  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  18, 
329  (1908). 

2)  Literatur  über  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion:  A.  v.  Eiseisberg, 
Die  Krankheiten  der  Schilddrüse.  Deutsche  Chirurgie  1901.  A.  Magnus- 
Levy,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  2,  311 — 323  (1907). 
C.  A.  Ewald ,  Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse,  Myxödem  und  Kretinismus, 
2.  Aufl.  Wien  und  Leipzig  1909.   A.  Biedl,  Innere  Sekretion  62 — 86  (1910). 


438  XIX.  Vorlesung. 


Als  auffälligste  Folgen  der  mangelnden  Schilddrüsenfunktion 
beim  Menschen,  die  sich  in  verschiedenem  Grade  und  wechselnder 
Kombination  einstellen  können  ( —  am  vollständigsten  begegnen 
wir  denselben  bei  den  Formen  des  endemischen  menschlichen 
Kretinismus  — )  wären  wohl  etwa  folgende  zu  verzeichnen: 
Zurückbleiben  im  Wachstum,  das  mit  einer  erheblichen 
Verzögerung  der  Verknöcherungsvorgänge  vergesellschaftet  ist; 
Hypoplasie  der  Sexualdrüsen;  Hj^ertrophie  des  drüsigen 
Anteiles  der  Hypophyse;  femer  treten  eigenartige  trophische 
Störungen  der  Haut  auf;  dieselben  bestehen  einerseits  in  einer 
trockenen,  abschilfernden  Beschaffenheit  der  Epider- 
mis, Haarausfall,  und  in  einer  Sistierung  der  Schweiß - 
Sekretion,  andererseits  in  einer  eigenartigen  ödematösen 
Schwellung.  Die  Annahme,  daß  es  sich  dabei  um  Anhäufimg 
einer  Mucinsubstanz  handelt  ( —  daher  die  Bezeichnung  »My- 
xödem« — )  ist  unbewiesen;  auch  um  ein  eigentliches  ödem 
handelt  es  sich  nicht,  da  sich  beim  Einschneiden  keine  Flüssig- 
keit entleert;  ich  vermute,  daß  vielleicht  eine  Änderung  der 
Quellungsverhältnisse  und  des  Wasseraufnahmsvermögens  des 
Bindegewebes  vorUegen  dürfte,  welche  übrigens  auch  die  Schleim- 
haut der  Zunge,  der  Nase  und  des  Rachens  betreffen  kann.  Mit 
diesen  Veränderungen  kann  ein  Zustand  allgemeiner  Kachexie 
und  eine  mehr  oder  minder  ausgebildete  Idiotie  einhergehen. 

Auffallend  ist  der  Befund  schwerer  atheromatöser  Ver- 
änderungen an  der  Aorta  nach  Thyreoidektomie,  der  von 
A.  V.  Eiseisberg  ^)  bei  Schafen,  von  E.  P.  Pick  und  Pineles^)  bei 
Ziegen  erhoben  worden  ist.  Die  Aortenintima  kann  dabei  eine 
krokodillederartige  Beschaffenheit  annehmen. 

Sehr  charakteristisch  ist  die  durch  den  Schilddrüsenausfall 
bewirkte  Stoffwechselstörung.  Es  handelt  sich  nach  den 
Untersuchungen  von  Magnus -Levy^),  v.  Bergmann  u,  a.  um  ein 

R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  297 — 298,  4,  II,    181 — 190  (1910). 
F.   Schlagenhaufer  und   J.   v.   Wagner- Jauregg,  Beitr.  z.  Ätiol.  u. 
Pathol.  d.  endem.  Kretinismus.    Verl.  von  F.  Deuticke,  Wien  19 10. 
i)  A.  V.  Eiseisberg,  Arch.  f.  klin.  Chir.  49,  216  (1895). 

2)  E.  P.  Pick  und  F.  Pineles,  Zeitschr.  f.  expcr.  Pathol.  7,  518  (1910). 

3)  A.  Magnus  -Levy,  1.  c.  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  52,  201  (1904);  $•» 
196  (1906),  vgl.  W.Scholz  (Graz),  Zeitchr.  f.  exper.  Pathol.  2,  271  (1906). 


Die  Schilddrüse.  439 


Darniederliegen  des  gesamten  Kraftwechsels,  wobei  auch 
der  Verbrauch  des  ruhenden  Körpers  um  50 — 60%  der  Norm 
gegenüber  herabgesetzt  sein  kann.  Der  geringen  Nahrungsauf- 
nahme und  dem  niedrigen  Kalorienverbrauche  entspricht  eine  ge- 
ringe Urinmenge  und  Stickstoffausscheidung^).  Die  von  Hirschl^) 
und  von  Knöpfeltnacher^)  beobachtete  erhöhte  Toleranz  gegen- 
über großen  Zucker  mengen,  die  sich  darin  äußert,  daß 
Mengen  von  Glukose,  welche  sonst  mit  Sicherheit  eine  alimen- 
täre Glukosiurie  herbeiführen,  vertragen  werden,  ist  möglicher- 
weise durch  eine  verlangsamte  Resorption  bedingt,  die  sich 
auch  in  der  verzögerten  Ausscheidung  eingeführter  Farbstoffe  gel- 
tend macht.  Die  Bedeutimg  der  Glukosurie,  welche  Rahel 
Hirsch^)  nach  Schilddrüsenexstirpation  beobachtet  hat,  ist  ganz 
unklar.  Eppinger,  Falta  und  Rudinger^)  fanden,  als  sie  bei  Hunden 
die  Schilddrüsen  unter  möglichster  Schonung  der  Epithelkörper- 
chen  exstirpierten,  den  Eiweißumsatz  geringer  als  unter  nor- 
malen Verhältnissen. 

Während,  wie  wir  gesehen  haben,  es  kaum  gelingt,  die  Er-  Wirkung    der 
scheinungen  nach  Ausfall  der  Nebennierenfunktion  durch  Zufuhr  fütterung    auf 
des  physiologisch  so  wirksamen  Suprarenins  in  merklicher  Weise     Ausfaiiser- 
günstig  zu  beeinflußen,  ist  die  mächtige  Wirkung  bemerkenswert,    ^^  «inungen. 
welche  die  Einführung  von  Schilddrüsensubstanz  auf  jene  Er- 
scheinungen  ausübt,   welche   sich   nach  Ausfall  der  Thyreoidea 
einstellen. 

Allgemein  bekannt  sind  die  glänzenden  Erfolge,  die  von 
Kocher  und  sehr  vielen  Anderen  bei  Behandlung  der  Kachexia 
strumipriva  und  des  Myxödems  durch  Schilddrüsenfütterung  er- 
zielt worden  sind.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  nach  Ex- 
stirpation  der  Thyreoidea  durch  Verfütterung  von  Schilddrüsen- 
substanz in  frischer  oder  getrockneter  Form  der  Eintritt  von 


i)  A.  Steyrer,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  4,  737  (1907). 

2)  J.  A.  Hirschl,  Jahrb.  f.  Psych,  u.  Neurol.  22,  196  (1902). 

3)  W.  Knöpfimacher,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1M4,  244. 

4)  R.  Hirsch  (Klinik  Fr.  Kraus),  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  S,  393 
(1906). 

5)  H.  Eppinger,  W.  Falta  und  C.  Rudinger,  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  66  (1908),  vgl.  dagegen  A.  Hougardy  und  L.  Langstein,  Jahrb. 
f.  Kinderheilk.  61,  6^2  (1905)- 


440  XIX.  Vorlesung. 

Ausfallserscheinungen  jahrzehntelang  .hintangehalten  werden  kann 
und  daß  sich  solche  auf  das  allerprompteste  einstellen,  sobald 
die  Medikation  für  längere  Zeit  unterbrochen  wird.  Wahre. 
Wunderdinge  wissen  die  Ärzte  von  den  Erfolgen  bei  Behandlung 
des  Myxödems  und  des  Kretinismus  zu  erzählen.  Nach  relativ 
kurzer  Zeit  sieht  man,  Hand  in  Hand  mit  einer  Änderung 
des  psychischen  Verhaltens,  einen  Rückgang  der  ödematösen 
Hautschwellungen;  die  Schweißsekretion,  ein  normales  Haar- 
wachstum und  die  normalen  Genitalfunktionen  setzen  ein;  noch 
in  relativ  vorgerückten  Jahren  können  die  Knochen  zu  wachsen 
beginnen  und  Versäumnisse  in  der  Entwicklung  nachholen  usw. 
Eine  systematische  Behandlung  des  endemischen  Kretinismus  ist 
nicht  nur  ein  humanitäres,  sondern  in  manchen  Ländern  auch  ein 
nationalökonomisches  Problem,  Hat  doch  z.  B.  eine  Volks- 
zählung in  Frankreich  die  erschreckende  Zahl  von  120  000  Kretins 
ergeben.  Der  Wiener  Neurologe  Wagner  v.  Jauregg^)  hat  sich 
durch  sein  energisches  Eintreten  für  eine  von  Staatswegen  durch- 
zuführende Behandlung  des  endemischen  Kretinismus  zweifellos 
sehr  große  Verdienste  erworben;  mit  der  seit  einigen  Jahren  auf 
Staatskosten  in  Steiermark  durchgeführten  Behandlung  von 
Kretins  mit  Schilddrüsentabletten  ist  bereit  ein  vielversprechender 
Anfang  gemacht  worden. 

E.  P.  Pick  und  F.  Pineles^)  haben  durch  schöne  Versuche  an 
thyreopriven  Ziegen  gezeigt,  daß  Schilddrüsenfütterung  den 
Ausfallserscheinungen  entgegenzuwirken  vermag.  Auch  die  aus 
Schilddrüsen  gewonnene  globulinartige  Eiweißsubstanz,  dasThy- 
reoglobulin,  erwies  sich  wirksam,  und  zwar  wurde  die  Wirksam- 
keit desselben  durch  kurzdauernde  Verdauung  geschwächt,  durch 
langdauemde  Pepsin-  und  Trypsinverdauung  aufgehoben.  Da- 
gegen ließ  das  Jodothyrin,  welches  so  lange  Zeit  als  »wirksame 
Substanz  der  Schilddrüse«  sich  einer  allgemeinen  Wertschätzung 
erfreut  hatte,  hier  gänzlich  im  Stiche. 
Transpianta-  Daß  unter  diesen  Umständen  auch  von  der  Transplantation 

*'^"(f  ü^^^''^   der  Schilddrüse  Erfolge  zu  erwarten  sind,  liegt  auf  der  Hand. 


i)  J.  Wagner  V.  Jauregg,  Mitteil.  d.  Vereins  d.  Ärzte  in  Steiermark/ 
1893,  Nr-  4  und  Wiener  klin.  Wochenschr.  1900,  419;  1904,  835;  1907,  33; 
vgl.  dort  die  einschlägige  Literatur. 

2)  L  c. 


Die  Schilddrüse.  441 


Die  ersten  einschlägigen  Versuche  rühren  von  M.  Schiff  her.  Der 
Beweis  jedoch,  daß  implantierte  Schilddriisen  wirklich  einzu- 
heilen vermögen,  ist  im  Jahre  1892  von  Anton  v,  Eiseisberg ^) 
erbracht  worden.  Mit  Rücksicht  auf  die  Möglichkeit  einer  reich- 
lichen Vascularisation  hat  Kocher  die  spongiöse  Substanz  der 
Tibia,  Payr^)  die  Milz,  Christiani  das  subkutane,  v.  Eiseis- 
berg und  Hans  Salzet^)  das  präperitoneale  Gewebe  als  Ein- 
pflanzungsort empfohlen.  Merkwürdigerweise  scheint  die  Ein- 
heilung bei  schilddrüsenlosen  Tieren  viel  leichter  zu  erfolgen 
als  bei  normalen ;  das  eingeheilte  Organ  dürfte  im  ersteren  Falle 
einer  vikariierenden  Hs^ertrophie  unterliegen.  Vor  einigen 
Jahren  hat  die  Mitteilung  eines  von  Payr  operierten  Falles  Auf- 
sehen erregt :  Es  handelte  sich  um  ein  Kind  mit  schwerem  Myxödem, 
bei  dem  die  Schilddrüsenfütterung  versagt  hatte.  Die  Mutter 
dieses  Kindes  brachte  demselben  einen  großen  Teil  ihrer  eigenen 
Schilddrüse  zum  Opfer,  und  diese  wurde  in  ganz  frischem  Zustande 
dem  Kinde  in  seine  Milz  transplan tiert.  Der  Erfolg  war  zunächst 
ein  eklatanter;  doch  scheint  derselbe  in  bezug  auf  seine  Dauer 
den  Hoffnungen  nicht  durchaus  entsprochen  zu  haben.  Bei  jedem 
Transplantations  versuche  wird  ja  die  Frage  schwer  zu  entscheiden 
sein,  ob  das  transplantierte  Organ  wirklich  in  vollem  Umfange 
seine  » innersekretorische «  Tätigkeit  aufgenommen  hat,  oder  ob 
einfach  ein  in  demselben  angehäufter  Vorrat  des  fertigen  wirk- 
samen Produktes  langsam  der  Resorption  anheimgefallen  ist, 
derart,  daß  der  Organismus  Zeit  gefunden  hat,  (etwa  durch 
H3q)ertrophie  vikarüerender  Organe)  sich  auf  die  neuen  Existenz- 
bedingungen einzustellen. 

Borst  und  Enderlen^),  welche  die  Verpflanzung  von  Schilddrüsen- 
teilen von  Mensch  zum  Menschen  in  einigen  Fällen  gewagt  hatten, 
vermochten  (trotzdem  sie  die  von  Carrel  zu  hoher  Vollkommenheit 


i)  A.  V.  Eiseisberg,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1892,  81,  vgl.  auch 
Enderlen  (Marburg),  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  3,  474 
(1898). 

2)  Payr,  Arch.  f.  klin.  Chir.  80,  730  (1906). 

3)  H.  Salzer,  Arch.  f.  klin.  Chir.  89,  881  (1909)  und  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1900,  370. 

4)  Borst  und  Enderlen  (Pathol.  Inst.  u.  chir.  Klinik  Würzburg), 
Zeitschr.  f.  Chir.  99,  114,   135  (1909). 


442  XIX.  Vorlesung. 


ausgebildete  Technik  der  Gefäßnaht  anwandten)  in  keinem  Falle 
den  Beweis  zu  erbringen,   daß  das  überpflanzte  Schilddrüsen- 
gewebe sich  definitiv  erhalten  hat. 
Serumthera-  Man  hatte  auch  gehofft,  dem  Myxödeme  mit  der  Serum - 

''^^hüde*^*'  ^h^^^Piß  beikommen  zu  können.  Italienische  Autoren  haben 
behauptet,  Hunde  vor  den  Folgen  der  Th3rreoidektomie  bewahren 
zu  können,  indem  sie  ihnen  Serum  von  Kaninchen  einspritzten, 
die  ihrerseits  mit  dem  Serum  thyreoidektomierter  Hunde  vor- 
behandelt worden  waren.  Dieser  Therapie  hegt  der  unbewiesene 
Gedanke  zugrunde,  daß  im  Blute  von  Tieren,  die  ihrer  Schild- 
drüse beraubt  sind,  ein  spezifisches  Gift  zirkuliert^).  Von  einer 
weiteren  Ausgestaltung  dieser  Versuche  ist  mir  nichts  bekannt 
geworden. 
Ätiologie  des  Die  Frage  der  Ätiologie  des  endemischen  Kretinismus 
Kretinismus,  bietet  ein  ebenso  großes  theoretisches  wie  praktisches  Interesse. 
Auf  Grund  der  Forschungen  von  Kocher,  v.  Eiseisberg,  v.  Wagner- 
Jauregg  u  a.  kann  ein  Zusammenhang  desselben  mit  schweren 
Funktionsstörungen  der  Thyreoidea  nicht  bezweifelt  werden.  Das 
Eintreten  dieser  Störungen  scheint  von  der  Bodenbeschaffenheit, 
insbesondere  aber  vom  Trinkwasser  abhängig  zu  sein.  Es  ist 
sichergestellt,  daß  es  »Kropf brunnen«  gibt,  deren  Wasser  bei 
anhaltendem  Genüsse  Kropf  zu  erzeugen  vermag.  Da  das  Wasser 
durch  Kochen  seine  Wirksamkeit  verliert,  liegt  es  nahe,  an  einen 
organisierten  Krankheitserreger  zu  denken. 

Sehr  interessant  sind  einschlägige  Versuche  zweier  Schweizer 
Ärzte 2),  denen  es  gelungen  ist,  durch  Verabreichung  von  Wasser 
eines  notorischen  »Kropfbrunnens«  bei  verschiedenen  Tieren, 
insbesondere  bei  Ratten,  eine  typische  strumöse  Degeneration 
der  Schilddrüse  zu  erzielen.  Das  Wasser  behielt  seine  Wirksam- 
keit beim  Erhitzen  auf  60 — 70^,  sowie  beim  Filtrieren  durch  ein 
Berkef eldf ilter  und  verlor  sie  beim  Erhitzen  auf  80  ° ;  das  wirksame 
Agens  vermochte  anscheinend  die  Wände  eines  Dialj^ierschlauches 
nicht  zu  durchdringen.    Daraus  folgern  die  Autoren,  es  handle  sich 


i)  Ceni  und  Besta,  Riv.  sperm.  di  freniatria,  zit.  n.  Biochem.  Zen- 
tralbl.  S,  425  (1904/5). 

2)  M.  Wilms  (Chir.  Klinik  Basel),  Deutsche  med.  Wochenschr.  S6, 
604  (1907).  E.  Bircher  (Aarau),  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  9,  i  (191 1). 


Die  Schilddrüse.  443 


um  ein  organisches,  kolloides,  nicht  organisiertes  toxisches  Agens, 
ein  » Kropf hydrosol«.  Es  ist  der  Versuch  gemacht  worden, 
das  ganze  Kropfproblem  auf  das  kolloidchemische  Gebiet  hinüber- 
zudrängen.  Dies  scheint  mir  angesichts  des  mageren  Tatsachen- 
materiales  denn  doch  sehr  verfrüht  zu  sein;  immerhin  wird  man 
mit  Spannung  der  weiteren  Entwicklung  der  Frage  entgegen- 
sehen dürfen.  Ich  möchte  Sie  übrigens  darauf  aufmerksam 
machen,  daß  es  keineswegs  dem  gegenwärtigen  Stande  des  Wissens 
entspricht,  wenn  aus  der  Filtrierbarkeit  eines  Krankheits- 
stoffes der  Schluß  gezogen  wird,  es  könne  sich  nicht  um  organi- 
sierte Krankheitserreger  handeln.  Die  Wutkrankheit,  die  Schaf - 
und  Kuhpocken,  das  gelbe  Fieber,  die  Poliomyelitis,  die  Maul- 
und  Klauenseuche  und  noch  viele  andere  Krankheiten  sind  durch 
ein  filtrierbares  und  wahrscheinHch  dennoch  organisiertes  Virus 
hervorgerufen  ^ ) . 

Wir  gehen  nunmehr  zu  der  Erörterung  der  Frage  über,  was  Wirkung  von 
wir  denn  eigentüch  über  die  in  der  Schilddrüse  enthaltenen  ^t^^^en^auf 
»wirksamen  Substanzen«  Positives  wissen.  den  Zirkuia- 

Es  ist  sehr  viel  Arbeit  darauf  verwendet  worden,  die  Wirkung  **onsapparat. 
von  Schilddrüsenextrakten  auf  Blutdruck  und  Herzrhythmus  zu 
studieren.  Eine  kritische  Durchsicht  der  ganzen  Literatur 2) 
lehrt,  daß  der  einzige  Effekt,  welcher  als  einigermaßen  konstant 
gelten  kann,  eine  Blutdrucksenkung  ist.  Dieselbe  ist,  wie  von 
meinem  Kollegen  C.  Schwarz^)  und  mir,  sowie  auch  (unabhängig 
von  uns)  von  Lohmann^)  und  von  Gautrelet^)  festgestellt  worden 
ist,  auf  das  Cholin  zu  beziehen. 

Sie  wissen,  daß  Baumanns  Entdeckung  des  Vorkommens  von 


i)  Vgl.  das  Referat  von  Loeffler  und  Dörr  auf  der  5.  Tagung  der 
Vcreinigung  für  Mikrobiologie.    Dresden  191 1. 

2)  Schäfer,  Haskovec,  Georgiewski,  Livon,  Guinard  et  Mar- 
tin, Fenyvessy,  Svehla,  Heinatz,  Ocana,  Farini.  Literatur  über 
Beziehungen  der  Schilddrüse  zum  Zirkulationsapparate:  O.  v.  Fürth, 
Ergebn.  d.  Physiol.  8,  524 — 540  (1909),  vgl.  auch  L.  Haskovec,  Wiener 
klin.  Wochenschr.  3.  Aug.   191 1. 

3)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  Verh.  d.  XXV.  Kongr.  f.  innere 
Med.,  April  1908,  S.  400  und  Pflügers  Arch.  124,  361  (1908). 

4)  A.  Lohmann,  Sitzungsber.  d.  naturw.  Ges.  Marburg,  25.  Mai  1908. 

5)  J.  Gautrelet,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  65,  176  (1908). 


444  XIX.  Vorlesung. 


Chemische  Jod  in  der  Schilddrüse  das  Jodothyrin,  welches  von  seinem 
^\^  ri""h  •  ^^  Entdecker  als  »wirksamer  Bestandteil  der  Schilddrüse«  bezeichnet 
worden  war,  auf  lange  Zeit  hinaus  in  den  Mittelpunkt  der  Schild- 
drüsenfrage gestellt  hat.  Wir  wollen  daher  zunächst  versuchen > 
uns  die  chemische  Stellung  des  Jodothyrins^)  klar  zu 
machen. 

Das  Jodoth5rrin  wird  nach  Baumanns  Vorgange  in  der  Weise 
dargestellt,  daß  Schilddrüsen  zunächst  stundenlang  mit  lopro- 
zentiger  Schwefelsäure  zerkocht  werden;  dabei  geht  der  gjrößere 
Teil  ihres  Substrates  in  Lösung  und  es  bleibt  eine  Substanz  zurück, 
die  nunmehr  mit  Alkohol  ausgekocht  wird.  Die  Alkohollösung 
läßt  beim  Eindunsten  einen  Rückstand  zurück,  der  entfettet  und 
durch  Lösen  in  Alkali  und  Fällen  mit  Säure  gereinigt  werden  kann. 
Die  so  erhaltene  jodreiche  Substanz  von  saurem  Charakter  ist 
das  J  odothy rin.  Zahlreiche  Analysen  desselben  ergaben  absolut 
keine  konstante  Zusammensetzung;  sein  Jodgehalt  schwankt 
je  nach  dem  Jodreichtum  des  Ausgangsmateriales. 

Das  Jodothyrin  ist  in  der  Schilddrüse  keineswegs  vorgebildet- 
es ist  vielmehr  ein  Spaltungsprodukt  der  von  Oswald  sorgfältig 
studierten  jodhaltigen  Eiweißsubstanz  der  Schilddrüse,  des 
Jodthyreoglobulins.  In  dem  Globulingemenge,  das  bei  Halb- 
sättigung eines  wässerigen  Schilddrüsenextraktes  mit  Ammon- 
sulfat  ausfällt,  findet  sich  neben  dem  jodhaltigen  auch  jod- 
freies  Thyreoglobulin.  Der  Jodgehalt  des  ersteren  steigt 
bei  Jodfütterung;  das  Auftreten  des  jodhaltigen  Globulins  sollte 
nach  Oswald^)  an  das  Vorkommen  des  Kolloids  in  der  Drüse  ge- 
bunden sein.  Nach  neueren  Angaben  französischer  Autoren®) 
soll  dagegen  ein  ParaUelismus  und  eine  Abhängigkeit  zwischen 
Jod  und  kolloider  Substanz  nicht  bestehen.  Es  scheint,  daß 
unter  Umständen  Jod  in  erheblichen  Mengen  in  der  Schilddrüse 


i)  Literatur  über  Jodothyrin:  O.  v.  Fürth,  Biochem.  Handlexikon  3, 
504—507  (1911). 

2)  A.  Oswald,  Z.  f.  physiol.  Chemie  27,  14  (1899);  32,  121  (1901),  Hof- 
meisters Beitr.  2,  544  (1902),  Virchows  Arch.  169,  444  (1902),  Biochem. 
Zentralbl.  1,  249  (1903),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  60,  115  (1909);  63,  263 
(1910),  Z.  f.  physiol.  Chemie  62,  492(1909),  vgl.  auch  H.  Wiener  (Pharm. 
Inst.  d.  d.  Univ.  Prag),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  61,  297  (1909). 

3)  H.  Claude  et  A.  Blanchetidre,  Joum.  de  Physiol.  12,  568  (1910). 


Die  Schilddrüse.  445 


vorkommen  und  gleichzeitig  jede  Spur  von  kolloider  Substanz 
fehlen  kann.  Doch  betont  auch  A.  Kocher ^  daß  der  Jodgehalt 
der  Schilddrüse  (zum  mindesten  bei  Basedowscher  Krankheit) 
um  so  höher  sei,  je  reicher  sie  an  Kolloidsubstanz  ist^). 

In  welcher  Form  ist  nun  das  Jod  im  Jodthyreoglobulin  ge- 
bunden? Es  liegt  sicherlich  am  nächsten,  dabei  an  die  zyklischen 
Komplexe  des  Eiweißmoleküles,  zunächst  wohl  an  das  T5rrosin  zu 
denken,  da  es  Oswald,  wie  ich  Ihnen  bereits  in  einer  früheren  Vor- 
lesung mitgeteilt  habe,  gelungen  ist,  aus  jodierten  Eiweißkörpern 
Dijodt3rrosin  abzuspalten.  Doch  scheint  die  Reindarstellung 
jodierter  Aminosäuren  oder  Pol5^eptide  aus  Jodth3a"eoglobulin 
vorderhand  noch  nicht  erzielt  worden  zu  sein.  Sobald  das  Eiweiß- 
molekül durch  Wirkung  von  Säuren,  Alkalien  oder  Fermenten  in 
seine  tiefen  Spaltungsprodukte  zerlegt  wird,  kommt  es  zu  einer 
Abspaltung  von  Jod 2). 

Welche  Stellung  kommt  nun  dem  Jodothyrin  zu?  Um  ein 
Polypeptid  kann  es  sich  unmöglich  handeln,  da  dasselbe  sogar 
gegen  stundenlange  Einwirkimg  kochender  Salzsäure  widerstands- 
fähig ist.  Nun  wissen  wir  aber,  daß  bei  Einwirkung  kochender 
Mineralsäuren  auf  Proteine  die  »Melanoidine«  Schmiedebergs 
entstehen,  hochmolekulare  Kondensationsprodukte,  an  deren 
Bildung  nach  Samuely  die  im  Eiweißmoleküle  enthaltenen 
zyklischen  Komplexe  vorwiegend  beteiligt  sind.  Es  liegt  nun 
meiner  Meinung  nach  sehr  nahe,  das  Jodothyrin  als  ein  durch 
Säureeinwirkung  aus  dem  Jodeiweiß  der  Schilddrüse 
entstandenes  melanoidinartiges  Kondensationsprodukt 
aufzufassen^). 

Cyon  war  der  Meinung,  daß  dem  Jodoth)n:in  ein  mächtiger   Wirkung  des 
Einfluß  auf  die  Erregung  intracardialer  Hemmungszentren,      ^^^j  J^^^^ 
der  Endapparate  der  Herzvagi  und  der  Depressoren  zu-  zirkuiations- 
komme    und   daß   dasselbe   eine    antagonistische   Wirkung      ^PP^»"^^- 
demAtropin  gegenüber  zu  entfalten  vermöge.    Aus  den  Unter- 
suchimgen    zahlreicher    Autoren    (Kohert,    Vamossy    und    Vas, 


i)  A.  Kocher  (Bern),  Arch.  f.  klin.  Chir.  95,   1007  (191 1). 

2)  A.  Oswald,  1.  c.    A.  Nürnberg,  Hofmeisters  Beitr.  10,  125  {1907) 
und  Biochem.  Z.  16,  ^7  (1909). 

3)  O.  V.  Fürth   und  C.  Schwarz,  Pflügers  Arch.  124,   142  (1908). 


446  XIX.  Vorlesung. 


Harnack,  Fenyvessy,  Friedrich  Kraus  und  Friedenthal,  Isaak  und 
V.  d,  Velden,  v.  Fürth  und  Schwarz)  geht  hervor,  daß  die  letztere 
Annahme  nicht  zutrifft.  Die  Täuschung  hinsichtlich  eines  An- 
tagonismus dem  Atropin  gegenüber  ist,  wie  Harnack  zuerst 
hervorgehoben  hat,  durch  den  Umstand  hervorgerufen  worden, 
daß  selbst  nach  großen  Dosen  dieses  Giftes  bei  Kaninchen  nur 
eine  schnell  vorübergehende  Vaguslähmung  eintritt.  Bringt 
man  nun,  noch  bevor  die  Atropinwirkung  abgeklungen  ist,  dem 
Tiere  etwa  Jodothyrin  bei,  so  kann  leicht  die  Täuschung  eines 
antagonistischen  Effektes  erweckt  werden^). 

Während  das  Jodothyrin  jede  charakteristische  unmittelbare 
Einwirkung  auf  den  Zirkulationsapparat  des  Himdes  und 
Kaninchens  vermissen  läßt,  bewirkt  bei  der  Katze,  wie  mein 
Kollege  C.  Schwarz  gemeinsam  mit  mir  festgesteUt  hat,  die 
intravenöse  Injektion  einer  Jodothyrinlösung  (einer  Jodmenge 
von  einigen  Zehntel  Milligrammen  entsprechend)  einen  jähen 
AbfaU  des  Blutdruckes  und  das  Auftreten  großer,  langsamer 
Aktionspulse  in  der  Dauer  einiger  Minuten.  Dieses  Verhalten  des 
Jodothyrins,  welches  durch  eine  direkte  Herzwirkung  sowie 
auch  durch  eine  Reizung  des  Vaguszentrums  im  verlängerten 
Marke  bedmgt  ist,  läßt  indessen  auch  nichts  für  die  Schilddrüse 
durchaus  Eigen tümüches  erkennen.  Denn  sowohl  gewisse  jo- 
dierte Eiweißkörper*),  als  auch  durch  Säureeinwirkung  aus 
jodiertem  Bluteiweiß  dargestellte  jodhaltige  Melanoidine') 
(»künstliches  Jodothyrin«  nach  Oswald^)  zeigen  ein  ganz  analoges 
Verhalten. 

Die  Widerlegung  der  Irrtümer  Cyons  hat  diesen  veranlaßt, 
mir  sowie  meinem  Mitarbeiter  in  einem  Buche  ^),  in  dem  er  seine 
älteren  Arbeiten  reproduziert,  ein  eigenes  Kapitel  zu  widmen, 


i)  Literatur:  vgl.  O.  v.  Fürth,  Ergebn.  d.  Physiol.  8,  532 — 534  (ic)09). 
Ders.  und  C.  Schwarz,  1.  c. 

2)  Isaak  und  R.  v.  d.  Velden,  Verh.  d.  Kongr.  f.  innere  Med.  1907, 
164  und  Med.  nat.  Arch.  1,  105  (igoy). 

3)  O.  V.  Fürth  und  C.  Schwarz,  1.  c. 

4)  A.  Oswald,  Pflügers  Arch.  129,   103  (1909).    O.  v.  Fürth  und  C. 
Schwarz,  Zentralbl.  f.  Physiol.  22,  725  (1908). 

5)  E.  V.  Cyon,  Die  Gefäßdrüsen  als  regulatorische  Schutzorgane  des 
Zentralnervensystems,    Verlag  J.  Springer.    Berlin  19 10. 


Die  Schilddrüse.  447 


dessen  Lektüre  ich  jedem,  der  sich  für  die  Schreib-  und  Kampf- 
weise dieses  Autors  etwa  interessiert,  nur  wärmstens  empfehlen 
kann.  An  der  Unrichtigkeit  der  Angaben  Cyons  wird  durch  seine 
Ausfälle  freilich  nicht  das  geringste  geändert.  Auch  haben  unsere 
Befunde  inzwischen  durch  diejenigen  von  Leon  Asher'^),  welcher 
eine  Erhöhung  der  Depressorenerregbarkeit  durch  Jodothyrin 
vermißt  hat,  eine  Bestätigung  gefunden.  »Bestätigt  ist  außer- 
ordentlich wenig  von  den  vielen  Behauptungen  v,  Cyons  «,  schreibt 
Asher^  »um  so  mehr  aber,  wie  bekannt,  in  zahlreichen  gründ- 
lichen Arbeiten  widerlegt.  Ich  erinnere  hier  nur  an  die  letzten 
genauen  Versuche  von  v.  Fürth  imd  von  Schwarz.  Der  Versuch 
V..  Cyons,  in  der  Form  imgehörig,  in  der  Sache  irreleitend,  diese 
Arbeit  herabzusetzen,  anstatt  sie  experimentell  zu  überprüfen, 
gilt  wohl  allgemein  als  mißglückt«. 

Nach  Asher  und  Flack  bewirkt  intravenöse  Injektion  von  Ex-  Ashers 
trakten  aus  Schilddrüsensubstanz,  nicht  aber  diejenige 
von  Jodothyrin  eine  merkliche  Beeinflussung  des  Zirkulations- 
apparates, der  in  einer  Erhöhung  der  Depressorenerregbar- 
keit und  in  einer  Steigerung  der  Blutdruckwirkung 
injizierten  Suprarenins  zum  Ausdrucke  gelangt.  Da  unter 
sonst  genau  gleichen  Versuchsbedingungen  eine  Reizung  des 
N.  depressor  oder  eine  intravenöse  Suprareninin jektion  während 
der  Reizung  der  Schilddrüsennerven  (Nervi  laryngei)  wirksamer 
war  als  kurz  vorher  ohne  dieselbe,  dieser  Effekt  aber  nach  Aus- 
schaltung der  Schilddrüse  fortfiel,  wird  gefolgert,  daß  die  Nerven- 
reizung den  Übertritt  eines  inneren  Sekretes  aus  der  Schilddrüse 
in  die  Zirkulation  bedingt. 

Sollte  sich  der  hier  eingeschlagene  Weg  als  gangbar  zeigen, 
so  wäre  der  Nachweis  eines  eindeutigen  Effektes  einer  in  der 
Schilddrüse  enthaltenen  »wirksamen  Substanz«  auf  den  Zirku- 
lationsapparat für  die  weitere  Entwicklung  der  Schilddrüsen- 
frage von  allergrößter  Bedeutung.  Doch  bleibt  einstweilen  die 
experimentelle  Durcharbeitung   und   Klärung  dieser  Frage   ab- 


1 )  L.  Asher  und  M.  Flack,  2^itschr.  f.  Biol.  56, 83  (1910),  vgl.  L.  Asher, 
Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  211  (1909)  und  Mitteil,  am  VIII.  intemat.  Physio- 
logenkongreß Wien  19  IG. 

2)  L.  Asher,  Pflügers  Arch.  139,  566  (191 1). 


448  XIX.  Vorlesung. 


zuwarten.  Die  von  Cyon^)  gegen  Ashers  Versuche  erhobenen 
Einwände  sind  von  diesem  zurückgewiesen  worden*).  Falls  es 
sich  bestätigt,  *  daß  wir  hier  in  dem  abgestuften  Effekte  des  an 
den  sympathischen  Nervenendigimgen  angreifenden  Supra- 
renins ein  Mittel  besitzen,  durch  das  wir  Einwirkungen  auf  den 
Zirkulationsapparat  erkennen  können,  die  sich  bei  der  einfachen 
kymographischen  Beobachtung  von  Blutdruck  und  Herzarbeit 
der  Wahrnehmung  entziehen,  so  würde  dies  sicherlich  auch 
manchen  anderen  physiologischen  Fragen  zugute  kommen. 
Hyperthyreoi-  Langdauemde  künstliche  Überschwemmung  des  Organismus 
disation.  ^^  Schilddrüsenstoffen  kann  eine  Reihe  von  krankhaften 
Störungen  herbeiführen,  die  n\it  um  so  größerem  Eifer  studiert 
.worden  sind,  als  man  in  dieser  Weise  eine  Art  Basedowscher 
Krankheit  künstlich  hervorrufen  zu  können  hoffte 5).  Man  hat 
so  eine  Reihe  pathologischer  Symptome,  jedoch  nicht  etwa  will- 
kürhch  produzierbar,  vielmehr  in  höchst  inkonstanter  Weise 
wechselnd  beobachtet:  so  Tachykardie;  Störungen  von  selten 
des  Nervensystems  (Exzitationszustände,  Erweiterung  der 
Lidspalte  und  der  Pupillen,  Exopthalmus,  Suprareninmydriasis, 
Lähmimgen),  trophische  Störungen  (Schwellung  der  Kon- 
junktiven, ödematöse  Durchtränkung  des  Bindegewebes),  Ver- 
größ.erung  der  Schilddrüse,  Anomalien  der  Verdauung 
(Diarrhöen,  Darmblutungen)  und  des  Stoffwechsels  (Ab- 
magerung, Fieber,  Glukosurie,  Polyphagie,  Polydipsie,  Poly- 
urie) usw.  Das  weitaus  konstanteste  dieser  Symptome  ist  die 
Tachykardie,  welche  nach  langdauernder  Zufuhr  von  Schild- 
drüsenpräparaten von  fast  allen  Beobachtern  wahrgenommen 
worden  ist;  die  normale  Pulsfrequenz  kann  dabei  nach  einigen 
Tagen  nahezu  eine  Verdoppelung  erfahren;  ich  konnte  (überein- 
stimmend  mit    Georgiewsky)   dies   gemeinsam   mit    C.    Schwarz 


i)  E.  V.  Cyon,  Pflügers  Arch.  138,   575  (191 1). 

2)  L.  Asher,  Pflügers  Arch.  139,  562  (1911). 

3)  Ballet  und  Enriquez,  Canter,  Lanz,  Georgiewsky,  Hellin, 
Angiolella,  L6pine,  Lüdke»  Edmunds,  Peiser,  Eppinger,  Falta 
und  Rudinger,  v.  Fürth  und  Schwarz,  Carlson  (VIII.  intemat.  Phy- 
siologenkongreß Wien  19 ig).  Literatur:  O.  v.  Fürth,  Ergebn.  d.  Physiol. 
»,  535—540  (1909). 


Die  Schilddrüse.  449 


bei  Hunden  beobachten,  denen  einige  Kubikzentimenter  frischen 
Schilddrüsenpreßsaftes  injiziert  worden  waren. 

Von  großem  Interesse  ist  ein  in  der  Literatur  vorliegender 
Fall  eines  künstlichen,  durch  Hyperthyreoidisation  er- 
zeugten Morbus  Basedowii^).  Derselbe  betrifft  einen  ge- 
sunden Mann,  der  ohne  ärztliche  Vorschrift,  um  sich  von  Fett- 
leibigkeit zu  befreien,  binnen  weniger  Wochen  etwa  1000  Stück 
Schilddrüsentabletten  eingenommen  hatte.  Es  bildete  sich  bei 
ihm  das  typische  Bild  einer  Basedowschen  Krankheit  mit  Struma, 
Exophthalmus,  Tachykardie,  Tremor,  Aufregungszuständen,  star- 
kem Schwitzen,  Abmagerimg  usw.  aus;  gleichzeitig  bestand 
Glukosiurie.  Nach  etwa  10  Monaten  hatten  sich  alle  diese  S3mi- 
ptome  zurückgebildet. 

Was  nun  im  besonderen  den  Einfluß  der  Schilddrüsen-  Einfluß  der 
zufuhr  auf  den  Stoffwechsel  betrifft,  ist  bei  außerordent-  Schüddrüsen- 
lich  zahlreichen  Versuchen 2)  eine  Verschlechterung  der  Stoffwechsel. 
Stickstoffbilanz  konstatiert  worden.  Dieselbe  kann  sich 
selbst  dann  bemerkbar  machen,  wenn  infolge  übermäßiger  Nahrung 
noch  Fettansatz  im  Körper  erfolgt.  Die  von  Schöndorff  vertretene 
Ansicht,  daß  es  sich  bei  der  negativen  Stickstoffbilanz  in  erster 
Linie  um  Ausschwemmung  stickstoffhaltiger  Extraktiv- 
stoff e  handelt,  läßt  Magnus- Levy,  einer  der  besten  Kenner  dieses 
Wissensgebietes,  nicht  gelten,  wenngleich  eine  solche  in  den  ersten 
Tagen  der  Schilddrüsendarreichung  eine  gewisse  Rolle  spielen 
mag.  Die  gleichzeitige  Steigerung  der  Stickstoff-,  Schwefel-  imd 
Phosphorausscheidung  läßt  in  vielen  FäUen  keinen  Zweifel  darüber 
zu,  daß  es  sich  um  wirklichen  Eiweißzerfall  handelt.  Eine  ge- 
legentlich beobachtete  Verminderung  der  Phosphorausschei- 
dung im  Harne  kann  dadurch  zustande  kommen,  daß  unter  dem 
Einflüsse  der  Schilddrüsenzufuhr  eine  erhebliche  Steigerung 
der  Kalkausscheidung  in  das  Darmlumen  erfolgt,  wobei 
der    Kalk   einen   großen   Teil   des    Phosphors   aus  dem   Harne 


i)  V.  Notthaft,  Zentralbl.  f.  innere  Med.  1898,  353. 

2)  Literatur  über  den  Einfluß  der  Schilddrüsenzufuhr  auf  den  Stoff- 
wechsel: A.  Magnus -Levy,  v.  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw., 
2.  Aufl.   2,   320 — 325    (1907).    A.  Orgler,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  5,  i 

(1909). 

V.  Fürth,  Probleme.  29 


450  XIX.  Vorlesung. 


ablenkt  und  gewissermaßen  mitreißt^).  Daß  Schilddrüsenzufuhr 
in  manchen  Fällen  zu  gesteigerten  Fettverlusten  führen  kann, 
ist  allgemein  bekannt.  Nach  Magnus-Levy  genügt  jedoch  die 
nicht  konstante  Erhöhung  des  Ruhegaswechsels  keineswegs, 
um  die  Fettverluste  zu  erklären;  man  muß  vielmehr  in  manchen 
Fällen  sicherlich  an  eine  Erhöhung  des  Stoffverbrauches 
infolge  stärkerer  Bewegungen  denken.  »Die  Anspruchs- 
fähigkeit auf  normale  Reize«,  sagt  der  genannte  Autor*),  »kann 
durch  Steigerung  der  nervösen  Reaktionsfähigkeit  bei  ursprüng- 
lich phlegmatischen  Personen  zunehmen  und  solche  Menschen, 
selbst  bei  scheinbar  gleicher  Beschäftigung,  zu  stärkeren  und 
energischeren  Bewegungen  veranlassen.  Wo  diese  ausgeschlossen 
sind,  z.  B.  in  einem  meiner  Fälle  durch  Bettlägerigkeit  infolge 
einer  alten  Hemiplegie,  nimmt  der  Fettschwund  durch  Schild- 
drüsenzufuhr nicht  zu  «.  Unter  diesen  Umständen  entbehren  die 
so  viel  mißbrauchten  Entfettungskuren  durch  Schild- 
drüsenzufuhr jeder  physiologischen  Berechtigung;  auch  ist  diese 
Behandlungs weise,  nachdem  sie  schnell  zu  großer  Popularität 
gelangt  war,  von  den  Praktikern  ebenso  schnell  wieder  verlassen 
worden^).     Man   hört  gegenwärtig  nicht  mehr  allzuviel  davon. 

Der  vermehrte  Eiweißzerfall,  welcher  durch  Überschwemmung 
des  Organismus  mit  Schilddrüsenstoffen  bewirkt  wird,  soU  in  einer 
Steigerung  autolytischer  Vorgänge  auch  noch  post  mortem 
zum  Ausdrucke  gelangen.  Doch  lauten  die  darauf  bezüglichen 
Angaben  recht  widersprechend*). 

Coronedi  betrachtet  den  Schilddrüsenextrakt  als  ein  physio- 
logisches Diureticum,  welches  die  bei  Tieren  nach  Entfernung 

i)  Vgl.  Falta,  Rudinger,  Bertelli,  Bolaffio  und  Tedesko, 
Kongreß  f.  innere  Med.  1969,  138,   Sinnhuber,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  64, 

38  (1904). 

2)  1.  c.  S.  324. 

3)  Vgl.  C.  V.  Noorden,  Die  Fettsucht.   Nothnagels  Handb.  Wien  1900, 

145—149. 

4)  S.  B.  Shryver,  Journ.  of  Physiol.  32,  159  (1905).  H.  G.  Wells 
and  R.  L.  Benson,  Journ.  of  biol.  Chem.  3,  35  (1907).  L.  B.  Stoockey 
und  V.  Gardner,  Proc.  Soc.  Exp.  Biol.  5, 220,  zit.  n.  Jahresber.  f. Tierchemie 
38,  499  (1908).  K.  Kottmann  (Pharmakol.  Inst.  Bern),  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  71,  369  (1910).  G.  Bayer  (Pathol.  Inst.  Innsbruck),  Sitzungsber. 
d.  Wiener  Akad.  Math. -naturw.  Kl.  118,   181   (1909). 


Die  Schilddrüse.  451 


der  Thyreoidea  darniederliegende  Nierenfunktion  auch  dann  noch 
zu  heben  vermag,  wenn  andere  Diuretica  versagen^). 

Nachdem  wir  uns  nunmehr  die  Folgeerscheinungen  der  künst-     Chronische 
liehen  Hyperthyreoidisation  in  ihren  wesentlichen  Züeen  klar-  Einwirkung  d, 

,       ,     ,  ,  °  Jodothynns 

gemacht  haben,  können  wir  zu  der  Frage  des   »wirksamen  Be-      auf  den 
Standteiles«  der   Schilddrüsen  zurückkehren  und  uns  zunächst    Organismus, 
ganz  objektiv  die  Frage  vorlegen,  ob  wir  analoge  Erscheinungen 
etwa  auch  nach  dauernder  Überschwemmung  des  Organis- 
mus mit  Jodothyrin  zu  beobachten  in  der  Lage  sind. 

Bei  den  in  Gemeinschaft  mit  C.  Schwarz^)  ausgeführten 
Versuchen  haben  wir  das  Jodothyrin  in  bezug  auf  seine  Wirkimg 
auf  den  Zirkulationsapparat  einer  eingehenden  Prüfung  unter- 
worfen. Es  gelang  uns  allerdings  zuweilen,  bei  Hunden  und 
Katzen,  durch  reichhche  Zufuhr  von  Jodothyrin  auf  dem  Wege 
subcutaner  Injektionen  eine  hochgradige  Tachykardie  aus- 
zulösen ;  doch  war  dieser  Befund  keineswegs  ein  konstanter.  Unter 
Umständen  konnten  wir  den  Organismus  der  Versuchstiere 
dauernd  mit  Jodothyrin  förmlich  überschwemmen,  ohne  eine 
Pulsbeschleunigung,  eine  Abmagerung  oder  sonst  irgendein 
Symptom  einer  »Schilddrüsen vergif timg «  zu  bemerken.  Die 
Beobachtung  einer  Tachykardie  an  sich  ist  aber  um  so  weniger 
auffällig,  als  Versuche,  die  in  Schmiedebergs  Laboratorium  aus- 
geführt worden  sind^),  die  gleiche  Erscheinung  bei  Verfütterung 
künstlich  dargestellter  Jodeiweißkörper  ergeben  hatten. 
Auch  ist  es  eine  längst  bekannte  Tatsache,  daß  nach  Über- 
schwemmung des  Körpers  mit  Jod  in  anorganischer  Form 
Tachykardie  auftreten  kann.  Es  ist  sehr  wohl  denkbar,  daß  das 
Jod,  wenn  es  in  Form  von  Jodothyrin  oder  Jodeiweiß  dargereicht 
wird,  nur  deswegen  wirksamer  ist,  als  etwa  in  Form  von  Jodalkali, 
weil  es  so  langsamer  ausgeschieden  wird,  daher  ausgiebiger  zur 
Geltung  kommt.  Wir  vermochten  also  in  der  chronischen  Ein- 
wirkung des  Jodothyrins  auf  den  Zirkulationsapparat  ebensowenig 


i)  G.  Coronedi,  BoU.  Scienze  Med.  80, 121,  zit.  n.Biochem.  Zentralbl. 
9,  318  (1909). 

2)  O.  V.  Fürth  und   C.  Schwarz,  1.  c. 

3)  Nikolajew  (Pharmakol.  Inst.  Straßburg),  Arch.  f.  exper.  Pathol. 
58,  447  (1905). 

29* 


452  XIX.  Vorlesung. 


irgend  etwas  für  die  Schilddrüse  durchaus  Charakteristisches  und 
Spezifisches  zu  erkennen,  wie  in  seiner  akuten  Einwirkung. 
Wirkung  des  Was  die  Beeinflussung  des  Stoffwechsels  durch  das 
jodothyrins  Jodothyrin^)  betrifft,  scheint  aus  zahlreichen  Beobachtungen 
Wechsel.  hervorzugehen,  daß  die  Verfütterung  desselben  eine  ähnliche 
Wirkung  ausübt  wie  diejenige  von  Schilddrüsensubstanz:  also 
Abmagerung,  Mehrausscheidung  von  Stickstoff,  Kochsalz  und 
Phosphorsäiu"e,  Steigerung  des  respiratorischen  Stoffwechsels  usw. 
Auch  soll  die  Wirkung  von  Schilddrüsenpräparaten  dem  Jodgehalte 
derselben  proportional  sein,  daher  an  sich  unwirksame  jodfreie 
Himdeschilddrüse  wirksam  wird,  wenn  man  dieselbe  durch  Ver- 
fütterung von  Jodkali  mit  Jod  anreichert.  Angeblich  entfalten 
andere  Präparate,  welche  Jod  in  organischer  oder  anorganischer 
Bindung  enthalten  (Jodeiweißkörper  u.  dgl.)  keine  analogen 
Wirkungen. 

Die  Tatsache  jedoch,  daß  z.  B.  ein  aus  Tangen  (Fucus  vesi- 
culosus)  hergestelltes  jodhaltiges  Entfettungsmittel,  »Korpulin« 
genannt,  auf  den  Stoffwechsel  in  ähnlicher  Weise  wirkt  wie 
Schilddrüsensubstanz  2),  vor  allem  aber  der  Umstand,  daß,  wie 
jeder  Arzt  weiß,  Jodverbindungen  im  Organismus  sehr  differente 
Wirkungen  entfalten  können,  legt  den  Wunsch  nach  einer  kri- 
tischen Nachprüfung  der  ganzen  Frage  nahe.  Dabei  ist  nun 
allerdings  der  Umstand  wohl  zu  beachten,  daß  nach  der  Auf- 
fassung moderner  Pharmakologen  eine  Stoffwechselwirkung  im 
gewöhnlichen  Sinne  dem  Jod  nicht  zukommen  dürfte.  Nach  der 
Ansicht  von  Hans  Horst  Meyer^)  läßt  dasselbe  einen  konstanten 
Einfluß  auf  den  Stoffwechsel  nicht  erkennen.  Die  auffällige 
Abmagerung,  die  nach  längerem  inneren  Gebrauche  von  Jod- 
präparaten oft  beobachtet  wird,  dürfte  im  allgemeinen  keine 
unmittelbare  Jodwirkung,  vielmehr  eine  Folge  von  Schleimhaut- 
entzündungen sein,  welche  die  Ernährung  beträchtlich  stören  und 
auch  zur  Abmagerung  führen  können.  »Sonst  aber  tritt  letztere 
nie,  selbst  nach  monatelangem  Gebrauche  großer  Mengen  von 

i)  Roos,  Treupel,  Ewald,  Grawitz,  Hennig,  Voit,  Magnus- 
Levy,  Anderson  und  Bergmann,  F.  Kraus  u.  a.  Literatur:  O.  v. 
Fürth,  Biochem.  Handlexikon  5,  506  (19 10). 

2)  H.  Salomon,  Zentralbl.  f.  Stoff wechselkr.  2,  205  (1901). 

3)  H.  H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  Experim.  Pharmakol.  335,  1910. 


Die  Schilddrüse.  453 


Jodkalium  auf,  es  sei  denn,  daß  es  sich  um  Kropf  kranke 
handelt;  bei  solchen  entwickelt  sich  oft  schon  nach  wenigen  und 
ganz  geringen  Gaben  von  Jodpräparaten  das  typische  Bild  des 
Thyreoidismus  bzw.  des  Morbus  Basedowii  mit  Einschluß 
der  dafür  charakteristischen  Abmagerung  und  Schwächung^). 
Daraus  ergibt  sich,  daß  das  Jod  nur  mittelbar  d.  h.  durch  die 
Schilddrüse  den  Stoffwechsel  beeinflußt,  und  zwar  in  merklichem 
Grade  dann,  wenn  das  Schilddrüsengewebe  hypertrophisch,  aber 
funktionell  insuffizient  ist. «  Wenn  also  die  Zufuhr  von  Jodo- 
th5a"in  wirklich  den  Stoffwechsel  im  gleichen  Sinne,  wie  eine 
H5T)ersekretion  der  Schilddrüse  beeinflußt,  so  darf  dies  nicht 
ohne  weiteres  als  ein  Beweis  dafür  angesehen  werden,  daß  das 
Jodoth5a"in  der  wirksame  Bestandteil  des  Schilddrüsenpreßsaftes 
ist.  Es  können  vielmehr  meines  Erachtens  die  Dinge  so  liegen, 
daß  das  aus  dem  Jodothyrin  im  Stoffwechsel  abgespaltene  Jod 
die  Schilddrüse  einfach  zu  vermehrter  Sekretion  anregt;  wie  man 
denn  auch  gelegentlich  anscheinend  normale  Menschen  auf  die 
innerliche  oder  äußerliche  Einverleibung  von  verschiedenen  Jod- 
präparaten mit  schweren  thyreotoxischen  Symptomen,  einem 
sogenannten  Jodbasedow  reagieren  sieht 2). 

Daß  das  Jodothyrin  parenchymatöse  Vergrößerungen 
der  Schilddrüse  günstig  zu  beeinflussen  vermag,  wie  dies 
seinerzeit  von  Baumann  und  von  Roos  angegeben  worden  ist,  ist 
nicht  weiter  auffällig,  da  es  diese  Eigenschaft  mit  anderen  jod- 
haltigen Präparaten  teilt,  welche  eine  Atrophie  der  hyperplasti- 
schen Schilddrüse  und,  wie  es  scheint,  auch  mancher  anderer 
drüsiger  Organe  herbeizuführen  vermögen. 

Daß  das  Jodothyrin  nicht  imstande  ist,  den  Eintritt  von 
Ausfallserscheinungen  nach  Ausschaltung  der  Schilddrüse 
hintanzuhalten,  ist  bereits  erwähnt  worden.  Daß  es  der  Tetanie 
gegenüber  machtlos  ist,  beweist  weiter  nichts,  da  diese  ja  nicht 
vom  Ausfall  der  Schilddrüse,  sondern  von  demjenigen  der  Epithel- 
körperchen  abhängig  ist ;  um  so  beweisender  sind  dafür  die  bereits 
erwähnten  Versuche  von  Pick  und  Pineles  an  Pflanzenfressern. 

Ich  fasse  also  die  vorstehenden  Erörterungen  dahin  zusammen. 


i)  R.  Breuer,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1906,  6y$. 

2)  G.  Wolfssohn,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1911,  207. 


454  XIX.  Vorlesung. 


daß  ich  (abgesehen  davon,  daß  das  Jodothyrin  zweifellos  ein 
Kunstprodukt  ist)  den  Beweis  für  eine  durchaus  spezifische 
Wirksamkeit  desselben  (als  Sekretsubstanz  der  Schilddrüse) 
in  keiner  Weise  für  erbracht  halte,  insofern  die  beobachteten 
Wirkungen  des  Jodothyrins  mit  denjenigen  gewisser  jodierter 
Proteinderivate  übereinstimmen,  durch  den  Jodeiweißgehalt  der 
Schilddrüse  sonach  eine  ausreichende  Erklärung  finden. 

Ich  möchte  Sie  übrigens  noch  darauf  aufmerksam  machen,  daß 
manche  Ärzte,  die  mit  »Jodothyrin«  Heilversuche  bei  Kröpfen 
und  Myxödem  zu  machen  glaubten,  tatsächlich  mit  Schilddrüsen- 
tabletten gearbeitet  haben.  Die  Wortähnlichkeit  zwischen  Jodo- 
thyrin, Th5a-eojodin  und  Thyreoidin  hat  hier  manche  Verwirrung 
gestiftet. 

Das  Dijodtyrosin,  welches,  Oswalds  neuesten  Unter- 
suchungen entsprechend,  eine  charakteristische  Komponente 
jodierter  Eiweißkörper  bildet,  übt  weder  auf  den  Stoffwechsel 
noch  auf  den  Zirkulationsapparat,  das  Myxödem  oder  den  Kropf 
eine  Wirkung  aus,  welche  derjenigen  der  Schilddrüsensubstanz  an 
die  Seite  gestellt  werden  könnte;  dasselbe  kann  also  keinesfalls 
für  das  wirksame  Prinzip  der  Thyreoidea  gelten^). 

Wie  vorsichtig  man  übrigens  in  der  Deutung  von  Hyperthyreoi- 
disationsversuchen  sein  muß,  lehren  neue  Versuche  von  Carlson^) 
in  Chicago  in  eindringhcher  Weise:  derselbe  hat  zahlreiche  Ver- 
suchstiere lange  Zeit  hindurch  mit  getrockneten  Schilddrüsen 
gefüttert;  dabei  zeigten  Hunde  und  Katzen  selbst  nach  5  Mo- 
naten noch  keine  auffälligen  Erscheinungen;  bei  Kaninchen, 
Ratten  und  Meerschweinchen  dagegen  erfolgte  nach  einer  rapiden 
Gewichtsabnahme  der  Tod  innerhalb  15  Tagen.  Es  ist  nun  aber 
recht  überraschend,  daß  Fütterung  mit  getrockneten  Mus- 
keln den  gleichen  Effekt  ausübte. 
Pathologie  des  Man  könnte  sich  nun  angesichts  derartiger  Resultate  versucht 
Morbus  Base-  fühlen,  an  der  Reahtät  der  Hyperthyreoidisation  überhaupt  ernst- 
lich zu  zweifeln,  wenn   nicht  der  gewaltige  Komplex  von  Er- 

i)  S.  Strouse  und  C.  Vogtlin  (John  Hopkins  Univ.),  Journ.  Phar- 
macol.  and  experim.  Ther.  1,  123  (1910),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Bio!. 
10,  Nr.  1906. 

2)  A.  J.  Carlson,  Mitteil,  auf  d.  VIII.  internat.  Physiologenkongreß, 
Wien  19 10;  Zentralbl.  f.   Physiol.  24,  817  (19 10). 


Die  Schilddrüse.  455 


fahrungen,  welcher  sich  an  die  Pathologie  des  Morbus  Base- 
dowii  knüpft,  derartige  Zweifel  beseitigen  müßte. 

Seitdem  Möbius^)  die  Aufmerksamkeit  auf  den  zwischen 
Kachexia  strumipriva  und  Morbus  Basedowii  bestehenden 
Antagonismus  gelenkt  hat,  ist  man  mehr  und  mehr  dahin  gelangt, 
eine  Überfunktion  der  Schilddrüse  in  den  Mittelpunkt 
der  Pathologie  dieser  Erkrankung  zu  stellen,  für  welche,  neben 
der  bekannten  Trias  (Exophthalmus,  Struma,  Tachykardie)  Er- 
scheinimgen  wie  psychische  Erregung,  Schlaflosigkeit,  Hitzegefühl, 
Erregbarkeit  der  Gefäßnerven,  Weite  der  Lidspalten,  Abnahme 
des  Körpergewichtes  bei  gesteigertem  Appetit  und  reichlichen 
Ausscheidungen  usw.  charakteristisch  sind. 

Während  beim  Myxödem  der  Gaswechsel  um  die  Hälfte  der 
Norm  gegenüber  reduziert  sein  kann,  begegnen  wir  beim  schweren 
Basedow  einer  Zunahme  des  Umsatzes  um  50 — ^70%.  Es  ist  dies 
eine  Steigerung,  die,  wie  Magnus-Levy^)  sagt,  nirgends  auf  dem 
Gresamtgebiete  der  Pathologie  vorkommt,  auch  nicht  bei  hohem 
Fieber.  Ein  Teil  dieser  Steigerung  ist  ja  sicherlich  auf  Zittern 
und  motorische  Unruhe  zu  beziehen ;  findet  sich  doch  auch  z.  B. 
bei  der  Paralysis  agitans  der  Gaswechsel  um  etwa  20%  erhöht; 
beseitigt  man  aber  hier  das  Zittern  durch  Hyoscin,  so  wird  der 
Gaswechsel  normal.  Beim  Basedow  dagegen  bleibt  der  Gas- 
wechsel auch  gesteigert,  wenn  Zittern  und  Unruhe  im  natürlichen 
Schlafe  schwinden  oder  durch  Arzneinüttel  beseitigt  werden. 
Da  auch  die  Vermehrung  der  Atem-  und  Herztätigkeit  diese 
Steigerung  nicht  zu  erklären  vermag,  muß  man  wohl  annehmen, 
daß  dieselbe  im  Wesen  der  Erkrankung  als  solcher  bedingt  ist. 
Auch  hat  Sieyrer^)  bei  seinen  Versuchen,  die  mit  einem  nach 
Ruhners  Angaben  konstruierten  Apparate  durchgeführt  worden 
sind,  die  Gesamtkalorienproduktion  bei  der  Basedowschen  Krank- 
heit erhöht  gefunden*).     Auch  der  Eiweißumsatz  ist  abnorm 

i)  C.  J.  Möbius,  Nothnagels  Handb.  22,  Wien  1896. 

2)  Literatur  über  den  Stoffwechsel  bei  Morbus  Basedowii:  A.  Magnus- 
Levy,  V.  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  2,  325 — 335  (1907). 
R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  4,  II,   164 — 180  (1910). 

3)  A.  Steyrer,  Zeitschr.  f.  experim.  Pathol.  4,  (1907). 

4)  Vgl.  C.  Rudinger;  E.  Pribram  und  O.  Porges  (Klinik  v.  Noor- 
den),  Wiener  klin.  Wochenschr.  19i8,  Nr.  46. 


456  XIX.  Vorlesung. 


hoch ;  dalier  die  trotz  gesteigerten  Appetits  und  erhöhter  Nahrungs- 
aufnahme sich  meist  vollziehende  Abmagerung;  es  sind  Fälle 
bekannt,  wo  Patienten  im  Laufe  eines  Jahres  fast  die  Hälfte  ihres 
Körpergewichtes  eingebüßt  haben. 

Die  Assimilationsgrenze  für  Zucker  ist,  wie  Friedrich 
Kraus  und  E.  Ludwig'^),  sowie  F,  Chvostek^)  gefunden  haben,  meist 
herabgesetzt;  man  beobachtet  zuweilen  alimentäre  Glukosurie, 
weit  seltener  Kombination  mit  echtem  Diabetes.  Daß  auch 
Überschwemmung  des  Körpers  mit  Schilddrüsenstoffen  zu  Glu- 
kosurie führen  kann,  habe  ich  bereits  erwähnt  3).  Man  vermag 
sich  dem  Eindrucke  nicht  zu  entziehen,  daß,  sobald  der  Organis- 
mus unter  einer  erhöhten  Wirkung  von  Schilddrüsenstoffen  steht, 
der  Verbrauch  des  Zuckers  gesteigert  oder  aber  seine  Zurück- 
haltung im  Körper  erschwert  ist*). 

Für  die  Ätiologie  der  Basedowschen  Krankheit  wird 
neben  heftigen  Gemütserschütterungen,  Infektionskrankheiten, 
der  Zufuhr  von  Jodpräparaten  usw.  vor  allem  eine  Hypersekre- 
tion  der  Geschlechtsdrüsen  vielfach  verantwortlich  gemacht. 
Das  Überwiegen  der  Krankheit  beim  weiblichen  Geschlechte,  sein 
Auftreten  nach  der  Menstruation,  nach  Geburten  ist  immerhin 
sehr  auffallend.  Auch  scheint  ein  gewisser  Zusammenhang 
zwischen  dieser  Erkrankung  und  dem  Status  thymolympha- 
ticus  zu  bestehen. 

Sehr  interessant  ist  der  von  Friedrich  Kraus  geäußerte  Gedanke, 
es  könne  sich  beim  Morbus  Basedowii  um  eine  Überfunktion 
zwei  er  Blutgefäßdrüsen  handeln,  der  Schilddrüse  und  der  Neben- 
niere. Die  experimentelle  Basis  dieser  Idee  bildet  die  von 
F.  Kraus  und  Friedenthal ^),  von  A.  Fränkel^)  sowie  von  Brökink 


i)  Fr.    Kraus   und   E.    Ludwig,    Wiener   klin.    Wochenschr.   1891. 
898 — 899. 

2)  F.  Chvostek,   Wiener  klin.  Wochenschr.  1892,  251,  267,  325. 

3)  Literatur:    R.  Hirsch,  1.  c.  S.  179. 

4)  F.  Kraus,   Verh.  des  23.  Kongr.  f.  innere  Med.   1906,  23.     J.  A, 
Hirschl,  Jahrb.  f.  Psych,  u.  Neurol.  22,   196  (1902). 

5)  F.  Kraus  und  H.  Friedcnthal,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1998, 
1709. 

6)  A.  Fränkcl,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  69,  395  (1909). 


Die  Schilddrüse.  457 


und  Trendelenburg '^)  gemachte  Beobachtung  eines  anscheinend 
gesteigerten  Suprareningehaltes  des  Blutes  beim  Morbus 
Basedowii.  Wir  haben  früher  gesehen,  daß  Reizung  sympathischer 
Nebennierennerven  zu  der  gleichen  Erscheinung  führen  kann. 
Es  läge  also  meines  Erachtens  wohl  näher,  eine  Suprarenin- 
anreicherung  des  Blutes  beim  Basedow  als  Zeichen  eines  er- 
höhten Erregungszustandes  des  Sympathicus  anzusehen, 
als  eine  primäre  Überfunktion  der  Nebennieren  in  den 
Vordergrund  zu  stellen.  Übrigens  ist  der  vermeintliche  Nach- 
weis einer  Suprareninvermehrung  im  Blute  von  Bsisedowkranken 
durch  neuere  Versuche  aus  dem  GottUebschen  Institute  in  Frage 
gestellt  worden.  Mehr  Wahrscheinhchkeit  dürfte  die  Deutung 
besitzen,  daß  es  sich  um  eine  Sensibilisierung  sympathischer 
Nervenendigungen  durch  im  Blute  kreisende  Schild- 
drüsenstoffe handelt,  derart,  daß  die  gleiche  Suprarenin- 
konzentration  einen  viel  stärkeren  physiologischen  Effekt  äußert 
als  unter  normalen  Verhältnissen  2)  und  der  Schein  einer  Supra- 
reninvermehrung entsteht  (s.  o.  S.  447). 

Als  Zeichen  einer  Sympathicuserregung  darf  auch  die  Pro- 
trusio  bulbi  und  wohl  auch  die  von  Otto  Löwi^)  bei  Basedow- 
kranken beobachtete  Suprareninmydriasis  gelten.  Eppinger 
und  Heß^)  sondern  die  Erscheinungen  des  Basedow  in  Reizerschei- 
nungen des  sympathischen  und  cranio-sacralen  Systems. 
Die  Diskussion  der  Frage,  ob  und  inwieweit  die  Einteilung  der 
Basedowkranken  in  solche  von  sympaticotonischem  und  vago- 
tonischem  Typus  berechtigt  sei  oder  nicht,  will  ich  aber  lieber  den 
Klinikern  überlassen. 

Beachtenswert  ist  es  immerhin,  daß  vielfach  bei  Individuen, 
bei  denen  das  Suprarenin  stark  glukosurisch  wirkt,  die  charakte- 
ristische Wirkung  des  Pilocarpins,  nämlich  Schweißausbruch 
und  Salivation,  ausbleibt,  und  umgekehrt.     Dabei  wissen  wir, 

i)  E.  Bröking  und  P.  Trendelenburg  (Freiburg  i.  Br.),  Deutsch. 
Arch.  f.  klin.  Med.  108,   168  (191 1). 

2)  R.  Gottlieb  (Heidelberg),  83.  Vers.  d.  Naturf.  u.  Ärzte,  Karlsruhe, 
26.  Sept.   191 1. 

3)  O.  Löwi,  Arch.  f.  experim.  Pathol.  59,  92  (1910). 

4)  H.  Eppinger  und  L.  Heß,  Verh.  d.  26.  Kongr.  f.  innere  Med. 

1909.  385- 


460  XIX.  Vorlesung. 


Serum  von  Tieren  gemacht  worden,  die  mit  dem  Nukleoproteid 
der  Schilddrüse  immunisiert  worden  sind.  All  dies  bedeutet 
nichts  weiter  als  ein  Tasten  im  Dunkeln.  Wenn  es  auch  theoretisch 
richtig  ist,  daß  ein  glücklicher  Sucher  selbst  mit  geschlossenen 
Augen  ein  Goldkörnchen  im  Sande  finden  kann,  so  sind,  meine 
ich,  die  besseren  Chancen  doch  zweifellos  auf  der  Seite  derjenigen, 
welche  die  Augen  offen  halten^). 

i)  Literatur:  G.  H.  Wells,  Chemical  Patholog>'  1907,  494,  vgl.  auch 
F.  Roscnberger,  Zentralbl.  f.  innere  Med.   1909,  881. 


XX.  Vorlesung. 


Die  SchilddrQse.    Die  Epithelkörperchen. 

Nachdem  wir  uns  den  Stand  unseres  gegenwärtigen  Wissens 
von  der  Unterfunktion  und  der  Überfunktion  der  Schild- 
drüse, sowie  von  den  »wirksamen  Substanzen«  derselben, 
so  gut  es  eben  gehen  wollte,  klar  gemacht  haben,  können  wir 
nunmehr  daran  gehen,  uns  in  objektiver  Weise  die  Frage  vorzu- 
legen, was  es  mit  dem  Jodgehalte  der  Schilddrüse  denn 
eigentlich  für  ein  Bewandtnis  habe. 

Dank  der  Leichtigkeit,  mit  der  selbst  minimale  Jodmengen  jodgchait  der 
in  Geweben  nach  Zerstörung  aller  organischer  Substanzen  durch  Schilddrüse, 
eine  oxydative  Schmelze  auf  kolorimetrischem  Wege  genau  be- 
stimmt werden  können,  liegen  über  den  Jodgehalt  normaler  und 
entarteter  Schilddrüsen  sehr  zahlreiche  Daten  vor^).  Wenn  wir 
dieselben  überblicken,  so  ergibt  sich  zunächst,  daß  der  Jodgehalt 
der  Schilddrüse  sehr  großen  Schwankungen  unterworfen  ist  und 
offenbar  in  erster  Linie  vom  Jodgehalte  der  Nahrung  beein- 
flußt wird;  derselbe  ist  bei  Pflanzenfressern  am  höchsten,  bei 
Fleischfressern  am  niedrigsten,  und  kann  hier  sogar  auf  Null 
absinken;  die  Schilddrüsen  von  Föten  und  Neugeborenen 
sind  jodfrei.  Durch  Verabreichung  jodreicher  Nahrung  gelingt  es 
leicht,  eine  Jodanhäufung  in  der  Schilddrüse  zu  bewerkstelligen. 
Der  Jodgehalt  von  Kröpfen  ist  sehr  variabel  und,  wie  Oswald  be- 
hauptet, vor  allem  vom  KoUoidgehalte  abhängig;  wenigstens 
fand  der  Genannte  nur  solche  Kröpfe  jodfrei,  welche  sich  bei 
mikroskopischer  Untersuchung  kolloidfrei  erwiesen  (vgl.  S.  444). 

i)  Literatur  über  den  Jodgehalt  der  Schilddrüsen:  A.  Magnus -Levy, 
V.  Noordens  Handb.,  2.  Aufl.  2,  339 — 341  (1907).  R.  Hirsch,  Handb. 
d.  Biochemie  3,  I,  283 — 289  (1910);  vgl.  auch  A.  Seidell  (Washington), 
Joum.  of  biol.  Chem.  10,  95  (Sept.   191 1). 


462  XX.  Vorlesung. 

Monery^)  behauptet  auf  Grund  seiner  bei  geistig  abnormalen  Per- 
sonen ausgeführten  Untersuchungen,  daß  der  Jodgehalt  der 
Thyreoidea  bei  Individuen,  die  an  Exzitationszuständen  leiden, 
größer  sei  als  derjenige  bei  Schwachsinnigen  und  Kretins.  Jolin^) 
endlich  fand  bei  ausgedehnten  Untersuchungen  des  Jodgehaltes 
der  menschlichen  Schilddrüsen  in  Schweden  denselben  so  regellos, 
daß  er  das  Jod  als  einen  nebensächlichen  Bestandteil  der 
Schilddrüse  ansieht. 

Man  war  früher  geneigt,  zu  glauben,  daß  das  Jod  ein  der  Schild- 
drüse durchaus  eigentümhcher  Organbestandteil  sei;  das  ist  aber 
durchaus  nicht  der  Fall.  Wir  wissen  heute,  dank  den  Arbeiten 
von  Justus  und  anderen,  daß  Jod,  wenn  auch  in  sehr  geringen 
Mengen,  in  den  meisten  tierischen  Organen  nachweisbar  ist. 
So  fand  sich  z.B.  bei  Untersuchung  der  Organe  des  Kalbes  aller- 
dings weitaus  das  meiste  Jod  in  der  Schilddrüse ;  daran  reiht  sich 
die  Hornsubstanz,  und  dann  folgen,  allerdings  in  weitem  Ab- 
stände, die  anderen  Organe. 

Es  ist  ferner  die  wichtige  Tatsache  festgestellt  worden,  daß 
Physiologische  die  Schilddrüsenexstirpation  auch  bei  jungen,  saugenden 
Bedeutung  des  Tieren,  die  gar  kein  Jod  in  ihrer  Schilddrüse  enthalten, 

Jods     m     der  '  ö      ^  «^  ' 

Schilddrüse,    von  den  gewöhnlichen  Ausfallserscheinungen  gefolgt  ist  3). 

Wenn  wir  uns  dies  alles  vergegenwärtigen,  müssen  wir  uns 
allen  Ernstes  die  Frage  vorlegen,  ob  wir  denn  überhaupt  Grund 
haben,  das  Jod  als  einen  integrierenden,  physiologisch 
wichtigen  Bestandteil  der  Schilddrüse  anzusehen.  Würde 
jemand,  der  heute  ganz  unvoreingenommen  an  die  Frage  heran- 
tritt und  von  der  Suggestion,  welche  die  vieljährige  allgemeine 
Gültigkeit  einer  Lehre  ausübt,  gänzüch  frei  ist,  denn  überhaupt 
auf  den  Gedanken  verfallen,  das  Jod  sei  mit  der  physiologischen 
Funktion  der  Schilddrüse  in  Zusammenhang  zu  bringen?  Diese 
Frage  ist  nicht  leicht  zu  beantworten. 

Das  Jodothyrin  darf  heute  sicherlich  als  Kunstprodukt 
gelten.     Haben  wir  aber  triftige  Gründe,  anzunehmen,  daß  das 

i)  A.  Monery,  Joum.  de  Physiol.  7,  611. 

2)  S.  Jolin,  Festschr.  f.  Olaf  Hammarsten,  Wiesbaden  1906.  Jahres- 
ber.  f.  Tierchem.  36,  518. 

3)  F.  Krause  und  Böningcr,  Verh.  d.  Kongr.  f.  innere  Med.  1906, 
^6,  vgl.  R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  276  (1910). 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  463 


Jodthyreoglobulin  durch    »innere  Sekretion«  in  den   Kreis- 
lauf übergeht? 

Daß  der  Nachweis  der  Wirksamkeit  eines  Organbestandteiles 
(und  ein  solcher  ist  für  das  Jodeiweiß  zum  mindesten  in  bezug 
auf  den  Zirkulationsapparat  immerhin  erbracht  worden)  nicht 
mit  dem  Nachweise  seiner  physiologischen  Wichtigkeit  zu- 
sammenfällt, ist  eine  selbstverständliche  Weisheit,  die  aber  (na- 
mentlich in  der  Literatur  der  Organe  mit  innerer  Sekretion) 
immer  wieder  vergessen  wird.  Daß  z.  B.  Arsenverbindungen  in 
hohem  Grade  »physiologisch  wirksam«  sind,  wird  wohl  niemand 
bezweifeln.  Wenn  nun  aber  jemand  behaupten  wollte,  daß  die 
Schilddrüse,  welche  anscheinend  mehr  Arsen  enthält,  als  andere 
Organe,  ihre  physiologische  Rolle  und  Bedeutung  ihrem  Arsen- 
gehalte verdankt,  so  würde  er  damit  nicht  allzuviel  Ruhm  ernten. 
Und  doch  braucht  man  in  der  Schilddrüsenliteratur  gar  nicht  weit 
zu  suchen,  um  ähnlichen  Trugschlüssen  zu  begegnen. 

Auch  der  Nachweis,  daß  ein  Organ  ein  spezifisches  Ad- 
sorptionsvermögen für  eine  Substanz  besitzt,  und  daß  die 
Aufnahme  dieser  letzteren  im  Sinne  eines  Reizes  auf  die  Organ- 
funktionen einwirkt,  genügt  nicht,  um  diese  Substanz  mit  der 
normalen,  physiologischen  Funktion  des  Organes  in  Beziehung 
zu  bringen  oder  gar  um  zu  folgern,  die  »innere  Sekretion«  dieser 
Substanz  sei  die  Hauptaufgabe  des  ersteren.  Daß  das  Jod,  welches 
in  den  Körper  gelangt,  in  spezifischerWeise  von  der  Schild- 
drüse adsorbiert  wird,  ist  sichergestellt,  und  daß  dasselbe  auf 
dieses  Organ  im  Sinne  eines  Sekretionsreizes  einwirkt,  ist 
durch  die  oben  mitgeteilten  Beobachtungen,  vor  allem  aber  durch 
den  »Jodbasedow«  mindestens  sehr  wahrscheinlich  geworden. 
Es  wäre  daher  sicherhch  unlogisch,  die  Möglichkeit  leugnen  zu 
wollen,  daß  dem  Jod  in  der  Physiologie  und  der  Pathologie  der 
Schilddrüse  eine  wichtige  Rolle  zukommt.  Von  da  aus  bis  zu 
dem  Beweise,  daß  das  Jodthyreoglobulin  wirklich  das  nor- 
male »innere  Sekret«  der  Schilddrüse  sei,  ist  aber  noch  ein 
weiter  Weg. 

Die  Sache  würde  wesentlich  anders  liegen,  wenn  durch  Beob- 
achtungen, analog  denjenigen,  welche  £".  Pick  und  F,  Pineles^)  an 

i)  E.  P.  Pick  und  F.  Pineles,  Biochem.  Z.  12,  473  (1908)  und 
Zeitschr.  f.  exper.  Pathol.  7,  518  (15)09). 


464  XX.  Vorlesung. 


Pflanzenfressern  ausgeführt  haben,  der  Nachweis  erbracht  wäre, 
daß  das  JodthyreoglobuUn  und  nur  dieses  die  Ausfallserschei- 
nungen nach  Schilddrüsenexstirpation  aufzuhalten  und  zu  be- 
seitigen vermag,  daß  das  nicht  jodierte  Thyreoglobulin  dagegen 
unwirksam  ist.  Vorderhand  ist  es  aber  durch  Fraktionierungs- 
und Verdauungsversuche  der  genannten  Autoren  nur  wahrschein- 
lich geworden,  daß  der  wirksame  Bestandteil  ein  Eiweißkörper 
ist.  Ob  die  teilweise  Jodierung  desselben  aber  ein  lebenswichtiger 
Vorgang  oder  aber  etwas  Nebensächliches,  gewissermaßen  Zu- 
fälliges sei,  vermag  man,  meines  Erachtens,  einstweilen  noch  nicht 
zu  entscheiden.  Dazu  bedarf  es  noch  eingehender  Versuche. 
Reid-Hunts  Die  Vorstellung,  daß  das  JodthyreoglobuUn  als  Kolloid  in 

^eakUon.  ^^^  Follikelraum  und  von  dort  aus  in  die  Lymphbahnen  ge- 
langt, setzt  voraus,  daß  das  Kolloid  jodhaltig  sei.  Nun  ist  aber 
auch  der  physiologische  Jodgehalt  des  Kolloids,  der  schon  eine 
bewiesene  Tatsache  schien,  wie  ich  Ihnen  schon  sagte,  neuerdings 
wieder  zweifelhaft  geworden^).  Auch  haben  sich  Carlson  imd 
Wölfel^)  vergebens  bemüht,  in  der  aus  der  Schilddrüse  abströmen- 
den Lymphe  Jod  nachzuweisen. 

Zugunsten  einer  unmittelbaren  Beziehung  des  Jods  zu  den 
Funktionen  der  Schilddrüse  sprechen  die  mit  großer  Sorgfalt  und 
Konsequenz  durchgeführten  Versuche  von  Reid  Hunt  und  Seidcü, 
Dieselben  beziehen  sich  auf  den  Einfluß,  welchen  die  Schilddrüse 
auf  die  giftzerstörende  Wirkung  des  Organismus  ausübt. 
Das  Azetonitril  CH3.CN  wirkt  giftig,  indem  daraus  Blausäure 
abgespalten  wird.  Bei  mit  Schilddrüsensubstanz  gefütterten 
Mäusen  vollzieht  sich  nun  diese  Abspaltung  ganz  unvergleichlich 
langsamer,  derart,  daß  weiße  Mäuse,  die  auch  nur  zwei  Zenti- 
gramme getrockneter  Schilddrüsensubstanz  erhalten  haben,  zwei- 
fellos wochenlang  die  zwanzigfache  letale  Azetonitrilgabe  ver- 
tragen. Es  ist  das  eine  höchst  merkwürdige  Tatsache,  welche  auf 
eine  mächtige  Beeinflussung  der  Stoffwechselvorgänge  durch  die 
Schilddrüse  hinweist.  Und  sehr  interessant  ist  nun  weiter  die 
Feststellung,    daß   ein    ausgesprochener    Parallelismus   zwischen 


i)  Claude  et  Blanchetierc,  Journ.  de  Physiol.  12,  563  (1910). 
2)  A.  J.  Carlson  and  A.  Wo  1  fei  (Chicago),  Amer.  Journ.  of  Physiol. 
26,  32  (1910). 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  465 


dem  Jodgehalte  und  der  physiologischen  Wirksamkeit  der  Schild- 
drüsenpräparate besteht.  Jodfreie  Schilddrüsen  waren  zwar  nicht 
ganz  ohne  Effekt,  aber  doch  nur  wenig  wirksam. 

Man  hat  daran  gedacht,  daß  es  sich  hier  um  eine  allgemeine 
Jodwirkung  handeln  könne  i).  Doch  trifft  dies  keineswegs  zu. 
So  ist  z.  B.  das  Jodothyrin*)  (ebenso  wie  viele  andere  jodhaltige 
Verbindimgen)  ganz  unwirksam;  dagegen  kommt  allerdings  jod- 
haltigem Blasentang  eine  gewisse  Wirksamkeit  zu;  (wie  ich 
denn  auch  früher  schon  Gelegenheit  hatte,  einer  ausgesprochenen 
Stoffwechselwirkimg  desselben  Erwähnung  zu  tun)^). 

