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LeijensMIder
hervorragender sehlesiseher Aerzte
aus den letzten vier Jahrhunderten.
Von
Dr. J. Graetzer
Königl, Geheimer Sanitätsrath und dirigirender Hospitalarzt.
Breslau
Druck und Verlag von S. Schottlaender
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im
Herrn
Geheimen Regierungsrath
Professor Dr. Ferdinand Cohn
in Verehrung und Freundschaft
gewidmet.
Inhalt.
Vorwort.
Literarische Anfänge der Geschichte der Medicin in Schlesien I
Johann Crato von Krafftheim 5
Johann Moibanus 20
Matthias Auctus 22
Joachim Curaeus 23
Laurentius Scholz 26
Caspar Schwenckfeld 29
Johann Jessenins von Jessen (auch Jessensky) 46
Daniel Sennert 51
JPliilipp Jacob Sachs von Loeweüheim oder Loewenheimb 60
•^Matthäus Gottfried Purmann ' 62
Johann Christian Kundmann 65
Joh. Sigmund Hahn , 72
Dr. Balthasar Ludwig Tralles 82
Michael Morgenbesser 86
Anton Krocker 89
^fElias Henschel. 92
Georg Philipp Mogalla 97
Johann Wendt 99
ugust Wilhelm Eduard Henschel ■. ... 103
Heinrich Robert Göppert 107
Carl Wilhelm Klose 114
Heinrich Neumann 119
Victor Julius Nega 122
^^feudwif Traube 125
^^ludolf Leubuscher . I34
Hugo Rühle 138
Albrecht Theodor Middeldorpf I44
Johann Lange 153
Adam Christian Thebesius I57
^i«^briel Gustav Valentin 162
~skar Berger i66a
Rückblick , 167
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4
Ausübende Aerzte Schlesiens, welche in unserer Zeit schriftstellerisch hervorgetreten sind. 172
I. Höhere Medicinalbeamte : Friedrich Gotth. Friese, Gottl. Siegfr. Dietrich, Karl
Ign. Lorinser, Karl W. Ferd. Schlegel, Joh. Wenzel Hancke, Ernst L. Heinr.
Lebenheim, Hermami Friedberg, Marc^^^aj^li 1°^- Ferd. Rosenthal ^ . . . .173
II. Chirurgen; Anton Hanuschke, H. Bruno Schindler, Joh. Karl t!hrist. Kuh . 180
in. Privatdocenten : S;_,.§^Guttentag^. J. H. Burchard, F. Gunsburg. 182
IV. Badeärzte: Karl Friedr. Hemprich," August Zemplin, C. W. Jul. Kirschner . 185
V. Praktische Privatärzte:- Heinr. Freund. Sam._Mor. Pappenheim, Is. Rascjilj^',
Dav^ Aug. Rosenthal, Ludw. Lilienhain, Jul. Bürkner, Herrn. JWollheim . . 187
Das KrankenhospitaT^zu Allerheiligen (kurze geschichtliche Uebersicht) 193
Die Gründung der k. Leop. Carol. Akademie der Naturforscher und Schlesien (nebst
einem Verzeichniss der schlesischen Mitglieder der Akademie) 203
Verzeichniss der Rectoren der Universität Breslau, sowie der Decane und Professoren
der medicinischen Facultät von ihrem Stiftungsjahre 1811/12 ab bis 1888/89 217
S^
A.-
Druckfehler-Verzeichniss.
Seite I 4. Zeile von unten, statt 26 muss es heissen 31.
,, 50 3. „ von oben statt 1621 „ „ „ 1620.
„ 61 in der Anmerkung „ S. 7 5 5 „ „ „ 1755.
„ 64 II. Zeile von oben statt schreibt .er muss es heissen sehr. Purmann.
„ 65 14. ,, ,, „ gehört „Wachtmeister-Lieutnant" zusammen.
„ 89 4. ,, von unten statt academicum muss es heissen anatomicum.
,. 109 Die Note auf dieser Seite gehört zu Zeile 4 von unten.
„ 149 2. Zeile V. u. statt Scheideschlinge muss es heissen Schneideschlinge.
„ 168 4. „ von oben statt XVIII. Säculum muss es heissen XIX.
„ 184 19- » „ » i855> 58 „ „ ,. 1845, 48.
„ 187 12. „ „ „ hinter Aerzten einzufügen: gehört.
„ 190 II. „ ,, „ statt Sängerin soU es heissen: Sagen.
„ 192 18. „ ,, ,, „ Dyhernfurt ,, „ „ Dyhrenfurth.
„ 202 8. „ V. o. statt Barbarakaserne soll es heissenBarbarakasematte.
Vorwort.
Als ich im Hochsommer 1887 in Salzbrunn weilte, be-
suchte mich der zufällig dort einige Zeit anwesende Professor
Dr. Guttstatt, Decernent im königlichen statistischen Bureau für
Medicinal- Angelegenheiten zu Berlin, und redete mir zu, eine
Geschichte der Aerzte Breslaus zu schreiben, wie dies in den
folgenden Blättern geschehen ist. Er ist somit der intellectuelle
Urheber dieses Werkchens, und es liegt mir ob, ihm für seine
Anregung meinen besten Dank auszusprechen.
Doch auch Andere verdienen einen solchen in vollstem
Maasse, so Herr Professor Dr. Markgraf, unser Stadtarchivar,
und Herr Bibliothekar Frenzel, welche mir in bereitwilligster
Art das nöthige Material aus unserer, so reiche Schätze ent-
haltenden städtischen Bibliothek zukommen Hessen.
Auf Veranlassung des derzeitigen Universitäts-Prorectors,
Herr Geheim -Rath Professor Dr. Fritsch, leistete mir auch Herr
Universitäts-Secretär .Nadbyl seinen Beistand, indem er mir in
liebenswürdigster Weise seine Universitäts- Jubelschrift vom
Jahre 1861 offerirte, auch eine Fortsetzung derselben bis jetzt
fertigen Hess, wodurch mir die nöthige Auskunft über das be-
treffende auch gegenwärtige Universitäts -Personal zu Theil
wurde. Hierfür erkläre ich mich ihm besonders dankbar.
Nicht minder danke ich den Herren Professoren Dr. Neisser
und Dr. H. Magnus, Sanitätsrath Dr. S. Meyer, Hospital -Arzt
Dr. O. Janicke, Privatdocent Dr. Partsch, Dr. Asch, Medicinalrath
Professor Dr. Wernicke hierselbst, dem Herrn Stadtrath Caspari,
Geheimen Sanitätsrath Dr. v. Scholz und Kreisphysikus Sani-
täts-Rath Dr. Klamroth, Gymnasial - Oberlehrer Professor Dr.
Schmidt in Schweidnitz und besonders dem Herrn Präsidenten
der Academia Leopoldina Carolina, Geheim - Rath Professor
Dr. Knoblauch in Halle für die freundlichen Mittheilungen,
Nachweisungen, Fingerzeige und Literatur -Angaben, die mich
und hoffentlich auch meine Leser zu Dank verpflichten.
Ich war der Anregung, dieses Werk zu schreiben, um so
lieber nachgekommen, als mein Alter zum Rückblick auf ver-
gangene Tage einladet, als ein öojähriger Aufenthalt in Breslau
und Schlesien mich viele von den nun schon heimgegangenen
grossen Aerzten kennen lehrte, und persönliche Erinnerungen
und Beziehungen mich vielfach unterstützten.
Man wird es nicht tadeln, dass ich bloss den Verstorbenen
einen Platz in dieser Geschichte eingeräumt habe. So würdig
auch mancher Lebende ist, ihnen angereiht zu werden, so schwer
wäre es, die dem Geschichtsschreiber nöthige Objectivität fest-
zuhalten. Und so lange der Mensch lebt, strebt und fortschreitet,
kann er nicht Gegenstand der geschichtlichen Würdigung sein,
die in erster Reihe die Summe des abgeschlossenen Daseins zu
ziehen und zu betrachten hat.
Möge das Buch den Freunden der Heimath Freude be-
reiten, den Jüngern unserer Wissenschaft Anregung zum Nach-
eifern ihrer grossen Vorgänger geben.
Breslau, im April 1889.
Der Verfasser.
Literarische Anfänge der Geschichte der
Medicin in Schlesien.
LJie Geschichte der Medicin in Schlesien aus ältester Zeit ist in
tiefes Dunkel gehüllt, und es wäre kaum gerechtfertigt von einer solchen
mit Bezug auf frühere Jahrhunderte überhaupt reden zu wollen. In
andern Landen waren die Medicin sowohl, wie die Naturwissen-
schaften im Allgemeinen schon längst bei einem gewissen Blüthe-
stadium angelangt, ehe in Schlesien noch die erste Spur wissen-
schaftlichen Geistes nach dieser Richtung hin sich kund gab.
Schlesien ist mindestens um ein Jahrhundert in seiner culturellen
EntWickelung im Verhältniss zu seinen westlichen und südlichen
Nachbarländern zurückgeblieben, fehlte ihm doch der von den Centren
aller Gelehrsamkeit, den Universitäten, ausgehende Impuls.
Die Bestrebungen, die Geheimnisse der Naturgesetze forschend
zu durchdringen und die Grundsätze für die das Leben bestimmen-
den Elemente ausfindig zu machen, wie sie, weithin ihr Licht ver-
breitend, seitens der verschiedenen Universitäten so schön zur Gel-
tung gelangten, sie waren für das Schlesierland längere Zeit ge-
wissermassen unerreichbar. Aber trotz alledem, und wir können
dies nicht hoch genug schätzen, zeigt die Geschichte Schlesiens
nicht ausschliesslich den nur praktischen Sinn der Bewohner. Die
weite Entfernung von den Brennpunkten wissenschaftlichen Lebens
war doch nicht Grund genug, den geistigen Kern des schlesischen
Volkes zu Schanden werden zu lassen. Die medicinische Wissen-
schaft fand auch später hier, wie die 26 Biographien beweisen, die wir
liefern, und welche 400 Jahre fast umfassen, eine Stätte eifriger
Pflege und Förderung, wenn zwar nur auf langsamem und sehr
allmählichem Wege.
Gewiss dürfen Männer wie Crato von Krafftheim, Sennert u. A.
das Recht für sich in Anspruch nehmen, sogar als medicinische
Capacitäten zu gelten; allerdings haben diese den grossten Theil
ihrer Bildung dem Auslande zu verdanken. Sie waren es aber
welche auf ihre Landsleute veredelnd einwirkten und sie zur Nach-
ahmung begeisterten. Die Saat, die so entstanden, sollte später unter
weit besseren Verhältnissen sich günstig entwickeln und zur Reife
gedeihen.
Soweit unsere historischen Kenntnisse reichen, lag die praktische
Ausübung der Heilkunde, deren hervorragende Vertreter schlesischer
Geburt wir in Biographien zu feiern gedenken, im Beginn unseres
Jahrtausends nicht in den Händen medicinisch wohlgeschulter Kräfte,
sondern in denen der Domherren, Mönche und Weltgeistlichen, die,
von jeher die einzigen Träger der Bildung, im Besitz einer eigenen
für alle Krankheiten angepassten Materia medica, ihre heilende und
zugleich tröstende Thätigkeit den Hilfesuchenden weit und breit an-
gedeihen Hessen. Die Klöster galten als der Mittelpunkt der medi-
cinischen Praxis; von hier aus holte man sich Rath, hier fand man
Medicamente in Hülle und Fülle. Es verging geraume Zeit, ehe man
auch ausserhalb der Klostermauern Medicin zu treiben sich anschickte,
ehe sich ein sogenannter Aerztestand herausbildete.
Erst im 13. und 14. Jahrhundert begannen sich Fortschritte in
dieser Beziehung bemerkbar zu machen, namentlich seit der Gründung
und Entwickelung der Universität Prag.*)
Ausserdem rief die zu wiederholten Malen auftretende Pest,
welche Schlesien förmlich verheerte, das Bedürfniss nach Aerzten
in höherem Grade wach, als es bisher der Fall war. Unter Kaiser
Carl IV., welcher für Aerzte und Apotheker**) eine auf sehr strengen
Grundsätzen fussende Medicinal-Ordnung in's Leben rief, bildeten
Aerzte und Apotheker, welch letztere gleichzeitig mit ersteren in
die Erscheinung traten, eine gesetzlich organisirte Berufsklasse. Die
praktischen Aerzte, als Avelche noch immer die Geistlichen fungirten,
führten den Namen der Ph)^sici. Es war natürlich, dass man nun-
mehr auch den ärztlichen Wirkungskreis durch Gründung von
Krankenhäusern, Leprosen, Badeanstalten und vielen anderen wohl-
thätigen Einrichtungen, die doch vornehmlich den Armen zu Gute
*) Der König von Böhmen war ja zugleich Herzog in Schlesien, daher erklärt es
sich, dass die Prager Universität bei ihrer so nahen geographischen Lage auf Schlesiens
wissenschaftliche Entwickelung einen grossen Einfluss übte.
**) Schlesiens erste Apotheke soll 1264 in Scbweidnitz errichtet worden sein. Wie
aus Urkunden zu erweisen, sind mit Bestimmtheit zu Anfang des 14. Jahrhunderts voll-
ständig eingerichtete Apotheken in Schlesien vorhanden gewesen. Vergl. Henschei
Schlesiens wissenschaftliclie Zustände im 14. Jahrhundert. Breslau, 1830. Seite 48.
kamen, zu erweitern trachtete, gewiss ein gewaltiger Fortschritt
dieses Jahrhunderts.
Die medicinische Wissenschaft an sich machte indess Aveniger
schnelle Fortschritte; sie bewegte sich lange Jahre hindurch in einem
f Menden, zu Irrthümern aller Art allzugeneigten Schematismus, für
den Aberglauben und religiöse Schwärmereien massgebender ge-
wesen zu sein scheinen, als gründliche Untersuchungen und Erfah-
rungen.
Aus dem 13. Jahrhundert besitzen wir schon ziemlich genaue
Xachrichten über die Namen der Aerzte und Apotheker, unvoll-
kommenere dagegen über die Leistungen der einzelnen. Ueber das
14. Jahrhundert sind wir weit besser unterrichtet.
Viele schlesische Aerzte dieser Zeit docirten an der Prager Uni-
versität und gelangten in dieser Eigenschaft zu sehr bedeutendem
Ansehen. Als der berühmteste unter ihnen gilt Johannes Gallici von
Breslau. In Breslau selbst oder in seiner unmittelbaren Nähe lebten
in der Zeit von 1360 — 1380 die Aerzte: Nie. Wendeler, Peter de
Brega, Joh. Grotkow und Joh. Koithenicz.
Sie sind nicht ganz ohne Bedeutung, da aus ihrer Mitte mehrere
brauchbare Pestordnungen hervorgegangen sind. Von schlesischen
Aerzten, d. h. solchen, die im Herzogthume practicirten, verdienen
genannt zu werden: Johannes Physicus, Canonicus Glogoviensis, ein
nicht gerade genialer, aber sehr gelehrter und erfahrener Arzt, so-
wie der Magister von Breslau, Bischof von Sarepta, sicherlich die
bedeutendste ärztliche Capacität des 14. Jahrhunderts, Grund genug
dass wir ihm an dieser Stelle einige Worte widmen. Ueber sein
Leben sind nur wenige Daten bekannt. Er erschien im Alter von
39 Jahren in Breslau, wo er dann für immer seine Wohnstätte auf
schlug, wurde 1352, ursprünglich Petrus physicus genannt, jetzt unter
dem Namen Thomas zum Bischof von Sarepta erhoben und wohnte
neben dem Vincenzkloster.
Kaiser Carl IV. verlieh ihm als Beweis seines ausserordent-
lichen Vertrauens mehrere weitgehende Privilegien.
Aus seiner Feder stammen zwei umfangreiche medicinische
Arbeiten; die grössere von diesen führt den Titel: ,,Michi competit",
die kleinere ist benannt: „Secundum alphabetum oder Collectorium."
Es sind dies Producte ungeheuren, wahrhaft bewunderungswür-
digen Fleisses und wohl geeignet, unsere Auffassung über den Stand-
punkt der damaligen Medicin um neue ausschlaggebende Momente
zu bereichern, wie sie bisher nirgends zu Tage getreten waren.
Die folgenden Jahrhunderte waren schon reich an ausgezeichneten
Aerzten; ihnen ist unsere ganze übrige Arbeit gewidmet.
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Chronologische Uebersieht der hier abzuhandelnden Aerzte.
Crato von Krafftheim, *i5i9, 11585 • • • • Geburtsort Breslau.
Johann Moibanus, *i527, 11562 „ Breslau.
Matthias Auctus, * ? 11543 „ Breslau.
Joachim Curäus, *i532, 11573 •>•> Freistadt.
Laurentius Scholz, * 155 2, 11599 » Breslau.
Kaspar Schwenckfeld, *i563, fiöog .... „ Glogau.
Johann Jessenius von Jessen, *i566, ti62i. „ Breslau.
Daniel Sennert, *i572, 11637 t Breslau.
*CiJPhilipp Jacob Sachs vonLöwenheim,* 162 7, 11672 ,, Breslau.
Matthäus Gottfried Purrmann, *i646, 1-1711 „ Lüben.
Johann Christian Kundmann, *i684, 11751 . „ Breslau.
Joh. Sigm. Hahn, *i696, ti773 57 Schweidnitz.
Balthasar Ludwig Tralles, *i7o8, 11797. . ,, Breslau..
Michael Morgenbesser, *i7i4, 11782 ... „ Breslau.
Anton Krocker, *i742, 11823 »5 Ober-Glogau.
y/Elias Henschel, ^1758, 11843 » Breslau.
Georg Philipp Mogalla, *i766, 11831 .. . ,, Oppeln,
Johann Wendt, *i777, 11845 >5 Tost in O/S.
^^. W. Henschel, *i79o, 11856 „ Breslau.
Heinrich Robert Göppert, *i8oo, -(-1884 . . ,, Sprottau.
Carl Wilhelm Klose, ^1803. 11865*). . • • ,? Wartenberg.
Heinrich Neumann, *i8i4, 11884 .... ,, Breslau.
Victor Julius Nega, * 18 16, -(-1857 „ Turawa inO/S.
^^udwig Traube, *i8i8, 1^876 ...... „ Ratibor.
^^^udolf Leubuscher, *i82r, fi86i „ Breslau.
Hugo Rühle, *i824, ti888 „ Liegnitz.
Albrecht Theodor Middeldorpf, ^1824, ti868 ,, Breslau.
Johann Lange, *i485, 11565 „ Löwenberg.
Adam Christian Thebesius *i686, 11732 . „ Sandenwalde
(Kreis Guhrau).
irf^abriel Gustav Valentin *i8io, 11883 . . „ Breslau.
Von unserer Absicht, die Biographien in chronologischer Reihen-
folge vorzuführen, sahen wir uns veranlasst, bald im Beginne unseres
Werkes abzuweichen, da uns das Material zu Johann Lange, wie
später zu Ad. Christian Thebesius und Gabriel G. Valentin nicht
gleich zur Hand Avar; es wird demnach Joh. Crato von Krafftheim,
der glänzendste Repräsentant heimischer Medicin, den würdigen
Anfang in der Reihe der Aerzte machen.
*) Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Geh. Reg.-Medic.-Rath Prof. Klose
in Königsberg (jeb. zu Breslau 1791; gest. zu Dresden 1863.
Johann dato von Krafftheim.
J<
I ohann Crato von Krafftheim , der Leibarzt dreier deutscher
Kaiser aus dem Hause Habsburg, dessen Name in Folge seiner
praktischen Leistungen und medicinischen Gelehrsamkeit, ja auch
in Folge seiner politischen Bedeutung weit über die Grenzen des
Vaterlandes hinaus bekannt und berühmt geworden ist, wurde am
22. November isi'g zu Breslau geboren. Nachdem er seine erste
Ausbildung auf dem Gymnasium zu St. Elisabeth und Magdalena
genossen, bezog er, 15 Jahre alt, in der Absicht, sich dem Studium
der Theologie zu widrnen, die Universität Wittenberg. Da er nicht
über reichliche Geldmittel verfügen konnte, verwandten sich für ihn
einflussreiche Persönlichkeiten, insbesondere sein ehrwürdiger Freund
und Gönner, Johann Hess, Schulaufseher und erster evangelischer
Geistlicher zu Breslau, und so erhielt er seitens einiger Breslauer
Patricier ausreichende Unterstützungen nebst magistratualischen
Stipendien. Das Universttätsleben war für den scharfsinnigen und
strebsamen Jüngling eine Quelle der lautersten Freuden und Genüsse.
Das Studium selbst, sowie der Ruf seiner umfassenden Bildung und
sein edler Charakter brachten ihn in nähere Beziehung zu Luther
und Melanchthon, und der Umgang mit diesen geistigen Heroen
schuf eine Basis sittenreiner Grundsätze und Ideen, denen Crato sein
ganzes Leben hindurch treu blieb, obwohl sein Streben sich später
einem anderen wissenschaftlichen Fache zuwandte. Seinem freund-
schaftlichen Verhältniss zu Luther, in dessen Haus er 6 Jahre lang
täglich verkehrte, verdanken wir die Kenntniss der ,, Tischreden"
Luthers, welche Crato, von seinem vorzüglichen Gedächtniss unter-
stützt, in Aufzeichnungen der Nachwelt hinterliess. Von einer eigenen
Veröffentlichung derselben sah er aus kluger Vorsicht ab. Die-
selbe übernahm später sein Studienfreimd Andreas Aurifaber. Seine
Studien musste er anfangs einmal unterbrechen, da die Universität
"Wittenberg aus Furcht vor der Pest nach Jena verlegt wurde. Im
Besitz eines neuen Stipendiums, das ihm der Breslauer Magistrat
unter der Bedingung „seiner Kunst gemeiner Stadt und den Schulen
zum Besten gebrauchen zu wollen" gewährt hatte, suchte er bald
darauf seine frühere Universitätsstadt wieder auf. In edler Gemein-
schaft wirkten Luther und Melanchthon auf sein geistiges Werden
ein, ersterer auf seine religiöse Richtung, letzterer auf seine klassische
Bildung. Aus der Erkenntniss von Crato's Begabung und Nei-
gung gewann Luther in Kurzem die Ueberzeugung, dass die
Theologie nicht dasjenige Gebiet sei, auf dem sein wissbegieriger
Geist Lorbeeren pflücken könnte, und freimüthig rieth er ihm, das
bisher eingeschlagene Fach zu verlassen, dagegen zum medicinischen
Studium überzugehen. Crato folgte dem gut gemeinten Rath, und
auf besondere Empfehlung Luthers beschloss seine Vaterstadt, ihn
unter denselben Bedingungen auch fernerhin zu unterstützen. Dass
ihn Luther gern zum Theologen erzogen hätte, ersieht man aus
seinem Brief an den Magistrat der Stadt Breslau; „Denn" schreibt er,
„er ist in der Schrift sehr wohl verständig, sittig und züchtig, der
mir ein trefflicher Mann in der Kirche sein sollte. Aber seine
Complexion war zu schwach zum Predigen, derohalben ich ihm zur
Medicina gerathen." Ungeachtet seiner neuen Beschäftigung habi-
litirte sich Crato jetzt als Magister der Dialektik an der Universität
Wittenberg, und seine Vorlesungen erfreuten sich grosser Aner-
kennung. Für seinen eigentlichen Beruf, die Medicin, konnte er in
Wittenberg, wo es zur Zeit an medicinischen Autoritäten mangelte,
wenig Erspriessliches finden; er nahm daher mit Freuden die sich ■
ihm darbietende Stelle eines Haushofmeisters bei dem Grafen von
Wertheim in Leipzig, den er bereits in Philosophie unterrichtet
hatte, an, zumal dadurch auch seine pecuniären Verhältnisse bessere
wurden. Zwar war Leipzig nicht viel mehr geeignet, dem Streben
nach Vervollkommnung seiner medicinischen Kenntnisse Rechnung
zu tragen, als Wittenberg; aber Crato verstand es, seinem neuen
Wirkungskreise dadurch ein edles Gepräge aufzudrücken, dass er
stets gewohnt, mit den gelehrtesten und geachtetsten Männern Um-
gang zu pflegen, mit dem damals weltberühmten Philologen und
Theologen Joachim Camerarius eine innige Freundschaft schloss,
der er für immer treu blieb. Obwohl er sich in solchem Verkehr
äusserst wohl behagte, so wurde doch sein Empfinden durch den
Gedanken an seine mangelhafte medicinische Ausbildung getrübt,
und nach kurzem Entschliessen trat er die Reise nach dem Lande
der Künste und Wissenschaften, nach Italien, an, dessen Univer-
sitäten zu dieser Zeit auf dem Höhepunkt geistiger Bildung standen.
Ein glücklicher Zufall, das Bekanntwerden mit dem Aug^sburger
Bürgermeister Joh. B. Heinzel, sowie mit der Patrizier-Familie Her-
warth verschafften ihm die dazu nöthigen Mittel. Mit ganzer Seele
wandte sich Crato nun dem Studium der Medicin zu, und wiederum
gelang es ihm, wie schon so oft, in den Kreis eines der bedeutendsten
Gelehrten gezogen zu werden. Gestützt auf die Empfehlung seines
Freundes Melanchthon schloss er sich dem berühmten Meister der
Medicin, Johann Baptista Montanus, an, und im Verkehr mit diesem
grossen Arzt, aus welchem sich allmälig ein vertrauteres Verhältniss
entwickelte, legte Crato den Grund zu seiner späteren Fertigkeit auf
dem Gebiet der praktischen Medicin sowohl wie der theoretischen?
auf welche die Welt mit Bewunderung blicken sollte. Montanus
blieb sein Vorbild für alle Zeiten; seine sämmtlichen Schriften
durchzieht das Gefühl der Dankbarkeit und der innigsten Verehrung
diesem Manne gegenüber, der es sich zur Aufgabe gestellt, ihm die
Meisterwerke der Alten, des Galen und Hippokrates, in ihrer vollsten
Bedeutung zu demonstriren und ihn mit ihren Lehren bekannt zu
machen. Nach kurzem Aufenthalt in Verona kehrte Crato im Besitz
des Doctordiploms nach Deutschland zurück. In Augsburg erfuhr
seine Reise eine Unterbrechung in Folge seiner Berufung- an den
Hof Kaiser Karls V., dessen Wohnsitz sich zur Zeit hier befand;
möglicherweise erklärt sich hieraus seine spätere Vertrauensstellung
in der kaiserlichen Umgebung. Im Jahre 1550, nach Ablauf der
Zeit, während welcher ihn der Breslauer Magistrat beurlaubt hatte,
traf Crato, nun bereits im Mannesalter stehend, in seiner Heimatstadt
ein, in welche bereits sein Ruf vorausgeeilt war. Sofort trat er in
die amtliche Laufbahn ein, da ihn die Stadt mit der zweiten Physikus-
Stelle betraute, deren bisheriger Vertreter, Dr. Spremberger, in die
durch den Tod des Dr. Dominicus Weiss vacant gewordene erste
Stelle eingerückt war.
Die Gelegenheit, seine ausserordentliche praktische Tüchtigkeit
zu bethätigen, trat sehr bald an ihn heran.
Hatte er es schon verstanden, auf dem Felde seiner nutzbringenden
Berufsthätigkeit sich die Achtung seiner Mitbürger in so hohem
Grade zu verschaffen, dass ihm zu Ehren 1551 eine silberne Denk-
münze mit seinem Bildnisse und der Inschrift ,, Confide recte ag-ens"'
geprägt*) wurde, so sollte in dem Schreckensjahr 1553, in der sog-e-
nannten ,, kleinen Sterbe", als die Stadt zum 6. Male von der Pest
heimgesucht wurde, seine Energie und Ausdauer gepaart mit tüchtigen
hygienischen Kenntnissen der gesammten Bewohnerschaft zum Seg-en
gereichen. Die bereits von seinem Amtsvorgänger Dr. Matthias
Auctus in dem ,, Pestunterricht" angedeuteten Verhaltungsmaassregein
erfuhren durch Crato eine bedeutende Erweiterung und Umgestaltung
auf Grund seiner individuellen Anschauungen über das eigentliche
Wesen der Seuche. Ihm gebührt der Ruhm, das Chaos der An-
*) Kundmann, Silesii in nummis Tabelle XXVIII 86.
sichten über die Pest, einer Collectivbezeichnung aller sporadischen
oder epidemischen letalen Krankheiten, gelichtet und zuerst den
Begriff der Ansteckungsfähigkeit richtig erfasst zu haben, indem er
eine scharfe Grenze zwischen den febres publicae, den ansteckenden
Fiebern, der eigentlichen Pest und den febres privatae, den nicht
ansteckenden, nicht pestartigen zog und den Aerzten diesen Unter-
schied klar zu machen suchte. Seine Lehren veröffentlichte er in
dem 1555 erschienenen Werk: ,, Ordnung oder Preservation, wie
man sich zur Zeit der Pest verwahren, wie die rechte Pest erkannt
und curirt werden solle." Es sind darin zahlreiche Momente ent-
halten, die mit unseren heutigen hygienischen Anschauungen in
vollstem Einklang stehen und uns gewissermaassen als Wegweiser
dienen können. Die Stadt bewies ihm ihre Dankbarkeit durch An-
weisung eines jährlichen Gehaltes von 100 Thalern mit der Be-
stimmung, ,,dass er der Armen gemeiner Stadtdiener sowohl der
armen Schüler im Hospital umsonst curiren soll." Von den nicht
unbedeutenden chemischen Kenntnissen, welche sich Crato mit nie
ermüdendem Fleiss während seiner Studienzeit angeeignet hatte,
machte er durch Errichtung wohlgeordneter Apotheken einen vor-
theilhaften Gebrauch: als Vorbilder dienten ihm hierbei Pariser Ein-
richtungen.
So war Crato bereits eine Berühmtheit geworden; weit und
breit war sein Name bekannt und geehrt, und mit Mühe nur ver-
mochte er den ungeheuren Anforderungen an seine ärztliche Wirk-
samkeit gerecht zu werden, im Gegensatz zu dem oberflächlichen
Treiben seiner damaligen Collegen, deren Triebfeder mehr aber-
gläubischer als wissenschaftlicher Natur war. Indess kein einziger
Zug im Charakter Cratos weist auf Dünkel oder Hochmuth hin.
Stets trat er da mit Freuden ein, wo seine Hülfe noth that, ohne
auf Lohn und Dankbarkeit Anspruch zu machen. Sowohl der
Einfluss, den er durch Verbindung mit den a.nges ebensten Familien
der Stadt — wir nennen nur das Haus Rhediger — sich anzueignen
wusste, wie seine Wohlhabenheit gewährten ihm die Möglichkeit,
die Erziehung talentvoller Jünglinge, die, wie einstmals er selbst, den
Pfad der wissenschaftlichen Entwickelung mit Noth und Sorgen be-
traten, vollständig in eigene Hand zu nehmen.
Als Anerkennung für sein Bemühen verlangte er nur die Ein-
verleibung der neuesten Erzeugnisse der Literatur eines jeden Ge-
bietes in seine schon ziemlich umfangreiche Bibliothek. Es war
natürlich, dass viele seiner Schützlinge mit ihm in trautem Freund-
schaftsverhältnisse zu stehen wünschten, um durch offenen Gedanken-
austausch mit diesem hervorragendem Manne belehrt und gefördert,
zu werden. Seiner besonderen Liebe erfreute sich Zacharias Beer,
genannt Ursinus, ein Studirender der Theologie, späterer Diaconus
zu Breslau, dessen Beziehungen zu Crato so tief gehende gewesen
sind, dass sich Letzterer in religiöser Hinsicht von jenem stark beein-
flussen Hess. Die folgenschweren Kirchenstreitigkeiten, welche zu
dieser Zeit die gesammte gebildete Welt beschäftigten und in Athem
hielten, gingen auch an unserem grossen Arzt nicht unbeachtet
vorüber, und trotzdem er bereits in medicinischen Kreisen als Autorität
galt, kam er des Oefteren auf das ursprünglich eingeschlagene Fach,
die Theologie, zurück, unbekümmert um den Spott und Hass, womit
ihn seine Gegner überschütteten. Selbst als ihm der Magistrat den
Gehalt als Armenarzt entzog, und, was ihn am meisten kränkte, an
Stelle seiner Pestordnui^ die von seinem Collegen Dr. Spremberger
1555 herausgegebene einführte, stand er nicht davon ab, mit seltenem
Freimuth immer wieder seine religiösen Ansichten zu bekennen und
zu vertheidigen. Trost suchte und fand er in seiner literarischen
Beschäftigung, aus welcher in dieser Zeit mehrere, sehr gelehrte
medicinische Werke hervorgingen: „Idea doctrinae Hippocraticae",
eine Schilderung der galenisch-hippocratischen Lehre unter Zugrunde-
legung der Ansichten seines Lehrers J. B. Montanus, ferner ^.Methodus
curativa generalis et compendiaria" (1554) — unter Assistenz seines
Studiengenossen Alphons Bertocci aus Fano — endlich ,,Methodus
-ö-EpaueoTtx-/] ex sententia Galeni et J. B. Montani" (1554). Reichliche
Anerkennung seitens der medicinischen Welt lohnte seine Arbeit.
Durch keine amtlichen Pflichten an die Stadt gefesselt, trat er nun-
mehr dem Gedanken näher, seine bisherige Heimat mit einem neuen
Wohnort zu vertauschen und damit all den missliebigen Verhält-
nissen, unter denen er so schwer gelitten, für immer den Rücken
zu kehren, zumal er in Anbetracht seiner ausgedehnten Bekanntschaft
ein neues Heim leicht zu finden glaubte. Inmitten dieser Pläne
überraschte ihn der vom kaiserlichen Hof ausgehende Ruf, seine
medicinischen Kenntnisse dort praktisch zu verwerthen; denn den
einflussreichen Bemühungen zweier angesehener Männer, der beiden
Hofkanzler und Gelehrten Dr. Held und Dr. Mehl, die in seiner
ärztlichen Behandlung gestanden und ihm sehr ergeben waren, war
es gelungen, dem Kaiser Ferdinand I. die Berufung Cratos zum
kaiserlichen Leibarzt als eine Nothwendigkeit vorzustellen.
Dieselbe erfolgte auch in der That im Jahre 1560, und Crato
trug kein Bedenken, derselben Folge zu leisten. Wie er aber in
allen Lebensfragen erst nach reiflicher Erwäg^ung zu Werke ging,
so glaubte er es seiner religiösen L^eberzeugung schuldig zu sein,
sich mit seinem intimsten Freunde Ursinus zu berathen, ob die nahe
Beziehung zum katholischen Kaiser sich mit seinem Gewissen ver-
einbaren Hesse, Die seelische Beruhigung, die sich seiner nach
[
lO
dieser Unterredung bemächtigte, sollte ihm den Verkehr am kaiser-
lichen Hofe um Vieles erleichtern. Damit tritt gewissermaassen
ein Wendepunct im Bereich seines öffentlichen Auftretens ein. Zwar
practicirte er nach wie vor in Breslau und reiste nur in dringenden
Fällen nach Wien; bald aber häuften sich einerseits die Schmähungen
und Anfeindungen seitens seiner Geg-ner in solchem Maasse, dass
er sie kaum zu ertragen vermochte, und andererseits wurde seine
längere Anwesenheit in der Nähe des kranken Kaisers immer mehr
erforderlich, so dass er sich endlich zum ständigen Aufenthalt in
Wien entschloss. Wie schwer es -ihm wurde, seiner bisherigen
Lebensart entsagen zu müssen, beweist ein Brief aus Wien, datirt
vom 20. Mai 1563, an seinen Freund Rhediger in Breslau. ,,Valde
doleo," schreibt er, „me eo redactum ubi nee studiorum nee vitae
meae rationem habere possum, denique ita vivere, ut haud sciam
praestetne cito mori et humanis rebus fungi, quam in his splendidis
versari miseriis. Cum plagam patriae effugere studeo, incidi in
periculum." Trotz der Religionsverschiedenheit bestand zwischen
Kaiser und Leibarzt ein trauliches Verhältniss; glaubte doch
Ferdinand, dass objectives Verhalten eher als Feindseligkeiten gegen-
über diesen neuen kirchlichen Bestrebungen Frieden stiften kÄmte^
dass diese vielleicht durch sich selbst mit der Zeit im Sande ver-
laufen würden. Cratos Meinung erschien seinem Herrn auch in
anderen als medicinischen Dingen wünschenswerth , er wurde einer
der eifrigsten Berather der Krone. Nur sein thatkräftiger Geist
vermochte dem ungeheuren Druck der auf ihm lastenden Berufs-
pflichten Widerstand zu leisten; er fand noch immer die Zeit, was
vielleicht kein Anderer im Stande gewesen wäre, sich mit wissen-
schaftlichen Studien zu beschäftigen.
In kurzer Aufeinanderfolge erschienen einige literarische Arbeiten
und zwar: i. Die „Isagoge Medicinae, Venet. 1560", ein Grundriss
der allgemeinen Theorie der Medicin; 2. Mcxpoxs/vr; s. parva ars medi-
cinalis, eine allgemeine Therapie, deren Herausgabe erst nach seinem
Tode durch Laurentius Scholz erfolgte. 3. 1563 Perioche methodica
in libros Galeni. Da das Befinden des schwindsüchtigen Kaisers
sich mehr und mehr verschlimmerte, wurden auch die Anforderungen
an den Leibarzt gesteigert, dessen Gesundheit schon den festen Halt
verloren hatte und für die Dauer wohl der umfangreichen Arbeits-
last erlegen wäre. Am 25. Juli 1564 starb Ferdinand, bis zum letzten
Athemzug der aufopferungsvollen Pflege Cratos theilhaftig. Gern
hätte dieser jetzt, vom geräuschvollen Hofleben entfernt, das ihm mit
seinem Glanz, seinen Intriguen und Kriechereien von ganzer Seele
zuwider war, in bescheidener Zurückgezogenheit wissenschaftlichen
Studien und der practischen Ausübung seines Berufes obgelegen,
1 1
aber gegen den neuerdings an ihn ergehenden Ruf als Leibarzt des
Sohnes Ferdinands I. konnte und durfte er sich nicht ablehnend ver-
halten, wollte er nicht die mit so viel Muth und Ausdauer festge-
haltene Absicht, den Protestantismus zu fördern und zu stärken,
aufgeben. Das Band, das den neuen Kaiser Maximilian II., einen
Monarchen, über dessen Charakterzüge unter sämmtlichen Historikern
nur eine Stimme des Lobes herrscht, mit seinem ärztlichen Berather
verknüpfte, gestaltete sich während seines 12jährigen Aufenthalts in
der Nähe der römischen Majestät zu einem so innigen, unzerreiss-
baren, dass menschliche Machinationen dasselbe nicht zu lösen ver-
mochten. Cratos jetzige Wirksamkeit war eine äusserst vielfache, noch
umfangreicher als unter der Regierung Ferdinands, sowohl ärztlicher
als politischer Natur. Mit dem unbedingten Vertrauen seines kaiser-
lichen Herrn beehrt, gewann er in den verwickelten Gang der Staats-
maschine eine solche detaillirte Einsicht, dass sein persönliches Gut-
achten überall da, wo es sich um das Wohl und Wehe des Reiches
handelte, für den Kaiser fast bestimmend war. Seine Bitten, seine
Wünsche fanden bei Maximilian williges Gehör; es war daher
natürlich, dass, wer immer Anerkennung, Beförderung, Gunst von
allerhöchster Stelle zu erlangen hoifte, sich zuvörderst seiner wohl-
wollenden Stimme zu versichern bemühte. Aus dieser seiner Macht-
fülle erwuchs für Crato insbesondere die Möglichljeit, der protestan-
tischen Religion die ihr gebührende Stellung im Staate anzuweisen
und gewaltsame Unterdrückungen, wie sie bisher sowohl Einzelne
als die evangelische Confession insgesammt erfahren mussten, von
ihr fernzuhalten, ein ehrenvolles Streben, das um so eher erfolgreich
zu werden versprach, als sich der Kaiser selbst gegen Andersgläubige
edeldenkend und tolerant erwies. Dass während der Regierungs-
zeit Maximilians der Religionsfrieden sich zu erhalten vermochte,
war sicherlich mit ein nicht zu unterschätzendes Verdienst Cratos.
Um aber auch vor der AVeit einen Beweis der hohen Achtung zu
liefern, welcher Maximilian seinen treuen Mitarbeiter für würdig
hielt, erhob er ihn unter Beifügung des Namens Krafftheim in den
erblichen Adelsstand. Ferner wurden ihm nächst seiner Ernennung
zum Geheimen Rath eine Anzahl hervorragender Privilegien gewährt,
unter denen wir dasjenige, unehelich geborene Kinder in die Rechte
ehelicher einzusetzen, sowie das, Goldmünzen präg-en zu lassen, her-
vorheben. Von Jahr zu Jahr stieg Crato in der Gunst Maximilians,
seine Person wurde immer unentbehrlicher für den Kaiser, der
wiederum nicht müde wurde, durch neue Ehrenbezeugungen seine
dankbare Gesinnung gegen seinen Leibarzt auszudrücken. Durch
ein vom 11. December 1568 aus Linz datirtes Diplom wurde ihm
die hohe Würde eines Pfalzgrafen, comes palatinus, zu Theil, womit
das Recht der Bestallung öffentlicher Notare und Richter im Bereich
des ganzen römischen Reiches sowie der Promotion der Doctoren
der Philosophie und Medicin verbunden war. Dieses Privilegium
wurde, nachdem ihm noch in der Zwischenzeit im Jahre 1569 sämmt-
liche Rechte, Freiheiten und Nutzniessungen der Diener des Hauses
Oesterreich als erbliche übertragen wurden, im Jahre 1575, also kurz
vor dem Tode Maximilians, dahin erweitert, dass er auch ermächtigt
wurde, Doctoren der Jurisprudenz zu promoviren. In höherem
Grade als diese Auszeichnungen erfreute Crato der Besuch, den
ihm der Kaiser selbst im Jahre 1573 in seiner Wohnung in Breslau
abstattete; als Andenken an dieses Zusammensein überreichte
Maximilian einen kunstvollen, mit seinen eigenen Schriftzügen ver-
sehenen Tisch. Das freundschaftliche Verhältniss Beider versinn-
iDildlicht am besten die Crato zu Ehren geprägte Medaille*), welche
auf dem Revers den Kopf Maximilians, auf dem Avers das Porträt
Cratos in guter Ausprägung zeigt. Die amtliche Stellung Cratos
brachte es mit sich, dass er den Kaiser auf all seinen Reisen
begleitete, dass er bei allen Vorkommnissen und Begebenheiten
stets dem Gefolge angehörte, um im Falle der Noth seinem
Herrn mit Rath und That beizustehen. 1566 erscheint er auf
dem Reichstage in Augsburg, später in dem Feldlager zu. Raab
und abwechselnd in Prag, Pressburg, Speyer und Wien; einen
Theil seiner verfügbaren Zeit verlebte er regelmässig in Breslau,
seiner theuren Vaterstadt, wo er, jetzt weniger durch Anfein-
dungen belästigt, inmitten zahlreicher Freunde, allseitig geehrt
und geachtet, von den Anstrengungen des Hoflebens auszu-
ruhen pflegte; zeitweise, besonders im Sommer, hielt er sich auf
seinem in der Grafschaft Glatz gelegenen Landgute Rückers
auf, Cratos geistiges Schaffen fand in inniger Berührung mit
geistreichen und gelehrten Männern, wie sie Breslau zur Zeit
in stattlicher Anzahl beherbergte, neue Anregungen, neue Quellen,
neues Material.
Er verkehrte hier mit Männern wie: Andreas Dudith, dem
früheren Bischof von Fünfkirchen, von Rhediger, Professor Balthasar
Xeander, Petrus Vincentius, dem Rector des Gymnasiums zu St.
Elisabetii, Johann Aurifaber, den Aerzten: Johann Woyssel, Paul
Friedewald, Petrus Monavius, Johann Hermann, dessen Behandlung
er sich während seiner späteren Erkrankung anvertraute, u. a.
Freilich fand er in Anbetracht der vielen Geschäfte, in welche ihn
seine hohe Stellung verwickelte, nicht die Zeit, seinem Gedanken-
gang und Ideenkreise schriftlichen Ausdruck zu geben, sich literarisch
*) Cfr. Kundmann, Silesii in Nummis Nr. 85 Tabelle XXVIII.
zu beschäftigen. Das Wenige, was wir über Cratos medicinische
(' -Fortschritte aus jener Zeit kennen gelernt, entstammt seiner umfang-
reichen, über die halbe Welt ausgedehnten Correspondence, seiner
sogenannten brieflichen Praxis, welche uns über die verschiedensten
medicinisch wichtigen Punkte Aufschluss giebt. Die Sammlung und
Erhaltung dieser Briefe sind ein Werk des verdienstvollen Doctor
Laurentius Scholz, welcher dieselben in geordnetem Zustande unter
dem Titel: Consilia et epistolae medicinales Cratonis bald nach dem
Tode Cratos veröffentlichte. Dies unstäte Leben, das Hastige und
Ruhelose im weiten Kreise des kaiserlichen Hofes musste einem
Manne von rein wissenschaftlichem Streben wie Crato für die Dauer
unerträglich erscheinen. Der Ekel, den er in Anbetracht des nach
aussen prächtigen, nach innen zerfahrenen, von Intriguen und Partei-
leidenschaften durchwühlten Hoflebens in immer steigendem Maasse
empfand, war jedoch nicht das Einzige, was ihm zu wiederholten
Klagen Veranlassung gab. Selbst in nichtswürdige Händel ver-
wickelt, von sehr vielen Seiten angefeindet und verläumdet, von der
Arbeit fast erdrückt und von eigener Krankheit sowie der seines
Sohnes und seiner Frau, die er nicht einmal hatte besuchen, ge-
schweige behandeln können, schwer betroffen, bot Crato nichts
weniger als das Bild eines beneidenswerthen Mannes dar. Die Briefe
an seine Freunde fliessen förmlich über von Klagen sowohl über
seinen schon erschütterten Gesundheitszustand wie über die Mühselig-
keiten seines Berufes. Die ersten Krankheitserscheinungen zeigten
sich bei ihm im Jahre 1562, in seinem 43. Lebensjahr, von da an
kränkelte er stetig.
Bereits im Alter von 50. Jahren äusserte er seinem Freunde
Rhediger gegenüber: Infirmus homo sum et natura debilior. Mea
^ -quidem vita ad vesperam vergit. Sein Befinden schwankte hin und
her, eine vollständige Wiederherstellung trat niemals wieder ein.
Inzwischen hatten feindliche Einflüsse auch seine Stellung erschüttert.
Als die Nierenkrankheit des Kaisers im Jahre 1576 recht heftig zum
Ausbruch gelangte, war es nicht der Leibarzt und Liebling Maximilians,
Crato von Krafftheim, dem es vergönnt gewesen Aväre, an das Kranken-
bett seines Gebieters zu eilen, geschweige seine Kunst in Anwendung
zu bringen. An seine Stelle traten die gemeinsten und unwissendsten
Kurpfuscher und Charlatane. So wurde schon im letzten Stadium
der Krankheit eine Quacksalberin aus Ulm an den Hof befohlen,
um den Kaiser mit Hilfe von vSprüchlein, Gebeten und Kräuter-
tränken von seinem schweren Nierenleiden zu befreien, was sie auch
mit aller Bestimmtheit versprach. Ihre Diagnose lautete auf Epilepsie,
und dem entsprechend richtete sie die Therapie ein. Einem solch
elenden Treiben vermochte Crato nicht länger müssig- zuzusehen.
14
Ihm stand die Person Maximilians, dem er mit Liebe anhing, zu
nahe, als class er ruhig hätte abwarten können, wie durch die aller-
unsinnigsten Pfuschereien das Ende des Kaisers vorzeitig herbeige-
führt würde. ,,Er wolle nicht schweigen, wie ein stummer Hund,
erklärte er dem Hofstaat und Aerztepersonal, wo es das Wohl des
Herrn gelte: Da seien eine Menge ausgezeichneter Aerzte, wovon
jeder sich der Leitung der Kur zu unterziehen bereit sei, und wenn
keiner möge, so wolle er sie allein auf sich nehmen."
Aber er richtete nichts aus. Nur noch kurze Zeit vermochte
jenes Weib ihre nichtsnutzigen Betrügereien fortzusetzen, denn der
Kaiser starb bald darauf, in der Morgenstunde des 12. October 1576,
an seinem Namenstage. Die Section bestätigte Cratos Diagnose.
Ueber die verschiedenen Einzelheiten, wie sie sich in der schweren
Leidenszeit des Kaisers am Hofe zugetragen, berichtet uns ein erst
1735 herausgegebener vertraulicher Brief Cratos an seinen Freund
und Kaiserlichen Leibarzt Dr. Joh. Sambucus. *)
Crato zog sich demnächst nach Breslau zurück. Seine immer
schwächer werdende Körperconstitution hatte in ihm längst den
Wunsch wach gerufen, sich nun endlich der wohlverdienten Ruhe
hinzugeben und ausschliesslich wissenschaftlichen Beschäftigungen
zu obliegen. Seine Sehnsucht erfüllte sich nicht, ihm waren noch
herbere Schicksalsschläge vorbehalten. Maximilians Nachfolger, ein
wenig toleranter, ruhmsüchtiger Monarch, lehnte Cratos Entlassungs-
gesuch ohne Weiteres ab, mehr, um sich mit dessen Berühmtheit zu
schmücken, als aus seinen medicinischen Kenntnissen für seine eigene
Person Nutzen zu ziehen. Somit war Crato wiederum für längere
Zeit an den Hof gefesselt, aber ein ähnliches Verhältniss, wie es
bisher zwischen Kaiser und Leibarzt bestanden, stellte sich nicht
mehr her. Zwischen ihnen lagen vielerlei unüberwindliche Hindernisse.
Die spanische, auf streng katholischem Boden gegründete Erziehung
Rudolfs, seine ausgesprochene Liebe für die mächtige Partei der
Jesuiten, die Bemühung des Schwagers Maximilians, des Herzogs
von Baiern, die Bekenner der evangelischen Confession vom Kaiser-
lichen Hofe fernzuhalten, oder sie jedweden Einflusses zu berauben,
alles dies Avirkte vereint, Crato mehr als je von der Unhaltbarkeit
seiner hohen, aber ihm tief verhassten Stellung zu überzeugen. Schien
ihm doch auch unter solchen Umständen die geringste Möglichkeit
benommen, den unterdrückten Glaubensgenossen hilfreich beizustehen;
ja selbst die ihnen bereits gewährten Freiheiten erfuhren unter Rudolfs
Regierung mannigfache Vernachlässigung, bis sie allmählich völlig
aufgehoben wurden. Die Zustände am Hofe demonstrirt ein Brief
*) Vergkicbe GiUet darüber.
15
des Dr. jviris et phil. Hugo Biotins, des kaiserlichen Bibliothekars in
Wien, mit treffenden Worten: hie parum prodesse possum, tanta est
multitudo auditorum in academia, tantus est sacrificorum furor, tantum
bonorum odium, Nemini inter hos quiescere licet, qui non sit pon-
tificius et quidem strenue haereticos ut isti vocant lacessat. Ein gleich
scharfer Contrast offenbarte sich in dem Verhältniss von Kaiser und
Leibarzt. Crato, von freierer Gesinnung und neueren modernen Ideen
zugängig, in dem Bestreben, mit den Fortschritten der Künste und
Wissenschaften stets gleichen Schritt zu halten, verschmähte alles
Dunkle, Geheimnissvolle, theils auf Unglauben, theils auf Aberglauben
Basirende, während der Kaiser, ohne an geistigen Vorzügen reich
zu sein, sich mit Vorliebe alchimistischen und astrologischen Studien
hingab und den Stein der Weisen zum Hauptgegenstand seiner
Untersuchungen machte. Für solch traurige Zustände vermochte
ihm, wie schon so oft, nur der Aufenthalt in Breslau oder in seinem
wundervollen „Tusculum" zu Rückers bei Reinerz Ersatz zu bieten,
wo er, unbekümmert um das Getriebe der Welt, mit erneuten Kräften
sich schriftstellerischer Thätigkeit zuwenden konnte. Ihr entspross
um diese Zeit, 1577 ^i® Oratio funebris de divo Maximiliano IL
imperatore Caesare Augusto, a Cratone a Crafftheim, consiliario et
medico Caesareo scripta, Francof., eine geistreiche formvollendete
Trauerrede von historischer Bedeutung.
Aber was er sich mit allen Fasern seines Seins herbeigewünscht,
ein bescheidenes ruhiges Leben im Kreise seiner Angehörigen und
Freunde, war für ihn nur ein schnell vorübergehender Genuss. Das
Missgeschick, das ihn bisher beständig verfolgt, und dem er durch
Abwesenheit vom Hofe entfliehen zu können vermeinte, eilte ihm
überall hin nach. Man bemühte sich jetzt, seine frühere einfluss-
reiche Stellung am Hofe zu verdächtigen, man schändete selbst
seinen ärztlichen Ruf, dessen Fleckenlosigkeit sonst auch seine Gegner
hatten anerkennen müssen, ihm niedere Motive unterschiebend. Zahl-
reiche, im Lande verbreitete Schmähschriften, sollten den Beweis
führen, dass die Behandlung Maximilians in seiner letzten Lebens-
zeit seitens seines Leibarztes Crato, die ihm aber in Wirklichkeit
gar nicht anvertraut war, eine falsche, verkehrte, verderbenbringende
gewesen sei, dass seine Anwesenheit am Hofe nur geschadet, nicht
genützt habe, ein Vorgehen schmutzigster Art, von dem seine Wider-
sacher sehr wohl wussten, wie tief es das edle Gemüth Crato's ver-
letzen musste. Nicht viel besser lagen augenblicklich die Dinge
in Breslau, seiner engeren Heimat. Hier, wo sein Lebensgang von
Kindheit an, sein Character und Gesinnungen genauer bekannt waren,
wo er insbesondere wegen seiner grossen Verdienste um diese Stadt
AnerkennunsT zu finden hoffte, hatte er mit Neid und Verdruss zu
i6
kämpfen. Viele seiner Freunde verliessen ihn, der Magistrat trat
ihm öfters hinderlich in den Weg, wie überhaupt die Stimmung in
der Stadt gegen ihn umschlug-, so dass ihm seine Thätigkeit am
Hofe noch das kleinere von den beiden Uebeln zu sein schien. Er
folgte daher bereitwilligst einer an ihn ergehenden Aufforderung,
nach Wien zu kommen. Seine Wirksamkeit war bei der schweren
Erkrankung- des Kaisers 1578 doch sehr erwünscht. Wohl fühlte
er, dass seine Kräfte kaum noch ausreichten, seinem Berufe mit
derjenigen Energie und Gewissenhaftigkeit, die ihm stets eigen
war, nachzukommen, aber immer hatte er noch, gewissermassen in
edler Selbstverleugnung, sein körperliches Gleichgewicht aufrecht zu
erhalten und seiner Krankheit zum Trotz allen Stürmen des Lebens
Widerstand zu leisten vermocht. Die unerhörten Anstrengungen,
die ihm des Kaisers langwieriges Leiden auferlegte, riefen nunmehr
eine mächtige Reaction in seinem Körper hervor. In erhöhtem,
heftigeren Grade machte sich sein altes Lungenleiden geltend, die
Körperkräfte verminderten sich zusehends, zumal er bei Wind und
Wetter, stetem Temperaturwechsel ausgesetzt, zu seinem kranken
Kaiser eilen musste, und mit untrüglichem Blicke sah er die nicht
allzuferne Katastrophe voraus.
Die widerlichen Verhältnisse am Hofe brachten in ihm, im
Jahre 1582, den festen Entschluss zur Reife, jedwede Verbindung
mit dem kaiserlichen Hofe, aus welcher für ihn mehr Böses als
Gutes erwachsen war, endgiltig zu lösen und den Rest seines Lebens
in stiller Einsamkeit auf seinem Landgute zu verbringen, wahrlich
ein billiges Verlangen nach einem solch ereignissreichen Lebenslauf. *)
Noch einmal warf er sich mit aller Macht auf literarische Arbeiten,
obschon er dauernd an's Bett gefesselt kaum die Kraft besass, die
Feder zu führen, und schliesslich seine Gedanken nur zu dictiren im
Stande war.
Auf solche Weise entstand das später von Weinrich in latei-
nischer Sprache herausgegebene epochemachende Werk: ,,Commen-
tarius de vera praecavendi et curandi febrem pestilentem ratione 1 583"
und als letztes Erzeugniss seines geistigen Lebens die: ,,Assertio
Joh. Cratonis de peste'', 2 längere, auf die Pest bezügliche Abhand-
lungen, in denen er, auf gründlichen Erfahrungen fussend, mit schöner
schwungvoller Darstellung theoretische und praktische Massregeln für
Aerzte und Publikum bespricht.
*) Rückers verdankt ihm die Erbauung seiner jetzt noch bestehenden Kirche. In der-
selben soll sich die Inschrift befinden: „Hoc sacellum Christo in vitam reduci conse-
cratum aedificavit Joh. Crato MDLXXXI. Paritius Monum. Sil. Mss.
^7
Indess, in kurzer Zeit war ihm auch Rückers lästig . geworden.
Zwar hatte er daselbst einen ausgebreiteten brieflichen Verkehr ge-
pflegt, auch Besuche empfangen, unter anderen seinen Freund und
spätem Biographen Dresser, seinem regsamen Geiste fehlte aber der
persönliche Verkehr mit hervorragenden Gelehrten.
Er besuchte daher 1582 wiederum seinen ehemaligen Lehrer
Montanus und begab sich 1583, nun zum letzten Male, nach Breslau
zurück, nachdem er sein Landgut Rückers seinem Sohne *) abge-
treten hatte.
Mit seiner Gesundheit ging es nunmehr sehr schnell bergab.
In den schweren Krankheitstagen wandte er sein Augenmerk von
Neuem auf das theologische Studium und die Beschäftigung mit
theologischen Schriftstellern, die Stärke und Innigkeit seiner religiösen
Ueberzeugung gewährten ihm Trost und Beruhigung. Seine religiöse
Denkungsart giebt sich in zwei grössern Arbeiten kund:
In der ,, Oratio de sacra philosophia", welche erst nach seinem
Tode veröffentlicht wurde, und in den von Matt. Dresser heraus-
gegebenen ,,Meletemata Joh. Cratonis", einem Sammelwerk seiner
lateinischen geistlichen Gedichte. 1585 erreichte sein Leiden den
bpchsten Grad; ihm selbst war sein Zustand, das Wesen und der
Ch arakter seiner Krankheit zu genau bekannt, als dass er sich hätte
trüg-'erischen Hoffnungen hingeben können.
Alit vollständigster Ruhe sah er der stündlich zu erwartenden
Auflö!sung entgegen. Sein Schicksal wollte es, dass ihm noch in den
letzteni Lebenstagen schwerer unbeschreiblicher Kummer bereitet
wurde. Eine furchtbare Pest suchte Breslau im Jahre 1585 heim
und raffte zahllose Menschenmassen hinweg. Auch Cratos Haus und
Familie fiel in ihren Bannkreis. Am 3, Juni erlag ihr seine Gattin,
mit der er in 36jähriger zärtlicher Ehe gelebt. Aber nichts ver-
mochte Crato dazu zu bewegen, seine Heimstätte zu verlassen; es
hinderte ihn daran der Gedanke, in so sorgenvoller Zeit und bei
seinem schweren Leiden irgend Jemandem zur Last fallen zu müssen.
Am ig. Oktober 1585 erlosch Cratos Lebenslicht; in den letzten
Augenblicken stand ihm der tröstende Zuspruch seines treuen be-
währten Freundes Dr. Joh. Hermann zur Seite. Wie der religiöse
Geist stets sein Innerstes durchdrungen, so weilten auch noch im
Tode seine Gedanken in jenen lichten, erhabenen Höhen der Religion:
„Ego vivo et vos vivetis", die Worte der heiligen Schrift w^aren
seine letzten Lebensäusserungen. Sein Grabdenkmal birgt die
*) Crato hatte 3 Kinder, von welchen ihn nur der Sohn, ein Rechtsgelehrter, über-
lebte. Die beiden Töchter starben im zartesten Kindesalter.
i8
Elisabethkirche zu Breslau. Dasselbe trägt die von ihm selbst ver-
fasste Inschrift: *)
Caesaribus placuisse tribus non ultima laus est,
Me pater hac ornant, filius atque nepos.
Consiliis usum rectis mens conscia gaudet,
Testis et ars medica, testis et invidia.
Quellen.
Oratio Matthaei Dresseri de curriculo vitae Joannis Gratonis a
CrafFtheim Leipzig 1587 — die grundlegende Arbeit für alle neuern
Biographien. —
Vitae Germanorum medicorum von Melchior Adamus, Heidel-
berg 1620, kaum als selbstständige Arbeit zu verzeichnen, da sie sich
allzu eng, sogar wörtlich der Oratio Dressers anschliesst. —
Crato von Crafftheims Leben und ärztliches Wirken von Dr. A.
W, Henschel, a. o. Professor an der Universität Breslau, 1853. Eine
geistvolle, mit der grössten Sachkenntniss ausgeführte Kritik der
mannigfaltigen Thätigkeit Cratos auf ärztlichem Gebiete, so wie
dessen beste Biographie auf streng historischem Boden.
Crato V. Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchen-
geschichte. Nach handschriftlichen Quellen v. Dr. J. F. A. Gillfjt,
Prediger an der Hofkirche zu Breslau. Frankfurt a. M. 1860. In
diesem 2bändigen Werke tritt uns sein theologisches Leben in üiber-
sichtlicher, erschöpfender und gewandter Darstellung klar und deut-
lich vor Augen.
Ein fast durchweg wörtliches Derivat dieser beiden letzteren
Arbeiten sind die ,, Worte der Erinnerung an Crato von Crafftheim",
gesprochen in der 12. Jahresfeier der wissenschaftlichen Thätigkeit
des DoctorenkoUegiums der Wiener medicinischen Facultät am
31. März 1862 von Prof. Dr. Herm. Hieronym. Beer. Die
Arbeit ist daher durchaus belanglos.
Haeser, Geschichte der Medicin II. Band, S. 142.
Jatrologia Silesiae zum 50jährigen Doctorjubiläum seines Vaters
Dr. Elias Henschel von Dr. A. G. E. Th. Henschel Breslau, Seite 12.
Handschriftenkatalog des Dr. Jrmischer, des Erlanger Univer-
sitätsbibliothekars, Erlangen 1852 No. 758. p. 206: No. 1816. 17. 26.
*) Jm Jahre 1856 stürzte ein an der linken Seite vom Eingang befindlicher Hauptpfeiler
des Mittelschifi's im westlichen Theile der Kirche ein Nach Entfernung des Schutts wurde
der vor demselben nach der Thür zu liegende Grabstein Cratos sichtbar und zwar in solch
einem verwitterten Zustande, dass man die einzelnen Worte nicht mehr erkennen konnte.
Dem patriotischen Geiste Middeldorpf's ist es zu verdanken, dass die Buchstaben vergoldet
und so der Nachwelt erhallen wurden. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die an der
Aussenseite der Kirche befindlichen, auf die Eltern und die beiden Töchter Cratos bezüg-
lichen Epitaphien restaurirt.
19
Cratos Schriften.
Idea doctrinae Hippocraticae de generatione pituitae : de melan-
cholico humore; de coctione et praeparatione humorum, de victus
ratione, eine Darstellung- der Galenisch-Hippokratischen Lehre
nach den Ansichten seines Lehrers Montanus 1555. —
Alfonsi Bertocii et Cratonis methodus generalis et compendium e
Hippocratis, Galeni et Avicennae placitis depromptum
oder kurz gefasst
Methodus curativa generalis et comparativa 1556.
Ordnung oder Praeservation, wie man sich zur Zeit der Pest ver-
wahren, wie die rechte Pest erkannt und curirt werden soll.
Breslau 1555, in neuer Bearbeitung 1585.
Isagoge Medicinae 1560.
Methodus d-Bpocneoxiv.-q ex sententia Galeni et J. B. Montani 1563.
Commentarius de vera praecavendi et curandi febrem pestilentem
ratione.
Assertio Joh. Cratonis de peste.
Consilia et epistolae medicinales herausgegeben von Laurentius Scholz,
Auserlesene Arzneikünste 1593.
Perioche methodica in Galeni libros de elementis, natura humana
atrabil. temperament, facultat. natural. 1563.
Parva ars medicinalis 1593.
De morbo Gallico Commentarius.
Oratio de sacra philosophia.
Epistola ad Sambucum de morte Imp. Maximiliani II, herausgegeben
von Grüner.
Oratio funebris de Maximiliano.
Meletemata 1587, herausgegeben von Dresser.
Euporista Cratonis oder Hausarzney 1630.
20
1
Johann Moibanus.
LJieser, der Sohn eines berühmten Theologen, geboren zu
Breslau 1527, beschäftigte sich, anfangs auf der Universität Witten-
berg als eifriger Schüler Melanchthons, vornehmlich mit Naturwissen-
schaften, insbesondere mit Botanik, ging aber später dem wohlge-
meinten Rathe seines Lehrers Melanchthon's sowohl, wie seines
intimen Freundes Crato v. Klrafftheim Folge leistend, zur Medicin
über. Da für dieses Fach nur die italienischen Universitäten mass-
gebend waren, so wählte er Bologna zu seinem fernem Aufenthalts-
orte. Nach dem Tode seines Vaters kehrte er wieder nach Deutschland
zurück und nahm einen Ruf nach Augsburg an, wo er dann lange
Zeit als Physikus thätig war.
Er starb daselbst noch in jugendlichem Alter 1562.
Moiban war als sehr gelehrter Naturforscher und als bedeutender
Arzt bekannt, der namentlich auf theoretischem Gebiete Ausge-
zeichnetes leistete. Sein Hauptwerk ist der Commentar zu der
„Eupl5rista," als deren Verfasser man unrichtiger Weise Dioscorides
ansah, wobei ihm der reiche Handelsherr J. Fugger durch Ueber-
weisung des Codex des Oribasius hilfreich zur Seite stand.
Er selbst konnte leider sein Werk nicht vollenden und musste
es seinem Freunde Conrad Gessner zur endgiltigen Vollendung und
zur Veröffentlichung überlassen, welche auch 1565 unter folgendem
Titel erfolgte:
Pedac. Dioscoridis ad Andromachum de curationibus morborum
per medicamenta paratu facilia Lib. IL editi partim a Joh.
Moibano, partim post ejus mortem a C. Gessnero, in latin.
linguam conversi adjectis ab utroque interprete symphoniis
Galeni et alior. Argentor. 1565.
Ausserdem schrieb er zu dem AVerke eines Bologneser Professors
Tiepl a'.rjMfaBüic, v.al aia^'r^tojv eine poetische Einleitung „de usu et
abusu sensuum" sowie eine „Giftlehre."
21
An Moiban bewundern wir auch die hohe künstlerische Be-
g-abung. Er war ein gleich guter Poet, Musiker und Maler. Nament-
lich in letzterer Kunst scheint er Bedeutendes geliefert zu haben,
denn Crato pflegte mit besonderer Vorliebe mit den von ihm her-
rührenden Bildnissen berühmter Männer sein Studirzimmer auszu-
schmücken.
f
22
Matthias Auetus
war der erste Physicus hiesiger Stadt. Seine Bestallung trägt
das Datum des 24. September 1533. Er konnte leider nur kurze
Zeit zum Segen seiner Mitbürger wirken, da ihn schon in jungen
Jahren der Tod abrief, mitten aus der vollsten Thätigkeit heraus,
1543. Der Krankheit, die er sein Leben hindurch zur Grundlage
seiner wissenschaftlichen Studien gemacht, fiel er selbst zum Opfer;
trat doch in keinem anderen Jahre die Pest, das Schreckensbild des
Mittelalters, so verheerend auf, schonungslos Jung und Alt in ihren
Bannkreis ziehend, als gerade 1542 — 1543. Ihm gebührt das Ver-
dienst, die erste grössere Schrift über die Pest, von ihrer hygieni-
schen und prophylactischen Seite aus betrachtet, veröffentlicht zu
haben, welche als ,, Pestordnung" in das Dunkel jener Zeit manch
zündenden Lichtstrahl warf.
Auch durch seine vertraute Freundschaft mit dem hochbe-
rühmten Crato von Krafftheim ist sein Name in weiteren Kreisen
bekannt geworden.
(Speciellere Literatur über sein Leben und seine Werke ist nicht
vorhanden.)
Joaehim Curaeus,
Sein Vater Gregorius Curaeus hiess eigentlich Scher er, welcher
Name nach dem griechischen xopew fegen, kehren, scheeren in
Curaeus übersetzt, resp. umgewandelt wurde. Derselbe studirte in
Krakau und Leipzig Literatur, bekam das Studium überdrüssig und
ging zum Kaufmannsstande über. Im reiferen Alter heirathete er
Margarethe, die Tochter Caspar Jungs, des Senators und Rathes der
Freistadt Glogau. Dieser Ehe entspross der hier näher zu schil-
dernde Joachim Curaeus, welcher am 23. October 1532 zu Freistadt
in Schlesien das Licht der Welt erblickte. Den ersten Unterricht
erhielt er in der Schule seiner Vaterstadt, welcher Johannes Hoppe
aus Bautzen, der nachmalige Professor an der Universität Königsberg,
vorstand. Natürliche Begabung half ihm schnell über die Anfangs-
elemente hinweg. Später nahm ihn sein Vater, welcher nach Gold-
berg reiste, um sich von den poetischen Studien seines Sohnes Adam
zu überzeugen, dahin mit. Die Schule daselbst gewann Joachim sehr
lieb und erwärmte sich ausserordentlich für die Dichtkunst. Nach
seiner Rückkehr verfiel er in eine von Fieber begleitete Krankheit
und wollte durchaus, nachdem er genesen, wie einst sein Vater, das
Studium aufgeben, wenn ihn nicht Bartholomäus Schönborn, ein Lehrer
in Freistadt, mit dem er bis zu seinem Tode verkehrte, davon abge-
bracht hätte.
Als nach der wegen überhand nehmender Pest im Jahre 1546
erfolgten Schliessung der Universität Wittenberg sein Bruder mit
anderen Freistädter Studenten in die Heimat zurückkehrte, verband
er sich mit ihnen zur eifrigen Pflege des Terenz. Zwei Jahre später,
nach dem Tode seines Vaters, kam er auf die Schule nach Goldberg,
wo er unter Leitung des hochgelehrten Valentin Trotzendorf eine
vortreffliche Ausbildung genoss, welche ihn befähigte, die nun wieder
eröffnete Universität Wittenberg zu beziehen.
Am 8. März 1550 hörte er daselbst zum ersten Male Philipp
Melanchthon, als dessen Schüler er auch ausschliesslich anzusehen ist.
24
Schon nach vier Jahren, allerdings voll der fleissigsten Studien,
erwarb er sich den Magistergrad, Ende Juli 1554. In seine Heimat
zurückgekehrt, nahm er die Stelle als Rector der Schule in seiner
Vaterstadt an. Erstere, wie sich selbst, machte er dadurch hochbe-
rühmt, denn bald schaarten sich hier um ihn die gelehrtesten Männer
von weit und breit, um seine scharfsinnigen und gelehrten Erörte-
rungen über den Ajax des Sophokles, den er mit grossem Erfolge
öffentlich explicirte, zu hören und zu bewundern.
Die grosse Gelehrsamkeit, die er hierbei vor Allem an den Tag
legte, kann uns auch nicht Wunder nehmen, war er doch mit einem
solchen Gedächtniss begabt, dass er innerhalb dreier Jahre den Hesiod
auswendig zu lernen vermochte, schrieb er doch so fehlerlos lateinisch
und griechisch, dass Melanchthon von ihm sagte, er drücke sich voll-
ständig oratione Xenophontea aus.
Später wandte er sich der medicinischen Disciplin zu und las
mit grossem Fleisse medicinische Werke. Obwohl er in kurzer Zeit
eine gewisse Fertigkeit erlangte, gute und glückliche ärztliche Rath-
schläge zu ertheilen, fühlte er doch das Bedürfniss nach Vervoll-
kommnung und reiste zu diesem Zwecke im September 1557 nach
Italien, um in der alten und hochberühmten Universitätsstadt Padua
sich ganz seinem Berufe hinzugeben. Hier hörte er die bedeutendsten
italienischen Aerzte, Victor Trincavella u. A. Indess das Klima
Italiens sagte Curaeus wenig zu und er lief Gefahr, der Melancholie
und Hypochondrie völlig anheim zu fallen, ja, er erkrankte
sogar ernstlich. Nach seiner Genesung entschloss er sich, die
Universität Bononia, das heutige Bologna, aufzusuchen, wo er am
10. September 1558 den Doctorgrad erlangte.
Im nächsten Jahre kehrte er zu Ostern nach Padua zurück,
welches er Pfingsten wiederum verliess und sich nach der Heimat
begab. Hier angekommen, wurde ihm die Stadtarztstelle in Glogau
angetragen, die er auch annahm. Bald wurde Curaeus ein sehr ge-
suchter Arzt, nicht blos für Schlesien, sondern auch für Preussen und
Polen. Einem Rufe, den er nach Breslau, sowie nach Stettin erhielt,
leistete er nicht Folge, ja er lehnte selbst eine ehrenvolle Berufung
an die Universität Wittenberg ab, weil er dies seiner Heimat schuldig
zu sein glaubte. Doch schliesslich musste er im August 1572 seinen
Wohnsitz verlassen, da ihn der Herzog Georg von Liegnitz und Brieg
zu seinem Leibarzte berief. Als er von dort nach einigen Tagen am
22. August nach Hause zurückkehrte, verfiel er in eine schwere Krank-
heit, der er am 21 Januar 1573 im Alter von 40 Jahren erlag.
In der Medicin, mit der sich viele seiner Schriften beschäftigen,
bekannte er sich zu den griechischen Meistern und erklärte sich
als einen heftigen Gegner des Paracelsus, als eines schnöden Ver-
25
ächters aller Gelehrsamkeit des Alterthums und als eines unchrist-
lichen Mannes. Kein Wunder, er besass ja genug theologische
Kenntnisse, war überhaupt ein sehr gelehrter Mann. Er hinterliess
vielerlei Werke. Vor Allem erwähnen wir seine Chronik Schlesiens,
Gentis Silesiae annales (1571), das erste eigentliche Geschichtswerk
über Schlesien, das von dem Bürgermeister Roethel von Sagan in's
Deutsche übersetzt wurde*).
Auch mehrere seiner medicinischen, naturwissenschaftlichen und
theologischen Arbeiten haben einige Bedeutung.
Seine anfangs nur im Manuscript verbreitete und für eine
Schrift des Zacharias Ursinus gehaltene „spongia exigua et mollis,
comparata ad elucendos colores, quos illevit controversia de S. Coena
Paulus Eberus" erschien 1557 als Anhang zur „Exegesis" zu Heidel-
berg im Druck. Diese Schrift hat übrigens eine sehr verhängnissvolle
Bedeutung gewonnen. Denn 1562 verfasst und 12 Jahre lang nur
durch Abschrift bekannt geworden, dann aber 1574 heimlich von
dem Buchdrucker Vögelein zu Leipzig abgedruckt, wurde sie von
Seiten der Kurfürsten von Sachsen und der streng lutherischen
Partei des Landes als ein auf Einführung des Calvinismus in Kur-
sachsen berechnetes Machwerk der Anhänger Melanchthons zu
Wittenberg angesehen und hatte eine gewaltsame Unterdrückung
des Melanchthonismus im Kurfürstenthum Sachsen zur Folge.
Vergl. Heusinger Commentatio de Joachim Curaeo.
Gillet, Crato von Crafftheim, Band L Seite 438.
Heppe, Geschichte des deutschen Protestantismus Band II.
S. 416 u. 467.
Henschel, Correspondenzbl. der vaterländischen Gesellschaft
1820. S. 226.
Hirsch, Allgemeine deutsche Biographie. Band IV. 1886.
Gurlt, Leben des Curaeus im medic. Schriftstellerlexikon.
*) Wie wir aus einem Vortrag entnehmen, den unser bewährter Stadtarchivar, Pro-
fessor Dr. Markgraf in der Festsitzung des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens
zur Feier des 25 jährigen Amtsjubiläums des Geheimen Archivraths Prof. Dr. Grünhagen
gehalten hat, gilt Curaeus als Begründer der schlesischen Geschichtsschreibung, als ein
hochbedeutender Historiker, der durch das oben citirte, in echt wissenschaftlichem Geiste
abgehandelte Geschichtswerk sich um seine Heimat unberechenbare Verdienste erworben.
2b
Laurentius Scholz.
JT' ür unsere engere Heimat gewährt ein viel höheres Interesse
Laurentius Scholz von Rosenau. Geboren den 20, September
1552 zu Breslau durchreiste er nach Absolvirung des Breslauer
Elisabeth-Gymnasiums imVerein mit den Breslau ern Nicolaus Rhediger,
Martin Schilling, Daniel Hesler u. a. ganz Italien, das Herz voll
stolzer Jugendideale, und lag daselbst mit solchem Fleisse seinen
Studien ob, dass er sehr bald zum Dr. med. et phil. promovirt werden
konnte. 1579 in seine Vaterstadt zurückgekehrt, heirathete er die
Tochter des Johann Aurifaber und übte seinen ärztlichen Beruf
anfangs in Freistadt, später in Breslau aus. Indess es war ihm
nicht vergönnt, die Früchte seines Fleisses für die Dauer zu ge-
messen; kaum 47 Jahre alt, raffte ihn die Tuberculose dahin, den
22. April 1599.
Scholz' Thätigkeit war eine äusserst vielseitige; wie wir bereits
in der Biographie Crato von Krafftheims erwähnt, hat L. Scholz
die medicinische Literatur durch Herausgabe der Consilia medic.
Cratos sowohl wie auch einer Anzahl eigner medicinischer Arbeiten
bereichert.
Aber auch als Arzt ist Laurentius Scholz nicht ohne Bedeutung.
Nicht zum mindestens war er es, der hauptsächlich mit dazu beitrug,
dass 1588 der Pest, die damals in Breslau wüthete, viele Opfer streitig
gemacht wurden, ja ihr selbst endlich Einhalt gethan wurde, cfr.
Henels handschriftliche Breslographie.
Durch Gründung eines botanischen Gartens in Breslau, seiner
hervorragendsten Leistung, die hier noch näher Gegenstand der
Erörterung sein soll, hat er die Bewunderung seiner Mitwelt der-
massen erregt, dass man in den sinnigsten Sprüchen und Gedichten
sein und seines Gartens Lob verkündete.
Er sammelte den grössten Theil dieser poetischen Ergüsse, wo-
durch wir weit mehr in die einzelnen Details seiner genialen Schöpfung
eingeführt werden, als sich dies aus der vorhandenen Literatur er-
möglichen Hesse.
27
Wenden wir diesem Garten einige Aufmerksamkeit zu! Ueber
seine Lage vermögen wir uns nur mit Zuhilfenahme der Gomolkyschen
Nachrichten und des alten Breslauer Stadtplanes vom Jahre 1562 zu
Orientiren. Danach scheint er sich an der Weidenstrasse in dem
Terrain zwischen dem heutigen ,, Pariser Garten" und der .,Liebichs-
Höhe" befunden zu haben. Es war selbstverständlich, dass eine so
geistreiche und doch natürliche Idee, der man eine baldige und glück-
liche Ausführung folgen Hess, von der gesammten gebildeten Welt
mit Freuden begrüsst werden musste, dass man sich allerorten be-
strebte, Näheres über Breslaus grösste Sehenswürdigkeit zu erfahren,
ja sich durch eigenen Augenschein zu überzeugen, wie ein solches
Wunderwerk hatte zu Stande kommen können. Hunderte von Ge-
lehrten und Gebildeten fanden sich zu diesem Zwecke in Breslau
zusammen, barg doch der Garten ungefähr 385 verschiedene Pflanzen-
exemplare in sich, die in musterhafter Ordnung eingereiht waren
darunter auch die erst vor Kurzem in Europa eingeführte Kartoffel.
