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Full text of "Lebensbilder hervorragender schlesischer Ärzte aus den letzten vier Jahrhunderten"

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LeijensMIder 

hervorragender  sehlesiseher  Aerzte 


aus  den  letzten  vier  Jahrhunderten. 


Von 


Dr.  J.  Graetzer 

Königl,  Geheimer  Sanitätsrath  und  dirigirender  Hospitalarzt. 


Breslau 

Druck   und  Verlag  von  S.  Schottlaender 


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im 


Herrn 


Geheimen  Regierungsrath 


Professor  Dr.  Ferdinand  Cohn 


in  Verehrung  und  Freundschaft 


gewidmet. 


Inhalt. 


Vorwort. 

Literarische  Anfänge  der  Geschichte  der  Medicin  in  Schlesien I 

Johann  Crato  von  Krafftheim 5 

Johann  Moibanus 20 

Matthias  Auctus 22 

Joachim  Curaeus 23 

Laurentius  Scholz 26 

Caspar  Schwenckfeld 29 

Johann  Jessenins  von  Jessen  (auch  Jessensky) 46 

Daniel  Sennert 51 

JPliilipp  Jacob  Sachs  von  Loeweüheim  oder  Loewenheimb 60 

•^Matthäus  Gottfried  Purmann ' 62 

Johann  Christian  Kundmann 65 

Joh.  Sigmund  Hahn , 72 

Dr.  Balthasar  Ludwig  Tralles 82 

Michael  Morgenbesser 86 

Anton  Krocker 89 

^fElias  Henschel. 92 

Georg  Philipp  Mogalla 97 

Johann  Wendt 99 

ugust  Wilhelm  Eduard  Henschel ■.    ...  103 

Heinrich  Robert  Göppert 107 

Carl  Wilhelm  Klose 114 

Heinrich  Neumann 119 

Victor  Julius  Nega 122 

^^feudwif  Traube 125 

^^ludolf  Leubuscher .  I34 

Hugo  Rühle 138 

Albrecht  Theodor  Middeldorpf I44 

Johann  Lange 153 

Adam  Christian  Thebesius I57 

^i«^briel  Gustav  Valentin 162 

~skar  Berger i66a 

Rückblick , 167 


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Ausübende  Aerzte  Schlesiens,  welche  in  unserer  Zeit  schriftstellerisch  hervorgetreten  sind.   172 
I.   Höhere  Medicinalbeamte :  Friedrich  Gotth.  Friese,  Gottl.  Siegfr.  Dietrich,  Karl 
Ign.  Lorinser,  Karl  W.  Ferd.  Schlegel,  Joh.  Wenzel  Hancke,  Ernst  L.  Heinr. 
Lebenheim,  Hermami  Friedberg,  Marc^^^aj^li  1°^-  Ferd.  Rosenthal ^    .    .    .    .173 
II.   Chirurgen;    Anton  Hanuschke,    H.  Bruno  Schindler,    Joh.  Karl  t!hrist.  Kuh   .    180 

in.  Privatdocenten :  S;_,.§^Guttentag^.  J.  H.  Burchard,  F.  Gunsburg. 182 

IV.  Badeärzte:  Karl  Friedr.  Hemprich,"  August  Zemplin,  C.  W.  Jul.  Kirschner    .    185 
V.  Praktische  Privatärzte:-  Heinr.  Freund.    Sam._Mor.  Pappenheim,  Is.  Rascjilj^', 
Dav^  Aug.  Rosenthal,    Ludw.  Lilienhain,  Jul.  Bürkner,  Herrn.  JWollheim     .    .    187 

Das  KrankenhospitaT^zu  Allerheiligen  (kurze  geschichtliche  Uebersicht) 193 

Die  Gründung  der  k.  Leop.  Carol.  Akademie  der  Naturforscher    und    Schlesien    (nebst 

einem  Verzeichniss  der  schlesischen  Mitglieder  der  Akademie) 203 

Verzeichniss  der  Rectoren  der  Universität  Breslau,   sowie  der  Decane  und  Professoren 

der  medicinischen  Facultät  von  ihrem   Stiftungsjahre    1811/12   ab   bis  1888/89  217 


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A.- 


Druckfehler-Verzeichniss. 


Seite       I     4.  Zeile  von  unten,  statt  26  muss  es  heissen  31. 

,,  50     3.       „     von  oben  statt  1621     „      „       „         1620. 

„  61   in  der  Anmerkung     „     S.  7  5  5    „      „        „  1755. 

„  64   II.  Zeile  von  oben  statt  schreibt  .er  muss  es  heissen  sehr.  Purmann. 

„  65   14.     ,,        ,,       „     gehört  „Wachtmeister-Lieutnant"  zusammen. 

„  89     4.     ,,     von  unten  statt  academicum  muss  es  heissen  anatomicum. 

,.  109  Die  Note  auf  dieser  Seite  gehört  zu  Zeile  4  von  unten. 

„  149     2.  Zeile  V.  u.  statt  Scheideschlinge  muss  es  heissen  Schneideschlinge. 

„  168     4.     „     von  oben  statt  XVIII.  Säculum  muss  es  heissen  XIX. 

„  184   19-      »         „       »       i855>  58  „     „        ,.         1845,  48. 

„  187   12.      „         „        „      hinter  Aerzten  einzufügen:    gehört. 

„  190  II.      „         ,,       „      statt  Sängerin       soU  es  heissen:    Sagen. 

„  192   18.       „         ,,        ,,  „     Dyhernfurt     ,,     „  „         Dyhrenfurth. 

„  202     8.      „     V.  o.  statt  Barbarakaserne  soll  es  heissenBarbarakasematte. 


Vorwort. 


Als  ich  im  Hochsommer  1887  in  Salzbrunn  weilte,  be- 
suchte mich  der  zufällig  dort  einige  Zeit  anwesende  Professor 
Dr.  Guttstatt,  Decernent  im  königlichen  statistischen  Bureau  für 
Medicinal- Angelegenheiten  zu  Berlin,  und  redete  mir  zu,  eine 
Geschichte  der  Aerzte  Breslaus  zu  schreiben,  wie  dies  in  den 
folgenden  Blättern  geschehen  ist.  Er  ist  somit  der  intellectuelle 
Urheber  dieses  Werkchens,  und  es  liegt  mir  ob,  ihm  für  seine 
Anregung  meinen  besten  Dank  auszusprechen. 

Doch  auch  Andere  verdienen  einen  solchen  in  vollstem 
Maasse,  so  Herr  Professor  Dr.  Markgraf,  unser  Stadtarchivar, 
und  Herr  Bibliothekar  Frenzel,  welche  mir  in  bereitwilligster 
Art  das  nöthige  Material  aus  unserer,  so  reiche  Schätze  ent- 
haltenden städtischen  Bibliothek  zukommen   Hessen. 

Auf  Veranlassung  des  derzeitigen  Universitäts-Prorectors, 
Herr  Geheim -Rath  Professor  Dr.  Fritsch,  leistete  mir  auch  Herr 
Universitäts-Secretär  .Nadbyl  seinen  Beistand,  indem  er  mir  in 
liebenswürdigster  Weise  seine  Universitäts- Jubelschrift  vom 
Jahre  1861  offerirte,  auch  eine  Fortsetzung  derselben  bis  jetzt 
fertigen  Hess,  wodurch  mir  die  nöthige  Auskunft  über  das  be- 
treffende auch  gegenwärtige  Universitäts -Personal  zu  Theil 
wurde.     Hierfür  erkläre  ich  mich  ihm  besonders  dankbar. 

Nicht  minder  danke  ich  den  Herren  Professoren  Dr.  Neisser 
und  Dr.  H.  Magnus,  Sanitätsrath  Dr.  S.  Meyer,  Hospital -Arzt 
Dr.  O.  Janicke,  Privatdocent  Dr.  Partsch,  Dr.  Asch,  Medicinalrath 
Professor  Dr.  Wernicke  hierselbst,  dem  Herrn  Stadtrath  Caspari, 


Geheimen  Sanitätsrath  Dr.  v.  Scholz  und  Kreisphysikus  Sani- 
täts-Rath  Dr.  Klamroth,  Gymnasial  -  Oberlehrer  Professor  Dr. 
Schmidt  in  Schweidnitz  und  besonders  dem  Herrn  Präsidenten 
der  Academia  Leopoldina  Carolina,  Geheim  -  Rath  Professor 
Dr.  Knoblauch  in  Halle  für  die  freundlichen  Mittheilungen, 
Nachweisungen,  Fingerzeige  und  Literatur -Angaben,  die  mich 
und  hoffentlich  auch  meine  Leser  zu  Dank  verpflichten. 

Ich  war  der  Anregung,  dieses  Werk  zu  schreiben,  um  so 
lieber  nachgekommen,  als  mein  Alter  zum  Rückblick  auf  ver- 
gangene Tage  einladet,  als  ein  öojähriger  Aufenthalt  in  Breslau 
und  Schlesien  mich  viele  von  den  nun  schon  heimgegangenen 
grossen  Aerzten  kennen  lehrte,  und  persönliche  Erinnerungen 
und  Beziehungen  mich  vielfach   unterstützten. 

Man  wird  es  nicht  tadeln,  dass  ich  bloss  den  Verstorbenen 
einen  Platz  in  dieser  Geschichte  eingeräumt  habe.  So  würdig 
auch  mancher  Lebende  ist,  ihnen  angereiht  zu  werden,  so  schwer 
wäre  es,  die  dem  Geschichtsschreiber  nöthige  Objectivität  fest- 
zuhalten. Und  so  lange  der  Mensch  lebt,  strebt  und  fortschreitet, 
kann  er  nicht  Gegenstand  der  geschichtlichen  Würdigung  sein, 
die  in  erster  Reihe  die  Summe  des  abgeschlossenen  Daseins  zu 
ziehen  und  zu  betrachten  hat. 

Möge  das  Buch  den  Freunden  der  Heimath  Freude  be- 
reiten, den  Jüngern  unserer  Wissenschaft  Anregung  zum  Nach- 
eifern ihrer   grossen  Vorgänger   geben. 

Breslau,  im  April   1889. 

Der  Verfasser. 


Literarische  Anfänge  der  Geschichte  der 
Medicin  in  Schlesien. 


LJie  Geschichte  der  Medicin  in  Schlesien  aus  ältester  Zeit  ist  in 
tiefes  Dunkel  gehüllt,  und  es  wäre  kaum  gerechtfertigt  von  einer  solchen 
mit  Bezug  auf  frühere  Jahrhunderte  überhaupt  reden  zu  wollen.  In 
andern  Landen  waren  die  Medicin  sowohl,  wie  die  Naturwissen- 
schaften im  Allgemeinen  schon  längst  bei  einem  gewissen  Blüthe- 
stadium  angelangt,  ehe  in  Schlesien  noch  die  erste  Spur  wissen- 
schaftlichen Geistes  nach  dieser  Richtung  hin  sich  kund  gab. 

Schlesien  ist  mindestens  um  ein  Jahrhundert  in  seiner  culturellen 
EntWickelung  im  Verhältniss  zu  seinen  westlichen  und  südlichen 
Nachbarländern  zurückgeblieben,  fehlte  ihm  doch  der  von  den  Centren 
aller  Gelehrsamkeit,  den  Universitäten,  ausgehende  Impuls. 

Die  Bestrebungen,  die  Geheimnisse  der  Naturgesetze  forschend 
zu  durchdringen  und  die  Grundsätze  für  die  das  Leben  bestimmen- 
den Elemente  ausfindig  zu  machen,  wie  sie,  weithin  ihr  Licht  ver- 
breitend, seitens  der  verschiedenen  Universitäten  so  schön  zur  Gel- 
tung gelangten,  sie  waren  für  das  Schlesierland  längere  Zeit  ge- 
wissermassen  unerreichbar.  Aber  trotz  alledem,  und  wir  können 
dies  nicht  hoch  genug  schätzen,  zeigt  die  Geschichte  Schlesiens 
nicht  ausschliesslich  den  nur  praktischen  Sinn  der  Bewohner.  Die 
weite  Entfernung  von  den  Brennpunkten  wissenschaftlichen  Lebens 
war  doch  nicht  Grund  genug,  den  geistigen  Kern  des  schlesischen 
Volkes  zu  Schanden  werden  zu  lassen.  Die  medicinische  Wissen- 
schaft fand  auch  später  hier,  wie  die  26  Biographien  beweisen,  die  wir 
liefern,  und  welche  400  Jahre  fast  umfassen,  eine  Stätte  eifriger 
Pflege  und  Förderung,  wenn  zwar  nur  auf  langsamem  und  sehr 
allmählichem  Wege. 


Gewiss  dürfen  Männer  wie  Crato  von  Krafftheim,  Sennert  u.  A. 
das  Recht  für  sich  in  Anspruch  nehmen,  sogar  als  medicinische 
Capacitäten  zu  gelten;  allerdings  haben  diese  den  grossten  Theil 
ihrer  Bildung  dem  Auslande  zu  verdanken.  Sie  waren  es  aber 
welche  auf  ihre  Landsleute  veredelnd  einwirkten  und  sie  zur  Nach- 
ahmung begeisterten.  Die  Saat,  die  so  entstanden,  sollte  später  unter 
weit  besseren  Verhältnissen  sich  günstig  entwickeln  und  zur  Reife 
gedeihen. 

Soweit  unsere  historischen  Kenntnisse  reichen,  lag  die  praktische 
Ausübung  der  Heilkunde,  deren  hervorragende  Vertreter  schlesischer 
Geburt  wir  in  Biographien  zu  feiern  gedenken,  im  Beginn  unseres 
Jahrtausends  nicht  in  den  Händen  medicinisch  wohlgeschulter  Kräfte, 
sondern  in  denen  der  Domherren,  Mönche  und  Weltgeistlichen,  die, 
von  jeher  die  einzigen  Träger  der  Bildung,  im  Besitz  einer  eigenen 
für  alle  Krankheiten  angepassten  Materia  medica,  ihre  heilende  und 
zugleich  tröstende  Thätigkeit  den  Hilfesuchenden  weit  und  breit  an- 
gedeihen  Hessen.  Die  Klöster  galten  als  der  Mittelpunkt  der  medi- 
cinischen  Praxis;  von  hier  aus  holte  man  sich  Rath,  hier  fand  man 
Medicamente  in  Hülle  und  Fülle.  Es  verging  geraume  Zeit,  ehe  man 
auch  ausserhalb  der  Klostermauern  Medicin  zu  treiben  sich  anschickte, 
ehe  sich  ein  sogenannter  Aerztestand  herausbildete. 

Erst  im  13.  und  14.  Jahrhundert  begannen  sich  Fortschritte  in 
dieser  Beziehung  bemerkbar  zu  machen,  namentlich  seit  der  Gründung 
und  Entwickelung  der  Universität  Prag.*) 

Ausserdem  rief  die  zu  wiederholten  Malen  auftretende  Pest, 
welche  Schlesien  förmlich  verheerte,  das  Bedürfniss  nach  Aerzten 
in  höherem  Grade  wach,  als  es  bisher  der  Fall  war.  Unter  Kaiser 
Carl  IV.,  welcher  für  Aerzte  und  Apotheker**)  eine  auf  sehr  strengen 
Grundsätzen  fussende  Medicinal-Ordnung  in's  Leben  rief,  bildeten 
Aerzte  und  Apotheker,  welch  letztere  gleichzeitig  mit  ersteren  in 
die  Erscheinung  traten,  eine  gesetzlich  organisirte  Berufsklasse.  Die 
praktischen  Aerzte,  als  Avelche  noch  immer  die  Geistlichen  fungirten, 
führten  den  Namen  der  Ph)^sici.  Es  war  natürlich,  dass  man  nun- 
mehr auch  den  ärztlichen  Wirkungskreis  durch  Gründung  von 
Krankenhäusern,  Leprosen,  Badeanstalten  und  vielen  anderen  wohl- 
thätigen  Einrichtungen,    die   doch   vornehmlich  den  Armen  zu  Gute 


*)  Der  König  von  Böhmen  war  ja  zugleich  Herzog  in  Schlesien,  daher  erklärt  es 
sich,  dass  die  Prager  Universität  bei  ihrer  so  nahen  geographischen  Lage  auf  Schlesiens 
wissenschaftliche  Entwickelung  einen  grossen  Einfluss  übte. 

**)  Schlesiens  erste  Apotheke  soll  1264  in  Scbweidnitz  errichtet  worden  sein.  Wie 
aus  Urkunden  zu  erweisen,  sind  mit  Bestimmtheit  zu  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  voll- 
ständig eingerichtete  Apotheken  in  Schlesien  vorhanden  gewesen.  Vergl.  Henschei 
Schlesiens  wissenschaftliclie  Zustände  im   14.  Jahrhundert.     Breslau,   1830.     Seite  48. 


kamen,    zu    erweitern    trachtete,    gewiss    ein    gewaltiger  Fortschritt 
dieses  Jahrhunderts. 

Die  medicinische  Wissenschaft  an  sich  machte  indess  Aveniger 
schnelle  Fortschritte;  sie  bewegte  sich  lange  Jahre  hindurch  in  einem 
f Menden,  zu  Irrthümern  aller  Art  allzugeneigten  Schematismus,  für 
den  Aberglauben  und  religiöse  Schwärmereien  massgebender  ge- 
wesen zu  sein  scheinen,  als  gründliche  Untersuchungen  und  Erfah- 
rungen. 

Aus  dem  13.  Jahrhundert  besitzen  wir  schon  ziemlich  genaue 
Xachrichten  über  die  Namen  der  Aerzte  und  Apotheker,  unvoll- 
kommenere dagegen  über  die  Leistungen  der  einzelnen.  Ueber  das 
14.  Jahrhundert  sind  wir  weit  besser  unterrichtet. 

Viele  schlesische  Aerzte  dieser  Zeit  docirten  an  der  Prager  Uni- 
versität und  gelangten  in  dieser  Eigenschaft  zu  sehr  bedeutendem 
Ansehen.  Als  der  berühmteste  unter  ihnen  gilt  Johannes  Gallici  von 
Breslau.  In  Breslau  selbst  oder  in  seiner  unmittelbaren  Nähe  lebten 
in  der  Zeit  von  1360 — 1380  die  Aerzte:  Nie.  Wendeler,  Peter  de 
Brega,  Joh.  Grotkow  und  Joh.  Koithenicz. 

Sie  sind  nicht  ganz  ohne  Bedeutung,  da  aus  ihrer  Mitte  mehrere 
brauchbare  Pestordnungen  hervorgegangen  sind.  Von  schlesischen 
Aerzten,  d.  h.  solchen,  die  im  Herzogthume  practicirten,  verdienen 
genannt  zu  werden:  Johannes  Physicus,  Canonicus  Glogoviensis,  ein 
nicht  gerade  genialer,  aber  sehr  gelehrter  und  erfahrener  Arzt,  so- 
wie der  Magister  von  Breslau,  Bischof  von  Sarepta,  sicherlich  die 
bedeutendste  ärztliche  Capacität  des  14.  Jahrhunderts,  Grund  genug 
dass  wir  ihm  an  dieser  Stelle  einige  Worte  widmen.  Ueber  sein 
Leben  sind  nur  wenige  Daten  bekannt.  Er  erschien  im  Alter  von 
39  Jahren  in  Breslau,  wo  er  dann  für  immer  seine  Wohnstätte  auf 
schlug,  wurde  1352,  ursprünglich  Petrus  physicus  genannt,  jetzt  unter 
dem  Namen  Thomas  zum  Bischof  von  Sarepta  erhoben  und  wohnte 
neben  dem  Vincenzkloster. 

Kaiser  Carl  IV.    verlieh    ihm    als  Beweis    seines    ausserordent- 
lichen Vertrauens  mehrere  weitgehende  Privilegien. 

Aus  seiner  Feder  stammen  zwei  umfangreiche  medicinische 
Arbeiten;  die  grössere  von  diesen  führt  den  Titel:  ,,Michi  competit", 
die  kleinere  ist  benannt:  „Secundum  alphabetum  oder  Collectorium." 
Es  sind  dies  Producte  ungeheuren,  wahrhaft  bewunderungswür- 
digen Fleisses  und  wohl  geeignet,  unsere  Auffassung  über  den  Stand- 
punkt der  damaligen  Medicin  um  neue  ausschlaggebende  Momente 
zu  bereichern,  wie  sie  bisher  nirgends  zu  Tage  getreten  waren. 

Die  folgenden  Jahrhunderte  waren  schon  reich  an  ausgezeichneten 
Aerzten;  ihnen  ist  unsere  ganze  übrige  Arbeit  gewidmet. 


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Chronologische  Uebersieht  der  hier  abzuhandelnden  Aerzte. 

Crato  von  Krafftheim,  *i5i9,   11585 •    •    •    •   Geburtsort  Breslau. 

Johann  Moibanus,   *i527,  11562 „  Breslau. 

Matthias  Auctus,  *  ?  11543 „  Breslau. 

Joachim  Curäus,  *i532,  11573 •>•>  Freistadt. 

Laurentius  Scholz,  *  155 2,  11599      »  Breslau. 

Kaspar  Schwenckfeld,  *i563,  fiöog  ....  „  Glogau. 

Johann  Jessenius  von  Jessen,     *i566,  ti62i.  „  Breslau. 

Daniel  Sennert,  *i572,  11637 t  Breslau. 

*CiJPhilipp  Jacob  Sachs  vonLöwenheim,*  162 7, 11672     ,,  Breslau. 

Matthäus  Gottfried  Purrmann,  *i646,   1-1711  „  Lüben. 

Johann  Christian  Kundmann,  *i684,  11751  .  „  Breslau. 

Joh.  Sigm.  Hahn,  *i696,  ti773 57  Schweidnitz. 

Balthasar  Ludwig  Tralles,  *i7o8,  11797.    .  ,,  Breslau.. 

Michael  Morgenbesser,  *i7i4,  11782     ...  „  Breslau. 

Anton  Krocker,  *i742,  11823 »5  Ober-Glogau. 

y/Elias  Henschel,  ^1758,   11843 »  Breslau. 

Georg  Philipp  Mogalla,  *i766,   11831  ..    .  ,,  Oppeln, 

Johann  Wendt,  *i777,  11845      >5  Tost  in  O/S. 

^^.  W.  Henschel,  *i79o,  11856 „  Breslau. 

Heinrich  Robert  Göppert,  *i8oo,   -(-1884  .    .  ,,  Sprottau. 

Carl  Wilhelm  Klose,  ^1803.  11865*).    .    •    •  ,?  Wartenberg. 

Heinrich  Neumann,  *i8i4,  11884       ....  ,,  Breslau. 

Victor  Julius  Nega,  *  18 16,  -(-1857 „  Turawa  inO/S. 

^^udwig  Traube,  *i8i8,  1^876    ......  „  Ratibor. 

^^^udolf  Leubuscher,  *i82r,  fi86i „  Breslau. 

Hugo  Rühle,  *i824,  ti888 „  Liegnitz. 

Albrecht  Theodor  Middeldorpf,  ^1824,  ti868  ,,  Breslau. 

Johann  Lange,  *i485,  11565 „  Löwenberg. 

Adam  Christian  Thebesius  *i686,  11732     .  „  Sandenwalde 

(Kreis  Guhrau). 

irf^abriel  Gustav  Valentin  *i8io,  11883    .    .  „  Breslau. 

Von  unserer  Absicht,  die  Biographien  in  chronologischer  Reihen- 
folge vorzuführen,  sahen  wir  uns  veranlasst,  bald  im  Beginne  unseres 
Werkes  abzuweichen,  da  uns  das  Material  zu  Johann  Lange,  wie 
später  zu  Ad.  Christian  Thebesius  und  Gabriel  G.  Valentin  nicht 
gleich  zur  Hand  Avar;  es  wird  demnach  Joh.  Crato  von  Krafftheim, 
der  glänzendste  Repräsentant  heimischer  Medicin,  den  würdigen 
Anfang  in  der  Reihe  der  Aerzte  machen. 

*)  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  gleichnamigen  Geh.  Reg.-Medic.-Rath  Prof.  Klose 
in  Königsberg  (jeb.  zu  Breslau    1791;  gest.  zu  Dresden   1863. 


Johann  dato  von  Krafftheim. 


J< 


I  ohann  Crato  von  Krafftheim ,  der  Leibarzt  dreier  deutscher 
Kaiser  aus  dem  Hause  Habsburg,  dessen  Name  in  Folge  seiner 
praktischen  Leistungen  und  medicinischen  Gelehrsamkeit,  ja  auch 
in  Folge  seiner  politischen  Bedeutung  weit  über  die  Grenzen  des 
Vaterlandes  hinaus  bekannt  und  berühmt  geworden  ist,  wurde  am 
22.  November  isi'g  zu  Breslau  geboren.  Nachdem  er  seine  erste 
Ausbildung  auf  dem  Gymnasium  zu  St.  Elisabeth  und  Magdalena 
genossen,  bezog  er,  15  Jahre  alt,  in  der  Absicht,  sich  dem  Studium 
der  Theologie  zu  widrnen,  die  Universität  Wittenberg.  Da  er  nicht 
über  reichliche  Geldmittel  verfügen  konnte,  verwandten  sich  für  ihn 
einflussreiche  Persönlichkeiten,  insbesondere  sein  ehrwürdiger  Freund 
und  Gönner,  Johann  Hess,  Schulaufseher  und  erster  evangelischer 
Geistlicher  zu  Breslau,  und  so  erhielt  er  seitens  einiger  Breslauer 
Patricier  ausreichende  Unterstützungen  nebst  magistratualischen 
Stipendien.  Das  Universttätsleben  war  für  den  scharfsinnigen  und 
strebsamen  Jüngling  eine  Quelle  der  lautersten  Freuden  und  Genüsse. 
Das  Studium  selbst,  sowie  der  Ruf  seiner  umfassenden  Bildung  und 
sein  edler  Charakter  brachten  ihn  in  nähere  Beziehung  zu  Luther 
und  Melanchthon,  und  der  Umgang  mit  diesen  geistigen  Heroen 
schuf  eine  Basis  sittenreiner  Grundsätze  und  Ideen,  denen  Crato  sein 
ganzes  Leben  hindurch  treu  blieb,  obwohl  sein  Streben  sich  später 
einem  anderen  wissenschaftlichen  Fache  zuwandte.  Seinem  freund- 
schaftlichen Verhältniss  zu  Luther,  in  dessen  Haus  er  6  Jahre  lang 
täglich  verkehrte,  verdanken  wir  die  Kenntniss  der  ,, Tischreden" 
Luthers,  welche  Crato,  von  seinem  vorzüglichen  Gedächtniss  unter- 
stützt, in  Aufzeichnungen  der  Nachwelt  hinterliess.  Von  einer  eigenen 
Veröffentlichung  derselben  sah  er  aus  kluger  Vorsicht  ab.  Die- 
selbe übernahm  später  sein  Studienfreimd  Andreas  Aurifaber.  Seine 
Studien  musste  er  anfangs  einmal  unterbrechen,  da  die  Universität 
"Wittenberg  aus  Furcht  vor  der  Pest  nach  Jena  verlegt  wurde.  Im 
Besitz  eines  neuen  Stipendiums,  das  ihm  der  Breslauer  Magistrat 
unter  der  Bedingung  „seiner  Kunst  gemeiner  Stadt  und  den  Schulen 


zum  Besten  gebrauchen  zu  wollen"  gewährt    hatte,    suchte  er  bald 
darauf  seine  frühere  Universitätsstadt  wieder  auf.     In  edler  Gemein- 
schaft wirkten  Luther  und  Melanchthon   auf  sein  geistiges  Werden 
ein,  ersterer  auf  seine  religiöse  Richtung,  letzterer  auf  seine  klassische 
Bildung.       Aus    der    Erkenntniss    von    Crato's  Begabung    und  Nei- 
gung   gewann    Luther     in    Kurzem    die    Ueberzeugung,     dass     die 
Theologie  nicht   dasjenige  Gebiet  sei,    auf  dem   sein   wissbegieriger 
Geist  Lorbeeren  pflücken  könnte,  und  freimüthig  rieth  er  ihm,    das 
bisher  eingeschlagene  Fach  zu  verlassen,  dagegen  zum  medicinischen 
Studium  überzugehen.     Crato   folgte  dem  gut  gemeinten  Rath,   und 
auf   besondere  Empfehlung  Luthers  beschloss    seine  Vaterstadt,   ihn 
unter  denselben  Bedingungen  auch  fernerhin  zu  unterstützen.     Dass 
ihn  Luther    gern    zum  Theologen    erzogen    hätte,    ersieht    man    aus 
seinem  Brief  an  den  Magistrat  der  Stadt  Breslau;  „Denn"  schreibt  er, 
„er  ist   in   der  Schrift  sehr  wohl  verständig,   sittig  und    züchtig,  der 
mir    ein    trefflicher  Mann    in    der    Kirche    sein    sollte.     Aber    seine 
Complexion  war  zu  schwach  zum  Predigen,  derohalben  ich  ihm  zur 
Medicina  gerathen."     Ungeachtet   seiner  neuen  Beschäftigung  habi- 
litirte  sich  Crato  jetzt  als  Magister  der  Dialektik  an  der  Universität 
Wittenberg,    und    seine  Vorlesungen    erfreuten    sich    grosser    Aner- 
kennung.    Für  seinen  eigentlichen  Beruf,  die  Medicin,  konnte  er  in 
Wittenberg,  wo  es  zur  Zeit  an  medicinischen  Autoritäten  mangelte, 
wenig  Erspriessliches    finden;    er    nahm  daher  mit  Freuden  die  sich  ■ 
ihm   darbietende  Stelle   eines  Haushofmeisters  bei   dem  Grafen  von 
Wertheim    in    Leipzig,    den    er    bereits    in   Philosophie    unterrichtet 
hatte,  an,  zumal  dadurch  auch  seine  pecuniären  Verhältnisse  bessere 
wurden.     Zwar  war  Leipzig  nicht  viel  mehr  geeignet,    dem  Streben 
nach  Vervollkommnung   seiner    medicinischen  Kenntnisse  Rechnung 
zu  tragen,    als  Wittenberg;    aber  Crato  verstand  es,    seinem  neuen 
Wirkungskreise    dadurch   ein  edles  Gepräge  aufzudrücken,    dass  er 
stets  gewohnt,  mit  den  gelehrtesten  und  geachtetsten  Männern  Um- 
gang   zu    pflegen,    mit  dem    damals  weltberühmten    Philologen    und 
Theologen    Joachim    Camerarius    eine    innige    Freundschaft    schloss, 
der  er    für   immer   treu  blieb.     Obwohl  er   sich  in   solchem  Verkehr 
äusserst   wohl   behagte,    so    wurde  doch    sein  Empfinden  durch  den 
Gedanken    an    seine    mangelhafte  medicinische  Ausbildung    getrübt, 
und  nach    kurzem  Entschliessen    trat  er  die  Reise  nach  dem  Lande 
der  Künste    und  Wissenschaften,    nach  Italien,    an,    dessen  Univer- 
sitäten zu  dieser  Zeit  auf  dem  Höhepunkt  geistiger  Bildung  standen. 
Ein    glücklicher    Zufall,    das   Bekanntwerden    mit    dem    Aug^sburger 
Bürgermeister  Joh.  B.  Heinzel,  sowie  mit  der  Patrizier-Familie  Her- 
warth  verschafften  ihm  die  dazu  nöthigen  Mittel.     Mit  ganzer  Seele 
wandte  sich  Crato  nun  dem  Studium  der  Medicin  zu,   und  wiederum 


gelang  es  ihm,  wie  schon  so  oft,  in  den  Kreis  eines  der  bedeutendsten 
Gelehrten  gezogen  zu  werden.  Gestützt  auf  die  Empfehlung  seines 
Freundes  Melanchthon  schloss  er  sich  dem  berühmten  Meister  der 
Medicin,  Johann  Baptista  Montanus,  an,  und  im  Verkehr  mit  diesem 
grossen  Arzt,  aus  welchem  sich  allmälig  ein  vertrauteres  Verhältniss 
entwickelte,  legte  Crato  den  Grund  zu  seiner  späteren  Fertigkeit  auf 
dem  Gebiet  der  praktischen  Medicin  sowohl  wie  der  theoretischen? 
auf  welche  die  Welt  mit  Bewunderung  blicken  sollte.  Montanus 
blieb  sein  Vorbild  für  alle  Zeiten;  seine  sämmtlichen  Schriften 
durchzieht  das  Gefühl  der  Dankbarkeit  und  der  innigsten  Verehrung 
diesem  Manne  gegenüber,  der  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  ihm  die 
Meisterwerke  der  Alten,  des  Galen  und  Hippokrates,  in  ihrer  vollsten 
Bedeutung  zu  demonstriren  und  ihn  mit  ihren  Lehren  bekannt  zu 
machen.  Nach  kurzem  Aufenthalt  in  Verona  kehrte  Crato  im  Besitz 
des  Doctordiploms  nach  Deutschland  zurück.  In  Augsburg  erfuhr 
seine  Reise  eine  Unterbrechung  in  Folge  seiner  Berufung-  an  den 
Hof  Kaiser  Karls  V.,  dessen  Wohnsitz  sich  zur  Zeit  hier  befand; 
möglicherweise  erklärt  sich  hieraus  seine  spätere  Vertrauensstellung 
in  der  kaiserlichen  Umgebung.  Im  Jahre  1550,  nach  Ablauf  der 
Zeit,  während  welcher  ihn  der  Breslauer  Magistrat  beurlaubt  hatte, 
traf  Crato,  nun  bereits  im  Mannesalter  stehend,  in  seiner  Heimatstadt 
ein,  in  welche  bereits  sein  Ruf  vorausgeeilt  war.  Sofort  trat  er  in 
die  amtliche  Laufbahn  ein,  da  ihn  die  Stadt  mit  der  zweiten  Physikus- 
Stelle  betraute,  deren  bisheriger  Vertreter,  Dr.  Spremberger,  in  die 
durch  den  Tod  des  Dr.  Dominicus  Weiss  vacant  gewordene  erste 
Stelle  eingerückt  war. 

Die  Gelegenheit,  seine  ausserordentliche  praktische  Tüchtigkeit 
zu  bethätigen,  trat  sehr  bald  an  ihn  heran. 

Hatte  er  es  schon  verstanden,  auf  dem  Felde  seiner  nutzbringenden 
Berufsthätigkeit  sich  die  Achtung  seiner  Mitbürger  in  so  hohem 
Grade  zu  verschaffen,  dass  ihm  zu  Ehren  1551  eine  silberne  Denk- 
münze mit  seinem  Bildnisse  und  der  Inschrift  ,, Confide  recte  ag-ens"' 
geprägt*)  wurde,  so  sollte  in  dem  Schreckensjahr  1553,  in  der  sog-e- 
nannten  ,, kleinen  Sterbe",  als  die  Stadt  zum  6.  Male  von  der  Pest 
heimgesucht  wurde,  seine  Energie  und  Ausdauer  gepaart  mit  tüchtigen 
hygienischen  Kenntnissen  der  gesammten  Bewohnerschaft  zum  Seg-en 
gereichen.  Die  bereits  von  seinem  Amtsvorgänger  Dr.  Matthias 
Auctus  in  dem  ,, Pestunterricht"  angedeuteten  Verhaltungsmaassregein 
erfuhren  durch  Crato  eine  bedeutende  Erweiterung  und  Umgestaltung 
auf  Grund  seiner  individuellen  Anschauungen  über  das  eigentliche 
Wesen    der  Seuche.     Ihm  gebührt  der  Ruhm,    das   Chaos    der  An- 


*)  Kundmann,  Silesii  in  nummis  Tabelle  XXVIII  86. 


sichten  über  die  Pest,  einer  Collectivbezeichnung  aller  sporadischen 
oder  epidemischen  letalen  Krankheiten,  gelichtet  und  zuerst  den 
Begriff  der  Ansteckungsfähigkeit  richtig  erfasst  zu  haben,  indem  er 
eine  scharfe  Grenze  zwischen  den  febres  publicae,  den  ansteckenden 
Fiebern,  der  eigentlichen  Pest  und  den  febres  privatae,  den  nicht 
ansteckenden,  nicht  pestartigen  zog  und  den  Aerzten  diesen  Unter- 
schied klar  zu  machen  suchte.  Seine  Lehren  veröffentlichte  er  in 
dem  1555  erschienenen  Werk:  ,, Ordnung  oder  Preservation,  wie 
man  sich  zur  Zeit  der  Pest  verwahren,  wie  die  rechte  Pest  erkannt 
und  curirt  werden  solle."  Es  sind  darin  zahlreiche  Momente  ent- 
halten, die  mit  unseren  heutigen  hygienischen  Anschauungen  in 
vollstem  Einklang  stehen  und  uns  gewissermaassen  als  Wegweiser 
dienen  können.  Die  Stadt  bewies  ihm  ihre  Dankbarkeit  durch  An- 
weisung eines  jährlichen  Gehaltes  von  100  Thalern  mit  der  Be- 
stimmung, ,,dass  er  der  Armen  gemeiner  Stadtdiener  sowohl  der 
armen  Schüler  im  Hospital  umsonst  curiren  soll."  Von  den  nicht 
unbedeutenden  chemischen  Kenntnissen,  welche  sich  Crato  mit  nie 
ermüdendem  Fleiss  während  seiner  Studienzeit  angeeignet  hatte, 
machte  er  durch  Errichtung  wohlgeordneter  Apotheken  einen  vor- 
theilhaften  Gebrauch:  als  Vorbilder  dienten  ihm  hierbei  Pariser  Ein- 
richtungen. 

So  war  Crato  bereits  eine  Berühmtheit  geworden;  weit  und 
breit  war  sein  Name  bekannt  und  geehrt,  und  mit  Mühe  nur  ver- 
mochte er  den  ungeheuren  Anforderungen  an  seine  ärztliche  Wirk- 
samkeit gerecht  zu  werden,  im  Gegensatz  zu  dem  oberflächlichen 
Treiben  seiner  damaligen  Collegen,  deren  Triebfeder  mehr  aber- 
gläubischer als  wissenschaftlicher  Natur  war.  Indess  kein  einziger 
Zug  im  Charakter  Cratos  weist  auf  Dünkel  oder  Hochmuth  hin. 
Stets  trat  er  da  mit  Freuden  ein,  wo  seine  Hülfe  noth  that,  ohne 
auf  Lohn  und  Dankbarkeit  Anspruch  zu  machen.  Sowohl  der 
Einfluss,  den  er  durch  Verbindung  mit  den  a.nges ebensten  Familien 
der  Stadt  —  wir  nennen  nur  das  Haus  Rhediger  —  sich  anzueignen 
wusste,  wie  seine  Wohlhabenheit  gewährten  ihm  die  Möglichkeit, 
die  Erziehung  talentvoller  Jünglinge,  die,  wie  einstmals  er  selbst,  den 
Pfad  der  wissenschaftlichen  Entwickelung  mit  Noth  und  Sorgen  be- 
traten, vollständig  in  eigene  Hand  zu  nehmen. 

Als  Anerkennung  für  sein  Bemühen  verlangte  er  nur  die  Ein- 
verleibung der  neuesten  Erzeugnisse  der  Literatur  eines  jeden  Ge- 
bietes in  seine  schon  ziemlich  umfangreiche  Bibliothek.  Es  war 
natürlich,  dass  viele  seiner  Schützlinge  mit  ihm  in  trautem  Freund- 
schaftsverhältnisse zu  stehen  wünschten,  um  durch  offenen  Gedanken- 
austausch mit  diesem  hervorragendem  Manne  belehrt  und  gefördert, 
zu  werden.     Seiner  besonderen  Liebe   erfreute  sich  Zacharias  Beer, 


genannt  Ursinus,  ein  Studirender  der  Theologie,  späterer  Diaconus 
zu  Breslau,  dessen  Beziehungen  zu  Crato  so  tief  gehende  gewesen 
sind,  dass  sich  Letzterer  in  religiöser  Hinsicht  von  jenem  stark  beein- 
flussen Hess.  Die  folgenschweren  Kirchenstreitigkeiten,  welche  zu 
dieser  Zeit  die  gesammte  gebildete  Welt  beschäftigten  und  in  Athem 
hielten,  gingen  auch  an  unserem  grossen  Arzt  nicht  unbeachtet 
vorüber,  und  trotzdem  er  bereits  in  medicinischen  Kreisen  als  Autorität 
galt,  kam  er  des  Oefteren  auf  das  ursprünglich  eingeschlagene  Fach, 
die  Theologie,  zurück,  unbekümmert  um  den  Spott  und  Hass,  womit 
ihn  seine  Gegner  überschütteten.  Selbst  als  ihm  der  Magistrat  den 
Gehalt  als  Armenarzt  entzog,  und,  was  ihn  am  meisten  kränkte,  an 
Stelle  seiner  Pestordnui^  die  von  seinem  Collegen  Dr.  Spremberger 
1555  herausgegebene  einführte,  stand  er  nicht  davon  ab,  mit  seltenem 
Freimuth  immer  wieder  seine  religiösen  Ansichten  zu  bekennen  und 
zu  vertheidigen.  Trost  suchte  und  fand  er  in  seiner  literarischen 
Beschäftigung,  aus  welcher  in  dieser  Zeit  mehrere,  sehr  gelehrte 
medicinische  Werke  hervorgingen:  „Idea  doctrinae  Hippocraticae", 
eine  Schilderung  der  galenisch-hippocratischen  Lehre  unter  Zugrunde- 
legung der  Ansichten  seines  Lehrers  J.  B.  Montanus,  ferner  ^.Methodus 
curativa  generalis  et  compendiaria"  (1554)  —  unter  Assistenz  seines 
Studiengenossen  Alphons  Bertocci  aus  Fano  —  endlich  ,,Methodus 
-ö-EpaueoTtx-/]  ex  sententia  Galeni  et  J.  B.  Montani"  (1554).  Reichliche 
Anerkennung  seitens  der  medicinischen  Welt  lohnte  seine  Arbeit. 
Durch  keine  amtlichen  Pflichten  an  die  Stadt  gefesselt,  trat  er  nun- 
mehr dem  Gedanken  näher,  seine  bisherige  Heimat  mit  einem  neuen 
Wohnort  zu  vertauschen  und  damit  all  den  missliebigen  Verhält- 
nissen, unter  denen  er  so  schwer  gelitten,  für  immer  den  Rücken 
zu  kehren,  zumal  er  in  Anbetracht  seiner  ausgedehnten  Bekanntschaft 
ein  neues  Heim  leicht  zu  finden  glaubte.  Inmitten  dieser  Pläne 
überraschte  ihn  der  vom  kaiserlichen  Hof  ausgehende  Ruf,  seine 
medicinischen  Kenntnisse  dort  praktisch  zu  verwerthen;  denn  den 
einflussreichen  Bemühungen  zweier  angesehener  Männer,  der  beiden 
Hofkanzler  und  Gelehrten  Dr.  Held  und  Dr.  Mehl,  die  in  seiner 
ärztlichen  Behandlung  gestanden  und  ihm  sehr  ergeben  waren,  war 
es  gelungen,  dem  Kaiser  Ferdinand  I.  die  Berufung  Cratos  zum 
kaiserlichen  Leibarzt  als  eine  Nothwendigkeit  vorzustellen. 

Dieselbe  erfolgte  auch  in  der  That  im  Jahre  1560,  und  Crato 
trug  kein  Bedenken,  derselben  Folge  zu  leisten.  Wie  er  aber  in 
allen  Lebensfragen  erst  nach  reiflicher  Erwäg^ung  zu  Werke  ging, 
so  glaubte  er  es  seiner  religiösen  L^eberzeugung  schuldig  zu  sein, 
sich  mit  seinem  intimsten  Freunde  Ursinus  zu  berathen,  ob  die  nahe 
Beziehung  zum  katholischen  Kaiser  sich  mit  seinem  Gewissen  ver- 
einbaren   Hesse,     Die    seelische   Beruhigung,    die    sich    seiner    nach 


[ 


lO 


dieser  Unterredung  bemächtigte,  sollte  ihm  den  Verkehr  am  kaiser- 
lichen Hofe  um  Vieles  erleichtern.  Damit  tritt  gewissermaassen 
ein  Wendepunct  im  Bereich  seines  öffentlichen  Auftretens  ein.  Zwar 
practicirte  er  nach  wie  vor  in  Breslau  und  reiste  nur  in  dringenden 
Fällen  nach  Wien;  bald  aber  häuften  sich  einerseits  die  Schmähungen 
und  Anfeindungen  seitens  seiner  Geg-ner  in  solchem  Maasse,  dass 
er  sie  kaum  zu  ertragen  vermochte,  und  andererseits  wurde  seine 
längere  Anwesenheit  in  der  Nähe  des  kranken  Kaisers  immer  mehr 
erforderlich,  so  dass  er  sich  endlich  zum  ständigen  Aufenthalt  in 
Wien  entschloss.  Wie  schwer  es  -ihm  wurde,  seiner  bisherigen 
Lebensart  entsagen  zu  müssen,  beweist  ein  Brief  aus  Wien,  datirt 
vom  20.  Mai  1563,  an  seinen  Freund  Rhediger  in  Breslau.  ,,Valde 
doleo,"  schreibt  er,  „me  eo  redactum  ubi  nee  studiorum  nee  vitae 
meae  rationem  habere  possum,  denique  ita  vivere,  ut  haud  sciam 
praestetne  cito  mori  et  humanis  rebus  fungi,  quam  in  his  splendidis 
versari  miseriis.  Cum  plagam  patriae  effugere  studeo,  incidi  in 
periculum."  Trotz  der  Religionsverschiedenheit  bestand  zwischen 
Kaiser  und  Leibarzt  ein  trauliches  Verhältniss;  glaubte  doch 
Ferdinand,  dass  objectives  Verhalten  eher  als  Feindseligkeiten  gegen- 
über diesen  neuen  kirchlichen  Bestrebungen  Frieden  stiften  kÄmte^ 
dass  diese  vielleicht  durch  sich  selbst  mit  der  Zeit  im  Sande  ver- 
laufen würden.  Cratos  Meinung  erschien  seinem  Herrn  auch  in 
anderen  als  medicinischen  Dingen  wünschenswerth ,  er  wurde  einer 
der  eifrigsten  Berather  der  Krone.  Nur  sein  thatkräftiger  Geist 
vermochte  dem  ungeheuren  Druck  der  auf  ihm  lastenden  Berufs- 
pflichten Widerstand  zu  leisten;  er  fand  noch  immer  die  Zeit,  was 
vielleicht  kein  Anderer  im  Stande  gewesen  wäre,  sich  mit  wissen- 
schaftlichen Studien  zu  beschäftigen. 

In  kurzer  Aufeinanderfolge  erschienen  einige  literarische  Arbeiten 
und  zwar:  i.  Die  „Isagoge  Medicinae,  Venet.  1560",  ein  Grundriss 
der  allgemeinen  Theorie  der  Medicin;  2.  Mcxpoxs/vr;  s.  parva  ars  medi- 
cinalis,  eine  allgemeine  Therapie,  deren  Herausgabe  erst  nach  seinem 
Tode  durch  Laurentius  Scholz  erfolgte.  3.  1563  Perioche  methodica 
in  libros  Galeni.  Da  das  Befinden  des  schwindsüchtigen  Kaisers 
sich  mehr  und  mehr  verschlimmerte,  wurden  auch  die  Anforderungen 
an  den  Leibarzt  gesteigert,  dessen  Gesundheit  schon  den  festen  Halt 
verloren  hatte  und  für  die  Dauer  wohl  der  umfangreichen  Arbeits- 
last erlegen  wäre.  Am  25.  Juli  1564  starb  Ferdinand,  bis  zum  letzten 
Athemzug  der  aufopferungsvollen  Pflege  Cratos  theilhaftig.  Gern 
hätte  dieser  jetzt,  vom  geräuschvollen  Hofleben  entfernt,  das  ihm  mit 
seinem  Glanz,  seinen  Intriguen  und  Kriechereien  von  ganzer  Seele 
zuwider  war,  in  bescheidener  Zurückgezogenheit  wissenschaftlichen 
Studien    und    der    practischen  Ausübung  seines   Berufes   obgelegen, 


1 1 


aber  gegen  den  neuerdings  an  ihn  ergehenden  Ruf  als  Leibarzt  des 
Sohnes  Ferdinands  I.  konnte  und  durfte  er  sich  nicht  ablehnend  ver- 
halten, wollte  er  nicht  die  mit  so  viel  Muth  und  Ausdauer  festge- 
haltene Absicht,  den  Protestantismus  zu  fördern  und  zu  stärken, 
aufgeben.  Das  Band,  das  den  neuen  Kaiser  Maximilian  II.,  einen 
Monarchen,  über  dessen  Charakterzüge  unter  sämmtlichen  Historikern 
nur  eine  Stimme  des  Lobes  herrscht,  mit  seinem  ärztlichen  Berather 
verknüpfte,  gestaltete  sich  während  seines  12jährigen  Aufenthalts  in 
der  Nähe  der  römischen  Majestät  zu  einem  so  innigen,  unzerreiss- 
baren,  dass  menschliche  Machinationen  dasselbe  nicht  zu  lösen  ver- 
mochten. Cratos  jetzige  Wirksamkeit  war  eine  äusserst  vielfache,  noch 
umfangreicher  als  unter  der  Regierung  Ferdinands,  sowohl  ärztlicher 
als  politischer  Natur.  Mit  dem  unbedingten  Vertrauen  seines  kaiser- 
lichen Herrn  beehrt,  gewann  er  in  den  verwickelten  Gang  der  Staats- 
maschine eine  solche  detaillirte  Einsicht,  dass  sein  persönliches  Gut- 
achten überall  da,  wo  es  sich  um  das  Wohl  und  Wehe  des  Reiches 
handelte,  für  den  Kaiser  fast  bestimmend  war.  Seine  Bitten,  seine 
Wünsche  fanden  bei  Maximilian  williges  Gehör;  es  war  daher 
natürlich,  dass,  wer  immer  Anerkennung,  Beförderung,  Gunst  von 
allerhöchster  Stelle  zu  erlangen  hoifte,  sich  zuvörderst  seiner  wohl- 
wollenden Stimme  zu  versichern  bemühte.  Aus  dieser  seiner  Macht- 
fülle erwuchs  für  Crato  insbesondere  die  Möglichljeit,  der  protestan- 
tischen Religion  die  ihr  gebührende  Stellung  im  Staate  anzuweisen 
und  gewaltsame  Unterdrückungen,  wie  sie  bisher  sowohl  Einzelne 
als  die  evangelische  Confession  insgesammt  erfahren  mussten,  von 
ihr  fernzuhalten,  ein  ehrenvolles  Streben,  das  um  so  eher  erfolgreich 
zu  werden  versprach,  als  sich  der  Kaiser  selbst  gegen  Andersgläubige 
edeldenkend  und  tolerant  erwies.  Dass  während  der  Regierungs- 
zeit Maximilians  der  Religionsfrieden  sich  zu  erhalten  vermochte, 
war  sicherlich  mit  ein  nicht  zu  unterschätzendes  Verdienst  Cratos. 
Um  aber  auch  vor  der  AVeit  einen  Beweis  der  hohen  Achtung  zu 
liefern,  welcher  Maximilian  seinen  treuen  Mitarbeiter  für  würdig 
hielt,  erhob  er  ihn  unter  Beifügung  des  Namens  Krafftheim  in  den 
erblichen  Adelsstand.  Ferner  wurden  ihm  nächst  seiner  Ernennung 
zum  Geheimen  Rath  eine  Anzahl  hervorragender  Privilegien  gewährt, 
unter  denen  wir  dasjenige,  unehelich  geborene  Kinder  in  die  Rechte 
ehelicher  einzusetzen,  sowie  das,  Goldmünzen  präg-en  zu  lassen,  her- 
vorheben. Von  Jahr  zu  Jahr  stieg  Crato  in  der  Gunst  Maximilians, 
seine  Person  wurde  immer  unentbehrlicher  für  den  Kaiser,  der 
wiederum  nicht  müde  wurde,  durch  neue  Ehrenbezeugungen  seine 
dankbare  Gesinnung  gegen  seinen  Leibarzt  auszudrücken.  Durch 
ein  vom  11.  December  1568  aus  Linz  datirtes  Diplom  wurde  ihm 
die  hohe  Würde  eines  Pfalzgrafen,  comes  palatinus,  zu  Theil,  womit 


das  Recht  der  Bestallung  öffentlicher  Notare  und  Richter  im  Bereich 
des  ganzen  römischen  Reiches  sowie  der  Promotion  der  Doctoren 
der  Philosophie  und  Medicin  verbunden  war.  Dieses  Privilegium 
wurde,  nachdem  ihm  noch  in  der  Zwischenzeit  im  Jahre  1569  sämmt- 
liche  Rechte,  Freiheiten  und  Nutzniessungen  der  Diener  des  Hauses 
Oesterreich  als  erbliche  übertragen  wurden,  im  Jahre  1575,  also  kurz 
vor  dem  Tode  Maximilians,  dahin  erweitert,  dass  er  auch  ermächtigt 
wurde,  Doctoren  der  Jurisprudenz  zu  promoviren.  In  höherem 
Grade  als  diese  Auszeichnungen  erfreute  Crato  der  Besuch,  den 
ihm  der  Kaiser  selbst  im  Jahre  1573  in  seiner  Wohnung  in  Breslau 
abstattete;  als  Andenken  an  dieses  Zusammensein  überreichte 
Maximilian  einen  kunstvollen,  mit  seinen  eigenen  Schriftzügen  ver- 
sehenen Tisch.  Das  freundschaftliche  Verhältniss  Beider  versinn- 
iDildlicht  am  besten  die  Crato  zu  Ehren  geprägte  Medaille*),  welche 
auf  dem  Revers  den  Kopf  Maximilians,  auf  dem  Avers  das  Porträt 
Cratos  in  guter  Ausprägung  zeigt.  Die  amtliche  Stellung  Cratos 
brachte  es  mit  sich,  dass  er  den  Kaiser  auf  all  seinen  Reisen 
begleitete,  dass  er  bei  allen  Vorkommnissen  und  Begebenheiten 
stets  dem  Gefolge  angehörte,  um  im  Falle  der  Noth  seinem 
Herrn  mit  Rath  und  That  beizustehen.  1566  erscheint  er  auf 
dem  Reichstage  in  Augsburg,  später  in  dem  Feldlager  zu.  Raab 
und  abwechselnd  in  Prag,  Pressburg,  Speyer  und  Wien;  einen 
Theil  seiner  verfügbaren  Zeit  verlebte  er  regelmässig  in  Breslau, 
seiner  theuren  Vaterstadt,  wo  er,  jetzt  weniger  durch  Anfein- 
dungen belästigt,  inmitten  zahlreicher  Freunde,  allseitig  geehrt 
und  geachtet,  von  den  Anstrengungen  des  Hoflebens  auszu- 
ruhen pflegte;  zeitweise,  besonders  im  Sommer,  hielt  er  sich  auf 
seinem  in  der  Grafschaft  Glatz  gelegenen  Landgute  Rückers 
auf,  Cratos  geistiges  Schaffen  fand  in  inniger  Berührung  mit 
geistreichen  und  gelehrten  Männern,  wie  sie  Breslau  zur  Zeit 
in  stattlicher  Anzahl  beherbergte,  neue  Anregungen,  neue  Quellen, 
neues  Material. 