Der  Azetonitrilreaktion  ist  eine  so  weitgehende  Spezifizität  zu- 
geschrieben worden,  daß  man  den  Versuch  gemacht  hat,  den  Über- 
gang von  Schilddrüsenstoffen  in  das  Blut  mit  Hilfe  der- 
selben bei  Basedowkranken  festzustellen.  Paul  Trendelenburg 
fand  auf  diesem  Wege,  daß  sich  im  Blute  thyreoidektomierter 
Katzen  Stoffe  nachweisen  lassen,  die  sonst  nur  in  der  Schilddrüse 
sowie  im  Blute  Basedowkranker  auftreten.  Er  spricht  an- 
schließend die  Vermutung  aus,  die  Reaktion  dürfte  durch  nor- 
malerweise in  der  Schilddrüse  aufgespeicherte  und  vermutlich 
unter  gleichzeitiger  Jodierung  an  ein  Sekret  gebundene  toxische 
Produkte  bedingt  sein*).  Ob  so  weitgehende  Schlüsse,  zu  denen 
man  auf  so  indirektem  imd  immerhin  so  kompliziertem  Wege 
gelangt  ist,  berechtigt  sind,  möchte  ich  einstweilen  dahingestellt 
sein  lassen. 

Damit  wären  wir  aber  glücklich  wieder  bei  der  alten  Ent-    Entgif tungs- 
giftungstheorie   angelangt,    die   früher   in   der   Schilddrüsen- 
pathologie eine  dominierende  Rolle  gespielt  hat,  in  den  letzten 
Jahren  aber  einigermaßen  in  den  Hintergrtmd  gerückt  ist.   Dieser 
Theorie,  derzufolge  ein  im  Blute  kreisendes  Toxalbumin  in  der 


theorie. 


i)  Carlson  und  Wölfel,  1.  c. 

2)  P.  Trendelenburg  (Pharm.  Inst.  Freiburg  i.  Br.),  Biochem.  Z.  29, 
400  (1910). 

3)  R.  Hunt,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  1907,  1323.  R.  Hunt  and 
A.  Seidell,  Bull.  47.  Hyg.  Labor.  U.  S.  Publ.  Health  and  Marine-Hosp. 
Service,  Washington  1909  und  Journ.  of  Pharmacoly  and  exper.  Ther.  2, 
16  (1910). 

4)  P.  Trendelenburg,  1.  c.  S.  407.  G.  Ghedini  (Klinik  v.Noorden, 
Wien),  Wiener  klin.  Wochenschr.  1911,  736. 

V.  Fürth,  Probleme.  30 


466  XX.  Vorlesung. 


Schilddrüse  durch  Jodiening  entgiftet  werden  soll,  ist  von  Biedl^) 
sehr  mit  Recht  vorgeworfen  worden,  daß  sie  dena  gegenwärtigen 
Stande  des  Wissens  in  keiner  Weise  Rechnung  trägt.  Bei  den 
durch  angebliche  Anhäufung  des  Toxalbumins  bedingten  Erschei- 
gungen  steht  die  Tetanie  im  Vordergrunde,  trotzdem  man  doch 
längst  weiß,  daß  dieselbe  mit  dem  Ausfalle  der  Schilddrüsenfunk- 
tion (zum  mindesten  unmittelbar)  nichts  zu  tun  hat,  vielmehr  auf 
Rechnung  der  Epithelkörperchen  kommt.  Diese  letzteren  sind 
nun  allerdings  für  Blum,  einen  der  Hauptvertreter  dieser  Theorie, 
nichts  anderes  als  »jugendliches  Schilddrüsengewebe«.  Vor  allem 
bietet  aber  die  Entgiftungstheorie  keine  Erklärung  für  die  funda- 
mentale Tatsache,  daß  man  den  Ausfall  der  Schilddrüse  durch 
Fütterung  mit  diesem  Organe  zu  neutralisieren  vermag.  Denn  mit 
der  etwaigen  Annahme  einer  Neutralisation  und  Jodiening  des 
im  Blute  angehäuften  Toxalbumins  durch  die  per  os  aufgenom- 
mene wirksame  Schilddrüsensubstanz  gelangen  wir  ganz  in  das 
Gebiet  haltloser  Spekulationen. 

Ich  habe  den  Eindruck,  daß  die  ältere  Generation  mehr 
Geduld  für  künsthch  und  geistvoll  aufgebaute,  wenn  auch  gänz- 
lich unbewiesene  Hypothesen  aufgebracht  hat,  als  bei  der  heutigen 
Generation  zu  finden  ist  und  ich  halte  es  immerhin  für  einen 
Fortschritt,  wenn  man  seine  Unkenntnis  lieber  sich  selbst  und 
anderen  offen  eingesteht,  als  wenn  man  dieselbe  hinter  Karten- 
hauskonstruktionen zu  verbergen  sucht.  Es  ist  ja  sicherlich  sehr 
wohl  möglich,  daß  der  Schilddrüse  nicht  nur  eine  sekretorische, 
sondern  auch  eine  neutralisierende  Wirkung  im  Stoffwechsel  zu- 
kommt; bewiesen  hat  dies  aber,  soweit  ich  die  Frage  übersehe, 
bisher  niemand. 
Die  Epithci-  Wir  wollen  nunmehr  unsere  Aufmerksamkeit  der  anderen 
körperchen,  jjauptfassade  der  Schilddrüsenfrage  zuwenden;  ich  meine  dem 
Probleme  der  Epithelkörperchen. 

Die  Glandulae  parathyreoideae  oder  Epithelkörper- 
chen, wie  sie  seit  Veröffentlichung  der  wertvollen  einschlägigen 
Untersuchungen  von  A .  Kohn  wohl  allgemein  genannt  werden, 
sind  recht  unscheinbare  Organe.  Die  Erkenntnis  ihrer  ph3^io- 
logischen  Bedeutung  hat,  angesichts  ihrer  geringen  Dimensionen 


i)  A.  Biedl,  Innere  Sekretion,   100 — 106  (1910). 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  467 

(ihr  längster  Durchmesser  beträgt  beim  Menschen  nur  wenige 
Millimeter),  eine  doppelt  überraschende  Wirkung  geübt;  sicher- 
lich hat  die  äußerliche  Unansehnlichkeit  dieser  Gebilde  (so  sonder- 
bar dies  klingen  mag)  den  hartnäckigen  Kampf  mit  verschuldet, 
welcher  um  die  Anerkennung  ihrer  biologischen  Bedeutung  ge- 
führt worden  ist. 

Die  Epithelkörperchen  entwickeln  sich  (und  dies  ist  für  das 
Verständnis  ihrer  physiologischen  Stellung  von  größter  Bedeu- 
tung) ganz  unabhängig  von  der  Schilddrüsenanlage  aus 
Verdickungen  der  Kiementaschen.  Beim  Menschen  finden  sich 
jedem  Schilddrüsenlappen  zwei  Epithelkörperchen  angelagert,  die 
als  Glandula  parathyreoidea  superior  posterior  und  inferior  an- 
terior unterschieden  werden.  Bei  der  Katze  dagegen  findet  sich, 
jedem  Thyreoidealappen  entsprechend,  ein  außerhalb  und  ein 
innerhalb  des  Schilddrüsenlappens  gelegenes  Epithelkörperchen. 
Bei  Säugetieren  ist  auch  ein  akzessorisches  ParathyTeoidals5^tem 
in  Form  größerer  oder  kleinerer  Parenchyminseln  in  der  Gegend 
der  Th3niius  nachweisbar. 

Anfangs  der  neunziger  Jahre  hat  der  französische  Ph3^iologe 
Gley  auf  den  Zusammenhang  zwischen  experimenteller  Tetanie 
und  Ausfall  der  Funktion  der  Epithelkörperchen  hin- 
gewiesen. Seitdem  hat  die  Lehre  von  diesem  Zusammenhange 
dank  den  Arbeiten  zahlreicher  Forscher  i)  eine  ziemlich  allgemeine 
Aufnahme  gefunden,  und  die  Zahl  derjenigen  Autoren,  die  einen 
entgegengesetzten  Standpunkt  einnehmen,  ist,  soweit  ich  sehe, 
stark  zusammengeschrumpft.  Auch  die  histologische  Struktur 
der  Epithelkörperchen  ist  von  derjenigen  der  Schilddrüsen  ver- 
schieden. Sie  bestehen  nicht  aus  hohlen  Bläschen,  sondern  aus 
kompakten  Säulchen  polyedrischer  Zellen,  deren  tinktorielles  Ver- 
halten von  demjenigen  der  Thyreoideazellen  merklich  abweicht. 
Die  Behauptung  mancher  Autoren,  die  Glandulae  parathyreoideae 
seien   nichts   anderes   als    »embryonale   Schilddrüsenkeime«,   die 

i)  Moussu,  Rouxeaux,  Vassale  und  Generali,  Capobianco, 
Welsh,  Walbaum,  v.  Eiseisberg,  Biedl,  Pineles,  Erdheim, 
Pfeiffer,  Meyer,  Hagenbach,  Halsted  und  viele  andere.  Literatur 
über  die  Physiologie  der  Epithelkörperchen:  v.  Eiseisberg,  Die  Krankheiten 
■der  Schilddrüse.  Deutsche  Chirurgie  1901.  R.  Hirsch,  Handb.  d.  Bio- 
chemie 3,  I,  298 — 307  (1910).     A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  33 — 61  (1910). 

30* 


468  XX.  Vorlesung. 


I  nur  dann  in  Funktion  treten,  wenn  die  Schilddrüse  ganz  oder  zum 

I  großen  Teile  entfernt  worden  ist^),  schienen  durch  Befunde  von 

Swale  Vincent  und  seinen  Schülern,  welche  eine  sich  in  letzterem 
i  Falle  vollziehende  strukturelle  Umwandlung  der  Epithelkörper- 

^  chen  betrafen,  eine  Stütze  zu  finden;  doch  ist  eine  solche  Um- 

wandlung in  neueren  Beobachtungen  von  Edmunds^)  nicht  zutage 
getreten. 
Tetanie.  Jedenfalls  scheint  es  mir  eine  feststehende  Tatsache  zu  sein, 

daß  der  Symptomenkomplex  der  akuten  Tetanie,  wie  er  z.  B. 
bei  Hunden  und  Katzen  in  reiner  Form  auftritt,  auf  den  Ausfall 
der  Funktion  der  Epithelkörperchen  zu  beziehen  ist. 

Versuche,  wie  z.  B.  die  von  Hagenbach^),  vermögen  meines 
Erachtens  jeder  Kritik  standzuhalten.  Wird  bei  Katzen  die 
Schilddrüse  samt  den  ihr  anhaftenden  inneren  Epithelkörpern 
unter  Schonung  der  äußeren  Epithelkörper  entfernt,  so  bildet  sich 
eine  typische  Cachexia  strumipriva  aus.  Werden  dagegen 
nach  einiger  Zeit  auch  die  äußeren  Epithelkörper  entfernt,  so 
stellt  sich  alsbald  Tetanie  ein. 

Hand  in  Hand  mit  der  Ausbildung  einer  Übererregbarkeit 
peripherer  Nerven  sehen  wir  beim  Fleischfresser  das  Auftreten 
klonischer  Krämpfe  verschiedener  Muskelgruppen,  an  die  sich 
früher  oder  später  tetanische  Anfälle  anschließen,  welche  mit 
einer  hochgradigen  Steigerung  der  Atem-  und  Herztätigkeit, 
sowie  der  Temperatur  einhergehen,  und  denen  das  Tier  unter 
Umständen  unmittelbar  erliegt.  Es  kann  jedoch  auch  Er- 
holung erfolgen.  Dort,  wo  es  sich  aber  um  einen  vollständigen 
Ausfall  der  Epithelkörperchen  handelt,  sehen  wir  die  Versuchs- 
tiere schUeßlich  stets  und  zwar  längstens  innerhalb  einiger  Wochen 
zugrunde  gehen.  Man  wird  also  die  Lebenswichtigkeit  der  in 
Rede  stehenden  kleinen  Organe  nicht  wohl  bezweifeln  können. 
Bei  der  Tetanie  treten  einerseits  Symptome  auf,  die  auf  eine 
Übererregung  des  Sympathicus,  andererseits  aber  solche, 
die  auf  einen  Reizungszustand  peripherer  motorischer  und 


i)  Vgl.  K.  Kishi,  Virchows  Arch.  176,  260  (1904). 

2)  W.  Edmunds,  Joum.  of  Pathol.  and  Biol.  14,  288  (1910). 

3)  Hagenbach,  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  18,  329^ 
(1907),  vgl.  dort  die  Literatur. 


Die  Schilddrüse.  —  Dite  EpithelkörpercheD.  469 


sensibler  Neuronen  hinweisen.  Pathologisch-histologische 
Veränderungen  im  Bereiche  nervöser  Zentren  scheinen  auf 
eine  Beteiligung  solcher  hinzudeuten ;  doch  wird  angeblich  durch 
Exstirpation  der  motorischen  Rindenfelder  die  Tetanie  der 
entsprechenden  Extremität  nicht  verhindert.  Falta  und  Rudinger 
geben  der  Meinung  Ausdruck,  daß  der  erhöhte  Erregungszustand 
der  peripheren  Nerven  auf  einer  abnormen  »Ladung«  des  ge- 
samten Neurons  von  dem  trophischen  Ganglienzentrum  aus 
beruht  und  sie  erinnern  daran,  daß  Alfred  Fröhlich  und  OUo 
Löwi  auf  Grund  ihrer  Untersuchungen  an  einem  Mollusken  (dem 
Kopffüßler  Eledone  moschata)  bereits  eine  ähnhche  Vorstellung 
für  das  Zustandekommen  der  normalen  Nervenerregbarkeit  ge- 
äußert haben  ^).  Die  Übererregbarkeit  der  peripheren  Nerven 
kann  z.  B.  bei  Hunden  im  tetanischen  Anfalle  in  einer  Reizung 
der  Nervi  phrenici  durch  den  Aktionsstrom  des  Herzens 
zum  Ausdrucke  gelangen  2). 

Der  Symptomenkomplex  der  Tetanie  macht  unleugbar  auf     Tctanlegift 
den  unbefangenen  Beobachter    den  Eindruck  einer  Vergiftung 
und  es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Existenz  des  hypothe- 
tischen  »Tetaniegiftes«  zu  beweisen. 

Es  wird  angegeben,  daß  das  Blut  eines  Tetaniehundes 
zwar  einen  normalen  Hund  nicht  schädigt,  wohl  aber  bei  einem 
Tiere,  das  sich,  etwa  nach  partieller  Epithelkörperexstirpation, 
gewissermaßen  am  Rande  der  Tetanie  befindet,  diese  Krankheit 
zum  Ausbruche  bringt^). 

Bei  allerhand  Beobachtungen  über  die  Giftigkeit  des 
Harnes  sowie  von  Organextrakten  parathyreoidektomierter 
Tiere  ist,  wie  leicht  begreifüch,  vorderhand  wenig  Positives  heraus- 
gekommen. Auch  hat  es  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  Exi- 
stenz eines  spezifischen  Toxins  aus  der  angebhchen  Heilwirkung 
eines  auf  immunisatorischem  Wege  gewonnenen   »Antitoxins« 

i)  Lanz  (Labor,  von  Horsley);  Mac  Callum;  W.  Falta  und  C.  Ru- 
dinger, Verb.  d.  Kongr.  f.  innere  Med.  26,  407  (1909). 

2)  A.  J.  Carlson  und  Cl.  Jacobson  (Chicago),  Amer.  Journ.  of 
Physiol.  28,  147  (1911). 

3)  J.  Fano  und  Zanda,  H.  Pfeiffer  und  O.  Meyer  (Labor,  von 
Kratter  in  Graz),  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  18,  377 

(1907). 


470  XX.  Vorlesung. 


zu  beweisen^).    Die  Bestätigung  derartiger  Befunde  bleibt  abzu- 
warten.   Man  wird  bei  ihrer  Beurteilung  sich  wohl  zu  vergegen- 
wärtigen haben,  daß  die  hier  vorliegenden  Schwierigkeiten  schon 
insofern  außerordentlich  groß  sind,  als  eine  Unzahl  von  Faktoren 
verschiedenster  Art  (s.  u.),  vor  allem  aber  auch  die  Injektion 
normalen   Serums 2)   und   physiologischer   Kochsalzlösung^)   die 
Tetanie  unter  Umständen  günstig  zu  beeinflussen  vermag. 
Tetanie     und        Beachtenswert  scheinen  mir  neue  Beobachtungen  von  Carlson 
Vergiftung.     ^^^  Clara  Jacobson  in  Chicago:  dieselben  haben  auf  die  große 
Ähnlichkeit  zwischen  den  folgenden  drei  Symptomenkomplexen 
hingewiesen:  der  Tetanie  nach  Parathyreoidektomie,  der  Ver- 
giftung mit  Ammoniumsalzen,  sowie  der  Fleischintoxi- 
kation bei  Tieren  mit  Eckscher  Fistel.    Sie  fanden  ferner 
den  Ammoniakgehalt  des  Blutes  nach  Ausbruch  der  .Tetanie  bei 
Katzen  und  Füchsen  der  Norm  gegenüber  erhöht.    Die  Fähigkeit 
der   Lebern    der   betreffenden   Tiere,   Ammoniak   zu   zersetzen, 
welche  als  Ausdruck  des  Harnstoffbildungsvermögens  gelten  darf, 
schien    herabgemindert,    (wenigstens    insoweit    als    ein    Durch- 
blutungsversuch  des   überlebenden   Organes   unter   Zusatz   von 
Ammoniumkarbonat    einen    derartigen    Rückschluß    gestattet). 
Carlson  und  seine  Mitarbeiterin  waren  daher  zunächst  geneigt, 
einen  Zusammenhang  zwischen  der  Tetanie  und  einer 
Störung  der  Leberfunktion  mit  anschließender  Ammo- 
niakvergiftung anzunehmen,   scheinen   jedoch   neuerdings  in 
Bezug  auf  diesen  Umstand  wieder  recht  zweifelhaft  geworden  zu 
sein,  da  sich  gewisse  Unterschiede  zwischen  Epithelkörper-  und 
Ammoniaktetanie  ergeben  haben,  vor  allem  aber  auch  deswegen, 
weil  der  Ammoniakgehalt  des  Blutes  bei  Hunden  im  Tetanie- 
anfalle  (zum  Unterschiede  von  Katzen  und  Füchsen)  sich  inner- 
halb  der   normalen   Schwankungsbreite   hält.     Schüeßüch  wäre 
es  nicht  weiter  schwer  verständlich,  wenn  die  Tetanie  nicht  nur 
vermöge    der    schweren    Stoffwechselstörung    und    der    Muskel- 


i)  C.  Ceni  und  C.  Besta  u.  A. ;  H.  Wiener  (Inst.  f.  experim.  Pathol., 
Prag),  Pflügers  Arch.  136,   107  (1910). 

2)  H.  Wiener,  1.  c. 

3)  D.R.Joseph  und  S.  J.Meltzer,  Journ.  of  Pharmacology  and  exper. 
Ther.  2,  361  (191 1). 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  471 

krämpfe  zur  Acidosis^)  (daher  zu  Ammoniakanhäufung  im  Blute 
zum  Zwecke  der  Neutralisation  von  Milchsäure)  führen  würde,  son- 
dern auch  sekundär  vielleicht  eine  schwere  Schädigung'der  ham- 
stoffbildenden  Leberfunktion  zur  Folge  hätte.  Ein  zwingender 
Grimd,  die  letztgenannte  Funktionsstörung  in  den  Vordergrund 
des  ganzen  S3miptomenkomplexes  zu  rücken,  scheint  mir  aber 
vorderhand  nicht  vorzuliegen*). 

(Ich  möchte  übrigens  noch  erwähnen,  daß  Frouin^)  bei  der 
Tetanie  Ammoniak  und  Karbaminsäure  im  Harn  vermehrt  ge- 
funden hat  und  die  Erkrankimg  als  » Karbaminsäurever- 
giftung«  auffassen  wollte.) 

Zahlreiche  Versuche  haben  eine  ganze  Reihe  von  Faktoren     Faktoren, 
kennen  gelehrt,  die  geeignet  sind,  die  Tetanie  in  ihrer  akuten  tanie  begünstig 
und  latenten  Form  günstig  oder  ungünstig  zu  beein-  gen  und  henv 
f  1  u  s  s  e  n .    Insbesondere  haben  sich  zahlreiche  italienische  Forscher        '"^°* 
(wie  Fano  und  Zanda,  Luciani,  Colzi,  Vassale,  Lusena  u.  a.)  um 
diese  Arbeitsrichtung  verdient  gemacht.  Es  ist  nicht  leicht,  die  hier 
in  Betracht  kommenden  Faktoren  auch  nur  einigermaßen  unter 
einheitliche  Gesichtspunkte   zu  bringen.     Von  den  Erfolgen'der 
Organ therapie  werde  ich  später  reden.     Im  ganzen  habe[]ich  den 
Eindruck,    daß    solche    Momente    der    Tetanie    entgegenwirken, 
welche  die  Lebhaftigkeit  der  Stoffwechselvorgänge  und 
den  Blutdruck  herabmindern  oder  eine  sedative  Wirkung 
ausüben.     Solchen  Momenten  wird  man  die  Infusion  von  nor- 
malem Serum  oder  Blut*),  von  physiologischer  Kochsalzlösung^), 
von  Zuckerlösungen,  femer  das  Alter,  den  Hungerzustand,  die 
ausschließliche    Ernährung   mit    Milch®),    die    Exstirpation    der 


i)  L.  Morel,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  70,  871  (191 1). 

2)  A.  J.  Carlson  und  Cl.  Jacobson,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  25, 
403  (1910);  26,  407  (1910);  28,  133  (1911),  vgl.  auch:  Greenwald,  ibid. 
28,  103  (191 1).     Cooke,  Journ.  of  experim.  Med.  13,  439  (191 1). 

3)  A.  Frouin,  Compt.  Rend.  148,  1622  (1909). 

4)  H.  Wiener,  1.  c.  vgl.  die  Angaben  von  Fano  und  Zanda  und 
anderer  italienischer  Autoren. 

5)  Joseph  und  Meltzer,  1.  c. 

6)  F.  Blum,  vgl.  R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  276 
(1910). 


472  XX.  Vorlesung. 


Schilddrüse  1),  sowie  der  Nebenniere*)  wohl  zuzählen  dürfen.  Der 
Reizung  der  Depressoren,  der  Injektion  von  Hypophysenextrakt, 
Amylnitrit  und  von  Albumosen')  ist  die  sich  daraus  ergebende 
Blutdrucksenkung  gemeinsam;  Kalium-  und  Magnesiumsalze 
wirken  sedativ*). 

Unter  den  Faktoren,  welche  eine  latente  Tetanie,  wie  sie  sich 
z.  B,  nach  partieller  Exstirpation  der  Epithelkörperchen  ent- 
wickeln kann,  zum  Ausbruche  zu  bringen  geeignet  sind,  wäre  die 
Wirkung  zahlreicher  Gifte^),  der  Übergang  von  Milch-  zur 
Fleischnahrung*),  die  Gravidität^),  die  Ermüdung®)  zu 
erwähnen;  all  dies  sind  Momente,  denen  eine  Steigerung  des 
Umsatzes  und  der  Abbauvorgänge  gemeinsam  sein  dürfte. 

Sehr  merkwürdig  ist  eine  Beobachtung,  derzufolge  die  Nach- 
kommen von  Rattenmüttern,  denen  vor  dem  Geburtsakte 
die  Epithelkörperchen  entfernt  worden  waren,  eine  so  hoch- 
gradige Steigerung  der  Empfindlichkeit  für  Tetanie  aufwiesen, 
daß  sie  die  Parathyreoidektomie  meist  nur  um  wenige  Stunden 
überlebten  •). 
Organthera-  Wir  wollen  uns  nunmehr  die  Frage  klar  machen,  was  denn 

''*!..??   ^P^"  die  Organtherapie,  welche  beim  Ausfalle  der  Schilddrüse  so 

tnelkörpcr- 

chen.        glänzende  Erfolge  aufzuweisen  hat,  in  Bezug  auf  die  Tetanie  nach 

Ausfall  der  Funktion  der  Epithelkörperchen  zu  leisten  vermag. 

Friedrich  Pineles^^),  dem  wir  eine  Reihe  wertvoller  Unter- 


i)  Lusena,  Fisiopathologia  dell' apparecchio  tiro-paratiroideo»  Firenze 
1899,  vgl.  Luciani»  Physiologie  des  Menschen  2,  30 — 34,  Jena  1906. 

2)  Guleke  (Chirurg.  Klinik  Straßburg),  Arch.  f.  klin.  Chir.  94,  496 
(1911). 

3)  A.  J.  Carlson  und  Cl.  Jacobson,  Amer.  Joum.  of  Ph^'siol.  28, 

133  (1911)- 

4)  W.  G.  Mac  Callum  und  C.  Vögtlin,  Joum.  of  exper.  Med.  11, 

118  (1909).    Carlson  und  Cl.  Jacobson,  1.  c. 

5)  C.  Rudinger,  Zeitschr.  f.  experim.  Pathol.  5,  205  (1909). 

6)  F.  Blum;  M.  Alm'agia,  Arch.  di  Fisiol.  6,  492. 

7)  S.  Adler  und  H.  Thaler  (Klinik  Schauta  u.  Inst.  Weichsel- 
baum, Wien),  Zeitschr.  f.  Gynäkol.  u.  Geburtsh.  62,  194  (1908). 

8)  Massaglia,  Gazzetta  degli  Osped.  27,  107,  zit.  n.  Jahresber.  f.  Tier- 
chemie 1968,  485. 

9)  H.  Iselin  (Chirurg.  Künik  Basel),  Neurol.  2^ntralbl.  SO,  220  (191 1). 
ig)  f.  Pineles  (Physiol.  Inst.  Wien),  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad., 

Math.-naturw.  Kl.  117,  3  (1908). 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  473 


suchungen  auf  diesem  Gebiete  verdanken,  hat  gefunden,  daß 
weder  stomachale,  noch  subkutane,  noch  intraperi- 
toneale Einverleibung  von  Epithelkörperchen  imstande 
ist,  die  Tetanie,  welche  sich  bei  Katzen  nach  Ausfall  der  Epithel- 
körperchen einstellt,  günstig  zu  beeinflussen,  während  einige 
andere  Autoren^)  auf  diesem  Wege  Erfolge  erzielt  haben  wollen. 
Dagegen  kann  es  keinem  Zweifel  unterHegen,  daß  die  Trans- 
plantation von  Epithelkörperchen  derselben  Tierspezies 
dem  Eintritte  der  Tetanie  erfolgreich  entgegenzuwirken  vermag. 
Die  Funktionsfähigkeit  der  überpflanzten  Organe  wird  dadurch 
bewiesen,  daß  Tiere,  welche  dank  denselben  die  Ausschaltung 
ihrer  eigenen  Epithelkörperchen  bei  gutem  Befinden  überstanden 
hatten,  auf  Exstirpation  der  Transplantate  sogleich  mit  einem 
Ausbruche  akuter  Tetanie  reagierten.  Nach  kürzerer  oder  län- 
gerer Zeit  werden  die  überpflanzten  Organe  allerdings  meist 
resorbiert;  doch  kann  sich  der  Organismus  inzwischen,  vermutUch 
durch  Ausbildung  vikariierender  Einrichtungen,  auf  die  neuen 
Existenzbedingungen  eingestellt  haben  2).  Es  scheint,  daß  in 
ähnlicher  Weise,  wie  wir  dies  bei  der  Schilddrüse  gesehen  haben, 
die  Transplantation  bei  normalen  Tieren  weit  schwerer  geUngt 
als  bei  solchen,  welche  nach  Exstirpation  ihrer  eigenen  Para- 
thyreoideae  neuen  Epithelkörpergewebes  dringend  bedürfen  8). 
Auch  beim  Menschen  sind  schöne  Heilerfolge  erzielt  worden. 
So  hat  A,  V,  Eiseisberg  einer  Frau,  die  nach  Strumektomie 
an  Tetanie  erkrankt  war,  ein  Epithelkörperchen,  das  von  einer 
anderen  (wegen  Struma  operierten)  Patientin  stammte,  in  den 


i)  Mac  Callum,  Zentralbl.  f.  allgem.  Pathol.  16,  385  (1905).  Vas- 
sale, Arch.  ital.  de  Biol.  43,  176  (1905).  Beebe,  Proc.  Amer.  See.  Biol. 
Chem.  1,  40  (1908).  Bircher  (Aarau),  Med.  Klinik  1910,  1741.  Hal- 
sted, Putman  u.  a. 

2)  Biedl,  Pfeiffer  und  Meyer,  Halsted,  Pepere,  Harvey, 
Walbaum,  Cristiani,  Leischner  und  Köhler  (Arch.  f.  klin.  Chir. 
94,  168,  1910).  W.  H.  Brown  (Annais  of  Surgery  53,  305,  191 1).  Lite- 
ratur über  Transplantation  der  Epithelkörperchen:  A.  Pepere,  Le 
ghiandole  paratiroidee,  Turin  1906.  A.  Biedl,  Innere  Sekretion  48 — 55, 
1910. 

3)  W.  S.  Halsted,  Journ.  of  exper.  Med.  11,  175  (1909). 


474  ^^"  Vorlesung. 


Musculus  rectus  abdominis  eingepflanzt  und  so  dauernde  Heilung 

erzielt^). 
Funküoneiier         Diese  Erfolge  sind  sicherlich  höchst  erfreulich,  jedoch  nicht 
Zusammen-    überraschend.    Weit  schwerer  verständlich  sind  jedoch  die  zweifei- 

naiiE  zwisciien 

Schilddrüse  u.  losen  Heilerfolge,  welche  bei  der  Tetania  parathyreopriva  mit 
Epithelkörper-  Schilddrüsenpräparaten  erzielt  worden  sind.  Schon  im  Jahre 
1892  hat  von  Etselsberg  den  Nachweis  erbracht,  daß  der  Ausbruch 
der  Katzentetanie  durch  Implantation  von  Schilddrüsen- 
gewebe in  die  Bauchfaszie  oder  in  das  Peritoneum  verhindert 
werden  kann;  wird  das  eingeheilte  Organ  aber  hinterher  exstir- 
piert,  so  kommt  die  Tetanie  zum  Ausbruche  und  das  Tier  geht 
zugrimde.  Derartige  Versuche  sind  seither  wiederholt  ausgeführt 
worden;  es  hat  sich  jedoch  auch  herausgestellt,  daß  nicht  nur  die 
Transplantation  der  Schilddrüse,  sondern  auch  die  Verabreichung 
von  Schilddrüsentabletten  u.  dgl.  einen  zweifellos  günstigen 
Einfluß  auf  die  postoperative  Tetanie  ausübt^).  Man  könnte  zu- 
nächst auf  den  Gedanken  verfallen,  daß  etwa  die  kleinen  Mengen 
Parathyreoidealgewebes,  die  in  den  Schilddrüsenpräparaten  ent- 
halten sind,  für  diese  Heilerfolge  verantwortlich  zu  machen  wären; 
dies  ist  aber  kaum  mit  den  Befunden  von  Pineles^)  vereinbar, 
der  selbst  20omal  größere  Mengen  von  Parath3Teoidea,  ak  hier 
überhaupt  in  Betracht  kommen  können,  ganz  unwirksam  fand. 
Es  drängt  sich  angesichts  dieser  Heilerfolge  die  (scheinbar  schon 
erledigte)  Frage  wieder  von  neuem  auf,  ob  denn  die  strenge  Gegen- 
überstellung und  Trennung  der  Funktionen  von  Schilddrüse  und 
Epithelkörperchen  überhaupt  haltbar  ist. 

Vielleicht  kommt  man  über  diesen  Widerspruch  noch  am 
ehesten  hinweg,  wenn  man  eine  Korrelation  zwischen  beiden 
Organsystemen  oder  eine  vikariierende  Funktion  beider  an- 
nimmt. »Die  angeführten  Daten,«  sagt  Biedl^),  »erstens  der 
günstige  Einfluß  der  Schilddrüsenmedikation  auf  den 
Verlauf  der  parathyreopriven  Tetanie,  zweitens  die  sicher  fest- 


1 )  A.v.  Eiseisberg,  Beitr.  Phys.  Pathol.  Festschr.  f.  Hermann  (F.  Enke, 
Stuttgart)  1908,  zit.  n.  Zentralbl.  f.  Chir.  1909,  1,781.  W.  Danielson 
(Chirurg.  Klinik   Küttner,  Breslau),  Beitr.  z.  klin.  Chir.  06,  85  (1910). 

2)  Literatur:    vgl.  R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  9,  I,  306  (1910). 

3)  Pineles,  1.  c. 

4)  A.  Biedl,  Innere  Sekretion  1910,  S.  53. 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  475 

gestellte  Hypertrophie  der  äußeren  Epithelkörper  nach 
Exstirpation  der  Schilddrüse  und  drittens  die  von  manchen 
Autoren  konstatierte  Hypertrophie  der  Schilddrüse  nach 
Entfernung  der  Epithelkörperchen  können  als  ausreichende 
Beweise  für  den  funktionellen  Zusammenhang  zwischen  Schild- 
drüse und  Epithelkörperchen  betrachtet  werden.  Sie  geben  aller- 
dings keine  klare  tmd  eindeutige  Antwort  auf  die  Frage,  auf 
welche  Art  und  Weise  dieser  Zusammenhang  zustande  kommt. « 
Wie  weit  wir  von  einem  klaren  Erfassen  eines  derartigen  Zu- 
sammenhanges noch  entfernt  sind,  wird  Ihnen  vielleicht  am  deut- 
lichsten werden,  wenn  ich  Sie  daran  erinnere,  daß  wir  unter  jenen 
Faktoren,  welche  die  postoperative  Tetanie  günstig  beeinflussen, 
die  Exstirpation  der  Schilddrüse  genannt  haben.  Wie 
sollen  wir  es  verstehen,  daß  Ausschaltung  und  Zufuhr  desselben 
wirksamen  Prinzipes  im  gleichen  Sinne  wirken?  Ich  glaube,  an 
derartigen  Widersprüchen  wird  vorläufig  auch  die  subtilste  Hypo- 
thesenbaukunst zuschanden,  und  man  wird  eben  ruhig  abwarten 
müssen,  bis  geduldige  und  objektive  Naturbeobachtung  auch 
dieses  dunkle  Gebiet  erhellt. 

Nebenbei  bemerkt,  liegt  der  Gedanke  nahe,  daß  auch  die 
gelegenthch  beobachtete  günstige  Wirkung  der  Jodmedikation 
bei  Tetanie  mit  einer  Beeinflussung  der  Schilddrüsenfunktion 
unmittelbar  zusammenhängt.  Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit 
auf  Beobachtungen  von  Coronedi^)  über  den  schützenden  Einfluß 
der  Halogenfette  den  Folgen  der  Parathyreoidektomie  gegen- 
über hinweisen. 

Eine  Gefahr,  daß  das  Thema  der  Epithelkörper  allzufrüh  vom  Andere  Teta- 
Repertoire  der  physiologischen  Forschung  abgesetzt  werde,  besteht  "'^  or^en. 
auf  keinen  Fall.  Dafür  sorgt  schon  das  außerordentüch  große 
Interesse  der  Kliniker  an  den  unabhängig  von  operativen  Ein- 
griffen beim  Menschen  vorkommenden  Tetanieformen,  also  vor 
allem  einerseits  an  der  Kindertetanie,  andererseits  aber  an 
jenem  verwandten  Symptomenkomplexe,  welcher  im  Anschlüsse 
an  verschiedene  Ernährungsstörungen,  Intoxikationen 
und  Infektionen,  beim  weiblichen  Geschlechte  vor  allem  im 

i)  G.  Coronedi,  Studien  über  die  Physiologie  der  Schilddrüse  und 
der  Nebenschilddrüsen.  Sassari  1907;  Jahresber.  f.  Tierchemie  S7,  508 
(1907). 


476  XX.  Vorlesung. 


Zusammenhange  mit  Alterationen  des  Sexualapparates 
zur  Entwicklung  kommen  kann.  Ich  muß  es  mir  versagen,  auf 
dieses  Thema  näher  einzugehen  und  möchte  nur  in  aller  Kürze 
daran  erinnern,  daß  ausgezeichnete  Kenner  dieses  Gebietes,  wie 
Chvostek^)y  V.  Frankl-Hochwart^)  und  Pineles^)  alle  diese  Affek- 
tionen mit  einer  Insuffizienz  der  Epithelkörper  in  Zusammenhang 
bringen,  und  daß  der  Erstgenannte  den  Symptomenkomplex  der 
Myasthenia  gravis  in  diametralen  Gegensatz  zur  Tetanie  stellt, 
indem  er  ihn  auf  eine  Überfunktion  der  Epithelkörper  bezieht. 
Epithelkör-  Die  Lehre,  daß  eine  Unterfunktion  der  Epithelkörper  zu  teta- 

perbiutungcn-  tischen  Zuständen  führt,  hat  durch  eine  Reihe  von  Untersuchun- 
gen aus  dem  Wiener  pathologischen  Institute  und  aus  der  Klinik 
Escherichs  eine  wichtige  Stütze  erhalten,  insofern  sich  ein  Zu- 
sammenhang zwischen  dem  Auftreten  von  Blutungen  im  Ge- 
webe der  Epithelkörperchen  und  der  Kindertetanie  zu  er- 
geben schien,  in  dem  Sinne  etwa,  daß  die  Schädigung  der  Epithel- 
körper zunächst  nur  einen  latenten  Zustand  der  galvanischen 
Übererregbarkeit  herbeiführen  kann,  und  daß  es  dann  ge- 
legentHch  (imter  Einwirkung  einer  spezifischen  Schädlichkeit, 
einer  Infektionskrankheit  u.  dgl.)  zum  Ausbruche  der  Tetanie 
kommt*).  Diese  Auffassung  ist  nicht  ohne  Widerspruch  geblieben ; 
insbesondere  hat  man  darauf  hingewiesen,  daß  sich  bei  der  Sektion 
die  verschiedensten  Veränderungen  im  Bereiche  der  Epithelkörper 
unabhängig  von  der  Tetanie  finden  können^).  Die  Frage  kann 
daher  vorderhand  noch  nicht  für  abgeschlossen  gelten. 


1)  F.  Chvostek,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1905,  969;  1907,  487,  625, 
787;  1908,  ^7  und  Deutsche  med.  Wochenschr.  1909,  825,  Sys- 

2)  L.  V.  Frankl -Hochwart,  Die  Tetanie  der  Erwachsenen.  2.  Aufl. 
(Alfred  Holder)  1907. 

3)  F.  Pineles,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  85,  491  (1906),  Jahresber. 
f.  Kinderheilk.  66|  665  (1907)  und  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,  643. 

4)  J.  Erdheim,  Zeitschr.  f.  Heilk.  (Abt.  f.  pathol.  Anat.)  25  (1904) 
und  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  10,  1906.  J.  Yanase 
(Kinderklinik  und  pathol.  Inst.  Wien),  Wiener  klin.  Wochenschr.  1907, 
Nr.  39.  Th.  Escherich,  Die  Tetanie  der  Kinder.  Wien.  Alfred  Holder, 
1909.  W.  Haberfeld t  (Pathol. -anat.  Inst.  Wien),  Virchows  Arch.  20S, 
282  (191 1),  vgl.  dort  die  Literatur. 

5)  Thiemich,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.  5,  165  (1906).  D.  For- 
syth,  Quart.   Journ.  of  Med.  1,  2  (1908).     P.  Großer  und  R.  Betke 


Die  Schilddrüse.  —  Die  Epithelkörperchen.  477 


Eine  andere  Frage,  die  im  Laufe  der  letzten  Jahre  viel  Staub  Beziehungen 
aufgewirbeit  hat,  ist  die  nach  den  Beziehungen  der  Tetanie  i^aitetoff"™ 
zum  Kalkstoffwechsel.  Erdheim  hat  im  Institute  Weichsel-  Wechsel. 
baums  bei  der  Rattentetanie  sehr  interessante  Störungen  der 
Dentinverkalkung  angetroffen,  die  zu  Anomalien  der  Zähne, 
Frakturen  derselben  u.  dgl.  führen  können^);  auch  Störungen  des 
Knochenwachstums 2)  sind  gelegentlich  bei  parat hyxeopriven 
Tieren  beobachtet  worden  (wobei  die  Weichteile  kalkreicher,  die 
Knochen  kalkärmer  werden  und  die  Kallusbildung  nach  Frakturen 
verzögert  erscheint),  ebenso  wie  auch  andere  lokale  Ernährungs- 
störungen beobachtet  worden  sind,  die  z.  B.  am  Auge  zu  einer 
Linsentrübung*)  führen  können.  Nun  hat  man  aber  (im  Anschluß 
an  Beobachtungen  von  Jacques  Loch  über  die  Herabsetzung  der 
neuromuskulären  Erregbarkeit  durch  Kalksalze)  die  Kindertetanie 
auf  eine  Kalkverarmung  des  Organismus  bzw.  der  nervösen 
Zentren  zurückführen  wollen.  Bei  zahlreichen  mühevollen  Stoff- 
wechselimtersuchungen  und  Organanalysen  ist  hier,  soweit  ich 
sehe,  außer  einer  großen  Zahl  von  Publikationen  wenig  Positives 
herausgekommen.  Wenn  der  eine  Autor  behauptet,  die  Kinder- 
tetanie sei  durch  eine  Kalk  Verarmung  des  Organismus  bedingt^) 
der  andere  sie  dagegen  auf  Kalkvergiftung  zurückführt®),  so 
wird  man  es  dem  objektiven  Beobachter  wohl  nicht  ernstlich  ver- 


(Frankfurt),  Zeitschr.  f.  Kinderheilk.  1,  458  (1911).  F.  Schiffer,  Jahrb.  f. 
Kinderheilk.  78,  601  (191 1).  G.  Jörgensen  (Kopenhagen),  Monatsschr. 
f.  Kinderheilk.  10,  Nr.  3  (191 1).  P.  Auerbach  (Magdeburg),  Jahrb.  f. 
Kinderheilk.  7S,  Ergänzungsh.  193  (1911). 

i)  J.  Erdheim,  1.  c.  und  Frankfurter  Zeitschr.  f.  Pathol.  7,  237,  295 
(191 1),  vgl.  auch  Pfeiffer  und  Meyer,  1.  c,  Iselin,  1.  c. 

2)  J.  Erdheim,  Frankf.  Zeitschr.  f.  Pathol.  7,  176  (191 1),  vgl.  dort 
die  Literatur. 

3)  Iselin,  Zeitschr.  f.  Chir.  9S,  494  (1908).  J.  S.  Leopold  und  A.  v. 
Reuß,  Wiener  khn.  Wochenschr.   1908,   1243. 

4)  J.  Erdheim,  1.  c.  F.  Pineles,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1906, 
691.  O.  Purtscher,  Zentralbl.  f.  Augenheilk.  1909,  97.  R.  Possek, 
(Klinik  Dimmer  und  Inst.  Kratter,  Graz),  Klin.  Monatsbl.  f.  Augen- 
heilk. 45,  Beilageheft  1907. 

5)  R.  Qu  est,  Monatsschr.  f.  Kinderheilk.  61  (1905). 

6)  Stöltzner,  Jahrb.  f.  Kinderheilk.  63,  661  (1906),  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1906,  830  und  Monatsschr.  f.  Psych,  u.  Neurol.  25,  Ergän- 
zungsheft 324  (1909). 


478  XX.  Vorlesung. 


Übeln  können,  wenn  er  vermutet,  daß  weder  das  eine  noch  das 
andere  das  ausschlaggebende  Moment  sei.  Meiner  Meinung  nach 
findet  die  Mehrzahl  der  hierher  gehörigen  Beobachtungen^)  in  der 
sedativen  Wirkung  der  Calciumsalze  eine  ausreichende  Er- 
klärung. 

Wenn  z.  B.  diese  letzteren  imstande  sind,  die  durch  Physo- 
s  t  i  g  m  i  n  hervorgerufenen  f ibrillären  Muskelzuckungen  durch 
Wirkung  auf  die  Nervenendapparate  prompt  zu  unterdrücken*), 
sehe  ich  nicht  ein,  warum  sie  nicht  auch  bei  der  parathyreopriven 
Tetanie  ihre  Wirkung  entfalten  sollten.  Daß  allerdings  eine 
künstliche  Kalkverarmung,  wie  sie  z.B.  durch  Salzsäure- 
und  Oxalsäure  Vergiftung  hervorgerufen  werden  kann,  mit  einer 
gesteigerten  Erregbarkeit  des  vegetativen  Nerven- 
systems einhergeht  (eine  solche  äußert  sich  in  einer  erhöhten 
Empfindlichkeit  dem  Adrenalin  gegenüber,  in  einem  positiven 
Ausfalle  der  Löwischen  Pupillenreaktion  u.  dgl.),  ergibt  sich  aus 
Untersuchungen,  die  R,  Chiari  und  A,  Fröhlich  kürzUch  im  Labo- 
ratorium H,  H.  Meyers  ausgeführt  haben*).  Damit  ist  aber  die 
Pathogenese  der  Kindertetanie  noch  nicht  klargestellt. 


i)  W.  G.  Mac  Callum  and  C.  Vögtlin,  Journ.  of  experim.  Med.  11, 
ii8  (1909).  Frouin,  Compt.  Rend.  148,  1622  (1909).  Parhon,  Dumi- 
tresco  et  Nissipesco,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  66,  792  (1909).  W.  S.  Ber- 
keley and  S.  P.  Beebe,  Joum.  of  med.  Research.,  26,  149  (1909).  M. 
Arthus  et  R.  Schaf  ermann,  Journ.  de  Physiol.  1916, 177.  J.  Rosenstern, 
Jahrb.  f.  Kinderheilk.  72,  154  (1910).  J.  V.  Cooke,  Joum.  of  experim. 
Med.  12,  45  (1910);  Americ.  Joum.  Med.  Soc.  146,  404  {1910).  V^.  Pexa, 
Arch.  f.  Kinderheilk.  54,  i  (19 10).  F.  Aschenheim,  Monatsschr.  f. 
Kinderheilk.  9,  366  (1910).  R.  Neurath  (Wien),  Zeitschr.  f.  Kinderheilk. 
1,  H.  I  (1910).  C.  Vögtlin  und  W.  G.  Mac  Callum,  Joum.  of  Pharma- 
cology  and  exper.  Ther.  2,  421  (Mai  191 1),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol. 
12,  Nr.  246. 

2)  O.  Loewi,  zit.  n.  H.  H.  Meyer  und  R.  Gottlieb,  Experim.  Phar- 
makologie 19 IG,  S.  132. 

3)  R.  Chiari  und  A.  Fröhlich  (Pharm.  Inst.  Wien),  Arch.  f.  exper. 
Pathol.  64,  214  (loii). 


XXI.  Vorlesung. 

Die  Hypophyse. 

Nachdem  in  den  letzten  Vorlesungen  von  den  Nebennieren,  Hypophyse, 
der  Schilddrüse  und  den  Epithelkörperchen  die  Rede  war,  ergibt 
es  sich  wohl  ganz  von  selbst,  daß  sich  unsere  Aufmerksamkeit 
nunmehr  der  Hypophyse  als  einem  weiteren  Gliede  in  der  Reihe 
der  Organe  mit  »innerer  Sekretion«  zuwendet.  Daß  ich  beim 
Gebrauche  dieses  Ausdruckes  mich  mehr  von  einer  »Mode«  oder 
besser  ausgedrückt,  von  einer  wissenschaftlichen  Massensug- 
gestion, als  von  den  Resultaten  physiologischer  Erwägungen  leiten 
lasse,  habe  ich  Ihnen  schon  bei  früherer  Gelegenheit  offen  ein- 
gestanden. Versuchen  wir  es  denn  also,  uns  den  gegenwärtigen 
Stand  der  Hypophysenfrage  in  möglichst  unvoreingenommener 
Weise  zu  vergegenwärtigen.  Ob  uns  dies  wirklich  gelingen  wird, 
ist  nun  freilich  eine  andere  Frage,  deren  Beantwortung  wir  Leuten 
werden  überlassen  müssen,  die  erst  einmal  auf  der  Erkenntnis- 
leiter um  einige  Sprossen  höher  geklettert  sind  als  wir  selbst 
und  daher  über  allerhand  Gestrüppe,  das  uns  heute  noch  die  Aus- 
sicht verlegt,  frei  hinwegzublicken  vermögen.  Wir  müssen  uns 
eben  hier,  wie  so  oft,  mit  dem  alten  Sprüchlein  trösten:  »Ultra 
posse  nemo  tenetur. « 

Wie  Sie  wissen,  vermag  man  am  Durchschnitte  durch  die 
Hypophyse  ohne  weiteres  zwei  Teile  zu  unterscheiden:  den  vor- 
deren drüsigen  oder  epithelialen  Lappen  und  den  hinteren 
infundibularen  Anteil,  der  vorwiegend  aus  Neurogliaele- 
menten  besteht,  nichts  anderes  als  ein  Divertikel  der  dritten 
Hirnkammer  ist  und  mit  der  Großhimmasse  durch  den  »Trichter  « 
oder  das  Infundibulum  in  Verbindung  steht.    Der  vordere  Anteil 


480  XXI.  Vorlesung. 

besteht  aus  drüsigen  Elementen,  deren  verschiedene  Zellformen 
(acidophile,  basophile  und  chromophobe  Zellen)  auf  verschiedene 
Stadien  eines  Sekretionsprozesses  bezogen  worden  smd. 
Ob  das  (gelegentlich  in  diesem  Anteile  vorgefundene)  Kolloid  ein 
Sekretions-  oder  Degenerationsprodukt  ist,  ob  und  auf  welchem 
Wege  dasselbe  in  die  Blutbahn  befördert  wird,  ob  jene  Autoren 
recht  haben,  welche  noch  einen  dritten  (zwischen  die  beiden  an- 
deren eingeschobenen)  kolloidsezernierenden  Anteil  der  Hypo- 
physe als  Pars  intermedia  unterscheiden i),  —  das  alles  sind 
Fragen,  deren  Beantwortung  wir  getrost  den  Histologen  über- 
lassen können. 
Exstirpation  Wenn  wir  uns  über  die  Lebenswichtigkeit  eines  Organes  ins 
dcrHypophyse.  klare  kommen  wollen,  so  werden  wir  uns  zunächst  die  Frage 
vorlegen  müssen,  von  welchen  Folgen  der  Ausfall  desselben  be- 
gleitet sei.  Die  Exstirpation  der  Hypophyse  ist  von  sehr 
zahlreichen  Experimentatoren  ausgeführt  worden  *).  Man  hat 
es  verstanden,  dieses  tief  im  Schädelinneren  verborgene,  von 
lebenswichtigen  Gebilden  dicht  umgebene  Organ  bequem  zugäng- 
lich zu  machen.  Entweder  man  dringt  von  der  Mundhöhle 
aus  durch  die  Schädelbasis  zu  demselben  vor;  oder  man  wählt  den 
Zugang  vom  Scheitel  her  (wie  dies  Gley  sowie  Lo  Monaco  und 
Rynberck  getan  haben),  indem  man  die  Hemisphären  auseinander 
drängt  und  das  Corpus  coUosum  durchtrennt,  oder  man  schafft 
sich  den  Weg  vom  Schläfenlappen  aus.  Letztere  Methode 
ist  von  Paulesco^),  von  Biedl  und  Silbermark^)  sowie  von 
Cushing^)  und  anderen  mit  bestem  Erfolge  geübt  worden.  Nach- 
dem man  in  beide  Schläfenbeinschuppen  ziemUch  große  Öffnungen 


i)  Vgl.  E.  A.  Schäfer,  Funktions  of  the  Pituitary  body.  Croonian 
Lecture,  Proc.  Roy.  Soc.  8,  81   (1909). 

2)  Literatur  über  Exstirpation  der  Hypophyse:  A.  Biedl,  Innere  Se- 
kretion, 290 — 295  (1910).  J.  Morawski  (Wiener  physiol.  Univers. -In- 
stitut),  Zeitschr.  f.  Neurol.  u.  Psychiatr.  7,  207  (1911). 

3)  N.  C.  Paulesco,  Journ.  de  Physiol.  9,  441  (1907);  L'hj'pophyse 
du  cerveau,  Paris  1908. 

4)  M.  Sil  her  mark  (Inst.  Paltauf),  Wiener  klin.Wochenschr.  1910,467. 

5)  H.  Cushing  (Baltimore),  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  53,  249  (1909). 
S.  J.  Crowe,  H.  Cushing  and  J.  Homans,  John  Hopkins  Hosp.  Bull.  21» 
127  (1910). 


Die  Hypophyse.  481 


gemacht  hatte,  wurde  die  Dura  durchtrennt  und  der  Temporal- 
lappen mittels  Spatels  abgehoben ;  man  sieht  dann  die  Hypophyse 
wie  eine  Beere  am  Stiele  hängen  und  kann  die  begrenzenden 
Gebilde  (wie  die  Carotis  interna,  den  Opticus  und  Oculomotorius) 
deutlich  imterscheiden.  Einen  weiteren  Fortschritt  bedeutet  der 
Vorgang  meiner  Kollegen  Karplus  und  Kreidl^),  welche  bei 
Rückenlage  des  Tieres  am  hängenden  Kopfe  operieren,  derart, 
daß,  der  Schwere  folgend,  die  Hemisphären  sich  von  selbst  von 
der  Schädelbasis  abheben  und  die  Gebilde  an  derselben  in  geradezu 
überraschend  bequemer  Weise  operativen  Eingriffen  zugänglich 
werden. 

Zieht  man  die  Resultante  aus  den  zahlreichen,  einander  viel- 
fach widersprechenden  Exstirpations versuchen,  so  wird  man  wohl 
schließen  müssen,  daß  die  Ausschaltung  des  Hinterlappens, 
ebenso  wie  das  Herausheben  des  Organes  aus  dem  Türkensattel 
belanglos  ist,  während  die  Exstirpation  des  Vorderlappens 
nach  der  Meinung  vieler  Autoren  2)  innerhalb  kurzer  Zeit  unter 
Erscheinungen  der  »Cachexia  hypophyseopriva«  zmn  Tode 
führen  soll.  Gegenteilige  Angaben*)  (wie  z.  B.  die  neuen  Ver- 
suche von  Aschner^))  sollen  nach  Biedl  auf  methodische  Mängel 
zurückzuführen  sein.  Ganz  klargestellt  scheint  mir  die  Frage 
allerdings  nicht  zu  sein.  Morawski^)  bezweifelt  überhaupt  die 
Möglichkeit  einer  vollständigen  Exstirpation  des  Hypophysen- 
gewebes, da  sich  solches  keineswegs  auf  das  in  der  Sella  turcica 
gelegene  Gebilde  zu  beschränken  braucht. 

Paulesco  hatte  behauptet,  daß  Tiere  die  Durchtrennung 
des  Hypophysenstieles  nicht  zu  überleben  vermögen.  Afo- 
rawski  hat  nun  unter  der  Leitung  von  /.  P.  Karplus  festgestellt. 


i)  J.  P.  Karplus  und  A.  Kreidl,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1910»  309. 
Zeitschr.  f.  biol.  Techn.  2,  14  (191 1). 

2)  Gley,    Marinesco,    Vassale   und    Sacchi,    Caselli,    Pirone, 
Dalla  Vedova. 

3)  Horsley,  Friedmann  und  Maas,  Lo  Monako  und  van  Ryn- 
berck,  Gaglio,  Fichera,  vgl.  Literatur:    Morawski,  s.  u.  S.  211. 

4)  B.  Aschner,  Wien.  klin.  Wochenschr.  1909,  1730  und  Mitteil.  am 
VIII.  intemat.  Physiologenkongreß,  Wien,  September  19 10. 

5)  S.  Morawski  (Wiener  physiol.  Univers. -Inst.),  Zeitschr.  f.  Neurol. 
u.  Psychiatr.  7,  207  (1911). 

V.  Fürth,  Probleme.  ßl 


482  XXI.  Vorlesung. 


daß  zum  mindesten  für  den  Affen  die  vollständige  Durchtrennung 
des  H)T)ophysenstieles  ein  Eingriff  ist,  der  sehr  gut  vertragen 
wird  und  der  sogar  symptomenlos  verlaufen  kann. 

Die  Erscheinungen  der  »Cachexia  hypophyseopriva«  sind 
an  sich  so  wenig  charakteristisch  (es  handelt  sich  um  Somnolenz, 
niedere  Temperatur,  Dyspnoe  u.dgl.,  allenfalls  auch  um  Krämpfe), 
daß  damit  eigentlich  an  sich  wenig  anzufangen  ist.  Weit  cha- 
rakteristischer sind  gewisse  Erscheinungen,  welche  in  solchen 
Fällen  zur  Beobachtung  gelangen,  wo  infolge  einer  partiellen  oder 
allmählich  sich  vollziehenden  Hypophysenausschaltung  Zeit  zur 
Entwicklung  chronischer  Ausfallserscheinungen  gegeben  ist:  Es 
handelt  sich  dabei  um  eine  sehr  merkwürdige  Kombination  von 
Hypophysäre  Fettsucht  mit  einer  Hypoplasie  des  Genitalapparates 
Fettsucht,  und  mit  Wachstumsstörungen,  die  von  Alfred  Fröhlich'^) 
bei  einem  Hypophysentumor,  sodann  auch  von  verschiedenen 
Experimentatoren*)  beobachtet  worden  ist.  So  fand  Biedl  bei 
Hunden  nach  partieller  Hypophysenexstirpation  neben  einer 
hochgradigen  Atrophie  des  gesamten  Genitalapparates  eine  ganz 
auffallende  Fettanhäufung  im  Bauchraume.  Daran  schließt  sich 
eine  Beobachtung  des  Straßburger  Chirurgen  Madelung^)  über 
abnorme  Fettleibigkeit  bei  einem  neunjährigen  Kinde,  dem  eine 
Flaubertkugel  in  die  Gegend  der  Sella  turcica  eingedrungen  war. 
Der  Einwand,  diese  Erscheinungen  seien  nicht  die  Folge  einer 
Ausschaltung  der  Hypophyse  als  solcher,  sondern  einer  Läsion 
benachbarter  Himpartien,  ist  natürlich  schwer  mit  voller  Sicher- 
heit zu  widerlegen,  scheint  mir  jedoch  mit  Rücksicht  auf  die  Tier- 
versuche nicht  sonderlich  stichhaltig.  Falls  die  Durchtrennung 
des  Hypophysenstieles  bei  manchen  Tiergattungen  wirklich  so 
folgenschwer  ist,  könnte  dies  möglicherweise  mit  der  Verletzung 
von  Drüsennerven  zusammenhängen*).    Es  ist  auch  die  Meinung 


1)  A.  Fröhlich,  Wiener  klin.  Rundschau  IfOl,  Nr.  47  u.  48.  Vgl. 
daselbst  sowie  bei  Borchhardt,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  3,  323 — 326 
(1909)  die  ältere  Literatur. 

2)  Cushing,  Biedl,  Aschner,  1.  c. 

3)  O.  Madelung,  Arch.  f.  klin.  Chir.   78,  H.  4  (1904). 

4)  Vgl. J. Erdheim (Inst.Weichselbaum),Sitzungsber. Wiener Akad., 
Math.-naturw.  Kl.  IIS,  537  (1904).  O.  Marburg  Arb.  a.  d.  neurol.  Inst, 
d.  Wiener  Univ.  17,  216  (1909). 


Die  Hypophyse.        ,  483 


vertreten  worden,  daß  die  »Dystrophia  adiposo-genitalis «  nicht 
mit  einer  Schädigung  des  Vorderlappens,  sondern  mit  einer 
solchen  des  nervösen  Hinterlappens  zusammenhängt^).  Auch 
hat  man  die  Störung  des  Fettstoffwechsels  als  Folge 
einer  Störung  des  Kohlehydratstoffwechsels  (s.  u.)  hin- 
stellen wollen.  Injektionen  von  Hinterlappenextrakt  vermag 
bei  Tieren  die  Toleranzgrenze  für  Zucker  zu  erniedrigen  und 
Glykosurie  zu  erzeugen.  Umgekehrt  soll  eine  Insuffizienz  des 
Hinterlappens  mit  einer  erhöhten  Toleranz  für  Zucker  einher- 
gehen und  die  erschwerte  Zuckerverbrennung  zu  allgemeiner 
Fettsucht  führen«). 

Die  Behauptung,  daß  es  gelungen  sei,  durch  Vorbehandlung 
von  Tieren  mit  Hypophysengewebe  ein  hypophyseotoxisches 
Serum  zu  erzeugen  und  durch  dasselbe  bei  anderen  Tieren  eine 
Cachexia  hypophyseopriva  hervorzurufen  *),  bedarf  dringend  einer 
Nachprüfung. 

Der  Auffassung  der  Dystrophia  adiposo-genitalis  als  der  Folge 
einer  Minderfunktion  der  H)T)ophyse  widerspricht  anscheinend 
der  Umstand,  daß  v.  Eiselsberg^)  einige  Fälle  dieser  Erkrankung, 
die  durch  einen  Hypophysentumor  bedingt  waren,  durch  Exstirpa- 
tion  des  letzteren  günstig  beeinflußt  hat.  Biedl^)  erklärt  dies  aller- 
dings in  der  Weise,  daß  die  Hypophyse  nach  Entfernung  des 
Tumors  ihre  normale  Funktion  wieder  aufgenommen  haben  könnte, 
und  daß  übrigens  die  Besserung  sich  im  wesentlichen  auf  das 
Allgemeinbefinden  und  die  Tumorsymptome,  nicht  aber  auf  die 
Fettsucht  und  die  Veränderungen  im  Bereiche  des  Genitalapparates 
bezogen  hätte.    Der  Sachverhalt  ist  aber  durchaus  kein  klarer. 

Wenn  wir  dennoch  im  ganzen  geneigt  sind,  eine  Kombination    Akromegaiie 
von  Fettsucht  und  Hypoplasie  der  Keimdrüsen  als  Folgeerschei-  u<j»gantismus. 
nung  einer  Minderfunktion  der  Hypophyse  anzusehen,  gelangt 
man  neuerdings  mehr  und  mehr  dahin,  den  merkwürdigen  Sym- 

i)  B.Fischer  (Senkenbergsches  Inst.),  Frankfurter Zeitschr.  f.  Pathol. 
6,  351   (1910). 

2)  Goetsch,  Cushing  and  Jacobson,  Johns  Hopkins  Hosp.  Bull.  22, 
165  (1911)- 

3)  Masay,  L'Hypophyse.    Bruxelles.    Ch.  Bulens.    1908. 

4)  A.  V.  Eiseisberg  und  L.  v.  Frankl  -  Hochwart,  Neurolog. 
Zentralbl.  IWl,  Nr.  21  und  Wiener  klin.  Wochenschr.  1908,   11 15. 

31* 


484  XXI.  Vorlesung. 


ptomenkomplex  der  Akromegalie  und  des  Gigantismus  mit 
einer  Überfunktion  der  H5TX)physe  in  Zusammenhang  zu 
bringen,  und  zwar  scheint  eine  pathologisch  vermehrte  Aktivität 
des  drüsigen  Anteiles,  wenn  sie  in  der  Jugend  eintritt,  als  ein 
Prozeß  übermäßigen  Wachstums  in  Erscheinung  zu  treten,  wenn 
sie  sich  dagegen  in  späterem  Alter  einstellt,  zur  Akromegalie  zu 
führen^). 

Das  von  P.  Marie  beschriebene  Bild  der  Akromegalie  erscheint 
bekanntlich  durch  auffällige  Wachstumsstörungen  gekenn- 
zeichnet, die  insbesondere  das  Gesicht  und  die  Extremitäten  in 
charakteristischer  Weise  verunstalten.  Dabei  erscheinen  Kiefer 
und  Jochbögen  vorspringend,  die  Nasenflügel,  Augenlider  und 
Augenbrauen,  das  ganze  Gesicht,  sowie  die  Hände  und  Füße 
plump  vergrößert.  Dazu  können  sich  Störungen  der  Sexual - 
tätigkeit  sowie  Allgemeinerscheinungen  eines  Hirntumors 
gesellen. 

Die  Störungen  des  Stoffwechsels  bei  Akromegalie  sind  im 
ganzen  wenig  charakteristisch*).  Am  auffallendsten  ist  der  Um- 
stand, daß  etwa  40  Prozent  aller  Akromegahefälle  mit  Diabetes 
vergesellschaftet  sind,  und  daß  es  andererseits  nach  Borchhardt^) 
durch  Injektion  von  H3T>ophysensaft  bei  Kaninchen  (nicht  aber  bei 
Hunden)  regelmäßig  gelingt,  eine  Glukosurie  hervorzurufen,  die  etwa 
einen  Tag  andauert.  Der  naheliegende  Einwand,  der  bei  Akro- 
megalie so  häufig  auftretende  Hypophysentumor  drücke  auf  ein 
»Zuckerzentrum«  im  Gehirn  imd  versetze  dasselbe  in  einen  Zu- 
stand dauernder  Reizung,  wird  hinfäUig,  wenn  man  sich  vergegen- 
wärtigt, daß  bei  anderen  Hypophysentumoren,  die  nicht  mit 
Akromegalie  einhergehen,  der  Diabetes  nicht  vorkommt. 


i)  Literatur:  M.  Sternberg,  Die  Akromegalie.  Nothnagels  Handb. 
1897.  L.  Borchhardt,  Funktion  und  funktionelle  Erkrankungen  der 
Hypophyse.  Ergebn.  d.  inneren  Med.  3,  288  (1909).  R.  Hirsch,  Handb. 
d.  Biochemie  3,  I,  340 — 343  (1910).  E.  Münzer  (Sammelreferat),  Berliner 
klin.  Wochenschr.  47,  342,  392  {1910).  Cushing,  1.  c.  E.  A.  Schäfer, 
1.  c.     A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  303 — 315  (19 10). 

2)  Literatur:  A.  Magnus-Levy,  v.  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d. 
Stoffw.,  2.  Aufl.  2,  350 — 352  (1907). 

3)  L.  Borchhardt,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  66,  332  (1908)  und  Deutsche 
med.  Wochenschr.  34,  946  (1908). 


Die  Hypophyse.  485 


Als  Fazit  ausgedehnter  Diskussionen  über  die  Frage  der 
pathologischen  Veränderungen  der  Hypophyse  bei  Akro - 
megalie  scheint  sich  eine  Bestätigung  des  von  M.  Sternberg 
energisch  verfochtenen  Satzes  zu  ergeben,  daß  bei  dieser  Erkran- 
kung die  Hypophyse  (und  zwar  hauptsächlich  der  vordere  Teil 
derselben)  konstant  der  Sitz  krankhafter  Veränderungen  ist.  Es 
soll  bisher  tatsächlich  kein  Fall  von  Akromegalie  zur  Sektion 
gelangt  sein,  bei  dem  nicht  wenigstens  bei  genauer  histologischer 
Untersuchung  Veränderungen  der  Hypophyse  festgestellt  worden 
wären  1),  und  zwar  deutet  das  vorliegende  anatomische  Material 
auf  eine  Steigerung  der  sekretorischen  Tätigkeit  der 
Drüse  hin. 

Die  letzten  Zweifel  hinsichtlich  eines  Zusammenhanges  zwi-  Operative  Be- 
sehen Akromegalie  und  Hypophysenerkrankung  (und  solche  Akrom^aiie! 
werden  immer  wieder  von  neuem  geäußert)  2)  müssen  meines  Er- 
achtens  durch  die  schlagenden  Erfolge  der  operativen  Be- 
handlung der  ersteren  beseitigt  werden.  Auf  dem  Chirurgen- 
kongresse des  Jahres  1908  hat  Julius  Hochenegg^)  über  die  Ent- 
fernung des  Hypophysentumors  bei  einer  Akromegalen  be- 
richtet. Bereits  zehn  Tage  nach  der  Operation  waren  nicht  nur 
die  Hirndrucksymptome  gebessert,  sondern  auch  die  akromega- 
len Erscheinungen  im  Rückgange.  Die  Zähne  rückten  an- 
einander, die  Hände  wurden  kleiner  und  als  der  Patientin  bei 
ihrer  Entlassung  ihre  Schuhe  zurückgestellt  wurden,  waren  sie 
ihr  so  groß  geworden,  daß  sie  sich  weigerte,  dieselben  als 
die  ihrigen  anzuerkennen  und  schließlich  drei  Paar  Strümpfe 
übereinander  anziehen  mußte. 

Ein  zweiter  Fall  ähnlicher  Art  ist  aus  der  Hocheneggschen 
Klinik  kürzlich  von  Alfred  Exner^)  publiziert  worden. 

Interessanterweise  hat  Alfred  Exner^)  nach  Implantation 

i)  L.  Borchhardt,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  3,  314  (1909).  A.  Biedl, 
Innere  Sekretion,  305  (1910). 

2)  Vgl.  das  Referat  von  E.  Münzer,  1.  c. 

3)  J.  Hochenegg,  37.  Kongr.  d.  Ges.  f.  Chir.  80  (1908)  und  Wiener 
klin.  Wochenschr.  1909,  323.  Stumme  (Klinik  Hochenegg),  Arch.  f. 
klin.  Chir.  87,  437  (1908). 

4)  A.  Exner,  Wiener  klin.  Wochenschr.  15.  Januar  1909  und  Münchener 
med.  Wochenschr.  1909,  2030. 

5)  A.  Exner,  Zentralbl.  f.  Physiol.  24,  387  (1910). 


486  XXI.  Vorlesung. 


Einfluß  von   von  Hypophysen  bei  Ratten  ein  gesteigertes  Wachstum  der  Tiere 

präMratenTuf  beobachtet,  während  ein  italienischer  Autor i)  nach  lange  fort- 

das   Knochen-  gesetzter  Einführung  von  Hjrpophysenauszügen  in  den  tierischen 

wac  stum.     Organismus  nur  eine  Verstärkung  der  knochenbildenden 

Funktion   des    Periostes,   die   Knochen  verdickungen   veran- 

laßte,  wahrnahm. 

Im  Anschlüsse  daran  möchte  ich  erwähnen,  daß  Arthur  Schifft) 
aus  einer  vermehrten  Phosphorausscheidung  nach  Ver- 
fütterung  von  Hypophysensubstanz  (bei  geringer  Beeinflussung 
der  Stickstoffausscheidung)  auf  eine  spezifische  Einwirkung  der- 
selben auf  den  Stoffwechsel  der  Knochensubstanz  geschlossen 
hat.  Auch  ist  es  im  Zusammenhange  damit  sehr  beachtenswert, 
daß  Bab^)  auf  der  Klinik  Wertheim  in  Wien  bei  einigen  Fällen 
von  Osteomalacie  durch  Hy pophysinbehandlung  namhafte 
Besserung  erzielt  hat.  Es  ist  daher  durchaus  berechtigt,  wenn 
Biedl^)  Versuche  mit  der  gleichen  Behandlung  bei  Rhachitis 
sowie  zur  Konsolidierung  des  Callus  bei  Frakturen  vor- 
schlägt. 
Beziehungen  ^^  ^^*  wohl  schwerlich  auf  irgendeinem  Gebiete  der  Physio- 
der  Hypophyse  logie  SO  viel  durch  voreilige  Behauptungen  gesündigt  worden,  wie 
L^'u.zu^de1i  a^f  demjenigen  der  Korrelation  von  Organen  mit  innerer 
Keimdrüsen.  Sekretion.  Man  kann  getrost  behaupten,  daß  es  keine  der 
theoretisch  möglichen  Kombinationen  zweier  Organfunktionen 
gibt,  welche  nicht  (sei  es  im  Sinne  einer  gegenseitigen  »Förderung« 
oder  »Hemmung«  der  Organe  untereinander)  zur  Basis  einer 
mit  experimentellen  Daten  gestützten  und  mit  großer  Gelehr- 
samkeit verfochtenen  Tlieorie  gemacht  worden  wäre^).  Man 
kann  es  daher  niemandem  ernstlich  verdenken,  wenn  er  von  der- 
gleichen »Korrelationen «  schließlich  überhaupt  nichts  mehr  zu 
hören  wünscht.    Daß  man  aber  auch  in  letzterer  Hinsicht  zu  weit 


i)  U.  Cerletti,  Rcndic.  Accad.  Lincei  17,  553  und  Arch.  ital.  de  biol. 
47,  122  (1907),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  Physiol.  22,  809  (1908). 

2)  A.  Schiff,   Zeitschr.   f.  klin.  Med.    32,    Suppl.  (1897),   vgl.   auch 
V.H.Thompson  and  H.M.  Johnston,  Joum.  of  Physiol.  33,  189(1905). 

3)  H.  Bab,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1911,  997. 

4)  A.  Biedl,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1911,  998. 

5 )  Literatur  über  Korrelation  der  Organe  mit  innerer  Sekretion :   R.  G. 
Hoskins,  Amer.  Joum.  of  the  Med.  Sciences  (März/ April  191 1). 


Die  Hypophyse.  487 


gehen  kann,  beweisen  einige  in  bezug  auf  die  H3^ophyse  vor- 
liegende Tatsachen,  denen  gegenüber  auch  ein  ernster  Natur- 
forscher seine  Augen  nicht  wird  verschließen  dürfen.  An  einer 
Korrelation  zwischen  Hypophyse,  Schilddrüse  und 
Keimdrüsen  scheint  nämlich,  wenn  ich  die  Dinge  richtig  über- 
sehe, wirklich  »etwas  daran  zu  sein«. 

Was  zunächst  die  Beziehungen  zwischen  Hypophyse  und 
Schilddrüse  betrifft,  ist  die  Angabe  von  Rogo wusch,  derzufolge 
Schilddrüsenausschaltung  eine  Vergrößerung  der  H3^ophyse  zur 
Folge  habe,  von  zahlreichen  Untersuchern  bestätigt  worden. 
Auch  beim  Myxödem  und  Kretinismus,  welche  Zustände  ja  zwei- 
fellos mit  einer  Minderfunktion  der  Schilddrüse  zusammenhängen, 
ist  der  Befund  einer  Hypophysenvergrößerung  häufig,  wenn  auch 
keineswegs  immer  erhoben  worden  i).  Andererseits  hat  man 
nach  H3T>ophysektomie  bei  Tieren*)  und  Menschen 3)  eine  auf- 
fällige Vergrößerung  der  Schilddrüse  bemerkt*).  Es  läge  daher 
nahe,  an  eine  ergänzende  Tätigkeit  beider  Organe  zu  denken. 
Die  H5rpophyse  jedoch  in  bezug  auf  ihren  epithehalen  Anteil  als 
einen  »versprengten  Schilddrüsenkörper«  hinstellen  zu  wollen, 
hat  man  aber  meines  Erachtens  keine  Veranlassung.  Wie  sollte 
man  da  z.  B.  die  (für  den  Affen  allerdings  sicherlich  nicht  gültige) 
Beobachtung  verstehen,  daß  eine  Durch trennung  des  Hypophysen- 
stieles unter  Umständen  genügen  kann,  um  den  Tod  herbeizu- 
führen? Die  Behauptung,  daß  die  Hypophysensubstanz  regel- 
mäßig jodhaltig  sei,  ist  durchaus  unbewiesen*). 

Weitere  Beobachtungen  betreffen  die  Beziehungen  zwischen 
Hypophyse  und  Keimdrüsen.  Es  scheint,  daß  sowohl  die 
angebliche  Minderfunktion  der  Hypophyse,  welche  zur  Fettsucht 
führt,  als  auch  die  Überfunktion,  welche  eine  Akromegalie 
zur  Folge  hat,  meist  mit  Störungen  im  Bereiche  der  sexualen 
Sphäre  einhergeht.     Andererseits  ist  durch  Beobachtungen  von 

i)  Literatur:  vgl.  L.  Borchhardt,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  3, 306  (1908). 

2)  Caselli,  zit.  n.  Borchhardt,  1.  c. 

3)  Hochenegg,  A.  Exner,  1.  c. 

4)  Livon  und  Peyron,  (C.  R.  Soc.  de  Biol.  7#,  47,  Juli  191 1)  fanden 
allerdings  bei  einem  Hunde  genau  das  Gegenteil,  nämlich  eine  fast  völlige 
Atrophie  der  Schilddrüse  nach  Exstirpation  der  Hypophyse. 

5)  H.  G.  Wells,  Joum.  of  biol.  Chem.  7,  259  (19 10). 


488  XXI.  Vorlesung. 


Fichera^)  an  Ochsen  und  Kapaunen,  durch  diejenigen  von 
Tändlet  und  Groß  am  Menschen  sichergestellt  worden,  daß  die 
Kastration  eine  Hypertrophie  der  Hypophyse  zur  Folge  hat. 
Die  letztgenannten  Forscher  konnten  diese  sogar  bei  lebenden 
Kastraten  an  einer  Vergrößerung  der  Sella  turcica  radioskopisch 
erkennen.  Auffallenderweise  bewirkt  auch  die  Schwangerschaft 
eine  Vergrößerung  der  Hypophyse. 

Das  sind  nun  bedeutsame  und  geheimnisvolle  Dinge,  deren 
klare  Durchdringung  freilich  leider  noch  in  weiter  Feme  liegt. 
Die  Hypophyse  E.  vofi  Cyon  hat  seinerzeit  eine  Theorie  aufgestellt,  derzufolge 
^^^ri^es*^  die  Hypophyse  und  die  Schilddrüse  dazu  bestimmt  sein  sollten, 
Schutzorgan  das  Gehirn  vor  einer  übermäßigen  Blutüberfüllung  zu 
des  Gehirns,  schützen.  Es  sollte  dies  auf  automatischem  Wege  in  der  Weise 
geschehen,  daß  die  Hypophyse  durch  die  mechanische  Steigerung 
des  Himdruckes  gereizt  wird  und  diese  Reizung  auf  das  Vagus- 
zentrum überträgt.  Von  diesem  aus  würden  nun  Impulse  einer- 
seits zum  Herzen  verlaufen  und  eine  Verlangsamung  der  Herz- 
schläge bewirken,  andererseits  könnte  durch  eine  reflektorische 
Erweiterung  der  Schilddrüsengefäße  der  Blutstrom  vom  Hirne 
abgelenkt  werden.  Auch  sollte  dem  spezifischen  chemischen  Pro- 
dukte der  H3T>ophyse  in  hohem  Maße  das  Vermögen  zukommen, 
die  Vagi  und  Depressoren  zu  reizen  (s.  u.).  Die  Nachprüfung 
der  Befunde  Cyons  durch  Biedl  und  Reiner  sowie  durch  eine  Reihe 
anderer  Experimentatoren^)  hat  der  Theorie  einer  mechani- 
schen Funktion  der  Hypophyse  gänzUch  den  Boden  entzogen. 
Die  Annahme,  daß  die  Hypophyse  auf  chemischem  Wege  die 
Zirkulation  beeinflußt,  ist,  wie  ich  später  ausführen  werde, 
vorderhand  eine  durchaus  unbewiesene  Hypothese.  , 

Wirkung  des         Die   Aufklärung   der   Funktion   dieses   rätselhaften   Organes 
"f^^^i^'^^zirku-  ^^^^^^  ^^  greifbare  Nähe  gerückt,  als  Oliver  und   Schäfer,   die 
lation,       Entdecker  der  blutdrucksteigernden  Wirkung  des  Nebennieren- 
extraktes, die  Wahrnehmung  machten,  daß  auch  Hypophysen- 


i)  Fichera,  Arch.  italien.  de  Biol.  43,  405  (1905).  J.  Tandler  und 
F.  Grosz,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1907,  277  und  Arch.  f.  Entwicklungs- 
mechanik 1909 — 19 10. 

2)  Literatur:  A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  301 — 302  (1910).  E.  v. 
Cyon,  Die  Gefäßdrüsen  als  regulatorische  Schutzorgane  des  Zentralnerven- 
systems.   Verl.  von  J.  Springer.    Berlin   19 10. 


Die  Hj^ophyse.  489 


extrakte  den  Blutdruck  mächtig  beeinflussen.  Dabei  ist  aber 
zu  bemerken,  daß  diese  Wirkung  nicht  etwa  dem  Extrakte  des 
anscheinend  lebenswichtigen  drüsigen  Vorderlappens,  vielmehr 
dem  nervösen  Hinterlappen  eigentümlich  ist.  Die  Wirkung  des 
Extraktes,  der  bereits  auf  fabriksmäßigem  Wege  dargestellt  und 
unter  dem  Namen  »Hypophysin«  oder  Pituitrin  in  den 
Handel  gebracht  wird,  besteht  in  erster  Linie  in  einer  durch 
Zusammenziehung  peripherer  Gefäße  bedingten  Blut- 
drucksteigerung von  geringerer  Intensität,  jedoch  von  weit 
längerer  Dauer,  als  es  die  durch  Suprarenin  bedingte  ist.  Die 
Kontraktionswirkung  kann  auch  an  überlebenden  heraus- 
geschnittenen Gefäßstückchen  zur  Beobachtung  gelangen. 

Interessanterweise  werden,  wie  neue  Untersuchungen  aus  dem 
Institute  von  Gottüeb  in  Heidelberg  gelehrt  haben,  die  Gefäß- 
wände durch  geringe  Spuren  von  Hypoph5^isextrakt  für  Suprarenin 
überempfindlich  gemacht,  derart,  daß  die  gleiche  Konzentration 
von  Suprarenin  einen  viel  stärkeren  Effekt  ausübt  als  wie  früher. 
Das  »Hypophysin  «  scheint  also,  ähnlich  wie  das  Sekret  der  Schild- 
drüse (s.o.  S.  457)  eine  Sensibilisierung  sympathischer 
Apparate  zu  bewirken^). 

Das  Hypophysin  bewirkt  ferner  eine  Verstärkung  der 
Systole  und  eine  Verlangsamung  der  Herzschläge,  welche 
anscheinend  teilweise  auf  eine  zentrale  Erregung  herzhemmnder 
Nerven  (s.  o.)  bezogen  werden  darf,  jedoch  auch  nach  Vagusdurch- 
schneidung,  nach  Vaguslähmung  durch  Atropin,  sowie  am  iso- 
lierten Frosch-  und  Säugetierherzen  in  Erscheinung  tritt  2).  (Eine 
neben  dem  Hypoph5^in  in  den  Extrakten  enthaltene,  den  Blut- 
druck herabsetzende,  in  Alkohol  und  Äther  lösliche  Substanz 
dürfte  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mit  dem  Cholin  oder  einem 
Derivate  desselben  identisch  sein.) 

i)  R.  Gottlieb  (Heidelberg  ,  Mitteil,  auf  der  83.  Vers.  d.  Naturf.  u. 
Ärzte,  Karlsruhe,  26.  Sept.   1911. 

2)  Oliver  und  Schäfer,  Joum.  of  Physiol.  18,  277  (1895).  Howell, 
Joum.  of  experim.  Med.  3,  2  (1898).  Cyon,  Pflügers  Arch.  71,  431  (1898); 
72,  635  (1898);  78,  42,  339»  483  (1898);  81,  267  (1900);  87,  565  (1901). 
Schäfer  und  Vincent,  Joum.  of  Physiol.  24,  XIX  (1899);  25,  87  (1899). 
Claghorn,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  2,  1899.  Herring,  Joum.  of  Physiol. 
51,  429  (1904).  Salvioli  und  Carraro,  Arch.  ital.  de  Biol.  49,  i  (1908). 
De  Bonis  und  Susanna,  Zentralbl.  f.  Physiol.  23,  169  (1909). 