Ausserdem gestaltete Laurentius Scholz den Aufenthalt in seinem
Garten zu einem recht angenehmen, indem er den für Botanik sich
Interessirenden mit Rath und That gefällig zur Hand ging. In dem
einzelnen Beschauer drängte sich unwillkürlich der Gedanke auf, dass
man L. Scholz nicht nur als einen Gelehrten, sondern auch als einen
Mann von feinstem Geschmack und künstlerischer Leistungsfähigkeit
anzusehen habe, der mit der Fülle seiner Kenntnisse ein freundliches,
mittheilsames Wesen zu verbinden verstand. Jahre lang wurden
daselbst die sogenannten ,, Breslauer Blumenfeste" abgehalten, bei
denen sich Jung und Alt der muntersten Fröhlichkeit hingab. Leider
entsprach das Schicksal des Gartens keineswegs seiner edlen Be-
stimmung. In der Absicht, in seinem Sohne schon frühzeitig die
Liebe zum Studium der Botanik zu erwecken, hatte Laurent. Scholz
Abbildungen sämmtlicher Pflanzen seines Gartens anfertigen lassen,
die zugleich der Nachwelt als Erinnerung dienen sollten. Der Sohn
starb jedoch im jugendlichen Alter, und die Bilder gingen auf bisher
unerklärliche Weise verloren. Der Garten selbst musste nach
L. Scholz' Tode anderer Bestimmung weichen; an seiner Stelle wurden
Wohnhäuser aufgeführt. *)
Ein ähnliches Schicksal ereilte das Museum, das L. Scholz behufs
Sammlung der verschiedentlichsten Antiquitäten angelegt, und das
manchen seltenen Schatz aufzuweisen hatte. Es war dasselbe wahr-
*) Ueber die nähere Einrichtung des Gartens vergl. Hortus Doct. Laurentii Scholtzü
medici et philosophi, quem ille colit Vratislaviae, situm intra ipsa civitatis moenia, celebratus
carmine M. Andreae Calagii Vratisl. Vratislaviae in officina typographica Georgii Baumanni I
Anno Christi MDXCII. Das Verzeichniss des Gartens und seiner Pflanzen besass übrigens
die Älaria Magdalena-Bibliothek.
28
scheinlich eng mit dem botanischen Garten verbunden und ging*
nach seiner Auflösung in unrichtige Hände über.
Wir müssen hier bemerken, dass Henschel und Göppert in der
Geschichte der Gärten Breslaus im i6. und 17. Jahrhundert dem
L. Scholzschen Garten*) die Priorität absprechen und ihn als den
zweiten darstellen, während sie den Woysselschen Garten als den
ersten betrachteten, und zwar gestützt auf C. Gessners Behauptung,
ohne dass sie den Ort, wo er sich befunden, irgend wie auch nur
andeuten.
*) 29. Jahresbericht der vaterländisclieii schlesischen Gesellschaft vom Jahre 1831.
Zu erwähnen ist hier auch noch die Abhandlung von S. Kurtzmann: Laurentius
Scholz und der erste botanische Garten in Breslau 1588 — 1599, die in den schlesischen Pro-
vinzialblättern, Neue Folge. 5. Bd. Breslau 1866. S. 457 abgedruckt ist. Sie enthält
viel interessante und belehrende Notizen.
!
29
Caspar Sehwenekfeld.
14. August 1563 bis 9. Juni i6og*).
V^aspar Sehwenekfeld**) ist am 14. August 1563 zu Greifenberg in
Schlesien geboren; sein Vater Melehior war Bürgermeister dieses den
Grafen Schaffgotseh gehörigen Städtehens***). Wie er selbst berichtet,
bestimmte ihn natürliche Neigung (naturae instinctus) und der Rath
und Wunsch seiner Lehrer sich dem „heiligen Studium der Medicin"
zu widmen; gleich den meisten Aerzten seiner Zeit verband er hiermit
ein so gründliches Studium der besehreibenden Naturwissenschaften,
wie dies heutzutage gewiss nur selten der Fall ist. Freilich hatte
sich damals die Medicin noch nicht von dem Bann der klassischen
Autoritäten, vor allem des Hippoerates und Galenus befreit, denen
Avicenna, Rhazes, Mesue und die übrigen arabischen Commentatoren
und Aerzte fast gleichgeachtet waren; als wichtigste Aufgabe der
Heilkunst wurde angesehen, die Arzneimittel, von denen Dioscorides
in seiner Materia medica eine klassische Bearbeitung hinterlassen
hatte, deren Kenntniss aber in den finstem Jahrhunderten des Mittel-
alters zum grossen Theil verloren gegangen war, wieder aufzufinden,
*) Verfasser dieser Biographie ist Geheimer Regierungsrath Prof. Dr. Ferdinand Cohn.
**) Die Orthographie des Namens ist, wie gewöhnlich im l6. Jahrhundert, schwankend;
wir finden denselben mit d, mit dt und mit t geschrieben; wir halten uns deshalb an die
jetzt übliche Schreibweise. Eine Beziehung zu der Familie des bekannten Theologen Caspar
von Sehwenekfeld auf Ossig (1490 — 1561), eines Zeitgenossen Luthers, ist nicht nachweisbar;
die adlige Familie von Sehwenekfeld starb schon im 16. Jahrhundert aus. Am 22. Dec. 1626
wurde nach Schimon: der Adel in Böhmen, wieder ein Caspar von Sehwenekfeld in den
böhmischen Adelstand erhoben; in welchem Verhältnisse dieser zu unserem Naturforscher
stand, ist nicht ermittelt.
***) Die älteste Quelle für Schwenckfeld's Biographie ist ausser seinen eigenen Schriften
sein Görlitzer Zeitgenosse Mart. Meister in: Annales Gorlic. für 1609, abgedr. in Hoffmann
Script, rer. Lusat. Vol. I, P. II, S 75 ; auf ihr beruhen auch die Nachrichten bei (Burghart)
der forschende Schlesier, Breslau und Leipzig 1758, S. 113; doch sind einzelne Daten wie
bei allen Späteren ungenau, und hier zum ersten Mal in möglichster Vollständigkeit richtig
gestellt.
und da die meisten dieser Heilmittel aus dem Pflanzenreich stammten,
so war damit für den Arzt vor allem die Nothwendigkeit gegeben»
in der Flora der Heimat und des Auslandes sich nach den klassischen
Heilpflanzen umzuschauen, dann aber auch solche Gewächse, die den
Griechen und Arabern unbekannt geblieben waren, auf ihre Heilkräfte
experimentell zu erproben. Hierdurch entwickelte sich seit der Mitte
des 15. Jahrhunderts eine innige und nachhaltige Verbindung zwischen
Medicin und Botanik; wir finden in der That, dass, wie überall, so
auch in Schlesien fast alle Aerzte, deren Namen im 1 6. Jahrhundert
als Meister in der ärztlichen Praxis, als medicinische Schriftsteller
oder Universitätslehrer überliefert werden, sich auch mit Botanik ein-
gehend beschäftigt haben.
Um sich eine humanistische Bildung zu erwerben, bezog Schwenck-
feld 1579 im Alter von 16 Jahren die Leipziger Hochschule, und
wurde 1582 daselbst Baccalaureus; das medicinische Studium sollte,
wie damals üblich, auf den Universitäten des Auslandes betrieben
werden. Doch vorher musste er seiner beschränkten Mittel wegen
noch zwei Jahre lang sich begnügen, als Amanuensis des auch der
Botanik kundigen Physikus von Colmar, Dr. Joh. Jacob Wecker
(f 1586) die Arzneikunst praktisch zu erlernen. Im Jahre 1585
beabsichtigte Schwenckfeld die medicinischen Facultäten von
Frankreich zu besuchen; er erkrankte aber in Genf an einem
Quartanfieber so heftig, dass er in Lebensgefahr schwebte und
zur Herstellung seiner Gesundheit nach Basel zurückkehren musste.
Durch die Krankheit entkräftet und von allen Geldmitteln entblösst,
wäre Schwenckfeld hier der Verzweiflung anheimgefallen, wenn nicht
der Decan der medicinischen Facultät zu Basel, Caspar Bauhin, als
Arzt, Anatom und Botaniker gleich berühmt, sich seiner angenommen
und durch seine Wohlthaten ihn dem Leben und der Wissenschaft
erhalten hätte. So blieb denn Schwenckfeld in Basel als Student der
Medicin und Philosophie, und wurde der eifrigste und dankbarste Schüler
Caspar Bauhins. Dieser, geboren zu Basel 1550, wird von Goeppert
mit Recht als einer der ersten Botaniker seiner, wo nicht aller Zeiten
bezeichnet; „in ihm gipfelt," wie Julius Sachs in seiner Geschichte
der Botanik bemerkt, ,,das ganze erste Zeitalter der wissenschaftlichen
Botanik." Unter Bauhins Anregung veröffentlichte Schwenckfeld
1586 sein erstes Werk: Thesaurus Pharmaceuticus, medicamentorum
ere omnium facultates et praeparationes continens, ex probatissimis
quibusdam autoribus collectus per Gasparum Schwenkfeit Gryphi-
montanum Silesium. Cum indice locupletissimo. 80. Basel, Proben;
2. Auflage ibid. 1587; 3. Auflage Frankfurt 1630*).
*) Nova Literaria Germaniae, Hamburg 1705. S. 293; vollständigste Quelle für
Schwenckfeld's Schritten
31
Schwenckfeld wollte durch sein Buch, das dem Caspar Bauhin
g-ewidmet ist, ,.den Arzneischatz, dessen Studium von so vielen Aerzten
zum grossen Schaden der Kranken vernachlässigt und abergläubischen
alten Weibern und unwissenden Kräuterhändlern überlassen werde,"
den Medicinern leichter zugänglich machen, indem er aus den Griechen,
den Arabern, und den Neueren die zerstreuten und verwirrten An-
gaben über die einfachen Drogen (simplicia) und deren Verwendung
zu den Arzneien (composita) methodisch in eine Synopsis zusammen-
fasste. Das Buch besteht aus zwei Theilen, von denen der erste
die Simplicia, der zweite die Composita behandelt, und gewährt in
seiner knappen und streng logisch geordneten Darstellung ein er-
schöpfendes und getreues Bild von der Arzneimittel- und Arzneiver-
wendungslehre des i6. Jahrhunderts.
Cherlerius, auch ein angesehener Botaniker, redet seinen Freund
Schwenckfeld in einem Epigramm, das nach der Sitte der Zeit dem
Thesaurus pharmaceuticus vorangedruckt ist, folgendermassen an:
Wenn Du so \'iel schon geschaffen als Jüngling im blühenden Alter,
Wieviel wirst du dereinst leisten als Greis in der Kunst!
Schwenckfeld hat die Hoffnungen, zu denen seine Erstlingsschrift
die Zeitgenossen berechtigte, in vollem Masse erfüllt, obwohl er bei
M^eitem nicht das Greisenalter erreichte.
Von Basel kehrte Schwenckfeld 1587, mit dem Doctorhut in der
Philosophie und Medicin belohnt, nach seiner Vaterstadt Greifenberg
zurück, um sich dort drei Jahre lang der ärztlichen Praxis zu widmen.
Im Jahre 1591 wurde er vom Rath der Stadt Hirschberg zum ordent-
lichen Physikus bestellt; im October 1605 wurde er als Physikus nach
Görlitz berufen und starb daselbst am 9. Juni 1609 in seinem 46.
Lebensjahre. Beerdigt wurde er auf dem Frauenkirchhof zu Görlitz;
doch ist sein Grabstein, den er schon zu seinen Lebzeiten hatte an-
fertigen lassen, noch nicht aufgefunden worden*).
*) Bald nach seiner Niederlassung in Greifenberg verheirathete sich Schwenckfeld mit
Elisabeth Stäudner; in seinem Theriotropheum erzählt er (S. 599), dass seine Frau (carissima
conjxix) nachdem sie eine Spinne verschluckt, unter Vergiftungserscheinungen im Jahre 1597
erkrankt sei; sie starb 1604; von den Kindern überlebten 5 Söhne und 2 Töchter auch den
Vater. Zeller, Hirschberg. Merkwürdigkeiten 1720, S. 153, und Ezechiel, Epitaphia Siles. Ms.
Bresl. Stadtbbl. S. 790, erwähnen die Grabschrift eines dreijährigen Söhnchens von 1593. Aus
einer zweiten Ehe stammten ein Söhnchen , das in Görlitz vor dem Vater starb, und eine
Tochter; ein Postumus wurde noch erwartet. Am 13. April 1609, 3 Monate vor seinem
Tode, machte Schwenckfeld sein Testament, das noch im Görlitzer städtischen Archiv (Stadt-
buch de anno 1607 — 1619 fol. 68 b u. 75) aufbewahrt wird, und von dem Herr Stadtrath
Rauthe in Görlitz mir einen von dem städtischen Archivar Heinrich angefertigten Auszug
mitzutheilen die Güte hatte. In einem Codicill setzte Schwenckfeld 200 Thaler zu einem Univer-
sitätsstipendium aus, dessen Zinsen im Betrage von 12 Thalern jedesmal der älteste seiner
Söhne, Nachkommen oder Geschlechtsverwandten beziehen sollte, der zum Studiren Lust
Schwenckfeld als Arzt wird vonHenel imManuscr.derSilesia togata
und fast gleichlautend in der Silesiographia renov. (unter Gryphimon--
tiym) gerühmt: „er habe nicht daran gedacht, mit scheinbarer Geschäftig-
keit nicht s zu thun, noch auch seinen eigenen Ruhm undReichthum zu
mehren: sondern einzig und allein das Wohl des Kranken im Auge be-
haltend, sei er so einfach und zugänglich (simpl ex et facilis) gewesen, dass
er kein Bedenken getragen habe, die leichter erreichbaren Heilmittel
den kostspieligen und umständlichen, und die Vereinfachung der Re-
cepte der Vermehrung der Ingredienzien vorzuziehen". Die Bedeutung
dieses Lobes, das den Schüler Bauhins kennzeichnet, wird erst gewürdigt,,
wenn man sich daran erinnert, dass der in jener Zeit hochgeschätzte
Theriac des Andromachus aus 63, das Mithridatium aus 53 und das Anti-
dotum des Matthiolus gar aus 121 verschiedenen Bestandtheilen und
ausserdem noch aus Theriac und Mithridat zusammengesetzt war.
Aber jene angeborene Liebe (naturalis inclinatio) zur Erforschung
der Natur, die in Basel wissenschaftliche Schulung gewonnen hatte,
verliess den jungen Arzt in Schlesien nicht. Schwenkfeld begann
schon in Greifenberg, die Thiere, Gewächse und Minerale der Heimat,
über die damals noch so gut wie nichts bekannt war, eifrig und sorg-
fältig zu untersuchen. Zur Annahme des Hirschberger Physikats hatte
ihn die Nachbarschaft der königlichen Stadt zu den berühmten Thermen
(regale et ob vicinas Thermas nobile oppidum), ganz besonders aber
die Nähe des Riesengebirges angelockt. Er begann nun, alle Zeit, die
ihm die ärztliche Praxis frei Hess, zu Wanderungen im Gebirge, zu
Beobachtungen seiner Thierwelt, zum Untersuchen und Sammeln der
Pflanzen und Minerale zu verwenden; er scheute keine Mühe, um
aus allen Theilen des Landes Nachrichten über den Gebrauch und
die Eigenschaften seiner Naturproducte zusammenzubringen*). Aller-
dings war in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts die Zahl
der schlesischen Aerzte, welche sich mit Eifer für Naturwissenschaft
und ganz besonders für Botanik interessirten, eine ungewöhnlich
grosse geworden. Nachdem um die Mitte des 16. Jahrhunderts der
hätte; diesem sollte auch die gesammte Bibliothek (Lieberey) zufallen, sammt „der kleinen
Apotheke, den langen grossen Instrumenten, dem Clavicordio, der Mineraliensammlung (Area
metallica) und dem Sceleto in der Urne"; nur etzliche mit Zetteln bezeichnete Bücher
wurden „dem Baibier und den zween Apothekern" vermacht, für die auch die grosse Feld-
apotheke und der Steinmörser (Mortuarium marmoreum) bestimmt waren. Vergl. auch Otto,
Lausitzer Schriftstellerlexicon 1803.
*) In einem Briefe vom 12. Dec. 1598, der dem Schwenckfeldschen Catalogus stirpium.
vorgedruckt ist, schreibt der gelehrte Poliater von Schweidnitz, Tobias Fischer, er habe schon
früher von Collegen, dann aber auch von Schwenckfeld selbst bei einer gemeinsamen Con-
sultation zu Langenau und bei einer Apothekenrevision in Hirschberg gehört, dass dieser die '
Wurzeln und Gewächse, sowie die Metalle in Schlesien mit grösstem Eifer sammle und za
publiciren gedenke.
33
Leibarzt des Kaisers Ferdinand I., Peter Andreas Matthiolus von
Siena (■{- 1577), so viel wir wissen als der Erste, im Riesengebirge
botanisirt und an den unter dem Nordabhang des Krokonosch be-
legenen Eibquellen die erste schlesische Alpenpflanze, die Caryophyllata
montana (Geum montanum) entdeckt hatte, waren in den Jahren 1.570
bis 1582 an Clusius, den Leibarzt des Kaisers Maximilian IL und einen
der grössten Botaniker seiner Zeit, die ersten Nachrichten über die
eigenthümlichen Pflanzen des Gesenkes durch den fürstbischöflichen
Rath und Arzt der Markgrafschaft Mähren, Achilles Cromer von Neisse,
gleichzeitig durch den ebenfalls aus Neisse gebürtigen Leibarzt des Her-
zogs in Brieg, Friedrich Sebisch (tz) die interessantesten Beiträge aus der
Flora der Sudeten mitgetheilt worden, die Clusius in seinem Buche: Rar.
stirp. per Pannon. et. Austr. observ. hist. 1588 bis 1601 veröffentlichte.
Im nämlichen Jahre, avo Schwenckfeld von Basel nach seiner Vater-
stadt Greifenberg zurückkehrte, hatte der Breslauer Arzt Dr. Laurentius
Scholz seinen botanischen Garten eröffnet (1587), der durch den Reich-
thum einheimischer und exotischer, insbesondere aber officineller Ge-
wächse fast nur von dem der Universität Padua übertroffen wurde;
dieser Garten veranlasste regen Briefwechsel nicht blos mit den
Pflanzenfreunden der Heimat, sondern auch mit den Botanikern des
Auslandes, was um so leichter geschehen konnte, als die gelehrte
Welt im Latein damals eine Universalsprache besass, die dem interna-
tionalen Verkehr den Weg ebnete.
In dem von Laurentius Scholz 15 94 veröffentlichten und dem Achilles
Cromer dedicirten „Sermo de classicis autoribus rei Herbariae," der eine
versificirte Geschichte der Botanik, von Zoroaster und Democrit bis
zum Ende des 16. Jahrhundert enthält, gedenkt der Verfasser Joan.
Ferschius, M. & Phil. D. (nach Joch er S. 387 auch Dr. Theol., Canonic.
und päbstl. Protonotar in Breslau f 161 1), am Schluss auch der
schlesischen Botaniker seiner Zeit, deren Reihe mit dem alten
Woyssel beginnt und sodann nicht weniger als 15 Aerzte aufzählt*).
Von allen seinen Zeitgenossen ist jedoch Schwenckfeld der einzige,
der sein naturhistorisches und insbesondere sein botanisches AVissen
zu einer wahrhaft bedeutenden literarischen Leistung verwerthet hat.
Aufgefordert von seinen ärztlichen Collegen und anderen her-
*) Laur. Scholz, Melchior und Friedrich Sebisch, Joh. Franke, Caspar Schwenckfeli
(Schwenkius), Ach. Cromer, Jer. Gesner, Dan. Bucretius (Rindfleisch); Joh. Hermann,
And. Büttner, Casp. Pakisch, Paul Fridwald, Xennemann gen. Reysingh, Joh. 2^Iuselius
Christ. Rumbaum. Vergl. den meisterhaften, von warmem Patriotismus durchwehten Aufsatz
von A. W. Henschel: Zur Geschichte der botanischen Gärten und der Botanik überhaupt
in Schlesien im XV. und XVI. Jahrhundert. Allgemeine Gartenzeitung von Otto und
Dietrich. V. Jahrgang 1837. S. 1/9; im Auszug Jahresbeiicht der Schles. Gesell. 1851,
S. 137; auch Jatrologia Silesiae Heft i.
_34_
vorragenden Männern des Heimatlandes, entschloss sich Schwenckfeld
nach langem Zögern, das in mehr als zwölfjährigem mühevollen
Sammeln zusammengebrachte Material zu veröffentlichen „zum allge-
meinen Nutzen und zum Ruhm des Vaterlandes, eingedenk des
Platonischen Spruches : Non solum nobis nati sumus." Im Jahre 1 600
erschien: Stirpium et fossiliumSilesiaeCatalogus, in quo praeter etymon,
natales, tempus, natura et vires cum variis experimentis assignantur,
concinnatus per Casparum Schwenckfelt Reip. Hirsberg. Phys. Ord.
Lipsiae. Impensis Davidis Alberti Bibliopolae Vratislaviensis 4O 407 S.
Goeppert hat bereits im Jahre 1832 die Bedeutung dieses Buches
für die Geschichte der Botanik im Allgemeinen und für die Kenntniss
Schlesiens insbesondere so eingehend und sachverständig dargelegt),
dass es kaum möglich ist, etwas Wesentliches hinzuzufügen*). Es
ist die erste, in wissenschaftlichem Geiste aufgefasste Naturbeschrei-
bung Schlesiens, zugleich die erste Flora und Gaea eines Landes,
die überhaupt erschienen ist, ohne Vorarbeit und ohne Vorgänger**)
aber das Vorbild einer unendlichen Reihenfolge ähnlicher Werke.
Das Buch ist von Schwenckfeld seinem Pathen Herrn Caspar von
Warnsdorf in Gusmannsdorf dedicirt, „weil dieser sich für Philosophie
und Medicin, besonders aber für Botanik interessire, zugleich als
Dank für die von dessen Mutter und Brüdern empfangenen Wohl-
thaten".
In der Vorrede, die ,,Cervimontii in Museio nostro 1600'' datirt
ist, giebt Schwenckfeld einen kurzen Abriss der Geschichte der
Botanik, wobei er, wie fast alle schlesischen Humanisten, . sich als
frommer, streng bibelgläubiger Protestant erweist***). Er beginnt mit
Adam, der durch den verbotenen Genuss des Apfels seine Gesundheit
geschädigt und Krankheit und Tod in die Menschheit gebracht habe,
er rühmt die Naturkunde und insbesondere die botanische Weisheit
des Königs Salomo, geht dann zu den Heiden über, wo selbst Könige
*j Ueber die ältere Schlesische Pflanzenkunde als Beitrag zur vaterländsichen Culturge-
schichte. Schlesische Pro\'inzialblätter Bd. 96. S. 108 u. f. 1832.
**) Einzig und allein die von Goeppert bereits erwähnten: Silva hercynica von Thalius
welche Joach. Camerarius 1588 publicirte, und der vom Bischof von Pomesanien, Joh,
Wigand 1590 herausgegebene Catalogus herbarum in Borussia nascentium könnten unserem
Schwenckteld die Priorität streitig machen ; ausserdem erschien von dem Kamenzer Physikus
Johann Franke (Francus) 1594 ein „Hortus Lusati?e", der nur ein lateinisch-deutsch-wendisches
Namenverzeichniss von Lausitzer Pflanzen enthalten zu haben scheint. Nach Pritzel ist das
Euch nur im British Museum vorhanden.
***) Wie Meister berichtet, bewährte sich Schwenckfeld's trommes Gemiith bis zur To-
desstunde ; da er sein Ende herannahen fühlte, Hess er sich schon vorher den Sarg bringen
und setzte darauf die Inschrift: „Christus ist mein Leben. Sterben ist mein Gewinn"; bei
der Leichenpredigt wollte er von sich nur das eine anerkannt wissen, ,,dass er sich stets
bemüht habe, ein guter Christ zu sein."
35
sich mit Botanik beschäftigt haben, weshalb u. a. Gentiana nach dem
Illyrierkönig Gentius, Helenium nach Helena, Artemisia nach der
Gattin des Mausolus benannt worden seien; von den klassischen
Schriften werden die beiden (unechten) Bücher des Aristoteles über
die Pflanzen, Theophrastus, Hippocrates, Dioscorides, Galenus her-
vorgehoben, Plinius übergangen; dann folgen die Araber und der
Aufschwung der Botanik im vorhergehenden (XV.) Jahrhundert, der
mit den Venetianern (Hermolaus Barbarus) und Franzosen (Johannes
Ruellius) beginnt und mit dem berühmtesten der Zeitgenossen, Caspar
Bauhinus, abschliesst.
Hierauf folgt eine Auseinandersetzung, dass die Erde nicht überall
die nämlichen Thiere, Pflanzen und Gesteine hervorbringe; nicht blos
Ostindien, China, die Moluccen, Ceylon und andre ferne Länder, sondern
auch das Moscoviterreich (Moscovia), welches Pelzwerk, Preussen,
welches Elche und Bernstein liefere, auch Deutschland, einst barbarisch,
bringe heute viele werthvolle Erzeugnisse hervor. Was soll ich,
fährt Schwenckfeld fort, vom Lande der Elysier sagen? Schlesien,
obwohl eine kleine Provinz und durch die Sudeten und die nahen
Carpathen mehr von nordischer Natur (septentrionalior), ist doch reich
an Metallen, an Wiesen und Feldern, besonders reich an Flachs,
den vor allen andern Nationen der Boden Schlesiens in solcher Güte
und Menge hervorbringt, dass in keiner Wohnung, weder in den
Burgen des hohen Adels, noch in den Häusern der Städte, noch in den
Hütten der Landleute Spinnrad und Webstuhl fehlen.
In der Erkenntniss, wie mannigfaltig die Macht und Weisheit
des Schöpfers sich in den Thieren und Pflanzen, Metallen und Ge-
steinen seines Heimatlandes kundgebe, habe er es unternommen, ein
Verzeichniss , nicht aber eine vollständige Geschichte der Naturer-
zeugnisse von Schlesien zu veröffentlichen. Da man zu jener Zeit
von den geographischen Verbreitungsgesetzen der Thiere, Pflanzen und
Gesteine noch keine Ahnung hatte, war der Gedanke, die einem
bestimmten Landgebiete eigenen Organismen und Minerale in einen
Catalog zusammenzustellen, wissenschaftlich bedeutungsvoll.
Vorausgeschickt wird eine kurze geographische Beschreibung des
Landes unter folgenden Rubriken: Abstammung (Silesia oder Elysia
von Elisa, dem Sohn des Ja van, der in der Völkertafel der Genesis er-
wähnt wird); Lage; Eintheilung (in 15 Herzog thümer, dazu die
Grafschaft Glatz, Jägerndorf undLeobschütz; 4 freie Standesherrschaften
120 Städte, über igooo Dörfer); Gebirge (werden in Rand- und Mittel-
gebirge eingetheilt; zu letzteren Zobten, Striegauer Berge, Spitzberg,
Gröditzberg, Kynast u. a., zu ersteren Carpathen und Sudeten gerechnet;
in den Sudeten werden besonders geschildert der Riesenberg, mons
giganteus; der Flinzberg oder die Abendburg zwischen Zacken und
3*
Queis; die Iserwiese, welche reich ist an seltenen Gesteinen, und die
an Pflanzen besonders reichen Schneegruben, Dann folgen die von
diesen Gebirgen kommenden Flüsse; die Fru cht barkeit (die besten
Felder bei Strehlen und Leobschütz, dann die bei Glogau); Religion
(bei den meisten die reformirte, die mit grosser Sorgfalt unter
schweren Gefahren bis jetzt durch Gottes Gnade erhalten worden
ist). Von Schulen ist die erste in Schmograu, 966 errichtet, die
berühmteste in Goldberg. Von den Sitten der Einwohner wird gesagt,
dass sie human und civil seien, auch langer Lebensdauer sich er-
freuen, sich aber oft und leicht betrinken. Sodann werden die Ge-
lehrten Schlesiens aufgezählt, und zwar nach einander die Theologen,
Juristen, Aerzte, Geschichtschreiber, Mathematiker, Schulmänner,
Dichter und Maler, Bemerkungen über Handel, Gewerbe, Landwirth-
schaft, Lebensweise und Staatseinrichtungen der Schlesier machen den
Beschluss der Einleitung,
Der ,,Catalogus stirpium et fossilium" zerfällt in drei Bücher;
die beiden ersten umfassen die Flora von Schlesien. Der Aufzählung
der Gewächse werden einVerzeichnissvon 75 botanischen Autoren*) und
drei tabellarische Uebersichten vorangestellt; die erste bezieht sich auf
die Morphologie der Gewächse, die zweite auf die Verschiedenheiten
der Standorte: Landpflanzen, Wasserpflanzen und amphibische; die
Landpflanzen sind in Gewächse des Gebirges und der Ebene, in Pflanzen
des fetten, magern, Fels- und Sandbodens, die Wasserpflanzen in
Fluss-, Quell-, Sumpfgewächse und in solche der salzigen Gewässer
und des Seestrandes eingetheilt. Die dritte Tabelle ordnet die
Pflanzen nach ihrem Nutzen in Gemüse-, Getreide-, . Obst-, Zier-, aro-
matische und officinelle, sodann in wildwachsende und angebaute
Gewächse; die ersteren werden eingehend im ersten, die letzeren
im zweiten Buche abgehandelt.
Die Pflanzen sind nach dem alten Herkommen der Empiriker
alphabetisch geordnet, und zwar nach der lateinischen Benennung,
an welche die griechischen und deutschen Namen angefügt, oft noch
die in Schlesien üblichen Bezeichnungen besonders hervorgehoben
*) Schwenckfeld erwähnt in diesem „Catalogus autorum quorum in hoc opusculo fit
mentio" folgende Schlesische Aerzte: Christ. Rumbaum med., Jerem. Gesner, Laur.
.Schultz, Rob. Fischer med. Suidn., Joh. Francus phys. Camicensis und zwei Apotheker.
Dom. Heintz in Schweidnitz und Sebald Laurea in Breslau. Offenbar sind hier unter
„autores" nicht eigentlich Schriftsteller, sondern nur Correspondenten von Schwenckfeld zu
verstehen. In ähnlicher Weise hat Caspar Bauhin seinem berühmten „Pinax" ein Verzeich-
niss derer, die ihm Pflanzen oder Samen mitgetheilt hatten, vorangeschickt, darunter folgende
Schlesier: Schwenckfeld, Fridman, Monavius (Fried. Monau) , Georg Rumbaum, Joh.
Fleisser (Fleischer), Jo. Francus sen., Laur. Scholz sen.
37
sind*). Sodann folgt eine kurze, in der Reg-el auf wenige charakte-
ristische Merkmale beschränkte Beschreibung unter Berücksichtigung
des Standortes und der Blüthezeit; besondere Fundorte sind jedoch
nur ausnahmsweise bei selteneren Arten angegeben. Den Beschluss
macht eine Aufzählung der aus der Pflanze gewonnenen Producte
mit ausführlicher Angabe ihrer Verwendung, zumeist zu medicinischem,
doch unter Umständen auch zu ökonomischem, technischem und
anderem Gebrauch. Die angegebenen Heilkräfte und Wirkungen der
Pflanzen sind allerdings zu nicht geringem Theil blos eingebildete,
auf Treu und Glauben aus den alten Arzneimittellehren entlehnt; die
Volksheilmittel finden besondere Berücksichtig^ung, da Schwenckfeld
es als eine Aufgabe seiner Flora auffasst, die kostbaren, oft ver-
fälschten Drogen des Auslandes wo möglich durch die leicht und
rein zu erlangenden einheimischen Heilpflanzen zu ersetzen.
Goeppert hat bereits versucht, für die von Schwenckfeld aufge-
zählten Gewächse, deren Bezeichnung natürlich von den heut üblichen
zumeist erst durch Linne eingeführten Namen abweicht, die letzteren
auszumitteln und hiernach deren Zahl auf 8g 8 verschiedene Arten
angegeben, unter denen sich bereits die meisten selteneren Sudeten-
pflanzen befinden. "Wimmer, Flora von Schlesien, gab im Jahre 1857
die Zahl der Schlesischen Pflanzen (Phanerogamen und Gefäss-
kryptogamen) auf 1375 an; die neuste 1881 erschienene, unter Mit-
wirkung von R. V. Uechtritz von Emil Fiek bearbeitete Flora von
Schlesien enthält 151 3 Arten, wobei jedoch zu bemerken, dass das
Gebiet der letzteren durch Aufnahme der erst in unserem Jahrhundert
zu Schlesien gerechneten Lausitz erheblich grösser ist, als das von
Schwenckfeld bearbeitete, bei dem überdies auch Oberschlesien so
gut wie gar nicht vertreten ist. Denn während zwischen den pflanzen-
kundigen Aerzten in den Städten von Mittel- und Niederschlesien
ein reger wissenschaftlicher Verkehr stattfand, scheinen damals in
Oberschlesien solche Männer entweder nicht existirt, oder doch keine
wissenschaftliche Correspondenz mit ihren Collegen gepflogen zu haben.
Als ein besonderes Verdienst der Schwenckfeldschen Flora, die
selbstverständlich nicht nach dem heut geltenden Massstabe beur-
theilt werden darf, sondern nur mit gleichzeitigen Arbeiten, z. B.
der Silva Hercynica des Thalius in Vergleich gesetzt werden darf,
liegt darin, dass sie durchaus nicht eine Compilation aus anderen
*) Pritzel hat die voa Schwenckfeld aufgeführten Deutschen Pflanzennamen ge-
sammelt und in dem nach seinem Tode (f 1874) von Jessen herausgegebenen Buche ,,Die
Deutschen Volksnamen der Pflanzen" veröff"entlicht. Ein, jedoch nicht vollständiger Sonder-
abdruck von Schwenckfeldschen Pflanzennamen nach der Bearbeitung von Pritzel findet sich
in Schles. Provinzialblätter 1874 S. 421.
38
Büchern ist, sondern auf eigenen Beobachtungen oder doch auf
den erst von ihm gesammelten und geprüften Mittheilungen seiner
Freunde und Correspondenten beruht ; dies ergiebt sich auch aus
den zahlreichen Notizen über speciell schlesische Gebräuche und
Volksnamen; seltenere Pflanzen hatte er zu näherer Beobachtung
im eigenen Garten gezogen. Auch hat Schwenckfeld sich nicht auf
die mehr in die Augen fallenden Blüthenpflanzen allein be-
schränkt, sondern auch die blüthenlosen berücksichtigt, so dass
Milde in seinen „Gefässkryptogamen Schlesiens 1857" einen grossen
Theil derselben und darunter die seltensten schon bei Schwenck-
feld nachweisen konnte. Nach Mildes Ermittelungen zählt
Schwenckfeld 31 schlesische Gefässkryptogamen auf; die Fieksche
Flora von 1881 enthält deren 58 Arten. Ebenso hat Schroeter bei
der Bearbeitung der Schlesischen Pilze in der ,,Kryptogamenflora
von Schlesien" 1885 hervorgehoben, dass Schwenkfeld bereits einige
20 noch jetzt bestimmbare Pilzarten, darunter 12 essbare, gekannt
hat; Hausschwamm und Champignon befinden sich jedoch nicht unter
ihnen.
Das zweite Buch des „Catalogus stirpium" enthält die in
schlesischen Gärten und Feldern angebauten oder in Gewächshäusern
(viridaria) gezogenen, aber nicht wild wachsenden Pflanzen (Stirpes
hortenses), Bäume, Strauch er und Kräuter, im Ganzen ca. 525 Arten
und Sorten, welche in ähnlicher Weise wie die einheimischen be-
arbeitet und alphabetisch geordnet sind. Auch von diesen hat
Goeppert (1. c. u. a. a. O.) eine ausführliche Uebersicht gegeben, und
daraus den hohen Culturstand der schlesischen Gärten und Felder
am Ende des 16. Jahrhunderts festgestellt; eine vollständige, kritische
Bearbeitung des Schwenckfeldschen Catalogus stirpium, welche auf die
Culturgeschichte Schlesiens im allgemeinen und auf die Geschichte
der Schlesischen Flora insbesondere ohne Zweifel noch manches
neue Licht werfen würde, wird jedoch noch immer vermisst.*)
An den „Catalogus stirpium" schliesst sich als drittes Buch der
ebenfalls 1600 erschienene Catalogus, omnis generis mineralia,
metallica, metalla, succos, terras, lapillos, fontes medicatos et thermas
continens, mit einem Motto aus Hiob (28. i, 2, 6) und einer Dedication
an Conrad von Hohberg, den Besitzer vieler Bergwerke, Herrn auf
Fürstenstein, Freiburg, Friedland, Gottesberg etc.
*) Nach Goeppert, Schles. Provinzbl. 1832. B. 96. S. 204, hat der Londoner Apo-
theker James Petiver, der Herausgeber mehrerer naturhistorischer Kupferwerke, auch ein
solches unter dem Titel : Plantae silesiacae rariores ac desideratae ex Schwenckfeldio ex-
cerptae et methodo Rajana dispositae. Londini 1717 fol. herausgegeben; in Pritzel Thesau-
rus literaturae botanicae findet sich kein solches Werk unter Petiver's Schriften aufgeführt;
doch citirt es Haller Bibl. bot. H. 25 mit etwas anderem Titel Lond. 1716, fol. plag. I.
AI
Auch hier werden nach einer tabellarischen Eintheilung und
Uebersicht die einzelnen Fossilien (185 Nummern) alphabetisch be-
handelt; die Beschreibungen sind im Allgemeinen ausführlicher als
bei den Pflanzen, die deutschen Namen sind den lateinischen regel-
mässig- zugefügt, die Fundorte meist genau angegeben. So werden
als F'undorte für gediegen Gold aufgeführt: Goldberg, Zuckmantel
Reichenstein, Löwenberg, Striegau, Langenau und Grünau u. a. O. bei
Hirschberg, Schwarzenthai oder Neudorf an der Iser, Freiheit bei
Johannisbad, verschiedene Punkte des Riesengebirges, insbesondere
der Riesengrund, sowie die Iserwiese. Die wichtigsten mineralischen
Vorkommnisse in Mittel- und Niederschlesien dürften sich hier be-
reits zusammengestellt finden; Oberschlesien dagegen ist gar nicht
berücksichtigt; von seinen reichen Metall- und Kohlenschätzen scheinen
damals nur das Vorkommen von Silber bei Beuthen und von Silber
und Blei bei Tarnowitz bekannt gewesen zu sein.
Steinkohle (Carbones fossiles, av^paxs^ '(biüc,zi<; Theophr.) kennt
Schwenckfeld nur von Schatzlar und Gottesberg; die letzteren sind die
bessern und werden von Eisenschmieden statt Holzkohlen verwendet,
weil sie länger anhalten, doch sind sie zu feinerer Arbeit nicht
brauchbar, weil sie das Eisen brüchig machen. Auch fossiles Eichen-
holz, Fichtenholz und Ebenholz (Dryites, Elatites, Ebenites) so wie
Donnerkeile oder Albschosse (Belemniten) werden erwähnt. Da
Schwenckfeld, wie der Titel anzeigt, nicht blos die eigentlichen
Minerale, sondern Alles, was aus der Erde stammt, in seinen Catalog
aufgenommen, so erwähnt derselbe unter anderen auch die Wütteringen
(Exhalationes ardentes); sie sollen im Herbst und selbst in Sommer-
nächten häufig im Gebirge sichtbar sein, ebenso wie die fliegenden und
springenden Feuer (Irrwische).,Veilchenstein (Jolithus) ist richtig erkannt
als ein röthliches Moos, das den Steinen der Sudetenkämme fest ange-
wachsen ist. Auch die aus der Erde ausgegrabenen Thongefässe, vasa
fictilia (Erdtöpfe, gewachsene Töpfe, Zwergtöpfe), werden in ihren ver-
schiedenen Formen beschrieben: mit engem Hals und geschwollenem
Bauche, mit einem, zweien, dreien, oder auch ohne Henkel, mit und ohne
Deckel, gelb, grau oder röthlich; erwähnt wird ihr häufiges Vorkommen
bei Sorau, Guben, Sommerfeld, und dass sie, in der Erde feucht und
weich, an der Luft erhärten. Das Volk glaube, sie seien in der Erde
gewachsen. Andere, sie seien das Werk der Zwerge; die Gelehrten
aber meinen, es seien die Begräbnisse der Germanen gewesen,
welche die Asche vom Scheiterhaufen darin gesammelt und unter
einem Hügel im Sande vergraben hätten.
Interessant sind Schwenckfelds Berichte über die Schlesischen
Mineralquellen, die ja überhaupt erst im 16. Jahrhundert zu rationeller
medicinischer Verwerthung gelangten. Er theilt sie ein in kalte und
40
in warme, Thermen; letztere sind lau, wie Landeck und St. Johannis-
brunnen(Johannisbad)oder warm, wie derHirschbergerBrunnen(Warm-
brunn). Von diesem, den Schwenckfeld genau kennt und, wie wir bald
sehen werden, später noch einmal monographisch bearbeitet hat, giebt
er an: im steinernen Bade sei das Wasser so warm, dass man wegen
übermässiger Hitze die Hand im Quell nicht ohne Belästigung halten
könne. In Johannisbad dagegen müsse das Wasser erst durch hin-
eingethane heisse Steine in die zum Bad erforderliche Temperatur
erwärmt werden, so dass manche die Wirksamkeit den Steinen und
nicht dem Wasser zuschrieben. Auch in Landeck, dessen Thermen
1501 renovirt und restaurirt worden seien, müsse das Wasser wegen
zu grosser Kälte erst künstlich durch Feuer angewärmt werden.
Die Temperatur der Warmbrunner Quellen liegt in der That zwischen
35 — 43O, die von Johannisbad beträgt 29,60, die von Landeck
25 — 28^. C. Man hielt, wie Schwenckfeld erzählt, die Thermen am
wirksamsten am Tage St. Johannis (24. Juni), weshalb auch Johannis-
bad diesem Heiligen geweiht war.
Die kalten Quellen werden in Säuerlinge oder Bierbrunnen
(Acidulae) und in Salzbrunnen (Salsulae) unterschieden. Zu den Bier-
brunnen wird Flinsberg (beim Dorfe Fegesbeutel, wo man zur
Iserwiese geht) und Liebwerda gerechnet. Ueber den ,, Salzbrunn
unter dem Hochberg" berichtet Schwenckfeld, er habe von demselben
erst zufällig erfahren, als er 1597 zu einem ärztlichen Consilium nach
Schloss Fürstenstein berufen wurde, wo Conrad von Hochberg an
einem Abscess am Schenkel darniederlag und von ihm durch eine ge-
eignete Diät und den Gebrauch des Warmbrunner Bades wieder-
hergestellt wurde. Er habe darauf den Brunnen besichtigt, und sein
Wasser untersucht, das in der Mitte eines viereckigen Gemäuers
aus einem Fass hervorquoll und von den benachbarten Bauern zur
Erquickung in Sommerhitze und zur Tränkung der Rinder benutzt
wurde, deren Milchreichthum es vermehren sollte. Es scheint hier-
nach, dass erst durch Schwenckfeld der Grund zu dem ärztlichen
Weltruf des Salzbrunnen gelegt worden ist.
Im Jahre 1603 erschien endlich, als Abschluss des grossartigen
Unternehmens, die Fauna von Schlesien unter dem Titel: Theriotro-
pheum Silesiae, in quo animalium h. e. quadrupedum, reptilium, avium,
piscium, insectorum natura vis et usus 6 libris perstringuntur,
concinnatum et elaboratum a Casp. Schwenckfeld, medico Hirsberg.,
Omnibus Philosophiae, Medicinae et Sanitatis studiosis profiturum,
Lignicii, Impens. Dav. Alberti Bibliop. Vratisl. 4. 563 S. Wie der
„Catalogus stirpium" die erste Flora, so ist der „Schlesische Thier-
garten" die erste Fauna, die von einem Lande überhaupt an die
Oeffentlichkeit gebracht worden ist. Das Buch ist dem Herrn Joach.
41
Nostitz von Noes „der auf deutschen und französischen Universitäten,
insbesondre in Paris studirt und sich ernstlich auch für Medicin
interessirt habe", gewidmet. In der EpistolaDedicatoria, welche, wie in
jener Zeit allgemein üblich, die Stelle einer Vorrede vertritt, und in
welcher der gelehrte Pedantismus des 17. Jahrhunderts bereits sich
nur allzu weitschweifig ausspricht, wird der Nutzen der Zoologie aus
dem alten und neuen Testament wie aus den Classikern erwiesen;
schon die alten jüdischen Patriarchen, und der König Salomo, nicht
minder aber auch Alexander der Grosse und die römischen Welt-
eroberer hätten sich mit der Zucht und Sammlung von. Thieren be-
schäftigt, ganz besonders nothwendig aber sei die Kenntniss der
Thiere für den studirenden Arzt wegen der vielen Heilmittel aus dem
Thierreich; für Gicht- und Steinleidende, wo es besonders auf eine
gute Diät ankomme, sei es wichtig, die gesunden Fleischsorten
kennen zu lernen u. s. f.
Im Gegensatze zu der pedantischen Vorrede ist das Werk selbst
voll gesunder Naturanschauung und unbefangener Beobachtungen. Das
erste Buch, dem ein Verzeichniss von nahezu 100 zoologischen
Autoren, unter denen sich kein einziger Schlesier befindet, und
7 Widmungsgedichte vorgedruckt sind, enthält die allgemeine Zoologie
mit besonderer Beziehung auf die Fauna von Schlesien, sodann eine
Einth eilung der Thiere nach Wohnort, Lebensweise und Organisation;
hierauf folgt generelle Anatomie, Fortpflanzung und Nutzen der Thiere.
Das zweite Buch (vivarium) behandelt die schlesischen Säuge-
thiere und deren besondere Anatomie, welche mit grösster Ausführlich-
keit bearbeitet ist; die einzelnen Thiere sind alphabetisch aufgeführt;
zuerst ,,Alce,'AX7,-^, Elch," das indessen zwar häufig in Ungarn, Preussen
und Lithauen, nicht aber in Schlesien vorkomme, doch werden Felle und
Klauen eingeführt. Da nämlich das Buch für Studirende zugleich
als Lehrbuch der Zoologie bestimmt war, so wurden, wie das angeführte
Beispiel zeigt, ausser den in Schlesien wirklich einheimischen auch
solche Thiere aufgenommen, die nur gelegentlich in Menagerien
oder Zwingern zu sehen waren, wie Tiger, Löwe, Kameel, Elephant
Papageien u. a.; ebenso sind die Thiere, von welchen gewisse Theile
zu medicinischen oder anderen Zwecken eingeführt wurden, berück-
sichtigt; so u. a. auch die Seefische.
Die Beschreibungen sind meist sehr ausführlich; hier und da er-
wähnt Schwenckfeld, dass er ein geschossenes Thier zum Geschenk
erhalten, seine Section vorgenommen und den Mageninhalt untersucht
habe. Lebensweise und Wohnort werden genau geschildert; be-
sonders eingehend wird die Verwendung behandelt, insbesondere
die ökonomische bei den Hausthieren, während die medicinischen
Wirkungen wohl zum grössten Theil fabelhaft sind. AVährend Elch
42
und Ur am Ende des 16. Jahrhunderts in Schlesien nicht existirten *),
was im Gegensatze zu abweichenden Angaben hervorzuheben ist,
sind Bär und Wolf im Gebirge noch so häufig, dass sie nicht blos
Rehe und Hirsche, sondern auch die Heerden und selbst die Menschen
gefährden; ein Luchs wurde 1601 hinter dem Kynast geschossen.
In ähnlicher Weise wie die Säugethiere, und mit ausführ-
lichster Darstellung der Anatomie, Fortpflanzung und Lebensweise,
werden in den folgenden Büchern die übrigen Thierklassen behandelt,
und zwar im dritten die Reptilien, im vierten (aviarium) die Vögel,
im fünften die Fische, zu denen auch Krebse, Wasserschnecken und
Flussmuscheln gezählt sind; von den letzterenwerden die Perlen im Queis
von Mohnkorn- bis Erbsengrösse gerühmt. Das sechste und letzte
Buch behandelt die schlesischen Insecten, mit denen die Würmer
vereinigt sind: Bienen, Ameisen, Seidenraupen sind ganz besonders
ausführlich dargestellt.
Während das grosse Werk über die Naturgeschichte von Schlesien
sich an die ganze gelehrte Welt wendet und deshalb lateinisch geschrieben
ist, ist die von Schwenckfeld verfasste Monographie des Warmbrunner
Bades für das grössere Publikum bestimmt und demgemäss in deutscher
Sprache geschrieben**). Sie erschien 1607 bei Joh. Rhambaw zu
Görlitz, dessen Physicus Schwenckfeld inzwischen geworden war, unter
dem Titel: Hirschbergischen Warmen Bades in Schlesien, unter dem
Riesen Gebürge gelegen, kurze und einfältige Beschreibung, was
dessen Natur, Artey, Eigenschaft, Kraft und Wirkung: und Wie
es recht und nützlich zu gebrauchen, was vor eine Diät darinnen
zu halten, auch wie man den Zufällen begegnen und abhelfen möge.
Neben einem allgemeinen Bericht von mineralischen Wässern und
Wildbädern u. s. w. Gestellet und verfasset durch Casparum Schwenck-
feldt Phys. reip. Görlitz, ordin. 80. Gewöhnlich beigebunden ist eine
im nämlichen Jahre von Schwenckfeld verfasste Beschreibung der
Thermen von Teplitz „Thermae Teplicenses. Von des Töplitzen warmen
Bades in Böhmen, nicht weit von Graupen gelegen, Ursprung, Gelegen-
heit, Abtheilung, Natur, Eigenschaft und rechtem Gebrauch" 8^, 34 S.
Das Büchlein ist der Frau Magdalena Waldsteinin, Gemahlin des
Christoph Hans von Waldstein auf Arnau gewidmet.
Wie schon der Titel anzeigt, giebt diese älteste aller schlesischen
Badeschriften vor allem diejenigen praktischen Nachrichten, welche
*) Versprengte Elche sind von Zeit zu Zeit bis nach Schlesien gekommen ; das letzte
ist nach Zeitungnachrichten im Herbst 1888 im Trebnitzer Kreise geschossen worden.
**) Mereklin (Lindenius renovatus de scriptis medicis Nürnberg 1686, S. 163), citirt
auch eine lateinische Ausgabe: Descriptio et usus Thermarum Hirsbergensium cui accedit
de aquis mineralibus et thermis ferinis instructio generalis. Gorliciae bei Bartolom. Voigt,
1607, 8 0.
43
den Besuchern des Warmbrunner Bades in Bezug auf dessen Ein-
richtung und Benutzung, auf die dabei zu beobachtende Diät, auf
seine Heilwirkung in den verschiedensten Krankheiten u. s. w. zu
wissen erforderlich ist; es enthält auch „etliche Gebete, die vor,
während und nach der Badecur, Morgens und Abends zu ge-
brauchen." Der erste Theil handelt von den mineralischen Wassern im
Allgemeinen, der zweite von dem Hirschbergischen warmen Bade ins-
besondere; der dritte Theil lehrt, wie sich Badegäste mit bequemenen
und nützlichen Ertzneyen versehen, auch wie man den Zufällen köm-
lich begegnen und abhelfen könne. Aber an die praktischen und
medicinischen Abtheilungen schliesst sich als vierter Theil ,,Von den
Kräutern und Mineralien, welche um diesen warmen Brunnen auf
dem Gebürge fürnehmlich zu finden sind." Hier ist die Flora und
Gaea des Gebirges gegeben, „dessen höchster und fürnehmster Berg
der Riesenberg genennet wird weil er als ein hoher Riese mit
seiner Koppe vor den andern allen herfürraget;" sie ist noch voll-
ständiger als im Catalogus stirpium et fossilium und giebt Zeugniss
von dem unermüdlichen Forschertrieb des trefflichen Mannes. Die
Pflanzen und Gesteine sind hier ebenfalls alphabetisch, aber nach
ihren deutschen Benennungen geordnet. Charakteristisch für seinen
unbefangenen Beobachtungssinn ist, dass Schwenckfeld sich zwar
verpflichtet fühlt, über den ,, wilden Berggeist Rübezahl'', der in allerlei
Gestalten auf dem Berge sein Spiel treibe, in voller Ausführlichkeit
zu berichten und die Ansichten der Gelehrten und des Volkes über
sein Wesen mit aller Gründlichkeit aufzuzeichnen; jedoch fügt er
hinzu, er selbst habe, obwohl er vielmal daroben gewesen, und die
Gebirge hin und wieder durchgangen, auch des Nachts daroben ge-
legen, aber von Rübezahl nichts spüren noch sehen mögen. Auch er-
klärt er offen, dass von den wunderbaren Schätzen und reichen
Erzgängen, die angeblich im Gebirge versteckt sind, und nach denen
von abergläubischen Bergleuten vielfach gegraben wurde, niemals
etwas Besonderes in Wirklichkeit gefunden worden sei.
Es ist ein günstiges Zeugniss für das wissenschaftliche Interesse
der Schlesier in den ersten Decennien des 17. Jahrhunderts, dass eine
so gelehrte Badeschrift schon nach wenig Jahren vollständig ver-
griffen war, und deshalb bereits 1Ö19, zehn Jahre nach Schwenckfelds
Tode eine neue revidirte und corrigirte Auflage von Georg Opitz,
Mitwohner und Buchbinder in Hirschberg herausgegeben wurde. In
der dritten Auflage, die 1708 mit etwas abgeändertem Titel (gründ-
liche Beschreibung des Hirschberger warmen Bades u. s. w.) ohne
Angabe des Druckortes erschienen, ist die Aufzählung der Flora und der
Minerale des Riesengebirges weggelassen : offenbar weil das Badepu-
blikum von Warmbrunn bereits im vorigen Jahrhundert das Interesse
44
an diesen naturhistorischen Belehrungen verloren hatte und diesel-
ben für ebenso überflüssig hielt, als sie heutzutage dem Verfasser und
dem gewöhnlichen Leserkreis einer Badeschrift erscheinen würden.
Caspar Schwenckfeld ist der letzte unter den humanistisch ge-
bildeten schlesischen Aerzten, welche imVerlauf des XVI. Jahrhunderts
mit der Medicin gründliche Kenntnisse in den beschreibenden Natur-
wissenschaften verbanden: er bezeichnet zugleich den Höhepunkt, den
die Erforschung der Natur und ihrer lebenden und leblosen Er-
zeugnisse auf schlesischem Boden damals erreichte: im 17. Jahr-
hundert tritt bald auf allen Gebieten geistigen Lebens ein Rückgang
ein, der erst nach der preussischen Besitzergreifung allmählich
wieder durch eine aufsteigende Bewegung verdrängt wurde. Man
hat Schwenckfeld den schlesischen Plinius genannt, und in der That
ist seine Naturgeschichte, wenn auch auf ein kleines Landgebiet
beschränkt*], doch der Historia naturalis des römischen Encyclopädisten
verwandt in der Grossartigkeit des Unternehmens, das alle drei
Naturreiche g^leichmässig umfasst, in der Vielseitigkeit der Ge-
sichtspunkte, in der Fülle der gesammelten und verarbeiteten Beob-
achtimgen. Aber Plinius war doch nur ein Compilator, der seine
Naturgeschichte aus älteren Büchern ohne Kritik und ohne Sach-
kenntniss zusammenschrieb; seine culturgeschichliche Bedeutung
beruht wesentlich nur darin, dass durch ihn die Ergebnisse der
verloren gegangenen griechischen und römischen Naturforschung er-
halten worden sind. Schwenckfeld dagegen war selbst ein wirklicher
Naturforscher, der seine Beobachtungen nicht aus Büchern, sondern aus
*) Prorector Dr. Schummel bemerkt in einem Vortrage, den er am 27. Sept. l8ll in
der schlesischen Gesellschaft ..über die frühere Naturkunde Schlesiens" hielt, und der in
dem Correspondenzblatt der schles. Gesellschaft 2. Jahrg. 2. Heft, Xo. 9 — 18, 181 1 abgedruckt
ist: ,, In den Abhandlungen der Böhmischen Gesellschaft der Wissensehaften 1787 wird eine in
der Strahofer Bibliothek zu Prag aufbewahrtes Manuscript von Schwenckfeld „historia
serpentum" aufbewahrt, das von ihm selbst geschrieben ist. Dieses Manuscript scheint
eigentlich der Entwurf zu jenem, naeh welchem Schwenckfeld sein Theriothropheum und
den Catalogus stirpium et fossilium drucken liess, es enthält mehre Anmerkungen und
Beobachtungen als das gedruckte, und es scheint vielmehr, dass es eine allgemeine
Naturgeschichte werden sollte, da er in der gedruckten nur die schlesischen Natur-
producte angab." Schummel bemerkt mit Recht: ,,Um Schwenckfelds ganzen naturhistorischen
"Werth zu schätzen, müsse man nothwendig dieses ^Manuscript zur Hand haben." Ich ver-
danke die Kenntniss des Schummeischen Aufsatzes, in welchem zuerst das Andenken an
Männer wie dato, Laur. Scholz, Caspar Schwenckfeld, die beiden Volkmann und andere
schlesische Naturforscher des XV^I. und XVII. Jahrhundert wieder erneut worden ist, der
gütigen Mittheilung des Stadtbibliothekars Prof. Dr. Markgraf, der mich auch sonst bei
diesen Studien bereitwilligst unterstützt hat. Jöchers Gelehrten-Lexicon führt von Schwenck-
feld noch einen Catalogus Silesiorum doctrina illustrium virorum an, der mit dem Ver-
zeichniss der gelehrten Schlesier in der geographischen Einleitung des Catalogus stirpium
identisch zu seiu scheint.
45
der lebenden Natur schöpfte. Seine Schriften sind mit Recht von
A. W. Henschel als ein Nationalwerk bezeichnet worden; die vielen
Schwächen und Lücken derselben erklären sich zur Genüge aus dem all-
gemeinen Zustande der Naturwissenschaft in seiner Zeit. Dass heut-
zutage kein Naturforscher im Stande wäre, gleichzeitig die Thiere,
Pflanzen und Gesteine eines Landes zu bearbeiten, wie Schwenckfeld
es gethan, mag an den ausserordentlich gesteigerten Ansprüchen
liegen, die wir heut an dergleichen Werke stellen, und die eine
Specialisirung auf ein einziges Gebiet zur Nothwendigkeit machen.
Doch wenn wir uns auch nur allein auf die Flora von Schlesien
beschränken, so vergingen 176 Jahre, ehe Schwenckfeld in dem
Grafen Heinrich Gottfried von Mattuschka, dem Verfasser der Flora
Silesiaca, einen Nachfolger fand, der die Zahl der schlesischen
Pflanzen von 898 auf 1221 brachte*).
Die Leistungen Schwenckfelds sind um so höher zu schätzen,
als er durchaus keine Vorgänger hatte, deren veröffentlichte Arbeiten
ihm hätten zu Gute kommen können; wir können von ihm sagen:
Schwenckfeld hatte Schlesien in naturwissenschaftlicher Hinsicht als
terra incognita vorgefunden, und er hat es hinterlassen als ein in
seiner gesammten Natur, in seiner Thier- und Pflanzenwelt, wie in
seinen mineralischen und metallischen Schätzen so sorgfältig durch-
forschtes Land, wie es kein zweites zu seiner Zeit gegeben hat.
*) Die Phytologia magna, das zehnbändige Prachtwerk der Liegnitzer Aerzte, Isaak
Volkmann (1634 — 1706) und seines Sohnes Dr. G. Anton Volkmann (1664 — 1721), das nach
dem Bericht in Christ. Rungii Miscellanea literaria II, S. 70, Brieg 171 3, auf selbstständigen
Beobachtungen und Sammlungen beruht und kostbare Originalabbildangen enthält, ist niemals
publicirt worden und wird in der königl. Bibliothek zu Dresden aufbewahrt; Vergl. auch
Goeppert, 1. c. S. 199
46
Johann Jessenins von Jessen (aneh Jessensky).
J<
lohann Jessenius von Jessen entstammt einer altadligen Familie
aus Ungarn , welche nächst ihrem Stammhaus Nagh oder Gross
Jessen über einen riesigen, in der Nähe von Ofen gelegenen Güter-
complex verfügte. Als ein grosser Theil ihres Besitzthums 15 14
nach der Einnahme der Hauptstadt Budapest in die Hände der Türken
fiel, begaben sich Lorenz und Balthasar, Söhne des Stephan Jessenski,
Richters und Hauptmanns der Grafschaft Thuroch in Ungarn, nach
Schlesien. Balthasar war der Vater unseres grossen Arztes und
Märtyrers der Politik, Johann Jessenius von Jessen. Dieser, geboren
den 27. Dezember 1566 zu Breslau, bezog nach Absolvirung des
Gymnasiums zu St. Elisabeth im Jahre 1586 die Universität Leipzig,'
um sich dem medicinischen Studium zu widmen. Von da wandte er
sich 1588 nach Italien, dem gelobten Lande der Wissenschaften,
wie es damals üblich war. Nachdem er in Padua auf Grund seiner
öffentlichen Discussion über die aristotelische Philosophie die Doctor-
würde erlangt, ging er nach Venedig, und hier war es, wo er zum
ersten Male in die Oeffentlichkeit trat, indem er seine Abhandlung:
„de divina humanaque philosophia" dem römischen Kaiser Rudolph IL
dedicirte, eine unglaubliche Kühnheit, wie sie einem Studenten in
solch' jugendlichem Alter sicherlich nicht geziemte. Jessen geht darin
von der Ansicht aus, dass diejenigen Staaten glücklich zu nennen
wären, deren König ein Philosoph sei und concentrirt schliesslich
seine Ausführungen in einer übertriebenen Lobeserhebung seines
kaiserlichen Herren.
Was er in dieser Erstlingsarbeit in gedrängter Kürze auseinander-
gesetzt, führte er in weit grösserem Umfange in dem 1593 ^^
Wittenberg herausgegebenen ,,Zoroaster" aus. Aus Italien kehrte er
zunächst nach Breslau zurück und prakticirte daselbst einige Zeit
lang. 1595 trat er als Docent in der medicinischen Facultät der
Universität Wittenberg aut. Die umfassende Gelehrsamkeit Jessens,
welche zahlreiche Zuhörer zu seinen Vorlesungen lockte, fand sehr bald
entsprechende Würdigung durch seine Ernennnng zum ordentUchen
Professor der Medicin an dieser Universität und zum chursächsischen
Leibarzte. Jessen war insbesondere als anatomischer Lehrer von
grosser Bedeutung. Trotz aller Anfeindungen und niederen Ver-
dächtigungen, die er wegen seiner Beschäftigung mit praktischer
Anatomie von theologischer Seite erleiden musste, hielt er unent-
wegt unter grossem Beifall seiner Schüler Sectionen ab, und als ihn
1600 politische Angelegenheiten nach Böhmen resp. Prag riefen,
hielt er auch hier vom 8 — 12 Juni des nämlichen Jahres im Beisein
von mehr als tausend Personen aller gebildeten Stände an der Hand
von Sectionen Vorträge über die anatomische Disciplin. Noch in
demselben Jahre erschien von ihm zu Wittenberg eine kurz gefasste
literarische Geschichte der Medicin und zugleich der medicinischen
Facultät der Universität Wittenberg, von ihrer Gründung bis zu
diesem Zeitraum und einige Monate später erfolgte die Veröffent-
lichung der in Prag abgehaltenen Demonstrationen, ferner des
Tractatus de ossibus, welchen er Peter Ursin de Rosis, einem der
vornehmsten böhmischen Barone, widmete, und seiner Institutiones
chirurgicae, wiederum mit einer Dedication an Rudolph IL Ende
October 1601 eilte Jessen auf Wunsch seines schwerkranken ver-
trauten Freundes Tycho de Brahe zum zweiten Male nach Prag,
fand diesen aber nicht mehr am Leben. Die glänzende Leichenrede,
die er diesem hielt, in der er sowohl dessen Tugenden wie Fehler
mit bewunderungswürdiger Unparteilichkeit entwickelte, hat in Prag
unstreitig die Zahl seiner Gönner, Freunde und Verehrer, die er sich
bereits durch seine früheren oratorischen und anatomischen Leistungen
erworben, noch um ein Beträchtliches vermehrt. Mah drang in ihn,
für immer in Prag seine Heimstätte aufzuschlagen, und Jessen gab
dieser Aufforderung ein um so willigeres Gehör, als er in Wittenberg
von Missgönnern und Widersachern umgeben war, die ihm sein
Leben verbitterten. Um aber ohne Schwierigkeiten seine Absicht
zu erreichen, brachte er es durch seine Gönner bei Hofe dahin, dass
Kaiser Rudolph für ihn an den Kurfürsten von Sachsen schrieb,
der ihn auch auf sein Gesuch den 24. August 1602 seiner Aemter
als chursächsischer Leibarzt und Professor, die er neun Jahre hindurch
inne gehabt, enthob. Am Hofe Kaiser Rudolphs prakticirte er sieben
Jahre, und als dieser starb, trat er in nämliche Beziehung zu seinem
Nachfolger Kaiser Matthias, dessen besondere Gunst ihm dadurch
zu Theil wurde, dass er ihn in einer Geschichte seiner Krönung und
in einer damit verbundenen kurzen Chronik der Könige von Ungarn
schriftstellerisch verherrlichte. Nachdem er 161 7 Rector und Kanzler
der Universität Prag geworden, Hess er es sich sehr angelegen sein,
die Erziehung in den Schulen auf einen besseren Fuss zu setzen.
48
Er erliess daher ein dahin zielendes Rescript an alle Rectoren der
Schulen in Böhmen und Mähren und fügte ein Gebet in böhmischer
Sprache hinzu, welches auf die damaligen Zustände in Böhmen
gerichtet war, und überall zu Anfang der Lehrstunden gebetet
werden sollte.
Jessen hatte sich damit gewissermassen einen Ueb ergriff" erlaubt,
der sich bitter rächen sollte. Das Geschick begann seine verderbe
liehen Kreise um diesen wissenschaftlich hoch bedeutenden, aber
politisch unvorsichtigen Gelehrten zu ziehen.- Die Vorgeschichte
des 30jährigen Krieges, seine unmittelbare Veranlassung, ausgehend
von den böhmischen Unruhen des Jahres 161 8 ist mit der Person
Jessenskys auf das innigste verknüpft, dessen Streben aus Vaterlands-
liebe und Religionseifer, vielleicht aber auch aus Ehrgeiz sich
Grösserem zuwandte, als ihm geziemte, der um so tiefer fallen
musste, je höher er auf der Staffel des Unerreichbaren emporstieg. Es
erscheint allerdings nicht wunderbar, dass eine hervorragende geistige
Grösse wie Jessen an den inneren Unruhen, wie sie damals ganz
Böhmen mächtig aufwühlten, einen so lebhaften Antheil nehmen
konnte, dass er sich mehrfach mit Rücksicht auf seine nachdrück-
liche Beredsamkeit und Geschicklichkeit zur Ausführung von Ge-
schäften gebrauchen liess, die, da sie gegen das regierende
Staatsoberhaupt gerichtet waren, ihn in mannigfache Schwierig-
keiten verwickeln mussten.
Als nämlich Ferdinand II., Erzherzog von Oesterreich, der
den Böhmen von Kaiser Matthias als König präsentirt und auch
unter der Bedingung acceptirt worden war, dass er ihnen die bisher
innegehabten Privilegien, insbesondere den Majestätsbrief bestätigte,
den Bekennern der evangelischen Religion in Böhmen vielfache
Hindernisse in den Weg legte, wandten sich diese, Beschwerde führend,
an den Kaiser, erhielten jedoch abschläglichen Bescheid. Dies hatte
zur Folge, dass eine aufrührerische Masse, über solche Missachtung
auf das Höchste aufgebracht, wie bekannt, das kaiserliche Schloss
zu Prag überfiel und die kaiserlichen Räthe zum Fenster hinaus-
warf, welche allerdings durch einen glücklichen Zufall keinen Schaden
nahmen. Ausserdem betrauten die böhmischen Barone und Stände
Joh. Jessensky mit einer Gesandschaft an die ungarischen Stände
der reformirten Religion, in der Absicht, mit den Ungarn behufs
gemeinsamen Vorgehens in ihren Religionsangelegenheiten ein Bünd-
niss abzuschliessen. Mit Instruction und Beglaubigungschreiben
versehen, langte derselbe den 26. Juni 1618 zu Pressburg an. Man
empfing ihn hier seitens der Vertretung der Staatsregierung miss-
trauisch als einen Verschwörer, als einen Abtrünnigen. Man be-
wachte auf's Strengste alle seine Schritte, sein Thun und Lassen,
49
um vielleicht das nöthige Material für eine gegen ihn demnächst
zu erhebende Klage zu sammeln, wodurch man seiner leichten
Kaufs hätte ledig werden können. Und in der That gelang es dem
Paladin von Ungarn, wenn auch durch elende Ueberlistung, sich
der Person Jessensky's zu vergewissern, von dem er mit Bestimmtheit
annehmen zu müssen glaubte, dass er gegen den Kaiser selbst agitire,
ein um so unerhörteres Vorgehen, als der Paladin durchaus eigen-
mächtig, unter Vorzeigung eines gefälschten kaiserlichen Befehls,
seine Gefangennahme in's Werk setzte.
Von Pressburg brachte man ihn unter starker Bedeckung nach
Wien in noch strengere Haft. In die schmutzigsten, widerlichsten
Räume eingekerkert, in denen bisher nur Verbrecher schlimmster
Sorte zu hausen verurtheilt waren, erlebte unser Jessen qualvolle
«Tage, ungewiss, was er eigentlich verschuldet und wie sein Schicksal
sich weiterhin gestalten würde.
Nach 2 2 Wochen öffneten sich endlich die Thüren seines Ge-
fängnisses. Jessen verliess dasselbe wohl mit gebrochenem Körper,
aber sein Geist erschien um vieles gestählter und kampfesmuthiger.
Bald nach seiner Ankunft in Prag, im März des Jahres i6ig, er-
stattete er einen ausführlichen, in lateinischer Sprache abgefassten
Bericht über seine verunglückte Gesandtschaft. Nun zeigte er sich
wieder als Rector und Kanzler der Universität thätig, indem er
zunächst den in Prag versammelten Ständen des Königreichs Böhmen,
Markgrafenthum Mähren, Herzogthum Schlesien und der Markgraf-
schaft Lausitz, im Namen der übrigen Professoren einen Plan
zur Verbesserung der Prager Academie vorlegte', welcher eben-
falls zu Prag in lateinischer, böhmischer und deutscher Ausgabe
erschien. Indessen traten schon im nächsten Jahre Ereignisse ein,
die Jessen mehr und mehr seinem eigentlichen Berufe entzogen.
Nach dem Tode des Kaisers Matthias hatte Ferdinand IL, der bis-
herige König von Böhmen , den römischen^ Kaiserthron bestiegen,
und dies gab den Böhmen erwünschte Veranlassung, von Neuem
ihre Unzufriedenheit mit den obwaltenden Verhältnissen zu bethätigen.
Sie schickten deshalb eine Gesandtschaft nach Frankfurt, wo die
Kaiserwahl stattfinden sollte, um anzuzeigen, dass sie Ferdinand
nicht als König von Böhm.en betrachten, und dass ihm demnach
nicht das Recht zustände, als solcher an der Wahl theilzunehmen.
Ausserdem erhoben sie Friedrich V., Kurfürsten von der Pfalz, zu
ihrem Könige und Hessen sogar Münzen drucken mit seinem Bildniss
und der Umschrift: Regni nicht regis Bohemiae. Ferdinand sah
diesem Treiben nicht müssig zu. Tief erbittert über die Wider-
setzlichkeit der Böhmen, die, wie er glaubte, insbesondere als ein
Product der wunderbaren Redekunst Jessens aufzufassen wäre, rüstete
4
50
er ein Heer von 50 000 Mann, nach damaligen Begriffen eine unge-
heure Streitkraft, um auf blutigem "Wege von den Böhmen Gehorsam
zu ertrotzen. Am 8. November 1621, am weissen Berge bei Prag,
massen beide Parteien ihre Kräfte. Die Schlacht endete mit der
vollständigen Niederlage der Böhmen, und Friedrich sah sich ge-
zwungen, sein Heil in der Flucht zu suchen. Ferdinand hielt jetzt die
Zeit für gekommen, mit den Anstiftern und Führern dieser Bewegung,
die so lange schon gegen ihn agitirt hatten, endgiltig abzurechnen.
Damit war Jessens Schicksal endlich besiegelt. Er zweifelte
auch nach seiner Gefangennahme keinen Augenblick mehr, welchen
Ausgang der Process für ihn nehmen müsste, erinnerte er sich doch
einer Episode, die sich bald nach seiner Entlassung aus dem Ge-
fangniss zu Wien zugetragen. Als^ er nämlich dessen Schwelle ver-
lassen, hatte er an die Mauern die Worte I. M. M. M. M. geschrieben.
Jeder, der sie sah, bemühte sich, eine Deutung dafür zu finden.
Keinem, ausser dem Erzherzog Ferdinand war dies gelungen. Dieser
glaubte, in ihnen lesen zu müssen: Imperator Matthias Mense Martio
Morietur — der Kaiser Matthias wird im Monat ISIärz sterben, —
schrieb aber sofort darunter: Jesseni mentiris, mala morte morieris;
Jessenius, Du lügst, Du wirst eines bösen Todes sterben. In Folge
dessen vermuthete Jessen, zumal das Erstere zur angegebenen Zeit
eingetreten, dass Ferdinand nicht zögern würde, auch das letztere
zur Wahrheit zu machen. Jessen hatte sich darin nicht getäuscht.
Er sowohl, wie einige zwanzig vornehme Böhmen wurden zum Tode
verurtheilt, und zwar sollte Jessen, bevor man ihn enthauptete, seiner
Zunge verlustig gehen, weil es vor Allem seine Beredsamkeit war,
die dem Kaiser geschadet. Am 21. Juni 162 1, nachdem noch die
Jesuiten, allerdings vergeblich, versucht hatten, ihn zu bekehren,
wurde er auf den Richtplatz geführt. Als sich die Henker ihm
zuwandten, bemühte er sich, zum letzten Male zu sprechen. Bei
dem grossen Lärm waren nur die Worte verständlich: „Vergebens
sucht Ferdinand seine tyrannische Regierung zu befestigen, Friedrich
wird doch siegen."
Er nahm also diese Hoffnung mit in die bessere Welt hinüber.
Er bewahrte bis zum letzten Moment ritterliche Standhaftigkeit, wie
er sie im Leben oft genug gezeigt. Sein Kopf wurde aufgespiesst,
sein Rumpf geviertheilt und die einzelnen Gliedmassen auf Pfähle
gesteckt. Nach der Schlacht bei Leipzig soll der Graf von Thurn
mit Erlaubniss des Kurfürsten von Sachsen seinen Schädel abge-
nommen und in feierlicher Procession, von einer zahlreichen Menge
Adelicher, Geistlicher und gewöhnlichen Volkes geleitet, in die
Kirche getragen haben, woselbst eine Gedächtnisspredigt abgehalten
wurde. Nach demselben Bericht wurde er an einer ganz verborgenen
Stelle beerdigt, und jedem einzelnen der Betheiligten das strengste
Stillschweigen anbefohlen, um die Feinde der Möglichkeit zu be-
rauben, ihn zurückzuholen.
Sein trauriges Geschick wurde von der gesammten gebildeten
"Welt auf's Tiefste beklagt, selbst viele seiner Gegner empfanden
tiefschmerzlich diese unmenschliche Grausamkeit, ja ein sehr be-
rühmter katholischer Bischof äusserte öffentlich, dass er sein reines
Papier mit der Beschreibung einer so schrecklichen Fleischerei
nicht beflecken wolle, die er auf's höchste verabscheue, und vor
der nicht nur ein Christ, sondern jeder noch so wilde Barbar
zurückschrecken musste.
So musste ein Mann enden, der , hätte er sich mit Geringerem
begnügt, einer glänzenden Zukunft entgegen gegangen wäre.
Von seinen zah Ireichen Schriften führen wir hier die merk-
würdigsten an. Es sind dies:
Eine Abhandlung über die Gebeine.
Ein Urtheil über das Aderlassen.
Institutiones chirurgicae, die öfters ausgegeben und auch in's
Deutsche übersetzt worden sind.
Die Geschichte seiner anatomischen Demonstrationen zu Prag.
Eine historische Nachricht von einem Bauer in Böhmen, der ein
Messer verschluckt hatte.
Hilfsmittel wider die Pest.
Eine allgemeine Betrachtung des menschlichen Körpers.
Eine Abhandlung von der Seele und dem Körper des Menschen,
nach peripatetischen Grundsätzen.
Genealogische Ausführung des Stammbaums Kaiser Ferdinand
des zweiten.
I
Avcpoaccc Tzzpn:azyfi%ri de anima et corpore humano. — Progenies Augusta
Ferdinand! I,
Eine Lobrede auf den Kaiser Matthias, als er die Regierung von
Böhmen antrat.
Eine Rede vom Leben und Tode des Tycho de Brahe.
Ausserdem gab er verschiedene Schriften anderer gelehrter
Männer heraus und zwar:
52
Campolongi Semiotice; Vesalii Examen observationum anatomicarum
Fallopii; Durastantis tractatum de aceto scillino et aloe. Nie.
Curtii Hb er de medicamentis.
Quellen.
Henelius. Mart. Hanckii, Silesia erudita. Lexikon Buddei, Lexikon
Hofmanni, Lexikon Richebourcq, Lexikon Joechlers.
Archive der Stadt Breslau. Kundmann, Silesii in nummis.
Daniel Sennert.
JUaniel Sennert wurde am 25. November 1572 zu Breslau ge-
boren, als Sohn des Schuhmachers Nicolaus Sennert, eines ebenso
fleissigen, als geachteten Bürgers. In seiner Vaterstadt empfing er
die erste Erziehung. Nachdem sein greiser Vater im Jahre 1585
gestorben, blieb die Erziehung des erst 13jährigen Daniel Sennert
nunmehr gänzlich in den Händen seiner Mutter.
Selten hat eine Frau aus solchen Ständen mit gleich grossem
Verstände und gleich grosser Vorsorge für das Wohlergehen ihres
Kindes Sorge getragen, als es hier der Fall war. Schon längst der
Ueberzeugung lebend, dass ihr Sohn mit besonderer Vorliebe
wissenschaftliche Studien betreibe, und dass ihn hierin Scharfsinn
und Talent wirksam unterstützten, hielt sie ihn zu fieissigem Schul-
besuche an und liess ihn ausserdem noch in den verschiedensten
wissenschaftlichen Zweigen insbesondere unterrichten. Der Erfolg
krönte das Werk; die Fortschritte, mit denen er alle seine Mit-
schüler überflügelte, erregten sehr bald Aufsehen und Bewunderung
unter seinen Lehrern und Bekannten, und man rieth ihm allge-
mein, sich auf höheren Schulen weiter fortzubilden.
Sennert kam der Rath nur allzu gelegen; am 6, Juni 1593, also
im 21. Lebensjahre, wurde er in der philosophischen Facultät der
Universität Wittenberg immatriculirt. Seine Absicht ging nämlich
dahin, sich mit philologischen Studien zu beschäftigen, um später
in seiner Heimatstadt als Lehrer in Schulen thätig sein zu können.
Bescheidenen Sinnes widerstrebte er dem Gedanken an höhere
Würden und Ehrenstellungen.