Er  verkehrte  hier  mit  Männern  wie:  Andreas  Dudith,  dem 
früheren  Bischof  von  Fünfkirchen,  von  Rhediger,  Professor  Balthasar 
Xeander,  Petrus  Vincentius,  dem  Rector  des  Gymnasiums  zu  St. 
Elisabetii,  Johann  Aurifaber,  den  Aerzten:  Johann  Woyssel,  Paul 
Friedewald,  Petrus  Monavius,  Johann  Hermann,  dessen  Behandlung 
er  sich  während  seiner  späteren  Erkrankung  anvertraute,  u.  a. 
Freilich  fand  er  in  Anbetracht  der  vielen  Geschäfte,  in  welche  ihn 
seine  hohe  Stellung  verwickelte,  nicht  die  Zeit,  seinem  Gedanken- 
gang und  Ideenkreise  schriftlichen  Ausdruck  zu  geben,  sich  literarisch 


*)  Cfr.  Kundmann,  Silesii  in  Nummis  Nr.   85   Tabelle  XXVIII. 


zu  beschäftigen.  Das  Wenige,  was  wir  über  Cratos  medicinische 
('  -Fortschritte  aus  jener  Zeit  kennen  gelernt,  entstammt  seiner  umfang- 
reichen, über  die  halbe  Welt  ausgedehnten  Correspondence,  seiner 
sogenannten  brieflichen  Praxis,  welche  uns  über  die  verschiedensten 
medicinisch  wichtigen  Punkte  Aufschluss  giebt.  Die  Sammlung  und 
Erhaltung  dieser  Briefe  sind  ein  Werk  des  verdienstvollen  Doctor 
Laurentius  Scholz,  welcher  dieselben  in  geordnetem  Zustande  unter 
dem  Titel:  Consilia  et  epistolae  medicinales  Cratonis  bald  nach  dem 
Tode  Cratos  veröffentlichte.  Dies  unstäte  Leben,  das  Hastige  und 
Ruhelose  im  weiten  Kreise  des  kaiserlichen  Hofes  musste  einem 
Manne  von  rein  wissenschaftlichem  Streben  wie  Crato  für  die  Dauer 
unerträglich  erscheinen.  Der  Ekel,  den  er  in  Anbetracht  des  nach 
aussen  prächtigen,  nach  innen  zerfahrenen,  von  Intriguen  und  Partei- 
leidenschaften durchwühlten  Hoflebens  in  immer  steigendem  Maasse 
empfand,  war  jedoch  nicht  das  Einzige,  was  ihm  zu  wiederholten 
Klagen  Veranlassung  gab.  Selbst  in  nichtswürdige  Händel  ver- 
wickelt, von  sehr  vielen  Seiten  angefeindet  und  verläumdet,  von  der 
Arbeit  fast  erdrückt  und  von  eigener  Krankheit  sowie  der  seines 
Sohnes  und  seiner  Frau,  die  er  nicht  einmal  hatte  besuchen,  ge- 
schweige behandeln  können,  schwer  betroffen,  bot  Crato  nichts 
weniger  als  das  Bild  eines  beneidenswerthen  Mannes  dar.  Die  Briefe 
an  seine  Freunde  fliessen  förmlich  über  von  Klagen  sowohl  über 
seinen  schon  erschütterten  Gesundheitszustand  wie  über  die  Mühselig- 
keiten seines  Berufes.  Die  ersten  Krankheitserscheinungen  zeigten 
sich  bei  ihm  im  Jahre  1562,  in  seinem  43.  Lebensjahr,  von  da  an 
kränkelte  er  stetig. 

Bereits  im  Alter  von  50.  Jahren  äusserte  er  seinem  Freunde 
Rhediger  gegenüber:  Infirmus  homo  sum  et  natura  debilior.  Mea 
^  -quidem  vita  ad  vesperam  vergit.  Sein  Befinden  schwankte  hin  und 
her,  eine  vollständige  Wiederherstellung  trat  niemals  wieder  ein. 
Inzwischen  hatten  feindliche  Einflüsse  auch  seine  Stellung  erschüttert. 
Als  die  Nierenkrankheit  des  Kaisers  im  Jahre  1576  recht  heftig  zum 
Ausbruch  gelangte,  war  es  nicht  der  Leibarzt  und  Liebling  Maximilians, 
Crato  von  Krafftheim,  dem  es  vergönnt  gewesen  Aväre,  an  das  Kranken- 
bett seines  Gebieters  zu  eilen,  geschweige  seine  Kunst  in  Anwendung 
zu  bringen.  An  seine  Stelle  traten  die  gemeinsten  und  unwissendsten 
Kurpfuscher  und  Charlatane.  So  wurde  schon  im  letzten  Stadium 
der  Krankheit  eine  Quacksalberin  aus  Ulm  an  den  Hof  befohlen, 
um  den  Kaiser  mit  Hilfe  von  vSprüchlein,  Gebeten  und  Kräuter- 
tränken von  seinem  schweren  Nierenleiden  zu  befreien,  was  sie  auch 
mit  aller  Bestimmtheit  versprach.  Ihre  Diagnose  lautete  auf  Epilepsie, 
und  dem  entsprechend  richtete  sie  die  Therapie  ein.  Einem  solch 
elenden    Treiben    vermochte  Crato    nicht   länger   müssig-    zuzusehen. 


14 

Ihm  stand  die  Person  Maximilians,  dem  er  mit  Liebe  anhing,  zu 
nahe,  als  class  er  ruhig  hätte  abwarten  können,  wie  durch  die  aller- 
unsinnigsten  Pfuschereien  das  Ende  des  Kaisers  vorzeitig  herbeige- 
führt würde.  ,,Er  wolle  nicht  schweigen,  wie  ein  stummer  Hund, 
erklärte  er  dem  Hofstaat  und  Aerztepersonal,  wo  es  das  Wohl  des 
Herrn  gelte:  Da  seien  eine  Menge  ausgezeichneter  Aerzte,  wovon 
jeder  sich  der  Leitung  der  Kur  zu  unterziehen  bereit  sei,  und  wenn 
keiner  möge,  so  wolle  er  sie  allein  auf  sich  nehmen." 

Aber  er  richtete  nichts  aus.  Nur  noch  kurze  Zeit  vermochte 
jenes  Weib  ihre  nichtsnutzigen  Betrügereien  fortzusetzen,  denn  der 
Kaiser  starb  bald  darauf,  in  der  Morgenstunde  des  12.  October  1576, 
an  seinem  Namenstage.  Die  Section  bestätigte  Cratos  Diagnose. 
Ueber  die  verschiedenen  Einzelheiten,  wie  sie  sich  in  der  schweren 
Leidenszeit  des  Kaisers  am  Hofe  zugetragen,  berichtet  uns  ein  erst 
1735  herausgegebener  vertraulicher  Brief  Cratos  an  seinen  Freund 
und  Kaiserlichen  Leibarzt  Dr.  Joh.  Sambucus.  *) 

Crato  zog  sich  demnächst  nach  Breslau  zurück.  Seine  immer 
schwächer  werdende  Körperconstitution  hatte  in  ihm  längst  den 
Wunsch  wach  gerufen,  sich  nun  endlich  der  wohlverdienten  Ruhe 
hinzugeben  und  ausschliesslich  wissenschaftlichen  Beschäftigungen 
zu  obliegen.  Seine  Sehnsucht  erfüllte  sich  nicht,  ihm  waren  noch 
herbere  Schicksalsschläge  vorbehalten.  Maximilians  Nachfolger,  ein 
wenig  toleranter,  ruhmsüchtiger  Monarch,  lehnte  Cratos  Entlassungs- 
gesuch ohne  Weiteres  ab,  mehr,  um  sich  mit  dessen  Berühmtheit  zu 
schmücken,  als  aus  seinen  medicinischen  Kenntnissen  für  seine  eigene 
Person  Nutzen  zu  ziehen.  Somit  war  Crato  wiederum  für  längere 
Zeit  an  den  Hof  gefesselt,  aber  ein  ähnliches  Verhältniss,  wie  es 
bisher  zwischen  Kaiser  und  Leibarzt  bestanden,  stellte  sich  nicht 
mehr  her.  Zwischen  ihnen  lagen  vielerlei  unüberwindliche  Hindernisse. 
Die  spanische,  auf  streng  katholischem  Boden  gegründete  Erziehung 
Rudolfs,  seine  ausgesprochene  Liebe  für  die  mächtige  Partei  der 
Jesuiten,  die  Bemühung  des  Schwagers  Maximilians,  des  Herzogs 
von  Baiern,  die  Bekenner  der  evangelischen  Confession  vom  Kaiser- 
lichen Hofe  fernzuhalten,  oder  sie  jedweden  Einflusses  zu  berauben, 
alles  dies  Avirkte  vereint,  Crato  mehr  als  je  von  der  Unhaltbarkeit 
seiner  hohen,  aber  ihm  tief  verhassten  Stellung  zu  überzeugen.  Schien 
ihm  doch  auch  unter  solchen  Umständen  die  geringste  Möglichkeit 
benommen,  den  unterdrückten  Glaubensgenossen  hilfreich  beizustehen; 
ja  selbst  die  ihnen  bereits  gewährten  Freiheiten  erfuhren  unter  Rudolfs 
Regierung  mannigfache  Vernachlässigung,  bis  sie  allmählich  völlig 
aufgehoben   wurden.     Die   Zustände  am  Hofe  demonstrirt  ein  Brief 

*)  Vergkicbe  GiUet  darüber. 


15 

des  Dr.  jviris  et  phil.  Hugo  Biotins,  des  kaiserlichen  Bibliothekars  in 
Wien,  mit  treffenden  Worten:  hie  parum  prodesse  possum,  tanta  est 
multitudo  auditorum  in  academia,  tantus  est  sacrificorum  furor,  tantum 
bonorum  odium,  Nemini  inter  hos  quiescere  licet,  qui  non  sit  pon- 
tificius  et  quidem  strenue  haereticos  ut  isti  vocant  lacessat.  Ein  gleich 
scharfer  Contrast  offenbarte  sich  in  dem  Verhältniss  von  Kaiser  und 
Leibarzt.  Crato,  von  freierer  Gesinnung  und  neueren  modernen  Ideen 
zugängig,  in  dem  Bestreben,  mit  den  Fortschritten  der  Künste  und 
Wissenschaften  stets  gleichen  Schritt  zu  halten,  verschmähte  alles 
Dunkle,  Geheimnissvolle,  theils  auf  Unglauben,  theils  auf  Aberglauben 
Basirende,  während  der  Kaiser,  ohne  an  geistigen  Vorzügen  reich 
zu  sein,  sich  mit  Vorliebe  alchimistischen  und  astrologischen  Studien 
hingab  und  den  Stein  der  Weisen  zum  Hauptgegenstand  seiner 
Untersuchungen  machte.  Für  solch  traurige  Zustände  vermochte 
ihm,  wie  schon  so  oft,  nur  der  Aufenthalt  in  Breslau  oder  in  seinem 
wundervollen  „Tusculum"  zu  Rückers  bei  Reinerz  Ersatz  zu  bieten, 
wo  er,  unbekümmert  um  das  Getriebe  der  Welt,  mit  erneuten  Kräften 
sich  schriftstellerischer  Thätigkeit  zuwenden  konnte.  Ihr  entspross 
um  diese  Zeit,  1577  ^i®  Oratio  funebris  de  divo  Maximiliano  IL 
imperatore  Caesare  Augusto,  a  Cratone  a  Crafftheim,  consiliario  et 
medico  Caesareo  scripta,  Francof.,  eine  geistreiche  formvollendete 
Trauerrede  von  historischer  Bedeutung. 

Aber  was  er  sich  mit  allen  Fasern  seines  Seins  herbeigewünscht, 
ein  bescheidenes  ruhiges  Leben  im  Kreise  seiner  Angehörigen  und 
Freunde,  war  für  ihn  nur  ein  schnell  vorübergehender  Genuss.  Das 
Missgeschick,  das  ihn  bisher  beständig  verfolgt,  und  dem  er  durch 
Abwesenheit  vom  Hofe  entfliehen  zu  können  vermeinte,  eilte  ihm 
überall  hin  nach.  Man  bemühte  sich  jetzt,  seine  frühere  einfluss- 
reiche Stellung  am  Hofe  zu  verdächtigen,  man  schändete  selbst 
seinen  ärztlichen  Ruf,  dessen  Fleckenlosigkeit  sonst  auch  seine  Gegner 
hatten  anerkennen  müssen,  ihm  niedere  Motive  unterschiebend.  Zahl- 
reiche, im  Lande  verbreitete  Schmähschriften,  sollten  den  Beweis 
führen,  dass  die  Behandlung  Maximilians  in  seiner  letzten  Lebens- 
zeit seitens  seines  Leibarztes  Crato,  die  ihm  aber  in  Wirklichkeit 
gar  nicht  anvertraut  war,  eine  falsche,  verkehrte,  verderbenbringende 
gewesen  sei,  dass  seine  Anwesenheit  am  Hofe  nur  geschadet,  nicht 
genützt  habe,  ein  Vorgehen  schmutzigster  Art,  von  dem  seine  Wider- 
sacher sehr  wohl  wussten,  wie  tief  es  das  edle  Gemüth  Crato's  ver- 
letzen musste.  Nicht  viel  besser  lagen  augenblicklich  die  Dinge 
in  Breslau,  seiner  engeren  Heimat.  Hier,  wo  sein  Lebensgang  von 
Kindheit  an,  sein  Character  und  Gesinnungen  genauer  bekannt  waren, 
wo  er  insbesondere  wegen  seiner  grossen  Verdienste  um  diese  Stadt 
AnerkennunsT  zu  finden  hoffte,   hatte   er  mit  Neid  und  Verdruss  zu 


i6 

kämpfen.  Viele  seiner  Freunde  verliessen  ihn,  der  Magistrat  trat 
ihm  öfters  hinderlich  in  den  Weg,  wie  überhaupt  die  Stimmung  in 
der  Stadt  gegen  ihn  umschlug-,  so  dass  ihm  seine  Thätigkeit  am 
Hofe  noch  das  kleinere  von  den  beiden  Uebeln  zu  sein  schien.  Er 
folgte  daher  bereitwilligst  einer  an  ihn  ergehenden  Aufforderung, 
nach  Wien  zu  kommen.  Seine  Wirksamkeit  war  bei  der  schweren 
Erkrankung-  des  Kaisers  1578  doch  sehr  erwünscht.  Wohl  fühlte 
er,  dass  seine  Kräfte  kaum  noch  ausreichten,  seinem  Berufe  mit 
derjenigen  Energie  und  Gewissenhaftigkeit,  die  ihm  stets  eigen 
war,  nachzukommen,  aber  immer  hatte  er  noch,  gewissermassen  in 
edler  Selbstverleugnung,  sein  körperliches  Gleichgewicht  aufrecht  zu 
erhalten  und  seiner  Krankheit  zum  Trotz  allen  Stürmen  des  Lebens 
Widerstand  zu  leisten  vermocht.  Die  unerhörten  Anstrengungen, 
die  ihm  des  Kaisers  langwieriges  Leiden  auferlegte,  riefen  nunmehr 
eine  mächtige  Reaction  in  seinem  Körper  hervor.  In  erhöhtem, 
heftigeren  Grade  machte  sich  sein  altes  Lungenleiden  geltend,  die 
Körperkräfte  verminderten  sich  zusehends,  zumal  er  bei  Wind  und 
Wetter,  stetem  Temperaturwechsel  ausgesetzt,  zu  seinem  kranken 
Kaiser  eilen  musste,  und  mit  untrüglichem  Blicke  sah  er  die  nicht 
allzuferne  Katastrophe  voraus. 

Die  widerlichen  Verhältnisse  am  Hofe  brachten  in  ihm,  im 
Jahre  1582,  den  festen  Entschluss  zur  Reife,  jedwede  Verbindung 
mit  dem  kaiserlichen  Hofe,  aus  welcher  für  ihn  mehr  Böses  als 
Gutes  erwachsen  war,  endgiltig  zu  lösen  und  den  Rest  seines  Lebens 
in  stiller  Einsamkeit  auf  seinem  Landgute  zu  verbringen,  wahrlich 
ein  billiges  Verlangen  nach  einem  solch  ereignissreichen  Lebenslauf.  *) 

Noch  einmal  warf  er  sich  mit  aller  Macht  auf  literarische  Arbeiten, 
obschon  er  dauernd  an's  Bett  gefesselt  kaum  die  Kraft  besass,  die 
Feder  zu  führen,  und  schliesslich  seine  Gedanken  nur  zu  dictiren  im 
Stande  war. 

Auf  solche  Weise  entstand  das  später  von  Weinrich  in  latei- 
nischer Sprache  herausgegebene  epochemachende  Werk:  ,,Commen- 
tarius  de  vera  praecavendi  et  curandi  febrem  pestilentem  ratione  1 583" 
und  als  letztes  Erzeugniss  seines  geistigen  Lebens  die:  ,,Assertio 
Joh.  Cratonis  de  peste'',  2  längere,  auf  die  Pest  bezügliche  Abhand- 
lungen, in  denen  er,  auf  gründlichen  Erfahrungen  fussend,  mit  schöner 
schwungvoller  Darstellung  theoretische  und  praktische  Massregeln  für 
Aerzte  und  Publikum  bespricht. 


*)  Rückers  verdankt  ihm  die  Erbauung  seiner  jetzt  noch  bestehenden  Kirche.  In  der- 
selben soll  sich  die  Inschrift  befinden:  „Hoc  sacellum  Christo  in  vitam  reduci  conse- 
cratum  aedificavit  Joh.  Crato  MDLXXXI.  Paritius  Monum.     Sil.  Mss. 


^7 

Indess,  in  kurzer  Zeit  war  ihm  auch  Rückers  lästig .  geworden. 
Zwar  hatte  er  daselbst  einen  ausgebreiteten  brieflichen  Verkehr  ge- 
pflegt, auch  Besuche  empfangen,  unter  anderen  seinen  Freund  und 
spätem  Biographen  Dresser,  seinem  regsamen  Geiste  fehlte  aber  der 
persönliche  Verkehr  mit  hervorragenden  Gelehrten. 

Er  besuchte  daher  1582  wiederum  seinen  ehemaligen  Lehrer 
Montanus  und  begab  sich  1583,  nun  zum  letzten  Male,  nach  Breslau 
zurück,  nachdem  er  sein  Landgut  Rückers  seinem  Sohne  *)  abge- 
treten hatte. 

Mit  seiner  Gesundheit  ging  es  nunmehr  sehr  schnell  bergab. 
In  den  schweren  Krankheitstagen  wandte  er  sein  Augenmerk  von 
Neuem  auf  das  theologische  Studium  und  die  Beschäftigung  mit 
theologischen  Schriftstellern,  die  Stärke  und  Innigkeit  seiner  religiösen 
Ueberzeugung  gewährten  ihm  Trost  und  Beruhigung.  Seine  religiöse 
Denkungsart  giebt  sich  in  zwei  grössern  Arbeiten  kund: 

In  der  ,, Oratio  de  sacra  philosophia",  welche  erst  nach  seinem 
Tode  veröffentlicht  wurde,  und  in  den  von  Matt.  Dresser  heraus- 
gegebenen ,,Meletemata  Joh.  Cratonis",  einem  Sammelwerk  seiner 
lateinischen  geistlichen  Gedichte.  1585  erreichte  sein  Leiden  den 
bpchsten  Grad;  ihm  selbst  war  sein  Zustand,  das  Wesen  und  der 
Ch  arakter  seiner  Krankheit  zu  genau  bekannt,  als  dass  er  sich  hätte 
trüg-'erischen  Hoffnungen  hingeben  können. 

Alit  vollständigster  Ruhe  sah  er  der  stündlich  zu  erwartenden 
Auflö!sung  entgegen.  Sein  Schicksal  wollte  es,  dass  ihm  noch  in  den 
letzteni  Lebenstagen  schwerer  unbeschreiblicher  Kummer  bereitet 
wurde.  Eine  furchtbare  Pest  suchte  Breslau  im  Jahre  1585  heim 
und  raffte  zahllose  Menschenmassen  hinweg.  Auch  Cratos  Haus  und 
Familie  fiel  in  ihren  Bannkreis.  Am  3,  Juni  erlag  ihr  seine  Gattin, 
mit  der  er  in  36jähriger  zärtlicher  Ehe  gelebt.  Aber  nichts  ver- 
mochte Crato  dazu  zu  bewegen,  seine  Heimstätte  zu  verlassen;  es 
hinderte  ihn  daran  der  Gedanke,  in  so  sorgenvoller  Zeit  und  bei 
seinem  schweren  Leiden  irgend  Jemandem  zur  Last  fallen  zu  müssen. 
Am  ig.  Oktober  1585  erlosch  Cratos  Lebenslicht;  in  den  letzten 
Augenblicken  stand  ihm  der  tröstende  Zuspruch  seines  treuen  be- 
währten Freundes  Dr.  Joh.  Hermann  zur  Seite.  Wie  der  religiöse 
Geist  stets  sein  Innerstes  durchdrungen,  so  weilten  auch  noch  im 
Tode  seine  Gedanken  in  jenen  lichten,  erhabenen  Höhen  der  Religion: 
„Ego  vivo  et  vos  vivetis",  die  Worte  der  heiligen  Schrift  w^aren 
seine    letzten    Lebensäusserungen.       Sein     Grabdenkmal    birgt    die 


*)     Crato  hatte  3  Kinder,  von  welchen  ihn  nur  der  Sohn,    ein  Rechtsgelehrter,    über- 
lebte.    Die  beiden  Töchter  starben  im  zartesten  Kindesalter. 


i8 

Elisabethkirche  zu  Breslau.     Dasselbe  trägt  die  von  ihm  selbst  ver- 
fasste  Inschrift:   *) 

Caesaribus  placuisse  tribus  non  ultima  laus  est, 

Me  pater  hac  ornant,  filius  atque  nepos. 
Consiliis  usum  rectis  mens  conscia  gaudet, 
Testis  et  ars  medica,  testis  et  invidia. 


Quellen. 

Oratio  Matthaei  Dresseri  de  curriculo  vitae  Joannis  Gratonis  a 
CrafFtheim  Leipzig  1587  —  die  grundlegende  Arbeit  für  alle  neuern 
Biographien.  — 

Vitae  Germanorum  medicorum  von  Melchior  Adamus,  Heidel- 
berg 1620,  kaum  als  selbstständige  Arbeit  zu  verzeichnen,  da  sie  sich 
allzu  eng,  sogar  wörtlich  der  Oratio  Dressers  anschliesst.  — 

Crato  von  Crafftheims  Leben  und  ärztliches  Wirken  von  Dr.  A. 
W,  Henschel,  a.  o.  Professor  an  der  Universität  Breslau,  1853.  Eine 
geistvolle,  mit  der  grössten  Sachkenntniss  ausgeführte  Kritik  der 
mannigfaltigen  Thätigkeit  Cratos  auf  ärztlichem  Gebiete,  so  wie 
dessen  beste  Biographie  auf  streng  historischem  Boden. 

Crato  V.  Crafftheim  und  seine  Freunde.  Ein  Beitrag  zur  Kirchen- 
geschichte. Nach  handschriftlichen  Quellen  v.  Dr.  J.  F.  A.  Gillfjt, 
Prediger  an  der  Hofkirche  zu  Breslau.  Frankfurt  a.  M.  1860.  In 
diesem  2bändigen  Werke  tritt  uns  sein  theologisches  Leben  in  üiber- 
sichtlicher,  erschöpfender  und  gewandter  Darstellung  klar  und  deut- 
lich vor  Augen. 

Ein  fast  durchweg  wörtliches  Derivat  dieser  beiden  letzteren 
Arbeiten  sind  die  ,, Worte  der  Erinnerung  an  Crato  von  Crafftheim", 
gesprochen  in  der  12.  Jahresfeier  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit 
des  DoctorenkoUegiums  der  Wiener  medicinischen  Facultät  am 
31.  März  1862  von  Prof.  Dr.  Herm.  Hieronym.  Beer.  Die 
Arbeit  ist  daher  durchaus  belanglos. 

Haeser,  Geschichte  der  Medicin  II.  Band,  S.   142. 

Jatrologia  Silesiae  zum  50jährigen  Doctorjubiläum  seines  Vaters 
Dr.  Elias  Henschel  von  Dr.  A.  G.  E.  Th.  Henschel  Breslau,  Seite  12. 

Handschriftenkatalog  des  Dr.  Jrmischer,  des  Erlanger  Univer- 
sitätsbibliothekars, Erlangen  1852  No.  758.  p.  206:  No.  1816.   17.  26. 

*)  Jm  Jahre  1856  stürzte  ein  an  der  linken  Seite  vom  Eingang  befindlicher  Hauptpfeiler 
des  Mittelschifi's  im  westlichen  Theile  der  Kirche  ein  Nach  Entfernung  des  Schutts  wurde 
der  vor  demselben  nach  der  Thür  zu  liegende  Grabstein  Cratos  sichtbar  und  zwar  in  solch 
einem  verwitterten  Zustande,  dass  man  die  einzelnen  Worte  nicht  mehr  erkennen  konnte. 
Dem  patriotischen  Geiste  Middeldorpf's  ist  es  zu  verdanken,  dass  die  Buchstaben  vergoldet 
und  so  der  Nachwelt  erhallen  wurden.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurden  auch  die  an  der 
Aussenseite  der  Kirche  befindlichen,  auf  die  Eltern  und  die  beiden  Töchter  Cratos  bezüg- 
lichen Epitaphien  restaurirt. 


19 

Cratos  Schriften. 

Idea  doctrinae  Hippocraticae  de  generatione  pituitae :  de  melan- 
cholico  humore;  de  coctione  et  praeparatione  humorum,  de  victus 
ratione,  eine  Darstellung-  der  Galenisch-Hippokratischen  Lehre 
nach  den  Ansichten  seines  Lehrers  Montanus   1555.  — 

Alfonsi  Bertocii   et   Cratonis    methodus  generalis    et    compendium  e 
Hippocratis,  Galeni  et  Avicennae  placitis  depromptum 
oder  kurz  gefasst 
Methodus  curativa  generalis  et  comparativa  1556. 

Ordnung  oder  Praeservation,  wie  man  sich  zur  Zeit  der  Pest  ver- 
wahren, wie  die  rechte  Pest  erkannt  und  curirt  werden  soll. 
Breslau  1555,  in  neuer  Bearbeitung  1585. 

Isagoge  Medicinae   1560. 

Methodus  d-Bpocneoxiv.-q  ex  sententia  Galeni  et  J.  B.  Montani  1563. 

Commentarius  de  vera  praecavendi  et  curandi  febrem  pestilentem 
ratione. 

Assertio  Joh.  Cratonis  de  peste. 

Consilia  et  epistolae  medicinales  herausgegeben  von  Laurentius  Scholz, 

Auserlesene  Arzneikünste  1593. 

Perioche  methodica  in  Galeni  libros  de  elementis,  natura  humana 
atrabil.  temperament,  facultat.  natural.   1563. 

Parva  ars  medicinalis   1593. 

De  morbo  Gallico  Commentarius. 

Oratio  de  sacra  philosophia. 

Epistola  ad  Sambucum  de  morte  Imp.  Maximiliani  II,  herausgegeben 
von  Grüner. 

Oratio  funebris  de  Maximiliano. 

Meletemata  1587,  herausgegeben  von  Dresser. 

Euporista  Cratonis  oder  Hausarzney  1630. 


20 


1 


Johann  Moibanus. 


LJieser,  der  Sohn  eines  berühmten  Theologen,  geboren  zu 
Breslau  1527,  beschäftigte  sich,  anfangs  auf  der  Universität  Witten- 
berg als  eifriger  Schüler  Melanchthons,  vornehmlich  mit  Naturwissen- 
schaften, insbesondere  mit  Botanik,  ging  aber  später  dem  wohlge- 
meinten Rathe  seines  Lehrers  Melanchthon's  sowohl,  wie  seines 
intimen  Freundes  Crato  v.  Klrafftheim  Folge  leistend,  zur  Medicin 
über.  Da  für  dieses  Fach  nur  die  italienischen  Universitäten  mass- 
gebend waren,  so  wählte  er  Bologna  zu  seinem  fernem  Aufenthalts- 
orte. Nach  dem  Tode  seines  Vaters  kehrte  er  wieder  nach  Deutschland 
zurück  und  nahm  einen  Ruf  nach  Augsburg  an,  wo  er  dann  lange 
Zeit  als  Physikus  thätig  war. 

Er  starb  daselbst  noch  in  jugendlichem  Alter  1562. 

Moiban  war  als  sehr  gelehrter  Naturforscher  und  als  bedeutender 
Arzt  bekannt,  der  namentlich  auf  theoretischem  Gebiete  Ausge- 
zeichnetes leistete.  Sein  Hauptwerk  ist  der  Commentar  zu  der 
„Eupl5rista,"  als  deren  Verfasser  man  unrichtiger  Weise  Dioscorides 
ansah,  wobei  ihm  der  reiche  Handelsherr  J.  Fugger  durch  Ueber- 
weisung  des  Codex  des  Oribasius  hilfreich  zur  Seite  stand. 

Er  selbst  konnte  leider  sein  Werk  nicht  vollenden  und  musste 
es  seinem  Freunde  Conrad  Gessner  zur  endgiltigen  Vollendung  und 
zur  Veröffentlichung  überlassen,  welche  auch  1565  unter  folgendem 
Titel  erfolgte: 

Pedac.  Dioscoridis  ad  Andromachum  de  curationibus  morborum 
per  medicamenta  paratu  facilia  Lib.  IL  editi  partim  a  Joh. 
Moibano,  partim  post  ejus  mortem  a  C.  Gessnero,  in  latin. 
linguam  conversi  adjectis  ab  utroque  interprete  symphoniis 
Galeni  et  alior.    Argentor.   1565. 

Ausserdem  schrieb  er  zu  dem  AVerke  eines  Bologneser  Professors 
Tiepl  a'.rjMfaBüic,  v.al  aia^'r^tojv  eine  poetische  Einleitung  „de  usu  et 
abusu  sensuum"  sowie  eine  „Giftlehre." 


21 

An  Moiban  bewundern  wir  auch  die  hohe  künstlerische  Be- 
g-abung.  Er  war  ein  gleich  guter  Poet,  Musiker  und  Maler.  Nament- 
lich in  letzterer  Kunst  scheint  er  Bedeutendes  geliefert  zu  haben, 
denn  Crato  pflegte  mit  besonderer  Vorliebe  mit  den  von  ihm  her- 
rührenden Bildnissen  berühmter  Männer  sein  Studirzimmer  auszu- 
schmücken. 


f 


22 


Matthias  Auetus 


war  der  erste  Physicus  hiesiger  Stadt.  Seine  Bestallung  trägt 
das  Datum  des  24.  September  1533.  Er  konnte  leider  nur  kurze 
Zeit  zum  Segen  seiner  Mitbürger  wirken,  da  ihn  schon  in  jungen 
Jahren  der  Tod  abrief,  mitten  aus  der  vollsten  Thätigkeit  heraus, 
1543.  Der  Krankheit,  die  er  sein  Leben  hindurch  zur  Grundlage 
seiner  wissenschaftlichen  Studien  gemacht,  fiel  er  selbst  zum  Opfer; 
trat  doch  in  keinem  anderen  Jahre  die  Pest,  das  Schreckensbild  des 
Mittelalters,  so  verheerend  auf,  schonungslos  Jung  und  Alt  in  ihren 
Bannkreis  ziehend,  als  gerade  1542  — 1543.  Ihm  gebührt  das  Ver- 
dienst, die  erste  grössere  Schrift  über  die  Pest,  von  ihrer  hygieni- 
schen und  prophylactischen  Seite  aus  betrachtet,  veröffentlicht  zu 
haben,  welche  als  ,, Pestordnung"  in  das  Dunkel  jener  Zeit  manch 
zündenden  Lichtstrahl  warf. 

Auch  durch  seine  vertraute  Freundschaft  mit  dem  hochbe- 
rühmten Crato  von  Krafftheim  ist  sein  Name  in  weiteren  Kreisen 
bekannt  geworden. 

(Speciellere  Literatur  über  sein  Leben  und  seine  Werke  ist  nicht 
vorhanden.) 


Joaehim  Curaeus, 


Sein  Vater  Gregorius  Curaeus  hiess  eigentlich  Scher  er,  welcher 
Name  nach  dem  griechischen  xopew  fegen,  kehren,  scheeren  in 
Curaeus  übersetzt,  resp.  umgewandelt  wurde.  Derselbe  studirte  in 
Krakau  und  Leipzig  Literatur,  bekam  das  Studium  überdrüssig  und 
ging  zum  Kaufmannsstande  über.  Im  reiferen  Alter  heirathete  er 
Margarethe,  die  Tochter  Caspar  Jungs,  des  Senators  und  Rathes  der 
Freistadt  Glogau.  Dieser  Ehe  entspross  der  hier  näher  zu  schil- 
dernde Joachim  Curaeus,  welcher  am  23.  October  1532  zu  Freistadt 
in  Schlesien  das  Licht  der  Welt  erblickte.  Den  ersten  Unterricht 
erhielt  er  in  der  Schule  seiner  Vaterstadt,  welcher  Johannes  Hoppe 
aus  Bautzen,  der  nachmalige  Professor  an  der  Universität  Königsberg, 
vorstand.  Natürliche  Begabung  half  ihm  schnell  über  die  Anfangs- 
elemente hinweg.  Später  nahm  ihn  sein  Vater,  welcher  nach  Gold- 
berg reiste,  um  sich  von  den  poetischen  Studien  seines  Sohnes  Adam 
zu  überzeugen,  dahin  mit.  Die  Schule  daselbst  gewann  Joachim  sehr 
lieb  und  erwärmte  sich  ausserordentlich  für  die  Dichtkunst.  Nach 
seiner  Rückkehr  verfiel  er  in  eine  von  Fieber  begleitete  Krankheit 
und  wollte  durchaus,  nachdem  er  genesen,  wie  einst  sein  Vater,  das 
Studium  aufgeben,  wenn  ihn  nicht  Bartholomäus  Schönborn,  ein  Lehrer 
in  Freistadt,  mit  dem  er  bis  zu  seinem  Tode  verkehrte,  davon  abge- 
bracht hätte. 

Als  nach  der  wegen  überhand  nehmender  Pest  im  Jahre  1546 
erfolgten  Schliessung  der  Universität  Wittenberg  sein  Bruder  mit 
anderen  Freistädter  Studenten  in  die  Heimat  zurückkehrte,  verband 
er  sich  mit  ihnen  zur  eifrigen  Pflege  des  Terenz.  Zwei  Jahre  später, 
nach  dem  Tode  seines  Vaters,  kam  er  auf  die  Schule  nach  Goldberg, 
wo  er  unter  Leitung  des  hochgelehrten  Valentin  Trotzendorf  eine 
vortreffliche  Ausbildung  genoss,  welche  ihn  befähigte,  die  nun  wieder 
eröffnete  Universität  Wittenberg  zu  beziehen. 

Am  8.  März  1550  hörte  er  daselbst  zum  ersten  Male  Philipp 
Melanchthon,  als  dessen  Schüler  er  auch  ausschliesslich  anzusehen  ist. 


24 

Schon  nach  vier  Jahren,  allerdings  voll  der  fleissigsten  Studien, 
erwarb  er  sich  den  Magistergrad,  Ende  Juli  1554.  In  seine  Heimat 
zurückgekehrt,  nahm  er  die  Stelle  als  Rector  der  Schule  in  seiner 
Vaterstadt  an.  Erstere,  wie  sich  selbst,  machte  er  dadurch  hochbe- 
rühmt, denn  bald  schaarten  sich  hier  um  ihn  die  gelehrtesten  Männer 
von  weit  und  breit,  um  seine  scharfsinnigen  und  gelehrten  Erörte- 
rungen über  den  Ajax  des  Sophokles,  den  er  mit  grossem  Erfolge 
öffentlich  explicirte,  zu  hören  und  zu  bewundern. 

Die  grosse  Gelehrsamkeit,  die  er  hierbei  vor  Allem  an  den  Tag 
legte,  kann  uns  auch  nicht  Wunder  nehmen,  war  er  doch  mit  einem 
solchen  Gedächtniss  begabt,  dass  er  innerhalb  dreier  Jahre  den  Hesiod 
auswendig  zu  lernen  vermochte,  schrieb  er  doch  so  fehlerlos  lateinisch 
und  griechisch,  dass  Melanchthon  von  ihm  sagte,  er  drücke  sich  voll- 
ständig oratione  Xenophontea  aus. 

Später  wandte  er  sich  der  medicinischen  Disciplin  zu  und  las 
mit  grossem  Fleisse  medicinische  Werke.  Obwohl  er  in  kurzer  Zeit 
eine  gewisse  Fertigkeit  erlangte,  gute  und  glückliche  ärztliche  Rath- 
schläge  zu  ertheilen,  fühlte  er  doch  das  Bedürfniss  nach  Vervoll- 
kommnung und  reiste  zu  diesem  Zwecke  im  September  1557  nach 
Italien,  um  in  der  alten  und  hochberühmten  Universitätsstadt  Padua 
sich  ganz  seinem  Berufe  hinzugeben.  Hier  hörte  er  die  bedeutendsten 
italienischen  Aerzte,  Victor  Trincavella  u.  A.  Indess  das  Klima 
Italiens  sagte  Curaeus  wenig  zu  und  er  lief  Gefahr,  der  Melancholie 
und  Hypochondrie  völlig  anheim  zu  fallen,  ja,  er  erkrankte 
sogar  ernstlich.  Nach  seiner  Genesung  entschloss  er  sich,  die 
Universität  Bononia,  das  heutige  Bologna,  aufzusuchen,  wo  er  am 
10.  September  1558  den  Doctorgrad  erlangte. 

Im  nächsten  Jahre  kehrte  er  zu  Ostern  nach  Padua  zurück, 
welches  er  Pfingsten  wiederum  verliess  und  sich  nach  der  Heimat 
begab.  Hier  angekommen,  wurde  ihm  die  Stadtarztstelle  in  Glogau 
angetragen,  die  er  auch  annahm.  Bald  wurde  Curaeus  ein  sehr  ge- 
suchter Arzt,  nicht  blos  für  Schlesien,  sondern  auch  für  Preussen  und 
Polen.  Einem  Rufe,  den  er  nach  Breslau,  sowie  nach  Stettin  erhielt, 
leistete  er  nicht  Folge,  ja  er  lehnte  selbst  eine  ehrenvolle  Berufung 
an  die  Universität  Wittenberg  ab,  weil  er  dies  seiner  Heimat  schuldig 
zu  sein  glaubte.  Doch  schliesslich  musste  er  im  August  1572  seinen 
Wohnsitz  verlassen,  da  ihn  der  Herzog  Georg  von  Liegnitz  und  Brieg 
zu  seinem  Leibarzte  berief.  Als  er  von  dort  nach  einigen  Tagen  am 
22.  August  nach  Hause  zurückkehrte,  verfiel  er  in  eine  schwere  Krank- 
heit, der  er  am  21  Januar  1573  im  Alter  von  40  Jahren  erlag. 

In  der  Medicin,  mit  der  sich  viele  seiner  Schriften  beschäftigen, 
bekannte  er  sich  zu  den  griechischen  Meistern  und  erklärte  sich 
als  einen  heftigen  Gegner  des  Paracelsus,    als    eines  schnöden  Ver- 


25 

ächters  aller  Gelehrsamkeit  des  Alterthums  und  als  eines  unchrist- 
lichen Mannes.  Kein  Wunder,  er  besass  ja  genug  theologische 
Kenntnisse,  war  überhaupt  ein  sehr  gelehrter  Mann.  Er  hinterliess 
vielerlei  Werke.  Vor  Allem  erwähnen  wir  seine  Chronik  Schlesiens, 
Gentis  Silesiae  annales  (1571),  das  erste  eigentliche  Geschichtswerk 
über  Schlesien,  das  von  dem  Bürgermeister  Roethel  von  Sagan  in's 
Deutsche  übersetzt  wurde*). 

Auch  mehrere  seiner  medicinischen,  naturwissenschaftlichen  und 
theologischen  Arbeiten  haben  einige  Bedeutung. 

Seine  anfangs  nur  im  Manuscript  verbreitete  und  für  eine 
Schrift  des  Zacharias  Ursinus  gehaltene  „spongia  exigua  et  mollis, 
comparata  ad  elucendos  colores,  quos  illevit  controversia  de  S.  Coena 
Paulus  Eberus"  erschien  1557  als  Anhang  zur  „Exegesis"  zu  Heidel- 
berg im  Druck.  Diese  Schrift  hat  übrigens  eine  sehr  verhängnissvolle 
Bedeutung  gewonnen.  Denn  1562  verfasst  und  12  Jahre  lang  nur 
durch  Abschrift  bekannt  geworden,  dann  aber  1574  heimlich  von 
dem  Buchdrucker  Vögelein  zu  Leipzig  abgedruckt,  wurde  sie  von 
Seiten  der  Kurfürsten  von  Sachsen  und  der  streng  lutherischen 
Partei  des  Landes  als  ein  auf  Einführung  des  Calvinismus  in  Kur- 
sachsen berechnetes  Machwerk  der  Anhänger  Melanchthons  zu 
Wittenberg  angesehen  und  hatte  eine  gewaltsame  Unterdrückung 
des  Melanchthonismus  im  Kurfürstenthum  Sachsen  zur  Folge. 

Vergl.  Heusinger  Commentatio  de  Joachim  Curaeo. 

Gillet,  Crato  von  Crafftheim,  Band  L  Seite  438. 

Heppe,  Geschichte  des  deutschen  Protestantismus  Band  II. 
S.  416  u.  467. 

Henschel,  Correspondenzbl.  der  vaterländischen  Gesellschaft 
1820.     S.  226. 

Hirsch,  Allgemeine  deutsche  Biographie.     Band  IV.   1886. 

Gurlt,  Leben  des  Curaeus  im  medic.  Schriftstellerlexikon. 


*)  Wie  wir  aus  einem  Vortrag  entnehmen,  den  unser  bewährter  Stadtarchivar,  Pro- 
fessor Dr.  Markgraf  in  der  Festsitzung  des  Vereins  für  Geschichte  und  Alterthum  Schlesiens 
zur  Feier  des  25  jährigen  Amtsjubiläums  des  Geheimen  Archivraths  Prof.  Dr.  Grünhagen 
gehalten  hat,  gilt  Curaeus  als  Begründer  der  schlesischen  Geschichtsschreibung,  als  ein 
hochbedeutender  Historiker,  der  durch  das  oben  citirte,  in  echt  wissenschaftlichem  Geiste 
abgehandelte  Geschichtswerk    sich    um    seine  Heimat    unberechenbare  Verdienste  erworben. 


2b 


Laurentius  Scholz. 


JT'  ür  unsere  engere  Heimat  gewährt  ein  viel  höheres  Interesse 
Laurentius  Scholz  von  Rosenau.  Geboren  den  20,  September 
1552  zu  Breslau  durchreiste  er  nach  Absolvirung  des  Breslauer 
Elisabeth-Gymnasiums  imVerein  mit  den  Breslau  ern  Nicolaus  Rhediger, 
Martin  Schilling,  Daniel  Hesler  u.  a.  ganz  Italien,  das  Herz  voll 
stolzer  Jugendideale,  und  lag  daselbst  mit  solchem  Fleisse  seinen 
Studien  ob,  dass  er  sehr  bald  zum  Dr.  med.  et  phil.  promovirt  werden 
konnte.  1579  in  seine  Vaterstadt  zurückgekehrt,  heirathete  er  die 
Tochter  des  Johann  Aurifaber  und  übte  seinen  ärztlichen  Beruf 
anfangs  in  Freistadt,  später  in  Breslau  aus.  Indess  es  war  ihm 
nicht  vergönnt,  die  Früchte  seines  Fleisses  für  die  Dauer  zu  ge- 
messen; kaum  47  Jahre  alt,  raffte  ihn  die  Tuberculose  dahin,  den 
22.  April  1599. 

Scholz'  Thätigkeit  war  eine  äusserst  vielseitige;  wie  wir  bereits 
in  der  Biographie  Crato  von  Krafftheims  erwähnt,  hat  L.  Scholz 
die  medicinische  Literatur  durch  Herausgabe  der  Consilia  medic. 
Cratos  sowohl  wie  auch  einer  Anzahl  eigner  medicinischer  Arbeiten 
bereichert. 

Aber  auch  als  Arzt  ist  Laurentius  Scholz  nicht  ohne  Bedeutung. 
Nicht  zum  mindestens  war  er  es,  der  hauptsächlich  mit  dazu  beitrug, 
dass  1588  der  Pest,  die  damals  in  Breslau  wüthete,  viele  Opfer  streitig 
gemacht  wurden,  ja  ihr  selbst  endlich  Einhalt  gethan  wurde,  cfr. 
Henels  handschriftliche  Breslographie. 

Durch  Gründung  eines  botanischen  Gartens  in  Breslau,  seiner 
hervorragendsten  Leistung,  die  hier  noch  näher  Gegenstand  der 
Erörterung  sein  soll,  hat  er  die  Bewunderung  seiner  Mitwelt  der- 
massen  erregt,  dass  man  in  den  sinnigsten  Sprüchen  und  Gedichten 
sein  und  seines  Gartens  Lob  verkündete. 

Er  sammelte  den  grössten  Theil  dieser  poetischen  Ergüsse,  wo- 
durch wir  weit  mehr  in  die  einzelnen  Details  seiner  genialen  Schöpfung 
eingeführt  werden,  als  sich  dies  aus  der  vorhandenen  Literatur  er- 
möglichen Hesse. 