490  XXI.  Vorlesung. 


Wirkung  des         Die  weitere  Analyse  der  Hypophysinwirkung  an  muskulären 
Hypophysins   Organen   ergab,   daß   dieselbe  sowohl  das  sympathische  als 

aiif  Blase  Ute-        o  o       '  j        X 

rus,  Darm,  auch  das  autonome  System  betreffen  kann.  So  beobach- 
teten Lothar  v,  Frankl-H  och  wart  und  Alfred  Fröhlich^)  nach 
intravenöser  Injektion  kleiner  Hjrpophysinmengen  eine  Steigerung 
der  Erregbarkeit  der  dem  autonomen  System  angehörigen  B  lasen - 
nerven  (Nervi  pelvici),  während  die  Erregbarkeit  der  sympa- 
thischen Blasennerven  (Nervi  hypogastrici)  nicht  geändert  er- 
schien. Beim  graviden  oder  laktierenden  Kaninchen  gerät  der 
Uterus  durch  H)T)oph37sin  in  mächtige,  mitunter  langanhaltende 
Kontraktionen,  während  die  sympathischen  Uterusnerven  wesent- 
lich erregbarer  erscheinen.  (Beim  Suprarenin,  welches  ein  noch 
mächtigeres  Erregungsmittel  für  den  Uterus  ist,  wird  eine  derartige 
Erregbarkeitssteigerung  nicht  beobachtet.)  G.  Bayer  und  Peter^) 
wiederum  bemerkten  bei  Einwirkung  des  Hypophysins  auf  den 
überlebenden  Kaninchendarm  stets  den  Eintritt  einer  sich 
durch  Hemmung  kundgebenden  Sympathicusreizung,  deren  Effekt 
aber  meist  durch  eine  erregende  Wirkung  auf  die  autonomen 
Apparate  (Auerbachschen  Plexus  und  postganglionäre  Fasern) 
verschleiert  wurde.  Das  Hypophysin  wirkt  auf  die  Pupille  des 
enukleierten  Froschauges.  Dale^)  schreibt  dem  H)T)oph)^in  eine 
von  der  Innervation  unabhängige  direkte  Reizwirkung  auf  die 
glatte  Muskulatur  zu. 
Therapeut!-  Daß  ein  Mittel,  welches  so  mächtige  Wirkungen  ausübt,  in 

düng  d  Hypo-  therapeutischer  Hinsicht  nicht  ungenützt  bleiben  konnte,  liegt  auf 
physins.  der  Hand,  umsomehr,  als  sich  die  Hypophysinwirkimg  von  der- 
jenigen des  Suprarenins  durch  die  viel  längere  Dauer  derselben  vor- 
teilhaft unterscheidet.  Auch  liegen  bereits  einige  Angaben  darüber 
vor,  daß  das  Hypophysin  bei  Kollapszuständen  diu'ch  seine 
blutdrucksteigernde  Wirkung  geradezu  lebensrettend  wirken 
kann;  daß  es  als  wehenerregendes  Mittel  brauchbar  ist  und 
in  der  Austreibungsperiode  geradezu  einen  Wehensturm  hervor- 


i)  L.  V.  Frankl  -  Hochwart  und  A.  Fröhlich  (PharmakoL   Inst. 
Wien),  Arch.  f.  exper.  Pathol.  68,  347  (1910). 

2)  G.  Bayer  und  L.   Peter  (Inst.  f.  experim.  Pathol.   Innsbruck), 
Arch.  f.  exper.   Pathol.  64,  204  (1911). 

3)  H.  H.  Dale,  Biochemical  Joum.  4,  427  (1909). 


Die  Hypophyse.  491 


zurufen  vermag;  daß  es  endlich  in  Fällen  von  intestinaler 
Parese  die  Peristaltik  auszulösen  imstande  ist^). 

Die  vorliegenden  Erfahrungen  sind  noch  zu  wenig  zahlreich, 
um  ein  abschließendes  Urteil  zu  gestatten,  doch  habe  ich  den 
Eindruck,  daß  es  sich  hier  um  eine  wertvolle  Bereicherung  des 
Arzneischatzes  handelt.  Alle  Chirurgen  kennen  und  fürchten 
jene  unerklärlichen  Darmlähmungen,  welche  so  oft  die  Erfolge 
der  »glücklichsten«  Bauchoperationen  hinterher  zunichte  machen. 
Als  welche  Wohltat  würden  sie  es  wohl  empfinden,  wenn  ein  der 
Natur  abgelauschtes  Geheimnis  ihnen  die  Macht  in  die  Hand 
gäbe,  die  gegen  alle  Reize  unempfindüch  gewordenen  nervösen 
Apparate  des  Darmes  zu  neuer  Tätigkeit  anzupeitschen!  Ich 
fürchte  fast,  der  Erfolg  wäre  zu  schön,  um  wahr  zu  sein. 

Auch  als  gynäkologisches  Blutstillungsmittel  scheint  das 
Hjrpophysin  recht  brauchbar  zu  sein  und  eine  Zukunft  zu  haben. 
Foges,  Hofstäiter^)  und  Bah^)  erzielten  auf  der  Wertheimschen 
Klinik  in  Wien  bei  Blutungen  nach  Endometritis,  entzündlichen 
Adnexerkrankungen,  Myomen  und  Ovarialcysten  überraschende 
Erfolge. 

Eine  sowohl  in  ph3^iologischer  als  auch  in  therapeutischer  Diuretische 
Hinsicht  recht  interessante  Seite  des  H3^ophysenproblems  ist  ^^Jj^phvsfiw 
die  diuretische  Wirkung  der  Extrakte,  welche  zuerst  von 
Magnus  und  Schäfer^)  beobachtet  worden  ist.  Asher  bezeichnet 
den  Hypophj^enextrakt  als  das  wirksamste  aller  Diuretica,  in- 
sofern seine  Wirkung  selbst  dann  noch  zur  Geltung  kommt,  wenn 
infolge  sehr  niedrigen  Blutdruckes  alle  anderen  Diuretica  bereits 
versagen.  Die  Diurese  geht  mit  einer  Erweiterung  der  Nieren- 
gefäße einher.  Das  H3T>ophysin  verhält  sich  nach  Pal^)  in  bezug 
auf  die  letzteren  umgekehrt  wie  das  Suprarenin,  welches  die 
Coronararterien  erweitert,  die  Nierengefäße  ebenso  wie  andere 


i)  J.  Hofbauer,  Zentralbl.  f.  Gynäkol.  1911,  Nr.  4.  Blair  Bell, 
Brit.  med.  Joum.  19#9»  1609. 

2)  A.  Foges  und  R.  Hofstätter,  Zentralbl.  f.  Gynäkol.  191#,  1500. 

3 )  H.  B a b  ( Klinik We r t h  e  i  m ,  Wien ),  Münchener  med. Wochenschr.  1911, 
Nr.  29,  vgl.  auch:  B.  Hofstätter,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1911,  998. 
R.  Stern  (Breslau),  Berliner  klin.  Wochenschr.  1911,  Nr.  32,   1459. 

4)  Magnus  und  Schäfer,  Joum.  of  Physiol.  27,  IX  (1901/02). 

5)  J.  Pal,  Wiener  med.  Wochenschr.  1999,  138. 


492  XXI.  Vorlesung. 


Gefäße  dagegen  zur  Kontraktion  bringt;  das  Hypophysin  da- 
gegen  erweitert   die   Nierengefäße  und   verengert   die   Coronar- 
arterien^).     Auch  eine  Steigerung  der  Milchsekretion  ist 
im  Anschlüsse  an  eine  intravenöse   Injektion  von  Hypoph5^in 
beobachtet  worden  2). 
Natur  u.  phys.        Über   die  Natur   der  wirksamen  Substanz  ist  wenig 
whisamen^'^  bekannt;  man  weiß,  daß  dieselbe  thermostabil,  dialysierbar,  in 
Substanz.      Wasser  löslich,    in  Alkohol   und  Äther    dagegen    unlöslich   ist. 
Aldfich  will  aus  dem  nach  Uranylacetatfällung  von  H)T)ophysen- 
extrakten    erhaltenen  Filtrate    ein    wirksames   Pikrat   und   aus 
diesem  ein  wirksames  Sulfat  erhalten  haben;  doch  ist  weiteres 
darüber  nicht  bekannt  geworden*). 

Man  hat  vielfach,  angesichts  der  physiologischen  Wirksamkeit 
des  blutdrucksteigernden  Bestandteiles,  dasselbe  ohne  weiteres 
als  das  *  innere  Sekret«  der  Hypophyse  bezeichnet  und  kompli- 
zierte  Theorien  über  die  Bedeutung  desselben  für  die  Regelung 
des  Blutdruckes  und  des  Kohlehydratstoffwechsels  aufgebaut. 
Es  muß  demgegenüber  betont  werden,  daß  alles  dieses  nichts  weiter 
als  gänzlich  unbewiesene  Hypothesen  sind.  Ich  muß  hier  wieder- 
um den  selbstverständlichen  Satz  wiederholen,  daß  aus  dem  Um- 
stände, daß  ein  Organextrakt  irgend  eine  auffallende  Wirkung 
besitzt,  noch  lange  nicht  hervorgeht,  daß  der  betreffende  Bestand- 
teil durch  innere  Sekretion  in  die  Blutbahn  übergeht  und  darin 
wichtige  physiologische  Funktionen  ausübt.  An  der  Lebenswich- 
tigkeit des  »Hypophysins «  zu  zweifeln,  sind  wir  vorderhand  um 
so  mehr  berechtigt,  als  dasselbe  ja  nicht  aus  dem  drüsigen  Vorder- 
lappen, sondern  aus  dem  nervösen  Anteile  der  Hypoph)^e  ge- 
wonnen wird,  dessen  Ausschaltung  physiologisch  anscheinend 
ziemlich  belanglos  ist.  Auch  die  neuerdings  mehrfach  diskutierte 
Annahme,  das  Hypophysin  stamme  weder  aus  dem  glandulären 
Teile  der  H3T>ophyse  noch  aus  der  Neurohypophyse,  sondern  aus 

i)  Vgl.  Hougthon  and  Merril,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  1M8,  1849. 
W.  D.  Halliburton,  J.  P.  Candler  and  A.  W.  Sikes,  Quart.  Journ. 
of  experim.  Physiol.  2,  229  (1909).  J.  Ott,  Internal  Secretions.  E.  D. 
Vogel,  Easton  p.  52 — 56  (1910). 

2)  J.  Ott  and  J.  C.  Scott,  Proc.  of  the  Soc.  for  Exper.  Biol.  and  Med.  8, 
48  (1910). 

3)  Aldrich,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  21,  Proceedings  XXIII.  (1908). 


Die  Hypophyse.  493 


drOse. 


einer  intermediären,  zwischen  beiden  Lappen  gelegenen  Zelkchicht, 
schafft  die  sich  hier  ergebenden  Bedenken  nicht  aus  der  Welt.  — 
Ich  bin  ferne  davon,  den  heuristischen  Wert  von  H5T)othesen 
im  allgemeinen  zu  bezweifeln  und  weiß  sehr  wohl,  daß  oftmals 
die  Ahnung  der  Wahrheit  der  Erkenntnis  derselben  um  weite 
Strecken  voraneilen  muß ;  aber :  —  est  modus  in  rebus ! 

Anhangsweise  möchte  ich  einige  Worte  über  ein  Organ  hinzu-  Die  zirbei- 
fügen,  welches  in  neuester  Zeit  vielfach  den  Drüsen  mit  innerer 
Sekretion  zugerechnet  worden  ist:  ich  meine  die  Zirbeldrüse*) 
(Glandula  pinealis).  Dieses  kleine,  frei  über  der  Decke  des  Mittel- 
himes  zwischen  dem  vorderen  Vierhügelpaare  schwebende  Organ 
verdankt  es  wohl  in  erster  Linie  seiner  auffallenden  morpho- 
logischen Gestaltung,  daß  demselben  von  alters  her  eine  besondere 
Wichtigkeit  zugemutet  worden  ist  und  daß  manche  Philosophen, 
ja  sogar  der  große  Descartes,  ihm  die  Ehre  erwiesen  haben,  den 
Sitz  der  Seele  in  dasselbe  zu  verlegen.  Die  Zirbeldrüse,  deren 
Histologie  in  neuerer  Zeit  wiederholt,  insbesondere  durch  0.  Mar- 
burgs genau  studiert  worden  ist,  besteht  aus  einer  Anhäufung  von 
unregelmäßigen,  durch  Bindegewebszüge  getrennten  Zellnestem, 
und  zwar  wird  den  Zellen  der  Charakter  von  Drüsenzellen 
zugeschrieben,  v,  Cyon^)  beobachtete  bei  Reizung  der  frei- 
gelegten Zirbeldrüse  eine  durch  eingelagerte  Muskelfasern  bedingte 
Zusammenziehung  des  Organes.  Die  Annahme  dieses  Autors, 
daß  die  Verschiebung  der  Zirbeldrüse  die  Strömung  der  Cerebro- 
Spinalflüssigkeit  im  dritten  Ventrikel  beherrscht  und  daß  diesem 
Organe,  mit  der  Hypophyse  und  der  Schilddrüse  zusammen,  eine 
Regulierung  des  Hirndruckes  obliegt,  ist  durchaus  hypo- 
thetischer Natur.  Die  Vorstellung,  daß  der  Zirbeldrüse  ein  regu- 
lierender Einfluß  auf  gewisse  Wachstums-  und  Stoffwechsel- 
vorgänge zukomme,  basiert  auf  einer  Reihe  von  pathologischen 
Beobachtungen  über  isolierte  Zerstörung  dieses  Organes  durch 
Geschwülste.  In  einer  Anzahl  solcher  Fälle  wurde  eine  abnorme 
Fettentwicklung  vorgefunden,  daher  man  der  (vorhin  erör- 

i)  Vgl.  E.  A.  Schäfer,  Die  Funktionen  des  Gehimanhanges.    Berlin 
1911. 

2)  Literatur:    O.  Marburg,  Arb.  a.  d.  neurol.  Inst,  in  Wien   1909, 
XVII.     A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  321 — 325  (1910). 

3)  E.  V.  Cyon,  Pflügers  Arch.  98,  327  (1903). 


494  XXI.  Vorlesung. 


terten)  h3T>ophysären  Fettsucht  eine  pineale  Adiposität  an  die 
Seite  gestellt  hat.  Recht  merkwürdig  sind  Beobachtungen,  denen 
zufolge  eine  Zirbeldrüsengeschwulst  bei  jugendlichen  Individuen 
mit  Symptomen  einer  ungewöhnlichen  körperlichen  und  gei- 
stigen Frühreife^)  einhergehen  kann.  Die  ersteren  betreffen 
das  Längenwachstum,  den  Haarwuchs  und  eine  prämature 
Geschlechtsentwicklung  usw.  Es  macht  also  wirklich  den  Ein- 
druck, als  ob  irgend  ein  Geheimnis  sich  in  diesem  kleinen  Organe 
verbergen  würde,  auch  nachdem  wir  die  Hoffnung  endgültig  auf- 
gegeben haben,  durch  noch  so  eifriges  Suchen  in  der  Tiefe  des- 
selben die  Seele  dingfest  machen  zu  können.  Von  Biedl^)  aus- 
geführte Exstirpationsversuche  ergaben,  daß  die  Ausschal- 
tung der  Zirbeldrüse  für  ausgewachsene  Tiere  ohne  Bedeutung 
ist;  er  stellt  jedoch  noch  weitere  Versuche  an  wachsenden  Indi- 
viduen in  Aussicht.  Bei  intravenöser  Injektion  von  Zirbeldrüsen- 
extrakten haben  Dixon  und  Halliburton^)  jede  charakteristische 
Wirkung  auf  die  Zirkulation,  Atmung,  Darmbewegung  und  Harn- 
sekretion vermißt. 

i)  L.  V.  Frankl -Hochwart,  Deutsche  Zeitschr.  f.  Nervenheilk.  87, 
455  (1909),  vgl.  dort  die  Literatur. 

2)  1.  c.  S.  325. 

3)  W.  Dixon  und  W.  D.  Halliburton,  Quart.  Journ.  of  experim. 
Physiol.  2,  283  (1909). 


XXIL  Vorlesung. 

Milz,  Thymus  und  Knochenmark. 

Ich  möchte  diese  Vorlesung  dazu  benutzen,  um  Ihnen  dar-  Milz. 
über  zu  berichten,  wie  sich  die  Biochemie  heute  zu  der  physio- 
logischen Rolle  und  Bedeutung  jener  Organe  stellt,  die  meist 
unter  dem  Sammelbegriffe  der  »lymphoiden  Organe«  zu- 
sammengefaßt werden.  Ich  bitte  Sie,  sich  lieber  keine  Gedanken 
darüber  machen  zu  wollen,  welche  logische  Zusammenhänge  uns 
gerade  von  der  Hypophyse  zu  diesen  Organen  hinüberleiten; 
denn  ich  muß  befürchten,  eine  eingehendere  Analyse  würde 
nur  das  eine  Gemeinsame  ergeben,  daß  wir  über  alle  diese  Organe 
»nicht  viel  Rechtes  wissen«.  Auch  die  dickleibigsten  Folianten 
können  uns  eben  leider  über  die  Tatsache  nicht  hinwegtäuschen, 
daß  auf  vielen  Gebieten  der  biochemischen  Wissenschaft  unsere 
Kenntnisse  nur  ziemlich  zusammenhangloses  Stückwerk  sind. 

Daß  man  mit  einem  so  voluminösen  Organe,  wie  es  die  Milz  ist,  Beziehung  d. 
nur  gar  so  wenig  anzufangen  weiß,  ist  eine  Tatsache,  welche  die  ^'^IfMun^^"* 
Physiologen  von  jeher  schwer  betrübt  hat  und  auch  heute  noch 
betrübt.  Den  weitesten  Raum  unter  den  vielfachen  Bemühungen, 
der  Milz  eine  bestimmte  physiologische  Stellung  zuzuweisen, 
nehmen  zweifellos  die  zahlreichen  Studien  über  die  Bedeutung 
derselben  für  die  Bildung  und  Zerstörung  der  Blut- 
körperchen ein^).     Das  Resultat  derselben  läßt  sich,  soweit 

i)  Literatur  über  die  Beziehungen  der  Milz  zur  Bildung  und  Zerstörung 
der  Blutkörperchen:  J.  Seemann,  Ergebn.  d.  Physiol.  8,  I,  30 — 39  (1904). 
X>'  Gerhardt,  Referat  über  die  Entstehung  und  Behandlung  der  sekun- 
dären Anämien.   Verh.  d.  XXVII.  Kongr.  f.  innere  Med.,  Wiesbaden  19 10, 

109—135- 


496  XXII.  Vorlesung. 


ich  dieselben  überblicke,  vielleicht  etwa  folgendermaßen  zu- 
sammenfassen : 

Es  kann  nicht  wohl  bezweifelt  werden,  daß  in  der  Milz  von  einer 
bestimmten  Periode  des  embryonalen  Lebens  an  rote  Blut- 
körperchen gebildet  werden;  doch  ist  die  Milz  sicherlich  nicht 
die  einzige  Stätte  dieser  Bildung.  Sehr  zahlreiche  Versuche  haben 
ergeben,  daß  die  Exstirpation  der  Milz  meist  gut  vertragen 
wird.  Manche  Beobachter  sahen  diesen  Eingriff,  wenn  auch  erst 
nach  Monaten,  von  einer  erheblichen  Abnahme  der  Erythrocyten- 
zah]  und  des  Hämoglobingehaltes  gefolgt,  während  andere 
Untersucher  jeden  derartigen  Einfluß  der  Operation  leugneten. 
Während  z.  B.  der  russische  Physiologe  Laudenbach^)  ein  Versagen 
der  natürlichen  Kompensationseinrichtungen  daran  erkannte, 
daß  sich  bei  einem  entmilzten  Tiere,  das  diurch  wiederholte  Ader- 
lässe anämisch  geworden  war,  die  Regeneration  der  roten  Blut- 
körperchen langsamer  vollzog  als  beim  normalen  Individuum, 
behauptet  Noel  Paton^),  daß  größere  Blutverluste  von  milzlosen 
Tieren  ebensogut  und  ebensoschnell  repariert  werden  wie  in 
der  Norm  usw.  Ich  möchte  glauben,  daß  alle  diese  Widersprüche 
darauf  hindeuten,  daß  die  Natur  in  bezug  auf  die  Blutbildung 
in  der  Milz  ziemlich  gut  für  Kompensationseinrichtungen 
gesorgt  hat,  für  welche  in  erster  Linie  das  Knochenmark  in  Be- 
tracht kommen  dürfte.  Von  dem  melir  oder  minder  prompten 
Funktionieren  dieser  Kompensationseinrichtungen  dürfte  es  eben 
abhängen,  ob  die  Milzexstirpation  von  Folgeerscheinungen  gefolgt 
ist  oder  nicht.  Nach  Asher^)  führt  die  Entmilzung  von  Tieren 
übrigens  dann  mit  Sicherheit  zu  einer  Verminderung  der  Blut- 
körperchenzahl, wenn  sie  eisenarm  ernährt  werden. 

Neuere  Untersuchungen  aus  der  Klinik  von  Friedrich  Müller 
haben  nach  Behandlung  von  Tieren  mit  hämolysierenden 
Giften  (wie  Phenylhydrazin  und  Pyrogallol)  Befunde  ergeben, 
die  mit  denjenigen  bei  perniziösen  menschlichen  Anämien 
eine  unverkennbare  ÄhnUchkeit  aufweisen  und  in  lymphoider 
Umwandlung  des  Knochenmarkes,  myeloider  Umwandlung  der 

1)  J.  Laudenbach,  Zentralbl.  f.   Physiol.   9,   i   (1895). 

2)  D.  N.  Paton,  G.  L.  Gulland  and  J.  S.  Fowler  (Edinburgh), 
Joum.  of  Physiol.  28,  83  (1902). 

3)  L.  Asher,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1911,  Nr.  27. 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  497 


Milz,  sowie  in  dem  Auftreten  von  Knochenmarkselementen  in 
der  Leber  bestehen^).  Gegenüber  der  Behauptung,  daß  es  ge- 
lingen soll,  durch  isolierte  Röntgenbestrahlung  der  Milz  einen 
leukämischen  Blutbefund  zu  erzielen,  wurde  gezeigt,  daß 
gleiches  auch  durch  Bestrahlung  eines  entmilzten  Tieres  erzielt 
werden  kann*). 

Die  Reaktion  der  blutbildenden  Organe  bei  Anämien  scheint 
übrigens,  je  nach  der  Natur  der  letzteren,  verschieden  zu  sein;  sie 
vollzieht  sich  (nach  den  Untersuchungen  von  Morawitz  und  seinen 
Mitarbeitern)  bei  Giftanämien  in  anderer  Weise  als  bei  Ader- 
laßanämien. So  beobachteten  Isaak  und  Moeckel  bei  Tieren,  denen 
sie  täglich  kleine  Dosen  von  Sapotoxin  (einem  aus  der  QuiUaja- 
rinde  dargestellten  Gifte)  beigebracht  hatten,  eine  so  hochgradige 
myeloide  Umwandlung  der  Milz,  daß  dieselbe  schon  nach  14  Tagen 
um  das  Fünffache  ihrer  ursprünglichen  Größe  angewachsen  sein 
konnte  und  völlig  einer  leukämischen  Milz  glich.  Diese  Befunde 
sind  in  der  Weise  gedeutet  worden,  daß  die  Wirkung  des  Sapotoxins 
auf  die  hämatopoetischen  Organe  nur  deshalb  eine  so  eklatante  ist, 
weil  es  sich  hier  um  ein  Gewebe  handelt,  das  stark  auf  Wachstums- 
reize reagiert.  Die  wachstumsbefördernde  Wirkung  des  genannten 
Giftes  ist  aber  von  Jacques  Loch  erkannt  worden,  der  dasselbe  be- 
fähigt fand,  die  Membranbildung  und  embryonale  Ent- 
wickelung  von  Sceigeleiern  anzuregen;  wahrscheinlich  sind 
die  beiden  anscheinend  so  entgegengesetzten  Wirkungen  der  Sapo- 
ninsubs tanzen,  die  zeilauflösende  und  wachstumsanregende,  nur 
graduell  verschiedene  Folgen  ihres  Vermögens,  die  ZelUipoide  zu 
verändern^). 

Neben  der  blutbildenden  ist  der  Milz  von  jeher  auch  eine  blut-   Hämolytische 
zerstörende  Funktion  zugeschrieben  worden.     Die  Annahme  ^""^*J?^"    ^^^ 
einer  solchen  beruht  vor  allem  auf  dem  Nachweise  des  Vorkommens 
spezifischer  eisenhaltiger  Zellen  und  auf  dem  hohen  Eisenreich- 
tum der  Milz,  der  nach  massenhaftem  Zerfalle  roter  Blutkörper- 


i)  A.   V.  Domarus    (Klinik    Fr.  Müller,    München),    Arch.   f.  exper. 
Pathol.  58,  319  (1908). 

2)  G.    B.    Gruber    (Klinik    Fr.  Müller,    München),    Arch.   f.   exper. 
Pathol.  58,  289  (1908). 

3)  S.  Isaak  und  K.  Moeckel  (Wiesbaden),  27.  Kongr.  f.  innere  Med. 
1910  und  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  72,  3/4. 

V.  Fürth,  Probleme.  ß2 


498  XXII.  Vorlesung. 


chen  (wie  er  z.  B.  nach  Injektion  von  Blut  in  die  Peritonealhöhle 
oder  in  das  subkutane  Bindegewebe  erfolgt)  erheblich  ansteigt. 
Bekanntlich  bildet  der  Blutfarbstoff  die  natürliche  Quelle  für 
den  Gallenfarbstoff;  es  besteht  nun  die  Möglichkeit,  daß  unter 
normalen  Verhältnissen  sich  der  Abbau  des  Blutfarbstoffes  vom 
Hämoglobin  zum  Bilirubin  nicht  erst  in  der  Leber  vollzieht,  daß 
der  letzteren  vielmehr  bereits  das  eisenfreie  Bruchstück  des  Hämo- 
globinmoleküles  zugeführt  wird,  während  das  Eisen  in  der  Milz 
zurückbleibt.  Beobachtungen,  denen  zufolge  entmilzte  Hunde 
eine  farbstoffärmere  Galle  produzieren  und  auf  Blutkörperchen- 
zerfall nicht  so  stark  mit  vermehrter  Gallenfarbstoffbildung  rea- 
gieren sollen  wie  normale  Tiere  ^),  scheinen  den  Gedanken  an  einen 
Zusammenhang  zwischen  Milz-  und  Leberfunktion  nahezulegen, 
spienomega-  Im  Zusammenhange  mit  dem  Gesagten  bieten  einige  neuere 

t^her  Uterus'  ^^i^ische Beobachtungen  über  »splenomegalischenlcterus«*) 
sowie  über  die  sogenannte  »Bantische  Krankheit «  und  die  Hei- 
lung derselben  durch  Splenektomie  ein  besonderes  physiologisches 
Interesse.  Derartige  Beobachtungen  sprechen  zugunsten  der 
Hypothese  Minkowskis,  der  (im  Gegensatze  zu  den  Anschauungen 
Widals  über  die  primäre  Bedeutung  hämolytischer  Gifte)  das 
Krankheitsbild  des  hämolytischen  Icterus  auf  eine  Funktions- 
störung der  Milz  zurückführen  wollte.  So  handelt  es  sich  z.  B. 
bei  dem  kürzlich  mitgeteilten  Falle  von  Micheli  um  einen  Mann, 
bei  dem  sich  (bei  vollständigem  Mangel  jedweder  gastrointesti- 
naler  Störungen)  Icterus,  ein  Lebertumor  und  eine  große  Milz- 
schwellung herausgebildet  hatte.  Unter  leichten  Fieberbewegun- 
gen stellten  sich  Perioden  einer  Zunahme  von  Anämie  und  Icterus 
ein.  Nach  dreijähriger  Dauer  der  Erkrankung  wurde  angesichts 
der  fortschreitenden  Anämie  zur  Splenektomie  geschritten.  Nun 
verschwand  binnen  wenigen  Tagen  die  icterische  Färbung  der 
Haut  und  der  Bindehäute,  die  Leberschwellung  sowie  der  bis 


i)  Banti,  Gaz.  degli  ospedali  16  (1895)  (zit.  Jovannovics  s.  u.). 
A.  Pugliese,  Arch.  f.  (An.  u.)  Physiol.  18W,  70.  G.  Joannovics^ 
Zeitschr.  f.  Heilk.  25,  27  (1904). 

2)  G.  Banti  (Florenz),  Zieglers  Beitr.  24,  (21)  1898  und  Rivista  critica 
di  Clinica  medica  191 1,  Nr.  12.  F.  Umber,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  55,  289» 
(1904),  vgl.  dort  die  Literatur.  Micheli  (Med.  Klin.  Turin),  Wiener  klin. 
Wochenschrift  1911,   1269. 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  499 


dahin  außerordentlich  hohe  Urobilingehatt  des  Harnes,  die  Zahl 
der  roten  Blutkörperchen  stieg  mit  einem  Sprunge  von  1,800.000 
auf  4,000.000,  und  nach  wenigen  Wochen  konnte  der  Mann  bei 
bestem  Wohlsein  aus  der  Khnik  entlassen  werden.  Es  scheint 
mir,  daß  dieser  Fall  kaum  anders  gedeutet  werden  kann,  als 
daß  es  sich  um  einen  abnormen  Zerstörungsprozeß  der  roten  Blut- 
körperchen gehandelt  hat,  der  durch  eine  schwere  Funktions- 
störung der  Milz  verursacht  war. 

Beobachtungen  Leon  Ashers^)  und  seiner  Mitarbeiter  deuten  Die  müz  als 
auf  die  Tatsache  hin,  daß  die  Milz  ein  Organ  des  Eisenstoff-  ^^^"stoff- 
wechsels  ist,  welches  dazu  dient,  im  Stoffwechsel  freiwerdendes  wechseis. 
Eisen  dem  Organismus  zu  erhalten,  und  zwar  handelt  es  sich 
dabei  nicht  etwa  nur  um  das  Eisen,  welches  beim  Zerfalle  der 
roten  Blutkörperchen  verfügbar  wird,  sondern  auch  um  den 
Zerfall  anderweitigen  eisenhaltigen  Körpermateriales.  Man- 
gelhafte Ernährung  bewirkt  einen  Zerfall  von  Körpersubstanz, 
der,  wie  Harn-  und  Kotanalysen  ergeben  haben,  eine  erhebliche 
Steigerung  der  Eisenausscheidung  zur  Folge  hat.  Aus  dem  Um- 
stände, daß  diese  Steigerung  beim  entmilzten  Tiere  aber  unver- 
gleichhch  größer  ist  als  beim  normalen,  wird  nun  gefolgert,  daß 
die  Milz  einen  Teil  des  beim  Zerfalle  von  Körpersubstanz  mobili- 
sierten Eisens  zurückhält  und  verarbeitet.  Versuche,  die  an  der 
Garreschen  Khnik  an  einem  Menschen  ausgeführt  worden  sind  2), 
dem  wegen  Milzruptur  dieses  Organ  entfernt  worden  war,  weisen 
darauf  hin,  daß  Mensch  und  Tier  sich  in  bezug  auf  diesen  Punkt 
ganz  gleich  verhalten.  Die  leukämische  Milz  soll  Eisen  in 
erhöhtem  Maße  zurückhalten;  Röntgenbehandlung  bewirkt 
sowohl  beim  Gesunden  als  auch  beim  Leukämischen  eine  erheb- 
liche Steigerung  der  Eisenausscheidung. 

Der  hohe  Eisengehalt  der  Milz  darf  übrigens  nicht  ohne 
weiteres  als  ein  vollgültiger  Beweis  dafür  angesehen  werden,  daß 
dieses  Organ  bei  der  Zerstörung  roter  Blutkörperchen  beteiügt 
ist.    Denn  wir  wissen,  daß  die  Milz  ihrer  Natur  nach  dazu  geeignet 


i)  L.  Asher  und  H.  Großenbacher,  Zentralbl.  f.  Physiol.  22,  375 
(1908)  und  Biochem.  Z.  17,  78  (1909).  L-  Asher,  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1911,  27. 

2)  R.  Bayer,  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  21,  35  (1910); 
22,  III,  532  (1911). 

32* 


500 


XXII.  Vorlesung. 


Milztrans- 
plantation. 


Fermente. 


ist,  die  verschiedensten  im  Blute  zirkulierenden  Schlacken- 
stoffe abzufangen  und  in  ihrem  Parenchyme  anzuhäufen.  Es 
hängt  dies  sicherlich  auch  mit  der  wichtigen  Rolle  zusammen, 
welche  der  Milz  bei  der  Bekämpfung  und  Unschädlichmachung  in 
die  Blutbahn  eingedrungener  Infektionserreger  zukommt.  Man 
weiß,  daß  die  Milz  bei  Infektionen  zahlreiche  Leukocyten  in  die 
Blutbahn  ausschickt.  Auch  hat  das  Auftreten  einer  Milzschwel- 
lung bei  zahlreichen  Infektionskrankheiten  schon  vor  langer 
Zeit  die  Aufmerksamkeit  der  Pathologen  auf  die  Bedeutimg  der 
Milz  gelenkt^),  ohne  daß  man  aber  bis  heute  in  dieser  Hinsicht 
zu  einem  klaren  Einblicke  gelangt  wäre.  Vielleicht  eröffnet  die 
Methode  der  Milztransplantation  einen  Weg,  um  hier  um 
ein  Stück  weiter  zu  kommen.  So  hat  Lüdke^)  nach  dem  Vorgange 
des  Chinu"gen  Payr  Milzstücke  in  die  Milz  eines  anderen  artgleichen 
oder  artfremden  Tieres  transplantiert.  Bei  dem  Wirtstiere 
stellte  sich  anschheßend  daran  eine  mehrere  Wochen  währende 
Vermehrung  der  weißen  Blutzellen  ein.  Hatte  die  transplantierte 
Milz  einem  Tiere  angehört,  dessen  Serum  z.  B.  auf  immunisa- 
torischem Wege  mit  Typhusagglutininen  angereichert  worden 
war,  so  soll  im  Organismus  des  Wirtstieres  eine  aktive  Ver- 
mehrung der  Immunkörper  stattgefunden  haben.  Auf  das  patho- 
logische Interesse  derartiger  Beobachtungen  braucht  wohl  nicht 
erst  besonders  hingewiesen  zu  werden. 

Man  hat  sich  auch  vielfach  bemüht,  die  Rolle,  welche  der 
Milz  im  Stoffwechsel  zukommt,  durch  das  Studium  der  in  ihr 
enthaltenen  Fermente  aufzuklären.  Man  hat  in  der  Milz  so 
ziemlich  alle  jene  Fermentarten  aufgefunden,  die  man  auch 
in  anderen  Organen  zu  finden  pflegt:  man  hat  eiweiß-,  kohle- 
hydrat-  und  fettspaltende  Fermente  neben  esterspaltenden  und 
oxydativen  angetroffen.  Besonderes  Interesse  aber  hat  man  jenen 
Fermenten  zugewandt,  welche  die  Nukleine  der  Milzzellen  abzu- 
bauen, das  darin  enthaltene  Guanin  und  Adenin  zu  desami- 
dicren  und  das  dabei  auftretende  Xanthin  und  Hypoxanthin 


i)  Vgl.  L.  Blumreich  und  M.  Jacoby  (Klinik  Gerhardt,  Berlin)» 
Zeitschr.  f.  Hygiene  29,  419  (1898).  G.  Jawein,  Virchows  Arch.  161,  461 
(1900).  A.  B.  Luckhardt  und  F.  C.  Becht,  Amer.  Joum.  of  Physiol. 
28,  248  (1911),  vgl.  dort  die  Literatur. 

2)  H.  Lüdke,   Münchner  med.   Wochenschr.  1909,  1469,  1538. 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  501 


ZU  Harnsäure  zu  oxydieren  vermögen.  Ich  werde  später  bei 
Behandlung  des  Purinstoffwechsels  Gelegenheit  haben,  auf  diesen 
Gegenstand  näher  einzugehen*). 

Man  hat  sich  auch  von  anderer  Seite  her  bemüht,  die  Milz  Schiff-Herzen- 

sehe  Ld' 

ZU  Vorgängen  des  Stoffwechsels  in  unmittelbare  Beziehung  zu  dungstheone. 
bringen.  Ich  meine  jene  H5T)othese,  welche  der  berühmte  Physio- 
loge Schiff  in  den  sechziger  Jahren  aufgestellt  und  Herzen  lange  Zeit 
hindurch  verfochten  hat  und  welche  unter  dem  Namen  »Ladungs  - 
theorie«  zu  großer  Popularität  gelangt  ist.  Dieselbe  besagt, 
daß  das  Pankreas,  um  einen  verdauungstüchtigen  Saft  zu  be- 
reiten, dazu  einer  Mitwirkung  der  Milz  bedarf;  dieselbe  soll  darin 
bestehen,  daß  die  Milz  im  Stadium  der  Verdauungstätigkeit  ein 
inneres  Sekret  an  das  Blut  abgibt,  welches,  zum  Pankreas  ge- 
langend, eine  »Ladung«  desselben  mit  tryptischem  Fermente 
bewirkt.  Die  experimentellen  Grundlagen  dieser  Theorie  (die 
ich,  offen  gestanden,  ihres  etwas  gekünstelten  Aufbaues  und  ihres 
tintigen  Beigeschmackes  wegen  niemals  habe  recht  leiden  mögen) 
sind  etwa  die  folgenden:  Angeblich  wird  Pankreasinfus  in  bezug 
auf  seine  verdauende  Wirkung  durch  das  Milzinfus  eines  ver- 
dauenden, nicht  aber  eines  nüchternen  Hundes  stark  aktiviert, 
und  das  Venenblut,  welches  aus  einer  kongestionierten  Milz  ab- 
fließt, soll  eine  ähnHche  aktivierende  Wirkung  ausüben.  Diese 
Angaben  sind  von  verschiedenen  Seiten  her  teils  bestätigt,  teils 
energisch  bestritten  worden  2).  Insbesondere  aus  den  Arbeiten 
von  Prym  geht  hervor,  daß  das  meiste,  was  in  dieser  Hin- 
sicht beobachtet  worden  ist,  mit  einer  Umwandlung  von  Pro- 
trypsin  in  Trypsin  durch  Bakterienwirkung  zusammen- 
hängen dürfte.  Wie  schwierig  es  ist,  dergleichen  mit  Sicherheit 
auszuschließen,  weiß  ein  jeder,  der  jemals  das  zweifelhafte  Ver- 
gnügen gehabt  hat,  mit  Pankreasinfusen  Fermentversuche  an- 


i)  Literatur  über  Chemie  der  Milz:  H.  Gcrhartz,  Handb.  d.  Biochemie 
2,  II,  172—177  (1909). 

2)  J.  Gachet  et  V.  Pachon,  Arch.  de  Physiol.  S9,  363  (1898).  A. 
Levene  and  L.  B.  Stocke y,  Amer.  Joum.  of  Physiol.  12,  i  (1905).  L.  Po- 
pielski,  Wratsch.  2#,  726,  zit.  n.  Jahresber.  f.  Tierchemie  20,  353  (1899). 
H.  Welsch  (Lüttich),  Arch.  Internat,  de  Physiol.  7,  247  (1908),  zit. 
n.  Biochem.  Zentralbl.  8,  203.  O.  Prym  (Bonn),  Pflügers  Arch.  104, 
433  (1904);  1«7,  599  (1905). 


502  XXII.  Vorlesung. 


zustellen.  Wenn  ich  in  einer  späteren  Vorlesung  versuchen  werde, 
Sie  durch  das  Gestrüppe  von  Beobachtungen  über  Kinasen,  Zymo- 
gene  und  Profermente  des  Pankreas  zu  geleiten,  werden  Sie  sich 
davon  überzeugen,  wie  komplizierte  Faktoren  bei  der  Aktivierung 
des  Pankreasfermentes  mitspielen,  wie  z.  B.  bereits  eine  geringe 
Reaktionsänderung  hier  einen  großen  Ausschlag  bewirken  kann. 
Es  will  mir  scheinen,  daß  die  Vermengung  zweier  Organinfuse 
ein  viel  zu  roher  Versuch  ist,  als  daß  er,  angesichts  der  Unmenge 
von  Faktoren,  welche  hier  mitspielen,  die  Entscheidung  so  subtiler 
Fragen  herbeiführen  könnte.  Auch  glaube  ich,  daß  hier  viel  Zeit 
und  Arbeit  erspart  worden  wäre,  wenn  man  den  vergleichend- 
anatomischen Verhältnissen  mehr  Beachtung  geschenkt  hätte. 
Man  würde  sich  so  darüber  klar  geworden  sein,  daß  das  Verhältnis 
unmittelbarer  Nachbarschaft  und  zirkulatorischer  Verknüpfung 
von  Milz  und  Pankreas  keineswegs  für  alle  Tierformen  der  Wir- 
beltierreihe gilt.  Damit  wäre  aber  die  so  wirksame  Suggestion, 
als  ob  gerade  diese  beiden  Organe  notwendigerweise  in  bezug  auf 
ihre  Funktionen  unmittelbar  voneinander  abhängig  sein  müßten, 
in  Wegfall  geraten. 
Thymus.  Ein  Organ,  das  man  von  jeher  mit  der  Milz,  dem  Knochen- 

Entwickiungs-  marke  und  den  Lymphdrüsen  zu  einer  Gruppe  zu  vereinigen 
Stellung.  pflegte,  ist  die  Thymus.  Die  Stellung  derselben  hat  im  Laufe 
der  letzten  Jahre,  dank  den  Fortschritten  entwicklungsgeschicht- 
licher Forschung,  eine  weitgehende  Verschiebung  erfahren.  Die 
schlauchförmige  Thymusanlage  ist  durchaus  epithelialer  Natur; 
es  hat  sich  nun  aber  weiter  herausgestellt,  daß  die  Thymus 
nicht  nur  während  der  embryonalen  Entwicklung,  sondern  auch 
im  Verlaufe  des  späteren  Lebens  denCharakter  eines  drüsigen 
Organ  es  behält.  Die  vermeintlichen  Lymphocyten  in  ihrem 
Parenchyme  sind,  insoweit  sie  nicht  angeschwemmt  worden 
sind,  als  im  Jugendstadium  verbleibende  Epithelzellen  erkannt 
worden.  Nach  Stöhr  erscheint  die  alten  Auffassung  der  Thy- 
mus als  eines  »lymphoiden  Organes«  unhaltbar.  »Die  Thymus 
ist  ein  epitheliales  Organ  von  Anfang  bis  zu  Ende,  so  gut  wie 
etwa  eine  Speicheldrüse^).« 

i)  Literatur  über  die  entwicklungsgeschichtliche  Stellung  der  Thymus 
vgl.  A.  Harn  mar,  Anat.  Anz.  1905.  Ph.  Stöhr,  Sitzungsber.  d.  physioL 
Ges.  Würzburg,  Juni  1905  und  Anat.  Hefte  05,  1906. 


Mlz,  Thymus  und  Knochenmark. 


503 


Das  Thymusgewebe  ist  dadurch  ausgezeichnet,  daß  es  nach 
einer  kurzdauernden  Phase  der  Entwicklung,  die  beim  Menschen 
etwa  mit  dem  zweiten  Lebensjahre  beendigt  ist,  einer  Involution 
anheimfällt,  welche  etwa  zur  Zeit  der  Pubertät  ihren  Abschluß 
findet.  Eine  besondere  Labilität  desselben  offenbart  sich  in 
dem  Umstände,  daß  anscheinend  einige  wenige  Hungertage  ge- 
nügen können,  um  das  Gewicht  des  Organes  auf  die  Hälfte  zu  re- 
duzieren. Andererseits  ist  dasselbe  offenbar  auch  wiederum  mit  einer 
besonderen  Wachst  ums  tendenz  begabt,  derart,  daß  nach  par- 
tieller Exstirpation  eine  Regeneration  sich  zu  vollziehen  vermag. 

Die  chemische  Untersuchung  der  Thymus  hat  in  bezug  auf 
die  Eiweißzusammensetzung  derselben  besondere  Schwierig- 
keiten bereitet.  Das  von  Kossei  und  Lilienfeld  durch  Ausfällen 
der  Wasserextrakte  der  Drüse  mit  Essigsäure  dargestellte  Nukleo- 
histon  hat  sich  bei  weiteren  Untersuchungen  (an  denen  sich  ins- 
besondere Bang,  Malengreau,  Huiskamp  und  Goubau  beteiligt 
haben)  als  nicht  einheitlich  erwiesen;  in  Bezug  auf  die  che- 
mische Stellung  der  einzelnen  Komponenten  ist  noch  keine  völlige 
Übereinstimmung  erzielt  worden^).  Wird  eine  Lösung  von 
Nukleohiston  mit  Kochsalz  gesättigt,  so  fällt  Histon  aus,  während 
sich  Nukleinsäure  im  Filtrate  findet.  Bang^)  ist  daher  der 
Meinung,  daß  das  Nukleohiston  nicht  als  Nukleoproteid  im 
gewöhnlichen  Sinne,  vielmehr  als  nukleinsaures  Histon  aufgefaßt 
werden  müsse.  In  Bezug  auf  die  Natur  der  Histone  ist  Bang, 
ebenso  wie  andere  Autoren,  der  Ansicht,  daß  man  dieselben  mit 
den  Protaminen  zu  einer  gemeinsamen  Eiweißgruppe  zusammen- 
fassen kann.  Beides  sind  basische  Körper,  welche  durch  einen 
hohen  Gehalt  an  Hexonbasen  ausgezeichnet  sind,  von  Alkaloid- 
reagentien  bei  neutraler  Reaktion  gefällt  werden  und  mit  gewissen 
Eiweißkörpern  Niederschläge  geben. 

Was  nun  die  Physiologie  der  Thymus^)  betrifft,  haben 


Eiweiß- 
zusammen- 
setzung. 


i)  Literatur  über  Nukleoproteide  der  Thymus:  O.  Cohnheim,  Chemie 
der  Eiweißkörper,  3.  Aufl.  191 1.  Goubau  (Physiol.  Inst.  Gent),  Arch. 
internat.  de  Physiol.  8,  300  (1909),  zit.  n.  Biochem.  Zentralbl.  9,  803. 

2)  J.  Bang,  Hofmeisters  Beitr.  4,  1903;  5,   1904. 

3 )  Literatur  über  die  Physiologie  der  Thymus :  J.  A.  Hammar(  Upsala) , 
Pflügers  Arch.  116,  337  (1905).  A.  Biedl,  Innere  Sekretion,  106 — 119(1910). 
R.  Hirsch,  Handb.  d.  Biochemie  3,  I,  332 — ^^7  (1910). 


504 


XXII.  Vorlesung. 


Wirkung  von  Versuche  mit  der  Injektion  von  Thymusextrakten  wenig 
Thymusex-  Positives  zutage  gefördert.  R.  Popper^)  vermochte  im  Wiener 
physiologischen  Institute  zu  zeigen,  daß  die  tiefen  Blutdrucksen- 
kungen sowie  verschiedene  Anomalien  der  Herztätigkeit,  welche 
früheren  Beobachtern  bei  Injektion  von  Thymusextrakten  auf- 
gefallen waren,  durch  intravaskuläre  Gerinnungsvorgänge 
bedingt  sind,  wie  sie  ja  nach  intravenöser  Beibringung  von  Organ- 
extrakten so  leicht  eintreten.  Hebt  man  die  Gerinnbarkeit  des 
Blutes  durch  Blutegelextrakt  auf,  so  bleiben  alle  diese  imposanten 
Wirkungen  ganz  aus.  Eine  thermostabile,  alkohollösüche,  blut- 
druckemiedrigend  wirkende  Substanz  aus  Thymusextrakten  ist 
von  C.  Schwarz  gemeinsam  mit  R.  Lederet^)  als  Cholin  er- 
kannt worden.  Selbstverständlich  bieten  alle  diese  Dinge  für 
das  Wesen  der  physiologischen  Wirkung  der  Thymus  nicht  die 
mindeste  Erklärung. 

Systematische  Versuche  über  die  Exstirpation  der  Thymus 
sind  schon  vor  mehr  als  einem  halben  Jahrhunderte  von  Friedleben 
ausgeführt  worden.  Derselbe  hat  auch  bereits  die  am  meisten  cha- 
rakteristischen Folgen  dieses  Eingriffes,  nämlich  die  Wachstums- 
störungen des  Knochensystemes,  richtig  erkannt.  Später  sind 
derartige  Versuche  in  sehr  großer  Zahl  und  mit  recht  wider- 
sprechenden Resultaten  ausgeführt  worden.  Die  neuesten,  mit 
großer  Gründlichkeit  an  einem  umfangreichen  Tiermateriale 
durchgeführten  systematischen  Untersuchungen  sind  diejenigen 
von  Klose  und  Vogt  aus  dem  Frankfurter  neurologischen  Insti- 
tute-'). Bei  jungen  Hunden  entwickelte  sich  nach  Totalexstir- 
pation  der  Thymus  zunächst  ein  Stadium  der  Adiposität,  dem 
nach  einigen  Monaten  ein  Stadium  der  Kachexie  und  Idiotie 
nachfolgte;  dasselbe  führte  längstens  innerhalb  14  Monaten  zum 
Tode. 


Exstirpation 
der  Thymus. 


i)  R.  Popper  (Wiener  physiol.  Inst.),  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad., 
Math.-naturw.  Kl.  114,  539  (1905);  115,  201  (1906),  vgl.  auch  A.  Farini 
und  G.  Vidoni  (Padua),  Lo  Sperimentale  62,  Fase.  5/6  (1908). 

2)  C.  Schwarz  und  R.  Lederer,  Pflügers  Arch.  124  (1908). 

3)  Literatur:  H.  Klose  und  H.  Vogt,  Klinik  und  Biologie  der  Thymus- 
drüse. Tübingen  1910  (200 S.)  und  Beitr.  z.  klin.  Chir.  69,i  (1910).  H.  Klose, 
Arch.  f.  Kinderheilk.  55,   i   (1911). 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  505 


Wenn  man  nun  die  Folgeerscheinungen  der  Thymusausschal-    wachstums- 
tung  etwas  genauer  beobachtet,  ergeben  sich  als  weitaus  kon-     Störungen 

^         «  ^.     ,Tr       ,  t        r>^      1  "^ch  Thymus- 

stanteste  derselben  die  Wacnstumsstörungen  des  Skelettes,  ausschaitung. 
Dasselbe  bleibt  hypoplastisch;  die  Knochen  werden  atrophisch 
und  je  nach  der  Entwicklungsstufe  biegsam  oder  brüchig  i). 
H,  Basch^)  brachte  thymuslosen  Tieren  künstliche  Knochen- 
frakturen bei  und  fand  die  Kallusbildung  im  Vergleiche  zu  Kon- 
trolltieren wesentlich  verzögert.  Ranzt  und  Tändlet^)  (welche 
die  Thymektomie  bei  Hunden  nach  medianer  Spaltung  des 
Sternums  in  der  Sauerbruchschen  Kammer  vorgenommen  hatten, 
um  die  Bildung  eines  Pneumothorax  zu  vermeiden)  beobachteten 
auffallende  Weichheit  der  Knochen  und  Persistenz  der  Milch- 
zähne. Umgekehrt  wurde  nach  Thymusimplantation  ver- 
stärktes Längenwachstum  der  Röhrenknochen  durch  Röntgen- 
bilder festgestellt*).  Die  Natur  der  Knochenveränderungen  ist 
nicht  eindeutig;  während  Basch  keineswegs  geneigt  ist,  dieselbe 
als  rhachitische  anzuerkennen,  hält  Klose  dieselben  für  den 
Ausdruck  einer  gleichzeitig  bestehenden  Rhachitis,  Osteomalacie 
und  Osteoporose.  Auch  hat  die  Beobachtung  des  Kalkstoff- 
wechsels durchaus  widersprechende  Resultate  zutage  gefördert, 
insofern  nach  Basch  thymuslose  Tiere  (ceteris  paribus)  doppelt 
soviel  Kalk  ausscheiden  sollen  als  normale,  während  Sinn- 
huber ^)  jede  vermehrte  Kalkausscheidung  bei  solchen  ver- 
mißt hat. 

K.  Basch  fand  nach  Thymusexstirpation  bei  jungen  Hunden  Beziehung  der 
die  galvanische  Erregbarkeit  des  peripheren  Nerven-  Jhymus  zum 

.  ,  ,  -..     i»  1  ,    rt   Nervensystem. 

systemes  gesteigert;  er  hat  daraus  die  Folgerung  gezogen,  daß 
nicht  nur  das  System  der  Epithelkörperchen,  sondern  die  ganze 
Gruppe  der  »branchiogenen «  (aus  Ausstülpungen  der  Kiemen- 


i)  Vgl.  U.  Soli,  See.  ital.  di  Pathol.  Modena,  Sept.  1909,  zit.  n.  Bio- 
chem.  Zentralb].  9,  Nr.  2031.  M.  Lucien  et  Pari  so  t,  Arch.  m6d.  exp^rim. 
22,  98  (1910).  C.  Hart  und  O.  Nord  mann,  Berliner  klin.  Wochenschr. 
191«.  815. 

2)  K.  Basch,  Jahrb.  f.  Kindcrheilk.  04,   1906. 

3)  E.  Ranzi  und  J.  Tandler,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1999,  980. 

4)  A.  Sommer  und  A.  Flörken,  Sitzungsber.  d.  physioI.-med.Ges. 
Würzburg  1998,  45,  49. 

5)  Sinnhuber,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  54  (1904). 


5o6  XXII.  Vorlesung. 

laschen  sich  entwickelnden)  Organe  für  die  Ätiologie  der  Te- 
tanie des  Kindesalters  in  Betracht  kommen  dürfte  i).  Es  mag 
dies  immerhin  als  Anregung  für  weitere  Untersuchungen  gelten. 
Von  einem  wirklichen  Nachweise  eines  derartigen  Zusammenhanges 
ist  aber  selbstverständlich  keine  Rede*). 
Beziehungen  d.  Auffällige  Beziehungen  scheinen  zwischen  der  Thymus  und  den 
^K^imdrüs  n^"  Keimdrüsen  zu  bestehen.     Es  wird  übereinstimmend  angegeben, 

daß  die  Kastration  eine  langdauernde  Persistenz  der  Thymus 
zur  Folge  hat.  Während  die  Thymus  beim  Stiere  nach  fünf 
Jahren  verschwunden  ist,  wird  dieselbe  beim  Ochsen  noch  im 
vorgeschrittenen  Alter  vorgefunden;  auch  haben  Kapaune  eine 
viel  umfangreichere  Thymus  als  Hähne.  Umgekehrt  wird  die 
normale  Thymusinvolution  bei  unksistrierten  Rindern  durch 
sexuelle  Betätigung  anscheinend  erheblich  beschleunigt,  wie 
an  zu  Zuchtzwecken  benutzten  Stieren  und  an  tragenden  Kühen 
mit  Sorgfalt  festgestellt  worden  ist.  In  bezug  auf  die  Beein- 
flussung der  Keimdrüsen  durch  die  Thymusexstirpation 
lauten  die  Angaben  widersprechend;  es  scheint  aber,  daß  der 
Eingriff  in  der  Regel  eine  erhebliche  Hyperplasie  der  Keim- 
drüsen zur  Folge  hat,  (als  wenn  die  Thymus  demnach  einen 
hemmenden  Einfluß  auf  das  Wachstum  der  letzteren  ausüben 
könnte).  Es  macht  also  wirküch  den  Eindruck,  als  ob  die 
so  geheimnisvollen  Vorgänge  der  Pubertätsentwicklung  mit 
der  Involution  der  Thymus  irgend  etwas  zu  tun  hätten  3). 
Die  gleichzeitige  Abtragung  der  Thymus  und  der  Hoden  bei 
jungen  Meerschweinchen  soll  das  Wachstum  der  Tiere  erheblich 
hemmen*). 

i)  K.  Basch,  Jahrb.  f.   Kinderheilk.  68,  668  (1908). 

2)  Bemerkenswerterweise  finden  sich  (nach  Untersuchungen  aus  dem 
Weichsel  bäum  sehen  Institute)  in  der  Thymus  regelmäßig  accesso- 
rische  Epithelkörperchen,  die  nach  Exstirpation  der  Epithelkör- 
perchen  vicariirend  hypertrophieren.  [J.  Erdheim;  W.  Haberfeld  und 
P.  Schilder,   Mitt.   a.  d.  Grenzgebieten  d.  Med.  u.  Chir.  20,  727  (1909).] 

3)  A.  Calzolari,  Arch.  ital.  de  Biol.  30,  71  (1898).  D.  Noel  Paton» 
Joum.  of  Physiol.  32  (1904),  42,  267  (191 1).  U.  Soli,  Arch.  ital.  de  Biol. 
47,  15  (1907);  52,  353  (191 1).  J.  Henderson,  Journ.  of  Physiol.  31, 
222  (1904).  Godall»  Joum.  of  Physiol.  32,  191  (1905).  G.  Squadrini 
(Modena),   Pathologica  2,  28.    H.  Klose  und  H.  Vogt,  1.  c. 

4)  D.  N.  Paton,  1.  c. 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  507 


Im  Zusammenhange  mit  den  vorerwähnten  Anomalien  dürften    Status    thy- 
jene  rätselhaften  Befunde  stehen,  welche  gegenwärtig  unter  dem  m»co-iympha- 

ticus. 

Schlagworte  »Status  thymico  -  lymphaticus«  vielfach  er- 
örtert werden.  Man  hat  bei  plötzlichen  Todesfällen,  insbesondere 
im  Verlaufe  der  Chloroformnarkose,  sowie  auch  beim  Stimm- 
ritzenkrampfe  der  Kinder  bei  der  Sektion  vielfach  nichts  Auf- 
fälliges gefunden  außer  einer  Hyperplasie  des  lymphatischen 
Apparates  und  einer  Vergrößerung  der  Thymus.  Man  hat  dabei 
an  eine  »Hyperthymisation «  und  eine  angebliche  Überschwem- 
mung des  Organismus  mit  hypothetischen  toxischen  Produkten 
gedacht.  Viel  plausibler  erscheint  dagegen  eine  andere  Annahme, 
die  bereits  vor  mehr  als  zwei  Dezennien  von  dem  der  Wissenschaft 
leider  viel  zu  früh  entrissenen  Arnold  Paltauf  ^)  vertreten  worden 
ist,  daß  es  sich  nämlich  um  eine  allgemeine  hypoplastische 
Konstitutionsanomalie  handelt,  welche,  wie  sich  später  her- 
ausgestellt hat 2),  vielfach  mit  einer  angeborenen  Enge  der  Aorta 
und  anderer  Gefäße,  mit  Kleinheit  des  Herzens,  zartem 
Knochenbau  und  kolloider  Entartung  der  Schilddrüse, 
vor  allem  aber  auch  mit  einer  Hypoplasie  des  Genitalappa- 
rates einhergeht.  Es  wäre  vergebliche  Mühe,  sich  bei  dem 
gegenwärtigen  Stande  unserer  Kenntnisse  darüber  ins  klare 
kommen  zu  wollen,  wo  das  primäre  Moment  dieser  Anomalie 
zu  suchen  sei. 

Ich  möchte  dieses  Kapitel  nicht  verlassen,  ohne   Ihre  Auf-    Beziehungen 
merksamkeit  noch  auf  eine,  wie  ich  glaube,  nicht  uninteressante  zwischen  Thy- 

mus  und 

Seite  des  Thymusproblems  gelenkt  zu  haben :  nämüch  auf  ihre  m  u  t  -  Schilddrüse, 
maßlichen  Beziehungen  zur  Schilddrüse^).  Die  Angaben 
über  das  Verhalten  der  Thymus  nach  Thyreoidektomie  lauten 
allerdings  durchaus  widersprechend.  Auffallend  dagegen  ist  es 
immerhin,  daß  die  Basedowsche  Krankheit,  die  ja  höchst 
wahrscheinlich  mit  einer  hypersekretorischen  Tätigkeit  der  Schild- 
drüse zusammenhängt,  oft  mit  einer  Hyperplasie  der  Thymus 
einhergeht;  je  schwerer  der  Basedow,  desto  hochgradiger  soll  die 


i)  A.  Paltauf,  Wiener  klin.  Wochenschr.  1889,  877;  1890,   172. 

2)  Vgl.  J.  Bartel  (Inst.  Weichselbaum,  Wien),  Wiener  klin.  Wochen- 
schrift 1908,  783,  vgl.  dort  die  Literatur. 

3)  Literatur:    R.  G.  Hoskins,  Amer.   Journ.  of  the  Med.   Sciences, 
March  and  April  1911^  S.  A.  p.  9 — 10. 


5o8 


XXII.  Vorlesung. 


Knochen- 
mark. 


Veränderun- 
gen  des   Kno- 
chenmarkes 
unter    Einwir- 
kung verschie- 
dener Fakto- 
ren. 


Vermehrung  der  Thymussubstanz  sein^).  Nach  Hoskins  sollen 
die  Nachkommen  weiblicher  Meerschweinchen,  die  mit  Thy- 
reoidea vorbehandelt  worden  sind,  hyperplastische  Thymus- 
drüsen besitzen.  Es  wird  ferner  angegeben,  daß  in  Gegenden, 
wo  der  Kropf  endemisch  ist,  die  Nachkommen  von  Müttern,  die 
mit  einem  solchen  behaftet  sind,  oftmals  sowohl  Vergrößerungen 
der  Schilddrüse  als  auch  der  Thymus  aufweisen.  Am  auffallend- 
sten aber  ist  eine  Angabe  von  Gebele,  derzufolge  es  gelingen  soll, 
durch  Implantation  von  Thymus  in  die  Bauchwand  die 
fehlende  Schilddrüse  zu  ersetzen,  derart,  daß  ein  Tier,  dem  die 
Schilddrüse  mitsamt  den  Epithelkörperchen  exstirpiert  worden 
war,  den  Verlust  dieser  Organe  überleben  konnte*).  Alle  diese 
Angaben  sind  allzu  fragmentarischer  Natur,  um  weitgehende 
Schlüsse  zu  gestatten;  immerhin  aber  bieten  sie  Anregung  zu 
weiteren  Fprschungen. 

Bekannthch  nehmen  die  zelligen  Elemente,  welche  die  kreisen- 
den Säfte  erfüllen,  aus  den  »hämatopoetischen  Apparaten« 
ihren  Ursprung.  Diesen  wird  außer  der  Milz,  den  Lymphdrüsen 
und  den  l3anphatischen  Herden,  die  sich  im  Darme,  den  Ton- 
sillen usw.  finden,  vor  aUem  das  Knochenmark  zugezählt,  und 
zwar  wird  demselben  sowohl  eine  >>ervthroblastische«  als 
eine    »^leukoblastische«  Funktion  zugeschrieben. 

Das  Knochenmark  3)  weist  schon  seinem  äußeren  Ansehen 
nach  ein  sehr  wechselndes  Verhalten  auf.  Man  pflegt  zwischen 
dem  roten  und  dem  gelben  Marke  zu  unterscheiden;  ersteres 
ist  durch  seinen  hohen  Gehalt  an  Erythrocyten  ausgezeichnet, 
während  das  gelbe  Mark  blutarm  und  fettreich  ist.  Während 
beim  Neugeborenen  das  Mark  fast  durchwegs  den  Charakter 
des  roten  Markes  trägt,  tritt  später  mehr  und  mehr  der  Fettgehalt 
desselben  in  den  Vordergrund  und  es  erscheint  die  blutbildende 
Funktion  mehr  auf  die  platten  Knochen  beschränkt.  Unter 
Umständen    kann    das    Mark    noch    eine    weitere   Veränderung 


i)  Gebele,  Beitr.  z.  klin.  Chir.  70,  20  (19 10). 

2)  Gebele,  Arch.  f.  Chir.  93,  132  (1910). 

3 )  Literatur  über  die  Chemie  des  Knochenmarkes:  J.Seemann,  Ergebn. 
d.  Physiol.  3,  I,  43 — 45  (1904).  H.  Gerhartz,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II, 
i^j^ — 169  (1901).    K.  Helly,  Nothnagels  Handb.  8,  Teil  i,  Abt.  1  (1906). 


Milz,  Th5mius  und  Knochenmark.  509 


durchmachen,  insofern  es  sich  unter  weitgehendem  Fettschwund 
in  »Gallertmark  «  umwandelt.  Der  Übergang  des  Knochenmarkes 
aus  dem  ruhenden  in  den  tätigen  Zustand  kann  sich  anscheinend 
mit  großer  Schnelligkeit  vollziehen.  Derselbe  wird  durch  Ader- 
lässe, durch  blutzerstörende  Gifte,  sowie  durch  manche 
Bakterientoxine  herbeigeführt;  umgekehrt  soD  z.B.  die  Ein- 
spritzung von  Typhus toxin  imstande  sein,  beim  Kaninchen  rotes 
Mark  in  gelbes  Mark  zu  verwandeln.  Der  dem  Hochgebirgs- 
klima zugeschriebene  Einfluß,  eine  Umwandlung  des  gelben  in 
rotes  Mark  zu  begünstigen,  war  Gegenstand  ausgedehnter  Kontro- 
versen, auf  die  ich  bei  späterer  Gelegenheit  noch  zurückkommen 
möchte  1).  Die  histologische  Untersuchung  des  Blutes  und  des 
Knochenmarkes  von  Höhentieren  spricht  tatsächlich  zugunsten 
einer  anregenden  Wirkung  des  Höhenklimas  auf  die  blutbilden- 
den Organe.  Auch  wird  es  gegenwärtig  als  bewiesen  angesehen, 
daß  Eisenpräparate,  abgesehen  davon,  daß  sie  als  Baumaterial 
für  den  Blutfarbstoff  dienen  können,  eine  spezifische  Wirkung 
auf  die  blutbildenden  Organe  ausüben*).  Franz  Müller^)  fand 
bei  jungen  Hunden,  die  er  vergleichsweise  bei  Milchkost  mit  und 
ohne  Zusatz  von  Eisen  aufzog,  in  ersterem  Falle  eine  reichlichere 
Bildung  kernhaltiger  roter  Blutkörperchen.  Einen  ähnlichen  Ein- 
fluß wie  das  Eisen  scheint  auch  die  arsenige  Säure  auf  die  Blut- 
bildung auszuüben.  Das  Knochenmark  mit  diesem  Gifte  behan- 
delter Tiere  kann  eine  tiefrote  Farbe  annehmen ;  ob  dadurch  aber 
die  klinischen  Erfahrungen  über  eine  günstige  Beeinflussung 
anämischer  Prozesse  durch  die  Arsentherapie  eine  ausreichende 
Erklärung  finden,  mag  einstweilen  dahingestellt  bleiben. 

Nicht  uninteressant  ist  eine  Angabe,  derzu folge  die  Injektion 
von  Milz-  oder  Knochenmarkinfusen  unter  die  Haut  oder 
in  die  Bauchhöhle  imstande  sein  soll,  die  Zahl  der  roten  Blut- 
körperchen sowie  auch  den  Hämoglobingehalt  des  Blutes  erheb- 
lich zu  steigern ;  und  zwar  soll  es  sich  dabei,  da  auch  gekochte 
Infuse  die  gleiche  Wirkung  zeigen,  nicht  etwa  um  eine  Ferment- 
wirkung handeln;  vielmehr  wird  die  Vermutung  ausgesprochen. 


i)  Vgl.  die  Arbeiten  von  N.  Zuntz  und  seiner  Mitarbeiter. 

2)  Vgl. H.H. Meyer  und  R.  Göttlich,  Experim.  Pharmakol.  370(1910). 

3)  F.  Müller,  Virchows  Arch.  164,  (1901). 


510  XXII.  Vorlesung. 


daß  dem  Lecithingehalte  der  Infuse  ein  Einfluß  auf  die  hämato- 
poetischen  Organe  zukommt i). 
Lipoidsub-  Die    physiologisch    sicherlich    sehr    bedeutsamen    Fettsub- 

stanzend.Kno-  stanzen   des  Knochenmarkes  sind  insbesondere  durch  eine 

chenmarkes. 

Reihe  neuerer  Untersuchungen 2)  genauer  bekannt  geworden.  Das 
Fett  des  gelben  Markes  erscheint  reicher  an  Ölsäure  und  ärmer 
an  festen  Fettsäuren  als  dasjenige  des  roten  Markes.  Vor  allem 
scheint  aber  der  physiologische  Charakter  des  Markes  durch  die 
Menge  des  darin  enthaltenen  Lecithins  bestimmt  zu  werden. 
Dasselbe  ist  zur  Zeit  der  intensivsten  blutbildenden  Tätigkeit 
beim  neugeborenen  Tiere  sehr  reichlich  vorhanden,  um  im  Laufe 
der  nächsten  Monate  erheblich  abzunehmen.  Ob  aber  ein  un- 
mittelbarer Zusammenhang  zwischen  dem  Lecithingehalte  des 
Markes  und  der  Blutbildung  wirklich  besteht,  erscheint  nicht 
sichergestellt. 

Die    Eiweißzusammensetzung    des    Knochenmarkes 
bietet  uns  namentlich  nach  zwei  Richtungen  hin  ein  besonderes 
Interesse:  in  bezug  auf  die  Frage  des  Ursprunges  des  Fibrino- 
gens und  des  Bence-Jonesschen  Proteids. 
Beziehung  des        Ich  habe  schon  bei  Erörterung  der  Vorgänge  der  Blutgerinnung 
markes^zur"Bii-  Gelegenheit   gehabt,    Ihre   Aufmerksamkeit   auf   die   Frage   der 
düng  d.  Fibri-  Fibrinogenbildung    im    Knochenmarke    und    in    anderen 
nogcns-       lymphoiden  Organen  zu  lenken.     Nach  Behandlung  von  Tieren 
mit  Staphylokokken  sowie  mit  deren  Kulturfiltraten  ist  eine  Ver- 
mehrung des  Fibrinogens  sowohl  im  Blute  als  im  Knochenmarke 
festgestellt  worden^);  auch  die  vielfach  nachgewiesenen  Beziehim- 
gen  zwischen  Fibringehalt  des  Blutes  und  Leukocytose  können 
vielleicht  hier  in  Betracht  kommen.     Der  Fibrinogengehalt  von 
Markextrakten  kann  schon  in  einer  Gerinnbarkeit  derselben  zum 
Ausdrucke  gelangen. 


i)  B.  Danilewski  und  M.  Selenski  (Charkow),    Pflügers  Arch.  61, 

264  (1895). 

2)  W.  Glikin  (Inst.  N.  Zuntz),  Biochem.  Z.  4,  235  (1907)  und  Ber.  d. 
deutsch,  ehem.  Ges.  41,  910  (1908).  J.  Nerking  (Düsseldorf),  Biochem. 
Z.  10,  167  (1908).     S.  W.  Otolski,  Biochem.  Z.  4,  124  (1909). 

3)  P.  Th.  Müller,  Hofmeisters  Beitr.  6,  454  (1905)  und  Sitzungsber. 
d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.  Kl.  115,  III,  229  (1906).  P.  Morawitz 
und  E.  Rehn,  Arch.  f.  exper.   Pathol.  58,   141   (1907). 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  511 


Ein  besonderes  chemisches  Interesse  bietet  das  Vorkommen    Der  Eiweiß- 
multipler Myelome  im  Knochenmarke  in  seinem  Zusammen-    Körper  von 

Bence  -  Jones. 

hange  mit  dem  Auftreten  eines  sehr  charakteristischen  und  merk- 
würdigen Proteids  im  Harne.  Dieser  Körper  ist  zuerst  im  Jahre 
1848  von  Bence-Jones  beobachtet  und  sodann  von  Kühne  genauer 
beschrieben  worden.  Seitdem  ist  für  denselben  die  Bezeichnung 
»  Bence  -  Jonesscher  Eiweißkörper«  üblich  ^ ) .  Die  Anwesen- 
heit  dieses  Proteids  im  Urin  verrät  sich  durch  ein  höchst  auf- 
fälliges Verhalten.  Bei  Anstellung  der  Kochprobe  fällt  das- 
selbe bei  einer  Temperatur  von  40 — 60°  aus  (je  nach  dem  Salz- 
gehalte und  Säuregrade  des  Urins),  um  beim  Sieden  wieder  in 
Lösung  zu  gehen.  Man  war  früher  geneigt,  diese  Substanz  für 
eine  Albumose  zu  halten.  Bei  genauerer  Prüfung  hat  es  sich 
jedoch  herausgestellt,  daß  der  genannte  Körper  ebenso  wie  andere 
genuine  Eiweißkörper  koaguhert,  durch  Alkohol  denaturiert, 
durch  Säuren  und  Alkalien  in  Acidalbumin  bzw.  Alkalialbuminat 
umgewandelt  und  durch  Fermente  verdaut  werden  kann.  Sein 
so  charakteristisches  Verhalten  ist  an  die  Anwesenheit  von  Harn- 
stoff und  Ammoniumsalzen  im  Harne  gebunden.  Trotzdem  der 
Körper  auch  in  neuerer  Zeit  (so  von  Ellinger^),  Magnus- Levy^), 
Reach^),  Abderhalden  und  Rostoski^),  Hopkins  und  Savory)^) 
vielfach  untersucht  worden  ist,  ist  seine  chemische  Stellung  und 
seine  Beziehung  zu  gewissen  kristallinischen  Abscheidungen  aus 
dem  Harne  noch  nicht  ganz  klargestellt.  Noch  weniger  ist  man 
sich  über  seine  Entstehung  im  reinen.  So  viel  ist  sicher,  daß  er 
bisher  nur  bei  Erkrankungen  des  Knochenmarkes  vorgefunden 


i)  Literatur  über  das  Bence- Jonessche  Proteid:  H.  G.  Wells,  Chemical 
Pathology  p.  427 — 430  (1907).  L.  Mohr,  v.  Noordens  Handb.  d.  Pathol. 
d.  Stoffw.  2,  II,  864 — 865  (1907).  A.  Ellinger,  Handb.  d.  Biochemie 
S,  I,  657 — 658  (19 10).  O.  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweißkörper,  3.  Aufl. 
S.  200 — 201   (191 1). 

2)  A.  Ellinger,  Arch.  f.  lehn.  Med.  62,  255  (1899). 

3)  A.  Magnus -Levy,  Z.  f.  physiol.  Chemie  SO,  200  (1900). 

4)  F.  Reach  (Inst.  Jaffe,  Königsberg),  Arch.  f.  khn.  Med.  82,  390 

(1905). 

5)  E.  Abderhalden  und  O.  Rostoski,  Z.  f.  physiol.  Chemie  46,  125 

(1905). 

6)  F.  G.  Hopkins  and  H.  Savory  (Physiol.  Labor.  Cambridge),  Journ. 
of  Physiol.  42,  189  (1911). 


512  XXII.  Vorlesung. 


worden  ist;  in  der  überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  handelt  es 
sich  um  multiple  Myelome  oder  um  Sarkomatose  des 
Knochenmarkes,  in  vereinzelten  Fällen  um  Leukämie  mit 
lymphoider  Hyperplasie  des  Knochenmarkes  und  ausnahmsweise 
anscheinend  auch  um  Osteomalacie.  Es  läge  natürlich  am 
nächsten,  eine  unmittelbare  Herkunft  des  Proteids  aus 
den  Geschwulstzellen  anzunehmen.  Es  ist  auch  gelungen, 
aus  dem  entarteten  Knochenmarke  1),  ebenso  wie  auch  aus  Myelom- 
metastasen  der  Milz*)  Spuren  desselben  (durch  Nachweis  eines 
in  der  Hitze  klaren,  beim  Erkalten  sich  trübenden  Filtrates)  nach- 
zuweisen. Die  im  Urin  auftretenden  Mengen  (bis  70  Gramm  im 
Tage)  sind  aber  gelegentlich  so  außerordentlich  groß,  daß  sie 
die  Gesamtmenge  des  im  Körper  vorhandenen  Geschwulstgewebes 
übertreffen  können.  Magnus -Levy^)  war  daher  geneigt,  den 
Bence-Jonesschen  Eiweißkörper  als  das  Produkt  eines  patho- 
logisch-geänderten  Eiweißstoffwechsels  anzusehen;  man 
hat  an  eine  Enzymwirkung  der  Tumorzellen  auf  das  zirkulierende 
Bluteiweiß  gedacht  u.  dgl.  Die  Untersuchung  der  Abhängig- 
keit der  Ausscheidung  vom  Gesamteiweißzerfall  hat  keine  ein- 
deutigen Ergebnisse  zutage  gefördert*).  Es  sei  noch  erwähnt, 
daß  man  versucht  hat,  den  bequemen  Nachweis  des  Proteids  dazu 
zu  benutzen,  um  einen  charakteristischen  Eiweißkörper  in  bezug 
auf  die  Schicksale,  die  er  im  Organismus  nach  seiner  Resorption 
erfährt,  im  Auge  zu  behalten^). 
Biutiymph-  Zum  Schlusse,  bevor  ich  das  Kapitel  der  *lymphoiden  Organe 41 

verlasse,  möchte  ich  noch  Ihre  Aufmerksamkeit  auf  ein  wenig 
beachtetes  und  bekanntes  Organsystem  lenken:  auf  dasjenige 
der   »Blutlymphdrüsen«. 

Es  sind  dies  eigenartige  Modifikationen  der  Lymphdrüsen, 
die,  wie  insbesondere  die  eingehenden  Untersuchungen  von  Swale 
Vincent  und   Harrison,   von    Weidenreich  u.   a.   ergeben   haben. 


drüsen. 


i)  Askanazy,   Arch.   f.   klin.   Med.   68,   34  (1900). 

2)  F.  Reach,  1.  c. 

3)  Magnus-Levy,  1.  c. 

4)  F.  Voit  und  H.  Salvendi,  Münchener  med.  Wochenschr.  1904. 
E.  Allard  und  S.Weber,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1906,  1251.  Hop- 
kins und  Savorv,  1.  c. 

5)  L.  Borchhardt  und  H.  Lippmann,  Biochem.  Z.  25,  6  (1910). 


Milz,  Thymus  und  Knochenmark.  513 


ein  Bindeglied  zwischen  der  Milz  und  den  gewöhnlichen  Lymph- 
drüsen darstellen.  Dieselben  finden  sich  bei  vielen  Tieren  der 
Aorta  entlang  angeordnet,  insbesondere  aber  in  der  Gegend  des 
Abganges  der  Nieren-  und  Darmgefäße.  Sie  unterscheiden  sich 
von  den  gewöhnlichen  Lymphdrüsen  durch  eine  vollkommene 
Trennung  von  Lymph-  und  Blutbahnen;  die  dem  Lymphsinus 
entsprechenden  Räume  sind  zwischen  die  Verzweigungen  arte- 
rieller und  venöser  Blutbahnen  eingeschaltet.  Die  Rolle  derselben 
bei  der  Bildung  und  Zerstörung  der  zelligen  Elemente  des  Blutes 
ist  ganz  dunkel  und  unaufgeklärt. 


V.Fürth,  Probleme.  33 


XXIII.  Vorlesung, 

Tegumentsubstanzen.    Melanine. 


Tegumcnt- 
substanzen. 


GerOstsub- 

stomen  der 

nledenton 

Tierformen. 

Spongin,    Qor- 
gonin. 


Der  außerordentlich  großen  Formenfülle,  der  wir  begegnen, 
wenn  wir  die  äußere  Gestaltung  der  Tegumentgebilde  im 
Bereiche  der  verschiedenen  Tierkreise  durchmustern,  entspricht 
eine  kaum  geringere  Vielgestaltigkeit,  wenn  wir  das  Substrat 
derselben  mit  den  Augen  des  Chemikers  betrachten.  Der  Versuch, 
durch  vergleichend -physiologische  Beobachtung  einen  tieferen 
Einblick  in  die  Gesetzmäßigkeiten  organischer  Geschehnisse  zu 
gewinnen,  muß,  wie  ich  glaube,  jedem  richtigen  Naturforscher 
reizvoll  erscheinen.  Wenn  ich  hier  darauf  verzichte,  mich  mit 
der  vergleichenden  Chemie  der  Tegumentgebilde  eingehender 
zu  befassen  und  mich  mit  einem  kurzen  Überblicke  der  wichtigsten 
Ergebnisse  begnügen  zu  dürfen  glaube,  so  geschieht  es,  weil 
eingehendere  Erörterungen  des  Gegenstandes  den  Rahmen  dieser 
Vorlesungen  überschreiten  würden,  ich  die  gleiche  Materie  über- 
dies anderer  Stelle  ausführlich  behandelt  habe^). 

Beginnen  wir  unsere  Betrachtung  bei  den  niederen  Tierformen, 
so  begegnen  wir  bei  den  Spongien  (bei  denen  eine  Trennung  von 
Gerüst-  und  Tegumentsubstanzen  keinen  Sinn  hätte)  Substraten 
vom  Typus  der  Albuminoide.  Erst  die  neueren  Fortschritte 
der  Eiweißchemie,  welche  eine  quantitative  Schätzung  der  Menge 
der  einzelnen  Eiweißspaltungsprodukte  ermöglicht  haben,  konnten 
eine  weitgehende  Differenzierung  innerhalb  der  scheinbar  so 
einförmigen,  in  Wirklichkeit  aber  so  unendlich  mannigfaltigen 
Welt  der  Albuminoide  herbeiführen.     So  sehen  wir  denn  z.  B. 


i)  O.  V.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  d.  niederen  Tiere,  441 — 490, 
Jena  1903,  vgl.  auch  H.  Aron,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  219 — 228. 
F.  N.  Schulz,  ibid.  229 — 243  (1909). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  515 


im  Spongin  die  Komplexe  des  Tyrosins  und  Phenylalanins  in 
den  Hintergrund  treten,  während  der  hohe  Gehalt  an  Glutamin- 
säure, Prolin  und  GlykokoU  auffällt  i).  Die  schwere  Angreifbar- 
keit derartiger  Gerüstsubstanzen  könnte  damit  unmittelbar  zu- 
sammenhängen, insofern  sich  in  einem  der  Wirkung  des  Trs^sins 
gegenüber  besonders  widerstandsfähigen  Bruchstücke  des  Eiweiß- 
moleküles  nach  den  Untersuchungen  von  Emil  Fischer  und  Abder- 
halden reichliche  Mengen  von  Prolin  und  GlykokoU  gefunden 
haben.  Bei  manchen  durch  ihren  Jodgehalt  ausgezeichneten 
Spongien  sehen  wir,  wie  ich  Ihnen  bereits  bei  früherer  Gelegenheit 
auseinandergesetzt  habe,  das  Tyrosin  durch  Dijodtyrosin  er- 
setzt 2).  Ähnliche  Verhältnisse  scheinen  in  bezug  auf  die  Stütz- 
und  Tegumentsubstanzen  der  Cölenteraten  vorzuüegen,  die 
auch  durchwegs  den  Charakter  von  Albuminoiden  tragen  und 
unter  Umständen  (wie  es  bei  manchen  Korallen,  den  Gorgoniden, 
der  Fall  ist),  stark  jodhaltig  sind ;  auch  hier  hat  sich  die  jodtragende 
Komponente  als  mit  dem  Dijodtyrosin  identisch  erwiesen^). 

Die  Echinodermen  oder  Stachelhäuter  verdanken  ihren  verschieimung 
Namen  den  Kalkgebilden,  welche,  oft  zu  Stacheln  ausgestaltet,  Vienhaut"' 
ihren  Körpern  panzern.  Das  Substrat,  in  das  diese  Kalkkörper 
eingebettet  sind,  trägt  auch  hier  den  Charakter  von  Albuminoiden. 
Die  Tegumente  mancher  Echinodermen,  und  zwar  diejenigen  der 
Seewalzen  sind  durch  eine  in  der  Tierreihe  einzig  dastehende 
Eigentümlichkeit  ausgezeichnet :  dieselben  verwandeln  sich  näm- 
Hch  an  der  Luft  mit  der  größten  Leichtigkeit  in  einen  formlosen 
Schleim.  Dieser  Verschleimungs Vorgang  kann  unter  Umständen 
momentan  hervorgerufen  werden,  wenn  man  ein  abgeschnittenes 
Hautstück  mit  der  Nadelspitze  stichelt  oder  auf  einem  Reibeisen 
verreibt.  Die  Natur  dieses  Vorganges,  der  nicht  fermentativer 
Natur  zu  sein  scheint  und  allem  Anscheine  nach  mit  einer  Ver- 
schiebung des  Wassers  innerhalb  der  einzelnen  Formelemente 
zusammenhängt,  ist  noch  nicht  aufgeklärt.     In  chemischer  Hin- 

i)  E.  Abderhalden  und  E.  Strauß,  Z.  f.  physiol.  Chemie  48,  49 
<i9o6). 