Mit welchem Eifer und Streben er seinem Ziele näher zu
kommen suchte, beweist der Umstand, dass er im April 1598 unter
dem Decanat des Professors der hebräischen Sprache M. Laurentius
Fabricius auf Grund seiner vorzüglichen Leistungen als vierter unter
58 Bewerbern den Magistergrad erlangte. Von regstem Forschungs-
geiste und Wissensdrang beseelt, versuchte sich Sennert nun auch
54
auf andern Gebieten. Mit dem Studium der Philosophie verband
er das ihm sehr sympathische der Medicin.
Da die medicinische Facultät Wittenbergs seinen Ansprüchen
wenig genügte, so vertauschte er diese Universitätsstadt mit Leipzig,
Jena und Frankfurt a. O., die sämmtlich an medicinischen Capacitäten
reich waren, und verliess sie nach dreijährigem Aufenthalte im
Jahre 1601 mit einem Schatz von Lehren und Erfahrungen ausge-
stattet, um nunmehr von seinem reichlichen Wissen praktischen
Nutzen zu ziehen.
Zu diesem Zwecke wandte er sich nach Berlin, wo damals
schon eine stattliche Anzahl äusserst tüchtiger praktischer Aerzte
ihres Berufes walteten; es gelang ihm auch, in ihren Wirkungskreis
gezogen zu werden, insbesondere trat er in näheren Verkehr mit
dem berühmten Joh. Georg Magnus, und dieser Hess es sich in
hohem Grade angelegen sein, den jungen Sennert gewissermassen
in die Praxis einzuführen, in der festen Ueberzeugung, dass in ihm
ein vielversprechendes Talent schlummere, das nur der Anregung
bedurfte, um sich mächtig zu entfalten und zu glänzen. Sennert
selbst, dessen Tüchtigkeit sowohl, wie sein liebenswürdiges Be-
nehmen ihm zahlreiche Gönner unter seinen Collegen verschaffte,
fand in der hilfreichen segenspendenden ärztlichen Thätigkeit Ver-
gnügen. Das Glück begünstigte sein Streben; die schwierigsten
Kuren waren von Erfolg begleitet, überall, wohin er sich wandte,
war er gern gesehen und geachtet. Alles * dies Hess ihn zu dem
Entschlüsse gelangen, sich ganz und gar der praktischen Ausübung
der Medicin zu widmen. Bevor er dazu überging, war es noth-
wendig, seine Stellung durch Erwerbung des Doctorgrades der
Welt gegenüber äusserlich näher zu kennzeichnen. Dies sollte in
Basel geschehen. Während er aber mit den Vorbereitungen be-
schäftigt war, wurde er von Wittenberg aus benachrichtigt, dass
mehrere seiner Freunde daselbst sich einer gleichen Prüfung unter-
ziehen wollten, und dass er ihnen keine grössere Freude bereiten
könnte, als wenn er mit ihnen zugleich disputiren wollte. Im
Zweifel, was er thun sollte, wandte er sich, um Rath fragend, an
seinen Freund Magnus.
Letzterer schlug ihm vor, wiederum Wittenberg aufzusuchen,
mit dem Bemerken: „Wer weiss, wozu es gut sein möchte", und
Sennert gehorchte. Am 10, September 1601 wurde ihm die höchste
akademische Würde, der Doctorgrad, zuerkannt.
Nachdem so sein Studiengang einen Abschluss gefunden, trat
er der Idee näher, in seiner Heimat praktische Medicin zu treiben.
Ein glückliches Ereigniss vereitelte seine Absicht. Denn als der
Professor der Medicin an der Universität Wittenberg, Johannes
öo
Jessenins von Jessen, späterer von Jessensky, der bereits Gegenstand
unserer Betrachtung gewesen, einem Rufe nach Prag Folge leistend,
1602 seinen Lehrstuhl verliess, erging an Sennert die wohlgemeinte
Aufforderung, dieser Professur wegen bei der Behörde vorstellig zu
werden; wusste man doch allgemein, dass ein würdigerer Vertreter
wie Sennert, welchem sein Wissen, seine Tüchtigkeit und Sittsamkeit
als die besten Empfehlungen zur Seite standen, sich kaum würde
finden lassen. Sennert zögerte nicht, seine Meldung einzureichen.
Das medicinische Collegium, einstimmig im Lobe dieses hervor-
ragenden Mannes, erklärte sich bereitwilligst mit dessen Wahl ein-
verstanden, und nach der durch den Kurfürsten von Sachsen,
Friedrich, erfolgten Bestätigung wurde ihm am 5. September 1602
die Berufungsurkunde übermittelt. In den 35 Jahren, während welcher
er an der Universität Wittenberg lehrte — die Ferien verbrachte
er gewöhnlich bei seinen Kindern in Breslau — wurde sein Name
weltberühmt. Der Aufschwung der Universität in der medicinischen
Wissenschaft und den ihr verwandten Gebieten war vornehmlich
sein Verdienst, indem er sowohl durch vorzügliche CoUegien und
praktische Curse, als durch zahllose epochemachende wissenschaft-
liche Arbeiten auf seine Zeit belehrend und aufklärend einzuwirken
suchte.
Der Ruf seiner immensen Bedeutung in der praktischen Medicin
durchdrang die fernsten Weltgegenden; seine Patienten rekrutirten
sich aus Repräsentanten der verschiedensten Nationalitäten und der
höchsten Stände. Der Kurfürst von Sachsen, der ihn öfters con-
sultirte, ehrte ihn durch Ernennung zu seinem Leibarzt. Was ihm
aber ganz besondere Achtung eintrug, das waren seine rein mensch-
lichen Tugenden, seine Gottesfurcht und Uneigennützigkeit , auf
denen all sein Thun basirte. Jedem, der seine Hilfe begehrte, zeigte
er sich willfährig, ohne Rücksicht auf Stand und Reichthum, nie-
mals für sich Belohnung fordernd. In den schweren Zeiten der
Pest, welche während der Anwesenheit Sennerts sieben Mal Witten-
berg überfiel, war dieser das Centrum aller auf Wohlthätigkeit ge-
richteten Bestrebungen; mit unermüdlicher Ausdauer besuchte er
Tag und Nacht seine Patienten und brachte den Armen aus eigenen
Mitteln Arzneien und Lebensmittel, bis er schliesslich selbst, den
21. Juli 1637, im 65. Lebensjahre, als die Krankheit wiederum die
Stadt heimsuchte, ihr zum Opfer fiel.
Ihm wurden aber auch Ehren zu Theil, wie sie vielleicht nur
sehr Wenige aufzuweisen vermochten; denn die Universität Witten-
berg wählte ihn sechs Mal zu ihrem Rector magnificus, ganz ab-
gesehen von seiner noch viel öftern Berufung zum Dekan der
medicinischen Facultät
56
Sennert hat sowohl auf naturwissenschaftlichem, wie auf rein
medicinischem Gebiet Ausserordentliches geleistet. Man darf ihn mit
Fug und Recht in die Reihe der bedeutendsten Naturforscher stellen,
denn er besass eine eigenthümliche Begabung, Vorgänge, wie sie in
der Natur sich abspielen, kritisch zu beobachten, zu unterscheiden
und verständnissvoll zu schildern. Seine Anschauungen treten in be-
sonderer Klarheit in seinem „Grundriss der Naturwissenschaf-
ten" hervor, in welchem er namentlich der Zoologie Beachtung
schenkt, ein seiner Zeit hoch angesehenes und viel benutztes Werk,
dem auch heute noch nicht alle Bedeutung abzusprechen ist*).
Aus der wahrhaft erdrückenden Fülle medicinischer Literatur,
die uns der im Schreiben unermüdliche Sennert darbietet, greifen
wir nur einen höchst interessanten Punkt „Morbilli ignei" heraus,
weil uns dieser über eine bisher unbekannte Krankheit Aufschluss
giebt, und weil gerade zwei Breslauer zu gleicher Zeit Sennert**)
sowohl wie sein Schwiegersohn, der so bedeutende und gelehrte
Stadtphysikus zu Breslau, Dr. Michael Döring, früherer Professor
in Giessen, sie zum Gegenstand ernster Studien machten; wir
meinen den „Scharlach". Bereits 1550 hatte Joh. Philippus
Ingrassias aus Palermo die Aufmerksamkeit der Aerzte auf ein
von den Variolae und Morbilli (Blattern und Masern) verschiedenes
acutes Exanthem gelenkt, aber es war ihm nicht möglich gewesen,
eine Trennung dieser Zustände auf Grund wissenschaftlicher Unter-
suchungen herbeizuführen, die unterschiedlichen Symptome näher
zu kennzeichnen. Für den praktischen Arzt war daher seine Ent-
deckung durchaus werthlos. Sennert und Döring dürfen dagegen
das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als die eigentlichen
Entdecker dieser exanthematischen Krankheit zu gelten, obwohl sie
dieselbe, ohne sie mit einem besonderen Namen zu bezeichnen, noch
zu der Kategorie der „Morbilli" rechnen. Aus der Schilderung,
wie sie uns Sennert in seinem Werke: De febribus Lib. IV
Capt. XII (De variolis et morbillis) Morbilli ignei Seite 485 und in
einem Briefe an Döring Seite 641 entwirft, gewinnen wir ein an-
schauliches Bild über das Auftreten und den Verlauf dieser seit dem
Jahre 1661 mit dem Ausdruck „Scharlach" benannten Kinderkrank-
heit. Mit der ganzen Schärfe eines gelehrten, genau und sicher be-
obachtenden Arztes zählt er, jeden Zweifel ausschliessend, die ein-
zelnen charakteristischen Momente auf, welche bei den Variolae
*) Vergl. „Geschichte der Zoologie bis auf Johann Müller und Charles Darwin" von
J« Victor Carus. München 1872 III. Bd., wo ihm eine ganze Seite gewidmet und sein
Urtheil wörtlich abgedruckt ist.
**) Vergleiche Haeser, Geschichte der Medicin III. Band und Hirsch Handbuch, der
historisch geographischen Pathologie I. Band.
57
und ^Morbilli, mit denen man bisher den Scharlach beliebig zusammen-
warf, nach seiner Erfahrung nicht in Erscheinung treten, vielmehr
als eine besondere eigenartige Affection aufzufassen wären. Die
Ansicht Sennerts mag wohl auch für Döring massgebend gewesen
sein; er stimmt mit ihm in Allem völlig überein.
Die noch vollzählig erhaltene Correspondenz dieser beiden
Männer, ihr geistiger Meinungsaustausch, beweist uns, mit welcher
Spannung, mit welchem^ Eifer und Interesse sie alles darauf Bezüg-
liche verfolgten, wie sie sich gegenseitig Rath holten und belehrten,
um zu einem sie beide befriedigenden Gesammtresultat zu gelangen.
Einige Jahre später erfolgten schon Publicationen über Scharlach-
epidemien und zwar durch AVinkler*) (Brieg 1642) und durch Fehr**)
(Schweinfurt 1652). Das Bekanntwerden des Scharlachs in weiteren
Kreisen verdanken wir Sydenham und Morton, Ersterem sogar den
Namen Scharlach ***).
*) Ephemerid. nat. cur. Dec, I. Ann. 6 et 7 1675 — 76. Obs. 42.
**) Anchora sacra etc Jen. 1666. 90.
***) "Wir lassen hier einen den Brieger Arzt "Winkler betreffenden archivalischen Beitrag
folgen, der der gewandten Feder des Breslauer Stadtarchivars, Herrn Professor Dr. Markgraf,
entstammt. Der Herr Archivar hat, wie bereits früher, so auch zu dieser Arbeit manch
vortreffliches Scherfleia aus seinem umfangreichen Wissensschatz beigetragen, wofür wir ihm
an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank abstatten.
Am 30. April 1658 promovirte in Heidelberg Gottfr. Christ. Winkler aus Brieg als
Doctor der Medicia mit einer Dissertation: De morbillis igneis. In der Widmung derselben
an die Herzöge von Brieg erörtert er, dass in der Gegenwart neue, den früheren Zeiten un-
bekannte Krankheiten aufgetaucht seien. So hätten sich auch vor etwa 14 Jahren nach der
Belagerung von Brieg gezeigt monströs! illi morbilli ignei, die zwar den Geist vieler Aerzte
beunruhigt hätten, über die aber keiner von ihnen bisher etwas Sicheres veröffentlicht hätte.
Sein "Vater indess, der damals in Brieg Arzt gewesen, habe eine noch nicht gedruckte Schrift
darüber verfasst, in der er die Natur huius bestiae genau auseinandergesetzt, seine Gestalt
und die zu seiner "Vernichtung dienenden Mittel beschrieben habe. In der Absicht, seines
rerstorbenen Vateis Buch später ganz herauszugeben, veröfifentlichte er den Inhalt desselben
in Form von Thesen als Dissertation. Dieselbe enthält 49 Thesen. (Stadtbibliothek Breslau.)
Der Vater dieses Gottfried Christian Winkler, vom Sohne selbst als wenigstens nach
seiner Kenntniss erster Beschreiber der morbilli ignei angesehen, war Daniel AVinkler, gebürtig
aus Reichau bei Ximptsch in Schlesien am 12. August 1599, der 1624 am 15. Januar unter
Dan. Senneits Rectorat in Wittenberg promovirt und sich später in Brieg als Arzt nieder-
gelassen hatte. Dort war er am 24. Februar 1658, also wenige Monate vor der Promotion
seines Sohnes, in der Stellung eines fürstlichen Leibarztes gestorben.
Es scheint nicht, dass der Sohn seine Absicht, des Vaters nachgelassene Schrift über
die Morbilli ignei zu veröffentlichen, ausgeführt hat; wenigstens wird das Bach nirgends erwähnt,
A. V. HaUers BibHotheca medicinae practicae kennt nur zwei Schriften von Dan. Winkler:
Animadversiones de vita foetus in utero. Jenae 1630 4O und De opic tractatus in quo
simul liber de opio Joh. Freitagii examinatur. Cp. 2 1630. 80. (HaUer fälschlich 4O. In
der Breslauer Stadtbibliothek vorhanden.)
Dagegen bringt der Sohn in der Miscellanea curiosa medico-physica Academiae Xaturae
Curiosorum s. Ephemerides medico-physicae auf die Jahre 1675/76 (Frankfurt und Leipzig 1677)
eine Reihe von Beobachtungen seines Vaters mit Schollen von ihm selbst zum Abdruck, darunter
58
Sennerts Schriften.
Quaestionum Medicarum controversarum liber, nebst einem Anhange
de Pestilentia.
Epitome naturalis scientiae.
Auctuarium Epitomes Physicae.
De Chymicorum cum Aristot. et Galenicis consensu ac dissensu.
Institutiones Medicinae libri V.
De febribus hbri IV.
Epitome Institutionum Medic. et librorum de febribus.
De Scorbuto tractatus.
Epitome Instit. Medicarum, Disputat. XVIII comprehensa.
Medicinae practicae libri VI.
De Dysenteria Tractatus.
De Arthritide Tractatus.
Medicamenta officinalia.
De bene vivendi beateque moriendi ratione Meditationes.
Hypomnemata Physica. I. De rerum naturalium principiis. II. De occul-
tis medicamentorum facultatibus. III. De Atomis et mistione.
IV. De generatione viventium. V. De spontaneo viventium ortu.
De origine et natura animarum in brutis sententiae Clarissimorum
virorum in aliquot Germaniae Academiis.
Paralipomena, cum praemissa methodo discendi medicinam tractatus
posthumus.
De Fermentatione Platonica Epistola.
Opera omnia in tres Tomos divisa.
auch Seite 76 die Observ. XLII. De angina in morbillis igneis. In dem Scholion dazu
bemerkt er unter Berufung auf seine Dissertation, die Morbilli seien zuerst in Brieg 1642
nach der Belagerung (in der Dissertation erst 1644; ^^'^ Belagerung war 1642) aufgetreten
und nur bei Kindern, bald nachher habe man sie auch in Leipzig an Wöchnerinnen beobachtet,
wie eine Leipziger Disputation von Welsch 1655 bezeuge. Diese Disputation von Welsch
(Gottfried) war ihm offenbar bei seiner Dissertation im Jahre 1658 noch unbekannt gewesen.
Haeser hat nur die Stelle in der Miscellanea gekannt und auszugsweise mitgetheilt,
wobei durch Nachlässigkeit oder Druckfehler Winsler statt Winkler gedruckt ist*).
*) Wir haben nachträglich gefunden, dass schon Göppert den Dr. Christian Winkler
erwähnt und dessen Namen in richtiger Orthographie schreibt; vgl. darüber dessen Arbeit:
,,Ueber ältere schlesische Pflanzenkunde als Beitrag zur vaterländischen Culturgeschichte'- in
den Schlesischen Provinzialblättern des Jahres 1832.
■SQ
Quellen.
Oratio Panegyrica, memoria viri incomparabilis, Danielis Sennerti
Medici, dicata ac dicata d. 25. Juli 1638 in Academia Witten-
bergensi ab Augusto Buchnero in den Memoriae medicorum
nostri seculi clarissimorum Renovatae Decas prima curante
M. Henningo Witten.
Lindenius renovatus sive Johannis Antonidae von der Linden de
Scriptis Medicis Libri duo.
Haeser Geschichte der Medicin II, Band.
Historia vitae Sennertianae quoad ingressum, progressum egressum
im Anschluss an die von Paulus Roberus Dr. Profess. Pastor
und Superintendent zu Wittenberg gehaltene christliche Leichen-
predigt. W. 1638.
6o
Zu den speciell um die Stadt Breslau verdienten Männern ge-
hört auch ohne Zweifel
Philipp Jaeob Saehs von Loewenheim oder
Loewenheimb.
oeine Geburt fallt auf das Jahr 1627. Er lag auf verschiedenen
Universitäten seinen Studien ob. Nächst Leipzig, wandte er sich
nach mehreren holländischen Universitäten, auch nach Strassburg,
Paris, Montpellier und Padua und promovirte an letzterem Orte zum
Dr. med. Nachdem er alsdann einige Zeit lang in seiner Vaterstadt
Breslau practicirt, wurde er daselbst 1670 zum Physikus ernannt,
stand diesem Amte jedoch nur 2 Jahre vor, da er schon 1672 starb.
Sachs von Löwenheimb gilt aus doppelten Gründen als bedeutend.
Einmal hat er durch populär wissenschaftliche Schriften allge-
meineres Interesse gewonnen und das anderemal hat er sich durch
seine der Breslauer Academia Leopoldina Carolina Naturae curiosorum
geleisteten Dienste mit Ruhm bedeckt.^ Von ersteren nennen wir
hier das Werk über die Trauben:
„Ampelographia sive vitis viniferae eiusque partium consideratio
physico-philologico-historico-medico-chimica (Leipzig 1661), sowie:
Oceanus macro-microscosmicus seu dissertatio epistolica de analogo
motu aquarum ex et ad Oceanum sanguinis ex et ad cor.
Breslau 1664*)"
Während wir Sachs von Löwenheim wegen seiner hervorragenden
Leistungen in seinem Berufe als Gelehrter und Arzt hochschätzen
und verehren, sind wir ihm als Bewohner Breslaus zu ganz be-
sonderem Danke verpflichtet, darf er doch das Verdienst für sich in
Anspruch nehmen, das ,, wissenschaftliche" Breslau auf seiner Höhe
erhalten und dessen ruhmreicher Thätigkeit weitere Kreise erschlossen
zu haben. Wir meinen damit seine Beziehungen zur deutschen Academie
der Wissenschaften. Er war es zuerst, der dies Institut, nachdem
es bereits 20 Jahre bestanden, ohne dass der Geist, der es beseelte
durch Veröffentlichungen irgend welcher Art auch der Aussenwelt
*j Biogr. med. VII pag 85. Dechambre 3 Serie VI pag 36. Poggendorff. II pag 731.
6i
bekannt gegeben war, zur Herausgabe der in seinem Schosse statt-
findenden Verhandlungen und wissenschaftlichen Betrachtungen ver-
anlasste. Die „Ephemeriden," unter welchem Namen nunmehr die
regelmässigen Berichte erschienen, fanden allgemein den ungetheilte-
sten Beifall, wissenschaftlichen Bestrebungen und Untersuchungen aus
allen nur möglichen Gebieten war dadurch eine sichere Basis gewährt.
Sachs selbst machte den Anfang mit seiner „Ampelographia." Er
sorgte aber auch dafür, und dies ist ein Verdienst, das seinem
Namen in dem Andenken der gelehrten Welt eine bleibende Stätte
geschaffen, ^ass die Academie an Allerhöchster Stelle die ihr ge-
bührende Würdigung erfuhr, welche allein das Fortbestehen dieser
wissenschaftlich so hochbedeutenden Gesellschaft ermöglichte. Er
verstand es, seinen Einfluss am kaiserlichen Hofe zu Wien, den er
in hohem Grade besass, zu Gunsten der Bildung einer Akademie
geltend zu machen. Der Erfolg blieb nicht aus. So verlieh ihr
Kaiser Leopold I. am 5. August 1677 unter Bestätigung der bedeutend
erweiterten Gesetze der Akademie den vollständigen Titel: S. R. I.
Academia Naturae Curiosorum, ehrte sie auch im Verlauf der folgenden
Jahre durch Gnadenbeweise der mannigfachsten Art. Schliesslich,
am 7. August 1687, erhielt sie den Namen S. R. I. Academia Caesarea-
Leopoldina und im Anschluss daran eine Menge der weitgehendsten
Rechte und Privilegien, wie sie sonst nur den allerbedeutendsten
Einrichtungen des Reiches zu Theil werden. Für den hohen Werth
ihrer Leistungen spricht es, dass ein Werk von sechs Mitgliedern
der Akademie, die „Historia morborum, qui annis i6gg — 1702 Vratis-
laviae grassati sunt," im J. 1746 von Bousquet in Genf und Lausanne
herausgegeben und von keinem Geringeren als Alb. Haller mit
einer Vorrede versehen wurde. Ein skeptischer Geist durchweht
dieses Werk und geht in einem der angehängten Traktate „de ex-
perientia" § 5 soweit, faktische Curiositäten, wie Blut- und Steinregen,
als Fabel anzusehen. Ein Blick in die Geschichte der Akademie
giebt uns also ein beredtes Zeugniss dafür ab, wie viel wir dem
Breslauer Physikus Sachs von Löwenheim schulden, wie fruchtbringend
seine Thätigkeit gewesen. Er hat sich damit unzweifelhaft und für
alle Zeiten ein Denkmal gesetzt*).
*) Academiae Naturae Curiosorum historia ab ejusdem praeside Büchnero Halae
Magdeb. S. 755 p. 464 et index.
62
Matthäus Gottfried Purmann
stammt aus Lüben in Niederschlesien, wo er kurz nach dem Ende
des 30 jährigen Krieges, im April 1649, als Sohn des Bürgermeisters
und fürstlichen Land-Hof-Richters Michael Purmann geboren wurde.
In Gross Glogau erlernte er die Wundarzneikunst bei Paul Rumpelt
und begab sich nach vollendeter Lehre zu Balthasar Kaufmann in
Frankfurt a. O., mit dem er auch nach Cüstrin übersiedelte. Er
ging dann einige Zeit nach Leipzig, Wittenberg und wieder nach
Frankfurt a. O. Da er keine ihm zusagende Stellung fand, trat er
im Jahre 1668 in den Kurbrandenburgischen Militärdienst und machte
die Feldzüge des grossen Kurfürsten gegen Frankreich und Schweden
als Compagnie- und später als Regimentschirurgus bis zum Jahre 1679
mit. Im Anfange des zweiten Raubkrieges Ludwig's XIV. kämpfte
sein Regiment in Westphalen und am Rhein, dann marschirte es
1675 gegen die in die Mark eingefallenen Schweden und Purmann
machte nun alle Feldzüge in Pommern bis zum Friedensschlüsse von
St. Germain en Laye mit, worauf er 1679 auf vielfältiges Begehren
seine Entlassung aus dem Militärdienst erlangte. Die Erfahrungen
seiner 12 jährigen Dienstzeit legte er in dem 1680 zum ersten Male
erschienenen Buche: ,,Der rechte und wahrhaftige F'eldscherer" nieder,
dessen Brauchbarkeit vier Uebersetzungen in fremde Sprachen be-
zeugen. Es erschien sogar 1687 zu Minden, bei Johann Heudorn,
ein Nachdruck unter dem Titel : ,,Der vollkommene und wohlerfahrene
Wundarzt angeblich aus der holländischen Sprach in Teutsch über-
gesetzet," natürlich ohne den Namen des Verfassers. Fortan ange-
wiesen, sich einen bürgerlichen Nahrungszweig zu suchen, Hess er sich
in Plalberstadt, wo er früher längere Zeit in Quartier gelegen und auch
sein Herz hatte hängen lassen, als Barbier und Chirurgus nieder und
gewann dort schnell solches Ansehen, dass er bei dem Ausbruch
der Pest daselbst im Juli 1681 als Ober-Pest-Chirurgus angestellt
wurde, in welcher Stellung er bis zum Ende des nächsten Jahres
verblieb. Er veröffentlichte damals auf Befehl der kurbranden-
burgischen Regierung zu Halberstadt eine „Pestanweisung", die eben-
falls nachgedruckt wurde. Daneben schrieb er ein ausführlicheres
Buch unter dem Titel : „Der aufrichtige und erfahrene Pest-Barbier er",
worin er vielfältig auf seine Halberstädter Erfahrungen Bezug nimmt.
Er wäre beinahe selber ein Opfer der Seuche geworden. Erst nach-
dem er seine amtliche Stellung als Pestchirurg aufgegeben, konnte
er an die Vollendung eines schon früher begonnenen grossen Werkes
herangehen, welches als ,, Chirurgischer Lorbeer Krantz oder Wund-
Artzney in drei Theil und 86 Capittel abgetheilet" 1684 in Halber-
stadt erschien und die Summe seiner Erfahrungen zog. Er muss
schon damals Verbindungen mit Breslau, der Hauptstadt seines Vater-
landes, gehabt haben, denn er widmet das Buch dem Breslauer Rath
und siedelte im nächsten Frühjahr 1685 nach Breslau über, wo er
die Barbier-Offizin des Raphael Nürnberger, welche durch den Tod
des Besitzers frei geworden, käuflich erwirbt. Auch der Breslauer
Rath wusste bald seine Tüchtigkeit zu schätzen, er ernannte ihn
1686 zum Garnison-Chirurg und i6go am 3. Mai zum Stadtarzt am
Allerheiligen-Hospital. Hier in Breslau wirkte er nun noch 2 1 Jahre
in eifrigem praktischem Dienst, wie auch in fruchtbarer literarischer
Thätigkeit. In der letzteren bekundet er sowohl eine hervorragende
Fähigkeit , die eigenen Beobachtungen und Erfahrungen geschickt
und belehrend darzustellen, wie auch eine grosse Belesenheit in der
medicinischen Literatur, sogar der fremden Völker, und eine warme
Begeisterung für seine Kunst, so dass er nicht nur als ein routinirter
Praktiker, sondern auch als ein wissenschaftlicher Kopf erscheint.
Zuerst veröffentlichte er 1687: „Fünf und zwanzig Sonder- und
wunderbare Schusswunden Curen", welche er 1693 auf 50 ver-
mehrte, wieder herausgab, und die 1721 noch einmal aufgelegt wurden.
In hohem Grade offenbart sich hierin seine chirurgische Kunst-
fertigkeit. Oft genug kann man bei Erzählung der zahlreichen schweren
Verletzungen, welche Purmann bei den Belagerungen derpommerschen
Städte Anclam, Wolgast, Demmin und Stettin zu sehen Gelegenheit
hatte, die Kühnheit bewundern, mit der er die Behandlung dieser
Verletzungen leitete Ein durchaus selbständiger Geist, voll der
trefflichsten Ideen, liess ihn zu den erstaunlichsten Resultaten ge-
langen. Besonders hervorzuheben ist die Thatsache, dass Purmann
mit aller Entschiedenheit die damals viel verbreitete Anschauung
von der Vergiftung der Schusswunden bekämpfte.
Im Jahre i6go gab er eine neue Auflage des Feldscheerers
heraus, um einen fünften Theil vermehrt. Das Buch fand solchen
Anklang, dass im Jahre 1721 die sechste Ausfertigung nebst Bei-
fügung des Pest-Barbiers erschien. Auch erfolgte schon 1692 eine
neue, auf 127 Capitel vermehrte und umgearbeitete Auflage des
Lorbeerkrantzes oder Wundarzney in einem stattlichen Quart-
64_
bände von mehr als looo Seiten mit häufiger Bezugnahme auf die
in den letzten Jahren in Breslau beobachteten Fälle.
Diese Arbeit können wir gewissermassen als sein wissenschaft-
liches Testament betrachten. „Auf jeder Seite seines »Lorbeerkranzes'
machen wir", meint Herr Dr. Partsch, Privatdocent und consultirender
Wundarzt am israelitischen Hospital, „die Wahrnehmung, dass man es
in Purmann mit einem durch und durch medicinisch gebildeten, mit der
Literatur seiner Zeit wohl bekannten, für seine Kunst begeisterten
Wundarzt zu thun habe, der nicht nur an sich selbst, sondern auch an
jedes Mitglied seiner Zunft hohe Anforderungen stellte." ,,Es ist zu be-
klagen," so schreibt er, ,,dass viele Lehrschüler und Gesellen in der
Wundarzneikunst so unwissend und allein mit nichtswürdigen Dingen
bemüht sind. Unter allen Künsten, die gelernt werden, ist keine
vortrefflicher, als die Chirurgie. Das Subjectum anderer Künstler
ist Eisen, Holz und Steine und dergleichen, der Chirurgie aber der
menschliche Leib, der von dem Höchsten so zierlich gebaut ist, dass
er Niemand, auch im geringsten Theile, zur Genüge bekannt worden,
und daher sollten sich Alle, welche sich der Chirurgie befleissigen
wollen, nicht mit Flöten, Geigen, Lauten und anderem Saitenspiel,
wie es meist bei ihnen gewöhnlich ist, sondern in der Anatomie be-
mühen, dann würden sie in looo Fällen nicht allein den Kranken
helfen, sondern auch sich selbst grosse Ehre einlegen."
In demselben Jahre 1682 veröffentlichte er ferner einen „Aus-
führlichen Unterricht und Anweisung, Wie die Salivation-
Kur Nach allen Umbständen und Vortheilen aufs beste
und sicherste vorzunehmen." Eine zweite Auflage dieses Werkes
erschien 1728. Die reichen Erfahrungen, die er in seiner Stellung
an dem grossen Breslauer Hospitale zu machen Gelegenheit hatte,
veranlassten noch 1694 die Chirurgia curiosa und 1710 die
Curiosen Chirurgischen Observationes. Die Herausgabe des
letzteren Buches war durch seine vielseitige Beschäftigung in den
Hospitälern, so wie durch andauernde Kränklichkeit — er litt an
Hüftweh — lange verzögert worden, und er hatte sie schon seinem
in Halle Medicin studirenden Sohne Gottfried Purmann vorbehalten,
doch entschloss er sich auf vieles Zureden seiner Freunde, als er
sich wieder einmal wohl fühlte, sie noch selbst in Druck zu geben.
Den 27. Mai des nächsten Jahres setzte der Tod seinem fleissigen
Leben im 63. Jahre ein Ziel.
Diese Angaben sind seinen eigenen Werken entnommen, wobei
indess zu bemerken ist, dass die Daten sich zuweilen widersprechen.
Das Todes-Datum stammt aus dem städtischen Todtenbuch von 1 7 1 1 .
Dasselbe giebt Abzehrung als Todesursache an.
6.S
Johann Christian Kundmann.
i\n der Schwelle der Neuzeit steht Johann Christian Kundmann,
Dr. der Medicin und praktischer Arzt in seiner Vaterstadt Breslau
Mitglied der römisch kaiserlichen Reichsakademie der Naturforscher.
Unter seinen Ahnen, die wir bis in das fünfzehnte Jahrhundert zu-
rück verfolgen können, ist Ulrich Kundmann, Rathsherr und Bau-
director zu Kostnitz, der Erfinder einer später privilegirten Holz-
Sparkunst, von einiger Bedeutung. Dieser gilt als der Gründer der
in vielfachen Zweigen über ganz Deutschland ausgebreiteten Familie.
Der Urgrossvater des Dr. Kundmann, dessen Biographie hier
folgt, ist Sylvester Kundmann, welcher Anfang des 1 7. Jahrhunderts
als Leibarzt des Kurfürsten von Sachsen fungirte. Sein Erbe, Johann,
Pastor in Thüringen, besass zwei Söhne, von denen der jüngere,
Johann Samuel, Wachtmeister, Lieutenant und Aeltester der
Destillatorum in Breslau, der Vater unseres Johann Christian Kund-
mann ist. Letzterer wurde am 26. October 1684 als ältestes unter
acht Kindern in Breslau geboren. Ihm wurde im elterlichen Hause
eine vorzügliche Erziehung zu Theil. Sowohl durch Privatunterricht,
als durch den Besuch des Gymnasiums zu St. Magdalena, an welchem
damals eine Reihe ausgezeichneter Gelehrten und Pädagogen, wie
Titius und Pohl, Christian Gryphius und Caspar Neumann docirten,
schuf er ein sicheres Fundament für seine wissenschaftliche Aus-
bildung. Auf dieser Anstalt weilte er zehn Jahre von 1695 — 1705.
Seine Eltern hätten ihn gern, wie berichtet wird, für das Handels-
fach bestimmt, waren jedoch verständig genug, von ihrem Vorhaben
abzustehen, als sie einsahen, dass ihres Sohnes Sinn sich ausschliess-
lich naturwissenschaftlichen und anatomischen Studien zuwandte,
dass ihm nichts grösseres Vergnügen gewährte, als der Versuch, die
zahllosen Wunder der Natur zu erforschen. In diesen Bestrebungen
unterstützte ihn aufs Bereitwilligste der spätere Frankfurter Professor
Riessmann. 1705 bezog er die Universität Frankfurt an der Oder,
wandte sich aber bald darauf nach Halle. Hier erschloss sich für
66
ihn ein weiteres Feld der Thätigkeit. Halle galt zu dieser Zeit ge-
wissermassen als die Centralstation des medicinisclien Lebens, als
der Mittelpunkt der fortschrittlichen Entwickelung der Medicin, in
welchem die Fäden des weit verzweigten Gebiets zusammenliefen,
wo Männer wie Fr. Hoffmann und Stahl, die Begründer der be-
deutendsten medicinischen Schulen, wirkten und, als natürliche Folge,
eine zahllose Zuhörerschaft in ihren Bannkreis zogen.
Was Kundmann von jeher so sehnlichst herbeigewünscht, durfte
er jetzt verwirklichen. Nächst Hoffmann und Stahl hörte er noch
die hervorragendsten Vertreter der anderen Facultäten. Gundling
unterrichtete ihn in der Geschichte, er wie sein College Anton Volk-
mann aus Liegnitz ein eifriger Förderer der Urgeschichte seines
engeren Vaterlandes (cfr. Dr. Kurniks Vortrag im hiesigen Humboldt-
Verein, 9. Jahresbericht, Seite 3), Thomasius in der Philosophie, und
sein berühmter Landsmann, Freiherr Christian von Wolf, der erst
seit Kurzem sich in Halle aufhielt, in der Mathematik. Es war vor-
auszusehen, dass Kundmann, der wie wenige mit strengstem Ernst
sich seiner Aufgabe unterzog, die entsprechenden Examina mit Glanz
und Auszeichnung bestehen würd^. Im Besitze vorzüglicher
Zeugnisse beschloss Kundmann, bevor er in's praktische Leben über-
trat, durch ausgedehnte Reisen in ihm bisher unbekannte Gegenden
neue Anregungen und Erfahrungen zu sammeln, und zwar wandte
er sich zunächst nach dem nordwestlichen Deutschland und nach
Holland. Er zeigte ein wunderbares Interesse für Alles, was nur irgend
merkwürdig erschien; er besuchte Berg - Hüttenwerke im Harz
sowohl, wie im Mansfeldischen und verfolgte mit grosser Aufmerk-
samkeit alle Naturwunder, die sich ihm unterwegs darboten, war
jedoch nicht minder entzückt, wenn es galt, seltene literarische
Producte, wie z. B. Luthers Manuscripte in Eisleben, in Augenschein
zu nehmen. Holland zog ihn insbesondere an. Hier fand sich für
ihn Gelegenheit, eine Anzahl hochbedeutender Gelehrten wie Commelin,
Ruysch, Rau, Bidloo, Leeuwenhoek und Helvetius persönlich kennen
zu lernen, während das Land selbst von Sehenswerthem und Eigen-
thümlichkeiten förmlich wimmelte, so dass er nicht genug Zeit hatte,
den ungeheuren Stoff ganz kennen zu lernen.
Nachdem er sich schöne Sammlungen angelegt, kehrte er, von
dem Erfolg seiner Reise voll befriedigt, wiederum nach Halle zurück.
Am 25. September 1708 promovirte er daselbst auf Grund seiner
Inauguraldissertation „de regimine", an welche sein Freund und Lehrer
Stahl ein ..propempticum sistens historiam pathologicam affectuum
cum coxarum dolore symbolizantium Hippocraticam", verbunden mit
einer Biographie Kundmanns, angeschlossen, zum Doctor Medicinae.
Nun wandte sich Kundmann nach seiner Vaterstadt Breslau um hier
67
praktisch und literarisch thätig zu sein. Sein reger Geist verweilte
nicht allein bei der Medicin und den ihr verwandten Wissenschaften,
vielmehr beschäftigte er sich, der Eigenthümlichkeit seiner Zeit Folge
leistend, mit den verschiedenartigsten Gebieten, und immer war es
gerade das Merkwürdige, Seltsame und Geheimnissvolle, dem er mit
wunderbar glücklichem Spürsinn nachging, das ihm besonderes Ver-
gnügen zu bereiten schien. In solcher Sphäre fühlte er sich glück-
lich, hier erwarb er sich auch die grössten Verdienste, Mit theo-
logischen und philosophischen Schriften trat er zuerst vor das Forum
der Oeffentlichkeit. Noch als Student 1704 veröffentlichte er „Ge-
sammelte Abendmahlsbetrachtungen'', und als jünger Arzt, im Jahre
17 15, schrieb er eine „Abhandlung von dem Verstände des Menschen
vor und nach dem Falle", eine ebenso geistvolle als gelehrte tief
wissenschaftliche Arbeit, in der er, auf seinen theologischen, philo-
sophischen und medicinischen Kenntnissen fussend, die Ehre seines
Lehrmeisters Stahl durch Vertheidigung einer von ihm aufgestellten
Theorie zu retten sich bemüht. Diese Schrift erschien 1720 in zweiter
bedeutend verbesserter Auflage. Seine Thätigkeit gewann an allge-
meinerem Interesse, als er 1717 zusammen mit den beiden Breslauer
Aerzten Kanold und Brunschwitz eine wissenschaftliche Zeitschrift
redigirte, betitelt: „Sammlung von Natur- und Medicin-Geschichten
wie auch hierzu gehörigen Kunst- und Literaturgeschichten, so sich
in Schlesien und andern Ländern begaben."
Als Motiv wurde in der Einleitung kundgegeben, „darin aufzu-
zeichnen, was in den einzelnen Jahren in physikalisch-medicinischen
Dingen Neues g^eschehen sei supra et infra lunaria", ein ebenso inter-
essantes als nützliches Gebiet, das, weil man es bisher stiefmütter-
lich zu behandeln pflegte, in diesem neuen Rahmen die Aufmerk-
samkeit der Gebildeten erregen musste, dem Werkchen also eine
günstig-e Prognose zu sichern versprach.
Gewiss hätten es sich die Verfasser nicht träumen lassen, dass
daraus das hellleuchtende Licht einer neu entstandenen Wissenschaft
seinen Glanz weithin verbreiten, dass ihr einst sämmtliche, so ungeheuer
mannigfaltige Zweige menschlichen Wissens und Könnens unterthan
werden würden, wir meinen die Statistik, insbesondere die Medicinal-
statistik. Dies giebt uns Veranlassung, die Schrift etwas näher in
Augenschein zu nehmen. Sie zerfällt in 6 Abtheilungen. Nebst der
Geburts- und Mortalitätsstatistik, des für uns wichtigsten Abschnittes,
sind darin meteorologische Notizen, Untersuchungen über klimatische
Einflüsse und Ackerbauangelegenheiten, Capitel aus der eigentlichen
Medicin und den ihr verwandten Gebieten, Erfindungen und Ent-
deckungen, sowie die einschlägige Literatur enthalten. Der Ver-
fasser der statistischen Tabellen ist zweifellos Kundmann. Von der
5*
68
Ansicht ausgehend, dass eine geregelte Handhabung in der Ver-
öffentlichung der Zahl der Geborenen und Gestorbenen, insbe-
sondere der Krankheiten, denen der Einzelne erlegen, vielfach Auf-
klärung über die Gesundheits- resp, Morbiditätsverhältnisse der be-
treffenden Ortschaften schaffen würde, stellt er ziemlich genaue
statistische Listen zunächst über die Mortalität grösserer Städte wie
Breslau, Wien, Dresden, London u. s. w., soweit ihm das Material
zur Hand war, auf, vermochte jedoch in Folge der Unvollständig-
keit mehr nur eine Anregung als ein Musterbild für ähnliche Bear-
beitungen zu geben. Aber gerade in der grundlegenden Idee solcher
statistischen Zusammenstellungen, welche der Statistik als Wissen-
schaft die Wege geebnet, liegt Kundmanns Hauptverdienst*).
Der berühmte Süssmilch war der Erste, der aus dieser Zeitschrift
Nutzen zog; hat er doch sogar das gesammte, obengenannte Zahlen-
material der Kundmann'schen Arbeit wörtlich entlehnt, ohne sich
auf die Quelle zu berufen. Kundmann hat die Breslauer Listen bis
zum Jahre 1724 fortgeführt; von 1725 an übernahm Kanold selbst-
ständig das Journal, 1726 ging dasselbe auf E. A. Büchner über.
In zweiter Reihe beschäftigten ihn (fast das ganze Leben hin-
durch) numismatische Studien, welche mehrere interessante Arbeiten
in's Leben riefen. Aber auch jeder andere Gegenstand, der sich nur
durch Seltsamkeit und Merkwürdigkeit auszeichnete, erweckte sein
lebhaftes Interesse und keine Mühe war für ihn, wie schon erwähnt,
gross genug, wenn es sich darum handelte, seine Naturaliensammlung
von Neuem zu bereichern. Den Reigen der zu dieser Kategorie ge-
hörigen Werke eröffnete der 1726 herausgegebene Katalog der
Breslauer Sehenswürdigkeiten unter Hervorhebung seiner eigenen
Sammlungen. In schneller Aufeinanderfolge erschienen nun eine An-
zahl numismatischer Werke.
Wir erwähnen unter ihnen als die wichtigsten: „Nummi singulares",
in denen er ,,sonderbahre Thaler und Müntzen, so oft wegen einer
kleinen Marque oder kuriosen Historie oder fabelhaften Mährgen von
den Müntzliebhabern hochgeschätzt werden," einer kritischen Prüfung
unterwirft. ,, Nummi Jubilaei", eine seinen Eltern anlässlich der Feier
ihrer goldenen Hochzeit gewidmete Festschrift, sowie ,,Silesii in
nummis" als Fortsetzung der Dewerdeckschen „Silesia numismatica,"
ein sowohl wegen seiner äusserst detaillirten genealogischen Be-
trachtungen, als wegen der vorzüglichen, selten schön gelungenen
*) Indem wir auf unsere Arbeit „Daniel Gohl und Christian Kundmann" verweisen,
können wir nicht umhin, zu gestehen, dass eigentlich von Grohl aus die allererste Idee,
statistische Daten zu sammeln, ausgegangen, und dass er auch eine ähnliche Arbeit über
Berliner Verhältnisse geschrieben, die sich aber nur aut ein Jahr erstreckte .und im Ali-
gemeinen auch unvollkommen ist.
69
Abbildungen allgemein bekanntes und geschätztes Werk, das noch
heut für Medaillensammler massgebend ist. Mit Uebergehung seiner
in der Zeitschrift „Germania literata vivens" oder „das jetzt lebende
gelehrte Deutschland" niedergelegten biographischen Leistungen
wenden wir uns seinem 1737 erschienenen bedeutungsvollsten Werke
zu, welches die Ueberschrift führt ,,Rariora Naturae et Artis item
in re medica" oder „ Seltenheiten der Natur und Kunst des Kund-
mann'schen Naturalienkabinets wie auch in der Arznei- Wissenschaft",
aber noch bei weitem mehr liefert als der Titel verkündigt*). Von
diesem in sechs besondere Abtheilungen geschiedenen Werke inter-
essirt uns vor Allem das letzte Capitel, weil uns darin Kundmann
-von Neuem auf das wichtige Gebiet der Statistik hinweist und in
seinen „Reflexiones über die Krankheits- und Todtenlisten mit
medicinischen Anmerkungen" gewissermassen ein Facit seiner bisher
gesammelten statistischen Erfahrungen unterbreitet, aus welchem ein
gewaltiger Fortschritt unverkennbar hervorgeht. Wir erhalten in
dieser Abhandlung Aufschluss über Populations-, Mortalitäts-, und Mor-
biditätsverhältnisse grösserer Städte, hauptsächlich Breslaus**), über
ihre Ursachen und Wirkungen, hören auch noch manch vortreffliche
Massregel zur Abänderung bestehender Ungehörigkeiten; überall
leuchtet der medicinische Geist hervor, aufklärend und belehrend,
kurz, es ist ein ganzer Schatz von Wissenswerthem, das sich hier
vor unseren Augen entrollt, geeignet, weithin nutzbringend zu wirken.
Es erscheint natürlich, dass eine solch hervorragende wissen-
schaftliche Thätigkeit auch von der Welt Anerkennung finden musste.
In der That wurde diese unserem Kundmann reichlich zu Theil.
*) Dass Kundmann in dieser Arbeit auch der Pest gedenkt und sich bemüht,
Yerhaltungsmassregeln festzustellen, mit denen man diese furchtbare Seuche am besten
bekämpfen könne, darf uns durchaus nicht Wunder nehmen, war doch „die Pest" immer
noch das Punctum saliens, das die Medicin am allermeisten beschäftigte.
**) Merkwürdiger Weise war keine unter so vielen geeigneter, der noch jungen statisti-
schen Wissenschaft die rechten AVege für eine mächtige Entwickelung zu weisen, als gerade
Breslau. Wie Kundmann mit der Medicinal-Statistik, so hat Dr, Caspar Neumann, Diaconus bei
Maria Magdalena zu Breslau, ein halbes Jahrhundert vorher mit der Zusammenstellung der
Geburten und Sterbelalle seiner Vaterstadt Breslau so zu sagen ein Gebiet in's Leben ge-
rufen, das einen unschätzbaren Werth in sich fasst, weil auf Grund dessen das gesammte
sociale Leben im Verlauf der folgenden Jahre eine äusserst vortheilhafte L^mgestaltung er-
fahren. Nur mit Zuhilfenahme der Xeumann'schen Tabellen, die uns aus den von Neumann
an Justell übersandten Briefen bekannt geworden, vermochte der berühmte Londoner
Mathematiker Edmund Halley die AVahrscheinlichkeit der Lebensdauer, einen füj A'ersicherungen
so wichtigen Punkt, zu berechnen und Tabellen zu schaffen, die für diese tief in das praktische
Leben einschneidende Frage manch plausiblen Fingerzeig abgeben.
Ueber die Halleyschen Tafeln u. a. cfr. „Edm.und Halley rmd Caspar Neumann, von
Dr. J. Graetzer, Breslau. S. Schottlaender 1883."
7Q
Durch Diplom vom 7. Januar 1727 wählte ihn die Akademie der
Naturae Curiosorum unter dem Namen Epimenides zu ihrem Mitgliede.
Seine Mitbürger, voran seine ärztlichen CoUegen, empfanden es mit
Stolz, seinen Umgang zu gemessen, weit über die engen Grenzen
seiner Vaterstadt hinaus verbreitete sich der Ruf seiner Gelehrsam-
keit, und die bedeutendsten Gelehrten traten mit ihm in Correspondenz,
so dass sich das Leben für ihn recht angenehm gestaltete. Inmitten
dieser beglückenden Thätigkeit, im Jahre 1750, verfiel er in eine
Krankheit, von der er nicht mehr genesen sollte. Noch ein volles
Jahr vermochte er sich schwerleidend hinzuschleppen. Am 1 1. Mai 1751,
im 67. Lebensjahre, ereilte ihn der Tod.
Kundmanns Schriften:
Disput. Inaug. de Regimine. Praes. G. E. Stahlio. Halae. 1708. acced.
G. Stahlii propempt. sistens historiam pathologicam affectuum
cum coxarum dolore symbolizantium Hippocraticam.
Abhandlung von dem Verstände des Menschen vor und nach dem
Falle. Bauzen 17 16.
Sammlung von Natur- und Medicingeächichten, wie auch hierzu ge-
hörigen Kunst- und Literaturgeschichten, so sich in Schlesien
und anderen Ländern begeben. Unter Mitwirkung von Kanold
und Brunschwitz. Breslau 1717.
Promptuarium rerum naturalium et artificialium Vratislaviense, prae-
cipue quas collegit I. C. K. etc. Vratisl. 1726.
Nummi singulares oder sonderbare Thaler und Münzen, so oft wegen
einer kleinen Marque oder theils curiösen Historie, theils fabel-
haften Mährgen von den Münzliebhabern hochgeschätzt und
deswegen in Münzcabinetten vor andern aufbehalten werden.
Breslau 1731.
Nummi Jubilaei oder Jubel-Schaustücke, so nach fünfzigjähriger Hoch-
fürstlicher Regierung, nach eben so lange geführten wichtigen
Amtswürden, insonderheit auf Hochzeit Jubilaea zum Vorschein
gekommen, nebst dem hierbei veranstalteten Jubel-Gedächtniss
als der andere Theil der sonderbaren Münzen. Breslau 1733.
Rariora naturae et artis item in re medica, oder Seltenheit der Natur
und Kunst des Kundmann'schen Naturaliencabinets, wie auch in
der Arzneiwissenschaft. Breslau und Leipzig. 1737.
Silesii in nummis oder berühmte Schlesier in Münzen, welche durch
grosse Heldenthaten, durch hohe und wichtige Amtswürden,
oder durch Gelehrsamkeit und Schriften ihren Namen unver-
gesslich gemacht. Breslau 1738.
7^
Academiae et scholae Germaniae, praecipue ducatus Silesiae, cum
Bibliothecis in nummis, oder die hohen und niederen Schulen
Deutschlands, besonders des Herzogthums Schlesien, mit ihren
Büchervorräthen in Münzen, wie andere ehemals und itzo wohl-
eingerichtete Schulen dieses Herzogthums, dann ein Anhang alter
rarer goldener Münzen, so bei Grundgrabung des Hospitalge-
bäudes zu Januar 1726 gefunden worden, beigefügt. Breslau 1741.
Die Heimsuchungen Gottes im Zorn und Gnade über das Herzogthum
Schlesien in Münzen. Liegnitz 1742.
Von einer zu edirenden Historie der Gelehrten in Münzen, wie auch
von denen allbereits dem Druck überlassenen und, so Gott will,
noch nachfolgenden Schriften D. I. C. K. etc. Liegnitz 1742.
Quellen.
Dr. Friedrich Börners ,, Nachrichten von vornehmsten Lebensum-
ständen und Schriften jetzt lebender berühmter Aerzte und
Naturforscher in und um Deutschland" L Band Wolfenbüttel 1749.
Biographisches Lexikon der hervorragendsten Aerzte aller Zeiten und
Völker. Herausgegeben von Dr. August Hirsch, Professor der
Medicin zu Berlin. IIL Band Seite 571. Wien u. Leipzig 1886.
Dr. J. Graetzer „Daniel Gohl und Christian Kundmann" zur Geschichte
der Medicinal-Statistik. Breslau 1884.
Joh. Sigmund Hahn.
In der Geschichte der Medicin ist es wohl eine allgemein an-
erkannte Thatsache, dass die moderne Ausbildung der Kaltwasser-
heilkunde ihre wesentliche Anregung in der ersten Hälfte dieses Jahr-
hunderts durch die erfolgreichen Kaltwasserkuren des schlesischen
Bauernsohnes, Vincenz Priesznitz aus Gräfenberg (1799 — 1852),
empfing und von ihm, der zuerst diese Curen in seiner zu Gräfenberg
gegründeten Anstalt machte, ihren Ausgang nahm. Die wissenschaft-
liche, methodische Entwicklung stützte sich auf erweiterte Er-
fahrungen oder neue Entdeckungen in der Chemie, Physiologie und
Pathologie, von denen Priesznitz selbst, als Laie in der Medicin, gar
zu wenig wusste. Winternitz („Hydrotherapie" S. 60) ist demgemäss
zu der Annahme geneigt, dass Priesznitz als „originell denkender Kopf,"
selbständig zu seiner Methode gelangt sei, welche schon 100 Jahre
vorher in ähnlicher Weise von dem englischen Geistlichen Hancoke
empfohlen worden war. („Febrifugum magnum or Common Water the
best eure of fevers" 1723, cf. Winternitz S. 42.) Dass Priesznitz in der
medicinischen Literatur selbst seines Faches wenig bewandert war,
wissen wir durch seine Biographen*); es ist uns auch nicht über-
liefert, welche Bücher er gelesen hat**). Vielleicht gehörte zu
diesen das Werk über die Wasserheilkunde, das im Jahre 1738 der zu
früh vergessene Landsmann des Priesznitz, Dr. Joh. Sigmund Hahn,
Stadtarzt zu Schweidnitz, verfasste. Dieser tüchtige Arzt hatte seiner
*) Cf. E. M. Selinger: Vincenz Priesznitz, S. l6. — Wurzbach: Biograph. Lexikon
des Kaiserthums Oesterreich. XXIII, S. 291.
**) Dass Pr. lesen konnte, ist nach den in der vorhergehenden Note angeführten
Stellen als sicher anzunehmen; dazukommt Selinger V. Pr., S. 144. Die entgegengesetzte
Behauptung Pageis in der „Allgem. Deutsch. Biographie" Bd. XXVI, S. 289/90 beruht
■wohl auf irrthümlicher Auffassung der von Priesznitz berichteten Aeusserung: „Hätte ich
meinen Vater nicht eH Jahre herumführen müssen, so würde ich in der Schule wenigstens
ordentlich lesen und schreiben gelernt haben." Cf. Neuer Nekrolog der Deutschen, Bd. 29, 11,
S. 896, — Einen regelmässigen Schulunterricht genoss er nicht, cf. Selinger 1. c. S. 4;
erst später muss er es zur Fertigkeit im Lesen gebracht haben.
Zeit, wie später Priesznitz, ausserordentliche Erfolge mit seinen Kalt-
wassercuren erreicht, die seinen Namen auch über die Grenzen seiner
Heimat weit hinaustrugen; überlegen war er Priesznitz an Vorkennt-
nissen und Belesenheit auf dem Gebiete der Medicin in Folge
seines Studiums sowie durch die wissenschaftliche Begründung seines
Heilverfahrens in verschiedenen Krankheiten. Solch eine Persönlich-
keit verdient es wohl, besonders an dieser Stelle, dass ihr Leben
und Wirken der Vergessenheit entrissen werde.
Hahn wurde zur Beschäftigung mit der Wasserheilkunde durch die
Thätigkeit seines eigenen Vaters, Sigmund Hahn, hingeleitet*), der,
etwa gleichzeitig mit dem berühmten Arzt und Schriftsteller Friedrich
HofTmann, dem Führer der mechanisch -dynamischen Schule und
Hallenser Universitätsprofessor (s. Winternitz, 1. c. S. 45, 46), den
Gebrauch des kalten Wassers in fast allen Krankheiten eindringlich
empfahl und dasselbe, nachdem er dessen vortreffliche Wirkungen
zum Theil an seinem eigenen Körper erprobt hatte (S. 13 seines
,,Alt-Kalt-Bad- und Trincken"), in seiner ausgedehnten Praxis in und
ausserhalb seiner Vaterstadt Schweidnitz, als einer der ersten in
Deutschland, mit grösstem Nutzen für die leidende Menschheit ver-
wandte. Ein reiches Material an Erfahrungen und Beobachtungen,
gesammelt während einer fünfzigjährigen ärztlichen Thätigkeit, konnte
er, der mit den einschlägigen Arbeiten der bedeutendsten Autoren
(Boerhaave, Chirac, wSmith, Floyer u. a.) vertraut war, seinem Sohne
für dessen literarisch- wissenschaftliche Thätigkeit zur Verfügung
stellen. In seiner ,,Psychroluposia jam renovata", welche er, 1738,
gelegentlich seines 50jährigen Doctor-Jubiläums in deutscher Ueber-
setzung als „Wi-ederaufgewärmt Alt-Kalt-Bad- und Trincken" her-
ausgab, erzählt uns der ältere Hahn, wie er schon als junger Doctor
(S. 8, Text und Anmerkung) — 1688 hatte er in Leyden promovirt
— sich der Wasserheilkunde mit Eifer zuwandte und ihr, wie sehr
er auch in seiner Heimat verspottet und angegriffen wurde, treu
blieb; wie er besonders die bei Fieberkranken bisher angewandten
Medicamente (S. 9): Essenzen, Tincturen u. s, w., untersucht und
deren Schädlichkeit erkannt habe. So kam er darauf, in solchen
Krankheiten mit ,,lufftigem Verhalten, kühlem Trincken und Waschen"
(S. 12 u. S. 5 § 3) von Erfolg gekrönte Versuche zu machen. „Ich
hab," so sagt er an einer Stelle, ,,ohne ruhmräthig mich bei meiner
50jährigen Praxis aufzuführen, Ehre genung in entlegnem Ländern**)
*) Er war der jüngere Sohn des Pastors Gottfried Hahn, geboren 1664, da er sich
in seinem Werke, das 1738 erschien, als 74 Jahr alt angiebt (S. 17).
**) Er bekleidete eine Zeitlang die Stelle eines Leibarztes bei dem Thronfolger Polens
Jakob Sobieski. Cf. Biograph. Lexikon der hervorrag. Aerzte. Bd. III, S. 17.
74
und hiesigen Fürstenthümern gehabt. Exempli Gratia: Ich bin in
einem eintzigen Winter auf dem Schütten fünfmahl in die grösste
Stadt Schlesiens zur Conferentz gereiset." — Er erlebte auch die
grosse Freude, seinen älteren Sohn, den Breslauer Oberarzt und
Decan des Collegium Med. et Sanit., Johann Gottfried Hahn*), der im
Jahre 1737 während der Typhus-Epidemie schwer erkrankte und
hoffnungslos darniederlag, durch seine Wasserkur vom Tode zu
erretten; so berichten uns der erkrankte Sohn selbst und dessen
Bruder (cf. Winternitz Hydrother., S. 47 und Joh. Sigm. Hahn,
„Unterricht von Kraft und Wirkung", S. 38 der I. Auflage). Als
der Vater im Jahre 1742 im Alter von 78 Jahren starb (s. Biograph.
Lexikon Bd. III, S. 17), hatten beide Söhne sich bereits ein grosses
Ansehen in der Aerzte- und Laienwelt verschafft und der jüngere
von ihnen, Joh. Sigmund, auf demselben Gebiet, auf dem der Vater
thätig gewesen war, als praktischer Arzt und Schriftsteller Be-
deutendes geleistet.
Joh. Sigmund Hahn erblickte zu Schweidnitz im Jahre 1696 das
Licht der Welt, ein Jahr nachdem der Vater, vermählt mit Susanne
Marie geb. Franz, das grosse Schweidnitzer Bürgerrecht erworben
hatte**). Der jüngere Sohn wird wohl, wie der zwei Jahr ältere Joh.
Gottfried, zunächst von Privatlehrern unterrichtet worden sein und
dann erst die evangelische Stadtschule besucht haben (Allgem.
Encyklop. der Wissensch. u. Künste. Sectio H, P. i, S. 186), bis er
die Universität Leipzig aufsuchte, um daselbst Medicin zu studiren; ;
Wann er sich als praktischer Arzt in seiner Vaterstadt niederliess,
ist nicht bekannt. Mit derselben Energie, wie der Vater, bekämpfte
er die alten, eingewurzelten Vorurtheile von der Schädlichkeit des
kalten Wassers für Gesunde und Kranke, sei es innerlich oder sei
es äusserlich gebraucht (cf. Winternitz S. 47). Ein Denkmal kind-
licher Liebe und Verehrung setzte er dem Vater in der Vorrede
*) Joh. Gott fr. Hahn war im Jahre 1694 geboren, besuchte die Universität Leipzig,
an der er 1717 promovirte.; 1731 wurde er zum Mitglied der Kaiserl. Akademie der Natur-
forscher ernannt. Friedrich II machte ihn 1745 zum Dekan des Collegii Medio, et San.
in Breslau, wo sich H. niedergelassen hatte, und verlieh ihm den Titel „Hofrath", 1748
auch den Adel; 1753 starb er. Ob er selbst die Wassercur oft angewandt hat, ist uns
nicht bekannt, er war schriftstellerisch thätig. Cf. Allgem. Encyclop. der Wiss. und
Künste. Sectio 11, Pars i, S. 186 u. 187.
**) Diese Nachricht verdanke ich einer archivalischen Mittheilung des Stadraths Caspari
in Schweidnitz. — In den Schles. Provinzialblättern. Bd. 130, St. 12, S. 501 wird
von Rob. Stetten die Inschrift von v. Hahns Denkmal bekannt gemacht. Hier wird als
Mutter angegeben: Cathar. Sophie geb. Grass. Nachkommen v. Hahn's sind die Dichterin
Agnes Franz und die Gattin des Anatoms Mich. Morgenbesser, cf. S. 87 dieses "Werkes.
75
seines demselben gewidmeten Werkes über „die Kraft und Wirkung
des frischen Wassers," das zugleich mit dem Werke des Vaters im
Jahre 1738 veröffentlicht wurde. Der Einfluss Hahns in der Stadt
Schweidnitz und sein Ansehen muss ganz bedeutend gewesen sein;
ein curioses Factum aus der Geschichte der Stadt in diesen
Jahren beweist es uns zunächst: Im Anfang der vierziger Jahre
des XVIII. Jahrhunderts, als die Stadt durch die ersten schlesischen
Kriege an Preussen gekommen war, klagte die Communalbehörde
darüber, dass der Bierconsum in den vornehmen Familien durch die
Schuld der Aerzte zurückgegangen sei, da man „sich mehr an das
Wasser halte". (Cf, Schmidt: Geschichte der Stadt Schweidnitz.
Bd. II, S. 254). Die Stadt aber erkannte die Verdienste und den
Werth dieses Mannes bald an. Im Jahre 1750 wurde er zum Ober-
kirchenvorsteher an der evangelischen Friedenskirche, an der schon
Vorfahren Joh. Sigmunds als Seelsorger gewirkt hatten, erwählt*).
In diesem Amte befindlich, verfasste Hahn, als im Jahre 1752 das
hundertjährige Bestehen der erwähnten Kirche festlich begangen
wurde, das in französischer Sprache abgefasste Begleitschreiben für
die zu Ehren des Tages gestiftete und an Friedrich IL gesandte
goldne Jubelmedaille**). Die ehrendste Anerkennung fand Hahn im
Jahre 1755 bei Erledigung der Stadt-Physikatsstelle durch den Tod
des bisherigen Inhabers. Der Magistrat brachte Hahn anbetracht
„der ihm beiwohnenden Wissenschaft und Praxi Medica" in Vorschlag
für diese Stelle bei dem Breslauer Collegium Med. et Sanitat., ohne
dass eine Meldung Hahns zu diesem Posten vorlag. Das Collegium
verschloss sich den Vorzügen dieses Candidaten keineswegs, musste
ihn aber, da er kein Physikatsexamen abgelegt hatte, abweisen.
Nachdem er jedoch einen ihm aufgegebenen „Casus elaborirt", also
eine Art Examen bestanden hatte, wurde er im Jahre 1756 in der
Physikatsstelle bestätigt. Noch einmal begegnen wir Hahn in der
Geschichte seiner Vaterstadt und zwar in einer schweren Zeit und
in kritischer Lage. Als die Stadt im Jahre 1758 wieder in die Ge-
walt der O esterreicher gelangt war, kam es zu einem Conflict
zwischen Hahn als Oberkirchenvorsteher und dem Commandanten
*) Der Grossvater, Gottfr. Hahn d. Aeltere, war Diaconus an der evangel. Friedens-
kirche seit d. J. 1655; cf. Schmidt, S. 140 u. 209. — Der Oheim J. Sieg. Hahns, Gottfr.
Hahn d. Jüngere, war Senior des evangel. Ministerii an derselben Kirche, hochangesehen als
Prediger, machte sich um das protestantische Lyceum verdient und starb 1748, 86 Jahr alt.
Cf. Schmidt, S. 215, 220, 249.
**) Cf. Schmidt, S. 250. — Dies über Hahn Gesagte beruht auf gütiger Mittheilung
des Stadtraths Caspari in Schweidnitz, ebenso wie die oben folgende interessante Nachricht
aus dem Leben Hahns.
. 76
General Thierheim*). Gegen das Verbot dieses hatte Hahn am
Gründonnerstag- die Kirchenglocken zu läuten befohlen, wurde zur
Rechenschaft gezogen und in 's Gefängniss abgeführt. "Vor längerer
Haft sicherte sich Hahn nur durch seine feierliche Erklärung, dass
dieser Brauch den Evangelischen schon von dem Habsburger Karl VI.
genehmigt worden sei. Am 27, Juli 1773 beschloss Hahn sein werk-
thätiges, erfolgreiches Leben im Alter von 77 Jahren (cf. Schlesische
Provinzialblätter 184g, Bd. 130, S. 501).
Wenn Hahn im Gedächtniss der Nachwelt keinen oder nur
einen winzigen Platz fand, so lag dies einmal wohl daran, dass sich
„Charlatane der Sache bemächtigten und sie inMisscredit brachten"**),
zweitens daran, dass sich unter den ihm Nahestehenden kein Pfleger
seiner Lehren, kein Verbreiter seiner Anschauungen und Grund-
sätze fand. Seine Heimat und ihre Umgebung, wie Tannhausen,
Charlottenbrunn u. a., haben daher von seinem und seines Vaters
Wirken nicht jene materielle Förderung, nicht jene segensreichen
Folgen erfahren, deren sich das bekannte, uns nahe Gräfenberg in
F'olge der Thätigkeit Priesznitz' ***) bis auf die Gegenwart zu erfreuen
hat. Wie der Name Hahns, so wurde auch sein Werk bis in den
Anfang unseres Jahrhunderts vergessen.
Das Werk Joh. Sig. Hahns, welches im Jahre 1738 das erste
Mal erschien und zu Lebzeiten des Verfassers bis zum Jahre 1764
noch drei neue Auflagen erfuhr, ist betitelt: ,, Unterricht von Krafit
und Wirkung des frischen Wassers bei dessen innerlichem und
äusserlichem Gebrauch." Da Hahn nicht nur für Aerzte, sondern
vornehmlich für die Laienwelt schreiben wollte, so ist der Ton seines
Buches meistens ein populärer, allgemein verständlicher, ohne dass
der Verfasser in den oft polternden und unverständlichen Tonf), der
*) Cf. Schmidt, S. 267. — Dass das bei ihm Berichtete sich auf Hahn bezieht,
beruht auf Mittheilung des Herrn Caspari.
**) Cf. Winternitz, S. 47. Er berichtet hier, dass sich der berühmte Leibchirurg
Friedrichs d. Grossen, Theden, der Kaltwassercur nach Hahn'schen Grundsätzen bei den
verschiedensten Leiden bediente.
***) Welch geringe Anerkennung Pr. grade bei bedeutenden Aerzten, die ihn in Gräfen-
berg aufsuchten, fand, bezeugt eine Bemerkung Griesingers im , »Archiv für physiol. Heilk.
II. Jahrgang, S. 467 : „Ein schlesischer Bauer, der weiss, was man dem Publikum bieten
darf, wendet die Dreistheit seiner Ochsentherapie keck auf Menschengesundheit an." — Als
ich Wendt bei seiner Rückkehr aus Gräfenberg fragte, wie es ihm dort gefallen, meinte
er: „Das Beste an dem ganzen Gräfenberg ist die schöne Tochter Priesznitz'" (später Frau
von Ujhazy) u. a. ähnlich.
■j-) Winternitz sagt S. 47: „Der jüngere (Hahn) war es, der in Schriften (?), welche,
in populärem Stil gehalten, viele Verbreitung fanden, das Wasser gegen alle Krankheiten
und für Alle anrieth, ohne deswegen in den ordinären Ton und die polternde Exclusivität
der Wasserfanatiker und Naturärzte zu verfallen, da ihm ärztliche Kenntnisse nicht ab-
gingen." Letzteres ist zu wenig gesagt.
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sich in der Arbeit des Vaters zeigt, fällt. Vom Anfang bis zum
Ende haben wir es mit einem wissenschaftlichen Geiste zu thun,
mit einem ernsten, von der Wichtigkeit der Sache erfüllten Mann.
Nach einer kurzen, gedrängten Ueb ersieht über die physikalischen
Eigenschaften des Wassers, der „Vorbereitung," zerlegt er seinen
Stoff, wie schon im Titel präsumirt, in zwei Theile. Der erste
handelt in fünf Capiteln von den Vorzügen des kalten Wassers bei
innerlichem Gebrauch*). Dabei hat er stets neben den Kranken
auch die Wohlfahrt der Gesunden im Auge und empfiehlt Beiden
das frische Wasser zunächst, weil es alle schädlichen, scharfen Säfte
mildert und die Hitze dämpft. Ein besonderes Capitel widmet er
dem Nutzen des frischen Wassers bei chronischen Krankheiten, vor
Allem der Wassersucht. Er schildert den pathologischen Zustand
(S. 1.9), dann die Wirkungen, welche das in grösseren Quantitäten
genossene Wasser hierbei auszuüben im Stande ist (vgl. Winternitz
auf S. 161/162 über ,, methodisches Wassertrinken bei Hydropsieen"),
und die Fälle, in denen eine heilsame Wirkung von demselben nicht
mehr zu erwarten ist (S. 20). Er erklärt am Schlüsse dieses letzten
Capitels, dass er weit davon entfernt sei, zu glauben, dass nun damit
alle Wassersüchtigen zu heilen seien**), oder dass das Wasser allein
die ganze Cur verrichten könnte, „indem wir auch verschiedene
andere bewährte Mittel haben, so wir hier oftmals mit gutem Nutzen
anwenden mögen." (S. 2^.) Auch für die äusserliche Verwendung
von kaltem Wasser bei Wassersucht plaidirt Hahn in einem beson-
deren Capitel des zweiten Theiles und, wenn auch in unsrer Zeit
diese Cur nicht in demselben Masse und in derselben Form, wie
Hahn es will, angewandt wird, so findet sich doch bei Winternitz
(S. 186, 291 und 292) noch die Empfehlung von Regenbädern oder
feuchten Abreibungen in einer , combinirten Methode bei Hydrops.
Im zweiten, grösseren Theile führt H. in acht Capiteln aus, welche
Bedeutung der äusserliche Kaltwassergebrauch für die Gesundheit
der Menschen hat, indem er dabei seine Ansichten durch diejenigen
eines Septalius, Bonnet, Verheyen, Smith, Sangez, Floyer u. A. stützt.
Die Reinlichkeit der Haut werde am vollkommensten durch kaltes
Wasser erreicht, welches zugleich überaus heilsam für dieselbe sei
und vor schädlichen Ausschlägen und Entzündungen an den Körper-
theilen schütze. Ganz besonders empfiehlt er, sich der Ansicht des
Vaters anschliessend (§§ 5 und 6 im ,,Alt-Kalt-Bad- und Trincken"),
die Kaltwasserverwendung bei allen mit Fieber verbundenen Krank-
*) Ich lege hier die erste Auflage des AVerkes, 1738, zu Grunde. — Er stützt sich
im ersten Theile auf die Werke Boerhaaves, HofTnianns und Heimreichs und auf die ,,Me-
moires de l'Academie des Sciences. 1701.
**) Wie ja heute bei manchen die Organe tiefer ergreifenden Formen der Hydrops.
78
heiten, wie heute bei Typhus (Cap. III); mit Hilfe des „Thermome-
trum Farenheitianum" stellt er die Temperaturzunahme fest*) und
verwendet nun, um Abkühlung zu erzielen, die sich bis in die
inneren Theile des Organismus erstreckt, kalte Abwaschimgen, Um-
schläge um den Kopf, Unterleib und Magen, Begiessungen, kalte
Klystire, temperirte Bäder, sogar Eis**). In dem folgenden Capitel
spricht er vom Gebrauch des Wassers in der Form von kalten Voll-
und Theilbädern bei Geschlechtskrankheiten, Brüchen und Ver-
renkungen und empfiehlt die Application von Eis bei Blutstürzen
und AVunden. In den nächsten beiden Capiteln verbreitet er sich
über die Wirkungen des kalten Wassers bei erfrorenen Gliedern
und deren Lähmung; Kopf- und Genickwaschungen, Bäder des ge-
lähmten Theiles, Sturzbäder auf das durch besondere Schwamm-
kappen verwahrte Haupt und die mit leinenen Tüchern bedeckten
Glieder haben sich in seiner Praxis bewährt. Auch bei der Gicht***)
will er ähnliche Arten der Application verwerthen, obwohl „auch
berühmte Praktici verbieten, keine erkältenden Sachen an die gich-
tischen Glieder zu bringen". In dem letzten Capitel weist er in
längerer, eindringlicher Ausführung die Annahme zurück, dass das
kalte Wasser die schädlichen Säfte des Innern am Austreten ver-
hindern und zurücktreiben könne (S.S. 62 — 64; cf. Winternitz, S. 47).
Zum Schluss giebt er ein kurzes Resume über die verschiedenen
Arten der Application des kalten Wassers und verwahrt sich gegen
irgendwelche niedere Verdächtigungen seiner Person wegen seiner
Empfehlung der Wassercur. Die Diätetik berührt er in seinem
Werke ebenfalls, wie sie in der Arbeit des Vaters auch häufiger
erörtert wirdf).
In einer „Zugabe" zu seiner Schrift warnt er in kräftigen,
*) Cf. Winternitz, S. 47: ,, Beide Brüder sind sich über das Ziel der Wasserbe-
handlung bei Fiebernden l<lar" u. s. w.
**) Es sei hier erlaubt, darauf hinzuweisen, dass auch Ludw. Traube sich, im Todesjahr
Priesznitz' 1851, gerade bei Fieberkrankheiten den hydrotherapeutischen Versuchen zuwandte,
wie aus einem Briefe von ihm 1852 hervorgeht (bei Leyden: Gedächtnissrede auf L. Traube.
1877, S. 33, Anm. 23). Es verlohnt sich, seine Ausführungen mit denen Hahns zusammen-
zuhalten.
***) Die Behauptung Selingers, dass die Hahn den langen Gebrauch des kalten Wassers
scheuten, um den Ausbruch von bösen Gesc würen und Ausschlä;,'en zu vermeiden (S. 52),
ist nicht richtig. Man lese, was Halm S. 59 über dij Cur bei der Gicht sagt und S. 27.
Selinger will aus dem von ihm Behaupteten ein besonderes Verdienst für Prieszn. extrahiren.
f) So z. B. S. 26, 30 im Werke des Vaters; SS. 4, 8, 10 bei Job. Sigm. Es finden
sich überhaupt alle Elemente der Wasst r eilnunde : die verschiedenen Formen der Anwendung
des kalten Wassers, die Diät und die Wichtigkeit der frischen Luft, die Piiesznitz gebrauchte
und zwar methodischer, schon bei d n beiden Hahns; nur verwtrfen sie nicht, wie dieser,
temperirte Bäder und Eis; cf, Allgem. Encyklop. der W. und K. Sectio U., P. 32,
S. l'j2. Artikel: Kaltwassercur.
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entschiedenen Worten davor, Fieberkranke in trockene Tücher, viel
Betten u. s. w. fest einzuhüllen und in dumpfigen, nicht durch-
lüfteten Zimmern zu lassen. „Wieweit er seiner Zeit vorge-
schritten," sagt Winternitz, S. 47, „zeigt der grosse Werth, welchen
die Diätetik bei ihm hat; die Energie, mit welcher er der frischen
Luft in Krankenzimmern das Wort redet, erinnert an die scharfe
Feder P. Niemeyers."
Wir können, mit Rücksicht auf den Heimatsort Hahns, nach
unseren Ausführungen sagen, dass man in Deutschland der Stadt
Schweidnitz die Priorität in der Einführung des hydrotherapischen
Verfahrens einräumen muss. Die Stadt kann in Joh. Sigm. Hahn
einen ihrer edelsten und besten Bürger verehren, dem es bei
mangelnder Nachkommenschaft leider nicht vergönnt war (cf. Schles.
Provinzialbl. 184g, Bd. 130, 8,501), Nachhaltiges in und ausserhalb
seiner engeren Heimat zu schaffen*). Der ganze sittliche Ernst und
Stolz des Mannes, die nur bei einem wahrhaft Gebildeten anzu-
treffende Kunst, ,,Mass zu halten und Ziel", zeigen sich in den
Schlussstellen seines Werkes ganz besonders. ,,Wer da nicht er-
kennen wollte," heisst es S. 66, „dass wir hiezu (sc. Wassercuren)
allein durch bündigste Ueberzeugung und offenbare vielfältig be-
stätigte Erfahrung aufgemuntert und von der Ehrlichkeit und Liebe
gegen den Nächsten angetrieben würden, der müsste uns entweder
für so einfältig halten, als gedächten wir Trauben von den Dornen
zu sammeln; oder für so unwissend, als könnten wir nicht auch
ganze Bogen voll Recepte ausschreiben; oder endlich für so nach-
lässig, dass wir ausser dem schlichten Wasser sonst auf keine heil-
samen Mittel möchten bedacht sein.,,**) Und der folgende Absatz
enthält die schönen, männlichen Worte:
„Ich lebe nun der festen Zuversicht, der geneigte Leser werde
weder an der Redlichkeit meiner bei diesen Blättern geführten
Absicht, noch an der Richtigkeit der hin und wieder eingestreuten
Observationum einigen Zweifel tragen: Ist mir aber in dem Beweis
meiner Gründe und in der Folgerung meiner Schlüsse etwas Mensch-
*) Zweifellos schädlich musste in diesem Jahrhundert für das Andenken Hahns die
umgeänderte Auflage seines "Werkes, die Prof. Oertel in Ansbach 1834 vornahm, wirken,
da der Ton in derselben, der medicinischen AVissenschaft nicht angemessen, abstossend ist
und sich willkürliche Aenderungen, Auslassungen und Erweiterungen darin finden. — Kisch
in seinem Artikel über Hydrotherapie in der Eulenburg'schen : „Realencyklopä die der
gesammten Heilkunde." Bd. VI, S. 679, datirt von den drei Hahns „eine neue Epoche
in der Hydrotherapie".
**) Auf S. 67 heisst es: „Ob wir zwar das Wasser bei allen Unpässlichkeiten an-
preisen, so gebrauchen wir doch dabei mancherlei durch die Erfahrung bewährte Mittel,
ohne welche uns die Last zu prakticiren beinahe vergehen würde."
8o
liches widerfahren, so werde ich mich gern eines Besseren belehren
lassen, wenn man nicht mit Vorurtheilen, sondern mit überzeugenden
Sätzen mich meines Irrthums überführen wird."
Werke der drei Hahns.
I. Sigmund Hahn:
a) „Peterswälder Gesundbrunnen." 1732.
b) ,,AVieder aufgewärmt Alt-Kalt-Bad- und Trincken." 1738»
(Lateinischer Titel: Psychroluposia vetus renovata.)
c) siehe III b,
II. Joh. Sigm. Hahn:
a) „Unterricht von Krafft und Würckung des frischen Wassers. "^
I. Aufl. 1738. IV. Aufl. 1764. Breslau — Leipzig.
b) Zugabe zu a: „Von dem frischen lufftigen Verhalten der
Patienten."