27 

Wenden  wir  diesem  Garten  einige  Aufmerksamkeit  zu!  Ueber 
seine  Lage  vermögen  wir  uns  nur  mit  Zuhilfenahme  der  Gomolkyschen 
Nachrichten  und  des  alten  Breslauer  Stadtplanes  vom  Jahre  1562  zu 
Orientiren.  Danach  scheint  er  sich  an  der  Weidenstrasse  in  dem 
Terrain  zwischen  dem  heutigen  ,, Pariser  Garten"  und  der  .,Liebichs- 
Höhe"  befunden  zu  haben.  Es  war  selbstverständlich,  dass  eine  so 
geistreiche  und  doch  natürliche  Idee,  der  man  eine  baldige  und  glück- 
liche Ausführung  folgen  Hess,  von  der  gesammten  gebildeten  Welt 
mit  Freuden  begrüsst  werden  musste,  dass  man  sich  allerorten  be- 
strebte, Näheres  über  Breslaus  grösste  Sehenswürdigkeit  zu  erfahren, 
ja  sich  durch  eigenen  Augenschein  zu  überzeugen,  wie  ein  solches 
Wunderwerk  hatte  zu  Stande  kommen  können.  Hunderte  von  Ge- 
lehrten und  Gebildeten  fanden  sich  zu  diesem  Zwecke  in  Breslau 
zusammen,  barg  doch  der  Garten  ungefähr  385  verschiedene  Pflanzen- 
exemplare in  sich,  die  in  musterhafter  Ordnung  eingereiht  waren 
darunter  auch  die  erst  vor  Kurzem  in  Europa  eingeführte  Kartoffel. 
Ausserdem  gestaltete  Laurentius  Scholz  den  Aufenthalt  in  seinem 
Garten  zu  einem  recht  angenehmen,  indem  er  den  für  Botanik  sich 
Interessirenden  mit  Rath  und  That  gefällig  zur  Hand  ging.  In  dem 
einzelnen  Beschauer  drängte  sich  unwillkürlich  der  Gedanke  auf,  dass 
man  L.  Scholz  nicht  nur  als  einen  Gelehrten,  sondern  auch  als  einen 
Mann  von  feinstem  Geschmack  und  künstlerischer  Leistungsfähigkeit 
anzusehen  habe,  der  mit  der  Fülle  seiner  Kenntnisse  ein  freundliches, 
mittheilsames  Wesen  zu  verbinden  verstand.  Jahre  lang  wurden 
daselbst  die  sogenannten  ,, Breslauer  Blumenfeste"  abgehalten,  bei 
denen  sich  Jung  und  Alt  der  muntersten  Fröhlichkeit  hingab.  Leider 
entsprach  das  Schicksal  des  Gartens  keineswegs  seiner  edlen  Be- 
stimmung. In  der  Absicht,  in  seinem  Sohne  schon  frühzeitig  die 
Liebe  zum  Studium  der  Botanik  zu  erwecken,  hatte  Laurent.  Scholz 
Abbildungen  sämmtlicher  Pflanzen  seines  Gartens  anfertigen  lassen, 
die  zugleich  der  Nachwelt  als  Erinnerung  dienen  sollten.  Der  Sohn 
starb  jedoch  im  jugendlichen  Alter,  und  die  Bilder  gingen  auf  bisher 
unerklärliche  Weise  verloren.  Der  Garten  selbst  musste  nach 
L.  Scholz'  Tode  anderer  Bestimmung  weichen;  an  seiner  Stelle  wurden 
Wohnhäuser  aufgeführt.  *) 

Ein  ähnliches  Schicksal  ereilte  das  Museum,  das  L.  Scholz  behufs 
Sammlung  der  verschiedentlichsten  Antiquitäten  angelegt,  und  das 
manchen  seltenen  Schatz  aufzuweisen  hatte.     Es  war  dasselbe  wahr- 


*)  Ueber  die  nähere  Einrichtung  des  Gartens  vergl.  Hortus  Doct.  Laurentii  Scholtzü 
medici  et  philosophi,  quem  ille  colit  Vratislaviae,  situm  intra  ipsa  civitatis  moenia,  celebratus 
carmine  M.  Andreae  Calagii  Vratisl.  Vratislaviae  in  officina  typographica  Georgii  Baumanni  I 
Anno  Christi  MDXCII.  Das  Verzeichniss  des  Gartens  und  seiner  Pflanzen  besass  übrigens 
die  Älaria  Magdalena-Bibliothek. 


28 

scheinlich    eng  mit    dem    botanischen    Garten  verbunden    und    ging* 
nach  seiner  Auflösung  in  unrichtige  Hände  über. 

Wir  müssen  hier  bemerken,  dass  Henschel  und  Göppert  in  der 
Geschichte  der  Gärten  Breslaus  im  i6.  und  17.  Jahrhundert  dem 
L.  Scholzschen  Garten*)  die  Priorität  absprechen  und  ihn  als  den 
zweiten  darstellen,  während  sie  den  Woysselschen  Garten  als  den 
ersten  betrachteten,  und  zwar  gestützt  auf  C.  Gessners  Behauptung, 
ohne  dass  sie  den  Ort,  wo  er  sich  befunden,  irgend  wie  auch  nur 
andeuten. 


*)    29.  Jahresbericht  der    vaterländisclieii  schlesischen    Gesellschaft    vom   Jahre  1831. 

Zu    erwähnen    ist    hier    auch    noch    die  Abhandlung  von  S.  Kurtzmann:  Laurentius 

Scholz  und  der  erste  botanische  Garten  in  Breslau  1588 — 1599,  die  in  den  schlesischen  Pro- 

vinzialblättern,     Neue    Folge.     5.    Bd.     Breslau  1866.     S.  457  abgedruckt  ist.     Sie  enthält 

viel  interessante  und  belehrende  Notizen. 


! 


29 


Caspar  Sehwenekfeld. 

14.  August  1563  bis  9.  Juni   i6og*). 


V^aspar  Sehwenekfeld**)  ist  am  14.  August  1563  zu  Greifenberg  in 
Schlesien  geboren;  sein  Vater  Melehior  war  Bürgermeister  dieses  den 
Grafen  Schaffgotseh  gehörigen  Städtehens***).  Wie  er  selbst  berichtet, 
bestimmte  ihn  natürliche  Neigung  (naturae  instinctus)  und  der  Rath 
und  Wunsch  seiner  Lehrer  sich  dem  „heiligen  Studium  der  Medicin" 
zu  widmen;  gleich  den  meisten  Aerzten  seiner  Zeit  verband  er  hiermit 
ein  so  gründliches  Studium  der  besehreibenden  Naturwissenschaften, 
wie  dies  heutzutage  gewiss  nur  selten  der  Fall  ist.  Freilich  hatte 
sich  damals  die  Medicin  noch  nicht  von  dem  Bann  der  klassischen 
Autoritäten,  vor  allem  des  Hippoerates  und  Galenus  befreit,  denen 
Avicenna,  Rhazes,  Mesue  und  die  übrigen  arabischen  Commentatoren 
und  Aerzte  fast  gleichgeachtet  waren;  als  wichtigste  Aufgabe  der 
Heilkunst  wurde  angesehen,  die  Arzneimittel,  von  denen  Dioscorides 
in  seiner  Materia  medica  eine  klassische  Bearbeitung  hinterlassen 
hatte,  deren  Kenntniss  aber  in  den  finstem  Jahrhunderten  des  Mittel- 
alters zum  grossen  Theil  verloren  gegangen  war,  wieder  aufzufinden, 


*)  Verfasser  dieser  Biographie  ist  Geheimer  Regierungsrath  Prof.  Dr.  Ferdinand  Cohn. 

**)  Die  Orthographie  des  Namens  ist,  wie  gewöhnlich  im  l6.  Jahrhundert,  schwankend; 
wir  finden  denselben  mit  d,  mit  dt  und  mit  t  geschrieben;  wir  halten  uns  deshalb  an  die 
jetzt  übliche  Schreibweise.  Eine  Beziehung  zu  der  Familie  des  bekannten  Theologen  Caspar 
von  Sehwenekfeld  auf  Ossig  (1490 — 1561),  eines  Zeitgenossen  Luthers,  ist  nicht  nachweisbar; 
die  adlige  Familie  von  Sehwenekfeld  starb  schon  im  16.  Jahrhundert  aus.  Am  22.  Dec.  1626 
wurde  nach  Schimon:  der  Adel  in  Böhmen,  wieder  ein  Caspar  von  Sehwenekfeld  in  den 
böhmischen  Adelstand  erhoben;  in  welchem  Verhältnisse  dieser  zu  unserem  Naturforscher 
stand,  ist  nicht  ermittelt. 

***)  Die  älteste  Quelle  für  Schwenckfeld's  Biographie  ist  ausser  seinen  eigenen  Schriften 
sein  Görlitzer  Zeitgenosse  Mart.  Meister  in:  Annales  Gorlic.  für  1609,  abgedr.  in  Hoffmann 
Script,  rer.  Lusat.  Vol.  I,  P.  II,  S  75 ;  auf  ihr  beruhen  auch  die  Nachrichten  bei  (Burghart) 
der  forschende  Schlesier,  Breslau  und  Leipzig  1758,  S.  113;  doch  sind  einzelne  Daten  wie 
bei  allen  Späteren  ungenau,  und  hier  zum  ersten  Mal  in  möglichster  Vollständigkeit  richtig 
gestellt. 


und  da  die  meisten  dieser  Heilmittel  aus  dem  Pflanzenreich  stammten, 
so  war  damit  für  den  Arzt  vor  allem  die  Nothwendigkeit  gegeben» 
in  der  Flora  der  Heimat  und  des  Auslandes  sich  nach  den  klassischen 
Heilpflanzen  umzuschauen,  dann  aber  auch  solche  Gewächse,  die  den 
Griechen  und  Arabern  unbekannt  geblieben  waren,  auf  ihre  Heilkräfte 
experimentell  zu  erproben.  Hierdurch  entwickelte  sich  seit  der  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  eine  innige  und  nachhaltige  Verbindung  zwischen 
Medicin  und  Botanik;  wir  finden  in  der  That,  dass,  wie  überall,  so 
auch  in  Schlesien  fast  alle  Aerzte,  deren  Namen  im  1 6.  Jahrhundert 
als  Meister  in  der  ärztlichen  Praxis,  als  medicinische  Schriftsteller 
oder  Universitätslehrer  überliefert  werden,  sich  auch  mit  Botanik  ein- 
gehend beschäftigt  haben. 

Um  sich  eine  humanistische  Bildung  zu  erwerben,  bezog  Schwenck- 
feld  1579  im  Alter  von  16  Jahren  die  Leipziger  Hochschule,  und 
wurde  1582  daselbst  Baccalaureus;  das  medicinische  Studium  sollte, 
wie  damals  üblich,  auf  den  Universitäten  des  Auslandes  betrieben 
werden.  Doch  vorher  musste  er  seiner  beschränkten  Mittel  wegen 
noch  zwei  Jahre  lang  sich  begnügen,  als  Amanuensis  des  auch  der 
Botanik  kundigen  Physikus  von  Colmar,  Dr.  Joh.  Jacob  Wecker 
(f  1586)  die  Arzneikunst  praktisch  zu  erlernen.  Im  Jahre  1585 
beabsichtigte  Schwenckfeld  die  medicinischen  Facultäten  von 
Frankreich  zu  besuchen;  er  erkrankte  aber  in  Genf  an  einem 
Quartanfieber  so  heftig,  dass  er  in  Lebensgefahr  schwebte  und 
zur  Herstellung  seiner  Gesundheit  nach  Basel  zurückkehren  musste. 
Durch  die  Krankheit  entkräftet  und  von  allen  Geldmitteln  entblösst, 
wäre  Schwenckfeld  hier  der  Verzweiflung  anheimgefallen,  wenn  nicht 
der  Decan  der  medicinischen  Facultät  zu  Basel,  Caspar  Bauhin,  als 
Arzt,  Anatom  und  Botaniker  gleich  berühmt,  sich  seiner  angenommen 
und  durch  seine  Wohlthaten  ihn  dem  Leben  und  der  Wissenschaft 
erhalten  hätte.  So  blieb  denn  Schwenckfeld  in  Basel  als  Student  der 
Medicin  und  Philosophie,  und  wurde  der  eifrigste  und  dankbarste  Schüler 
Caspar  Bauhins.  Dieser,  geboren  zu  Basel  1550,  wird  von  Goeppert 
mit  Recht  als  einer  der  ersten  Botaniker  seiner,  wo  nicht  aller  Zeiten 
bezeichnet;  „in  ihm  gipfelt,"  wie  Julius  Sachs  in  seiner  Geschichte 
der  Botanik  bemerkt,  ,,das  ganze  erste  Zeitalter  der  wissenschaftlichen 
Botanik."  Unter  Bauhins  Anregung  veröffentlichte  Schwenckfeld 
1586  sein  erstes  Werk:  Thesaurus  Pharmaceuticus,  medicamentorum 
ere  omnium  facultates  et  praeparationes  continens,  ex  probatissimis 
quibusdam  autoribus  collectus  per  Gasparum  Schwenkfeit  Gryphi- 
montanum  Silesium.  Cum  indice  locupletissimo.  80.  Basel,  Proben; 
2.  Auflage  ibid.   1587;  3.  Auflage  Frankfurt  1630*). 

*)  Nova  Literaria  Germaniae,  Hamburg  1705.  S.  293;  vollständigste  Quelle  für 
Schwenckfeld's  Schritten 


31 

Schwenckfeld  wollte  durch  sein  Buch,  das  dem  Caspar  Bauhin 
g-ewidmet  ist,  ,.den  Arzneischatz,  dessen  Studium  von  so  vielen  Aerzten 
zum  grossen  Schaden  der  Kranken  vernachlässigt  und  abergläubischen 
alten  Weibern  und  unwissenden  Kräuterhändlern  überlassen  werde," 
den  Medicinern  leichter  zugänglich  machen,  indem  er  aus  den  Griechen, 
den  Arabern,  und  den  Neueren  die  zerstreuten  und  verwirrten  An- 
gaben über  die  einfachen  Drogen  (simplicia)  und  deren  Verwendung 
zu  den  Arzneien  (composita)  methodisch  in  eine  Synopsis  zusammen- 
fasste.  Das  Buch  besteht  aus  zwei  Theilen,  von  denen  der  erste 
die  Simplicia,  der  zweite  die  Composita  behandelt,  und  gewährt  in 
seiner  knappen  und  streng  logisch  geordneten  Darstellung  ein  er- 
schöpfendes und  getreues  Bild  von  der  Arzneimittel-  und  Arzneiver- 
wendungslehre des  i6.  Jahrhunderts. 

Cherlerius,  auch  ein  angesehener  Botaniker,  redet  seinen  Freund 
Schwenckfeld  in  einem  Epigramm,  das  nach  der  Sitte  der  Zeit  dem 
Thesaurus  pharmaceuticus  vorangedruckt  ist,  folgendermassen  an: 

Wenn  Du  so  \'iel  schon  geschaffen  als  Jüngling  im  blühenden  Alter, 
Wieviel  wirst  du  dereinst  leisten  als  Greis  in  der  Kunst! 

Schwenckfeld  hat  die  Hoffnungen,  zu  denen  seine  Erstlingsschrift 
die  Zeitgenossen  berechtigte,  in  vollem  Masse  erfüllt,  obwohl  er  bei 
M^eitem  nicht  das  Greisenalter  erreichte. 

Von  Basel  kehrte  Schwenckfeld  1587,  mit  dem  Doctorhut  in  der 
Philosophie  und  Medicin  belohnt,  nach  seiner  Vaterstadt  Greifenberg 
zurück,  um  sich  dort  drei  Jahre  lang  der  ärztlichen  Praxis  zu  widmen. 
Im  Jahre  1591  wurde  er  vom  Rath  der  Stadt  Hirschberg  zum  ordent- 
lichen Physikus  bestellt;  im  October  1605  wurde  er  als  Physikus  nach 
Görlitz  berufen  und  starb  daselbst  am  9.  Juni  1609  in  seinem  46. 
Lebensjahre.  Beerdigt  wurde  er  auf  dem  Frauenkirchhof  zu  Görlitz; 
doch  ist  sein  Grabstein,  den  er  schon  zu  seinen  Lebzeiten  hatte  an- 
fertigen lassen,  noch  nicht  aufgefunden  worden*). 


*)  Bald  nach  seiner  Niederlassung  in  Greifenberg  verheirathete  sich  Schwenckfeld  mit 
Elisabeth  Stäudner;  in  seinem  Theriotropheum  erzählt  er  (S.  599),  dass  seine  Frau  (carissima 
conjxix)  nachdem  sie  eine  Spinne  verschluckt,  unter  Vergiftungserscheinungen  im  Jahre  1597 
erkrankt  sei;  sie  starb  1604;  von  den  Kindern  überlebten  5  Söhne  und  2  Töchter  auch  den 
Vater.  Zeller,  Hirschberg.  Merkwürdigkeiten  1720,  S.  153,  und  Ezechiel,  Epitaphia  Siles.  Ms. 
Bresl.  Stadtbbl.  S.  790,  erwähnen  die  Grabschrift  eines  dreijährigen  Söhnchens  von  1593.  Aus 
einer  zweiten  Ehe  stammten  ein  Söhnchen ,  das  in  Görlitz  vor  dem  Vater  starb,  und  eine 
Tochter;  ein  Postumus  wurde  noch  erwartet.  Am  13.  April  1609,  3  Monate  vor  seinem 
Tode,  machte  Schwenckfeld  sein  Testament,  das  noch  im  Görlitzer  städtischen  Archiv  (Stadt- 
buch de  anno  1607 — 1619  fol.  68  b  u.  75)  aufbewahrt  wird,  und  von  dem  Herr  Stadtrath 
Rauthe  in  Görlitz  mir  einen  von  dem  städtischen  Archivar  Heinrich  angefertigten  Auszug 
mitzutheilen  die  Güte  hatte.  In  einem  Codicill  setzte  Schwenckfeld  200  Thaler  zu  einem  Univer- 
sitätsstipendium aus,  dessen  Zinsen  im  Betrage  von  12  Thalern  jedesmal  der  älteste  seiner 
Söhne,  Nachkommen    oder    Geschlechtsverwandten    beziehen  sollte,    der    zum    Studiren  Lust 


Schwenckfeld  als  Arzt  wird  vonHenel  imManuscr.derSilesia  togata 
und  fast  gleichlautend  in  der  Silesiographia  renov.  (unter  Gryphimon-- 
tiym)  gerühmt:  „er  habe  nicht  daran  gedacht,  mit  scheinbarer  Geschäftig- 
keit nicht  s  zu  thun,  noch  auch  seinen  eigenen  Ruhm  undReichthum  zu 
mehren:  sondern  einzig  und  allein  das  Wohl  des  Kranken  im  Auge  be- 
haltend, sei  er  so  einfach  und  zugänglich  (simpl ex  et  facilis)  gewesen,  dass 
er  kein  Bedenken  getragen  habe,  die  leichter  erreichbaren  Heilmittel 
den  kostspieligen  und  umständlichen,  und  die  Vereinfachung  der  Re- 
cepte  der  Vermehrung  der  Ingredienzien  vorzuziehen".  Die  Bedeutung 
dieses  Lobes,  das  den  Schüler  Bauhins  kennzeichnet,  wird  erst  gewürdigt,, 
wenn  man  sich  daran  erinnert,  dass  der  in  jener  Zeit  hochgeschätzte 
Theriac  des  Andromachus  aus  63,  das Mithridatium  aus  53  und  das  Anti- 
dotum  des  Matthiolus  gar  aus  121  verschiedenen  Bestandtheilen  und 
ausserdem    noch  aus  Theriac    und  Mithridat    zusammengesetzt    war. 

Aber  jene  angeborene  Liebe  (naturalis  inclinatio)  zur  Erforschung 
der  Natur,  die  in  Basel  wissenschaftliche  Schulung  gewonnen  hatte, 
verliess  den  jungen  Arzt  in  Schlesien  nicht.  Schwenkfeld  begann 
schon  in  Greifenberg,  die  Thiere,  Gewächse  und  Minerale  der  Heimat, 
über  die  damals  noch  so  gut  wie  nichts  bekannt  war,  eifrig  und  sorg- 
fältig zu  untersuchen.  Zur  Annahme  des  Hirschberger  Physikats  hatte 
ihn  die  Nachbarschaft  der  königlichen  Stadt  zu  den  berühmten  Thermen 
(regale  et  ob  vicinas  Thermas  nobile  oppidum),  ganz  besonders  aber 
die  Nähe  des  Riesengebirges  angelockt.  Er  begann  nun,  alle  Zeit,  die 
ihm  die  ärztliche  Praxis  frei  Hess,  zu  Wanderungen  im  Gebirge,  zu 
Beobachtungen  seiner  Thierwelt,  zum  Untersuchen  und  Sammeln  der 
Pflanzen  und  Minerale  zu  verwenden;  er  scheute  keine  Mühe,  um 
aus  allen  Theilen  des  Landes  Nachrichten  über  den  Gebrauch  und 
die  Eigenschaften  seiner  Naturproducte  zusammenzubringen*).  Aller- 
dings war  in  den  letzten  Jahrzehnten  des  16.  Jahrhunderts  die  Zahl 
der  schlesischen  Aerzte,  welche  sich  mit  Eifer  für  Naturwissenschaft 
und  ganz  besonders  für  Botanik  interessirten,  eine  ungewöhnlich 
grosse  geworden.    Nachdem    um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  der 


hätte;  diesem  sollte  auch  die  gesammte  Bibliothek  (Lieberey)  zufallen,  sammt  „der  kleinen 
Apotheke,  den  langen  grossen  Instrumenten,  dem  Clavicordio,  der  Mineraliensammlung  (Area 
metallica)  und  dem  Sceleto  in  der  Urne";  nur  etzliche  mit  Zetteln  bezeichnete  Bücher 
wurden  „dem  Baibier  und  den  zween  Apothekern"  vermacht,  für  die  auch  die  grosse  Feld- 
apotheke und  der  Steinmörser  (Mortuarium  marmoreum)  bestimmt  waren.  Vergl.  auch  Otto, 
Lausitzer  Schriftstellerlexicon  1803. 

*)  In  einem  Briefe  vom  12.  Dec.  1598,  der  dem  Schwenckfeldschen  Catalogus  stirpium. 
vorgedruckt  ist,  schreibt  der  gelehrte  Poliater  von  Schweidnitz,  Tobias  Fischer,  er  habe  schon 
früher  von  Collegen,  dann  aber  auch  von  Schwenckfeld  selbst  bei  einer  gemeinsamen  Con- 
sultation  zu  Langenau  und  bei  einer  Apothekenrevision  in  Hirschberg  gehört,  dass  dieser  die ' 
Wurzeln  und  Gewächse,  sowie  die  Metalle  in  Schlesien  mit  grösstem  Eifer  sammle  und  za 
publiciren  gedenke. 


33    

Leibarzt  des  Kaisers  Ferdinand  I.,  Peter  Andreas  Matthiolus  von 
Siena  (■{-  1577),  so  viel  wir  wissen  als  der  Erste,  im  Riesengebirge 
botanisirt  und  an  den  unter  dem  Nordabhang  des  Krokonosch  be- 
legenen Eibquellen  die  erste  schlesische  Alpenpflanze,  die Caryophyllata 
montana  (Geum  montanum)  entdeckt  hatte,  waren  in  den  Jahren  1.570 
bis  1582  an  Clusius,  den  Leibarzt  des  Kaisers  Maximilian  IL  und  einen 
der  grössten  Botaniker  seiner  Zeit,  die  ersten  Nachrichten  über  die 
eigenthümlichen  Pflanzen  des  Gesenkes  durch  den  fürstbischöflichen 
Rath  und  Arzt  der  Markgrafschaft  Mähren,  Achilles  Cromer  von  Neisse, 
gleichzeitig  durch  den  ebenfalls  aus  Neisse  gebürtigen  Leibarzt  des  Her- 
zogs in  Brieg,  Friedrich  Sebisch  (tz)  die  interessantesten  Beiträge  aus  der 
Flora  der  Sudeten  mitgetheilt  worden,  die  Clusius  in  seinem  Buche:  Rar. 
stirp.  per  Pannon.  et.  Austr.  observ.  hist.  1588  bis  1601  veröffentlichte. 

Im  nämlichen  Jahre,  avo  Schwenckfeld  von  Basel  nach  seiner  Vater- 
stadt Greifenberg  zurückkehrte,  hatte  der  Breslauer  Arzt  Dr.  Laurentius 
Scholz  seinen  botanischen  Garten  eröffnet  (1587),  der  durch  den  Reich- 
thum  einheimischer  und  exotischer,  insbesondere  aber  officineller  Ge- 
wächse fast  nur  von  dem  der  Universität  Padua  übertroffen  wurde; 
dieser  Garten  veranlasste  regen  Briefwechsel  nicht  blos  mit  den 
Pflanzenfreunden  der  Heimat,  sondern  auch  mit  den  Botanikern  des 
Auslandes,  was  um  so  leichter  geschehen  konnte,  als  die  gelehrte 
Welt  im  Latein  damals  eine  Universalsprache  besass,  die  dem  interna- 
tionalen Verkehr  den  Weg  ebnete. 

In  dem  von  Laurentius  Scholz  15  94  veröffentlichten  und  dem  Achilles 
Cromer  dedicirten  „Sermo  de  classicis  autoribus  rei  Herbariae,"  der  eine 
versificirte  Geschichte  der  Botanik,  von  Zoroaster  und  Democrit  bis 
zum  Ende  des  16.  Jahrhundert  enthält,  gedenkt  der  Verfasser  Joan. 
Ferschius,  M.  &  Phil.  D.  (nach  Joch  er  S.  387  auch  Dr.  Theol.,  Canonic. 
und  päbstl.  Protonotar  in  Breslau  f  161 1),  am  Schluss  auch  der 
schlesischen  Botaniker  seiner  Zeit,  deren  Reihe  mit  dem  alten 
Woyssel  beginnt  und  sodann  nicht  weniger  als  15  Aerzte  aufzählt*). 
Von  allen  seinen  Zeitgenossen  ist  jedoch  Schwenckfeld  der  einzige, 
der  sein  naturhistorisches  und  insbesondere  sein  botanisches  AVissen 
zu  einer  wahrhaft  bedeutenden  literarischen  Leistung  verwerthet  hat. 

Aufgefordert  von   seinen    ärztlichen  Collegen   und   anderen  her- 


*)  Laur.  Scholz,  Melchior  und  Friedrich  Sebisch,  Joh.  Franke,  Caspar  Schwenckfeli 
(Schwenkius),  Ach.  Cromer,  Jer.  Gesner,  Dan.  Bucretius  (Rindfleisch);  Joh.  Hermann, 
And.  Büttner,  Casp.  Pakisch,  Paul  Fridwald,  Xennemann  gen.  Reysingh,  Joh.  2^Iuselius 
Christ.  Rumbaum.  Vergl.  den  meisterhaften,  von  warmem  Patriotismus  durchwehten  Aufsatz 
von  A.  W.  Henschel:  Zur  Geschichte  der  botanischen  Gärten  und  der  Botanik  überhaupt 
in  Schlesien  im  XV.  und  XVI.  Jahrhundert.  Allgemeine  Gartenzeitung  von  Otto  und 
Dietrich.  V.  Jahrgang  1837.  S.  1/9;  im  Auszug  Jahresbeiicht  der  Schles.  Gesell.  1851, 
S.   137;  auch  Jatrologia  Silesiae  Heft   i. 


_34_ 

vorragenden  Männern  des  Heimatlandes,  entschloss  sich  Schwenckfeld 
nach  langem  Zögern,  das  in  mehr  als  zwölfjährigem  mühevollen 
Sammeln  zusammengebrachte  Material  zu  veröffentlichen  „zum  allge- 
meinen Nutzen  und  zum  Ruhm  des  Vaterlandes,  eingedenk  des 
Platonischen  Spruches :  Non  solum  nobis  nati  sumus."  Im  Jahre  1 600 
erschien:  Stirpium  et  fossiliumSilesiaeCatalogus,  in  quo  praeter  etymon, 
natales,  tempus,  natura  et  vires  cum  variis  experimentis  assignantur, 
concinnatus  per  Casparum  Schwenckfelt  Reip.  Hirsberg.  Phys.  Ord. 
Lipsiae.    Impensis  Davidis  Alberti  Bibliopolae  Vratislaviensis  4O  407  S. 

Goeppert  hat  bereits  im  Jahre  1832  die  Bedeutung  dieses  Buches 
für  die  Geschichte  der  Botanik  im  Allgemeinen  und  für  die  Kenntniss 
Schlesiens  insbesondere  so  eingehend  und  sachverständig  dargelegt), 
dass  es  kaum  möglich  ist,  etwas  Wesentliches  hinzuzufügen*).  Es 
ist  die  erste,  in  wissenschaftlichem  Geiste  aufgefasste  Naturbeschrei- 
bung Schlesiens,  zugleich  die  erste  Flora  und  Gaea  eines  Landes, 
die  überhaupt  erschienen  ist,  ohne  Vorarbeit  und  ohne  Vorgänger**) 
aber    das  Vorbild  einer  unendlichen  Reihenfolge   ähnlicher  Werke. 

Das  Buch  ist  von  Schwenckfeld  seinem  Pathen  Herrn  Caspar  von 
Warnsdorf  in  Gusmannsdorf  dedicirt,  „weil  dieser  sich  für  Philosophie 
und  Medicin,  besonders  aber  für  Botanik  interessire,  zugleich  als 
Dank  für  die  von  dessen  Mutter  und  Brüdern  empfangenen  Wohl- 
thaten". 

In  der  Vorrede,  die  ,,Cervimontii  in  Museio  nostro  1600''  datirt 
ist,  giebt  Schwenckfeld  einen  kurzen  Abriss  der  Geschichte  der 
Botanik,  wobei  er,  wie  fast  alle  schlesischen  Humanisten,  .  sich  als 
frommer,  streng  bibelgläubiger  Protestant  erweist***).  Er  beginnt  mit 
Adam,  der  durch  den  verbotenen  Genuss  des  Apfels  seine  Gesundheit 
geschädigt  und  Krankheit  und  Tod  in  die  Menschheit  gebracht  habe, 
er  rühmt  die  Naturkunde  und  insbesondere  die  botanische  Weisheit 
des  Königs  Salomo,  geht  dann  zu  den  Heiden  über,  wo  selbst  Könige 


*j  Ueber  die  ältere  Schlesische  Pflanzenkunde  als  Beitrag  zur  vaterländsichen  Culturge- 
schichte.     Schlesische  Pro\'inzialblätter  Bd.  96.  S.   108  u.  f.   1832. 

**)  Einzig  und  allein  die  von  Goeppert  bereits  erwähnten:  Silva  hercynica  von  Thalius 
welche  Joach.  Camerarius  1588  publicirte,  und  der  vom  Bischof  von  Pomesanien,  Joh, 
Wigand  1590  herausgegebene  Catalogus  herbarum  in  Borussia  nascentium  könnten  unserem 
Schwenckteld  die  Priorität  streitig  machen ;  ausserdem  erschien  von  dem  Kamenzer  Physikus 
Johann  Franke  (Francus)  1594  ein  „Hortus  Lusati?e",  der  nur  ein  lateinisch-deutsch-wendisches 
Namenverzeichniss  von  Lausitzer  Pflanzen  enthalten  zu  haben  scheint.  Nach  Pritzel  ist  das 
Euch  nur  im  British  Museum  vorhanden. 

***)  Wie  Meister  berichtet,  bewährte  sich  Schwenckfeld's  trommes  Gemiith  bis  zur  To- 
desstunde ;  da  er  sein  Ende  herannahen  fühlte,  Hess  er  sich  schon  vorher  den  Sarg  bringen 
und  setzte  darauf  die  Inschrift:  „Christus  ist  mein  Leben.  Sterben  ist  mein  Gewinn";  bei 
der  Leichenpredigt  wollte  er  von  sich  nur  das  eine  anerkannt  wissen,  ,,dass  er  sich  stets 
bemüht  habe,  ein  guter  Christ  zu  sein." 


35 

sich  mit  Botanik  beschäftigt  haben,  weshalb  u.  a.  Gentiana  nach  dem 
Illyrierkönig  Gentius,  Helenium  nach  Helena,  Artemisia  nach  der 
Gattin  des  Mausolus  benannt  worden  seien;  von  den  klassischen 
Schriften  werden  die  beiden  (unechten)  Bücher  des  Aristoteles  über 
die  Pflanzen,  Theophrastus,  Hippocrates,  Dioscorides,  Galenus  her- 
vorgehoben, Plinius  übergangen;  dann  folgen  die  Araber  und  der 
Aufschwung  der  Botanik  im  vorhergehenden  (XV.)  Jahrhundert,  der 
mit  den  Venetianern  (Hermolaus  Barbarus)  und  Franzosen  (Johannes 
Ruellius)  beginnt  und  mit  dem  berühmtesten  der  Zeitgenossen,  Caspar 
Bauhinus,  abschliesst. 

Hierauf  folgt  eine  Auseinandersetzung,  dass  die  Erde  nicht  überall 
die  nämlichen  Thiere,  Pflanzen  und  Gesteine  hervorbringe;  nicht  blos 
Ostindien,  China,  die  Moluccen,  Ceylon  und  andre  ferne  Länder,  sondern 
auch  das  Moscoviterreich  (Moscovia),  welches  Pelzwerk,  Preussen, 
welches  Elche  und  Bernstein  liefere,  auch  Deutschland,  einst  barbarisch, 
bringe  heute  viele  werthvolle  Erzeugnisse  hervor.  Was  soll  ich, 
fährt  Schwenckfeld  fort,  vom  Lande  der  Elysier  sagen?  Schlesien, 
obwohl  eine  kleine  Provinz  und  durch  die  Sudeten  und  die  nahen 
Carpathen  mehr  von  nordischer  Natur  (septentrionalior),  ist  doch  reich 
an  Metallen,  an  Wiesen  und  Feldern,  besonders  reich  an  Flachs, 
den  vor  allen  andern  Nationen  der  Boden  Schlesiens  in  solcher  Güte 
und  Menge  hervorbringt,  dass  in  keiner  Wohnung,  weder  in  den 
Burgen  des  hohen  Adels,  noch  in  den  Häusern  der  Städte,  noch  in  den 
Hütten  der  Landleute  Spinnrad  und  Webstuhl  fehlen. 

In  der  Erkenntniss,  wie  mannigfaltig  die  Macht  und  Weisheit 
des  Schöpfers  sich  in  den  Thieren  und  Pflanzen,  Metallen  und  Ge- 
steinen seines  Heimatlandes  kundgebe,  habe  er  es  unternommen,  ein 
Verzeichniss ,  nicht  aber  eine  vollständige  Geschichte  der  Naturer- 
zeugnisse von  Schlesien  zu  veröffentlichen.  Da  man  zu  jener  Zeit 
von  den  geographischen  Verbreitungsgesetzen  der  Thiere,  Pflanzen  und 
Gesteine  noch  keine  Ahnung  hatte,  war  der  Gedanke,  die  einem 
bestimmten  Landgebiete  eigenen  Organismen  und  Minerale  in  einen 
Catalog  zusammenzustellen,  wissenschaftlich  bedeutungsvoll. 

Vorausgeschickt  wird  eine  kurze  geographische  Beschreibung  des 
Landes  unter  folgenden  Rubriken:  Abstammung  (Silesia  oder  Elysia 
von  Elisa,  dem  Sohn  des  Ja  van,  der  in  der  Völkertafel  der  Genesis  er- 
wähnt wird);  Lage;  Eintheilung  (in  15  Herzog thümer,  dazu  die 
Grafschaft  Glatz,  Jägerndorf  undLeobschütz;  4  freie  Standesherrschaften 
120  Städte,  über  igooo  Dörfer);  Gebirge  (werden  in  Rand-  und  Mittel- 
gebirge eingetheilt;  zu  letzteren  Zobten,  Striegauer  Berge,  Spitzberg, 
Gröditzberg,  Kynast  u.  a.,  zu  ersteren  Carpathen  und  Sudeten  gerechnet; 
in  den  Sudeten  werden  besonders  geschildert  der  Riesenberg,  mons 
giganteus;  der  Flinzberg  oder  die  Abendburg  zwischen   Zacken  und 

3* 


Queis;  die  Iserwiese,  welche  reich  ist  an  seltenen  Gesteinen,  und  die 
an  Pflanzen  besonders  reichen  Schneegruben,  Dann  folgen  die  von 
diesen  Gebirgen  kommenden  Flüsse;  die  Fru  cht  barkeit  (die  besten 
Felder  bei  Strehlen  und Leobschütz,  dann  die  bei  Glogau);  Religion 
(bei  den  meisten  die  reformirte,  die  mit  grosser  Sorgfalt  unter 
schweren  Gefahren  bis  jetzt  durch  Gottes  Gnade  erhalten  worden 
ist).  Von  Schulen  ist  die  erste  in  Schmograu,  966  errichtet,  die 
berühmteste  in  Goldberg.  Von  den  Sitten  der  Einwohner  wird  gesagt, 
dass  sie  human  und  civil  seien,  auch  langer  Lebensdauer  sich  er- 
freuen, sich  aber  oft  und  leicht  betrinken.  Sodann  werden  die  Ge- 
lehrten Schlesiens  aufgezählt,  und  zwar  nach  einander  die  Theologen, 
Juristen,  Aerzte,  Geschichtschreiber,  Mathematiker,  Schulmänner, 
Dichter  und  Maler,  Bemerkungen  über  Handel,  Gewerbe,  Landwirth- 
schaft,  Lebensweise  und  Staatseinrichtungen  der  Schlesier  machen  den 
Beschluss  der  Einleitung, 

Der  ,,Catalogus  stirpium  et  fossilium"  zerfällt  in  drei  Bücher; 
die  beiden  ersten  umfassen  die  Flora  von  Schlesien.  Der  Aufzählung 
der  Gewächse  werden  einVerzeichnissvon  75  botanischen  Autoren*)  und 
drei  tabellarische  Uebersichten  vorangestellt;  die  erste  bezieht  sich  auf 
die  Morphologie  der  Gewächse,  die  zweite  auf  die  Verschiedenheiten 
der  Standorte:  Landpflanzen,  Wasserpflanzen  und  amphibische;  die 
Landpflanzen  sind  in  Gewächse  des  Gebirges  und  der  Ebene,  in  Pflanzen 
des  fetten,  magern,  Fels-  und  Sandbodens,  die  Wasserpflanzen  in 
Fluss-,  Quell-,  Sumpfgewächse  und  in  solche  der  salzigen  Gewässer 
und  des  Seestrandes  eingetheilt.  Die  dritte  Tabelle  ordnet  die 
Pflanzen  nach  ihrem  Nutzen  in  Gemüse-,  Getreide-, .  Obst-,  Zier-,  aro- 
matische und  officinelle,  sodann  in  wildwachsende  und  angebaute 
Gewächse;  die  ersteren  werden  eingehend  im  ersten,  die  letzeren 
im  zweiten  Buche  abgehandelt. 

Die  Pflanzen  sind  nach  dem  alten  Herkommen  der  Empiriker 
alphabetisch  geordnet,  und  zwar  nach  der  lateinischen  Benennung, 
an  welche  die  griechischen  und  deutschen  Namen  angefügt,  oft  noch 
die  in  Schlesien    üblichen  Bezeichnungen    besonders    hervorgehoben 


*)  Schwenckfeld  erwähnt  in  diesem  „Catalogus  autorum  quorum  in  hoc  opusculo  fit 
mentio"  folgende  Schlesische  Aerzte:  Christ.  Rumbaum  med.,  Jerem.  Gesner,  Laur. 
.Schultz,  Rob.  Fischer  med.  Suidn.,  Joh.  Francus  phys.  Camicensis  und  zwei  Apotheker. 
Dom.  Heintz  in  Schweidnitz  und  Sebald  Laurea  in  Breslau.  Offenbar  sind  hier  unter 
„autores"  nicht  eigentlich  Schriftsteller,  sondern  nur  Correspondenten  von  Schwenckfeld  zu 
verstehen.  In  ähnlicher  Weise  hat  Caspar  Bauhin  seinem  berühmten  „Pinax"  ein  Verzeich- 
niss  derer,  die  ihm  Pflanzen  oder  Samen  mitgetheilt  hatten,  vorangeschickt,  darunter  folgende 
Schlesier:  Schwenckfeld,  Fridman,  Monavius  (Fried.  Monau)  ,  Georg  Rumbaum,  Joh. 
Fleisser   (Fleischer),  Jo.  Francus  sen.,  Laur.  Scholz  sen. 


37 

sind*).  Sodann  folgt  eine  kurze,  in  der  Reg-el  auf  wenige  charakte- 
ristische Merkmale  beschränkte  Beschreibung  unter  Berücksichtigung 
des  Standortes  und  der  Blüthezeit;  besondere  Fundorte  sind  jedoch 
nur  ausnahmsweise  bei  selteneren  Arten  angegeben.  Den  Beschluss 
macht  eine  Aufzählung  der  aus  der  Pflanze  gewonnenen  Producte 
mit  ausführlicher  Angabe  ihrer  Verwendung,  zumeist  zu  medicinischem, 
doch  unter  Umständen  auch  zu  ökonomischem,  technischem  und 
anderem  Gebrauch.  Die  angegebenen  Heilkräfte  und  Wirkungen  der 
Pflanzen  sind  allerdings  zu  nicht  geringem  Theil  blos  eingebildete, 
auf  Treu  und  Glauben  aus  den  alten  Arzneimittellehren  entlehnt;  die 
Volksheilmittel  finden  besondere  Berücksichtig^ung,  da  Schwenckfeld 
es  als  eine  Aufgabe  seiner  Flora  auffasst,  die  kostbaren,  oft  ver- 
fälschten Drogen  des  Auslandes  wo  möglich  durch  die  leicht  und 
rein  zu  erlangenden  einheimischen  Heilpflanzen  zu  ersetzen. 

Goeppert  hat  bereits  versucht,  für  die  von  Schwenckfeld  aufge- 
zählten Gewächse,  deren  Bezeichnung  natürlich  von  den  heut  üblichen 
zumeist  erst  durch  Linne  eingeführten  Namen  abweicht,  die  letzteren 
auszumitteln  und  hiernach  deren  Zahl  auf  8g 8  verschiedene  Arten 
angegeben,  unter  denen  sich  bereits  die  meisten  selteneren  Sudeten- 
pflanzen befinden.  "Wimmer,  Flora  von  Schlesien,  gab  im  Jahre  1857 
die  Zahl  der  Schlesischen  Pflanzen  (Phanerogamen  und  Gefäss- 
kryptogamen)  auf  1375  an;  die  neuste  1881  erschienene,  unter  Mit- 
wirkung von  R.  V.  Uechtritz  von  Emil  Fiek  bearbeitete  Flora  von 
Schlesien  enthält  151 3  Arten,  wobei  jedoch  zu  bemerken,  dass  das 
Gebiet  der  letzteren  durch  Aufnahme  der  erst  in  unserem  Jahrhundert 
zu  Schlesien  gerechneten  Lausitz  erheblich  grösser  ist,  als  das  von 
Schwenckfeld  bearbeitete,  bei  dem  überdies  auch  Oberschlesien  so 
gut  wie  gar  nicht  vertreten  ist.  Denn  während  zwischen  den  pflanzen- 
kundigen Aerzten  in  den  Städten  von  Mittel-  und  Niederschlesien 
ein  reger  wissenschaftlicher  Verkehr  stattfand,  scheinen  damals  in 
Oberschlesien  solche  Männer  entweder  nicht  existirt,  oder  doch  keine 
wissenschaftliche  Correspondenz  mit  ihren  Collegen  gepflogen  zu  haben. 

Als  ein  besonderes  Verdienst  der  Schwenckfeldschen  Flora,  die 
selbstverständlich  nicht  nach  dem  heut  geltenden  Massstabe  beur- 
theilt  werden  darf,  sondern  nur  mit  gleichzeitigen  Arbeiten,  z.  B. 
der  Silva  Hercynica  des  Thalius  in  Vergleich  gesetzt  werden  darf, 
liegt  darin,    dass  sie   durchaus  nicht    eine  Compilation    aus    anderen 


*)  Pritzel  hat  die  voa  Schwenckfeld  aufgeführten  Deutschen  Pflanzennamen  ge- 
sammelt und  in  dem  nach  seinem  Tode  (f  1874)  von  Jessen  herausgegebenen  Buche  ,,Die 
Deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen"  veröff"entlicht.  Ein,  jedoch  nicht  vollständiger  Sonder- 
abdruck von  Schwenckfeldschen  Pflanzennamen  nach  der  Bearbeitung  von  Pritzel  findet  sich 
in  Schles.  Provinzialblätter  1874  S.  421. 


38 

Büchern  ist,  sondern  auf  eigenen  Beobachtungen  oder  doch  auf 
den  erst  von  ihm  gesammelten  und  geprüften  Mittheilungen  seiner 
Freunde  und  Correspondenten  beruht ;  dies  ergiebt  sich  auch  aus 
den  zahlreichen  Notizen  über  speciell  schlesische  Gebräuche  und 
Volksnamen;  seltenere  Pflanzen  hatte  er  zu  näherer  Beobachtung 
im  eigenen  Garten  gezogen.  Auch  hat  Schwenckfeld  sich  nicht  auf 
die  mehr  in  die  Augen  fallenden  Blüthenpflanzen  allein  be- 
schränkt, sondern  auch  die  blüthenlosen  berücksichtigt,  so  dass 
Milde  in  seinen  „Gefässkryptogamen  Schlesiens  1857"  einen  grossen 
Theil  derselben  und  darunter  die  seltensten  schon  bei  Schwenck- 
feld nachweisen  konnte.  Nach  Mildes  Ermittelungen  zählt 
Schwenckfeld  31  schlesische  Gefässkryptogamen  auf;  die  Fieksche 
Flora  von  1881  enthält  deren  58  Arten.  Ebenso  hat  Schroeter  bei 
der  Bearbeitung  der  Schlesischen  Pilze  in  der  ,,Kryptogamenflora 
von  Schlesien"  1885  hervorgehoben,  dass  Schwenkfeld  bereits  einige 
20  noch  jetzt  bestimmbare  Pilzarten,  darunter  12  essbare,  gekannt 
hat;  Hausschwamm  und  Champignon  befinden  sich  jedoch  nicht  unter 
ihnen. 

Das  zweite  Buch  des  „Catalogus  stirpium"  enthält  die  in 
schlesischen  Gärten  und  Feldern  angebauten  oder  in  Gewächshäusern 
(viridaria)  gezogenen,  aber  nicht  wild  wachsenden  Pflanzen  (Stirpes 
hortenses),  Bäume,  Strauch  er  und  Kräuter,  im  Ganzen  ca.  525  Arten 
und  Sorten,  welche  in  ähnlicher  Weise  wie  die  einheimischen  be- 
arbeitet und  alphabetisch  geordnet  sind.  Auch  von  diesen  hat 
Goeppert  (1.  c.  u.  a.  a.  O.)  eine  ausführliche  Uebersicht  gegeben,  und 
daraus  den  hohen  Culturstand  der  schlesischen  Gärten  und  Felder 
am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  festgestellt;  eine  vollständige,  kritische 
Bearbeitung  des  Schwenckfeldschen  Catalogus  stirpium,  welche  auf  die 
Culturgeschichte  Schlesiens  im  allgemeinen  und  auf  die  Geschichte 
der  Schlesischen  Flora  insbesondere  ohne  Zweifel  noch  manches 
neue  Licht  werfen  würde,  wird  jedoch  noch  immer  vermisst.*) 

An  den  „Catalogus  stirpium"  schliesst  sich  als  drittes  Buch  der 
ebenfalls  1600  erschienene  Catalogus,  omnis  generis  mineralia, 
metallica,  metalla,  succos,  terras,  lapillos,  fontes  medicatos  et  thermas 
continens,  mit  einem  Motto  aus  Hiob  (28.  i,  2,  6)  und  einer  Dedication 
an  Conrad  von  Hohberg,  den  Besitzer  vieler  Bergwerke,  Herrn  auf 
Fürstenstein,  Freiburg,  Friedland,  Gottesberg  etc. 


*)  Nach  Goeppert,  Schles.  Provinzbl.  1832.  B.  96.  S.  204,  hat  der  Londoner  Apo- 
theker James  Petiver,  der  Herausgeber  mehrerer  naturhistorischer  Kupferwerke,  auch  ein 
solches  unter  dem  Titel  :  Plantae  silesiacae  rariores  ac  desideratae  ex  Schwenckfeldio  ex- 
cerptae  et  methodo  Rajana  dispositae.  Londini  1717  fol.  herausgegeben;  in  Pritzel  Thesau- 
rus literaturae  botanicae  findet  sich  kein  solches  Werk  unter  Petiver's  Schriften  aufgeführt; 
doch  citirt  es  Haller  Bibl.  bot.  H.  25    mit    etwas    anderem  Titel  Lond.   1716,  fol.  plag.  I. 


AI 

Auch  hier  werden  nach  einer  tabellarischen  Eintheilung  und 
Uebersicht  die  einzelnen  Fossilien  (185  Nummern)  alphabetisch  be- 
handelt; die  Beschreibungen  sind  im  Allgemeinen  ausführlicher  als 
bei  den  Pflanzen,  die  deutschen  Namen  sind  den  lateinischen  regel- 
mässig- zugefügt,  die  Fundorte  meist  genau  angegeben.  So  werden 
als  F'undorte  für  gediegen  Gold  aufgeführt:  Goldberg,  Zuckmantel 
Reichenstein,  Löwenberg,  Striegau,  Langenau  und  Grünau  u.  a.  O.  bei 
Hirschberg,  Schwarzenthai  oder  Neudorf  an  der  Iser,  Freiheit  bei 
Johannisbad,  verschiedene  Punkte  des  Riesengebirges,  insbesondere 
der  Riesengrund,  sowie  die  Iserwiese.  Die  wichtigsten  mineralischen 
Vorkommnisse  in  Mittel-  und  Niederschlesien  dürften  sich  hier  be- 
reits zusammengestellt  finden;  Oberschlesien  dagegen  ist  gar  nicht 
berücksichtigt;  von  seinen  reichen  Metall-  und  Kohlenschätzen  scheinen 
damals  nur  das  Vorkommen  von  Silber  bei  Beuthen  und  von  Silber 
und  Blei  bei  Tarnowitz  bekannt  gewesen  zu  sein. 

Steinkohle  (Carbones  fossiles,  av^paxs^  '(biüc,zi<;  Theophr.)  kennt 
Schwenckfeld  nur  von  Schatzlar  und  Gottesberg;  die  letzteren  sind  die 
bessern  und  werden  von  Eisenschmieden  statt  Holzkohlen  verwendet, 
weil  sie  länger  anhalten,  doch  sind  sie  zu  feinerer  Arbeit  nicht 
brauchbar,  weil  sie  das  Eisen  brüchig  machen.  Auch  fossiles  Eichen- 
holz, Fichtenholz  und  Ebenholz  (Dryites,  Elatites,  Ebenites)  so  wie 
Donnerkeile  oder  Albschosse  (Belemniten)  werden  erwähnt.  Da 
Schwenckfeld,  wie  der  Titel  anzeigt,  nicht  blos  die  eigentlichen 
Minerale,  sondern  Alles,  was  aus  der  Erde  stammt,  in  seinen  Catalog 
aufgenommen,  so  erwähnt  derselbe  unter  anderen  auch  die  Wütteringen 
(Exhalationes  ardentes);  sie  sollen  im  Herbst  und  selbst  in  Sommer- 
nächten häufig  im  Gebirge  sichtbar  sein,  ebenso  wie  die  fliegenden  und 
springenden  Feuer  (Irrwische).,Veilchenstein  (Jolithus)  ist  richtig  erkannt 
als  ein  röthliches  Moos,  das  den  Steinen  der  Sudetenkämme  fest  ange- 
wachsen ist.  Auch  die  aus  der  Erde  ausgegrabenen  Thongefässe,  vasa 
fictilia  (Erdtöpfe,  gewachsene  Töpfe,  Zwergtöpfe),  werden  in  ihren  ver- 
schiedenen Formen  beschrieben:  mit  engem  Hals  und  geschwollenem 
Bauche,  mit  einem,  zweien,  dreien,  oder  auch  ohne  Henkel,  mit  und  ohne 
Deckel,  gelb,  grau  oder  röthlich;  erwähnt  wird  ihr  häufiges  Vorkommen 
bei  Sorau,  Guben,  Sommerfeld,  und  dass  sie,  in  der  Erde  feucht  und 
weich,  an  der  Luft  erhärten.  Das  Volk  glaube,  sie  seien  in  der  Erde 
gewachsen.  Andere,  sie  seien  das  Werk  der  Zwerge;  die  Gelehrten 
aber  meinen,  es  seien  die  Begräbnisse  der  Germanen  gewesen, 
welche  die  Asche  vom  Scheiterhaufen  darin  gesammelt  und  unter 
einem  Hügel  im  Sande  vergraben  hätten. 