2)  H.  L.  Wheeler  andL.  B.  Mendel,  Journ.  of  biol.  Chem.  7,  i  (1909). 

3)  M.  Henze,  Z.  f.  physiol.  Chemie  61,  64  (1907).  C.  T.  Mörner  51, 
33  (1907);  55,  77  (1908).  H.  L.  Wheeler  and  G.  S.  Jameson,  Amer. 
Chem.  Journ.  S4,  365,  zit.  n.  Biochem.  Zentralbl.  4,  251  (190 S/06). 

33* 


5i6 


XXIII.  Vorlesung. 


sieht  sollen  die  Holothurientegumente,die  in  Ostasien  als  Nahrungs- 
mittel unter  dem  Namen  »Trepang«  eine  große  Rolle  spielen, 
durch  ihren  Gehalt  an  einer  gepaarten  Schwefelsäure  und  zwar 
einer  Chondroitinschwefelsäure  (ähnlich  derjenigen,  welche 
sich  im  Knorpel  findet)  ausgezeichnet  sein. 
Kohlehydrat-  Sehr  eigenartige,  wenn  auch  nur  höchst  mangelhaft  studierte 
artige  Hüll-    Verhältnisse  bieten  die  Teeumentgebilde  mancher  Würmer  dar. 

Substanzen  der  t^  i  o  o 

Würmer.  So  sind  z.  B.  Hüllen  eines  Röhrenwurmes,  Onuphis  tubicola, 
von  Oswald  Schmiedeberg ^)  zum  Gegenstande  eingehender  Unter- 
suchungen gemacht  worden.  Dieser  Ringelwurm  lebt  in  kleinen, 
an  beiden  Seiten  offenen  Homröhrchen,  die  kleinen  Federkielen 
zum  Verwechseln  ähnlich  sehen  und  die  als  ein  erhärtetes  Produkt 
der  Oberhaut  angesehen  werden.  Bei  Behandlung  des  >>Onuphins« 
(dem  die  Formel  C24H43NOig  zugeschrieben  worden  ist)  mit 
überhitztem  Wasserdampfe  hat  Schmiedeberg  ein  stickstoffreies, 
dextrin-  oder  glykogenartiges  Kohlehydrat  daraus  erhalten  und 
er  vermutet  die  Syntliese  des  ersteren  aus  einem  Kohlehydrate  und 
einer  stickstofflialtigen  Komponente,  etwa  einer  Aminosäure. 
Das  als  Alkaliphosphatverbindung  abgesonderte  Onuphin  soll 
bei  der  Berührung  mit  Meerwasser  aus  diesem  Calcium  und 
Magnesium  unter  Substitution  seines  Alkalis  aufnehmen  und  dabei 
unter  Hydratbildung  zementartig  erstarren.  Die  Hüllen  von 
Spirographis  Spalanzanii,  jenem  schönen  Röhrenwurme, 
dessen  Kiemen,  einer  Palmkrone  gleich,  aus  einem  schlanken,  am 
Meeresgrunde  wurzelnden  Rohre  hervorragen,  sollen  nach 
Schmiedeberg^)  aus  einem  albuminoiden  und  einem  onuphin- 
artigen  Bestandteile  zusammengesetzt  sein.  In  Bezug  auf  die 
Echinokokkenhüllen^)  ist  es  nicht  zweifelhaft,  daß  jedenfalls 
die  Hauptmenge  derselben  durch  Hydrolyse  in  eine  reduzierende, 
zuckerartige  Verbindung  überführbar  ist. 

Conchioiin.  Wenden  wir  unsere  Aufmerksamkeit  dem  großen  Kreise  der 

Mollusken  zu,  so  begegnen  wir  als  Tegumentsubstanzen  wieder 
Albuminoiden,  die  man  in  diesem  Falle  unter  dem  wenig  charakte- 
ristischen    Sammelbegriffe     »Conchioiin«     zusammenzufassen 


i)  O.  Schmiedeberg,  Mitteil.  a.  d.  zoolog.  Station  zu  Neapel  3,  373 
(1882). 

2)  1.  c. 

3)  A.  Lütke,  Virchows  Arch.  19,   189  (1860). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  517 


pflegt.     Ausnahmsweise,  so  in  den  Rückenschulpen  der  Pulpen, 
begegnen  wir  aber  auch  hier  bereits  dem  Chitin. 

Auf  diese  Substanz  möchte  ich  nun  etwas  genauer  eingehen,       Chitin. 
weil  uns  die  Forschungsarbeit  des  letzten  Dezenniums  einigen 
Einblick  in  die  Struktur  dieser  Verbindung  gewährt  hat  und  weil 
die  dabei  gewonnenen  Resultate  ein  allgemeineres  chemisches  und 
physiologisches  Interesse  bieten. 

Das  Chitin^)  ist  bekanntlich  vor  allem  als  Gerüstsubstanz  der 
Arthropoden  von  Wichtigkeit;  so  bestehen  die  Epidermoidal- 
gebilde  der  Insekten  und  die  Panzer  der  Crustaceen  ihrer  orga- 
nischen Grundlage  nach  aus  Chitin;  doch  auch  außerhalb  des 
Arthropodenkreises  findet  sich  das  Chitin  weit  verbreitet  2).  So 
begegnen  wir  demselben,  wie  gesagt,  in  den  Schulpen  der  Cepha- 
lopoden;  es  findet  sich  auch  bei  manchen  Brachiopoden, 
Bryozoen  und  Würmern;  auch  das  sogenannte  Segel  derVelella 
Spirans  (jenes  bekannten  zierlichen,  auf  der  Meeresoberfläche 
flottierenden  Schwimmpolypen)  besteht  aus  Chitin. 

Das  Chitin  ist  eine  außerordentlich  resistente  und  schwer  Ältere  Unter- 
lösliche  Substanz:  es  kann  tagelang  mit  konzentriertester  ^"^  ""gen. 
Alkalilauge  gekocht  werden,  ohne  sich  zu  verändern.  So  günstig 
nun  diese  Schwerlöslichkeit  des  Chitins  für  seine  Reindarstellung 
war,  so  ungünstig  war  dieselbe  andererseits  für  seine  weitere  che- 
mische Erforschung.  Es  war  daher  ein  wichtiger  Fortschritt,  als 
man  gelernt  hatte,  das  Chitin  durch  die  Kalischmelze  gewisser- 
maßen aufzuschließen:  wird  dasselbe  nämlich  kurze  Zeit  mit 
Ätzkali  geschmolzen,  so  geht  es,  ohne  seine  äußere  Struktur 
wesentlich  zu  verändern,  in  eine  in  schwachen  Säuren  leicht 
lösliche  und  aus  der  Lösung  durch  Neutralisation  fällbare  Substanz, 
das  Chitosan,  über. 

Nachdem  Ledderhose  in  Wählers  Laboratorium  das  Auftreten 
eines  amidierten  Zuckers,  des  Glukosamins 

CH2(0H)— CH(OH)— CH(OH)— CH(OH)— CH(NH2)— COH 


i)  Literatur  über  Chitin:  O.  v.  Fürth,  Vergl.  ehem.  Physiol.  d.  niederen 
Tiere,   471 — 486,   Jena   1903.     G.  Zempl6n,    Biochem.   Handlexikon   2, 

527—536  (1911)- 

2)  Vgl.  D.  H.  Wester,  Arch.  d.  Pharm.  24?,  282,  zit.  n.  Biochem.  Zen- 
tralbl.  9f  Nr.  165  (1909). 


5l8  XXIII.  Vorlesung. 

bei  der  hydrolytischen  Spaltung  des  Chitins  mit  konzentrierter 
Salzsäure  entdeckt  hatte,  stellte  Araki^)  unter  Hoppe -Seylers 
Leitung  fest,  daß  die  Umwandlung  des  schwerlöslichen  Chitins 
in  das  in  verdünnten  Säuren  leicht  lösliche  Chitosan  bei  der 
Kalischmelze,  ebenso  wie  auch  die  weitere  hydrolytische  Spaltung 
dieses  letzteren  durch  die  Einwirkung  siedender  Salzsäure  sich 
unter  Abspaltung  von  Essigsäure  vollzieht.  Araki  schrieb  dem 
Chitin  die  Zusammensetzung  CiqH3oN20i2  zu  und  formulierte 
den  Abbau  desselben  über  Chitosan  zu  Glukosamin  in  die 
Gleichungen : 

Ci8H33N20i2+2H20=Ci4H25N20ia+2CH3.COOH 
Ci4H26N20io+2H20=2C6Hi3N06+CH3.COOH. 

Die  Vorstellung,  daß  azetylierte  Glukosaminkomplexe  dem 
Aufbaue  des  Chitins  zugrunde  liegen,  fand  in  dem  Umstände  eine 
wichtige  Stütze,  daß  es  Sigmund  Fränkel^)  imd  seinen  Mit- 
arbeitern gelungen  war,  durch  vorsichtige  Spaltung  von  Chitin 

mit  70%  Schwefelsäure  in  der  Kälte  kristallisiertes  Monacetyl- 

CH2.OH 

glukosamin       1  *  zu  erhalten,  (und  zwar  neben  einer 

CH.NH.CO.CHs 

COH 
amorphen  Substanz,  die  alsMonacetyldiglukosamin  aufgefaßt 

wurde).  Fränkel  und  Off  er  gelangten  zu  der  Schlußfolgerung, 
daß  das  Chitin  als  ein  polymeres  Monacetyldiglukosamin  aufzu- 
fassen sei,  dessen  Analogie  zu  anderen  hochmolekularen  Kohle- 
hydraten (wie  z.  B.  zur  Stärke  und  zum  Glykogen)  sich  auch  in 
seiner  Jodreaktion  kundgibt. 
Nitrochitine.  Interessanterweise    ergibt    sich    eine    weitere    Analogie    des 

Chitins  zu  hochmolekularen  Kohlehydraten  aus  den  Produkten, 
die  bei  Einwirkung  stärkster  rauchender  Salpetersäure  auf  Chitin 
in  der  Kälte  entstehen.  Es  treten  dabei,  wie  ich  gemeinsam 
mit  Emil  Scholl^)  gefunden  habe,  Salpetersäureester  auf,  die 

i)  Araki,  Z.  f.  physiol.  Chemie  20,  498  (1895). 

2)  S.  Fränkel  und  A.  Kelly,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.- 
natunv.  Kl.  110,  Abt.  IIb,  Dez.  1901.  Th.  R.  Off  er,  Biochem.  Z.  7,  117 
(1907). 

3)  O.  V.  Fürth  und  E.  Scholl,  Hofmeisters  Beitr.  10,  188  (1907). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  519 


teilweise  in  Äther,  Benzol  u.  dgl.  leicht  löslich  sind  und  Analogien 
mit  den  Nitrozellulosen  zeigen:  Sie  verpuffen  mit  großer 
Heftigkeit  unter  Feuererscheinung  und  spalten  den  in  den  Nitro- 
gruppen  enthaltenen  Anteil  ihres  Stickstoffes  beim  Schütteln  der 
schwefelsauren  Lösung  mit  Quecksilber,  sowie  beim  Zusatz  von 
Ferrosulfat  in  Form  von  Stickoxyd  ab. 

Den  Abbau  versuchen,  von  denen  bisher  die  Rede  war,  haftete  Kristallinische 
insofern  ein  Moment  der  Unsicherheit  an,  als  sich  dieselben  auf  ^*'»*°s^"sai2e. 
amorphes  Ausgangsmaterial  bezogen  hatten.  Diese  Unsicherheit 
wurde  nun  aber  durch  den  Umstand  beseitigt,  daß  es  mir  vor 
einigen  Jahren  gemeinsam  mit  Russo^)  gelungen  ist,  kristal- 
lisierteChitosansalze  darzustellen .  Wird  gereinigtes  Chitosan 
in  verdünnter  Salzsäure  gelöst  und  konzentrierte  Salzsäure  hinzu- 
gefügt, so  scheidet  sich  das  schwerlösliche  Chitosanchlorhydrat 
zunächst  amorph  ab.  Als  ich  dasselbe  durch  Erwärmen  in  der 
konzentrierten  Säure  in  Lösung  gebracht  hatte  und  nun  ganz 
langsam  erkalten  ließ,  fiel  zu  meiner  freudigen  Überraschung  das 
Salz  in  Form  mikroskopischer  Kristalle  aus,  die  sich  unzersetzt 
beliebig  oft  Umkristallisieren  ließen.  Merkwürdigerweise  hatte 
Hoppe- Seyler  diese  Kristalle  schon  einmal  in  Händen  gehabt,  sie 
aber  später  irrtümlich  für  Glukosaminchlorhydrat  gehalten. 

Die  Form  derselben  ist  außerordentlich  charakteristisch.  Mir 
sind  in  der  Welt  keinerlei  Gebilde  bekannt,  die  mit  denselben 
einigermaßen  übereinstimmen.  Stellen  Sie  sich  vor,  daß  auf  die 
beiden  Flächen  einer  quadratischen  Grundplatte  je  vier  halbe 
der  Länge  nach  geteilte  Eier  derart  aufgesetzt  sind,  daß  jedem 
Quadranten  ein  halbes  Ei  entspricht.  Da  die  Eihälften  in  der  Mitte 
nicht  ganz  zusammenstoßen,  bleibt  im  Zentrum  des  Gebildes  eine 
tiefe  Delle.  Betrachtet  man  dasselbe  nun  von  oben,  so  bekommt 
man  zunächst  den  Eindruck,  es  handle  sich  um  eine  tetragonale 
Pyramide.  Bei  aufmerksamerer  Beobachtung  und  wechselnder 
Einstellung  des  Mikroskops  bemerkt  man  aber,  daß  die  vier  ver- 
meintlichen P5n-amidenkanten  nicht  zu  einer  Spitze  zusammen- 
laufen, daß  sich  vielmehr  in  der  Mitte  eine  tiefe  Einsenkung  be- 
findet. Bei  der  Betrachtung  von  der  Seite  her  präsentieren  sich  die 
Gebilde  als  Biskuit-  oder  Hantelformen.    Gelegentlich  beobachtete 


i)  O.  V.  Fürth  und  M.  Russo,  Hofmeisters  Beitr.  8,  163  (1906). 


520  XXIIL  Vorlesung. 


ich  nun,  daß  sich  diese  merkwürdigen  Formen  in  ein  Haufwerk 
winziger,  äußerst  feiner,  leicht  gekrümmter  Nadeln  auflösen, 
die  in  ihrem  Aussehen  an  Kommabazillen  erinnern.  Offenbar 
sind  es  eben  diese  gekrümmten  Nädelchen,  welche  durch  eine 
ganz  besondere  Art  der  Aneinanderlagerung  die  so  charakte- 
ristischen Gebilde  aufbauen. 

Die  Bindung  der  Säure  in  dem  Chlorhydrate  und  in  dem  ganz 
analogen  Bromhydrate  erwies  sich  als  so  locker,  daß  ein  Teil 
derselben  bereits  beim  Trocknen  im  Vakuum  abgegeben  wurde. 
Dagegen  gelang  es  einem  meiner  Schüler,  Heim  Emil  Lenk^),  als 
er  die  flüchtigen  Mineralsäuren  durch  Schwefelsäiwe  ersetzte,  ein 
stabiles,  unzersetzhches,  kristallinisches  Chitosansalz  in  guter 
Ausbeute  darzustellen  und  so  eine  feste  Grundlage  für  die  Kon- 
stitutionsermittlung des  Chitins  zu  gewinnen. 

Die  Untersuchungen  Lenks  ergaben  nun,  daß  das  Chitosan, 
in  Übereinstimmung  mit  den  von  Araki  und  von  Fränkel  für  die 
Konstitution  des  Chitins  entwickelten  VorsteDungen,  tatsächlich 
als  ein  polymeres  Monoacetyldiglukosamin  anzusehen  ist. 
Für  die  Molekulargröße  des  Chitosans  fehlt  es  vorderhand  an  festen 
Anhaltspunkten,  da  das  Chitosansulfat  nur  in  verdünnten  Säuren, 
nicht  aber  in  einer  der  für  eine  Molekulargewichtsbestimmung 
geeigneten  Flüssigkeiten  lösüch  ist.  Aus  dem  Schwefelsäure- 
bindungsvermögen des  Chitosans  ( —  je  vier  Stickstoff atomen 
entsprechend  werden  drei  Moleküle  Schwefelsäure  aufgenommen — ) 
ergibt  sich  jedoch,  daß  mindestens  zwei  Monacetyldiglukosanün- 
komplexe  in  einem  Chitosanmoleküle  verbunden  sein  müssen. 
Die  Zusammensetzung  des  Chitosans  ist  durch  den  Ausdruck 
(C2,H5oN40i9)x  gegeben,  und  seine  hydrolytische  Spaltung  in 
Glukosamin  und  Essigsäure  vollzieht  sich  glatt  nach  der  Gleichung : 

(Cg  H5oN40ig)x -h  SxHjO  =  4x{CeHi8N06)  -h  2x(CH8.COOH) 
Chitosan  Glukosamin  Essigsäure. 

Ob  die  von  Irvine^)  geäußerte,  jedoch  ganz  unzureichend  be- 
gründete Meinung,  derzufolge  das  Chitin  angeblich  durch  Zu- 
sammentritt   eines    Moleküles    Glukosamin    mit   drei    Molekülen 


i)  E.  Lenk,  Biochcm.  Z.  23,  47  (1909)   (ausgef.  unter  Leitung  von 
O.  V.  Fürth). 

2)  J.  C.  Irvine,  Journ.  of  the  Chem.  Soc.  London  95,  564  (1909). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine. 


521 


Monacetylglukosamin  unter  Austritt  von  Wasser  entstanden  sein 
soll,  mit  diesen  Befunden  vereinbar  ist,  müssen  weitere  bereits 
im  Gange  befindliche  Untersuchungen  lehren. 

Daß  das  Chitin  ein  sehr  hohes  Molekulargewicht  besitzt,  wird 
auch  durch  den  Umstand  wahrscheinlich  gemacht,  daß  ein  wasser- 
lösliches Derivat,  welches  Aisberg  und  Hedblom^)  durch  lang- 
dauernde Behandlung  von  Limulus-Chitin  mit  schwacher  Salz- 
säiu^e  erhalten  hatten,  keine  sehr  merkliche  Gefrierpunktser- 
niedrigung gab. 

Eine  andere,  der  Kohlehydratreihe  angehörige  Tegument- 
substanz  von  allgemeinem  chemischen  Interesse  ist  die  tierische 
Zellulose  aus  den  Hüllen  der  Manteltiere  oder  Tunicaten. 
Da  die  Zellulose  von  jeher  als  ein  Charakteristikum  des  Pflanzen- 
reiches galt,  hat  die  in  die  erste  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
fallende  Entdeckung,  daß  die  Hüllen  der  Tunikaten  aus  Zellulose 
bestehen,  seinerzeit  großes  Aufsehen  erregt.  Es  war  dies  mit 
einer  jener  Faktoren,  welche  bei  der  Beseitigung  der  starren  Grenz- 
mauer, die  zwischen  Tier-  und  Pflanzenreich  künstlich  auf- 
gerichtet worden  war,  mitgeholfen  haben.  Die  genaueren  Kennt- 
nisse der  tierischen  Zellulose  und  ihres  Abbaues  zu  Traubenzucker 
verdanken  wir  in  erster  Linie  den  Arbeiten  E.  Wintersteins^). 
Neuere  Untersuchungen  von  Abderhalden  und  Zemplen^)  lassen 
keinen  Zweifel  darüber  zu,  daß  die  Tunicatenzellulose  mit  der 
Pflanzenzellulose  sehr  nahe  verw^andt  und  möglicherweise  sogar 
identisch  ist.  Diu-ch  Einwirkung  von  Essigsäureanhydrid  konnte 
daraus  eine  achtfach  acetylierte  Zellobiose,  also  ein  Doppelzucker, 
erhalten  werden,  der  einer  aus  Filtrierpapier  dargestellten  analogen 
Verbindung  durchaus  glich.  Es  gelang  auch,  daraus  durch  Ver- 
seifung mit  Barytwasser  in  der  Kälte  die  Zellobiose  kristallisiert 
zu  erhalten;  dieselbe  lieferte  ein  Osazon,  das  sich  mit  jenem  aus 
Pflanzenzellobiose  identisch  erwies. 

Wir  wären  nunmehr  nach  Durchwanderung  der  großen  Tier- 


i)  C.L.  Aisberg  und  C.  A.  Hedblom,  Journ.  of  biol.  Chem.  %r4^3 
(1909). 

2)  E.  Winterstein,  Ber.  d.  deutsch,  chem.  Ges.  2%,  362  (1893)  und 
Z.  f.  physiol.  Chemie  18,  43  (1893). 

3)  E.  Abderhalden  und  G.  Zcmpl6n,  Z.  f.  physiol.  Chemie  72,  58 
(1911). 


Tunleaten- 
zelluloM. 


Keratine. 


522  XXIII.  Vorlesung. 


kreise  der  Wirbellosen  bei  den  Wirbeltieren  angelangt.  Für  die 
Hornsubstanzen^)  derselben,  also  die  verhornten  oberen  Schichten 
der  Epidermis,  die  Haare,  Nägel,  Hufe,  Homer,  das  Schildpatt  usw., 
sind  die  Keratine^)  charakteristisch.  Es  sind  dies  Albuminoide, 
die  durch  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen  verdünnte  Säuren  und 
Alkalien,  sowie  gegen  verdauende  Fermente  ausgezeichnet  sind, 
neben  einer  intensiven  Mülonschen  und  Xanthoproteinreaktion 
eine  äußerst  starke  Schwefelbleireaktion  geben  und  dementspre- 
chend bei  der  Hydrolyse  eine  reichliche  Cystinausbeute  üefem. 
Kieselsäure-  DerKieselsäuregehalt  derHaare  undFedernstehtoffen« 

gehaitd.  Haare  i^^^  j^^^  j^^  mechanischen  Funktion  derselben  im  Zusammenhange. 

und  Federn.  .  ° 

Drechsel  hat  kleinen  Mengen  einer  organischen  Silicium- 
verbindung,  die  er  durch  Alkoholäther  aus  Federn  extrahiert 
hatte,  eine  besondere  physiologische  Bedeutung  für  die  Wachstums- 
vorgänge beigelegt.  Nach  neueren  Untersuchungen*)  handelt  es  sich 
um  Kieselsäureestereines  oder  mehrerer  hochmolekularer  Alkohole, 
deren  Ursprung  wahrscheinHch  einfach  in  dem  Bürzeldrüsensekrete 
zu  suchen  ist,  mit  dem  sich  die  Vögel  ihre  Federn  einfetten :  Fett 
vermag  kleine  Mengen  sehr  fein  verteilter  Kieselsäure  in  Lösung 
zu  halten,  bzw.  kann  bei  Filtration  der  Fettlösungen  von  dem 
feinsten  kieselsäurehaltigen  Staube  etwas  durchpassieren  und  dann 
bei   der   Kristallisation   mechanisch   mitgerissen   werden. 

Die  in  den  Schuppen  vieler  Knochenfische  enthaltenen 
irisierenden  Kristallplättchen  bestehen  nach  Bethes^)  Unter- 
suchungen aus  Guanin. 

Nach  diesem  Überblicke  über  die  chemische  Zusammensetzung 

der  Tegumentgebilde  wenden  wir  uns  nunmehr  der  Betrachtung 

der  Vorgänge   der   sich   darin   vielfach   vollziehenden   Bildung 

melanotischer  Pigmente  zu. 

MeUnin.  Unter  der  Bezeichnung  »Melanine «0)  pflegt  man  eine  Reihe 

i)  Literatur  über  Tegumentgebilde  der  Wirbeltiere:  H.  Aron,  Handb. 
d.  Biochemie  2,  II,  219 — 228  (1909). 

2)  Literatur  über  Keratine:  O.  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweißkörper, 
3.  Aufl.  S.  252 — 258.   (1911). 

3)  K.  Cerny  (Med. -ehem.  Inst,  czech.  Univ.  Prag),  Z.  f.  physiol. 
Chemie  62,  296  (1909). 

4)  A.  Bethe,  Z.  f.  physiol.  Chemie  2%,  472  (1895). 

5)  Literatur  über  Melanine:  R.  Kobcrt,  Wiener  Klinik  27,  99  (1901). 
V.  Ducceschi,  Arch.  di  fisiol.  1,  621 — 650  (1904).     O.  v.  F'iirth,  Vergl. 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  523 


schwarz  oder  schwarzbraun  gefärbter,  durch  gewisse  gemeinsame 
Merkmale  charakterisierter  Pigmente  zusammenzufassen,  die 
unter  normalen  und  pathologischen  Bedingungen  bei  Wirbeltieren 
ebenso  wie  bei  Avertebraten  in  großer  Verbreitung  auftreten. 
Hieher  gehören,  neben  den  dunklen  Tegumentfarbstoffen, 
die  Pigmente  der  Chorioideen,  der  melanotischen  Tumoren, 
des  Tintensekretes  der  Cephalopoden  usw. 

Alle  diese  Pigmente  sind  amorph,  stickstoffhaltig  und  durch 
ihre  Unlöslichkeit  in  indifferenten  Lösungsmitteln  und  selbst  starken 
Säuren  ausgezeiclinet.  Zur  Darstellung  derselben  hat  man  die 
melaninhaltigen  Gewebe  in  der  mannigfachsten  Weise  mit  orga- 
nischen Lösungsmitteln,  mit  Säuren,  Alkalien  und  verdauenden 
Fermenten  behandelt.  Aus  dem  Umstände,  daß  es  vielen  Unter- 
suchern infolge  Anwendung  ungenügender  Reinigungsmetho-  Darstellung 
den  überhaupt  nicht  gelungen  ist,  ihre  Präparate  von  den 
hartnäckig  anhaftenden  Eiweißbeimengungen  bzw.  -derivaten 
vollständig  zu  befreien,  erklären  sich  die  außerordentlich  be- 
deutenden Abweichungen  zwischen  den  Werten  der  in  großer 
Zahl  vorliegenden  Anal3^en.  Am  einfachsten  und  zweckmäßig- 
sten dürfte  es  sein,  wenn  man  ( —  wie  ich  es  bei  einer  ge- 
meinsam mit  Ernst  Jerusalem  ausgeführten  Untersuchung  i)  ge- 
tan habe  — )  das  zerkleinerte  melaninhaltige  Gewebe  einige 
Stunden  lang  mit  konzentrierter  Salzsäure  zerkocht,  wobei  das- 
selbe, unter  totaler  Aufspaltung  aller  Eiweißsubstanzen,  voll- 
ständig in  Lösung  geht,  während  die  Pigmentkörner  ungelöst 
bleiben.  Dieselben  können  nunmehr  leicht  durch  Filtration  ab- 
getrennt und  durch  Behandlung  mit  Wasser,  verdünnter  Natron- 
lauge, Alkohol  und  Äther  ausgiebig  gereinigt  werden. 

Die  Abweichungen  der  vorliegenden  Anal5^en  untereinander  Schwefel-  und 
bewegen  sich  innerhalb  so  weiter  Grenzen,  daß  man  nicht  einmal       ^^"^^  ^  *' 
daran  denken  kann,  auch  nur  eine  Bruttoformel  für  die  Zu- 
sammensetzung des   Melanins  aufzustellen.     Auch  ist  nicht 


ehem.  Physiol.  der  niederen  Tiere,  93,  368,  528.  Jena  (1903),  Sammel- 
referat: Zentralbl.  f.  allgem.  Pathol.  15,  617 — 641  (1904)  und  Handb.  d. 
Biochemie  1,  744 — 749  (1907). 

1)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  Hofmeisters  Beitr.  10,  131  (1907), 
vgl.  auch:  R.  A.  Gortner  (Carnegie  Institution,  Washington),  Joum.  of 
biol.  Chem.  8,  341  (1911). 


524  XXIII.  Vorlesung. 


einmal  über  die  Zugehörigkeit  des  Schwefels  und  des 
Eisens  zum  Melaninmoleküle  bisher  Einigung  erzielt  worden. 

Was  den  Schwefel  betrifft,  liegen  einerseits  Analysen  mit 
mehr  als  10%  dieses  Bestandteiles  vor;  andererseits  sind  wiederum 
viele  Melanine  gänzlich  schwefelfrei  gefunden  worden.  Man  hat 
das  gelegentliche  Auftreten  von  freiem,  mit  Schwefelkohlenstoff 
extrahierbarem  Schwefel  in  Epidermoidalgebilden  nachgewiesen^). 
Zdarek  und  von  Zeynek^)  sahen  bei  fraktionierter  Extraktion  von 
Sarkommelanin  mit  Ammoniak  eine  fortschreitende  erhebliche 
Abnahme  des  Schwefelgehaltes  innerhalb  der  einzelnen  Frak- 
tionen. Auch  vermochte  ich  (mit  Jerusalem)  durch  eingreifende 
Behandlung  von  Hippomelanin  (aus  Lymphdrüsentumoren  von 
Pferden)  mit  schmelzendem  Kali  und  mit  Oxydationsmitteln  den 
Schwefelgehalt  auf  einen  Bruchteil  des  ursprünglichen  Wertes 
herabzudrücken.  Ich  halte  daher  den  Schwefel  für  keinen 
wesentlichen  Bestandteil  der  Melanine. 

Dem  Befunde  des  Eisens  in  Melaninen  ist  insbesondere  von 
Seiten  der  Histologen  die  größte  Wichtigkeit  bdgemessen  worden : 
Der  größte  Teil  der  morphologischen  Melaninliteratur  dreht  sich 
nämlich  um  die  Frage,  ob  die  melanotischen  Pigmente  durch  meta- 
bolischeZelltätigkeit  aus  ungefärbten  Vorstufen  entstehen 
oder  ob  sie  einfach  alsUmwandlungsprodukt  des  rotenBlut- 
farbstoffes  aufzufassen  seien .  Der  Nachweis  von  Eisen  in  einem 
Melanin  ist  vielfach  als  voUgiltiger  Beweis  für  die  letztgenannte 
Entstehungsart  angesehen  worden.  Es  ist  daher  von  um  so  größerer 
Wichtigkeit,  festzustellen,  daß  eine  Anzahl  von  Melaninen  aus 
Negerhaut^),  Chorioidea*),  sowie  aus  Tumoren  vom  Menschen^) 
und  vom  Pferde*)  bereits  in  eisenfreiem  Zustande  dargestellt 
worden  sind.  Ich  halte  daher  das  Eisen  für  den  Vorgang  der 
Pigmentbildung  ebensowenig  für  unentbehrlich  wie  den  Schwefel. 

Dagegen  wäre  es  immerhin  denkbar,  daß  das  (an  sich  schwefel- 
und  eisenfreie)  Melanin  oder  eine  Vorstufe  desselben  unter  Um- 

i)  E.  Spiegler,  Hofmeisters  Beitr.  4,  40  (1908). 

2)  E.  Zdarek  und  R.  v.  Zeynek,  Z.  f.  physiol.  Chemie  M»  493  (1902). 

3)  J.  C.  Abel  und  W.  S.  Davis,  Joum.  of  experim.  Med.  1,  361  (1S96). 

4)  Hirschfeld,  Z.  f.  physiol.  Chemie  1$,  418  (1889). 

5)  Berdez  und  M.  Nencki,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  20,  346  (1886). 

6)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  1.  c.  S.  145. 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  525 


ständen  mit  reaktionsfähigen  schwefel-  oder  eisenhaltigen  Gruppen 
sekundäre  chemische  Verbindungen  eingehen  könnte. 
Ich  glaube  allerdings,  daß  man  ganz  ebensogut  mit  der  Annahme 
physikalischer  Adsorptionsverbindungen  zwischen  Kol- 
loiden, die  sich  gegenseitig  zur  Ausfällung  bringen,  auskommen 
kann. 

Da  die  Analyse  der  Melanine  sich  als  ungeeignet  erwiesen  hatte,     Abbauver- 

suche 

die  Konstitution  derselben  irgendwie  aufzuklären,  hat  man  es 
mit  dem  Abbaue  versucht.  Von  hydrolytischen  Agentien  war  von 
vornherein  hier  gar  nichts  zu  erwarten,  da  die  Melanine  selbst 
von  kochender,  konzentrierter  Salzsäure  nicht  angegriffen  werden. 
Man  mußte  also  zu  noch  eingreifenderen  Mitteln  seine  Zuflucht 
nehmen. 

Bei  der  Kalischmelze  entsteht  zunächst  ein  dem  Melanin 
offenbar  noch  sehr  nahestehendes  Produkt,  die  Melaninsäure 
von  Nencki^),  welche  in  Alkalien  leicht  löslich,  durch  Säuren 
fällbar  ist.  Bei  weitgehender  Einwirkung  wird  das  Pigment- 
molekül zertrümmert,  wobei  wenig  charakteristische  Produkte, 
wie  flüchtige  Fettsäuren,  Oxalsäure,  Bernsteinsäure,  Ammoniak, 
Pyrrol  und  P5a-idin  entstehen.  Charakteristischer  wäre  das  (von 
Berdez  und  Nencki^)  beschriebene)  Auftreten  kleiner  Mengen  einer 
phenolartigen  Substanz  von  saurem  Charakter,  die  in  Äther 
löslich  ist  und  mit  Eisenchlorid  eine  blauschwarze  Färbung  gibt. 
Doch  sind  alle  meine  Bemühungen,  diese  Substanz  aus  sorgfältig 
gereinigtem  Hippomelanin  zu  erhalten,  vergeblich  gewesen. 

Bei  trockener  Destillation  ist  auch  nur  Pyrrol  und  Pyridin 
erhalten  worden.  Bei  energischer  Reduktion  mit  Jodwasser- 
stoffsäure und  Jodphosphonium  wird  das  für  alle  Hämatin- 
derivate  charakteristische  Hämopyrrol  vermißt^). 

Bei  Behandlung  eines  Pigmentkörpers  aus  Haaren  mit 
Kaliumbichromat  und  Schwefelsäure  erhielt  Spiegier  Methyl - 
dibutylessigsäure,  also  eine  Substanz  von  der  komplizierten 

(CHalaC  CH3  C(CH3)3 

Zusammensetzung  C 
COOH. 

i)  M.  Nencki  und  M.  Sieber,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  24,  17  (1887). 

2)  1.  c. 

3)  Spiegler,  L  c. 


526  XXIII.  Vorlesung. 


Femer  erhielt  Wolf^)  durch  Brombehandlung  eines  Pigment- 
präparates aus  sarkomatöser  Leber  ein  öl,  das  er  für  Xyliton 
C(CH3) 

!      i    ^u-  oder    eine    verwandte    Verbindung    hielt. 

C(CH3)2 

Da  es  weder  mir  noch  aber  auch  späterhin  Spiegier ^)  gelungen  ist, 
bei  ganz  analogem  Vorgange  eine  dieser  Substanzen  zu  erhalten 
(wenn  nämlich  ein  Melanin  das  Ausgangsmaterial  gebildet  hatte, 
das  durch  Vorbehandlung  mit  rauchender  Salzsäiu'e  in  der  Wärme 
ausreichend  gereinigt  worden  war),  erachte  ich  die  erwähnten  Be- 
funde als  für  das  Melaninproblem  nicht  unmittelbar  verwertbar. 
Durch  Oxydation  von  Hippomelanin  mit  Wasser- 
stoffsuperoxyd gelingt  es  leicht,  eine  klare  Lösung  zu  erhalten, 
wobei  viel  Oxalsäure  entsteht  und  mehr  als  die  Hälfte  des  vor- 
handenen Stickstoffes  in  Form  von  Ammoniak  abgespalten  wird. 

Ein  nicht  unbeträchtlicher  Stickstoffanteil  ist  jedoch  von  Rona 

NHo 

und    Rießer    als   Guanidin   C(NH)      erkannt  und  in  Form  des 

Pikrates  sowie  der  Platin  Verbindung  dieser  Base  isoliert  worden*). 
Theorie  der  Die  durch  Analyse  und  Abbauversuche  hinsichtlich  der  Natur 

^dung.  ^^^  Melanine  erlangten  Aufschlüsse  sind  also  überaus  dürftiger 
Natur.  Man  ist  jedoch  auf  einem  anderen,  indirekten  Wege  zu 
gewissen  Aufklärungen  in  bezug  auf  die  chemische  Natur  und 
Bildung  der  melano tischen  Pigmente  gelangt.  Ich  möchte,  zu 
Ihrer  schnelleren  Orientierung,  vorausschickend  bemerken,  daß 
ich  die  Vorstellung  entwickelt  habe  und  vertrete,  die  Vorgänge 
physiologischer  und  pathologischer  Melaninbildung  könnten  in 
zwei  Phasen  aufgelöst  werden.  Zunächst  erfolgt,  meiner  Meinung 
nach,  unter  Mitwirkung  eiweißspaltender  Enzyme  die  Ab- 
spaltung zyklischer  Komplexe  aus  dem  Proteinmole- 
küle; sodann  vollzieht  sich  durch  die  Wirkung   oxydativer 


i)  H.  Wolf,  Hofmeisters  Beitr.  5,  476  (1904). 

2)  Fürth  und  Jerusalem,  1.  c.  S.  143. 

3)  E.  Spiegier,  Hofmeisters  Beitr.  10,  253  (1907). 

4)  P.  Rona  und  O.  Rießer,  Z.  f.  physiol.  Chemie  57,  143  (1008); 
451,   12  (1909). 


Teguraentsubstanzen.  —  Melanine.  527 


Fermente   die    Ueberführung   dieser   zyklischen    Komplexe   in 
Melanine. 

Ich  will  nun  versuchen,  Ihnen  auseinanderzusetzen,  wie  ich 
zu  diesen  Vorstellungen  gelangt  bin. 

Es  ist  seit  langer  Zeit  bekannt,  daß  das  Eiweiß molekül  chromogene 
chromogene  Komplexe  enthält.  Schmiedeberg^)  hat  nun  beob-  '^Eiwelßmoie-"^ 
achtet,  daß,  wenn  Eiweißstoffe  längere  Zeit  mit  konzentrierten  kaie. 
Mineralsäuren  erhitzt  werden,  schwarzbraune,  melaninähnliche 
Produkte  zur  Abscheidung  gelangen.  Diese  »Melanoidine« 
liefern  bei  der  Kalischmelze  Indol  und  Skatol.  Da  Samuely^)  in 
Hofmeisters  Laboratorium  aus  Melanoidinen  durch  Reduktion 
auch  Pyridin  erhalten  hatte,  zog  er  den  Schluß,  daß  im  Eiweiß- 
moleküle nicht  nur  (wie  Nencki  angenommen  hatte)  ein  chro- 
mogener  Komplex  enthalten  sei,  daß  vielmehr  außer  dem 
Tryptophan  (s.  o.  S.  60)  auch  andere  zyklische  Gruppen  an 
der  Melanoidinbildung  beteiligt  sein  könnten.  Der  Umstand, 
daß  die  Melanoidinbildung  aus  Eiweiß  ausbleibt,  wenn  sich  die 
Säureeinwirkung  bei  gleichzeitiger  Reduktion  (z.  B.  bei  Gegen- 
wart von  Zinnchlorür)  vollzieht,  deutete  darauf  hin,  daß  die 
Bildung  dieser  dunkelgefärbten  Produkte  als  ein  oxydativer 
Vorgang  zu  betrachten  sei.  Es  ist  auch  schon  früher  von  mir 3) 
sowie  von  Ducceschi^)  gezeigt  worden,  daß  melaninartige  Sub- 
stanzen (Xanthomelanine),  die  auftreten,  wenn  die  (stark 
oxydativ  wirksame)  Salpetersäure  Eiweißkörper  tiefgreifend  ver- 
ändert, zu  den  zyküschen  Komplexen  des  Eiweißmoleküles,  ins- 
besondere zum  Tyrosin  in  unmittelbarer  Beziehung  stehen.  Auch 
ist  es  Ducceschi  gelungen,  eine  melaninartige  Substanz  direkt  zu 
erhalten,  wenn  er  Tyrosin  in  salzsaurer  Lösung  einer  vorsichtigen 
Oxydation  mit  chlorsaurem  Kali  unterwarf. 

Die  Entdeckung,  daß  das  Tyrosin  durch  Einwirkung  oxj^-  Pflanzliche 
dativer  Fermente  in  dunkelgefärbte  Produkte  umgewandelt  y^osinascn. 
werden  kann,  verdanken  wir  dem  ausgezeichneten  französischen 


i)  O.  Schmiedeberg,  Arch.  f.  exper.   Pathol.  S9,   i   (1897). 

2)  F.  Samuely  (Physiol.-chem.  Inst.  Straßburg),  Hofmeisters  Beitr. 
2,  388  (1902). 

3)  O.  V.  Fürth,  Über  die  Einwirkung  von  Salpetersaure  auf  Eiweiß- 
stoffe.   Habilitationsschr.  Straßburg  1899. 

4)  V.  Ducceschi,  Rend.d.  Accad.  dei  Lincei,  Rom  (5)  X,  3.  März  1901. 


528  XXIII.  Vorlesung. 


Insektenblutes. 


Biochemiker  Gabriel  Bertrand.  Dieser  vermochte  (z.  T.  gemein- 
sam mit  Bourquelot)  zu  zeigen,  daß  die  bekannte  Tatsache  des 
Nachdunkeins  der  Bruchflächen  mancher  Pilze  auf  die  Umwandlung 
vorhandenen  Tyrosins  durch  die  Wirkung  oxydativer  Fermente 
zu  beziehen  ist.  Solche  *Tyrosinason«i)  sind  in  verschiedenen 
Arten  von  Russula,  Boletus  und  anderen  Pilzen,  sowie  auch 
(von  dem  Würzburger  Hygieniker  Lehmann^))  in  vielen  Bakterien- 
arten gefunden  worden.  Auch  bei  höheren  Pflanzen  finden 
sie  sich  verbreitet,  z.  B.  in  Dahlien,  Runkelrüben  usw. 

Was  nun  das  Vorkommen  von  Tyrosinasen  im  Tierreiche  be- 
trifft, rührt  die  erste  Nachricht  über  ein  solches  von  Wilhelm 
Biedermann^)  her,  der  das  Vorkommen  einer  Tyrosinase  im 
Darminhaltc  des  Mehlwurmes  (Tenebrio  molitor)  nach- 
gewiesen hatte. 
Melanose    des        Vor  etwa  10  Jahren  habe  ich  nun  in  Hofmeisters  Laboratorium 

gemeinsam  mit  H.  Schneider^)  eine  Untersuchung  der  »Mela- 
nose« des  Insektenblutes  in  Angriff  genommen.  Die  Hämo- 
lymphe  der  Insekten  ist  nämlich,  im  Gegensatze  zu  dem  Blute 
aller  anderen  Tierklassen,  durch  die  sehr  auffallende  Eigen- 
tümüchkeit  ausgezeichnet,  daß  die  farblose  oder  schwach  tingierte 
Flüssigkeit  sich  kurze  Zeit  nach  Verlassen  des  Körpers  schwarz 
färbt.  Ich  vermochte  nun  meine  Neugierde  dahin  zu  befriedigen, 
daß  diese  so  seltsame  Erscheinung  durch  die  Wirkung  einer 
)>T5a-osinase «  auf  ein  im  Insektenblute  enthaltenes  Chromogen 
bedingt  ist.  Mit  Hilfe  der  Methode  der  fraktionierten  Salzfäljung 
konnte  dieses  Enzym  unschwer  aus  dem  Blute  von  Schmetter- 
lingspuppen abgetrennt  werden.  Eine  Tyrosinlösung  nahm  auf 
Zusatz  desselben  erst  eine  rötliche,  dann  eine  violette,  schließlich 
eine  tintig  schwarze  Färbung  an  und  es  kam  zu  einer  Abscheidung 
dunkler  Flocken,  bei  deren  näherer  Untersuchung  mir  die 
Ahnhchkeit  derselben  mit  den  natürhchen  Melaninen  auffiel. 
Diese  Beobachtung  brachte  uns  auf  den  Gedanken,  ob  nicht 
etwa,    ganz    allgemein    gefaßt,    die    Bildung    der    natürlich 

i)  Literatur  über  Tyrosinasen:    J.  H.  Kastle,  The  Oxidases,  Hyg. 
Labor.  Bulletin  No.  59,  Washington,  Government  Printing  Office  (19 10). 

2)  K.  B.  Lehmann  und  Sano,  Arch.  f.  Hygiene  67,  99  (1908). 

3)  W.  Biedermann,  Pflügers  Arch.   72,   105  (1898). 

4)  O.  V.  Fürth  und  H.  Schneider,  Hofmeisters  Beitr.  1,  229  (1901). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  529 

vorkommenden  melanotischen  Pigmente  auf  die  Ein-  Tyrosinase  in 
Wirkung  einer  Tyrosinase  auf  zyklische  Chromogene  ^J'X^^t 
ZU  beziehen  sei.  Falk  dieser  Gredanke  richtig  war,  mußte  man  podeu. 
erwarten,  in  Geweben,  in  denen  eine  besonders  lebhafte  Pigment- 
bildung sich  vollzieht,  die  Gegenwart  von  Tyrosinasen  nach- 
weisen zu  können.  Nun  gibt  es  sicherlich  kein  Organ,  in  dem 
sich  eine  lebhaftere  Bildimg  von  Melaninen  vollzieht  als  die 
Tintendrüse  der  Cephalopoden^).  Sind  doch  diese  Tiere, 
die  sogenannten  »Tintenfische  «,  von  der  Natur  mit  einem  eigenen 
melaninbildenden  Organe  ausgestattet  worden,  dessen  tinten- 
artiges (aus  einer  Suspension  von  Farbstoffkörnchen  bestehendes) 
Sekret  willkürlich  entleert  werden  kann  und  durch  die  dunklen 
Wolken,  welche  es  im  Wasser  bildet,  dazu  dient,  das  Tier 
den  Blicken  seiner  Verfolger  zu  entziehen.  Die  Untersuchung 
dieser  melaninbildenden  Drüse  auf  Tyrosinase  mußte  also  ein 
experimentum  crucis  auf  die  Richtigkeit  meiner  Vorstellungen 
über  fermentative  Pigmentbildung  abgeben.  Ich  bat  daher  meinen 
gerade  an  der  zoologischen  Station  in  Triest  arbeitenden  Freund, 
den  bekannten  Zoologen  und  Entwicklungsmechaniker  Hans 
Przibram,  die  Tintendrüse  von  Sepien  auf  die  Gegenwart  von 
Tyrosinase  hin  zu  untersuchen.  Ich  erinnere  mich  noch  lebhaft, 
daß  mir  nicht  oftmals  im  Leben  eine  wissenschaftüche  Erkenntnis 
so  viel  Freude  bereitet  hat,  wie  die  Mitteilung  Przibrams^),  der- 
zufolge  ein  durch  Verreiben  mit  Quarzsand  bereiteter  Auszug 
aus  der  Tintendrüse,  mit  Tyrosinlösung  versetzt,  bald  eine  safran- 
.gelbe  bis  orangerote,  sehr  schöne  Färbung  angenommen  und  so- 
dann einen  schwarzen  Niederschlag  abgesetzt  hatte.  Die  Be- 
obachtung des  Vorkommens  einer  Tyrosinase  in  der  Tintendrüse 
der  Cephalopoden  ist  seitdem  von  mehreren  Seiten  her  bestätigt 
worden®). 

Von  hier  aus  bis  zum  Nachweise   von  Oxydationsfer- 
menten  in   pigmentierten  Tegumenten  war   nurmehr  ein 


i)  Literatur  über  das  Tintensekret  der  Cephalopoden:  O.  v.  Fürth, 
Vergl.  ehem.  Physiol.,  369 — 373,  Jena  1903.  L.  Fredericq,  Handb. 
•d.  vergleich.  Physiol.,  herausgeg.  v.  Winterstein,  2,  II,  76 — 85  (1910). 

2)  O.  V.  Fürth  und  H.  Schneider,  Hofmeisters  Beitr.  1,  241  (1901). 

3)  C.  Gessard,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  54,   1304  (1908).     C.  Neuberg, 
Biochem.  Z.  8,  383  (1908). 

V.  Fürth,  Probleme.  ^4 


530  XXIII.  Vorlesung. 


Nachweis   von  Schritt.    Ein  solcher  Nachweis  ist  durch  die  Untersuchungen  von 
Tyrosinascn  In  Dewitz,  Gcssatd,  Phisalix,  Durham,  Meirowski  und  Gärtner  für 

pigmentierten     ,.— ,  tii  t-  xr  o 

Tegumenten.  die  Tegumente  von  Insektenlarven,  Fröschen,  Kröten,  Säuge- 
tieren und  Menschen  erbracht  worden*).  Es  hat  sich  bei  ersteren 
ein  gewisser  Parallelismus  zwischen  dem  zeitlichen  Auftreten  der 
Tyrosinase  und  der  Pigmentbildung  ergeben.  Faktoren,  welche, 
wie  der  Abschluß  des  Luftsauerstoffes,  die  Wirkung  der  Tyrosinase 
hindern,  vermögen  auch  das  Nachdunkeln  der  Tegumente  hintan- 
zuhalten. Bringt  man  z.  B.  junge  helle  Fliegenlarven  derart 
unter  Wasser,  daß  sie  nur  zum  Teile  davon  bedeckt  werden,  so 
wird  nur  jener  Teil  des  Körpers,  welcher  sich  außerhalb  des 
Wassers  befindet,  dunkel.  Auch  mit  öl  überzogene  Larven 
bleiben  hell,  ebenso  Tenebriolarven  in  einer  Stickstoffatmo- 
sphäre. Meirowski  fand  in  pigmentierter  menschlicher  und 
tierischer  Haut  eine  Oxydase,  die  zwar  nicht  auf  Tyrosin,  wohl  aber 
auf  Suprarenin  oxydierend  einwirkt. 
Nachweis  von  Der  Nachweis  einer  Tyrosinase  in  melanotischen 
TyrosinMen  in  Tumoren,  der  mir  (anscheinend  infolge  mangels  an  geeignetem 

melanotisctien  •   i   \       'ni  x^t  ■*         i 

Tumoren.  Materiale)  mißlungen  war,  ist  später  von  Gessard^)  und  anderen 
erbracht  worden.  Es  scheint,  daß  mehrfach  hydroxylierte 
Phenole  zum  Nachweise  geringer  Mengen  von  »Tyrosinase«  ge- 
eigneter sind  als  das  Tyrosin  selbst;  so  hat  Alsberg^)  das  Brenz - 
katechin,  Neuberg^)  some  Jäger ^)  das  Suprarenin  zum  Nach- 
weise eines  oxydativen  Fermentes  in  melanotischen  Tumoren 
benützt.  Durch  Ausziehen  der  Pigmenttumoren  von  Pferden 
mit  physiologischer  Kochsalzlösung  und  Zentrifugieren  des 
schwer  filtrierbaren  Extraktes   mit  Kieseiguhr   wurden   farblose 


i)  Dewitz,  C.  R.  Soc.  de  Biol.  54,  44  (1902),  C.  Gessard,  Compt. 
Rend.  139,  644  (1904)  und  frühere  Arbeiten.  Phisalix,  C.  R.  Soc.  de 
Biol.  58,  17  (1903).  Durham,  Proc.  Roy.  Soc.  74,  310  (1905)  und  Joum. 
of  Physiol.  35,  Proceed.  XLVII  (1907).  E.  Meirowski  (Hautklinik 
Neißer,  Breslau),  Zentralbl.  f.  Pathol.  20,  301  (1909).  R.  A.  Gortner 
(Carnegie  Inst.  Washington),  Journ.  of  biol.  Chem.  7,  365  (1910);  10,  89, 

113  (1911). 

2)  C.  Gessard,  Compt.  Rend.  138,   1086  (1903). 

3)  C.  L.  Aisberg,  Joum.  of  med.  Research.  16,   117  (1906). 

4)  C.  Neuberg,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  8,  95  (1909),   Biochem.  Z^ 

8,  383  (1909). 

5)  A.  Jäger  (Frankfurt),  Virchows  Arch.  108,  62  (1909). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  531 

Fermentlösungen  erhalten,  die  mit  Suprarenin  eine  tief  schwarze 

Färbung   annahmen.     Neuberg   fand   ein    Melanomferment,    das 
OH 

T}n'osin  c5oH4  nicht  anzugreifen  vermochte,  dem  dar- 

CHj-  CH  NH2-COOH 
aus  durch  Kohlensäureabspaltung  hervorgehenden  Oxyphenyl- 

OH 
äthylamin      /^    ^^    CH   NH      g^S^^^^^^  wirksam. 

Soweit  also  die  Befunde  über  das  Auftreten  oxydativer  Fer- 
mente im  Zusammenhange  mit  der  Bildung  melanotischer  Pig- 
mente. 

Meine  Vorstellung  hinsichtlich  des  Vorganges  der  Pigment- 
bildung setzt  nun  aber  voraus,  daß  in  den  melaninbildenden 
Zellen  ein  ungefärbtes  Chromogen  enthalten  isf,  welches  sich 
eben  unter  Einwirkung  eines  sauerstoffübertragenden  Kataly- 
sators in  Melanin  umwandelt.  Es  liegen  nun  tatsächlich  zahl- 
reiche Angaben  vor,  welche  dafür  sprechen,  daß  die  Melanine 
nicht,  wie  man  früher  gedacht  hatte,  aus  zugeführtem  durch 
Erythrozytenzerfall  freiwerdendem  rotem  Blutfarb- 
stoffe, vielmehr  durch  metabolische  Zelltätigkeit  aus  un- 
gefärbtem Materiale  entstehen  i).  Hierher  gehören,  um  nur  einige 
Beispiele  anzuführen,  Beobachtungen  von  G.  Schwalbe  an  der 
Rückenhaut  des  Hermelins^),  von  H,  Rabl^)  an  Dunen- 
federn des  Hühnchens,  von  Posi^)  an  Epidermiszellen, 
von  A.  Fischel^)  an  Salamanderlarven,  von  L.  Löb^)  an 
weißer  Meerschweinchenhaut,  die  auf  schwarze  Indi\aduen 
transplantiert  worden  war. 

Die  Angabe,  daß  das  Melanin  aus  zerfallenden  roten  Blutzellen    Meianinwid. 
entsteht,  wird  eigentlich  schon  durch  Betrachtung  der  Leptho-  b?nfrcicn"*Tic^ 

ren. 


i)  Literatur,  betr.  morphologische  Beobachtungen  über  physiologische 
und  pathologische  Melaninbildung:    O.  v.  Fürth,  Zentralbl.  f.  Pathol.  15, 

617—633  (1904). 

2)  G.  Schwalbe,  Morphol.  Arb.,  herausgeg.  v.  G.  Schwalbe,  2,  483 

(1893). 

3)  H.  Rabl,  Zentralbl.  f.  Physiol.  8,  265  (1894). 

4)  H.  Post,  Virchows  Arch.  8,  256  (1894). 

5)  A.  Fischel,  Arch.  f.  mikrosk.  Anat.  47,  471  (1896). 

6)  L.  Lob,  Arch.  f.  Entwicklungsmech.  6,'  i   (1897). 

34* 


532  XXIII.  Vorlesung. 


cephaliden  widerlegt.  Es  sind  dies  kleine  Fischchen,  die  gegen- 
wärtig als  Larvenzustände  von  Aalarten  aufgefaßt  werden.  Diese 
Tierchen  sind  so  vollkommen  durchsichtig,  daß  man  imstande 
ist,  mit  ihrem  Leibe  bedeckte  Buchstaben  zu  lesen.  Das  Blut 
der  Lepthocephaliden  ist  merkwürdigerweise  farblos  imd  enthält 
farblose, kernhaltigeBlutkörperchen, die  genau  denjenigen  gleichen, 
die  bei  anderen  Fischen  Träger  des  Hämoglobins  sind.  Dennoch 
sind  die  Lepthocephaüden  keineswegs  pigmentlos.  Sie  tragen 
Reihen  schwarzer,  aus  Pigmentzellen  bestehender  Punkte  am 
Rücken,  und  neben  dem  Darme  und  sie  wären  im  Wasser  fast 
unsichtbar,  wenn  nicht  ihre  schwarzen  Augen  sie  verraten  würden. 
Es  ließen  sich  ferner  leicht  unzählige  Beispiele  für  Melanin - 
bildung  bei  hämoglobinfreien  Avertebraten  anführen. 
Die  Produktion  des  Tintensekretes  bei  den  Cephalopoden  ist 
auch  em  solches  Beispiel,  da  ja  die  letzteren  kein  Hämoglobin, 
vielmehr  das  blaue,  kupferhaltige  Hämocyanin  in  ihrem  Blute 
führen.  Die  Trabekeln  der  Tintendrüse  sind  zunächst  mit  farb- 
losen Epithelzellen  bedeckt,  die  sich  erst  allmählich  mit  Pigment- 
körnern beladen. 
Meianinbii-  In   bezug    auf   die   Melaninbildung  in    pathologischen 

^""mni"n  ^"  Neubildungcu  hat  Ernst  Fuchs ^)  die  ältere  Auffassung,  derzu- 

folge  eine  Durchtränkung  mit  ausgetretenem  Blutfarbstoffe  die 
Vorbedingung  einer  Pigmentbildung  sein  sollte,  energisch  zurück- 
gewiesen. Jene  Art  von  Pigment,  welche  in  der  Nachbarschaft 
von  Blutextra vasaten  auftreten  kann,  unterscheidet  sich  auf  den 
ersten  Blick  von  dem  echten,  auf  metabolischem  Wege  ent- 
standenen Tumorenmelanine :  während  das  erstere  alle  Übergangs- 
stufen von  gelb  zu  rot  und  schwarz  zeigen  kann,  sind  schon  die 
jüngsten  Melaninkörper  schwarz  gefärbt.  j>Es  scheint  eine  Art 
von  Infektion  zu  existieren«,  sagt  E,  Fuchs,  »welche  von  den 
gefärbten  Zellen  auf  die  benachbarten  ungefärbten  ausgeübt  wkd, 
so  daß  auch  die  letzteren  veranlaßt  werden,  auf  metaboüsche  Art 
Pigment  zu  erzeugen.  Eine  ähnliche  Infektion  scheint  auch  die 
Ursache  zu  sein,  warum  die  sekundären  Knoten  in  den  inneren 
Organen  gefärbt  sind.  Dieselben  entstehen  durch  Embolie  mit 
Zellen  der  primären  Geschwulst,  welche  die  Zellen  der  benach- 


moren. 


i)  E.  Fuchs,  Das  Sarkom  des  Uvealtraktes,  S.  123,  Wien  1882. 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine. 


533 


harten  Organe  nicht  bloß  zur  Vermehrung  und  Bildung  von 
Geschwulstzellen  anregen,  sondern  auf  dieselben  auch  die  Fähig- 
keit übertragen,  Pigment  zu  bilden«.  Auch  v.  Recklingshausen, 
Birch-Hifschfeld  und  eine  Reihe  anderer  hervorragender  Patho- 
logen haben  sich  im  Sinne  der  Annahme  einer  metabolischen 
Pigmentbildung  ausgesprochen,  Kaposi^)  hat  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß,  wenn  man  bei  einem  Falle  von  Melanosarkomatose 
binnen  wenigen  Monaten  mehrere  tausend  blauschwarzer  Knoten 
in  allen  Organen  sich  entwickeln  sieht  und  (der  Schätzung  nach) 
einige  hundert  Gramm  Farbstoff  neu  entstehen,  man  gar  nicht 
daran  denken  kann,  diese  riesige  Pigmentbildung  auf  zerfallene 
rote  Blutkörperchen  zurückzuführen.  Offenbar  handelt  es  sich 
um  einen  diu'chaüs  perversen  Stoffwechsel,  bei  dem  das  Eiweiß 
gewissermaßen  zugunsten  des  Farbstoffes  liquidiert 
wird. 

Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  farblose  Pigment - 
Vorstufen  in  melaninbildenden  Zellen  direkt  auf  chemischem 
Wege  zur  Anschauung  zu  bringen.  Von  den  Arbeiten  Meirowskis 2) 
über  postmortale  Pigmentbildung  in  ausgeschnittenen  Hautstücken 
habe  ich  bereits  bei  früherer  Gelegenheit  (s.  S.  419)  gesprochen. 
Wurden  die  letzteren  mehrere  Tage  in  der  feuchten  Kammer  bei 
höherer  Temperatur  gehalten,  so  erfolgte  eine  Pigmentbildung, 
die  am  ausgesprochensten  war,  wenn  die  Haut  von  dunkel- 
pigmentierten Individuen,  bzw.  Hautstellen  stammte.  Ausfall 
der  Nebennierenfunktion  soll  die  Neigung  zur  postmortalen 
Pigmentbildung  steigern,  und  es  ist  immerhin  denkbar,  daß  die 
bekannte  Addisonfärbung  durch  eine  vermehrte  Chromogen- 
anhäufung  in  der  Epidermis  verursacht  ist  3).  Ernst  Fuchs^)  fand 
unter  den  von  ihm  operierten  zahlreichen  Fällen  von  Chorioi- 
dealsarkom  ein  solches,  das  nur  teilweise  pigmentiert,  teilweise 
aber  ungefärbt  war.  Stückchen  des  ungefärbten  Teiles,  mehrere 
Tage  im  Paraffinofen  über  Wasser  bei  56°  gehalten,  wurden 
ganz  schwarz,  was  offenbar  so  zu  erklären  ist,  daß  das  in  den 


Nachweis 

farbloser 

Chromogene. 


i)  M.  Kaposi,  Arch.  f.  Dermatol.  1891,   191. 

2)  Meirowski,  Frankfurter  Zeitschr.  f.   Pathol.  2,  438  (1909). 

3)  H.   Königstein,   Wiener   klin.  Wochenschr.  23,  616  (1910),   vgl. 
auch  R.  Winternitz  (Prag),  Arch.  f.  Dermatol.  107,  295  (191 1). 

4)  E.  Fuchs,  Arch.  f.  Ophthalmol.   77,  352 — 353  (1910). 


534 


XXIII.  Vorlesung. 


Gewinnung 
pflanzlicher 
Tyrosinasen. 


ungefärbten  Zellen  enthaltene  farblose  Melanogen  eine  (durch 
Wärme,  Feuchtigkeit  und  die  Gegenwart  katal3^isch  wirk- 
samer Agentien  beschleunigte)  Umwandlung  in  Melanin  erfahren 
hatte. 

Durch  Silberimprägnation  werden  unter  gewissen  Be- 
dingungen nicht  nur  melanotische  Pigmentzellen,  sondern  auch 
farblose  fötale  Zellen  gleicher  Art  geschwärzt,  während  dieses 
Vermögen  beim  Albinismus  anscheinend  fehlt*).  Dagegen  soll  in 
den  Tegumenten  albinotischer  Ratten  durch  Behandlung  mit 
Formalin  und  Wasserstoffsuperoxyd  ein  Chromogen  nach- 
weisbar sein  2). 

Man  hat  sich  vielfach  bemüht,  über  die  »Tyrosinase«  etwas 
Nälieres  zu  erfahren.  Das  Studium  des  Enzyms  ist  schon  deshalb 
kein  ganz  leichtes,  weil  das  letztere  nicht  allzu  bequem  zugänglich 
ist.  Ich  habe  dasselbe  bei  meinen  (gemeinsam  mit  Jerusalem^) 
ausgeführten)  neueren  Untersuchungen  \ielfach  aus  Agaricus 
meleus  gewonnen,  dem  »Hallimasch  «,  der  in  Wien  im  Spätherbste 
in  großen  Mengen  auf  den  Markt  gebracht  zu  werden  pflegt. 
Mehrere  Kilogramme  der  Pilze  wurden  mit  Sand  verrieben,  mit 
Chloroformwasser  extrahiert  und  die  dekantierte  Flüssigkeit  mit 
Alkohol  gefällt.  Der  Niederschlag  erwies  sich  tyrosinasehaltig.  Die 
Fermentlösungen,  ebenso  wie  tyrosinasehaltige  Trockenpräparate 
waren  wenig  haltbar ;  auch  wird  die  Tyrosinase  schon  von  Brut- 
ofenwärme merklich  geschädigt. 
Quantitative  Das  Studium  der  Fermentkinetik  der  Tyrosinase  hatte 
^^  M^iiüü""^  ^'  natürlicherweise  die  Bedingung  zur  Voraussetzung,  die  Menge 
des  in  einer  Versuchsphase  gebildeten  Melanins  quantitativ  zu 
bestimmen.  Ich  habe  (mit  Jerusalem)  zu  diesem  Zwecke  zwei  Me- 
thoden ausgearbeitet :  Man  kann  die  gebildete  Melaninmenge  ent- 
weder nach  Sedimentierung  mit  Hilfe  der  Zentrifuge  schätzen. 
Ein  unvergleichlich  höheres  Maß  von  Genauigkeit  und  überdies 
die  Möglichkeit,  auch  sehr  geringe  Melaninmengen  in  einer  und 


Melanins. 


i)  F.  Schreiber  und  P.  Schneider,  Münchener  med.  Wochenschr.  55, 
1918  (1908).    E.  Bizzozero  (Dermatol.  Klinik  Bern),  ibid.  55,  2140  (1908). 

2)  G.  P.  Mugde,  Journ.  of  Physiol.  38,  Proc.  Physiol.  Sog.  27.  March 
1909,  vgl.  auch  R.  A.  Gortner,  Amer.  Natur.  44,  Aug.  1910,  zit.  n.  Biochem. 
Zentralbl.  11,  Nr.  280. 

3)  O.  V.  Fürth  und  E.  Jerusalem,  1.  c. 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  535 


derselben  Probe  zu  verschiedenen  Zeiten  messend  miteinander 
vergleichen  zu  können,  bot  uns  die  spektrophoto metrische 
Methode.  Dieselbe  gestattete  einen  Rückschluß  auf  die 
relative  Menge  des  gebildeten  Melanins,  da  ja  bekanntlich 
zwischen  der  Konzentration  einer  Farbstofflösung  und  ihrem 
Extinktionskoeffizienten  für  einen  bestimmten  Spektralbezirk 
Proportionalität  besteht.  Auf  eine  Bestimmung  des  Absorptions- 
verhältnisses, welches  einen  Rückschluß  auf  die  absolute 
Meläninmenge  gestattet  hätte,  haben  wir  uns  angesichts  des 
Fehlens  einer  entsprechenden  reinen  Standardlösung  nicht  ein- 
gelassen. Ob  dieser  Methode  gegenüber  ein  titrimetrisches 
Verfahren  von  Bach^),  welches  auf  der  Tatsache  beruht,  daß 
Melanin  durch  verdünnte  Permanganatlösung  entfärbt  wird, 
wirklich  einen  Fortschritt  bedeutet,  ist  mir  um  so  zweifelhafter, 
als  es  sich  bei  dieser  Entfärbung  des  Melanins  um  einen  kom- 
plizierten, seinem  Wesen  nach  durchaus  unaufgeklärten  Vorgang 
handelt;  die  größere  »Regelmäßigkeit«  der  gewonnenen  Resultate 
könnte  ebensogut  in  einer  geringeren  Empfindlichkeit  der  Methode 
begründet  sein. 

Was  den   Reaktionsverlauf  der   Melaninbildung  betrifft,     wirkungs- 

...  weise  der  Ty* 

zeigen  die  Kurven,  die  man  erhält,  wenn  man  die  Zeit  als  Abszisse,  rosinasen. 
die  gebildete  Pigmentmenge  als  Ordinate  aufträgt,  einen  ganz 
charakteristischen  Verlauf,  insofern  dieselben  nach  steilem  An- 
stiege umbiegen  und  sich  asymptotisch  der  horizontalen  Richtung 
mehr  und  mehr  nähern  2).  Nach  Bach  gehorcht  die  Melanin- 
bildung der  allgemeinen  Regel  des  Massenwirkungsgesetzes, 
jedoch  mit  der  Abweichung,  daß  die  Aktivität  des  Fermentes  im 
Verlaufe  der  Reaktion  sich  mehr  und  mehr  erschöpft,  wodurch 
eben  der  charakteristische  Kurven  verlauf  verursacht  wird.  Ich 
stimme  mit  Bach  vollkommen  in  Bezug  auf  die  Annahme  überein, 
daß  die  Tyrosinasen  jener  Klasse  von  Fermenten  zuzuzählen  sind, 
welche   (nach   der  Definition  von   Bach  und   Chodat)  als   Per- 


i)  Bach,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  41,  216  (1908). 

2)  Bach,  Ber.  d.  deutsch,  ehem.  Ges.  SO,  2126  (1906);  41,  221  (1908); 
*2,  594  (1909),  vgl.  auch  Chodat  und  Staub,  Arch.  Sciences  Phys.  Nat. 
2S,  265  (1907)  (zit.  n.  Kastle,  1.  c).  Chodat,  ibid.  34,  178,  23  (zit. 
Bach).     Fürth  und  Jerusalem,  1.  c. 


536  XXIII.  Vorlesung. 


oxydasen  bezeiclinet  werden^),  also  den  durch  Wasserstoff- 
superoxyd aktivierbaren  Fermenten.  Allerdings  tritt  diese 
aktivierende  Wirkung  nur  bei  geringen  Wasserstoffsuperoxyd- 
konzentrationen zutage,  während  größere  Mengen  eine  Hemmungs- 
wirkung entfalten.  Von  den  oxydativen  Fermenten  im  all- 
gemeinen soll  erst  in  einer  späteren  Vorlesung  die  Rede  sein. 
Hier  möchte  ich  nur  noch  einige   Punkte  hervorheben. 

Die  Tyrosinase  kann  in  ihrer  Wirkung  außer  durch  Wasser- 
stoffsuperoxyd auch  durch  gewisse  Katalysatoren  verstärkt 
werden;  so  durch  Ferrosulfat*)  und  durch  kolloidale  Edel- 
metalle^). Es  sind  neuerer  Zeit  schwere  Zweifel  in  bezug  auf 
die  »Spezifizität «  der  Peroxydasen  geltend  gemacht  worden  und 
es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  gewisse  künstlich  darstell- 
bare chemische  Verbindungen  durchaus  befähigt  sind,  ganz 
analoge  »Fermentwirkungen«  zu  entfalten.  Ähnliches  gilt  auch 
in  Bezug  auf  die  Tyrosinasen ;  so  ist  das  Eisentannat  eine  Sub- 
stanz, die  sich  in  gewisser  Hinsicht  wie  ein  oxydatives  Ferment 
verhält,  im  Gegensatze  zu  anderen  Peroxydasen  jedoch  nicht  nur 
Polyphenole,  sondern  auch  Monophole  sowie  T5a-osin  anzugreifen 
vermag*).  Es  ist  immerhin  wichtig,  zu  betonen,  daß  den  Tyrosi- 
nasen ein  gewisser  Grad  von  Spezifizität  zukommt:  Sie  sind  be- 
fähigt. Mono- und  Polyphenole^)  zu  oxydieren;  so,  außer  dem 
Tyrosin,  das  Brenzkatechin,  Suprarenin  und  die  Homogentisin- 
säure,  nicht  aber  das  Phenylalanin,  Indol  und  Prolin.  In  Betreff 
der  ihnen  zugeschriebenen  Wirkung  auf  das  Tryptophan  ist  es 
zweifelhaft,  ob  diese  nicht  auf  eine  Beimengung  von  Oxytrypto- 
phan  zu  beziehen  sei.     Auch  tyrosinhaltige  Polypeptide®) 


i)  Literatur  über  Peroxydasen:  A.  Bach  und  Chodat,  Sammelreferat, 
Biochem.  Zentralbl.  1,  417  (1903).  A.  Bach,  Sammelreferat,  Biochem, 
Zentralbl.  9  (1909).     Kastle,  1.  c. 

2)  Durham,  1.  c. 

3)  Foä  und  Aggazzotti,  Giom.  Accad.  med.  di  Torino  13,  221 
(1907). 

4)  Stöcklin,  Compt.  Rend.  147,   1489  (1908). 

5)  G.  Bertrand,  Compt.  Rend.  145,   1352  (1908).     Neuberg,  1.  c. 

6)  E.  Abderhalden  und  Guggenheim,  Z.  f.  physiol.  Chemie  54,  331 
(1907);  57,  329  (1908).  Chodat  und  Staub,  Arch.  Sciences  Phys.  Nat. 
24,   172  (1907). 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  537 


werden  von  dem  Enzyme  in  ähnlicher  Weise  unter  der  Bildung 
rot  und  rotbraun  gefärbter  Produkte  und  flockiger  Melanin- 
niederschläge oxydiert  wie  das  T}n'osin  selbst.  Versuche  Gessards, 
der  durch  eine  immunisatorische  Bildung  von  »Antityrosinase« 
die  Spezifizität  der  Tyrosinase  beweisen  wollte,  vermochte  ich 
(mit  Jerusalem)  nicht  zu  bestätigen. 

Das  Melaninproblem  bietet  dem  Ph3^iologen  noch  eine  weitere  Meianogen  im 
sehr  interessante  Seite:  die  Ausscheidung  eines  »Melanogens« 
im  Harne,  die  bei  Melanosarkomatose  innerer  Organe,  also 
bei  reichlichem  Melaninzerfalle  im  Stoffwechsel,  gelegentlich  zur 
Beobachtung  gelangt.  Man  bemerkt  in  solchen  Fällen,  daß  der 
Urin  bei  Zutritt  von  Luft  und  Licht  eine  schwarze  Färbung  an- 
nimmt, welche  Veränderung  sich  bei  Zusatz  oxydierender  Stoffe 
(wie  Kaliumbichromat  und  Schwefelsäure,  Eisenchlorid  u.  dgl.) 
augenblicklich  vollzieht  ^ ) . 

Es  ist  Robert^)  gelungen,  durch  Injektion  alkalischer  Lösungen 
von  Tumor-  und  Sepiamelanin  die  Ausscheidung  eines  melanogen- 
haltigen  Harnes  zu  produzieren.  Mir 3)  selbst  sind  Versuche, 
durch  intravenöse  und  intraperitoneale  Injektion  großer  Mengen 
von  alkalilöslicher  Melaninsäure  bei  Tieren  Melanogenausscheidung 
künstlich  zu  erzeugen,  fehlgeschlagen.  Es  liegt  dies  vielleicht  an 
der  Natur  des  angewandten  Melanins. 

Kürzlich  hat  Hans  Eppinger^)  im  Laboratorium  S.  Fränkels 
Versuche  ausgeführt,  um  das  Meianogen  aus  dem  Harne  eines  an 
Melanosarkomatose  leidenden  Kranken  zu  isolieren.  Dasselbe 
wurde  aus  der  Fällung  mit  Merkurisulfat  nach  Zerlegen,  Einengen 
im  Vakuum  unter  Sauerstoffabschluß  usw.  schließlich  nach  Um- 
fällung  aus  Methylalkohol  durch  Äther  in  Form  einer  aus  feinsten 
Nadeln  bestehenden  hygroskopischen  Kristallmasse  erhalten.  Die 
so  gewonnene  Substanz  gab,  außer  der  charakteristischen  Dunkel- 
färbuag  durch  Oxydationsmittel,  einige  dem  Tryptophan 
eigentümliche  Farbenreaktionen  sowie  die  Reaktion  von  Thor- 

i)  Literatur  über  Meianogen  im  Harne:  O.  v.  Fürth,  Zentralbl.  f. 
allgem.  Pathol.  15,  638 — 640  (1904).  R.  v.  Zeynek,  Der  Harn.  Handb., 
herausgeg.  von  C.  Neuberg,  S.  893 — 895.    J.  Springer,  Berlin  191 1. 

2)  R.  Kobert,  über  Melanine.    Wiener  Klinik  27,   1901. 

3)  O.  V.  Fürth  und  E.Jerusalem,  Hofmeisters  Beitr.  10,  130  (1907). 

4)  H.   Eppinger,   Biochem.   Z.   28,    181    (1910). 


M 


538  XXIII.  Vorlesung. 


mahlen  (d.  h.  Violettfärbung  durch  Nitropnissidnatrium  und 
Lauge,  die  nach  Ansäuern  mit  Essigsäure  in  ein  prachtvolles 
Blau  umschlägt)  und  lieferte  bei  trockener  Destillation  PyrroL 
Die  Analj^e  deutet  angeblich  auf  die  Formel  CeHi2N2S04  hin. 
Der  Schluß,  daß  es  sich  um  eine  N-Methylpyrrolidinoxy- 
karbonsäure  handelt,  die  in  Form  einer  Ätherschwefelsäure  vor- 
liegt und  an  einer  sauren  Gruppe  amidiert  ist,  erscheint  schon 
angesichts  des  Mangels  von  Kontrollanalysen  als  verfrüht.  Das 
Chromogen  scheint  sich  vom  Tryptophankomplexe  des  Ei- 
weißmoleküls abzuleiten.  Eppinger  hat  den  Versuch  gemacht, 
durch  Verwertung  der  Nitroprussidreaktion  auf  kolorimetrischem 
Wege  den  Einfluß  der  Nahrung  festzustellen:  Während  Tyrosin- 
und  Phenylalaninzufuhr  ohne  Wirkung  blieben,  vermochte  Tryp- 
tophanfütterung  die  Melanogenausscheidung  auf  das  Dreifache 
zu  steigern.  Der  Befund  wird  in  der  Art  gedeutet,  daß  der 
Organismus  nur  imstande  ist,  den  Sechsring  des  Indolkomplexes 

CH, 

im    Tryptophan      i  CHNH«     zu    zerstören;    der    Pyrrol- 

>*      COOK 

ring  soll  erhalten  bleiben  und  schließlich  (angebhch  nach  Methy- 
lierung,  Hydroxylierung,  Paarung  mit  einer  Atherschwefelsäure 
und  Amidierung)  im  Harne  als  Melanogen  zum  Vorscheine 
kommen.  Sei  dem  wie  immer,  so  ist  —  und  das  ist  für  uns  vorder- 
hand das  Interessante  —  ein  Zusammenhang  zwischen  dem 
Melanin  und  dem  Tryptophankomplexe  im  Eiweißmolcr 
kül  einigermaßen  wahrscheinlich  geworden.  Ein  vereinzelter 
Fall  von  Melanurie  (bei  Darmtuberkulose)  ohne  Vorhandensein 
eines  melano tischen  Tumors^)  erscheint  unter  diesem  Gre- 
sichtspunkte  nicht  vollkommen  unverständlich. 

ÜberbUcken  wir  zum  Schlüsse  unserer  heutigen  Wanderung 
den  langen  zurückgelegten  Weg,  so  sehen  wir,  daß  die  Gesamtheit 
der  vor  hegenden  Erfahrungen  durchaus  zugunsten  jener  Lehre 
spricht,  welche  ich  vor  Jahren  aufgestellt  habe:  wir  dürften  also 
wirklich  in  der  Abspaltung  zyklischer  Komplexe  aus  dem 
Eiweißmoleküle  und  der  fermentativen  Oxvdation  das 
Wesen    der   Melaninbildung    richtig    erfaßt    haben.     Es 

i)  J.  Gnedza,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1M8,   1189. 


Tegumentsubstanzen.  —  Melanine.  539 


ist  lehrreich,  daß  kürzlich  von  Gabriel  Berlrand^)  der  Beweis 
erbracht  worden  ist,  daß  dem  Vorgange  der  Dunkelfärbung  des 
Schwarzbrodes  dasselbe  Prinzip  zugrunde  liegt.  Aufgabe 
weiterer  Forschungen  ist  es  zunächst,  festzustellen,  welche  von 
den  zyklischen  Komplexen  des  Eiweißmoleküles  bei  der 
Melaninbildung  die  wesentlichste  Rolle  spielen,  und  ob  auch 
andere  Gruppen  bei  dem  Vorgange  mitbeteiligt  sind. 


i)  G.  Bertrand  et  W.  Mutermilch,  Ann.  de  l'Inst.  Pasteur  21,  833 
(1907). 


XXIV.  Vorlesung. 

Die  Geschwülste. 

Ich  beabsichtige  unsere  gewebschemischen  Betrachtungen  mit 
einem  Überblicke  der  chemischen  Seite  des  Problems  der  patho- 
logischen Neubildungen  zu  beschließen.  Viele  Jahrhunderte 
lang  hatte  die  wissenschaftliche  Erforschung  der  Geschwülste 
ausschließlich  in  den  Bahnen  morphologischer  Betrachtung  ge- 
wandelt. Das  letzte  Dezennium  hat  jedoch,  im  Anschlüsse  an 
den  gewaltigen  Aufschwung  der  Immunitätslehre,  ein  entschie- 
denes Abschwenken  der  Tumorforschung  nach  der  chemischen 
Seite  hin  mit  sich  gebracht.  Noch  hat  die  chemische  Physiologie 
keinen  Grund,  auf  die  hier  errungenen  Erfolge  mit  übergroßem 
Stolze  zu  blicken;  einige  Ansätze,  einige  Hoffnungen  sind  aber 
immerhin  vorhanden,  derart,  daß  dieser  Gegenstand,  schon  in 
Anbetracht  seiner  außerordentlich  großen  praktischen  Wichtig- 
keit, das  Interesse  jedes  Biochemikers  in  vollstem  Maße  verdient. 
Sie  werden  nicht  von  mir  erwarten,  daß  ich  das  ganze  Problem, 
das  ja  in  seinem  ungeheueren  Umfange  die  halbe  Pathologie  um- 
faßt, in  systematischer  Weise  vor  Ihnen  aufrolle.  Ich  will  mich 
vielmehr  darauf  beschränken,  Ihnen  zu  erzählen,  was  eben  den 
Chemiker,  von  seinem  besonderen  Gesichtspunkte  aus,  daran 
gegenwärtig  am  meisten  interessiert. 
Embryonaler  Manche  Pathologen  haben  den  »embryonalen  Charakter« 
Tuinorzeiien/  ^^^"  Zellen  maligner  Neubildungen  vielfach  betont.  Einen  recht 
interessanten  Beleg  für  eine  gewisse  Berechtigung  einer  solchen 
Auffassung  glauben  nun  Heß  und  Saxl^)  kürzüch  erbracht  zu 
haben.    Man  kann,  wie  Mawrakis  es  getan  hat,  durch  Injektion 


i)  L.  Heß  und  P.  Saxl  (Klinik  von  Noorden,  Wien),  Beiträge  zur  Kar- 
zinomforschung.   Berlin  und  Wien  1909,  Urban  u.  Schwarzenberg. 


Die  Geschwülste.  541 


von  Phosphorwasser  in  die  Gefäße  eines  ausgeschnittenen  Organes 
die  autolytischen  Vorgänge  innerhalb  eines  solchen  erheblich  stei- 
gern. Als  Folge  davon  erscheint  ein  »Verfettungsvorgang«, 
dessen  Wesen  darin  beruht,  daß  Fett  zwar  nicht  neugebildet, 
jedoch  aus  einer  unsichtbaren  in  eine  sichtbare  Form  übergeführt 
wird.  Diese  Fähigkeit  zur  Ausbildung  der  »Fettphanerose «  (wie 
man  diesen  Vorgang  auch  jetzt  wohl  bezeichnet)  geht  nun  sowohl 
malignen  Neubildungen  als  auch  embryonalen  Organen  ab. 
Letzteres  konnte  an  embryonalen  Nieren  unter  Versuchsbedin- 
gungen nachgewiesen  werden,  welche  in  den  Nieren  erwachsener 
Individuen  stets  t5T)ische  »Verfettung  «  zur  Entwicklung  brachten. 