III. Joh. Gottfried von Hahn:
a) Variolarum antiquitates. 1733.
b) Ueber die Rachitis. 1735. (Doch scheint dies eine Arbeit
des Vaters gewesen zu sein; cf. Alt-Kalt-Bad- und Trincken.
S. 28. Anm. £f.)
c) Carbo pestilens a carbunculis sive variolis veterum distinctus..
1736.
d) Geschichte der Fieberepidemie von 1737 in Breslau. 1739.
e) Variolarum ratio exposita. 1751. Breslau b. Korn.
f) Avertissement sur le nouveau Systeme de la petite veröle.
Breslau 1751.
g) Historia podagrae Eminentiss. Cardinalis Comitis a Zinzen-
dorf, Episcopi Vratislaviens. Nürnberg 1751.
h) Morbilli variolarum vindices. 1753. Breslau.
Literatur zur Biographie J. S. Hahns.
(Ausser den Werken von Sigra. und Joh. Sig. Hahn.)
F. J. Schmidt. Geschichte der Stadt Schweidnitz. Schweidnitz
1848. IL Bd.
Provinzial-Blätter, Schlesische. 1849. 130. Bd. 12. Stück.
Breslau.
W. Winternitz. Hydrotherapie. Leipzig 1881. (3. Theil des
II. Bd. des „Handbuch der allgem. Therapie", ed. Ziemssen.)
F. M. Selinger. Vincenz Priesznitz. Wien 1852.
Real-Encyklopädie der Gesammt. Heilkunde, ed. Eulen-
burg. VI. Bd. Wien— Leipzig 1881. (Artikel über Hydrothe-
rapie, S. 67 g.)
Hirsch-Gurlt
Bd. III. Sigm.
Ersch-Gruber.
Künste,
Lexicon der hervorragend. Aerzte.
Biograph.
Hahn.
Allgem. Encyklopädie der Wissensch. und
Sectio II. Pars i, S. 186, 87. J. G. von Hahn.
8. Kayser. Bücherlexicon aus den Jahren 1750 — 1832. Bd. III. S. 13.
Werke J. G. von Hahns,
g. Archivalische Mittheilungen.
Eine interessante, erst nach Vollendung des Druckes uns zukommende Nachricht aus
dem Raths-Protokoll-Buch der Stadt Schweidnitz, welche der Stadtarchivar daselbst, Stadtrath
Caspari, uns gütigst zukommen Hess, belehrt uns, dass schon im Anfang des XVII. Jahr-
hunderts ein ehrsamer Tuchmacher David Schaffner in Schweidnitz das kalte "Wasser als
Heilmittel angewandt. Von der Barbierzunft deshalb beim Rath wegen Kurpfuscherei ver-
klagt, sass über ihn eine aus einem Rathsherrn, einem Theologen und einem Arzte bestehende
Commission zu Gericht. Die Commission entschied sich dahin, dass Schaffner ein unnatür-
liches Wesen und sein Werk ein dämonisches sei, und wies ihn 1609 aus der Stadt.
82
Dr. Balthasar Ludwig Tralles*).
J-Jerselbe war ein Sohn des Breslauer Kaufmanns Johann Christian
Tralles, geboren den i. März 1708 zu Breslau, bezog bereits mit
ig Jahren, nachdem man den anfangs gehegten Plan, ihn zum Kauf-
mann heranzubilden, auf Wunsch seines Grossvaters, des Breslauer
Physicus Christian Tralles, hatte fallen lassen, zunächst die Universität
Leipzig, um Medizin, daneben aber auch Physik, Mathematik und
Philosophie zu studiren. Gegen das Ende seiner Studienzeit wandte
er sich nach Halle, wo er zum Doctor der Medizin und Chirurgie
promovirt wurde, und kehrte von hier aus, da seine Geld Verhältnisse
leider so schlechte waren, dass er nicht nach der Sitte der damaligen
Zeit grössere Capacitäten auch des Auslandes hören konnte, wiederum
nach seiner Vaterstadt Breslau zurück. Es wollte ihm daselbst
anfangs sehr schwer werden, unter der Menge prakticirender Aerzte
auch seinerseits einen grösseren Spielraum für die practische Aus-
übung seines Berufes zu gewinnen, so dass er nothgedrungen sich
zur Unthätigkeit verdammt sah. Bald traten jedoch Ereignisse ein,
die ihm wider alles Erwarten ein weites Feld für seine Thätigkeit
erschlossen, die dauernd sein Lebensglück begründeten, indem sie
ihn gewissermassen dem Kreise, in dem er bisher gelebt, entrückten
und mit den höchstgestellten Personen in Verbindung brachten.
Denn als er im Jahre 1734 als ärztlicher Begleiter des schwerkranken
Feldmarschalls Grafen Wackerbart in Dresden erschien, erging an
ihn vom königl. sächsischen Hofe aus der Ruf, die Stelle eines
Leibarztes anzutreten. Dass er diese abgelehnt, ist nur ein Beweis
seiner Charakterfestigkeit; als frommer Protestant glaubte er es
seiner Religiosität schuldig zu sein, vom sächsischen Königshofe fern
zu bleiben. Indess, diese im Sande verlaufende Affaire hatte doch
das Gute für Tralles im Gefolge, dass man jetzt auch in seiner
Heimat auf ihn aufmerksam wurde und seinen Rath im weitesten
Umfange in Anspruch nahm. Durch seine wissenschaftlichen Leistun-
") Tralles ist der Erfinder einer Spirituswaage. Die heutigen modificirten im Gebrauch
befindlichen Waagen tragen noch immer den Namen unseres Tralles.
g-en hatte er sich bereits Männer wie Albrecht von Haller zu
Freunden und Gönnern gewonnen, und dieser war es, welcher den
noch jugendlichen Tralles zum Professor an der Universität Göttingen
vorschlug. Zum Danke dafür widmete ihm unser grosser Breslauer
Arzt sein reizendes Gedicht über das schlesische Riesengebirge.
Tralles stieg die Stufenleiter der höchsten Ehrenstellen sehr schnell
empor. In kurzer Aufeinanderfolge wurde er Assessor des Breslauer
Medicinal - Collegiums und Mitglied der Akademieen zu Wien und
München. 1752 schrieb er sein treffliches medicinisches Werk:
„Ueber die Cholera" (wahrscheinlich nostras), wozu ihm der Besuch
seines an dieser Krankheit schwer darniederliegenden Freundes, des
Pastors Volkmar in Petersdorf im Riesengebirge, Veranlassung gab.
Dem König Stanislaus von Polen, der ihn gern als Leibarzt an
seiner Seite gehabt hätte, antwortete er in abschlägigem Sinne 1762.
Dagegen leistete er 1767 der Aufforderung, an den Hof von Sachsen-
Gotha zu kommen, Folge, bekleidete jedoch nur kurze Zeit diese
ehrenvolle Stellung, da seine Kräfte der grossen Arbeitslast gegen-
über nicht recht Stand halten wollten.
Im Uebrigen war er bis in das hohe Alter hinein unermüdlich
in der Verfolgung seiner edlen Zwecke. Erst mit 80 Jahren gab
er den geräuschvolleren Theil seiner Wirksamkeit auf und liess
sich nur noch in seinem eigenen Hause consultiren.
Am 7. Februar 1797, als Greis von 90 Jahren, beendete Tralles
sein segensreiches Leben.
Dieser berühmte Breslauer hat uns ein äusserst reichhaltiges
schriftstellerisches Material hinterlassen, das uns ermöglicht, in das
Innerste seines Seins und Denkens zu schauen, seine wissenschaftliche
und gesellschaftliche Stellung zu einem Ganzen zusammen zu fassen.
Es wäre interessant, dürfte uns jedoch zu weit führen, wollten
wir zur Vervollständigung der Auffassung über ihn, namentlich in
letztgenannter Beziehung, die einzelnen Merkmale seines Lebens in
entsprechendem Umfange fixiren. Wir begnügen uns vielmehr mit
einem allgemeinen Hinweise.
Aehnlich wie sein berühmter Landsmann Crato von Kraflftheim
ist Tralles mit einer poetischen Ader begabt, von der er uns in
einer grossen Anzahl von Gedichten aller Art den schönsten Beweis
abgiebt. Sie bieten ein Abbild der merkwürdigen Episoden, die er
durchlebt, von den kleinsten nichtigsten Dingen bis zu den schwer-
wiegendsten Begebenheiten; wir freuen uns der Gedankenfülle und
der sprachlichen Schönheiten, die wir um so mehr anerkennen müssen,
als die Poesie jener Zeit sich, so zu sagen, noch im Uebergangsstadium
befand, und wir lernen andererseits seine Charaktereigenschaften
kennen, die ihm selten schöne Auszeichnungen eingetragen haben.
6*
84__
Ueberall schlingt sich der religiöse Gedanke hindurch, was uns
durchaus nicht Wunder nehmen darf; giebt es doch Wenige, die
Gottesfurcht und Frömmigkeit als Grundlage für alle ihre Hand-
lungen in gleich hohem Grade betrachteten, als Tralles. Es geht
dies insbesondere daraus hervor, dass er die ihm von vielen Seiten
angetragenen Hofämter, das Höchste, was er wohl erreichen konnte,
energisch ablehnte, sobald er auf religiösem Gebiete in irgend welchen
Conflict zu gerathen glaubte. Der poetische Theil seiner literarischen
Thätigkeit ist es also namentlich, welcher uns den Ideengang unseres
Tralles voll und ganz erschliesst.
Von seinen medicinischen Schriften sind diejenigen „über die
Cholera", „über das Opium" und ,,über die Pocken" hervorzuheben.
Sie sind unmittelbare Resultate seiner practischen Erfahrungen und
daher nicht ohne Werth. Wie er einerseits gut zu beobachten
verstand, wusste er sich andererseits das Vertrauen seiner Patienten
und die Achtung seiner Collegen zu gewinnen und zu erhalten.
Tralles war ein unvergleichlich tüchtiger praktischer Arzt, ge-
wissenhaft in der Behandlung, consequent in seinen Anordnungen,
galten diese Jung oder Alt, Armen oder Reichen. Wohin er kam,
trat er mit derselben Festigkeit auf; niemals liess er sich durch
Anderer Rathschläge beirren, wenn er ihnen nicht aus innerster
Ueberzeugung zustimmte. Nichts könnte die Art seines Auftretens
als behandelnder Arzt besser beleuchten, als die Skizzirung seines
Verhältnisses zu dem schwer erkrankten Prinzen Ferdinand, dem
Bruder Friedrichs des Grossen sowohl, wie zu dem König Friedrich IL
selbst. Als nämlich bei dem Prinzen, welcher an einer Lungen-
entzündung litt, nach mehreren Tagen durchaus keine Besserung
eintrat, erklärte der seit Anfang an das Krankenbett gerufene
Tralles, nachdem bereits ein dreimaliger Aderlass vorausgegangen
war, einen vierten noch vornehmen zu wollen, da seiner Meinung
nach dies allein nur Rettung bringen könnte. Er stiess damit aller-
seits auf die heftigste Opposition, Tralles bestand aber auf das
AUerfesteste darauf, und er hätte ihn sicher aus eigenem Gutdünken
unternommen, wäre ihm nicht noch im letzten Augenblicke sein
College Morgenbesser zu Hilfe gekommen, der, ganz zufallig herbei-
citirt, sich ebenfalls mit der ganzen Macht seiner Autorität für den
Aderlass entschied. Der Prinz genas, zur Freude für beide Aerzte,
in kurzer Zeit vollständig. Der König, bereits bekannt mit dem
standhaften Benehmen und den guten Erfolgen des Breslauer
Arztes, wünschte eine Unterredung mit ihm, die auch bald darauf
stattfand. Obwohl der König auf seine medicinischen Kenntnisse
sich etwas zu Gute that, erklärte er sich doch mit dem Verhalten
des Tralles, namentlich mit Bezug auf die Krankheit des Prinzen
85
Ferdinand völlig einverstanden. Die lakonischen Antworten Friedrichs:
„Wenn sich das so verhält, so hat Er Recht" genügen, um zu wissen,
dass es Tralles auf das Beste verstanden hat, den König von der
Richtigkeit aller seiner Ansichten, soweit sie die Medizin in engerem
Sinne betrafen, zu überzeugen.
Alles dies auf die Unterhaltung zwischen Friedrich II. und Tralles
Befindliche schildert sehr eingehend und anziehend der frühere Ober-
wundarzt des Allerheiligen-Hospitals, Dr. Hodann, in den „Abhand-
lungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur"
(Philosophisch- historische Abtheilung 1868, Heft I), einer Quelle,
die uns auch für unsere Biographie des Tralles wesentliche Dienste
geleistet hat.
Schliesslich möchten wir noch erwähnen, dass Tralles so glück-
lich war, gelegentlich eines Besuchs, den er der Gräfin Schaffgotsch
in Neuhof in Böhmen abstattete, in der Absicht, van Swieten und
de Haen kennen zu lernen, mehrere Male mit der Kaiserin Maria
Theresia zusammenzutreffen und sprechen zu können, Tralles gefiel
der Kaiserin sehr, später gab sie ihrer freundschaftlichen Ge-
sinnung gegen Tralles durch freundliche Aufnahme bei Hofe und
Ueberreichung kostbarer Geschenke Ausdruck.
Die Unterredung mit der Herzogin von Sachsen-Gotha, Louise
Dorothea, enthält gleichfalls des Interessanten sehr viel. Am
besten schildert dies natürlich Tralles selbst in seinem Schriftchen:
„Dr. Balthasar Ludwig Tralles' aufrichtige Erzählung seiner
mit König Friedrich dem Grossen, der grossen Kaiserin Maria
Theresia und der geistvollen Hertzogin von Sachsen-Gotha, Louise
Dorothea, gehaltenen Unterredungen, als auch der Begebenheiten,
welche sie veranlasst haben*), nebst einigen Anmerkungen."
Zum Schluss will ich noch hervorheben, dass Tralles, abgesehen
von seiner Eigenschaft als ausgezeichneter Arzt, auch als Philo-
soph bedeutender war, wie als Dichter und Theologe. In seiner Ab-
handlung: Deutliche und überzeugende Vorstellung, dass der für
das Dasein und die Inmaterialität der menschlichen Seele aus der
Medicin von der Veränderlichkeit aller festen Theile des Körpers
hergenommene Beweis höchst richtig und giltig sei (Breslau 1778,
in lateinischer Sprache schon 1776) kommt er, trotz unseres Breslauer
Philosophen Wolf und Gegnerschaft von Leibnitz, doch auf Sätze,
welche den später Fichteschen nicht unähnlich sind. (Kahlert g).
*) ^gl- auch die Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur.
Philosophisch - historische Abtheilung l868, Heft I, Dr. Hodann, sowie Dr. Kahlerts Ab-
handlung über Tralles in den schlesischen Provinzial-Blättem, Bd. 119. S. 639.
86
Miehael Morgenbesser.
IViichael Morgenbesser, ein Sohn des Apothekers Michael
Morgenbesser, wurde am 24. Juh 1714 zu Breslau geboren, besuchte
das Gymnasium zu Maria Magdalena daselbst und Hess sich bereits
mit 19 Jahren, 1733, an der Universität Leipzig immatriculiren, an
welcher er nächst der Medicin, die er zu seinem eigentlichen Berufe
erkoren, namentlich deutsche Literatur und Philosophie studirte.
Unter seinen Universitätslehrern ehrte er insbesondere Gottsched.
Da Morgenbesser, den i. Mai 1737, auch zugleich Mitglied der von
diesem in Leipzig gegründeten ,, Deutschen Gesellschaft" wurde, so
gestaltete sich das Freundschaftsverhältniss zwischen beiden Männern
zu einem recht innigen. Gottsched hatte damit einen recht thätigen
Mitarbeiter gewonnen, denn Morgenbesser trat sehr bald mit grösseren
Arbeiten in die Oeffentlichkeit, wie „Beiträge zur kritischen Historie
der deutschen Sprache'' und ,,von der Absicht Gottes bei der Dar-
stellung der Blumen" so wie mit mehreren Gedichten wie: „Ueber
das Unglück, welches 1737 Schlesien betroffen hatte", und ,,von der
Glückseligkeit eines Weisen." Für die zweitgenannte Schrift erhielt
er I 736 einen ausserordentlichen Preis. In der Reihe der Mitglieder
obiger Gesellschaft figurirte Morgenbesser noch vor Haller; es wurde
ihm selbst, vermöge seiner ausgezeichneten Leistungen, das Glück
zu Theil, mit dem hochbedeutenden Hallenser Professor Friedrich
Hoffmann bekannt zu werden.
Seine Promotion, welche durch den Tod seiner Eltern sich um
einige Jahre verzögerte, fand erst 1738 statt, und Morgenbesser hielt
nunmehr den Zeitpunkt für gekommen, zumal ihm aus einer Erb-
schaft die nöthigen Mittel zuflössen, im Interesse seiner weiteren
Ausbildung grössere Reisen zu unternehmen. Er berührte auf diesen
AVittenberg, Helmstädt, Hannover, Marburg, Utrecht, Leyden, Paris,
bereiste ganz Frankreich und die Schweiz, überall mit den hervor- i
ragendsten Geistern verkehrend wie Heister, Meibom, Gerike
Werlhof und Dankwerts u. A., ging wiederum nach Deutschland
zurück und war bereits 1 740 in Breslau.
87
Morgenbesser besass die Fähigkeit, von seinen wissenschaftlichen
Reisen, auf denen er so manches gesehen, so manches gehört, so
vieles erfahren hatte, auch die nöthige Nutzanwendung zu machen.
Breslau namentlich sollte den meisten Nutzen davon ziehen. Mit
aller Macht warf er sich zunächst auf das Gebiet der Anatomie, und
noch in demselben Jahre, in dem er in seine Heimat zurückgekehrt
war, las er öffentlich über die Osteologie oder die Knochenlehre,
musste aber bald davon abstehen, da der so eben ausgebrochene
erste schlesische Krieg zu einer anderweitigen Verwerthung seiner
Kenntnisse Veranlassung gab.
Fünf Jahre lang, bis zur Beendigung des zweiten schlesischen
Krieges, widmete er sich in den Feldlazarethen mit grosser Sorgfalt
den verwundeten Kriegern und erhielt zum Dank dafür den Titel
eines Garnisonarztes. Während dieser Zeit verheirathete er sich mit
der Tochter des als gesuchten Arztes bekannten preussischen Hof-
raths Dr. von Hahn.*)
Binnen kurzer Zeit durchlief Morgenbesser die höchsten Ehren-
Stellungen, wie sie ein Arzt zur damaligen Zeit überhaupt nur er-
langen konnte.
Bereits 1745 dem damals neu errichteten CoUegium medicum et
sanitatis als Adjunct beigegeben, wurde er im folgenden Jahre zweiter
und im nächsten erster Ober-Stadt-Physicus**) und Pestilentiarius.
1752 wurde er zum Assessor und 1756 zum Decan des vorher ge-
*) Der Xame Dr. von Hahn aus Schweidnitz brachte mir die Erinnerung an meinen
verstorbenen Lehrer, Geheim-Rath Dr. Wendt, der mir, nach der Besichtigung Graefenbergs
als Kaltwasserkurortes , Ende der dreissiger Jahre mittheilte, dass nicht Priesnitz diese
Cur zuerst treibe, sondern schon ein Stadtarzt Dr. Hahn in Schweidnitz.
Dies veranlasste mich, mich eines Näheren hiervon beim Collegen Herrn Geheim-Rath
■von Scholz zu erkundigen. Ich erfuhr hierdurch, dass allerdings ein Bruder des obigen von
Hahn, ein Dr. Johann Siegismund Hahn, ein Bruder des vorigen, ein Buch über den Ge-
brauch des kalten Wassers 1787 geschrieben habe, das er mir zu verehren die Güte hatte.
Es war dies die erste Auflage, der noch 4 folgten, die letzte von Professor Oertel
in Ansbach 1837, worin auch Priesznitzens schon Erwähnung geschieht.
Somit hat Schweidnitz den Vorzug, der Erfindungsort der Kaltwassercur zu sein. cf.
S. 72 u. ff. dies. Werkes.
Schweidnitz ist übrigens noch durch ein andres historisches Factum berühmt, nämlich
dadurch, dass es schon 1264 eine Apotheke besass.
Eine zweite Tochter des Hofraths, Dr. von Hahn, wie oben bemerkt, ein Bruder des
obigen Joh. Sigm. Hahn, heirathete den Regierungsrath Eranz, dessen Tochter die be.
kannte Schriftstellerin Agnes Franz war, deren sich viele Breslauer gewiss noch erinnern,
und der neuerdings Gustav Freitag in seinen Lebenserinnerungen ein so schönes Denkmal
gesetzt hat. Sie ist 1843 gestorben ^"^ ^^^^ auf dem Elftausend Jungfernkirchhof begraben.
**) Cfr. Markgraf in Graetzers „Daniel Gohl und Christian Kimdmann" und Hodanns
gut geschriebene Biographie ^lorgenbessers.
nannten Collegiums ernannt. Vorher, 1754, war er bereits Mitglied
der kaiserlichen Academia Leopoldina geworden.
1757 verlor er durch den Tod seine edle Gattin geb. v. Hahn.
1758 war Breslau von den verschiedensten ansteckenden Krankheiten
heimgesucht, und man stellte in Folge dessen an Morgenbesser An-
sprüche, die er kaum zu erfüllen im Stande war. Mitten in seiner
aufreibenden Thätigkeit verunglückte er, indem er sich durch einen
Fall einen Beinbruch zuzog. Er erholte sich jedoch sehr schnell,
zumal ihm die Cur in Warmbrunn recht gute Dienste geleistet, und
war bald wieder vollauf mit neuen Einrichtungen und Vorschlägen
beschäftigt, welche zur Vervollkommnung der medicinischen Wissen-
schaften dienen sollten. So begann er 1756 mit der Schutz-Impfung
im Allerheiligen Hospital, schuf daselbst auch ein ,, anatomisches
Theater", welches den Studirenden der Wundarzneikunst als feste
Basis für ihre Wissenschaft dienen sollte, und genoss selbst noch
das Glück, seinen eignen Sohn Johann als Professor an dem von
ihm gegründeten Institut angestellt zu sehen. Ein Jahrzehnt später
begann Morgenbessers Gesundheit ernsthaft zu wanken, 1781 traf
ihn ein Schlaganfall, am 30. Juni 1782 schied er aus dem Leben,
68 Jahre alt.
Fassen wir die vielen Verdienste Morgenbessers zusammen, so
tritt hauptsächlich dasjenige in den Vordergrund, die einleitenden
Schritte gethan zu haben, um für die medicinische Wissenschaft in
seiner Vaterstadt Breslau einen festeren Boden zu schaffen. Die
Saat, die er ausgestreut, sollte in nicht allzu ferner Zeit die schönsten
Früchte tragen.
89
Anton Kroeker.
In der medicinischen Welt Schlesiens steht nun seit Generationen
ein Name im besten Glänze, den der Grossvater zu hohen wissen-
schaftlichen Ehren brachte, und Sohn und Enkel fast in gleichen
Ehren erhielten. Es ist der Name Kroeker, und wir dürfen den
Stammvater dieses Hauses in der Reihe der hervorragenden Mediciner
nicht ausser Acht lassen.
Anton Johann Kroeker wurde in Schönau bei Ober-Glogau im
Jahr 1742 geboren, wo sein Vater als wohlhabender und betrieb-
samer Freigutsbesitzer lebte. Er hatte jedenfalls Sinn und Verständ-
niss für Bildung, denn er schickte seinen Sohn auf gute Schulen,
zuerst auf das Franziskaner -Gymnasium nach Leobschütz, dann zu
den Jesuiten nach Olmütz, schliesslich zu den Piaristen nach Leipnik-
Er wollte ihn zu einem praktisch thätigen Manne heranziehen; und
da er selbst in jener Gegend die erste Bleiche angelegt hatte, da-
neben einen bedeutenden Getreidehandel trieb, sollte der Sohn Kauf-
mann werden. Es ist unbekannt, wie der junge Anton sich zu diesen
Absichten seines Vaters stellte; wir wissen nur, dass äussere Um-
stände eine Veränderung des Lebensplanes herbeiführten. Eine
längere Erkrankung, Fieber und Gelbsucht, zwang den jungen Mann»
von der Schule zur Heimat zurückzukehren, und verhinderte ihn,
wie es beabsichtigt war, eine Stellung als Lehrling anzutreten. Dazu
kamen die für Kaufleute ungünstigen Zeit Verhältnisse — noch spielte
der siebenjährige KJ-ieg, und sein Ende war nicht abzusehen — und
so bewog alles dies den Vater, den Rath eines Freundes zu befolgen
und den Jüngling nach Breslau zu schicken, damit er sich dort dem
Studium der Medicin widme. 1763, also 21 Jahre alt, begab er sich
dorthin. Allerdings fand er damals noch keine Anstalt, die für seine
Zwecke dienlich war; das Theatrum academicum, das königliche
Medicinal-Institut sind Gründungen des grossen Königs und entstanden
natürlich erst, als nach dem Hubertsburger Frieden Schlesien dauernd
in seinen Besitz gelangt war. So blieb ihm denn nichts übrig, als
QO
auf privatem Wege sein Studium zu beginnen, und in der That fand
er bei dem Dr. "Wicke, der damals Arzt bei den barmherzigen Brüdern
war, theoretischen Unterricht und zugleich Erfahrung in der praktisch
ärztlichen Behandlung der Kranken. Drei Jahre weilte er dort; mit
den nöthigsten Vorkenntnissen ausgestattet, ging er dann 1766 nach
Wien, wo er unter van Swieten und de Haen noch mehrere Jahre
studirte. Nachdem er noch Halle besucht, Hess er sich 1769 in
Breslau als Arzt nieder, und fand Gelegenheit zu reichlicher Praxis^
um so mehr, als er an der Tharoult Blachaschen Hausarmenkranken-
fundation angestellt wurde.
Aber Krocker ging nicht blos in der Praxis auf, sondern behielt
Sinn und Liebe zur Wissenschaft, und zwar verdankt er der Kennt-
nissnahme von Linnes Philosophia botanica, die 1751 zum ersten
Male erschienen war und später von Curt Sprengel neu herausge-
geben wurde, die Neigung zur botanischen Wissenschaft. Er begann
für eine Flora Silesiaca zu sammeln, setzte jedoch seine Bemühungen
nicht weiter fort, da Graf Matuschka ein ebenso benanntes Werk
herauszugeben beabsichtigte.
Als dieser letztere im Jahre 1779 starb und das Werk unvoll-
endet zurückliess, ging Krocker an die Ausarbeitung des seinigen
und veröffentlichte 1788 den ersten Theil; er setzte damit das 200
Jahre früher von Caspar Schwenkfeld*) begonnene fort. In 5 Bänden
erschien die Flora Silesiaca in den Jahren 1787 — 1823.
Ein rühmliches Zeugniss seines Sammelfieisses ist der handschrift-
lich vorhandene ,,Catalogus omnium plantarum in Silesia sponte nas-
centium", der 3345 Nummern enthält, während Matuschka nur auf 1221
Nummern gelangte.
Der berühmte Decandolle hat das Verdienst A. Krox:kers dadurch
genügend gewürdigt, dass er einer Pflanze den Namen Krockers
beilegte.
Diese Liebe für Botanik hatte sich auch auf seinen trefflichen
Sohn vererbt, der während seiner Universitätsstudien im Jahre 1800
mit einer Abhandlung „de Plantarum Epidermide" in Halle promovirte,
zu der Curt Sprengel eine ausserordentlich rühmende Vorrede schrieb,
welche mit den Worten schloss: ut gratuler Silesiae, optimis viris
clarae, civem et medicum eximium, ut patri gratuler filium. Mit Ver-
gnügen erinnert sich der Schreiber dieser Zeilen des gleichfalls an-
gesehenen Sohnes, den er als Nestor der Breslauer Aerzte bis zu
seinem Tode verehren lernte. Krocker sen. erlebte verdiente Freude
an diesem Sohne sowohl, wie an seinen übrigen Kindern. Er (Anton)
wurde später Mitglied der naturforschenden Gesellschaft zu Halle
*) cf. S. 29 u. ff. dieses 'Werke?
und Bern, Dekan des Collegium medicum et sanitatis, erblindete aber
leider im hohen Alter und starb 1823.
Sein Name blüht im Sohne und Enkelsohne fort, seine Lieblings-
wissenschaft in Schlesien gleichfalls, wie selten in einem Lande, nach
Schwenkfeldt durch Göppert, Ferdinand Cohn, Pringsheim, Wimmer,
Schroeter, Julius Sachs u. s. w. Sein unter uns noch lebender Sohn, mein
lieber Freund und Commilito, nächst mir der älteste lebende Arzt hier,
trat in seiner trefflichen Dissertation „über die Oberhaut der Pflanzen"
gleichfalls als Botaniker auf, verliess jedoch die Botanik, weil er
eine sehr grosse Praxis bekam. Er war, wie sein Vater, am Spitale
der Elisabethinerinnen, nach seines Vaters Abgange dirigirender Arzt
an demselben, dann am Hausarmen-Medicin.-Institute, ist noch heute
in seinem Berufe thätig und auch als Mensch sehr geschätzt.
Elias Hensehel.
W enn wir in der Reihe der durch wissenschaftliche Leistungen
bedeutenden Männer EHas Hensehel einen Platz einräumen, so
wissen wir wohl, dass er ihn weniger durch seine Schriften, als durch
sein Leben verdient. Möge vergessen sein, was der Mann in Wissen-
schaft und Praxis leistete, seine Erlebnisse allein dürfen auf unsere
innigste Theilnahme rechnen; denn sein Schicksal ist ein merkwürdiges
und lehrreiches.
Am 4. April 1755 von armen jüdischen Eltern geboren, wuchs
er im elterlichen Hause bei dem damals ausschliesslich üblichen
Unterricht im Hebräischen und Talmud auf. Aber wie so viele
jüdische Knaben und Jünglinge*) jener Tage beseelte auch ihn
das Streben, aus dem engen Bildungskreise heraus Sprache und
"Wissen des deutschen Volkes sich anzueignen. Mühselig genug
lernte er deutsch lesen. Wolfs Anfangsgründe der Mathematik
dienten ihm als Uebungsbuch und führten ihn zugleich auch in diese
Wissenschaft ein, und sein Eifer bewog den Vater, ihn auch im
Schreiben unterrichten zu lassen. Nun aber hatte der junge Elias
sein dreizehntes Lebensjahr vollendet: nach jüdischem Brauche trat
mit religiöser Selbständigkeit auch die Verpflichtung an ihn heran,
sich selbst nunmehr materiell zu versorgen, zumal seine Eltern in
dürftigsten Verhältnissen lebten. Ein älterer Bruder, der im Ge-
schäfte des Kaufmanns Lippmann Freund diente, nahm ihn zu sich
und führte ihn damit in das Geschäftsleben ein, so dass er die Stelle
übernehmen konnte. Jeden freien Augenblick nutzte er für seine
Fortbildung aus, las Alles, was er nur an Büchern erlangen konnte.
Dichter und Philosophen, und begann auf eigene Faust französisch
zu lernen. Nach Freunds Tode übernahm dessen gebildeter Sohn
*) Berthold Auerbach hat diesen Typus in seinem ,, Dichter und Kaufmann'' vor=
bildlich gezeichnet. Cf. Ephraim Moses Kuh's hinterlass. Gedichte durchgesehen von
J. W. Rammler 2. Bändchen Zürich 1799. In neuester Zeit hat u. a. Theodor Seeman:
Ephraim Moses Kuh Epigramme (bei Gelbart in Dresden 1872) in Auswahl herausgegeben.
93
das Geschäft und schenkte unserm Henschel, der auch kaufmännisch
sich durch eifrige Studien fortgebildet hatte, so grosses Vertrauen,
dass diesem fast die ganze Leitung überlassen blieb.
Jetzt tritt eine Katastrophe in seinem Leben ein, über die sein
Biograph um so freimüthiger berichten darf, als Henschel selbst zu
Nutz und Frommen der Jugend offen darüber sprach. Er gerieth in
lockere Gesellschaft, spielte, verlor und griff zur Deckung seiner
Spielschulden die Kasse seines Herrn an. Was einigermassen mit
dieser verwerflichen Handlungsweise versöhnen kann, ist der offene
Muth und die moraHsche Kraft, mit der der Uebelthäter sein Unrecht
gesteht.
Er bezahlte in Raten von seinem Gehalt die veruntreuten Summen
auf Heller und Pfennig, aber das Vertrauen seines Principals war
verloren, und er verliess deshalb die Stelle. In's Elternhaus zurück-
gekehrt, begann nun eine Zeit der tiefsten Demüthigung für ihn.
Eine Weile lebte er zurückgezogen mit seinen Büchern, aber er er-
kannte wohl, dass er seinen Eltern nicht länger zur Last fallen
dürfe, und so entschloss er sich denn, eine von dem rühmlichst be-
kannten Dr. med. Warburg angebotene Bedientenstelle anzunehmen,
indem er sich selbst zum Trost die Hoffnung vorspiegelte, in dem
Hause des gelehrten Mannes Mittel zu seiner Fortbildung finden zu
können. Der Empfang, den er bei Warburg fand, war nicht gerade
verlockend. „Wenn ich Ihn zum Bedienten nehme", sagte der sonst
so vortreffliche Mann ,,so setze ich voraus, dass Er Alles erfüllen
wird, was einem solchen zukömmt. Ueberdies muss Er mich täglich
frisiren, und wenn Er dieses nicht kann, muss er es erst erlernen.
Monatlich erhält Er vier Thaler, wofür er sich beköstigen und be-
kleiden muss. Steht Ihm dieses an, so kann er mit dem ersten den
Dienst antreten, und bis dahin wird Er wohl die Paar Locken machen
gelernt haben."
Da ihm aber auch die geringste Aussicht, Gelegenheit zum
Studiren zu finden, über Alles ging, so griff er mit Freuden zu.
Zwei Jahre blieb er in dieser Stellung und lernte in derselben auch
mancherlei Medicamente kennen und bereiten. Er verliess sie, um
sich durch Unterrichtertheilen zu ernähren, trat sie jedoch, als dieser
Plan missglückte, wieder an und schied erst daraus, als der bairische
Erbfolgekrieg auszubrechen drohte, um Heulieferant zu werden.
Da es überhaupt nicht zum Kriege kam, fiel sein Plan in's Wasser,
und ärmer als je kehrte er nach Breslau zurück. Hier bot ihm
Warburg eine Stelle als Kammerdiener des Grafen Potocki an, zu
der er aber einige chirurgische Handgriffe erlernen musste. Bei
dem sehr geschickten Chirurgen Homberg dem Aelteren trat er in
die Lehre, und die Thätigkeit, die dieser in dem jüdischen Hospitale
94
ausübte, gefiel ihm so gut, dass er beschloss, sich zum Chirurgen
auszubilden. Auch hier half der unermüdliche Warburg. Seine
Empfehlung an den Professor Morgenbesser verschaffte Henschel den
freien Besuch und Unterricht in der Anatomie, und als Morgenbesser
ihn näher kennen lernte, munterte er ihn geradezu zum Studiren
der Medicin auf. Morgenbessers Bekanntschaft führte den Umschwung
seiner Laufbahn herbei. Von da ab bewegt sie sich in aufsteigender
Linie. Als er dem edlen Gönner gegenüber auf seine Armuth als
Hinderniss des Studiums hinwies, überraschte ihn dieser mit der an-
genehmen Mittheilung, dass er sich für ihn bei den wohlhabenden
Mitgliedern der jüdischen Gemeinde verwendet habe, und dass diese
ihm für die Zeit seiner chirurgischen Studien eine monatliche Unter-
stützung von 1 2 Thalern zugewilligt hätten. Henschel war dadurch
überglücklich, vergass aber auch nie, seinem dankbaren Gefühle für
seinen Lehrer Morgenbesser Ausdruck zu geben; da er sehr ge-
schickt und fieissig im Präpariren anatomischer Gegenstände war und
eine Vacanz der Stellung eines Prosectors der Anatomie eintrat, so
gelangte Henschel auf Morgenbessers Empfehlung in diese und zwar
mit einem Gehalte von 50 Thalern jährlich. Nunmehr regte sich
in ihm der Wunsch nach dem Unterrichte in den Naturwissenschaften.
Professor Frieboess ertheilte ihm denselben in Chemie und Physik.
Auch zur Entbindungskunst gelangte er in der Hebammenschule
Morgenbessers. Fünf Jahre des Glückes genoss er in dieser Stellung.
Gern hätte er jetzt eine Universität bezogen. Aber woher die
grossen Kosten dazu aufbringen? Da halfen wiederum Warburg und
Morgenbesser, die ihn täglich mehr liebten, indem auf ihre Empfehlung
hin die reichen Glaubensgenossen Henschels diesem 200 Thaler pro
Jahr auf 2 Jahre bewilligten. Als tüchtiger Chirurg empfohlen, ging
er nach Halle zur Universität, wo er sich binnen Kurzem eine solche
Beliebtheit zu erwerben verstand, dass sich stets eine grosse Anzahl
seiner Studiengenossen um ihn versammelte, mit denen er auf
Spaziergängen wissenschaftliche Unterhaltungen zu führen pflegte.
Es waren darunter Namen wie Curt Sprengel, der spätere berühmte
Medicinalhistoriker uud Botaniker, Wildenow, Greu u. A, vertreten.
Um die Universität Halle machte sich Henschel dadurch verdient,
dass er daselbst eine Poliklinik in's Leben rief, welche sehr grossen
Nutzen stiften sollte. Nachdem er sich gründliche Kenntnisse in der
Medicin, namentlich in der Geburtshilfe, dank der ausgezeichneten
Lehrmethode Friedrich Meckels erworben, verliess er Halle, um sich
in Breslau als praktischer Arzt niederzulassen.
Henschel verstand es sehr bald, wenn auch unter Sorgen und
Geldnoth, sich einen geachteten Namen zu verschaffen. Rastlose
Thätigkeit in der Ausübung des Berufes ging hier Hand in Hand
95
mit wissenschaftlichen Arbeiten. Das Fach der Geburtshilfe, dem er
sich insbesondere widmete, das aber bisher recht stiefmütterlich be-
handelt worden, trat durch ihn gewissermassen in eine neue Sphäre
ein. Bei Antritt seiner ärztlichen Laufbahn hatte Breslau nur zwei
Geburtshelfer, seinen unvergesslichen Lehrer Morgenbesser und einen
Chirurgen, dem die Geburtshilfe blosses Handwerk war, Henschel
fand daher sehr bald ein reiches Feld für seine geburtshilfliche
Thätigkeit. Das Verhältniss zu seinen Collegen war indess in der
ersten Zeit kein sehr angenehmes. Man conspirirte von allen Seiten
gegen ihn, mehr aus Neid und Missgunst als auf Grund reeller
Motive. Auch Warburg, der ihm früher so sehr entgegengekommen,
konnte sich lange nicht gewöhnen, in dem ehemaligen Bedienten
einen ebenbürtigen Collegen zu sehen. Henschel Hess alle diese
Widerwärtigkeiten mit standhafter Rahe über sich ergehen, war er
doch überzeugt, dass das Dunkel, das über seinem Haupte schwebte,
sich allmählich lichten würde. Der Hass seiner Gegner nahm noch
grössere Dimensionen an, als sich Henschel um die vacante Stelle
eines Geburtshelfers für die Breslauer Ortsarmen bei der Königlichen
Kriegs- und Domänenkammer bewarb,
Henschel fand auch darin einen Ausweg. Er meldete sich zur
erneuten Prüfung in der Geburtshilfe gegenüber noch zwei anderen
Concurrenten, und da der Ausfall des Examens einen glänzenden
Beweis seiner Kenntnisse und Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiete
abgab, war man gerecht genug, namentlich auf Empfehlung Morgen-
bessers, ihm dieses mit einem jährlichen Gehalte von loo Thalern
dotirte Amt zu übertragen,
Henschel bewahrte eine bewunderungswürdige Consequenz in
seinem Handeln ungeachtet aller Denunciationen und Beschimpfungen
seitens seiner Widersacher, die niemals so recht zur Ruhe kommen
wollten.
Er ging allein seinen Weg, besorgte auf das Gewissenhafteste
seine Kranken und war in hervorragender Weise für seine Wissen-
schaft thätig, indem er ausgezeichnete Abhandlungen veröffentlichte,
von denen wir diese:
„Auf welcher Stufe der Kultur steht die Entbindungskunst in
Breslau?"
,,Ueber die Lösung der Placenta,"
„Ueber die Pockenimpfung und die Ausrottung dieser Kinder-
seuche,"
sowie die
„Ueber die Natur und die Behandlung der Kopfblutgeschwulst
der Neugeborenen"
hervorheben.
96
Dafür erntete er in ernsten wissenschaftlichen Kreisen grossen
Ruhm.
So lebte er beglückend und glücklich, angesehen und bewundert
und im Besitze einer wunderbaren Constitution, die allen Krank-
heiten Trotz zu bieten schien, bis auch ihn tiefe Betrübniss traf.
Harte , seine eigene Familie betreffende Schicksalsschläge sollten
seinen Lebensabend verkümmern. Seine älteste Tochter verunglückte
im zartesten Alter und vermochte sich nicht mehr zu erholen; im
40. Jahre rief sie der Tod ab. Seine beiden übrigen Töchter, von
denen die eine mit dem Professor Dr. Braniss vermählt war, starben
in der Blüthe ihrer Jahre. So behielt er nur den einzigen Sohn
A. W. Henschel, der später als Professor der Medicin an der Uni-
versität zu Breslau von 1830 an durch medicinalhistorische Arbeiten
von grösserem Werthe*) für Schlesien Berühmtheit erlangte.
Solche traurige Ereignisse gingen nicht spurlos an dem Manne
vorüber, aber seine kräftige Natur und das dauernde Streben, seine
Lebensarbeit bis zum Schlüsse zu erfüllen, hielten ihn aufrecht.
Man muss, wie der Schreiber dieser Zeilen, die hoch angesehene
und verdiente Stellung Henschels gekannt haben, um den Weg zu
messen, den dieser Mann in seinem Leben zurückgelegt hat. Aus
den beschränktesten dürftigsten Verhältnissen kämpfte er sich Schritt
für Schritt durch Noth und Elend, durch Versuchung und Demüthi-
gung hindurch und erreichte das Ziel, das er sich gesteckt, der
Wissenschaft und der Menschheit zu Nutz und Frommen. Hoch-
bejahrt starb er im Jahre 1843. Die Generation, die den wunder-
baren Lauf seines Daseins kennen gelernt, ist fast ausgestorben,
darum hielten wir es für nützlich, sein Andenken an dieser Stelle
zu erneuen."^*)
*) Cf. Ferd. Colin in unserem ausführlichen Aufsatz über A. W. Henschel.
**) Eine Hauptquelle für obige Biographie gewährt uns die Schrift des Dr. med.
Anselm Davidson: Dr. Elias Henschel in seinem Leben und seinem fünfzigjährigen Wirken
als Arzt und Geburtshelfer. Breslau 1837.
97
Georg Philipp Mogalla.
IVLogalla ergriff zuerst das Studium der Philosophie.
Geboren wurde er am' 22. April 1766 zu Oppeln, studirte in
Breslau und wurde, nachdem er sich im Jahre 1784 die höhere Lehrer-
würde erworben, als erster weltlicher Professor am katholischen
St. Matthias - Gymnasium zu Breslau angestellt.
Drei Jahre lang bekleidete er diese Stellung. Dann wandte er
sich, in der Absicht, speciell Naturwissenschaften und Medicin, auch
Thierheilkunde, zum Gegenstande seiner Forschungen zu machen, nach
Wien, wo man ihn zu fesseln und für die dortigen Anstalten zu ge-
winnen trachtete, da er wie wenige durch enorme Leistungen die
Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich zog.
Mogalla, welcher auf alle dergleichen Anträge abschlägig
antwortete, zog sich wieder nach seiner Heimat zurück und
promovirte am 20. August 1790 in Frankfurt a. O. zum Doctor der
Medicin und Chirurgie. 1 791 erhielt er eine Anstellung als Oberbergarzt
bei dem schlesischen Bergknappschafts-Institute mit der Verpflichtung,
namentlich die hygienischen Zustände einer ganz besonderen Obhut
zu unterziehen. Mogalla stand diesem Amte bis zum Jahre 18 14 vor.
Aus dieser Zeit stammen seine bedeutendsten schriftstellerischen
Producte, und zwar die populäre Zeitschrift:
,,Der Freund des Landmanns", welche er von 1791 — 1793 redigirte,
sowie die Beschreibungen der Mineralquellen und Heilbäder Schlesiens,
ein ebenso nützliches als belehrendes Werk, auf das sich namentlich
der Ruf Mogallas gründet. Viele schlesische Bäder haben durch
ihn mannigfache Förderung erfahren. So verdankt ihm das in der
Grafschaft Glatz gelegene Reinerz sein Entstehen und seine Bedeutung
als Molkenkuranstalt, die er daselbst anlegte.
Auf einer Reise nach den böhmischen Molkenkurorten im Biliczer
Gebirge hatte nämlich Mogalla die Ueberzeugimg gewonnen, dass
seine engere Heimat mit ihren Badeorten, vor Allem Reinerz, das
sich durch seine Höhenlage — die höchste unter den Badeorten
7
Deutschlands — und subalpinische Flora auszeichnete, mit jenen Orten
durchaus wetteifern könnte, und dass es sich sehr wohl der Mühe
verlohnte, eine ähnliche Anstalt daselbst in's Leben zu rufen. Sein
Wunsch war von bestem Erfolge gekrönt, indem die Breslauer
Kriegs- und Domänenkammer im April 1800 eine solche Molkenan-
stalt in Reinerz errichten liess. Da Mogalla auch zugleich hier eine
neue, bessere Art der Molkenzubereitung — auf chemischem Wege —
als es die bisher in Böhmen geübte war, einführte, so gelangte
Reinerz in seiner veränderten Gestalt sehr schnell zu hohem An-
sehen, und von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl der daselbst Hilfe und
Heilung Suchenden.
Die Stadt Reinerz bewies ihre Dankbarkeit durch seine Er-
nennung zum Ehrenbürger.
Das Bad Liebwerda, um das er sich ebenfalls grosse Verdienste
erworben, hat ihn durch eine auf seinen Namen bezügliche Inschrift
auf der Denksäule geehrt.
Die Thätigkeit Mogallas wurde in den späteren Jahren direct
dadurch noch segensreicher, dass er, bereits Medicinalrath seit 1803
und Director des Anatomie-Instituts seit 1804, im Jahre 1806 als
dirigirender Arzt in den Typhushospitälern die zu der Zeit arg
grassirende Typhus epidemie zu dämpfen verstand, und als die Rinder-
pest in Schlesien und der Grafschaft Glatz unermesslichen Schaden
anrichtete, war er es wieder, dem es gelang, durch zweckentsprechende
genial ersonnene Hilfsmittel das Uebel zu verdrängen.
In den Kriegsjahren 1813 — 18 15 finden wir ihn in den Hospitälern
und Lazarethen auf das Eifrigste beschäftigt.
Für seine dem Heere und dem Vaterlande geleisteten Dienste
erhielt er das eiserne Kreuz. Im Jahre 1819 wurde er zum Königl.
Regierungs-Medicinal-Rath ernannt und bald darauf mit der Direction
des Medicinal-Collegiums betraut. Indess seine wankende Gesundheit
nöthigte ihn, schon 1826 aus seiner bisherigen Stellung zu scheiden.
Bei seinem Abgange verlieh ihm der König in Anerkennung
seiner vorzüglichen Leistungen den rothen Adlerorden dritter Klasse.
Am 15. October 1831 erlag er der Cholera.
Ueber seine sämmtlichen Schriften vergleiche Nowack, Schlesisches
Schriftsteller-Lexikon, VI. Heft Seite 79.
Hervorgehoben zu werden verdienen:
Die Molkenanstalt in Reinerz, welche er als eine der besten zu
gründen das Glück hatte und
Die Eisenquelle zu Cudowa, deren Beschreibung man ihm
verdankt.
99
Johanii Wendt.
IViit Wendt beginnt und schliesst gewissermassen eine Epoche;
aufgezogen und herangebildet in den Principien der alten Medicin,
welche noch recht wenig vom mittelalterlichen Schematismus einge-
büsst, hat er mit bewunderungswürdiger Energie dahin gestrebt, die
therapeutische Wirksamkeit des Arztes von allen abergläubischen,
wissenschaftlich ungerechtfertigten Anhängseln zu befreien und jed-
wedes ärztliche Vorgehen immer wieder auf eine eingehende, sichere
Beobachtungs weise zurückzuführen. Das Gebiet der Diagnostik, gewiss
das wichtigste der gesammten medicinischen Wissenschaft, ist durch
ihn nicht unwesentlich bereichert worden, und es ist dies ein um so
grösseres Verdienst, als ihm durchaus unzureichende technische Hilfs-
mittel zur Seite standen, so dass ihm recht zahlreiche Schwierigkeiten
entgegenrückten. Aber Fleiss und Ausdauei halfen ihm darüber
hinweg, und was er als nützlich und gut erkannt, verstand er auch
im praktischen Leben in richtiger Form anzuwenden, ohne sich um
den Spott und Hass zu kümmern, denen jede Neuerung und Ver-
besserung ausgesetzt zu sein pflegt. Konnte er menschliches Elend,
das ihm sein Beruf tagtäglich vor Augen führte, einigermassen lindern,
so war sein Ehrgeiz schon voll und ganz befriedigt. Bestimmtheit
und Consequenz im Handeln, Klarheit und Tiefe des Gedankens,
Herzensgüte und persönliche Liebenswürdigkeit sind die Haupt-
charakterzüge seines wechselreichen Lebens, die überall hervortreten,
sei es am Krankenbett, sei es vom Lehrstuhl aus, und fast möchten
wir sagen, dass diese vielleicht mehr geeignet waren, seinen Namen,
wenn auch nur für kurze Zeit, der Nachwelt zu erhalten, als die
grosse Zahl der auf uns gekommenen Schriften, die im Allgemeinen
heute nur noch historischen, weniger wissenschaftlichen Werth besitzen.
Indess hat durch diese Thatsache die Bedeutung Wendts nur wenig
verloren, selbst wenn wir streng urtheilen wollten; denn einerseits
können wir seine Leistungen nur mit einem seiner Zeit entsprechenden
Maasse messen, und andrerseits hat gerade nach seinem Tode die
lOO
medicinische Wissenschaft in der kürzesten Zeit einen so ungeheuren
Aufschwung genommen, wie nie vorher; fallen doch gerade die her-
vorragendsten Entdeckungen in die Mitte unseres Jahrhunderts, die
unser Wendt nicht mehr erleben sollte. Mit seinem Tode hat also
so zu sagen ein gewisses Entwicklungsstadium der medicinischen
Wissenschaft zugleich sein Ende erreicht.
Johann Wendt wurde am 26. November 1777 in dem kleinen
oberschlesischen Städtchen Tost geboren. Nachdem er den Elementar-
unterricht in Leobschütz genossen, überwies ihn sein Vater, welcher
ausser einer Weinhandlung auch die Stellung eines Postcommissarius
in Tost inne hatte, der Obhut einer Tante nach Troppau, woselbst
er das Gymnasium absolvirte. Im Besitz des Reifezeugnisses wandte
er sich an die Leopoldina nach Breslau, um philosophische Studien
zu treiben. Zwei Jahre später folgte er einer Aufforderung seines Ver-
wandten, des Geheimrathes und ProfessorsFriedrich Wendt zu Erlangen,
daselbst Medicin zu treiben, wurde jedoch bald durch einen glück-
lichen Zufall aus seinem neuen Wirkungskreise abberufen, und zwar
wurde er durch den Bischof von Ermeland, der seinen Vater ge-
legentlich einer Durchreise durch Tost kennen gelernt und lieb ge-
wonnen hatte, benachrichtigt, dass ihm die Ermeländische Stiftung
zugewandt sei, aus welcher zwei Studirende und zwei Künstler
während eines dreijährigen Aufenthaltes in Rom ausreichende Unter-
stützung und später noch Reisegeld erhalten sollten. Auf seiner
Reise nach Rom berührte er Pavia und wurde hier mit dem be-
rühmten Peter Frank näher bekannt, welcher ihm ein Empfehlungs-
schreiben an den hochbedeutenden, später auch politisch hervorragenden
italienischen Arzt Corona übergab. Da ihm somit weite Klreise offen
standen, fühlte sich Wendt recht bald in der römischen Hauptstadt
heimisch, und die Fülle von Eindrücken, die er hier allenthalben
empfing, sicherte diesem Aufenthalte in Rom eine bleibende Stätte
in seinem Gedächtniss. Mit emsigem Fleiss besuchte er hier medi-
cinische Vorlesungen und suchte sich nach theoretischer und praktischer
Richtung für seinen Beruf vorzubereiten; dass ihm dieses recht wohl
gelang, geht schon daraus hervor, dass er die für das Jahr 1797 von
der Universität aufgestellten Preisaufgaben glänzend löste, wofür er
nächst dem entsprechenden Preis auch den Doctorhut in der philo-
sophischen und medicinischen Facultät erhielt. Dafür spricht ferner,
dass er sofort, nachdem er in Besitz der ärztlichen Approbation ge-
langt, als Assistenzarzt in dem grossen Frauenhospital S. Giovanni
in Laterano angestellt wurde, in welcher Stellung er bis zum Ende
des Jahres 1798 verblieb. In der Zwischenzeit war er auch noch
während der Invasion französischer Truppen nach Rom als Stabs-
arzt am Lazareth der polnischen Legion thätig gewesen.
Wendt entschloss sich nunmehr, dem klassichen Lande der Wissen-
schaften den Rücken zu kehren, um dem Wunsche seines Vaters,
der ihn wogen seines hohen Alters noch zu sehen und bei sich zu
haben begehrte, nachzukommen, und weil ausserdem die Zeit, während
welcher ihm der Aufenthalt im Auslande gestattet war, bereits ab-
gelaufen war. Indess reiste er zunächst nach Wien, um hier noch
an dem Unterricht Peter Franks, welcher inzwischen hierher berufen
worden, Theil zu nehmen, und er erwirkte auch noch die Erlaubniss,
auf ein ferneres Jahr im Auslande verweilen zu dürfen. 1799 kehrte
er in seine Heimat Schlesien zurück, unterwarf sich den Staats-
prüfungen und Hess sich dann, nach kurzem Aufenthalt in Berlin und
Ohlau, 1802 in Breslau als Arzt nieder. Eine der ersten Aus-
zeichnungen, die seiner Tüchtigkeit galt, war die Ernennung zum
Mitglied der Jenaer mineralogischen Gesellschaft. Ihr folgte 1804
die Bestätigung seiner zu Rom erlangten Doctorwürde durch die
Frankfurter Universität. Es währte nur kurze Zeit, bis es ihm gelang,
sich einen achtunggebietenden Namen zu verschaffen. Namentlich
erregten mehrere kleine Schriften von ihm Aufsehen wie: „Ueber
das endemische-rheumatische Fieber, den Tanz, die Enthauptung
(Fall Troyer) u. a. So war es möglich, dass ihm jedes Jahr neue
Ehrenstellungen, neue Decorationen und Auszeichnung'en eintrug,
wie sie selten in einer Person vereinigt sind. Die öffentliche Lauf-
bahn begann er 1809 mit seinem Eintritt in die Medicinalcommission,
an deren Stelle später das Medicinalcollegium trat. 1810 wurde er
zum Generalsecretär der schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Cultur ernannt, 181 1 zum Medicinalrath. Gleichzeitig habilitirte er
sich auf Grund seiner Dissertation „De Scarlatina'' als Privatdocent
an der Breslauer Universität und veröffentlichte noch mehrere Schriften
wie: über den tollen Hundbiss, die chirurgische Heilmittellehre und
über die physische Erziehung. 1 8 1 2 wurde er Professor extraordinarius,
181 3 Ordinarius. Während der Freiheitskriege war er mit aufopferungs-
voller Hingebung auf den Schlachtfeldern thätig und sorgte dafür,
dass sämmtliche Verwundete einem entsprechenden Lazareth über-
wiesen wurden, wo ihnen ausreichende Hilfe zu Theil wurde. Der
König von Frankreich belohnte ihn dafür mit dem Orden der Ehren-
legion und der Lilie. 18 14 übernahm er die Direction des Kuh'schen
Hausarmen-Medicinal-Instituts, in demselben Jahre wurde er Mitglied
der Kais. Leopold. Akademie der Naturforscher und der Phys.-
medicinischen Societät zu Erlangen. 18 15 trat er in das eben ge-
gründete Medicinalcollegium ein und veröffentlichte zu gleicher Zeit
eine grössere Arbeit ,,über Lues," die noch in mehrmaliger Auflage,
selbst in ungarischer Sprache, erschien; 18 18 beschrieb er verschiedene
Vergiftungen, iSig den Scharlach und die letzte Klrankheit Blüchers,
dessen behandelnder Arzt er gewesen. In dem nämlichen Jahre wurde
er auch Mitglied der Halle'schen Naturforsch. Gesellschaft. 1820
wurde ihm der preussische rothe Adlerorden III. Klasse verliehen:
1822 erschien sein Buch über Kinderkrankheiten, wohl eins seiner
besten Werke, das auch heute noch nicht ganz werthlos geworden.
Von einer grösseren Reise (durch Frankreich, England, die Nieder-
lande und die rheinischen Bäder) zurückgekehrt, wurde er 1823/24
zum Rector magnificus und ausserdem zum i . Professor und Vorstand
der Breslauer chirurgischen Lehranstalt erwählt, 1824, in welchem
Jahre er den Charakter als Geheimer Medicinalrath erhielt, beschrieb
er die Wasserscheu, die verborgenen Entzündungen und einen
Prospectus materiae medicae, 1825 die Behandlung fieberhafter
Krankheiten, 1828 die 3 Pockenformen, 1830 das russische Dampf-
bad. Im Jahre 1833 gab er die 2. Auflage seiner Arzneimittellehre
heraus, wofür er vom österreichischen Kaiser die grosse goldene
österreichische Verdienstmedaille erhielt. In der schweren Cholerazeit
des v^orhergehenden Jahres, die für ihn um so furchtbarer wurde, als er
an dieser Krankheit seinen jüngsten Sohn verlor, war AVendts Thätig-
keit äusserst segenspendend, und zwar gründete er sowohl eine
Cholerazeitung, durch welche er belehrend auf die Masse einzuwirken
suchte, als auch einen Cholera- Waisen-Verein. Auch empfing er zu
dieser Zeit noch seitens des preussischen Königs die Schleife zum
rothen Adlerorden, 1834 wurde er zum Director der delegirten Ober-
Examinations-Commission und 1835 zum Mitglied der Academie royale
de Medecine de France zu Paris und des Grossherzog. Badenschen
Landwirthschaftlichen Vereins zu Carlsruhe ernannt. Da er sich
durch eine Schrift über Kissingen namentlich um Baiern verdient
gemacht hatte, verlieh ihm der König von Baiern 1838 das Ritter-
kreuz des Civil- Verdienst- Ordens. In den folgenden Jahren wurde
er noch Mitglied einer grossen Anzahl gelehrter Gesellschaften, 1840
schrieb er über AVarmbrunn, 1841 über Altwasser, wofür er vom König
Friedrich Wilhelm IV. die grosse goldene Huldigungsmedaille erhielt.
1843 WLirde er mit dem rothen Adlerorden IL Klasse mit Eichen-
laub decorirt; 1844, schon schwerkrank, schrieb er noch vielleicht
sein bestes Werk „über das Selbstbewusstsein" und ,,über die Gicht."
Am 13. April 1845 schied er aus dem Leben. Kurz vor seinem
Tode wurde ihm noch die Freude zu Theil, von Schönlein, der hier
beim Fürstbischof Diepenbrok auf Sendung des Königs behufs Consul-
tation sich aufhielt, besucht und getröstet zu werden.
iO'
August Wilhelm Eduard HensclieL
A. "\V. E. Henschel, ein Sohn des rühmlichst bekannten Dr. Elias
Henschel, dessen wir bereits eingehend Erwähnung gethan, wurde am
20. Dezember 1 790 zuBreslau geboren; der äusserst lernbegierige Knabe
erhielt anfangs Privatunterricht, später besuchte er die zur Zeit noch
existirende AVilhelms schule, sowie das Friedrichs- und Elisabethg\Tn-
nasium. Eine zufällige Entdeckung gab dem erst 13 jährigen Henschel
Anlass, mit besonderem Augenmerk sich den naturwissenschaftlichen
Fächern, namentlich der Botanik, zu widmen; er fand nämhch in den
Bodenräumen seines Vaterhauses eine umfangreiche, von seinem Vater
mit grösster Sorgfalt imd Mühe angelegte Sammlung trockener Pflan-
zen, welche in ihm augenblicklich den Wunsch erregte,, zunächst
die deutschen Namen der einzelnen Pflanzen, sowie Einiges über die
allgemeinen Sätze der botanischen Wissenschaft zu erfahren, und
während er sich einer ähnlichen Arbeit zu unterziehen begann, trat er
auch den derBotanik verwandten Wissenschaften näher. Als 1 5Jähriger
Student an dem Breslauer Collegium medico-chirurgicum beschäftigte
er sich insbesondere mit Anatomie und Physiologie, ohne indess die
Botanik zu vernachlässigen, und setzte diese Studien in Berlin am Ober-
CoUegium medicum erfolgreich fort, bis ihn Kränklichkeit nach
Hause rief (1808). Es duldete ihn jedoch kaum ein Jahr in der
Heimat; ein eifriger Anhänger Schelvers, begab er sich schon 1809
nach Heidelberg, um dessen medicinisch-physiologische Lehrsätze
und Ideen selbst zu hören, musste aber seine Studien wiederum
unterbrechen, weil die anhaltend sitzende Lebensweise auf seinen
Körper nachtheilig einwirkte. Nach einjährigem x\uf enthalt in
Schlesien begab er sich zum zweiten Male nach Berlin, wo sich
ihm jetzt an der daselbst neu begründeten Universität ausgezeichnete
Gelegenheit bot , seine medicinische und philosophische Bildung unter
Männern wie Reil, Hufeland, Hom . Gräfe, Fichte. Schleiermacher,
Niebuhr, Wolf u. A. auf das Umfassendste zu erweitern. Nachdem
die Breslauer Universität gegründet, kehrte er nach seinem Ge-
I04
burtsort zurück, bestand bald darauf das Examen rigorosum und
promovirte am 13. März 18 13 als erster Doctor der Medicin der
Breslau er Universität honoris causa gratis auf Grund seiner Disser-
tation „De asthmate millari et anginae polyposae diversitate''.
Schon vorher, im Jahre 18 12, war Henschel in die praktische Lauf-
bahn eingetreten, indem er anfangs seinem Vater hilfreich zur Seite
stand; die Kriegsjahre 18 13 und 14, in denen Typhus-Epidemieen die
Regel waren, nahmen seine Xräfte voll und ganz in Anspruch. Da
er sich in dieser sorgenvollen Zeit als ein äusserst umsichtiger und
tüchtiger Arzt erwies, der vor keiner Gefahr zurückscheute, wurde
er schon nach kurzer Zeit als 3. Arzt am Hausarmen-Institut und
als 2. an der Israelit. Armen -Kranken -Anstalt angestellt. Ersteres
Amt gab er 18 16 wieder auf, letzteres behielt er für lange Zeit bei.
Seine ersten, Hörn und Hufeland dedicirten, schriftstellerischen Ar-
beiten publicirte er gelegentlich der Absolvirung der medicinischen
Staatsprüfung ; eine von diesen ist leider verloren gegangen.
Henschels medicinische Thätigkeit trat im Laufe der Zeit allmählich
in den Hintergrund, es erschienen zwar noch später, wie z. B. 183 1
während der Choleraepidemie einige grössere medicinische Arbeiten
aus seiner Feder, welche berechtigtes Aufsehen erregten. Im All-
gemeinen wandte er sich jedoch in der zweiten Hälfte seines Lebens
von der eigentlichen Medicin fast ganz ab, ergriff dagegen ganz
und gar das botanische Studium, für welches er ja frühzeitig Sinn
und Verständniss an den Tag gelegt hatte, und habilitirte sich am
29. October 18 16 als Privatdocent an der Universität Breslau durch
eine Abhandlung : „Ueber die Natur der Pflanzen im Vergleich zu den
übrigen Organismen." Einige Jahre später erschien sein bedeutend-
stes botanisches Werk „Von der Sexualität der Pflanzen", welches
einen wahren Beifallssturm in Gelehrtenkreisen hervorrief, weil es
nicht allein neue, grundlegende Ansichten offenbarte, sondern weil es
namentlich für ähnliche experimentelle Arbeiten wundervolle Finger-
zeige an die Hand gab. Wenn er auch vielfach, nicht gerade mit
Unrecht, angefochten und bekämpft wurde, so gebührt ihm doch
jedenfalls das Verdienst, auf diesen specielleren Zweig der Botanik
mit der nöthigen Energie hingewiesen zu haben, der später zu so
schöner und glanzvoller Entwicklung gelangen sollte. Interessant
ist die Erwiderung, welche ihm Göthe zukommen liess. „Da er noch
erlebe," schreibt Goethe, „dass so merkwürdige Erscheinungen der
Wissenschaft aus seinen unschuldigsten Anregungen hervorgehen,"
so solle Henschel überzeugt sein, dass ihn seine Arbeit ,, nicht nur
im Ganzen, sondern von Seite zu Seite interessire". Leider hatten die
zahlreichen Anfeindungen, die sein Buch erfuhr und die natürlich
eher in's Gewicht fallen mussten, als die noch zahlreicheren Lobes-
top
erhebungen, zur Folge, dass Henschel den verhängnissvollen Beschluss
fasste, keinerlei Arbeit auf botanischem Gebiete mehr zu veröffent-
lichen. Seine Erfahrungen verwandte er jetzt einzig und allein auf
die Vergrösserung und Verbesserung seines Herbariums, das sehr
bald sich den Ruf erwarb, zu den bedeutendsten Deutschlands zu
gehören. Auch hatte er immerhin als langjähriger Secretär der bo-
tanischen Section der vaterländisch- schlesischen Gesellschaft Gelegen-
heit, auf botanischem Gebiete, wenn auch in beschränktem Masse,
sich thätig zu zeigen.
1821 erfolgte seine Ernennung zum Professor extraordinär ius,
nachdem er ein Jahr vorher zum Christenthum übergetreten war,
gleichzeitig veröffentlichte er seine Dissertatio historico-botanica de
Aristotele botanico philosopho. 1832 erhielt er die ordentliche Pro-
fessur in der medicinischen Facultät der Universität Breslau, bei
welcher Gelegenheit er eine Abhandlung: „Vita Rumphii, Plinii
indici; accedit specimen materiae Rumphianae" herausgab. 1852
bis 53 bekleidete er die Würde eines Rector magnificus, das De-
canat hatte er mehrere Mal inne. Seine Vorträge umfassten recht
umfangreiche Gebiete, er las über Semiotik, Diagnostik, Geschichte
und Encyklopädie der Medicin, Materia medica, allgemeine Patho-
logie, Anatomie und Physiologie der Gewächse, natürliche Pfianzen-
familien und einige andere Themen.
Henschels grösste Verdienste sind seine Leistungen auf histo-
risch-naturwissenschaftlich-medicinischem Felde, sie liegen weniger auf
botanischem Gebiete. Gewöhnt, bei seinen botanischen Studien stets
nach dem Ursprung des bisher Bekannten, nach den Quellen und
Ueberlieferungen zu forschen, bildete er sich mehr und mehr zum
Historiker aus, so dass er mit der Zeit ausschliesslich sich mit Ge-
schichte, namentlich der Medicin, beschäftigte. Seine bedeutendsten
historischen Arbeiten sind: „Ueber berühmte Aerzte Schlesiens im
16. Jahrhundert, 1819. — Jatrologiae Silesiae specimen L, exhibens
brevissimam medicorum Silesiorum saec. 13 — 16 notitiam, catalogo
medicorum Silesiorum recentiorum adjecto, 1837 (Festschrift zum
50jährigen Doctorjubiläum seines Vaters). — „Zur Geschichte der
Medicin in Schlesien: die vorliterarischen Anfänge, 1837." Zur Ge-
schichte der botan. Gärten und der Botanik überhaupt in Schlesien
(Allgemeine Gartenzeitung) 1837. — „Nachträge zur Geschichte der
Medicin in Schlesien im 13. Jahrhundert." — „De codicibus medii aevi
medicis etphysicisbibliothecarum Vratislaviensium manuscriptis notitiae
quaedam generalis adjectaeorundem catalogi particula prima (Festschrift
zum 50jährigen Doctorjubiläum von Ernst Hörn, 1847). — „Catalogi
Mss. Vratisl. etc. particula secunda — inest Synopsis chronologica
scriptorum medii aevi medicorum ac physicorum, qui codicibus Biblio-
io6
thecarumVratislaviens. continentur" (Festschrift zum 50jährigen Doctor-
jubiläum von W. Remer). — „Schlesiens wissenschaftliche Zustände
im 14. Jahrhundert," 1850. — '■ „Crato von Crafftheims Leben und
ärztliches Wirken". — „De praxi medica Salernitana commentatio,
cui praemissus est anonymi Salernitani de adventu medici ad aegrotum
libellus e Compend, Salernit. 1850". — „Francesco Petrarca, seine
Bedeutung für Gelehrsamkeit, Philosophie und Religion, 1853." —
Ausserdem hat er mehrere grössere Arbeiten in der Zeitschrift
„Janus, Centralmagazin für Geschichte und Literaturgeschichte der
Medicin" veröffentlicht.
Seit 1850 begann Henschels Gesundheit zu wanken, und trotz
mehrmaliger Badereisen vermochte er sich nicht mehr vollständig
zu erholen. Nach schweren Leiden starb er am 24. Juli 1856. Sein
letzter Wille zeugt noch von seiner edelmüthigen Gesinnung, indem
er seine grossartige Büchersammlung der Breslauer Studenten-
bibliothek und sein Herbarium von 40,000 Pflanzen der vaterlän-
disch-schlesischen Gesellschaft zum Eigenthum überliess.
Ueber Henschel als Historiker hat Ferdinand Cohn nach ein-
gehender Beschäftigung mit seinen Werken sein Urthetl in folgende
Worte zusammengefasst : „H. war ein ausgezeichneter Historiker,
gründlich, zuverlässig, erschöpfend, dabei voll Wärme der Darstellung
und von allgemeinen weiten Gesichtspunkten, der wahre „Schliemann"
der Schlesischen Geschichte der Medicin, der vergessene Literatur-
grössen ab incunabulis ausgrub. Wir haben seine Bedeutung, da
er lebte, gar nicht genug gewürdigt, weil sein bescheidnes Wesen
ihn nicht an's Licht treten Hess." —
I07
Heinrieh Robert Goeppert.
LLs kann an dieser Stelle nicht unsere Aufgabe sein, unsern
grossen Landsmann Goeppert in seiner Bedeutung für die Natur-
wissenschaften, als Pfadfinder in einer untergegangenen, von ihm
reconstruirten Pflanzenwelt, als einen der hervorragendsten Phy-
siologen und Anatom auf dem Gebiete der Botanik, als, erfolgreichen
Forscher in der Entwickelungsgeschichte und Morphologie der
Pflanzen zu feiern. Diese Würdigung fand er seiner Zeit von der
berufensten Seite in den Gedenkreden Ferdinand Cohns*). Wir haben
uns hier auch nicht mit Goeppert als dem Neubegründer und
Präsidenten der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur
zu befassen; in dieser Hinsicht hat seines Nachfolgers Heidenhain**)
treffliche Rede den unvergänglichen Werth des Mannes uns klar
und rückhaltlos geschildert. Die Thätigkeit eines rastlosen Geistes,
wie Goeppert es war, ist damit noch nicht erschöpft, sondern nur
in ihren stärksten Aeusserungen gekennzeichnet. Hier ist der Ort,
uns zu erinnern, dass Goeppert auch Mediciner war und als solcher,
wenn auch nur den kleineren Theil seines langen Lebens, wie sein
Vorgänger Professor A. W. Henschel, der sich von der Botanik ab
der Geschichte der Medizin zuwandte, segensreich und anregend ge-
wirkt hat, auf praktischem und literarischem Gebiete. Diese Er-
Avägung rechtfertigt es, wenn wir in dieses Werk, seinem Zweck
entsprechend, die Biographie Goepperts einreihen; dass wir aber
damit nicht allein stehen, zeigt uns die Aufnahme Goepperts in das
von Hirsch unter specieller Redaction Gurlts herausgegebene „Bio-
graphische Lexikon hervorragender Aerzte" (Bd. II. S. 587).
Heinrich Robert Goeppert wurde am 25. Juli 1800 zu Sprottau
in Niederschlesien als Sohn des Apothekers Goeppert, der zugleich
Forstrath der Stadt war, geboren und verdankte die Neigung für
*) Cf. 62. Jahresbericht der Schlesisch. Ges. 1885 ersch. S. XII —
XXVn, und Breslauer-Zeitung. 1884 No. 349, 364, 394.
**) Cf. 62. Jahresber. S. II.— XII.
io8
die Naturwissenschaften, die sich schon während seiner Schuljahre
zeigte, dem Gewerbe und Amte des Vaters. Im Jahre 1812 bezog er
das Gymnasium zu Glogau, das er 18 13 verliess, um seine Gymna-
siallaufbahn noch in Breslau auf 2 Gymnasien bis z. J. 1816 fortzu-
setzen. Hier war es besonders ein Lehrer des katholischen Gym-
nasium, Kaluza, der den Sinn des Knaben für Botanik weckte, so
dass Goeppert seinen Aufenthalt in dieser Stadt schon damals zum
eifrigen Besuch des botanischen Gartens benutzte. Doch 1 816 schon
nahm die glückliche Schulzeit für ihn ein Ende, da er, dem Wunsche
des A^aters folgend, nunmehr in dessen Apotheke seine Lehrlingszeit
beginnen sollte, um später das Geschäft des Vaters weiterführen zu
können. Vier Jahre später legte er vor der Prüfungscommission
unter Vorsitz des Professors der Botanik an der Universität Breslau,
L. Chr. Treviranus, der sich als Pflanzenphysiologe einen bedeutenden
Ruf erwarb, sein Gehilfenexamen mit Auszeichnung ab und setzte
danach in der Apotheke seines Grossvaters zu Neisse die praktische
Thätigkeit fort. Aber diese Beschäftigung vermochte nicht lange, ihn
zu fesseln; der Drang nach Erweiterung seiner Kenntnisse und nach
einem höheren Ziele bemächtigte sich seiner, so dass der Vater
schliesslich, als das fernere Bestehen der Apotheke durch den Ein-
tritt eines jüngeren Sohnes in die Officin gesichert war, dem älteren
die Erlaubniss gab, seine Stellung aufzugeben und nach Breslau
zurückzukehren.
Nachdem er das Maturitätsexamen bestanden hatte, wurde er
im Wintersemester 182 1 unter dem Decanat von Treviranus, an den
er sich in seinen ersten Studienjahren besonders eng anschloss, in
das Album der medicinischen Facultät eingetragen. Sein Studien-
gang erstreckte sich gleichmässig auf die Medicin (Otto, Remer u. A.)
und Naturwissenschaften (Treviranus u. A.) und, von der Wichtigkeit
einer allgemeinen Bildung überzeugt, hörte er daneben philosophische
und historische Vorlesungen. Zu einem seiner Lehrer, dem Kliniker
Remer, trat er später in enge verwandtschaftliche Beziehungen, in-
dem er sich mit einer Tochter desselben vermählte und nach ihrem
Tode mit ihrer Schwester die zweite Ehe einging. Als Goeppert
am Ende des dritten Studienjahres stand, gerieth er durch seine leb-
hafte Theilnahme an den deutschen Burschenschaftsbestrebungen,
deren bei den Behörden verpönte Ideale die Freiheit und Einheit
Deutschlands waren, in Conflict mit den Universitätsbehörden, welche
die Relegation über ihn verhängten und somit sein ferneres Studium
beinahe unmöglich machten. Es gelang ihm jedoch, die Erlaubniss
zu erhalten, sein Studium an der Berliner Universität fortzusetzen,
allerdings musste er sich die polizeiliche Aufsicht gefallen lassen.
Er erfreute sich in Berlin des Umgangs mit den Botanikern Link,
log
Schlechtendal und Heyne, verkehrte viel mit Chamisso und im
Mendelssohn'schen Hause, einer Pflegestätte der Musik, an der
Goeppert hohe Freude fand. Schon im Januar 1823 wurde er von
Link zum Doctor med. promovirt auf Grund seiner von Treviranus
angeregten Arbeit : ,, Nonnulla de plantarum nutritione", in der „sich
schon," wie Ferdinand Cohn sagt, „der exacte Experimentator, der
kritische Beobachter zeigt." Es opponirten ihm zwei seiner
Berliner Freunde, mit denen er im Jahre 1824 auf der Schneekoppe
einen Bund der Treue gesschlossen hatte, Brandt, später Zoologe
und Akademiker in Petersburg, und Ratzeburg, später Professor an
der Forstakademie zu Eberswalde. Im Jahre 1826, nach beendetem
Studium, Hess sich Goeppert in Breslau, dem er nunmehr als einer
seiner besten Bürger treu blieb, als praktischer Arzt nieder. Ein
Jahr später habilitirte sich Goeppert als Privatdocent in der medicin.
Facultät, zu deren Disciplinen damals auch die Botanik gehörte,
mit einer Schrift über die Wirkung der Blausäure auf die Pflanzen
(De acidi hydrocyanici vi in plantas commentatio). Zugleich hebt in
Goepperts Innerm der Jahre dauernde, edle Wettstreit zwischen
seinem humanen Sinn und seiner wissenschaftlichen Neigung an.
Während diese ihn auf die Naturforschung besonders in der Pflanzen-
welt hinweist, zwingt ihn jener, seine Kräfte in den Dienst der
leidenden Menschheit zu stellen. Es ist bewundernswerth, wie er
beiden neben einander herlaufenden Richtungen vermöge seiner
Arbeitslust und Gewissenhaftigkeit gerecht wird und ihnen folgt,
bis die Neigung zur Naturforschung obsiegt. Aber auch dann ist
sein Ziel, die Resultate seiner Forschungen der Mitwelt nutzbar zu
machen, weil ihn sein Herz dazu treibt.
Auf umfangreiche Privatpraxis kam es dieser Persönlichkeit
nicht an, er wollte mit seinem medicinischen Wissen grösseren
Kreisen nützen. So ist er nun Jahre lang als städtischer Armenarzt
beschäftigt und, während er Conservator am botanischen Garten ist
(seit 1827); während er seines Lehramtes für allgemeine Pathologie
und Therapie und desjenigen für Arzneimittellehre an der Med.-
Chirurg. Lehranstalt waltet (seit 1830); während er seine Unter-
suchungen über das Verhalten der Pflanzen dem Temperaturwechsel
gegenüber anstellt und veröffentlicht, übt er die ärztliche Praxis aus
im katholischen Gymnasium (seit 1826), im Elisabethospital (1829)
und endlich im Allerheiligen-Hospital (seit 1830). — Bei keiner Ge-
legenheit aber treten die Schaffensfreude, die Arbeitskraft des jugend-
*) In den Jahren 1827 — 30; cf. Ferd. Cohn im „Jahresbericht der Schles. Ges."
S. XVIII. 1830 erschien G.'s Arbeit „lieber die Wärmeentwi ekel ung in den Pflanzen, deren
Gefrieren und Schutzmittel gegen dasselbe."
I lO
liehen Mannes, sein bedeutsames Wirken als praktischer Arzt in
helleres Licht als zur Zeit der Cholera-Epidemie in Breslau 1831,
einer Periode seiner Thätigkeit, über die wir den fast actenmässigen
Beleg in der Schlesischen Cholera-Zeitung vor uns haben.