Interessant  sind  Schwenckfelds  Berichte  über  die  Schlesischen 
Mineralquellen,  die  ja  überhaupt  erst  im  16.  Jahrhundert  zu  rationeller 
medicinischer  Verwerthung  gelangten.     Er  theilt  sie  ein  in  kalte  und 


40 

in  warme,  Thermen;  letztere  sind  lau,  wie  Landeck  und  St.  Johannis- 
brunnen(Johannisbad)oder  warm,  wie  derHirschbergerBrunnen(Warm- 
brunn).  Von  diesem,  den  Schwenckfeld  genau  kennt  und,  wie  wir  bald 
sehen  werden,  später  noch  einmal  monographisch  bearbeitet  hat,  giebt 
er  an:  im  steinernen  Bade  sei  das  Wasser  so  warm,  dass  man  wegen 
übermässiger  Hitze  die  Hand  im  Quell  nicht  ohne  Belästigung  halten 
könne.  In  Johannisbad  dagegen  müsse  das  Wasser  erst  durch  hin- 
eingethane  heisse  Steine  in  die  zum  Bad  erforderliche  Temperatur 
erwärmt  werden,  so  dass  manche  die  Wirksamkeit  den  Steinen  und 
nicht  dem  Wasser  zuschrieben.  Auch  in  Landeck,  dessen  Thermen 
1501  renovirt  und  restaurirt  worden  seien,  müsse  das  Wasser  wegen 
zu  grosser  Kälte  erst  künstlich  durch  Feuer  angewärmt  werden. 
Die  Temperatur  der  Warmbrunner  Quellen  liegt  in  der  That  zwischen 
35 — 43O,  die  von  Johannisbad  beträgt  29,60,  die  von  Landeck 
25 — 28^.  C.  Man  hielt,  wie  Schwenckfeld  erzählt,  die  Thermen  am 
wirksamsten  am  Tage  St.  Johannis  (24.  Juni),  weshalb  auch  Johannis- 
bad  diesem  Heiligen  geweiht  war. 

Die  kalten  Quellen  werden  in  Säuerlinge  oder  Bierbrunnen 
(Acidulae)  und  in  Salzbrunnen  (Salsulae)  unterschieden.  Zu  den  Bier- 
brunnen wird  Flinsberg  (beim  Dorfe  Fegesbeutel,  wo  man  zur 
Iserwiese  geht)  und  Liebwerda  gerechnet.  Ueber  den  ,, Salzbrunn 
unter  dem  Hochberg"  berichtet  Schwenckfeld,  er  habe  von  demselben 
erst  zufällig  erfahren,  als  er  1597  zu  einem  ärztlichen  Consilium  nach 
Schloss  Fürstenstein  berufen  wurde,  wo  Conrad  von  Hochberg  an 
einem  Abscess  am  Schenkel  darniederlag  und  von  ihm  durch  eine  ge- 
eignete Diät  und  den  Gebrauch  des  Warmbrunner  Bades  wieder- 
hergestellt wurde.  Er  habe  darauf  den  Brunnen  besichtigt,  und  sein 
Wasser  untersucht,  das  in  der  Mitte  eines  viereckigen  Gemäuers 
aus  einem  Fass  hervorquoll  und  von  den  benachbarten  Bauern  zur 
Erquickung  in  Sommerhitze  und  zur  Tränkung  der  Rinder  benutzt 
wurde,  deren  Milchreichthum  es  vermehren  sollte.  Es  scheint  hier- 
nach, dass  erst  durch  Schwenckfeld  der  Grund  zu  dem  ärztlichen 
Weltruf  des  Salzbrunnen  gelegt  worden  ist. 

Im  Jahre  1603  erschien  endlich,  als  Abschluss  des  grossartigen 
Unternehmens,  die  Fauna  von  Schlesien  unter  dem  Titel:  Theriotro- 
pheum  Silesiae,  in  quo  animalium  h.  e.  quadrupedum,  reptilium,  avium, 
piscium,  insectorum  natura  vis  et  usus  6  libris  perstringuntur, 
concinnatum  et  elaboratum  a  Casp.  Schwenckfeld,  medico  Hirsberg., 
Omnibus  Philosophiae,  Medicinae  et  Sanitatis  studiosis  profiturum, 
Lignicii,  Impens.  Dav.  Alberti  Bibliop.  Vratisl.  4.  563  S.  Wie  der 
„Catalogus  stirpium"  die  erste  Flora,  so  ist  der  „Schlesische  Thier- 
garten"  die  erste  Fauna,  die  von  einem  Lande  überhaupt  an  die 
Oeffentlichkeit  gebracht  worden  ist.     Das  Buch  ist  dem  Herrn  Joach. 


41 

Nostitz  von  Noes  „der  auf  deutschen  und  französischen  Universitäten, 
insbesondre  in  Paris  studirt  und  sich  ernstlich  auch  für  Medicin 
interessirt  habe",  gewidmet.  In  der  EpistolaDedicatoria,  welche,  wie  in 
jener  Zeit  allgemein  üblich,  die  Stelle  einer  Vorrede  vertritt,  und  in 
welcher  der  gelehrte  Pedantismus  des  17.  Jahrhunderts  bereits  sich 
nur  allzu  weitschweifig  ausspricht,  wird  der  Nutzen  der  Zoologie  aus 
dem  alten  und  neuen  Testament  wie  aus  den  Classikern  erwiesen; 
schon  die  alten  jüdischen  Patriarchen,  und  der  König  Salomo,  nicht 
minder  aber  auch  Alexander  der  Grosse  und  die  römischen  Welt- 
eroberer hätten  sich  mit  der  Zucht  und  Sammlung  von.  Thieren  be- 
schäftigt, ganz  besonders  nothwendig  aber  sei  die  Kenntniss  der 
Thiere  für  den  studirenden  Arzt  wegen  der  vielen  Heilmittel  aus  dem 
Thierreich;  für  Gicht-  und  Steinleidende,  wo  es  besonders  auf  eine 
gute  Diät  ankomme,  sei  es  wichtig,  die  gesunden  Fleischsorten 
kennen  zu  lernen  u.  s.  f. 

Im  Gegensatze  zu  der  pedantischen  Vorrede  ist  das  Werk  selbst 
voll  gesunder  Naturanschauung  und  unbefangener  Beobachtungen.  Das 
erste  Buch,  dem  ein  Verzeichniss  von  nahezu  100  zoologischen 
Autoren,  unter  denen  sich  kein  einziger  Schlesier  befindet,  und 
7  Widmungsgedichte  vorgedruckt  sind,  enthält  die  allgemeine  Zoologie 
mit  besonderer  Beziehung  auf  die  Fauna  von  Schlesien,  sodann  eine 
Einth eilung  der  Thiere  nach  Wohnort,  Lebensweise  und  Organisation; 
hierauf  folgt  generelle  Anatomie,  Fortpflanzung  und  Nutzen  der  Thiere. 
Das  zweite  Buch  (vivarium)  behandelt  die  schlesischen  Säuge- 
thiere  und  deren  besondere  Anatomie,  welche  mit  grösster  Ausführlich- 
keit bearbeitet  ist;  die  einzelnen  Thiere  sind  alphabetisch  aufgeführt; 
zuerst  ,,Alce,'AX7,-^,  Elch,"  das  indessen  zwar  häufig  in  Ungarn,  Preussen 
und  Lithauen,  nicht  aber  in  Schlesien  vorkomme,  doch  werden  Felle  und 
Klauen  eingeführt.  Da  nämlich  das  Buch  für  Studirende  zugleich 
als  Lehrbuch  der  Zoologie  bestimmt  war,  so  wurden,  wie  das  angeführte 
Beispiel  zeigt,  ausser  den  in  Schlesien  wirklich  einheimischen  auch 
solche  Thiere  aufgenommen,  die  nur  gelegentlich  in  Menagerien 
oder  Zwingern  zu  sehen  waren,  wie  Tiger,  Löwe,  Kameel,  Elephant 
Papageien  u.  a.;  ebenso  sind  die  Thiere,  von  welchen  gewisse  Theile 
zu  medicinischen  oder  anderen  Zwecken  eingeführt  wurden,  berück- 
sichtigt; so  u.  a.  auch  die  Seefische. 

Die  Beschreibungen  sind  meist  sehr  ausführlich;  hier  und  da  er- 
wähnt Schwenckfeld,  dass  er  ein  geschossenes  Thier  zum  Geschenk 
erhalten,  seine  Section  vorgenommen  und  den  Mageninhalt  untersucht 
habe.  Lebensweise  und  Wohnort  werden  genau  geschildert;  be- 
sonders eingehend  wird  die  Verwendung  behandelt,  insbesondere 
die  ökonomische  bei  den  Hausthieren,  während  die  medicinischen 
Wirkungen   wohl  zum  grössten  Theil  fabelhaft  sind.     AVährend  Elch 


42    

und  Ur  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  Schlesien  nicht  existirten *), 
was  im  Gegensatze  zu  abweichenden  Angaben  hervorzuheben  ist, 
sind  Bär  und  Wolf  im  Gebirge  noch  so  häufig,  dass  sie  nicht  blos 
Rehe  und  Hirsche,  sondern  auch  die  Heerden  und  selbst  die  Menschen 
gefährden;  ein  Luchs  wurde  1601  hinter  dem  Kynast  geschossen. 

In  ähnlicher  Weise  wie  die  Säugethiere,  und  mit  ausführ- 
lichster Darstellung  der  Anatomie,  Fortpflanzung  und  Lebensweise, 
werden  in  den  folgenden  Büchern  die  übrigen  Thierklassen  behandelt, 
und  zwar  im  dritten  die  Reptilien,  im  vierten  (aviarium)  die  Vögel, 
im  fünften  die  Fische,  zu  denen  auch  Krebse,  Wasserschnecken  und 
Flussmuscheln  gezählt  sind;  von  den  letzterenwerden  die  Perlen  im  Queis 
von  Mohnkorn-  bis  Erbsengrösse  gerühmt.  Das  sechste  und  letzte 
Buch  behandelt  die  schlesischen  Insecten,  mit  denen  die  Würmer 
vereinigt  sind:  Bienen,  Ameisen,  Seidenraupen  sind  ganz  besonders 
ausführlich  dargestellt. 

Während  das  grosse  Werk  über  die  Naturgeschichte  von  Schlesien 
sich  an  die  ganze  gelehrte  Welt  wendet  und  deshalb  lateinisch  geschrieben 
ist,  ist  die  von  Schwenckfeld  verfasste  Monographie  des  Warmbrunner 
Bades  für  das  grössere  Publikum  bestimmt  und  demgemäss  in  deutscher 
Sprache  geschrieben**).  Sie  erschien  1607  bei  Joh.  Rhambaw  zu 
Görlitz,  dessen  Physicus  Schwenckfeld  inzwischen  geworden  war,  unter 
dem  Titel:  Hirschbergischen  Warmen  Bades  in  Schlesien,  unter  dem 
Riesen  Gebürge  gelegen,  kurze  und  einfältige  Beschreibung,  was 
dessen  Natur,  Artey,  Eigenschaft,  Kraft  und  Wirkung:  und  Wie 
es  recht  und  nützlich  zu  gebrauchen,  was  vor  eine  Diät  darinnen 
zu  halten,  auch  wie  man  den  Zufällen  begegnen  und  abhelfen  möge. 
Neben  einem  allgemeinen  Bericht  von  mineralischen  Wässern  und 
Wildbädern  u.  s.  w.  Gestellet  und  verfasset  durch  Casparum  Schwenck- 
feldt  Phys.  reip.  Görlitz,  ordin.  80.  Gewöhnlich  beigebunden  ist  eine 
im  nämlichen  Jahre  von  Schwenckfeld  verfasste  Beschreibung  der 
Thermen  von  Teplitz  „Thermae  Teplicenses.  Von  des  Töplitzen warmen 
Bades  in  Böhmen,  nicht  weit  von  Graupen  gelegen,  Ursprung,  Gelegen- 
heit, Abtheilung,  Natur,  Eigenschaft  und  rechtem  Gebrauch"  8^,  34  S. 
Das  Büchlein  ist  der  Frau  Magdalena  Waldsteinin,  Gemahlin  des 
Christoph  Hans  von  Waldstein  auf  Arnau  gewidmet. 

Wie  schon  der  Titel  anzeigt,  giebt  diese  älteste  aller  schlesischen 
Badeschriften  vor  allem   diejenigen  praktischen  Nachrichten,  welche 


*)  Versprengte  Elche  sind  von  Zeit  zu  Zeit  bis  nach  Schlesien  gekommen ;  das  letzte 
ist  nach  Zeitungnachrichten  im  Herbst   1888  im  Trebnitzer  Kreise  geschossen  worden. 

**)  Mereklin  (Lindenius  renovatus  de  scriptis  medicis  Nürnberg  1686,  S.  163),  citirt 
auch  eine  lateinische  Ausgabe:  Descriptio  et  usus  Thermarum  Hirsbergensium  cui  accedit 
de  aquis  mineralibus  et  thermis  ferinis  instructio  generalis.  Gorliciae  bei  Bartolom.  Voigt, 
1607,     8  0. 


43 

den  Besuchern  des  Warmbrunner  Bades  in  Bezug  auf  dessen  Ein- 
richtung und  Benutzung,  auf  die  dabei  zu  beobachtende  Diät,  auf 
seine  Heilwirkung  in  den  verschiedensten  Krankheiten  u.  s.  w.  zu 
wissen  erforderlich  ist;  es  enthält  auch  „etliche  Gebete,  die  vor, 
während  und  nach  der  Badecur,  Morgens  und  Abends  zu  ge- 
brauchen." Der  erste  Theil  handelt  von  den  mineralischen  Wassern  im 
Allgemeinen,  der  zweite  von  dem  Hirschbergischen  warmen  Bade  ins- 
besondere; der  dritte  Theil  lehrt,  wie  sich  Badegäste  mit  bequemenen 
und  nützlichen  Ertzneyen  versehen,  auch  wie  man  den  Zufällen  köm- 
lich begegnen  und  abhelfen  könne.  Aber  an  die  praktischen  und 
medicinischen  Abtheilungen  schliesst  sich  als  vierter  Theil  ,,Von  den 
Kräutern  und  Mineralien,  welche  um  diesen  warmen  Brunnen  auf 
dem  Gebürge  fürnehmlich  zu  finden  sind."  Hier  ist  die  Flora  und 
Gaea  des  Gebirges  gegeben,  „dessen  höchster  und  fürnehmster  Berg 
der  Riesenberg  genennet  wird  weil  er  als  ein  hoher  Riese  mit 
seiner  Koppe  vor  den  andern  allen  herfürraget;"  sie  ist  noch  voll- 
ständiger als  im  Catalogus  stirpium  et  fossilium  und  giebt  Zeugniss 
von  dem  unermüdlichen  Forschertrieb  des  trefflichen  Mannes.  Die 
Pflanzen  und  Gesteine  sind  hier  ebenfalls  alphabetisch,  aber  nach 
ihren  deutschen  Benennungen  geordnet.  Charakteristisch  für  seinen 
unbefangenen  Beobachtungssinn  ist,  dass  Schwenckfeld  sich  zwar 
verpflichtet  fühlt,  über  den  ,, wilden  Berggeist  Rübezahl'',  der  in  allerlei 
Gestalten  auf  dem  Berge  sein  Spiel  treibe,  in  voller  Ausführlichkeit 
zu  berichten  und  die  Ansichten  der  Gelehrten  und  des  Volkes  über 
sein  Wesen  mit  aller  Gründlichkeit  aufzuzeichnen;  jedoch  fügt  er 
hinzu,  er  selbst  habe,  obwohl  er  vielmal  daroben  gewesen,  und  die 
Gebirge  hin  und  wieder  durchgangen,  auch  des  Nachts  daroben  ge- 
legen, aber  von  Rübezahl  nichts  spüren  noch  sehen  mögen.  Auch  er- 
klärt er  offen,  dass  von  den  wunderbaren  Schätzen  und  reichen 
Erzgängen,  die  angeblich  im  Gebirge  versteckt  sind,  und  nach  denen 
von  abergläubischen  Bergleuten  vielfach  gegraben  wurde,  niemals 
etwas  Besonderes  in  Wirklichkeit  gefunden  worden  sei. 

Es  ist  ein  günstiges  Zeugniss  für  das  wissenschaftliche  Interesse 
der  Schlesier  in  den  ersten  Decennien  des  17.  Jahrhunderts,  dass  eine 
so  gelehrte  Badeschrift  schon  nach  wenig  Jahren  vollständig  ver- 
griffen war,  und  deshalb  bereits  1Ö19,  zehn  Jahre  nach  Schwenckfelds 
Tode  eine  neue  revidirte  und  corrigirte  Auflage  von  Georg  Opitz, 
Mitwohner  und  Buchbinder  in  Hirschberg  herausgegeben  wurde.  In 
der  dritten  Auflage,  die  1708  mit  etwas  abgeändertem  Titel  (gründ- 
liche Beschreibung  des  Hirschberger  warmen  Bades  u.  s.  w.)  ohne 
Angabe  des  Druckortes  erschienen,  ist  die  Aufzählung  der  Flora  und  der 
Minerale  des  Riesengebirges  weggelassen :  offenbar  weil  das  Badepu- 
blikum von  Warmbrunn  bereits  im  vorigen  Jahrhundert  das  Interesse 


44 

an  diesen  naturhistorischen  Belehrungen  verloren  hatte  und  diesel- 
ben für  ebenso  überflüssig  hielt,  als  sie  heutzutage  dem  Verfasser  und 
dem  gewöhnlichen  Leserkreis  einer  Badeschrift  erscheinen  würden. 

Caspar  Schwenckfeld  ist  der  letzte  unter  den  humanistisch  ge- 
bildeten schlesischen  Aerzten,  welche  imVerlauf  des  XVI. Jahrhunderts 
mit  der  Medicin  gründliche  Kenntnisse  in  den  beschreibenden  Natur- 
wissenschaften verbanden:  er  bezeichnet  zugleich  den  Höhepunkt,  den 
die  Erforschung  der  Natur  und  ihrer  lebenden  und  leblosen  Er- 
zeugnisse auf  schlesischem  Boden  damals  erreichte:  im  17.  Jahr- 
hundert tritt  bald  auf  allen  Gebieten  geistigen  Lebens  ein  Rückgang 
ein,  der  erst  nach  der  preussischen  Besitzergreifung  allmählich 
wieder  durch  eine  aufsteigende  Bewegung  verdrängt  wurde.  Man 
hat  Schwenckfeld  den  schlesischen  Plinius  genannt,  und  in  der  That 
ist  seine  Naturgeschichte,  wenn  auch  auf  ein  kleines  Landgebiet 
beschränkt*],  doch  der  Historia  naturalis  des  römischen Encyclopädisten 
verwandt  in  der  Grossartigkeit  des  Unternehmens,  das  alle  drei 
Naturreiche  g^leichmässig  umfasst,  in  der  Vielseitigkeit  der  Ge- 
sichtspunkte, in  der  Fülle  der  gesammelten  und  verarbeiteten  Beob- 
achtimgen.  Aber  Plinius  war  doch  nur  ein  Compilator,  der  seine 
Naturgeschichte  aus  älteren  Büchern  ohne  Kritik  und  ohne  Sach- 
kenntniss  zusammenschrieb;  seine  culturgeschichliche  Bedeutung 
beruht  wesentlich  nur  darin,  dass  durch  ihn  die  Ergebnisse  der 
verloren  gegangenen  griechischen  und  römischen  Naturforschung  er- 
halten worden  sind.  Schwenckfeld  dagegen  war  selbst  ein  wirklicher 
Naturforscher,  der  seine  Beobachtungen  nicht  aus  Büchern,  sondern  aus 


*)  Prorector  Dr.  Schummel  bemerkt  in  einem  Vortrage,  den  er  am  27.  Sept.  l8ll  in 
der  schlesischen  Gesellschaft  ..über  die  frühere  Naturkunde  Schlesiens"  hielt,  und  der  in 
dem  Correspondenzblatt  der  schles.  Gesellschaft  2.  Jahrg.  2.  Heft,  Xo.  9  —  18,  181 1  abgedruckt 
ist:  ,, In  den  Abhandlungen  der  Böhmischen  Gesellschaft  der  Wissensehaften  1787  wird  eine  in 
der  Strahofer  Bibliothek  zu  Prag  aufbewahrtes  Manuscript  von  Schwenckfeld  „historia 
serpentum"  aufbewahrt,  das  von  ihm  selbst  geschrieben  ist.  Dieses  Manuscript  scheint 
eigentlich  der  Entwurf  zu  jenem,  naeh  welchem  Schwenckfeld  sein  Theriothropheum  und 
den  Catalogus  stirpium  et  fossilium  drucken  liess,  es  enthält  mehre  Anmerkungen  und 
Beobachtungen  als  das  gedruckte,  und  es  scheint  vielmehr,  dass  es  eine  allgemeine 
Naturgeschichte  werden  sollte,  da  er  in  der  gedruckten  nur  die  schlesischen  Natur- 
producte  angab."  Schummel  bemerkt  mit  Recht:  ,,Um  Schwenckfelds  ganzen  naturhistorischen 
"Werth  zu  schätzen,  müsse  man  nothwendig  dieses  ^Manuscript  zur  Hand  haben."  Ich  ver- 
danke die  Kenntniss  des  Schummeischen  Aufsatzes,  in  welchem  zuerst  das  Andenken  an 
Männer  wie  dato,  Laur.  Scholz,  Caspar  Schwenckfeld,  die  beiden  Volkmann  und  andere 
schlesische  Naturforscher  des  XV^I.  und  XVII.  Jahrhundert  wieder  erneut  worden  ist,  der 
gütigen  Mittheilung  des  Stadtbibliothekars  Prof.  Dr.  Markgraf,  der  mich  auch  sonst  bei 
diesen  Studien  bereitwilligst  unterstützt  hat.  Jöchers  Gelehrten-Lexicon  führt  von  Schwenck- 
feld noch  einen  Catalogus  Silesiorum  doctrina  illustrium  virorum  an,  der  mit  dem  Ver- 
zeichniss  der  gelehrten  Schlesier  in  der  geographischen  Einleitung  des  Catalogus  stirpium 
identisch  zu  seiu  scheint. 


45 

der  lebenden  Natur  schöpfte.  Seine  Schriften  sind  mit  Recht  von 
A.  W.  Henschel  als  ein  Nationalwerk  bezeichnet  worden;  die  vielen 
Schwächen  und  Lücken  derselben  erklären  sich  zur  Genüge  aus  dem  all- 
gemeinen Zustande  der  Naturwissenschaft  in  seiner  Zeit.  Dass  heut- 
zutage kein  Naturforscher  im  Stande  wäre,  gleichzeitig  die  Thiere, 
Pflanzen  und  Gesteine  eines  Landes  zu  bearbeiten,  wie  Schwenckfeld 
es  gethan,  mag  an  den  ausserordentlich  gesteigerten  Ansprüchen 
liegen,  die  wir  heut  an  dergleichen  Werke  stellen,  und  die  eine 
Specialisirung  auf  ein  einziges  Gebiet  zur  Nothwendigkeit  machen. 
Doch  wenn  wir  uns  auch  nur  allein  auf  die  Flora  von  Schlesien 
beschränken,  so  vergingen  176  Jahre,  ehe  Schwenckfeld  in  dem 
Grafen  Heinrich  Gottfried  von  Mattuschka,  dem  Verfasser  der  Flora 
Silesiaca,  einen  Nachfolger  fand,  der  die  Zahl  der  schlesischen 
Pflanzen  von  898  auf  1221  brachte*). 

Die  Leistungen  Schwenckfelds  sind  um  so  höher  zu  schätzen, 
als  er  durchaus  keine  Vorgänger  hatte,  deren  veröffentlichte  Arbeiten 
ihm  hätten  zu  Gute  kommen  können;  wir  können  von  ihm  sagen: 
Schwenckfeld  hatte  Schlesien  in  naturwissenschaftlicher  Hinsicht  als 
terra  incognita  vorgefunden,  und  er  hat  es  hinterlassen  als  ein  in 
seiner  gesammten  Natur,  in  seiner  Thier-  und  Pflanzenwelt,  wie  in 
seinen  mineralischen  und  metallischen  Schätzen  so  sorgfältig  durch- 
forschtes Land,  wie  es  kein  zweites  zu  seiner  Zeit  gegeben  hat. 


*)  Die  Phytologia  magna,  das  zehnbändige  Prachtwerk  der  Liegnitzer  Aerzte,  Isaak 
Volkmann  (1634 — 1706)  und  seines  Sohnes  Dr.  G.  Anton  Volkmann  (1664 — 1721),  das  nach 
dem  Bericht  in  Christ.  Rungii  Miscellanea  literaria  II,  S.  70,  Brieg  171 3,  auf  selbstständigen 
Beobachtungen  und  Sammlungen  beruht  und  kostbare  Originalabbildangen  enthält,  ist  niemals 
publicirt  worden  und  wird  in  der  königl.  Bibliothek  zu  Dresden  aufbewahrt;  Vergl.  auch 
Goeppert,  1.  c.  S.   199 


46 


Johann  Jessenins  von  Jessen  (aneh  Jessensky). 


J< 


lohann  Jessenius  von  Jessen  entstammt  einer  altadligen  Familie 
aus  Ungarn ,  welche  nächst  ihrem  Stammhaus  Nagh  oder  Gross 
Jessen  über  einen  riesigen,  in  der  Nähe  von  Ofen  gelegenen  Güter- 
complex  verfügte.  Als  ein  grosser  Theil  ihres  Besitzthums  15 14 
nach  der  Einnahme  der  Hauptstadt  Budapest  in  die  Hände  der  Türken 
fiel,  begaben  sich  Lorenz  und  Balthasar,  Söhne  des  Stephan  Jessenski, 
Richters  und  Hauptmanns  der  Grafschaft  Thuroch  in  Ungarn,  nach 
Schlesien.  Balthasar  war  der  Vater  unseres  grossen  Arztes  und 
Märtyrers  der  Politik,  Johann  Jessenius  von  Jessen.  Dieser,  geboren 
den  27.  Dezember  1566  zu  Breslau,  bezog  nach  Absolvirung  des 
Gymnasiums  zu  St.  Elisabeth  im  Jahre  1586  die  Universität  Leipzig,' 
um  sich  dem  medicinischen  Studium  zu  widmen.  Von  da  wandte  er 
sich  1588  nach  Italien,  dem  gelobten  Lande  der  Wissenschaften, 
wie  es  damals  üblich  war.  Nachdem  er  in  Padua  auf  Grund  seiner 
öffentlichen  Discussion  über  die  aristotelische  Philosophie  die  Doctor- 
würde  erlangt,  ging  er  nach  Venedig,  und  hier  war  es,  wo  er  zum 
ersten  Male  in  die  Oeffentlichkeit  trat,  indem  er  seine  Abhandlung: 
„de  divina  humanaque  philosophia"  dem  römischen  Kaiser  Rudolph  IL 
dedicirte,  eine  unglaubliche  Kühnheit,  wie  sie  einem  Studenten  in 
solch'  jugendlichem  Alter  sicherlich  nicht  geziemte.  Jessen  geht  darin 
von  der  Ansicht  aus,  dass  diejenigen  Staaten  glücklich  zu  nennen 
wären,  deren  König  ein  Philosoph  sei  und  concentrirt  schliesslich 
seine  Ausführungen  in  einer  übertriebenen  Lobeserhebung  seines 
kaiserlichen  Herren. 

Was  er  in  dieser  Erstlingsarbeit  in  gedrängter  Kürze  auseinander- 
gesetzt, führte  er  in  weit  grösserem  Umfange  in  dem  1593  ^^ 
Wittenberg  herausgegebenen  ,,Zoroaster"  aus.  Aus  Italien  kehrte  er 
zunächst  nach  Breslau  zurück  und  prakticirte  daselbst  einige  Zeit 
lang.  1595  trat  er  als  Docent  in  der  medicinischen  Facultät  der 
Universität  Wittenberg  aut.  Die  umfassende  Gelehrsamkeit  Jessens, 
welche  zahlreiche  Zuhörer  zu  seinen  Vorlesungen  lockte,  fand  sehr  bald 


entsprechende  Würdigung  durch  seine  Ernennnng  zum  ordentUchen 
Professor  der  Medicin  an  dieser  Universität  und  zum  chursächsischen 
Leibarzte.  Jessen  war  insbesondere  als  anatomischer  Lehrer  von 
grosser  Bedeutung.  Trotz  aller  Anfeindungen  und  niederen  Ver- 
dächtigungen, die  er  wegen  seiner  Beschäftigung  mit  praktischer 
Anatomie  von  theologischer  Seite  erleiden  musste,  hielt  er  unent- 
wegt unter  grossem  Beifall  seiner  Schüler  Sectionen  ab,  und  als  ihn 
1600  politische  Angelegenheiten  nach  Böhmen  resp.  Prag  riefen, 
hielt  er  auch  hier  vom  8 — 12  Juni  des  nämlichen  Jahres  im  Beisein 
von  mehr  als  tausend  Personen  aller  gebildeten  Stände  an  der  Hand 
von  Sectionen  Vorträge  über  die  anatomische  Disciplin.  Noch  in 
demselben  Jahre  erschien  von  ihm  zu  Wittenberg  eine  kurz  gefasste 
literarische  Geschichte  der  Medicin  und  zugleich  der  medicinischen 
Facultät  der  Universität  Wittenberg,  von  ihrer  Gründung  bis  zu 
diesem  Zeitraum  und  einige  Monate  später  erfolgte  die  Veröffent- 
lichung der  in  Prag  abgehaltenen  Demonstrationen,  ferner  des 
Tractatus  de  ossibus,  welchen  er  Peter  Ursin  de  Rosis,  einem  der 
vornehmsten  böhmischen  Barone,  widmete,  und  seiner  Institutiones 
chirurgicae,  wiederum  mit  einer  Dedication  an  Rudolph  IL  Ende 
October  1601  eilte  Jessen  auf  Wunsch  seines  schwerkranken  ver- 
trauten Freundes  Tycho  de  Brahe  zum  zweiten  Male  nach  Prag, 
fand  diesen  aber  nicht  mehr  am  Leben.  Die  glänzende  Leichenrede, 
die  er  diesem  hielt,  in  der  er  sowohl  dessen  Tugenden  wie  Fehler 
mit  bewunderungswürdiger  Unparteilichkeit  entwickelte,  hat  in  Prag 
unstreitig  die  Zahl  seiner  Gönner,  Freunde  und  Verehrer,  die  er  sich 
bereits  durch  seine  früheren  oratorischen  und  anatomischen  Leistungen 
erworben,  noch  um  ein  Beträchtliches  vermehrt.  Mah  drang  in  ihn, 
für  immer  in  Prag  seine  Heimstätte  aufzuschlagen,  und  Jessen  gab 
dieser  Aufforderung  ein  um  so  willigeres  Gehör,  als  er  in  Wittenberg 
von  Missgönnern  und  Widersachern  umgeben  war,  die  ihm  sein 
Leben  verbitterten.  Um  aber  ohne  Schwierigkeiten  seine  Absicht 
zu  erreichen,  brachte  er  es  durch  seine  Gönner  bei  Hofe  dahin,  dass 
Kaiser  Rudolph  für  ihn  an  den  Kurfürsten  von  Sachsen  schrieb, 
der  ihn  auch  auf  sein  Gesuch  den  24.  August  1602  seiner  Aemter 
als  chursächsischer  Leibarzt  und  Professor,  die  er  neun  Jahre  hindurch 
inne  gehabt,  enthob.  Am  Hofe  Kaiser  Rudolphs  prakticirte  er  sieben 
Jahre,  und  als  dieser  starb,  trat  er  in  nämliche  Beziehung  zu  seinem 
Nachfolger  Kaiser  Matthias,  dessen  besondere  Gunst  ihm  dadurch 
zu  Theil  wurde,  dass  er  ihn  in  einer  Geschichte  seiner  Krönung  und 
in  einer  damit  verbundenen  kurzen  Chronik  der  Könige  von  Ungarn 
schriftstellerisch  verherrlichte.  Nachdem  er  161  7  Rector  und  Kanzler 
der  Universität  Prag  geworden,  Hess  er  es  sich  sehr  angelegen  sein, 
die  Erziehung  in   den  Schulen   auf  einen    besseren  Fuss    zu  setzen. 


48 

Er  erliess  daher  ein  dahin  zielendes  Rescript  an  alle  Rectoren  der 
Schulen  in  Böhmen  und  Mähren  und  fügte  ein  Gebet  in  böhmischer 
Sprache  hinzu,  welches  auf  die  damaligen  Zustände  in  Böhmen 
gerichtet  war,  und  überall  zu  Anfang  der  Lehrstunden  gebetet 
werden  sollte. 

Jessen  hatte  sich  damit  gewissermassen  einen  Ueb ergriff"  erlaubt, 
der  sich  bitter  rächen  sollte.  Das  Geschick  begann  seine  verderbe 
liehen  Kreise  um  diesen  wissenschaftlich  hoch  bedeutenden,  aber 
politisch  unvorsichtigen  Gelehrten  zu  ziehen.-  Die  Vorgeschichte 
des  30jährigen  Krieges,  seine  unmittelbare  Veranlassung,  ausgehend 
von  den  böhmischen  Unruhen  des  Jahres  161 8  ist  mit  der  Person 
Jessenskys  auf  das  innigste  verknüpft,  dessen  Streben  aus  Vaterlands- 
liebe und  Religionseifer,  vielleicht  aber  auch  aus  Ehrgeiz  sich 
Grösserem  zuwandte,  als  ihm  geziemte,  der  um  so  tiefer  fallen 
musste,  je  höher  er  auf  der  Staffel  des  Unerreichbaren  emporstieg.  Es 
erscheint  allerdings  nicht  wunderbar,  dass  eine  hervorragende  geistige 
Grösse  wie  Jessen  an  den  inneren  Unruhen,  wie  sie  damals  ganz 
Böhmen  mächtig  aufwühlten,  einen  so  lebhaften  Antheil  nehmen 
konnte,  dass  er  sich  mehrfach  mit  Rücksicht  auf  seine  nachdrück- 
liche Beredsamkeit  und  Geschicklichkeit  zur  Ausführung  von  Ge- 
schäften gebrauchen  liess,  die,  da  sie  gegen  das  regierende 
Staatsoberhaupt  gerichtet  waren,  ihn  in  mannigfache  Schwierig- 
keiten verwickeln  mussten. 

Als    nämlich    Ferdinand    II.,     Erzherzog    von    Oesterreich,    der 
den  Böhmen  von  Kaiser   Matthias    als  König  präsentirt    und    auch 
unter  der  Bedingung  acceptirt  worden  war,  dass  er  ihnen  die  bisher 
innegehabten  Privilegien,  insbesondere  den  Majestätsbrief  bestätigte, 
den    Bekennern    der    evangelischen  Religion    in   Böhmen    vielfache 
Hindernisse  in  den  Weg  legte,  wandten  sich  diese,  Beschwerde  führend, 
an  den  Kaiser,   erhielten  jedoch  abschläglichen  Bescheid.     Dies  hatte 
zur  Folge,  dass  eine  aufrührerische  Masse,   über  solche  Missachtung 
auf  das  Höchste  aufgebracht,  wie  bekannt,    das  kaiserliche  Schloss 
zu  Prag   überfiel   und    die   kaiserlichen  Räthe    zum  Fenster    hinaus- 
warf, welche  allerdings  durch  einen  glücklichen  Zufall  keinen  Schaden 
nahmen.     Ausserdem  betrauten  die  böhmischen  Barone  und  Stände 
Joh.  Jessensky   mit  einer  Gesandschaft    an    die    ungarischen  Stände 
der  reformirten  Religion,    in  der  Absicht,    mit    den  Ungarn    behufs 
gemeinsamen  Vorgehens  in  ihren  Religionsangelegenheiten  ein  Bünd- 
niss    abzuschliessen.      Mit    Instruction    und     Beglaubigungschreiben 
versehen,  langte  derselbe  den  26.  Juni   1618  zu  Pressburg  an.     Man 
empfing    ihn  hier  seitens    der  Vertretung    der  Staatsregierung  miss- 
trauisch  als  einen  Verschwörer,    als   einen  Abtrünnigen.     Man    be- 
wachte  auf's  Strengste   alle   seine  Schritte,    sein  Thun    und  Lassen, 


49 

um  vielleicht  das  nöthige  Material  für  eine  gegen  ihn  demnächst 
zu  erhebende  Klage  zu  sammeln,  wodurch  man  seiner  leichten 
Kaufs  hätte  ledig  werden  können.  Und  in  der  That  gelang  es  dem 
Paladin  von  Ungarn,  wenn  auch  durch  elende  Ueberlistung,  sich 
der  Person  Jessensky's  zu  vergewissern,  von  dem  er  mit  Bestimmtheit 
annehmen  zu  müssen  glaubte,  dass  er  gegen  den  Kaiser  selbst  agitire, 
ein  um  so  unerhörteres  Vorgehen,  als  der  Paladin  durchaus  eigen- 
mächtig, unter  Vorzeigung  eines  gefälschten  kaiserlichen  Befehls, 
seine  Gefangennahme   in's  Werk   setzte. 

Von  Pressburg  brachte  man  ihn  unter  starker  Bedeckung  nach 
Wien  in  noch  strengere  Haft.  In  die  schmutzigsten,  widerlichsten 
Räume  eingekerkert,  in  denen  bisher  nur  Verbrecher  schlimmster 
Sorte  zu  hausen  verurtheilt  waren,  erlebte  unser  Jessen  qualvolle 
«Tage,  ungewiss,  was  er  eigentlich  verschuldet  und  wie  sein  Schicksal 
sich  weiterhin  gestalten  würde. 

Nach  2  2  Wochen  öffneten  sich  endlich  die  Thüren  seines  Ge- 
fängnisses. Jessen  verliess  dasselbe  wohl  mit  gebrochenem  Körper, 
aber  sein  Geist  erschien  um  vieles  gestählter  und  kampfesmuthiger. 
Bald  nach  seiner  Ankunft  in  Prag,  im  März  des  Jahres  i6ig,  er- 
stattete er  einen  ausführlichen,  in  lateinischer  Sprache  abgefassten 
Bericht  über  seine  verunglückte  Gesandtschaft.  Nun  zeigte  er  sich 
wieder  als  Rector  und  Kanzler  der  Universität  thätig,  indem  er 
zunächst  den  in  Prag  versammelten  Ständen  des  Königreichs  Böhmen, 
Markgrafenthum  Mähren,  Herzogthum  Schlesien  und  der  Markgraf- 
schaft Lausitz,  im  Namen  der  übrigen  Professoren  einen  Plan 
zur  Verbesserung  der  Prager  Academie  vorlegte',  welcher  eben- 
falls zu  Prag  in  lateinischer,  böhmischer  und  deutscher  Ausgabe 
erschien.  Indessen  traten  schon  im  nächsten  Jahre  Ereignisse  ein, 
die  Jessen  mehr  und  mehr  seinem  eigentlichen  Berufe  entzogen. 
Nach  dem  Tode  des  Kaisers  Matthias  hatte  Ferdinand  IL,  der  bis- 
herige König  von  Böhmen ,  den  römischen^  Kaiserthron  bestiegen, 
und  dies  gab  den  Böhmen  erwünschte  Veranlassung,  von  Neuem 
ihre  Unzufriedenheit  mit  den  obwaltenden  Verhältnissen  zu  bethätigen. 
Sie  schickten  deshalb  eine  Gesandtschaft  nach  Frankfurt,  wo  die 
Kaiserwahl  stattfinden  sollte,  um  anzuzeigen,  dass  sie  Ferdinand 
nicht  als  König  von  Böhm.en  betrachten,  und  dass  ihm  demnach 
nicht  das  Recht  zustände,  als  solcher  an  der  Wahl  theilzunehmen. 
Ausserdem  erhoben  sie  Friedrich  V.,  Kurfürsten  von  der  Pfalz,  zu 
ihrem  Könige  und  Hessen  sogar  Münzen  drucken  mit  seinem  Bildniss 
und  der  Umschrift:  Regni  nicht  regis  Bohemiae.  Ferdinand  sah 
diesem  Treiben  nicht  müssig  zu.  Tief  erbittert  über  die  Wider- 
setzlichkeit der  Böhmen,  die,  wie  er  glaubte,  insbesondere  als  ein 
Product  der  wunderbaren  Redekunst  Jessens  aufzufassen  wäre,  rüstete 

4 


50 

er  ein  Heer  von  50  000  Mann,  nach  damaligen  Begriffen  eine  unge- 
heure Streitkraft,  um  auf  blutigem  "Wege  von  den  Böhmen  Gehorsam 
zu  ertrotzen.     Am  8.  November  1621,  am  weissen  Berge  bei  Prag, 
massen  beide  Parteien    ihre  Kräfte.     Die   Schlacht   endete    mit   der 
vollständigen  Niederlage   der  Böhmen,    und  Friedrich  sah    sich    ge- 
zwungen, sein  Heil  in  der  Flucht  zu  suchen.     Ferdinand  hielt  jetzt  die 
Zeit  für  gekommen,  mit  den  Anstiftern  und  Führern  dieser  Bewegung, 
die  so  lange  schon  gegen  ihn   agitirt  hatten,    endgiltig  abzurechnen. 
Damit  war  Jessens    Schicksal    endlich    besiegelt.     Er    zweifelte 
auch  nach  seiner  Gefangennahme  keinen  Augenblick  mehr,  welchen 
Ausgang  der  Process  für  ihn  nehmen  müsste,  erinnerte  er  sich  doch 
einer  Episode,    die  sich  bald  nach  seiner  Entlassung    aus  dem  Ge- 
fangniss  zu  Wien  zugetragen.     Als^  er  nämlich  dessen  Schwelle  ver- 
lassen, hatte  er  an  die  Mauern  die  Worte  I.  M.  M.  M.  M.  geschrieben. 
Jeder,  der  sie    sah,    bemühte  sich,    eine  Deutung    dafür    zu    finden. 
Keinem,  ausser  dem  Erzherzog  Ferdinand  war  dies  gelungen.     Dieser 
glaubte,  in  ihnen  lesen  zu  müssen:  Imperator  Matthias  Mense  Martio 
Morietur  —  der  Kaiser  Matthias   wird   im  Monat  ISIärz   sterben,  — 
schrieb  aber  sofort  darunter:  Jesseni  mentiris,  mala  morte  morieris; 
Jessenius,  Du  lügst,  Du  wirst  eines  bösen  Todes  sterben.     In  Folge 
dessen  vermuthete  Jessen,  zumal  das  Erstere   zur  angegebenen  Zeit 
eingetreten,   dass  Ferdinand  nicht    zögern  würde,   auch   das  letztere 
zur  Wahrheit  zu  machen.     Jessen  hatte  sich   darin   nicht   getäuscht. 
Er  sowohl,  wie  einige  zwanzig  vornehme  Böhmen  wurden  zum  Tode 
verurtheilt,  und  zwar  sollte  Jessen,  bevor  man  ihn  enthauptete,  seiner 
Zunge  verlustig  gehen,  weil  es  vor  Allem   seine  Beredsamkeit  war, 
die  dem  Kaiser  geschadet.     Am  21.  Juni  162 1,    nachdem   noch   die 
Jesuiten,  allerdings   vergeblich,   versucht    hatten,    ihn    zu    bekehren, 
wurde    er    auf  den  Richtplatz    geführt.     Als   sich   die  Henker    ihm 
zuwandten,  bemühte    er  sich,    zum  letzten  Male    zu    sprechen.     Bei 
dem  grossen  Lärm  waren  nur   die  Worte   verständlich:  „Vergebens 
sucht  Ferdinand  seine  tyrannische  Regierung  zu  befestigen,  Friedrich 
wird  doch  siegen." 

Er  nahm  also  diese  Hoffnung  mit  in  die  bessere  Welt  hinüber. 
Er  bewahrte  bis  zum  letzten  Moment  ritterliche  Standhaftigkeit,  wie 
er  sie  im  Leben  oft  genug  gezeigt.  Sein  Kopf  wurde  aufgespiesst, 
sein  Rumpf  geviertheilt  und  die  einzelnen  Gliedmassen  auf  Pfähle 
gesteckt.  Nach  der  Schlacht  bei  Leipzig  soll  der  Graf  von  Thurn 
mit  Erlaubniss  des  Kurfürsten  von  Sachsen  seinen  Schädel  abge- 
nommen und  in  feierlicher  Procession,  von  einer  zahlreichen  Menge 
Adelicher,  Geistlicher  und  gewöhnlichen  Volkes  geleitet,  in  die 
Kirche  getragen  haben,  woselbst  eine  Gedächtnisspredigt  abgehalten 
wurde.  Nach   demselben  Bericht  wurde  er  an  einer  ganz  verborgenen 


Stelle  beerdigt,  und  jedem  einzelnen  der  Betheiligten  das  strengste 
Stillschweigen  anbefohlen,  um  die  Feinde  der  Möglichkeit  zu  be- 
rauben, ihn  zurückzuholen. 

Sein  trauriges  Geschick  wurde  von  der  gesammten  gebildeten 
"Welt  auf's  Tiefste  beklagt,  selbst  viele  seiner  Gegner  empfanden 
tiefschmerzlich  diese  unmenschliche  Grausamkeit,  ja  ein  sehr  be- 
rühmter katholischer  Bischof  äusserte  öffentlich,  dass  er  sein  reines 
Papier  mit  der  Beschreibung  einer  so  schrecklichen  Fleischerei 
nicht  beflecken  wolle,  die  er  auf's  höchste  verabscheue,  und  vor 
der  nicht  nur  ein  Christ,  sondern  jeder  noch  so  wilde  Barbar 
zurückschrecken   musste. 

So  musste  ein  Mann  enden,  der  ,  hätte  er  sich  mit  Geringerem 
begnügt,  einer  glänzenden  Zukunft  entgegen  gegangen   wäre. 


Von   seinen    zah  Ireichen  Schriften    führen    wir    hier    die    merk- 
würdigsten an.     Es  sind  dies: 

Eine  Abhandlung  über  die   Gebeine. 

Ein  Urtheil  über  das  Aderlassen. 

Institutiones    chirurgicae,    die     öfters     ausgegeben     und    auch    in's 
Deutsche   übersetzt  worden  sind. 

Die  Geschichte  seiner  anatomischen  Demonstrationen  zu  Prag. 

Eine    historische    Nachricht   von    einem  Bauer    in  Böhmen,    der    ein 
Messer  verschluckt  hatte. 

Hilfsmittel  wider   die  Pest. 

Eine  allgemeine  Betrachtung  des   menschlichen  Körpers. 

Eine  Abhandlung  von   der  Seele   und    dem   Körper    des  Menschen, 
nach  peripatetischen    Grundsätzen. 

Genealogische    Ausführung     des     Stammbaums     Kaiser    Ferdinand 

des  zweiten. 

I 

Avcpoaccc  Tzzpn:azyfi%ri  de  anima  et  corpore  humano.  —  Progenies Augusta 

Ferdinand!  I, 

Eine  Lobrede  auf  den  Kaiser  Matthias,  als   er   die  Regierung   von 
Böhmen  antrat. 

Eine  Rede  vom  Leben  und  Tode  des  Tycho    de  Brahe. 

Ausserdem    gab    er    verschiedene    Schriften    anderer    gelehrter 
Männer  heraus  und  zwar: 


52 

Campolongi  Semiotice;  Vesalii  Examen  observationum  anatomicarum 
Fallopii;  Durastantis  tractatum  de  aceto  scillino  et  aloe.  Nie. 
Curtii  Hb  er  de  medicamentis. 


Quellen. 
Henelius.  Mart.  Hanckii,  Silesia  erudita.  Lexikon  Buddei,  Lexikon 
Hofmanni,  Lexikon  Richebourcq,  Lexikon  Joechlers. 

Archive  der  Stadt  Breslau.     Kundmann,  Silesii  in  nummis. 


Daniel  Sennert. 


JUaniel  Sennert  wurde  am  25.  November  1572  zu  Breslau  ge- 
boren, als  Sohn  des  Schuhmachers  Nicolaus  Sennert,  eines  ebenso 
fleissigen,  als  geachteten  Bürgers.  In  seiner  Vaterstadt  empfing  er 
die  erste  Erziehung.  Nachdem  sein  greiser  Vater  im  Jahre  1585 
gestorben,  blieb  die  Erziehung  des  erst  13jährigen  Daniel  Sennert 
nunmehr  gänzlich  in  den  Händen  seiner  Mutter. 

Selten  hat  eine  Frau  aus  solchen  Ständen  mit  gleich  grossem 
Verstände  und  gleich  grosser  Vorsorge  für  das  Wohlergehen  ihres 
Kindes  Sorge  getragen,  als  es  hier  der  Fall  war.  Schon  längst  der 
Ueberzeugung  lebend,  dass  ihr  Sohn  mit  besonderer  Vorliebe 
wissenschaftliche  Studien  betreibe,  und  dass  ihn  hierin  Scharfsinn 
und  Talent  wirksam  unterstützten,  hielt  sie  ihn  zu  fieissigem  Schul- 
besuche an  und  liess  ihn  ausserdem  noch  in  den  verschiedensten 
wissenschaftlichen  Zweigen  insbesondere  unterrichten.  Der  Erfolg 
krönte  das  Werk;  die  Fortschritte,  mit  denen  er  alle  seine  Mit- 
schüler überflügelte,  erregten  sehr  bald  Aufsehen  und  Bewunderung 
unter  seinen  Lehrern  und  Bekannten,  und  man  rieth  ihm  allge- 
mein, sich  auf  höheren  Schulen  weiter  fortzubilden. 

Sennert  kam  der  Rath  nur  allzu  gelegen;  am  6,  Juni  1593,  also 
im  21.  Lebensjahre,  wurde  er  in  der  philosophischen  Facultät  der 
Universität  Wittenberg  immatriculirt.  Seine  Absicht  ging  nämlich 
dahin,  sich  mit  philologischen  Studien  zu  beschäftigen,  um  später 
in  seiner  Heimatstadt  als  Lehrer  in  Schulen  thätig  sein  zu  können. 
Bescheidenen  Sinnes  widerstrebte  er  dem  Gedanken  an  höhere 
Würden  und  Ehrenstellungen. 

Mit  welchem  Eifer  und  Streben  er  seinem  Ziele  näher  zu 
kommen  suchte,  beweist  der  Umstand,  dass  er  im  April  1598  unter 
dem  Decanat  des  Professors  der  hebräischen  Sprache  M.  Laurentius 
Fabricius  auf  Grund  seiner  vorzüglichen  Leistungen  als  vierter  unter 
58  Bewerbern  den  Magistergrad  erlangte.  Von  regstem  Forschungs- 
geiste und  Wissensdrang  beseelt,   versuchte  sich  Sennert   nun  auch 


54 

auf  andern  Gebieten.  Mit  dem  Studium  der  Philosophie  verband 
er  das  ihm  sehr  sympathische  der  Medicin. 

Da  die  medicinische  Facultät  Wittenbergs  seinen  Ansprüchen 
wenig  genügte,  so  vertauschte  er  diese  Universitätsstadt  mit  Leipzig, 
Jena  und  Frankfurt  a.  O.,  die  sämmtlich  an  medicinischen  Capacitäten 
reich  waren,  und  verliess  sie  nach  dreijährigem  Aufenthalte  im 
Jahre  1601  mit  einem  Schatz  von  Lehren  und  Erfahrungen  ausge- 
stattet, um  nunmehr  von  seinem  reichlichen  Wissen  praktischen 
Nutzen  zu  ziehen. 