Es  wird  jedem  Menschen,  auch  wenn  er  sich  noch  so  modern  Umwandlung 
dünkt  und  auf  seine  Aufnahmsfähigkeit  neuen  Eindrücken  gegen-  ^°J|  sarkoni*"' 
über  etwas  zugute  tut,  schwer,  sich  von  Vorstellungen,  mit  denen 
er  aufgewachsen  ist,  ganz  loszulösen.  So  wird  es  uns,  denen  in 
unseren  medizinischen  Lehrjahren  die  scharfe  histologische  und 
genetischeTrennungder  beidenHaupttypenbösartigerGe- 
schwülste  wie  ein  Dogma  eingeprägt  worden  ist,  sicherlich  nicht 
leicht,  uns  von  diesen  Vorstellungen  ganz  loszumachen.  Und  docli 
bleibt  uns  gegenüber  Befunden,  wie  sie  zuerst  von  Ehrlich  und 
Apolant  und  dann  von  vielen  anderen i)  mitgeteilt  worden  sind,  am 
Ende  nicht  viel  anderes  übrig.  So  hat  z.  B.  Stahr^)  im  binde- 
gewebigen Stroma  eines  Mäusekarzinoms  Sarkomentwicklung 
beobachtet.  Die  Geschwulst  ließ  sich  durch  Impfung  weiter  über- 
tragen. Die  allmähhch  einsetzende  Sarkomentwicklung  führte 
in  der  dritten  Generation  zu  schnell  wachsenden  Spindelzellen- 
sarkomen mit  hoher  Impfausbeute.  Nach  Transplantation  schein- 
bar reiner  Sarkome  kam  es  bei  zahlreichen  Mäusen  wieder  zur 
Bildung  von  Karzinomen,  aus  denen  sich  aber  später  wieder  in  ein- 
zelnen Fällen  Sarkome  ableiten  ließen.  Man  hat  es  versucht,  sich 
mit  derartigen  Befunden  durch  den  Einwand,  der  erste  Tumor 
sei  eine  Mischgeschwulst  aus  Karzinom  und  Sarkom  gewesen, 
oder  die  scheinbaren  Sarkome  müßten  als  » Granula  tions- 
geschwülste«  aufgefaßt  werden,  abzufinden.    Es  macht  mir  aber 


i)  Bash f ord und H aal and,L.Loeb,Liep mann, Lewin, Seh morl. 
2)  H.  Stahr  (Inst.  Lubarsch,  Düsseldorf),  Zentralbl.  f.  allgem.  Pathol. 
21,  108  (1910). 


542  XXIV.  Vorlesung. 


doch  den  Eindruck,  daß  man  mit  dergleichen  Erklärungsver- 
suchen nicht  auskommt,  und  daß  man  (im  Sinne  von  Ehrlich  und 
Apolant)  eine  Reizwirkung  heranziehen  muß,  welche  die 
Krebszellen  auszuüben  vermögen  und  welche  sie  befähigt,  Binde- 
gewebselemente  und  andere  normale  Zellen  zu  maligner  Ent- 
artung zu  veranlassen. 
Chemische  Es  ist  für  die  Auffassung  des  Wesens  mahgner  Tumoren  von 

mung^rwfechen  Wichtigkeit,  festzustellen,  daß  die  chemischen  Vorgänge  in  den 
Metasusen  u.  letzteren  sich  im  großen  ganzen  in  derselben  Richtimg  bewegen 
^sprungsge^"  ^^^  diejenigen  in  normalen  Geweben  verwandten  Ursprunges, 
webe.  Wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  könnte  man  die  vielfach  festgestellte 
Tatsache  schwer  verstehen,  daß  metastatische  Geschwülste, 
die  sich  in  irgendeinem  Organe  entwickeln,  spezifische  chemische 
Charaktere  aufweisen  können,  welche  jenem  Gewebe,  in  dem  der 
primäre  Tumor  gewachsen  war,  eigentümlich  sind.  So  können  z.  B. 
Metastasen  einerSchilddrüsengeschwulst  jodreich  sein;  solche, 
die  aus  der  Nebenniere  stammen,  können  Suprarenin,  solche 
aus  derLeber Galle ,  solche  aus  der  Chorioidea  Melanin ,  solche 
aus  der  Epidermis  Keratin  produzieren i).  Ein  hübsches  Bei- 
spiel dieser  Art  ist  auch  das  Vorkommen  von  Nukleohiston  in 
Metastasen  aus  Lymphdrüsengeschwülsten;  nach  Ivar  Bang 
kann  man  dieselben  daran  erkennen,  daß  ein  wässeriger  Organex- 
trakt auf  Zusatz  einiger  Tropfen  einer  Calciumchloridlösung  einen 
Niederschlag  gibt,  der  in  einprozentiger  Kochsalzlösung  wieder 
verschwindet  und  es  soll  so  gelingen,  von  Lymphdrüsen  aus- 
gehende Geschwülste  von  allen  anderen  Sarkomen  zu  unter- 
scheiden 2). 
Eiweißzusam-  Anschließend  ergibt  sich  die  Frage,  ob  wir  Grund  haben,  dem 
'"^Tumoren  ^  Gewebe  maligner  Tumoren  in  bezug  auf  seine  Eiweißzusam- 
mensetzung anderen  Geweben  gegenüber  eine  Ausnahmsstellung 
einzuräumen.  Nach  Cramer  und  Pringle^)  enthalten  schnell 
wachsende  Gewebe,  wie  Tumoren  und  fötale  Organe,  weniger 
Stickstoff  (gemessen  in  Prozenten  der  feuchten  Substanz)  als 

i)  Vgl.  H.  G.  Wells,  Chemical   Pathology,  411 — 413   (1907). 

2)  J.  Bang,  Hofmeisters  Beitr.  4,  ^6^  (1903).     S.  P.  Beebe,  Amer. 
Journ.  of  Physiol.  13,  341   (1905). 

3)  W.  Cramer  und  Pringle,  Proc.  Roy.  Soc.  72,  307,  315  und  Mitteil. 
am  VIII.  internal.  Physiologenkongreß,  Wien,  Sept.   19 10. 


Die  Geschwülste.  543 


die  normalen  Gewebe  ausgewachsener  Individuen.  Der  vermin- 
derte Stickstoff gehalt  beruht  auf  einem  verminderten  Ge- 
halte dieser  Gewebe  an  Eiweißkörpern,  nicht  aber  an 
abiureten  Substanzen.  Schnell  wachsenden  Zellen  kommt  also 
die  Fähigkeit  zu,  mit  einer  gegebenen  Eiweißmenge  eine  größere 
Masse  von  Gewebssubstanz  aufzubauen,  als  es  die  normalen  Zellen 
zu  tun  vermögen;  daß  dagegen  ihre  Affinität  für  Emährungs- 
material  abnorm  groß  sei,  kann  nicht  ohne  weiteres  behauptet 
werden. 

Daß  das  »Krebseiweiß  «  eine  besonders  beschaffene  Eiweißart 
ist,  wurde  zwar  gelegentlich  auf  Grund  hydrolytischer  Spal- 
tungsversuche behauptet  (es  sollte  angeblich  besonders  reich 
an  Diaminosäuren  und  arm  an  Leucin  sein),  wird  aber  von  anderer 
Seite  bestritten  1). 

Dagegen  scheint  sowohl  in  den  Tumorpreßsäften  als  auch 
in  den  Ödemflüssigkeiten,  in  der  As^itesflüssigkeit  u.  dgl.  bei 
Karzinomatösen  das  Verhältnis  zwischen  Albumin  und 
Globulin  zugunsten  des  ersteren  verschoben  zu  sein^),  was  um 
so  auffälliger  ist,  als  z.  B.  beim  Hunger  und  manchen  kachektischen 
Zuständen  das  Gegenteil  der  Fall  zu  sein  pflegt  (s.  o.  S.  244). 
Sollte  sich  die  von  Moll^)  geäußerte  Annahme,  derzufolge  Albumin 
durch  Einwirkung  von  schwachem  AlkaU  in  Globulin  übergehen 
kann,  bestätigen,  so  würde  man  einer  Verschiebung  des  Mengen* 
Verhältnisses  zwischen  diesen  beiden  Eiweißkörpern  wohl  schwer- 
lich eine  weittragende  Bedeutung  zuschreiben  können. 

Recht  beachtenswert  sind  Angaben  amerikanischer  Autoren  Aschenzusam- 
über  die  Abhängigkeit  der  Aschenzusammensetzung  maUgner  ""«"««^^u^g- 
Tumoren  von  ihrer  Wachstumstendenz:  Schnell  wachsende  Ge- 
schwülste sollen  relativ  viel  Kalium  und  wenig  Calcium  ent- 
halten, während  eine  rückläufige  Metamorphose  mit  einer  Kalk- 
anreicherung einhergeht,  derart,  daß  sich  in  einem  zerfallenden 
Tumor    die   zehnfache   Kalkmenge   anhäufen   kann.      Man   hat 


i)  P.  Bergell  und  Dörpinghaus,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1905, 
Nr.  ^6.  E.  Abderhalden  und  F.  Medigreceanu,  Z.  f.  physiol.  Chemie 
69,  66  (1910).     C.  Neuberg,  Handb.  d.  Biochemie  2,  II,  379  (1909). 

2)  H.  Wolf  f ,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  3, 95  (1905)  und  Med.  KHnik  1905, 
306.     J.  Joachim,  Pflügers  Arch.  93,  558  {1903). 

3)  L.  Moll,  Hofmeisters  Beitr.  4,  563  (1904). 


544  XXIV.  Vorlesung. 

daran  gedacht,  diese  Erscheinungen  mit  erregenden  Ionen  Wir- 
kungen im  Sinne  Jacques  Loebs  in  Zusammenhang  zu  bringen. 
Es  ist  mir  aber  recht  zweifelhaft,  ob  die  Kalkanreicherung 
bei  regressiven  Veränderungen  etwas  anderes  sei  als  ein 
Analogon  zu  jenen  Verkalkungs Vorgängen,  die  wir  so  außerordent- 
lich oft  als  Begleiterscheinungen  pathologischer  Prozesse  zu  sehen 
Gelegenheit  haben  ^)  und  die  wir  als  Ausdruck  eines  besonderen 
Speicherungs Vorganges  ansehen  dürfen. 

Ein  lehrreiches  Beispiel  für  einen  sich  im  Tumorgewebe  voll- 
ziehenden Anreicherungsprozeß  ist  die  von  R.  von  den  Velden^) 
beobachtete  Jodanhäufung  in  Karzinommassen.  Dieselbe 
ist  durch  eine  im  Laboratorium  Rudolf  Gottliebs^)  an  Mäusen  mit 
experimentell  erzeugten  Karzinomen  ausgeführte  Untersuchung 
durchaus  bestätigt  worden:  Nach  Zufuhr  von  Jodkalium  fand  sich 
das  Gehirn  jodfrei,  die  Leber  und  das  Muskelgewebe  jodarm,  die 
Tumorensubstanz  (ebenso  wie  die  Haut)  dagegen  jodreich. 
Krebsgift  und  Gewissermaßen  im  Mittelpunkte  des  ganzen  Tumorenproblemes 
Kachexie,  steht  die  Frage  der  Kachexie.  Es  soll  ohne  weiteres  zugegeben 
werden,  daß  sich  bei  klinischer  Beobachtung  vieler  Fälle  von 
Krebskrankheit  der  Eindruck  einer  allmählichen  Vergiftung  des 
Organismus  aufdrängt.  Es  war  daher  sicherlich  ganz  logisch  und 
durchaus  natürlich,  daß  man  sich  eifrig  bemüht  hat,  die  Existenz 
eines  »  Krebs giftes«  nachzuweisen.  Viel  Erfreuliches  ist  dabei 
nicht  zutage  getreten.  Das  Interessanteste  an  manchen  Unter- 
suchungen dieser  Art  scheint  mir  die  Naivetät  der  Autoren  zu 
sein,  welche  Extrakte  und  Preßsäfte  (womöglich  auch  noch 
exulzerierter)  Tumoren  Tieren  injiziert  und  verschiedene  daraus 
resultierende  Krankheitserscheinungen  ohne  weiteres  als  sj>ezi- 
fische  Wirkungen  eines  Krebsgiftes  angesehen  haben.  In  Wirk- 
lichkeit müssen  selbstverständlich  bei  derartigen  Versuchen 
etwaige  unspezifische  Wirkungen  von  Hämolysinen,  Cytotoxinen 
und  gerinnungsbef ordernden  Agentien,  ferner  etwa  vorhandene 
bakterielle    Infektionen,    endlich    auch    die    Erscheinungen    der 

i)  Beebe,  Amer.  Joum.  of   Physiol.   12,    167   (1905).     Clowes  und 
Frisbie,  Amer.  Journ.  of  Physiol.  14,   173  (1905). 

2)  R.  von  den  Velden  (Med.  Klinik  Marburg),  Biochem.Z.  9,  54(1908). 

3)  M.  Takemura  (Pharmakol.  Inst.  Heidelberg),  Z.  f.  physiol.  Chemie 
72,  78  (191 1). 


Die  Geschwülste.  545 


Anaphylaxie  u.dgl.  streng  kritisch  berücksichtigt  werden;  also 
durchwegs  Dinge,  von  denen  man  auch  heute  noch  nicht  allzuviel 
weiß,  früher  aber  noch  viel  weniger  gewußt  hat^). 

Was  nun  die  »  Kachexie«  als  solche  betrifft,  findet  sicher- 
lich der  größte  Teil  jener  Erscheinungen,  welche  man  unter  diesem 
Schlagworte  zusammenzufassen  pflegt,  in  Nebenumständen 
eine  ausreichende  Erklärung.  Insbesondere  kommt  hier  die 
Funktionsstörung  lebenswichtiger  Organe  infolge  der 
anatomischen  Lage  der  Tumoren,  die  Wirkung  begleitender  Ent- 
zündungs-  und  Eiterungsprozesse  (Fieber,  Appetitlosig- 
keit) in  Betracht,  femer  die  Rückwirkung  von  Schmerzen 
(Schlaflosigkeit)  und  von  profusen  oder  sich  oft  wiederholenden 
Blutungen  usw.  Der  Pathologe  Hansemann^)  betont,  daß 
es  viele  Fälle  von  Karzinom  gibt,  z.  B.  manche  nicht  exulzerie- 
rende  Gesichts-,  Mamma-  und  Uteruskrebse,  bei  denen  niemals 
eine  eigentliche  Kachexie  eintritt.  Auch  ein  so  bewährter  Kenner 
des  Gebietes,  wie  Ferdinand  Blumenthal^)  steht  auf  dem  Stand- 
punkte, daß  abgeschlossene,  nicht  zerfallene  Karzinome  lange 
Zeit  vorhanden  sein  können,  ohne  Kachexie  hervorzurufen.  Es 
ist  daher  wirklich  recht  zweifelhaft,  ob  der  Krebs  als  solcher 
überhaupt  imstande  ist,  eine  Kachexie  zu  erzeugen  und  es  hat 
unter  diesen  Umständen  wenig  Sinn,  nach  dem  Wesen  eines 
»Krebsgiftes«  zu  forschen,  von  dem  es  höchst  zweifelhaft  ist, 
ob  ein  solches  überhaupt  existiert. 

Werfen  wir  nunmehr  einen  Blick  auf  die  mit  der  Kachexie  Stoffwechsel 
einhergehenden  Stoffwechselveränderungen,  so  steht  hier  der  ^  ^^^T 
vermehrte  Eiweißzerfall  im  Vordergrunde.  Derselbe  kann, 
wie  Friedrich  Müller  und  andere  gezeigt  haben,  derart  sein,  daß 
es  vielfach  trotz  reichlicher  Nahrungsaufnahme  nicht  gehngt, 
die  Patienten  im  Stickstoffgleichgewichte  zu  erhalten.  Eines  der 
konstantesten  Symptome  eines  malignen  Tumors  ist  ja  bekannt- 
lich die  fortschreitende  Abmagerung.     Die  Azetonausschei- 

i)  Literatur  über  Krebsgifte  und  Kachexie:  A.  Schmidt,  v.  Noordens 
Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.  2,  II,  ^6^ — 379  (1907).  F.  Blumenthal, 
Ergebn.  d.  Physiol.  10,  367 — 378,  409 — 428  (1910).  C.  Neuberg,  Zeitschr. 
f.  Krebsforsch.  10,  55 — 74  (1911). 

2)  V.  Hansemann,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  4,  565  (1906). 

3)  1.  c.  S.  377. 

Y.  Farth,  Probleme.  ^S 


546  XXIV.  Vorlesung. 

dung  und  » Demineralisation«  (d.h.  eine  Verarmung  des 
Organismus  an  Mineralsalzen)  kommt  sicherlich  auch  bei  anderen 
kacliektischen  Zuständen  vor.  Das  gleiche  gilt  für  die  gelegent- 
lich beobachtete  verminderte  Chlorausscheidung  im  Harne. 

Eine  vermehrte  Urobilinausscheidung  findet  sich  bei 
Karzinom  in  der  Regel  nur  dann,  wenn  es  seinen  Sitz  in  der  Leber 
hat.  Zuweilen  beobachtet  man  bei  Karzinomkranken  eine  ver- 
mehrte Ausscheidung  aromatischer  Substanzen,  ins- 
besondere des  Indols  und  Phenols.  Während /a//^  und  Elltnger^) 
und  mit  ihnen  fast  alle  Biochemiker,  wie  ich  Ihnen  schon  früher 
(S.  64)  sagte,  sich  der  Meinung  angeschlossen  haben,  daß 
Fäulnisvorgänge  die  ausschließliche  Quelle  des  Harnindikans 
bilden,  treten  Blumenthal  und  Lewin  für  die  Möglichkeit  des 
Entstehens  der  aromatischen  Körper  durch  vermehrten  Eiweiß- 
zerfall ein.  Auch  wird  von  ersterem  darauf  hingewiesen,  daß 
starke  Indikanurie  gerade  bei  Lebermetastasen  beobachtet  wird, 
ohne  daß  man  sagen  könnte,  was  dieselben  mit  der  Darm- 
fäulnis zu  tun  liätten;  man  müsse  daher  erwägen,  ob  die  bei 
Leberkrankheiten  gefundene  Vermehrung  aromatischer  Produkte 
im  Harne  nicht  sowohl  auf  einer  vermehrten  Bildung  als  viel- 
mehr auf  einer  verminderten  Zerstörung  derselben  beruhe*). 

Wenn  von  einer  Seite  das  Wesen  der  Krebskachexie  und 
Krebsdisposition  mit  einer  Alkaleszenzzunahme^)  des  Blut- 
serums in  Zusammenhang  gebracht  wird,  kann  uns  dies  um  so 
weniger  Eindruck  machen,  als  viele  andere  Beobachter  gefunden 
haben,  daß  bei  Karzinom,  ebenso  wie  bei  vielen  anderen  Ka- 
chexien, Acidose,  also  Alkalcszenzabnahme  des  Blutes  zu 
konstatieren  ist*). 

Im  ganzen  müssen  wir  uns  eingestehen,  daß  bei  allem  dem 
lierzlich  wenig  herausgekommen  ist. 

Mehr  Interesse  bieten  einige  neuere  Befunde  über  Änderung 
der  Harnzusammensetzung  beim  Karzinom. 

Ein  Teil  derselben  betrifft  die  Ausscheidung  der  Oxyprotein- 


i)  Vgl.  H.  Scholz  (Inst.  Jaffe),  Dissert.  Königsberg  1903. 

2)  Vgl.  F.  Blumenthal,  1.  c.  S.  417 — 419. 

3)  B.  Moore  and  E.  P.  Wilson,  Biochem.  Journ.  1,  279  (1906). 

4)  Vgl,  A.  Schmidt,  1.  c.  S.  368. 


Die  Geschwülste.  547 


säuren.    Diese  seinerzeit  von  Bondzynski  und  GoUlieb  aus  dem    oxyprotdn- 
Harne  dargestellten  Substanzen,  von  denen  ich  Ihnen  in  einer     sä"renaus- 

j^  Scheidung  beim 

späteren  Vorlesung  Ausiührhcheres  zu  erzählen  beabsichtige,  Karzinom, 
werden  als  Stickstoff-  und  schwefelhaltige,  anscheinend  hoch- 
molekulare Oxydationsprodukte  von  Eiweißkörpem  aufgefaßt. 
W,  Ginsberg^)  hat  in  dem  meiner  Leitung  unterstehenden  Labora- 
torium ein  Verfahren  zur  quantitativen  Bestimmung  jener  Stick- 
stofffraktion des  Harnes  ausgearbeitet,  welche  die  Oxyprotein- 
säuren  umfaßt,  d.  i.  jene  Substanzen  von  saurem  Charakter, 
welche  durch  Quecksilberazetat  fällbar  sind  und  in  Wasser  lös- 
liche, in  Alkohol  unlösliche  Barytsalze  geben.  Es  zeigte  sich,  daß 
die  Menge  der  Oxyproteinsäuren  im  Harne  recht  beträchtlich  ist 
und  diejenige  aller  anderen  stickstoffhaltigen  organischen  Harn- 
bestandteile, mit  Ausnahme  des  Harnstoffes,  übertrifft.  Es  be- 
steht eine  hochgradige  Konstanz  des  Verhältnisses  zwi- 
schen Eiweißzerfall  und  Oxyproteinsäurenausschei- 
dung.  In  den  untersuchten  normalen  Menschenharnen  entfielen 
etwa  3  bis  5%  des  gesamten  Stickstoffes  auf  die  Oxyprotein- 
säurenfraktion ;  auch  im  Hungerzustande  und  unter  patholo- 
gischen Verhältnissen  verschiedener  Art  wurde  eine  namhafte 
Verschiebung  dieser  Relation  nicht  wahrgenommen ;  zu  ähnlichen 
Resultaten  sind  auch  Bondzynski,  Dombrowski  und  Panek^)  ge- 
langt. Salomon  und  Saxl^)  haben  nun  gefunden,  daß  diese  Rela- 
tion bei  Karzinomatösen  (ebenso  wie  auch  bei  Graviden) 
zugunsten  der  Oxyproteinsäuren  verschoben  ist.  Dieses  zweifellos 
beachtenswerte  Resultat  ist  insofern  schwer  zu  beurteilen,  als 
die  Methodik  der  quantitativen  Oxyproteinsäurenbestimmung 
einstweilen  noch  an  erheblichen  Mängeln  leidet.  Geht  man  z.  B. 
so  vor,  wie  es  Ginsberg  getan  hat,  so  werden  erst  durch  Baryt- 
und  Kohlensäurebehandlung  des  Harnes  alle  durch  Baryt  aus 
wässeriger  Lösung  unmittelbar  fällbaren  Substanzen  beseitigt; 
sodann  wird  zum  dünnen  Syrup  eingeengt  und  dieser  mit  äther- 


i)  W.  Ginsberg,  Hofmeisters  Beitr.  10,  411   (1907). 

2)  St.  Bondzynski,  St.  Dombrowski  und  K.  Panek,  Z.  f.  physiol. 
Chemie  56,  83  (1905). 

3)  H.  Salomon  und  P.  Saxl,  Beitr.  z.  Karzinomforsch.  (Klinik  von 
Noorden),  Wien  1910. 

3j 


548  XXIV.  Vorlesung. 


haltigem  Alkohol  gefällt.  Die  nunmehr  ausfallende  »Baryt- 
fraktion «  enthält  die  Gesamtheit  der  Oxyproteinsäuren  und  wird 
weiter  verarbeitet.  Salomon  und  Saxl  haben  nun  dieses  Ver- 
fahren in  der  Art  modifiziert,  daß  sie  vor  Fällung  der  Baryt- 
fraktion (anstatt  zum  »dünnen  Syrup«)  nur  bis  auf  ein  Volumen 
von  40  bis  50  ccm  einengten.  Sie  finden  nun,  daß  beim  nicht 
karzinomatösen  und  nicht  schwangeren  Organismus  höchstens 
zwei  Prozent  des  Hamstickstoffes  auf  Oxyproteinsäuren  ent- 
fallen, während  Ginsberg  und  die  genannten  polnischen  Autoren 
weit  höhere  Normalwerte  gefunden  haben.  Tatsächlich  scheinen 
mir  die  Dinge  so  zu  liegen,  daß  man,  wenn  man  vor  Ausfällung 
der  Barytfraktion  zu  wenig  einengt,  Gefahr  läuft,  einen  Teil  der 
Ox5^roteinsäuren  zu  verüeren;  engt  man  aber  zuviel  ein,  so 
besteht  wiederum  die  Gefahr,  daß  der  ausfallende  Syrup  vielleicht 
Harnstoffreste  in  sich  einschüeßt,  deren  Stickstoff  dann  unrecht- 
mäßigerweise den  Oxyproteinsäuren  zugerechnet  wird.  Man 
wird  also  gut  tun,  mit  dem  definitiven  Urteile  über  diese  Dinge 
zu  warten,  bis  die  Methodik  über  derartige  Schwierigkeiten  hin- 
ausgelangt ist  und  dies  umsomehr,  als  die  von  Scdomon  und 
Saxl  beim  Karzinom  gefundenen  Abweichungen  von  der  angeb- 
lichen Norm  sich  immerhin  innerhalb  recht  bescheidener  Grenzen 
halten. 
Neutraischwe-  Zugunsten  der  Annahme,  daß  bei  Karzinomatösen  die  Menge 
'*'"  gewisser  »Eiweißschlacken«  im  Harne  vermehrt  ist,  sprechen 
ganz  entschieden  Beobachtungen  über  den  »  Neutralschwefel«. 
Unter  dieser  Bezeichnung  pflegt  man  die  Gesamtheit  der  schwefel- 
haltigen Substanzen  zu  verstehen,  die  außer  der  freien  und  ge- 
paarten Schwefelsäure  im  Harne  vorkommen;  hierher  gehören 
aber  (neben  den  Salzen  der  unterschwefeligen  Säure  und  des 
Rhodanwasserstoffes,  dem  Taurin  und  dem  Cystin)  vor  allem 
die  Substanzen  der  Oxyproteinsäuregruppe. 

Weitaus  der  Hauptanteil  des  Neutralschwefels  entfällt  auf 
die  letzteren,  derart,  daß  die  Bestimmung  dieser  Schwefelfraktion 
als  ein  Maß  für  die  Ausscheidung  der  Proteinsäuren  im  Harne 
angesehen  werden  kann.    Wie  M.  Weisz^)  im  Wiener  physiolo- 

i)  M.  Weisz  (Wiener  physiol.  Inst,  ausgef.  unter  Leitung  von  O.  v. 
Fürth),  Biochem.  Z.  27,  201   (1910). 


Die  Geschwülste.  549 


gischen  Institute  gefunden  hat,  stammt  die  Gruppe  der  den 
Neutralschwefel  zusammensetzenden  Substanzen  teils  aus  dem 
Nahrungs-,  teils  aus  dem  Organeiweiß  und  zwar  liefert  das 
letztere  verhältnismäßig  mehr  davon  als  das  erstere.  Dem- 
entsprechend wird  bei  Zuständen,  die  mit  vermehrtem  Organ- 
eiweißzerfalle  einhergehen,  der  Neutralschwefel  in  relativ 
vermehrter  Menge  ausgeschieden.  So  geht  z.B.  die  Lungentuber- 
kulose in  ihren  schweren  Stadien  mit  einer  Erhöhung  der  Neutral- 
schwefelwerte einher.  Die  höchsten  relativen  Werte  wurden  jedoch 
beim  Karzinom  beobachtet,  was  vielleicht  damit  zusammen- 
hängen könnte,  daß  bei  dieser  Affektion  eine  stark  verminderte 
Nahrungsaufnahme  mit  einem  sehr  intensiven  Zerfalle  von  Ge- 
webseiweiß Hand  in  Hand  geht. 

Salomon  und  Saxl^)  sind  nun  weiterhin  auf  den  Gedanken  ge-  Leicht  oxyda- 
kommen,   einen  leichter   angreifbaren   Anteil  des    Proteinsäure-  ^'if'"  ^"*^"  ^^^ 
schwefeis  vorsichtig  »herauszuoxydieren «,  und  sie  glauben,  die         feis. 
Schätzung  des  leicht  oxydablen  Anteiles  des  Neutral- 
schwefels als  praktisch  brauchbare  Karzinomreaktion  verwerten 
zu  können.    Es  werden  dabei  zunächst  die  Phosphate  und  Sulfate 
durch  Barytmischung  entfernt,  sodann  die  gepaarten  Schwefel- 
säuren durch  Kochen  mit  Salzsäure  gespalten.    Nach  Beseitigung 
des  neuerlich  ausgefallenen  Bar5aimsulfats  wird  mit  Wasserstoff- 
superoxyd   unter    bestimmten    Bedingungen    oxydiert,    wobei 
neuerlich  ein  Schwefelanteil  in  Form  von  Barsmmsulfat  zur  Ab- 
scheidung gelangt.    Die  Menge  desselben  wird  nach  der  Reichlich- 
keit  oder  Spärlichkeit  des  in  einem   Spitzglase  sedimentierten 
Niederschlages  grob  abgeschätzt. 

Eine  Nachprüfung  dieser  Angaben  unter  Verwertung  des 
Krankenmateriales  der  Kliniken  Ortner ^)  und  Eiselsberg^)  (wo- 
bei die  Oxydation  mit  Wasserstoffsuperoxyd  teilweise  durch 
Permanganat  ersetzt  wurde)  hat  im  ganzen  die  Befunde  be- 
treffend die  vermehrte  Ausscheidung  eines  leichter  oxydablen 

i)  H.  Salomon  und  P.  Saxl  (Klinik  von  Noorden,  Wien),  Wiener 
kUn.  Wochenschr.  1911,  449. 

2)  R.  Kaideck  (Klinik  Ortner,  Wien),  Wiener  med.  Wochenschr. 
1911,  1682. 

3)  E.  E.  Przibram  (Klinik  von  Eiseisberg,  Wien),  Wiener  klin. 
Wochenschr.  1911,   1235. 


550  XXIV.  Vorlesung. 


Anteiles  des  Neutralschwefels  beim  Karzinom  bestätigt,  insofern 
etwa  60%  der  Fälle  positive  Reaktion  gaben.  Auch  bei  Sar- 
komen findet  sich  oft  eine  positive  Reaktion.  Die  Reaktion  ist 
aber  sicherlich  nicht  spezifisch,  da  auch  nicht  karzinomatöse 
Individuen,  z.  B.  Tuberkulöse,  dieselben  ziemlich  häufig  geben. 
Vermehrte  Außer  den  Oxyproteinsäuren  sollen  auch  die  Polypeptide  im 

vor*^E?wdß-  Harne  beim  Karzinom  vermehrt  sein^).  Die  Menge  derselben 
schlacken,  kann,  wie  ich  Ihnen  bei  anderer  Gelegenheit  genauer  auseinander- 
setzen werde,  durch  Formoltitration  (nach  Henriques  und  Sören- 
sen)  vor  und  nach  Hydrolyse  des  Harnes  ermittelt  werden.  Eine 
Vermehrung  der  Polypeptide  im  Harne  ist  auch  bei  schweren 
Leberaffektionen,  bei  Gravidität^)  usw.  gefunden  worden. 

Es  sei  hier  daran  erinnert,  daß  schon  vor  zwei  Dezennien 
Toepfer  unter  Leitung  von  Ernst  Freund  gefunden  hat,  daß  der 
»Extraktivstickstoff«  des  Harnes,  welcher  resultiert,  wenn 
wenn  man  die  für  Harnstoff,  Harnsäure  und  Ammoniak  gefun- 
denen Stickstoffwerte  vom  Gesamtstickstoff  subtrahiert,  bei  Kar- 
zinomatösen  eine  sehr  erhebhche  Steigerung  erfährt^). 

Es  hat  femer  Salkowski  im  Anschluß  an  die  Arbeit  von 
Salomon  und  Saxl  daran  erinnert,  daß  (nach  Beobachtungen, 
die  er  schon  vor  längerer  Zeit  mitgeteilt  hat)  bei  Karzinom- 
kranken die  alkoholunlösliche  Stickstofffraktion  in  ihrer 
Relation  zum  Gesamtstickstoff  erhöht  ist*).  Salkowski^)  hat 
femer  den  durch  Schwermetalle  (wie  Bleisubazetat, 
Zinksalze)  fällbaren  Anteil  des  Harnstickstoffes  be- 
stimmt und  beim  Karzinom  erheblich  vermehrt  gefunden;  doch 
handelt  es  sich  auch  hier  sicherlich  um  keinen  für  die  Krebs- 
krankheit durchaus  charakteristischen  Befund*).    Sowohl  bei  den 

i)  F.  Falk,  H.  Salomon  und  P.  Saxl  (Klinik  von  Noorden),  Med. 
Klinik  1910,  510. 

2)  F.  Falk  und  Hesky,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  71,  261  (1910). 
G.  Ascoli  und  F.  de  Grazia,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1901,  1009 
(Erhöhung  des  Monoamino-N.  bei  Störungen  der  Leberfunktion). 

3)  G.Töpfer  (Labor.  E.  Freund),  Wiener  klin.  Wochenschr.  1892,  48. 

4)  E.  Salkowski,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1910,  533. 

5)  E.  Salkowski,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1910,  2297.  Kojo 
(Labor,  von  Salkowski),    Z.  f.  physiol.  Chemie  78,  416  (191 1). 

6)  O.  Groß  (Med.  Klinik  Steyrer,  Greifswald).  Med.  Klinik  1911, 
Nr.  20,  778. 


Die  Geschwülste. 


551 


durch  Alkohol  als  durch  Schwermetalle  fällbaren  stickstoff- 
haltigen Substanzen  dürften  hauptsächlich  kolloidale,  vermutlich 
einem  unvollkommenen  Eiweißabbau  entstammende  Sub- 
stanzen  in  Betracht  kommen^). 

Fassen  wir  nunmehr  alles,  was  die  Untersuchungen  in  Bezug 
auf  Neutralschwefel,  Oxyproteinsäuren,  JPol5T)eptide,  durch  Al- 
kohol und  Schwermetalle  fällbare  Substanzen  für  das  uns  inter- 
essierende Problem  ergeben  haben,  unter  einem  gemeinsamem  Ge- 
sichtspunkte zusammen,  so  können  wir  soviel  sagen,  daß  die 
Karzinomkachexie  mit  einer  vermehrten  Ausscheidung 
von  »Eiweißschlacken«  einherzugehen  pflegt.  Doch 
ist  dies  nichts  für  das  Karzinom  Pathognomonisches, 
vielmehr  hängen  dergleichen  Erscheinungen  offenbar  mit  ge- 
wissen, durch  Nebenumstände  bewirkten  Stoff  Wechselstörungen 
zusammen,  wie  sie  auch  bei  anderen  mit  starkem  Eiweißzerfalle 
einhergehenden  Kachexien,  bei  der  Gravidität,  bei  Leberschädi- 
gungen u.  dgl.  vorkommen.  Die  Auffindung  einer  für  das  Karzi- 
nom durchaus  oder  auch  nur  einigermaßen  spezifischen,  dia- 
gnostisch verwertbaren  Harnreaktion  gehört  also  nach 
wie  vor  in  das  Bereich  der  frommen  Wünsche.  Doch  stehe  ich 
nicht  an,  auch  die  Erkenntnis  obigen  Sachverhaltes  immerhin 
als  einen  greifbaren  Fortschritt  zu  bezeichnen. 

Ich  möchte  noch  eine  Seite  der  beim  Karzinom  auftretenden 
Stoffwechselanomalien  berühren,  nämlich  die  Veränderungen  in 
der  Zusammensetzung  des  Magensaftes.  Das  Fehlen  der 
freien  Salzsäure  im  Magensafte  wird  mit  Recht  als  ein  Früh- 
symptom des  Magenkrebses  angesehen*).  Man  war  früher  all- 
gemein der  Ansicht,  es  handle  sich  dabei  ausschließlich  um  eine 
Verminderung  der  Salzsäureausscheidung  im  Magen, 
während  man  in  neuerer  Zeit  dahinter  gekommen  ist,  daß  auch  die 
Bindung  der  Salzsäure  durch  Bestandteile  des  Mageninhaltes 
wesentlich  in  Betracht  gezogen  werden  muß.    Die  Versuche,  eine 


Fehlöti  freier 
Salzsäure  im 
Magensafte. 


i)  Vgl.  N.  Murachi  (Klinik  von  Noorden),  Beitr.  z.  Karzinomforsch. 
H.  3  (1911),  siehe  dort  die  Literatur. 

2)  Literatur  über  Einfluß  des  Karzinoms  auf  die  Magenverdauung: 
A.  Schmidt,  Noordens  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffw.,  2.  Aufl.  2,  356 — 360 
<1907). 


552  XXIV.  Vorlesung. 

Verminderung  der  Säuresekretion  durch  eine  Alkaleszenz- 
zunahme  des  Blutes  zu  erklären,  sind,  wie  ich  Ihnen  schon 
sagte,  meiner  Meinung  nach  ziemhch  problematischer  Natur*). 
Daß  in  vielen  Fällen  ein  Katarrh  der  Magenschleimhaut 
eine  wesentliche  Rolle  spielt,  kann  wohl  nicht  bestritten  werden; 
andererseits  wird  aber  auch  betont,  daß  sich  ein  solcher  Katarrh 
nicht  früh  genug  entwickelt  und  nicht  schnell  genug  ausbreitet, 
um  das  Fehlen  freier  Säure  im  Anfangsstadium  der  Entwicklung 
zirkumskripter  Tumoren  ausreichend  erklären  zu  können.  Daß 
auch  Karzinome,  die  außerhalb  des  Magens  sitzen,  zu  einem  Ver- 
siegen der  Säuresekretion  führen  können,  wird  uns  insofern  nicht 
wundern  dürfen,  als  wir  wissen,  daß  diese  Erscheinung  bei  den 
verschiedensten  schweren  Krankheiten,  bei  Kachexien 
und  Anämien  häufig  vorkommt.  Was  die  Neutralisation  der 
bereits  ausgeschiedenen  Salzsäure  betrifft,  kommt  dabei  ihre 
Bindung  durch  stark  alkalischen,  von  der  Oberfläche  des 
Magenkrebses  abgesonderten  Geschwulstsaft  in  Be- 
tracht 2).  Als  Stähelin  Krebskranken  in  den  nüchternen  Magen 
nach  vorausgegangener  sorgfältiger  Reinigung  desselben  eine 
gewisse  Menge  verdünnter  Salzsäure  eingeführt  hatte,  fand  er 
einen  großen  Teil  derselben  schon  nach  kurzer  Zeit  durch  alka- 
lischen Saft  neutralisiert  3).  Bekanntlich  exulzerieren  Magen- 
karzinome sehr  schnell;  im  Magensaft  auftretende  Nukleoalbu- 
mine  können  zerfallenden  Zellen  entstammen  und  zwar  soll  der 
bei  der  Salomonschen  Magenkarzinomprobe  auf  Zusatz  von 
Eßbachschem  Reagens  entstehende  Niederschlag  zum  größten 
Teile  aus  solchen  (sowie  aus  Purinbasen)  bestehen.  Derartige 
Eiweißsubstanzen  können  offenbar  bei  der  Bindung  der  Salz- 
säure beteiligt  sein*). 

Auf  Grund  der  Arbeiten  Friedrich  Müllers^)  und  seiner  Schüler 


i)  B.  Moore,  W.  Alexander,  R.  E.  Kelly  and  H.  Roaf,  Biochem. 
Journ.  1,  274  (1906). 

2)  Vgl.  O.  Reißner,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  44,  71   (1902),  vgl.  dort 
die  Literatur. 

3)  Vgl.  A.  Schmidt,  1.  c.  S.  35. 

4)  K.  Reicher  (Klinik  A.  Schmidt),  Arch.  f.  Verdauungskr.  12,  207 
(1906). 

5)  Vgl.  Ch.  P.  Emerson,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  72,  415  (1902). 


Die  Geschwülste.  553 


sowie  der  gleich  zu  erörternden  Vorstellungen  könnte  man  aber 
auch  daran  denken,  daß  die  Verdauung  im  Magen  bei  Vorhanden- 
sein eines  Karzinoms  weiter  geht  als  im  normalen  Magen, 
und  daß  die  fortschreitende  Zerlegung  der  Proteide  in 
Pol3^eptide  und  Aminosäuren  die  Menge  der  freien,  die  Salzsäure 
bindenden  Aminogruppen  vermehrt,  dadurch  aber  auch  gleich- 
zeitig die  Menge  der  freien  Salzsäure  herabsetzt. 

Die  hämolytische  Wirkung  des  Magensaftes  beim  Kar- 
zinom ist  durchaus  keine  so  geheimnisvolle  Sache,  als  es  auf  den 
ersten  Blick  den  Anschein  hat.  Die  hämolytisch  wirksame  Sub- 
stanz dürfte  nämlich  nichts  anderes  als  Ölsäure  sein,  welche 
dem  Fette  des  zerfallenden  Karzinomgewebes  entstammt,  wie 
denn  überhaupt  aus  dem  Fette  zerfallender  Organe  hämolytisch 
aktive  Substanzen  mehrfach  isoliert  werden  konnten  i). 

Dasjenige,  was  die  »Bösartigkeit «  eines  malignen  Neoplasmas  Autoiyse    und 
ganz  besonders  charakterisiert,  ist  das  infiltrative  Wachstum  "^^f^'v*«    *" 

®  .  ,      '  Tumoren. 

desselben.  Dieses  ist  es  ja  eben,  welches  ihr  schrankenloses 
und  unbarmherziges  Fortschreiten  auf  Kosten  der  umgebenden 
Gewebe  bedingt.  Wenn  ich  nicht  irre,  rührt  der  Gedanke,  das 
infiltrative  Wachstum  könnte  mit  der  Tätigkeit  eines  proteo- 
lytischen Fermentes,  welches  die  umgebenden  Gewebe  auf 
dem  Wege  der  Verdauung  zerstört,  zusammenhängen,  von  Fried- 
rich Müller  her.  Es  ist  seitdem  eine  ziemlich  große  Zahl  ein- 
schlägiger Beobachtungen  bekannt  geworden,  welche  an  das 
(seinerzeit  von  Salkowski  begründete)  Studium  der  Selbst - 
Verdauung  in  den  Geweben  anknüpfen.  Nach  dem  Vorgange 
Martin  Jacobys  muß  man  bei  den  eiweißverdauenden  Gewebs- 
fermenten  zwischen  »Autolyse^c  und  »Heterolyse«  unter- 
scheiden, je  nachdem  dieselben  ihre  Wirkung  in  Bezug  auf 
das  Eiweiß  desselben  Organes  oder  anderer  Gewebe  äußern.  Es 
liegen  nun  zahlreiche  Angaben  darüber  vor  (unter  welchen  die- 
jenigen von  E.  Petry,  von  F,  Blumenthal,  C.  Neuberg  und  ihren 
Mitarbeitern,  von  Abderhalden,  sowie  Untersuchungen  aus  der 
Klinik  von  Friedrich  Müller  im  Vordergrunde  stehen),  denen  zu- 
folge sowohl  die  Autoiyse  als  auch  die  Heterolyse  in  karzinoma- 

i)  Küllmann,  Berliner  klin.  Wochenschr.  19W,  190.  E.  Gräfe  und 
W.  Rohm  er.  Deutsch.  Arch.  f.  khn.  Med.  106,  597  (1910). 


554  XXIV.  Vorlesung. 

tosen  Neubildungen  und  Exsudaten  der  Norm  gegenüber  gesteigert 
sein  soll.  Diese  erhöhte  eiweißabbauende  Tendenz  macht  sich 
unter  Umständen  nicht  nur  gegenüber  nativen  Eiweißkörpem, 
sondern  auch  gegenüber  Albumosen,  Peptonen  (z.  B.  Seiden- 
pepton)   und   Polypeptiden  (z.  B.  Glycyltryptophan)   geltend*). 

0.  Neubauer  und  H,  Fischer  haben  vorgeschlagen,  das  Vor- 
kommen eines  peptidspaltenden  Fermentes  im  Magensafte  zur 
Frühdiagnose  des  Magenkarzinoms  zu  verwenden  und  zwar  dient 
ihnen  zu  diesem  Zwecke  das  Glycyltryptophan.  Dasselbe 
wird  durch  karzinomatösen  Magensaft  (nicht  aber  durch  Pepsin) 
gespalten  und  es  läßt  sich  der  Nachweis  des  abgespaltenen 
zyklischen  Komplexes  diurch  die  Farbenreaktion  mit  Brom 
leicht  erbringen. 

Diesen  positiven  Angaben  gegenüber  stehen  andere  Befunde, 
insbesondere  diejenigen  von  Heß  und  Saxl^)  aus  v,  Noordens  Klinik, 
diejenigen  von  Kepinow^)  aus  dem  Heidelberger  Krebsinstitute, 
endlich  die  von  Lieblein  ^)  aus  dem  Laboratorium  v,  Zeyneks, 
denen  zufolge  es  nicht  angängig  sein  soll,  der  Krebszelle  eine 
stärkere  oder  anders  geartete  proteolytische  Wirksamkeit  zuzu- 
schreiben als  normalen  Zöllen  ;  die  autolytischen  Vorgänge  sollen 
in  Karzinomen  nicht  mit  größerer  Intensität  vor  sich  gehen  als 
in  anderen  Organen  von  gleichem  Zelkeichtum ;  es  wäre  daher 
auch  niclit  möglich,  die  MaUgnität  von  Tumoren  mit  Vorgängen 
dieser  Art  in  Beziehung  zu  bringen.    Gegen  alle  diese  Einwände 


i)  E.  Petry,  Hofmeisters  Beitr.  2,  94  (1902).  Ch.  P.  Emerson,  1.  c. 
F.  Umber,  Münchener  med.  Wochenschr.  1962,  Nr.  28.  H.  Eppinger, 
Zeitschr.  f.  Heilk.  (Abt.  f.  innere  Medizin)  25, 378  (1904).  J.  Baer,  Kongr.  f. 
innere  Med.  1905,  221.  F.  Blumenthal  und  H.Wolff,  Med.  Klinik  1,  Nr.  5 
{1905).  F.  Blumenthal,  E.  Jacoby  und  C.  Neuberg,  ibid.  1999,  Nr.  42. 
O.  Neubauer  und  H.  Fischer,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  97,  491  (1909). 
E.  Abderhalden,  A.  H.  Koelker  imd  F.  Medigreceanu,  Z.  f.  physiol. 
Chemie  62,  145  (1909).  S.  Yoshimoto,  Biochem.  Z.  22,  299  (1901). 
Jensen,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  7,  279  (1909). 

2)  L.  Heß  und  P.  Saxl,  Beitr.  z.  Karzinomforsch.  1,  H.  i  (1909)  und 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1968,  Nr.  ^^. 

3)  L.  Kepinow,  Zeitschr.  f.   Krebsforsch.  7,  517  (1909). 

4)  V.  Lieblein  (Med.-chem.  Inst.  Prag),  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  9, 
H.  3  (1910). 


Die  Geschwülste.  555 


halten  jedoch  Blumenthal  und  Neuberg^)  ihre  Befunde  durchaus 
aufrecht  und  verfechten  die  Meinung,  die  Frage  der  abnormen 
enzymatischen  Prozesse  in  Tumoren  sei  im  positiven  Sinne 
völlig  geklärt.  Hier  stehen  sich  also  die  Meinungen  schroff 
gegenüber.  Die  Sache  scheint  mir  ungefähr  so  zu  liegen,  daß 
die  Tatsache  einer  unter  gewissen  Umständen  und  in  manchen 
Tumoren  der  Norm  gegenüber  gesteigerten  Proteolyse  angesichts 
der  zahlreichen  positiven  Befunde  nicht  wohl  bezweifelt  werden 
kann.  Dagegen  erheben  sich  sehr  gewichtige  Zweifel  in  bezug 
auf  die  Frage,  ob  diese  Erscheinung  irgend  etwas  mit  der 
Malignität  der  Tumoren  zu  tun  habe  und  ob  sie  nicht  vielleicht 
auf  ganz  nebensächliche  Umstände  zurückzuführen  sei. 

Es  ist  nun  für  die  uns  interessierende  Frage  von  besonderer  Atypische  Po- 
Bedeutung,  daß -4  W^fAaW^w 2)  gemeinsam  mit  seinen  Mitarbeitern  ^  ^„„g 
es  versucht  hat,  darüber  ins  klare  zu  kommen,  ob  der  Eiweiß - 
abbau  in  der  Krebszelle  wirklich  ein  atypischer  sei.  Er 
verglich  zu  diesem  Zwecke  die  Einwirkung  des  Preßsaftes  aus 
normalen  Geweben  und  aus  Tumoren  auf  ein  Polypeptid  von 
genau  bekannter  Zusammensetzung,  das  d-Alanyl-glycyl-glycin, 
und  zwar  geschah  dies  durch  polarimetrische  Beobachtung.  Diese 
gestattete  in  diesem  Falle  (wo  das  optische  Verhalten  der  in  Frage 
kommenden  Abbauprodukte  genau  bekannt  war),  aus  der  Beob- 
achtung der  Veränderung  des  Drehungsvermögens  Rückschlüsse 
auf  die  Richtung  der  sich  abspielenden  Spaltungsvorgänge  zu 
ziehen.  Es  ergab  sich  nun,  daß  sich  der  Abbau  durch  normales 
Gewebe  imd  durch  Karzinomgewebe  nach  einem  verschiedenen 
Schema  vollzieht: 

Normales  Gewebe:  Karzinom: 


Alanvl  -  glycyl  -  glycin  Alanyl  -  glycyl  -  glycin  |] 

,^^        \  /  \  II 

Alanin  Glycylglycin       Alanylglycin  Glycin 


tt 


i)  F.  Blumenthal  und  C.  Neuberg,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  10,  246  \ 

(1911).     C.  Neuberg,  ibid.  10,  60  (191 1),  vgl.  dort  die  Literatur. 

2)  E.  Abderhalden  und  P.  Rena,  Z.  f.  physiol.  Chemie  60,  415 
(1909).  E.  Abderhalden,  A.  H.  Koelker  und  F.  Medigreceanu, 
ibid.  62,  145  (1909).  E.  Abderhalden  und  F.  Medigreceanu,  ibid.  66, 
265  (1910).  E.  Abderhalden  und  L.  Pinkussohn,  ibid.  66,  277  (1910). 
E.  Abderhalden,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  9,  266  (1910). 


556  XXIV.  Vorlesung. 


Der  Befund  eines  at3T>ischen  Abbaues  von  Peptonen  erwies 
sich  zwar  als  kein  konstanter;  immerhin  ist  er  aber  als  ein  Hin- 
weis darauf  angesehen  worden,  daß  der  Stoffwechsel  in  einer 
Karzinomzelle  möglicherweise  anders  geartet  sei  als  in  einer  nor- 
malen Zelle.  Jedenfalls  wäre  aber  eine  Klärung  des  Sachverhaltes 
durch  weitere  Verfolgung  des  eingeschlagenen  Weges  dringend 
erwünscht. 
Beziehung  Sie  sehen  also,  daß  die  Frage,  ob  eine  Steigerung  der  Autolyse 

iicteroiytischer  ^^^  Wesen  der  malignen  Neubildung  gehört,  vorderhand  diurch- 
Krebskachexie  aus  strittiger  Natur  ist.  Noch  viel  strittiger  aber  ist  die  Frage, 
ob  aus  Krebsgeschwülsten  Stoffe  in  die  Zirkulation  gelangen 
können,  welche  imstande  sind,  den  autolytischen  Abbau  auch  fem- 
liegender Gewebe  zu  verstärken  und  so  den  Eintritt  der  Krebs- 
kachexie  herbeizuführen.  —  Und  so  wäre  ich  denn  —  nolens, 
volens  —  glücklich  wieder  bei  der  Frage  des  »Krebsgiftes«  an- 
gelangt. 

Ferdinand  Blumenthal^)  hat  die  Intensität  autolytischer  Vor- 
gänge in  der  Lunge  von  Individuen,  die  an  Krebs  und  anderen 
Affektionen  gestorben  waren,  miteinander  verglichen  und  die- 
selbe im  ersteren  Falle  meist  erhöht  gefunden.  Er  meint,  eine 
Verstärkung  der  Gewebsautolyse  scheine  beim  vorgeschrit- 
tenen Krebskranken  etwas  Konstantes  zu  sein.  Selbst  wenn  wir 
die  Richtigkeit  dieser  Tatsache  (die  zu  ihrer  Sicherstellung  noch 
eines  ausgedehnten  Beobachtungsmateriales  bedarf)  annehmen 
wollen,  müssen  wir  uns  klar  machen,  daß  eine  Verstärkimg  der 
Gewebsautolyse  in  Organen,  die  nicht  selbst  Sitz  der  patholo- 
gischen Neubildung  sind,  durch  eine  sehr  große  Zahl  der  verschie- 
densten Möglichkeiten  verursacht  sein  könnte ;  (z.  B.  durch  Ände- 
rungen der  Blutalkaleszenz,  der  Aschenzusammensetzung  des 
Blutes  usw.).  Als  eine  von  ungezählten  Möglichkeiten 
(aber  auch  als  nichts  anderes)  erscheint  vorläufig  meines  Erachtens 
die  Hypothese,  derzufolge  diese  vermehrte  Autolyse  durch  Über- 
tritt verdauender  Fermente  aus  dem  Tumor  in  das  Blut  veran- 
laßt sein  soll. 

Blumenthal^)  ist  allerdings  der  Meinung,  »das  Vorhandensein 


1)  1.  c.  S.  376— 387,  395—399- 

2)  1.  c.  S.  397. 


Die  Geschwülste.  557 


eines  organeiweißspaltenden  Fermentes  in  der  Krebszelle  könne 
uns  erklären,  warum  auch  bei  solchen  Krebsen,  bei  denen  es  nicht 
zu  einer  großen  Ausdehnung  der  Geschwulst  oder  zu  einer  Meta- 
stasenbildung kommt,  frühzeitig  Kachexie  eintritt;  denn  es  bedarf 
nur  der  fortwährenden  Resorption  dieses  Fermentes,  damit  Eiweiß 
in  größeren  Mengen  abgebaut  wird  «.  Er  betont  aber  gleichzeitig, 
es  liege  ihm  fern,  behaupten  zu  wollen,  daß  dieses  Ferment  in 
jedem  Falle  von  Kachexie  dieselbe  allein  hervorbringt.  Das 
Krebsferment  ist  für  ihn  nur  ein  Faktor,  der  bei  der  Krebs- 
kachexie  eine  wichtige  Rolle  spielt  und  keineswegs  die 
alleinige  Ursache  der  Krebskachexie.  Ebenso  hält  es  Neuberg 
für  sehr  wahrscheinlich,  daß  den  heteroly tischen  Fermenten  eine 
Bedeutung  für  das  Zustandekommen  der  Kjrebskachexie  zukommt. 

Man  hat  dieser  Auffassung  gegenüber  geltend  gemacht,  daß, 
wenn  dieselbe  zu  Recht  bestünde,  bei  der  Auflösung  eines  Karzi- 
noms unter  der  Einwirkung  von  Röntgenstrahlen  oder  von 
Radium  eine  Kachexie  infolge  Überschwemmung  des  Körpers 
mit  Fermenten  zustande  kommen  müßte.  Blumenihal  erwidert 
darauf,  er  habe  wirklich  den  Eindruck,  als  ob  eine  solche  Auf- 
lösung einer  Neubildung  bei  größeren  Tumoren  auf  den  all- 
gemeinen Körperzustand  ungünstig  und  zwar  im  Sinne  einer 
Abmagerung  einwirke.  Das  eben  Gesagte  dürfte  übrigens  ge- 
nügen, um  Ihnen  klar  zu  machen,  wieweit  wir  hier  noch  vom 
klaren  Begriffe  entfernt  sind. 

Eine  unmittelbare  Wirkung  autol5rtischer  Fermente  tritt  da-  Wirkung  des 
gegen  beim  vitalen  Zerfalle  maligner  Neubildungen  zutage  ^j^  "Autoiv&e. 
und  da  ist  nun  sicherlich  die  von  Neuberg  und  anderen  (insbeson- 
dere im  Berliner  Krebsinstitute)  beobachtete  Tatsache  von  großem 
(auch  praktischem)  Interesse,  daß  autoly tische  Fermente  in  hohem 
Grade  durch  Radium  aktivierbar  sind^).  Bekanntlich  gelingt 
es  unter  Umständen,  durch  Radium  eine  Schrumpfung,  Ver- 
flüssigung und  teilweise  Resorption  von  Karzinommassen  zu 
erzielen. 


i)  C.  Neuberg,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  2,  171  (1904).  F.  Meyer 
(Klinik  Leyden),  ibid.  2,  261  (1904).  H.  Wolff,  ibid.  2,  265  (1904). 
Wohlgemutli,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1!M4,  709. 


558  XXIV.  Vorlesung. 

Alfred  Exner  auf  der  Klinik  Hochenegg  in  Wien  (ebenso  wie 
gleichzeitig  London)  beobachtete  bereits  im  Jahre  1903  bei  der 
Einwirkung  des  Radiums  auf  bösartige  Geschwülste  recht  er- 
mutigende Erfolge.  So  sah  er  z.  B.  ein  krebsartiges  Geschwür 
um  Mundwinkel,  ebenso  wie  ein  Melanosarkom  nach  Radium- 
bestrahlung glatt  vernarben.  Auch  einige  Fälle  von  Speiseröhren- 
krebs ließen  nach  Einführung  t^on  Sonden,  deren  Oliven  Radium 
enthalten  hatten,  einen  Rückgang  der  Neubildung  immerhin 
deutlich  erkennen^). 

So  erzielte  ferner  Apolant^)  beim  experimentellen  Mäuse- 
karzinom schöne  Erfolge,  indem  die  Neubildungen  unter  Radium- 
behandlung teils  vollständig  schwanden,  teils  an  Umfang  merk- 
Hch  abnahmen.  London  beobachtete  nach  Einführung  von  einem 
Milligramm  Radium  (das  in  einem  Bombenröhrchen  einge.«chlossen 
war)  in  menschliche  Krebsgeschwülste  nach  wenigen  Tagen  einen 
völhgen  Schwund  der  Karzinom zellen  in  einer  das  Radium  um- 
gebenden etwa  5  Millimeter  dicken  Schichte^).  Nach  den  Er- 
fahrungen des  Chirurgen  Czerny  kommen  bei  der  Behandlung 
inoperabler  Geschwülste  neben  den  Radiumpräparaten  auch  andere 
radioaktive  Substanzen  (insbesondere  das  Aktinium)  in  Be- 
tracht^). 

Man  kann  sich  die  Wirkung  des  Radiums,  wie  Neuberg  und 
Blumenthal  meinen,  etwa  in  der  Art  vorstellen,  daß  durch  dasselbe 
zunächst  ein  Zerfall  der  Krebszellen  und  eine  Abtötung  eines 
Teiles  der  Zellfermente  erfolgt,  während  das  autolytische  Ferment 
in  seiner  Wirkung  nicht  beeinträchtigt  wird,  vielmehr  ungestört 
»sein  Totengräberwerk  vollführt«.  Bei  der  Schmelzung  des 
Karzinomgewebes  treten  reichlich  Albumosen  auf,  welche  all- 
mählich einer  weiteren  Spaltung  unterliegen^). 


i)  A.  Exner  (Klinik  Hochenegg,  Wien),  Wiener  klin.  Wochenschr. 
1904,  96,  181  und  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.-naturw.  Kl.  112,  III, 

285  (1903)- 

2)  H.  Apolant,  Deutsche  med.  W^ochenschr.  1004,  454,  1126. 

3)  E.  L.  London,  Das  Radium  in  der  Biologie  und  Medizin.    Leipzig 
191 1,  Akadem.  Verlagsanstalt.    Siehe  dort  die  Literatur. 

4)  Czerny  und  Kaan,  Münchener  med.  Wochenschr.  1011,  1801. 

5)  Vgl.  F.  Blumenthal,  1.  c.  S.  395 — 396. 


Die  Geschwülste.  559 


Im  Zusamenhange  mit  der  Frage,  welche  Rolle  den  eiweiß-  Wesen  des  Se- 
verdauenden  Fermenten  in  der  Pathologie  des  Karzinoms  zu-  '^'"^„s  '^*^ 
kommt,  steht  die  Frage  des  »Antitrypsins«  im  Serum  und 
seiner  Bedeutung  für  die  Diagnose  maligner  Neubildungen.  Von 
der  Annahme  ausgehend,  daß  der  Übertritt  von  Fermenten  in 
die  Blutbahn  auf  immunisatorischem  Wege  die  Entstehung  von 
Antifermenten  auszulösen  vermag,  hatte  man  an  den  Gedanken, 
die  Kachexie  sei  durch  Überschwemmung  des  Organismus  mit 
proteolytischen  Enzymen  von  der  bösartigen  Neubildung  aus  ver- 
ursacht, die  Vorstellung  gereiht,  der  Organismus  müsse  über  Mittel 
verfügen,  um  sich  dieser  verhängnisvollen  Fermentinvasion  durch 
Antifermente  zu  erwehren.  Wir  wollen  nun  versuchen,  über 
den  tatsächlichen  Untergrund  dieser  Vorstellungen  ins  klare  zu 
kommen. 

Ich  möchte,  um  nicht  allzuweit  auszugreifen  (ich  werde  auf 
die  einschlägigen  Probleme  im  Zusammenhange  mit  dem  Trypsin 
noch  einmal  zu  sprechen  kommen),  hier  zunächst  erwähnen,  daß 
man  seinerzeit  durch  die  Untersuchungen  von  Carl  Oppenheimer^) 
darauf  aufmerksam  geworden  ist,  daß  genuines  Blutserum  eine 
erhebliche  Resistenz  dem  Trypsin  gegenüber  aufweist  und  daß 
man  diese  Resistenz  der  Gegenwart  eines  »Antifermentes« 
zugeschrieben  hat. 

Es  lag  sicherlich  am  nächsten,  das  Auftreten  dieses  Anti- 
trypsins im  Serum  mit  dem  Übertritte  des  Pankreasfer- 
mentes  in  die  Blutbahn  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Nun 
gelingt  es  aber  keineswegs  leicht,  den  Antitrypsingehalt  des 
Serums  auf  immimisatorischem  Wege  zu  steigern  2);  es  macht 
vielmehr  den  Eindruck,  als  ob  nur  eine  massenhafte  Überflutung 
des  Organismus  mit  tryptischem  Fermente  diesen  Effekt  unter 
Umständen  hervorzubringen  vermöchte 3). 


i)  S.  Rosenberg  und  C.  Oppenheimer,  Hofmeisters  Beitr.  5,  412 
(1904)  und  Arch.  f.  [An.  u.]  Physiol.  1004,  569.  Oppenheimer  und 
Aaron,  Hofmeisters  Beitr.  4,  279  (1903). 

2)  P.  Bergell   und  Schütze,  Zeitschr.  f.  Hygiene  50,  308  (1905). 

3)  G.  V.  Bergmann  und  Bamberg  (Klinik  Fr.  Kraus),  Berliner 
klin.  Wochenschr.  1008,  1396.  Bamberg,  Zeitschr.  f.  exper.  Pathol. 
5,  742  (1909)- 


500  XXIV.  Vorlesung. 


Nachdem  man  insbesondere  durch  die  Untersuchungen  Joch- 
manns und  seiner  Mitarbeiter  auf  die  proteolytischen  Leuko- 
cytenfermente  in  erhöhtem  Maße  aufmerksam  geworden  war, 
dachte  man  daran,  den  Antifermentgehalt  des  Blutes  mit  dem 
Zerfalle  weißer  Blutzellen  in  Zusammenhang  zu  bringen;  doch 
haben  genauere  Prüfimgen  (vor  allem  diejenige  von  Wiens)  keinen 
Anhaltspunkt  dafür  ergeben^). 

Von  anderer  Seite  her  ist  wiederum  die  Meinung  geäußert 
worden,  daß  Pankreasfermente  und  Leukocytenfermente  nur  eine 
untergeordnete  Rolle  spielen,  daß  dagegen  intrazelluläre  proteo- 
lytische Organfermente,  die  beim  Zerfalle  der  verschie- 
densten Gewebe  in  Freiheit  gesetzt  werden,  als  Erreger  der  Anti- 
körperbildung anzusehen  sind 2). 

Alle  diese  Vorstellungen  sind  aber  sehr  stark  ins  Wanken 
geraten,  seitdem  0.  Schwarz,  ausgehend  von  den  Beobachtungen 
von  E.  P.  Pick  und  E.  Przibram  zu  dem  Resultate  gelangt  ist, 
daß  das  »Antitrypsin«  des  Serums  in  gar  keiner  Beziehung  zu 
irgendwelchen  autoimmimisatorischen  Vorgängen  im  Organis- 
mus stehe,  vielmehr  eine  Funktion  der  Lipoid  -  Eiweißver- 
bindungen des  Serums  sei.  Es  geUngt,  die  antitryptische 
Wirkung  eines  Serums  durch  Ätherextraktion  aufzuheben  und 
durch  Lipoidzusatz  wiederherzustellen;  innerhalb  gewisser  Gren- 
zen geht  eine  Vermehrung  des  Ätherextraktes  eines  Serums  mit 
einer  Erhöhung  seiner  antitryptischen  Kraft  einher.  Ein  erhöhter 
Hemmungstiter  des  Serums  scheint  in  vielen  Fällen  ein  Aus- 
druck eines  gesteigerten  Zellzerfalles  und  einer  sich  daraus 
ergebenden  Lipoidanreicherung  des  Serimis  zu  sein^).  Auch 
eine  Ausschaltung  der  Nierentätigkeit  kann  zu  einer  solchen  füh- 
ren und  es  liegt  sicherlich  gar  kein  Grund  vor,  das  »Antitrypsin  « 
als  einen  einheitlichen  Körper  anzusehen.     Dasselbe  dürfte  eben 


i)  G.  Joch  mann  und  A.  Kantarowitsch,  Zeitschr.  f.  klin.  Med. 
••»  153  (1908).  Wiens  und  Schlecht,  Deutsch.  Arch.  f.  khn.  Med.  06» 
44  (1909).  Wiens,  ibid.  62. 

2)  K.  Meyer,  Berhner  klin.  Wochenschr.  46,  H.  23,  42  (1909).  A. 
Braunstein,  ibid.  47,  478  (1910).  A.  Braunstein  und  Kepinow, 
Biochem.  Z.  27,  170  (1910). 

3)  O.  Schwarz,  Wiener  klin.  Wochenschr.  S8,  1151  (1909)  und  Berliner, 
klin.  Wochenschr.  46,  2139  (1909). 


Die  Geschwülste.  56 1 


nur    eine    Wirkungsform    verschiedener    kolloidaler    Substanzen 
sein^). 

Diese  Auffassung  scheint  mir,  trotz  der  gegen  sie  erhobenen  Antitrypsin  im 
Einsprüche*)   durchaus   plausibel  zu  sein  und  macht  auch  die   ^Karzin^nl'" 
»Antiferment« -Befunde  beim  Karzinom  ganz  verständlich. 

Brieger  und  Trebing^)  haben  den  Antitrypsingehalt  des  Blutes 
bei  Karzinomatösen  mit  Hilfe  der  Löfflerplatte  geprüft.  Je 
eine  Platinöse  des  Serums  wurde  mit  einer  steigenden  Zahl  Plati- 
nösen einer  einprozentigen  Trypsinlösung  gemischt  und  das  Ge- 
menge auf  die  Platte  gebracht.  Nach  einer  gewissen  Verweildauer 
im  Brutschranke  wurde  dann  festgestellt,  bei  welchem  Mischungs- 
verhältnisse noch  eine  Dellenbildung  auf  der  Eiweißplatte  statt- 
gefunden hatte,  welche  Trypsinmenge  also  eben  soweit  neutra- 
lisiert worden  war,  um  den  verdauenden  Effekt  des  Trypsins  ganz 
auszuschalten.  Es  ergab  sich  so,  daß  der  » Antifermentgehalt « 
des  Serums  beim  Karzinom  besonders  stark  und  regelmäßig  ge- 
steigert war,  jedoch  auch  bei  Nephritis,  Sepsis  und  verschiedenen 
Kachexien  ein  ähnliches  Verhalten  zeigte. 

G.  V.  Bergmann  und  K.  Meyer^)  und  sehr  viele  andere  haben 
diese  Beobachtung  bestätigt.  Die  ersteren  haben  sich  an  Stelle  der 
Löfflerplatte  des  von  E,  Fuld  herrührenden  Kaseinverfahrens 
bedient,  wobei  eine  bestimmte  Menge  einer  Kaseinlösung  mit  kon- 
stanten Mengen  verdünnten  Serums  und  mit  einer  steigenden 
Menge  Trypsinlösung  versetzt  und  nun  in  den  einzelnen  Proben 
nach  einer  Stunde  im  Brutschranke  festgestellt  wurde,  ob  die  Ver- 
dauung bereits  so  weit  fortgeschritten  sei,  daß  Essigsäure  keine 
Kaseinfällung  mehr  bewirkte.  Auch  verschiedene  Varianten  der 
Methodik*)  (z.  B.  Ersatz  der  Löfflerplatte  durch  eine  Milchagar- 


1)  J.  Bauer  (Inst.  Paltauf  u.  III.  Med.   KUnik  Wien),  Zeitschr.  f. 
Immunitätsforsch.  5,  H.  2/3  (1910). 

2)  P.  Rondoni  (Florenz),  Berliner  klin.  Wochenschr.  47,  528  (1910). 
S.  Cobliner,  Biochem.  Z.  25,  494  (1910). 

3)  L.  Brieger  und  Trebing,   Berliner  klin.  Wochenschr.  1908,  H.  22 
und  weitere  Arbeiten. 

4)  G.  V.  Bergmann  und  K.  Meyer,  Berliner  klin.  Wochenschr.  If08, 
Nr.  sy. 

5)  Vgl.  V.Fürst,  Berliner  klin. Wochenschr.  19W,  58.    Marcus,  ibid. 
156.    M.  Mandelbaum,  Münchener  med.  Wochenschr.  56,  2215  (1909). 

V.  Fürth,  Probleme.  36 


562  XXIV.  Vorlesung. 

platte  u.  dgl.)  sind  empfohlen  worden.  Ich  bitte  Sie,  mir  ein  wei- 
teres Eingehen  auf  diese  Literatur  erlassen  zu  wollen.  Der  Umfang 
derselben  beweist,  mit  welcher  Begierde  sich  die  Autoren  auf  den 
Hoffnungsschimmer  geworfen  haben,  einen  serologischen  Nach- 

I  weis  des  Karzinoms  ausfindig  zu  machen.    Doch  ist  von  diesen 

Hoffnungen  wenig  übrig  geblieben;  von  einer  Spezifizität  der 

f  »An tiferment« -Reaktion  kann  leider  gar  keine  Rede  sein.    Was 

l  den  praktischen  Wert  derselben  betrifft,  glauben  manche  Autoren 

dieselbe  zur  »Unterstützung«  einer  Karzinomdiagnose  verwerten 

i  zu  können.    Es  will  mir  aber  scheinen,  daß  davon  nicht  allzuviel 

i-'  zu  erwarten  sein  wird.     Einem  Medicus,  dessen  Beobachtimgs- 

vermögen  derart  beschaffen  ist,  daß  er  erst  nüt  Hilfe  der  quanti- 

j  tativen  Serumuntersuchung  merkt,  wenn  ein  Kranker  sich  im 

Zustande  der  Kachexie  befindet  und  im  Begriffe  steht,  den  Eiweiß- 
bestand seines  Körpers  zu  liquidieren,  wird,  fürchte  ich,  durch  die 

!  Antifermentreaktion    ebensowenig    zu    helfen    sein    wie    seinem 

Patienten. 
Katalasen  in  Weil  wir  gerade  beim  Kapitel  der  unerfüllten  Hoffnungen 
angelangt  sind,  möchte  ich  noch  einige  Worte  über  das  Verhalten 
der  Katalasen  in  maUgnen  Tumoren  hinzufügen.  Unter  dieser 
Bezeichnung  versteht  man  bekanntlich  fermentativ  wirksame 
Agentien  in  Geweben  und  tierischen  Flüssigkeiten,  welche  be- 
fähigt sind,  Wasserstoffsuperoxyd  in  seine  Komponenten  (Wasser 
und  Sauerstoff)  zu  zerlegen.  Blumenthal  und  Brahn^)  haben  nun 
die  Katalasewirkung  in  Krebsgeschwülsten  erhebüch  vermindert 
gefunden;  sie  sahen  normale  Leber  eine  Sauerstoffsuperoxyd- 
lösung unter  mächtigem  Aufbrausen  zersetzen,  während  Krebs- 
knoten nur  eine  mäßige  Sauerstoffentwicklung  hervorzurufen 
vermochten.  Auch  metastasenfreie  Leber  wurde  durcli  ein 
Magenkarzinom  in  gleichem  Sinne  beeinflußt  2). 

Es  wäre  nun  sicherlich  höchst  verlockend,  diese  Katalasen- 
verminderung  mit  einer  Beeinträchtigung  des  oxydativen  Stoff- 
wechsels durch  den  Entartungsprozeß  in  unmittelbaren  Zusammen- 

i)  F.  Blumenthal,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  8,  436  (1910)  und  Ergebn. 
d.  Physiol.  10,  387 — 389  (1910),  vgl.  Colwell,  Arch.  Middlesex  Hosp.  19, 
55  (1910),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  1910,  Nr.  1767. 

2)  B.  Brahn,  Sitzungsber.  d.  Preuß.  Akad.  1919,  680,  zit.  n.  Zentralbl. 
f.  d.  ges.  Biol.  10,  Nr.  2185. 


Tumoren. 


Die  Geschwülste.  563 


hang  zu  bringen.  Ich  werde  aber  in  einer  späteren  Vorlesung 
Ihnen  auseinanderzusetzen  haben,  daß  ich  die  Beziehungen  der 
Katalasen  zu  Vorgängen  der  Oxydation  in  den  Geweben  und  die 
physiologische  Bedeutung  derselben  für  durchaus  unbewiesen 
halte.  Ich  vermag  mich  daher  vorläufig  auch  mit  bestem  Willen 
nicht  zu  der  Ansicht  zu  bekehren,  daß  die  Katalasenabnahme  in 
Tumoren  etwas  für  die  Natur  des  Entartungsvorganges  wirklich 
Wesentliches  ist. 


36' 


XXV.  Vorlesung. 

Geschwülste. 

Serodiagnostik  Bereits  der  Schluß  der  vorigen  Vorlesung,  wo  vom  Antiferment- 
der  Tumoren,  gehalte  des  Blutes  die  Rede  war,  hat  uns  auf  das  heikle  Gebiet 
der  Serodiagnostik  der  Tumoren  hinübergeleitet.  Ich  muß 
mm,  wohl  oder  übel,  noch  eine  Strecke  auf  diesem  Gebiete  weiter- 
wandeln, wenn  ich  nicht  darauf  verzichten  will,  Ihnen  ein  einiger- 
maßen abgerundetes  Bild  vom  gegenwärtigen  Stande  der  Bio- 
chemie der  Neubildungen  zu  entwerfen. 
Freund-Ka-  Am  meisten   Interesse  in  dieser  Richtung  scheint  mir  eine 

"^i"nrakt'  ^^^  Beobachtung  zu  verdienen,  welche  einerseits  Ernst  Freund  und 

Gisa  Kammer^),  andererseits  Carl  Neuberg  unabhängig  von  ein- 
ander gemacht  haben.  Dieselbe  besagt,  daß  normales  Serum 
befähigt  ist,  Krebszellen  zur  Auflösung  zu  bringen, 
während  dieses  Vermögen  dem  Serum  Krebskranker  abhanden 
gekommen  ist.  Die  Erstgenannten  gehen  derart  vor,  daß  Stücke 
frischer  Tumoren  zerkleinert,  sodann  in  einem  Preßtuche  unter 
Wasser,  das  0,6%  Kochsalz  und  (zum  Zwecke  der  Antisepsis) 
überdies  1%  Fluornatrium  enthält,  ausgedrückt  werden.  Dabei 
bleiben  Bindegewebsstränge  und  Blutgefäße  zurück,  während 
die  Zellen  größtenteils  unbeschädigt  durch  die  Poren  des  Tuches 
hindurchtreten.  Aus  der  so  erhaltenen  Zellaufschwemmung  wer- 
den die  Zellen  durch  Zentrif ugieren  gesammelt ;  man  bringt  sodann 


i)  E.  Freund  und  G.  Kaminer,  Biochem.  Z.  26,  312  (1910)  und 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1910,   378,   1220.      C.  Neuberg,  Biochem.  Z. 

26,  344  (1910)- 

2)  Literatur  über  Serumreaktionen  bei  malignen  Tumoren:  E.  Ranzig 
Handb.  d.  Techn.  u.  Method.  d.  Immunitätsforsch.,  i.  Ergänzungsbd.,. 
592—624  (1911)- 


Geschwülste.  565 


in  kleine,  mit  einem  Gummistöpsel  verschließbare  Eprouvetten 
je  10  Tropfen  Serum  und  einen  Tropfen  Zellaufschüttelung,  fügt 
einen  Tropfen  O-Sprozentiger  Fluomatriumlösung  hinzu  und 
mischt  gut  durch.  In  einem  Tropfen  dieser  Mischung  wird  nun 
mit  Hilfe  einer  Thoma-Zeißschen  Zählkammer  (wie  man  sie  zur 
Zählung  der  roten  Blutkörperchen  zu  gebrauchen  pflegt)  die  An- 
zahl der  Zellen  ermittelt;  sodann  wird  die  Eprouvette  24  Stunden 
lang  im  Brutschranke  bei  40  °  belassen  und  durch  eine  abermalige 
Zählung  festgestellt,  ob  in  der  Menge  der  vorhandenen  Zellen 
eine  wesentliche  Abnahme  erkennbar  ist. 

Es  ergab  sich  nun,  daß  bei  den  Versuchen  mit  dem  Serum 
nicht  karzinomatöser  Menschen  die  Mehrzahl  der  Zellen  zugrunde 
ging,  während  dieses  Vermögen  dem  Serum  Krebskranker  ab- 
handen gekommen  war,  bzw.  konnte  die  Gegenwart  einer  die 
Karzinomzellen  schützenden  Substanz  darin  nachgewiesen  werden. 
»Bedenkt  man,  mit  welch  erschreckender  Raschheit  Metastasen 
durch  Zellverschleppung  bei  karzinomatösen  Individuen  zustande 
kommen  können,  und  vergleicht  damit,  wie  andererseits  in  we- 
nigen Tagen  nach  Impfung  eines  nußgroßen  Tumorstückes  in 
einen  nichtdisponierten  Organismus  derselben  Tierspezies  die 
Zellen  total  verschwunden  sind,  so  hegt  die  Annahme  nahe, 
daß  in  der  Gewebsflüssigkeit  der  verschiedenen  Organismen  emi- 
nent karzinomzerstörende  bzw.  erhaltende  Substanzen 
vorhanden  sein  müssen  i).«  Die  Bestätigung  dieser  Annahme 
durch  das  Experiment  ist  nun  sicherlich  ein  an  sich  sehr  inter- 
essantes und  wertvolles  Resultat.  Der  Träger  der  für  Karzinom- 
zellen deletären  Wirkung  des  normalen  Serums  soll  eine  nicht 
dialysable,  durch  Alkohol  fällbare,  thermolabile,  in  Äther  lös- 
Hche  Substanz  sein. 

Eine  andere  Frage  ist  es,  ob  die  Reaktion  als  streng  spe- 
zifisch angesehen  und  ob  eine  Karzinomdiagnose  auf  dieselbe 
basiert  werden  kann.  Eine  Reihe  von  Nachprüfungen*)  beant- 
wortet, soviel  ich  sehe,  diese  Frage  dahin,  daß  der  Reaktion 
ein    die    klinische    Diagnose    ergänzender    und   unterstützender, 


i)  £.  Freund  und  G.  Kaminer,  Biochem.  Z.  21,  313  (1910). 

2)  £. Ranzi,  I.e.,  S. 613.  Arzt,  Stammler,  ChirurgenkongreO  1911. 
Schmorl,  Mikrobiologenkongreß  191 1.  R.  Kraus,  £.  v.  Graff,  £. 
Ranzi,  Wiener  klin.  Wochenschr.  13.  Juli  191 1,  vgl.  dort  die  Literatur. 


566 


XXV.  Vorlesung. 


Meiostagmin- 
reaktion. 


Pfeiffersche 
Reaktion. 


jedoch  nicht  ausschlaggebender  Wert  beizumessen  ist;  sie  kann 
zweifellos  unter  Umständen  auch  bei  malignen  Neubildungen 
negativ  imd  bei  anderen  Krankheitsprozessen  positiv  ausfallen. 

Als  ein  weiterer  Versuch  auf  dem  Gebiete  der  Serodiagnostik 
der  Geschwülste  dürfte  die  » Meiostagminreaktion«  von 
Ascoli  einige  Beachtung  verdienen i). 

Nach  der  Vorstellung  Ascolis  sollen  beim  Zusammentreffen 
von  Antigenen  und  Antikörpern  Stoffe  von  geringerem  Haft- 
drucke entstehen,  die  er  »  Meiostagmine  «  nennt,  und  deren  Auf- 
treten sich  in  einer  Herabsetzung  der  Oberflächenspan- 
nung äußert. 

Durch  Alkohol-Ätherextraktion  wird  aus  Rattensarkomen 
eine  »Antigem -Lösung  bereitet.  Eine  solche  Lösung  bewirkt  nun 
beim  Zusätze  zu  Blutserum  eine  Herabsetzung  der  Ober- 
flächenspannung, welche  an  einer  Vermehrung  der  Tropfen- 
zahl eines  Traubeschen  Stalagmometers  erkannt  werden  kann. 
(Das  Stalagmometer  wird  in  der  Art  geaicht,  daß  dessen  Tropfen- 
zahl für  Wasser  bei  einer  bestimmten  Temperatur  vorher  genau 
ermittelt  wird.) 

Blutsera  von  Sarkomratten  oder  von  an  maügnen  Neubil- 
dungen leidenden  Menschen  sollen  nun  durch  Sarkomantigen  eine 
stärkere  Herabsetzung  der  Oberflächenspannung  erleiden  als  die 
Sera  normaler  Individuen,  und  zwar  ist  Ascoli  der  Meinung,  daß 
diese  )>Meiostagminreaktion «  bei  bösartigen  Geschwülsten  fast 
immer  positiv,  in  anderen  Fällen  ausnahmslos  negativ  ausfällt. 
Es  wird  gut  sein,  abzuwarten,  wie  sich  die  Kritik  zu  diesem 
beachtenswerten  Befunde  stellt. 

H,  Pfeiffer^)  in  Graz  hat  Karzinomsera  auf  ihre  Fähigkeit 
geprüft,  Anaphylaxie  auszulösen,  jene  dunklen  und  geheimnis- 
vollen Erscheinungen,  mit  denen  der  Organismus  auf  eine  wieder- 
holte  Einführung   körperfremden   Eiweißmateriales   unter   Um- 

i)  M.  Ascoli  und  G.  Izar,  Münchener  med.  Wochenschr.  1910,  403, 
933,  1170.  G.  Izar,  Biochem.  Z.  29,  13  (1910).  Weitere  Literatur:  Ranzi, 
1.  c.  S.  623. 

2)  H.  Pfeiffer  und  Finsterer,  Wiener  klin.  Wochenschr.  22,  14,  989, 
1042,  1227,  1375.  E.  Ranzi,  ibid.  1372.  H.  Elias,  Beitr.  z.  Karzinom- 
forschung aus  der  II.  med.  Klinik  in  Wien  2,  55  (1910).  Weitere  Literatur: 
Ranzi,  Handb.  d.  Techn.  u.  Method.  d.  Immunitätsforsch.,  Ergänzungsbd., 
623  (191 1). 