Als Mitglied des ärztlichen Comites für Schlesien, dem neben
ihm unter Anderen Wendt, Krocker, Ebers und Henschel angehörten,
betheiligte er sich an der Herausgabe dieser Zeitung. Er selbst
konnte während der Epidemie reiche Erfahrungen sammeln und ein-
gehendste Beobachtungen und Untersuchungen anstellen, da ihm und
seinem Collegen Dr. Seidel die Leitung eines besonderen Cholera-
Hospitals in Neu-Scheitnig übergeben war. Ueberaus häufig be-
gegnen wir seinem Namen in den Spalten des während der Monate
October 1831 bis Februar 1832 erscheinenden Blattes. -— Er giebt
Rathschläge, wie man die schädliche Einwirkung des Chlors auf die
Respirationsorgane verhindern kann; welches die beste Art der Er-
wärmung Cholerakranker und das beste Mittel gegen Wadenkrämpfe
sei. In einem kleinen Aufsatze (in No, 11. S. 87) spricht er sich
aus theoretischen und Erfahrungsgründen für die Chlorräucherungen
aus, welche sich im katholischen Gymnasium als Schutzmittel gegen
die Cholera bewährt zu haben schienen. In den Sitzungen der
medic. Section der Schles. Gesellschaft, deren Protokolle in der
Zeitung im Auszuge mitgetheilt werden, liest Goeppert amtliche Be-
richte von Collegen ausserhalb Breslaus vor, referirt über die Literatur
betreffend die Cholera, spricht über die Wirkung von Arsenik ge-
legentlich eines von einem Apotheker vorgelegten Heilmittels gegen
Cholera und Arsenikvergiftungen u. s. w. In zwei vortrefflichen
graphischen Darstellungen giebt er, auf amtliche Feststellungen sich-
stützend, uns ein anschauliches Bild von der Entwickelung der
Cholera in Breslau und von dem Sterblichkeitsverhältniss der Civil-
personen in Breslau von Woche zu Woche aus den Jahren 1830
und 31, mit Berücksichtigung des Antheils der Epidemie; es sind
dies vielleicht die ersten mit ausserordentlich instructiven Curven
versehenen Tafeln. Ueber seine Thätigkeit als Arzt instruirt uns
der von ihm und Dr. Seidel erstattete, ausführliche und gediegene
Bericht*) über das Cholera-Hospital No. III. Der reiche Inhalt zer-
fällt in eine allgemeine Bemerkungen über den Ort, die Aerzte, das
Hilfspersonal u. s. w. enthaltende Einleitung, an die sich eine Dar-
legung der „pathognomischen Zeichen der Cholera" anschliesst.
Dann wird der Verlauf der Krankheit geschildert und, nach einer
kurzen Auslassung über die prognostischen Kennzeichen, den ätio-
logischen Verhältnissen in den einzelnen Krankheitsfällen eine Be-
') No. 5 u. 7 der Neuen Folge und Nr. I der Letzten Folge der Zeitung.
sprechung gewidmet. Den Schluss bildet eine gedrängte Uebersicht
über die angewandten Heilmittel und die damit erzielten Resultate:
Eingestreut sind an den verschiedensten Stellen des Hospital-Be-
richtes tabellarische Zusammenstellungen über die Symptome der
Krankheit, ihre Dauer und das Sterblichkeitsverhältniss von ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus u. s. vv. — Diese bieten, zusammen
mit den übrigen amtlichen Breslau er Listen, das umfangreiche
Material zu den für die damaligen Verhältnisse ganz ausgezeich-
neten statistischen Untersuchungen des jungen Professors über
„die Cholera in Breslau," welche den zusammenfassenden Final-
bericht der Ch.-Zeitung, den i8. Februar 1832, bilden. Die Unter-
suchungen erstrecken sich auf das Alter der Erkrankten, ihren
Stand, ihr Gewerbe und die Verbreitung der Epidemie in den
Strassen und einzelnen Häusern; der Verfasser schliesst damit,
dass er sich auf Grund der Untersuchungen für die Contagiosität
der Krankheit mit einigen Worten ausspricht.
Bedenken wir, dass neben der Arbeit, die diese Publicationen
erforderten, die praktische ärztliche Thätigkeit nebenherging und
das Fundament für jene bildete, so ist das, was der junge Professor
extraordinarius (seit 183 1) in diesen 4 schweren Monaten (October —
Januar) leistete, in der That Staunen erregend, und die medicinische
Wissenschaft, speciell die Breslauer Facultät, konnte es nur schmerz-
lich empfinden, dass Goeppert später diesen unermüdlichen Fleiss
ausschliesslich der Botanik zuwandte. Der Uebergang geschah all-
mählich; im Jahre 1830 war er zwar schon Secretär der naturwissen-
schaftlichen Section der Schi. Gesellschaft, aber seine ein Jahr später
erscheinende Abhandlung : ,,Ueber die Wichtigkeit der naturwissen-
schaftlichen Studien für die zukünftige Ausbildung des Arztes"
documentirt doch noch seine Zugehörigkeit zur medicinischen Welt.
Als er hingegen im Jahre 1832 auf der Naturforscherversammlung zu
Wien mit grossem Beifall einen Vortrag über ein Thema aus der
Botanik gehalten hatte und 1833 durch Otto aufgefordert wurde^
die fossile Flora Schlesiens zu bearbeiten, war die künftige Richtung
seiner wissenschaftlichen Laufbahn, die ihn von der Medicin ab-
führen musste, ihm klar vorgezeichnet. Der medicinischen Facultät
gehörte er, seit 1841 als Professor Ordinarius, noch bis zum Jahre
185 1 an, obschon er in der Zwischenzeit bereits seine bedeutenden
Arbeiten über die Coniferen, die fossilen Farnkräuter, die Ent-
stehung der Steinkohlenlager, den Bernstein u. s. w. sowie Ab-
handlungen aus dem Gebiete der vergleichenden Pflanzenkunde ver-
öffentlicht hatte. Es sind nur wenige Erzeugnisse seiner literarischen
Thätigkeit, in denen uns noch der Mediciner Goeppert entgegen-
tritt. In dieser Hinsicht sind von gewissem Interesse die 1835 ver-
112
öffentlichte Arbeit: „Die in Schlesien wildwachsenden officin eilen
Pflanzen" und ein Werk aus dem Jahre 1857; „Die officinellen und
technisch wichtigen Pflanzen unserer Gärten" (Görlitz), wenngleich
auch diese beiden Schriften sich in ^erster Reihe an die Pharma-
ceuten wenden.
Speciell für „Aerzte und Wundärzte" verfasste er sein Werk
„Ueber die chemischen Gegengifte", welches er ursprünglich nur
für seine Zuhörer an der medic.-chirurgischen Lehranstalt 1842 be-
stimmt hatte, aber wegen der günstigen Aufnahme desselben im
Jahre 1843 ^^ zweiter, erweiterter Auflage nebst einer „tabellarischen
Uebersicht der Gifte und ihrer Gegengifte" publicirte. In der Vor-
rede spricht er seinen Wunsch aus, mit diesem Werke „einiges zur
erspriesslichen Anwendung einer Wissenschaft beizutragen, der ich
stets grosse Theilnahme zuwandte, obschon ich selbst, jetzt andere
literarische Richtungen verfolgend, mich nicht mehr, wie früher,
mit der specielleren Bearbeitung derselben zu beschäftigen im
Stande bin."
Den ärztlichen Beruf hat Goeppert bis 1848 am Allerheiligen-
Hospital und bis 184g noch am katholischen Gymnasium ausgeübt,
und noch im vorletzten Decennium seines Lebens prakticirte er im
engsten Kreise, wie Ferdinand Cohn uns erzählt.
Im Jahre 1851 trat Goeppert zur philosophischen Facultät über, in
der er das Ordinariat für Botanik als Nachfolger Nees v. Esenbeck's,
der die Demission bekommen hatte, erhielt und die Leitung des
botanischen Gartens übernahm, der ein unvergängliches Zeugniss
für das Schaff"en des Mannes und eins der populärsten existirenden
Institute geworden ist. Die medicinische Facultät der Universität gab
bei seinem Facultätswechsel ihrem Schmerz über den Verlust in
ihrem Facultätsalbum beredten Ausdruck.
Noch 33 Jahre war es Goeppert vergönnt, im Dienste seiner
botanischen Wissenschaft als Forscher und Lehrer Bedeutendes zu
leisten und ein Ruhmesblatt dem andern hinzuzufügen, bis er am
18. Mai 1884 diese Welt verliess. Es wäre hier unangebracht, die
Werke alle aufzuzählen, die ihn zu einem der grössten Paläontologen
und seinen Namen in so vielen praktischen Zweigen menschlicher
Thätigkeit zu einem der populärsten machten. Keine irgendwie
bedeutende, naturwissenschaftliche Gesellschaft hat es verabsäumt,
ihm den schuldigen Tribut der Anerkennung darzubringen. Medaillen
wurden ihm als dem Würdigsten verliehen, Preise wiederholt ihm
zugesprochen. Wohl selten hat ein Mensch so viele Verkünder
seines Ruhms aus den verschiedensten Schichten des Volkes ge-
funden, wie Goeppert, weil er mit seinem streng wissenschaftlichen
Geist einen eminent praktischen Sinn verband. Daher fanden seine
Worte lebhaften Anklang in der Seele des Forstmannes, des Gärtners
und des Landwirths, wie bei seinen wissenschaftlichen Fachgenossen.
Daher konnte er für die Entwickelung der heimatlichen Provinz
und deren Hauptstadt ein so überaus werkthätiges Mitglied werden,
ohne das ein gemeinnütziges Unternehmen gar nicht in's Leben
treten zu können schien. Wo es sich um A^erschönerung der Stadt,
um Hebung ihres Ansehens, um Besserung der Gesundheitsverhält-
nisse handelte, stand er in der vordersten Reihe der Bewohner
Breslaus, dem er den botanischen Garten, das Museum der Künste
und der Botanik, die Promenade und andere werthvolle Institute schuf
oder schaffen half. Des Lebens ungemischte Freude ist, nach Menschen-
loos, auch ihm nicht zu Theil" geworden; trafen ihn doch in seinen
letzten Jahren schwere Verluste in seiner eigenen Familie, durch den
Tod seines hochangesehenen Sohnes und der eignen Gattin; durch
rastlose Thätigkeit suchte er den Schmerz zu betäuben. Goeppert
gehört zu jenen bedeutenden JMännern, die „gelebt haben für alle
Zeiten," weil sie „den Besten ihrer Zeit genug gethan." Sein Bildniss
ziert die von ihm begründete Promenade.
Carl Wilhelm Klose.
Wbwohl Klose der neueren Zeit angehört, in welcher bereits
Sinn und Verständniss für Kunst und Wissenschaft allgemeineres
Eigenthum geworden, gehört er doch gerade in die Reihe derjenigen,
welche, von ihren Zeitgenossen unterschätzt, in der Menge ver-
schwanden und wohl für immer der Nachwelt unbekannt geblieben
wären, hätten sie nicht schriftliche Arbeiten geschaffen, denen ein
Jeder, der nur einen Blick auf sie wirft, unbedingt Achtung zollen
muss.
Der Verfasser würde sich glücklich schätzen, wenn es ihm ge-
länge, mit nachfolgender Vita die Bedeutung dieses so gut wie ver-
gessenen Arztes in's rechte Licht zu stellen.
Carl Wilhelm Klose*) wurde am 1 7. Februar 1803 zu Polnisch- (jetzt
Gross-) Wartenberg als Sohn mittelloser Webersleute geboren. Er
genoss nur den nothdürftigsten Unterricht, zeigte aber von Anfang
an hervorragende geistige Eigenschaften; es war daher natürlich,
dass er nicht mit der rechten Lust an die Barbirkunst, für die er
bestimmt wurde, heranging. Schon nach sehr kurzer Zeit verliess
er die Barbirstube, um sich nach Breslau zu begeben, und daselbst
seine Wissbegierde zu befriedigen.
Mit geringen Kenntnissen in der lateinischen Sprache ausge-
stattet, in welcher ihn der Geistliche seines Heimatsortes unter-
richtet hatte, trat er, 16 Jahre alt, in die Sexta unseres Matthias-
gymnasiums ein. Zwar fand er Leute, die sich seiner annahmen und
ihn unterstützten, auch ertheilte er kleineren Kindern Privatunter-
richt, aber der Verdienst war so gering, dass er auch nicht den be-
scheidensten Bedürfnissen gerecht werden konnte.
1826 bestand er auf das Glänzendste die Abiturienten-Prüfung,
*) Nicht zu verwechseln mit Carl Ludwig Klose , wie wir es leider auch in den
Acten der vaterländischen schlesischen Gesellschaft finden. Dieser war ein Breslauer Kind,
Professor Ordinarius für die gerichtliche Medicin an hiesiger Universität und wurde 1863
als Regierungs-Medicinalrath in Königsberg angestellt.
115
und am 24. October desselben Jahres wurde er im Alter von
24 Jahren g"leichzeitig in der katholisch -theologischen und medicini-
schen Facultät der Breslauer Universität immatriculirt, wandte sich
jedoch bald darauf ausschliesslich dem medicinischen Studium zu.
Klose kannte die Studentenzeit nur von der mühevollen, beschwer-
lichen Seite, ihre Annehmlichkeiten und Genüsse waren für ihn un-
erreichbar; er rieb sich förmlich in der Arbeit auf; dazu veranlasste
ihn einerseits die Sorge um seinen Lebensunterhalt und andererseits
das hohe Interesse, das ihn für seine Wissenschaft belebte; wurden
doch viele seiner Arbeiten preisgekrönt.
Er legte eine so ausgezeichnete Staatsprüfung ab, dass ihm, wie
sonst selten geschah, die Approbation als praktischer Arzt, Geburts-
helfer und Wundarzt ertheilt wurde.
Am 10. October 1830 wurde er auf Grund seiner Dissertation:
„De hernia crurali'' zum Dr. med. et chirurgiae promovirt. Vier
Jahre arbeitete er dann als Assistent in der chirurgischen Klinik
unter Prof. Benedikt, eine Zeit lang auch in der Anatomie unter Otto
und Barkow und zeigte sich in dieser Zeit sowohl als sehr tüchtiger,
wie als gewissenhafter Arzt, der mit Ernst seinen Beruf erfasste und
die Fortschritte der Wissenschaft nie ausser Augen Hess. Das Jahr
1835 war für ihn ein wichtiger Wendepunkt; er erhielt in dieser Zeit
nach gut bestandener Prüfung das Qualificationszeugniss zur Be-
kleidung einer Physicats-Stelle und wurde Privatdocent an der
Breslauer Universität ,,für die Fächer der Interpretation alter Aerzte
der legalen Medicin und ausgewählte Capitel der Chirurgie."
1846 wurde ihm die Stelle eines dirigirenden Arztes am Hospital
der Barmherzigen Brüder übertragen und damit einer seiner Haupt-
wünsche erfüllt. Mit ihm begann zweifellos eine neue Aera für das
Hospital.
Während dasselbe bisher gewissermassen mehr nur Handwerker-
dienste in der Medicin geleistet, wurde ihm jetzt eine Wissenschaft
lichere Grundlage zu Theil, zumal es nächst der Krankenpflege in
gewisser Hinsicht auch Lehrzwecken diente ; denn in der L^'mgebung
Kloses befand sich stets eine Anzahl jüngerer Aerzte, welche sich
glücklich schätzten, unter seinen Auspicien am Krankenbett und
Operationstische Erfahrungen zu sammeln.
Zwanzig Jahre hindurch stand Klose zum Segen der Kranken
an der Spitze dieses Institutes; nur immer mehr zunehmende Kränk-
lichkeit konnte ihn bewegen, dieses ihm so äusserst lieb gewordene
Amt aufzugeben.
1853 berief man ihn in die ärztliche Prüfungscommission, entzog
ihm jedoch bald darauf aus bisher unbekannten Gründen diese Be.
rechtigung.
ii6
1854 wurde er zum Physikus des Landkreises Breslau ernannt,
für welches Fach er namentlich sehr geeignet war, da er sich mit
grosser Vorliebe seither dem Studium der gerichtlichen Medicin ge-
widmet hatte, und zwar leistete er darin so Ausgezeichnetes, dass
man in den schwierigsten Fällen sein Gutachten als das massgebende
einzuholen pflegte.
Er war auch, wie mir sein College, Dr. Asch, einer seiner ver-
trautesten Freunde, versichert, Bahnbrecher in der conservativen
Chirurgie, wie er auch die neue Fortschrittszeit durch das Mikro-
skop und die Chemie ahnte.
1861 wurde er mit dem Titel eines Königlichen Sanitätsrathes
bedacht, für so viele Dienste vielleicht eine zu geringe, jedenfalls
eine sehr späte Auszeichnung.
Am IG, November 1865 schied er, 62 Jahre alt, aus seinem
mühevollen Leben infolge einer Lungenentzündung, die er sich bei
einer Berufsreise nach Posen zugezogen hatte.
Klose war als Arzt äusserst gern gesehen, und dieser Beliebtheit
entsprach eine umfangreiche Praxis, besonders als Geburtshelfer und
Augenarzt, so dass ihm nur wenig Zeit für wissenschaftliche Arbeiten
blieb. Er konnte für diese eben nur die Nächte auf Kosten seiner
Gesundheit verwenden. Dabei sah er nicht schlimm aus, sondern
erfreute sich noch einer ziemlichen Beleibtheit. Er hatte ein
sogenanntes Kindergesicht mit klugen, schönen und gutmüthigen
Augen.
Ein Theil seiner Arbeiten, die sich namentlich auf dem Gebiete
der Chirurgie und zwar der von ihm angebahnten conservativen
Chirurgie bewegten, erschien in der Günsburg'schen Zeitschrift, ein
anderer in der Prager Vierteljahrschrift.
Wir lassen hier die Titel der bedeutendsten unter ihnen folgen:
„Revision der Lehre von dem Knochenbrande und dem Knochen-
wiederersatz vom klinischen Standpunkte vorgenommen.
„Die Meningo-Osteophlebitis".
,,Der Idiotismus in Schlesien". Eine staatsarzneiwissenschaftliche
Skizze,
„Medicinische Topographie des Breslauer Landkreises".
,,Der porotische Knochen und seine Erkrankungen".
„Das Leben im venösen Geschwür". Ein heikologischer Beitrag.
„Das überwuchernde Geschwür" (Ulcus prominens), ein fernerer Bei-
trag zur Helkologie.
„De ossium curvatorum resectione cuneiformi. Gratulationsschrift zur
50 jährigen Jubelfeier des Professors der Chirurgie F. G. Benedikt."
1^7
An letzter Stelle erwähnen wir hier sein bedeutendstes Werk
„Die Epiphysentrennung, eine Krankheit der Entwickelungszeit",
deren Hauptgrundsätze im Ganzen und Grossen noch heute mass-
gebend sind.
Der Werth dieser Arbeit geht recht klar aus der technischen,
hier folgenden Recension hervor, welche Herr Hospitalarzt Dr.
O. Janicke so freundlich war, im Interesse dieser Arbeit anzufertigen:
„Unter voller Berücksichtigung zunächst der normalen anatomi-
schen Verhältnisse des jugendlichen Röhrenknochens entrollt Klose
im Hinblick auf die von ihm auf's Sorgfältigste beobachteten patho-
loQfisch-anatomischen und klinischen Thatsachen ein Bild von der heut
als „genuine acute infectiöse Osteomyelitis'' bekannten Krankheit,
wie es abgesehen von Einigem noch jetzt als mustergültig betrachtet
werden darf. Ein besonderes Augenmerk hat er dabei, durch zahl-
reiche eigene Erfahrungen dazu veranlasst, auf die Epiphysen-
trennungen der von der Krankheit befallenen Knochen gerichtet.
Die hochgradige Betheiligung des Knochenmarks und des Periosts
sowie die Beeinträchtigung der die Ernährungsbrücke zwischen diesem
und für den Knochen selbst herstellenden Gefässe erklären ihm die
verhängnissvolle Wirkung der Krankheit auf die Knochen in specie
auf den Epiphysenknorpel derselben (membrana pulposa genannt)
sowie endhch auf den betreffenden Organismus im Allgemeinen; die
Eigenthümlichkeit des von Klose besonders berücksichtigten Processes
der Epiphysentrennung bringt ihn dazu, der Krankheit eine Sonder-
stellung einzuräumen und sie von der mit Totalnekrose der Diaphysen
einhergehenden Knochenmark- oder Periostentzündung zu trennen.
Der Verfasser nimmt damit allerdings einen Standpunkt ein, der
heute nicht mehr Geltung besitzt. Aber Klarheit und Einfachheit
der Darstellung sind offenbar der Ausfluss genauer Beobachtung und
der daraus resultirenden Kenntnisse der Dinge. Diese gipfelt denn
auch in dem noch heute zu Tage voUgiltigen Rathe für die Theraphie,
das Periost so zeitig wie möglich rücksichtslos zu spalten, um so
den Knochen und das Leben bedrohenden Noxen den Weg nach
aussen frei zu machen."
Ausserdem sind noch viele Manuscripte von Klose erhalten,
darunter: Die Eklampsien als Entwickelungskrankheiten, Vorlesun-
gen über Aretaeus, die Lebensversicherung vom ärztlichen Stand-
punkte aus und Anderes.
Ein eigenes Missgeschick ereilte Klose mit Bezug auf seine
grösste Arbeit „Die Geschichte der geographischen Verbreitung der
Krankheiten", an welcher er 20 Jahre auf das Fleissigste gearbeitet.
Sein Verleger beging nämlich die Unvorsichtigkeit, das Manuscript,
das sich bereits vollständig in seinen Händen befand, unfreiwillig
ii8
einem Bücherballen beizufügen, der für eine andere Bibliothek be-
stimmt war, wobei dasselbe unwiederbringlich verloren ging. Ehe
Klose die Verstimmung über den Verlust überwand und die ent-
sprechende Zeit fand, von Neuem an diese mühevolle Arbeit zu
gehen, schrieb Professor Dr. Hirsch sein Werk über dasselbe Thema,
so dass Klose davon abzustehen sich genöthigt sah.
Wenn auch Klose nach aussenhin wenig hervortrat und sich
nicht gerade grosser Gunstbezeugungen zu erfreuen hatte, so wird
man doch, wenn man unbefangen urtheilt, in richtiger Erkenntniss
der Sachlage, Klose den Ruhm eines äusserst gelehrten und praktisch
ausgezeichneten Arztes nicht vorenthalten dürfen, denn es gehörte
der durchdringende Scharfsinn, wie er ihn eben besass, dazu, zu
einer Zeit, wo die Medicin so vieler, jetzt gar nicht mehr zu ent-
behrender Hilfsmittel bar war, neue epochemachende Theorien, so-
wie operative Fortschritte anzubahnen, und in manchen Dingen
setzen wir heute nur fort, was er begann.
I IQ
Heinrieh Neumann.
Er wurde am 17. Januar 18 14 zu Breslau geboren und entstammt
einer Gelehrten-Familie. Sein Vater war ein ausgezeichneter Orientalist,
Braniss und der Chemiker Fischer waren ihm verwandt. Mit treff-
lichen Geistesgaben ausgestattet, durchlief der Jüngling schnell die
üblichen Studien, und wurde schon im Alter von 22 Jahren zum
Dr. med. promovirt. Neben dem medicinischen Fachstudium betrieb
er mit Liebe und Erfolge englische Literatur und Musik und erwarb
sich auf beiden Gebieten den Ruf feinster Kennerschaft.
Mehrere Jahre war er Regiments-Chirurg beim ersten schlesischen
Kürassier Regiment, begleitete einen höheren russischen Militär auf
Reisen und wurde nach dem Ableben desselben Assistent an der
geburtshilflichen Klinik von Prof. Betschier, die er eine Zeit lang selbst
leitete. An der Universität hatte er sich für innere Medicin habilirt,
legte aber in Folge mannichfacher Angriffe, die er als Vertreter der
Schönlein'schen Richtung zu erdulden hatte, freiwillig das Amt nieder
und nahm 1 846 eine Stelle als Assistenzarzt an der Provinzial-Irren-
Heilanstalt zu Leubus an.
Jetzt erst hatte Neumann das Gebiet gefunden, auf dem seine
Thätigkeit so ausgezeichnete Früchte tragen sollte. Zwar blieben
auch hier die Conflicte nicht aus. Die bureaukratische Leitung der
Anstalt und das frische jugendliche Streben des begabten Arztes
mussten sie herbeiführen.
Er verliess Leubus und gründete nach einer kurzen Zwischen-
zeit 1852 eine Privat-Irren- Anstalt in Poepelwitz, die erste derartige
im östlichen Deutschland, die er bis kurz vor seinem Tode leitete,
und die so vielen Kranken Zuflucht, angemessene Behandlung und
Heilung gebracht hat. Zugleich habilitirte er sich von Neuem für
Psychiatrie, wurde 1862 Professor extraordinarius und 1867 Primär-
arzt der neuen selbständigen Irren -Abtheilung des Allerheiligen-
Hospitals, welche später zugleich unter seiner Leitung Klinik wurde.
Sein geistvoller Vortrag, seine feinsinnigen psychologischen und
I20
physiologischen Diag'nosen haben ganze Generationen von Studenten
gefesselt und ihn zu einem der beliebtesten akademische*!! Lehrer
gemacht. Sein Hauptwerk ist das „Lehrbuch der Psychiatrie" (1859),
von dem noch fast drei Decennien nach dem Erscheinen sein aus-
gezeichneter Nachfolger im städischen Irrenhause und in der Königl.
Klinik für Irrenkranke, Herr Medicinalrath Professor Dr. Wernicke,
sagt, dass es zu den besten Büchern über diesen Gegenstand gehört,
die man jüngeren Fachgenossen zum Studium empfehlen kann*). Kurz
vor seinem Tode hat er in zwei kürzeren Büchern: „Leitfaden der
Psychiatrie'' (1883) und „Katechismus der gerichtlichen Psychiatrie''
(1884) seine Erfahrungen niedergelegt. Hochangesehen waren seine
gerichtlichen Gutachten, die gradezu für mustergiltig gehalten werden
und von denen eine Reihe veröffentlicht ist. Von kleineren Fach-
schriften aus früherer Zeit nennen wir noch: „Der Arzt und die
Blödsinnigkeitserklärung" (1847) '^^^ „Theorie und Praxis der Blöd-
sinnigkeitserklärung" (i86o), die auch in juristischen Kreisen gebührend
geschätzt wurden.
Von den Gaben seines reichen Geistes und Wissens Hess Neu-
mann auch einen grösseren Kreis geniessen, indem er einigemale
populäre wissenschaftliche Vorträge hielt, die die allgemeinste Theil-
nahme und Bewunderung fanden.
"Gedruckt wurde, soviel wir wissen, nur einer ,,über Lear und
Ophelia" (Breslau 1865 bei Korn), der nach Form und Inhalt meister-
haft gehalten ist. Seine Shakespeare-Kenntniss und sein psycho-
logisches Wissen und Verständniss vereinigten sich darin, eine muster-
giltige Analyse der beiden Charaktere zu geben und die volle Grösse
des Dichters, die Lebenswahrheit seiner Gestalten, die Tiefe seiner
Seelenkunde zum Ausdruck zu bringen.
Neumann besass neben seinem reichen Geiste auch ein fühlendes
Herz für fremdes Leid. Wo seine Hilfe nöthig war, brachte er sie dar,
dem Einzelnen wie der Gesammtheit. Der Typhus der 50er Jahre führte
ihn nach Oberschlesien, 1866 war er auf den Schlachtfeldern Böhmens
und 1870 in den Lazarethen thätig.
Hatte Neumann auch in den letzten Lebensjahren manchen
Kummer zu tragen, so fand er doch in seinem glücklichen Eheleben
Trost und Freude. Nach längeren Leiden, denen sein starker Geist
muthig widerstand, starb er am 10. October 1884, nachdem er noch
wenige Wochen vorher die Versammlung der Irrenärzte Schlesiens
und Posens geleitet hatte. Seine letzte Ruhestätte fand er am Orte
seiner Lebensthätigkeit in Pöpelwitz. Aus dem Nachrufe eines seiner
nächsten Schüler entnehmen wir zu seiner Charakteristik die folgen-
den Worte:
'') Vor Kurzem ist dieses Werk, in 3. Auflage erschienen.
„Heinrich Neumann war ein genial angelegter, klar denkender
Kopf, dessen wissenschaftliche Arbeiten sich durch Präcision des
Ausdrucks und Originalität der Gedanken auszeichnen. Seiner tiefen
allgemeinen Bildung, seiner formgewandten fascinirenden Beredtsam-
keit verdankt er seine Erfolge als akademischer Lehrer und populärer
Vorleser. Er besass trotz mannigfachen Kummers ungetrübt heitere
Lebensanschauung, welche ihn zum liebenswürdigsten Gesellschafter
machte, und ein edles, für Noth und Kummer Anderer warm fühlendes
Herz. Seinen Unterg^ebenen war er ein milder Vorgesetzter und trotz
seiner schneidigen Dialectik ein wohlwollender Beurtheiler seiner
Mitmenschen."
122
Victor Julius Nega.
Zjwei Jahrzehnte nur war es dem Manne, dessen Namen wir an
dieser Stelle in das Gedächtniss unsrer Landsleute zurückrufen wollen,
vergönnt, in seiner Wissenschaft praktisch und literarisch thätig zu
sein. Aber diese Spanne Zeit hat er redlich ausgenutzt, um sich
einen geachteten Namen zu schaffen, so dass sein Tod für die medi-
cinische Wissenschaft, zum mindesten in unsrer Provinz, einen Ver-
lust bedeutete.
In einfachen Verhältnissen ist Victor Julius Nega, der am i 7. Fe-
bruar 1 8 1 6 zu Turawa bei Poliwoda in Oberschlesien geboren wurde,
aufgewachsen ; einfach auch und arbeitsvoll, frei von jeder Ruhmsucht,
gestaltete sich sein Leben. Sein Vater war Hütteninspector auf den
von Garnier'schen Besitzungen und gab den Sohn in das Gymnasium
der Regierungshauptstadt Oppeln. Im Alter von etwa 18 Jahren
verliess Nega die Anstalt, um sich ausschliesslich in Breslau dem
Studium der Medicin zu widmen. Zu seinen Lehrern g'ehörten u. a.
Betschier, Remer und Purkinje, mit dem er auch später in freund-
schaftlichem Verkehr stand. Unter dem Einflüsse Betschlers entstand
Negas Dissertation aus d. J, 1838: „De congenitis genitalium femi-
nearum deformitatibus", und unmittelbar nachher absolvirte er auch
seine Staatsexamina. Er trat zunächst als zweiter Assistenzarzt in
die geburtshilfliche Poliklinik unter Leitung Betschlers ein und
fungirte von 1841 an als klinischer Secundärarzt an der stabilen
Klinik für Pädiatrik und Gynäkologie.
Nega war für seinen Beruf als praktischer x\rzt und Geburtshelfer
wesentlich in den Anschauungen der alten medicinischen Schule,
besonders auf dem Gebiete der Pathologie, vorgebildet worden. Aber
es war ihm bei seiner strebsamen Natur unmöglich, dem hellen
Lichte, das die Lehren eines Laennec und Skoda in der Wissenschaft
verbreiteten, sein geistiges Auge zu verschliessen. Nachdem er die
Anfangsgründe der neuesten Errungenschaften der Medicin unter
Leitung des eben erst aus Paris zurückkehrenden, jetzigen Geh.
^25
Sanitätsraths Dr. Krocker in dem Elisabetinerinnen-Hospital kennen
gelernt und die einschlägige Literatur auf das Eifrigste studiert hatte,
wurde er selbst einer der energischsten Verfechter der Auscultation
und Percussion und wandte sie viel bei den Kranken der Klinik an.
Die Candidaten der Medicin, welche die Klinik besuchten, wies er
nachdrücklich auf die Lehren Skodas hin, die er selbst einer ein-
gehenden Prüfung zu unterwerfen begann. Doch seine angestrengte
Thätigkeit verhinderte ihn zunächst, sich über seine Erfahrungen in
Schriften zu äussern. Er musste das vorhandene Material einem
jüngeren Collegen Rohovsky überlassen, der es in seiner Disserta-
tion: „De gravfdarum et parturientium auscultatione" 1844 ver-
werthete. Später nahm Nega, von seinem Freunde Purkinje angeregt^
seine Untersuchungen wieder auf und veröffentlichte seine Kritik
Skoda'scher Lehrsätze im Jahre 1852 in seiner Habilitationsschrift.
Er hatte sich inzwischen die Anerkennung der grössten Zierden
seiner Facultät an der Breslauer Universität erworben, eines Purkinje
und Frerichs, mit denen er befreundet war, sowie von Siebolds, der
ihm in jeder Hinsicht ein Gönner war und seine Arbeiten im physio-
logischen Institute förderte. Diesem Letztgenannten widmete Nega
auch seine höchst gediegene Habilitationsschrift, die den Titel führt:
„Beiträge znr Kenntniss der Function der Atrioventricular - Klappen
des Herzens, der Entstehung der Töne und Geräusche in demselben
und deren Deutung." Es war ein Zeichen der Anerkennung, dass
es ihm von der Behörde gestattet wurde, seine Schrift in deutscher
Sprache drucken zu lassen, nachdem er seine Probevorlesung über
die Bright'sche Krankheit in lateinischer Sprache gehalten hatte ; die
Wahl dieses Themas ist gewiss durch seinen Freund Frerichs beein-
flusst worden.
Fünf Jahre vorher war Nega Secundärarzt im Allerheiligen-
Hospital geworden, zu dessen Primärarzt für die innere Abtheilung-
er ebenfalls im Jahre 1852, in dem er sich als Docent niederliess,
aufrückte. Sein Ruf als praktischer Arzt war ein ausserordentlicher;
Autoritäten auf dem Gebiete der Gynäkologie schätzten ihn besonders
wegen seiner Tüchtigkeit in dieser Richtung hoch; bis zum Jahre 1856
bekleidete er die Stelle eines Leibarztes bei dem Breslauer Fürst-
bischof. Die Regierung verlieh ihm den Charakter als Sanitätsraths
und die Breslauer Universität erwies ihm im Jahre 1856 die bei einem
Sanitätsrath gewiss selten vorkommende Auszeichnung, ihn zum
ausserordentlichen Professor der medicinischen Facultät vorzuschlagen ;
er erhielt die Ernennung mit dem Auftrage, Arzneimittellehre zu
lesen. Die praktische Beschäftigung erlaubte es Nega nicht, schrift-
stellerisch bedeutender hervorzutreten. In der Günsburg'schen Zeit-
schrift für klinische Medicin veröffentlichte er 1850 eine kleinere
124
Arbeit über iConiin, dessen Wirkungen er an sich und Kranken seit
1845 erprobt hatte und ihm besonders bei Neuralgieen günstig er-
schienen, und einen Aufsatz über Echinococcus hominis. Er war es
auch, der zuerst das phosphorsaure Eisenwasser darstellte und es
seinen Kranken gern verabreichte. Bei der chemischen Bereitung
dieses weitverbreiteten und erprobten Wassers wurde er von dem
berühmten, damals an unserer Universität lehrenden Bunsen unter-
stützt. Seine Absicht, eine grössere Abhandlung über Lungen- und
Herzkrankheiten, sowie deren Behandlung zu schreiben, vereitelte
sein frühzeitiger Tod. Noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes be-
findlich, entriss ihn ein exanthematischer Typhus am 8. Januar 1857
seiner segensreichen Thätigkeit, seinen Freunden und Verehrern
sowie seinem jungen Weibe, mit dem er noch nicht das erste Jahr
der Ehe zurückgelegt hatte. —
Die ehrenvollen Nachrufe, die der Rector und Senat der Uni-
versität und das städtische Hospital erliessen, kennzeichneten den
erlittenen Verlust eines Mannes, der ein ,,rüstig"er Förderer der Wissen-
schaft" und ein „Arzt von scharfem Blick und umfassendem Wissen"
gewesen war. Die Professoren der Universität erwiesen ihm in
corpore die letzte Ehre.
125
Ludwig Traube.
Ludwig Traube, der berühmte Kliniker und Arzt, gehörte seiner
Geburt und Erziehung nach der Provinz Schlesien an, wenn auch
die Reichshauptstadt später der Ort seiner praktischen und wissen-
schaftlichen Thätigkeit geworden ist. —
In Ratibor wurde er am 12. Januar 18 18 geboren als ältester
Sohn des israelitischen Grosskaufmanns Wilhelm Traube, dessen
Entschlossenheit und Energie auch auf den Erstgeborenen überging.
Ebenda erhielt er in einer Privatschule den ersten Unterricht in den
einfachen Elementen des Wissens und den Anfangsgründen der
Gymnasialbildung, bis er im Jahre 1828 in das Gymnasium seiner
Vaterstadt, das unter der Leitung des Directors Dr. Hänisch stand,
eintrat. Wie befähigt er sich auch in allen Schulfächern zeigte, so
waren es doch vor Allem zwei Gebiete, die sein regstes Interesse
in Anspruch nahmen : die Naturwissenschaften und die philosophische
Propädeutik. Als er Ostern 1835 das Gymnasium mit dem Zeugniss
der Reife verliess, nahm er als köstlichste Gabe für sein späteres
Leben den Sinn für Naturforschung und die scharfe Schulung des
Denkens mit. Dem Wunsche seines Vaters folgend , widmete er
sich nunmehr dem Studium der Medicin an der Universität Breslau,
die ihm jedoch wenig Anregung für ^ein Fach bot. Der Einfluss
der Schulzeit machte sich geltend: Die Philosophie eines Spinoza
und Baco fesselten zunächst den jungen Studenten, so dass sich
sogar auf seine Anregung ein philosophisches Kränzchen unter den
Bekannten bildete; erst die Vorlesungen Purkinje's — der damaligen
Zierde der Universität — über Physiologie führten ihn zu seiner
Wissenschaft zurück. Nachdem er vier Semester in Breslau zuge-
bracht und, neben der Physiologie, besonders Anatomie unter Otto
getrieben hatte, bezog er die Universität Berlin, an der ihm bald
dieselben Uebelstände, wie in Breslau, hinsichtlich der medicinischen
Collegien begegneten; nur die Vorlesungen von Johannes Müller,
wie dessen Persönlichkeit, boten ihm einige Entschädigung. Aber seine
126
Verstimmung und seine Abneigung gegen das medicinische Studium
nahmen dermassen zu, dass es des entschiedenen Eingreifens seines
Vaters bedurfte, um ihn zum ferneren Studium der Medicin anzu-
eifern. Er besuchte zwar die Kliniken von Wagner, Wolff, Rust,
Dieffenbach, Jüngken u. A.; aber bei dem damaligen Zustande dieser
Institute gab er sich lieber dem Privatstudium hin. Dieses erstreckte
sich zunächst auf Pflanzenphysiologie und Mikroskopie ; dann begann
er die Werke der Franzosen zu lesen, von denen vor Allem die
Arbeiten eines Magendie und Laennec seih Wissen bereicherten
und ihm nachhaltige Anregung gaben. Im Freundeskreise wurde
das Studium der Pathologie besonders eifrig betrieben, nachdem
Traube durch einen PYeund, der von Zürich nach Berlin kam, in
den Besitz eines Heftes der Schönlein'schen Vorlesungen über diesen
Gegenstand gelangt war. Als nun Schönlein selbst, trotz aller
Anfeindungen, die von Berlin ausgingen, im Jahre 1840 die Berufung
an die Berliner Universität von Zürich aus annahm, war Traube einer
der eifrigsten Zuhörer dieses „Reformators der deutschen Klinik",
wie Leyden ihn nennt. Am 3. Februar desselben Jahres wurde
Traube auf Grund seiner Arbeit „Specimina nonnulla physiologica
■et pathologica" promovirt.
Von der Lehrmethode Schönleins wenig angezogen, beschloss
er jetzt, nach Wien zu gehen, das damals von allen deutschen Uni-
versitäten allein eine bedeutende medicinische Schule besass. Da-
selbst hörte er allgemeine Pathologie bei Rokitansky und bildete
sich in der physikalischen Diagnostik bei Skoda aus, nachdem er
sich schon früher, durch Laennec angeregt, mit der Auscultation
und Percussion beschäftigt hatte. Wie sehr ihn, den nun rastlos
Thätigen, der Aufenthalt an diesem Orte befriedigte, wie frucht-
bringend ihm diese drei Vierteljahre erschienen, beweist die That-
sache, dass er im Sommer 1843 zum zweiten Mal eine Studienreise
nach Wien unternahm unter schwierigeren Verhältnissen, da er
seinen Vater nicht um die Reisemittel angehen mochte. Aus Wien
kehrte er mit neuer Unternehmungslust zurück, die ihn allerdings
fast zu einem verhängnissvollen Schritt getrieben hätte, zu einem
Angriff nämlich gegen seinen einflussreichen früheren Lehrer Schön-
lein. Gegen die im Jahre 1842 von Güterbock herausgegebenen
klinischen Vorträge des grossen Pathologen sollte sich die Schrift
des jungen Traube richten, der erst ein Jahr vorher, am ig. Mai 1841,
nach Ablegung seines letzten Examens approbirt worden war. Auch
in diesem kritischen Moment bewährte sich der klare, praktische
Verstand des Vaters, der um diese Zeit, Ostern 1842, seinen jüngsten
Sohn, Moritz, nach Berlin zur Universität gebracht hatte. So grossen
Beifall auch des Sohnes Schrift im Freundeskreise fand, der Vater
i-7
bewog ihn, dieselbe nicht zu veröffentlichen, und die Folgezeit hat
seinen Eingriff gerechtfertigt*).
■Die Zukunft lag völlig verschleiert vor dem jungen, eben fertigen
Arzte. Seine Neigung ging dahin, die Resultate seiner Wiener
Studien zu verwerthen, eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen,
die Nothwendigkeit wies ihn auf die praktische Ausübung der
Medicin hin. Kliniken und Krankenhäuser — in Berlin existirte nur
eins, die Charite — waren ihm als Juden verschlossen. Einige Haus-
arztstellen hatte er bei befreundeten Familien erhalten; aber das
war nicht das Ziel seines Strebens. Durch einen günstigen Zufall
wurde er mit Dr. Natorp, dem Armenarzt der Rosenthaler Vorstadt,
des damals verrufensten Stadttheils. Berlins, bekannt und assistirte
sowohl diesem, als auch seinem Nachfolger Dr. Klein, vertrat sie
auch in ihrer Armenpraxis. So bot sich ihm ein günstiges Feld
für neue Beobachtungen und Studien am Krankenbette, an denen
er auch einige junge Mediciner theilnehmen Hess. Als aber im
Jahre 1844 die Armendirection ihren Aerzten verbot, sich in ihrer
Praxis vertreten oder assistiren zu lassen, war Traube auch diese
ISIöglichkeit, sein Wissen zu bereichern, genommen. Das war ein um
so härterer Schlag für ihn, als er, gestützt auf das durch die Armen-
praxis gelieferte Material, im Jahre 1843 Kurse in den neueren Unter-
suchungsmethoden, der Auscultation und Percussion, abzuhalten be-
gonnen hatte; Kurse, deren Besuch Romberg seinen Zuhörern beson-
ders empfahl, an denen sich als die ersten Jos. Meyer, Rühle und der
von der Studienzeit her mit Traube befreundete Arnold Mendelssohn**)
betheiligten. Verbittert, aber nicht verzagend, musste er einen neuen
Weg für seine Forschungen suchen, und diesen fand er in dem
wissenschaftlichen Experiment an Thieren. Zunächst wurden diese
Experimente von Traube und seinem sehr begabten Freunde Mendels-
sohn gemeinsam unter Assistenz von Rühle vorgenommen in der
Behausung Traubes, bis Gurlt, der Director der Thierarzneischule,
ihnen das Experimentiren an Hunden in dieser Anstalt gestattete.
Der sehr begabte Mendelssohn trennte sich bald von Traube und
gab im Jahre 1845 eine Monographie über den Mechanismus der
Respiration und Circulation heraus. Traube dagegen lieferte als
Frucht seiner Untersuchungen: „Die Ursachen und Beschaffenheit
derjenigen Veränderungen, welche das Lungenparenchym nach
*) Cf. W. A. Freund: Gedächtnissrede auf L. Tr. S. 9. Leyden: Gedächtniss-
rede S. 8.
**) Ueber seine Fähigkeiten und die Erwartungen, die sich an ihn knüpften, spricht
Virchow: „Zur Erinnerung an L. Traube" S. 3 u. a. „sein Geschick in der Zusammenfügung
der mechanischen Elemente des Versuchs war unübertroffen". Seine Arbeit würdigt Leyden,
Gedächtnissrede auf L. Tr. in der Anmerkung 14, Seite 30.
128
Durchschneidung der nervi vagi" *) erleidet, mit der er der „Begründer
der experimentellen Pathologie in Deutschland" wurde. Im Jahre 1845
wurde er mit Reinhardt und Virchow befreundet, dessen Sectionen
im Leichenhause der Charite er regelmässig beiwohnte, da ihm hier
reiches Material für seine Forschungen zu Gebote stand. Im Verein
mit diesen beiden Männern u. A. gab er im Jahre 1846 die beiden
Hefte der „Beiträge zur experimentellen Pathologie" heraus, zu denen
er selbst die Vorrede lieferte; das weitere Erscheinen dieser für
die Geschichte der Medicin überaus wichtigen „Beiträge" verhinderten
hauptsächlich buchhändlerische Schwierigkeiten, so dass Reinhardt
und Virchow nunmehr das Archiv für pathologische Anatomie, Phy-
siologie und klinische Medicin begründeten. Mehr denn je vermisste
Traube in dieser Zeit die Praxis im Krankenhause zur Fortsetzung
seiner Arbeiten. Vergebens hatte er sich an die Charite-Direction
mit der Bitte gewandt, ihm die Vornahme von Untersuchungen und
Beobachtungen bei Kranken verschiedener Abtheilungen zu gestatten;
am 6. Mai 1847 wurde sein schriftliches Gesuch abschlägig beschieden.
In demselben Jahre gründete er mit einigen Freunden einen phy-
siologischen Cirkel, in dem Referate über verschiedene Capitel der
Physiologie erstattet wurden und Traube, als der älteste, ganz be-
sonders nachhaltig auf die Uebrigen durch sein strenges Festhalten
an den Principien exacter Forschung einwirkte.
Das mit so vielem Althergebrachten aufräumende Jahr 1848
brachte endlich auch einen günstigen Wechsel seines Geschickes.
Er betheiligte sich an der von Leubusch er und Virchow begründeten
,,Medicinischen Reform^' mit einem Artikel über Specialkliniken, und
fast gleichzeitig damit brachte es eine energische Studentenbewegung**)
an der Universität dahin, dass das Ministerium für Traube in der
Charite, dieser Domäne der Militärärzte, eine Civil- Assistentenstelle
an der Klinik Schönleins schuf. Nachdem Traube sich im October
1848 unter dem Decanat Ehrenbergs an der Universität habilitirt
hatte, begann er am 25. Januar 1849 als Assistent Schönleins seine
Thätigkeit in der Charite, mit der die Aufgabe verknüpft war,
Unterricht in der Auscultation und Percussion zu ertheilen.
Den Eintritt in das Krankenhaus hat Traube selbst später als
das grösste Glück seines Lebens bezeichnet. Sein Leben floss jetzt
verhältnissmässig ruhig dahin; er gründete sich in dieser Zeit eine
eigene glückliche Häuslichkeit durch seine Vermählung mit Cora
Markwald, die ihm nach 27 Jahren des Zusammenlebens durch ein
*) Diese Arbeit erschien im I. Heft der ,, Beiträge zur exper. Pathologie" 1846. —
Gesammelte Werke Traubes. Bd. I.
**) Cf. Virchow: Zur Erinnerung an L. Traube in der „Berliner Klinischen
Wochenschrift" 1876, No. 16,
129
schweres Leiden entrissen wurde. Traube war nunmehr die Ge-
legenheit gegeben, seine Geisteskräfte ganz zu entfalten. Seine
Arbeitslust und sein Schaffensdrang zeigten sich schon im Beginn
seiner neuen Laufbahn in den zahlreichen Publicationen wissen-
schaftlich bedeutender Arbeiten, die zum Theil in den Charite-
Annalen erschienen. Es gehören hierhin die Untersuchungen über
die Digitalis und das Fieber aus den Jahren 1850 — 54. Grundlegend
sind dafür seine beiden Arbeiten „Ueber die Veränderungen, welche
die Spannung des Aortensystems unter dem Einfluss der Digitalis er-
leidet"*) und „Zur Theorie der Digitalis Wirkung"**). Daran schlössen
sich seine Arbeiten auf dem Gebiet der Lungen-, Herz- und Nieren-
krankheiten aus den Jahren 1856 — 60. Seine Bedeutung als Forscher
und Lehrer fand bald die verdiente Anerkennung bei dem bisher
zurückhaltend und misstrauisch ihm gegenüberstehenden Aerzte-
publikum und den Militärärzten. Jene konnten sich anfangs mit
seiner peinlich gründlichen Untersuchung der Kranken nicht be-
freunden und unterschätzten vielfach seine Leistungen; diese, unter
denen er später die unbedingtesten Anhänger fand, sahen in ihm
einen Eindringling. Nicht zum wenigsten dem Einfluss Schönleins
und seinem Eintreten für ihn verdankte es Traube, dass diese Vor-
urtheile allmählich zurückgedrängt wurden. Durch denselben Mann
wurde er auch nach und nach der bisher von ihm gering geachteten
Therapeutik wieder näher gebracht. Im Jahre 1851 erhielt er zum ersten
Mal eine Remuneration von 400 Thalern für seine Thätigkeit als
Lehrer der Auscultation und Percussion und Ostern 1853 wurde er
in der für diese Disciplinen gegründeten Krankenabtheilung als
dirigirender Arzt angestellt. Die öffentliche Anerkennung seiner
bedeutenden Lehrkraft zeigte sich darin, dass ihm im Jahre 1855
aus dem Friedrich-Wilhelm-Institut 20 Zöglinge als Zuhörer officiell
überwiesen wurden.
Nachdem er im Jahre 1857 ^um Professor extraordinarius mit
einer Gehaltszulage ernannt worden war, und nachdem die zweite
Klinik mit dem Abgange Wolffs eingegangen war, wurde seine Ab-
theilung zur propädeutischen Klinik erhoben. Einen Ruf nach
Heidelberg lehnte er ebenso, wie schon vorher den nach Breslau,
ab; denn er war inzwischen einer der „berühmtesten und beliebtesten
Kliniker" geworden, der von „Aerzten und Studenten der Medicin,
Einheimischen und Fremden" aufgesucht wurde***). Im November
1862 wurde er als ordentlicher Professor an das Friedrich-Wilhelm-
*) Gesammelte Beiträge I, S. 252 fF,
**) Ges. B. I, S. 276 fF.
***) Cf. Leyden, a. a. O. S. 17.
I3Q
Institut berufen, dessen Zöglinge seit 1860 sämmtlich officiell die
propädeutische Klinik besuchten.
So weit war Traube gelangt, als der Versuch gemacht wurde,
ihn durch Intriguen aller Art aus seiner angesehenen Stellung zu
verdrängen. Der starke Besuch seiner Klinik wurde, abgesehen
von seiner persönlichen Tüchtigkeit und Beliebtheit, auch dadurch
veranlasst, dass die an derselben verbrachten Semester für die zum
Staatsexamen verlangte praktische Thätigkeit an einer medicinischen
Klinik in Anrechnung kamen. Jetzt wurde durch ein Ministerial-
rescript die Berechtigung zur Ausstellung des bezüglichen Testats
auf die ordentlichen Universitätskliniken beschränkt, und so die
Thätigkeit Traubes fast brach gelegt. Eine Eingabe um Rücknahme
der Verfügung wurde im März 1862 abschlägig beschieden, so dass
Traube nun, im Juni, sein Entlassungsgesuch einreichte. Er hatte
die Genugthuung, fast die gesammte Aerztewelt für ihn Partei
nehmen zu sehen und besonders an von Gräfe einen rührigen Freund
in dieser Angelegenheit zu finden. Im Ministerium sah man, als
Traube überdies eine Berufung nach Zürich an Griesingers Stelle
erhielt, wohl ein, welch eine Lehrkraft man in ihm verlieren würde,
und milderte die Bestimmungen des Rescriptes dahin, dass der
Besuch der propädeutischen Klinik für ein Praktikantensemester
zählen sollte; Traube blieb.
In die Zeit dieser Kränkungen, 1862 — 64, fällt auch der Tod
seines vierjährigen Sohnes, der den schon kranken Mann auf's
Tiefste erschütterte. Die Rückwirkung dieser trüben Zeit auf sein
körperliches Leiden blieb nicht aus; er brachte, dem Rathe guter
Freunde folgend, den Winter 1864 — 65 in Nizza zu, von wo erzwar
geistig frisch, aber nicht völlig gesund, zurückkehrte, um seine
Thätigkeit wieder aufzunehmen. Seine weiteren Arbeiten wurden,
wie seine schriftstellerische Thätigkeit, jetzt häufig durch neue An-
fälle seiner Krankheit unterbrochen, indem er öfter zu seiner Er-
holung Berlin verlassen musste, besonders in den Jahren 1866 — 70.
Im Jahre 1866 erhielt er den Titel eines Geheimen Medicinal-
Rathes, zum ordentlichen Professor an der medicinischen Facultät
der Universität wurde er erst am 24. Februar 1872 ernannt.
Im Jahre 1867 hatte er den Druck seiner Vorlesungen über
„Die Symptome der Krankheiten des Respirations- und Circulations-
apparates" begonnen; den Manen Schönleins, der 1859 seine Thätig-
keit an der Charite aufgegeben hatte, weihte er dieses unvollendet
gebliebene Werk. 1871 erschienen Traubes „Gesammelte Beiträge
zur Pathologie und Physiologie" in drei Bänden, und bis zum Jahre
1875 hatte er die Herausgabe seiner „Gesammelten Werke" voll-
endet. Ein Jahr vorher, am 25. Januar, feierte die Charit^-Direction
das Jubiläum der 25jährigen Thätigkeit Traubes an der Anstalt durch
ein festliches Diner, an dem sich seine Freunde, Collegen und
Schüler betheiligten; keine Geringeren als Helmholtz, der ein Schüler
Traubes war, und Virchow, neben Anderen, priesen dabei seine Ver-
dienste als Forscher, Lehrer und Arzt, An diese Feier schloss sich
im Februar der solenne Commers der Studentenschaft zu Ehren des
berühmten und beliebten Lehrers.
Während dieser letzten Jahre hatte jedoch seine Krankheit
weitere Fortschritte gemacht; er selbst war über die Natur seines
Leidens nicht einen Augenblick im Zweifel und beobachtete sich
selbst mit der kaltblütigsten Genauigkeit*). Seine Körperkräfte
nahmen infolge heftiger Gemüthsbewegungen in den Jahren 1874
und 1875 schnell ab, und als im Januar 1876 seine treue Gattin in das
Grab sank, brach er zusammen. Seine Thätigkeit setzte er jedoch
nur aus, wenn heftige Anfälle sie unmöglich machten. Am i. März
erschien er zum letzten Male in der Charite, in der Mitte dieses
Monats legte er sein Amt als dürigir ender Arzt am jüdischen Kranken-
hause nieder, und am 30. März gab er die Direction seiner Klinik
auf. — "Was er in diesen letzten Jahren an schriftstellerischen Arbeiten
leistete, erschien in der Klinischen Wochenschrift und den Charite-
Annalen. Im Anfang April, zur Zeit der Universitätsferien, genoss
er noch die grosse Freude, viele seiner Schüler, die fern von Berlin
weilten, an seinem Krankenbette zu sehen, und sich mit ihnen, bei
vollem Bewusstsein, unterhalten zu können. Nachdem er am 8. von
den Seinigen Abschied genommen hatte, begann der Verfall der
geistigen Kräfte; am 11. April 1876 hatte er ausgerungen, in einem
Alter von 58 Jahren und 3 Monaten. Zwei Tage später wurde unter
allgemeiner Theilnahme und Trauer sein Leib der märkischen Erde
übergeben.
Will man die Wirkung von Traubes Streben und Forschen kurz
kennzeichnen, so braucht man nur die Namen einiger seiner Schüler
zu nennen, wie etwa Rühle, Munk, Leyden, Cohnheim, Noth-
nagel. Nur derjenige, der neben der Productivität auf dem Ge-
biete seiner Wissenschaft ein wirkliches Lehrtalent besitzt, kann
eine Schule begründen und solche Schüler hervorbringen. Traube
besass bei seiner hervorragenden Begabung und seiner klaren Denk-
weise zwei Eigenschaften, die ihm in hohem Grade den nachhaltigen
Einfluss auf seine Schüler, wenn sie nur gut beanlagt waren, ver-
schafften. Es waren diese einmal seine unerschütterliche Gewissen-
haftigkeit in der Erfüllung der Aufgaben, die an ihn gestellt wurden
oder die er selbst an sich stellte, und der nimmer rastende Fleiss
*) Darüber Leyden in der Anmerkung 28 der Gedächtnissrede S. 34, 35.
132
der ihn immer wieder zu neuen Forschungen antrieb, selbstgefällige
Genügsamkeit in dem schon erlangten Ruf und Ruhm verhinderte
und anregend sowohl, als auch achtunggebietend auf seine Umgebung
wirken musste. Ein Mann, wie der verstorbene Cohnheim, konnte
sich daher, obwohl ihm seine Laufbahn durch seine Stellung am
pathologischen Institut unter Virchows glänzender Leitung vorge-
zeichnet war, doch der fesselnden Persönlichkeit Traubes als Lehrer
nicht entziehen. Er trat in nähere Beziehungen zu ihm und „ein
langer, zu Zeiten fast täglicher Verkehr mit Traube weihte ihn,"
wie uns der Freund Cohnheims, Kühne, in dem von ihm entworfenen
Lebensbild*) erzählt, „zuletzt so sehr in dessen Denkweise ein und
diese schien ihm so fruchtbar zur Aufklärung der krankhaften
Processe, die ihn besonders interessirten, dass man ausser Virchow
Traube als denjenigen bezeichnen muss, der für die Arbeiten Cohn-
hein;s am einflussreichsten geworden ist."
Dass Traube auf dem Gebiete der Brustkrankheiten als dritter
hinter Laennec und Skoda zu stellen ist, sprechen Virchow (S. i) und
Leyden (S. 28) übereinstimmend aus. „Traube ist aber," sagt Leyden,
,weiter gegangen, indem er die Methoden der Physiologie in die
Pathologie hinüber verpflanzte und einer der ersten Begründer der
experimentellen Pathologie in Deutschland war,"
*) Einleitung der „Gesammelten Abhandlungen Cohnheims" ed. Wagner 1885 S. XV.
Schriften Traubes.
Ausser den auf den Seiten 126 — 130 genannten Arbeiten heben
wir folgende hervor:
i) „Die Erstickungserscheinungen am Respirationsapparate". Er-
schienen 1846 im 2. Heft der „Beiträge zur exper. Pathologie",
unvollendet. — Ges. Beitr. I, S. 135 ff.
2) „De motuum inspirationis et normalium causis", Habilitations-
schrift aus dem Jahre 1848.
3) „Ueber den Einfluss der kritischen Tage auf die Wirkung der
antifebrilen Mittel". Im IL Bande der Ges. Beiträge, Abt. I,
S. 689.
4) Zur Lehre von der alkalischen Harngährung". Ges. Beitr. IL Bd.,
Abtheil. 2, S. 664 ff.
5) „Ueber Krisen und kritische Tage". Charite - Annalen 1851.
Ges. Beitr. Bd. II, Abtheil, i, S. 258 ff.
6) ,, lieber den Zusammenhang von Herz- und Nierenkrankheiten"
1856. Ges. Beitr. IL Bd., Abtheil, i, S. 304 ff.
7) „Laryngoskopischer Befund bei Aneurysma des Aortenbogens"
Ges. Beitr. IL Bd, Abtheil, i, S. 505 ff.
8) In den Ch. - Annalen von 1876 die letzten Arbeiten (über
Wirkung des kalten Trunkes, Zugluft u. s. w.).
g) ,, Versuche über die Wirkung der Digitalis". Charite-Annalen
1851. Ges. Beitr. I, S. 190 ff.
10) „Zur Physiologie der vitalen Nerven - Centren". Allg. Med,
Central-Zeitung 1863. Ges. Beitr. I, S. 321 ff.
1 1) ,,Ueber die Wirkung des Kohlenoxydgases auf den Respirations-
und Circulations- Apparat". Ges. Beitr. I, S, 392 ff.
Quellen,
i) Leyden. Gedächtnissrede auf L. Tr. Gehalten bei der von der
Berliner Gesellschaft veranstalteten Gedächtnissfeier. Berlin,
1877. Hirschwald.
2) W. A. Freund. Gedächtnissrede auf L. Tr. Gehalten in der
medicin. Section der Schles. Ges. für vaterl. Cultur. Breslau 1876.
3) Virchow. Zur Erinnerung an L, Tr. Berliner Klinische
Wochenschrift 1876, No. 16.
4) W. Nachruf in derselben Nummer der klin. Wochenschr.
134
Rudolf Leubuseher.
Auch in der Persönlichkeit, deren Leben wir hier zu schildern
beabsichtigen, haben wir einen Förderer der modernen Richtung der
Medicin auf dem Gebiete der Pathologie zu sehen, obschon es diesem
Forscher vom Geschicke nicht vergönnt war, alle Früchte seines
Geistes zur Reife zu bringen.
Am 12. December 1821 wurde Rudolf 'Leubuscher in Breslau
geboren, wo sein Vater, nachdem er als Lieutenant nach den Be-
freiungskriegen aus dem Heere geschieden war, die Stelle eines königl.
Lotterie-Ober-Einnehmers erhalten hatte. Die vortrefflichen Anlagen
des Sohnes zeigten sich schon während des Schulbesuches, der im Jahre
1840 mit dem auf dem Magdalenen-Gymnasium erlangten Reifezeugniss
seinen Abschluss fand. Drei Semester hindurch gehörte Leubuscher als
Student der Medicin der Breslauer Universität an, bis er, nach abge-
legtem Examen philosophicum, Michaelis 1841 nach Berlin zog und,
durch das überaus rege geistige Leben an dieser Alma Mater gefesselt,
daselbst seine Studien vollendete. Seine Dissertation aus dem Jahre
1844 kennzeichnete schon die Richtung, die seine spätere wissen-
schaftliche Thätigkeit fast ausschliesslich inne hielt. Sie führte den
Titel : „De indole hallucinationum in mania religiosa" und zeugt von
dem Einflüsse Idelers, des Leiters der Irrenabtheilung in der Charite,
der dem jungen Mediciner sein Krankenmaterial gern zur Verfügung
gestellt hatte. Leubuscher verdankte es auch den Bemühungen dieses
Mannes, dass er, nach seinem im Jahr 1845 beendeten Staatsexamen,
als zweiter Arzt unter Damerows Leitung an der Provinzial-Irren-
anstalt zu Halle wirken konnte. Er musste allerdings nach 1 J/2 Jahren
diese Stellung aufgeben, um in BerHn seiner Militärpflicht zu genügen.
Aber gerade diese Rückkehr nach Berlin sollte ausserordentlich
bedeutungsvoll für ihn werden, da- sie in eine Zeit grundstürzender
Umwälzungen in der medicinischen Wissenschaft, hervorgerufen
135
durch das Zusammenwirken Traubes, Virchows und Reinhardts,
fiel. Leubuscher, der ja von früher her Beziehungen zur Charite hatte,
musste mit diesen Männern bald bekannt werden und durch den
Umgang mit ihnen in ihre Ideenkreise hineingerathen ; binnen Kurzem
konnte er Virchow und Reinhardt seine Freunde nennen. Im Jahre
1848 gab er mit Virchow zusammen die „Medicinische Reform" her-
aus, an der sich auch Traube als Mitarbeiter betheiligte*), und seine
Freundschaft mit dem der Wissenschaft und dem Freundeskreise
nur zu früh entrissenen Reinhardt bethätigte er, als er dessen „Patho-
logisch-anatomische Untersuchungen" zusammenstellte und, mit einer
Biographie des Verstorbenen versehen, 1852 herausgab. Leubuscher
hatte sich inzwischen, nachdem er sein Jahr als Compagnie-Chirurg
bei der Gardeartillerie abgedient hatte, als Privat-Docent für die
Fächer der Psychiatrie und allgemeinen Pathologie niedergelassen auf
Grund seiner Habilitationsschrift: „Bemerkungen über moral insanity
und ähnliche Krankheitszustände." Während Leubuscher in seinen
ersten Arbeiten, zu denen vor Allem die „Grundzüge der Pathologie
der psychischen Krankheiten", 1848, gehören, den philosophischen,
rein psychologischen Standpunkt einnimmt, hat er später, besonders
in dem 1854 erscheinenden Werke „Pathologie und Therapie der
Gehirnkrankheiten" diese Anschauungsweise zu Gunsten einer
von der Physiologie ausgehenden Betrachtung aufgegeben. Die
schriftstellerische Thätigkeit Leubuschers erstreckte sich übrigens
beinahe lediglich auf das Gebiet der Psychiatrie;; praktisch ist er
jedoch in weiteren Gebieten thätig gewesen. — Als 1848 die Cholera-
epidemie ausgebrochen war, wurde er mit Reinhardt Assistent an
dem von Schütz geleiteten Lazareth und veröffentlichte seine Er-
fahrungen zusammen mit dem Freunde in Virchows „Archiv." Zwei
Jahre danach erhielt er die Direction dieses Spitals von der Sanitäts.
behörde und übernahm gleichzeitig die Gewerksarztstelle bei einem
der grössten Arbeitervereine. Durch diese Thätigkeit lenkte er die
Aufmerksamkeit des Berliner Magistrats auf sich, so dass dieser ihn
im Jahre 1851 zum dirigirenden Arzte am Arbeitshause und an der
Siechenanstalt ernannte. Berichte über diese Anstalten sind von
ihm in der „Deutschen Klinik, 1852 und 53" niedergelegt worden.
So traurig auch — ohne absehbare Aussicht auf Aenderung — die
Zustände an diesen Instituten sein mochten, so bot sich ihm doch
hier die Gelegenheit, seine pathologischen Kenntnisse durch neue
Beobachtungen zu erweitern und vor Allem als Lehrer zu wirken,
da ihm der Magistrat das Halten von klinischen Vorträgen im
Jahre 1853 gestattete. Wohl hatte sich bald nach Antritt des
*) Cf. S. 128 dieses Werkes.
136
städtischen Amtes eine glänzendere Aussicht auf einen ange-
messeneren Beruf ihm eröffnet; aber die Hoffnung erwies sich im
Laufe der Jahre als trügerisch. Sein Ruf als Psychiater nämlich
verschaffte ihm von Seiten der westpreussischen Provinzialstände die
Aufforderung, ihnen bei der Ausarbeitung eines Statuts für die zu
gründende Provinzial-Irrenanstalt behilflich zu sein, und den Auftrag,
in ihrem Interesse ähnliche Anstalten an anderen Orten Deutsch-
lands zu besuchen. Aber seine damit in Verbindung stehende Er-
wartung, an die zu Schwetz im Jahre 1855 zu eröffnende Irrenan-
stalt als Director berufen zu werden, ging nicht in Erfüllung.
Es musste ihm daher als ein in jeder Beziehung annehmbarer
Ersatz für diese getäuschte Hoffnung erscheinen, als er im Jahre 1856
einem Ruf als Director der medicinischen Klinik zu Jena und Mit-
director der Landesheilanstalten Folge leisten konnte. Damit wurde
er zugleich ordentlicher Professor an der Universität und konnte nun
seine bedeutende Lehrfähigkeit entfalten. Leubuscher war in dieser
Wirkungsphäre bis zum Sommer-Semester 1859 thätig, in welchem
er sich genöthigt sah, wegen eines beginnenden Leberleidens das
Entlassungsgesuch bei der Landesregierung einzureichen. Nun wandte
er sich von Neuem, als grossherzoglich-sächsischer Hof- und Medicinal-
rath, nach Berlin, um die ärztliche Praxis wieder aufzunehmen. In
den Lehrkörper der Berliner medicin. Facultät trat er als Professor
ordin. hon. ein und wirkte auch, schon schwer leidend, als Mitglied
der Staatsprüfungscommission für Aerzte. Er hatte sein 40. Lebens?
jähr noch nicht vollendet, als er seinem Leiden am 23. October 1861
zum Opfer fiel.
Von seinen schriftstellerischen Arbeiten, die fast alle die Förderung
der Pathologie und Therapeutik der psychischen Krankheiten zur
Aufgabe haben oder die sociale Stellung der Irren behandeln, wollen
wir noch mit Uebergehung seiner Aufsätze in der „Zeitschrift für
Psychiatrie" folgende nennen:
„Der Wahnsinn in den letzten 4 Jahrhunderten" (nach dem französi-
schen Werke von Calmeil gearbeitet).
„Ueber die Wehrwölfe und Thierverwandlungen im Mittelalter.
Ein Beitrag zur Geschichte der Psychologie." Berlin 1850.
,,Ueber die Entstehung der Sinnestäuschungen. Ein Beitrag zur
Anthropologie" 1854.
und seine gediegene Leistung:
„Die Krankheiten des Nervensystems" 1860 (ursprünglich ein Theil
der „Medicin. Klinik 1859 — 60").
137
Quellen.
Allgem. Deutsche Biographie. Bd. XVIII. S. 472. Hier ist auch
eine Würdigung der wissenschaftlichen Bedeutung L's. gegeben.
Biograph. Lexicon hervorragend. Aerzte. 1886, Bd. III. S. 685.
Der betreffende Artikel dieses Werkes weicht in einigen An-
gaben von der vorher genannten Quelle ab.
Dr. J. Günther: Lebensskizzen der Professoren der Universität
Jena seit 1558 bis 1858. S. 157 f. Jena 1858. Dieses biographische
Werk erschien zur Feier des dreihundertjährigen Bestehens der
Universität Jena.
138
Hugo Rühle.
J eder ältere Breslauer Arzt hat es noch in lebhafter Erinnerung
und kann davon Zeugniss ablegen, welch' mächtigen Aufschwung
an der Breslauer Universität die medicinische Wissenschaft, speciell
die innere Medicin und deren klinischer Unterricht in den fünf-
ziger Jahren erfuhren, welch' bedeutende Anziehung unsere Alma
Mater auf alle Studirenden der Medicin ausübte , als Fr. Th. von
Frerichs die Leitung der medicinischen Klinik im Jahre 1852
übernahm und in dieser Stellung 7 Jahre lang mit glänzendem Er-
folge wirkte. Vollste Wahrheit enthält daher auch die von berufenster
Seite erhobene Behauptung, dass „die Breslauer Klinik von 1852 — 59
unter Leitung von Frerichs schwerlich ihres Gleichen in Deutschland
hatte." Derjenige, der dieses Urtheil fällte, war selbst Zeuge der
Thätigkeit Frerichs, war einer seiner eifrigsten Schüler und selbst
einer der trefflichsten Kliniker in unserem Vaterlande, bis ihn der
Tod im vergangenen Jahr von seinem irdischen Wirken abrief; es
war Hugo Rühle, ein Kind unserer Provinz, der er mehr als ein
Decennium seiner Thätigkeit gewidmet hat.
In Liegnitz, wo sein Vater als Landrentmeister lebte, wurde
Hugo Rühle am 12. September 1824 geboren, und auf dem Gymnasium
dieser Stadt erhielt er seine Vorbildung, die er Ostern 1842 im Alter
von 18 Jahren abschloss. Um Medicin zu studiren, wandte er sich
nunmehr nach Berlin, wo damals Joh. Müller durch seine Vorlesungen
über Physiologie seine Hörer bezauberte und seit Kurzem Schönlein
einen neuen Anziehungspunkt bildete. Doch nicht der Einfluss dieser
beiden Männer war es, der Rühle seine ganze Studienzeit hindurch an
die Berliner Hochschule fesselte, sondern eine liebgewordene, rastlos
thätige und anregende Freundesschaar , deren Zierden L. Traube,
Vircho w und Reinhardt hiessen. Ganz besonders wichtig wurde für
ihn der Verkehr mit dem 6 Jahre älteren Traube, an dessen Cursus in
der Auscultation und Percussion er als einer der ersten Schüler
Traubes theilnahm, und dem er später bei seinen ersten Experimenten
an Thieren assistirte*). So wurde Riihle in die einen Umschwung
der medicinischen Wissenschaft bedeutenden Bestrebungen jener
ebengenannten Männer hineingezogen, welche in die Forschung auf
dem Gebiete der Medicin die Hilfsmittel der exacten Naturwissen-
schaften einführten und der Medicin selbst eine naturwissenschaftliche
Basis gaben, um in derselben zu feststehenden Resultaten, zu That-
sachen zu gelangen; unter solchen Zeichen konnte dann die moderne
Medicin von Sieg zu Sieg geführt werden. In dieser reformatorischen
Aufgabe fanden die jungen, selbständig denkenden und forschenden
Berliner JNIediciner bald einen ganz vortrefflichen Mitarbeiter in dem
damals in Göttingen thätigen, jugendlichen Frerichs, der in den
exacten Naturwissenschaften ebenso, wie in der Medicin, bewandert
war und, als der zweite bedeutende Lehrer Rühles, unsern Lands-
mann in einer für die Zukunft entscheidenden Weise für den Beruf
des Klinikers einnahm.
In der klassischen Vorrede der „Beiträge zur experimentellen
Pathologie" aus dem Jahre 1846 hat Traube den Standpunkt dieser
neuen Schule in der Medicin scharf gekennzeichnet. „Wir verlangen,"
sagt er im Anfang, ,,wie in den anderen Naturwissenschaften, auch
hier den Nachweis des wirklichen Zusammenhanges der Er-
scheinungen; denn dieser allein ist das Wissenswerthe; statt dessen
setzt man uns weitläufig auseinander, wie die Dinge möglicher-
weise zusammenhängen. Um aus diesem Labyrinth zu kommen,
das täglich grösser wird . . . . , sehen wir nur einen Ausweg, ein
Mittel, welches die verwandten Naturwissenschaften aus gleichem
Zustand befreit hat. Es ist das zu der passiven Beobachtung hinzu-
getretene Experiment, welches auch die Pathologie zu dem, was
sie werden soll, zu einer exacten Naturwissenschaft machen kann".
Nach diesem Programm lieferte Kühle seine gediegene Dissertation :
„Ueber den Antheil des Magens beim Mechanismus des Erbrechens,"
welche im ersten Heft der „Beiträge" erschien. Fünf Jahre später,
1851, veröffentlichte Frerichs von Kiel aus seine Monographie: „Die
Bright'sche Nierenkrankheit und deren Behandlung" und sprach sich
in der Vorrede dazu, durchaus selbständig, über die Reform der
medicinischen Wissenschaft dahin aus, „dass für die Pathologie nur
dann eine bessere Zukunft blühe, wenn bei ihrer Bearbeitung der-
selbe Weg nüchterner Beobachtung und streng logischer Induction,
welcher die exacten Naturwissenschaften zu ihren Erfolgen führte,
ängstlich eingehalten würde .... Die Aufgabe des Klinikers wird
es sein, die Materialien nach diesen Grundsätzen zu verarbeiten."
*) Cf. Leyden: Gedächtnissrede auf L.Traube, S. 11 — 14 Berlin, 1876 und S. 127
dieses AVerkes.
140
In welch glänzender Weise Frerichs diese Anschauungen bethätigte,
hat uns Rühle aus der Breslauer Lehrthätigkeit desselben überHefert.
Inzwischen hatte Rühle sein Staatsexamen Anfang 1847 absol-
virt und noch ein Jahr den medicinischen Studien in Berlin obge-
legen. Das Jahr darauf begann seine praktische Thätigkeit in seiner
Heimatprovinz Schlesien. Als die Typhusepidemie in Ober-Schlesien
wüthete, eilte er aus freiem Antriebe dahin und widmete sich mit
seiner ganzen Kraft dem ärztlichen Berufe in dem Masse, dass er
zuletzt selbst von der Krankheit ergriffen wurde und sich noch
Monate lang, nachdem er ausser aller. Gefahr war, nicht recht von
dem Anfall erholt hatte. Unmittelbar darauf war er schon wieder,
furchtlos und opferbereit, in einem Choleralazareth in Breslau thätig,
bis ihn der Magistrat der Stadt zum Bezirksarzt der Ohlauer Vor-
stadt auf die Petition der Bezirks-Armen hin wählte. Doch musste
er diese Thätigkeit unterbrechen, um im Sommer 184g und Winter
1850 seiner Militärpflicht zu genügen. Im Sommer 1851 trat er in die
Stellung eines Assistenzarztes an der inneren Abtheilung des städtischen
Allerheiligen-Hospitals ein, aus der er bald zu der eines Secundär-
arztes aufrückte. — Die vorzüglichste Gelegenheit, seine Kenntnisse
zu bereichern und sich in allen Zweigen seiner Wissenschaft auf's
gründlichste auszubilden, erhielt Rühle hier, als Frerichs die könig-
lich medicinische KHnik in Breslau übernahm , die Einverleibung
derselben in das städtische Allerheiligen -Hospital auf Grund eines
Vertrages zwischen dem Ministerium und der Stadtverwaltung durch-
setzte und Rühle zum Assistenzarzt der stationären Klinik machte.
Das neue wissenschaftliche Leben, das sich nunmehr unter Frerichs
erstaunlicher Thätigkeit hier entfaltete, hat Rühle selbst in warmen
durchaus zutreffenden Worten gelegentlich des Jubiläums von des
Meisters fünfundzwanzigjähriger Thätigkeit in Berlin charakterisirt.
Die besonderen, bis dahin existirenden klinischen Institute Breslaus
waren unbedeutend und litten unter den mangelhaften Einrichtungen,
wenngleich Krankenmaterial genug vorhanden war. Für die medi-
cinische Klinik änderte sich dieser Zustand mit einem Schlage durch
Frerichs Energie, Lehrtalent -und wissenschaftliche Bedeutung. Er
hatte die unbeschränkte Disposition über das Krankenmaterial der
inneren Station des Hospitals, als die Klinik daselbst im Sommer 1852
eröffnet wurde. Er machte anfangs selbst alle Sectionen, bis ihm
Rühle diese Thätigkeit, die er selbst schon im Hospital, später als
Prosector, ausgeübt hatte, abnahm. Das reiche Material an Kranken
sowohl, als auch an Leichen konnte die klinischen Vorträge Frerichs,
sowie die Vorlesungen über specielle Pathologie und Therapie nur
instructiver und anregender gestalten. Die Bedeutung seiner Er-
örterungen am Krankenbette wurde gehoben durch seine Redegabe,
durch das Talent schneller und sicherer Beobachtung, durch seine
umfassenden Kenntnisse in der Chemie, Physiologie und pathologi-
schen Anatomie, — Kenntnisse, die er bei seinem vorzüglichen Ge-
dächtnisse jeder Zeit bereit hatte. Seine Ausführungen knüpften an
die einfachsten Krankheitserscheinungen ebenso eingehend an, wie
an die schwierigeren und complicirteren. Mit der Klinik waren ver-
bunden ein Auditorium, einige Zimmer für das chemisch-mikroskopische
Laboratorium und 4 Krankensäle, an deren Besuch sich unmittelbar
eine im Auditorium abgehaltene Poliklinik anschloss. Die Zuhörer-
schaft setzte sich zusammen aus den Studirenden, den Hospital- und
Assistenzärzten, den praktischen Medicinern der Stadt; oft kamen
berühmte, auswärtige Mediciner, um Frerichs zu hören und zu sehen.