Zu  diesem  Zwecke  wandte  er  sich  nach  Berlin,  wo  damals 
schon  eine  stattliche  Anzahl  äusserst  tüchtiger  praktischer  Aerzte 
ihres  Berufes  walteten;  es  gelang  ihm  auch,  in  ihren  Wirkungskreis 
gezogen  zu  werden,  insbesondere  trat  er  in  näheren  Verkehr  mit 
dem  berühmten  Joh.  Georg  Magnus,  und  dieser  Hess  es  sich  in 
hohem  Grade  angelegen  sein,  den  jungen  Sennert  gewissermassen 
in  die  Praxis  einzuführen,  in  der  festen  Ueberzeugung,  dass  in  ihm 
ein  vielversprechendes  Talent  schlummere,  das  nur  der  Anregung 
bedurfte,  um  sich  mächtig  zu  entfalten  und  zu  glänzen.  Sennert 
selbst,  dessen  Tüchtigkeit  sowohl,  wie  sein  liebenswürdiges  Be- 
nehmen ihm  zahlreiche  Gönner  unter  seinen  Collegen  verschaffte, 
fand  in  der  hilfreichen  segenspendenden  ärztlichen  Thätigkeit  Ver- 
gnügen. Das  Glück  begünstigte  sein  Streben;  die  schwierigsten 
Kuren  waren  von  Erfolg  begleitet,  überall,  wohin  er  sich  wandte, 
war  er  gern  gesehen  und  geachtet.  Alles  *  dies  Hess  ihn  zu  dem 
Entschlüsse  gelangen,  sich  ganz  und  gar  der  praktischen  Ausübung 
der  Medicin  zu  widmen.  Bevor  er  dazu  überging,  war  es  noth- 
wendig,  seine  Stellung  durch  Erwerbung  des  Doctorgrades  der 
Welt  gegenüber  äusserlich  näher  zu  kennzeichnen.  Dies  sollte  in 
Basel  geschehen.  Während  er  aber  mit  den  Vorbereitungen  be- 
schäftigt war,  wurde  er  von  Wittenberg  aus  benachrichtigt,  dass 
mehrere  seiner  Freunde  daselbst  sich  einer  gleichen  Prüfung  unter- 
ziehen wollten,  und  dass  er  ihnen  keine  grössere  Freude  bereiten 
könnte,  als  wenn  er  mit  ihnen  zugleich  disputiren  wollte.  Im 
Zweifel,  was  er  thun  sollte,  wandte  er  sich,  um  Rath  fragend,  an 
seinen  Freund  Magnus. 

Letzterer  schlug  ihm  vor,  wiederum  Wittenberg  aufzusuchen, 
mit  dem  Bemerken:  „Wer  weiss,  wozu  es  gut  sein  möchte",  und 
Sennert  gehorchte.  Am  10,  September  1601  wurde  ihm  die  höchste 
akademische  Würde,  der  Doctorgrad,  zuerkannt. 

Nachdem  so  sein  Studiengang  einen  Abschluss  gefunden,  trat 
er  der  Idee  näher,  in  seiner  Heimat  praktische  Medicin  zu  treiben. 
Ein  glückliches  Ereigniss  vereitelte  seine  Absicht.  Denn  als  der 
Professor    der    Medicin    an    der    Universität    Wittenberg,   Johannes 


öo 


Jessenins  von  Jessen,  späterer  von  Jessensky,  der  bereits  Gegenstand 
unserer  Betrachtung  gewesen,  einem  Rufe  nach  Prag  Folge  leistend, 
1602  seinen  Lehrstuhl  verliess,  erging  an  Sennert  die  wohlgemeinte 
Aufforderung,  dieser  Professur  wegen  bei  der  Behörde  vorstellig  zu 
werden;  wusste  man  doch  allgemein,  dass  ein  würdigerer  Vertreter 
wie  Sennert,  welchem  sein  Wissen,  seine  Tüchtigkeit  und  Sittsamkeit 
als  die  besten  Empfehlungen  zur  Seite  standen,  sich  kaum  würde 
finden  lassen.     Sennert  zögerte  nicht,  seine  Meldung  einzureichen. 

Das  medicinische  Collegium,  einstimmig  im  Lobe  dieses  hervor- 
ragenden Mannes,  erklärte  sich  bereitwilligst  mit  dessen  Wahl  ein- 
verstanden, und  nach  der  durch  den  Kurfürsten  von  Sachsen, 
Friedrich,  erfolgten  Bestätigung  wurde  ihm  am  5.  September  1602 
die  Berufungsurkunde  übermittelt.  In  den  35  Jahren,  während  welcher 
er  an  der  Universität  Wittenberg  lehrte  —  die  Ferien  verbrachte 
er  gewöhnlich  bei  seinen  Kindern  in  Breslau  —  wurde  sein  Name 
weltberühmt.  Der  Aufschwung  der  Universität  in  der  medicinischen 
Wissenschaft  und  den  ihr  verwandten  Gebieten  war  vornehmlich 
sein  Verdienst,  indem  er  sowohl  durch  vorzügliche  CoUegien  und 
praktische  Curse,  als  durch  zahllose  epochemachende  wissenschaft- 
liche Arbeiten  auf  seine  Zeit  belehrend  und  aufklärend  einzuwirken 
suchte. 

Der  Ruf  seiner  immensen  Bedeutung  in  der  praktischen  Medicin 
durchdrang  die  fernsten  Weltgegenden;  seine  Patienten  rekrutirten 
sich  aus  Repräsentanten  der  verschiedensten  Nationalitäten  und  der 
höchsten  Stände.  Der  Kurfürst  von  Sachsen,  der  ihn  öfters  con- 
sultirte,  ehrte  ihn  durch  Ernennung  zu  seinem  Leibarzt.  Was  ihm 
aber  ganz  besondere  Achtung  eintrug,  das  waren  seine  rein  mensch- 
lichen Tugenden,  seine  Gottesfurcht  und  Uneigennützigkeit ,  auf 
denen  all  sein  Thun  basirte.  Jedem,  der  seine  Hilfe  begehrte,  zeigte 
er  sich  willfährig,  ohne  Rücksicht  auf  Stand  und  Reichthum,  nie- 
mals für  sich  Belohnung  fordernd.  In  den  schweren  Zeiten  der 
Pest,  welche  während  der  Anwesenheit  Sennerts  sieben  Mal  Witten- 
berg überfiel,  war  dieser  das  Centrum  aller  auf  Wohlthätigkeit  ge- 
richteten Bestrebungen;  mit  unermüdlicher  Ausdauer  besuchte  er 
Tag  und  Nacht  seine  Patienten  und  brachte  den  Armen  aus  eigenen 
Mitteln  Arzneien  und  Lebensmittel,  bis  er  schliesslich  selbst,  den 
21.  Juli  1637,  im  65.  Lebensjahre,  als  die  Krankheit  wiederum  die 
Stadt  heimsuchte,  ihr  zum  Opfer  fiel. 

Ihm  wurden  aber  auch  Ehren  zu  Theil,  wie  sie  vielleicht  nur 
sehr  Wenige  aufzuweisen  vermochten;  denn  die  Universität  Witten- 
berg wählte  ihn  sechs  Mal  zu  ihrem  Rector  magnificus,  ganz  ab- 
gesehen von  seiner  noch  viel  öftern  Berufung  zum  Dekan  der 
medicinischen  Facultät 


56 

Sennert  hat  sowohl  auf  naturwissenschaftlichem,  wie  auf  rein 
medicinischem  Gebiet  Ausserordentliches  geleistet.  Man  darf  ihn  mit 
Fug  und  Recht  in  die  Reihe  der  bedeutendsten  Naturforscher  stellen, 
denn  er  besass  eine  eigenthümliche  Begabung,  Vorgänge,  wie  sie  in 
der  Natur  sich  abspielen,  kritisch  zu  beobachten,  zu  unterscheiden 
und  verständnissvoll  zu  schildern.  Seine  Anschauungen  treten  in  be- 
sonderer Klarheit  in  seinem  „Grundriss  der  Naturwissenschaf- 
ten" hervor,  in  welchem  er  namentlich  der  Zoologie  Beachtung 
schenkt,  ein  seiner  Zeit  hoch  angesehenes  und  viel  benutztes  Werk, 
dem  auch  heute  noch  nicht  alle  Bedeutung  abzusprechen  ist*). 

Aus  der  wahrhaft  erdrückenden  Fülle  medicinischer  Literatur, 
die  uns  der  im  Schreiben  unermüdliche  Sennert  darbietet,  greifen 
wir  nur  einen  höchst  interessanten  Punkt  „Morbilli  ignei"  heraus, 
weil  uns  dieser  über  eine  bisher  unbekannte  Krankheit  Aufschluss 
giebt,  und  weil  gerade  zwei  Breslauer  zu  gleicher  Zeit  Sennert**) 
sowohl  wie  sein  Schwiegersohn,  der  so  bedeutende  und  gelehrte 
Stadtphysikus  zu  Breslau,  Dr.  Michael  Döring,  früherer  Professor 
in  Giessen,  sie  zum  Gegenstand  ernster  Studien  machten;  wir 
meinen  den  „Scharlach".  Bereits  1550  hatte  Joh.  Philippus 
Ingrassias  aus  Palermo  die  Aufmerksamkeit  der  Aerzte  auf  ein 
von  den  Variolae  und  Morbilli  (Blattern  und  Masern)  verschiedenes 
acutes  Exanthem  gelenkt,  aber  es  war  ihm  nicht  möglich  gewesen, 
eine  Trennung  dieser  Zustände  auf  Grund  wissenschaftlicher  Unter- 
suchungen herbeizuführen,  die  unterschiedlichen  Symptome  näher 
zu  kennzeichnen.  Für  den  praktischen  Arzt  war  daher  seine  Ent- 
deckung durchaus  werthlos.  Sennert  und  Döring  dürfen  dagegen 
das  Verdienst  für  sich  in  Anspruch  nehmen,  als  die  eigentlichen 
Entdecker  dieser  exanthematischen  Krankheit  zu  gelten,  obwohl  sie 
dieselbe,  ohne  sie  mit  einem  besonderen  Namen  zu  bezeichnen,  noch 
zu  der  Kategorie  der  „Morbilli"  rechnen.  Aus  der  Schilderung, 
wie  sie  uns  Sennert  in  seinem  Werke:  De  febribus  Lib.  IV 
Capt.  XII  (De  variolis  et  morbillis)  Morbilli  ignei  Seite  485  und  in 
einem  Briefe  an  Döring  Seite  641  entwirft,  gewinnen  wir  ein  an- 
schauliches Bild  über  das  Auftreten  und  den  Verlauf  dieser  seit  dem 
Jahre  1661  mit  dem  Ausdruck  „Scharlach"  benannten  Kinderkrank- 
heit. Mit  der  ganzen  Schärfe  eines  gelehrten,  genau  und  sicher  be- 
obachtenden Arztes  zählt  er,  jeden  Zweifel  ausschliessend,  die  ein- 
zelnen   charakteristischen  Momente    auf,    welche    bei    den   Variolae 


*)  Vergl.  „Geschichte  der  Zoologie  bis  auf  Johann  Müller  und  Charles  Darwin"  von 
J«  Victor  Carus.  München  1872  III.  Bd.,  wo  ihm  eine  ganze  Seite  gewidmet  und  sein 
Urtheil  wörtlich  abgedruckt  ist. 

**)  Vergleiche  Haeser,  Geschichte  der  Medicin  III.  Band  und  Hirsch  Handbuch, der 
historisch  geographischen  Pathologie  I.  Band. 


57 

und  ^Morbilli,  mit  denen  man  bisher  den  Scharlach  beliebig  zusammen- 
warf, nach  seiner  Erfahrung  nicht  in  Erscheinung  treten,  vielmehr 
als  eine  besondere  eigenartige  Affection  aufzufassen  wären.  Die 
Ansicht  Sennerts  mag  wohl  auch  für  Döring  massgebend  gewesen 
sein;  er  stimmt  mit  ihm  in  Allem  völlig  überein. 

Die  noch  vollzählig  erhaltene  Correspondenz  dieser  beiden 
Männer,  ihr  geistiger  Meinungsaustausch,  beweist  uns,  mit  welcher 
Spannung,  mit  welchem^  Eifer  und  Interesse  sie  alles  darauf  Bezüg- 
liche verfolgten,  wie  sie  sich  gegenseitig  Rath  holten  und  belehrten, 
um  zu  einem  sie  beide  befriedigenden  Gesammtresultat  zu  gelangen. 

Einige  Jahre  später  erfolgten  schon  Publicationen  über  Scharlach- 
epidemien und  zwar  durch  AVinkler*)  (Brieg  1642)  und  durch  Fehr**) 
(Schweinfurt  1652).  Das  Bekanntwerden  des  Scharlachs  in  weiteren 
Kreisen  verdanken  wir  Sydenham  und  Morton,  Ersterem  sogar  den 
Namen  Scharlach  ***). 


*)  Ephemerid.  nat.  cur.  Dec,  I.  Ann.  6  et  7  1675 — 76.  Obs.  42. 
**)  Anchora  sacra  etc  Jen.  1666.  90. 
***)  "Wir  lassen  hier  einen  den  Brieger  Arzt  "Winkler  betreffenden  archivalischen  Beitrag 
folgen,  der  der  gewandten  Feder  des  Breslauer  Stadtarchivars,  Herrn  Professor  Dr.  Markgraf, 
entstammt.  Der  Herr  Archivar  hat,  wie  bereits  früher,  so  auch  zu  dieser  Arbeit  manch 
vortreffliches  Scherfleia  aus  seinem  umfangreichen  Wissensschatz  beigetragen,  wofür  wir  ihm 
an  dieser  Stelle  unseren  herzlichsten   Dank  abstatten. 

Am  30.  April  1658  promovirte  in  Heidelberg  Gottfr.  Christ.  Winkler  aus  Brieg  als 
Doctor  der  Medicia  mit  einer  Dissertation:  De  morbillis  igneis.  In  der  Widmung  derselben 
an  die  Herzöge  von  Brieg  erörtert  er,  dass  in  der  Gegenwart  neue,  den  früheren  Zeiten  un- 
bekannte Krankheiten  aufgetaucht  seien.  So  hätten  sich  auch  vor  etwa  14  Jahren  nach  der 
Belagerung  von  Brieg  gezeigt  monströs!  illi  morbilli  ignei,  die  zwar  den  Geist  vieler  Aerzte 
beunruhigt  hätten,  über  die  aber  keiner  von  ihnen  bisher  etwas  Sicheres  veröffentlicht  hätte. 
Sein  "Vater  indess,  der  damals  in  Brieg  Arzt  gewesen,  habe  eine  noch  nicht  gedruckte  Schrift 
darüber  verfasst,  in  der  er  die  Natur  huius  bestiae  genau  auseinandergesetzt,  seine  Gestalt 
und  die  zu  seiner  "Vernichtung  dienenden  Mittel  beschrieben  habe.  In  der  Absicht,  seines 
rerstorbenen  Vateis  Buch  später  ganz  herauszugeben,  veröfifentlichte  er  den  Inhalt  desselben 
in  Form  von  Thesen  als  Dissertation.     Dieselbe  enthält  49  Thesen.     (Stadtbibliothek  Breslau.) 

Der  Vater  dieses  Gottfried  Christian  Winkler,  vom  Sohne  selbst  als  wenigstens  nach 
seiner  Kenntniss  erster  Beschreiber  der  morbilli  ignei  angesehen,  war  Daniel  AVinkler,  gebürtig 
aus  Reichau  bei  Ximptsch  in  Schlesien  am  12.  August  1599,  der  1624  am  15.  Januar  unter 
Dan.  Senneits  Rectorat  in  Wittenberg  promovirt  und  sich  später  in  Brieg  als  Arzt  nieder- 
gelassen hatte.  Dort  war  er  am  24.  Februar  1658,  also  wenige  Monate  vor  der  Promotion 
seines  Sohnes,  in  der  Stellung  eines  fürstlichen  Leibarztes  gestorben. 

Es  scheint  nicht,  dass  der  Sohn  seine  Absicht,  des  Vaters  nachgelassene  Schrift  über 
die  Morbilli  ignei  zu  veröffentlichen,  ausgeführt  hat;  wenigstens  wird  das  Bach  nirgends  erwähnt, 
A.  V.  HaUers  BibHotheca  medicinae  practicae  kennt  nur  zwei  Schriften  von  Dan.  Winkler: 
Animadversiones  de  vita  foetus  in  utero.  Jenae  1630  4O  und  De  opic  tractatus  in  quo 
simul  liber  de  opio  Joh.  Freitagii  examinatur.  Cp.  2  1630.  80.  (HaUer  fälschlich  4O.  In 
der  Breslauer  Stadtbibliothek  vorhanden.) 

Dagegen  bringt  der  Sohn  in  der  Miscellanea  curiosa  medico-physica  Academiae  Xaturae 
Curiosorum  s.  Ephemerides  medico-physicae  auf  die  Jahre  1675/76  (Frankfurt  und  Leipzig  1677) 
eine  Reihe  von  Beobachtungen  seines  Vaters  mit  Schollen  von  ihm  selbst  zum  Abdruck,  darunter 


58 

Sennerts  Schriften. 
Quaestionum  Medicarum  controversarum  liber,  nebst  einem  Anhange 
de  Pestilentia. 

Epitome  naturalis  scientiae. 

Auctuarium  Epitomes  Physicae. 

De  Chymicorum  cum  Aristot.  et  Galenicis  consensu  ac  dissensu. 

Institutiones  Medicinae  libri  V. 

De  febribus  hbri  IV. 

Epitome  Institutionum  Medic.  et  librorum  de  febribus. 

De  Scorbuto  tractatus. 

Epitome  Instit.  Medicarum,  Disputat.  XVIII  comprehensa. 

Medicinae  practicae  libri  VI. 

De  Dysenteria  Tractatus. 

De  Arthritide  Tractatus. 

Medicamenta  officinalia. 

De  bene  vivendi  beateque  moriendi  ratione  Meditationes. 

Hypomnemata  Physica.  I.  De  rerum  naturalium  principiis.  II.  De  occul- 
tis  medicamentorum  facultatibus.  III.  De  Atomis  et  mistione. 
IV.  De  generatione  viventium.    V.  De  spontaneo  viventium  ortu. 

De  origine  et  natura  animarum  in  brutis  sententiae  Clarissimorum 
virorum  in  aliquot  Germaniae  Academiis. 

Paralipomena,  cum  praemissa  methodo  discendi  medicinam  tractatus 
posthumus. 

De  Fermentatione  Platonica  Epistola. 

Opera  omnia  in  tres  Tomos  divisa. 


auch  Seite  76  die  Observ.  XLII.  De  angina  in  morbillis  igneis.  In  dem  Scholion  dazu 
bemerkt  er  unter  Berufung  auf  seine  Dissertation,  die  Morbilli  seien  zuerst  in  Brieg  1642 
nach  der  Belagerung  (in  der  Dissertation  erst  1644;  ^^'^  Belagerung  war  1642)  aufgetreten 
und  nur  bei  Kindern,  bald  nachher  habe  man  sie  auch  in  Leipzig  an  Wöchnerinnen  beobachtet, 
wie  eine  Leipziger  Disputation  von  Welsch  1655  bezeuge.  Diese  Disputation  von  Welsch 
(Gottfried)  war  ihm  offenbar  bei  seiner  Dissertation  im  Jahre  1658  noch  unbekannt  gewesen. 
Haeser  hat  nur  die  Stelle  in  der  Miscellanea  gekannt  und  auszugsweise  mitgetheilt, 
wobei  durch  Nachlässigkeit  oder  Druckfehler  Winsler  statt  Winkler  gedruckt  ist*). 


*)  Wir  haben  nachträglich  gefunden,  dass  schon  Göppert  den  Dr.  Christian  Winkler 
erwähnt  und  dessen  Namen  in  richtiger  Orthographie  schreibt;  vgl.  darüber  dessen  Arbeit: 
,,Ueber  ältere  schlesische  Pflanzenkunde  als  Beitrag  zur  vaterländischen  Culturgeschichte'-  in 
den  Schlesischen  Provinzialblättern  des  Jahres   1832. 


■SQ 

Quellen. 

Oratio  Panegyrica,  memoria  viri  incomparabilis,  Danielis  Sennerti 
Medici,  dicata  ac  dicata  d.  25.  Juli  1638  in  Academia  Witten- 
bergensi  ab  Augusto  Buchnero  in  den  Memoriae  medicorum 
nostri  seculi  clarissimorum  Renovatae  Decas  prima  curante 
M.  Henningo  Witten. 

Lindenius  renovatus  sive  Johannis  Antonidae  von  der  Linden  de 
Scriptis  Medicis  Libri  duo. 

Haeser  Geschichte  der  Medicin  II,  Band. 

Historia  vitae  Sennertianae  quoad  ingressum,  progressum  egressum 
im  Anschluss  an  die  von  Paulus  Roberus  Dr.  Profess.  Pastor 
und  Superintendent  zu  Wittenberg  gehaltene  christliche  Leichen- 
predigt.    W.   1638. 


6o 


Zu  den  speciell  um   die  Stadt  Breslau  verdienten  Männern  ge- 
hört auch  ohne  Zweifel 


Philipp  Jaeob  Saehs  von  Loewenheim  oder 
Loewenheimb. 


oeine  Geburt  fallt  auf  das  Jahr  1627.  Er  lag  auf  verschiedenen 
Universitäten  seinen  Studien  ob.  Nächst  Leipzig,  wandte  er  sich 
nach  mehreren  holländischen  Universitäten,  auch  nach  Strassburg, 
Paris,  Montpellier  und  Padua  und  promovirte  an  letzterem  Orte  zum 
Dr.  med.  Nachdem  er  alsdann  einige  Zeit  lang  in  seiner  Vaterstadt 
Breslau  practicirt,  wurde  er  daselbst  1670  zum  Physikus  ernannt, 
stand  diesem  Amte  jedoch  nur  2  Jahre  vor,  da  er  schon  1672  starb. 

Sachs  von  Löwenheimb  gilt  aus  doppelten  Gründen  als  bedeutend. 

Einmal  hat  er  durch  populär  wissenschaftliche  Schriften  allge- 
meineres Interesse  gewonnen  und  das  anderemal  hat  er  sich  durch 
seine  der  Breslauer  Academia  Leopoldina  Carolina  Naturae  curiosorum 
geleisteten  Dienste  mit  Ruhm  bedeckt.^  Von  ersteren  nennen  wir 
hier  das  Werk  über  die  Trauben: 

„Ampelographia  sive  vitis  viniferae  eiusque  partium  consideratio 
physico-philologico-historico-medico-chimica  (Leipzig  1661),  sowie: 
Oceanus  macro-microscosmicus  seu  dissertatio  epistolica  de  analogo 
motu  aquarum  ex  et  ad  Oceanum  sanguinis  ex  et  ad  cor. 
Breslau  1664*)" 

Während  wir  Sachs  von  Löwenheim  wegen  seiner  hervorragenden 
Leistungen  in  seinem  Berufe  als  Gelehrter  und  Arzt  hochschätzen 
und  verehren,  sind  wir  ihm  als  Bewohner  Breslaus  zu  ganz  be- 
sonderem Danke  verpflichtet,  darf  er  doch  das  Verdienst  für  sich  in 
Anspruch  nehmen,  das  ,, wissenschaftliche"  Breslau  auf  seiner  Höhe 
erhalten  und  dessen  ruhmreicher  Thätigkeit  weitere  Kreise  erschlossen 
zu  haben.  Wir  meinen  damit  seine  Beziehungen  zur  deutschen  Academie 
der  Wissenschaften.  Er  war  es  zuerst,  der  dies  Institut,  nachdem 
es  bereits  20  Jahre  bestanden,  ohne  dass  der  Geist,  der  es  beseelte 
durch  Veröffentlichungen  irgend    welcher  Art  auch   der  Aussenwelt 

*j  Biogr.  med.  VII  pag  85.     Dechambre  3  Serie  VI  pag  36.    Poggendorff.  II  pag  731. 


6i 

bekannt  gegeben  war,  zur  Herausgabe  der  in  seinem  Schosse  statt- 
findenden Verhandlungen  und  wissenschaftlichen  Betrachtungen  ver- 
anlasste. Die  „Ephemeriden,"  unter  welchem  Namen  nunmehr  die 
regelmässigen  Berichte  erschienen,  fanden  allgemein  den  ungetheilte- 
sten  Beifall,  wissenschaftlichen  Bestrebungen  und  Untersuchungen  aus 
allen  nur  möglichen  Gebieten  war  dadurch  eine  sichere  Basis  gewährt. 
Sachs  selbst  machte  den  Anfang  mit  seiner  „Ampelographia."  Er 
sorgte  aber  auch  dafür,  und  dies  ist  ein  Verdienst,  das  seinem 
Namen  in  dem  Andenken  der  gelehrten  Welt  eine  bleibende  Stätte 
geschaffen,  ^ass  die  Academie  an  Allerhöchster  Stelle  die  ihr  ge- 
bührende Würdigung  erfuhr,  welche  allein  das  Fortbestehen  dieser 
wissenschaftlich  so  hochbedeutenden  Gesellschaft  ermöglichte.  Er 
verstand  es,  seinen  Einfluss  am  kaiserlichen  Hofe  zu  Wien,  den  er 
in  hohem  Grade  besass,  zu  Gunsten  der  Bildung  einer  Akademie 
geltend  zu  machen.  Der  Erfolg  blieb  nicht  aus.  So  verlieh  ihr 
Kaiser  Leopold  I.  am  5.  August  1677  unter  Bestätigung  der  bedeutend 
erweiterten  Gesetze  der  Akademie  den  vollständigen  Titel:  S.  R.  I. 
Academia  Naturae  Curiosorum,  ehrte  sie  auch  im  Verlauf  der  folgenden 
Jahre  durch  Gnadenbeweise  der  mannigfachsten  Art.  Schliesslich, 
am  7.  August  1687,  erhielt  sie  den  Namen  S.  R.  I.  Academia  Caesarea- 
Leopoldina  und  im  Anschluss  daran  eine  Menge  der  weitgehendsten 
Rechte  und  Privilegien,  wie  sie  sonst  nur  den  allerbedeutendsten 
Einrichtungen  des  Reiches  zu  Theil  werden.  Für  den  hohen  Werth 
ihrer  Leistungen  spricht  es,  dass  ein  Werk  von  sechs  Mitgliedern 
der  Akademie,  die  „Historia  morborum,  qui  annis  i6gg — 1702  Vratis- 
laviae  grassati  sunt,"  im  J.  1746  von  Bousquet  in  Genf  und  Lausanne 
herausgegeben  und  von  keinem  Geringeren  als  Alb.  Haller  mit 
einer  Vorrede  versehen  wurde.  Ein  skeptischer  Geist  durchweht 
dieses  Werk  und  geht  in  einem  der  angehängten  Traktate  „de  ex- 
perientia"  §  5  soweit,  faktische  Curiositäten,  wie  Blut-  und  Steinregen, 
als  Fabel  anzusehen.  Ein  Blick  in  die  Geschichte  der  Akademie 
giebt  uns  also  ein  beredtes  Zeugniss  dafür  ab,  wie  viel  wir  dem 
Breslauer  Physikus  Sachs  von  Löwenheim  schulden,  wie  fruchtbringend 
seine  Thätigkeit  gewesen.  Er  hat  sich  damit  unzweifelhaft  und  für 
alle  Zeiten  ein  Denkmal  gesetzt*). 


*)      Academiae  Naturae  Curiosorum    historia  ab  ejusdem    praeside    Büchnero  Halae 
Magdeb.     S.  755  p.  464  et  index. 


62 


Matthäus  Gottfried  Purmann 


stammt  aus  Lüben  in  Niederschlesien,  wo  er  kurz  nach  dem  Ende 
des  30  jährigen  Krieges,  im  April  1649,  als  Sohn  des  Bürgermeisters 
und  fürstlichen  Land-Hof-Richters  Michael  Purmann  geboren  wurde. 
In  Gross  Glogau  erlernte  er  die  Wundarzneikunst  bei  Paul  Rumpelt 
und  begab  sich  nach  vollendeter  Lehre  zu  Balthasar  Kaufmann  in 
Frankfurt  a.  O.,  mit  dem  er  auch  nach  Cüstrin  übersiedelte.  Er 
ging  dann  einige  Zeit  nach  Leipzig,  Wittenberg  und  wieder  nach 
Frankfurt  a.  O.  Da  er  keine  ihm  zusagende  Stellung  fand,  trat  er 
im  Jahre  1668  in  den  Kurbrandenburgischen  Militärdienst  und  machte 
die  Feldzüge  des  grossen  Kurfürsten  gegen  Frankreich  und  Schweden 
als  Compagnie-  und  später  als  Regimentschirurgus  bis  zum  Jahre  1679 
mit.  Im  Anfange  des  zweiten  Raubkrieges  Ludwig's  XIV.  kämpfte 
sein  Regiment  in  Westphalen  und  am  Rhein,  dann  marschirte  es 
1675  gegen  die  in  die  Mark  eingefallenen  Schweden  und  Purmann 
machte  nun  alle  Feldzüge  in  Pommern  bis  zum  Friedensschlüsse  von 
St.  Germain  en  Laye  mit,  worauf  er  1679  auf  vielfältiges  Begehren 
seine  Entlassung  aus  dem  Militärdienst  erlangte.  Die  Erfahrungen 
seiner  12  jährigen  Dienstzeit  legte  er  in  dem  1680  zum  ersten  Male 
erschienenen  Buche:  ,,Der  rechte  und  wahrhaftige  F'eldscherer"  nieder, 
dessen  Brauchbarkeit  vier  Uebersetzungen  in  fremde  Sprachen  be- 
zeugen. Es  erschien  sogar  1687  zu  Minden,  bei  Johann  Heudorn, 
ein  Nachdruck  unter  dem  Titel :  ,,Der  vollkommene  und  wohlerfahrene 
Wundarzt  angeblich  aus  der  holländischen  Sprach  in  Teutsch  über- 
gesetzet,"  natürlich  ohne  den  Namen  des  Verfassers.  Fortan  ange- 
wiesen, sich  einen  bürgerlichen  Nahrungszweig  zu  suchen,  Hess  er  sich 
in  Plalberstadt,  wo  er  früher  längere  Zeit  in  Quartier  gelegen  und  auch 
sein  Herz  hatte  hängen  lassen,  als  Barbier  und  Chirurgus  nieder  und 
gewann  dort  schnell  solches  Ansehen,  dass  er  bei  dem  Ausbruch 
der  Pest  daselbst  im  Juli  1681  als  Ober-Pest-Chirurgus  angestellt 
wurde,  in  welcher  Stellung  er  bis  zum  Ende  des  nächsten  Jahres 
verblieb.  Er  veröffentlichte  damals  auf  Befehl  der  kurbranden- 
burgischen  Regierung  zu  Halberstadt  eine  „Pestanweisung",  die  eben- 


falls  nachgedruckt  wurde.  Daneben  schrieb  er  ein  ausführlicheres 
Buch  unter  dem  Titel :  „Der  aufrichtige  und  erfahrene  Pest-Barbier  er", 
worin  er  vielfältig  auf  seine  Halberstädter  Erfahrungen  Bezug  nimmt. 
Er  wäre  beinahe  selber  ein  Opfer  der  Seuche  geworden.  Erst  nach- 
dem er  seine  amtliche  Stellung  als  Pestchirurg  aufgegeben,  konnte 
er  an  die  Vollendung  eines  schon  früher  begonnenen  grossen  Werkes 
herangehen,  welches  als  ,, Chirurgischer  Lorbeer  Krantz  oder  Wund- 
Artzney  in  drei  Theil  und  86  Capittel  abgetheilet"  1684  in  Halber- 
stadt erschien  und  die  Summe  seiner  Erfahrungen  zog.  Er  muss 
schon  damals  Verbindungen  mit  Breslau,  der  Hauptstadt  seines  Vater- 
landes, gehabt  haben,  denn  er  widmet  das  Buch  dem  Breslauer  Rath 
und  siedelte  im  nächsten  Frühjahr  1685  nach  Breslau  über,  wo  er 
die  Barbier-Offizin  des  Raphael  Nürnberger,  welche  durch  den  Tod 
des  Besitzers  frei  geworden,  käuflich  erwirbt.  Auch  der  Breslauer 
Rath  wusste  bald  seine  Tüchtigkeit  zu  schätzen,  er  ernannte  ihn 
1686  zum  Garnison-Chirurg  und  i6go  am  3.  Mai  zum  Stadtarzt  am 
Allerheiligen-Hospital.  Hier  in  Breslau  wirkte  er  nun  noch  2 1  Jahre 
in  eifrigem  praktischem  Dienst,  wie  auch  in  fruchtbarer  literarischer 
Thätigkeit.  In  der  letzteren  bekundet  er  sowohl  eine  hervorragende 
Fähigkeit ,  die  eigenen  Beobachtungen  und  Erfahrungen  geschickt 
und  belehrend  darzustellen,  wie  auch  eine  grosse  Belesenheit  in  der 
medicinischen  Literatur,  sogar  der  fremden  Völker,  und  eine  warme 
Begeisterung  für  seine  Kunst,  so  dass  er  nicht  nur  als  ein  routinirter 
Praktiker,  sondern  auch  als  ein  wissenschaftlicher  Kopf  erscheint. 
Zuerst  veröffentlichte  er  1687:  „Fünf  und  zwanzig  Sonder-  und 
wunderbare  Schusswunden  Curen",  welche  er  1693  auf  50  ver- 
mehrte, wieder  herausgab,  und  die  1721  noch  einmal  aufgelegt  wurden. 

In  hohem  Grade  offenbart  sich  hierin  seine  chirurgische  Kunst- 
fertigkeit. Oft  genug  kann  man  bei  Erzählung  der  zahlreichen  schweren 
Verletzungen,  welche  Purmann  bei  den  Belagerungen  derpommerschen 
Städte  Anclam,  Wolgast,  Demmin  und  Stettin  zu  sehen  Gelegenheit 
hatte,  die  Kühnheit  bewundern,  mit  der  er  die  Behandlung  dieser 
Verletzungen  leitete  Ein  durchaus  selbständiger  Geist,  voll  der 
trefflichsten  Ideen,  liess  ihn  zu  den  erstaunlichsten  Resultaten  ge- 
langen. Besonders  hervorzuheben  ist  die  Thatsache,  dass  Purmann 
mit  aller  Entschiedenheit  die  damals  viel  verbreitete  Anschauung 
von  der  Vergiftung  der  Schusswunden  bekämpfte. 

Im  Jahre  i6go  gab  er  eine  neue  Auflage  des  Feldscheerers 
heraus,  um  einen  fünften  Theil  vermehrt.  Das  Buch  fand  solchen 
Anklang,  dass  im  Jahre  1721  die  sechste  Ausfertigung  nebst  Bei- 
fügung des  Pest-Barbiers  erschien.  Auch  erfolgte  schon  1692  eine 
neue,  auf  127  Capitel  vermehrte  und  umgearbeitete  Auflage  des 
Lorbeerkrantzes  oder  Wundarzney  in  einem  stattlichen  Quart- 


64_ 

bände  von  mehr  als  looo  Seiten  mit  häufiger  Bezugnahme  auf  die 
in  den  letzten  Jahren  in  Breslau  beobachteten  Fälle. 

Diese  Arbeit  können  wir  gewissermassen  als  sein  wissenschaft- 
liches Testament  betrachten.  „Auf  jeder  Seite  seines  »Lorbeerkranzes' 
machen  wir",  meint  Herr  Dr.  Partsch,  Privatdocent  und  consultirender 
Wundarzt  am  israelitischen  Hospital,  „die  Wahrnehmung,  dass  man  es 
in  Purmann  mit  einem  durch  und  durch  medicinisch  gebildeten,  mit  der 
Literatur  seiner  Zeit  wohl  bekannten,  für  seine  Kunst  begeisterten 
Wundarzt  zu  thun  habe,  der  nicht  nur  an  sich  selbst,  sondern  auch  an 
jedes  Mitglied  seiner  Zunft  hohe  Anforderungen  stellte."  ,,Es  ist  zu  be- 
klagen," so  schreibt  er,  ,,dass  viele  Lehrschüler  und  Gesellen  in  der 
Wundarzneikunst  so  unwissend  und  allein  mit  nichtswürdigen  Dingen 
bemüht  sind.  Unter  allen  Künsten,  die  gelernt  werden,  ist  keine 
vortrefflicher,  als  die  Chirurgie.  Das  Subjectum  anderer  Künstler 
ist  Eisen,  Holz  und  Steine  und  dergleichen,  der  Chirurgie  aber  der 
menschliche  Leib,  der  von  dem  Höchsten  so  zierlich  gebaut  ist,  dass 
er  Niemand,  auch  im  geringsten  Theile,  zur  Genüge  bekannt  worden, 
und  daher  sollten  sich  Alle,  welche  sich  der  Chirurgie  befleissigen 
wollen,  nicht  mit  Flöten,  Geigen,  Lauten  und  anderem  Saitenspiel, 
wie  es  meist  bei  ihnen  gewöhnlich  ist,  sondern  in  der  Anatomie  be- 
mühen, dann  würden  sie  in  looo  Fällen  nicht  allein  den  Kranken 
helfen,   sondern  auch  sich  selbst  grosse  Ehre  einlegen." 

In  demselben  Jahre  1682  veröffentlichte  er  ferner  einen  „Aus- 
führlichen Unterricht  und  Anweisung,  Wie  die  Salivation- 
Kur  Nach  allen  Umbständen  und  Vortheilen  aufs  beste 
und  sicherste  vorzunehmen."  Eine  zweite  Auflage  dieses  Werkes 
erschien  1728.  Die  reichen  Erfahrungen,  die  er  in  seiner  Stellung 
an  dem  grossen  Breslauer  Hospitale  zu  machen  Gelegenheit  hatte, 
veranlassten  noch  1694  die  Chirurgia  curiosa  und  1710  die 
Curiosen  Chirurgischen  Observationes.  Die  Herausgabe  des 
letzteren  Buches  war  durch  seine  vielseitige  Beschäftigung  in  den 
Hospitälern,  so  wie  durch  andauernde  Kränklichkeit  —  er  litt  an 
Hüftweh  —  lange  verzögert  worden,  und  er  hatte  sie  schon  seinem 
in  Halle  Medicin  studirenden  Sohne  Gottfried  Purmann  vorbehalten, 
doch  entschloss  er  sich  auf  vieles  Zureden  seiner  Freunde,  als  er 
sich  wieder  einmal  wohl  fühlte,  sie  noch  selbst  in  Druck  zu  geben. 
Den  27.  Mai  des  nächsten  Jahres  setzte  der  Tod  seinem  fleissigen 
Leben  im  63.  Jahre  ein  Ziel. 

Diese  Angaben  sind  seinen  eigenen  Werken  entnommen,  wobei 
indess  zu  bemerken  ist,  dass  die  Daten  sich  zuweilen  widersprechen. 
Das  Todes-Datum  stammt  aus  dem  städtischen  Todtenbuch  von  1 7 1 1 . 
Dasselbe  giebt  Abzehrung  als  Todesursache  an. 


6.S 


Johann  Christian  Kundmann. 


i\n  der  Schwelle  der  Neuzeit  steht  Johann  Christian  Kundmann, 
Dr.  der  Medicin  und  praktischer  Arzt  in  seiner  Vaterstadt  Breslau 
Mitglied  der  römisch  kaiserlichen  Reichsakademie  der  Naturforscher. 
Unter  seinen  Ahnen,  die  wir  bis  in  das  fünfzehnte  Jahrhundert  zu- 
rück verfolgen  können,  ist  Ulrich  Kundmann,  Rathsherr  und  Bau- 
director  zu  Kostnitz,  der  Erfinder  einer  später  privilegirten  Holz- 
Sparkunst,  von  einiger  Bedeutung.  Dieser  gilt  als  der  Gründer  der 
in  vielfachen  Zweigen  über  ganz  Deutschland  ausgebreiteten  Familie. 

Der  Urgrossvater  des  Dr.  Kundmann,  dessen  Biographie  hier 
folgt,  ist  Sylvester  Kundmann,  welcher  Anfang  des  1 7.  Jahrhunderts 
als  Leibarzt  des  Kurfürsten  von  Sachsen  fungirte.  Sein  Erbe,  Johann, 
Pastor  in  Thüringen,  besass  zwei  Söhne,  von  denen  der  jüngere, 
Johann  Samuel,  Wachtmeister,  Lieutenant  und  Aeltester  der 
Destillatorum  in  Breslau,  der  Vater  unseres  Johann  Christian  Kund- 
mann ist.  Letzterer  wurde  am  26.  October  1684  als  ältestes  unter 
acht  Kindern  in  Breslau  geboren.  Ihm  wurde  im  elterlichen  Hause 
eine  vorzügliche  Erziehung  zu  Theil.  Sowohl  durch  Privatunterricht, 
als  durch  den  Besuch  des  Gymnasiums  zu  St.  Magdalena,  an  welchem 
damals  eine  Reihe  ausgezeichneter  Gelehrten  und  Pädagogen,  wie 
Titius  und  Pohl,  Christian  Gryphius  und  Caspar  Neumann  docirten, 
schuf  er  ein  sicheres  Fundament  für  seine  wissenschaftliche  Aus- 
bildung. Auf  dieser  Anstalt  weilte  er  zehn  Jahre  von  1695  — 1705. 
Seine  Eltern  hätten  ihn  gern,  wie  berichtet  wird,  für  das  Handels- 
fach bestimmt,  waren  jedoch  verständig  genug,  von  ihrem  Vorhaben 
abzustehen,  als  sie  einsahen,  dass  ihres  Sohnes  Sinn  sich  ausschliess- 
lich naturwissenschaftlichen  und  anatomischen  Studien  zuwandte, 
dass  ihm  nichts  grösseres  Vergnügen  gewährte,  als  der  Versuch,  die 
zahllosen  Wunder  der  Natur  zu  erforschen.  In  diesen  Bestrebungen 
unterstützte  ihn  aufs  Bereitwilligste  der  spätere  Frankfurter  Professor 
Riessmann.  1705  bezog  er  die  Universität  Frankfurt  an  der  Oder, 
wandte  sich  aber  bald  darauf  nach  Halle.     Hier    erschloss    sich  für 


66 

ihn  ein  weiteres  Feld  der  Thätigkeit.  Halle  galt  zu  dieser  Zeit  ge- 
wissermassen  als  die  Centralstation  des  medicinisclien  Lebens,  als 
der  Mittelpunkt  der  fortschrittlichen  Entwickelung  der  Medicin,  in 
welchem  die  Fäden  des  weit  verzweigten  Gebiets  zusammenliefen, 
wo  Männer  wie  Fr.  Hoffmann  und  Stahl,  die  Begründer  der  be- 
deutendsten medicinischen  Schulen,  wirkten  und,  als  natürliche  Folge, 
eine  zahllose  Zuhörerschaft  in  ihren  Bannkreis  zogen. 

Was  Kundmann  von  jeher  so  sehnlichst  herbeigewünscht,  durfte 
er  jetzt  verwirklichen.  Nächst  Hoffmann  und  Stahl  hörte  er  noch 
die  hervorragendsten  Vertreter  der  anderen  Facultäten.  Gundling 
unterrichtete  ihn  in  der  Geschichte,  er  wie  sein  College  Anton  Volk- 
mann aus  Liegnitz  ein  eifriger  Förderer  der  Urgeschichte  seines 
engeren  Vaterlandes  (cfr.  Dr.  Kurniks  Vortrag  im  hiesigen  Humboldt- 
Verein,  9.  Jahresbericht,  Seite  3),  Thomasius  in  der  Philosophie,  und 
sein  berühmter  Landsmann,  Freiherr  Christian  von  Wolf,  der  erst 
seit  Kurzem  sich  in  Halle  aufhielt,  in  der  Mathematik.  Es  war  vor- 
auszusehen, dass  Kundmann,  der  wie  wenige  mit  strengstem  Ernst 
sich  seiner  Aufgabe  unterzog,  die  entsprechenden  Examina  mit  Glanz 
und  Auszeichnung  bestehen  würd^.  Im  Besitze  vorzüglicher 
Zeugnisse  beschloss  Kundmann,  bevor  er  in's  praktische  Leben  über- 
trat, durch  ausgedehnte  Reisen  in  ihm  bisher  unbekannte  Gegenden 
neue  Anregungen  und  Erfahrungen  zu  sammeln,  und  zwar  wandte 
er  sich  zunächst  nach  dem  nordwestlichen  Deutschland  und  nach 
Holland.  Er  zeigte  ein  wunderbares  Interesse  für  Alles,  was  nur  irgend 
merkwürdig  erschien;  er  besuchte  Berg  -  Hüttenwerke  im  Harz 
sowohl,  wie  im  Mansfeldischen  und  verfolgte  mit  grosser  Aufmerk- 
samkeit alle  Naturwunder,  die  sich  ihm  unterwegs  darboten,  war 
jedoch  nicht  minder  entzückt,  wenn  es  galt,  seltene  literarische 
Producte,  wie  z.  B.  Luthers  Manuscripte  in  Eisleben,  in  Augenschein 
zu  nehmen.  Holland  zog  ihn  insbesondere  an.  Hier  fand  sich  für 
ihn  Gelegenheit,  eine  Anzahl  hochbedeutender  Gelehrten  wie  Commelin, 
Ruysch,  Rau,  Bidloo,  Leeuwenhoek  und  Helvetius  persönlich  kennen 
zu  lernen,  während  das  Land  selbst  von  Sehenswerthem  und  Eigen- 
thümlichkeiten  förmlich  wimmelte,  so  dass  er  nicht  genug  Zeit  hatte, 
den  ungeheuren  Stoff  ganz  kennen  zu  lernen. 

Nachdem  er  sich  schöne  Sammlungen  angelegt,  kehrte  er,  von 
dem  Erfolg  seiner  Reise  voll  befriedigt,  wiederum  nach  Halle  zurück. 
Am  25.  September  1708  promovirte  er  daselbst  auf  Grund  seiner 
Inauguraldissertation  „de  regimine",  an  welche  sein  Freund  und  Lehrer 
Stahl  ein  ..propempticum  sistens  historiam  pathologicam  affectuum 
cum  coxarum  dolore  symbolizantium  Hippocraticam",  verbunden  mit 
einer  Biographie  Kundmanns,  angeschlossen,  zum  Doctor  Medicinae. 
Nun  wandte  sich  Kundmann  nach  seiner  Vaterstadt  Breslau  um  hier 


67 

praktisch  und  literarisch  thätig  zu  sein.  Sein  reger  Geist  verweilte 
nicht  allein  bei  der  Medicin  und  den  ihr  verwandten  Wissenschaften, 
vielmehr  beschäftigte  er  sich,  der  Eigenthümlichkeit  seiner  Zeit  Folge 
leistend,  mit  den  verschiedenartigsten  Gebieten,  und  immer  war  es 
gerade  das  Merkwürdige,  Seltsame  und  Geheimnissvolle,  dem  er  mit 
wunderbar  glücklichem  Spürsinn  nachging,  das  ihm  besonderes  Ver- 
gnügen zu  bereiten  schien.  In  solcher  Sphäre  fühlte  er  sich  glück- 
lich, hier  erwarb  er  sich  auch  die  grössten  Verdienste,  Mit  theo- 
logischen und  philosophischen  Schriften  trat  er  zuerst  vor  das  Forum 
der  Oeffentlichkeit.  Noch  als  Student  1704  veröffentlichte  er  „Ge- 
sammelte Abendmahlsbetrachtungen'',  und  als  jünger  Arzt,  im  Jahre 
17 15,  schrieb  er  eine  „Abhandlung  von  dem  Verstände  des  Menschen 
vor  und  nach  dem  Falle",  eine  ebenso  geistvolle  als  gelehrte  tief 
wissenschaftliche  Arbeit,  in  der  er,  auf  seinen  theologischen,  philo- 
sophischen und  medicinischen  Kenntnissen  fussend,  die  Ehre  seines 
Lehrmeisters  Stahl  durch  Vertheidigung  einer  von  ihm  aufgestellten 
Theorie  zu  retten  sich  bemüht.  Diese  Schrift  erschien  1720  in  zweiter 
bedeutend  verbesserter  Auflage.  Seine  Thätigkeit  gewann  an  allge- 
meinerem Interesse,  als  er  1717  zusammen  mit  den  beiden  Breslauer 
Aerzten  Kanold  und  Brunschwitz  eine  wissenschaftliche  Zeitschrift 
redigirte,  betitelt:  „Sammlung  von  Natur-  und  Medicin-Geschichten 
wie  auch  hierzu  gehörigen  Kunst-  und  Literaturgeschichten,  so  sich 
in  Schlesien  und  andern  Ländern  begaben." 

Als  Motiv  wurde  in  der  Einleitung  kundgegeben,  „darin  aufzu- 
zeichnen, was  in  den  einzelnen  Jahren  in  physikalisch-medicinischen 
Dingen  Neues  g^eschehen  sei  supra  et  infra  lunaria",  ein  ebenso  inter- 
essantes als  nützliches  Gebiet,  das,  weil  man  es  bisher  stiefmütter- 
lich zu  behandeln  pflegte,  in  diesem  neuen  Rahmen  die  Aufmerk- 
samkeit der  Gebildeten  erregen  musste,  dem  Werkchen  also  eine 
günstig-e  Prognose  zu  sichern  versprach. 

Gewiss  hätten  es  sich  die  Verfasser  nicht  träumen  lassen,  dass 
daraus  das  hellleuchtende  Licht  einer  neu  entstandenen  Wissenschaft 
seinen  Glanz  weithin  verbreiten,  dass  ihr  einst  sämmtliche,  so  ungeheuer 
mannigfaltige  Zweige  menschlichen  Wissens  und  Könnens  unterthan 
werden  würden,  wir  meinen  die  Statistik,  insbesondere  die  Medicinal- 
statistik.  Dies  giebt  uns  Veranlassung,  die  Schrift  etwas  näher  in 
Augenschein  zu  nehmen.  Sie  zerfällt  in  6  Abtheilungen.  Nebst  der 
Geburts-  und  Mortalitätsstatistik,  des  für  uns  wichtigsten  Abschnittes, 
sind  darin  meteorologische  Notizen,  Untersuchungen  über  klimatische 
Einflüsse  und  Ackerbauangelegenheiten,  Capitel  aus  der  eigentlichen 
Medicin  und  den  ihr  verwandten  Gebieten,  Erfindungen  und  Ent- 
deckungen, sowie  die  einschlägige  Literatur  enthalten.  Der  Ver- 
fasser der  statistischen  Tabellen  ist  zweifellos  Kundmann.     Von  der 

5* 


68 

Ansicht  ausgehend,  dass  eine  geregelte  Handhabung  in  der  Ver- 
öffentlichung der  Zahl  der  Geborenen  und  Gestorbenen,  insbe- 
sondere der  Krankheiten,  denen  der  Einzelne  erlegen,  vielfach  Auf- 
klärung über  die  Gesundheits-  resp,  Morbiditätsverhältnisse  der  be- 
treffenden Ortschaften  schaffen  würde,  stellt  er  ziemlich  genaue 
statistische  Listen  zunächst  über  die  Mortalität  grösserer  Städte  wie 
Breslau,  Wien,  Dresden,  London  u.  s.  w.,  soweit  ihm  das  Material 
zur  Hand  war,  auf,  vermochte  jedoch  in  Folge  der  Unvollständig- 
keit  mehr  nur  eine  Anregung  als  ein  Musterbild  für  ähnliche  Bear- 
beitungen zu  geben.  Aber  gerade  in  der  grundlegenden  Idee  solcher 
statistischen  Zusammenstellungen,  welche  der  Statistik  als  Wissen- 
schaft die  Wege  geebnet,  liegt  Kundmanns   Hauptverdienst*). 