Geschwülste.  567 

ständen  zu  reagieren  vermag.  Als  Prüfstein  diente  das  Phäno- 
men des  Temperatursturzes,  welches  bei  Meerschweinchen 
den  Eintritt  anaphylaktischer  Erscheinungen  zu  begleiten  pflegt. 
Nach  Pfeiffer  soll  nun  der  Karzinomkranke  in  seinem  Serum  einen 
gegen  Karzinomgewebe  gerichteten  anaphylaktischen  Reaktions- 
körper führen.  Behandelt  man  also  ein  Meerschweinchen  durch 
eine  intraperitoneale  Injektion  des  Serums  eines  Karzinom- 
kranken vor  und  macht  dann  nach  48  Stunden  eine  zweite  In- 
jektion mit  Karzinompreßsaft,  so  beobachtet  man  angebUch  bei 
dem  Tiere  einen  anaphylaktischen  Temperatursturz. 

Während  nun  Pfeiffer  von  der  Spezifizität  des  anaphylak- 
tischen Tempera turstmrzes  überzeugt  ist,  wird  diese  von  anderer 
Seite  her  (insbesondere  von  Ranzt  und  von  Elias)  energisch  be- 
stritten. Es  scheint,  daß  man  ähnliche  Erscheinungen,  wie  mit 
Tumorpreßsäften,  auch  mit  Leber-  und  Herzpreßsäften  erzeugen 
kann  und  es  ist  recht  fraglich,  ob  man  überhaupt  berechtigt  ist, 
dieselben  den  anaphylaktischen  Erscheinungen  anzureihen.  Mög- 
licherweise spielen  Lipoide  (wie  Lecithin,  oleinsaures  Natron 
u.  dgl.)  dabei  eine  Rolle;  wenigstens  können  dieselben  unter  Um- 
ständen ebenfalls  einen  Temperaturabfall  erzeugen.  Die  an  diese 
Reaktion  geknüpften  Hoffnungen  dürften  wohl  schwerlich  in 
Erfüllung  gehen. 

Nicht  viel  aussichtsreicher  erscheinen,  vorläufig  wenigstens,  Andere  seroio- 
Versuche,  bei  der  Hämolyse  roter  Blutkörperchen  durch  ^'^*^^^^  ^^^^" 
Kobragift,  bei  der  Bildung  von  Agglutininen  nach  Impfung 
mit  Mikroorganismen,  beim  Auftreten  von  Ambozeptorenund 
Präzipitinen  nach  Vorbehandlung  mit  körperfremdem 
Blute,  sowie  bei  der  Komplementablenkungsreaktion 
charakteristische  Unterschiede  zwischen  dem  Serum  normaler  und 
mit  malignen  Neubildungen  behafteter  Individuen  ausfindig  zu 
machen.  Und  doch  kann  man  nur  hoffen,  daß  vielleicht  gerade 
in  dieser  Richtung  geduldiger  Forschung  noch  große  Erfolge 
blühen.  Das  Sprüchlein,  daß  es  mehr  Dinge  zwischen  Himmel 
und  Erde  gibt,  als  sich  unsere  Schulweisheit  träumen  läßt,  ist 
auch  auf  dem  Gebiete  der  Immunitätslehre  nur  allzu  wahr^). 


i)  R.  Kraus,  O.  Pötzl,  £.  Ranzi,  H.  Ehrlich,  Wiener  klin.  Wochen- 
schrift 19W,  1027.    R.  Kraus  und  E.  Graff,  ibid.  24,  Nr.  6  (191 1).    R. 


568  XXV.  Vorlesung. 


Einwirkung  Ich  möchte  nun  Ihre  Aufmerksamkeit  einem  anderen  Gegen- 

ticn^^'^^auf^^das  stände  zulenken,  nämlich  der  Frage  der  Beeinflussung  des 
Tumorwachs-  Tumorenwachstums  durch  chemische  und  physika- 
*"'"•  lische  Faktoren.  Von  einem  speziellen  Falle  einer  solchen 
Beeinflussung  war  bereits  die  Rede,  nämlich  von  der  Radium- 
Wirkung.  Man  hat  femer  in  neuerer  Zeit  (insbesondere  dank 
den  Arbeiten  aus  dem  Institute  Tappeiners  in  München)  die 
mächtige  Verstärkung  kennen  gelernt,  welche  die  chemische  Wir- 
kung der  Lichtstrahlen  durch  die  Gegenwart  fluoreszieren- 
der Stoffe  erfahren  kann;  es  ist  nun  recht  beachtenswert,  daß 
man  bei  manchen  Fällen  von  Hautkarzinomen,  welche  mit  Licht- 
bestrahlung nach  Injektion  fluoreszierender  Lösungen  in  das 
Gewebe  behandelt  worden  waren,  Besserung,  zuweilen  sogar  glatte 
Vemarbung  erzielt  hat^). 

Von  den  zahlreichen,  vergeblichen  Versuchen,  Tumoren  durch 
Einspritzung  verschiedenartiger  Substanzen  zur  Heilung  zu  brin- 
gen, soll  hier  nicht  weiter  die  Rede  sein.  Einige  derselben  sind 
dadurch  zu  einer  gewissen  traurigen  Berühmtheit  gelangt,  daß 
sie  durch  unberechtigte  und  reklamehafte  Anpreisungen  irre- 
geleitete Kranke  dazu  verführt  haben,  die  Zeit  zu  versäumen, 
wo  das  Messer  des  Chirurgen  sie  noch  hätte  retten  können.  Daß 
Ätzmittel  und  eiweißkoagulierende  Substanzen  imstande 
sind,  ebensogut  wie  andere  Zellen,  auch  Geschwulstzellen  zu 
töten,  ist  selbstverständlich.  Ein  Mittel  dagegen,  das  die  Ge- 
schwulstzellen tötet,  die  normalen  Gewebe  dagegen  schont,  gehört 
nach  wie  vor  in  den  Bereich  der  schönen  Träume;  der  Tag,  wo 
ein  solches  im  Gebiete  der  Wirklichkeit  zum  Vorscheine  kommen 
würde,  wäre  einer  der  großen  Ruhmes-  und  Freudentage  der 
Menschheit.  Seit  den  Erfolgen,  die  unter  Ehrlichs  Meisterhand 
aus  dem  Boden  der  Chemotherapie  herausgewachsen  sind, 
erscheint  auch  die  Lösung  dieses  Problems  nicht  mehr  als  eine 
Unmöglichkeit. 

Kraus,  E.  Ranzi  und  H.  Ehrlich,  Sitzungsber.  d.  Wiener  Akad.,  Math.- 
naturw.  KL,  Abt.  III.  119,  3  (1910).  Ausf.  Literatur:  Ranzi,  Handb.  d. 
Techn.  u.  Method.  d.  Immunitätsforsch.,  Ergänzungsbd.  S.  595 — 604, 
619 — 621   (1911). 

i)  Jesionek  und  H.  v.  Tappeiner,  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  82, 

223  (1905)- 


Geschwülste.  569 


Da  jeder  Ansatz  zur  Auffindung  eines  solchen  Mittels  wert- 
voll ist,  möchte  ich  die  sicherlich  interessanten  Versuche  Karl 
Reicher s"^)  aus  dem  Berliner  Institute  für  Krebsforschung  nicht 
unerwähnt  lassen.  Es  ist  demselben  gelungen,  durch  Injektion 
von  Adrenalinlösungen  in  die  Umgebung  von  Tumoren  bei 
Ratten  und  Mäusen  maligne  Geschwülste  von  Walnuß-  bis  Hühnerei- 
größe zum  Verschwinden  oder  doch  bis  auf  geringe  nekrotische 
Reste  zur  Rückbildung  zu  bringen.  Wurde  bei  frisch  geimpften 
Tieren  die  Entstehung  eines  Tumors  nicht  erst  abgewartet,  viel- 
mehr sofort  nach  der  Impfung  mit  Adrenalinbehandlung  begonnen, 
so  ergab  sich  bei  den  Adrenalintieren  eine  bedeutend  geringere 
Impf  ausbeute  als  bei  den  Kontrolltieren.  Ob  dieses  auffällige 
Resultat  durch  die  lokale  Anämie,  welche  die  Folge  einer  Adre- 
naüninjektion  und  jedenfalls  geeignet  ist,  die  Ernährung  des 
Tumors  zu  schädigen,  ausreichend  erklärt  wird,  mag  einstweilen 
dahingestellt  bleiben.  Die  mikroskopische  Untersuchung  ergibt 
in  solchen  Fällen  das  Auftreten  herdweiser  Nekrosen,  in  deren 
Umgebung  sich  kleinzellige  Infiltration  und  Gefäßerweiterung 
einstellt. 

Die  Einwirkung  thermischer  Einflüsse^)  auf  Tumoren  ist 
oft  untersucht  worden.  Transplantationsversuche  haben  er- 
geben, daß  Tumorgewebe  tagelang  eine  Temperatur  nahe  über 
dem  Gefrierpunkte  und  ganz  kurze  Zeit  sogar  eine  solche  tief  unter 
dem  Gefrierpunkte  ertragen  kann,  ohne  seine  Lebensfähigkeit 
zu  ver Heren,  ebenso  Temperaturen  von  etwa  44°.  Ob  bei  passend 
gewählter  Dauer  des  Erwärmens  auf  höhere  Temperaturen  auch 
eine  Zunahme  der  Wachstumsenergie  zur  Beobachtung  gelangen 
kann,  ist  zweifelhaft.  Im  ganzen  spricht  die  Widerstandsfähig- 
keit thermischen  Schädlichkeiten  gegenüber  zugunsten  einer 
außerordentlich  großen  Elastizität  in  Bezug  auf  äußere  Einwir- 
kungen .  Temperaturen  über  47  °,  bei  denen  das  Myosin  der  kontrak- 


i)  K.  Reicher,  Berliner  klin.  Wochenschr.  191#,  987  und  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1910,  Nr.  29. 

2)  Literatur  über  die  Beeinflussung  des  Tumorwachstums  durch  ätiBere 
Faktoren:  C.  Lewin,  Sammeireferat  in  Ergebn.  d.  inneren  Med.  und 
Kinderheilk.  1,  194—195  (1908),  vgl.  auch  E.  P.  Corson  Withe  und 
L.  Loeb,  Zentralbl.  f.  Bakteriol.  59,  325  (1910).  H.  A.  Clowes  und 
F.  W.  Baeslack,  Joum.  of  experim.  Med.  8,  481  (1906). 


570  XXV.  Vorlesung. 


tilen  Gewebe  und  die  myosinartigen  Substanzen,  die  anscheinend 
in  allgemeiner  Verbreitung  in  den  Organzellen  der  Wirbeltiere 
vorkommen,  gerinnen,  sind  auch  für  Tumorzellen  tödlich. 

Ein  unerläßliches  Postulat  für  eine  systematische  experimen- 
telle  Bearbeitung   des   Krebsproblemes  war   die   willkürliche 
Erzeugung  maligner  Neubildungen. 
Erzeugung  von        Man  hat,  seitdem   Virchow  die  Aufmerksamkeit  der  Patho- 

durch'"^'in"ek-  ^^8^^  ^^^  ^^^  große  Bedeutung  hingelenkt  hatte,  welche  das  Mo- 
tion von  ge-  ment  der  chronischen  Reizung  bei  der  Entstehung  der  Ge- 
färbten Fetten,  gch^üigte  spielt,  sich  vielfach  bemüht,  durch  Anwendung  der 

verschiedensten  physikalischen  und  chemischen  Reize  künstliche 
Tumoren  bei  Tieren  zu  produzieren.  Die  dabei  erzielten  Erfolge 
sind  recht  geringfügiger  Art^). 

Einiges  Aufsehen  haben  vor  etlichen  Jahren  die  Versuche 
B.  Fischers^)  erregt:  demselben  ist  es  gelungen,  indem  er  öle 
und  Fette  unter  Zusatz  von  Scharlachrot  oder  anderen 
Fettfarbstoffen  in  das  Kaninchenohr  subkutan  injizierte,  aty- 
pische Epithelwucherungen  zu  erzeugen,  die  an  Karzinome 
erinnerten  und  unter  Umständen  einen  progredienten  Charakter 
annehmen  konnten.  Fischer  hat  seine  Befunde  dahin  gedeutet, 
daß  er  meinte,  der  Farbstoff  in  den  injizierten  Fetttropfen  übe 
eine  chemotaktische  Anziehung  auf  das  Epithel  aus,  derart,  daß 
dieses  durch  das  entzündlich  gelockerte  Bindegewebe  hindurch 
in  das  Fett  hinein  zu  wachsen  trachtet.  Verschiedene  Nach- 
prüfungen vermochten  diese  Auffassung  keineswegs  zu  bestä- 
tigen; nicht  ein  Wachstumsreiz  scheint  hier  die  causa  movens 
zu  sein,  vielmehr  eine  primäre  Schädigung  des  Epithels;  die 
hierauf  erfolgende  Ersatzwucherung  kann  dann,  indem  sie  die 
physiologischen  Grenzen  überschreitet,  zur  Entstehung  krebs- 
ähnlicher Bildungen  führen.  Kürzlich  ist  es  einem  amerikani- 
schen Autor  gelungen  3),  durch  Injektion  von  scharlachhaltigem 
Paraffin  bei  Ratten  Neubildungen  zu  erzeugen,  die  große  Ähn- 
lichkeit mit  Sarkomen  aufwiesen.    Die  Möglichkeit,  daß  es  sich 

i)  Literatur  über  irritative  Erzeugung  von  bösartigen  Tumoren:  C.  Le> 
win,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,   162 — 164  (1908). 

2)  B.  Fischer,  Münchener  med.  Wochenschr.  1906,  2041. 

3)  J.  Lewin  (Colombia  University),  Joiim.  of  experim.  Med.  !•,  811 
(1908). 


Geschwülste. 


571 


aber  nicht  um  solche,  sondern  um  Granulome  handelt,  läßt  sich 
um  so  weniger  ausschließen,  als  Transplantations  versuche  erfolg- 
los geblieben  oder  doch  nicht  eindeutig  ausgefallen  sind.  Es  ist 
mir  höchst  zweifelhaft,  ob  von  dieser  Seite  her  eine  Förderung  des 
Problems  der  malignen  Neubildungen  wirklich  zu  erwarten  sei. 

Jahrzehntelang  ist  die  Tumorforschung  unter  der  Einwirkung 
der  Lehren  von  Cohnheim  und  Ribbert  gestanden.  Der  Erst- 
genannte war  bekanntlich  der  Meinung,  daß  die  Versprengung 
embryonaler  Keime  die  Grundlage  für  die  Geschwulstbildung 
abgibt,  während  Ribbert  der  Auslösung  von  Zellen  aus  ihrem 
natürlichen  Verbände  im  postembryonalen  Dasein  diese  Rolle 
zuweisen  wollte.  Unzählige  Versuche,  durch  Transplantation  von 
embryonalen  und  anderen  Geweben  Tumoren  künstlich  zu  er- 
zeugen und  so  für  die  Theorie  eine  Grundlage  zu  schaffen,  sind 
gänzlich  fehlgeschlagen.  Als  ein  höchst  sonderbarer  Ausläufer 
der  Cohnheim- Ribbert  sehen  Lehre  mag  die  Kellingsche  Ge- 
schwulsttheorie hier  Erwähnung  finden.  Kelling  meinte, 
körperfremde  embryonale  Zellen  niederer  Tiere,  die  mit  der 
Nahrung  und  auf  anderen  Wegen  in  das  Saftsystem  von  Wirbel- 
tieren eindringen  könnten,  seien  das  Material,  aus  dem  maligne 
Neubildungen  sich  aufbauen.  Er  bemühte  sich,  seine  Theorie 
durch  Impfungen  mit  Larven  und  Eiern  von  Insekten  und  Wür- 
mern, mit  Schneckenschleim  u.dgl.  zu  stützen;  doch  haben 
gewiegte  Pathologen  energisch  gegen  die  Behauptung  Einspruch 
erhoben,  daß  die  so  erzeugten  Geschwülste  etwas  anderes  gewesen 
sind  als  durch  Fremdkörper  erzeugte  Wucherungen^). 

Auf  die  Lehre  von  der  parasitären  Natur  der  bösartigen 
Neubildungen  möchte  ich  hier  nicht  weiter  eingehen.  Es 
möge  hier  genügen,  daran  zu  erinnern,  daß  dieselbe,  trotzdem 
namhafte  Forscher,  wie  z.B.  Leyden,  mit  Eifer  und  Beharrlichkeit 
für  dieselbe  eingetreten  sind,  nach  der  Ansicht  der  Mehrzahl  der 
Pathologen  nach  wie  vor  eines  festen  Untergrundes  entbehrt. 

Im  Interesse  der  Objektivität  möchte  ich  aber  doch  darauf 
hinweisen,  daß  Beobachtungen  über  ein  endemisches  Auf- 
treten der  Krebskrankheit  immer  wieder  den  Gedanken  an 
eine   parasitäre   Natur   derselben   nahelegen.     Derartige   Wahr- 


Cohnheim- 

Ribbertsche 

Theorie. 


Endemisches 
Auftreten  ma- 
ligner   Neubil- 
dungen. 


i)  Literatur:   C.  Lewin,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,  164 — 174  (1910). 


572  XXV.  Vorlesung. 


nehmiingen  an  Menschen  sind  oft  gemacht  und  sehr  verschieden 
gedeutet  worden ;  das  Vorkommen  von  Endemien  bei  Tieren  kann 
durchaus  nicht  geleugnet  werden.  So  hat  man  z.  B.  einmal  bei 
einer  Serie  von  Mäusen,  die  in  einem  und  demselben  Käfig  ge- 
halten worden  waren,  im  Verlaufe  von  lo  Jahren  60  Fälle  von 
Adenokarzinom  der  Mamma  beobachtet,  wobei  alle  Tumoren 
mikroskopisch  und  makroskopisch  denselben  Bau  zeigten.  Von 
Zufall  kann  da  auch  der  größte  Skeptiker  nicht  reden;  allenfalls 
könnte  man  hereditäre  Momente  u.  dgl.  heranziehen,  oder  man 
könnte  an  eine  parasitäre  Infektion  denken,  welche  die  Prädispo- 
sition für  die  Tumorentwicklung  schafft,  ohne  daß  diese  letztere 
darum  infektiösen  Ursprunges  sein  müßte.  Es  ist  aber  immerhin 
beachtenswert,  wenn  ein  auf  dem  Gebiete  der  Tumorforschung 
so  wohlorientierter  Autor  wie  Leo  Loeb^)  die  Ansicht  ausspricht, 
daß  das  endemische  Auftreten  des  Krebses  bei  Tieren  sowie  die 
anscheinend  unbegrenzte  Wachstumstendenz  gewisser  Tumoren, 
die  durch  viele  Generationen  hindurch  ohne  jede  Abschwächung 
mit  Erfolg  übertragen  werden  kann,  es  immerhin  nahelegt,  an 
eine  parasitäre  Ursache  zu  denken. 

Als  der  wichtigste  neuere  Fortschritt  im  Bereiche  der  experi- 
mentellen Erforschung  der  bösartigen  Geschwülste  ist  sicherlich 
die  Transplantation*)  derselben  zu  verzeichnen. 
Transpianta-         Man   hat   Zunächst   auf  die  Übertragung  von  Tumoren 
tion  von  Neo-  y^^  Menschen  auf  das  Tier  außerordentlich  viel  Mühe  ver- 

piasmen  von 

Menschen  auf  Wandt,  und  es  finden  sich  auch  in  der  Literatur  eine  Reihe  von 
Tiere.  Angaben  über  zum  mindesten  scheinbare  Erfolge.  Sehr  viele 
Pathologen  standen  und  stehen  diesen  Resultaten  gegenüber  auf 
dem  Standpunkte,  es  handle  sich  einfach  um  Granulations- 
geschwülste, wie  sie  auch  sonst  durch  chemische  und  physikalische 
Reize  der  mannigfachsten  Art  \aelfach  hervorgerufen  werden. 
Seitdem  aber  die  Transplantationsfähigkeit  von  Tumoren  von 
Tier  zu  Tier  eine  jeder  Diskussion  entrückte  Tatsache  geworden 
ist,  dürfte  sich  wohl  auch  in  bezug  auf  die  vorerwähnten  Erschei- 
nungen der  Standpunkt  etwas  verschoben  haben.     »Es  ist  keines- 


i)  L.  Loeb,  Zeitschr.  f.  Krebsforsch.  5,  469  (1907). 
2)  Literatur  über  die  Transplantation  bösartiger  Geschwülste:    C.  Le- 
win, Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,   174 — 200  (1908). 


Geschwülste.  573 


wegs  die  Forderung  berechtigt, «  sagt  Lewin  in  seinem  umfassen- 
den Referate,  »daß  für  ein  positives  Ergebnis  eine  vollkommene 
Übereinstimmung  zwischen  dem  überimpften  und  dem  neu- 
entstandenen Tumor  verlangt  werden  muß.  Wir  wissen  jetzt, 
daß  bei  Ratten  und  Mäusen  durch  den  Reiz  von  Krebszellen  im 
geimpften  Tiere  Sarkome  entstehen  können.  Es  ist  sehr  wohl 
möglich,  daß  auch  bei  diesen  Impf ungs versuchen  von  Mensch  auf 
Tier  derselbe  Fall  vorliegen  kann,  und  daß  eine  ganze  Reihe  von 
sogenannten  Granulationsgeschwülsten  echte  Sarkome  sind,  die 
durch  einen  von  den  menschlichen  Krebszellen  ausgeübten  Reiz 
unbekannter  Art  im  Tierkörper  entstanden  sind. « 

Was  nun  die  Transplantation  von  Tumoren  von  Tier   Transpianta- 
zu  Tier  betrifft,  so  möchte  ich  (indem  ich  Sie  in  Bezug  auf  die  pjasmen     von 
Einzelheiten  und  die  Literatur  dieses  Gegenstandes  auf  die  Hand-  Tier  zu  Tier, 
bücher  der   Pathologie  und  pathologischen  Anatomie  verweise) 
nur  zusammenfassend  hervorheben,   was  den   Biochemiker  vor 
allem  interessiert. 

Dank  den  Forschungen  von  Jensen  in  Dänemark,  Ehrlich  und 
Apolant  im  Frankfurter  Institute,  denjenigen  von  Bashford  in 
England,  Borrel  und  Haaland  in  Frankreich,  Leo  Lob  in  Nord- 
amerika, sowie  den  Arbeiten  des  Berliner  Krebsinstitutes  und 
vieler  anderer  Stätten  der  Wissenschaft  hat  die  experimentelle 
Krebsforschung  gerade  in  Bezug  auf  die  Probleme  der  Transplan- 
tation im  Verlaufe  des  letzten  Dezenniums  einen  ungeahnten 
Aufschwung  genommen. 

Die  Resultate  beziehen  sich  nicht  nur  auf  die  im  gewöhn- 
lichen Laboratoriumsgebrauche  stehenden  Säugetiere,  sondern 
auch  auf  Hühner  und  Fische;  die  Hauptrolle  spielen  jedoch  die 
Tumoren  der  Mäuse  und  Ratten,  und  hier  war  die  Erkenntnis 
von  größter  Wichtigkeit,  daß  es  nach  dem  Prinzipe  der  Tier- 
passage  (also  nach  demselben  Prinzipe,  das  in  der  Bakteriologie 
zur  Virulenzsteigerung  der  Bakterien  dient)  gelingt,  die  Virulenz 
der  Geschwülste  außerordentlich  zu  erhöhen.  Wählt  man  be- 
sonders schnell  wachsende  Tumoren  zur  Überimpfung,  so  kann  es 
unter  Umständen  schon  nach  wenigen  Generationen  gelingen, 
eine  Impfausbeute  von  90  bis  100%  zu  erzielen;  damit  erscheint 
also  das  Transplantationsproblem  aus  dem  Dunkel  unsicher 
tastender  Versuche  in  die  Lichtsphäre  exakter  Experimentier- 


574  XXV.  Vorlesung. 


kunst  gerückt.  Leider  ist  man  aber  noch  lange  nicht  so  weit, 
etwa  jede  spontane  Tiergeschwulst  übertragen  zu  können;  in  un- 
zähligen Fällen  scheitern  alle  Transplantationsversuche  trotz 
jeglicher  Bemühungen.  Hier  Abhilfe  und  sichere  Versuchsbedin- 
gungen zu  schaffen,  ist  die  nächste  Aufgabe  der  Forschung. 

Vielfach  ist  die  Malignität  der  sogenannten  Impftumoren 
geleugnet  worden,  da  die  Fähigkeit,  zu  metastasieren  und  in- 
filtrativ zu  wachsen,  nicht  immer  klar  zutage  liegt.  Makrosko- 
pische Metastasen  sind  beim  Mäusekarzinom  allerdings  selten. 
Dagegen  scheinen  solche  von  mikroskopischen  Dimensionen 
häufig  zu  sein.  Bei  einem  Rattentumor  hat  z.  B.  Apolant  schon 
in  der  zweiten  Generation  zahlreiche  erbsengroße  Metastasen  in 
Leber,  Milz,  Lunge  und  Peritoneum  beobachtet;  derartige  Ge- 
schwülste boten  in  Bezug  auf  infiltratives  Wachstum,  Metasta- 
sierungsfähigkeit  und  anschließende  Kachexie  ein  getreues  Ab- 
bild des  menschhchen  Karzinoms.  Man  hat  also  gar  keinen  Grund, 
daran  zu  zweifeln,  daß  man  hier  auf  einem  Wege  wandelt,  der 
auch  für  die  menschliche  Pathologie  aussichtsreich  ist. 
Komplexe  Die  Wachstumsbedingungen  für  Tumoren  sind  offenbar  recht 

bcdin^neen  komplizierter  Art,  und  es  scheint,  daß  das  Gelingen  einer  Trans- 
plantation das  Zusammentreffen  von  mindestens  zwei  Kategorien 
von  Bedingungen  erfordert:  Einerseits  bedarf  es,  wie  L.  Loeb 
meint,  eines  Wachstumsreizes,  der  in  den  Tumorzellen 
selbst  lokalisiert  ist;  andererseits  aber  bedarf  es  der  Gegen- 
wart von  Stoffen  aus  der  Umgebung,  welche  das  Leben  der 
transplantierten  Zellen  innerhalb  des  Mediums,  in  das  sie  über- 
tragen worden  sind,  erhalten. 

Einige  Beispiele  mögen  Ihnen  dieses  illustrieren:  Ein  Adeno- 
karzinom derMamma  einer  Ratte  blieb  vollkommenerhalten, 
wenn  es  auf  dasselbe  Individuum,  dem  der  Tumor  entnommen 
war,  transplan tiert  wurde,  während  Stücke  desselben  Tumors, 
die  auf  andere  Ratten  übertragen  worden  waren,  einer  voll- 
kommenen Nekrose  anheimfielen.  Als  das  geschwulsttragende 
Tier  trächtig  wurde,  begannen  nicht  nur  seine  Brustdrüsen  zu 
wachsen,  sondern  auch  die  transplantierte  Geschwulst,  die  dem- 
selben entstammte.  —  Während  Lymphosarkome  von  Hun- 
den die  Übertragung  auf  eine  verwandte  Gattung,  wie  es  der 
Fuchs  ist,  gestatten,  gibt  es  Adenokarzinome  und  Sarkome, 


Geschwülste.  575 


die  sich  zwar  von  weißen  Mäusen  auf  weiße  Ratten  gut  über- 
impfen lassen,  deren  Übertragung  auf  graue  Individuen  aber 
schon  auf  weit  größere  Schwierigkeiten  stößt  usw.^). 

Man  könnte  schließlich  diesen  Dingen  gegenüber  zu  der  wenig 
tröstlichen  Meinung  gelangen,  daß  ungefähr  ebensoviel  Hoffnung 
vorhanden  sei,  mit  unseren  Blicken  jemals  bis  auf  den  Grund 
all  dieses  dunklen  und  geheimnisvollen  Geschehens  zu  dringen, 
wie  ein  Seefahrer,  der  sich  auf  hoher  See  über  Bord  des  Schiffes 
beugt,  hoffen  kann,  das  tausendfältige  Leben,  daß  die  Meeres- 
tiefen in  sich  bergen,  freien  Auges  zu  schauen.  Da  kommt 
denn  gerade  zur  rechten  Zeit  und  auch  hier  wiederum  aus  dem 
Lande  der  »unbegrenzten  Möglichkeiten «  eine  willkommene  Bot- 
schaft, die  alle  diejenigen,  deren  Herz  an  dem  großen  Rätsel  der 
Neoplasmen  hängt,  mit  neuen  Hoffnungen  erfüllt.  Ich  will 
Ihnen  aber  jetzt,  ohne  mich  in  Phantasien  zu  verlieren,  lieber 
ganz  nüchtern  erzählen,  um  was  es  sich  handelt.  Es  ist  das 
Problem*  der  Kultur  normaler  und  pathologischer  Ge- 
webe in  vitro. 

Carrel  und  Burrows^)  haben  im  Rockefeller-lnstitnt  in  New-  Kultur  norma- 
York  den  Versuch  gemacht,  isolierte  Gewebe  von  Säugetieren  vitro, 
in  ähnlicher  Weise  zur  weiteren  Entwicklung  zu  bringen,  wie  es 
seinerzeit  bereits  Harrison  mit  Nervenzellen  des  Frosches  ver- 
sucht hatte,  die  er  in  Plasmatropfen  züchten  wollte.  Frisch  ge- 
töteten Tieren  wurden  Gewebsstückchen  unter  strenger  Asepsis  ent- 
nommen und  in  einen  hängenden  Tropfen  Blutplasmas  übertragen, 
welches  dasselbe  Tier  geüefert  hatte.  Das  eingekittete  Präparat 
wurde  dann  im  hängenden  Tropfen  unter  einem  Mikroskope,  das 
in  einem  Brutofen  eingeschlossen  war,  tagelang  beobachtet.  Es 
war  sicherlich  ein  guter  Gedanke,  die  Gewebsstückchen  nicht 
etwa  in  physiologischer  Kochsalzlösung  zu  beobachten  und  auch 
nicht  im  normalen  Serum,  vielmehr  im  »ph5^iologischesten  «  aller 
Medien,  nämUch  im  Plasma  desselben  Individuums:  das  zarte 
Gerinnsel,  welches  sich  bildet,  wenn  ungeronnenes  Blutplasma 


i)  L.  Loeb  and  S.  Leopold,  Joum.  of  med.  Research.  17,  299  (1907). 

2)  M.  Burrows,  Joum.  Amer.  Med.  Assoc.  55,  2057  (19 10).  A.  Car- 
rel and  M.  Burrows,  Joum.  of  experim.  Med.  18,  387,  1416  (1911)  und 
Joum.  experim.  Zool.  191 1. 


576  XXV.  Vorlesung. 


mit  Geweben  in  Berührung  kommt,  bildet  ein  weiches,  plastisches 
Material,  so  recht  geeignet,  jungen  Zellen  einen  Halt  zu  bieten,  ohne 
ihr  Wachstum  zu  behindern.  Wollen  Sie  sich  daran  erinnern,  daß 
es  ja  ein  Medium  ganz  ähnlicher  Art  ist,  welches  in  jeder  Wunde 
das  Substrat  für  die  wuchernden  Granulationszellen  bildet !  Es  ge- 
schah nun,  was  man  kaum  hatte  hoffen  dürfen :  Normale  Gewebe  ver- 
schiedenster Art  wucherten  so  unter  Beibehaltung  ihrer  eigentüm- 
lichen Charaktere  weiter:  Aus  den  Muskelelementen  der  Frag- 
mente von  Hühnerembryonen  wuchsen  quergestreifte  Zellen  heraus ; 
aus  Nervenenden  lange  Achsenzylinder ;  aus  der  Oberfläche  von 
Nierenstückchen  Zellröhren,  die  gewundenen  Harnkanälchen 
glichen;  aus  Schilddrüse,  Milz,  Knorpel  entstanden  diesen  Ge- 
websformen  eigentümliche  Zellgebilde.  Hatte  das  W^achstum  einmal 
eingesetzt,  so  schritt  es  rasch  vorwärts  und  kam  erst  nach  einigen 
Tagen  zum  Stillstande,  wenn  die  Nährkraft  des  umgebenden  plas- 
matischen Mediums  erschöpft  war;  wurde  nunmehr  neues  Nähr- 
material durch  Zusatz  frischen  Plasmas  herbeigeschafft,  so  ging 
das  Wachstum  unter  Umständen  weiter  und  das  Partikelchen 
konnte  so  zu  einem  Vielfachen,  unter  günstigen  Umständen  bis 
zum  Vierzigfachen  seiner  ursprünglichen  Größe  heranwachsen. 
Es  ist  übrigens  auch  bereits  gelungen,  Organfragmente  von 
Hühnerembryonen  nicht  nur  in  Blutplasma,  sondern  auch  auf 
Agar  und  Bouillon  zu  züchten  und  kürzlich  ist  sogar  berichtet 
worden,  daß  in  einer  Mischung  von  Lockescher  Lösung  und 
Dextrose  alle  Gewebssaaten  »angegangen«  sind*).  (Daß  ein 
progredientes  W^achstum  auf  Kosten  stickstoffreien  Materiales 
nicht  möglich  ist,  versteht  sich  von  selbst.) 
Kultur  von  Tu-  Die  Annahme  lag  nun  sicherlich  nahe,  daß  die  Züchtung  von 
morenin  vitro.  jyjj^Q  1-2 eilen  außerhalb  des  Verbandes  des  Organismus  noch 

leichter  gelingen  werde  als  diejenige  normaler  Gewebszellen. 
Diese  Voraussetzung  hat  sich  auch  in  vollem  Maße  als  zutreffend 
erwiesen.  Während  z.  B.  Knorpel  erst  nach  drei  Tagen  zu  treiben 
begann  und  nur  langsam  weiter  wuchs,  während  ferner  das  Wachs- 
tum von  Nierengewebe  erst  nach  12  Stunden  bemerkbar  wurde, 


i)  M.  R.  Lewis  and  W.  H.  Lewis,  John  Hopkins  Hospital  Bull.  22, 
126  (191 1)  und  Joum.  Amer.  Med.  Assoc.  56,  17  (1911),  zit.  n.  Zentralbl. 
f.  d.  ges.  Biol.  12,  Nr.  392. 


Geschwülste.  577 


fing  ein  Stück  Tumorgewebe  von  einem  Hühnchen  schon  in  der 
dritten  Stunde  nach  Eintragung  in  das  plasmatische  Medium  zu 
wachsen  an,  und  es  konnte  geschehen,  daß  dasselbe  bereits  nach 
48  Stunden  das  Zwanzigfache  seiner  ursprünglichen  Größe 
erreicht  hatte  ^). 

Die  Kultur  lebenden  Tumormateriales  gelang  mit  solcher 
Sicherheit,  daß  Lambert  und  Hanes  Ratten-  und  Mäusesarkom  in 
80  bis  90%  der  Fälle  in  vitro  angehen  sahen.  Auch  gelingt  es, 
mit  dem  so  gewachsenen  Tumorgewebe  unschwer,  bei  normalen 
Tieren  durch  Transplantation  neue  Tumoren  zu  erzeugen. 
Aus  den  wachsenden  Geschwulststückchen  werden  zahlreiche 
Zellen  an  das  Medium  abgegeben,  welche  zum  Teil  durchaus 
amöboiden  Charakter  tragen,  Pseudopodien  ausstrecken,  sich 
aktiv  bewegen,  durch  Phagocytose  Karminkömchen  in  sich  auf- 
nehmen und  karyokinetische  Teilungsfiguren  aufweisen.  Es 
drängt  sich  hier  unmittelbar  die  Anschauung  auf,  daß  sich  die 
Zellen  bösartiger  Geschwülste  wie  niedere  einzellige  Wesen  para- 
sitärer Natur  verhalten,  denen  die  Fähigkeit  innewohnt,  sich 
schnell  zu  vermehren  und  durch  Zerstörung  benachbarter  nor- 
maler Zellen  sich  günstige  Existenzbedingungen  zu  schaffen*). 

Carrel  und  Burrows  haben  weiterhin  das  Wachstum  von 
Tumorfragmenten  in  normalem  und  sarkomatösem 
Plasma  verglichen.  Im  letzteren,  zum  mindesten  in  dem- 
jenigen des  Tumorträgers  selbst,  wuchsen  Geschwulststückchen 
rapide.  Auch  Milzfragmente  von  Embryonen  gingen  viel  besser 
in  sarkomatösem  als  in  normalem  Plasma  an.  Man  kann  angeb- 
lich die  das  Wachstum  aktivierende  Eigenschaft  dem  normalen 
Plasma  dadurch  verleihen,  daß  man  eine  geringe  Menge  von 
Sarkomextrakt  hinzufügt.  Die  so  erzielte  Wachstumsbeschleu- 
nigung embryonaler  Milz  war  eine  so  enorme,  daß  in  einem  Falle 
ein  Stückchen  embryonaler  Milz  sich  innerhalb  48  Stunden  auf 
das  Vierzigfache  des  ursprünglichen  Volumens  vergrößert  hatte*). 


i)  A.  Carrel  and  M.  Burrows,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  55,  1379 
(19 10),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  11,  Nr.  781. 

2)  R.  A.  Lambert  and  F.  M.  Hanes,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  56, 
33»  791  (191 0  und  Journ.  of  experim.  Med.  IS,  495  (191 0- 

3)  A.  Carrel  and  M.  Burrows,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  5€,  32, 
zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  11,  470  (1911). 

V.  Fürth,  Probleme.  37 


578  XXV.  Vorlesung. 


Die  Säfte  tumorimmuner  Individuen  scheinen  keine  spezi- 
fischen cytolytischen  Substanzen  zu  enthalten ;  wenigstens  wächst 
Sarkomgewebe  im  Plasma  immuner  Tiere  geradeso  gut  wie  in 
normalem  Plasma^). 

Die  gewaltige  Tragweite  der  Entdeckung  dieser  Arbeitsmethode 
liegt  wohl  derart  auf  der  Hand,  daß  es  überflüssig  wäre,  darüber 
Worte  zu  verlieren.  Sehen  wir  doch  das  Krebsproblem  gewisser- 
maßen aus  dem  Dunkel  der  Geschehnisse  in  der  Tiefe  des  Orga- 
nismus in  das  Reagensglas  gebannt  und  mit  hochgespannten 
Erwartungen  werden  wir  weiteren  merkwürdigen  Funden  auf 
diesem  Gebiete  entgegensehen  dürfen. 
Filtrierbares  Unerwartet  und  überraschend  kUngt  auch  eine  andere  über 

ar  om-  irus.  ^^^  Ozean  herübergelangte  Nachricht,  die  ebenfalls  aus  dem 
Rockefeller-Institui  ihren  Ursprung  genommen  hat.  Rous  hat 
gefunden,  daß,  wenn  er  Stücke  hochmaligner  Hühnersarkome 
mit  Ringerscher  Flüssigkeit  verrieben  und  die  Suspension  durch 
ein  Berkefeldfilter  (das  nicht  einmal  den  winzigen  Bacillus  pro- 
digiosus  passieren  Heß)  durchgetrieben  hatte,  das  Filtrat  noch 
befähigt  war,  bei  Impfung  Tumoren  von  durchaus  gleichem  mor- 
phologischem Charakter  wie  das  Ausgangsmaterial  zu  produzieren, 
die  ihrerseits  ihren  malignen  Charakter  bei  der  Impfung  offen- 
barten*). Man  weiß  wahrhaftig  nicht,  was  man  sich  davon  denken 
soll.  Wird  es  wirkhch  dahin  kommen,  daß  man  die  malignen 
Tumoren  den  »Infektionskrankheiten  mit  filtrierbarem 
Virus«  anreiht,  zu  denen  man  heute  die  Pocken,  die  Wutkrank- 
heit, das  gelbe  Fieber,  die  Schweinepest  und  viele  andere  Krank- 
heiten zählt?  Ich  glaube,  man  kann  es  niemandem  übelnehmen, 
wenn  er  sich  vorderhand  noch  gegen  die  Zumutung  einer  solchen 
Auffassung  sträubt.   Aber  wird  das  auf  die  Dauer  möghch  bleiben  ? 

Heilserum  Wir  wollen  nunmehr  noch  einen  Blick  auf  jene  Seite  des  Ge- 

gegen  Krebs,   schwulstproblemes  werfen,  welche  die  größten  Hoffnungen  und 

vielleicht  auch  die  größten  Enttäuschungen  in  sich  birgt:  ich 


i)  R.  A.  Lambert  and  F.  M.  Hanes,  Journ.  experim.  Med.  13,  506 
(1911). 

2)  P.  Rous  (Rockefeller  Institute,  New  York),  Journ.  Amer.  Med. 
Assoc.  56,  198  (1911),  zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  11,  468  (191 1). 
P.  Rous  and  J.  B.  Murphy,  Journ.  Amer.  Med.  Assoc.  56,  740  (1911)» 
zit.  n.  Zentralbl.  f.  d.  ges.  Biol.  11,  Nr.  2199. 


Geschwülste.  579 


meine  die  Frage  der  Immunisierung  gegen  maligne  Neo- 
plasmen. 

Man  hat  auf  sehr  verschiedenen  Wegen  eine  solche  Immuni- 
sierung zu  erzielen  erhofft.  Schon  der  Däne  Jensen^),  dessen 
Arbeiten  •  über  das  transplantable  Mäusekarzinom  mit  Recht  für 
klassisch  gelten,  hat  den  Versuch  gemacht,  ein  Heilserum 
gegen  Karzinom  herzustellen.  Er  hat  Kaninchen  mit  steigen- 
den Mengen  von  zerstoßenen  Krebsmassen  vorbehandelt  und  nun 
die  Wirkung  des  so  gewonnenen  Serums  an  Tumormäusen  ver- 
sucht. Er  sowohl  wie  v,  Leyden  und  Blumenthal  und  andere, 
welche  Versuche  ähnlicher  Art  ausgeführt  haben,  sahen  in  manchen 
Fällen  eine  Rückbildung  oder  doch  einen  Wachstumsstillstand 
der  Tumoren  eintreten.  Doch  sind  die  Erfolge  weder  zahlreich 
noch  regelmäßig  genug,  um  daraus  bindende  Schlüsse  ziehen  zu 
können.  Im  ganzen  habe  ich  den  Eindruck,  daß  die  Hoffnungen 
gerade  in  dieser  Richtung  in  letzterer  Zeit  ziemlich  herabge- 
schraubt worden  sind.  Auch  die  theoretisch  sicherlich  berech- 
tigten Versuche,  eine  spezifische  Karzinombehandlung  auf  die 
»Epitheliotoxine«  v,  Dungerns  zu  basieren  (d.h.  auf  die  Ge- 
winnung cytolytischer,  speziell  gegen  Epithelien  eingestellter  Sera, 
die  durch  Vorbehandlung  von  Tieren  mit  Epithelinjektionen  ge- 
wonnen worden  waren),  haben  zu  keinem  praktischen  Resultate 
geführt. 

Um  so  mehr  Interesse  beanspruchen  Versuche  in  anderer  Impfung  mit 
Richtung,  denen  der  Gedanke  der  Impfung  mit  »abgeschwäch-  ^tem  virus.*'' 
tem  Virus«  zugrimde  liegt.  Ein  solches  stellen,  nach 
Ehrlichst)  Beobachtungen,  hämorrhagische  Mäusetumoren  dar, 
die  nur  in  den  seltensten  Fällen  zu  einer  Weiterimpfung  geeignet 
sind.  Durch  Vorbehandlung  mit  diesem  abgeschwächten  Virus 
gelang  es  nun  Ehrlich,  bei  Mäusen  eine  Immunität  in  60  bis  90% 
aller  Fälle  zu  erzielen,  während  die  Impfung  bei  den  Kontroll- 
tieren in  einem  ungefähr  ebenso  großen  Prozentsatze  positiv  aus- 
fiel.   Das  ist  ein  großer  und  positiver  Erfolg,  der  auch  von  Bush- 

i)  C.  O.  Jensen,  Zentralbl.  f.  Bakteriol.34,  28,  122  (1903);  Intern.  Med. 
Kongreß  Budapest  1905.  v.  Leyden  und  Blumenthal,  Deutsche  med. 
Wochenschr.  1902,  637.    H.  und  A.  Grünbaum,  Lancet  1911,  I,   879. 

2)  Vgl.  M.  Jacoby,  Einführung  in  die  experimentelle  Therapie. 
S.  108 — 114.    Verl.  von  J.Springer.    Berlin  1910. 

37* 


58o  XXV.  Vorlesung. 


ford^)  bestätigt  worden  ist.  Es  ist  dies  um  so  interessanter,  als 
es  sich  um  eine  Form  von  »Panimmunität«zu  handeln  scheint 
und  ein  gegen  Karzinom  immunisiertes  Tier  auch  gegen  Sarkom 
und  Chondrom  immun  ist  und  umgekehrt.  Die  Artspezifizi- 
tät  des  Vorganges  ist  keine  absolute,  insofern  es  C.  Lewin^) 
gelungen  ist,  Mäuse  mit  Rattenkarzinomen  zu  immunisieren  und 
zwar  mit  geradezu  schlagendem  Erfolge:  während  bei  den  vor- 
behandelten Tieren  nach  vier  Wochen  fast  stets  jede  Spur  von 
Tumorbildung  ausblieb,  fanden  sich  bei  fast  90%  der  Kon  troll- 
tiere  zum  Teil  kirschengroße  Tumoren.  Die  Immunität,  die  auf 
diesem  Wege  gewonnen  wird,  kann,  wie  es  scheint,  unter  Um- 
ständen eine  lokale  sein;  z.  B.  kann  die  Einpflanzung  eines  sub- 
kutanen Tumors  zuweilen  nur  das  subkutane  Gewebe,  nicht  aber 
den  Gesamtorganismus  schützen,  während  ein  peritonealer  Tumor 
dies  imstande  ist*).  Eine  vollständige  Desintegration  der 
Tumorzellen  benimmt  denselben  nach  Haaland  jegliche  immuni- 
satorische Fähigkeit  und  es  soll  zur  Entfaltung  der  letzteren 
unerläßlich  sein,  daß  die  Zellen  nicht  nm:  leben,  sondern  auch 
einige  Zeit  gewachsen  sind*). 

Eine  Beobachtung  von  UhlenhtUh^),  dem  die  Immunisierung 
dadurch  gelungen  ist,  daß  er  Tu  morge  webe,  in  eineFischblase 
eingeschlossen,  intraperitoneal  eingeführt  hat,  steht  damit 
vielleicht  nur  in  einem  scheinbaren  Widerspruche,  da  ja  das  Tumor- 
gewebe innerhalb  der  Fischblase  (ebensogut  wie  in  vitro)  weiter- 
gewachsen sein  könnte.  Andere  Beobachtungen,  wie  die  von 
F.  Blumenthal^)y  der  das  Autolysat  eines  Spindelzellensarkoms 
befähigt  fand,  Rattentumoren  zum  Rückgange  zu  bringen,  sind 
dagegen  mit  obiger  Anschauung  nicht  vereinbar. 

Daß  man  der  Versuchung,  die  im  Tierexperimente  gemachten 


1)  E.  F.  Bashford  und  R.  S.  Rüssel,  Proc.  Roy.  Soc.  82,  298  (1910)» 
zit.  n.  Biochem.  Zentralbl.  191#,  Nr.  702. 

2)  C.  Lewin,  Ergebn.  d.  inneren  Med.  1,  207   (1908). 

3)  K.  Kraus,  E.  Ranzi  und  H,  Ehrlich,  Zeitschr.  f.  Immunitäts- 
forsch. %y  665  (1910),  Vgl.  dagegen  W.  H.  Woglom,  Lancet  1911,  II,  93. 

4)  M.  Haaland,  Proc.  Roy.  Soc.  82,  293  (1910). 

5)  Uhlenhuth,  Händel  und  Steffenhagen,  Arb,  a.  d.  kais.  Ge- 
sundheitsamte S6,  488  (iQii),  vgl.  dort  das  Literaturverzeichnis. 

6)  F.  Blumenthal,  Med.  Klinik  6,  1982  (1910). 


Geschwülste.  58 1 


Erfahrungen  auf  Menschen  zu  übertragen,  nicht  widerstehen 
konnte,  ist  selbstverständlich ;  es  liegen  bereits  einige  ermutigende 
Resultate  vor ;  doch  sind  diese  Dinge  viel  zu  neu  und  viel  zu  schwer 
zu  beurteilen  (schon  deswegen,  weil  regressive  Veränderungen, 
ja  sogar  Vernarbungs-  und  Heilungsvorgänge  beim  Krebse  auch 
spontan  vorkommen  können),  als  daß  es  heute  möglich  wäre, 
sich  darüber  ein  klares  Urteil  zu  bilden*). 

So  ist  z.  B.  aus  Manila  über  Versuche  berichtet  worden,  wo 
Krebspatienten  (ähnlich  wie  dies  bereits  früher  im  Heidelberger 
Samariterhaus  geschehen  war)  größere  Mengen  ihrer  eigenen 
Tumorsubstanz  subkutan  injiziert  erhielten,  ohne  irgendwelche 
wahrnehmbare  Schädigung  dadurch  zu  erleiden  und  wo  die 
Injektion  angeblich  eine  Erweichung  und  ein  Verschwinden  der 
Tumormassen  zur  Folge  hatte.  Einem  Filippino,  bei  dem  nach 
Operation  eines  Wangenkrebses  ein  Rezidiv  aufgetreten  war, 
wurde  Krebsvaccine  (also  ein  Teil  seines  eigenen  Tumors)  injiziert; 
daraufhin  soll  die  krebsige  Infiltration  verschwunden  und  der 
Patient  nach  einem  Jahre  frei  von  Krebs  gewesen  sein*). 

Höchst  interessant  ist  nun  die  Erkenntnis,  daß  eine  gewisse     Immunisie- 
relative Immunität  gegen  Neoplasmen  nicht  nur  durch  Vorbehand-    ^^^^  ^^^^ 
lung  mit  Tumorgewebe,  sondern  auch  mit  normalen  Gewebs-     websteiic. 
teilen  erzielt  werden  kann.   Es  liegen  Beobachtungen  dieser  Art 
von    Schöne,    Bashford,   Michaelis,    Lewin,   Fichera^),   Woglom^) 
vor,  die  sich  größtenteils  auf  die  Vorbehandlung  von  Mäusen  mit 
Embryonen,  Hautstücken,  Leberzellen,  Milz  und  Blut  von  der- 
selben Tiergattung  beziehen.     Es  scheint,  daß  normalen  Zellen 
wirklich  ein  gewisser  Grad  immunisatorischer  Schutzkraft  inne- 
wohnt,  die  sich  aber  sicherlich  innerhalb  enger  Grenzen  hält. 
(So  konnte  Apolant^)  die  Angabe,  daß  es  gelinge,  durch  Injektion 
der  körpereigenen  exstirpierten  Milz  bei  Tieren  eine  Tumorimmu- 
nität zu  erzielen,  nicht  bestätigen.)  Auch  Autolysate  von  Em- 


i)  Vgl.  G.  Fichera,  Tumori  II.,  Therapia,  Turin  191 1. 

2)  A.  F.  Coca  und  P.  K.  Gilman,  Philippine  Journ.  of  Science  4, 
391  (1909). 

3)  Fichera,  1.  c. 

4)  W.  H.  Woglom  (Imperial  Cancer  Research.  Fund,  London),  Journ. 
of  experim.  Med.  12,  29  (19 10),  vgl.  dort  die  Literatur. 

5)  Apolant  und  Marks,  Zeitschr.  f.  Immunitatsforsch.  !•,  153  (191 1). 


582  XXV.  Vorlesung. 


bryonen  sollen  wirksam  sein,  ebenso  wie  sogar  Extrakten  aus 
verschiedenen  Organen  angeblich  die  Fähigkeit  innewohnt,  bei  sub- 
kutaner Injektion  die  Immunität  gegen  Karzinom  zu  erhöhen  i). 

Man  hat  in  Bezug  auf  die  Therapie  des  Karzinoms  schon  so 
viele  bittere  Enttäuschungen  erlebt,  daß  man  die  mitgeteilten 
Erfolge  nicht  allzu  sanguinisch  beurteilen  wird.  Immerhin  muß 
man  aber,  bei  aller  Skepsis,  zugestehen,  daß  zwei  Tatsachen 
bewiesen  und  durch  das  Tierexperiment  wohl  fundiert  sind: 
die  Übertragbarkeit  maligner  Neoplasmen  durch  Impfung,  sowie 
auch  die  Möglichkeit,  Tiere  durch  entsprechende  Vorbehandlung 
innerhalb  gewisser  Grenzen  gegen  eine  solche  Impfung  immun 
zu  machen.  Das  ist  immerhin  eine  Grundlage,  auf  der  man 
weiterbauen  kann  und  weiterbauen  wird  und  die  uns  berechtigt, 
mit  schönen  Hoffnungen  in  die  Zukunft  zu  blicken.  Daß  wir,  die 
wir  heute  leben,  von  einer  Verwirklichung  derselben  noch  sehr 
viel  zu  sehen  bekommen  dürften,  glaube  ich  freilich  nicht.  Doch 
gebe  ich  mich  der  frohen  Erwartung  hin,  daß  für  spätere  Gene* 
rationen  einst  der  Tag  kommt,  wo  die  Menschheit  sich  der 
Feindesschar  der  malignen  Neoplasmen  mit  wirksamen  Waffen 
erwehren  wird. 

Möge  es  der  biochemischen  Wissenschaft  vergönnt  sein,  bei 
der  Befreiung  der  Erdenbewohner  aus  dem  Banne  der  Schmerzen 
und  Qualen  werktätig  und  erfolgreich  mitzuwirken! 


i)  G.  L.  Rohdcnburg,  F.  D.  Bullock  und  P.  J.  Johnston  (New 
York),  Arch.  of  Intern.  Med.   7,  491   (191 1). 


Ende  des  ersten  Bandes. 


NAMENREGISTER. 


Abderhalden,  E.  4.  6.  7.  8.  10.  61. 
81.  85.  89.  92.  98.  loi.  103.  105. 
107.  108.  III.  243.  306.  408.  553. 

555. 

—  u.  Baumann  62. 

—  Bloch,  B.  u.  Rostoski,  P.  49. 

—  u.  Blumberg,  P.   17. 

—  u.  Einbeck,  H.  59. 
u.  Schmid,  J.  59. 

—  u.  Funk,  C.   105.  107. 
u.  London  296. 

—  u.  Guggenheim,  M.   103.  536. 

—  u.  Hirsch,  P.   103. 
u.  Schüler,  J.   103. 

—  u.  Kautsch,  K.   57.  427. 
u.  Müller,  F.  427. 

—  u.  Kempe,  M.  62.   103.  376. 

—  Koelker,  A.  H.  u.  Medigreceanu, 

F.   554.   555. 

—  u.  London,  E.  S.  296. 

u.  Pincussohn,  L.  70. 

—  u.  Medigreceanu,  F.  543.  555. 

—  u.  Müller,  F.   187.   188.  408. 

—  u.  Pinkussohn,  L.   555. 

—  u.  Rona,  P.  92.   555. 

—  u.  Slavu  74.  408.  427. 

—  u.  Strauß,  E.  515. 

—  u.  Thies.  408. 

—  u.  Rostoski  8.   511. 

—  u.  Zempl^n,  G.  521. 
Abel,  J.  C.  407. 

—  u.  Davis,  W.  S.  524. 
Abelous,   Soulie  u.   Toujan  409. 
Abramow  299.  300. 

—  u.  Samoilovicz  299. 
Achard  254. 

Ackermann,  D.   32.   34.  35.   36.  37. 
38.   59.   148.   151. 

—  u.  Kutscher,  Fr.  35.  39. 

—  u.  Schütze,  H.  s?- 


Acree,  S.  F.  63. 
Adamkiewicz  63.  65. 
Addis,  F.  207.  208. 
Adler,  O.   52. 

—  u.  Thaler,  H.  472. 
Ahlfeld  368. 

Albrecht  u.  Zdarek,  E.   56. 
Albu  u.  Neuberg  269. 
Aldrich  407.  492. 

—  u.  Jones,. W.  70. 
Allard,  H.  387. 

—  u.  Weber,  S.  512. 
Almagia,  M.  472. 

Aisberg,  C.  L.   iii.    123.   530. 

—  u.  Clark,  E.  D.  225. 

—  u.  Hedblom,  CA.   521. 
Altmann   109. 

Alwens,  W.  255. 

Anderson  u.  Bergmann  452.' 

Angioldella  448. 

Apolant  541.   542.   558.   574. 

—  u.  Marks  581. 
Araki  256.   518.   520. 
Arnold,  V.  69. 
Argiris,  A.   179. 

Aron,   H.   263.   274.   278.   281 
522. 

—  u.  Hocson,  F.  281. 

—  u.  Scebauer  274.  277. 
Arthus  195.   196. 

—  u.  Dastre  198. 

—  u.  Schafermann,  R.  478. 
Arzt  565. 

Ascoli  113.  366.  399.  400. 

—  u.  Grazia,  F.  de  550. 

—  M.  u.  Izar,  G.   566. 
Aschner,  B.  481.  482. 

—  u.  Grigoriu,  Chr.  360. 
Aschoff,  L.  331. 
Aschenheim,  F.  478. 


514. 


584 


Namenregister. 


Asher,  L.  247.  250.  251.  290.  292. 
379-  380.  385.  391.  411.  412. 
447.  448.  496.  499. 

—  u.  Barbara  250. 

—  u.  Brück  391. 

—  u.  Flack,  M.  447. 

—  Großenbacher,  H.  499. 

—  u.  Kusmine  250. 

—  u.  Tropp  391. 
Askanazy,  M.  267.  512. 
Atwater,  O.   154.  157. 
Auerbach,  P.  477. 

Bab,  H.  486.  491. 
Bach  535.  536. 

—  u.  Chodat  536. 
Backmann,  £.  L.   160. 
Bacmeister  303.  304.  331. 
Baer,  J.  554. 
Baginsky  277. 
Baglioni,  S.   160.  333. 
Bahrdt,  H.  u.  Edelstein  275. 
Bainbridge,  F.  A.  251. 

—  u.  Beddard  383. 

Baldes,  Heichelheim  u.  Metzger  396. 

Baldi  290. 

Ballet  u.  Enriquez  448. 

Bamberg  559. 

Bang,    J.   94.    118.    120.    125.    126. 

127.    167.    168.    171.    174.    178. 

211.  324.  503.  542. 

—  u.  Raaschou  125.   126.   127. 
Banti,  G.  498. 

Bar  u.  Danny  371. 
Barbara,  A.  G.  250.  287. 
Bardachzi,  F.  62.  212. 
Barcroft,  J.  u.  Straub,  H.  385. 

—  u.  Brodie,  T.  G.  382. 
Barger,  G.  s^.  434.  435. 

—  u.  Dale,  H.  H.  39.  187.  434.  435. 

—  u.  Walpole  35.  39. 
Bartel,  J.   507. 

Basch,  K.  358.  359.  505.  506. 
Bashford  573.  581. 

—  u.  Haaland  541. 

—  E.   F.  u.   Rüssel,  R.   S.   580. 
Baskoff,  A.   171. 

Basler  384. 

Bataillon  350. 

BateUi,  F.  200.  409.  411.  423. 

—  u.  Boatha,  G.  B.  413. 


Battistini  182. 
Bauer,  F.   118.   124. 

I—  J.   561. 

—  R.  234. 
Baum,  E.  W.  208. 

Baumann  23-  38-   47-   48-   72.    343. 

444. 
Baumgarten  178. 

Bayer,  G.  293.  404.  405.  407.  409. 

410.  411.  421.  424.  428.  450. 

—  u.  Peter,  L.  490. 

—  R.  499. 
Bayliß  247. 

—  u.  Starling,  E.  H.  287.  553. 
Bebeschin,  K.   152. 

Beebe  473.   544. 

Bendix,  E.  u.  Ebstein,  E.   117. 

Benedikt  154. 

Bennecke,  A.  428. 

Bethe,  A.   180.    183.    184.  522. 

Berdez  u.  Nencki,  M.  524.  525. 

Berg,  E.  270.  276. 

Bergell  105. 

—  P.  u.  Dörpinghaus  543. 

—  u.  Feigl,  J.   16. 

—  u.  Liepmann  369. 

—  u.  Schütze  559. 
Bergmann,  G.  v.  307.  362.  2^^, 

—  u.  Bamberg  559. 

—  u.  Meyer,  K.  561. 

Berkeley,  W.  S.  u.  Beebe,  S.  P.  478. 

Berlin  153. 

Bermbach,  P.  293. 

Bernert  26. 

Bertelli  450. 

Berti  290. 

Bertrand,  G.  407.  528.   536. 

—  u.  Bourquelot  528. 

—  u.  Mutermilch,  W.  539. 
Berzelius  2. 

Biberfeld,  J.   393. 
Bickel,  A.  294.  296. 
Biedermann,  W.   164.  263.  528. 
Biedl,  A.   333.   337.   353.   360.    364. 

404.    411.    412.    415.    416.    424. 

428.    429.    437.    466.    467.    473. 

474.    480.    481.    482.    483.    485. 

486.    488.    493.    494.    503. 

—  u.  Braun,  L.  429. 

—  u.  Kraus,  R.    294. 

—  A.  u.  Königstein,  R.  360. 


Namenregister. 


585 


Biedl,  u.  Wiesel,  J.  406. 
Bienenstock  40. 
Biffi  239. 
Bing,  J.   170. 
Birch-Hirschfeld  533. 
Birchard,  F.  87. 
Bircher  E.  279.  442.  473. 
Birk,  W.  u.  Orgler,  A.  275. 
Birkelbach,  W.  400.  402. 
Bittorf,  A.  417. 
Bizzozero  197.  534. 
Blendermann  46.  47. 
Bloch,  E.  43. 
Blooker,  J.  W.  254. 
Blum,  F.  466.  471.  472. 

—  L.   52. 
Blumberg,  P.  99. 

Blumreich,   L.   u.    Jakoby,   M.    500. 
Blumenthal,   F.  66.   545.   546.   553. 
556.   558.   562.  580. 

—  u.  Brahn  562. 

—  u.  Jacoby,  E.  65. 
u.  Neuberg,  C.  554. 

—  u.  Lewin  546. 

—  u.  Neuberg,  C.  555. 

—  u.  Wolff,  H.   554. 
Boas,  K.  410. 
Bock,  J.  385. 
Bodong,  A.  204. 
Bogdanow,  E.   158. 
Boggs,  Th.  R.   198. 
Bohr  u.  Hasselbach  376. 
Böhm,  B.  250. 

—  R.   185. 
Bolaffio  450. 
Bolognesi,  G.  296. 

Bondi,  S.  u.  Müller,  E.  310. 
Bondzynski  u.  Gottlieb,  R.  547. 

—  Dombrowski,  St.,  u.  Panek,  K. 

547. 
Bonis,  de  384.  387. 

—  u.  Susanna  489. 
Boos,  W.  F.   III. 

Borchhardt,   L.   34.   482.  484.  485. 

487. 

—  u.  Lippmann,  H.  512. 
Born  355. 

Bornstein  155. 
Borrel  u.  Haaland  573. 
Boruttau,  F.  H.,  187.  193.  353.  404. 
409.  424.  426. 


Borst  u.  Enderlen  441. 
Bottazzi  247.  290. 

—  u.  Onorato  384. 
Böttcher  408. 

Bouin,  P.  u.  Ancel,  P.  336. 

Bouma  65. 

Boveri  348. 

Bradford  386.  401.  402. 

Brahn,  B.  562. 

Brasch  33.  34. 

—  W.  u.  Friedmann,  E,  14. 

—  u.  Neuberg,  C.  34. 
Braun,  J.  v.   14. 

—  L.  428. 
Braunstein,  A.  560. 

—  u.  Kepinow  560. 
Breinl  243. 
Breuer,  R.  453. 
Brieger  36.  38.   152. 

—  u.  Trebing  $61. 
Brigl,  P.  60. 
Brodie  425. 

—  u.  Halliburton,  W.  D.   182. 

—  u.  Richardson,  S.  W.   133. 

—  u.  Rüssel  208. 

Bröking,  E.    u.    Trendelenburg,    P. 

411.  457- 
Brown,  W.  H.  473. 

—  Graham,   T.   u.  Cathcart,   E.   P. 

159- 
Brown-S6quard  137.  338. 

Brubacher,  H.  273. 

Brücke,  E.  v.   130. 

—  E.  Th.  V.  414. 
Brugsch,  Th.  239. 

—  u.    Joshimoto  228. 

—  u.  Kawashima,  K.  237. 

—  u.  Retzlaff  239. 
Bruno,  J.  294. 
Brunton,  L.  259. 
Brysch,  J.  W.  70. 
Bucura,  K.  354. 
Buchanan  195.   199. 
Buckmaster  208. 
Bujnicwiz,  K.  386. 
Bürgi,  E.  389. 

Burian,  R.  iii.  113.  114.  120.  121. 
122.    123.    159.    340.    341-    380. 

—  u.  Schur,  H.   129. 
Burridge,  W.   146. 
Bürker  197.  208. 


586 


Namenregister. 


Busch,  F.  W.  250. 

Busquet,  H.  u.  Pachon,  V.  365. 

Bywaters  246. 

Calmann  432. 
Camus,  L.  435. 

—  u.  Gley  341. 
Callum,  Mc.  469.  473. 

—  E.  V.    Mc.   u.  Hart,  E.  B.   271. 

—  W.   G.  Mc.   u.   Vögtlin,  C.   472. 

478. 
Calzolari,  A.   506. 
Cannon,   W.    B.    u.    Paz,   D.    de  la 

412. 
Canter  448. 
Capobianco  467. 
Cappezzuoli  278. 
Carlson,  A.  J.  247.  448.  454. 

—  Greer,  J.  R.  u.  Becht,  F.  C.  251. 

—  u.   Jacobson,  Cl.  469.  470.  471. 
472. 

—  u.  Wölfel,  A.  464.  465. 
Carnot,  F.  u.  Slavu,  G.  J.  279, 
Carrel  441. 

—  u.  Burrows,  M.  575.  577. 
Caselli  481.  487. 

Caspari  155.  277. 

Cattanco,  C.  264.  277. 

Ceconi,  A.  402. 

Ceni,  C.  u.  Besta,  C.    442.    470. 

Cerletti,  U.  486. 

Cerny,   K.   522. 

—  u.  Kaan  558. 
Ccrvello,  u.  Breinl,  F.  242. 
Cesana,  G.   207, 
Cevidalli  212. 

— A.  u.  Leoncini,  F.  414. 

Charcot  437. 

Charnas,  D.  2^2.  234. 

Charrin  et  le  Play  43. 

Chauveau   154. 

Chiari,  R.  u.  Fröhlich,  A.  478. 

—  u.  Januschke,  H.  258. 
Chittenden   1 54. 
Chodat  535. 

—  u.  Staub  535.   536. 
Chossat  277. 
Christiani  441.  473. 
Chvostek,  F.  456.  476. 
Claghorn  489. 
Clairmont  u.  Ranzi  43. 


Claude,  H.  u.  Blanchetidre,  A.  444. 

464. 
Cl^ve  312.  314. 

Clowes,  H.   A.  u.   Baeslack,  F.  W. 
569. 

—  u.  Frisbie  544. 
Cobliner,  S.  561. 

Coca,  A.  F.  u.  Gilman,  P.  K.  581. 
Cohnheim,  J.  250.  253. 

—  O.  6.  22.  61.  71.  78.  89.  93.  109. 

III.  128.  132,  247.  503.  511.  522. 

—  u.  Ribbert  571. 
Cohnstein  247. 
Cole  61. 

Collingwood   196. 
Colwell  562. 

Colzi  471. 

Commessati,  G.  410.  424. 

O'Connor  411. 

Conradi  204. 

Cooke,  J.  V.  471.  478. 

Coronedi,  G.  450.  451.  475. 

Corson  Withe,  E.  P.  u.  Lob,  L.  569. 

Cousin,  H.    168.    176. 

Cramer  355. 

—  H.  361. 

—  W.   174.    178.    179. 

—  u.  Lochead  369. 

—  W.  u.  Marshall,  F.  H.  361. 

—  u.  Pringle  542. 

Cristea,  G.  M.  u.  Denk,  W.  206. 
Crowe,  S.  J.,  Cushing,  H.  u.  Homans, 

J.  480. 
Crohnheim  u.  Müller,  F.  273.  277. 
Crudden,  F.  H.  Mc.  278.  362. 
Curatolo  u.  Taruli  362. 
Curtius,  Th.  29.  97.   loi.   310.  311. 
Cushing,  H.  480.  482.  484. 
Cushny  387.  408. 
Cuttat-Galizka,  M.  251. 
Cybulski,  411.  424. 
Cyon,  E.  v.  445.  446.  448.  488.  489. 

493- 
Czubalski,  F.  205. 

Dakin,  H.  D.  47.   51.   54.  63.  434-^ 
Dale,  H.  H.  490. 

—  u.  Dixon,  W.  E.  39. 

—  u.  Laidlow,  P.  P.  39. 
Dallingcr,  W.  H.   134. 
Danielson,  W.  474. 


Namenregister. 


587 


Danilewski,  B.  u.  Selenski,  M.  510. 
Dastre  194. 

—  u.  Floresco,  N.  206. 

—  u.  Pawlow  286. 
Davenport,  C.  B.   134. 

—  u.  Castle  134. 
Dedekind,  A.  75. 
Deetjen,  H.   197. 
Deläge  348. 
Delezennes  197.    199. 
Delrez,  L.   138. 
Denk  209. 
Destrem  320. 

Dessy  u.  Grandis  427. 

Dewitz  530. 

Dher6,  Ch.  21.  225. 

Dibbelt  274. 

Diem  424. 

Diels,  O.   u.    Abderhalden,    E.   324. 

325- 
Dilling,  W.  212. 

Dixon  425. 

—  u.  Halliburton,  W.  D.  494. 

—  u.  Taylor  369. 
Dodds- Parker  402. 
Doeschate,  A.  ten  373. 
Domarus,  A.  v.  497. 
Donath  269. 
Dougall,  Mc.   163. 
Doyon  194. 

—  Morel  u.  Kareff  195.  292. 
u.  Policard,  A.  203. 

—  Gautier  u.  Policard  237. 
Morel,     Kareff    u.     Policard 

202. 
Drechsel  13.  72.  522. 
Dreser  384.  392. 
Dreyer,  G.  P.  411.  412. 
Dreyfuß,  B.  J.  374. 
Ducceschi   198.   522.   527. 
Dunbar,  W.  P.  346.  347. 
Durham  530.  536. 

—  u.  Jacobson,  C,   172. 
Dungern,  E.  v.  345.   579. 

Ebner,  V.  v.  263. 
Ebstein,  E.   117. 

—  u.  Nicolaier  384. 
Eckert  433. 
Eckhard,  C.  290. 
Edmunds,  W.  437.  448.  468. 


Edwins,    A.    J.    u.    Laidlow,    P.    P. 

409. 
Ehrlich,  P.   234.   541.   542.  579. 

—  F.   II.   15.   102. 

—  u.  Wendel,  A.   11. 

—  H.  567. 

—  u.  Apolant  573. 

Ehrmann,  R.,  26.  411.  412.  420.  421. 
422.  425.  427. 

—  S.  226. 
Ehrström  371. 
Eichholz,  A.  231.  246. 
Eichler  u.  Latz  289. 
Eiseisberg,  A.  v.  143.  209.  437.  438. 

441.    442.    458.    467.    473.    474. 

549- 

—  u.   Frankl-Hochwart,  L.  v.  483. 

Elias,  H.   566. 

Ellinger,  A.  32.  33.  34.  38.  48.  61. 

63.  64.  65.  66.  67.  69.    70.   149. 

231.  247.  248.  395.  511. 

—  u.  Flammand,  C.  61.  68. 

—  u.  Gentzen,  M.  64. 

—  u.  Kotake  47. 

—  u,  Prutz,  \V.  64. 
Elliot  425. 
Embden,  H.  53. 

—  G.  u.  Knoop,  F.   246. 

—  u.  Fürth,  O.  V.  423.  424. 

—  Salomon,  H.  u.  Schmidt,  Fr.  53. 
Emile-Weil.  P.  208. 

—  u.  Boye,  G.  208. 
Emmerling  17. 

—  u.  Reiser  37. 
Emerson,  Ch.  P.   552.  554. 
Enderlen  441. 
Engeland,  R.  19.   151.  153. 

—  u.  Kutscher,  F.   151. 
Engelmann,  F.  375. 

—  Th.   163.   164. 
Enriquez  u.  Hallion  189. 
Eppinger,    H.    298.    299.    300.    536. 

538.   554. 

—  Falta,  W.  u.  Rudinger,  C.  439- 

448. 

—  u.  Heß,  L.  457. 

—  u.  Noorden,  K.  H.  v.  jun.  458. 

—  P.  214. 

Erdheim,  J.  467.  476.  477.  482.  506. 
Erlandsen  158.   168.  171. 
Erlenmeyer,  E.  jun,   14. 


588 


Namenregister. 


d'Errico,  G.  251.  290.  358. 
Escherich,  Th.  40.  476. 
Etienne,  G.  u.  Fritsch  279. 
Etti.  C.  228. 
Ewald  452. 

—  C.  A.  437. 
Ewins,  A.  J.  410. 

Exner,  A.  430.  485.  487.   558. 

—  S.  334.  335-  345- 

—  A.  u.  Heyrovsky,  H.  304. 

Falk  184.  362. 

—  F.   176.  428.  429. 

—  F.  u.  Hesky  550. 

—  Salomon  u.  Saxl  550. 
Falta,  W.  48.  49.  450. 

—  u.  Ivcovic,  L.  424. 

—  u.  Langstein,  L.  49. 

—  u.  Rudinger,  C.  469. 
Falloise,  A.  43.  288. 

Fano,  J.  u.  Zanda  469.  471. 
Farini  443. 

—  u.  Vidoni,  G.   504. 
Farkas,  K.  376. 
Faust,  E.  39.  245. 
Fenyvessy,  B.  v.  293.  443.  446. 
Ferroni  370. 

Fichera  481.  488.  581. 
Fick  154. 
Fießinger,  N.  297. 
Filehne  u.  Biberfeld  387. 
Fischel,  A.  371.  531. 
Fischer,  B.  483.  570. 

—  E.  4.  8.  13,  14.  18.  24.  29.  30. 
57.  80.  82.  97.  98.  102.  104.  105. 
106.   107.   113.   115.   122. 

—  u.  Abderhalden,  E.  12.  23.  80. 
81.   105.  107. 

—  u.  Böhner,  R.  58. 

—  u.  Cone,  L.  H.   103. 

—  u.  Fiedler,  A.   103. 

—  u.  Harnes  5. 

—  u.   Königs,  E.   103. 

—  u.  Leuchs,  H.   14. 

—  u.  Luniak,  A.   103. 

—  E.  u.  Raske,  K.   14. 

—  u.  Reif,  G.   103. 

—  u.  Roesner,  H.   103. 

—  u.  Röder,  G.   115. 

—  u.  Scheibler,  H.   103. 

—  u.  Schöller,  W.   103. 


Fischer,  u.  Sususki  103. 

—  Sususki,  U.  u.  Gerngroß,  O.  103. 

—  u.  Warburg,  O.   15. 

—  u.  Weigert,  F.   14. 

—  u.  Zempl6n,  G.  57. 

—  H.   103.  236. 

—  M.  H.    139.    141.    145.   255.   256, 

257-  347. 

—  u.  Moore,  G.   139.  255. 

Fischl,  R.  396. 
Fischler,  F.  J.  237.  238. 

—  u.  Groß,  W.  265. 

—  u.  Schröder  296. 
Flatow  50. 
Flächer  408. 
Fleig,  C.  288.  343. 

—  u.  Lefebre  196. 
Fletscher,  W.  M.   141.   144.   146. 

—  u.  Henderson,  V.  E.  390. 

—  u.  Hopkins,  F.  G.   146. 
Flesch  269. 

Foä,  C.  359. 

—  u.  Aggazzotti  536. 

—  u.  Pellacani  199. 
Foges,  A.  338.  362. 

—  u.  Hofstätter,  R.  491. 
Folin,  O.   135. 
Formiggini  420. 
Forster  u.  Voit,  E.  277. 
Forsyth,  D.  476. 
Frank,  E.  433. 
Frankl-Hochwart,  L.  v.  476.    494. 

—  Fröhlich,  A.  490. 
Fränkel,  A.  412.  421.  456. 

—  u.  Offer  518. 

—  L-  355- 

—  u.  Cohn,  F.  355. 

—  S.  48.  58.  59.  174.  175.  178.  179- 
180.  282.  407.  520. 

—  u.  Allers  410. 

—  u.  Bolaffio.   172. 

—  u.  Dimitz,  A.   175.   176.   180. 

—  u.  Elias,  H.   175. 

—  u.  Kelly,  A.  518. 

—  u.  Linnert,  K.   177. 

—  S.  u.  Neubauer,  E.   176. 

—  u.  Nogueira,  A.   172. 

—  u.  Offer  172. 

—  u.  Pari,  G.  A.   172. 
Franz,  F.  204. 
Fredericq,  L.   529. 


Namenregister. 


589 


Frenzel  155. 
Freudenberg,  E.  388. 
Freund,  E.  202. 

—  u.  Joachim,  J.  241.  245. 

—  u.  Kaminer,  G.  564.  565. 

—  u.  Mohr  374. 
Frey,  E.  381.  389. 

—  M.  V,   133.   135.  390.  424. 
Friedel  u.  Graft  315. 
Friedemann,  U.  u.  Friedenthal,  H. 

202. 
Friedländer,  P.  jß, 
Friedleben  504. 
Friedmann,   E.    54.    307.   407.   408. 

409. 

—  u.  Maas  481. 
Fröhlich,  A.  427.  469.  482. 

—  u.  Löwi,  O.  426. 
Fromherz,   K.  47.  56. 
Fromhold  236.  237. 
Frouin,  A.  471.  478. 
Fuchs,  E.  532.  533. 
Fuld  205. 

—  u.  Spiro,  K.   195.   198.  241.  244. 
Fürbringer  342. 

Fürst,  V.  561. 

Fürtlt,    O.    V.    22.    26.    27.    72.    75. 

131/137.  146/148.  153.  157.  185. 

198.    204.    211.    216.    225.    261. 

263.    268.    304.    307.    347.    348. 

376.    387.    404.    407.    409.    433. 

443.    446.    448.    452.    514.    517. 

522.   527.   529.  531.  537. 

—  u.  Friedmann,  M.  74. 

—  u.  Lenk,  E.   140.  320. 

—  u.  Jerusalem,  E.  117.  126.  312. 
319.    523.    524.    526.    534.    535. 

537. 

—  u.  Russo,  M.  519. 

—  u.  Schneider,  H.  418.   528.   529. 

—  u.  Scholl,  E.  518. 

—  u.  Schwarz,  C.  150.  154.  160. 
161.  288.  383.  443.  445.  446. 
448.  451. 

Füth,  H.  u.  Lockemann,  G.  373. 

Gabriel  262. 

Gachet,   J.   u.   Pachon,   V.   501. 

Gaglio  481. 

Galeotti  384.  392. 

—  u.  Giampalino  171. 


Gamgee  178. 

Ganghof ner,  F.  u.  Langer,  J.   366. 

Gardner,  Dor6e,  Ellis,  Fräser,  Sand- 
ner 332. 

Garr6  395. 

Garrod,  A.  E.  u.  Hopkins,  F.  G. 
231.  233. 

—  u.  Hurtley,  W.  H.  52. 
Gaßmann,  Th.  262.  264.  277. 
Gautier,   Ch.   u.   Hervieux,  Ch.  65. 
Gautrelet,  J.   185.   190.  443. 
Gebele  508. 

Geddes,  A.  C.  n6, 

Georgiewski  443.  448. 

Gerard,  C.  305. 

Gerhardt,  D.  40.  41.  232.  239.  433. 

495- 
Gerhartz,  H.    155,    160.    252.    333. 

340.  501.  508. 

Gessard,  C.  529.  530. 

Ghedini,  G.  465. 

Gibson  u.  Banzhof  244. 

Gies,  W.  J.   179.  250. 

Gilbert  u.  Hercher  235. 

Ginsberg,  W.  547.  548. 

Githens,  Th.  St.  244. 

Gläßner,  A.  u.  Langstein,  L.  70. 

—  u.  Singer,  G.  291. 
Gley  247.  467.  480.  481. 
Glikin  168.   175.  328.  510. 
Glur  292. 

Gnedza,  J.  538. 

Gobley  168. 

Godall  506. 

Gogitidse  387. 

Goldmann,  H.,  Hetper,  G.  u.  March- 

lewski,  L.  218. 
Goldwait  362. 
Goldthwaite,  J.  E.,  Painter,  C.  F., 

Osgood,   R.   B.   u.   Crudden,   F. 

H.  Mc.  279. 
Goltz  u.  Ewald  358. 
Goodman,  E.  H.  323.  331. 
Gortner,  R.  A.   523.  530. 
Gottlieb,  R.  156.  295.  370.  431.  457. 

489. 
Gottlieb,    R.    u.    Magnus,   R.    381. 

382.  390. 

—  u.  Stangassinger,  R.   148. 
Goubau  503. 

Goebel  435. 


590 


Namenregister, 


Götsch,   Cushing  u.    Jacobson  483. 

Gotting  277.  278. 

Graf  u.  Landsteiner  ^j^. 

Gräfe,  E.  u.  Röhmer,  W.   553. 

—  V.  270. 
Graff,  E.  v.  565. 
Grandis  38. 
Granström  270. 
Grau,  W.  207. 
Grawntz  452. 
Green   196. 
Greenwald  471. 
Grigaut.  A.  331. 
Grimmaux  96. 
Grober,  J.   161. 
Groß,  O.  245.  550. 

—  u.  Allard,  E.   56. 
Großer,  F.  65. 

—  u.  Betke,  R.  476. 
Gruber,  G.  B.  497. 
Grünbaum,    H.    u.    Grünbaum,    A. 

579- 
Grund,  G.    117. 

Grünwald,  H.  Fr.   388. 

Grützner,   P.  v.  381.  384. 

Gruzewska  242. 

Guinard  u.  Martin  443. 

Gulecke  296.  472. 

Gule witsch,  W.  60.   149.    150. 

—  u.  Amiradzibi,  S.   150. 

—  u.   Krimberg  151. 
Gull  437. 
Günther,  G.   343. 
Gürber  65.   241.  407. 

—  u.  Hallauer,  B.  302. 
Guttrie,  C.  C.  338.   357. 

—  C.  G.   394. 
Gurwitsch  384.  385. 

t 

Haaland,  M.   580. 
Haak  243. 
Haberer,  H.  v.  402. 

—  u.  Stocrk  416. 
Habermann  u.  Ehrenfcld  23. 
Haberfeldt,  W.  476. 

—  u.  Schilder,  P.   506. 
Haeckel  263. 

Hagenbach  437.  467.  468. 
Hahn  295. 

Haiser,  F.   u.  Wenzel,  F.   118.    123. 
124. 


178. 
245. 


Halban,  J.  354.  359.  360. 
Halle  409. 
Hallion  364. 

—  u.  Nepper  290. 
Halliburton,  W.   D.    131.    136.    181. 

182.   183. 

—  u.  Candler,  J.  P.  u.  Sikes,  A.  W. 
492. 

Halsted  467.  473. 
Hammer,  J.  A.  502.  503. 
Hammarsten,  O.  78.   118.   125. 

193-    195-    196.    231.    240. 

304.  306.  307.  308.  311. 
Hamburger,  H.  J.  247.  251. 
Hannes,  B.  420. 
Haussen,  O.  284. 
Handelsmann,  D.   190. 
Hansemann,  v.  545. 
Harms,  W.  335. 
Harnack  446. 
Harrison  575. 

Hart,  C.  u.  Nordmann,  C.  280.  505. 
Harvey  473. 
Haskovec,  L.  443. 
Haslam,  H.  C.  80. 
Hatscher  393. 
Hausmann,  W.  226.  227. 
Hawk,  P.  B.  295.  296. 
Hayem   197. 
Heckel,  F.   12. 