Die Richtigkeit der Rühleschen Schilderung, die ich hier kurz
skizzirt habe, kann ich, der ich als älterer Arzt an den Vorlesungen
Frerichs und seinem klinischen Unterricht, so oft es meine Zeit er-
laubte, theilnahm und mit Frerichs in freundschaftlichem Verkehr
stand, nur vollinhaltlich bestätigen. Rühle selbst, bei dem ich einen
Privatcursiis in der Auscultation und Percussion nahm, hatte seit
dem Jahre 1853 die Vorlesungen in den Hilfsfächern, wie pathologische
Anatomie, physikalische Diagnostik u. s. w. übernommen, nachdem
er sich 1852 an der Universität mit einer Arbeit; ,,Ueber die Höhlen-
bildung in tuberkulösen Lungen" als Privatdocent habilitirt hatte.
Fünf Jahre ist er unter Frerichs Leitung an der Klinik thätig ge-
wesen, bis er im Jahre 1857 Primärarzt am Hospital wurde. In
demselben Jahre erhielt er an der Universität eine ausserordentliche
Professur mit dem Auftrage, Materia medica zu lesen. Als Frerichs
1859 dem Rufe nach Berlin Folge leistete, bekam Rühle zunächst
die Stellvertretung in der Klinik; aber die Leitung derselben wurde
bald darauf Lebert übertragen, während Rühle zum Ordinariat ge-
langte und zum Director der von der medicinischen Klinik getrennten
Poliklinik ernannt wurde. Doch schon im nächsten Jahre nahm er
einen ehrenvollen Ruf an die Klinik nach Greifs wald an^, wo er
Niemeyer ersetzen sollte.
Als Rühle nun Breslau verliess, nahm er in seine neue Stellung
einen reichen Wissensschatz, die vortreffliche Ausbildung für den
klinischen Beruf und die Sympathien Aller, die mit ihm in Berührung
gekommen waren, mit. In unserer Stadt hat er ferner sein häus-
Hches Glück begründet, das zur Entfaltung seiner geselligen Talente
und seiner persönlichen Liebenswürdigkeit so viel beitrug. Am
Krankenbette ihres Bruders, der im Hospital am Typhus schwer
daniederlag und zu dessen Pflege die Schwester aus Schleswig her-
beigeeilt war, lernte er seine künftige Lebensgefährtin kennen. Sie
schuf ihm ein beglückendes Heim, in dem er vielleicht ebenso an-
142
regend, wie ausserhalb desselben, zu wirken Gelegenheit hatte und
seinen privaten Neigungen, vor Allem der für Musik, nachgehen konnte.
Die Stellung in Greifswald hat Rühle, segensreich wirkend, vier
Jahre lang bekleidet, und in dieser Zeit (1861) veröffentlichte er sein
Werk über „Kehlkopfkrankheiten", hinsichtlich dessen Leyden ur-
theilt, dass „es zwar durch die bald darauf folgende Entdeckung des
Kehlkopfspiegels überholt wurde, aber doch die Grundlage für die
specielle und selbständige Behandlung dieses Capitels der Pathologie
geworden ist." Im Jahre 1864 siedelte er, dorthin berufen, an die
rheinische Hochschule Bonn über, der er all sein Können als
Kliniker von nun an widmete. Die umfassende Thätigkeit, die er
hier erst in den „alten, einfachen Räumen des Universitätsgebätides",
seit 1882 in dem neu errichteten Institute für die innere Klinik ent-
wickelte, hat ihm den Ruf eines der trefflichsten klinischen Lehrer
eingetragen. In seinem Unterricht war er von ausserordentlicher
Vielseitigkeit nach dem Vorbilde Frerichs; er verschloss sich gegen
keinen Fortschritt der neueren Medicin, sondern Hess jeder neuen
Errungenschaft in seinen Vorträgen den gebührenden Platz und den
ihr zukommenden Werth. Vermöge seiner persönlichen Liebens-
würdigkeit, gepaart mit der Sicherheit seines Wesens und einem
bedeutenden Wissen, erfreute er sich der gleichen Beliebtheit und
des gleichen Ansehens bei den Universitätscollegen, bei den ihn con-
sultirenden Aerzten besonders aus den Rheinlanden, bei den Studenten
und dem grösseren Publikum. An allen wissenschaftlichen Be-
strebungen der medicinischen Welt nahm er regsten Antheil; auf
den Congressen für innere Medicin, die er wesentlich mitgefördert
hat, war er eins der gerngesehensten Mitglieder. Ein Ausdruck für
seine Beliebtheit an der Universität war die einstimmig erfolgende
Wahl zum Rector 1881, und als schwere Erkrankung ihn in den
letzten Jahren zwang, Heilung im Süden zu suchen, wurde ihm bei
seiner Rückkehr von der Riviera im Jahre 1886 durch seine Schüler,
die auch früher schon häufig von ihrer Verehrung für den Lehrer
Zeugniss abgelegt hatten, ein feierlicher Empfang bereitet. Dass
Rühle in dieser Periode auch schriftstellerisch thätig war, ist bei
einem Kliniker wohl selbstverständlich. Ein grösseres, sein ge-
diegenstes Werk gehört seiner Bonner Zeit an: „Die Klinik der
Lungentuberkulose", welches einen Theil von Ziemssens Hand-
buch bildet und 1887 in dritter Auflage erschien.
In eben diesem Jahre konnten ihn die Mitglieder des Congresses
für innere Medicin, an dem er vorher zwei Mal lebhaft vermisst
worden war, als einen anscheinend Genesenen begrüssen, und die
Freude über seine Frische und Lebhaftigkeit war allgemein, da sie
noch auf eine Reihe von Jahren gemeinsamen Wirkens Hoffnung
143
erwecken mussten. Doch, Allen unvermuthet, raffte ihn eine wenige
Wochen währende Krankheit am ii. Juli 1888 dahin und riss eine
neue Lücke in die Reihen der beliebtesten klinischen Lehrer. Resu-
miren wir das, was wir von Rühle genau kennen, so war er das
nicht, was man gemeinhin einen gelehrten Professor nennt, wohl
aber besass er eine Lehrfähigkeit, in der er viele seiner Standes-
collegen übertraf, besonders im Gebiete der Respirationskrankheiten.
Quellen.
Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. XV. Heft i und 2.
Leydens Nekrolog auf Rühle.
Münchener Medicinische Wochenschrift. Nr. 35. Nekrolog.
Zeitschrift für klinische Medicin. Bd. VIL Supplement.
Jubiläumsfestschrift für Frerichs. 1884. Aufsatz Rühles über
„Die medicinische Klinik in Breslau unter Leitung des Herrn
Professor Dr. Fr. Th. Frerichs."
Biograph. Lexicon hervorragender Aerzte Bd. V. S. 114. „Rühle,"
von Wernich bearbeitet.
144
Albreeht Theodor Middeldorpf.
IViit dem Namen Middeldorpf ist die fortschrittliche Entwickelung
der Chirurgie unseres Jahrhunderts unmittelbar verknüpft. Die
grossartigsten technischen Erfindungen, die geradezu erstaunlichen
Operationsmethoden, die uns bisher fast unüberwindliche Schwierig-
keiten mit Leichtigkeit überwinden Hessen — - wir nennen vor allem
die Galvanokaustik — sie sind ein Werk des unvergesslichen Middel-
dorpf. Nur ein so ingeniöser, mit den herrlichsten Gaben ausge-
statteter Kopf wie dieser war im Stande, aus eigenster Kraft, auf
Grund tiefernsten beharrlichen Fleisses und nie ermüdenden
Forschungseifers durchaus neue operative Wege zu bahnen, aus
denen für die leidende Menschheit unermesslicher Segen erwuchs,
die seine Fachgenossen zur Begeisterung veranlassten.
Der immerhin enge Rahmen einer Biographie, die uns Middel-
dorpf wiederum vergegenwärtigen soll, schliesst leider die Möglich-
keit aus, die Periode seines Schaffens in ihrem ganzen Umfange
vor Augen zu führen. Wir sind zufrieden, wenn es uns gelingt,
wenigstens in den Grundzügen einen Ueberblick über das ereig-niss-
reiche Leben dieses wunderbaren Mannes, der so früh schon seiner
Thätigkeit entrissen wurde, zu geben,
Middeldorpf*) verlebte seine Jugend in den denkbar günstigsten
Verhältnissen. Er wurde am 3. Juli 1824 zu Breslau geboren als
Sohn des hochangesehenen Oberconsistorialrathes und Professors
an der Universität zu Breslau, Dr. theolog. Heinrich Middeldorpf,
eines durch Geist und Charakter gleich ausgezeichneten Gelehrten,
welcher mit einer glänzenden Redegabe ausgebreitete Kenntnisse
in den orientalischen Sprachen verband und in Folge dessen als
") Die ausführlichste in dem Langenbeckschen Archiv für klinische Chirurgie nieder-
gelegte treffliche Biographie Middeldorpfs stammt aus der Feder des Geheimen Medicinalraths
Prof. Dr. Klopsch. Auch der belcannte Molierist Dr. med. H. Schweitzer, mit dem Middel-
dorpf innig befreundet war, hat sein Leben, wenn auch nur für einen engeren Kreis in einer
sehr eingehenden Monographie geschildert.
wissenschaftliche Capacität galt. Trotz einer zahlreichen Familie,
der unser Middeldorpf als vorletztes Mitglied angehörte, machte es
sich sein Vater unter treuem Beistande seiner hochgebildeten Ehe-
gattin, Middeldorpfs Mutter, einer geborenen Schiller, zur Lebens-
aufgabe, jedem einzelnen seiner Kinder eine standesgemässe und
würdige Erziehung angedeihen zu lassen. Middeldorpf hat es nie
vergessen, was seine Eltern für ihn gethan; er kannte kein höheres
Glück, als das edle Beispiel seines Vaters nachzuahmen, der ihm
stets als Ideal in seinem Thun und Lassen vorschwebte, und als
dieser das Zeitliche segnete, fand seine unbegrenzte kindliche Liebe
darin ihren Ausdruck, dass er ein goldenes Armband mit dessen
Locke für immer bei sich führte.
Mit dem 8. Lebensjahre bezog Albrecht Middeldorpf das König-
liche Friedrichs-Gymnasium zu Breslau. Was ihn hier insbesondere
fesselte, war nicht das klassische Alterthum in seinen verschiedenen
Zweigen, weder Geschichte, noch Literatur, noch Sprachen; sein
Interesse nahmen allein naturwissenschaftliche Studien in Anspruch.
Schon frühzeitig betrat er das Gebiet, aus dem später eine so unver-
gleichlich wichtige Entdeckung hervorgehen sollte. Die Beschäftigung
mit Botanik, Zoologie, Mineralogie, Chemie, Physik gewährte ihm
unsägliches Vergnügen, weil er hier auch praktisch thätig sein konnte,
und er scheute sich in der That nicht, gewöhnliche Werkstätten
aufzusuchen, um sich in der Kunst der Technik zu üben. Zu Ende
des Jahres 1842, nach wohl bestandener Reifeprüfung, wurde Middel-
dorpf bei ^er medicinischen Facultät der Universität Breslau imma-
trikulirt. Dieser gehörte er drei Jahre hindurch an.
Seine vorzügliche Begabung lehrte ihn, die kurze Studienzeit in
vollstem Masse auszunutzen; wies doch gerade Breslau zu dieser Zeit
hochbedeutende Lehrkräfte auf, wie Otto, Purkinje, Duflos, Göppert,
Nees von Esenbeck u. A., die dem strebsamen Jüngling hilfreich
zur Hand waren und ihn der wissenschaftlichen Laufbahn entgegen-
führten.
Middeldorpf wählte zunächst die Physiologie zu seinem Special-
Studium. Unter der kundigen Leitung des geistreichen Purkinje,
jenes grossen Denkers, dem das nicht hoch genug zu schätzende
Verdienst gebührt^ das erste physiologische Institut in Deutschland
gegründet zu haben, gewann er einen tieferen Einblick in das Wesen
dieser Wissenschaft unter Zugrundelegung mikroskopischer und
physikalisch chemischer Untersuchungen, und er empfand eine um
so innigere Freude an dieser Thätigkeit, als er seine bisher ge-
sammelten naturwissenschaftlichen Erfahrungen verwerthen konnte.
Diese seine Kenntnisse glaubte er in Berlin, wo medicinische
Autoritäten wie Johannes Müller lebten und lehrten, nach ver-
I4Ö
schiedenen Richtungen vervollkommnen zu können. Von dem
innigsten Dankesgefühle für seinen Lehrer Purkinje, der ihn so sehr
lieb hatte, beseelt, wanderte Middeldorpf zu Ende des Jahres 1845
nach Berlin. Bevor wir ihm dahin folgen, wollen wir hier einer
Episode Erwähnung thun, die, in mannigfacher Hinsicht bemerkens-
werth, ihm später mancherlei Auszeichnungen und Annehmlichkeiten
eingetragen.
Als nämlich 1843 ein vornehmer Gast, der bedeutende Orni-
thologe Charles Bonaparte, Prinz von Canino, dem Breslauer zoologi-
schen Museum einen Besuch abstattete, wandte er sich an den
Vorsteher desselben mit der Bitte, ihm, da er mit der deutschen
Sprache nicht vertraut sei, einen sowohl in der französichen Sprache
wie in der Naturkunde bewanderten Führer zu überweisen, der ihm
über alle Sehenswürdigkeiten entsprechende Aufklärung geben könnte.
Dieses Amt übernahm ein blutjunger Student, unser später so be-
rühmter Middeldorpf. Er entledigte sich desselben mit einer solchen
Geschicklichkeit, dass der Prinz am Schluss der Wanderung äusserte:
„Ganz wie ich es gewünscht! Nun lassen sie mich die Zeit,
die Sie mir eben eingebracht, auf's Angenehmste verwenden. Es
ist gerade Mittagszeit, kommen Sie mit mir in's Hotel und speisen
Sie mit mir."
]\Iiddeldorpf lehnte sein freundliches Anerbieten ab anlässlich
des Geburtstages seines Vaters und zeigte ihm als Beweis eine von
ihm selbst gedrechselte Dose, die er als Geschenk überreichen wollte.
Dies erregte von Neuem die Bewunderung des Prinzen. Schliesslich
erkundigte sich dieser unter innigsten Dankesbezeugungen nach dem
Namen seines Cicerone und schrieb in sein Notizbuch: „Albrecht
Middeldorpf, ornithologue d' avenir et tourneur en bois assez habile."
1856, also nach 13 Jahren, fand eine zweite Begegnung zwischen
Beiden statt und zwar in Paris, woselbst Middeldorpf einer seitens
des Prinzen an ihn ergangenen Einladung Folge leistete.
Dieses Zusammentreffen sowohl, wie überhaupt Middeldorpfs
Aufenthalt in Paris soll später noch Gegenstand der Darstellung
werden. Middeldorpf verweilte nur ein Jahr in Berlin, doch wurde
er in vollstem Masse des Lichtes theilhaftig, das von den hell-
leuchtendsten Sternen ausging, von Johannes Müller und Dieffenbach.
Letzterem mag wohl auch ein entscheidender Einfluss auf jNIiddeldorpfs
späteren Beruf zuzuschreiben sein. Die Frucht seiner angestrengten
Thätigkeit war die Dissertation „De glandulis Brunnianis", durch
welche er sich den Doctorgrad von der Universität erwarb. Diese
Arbeit ist deshalb von so hohem Werthe, weil sie ein bisher unbe-
kanntes Gebiet behandelt, die Muskeln der Darmschleimhaut von
147
Menschen und Thieren, ihre anatomische Anordnung, chemische
Qualität und Betheiligung am Verdauungsacte nebst den Erkran-
kungen der Darmdrüsen, während sie andererseits Middeldorpfs
reifes kritisches Urtheil in wissenschaftlichen Fragen klar und deut-
lich zu Tage treten lässt.
Bis zum Jahre 1847, in welcher Zeit er das medicinische Staats-
examen absolvirte, fungirte er als Assistent in Purkinjes physiologi-
schem Institut. Wie früher, der Sitte gemäss, jüngere Gelehrte
Italien aufsuchten, um in diesem klassischen Lande unter den Aug-en
der grössten Capacitäten ihren Specialstudien zu obliegen, so trat
nun auch Middeldorpf, zumal er in recht glücklichen äusseren Ver-
hältnissen lebte, die Reise nach den bedeutendsten Universitäts-
städten des Auslandes an, er besuchte auf seiner Fahrt Wien, Paris
und London, unermüdlich im Hören und Lernen, und kehrte über
Berlin, das, da gerade die Revolution ihren Höhepunkt erreicht
hatte, ihm hinreichende Gelegenheit bot, seine chirurgische Hand-
fertigkeit zu beweisen, 1848 nach seiner Heimatstadt Breslau zurück.
Seine Aufmerksamkeit galt jetzt namentlich der Chirurgie. Dafür
war gerade Breslau, wie wenig andere Städte, mit seinem ungeheuren
sowohl aus der Stadt selbst, wie aus der Provinz sich rekrutirenden
chirurgischen Material der rechte Ort. Es war daher für Middel-
dorpf bei seiner herrlichen Begabung ein Leichtes, durch fleissigen
Besuch der Hospitäler, insbesondere des Klosters der barmherzigen
Brüder, der Elisabethinerinnen und des Allerheiligen-Hospitals, in
denen so vorzügliche Aerzte thätig waren, sich auf chirurgischem
Gebiete in die Höhe zu arbeiten. Nebenbei gründete er zusammen
mit Klose, Paul und Günsburg den Verein für physiologische Heil-
kunde, als dessen Secretär er im Günsburgschen Journal einen
Commissionsbericht über den „Namen und das Wesen der Entzündung"
veröffentlichte, welcher vermöge seiner ingeniösen Ideen allgemeines
Aufsehen erregte. Seine Thätigkeit wurde eine noch viel umfassendere,
als bald darauf die Cholera in furchtbar verheerender Weise auf
trat und Noth und Elend über seine Heimatstadt brachte. Ob-
wohl er mit bewunderungswürdiger Energie und Ausdauer in dieser
schweren Zeit seinem Berufe nachging, fand er doch noch zu
wissenschaftlichen Untersuchungen Zeit, welche sich auf die Ver-
minderung des Wassergehaltes der Muskeln, den Eiweissgehalt des
Erbrochenen und der Stühle, des Urins u. s. w. der von der Cholera
Befallenen erstreckten und später in F. Günsburgs „Zeitschrift für
klinische Medicin" niedergelegt wurden. Es darf durchaus nicht
Wunder nehmen, dass man bestrebt war, einen so geistreichen wie
fleissigen Arzt an Breslau und seine Krankenhäuser zu fesseln. So
wurde er Assistenzarzt an der unter Professor Remer stehenden
10*
148
chirurgischen Abtheilung des AllerheiUgen Hospitals, und die Zeit,
während welcher er diesen Posten bekleidete, war für das Hospital
sowohl wie für die chirurgische Wissenschaft überhaupt eine äusserst
segensreiche. Binnen weniger Zeit erschienen hinter einander eine
Reihe von Publicationen kleineren und grösseren Umfangs: erstere
in dem von B. Langenbeck herausgegebenen Archiv für klinische
Chirurgie z. B. „über die umschlungene Naht", „über am Damm
auszuführende Steinoperationen" „über Luxationen" „über Enchon-
drome'S u. a. Von den grösseren Arbeiten ist hervorzuheben die
Schrift: „Ueber die Veränderung der Knochen und Knorpel in
der Peritonealhöhle lebender Thiere" und sein „Ueberblick über
die Akidopeirastik , eine neue Untersuchungsmethode mit Hilfe
spitziger Werkzeuge" in Günsburg's Zeitschrift VIII. Gerade dieses
Werkchen war wohl geeignet , in der gesammten chirurgischen
Welt ein verdientes Aufsehen zu erregen. Middeldorpf hatte damit
die immer noch auf schwachen Füssen befindlichen diagnostischen
Kenntnisse wesentlich bereichert, indem er lehrte, wie man mit
Hilfe feiner Carlsbader Insectennadeln , Explorativbohrern und
Troicarts einerseits über tiefer gelegene pathologische Zustände,
mochten sie Weichtheile oder Knochen betreffen, durch Tasten und
Fühlen sich orientiren, und wie man andererseits durch genaue
mikroskopische Untersuchungen entnommener Exsudattröpfchen be-
reits zur Diagnose übergehen könnte, und zwar alles dies ohne Ge-
fahr für den Patienten, da die Instrumente nur kleine, sich augen-
blicklich wieder schliessende , mehr subcutane Wunden erzeugten.
Mit der Akidopeirastik stand auch die forensisch nicht unwichtige
Acupunctur des Herzens im Zusammenhang, welche uns mehr als
die Auscultation die Gewissheit, resp. die Diagnose des Todes
nahe legt.
Das zweite grössere Werk, dem wir uns zuwenden, das uns einen
klassischen Beweis seines Scharfsinns, seines immensen Fleisses mit
beredten Worten abgiebt, handelt über „Fracturen". Er begann das-
selbe unter Alter's Leitung und führte es unter dessen Nachfolger, dem
vorher erwähnten Remer, welcher letztere Stelle seit 1850 inne hatte^
zur Vollendung. Mit dessen erstem Theile habilitirte er sich 1862
als Privatdocent für Chirurgie an hiesiger Universität. Das seinem
Schwiegervater dedicirte Gesammtwerk erschien 1853 unter dem
Titel: „Beiträge zur Lehre von den Knochenbrüchen." Nachdem
er darin im allgemeinen Theil die aetiologischen Verhältnisse, die
verschiedenen Formen der Knochenbrüche, ihre Symptome und Ver-
laufsarten, die Diagnose und Prognose sowie die hauptsächlichsten
therapeutischen Principien geschildert, erörtert er im speciellen Theil
jede einzelne Fractur für sich in allen ihren Beziehungen und Com-
149
plicationen nebst Behandlungsmethoden auf Grund einer grossen An-
zahl von Beobachtungen, welche er während einer mehrjährigen
chirurgischen Thätigkeit zu machen Gelegenheit hatte, ein wahrhafter
Schatz von Lehren und Rathschlägen, welche auch die moderne
Chirurgie noch nicht ganz zu verdrängen gewusst hat.
Inmitten all dieser Aufgaben, trotz seiner angestrengten Berufs-
pflicht, hielt Middeldorpf unentwegt vornehmlich seit dem Jahre 1851
ein Ziel im Auge, das, ausgehend von der Absicht, den electrischen
Strom als therapeutisches Hilfsmittel zu allgemeinen Zwecken zu be-
nützen, gewissermassen sein ganzes Leben ausfüllte.
Allerdings hatte bereits früher schon 1807 Humphry Davy ähn-
liche Versuche angestellt, die erwünschte Wirkung war jedoch aus-
geblieben; die Elektricität hatte in Folge dessen bisher eine nur
sehr beschränkte Anwendung erfahren; sie vermochte allein auf dem
Gebiet der Zahnheilkunde festere Wurzeln zu fassen.
Middeldorpf, der im Besitze vorzüglicher technischer Begabung
seine chirurgischen Kenntnisse mit den naturwissenschaftlichen zu
schönster Harmonie zu verbinden verstand, war es vorbehalten, die
Wissenschaft mit einem neuen therapeutischen Apparat zu bereichem,
der den elektrischen Strom zur Grundlage hatte.
Aber es galt da ungeheure Schwierigkeiten zu überwinden, wenn
auch vielleicht der Plan in Umrissen fertig dastand, was waren nicht
für Kenntnisse auf rein technischem, instrumentellem Gebiete nöthig,
welche Unzahl von experimentellen Versuchen war erforderlich, um
die Methode in ihren verschiedentlichen Wirkungen zu prüfen!
Gelang es, so lohnte der Erfolg tausendfach die angewandte
Mühe, sollte doch ein Operationsverfahren entstehen, das sich durch
drei Cardinaltugenden auszeichnete, einmal durch Schmerzlosigkeit
und Schnelligkeit, das andere Mal durch Verwendbarkeit an Stellen,
zu denen bisher das Messer nicht hatte vordringen können, und
schliesslich durch Verhinderung von Blutungen.
Unter Anleitung der berühmten Physiker Kirchhoff und Marbach
vertiefte er sich in die Wirkungen der galvanischen Glühhitze, übte
sich in der Construction von Batterien und Instrumenten, welche ihm
gestatten sollten, von allen möglichen Positionen aus und an den
verschiedensten Körperstellen zu operiren und prüfte sein Werk an
thierischen Geweben, wobei ihm seine unter Purkinje und Johannes
ISIüller gesammelten physiologischen Kenntnisse sehr zu gute kamen.
So ging er allmählich seinem Ziele näher; schon 1853, nach
zwei Jahren mühseligster Arbeit, konnte er es wagen, seine wahr-
haft grossartig angelegte Idee praktisch zu verwerthen. Die „gal-
vanokaustische Scheideschlinge", die so eben das Licht der Welt
erblickt, sollte nunmehr Proben ihrer Leistungsfähigkeit abgeben, die
I50
ihr den Weg in die OefFentlichkeit zu erleichtern bestimmt waren.
Der geschätzten Freundschaft seines Collegen Middeldorpf hatte es
der A'^erfasser zu danken, dass es ihm nebst Frerichs und dem noch
lebenden Geheim-Rath Dr. Valentiner, Badearzt in Salzbrunn, vergönnt
war, der ersten derartigen an dem Pastor Moese aus Langwaltersdorf
ausgeführten Operation beiwohnen zu können. Der Eingriff — es
handelte sich um einen Kehlkopfpolypen — war ein glücklicher,
der Erfolg geradezu frappant, lebenrettend. Der Galvanokaustik
waren dadurch Thür und Thor geöffnet, im Fluge hatte sich Mid-
deldorpf die vollste Anerkennung seiner Fachgenossen erworben.
Die seinem neuen Operationsverfahren zu Grunde liegenden Prin-
cipien sowie die im Verlaufe weniger Monate gemachten Erfahrungen
legte Middeldorpf in dem 1854 erschienenen, Bernhard Langenbeck
gewidmeten grössern AVerke nieder, welches den Titel führt : „Die
Galvanokaustik, ein Beitrag zur operativen Medicin."
Wie es aber jeder Neuerung zu ergehen pflegt, auch hier fanden
sich Gegner, die mit den gesuchtesten Einwänden die hohe Be-
deutung der Middeldorpfschen Entdeckung*) in den Staub zu ziehen
trachteten, wohl mehr aus Neid, als in richtiger Erkenntniss des Pro
et Contra. Indess die Galvanokaustik hatte bereits eine Menge der
trefflichsten, bisher ganz unmöglichen Resultate erzielt, so dass eine
energische Vertheidigung dieser Methode sich als überflüssig erwies.
Middeldorpf stieg nun von Stufe zu Stufe. 1854 erfolgte seine
Ernennung zum Professor extraord. der Chirurgie und Augenheil-
kunde und zum Director der chirurgisch augenärztlichen Poliklinik.
1855 wurde er als consultir ender Chirurg für das Fränkelsche
Hospital gewonnen und zum Oberwundarzt des Allerheiligen-Hospitals
gewählt. 1856 erhielt er die ordentliche Professur für Chirurgie und
Augenheilkunde und damit die Leitung der betrefi'enden Klinik und
Poliklinik.
Als Habilitationsschrift veröffentlichte er: Commentatio depolypis
oesophagi atque de tumore eius generis primo prospere exstirpato."
Noch in demselben Jahre finden wir Middeldorpf zum zweiten
Male in Paris, vollauf damit beschäftigt, die französischen Chirurgen
des Näheren mit seiner Galvanokaustik bekannt zu machen. Gleich-
zeitig benutzte er seinen dortigen Aufenthalt, um, einer bereits seit
Langem an ihn ergangenen Einladung Folge leistend, dem Prinzen
von Canino, Charles Bonaparte, dem er vor 13 Jahren gelegentlich
eines Besuchs im Breslauer Zoologischen Museum als Cicerone ge-
fällig gewesen, seine Aufwartung zu machen.
*) Der berühmte Spiegelberg pflegte mit besonderer ^'orliebe die Galvanokaustik bei
den Laparotomien in Anwendung zu bringen, da er mit keiner andern Methode in gleich
schneller Weise Blutungen zu inhibiren vermochte.
151
Middeldorpf fand überall die herzlichste Aufnahme. Ehren und
Auszeichnungen häuften sich förmlich auf ihn ; unter der Menge seiner
französischen Collegen herrschte aber auch nur eine Stimme über die
Vorzüglichkeit seiner Methode, operirte doch Middeldorpf in den
französischen Hospitälern, die man ihm bereitwilligst zur Verfügung
stellte, mit wunderbarem Geschick und Glück.
Zu seinen eifrigsten Anhängern und Verehrern zählte Broca,
Diesem verdankte er auch seine Ernennung zum correspondirenden
Mitgliede der Pariser chirurgischen Gesellschaft. Selten genoss ein
Deutscher eine so hohe Achtung im Auslande wie Middeldorpf; denn
nicht genug, dass ihm auf Antrag des berühmten Forschers Roy er
der Monthyon'sche Preis, der nur für die hervorragendsten Leistungen
gewährt wird, zuerkannt wurde, verlieh ihm noch Napoleon III.
nächst einer Medaille das Kreuz der Ehrenlegion, den höchsten
französischen Orden; Italien ehrte ihn durch Verleihung des St.
Mauritius- und Lazarusordens. In seine Heimatstadt zurückgekehrt,
wurde er im Jahre 185g zum Medicinalrath und Mitglied des Medi-
cinalcollegiums der Provinz Schlesien ernannt und mit dem rothen
Adlerorden IV. Klasse decorirt. Nach Ebers Tode übernahm er auf
kurze Zeit die interimistische Direction des Allerheiligen-Hospitals.
Die folgenden Jahre waren einer rein wissenschaftlichen Thätigkeit
gewidmet.
Mehrere vortreffliche Arbeiten gehören in diese Periode, wir
nennen hier die in dem Journal „Clinique europeenne" mitgetheilten
Schriften :
,,Sur une nouvelle forme de luxation de l'epaule: luxation en
l'air", ferner seine Abhandlung: de fistulis ventriculi externis et
chirurgica earum sanatione, accedente historia fistulae arte chirurgorum
plastica prospere curatae," welche er im Auftrage der Breslauer
medicinischen Facultät anlässlich des 60 jährigen Doctorjubiläums
seines greisen Amtsvorgängers T. W. S. Benedict schrieb, sowie den
in den Abhandlungen der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische
Cultur enthaltenen Bericht über die „percutane Umstechung der
Arterien in der Continuität."
Als 1864 der Krieg gegen Dänemark ausbrach, eilte Middeldorpf,
ohne dass ihn besondere Verpflichtung dazu gezwungen, auf den
Kriegsschauplatz, um mit seinen chirurgischen Erfahrungen dem un-
geheuren Elend, wie es die Kämpfe mit sich brachten, nach Kräften
zu steuern. Als Ausdruck des Dankes für die in den Kriegshospitälern
des Johanniterordens entfaltete segensreiche Thätigkeit, empfing er
durch König Wilhelm I. den rothen Adlerorden III. Klasse mit
der Schleife.
Bald darauf, nachdem er inzwischen bei einem Besuche der
152
Wiener Universität, welche ihr 500 jähriges Jubiläum feierte, zum
Ehrenmitglied e der Wiener medicinischen Facultät ernannt worden,
rief ihn der Krieg des Jahres 1866 von Neuem auf die Schlachtfelder.
Bevor er dahin abging, wurde ihm der Charakter als Generalarzt der
Armee verliehen. Drei Monate hindurch hielt sich Middeldorpf in
den böhmischen Lazarethen auf, aufopferungsvoll und unermüdlich in
der Ausübung seines so schweren, aber edlen Berufs. Zu den alten
Lorbeeren fügte er neue hinzu. Das Militär-Medicinal-Wesen , das
heute wie immer an der Spitze des Fortschritts steht, verdankt auch
Middeldorpf ein Guttheil seiner Reformen; war er doch immer da,
wo es sich um sanitäre wohlthätige Zwecke handelte, einer der aller-
ersten, der seine Kräfte dem Allgemeinwohl opferte. War Middel-
dorpfs Geist, gewissermassen über das rein Menschliche hinausgehend,
immer höheren Idealen zugewandt, so konnte doch sein Körper nicht
gleichen Schritt damit halten; seit dem Jahre 1866 trat eine Pause,
ein Stillstand ein, er war nicht mehr der Alte zu nennen; seine
Körperkräfte schienen im Sinken begriffen. Zwar raffte er sich noch
einmal auf, um zusammen mit seinem Collegen und Freunde Haeser
das Wundarzneibuch des Deutsch-Ordensbruders Heinrich Pfolspeundt*)
zu veröffentlichen, aber es war dies nur mehr ein Aufleuchten, ein
gewaltsames Aufrechtstehen. Dem raschen Verfall war nicht mehr
entgegenzuarbeiten, ihn beförderte noch der 1866 eingetretene Tod
seiner Mutter, der sein Schmerzgefühl auf das Höchste steigerte.
Noch zwei Jahre waren ihm zu leben vergönnt, allerdings unter den
schwersten Leiden.
Gegen Mitte des Jahres 1868 stellte sich eine bei ihm zum dritten
Male recidivirende Bauchfell-Entzündung ein, der eine Darmper-
foration folgte. Am 2g. Juli legte Middeldorpf, erst 44 Jahre alt,
für immer sein Haupt zur Ruhe, tief betrauert von seinen Hinter-
bliebenen und Freunden, ein schmerzlicher Verlust für die Universität
Breslau.
Wer, wie der Verfasser, das Glück genossen, diesen so hervor-
ragenden Mann zum Freunde zu besitzen, wer ihn mitten in seinem
Wirken und Schaffen gesehen, wer seinen Charakter in seiner ganzen
Grösse kennen gelernt, wird Middeldorpf einen unvergänglichen Platz
in seinem Gedächtniss anweisen, für den wird er unvergesslich bleiben.
Hier ist der Tod nur eine Scheidewand für den persönlichen Verkehr.
*) Ueber diesen Xamen „Pfolspeundt" nicht Pfolsprundt, cf. Biograph Lex. hervorr.
Aerzte. Bd. IV, S. 555.
153
Johann Lange.
Johann Lange war in Löwenberg in Schlesien im Jahre 1485
geboren, studirte in Leipzig Philosophie, ward Magister und lehrte
dort unter dem Kurfürsten Georg von Sachsen. Mit besonderer
Vorliebe beschäftigte er sich mit PUnius, den er auch später noch
sehr hoch hielt. Sein Schüler war der nachher so berühmte Joachim
Camerarius. Nachdem er noch mit dem Studium der Philosophie
resp. der Naturwissenschaften das der Medicin verbunden, wandte
er sich zur Vervollkommnung seiner medicinischen Kenntnisse nach
Italien, zunächst nach Bologna, wo er sich gegen 2 Jahre aufhielt,
dann nach Rom, wo er unter Leitung des berühmten Chirurgen
Johann de Vigo speciell mit Chirurgie sich beschäftigte, studirte
ferner in Ferrara, wo Nicolaus Leonicenus sein Lehrer war, und kam
zuletzt nach Pisa, wo er im Jahre 1522 promovirte. Er versäumte
es auch nicht, durch fleissige Benützung der grossartigen Bibliothek
Picos von Mirandola seine Kenntnisse zu bereichern. Nach Deutsch-
land zurückgekehrt, Hess er sich in Heidelberg nieder und zwar
unter den günstigsten Auspicien, da er bald darauf zum Leibarzt
des Kurfürsten von der Pfalz ernannt wurde, welche Stellung er
unter vier derselben, unter Ludwig V., Friedrich IL, Otto Heinrich
und Friedrich III. über vierzig Jahre lang einnahm. Besonders mit
Friedrich IL war er eng befreundet und durchreiste mit demselben
eine lange Reihe von Jahren hindurch Spanien, Italien und Frank-
reich, überhaupt den grössten Theil von Europa, begleitete er ihn doch
selbst zweimal in den Türkenkrieg gegen den ihm als frommem Christen
verhassten Sultan Soliman. 1556 wurde Lange zum Minister und
Geheimrath ernannt. Im 80. Lebensjahre, am 21. Juni 1565, schied
er aus dem Leben.
Das sehr grosse Vermögen, welches er hinterliess, kam laut
Testamentsbeschluss in den Besitz seines gelehrten Collegen Wirth,
der, ebenfalls ein nicht unberühmter Schlesier, zu Löwenberg geboren
154
wurde und die Stelle eines Leibarztes bei Carl V. und Philipp II.
bekleidete. In Löwenberg wurden, beiläufig bemerkt, verhältniss-
mässig sehr viele spätere Aerzte damals geboren, so neben den
beiden genannten, Lange und Georg Wirth, noch ein zweiter Wirth,
der 1566 starb, Franz Mymer, der 1532 ein Regimen schrieb, Bartho-
lomäus Reusner, gestorben im Alter von 41 Jahren, Hieronymus
Reusner, gestorben 1608, und Caspar Hoffmann, geboren 152g, Alle
also ungefähr aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.
Was nun die medicinischen Anschauungen unseres Lange, um
wieder zu ihm zurückzukehren, betrifft, so versuchte er vor Allem
das Studium der Alten wieder in Aufschwung zu bringen, den Ara-
bismus aber aus der Medicin zu entfernen. Wie er selbst und seine
Vorgänger in seiner Familie treue Anhänger des Hippokrates sind,
so verlangte er auch von Allen, die sich wahre Aerzte nennen wollen,
die Rückkehr zum Alten und zum genauen Studium der Natur.
Seinem Bruder, der einmal in anderem Sinne urtheilte, schrieb er
darum einen sehr heftigen Brief: ab avita nostra stirpe degenerare
videris quae semper medicos suos in rationali Hippocratis curandi
aegros methodo educavit ac fovit. Er forderte zu einem gründlichen
Studium der Botanik auf, um die Heilkräfte der Pflanzen kennen
zu lernen; er betont, dass man sich erst eine richtige Erkenntniss
der pathologischen Erscheinungen der einzelnen Krankheiten ver- \
schaffen müsse , ehe man sich einen Arzt nennen dürfe. Er eifert '
gegen die Chirurgen seiner Zeit, welche, wenn sie einmal beim Oeffnen
eines geschlachteten Kalbes zugegen gewesen, schon die ganze Ana-
tomie erlernt zu haben vermeinen und in ihrer vollständigen Unkennt-
niss der Organisation des Körpers die Kranken durch unnöthige
Operationen, die sie roher wie die Henker ausführen, oft auf die
scheusslichste Art und Weise quälen, verstümmeln und hinmorden.
Mit seiner vernünftigen Methode erzielte Lange freilich andere Resul-
tate. So erzählt er selbst, welche Kunst er habe aufwenden müssen,
um einen jungen Edelmann, der beim Sturze von einem hohen Dache
auf eine Mauerecke aufschlug und sich ausser mehreren Brüchen
eine schwere Verletzung der Schädeldecke zuzog, zu heilen. Auch
führte er die in Deutschland fast ausser Gebrauch gekommene Tre-
panation des Schädels wieder ein, sowie das schon bei Galen*
erwähnte aßaTrxtoTov. In Amberg erhielt er durch eine mit grossem
Scharfsinn angewandte Cur einem Mann ein Auge, welches derselbe
sich mit einem Messer sehr schwer verletzt hatte, wie er denn über-
haupt durch noch viele andere, ebenso sinnreiche als glückliche Curen
sich einen wohlverdienten Ruf erwarb. Bei den Kurfürsten kam er
in um so höheres Ansehen, seitdem er Otto Heinrich von einer
Gürtelrose durch einen Aderlass auf galenische Art geheilt hatte.
155
Kein Wunder daher, dass er oft genug an das Krankenlager fremder
Fürsten und Bischöfe berufen ward.
Um so verhasster waren ihm aber bei seiner eigenen Tüchtig-
keit diejenigen, welche den von ihm so hoch g-ehaltenen Namen eines
Arztes sich anmassten, nur um betrügerische oder selbstsüchtige
Zwecke damit zu verbinden. Mit einem wahren Feuereifer bekämpft
er daher jene Astrologen, welche diesen oder jenen Tag für irgend
eine Krankheit besonders gefährlich erklären und in lächerlichster
Weise aus den Sternen die Menschen belehren wollen, wann sie
neue Kleider anziehen oder sich rasiren dürfen, gegen die Urinanten,
welche aus dem Urin die Natur jeder einzelnen Krankheit erkennen
wollen, sowie gegen die Receptuarii, welche der Ansicht sind, dass
je seltner und theurer die Heilmittel, je mehr sie die Medicamente
zusammensetzen, diese um so heilsamer sind, indem sie dabei freilich
auch theils Geld zu gewinnen, theils durch ein langes Recept sich
den Nimbus grösserer Gelehrsamkeit zu geben beabsichtigen.
In seinem Hauptwerk, den medicinischen Briefen, erklärt er
manche sehr schwierige Stelle des Hippokrates, wie er denn selbst
überhaupt eine ausserordentliche Belesenheit in der klassischen
Literatur zeigt, die ihm auch dazu dient, seine Abhandlungen in ge-
fälliger Weise zu würzen. Eindringlich warnt er vor dem Missbrauch,
der mit Abführungs- und Brechmitteln von seinen Zeitgenossen ge-
trieben wurde. Gegen fieberhafte Krankheiten empfiehlt er kühlende
Mittel, besonders kalte Getränke.
Seinen in den ,, Briefen" ausgesprochenen Grundsatz: ,,Per-
plexa in arte medendi theoremata explicare et obscura illustrare,
fraudesque aegyptiorum detegere et amicorum problematibus per
epistulas respondere" liess er nie aus den Augen, so dass wir
in Lange einen sehr gelehrten, wissenschaftlich hochstehenden, für
Aufklärung unerschrocken eintretenden Mann kennen lernen, was
in einer Zeit, wo seine Ansichten unerhörte, ja ketzerische erschienen,
sehr anerkennenswerth ist. Eins setzt uns aber bei dem Manne,
der sonst jeden Aberglauben als läppisch bezeichnet, in Verwunderung:
sein Dämonenglaube. Er glaubt daran, dass es magische Kräfte
gäbe, welche den Menschen krank machen oder behexen, und erzählt
selbst in überzeugtem Tone von Fällen, wo Leute Messer, Nägel,
Steine u. a. ausgespieen hätten.
Seinem Vorsatz, Gesinnungsgenossen durch Briefwechsel mit
ihnen zu belehren, kam er mit allen Kräften nach, wie sein reger
schriftlicher Verkehr mit PhiUpp Melanchthon, dem berühmten Johann
Moibanus, dem Leipziger Professor Reuschius und Andern, vor Allem
aber mit seinem ehemaligen Schüler und Landsmann Georg Wirth,
Leibarzt Carls V. und Philipps IL, beweist. Seinem Streben blieb
auch die Anerkennung der Besten nicht versagt, wofür seine Er-
nennung zum ]\Iinister und Geheimrath, sowie zahlreiche, seine An-
sichten billigende Schreiben seiner Zeitgenossen, besonders der ge-
sammten medicinischen und philosophischen Facultät der Universität
Leipzig, Zeugniss ablegen.
Den Erfindungen seiner Zeit, vor allen der von ihm sehr hoch-
geschätzten Buchdruckerkunst, sowie den freien Künsten überhaupt
brachte er ein lebhaftes Interesse entgegen.
Im Verkehr war er angenehm und scherzhaft, wovon er selbst
viele Züge in seinen Werken erzählt.
Eine merkwürdige Vorliebe besass er für Käse, der bei keiner
ISIahlzeit fehlen durfte, und dessen Vertheidigung er einen ganzen
Brief des zweiten Buches, sowie ein scherzhaftes Gedicht widmet.
Seine berühmtesten Schriften sind:
Medicinalium epistolarum miscellanea i. Samlg. Basel 1554
4° 2. Sammlung 1560. Bedeutend vermehrt. Frankfurt a. M. 1589 8.
De scorbuto. Wittenberg 1624. 8. De Syrmai'smo et ratione purgandi
per vomitum ex Aegyptiorum invento et formula. Lutet. 1752. 8.
Consilia quaedam et experimenta. Ulm 1676. 4.
AVir haben auch seiner wissenschaftlichen Seite grössere Be-
achtung geschenkt, weil sich gerade in den in seinen Werken nieder-
gelegten Anschauungen sowohl, wie in dem, was er mit allen Fasern
seines Seins bekämpft, der Geist seiner Zeit auf das Lebhafteste
wiederspiegelt.
Dass diesem Arzt, obwohl der Werth mancher seiner Leistungen
nicht zum mindesten nach der Priorität seiner Geburt unter den
schlesischen Aerzten — er war ja lange vor Crato geboren — be-
urtheilt werden muss, geringere Hochachtung, als er sie verdiente,
zu Theil wurde, ist wohl hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass
er den grössten Theil seines Lebens fern von Schlesien, in Heidel-
berg, zubrachte.
157
Adam Christian Thebesius.
Oeit dem Beginne des XVII. Jahrhunderts begegnet uns der
Name Thebesius wiederholt in der Geschichte und Literatur Schlesiens.
Die Träger dieses Namens waren durchweg in engerem oder weiterem
Kreise angesehene Männer, die als Pastoren, Rechtsgelehrte oder
Aerzte an den verschiedensten Orten unserer heimatlichen Provinz
ihre Tüchtigkeit bewährten. Von Allen jedoch hat Keiner dem
Namen zu grösserem Ruhme und höherer Bedeutung verhelfen als
Adam Christian Thebesius, und gerade diesen nennt Jöchers Ge-
lehrten - Lexikon in der Reihe der Thebesii merkwürdiger Weise
nicht. —
In dem kleinen Dorfe Sandenwalde*), das damals zum Herzog-
thum Wohlau gehörte, wurde Adam Christian Thebesius am
12. Januar 1686 als Sohn des Pastors Adam Ludwig Thebesius ge-
boren. In sein Knabenalter fällt die Uebersiedlung der Familie
nach Liegnitz, wo der Vater später als Pastor primarius an der
Peter Paul-Kirche und als Schulvorstand zu wirken berufen war.
Hier empfing Adam Christian den ersten gediegenen Schulunterricht
und wurde im Jahre 1 700, als seine Begabung den Eltern und Lehrern
offenbar geworden war, in das Elisabeth - Gymnasium zu Breslau
gegeben, wo er seine wissenschaftliche Vorbildung unter tüchtigen
Pädagogen, wie Martin Hanke, Christian Gryphius, Gottfried Pohl u. A.
abschloss. Ein Liebling seiner Lehrer und ein hochbeanlagter Schüler,
verliess er im noch nicht vollendeten 18. Lebensjahre den heimat-
lichen Boden, um sich dem Studium der Medicin zunächst in Leipzig
zu widmen. Doch begnügte er sich hier nicht, die Fachcollegien der
Professoren Ettmüller, Rivinus, Schamberg und Anderer zu hören,
sondern er bereicherte auch sein allgemeines Wissen auf dem Ge-
biete der Philosophie, Physik und Mathematik. Der Ruf der Leipziger
Universität wurde in dieser Zeit bei Weitem überholt durch die
*') Im heutigen Kreise Guhrau gelegen.
^58
wissenschaftliche Bedeutung Halles, wo ein Friedrich Hoffmann u
Georg Ernst Stahl die Koryphäen deutscher medicinischer Wisse
Schaft und Begründer neuer Richtungen in derselben waren. Die
Alma Mater wurde daher das nächste Ziel des strebsamen Thebesii
der auch durch den Einfall der Schweden in Sachsen unter Karl XII.
im Jahre 1706 zum Verlassen Leipzigs mitbewogen wurde.
In Halle erwarb er sich die Achtung der genannten Männer in
so hohem Masse, seine Kenntnisse in der Anatomie waren schon
damals so bedeutende, dass ihn diese beiden Lehrer aufforderten
für die Studenten der Hochschule Vorlesungen auf diesem Gebiete
mit Demonstrationen zu halten. Doch mit seinem Wissen in diesem
Fache konnte Thebesius sein Studium noch nicht als vollendet be-
trachten; er suchte noch andere deutsche Akademien auf, bis er sich
endlich, 1707, in's Ausland nach Holland wandte.
In mächtiger, voller Blüthe stand hier zu Leyden die Medicin
in allen ihren Disciplinen; die medicinische Facultät dieser Universität
hatte die führende Rolle in der Wissenschaft übernommen, die sie
jMännern wie Ruysch, Bidloo, Rau, dem älteren Albinus und Boer-
haave verdankte. Wie reiche Früchte musste der Verkehr mit solchen
Leuchten der Wissenschaft einem aufstrebenden Talente verheissen!
Thebesius verstand es, sich auch unter diesen Männern Anerkennung
zu verschaffen und ihre Gunst zu erwerben, so dass er einen Ge-
lehrten wie Ruysch in dessen Lehramte vertreten durfte.
Bei Gelegenheit seiner Promotion im Jahre 1708 tritt die Achtung,
die er errungen hatte, besonders deutlich hervor. Seine hierbei ge-
lieferte Dissertation handelte von dem Blutlauf im Herzen und führte
den Titel: „De circulo sanguinis in corde". Sie machte den
Namen des Verfassers als den eines tüchtigen Anatom und Physio-
logen weithin bekannt und erlebte binnen kurzer Zeit, 1 7 1 6 und nach
dem Tode des Autors 173g, zwei neue Auflagen, Die Facultät
überreichte dem neuen Doctor der Medicin und Philosophie ein be-
sonderes Empfehlungsschreiben für seine künftige Laufbahn und
versah seinen Namen im „Liber academicus" mit einem Stern, zum
Zeichen, dass mit demselben eine hervorragende Leistung verknüpft
sei. Einer der Biographen, J. Ketzler, nennt diese Dissertation, welche
Thebesius „applaudente inclyta Facultate medica" schrieb, „inventi
novi celebratissima". Es hängt nämlich mit diesem Werke unseres
Landsmannes die Entdeckung zusammen, welche seinen Namen speciell
in der Anatomie zu einem unvergänglichen machte: wir meinen die
Entdeckung jener ,, halbmondförmigen Klappe" an der Vena coronaria
(magna cordis), die bis auf den heutigen Tag als Valvula Thebesii
bekannt ist; er fand auch bei seinen Untersuchungen die nach ihm be-
nannten, poren-ähnlichen ,,Foramina" an verschiedenen Stellen des
'59
jrhofs". — Nach beendeter Promotion gingen Thebesius' Absichten
lin, noch anderer Herren Länder kennen zu lernen, mit den be-
utenden Männern in denselben in Beziehungen zu treten und dadurch
n Umfang seines Wissens noch zu erweitern, bis er sich — das war
,iv;lleicht sein innigster Wunsch — an einer bedeutenden Universität
als Lehrer niederlassen könnte. Da machte ein trauriges Ereigniss
in seiner Heimat alle Pläne des erst 22jährigen Gelehrten zu nichte
und erinnerte ihn, der dem heimischen Boden fast entfremdet war,
wieder an den Ort seiner Herkunft. Durch einen Brief aus der
Heimat wurde er von dem Tode seines Vaters, der im Jahre 1708,
g Jahre nach dem Tode der Mutter, erfolgt war, und von den
drückenden Verhältnissen benachrichtigt, in denen die nunmehr ver-
waisten Geschwister zurückgeblieben waren.
Die Zeit der Wanderjahre musste damit zu Ende gehen; es galt
sich eine eigene Existenz zu gründen.
Im Alter von 23 Jahren kehrte Thebesius schweren Herzens,
doch von der Pflicht getrieben, in die Heimat zurück und Hess sich
als Arzt in Hirschberg nieder, das er nicht mehr verliess. Es ist
nur natürlich, dass ein Mann von solch gründlicher und umfassender
Bildung in theoretischer und praktischer Beziehung schnell eine aus-
gedehnte und lohnende Thätigkeit finden musste. Er erfreute sich,
nach dem Berichte seiner Biographen, bald einer ausserordentlichen
Beliebtheit bei allen Laien durch seine gediegenen Kenntnisse, seine
vorsichtige und milde Behandlung der Kranken und sein ruhiges,
sicheres Auftreten; von seinen Collegen wurde er hochgeschätzt.
Vier Jahre nach seiner Niederlassung, 1713, erfolgte seine Aufnahme
in die Academia Naturae Curiosorum mit dem Beinamen „Euriphon" *) ;
er stattete seinen Dank für diese Ehre dadurch ab, dass er in den
,,Ephemeriden" wiederholt Aufsätze über normale und pathologische
Anatomie erscheinen Hess.
Im Jahre 171 1 hatte er mit Johanna Regina Glafey, der Tochter
eines hochangesehenen Hirschberger Grosskaufmanns, den ehelichen
Bund geschlossen, der nach nur siebenjährigem glücklichen Bestehen
durch den Tod der Gattin gelöst wurde, nachdem sie dem Gatten
eine Tochter und vier Söhne geboren hatte.
Der Hirschberger Senat zollte seinem berühmten Mitbürger den
Tribut der Anerkennung dadurch, dass er ihn 17 14 zum Physikus
der Stadt und „benachbarten Bäder" ernannte. Trotz seiner an-
strengenden Thätigkeit blieb dem gelehrten Manne noch die Zeit,
die alten, liebgewonnenen Studien zu pflegen; das bezeugt seine
*) Cf. A. E. Biichner's Academiae L.-C. Nat. Cur. Historia S. 490: No. 302.
„D. Ad. Christianus Thebesius, Physicus Hirschbergensis et Thermarum vicinarum etc." .
literarische Thätigkeit. So verfasste er eine Abhandlung über „das
Herz", in der er neue Entdeckungen*) bekannt machte; er beschäftigte
sich speciell mit der Anatomie des Holländers Verheyen und gab
dieselbe als „Anatomia Verheyena renovata" heraus. Er lieferte
ferner eine ausführliche Beschreibung des Auges, eine „Ophthalmo-
graphia", und schrieb eine Abhandlung „de successione morborum".
Daneben beschäftigten ihn besonders physikalisch - astronomische
Studien, für die er sich ein eigenes Observatorium an einem günstigen
Punkte der Umgebung Hirschbergs angelegt hatte; auch auf diesem
Gebiete trat er mit einer Arbeit hervor, betitelt: „Nova Theoria
aestus maris". Sein Biograph Lindner erzählt uns, dass Thebesius
auch der Muse der Dichtkunst nicht abhold war und in deutscher
Sprache dichtete, dass er sogar eine Art Gedenkblatt zum Siege der
Kaiserliche.i unter Prinz Eugen über die Türken bei Belgrad, 17 17,
verfasste, unter dem stolzen Titel: „Fama victoriam exercitus Caesa-
reani a Turcis ad Belgradum reportatam buccinans". Kurz, wir er-
fahren aus allem Angeführten, wie vielseitig und anregend Thebesius .
sein Leben zu gestalten wusste, und wie viel Erspriessliches auch
für die Wissenschaft von seiner Thätigkeit noch zu erwarten war**)-
Um so grösser musste der Schmerz, um so tiefer das Bedauern sein,
als diesen Mann, der schon lange kränkelte, eine Lungenentzündung
auf das Krankenlager warf und ihn im Alter von noch nicht
47 Jahren, den 10. November 1732, den Seinigen und der Wissen-
schaft entriss.
Gar mancher der Verehrer des Verstorbenen gab in Prosa
oder Dichtung dem Verluste, der Alle betroffen hatte, Ausdruck,
keiner aber in so feierlicher und, der damaligen Zeit entsprechend,
so pomphafter Form wie der Schwiegersohn des Todten, der Pastor
an der Hirschberger Kirche Jeremias Ketzler. Das vornehmste
Denkmal — sehen wir ab von demjenigen, welches Thebesius selbst
in seinen Leistungen sich setzte — wurde ihm jedoch von der Aca-
demia Leopoldino-Carolina gesetzt, als deren Präsident Elias Büchner
einem Mitgliede, dem Hirschberger Arzt Casp. Theophil Lindner, den
Auftrag ertheilte, die Biographie des Verstorbenen zu schreiben.
Von den Nachkommen unseres Landsmanns verdient es einer der
Söhne, Johann Ehrenfried Thebesius, der der Wissenschaft des
Vaters treu blieb, genannt zu werden; er wurde ebenfalls Stadtphysikus
zu Hirschberg, hatte sich besonders unter Fried in Strassburg mit Ge-
burtshilfe beschäftigt und verfasste im Jahre 1757 ein zu seiner Zeit
*) Welcher Art dieselben waren, wissen wir nicht
**) Lindner erzählt, dass Th. noch manches Andere unter der Feder hatte, dessen
Beendigung der Tod unmöglich machte. S. 7.
KM
anerkanntes, wiederholt aufgelegtes Werk über „die Hebammen-
kunst". Er ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen, aus
Goldberg stammenden Medicus Thebesius, einem Zeitgenossen des
Adam Christian Thebesius, den Jöcher in seinem Gelehrten-Lexikon
als „Protophysicus des fürstlichen Stifts Leubus" und ,,kaiserlichen
Hofarzt" aufführt.
Quellen.
i) Caspar Theophil Lindner: „Memoria Viri Praeclarissimi etc.
Domini Adami Christian! Thebesii'*. Diese Schrift erschien
einige Jahre nach dem Tode des Thebesius, nicht vor 1737, da
Lindner erst in diesem Jahre in die Academie aufgenommen
wurde.
2) Jeremias Ketzler verfasste zum Andenken seines Schwieger-
vaters ein literarisches „Monumentum" in der Form von Grab -
Inschriften in lateinischer Sprache ; hinzugefügt ist eine freiere,
gekürzte Uebersetzung in's Deutsche.
3) Biograph. Lexicon hervorrag. Aerzte. Bd. V.
102
Gabriel Gustav Valentin.
Wie bei Adam Christian Thebesius, so ist es auch bei dem
berühmten Physiologen, den ich mit Stolz meinen besten Universitäts-
freund nennen darf, auffallend, in wie früher Zeit er sich schon die
ersten wissenschaftlichen Lorbeern verdient hatte. Das will überdies
im XIX. Jahrhundert noch mehr bedeuten, als im Beginne des XVIII,
in dem die Zahl der Forscher in den einzelnen Disciplinen nicht
in dem Maasse zunahm, wie in unserem Säculum, und daher auch
die Möglichkeit, Hervorragendes, zu leisten, eine grössere war. Aber
im Gegensatze zu Thebesius war es Valentin vergönnt, die akade-
mische Laufbahn zu betreten und in ihr fast 50 Jahre hindurch zum
Segen seiner "Wissenschaft zu wirken.
Gabriel Gustav Valentin ist in einfachen, kleinbürgerlichen Ver-
hältnissen zu Breslau aufgewachsen, wo der Vater das Handwerk
eines Goldschmieds betrieb, und dieser Sohn ihm am 8. Juli 1810
geboren wurde. Sein Eifer und seine Begabung machten den
Sprössling während der Schulzeit, die er im Magdalenäum absolvirte,
zu einem der tüchtigsten Schüler, so dass er sich der ganz besonderen
Gunst des Directors Manso zu erfreuen hatte. In den Sprachen
und den nati]|jwissenschaftlichen Fächern gleich befähigt, verliess er
im Jahre 182S das Gymnasium mit einem vorzüglichen Zeugnisse
und ergriff nun an der heimatlichen Universität das Studium der
Medicin und Naturwissenschaften. Keiner von allen akademischen
Lehrern übte hier einen so nachhaltigen Einfiuss auf ihn aus, zu
keinem trat er nach vollendetem Studium in so nahe Beziehungen,
wie zu Joh. Ev. Purkinje, dem damals wohl bedeutendsten Phy-
siologen Deutschlands*) neben Johannes Müller. Als Valentin im
*) Es ist wohl bekannt, in welcher Weise Purkinjes Promotionsschrift „Beiträge zur
Kenntniss des Sehens in subjectiver Hinsicht, auf Goethe wirkte ; er machte sich einen
Auszug davon und versah sie mit Noten. Er forderte den Verfasser auf, ihn in Weimar
zu besuchen, und bemerkte dazu in den Annalen von 1822: „Herr Purkinje gewährt
i63
Jahre 1832 zum Doctor promovirt worden war und ein Jahr darauf
sein Staatsexamen bestanden hatte, Hess er sich zwar als praktischer
Arzt in Breslau nieder und fand als solcher auch Beschäftigung, aber
all sein Streben ging auf die Lösung physiologischer Fragen hin. In
dem von Purkinje gegründeten physiologischen Institute*), dem ersten
Deutschlands und vielleicht der Welt, stellte er, theils allein arbeitend,
theils mit Purkinje zusammen thätig, seine Untersuchungen auf diesem
Gebiete an; aus diesem Institute gingen die gehaltvollen Arbeiten
hervor, die seinen Namen so schnell und so früh bekannt machten.
Die Resultate seiner Studien, die die Entwicklungsgeschichte der
lebenden Wesen betrafen, veröffentlichte er zunächst in den Jahren
1833 und 34 in Zeitschriften, wie in der von Ammon**) und in
Heckers Annalen. Im Jahre 1834 machte er die wichtige Entdeckung
der Flimmerbewegungen, welche auf den Schleimhäuten höher
organisirter Wesen durch Wimperhaare hervorgebracht werden, und
publicirte diese Entdeckung zusammen mit Purkinje in Joh. Müllers
Archiv. (1834. I. Heft 5). Hieran schloss sich eine Reihe weiterer
Untersuchungen, die in dem IL Bande des Archivs und, nachdem
Valentin im Jahre 1835 MitgUed der Academia Leop.-Carolina ge-
worden war, in deren Acta zur Besprechung gelangten '^**) oder selbst-
ständig erschienen ; f) er erfreute sich bei vielen dieser Arbeiten
der Unterstützung und Mitarbeiterschaft seines Meisters Purkinje.
Inzwischen hatte sich Valentin bereits daran gemacht, eine von dem
Institut de France zu Paris im Jahre 1833 gestellte Preisaufgabe
zu lösen. Es handelte sich dabei um eine Vergleichung der Ent-
wicklung der organischen Gewebe bei Thieren („developpement des
tissus organiques chez les animaux") mit derjenigen der Pflanzen
(,,tissus des vegetaux"). Im Februar 1835 reichte Valentin sein
iioo Seiten umfassendes, mit 42 Quarttafeln versehenes Manuscript
ein, und am Ende desselben Jahres erhielt er den „grand prix des
einen entschiedenen Begriff von merkwürdiger Persönliclikeit und un^^örter Anstrengung
und Aufopferung". (Bd. XXXII der Goethe-Ausgabe 1830.)
*) Die dazu gehörigen, roch recht dürftigen Räume dienten später zum Theil als
Carcer. — In einem Briefe an Wagner (Göttinger) aus dem Jahre 1841 sagt Purkinje:
,. . . Es gelang mir so mancher glückliche Fund, namentlich als ich mit einem so
exquisiten Talente, als das Valentins, mich verbündete" cf. P.s Biographie von Heiden-
hain in Bd. XXVI der Allg. deutschen Biographie S. 721.
**) „Zur Anatomie des Fötus-Auges der Säugethiere" ; in den Annalen: „Ueber das
Ganglion intercarolicum", „Ueber Form und Grösse der feinsten Blutgefässnetze.-'
***) z.B. „Ueber die Unabhängigkeit der Flimmerbewegungen von den Centraltheilen
des Xervensystems" (Archiv II) und „De motu vibratorio animalium vertebratorum obser-
vationes" (Acta Nova XVII).
f) „De phaenomeno generali et fundamentali motus vibratorii continui etc." 1835. —
„Ueber den Verlauf und die letzten Enden der Nerven." Bonn 1836.
1&4
sciences physiques" für seine Leistung. Unter den Berichterstattern
über die Arbeit'''), welche den Titel ,,Histiogenia comparata"
führt, befanden sich ein Brongniart, MagendieundBlainville; Alexander
von Humboldt drückte dem Verfasser in ehrenden Worten seine
Anerkennung' aus. Der erhaltene Preis von 3000 Francs ermög-
lichte es dem erst 25 Jahre alten Gelehrten, eine wissenschaftliche
Reise zu machen. In demselben Jahre noch lieferte Valentin einen
weiteren Beweis seines Könnens, indem er ein grosses „Handbuch
der Entwicklungsgeschichte des Menschen" herausgab, dessen Ueber-
setzung in's Englische ein Edinburgher Gelehrter, Barry, unternahm.
"Welches Ansehen er durch seine wissenschaftlichen Arbeiten bereits
erworben hatte, beweist nichts deutlicher, als die Thatsache, dass
er nun fast gleichzeitig von drei geographisch vollkommen getrennten
Universitäten des Auslandes für das Fach der Physiologie begehrt
wurde, nämlich von Lüttich, Dorpat und Bern. Wenn auch die
Stellung an den beiden erstgenannten Orten eine glänzendere
gewesen wäre, so zog Valentin als Israelit doch die Berufung an
die Berner Hochschule vor, weil hier kein Religionswechsel von
ihm verlangt wurde. Es stellte sich bald heraus, dass unser Staat
sich nicht nur einen bedeutenden Forscher, sondern auch einen her-
vorragenden Lehrer für seine Universitäten hatte entgehen lassen.
Im Herbst des Jahres 1836 begann Valentin als Professor der
Physiologie in Bern seine ruhmreiche und bedeutsame Thätigkeit,
die wir an dieser Stelle, den Zweck unseres Werkes festhaltend,
nur in grossen Zügen charakterisiren können. Dem praktischen
Berufe des Mediziners hatte der junge Gelehrte mit dieser Anstellung
entsagt. Das Gebiet, auf dem er nun 45 Jahre hindurch forschend,
lehrend und literarisch wirkte, war in erster Reihe die Physiologie,
daneben die Anatomie, auf die sich eine Zeitlang sogar seine
officielle Thätigkeit erstreckte, und die Pathologie nur in theoretischer
Hinsicht, insofern als er im Jahre 1864 seinen „Versuch einer phy-
siologischen Pathologie der Nerven" und in demselben Jahre noch
den „Versuch einer physiologischen Pathologie des Blutes und der
übrigen Körpersäfte" der Oeffentlichkeit übergab. Für den praktischen
Arzt direct schrieb Valentin nur sein 1863 erscheinendes Werk:
,,Der Gebrauch des Spektroskops zu physiologischen und ärztlichen
Zwecken". Wie Valentin hier sich speciell über dieses Hilfsmittel
ausUess, so richtete sich im Allgemeinen sein Bestreben darauf, zur
Beobachtung organischer Vorgänge die Hilfsmittel zu vermehren
oder deren Technik zu vervollkommenen; in dieser Beziehung er-
wähnenswerth ist seine „Untersuchung der Pflanzen- und Thierge-
*) cf. Kowack: Schlesiscli. Schriltstellcr-Lexicon. Ilefl l. S. 140.
webe bei polarisirtem Licht." Seine anatomischen Forschungen
gingen zum grossen Theil mit den physiologischen Hand in Hand*),
wie seine ,, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Nerven- und
Muskelsystems", sein in lateinischer Sprache abgefasstes Werk in
4 Büchern: ,,De functionibus nervorum cerebralium et nervi sym-
pathici" beweisen. Um einen Sammelpunkt für die neuen Ergebnisse
eigner und fremder Forschungen zu gewinnen, begründete er im
Jahre 1836 das „Repertorium für Anatomie und Physiologie", das
bis zum Jahre 1843 bestand. Von seinen Entdeckungen in der Phy-
siologie sei hier vor Allem diejenige des Jahres 1844 genannt, welche
die ,. diastatische Rolle des Bauchspeichels bei Verdauung der Kohle-
hydrate" erwies.'^*)
Es würde zu weit führen, wollten wir hier die auf alle Theile
seiner Specialwissenschaft sich erstreckenden Untersuchungen auch
nur annähernd skizziren. Mochten dieselben sich mit dem Blutum-
lauf oder mit der Athmung, mit den Sinnesorganen oder mit der
Einwirkung verschiedner Gifte auf den thierischen Organismus be-
fassen, überall wirkte Valentin zum mindesten anregend, sehr häufig
. Neues schaffend und grundlegend. Bei einer so rastlos thätigen
Natur konnte es daher kein Wunder nehmen, wenn er 30 Jahre
hindurch auch eine ausserordentliche schriftstellerische Fruchtbarkeit
entfaltete. Als Lehrer zeichnete ihn derselbe Pflichteifer, dieselbe
Gewissenhaftigkeit wie als Forscher aus; sein Vortrag, den er mit
Rücksicht auf einen Theil seiner Zuhörer oft auch in französischer
Sprache hielt, wurde auf das AVirksamste unterstützt durch seine
an das Wunderbare streifende Gedächtnisskraft und die Gabe, das
Schwierigste fast mühelos vor den Hörern zu entwickeln. Um den
Lehrzweck zu fördern, gab er im Jahre 1844 das ,, Lehrbuch der
Physiologie des Menschen" heraus und zwei Jahre später den
,,Grundriss der Physiologie des Menschen", der 1854 in vierter Auf-
lage erschien. Sein Ruhm stieg von Jahr zu Jahr; nur wenige
Physiologen gab es, die sich neben ihn stellen konnten; sein Name
verhalf der medicinischen Facultät in Bern zu hoher Blüthe und zog
immer grössere Schaaren von Studirenden der Medicin an die Hoch-
schule.
An Ehrenbezeugungen der verschiedensten Art konnte es bei
dem Weltruf dieses Gelehrten, der wiederholt glänzende Anerbietungen
anderer Hochschulen zurückgewiesen hatte, nicht fehlen. Als er
im Jahre 1876 das Fest seiner 40 jährigen Amtsthätigkeit begehen
*) Als Specialarbeiten sind zu nennen: „Beitrag zur Anatomie des Zitteraals'", Neuf-
cMtel 1841 und „Anatomie du genre Echinus."
**) Cf. Biographisches Lexicon hervor. Aerzte. Bd. VI.
i66
konnte, wurde ihm von den Collegen an der Universität und Aerzten
ein Festgeschenk überreicht, und die philosophische Facultät ehrte
sich selbst, indem sie ihm die Anerkennung für seine Verdienste
um die Naturwissenschaften durch die Ertheilung des Doctortitels
ausdrückte. Bei keiner Gelegenheit aber zeigte sich die allgemeine
Verehrung, die dieser seltene Charakter in der gesammten wissen-
schaftlichen Welt genoss, in hellerem Lichte, als bei der Feier
seines 50 jährigen Doctorjubiläums im Jahre 1883. Damals war
Valentin schon von schweren Leiden niedergedrückt ; seit zwei Jahren
hatte er bereits, an das Krankenbett gefesselt, auf seine amtliche
Thätigkeit verzichten müssen. Doch von Nah und Fern beeilte man
sich wetteifernd, ihm durch Festschriften zu seinem Jubiläum, durch
kostbar ausgestattete Adressen, unter denen sich solche fast aller
Universitäten befanden, und durch Decorationen, wie die des Königs
von Italien, zu huldigen. Die Erinnerung an diesen schönen Tag
hat den Leidenden nicht mehr lange erfreut. Es gab keine Rettung
gegen sein Siechthum, das durch einen Schlagfiuss im Jahre 1881,
während er sich auf der Rückkehr von einer Erholungsreise befand,
und durch die dabei erfolgende partielle Lähmung verursacht war.
Die aufopfernde Pflege eines treuen Weibes*), das seit 40 Jahren
(1843) Freud und Leid mit ihm getragen hatte, und seiner Kinder
vermochten nichts gegen diesen Feind.
In ergreifenden Worten haben zwei der Collegen Valentins,
Forster und Grützner, die Leidenszeit des Mannes bei fast bis zuletzt
anhaltender geistiger Frische und Schaffenslust uns geschildert. Am
24. Mai 1883 wurde Valentin von seinen Qualen erlöst. Forster
sagt von ihm am Schlüsse seiner Gedächtnissrede: ,,Er war ein
echter Ritter vom Geist, ein edler, humaner, milder Charakter, der
es verstanden hat, bei aller Wahrung seiner Selbständigkeit, im
Leben zahllose Freunde und keinen einzigen Feind zu erwerben."
*) Henriette Samosch, eine Breslauerin und Verwandte Valentins.
Quellen,
i) Nowack: Schlesisches Schriftstellerlexicon. Heft i, S. 148 ff.
2) Biographisches Lexicon hervorr. Aerzte. Bd. VI.
3) Breslauer ärztliche Zeitschrift 1883. SS. 118— 121. (Gedächtniss-
reden von Forster und Grützner.)
i66a
Oskar Berger'').
x\ls Abschluss der einzelnen Lebensbilder lassen wir auf die
Biographie Valentins diejenige des so jung gestorbenen, hervor-
ragenden Neuropathologen folgen. —
Wie L. Traube, hat auch Oskar Berger, der am 20. November
1844 in Münsterberg geboren war und auf dem Gymnasium zu Glatz zu
den vortrefflichsten Schülern der Anstalt gehörte, seine wissenschaft-
liche medicinische Vorbildung zunächst in Breslau, seit 1863, erhalten;
von hier begab er sich nach Berlin, wo vor allem Griesinger, daneben
Traube und Frerichs den bedeutendsten Einfiuss auf den jungen
Studenten ausübten. Als er hier im Jahre 1867 promovirt wurde, hatte
er in seiner Dissertation ein Thema aus dem Gebiete der Nervenkrank-
heiten, die von da an sein grösstes Interesse in Anspruch nahmen, —
die Epilepsie — behandelt. Der Titel lautet: „Zur Pathologie der
epileptoiden Zustände" (nach 25 Beobachtungen der königlichen
Charite zu Berlin). Entscheidend für die Wahl seines Special-
studiums war nach Absolvirung des Staatsexamens in Berlin sein Auf-
enthalt in Wien bis gegen das Jahr i86g, wo die grossartigen klini-
schen Einrichtungen, ebenso wie die meisterhaften Vorträge von
Oppolzer, Skoda, Benedict und Meynert, einen nachhaltigen Eindruck
in ihm hinterliessen. Den grossen Schatz der so erworbenen Kenntnisse
beschloss er in der Hauptstadt seiner heimatlichen Provinz zu ver-
werthen, indem er sich in Breslau 1869 als erster Arzt für Nerven-
krankheiten niederliess. Er fand bald Anerkennung bei seinen
Collegen und grosses Vertrauen im Publikum. In den Jahren 1870/71
fungirte er als leitender Arzt der Abtheilung für Elektrotherapie im
königlichen Garnison-Lazareth zu Breslau.
Aber sein Streben ging auch dahin, als Lehrer in seiner Wissen-
schaft zu wirken und die Forschungen des berühmten Charcot,
„welche bis dahin in Deutschland zum Theil nicht gekannt, zum Theil
angezweifelt waren," zu verbreiten. Er habilitirte sich daher 1873 als
*| Durch ein Versehen ist es uns nicht mehr möglich gewesen, in der Chronolog.
Uebersicht S. 4 und im Rückblick S. 171 Berg er, den Uebrigen entsprechend, anzubringen.
i66b
Docent der Nervenheilkunde an der Universität mit der Schrift: „Die
Lähmung des Nervus thoracicus longus", die des Verfassers wissen-
schaftliche Bedeutung über jeden Zweifel erhob. Es ist diese Arbeit
übrigens, so viel wir wissen, die einzige geblieben, welche Berger
selbständig erscheinen Hess; alle übrigen hervorragenden literarischen
Leistungen von ihm sind in den verschiedensten medicinischen
Wochenschriften, Archiven, Encyklopädien u, s. w, publicirt. Das
Krankenmaterial, das ihm den Stoff für seine Vorlesungen und Vor-
träge bot, war natürlich in der ersten Zeit ein immerhin beschränktes
da er ja lediglich auf seine Privatpraxis und seine Poliklinik für
Nervenleiden angewiesen war. Als er jedoch im Jahre 1877 zum
dirigirenden Arzte des städtischen Armenhauses gewählt wurde, war
es ihm ermöglicht, seine Forschungen und seinen klinischen Unterricht
an ein sehr umfangreiches Material anzuknüpfen, so dass die Resultate
seiner Beobachtungen an Sicherheit und Zuverlässigkeit gewinnen
mussten. "Wenn seine Vorlesungen schon vorher eine grosse An-
ziehungskraft auf Studenten und praktische Aerzte ausübten, so lag
der Grund dafür in Bergers hervorragender Lehrbefähigung. Er
besass eine scharfe Beobachtungsgabe und einen vorurtheilsfreien,
kritischen Blick, der es ihm leicht machte, dem Gedankengange eines
fremden Forschers zu folgen und dann von seinem eigenen Stand-
punkte aus ein präcises Urtheil über den fremden zu fällen. Dazu
kam der Vorzug einer klaren, auf jeden Wortprunk verzichtenden
und durch Demonstrationen wirksam unterstützten Darstellung. Wer
ihn nicht selbst gehört hat, der kann doch alle diese Vorzüge wieder
finden in seinen gediegenen Abhandlungen, so in der Eulenburgschen
Realencyklopädie, in der er die vortrefflich unterrichtenden Artikel
über Beschäftigungsneurosen, (IL 159 — 164), Epilepsie (IV, 696—728),
Paralysis (X, 315 — 338) und andere schrieb, in der Deutschen
medicinischen und Breslauer ärztlichen Zeitschrift, in der Berliner
klinischen Wochenschrift und dem Archiv für Psychiatrie und Nerven-
krankheiten. — Die einzelnen interessanten Krankheitsfälle seiner
ausgedehnten Praxis pflegte Berger, der 1878 die ausserordentliche
Professur erhielt, unter Anderem auch in der medicinischen Section
der Schlesischen Gesellschaft vorzutragen, welcher er seit dem Jahre
1870 als Mitglied und seit dem Jahre 1881, nach Spiegelbergs Tode,
als zweiter Secretär der genannten Abtheilung angehörte. Als die
sensationellen Vorstellungen auf dem Gebiete des Hypnotismus in
Breslau die Aufmerksamkeit der ärztlichen Kreise in hohem Maasse
erregten, unternahm es Berger, fast gleichzeitig mit Heidenhain, den
wissenschaftlichen Werth, der etwa denselben beizumessen war, in
einem in derselben Gesellschaft (1880) gehaltenen Vortrage: ,,Ueber
die Erscheinungen und das Wesen des thierischen Magnetismus"
i66c
klarzulegen, nachdem er eine grosse Reihe von Versuchen zu diesem
Zwecke angestellt hatte, und veranlasste durch seine Auseinander-
setzungen eine überaus lebhafte Discussion,
Die wissenschaftlichen Arbeiten beschränkten sich überhaupt
nicht auf die Neurologie, sondern erstreckten sich auch auf andere
Gebiete, wie die der Rückenmarks- und Gehirnleiden. Was die Thera-
peutik in seinem Specialfache anlangt, ist er einer der Ersten am
hiesigen Orte gewesen, welcher die verschiedenen Arten der Elec-
tricität als Heilmittel einführte.
Es sei noch erwähnt, dass Berger längere Zeit zu den Heraus-
gebern des Centralblattes für Nervenheilkunde gehörte und sich bis
zuletzt an Mendels „Neurologischem Centralblatt" mit Aufsätzen be-
theiligte. Eine seiner letzten Schriften, welche „Beiträ.ge zur Locali-
sation der corticalen Sehsphäre beim Menschen" lieferte, erschien
1885 in der Breslauer ärztlichen Zeitschrift und zeugte von seiner
wissenschaftlichen Vielseitigkeit. — Aber damals trug er, der Vierzig-
jährige, bereits den Todeskeim im Innern, da ein schon früher auf-
tretendes Nierenleiden sich von Jahr zu Jahr verschlimmerte. -
Im Juni 1885 trat ein Schlaganfall hinzu, von dessen Folgen er
sich jedoch zu erholen schien, so dass er sich zur Nachkur nach
Salzbrunn begeben konnte. Hier traf ihn am 19. Juli von Neuem
ein Gehirnschlag, der binnen wenigen Stunden der medicinischen
Welt einen grossen Forscher, dem treuen Weibe den verehrten
Gatten entriss. In der Gedächtnissrede, die Professor Dr. Ponfick
zu Ehren Bergers in der Schlesischen Gesellschaft hielt, hat der Ge-
lehrte es als das grösste Verdienst des Verstorbenen hingestellt,
dass „er hier (in Breslau) als der Erste und mit der vollen jugend-
lichen Begeisterung des Neuerers die Nervenkrankheiten als be-
sonderes Fach zu lehren unternommen hat. Fussend auf dem festen
Boden der Physiologie und der pathologischen Anatomie trat er an
die zu behandelnden Probleme mit all der Schärfe und zugleich
Nüchternheit heran, wodurch auf einem so schwierigen Gebiete
■allein klare Fragen gestellt und bestimmte Antworten erzielt zu
"werden vermögen."