Der  berühmte  Süssmilch  war  der  Erste,  der  aus  dieser  Zeitschrift 
Nutzen  zog;  hat  er  doch  sogar  das  gesammte,  obengenannte  Zahlen- 
material der  Kundmann'schen  Arbeit  wörtlich  entlehnt,  ohne  sich 
auf  die  Quelle  zu  berufen.  Kundmann  hat  die  Breslauer  Listen  bis 
zum  Jahre  1724  fortgeführt;  von  1725  an  übernahm  Kanold  selbst- 
ständig das  Journal,   1726  ging   dasselbe  auf  E.  A.  Büchner  über. 

In  zweiter  Reihe  beschäftigten  ihn  (fast  das  ganze  Leben  hin- 
durch) numismatische  Studien,  welche  mehrere  interessante  Arbeiten 
in's  Leben  riefen.  Aber  auch  jeder  andere  Gegenstand,  der  sich  nur 
durch  Seltsamkeit  und  Merkwürdigkeit  auszeichnete,  erweckte  sein 
lebhaftes  Interesse  und  keine  Mühe  war  für  ihn,  wie  schon  erwähnt, 
gross  genug,  wenn  es  sich  darum  handelte,  seine  Naturaliensammlung 
von  Neuem  zu  bereichern.  Den  Reigen  der  zu  dieser  Kategorie  ge- 
hörigen Werke  eröffnete  der  1726  herausgegebene  Katalog  der 
Breslauer  Sehenswürdigkeiten  unter  Hervorhebung  seiner  eigenen 
Sammlungen.  In  schneller  Aufeinanderfolge  erschienen  nun  eine  An- 
zahl numismatischer  Werke. 

Wir  erwähnen  unter  ihnen  als  die  wichtigsten:  „Nummi  singulares", 
in  denen  er  ,,sonderbahre  Thaler  und  Müntzen,  so  oft  wegen  einer 
kleinen  Marque  oder  kuriosen  Historie  oder  fabelhaften  Mährgen  von 
den  Müntzliebhabern  hochgeschätzt  werden,"  einer  kritischen  Prüfung 
unterwirft.  ,, Nummi  Jubilaei",  eine  seinen  Eltern  anlässlich  der  Feier 
ihrer  goldenen  Hochzeit  gewidmete  Festschrift,  sowie  ,,Silesii  in 
nummis"  als  Fortsetzung  der  Dewerdeckschen  „Silesia  numismatica," 
ein  sowohl  wegen  seiner  äusserst  detaillirten  genealogischen  Be- 
trachtungen, als  wegen  der   vorzüglichen,    selten   schön    gelungenen 


*)  Indem  wir  auf  unsere  Arbeit  „Daniel  Gohl  und  Christian  Kundmann"  verweisen, 
können  wir  nicht  umhin,  zu  gestehen,  dass  eigentlich  von  Grohl  aus  die  allererste  Idee, 
statistische  Daten  zu  sammeln,  ausgegangen,  und  dass  er  auch  eine  ähnliche  Arbeit  über 
Berliner  Verhältnisse  geschrieben,  die  sich  aber  nur  aut  ein  Jahr  erstreckte  .und  im  Ali- 
gemeinen  auch  unvollkommen  ist. 


69 

Abbildungen  allgemein  bekanntes  und  geschätztes  Werk,  das  noch 
heut  für  Medaillensammler  massgebend  ist.  Mit  Uebergehung  seiner 
in  der  Zeitschrift  „Germania  literata  vivens"  oder  „das  jetzt  lebende 
gelehrte  Deutschland"  niedergelegten  biographischen  Leistungen 
wenden  wir  uns  seinem  1737  erschienenen  bedeutungsvollsten  Werke 
zu,  welches  die  Ueberschrift  führt  ,,Rariora  Naturae  et  Artis  item 
in  re  medica"  oder  „  Seltenheiten  der  Natur  und  Kunst  des  Kund- 
mann'schen  Naturalienkabinets  wie  auch  in  der  Arznei- Wissenschaft", 
aber  noch  bei  weitem  mehr  liefert  als  der  Titel  verkündigt*).  Von 
diesem  in  sechs  besondere  Abtheilungen  geschiedenen  Werke  inter- 
essirt  uns  vor  Allem  das  letzte  Capitel,  weil  uns  darin  Kundmann 
-von  Neuem  auf  das  wichtige  Gebiet  der  Statistik  hinweist  und  in 
seinen  „Reflexiones  über  die  Krankheits-  und  Todtenlisten  mit 
medicinischen  Anmerkungen"  gewissermassen  ein  Facit  seiner  bisher 
gesammelten  statistischen  Erfahrungen  unterbreitet,  aus  welchem  ein 
gewaltiger  Fortschritt  unverkennbar  hervorgeht.  Wir  erhalten  in 
dieser  Abhandlung  Aufschluss  über  Populations-,  Mortalitäts-,  und  Mor- 
biditätsverhältnisse  grösserer  Städte,  hauptsächlich  Breslaus**),  über 
ihre  Ursachen  und  Wirkungen,  hören  auch  noch  manch  vortreffliche 
Massregel  zur  Abänderung  bestehender  Ungehörigkeiten;  überall 
leuchtet  der  medicinische  Geist  hervor,  aufklärend  und  belehrend, 
kurz,  es  ist  ein  ganzer  Schatz  von  Wissenswerthem,  das  sich  hier 
vor  unseren  Augen  entrollt,  geeignet,  weithin  nutzbringend  zu  wirken. 

Es  erscheint  natürlich,  dass  eine  solch  hervorragende  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  auch  von  der  Welt  Anerkennung  finden  musste. 
In  der  That    wurde    diese  unserem    Kundmann    reichlich    zu    Theil. 


*)  Dass  Kundmann  in  dieser  Arbeit  auch  der  Pest  gedenkt  und  sich  bemüht, 
Yerhaltungsmassregeln  festzustellen,  mit  denen  man  diese  furchtbare  Seuche  am  besten 
bekämpfen  könne,  darf  uns  durchaus  nicht  Wunder  nehmen,  war  doch  „die  Pest"  immer 
noch  das  Punctum  saliens,  das  die  Medicin  am  allermeisten   beschäftigte. 

**)  Merkwürdiger  Weise  war  keine  unter  so  vielen  geeigneter,  der  noch  jungen  statisti- 
schen Wissenschaft  die  rechten  AVege  für  eine  mächtige  Entwickelung  zu  weisen,  als  gerade 
Breslau.  Wie  Kundmann  mit  der  Medicinal-Statistik,  so  hat  Dr,  Caspar  Neumann,  Diaconus  bei 
Maria  Magdalena  zu  Breslau,  ein  halbes  Jahrhundert  vorher  mit  der  Zusammenstellung  der 
Geburten  und  Sterbelalle  seiner  Vaterstadt  Breslau  so  zu  sagen  ein  Gebiet  in's  Leben  ge- 
rufen, das  einen  unschätzbaren  Werth  in  sich  fasst,  weil  auf  Grund  dessen  das  gesammte 
sociale  Leben  im  Verlauf  der  folgenden  Jahre  eine  äusserst  vortheilhafte  L^mgestaltung  er- 
fahren. Nur  mit  Zuhilfenahme  der  Xeumann'schen  Tabellen,  die  uns  aus  den  von  Neumann 
an  Justell  übersandten  Briefen  bekannt  geworden,  vermochte  der  berühmte  Londoner 
Mathematiker  Edmund  Halley  die  AVahrscheinlichkeit  der  Lebensdauer,  einen  füj  A'ersicherungen 
so  wichtigen  Punkt,  zu  berechnen  und  Tabellen  zu  schaffen,  die  für  diese  tief  in  das  praktische 
Leben  einschneidende  Frage  manch  plausiblen  Fingerzeig  abgeben. 

Ueber  die  Halleyschen  Tafeln  u.  a.  cfr.  „Edm.und  Halley  rmd  Caspar  Neumann,  von 
Dr.  J.   Graetzer,  Breslau.  S.   Schottlaender   1883." 


7Q 

Durch  Diplom  vom  7.  Januar  1727  wählte  ihn  die  Akademie  der 
Naturae  Curiosorum  unter  dem  Namen  Epimenides  zu  ihrem  Mitgliede. 
Seine  Mitbürger,  voran  seine  ärztlichen  CoUegen,  empfanden  es  mit 
Stolz,  seinen  Umgang  zu  gemessen,  weit  über  die  engen  Grenzen 
seiner  Vaterstadt  hinaus  verbreitete  sich  der  Ruf  seiner  Gelehrsam- 
keit, und  die  bedeutendsten  Gelehrten  traten  mit  ihm  in  Correspondenz, 
so  dass  sich  das  Leben  für  ihn  recht  angenehm  gestaltete.  Inmitten 
dieser  beglückenden  Thätigkeit,  im  Jahre  1750,  verfiel  er  in  eine 
Krankheit,  von  der  er  nicht  mehr  genesen  sollte.  Noch  ein  volles 
Jahr  vermochte  er  sich  schwerleidend  hinzuschleppen.  Am  1 1.  Mai  1751, 
im  67.  Lebensjahre,  ereilte  ihn  der  Tod. 


Kundmanns  Schriften: 

Disput.  Inaug.  de  Regimine.  Praes.  G.  E.  Stahlio.  Halae.  1708.  acced. 
G.  Stahlii  propempt.  sistens  historiam  pathologicam  affectuum 
cum  coxarum  dolore  symbolizantium  Hippocraticam. 

Abhandlung  von  dem  Verstände  des  Menschen  vor  und  nach  dem 
Falle.     Bauzen  17 16. 

Sammlung  von  Natur-  und  Medicingeächichten,  wie  auch  hierzu  ge- 
hörigen Kunst-  und  Literaturgeschichten,  so  sich  in  Schlesien 
und  anderen  Ländern  begeben.  Unter  Mitwirkung  von  Kanold 
und  Brunschwitz.  Breslau  1717. 

Promptuarium  rerum  naturalium  et  artificialium  Vratislaviense,  prae- 
cipue  quas  collegit  I.  C.  K.  etc.  Vratisl.   1726. 

Nummi  singulares  oder  sonderbare  Thaler  und  Münzen,  so  oft  wegen 
einer  kleinen  Marque  oder  theils  curiösen  Historie,  theils  fabel- 
haften Mährgen  von  den  Münzliebhabern  hochgeschätzt  und 
deswegen  in  Münzcabinetten  vor  andern  aufbehalten  werden. 
Breslau   1731. 

Nummi  Jubilaei  oder  Jubel-Schaustücke,  so  nach  fünfzigjähriger  Hoch- 
fürstlicher Regierung,  nach  eben  so  lange  geführten  wichtigen 
Amtswürden,  insonderheit  auf  Hochzeit  Jubilaea  zum  Vorschein 
gekommen,  nebst  dem  hierbei  veranstalteten  Jubel-Gedächtniss 
als  der  andere  Theil  der  sonderbaren  Münzen.     Breslau   1733. 

Rariora  naturae  et  artis  item  in  re  medica,  oder  Seltenheit  der  Natur 
und  Kunst  des  Kundmann'schen  Naturaliencabinets,  wie  auch  in 
der  Arzneiwissenschaft.     Breslau  und  Leipzig.     1737. 

Silesii  in  nummis  oder  berühmte  Schlesier  in  Münzen,  welche  durch 
grosse  Heldenthaten,  durch  hohe  und  wichtige  Amtswürden, 
oder  durch  Gelehrsamkeit  und  Schriften  ihren  Namen  unver- 
gesslich  gemacht.     Breslau   1738. 


7^ 

Academiae  et  scholae  Germaniae,  praecipue  ducatus  Silesiae,  cum 
Bibliothecis  in  nummis,  oder  die  hohen  und  niederen  Schulen 
Deutschlands,  besonders  des  Herzogthums  Schlesien,  mit  ihren 
Büchervorräthen  in  Münzen,  wie  andere  ehemals  und  itzo  wohl- 
eingerichtete Schulen  dieses  Herzogthums,  dann  ein  Anhang  alter 
rarer  goldener  Münzen,  so  bei  Grundgrabung  des  Hospitalge- 
bäudes zu  Januar  1726  gefunden  worden,  beigefügt.  Breslau  1741. 

Die  Heimsuchungen  Gottes  im  Zorn  und  Gnade  über  das  Herzogthum 
Schlesien  in  Münzen.     Liegnitz  1742. 

Von  einer  zu  edirenden  Historie  der  Gelehrten  in  Münzen,  wie  auch 
von  denen  allbereits  dem  Druck  überlassenen  und,  so  Gott  will, 
noch  nachfolgenden  Schriften  D.  I.  C.  K.  etc.  Liegnitz  1742. 


Quellen. 

Dr.  Friedrich  Börners  ,, Nachrichten  von  vornehmsten  Lebensum- 
ständen und  Schriften  jetzt  lebender  berühmter  Aerzte  und 
Naturforscher  in  und  um  Deutschland"  L  Band  Wolfenbüttel  1749. 

Biographisches  Lexikon  der  hervorragendsten  Aerzte  aller  Zeiten  und 
Völker.  Herausgegeben  von  Dr.  August  Hirsch,  Professor  der 
Medicin  zu  Berlin.     IIL  Band  Seite  571.  Wien  u.  Leipzig  1886. 

Dr.  J.  Graetzer  „Daniel  Gohl  und  Christian  Kundmann"  zur  Geschichte 
der  Medicinal-Statistik.     Breslau  1884. 


Joh.  Sigmund  Hahn. 


In  der  Geschichte  der  Medicin  ist  es  wohl  eine  allgemein  an- 
erkannte Thatsache,  dass  die  moderne  Ausbildung  der  Kaltwasser- 
heilkunde ihre  wesentliche  Anregung  in  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahr- 
hunderts durch  die  erfolgreichen  Kaltwasserkuren  des  schlesischen 
Bauernsohnes,  Vincenz  Priesznitz  aus  Gräfenberg  (1799  — 1852), 
empfing  und  von  ihm,  der  zuerst  diese  Curen  in  seiner  zu  Gräfenberg 
gegründeten  Anstalt  machte,  ihren  Ausgang  nahm.  Die  wissenschaft- 
liche, methodische  Entwicklung  stützte  sich  auf  erweiterte  Er- 
fahrungen oder  neue  Entdeckungen  in  der  Chemie,  Physiologie  und 
Pathologie,  von  denen  Priesznitz  selbst,  als  Laie  in  der  Medicin,  gar 
zu  wenig  wusste.  Winternitz  („Hydrotherapie"  S.  60)  ist  demgemäss 
zu  der  Annahme  geneigt,  dass  Priesznitz  als  „originell  denkender  Kopf," 
selbständig  zu  seiner  Methode  gelangt  sei,  welche  schon  100  Jahre 
vorher  in  ähnlicher  Weise  von  dem  englischen  Geistlichen  Hancoke 
empfohlen  worden  war.  („Febrifugum  magnum  or  Common  Water  the 
best  eure  of  fevers"  1723,  cf.  Winternitz  S.  42.)  Dass  Priesznitz  in  der 
medicinischen  Literatur  selbst  seines  Faches  wenig  bewandert  war, 
wissen  wir  durch  seine  Biographen*);  es  ist  uns  auch  nicht  über- 
liefert, welche  Bücher  er  gelesen  hat**).  Vielleicht  gehörte  zu 
diesen  das  Werk  über  die  Wasserheilkunde,  das  im  Jahre  1738  der  zu 
früh  vergessene  Landsmann  des  Priesznitz,  Dr.  Joh.  Sigmund  Hahn, 
Stadtarzt  zu  Schweidnitz,  verfasste.    Dieser  tüchtige  Arzt  hatte  seiner 


*)  Cf.  E.  M.  Selinger:  Vincenz  Priesznitz,  S.  l6.  —  Wurzbach:  Biograph.  Lexikon 
des  Kaiserthums  Oesterreich.     XXIII,  S.   291. 

**)  Dass  Pr.  lesen  konnte,  ist  nach  den  in  der  vorhergehenden  Note  angeführten 
Stellen  als  sicher  anzunehmen;  dazukommt  Selinger  V.  Pr.,  S.  144.  Die  entgegengesetzte 
Behauptung  Pageis  in  der  „Allgem.  Deutsch.  Biographie"  Bd.  XXVI,  S.  289/90  beruht 
■wohl  auf  irrthümlicher  Auffassung  der  von  Priesznitz  berichteten  Aeusserung:  „Hätte  ich 
meinen  Vater  nicht  eH  Jahre  herumführen  müssen,  so  würde  ich  in  der  Schule  wenigstens 
ordentlich  lesen  und  schreiben  gelernt  haben."  Cf.  Neuer  Nekrolog  der  Deutschen,  Bd.  29,  11, 
S.  896,  —  Einen  regelmässigen  Schulunterricht  genoss  er  nicht,  cf.  Selinger  1.  c.  S.  4; 
erst  später  muss  er  es  zur  Fertigkeit  im  Lesen  gebracht  haben. 


Zeit,  wie  später  Priesznitz,  ausserordentliche  Erfolge  mit  seinen  Kalt- 
wassercuren  erreicht,  die  seinen  Namen  auch  über  die  Grenzen  seiner 
Heimat  weit  hinaustrugen;  überlegen  war  er  Priesznitz  an  Vorkennt- 
nissen und  Belesenheit  auf  dem  Gebiete  der  Medicin  in  Folge 
seines  Studiums  sowie  durch  die  wissenschaftliche  Begründung  seines 
Heilverfahrens  in  verschiedenen  Krankheiten.  Solch  eine  Persönlich- 
keit verdient  es  wohl,  besonders  an  dieser  Stelle,  dass  ihr  Leben 
und  Wirken  der  Vergessenheit  entrissen  werde. 

Hahn  wurde  zur  Beschäftigung  mit  der  Wasserheilkunde  durch  die 
Thätigkeit  seines  eigenen  Vaters,  Sigmund  Hahn,  hingeleitet*),  der, 
etwa  gleichzeitig  mit  dem  berühmten  Arzt  und  Schriftsteller  Friedrich 
HofTmann,  dem  Führer  der  mechanisch -dynamischen  Schule  und 
Hallenser  Universitätsprofessor  (s.  Winternitz,  1.  c.  S.  45,  46),  den 
Gebrauch  des  kalten  Wassers  in  fast  allen  Krankheiten  eindringlich 
empfahl  und  dasselbe,  nachdem  er  dessen  vortreffliche  Wirkungen 
zum  Theil  an  seinem  eigenen  Körper  erprobt  hatte  (S.  13  seines 
,,Alt-Kalt-Bad-  und  Trincken"),  in  seiner  ausgedehnten  Praxis  in  und 
ausserhalb  seiner  Vaterstadt  Schweidnitz,  als  einer  der  ersten  in 
Deutschland,  mit  grösstem  Nutzen  für  die  leidende  Menschheit  ver- 
wandte. Ein  reiches  Material  an  Erfahrungen  und  Beobachtungen, 
gesammelt  während  einer  fünfzigjährigen  ärztlichen  Thätigkeit,  konnte 
er,  der  mit  den  einschlägigen  Arbeiten  der  bedeutendsten  Autoren 
(Boerhaave,  Chirac,  wSmith,  Floyer  u.  a.)  vertraut  war,  seinem  Sohne 
für  dessen  literarisch- wissenschaftliche  Thätigkeit  zur  Verfügung 
stellen.  In  seiner  ,,Psychroluposia  jam  renovata",  welche  er,  1738, 
gelegentlich  seines  50jährigen  Doctor-Jubiläums  in  deutscher  Ueber- 
setzung  als  „Wi-ederaufgewärmt  Alt-Kalt-Bad-  und  Trincken"  her- 
ausgab, erzählt  uns  der  ältere  Hahn,  wie  er  schon  als  junger  Doctor 
(S.  8,  Text  und  Anmerkung)  —  1688  hatte  er  in  Leyden  promovirt 
—  sich  der  Wasserheilkunde  mit  Eifer  zuwandte  und  ihr,  wie  sehr 
er  auch  in  seiner  Heimat  verspottet  und  angegriffen  wurde,  treu 
blieb;  wie  er  besonders  die  bei  Fieberkranken  bisher  angewandten 
Medicamente  (S.  9):  Essenzen,  Tincturen  u.  s,  w.,  untersucht  und 
deren  Schädlichkeit  erkannt  habe.  So  kam  er  darauf,  in  solchen 
Krankheiten  mit  ,,lufftigem  Verhalten,  kühlem  Trincken  und  Waschen" 
(S.  12  u.  S.  5  §  3)  von  Erfolg  gekrönte  Versuche  zu  machen.  „Ich 
hab,"  so  sagt  er  an  einer  Stelle,  ,,ohne  ruhmräthig  mich  bei  meiner 
50jährigen  Praxis  aufzuführen,  Ehre  genung  in  entlegnem  Ländern**) 


*)  Er  war  der  jüngere  Sohn  des  Pastors  Gottfried  Hahn,  geboren  1664,  da  er  sich 
in  seinem  Werke,  das    1738  erschien,  als  74  Jahr  alt  angiebt  (S.   17). 

**)  Er  bekleidete  eine  Zeitlang  die  Stelle  eines  Leibarztes  bei  dem  Thronfolger  Polens 
Jakob  Sobieski.     Cf.  Biograph.  Lexikon  der  hervorrag.  Aerzte.     Bd.  III,  S.  17. 


74 

und  hiesigen  Fürstenthümern  gehabt.  Exempli  Gratia:  Ich  bin  in 
einem  eintzigen  Winter  auf  dem  Schütten  fünfmahl  in  die  grösste 
Stadt  Schlesiens  zur  Conferentz  gereiset."  —  Er  erlebte  auch  die 
grosse  Freude,  seinen  älteren  Sohn,  den  Breslauer  Oberarzt  und 
Decan  des  Collegium  Med.  et  Sanit.,  Johann  Gottfried  Hahn*),  der  im 
Jahre  1737  während  der  Typhus-Epidemie  schwer  erkrankte  und 
hoffnungslos  darniederlag,  durch  seine  Wasserkur  vom  Tode  zu 
erretten;  so  berichten  uns  der  erkrankte  Sohn  selbst  und  dessen 
Bruder  (cf.  Winternitz  Hydrother.,  S.  47  und  Joh.  Sigm.  Hahn, 
„Unterricht  von  Kraft  und  Wirkung",  S.  38  der  I.  Auflage).  Als 
der  Vater  im  Jahre  1742  im  Alter  von  78  Jahren  starb  (s.  Biograph. 
Lexikon  Bd.  III,  S.  17),  hatten  beide  Söhne  sich  bereits  ein  grosses 
Ansehen  in  der  Aerzte-  und  Laienwelt  verschafft  und  der  jüngere 
von  ihnen,  Joh.  Sigmund,  auf  demselben  Gebiet,  auf  dem  der  Vater 
thätig  gewesen  war,  als  praktischer  Arzt  und  Schriftsteller  Be- 
deutendes geleistet. 

Joh.  Sigmund  Hahn  erblickte  zu  Schweidnitz  im  Jahre  1696  das 
Licht  der  Welt,  ein  Jahr  nachdem  der  Vater,  vermählt  mit  Susanne 
Marie  geb.  Franz,  das  grosse  Schweidnitzer  Bürgerrecht  erworben 
hatte**).  Der  jüngere  Sohn  wird  wohl,  wie  der  zwei  Jahr  ältere  Joh. 
Gottfried,  zunächst  von  Privatlehrern  unterrichtet  worden  sein  und 
dann  erst  die  evangelische  Stadtschule  besucht  haben  (Allgem. 
Encyklop.  der  Wissensch.  u.  Künste.  Sectio  H,  P.  i,  S.  186),  bis  er 
die  Universität  Leipzig  aufsuchte,  um  daselbst  Medicin  zu  studiren;  ; 
Wann  er  sich  als  praktischer  Arzt  in  seiner  Vaterstadt  niederliess, 
ist  nicht  bekannt.  Mit  derselben  Energie,  wie  der  Vater,  bekämpfte 
er  die  alten,  eingewurzelten  Vorurtheile  von  der  Schädlichkeit  des 
kalten  Wassers  für  Gesunde  und  Kranke,  sei  es  innerlich  oder  sei 
es  äusserlich  gebraucht  (cf.  Winternitz  S.  47).  Ein  Denkmal  kind- 
licher Liebe  und  Verehrung    setzte    er   dem  Vater  in  der  Vorrede 


*)  Joh.  Gott  fr.  Hahn  war  im  Jahre  1694  geboren,  besuchte  die  Universität  Leipzig, 
an  der  er  1717  promovirte.;  1731  wurde  er  zum  Mitglied  der  Kaiserl.  Akademie  der  Natur- 
forscher ernannt.  Friedrich  II  machte  ihn  1745  zum  Dekan  des  Collegii  Medio,  et  San. 
in  Breslau,  wo  sich  H.  niedergelassen  hatte,  und  verlieh  ihm  den  Titel  „Hofrath",  1748 
auch  den  Adel;  1753  starb  er.  Ob  er  selbst  die  Wassercur  oft  angewandt  hat,  ist  uns 
nicht  bekannt,  er  war  schriftstellerisch  thätig.  Cf.  Allgem.  Encyclop.  der  Wiss.  und 
Künste.     Sectio  11,  Pars  i,  S.  186  u.   187. 

**)  Diese  Nachricht  verdanke  ich  einer  archivalischen  Mittheilung  des  Stadraths  Caspari 
in  Schweidnitz.  —  In  den  Schles.  Provinzialblättern.  Bd.  130,  St.  12,  S.  501  wird 
von  Rob.  Stetten  die  Inschrift  von  v.  Hahns  Denkmal  bekannt  gemacht.  Hier  wird  als 
Mutter  angegeben:  Cathar.  Sophie  geb.  Grass.  Nachkommen  v.  Hahn's  sind  die  Dichterin 
Agnes  Franz  und  die  Gattin  des  Anatoms  Mich.  Morgenbesser,  cf.   S.   87  dieses  "Werkes. 


75 

seines  demselben  gewidmeten  Werkes  über  „die  Kraft  und  Wirkung 
des  frischen  Wassers,"  das  zugleich  mit  dem  Werke  des  Vaters  im 
Jahre  1738  veröffentlicht  wurde.  Der  Einfluss  Hahns  in  der  Stadt 
Schweidnitz  und  sein  Ansehen  muss  ganz  bedeutend  gewesen  sein; 
ein  curioses  Factum  aus  der  Geschichte  der  Stadt  in  diesen 
Jahren  beweist  es  uns  zunächst:  Im  Anfang  der  vierziger  Jahre 
des  XVIII.  Jahrhunderts,  als  die  Stadt  durch  die  ersten  schlesischen 
Kriege  an  Preussen  gekommen  war,  klagte  die  Communalbehörde 
darüber,  dass  der  Bierconsum  in  den  vornehmen  Familien  durch  die 
Schuld  der  Aerzte  zurückgegangen  sei,  da  man  „sich  mehr  an  das 
Wasser  halte".  (Cf,  Schmidt:  Geschichte  der  Stadt  Schweidnitz. 
Bd.  II,  S.  254).  Die  Stadt  aber  erkannte  die  Verdienste  und  den 
Werth  dieses  Mannes  bald  an.  Im  Jahre  1750  wurde  er  zum  Ober- 
kirchenvorsteher an  der  evangelischen  Friedenskirche,  an  der  schon 
Vorfahren  Joh.  Sigmunds  als  Seelsorger  gewirkt  hatten,  erwählt*). 
In  diesem  Amte  befindlich,  verfasste  Hahn,  als  im  Jahre  1752  das 
hundertjährige  Bestehen  der  erwähnten  Kirche  festlich  begangen 
wurde,  das  in  französischer  Sprache  abgefasste  Begleitschreiben  für 
die  zu  Ehren  des  Tages  gestiftete  und  an  Friedrich  IL  gesandte 
goldne  Jubelmedaille**).  Die  ehrendste  Anerkennung  fand  Hahn  im 
Jahre  1755  bei  Erledigung  der  Stadt-Physikatsstelle  durch  den  Tod 
des  bisherigen  Inhabers.  Der  Magistrat  brachte  Hahn  anbetracht 
„der  ihm  beiwohnenden  Wissenschaft  und  Praxi  Medica"  in  Vorschlag 
für  diese  Stelle  bei  dem  Breslauer  Collegium  Med.  et  Sanitat.,  ohne 
dass  eine  Meldung  Hahns  zu  diesem  Posten  vorlag.  Das  Collegium 
verschloss  sich  den  Vorzügen  dieses  Candidaten  keineswegs,  musste 
ihn  aber,  da  er  kein  Physikatsexamen  abgelegt  hatte,  abweisen. 
Nachdem  er  jedoch  einen  ihm  aufgegebenen  „Casus  elaborirt",  also 
eine  Art  Examen  bestanden  hatte,  wurde  er  im  Jahre  1756  in  der 
Physikatsstelle  bestätigt.  Noch  einmal  begegnen  wir  Hahn  in  der 
Geschichte  seiner  Vaterstadt  und  zwar  in  einer  schweren  Zeit  und 
in  kritischer  Lage.  Als  die  Stadt  im  Jahre  1758  wieder  in  die  Ge- 
walt der  O esterreicher  gelangt  war,  kam  es  zu  einem  Conflict 
zwischen   Hahn    als  Oberkirchenvorsteher  und   dem   Commandanten 


*)  Der  Grossvater,  Gottfr.  Hahn  d.  Aeltere,  war  Diaconus  an  der  evangel.  Friedens- 
kirche seit  d.  J.  1655;  cf.  Schmidt,  S.  140  u.  209.  —  Der  Oheim  J.  Sieg.  Hahns,  Gottfr. 
Hahn  d.  Jüngere,  war  Senior  des  evangel.  Ministerii  an  derselben  Kirche,  hochangesehen  als 
Prediger,  machte  sich  um  das  protestantische  Lyceum  verdient  und  starb  1748,  86  Jahr  alt. 
Cf.  Schmidt,  S.  215,  220,  249. 

**)  Cf.  Schmidt,  S.  250.  —  Dies  über  Hahn  Gesagte  beruht  auf  gütiger  Mittheilung 
des  Stadtraths  Caspari  in  Schweidnitz,  ebenso  wie  die  oben  folgende  interessante  Nachricht 
aus  dem  Leben  Hahns. 


. 76 

General  Thierheim*).  Gegen  das  Verbot  dieses  hatte  Hahn  am 
Gründonnerstag-  die  Kirchenglocken  zu  läuten  befohlen,  wurde  zur 
Rechenschaft  gezogen  und  in 's  Gefängniss  abgeführt.  "Vor  längerer 
Haft  sicherte  sich  Hahn  nur  durch  seine  feierliche  Erklärung,  dass 
dieser  Brauch  den  Evangelischen  schon  von  dem  Habsburger  Karl  VI. 
genehmigt  worden  sei.  Am  27,  Juli  1773  beschloss  Hahn  sein  werk- 
thätiges,  erfolgreiches  Leben  im  Alter  von  77  Jahren  (cf.  Schlesische 
Provinzialblätter  184g,     Bd.  130,  S.  501). 

Wenn  Hahn  im  Gedächtniss  der  Nachwelt  keinen  oder  nur 
einen  winzigen  Platz  fand,  so  lag  dies  einmal  wohl  daran,  dass  sich 
„Charlatane  der  Sache  bemächtigten  und  sie  inMisscredit  brachten"**), 
zweitens  daran,  dass  sich  unter  den  ihm  Nahestehenden  kein  Pfleger 
seiner  Lehren,  kein  Verbreiter  seiner  Anschauungen  und  Grund- 
sätze fand.  Seine  Heimat  und  ihre  Umgebung,  wie  Tannhausen, 
Charlottenbrunn  u.  a.,  haben  daher  von  seinem  und  seines  Vaters 
Wirken  nicht  jene  materielle  Förderung,  nicht  jene  segensreichen 
Folgen  erfahren,  deren  sich  das  bekannte,  uns  nahe  Gräfenberg  in 
F'olge  der  Thätigkeit  Priesznitz'  ***)  bis  auf  die  Gegenwart  zu  erfreuen 
hat.  Wie  der  Name  Hahns,  so  wurde  auch  sein  Werk  bis  in  den 
Anfang  unseres  Jahrhunderts  vergessen. 

Das  Werk  Joh.  Sig.  Hahns,  welches  im  Jahre  1738  das  erste 
Mal  erschien  und  zu  Lebzeiten  des  Verfassers  bis  zum  Jahre  1764 
noch  drei  neue  Auflagen  erfuhr,  ist  betitelt:  ,, Unterricht  von  Krafit 
und  Wirkung  des  frischen  Wassers  bei  dessen  innerlichem  und 
äusserlichem  Gebrauch."  Da  Hahn  nicht  nur  für  Aerzte,  sondern 
vornehmlich  für  die  Laienwelt  schreiben  wollte,  so  ist  der  Ton  seines 
Buches  meistens  ein  populärer,  allgemein  verständlicher,  ohne  dass 
der  Verfasser  in  den  oft  polternden  und  unverständlichen  Tonf),  der 


*)  Cf.  Schmidt,  S.  267.  —  Dass  das  bei  ihm  Berichtete  sich  auf  Hahn  bezieht, 
beruht  auf  Mittheilung  des  Herrn  Caspari. 

**)  Cf.  Winternitz,  S.  47.  Er  berichtet  hier,  dass  sich  der  berühmte  Leibchirurg 
Friedrichs  d.  Grossen,  Theden,  der  Kaltwassercur  nach  Hahn'schen  Grundsätzen  bei  den 
verschiedensten  Leiden  bediente. 

***)  Welch  geringe  Anerkennung  Pr.  grade  bei  bedeutenden  Aerzten,  die  ihn  in  Gräfen- 
berg aufsuchten,  fand,  bezeugt  eine  Bemerkung  Griesingers  im  , »Archiv  für  physiol.  Heilk. 
II.  Jahrgang,  S.  467  :  „Ein  schlesischer  Bauer,  der  weiss,  was  man  dem  Publikum  bieten 
darf,  wendet  die  Dreistheit  seiner  Ochsentherapie  keck  auf  Menschengesundheit  an."  —  Als 
ich  Wendt  bei  seiner  Rückkehr  aus  Gräfenberg  fragte,  wie  es  ihm  dort  gefallen,  meinte 
er:  „Das  Beste  an  dem  ganzen  Gräfenberg  ist  die  schöne  Tochter  Priesznitz'"  (später  Frau 
von  Ujhazy)  u.  a.  ähnlich. 

■j-)  Winternitz  sagt  S.  47:  „Der  jüngere  (Hahn)  war  es,  der  in  Schriften  (?),  welche, 
in  populärem  Stil  gehalten,  viele  Verbreitung  fanden,  das  Wasser  gegen  alle  Krankheiten 
und  für  Alle  anrieth,  ohne  deswegen  in  den  ordinären  Ton  und  die  polternde  Exclusivität 
der  Wasserfanatiker  und  Naturärzte  zu  verfallen,  da  ihm  ärztliche  Kenntnisse  nicht  ab- 
gingen."    Letzteres  ist  zu  wenig  gesagt. 


77 

sich  in  der  Arbeit  des  Vaters  zeigt,  fällt.  Vom  Anfang  bis  zum 
Ende  haben  wir  es  mit  einem  wissenschaftlichen  Geiste  zu  thun, 
mit  einem  ernsten,  von  der  Wichtigkeit  der  Sache  erfüllten  Mann. 
Nach  einer  kurzen,  gedrängten  Ueb ersieht  über  die  physikalischen 
Eigenschaften  des  Wassers,  der  „Vorbereitung,"  zerlegt  er  seinen 
Stoff,  wie  schon  im  Titel  präsumirt,  in  zwei  Theile.  Der  erste 
handelt  in  fünf  Capiteln  von  den  Vorzügen  des  kalten  Wassers  bei 
innerlichem  Gebrauch*).  Dabei  hat  er  stets  neben  den  Kranken 
auch  die  Wohlfahrt  der  Gesunden  im  Auge  und  empfiehlt  Beiden 
das  frische  Wasser  zunächst,  weil  es  alle  schädlichen,  scharfen  Säfte 
mildert  und  die  Hitze  dämpft.  Ein  besonderes  Capitel  widmet  er 
dem  Nutzen  des  frischen  Wassers  bei  chronischen  Krankheiten,  vor 
Allem  der  Wassersucht.  Er  schildert  den  pathologischen  Zustand 
(S.  1.9),  dann  die  Wirkungen,  welche  das  in  grösseren  Quantitäten 
genossene  Wasser  hierbei  auszuüben  im  Stande  ist  (vgl.  Winternitz 
auf  S.  161/162  über  ,, methodisches  Wassertrinken  bei  Hydropsieen"), 
und  die  Fälle,  in  denen  eine  heilsame  Wirkung  von  demselben  nicht 
mehr  zu  erwarten  ist  (S.  20).  Er  erklärt  am  Schlüsse  dieses  letzten 
Capitels,  dass  er  weit  davon  entfernt  sei,  zu  glauben,  dass  nun  damit 
alle  Wassersüchtigen  zu  heilen  seien**),  oder  dass  das  Wasser  allein 
die  ganze  Cur  verrichten  könnte,  „indem  wir  auch  verschiedene 
andere  bewährte  Mittel  haben,  so  wir  hier  oftmals  mit  gutem  Nutzen 
anwenden  mögen."  (S.  2^.)  Auch  für  die  äusserliche  Verwendung 
von  kaltem  Wasser  bei  Wassersucht  plaidirt  Hahn  in  einem  beson- 
deren Capitel  des  zweiten  Theiles  und,  wenn  auch  in  unsrer  Zeit 
diese  Cur  nicht  in  demselben  Masse  und  in  derselben  Form,  wie 
Hahn  es  will,  angewandt  wird,  so  findet  sich  doch  bei  Winternitz 
(S.  186,  291  und  292)  noch  die  Empfehlung  von  Regenbädern  oder 
feuchten  Abreibungen  in  einer  ,  combinirten  Methode  bei  Hydrops. 
Im  zweiten,  grösseren  Theile  führt  H.  in  acht  Capiteln  aus,  welche 
Bedeutung  der  äusserliche  Kaltwassergebrauch  für  die  Gesundheit 
der  Menschen  hat,  indem  er  dabei  seine  Ansichten  durch  diejenigen 
eines  Septalius,  Bonnet,  Verheyen,  Smith,  Sangez,  Floyer  u.  A.  stützt. 
Die  Reinlichkeit  der  Haut  werde  am  vollkommensten  durch  kaltes 
Wasser  erreicht,  welches  zugleich  überaus  heilsam  für  dieselbe  sei 
und  vor  schädlichen  Ausschlägen  und  Entzündungen  an  den  Körper- 
theilen  schütze.  Ganz  besonders  empfiehlt  er,  sich  der  Ansicht  des 
Vaters  anschliessend  (§§  5  und  6  im  ,,Alt-Kalt-Bad-  und  Trincken"), 
die  Kaltwasserverwendung  bei  allen  mit  Fieber  verbundenen  Krank- 

*)  Ich  lege  hier  die  erste  Auflage  des  AVerkes,  1738,  zu  Grunde.  —  Er  stützt  sich 
im  ersten  Theile  auf  die  Werke  Boerhaaves,  HofTnianns  und  Heimreichs  und  auf  die  ,,Me- 
moires  de  l'Academie  des  Sciences.      1701. 

**)  Wie  ja  heute  bei  manchen  die  Organe  tiefer  ergreifenden  Formen  der  Hydrops. 


78 

heiten,  wie  heute  bei  Typhus  (Cap.  III);  mit  Hilfe  des  „Thermome- 
trum  Farenheitianum"  stellt  er  die  Temperaturzunahme  fest*)  und 
verwendet  nun,  um  Abkühlung  zu  erzielen,  die  sich  bis  in  die 
inneren  Theile  des  Organismus  erstreckt,  kalte  Abwaschimgen,  Um- 
schläge um  den  Kopf,  Unterleib  und  Magen,  Begiessungen,  kalte 
Klystire,  temperirte  Bäder,  sogar  Eis**).  In  dem  folgenden  Capitel 
spricht  er  vom  Gebrauch  des  Wassers  in  der  Form  von  kalten  Voll- 
und  Theilbädern  bei  Geschlechtskrankheiten,  Brüchen  und  Ver- 
renkungen und  empfiehlt  die  Application  von  Eis  bei  Blutstürzen 
und  AVunden.  In  den  nächsten  beiden  Capiteln  verbreitet  er  sich 
über  die  Wirkungen  des  kalten  Wassers  bei  erfrorenen  Gliedern 
und  deren  Lähmung;  Kopf-  und  Genickwaschungen,  Bäder  des  ge- 
lähmten Theiles,  Sturzbäder  auf  das  durch  besondere  Schwamm- 
kappen verwahrte  Haupt  und  die  mit  leinenen  Tüchern  bedeckten 
Glieder  haben  sich  in  seiner  Praxis  bewährt.  Auch  bei  der  Gicht***) 
will  er  ähnliche  Arten  der  Application  verwerthen,  obwohl  „auch 
berühmte  Praktici  verbieten,  keine  erkältenden  Sachen  an  die  gich- 
tischen Glieder  zu  bringen".  In  dem  letzten  Capitel  weist  er  in 
längerer,  eindringlicher  Ausführung  die  Annahme  zurück,  dass  das 
kalte  Wasser  die  schädlichen  Säfte  des  Innern  am  Austreten  ver- 
hindern und  zurücktreiben  könne  (S.S.  62 — 64;  cf.  Winternitz,  S.  47). 
Zum  Schluss  giebt  er  ein  kurzes  Resume  über  die  verschiedenen 
Arten  der  Application  des  kalten  Wassers  und  verwahrt  sich  gegen 
irgendwelche  niedere  Verdächtigungen  seiner  Person  wegen  seiner 
Empfehlung  der  Wassercur.  Die  Diätetik  berührt  er  in  seinem 
Werke  ebenfalls,  wie  sie  in  der  Arbeit  des  Vaters  auch  häufiger 
erörtert  wirdf). 

In    einer    „Zugabe"    zu    seiner    Schrift    warnt    er    in    kräftigen, 


*)  Cf.  Winternitz,  S.  47:  ,, Beide  Brüder  sind  sich  über  das  Ziel  der  Wasserbe- 
handlung bei  Fiebernden  l<lar"  u.  s.  w. 

**)  Es  sei  hier  erlaubt,  darauf  hinzuweisen,  dass  auch  Ludw.  Traube  sich,  im  Todesjahr 
Priesznitz'  1851,  gerade  bei  Fieberkrankheiten  den  hydrotherapeutischen  Versuchen  zuwandte, 
wie  aus  einem  Briefe  von  ihm  1852  hervorgeht  (bei  Leyden:  Gedächtnissrede  auf  L.  Traube. 
1877,  S.  33,  Anm.  23).  Es  verlohnt  sich,  seine  Ausführungen  mit  denen  Hahns  zusammen- 
zuhalten. 

***)  Die  Behauptung  Selingers,  dass  die  Hahn  den  langen  Gebrauch  des  kalten  Wassers 
scheuten,  um  den  Ausbruch  von  bösen  Gesc  würen  und  Ausschlä;,'en  zu  vermeiden  (S.  52), 
ist  nicht  richtig.  Man  lese,  was  Halm  S.  59  über  dij  Cur  bei  der  Gicht  sagt  und  S.  27. 
Selinger  will  aus  dem  von  ihm  Behaupteten  ein  besonderes  Verdienst  für  Prieszn.   extrahiren. 

f)  So  z.  B.  S.  26,  30  im  Werke  des  Vaters;  SS.  4,  8,  10  bei  Job.  Sigm.  Es  finden 
sich  überhaupt  alle  Elemente  der  Wasst  r  eilnunde :  die  verschiedenen  Formen  der  Anwendung 
des  kalten  Wassers,  die  Diät  und  die  Wichtigkeit  der  frischen  Luft,  die  Piiesznitz  gebrauchte 
und  zwar  methodischer,  schon  bei  d  n  beiden  Hahns;  nur  verwtrfen  sie  nicht,  wie  dieser, 
temperirte  Bäder  und  Eis;  cf,  Allgem.  Encyklop.  der  W.  und  K.  Sectio  U.,  P.  32, 
S.  l'j2.     Artikel:  Kaltwassercur. 


79 

entschiedenen  Worten  davor,  Fieberkranke  in  trockene  Tücher,  viel 
Betten  u.  s.  w.  fest  einzuhüllen  und  in  dumpfigen,  nicht  durch- 
lüfteten Zimmern  zu  lassen.  „Wieweit  er  seiner  Zeit  vorge- 
schritten," sagt  Winternitz,  S.  47,  „zeigt  der  grosse  Werth,  welchen 
die  Diätetik  bei  ihm  hat;  die  Energie,  mit  welcher  er  der  frischen 
Luft  in  Krankenzimmern  das  Wort  redet,  erinnert  an  die  scharfe 
Feder  P.  Niemeyers." 

Wir  können,  mit  Rücksicht  auf  den  Heimatsort  Hahns,  nach 
unseren  Ausführungen  sagen,  dass  man  in  Deutschland  der  Stadt 
Schweidnitz  die  Priorität  in  der  Einführung  des  hydrotherapischen 
Verfahrens  einräumen  muss.  Die  Stadt  kann  in  Joh.  Sigm.  Hahn 
einen  ihrer  edelsten  und  besten  Bürger  verehren,  dem  es  bei 
mangelnder  Nachkommenschaft  leider  nicht  vergönnt  war  (cf.  Schles. 
Provinzialbl.  184g,  Bd.  130,  8,501),  Nachhaltiges  in  und  ausserhalb 
seiner  engeren  Heimat  zu  schaffen*).  Der  ganze  sittliche  Ernst  und 
Stolz  des  Mannes,  die  nur  bei  einem  wahrhaft  Gebildeten  anzu- 
treffende Kunst,  ,,Mass  zu  halten  und  Ziel",  zeigen  sich  in  den 
Schlussstellen  seines  Werkes  ganz  besonders.  ,,Wer  da  nicht  er- 
kennen wollte,"  heisst  es  S.  66,  „dass  wir  hiezu  (sc.  Wassercuren) 
allein  durch  bündigste  Ueberzeugung  und  offenbare  vielfältig  be- 
stätigte Erfahrung  aufgemuntert  und  von  der  Ehrlichkeit  und  Liebe 
gegen  den  Nächsten  angetrieben  würden,  der  müsste  uns  entweder 
für  so  einfältig  halten,  als  gedächten  wir  Trauben  von  den  Dornen 
zu  sammeln;  oder  für  so  unwissend,  als  könnten  wir  nicht  auch 
ganze  Bogen  voll  Recepte  ausschreiben;  oder  endlich  für  so  nach- 
lässig, dass  wir  ausser  dem  schlichten  Wasser  sonst  auf  keine  heil- 
samen Mittel  möchten  bedacht  sein.,,**)  Und  der  folgende  Absatz 
enthält  die  schönen,  männlichen  Worte: 

„Ich  lebe  nun  der  festen  Zuversicht,  der  geneigte  Leser  werde 
weder  an  der  Redlichkeit  meiner  bei  diesen  Blättern  geführten 
Absicht,  noch  an  der  Richtigkeit  der  hin  und  wieder  eingestreuten 
Observationum  einigen  Zweifel  tragen:  Ist  mir  aber  in  dem  Beweis 
meiner  Gründe  und  in  der  Folgerung  meiner  Schlüsse  etwas  Mensch- 


*)  Zweifellos  schädlich  musste  in  diesem  Jahrhundert  für  das  Andenken  Hahns  die 
umgeänderte  Auflage  seines  "Werkes,  die  Prof.  Oertel  in  Ansbach  1834  vornahm,  wirken, 
da  der  Ton  in  derselben,  der  medicinischen  AVissenschaft  nicht  angemessen,  abstossend  ist 
und  sich  willkürliche  Aenderungen,  Auslassungen  und  Erweiterungen  darin  finden.  —  Kisch 
in  seinem  Artikel  über  Hydrotherapie  in  der  Eulenburg'schen :  „Realencyklopä  die  der 
gesammten  Heilkunde."  Bd.  VI,  S.  679,  datirt  von  den  drei  Hahns  „eine  neue  Epoche 
in  der  Hydrotherapie". 

**)  Auf  S.  67  heisst  es:  „Ob  wir  zwar  das  Wasser  bei  allen  Unpässlichkeiten  an- 
preisen, so  gebrauchen  wir  doch  dabei  mancherlei  durch  die  Erfahrung  bewährte  Mittel, 
ohne  welche  uns  die  Last  zu  prakticiren  beinahe  vergehen  würde." 


8o 

liches  widerfahren,  so  werde  ich  mich  gern  eines  Besseren  belehren 
lassen,  wenn  man  nicht  mit  Vorurtheilen,  sondern  mit  überzeugenden 
Sätzen  mich  meines  Irrthums  überführen  wird." 


Werke  der  drei  Hahns. 

I.  Sigmund  Hahn: 

a)  „Peterswälder  Gesundbrunnen."      1732. 

b)  ,,AVieder  aufgewärmt  Alt-Kalt-Bad-  und  Trincken."  1738» 
(Lateinischer  Titel:   Psychroluposia  vetus  renovata.) 

c)  siehe  III  b, 

II.  Joh.  Sigm.  Hahn: 

a)  „Unterricht  von  Krafft  und  Würckung  des  frischen  Wassers. "^ 
I.  Aufl.   1738.     IV.  Aufl.   1764.     Breslau — Leipzig. 

b)  Zugabe  zu  a:  „Von  dem  frischen  lufftigen  Verhalten  der 
Patienten." 

III.  Joh.  Gottfried  von   Hahn: 

a)  Variolarum  antiquitates.     1733. 

b)  Ueber  die  Rachitis.  1735.  (Doch  scheint  dies  eine  Arbeit 
des  Vaters  gewesen  zu  sein;  cf.  Alt-Kalt-Bad-  und  Trincken. 
S.  28.     Anm.  £f.) 

c)  Carbo  pestilens  a  carbunculis  sive  variolis  veterum  distinctus.. 

1736. 

d)  Geschichte  der  Fieberepidemie  von   1737  in  Breslau.     1739. 

e)  Variolarum  ratio  exposita.      1751.     Breslau  b.  Korn. 

f)  Avertissement  sur  le  nouveau  Systeme  de  la  petite  veröle. 
Breslau  1751. 

g)  Historia  podagrae  Eminentiss.  Cardinalis  Comitis  a  Zinzen- 
dorf,  Episcopi  Vratislaviens.     Nürnberg   1751. 

h)  Morbilli  variolarum  vindices.     1753.     Breslau. 


Literatur  zur  Biographie  J.  S.  Hahns. 
(Ausser  den  Werken  von  Sigra.  und  Joh.  Sig.  Hahn.) 