Hedin,   S.   G.   u.   Rowland,   S.    138. 
Heidenhain,  L.  432. 

—  M.   140.  247.  248.  249.  250.  287. 

37^-  3^4. 
Heinatz  443. 

Heinecke  u.  Meyerstein  253. 

Heinz,  R.    136.   161. 

Heitzmann  277. 

Hellin  448. 

Helly,  H.   508. 

Henderson,  J.   506. 

Hennig  452. 

Henriques,  V.  88. 

—  u.  Gjaldback,  J.   K.  88.  98. 

—  u.  Hansen,  C.    168. 

Henze,   M.   ^2.    152.    153.   225.    515. 

Herbst,  K.   259.   350.   351. 

Herlant,  L.   in. 

Hermann,  L.   135.    137.     162. 

Herring  489. 

Herry,  A.   208. 


Namenregister. 


591 


Herter,  C.  A.  40.  68.  69.    183. 

—  u.  Foster,  M.  L.  66. 
Hertwig,  O.  350.  351. 

—  R.  349.  350. 
Herzig  u.  Meyer  186. 

Hetper,  J.  u.  Marchlewski,  L.  214. 
Heubel  138. 
Heubner,  W.   169. 
Heymann,  F.  273. 
Heß,  L.   154. 

—  u.  Saxl,  P.   294.   540.   554. 
Hildebrand,  W.  238. 
Hildebrandt,  P.  361. 
Hitschmann,  F.  374. 
Hirokawa,  W.  342.  387. 

Hirsch,  R.  404.  438.  439.  455.  456. 
461.    462.    467.    471.    474.    484. 
Hirschfeld  524. 
Hirschl,  J.  A.  439,  456. 
Höber,  R.  247.  343.  379.  384.  385. 

392. 

—  u.  Chassin  384. 

—  u.  Kempner  384. 

—  u.  Königsberg  384. 
Hochenegg,  J.  304.  485.  487. 
Hofbaucr,  J.  367.  372.  374.  491. 

—  S.  ^66. 

Hoff  mann,  F.  B.   144.   162. 
Hofmeister,  Franz  3.  24.  25.  26.  28. 

29-  30.  78.  79.  82.  131.  240.  241. 

243.  262.  264.  265.  267.  268.  323. 

361,  374.   375-  407.  418.   525- 

—  u.  Tanaka  265.  267. 
Hofstätter,  B.  491. 
Hohlweg  155. 
Holmgren,  E.    163. 
Holzbach  432. 
Hopkins  61.   144. 

—  u.  Cole  6^. 

—  u.  Savory,  H.   511.  512. 
Hoppe-Seyler    213.    256.    262.    278. 

519. 
Horbaczewski  227. 

Hörne  196. 

Homowski,  J.  413. 

Horowitz,  L.  M.  40. 

Horsley  437.  481. 

Hoskins,  R.  G.  486.   507.   508. 

Hougardy,  A.  u.  Langstein,  L.  437. 

Hougthon  u.  Merril  492. 

Howell  489. 


Hüfner,  G.  211.  286. 
Hugounenq  u.  Morel  9. 
Huiskamp,  W.   195.  245.   503. 
Humboldt,  A.  v.   i. 
Hunt,  R.  465. 

—  u.  Seidell,  A.  464.  465. 

—  u.  Taveau,  R.  de  188.   189. 
Hunter,  A.  94. 

Hürthle,  C.   164.  325. 

mabuchi  65.  66. 

nagaki   133.  242.  245. 

nouye,    K.    u.    Kotake,   Y.    119. 

rvine,  J.  G.  520. 

saak  u.  Velden,  R.  v.  d.  446. 

—  u.  Moeckel,  K.  497. 
scovesco,  H.  201. 
selin,  H.  472.  477. 
wanow,  J.  342. 

acobsen,  O.   186. 

acoby  393. 

-  M.  292.  579. 

äffe,  M.  55.  63,  65.  67.  231. 

—  u.  EUinger  546. 
äger,  A.  418.  530. 
akobi,  C.  u.  Golowinski  137. 
akson,  J.  423. 
anuschke,  H.  430. 
apelli,  G.    u.    d'Errico,    G.    251. 
ardry,  Drevet,  Lambert  356. 
awein,  G.   500. 
ehle,  L.  396. 
ensen  573. 

—  C.  O.   579. 

—  P.   u.   Fischer,  H.   V.    163. 
erusalem,  E.  296. 
esionek  u.   Tappeiner,   H.   v.    568. 
oachim,  J.  244.   543. 
oannovics,  G.  297.  298.  498. 
oannowics,  G.  u.  Pick,  E.  P.  293. 
ochmann,  G.  u.  Kantarowitsch,  A. 

560. 
ohansson   154. 
ohn.  J.  432. 

—  W.  402. 
olin,  S.  462. 
ona,  J.  L.  431. 
ones,  W.   119.   120. 

—  u.  Austrian,    C.    R.    128. 

—  u.    Rowntree,    L.    G.    128. 


592 


Namenregister. 


Jones,  W.  u.  Schittenhelm,  A.   128. 

Jörgensen,  G.  477. 

Joseph,  D.  R.  u.  Meltzer,  S.  J.  470. 

471. 
Josu6  428.  429. 
Joteyko,  J.  427. 
Jowett  407. 
Justus  462. 

Kaiser,  H.  231. 
Kahn,  R.  H.  414. 
Kaideck,  R.  549. 
Kalmus,  F.  212. 
Kanitz,  A.   168.  340. 
Kaposi,  H.   207. 
— ■  M.   533. 
Kapsammer,  G.  393. 
Karpa,  J.   138. 
Karplus,  J.  P.  481. 

—  u.  Kreidl,  A.  481. 
Kassowitz  280. 
Kastle,  J.  H.   528.   536. 
Katzenstein   155. 
Kauders,  F.  202.  243. 
Kauffmann,  M.  65.   190. 
Kayser  355. 

Kehrer,  E.  370.  371. 

Kelling  571. 

Kennaway  159. 

Kepinow,  L.   554. 

Kerry,  R.  A.  u.  Rost,  E.  136. 

Kikkoyi,  T.   119. 

Kimura  301. 

Kinoshita,  T.   169.   186. 

Kirchheim  433. 

Kishi,  K.  468. 

Kitagawa  u.  Thierfelder,  H.   179. 

Klose,     H.  458.  459. 

—  H.  u.  Vogt,  H.  280.   504,  506. 
Klotz,  O.  265. 

Knape,  E.  V.  257. 

Knauer  354. 

Knoop,  F.   51.  59.  306. 

—  u.  Windaus,  A.  59.  60. 
Knöpfelmacher,   W.    299.    300.    337. 

358-  439- 
Kobcrt,  R.  212.  445.   522.   536. 

Koch,  W.   176.   180.   181. 

—  u.  Woods,  H.  S.   176. 
Kocher,  A.  437.  441.  442.  445.  458. 

459. 


Kohn,  A.  406.  466. 

—  R.  H.  413. 
Kolaczek,  H.  56. 
KöUicker  342. 
Kondo,  K.  283. 

Königs,  E.  u.  Mylo,  B.   16. 
Königstein,  H.  344.  419.  533. 

—  u.  Heß,  L.  227. 
Konto,  K.  66. 
Koeppe  392. 
Koranyi  247.  379.  393. 

—  A.  V.  252.  254. 
Kossa,  J.  V.  267. 

Kossei,  A.  35.  58.  89.  90.  91.  92.  94. 
95.  109.  HO.  113.  116.  123.  128. 
129.  284.  341. 

—  u.  Dakin,  H.  D.  90.  93.  94. 

—  u.  Frey  tag  178.   170. 

—  u.  Kennaway,  E.  L.  25.  91. 

—  u.  Kutscher  5. 

—  u.  Lilienfeld  503. 

—  u.  Pringle,  H.  91. 

—  u.  Weiß   IG.  95. 
Kotake  54. 
Kothe  432. 
Kottmann  208. 

—  K.  450. 

Kowalewsky,  K.  59.   121. 
Krafft  5. 

Kratschmer,  W.  422. 
Kraus,  F.  452.  456. 

—  u.  Friedenthal  446.  456, 

—  u.  Ludwig,  E.  456. 

—  R.,  Ranzi,  E.  u.  Ehrlich,  H.  568. 
580. 

—  R.  565.   567. 

—  u.  Graff,  E.  567. 
Krause,  F.  u.  Böninger  462. 
Krauß,  L.  410. 
Krawkow,  A.  P.  283. 
Krehl,  L.  252.  395.  399.  400. 
Kreidl,  A.  u.  Mandl,  L.  344.  366.  367. 

Kretschmer,  W.  423.  433. 
Krimberg  150.   151.   153. 
Kriz,  F.   134. 

Krschischkovsky,  K.  N.  343. 
Kühne  jy,  yS.  79.  81.  265. 

—  W.   130.   133.   135. 
Külbs  43. 

Kuliabko,  A.  A.   137.   138. 


Namenregister. 


593 


Küllmann  553. 
Kusmine  250. 

Küster,  W.  213.  214.  215.  218.  223. 
228.  229. 

—  u.  Fuchs,  K.  214. 

—  u.  Mitarbeiter  219. 
Kusumoto,  Ch.  331. 

Kutscher,  F.  ^7.  149.  150.  151.  152. 
153.   185. 

—  u.  Rieländer,  F.   190. 

Ladage,  A.  A.  237. 
Laudenbach,  J.  496. 
Lambert  364. 

—  R.  A.  u.  Hanes,  F.  M.  577.  578. 
Lampel,  H.  31. 

Lamy,  H.  u.  Meyer,  A.  382. 
Lane-Claypon  u.  Starling,  E.  H.  359. 
Landau  291. 
Landsteiner  346. 
Lang,  S.  302. 
Langheld,  A.   18. 

—  K.  309.  310.  316. 
Langley,  F.  N.   161.  425.  427. 
Langlois  423. 

Langstein,  L.  49.  396. 

—  u.  Meyer,  E.  49.   194. 

—  u.  Neubauer,  O.  370. 
Lanz  448.  469. 
Lassar-Cohn  313. 
Latschinoff  310.  313.  314. 
Latzko  432. 

Lavoisier  154. 

La  wen,  A.  423. 

Lazarus-Barlow  247. 

Lean,  Mc.   169. 

Ledderhose  517. 

Lederer,  R.  u.  Przibram,  E.  360. 

Leersum,  von  371. 

Leger,  E.  435. 

Lehmann,  O.   162.  325. 

—  K.  B.  u.  Sano  528. 
Lehnert,  F.  264.  274. 
Leischner  u.  Köhler  473. 
Lejoux,  H.  362. 
Lenhartz,  H.  303. 
Lenk,  E.   141.   520. 
Leo,  H.  259. 

Leopold,  J.  S.  u.  Reuß,  A.  v.  477. 
L6pine  448. 
Letsche,  E.   186. 

V.  Fürth,  Probleme. 


Letsche  K.  313. 
I^uchs,  W.  57. 

—  u.  Felser,  H.  57. 

—  H.  u.  Geiger,  W.   14. 
Levene,   P.   A.    105.   in.    119.    123. 

—  u.  Aisberg,  C.  L.  8. 

—  Beatty,  W.  A.   105. 

—  u.  La  Forge.  F.  B.  114.  120. 

—  u.  Jacobs,  W.  A.  114.  118.  121. 
123.  124. 

—  u.  Jones  126. 

—  u.  Mandel,  J.  A.  115.   119.  120. 
128. 

—  u.  Rouiller,  C.  A.  62. 

—  u.  Slyke,  van,  D.  D.  8.   11. 

—  Slyke,   D.   D.   van  u.   Buchard, 

F.  J.  78. 

—  u.  Stooky  501. 

—  u.  Wallace,  G.  B.   105. 
Levites,  S.  J.  31. 

Levy,  M.  278. 
Lewin  541.  581. 

—  C.   569.  570.  571.  572.  580. 

—  J-   570. 
Lewinsky  243. 

Lewis,  M.  R.  u.  Lewis,  W.  H.  576. 

—  P.  A.  283. 

Leyden,  v.  u.  Blumenthal  579. 
Loeb,  A.   155.   287.  396. 

—  J.   164.  342.  346.  348.  349.  350. 
351.  402.  477.  497.  544. 

—  L.   193.  198.  205.  356.  357.  531. 
541.  572.  573. 

—  u.  Fleisher,  M.  S.   198.  204. 

—  Fleischer,  S.  M.  u.  Hoyt,  D.  M. 
259. 

—  u.  Leopold,  S.  575. 

—  u.  Smith,  A.  J.  204. 

—  W.  u.  Higuchi  369. 
Löbisch  jun.,  W.   in.  119. 
Lobisch    jun.,    W.    u.    Fischler,   M. 

230. 
Lockhead  178. 

Lode  Z37-  2>^^' 

Löffler  u.  Dörr  443. 

Lohmann,  A.  185.  186.  188.  189.  443. 

Loisel  364. 

London,  E.  S.  128.  296.  558. 

—  Schittenhelm,  A.  u.  Wiener,  K. 
128. 

Loening  ,H.  u.  Thierfelder,  H.  179. 

38 


594 


Namenregister. 


Loew,  O.  345. 

Löwi,  O.   380.   390.   426.   457.   469. 

478. 

—  u.  Meyer,  H.  H.  434. 

Löwit  198. 

Löwy,  A.   338.   339.   353.   362.   363. 

Lichtheim  253. 

Lichtenstein  374. 

Lichtwitz,  L.  304.  425. 

Liebig  2.   124.   143. 

Liebigsche  Annalen  22. 

J^ebermann,  H.   17. 

Liebermeister,  G.  246. 

Lieblein,  V.  554. 

Liebreich  173.  178. 

Liepmann,  W.  374.  541. 

Lifschütz,  J.  330. 

Lilienfeld,  L.  97.    195.    196.   197. 

LiUie,  R.  S.   162.  343. 

Lindemann,  W.  383.  391.  392.  397. 

Linnert,  K.   180. 

Linossier  364. 

Linser  260. 

Lippich,  F.   16. 

Lipschütz,  A.  278. 

Lissizin  23. 

Livon  443. 

—  u.  Peyron  487. 
Lnciani  376.  471.  472. 

Lncien,  M.  u.  Parisot,  J.  280.  505. 
Luckhardt,  A.  B.  u.  Becht,  F.  C. 

500. 
Lüdke  448.  500.  517. 
Ludwig,  E.  304.  325. 

—  K.  I.  247. 
Luksch,  F.  414.  420. 
Lusena  471.  472. 
Lusk,  G.   154. 
Lussana,  F.   160. 
Lüthje  339.  362. 
Lütkens,  E.  207. 

Madelung,  O.  482. 
Magendie  194. 

Magnus,  R.  247.  249.  253.  290.  379. 
380.  383.  384.  385.  389. 

—  u.  Schäfer,  E.  381.  491. 
Magnus-Levy,  A.  154.  239.  269.  279 

339-  362.  371-  437-  43».  449-  450 
452.  455.  461.  484.  511.  512. 
Maillard  65. 


Malengreau  503. 

Malemück,  W.  P.  90. 

Maly  26.  232.  269. 

Mandelbaum,  M.  561. 

Mandl.  L.  356. 

Marburg,  O.  482.  493. 

Marchand,  F.  256. 

Marchi  183. 

Marchlewski,  L.  218.  224.  230. 

—  u.  Mostowski  218. 

—  u.  Rettinger  218. 
Marcus  561. 
Marfori,  P.  270. 
Marie,  P.  484. 
Marinesco  481. 

Marshall,  F.  H.  u.  JoUy,  W.  A.  354 

Masay  483. 

Masing,  E.   129. 

Massaglia  472. 

Massen  295. 

Matema,  L.  422. 

Mathews  194.  350. 

Mauthner,  J.  324.  326. 

—  u.  Suida,  W.  324.  326.  327.  328. 
Mawrakis  540. 

Mayeda,  M.  62.  284. 

Mayer,  P.   170.  272. 

Mead  349. 

Meigs,  E.  B.   133.   140.   141.   164. 

Meinte,  G.  272. 

—  u.  Fleury,  P.  272. 
Meinertz,  J.   170. 
Meirowski,  E.  419.   530.  533. 
Meisenheimer,  J.  335.  357. 
Meißl  432. 

Mellanby,  J.   138.   148.  201.  204. 
Meltzer,  J.  J.  u.  Meltzer,  C.  426. 

—  S.  J.  430. 

—  u.  Salant,  W.  292. 
Mendel,  F.  254. 

—  L.  B.  376. 

—  u.  Braddy,  H.  C.   153. 

—  I-.  B.  u.  Jackson  70. 

—  u.  Leawenworth,  C.  S.   129. 

—  u.  Underhill,  F.  P.   188.  271. 
Metschnikoff  43.  346. 
Metzger  407. 

Metzner,  R.  379.  382. 
Meyer  467. 

—  E.  49. 

—  F.   557. 


Namenregister. 


595 


Meyer,   H.   H.    167.   258.  286.  388. 
389.  434.  452. 

—  u.    Gottlieb,    R.    161.    189.    287. 
289.   389.   391.  452.  478.   509. 

—  K.  560. 

—  L.  F.  269. 

—  O.  B.  424. 
Meyerhoff,  O.  350. 
Michaelis  581. 
Michaud  380. 
Micheli  498. 
Micko,  K.   154. 

Miescher  89.  92.  109.  129.  339.  340. 

Milian  208. 

Minkowski,   O.   227.   291.   295.   298. 

299.  300.  384. 
Möbius,  C.  J.  455. 
Modrakowski,  G.  187. 
Mohr,  L.  273.   511. 
Molinari,  E.  u.  Feneroli,  P.  324. 
Moll,  L.  242.  245.  543. 
Molleschott  182. 
Monaco,  Lo.  480. 

—  u.  Rynberck,  v.  481. 
Mon6ry,  A.  462. 
Moore,  A.   133.  407. 

—  B.  u.  Wilson,  E.  P.  546. 

—  Alexander,  W.,  Kelly,  R.  E.  u. 
Roaf,  H.  552. 

Moraczewski,  W.  von  64.  65.  66. 
Morawitz  203. 

—  P.   192.  193.   195.   196.  205.  207. 
240.  244.  245.  269.  273. 

—  u.  Bierich,  R.  202.  208. 

—  u.  Lossen,  J.  207. 

—  u.  Rehn,  E.   194.  510. 

—  R.  203. 
Morawski,  J.  480. 

—  S.  481. 
Morel,  L.  471. 
Morgan  348.  349.  350. 
Mömer  395. 

—  C.  Th.  48.  ys-  281.  515. 

—  K.  A.  H.  246. 
Moro  42. 

Morpurgo,  B.  358. 
Moruzzi,  G.   169. 
Moscati,  G.  206. 

Mosse,  M.  u.  Neiiberg,  C.  74. 
Mott  181. 
Moussu  467. 


Moynier  de  Villepoix  268.  . 
Mugde,  G.  P.  534. 
Mühlmann  407. 
Müller  183. 

—  F.   155.   187.  509. 

—  Fr.  49.  229.  231.  232.  235.  236. 
282.  552.  553. 

—  Joh.   I. 

—  P.  Th.   194.  510. 

—  W.   179. 
Munn,  Mc.  231. 

Munk,  J.  u.  Senator  393. 
Münzer,  E.  417.  484.  485. 

—  E.  u.  Bloch,  F.  237. 
Murachi,  N.  551. 
Muraschew  20  s. 
Mylius  310. 

Nasse,  O.  135. 
Nattan-Larrier  u.  Ficai  369. 
Naunyn  227.  302.  303. 
Nelson,  L.  89. 
Nencki  38.  61.  6S.  295.   527. 

—  u.  Marchlewski  224. 

—  u.  Sieber,  M.  525. 

—  u.  Zaleski,  J.  214.  215.  217.  228. 
Nerking,  J.   171.   510. 

Netter,  A.  258. 
Neubauer  49.  50. 

—  u.  Huppert  231. 

—  E.  u.  Porges,  O.  420. 

—  O.  234. 

—  u.  Falta,  W.  49. 

—  u.  Fischer,  H.  50.  554. 

—  u.  Flatow  52. 

—  u.  Groß,  W.  53. 

Neuberg,  C.  18.  33.  34.  48.  50.  54. 
74.  75.  118.  270.  284.  297.  324. 
418.  529.  530.  531.  536.  543.  553. 

555-  557.  564. 

—  u.  Blumen thal,  F.  23. 

—  u.  Brahn,  B.   118.  124. 

—  u.  Cappezuoli,  C.  34. 

—  u.  Manasse,  A.   15. 

—  u.  Kansky,  E.   18. 

—  u.  Karezag  35. 

—  u.  Popowsky  75. 

—  u.  Rauchberger,  D.  328. 

—  u.  Rosenberg,  E.   15. 
Neumann,  A.  iio.  113.  123.  177.  362. 

367- 

38* 


596 


Namenregister. 


h 


Neumann,  J.  u.  Herrmann,  E.  364. 

—  u.  Vas  362. 
Neurath,  R.  478. 
Neusser,  E.  v.  417. 

—  u.  Wiesel,  J.  417. 
Newiasky,  P.  34. 
Nikolajew  451. 
Nikolas,  E.  66. 
Nishi,  M.  388.  389. 
Nißl  183. 

Nolf,  P.  196.  200.  201.  203.  208.  245. 

250. 
Noll,  A.  180.   181.  381.  384. 
Noorden,  C.  v.  252.  253.  254.  393. 

395-   397-   398.   399-  400.  450. 
Nothmann  u.  Brück  396. 
Notthaft,  von  449. 
Xowicki  419. 

Nutall,  G.  u.  Thierfelder,  H.  41. 
Nürnberg,  A.  445. 
Nußbaum,  M.  334.  383. 
Nysten  135. 

Obermayer  65. 

—  F.  u.  Popper,  H.  230.  399.  401. 
Oechsner  de  Coninck  38. 

Ocana  443. 
Oddi  283. 
Offer,  Th.  R.   518. 
Ohme,  C,  264. 
Oker-Blom  138. 
Oliver  407. 

—  u.  Schäfer  488.  489. 
Oppenheimer,  C.  78.   155. 

—  O.   193. 

—  u.  Aaron  559. 
Ord  437. 

Omdorff,   W.    R.    u.   Teeple,    J.    R. 

228.  229. 
Orgler,  A.  23.  449. 

—  u.  Neuberg,  C.  282. 
Oeri  270. 

Ortner  549. 
Osborne,  Th.  B.  6. 

—  u.  Clapp,  S.  H.   105. 

—  u.  Harris,  J.  F.   114.   120.   122. 

—  u.  Heyl,  W.  F.   114.   115.   120. 

—  u.  Jones,  D.  B.  6. 

—  u.  Liddle,  L.  M.  6. 
Osgood  362. 
Oshima,  F.   367. 


Ostwald,  W.   139.  347. 

Oswald,  A.  72.  y^.  74.  75.  444.  445. 

446.  454.  461. 
Otolski,  S.  W.   510. 
Ott,  J.  492. 

—  u.  Scott,  J.  C.  492. 
O verton,  E.   167.  247. 

Pächter,  J.  375.  376. 

Pages  196. 

Painter  362. 

Pal,  J.  187.   188.  491. 

Pal  tauf,  A.  507. 

—  R.  303- 

Panella,  A.  427.  430. 
Pankow  355. 
Panzer,  J.  314. 

—  Th.  315.  316.  318.  325. 
Parhon,    Dumitresco    u.    Nissipesco 

478. 
Parisot,  J.  u.  Herter,  A.  420. 
Pamas,  J.   176. 
Pasteur  41. 
Päßler  431. 
Patein  195. 
Paton,  D.  N.  340.  506. 

—  Gulland,  G.  L.  u.  Fowler,  J.  S. 
496. 

—  Watson,  B.  P.  u.  Kerr,  J.  368. 
Patta  364.  430. 

Paulesco,  N.  C.  480. 
Pauli,  W.   165.  265. 

—  u.  Samec,  M.  265.  266. 
Paulsen,  V.   56. 

Pauly  407.  408. 

—  A.  59. 

—  H.  75. 

—  u.  Gundermann  75. 
Pawlow,  J.  P.  286.  295. 
Payr  441. 

Pearce  402. 

Peiser  448. 

Pekelharing,  CA.  195.  196.  200.  245. 

—  u.  Hoogenhujze,  C.  J.  C.  van  159. 
Pepere,  A.  473. 

Peritz,  G.   181. 
Perutz,  A.  227. 
Petry,  E.   553.   554. 
Pettenkofer  154. 
Pfaff  393. 
Pfannl,  M.  q. 


Namenregister. 


597 


Pfaundler,  M.  267.  274.  387. 

Pfeffer  344. 

Pfeiffer  194.  467.  567. 

—  u.  Finsterer  566. 

—  u.  Meyer  469.  473.  477. 
Pfister,  M.  358. 

Pflüger  148.  154.  156.  184.  334.  335- 
Phclbs  n.  Tillotson  6. 
Phisalix  530. 
Pick,  87.  244. 

—  E.  P.  78.  79.  241. 

—  u.  Pineles,  F.  426.  437.  438.  440. 

453-  463. 

—  L.  56. 

Piettre  214.  228. 

—  u.  Vila  214. 

Piloty,  O.  215.   216.   217.   218.  219. 
221.  222.  223. 

—  u.  Merzbacher,  S.  215.  220. 

—  u.  Quittmann,  E.  217.  218.  220. 
Pilzecker,  A.  301. 

Pineles,  F.  467.  472.  474.  476.  477. 

Pinkus,  F.  u.  Pick,  L.  332. 

Pirone  481. 

Plimmer,  R.  H.,  Aders  23. 

Pohl,  J.   136.   163.  243.  388. 

Polak,  R.  397. 

Pollack,  L.  25.  29.  427. 

Polano,  O.  374. 

Pons  283. 

Popielski,  L.    187.   189.  414.   501. 

Popper,  R.   504. 

Porcher,  Ch.  61. 

—  u.  Hervieux  67.  68. 
Porges,  O.  48.  417. 

—  u.  Spiro,  K.  241.  243. 
Posner  u.  Gies  178. 
Pospischil  432. 

Possek,  R.  477. 
Post,  H.  531. 
Postemak,  S.  270. 
Pötzl,  O.  567. 

Pregl,   F.   212.   309.   310.   312.   313. 
314.  315.  317.  318.  319.  320.  329. 

339. 

—  u.  Buchtala,  H.  309. 

Pr^vost  u.  Binet  290. 
Pribram,  H.  403. 

—  B.  O.  8.  ' 

—  E.  u.  Porges,  O.  455. 
Pringshcim,  J.   325. 


Procter,  H.  R.   139. 
Pröscher  234. 
Prym,  O.  501. 
Przibram,  E.   140.  549. 

—  H.   133.   134.  347-  348- 
Pugliese,  A.   156.  205.  498. 
Purtscher,  O.  477. 
Putman  473. 

Quest,  R.  477. 
Quincke  299.  300. 

Rabl,  H.   531. 

Räch,  E.  u.  Reuß,  A.  v.  238. 

Radwanska,  W.  427. 

Ranke  146. 

Ransom,  F.   142. 

Ranzi,  E.   564.   565.   566.   567.   568 

—  u.  Elias,  V.   567. 

—  u.  Tandler,  J.  505. 
Raper,  H.  S.  83. 
Raske,  K.  98.   103. 
Rauschenbach  199. 
Reach  155. 

—  F.  511.  512. 

Recklinghausen,  F.  v.  274.  533. 
Reh,  A.  83. 

Reiche],  O.  254. 

Reicher,   K.  414.   552.   569. 

Reiner  488. 

Reinbold,  B.  v.  213.  214.  216.  229 

231. 
Reißner,  M.   133. 

—  O.  552. 

Rettger,  L.  J.   196.  200.  201. 
Rettgers,  F.  L.  40. 
Rettenbacher  314. 
Reverdin  437. 
Rewald,  B. 'iiS. 
Reye,  W.   194.  243. 
Rhode,  E.  63.   156. 
Ribbert,  H.  358.  384.  386. 
Riebet,  Ch.  95. 
Richter  339.  362. 

—  P.  F.  253. 

—  P.  H.  393. 
Riedel  303. 

Ringer  u.  Sainsbury  196. 
Rieländer,  A.   190. 
Ritter  301. 
Ritzmann,  H.  422. 


598 


Namenregister. 


Robertson,  T.  B.   182. 

Robin  301. 

Roger,  H.  et  Garnier,  M.  42.  43. 

—  et  Josue  43. 
Rogowitsch  487. 
Rogozinski,  F.  83. 
Rohdenburg,  G.  L.,  BuUock,  F.  D. 

u.  Johnston,  P.  J.  582. 
Rohloff  277. 
Rohrer,  v.  392. 
Röhrig  354. 
Rollet  151. 
Roraberg  431. 

Rona,  P.  u.  Rießer,  O.   526. 
Rondoni,  P.  561. 
Roos  452. 
Rose,  C.  276. 
Rosenberg,   S.   11.   Oppenheimer,  C. 

559. 
Rosenberger,  F.  460.  472. 

Rosenheim,  O.  35.  63.  369. 

—  u.  Tebb,  M.  Ch.   177.   178. 
Rosenmund,  K.  W.  435. 
Rossi,  £.   144. 

Roßmeißl,  J.  362. 
Rothberger  u.  Winterberg  296. 
Rothschild,  O.  432. 
Rons,  P.  578. 

—  u.  Murphy,  J.  B.  578. 
Rouveaux  467. 

Rubner  154. 
Rubow,  V.   158. 
Rudinger  450.  455.  472. 
Rumpf  402. 
Ruppel  178. 
Ruschhaupt  386. 
Russo,  A.  372. 
Rynberck  480. 

Sabatani  196. 

Sabbatani  204. 

Sabrazds  208. 

Sachs,  F.   128. 

Sahh  207. 

Saillet  231.  235. 

Salkowski,  E.   117.   146.   550. 

—  u.  —  H.  36.  61.  65.  68. 
Salvioli  u.  Carraro  489. 

—  u.  Pezzoloni  411. 
Salomon,  H.  452. 

—  u.  Saxl,  P.   372.    547.    548.    549- 


Salzer,  H.  441. 

Samec,  M.   12. 

Samuely,  F.  6.   10.  22.  30.  32.  37. 

48.  63.  69.   71.  78.   84.   89.  93. 

109.  128.  240.  243.  283.  306.  308. 

33^'  375.  527. 
Santesson  136.   163. 

Savar6  369.  374. 

Saxl,  P.   132.  135.   138. 

Scaffidi,  V.   159. 

Schabad,  J.  A.  264.  270.  275.  280. 

Schade,  H.  304. 

Schäfer  407.  443.  480.  490. 

—  E.   A.   u.   Mackenzie,   K.    361. 

—  u.  Vincent  489. 
Schaumann  281. 
Scheifele,  J.  293. 
Schenk,  F.  414. 
Scheunert,  A.  40.  41. 
Schickele,  G.  365. 
Schiff,  A.  486. 

—  M.  289.  441. 
Schiffer,  F.  477. 
Schittenhelm,  A.   128. 

—  u.  Bodong  197. 

—  u.  Brahm,  K.   109.   iii.   113. 
Schiota,  H.  414.  416. 
Schirokauer,  H.  417. 
Schlagenhaufer,     F.    li.    Wagner- 

Jauregg,  J.  v.  437.  438. 
Schlayer,     Hedinger    u.     Takayasu 

253- 
Schmidt  384. 

—  A.   195.  199.  202.  240.  545.  546. 

551-  552. 

—  M.  B.   284. 

Schmidt-Nielson,  S.   138. 

Schmitz,  E.  53. 

Schmiedeberg,    O.    109.     iio.     in. 

119.    123.    136.    281.    282.    445. 

516.  527. 

—  O.    u.    Heubner,  W.   195. 
Schmorl  541.  565. 

Scholz,  B.  423. 

—  H.  6s.  546. 

—  W.  438. 
Schöne  581. 
Schöndorff  449. 

Schorr,   K.   u.   Ostwald,   W.   255. 
Schotten  310.  320. 
Schot teli US,  M.  42. 


Namenregister. 


599 


Schreiber,  F.  u,  Schneider«  P.  534. 
Schreiner  338. 
Schröder,  v.  390. 
Schrötter,  H.  314.  315.  318. 
Schultz  208. 
Schnitze,  E.   124.   172. 

—  u.  Trier,  G.   124. 

—  u.  Winterstein  95. 

Schulz,  F.  N.  48.  98.  211.  213.  229. 

242.  514. 
Schulze,  E.  u.  Castoro  53. 

—  u.  Winterstein  10.  270. 
Schumburg  155. 
Schunck  75. 

—  u.  Marchlewski  224. 
Schüpbach,  A.  290. 
Schur,  H.  424. 

—  u.  Wiesel,  J.  413.  421. 
Schürhof,  P.  74. 
Schützenberger  9.  96.  97. 
Schwalbe,  £.  348. 

—  G.   197.  531. 
Schwann  286. 

Schwarz,  C.  147.   185.  288. 

—  u.  Lederer,  R.  185.  504. 
Schwarz,  O.  560. 
Schwarzschild  29. 
Schwarzwald,  R.  Th.  414. 
Secchi  337. 

Seemann,  J.  25.  91.   148.   184.  495. 

508. 
SeideUn,  H.  66. 
Seidell,  A.  461. 
Senkowski  311. 
Sellheim  336.  353.  362.  363. 
Senator  362.  399, 
Serggio  362. 
Shima,  R.  426. 
Shryver,  S.  B.  450. 
Sieber  68.   181. 
Siegel  397.  423. 
Siegfried,  M.  17.  84.  85.  86.  87.  148. 

158. 

—  u.  Mark,  H.   170. 

—  u.  Müller,  F.,  Borkel,  Scheer- 
messer,  Krüger,  Kirchbach,  Neu- 
mann, Liebermann,  Pilz,  Schmitz, 
Lindner  84. 

—  u.  Schmitz,  H.  85.  88. 

—  u.  Sülze,  W.  88. 

—  u.  Weidenhaupt,  O.   17. 


Simin,  A.  W.   138. 

Sinnhuber  450.  505. 

Siewert,  St.  v.  214. 

Silbermark,  M.  480. 

Skraup,  Zd.  H.  9.  13.  23.  31.  85.  10$. 

—  u.  Hummelberger  10. 

—  H.  u.  Biehler,  v.  6. 

—  u.  Türk,  W.  9. 

—  Krause  u.  Böttcher  9. 

—  u.  Witt,  R.  31. 

—  u.  Zwerger,  R.  87. 
Skworzow,  W.   150. 
Slowtzoff,  B.   190. 
Slyke,  van,  D.   18.   19. 
Sobieranski,  v.  385. 
Soetbeer  401. 

Soli,  U.  505.  506. 

Sollmann  393. 

Sommer,   A.   u.   Flörken,  A.   505. 

—  u.  Wetzel,  G.  m, 

Sörensen,  S.  P.  L.   13.    14.    58.    88. 

—  u.  Andersen,  A.  C.  57. 

—  u.  Jessen-Hansen,  H.  88. 
Sourd,  le  u.  Pagniez  197. 
Speck,  C.   154. 

Spiegier,  E.  524.  525.  526. 
Spiro,  K.   139.  243.  247. 

—  u.  Ellinger,  A.  200.  203.  205. 

—  u.  Fuld  195. 

—  u.  Vogt,  H.  379.  382.  383. 
Squadrini,  G.  506. 

Staal  67,  68. 

Stadelmann  227.  289.  298. 

Stahr,  H.  541. 

Stahelin  552. 

Stammler  565. 

Stangassinger,  R.  148. 

Stannius  137. 

Starling,  E.  H.  247.  250.  381. 

Starkenstein,  E.  271.  272. 

Steensma,  F.  A.  235.  236.  239. 

Steinach,  E.  335.  nj.  341.  342.  343. 

Stejskal,  K.  v.  396. 

Steudel,  H.  5.  17.  89.  iio.  iii.  114. 

115.  116.  117.  119.  I20.  122.  126. 

282. 

—  u.  Brigl,  P.   123.   126. 
Stern,  M.  u.  Thierfelder,  H.  172- 

—  R.  491. 

Stemberg,  M.  484.  485. 
Sterling,  St.  299. 


6oo 


Namenregister. 


Steyrer,  A.   158.   387.  439.  455. 

Stewart  161. 

Stintzing  148. 

Stöcklin  536. 

Stoerk,  O.   u.   Haberer,   H.   v.  411. 

Stöhr,  Ph.  502. 

Stolz  408. 

Stöltzner,    H.    264.    273.    277.    278. 

477-  545- 
Stookey,  L.  B.  83. 

—  L.  B.  u.  Gardner,  R.  L.  450. 
Straub,  W.  422.  433. 

Strauß  254. 

—  H.  399. 

Strehl  u.  Weiß  411. 

Strouse,  S.  u.  Vögtlin,  C.  454. 

Stumme  485. 

Suida  324. 

Suwa,  A.  49.   152. 

Suzuki,   A.,   Joshimura,    K.,   Jama- 

kawa,  M.  u.  Jrie,  J.   154. 
Svehla  443. 
Swain,  R.  E.  70. 
Swale- Vincent   353.    354.   404.   406. 

407.  415.  424.  468. 

—  u.  Gramer  186. 

—  u.  Sheen  185. 
Swirlowsky,  E.  84. 

Takaki,  K.   180. 
Takamine  407. 
Takemura  544. 
Tanaka,  M.  262.  267.  268. 
Tandler,  J.  336.  356. 

—  u.  Kelly,  K.  354. 

—  u.  Grosz,  S.  336.  337.  339.  488. 
Tangl,  F.  376. 

—  u.  Parkas  376. 

—  u.  Mituch,  A.  V.  376. 
Tappeiner  226.  313. 
Taylor,  E.  A.  92.  95.  242. 
Tedesko  450. 

Tefik  u.  Ibrahim  237. 
Temuchi,  Y.  281. 
Thierf eider,  H.   179. 

—  u.  Wömer  178. 
Thiemich  476. 
Thomas,  K.  231.  234. 
Thomson,  V.  H.  u.  Johnston,  H.  M. 

486. 
Thormählen  538. 


Thudichum,  S.  L.  W.    171.  173.  174. 

175.  177.  179.  304. 
I  Tichomirof f ,  A.   1 29.  349. 

Tigerstedt,  R.   154.  269. 
i  Tillmanns  269. 

Timofeew  254. 
I  Togami,  K.  270. 

Tollens  118. 

Traxl,  W.  31. 

Trendelenburg,    P.    411.    419.    422. 

423.  465. 
I  Trembur,  F.  208. 
'  Treupcl  452. 
!  Tscheboksarof f  412. 

Tscherniachowski,  C.  394. 
I  Tschirch,  A.  u.  Studer,  B.  328. 

Tsuchija  239. 

Tschugueff,  L.  u.  Fomin,  W.  326. 

Tuffier  u.  Chapman.  355. 

ühlenhuth,  Händel  u.  Steffenhagen 

580. 
1  Ulpiani  170. 
'  Umber  498.  554. 
i  Underhill,  F.  P.  65. 
j  Urano,  F.   149. 

Vamossy  u.  Vas  445. 
Vassale  471.  473. 

—  u.  Generali  467. 

—  u.  Sacchi  481. 
Vauquelin   173.   177.   178. 
Vedova,  D.  481. 

Velden,  R.  v.  d.  199.  200.  206.  364. 

544- 
Venulet,    F.     u.    Dimitrowsky,    G. 

414. 
Verworn,  M.  344. 
Vierordt  208.  234. 
Vinci  u.  Chris toni   197. 
Virchow    55.    228.    256.    267.    283. 

300.  570. 
Vitale,  D.  74. 
Vogel,  E.  D.  492. 

—  R.   138. 

Vögthn,   C.    u.  Callum,    W.  G.   Mc 

478. 
Voit  154.  269.  452. 

—  C.  277. 

—  F.  u.  Salvendi  512. 

Vos,  J.  de  u.   Kochmann  422. 


Namenregister. 


6oi 


Wagner,  A.  56. 

Wagner-Jauregg,  J.  v.  440.  442. 
Wakeman  303. 
Walbaum,  H.  329.  467.  473. 
Waldvogel  u.  Tintemann  170. 
Wallerstein  243. 
Warburg,  V.  350. 
Watöinann,  N.  414.  427. 

—  u.  Smit  411.  412. 
Weber,  M.  338. 
Webster,  W.   190. 
Wegner  280. 

Weichhardt,  W.   159.  374. 
Weidcl  H.   124. 
Weinberg,  W.  W.  289. 
Weintraud,  W.  289.  297. 
Weiske  277. 

Weiß,  F.  92. 

—  H.  209. 

—  O.  u.  Harris,  J.  422. 

—  M.  548. 
Weitzenbock  314. 
Welcker  342.  343. 

Wells,  H.  G.  145.  252.  254.  263.  266. 
304.  373-  383-460.487.  511.  542. 

—  u.  Benson,  R.  L.  450. 

—  u.  Mitchell,  J.  H.  267. 
Welsch,  H.  501. 

Welsh  467. 
Wertheimer,  E.  288. 
Wester,  D.  H.  517. 
Wendelstadt  204. 
Weyl  328. 
Wheeler  115. 

—  u.  Clapp,  S.  H.  75. 

—  u.  Jamieson,  G.  S.  73.  515. 

—  u.  Liddle,  L.  M.   116. 

—  u.  Mendel,  L.  B.  y^.  517. 

—  u.   Merriam,   F.   H.   u.   Johnson 
116. 

Whipple,  G.  H.  u.  Hurwitz,  S.  H. 

202. 
Widal  254. 
Wiener,  E.  343. 

—  H.  444.  470.  471. 
Wiesel,  J.  406.  430. 
Wilms,  M.  442. 

Willstätter,    R.    13.    57.    215.    223. 
224.  324. 


Willstädter  u.  l.ü decke,  K.  170. 
Windaus,    A.    308.    323.    324.    326. 

3^7'  329-  330. 

—  u.  Knoop,  F.  58. 

—  u.  Stein  324.  328.  329. 
Winterstein,  E.  270.  521. 

—  Smolenski  u.  Stegmann  172. 

—  H.   146. 

Wintemitz,  R.  194.  533. 
Winogradow,  A.  W.  289. 
Wislicenus  154. 

Witt  314. 

Woglom,  W.  H.  580.  581. 

Wohlgemuth,  J.   13.   118.  299.  302. 

557. 

—  u.  Massone  369. 
Wöhler  2. 

Wolf  194. 

Wolff,  B.  365.  367. 

—  H.  526.  543.   557. 
Wolfssohn,  G.  453. 
Wolkow  48. 

Wooldridge  195.   196.   198.  205. 
Wörner,  E.  u.  Thierf eider,  H.   179. 
Wright  208.  209.  258. 

—  A.    E.    u.    Paramore,     W.    E. 
208. 

Yanase,  J.  476. 
Yves-Delages  350. 
Young  u.  Lehmann  411. 

Zak,  E.  426. 

Zaleski,  J.  216. 

Zanetti  246. 

Zdarek,   E.   u.   Zeynek,   R.   v.    524. 

Zempl^n,  G.  517. 

Zeri  290. 

Ze)mek,  R.  v.  212.  229.  524.  537. 

—  Ameseder,  E.  u.  Selig,  A.  266. 
Zickgraf,  G.  28. 

—  Otori,  Seemann  24. 
Zillesen  256. 

Zoth,  O.  339. 

Zuelzer,  Dohrn  u.  Marxer  189. 

Zuntz,  L.   155.  362.   364.    365.   368. 

373' 

—  N.  154. 155.  157.158.  164.  368.  509. 
Zunz,  E.  ^S.  79.   154. 


1 


SACHREGISTER. 


Abbau,  bakterieller,  d.  Histidins  59. 

—  oxydativer  33.  46. 

—  verketteter  Aminosäuren  25. 
Abbauprodukte  des  Chlorophylls  223 . 

—  des  Phenylalanins  u.  Tyrosins  52. 
Abbescher  Refraktometer  322. 
Abgabe    kolloidaler  Produkte    vom 

Fötus  an  das  mütterliche  Blut 
366. 

Abmagerung  456. 

Absorptionsspektra  von  Proteinsub- 
stanzen 20. 

Acetylcholin  189. 

Acholie,  pigmentäre  301. 

Accipenserin  89. 

Acidalbuminbildung  93. 

Acidosis  471. 

Adenin  112.  113.  114.  119.  120.  121. 
123.   124.  500. 

Adenosin  123. 

Aderlaßanämien  497. 

Adrenalgewebe  405. 

Adrenalins.  Suprarenin  39.  190.  279. 

405.  407. 

—  blutdrucksteigernde     Wirkung 
406. 

lösung,  Injektion  i.  d.  Umgebung 

V.  Tumoren  569. 
ämie  bei  Nephritis  421. 

—  -Sekretion,  gesteigerte  durch  Pi- 
qurediabetes  414. 

—  Vorstufe  in  der  Nebennicren- 
rinde  405. 

Adrenalsystem  405. 
Adrenalon  408. 
Adsorptions  Vorgänge  170. 
— ,  Rolle  V.  selektiven  266. 
Aerobier  40. 
Aethylamin  59. 
Agaricus  meleus  534. 


Agfa-Lecithin  169. 
Agglutinine,  Bildung  567. 
Aggregation  von  Kolloidteilchen,  re- 
versible 162.   163. 
Agmatin  35. 
Akromegalie  u.  Gigantismus 48 3. 484. 

—  operative  Behandlung  485. 

—  Stoffwechsel  bei  484. 
Akrylsäure  115. 
Aktinium  558. 

Aktionsstrom  d.   Herzens  469. 
Aktivierung  v.  Peroxydasen  u.  Kata- 
lasen 347. 

Aktivitätsmethode  391. 

Alanin  45.  60.  63.   81.   85.   86.   90. 

99.  loi.  102.  103.  105.  106.  107, 

149.   150. 

—  a-  150. 

—  ß-  35.  36.   150- 

—  d-  IG.   102.  107. 

—  1-  102. 

—  Überführung  in  Acetaldehyd  18. 
Alanyl-alanin  99. 

—  -Glycin  106.   107. 

d-,  Synthese  100.   101. 

d-Alanyl-glycyl-glycin  555. 

Albuminate  iio. 

Albumin  240.  241.  242.  243.  245. 

—  Übergang  in  Globulin  242. 

—  Verhältnis    bei    Karzinomatösen 
zu  GlobuUn  543. 

Albuminurie  386.  395.  397. 

—  nach  Körperanstrengungen   396. 

—  orthotische  396. 

—  physiolog.  395. 

—  durch  Zirkulationsstörungen  396. 
Albuminoide  261.  514.  515.  516.  521. 
Albumoid  281. 

Albumosen  tj,   80.   ^2.  85.   87.  93. 
104.   107.  246.  371.  554. 


Sachregister. 


603 


Albumosen,  primäre  78. 

—  sekundäre  78.  79. 

—  u.  Peptone,  Protamine  u.  Histone 

—  u.  Peptone,  Fraktionierung  87. 
Aldehyde,  aromatische  66. 

—  niedrigerer  Fettsäuren  aus  Ami- 
nosäuren 17.   18. 

—  u.  Nitrite  22. 
Aldehydsäure  158. 
Aleuronkristalle  3.  375. 
Alkaleszenzabnahme  des  Blutes  bei 

Carcinom  546. 
Alkaleszenzzunahme    der    Gewebs- 
flüssigkeit   im   Bez.    zu  Verkal> 
kungsvorgängen  268. 

—  des  Blutes  552. 
Alkalihydrolyse       der      Eiweißkör- 
per 9. 

Alkaloidreagentien  83. 

Alkäptochrom  48. 

Alkaptonbildner  53. 

harn  48. 

urie  47.  48.   52.    53.   55.   56. 

Alkohol  83.  85.  90.  107.  HO.  III. 
116.   126.   176.   179.   197. 

Allantoin  367. 

Alloxurkörper  59. 

Ameisensäure  34. 

Amenorrhoe  354. 

Amidartige  Verkettung  der  Bestand- 
teile des  Eiweißmolekuls  24. 

Amidocerebrinsäure  180. 

Amidomyelin  178. 

Amine  -^j,  42. 

—  Bildung  aus  Aminosäuren  34. 
Aminosäure,  Chloride  d.   100. 

—  jodierte  74. 

Aminosäuren  8.  9.  10.  12.  15.  16. 
17.  19.  22.  23.  33.  78.  80.  81.  %6, 
87.  96.98.99.  IOC.  107.  150.  153. 
160.   297.   371.   400.    553. 

—  Additionsprodukte    u.    Derivate 

15. 

—  aliphatische  10. 

—  Amide  daraus  16. 

—  amidartige  Bindung  im  Eiweiß- 
molekül 24. 

—  bestimmung  durch  Formoltitra- 
tion 88. 

—  aus  Gelatine  6. 


Aminosäuren ,  Gewinnung  optisch- 
aktiver lOI. 

—  oxydativer  Abbau  n. 

—  razem.  Spaltung  in  ihre  Kompo- 
nenten 15. 

—  Synthese  14. 

—  Trennung  und  Charakterisierung 

14. 

—  verkettete  25.  26. 

—  Verkuppelung  15. 
Aminoaldehyde,    Bildung  aus  Ami- 
nosäuren 17.   18. 

T-Aminobuttersäure  35.   151.   152. 
Aminocerebrinsäure-glykosid  1 79. 
Aminodikarbonsäuren  11. 
Aminoglukuronsäure  282. 
Aminoisovaleriansäure  35.  90.   102. 
€-Aminokapronsäure  36,  17, 
a-Amino-d-oxyvaleriansäure  58. 
d-Aminovaleriansäure  (Valin)  10.  11. 

36.  81.  86. 
Amnion-  u.  Allantoisflüssigkeit  Tßj. 
Amphopepton  77. 
Amylnitrit  253. 
Amyloid  283.  284.  285. 

—  -ablagerungen,  lokale  284. 
Ammoniak  27.  28.  53.  60.  90.   150. 

179.  297.  400.  525. 

Ammonsulfat  78.  85.  104.  131.  193. 
233.   235.   240,  241.  243- 

Anaerobe  Bakterien  40.  235. 

Anämien,  perniziöse,  menschliche, 
Beziehung  zu  hämolysierenden 
Giften  (Phenylhydrazin  u.  Pyro- 
gallol)  496. 

Anaphylaktischer  Temperatursturz 
567. 

Anaphylaxie  566. 

Androl  335. 

Anhäufung  v.  Schlackenstoffen  im 
Blut  400. 

Anilin,  siedendes,  Einwirkung  auf 
Hämalin  215. 

Anisotrope  Substanz  130. 

Anpassung  durch  allmähliche  Ge- 
wöhnung 134. 

Antagonismus  zw.  Cholin  u.  Adrena- 
lin 190. 

Antagonismus  der  Pankreas-  u.  Ne- 
bennieren Hormonen  383. 

Anthozoen,  bromhaltige  -jy 


6o4 


Sachregister. 


Anthracen  221. 

Antiferment  559. 

gehalt  des  Blutes  561. 

—  Reaktion,  keine  Spezifität  der 
562. 

Antignippe  77, 
Antikinasen  205. 
Antipepton  81. 
Antithrombin  203.  205. 
Antithrombinsekretion  der  Leber  203 . 
Antitoxine  u.  Agglutine,    Übergang 

V.  Mutter  auf  Fötus  366. 
Antitrypsin  559.  560. 

—  im  Serum  beim  Karzinom   561. 
Antithyreoidinserum  Möbius  459. 
Antityrosinase  537. 

Aorta,  angeborene  Enge  507. 

—  Kompression  414. 
Apparat,  hämatopoetischer  508. 
Arabinose  118. 
Arbeitsstarre   163. 

Arginase  94. 

Arginin  5.  10.  20.  24.  25.  28.  31. 
35.   36.   86.  89.  90.  91.  94.    154. 

—  quantit.  Best,  als  Pikrat  24. 
Spaltung  IG.  25. 

—  d-  II. 

Arsenige  Säure  509. 
Arterienstreifen,  ausgeschnittene424. 
Arthropoden,     Gerüstsubstanz     der 

517- 

Aschenzusammensetzung  v.  Tumo- 
ren 543. 

Asparaginsäure  24.  32.  34.  35.  ^6. 
86.  97.   103.   150. 

anhvdrid  96. 

—  1- 1  r. 

—  Überführung  in  den  Halbalde- 
hyd d.  Malonsäure  18. 

Assimilationsgrenze  für  Zucker  456. 

Assurin  178. 

Astrosphärenbildung  347. 

Atheromatöse  Gefäßerkrankung  413. 

Atzmittel    u.    eiweißkoagulierende 
Substanzen  568. 

Auslösung  V.  Zellen  aus  ihrem  natür- 
lichen Verband  im  postembryo- 
nalen Dasein  571. 

Aussalzbarkeit,  von  Gehalt  an  ge- 
wissen Aminosäuren  abhängig 
80.  97. 


Aussalzung  7%,  83.  90.  233. 
Ausscheidung    aromatischer    Sub- 
stanzen 546. 

—  V.  Wasser  u.  gelösten  Bestand- 
teilen, Unabhängigkeit  voneinan- 
der 380. 

Autoadrenalinintoxikation ,     Lehre 
der  422. 

Autointoxikation  43. 

Autolysat  eines  Spindelzellensar- 
koms 580. 

Autolyse  u.  Heterolyse  in  Tumoren 

553. 
Autolytische     Fermente,     Tätigkeit 

der  374. 

—  Vorgänge,  Steigerung  450. 
Avertebraten  376.  523. 

eier,  Chemie  der  376. 

Azelainsäure  23. 
Azetessigsäure  53.   54. 
Azethämin  214. 
Azeton  23.   53.   54.  90.   175.   176. 

ausscheidung  und  Demineralisa- 

tion  546. 

körper  372. 

Azetonitril  464. 

reaktion  Reid-Hunts   464.  465. 

Bacillus,  bulgarischer  43. 

—  fluorescens  liquefaciens,  Zerset- 
zung damit  7,7, 

' —  putrificus  40. 

Bacterium  coli  commune  40.  67. 

—  lactis  aerogenes  40. 
Badeschwämme  73. 
Bantische  Krankheit  498. 
Basedow,   künstlicher,   bei   Hunden 

459- 

—  Serumbehandlung  459. 

Basedowkranke,  abnorme  Pigmen- 
tierung 458. 

—  Durchfälle  ders.  458. 
Basedowkropf,  chirurgische  Behand- 
lung 458. 

Basedowschilddrüsen,  Injektion  fri- 
schen Preßsaites  459. 
Basedowsche  Krankheit  507. 

—  Ätiologie  456. 

—  dieser  ähnliche  Symptome  nach 
Überschwemmung  mit  Schild- 
drüsenstoffen 448. 


Sachregister. 


6o«^ 


Basedowsche  Krankheit,  Erhöhung 
d.  Gesamtkalonenproduktion  bei 
derselben  455. 

Basischer  Kern  im Eiweißmolekül  28. 

Bebrütung  377. 

Befruchtungsmembran  351. 

Befruchtungsproblem  344.  346. 

Befruchtungsvorgang,    Natur    dess. 

347. 
Betain  19.   152. 

Benzoesäure  23.  28.  51.  391. 

Benzol  55. 

—  derivate  im  Eiweißmoleküle  45. 

Benzolkeme,  hydrierte,  Vorhanden- 
sein ders.  im  Moleküle  der  Chol- 
saure  315. 

Benzolpentakarbonsäure    314.    315. 

318. 
Benzolsulf ochlorid  83. 

Beriberi  280.  281. 

—  Studienkommission  281. 
Bernsteinsäure  13.  22.  32.  34.   148. 

316.  326.  525. 

—  Homologe  ders.  23. 
Bienengift  170. 

Biliansäure  312.  313.  317.  318.  319. 

320.  329. 
Bilipurpurin  230. 
Bilirubin   210.    228.    229.    232.    234. 

236.  237.  238.  239.  498. 

—  Bezieh,  z.  Blutfarbstoffe  228. 

—  Reindarst.  229. 

—  Umwandlung  in  Urobilin  300. 
Bilirubinkalk  303. 

Biliverdin  228.  229.  230. 

Bindegewebe  261. 

Bindung,    doppelte    maskierte    321. 

322.  324.  330. 
Bioelektrische  Erscheinungen  165. 
Biokristalle  263. 
Biuret-Base  97. 

körper  79.  90.   107. 

körper,    Entstehung  kolloidaler 

95. 
reaktion  28.  96.  97.   104.   iio. 

Blasennerven  d.  autonom.  Systems 

(Nervi  pelvici)  490. 

—  sympathische(  Nervi  hypogastriic) 
490. 

Blasentang,  jodhaltiger  465. 
Blausäure  23. 


Blut  249. 

—  Aschenzusammensetzung  des  5  56. 

—  Lipoidgehalt  364. 

—  lymphagoge  Wirkung  251. 

—  Ungerinnbarkeit  186. 

—  Viskositätsverhältnisse  248. 
Blutalbumin  156. 
Blutalkaleszenz  556. 
Blutdruckerhöhende    Produkte    bei 

Eiweißfäulnis  39. 

Blutdruckerhöhung  bei  Nierener- 
krankungen 399.  421. 

Blutdrucksteigernde    Substanzen 
in  Orgauen  369.  429. 

Blutdruckerniedrigung  (durch  Ova- 
rialextrakte)  364. 

Blutdrucksteigerung  186.  187.  188. 
406.  421.  422.  423. 

—  andauernde  durch  andauernde 
Sympathicusreizung  413. 

Blutdrucksenkung  185.  186.  187. 
188.   190.  365. 

—  nach  Schilddrüsenextrakt  443. 
Bluteiweiß,  der   Kalkfällung  entge- 
genwirkend 265. 

Bluteiweißkörper,  Abbau  der  266. 

—  Wiederersatz  244. 
Blutfarbstoff,     Sauerstoffbindungs- 
vermögen 213. 

—  vermag  er  sich  direkt  in  Urobilin 
umzuwandeln?  238. 

Blutgerinnung  192.  193.  195.  197. 
200.  204.  207.  258. 

—  Beziehungen  der  Leber  dazu  202. 
292. 

Blutkörperchen,  rote  210.  226.  238. 

292.   293.   294.   299.  496. 
Blutkristalle  3. 
Blutlymphdtüsen  512. 
Blutplasma  247.  263. 

—  Entquellung  390. 

—  Filtration  246. 

—  Lösungs  vermögen  f.  Kalksalze264. 

—  u.  Lymphe,  deren  Kalkgchalt  263. 
Blutplättchen   196.    197.    198.   207. 
Blutserum   244.  245.  246.  269.   325. 

343- 

—  labhemmende  Substanzen  244. 

Blutungen  im  Gewebe  der  Epithel- 
körperchen  u.  Kindertetanie,  Zu- 
sammenhang 476. 


6o6 


Sachregister. 


Blutungen,  menstruelle  353. 
Brachiopoden  517. 
Brassicasterin  330. 
Brenzcholoidansäure  319. 
Brenzkatechin  409.  530.  536. 
Bromgorgosäure  j"^, 
Bromisokapronylchlorid  100. 
Bromlauge,  Einwirkung  auf  Eiweiß- 
körper 31. 
Bromphenylhydrazin  216. 
Brompropionylchlorid  99. 
Bronzehaut  417. 

—  Pathogenese  der  418. 
Brunstperioden  354. 
Bryozoen  517. 

Buch  Weizenerkrankung  227. 
Buttersäure  34. 
Buttersaurebazillus  40. 
T-Butyrobetain   151.   152. 

Cachexia  hypophyseopriva  481.  482. 

—  strumipriva  468. 

—  thymipriva  280. 
Calcium  262.  264. 

—  Ersatz  durch  Strontium  264. 

Jonen,  elektive  Adsorption  267. 

phosphat,  tertiäres  265. 

^salze,  sedatative  Wirkung  478. 

Cephalopoden  517. 

—  Tintensekret  d.   523. 
Cerebrin  179. 
Cerebron  179.   180. 
Cerebronsäure  172.   180. 
Cerebroside  167.  177.  178.  179.  180. 

181. 
Chemie  des  Eies  375. 

—  d.  Nervensubstanz   173. 
Chemische   Energie,    Umsetzung   in 

kinetische  161. 

—  ^iorschung  d.  Eies  375. 

—  Individualität  d.  Peptone  85.  86. 

—  Starre  136.   143. 

—  Zustandsänderungen  des  Muskels 
bei  der  Arbeit  157. 

Chemischer  Energievorrat  des  Ei- 
le ttes  -^yy. 

Chemotaxis  344.  345. 

Chemotaktische  Kräfte  beim  Ein- 
wandern der  Spermatozoen  in  d. 
weibl.  Genitalapparat  345. 

Chemotherapie  568. 


Chinin  137. 
Chinol  54.  55. 
Chinolinkomplexe  69. 

ring  71. 

Chinonimidfarbstoffe  48. 
Chitin  261.  517.  518.  520. 

—  ältere  Untersuchungen  517. 
Chitosan  518.  520. 

salze,  kristallinische  519. 

Chloracetobrenzkatechin  408. 
Chlorausscheidung   bei   chlorarmge- 
fütterten  Kaninchen  388. 

—  im  Harn  546. 
Chlordinitrobenzol  17. 
Chlorkalk  65. 
Chlorocruorin  225. 
Chloroform  137. 

—  dämpfe,  Einwirkung  auf  Frosch- 
muskel 144. 

Chlorophyll  215.  217.  224.  225.  226. 
230. 

—  Abbauprodukte  des  223. 

—  Umwandlungsprodukt  des  230. 
Chlorphenylalanin  50. 
Chlorphenylbrenztraubensäure  50. 
Cholagoga  288. 

Cholagoge  Wirkung  d.  gallensauren 

Salze  289. 
Cholämie  291.  295.  311. 
Cholämische  Erscheinungen  291. 
Cholangitis  300. 
Cholansäure  313. 
Cholalazid  311  . 
Cholecyanin  230. 
Cholehämatin  230. 
Choleinsäure  309.   310.   313.   314. 
Choleprasin  229. 
Cholera  64. 
Cholestan  326. 
Cholesten  326, 
Cholestenon  325. 
Cholesterin  167.  175.  180.  181.  229. 

302.  303.  304.  305.  306.  308.  315. 

325—331.  340. 
ausscheidung  in  d.  GaUe  323. 

bestimmung  330. 

—  Farbenreaktionen  328. 

—  Herkunft  331. 

—  Konstitutionsfrage  des  323. 

—  Neubildung  im  tierischen  Orga- 
nismus 331. 


Sachregister. 


607 


Cholesterin,  Ursprung  303. 

—  vermehrter  Gehalt  d.  Galle  daran 
302. 

—  Zahl  d.  darin  enthalt.  Ring- 
systeme 329. 

Cholesterylene  325. 

Choletelin  230. 

Cholin  ^7,  152.  153.  167.  168.  169. 
172.  175.  176.  178.  179.  185.  186. 
187.  188.  190.  288.  360.  365.  443. 
489. 

best.,  Verfahren  der  quantita- 
tiven 186. 

derivate  189. 

—  in  der  Nebenniere  185. 

—  in  Thymusextrakten  504. 

—  Nachweis  in  d.  Cerebrospinal- 
flüssigkeit  189. 

—  Umwandlungsprodukt  des  187. 

—  Verbreitung  im  Organismus 
185. 

Vergiftung  186. 

—  Wirkungen  des  365. 
Cholsaure  306.   309.   310.   311.   312. 

313.  314.  315.  316.  317.  319.  320. 

323-  329-  3^^' 
ausscheidung,  Abhängigkeit  v.  d. 

Nahrungsaufnahme  322. 

—  Beobachtungen  über  die  trockene 
Destillation  ders.  319. 

—  Darstellung  308. 

—  Isolierung  der  309. 

—  Reduktion  311. 

—  trockene  Destillation  319. 

—  u.  Cholesterin,  Verwandtschaft 
zwischen  329. 

—  Cholesterin,  Zusammenhang  zwi- 
schen 323. 

Cholsäuren ,       Synthese      gepaarter 

310. 
Choloidansäure  oder  Cholekampfer- 

säure  314.  315.  319. 
Cholylsäure  311. 
Chondroitin  281. 
Chondroitinschwefelsäure    1 56.    28 1 . 

283.  284.  395. 
Chondromukoid  281. 
Chondrosin  282.  283. 
Chorioidealsarkom  533. 
Chorioideen,  Pigmente  der  523. 
Chorionzotten  366.  367. 


Chorionzotten,    Rolle  ders.  bei    der 

Eisenassimilation  367. 
Chromogen  in  der  Haut  nach  Lasion 

der  Nebenniere  418. 

—  im  Insektenblut  528. 

—  in       melaninbildenden        Zellen 

531. 
Chromogene,    farblose,  in  melanin- 
bildenden   Zellen,     Nachweis  v. 

533- 
Chromogener   Komplex   d.    Eiw^eiß- 

moleküls  60.  63.  527. 

Ciliansaure    313.      317.     318.     322. 

329- 
Clupein  89.  91.  95. 

Clupeon  95. 

Conalbumin  242.  375. 

Conchiolin  516. 

Conchylienschale  263. 

Corpus    luteum,     innere    Sekretion 

355.  356. 

—  Sensibilisierung     der      Uterus- 
schleimhaut      dadurch       356. 

.357. 
Coyote  70. 

Crustaceenpanzer  263. 

Curtiussche  Base  29. 

Cyklische    Komplexe    des    Eiweiß- 

moleküles  u.  ihre  Schicksale  im 

Organismus  45. 
Cyklopterin  89. 
Cyprinin  89.  93. 
Cystein  307. 
Cysteinsäure  307. 
Cystin  11.    19.     80.     81.      103.  107. 

243- 

—  Merkaptane  daraus  10. 

—  Synthese  14. 

Cytosin  114.  115.  119.   120.  121. 
Cytotoxine  346. 
Cytozym  195.   198. 

Darm,  Kalk-  u.  Phosphorsäureaus- 
scheidung dad.  269. 
Darmbakterien  42. 
Darmextrakte  185.   189.  205,   288. 

—  Cholingehalt  der  288. 
Darmgegenschaltung  64. 
Darmperistaltik  186. 
Darmtuberkulose  64. 
Dehydrocholon  312. 


6o8 


Sachregister. 


Dehydrocholsäure  311. 
Dentin  Verkalkung  477. 
Desaminoglutin,  Hydrolyse  31. 
Desaminoproteine  30.  31. 
Desaminoprotsäuren  27. 
Desoxycholsäure  309.  310.  314. 
Desoxyhaematoporphyrin  216.   217. 

223. 
Deuteroalbumose  A.  78.  79. 

—  B.  78.  79.  80. 

—  C.  78.  79.  80. 
Diabetes  55.  484. 
Diaminodiphosphatid  178. 
Diaminoessigsäure  13. 
Diaminomonophosphatid  177.  178. 
Diaminosäuren  8.  9.  11.  15.  31.  82. 

84.  87.  93.  94.   103.    153. 

—  Trennung  u.  Isolierung  5. 
Diaminotxioxydodekansäure    5.    12. 

13-  23.  36. 
Diarginid- Komplexe  91. 
Diathese,  familiäre  55. 
6,6'-Dibromindigo  76. 
Dihydrocholesterin  324. 
Dijodhistidin  75. 
Dijodtyrosin,   3.  5.  72.  77,.   74.    75. 

103.  445.  454.  515. 
Di  karbonsäuren  82. 
Diketopiperazin  99. 
Dimethylamin  ly, 
Dimethylaminobenzaldehyd  6^.  66. 
Dimethyläthylpyrrol  218. 
Dimethylhydropyrrindol  222. 
Dinitroisopropan  326. 
Dioxyaminokorksäure  1 3 . 
Dipeptide  60.  74.   100.   105.   149. 

—  unter  den  Eiweißspaltungspro- 
dukten, Auffindung  von  104. 

Diphenylpentankomplexe  322. 

Diphtherietoxin  39.  420. 

Disdiaklasten  130. 

Dithiokarbaminosäuren,  saure  Ben- 
zylester  ders.   17. 

Diuresen  389. 

Diuretica  389.  450. 

Diuretinvergiftung  388. 

Diuretische  Salzwirkung  390. 

Dotterplättchen  375. 

Drüsen  mit  innerer  Sekretion,  Be- 
ziehung d.,  zu  Vorgängen  des 
Knochenwachstums  279. 


Dünndarmerkrankungen  64. 

Dysalbumose  78. 

D3rstrophia  adiposogenitalis  483. 

Echinochrom  225. 
Echinodermen  515. 
Echinokokkenhüllen  516. 
Ecksche  Fistel  203.   291.   295.   296. 

297.  470. 
Edestin  81.   107. 
Ehrlichsche  Reaktion  234. 
Ehrmannsche  Froschbulbusmethode 

410.  421. 
Ei  des  Seidenspinners  u.  d.  Huhnes 

129. 

—  Ringelnatter,  ehem.  Veränderung 

377. 

—  Entwicklung,   chemische  376. 

Eieralbumin  241.  242. 

kristalle,  künstliche  Darstellung 

3- 
Eier  der  Seidenspinner  u.  Crustazeen 

Eifixation  im  Uterus  355. 

Einfluß  d.  Saugaktes  auf  d.  Funk- 
tion der  Brustdrüse  361. 

Eisenatom  im  Hämoglobin  211.  213. 
215. 

Eisenammoniakalaun  83.  85. 

Eisenpräparate  509. 

Eisenreichtum  d.  Milz  497. 

Eisentannat  536. 

Eiweiß,  Abbau  in  d.  Krebszelle  ein 
atypischer  555. 

—  als    Quelle  der  Muskelkraft  156. 

—  -an teil,  phosphorfreies   109. 
aufbau,  Hofmeister-Fischersches 

Schema  24.  29.  30. 
ausscheidung,  Einfluß  der  Kost 

darauf  397. 

bestand  des  Muskels   158. 

Eiweißfäulnis  31.  38.  61.  64.  68.  70. 

—  im  Darme  39.  40.  41. 

—  Hemmung  durch  Galle  41. 

Produkte,  Toxizität  38.  42. 

Eiweißgaben,  schädlicher  Einfluß  ho- 
her 398. 

Eiweißgerinnung  im  Muskel  142. 

—  Hydroljrse  4.   13.   57. 

quantitat.  Zusammenstell,  d. 

Resultate  6. 


Sachregister. 


609 


Eiweißkörper  245.  464. 

: —  bakterielle  Spaltung  37. 

—  V.  Bence- Jones  511. 

—  jodhaltige  446. 

u.  bromhaltige  261. 

—  Vorkommen  halogenhaltiger  in 
d.  Natur  71. 

Eiweißkonstitution  3. 
Eiweiß,    lebendes    u.  kristaUis.  Ei- 
weißkörper 3. 
Eiweißmolekül,  Aufbau  28. 

—  Bruchstücke  dav.   10.  20. 

—  chromogener  Komplex  60.  63. 

—  Imidazolkern  darin  59. 

—  zyklische  Komplexe  des  409. 
Eiweißoxydation,   Endprodukte  22. 

—  intermediäre  Produkte  26. 

—  Untersuchung  der  Produkte  26. 
Eiweißproblems,  Grenzen  des  19. 

—  -quotienten,  Beziehung  zwischen 

395- 

—  -razemisierung  95. 

relation  in  Exsudaten  u.  Trans- 
sudaten 244. 

Eiweißschlacken  548.  551. 

-r-  vermehrte  Ausscheidung  550. 

Eiweißspaltung,  Analyse  der  Kom- 
plexe 82. 

—  fermentative,  neuere  Untersu- 
chungen 79.  84. 

—  Kühnesches  Schema  der  79. 
Eiweißspaltungsprodukte,    hydroly- 
tische I.   14.  24.    . 

-^  toxische  43. . 

—  zweifelhafter  Konstitution  12. 

—  zyklische  11.  71. 
Eiweißsubstanzen  202. 
Eiweißsynthese  96. 
Eiweißumsatz  455. 
Eiweißzerfall  449. 
Eiweißzusammensetzung  503. 

—  d.  Tumoren  542. 
Eklampsie  372.  373.  399. 

—  vom  Fötus  ausgehend  373. 

gift,  spezifisches  373. 

Ekzeme,  Scrophulus,  Prurigo,  Pem- 
phigus 260. 

Elaidinsäure  325. 
Elastin  92. 

Embryogenese,  Chemie  der  ^j6. 
377* 

V.  Fürth,   Probleme. 


Endotoxin  aus  den  Plazentarzotten 

374- 

Engelmannsche  Theorie  der  Muskel- 
kontraktion 140. 

über  den  Ursprung  der  Mus- 
kelkraft 163. 

Enkephalin  179. 

Entgiftungstheorie  465. 

Entkalkung  d.  Knochen,  künstliche 

277' 

—  d.  Körpers  durch  Säurezufuhr  277. 

Entquellung  165. 
Entwicklungsarbeit  376. 
Enzyme,  s.  a.  Fermente  170. 
Epilepsie  190. 
Epiphysenfugen,  Verknöcherung  bei 

Kastraten  S3^' 
Epitheliotoxine  579. 
Epithelkörpercheh   s.    a.    glaudulae 

para  hyxoideae  466.  476. 

—  äußere,    Hypertrophie    nach 
Schilddrüsenexstirpation  475* 

—  Entwicklung  unabhängig  v.  d. 
Schilddrüsenanlage  467. 

—  histolog.  Struktur  467. 

—  Physiologie  der  467. 

—  Transplantation  473. 
Epizuckersäure  116.   117. 
Erepsin  94. 

Erkältungsnephrits  397. 
Ermüdungsstoff,  Ermüdungstoxine 

ISP- 
Ernährungsvorgänge,  Bedeutung  der 

Mikroorganismen  dafür  41. 

Erotisierung  d.  Zentralnervensy- 
stems 335. 

Essigsäure  26.  34.  520. 

Estermethode,  E.   Fischers  4.   8. 

—  Grenzen  d.  Leistungsfähigkeit  6. 

—  u.  Hydrolyse  verfahren,  Modifi- 
kation 8. 

Euglobulin  241.  242.  244. 
Eunuchen  336. 
Exonephropexie  397. 
Exophthalmus  448.  455. 
Exsudate  244. 

—  u.  Ödeme,  Bildung  entzünd- 
licher 251. 

Extraktivstoffe  181.  401. 

—  stickstoffhaltige.      Ausschwem- 
mung 449. 

39 


6io 


Sachregister. 


Extraktivstoffe  des  Muskels  159. 

—  des  Harns  550. 

Fäces,  Färbung  236. 

Farbstoff  des  antiken  Purpurs  75. 

—  Ausscheidung  in  den  Nieren  384. 

—  lipoidlösl.  u.  unlösl.   385. 

—  -bildung  nach  toxischem  Blut- 
körperchenzerfall 301. 

Fäulnisbasen  (s.  a.  Eiweißfäulnis)  34. 

36. 

—  unbekannter  Konstitution  37. 
Fäulnisprodukte  in  Plazentaextrak- 
ten 369. 

—  toxische  43. 
FeUinsäure  310. 

Fermentati ver  Abbau  d.  Nuklein- 
säure 128. 

Fermente  (s.  a.  Enzyme),  autoly- 
tische  138. 

—  in  der  Milz  500. 

—  oxydative  $6. 
Ferratin  294. 

Fette  155.  157.  158.  167. 

—  u.  Lecithide,  Rolle  bei  der  Mus- 
keltätigkeit 158. 

Fettentwicklung,  abnorme,  nach  Zer- 
störung d.  Zirbeldrüse  493. 

—  phanerose  541. 

—  -resorption  in  der  Plazenta  366. 
Fettsäuren  10. 

—  hohe,  RoUe  beim  Verkalkungs- 
vorgang 265. 

—  niedere  22. 
Fettstoffwechsel,  Störung  483. 

—  -Verluste  450. 

Fibrin  78.   85.   193.   195.  201.  202. 

ferment  195.  201.  202.  205.  292. 

Entstehung  dess.   195. 

—  -gehalt  d.  Blutes  194. 
Fibrillensäure  183. 

Fibrinogen  193.  194.  195.  196.  199. 
201.  202.  203.  207.  243.  244. 
292.  302.  510. 

—  Regeneration  194. 

—  Ursprungsort  dess.  194. 
Fibrinoglobulin  195. 
Fichtenspan,  Purpurfärbung  6$. 
Fitration,     Sekretion     u.     selektive 

Resorption  378. 
Fischeier  375. 


Fistel,  Ecksche  70.  195. 

Fleisch, .  weißes  und  schwarzes  398. 

Flimmerbewegungen  34^. 

Fluomatrium  137. 

Fluoreszierende  Stoffe  568. 

Formaldehyd  60.  63.  66. 

Formoltitration  nach  Henriques  u. 
Sörensen  550. 

Formylessigester,  Natriumsalz  115. 
116. 

Fötus  als  wachstumserregenden  Hor- 
mons d.  Brustdrüse  360. 

—  Schweißdrüsen  dess.  368. 
Froschherzapparat,    Kronecker-Wil- 

liamscher  156. 
Fruchtwasser  367. 

—  Bedeutung  als  Emährungsflüssig- 
keit  369. 

—  Beteiligung  d.  mütterl.  Blutes 
a.  d.  Zusammensetzung  369. 

—  Chemie  dess.  365. 

—  Diastasegehalt  369. 
Frühkastration  beim  Rind,  Einfluß 

auf  die  Körperformen  354. 
Frühsymptome  d.  Magenkrebses  551. 

—  -Störung  lebenswichtiger  Organe 

545. 

—  leukoblastische  508. 

Furfurol  66.  117. 
Furylalanin  50. 
Furylbenztraubensäure  50. 

Galaktose  156.  180. 
Galle  228.  230.  231,  235.  236.  237. 
238.  286.  289.  290.  292.  300.  302. 

303-  307.  331- 

—  antiseptische  Wirkung  der  41. 

—  Armut  an  Gallensäuren  bei  Amy- 
loidleber  301. 

—  Einfluß  auf  die  Darmbewegungen 
290. 

—  phosphorvergifteter  Tiere,  Fibri- 
nogen dar.  302. 

—  Resorption  innerhalb  d.  I^ber 
299. 

—  versch.  Fische  307. 
Gallenanalyse,  quantitative  305. 
bestandteile,  kolloidale,  Lösungs- 
verhältnisse der  304. 

- — blasenfistel  288. 

emulsion,  rektale  Applikation29 1 . 


Sachregister. 


6ll 


Gallenfaxbstoff,  Reduktion  des  231. 

—  -farbstoile  227.  228.  230.  231. 
236.  239.  294.  299.  soo.  331. 
498. 

;  Beziehungen  zwischen  Gallen- 

u.  Blutfarbstoff  227. 
fistel  228.  286. 

—  kolloide  negativ  geladene  304. 

—  Phosphatide  305. 

säuren  292.  293.  294.  301.  305. 

306.  307.  308.  314.  322.  328. 

d.  Säugetiergalle  306. 

drei  spezifische  310. 

Einführung  per  os  289. 

Hämolyse  durch  292.  293. 

Zerstörung  durch  autolyt.  Vor- 
gänge 304. 

durch  bakterielle  Prozesse 

304. 

—  Sekretion  323. 

Abhängigkeit  v.  d.  Nahrungs- 
aufnahme 287. 
u.  Zusammensetzung  287. 

—  -steine  302.  323, 
Chemie  der  302. 

Reichtum    an    Bilirubinkalk 

229. 

thromben  298. 

zufuhr  41. 

—  -Zusammensetzung,  pathologische 
Veränderungen  der  301. 

Gallertmark  509. 

Gastroenteritis  64. 

Gaswechsel,   Herabminderung  nach 

der  Kastration  362. 
Gefäßschädigung,     Rolle     der     bei 

Ödemen  253. 
Gehirn  s.  a.  Hirn. 

—  Substanz,  graue  181. 
weiße  181. 

—  lipoide  174.  175. 

—  Phosphatide  177. 
Gelatine,  Injektion  v.  206. 
Genitalapparat,  Hypoplasie  507. 
Gerinnbarkeit  d.  Blutes,  Erhöhung 

ders.  208.  259. 
verminderte  202.  203. 

—  d.  Gesamtblutes  206.   258.   292. 
Gerinnung   d.    Muskelplasmas    130. 

^33'  135. 

—  intra  vaskuläre  199. 


Gerinnungsbefördemde    Substanzen 

365. 

—  beschleunigende   Agentien   206. 

erscheinungen  145. 

—  -fähigkeit  des  Blutes  240. 

Erhöhung  199.  205. 

verminderte  205. 

—  hemmende  Agentien  verschie- 
dener Art  204. 

Wirkung    der    kalkfällenden 

Salze  u.  Neutralsalze  in  höheren 
Konzentrationen  204. 

theorie     136.     137.      139.     142. 

144. 

Nolfsche  200. 

von  Morawitz  u.   Fuld-Spiro 

195.  201. 

Vorgang  202.  205. 

bei  Wirbellosen  198. 

Gerontin  38. 

Gerüstsubstanzen  d.  niedersten  Tier- 
formen. 514. 

Gerykvakuumpumpe  5. 

Geschlechtsbestimmung,  willkür- 
hche  372. 

—  -Charaktere,  sekundäre  bei  Frö- 
schen 333. 

drüsen,  Hypersekretion  456. 

Geschwülste  (s.  a.  Tumoren),  bös- 
artige, zwei  Haupttypen  541. 

—  metastatische  542. 

—  Transplantation  572. 
Gewebe,  chromaffines  406.  421. 

—  osteogenes  273. 
Gewebsautolyse,     Verstärkung     der 

556. 

fibrinogen  198.  205. 

flüssigkeiten  249. 

Gewöhnung  an  hohe  Temperaturen, 
Tierleben  i.  heißen  Quellen  134. 

Giftanämien  497. 

Giftigkeit  d.  Harnes  u.  v.  Organ- 
extrakten parathyreoidektomier- 
ter  Tiere  469. 

—  des  Darminhaltes  42. 
Giftwirkung     v.     Retentionsstoffen 

400. 
Glandulae  parathyreoideae  437.  466. 
Glaukom  257. 

theorie  M.  H.  Fischers  256.  257. 

Gliadin  287. 

39* 


6l2 


Sachregister. 


Gliederabschnürung,  hämost3rptische 
Wirkung  199. 

Globin  93.  211. 

Globuline  156.  240.  241.  242.  243. 
244.  245. 

Glomeruli  u.  Tubuli,  isolierte  Aus- 
schaltung 383. 

Glomerulusfiltrat  379.  380. 

—  Konzentration  durch  Rück- 
resorption 379. 

Glomerulusfiltration  380. 

Glomerulussekret,  hypotonische  Be- 
schaffenheit 380. 

Glukosamin  5.  9.  11.  79.  246.  282. 
517.  520. 

Glukose  170. 

Glukosurie  389.  439.  484. 

—  alimentäre  456. 

—  nach       Schüddrüsenexstirpation 

439- 
Glukuronsäure  53.  63.  282. 

Glutaminsäure  8.  9.  13.  23.  27.  28. 
32.  34.  35-  57-  58.  8i.  85.  86. 
105.   107.   151.   152.  515. 

—  d-  II. 

Glutarsäure  32.  316. 
Glutinpepton  88. 
Glutokyrin  84.  S7, 
Glutolin  245. 

—  Nukleoproteide,  Seromukoid,  Al- 
bumosen  245. 

Glyzerin  126.   168.   178. 

—  betimmungsverf.  v.  Zeisel  u. 
Fanto  126. 

pentosegruppen  126. 

phosphorsäure     169.    171.     176. 

179.  270. 
Glycin  99.   104,   105.   106. 
Glycylalanin  105.   106. 
Glycylglycin  25.  29.  99. 
Glycyltryptophan  554. 
Glykoalbumose  79. 
Glykocholsäure  306.  307. 
Glykogen  147.  370. 

Schwund   157. 

GlykokoU  8.   10.   15,   19.  81.  85.  86. 

99.     103.     107.    243.     306.    307. 