Da nach unserem Wissen die Arbeiten Bergers nicht gesammelt
«rsqhienen sind, so wollen wir hier eine Anzahl der wichtigeren
soweit sie nicht vorher schon genannt sind, zusammenstellen:
In der Eulenburg'schen Realencyklopädie schrieb er ausser den
angeführten noch die Artikel über „Athetose" und „Tetanie"
(Bd. XIII).
Die deutsche Zeitschrift für praktische Medicin enthält von seiner
Feder die drei Arbeiten:
i66d
„Zur Pathologie und Therapie der Rückenmarks-
Krankheiten" (Tabes dorsaUs spasmodica). 1877.
Aus der Berliner klinischen Wochenschrift nennen wir: ,,Ein
Fall von halbseitiger Lähmung im Verlaufe des
Darmtyphus". 1870.
„Zur Lehre von den Gelenk-Neuralgien". 1873.
„Ein Beitrag zu der Lehre von der Encephalopathia
saturnina". 1874.
„Ueber die Hammond'sche Athetosis". 1877.
Virchows Archiv enthält von Berger:
,,Zur Pathogenese der Hemicranie". 1873.
„Angeborener Defect der Brustmuskeln". 1878.
In dem Deutschen Archiv für klinische Medicin schrieb er: „Zur
Aetiologie und Pathologie der sogenannten Muskel-
hypertrophie". Band IX.
Das Archiv für Psychiatrie weist von ihm auf:
„Die Grübelsucht, ein psychopathisches Symptom".
Band VI.
„Grübelsucht und Zwangsvorstellungen". Bd. VIII.
Aus der Breslauer ärztlichen Zeitschrift erwähnen wir: „Ueber
eine eigenthümliche Form von Parästhesie". 1879.
„Par'alysis glosso-labio-pharyngea cerebralis". 1884.
Ein Aufsatz „Zur Pathologie der rheumatischen Facialis-
lähmung" findet sich in der Deutsch, medicin. Wochenschrift
1876, ein anderer: ,,Drei Fälle von partieller Empfindungs-
lähmung" in der Wiener medicin. Wochenschrift.
Quellen.
I.) Breslauer ärztliche Zeitschrift, 1885, Nr. 16: „Dem Andenken
Oskar Bergers" von Dr. J. Wolff.
2.) Jahresbericht der Schles. Gesellschaft über das Jahr 1885:
Ponficks Gedächtnissrede auf B. S. 60, 61 und Nekrolog
S. 428, 429.
3.) Biographisch. Lexicon hervorr. Aerzte. Bd. I. u. VI.
4.) Breslauer Zeitung vom 21. Juli 1885 und Schlesische Zeitung
von demselben Tage.
I 67
Rückblick.
Vjrehen wir im Geist die Reihe der dreissig, von uns geschilderten
PersönHchkeiten durch, so bietet sich uns in diesem Zeitraum von
vier Jahrhunderten ein beinahe lückenloses Bild dar, welches
uns eine Vorstellung von dem geistigen Leben unserer engeren
Heimat auf dem Gebiete der Medicin und theilweise auch der
Naturwissenschaften, besonders in der Botanik, giebt, da ja in dem
XVI. Jahrhundert bis in das XVIII. hinein jeder Arzt zugleich
Naturforscher war. Die "Wissenschaft feierte auch bei uns, obwohl
wir ihr keine festgegründete Stätte als ihr Heim anbieten konnten,
ein Fest der Wiedergeburt, deren Keim in dem durch das Zeitalter
der Reformation hervorgerufenen, wissenschaftlichen Kampf der
Meinungen lag. Schlesien hat bei dieser Verjüngung als Mitarbeiter
auf dem uns hier interessirenden Gebiet nicht nur Männer hervor-
gebracht, Avelche schon bekannte Pfade im Reiche des Wissens be-
traten, sondern auch solche, die neue, zu einem sicheren Ziele führende
Wege einschlugen; wir nennen nur Crato v. Krafftheim, L. Scholz,
Casp. Schwenckfeld, Sennert, Sachs v. Loewenheimb und Kundmann.
Diese Männer hätten aber das Ansehen unserer Provinz durch ihre
wissenschaftliche Bedeutung allein nicht in dem hohen Maasse, wie
es geschehen ist, fördern können, wenn sie nicht eine geradezu auf-
fallende Anhänglichkeit an ihre Heimat bewiesen hätten, wenn sie
und die ausser ihnen von uns geschilderten Gelehrten nicht einen
mehr oder minder grossen Theil ihrer Thätigkeit der Heimat ge-
widmet und durch einen ausgebreiteten Verkehr mit fremden Ge*
lehrten eine anregende Verbindung zwischen ihrer Heimat und den
anderen Ländern hergestellt hätten. Welche Verdienste sich in
dieser Beziehung gerade Sachs v. Loewenheimb als Mitglied der
Academia Naturae Curiosorum erwarb, ist in unserem diese Akademie
betreffenden Aufsatze auseinandergesetzt. Die eben skizzirte Blüthe-
zeit der Medicin und Naturwissenschaften in unserer Provinz dehnte
sich von der Mitte des XVI. Jahrhunderts bis in den Anfang des
1 68
XA'III. aus. Das XVIII. Jahrhundert selbst hat zwar den Geist der
vorangegangenen Zeit ebenfalls gepflegt, aber nicht so hervorragende
Verdienste um die weitere Verbreitung des wissenschaftlichen
Ruhmes unserer Heimat aufzuweisen. Das XVIII. Säculum, welches
auf dem Gebiete der Medicin eine gründliche Umwälzung mit sich
brachte, das Studium der Medicin individualisirte und in dieser
Hinsicht die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften von der-
jenigen mit der praktischen Medicin trennte, hat dann, als Ange-
hörige unseres Schlesiens, Avieder Geistesheroen wie Traube und
Middeldorpf hervorgebracht, um nur diese Beiden als die erfolg-
reichsten neben den sonst von uns behandelten Medicinern aus
diesem Jahrhundert zu nennen.
Wir wollen nun, zur Vervollständigung dieser Skizze und um uns
gleichsam das entworfene Bild näher zu rücken, eine kurze Ueber-
sicht über die Verdienste der dreissig Gelehrten geben, indem wir
die fünf am schärfsten hervortretenden, für die Entwickelung der
Medicin wichtigsten Charakterköpfe: Crato, Schwenckfeld, Sennert,
Traube und Middeldorpf zuerst in's Auge fassen.
1. Crato von Crafftheim, geb. 1519, yiöSs.
Durch die Priorität der Erklärung, dass die Pest zu den conta-
giösen Krankheiten gehöre, sowie durch die in seiner „Pestord-
nung" niedergelegten Ansichten über das Wesen und die Ver-
hütungen von Pesterkrankungen berühmt.
2. Caspar Schwenckfeld, geb. 1563, -j-iöog.
Durch seine grossartigen, w^ahrhaft erstaunenswerthen Leistungen
auf naturwissenschaftlichem Gebiete, als Physikus, als Botaniker,
als Baineolog und Mineraloge gleichbedeutend.
3. Daniel Sennert, geb. 1572, -1-1637.
Durch viele sehr gelehrte Werke und besonders die erste ge-
naue Beschreibung des Scharlachs hervorragend.
4. Ludwig Traube, geb. 1818, -(-1876.
Durch wichtige klinische Untersuchungen und Entdeckungen^
namentlich durch Einführung der sogenannten physikalischen
Diagnostik in Berlin von dauernder Bedeutung.
5. Albrecht Middeldorpf, geb. 1824, f 1868.
Durch Einführung der Galvanokaustik in die chirurgische Praxis
rühmlichst bekannt; rangirt durch geschicktes Operiren etc. neben
Dieffenbach und Langenbeck.
6. Johann Lange, geb. 1485, i-isös
Hervorragend als Arzt und Schriftsteller, bekämpfte er energisch
I 6o
den medicinischen Aberglauben seiner Zeit (er lebte bis zu
seinem Tode in Heidelberg).
7. Johann Moibanus, geb. 1527, 'i'1565
war in den Künsten bewandert, pflegte mit Vorliebe Poesie
und Malerei, berühmt als philologischer und ärztlicher Schrift-
steller.
8. Matthias Auctus, geb. ?, t^543
ist als erster Physikus von Breslau bekannt und schrieb eine
auf die Pest bezügliche ausgezeichnete Abhandlung.
!i. Joachim Curaeus, geb. 1532, fi573
wird nach dem Urtheile der Fachmänner als der Begründer der
schlesischen Geschichtschreibung angesehen, zeichnete sich auch
durch grosse medicinische Gelehrsamkeit aus. Man nannte ihn
auch wegen seines Styls den Xenophon Deutschlands.
IG. Laurentius Scholz, geb. 1552, f 1599.
Hervorragender Botaniker; für unsere schlesische Heimat insbe-
sondere rühmenswerth als Begründer des ersten grösseren
botanischen Gartens, der sich durch seltene Gewächse, wie die
Kartoffel, und durch die äusserst grosse Zahl seiner schön ge-
ordneten Pflanzen auszeichnete.
11. Johann Jessenius von Jessen, geb. 1566, -|-i62i
galt als ausgezeichneter Anatom, geistvoller freidenkender Mann;
sein trauriges Schicksal hat seinen Namen insbesondere bekannt
gemacht.*)
12. Philipp Sachs von Löwenheimb, geb. 1627, -I-1672.
Durch Gründung der Ephemerides Acädemiae naturae curiosorum,
sowie durch seine Vermittelung am Wiener Hofe zu Gunsten
der Rechte der Academia Leopoldina Carolina sehr verdient.
13. Matthias Gottfried Purrman n, geb. 1646, *fi7ii
ist der erste Oberwundarzt des Hospitals Allerheiligen. Be-
deutender Chirurg in praktischer Hinsicht wie in theoretischer
durch seine Schriften.
14. Johann Christian Kundmann, geb. 1684, -I-1751.
Durch Begründung der Medicinalstatistik und durch bedeutende
wissenschaftliche Arbeiten in der Pestfrage, sowie durch das ge-
•^ naueste Wissen in der Münzkunde und als Arzt rühmhch bekannt.
15. Adam Christian Thebesius, geb. 1686, ti732.
war ein Gelehrter von hervorragendem allgemeinen Wissen in
*) Das am Rossmarkt gelegene Durchgangsgebäude zum Riembergshof ist das Wohn-
haus der Jessensky in Breslau ; über dem Thorweg befindet sich das Familienwappen. (Gütige
Mittheilung des Herrn Bibliothekars Dr. Frenzel.)
lyo
der Medicin; vortrefflicher Anatom, Entdecker der Valvula
Thebesii und der Foramina Th.; ausgezeichneter Arzt und
Physikus zu Hirschberg, Badearzt zu Warmbrunn.
i6. Johann Sigismund Hahn, geb. i6g6, f 1773.
Berühmt durch die erste gründhchewissenschafthche Beschreibung
der Kaltwasserkuren. Als der erste dieser Kurorte in Deutsch-
land galt seine Geburtsstadt Schweidnitz.
17. Balthasar Tralles, geb. 1708 *|*i797
war ein sehr gesuchter praktischer Arzt und trat sogar in nähere
Beziehung zum König Friedrich IL, dessen schwer erkrankten
Bruder Ferdinand er erfolgreich behandelt hatte. Von ihm stammt
die Tralles'sche Spirituswaage.
18. Michael Morgenbesser, geb. 1714, *|"i782
hat sich durch Etablirung des ersten anatomischen Institutes zu
Breslau verdient gemacht.
19. Anton Krocker, geb. 1742, -j-1823.
Bedeutendster Botaniker Schlesiens für seine Zeit; zugleich war
er ein sehr beliebter, praktischer Arzt.
20. Elias Henschel, geb. 1758, i*i843
gelangte aus kümmerlichen Verhältnissen durch beharrlichen
Fleiss zur Höhe des berühmtesten Geburtshelfers seiner Zeit in
Breslau und Schlesien; für sein Fach hat er sich auch vielfach
schriftstellerisch bethätigt.
21. Georg Philipp Mogalla, geb. 1766, -|-i83i.
Ausgezeichnet als Baineologe. Begründer der Molkenanstalt in
Reinerz, und Verfasser einer guten Schrift über das Bad Cu-
dowa.
22. Johann Wendt, geb. 1777, "1-1845.
Hochbegabter Arzt und Schriftsteller, für die Nachwelt aber
weniger wirksam, weil mit ihm zugleich die mittelalterliche
Medicin aus dem Leben trat, an deren Stelle nunmehr ein neuer
naturwissenschaftlicher Geist sich der Wissenschaft insgesammt
bemächtigte.
2s. August Wilhelm Henschel, geb. 1790, ti856.
Geistreicher Botaniker; namentlichberühmtalsder erste schlesische
Medicinalhistoriker dieses Jahrhunderts.
24. Heinrich Robert Goeppert, geb. 1800, -|-i884.
Ein tüchtiger Arzt, aber weltberühmt als Botaniker und Paläon-
tologe; ausgezeichneter Schriftsteller, langjähriger Director des
botanischen Gartens und Präses der vaterländisch-schlesischen
Gesellschaft, die er gewissermassen in eine Akademie für Popu-
larisirung der gelehrten Fächer umwandelte.
25. Carl Wilhelm Klose, geb. 1803, -|- 1865.
Ganz bedeutender, auch vielseitig gelehrter Arzt; als solcher
wurde er dirigirender Oberarzt am Barmherzigen-Brüderhospitale,
wo er durch zwanzig Jahre wirkte; in der letzten Zeit Landkreis-
Physicus, sowie Privat-Docent und Sanitätsrath.
26. Gabriel Gustav Valentin, geb. 1810, f 1883.
Erst praktischer Arzt in Breslau; durch die Freundschaft mit
Purkinje für die Physiologie eingenommen, wurde er einer der
glänzendsten Vertreter dieses Faches, ebenso angesehen als
Forscher wie als Lehrer und Schriftsteller in seiner Wissenschaft.
27. Heinrich Neumann, geb. 1814, -|-i:
Einer der geistreichsten Psychiatriker, dessen Handbuch der
Psychiatrie noch jetzt, 30 Jahre nach dem Erscheinen, die dritte
Auflage erlebt hat.
28. Victor Julius Nega, geb. 1816, 11857.
Praktischer Arzt von bedeutendem Rufe durch gründliche Kennt-
nisse in der neueren Medicin und deren Untersuchungsmethoden;
Primärarzt des Allerheiligen-Hospitals zu Breslau und zugleich
Professor extraordin. für materia medica.
2g. Rudolf Leubuscher, geb. 1821, f 1861.
Scharfsinniger Pathologe und Irrenarzt, als letzterer auch
literarisch erfolgreich hervortretend. Mit Virchow Herausgeber
der „Medicin. Reform" (1848).
30. Hugo Rühle, geb. 1824, f 1888.
Vorzüglicher klinischer Lehrer und wohlbekannt durch seine
Arbeiten über Lungentuberculose.
Ausübende Aerzte Schlesiens, welche in
unserer Zeit schriftstellerisch hervorge-
treten sind.
Innerhalb der einzelnen Biographieen aus dem XVI., XVII. und
XVIII. Jahrhundert hat sich uns wiederholt die Gelegenheit geboten,
auch anderer schlesischer Aerzte, die sich zu ihrer Zeit eines be-
trächtlichen Ansehens erfreuten, zu gedenken*). Es konnte natür-
lich nicht unsere Aufgabe sein, alle diese in besonderen Lebensbe-
schreibungen dem Leser vorzuführen. Wir wollten uns vielmehr
damit begnügen, diejenigen Aerzte aus den vergangenen Zeiten
herauszuheben, welche auf dem Gebiete der Medicin und der mit
ihr so eng verschwisterten Naturwissenschaften entweder Neues
schufen oder in irgend einer Beziehung fördernd und anregend
wirkten. Dadurch dass wir uns mit der Darstellung auf solche her-
vorragende Gelehrte beschränkten, glauben wir auch, uns einem bei
dieser Arbeit vorschwebenden Ziel genähert zu haben. Dieses Ziel
besteht nämlich darin, für die drei vergangenen Jahrhunderte einmal
festzustellen, welche Stellung Schlesien im Reiche der Wissenschaft
eingenommen, in wie weit es sich an der fortschreitenden Ent-
wickelung derselben betheiligt hat. Und wir dürfen im Hinblick
darauf wohl sagen, dass auch unsere Heimat sich auf der Höhe der
Zeit zu halten wusste, so weit es die uns hier angehenden Fächer
betrifft. — Wenden wir nun den Blick unserem Jahrhundert zu, so
erscheint uns für dasselbe eine derartige Beschränkung in eben dem
Maasse ungerechtfertigt, wie sie sich für die weiter zurückliegende
Zeit rechtfertigen Hess. Das was in unserer Provinz, wie in jeder
anderen, jetzt in der Medicin geleistet wird, ist keineswegs mit den
Leistungen hervorragender Universitätslehrer erschöpft. Um für
unsere Zeit zu einer richtigen Würdigung zu gelangen, müssen noch
andere, durchaus neue Momente berücksichtigt werden.
*) Wir verweisen auf die Biographieen Langes, Cratos, Schwenckfelds, Sennerts,
Thebesius' und Hahns.
/o
Zu ihnen gehört vor Allem das Eingreifen der Regierung in
die Gesundheitsverhältnisse und in die Krankenpflege. Der Staat
erlässt jetzt seine Verordnungen für Scharlach-, Typhus-, Ruhrepi-
demieen u. s. w. : er sucht den Ausbruch gewisser Krankheiten zu
verhindern, indem er z. B. seine Unterthanen zwingt , sich der
Impfung zu unterziehen. Diese Maassregeln sind aber nicht durch-
zuführen ohne die Hilfe praktischer Aerzte, und so werden diese
Beamte ihres Staates, Physici und Medicinalräthe. Jeder von
ihnen nimmt eine ebenso umfangreiche, wie verantwortungsvolle Be-
schäftigung auf sich; hierdurch ist dem Arzte eine neue jMöglichkeit
gegeben, Hervorragendes nicht nur durch die That, sondern auch
durch das Wort zu leisten. Die Fragen, deren Beantwortung nun
der Staat von ihm verlangt, beschäftigen weiterhin auch städtische
Behörden rücksichtlich der von ihnen für das AVohl der Bürger ge-
troffenen Einrichtungen und regen selbst Privatärzte zu schriftHcher
Aeusserung ihrer Ansichten an. — Ein zweites Moment hegt in der
gründlichen Vorbildung der praktischen Aerzte für ihren Beruf, die es
ihnen ermöghcht, unter Anderem selbst als Chirurgen in ihrer Privat-
praxis thätig zu sein; ihre Erfahrungen in dieser Hinsicht bieten
ihnen oft die Anregung zu schriftstellerischer Thätigkeit. — AVir
führen drittens an die Bedeutung, welche die Bade-Kurorte in unserem
Jahrhundert erlangt haben. Eine grosse Zahl praktischer Aerzte
wurde dadurch veranlasst, sich als Badeärzte an denselben nieder-
zulassen, und es entwickelte sich so ein fast ganz neuer Zweig
medicinischer Literatur.
Halten wir jetzt, von diesen Gesichtspunkten ausgehend, Um-
schau nach den unserem • Jahrhundert angehörigen, verstorbenen
Aerzten, die in unserer Heimat lange Zeit wirkten, so erblicken wir
gar Manchen, der sich um Schlesien durch seine praktische und
schriftstellerische Thätigkeit — innerhalb der drei von uns aufgestellten
Kategorien — anerkennenswerthe A^erdienste erworben hat; daneben
stehen diejenigen verdienten Aerzte, deren Wirkungskreis zwar
ausserhalb der erwähnten Kateg-orien fällt, die aber als medicinische
Schriftsteller Bedeutendes geleistet haben. Wir halten es daher für
eine angenehme Pflicht, die Erinnerung an diese Aerzte wieder
aufzufrischen und ihr Wesen und AVirken, wenn auch in engerem
Rahmen, zu charakterisiren, soweit uns das Material zu Gebote
steht*). —
*) Abgesehen von den jMittheilungen, die wir durch die den Geschilderten nahestehen-
den Persönlichkeiten erhielten, und von persönlichen Erinnerungen, schöpften wir aus dem
Biograph. Lexicon hervorrag. Aerzte, Nowack's Schriftsteller-Lexicon, Nadbyls Chronik und
Statistik der Univers. Breslau, dem Neuen Nekrolog der Deutschen und den Jahresberichten
der Schles. Ges. für vaterl. Cultur; sonstige Quellen sind besondeis angegeben. —
•74
I. Höhere Medicinalbeamte.
Wir stellen hier zwei um die Mitte des vorigen Jahrhunderts
geborene Männer voran, die in Folge ihrer Verdienste um die Ein-
führung der Pockenimpfung in Schlesien zu Medicinalräthen ernannt
wurden, Friese und Dietrich.
Friedrich Gotthilf Friese
(geb. 1763 zu Münsterberg, gest. 1827) hatte sich zuerst unter Leitung
seines Vaters, des Stadtapothekers, als Pharmaceut ausgebildet, darauf
in Breslau Anatomie und andere medicinische Studien getrieben, bis
er sich nach der Universität Halle begab. Hier musste er jedoch
in absentia 1788 promovirt werden, da er durch den Tod seines
Vaters zur Rückkehr in die Heimat behufs Uebernahme der Apotheke
gezwungen war. Seine vortreffliche Kenntniss fremder Sprachen,
besonders des Englischen , machte ihn mit den Untersuchungen
Jenners über die Vaccination bekannt, und gegen Ende des Jahr-
hunderts suchte er bereits in Breslau, wo er sich 1789 niedergelassen
hatte, dieses Schutzmittel einzuführen; unterstützt wurde er in diesem
Beginnen ganz besonders von E.Henschel*) und M. Kruttge**). Schrift-
stellerisch war Friese für seine Sache ausserordentlich thätig, er
übersetzte englische Werke über die Impfung in's Deutsche und
verfasste selbst eine „Kurzgefasste Beschreibung der Kuhpocken
und ihrer Impfung" (1804), welche, in zwei Auflagen erscheinend,
auf Kosten der Regierung unter der schlesischen Bevölkerung ver-
theilt wurde. In demselben Jahre erschien auch seine „Instruction
für die zur Impfung der Kuh- und Schutzpocken in dem Breslauer
Departement berechtigten Personen". Nachdem ihm die Regierung
den Charakter eines Medicinalrathes, ebenfalls 1804, verliehen hatte,
wurde er 18 14 zum Regierungs- und Medicinalrath zu Breslau be-
fördert und sah sich durch die damit verbundene, anstrengende amt-
Hche Thätigkeit bald genöthigt, der ärztlichen Praxis zu entsagen.
Von seinen schriftstellerischen Arbeiten erwähnen wir noch seine
„Antisyphilitische Pharmacologie" (1791) und seine Uebersetzung
des Werkes von Rob. Willan: „Die Hautkrankheiten und ihre Be-
handlung" (1799—1816). Um seine deutschen Collegen mit den neuen
enghschen Forschungen bekannt zu machen, begründete er die „An-
nalen der neuesten britischen Arznei- und Wundarzneikunst'' (1801
*) Cf. S. 95 dieses Werkes die Abhandlung E. Henschels.
**) Job. Fr. Michael Kruttge (l 771 — 1843), Medicinalrath, ist der erste gewesen,
der gegen die Wasserscheu die Merkurial - Inunctionskur mit Erfolg anwandte, und lieferte
eine gute Uebersetzung von Astley Coopers „Anatomie und chirurg. Behandlung der Leisten-
brüche und der angeborenen Brüche" 1809.
/ 0
bis 1802). Zusammen mit einem anderen, trefflich veranlagten Arzte
Zadig*), einer abenteuerlichen Natur, die ihr Talent weder praktisch
noch schriftstellerisch in angemessener AVeise zu verwerthen verstand,
gab er das „Archiv der praktischen Heilkunde für Schlesien und
Südpreussen" heraus. In Niederschlesien fanden die Bemühungen
Frieses ausserhalb Breslaus ganz besondere Förderung durch den
Glogauer Arzt
Gottl. Siegfrid Dietrich,
der, in Löwenberg 1758 geboren, in Leipzig, Berlin und Halle seine
wissenschaftliche Ausbildung erhalten hatte. Er betheiligte sich
eifrig mit Arbeiten am Friese 'sehen Archiv und lieferte eine selbst-
ständige Schrift: ,,Das Wissenswürdigste der Kuhpockenimpfung"
(1801). Als die Regierung ihm den Auftrag ertheilte, ein Impf-
institut in Glogau einzurichten, wurde er Vorsteher desselben und
zum jMedicinalrath ernannt. Ihm verdankt die Stadt Glogau auch
die Gründung ihres geschichtlichen Vereins; er selbst verfasste ein
ausführliches, auch die Krankheiten behandelndes historisches Werk:
„Glogaus Schicksale von 1806 — 14". Im Jahre 1832 ehrte ihn die
Regierung gelegentlich seines Jubiläums durch die Verleihung des
Charakters eines Geheimen Medicinalrathes ; 1840 starb er.
Die schriftstellerischen Leistungen dieser beiden Männer werden
in den Schatten gestellt durch die Arbeiten einer Reihe anderer als
Staatsbeamte wirkender Aerzte, denen wir uns nun zuwenden. Der
bedeutendste unter ihnen ist wohl zweifellos
Karl Ignatz Lorinser
(1796 zu Niemes in Böhmen geb., gest. 1853). Schon im Alter von
28 Jahren wurde er Regierungs- und Medicinalrath in Cöslin, das
er 1825 verliess, um in die gleiche Stellung nach Oppeln überzu-
siedeln. Da er während seines Berliner Universitätsstudiums sich
auch in der Veterinärmedicin gute Kenntnisse erworben hatte, so
ist es nicht zu verwundern, dass seine Arbeiten sich ebenso auf
Thierseuchen, wie auf Menschenepidemien erstreckten. Im Jahre
1824 veröffentlichte er bereits seine ,, Versuche und Beobachtungen
über die AVirkung des IMutterkorns auf den menschlichen und thieri-
schen Körper". Im Jahre 1831 erschienen seine werthvollen „Unter-
suchungen über die Rinderpest", welche zum grossen Theil auf Be-
obachtung dieser Seuche in Oberschlesien (1827/28) beruhen. Zwei
*) Im Jahre 1802 nalim er, nachdem er sich hatte taufen lassen, den Namen Zanth
an; er starb 1836 zu P.-Lissa, wo er bis dahin prakticirt hatte. Er publicirte 1797 einen
„Plan, nach welchem die Einimpfung der Pocken allgemein eingeführt werden könnte".
(Cf. Biogr. Lexicon VI.)
176
Jahre vorher (1829) sandte ihn die Regierung nach den unteren
Donauländern, die damals von der Pest heimgesucht wurden. An
die hier gemachten Erfahrungen knüpften sich weitere historisch-
kritische Studien, deren Ergebniss im Jahre 1837 die gründliche und
bedeutende Arbeit ,,Die Pest des Orients, wie sie entsteht und ver-
hütet wird" war. Dieser beiden zuletzt genannten Schriften hat
Göppert im Jahre 187g in einer Sitzung der medicinischen Section
der Schlesischen Gesellschaft rühmend gedacht, veranlasst durch die
drohende Pestgefahr im genannten Jahre. Doch haben diese AVerke
Lorinsers seiner Zeit nicht jenes grosse Aufsehen erregt, das seine
1836 erscheinende kleine Mahnschrift „Zum Schutz der Gesundheit
der Schüler" hervorrief. Es entspann sich durch sie ein überaus
lebhafter, oft erbitterter Kampf der IMeinungen zwischen Aerzten
und Schulmännern, und sie machte König Friedrich AVilhelm III.
auf den Verfasser aufmerksam. Im Jahre 1835 wurde Lorinser auch
die Direction der Hebammen-Lehranstalt zu Oppeln anvertraut. Im
Anfang der fünfziger Jahre zog er sich von seiner amtlichen Thätig-
keit zurück nach Patschkau, wo er am 2. October 1853 starb. Wie
Lorinser ist auch
Karl AA^ilh. Ferdin. Schlegel
in verhältnissmässig jungen Jahren zu einem ähnlichen verantwort-
lichen Amte berufen worden. Im Alter von 22 Jahren — er war
1793 zu Egeln im Reg.-Bezirk Magdeburg geboren — wurde Schlegel
bereits Physikus des Kreises Breslau, bis er 1821 als Regierungs-
jSIedicinalrath nach Oppeln versetzt wurde. Als Lorinser in diese
Stellung berufen ward, erhielt Schlegel die entsprechende Berufung
nach Liegnitz. Hier wirkte er bis in sein hohes Alter hinein nicht
nur in allgemein sanitären Verhältnissen, sondern auch in seiner
Privatpraxis überaus segensreich, da er sich ausserordentlicher Be-
liebtheit erfreute. Sein Hauptaugenmerk hatte er auf die Ent-
wickelung der Cholera in diesen Gegenden, die ja wiederholt (1831,
^2, 36. 37, 49, 51 und 52) unter dieser furchtbaren Geissei der Mensch-
heit zu leiden hatten, gerichtet und gab im Jahre 1856 eine „An-
leitung zur sanitätspolizeilichen Behandlung der Cholera" heraus. In
Rusts IVIagazin (1840) veröffentlichte er seine „Beobachtungen über
Encephalitis infantium und Hydrocephalus acutus inf."; in der Medi-
cinischen Zeitung des Vereins für Heilkunde finden sich Aufsätze
von ihm „Ueber das Verhältniss der Heilkunst zum Genesungs-
process" (1838) und ,, Ueber die asiatische Cholera und das Chlor"
aus dem Jahre 1849, i^i welchem er Geheimer Medicinalrath wurde.
Seine geistige Frische und körperliche Rüstigkeit hielten bis zu
seinem Tode, Februar 1885, an.
177
Durch seine bedeutende chirurgische Thätigkeit in Lazarethen
und Hospitälern hat sich der Medicinalrath
Johann Wenzel Hancke
grossen Ruf und berechtigte Anerkennung verschafft. Im Jahre
1770 im Liegnitzer Kreise (Mertschitz) geboren, trat er 1790 als
Chirurg in die preussische Armee ein; 1795 — 99 besuchte er zur
weiteren Ausbildung in der Medicin die Pepiniere in Berlin und
wirkte nach abgelegter Prüfung als Oberchirurg in Glogau und
Breslau. An letzterem Orte wurde er, nachdem er 1807 in Frankfurt
promovirt worden war, schnell als tüchtiger Operateur bekannt und
hielt Vorlesungen über Chirurgie. Ganz Hervorragendes leistete er
in den Jahren 181 3 und 18 14 in dem grossen Kriegslazareth auf
dem Bürgerwerder. Bald darauf wurde er in das Provinzial-Medi-
cinalcollegium als Assessor berufen, und nicht lange nachher wurde
er Medicinalrath. Während der Choleraepidemie im Jahre 1831
leitete er das Lazareth im Kloster der barmherzigen Brüder, nachdem
er schon seit 18 10 in dem dazu gehörigen Hospital als ordinirender
Arzt fungirt hatte. Zu seinen besten literarischen Schöpfungen ge-
hört sein Aufsatz ,,Ueber die Kopfverletzungen" in Rusts Magazin
und die Arbeit aus dem Jahre 1829: ,,Ueber die Eröffnung der Eiter-
geschwulst nach verschiedenen Methoden". Sein umfangreichstes
Werk ist die Monographie: „Ueber das Chlorzink als Heilmittel
gegen die Syphilis u. s. w." aus dem Jahre 1841; in demselben Jahre
gab er sein Lehramt an der med.-chirurg. Schule auf. Das An-
denken an diesen Mann, der im Juni 1849 starb, ist in Breslau für
lange Zeit dadurch gesichert, dass seine edle und pietätvolle Wittwe,
Tochter des Generals von Krafft, aus dem Nachlass ihres Gatten
die Mittel zu dem jetzigen Wenzel-Hancke'schen Hospital, in einem
bis zu der Zeit in dieser Beziehung stiefmütterlich behandelten und
doch dessen bedürftigen Stadttheil Breslaus, hergab; den Rath zu
dieser Verwendung des Geldes gab ihr der frühere Breslauer Bürger-
meister Bartsch, der neben seinen sonstigen grossen Verdiensten
auch dadurch die Kommune zu dauerndem Dank verpflichtet hat.
Eine interessante schriftstellerische Thätigkeit, die ein Zeichen
vielseitiger Begabung war, entfaltete der Physikus des Trebnitzer
Kreises
E. L. Heinrich Lebenheim
(1787 — 1848), ein Breslauer von Geburt. Nachdem er in seiner
Vaterstadt, das Studium der Philosophie aufgebend, das Collegium
medic, sodann die Universitäten Berlin und Erfurt besucht hatte,
Hess er sich nach seinem in Berlin absolvirten Examen zuerst in
17«
Herrnstadt, später (1814 — 24) in Breslau als praktischer Arzt nieder ;
1824 erhielt er das Physikat im Kreise Trebnitz. Sein erstes grosses
AVerk war der „Versuch einer Physiologie des Schlafes" in zwei
Bänden (Leipzig 1823. 1827). Seine amtlichen Erfahrungen theilte
er im Jahre 1826 mit in Hufelands Journal, in dem Aufsatz: „Ueber
die Pockenepidemie zu Deutschhammer"; in grösserem Maassstabe
verwerthete er die ihm durch sein Amt nahegelegten Untersuchungen
in seiner Schrift: ,, Ueber Volkskrankheiten und deren Bekämpfung"
1835; nach Dr. Kuschberts Angabe schrieb er auch eine gute Ab-
handlung über Salzbrunn. Seine letzte Arbeit, aus dem Jahre 1846,
beschäftigte sich mit der „Medicinal-Verfassung-Preussens" (Hamburg).
Wir lassen auf Lebenheim einen durch verschiedenartige schrift-
stellerische Thätigkeit in der Medicin nennenswerthen Physikus des
Breslauer Landkreises folgen, den ausserordentlichen Professor
Hermann Friedberg
(geb. 18 17 in Rosenberg, gest. 1884), einen Arzt mit grossen Fähig-
keiten. Er hatte einen vorzüglichen Studiengang durchgemacht
durch den Besuch der Universitäten Breslau, Berlin, Prag, Wien und
Paris. Nachdem er seine Vorbildung abgeschlossen hatte, prakticirte
er kurze Zeit in Brieg. Von hier aus begab er sich wieder nach
Berlin, wo ihm seine tüchtigen Kenntnisse eine Assistentenstelle an
der chirurgischen Universitätsklinik unter Langenbeck verschafften
im Jahre 1849. Als er dieselbe 1852 aufgab, habilitirte er sich an
der Berliner Universität für Chirurgie und Staatsarzneikunde. Er
blieb nun in Berlin, wo er auch einer chirurgischen und augenärzt-
lichen Privatklinik vorstand, bis 1866, In diesem Jahre siedelte er
nach Breslau über und wurde hier Physikus des Landkreises und seit 1869
ausserordentlicher Professor an der Universität für Staatsarzneikunde.
Von seinen zahlreichen Werken erwähnen wir das fleissig ge-
arbeitete, gediegene Werk: „Pathologie und Therapie der Muskel-
lähmung"; in seine Breslauer Thätigkeit fallen seine Werke auf dem
Felde der gerichtlichen Medicin, z. B. „Die Vergiftung durch Kohlen-
dunst" und die „Gerichtärztliche Praxis: vierzig Gutachten" ; inVirchows
Archiv lieferte er wiederholt Aufsätze.
Die Reihe der Beamten unter den Aerzten wollen wir mit den
beiden Kreis-Physicis, Sanitätsrath Born und Rosenthal, schliessen.
Marcus Born
(geb. 18 19 zu P.-Lissa) erhielt seine Ausbildung als Arzt auf der
Berliner Universität, an der ihn besonders Joh. Müller, der Anatom
Schlemm und Schönlein anzogen. Seine praktische Thätigkeit begann
er in der Provinz Posen zu Kempen, wo er sich bald' gleicher Be-
liebtheit bei den Bürgern wie bei dem polnischen Adel erfreute.
Kaum aber hatte er sich im Jahre 184g als Vertreter der Deutschen
in den Landtag wählen lassen, so zogen sich die polnischen Edel-
leute von ihm zurück. Dies hatte zur Folge, dass Born seine Praxis
aufgeben musste und im Jahre 1852 nach Görlitz übersiedelte, wo
er allmählich der geachtetste Arzt wurde. Im Jahre 1860 wurde er
zum Kreisphysikus ernannt und erwarb sich als solcher grosse Ver-
dienste um die Stadt Görlitz, welche ihm viele ihrer Einrichtungen
auf dem Gebiete der Hygiene verdankt. Im Interesse dieser Stadt
veröffentlichte er 1871 seine , .Beiträge zur medicinischen Statistik
der Stadt Görlitz", die reich an trefflichen Rathschlägen für die
städtischen Behörden sind. Als er im Jahre 1S74 starb, hinterliess
er bei seinen Mitbürgern die Erinnerung an einen edlen Menschen
und bewährten Berather und Arzt.
Der Name des Kreisphysikus zu Rosenberg (in Schlesien)
Josef Ferdinand Rosenthal
(geb. zu Leutersdorf bei Oppeln 181 7, gest. 1887) ist vor Allem durch
zwei Schriften in der Aerztewelt allgemeiner bekannt geworden.
Die eine der Arbeiten ist seine unter Leitung Purkinjes angefertigte,
aus dem physiologischen Institut zu Breslau hervorgehende Disserta-
tion : „De formatione granulosa in nervis aliisque partibus organismi
animalis" (1839); von ihr sagt Heidenhain (Allgem. Deutsche Biogr.
XXVI., S. 729), dass sie eine „neue, noch heute maassgebende, wenn
auch in mancherlei Punkten erweiterte Beschreibung der Xer\-en-
primitivfasern" enthält; Purkinje selbst entwarf die Zeichnungen auf
der zu der Arbeit gehörenden Tafel, die unten die Worte trägt".
„Purkinje delineavit". Ferner lieferte Rosenthal als praktischer Arzt
eine höchst gediegene Abhandlung: ,,Der Oberschlesische Typhus
des Jahres 1847" in Caspers Wochenschrift für die gesammte Heil-
kunde (1849, ^o- 37 — 40- El* zeigte sich hier als ein IMann von
weitem und scharfem Blick, im Ausdruck präcis und kernig. Der
Schluss enthält werthvoUe Bemerkungen darüber, auf welche AVeise
allein die für das Entstehen einer Epidemie geradezu günstigen
Verhältnisse unter der ländlichen Bevölkerung umgestaltet werden
können. Wir erwähnen noch, um Rosenthals Berechtigung zur
Abfassung einer solchen Arbeit zu beweisen, dass er während der
Epidemie 11 00 Typhuskranke behandelt hatte und dass Casper be-
dauerte, die Arbeit bei ihrem Werthe nicht in extenso aufnehmen zu
können; als praktischer Arzt erfreute er sich mit Recht eines aus-
gezeichneten Rufes.
l8o
II. Chirurgen,
"Wie Rosenthal, hat auch der Arzt, über den wir hier zunächst
Einiges anführen wollen, seine ganze Studienzeit in Breslau verlebt,
B. G. Anton Hanuschke
(geb. 1812 zu Maifritzdorf bei Reichenstein, gest. 1879). Auch seine
Dissertation ist zum Theil unter Anleitung Purkinjes entstanden»
welcher, wie Hanuschke sagt, ihm ,,rei investigandae viam mon-
stravit"; sie führt den Titel: ,,De genitalium evolutione in embryone
femineo observata" (1837). Unter seinen Opponenten befand sich
Julius Xega; Hanuschke selbst führte die instructiven, guten Zeich-
nungen für seine Arbeit aus. Schon während seiner Studienzeit
hatte sich Hanuschke mit Vorliebe der Geburtshilfe und Chirurgie
beflissen und in dieser Beziehung sich als Arzt in Ottmachau einen
bedeutenden Ruf und Wirkungskreis verschafft. Im Jahre 1864
Hess er in Leipzig sein verdienstrolles, umfangreiches Werk: ..Chirur-
gisch-operative Erfahrungen einer fünfundzwanzigjährigen wundärzt-
lichen Beschäftigung" (mit 10 Tafeln versehen) erscheinen. Ueber
den Werth desselben führen wir das competente Urtheil des Hospi-
talarztes Dr. O. Janicke an:
„Das grosse Interesse, welches der Autor allem Anschein
nach seinen Kranken widmete, dürfte denselben nicht selten zu
einer grösseren Breite in der Darstellung verleitet haben. Die
letztere hindert jedoch nicht, zu erkennen, wie Hanuschke trotz der
misslichen Verhältnisse, unter denen er in einer kleinen Landstadt
thätig zu sein gezwungen war, sein Material technisch und wissen-
schaftlich gut, ja vortrefflich zu verarbeiten und zu verwerthen im
Stande war. Sein operatives Handeln ist weniger durch Originalität,
als durch gewissenhaftes und von einer gesunden Kritik geleitetes
Anschliessen an die Lehren berühmter Meister seines Faches aus-
gezeichnet. Auch sein vorliegendes Werk hat, wie er selbst in
dem Motto allzubescheiden bemerkt, nicht den Zweck, zu belehren
und Menschen zu bekehren, sondern nur den, zu sagen, was er
machte und sich dabei dachte. Eine Anzahl von seiner Hand
herrührender, guter Zeichnungen ergänzen den Text und beweisen,
dass Hanuschke auch auf diesem Gebiet mehr als Gewöhnliches
leistete."
In seinem Hause in Ottmachau richtete Hanuschke sich eine
eigene Klinik ein und fungirte ausserdem als dirigirender Arzt an
dem im Ort befindlichen Fürstbischöfl. Hospital. Er starb, als
Sanitätsrath, im Jahre 1879.
Ein nicht minder anerkannter Chirurg, literarisch jedoch frucht-
barer als Hanuschke, war
Heinr. Bruno Schindler
(geb. 1797 in Lauban, gest. 1859). Er war der Sohn des durch seine
kühnen Operationen damals sehr bekannten Kreischirurgen zu
Lauban, Heinrich Traugott Schindler, und erhielt seine Ausbildung
in der Medicin auf der medic.-chirurgischen Akademie zu Dresden,
dann in Breslau, wo er kurze Zeit Assistent an der chirurgischen
Universitätsklinik war und auch promovirte (18 18). Nachdem er
sich eine Zeitlang in Berlin aufgehalten hatte, Hess er sich zuletzt
als praktischer Arzt in Greiffenberg (in Schlesien) nieder. Er wurde
als Chirurg und Augenarzt gleichmässig hochgeschätzt und hat
durch selbständige, auf seine Erfahrungen gegründete ophthal-
mologische und chirurgische Werke literarischen Ruf erlangt. So
erschien von ihm 1829 eine Arbeit über „Die idiopathische chronische
Schlafsucht". Seine Kenntnisse auf dem Gebiete der Augenkrank-
heiten veranlassten ein zweites, grösseres Werk: „Die Entzündungs-
formen der menschlichen Hornhaut" 1838, während er als Chirurg
mit den ,, Lehren von den unblutigen Operationen, Ahaematurgia"
(in 2 Bänden, 1844) hervortrat. Ausserdem schrieb er für viele
wissenschaftliche Blätter, so für Gräfes Journal, in dessen Spalten
seine „Reminiscenzen aus der Praxis der Augenkrankheiten" 1832
erschienen. In Anerkennung seiner Verdienste erhielt er den Titel
Sanitätsrath ; die Gesellschaft der Aerzte Schlesiens und der Lausitz
wählte ihn zu ihrem Präsidenten.
Im Vergleich zu den beiden bisher genannten Chirurgen war
es einem Dritten, über den wir noch zu sprechen haben,
Joh. Karl Christian Kuh,
(geb. 1804 in Breslau^ gest. 1872) vergönnt, ein grösseres Feld für
sein Wirken zu finden. Nachdem er in Breslau und Berlin dem
Studium der Medicin und daneben dem der Naturwissenschaften
obgelegen hatte, liess er sich zunächst als praktischer Arzt in
Ratibor nieder. Wenn er diesen Ort auch bald, von seiner Thätig-
keit unbefriedigt, verliess, so bewies er ihm doch seine dauernde
Anhänglichkeit später dadurch, dass er daselbst eine Taubstummen-
anstalt begründete und sich für die Verkehrshebung in dieser
Gegend um die Anlage einer Eisenbahn bemühte. Seinen Auf-
enthalt nahm er nun für lange Zeit in Breslau, und hier erhielt er
1837 die Professur für Chirurgie und Augenheilkunde an der chirur-
gischen Klinik der med.-chirurgischen Lehranstalt. Die inter-
essanten Fälle seiner Praxis pflegte er jetzt in der medicinischen
l82
Section der Schlesischen Gesellschaft vorzutragen; auch in Rusts
Magazin veröffentlichte er Aufsätze. Im Jahre 183g erschien sein
Werk: „Die Heilung der Blutadererweiterung durch Acupunktur".
Eine zweite, lateinisch geschriebene Arbeit: „De inflammatione
auris mediae" Pars I. fällt in den Anfang seiner Docentencarriere
an der Universität (1842). Im Jahre 1841 nämlich habilitirte er- sich
als Privatdocent für Chirurgie an der Universität .Breslau und blieb
bis 1857 in diesem Lehramte. Danach widmete er sich der Be-
wirthschaftung seines Gutes Woinowitz, wie überhaupt mehr prakti-
schen Angelegenheiten, da er u. a. auch Grubenbesitzer in Ober-
schlesien war; nur durch Menschenliebe veranlasst, prakticirte er
noch hie und da. — Aehnlich dem eben genannten, haben auch drei
andere Aerzte, deren Lebenskizzen wir hier folgen lassen wollen,
eine mehr oder minder lange Zeit als
III. Privatdocenten
an der hiesigen Universität, neben ihrer umfangreichen praktischen
Thätigkeit, gewirkt. Wir nennen hier zuerst den Sanitätsrath
Samuel Simon Guttentag,
(geb. 1786 in Breslau, gest. 1850) einen Mann von vielseitiger
Bildung, einen geistvollen, gelehrten Arzt, der sich bei allen seinen
Patienten, Hoch und Niedrig, eines ausserordentlichen Vertrauens
erfreute. Im Jahre 1815 begann er an der Universität Breslau Vor-
lesungen über Kinderkrankheiten und Krankheiten der Gehörorgane
zu halten, gab sie aber nach acht Jahren 1823 auf. Seine Habili-
tationsschrift „De iridis motu" (18 15) zeugte, abgesehen von ihrem
wissenschaftlichen Wert, von seinem vorzüglichen, lateinischen Stil,
dem der Schwiegersohn Guttentags, der berühmte Philologe Ritschi,
oftmals später seine Bewunderung zollte. Von seinen sonstigen
Schriften erregte die Abhandlung über „Die Pest in Marseille" be-
rechtigtes Aufsehen. Dieselbe Gewandtheit des Ausdrucks und
Wärme der Darstellung, wie in dieser Arbeit, finden wir auch in
seinem durch mehrere Nummern gehenden Aufsatze: ,,Ueber die
geographische Verbreitung der Cholera" in der Schlesischen Cholera-
Zeitung von 1831. Er entfaltete in dieser schweren Zeit, neben
Wendt, Ebers, Krocker, Henschel jr., Göppert u. A. einen rührigen
Eifer als Mitglied des ärztlichen Cholera-Comites für Schlesien und
veröffentlichte in diesem Jahre seine „Diätetischen Regeln beim Aus-
bruche der Cholera". Nach dem Tode E. Henschels, vom Jahre
1839 bis zu seinem Tode 1850,, war er alleiniger dirigirender Arzt
i8^
des Fränkel'schen Hospitals. Innig befreundet war er mit dem Consi-
storialrath Prof. Dr. Middeldorpf und dem Kreisphysikus Lebenheim,
den er oft besuchte. Bei seiner grossen Erfahrung*) wurden
sein Rath und seine Ansicht von den Collegen gern gehört, wenn
er auch bei manchem derselben durch seinen Sarkasmus Anstoss
erregte. — Im Gegensatz zu ihm, war der Hofrath
Johann August Burchard
(geb. 1800 zu Kopanice in Posen, gest. 1866) bei allen seinen Fach-
genossen ebenso gern gesehen, wie bei den seiner Behandlung unter-
worfenen Patienten. Als im Jahre 1828 die Poliklinik für Gebärende,
für Frauen- und Kinderkrankheiten in Breslau eingerichtet wurde,
erhielt Dr. Burchard mit einem kleinen Gehalt die Stelle des Secundär-
arztes an derselben. Nach den Worten des Professor Betschier, des
Directors dieser Poliklinik und des geburtshilflichen klinischen In-
stituts an der Universität**) verdankt die Anstalt ihre Blüthe ,,ganz
besonders der unermüdlichen, aufopfernden Thätigkeit und der
praktischen Gewandtheit Burchards", der sich die Zuneigung des
Publikums im höchsten Maasse zu erwerben verstand; seine Geschick-
lichkeit bei Entbindungen, sowie bei allen geburtshilflichen Opera-
tionen ist in der That Staunen erregend gewesen. Er blieb an
diesem Institute ^3 Jahre, zuletzt als erster Assistenzarzt, thätig und
habilitirte sich inzwischen 1835 für das Fach der Geburtshilfe. Als
der ältere Henschel im Jahre 1837 sein fünfzigjähriges Doctor-
jubiläum feierte, publicirte Burchard seine gediegene Gratulations-
schrift: ,,De tumore cranii recensnatorum sanguineo symbolae".
Im Jahre 1841 kam er an das schlesische Provinzial-Hebammen-
Institut als erster Lehrer und übernahm damit dessen Leitung.
Ausser der schon genannten Arbeit ist von Burchard auch eine Ueber-
setzung von Astley Coopers „Theoretisch-praktischen Vorlesungen
über Chirurgie" (1844/45) vorhanden, und unter seinen Aufsätzen er-
wähnen wir den in den Abhandlungen der Akademie der Natur-
forscher befindlichen aus dem Jahre 1854: ,, Beobachtungen und Er^
fahrungen aus dem Gebiete der Gynäkologie und Pädiatrik".
Durch seine Forschungen in der medicinischen Wissenschaft und
die sich daran knüpfenden literarischen Schöpfungen machte sich
einen weithin bekannten Namen der in der Blüthe der Jahre dahin-
geraffte
*) In einem Aufsatze über die „Choleraepidemie" in Günsburgs Zeitschrift II 185^
spricht Ebers von der oft zutreffenden Wahrheit einer Ansicht des ,, jüngst hier verstorbenen
sehr erfahrenen" Arztes Dr. Guttentag: ,,Die Cholera sei eine Krankheit, die mit dem Sterben
beginne und mit dem Tode endige."
**) Cf. Nadbyl, Seite 85.
Friedrich Günsburg,
ein vielversprechendes Talent, eine rastlos strebende Natur. Geboren
in Breslau im Jahre 1820, widmete er sich an der hiesigen Universität
dem Studium der Medicin. Nachdem er daselbst sein Examen ab-
gelegt und die Doctorwürde erlangt hatte, begab er sich, um die
neuen Richtungen in der Medicin kennen zu lernen, 1V2 Jahre lang
in's Ausland, nach Wien, Paris und London.
Als er dann nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt, 1843, Assistenz-
arzt am Allerheiligen - Hospitale wurde, erwarb er sich zweifellos
das Verdienst um diese Anstalt, die neuen wissenschaftUchen Metho-
den der Medicin (physikalische Diagnostik, Mikroskopie u. a.) für die
Kenntniss und Behandlung der Krankheiten nutzbringend und all-
gemeiner bekannt gemacht zu haben. Dennoch gelang es ihm in-
folge widriger Umstände nicht, in seiner Carriere als Hospitalarzt
vorwärts zu kommen, und ebenso wenig erreichte er die Zulassung als
Privatdocent an der Universität. Mit grösseren**, schriftstellerischen
Arbeiten war er damals auf dem Gebiete der Histologie und Patho-
logie hervorgetreten. Es seien hier erwähnt seine ,,Pathologische
Gewebelehre" (2 Bde. 1855, 58) und sein „Grundriss der pathol.
Entwicklungsgeschichte" (1848). Gleichzeitig erschienen auch seine
„Mittheilungen über die gegenwärtige Epidemie der asiatischen
Cholera.'* Im Jahre 1850 schied Günsburg aus dem Hospital aus
und beschränkte sich auf seine Privatpraxis, in der er schnell
ein gesuchter und beliebter Arzt wurde. Es begann nun eine
überaus fruchtbare, wissenschaftliche Arbeitszeit, deren erste
That die Gründung der gut redigirten und geachteten ,, Zeit-
schrift für klinische Medicin" (1851 — 59) war. Er eröffnete seine
Zeitschrift mit einem orientirenden Aufsatze „Ueber die klinische
Richtung in der Medicin", schrieb eine grosse Zahl von Abhand-
lungen, Kritiken und Referate für dieselbe und konnte die besten
heimischen Kräfte unter den Medicinern der neuen Schule — Middel-
dorpf, Nega, Rühle, Klose, Ebers, Kirschner u.s. w. — seine Mitarbeiter
nennen. In verschiedenen anderen wissenschaftlichen Blättern schrieb
er z. B. über Lungentuberkulose (Caspers Wochenschrift), über den
Scharlach (Deutsche Klinik) und über die „Epithelialgewebe des
menschlichen Körpers" (Verhandlungen der Akademie der Natur-
forscher XVI 1854)*).
Die umfangreichste, selbständig erscheinende Arbeit von ihm war
in dieser Zeit die „Klinik der Kreislaufs- und Athmungsorgane" 1856
(als ein Theil des geplanten Handbuchs der Pathologie und Therapie).
*) Ein Jahr vorher, 1853, ^'^^^ ^'^j '^^i^ auch Burchard, in die Akademie aufgenommen
■worden.
Im Jahre 1859 endlich ging sein sehnUchster Wunsch, Privatdocent
zu werden, in Erfüllung; doch noch nicht ein Semester lang war es
ihm vom Schicksal vergönnt, als Lehrer zu wirken. Denn im Juli
desselben Jahres — er hatte inzwischen das Ehrenamt eines Stadt-
verordneten durch seine Mitbürger erhalten — ereilte ihn der Tod-
Noch könnten wir in der Reihe der Privatdocenten eines prak-
tischen Arztes gedenken, der elf Jahre hindurch an unserer Alma
Mater docirte; aber seine Schriften rechtfertigen es mehr, wenn
wir ihn unter die nun zu besprechenden
IV. Badeärzte
stellen; wir meinen
Karl Friedrich Hemprich
(geb. 1798 in Glatz, gest. 1844). Er war von seinem Vater, dem
Kreischirurgus in Glatz, für die Chirurgie bestimmt worden und trat
auch, ohne seine Gymnasialbildung vollendet zu haben, im Jahre
18 13 als Compagnie - Chirurgus bei der Artillerie ein. Doch nahm
er ein Jahr später die Weiterbildung in dem Gymnasium der Vater-
stadt wieder auf und studirte, mit dem Reifezeugniss versehen, seit
181 7 in Breslau Medicin. Nachdem er hier promovirt war, begab
er sich nach Berlin, wo er die Staatsprüfung bestand. Nun Hess
er sich in Breslau als praktischer Arzt nieder und habilitirte sich
ausserdem im Jahre 1826 an der Universität für Physiologie und
allgemeine Pathologie. Seit dem Jahre 1830 hielt er seine Vor-
lesungen nur im Wintersemester, da er von da an während des
Sommersemesters sich stets in Cudowa als Brunnenarzt aufhielt; im
Jahre 1837 gab er seine Privatdocentur ganz auf.
Als Badearzt von Cudowa hat er sich in Wort und Schrift, so-
wie durch die That um die Hebung des damals den Grafen von
Götz gehörigen Kurortes grosse Verdienste erworben. In Caspers
Wochenschrift, in Hufelands Journal und in dem Jahrbuch für Deutsch-
lands Heilquellen trat er für dieses Bad ein und veröffentlichte 1839
eine grössere, von seinem gründlichen medicinischen Wissen zeugende
Monographie unter dem Titel: „Die Eisenquellen zu Cudowa in der
Grafschaft Glatz, in physikalischer und medicinischer Hinsicht dar-
gestellt." — Wie Cudowa in jeder Beziehung diesem Manne zu
Dank verpflichtet ist, so verdankt das gräflich Hochberg'sche Salz-
brunn seine günstige Entwickelung dem Hofrath
August Zemplin
(1784 geb. in Jauer, gest. 1867). Er hatte zuerst die Theologie zu
seinem Studium gemacht und bereits Hauslehrerstellen in Waiden-
i86
bürg bekleidet, als er sich 1809 entschloss, zum Studium der Medicin
überzugehen, welcher er nun in Leipzig und Breslau oblag. Nach-
dem er noch eine tüchtige praktische Vorbildung durch seine Thätig-
keit in schlesischen Lazarethen, sowie durch Curse in Berlin ge-
nossen hatte, Hess er sich 18 15 in Waidenburg als Arzt nieder, aber
nur um alle seine Sorge auf das Gedeihen des nahen Ober-Salzbrunn
zu richten*). Und dieser Curort erlebte in der That von der Zeit an
auf lange hinaus eine sich stets steigernde Frequenz; über diese,
sowie über die Wirkung der von ihm begründeten Molkenanstalt
und des Brunnens stattete Zemplin fast Jahr für Jahr (1832 — 47)
Bericht ab in der medicinischen Section der Schlesischen Gesell-
schaft f. vat. Cultur. Neben kleineren balneologischen Schriften,
die von den schlesischen und rheinischen Mineralquellen handelten,
lieferte er eine umfangreiche Arbeit über„Salzbrunn und seine Mineral-
quellen" 1822, der er einen Excurs „Fürstenstein in der Gegenwart
und Vergangenheit" beifügte, ferner eine theils für die Brunnen-
gäste, theils für Aerzte bestimmte Schrift: „Die Brunnen- und
Molkenanstalt zu S." (183 1, 37). Eine gewisse Liebhaberei von ihm
war es, kleine, schlesische Orte betreffende Abhandlungen historischen
Inhalts zu verfassen, so über die Burg Kynsberg (1828), über einen
Lehnbrief des Janko von Kotiemicz über die Zeiskenburg (cfr.
Jahresbericht der Schles. Ges. 1820) und andere. Nachdem er schon
182 1 vom preussischen Könige zum Hofrath ernannt worden war,
erhielt er 1836 als Anerkennung den Charakter eines Geheimen
Hofraths. —
Unter den Aerzten, die später in Salzbrunn prakticirten , ge-
hörte der frühere Bataillonsarzt
C. W. Julius Kirschner
(geb. 1802 in Friedland, Kr. Waidenburg, gest. 1860) zu den
tüchtigsten und erfahrensten. Bevor er in Salzbrunn im J. 1836
seine ärztliche Thätigkeit entfaltete, war er Bataillonsarzt und von
182g — 31 Assistent an der chirurgisch.-augenärztlichen Klinik unter
Professor Benedikt gewesen. Gestützt auf seine Erfahrungen als
Badearzt im Verlauf von 13 Jahren, veröffentlichte er 1850 einen
Aufsatz: „Einiges über Ober-Salzbrunn" in Günsburgs Zeitschrift I.
Er war der erste unter den dortigen Aerzten, welcher den Mühl-
brunnen, chemisch umgewandelt, zu einer Art Carlsbader Cur ver-
wandte. Kirschner muss auch, abgesehen von seinem trefflichen
medicinischen Wissen, tüchtige Kenntnisse in der Veterinär-Medicin
*) Cf. in der Vita Schwenckfelds von Ferdin. Cohn, S. 40, was dieser über Schwenckfelds
Bedeutung für Salzbrunn berichtet.
\>ij
besessen haben, wenn er in der genannten Zeitschrift (IV, 1853)
ein so erschöpfendes Referat überCreutzers ,,Grundriss der gesammten
Veter.-Mei." liefern konnte. Als Kritiker und Referent begegnet er
uns in den Spalten dieser Zeitschrift noch einmal 1856 (S. 313) bei
Besprechung des von einem Aachener Arzte Lersch verfassten
Werkes: ,, Einleitung in die Mineralquellenlehre. Ein Handbuch
für Chemiker und Aerzte.'- Noch im kräftigsten Mannesalter stehend,
starb er 1860 in Breslau. — lieber denselben Badeort, an dem
Zemplin und Kirschner wirkten, besitzen wir eine gut geschriebene
Abhandlung von einem Arzte, der von Beruf nicht Badearzt war,
sondern zu einer neuen nunmehr zu betrachtenden Kategorie von
Aerzten, die wir bezeichnen wollen als
V. Praktische Privatärzte.
Der Verfasser der eben erwähnten Arbeit ist der in Oppeln
seiner Zeit prakticirende Sanitätsrath
Heinrich Freund
(geb. 1801 in Brieg, gest. 1865). Seine Schrift ist betitelt: „Salzbrunn
in Schlesien gegen die wichtigsten Krankheiten der Athmungsorgane.
Ein balneologischer Beitrag'' 1851 und erfuhr von Günsburg im
II. Jahrgange der Zeitschrift (S. 314) eine anerkennende Kritik, in
deren Schluss er das Werkchen „immerhin als einen der besseren
Versuche" empfiehlt, „die Wirkungen der Gesundbrunnen pathologisch
aufzufassen." Freund hat eine trübe Jugendzeit in Brieg und Breslau
verlebt, wohin die gesammte Familie, infolge schwerer Erkrankung
des Vaters, eines Handwerkmeisters, brotlos, übersiedelte; die Energie
der iSIutter verschaffte den Ihrigen den nothwendigsten Lebensunter-
halt. Nicht minder entb ehr ungs voll gestaltete sich die Studienzeit
Freunds in Berlin. Dem ärztlichen Berufe lag er kurze Zeit in Breslau,
dann in Krappitz mit Eifer und Gewissenhaftigkeit ob. Erst mit der
Verlegung seiner Thätigkeit nach Oppeln war es ihm möglich, seinem
Geiste auch wissenschaftliche Anregung zu verschaffen und besonders
seiner Neigung für Musik nachzugehen. Zur Zeit der Cholera-
Epidemie 1831 betheiligte er sich an der zu Breslau begründeten
Cholerazeitung mit einem Aufsatz: „Ueber die Entstehung und den
Verlauf der Cholera epidemica in Krappitz." — In Rusts Magazin
schrieb er über Eclampsia parturientium, und in die Berliner klinische
Wochenschrift lieferte er eine Arbeit über die Behandlung der
Lungenschwindsucht durch Inhalation. Seinem eigenen Leben setzte
ein schweres Lungenleiden in Breslau ein Ziel, als er nach der
Consultation eines Dresdener Collegen sich eben auf der Rückkehr
nach seinem Berufsorte befand. —
Wir schHessen an Freund drei andere schlesische Aerzte an,
die ihre wissenschaftliche Vorbildung, wie die schon vorher ge-
schilderten Mediciner Valentin, J. F. Rosenthal und Hanuschke, zum
Theil ein und derselben Quelle verdankten, der Thätigkeit nämlich
im physiologischen Institut zu Breslau unter Führung Purkinjes. In
seinem Brief an R. Wagner (Göttingen) aus dem Jahre 1841 sagt der
grosse Physiologe, nachdem er seiner Freude über die Anschaffung des
Plössl'schen Mikroskops für sein Institut Ausdruck gegeben und von
der Theilnahme jüngerer Kräfte an den Untersuchungen gesprochen
hat, Folgendes : „Auch wollte ich die gegebene Gelegenheit benutzen,
öffentlich und durch lebendiges Beispiel zu zeigen, in welcher Art
ein physiologisches Institut durch Gewinnung neuer Bearbeiter der
Wissenschaft wirksam und gemeinnützig werden kann."*) Zu diesen
,, neuen Bearbeitern" gehören neben den schon genannten Männern
noch M. Pappenheim, J. Raschkow und A. Rosenthal. —
Glänzend waren die Anfänge und tragisch das Ende des Ersten
von ihnen.
Samuel Moritz Pappenheim
(geb. 181 1 in Breslau, gest. 1882) studierte anfangs in Berlin, dann
in Breslau Medicin, wo er auch mit der Arbeit ,,De caloris capacitate
rudimenta" 1835 den Doctortitei errang. Er Hess sich dann als
praktischer Arzt in Breslau nieder, wandte aber seine ganze Musse-
zeit dem Studium der Physiologie und Histologie zu. Die Ergebnisse
seiner Untersuchungen sind in drei bemerkenswerthen Arbeiten
niedergelegt: 1) „Zur Kenntniss der Verdauung im gesunden und
kranken Zustand. Ein physiologischer Versuch." 183g. 2). „Die
specielle Gewebelehre des Gehörorgans" aus dem Jahre 1840 und
3) ,,Die specielle Gewebelehre des Auges" 1842. In Anerkennung
des erworbenen literarischen Rufes, wurde er 1843 ^um Mitglied
der Akademie der Naturforscher gewählt, und in demselben Jahre
erhielt er die neugeschaffene Assistentenstelle bei Purkinje im ph3''sio-
logischen Institut. Doch schon im nächsten Jahre musste er, infolge
geistiger Ueberanstrengung nervenleidend, die Stätte seines Wirkens
verlassen. Einige Zeit später begab er sich nach Paris, wo er sich
durch seine vorzüglichen Anlagen und Kenntnisse die Gunst be-
deutender Gelehrter, wie Flourens, dem er bei seinen Forschungen
assistirte, zu erwerben wusste und für die ausgezeichnete Lösung
einer Preisaufgabe — betreffend die Zeugungsorgane der 5 Klassen
von Wirbelthieren — 1847 den grand prix der „Academie des
*) Ci. AUgem. Deutsche Biographie XXVI. S. 721.
i8q
sciences" erhielt. Doch verstand Pappenheim es nicht, sich die
Gunst der französischen Gelehrten auf die Dauer zu sichern. Diese
zogen sich von ihm zurück. Seit dem Jahre 1849 war das Leben
dieses talentvollen Mannes ein verfehltes zu nennen. Er fand nirgends
mehr einen festen Halt, weder jenseits des Oceans in Amerika, wo
er während zehn Jahre verschollen war und schliesslich schwerkrank
von Deutschen in der Havanna aufgefunden wurde, noch nachher in
Berlin, wohin er 1861 nach kurzem Aufenthalt in Breslau übersiedelte.
Keine Beschäftigung mehr führte zu einem Erfolge, da er, allzu
ruhelos, seine geistigen Kräfte nicht mehr zu sammeln vermochte.
Er bildete sich vollkommen zum Sonderling aus und ist endlich —
wenige wussten etwas von seinen früheren Leistungen — in einem
Berliner Krankenhause gestorben. — Von
Isaac Raschkow
(geboren 181 1 in Breslau, gest. 1872), einem im Vergleich zu Pappen-
heim in sich gefestigten, vollendeten Charakter, ist uns nur bekannt
seine physiologische Dissertation aus dem Jahre 1835: „Meletemata
circa mammalium dentium evolutionem", eine der besten Arbeiten aus
Purkinjes Schule, welche für die Entwickelung der Zähne eine Reihe
neuer Entdeckungen, betreffend das Schmelzorgan, die Zusammen-
setzung der Pulpa und das Wesen der Schmelzmembrane, brachte
und durch die beigefügten Zeichnungen mikroskopischer Präparate
noch an Werth gewann (cf, Allg. Deutsch. Biographie. XXVI. S. 727).
Raschkow, der sich nachher zuerst in Loslau Praxis zu erwerben
suchte, gehörte später zu den geachtetsten und gesuchtesten Aerzten
Ratibors, Ein älterer Bruder von ihm, Josef Raschkow (1804 — 1862),
der wie der jüngere in Berlin und Breslau Medicin studirte, war
als Arzt in Nicolai, Grünberg und zuletzt lange Jahre — bis an
sein Lebensende — in Glogau thättg, wo er wegen seiner edlen
Eigenschaften und seiner, sich stets auf der Höhe der Wissenschaft
haltenden, medicinischen Kenntnisse allgemein verehrt und angesehen
war. Von literarischen Schöpfungen dieses Arztes wissen wir nichts. —
Dagegen erstreckte sich die schriftstellerische Productivität von
David August Rosenthal
(geb. 1821 in Neisse, gest. 1875) auf die verschiedensten Gebiete.
Seine Dissertation „De numero atque mensura microscopica fibrillarum
elementarium systematis cerebro-spinalis symbolae" 1845 ist die letzte
gewesen, welche unter Purkinjes Anregung in dem physiologischen
Institut verfasst wurde. Ein Jahr danach veröffentlichte er mit Klein
zusammen eine Arbeit über ,,Die Lage der Eingeweide in den
drei Haupthöhlen des menschlichen Körpers, systematisch geordnet"
(De situ viscerum). Nachdem er vier Jahre, von 1846 — 50, in Lands-
igo
berg (Oberschlesien) den Beruf des Arztes ausgeübt hatte, schlug er
seinen Wohnsitz in Ohlau auf, und von hier aus machte er seine
Beobachtungen ,,Ueber die Ruhrepidemieen, welche in den Jahren
1847/48 im Rosenberger Kreise geherrscht haben", in Günsburgs
Zeitschrift (i 851) bekannt. In demselben Jahre trat er, eine roman-
tisch angelegte, etwas deni Mysticismus zuneigende Natur, zur
katholischen Kirche über und hat sich als katholisch -theologischer
Prosaist und Poet grossen Ruf verschafft, besonders durch seine
„Convertitenbilder aus dem XIX. Jahrhundert" (2. Bde), durch die
Herausgabe der Gedichte des Angelus Silesius (Joh. Scheffler) und
die Bearbeitung des dem Spanischen entlehnten Stoffes „Die Sängerin
des Montserrat." Jedoch hatte er darum die Beschäftigung mit den
"Wissenschaften keineswegs aufgegeben, vielmehr gerade in Breslau,
wohin er 1855 gezogen war, medicinische Forschungen auf dem
Specialgebiet der Ohrenheilkunde begonnen, so dass er im Jahre 1856
in der medicinischen Section der Schles. Gesellschaft einen Vortrag
über die Geschichte und den g'egenwärtigen Stand der Ohrenheil-
kunde halten konnte. Aber sein ganzes wissenschaftliches Interesse
wurde in der letzten Zeit von der Botanik ausgefüllt, in der er 1862
mit einem^ reichhaltigen, wichtigen Sammelwerk über die Heil-, Xutz-
und Giftpflanzen: „Synopsis plantarum diaphoricarum" hervortrat.
Seine praktische Thätigkeit in den letzten Jahren bestand haupt-
sächlich in seinem Wirken als Armenarzt. Seine Verdienste um
die Botanik veranlassten Ferdinand Cohn in einer Sitzung der
botanischen Section der Schles. Ges. im J. 1875 des eben erst Ver-
storbenen ehrend zu gedenken. — Bevor wir jetzt zu der Biographie
eines anderen Breslauer Arztes, Julius Bürkner, übergehen, dessen
gediegene literarische Leistungen von seiner vielfachen, gemein-
nützigen Thätigkeit übertroffen werden, wollen wir noch dem Glogauer
Arzte
Ludwig Lilienhain
(geb. 1799 in Glogau, gest. 1866) einige Zeilen widmen. Seine
Studienzeit (18 r8 — 22) verlebte er ausschliesslich in Berlin, wo er
im Jahre 1821 mit einer chemisch-pathologischen Arbeit über das Blei
und die durch dasselbe hervorgerufenen Krankheiten seinen Doctor
machte. In seiner Vaterstadt begann er dann seine ärztliche Praxis,
die er hier bis an sein Lebensende ausübte, ein angesehener Bürger
der Stadt. Im Jahre 1834 erschien eine kleinere Schrift von ihm:
,,Ein auf homöopathische Heilversuche begründetes Urtheil über
Homöopathie, für Aerzte und Nichtärzte." In der medicinischen
Schriftstellerwelt wurde er in weiteren Kreisen bekannt durch seine
Ausgabe der Werke des Hippokrates in der deutschen Uebersetzung
des Geh. Hofrathes und Koburg-Gotha'schen Leibarztes J. Fr. Karl
Grimm (1737 — 1821). Lilienhain unterzog diese Uebersetzung- einer
Revision vom Standpunkte der neueren Medicin aus und ver-
sah sie mit zahlreichen erläuternden Bemerkungen (1837—39; cf.
Jahresber. d. Schles. Ges. 1839. S. 105). Kleinere Abhandlungen
von ihm (über spastische Aphonia, über die Krankheiten des Pancreas)
finden sich in Hufelands Journal.
Die Erinnerung an den zu früh verstorbenen Arzt
Julius Bürkner
(geb. 1809 in Breslau, gest. 1850) kann für die schlesische Hauptstadt
eine in jeder Beziehung segensreiche genannt werden. Es begegnen
selten Persönlichkeiten mit einem so ausgeprägten Streben, der All-
gemeinheit zu nützen, wie wir dieses bei Bürkner finden. Er hatte
noch nicht seine medicinischen Studien auf der hiesigen Universität
beendet, als er sich bereits, während der Choleraepidemie 1831, in
den Dienst des Hospitals, an dem Pulst und der jüngere Remer
wirkten, stellte. Im Jahre 1833 beendete er sein Studium und Hess
noch in demselben Jahre eine belehrende Abhandlung über ,,Die
Grippe" erscheinen. Eine Zeit lang fungirte er als Armenarzt und
auch als Impfarzt, 1837—39, in einer Filiale des königlichen Impfin-
stituts. Er war damals schon dem Breslauer Gewerbeverein als
MitgHed beigetreten, in dem er nun drei Jahre hindurch populäre
Vorträge über technische Chemie hielt und bis an sein Lebensende
die Stelle des Secretärs bekleidete. Die Vorträge wurden, in einem
stattlichen Bande gesammelt, veröffentlicht unter dem Titel: „Popu-
läre Chemie und ihre Anwendung auf Gewerbe" (1838). Ungefähr
um dieselbe Zeit brachte ihn das Elend, das er in seiner bisherigen
Praxis unter der ärmeren Bevölkerung angetroffen hatte und welches be-
sonders die Entwickelung der Kinder durch Erzeugung der schwersten
Krankheiten hemmen musste, auf den Gedanken, für kranke Kinder
armer Eltern ein Hospital zu gründen. Den Plan zu der Heilanstalt
entwarf er im Jahre 1837, schon 1838 begann er, von privater Wohl-
thätigkeit unterstützt, mit Erlaubniss der Regierung die Einrichtung
derselben und erlebte die Freude, die Anstalt von Jahr zu Jahr an
Ansehen und Umfang wachsen zu sehen. So ist Bürkner der Be-
gründer unseres Augusta-Hospitals geworden, das heute unter der
bewährten Leitung des Kinderarztes Prof. Soltmann steht. Es wird jetzt
geplant, die Anstalt durch Ankauf dergestalt zu erweitern, dass die
an contagiösen Krankheiten leidenden Kinder von den übrigen isolirt
werden können. — Schon ein Jahr nach dieser Leistung beschäftigte
eine neue Aufgabe unseren Bürkner, zu der er durch die Thätigkeit
von Vincenz Priesznitz und durch öfteren Besuch von Gräfenberg
IQ2
angeregt wurde: Die Gründung einer Kaltwasserheilanstalt, welche
auch, als die erste in Breslau. 183g in Alt-Scheitnig entstand, aber
später verkauft wurde.*) Auch auf dem Gebiete der Balneologie
ist er literarisch thätig gewesen, indem er eine Schrift über „Schlesiens
Wasserheilanstalten und Priesznitz' Heilmethode" 1841 und eine
Abhandlung ,;Der Waldenburger Kreis und seine Heilquellen, Alt-
wasser, Charlottenbrunn und Salzbrunn" publicirte. Gegen ein
heftig auftretendes Leberleiden kämpfte er bereits Jahrelang vergebens
an, u. a. durch den Gebrauch der Gräfenberger Wasserkur; als er sich
eben zu einer Reise nach Karlsbad rüstete, brachte ihm ein neuer
Anfall den Tod, im Alter von 41 Jahren.
Wir schliessen diesen Theil unseres Werkes mit einigen Notizen
über den in Breslau geborenen und hier längere Zeit wirkenden Arzt
Hermann Wollheim
(geb. 181 7 in Breslau, gest. 1855). Ursprünglich zum Philologen bestimmt,
wandte er sich später, von der Aussichtslosigkeit für die Zukunft über-
zeugt, der ]\Iedicin zu und prakticirte, nachdem er seine Examina absol-
virt hatte, zuerst inDyhemfurt, dann inBreslau, Im Jahre 1844 erschien
sein gediegenes, medicinalstatistisches Werk: „Versuch einer medici-
nischen Topographie und Statistik von Berlin," zu der Casper selbst
das Vorwort schrieb. Seinen Aufenthalt in Berlin als Deputirter zur
preussischen Nationalversammlung benutzte er zur Abfassung der sehr
nützlichen Schrift: „Lehrbuch für Heildiener, ein Leitfaden für die
Krankenpflege" 1853, der ersten guten Schrift in dieser Hinsicht, ß^'
neben hat sich Wollheim auch als Dichter mit Erfolg versucht, weniger
in seinem ,, Tannhäuser", als in seinen trefflichen Studentenliedern, von
denen eins .,Sind wir nicht zur Herrlichkeit geboren" zu den besten
unserer Commersbücher und daher zu den beliebtesten gehört. Der
Dichter wurde im Jahre 1855 im kräftigsten Alter ein Opfer der Cholera.—
Wir sind uns wohl bewusst, dass uns vielleicht mancher Name
entgangen ist oder wir manch einen Namen noch hätten nennen können,
dessen verstorbener Träger sich als medicinischer Schriftsteller be-
währt hat. Aber es erschien uns erstens unnöthig, Namen auf Namen
zu häufen, weil der Leser schon aus dem Leben der Genannten die
Ueberzeugung gewonnen haben wird, dass in unserer Heimatprovinz,
abgesehen von den mitten im akademischen Leben stehenden Medi-
cinern, auch andere Aerzte literarischen Ruf erlangt haben; zweitens
wäre es auch für den Leser ermüdend, so viele kurzgefasste Lebens-
skizzen zu durchlaufen, welche an vielen Stellen Uebereinstimmendes
oder Aehnliches aufzuweisen haben.
*) Eine zweite, von ihm am Ketzerberg gegründete Heilanstalt ging 1847 ein. Cf. im
Rechenschafts-Bericht des Breslauer Gewerbe-Vereins 1849/50 den Nekrolog aufBürkner S. 28-3 i.
1^3
Das Krankenhospital zu Allerheiligen.
(Kurze geschichtliche Uebersicht.)
Im Anschluss an die Besprechung- der hervorragendsten Aerzte
unserer Stadt und Provinz erschien es uns als wünschenswerth,
wenigstens eines unter den vielen im Interesse der Krankenpflege
gestifteten Instituten mit besonderer Betonung seiner geschichtlichen
Entwickelung Erwähnung zu thun; ist es doch interessant für Aerzte
und Laien, zu sehen, wie vor Jahrhunderten die Ab Wartung und
Behandlung der Kranken , namentlich der ärmeren , gehandhabt
wurde, in welcher Weise und in welchen Zeiträumen sich Fort-
schritte bemerkbar machten, und welch' ungeheuere Mühe es er-
forderte, diesen Verwaltungszweig in eine solch musterhafte Form
zu bringen, dass heute im Vergleich zu früheren Leistungen nicht
zu viel zu thun übrig bleibt. Ohne Frage muss sich unsere Auf-
merksamkeit, da wir uns speciell auf Schlesien beschränken, dem
Breslauer Krankenhospitale zu Allerheiligen zuwenden , jenem
mächtigen, an der Barbarakirche gelegenen Häusercomplexe, den
wir mit Stolz, aber auch mit vollstem Rechte, zu den grössten und
besteingerichtetsten Krankenanstalten*) Deutschlands rechnen.