F.  J.  Schmidt.     Geschichte   der  Stadt  Schweidnitz.     Schweidnitz 

1848.     IL  Bd. 
Provinzial-Blätter,  Schlesische.      1849.     130.  Bd.     12.  Stück. 

Breslau. 
W.   Winternitz.     Hydrotherapie.     Leipzig   1881.     (3.  Theil  des 

II.  Bd.  des  „Handbuch  der  allgem.  Therapie",  ed.  Ziemssen.) 
F.  M.  Selinger.     Vincenz  Priesznitz.     Wien   1852. 


Real-Encyklopädie  der  Gesammt.  Heilkunde,  ed.  Eulen- 
burg. VI.  Bd.  Wien— Leipzig  1881.  (Artikel  über  Hydrothe- 
rapie, S.  67  g.) 

Hirsch-Gurlt 
Bd.  III.     Sigm. 

Ersch-Gruber. 
Künste, 


Lexicon    der    hervorragend.    Aerzte. 


Biograph. 
Hahn. 

Allgem.    Encyklopädie     der    Wissensch.    und 
Sectio  II.  Pars   i,  S.  186,  87.     J.  G.  von  Hahn. 
8.  Kayser.  Bücherlexicon  aus  den  Jahren  1750  —  1832.  Bd.  III.  S.  13. 

Werke  J.  G.  von  Hahns, 
g.  Archivalische  Mittheilungen. 


Eine  interessante,  erst  nach  Vollendung  des  Druckes  uns  zukommende  Nachricht  aus 
dem  Raths-Protokoll-Buch  der  Stadt  Schweidnitz,  welche  der  Stadtarchivar  daselbst,  Stadtrath 
Caspari,  uns  gütigst  zukommen  Hess,  belehrt  uns,  dass  schon  im  Anfang  des  XVII.  Jahr- 
hunderts ein  ehrsamer  Tuchmacher  David  Schaffner  in  Schweidnitz  das  kalte  "Wasser  als 
Heilmittel  angewandt.  Von  der  Barbierzunft  deshalb  beim  Rath  wegen  Kurpfuscherei  ver- 
klagt, sass  über  ihn  eine  aus  einem  Rathsherrn,  einem  Theologen  und  einem  Arzte  bestehende 
Commission  zu  Gericht.  Die  Commission  entschied  sich  dahin,  dass  Schaffner  ein  unnatür- 
liches Wesen  und  sein  Werk  ein  dämonisches  sei,  und  wies  ihn   1609  aus  der  Stadt. 


82 


Dr.  Balthasar  Ludwig  Tralles*). 


J-Jerselbe  war  ein  Sohn  des  Breslauer  Kaufmanns  Johann  Christian 
Tralles,  geboren  den  i.  März  1708  zu  Breslau,  bezog  bereits  mit 
ig  Jahren,  nachdem  man  den  anfangs  gehegten  Plan,  ihn  zum  Kauf- 
mann heranzubilden,  auf  Wunsch  seines  Grossvaters,  des  Breslauer 
Physicus  Christian  Tralles,  hatte  fallen  lassen,  zunächst  die  Universität 
Leipzig,  um  Medizin,  daneben  aber  auch  Physik,  Mathematik  und 
Philosophie  zu  studiren.  Gegen  das  Ende  seiner  Studienzeit  wandte 
er  sich  nach  Halle,  wo  er  zum  Doctor  der  Medizin  und  Chirurgie 
promovirt  wurde,  und  kehrte  von  hier  aus,  da  seine  Geld  Verhältnisse 
leider  so  schlechte  waren,  dass  er  nicht  nach  der  Sitte  der  damaligen 
Zeit  grössere  Capacitäten  auch  des  Auslandes  hören  konnte,  wiederum 
nach  seiner  Vaterstadt  Breslau  zurück.  Es  wollte  ihm  daselbst 
anfangs  sehr  schwer  werden,  unter  der  Menge  prakticirender  Aerzte 
auch  seinerseits  einen  grösseren  Spielraum  für  die  practische  Aus- 
übung seines  Berufes  zu  gewinnen,  so  dass  er  nothgedrungen  sich 
zur  Unthätigkeit  verdammt  sah.  Bald  traten  jedoch  Ereignisse  ein, 
die  ihm  wider  alles  Erwarten  ein  weites  Feld  für  seine  Thätigkeit 
erschlossen,  die  dauernd  sein  Lebensglück  begründeten,  indem  sie 
ihn  gewissermassen  dem  Kreise,  in  dem  er  bisher  gelebt,  entrückten 
und  mit  den  höchstgestellten  Personen  in  Verbindung  brachten. 
Denn  als  er  im  Jahre  1734  als  ärztlicher  Begleiter  des  schwerkranken 
Feldmarschalls  Grafen  Wackerbart  in  Dresden  erschien,  erging  an 
ihn  vom  königl.  sächsischen  Hofe  aus  der  Ruf,  die  Stelle  eines 
Leibarztes  anzutreten.  Dass  er  diese  abgelehnt,  ist  nur  ein  Beweis 
seiner  Charakterfestigkeit;  als  frommer  Protestant  glaubte  er  es 
seiner  Religiosität  schuldig  zu  sein,  vom  sächsischen  Königshofe  fern 
zu  bleiben.  Indess,  diese  im  Sande  verlaufende  Affaire  hatte  doch 
das  Gute  für  Tralles  im  Gefolge,  dass  man  jetzt  auch  in  seiner 
Heimat  auf  ihn  aufmerksam  wurde  und  seinen  Rath  im  weitesten 
Umfange  in  Anspruch  nahm.     Durch  seine  wissenschaftlichen  Leistun- 

")  Tralles  ist  der  Erfinder  einer  Spirituswaage.     Die  heutigen  modificirten  im  Gebrauch 
befindlichen  Waagen  tragen  noch  immer  den  Namen  unseres  Tralles. 


g-en  hatte  er  sich  bereits  Männer  wie  Albrecht  von  Haller  zu 
Freunden  und  Gönnern  gewonnen,  und  dieser  war  es,  welcher  den 
noch  jugendlichen  Tralles  zum  Professor  an  der  Universität  Göttingen 
vorschlug.  Zum  Danke  dafür  widmete  ihm  unser  grosser  Breslauer 
Arzt  sein  reizendes  Gedicht  über  das  schlesische  Riesengebirge. 
Tralles  stieg  die  Stufenleiter  der  höchsten  Ehrenstellen  sehr  schnell 
empor.  In  kurzer  Aufeinanderfolge  wurde  er  Assessor  des  Breslauer 
Medicinal  -  Collegiums  und  Mitglied  der  Akademieen  zu  Wien  und 
München.  1752  schrieb  er  sein  treffliches  medicinisches  Werk: 
„Ueber  die  Cholera"  (wahrscheinlich  nostras),  wozu  ihm  der  Besuch 
seines  an  dieser  Krankheit  schwer  darniederliegenden  Freundes,  des 
Pastors  Volkmar  in  Petersdorf  im  Riesengebirge,  Veranlassung  gab. 
Dem  König  Stanislaus  von  Polen,  der  ihn  gern  als  Leibarzt  an 
seiner  Seite  gehabt  hätte,  antwortete  er  in  abschlägigem  Sinne  1762. 
Dagegen  leistete  er  1767  der  Aufforderung,  an  den  Hof  von  Sachsen- 
Gotha  zu  kommen,  Folge,  bekleidete  jedoch  nur  kurze  Zeit  diese 
ehrenvolle  Stellung,  da  seine  Kräfte  der  grossen  Arbeitslast  gegen- 
über nicht  recht  Stand  halten  wollten. 

Im  Uebrigen  war  er  bis  in  das  hohe  Alter  hinein  unermüdlich 
in  der  Verfolgung  seiner  edlen  Zwecke.  Erst  mit  80  Jahren  gab 
er  den  geräuschvolleren  Theil  seiner  Wirksamkeit  auf  und  liess 
sich  nur  noch  in  seinem  eigenen  Hause  consultiren. 

Am  7.  Februar  1797,  als  Greis  von  90  Jahren,  beendete  Tralles 
sein  segensreiches  Leben. 

Dieser  berühmte  Breslauer  hat  uns  ein  äusserst  reichhaltiges 
schriftstellerisches  Material  hinterlassen,  das  uns  ermöglicht,  in  das 
Innerste  seines  Seins  und  Denkens  zu  schauen,  seine  wissenschaftliche 
und  gesellschaftliche  Stellung  zu  einem  Ganzen  zusammen  zu  fassen. 

Es  wäre  interessant,  dürfte  uns  jedoch  zu  weit  führen,  wollten 
wir  zur  Vervollständigung  der  Auffassung  über  ihn,  namentlich  in 
letztgenannter  Beziehung,  die  einzelnen  Merkmale  seines  Lebens  in 
entsprechendem  Umfange  fixiren.  Wir  begnügen  uns  vielmehr  mit 
einem  allgemeinen  Hinweise. 

Aehnlich  wie  sein  berühmter  Landsmann  Crato  von  Kraflftheim 
ist  Tralles  mit  einer  poetischen  Ader  begabt,  von  der  er  uns  in 
einer  grossen  Anzahl  von  Gedichten  aller  Art  den  schönsten  Beweis 
abgiebt.  Sie  bieten  ein  Abbild  der  merkwürdigen  Episoden,  die  er 
durchlebt,  von  den  kleinsten  nichtigsten  Dingen  bis  zu  den  schwer- 
wiegendsten Begebenheiten;  wir  freuen  uns  der  Gedankenfülle  und 
der  sprachlichen  Schönheiten,  die  wir  um  so  mehr  anerkennen  müssen, 
als  die  Poesie  jener  Zeit  sich,  so  zu  sagen,  noch  im  Uebergangsstadium 
befand,  und  wir  lernen  andererseits  seine  Charaktereigenschaften 
kennen,  die  ihm  selten  schöne  Auszeichnungen  eingetragen  haben. 

6* 


84__ 

Ueberall  schlingt  sich  der  religiöse  Gedanke  hindurch,  was  uns 
durchaus  nicht  Wunder  nehmen  darf;  giebt  es  doch  Wenige,  die 
Gottesfurcht  und  Frömmigkeit  als  Grundlage  für  alle  ihre  Hand- 
lungen in  gleich  hohem  Grade  betrachteten,  als  Tralles.  Es  geht 
dies  insbesondere  daraus  hervor,  dass  er  die  ihm  von  vielen  Seiten 
angetragenen  Hofämter,  das  Höchste,  was  er  wohl  erreichen  konnte, 
energisch  ablehnte,  sobald  er  auf  religiösem  Gebiete  in  irgend  welchen 
Conflict  zu  gerathen  glaubte.  Der  poetische  Theil  seiner  literarischen 
Thätigkeit  ist  es  also  namentlich,  welcher  uns  den  Ideengang  unseres 
Tralles  voll  und  ganz  erschliesst. 

Von  seinen  medicinischen  Schriften  sind  diejenigen  „über  die 
Cholera",  „über  das  Opium"  und  ,,über  die  Pocken"  hervorzuheben. 
Sie  sind  unmittelbare  Resultate  seiner  practischen  Erfahrungen  und 
daher  nicht  ohne  Werth.  Wie  er  einerseits  gut  zu  beobachten 
verstand,  wusste  er  sich  andererseits  das  Vertrauen  seiner  Patienten 
und  die  Achtung  seiner  Collegen  zu  gewinnen  und  zu  erhalten. 

Tralles  war  ein  unvergleichlich  tüchtiger  praktischer  Arzt,  ge- 
wissenhaft in  der  Behandlung,  consequent  in  seinen  Anordnungen, 
galten  diese  Jung  oder  Alt,  Armen  oder  Reichen.  Wohin  er  kam, 
trat  er  mit  derselben  Festigkeit  auf;  niemals  liess  er  sich  durch 
Anderer  Rathschläge  beirren,  wenn  er  ihnen  nicht  aus  innerster 
Ueberzeugung  zustimmte.  Nichts  könnte  die  Art  seines  Auftretens 
als  behandelnder  Arzt  besser  beleuchten,  als  die  Skizzirung  seines 
Verhältnisses  zu  dem  schwer  erkrankten  Prinzen  Ferdinand,  dem 
Bruder  Friedrichs  des  Grossen  sowohl,  wie  zu  dem  König  Friedrich  IL 
selbst.  Als  nämlich  bei  dem  Prinzen,  welcher  an  einer  Lungen- 
entzündung litt,  nach  mehreren  Tagen  durchaus  keine  Besserung 
eintrat,  erklärte  der  seit  Anfang  an  das  Krankenbett  gerufene 
Tralles,  nachdem  bereits  ein  dreimaliger  Aderlass  vorausgegangen 
war,  einen  vierten  noch  vornehmen  zu  wollen,  da  seiner  Meinung 
nach  dies  allein  nur  Rettung  bringen  könnte.  Er  stiess  damit  aller- 
seits auf  die  heftigste  Opposition,  Tralles  bestand  aber  auf  das 
AUerfesteste  darauf,  und  er  hätte  ihn  sicher  aus  eigenem  Gutdünken 
unternommen,  wäre  ihm  nicht  noch  im  letzten  Augenblicke  sein 
College  Morgenbesser  zu  Hilfe  gekommen,  der,  ganz  zufallig  herbei- 
citirt,  sich  ebenfalls  mit  der  ganzen  Macht  seiner  Autorität  für  den 
Aderlass  entschied.  Der  Prinz  genas,  zur  Freude  für  beide  Aerzte, 
in  kurzer  Zeit  vollständig.  Der  König,  bereits  bekannt  mit  dem 
standhaften  Benehmen  und  den  guten  Erfolgen  des  Breslauer 
Arztes,  wünschte  eine  Unterredung  mit  ihm,  die  auch  bald  darauf 
stattfand.  Obwohl  der  König  auf  seine  medicinischen  Kenntnisse 
sich  etwas  zu  Gute  that,  erklärte  er  sich  doch  mit  dem  Verhalten 
des  Tralles,    namentlich    mit  Bezug   auf  die  Krankheit   des  Prinzen 


85 

Ferdinand  völlig  einverstanden.  Die  lakonischen  Antworten  Friedrichs: 
„Wenn  sich  das  so  verhält,  so  hat  Er  Recht"  genügen,  um  zu  wissen, 
dass  es  Tralles  auf  das  Beste  verstanden  hat,  den  König  von  der 
Richtigkeit  aller  seiner  Ansichten,  soweit  sie  die  Medizin  in  engerem 
Sinne  betrafen,  zu  überzeugen. 

Alles  dies  auf  die  Unterhaltung  zwischen  Friedrich  II.  und  Tralles 
Befindliche  schildert  sehr  eingehend  und  anziehend  der  frühere  Ober- 
wundarzt des  Allerheiligen-Hospitals,  Dr.  Hodann,  in  den  „Abhand- 
lungen der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur" 
(Philosophisch- historische  Abtheilung  1868,  Heft  I),  einer  Quelle, 
die  uns  auch  für  unsere  Biographie  des  Tralles  wesentliche  Dienste 
geleistet  hat. 

Schliesslich  möchten  wir  noch  erwähnen,  dass  Tralles  so  glück- 
lich war,  gelegentlich  eines  Besuchs,  den  er  der  Gräfin  Schaffgotsch 
in  Neuhof  in  Böhmen  abstattete,  in  der  Absicht,  van  Swieten  und 
de  Haen  kennen  zu  lernen,  mehrere  Male  mit  der  Kaiserin  Maria 
Theresia  zusammenzutreffen  und  sprechen  zu  können,  Tralles  gefiel 
der  Kaiserin  sehr,  später  gab  sie  ihrer  freundschaftlichen  Ge- 
sinnung gegen  Tralles  durch  freundliche  Aufnahme  bei  Hofe  und 
Ueberreichung  kostbarer  Geschenke  Ausdruck. 

Die  Unterredung  mit  der  Herzogin  von  Sachsen-Gotha,  Louise 
Dorothea,  enthält  gleichfalls  des  Interessanten  sehr  viel.  Am 
besten    schildert   dies  natürlich  Tralles  selbst  in  seinem  Schriftchen: 

„Dr.  Balthasar  Ludwig  Tralles'  aufrichtige  Erzählung  seiner 
mit  König  Friedrich  dem  Grossen,  der  grossen  Kaiserin  Maria 
Theresia  und  der  geistvollen  Hertzogin  von  Sachsen-Gotha,  Louise 
Dorothea,  gehaltenen  Unterredungen,  als  auch  der  Begebenheiten, 
welche  sie  veranlasst  haben*),  nebst  einigen  Anmerkungen." 

Zum  Schluss  will  ich  noch  hervorheben,  dass  Tralles,  abgesehen 
von  seiner  Eigenschaft  als  ausgezeichneter  Arzt,  auch  als  Philo- 
soph bedeutender  war,  wie  als  Dichter  und  Theologe.  In  seiner  Ab- 
handlung: Deutliche  und  überzeugende  Vorstellung,  dass  der  für 
das  Dasein  und  die  Inmaterialität  der  menschlichen  Seele  aus  der 
Medicin  von  der  Veränderlichkeit  aller  festen  Theile  des  Körpers 
hergenommene  Beweis  höchst  richtig  und  giltig  sei  (Breslau  1778, 
in  lateinischer  Sprache  schon  1776)  kommt  er,  trotz  unseres  Breslauer 
Philosophen  Wolf  und  Gegnerschaft  von  Leibnitz,  doch  auf  Sätze, 
welche  den  später  Fichteschen  nicht  unähnlich  sind.  (Kahlert  g). 


*)  ^gl-  auch  die  Abhandlungen  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur. 
Philosophisch  -  historische  Abtheilung  l868,  Heft  I,  Dr.  Hodann,  sowie  Dr.  Kahlerts  Ab- 
handlung über  Tralles  in  den  schlesischen  Provinzial-Blättem,     Bd.   119.     S.   639. 


86 


Miehael  Morgenbesser. 


IViichael  Morgenbesser,  ein  Sohn  des  Apothekers  Michael 
Morgenbesser,  wurde  am  24.  Juh  1714  zu  Breslau  geboren,  besuchte 
das  Gymnasium  zu  Maria  Magdalena  daselbst  und  Hess  sich  bereits 
mit  19  Jahren,  1733,  an  der  Universität  Leipzig  immatriculiren,  an 
welcher  er  nächst  der  Medicin,  die  er  zu  seinem  eigentlichen  Berufe 
erkoren,  namentlich  deutsche  Literatur  und  Philosophie  studirte. 
Unter  seinen  Universitätslehrern  ehrte  er  insbesondere  Gottsched. 
Da  Morgenbesser,  den  i.  Mai  1737,  auch  zugleich  Mitglied  der  von 
diesem  in  Leipzig  gegründeten  ,, Deutschen  Gesellschaft"  wurde,  so 
gestaltete  sich  das  Freundschaftsverhältniss  zwischen  beiden  Männern 
zu  einem  recht  innigen.  Gottsched  hatte  damit  einen  recht  thätigen 
Mitarbeiter  gewonnen,  denn  Morgenbesser  trat  sehr  bald  mit  grösseren 
Arbeiten  in  die  Oeffentlichkeit,  wie  „Beiträge  zur  kritischen  Historie 
der  deutschen  Sprache''  und  ,,von  der  Absicht  Gottes  bei  der  Dar- 
stellung der  Blumen"  so  wie  mit  mehreren  Gedichten  wie:  „Ueber 
das  Unglück,  welches  1737  Schlesien  betroffen  hatte",  und  ,,von  der 
Glückseligkeit  eines  Weisen."  Für  die  zweitgenannte  Schrift  erhielt 
er  I  736  einen  ausserordentlichen  Preis.  In  der  Reihe  der  Mitglieder 
obiger  Gesellschaft  figurirte  Morgenbesser  noch  vor  Haller;  es  wurde 
ihm  selbst,  vermöge  seiner  ausgezeichneten  Leistungen,  das  Glück 
zu  Theil,  mit  dem  hochbedeutenden  Hallenser  Professor  Friedrich 
Hoffmann  bekannt  zu  werden. 

Seine  Promotion,  welche  durch  den  Tod  seiner  Eltern  sich  um 
einige  Jahre  verzögerte,  fand  erst  1738  statt,  und  Morgenbesser  hielt 
nunmehr  den  Zeitpunkt  für  gekommen,  zumal  ihm  aus  einer  Erb- 
schaft die  nöthigen  Mittel  zuflössen,  im  Interesse  seiner  weiteren 
Ausbildung  grössere  Reisen  zu  unternehmen.  Er  berührte  auf  diesen 
AVittenberg,  Helmstädt,  Hannover,  Marburg,  Utrecht,  Leyden,  Paris, 
bereiste  ganz  Frankreich  und  die  Schweiz,  überall  mit  den  hervor- i 
ragendsten  Geistern  verkehrend  wie  Heister,  Meibom,  Gerike 
Werlhof  und  Dankwerts  u.  A.,  ging  wiederum  nach  Deutschland 
zurück  und  war  bereits   1 740  in  Breslau. 


87 

Morgenbesser  besass  die  Fähigkeit,  von  seinen  wissenschaftlichen 
Reisen,  auf  denen  er  so  manches  gesehen,  so  manches  gehört,  so 
vieles  erfahren  hatte,  auch  die  nöthige  Nutzanwendung  zu  machen. 
Breslau  namentlich  sollte  den  meisten  Nutzen  davon  ziehen.  Mit 
aller  Macht  warf  er  sich  zunächst  auf  das  Gebiet  der  Anatomie,  und 
noch  in  demselben  Jahre,  in  dem  er  in  seine  Heimat  zurückgekehrt 
war,  las  er  öffentlich  über  die  Osteologie  oder  die  Knochenlehre, 
musste  aber  bald  davon  abstehen,  da  der  so  eben  ausgebrochene 
erste  schlesische  Krieg  zu  einer  anderweitigen  Verwerthung  seiner 
Kenntnisse  Veranlassung  gab. 

Fünf  Jahre  lang,  bis  zur  Beendigung  des  zweiten  schlesischen 
Krieges,  widmete  er  sich  in  den  Feldlazarethen  mit  grosser  Sorgfalt 
den  verwundeten  Kriegern  und  erhielt  zum  Dank  dafür  den  Titel 
eines  Garnisonarztes.  Während  dieser  Zeit  verheirathete  er  sich  mit 
der  Tochter  des  als  gesuchten  Arztes  bekannten  preussischen  Hof- 
raths  Dr.  von  Hahn.*) 

Binnen  kurzer  Zeit  durchlief  Morgenbesser  die  höchsten  Ehren- 
Stellungen,  wie  sie  ein  Arzt  zur  damaligen  Zeit  überhaupt  nur  er- 
langen konnte. 

Bereits  1745  dem  damals  neu  errichteten  CoUegium  medicum  et 
sanitatis  als  Adjunct  beigegeben,  wurde  er  im  folgenden  Jahre  zweiter 
und  im  nächsten  erster  Ober-Stadt-Physicus**)  und  Pestilentiarius. 
1752  wurde  er  zum  Assessor   und   1756    zum  Decan  des   vorher  ge- 


*)  Der  Xame  Dr.  von  Hahn  aus  Schweidnitz  brachte  mir  die  Erinnerung  an  meinen 
verstorbenen  Lehrer,  Geheim-Rath  Dr.  Wendt,  der  mir,  nach  der  Besichtigung  Graefenbergs 
als  Kaltwasserkurortes ,  Ende  der  dreissiger  Jahre  mittheilte,  dass  nicht  Priesnitz  diese 
Cur   zuerst  treibe,  sondern  schon  ein  Stadtarzt  Dr.  Hahn  in  Schweidnitz. 

Dies  veranlasste  mich,  mich  eines  Näheren  hiervon  beim  Collegen  Herrn  Geheim-Rath 
■von  Scholz  zu  erkundigen.  Ich  erfuhr  hierdurch,  dass  allerdings  ein  Bruder  des  obigen  von 
Hahn,  ein  Dr.  Johann  Siegismund  Hahn,  ein  Bruder  des  vorigen,  ein  Buch  über  den  Ge- 
brauch  des  kalten  Wassers  1787  geschrieben  habe,  das  er  mir    zu  verehren  die  Güte  hatte. 

Es  war  dies  die  erste  Auflage,  der  noch  4  folgten,  die  letzte  von  Professor  Oertel 
in  Ansbach   1837,  worin  auch  Priesznitzens  schon  Erwähnung  geschieht. 

Somit  hat  Schweidnitz  den  Vorzug,  der  Erfindungsort  der  Kaltwassercur  zu  sein.  cf. 
S.  72  u.  ff.  dies.  Werkes. 

Schweidnitz  ist  übrigens  noch  durch  ein  andres  historisches  Factum  berühmt,  nämlich 
dadurch,  dass  es  schon  1264  eine  Apotheke  besass. 

Eine  zweite  Tochter  des  Hofraths,  Dr.  von  Hahn,  wie  oben  bemerkt,  ein  Bruder  des 
obigen  Joh.  Sigm.  Hahn,  heirathete  den  Regierungsrath  Eranz,  dessen  Tochter  die  be. 
kannte  Schriftstellerin  Agnes  Franz  war,  deren  sich  viele  Breslauer  gewiss  noch  erinnern, 
und  der  neuerdings  Gustav  Freitag  in  seinen  Lebenserinnerungen  ein  so  schönes  Denkmal 
gesetzt  hat.     Sie  ist  1843  gestorben  ^"^  ^^^^  auf  dem  Elftausend  Jungfernkirchhof  begraben. 

**)  Cfr.  Markgraf  in  Graetzers  „Daniel  Gohl  und  Christian  Kimdmann"  und  Hodanns 
gut  geschriebene  Biographie  ^lorgenbessers. 


nannten  Collegiums  ernannt.     Vorher,   1754,  war  er  bereits  Mitglied 
der  kaiserlichen  Academia  Leopoldina  geworden. 

1757  verlor  er  durch  den  Tod  seine  edle  Gattin  geb.  v.  Hahn. 
1758  war  Breslau  von  den  verschiedensten  ansteckenden  Krankheiten 
heimgesucht,  und  man  stellte  in  Folge  dessen  an  Morgenbesser  An- 
sprüche, die  er  kaum  zu  erfüllen  im  Stande  war.  Mitten  in  seiner 
aufreibenden  Thätigkeit  verunglückte  er,  indem  er  sich  durch  einen 
Fall  einen  Beinbruch  zuzog.  Er  erholte  sich  jedoch  sehr  schnell, 
zumal  ihm  die  Cur  in  Warmbrunn  recht  gute  Dienste  geleistet,  und 
war  bald  wieder  vollauf  mit  neuen  Einrichtungen  und  Vorschlägen 
beschäftigt,  welche  zur  Vervollkommnung  der  medicinischen  Wissen- 
schaften dienen  sollten.  So  begann  er  1756  mit  der  Schutz-Impfung 
im  Allerheiligen  Hospital,  schuf  daselbst  auch  ein  ,, anatomisches 
Theater",  welches  den  Studirenden  der  Wundarzneikunst  als  feste 
Basis  für  ihre  Wissenschaft  dienen  sollte,  und  genoss  selbst  noch 
das  Glück,  seinen  eignen  Sohn  Johann  als  Professor  an  dem  von 
ihm  gegründeten  Institut  angestellt  zu  sehen.  Ein  Jahrzehnt  später 
begann  Morgenbessers  Gesundheit  ernsthaft  zu  wanken,  1781  traf 
ihn  ein  Schlaganfall,  am  30.  Juni  1782  schied  er  aus  dem  Leben, 
68  Jahre  alt. 

Fassen  wir  die  vielen  Verdienste  Morgenbessers  zusammen,  so 
tritt  hauptsächlich  dasjenige  in  den  Vordergrund,  die  einleitenden 
Schritte  gethan  zu  haben,  um  für  die  medicinische  Wissenschaft  in 
seiner  Vaterstadt  Breslau  einen  festeren  Boden  zu  schaffen.  Die 
Saat,  die  er  ausgestreut,  sollte  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  die  schönsten 
Früchte  tragen. 


89 


Anton  Kroeker. 


In  der  medicinischen  Welt  Schlesiens  steht  nun  seit  Generationen 
ein  Name  im  besten  Glänze,  den  der  Grossvater  zu  hohen  wissen- 
schaftlichen Ehren  brachte,  und  Sohn  und  Enkel  fast  in  gleichen 
Ehren  erhielten.  Es  ist  der  Name  Kroeker,  und  wir  dürfen  den 
Stammvater  dieses  Hauses  in  der  Reihe  der  hervorragenden  Mediciner 
nicht  ausser  Acht  lassen. 

Anton  Johann  Kroeker  wurde  in  Schönau  bei  Ober-Glogau  im 
Jahr  1742  geboren,  wo  sein  Vater  als  wohlhabender  und  betrieb- 
samer Freigutsbesitzer  lebte.  Er  hatte  jedenfalls  Sinn  und  Verständ- 
niss  für  Bildung,  denn  er  schickte  seinen  Sohn  auf  gute  Schulen, 
zuerst  auf  das  Franziskaner -Gymnasium  nach  Leobschütz,  dann  zu 
den  Jesuiten  nach  Olmütz,  schliesslich  zu  den  Piaristen  nach  Leipnik- 
Er  wollte  ihn  zu  einem  praktisch  thätigen  Manne  heranziehen;  und 
da  er  selbst  in  jener  Gegend  die  erste  Bleiche  angelegt  hatte,  da- 
neben einen  bedeutenden  Getreidehandel  trieb,  sollte  der  Sohn  Kauf- 
mann werden.  Es  ist  unbekannt,  wie  der  junge  Anton  sich  zu  diesen 
Absichten  seines  Vaters  stellte;  wir  wissen  nur,  dass  äussere  Um- 
stände eine  Veränderung  des  Lebensplanes  herbeiführten.  Eine 
längere  Erkrankung,  Fieber  und  Gelbsucht,  zwang  den  jungen  Mann» 
von  der  Schule  zur  Heimat  zurückzukehren,  und  verhinderte  ihn, 
wie  es  beabsichtigt  war,  eine  Stellung  als  Lehrling  anzutreten.  Dazu 
kamen  die  für  Kaufleute  ungünstigen  Zeit  Verhältnisse  —  noch  spielte 
der  siebenjährige  KJ-ieg,  und  sein  Ende  war  nicht  abzusehen  —  und 
so  bewog  alles  dies  den  Vater,  den  Rath  eines  Freundes  zu  befolgen 
und  den  Jüngling  nach  Breslau  zu  schicken,  damit  er  sich  dort  dem 
Studium  der  Medicin  widme.  1763,  also  21  Jahre  alt,  begab  er  sich 
dorthin.  Allerdings  fand  er  damals  noch  keine  Anstalt,  die  für  seine 
Zwecke  dienlich  war;  das  Theatrum  academicum,  das  königliche 
Medicinal-Institut  sind  Gründungen  des  grossen  Königs  und  entstanden 
natürlich  erst,  als  nach  dem  Hubertsburger  Frieden  Schlesien  dauernd 
in  seinen  Besitz  gelangt   war.     So   blieb  ihm   denn  nichts  übrig,   als 


QO 

auf  privatem  Wege  sein  Studium  zu  beginnen,  und  in  der  That  fand 
er  bei  dem  Dr.  "Wicke,  der  damals  Arzt  bei  den  barmherzigen  Brüdern 
war,  theoretischen  Unterricht  und  zugleich  Erfahrung  in  der  praktisch 
ärztlichen  Behandlung  der  Kranken.  Drei  Jahre  weilte  er  dort;  mit 
den  nöthigsten  Vorkenntnissen  ausgestattet,  ging  er  dann  1766  nach 
Wien,  wo  er  unter  van  Swieten  und  de  Haen  noch  mehrere  Jahre 
studirte.  Nachdem  er  noch  Halle  besucht,  Hess  er  sich  1769  in 
Breslau  als  Arzt  nieder,  und  fand  Gelegenheit  zu  reichlicher  Praxis^ 
um  so  mehr,  als  er  an  der  Tharoult  Blachaschen  Hausarmenkranken- 
fundation  angestellt  wurde. 

Aber  Krocker  ging  nicht  blos  in  der  Praxis  auf,  sondern  behielt 
Sinn  und  Liebe  zur  Wissenschaft,  und  zwar  verdankt  er  der  Kennt- 
nissnahme  von  Linnes  Philosophia  botanica,  die  1751  zum  ersten 
Male  erschienen  war  und  später  von  Curt  Sprengel  neu  herausge- 
geben wurde,  die  Neigung  zur  botanischen  Wissenschaft.  Er  begann 
für  eine  Flora  Silesiaca  zu  sammeln,  setzte  jedoch  seine  Bemühungen 
nicht  weiter  fort,  da  Graf  Matuschka  ein  ebenso  benanntes  Werk 
herauszugeben  beabsichtigte. 

Als  dieser  letztere  im  Jahre  1779  starb  und  das  Werk  unvoll- 
endet zurückliess,  ging  Krocker  an  die  Ausarbeitung  des  seinigen 
und  veröffentlichte  1788  den  ersten  Theil;  er  setzte  damit  das  200 
Jahre  früher  von  Caspar  Schwenkfeld*)  begonnene  fort.  In  5  Bänden 
erschien  die  Flora  Silesiaca  in  den  Jahren  1787  — 1823. 

Ein  rühmliches  Zeugniss  seines  Sammelfieisses  ist  der  handschrift- 
lich vorhandene  ,,Catalogus  omnium  plantarum  in  Silesia  sponte  nas- 
centium",  der  3345  Nummern  enthält,  während  Matuschka  nur  auf  1221 
Nummern  gelangte. 

Der  berühmte  Decandolle  hat  das  Verdienst  A.  Krox:kers  dadurch 
genügend  gewürdigt,  dass  er  einer  Pflanze  den  Namen  Krockers 
beilegte. 

Diese  Liebe  für  Botanik  hatte  sich  auch  auf  seinen  trefflichen 
Sohn  vererbt,  der  während  seiner  Universitätsstudien  im  Jahre  1800 
mit  einer  Abhandlung  „de  Plantarum  Epidermide"  in  Halle  promovirte, 
zu  der  Curt  Sprengel  eine  ausserordentlich  rühmende  Vorrede  schrieb, 
welche  mit  den  Worten  schloss:  ut  gratuler  Silesiae,  optimis  viris 
clarae,  civem  et  medicum  eximium,  ut  patri  gratuler  filium.  Mit  Ver- 
gnügen erinnert  sich  der  Schreiber  dieser  Zeilen  des  gleichfalls  an- 
gesehenen Sohnes,  den  er  als  Nestor  der  Breslauer  Aerzte  bis  zu 
seinem  Tode  verehren  lernte.  Krocker  sen.  erlebte  verdiente  Freude 
an  diesem  Sohne  sowohl,  wie  an  seinen  übrigen  Kindern.  Er  (Anton) 
wurde    später  Mitglied   der    naturforschenden   Gesellschaft    zu  Halle 


*)  cf.   S.   29  u.  ff.   dieses  'Werke? 


und  Bern,  Dekan  des  Collegium  medicum  et  sanitatis,  erblindete  aber 
leider  im  hohen  Alter  und  starb   1823. 

Sein  Name  blüht  im  Sohne  und  Enkelsohne  fort,  seine  Lieblings- 
wissenschaft in  Schlesien  gleichfalls,  wie  selten  in  einem  Lande,  nach 
Schwenkfeldt  durch  Göppert,  Ferdinand  Cohn,  Pringsheim,  Wimmer, 
Schroeter,  Julius  Sachs  u.  s.  w.  Sein  unter  uns  noch  lebender  Sohn,  mein 
lieber  Freund  und  Commilito,  nächst  mir  der  älteste  lebende  Arzt  hier, 
trat  in  seiner  trefflichen  Dissertation  „über  die  Oberhaut  der  Pflanzen" 
gleichfalls  als  Botaniker  auf,  verliess  jedoch  die  Botanik,  weil  er 
eine  sehr  grosse  Praxis  bekam.  Er  war,  wie  sein  Vater,  am  Spitale 
der  Elisabethinerinnen,  nach  seines  Vaters  Abgange  dirigirender  Arzt 
an  demselben,  dann  am  Hausarmen-Medicin.-Institute,  ist  noch  heute 
in  seinem  Berufe  thätig  und  auch  als  Mensch  sehr  geschätzt. 


Elias  Hensehel. 


W  enn  wir  in  der  Reihe  der  durch  wissenschaftliche  Leistungen 
bedeutenden  Männer  EHas  Hensehel  einen  Platz  einräumen,  so 
wissen  wir  wohl,  dass  er  ihn  weniger  durch  seine  Schriften,  als  durch 
sein  Leben  verdient.  Möge  vergessen  sein,  was  der  Mann  in  Wissen- 
schaft und  Praxis  leistete,  seine  Erlebnisse  allein  dürfen  auf  unsere 
innigste  Theilnahme  rechnen;  denn  sein  Schicksal  ist  ein  merkwürdiges 
und  lehrreiches. 

Am  4.  April  1755  von  armen  jüdischen  Eltern  geboren,  wuchs 
er  im  elterlichen  Hause  bei  dem  damals  ausschliesslich  üblichen 
Unterricht  im  Hebräischen  und  Talmud  auf.  Aber  wie  so  viele 
jüdische  Knaben  und  Jünglinge*)  jener  Tage  beseelte  auch  ihn 
das  Streben,  aus  dem  engen  Bildungskreise  heraus  Sprache  und 
"Wissen  des  deutschen  Volkes  sich  anzueignen.  Mühselig  genug 
lernte  er  deutsch  lesen.  Wolfs  Anfangsgründe  der  Mathematik 
dienten  ihm  als  Uebungsbuch  und  führten  ihn  zugleich  auch  in  diese 
Wissenschaft  ein,  und  sein  Eifer  bewog  den  Vater,  ihn  auch  im 
Schreiben  unterrichten  zu  lassen.  Nun  aber  hatte  der  junge  Elias 
sein  dreizehntes  Lebensjahr  vollendet:  nach  jüdischem  Brauche  trat 
mit  religiöser  Selbständigkeit  auch  die  Verpflichtung  an  ihn  heran, 
sich  selbst  nunmehr  materiell  zu  versorgen,  zumal  seine  Eltern  in 
dürftigsten  Verhältnissen  lebten.  Ein  älterer  Bruder,  der  im  Ge- 
schäfte des  Kaufmanns  Lippmann  Freund  diente,  nahm  ihn  zu  sich 
und  führte  ihn  damit  in  das  Geschäftsleben  ein,  so  dass  er  die  Stelle 
übernehmen  konnte.  Jeden  freien  Augenblick  nutzte  er  für  seine 
Fortbildung  aus,  las  Alles,  was  er  nur  an  Büchern  erlangen  konnte. 
Dichter  und  Philosophen,  und  begann  auf  eigene  Faust  französisch 
zu  lernen.     Nach  Freunds  Tode    übernahm  dessen  gebildeter  Sohn 


*)  Berthold  Auerbach  hat  diesen  Typus  in  seinem  ,, Dichter  und  Kaufmann''  vor= 
bildlich  gezeichnet.  Cf.  Ephraim  Moses  Kuh's  hinterlass.  Gedichte  durchgesehen  von 
J.  W.  Rammler  2.  Bändchen  Zürich  1799.  In  neuester  Zeit  hat  u.  a.  Theodor  Seeman: 
Ephraim  Moses  Kuh  Epigramme  (bei  Gelbart  in  Dresden   1872)  in  Auswahl  herausgegeben. 


93 

das  Geschäft  und  schenkte  unserm  Henschel,  der  auch  kaufmännisch 
sich  durch  eifrige  Studien  fortgebildet  hatte,  so  grosses  Vertrauen, 
dass  diesem  fast  die  ganze  Leitung  überlassen  blieb. 

Jetzt  tritt  eine  Katastrophe  in  seinem  Leben  ein,  über  die  sein 
Biograph  um  so  freimüthiger  berichten  darf,  als  Henschel  selbst  zu 
Nutz  und  Frommen  der  Jugend  offen  darüber  sprach.  Er  gerieth  in 
lockere  Gesellschaft,  spielte,  verlor  und  griff  zur  Deckung  seiner 
Spielschulden  die  Kasse  seines  Herrn  an.  Was  einigermassen  mit 
dieser  verwerflichen  Handlungsweise  versöhnen  kann,  ist  der  offene 
Muth  und  die  moraHsche  Kraft,  mit  der  der  Uebelthäter  sein  Unrecht 
gesteht. 

Er  bezahlte  in  Raten  von  seinem  Gehalt  die  veruntreuten  Summen 
auf  Heller  und  Pfennig,  aber  das  Vertrauen  seines  Principals  war 
verloren,  und  er  verliess  deshalb  die  Stelle.  In's  Elternhaus  zurück- 
gekehrt, begann  nun  eine  Zeit  der  tiefsten  Demüthigung  für  ihn. 
Eine  Weile  lebte  er  zurückgezogen  mit  seinen  Büchern,  aber  er  er- 
kannte wohl,  dass  er  seinen  Eltern  nicht  länger  zur  Last  fallen 
dürfe,  und  so  entschloss  er  sich  denn,  eine  von  dem  rühmlichst  be- 
kannten Dr.  med.  Warburg  angebotene  Bedientenstelle  anzunehmen, 
indem  er  sich  selbst  zum  Trost  die  Hoffnung  vorspiegelte,  in  dem 
Hause  des  gelehrten  Mannes  Mittel  zu  seiner  Fortbildung  finden  zu 
können.  Der  Empfang,  den  er  bei  Warburg  fand,  war  nicht  gerade 
verlockend.  „Wenn  ich  Ihn  zum  Bedienten  nehme",  sagte  der  sonst 
so  vortreffliche  Mann  ,,so  setze  ich  voraus,  dass  Er  Alles  erfüllen 
wird,  was  einem  solchen  zukömmt.  Ueberdies  muss  Er  mich  täglich 
frisiren,  und  wenn  Er  dieses  nicht  kann,  muss  er  es  erst  erlernen. 
Monatlich  erhält  Er  vier  Thaler,  wofür  er  sich  beköstigen  und  be- 
kleiden muss.  Steht  Ihm  dieses  an,  so  kann  er  mit  dem  ersten  den 
Dienst  antreten,  und  bis  dahin  wird  Er  wohl  die  Paar  Locken  machen 
gelernt  haben." 

Da  ihm  aber  auch  die  geringste  Aussicht,  Gelegenheit  zum 
Studiren  zu  finden,  über  Alles  ging,  so  griff  er  mit  Freuden  zu. 
Zwei  Jahre  blieb  er  in  dieser  Stellung  und  lernte  in  derselben  auch 
mancherlei  Medicamente  kennen  und  bereiten.  Er  verliess  sie,  um 
sich  durch  Unterrichtertheilen  zu  ernähren,  trat  sie  jedoch,  als  dieser 
Plan  missglückte,  wieder  an  und  schied  erst  daraus,  als  der  bairische 
Erbfolgekrieg  auszubrechen  drohte,  um  Heulieferant  zu  werden. 
Da  es  überhaupt  nicht  zum  Kriege  kam,  fiel  sein  Plan  in's  Wasser, 
und  ärmer  als  je  kehrte  er  nach  Breslau  zurück.  Hier  bot  ihm 
Warburg  eine  Stelle  als  Kammerdiener  des  Grafen  Potocki  an,  zu 
der  er  aber  einige  chirurgische  Handgriffe  erlernen  musste.  Bei 
dem  sehr  geschickten  Chirurgen  Homberg  dem  Aelteren  trat  er  in 
die  Lehre,  und  die  Thätigkeit,  die  dieser  in  dem  jüdischen  Hospitale 


94    

ausübte,  gefiel  ihm  so  gut,  dass  er  beschloss,  sich  zum  Chirurgen 
auszubilden.  Auch  hier  half  der  unermüdliche  Warburg.  Seine 
Empfehlung  an  den  Professor  Morgenbesser  verschaffte  Henschel  den 
freien  Besuch  und  Unterricht  in  der  Anatomie,  und  als  Morgenbesser 
ihn  näher  kennen  lernte,  munterte  er  ihn  geradezu  zum  Studiren 
der  Medicin  auf.  Morgenbessers  Bekanntschaft  führte  den  Umschwung 
seiner  Laufbahn  herbei.  Von  da  ab  bewegt  sie  sich  in  aufsteigender 
Linie.  Als  er  dem  edlen  Gönner  gegenüber  auf  seine  Armuth  als 
Hinderniss  des  Studiums  hinwies,  überraschte  ihn  dieser  mit  der  an- 
genehmen Mittheilung,  dass  er  sich  für  ihn  bei  den  wohlhabenden 
Mitgliedern  der  jüdischen  Gemeinde  verwendet  habe,  und  dass  diese 
ihm  für  die  Zeit  seiner  chirurgischen  Studien  eine  monatliche  Unter- 
stützung von  1 2  Thalern  zugewilligt  hätten.  Henschel  war  dadurch 
überglücklich,  vergass  aber  auch  nie,  seinem  dankbaren  Gefühle  für 
seinen  Lehrer  Morgenbesser  Ausdruck  zu  geben;  da  er  sehr  ge- 
schickt und  fieissig  im  Präpariren  anatomischer  Gegenstände  war  und 
eine  Vacanz  der  Stellung  eines  Prosectors  der  Anatomie  eintrat,  so 
gelangte  Henschel  auf  Morgenbessers  Empfehlung  in  diese  und  zwar 
mit  einem  Gehalte  von  50  Thalern  jährlich.  Nunmehr  regte  sich 
in  ihm  der  Wunsch  nach  dem  Unterrichte  in  den  Naturwissenschaften. 
Professor  Frieboess  ertheilte  ihm  denselben  in  Chemie  und  Physik. 
Auch  zur  Entbindungskunst  gelangte  er  in  der  Hebammenschule 
Morgenbessers.  Fünf  Jahre  des  Glückes  genoss  er  in  dieser  Stellung. 
Gern  hätte  er  jetzt  eine  Universität  bezogen.  Aber  woher  die 
grossen  Kosten  dazu  aufbringen?  Da  halfen  wiederum  Warburg  und 
Morgenbesser,  die  ihn  täglich  mehr  liebten,  indem  auf  ihre  Empfehlung 
hin  die  reichen  Glaubensgenossen  Henschels  diesem  200  Thaler  pro 
Jahr  auf  2  Jahre  bewilligten.  Als  tüchtiger  Chirurg  empfohlen,  ging 
er  nach  Halle  zur  Universität,  wo  er  sich  binnen  Kurzem  eine  solche 
Beliebtheit  zu  erwerben  verstand,  dass  sich  stets  eine  grosse  Anzahl 
seiner  Studiengenossen  um  ihn  versammelte,  mit  denen  er  auf 
Spaziergängen  wissenschaftliche  Unterhaltungen  zu  führen  pflegte. 
Es  waren  darunter  Namen  wie  Curt  Sprengel,  der  spätere  berühmte 
Medicinalhistoriker  uud  Botaniker,  Wildenow,  Greu  u.  A,  vertreten. 
Um  die  Universität  Halle  machte  sich  Henschel  dadurch  verdient, 
dass  er  daselbst  eine  Poliklinik  in's  Leben  rief,  welche  sehr  grossen 
Nutzen  stiften  sollte.  Nachdem  er  sich  gründliche  Kenntnisse  in  der 
Medicin,  namentlich  in  der  Geburtshilfe,  dank  der  ausgezeichneten 
Lehrmethode  Friedrich  Meckels  erworben,  verliess  er  Halle,  um  sich 
in  Breslau  als  praktischer  Arzt  niederzulassen. 

Henschel  verstand  es  sehr  bald,  wenn  auch  unter  Sorgen  und 
Geldnoth,  sich  einen  geachteten  Namen  zu  verschaffen.  Rastlose 
Thätigkeit  in  der  Ausübung   des  Berufes   ging   hier  Hand  in  Hand 


95 

mit  wissenschaftlichen  Arbeiten.  Das  Fach  der  Geburtshilfe,  dem  er 
sich  insbesondere  widmete,  das  aber  bisher  recht  stiefmütterlich  be- 
handelt worden,  trat  durch  ihn  gewissermassen  in  eine  neue  Sphäre 
ein.  Bei  Antritt  seiner  ärztlichen  Laufbahn  hatte  Breslau  nur  zwei 
Geburtshelfer,  seinen  unvergesslichen  Lehrer  Morgenbesser  und  einen 
Chirurgen,  dem  die  Geburtshilfe  blosses  Handwerk  war,  Henschel 
fand  daher  sehr  bald  ein  reiches  Feld  für  seine  geburtshilfliche 
Thätigkeit.  Das  Verhältniss  zu  seinen  Collegen  war  indess  in  der 
ersten  Zeit  kein  sehr  angenehmes.  Man  conspirirte  von  allen  Seiten 
gegen  ihn,  mehr  aus  Neid  und  Missgunst  als  auf  Grund  reeller 
Motive.  Auch  Warburg,  der  ihm  früher  so  sehr  entgegengekommen, 
konnte  sich  lange  nicht  gewöhnen,  in  dem  ehemaligen  Bedienten 
einen  ebenbürtigen  Collegen  zu  sehen.  Henschel  Hess  alle  diese 
Widerwärtigkeiten  mit  standhafter  Rahe  über  sich  ergehen,  war  er 
doch  überzeugt,  dass  das  Dunkel,  das  über  seinem  Haupte  schwebte, 
sich  allmählich  lichten  würde.  Der  Hass  seiner  Gegner  nahm  noch 
grössere  Dimensionen  an,  als  sich  Henschel  um  die  vacante  Stelle 
eines  Geburtshelfers  für  die  Breslauer  Ortsarmen  bei  der  Königlichen 
Kriegs-  und  Domänenkammer  bewarb, 

Henschel  fand  auch  darin  einen  Ausweg.  Er  meldete  sich  zur 
erneuten  Prüfung  in  der  Geburtshilfe  gegenüber  noch  zwei  anderen 
Concurrenten,  und  da  der  Ausfall  des  Examens  einen  glänzenden 
Beweis  seiner  Kenntnisse  und  Leistungsfähigkeit  auf  diesem  Gebiete 
abgab,  war  man  gerecht  genug,  namentlich  auf  Empfehlung  Morgen- 
bessers,  ihm  dieses  mit  einem  jährlichen  Gehalte  von  loo  Thalern 
dotirte  Amt  zu  übertragen, 

Henschel  bewahrte  eine  bewunderungswürdige  Consequenz  in 
seinem  Handeln  ungeachtet  aller  Denunciationen  und  Beschimpfungen 
seitens  seiner  Widersacher,  die  niemals  so  recht  zur  Ruhe  kommen 
wollten. 

Er  ging  allein  seinen  Weg,  besorgte  auf  das  Gewissenhafteste 
seine  Kranken  und  war  in  hervorragender  Weise  für  seine  Wissen- 
schaft thätig,  indem  er  ausgezeichnete  Abhandlungen  veröffentlichte, 
von  denen  wir  diese: 

„Auf   welcher    Stufe    der    Kultur    steht   die   Entbindungskunst    in 

Breslau?" 
,,Ueber  die  Lösung  der  Placenta," 

„Ueber    die    Pockenimpfung    und    die  Ausrottung    dieser  Kinder- 
seuche," 
sowie  die 

„Ueber    die   Natur    und  die  Behandlung    der  Kopfblutgeschwulst 
der  Neugeborenen" 
hervorheben. 


96 

Dafür  erntete  er  in  ernsten  wissenschaftlichen  Kreisen  grossen 
Ruhm. 