308.  310.  311.  391.  515. 

äthylester  97.   10 ;. 

karbonsäure  17. 

Glykolaldehyd  18. 


Glykolsäure  26. 
Glykosurie  272.  372. 
Glyoxalsäurereaktion,  Hopkins-Cole 

63- 

Glyoxylsäure  372. 
Gmelinsche  Reaktion  229. 
Gk>rgoniden  515. 

—  Achsenskelett  72. 
Gorgonin  514. 
Granulome  571. 
Guanidin  24.  526. 

an  teil  des  Arginins  91. 

Guanin    112.    113.    114.    119.     120. 
121.    123.    126.    127.    149.    500. 

522. 

—  -pentosid  124. 
Guanosin  123.  124.   128. 
Guanylsäure    118.     119.     123.     124. 

125.   126.   127.   128. 

—  a-  126.  127. 

—  ß-  125. 

Haifischgalle  307.  308. 

Hähne,  Versuchjp  daran  337. 

Hallimasch  534. 

Halogenfette,    schützender    Einfluß 

gegenüber    d.    Folgen    d.    Para- 

thyreoidektomie  475. 
Halogenbindende  Systeme  in  Eiweiß- 

körpem  71. 
Hämatin  210.   211.   212.   213.   214. 

215.    217.    221.    222.    223.    227. 

228. 

—  -abbau  im  Tierkörper  231. 

—  u.  Hämochromogen  211. 

—  reduziertes  oder  Hämochromogen 
212. 

—  Zusammensetzung  213.. 
Hämatinsäuren  219.  223,  224.  229. 

—  dreibasische  220. 

—  dreibasische,  Anhydrid  der  220. 

—  dreibasische,  Imid  der  220. 
Hämatogen  375. 
Hämatoporphyrin    213.     214.     217. 

220.    221.    222.    223.    224.    225. 
228.  239. 

—  als     photobiolog.     Sensibilisator 
226. 

Hämatoporphyrinune  227. 
Hämatopyrrolidinsäure    219.    220. 
222.  223. 


Sacliregidteir. 


613 


H ämatopyrrolkarbonsäure  219. 
Hämatoidin  228. 
Hämerythrin  225. 
Hämin  213.  214.  215.  217.  220.  222. 
223.  224. 

—  Dimethyläther  oder  Diäthyläther 
215. 

Hämocyanin  224.  225.  532. 
Hämochromogen  211.  212.  213. 
Hämoglobin  85.  210.  211.  213.  214. 
225.  228.  294.  498.  532. 

—  Entstehung  225. 

—  reduziertes  212. 

—  Verbreitung  d.,  i.  d.  Tierreiche 
210. 

Hämolytische  Wirkung  der  aus  d. 
Plazenta    stammenden    Ölsäure 

374. 
Hämolyse        roter    Blutkörperchen 

durch  Kobragift  567. 

Hämolysin  293.  366. 

Hämorrhagische  Diathese  292. 

Hämophilie  207.  208. 

—  allgemeine  u.  lokalisierte  207. 
Hämopyrrol    217.    218.    219.    220 

221.  222.  223.  224.  231.  525. 

—  Reindarst.  217. 
Harnabsonderung     bei     Abflußbe- 
schwerung 387. 

bildung  379. 

—  Eindickung  durch  Wasserresorp- 
tion 386. 

entstehung       durch      relektiv- 

sekretorischen  Prozeß  379. 

gärung,  alkalische  233. 

gewinnung,  zweiseitige  394. 

gifte  403. 

indikan  63.  65.  70. 

u.  Darmindol,  Reaktion  zwi- 
schen 65. 

—  Kolloidgehalt  des  normalen  385. 

—  physikalisch-chemische  Unter- 
suchung 393. 

Harne,  nephritische  244. 
Harnsäure  112.   113.   149.  159.  297. 
380.  400.  501. 

—  Ausscheidung  59. 

Harnstoff   10.   25.   59.  95.  96.   115. 

150.    153.    160.    295.    297.    z^j. 

380.  400.  401.  511. 
bildung,  fermentative  95. 


Harnstoff diurese  383. 

Hamzusammensetzung  beim  Karzi- 
nom 546. 

Zylinder  55. 

Härte  des  Trinkwassers  u.  Ent- 
artungserscheinungen ,  Bezieh, 
zw.  276. 

Harzsäuren  328. 

Hefenukleinsäure  114.   120.   123. 

Heilserum  gegen  Karzinom  579. 

—  gegen  Krebs  578. 
Hemibilirubin  236. 
Hemigruppe  '^j,  78. 
Heminuldeinsäure  123. 
Hepatotoxin  297. 
Hermaphroditischer  Edelfink  338f 
Herzkollaps  431. 
Heteroalbumose  78. 
Heterolyse  553. 
Heterolytische  Fermente,  Beziehung 

z.  Krebskachexie  556. 
Hexapeptide  82. 
Hexose  119.  120. 
Hexaoxyhexahydrobenzol  27  j , 
Hexosephosphorsäure  123. 
Hippomelanin  524.  525. 

—  Oxydation  mit  Wasserstoffsuper- 
oxyd 526. 

Hippursäure  61. 

—  Synthese  391. 
Himanämie  187. 
Hirndruck,  Regulierung  493. 
Hirnerscheinungen  bei  Icterus  gravis 

294. 

Hirnödem,  Traubes  Theorie  400. 

Hirnsubstanz,  quantitat.  Zusammen- 
setzung 180. 

Hirnzentren,  abnorme  Erregbarkeit 

Z7Z' 
Hirudin  204.  375. 

Histidin  5.  11.  32.  34.  35.  39.  5^- 
59.  60.  75.  85.  86.  103.  149.  15a. 
154.  211. 

Histidin-Bestimmung  60. 

Histon,  nukleinsaures  109. 

Histone  jj.  90.  92.  93.  94.  211.  340* 

341. 
Hochgebirgsklima  509. 

Hoden,  unreife  93. 

—  -transplan tationen  337. 
Hofmeisters  Gesichtspunkte  82, 


6i4 


Sachregister. 


Hofmeister-Fischersches  Schema  24. 

29.  30. 
Holothurienhaut,  Verschleimung  der 

515- 
Homocerebrin  179. 

.Homogentjsinsäure     (Hydrochinon- 

essigsaure)    48.    49.    50.    51.    52. 

53.  54.  536. 

—  Bestimm,  d.  Silberlösung  49. 

—  Rolle  im  intermediären  Stoff- 
wechsel 52. 

—  Ursprung  49. 
Homohydrochinon  51.  52. 
Hordenin  435. 
Hormon  359.  360.  436. 
Hopkins-Colesche  Glyoxalsäurereak- 

tion  6^, 
Hundshai  245. 

Hungerstoffwechsel  d.  Lachses  129. 
Hühner,  Versuche  daran  42. 
Hüttenrauchfutter  278. 
Hydantoin  16.  47. 
Hydrämie  252.  253.  390. 
Hydrazin  loi. 
Hydroa  aestiva  226. 
Hydrobilirubin  232.  234. 
Hydrochinonbrenztraubensäure    49. 
Hydrochinonderivat  51. 
Hydrochinonessigsäure     (Homogen- 

tisinsaure)  48. 
Hydrogel  202. 
Hydrolyse  m.  Alkah  9. 

—  m.  Fluorwasserstoffsäure  9. 

—  m.  Salzsäure  9. 

—  m.  Schwefelsäure  9. 

—  unter  Druck  10. 
Hydrosol  202. 
Hydrouracil^  115. 

Hydroxyle,  Gegenwart  ders.  ver- 
leiht d.  Benzolkem  Bindungs- 
fähigkeit für  Jod  75. 

Hydroxyphenyläthylamin  39. 

Hypalbuminose  252. 

Hypergenitalismus  337. 

Hyperinose  194. 

Hypertrophie,  kompensatorische  415 

Hyperthymisation  507. 

Hyperthyreoidisation  448. 

—  künstliche  451. 

versuche  454. 

Hypoglykämie  417. 


Hypophyse  337.  479. 

—  Beziehungen  z.  d.  Schilddrüse  u. 
z.  d.  Keimdrüsen  486. 

stiel,  Durchtrennung  481. 

—  -extrakt  als  Diuretikum  381. 

—  -extrakte,  galaktagoge  Wirkung 
ders.  361. 

—  Exstirpation  480. 

—  Implantation  485. 

—  u.  Keimdrüsen,  Beziehungen  zwi- 
schen 487. 

ektomie  487. 

—  Minderfunktion  483. 

hypertrophie,  Folge  d.  Kastra- 
tion 488. 

—  Natur  u.  phjrs.  Bedeutung  d. 
wirksamen  Substanz  492. 

—  -o toxisches  Serum  483. 

—  patholog.     Veränderungen    bei 
Akromegalie  485. 

—  pars  intermedia,  koUoidsezer- 
qierender  Anteil  480. 

Hypophysenpräparate,  Einfluß  auf 
das  Knochenwachstum  486. 

—  regulatorisches  Schutzorgan  d. 
Gehirns  488. 

—  Schilddrüse  u.  Keimdrüsen,  Kor- 
relation zwischen  487. 

Substanz,  vermehrte  Phosphor- 
ausscheidung nach  Verfütterung 
486. 

—  Unterfunktion  484. 

—  vorderer  drüsiger  oder  epithelialer 
Lappen  u.  hinterer  infundibu- 
larer  Anteil  479. 

Hypophysäre  Fettsucht  482. 

u.  pineale  Adiposität  494. 

Hypophysin  oder  Pituitrin  489. 

—  als  gynäkolog.  Blutstillungsmittel 
471. 

—  behandlung  der  Osteomalace  486. 

bei  Rachitis  u.  zur  Konsoli- 
dierung d.  Callus  b.  Frakturen 
486. 

—  diuretische  Wirkung  491. 

—  Einwirkung  auf  den  überleben- 
den Kaninchendarm  490. 

—  b.  Kollapszuständen  490. 

—  Sensibilisierung  sympathischer 
Apparate  489. 

—  Steigerung  d.  Milch  Sekretion  492. 


Sachregister. 


615 


Hypophysin«  therapeut.  Anwendung 
490. 

—  Verstärkung  d.  Systole  u.  Ver- 
langsamung d.  Herzschläge  489. 

—  als  wehenerregendes  Mittel  490. 

—  Wirkung  auf  Blase,  Uterus,  Darm 
490. 

a.  d.  Zirkulation  488. 

H3rpoplasie  d.  Sexualdrüsen  438. 
Hypoxanthin    112.    113.    114.    123. 
124.   125.  149.  159.  500. 

Icterus  292. 

—  gravis  291.  292. 

—  hämatogener    oder    hepatogener 
227. 

—  neonatorum  299. 
-7-  per  diapedesin  301. 

—  per  parapedesin  299. 

—  per  stasin  299. 

—  per  stasin  u.  per  parapedesin  298. 

—  toxischer  299. 
Idiotie  438. 
Ignotin  149. 
Ileus  42. 

ß  -  Imidazol  -  a  -  amino  -  Propionsäure 

59. 
Imidazol,  Komplexe  davon  45. 

kern  im  Eiweißmolekül  59. 

Entstehung  60. 

Imidazolylalanin  32. 

äthylamin   34.   35.  39.   59.   187. 

Propionsäure  32.  59. 

Impfung  mit  abgeschwächtem  Virus 

579. 
Implantation     artfremder     Ovarien 

354. 
-Immunisierung  durch  normale  Ge- 
websteile 581. 

—  gegen  maligne  Neoplasmen  579. 
Indigo  66, 

farbstoff  6^. 

rot  65. 

Indikan  401. 

bestimmung  65.  66. 

urie  64. 

Indol   37.   45.   61.   62.  65.   67.   68. 
$27.  536.  546. 

alanin  61. 

aldehyd  61.  6S. 

1-aminopropionsäure,  61. 


Indolbestimmung  66. 

essigsaure  61.  62.  67.  68.  69. 

glyoxylsäure  71. 

—  kolorimetrische  Bestimmung  66. 

—  -Propionsäure  32.  33.  61.  62. 

—  Umwandlung  in  Indoxyl  65. 

—  Vorstufe  des  67. 
Indoxyl  63.  64.  65.  66.  67. 
Infektionskrankheiten    mit    filther- 

barem  Virus  578. 

Infusion  hyper-,  hypo-,  u.  isoto- 
nischer Losungen  248. 

Injektion  v.  Farbstoffen  386. 

Inosin    123.    124.    125.    149.    159. 

—  Guanosin,  Adenosin  123. 

säure    118.    123.    124.  125.  127. 

149-   159- 
Inosit  270.  271.  272.  370. 

—  Beziehung  z.  d.  Kohlehydraten 
272. 

—  -ogen  272. 

—  phosphorsäure  270.  271.  272. 

—  physiolog.  Bedeutung  272. 

—  Zusammenhang  m.  d.  Phosphor- 
stoffwechsel 272. 

urie  272. 

Insuffizienz  d.   Leberleistung  372. 
Interrenal-  u.  Adrenalsystem  404. 
Interrenalgewebe  415. 
Interrenalsystem  405. 
Isatin  65. 

Isoamylamin  35.  39. 
Isobutylamin  35. 
Isobiliansäure  312.  313. 
Isocholansäure  313. 
IsoCholesterin  330. 
Isoleucin  11.   103. 

—  d-  IG. 

—  Synthese  14. 
Isotrope  Substanz  130. 
Isovaleraldehyd  23. 

Jekorin  170.   171. 

Jod  in  anorg.  Form,  Überschwem- 
mung d.   Körpers  damit  451. 

—  in  der  Schilddrüse  junger  sau- 
gender Tiere  nicht  vorhanden 
462. 

—  in  d.  Schilddrüse,  physiol  Be- 
deutung 462. 

—  in  tierischen  Organen  462. 


6i6 


Sachregister. 


Jod.  Ist  es  ein  integrierender  physi<S- 
log.  wichtiger  Bestand  d.  Schild- 
drüse 462. 

Jodalbacid  75. 

Jodanhäufung   in    Karzinommassen 

544. 
Jodbasedow  453.  463. 

Jodbenzolsäure  74. 
Jodeigonnatrium  74.  75. 
Jodeiweißkörper,    künstlich    darge- 
stellte, Verfütterung  ^y.  451. 
Jodeiweiß  der  Schilddrüse  72,   71. 
Jodgehalt  v.  Kröpfen  461. 

—  d.  Nahrung  461. 

—  d.  Schilddrüse  461.  462. 
Jodgorgosäure  72.  7^,  74. 
Jodglidin  74.  75. 
Jodhippursäure  74. 
Jodkalium  453. 
Jodmethyl  19. 

Jodothyrin  72.  436.  440.  445.  453. 
462.  465. 

—  antagonistische  Wirkung  dem 
Atropin  gegenüber  445. 

—  Beeinflussung  d.  Stoffwechsels 
452. 

—  chemische  Stellung  444. 

—  chronische  Einwirk.  a.  d.  Orga- 
nismus 451. 

—  Überschwemmung  des  Organis- 
mus damit  451. 

—  verschiedene  Wirkung  b.  Hund 
u.  Katze  446. 

—  Wirkung  a.  d.  Stoffwechsel  452. 

—  Wirkung  auf  den  Zirkulations- 
apparat 445. 

Jodphosphonium  57. 

Jodquecksilberkalium  83. 

Jod,     spezifische     Adsorptionsweise 

der  Schilddrüse  463. 
JodthyreoglobuHn  7^.  444.  463.  464. 
Jodwasserstoff  57. 
Jodwirkung  452. 
Jodzahl  172. 
Joghurt  43. 

Kachexia  strumipriva  442.  455. 
Kachexie  bei  Karzinom  545. 

—  vermehrter  Eiweißzerfall  545. 
Kadaverin     (Pentamethylendiamin) 

34.  38.  39. 


Kalk  261.  262.  263.  264.  266.  267. 
269.  278. 

—  Ablagerung  in  verschiedenen  Or- 
ganen 267. 

infolge  einer  Alkaleszenzver- 

änderung  d.  Gewebsflüssigkeit 
267. 

adsorption  274. 

anreicherung  bei  regressiven  Ver- 
änderungen 544. 

ansatz  u.  sterilisierte  Milch  277. 

arme  Nahrung  277. 

u.     säurereiche     Ernährung 

278. 

—  ausscheidung  in  d.  Darmlumen, 
Steigerung  449. 

Verteilung     auf    Harn     und 

Darm  270. 
bedarf  des  weiblichen  Körpers 

275. 

—  -fänger  265. 

gaben,  prophylaktische  275.  276. 

—  glyzerinphosphorsaurer  202. 

—  mangelhypothese  274. 

Bedeutung    für    die    Patho- 
genese des  Rachitis  273. 
primärer  273. 

—  u.  Phosphorstoffwechsel  269. 

salze  195.  196.  206.  208. 

Ablagerung  u.  Resorption  in 

Ge\5reben  264. 

Assimilation    u.    Ablagerung 

der  274. 

Einfluß  auf  die  Gerinnbarkeit 

des  Blutes  208. 

gerinnungsfördernde  Wirkung 

201. 

Rolle  der  bei  der  Blutgerin- 
nung  196. 

Schalenbildung     der     Schnecke 

268. 

niederer  Tiere  268. 

bei  Weichtieren  268. 

seifen  266. 

Stoffwechsel  505. 

Einfluß  der  weibl.  Keim- 
drüse 362. 

teilchen  des  Echinodermenske- 

letts  263. 

Übersättigung  d.   Blutes  267. 

Verarmung,  künstliche  478. 


Sacbregister. 


617 


Kalkverarmung  der  Knochen,  künst- 
liche 277. 

—  wasser,  lokale  Applikation  259. 
Kallusbildung  505. 

Kapaun  337. 
Kapillarendothelien,    sekretorische 

Tätigkeit  247.  250. 
Kapronsäure,  normale  12. 
Karbaminoreaktion  Siegfrieds  86. 
Karbaminsäuren  17.  S6,  295. 

Vergiftung  471. 

Karnaubasäure  172. 

Karnaubon  172. 

Karnin  124.   149. 

Karnitin  151.   152.   160. 

Kamose  118. 

Kamosin  59.  149.  150.  151.  154.  160. 

gehalt  des  Muskels  150. 

nitrat  149. 

Karotisdrüse  407. 

Karyogen  340. 

Karzinom  (s.  a.  Krebs),  Einfluß  auf 

die  Magenverdauung  551. 

—  hämolytische    Wirkung    d.    Ma- 
gensaftes bei  553. 

—  Oxyproteinsäurenausscheidung 
beim   547. 

—  Umwandlung  in  Sarkom  541. 
Kaseansäure  13.  23. 

Kasein  12.  27.  81.  85.  287. 

—  Methylierung  m.  Jodmethyl  9. 

—  -verfahren  v.  E.  Fuld  561. 

—  -säure  13.  23. 
Kastration  353. 

—  Einfluß  auf  den  Stoffwechsel  279. 
362. 

—  Folgen  beim  Menschen  336. 
Katalasen  in  Tumoren  562. 
Katal)^atoren  224.  236. 
Kathoden  Vakuum  5. 
Kellingsche  Geschwulsttheorie  571. 
Kephalin  175.   176.   177.   181. 
Kephaline,     quantitative    Bestim- 
mung 176. 

Kephalinsäure  176.  183. 
Keratine  23.  521.  522.  542. 
Kerasin  179. 
Kernkopuiation  347. 
Kieselsäuregehalt  d.  Haare  u.  Federn 

522. 
Kindertetanie  475.  478. 


Knoblauchkröte,  Versuche  an  deren 

Larven  42. 
Knochen  261.  262.   264.   269.   277. 
asche,     Zusammensetzung     der 

262. 

—  -gewebe  261.  280.  281. 
mark  508. 

Beziehung  z.  Bildung  d.  Fi- 
brinogens 510. 
Chemie  des  508. 

—  —  Eiweißzusammensetzung  510. 
Fettsubstanzen  510. 

Veränderungen  unter  Einwir- 
kung verschiedener  Faktoren  508. 

—  -resorption  268. 

Wachstum,  Störungen  des  477^ 

Knorpel  261.  266.  267.  278.  281.  283* 

284. 
Koaguline  198.  199. 
Koagulationsstarre  142. 
Kobragift  170.  204. 
Kochsalz  254. 
ausscheidung  391. 

—  -retention  254. 

—  -Stauung  im  Organismus  402. 

—  -therapie  206. 
Koffein  137. 

diurese  389.  390. 

Kohlehydrate  41,  147.  148.  157.  170. 

—  Abbau  60. 

artige  Hüllsubstanzen  d.  Würmer 

516. 
gruppe  II.  112. 

—  als  Quellen  der  Muskelkraft  1 54, 
155.   157.   164. 

komplexe  in  Nukleinsäuren  116. 

117. 
Kohlenoxydhämochromogen  212. 
Kohlensäure  148.  268.  278. 

—  Abspaltung  32.  34.  ^6,  39.  148. 

159- 

—  Holle  bei  Vorgängen  d.  Knochen- 
resorption 268. 

Kolloidchemie  139.  200.  201. 

Kolloidgehalt  des  Plasmas  265. 

Kolloide,  Quellung  der  139. 

Kombination  v.  Fettsucht  m.  e^ 
Hypoplasie  d.  Genitalapparates 
u.  m.  Wachstumsstörungen  482. 

Komponente,  physiologische  249.   - 

Konfiguration  der  Nukleinsäure  121 . 


6x8 


Sachregister. 


Konstitutioiisanomalie,    hypoplasti- 
sche 507. 
Kontraktion  peripherer  Gewebe  424. 

—  -theorie  135. 
Koprosterin  330. 
Korallen,  jodhaltige  y$. 
Kotindol  65. 

Körpermaterial,    Zerfall   v.    eiweiß- 
haltigem 499. 

Korksaure  13. 

»Korpuhn«,  Entfettungsmittel  452. 

Korrelation  v.  Organen  m.  innerer 

Sekretion  486. 
Krämpfe  186. 

—  klonische  468. 

Kreatin  148.  149.  150.  153.  159.  370. 

400. 
Kretinismus  440. 

—  Ätiologie  des  442. 
Krebseiweiß  543. 

gift  u.  Kachexie  544.  545. 

—  -kachexie.  Stoffwechsel  545. 
krankheit,  endemisches  Auftre- 
ten 571. 

Vaccine  581. 

—  Zellen,  Auflösung  durch  normales 
Serum  564. 

Kresol  2$,  52. 
Kristalle,  flüssige  325. 
Kristalloide    in    d.    Hamröhrchen, 

Rückresorption  388. 
KristalUsationsvorgänge  in  d.  Tegu- 

menten  niederer  Tiere  263. 
Kropfbrunnen  442. 

hydrosol  443. 

Kuorin  171. 

Kupfersulfat  83. 

Kuppelung  mit  Halogenacylverbin- 

dungen  99. 
Kurare  161.  425. 
Kymographischer  Nachweis  derBlut- 

drucksteigerung  410. 
Kynurensaure  69. 

—  Ausscheidung  70. 

—  Bildung  69. 
Ort  der  70. 

—  Vorkommen  70. 
Kjoine  84.  85.  89. 
Kyroprotsäuren  27.  2S.  29. 

—  A.  27. 

—  B.  27. 


Lachs  340. 

Ladung,  abnorme  d.  gesamten  Neu- 
rons V.  d.  trophischen  Ganglien- 
zentrum aus  469. 

Lasion,  toxische,  der  Nierenepithe* 
lien  387. 

LavuUnsaure  116. 

Laktosurie  372. 

Lanolin  325. 

Lasseignesche  Probe  214. 

Laurinsäure  179.  366. 

Lawensche  Durchströmungsmethode 
410. 

Leber   286.     289.     293.     294.     296. 

297. 
affektionen,  Diagnose  von  233. 

—  -atrophie  291. 

—  Bedeutung  für  die  Verarbeitung 
der  Eiweißabbauprodukte  295. 

cirrhose  298. 

künsthche  238. 

gefäße,  Durchgängigkeit  250. 

jekorin  171. 

Proteide,  Hydrolyse  von  13. 

—  Rolle  der  237. 

—  SekretionsanomaUe  301. 

—  Syphilis  der  227. 
Lecithalbumine  171. 
Lecithide  158.   183.  190. 

—  Verdauung  von  190. 
Lecithin  sy.  152.  167.  168.  169.  170. 

172.  175.  176.  177.  179.  185.  202. 
270.  305.  340.  510.  567. 

bestimmung,      Methodik      der 

171. 

—  -cadmiumchlorid  169. 

—  eiweißverbindungen  171. 
Glukose  170. 

—  Abspaltungstickstoffhaltiger 
Gruppen  beim  Kochen  m. 
Alkohol  169. 

—  Spaltung  des  169. 

Lecithine,  Zersetzungsprodukte  der 

179. 
Leim  84. 
Leimpepton  84. 
Leptocephaliden  532. 
Leucine,  isomere  1 1 . 
Leucin  10.  11.  20.  23.  24.  27.  28.  35. 

81.  86.  97.  99.  100.  102.  103.  105. 

107.  302. 


Sachregister. 


619 


Leucinfraktionen,  Reduktion  m.  Jod- 
wasserstoff saure  12. 

—  normales  12. 
Leucychlorid,  salzsaures  100. 
Leucyglycin  100. 
Leucylleucin  99. 
Leukämie  194. 
Leukanilin  6S. 
Leukopoliin  175. 

Leukozyten  93.  194.  196.  197.  199. 
208.  240. 

—  Beteiligung  bei  der  Blutgerinnung 
198. 

fermente,  proteolytische  560. 

Leydigsche  Zellen  339.  356. 
Limulus-Chitin  521. 
Lindemanns  Theorie  391. 
Linolsaurereihe  172. 
Linolensäurereihe  172. 
Linsentrübung  477. 
Lilliesche  Hypothese  163. 
Lipoide    167.    175.    180.    294.    364. 

567. 
Lipoidanreicherung  d.   Serums  560. 
Eiweißverbindungen  d.  Serums 

560. 
Lipoidsubstanzen  172.  173. 

d.   Knochenmarkes  510. 

Lockesche  Lösung  137.  576. 

Löffler platte  561. 

Lordose  396. 

Lösung  der  Muskelstarre   137.   138. 

Löwisches  Phänomen  426. 

—  Reaktion  426. 
Luteintabletten  355. 
Ludwigsche  Filtrationstheorie     und 

Heidenhainschc    Sekretionstheo- 
rie 379. 

—  Lehre  378. 
Lymphe  246.  251.  263. 

—  austreibende  Kräfte  251. 
bildung  246.  250.  251. 

bildung  u.Organstoffwechsel,  Be- 
ziehungen zw.  250. 
Theorien  247.  250. 

—  u.  Gewebsflüssigkeiten,  Konzen- 
tration 249. 

Lymphagoga,   erster  Ordnung  248. 

250. 
, —  zweiter  Ordnung  248. 
Lymphagogum  361. 


Lymphoide  Organe  495. 
Lymphtreibende  Mittel  247. 
Lysin    5.    24.    31.    34.    36.   37.    85. 

93- 

—  d-  II. 

—  Synthese  14. 
Lyxose  118. 

Magen-Karzinomprobe,  Salomonsche 

552. 

—  -Peristaltik  189. 

—  -Schleimhaut,  Katarrh  d.  552. 
Magnesiumgehalt    der    Knochen    u. 

Zähne  277. 

Maisemährung  227. 

Maligne  Neubildungen,  endemisches 
Auftreten  571.    . 

willkürliche  Erzeugung  570. 

Malignität  d.  sogenannten  Impftu- 
moren 574. 

Maltose  156. 

Mamma,  Beziehungen  z.  Genital- 
apparat 358. 

Manteltiere  oder  Tunikaten  521. 

Marchische  Färbung  183. 

Marcitin  38. 

Mark,  rotes  u.  gelbes  508. 

Meerschweinchen,  Versuche  daran 
41. 

Meiostagminreaktion  566. 

Melanin  522.  526.  542. 

—  quantitat.  Bestimmung  534. 

—  u.  Tryptophankomplexe  im  Ei- 
weißmolkül,  Zusammenhang  zwi- 
schen 538. 

—  Zusammensetzung  523. 
bildung  9.  56. 

b.   hämoglobinfreien   Averte- 

braten  532. 
bei   hämoglobinfreien   Tieren 

531. 
in    patholog.     Neubildungen 

532. 

in  Tumoren  532. 

mögliche,  aus  einer  Vorstufe 

des  Suprarenins  418. 

physiologische  u.  pathologi- 
sche, morpholog.  Beobachtungen 

531- 
Reaktionsverlauf  d.  535. 

Theorie  der  526. 


620 


Sachregister. 


Melaninbildung,  Wesen :  Zyklische 
Komplexe  aus  dem  Eiweißmole- 
küle u.  fermentative  Oxydation 

538. 
Melanine,  Abbauversuche  525. 

—  Analyse  525. 

—  Darstellung  523. 

—  Eisen  darin  524. 

—  Schwefel  u.  Eisengehalt  523. 
524. 

—  Überführung*  zyklischer  Kom- 
plexe in  sie  526. 

Melaninsäure  525. 
Melanogen  56. 

—  im  Harn  537. 

—  Umwandlung  in  Melanin  534. 
Melanoidine  71.  445.  527. 

—  jodierte  446. 
Melanomferment  531. 
Melanosarkomatose  533.  537. 
Melanose  d.  Insektenblutes  528. 
Melanotische  Pigmente  s.Melanine  56. 
Membranbildung  351. 

—  u.  embryonale  Entwicklung  v. 
Seeigeleiern  497. 

Merogonie  348. 

Mesoporphyrin  216.  217.  223.  228. 
Metaphosphorsäure  119.   120. 
Metastasen  u.  ihr  Ursprungsgewebe, 

ehem.  Übereinstimmung  542. 
Methylamin  37. 
Methyläthylmaleinsäure  220. 
Methyläthylmaleinsäureimid  220. 
Methylchinolin  69. 
Methyldibutylessigsäure  525. 
Methylenblau    u.    seine    Leukobase 

183- 
a-Methylglutarsäure  316. 

Methylglyoxal  60. 

Methylguanidin  149. 

Methylimidazol  60. 

Methylpropylphenanthren  oder  Re- 

ten  328. 

Methylpropylpyrrol  218. 

N-Methylpjnrolidinoxy  karbonsäure 

538. 
Meyersche    Arterienstreifenmethode 

410. 
Mikroorganismen,  Bedeutung  für  d. 

Ernährungsvorgänge  41. 
Milch- Agarplatte  561. 


Milchdrüse,  Funktionshypertfophie 
durch  Injektion  d.  Blutes  träch- 
tiger Tiere  358. 

Milchdrüsenzellen,  autolytischer  Zer- 
fall innerhalb  der  361. 

Milchleistung  der  Kühe  362. 

Milchsäure  145.  146.  147.  148.  161. 
163.  165.  254.  278.  297.  373. 

anhäufung  136. 

—  Bildung  147.  157.  166.  255.  256. 

370. 

in  Geweben  255. 

in   der   Nervensubstanz    182. 

—  gerinnungsbeiördemde  Wirkung 
im  Muskel  163. 

—  Ursprung  der  im  Muskel   147- 
Milchsekretion  358. 

Milch,  Sterilisieren  der  277. 
Millonsche  Reaktion  97. 
Milz  495. 

—  u.  Knochenmarkin  fuse,  Injek- 
tion dam.  509. 

—  -anschwellung  bei  Infektions- 
heiten  500. 

—  Beziehungen  z.  Bildung  u.  Zer- 
störung d.  Blutkörperchen  495. 

—  Beziehung  zur  Blutbahn  495. 

—  Chemie  der  501. 

—  Exstirpation  496. 

—  Funktionsstörung  498. 

—  leukämische  499. 

Blutbefund  nach  Röntgen- 
bestrahlung der  497. 

—  ein   Organ   d.    Eisenstoffwechsel 

499- 

—  Röntgenbehandlung  bewirktStei- 

gerung  d.  Eisenausscheidung  499. 

—  Transplantation  500. 
Mineralstoffw^echsel  bei  Rachitis  u. 

Osteomalacie  2y^, 
MißbUdung  368. 
Molekularrefraktion  321.  322. 
Mollusken  516. 
Monacetyldiglukosamin,     polymeres 

520. 
Monacetyldiglukosamin  518. 
Monacetylglukosamin  518.  521. 
Monoaminodiphosphatid  171. 
Monoaminomonophosphatid  176. 
Monoaminosäuren(s.  a.  Aminosäuren) 
31.  84.  86.  92.  94.   106.  341. 


Sachregister. 


621 


Monobromessigsaures  Natron  137. 

Morbus  Addisonii  416.  417.  419. 

Symptome  d.  417. 

Morbus  Basedowii  421. 

gesteigerter  Suprareningehalt 

d.  Blutesr  457. 

d.  Hyperthyreoidisation  er- 
zeugt 449. 

—  —  Pathologie  454.  455. 
Stoffwechsel  455. 

Überfunktion  zweier  Blut- 
gefäßdrüsen: der  Schilddrüse  u. 
d.  Nebenniere  456. 

Motihn  189. 

Mukonsäure  55. 

Mukoidsubstanz  395. 

Mundsekret  des  Blutegels,  gerin- 
nungshemmende Wirkung  204. 

Muskarin  152.   189. 

Muskel,  Eiweißbestand  desselben 
158. 

Muskeleiweißkörper  141,  182. 

—  Wärmegerinnung  133. 
Muskelextraktivstoffe  148.   153.     . 
faser,  quergestreifte  aus  kontrak- 
tiler Eiweißmasse  130. 

gifte,  starreerregende  142. 

kontraktion,  Lilües  Theorie  162. 

—  plasma  132.  133.  136.  137.  142. 
143.   146.   161.   162. 

Gerinnung  des  161. 

saft,  Gerinnung  des  135. 

starre  138.   144. 

starreerzeugende  Substanzen  137. 

—  Lösung  der  Starre  137.   138, 
stroma  132. 

—  Lösung  des  geronnenen  Eiweißes 
durch  neugeb.  Milchsäure  139. 

—  Schmelzwärme  dess.  163. 

—  Wärmebildung  im  164. 
Muskeln  v.  Mollusken  307. 

—  wachsartige  Entartung  der   145. 

—  ruhende  u.  ermüdete,  Quellungs- 
u.  Entquellungskurven  147. 

Muskon  328. 
Mutterkorn  434. 

extrakt,  wirksame  Substanz  dar- 
in 39. 

—  -präparate  371. 
Myasthenia  gravis  476. 
Mydotoxin  36. 


Myeline  175.   177.   181. 

—  u.  Lecithine  177. 
Myelome,  multiple  511. 
Mygen  131.   132.   133.   158. 
Myogenfibrin  131.   132.   133. 

löshches  131.   132. 

Myosin  131.   132.   133.   158. 
Myosinfibrin  132.   136. 
Myoproteid  133. 
Myristinsäure  172.  179. 
Myxödem  440.  442. 

—  d.  Gaswechsels  455. 

—  u.  Cachexia  strumipriva  437. 

ß-Naphthalin-Sulfoalanin  107. 

sulfochlorid  83.  88. 

Sulfochlorid,     Anwendung     zur 

Charakterisierung  v.  Polypepti- 
den 106. 

sulfochlorid,    Kuppelung  damit 

15- 
sulfoglycin,  ß-  107. 

Naphthylhydantoinsäuren  16. 

isocyanat- Aminosäuren,  Salze  16. 

—  -isocyanatmethode  15. 
Nasescheidewandknorpel  283, 
Natriumkarbamat  295. 

Perchlorat  137. 

—  salicylsaures  161. 

Natron,  naphthochinonsulfosaures  66. 
Nebennieren  279.  404. 

—  Ausfall  beider  415. 

—  Beziehung    zur    Pigmentbildung 
418. 

—  Einfluß  d.  Nervensystems  auf  die 
sekretorische  Tätigkeit  der  412. 

—  Erscheinungen  nach  ihrem  Aus- 
fall 416. 

—  Exstirpation  415.  419. 

extrakte,      blutdrucksteigernde 

Wirkung  derselben  406. 
funktion,  Ausfall  der  533. 

—  Intoxikationen    u.    Infektionen, 
Funktionsstörung  bei  420. 

—  Hypersekretion  429. 

—  innere  Sekretion  d.  411. 

—  Lebenswichtigkeit  der  415. 
mark  405. 

—  Physiologie  der  404. 

—  relative  Bedeutung  der  Rinde  u. 
d.  Markes  415. 


622 


Sachregister. 


Nebennierenrinde  405. 

—  Transplantation  416. 

—  Überfunktion  457. 

Nebenschilddrüse  437. 

Neosin  153. 

Neottin  172. 

Nephritis,experimentelle  durch  kurz- 
dauernde Abkühlung  d.  unteren 
Extremitäten  397. 

—  Milchdiät  dabei  255. 
Nephroblaptine  254. 
Nephrolysine  403. 
Nervenfasern,    Verhalten    markhal- 

tiger  u.  markloser  184. 
gewebe,  Reduktionsvermögendes 

183. 
Nervensubstanz  172.  173. 

—  Chemie  der  173. 

—  Eiweißkörper  der  182. 

—  Reaktion  der  182. 
Nervens)^tem,   Färbemethoden  des 

183- 

—  peripheres,  galvanische  Erregbar- 
keit 505. 

—  vegetatives,  gesteigerte  Erregbar- 
keit 478. 

Neubildungen,  bösartige,  ihre  para- 
sitäre Natur  571. 
Netiridin  38. 
Neurin  189. 
Neuroglobuline  182. 
Neuronen,  periphere  motorische  u. 

sensible,  Reizungszustand  468. 
Neuroproteide  182. 
Neutralschwefel  548.  551. 

—  leicht  oxydierbarer  Anteil   dess 

549. 
Niere,  Blutdruck  381. 

—  Durchblutung  der  382.  390. 

—  Farbstoff ausscheidung  in  d.  384. 

—  Sekretionsarbeit  der  392. 
Nieren  d.  Crassaceen  384. 

—  -dekapsulation  375. 

epithelien,  Histologie  381. 

epithelzellen,  sekretorische  Funk- 
tion von  381. 

—  exstirpation  der  253. 

—  -exstirpation,  partielle  401. 

—  -funktion  378. 

funktion,  Prüfungsmethoden  392. 

393- 


I  Nierenfunktion,sekretorische,Lokali- 
sierung  ders.  383. 

—  marktraumatische    Lasionen, 
Steigerung  d.  Hammenge  durch 
diese  s^6, 

—  -parenchym,   osmotischer  Druck 

387. 
pfortader  383, 

—  -Sekretion  niederer  Tiere  384. 
tätigkeit,  abhängig  v.  der  Durch- 
blutung 382. 

tätigkeit,  Einfluß  des  Nerven- 
systems 382. 

reflektorische     Beeinflussung 

382. 

—  -transplantation  394. 

—  überlebende  393. 

—  -Zellen,  Energieleistung  d.  391. 
Nikotinsäure     (Pyridinkarbonsäure) 

38. 
Nißlsäure  183. 
Nitrobenzaldehyd  66. 
Nitrochitine  518. 

—  Analogien  m.  d.  Nitrozellulosen 
519. 

Nitroclupein  91. 
Nitrosoindol  66. 
Normale  Gewebe,    Kultur  in  vitro 

575. 

—  Gewebe  u.  patholog.,  Problem  d, 

Kultur  in  vitro  575. 

—  -heptylbenzol  319. 
Novain  151. 
Nukleasen  128. 
Nukleine  270. 

Nukleinsäuren  38.  109.  1 10.  1 1 1 .  115. 

114.  115.  116.  117.  118.  119.  120. 

121.  122.  126.  127.  129.  340.  395. 

a  gelatinierend  123.  128. 

b,  nichtgelatinierend  123. 

—  ehem.  Abbau  iio. 

—  fermentativer  Aufbau  128. 

—  phosphorhaltige  109. 

—  Reindarstellung  iio. 

—  Spaltungsprodukte  bei  Hydro- 
lyse III.   119. 

—  -S)mthese  im  Organismus  128. 

—  Neubildung  von  129. 

—  pflanzliche  114.   120. 

—  quantitativer  Abbau  der  echten 
118. 


Sachregister. 


623 


Kukleoalbumine  552. 
Nukleohiston  503. 

Nukleohiston     in    Lymphdrüsenge- 
schwülsten 542. 
Nukleoproteid  125. 

—  im  Blutserum  245. 
Nukleoproteide  109.   118.   125.   126. 

127.  270.  294.  374. 
Nukleotinphosphorsäure  123. 
Nutzeffekt  156. 

Obermayers  Keagens  66. 
Oblitin  153. 
Ochronose  55.  56. 
Ödeme  252.  256.  258. 

—  Entstehung  252. 

—  entzündliche  nephritische  252. 

—  entzündliche,  konjunktivale  258. 

—  günstige  Beeinflussung  254. 

—  kachektische,     neuropathische 
252. 

—  kardiale  252. 
Ölsäure  168.   183.  325. 
Oktadekapeptid  104. 
Onuphin  516. 

Oophorin,  Wirkung  des  364. 

Organautolyse  239. 

fermente,  proteolytische  560. 

—  -pentose  118. 

tatigkeit  u.  Lymphbildung,  Be- 
ziehungen zwischen  250. 

—  -therapie  mit  Epithelkörperchen 
472. 

Organismus,    tierischer,    Anpassung 

an  höhere  Temperaturen  133. 
Ornithin  10.  25.  31.  34.  $6.  95. 

—  Synthese  14. 
Osmiumsäure  65. 
Osmiumtetroxyd  183. 
Osmotischer  Druck  u.  Reststickstoff 

im  Blut,   Erhöhung  dess.  401. 
Osteomalacie    267.    275.    277.    279. 
362.  363. 

—  Pathogenese  der  278. 
Osteoporose  278. 

Oxalan  oder  Oxalursäureamid  25. 
Oxalsäure  22.  25.  28.  525. 
Oxalylaminoessigsäure  26. 
Oxamid  24.  25. 
Oxaminsäure  24.  25.  26. 
Oxaminosäuren  11.   12.   15. 


Oxyaminobernsteinsäure  13. 
kapronsäure  30,  31. 

—  -korksäure  13. 

valeriansäure  31.  58. 

Oxybenzoesäure  ^^, 
ß-Oxybuttersäure  54. 
a-Oxy-ß-butyro-betain  151. 
Y-Oxy-ß-chinolin-karbonsäure  69. 
Oxycholesterin  330. 
Oxydationsfermente ,     Nachweis    in 

pigmentierten  Tegumenten  $29. 
Oxydative    Fermente,     Einwirkung 

auf  zykUsche  Chromogene  418. 
Oxydativer  Abbau  der  Aminosäuren 

33. 
Oxydiaminosebacinsäure  13. 

Oxyglutarsäure  23. 

Oxyhämoglobin  212. 

Oxyhexahydrophthalsäure  315. 

Oxymandelsäure  47. 

Oxyphenyl-äthylamin    34.   35.   434. 

531. 
brenztraubensäure  49.    50.    53. 

54. 
derivate    im  Harne    nach  Ver- 

fütterung  von  Tyrosin  46. 

essigsaure  ^^,  46. 

gruppe  45. 

milchsäure  46.  50.  53.  54. 

—  "Propionsäure  ^^,  46. 

Oxy Phthalsäure,  hydrierte  318. 
Oxyprolin  5.   11.  45.   56.  57. 
ß  u.  T-Oxyprolin  57. 
Oxyproteinsäuren    297.     371.     547.. 

548.  550.  551. 

gruppe,  Substanzen  daraus  548. 

Oxypyrrolidinkarbonsäure   56.    57. 
Oxysäuren,  aromatische  297. 
Oxytryptophan  62.  536. 
Ovalbumi  375. 

Ovarialextrakte,   Giftigkeit  364. 
Ovarialextrakte,  Injektion  von  354.. 
Ovarialsubstanz,     Ausscheidung    v. 

Kalk  u.  Phosphor  nach  Zufuhr 

ders.  363. 
Ovarien,  Beziehung  zur  Milchdrüse 

362. 

—  Einfluß  ders.   auf  d.  Farbe  der 
Nachkommenschaft  357. 

Ovarium,  Einfluß  auf  die  Eifixation 

355. 


624 


Sachregister. 


Ovogal  289. 
Ovoglobulin  375. 
Ovomukoid  375. 
Ovovitellin  375. 

Palmitinsäure   168.    172.    179.    324. 

Panimmunitat  580. 

Pankreas  36.  118.  120.  124.  125.  126. 

127.  185.  251. 
exstirpation  70. 

—  -ferment,  Übertritt  in  d.  Blut- 
bahn 559. 

—  Kinasen,  Zymogen  u.  Profer- 
mente des  502. 

—  nukleinsauren  126. 
Pankreatin  74.  95. 
Panzers  Hypothese  316. 
Panzerscher  Ring  318.  319. 
Parabiose  357.  359. 

—  V.  Männchen  u.  Weibchen  357. 
ratten  403. 

Paracholie  299. 

Paraganglion  aorticum  406. 

Parakresol  51. 

Parallelismus  zwischen  Durchblu- 
tung n.  sekretorischer  Tätigkeit 
d.  Nieren  382. 

Paralyse,  progressive  181. 

Parese,  intestinale  491. 

Parthenogenese  348. 

—  Einwirk.  d.  Temperaturerhöhung 

350. 

—  künstliche  348.  351. 
Parthenogenetische     Entwicklung , 

Auslösung  einer  351. 

Partielle  Spaltung  der  Nuklein- 
säuren 122. 

Pathologie  39. 

Pellagra  227. 

Penicilliumglaucum,  Spaltung  razem. 
Aminosäuren  damit  15. 

Pentamethylendiamin     (Kadaverin) 

34. 
Pentaminomonophosphatid  175. 

Pentapeptide  82. 

Pentosen    116.    117.    118.    121.    123. 

124.   125.   127.   149. 
Pepsin-Fibrinpepton  85. 
Pepsinglutinpepton  85. 
Peptidbindungen,  Bestimmung  durch 

Formoltitration  88. 


Peptidspaltendes      Ferment,      Vor- 
kommen im  Magensaft  554. 
Pepton  36.  84.  85.  S7.  88. 
abbau,  atypischer  556. 

—  gerinnungshemmende    Wirkung 
des  203. 

Peptone  yy,  79.  80.  82.  83.  86.  203. 
204.  250.  554. 

—  chemische  Individualität  85.  S6. 
Periost,    Verstärkung   d.    Knochen- 
bildenden Funktion  486. 

Periphere  Nerven,  Übererregbarkeit 
468. 

Peristaltik  d.  Rektums  290. 

Peristaltik-Hormon  189. 

Peritonealer  Reizzustand  383. 

Peroxydasen  536. 

Peroxyprotsäuren  26.  27.  29.  30. 

Pettenkofersche  Reaktion  308. 

Pfeiffersche  Reaktion  566. 

Pflanzenproteine,  Hydrolyse  6. 

Pflügerscher  Elektro tonus  184. 

Pharmakologie  39. 

Phenol  33.  546. 

Phenyläthylamin  34.  35. 

Phenyalanin  11.  23.  28.  32.  34.  35. 
45.  46.  49.  50.  51.  52.  53.  75. 
81.   100.  102.  103.  515.  536. 

Umwandlung  in  Phenylbrenz- 
traubensäure 50. 

—  aminoessigsäure  50. 
brenztraubensäure  50. 

a-brompropionylchlorid  100. 

essigsaure  51. 

glyoxylsäure  50. 

hydrazin  216.. 

isocyanat  83. 

a-Milchsäure  50. 

ß-oxypropionsäure  51. 

—  Propionsäure  32.  51. 
Phloroglucin  117.  118. 
PhonopjoTol  219. 

—  -karbonsäure  219.  220.  221.  222. 
223. 

Phosphatide  167.  171.  172.  176. 
177.   178.  281.  305.  364. 

—  andere   172. 

—  azetonlösliche  175. 

—  gesättigte  175.   177.   178. 

—  pflanzliche  172. 

—  ungesättigte  175. 


Sachregister. 


625 


Phosphadite»   ungesättigte,    azeton- 

unlösl.  175. 
Phosphor  420. 
arme  Nahrung  278. 

—  -ausscheidung  449. 

—  -fleischsäure  148.   158. 

mangeltheorie,  des  Beribeh  281. 

—  Vergiftung  47.  291.  298. 
Phosphorsäure   112.    121.    122.    123. 

126.    127.    146.    149.    168.    177. 
262.  264.  269.  270.  271.  272.  380. 

—  esterartige  Verbindung  mit  Kohle- 
hydrat 124. 

—  Stoffwechsel,  Inosit  ein  Abfalls- 
produkt dess.  272. 

Phosphorstoffwechsel  280. 

Phosphorwasser,  Injektion  in  die 
Gefäße  eines  ausgeschnittenen 
Organes  541. 

Phrenosin  179. 

Phyllocyanin  224. 

Phylloerythrin  230. 

Phyllohämin  224. 

Phylloporphyrin  217.  224. 

Phytin  270.  271.  281. 

Phytosterine  332. 

Pigmentbildung,  Leistungsfähigkeit 
der  Haut  419. 

Pigmentvorstufen,  farblose,  in  mela- 
ninbildenden Zellen  533. 

Pigmente,  melanotische  522. 

Pilocarpin  457. 

Pilotys  Formelbilder  für  Hämato- 
porphyrin  u.  Hämatin  222. 

Pikrolonat,  Histidins  60. 

—  d.  Tryptophans  62. 
Pikrolonsäure  60. 
Plasmagerinnung  145. 
Plasmoschise  198. 
Plazentaextrakte,  Einfluß  ders.  auf 

die  Milchsekretion  360. 

Plazenta,  wirksame  Bestandteile 
darin  369. 

Plazenten,  künstliche  Bildung  müt- 
terlicher durch  mechanische  Reize 
356. 

Pleuraergüsse  258. 

Polarisationsbilder  183.   184. 

Polyarthritis  55. 

Polypeptid  85.  87.  91.  96.  99.  103. 
104.    105.   107.   150.   555. 

V.  Fürth,  Probleme. 


Polypeptidartiger  Aufbau  d.  Eiweiß r 

körper  98. 
Polypeptidsynthese    m.    chlorierten 

Aminosäuren  100. 
Polypeptidspaltung,   atypische   555. 
Polypeptide  551.  553.  554. 

—  aus  Aminosäuren  82. 

—  im  Harn  bei  Karzinom  550. 

—  tyrosinhaltige  536. 

—  Synthese  82. 

—  synthetische  29.  80.   102. 
Polyoxysäuren  14. 
Polysaccharide,  Pentosane  117. 
Pregls  Hypothese  317.  322. 
Proadrenalin  409. 

Produkte,  toxische,  Bedeutung  für 
die  Wasseranziehung  der  Ge- 
webe 253. 

a-Prolin  57. 

Prolin  11.  45.  56.  57.  58.  81.  90. 
103.   105.  515.  536. 

—  Spaltung  d.  razemischen  in  seine 
beiden  optisch  aktiven  Kompo- 
nenten 57. 

Propionsäure  34.  59. 
Prostatasekret,  agglutinierende  Wir- 
kung 342. 

—  Einfluß  auf  die  Vitalität  d. 
Samenfäden  343. 

Protagon  173.   178.   179.   180. 
Protalbumose  78.  87. 
Protaminbildung,  Vorgang  ders.  341. 
Protamine  89.   90.   92.   93.   94.  95. 

2U. 

—  nitrierte  25.  91. 

—  nukleinsaures  89.   109.  340. 

—  fermentative  Synthese  95. 
Protamin,     Spaltung,    fermentative 

durch  Arginase  94. 
Proteid,  Bence-Jonessches  510.  511. 
Proteide,  charakteristische  Reaktion 

63- 

—  fortschreitende    Zerlegung    der 

553. 
Protein  (s.  a.  Eiweiß)    89.  92.   104. 

108.  266.  284.  304. 

—  Hydrolyse  7.    107. 

molekül,  Abspaltung  zyklischer 

Komplexe  daraus  72.  527. 
spadtung,    hydolytische   ^2. 

—  kalklösende,  Abbau  derselben  266. 

40 


626 


Sachregister. 


Proteinsubstanzen    211.     245.    302. 

375- 

—  Abbau  durch  Oxydation  22. 

—  hydrolyt.  Spaltung  22. 

—  Säurehydrolyse  4. 
Protokatechualdehyd  66. 
Protone  91. 
Protoplasma  130. 
Protozoen  134. 
Protrusio  bulbi  457. 
Pseudoglobulin  241.  242.  244. 
Pseudopepton  96. 

Psychische  Erregungen,  Einfluß  a.  d. 

Funktion  d.  Nebenniere  412. 
Ptomaine  ^6.  37.  39.   152. 
Pubertätsentwicklung  506. 
Pupillenreaktion,  Lowische  478. 
Purinbasen  59.   112.   114.   115.   116. 

122.   123.   129.   159.  552. 

—  -körper  149.   150.   151.   159. 

—  -Stoffwechsel  113. 

Purpur,    Farbstoff  des  antiken   75. 

—  -farbstoff,     ein    Bromderivat   d. 
Indigo  76. 

konstitution  y6. 

Putreszin  (Tetramethylendiamin)  34, 

Putridin  ^6. 

Putrin  36. 

Pyrimidine,  Synthese  115. 

Pyrimidinbasen  112.   113.   115.   122. 

Pyrimidinkern,  Derivate  des  113. 

Pyridin  525.  527. 

karbonsäure  (Nikotinsäure)  38. 

kern  im  EiweiOmoleküL  71. 

reihe  38. 

ring  71. 

Pyrophosphorsäure  271.  278. 
Pyrrindol  221. 
Pyrrol  45.  525.  538. 

—  Komplexe  davon  45. 
Pyrrolidinkarbonsäure    36.    56.    57. 

225. 
Pyrrolidonkarbonsäure  57.  58. 


Quellung  143. 

—  V.  Wasserleichen  256. 

—  erscheinungen  140.   145. 

—  hypothese  144. 

—  starre   142.  • 
Vorgänge,  Bedeutung  v.   163. 


Radium  557- 

—  Einwirkung    auf    bösartige    Ge- 
schwülste 558. 

—  Schrumpfung  v.  Karzinommassen 
durch  557. 

Wirkung  568. 

—  -Wirkung  auf  d.  Autolyse  557. 
Rachitis   263.    264.    272.    273.    274. 

275.  276.  278.   280. 

—  Kalkaufnahmsvermögen  des 
Darmes  dabei  273. 

—  Kalkgehalt    d.    Knochen    dabei 

273- 

—  Pathogenese  der  274. 

—  Phosphortherapie  d.  280. 

—  u.   Osteomalacie   272.    273.   274. 

—  Therapie  der  272. 
Razemisieren    eiweißart.    Substanz. 

d.  Alkali  10. 
Reaktion  v.  Adamkiewicz  63. 
Reduktion    d.    Bilirubins    zu    Uro- 

bilinogen  im  Darme  235. 

—  u.  Desamidierung  32. 
Reiskleie,  Schutzstoff  gegen  Beriberi 

281. 
'  Reize,  chronische  bei  Entstehung  d. 
I        Geschwülste  570. 

Resorption,    selektive,    im    Bereich 
des  Nieren markes  388. 

Respiratorische  Farbstoffe  224.  225. 

Rhizocholsäure  314.  315. 

Rhodannatrium  137.   144.   161. 

Rhythmik  muskulärer  Organe  342. 

d-Ribose  118. 

d-Ribosephosphorsäure  123. 

Rohty rosin,  Fällung  d.  Mutterlaugen 
m.   Phosphorwolframsäure   12. 

Röhrenwurm,  Onuphitubicola  516. 

Röntgenbestrahlung     d.     Basedow- 
kropfes 459. 

—  Einfluß   auf   die   Geweihbildung 
bei  Rehböcken  339. 

Röntgenstrahlen  557. 
Rückresorption  in  d.  Harnkanälchen 
gehemmte  390. 

—  von  Wasser  389.  390. 

—  von   Wasser   in   den    Kanälchen 
der  Marksubstanz  385. 

—  V.  Wasser  in  d.  Sammelröhren  d. 
Marksubstanz  388. 

Ruhegas  Wechsel  450. 


Sachregister. 


627 


Saccharose  156. 

Safrol  66. 

Sagomilz  284. 

Sahidin  177. 

Salizylsaures  Natrium  137.   144. 

Salmin  89.  90.  92.  95. 

Salpetrige  Säure  27.  30. 

Einw.    auf    aliphat.    Amino- 

gruppen  18. 
Salzdiurese  389.  390. 
Salzfällungsmethode  80. 
Salzgleichgewicht,  Verschiebung  des 

402. 
Salzplasmen  204. 
Salzsäure,  eisenchloridhaltige  65.  66. 

—  Fehlen  freier  im  Magensafte  551. 

—  kupfersulfathaltige  66. 
Samenbildung,  Chemie  der  339. 
Samenflüssigkeit  343. 
Samenreife  92. 

Saprin  38. 
Sarkommelanin  524. 
Sarkom- Virus,   filtrierbares   578. 
Sarkoplasma   130.    164.    165.    166. 
Sauerstoffmangel  382. 
Säureamidstickstoff  27.  28. 
Säureazide  loi. 
Säurebildung  141.   143.   165. 

—  i.  d.  Geweben,  Beziehung  zu  d. 
Genese  d.   Ödeme  255. 

— '  postmortale  in  den  Geweben  423. 
Säureentwicklung  in  denFibrillen  165. 

—  -hydrazide  loi. 
hydrolyse  84. 

postmortal    im   Muskel  .auftre- 
tende   136.    140.    141.    146.    256. 
Produktion    b.    d.   Befruchtung 

348. 
Säuren   d.    Linol-    u.    Linolensäure- 

reihe   168. 
Schi.ddrüse  437. 

—  Abhängigkeit  v.  Jod  u.  kolloida- 
ler Substanz  444. 

—  Ausfallserscheinung:    Glukose, 
verlangsamte  Resorption  439. 

nach  Ausschaltung  453. 

—  Beziehungen  z.  Zirkulationsappa- 
rat 443. 

—  Chirurg.  Reduktion  der  458. 

—  u.   Epithelkörperchen,     funktio- 
neller Zusammenhang  474. 


Schilddrüse,  geeignete  Gewebe  zur 
Implantation  441. 

—  Hypertrophie  nach  Exstirpation 
der  Epithelkörperchen  475. 

—  Immunisierung  m.  d.  Nukleo- 
proteid  460. 

—  ist  Jodthyreoglobulin  das  nor- 
male innere  Sekret  der.?  463. 

—  Jodgehalt  der  461. 

—  Kolloid  darin  444. 

—  kolloidale  Entartung  507. 

—  melanoidinartigesKondensasions- 
produkt  a.  d.  Jodeiweiß  d.  445. 

—  Minderfunktion  487. 

—  neutralisierende  Wirkung  im  Stoff- 
wechsel 466. 

—  parenchymatische  Vergrößerun- 
gen 453. 

—  Transplantation  440. 

—  Überfunktion  455.  458.  461. 

—  Unterfunktion  461. 

—  Vergrößerung  487. 

—  Verpflanzung  v.  Teilen  von 
Mensch  zu  Mensch  441. 

Schilddrüsenausfall,  Stoffwechsel- 
störung dabei  438. 

—  -darreichung  an  Kretins  440. 

exstirpation  437.  462.  475. 

vermindertes  Eiweiß  darnach 

439- 
extrakte  185. 

Wirkung  auf  den  Zirkulations- 
apparat 443. 
funktion,    Ausfallerscheinungen 

437. 
Folgen  mangelnder  438. 

fütterung,  Wirkung  auf  die  Aus- 
fallserscheinungen 439. 

gewebe,  Implantation  474. 

jodfreie,  Wirksamkeit  465. 

keime,  embryonale  467. 

literatur,  Trugschlüsse  darin  463. 

nerven  (Nervi  laryngei)  447. 

Präparate  279. 

Heilerfolge  damit  474. 

Stoffe,  im  Blute  kreisende,  Sensi- 
bilisierung sympathischer  Ner- 
venendigungen dadurch  457. 

Übergang  ins  Blut  465. 

Substanz,  intravenöse  Injektion 

V.  Extrakten  daraus  447. 


40^ 


628 


Sachregister. 


Schilddrüsentabletten  474. 
zufuhr,  Einfluß   auf  den  Stoff- 
wechsel 449. 

Entfettungskuren  damit  450. 

Schimmelpilz  (Penicillium  glaucum) 

Anw.    z.    Spaltung    razemischer 

Aminosäuren   15. 
Schlackenstauung  401. 
Schlangengift  204. 
Schrumpf niere  398. 
Schwämme,  marine  72. 
Schwangerschaftshypertrophie     358. 
Schwarzbrot,  Dunkelfärbung  539. 
Schwefel,  kein  wesentl.  Bestandteil 

d.  Melanine  524. 
Schwefelkohlenstoff,     Addition     an 

Aminosäuren  17. 
Schwefelsäure  53.  63.  74.   iii. 
Schwermetalle,  Fällungen  damit  S$. 

90. 
Schutzkolloide  304. 
Scombrin  89.  90. 
Scymnole  308. 
Sebacinsäure  13. 
Seidenfibroin  7.  92.   105.   107. 
Seidenpepton  554. 
Seeigeleier  durch   Spermatozoon   v. 

Seestemen  befruchtet  346. 

—  in  kalkarmem  Seewasser  259. 
Sekrete    der    akzessorischen    Ge- 
schlechtsdrüsen 341. 

Sekretin  287.  288.  289. 
Sekretion,  echte  d.  Harnes  380. 

—  innere  333.  336. 

d.  weibl.  Keimdrüsen  353. 

Sekundäre    Geschlechtscharaktere 

334- 
Selbstverdauung  in  Geweben  553. 

Sensibilisator,  photobiologischer  226. 

Sepsin  39. 

Serin  8.    18.  ^^.   102. 

—  1-  II. 

anhydrid  7. 

—  Synthese   14. 

Serologische     Reaktionen ,      andere 

Serodiagnostik  d.  Tumoren  564. 
Seromukoid  246. 
Serumalbumin  241.  242.  243. 

—  kristallisiertes  241.  242. 
Serumantitrypsin,  Wesen  d.   559. 


Serumeiweißkörper    240.    242.    243. 
244.  293.  304. 

—  Mengenverhältnis  243. 

—  Quantität.  Best.  243. 

—  Relation  der  einzelnen  243. 
Serumglobulin  241. 
Serumreaktionen  maligner  Tumoren 

564. 
Serum    thyreoidektomierter   Hunde 

442. 
Sexualapparat,  Alterationen  des  476. 
Sexualcharaktere,  männliche  353. 
Sexualorgane,  männliche  ^^2- 

Sekretion  ders.  ^33' 

Siliciumverbindung,  organische  522. 

Silurin  89. 

Skatol  ^y.  40.  61.  62.  67.   527. 

essigsaure  61. 

karbonsäure  61.  68. 

rot  6y.  68. 

Skatoxylgly ku  ronsäure  68 . 

—  -Schwefelsäure  68. 
Skelettmuskeln,   quergestreifte  426. 
Sonnenlicht,  Einwirkung  18. 
Spaltungsprodukte,  im  Harne  auftre- 
tende jodierter  Eiweißkörper  74. 

Spektralanalyse  20. 
Spektrophotometer  62. 
Spektrophotometrische    Urobilinbe- 

stimmung  232. 
Sperma,  Zusammensetzung  340. 
Spermakonien  343. 
Spermasen  347. 
Spermatozoen    339.    340.    342.    344. 

345. 

—  Chemie  der  340. 

—  von  Famen  344. 

—  V.  Fischen  89.  90. 

—  -bewegungen,    Einfluß   d.  Ionen 

342. 

köpfe  109. 

Spermatoxine  346. 

Spermatoxische    Immunsera,     Wir- 
kung 346. 

Spermin  338. 

—  Pohl  338. 

Spezifizität  d.  Befruchtung  345.  346. 
Sphingol   178. 
Sphingosin   178.    180. 
Sphingogalaktoside   179. 
Sphingomyelin   177.   178.   179. 


Sachregister. 


629 


Sphingostearinsäure  178. 
»Spicula«  der  Kalkschwämme  263. 
Spirographis  Spalanzanii  5.16. 
Splenomegahscher  Icterus  498. 

—  hämoütyscher  Icterus  498. 
SpoBgien  514. 

Spongin  514.  515. 
Stalagmometer  566. 
Status  thymolymphaticus  456.  507. 
Stauung  d.  Dünndarminhaltes  64. 

—  der  Galle,  Bedeutung  f.  d.  Vor- 
gänge der  Steinbildung  303. 

Stauungsicterus  298. 

—  mechanischer  300. 
Stärkekleister,  Injektion  v.  206. 
Stearinsäure   168.  172.  176.  179.  324. 
Steigerung    d.     Leistungsfähigkeit 

durch  ehem.  Agentien   160. 
Steinbildung-  305. 
Sterine,  andere  330. 

—  niederer  Tiere  u.  Pflanzen.  330. 
Stickstoff,    quantitative    Aufteilung 

31- 
bilanz,  Verschlechterung  449. 

Stoff austausch   zwischen   Mutter  u. 

Fötus  365. 

Stoffwechsel  371. 

—  Alterationen  d.,  nach  Leber- 
schädigungen 297. 

—  intermediärer  46.   53.  64. 

—  bei  Leberalterationen  297. 

—  nach  der  Kastration  339. 

Veränderungen  in  der  Schwanger- 
schaft u.  im  Puerperium  371. 

Streptokokken,  Zersetzung  damit  ^7. 

Strom,  elektrischer,  Einwirkung  18. 

Stroma  ovarii,  Zellen  den  Leydig- 
schen  analoge  356. 

Strontium  264. 

Struma  455. 

Sturin  89. 

Stützgewebe,  Pathologische  Verände- 
rungen d.  Aschenzusammen- 
setzung 263. 

Stützsubstanzen  261. 

Substanzen,  eiweißartige  180.  181. 

—  gerinnungsbefördernde  205. 

—  gerinnungshemmende  205. 

—  karzinonzerstörende  bzw.  erhal- 
tende 565. 

—  leimgebende  281. 


Substanzen,  schwefelhaltige  181. 

—  thromboplastische  198- 

—  zymoplastische  199. 
Sulfonal Vergiftung  226.  239. 
Suprarenin  371.  407.  408.  409.  410. 

411.    422.    424.    425.    530.    536. 
542.   547. 

—  d-  408. 

—  1-  408. 

—  ähnliche    Substanzen,    Synthese 

433- 

—  als  Analepticum  431. 

—  Angriffsort  d.  Wirkung  eine  »re- 
zeptive  Zwischensubstanz«  425. 

—  Anwendung    bei    Vergiftungen 

430- 

—  Arteriosklerose  nach  ihr  u.  Ana- 
logie zur  menschlichen  428. 

—  bei  Asthma  bronchiale  433. 

—  Beeinflussung  d.  Stoffwechsel- 
vorgänge 427. 

—  Bedeutung  bei  dauernder  Blut- 
drucksteigerung, Nephritis,  Herz- 
hypertrophie 421. 

—  zur  Bekämpfung  schwerer  Herz- 
u.  Gefäßkollapszustände  431. 

—  Bildung  im  Organismus  408. 

—  Blutdruckbildung  von  injizier- 
tem 411.  447. 

—  blutdrucksteigernde  Wirkung  411. 

—  Blutgefäßerkrankungen  nach  In- 
jektionen 428. 

—  bei  Diphtherie  432. 

gehaltverminderung  i.  d.  Neben- 
nieren nach  Muskelarbeit,  Nar- 
kose 413. 

glukosurie  414. 

Hemmung  durch  intraperi- 
toneale Injektionen  von  Pan- 
kreasgewebe  383. 

—  glukosurische  Wirkung  427. 

—  Gewöhnung  d.  Organismus  an 
wiederholte  Dosen  427, 

—  kolorimetr.    Bestimmungsverf. 

409. 

—  Konstitution  407. 

—  Jodeinwirkung  410. 
'* —  -mydriasis  448.  457. 

mydriasis  bei  peritonealer  Rei- 
zung 426. 

—  bei  Peritonitis  431.  432. 


630 


Sachregister. 


Suprareninnachweis  m.  physiol.  Me- 
thoden 410.  411. 

—  physiologische  Wirksamkeit  424. 
therapie,  pharmakolog.    Grund- 
lagen 433. 

—  ein   »Potential gif t «  422. 

—  quantitative    Bestimmung     und 
Nachweis  409. 

—  Spaltung  des  razemischen  408. 

—  Schädigung  der  Gefäße  mechani- 
scher oder  toxischer  Natur  429. 

—  Sekretionssteigerung  427. 

Sekretion     bei     herabgesetztem 

Blutdruck  419. 

—  Synthese  408.  434. 

therapie  bei  Herzschwäche  Diph- 
theriekranker 432. 

—  therapeutische  Anwendung  430. 

—  übertritt  in  d.  fließende  Blut  411. 

—  Übertritt  in  den  Harn  424. 

—  Wirkung  auf  d.   Muskulatur  d. 
Iris  425.  426. 

—  Zerstörung  im   Organismus  422. 

423. 

—  Zerstörung  durch  Oxydation  423. 

—  Zusatz    e.     geringen    Menge    zu 
Kochsalzinfusionen  432. 

—  z.  Zwecke  der  Anämisierung  u. 
Anästhesierung  430. 

Sympathicus,    erhöhter    Erregungs- 
zustand 457. 

—  Übererregung  468. 
Sympathische  Nervenfasern  425. 
Sympathisches  u.  kraniosacrales  Sy- 
stem,   Reizerscheinungen  457. 

Synthese  v.  Dipeptiden  99. 

—  eiweißartiger  Substanzen,  Altere 
Versuche  zur  96. 

—  der  Pyrimidine  115. 

Systeme  in  Eiweißkörpern,  halogen- 
bindende 71. 

—  kolloidale,     elektrische     Ladung 
dess.  202. 

Tachykardie  448.  451.  455. 
Tannin  S^. 

Taurin  153.  306.  311. 
Taurocholsäure  307. 
Tegumentfarbstoffe,  dunkle  523. 

gebilde,    vergleichende    Chemie 

der  514. 


Tegumentsubstanzen  514. 

d.  Cölenteraten  515. 

Terpen  328. 
Tetanie  468. 

—  Ätiologie  d.  506. 

—  begünstigende  u.  hemmende  Fak- 
toren 471. 

—  Beziehungen  z.  Kalkstoffwechsel 

477- 

—  erregende  Faktoren  472. 

—  experimentelle,  u.  Ausfall  d. 
Funktion  d.  Epithelkörperchen, 
Zusammenhang  zwischen  467. 

formen,  andere  475. 

gift  469. 

—  u.  Ammoniak  Vergiftung  470. 

—  nach  Parathyreoidektomie,  Ver- 
giftung mit  Ammoniumsalzen  u. 
Fleischintoxikation  b.  Tieren  m. 
Eckscher  Fistel,  Ähnlichkeit  zwi- 
schen 470. 

—  Verhalten   von   Hundeblut   469. 
Tetanus  159.   160. 

—  antitoxin  244. 

—  -toxin  39. 
Tetrakarbonsäure    aus     Cholesterin 

329. 
methylendiamin  (Putrescin)  34. 

oxyaminokapronsäure  282. 

peptid  82.  87.   107.   108. 

phosphorsäure  121. 

Thermische    Einflüsse,    Einwirkung 

auf  Tumoren  569. 
Thermodynamik  165. 
Thioalbumose  79. 
Thioharnstoff  115.   116. 
Thiouracil  116. 
Thrombin  195.  201. 
Thrombogen  (Plasmozym)  195.  196. 

201. 
Thrombokinase  (Cytozym)  195.  196. 

197.   198.   199.  207.  208. 
abgäbe  der  Gefäßwände  208. 

—  Präparate  von  200. 

—  u.  zy  moplas  tische  Substanzen  1 98 . 
Thrombozym  201. 

Thymin  114.   116.   119.   120. 
Thyminsäure  123. 
Thymus  279.  280.  337. 
ausschaltung,  Wachstumsstörun- 
gen nach  505. 


Sachregister. 


631 


Thymus,  Beziehung  z.  Nervensystem 

505. 

z.  d.  Keimdrüsen  506. 

exstirpation  504. 

exstirpation,    Adiposität     nach 

504. 
Beeinflussung  d.  Keimdrüsen 

dadurch  506. 
Kachexie  u.  Idiotie  darnach 

504. 

—  Entwicklungsgeschichtliche  Stel- 
lung 502. 

—  Epithelkörperchen,  akzessorische 

—  S06. 

-extrakte,  Injektion  504. 

Wirkung  504. 

implantation  505.  508. 

—  Involution  503. 

—  LabiUtät  der  503. 

—  langdauernde     Persistenz     nach 
Kastration  506. 

—  -nukleinsäure  11  o.  117.  119.  120. 
123.   126.   127.   128. 

—  Nukleoproteide  d.  503. 

—  Physiologie  d.  503. 

—  und    Schilddrüse,     Beziehungen 
507. 

—  Wachstumstendenz    kann  Rege- 
neration bewirken  503. 

Typhus  64. 

agglutinin  244. 

Tyrosin  5.  8.  11.  20.  24.  33.  34.  35. 

45.  46.  47.  49.  51.  52.  53.  54.  73. 

75.  79.  80.  81.  85.  97.  103.  105. 

107.    302.    409.    445.    515.    527. 

528.   530.   536.   537. 

—  Fütterung  mit  46. 

—  Übergang  in  Homogentisinsäure 
49.  54. 

Tyrosinasen  418. 

—  i.     Darminhalt     d.     Mehlwurms 
(Tenebrio  moütor)  528. 

—  Einwirkung  auf  zyklische  Chro- 
mogene  529. 

—  Fermentkinetik  534. 

—  Gewinnung  pflanzücher  534. 

—  Nachweis  in  melanotischen  Tu- 
moren 530. 

—  Nachweis  in  pigmentierten  Tegu- 
menten  530. 

—  pflanzliche  527.  528. 


Tyrosinasen  i.  d.  Tintendrüse  d.  Ce- 
phalopoden  529. 

—  Wirkungsweise  535. 
Thyreoidea  279. 

Thyreoidektomie,  atheromatöse  Ver- 
änderungen a.  d.  Aorta  438. 

Thyreoidismus  bzw.   Morbus   Base- 

dowii  453. 
Thyreoidin  454. 
Thyreoglobulin  440. 
Thyreoglobulin,  jodfreies  444. 
Thyreojodin  454. 
Thyreoprive  Ziegen  440. 
Tierpassage  573. 
Tintenfische  529. 

—  -Sekret  d.  Cephalopoden  529. 
bei    d.    Cephalopoden,    Pro- 
duktion 532. 

Toleranzgrenze  f.  Zucker  483. 
Toluchinol  52. 

Tonussteigerung  u.  -hemmung  425. 
Totenstarre  135.  136.  137.  139.  140. 

142.    143.    144.    145.    146.    165. 

166.  256. 

—  Losung  der  143.   145. 

—  als  Entquellungs Vorgang  141. 
Toxische  Beeinflussung  der  Gefäße 

429. 
Toxizität  der  Eiweißfäulnisprodukte 

38. 

Transsudat  u.  Exsudatbildung,  Hem- 
mung durch  Kalksalze  258. 

Tragdauer,  experimentell  erzeugte 
Verlängerung  ders.  372. 

Transplantation  d.  Ovarien  354. 

—  bösartiger  Geschwülste  572. 

—  V.  Neoplasmen  v.  Menschen  auf 
Tiere  572. 

—  V.  Neoplasmen  von  Tier  zu  Tier. 

573- 

—  V.  Tumoren  v.  Tier  zu  Tier  573. 

Transsudate  244. 
Traubenzucker  60. 
Trennungsmethoden,  quantitative  1 9. 
Trepang  516. 

Triaminodiphosphatid  177. 
Triaminomonophosphatid  172. 
Trichlorpurin  113. 
Triglycylglycin  87. 
Triindylmethan  68. 

—  -farbstoffe  68. 


632 


Sachregister. 


Trimethylarnin  37. 

oxyd  152. 

Trinkwasserharte  u.  Entartung  276. 
Tripeptid  100.   107. 
Triticonukleinsäure  114.   120. 
Trübe  Schwellung  256. 
Trypsin  94.  95.  104.  105.  515.  559. 

561. 

Kaseinpepton  85. 

Tryptophan   5.    11.   32.    33.    17.  45. 

49.  60.   61.   62.   64.   70.   80.   81. 

103.    107.    225.    409.    527.    536. 

537-  538. 

—  Halogenderivate  75. 

komplexe    des    Eiweißmoleküls 

538- 
bakterielle  Zersetzung  63.  64. 

—  u.  Kynurensäure,  Zusammen- 
setzung zw.  70. 

—  d-1-,  Synthese  des  61. 

—  Übergang  in  Indoxyl  64. 
Tubuli,  Diarrhöe  in  dens.  390. 

—  sekretorische  Tätigkeit  der  384. 

385. 
Tumor  —  Kultur  in  vitro  576. 

—  u.  Melanine  537. 

Tumoren,  Erzeugung  durch  Injek- 
tion gefärbter  Fette  570. 

—  Bösartige,  irritative  Erzeugung 
570. 

—  -fragmente,  Wachstum  in  nor- 
malem u.  sarkomatösem  Plasma 

577. 

—  melanotische,  Pigmente  der  523. 

—  Wachstum,  Beeinflussung  durch 
äußere  Faktoren  569. 

d.  ehem.  u.  physik.  Fak- 
toren 568. 

Einwirkung  äußerer  Agentien 

568. 

—  Zellen,  embryonaler  Charakter  d. 
540. 

Tunicatenzellulose  521. 

Überernährung  mit  kalkfreier  Nah- 
rung 274. 

Ultramikroskopische    Fetteilchen, 
Übertritt  in  das  fötale  Blut  367. 

Ultraspektren  21. 

Ultraspektroskopie  20. 

Ultraviolett  20. 


Umhüllungserscheinungen  170.  305. 

340. 

Umklammerungsreflex  334.  335. 

Ungerinnbarkeit  d.  Menstrualblutes 
205. 

Uracil  114.    115.   116.   120.   121. 
;  Urämie    373.    399.    400,    401.    402. 
I        420. 

Uramidosäuren  16. 
'  Uran  Vergiftung  253. 

Uranylacetat  83. 

Urobilin  210.  218.  231.  232.  233.  234. 

235.  236.  237.  238.  239. 

ausscheidung  546. 

im  Harn  236. 

j  —  quantitat.   Bestimmung  232. 

—  -bestimmung    spektro- photome- 
trische 232. 

—  enterogener     Entstehungsmodus 

238. 

—  hämatogene  Entstehung  238. 

—  Kreislauf  d.  237.  239. 

—  Rückwandlung  in  Bilirubin  237. 

—  Verhalten  d.  reinen  233. 
Urobilinurie  238.  239. 

—  hepatogene  238. 
UrobiUnogen    231.    233.    234.    235. 

236.  237.  238.  239. 

—  quantitative,     Bestimmung    des 

234. 
Urobilinoide  231. 
Uroerythrin  68. 
Uroleucinsäure  52. 
Urorosein  67.  68.  69. 

reaktion,  Wesen  der  69. 

Uro  toxischer  Koeffizient  7,7  y 
Urticariaformen  258. 

—  Serumtherapie  der  260. 
Uterus  430. 

—  Ausbildung    mangelhafte,     nach 
vollzogener  Kastration  353. 

—  Beobachtungen  am  überlebenden 

370. 

—  Chemische    Untersuchung    dess. 

369- 

kontraktionen  durch  Mutterkorn- 
präparate 371. 

kontraktionen  durch  Suprarenin 

Präparate,    Prüfung    am    über- 
lebenden Uterus  410. 


Sachregister. 


633 


Uterus,  Rückgang  dess.  im  Wochen- 
bett auf  autolytischen  Prozessen 
beruhend  370. 

Schleimhaut,  positiv  chemotak- 
tische Wirkung  345. 

—  -nerven  sympathische  490. 

—  Untersuchung  am  lebenden  371. 

Vaguszentrum,   Reizung  des  425. 
Vakuumdestillation  5. 
Valeriansaure  10. 

—  normale  12. 

Valin  (d.  Aminovaleriansäure)  10.  11. 
36.  81.  S6.   103.   105. 

Vanillin  66. 

Vasodilatin  187.  360. 

Veitsche  Lehre  374. 

Velella  spirans  517. 

Veratrin  137. 

Verbreitung  d.  einzelnen  Muskel- 
eiweißkörpers 132. 

Verdauung,  peptische  yy.  80. 

—  tryp tische  yy,  81. 
Verfettungsvorgang  541. 
Vergiftung    d.     Organismus,     chro- 
nische 43. 

Verkalkungsherde  im  Herzen  267. 

—  metastatische  267. 

—  Vorgang  i.  d.  Geweben  265. 
Verkettung  v.  Aminosäuren  n.  Cur- 

tius  loi. 
Verkupferungsverfahren  iio. 
Verkürzung,  stufenweise  d.  Muskels 

d.  Wäxme  133. 
Vernin  124. 
Vesalthin  172. 
Vesikulase  341. 
Versprengung   embryonaler   Keime, 

Grundlage  für  Geschwulstbildung 

571. 

Vinyl-  u.  Alkoholgruppe  324. 

Vitaler  Zerfall  maligner  Neubildun- 
gen 557. 

Vitelline   171. 

Vitiatin   149. 

Viridinin  ^S. 

Wachstum,  infiltratives  553. 

—  -bedingungen,  komplexe  574. 

—  -reiz,  in  Tumorzellen  lokalisierter 

574- 


Wachstumsstörungen  484. 
Waldensche  Umkehrung  102. 
Wanderung  der  Hydroxyle  51. 
Wasseraufnahme  in  Muskeln  147. 

Verschiebung   141.    142.    164. 

Verteilung    140.    160.    163.  165. 

Wärmestarre  133.   144.   162. 
Weiße  Materie   173,    177.    178.    179. 
Wellenbewegung  der  Lebensprozesse 

d.  Weibes  363. 
Wirbeltierknochen  262. 
Wirksame  Substanz  d.   Schilddrüse 

440.  443. 
WoUfett  325. 
Wüstenwaran  134. 


Xanthin  112.   113.   149.  500. 
Xanthom  325.  332. 
Xanthomelanie  527. 
Xanthoproteinreaktion  79. 
Xyliton  526. 
Xylose  118. 
—  1-  118. 


Yohimbin,  Einfluß  auf  die  Brust- 
drüsen 361. 

Zähne,  prähistorische  264. 

Zein  6. 

Zelleib  109. 

Zellendeportation  374. 

Zellen    mit    amöboidem    Charakter 

577- 
Zellkern   109. 

Zellobiosc,  achtfach  acetylierte  521. 

Zelle,  physiolog.  Abgrenzung  der 
167. 

Zellenreaktion,  Freund-Kaminersche 
564. 

Zellulose,  tierische  261. 

Zimtaldehyd  66. 

Zinksulfat,  Trennungsverfahren  da- 
mit yS. 

Zirbeldrüse  (Glandula  pinealis)  493. 

—  Exstirpationsversuche  494. 

Zir  beigeschwulst,  körperliche  und 
geistige  Frühreife  dabei  494. 

Zucker  u.  Alkohol,  Zufuhr  größerer 
Mengen  161. 


634 


Sachregister, 


Zuckerausscheidung  389. 

—  u.    Hefe,   Vergähren   v.   Amino- 
säuren damit  15. 

Zuckerkandisches  Organ  406. 
Zuckerstich  414. 

—  -verbrauch  durch  arbeit  ende  Mus- 
kel 155. 


Zufuhr  kleinster  Phenolmengen 
S6. 

Zusammenhang  zwischen  respira- 
torischen Pigmenten  des  Tier- 
reiches u.  assimilatorischen  Farb- 
stoffen d.  Pflanzenreichs  224. 

Zyankalivergiftung  43 1 . 


Druck  von  Breitkopf  &  Härtel,  Leipzig. 


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