Es sei uns gestattet, dasselbe in den einzelnen Phasen seines
Werdens und Entstehens dem Leser vorzuführen.
Eine geordnete Armen- und Krankenpflege existirt in Breslau
seit dem Jahre 1525. Bis dahin mussten äusserst traurige Zustände
geherrscht haben; denn die Schilderungen, die wir den Chroniken
entnehmen, sind voll von Klagen über die unsagbar schlechten Ver-
hältnisse, über die corrumpirten Sitten und Gebräuche, an denen das
Proletariat zu jener Zeit laborirte. Die immer und immer wieder-
kehrende Pest, sowie die Syphilis, die man nicht zu bekämpfen
vermochte, haben dies Chaos natürlich nur noch vergrössern helfen.
Durchaus eingreifende Veränderungen führte der damalige erste
*) Es wurden in den letzten Jahren durchschnittlich etwas über 8000 Kranke jährlich
verpflegt; es kostete jeder Kranke pro Tag etwas über 1.50 Mk.
194
evangelische Pfarrer in Breslau, Dr. Johann Hess, herbei, der auch
die Erbauung des Krankenhospitales zu Allerheiligen veranlasste.
Dr. Hess — erzählt Pohl*) — vermahnte oft die Obrigkeit durch
Predigten, „das Armuth" zu versorgen, damit es nicht also auf den
Gassen läge. Weil die Obrigkeit hierinnen säumig, unterliess Dr.
Hessus etlichemal am Sonntag das Predigen. Da ihn ein Ehrbarer
Rath durch seine Geschickten fragen liess, warum er nicht predigen
wollte? gab er zur Antwort, „sein lieber Herr Jesus Christus läge
vor der Kirchenthür, er möchte nicht über ihn schreiten; wolle man
ihn nicht wegräumen, so wollte er auch nicht predigen."
Diese energische, bisher noch nicht gehörte Sprache hatte einen
gewaltigen Umschwung auf dem Gebiete des Armen- und Kranken-
wesens zur Folge. Schon im Jahre 1526, nachdem sich noch vorher
ein Comite gebildet hatte, welches sich mit Geldsammlungen für die
Armen und Kranken befasste, schritt man zum Bau des oben ge-
nannten Hospitals. Als Bauplatz diente ,,die alte Ziehlstatt aufm
Bürgerwall an der Oder". Die Arbeit schritt so rüstig fort, da man
von allen Seiten den edlen Zweck zu fördern sich bemühte, dass
„der Bau innerhalb zehn Wochen in allen vier Mauern stand und
in Jahresfrist vollbracht und gut eingerichtet war. Das Hospital
ist genannt: Ein Haus aller Heiligen, darinnen aus dem gemeinen
Almos zu Breslau viel einheimische und fremde arme nothdürftige
Leute mit Speise und Trank, mit guter Pflege und Wartung und
mit einem besonderen Wundarzt versorget seyn, andern Städten zu
gutem Exempel". Die Kirchen-Gotteskasten wurden in der ersten
Zeit zur Deckung der Kosten herangezogen, später wurden dem
Hospitale mancherlei Stiftungen und Legate, unter denen das Cull-
mann'sche das grösste gewesen zu sein scheint, zugewiesen, so dass
es sich zum Theil aus eigenen Mitteln erhalten konnte.
Die beiden ersten grösseren Spital-Instructionen, die au£ eine
schon für jene Zeiten ganz treffliche Hausordnung hinweisen, stammen
aus den Jahren 1581 — 1585. Ein von dem Stadtphysikus vereideter
Wundarzt versah daselbst die ärztliche Pflege der Kranken. Sehr
bald reichte jedoch das Hospital nicht mehr aus zur Aufnahme der
übergrossen Menge von Pestkranken und Syphilitischen. Man brachte
daher die ersteren in dem neu erbauten Krankenhause auf der so-
genannten „Lazarethwiese an der Oder" unter und verwandte für
letztere das in der Nähe des Bernhardiner Klosters gelegene Ge-
bäude, das spätere Hospital zu St. Hiob, welches im Jahre 1635,
als die Syphilis mehr und mehr von ihrer Ansteckungsfähigkeit ver-
*) Nie, Pohl schrieb Jahrbücher Breslaus (bis 1625), herausgegeben von Büsching
und Kunisch 1813 — 24.
195
loren, mit allen Einkünften in den Hospitalkörper zu Allerheiligen
überging. Es wurden darin auch für die fernere Zeit Hautkranke
und Syphilitische verpflegt.
Der Gottesdienst wurde in einer von Dr. Hess 1527 gegründeten
kleinen Kapelle abgehalten, welche zugleich mit der Vergrösserung
des Hospitals Umänderungen erfuhr und später den Namen einer
Hospitalkirche erhielt. In derselben befindet sich noch jetzt ein gut
erhaltenes Bildniss des Dr. Hess. Die geistlichen Functionen übten
daselbst bis zum Jahre 1606 die Diaconen zu Marie Magdalene und
St. Elisabeth aus. Erst zu dieser Zeit wurden für das Hospital
eigene Geistliche angestellt.
Bezüglich der Aufnahme der Kranken waren ganz bestimmte
Principien massgebend. Mit den verschiedenen Gilden, Zünften,
Innungen u. s. w. wurden Vereinbarungen getroffen und eine ge-
naue Controle sorgte für die Innehaltung der Statuten. Ganz aus-
geschlossen waren unheilbare Krankheiten, ohne Rücksicht auf die
Art des Leidens.
Während des siebzehnten Jahrhunderts hat das Allerheiligen-
hospital, abgesehen von einigen Revisionen und Veränderungen
der Hausordnung , namentlich vom Jahre 1 6 1 1 , im Allgemeinen
nur geringfügige Umgestaltungen aufzuweisen, weil die Zeitverhält-
nisse — wir erinnern nur an den dreissigjährigen Krieg — keines-
wegs günstige zu nennen waren.
Der gewaltige Druck, unter dem das Land seufzte, musste natür-
lich jede Anregung zu fortschreitender Thätigkeit im Keime ersticken.
In desto höherem Grade machte sich diese dagegen unter der segens-
reichen Regierung Friedrichs des Grossen geltend, indem mehrfach
Neuerungen, Aenderungen und Verbesserungen getroffen und dem
Hospital dadurch ein festeres Gefüge verliehen wurde. Unter diesen
ist namentlich eine ausgezeichnete Instruction für die bereits seit
dem Jahre 161 3 dem Hospitale verpflichteten Pestärzte zu erwähnen*).
Das bisher so winzige und wenig beachtete Allerheiligen-Hospital
begann nunmehr mit Beginn des 18. Jahrhunderts, eine etwas grössere
Rolle zu spielen. Mit der Vermehrung der Einwohnerschaft und
der daraus hervorgehenden grösseren Krankenzahl, erwies sich da,s
Hospital als viel zu klein, als dass man auch nur einen Theil der
Kranken, die zu versorgen waren, hätte unterbringen können, ganz
zu schweigen von den hygienischen Zuständen. Eine Reihe edler
*) Es wäre hier gewiss angezeigt, auf die ärztlichen Organisationsverhältnisse Breslaus
in ihren verschiedenen Entwickelungsstadien einzugehen, indess haben diese durch Herrn
Stadtarchivar Professor Dr. Markgraf bereits eine so eingehende und vorzügliche Berück-
sichtigung erfahren (cfr. ,, Daniel Gohl und Christian Kundmann'', .von Dr. J. Graetzer.
Breslau 1884. S. S. 83 — 109), dass wir wohl deshalb nur darauf zu verweisen brauchen.
ig6
Männer, deren Xamen für immer mit der Geschichte des Allerheiligen-
Hospitals verknüpft sein werden, machte es sich zur lohnenden
Aufgabe, diesen Missständen energisch entgegenzutreten und die
Bürgerschaft aus ihrer Gleichgiltigkeit aufzurütteln: Es erschienen
nämlich 1793 mehrere Schriften, welche eine Schilderung der Hospital-
verhältnisse in den schwärzesten Farben enthielten und grosses Auf-
sehen erregten. Es sind dies die Broschüre des Predigers am Aller-
heiligen - Hospital J, C. Müller: ,,Das heutige Krankenhospital in
Breslau" und der ,, Briefwechsel zwischen dem Prorector Schummel
und dem Prediger Müller", sowie das Memoriale der Aerzte Morgen-
besser^ Kruttge und Hauptmann. Dies letztere war namentlich von
entscheidendem Einflüsse. Die städtischen Behörden entschlossen
sich jetzt, das alte Hospitalgebäude, welches 270 Jahre hindurch
seinen Zwecken dienlich gewesen, abzubrechen und nach dem Plane
des Bauinspectors Geissler einen Neubau aufzuführen, dessen Ein-
weihung am 13. November 1801 vollzogen wurde. Ihm reihten sich
bald andere Baulichkeiten an; auch wurde jetzt auf Grund einer
milden Stiftung des Kaufmanns Andreas Krischke eine eigene
Apotheke für das Hospital in's Leben gerufen, der ein Betriebs-
capital von 6000 Thalern zu Grunde lag, mit dem Privilegium vom
II. Februar 1799. Der Begründer erlebte die Ausführung seiner
edlen Absicht nicht mehr. Sein Neffe und Erbe Friedrich Gottlieb
Krischke führte das Werk ganz im Sinne seines Verwandten zu
Ende.
An Stelle des St. Hiobsgebäudes trat ein stattliches neues
Krankenhaus, und das Hickert'sche Nebengebäude erfuhr eine voll-
ständige Umgestaltung, so dass daraus freundlichere Räume ent-
standen, als bis dahin.
Im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, schon unter dem Ein-
fluss der neuen Städteordnung, wurde das Hospital in ein allgemeines
städtisches Krankenhaus mit eigener Direction umgewandelt. Der
Krankenpflege standen jetzt vor: ein ärztlicher Director, ein Ober-
wundarzt und mehrere Hilfswundärzte. Der erste Director des
Hospitals war der Geheime Medicinalrath Dr. Ebers, welcher am
I.Januar 18 10 sein Amt als Oberarzt antrat, später dirigir ender
Arzt wurde. Die Verdienste, die derselbe sich um das Allerheiligen-
Hospital durch dessen zweckmässige Einrichtung und sonstige Leitung
erworben, sind so gross, dass, in Anerkennung für dieselben, die
Einschaltung folgender biographischer Mittheilungen wohl allseitig
mit Freuden begrüsst werden Avird.
Dr. Johann Jacob Friedrich Ebers ist geboren zu Flensburg in
Schleswig am 18. April 1781. Seine Bildung erhielt er auf den An-
^97
stalten der evangelischen Brüdergemeinde zu Christiansfeld und zu
Niesky; hierauf studirte er auf der damaligen chirurgisch-medicini-
schen Akademie in Berlin, wo er im Hause von Friedrich von Gentz,
der bekanntlich ein Breslauer von Geburt war, Aufnahme fand.
Er lebte dann, ärztlich beschäftigt, in Kleincelle bei Bautzen ohne
bestimmte Anstellung- (1803 — 1804) und promovirte 2 Jahre später,
1806, nachdem er in dieser Zeit in Breslau wissenschaftlichen Studien
obgelegen, in Frankfurt a. O. zum Dr. med.
Seit letzterem Jahre, in welchem er seine Staatsprüfung für
Preussen ablegte, wurde er praktischer Arzt in Breslau. Ebers stieg
sehr schnell zu hohem Ansehen; schon 1807 forderte ihn der Breslauer
Magistrat auf, an dem neu etablirten französischen Feldspitale thätig
zu sein in der Eigenschaft eines Assistenzarztes. 1810 wurde er als
Oberarzt für die innere Abtheilung und 181 1 schon als dirigirender
Arzt angestellt. Während der Kriegsjahre 18 13 und 18 14 übernahm
er als dirigirender Arzt das preussische Barbaralazareth. 1826 wurde
er Mitglied der delegirten Oberexaminations-Commission, 1829 Medi-
cinalrath und Mitglied des MedicinalcoUegiums , 1846 Geheimer
Medicinalrath und 1856 Ritter des rothen Adlerordens II. Classe.
Zu nämlicher Zeit beging er sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum, das
in schöner Weise gefeiert wurde.
Ebers' Bedeutung lag nicht allein in seiner Thätigkeit als Arzt
und ärztlicher Reformator des Hospitals; er interessirte sich auch
für Alles, was die Kunst Schönes und Veredelndes darbot, er war
ein Kunstliebhaber ersten Ranges. Die schlesische vaterländische
Gesellschaft ehrte ihn durch Ernennung zum Secretär der medicini-
schen Section (18 10). 1829, nach Büschings Tode, wurde er Secretär
der Section für Kunst und Alterthum, sowie Director der Kunst-
ausstellung der Schlesischen Gesellschaft, als deren Präses er auch
einige Jahre fungirte. Gleichzeitig trat er in die Direction des unter
der Leitung des Cantors Siegert stehenden „Kirchlichen Singvereins''
ein. Zudem war er ein fieissiger Sammler; so befand er sich im
Besitze einer guten Bildergalerie und einer noch besseren Kupfer-
stichsammlung.
Ebers erfreute sich neben seiner sehr allseitigen Bildung einer
grossen Arbeitskraft und Arbeitslust. Dies beweist die grosse Zahl
seiner Schriften, vornehmlich der ärztlichen, die ein helles Streiflicht
auf den reichen Schatz seiner medicinischen Erfahrungen fallen lassen.
Ganz besondere Erwähnung verdient unter anderm seine Schrift:
„Ueber die Breslauer Armenpflege 1828"*), die er nach gründlichem
*) Der Titel lautet: „Das Armenwesen der Stadt Breslau nach seiner früheren und
gegenwärtigen Verfassung dargestellt; nebst einem Versuch über den Zustand der Sittlich-
keit der Stadt, in alter und neuer Zeit."
Quellenstudium bearbeitete, und die so vielen Beifall fand, dass sie
in's Englische übersetzt wurde. Unter den medicinischen Arbeiten
Avaren die Beobachtung und Beschreibung eines seltenen Falles von
Haemathydrose und des exanthematischen Typhus, den er von den
Kriegsjahren her so genau kannte, in Fr. Grünsburgs Zeitschrift
1854, sehr verdienstvolle Leistungen, um so mehr, als sie bereits
in hohem Alter verfasst wurden*).
Wohl konnte Ebers mit Stolz und Freude an seinem fünfzig-
jährigen Jubiläumstage (zwei Jahre vor seinem Tode) auf sein bisher
zurückgelegtes Leben blicken, genoss er doch, ausgezeichnet durch
die herrlichsten Gaben und in glücklichen Verhältnissen befindlich,
in hohem Maasse die Freundschaft der Musen, die Verehrung seiner
Mitbürger und das reinste Familienglück.
Nach dem Tode Ebers 1858 blieb dies Amt des Directors für
mehrere Jahre unbesetzt. Von 1863 — 1874 bekleidete dasselbe der
Geheime Sanitätsrath Dr. von Pastau. Für die folgende Zeit stand
man von der Wahl eines Directors ab, wählte dafür je einen. Primär-
arzt für die innere und äussere Station. Mit der Verlegung der Uni-
versität zu Frankfurt a. O. nach Breslau, welche in der Mitte unseres
Jahrhunderts — im Jahre 1851 — eine engere Verbindung der
Königlichen Kliniken mit dem Allerheiligen-Hospital zur Folge hatte,
brach auch selbstverständlich für das Hospital eine Zeit ernstlicheren
wissenschaftlichen Strebens herein, da die neuesten Erungenschaften
der Medicin nun wohl in erster Reihe diesem grossen Kranken-
hause zu Gute kamen, während andererseits viele Hospitalärzte als
Docenten der Universität recht Tüchtiges leisteten.
Eine Universität, an der Männer wie Frerichs, Cohnheim,
Middeldorpf, Spiegelberg und andere lehrten und jetzt noch be-
deutende Kliniker und Pathologen wirken, musste das medicinische
Leben Breslaus neu umgestalten und in eine höhere Sphäre geleiten,
Getragen von echt wissenschaftlichem Geiste, zogen diese Koryphäen
der Medicin weithin ihre Kreise und schufen eine Schule jüngerer
Aerzte, die in ihrem Sinne segenbringend für Stadt und Provinz
und Staat zu wirken suchten. Wir erinnern nur an Ebstein, Förster,
Lichtheim**), Maas, Rühle, Wernicke und Carl Weigert***), die
*) Ueber seine vielseitigen Schriften siehe Nowack „Schlesisches Schriftstellerlexioon"
I. Band, Seine Schrift ,,über die Erfordernisse einer zweckmässigen Hospital-Verfassung"
Breslau i8lO bei Korn, ist heut noch lesenswerth. Als Wundarzt stand ihm Bernhard Firiedr.
Böhm zur Seite. Des letzteren Nachfolger in der Chirurgie sind Alter, Carl Julius Remerjun.,
Middeldorpf und Hodann.
**) L. war auch 6 Semester Assistent unseres Biermer.
***) Professor der pathologischen Anatomie am Senkenberg'schen Museum in Frank-
furt a. M., geb. in Münsterberg.
190
als höchst bedeutende KUniker und Pathologen bekannt sind. Unser
Allerheiligen-Hospital, die engere Wirkungsstätte, gewann dadurch
mehr als je an Ansehen.
Während das Allerheiligen -Hospital im vorigen Jahrhundert
Purrmann als den glänzendsten Vertreter der Chirurgie mit Recht
aufzuweisen hat, ist die Zahl der bedeutenderen Chirurgen in diesem
Jahrhundert schon eine ziemlich grosse.
Bis zum Jcihre 1850 wirkte im Hospital als tüchtiger Oberwund-
arzt der schon erwähnte Alter.
Ihm folgte als Oberwundarzt, resp. Primärarzt für die chirurgische
Abtheilung- von 1850 — 1855 Carl Julius Rem er junior. Er warder
Sohn des sehr gelehrten Geh. Medicinal-Rathes Wilhelm H. G. Remer,
welcher im Jahre 18 15 als Professor der Medicin nach Breslau kam und
Director der klinischen Lehranstalt für innere Heilkunde wurde. Nach-
dem der Sohn, geboren 1802, seine Studienzeit an der Breslauer Univer-
sität 1820 — 25 verlebt und auf einer Reise nach Paris 1827 sein Wissen
bereichert hatte, liess er sich 1828 als Privatdocent in Breslau nieder.
Er war bald ein gesuchter, weil tüchtiger Arzt und zugleich ausser-
ordentlich brauchbar in der Medicinalverwaltung. Daher wurde er
von der Regierung zu Anfang 1831 nach Warschau geschickt, um hier
die Cholera-Epidemie kennen zu lernen und darüber Bericht zu er-
statten. Das Resultat dieser Reise waren seine ,, Beobachtungen
über die epidemische Cholera", ein Werk, das noch in demselben
Jahre die IH. x\uflage erlebte. Seine Erfahrungen konnte er bei der
Epidemie in Breslau selbst (1831/32) als Arzt an dem im „Birnbaum"
errichteten Krankenhause trefflich verwerthen. Im Jahre 1837 er-
hielt er die ausserordentliche Professur in der medicin. Facultät,
Er veröffentlichte noch als Lehrer an der damaligen chirurg.-medic.
Lehranstalt 1845: ,, Erinnerungen an die gefeiertsten Chirurgen der
neueren Zeit" und 1848 mit Dr. Neugebauer zusammen: „Die
asiatische Cholera und ihre Behandlung". Am 21, September 1855
starb er; wie schon erwähnt, gehörte er zuletzt dem Allerheiligen-
Hospital als Primärarzt für die chirurgische Abtheilung an. — Von
1855 bis 1856 stand ihr Middeldorpf vor, der bereits seit 184g unter
Alter und Remer als Volontär-Assistenzwundarzt am Allerheiligen-
Hospital sehr thätig gewesen. Von 1855 ab wurde er auch Ober-
wundarzt, bis er 1856 als Professor zum Director der Königlichen chirur-
gischen Klinik ernannt wurde. Nach seinem Abgange im Jahre 1861
wurde Paul als Oberwundarzt angestellt. Derselbe ist durch kleine
wissenschaftliche Arbeiten, namentlich aber durch seine grössere
verdienstvolle Schrift: „Conservative Chirurgie", bekannt geworden.
1865 löste ihn Ho dann ab, der bereits seit 1845 am Hospital
als chirurgischer Lehrling und später als Assistenzarzt beschäftigt
20O
war. Als solcher hatte er bei vielseitiger nicht unbedeutender Be-
gabung mehrere brauchbare Abhandlungen geschrieben, aus dem
reichen Schatze seiner mehr als 30jährigen Beobachtung. Ich er-
wähne hierbei um so lieber den Primär -Wundarzt Hodann, da
er, ohne Universitätsstudien gemacht zu haben, durch vielseitige
Leistungen als Botaniker, Gelegenheitsdichter*), Wundarzt und Mensch
einen guten Namen hinterliess.
In Breslau als der Sohn eines Oberlandes-Gerichts-Secretärs
181 7 geboren, besuchte er das katholische Gymnasium zu St. Matthias
unter Absolvirung der Secunda, später die damals noch bestehende
chirurgische Schule und zeigte sich in der Anatomie so geschickt,
dass ihn der Professor derselben, Medicinalrath Dr. Barkow, zum
Präparator für die Vorlesungen auserwählte.
Hierauf entschloss er sich, Chirurg zu werden, und nahm die
Stelle als Lehrling im Allerheiligen-Hospitale an.
Nach des Dr. Pauls Abgange war er Primärarzt der chirur-
gischen Abtheilung, nachdem er bereits sein Staats-Examen gemacht
hatte und Doctor und Sanitätsräth geworden, bis zu seinem Tode
1880; er war also 35 Jahre an dieser Anstalt thätig. Unter seinen
vielen kleinen Schriften**) waren es vorzüglich chirurgische Aufsätze
und besonders die über die pathologische Anatomie, die es verdienen
hervorgehoben zu werden, und zwar:
1. über einen Kranken, der von einem aus Cystin bestehenden
Stein durch einen von ihm ausgeführten Steinschnitt befreit
worden, und von einem zweiten derartigen Falle.
2. Ueber den Harnsäuren -Infar et in den Nieren neugeborener
Kinder.
3. Tinctura Jodi, als äusseres Heilmittel. (Günsburgs Zeitschrift
Band I).
Hodanns Carriere gewährt ein Beispiel, wie sehr Begabung und
Fleiss auch einen Autodidacten zu fördern vermögen.
Bezüglich der Station für innere Krankheiten ist Folgendes zu
erwähnen. Der erste Director des Hospitals, zugleich Oberarzt dieser
Station war Ebers von 18 10 — 1858; der zweite und zugleich letzte
ärztliche Director war von Pastau von 1863 — 1874.
*) „Der Traum des Mediciners", Fastnachtsspiel von Dr. Hodann und Dr. S. Meyer;
es wurde bei dem ersten Stiftungsfeste des Vereins Breslaaer Aerzte aufgeführt (es erschien
1862 im Druck bei Trewendt in Breslau), und auf der letzten Naturforscher- Versammlung
in Breslau wurde die Aufführung wiederholt,
**) Verzeichniss in den Schriften der vaterländischen Gesellschaft von 1804 — 1863
Seite 60.
Es wirkten ferner als Primärärzte:
Professor Dr. Nega von 1852 — 1857; vorher als Assistenzarzt seit
1845 bereits thätig.
• Professor Dr. Rühle von 1857 — 1860, vorher als Assistenz- und
Secundärarzt seit 1850 thätig.
Dr. Schneider von 1857 — 1863, seit 1849 als Assistenzarzt thätig,
machte lange Zeit die Leichensectionen bis zur Ernennung
eines amtlichen Prosectors.
Dr. Bernhard Cohn, von 1859 — 1865, vorher als Assistenzarzt
seit 1852 thätig, bekannt durch die erste Beschreibung der
«mbolischen Krankheiten*).
Geheimer Rath Benedict als Director der am i. October 1855 in
das Allerheiligen-Hospital aufgenommenen königlichen chirur-
gischen Klinik; er wirkte hier nur ein halbes Jahr und nahm
seine Demission. Sein Nachfolger war bekanntlich Professor
Dr. Middeldorpf.
Professor Dr. Lebert, Director der medicinischen Klinik vom
I. October 1859 t>is Juni 1874, Nachfolger Frerichs.
Sanitätsrath Victor Friedländer, von 1863 bis i. Januar 1875
Assistenzarzt und von da ab bis 1887 Primärarzt der medicini-
schen Hospital-Abtheilung, ein sehr begabter tüchtiger Medicus
besonders als Hospitalarzt, und edel als Mensch, was auch
seine Stiftung des Reconvalescenten-Heims beweist.
Professor Dr. Neumann, ein sehr geistreicher Psychiatriker, als
Primärarzt der Irrenabtheilung von 1867 — il
Bevor wir das Hospital verlassen, wollen wir die Räumlich-
keiten in ihrer jetzigen Gestaltung kurz erörtern.
"Wir gelangen, vom Burgfeld ausgehend, zunächst durch das
grosse Thor zur Leichenhalle und dem pathologischen Institut
unter Prof. Dr. Ponficks Leitung, welches nur durch eine eiserne
Gitterthür von der von Professor Dr. Neisser geleiteten Klinik für
Hautkrankheiten und Syphilis getrennt ist. Dieselbe führt den
Namen „Das retablirte Haus", weil das Gebäude nach dem Brande
von 1832 von Grund aus wieder neu hergestellt worden ist. Daran
schliesst sich die im Jahre 1835 erbaute jetzige medicinische Klinik,
von Prof. Dr. Biermer geleitet, oder die Lösch'sche Abtheilung,
an welche sich dann die aus den siebziger Jahren stammende
chirurgische Klinik unter Prof. Dr. Fischers Direction oder das
Riess-Pulvermacher'sche Haus mit dem neu hergestellten Operations-
*) Er erhielt für diese Arbeit 1862 von der Pariser Aakdemie einen Monthyon-Preis,
cf. Biogr. Lexic. hervorrag. Aerzte. VI, S. 636.
20 2
saale anreiht. Links, vom Garten aus betrachtet, liegen die Hickert-
schen Irrenzellen mit einem in Stein gehauenen Kopf, dessen Ur-
sprung dem 15. Jahrhundert angehört.
Darauf folgt das Stadtrath Knorr'sche Uhrgebäude, welches
aber nach der Entfernung der Irren in die neue städtische Irren-
Anstalt bauliche Veränderungen erfahren soll.
Rechts vom Hauptportale, die Barbaragasse entlang, finden wir
die zu einem Krankenhause umgestaltete ehemalige Barbarakaserne,
welche vis-ä-vis der Barbarakirche mit der Küche und den Beamten-
wohnungen abschliesst. Diesem Gebäude gegenüber liegt das Ab-
sonderungs- und Contagienhaus mit einem kleinen Räume für
Pockenkranke. Indess dienen für plötzliche Epidemien die im
Wenzel-Hancke'schen Krankenhause befindlichen Baracken.
AVerden jetzt nach Verlegung der Irrenkranken in die neue unter
!Medicinalrath Professor Dr. AVernicke stehende Irrenanstalt, die wir
der überzeugenden Anregung und Consequenz des Oberbürgermeisters
Eriedensburg nach den von ihm vorgenommenen Hospitalrevisionen
verdanken, die beabsichtigten Umbauten im sogenannten Uhrgebäude
und aus der Agath-Friebe'schen Stiftung noch andere Bauten aus-
geführt, so dürfte die Commune für 20 und mehr Jahre hinaus hin-
reichend Raum zur Unterbringung ihrer Kranken gewinnen, zumal
die neuen klinischen Anstalten der Universität noch Hilfe in dem
Scheitniger Bezirke bringen werden und das neue Armenhaus eine
Herabminderung von 440 Betten im Oderthorbezirk schaffen soll.
Die Schöpfung dieser Xeu- und Umbauten sind ein wesent-
liches A'erdienst des trefflichen Vorsitzenden der Hospital-Direction,
Bürgermeister Dickhuth, der jedem Fortschritt im Krankenwesen
geneigt ist, aber auch den Seckel der Stadt dabei zu schonen versteht.
2or.
Die Gründung der K. Leopoldinisch-Caro-
linischen Akaderaie der Naturforscher
und Schlesien
(nebst einem Verzeichniss der schlesischen Mitglieder
der Akademie).
JL ür die Geschichte der wissenschafthchen Bestrebungen und des
geistigen Lebens in Schlesien ist die Gründung der Academia
Naturae Curiosorum im Jahre 1652, welche der glänzenden Idee
des Arztes und Physikus zu Schweinfurt in Franken, Dr. Joh. Lorenz
Bausch, verdankt wird, von einschneidender Bedeutung geworden*).
In ihr und durch sie fanden alle Geisteskräfte unserer Heimat einen
Mittelpunkt und segensreiche Anregung von dem Augenblicke an,
da Sachs von Löwenheim^ der Breslauer Arzt und Physikus, seine
fruchtbare Thätigkeit im Interesse der Akademie begann und,
gleichsam in Anerkennung seiner Verdienste, Breslau zum Sammel-
ort für alle die Medicin und Naturwissenschaften betreffenden Mit-
theilungen und Beobachtungen der Mitglieder und auch fremder Ge-
lehrten und für grössere literarische Leistungen der ersteren ge-
wählt wurde. Sachs von Löwenheim hat sich den Ruhm erworben,
der jungen Schöpfung gradezu aus den Kinderschuhen herausge-
holfen zu haben, in denen sie beinahe stecken geblieben wäre. Die
Schuld daran lag einmal in den strengen, für gelehrte Männer lästigen,
statutenmässigen Bedingungen, welche besonders die Anfertigung
*) Unsere Darstellung beruht vornehmlich auf Andr. E, Büchners Historia Academiae
N. C. Halle, 1755, S. I — 103, "welche überaus reich an actenmässigea Belegen ist. Da-
neben ist benutzt Nees v. Esenbeck: „Vergangenheit und Zukunft der Akademie der
Naturf." 1851. S. Ii— 18.
204
wissenschaftlicher Arbeiten betrafen**), theils daran, dass Bausch in
dem von ihm verfassten Programme ohne Widerspruch von Seiten
der Mitbegründer, der praktischen Aerzte zu Schweinfurt: Fehr,
Metzg'er und Wohlfarth, die Erklärung abgab: Die zu gründende
Akademie solle nicht sein „publica et talis, qualem Viri Principes
aliique Status Imperii Romani in usum discentium erexerunt, sed
privata vel Sodalitium quoddam." (Cf. Büchner S. 20.) Für die
Genossenschaft der Naturae Curiosorum zu Schweinfurt, wo nicht
einmal eine Universität vorhanden war und der wissenschaftliche
Verkehr mit auswärtigen Gelehrten schon deshalb auf Schwierig-
keiten stossen musste, hiess das nichts anderes, als selbstverschuldete
Beschränkung der Lebensfähigkeit. Als nun Sachs von Löwenheim
im Jahre 1658 in diese Akademie aufgenommen wurde, erschien er
im wahren Sinne des "Wortes als Lebensretter derselben. —
Er drang bei dem Präsidenten und dessen Adjunkten darauf,
dass die Akademie mit allen ihren Zielen und Leistungen in die
O effentlichkeit trete und dieselben weit und breit bekannt mache.
Sachs nahm alle die alten Beziehungen aus seiner Studienzeit zum
Besten des Instituts wieder auf. Er correspondirte mit einem
Lyoner Arzte und Freunde über den Zweck der Gründung, um die-
selbe in Frankreich bekannt zu machen (cf. B. S. 58. Anm. 60); er
liess sich über die Akademie in Briefen an einen befreundeten
Professor der Anatomie in Kopenhagen, Bartholinus, aus und stand
in überaus lebhaftem Gedankenaustausch mit einem Londoner Freunde
Oldenburg, der als Secretär der um dieselbe Zeit entstandenen Royal"
Society in London ihm werthvolle Winke für die Entwickelung des
deutschen Instituts geben konnte, während Sachs seinen Mitarbeitern
in der Akademie immer wieder die englische Gesellschaft als Muster
vor Augen hielt. Vor allen Dingen aber suchte er schon in dieser
Zeit (1660 — 70) die Protection hochangesehener Fürsten und des
Kaisers selbst dem jungen Unternehmen zu verschaffen. Da Kaiser
Leopolds Unterstützung während der Kriegsereignisse in Ungarn und
der Türkei nicht zu erwarten war, wandte er sich an den kaiser-
lichen Bevollmächtigten auf dem Regensburger Reichstage, den
Fürstbischof von Salzburg, und gewann dessen Gönnerschaft für die
Akademie und Fürsprache bei dem Kaiser nach Ueberreichung eines
seiner Werke, während ein anderes Mitglied, durch Sachs' Beispiel
angefeuert, den Fürstbischof von Mainz um seine Gunst anging. Bei
dieser Reorganisation der Akademie fand Sachs, der im Jahre 1661
Adjunkt geworden war, einen vortrefflichen Mitarbeiter in dem
Nachfolger von Bausch im Präsidium, dem schon genannten Fehr,
**) Cf. Büchner. S. 21 — 33. (H' V— VIII, X).
^ ^05
der mit unserem Landsmanne die Aenderung der Statuten vornahm
und die Anlegung eines Geldfonds durch regelmässige Beiträge der
Mitglieder anregte.
Wie bedeutend aber auch alle diese, dem Ansehen Schlesiens
auch zu Gute kommenden, Leistungen unseres Sachs von Löwen-
heim für die Organisation und äussere Blüthe der Akademie sein
mochten, übertroffen wurden dieselben durch seine Thätigkeit für
den wissenschaftlichen Ruf der Akademie, — eine Thätigkeit, welche
für unsere Provinz ausserordentliche Vortheile mit sich brachte.
Im Jahre 1661 veröffentlichte er*) seine „Ampelographia," als Bei-
spiel zugleich und „Vorläufer" für die Publicationen der Mitglieder,
und sprach sich über das Wesen der Akademie in der Praefatio zu
diesem Werke eingehender aus. Er ermahnte den Präsidenten und
den zweiten Adjunkten, nur dafür zu sorgen, dass die Beendigung
von Arbeiten anderer Mitglieder nicht zu lange sich hinziehe, damit
die Akademie durch Zahl und Werth ihrer Leistungen an Ansehen
gewinnt**). Es war zuletzt nur natürlich, dass die Akademie diesen
Mann zu ihrem literarischen Leiter und, dem entsprechend, seine
Vaterstadt und den Ort seines ärztlichen Wirkens, Breslau, zum
Redactionsort erhob. Büchner hat in seiner „Historia" klar die für
die Wahl dieser Stadt bestimmenden Gründe auseinandergesetzt. Hier
war in Folge des grossen Handelsverkehrs die günstige Gelegenheit
zum Empfang und zur Beförderung von Briefen und anderen Mit-
theilungen gegeben; an diesem Orte ferner wohnten mehrere Mit-
glieder der Akademie, vor Allem der zuverlässige, eifrige und alle
an Gewandtheit übertreffende Sachs selbst, dem die übrigen Breslauer
Aerzte in seiner Aufgabe behilflich sein konnten. Als im Jahre 1670
das erste Heft der Mittheilungen, „Ephemerides" genannt, von der
Akademie herausgegeben wurde, hatte dieses Ereigniss zur P'olge,
dass Männer wie Boerhaave und im Anschluss an ihn später Haller***)
dieses Jahr für das der Gründung der Akademie hielten (cf. B. S. 25.
Note 24).
Neben der anstrengenden Thätigkeit für die Veröffentlichungen
der Akademie beschäftigte Sachs nichts so sehr, wie die !^ufgabe,|
seinem Schosskinde die Anerkennung und das Protectorat desW^aiser^
zu verschaffen. Zu diesem Zwecke hatte er sich in dieser Zeit mit
*) Cf. über seine Werke und sein Leben unsere Biographie auf S. 60 u. 61, wir
nennen noch von seinen Werken die ,,Gammarologia'' 1665.
*^) Abgesehen von den Werken, deren Verfasser Sachs zweifellos ist, hält ihn Büchner
entschieden für den Autor der „Historia succincta brevisque ortus et progressas Academiae
N. C." Cf. S. 60.
***) lieber das Interesse Hallers für die Akademie vgl. S. 61 unserer Biographie von
Sachs von Löwenheim.
2o6
den kaiserlichen Leibärzten Lucas Erbenius und Czaschelius in Ver-
bindung gesetzt; diese Angelegenheit hatte er dem böhmischen
Kanzler, Grafen Nostiz, dringend an's Herz gelegt, als derselbe bei
seinem Aufenthalt in Breslau ihn consultirte, und für diese Sache
hatte er auch den kaiserlichen Vicekanzler, Grafen Königseck, zu
gewinnen gesucht. Sachs war von den Aussichten, die er für die
Akademie erlangt hatte, durchaus befriedigt, wie aus seinen Briefen
hervorgeht (cf. B, S. 99. Note 121), Aber die Erfüllung derselben
erlebte er nicht mehr, da er schon im Jahre 1672, kurz vorher vom
Kaiser mit einer goldenen Halskette beschenkt, im kräftigen Mannes-
alter — ein schwerer Verlust für die Akademie — starb und die
Akademie erst im Jahre 1677 die Bestätigung der erweiterten Statuten
und den Titel: ,,Sacri Romani Imperii Academia N. C." von Kaiser
Leopold I. erhielt. Auf seinem Sterbebette noch empfahl Sachs
von Löwenheim seinen treuen Landsleuten, den Breslauer Aerzten
Vollgnad und Jänisch, welche Mitglieder der Akademie waren, die
Sorge für die weitere Herausgabe der Ephemeriden.
Aus allen unseren Ausführungen geht das als sicher hervor, dass
der Schwerpunkt aller Bestrebungen der Akademie in diesen ersten
Jahrzehnten in Schlesien, speciell in Breslau lag. Wenn nun die
Aeusserung von Nees v. Esenbeck, dem Präsidenten dieser Akademie
in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, wahr ist, dass, ,,was zeitge-
mäss entspringt, sich schnell entwickelt, weil es in den Zeitgenossen
Anklang findet," so darf es uns nicht wundern, dass bei der er-
staunlichen Thätigkeit Sachs von Löwenheims so viele seiner Zeitge-
nossen gerade aus Schlesien in der Mitgliederzahl der Akademie
sich befinden. Der häufige Beitritt von schlesischen Gelehrten auch
in den nächsten Jahrzehnten findet aber auch seine natürliche Er-
klärung darin, dass die Akademie, da Breslau keine Universität be-
sass und eine solche erst im Beginn des XIX. Jahrhunderts erhielt,
für das geistige Leben unserer Provinz bis zu dieser Zeit fast den
einzigen Stützpunkt bildete und beinahe allein einen Zusammenhang
zwischen den heimischen wissenschaftlichen Bestrebungen und denen
aller andern Länder herstellte.
Wir wollen nunmehr eine Liste von den der Akademie ange-
hörigen schlesischen Medicinern und Naturforschern geben und be-
merken noch dazu, dass wir für das XIX. Jahrhundert uns auf die in
Schlesien Geborenen beschränkt haben, während für die früheren
Jahrhunderte auch solche aufgenommen sind, welche zwar nicht in
unserer Provinz geboren sind, aber lange in derselben gewirkt haben.
Wir verdanken die Liste bis auf Weniges der Bereitwilligkeit des
207
derzeitigen Präsidenten der Akademie, Herrn Geheimrath Prof.
Dr. Knoblauch in Halle, der uns einen Auszug aus den Akten, ver-
sehen mit der Nummer der Eintragung in das Mitglieder-Album und
dem Aufnahme-Datum, anfertigen liess.
No. 17. 30. December 1658: Dr. Philipp Jacob Sachs von
Lewenhaimb (Löwenheim), cogn. Phosphorus I, Phy-
sikus in der freien Stadt Breslau, geboren daselbst am
26. August 1627, gestorben am 7. Januar 1672. Begr. der
Acad. nat. curiosor.
No. 28. Im J. 1664: Paul Ammann, cogn. Dryander I, Pro-
fessor der Physiologie und Botanik zu Leipzig; geboren
in Breslau den 3. Aug. 1634, gest. 4. Febr. i6go.
No. 29. 14. Mai 1664: Dr. Joh. Daniel Maior, cogn. Hes-
perus I, Pestarzt in Hamburg, dann Prof. der Anatomie
und Botanik in Kiel, Leibarzt des Bischofs von Lübeck,
geboren in Breslau den 16. August 1634; gestorben den
3. August 1693.
No. ^^. 20. October 1669: Dr. Heinrich VoUgnad, cogn.
Sirius I., Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst den
8. Mai 1634, gestorben den 3, Januar 1682.
No. 34. 20. October 1669: Dr. Johannes Jänisius, cogn. Arc-
turus, Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst den 31. Octo-
ber 1636, gestorben den 7, December 1707.
No. 43. 15. August 1672: Dr. Melchior Friebe, cogn. Oleander,
praktischer Arzt zu Landshut in Schlesien, später in
Zittau, endlich Physikus zu Hayna, Kreis Meissen, ge-
boren den 24. November 1629 in Schles. - Friedland, ge-
storben 1690.
No. 47. 19. September 1672: Dr. Joachim Georg Eisner,
Stadtarzt in Breslau, geboren daselbst den 4. Juni 1642,
gestorben den 3. Mai 1676.
No. 48. 15. August 1673: Dr. Gottfried Schubart, Physikus
zu Hirschberg, dann Stadtarzt in Brieg, geboren zu
Breslau den 30. Juni 1634, gestorben den 14. October 1691,
No. 49. 15. August 1673: Gottfr. Christ. Winckler, Rath
und Leibarzt des Kurfürsten von Brandenburg, Physikus
in Brieg, geboren daselbst den 19. September 1635, ge-
storben den 4. Juli 1684.
No, 52. 24. Mai 1674: Dr. Salomon Reisel, cogn. Amphion,
Physikus in Buchsweiler, dann in Hanau und Worms,
2o8
zuletzt Rath und Leibarzt des Herzogs von Würtemberg,
geboren in Hirschberg den 14. October 1625, gestorben
21. Xov. 1701.
No. 55. 24. JNIai 1674: Dr. Ehrenfried Hagendorn, cogn.
Pegasus III; kurfürstl. sächsischer Leibarzt und prakti-
scher Arzt in Görhtz, geboren zu Wohlau den 22. Januar
1640, gestorben den 27. Februar 1692.
No, 63. Im JuU 1676: Dr. Gottfr. Schulz, cogn. Aegineta I;
Stadtarzt der freien Stadt Breslau, geboren daselbst den
20. April 1643, gestorben den 4. Mai i6g8.
No. 70. 22. Januar 1677: Dr. Johann Burg, cogn. Mesue I;
Arzt der freien Stadt Breslau, geboren daselbst den
13. Juni 1652, gestorben den 25. August i6go.
No. 71. 22. Januar 1677: Dr. Gottfried Samuel Polisius,
cogn. Homer I; Arzt zu Steinau, dann Physikus zu
Züllichau, zuletzt zu Frankfurt a. O., geboren daselbst
den II. April 1636, gestorben 1700^
No. 83. 4. März 167g: Dr. Tobias Czaschel, cogn. Aescula-
pius I; kaiserl. Leibarzt, geboren zu Lauban in der
Lausitz, gestorben den 25. December 1682.
No. 85. 4. März 167g: Johann Christian Tralles, cogn. Aven-
zoar: kaiserl. Hofarzt und Physikus der freien Stadt
Breslau, später königl. polnischer Regimentsarzt, geboren
zu Strehlen in Schlesien, gestorben i6g8.
No. 102 6. Mai 1682: Dr. Joh. Adam Limprecht, cogn. Fabius;
zuerst Stadtarzt zu Breslau, darauf Physikus zu Anger-
münde und endlich zu Fürstenwalde, Rath und Leibarzt
des Herzogs von Würtemberg zu Oels und Bernstadt
in Schlesien und Mitglied des ärztlichen Collegiums zu
Berlin, geboren zu Breslau den 2. December 1651, ge-
storben den 27. Juni 1735.
No. log. 6. November 1682: Dr. Karl Oehmb, cogn. Sirius II;
Physikus der freien Stadt Breslau, geboren daselbst 1653,
gestorben den g. April 1706.
No. 127. I. November 1684: Dr. Samuel Ledelius, cogn. The-
seus II; praktischer Arzt zu Sagan in Schlesien, dann
Kreisphysikus zu Grünberg, geboren zu Sorau 1644.
No 148. 3.Febr.i686: Dr. Joseph Ignatz Myschel-Moschau,
cogn. Erasistratus, Physikus in Glatz. (Geburtszeit und
Tod unbekannt).
No. 151. 31. März 1686: Dr. Johann Acoluthus, cogn. Cassius,
Jatrosophista; Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst den
21. August 1658, gestorben den 17. October i6g6.
209
No. 175. 2. Mai 1690: Dr. David Reich, Edler von Ehrenberg
auf Reichenhoff, cogn. Herkules III ; kaiserl. Leibarzt,
Canonicus zu Merseburg und Stadtarzt von Breslau, ge-
boren daselbst den 22. März 1652.
No, 185. 24. Januar i6gi: Dr. Ernst Sigismund Grass, cogn.
Chiron II; Physikus zu Jauer in Schlesien, das. geboren.
No 204. 31. Januar 1694: Dr. Samuel Grass senior, cogn.
Mesuell; erster Physikus zu Breslau, geboren daselbst
den II. Juli 1653, gestorben daselbst den 29. Juni 1730.
No. 205. 31. Januar 1694: Dr. Michael Pauli, cogn. Asterion I ;
Stadtarzt zu Breslau, geb. zu Lüben den 8. October 1652.
No. 215. 25. Juni 1695: Dr. Christian v. Helwich, cogn. Em-
pedokles; Rath und Leibarzt mehrerer Herzöge von
vSchlesien, Stadtarzt zu Breslau, geboren den 6. Januar
1666, gestorben den 20. September 1740.
No. 218. 6. October 1695: Dr. Maximilian Preuss, cogn. Japis I;
Physikus der königl. Stadt Fraustadt in Polen (Provinz
Posen), dann Oberphysikus zu Breslau, geboren daselbst
den 10. März 1652, gestorben den 6. September 1721.
No. 239. 3. November 1699: Dr. Gottlieb Budäus, cogn. Meno-
dotus; Provinzialphysikus der Unterlausitz und Stadt-
arzt zu Lüben, dann Leibarzt des Herzogs von Sachsen
zu Merseburg und Stadtarzt zu Spremberg, endlich
Provinzialphysikus der oberen Lausitz und Stadtarzt zu
Bautzen, geboren den 15. Juli 1664 zu Rehfeld bei
Herzberg, gestorben 1734.
No. -241. 3. Juni 1700: Dr. Jonas Friedrich Ortlob, cogn.
Democedes. Professor der Anatomie und Physiologie zu
Leipzig, zuletzt kurfürstl. sächsischer Leibarzt, geboren
zu Oels den 2. August 1661, gestorben im December 1700.
No. 244. 18. August 1700: Dr. Philipp Freiherr von Hulden,
cogn. Praxagoras,- Arzt in Schweden, dann in Polen,
Leibarzt des Bischofs von Cujavien, darauf Hofrath und
Leibarzt des Herzogs von Würtemberg-Oels und endlich
Senator und ordentlicher Physikus der Stadt-^Ceumarkt
in Schlesien, geboren den 28. September 1646.
No. 268. 15. November 1706: Dr. Gottfried Klaunig, cogn. Eu-
bulus; erst pfälzischer Hofarzt, dann Sr. Majestät des
Kaisers Leib- und Hofarzt, Stadtarzt zu Breslau, geboren
daselbst 1676, gestorben daselbst 17. Januar 1731.
No. 270. 3. März 1707: Dr. Ulrich Sigismund Nimptsch, cogn.
Theon; Stadtarzt zu Breslau, geboren zu Bernstadt den
14. October 1672, gestorben den 16. December 1726.
14
2IO
Xo, 271. 3. März 1707: Dr. Gottfried David Mayer, cogn.
Menemachus, Stadtarzt zu Breslau, geboren den 9, Novem-
ber 1659 zu Breslau, gestorben daselbst den 28. Novem-
ber 171g.
No. 273. 25. April 1707: Dr. Gottlieb v. Albrecht und Bau-
mann, cogn. Diagoras: erst Stadtarzt zu Breslau, dann
kaiserl. Rath, geboren daselbst den 7. März 167 1.
No. 277. 3. Mai 1708: Dr. Friedrich Kaltschmidt, cogn. Pro-
tarchus I; Stadtarzt zu Rawicz (in der Provinz Posen), dann
zu Breslau, endlich Leib- und Hofarzt des Kaisers, ge-
boren das. den 6. Juli 1643, gestorben den 21. Juli 1717.
No. 285. 16. Februar 1709: Dr. Johann Ernst Waltsgott, cogn.
Glauco I; erst Stadtarzt zu Breslau, dann Phj^sikus zu
Beuthen, dann praktischer Arzt zu Ratibor und endlich
Physikus der Herzogthümer Schweidnitz und Jauer, kaiserl.
Leib- und Hofarzt, geboren zu Oels den S.Januar 1671.
No. 286. 16. Februar 1709: Dr. Johann Gottlieb Nüssler von
Nüssler, cogn. Ctesias I; kaiserl. Pfalzgraf*), Rath und
Leibarzt des Herzogs von Sagan und des Fürsten von
Lobkowitz, Physikus des genannten Herzogthums und
der Stadt Sagan. geboren zu Lauban den 16. Juli 1664,
gestorben den 16. August 1711.
No. 288. 24. Juni 1711.- Dr. Joh. Heinrich Helger, cogn. Hiero-
theus; Stadtarzt zu Schweidnitz, dann zu Breslau, geboren
den 9. Mai 1672 zu Oels, gestorben den 30. October 1729
zu Breslau.
No. 296. 13. Februar 1713: Dr. Immanuel Weissmann, cogn.
ApoUophanes. Physikus in Löwenberg, dann in Breslau,
geboren den 24. September 1683 in Waiblingen (Würtem-
berg).
No. 298. 1. März 17 13: Dr. Christian Michael Adqlphi, cogn.
Aetius n, Herzogl. sächsischer Leibarzt, Senior der Leip-
ziger Medic. Facultät, geboren zu Hirschberg, den 15. Aug.
1676, gestorben den 3, October 1753.
No. 302. 21. October 1713: Dr. Adam Christian Thebesius,
cogn. Euriphon I; Physikus zu Hirschberg und den be-
nachbarten Bädern, geboren den 1 2. Januar 1686 zu Sanden-
walde (im Herzogthum Wohlau). gestorben den 10. No-
vember 1732.
No. 303. 7. April 1714: Dr. Joh. Michael v. Kozamero, cogn.
*) Zu den Ehrentiteln und Würden, welche den Akademikern verliehen werden konnten,
gehörten der Titel: „Aichiater" und die Würde eines Comes Palatinus.
2 I I
Stratonicus ; aas Bayern gebürtig, fürstl. Physikus zu
Teschen in Oesterreich-Schlesien (damals Oberschlesien).
No. 304. 26. April 1714: Dr. Gottfr. Benjamin Preuss, cogn.
Japis II; Stadtarzt zu Breslau, geboren den 18. August
1684 zu Fraustadt (in der Provinz Posen), gestorben den
I 2. Juni I 719.
No. 305. 27. April 1714: Dr. Samuel Grass jun., cogn. Mesue HI;
Oberarzt der freien Stadt Breslau, geboren daselbst den
14. December 1684, gestorben den 28. November 1745
(nach einer anderen Notiz: geboren in Breslau den
14. December 1653, gestorben daselbst 1730).
No. 311. 3. December 1714: Dr. Gottfried Held v. Hagels-
heim, cogn. Eusebius; erst Leib- und Militärarzt zu
Bayreuth und des ganzen fränkischen Kreises, dann Rath
und Leibarzt des Herzogs von Eisenach, endlich Hofrath
und Oberarzt zu Bayreuth, geboren den 18. September
1670 zu Herrnstadt bei Wohlau in Schlesien, gestorben
den 30. September 1724 zu Bayreuth.
No. 317. 20. September 1 715; Dr. Christian Gottlieb Reusner,
cogn. Dorotheus I; Stadtarzt zu Jauer in Schlesien, ge-
boren zu Liegnitz im Januar 1682.
No. 342. 6. December 171g: Dr. Joh. Kanold, cogn, Dexippus;
Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst den 15. December
167g, gestorben den 15. November 172g.
No. 344. 14. Februar 1720: Dr. Tobias Ferdin. Paulli, cogn-
Alcimion; Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst 1688.
No. 355. II. September 1721: Johann Georg Kulmus, cogn.
Philotes, königl. polnisch, und herzogl. sächsischer Leibarzt
und praktischer Arzt in Danzig, geboren in Breslau den
26. März 1680, gestorben 1731.
No. 356. II. September 172 1 : Dr. Johann Adam Kulmus, cogn.
Philomenis I; Professor und Physikus in Danzig, Mit-
glied der königl. wissenschaftl. Gesellschaft zu Berlin,
geboren in Breslau den 18. März i68g, gestorben den
2g. März 1745.
No. 36g. 7. Juni 1724: Licent. Conrad Michael Valentini,
cogn. Thessalus III; Physikus der Stadt Grünberg.
No. 3g5. 30. Januar 1727: Dr. Johann Georg Brunschwitz,
cogn. Zeno I; Stadtarzt zu Breslau, gestorben den
2. October 1734.
No. 3g6. 2. Februar 1727: Dr. Joh. Christ. Kundmann, cogn.
Epimenides; Stadtarzt zu Breslau, geboren daselbst den
26. October 1684, gestorben den 11. Mai 1751.
14*
Xo. 402. 14. Mai 1728: Dr. Gottfr. Michael Kortum, cogn.
Sosimenes; praktischer Arzt zu iBielitz in Oesterreich-
Schlesien (damals Oberschlesien), geboren i6g8 zu Qued-
linburg.
Xo. 424, I. Mai 1731: Dr. Joh. Gottfried v. Hahn, cogn,
Dexius I ; Hofrath des Königs von Preussen und Decan
des ärztlichen und Gesundheitscollegiums in Breslau, ge-
boren 1694 in Schweidnitz, gestorben den i. Mai 1753.
Xo. 436. 7. März 1732: Dr. Joh. Peter Wahrendorff, cogn.
Polyidas; Stadtarzt zu Liegnitz in Schlesien, geboren
daselbst den 16. Januar 1683, gestorben den 5. Dcbr. 1738.
Xo. 461. S.Juni 1736: Dr. Johann Christophorus Pohl; cogn.
Philadelphus II, Prof. extraord. der Medicin an der Uni-
versität Leipzig und Assessor der Facultät, geboren zu
Dobendan bei Liegnitz den 22. Juni 1705, gestorben den
26. August 1780.
Xo. 468. 18. Februar 1737: Dr. Caspar Theophil Lindner,
cogn. Leonides II; praktischer Arzt zu Hirschberg, ge-
boren zu Liegnitz den g. Januar i 705.
Xo. 502. 25. Juni 1740: Dr. Joh. Jacob Ritter, cogn. Mundi-
nus II; erst Anatomiker zu Bern, dann Leibarzt des
Landgrafen von Hessen-Homburg und Physikus daselbst,
ferner Physikus der Stadt Lauterbach, dann Professor der
Medicin und Anatomie an der Universität Franeker, dann
praktischer Arzt zu Peilau in Schlesien, geboren den
15. Juli 1714 zu Bern, gestorben den 23. Xovember 1784.
Xo. 511. 13. März 1741: Dr. Tobias Heinrich Hähne, cogn.
Hygienus II; Physikus zu Löwenberg.
Xo. 539. 12. Juni 1745. Dr. Karl Friedrich Kaltschmied,
cogn. Protarchus II; Hofrath und Leibarzt des Mark-
grafen von Brandenburg-Culmbach, Leibarzt des Herzogs
von Sachsen-Weimar-Eisenach, Physikus, Pfalzgraf und
Professor der Medicin zu Jena, geboren den 21. Mai
1706 zu Breslau, gestorben den 6. Xovember 1769 zu
Jena.
Xo. 567. 8. Juni 1750: Dr. Joh. Ernst Stieff, cogn. Solon II;
Arzt zu Breslau, geboren den 22. Mai 171 7 zu Breslau,
gestorben daselbst den 4. Januar 1793.
X'o, 587. 20. Februar 1754: Dr. Michael Morgen besser, cogn.
Dexius II; Oberphysikus der freien Stadt Breslau und
Assessor des medicinischen Collegiums, geboren daselbst
den 24. Juli 171 4.
Xo. 595. 25. Juni 1755: Dr. Karl Wilhelm Sachs, cogn. Phos-
2t3
phorus IV; Stadtarzt zu Breslau und Assessor des
königl. medicinischen und Sanitätscollegiums daselbst,
geboren daselbst den ii. September 1709, gestorben 1763-
No. 598. 5 September 1755: Dr. Balthasar Ludwig Tralles,
cogn. Avenzoar II; Arzt zu Breslau, geboren daselbst
den I. März 1708, gestorben daselbst den 7. Februar 1797.
No. 609. 12. März 1756: Dr. Gottfried Heinrich Burghart,
cogn. Zosimus III; praktischer Arzt zu Brieg, erster
Professor am dortig-en königl. Collegium, geboren den
5. Juli 1705 zu Reichenbach in Schlesien, g^estorben 1776
zu Brieg".
No. 677. 4. Juni 1765: Dr. Karl Gottlieb Pauli, cogn. Phila-
grius IV; Adjunct des medicinischen und Sanitätscolle-
giums in Breslau, Physikus und Arzt des öffentlichen
Krankenhauses daselbst, Vorsitzender der übrigen Bres-
lauer Collegien.
No. 811. 6. Februar 1776: Dr. Christ. Gottfr. Grüner, cogn.
Dioscorides VI; herzogl. Sachsen- weimarischer Hofrath,
ordentlicher Professor der Botanik und Medicin und
Assessor der medicinischen Facultät zu Jena, geboren
den 8. November 1744 zu Sagan in Schlesien, gestorben
den 4. December 181 5.
No. 963. 6. Februar 1793 : Dr. Karl August AVilhelm Berend s,
cog'n. Polydorus I; Geheimer INIedicinalrath und Director
der wissenschaftlichen Deputation für das Medicinal-
wesen, ordentlicher Professor der Medicin an der Uni-
versität zu Frankfurt an der Oder, dann zu Breslau
181 1 — 15, Hospitalarzt und Stadt- und Kreisphysikus zu
Lebus, geboren am 19. April 1759 zu Anclam, gestorben
den I. December 1826.
No. 977. 23. Juni 1794: Dr. Joh. Joseph Kausch, cogn. Dosi-
theus I; preussischer Regierungs- und Medicinalrath zu
Glogau, geboren den 16. November 1751 zu Löwenberg
in Schlesien, gestorben den 10. März 1825.
No. 1049. 9. Juli 1814; Dr. Johann Wendt, cogn. Praxagoras
III; preuss. Geheimer Medicinalrath und Professor der
Medicin an der Universität in Breslau, Director der
königlichen medicinisch-chirurgischen Lehranstalt und der
Prüfungscommission für Medicinalpersonen, geboren den
26. October 1777 zu Tost in Oberschlesien, gestorben
den 13. April 1845.
No. 1166. 7. Februar 1820: Dr. Ad. Wilhelm^ Otto, cogn. Poli:
Geheimer Medicinalrath und Professor der Medicin und
214
Chirurgie an der Universität und chirurgischen Lehran-
stalt zu Breslau, geboren zu Greifs wald den 3. August 1786,
gestorben den 14, Januar 1845.
Xo. 1223. 28. November 1821: Dr. Jeremias Rudolph Lichten-
staedt, cogn. Maxwell; praktischer Arzt und ausser-
ordentlicher Professor der Medicin an der Universität
Breslau, später in Petersburg, geboren zu Gross-Glogau
den 26. Mai 1792, gestorben den 4. December 184g.
No. 1339. 10. Juni 1829: Dr. Johannes Evangelist Purkinje,
cogn. Darwin I; ordentlicher Professor der Physiologie
und Pathologie an der Universität in Prag, vorher Pro-
fessor zu Breslau, geboren den 17. December 1787, ge-
storben den 28. Juli 1869.
Xo. 1349. 24. Mai 1830: Dr. Heinrich Robert Goeppert, cogn.
du Hamel; Adjunct der Akademie; Geheimer Medicinal-
rath, ordentl. Professor der Medicin und Botanik, Director
des botanischen Gartens an der Universität zu Breslau,
geboren zu Sprottau in Niederschlesien den 25 Juli 1800,
gestorben den 18. Mai 1884 zu Breslau.
3. August 1833: Dr. Johann Christian Günther,
Apothekenbesitzer und Assessor im königl. schlesischen
Provinziai - Medicinalcollegium zu Breslau, geboren zu
Jauer den 10. October 1769, gestorben den 18. Juni 1833.
,3. August 1835: Dr. Gabriel Gustav Valentin, cogn.
Steinbuch; prakt. Arzt und ordentl. Prof. der Physiologie
zu Bern, geboren 8. Juli 18 10 zu Breslau, gestorbenden
24. Mai 1883.
Xo. 1500. 15. October 1841: Dr. Johann Eduard Heinrich
Schultz, cogn. d' Argen ville; praktischer Arzt in Breslau,
geboren daselbst den 4. Februar 181 2, gestorben den
26. October 1859.
No. 1503. yf^. October 1842: Dr. August Wilhelm Eduard
Theodor Henschel, cogn. Conring; ordentl. Professor
der Heilkunde und der Naturwissenschaften an der Uni-
versität zu Breslau, geboren den 20. December 1790,
gestorben den 24. Juli 1856.
Xo. 1519. 15. October 1843: Dr. Ernst Luchs, cogn. Stoll; Bade-
arzt zu Warmbrunn in Schlesien, gestorben den 3. Januar
1886 daselbst.
Xo. 1521.^^^5. October 1843: Dr. Samuel Pappenheim, cogn.
No. 1372.
1420.
Duvernoy II; prakt. Arzt,
geboren den 3. April 181 1
IG. Februar 1882 in Berlin.
Privatgelehrter in Breslau,
in Breslau, gestorben den
215
No. 1578. 15. October 1847: Dr. Karl Wilhelm Klose, cogn.
Schnurrer; Kreisphysikus, prakt. Arzt, sowie Oberarzt
der Krankenanstalt im Kloster der barmherzigen Brüder,
Mitglied der delegirten Oberexaminations-Commission und
Privatdocent der Medicin an der Universität zu Breslau,
geboren zu Polnisch- Wartenberg den 17, Februar 18,03,
gestorben den 10, »November 1865.
Mai 1853: Dr. Friedrich Günsburg, cogn. Willis;
praktischer und Assistenzarzt des allgemeinen Kranken-
hauses zu Allerheiligen in Breslau, geboren daselbt den
13. Juli 1820, gestorben den zß-.-Juli 1859. '
No. 1676. 15. August 1853: Dr. Gustav Adolf Robert Her-
mann Brehmer, cogn. Priessnitz; praktischer Arzt zu
Görbersdorf in Schlesien, geboren zu Kurtsch bei Strehlen
in Schlesien^ den 14. August 1826.
No, 1733. I.Mai 1855: Dr. Hermann Julius Paul, cogn. Roux;
Privatdocent der Medicin an der Universität, sowie Arzt
der königl. Gefangenenanstalt und des Augusten-Kinder-
hospitals und jetzt der barmherzigen Brüder in Breslau, ge-
boren daselbst den S.Juni 1824, gestorben den 3. Juni 1877.
Mai 1855: Dr. Isidor Pinoff, cogn. Soranus III;
Director der Wasserheilanstalt in Breslau, geboren den
3. Februar 18 14.
März 1856: Dr. Jonas Brück, cogn. Carabelli; Zahn-
arzt zu Breslau, gestorben den 5. April 1883.
8. October 1857: Karl Christ. Beinert, cogn. Volk-
mann II; Brunneninspector und Apotheker zu Charlotten-
brunn in Schlesien, geboren den 15. Januar 1793 zu Waits-
dorf bei Bernstadt (Schles.).
No. 1843. I. November 1857: Dr. Joh. Gustav Schweikert, cogn.
Hahnemann; Arzt zu Breslau.
r. Ferdinand Julius Cohn, Geh. Regierungsrath,
Professor der Botanik an der Universität Breslau; Ad-
junct der Akademie seit October 1884, geb. zu Breslau
den 24. Januar 1828.
S.Februar 1881: Dr. Leopold Auerbach, Professor
der Medicin an der Universität in Breslau, geboren den
27. April 1828 zu Breslau.
Juni 1883: Dr. Max J äffe, .Professor in der medicini-
schen Facultät, ausserordentl. Mitglied des Reichsgesund-
heitsamtes in Königsberg, geboren den 25. Juli 1841 zu
Grünberg in Schlesien.
No. 2421. ^. December 1883: Dr. Wilhelm Ebstein, Professor
No.
No.
2122.
2409.^4
^^ he
y
2 l6
No. 2477, 21
No. 26
No. 2604
No. 2641,
13. Octob(
der Medicin an der Universität Göttingen, geboren den
27. November 1836 zu Jauer.
August 1884: Dr. Paul Friedrich Ferdinand
Grützner, Privatdocent in Breslau, Professor der Physio-
logie an den Universitäten Bonn und Tübingen, geboren
den 30. April 1847 zu Festenberg in Schlesien.
2 Februar 1885: Dr. phil. et med. Moritz Traube in
Breslau, g'eboren den 12. Februar 1826 zu Ratibor.
4. Juli 1886: Dr. Albert Ludwig Siegmund Neisser,
Professor, Director der dermatologischen Klinik und
Poliklinik in Breslau, geboren den 22. Januar 1855 zu
Schweidnitz.
7. Juli 1886: Dr. Jonas Graetzer, Geheimer Sanitätsrath
in Breslau, geboren den 19. October 1806 zu Tost in Ober-
schlesien, Medicinal- Statistiker und Medicinal- Historiker.
TS. Juli 1886: Dr. Ludwig Laqueur, Professor und
Director der ophthalmologischen Klinik an der Univer-
sität in Strassburg, geboren den 25. Juli 183g zu Festen-
berg in Schlesien.
Juli 1886: Dr. Oskar Langendorff, Professor,
Assistent am physiologischen Institut in Königsberg,
geboren den i. Februar 1853 zu Breslau.
23. October 1887: Dr. Carl Wilhelm Ernst Joachim
Schönborn, königl. preussischer Geheimer Medicinal-
rath, königl. bayerischer Hofrath, Professor der Chirur-
gie, Oberwundarzt am Juliusspitale, Generalarzt II. Classe
ä la suite des Sanitätscorps in Würzburg, geboren den
8. Mai 1840 in Breslau.
Dr. Piermann Cohn, Professor für Augenheil"
künde, geboren den 4. Juni 1838 in Breslau.
/
4-^ \
Verzeichniss
der Reetoren der Universität Breslau,
sowie der ■
Decaue und Professoren der medicinischen Facultät
von ihrem Stiftungsjahre 1811/12 ab bis 1888/89.
JDis in das XIX. Jahrhundert hinein hat es unserer heimatlichen
Provinz an einem Centrum für alle geistigen Bestrebungen gemangelt.
Die Academia Leop.-Carolina hatte zwar bis dahin, wie in dem
vorangehenden Aufsatze ausgeführt wurde, dem geistigen Leben in
unsrer Provinz einen gewissen Rückhalt gegeben und zu Lebzeiten
Sachs von Löwenheims sogar ihren literarischen Mittelpunkt in
Breslau gefunden. Aber der Umstand, dass späterhin der Schwer-
punkt dieser Akademie naturgemäss in dem jedesmaligen Aufent-
haltsorte ihres Präsidenten lag und dass unserer Hauptstadt diese
Ehre bis in dieses Jahrhundert hinein nicht zu Theil wurde, verhinderte
es, dass irgend ein Ort unserer Heimat die Führung der in ihr
wirkenden Geister übernehmen konnte. Das musste sich im Anfang
unseres Jahrhunderts mit einem Schlage ändern, als nach Verlegung
der Universität Frankfurt a/O. im Jahre 181 1 die Breslauer Hoch-
schule ihre Erbschaft antrat und die ihr gestellte Aufgabe, ein
Sammelpunkt der geistigen Kräfte Schlesiens zu werden, in glänzen-
der Weise erfüllte. Das Bestehen und Gedeihen eines Vereines, wie
der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur, erscheint uns,
obwohl sie vor der Universität in's Leben trat, ohne die Existenz
unserer Alma Mater geradezu undenkbar; ein Blick in irgend einen
der Jahresberichte dieser Gesellschaft spricht für die Richtigkeit
unserer Ansicht besser, als jede weitere Ausführung^; wir wollen nur
noch an die Verdienste Göpperts um dieselbe erinnern, indem wir
auf Heidenhains Gedächtnissrede*) auf Göppert hinweisen. Was für
Vortheile auf dem Gebiete des Krankenwesens und der Hygiene
durch die medicinische Facultät unserer Hochschule speciell für Breslau
erwuchsen, ist schon an verschiedenen Stellen dieses Werkes hervor-
gehoben worden. Ein Gefühl der Dankbarkeit muss gewissermassen
in Anbetracht dessen Jeden, der nicht in unmittelbarer Beziehung
^) Cf. Jahresbericht der Schles. Ges. für vaterl. Cultur. li
2l8
zur Hochschule steht, ebenso wie den Verfasser erfüllen. Und dieses
Gefühl war für uns der Antrieb, hier als Schluss des Werkes ein
Verzeichniss aller der Männer zu geben, die als Rectoren der
Universität, als Decane und Professoren der medicinischen Facultät
unserer Heimat zur Zierde gereichten und gereichen bis auf den
heutigen Tag.
I. Rectoren*) und Decane der medicinischen Facultät.
Jahr
Rector
!
i Facultät
Decan
1811/12
*Berends
med.
Berends
1812/13
Augusti
ev. theol.
Link
1813/14
Augusti
ev. theol.
Bartels
1814/15
*Link
med.
Berends
1815/16
Jungnitz
phil.
Bartels
18 16/17
^Bartels
med.
Benedikt
1817/18
Madihn
jur.
Remer
1818/19
V. Raumer
phil.
Andre e
1819/20
D eres er
kath. theol.
Otto
1820/21
Unterholzner
jur.
Wendt
1821/22
Steffens
phil.
Treviranus
1822/23
Middeldorpf
ev. theol.
Remer
1823/24
*Wendt
med.
Benedikt
1824/25
Förster
jur.
Andree
1825/26
Weber
phil.
Otto
1826/27
Schulz
ev. theol.
Wendt
1827/28
*Treviranus
med.
Purkinje
1828/29
Gravenhorst
phil.
Benedikt
1829/30
Steffens
do.
Benedikt
1830/31
AVachler
do.
Otto
1831/32
Huschke
jur.
Wendt
1832/33
Schulz
ev. theol.
Purkinje
1833/34
Schneider
phil.
Benedikt
1834/35
Unterholzner
jur.
Otto
1835/36
• Ritter
kath. theol.
H«nsehel
1836/37
Bernstein
phil.
Betschier
1837/38
Ab egg
jur.
Otto
1838/39
*Otto
med.
Purkinje
1839/40
Hahn
ev. theol.
HSrtScKeh
1 840/4 1
Gaupp
jur.
Betschier
1841/42
Elvenich
phil.
Barkow
1842/43
i ^Benedikt
med.
Purkinje
*) Die Mediciner unter den Rectoren, 17 an der Zahl, sind mit einem Sternchen be-
zeichnet.
219
Jahr
Facultät
Decan
1 843/44
1844/45
1845/46
1846/47
1847/48
1848/49
1849/50
1850/51
1851/52
1852/53
1853/54
1854/55
1855/56
1856/57
1857/58
1858/59
1859/60
1860/61
1861/62
1862/63
1863/64
1864/65
1865/66
1866/67
1867/68
1868/69
1869/70
1870/71
1871/72
1872/73
1873/74
1874/75
1875/76
1876/77
1877/78
1878/79
1879/80
1880/81
1881/82
1882/83
1883/84
1884/85
1885/86
1886/87
1887/88
Regenbrecht
Pohl
Huschke
*Göppert
Schneider
Kummer
Ambrosch
*Barkow
Baltzer
Abegg
Braniss
*Betschler
Löwig
Elvenich
Haase
Friedlieb
Braniss
Semisch
Stenzler
Grube
Römer
Reinkens
Rossbach
Roepell
Raebiger
Stobbe
Stobbe
*Haeser
*Heidenhain
Schulze
Schroeter
Galle
Hertz
V. Bar
*Spiegelberg
Weinhold
Schwänert
*Biernier
Gierke
Roepell
*Förster
Seuffert
Schneider
*Fritsch
Poleck
jur.
Göppert
phil.
Benedikt
jur.
Purkinje
med.
Herisch el"
phil.
Barkow
do.
Göppert
do.
Benedikt
med. 1
Henschel
kath. theol.
Betschier
med.
Barkow
jur.
Benedikt
phil.
Henschel
med.
Frerichs
phil.
Betschier
do.
Barkow
do.
Benedikt
kath. theol.
Betschier
phil.
Barkow
ev. theol.
Middeldorpf
phil.
Heidenhain
do.
Betschier
do.
Barkow
kath. theol
Haeser
phil.
Heidenhain
do.
Spiegelberg
ev. theol.
Haeser
jur.
Heidenhain
do.
Spiegelberg
med.
Waldeyer
do.
Fischer
jur.
Haeser
phil.
Heidenhain
do.
Spiegelberg
do.
Fischer
jur.
Haeser
med.
Foerster
phil
Hasse
jur.
Haeser
med.
Heidenhain
jur.
Biermer
phil.
Fischer
med.
Hasse
jur.
Ponfick
phil.
Fritsch
med.
Heidenhain
phii.
Biermer
220
II. Ordentliche Professoren der medicinischen Facultät.
Dr. Carl Aug-ust Wilhelm Berends, am 4. August 1815 an die
Universität Berlin versetzt.
Dr. H. F. Link, am 4. August 1815 als ordentlicher Professor und
Director des botanischen Gartens nach Berlin berufen.
Dr. J. F. Hagen starb am 6. Juli 1818.
^^J^r. Moritz Heinrich Mendel starb im December 1813 am Typhus
contag-iosus.
Dr. Ernst Daniel August Bartels schied am i. October 1821 in
Folge eines Rufes nach Marburg aus.
JS^^' Traugott Wilhelm Gustav Benedict, feierte am 22. Sep-
^ tember 1859 das 50jährige Doctor-Jubiläum, starb am
II. Mai 1862.
Dr. Adolf Wilhelm Otto, starb am 14. Januar 1845.
Dr. Carl Maximilian Andree starb am i. November 1827.
Dr. Johannes Wendt starb am 13. April 1845.
Dr. Wilhelm Hermann Georg Remer starb in einem Alter von
76 Jahren am 31. December 1850.
Dr. Ludolf Christian Treviranus, wurde im Jahre 182g nach
Bonn versetzt.
Dr. Carl Ludwig Klose, schied am Schlüsse des Sommer-
Semesters 1853 aus.
Dr. Johannes Evang. Purkinje, seit 1824 hier, wurde am 17.
December 1787 zu Libochowitz in Mähren geboren und auf
sein Ansuchen am 16. Januar 1850 aus dem preussischen
Staatsdienst entlassen; cf. Heidenhains Rede in der vater-
ländisch-schlesischen Gesellschaft über Purkinje vom 17,
December 1887.
Dr. Julius Wilhelm Betschier starb am 17. Februar 1865.
Dr. Heinrich Robert Göppert. Am 31. Juli 1852 wurde ihm die
Professur der Botanik in der philosophischen Facultät und die
Direction des botanischen Gartens hierselbst übertragen. Er
starb am 18. Mai 1884.
Dr. August Wilhelm Eduard Henschel starb am 24. Juli 1856,
66 Jahre alt.
Dr. Hans Carl Leopold Barkow starb am 22. Juli 1873.
Dr. Carl Theodor v. Siebold, wurde auf sein Ansuchen am 23.
Februar 1850 aus dem preussischen Staatsdienst entlassen.
Dr. Friedrich Theodor Frerichs, wurde am 11. Januar 1859 als
Professor an die Universität zu Berlin und als vortragender
Rath im Cultus- Ministerium versetzt.
Dr. Carl Bogislaus Reichert, wurde am i8. Januar 1858 an die
Universität Berlin versetzt.
Dr. Albert Theodor Middeldorpf starb am 2g. Juli 1868.
Dr. Rudolf Peter Heinr.' Heidenhain seit 14. März 185g.
Dr. Hermann Lebert, docirte bis 1874.
Dr. August Ernst Heinrich Rühle, wurde am 2g. März 1860
nach Greifswald versetzt.
Dr. Heinrich Haeser starb am 13. September 1885.
Dr. Otto Spiegelberg starb am g. August 1881.
Dr. Heinrich Wilhelm Gottfried Waldeyer, vom October 1867
bis October 1872.
Dr. Hermann Fischer seit 10. September 1868.
Dr. Julius Cohnheim vom i. October 1872 bis 21. Januar 1878.
Dr, Richard Foerster vom 2g. April 1873.
Dr. Carl Hasse vom 6. August 1873 ab.
Dr. Anton Biermer seit 10. Juli 1874.
Dr. Emil Ponfick seit 6. Juli 1878.
Dr. H. Fritsch vom 22. Februar 1882 ab.
^^- Wilhelm Filehne seit 25. Januar i
Dr. Carl Flügge seit i. April 1887.
/i-^i'
III. Ausserordentliche Professoren der medicinischen
Facultät.
Dr. Ferdin. Immanuel Meyer, starb im Jahre 1814.
Dr. Nicolaus Wolfgang Fischer, starb am ig. August 1850.
Dr. J. R. Lichtenstädt, wurde im Mai 1830, wo er nach Peters-
burg ging, aus dem preussischen Staatsdienst entlassen.
Dr. Wilhelm Seerig, im August 1835 nach Königsberg versetzt.
Dr. Carl Jul. Wilh. P. Remer, starb am 21. September 1855.
Dr. Wilh. Heinr. Carl Grosser von 1858 bis 1875.
Dr. Victor Julius Nega, starb am 8. Januar 1857.
Dr. Heinrich Neumann, starb am 10. October 1884.
Dr. Hermann Rudolf Aubert, vom 10. Februar 1862 bis 6, Juli
1865.
Dr. Immanuel Klopsch, seit 23. April 1866.
Dr. Rudolf Voltolini, seit 26. October 1868.
Dr. Hermann Friedberg, starb im Jahre 1884.
^r. Felix Auerbach, seit 4. Juni 1872.
Dr. Heinrich Köbner, vom 23. November 1872 bis 1876.
y<
r. Wilhelm Freund, vom 4. October 1873 ab bis 14. Januar
1879.
r. Hermann Cohn, seit 15. Januar 1874.
Dr. Richard Gscheidlen, seit S.April 1875, gestorben 1889,
Dr. Hermann ]\Iaas, vom 14. Januar 1876 bis 1877.
Dr. Emil Richter seit 19. Januar 1876.
Dr. Ludwig Hirt, seit 2-^. December 1877.
Dr. Julius Sommerbrodt, seit 11. April 1878.
r. Oscar Berger, starb am 19. Juli 1885.
Dr. Oscar Simon, gestorben am 2. März 1882.
Dr. Paul Grützner, vom 23. Mai 1881 ab bis 11. November 18S1.
Dr. Johannes Gierke, starb im Mai 1886.
Dr. Albert Xeisser, seit 13. April 1882.
Dr. Otto Soltmann, seit 17. Juni 1883.
Dr. Hugo Magnus seit 29. Februar 1884.
r. Gustav Born, seit 3. Mai 1884.
Dr. Carl Wernicke, seit 25. Juli 1885.
Dr. Wilhelm Roux, seit 24. Juni 1886.
r. Max Wiener, seit 11. Februar 1887.
r. Adolf Lesser, seit 12. Februar 1887.
. Ottomar Rosenbach, seit i:
1
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