So  lebte  er  beglückend  und  glücklich,  angesehen  und  bewundert 
und  im  Besitze  einer  wunderbaren  Constitution,  die  allen  Krank- 
heiten Trotz  zu  bieten  schien,  bis  auch  ihn  tiefe  Betrübniss  traf. 
Harte ,  seine  eigene  Familie  betreffende  Schicksalsschläge  sollten 
seinen  Lebensabend  verkümmern.  Seine  älteste  Tochter  verunglückte 
im  zartesten  Alter  und  vermochte  sich  nicht  mehr  zu  erholen;  im 
40.  Jahre  rief  sie  der  Tod  ab.  Seine  beiden  übrigen  Töchter,  von 
denen  die  eine  mit  dem  Professor  Dr.  Braniss  vermählt  war,  starben 
in  der  Blüthe  ihrer  Jahre.  So  behielt  er  nur  den  einzigen  Sohn 
A.  W.  Henschel,  der  später  als  Professor  der  Medicin  an  der  Uni- 
versität zu  Breslau  von  1830  an  durch  medicinalhistorische  Arbeiten 
von  grösserem  Werthe*)  für  Schlesien  Berühmtheit  erlangte. 

Solche  traurige  Ereignisse  gingen  nicht  spurlos  an  dem  Manne 
vorüber,  aber  seine  kräftige  Natur  und  das  dauernde  Streben,  seine 
Lebensarbeit  bis  zum  Schlüsse  zu  erfüllen,  hielten  ihn  aufrecht. 
Man  muss,  wie  der  Schreiber  dieser  Zeilen,  die  hoch  angesehene 
und  verdiente  Stellung  Henschels  gekannt  haben,  um  den  Weg  zu 
messen,  den  dieser  Mann  in  seinem  Leben  zurückgelegt  hat.  Aus 
den  beschränktesten  dürftigsten  Verhältnissen  kämpfte  er  sich  Schritt 
für  Schritt  durch  Noth  und  Elend,  durch  Versuchung  und  Demüthi- 
gung  hindurch  und  erreichte  das  Ziel,  das  er  sich  gesteckt,  der 
Wissenschaft  und  der  Menschheit  zu  Nutz  und  Frommen.  Hoch- 
bejahrt starb  er  im  Jahre  1843.  Die  Generation,  die  den  wunder- 
baren Lauf  seines  Daseins  kennen  gelernt,  ist  fast  ausgestorben, 
darum  hielten  wir  es  für  nützlich,  sein  Andenken  an  dieser  Stelle 
zu  erneuen."^*) 


*)  Cf.  Ferd.   Colin  in  unserem  ausführlichen  Aufsatz  über  A.  W.  Henschel. 
**)  Eine    Hauptquelle    für    obige    Biographie    gewährt    uns    die  Schrift    des  Dr.  med. 
Anselm  Davidson:  Dr.  Elias  Henschel  in  seinem  Leben  und  seinem  fünfzigjährigen  Wirken 
als  Arzt  und  Geburtshelfer.     Breslau   1837. 


97 


Georg  Philipp  Mogalla. 


IVLogalla  ergriff  zuerst  das  Studium  der  Philosophie. 

Geboren  wurde  er  am'  22.  April  1766  zu  Oppeln,  studirte  in 
Breslau  und  wurde,  nachdem  er  sich  im  Jahre  1784  die  höhere  Lehrer- 
würde erworben,  als  erster  weltlicher  Professor  am  katholischen 
St.   Matthias  -  Gymnasium  zu  Breslau  angestellt. 

Drei  Jahre  lang  bekleidete  er  diese  Stellung.  Dann  wandte  er 
sich,  in  der  Absicht,  speciell  Naturwissenschaften  und  Medicin,  auch 
Thierheilkunde,  zum  Gegenstande  seiner  Forschungen  zu  machen,  nach 
Wien,  wo  man  ihn  zu  fesseln  und  für  die  dortigen  Anstalten  zu  ge- 
winnen trachtete,  da  er  wie  wenige  durch  enorme  Leistungen  die 
Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  auf  sich  zog. 

Mogalla,  welcher  auf  alle  dergleichen  Anträge  abschlägig 
antwortete,  zog  sich  wieder  nach  seiner  Heimat  zurück  und 
promovirte  am  20.  August  1790  in  Frankfurt  a.  O.  zum  Doctor  der 
Medicin  und  Chirurgie.  1 791  erhielt  er  eine  Anstellung  als  Oberbergarzt 
bei  dem  schlesischen  Bergknappschafts-Institute  mit  der  Verpflichtung, 
namentlich  die  hygienischen  Zustände  einer  ganz  besonderen  Obhut 
zu  unterziehen.     Mogalla  stand  diesem  Amte  bis  zum  Jahre  18 14  vor. 

Aus  dieser  Zeit  stammen  seine  bedeutendsten  schriftstellerischen 
Producte,  und  zwar  die  populäre  Zeitschrift: 

,,Der  Freund  des  Landmanns",  welche  er  von  1791  — 1793  redigirte, 
sowie  die  Beschreibungen  der  Mineralquellen  und  Heilbäder  Schlesiens, 
ein  ebenso  nützliches  als  belehrendes  Werk,  auf  das  sich  namentlich 
der  Ruf  Mogallas  gründet.  Viele  schlesische  Bäder  haben  durch 
ihn  mannigfache  Förderung  erfahren.  So  verdankt  ihm  das  in  der 
Grafschaft  Glatz  gelegene  Reinerz  sein  Entstehen  und  seine  Bedeutung 
als  Molkenkuranstalt,  die  er  daselbst  anlegte. 

Auf  einer  Reise  nach  den  böhmischen  Molkenkurorten  im  Biliczer 
Gebirge  hatte  nämlich  Mogalla  die  Ueberzeugimg  gewonnen,  dass 
seine  engere  Heimat  mit  ihren  Badeorten,  vor  Allem  Reinerz,  das 
sich  durch    seine   Höhenlage    —    die   höchste    unter    den  Badeorten 

7 


Deutschlands  —  und  subalpinische  Flora  auszeichnete,  mit  jenen  Orten 
durchaus  wetteifern  könnte,  und  dass  es  sich  sehr  wohl  der  Mühe 
verlohnte,  eine  ähnliche  Anstalt  daselbst  in's  Leben  zu  rufen.  Sein 
Wunsch  war  von  bestem  Erfolge  gekrönt,  indem  die  Breslauer 
Kriegs-  und  Domänenkammer  im  April  1800  eine  solche  Molkenan- 
stalt in  Reinerz  errichten  liess.  Da  Mogalla  auch  zugleich  hier  eine 
neue,  bessere  Art  der  Molkenzubereitung  —  auf  chemischem  Wege  — 
als  es  die  bisher  in  Böhmen  geübte  war,  einführte,  so  gelangte 
Reinerz  in  seiner  veränderten  Gestalt  sehr  schnell  zu  hohem  An- 
sehen, und  von  Jahr  zu  Jahr  wuchs  die  Zahl  der  daselbst  Hilfe  und 
Heilung  Suchenden. 

Die  Stadt  Reinerz  bewies  ihre  Dankbarkeit  durch  seine  Er- 
nennung zum  Ehrenbürger. 

Das  Bad  Liebwerda,  um  das  er  sich  ebenfalls  grosse  Verdienste 
erworben,  hat  ihn  durch  eine  auf  seinen  Namen  bezügliche  Inschrift 
auf  der  Denksäule  geehrt. 

Die  Thätigkeit  Mogallas  wurde  in  den  späteren  Jahren  direct 
dadurch  noch  segensreicher,  dass  er,  bereits  Medicinalrath  seit  1803 
und  Director  des  Anatomie-Instituts  seit  1804,  im  Jahre  1806  als 
dirigirender  Arzt  in  den  Typhushospitälern  die  zu  der  Zeit  arg 
grassirende  Typhus epidemie  zu  dämpfen  verstand,  und  als  die  Rinder- 
pest in  Schlesien  und  der  Grafschaft  Glatz  unermesslichen  Schaden 
anrichtete,  war  er  es  wieder,  dem  es  gelang,  durch  zweckentsprechende 
genial  ersonnene  Hilfsmittel  das  Uebel  zu  verdrängen. 

In  den  Kriegsjahren  1813 — 18 15  finden  wir  ihn  in  den  Hospitälern 
und  Lazarethen  auf  das  Eifrigste  beschäftigt. 

Für  seine  dem  Heere  und  dem  Vaterlande  geleisteten  Dienste 
erhielt  er  das  eiserne  Kreuz.  Im  Jahre  1819  wurde  er  zum  Königl. 
Regierungs-Medicinal-Rath  ernannt  und  bald  darauf  mit  der  Direction 
des  Medicinal-Collegiums  betraut.  Indess  seine  wankende  Gesundheit 
nöthigte  ihn,  schon   1826  aus  seiner  bisherigen  Stellung  zu  scheiden. 

Bei  seinem  Abgange  verlieh  ihm  der  König  in  Anerkennung 
seiner  vorzüglichen  Leistungen  den  rothen  Adlerorden  dritter  Klasse. 

Am  15.  October  1831   erlag  er  der  Cholera. 

Ueber  seine  sämmtlichen  Schriften  vergleiche  Nowack,  Schlesisches 
Schriftsteller-Lexikon,  VI.  Heft  Seite  79. 

Hervorgehoben  zu  werden  verdienen: 

Die  Molkenanstalt  in  Reinerz,  welche  er  als  eine  der  besten  zu 
gründen  das  Glück  hatte  und 

Die  Eisenquelle  zu  Cudowa,  deren  Beschreibung  man  ihm 
verdankt. 


99 


Johanii  Wendt. 


IViit  Wendt  beginnt  und  schliesst  gewissermassen  eine  Epoche; 
aufgezogen  und  herangebildet  in  den  Principien  der  alten  Medicin, 
welche  noch  recht  wenig  vom  mittelalterlichen  Schematismus  einge- 
büsst,  hat  er  mit  bewunderungswürdiger  Energie  dahin  gestrebt,  die 
therapeutische  Wirksamkeit  des  Arztes  von  allen  abergläubischen, 
wissenschaftlich  ungerechtfertigten  Anhängseln  zu  befreien  und  jed- 
wedes ärztliche  Vorgehen  immer  wieder  auf  eine  eingehende,  sichere 
Beobachtungs  weise  zurückzuführen.  Das  Gebiet  der  Diagnostik,  gewiss 
das  wichtigste  der  gesammten  medicinischen  Wissenschaft,  ist  durch 
ihn  nicht  unwesentlich  bereichert  worden,  und  es  ist  dies  ein  um  so 
grösseres  Verdienst,  als  ihm  durchaus  unzureichende  technische  Hilfs- 
mittel zur  Seite  standen,  so  dass  ihm  recht  zahlreiche  Schwierigkeiten 
entgegenrückten.  Aber  Fleiss  und  Ausdauei  halfen  ihm  darüber 
hinweg,  und  was  er  als  nützlich  und  gut  erkannt,  verstand  er  auch 
im  praktischen  Leben  in  richtiger  Form  anzuwenden,  ohne  sich  um 
den  Spott  und  Hass  zu  kümmern,  denen  jede  Neuerung  und  Ver- 
besserung ausgesetzt  zu  sein  pflegt.  Konnte  er  menschliches  Elend, 
das  ihm  sein  Beruf  tagtäglich  vor  Augen  führte,  einigermassen  lindern, 
so  war  sein  Ehrgeiz  schon  voll  und  ganz  befriedigt.  Bestimmtheit 
und  Consequenz  im  Handeln,  Klarheit  und  Tiefe  des  Gedankens, 
Herzensgüte  und  persönliche  Liebenswürdigkeit  sind  die  Haupt- 
charakterzüge seines  wechselreichen  Lebens,  die  überall  hervortreten, 
sei  es  am  Krankenbett,  sei  es  vom  Lehrstuhl  aus,  und  fast  möchten 
wir  sagen,  dass  diese  vielleicht  mehr  geeignet  waren,  seinen  Namen, 
wenn  auch  nur  für  kurze  Zeit,  der  Nachwelt  zu  erhalten,  als  die 
grosse  Zahl  der  auf  uns  gekommenen  Schriften,  die  im  Allgemeinen 
heute  nur  noch  historischen,  weniger  wissenschaftlichen  Werth  besitzen. 
Indess  hat  durch  diese  Thatsache  die  Bedeutung  Wendts  nur  wenig 
verloren,  selbst  wenn  wir  streng  urtheilen  wollten;  denn  einerseits 
können  wir  seine  Leistungen  nur  mit  einem  seiner  Zeit  entsprechenden 
Maasse  messen,   und  andrerseits  hat  gerade  nach  seinem   Tode   die 


lOO 

medicinische  Wissenschaft  in  der  kürzesten  Zeit  einen  so  ungeheuren 
Aufschwung  genommen,  wie  nie  vorher;  fallen  doch  gerade  die  her- 
vorragendsten Entdeckungen  in  die  Mitte  unseres  Jahrhunderts,  die 
unser  Wendt  nicht  mehr  erleben  sollte.  Mit  seinem  Tode  hat  also 
so  zu  sagen  ein  gewisses  Entwicklungsstadium  der  medicinischen 
Wissenschaft  zugleich  sein  Ende  erreicht. 

Johann  Wendt  wurde  am  26.  November  1777  in  dem  kleinen 
oberschlesischen  Städtchen  Tost  geboren.  Nachdem  er  den  Elementar- 
unterricht in  Leobschütz  genossen,  überwies  ihn  sein  Vater,  welcher 
ausser  einer  Weinhandlung  auch  die  Stellung  eines  Postcommissarius 
in  Tost  inne  hatte,  der  Obhut  einer  Tante  nach  Troppau,  woselbst 
er  das  Gymnasium  absolvirte.  Im  Besitz  des  Reifezeugnisses  wandte 
er  sich  an  die  Leopoldina  nach  Breslau,  um  philosophische  Studien 
zu  treiben.  Zwei  Jahre  später  folgte  er  einer  Aufforderung  seines  Ver- 
wandten, des  Geheimrathes  und  ProfessorsFriedrich  Wendt  zu  Erlangen, 
daselbst  Medicin  zu  treiben,  wurde  jedoch  bald  durch  einen  glück- 
lichen Zufall  aus  seinem  neuen  Wirkungskreise  abberufen,  und  zwar 
wurde  er  durch  den  Bischof  von  Ermeland,  der  seinen  Vater  ge- 
legentlich einer  Durchreise  durch  Tost  kennen  gelernt  und  lieb  ge- 
wonnen hatte,  benachrichtigt,  dass  ihm  die  Ermeländische  Stiftung 
zugewandt  sei,  aus  welcher  zwei  Studirende  und  zwei  Künstler 
während  eines  dreijährigen  Aufenthaltes  in  Rom  ausreichende  Unter- 
stützung und  später  noch  Reisegeld  erhalten  sollten.  Auf  seiner 
Reise  nach  Rom  berührte  er  Pavia  und  wurde  hier  mit  dem  be- 
rühmten Peter  Frank  näher  bekannt,  welcher  ihm  ein  Empfehlungs- 
schreiben an  den  hochbedeutenden,  später  auch  politisch  hervorragenden 
italienischen  Arzt  Corona  übergab.  Da  ihm  somit  weite  Klreise  offen 
standen,  fühlte  sich  Wendt  recht  bald  in  der  römischen  Hauptstadt 
heimisch,  und  die  Fülle  von  Eindrücken,  die  er  hier  allenthalben 
empfing,  sicherte  diesem  Aufenthalte  in  Rom  eine  bleibende  Stätte 
in  seinem  Gedächtniss.  Mit  emsigem  Fleiss  besuchte  er  hier  medi- 
cinische Vorlesungen  und  suchte  sich  nach  theoretischer  und  praktischer 
Richtung  für  seinen  Beruf  vorzubereiten;  dass  ihm  dieses  recht  wohl 
gelang,  geht  schon  daraus  hervor,  dass  er  die  für  das  Jahr  1797  von 
der  Universität  aufgestellten  Preisaufgaben  glänzend  löste,  wofür  er 
nächst  dem  entsprechenden  Preis  auch  den  Doctorhut  in  der  philo- 
sophischen und  medicinischen  Facultät  erhielt.  Dafür  spricht  ferner, 
dass  er  sofort,  nachdem  er  in  Besitz  der  ärztlichen  Approbation  ge- 
langt, als  Assistenzarzt  in  dem  grossen  Frauenhospital  S.  Giovanni 
in  Laterano  angestellt  wurde,  in  welcher  Stellung  er  bis  zum  Ende 
des  Jahres  1798  verblieb.  In  der  Zwischenzeit  war  er  auch  noch 
während  der  Invasion  französischer  Truppen  nach  Rom  als  Stabs- 
arzt am  Lazareth  der  polnischen  Legion  thätig  gewesen. 


Wendt  entschloss  sich  nunmehr,  dem  klassichen  Lande  der  Wissen- 
schaften den  Rücken  zu  kehren,  um  dem  Wunsche  seines  Vaters, 
der  ihn  wogen  seines  hohen  Alters  noch  zu  sehen  und  bei  sich  zu 
haben  begehrte,  nachzukommen,  und  weil  ausserdem  die  Zeit,  während 
welcher  ihm  der  Aufenthalt  im  Auslande  gestattet  war,  bereits  ab- 
gelaufen war.  Indess  reiste  er  zunächst  nach  Wien,  um  hier  noch 
an  dem  Unterricht  Peter  Franks,  welcher  inzwischen  hierher  berufen 
worden,  Theil  zu  nehmen,  und  er  erwirkte  auch  noch  die  Erlaubniss, 
auf  ein  ferneres  Jahr  im  Auslande  verweilen  zu  dürfen.  1799  kehrte 
er  in  seine  Heimat  Schlesien  zurück,  unterwarf  sich  den  Staats- 
prüfungen und  Hess  sich  dann,  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Berlin  und 
Ohlau,  1802  in  Breslau  als  Arzt  nieder.  Eine  der  ersten  Aus- 
zeichnungen, die  seiner  Tüchtigkeit  galt,  war  die  Ernennung  zum 
Mitglied  der  Jenaer  mineralogischen  Gesellschaft.  Ihr  folgte  1804 
die  Bestätigung  seiner  zu  Rom  erlangten  Doctorwürde  durch  die 
Frankfurter  Universität.  Es  währte  nur  kurze  Zeit,  bis  es  ihm  gelang, 
sich  einen  achtunggebietenden  Namen  zu  verschaffen.  Namentlich 
erregten  mehrere  kleine  Schriften  von  ihm  Aufsehen  wie:  „Ueber 
das  endemische-rheumatische  Fieber,  den  Tanz,  die  Enthauptung 
(Fall  Troyer)  u.  a.  So  war  es  möglich,  dass  ihm  jedes  Jahr  neue 
Ehrenstellungen,  neue  Decorationen  und  Auszeichnung'en  eintrug, 
wie  sie  selten  in  einer  Person  vereinigt  sind.  Die  öffentliche  Lauf- 
bahn begann  er  1809  mit  seinem  Eintritt  in  die  Medicinalcommission, 
an  deren  Stelle  später  das  Medicinalcollegium  trat.  1810  wurde  er 
zum  Generalsecretär  der  schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische 
Cultur  ernannt,  181 1  zum  Medicinalrath.  Gleichzeitig  habilitirte  er 
sich  auf  Grund  seiner  Dissertation  „De  Scarlatina''  als  Privatdocent 
an  der  Breslauer  Universität  und  veröffentlichte  noch  mehrere  Schriften 
wie:  über  den  tollen  Hundbiss,  die  chirurgische  Heilmittellehre  und 
über  die  physische  Erziehung.  1 8 1 2  wurde  er  Professor  extraordinarius, 
181 3  Ordinarius.  Während  der  Freiheitskriege  war  er  mit  aufopferungs- 
voller Hingebung  auf  den  Schlachtfeldern  thätig  und  sorgte  dafür, 
dass  sämmtliche  Verwundete  einem  entsprechenden  Lazareth  über- 
wiesen wurden,  wo  ihnen  ausreichende  Hilfe  zu  Theil  wurde.  Der 
König  von  Frankreich  belohnte  ihn  dafür  mit  dem  Orden  der  Ehren- 
legion und  der  Lilie.  18 14  übernahm  er  die  Direction  des  Kuh'schen 
Hausarmen-Medicinal-Instituts,  in  demselben  Jahre  wurde  er  Mitglied 
der  Kais.  Leopold.  Akademie  der  Naturforscher  und  der  Phys.- 
medicinischen  Societät  zu  Erlangen.  18 15  trat  er  in  das  eben  ge- 
gründete Medicinalcollegium  ein  und  veröffentlichte  zu  gleicher  Zeit 
eine  grössere  Arbeit  ,,über  Lues,"  die  noch  in  mehrmaliger  Auflage, 
selbst  in  ungarischer  Sprache,  erschien;  18 18  beschrieb  er  verschiedene 
Vergiftungen,   iSig  den  Scharlach  und  die  letzte  Klrankheit  Blüchers, 


dessen  behandelnder  Arzt  er  gewesen.  In  dem  nämlichen  Jahre  wurde 
er  auch  Mitglied  der  Halle'schen  Naturforsch.  Gesellschaft.  1820 
wurde  ihm  der  preussische  rothe  Adlerorden  III.  Klasse  verliehen: 
1822  erschien  sein  Buch  über  Kinderkrankheiten,  wohl  eins  seiner 
besten  Werke,  das  auch  heute  noch  nicht  ganz  werthlos  geworden. 
Von  einer  grösseren  Reise  (durch  Frankreich,  England,  die  Nieder- 
lande und  die  rheinischen  Bäder)  zurückgekehrt,  wurde  er  1823/24 
zum  Rector  magnificus  und  ausserdem  zum  i .  Professor  und  Vorstand 
der  Breslauer  chirurgischen  Lehranstalt  erwählt,  1824,  in  welchem 
Jahre  er  den  Charakter  als  Geheimer  Medicinalrath  erhielt,  beschrieb 
er  die  Wasserscheu,  die  verborgenen  Entzündungen  und  einen 
Prospectus  materiae  medicae,  1825  die  Behandlung  fieberhafter 
Krankheiten,  1828  die  3  Pockenformen,  1830  das  russische  Dampf- 
bad. Im  Jahre  1833  gab  er  die  2.  Auflage  seiner  Arzneimittellehre 
heraus,  wofür  er  vom  österreichischen  Kaiser  die  grosse  goldene 
österreichische  Verdienstmedaille  erhielt.  In  der  schweren  Cholerazeit 
des  v^orhergehenden  Jahres,  die  für  ihn  um  so  furchtbarer  wurde,  als  er 
an  dieser  Krankheit  seinen  jüngsten  Sohn  verlor,  war  AVendts  Thätig- 
keit  äusserst  segenspendend,  und  zwar  gründete  er  sowohl  eine 
Cholerazeitung,  durch  welche  er  belehrend  auf  die  Masse  einzuwirken 
suchte,  als  auch  einen  Cholera- Waisen-Verein.  Auch  empfing  er  zu 
dieser  Zeit  noch  seitens  des  preussischen  Königs  die  Schleife  zum 
rothen  Adlerorden,  1834  wurde  er  zum  Director  der  delegirten  Ober- 
Examinations-Commission  und  1835  zum  Mitglied  der  Academie  royale 
de  Medecine  de  France  zu  Paris  und  des  Grossherzog.  Badenschen 
Landwirthschaftlichen  Vereins  zu  Carlsruhe  ernannt.  Da  er  sich 
durch  eine  Schrift  über  Kissingen  namentlich  um  Baiern  verdient 
gemacht  hatte,  verlieh  ihm  der  König  von  Baiern  1838  das  Ritter- 
kreuz des  Civil- Verdienst- Ordens.  In  den  folgenden  Jahren  wurde 
er  noch  Mitglied  einer  grossen  Anzahl  gelehrter  Gesellschaften,  1840 
schrieb  er  über  AVarmbrunn,  1841  über  Altwasser,  wofür  er  vom  König 
Friedrich  Wilhelm  IV.  die  grosse  goldene  Huldigungsmedaille  erhielt. 
1843  WLirde  er  mit  dem  rothen  Adlerorden  IL  Klasse  mit  Eichen- 
laub decorirt;  1844,  schon  schwerkrank,  schrieb  er  noch  vielleicht 
sein  bestes  Werk  „über  das  Selbstbewusstsein"  und  ,,über  die  Gicht." 
Am  13.  April  1845  schied  er  aus  dem  Leben.  Kurz  vor  seinem 
Tode  wurde  ihm  noch  die  Freude  zu  Theil,  von  Schönlein,  der  hier 
beim  Fürstbischof  Diepenbrok  auf  Sendung  des  Königs  behufs  Consul- 
tation  sich  aufhielt,  besucht  und  getröstet  zu  werden. 


iO' 


August  Wilhelm  Eduard  HensclieL 


A.  "\V.  E.  Henschel,  ein  Sohn  des  rühmlichst  bekannten  Dr.  Elias 
Henschel,  dessen  wir  bereits  eingehend  Erwähnung  gethan,  wurde  am 
20.  Dezember  1 790  zuBreslau  geboren;  der  äusserst  lernbegierige  Knabe 
erhielt  anfangs  Privatunterricht,  später  besuchte  er  die  zur  Zeit  noch 
existirende  AVilhelms schule,  sowie  das  Friedrichs-  und  Elisabethg\Tn- 
nasium.  Eine  zufällige  Entdeckung  gab  dem  erst  13  jährigen  Henschel 
Anlass,  mit  besonderem  Augenmerk  sich  den  naturwissenschaftlichen 
Fächern,  namentlich  der  Botanik,  zu  widmen;  er  fand  nämhch  in  den 
Bodenräumen  seines  Vaterhauses  eine  umfangreiche,  von  seinem  Vater 
mit  grösster  Sorgfalt  imd  Mühe  angelegte  Sammlung  trockener  Pflan- 
zen, welche  in  ihm  augenblicklich  den  Wunsch  erregte,,  zunächst 
die  deutschen  Namen  der  einzelnen  Pflanzen,  sowie  Einiges  über  die 
allgemeinen  Sätze  der  botanischen  Wissenschaft  zu  erfahren,  und 
während  er  sich  einer  ähnlichen  Arbeit  zu  unterziehen  begann,  trat  er 
auch  den  derBotanik  verwandten  Wissenschaften  näher.  Als  1 5Jähriger 
Student  an  dem  Breslauer  Collegium  medico-chirurgicum  beschäftigte 
er  sich  insbesondere  mit  Anatomie  und  Physiologie,  ohne  indess  die 
Botanik  zu  vernachlässigen,  und  setzte  diese  Studien  in  Berlin  am  Ober- 
CoUegium  medicum  erfolgreich  fort,  bis  ihn  Kränklichkeit  nach 
Hause  rief  (1808).  Es  duldete  ihn  jedoch  kaum  ein  Jahr  in  der 
Heimat;  ein  eifriger  Anhänger  Schelvers,  begab  er  sich  schon  1809 
nach  Heidelberg,  um  dessen  medicinisch-physiologische  Lehrsätze 
und  Ideen  selbst  zu  hören,  musste  aber  seine  Studien  wiederum 
unterbrechen,  weil  die  anhaltend  sitzende  Lebensweise  auf  seinen 
Körper  nachtheilig  einwirkte.  Nach  einjährigem  x\uf enthalt  in 
Schlesien  begab  er  sich  zum  zweiten  Male  nach  Berlin,  wo  sich 
ihm  jetzt  an  der  daselbst  neu  begründeten  Universität  ausgezeichnete 
Gelegenheit  bot ,  seine  medicinische  und  philosophische  Bildung  unter 
Männern  wie  Reil,  Hufeland,  Hom .  Gräfe,  Fichte.  Schleiermacher, 
Niebuhr,  Wolf  u.  A.  auf  das  Umfassendste  zu  erweitern.  Nachdem 
die  Breslauer  Universität    gegründet,    kehrte    er    nach    seinem   Ge- 


I04 

burtsort  zurück,  bestand  bald  darauf  das  Examen  rigorosum  und 
promovirte  am  13.  März  18 13  als  erster  Doctor  der  Medicin  der 
Breslau  er  Universität  honoris  causa  gratis  auf  Grund  seiner  Disser- 
tation  „De  asthmate  millari  et  anginae  polyposae  diversitate''. 

Schon  vorher,  im  Jahre  18 12,  war  Henschel  in  die  praktische  Lauf- 
bahn eingetreten,  indem  er  anfangs  seinem  Vater  hilfreich  zur  Seite 
stand;  die  Kriegsjahre  18 13  und  14,  in  denen  Typhus-Epidemieen  die 
Regel  waren,  nahmen  seine  Xräfte  voll  und  ganz  in  Anspruch.  Da 
er  sich  in  dieser  sorgenvollen  Zeit  als  ein  äusserst  umsichtiger  und 
tüchtiger  Arzt  erwies,  der  vor  keiner  Gefahr  zurückscheute,  wurde 
er  schon  nach  kurzer  Zeit  als  3.  Arzt  am  Hausarmen-Institut  und 
als  2.  an  der  Israelit.  Armen -Kranken -Anstalt  angestellt.  Ersteres 
Amt  gab  er  18 16  wieder  auf,  letzteres  behielt  er  für  lange  Zeit  bei. 
Seine  ersten,  Hörn  und  Hufeland  dedicirten,  schriftstellerischen  Ar- 
beiten publicirte  er  gelegentlich  der  Absolvirung  der  medicinischen 
Staatsprüfung ;  eine  von  diesen  ist  leider  verloren  gegangen. 

Henschels  medicinische  Thätigkeit  trat  im  Laufe  der  Zeit  allmählich 
in  den  Hintergrund,  es  erschienen  zwar  noch  später,  wie  z.  B.  183 1 
während  der  Choleraepidemie  einige  grössere  medicinische  Arbeiten 
aus  seiner  Feder,  welche  berechtigtes  Aufsehen  erregten.  Im  All- 
gemeinen wandte  er  sich  jedoch  in  der  zweiten  Hälfte  seines  Lebens 
von  der  eigentlichen  Medicin  fast  ganz  ab,  ergriff  dagegen  ganz 
und  gar  das  botanische  Studium,  für  welches  er  ja  frühzeitig  Sinn 
und  Verständniss  an  den  Tag  gelegt  hatte,  und  habilitirte  sich  am 
29.  October  18 16  als  Privatdocent  an  der  Universität  Breslau  durch 
eine  Abhandlung :  „Ueber  die  Natur  der  Pflanzen  im  Vergleich  zu  den 
übrigen  Organismen."  Einige  Jahre  später  erschien  sein  bedeutend- 
stes botanisches  Werk  „Von  der  Sexualität  der  Pflanzen",  welches 
einen  wahren  Beifallssturm  in  Gelehrtenkreisen  hervorrief,  weil  es 
nicht  allein  neue,  grundlegende  Ansichten  offenbarte,  sondern  weil  es 
namentlich  für  ähnliche  experimentelle  Arbeiten  wundervolle  Finger- 
zeige an  die  Hand  gab.  Wenn  er  auch  vielfach,  nicht  gerade  mit 
Unrecht,  angefochten  und  bekämpft  wurde,  so  gebührt  ihm  doch 
jedenfalls  das  Verdienst,  auf  diesen  specielleren  Zweig  der  Botanik 
mit  der  nöthigen  Energie  hingewiesen  zu  haben,  der  später  zu  so 
schöner  und  glanzvoller  Entwicklung  gelangen  sollte.  Interessant 
ist  die  Erwiderung,  welche  ihm  Göthe  zukommen  liess.  „Da  er  noch 
erlebe,"  schreibt  Goethe,  „dass  so  merkwürdige  Erscheinungen  der 
Wissenschaft  aus  seinen  unschuldigsten  Anregungen  hervorgehen," 
so  solle  Henschel  überzeugt  sein,  dass  ihn  seine  Arbeit  ,, nicht  nur 
im  Ganzen,  sondern  von  Seite  zu  Seite  interessire".  Leider  hatten  die 
zahlreichen  Anfeindungen,  die  sein  Buch  erfuhr  und  die  natürlich 
eher  in's  Gewicht  fallen  mussten,  als   die  noch  zahlreicheren  Lobes- 


top 

erhebungen,  zur  Folge,  dass  Henschel  den  verhängnissvollen  Beschluss 
fasste,  keinerlei  Arbeit  auf  botanischem  Gebiete  mehr  zu  veröffent- 
lichen. Seine  Erfahrungen  verwandte  er  jetzt  einzig  und  allein  auf 
die  Vergrösserung  und  Verbesserung  seines  Herbariums,  das  sehr 
bald  sich  den  Ruf  erwarb,  zu  den  bedeutendsten  Deutschlands  zu 
gehören.  Auch  hatte  er  immerhin  als  langjähriger  Secretär  der  bo- 
tanischen Section  der  vaterländisch- schlesischen  Gesellschaft  Gelegen- 
heit, auf  botanischem  Gebiete,  wenn  auch  in  beschränktem  Masse, 
sich  thätig  zu  zeigen. 

1821  erfolgte  seine  Ernennung  zum  Professor  extraordinär ius, 
nachdem  er  ein  Jahr  vorher  zum  Christenthum  übergetreten  war, 
gleichzeitig  veröffentlichte  er  seine  Dissertatio  historico-botanica  de 
Aristotele  botanico  philosopho.  1832  erhielt  er  die  ordentliche  Pro- 
fessur in  der  medicinischen  Facultät  der  Universität  Breslau,  bei 
welcher  Gelegenheit  er  eine  Abhandlung:  „Vita  Rumphii,  Plinii 
indici;  accedit  specimen  materiae  Rumphianae"  herausgab.  1852 
bis  53  bekleidete  er  die  Würde  eines  Rector  magnificus,  das  De- 
canat  hatte  er  mehrere  Mal  inne.  Seine  Vorträge  umfassten  recht 
umfangreiche  Gebiete,  er  las  über  Semiotik,  Diagnostik,  Geschichte 
und  Encyklopädie  der  Medicin,  Materia  medica,  allgemeine  Patho- 
logie, Anatomie  und  Physiologie  der  Gewächse,  natürliche  Pfianzen- 
familien  und  einige  andere  Themen. 

Henschels  grösste  Verdienste  sind  seine  Leistungen  auf  histo- 
risch-naturwissenschaftlich-medicinischem  Felde,  sie  liegen  weniger  auf 
botanischem  Gebiete.  Gewöhnt,  bei  seinen  botanischen  Studien  stets 
nach  dem  Ursprung  des  bisher  Bekannten,  nach  den  Quellen  und 
Ueberlieferungen  zu  forschen,  bildete  er  sich  mehr  und  mehr  zum 
Historiker  aus,  so  dass  er  mit  der  Zeit  ausschliesslich  sich  mit  Ge- 
schichte, namentlich  der  Medicin,  beschäftigte.  Seine  bedeutendsten 
historischen  Arbeiten  sind:  „Ueber  berühmte  Aerzte  Schlesiens  im 
16.  Jahrhundert,  1819.  —  Jatrologiae  Silesiae  specimen  L,  exhibens 
brevissimam  medicorum  Silesiorum  saec.  13 — 16  notitiam,  catalogo 
medicorum  Silesiorum  recentiorum  adjecto,  1837  (Festschrift  zum 
50jährigen  Doctorjubiläum  seines  Vaters).  —  „Zur  Geschichte  der 
Medicin  in  Schlesien:  die  vorliterarischen  Anfänge,  1837."  Zur  Ge- 
schichte der  botan.  Gärten  und  der  Botanik  überhaupt  in  Schlesien 
(Allgemeine  Gartenzeitung)  1837.  —  „Nachträge  zur  Geschichte  der 
Medicin  in  Schlesien  im  13.  Jahrhundert."  —  „De  codicibus  medii  aevi 
medicis  etphysicisbibliothecarum  Vratislaviensium  manuscriptis  notitiae 
quaedam  generalis  adjectaeorundem  catalogi  particula prima  (Festschrift 
zum  50jährigen  Doctorjubiläum  von  Ernst  Hörn,  1847).  —  „Catalogi 
Mss.  Vratisl.  etc.  particula  secunda  —  inest  Synopsis  chronologica 
scriptorum  medii  aevi  medicorum  ac  physicorum,  qui  codicibus  Biblio- 


io6 

thecarumVratislaviens.  continentur"  (Festschrift  zum  50jährigen  Doctor- 
jubiläum  von  W.  Remer).  —  „Schlesiens  wissenschaftliche  Zustände 
im  14.  Jahrhundert,"  1850.  — '■  „Crato  von  Crafftheims  Leben  und 
ärztliches  Wirken".  —  „De  praxi  medica  Salernitana  commentatio, 
cui  praemissus  est  anonymi  Salernitani  de  adventu  medici  ad  aegrotum 
libellus  e  Compend,  Salernit.  1850".  —  „Francesco  Petrarca,  seine 
Bedeutung  für  Gelehrsamkeit,  Philosophie  und  Religion,  1853."  — 
Ausserdem  hat  er  mehrere  grössere  Arbeiten  in  der  Zeitschrift 
„Janus,  Centralmagazin  für  Geschichte  und  Literaturgeschichte  der 
Medicin"  veröffentlicht. 

Seit  1850  begann  Henschels  Gesundheit  zu  wanken,  und  trotz 
mehrmaliger  Badereisen  vermochte  er  sich  nicht  mehr  vollständig 
zu  erholen.  Nach  schweren  Leiden  starb  er  am  24.  Juli  1856.  Sein 
letzter  Wille  zeugt  noch  von  seiner  edelmüthigen  Gesinnung,  indem 
er  seine  grossartige  Büchersammlung  der  Breslauer  Studenten- 
bibliothek und  sein  Herbarium  von  40,000  Pflanzen  der  vaterlän- 
disch-schlesischen  Gesellschaft  zum  Eigenthum  überliess. 

Ueber  Henschel  als  Historiker  hat  Ferdinand  Cohn  nach  ein- 
gehender Beschäftigung  mit  seinen  Werken  sein  Urthetl  in  folgende 
Worte  zusammengefasst :  „H.  war  ein  ausgezeichneter  Historiker, 
gründlich,  zuverlässig,  erschöpfend,  dabei  voll  Wärme  der  Darstellung 
und  von  allgemeinen  weiten  Gesichtspunkten,  der  wahre  „Schliemann" 
der  Schlesischen  Geschichte  der  Medicin,  der  vergessene  Literatur- 
grössen  ab  incunabulis  ausgrub.  Wir  haben  seine  Bedeutung,  da 
er  lebte,  gar  nicht  genug  gewürdigt,  weil  sein  bescheidnes  Wesen 
ihn  nicht  an's  Licht  treten  Hess."  — 


I07 


Heinrieh  Robert  Goeppert. 


LLs  kann  an  dieser  Stelle  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  unsern 
grossen  Landsmann  Goeppert  in  seiner  Bedeutung  für  die  Natur- 
wissenschaften, als  Pfadfinder  in  einer  untergegangenen,  von  ihm 
reconstruirten  Pflanzenwelt,  als  einen  der  hervorragendsten  Phy- 
siologen und  Anatom  auf  dem  Gebiete  der  Botanik,  als, erfolgreichen 
Forscher  in  der  Entwickelungsgeschichte  und  Morphologie  der 
Pflanzen  zu  feiern.  Diese  Würdigung  fand  er  seiner  Zeit  von  der 
berufensten  Seite  in  den  Gedenkreden  Ferdinand  Cohns*).  Wir  haben 
uns  hier  auch  nicht  mit  Goeppert  als  dem  Neubegründer  und 
Präsidenten  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur 
zu  befassen;  in  dieser  Hinsicht  hat  seines  Nachfolgers  Heidenhain**) 
treffliche  Rede  den  unvergänglichen  Werth  des  Mannes  uns  klar 
und  rückhaltlos  geschildert.  Die  Thätigkeit  eines  rastlosen  Geistes, 
wie  Goeppert  es  war,  ist  damit  noch  nicht  erschöpft,  sondern  nur 
in  ihren  stärksten  Aeusserungen  gekennzeichnet.  Hier  ist  der  Ort, 
uns  zu  erinnern,  dass  Goeppert  auch  Mediciner  war  und  als  solcher, 
wenn  auch  nur  den  kleineren  Theil  seines  langen  Lebens,  wie  sein 
Vorgänger  Professor  A.  W.  Henschel,  der  sich  von  der  Botanik  ab 
der  Geschichte  der  Medizin  zuwandte,  segensreich  und  anregend  ge- 
wirkt hat,  auf  praktischem  und  literarischem  Gebiete.  Diese  Er- 
Avägung  rechtfertigt  es,  wenn  wir  in  dieses  Werk,  seinem  Zweck 
entsprechend,  die  Biographie  Goepperts  einreihen;  dass  wir  aber 
damit  nicht  allein  stehen,  zeigt  uns  die  Aufnahme  Goepperts  in  das 
von  Hirsch  unter  specieller  Redaction  Gurlts  herausgegebene  „Bio- 
graphische Lexikon  hervorragender  Aerzte"  (Bd.  II.  S.  587). 

Heinrich  Robert  Goeppert  wurde  am  25.  Juli  1800  zu  Sprottau 
in  Niederschlesien  als  Sohn  des  Apothekers  Goeppert,  der  zugleich 
Forstrath  der  Stadt  war,   geboren  und  verdankte   die   Neigung  für 


*)  Cf.     62.    Jahresbericht     der      Schlesisch.    Ges.    1885     ersch.       S.    XII    — 
XXVn,  und  Breslauer-Zeitung.   1884  No.  349,  364,  394. 
**)  Cf.  62.  Jahresber.  S.  II.— XII. 


io8 

die  Naturwissenschaften,  die  sich  schon  während  seiner  Schuljahre 
zeigte,  dem  Gewerbe  und  Amte  des  Vaters.  Im  Jahre  1812  bezog  er 
das  Gymnasium  zu  Glogau,  das  er  18 13  verliess,  um  seine  Gymna- 
siallaufbahn noch  in  Breslau  auf  2  Gymnasien  bis  z.  J.  1816  fortzu- 
setzen. Hier  war  es  besonders  ein  Lehrer  des  katholischen  Gym- 
nasium, Kaluza,  der  den  Sinn  des  Knaben  für  Botanik  weckte,  so 
dass  Goeppert  seinen  Aufenthalt  in  dieser  Stadt  schon  damals  zum 
eifrigen  Besuch  des  botanischen  Gartens  benutzte.  Doch  1 816  schon 
nahm  die  glückliche  Schulzeit  für  ihn  ein  Ende,  da  er,  dem  Wunsche 
des  A^aters  folgend,  nunmehr  in  dessen  Apotheke  seine  Lehrlingszeit 
beginnen  sollte,  um  später  das  Geschäft  des  Vaters  weiterführen  zu 
können.  Vier  Jahre  später  legte  er  vor  der  Prüfungscommission 
unter  Vorsitz  des  Professors  der  Botanik  an  der  Universität  Breslau, 
L.  Chr.  Treviranus,  der  sich  als  Pflanzenphysiologe  einen  bedeutenden 
Ruf  erwarb,  sein  Gehilfenexamen  mit  Auszeichnung  ab  und  setzte 
danach  in  der  Apotheke  seines  Grossvaters  zu  Neisse  die  praktische 
Thätigkeit  fort.  Aber  diese  Beschäftigung  vermochte  nicht  lange,  ihn 
zu  fesseln;  der  Drang  nach  Erweiterung  seiner  Kenntnisse  und  nach 
einem  höheren  Ziele  bemächtigte  sich  seiner,  so  dass  der  Vater 
schliesslich,  als  das  fernere  Bestehen  der  Apotheke  durch  den  Ein- 
tritt eines  jüngeren  Sohnes  in  die  Officin  gesichert  war,  dem  älteren 
die  Erlaubniss  gab,  seine  Stellung  aufzugeben  und  nach  Breslau 
zurückzukehren. 

Nachdem  er  das  Maturitätsexamen  bestanden  hatte,  wurde  er 
im  Wintersemester  182 1  unter  dem  Decanat  von  Treviranus,  an  den 
er  sich  in  seinen  ersten  Studienjahren  besonders  eng  anschloss,  in 
das  Album  der  medicinischen  Facultät  eingetragen.  Sein  Studien- 
gang erstreckte  sich  gleichmässig  auf  die  Medicin  (Otto,  Remer  u.  A.) 
und  Naturwissenschaften  (Treviranus  u.  A.)  und,  von  der  Wichtigkeit 
einer  allgemeinen  Bildung  überzeugt,  hörte  er  daneben  philosophische 
und  historische  Vorlesungen.  Zu  einem  seiner  Lehrer,  dem  Kliniker 
Remer,  trat  er  später  in  enge  verwandtschaftliche  Beziehungen,  in- 
dem er  sich  mit  einer  Tochter  desselben  vermählte  und  nach  ihrem 
Tode  mit  ihrer  Schwester  die  zweite  Ehe  einging.  Als  Goeppert 
am  Ende  des  dritten  Studienjahres  stand,  gerieth  er  durch  seine  leb- 
hafte Theilnahme  an  den  deutschen  Burschenschaftsbestrebungen, 
deren  bei  den  Behörden  verpönte  Ideale  die  Freiheit  und  Einheit 
Deutschlands  waren,  in  Conflict  mit  den  Universitätsbehörden,  welche 
die  Relegation  über  ihn  verhängten  und  somit  sein  ferneres  Studium 
beinahe  unmöglich  machten.  Es  gelang  ihm  jedoch,  die  Erlaubniss 
zu  erhalten,  sein  Studium  an  der  Berliner  Universität  fortzusetzen, 
allerdings  musste  er  sich  die  polizeiliche  Aufsicht  gefallen  lassen. 
Er  erfreute   sich  in  Berlin  des  Umgangs  mit   den  Botanikern    Link, 


log 

Schlechtendal  und  Heyne,  verkehrte  viel  mit  Chamisso  und  im 
Mendelssohn'schen  Hause,  einer  Pflegestätte  der  Musik,  an  der 
Goeppert  hohe  Freude  fand.  Schon  im  Januar  1823  wurde  er  von 
Link  zum  Doctor  med.  promovirt  auf  Grund  seiner  von  Treviranus 
angeregten  Arbeit :  ,, Nonnulla  de  plantarum  nutritione",  in  der  „sich 
schon,"  wie  Ferdinand  Cohn  sagt,  „der  exacte  Experimentator,  der 
kritische  Beobachter  zeigt."  Es  opponirten  ihm  zwei  seiner 
Berliner  Freunde,  mit  denen  er  im  Jahre  1824  auf  der  Schneekoppe 
einen  Bund  der  Treue  gesschlossen  hatte,  Brandt,  später  Zoologe 
und  Akademiker  in  Petersburg,  und  Ratzeburg,  später  Professor  an 
der  Forstakademie  zu  Eberswalde.  Im  Jahre  1826,  nach  beendetem 
Studium,  Hess  sich  Goeppert  in  Breslau,  dem  er  nunmehr  als  einer 
seiner  besten  Bürger  treu  blieb,  als  praktischer  Arzt  nieder.  Ein 
Jahr  später  habilitirte  sich  Goeppert  als  Privatdocent  in  der  medicin. 
Facultät,  zu  deren  Disciplinen  damals  auch  die  Botanik  gehörte, 
mit  einer  Schrift  über  die  Wirkung  der  Blausäure  auf  die  Pflanzen 
(De  acidi  hydrocyanici  vi  in  plantas  commentatio).  Zugleich  hebt  in 
Goepperts  Innerm  der  Jahre  dauernde,  edle  Wettstreit  zwischen 
seinem  humanen  Sinn  und  seiner  wissenschaftlichen  Neigung  an. 
Während  diese  ihn  auf  die  Naturforschung  besonders  in  der  Pflanzen- 
welt hinweist,  zwingt  ihn  jener,  seine  Kräfte  in  den  Dienst  der 
leidenden  Menschheit  zu  stellen.  Es  ist  bewundernswerth,  wie  er 
beiden  neben  einander  herlaufenden  Richtungen  vermöge  seiner 
Arbeitslust  und  Gewissenhaftigkeit  gerecht  wird  und  ihnen  folgt, 
bis  die  Neigung  zur  Naturforschung  obsiegt.  Aber  auch  dann  ist 
sein  Ziel,  die  Resultate  seiner  Forschungen  der  Mitwelt  nutzbar  zu 
machen,  weil  ihn  sein  Herz  dazu  treibt. 

Auf  umfangreiche  Privatpraxis  kam  es  dieser  Persönlichkeit 
nicht  an,  er  wollte  mit  seinem  medicinischen  Wissen  grösseren 
Kreisen  nützen.  So  ist  er  nun  Jahre  lang  als  städtischer  Armenarzt 
beschäftigt  und,  während  er  Conservator  am  botanischen  Garten  ist 
(seit  1827);  während  er  seines  Lehramtes  für  allgemeine  Pathologie 
und  Therapie  und  desjenigen  für  Arzneimittellehre  an  der  Med.- 
Chirurg.  Lehranstalt  waltet  (seit  1830);  während  er  seine  Unter- 
suchungen über  das  Verhalten  der  Pflanzen  dem  Temperaturwechsel 
gegenüber  anstellt  und  veröffentlicht,  übt  er  die  ärztliche  Praxis  aus 
im  katholischen  Gymnasium  (seit  1826),  im  Elisabethospital  (1829) 
und  endlich  im  Allerheiligen-Hospital  (seit  1830).  —  Bei  keiner  Ge- 
legenheit aber  treten  die  Schaffensfreude,  die  Arbeitskraft  des  jugend- 


*)  In  den  Jahren  1827 — 30;  cf.  Ferd.  Cohn  im  „Jahresbericht  der  Schles.  Ges." 
S.  XVIII.  1830  erschien  G.'s  Arbeit  „lieber  die  Wärmeentwi ekel ung  in  den  Pflanzen,  deren 
Gefrieren  und  Schutzmittel  gegen  dasselbe." 


I  lO 


liehen  Mannes,  sein  bedeutsames  Wirken  als  praktischer  Arzt  in 
helleres  Licht  als  zur  Zeit  der  Cholera-Epidemie  in  Breslau  1831, 
einer  Periode  seiner  Thätigkeit,  über  die  wir  den  fast  actenmässigen 
Beleg  in  der  Schlesischen  Cholera-Zeitung  vor  uns  haben. 

Als  Mitglied  des  ärztlichen  Comites  für  Schlesien,  dem  neben 
ihm  unter  Anderen  Wendt,  Krocker,  Ebers  und  Henschel  angehörten, 
betheiligte  er  sich  an  der  Herausgabe  dieser  Zeitung.  Er  selbst 
konnte  während  der  Epidemie  reiche  Erfahrungen  sammeln  und  ein- 
gehendste Beobachtungen  und  Untersuchungen  anstellen,  da  ihm  und 
seinem  Collegen  Dr.  Seidel  die  Leitung  eines  besonderen  Cholera- 
Hospitals  in  Neu-Scheitnig  übergeben  war.  Ueberaus  häufig  be- 
gegnen wir  seinem  Namen  in  den  Spalten  des  während  der  Monate 
October  1831  bis  Februar  1832  erscheinenden  Blattes.  -—  Er  giebt 
Rathschläge,  wie  man  die  schädliche  Einwirkung  des  Chlors  auf  die 
Respirationsorgane  verhindern  kann;  welches  die  beste  Art  der  Er- 
wärmung Cholerakranker  und  das  beste  Mittel  gegen  Wadenkrämpfe 
sei.  In  einem  kleinen  Aufsatze  (in  No,  11.  S.  87)  spricht  er  sich 
aus  theoretischen  und  Erfahrungsgründen  für  die  Chlorräucherungen 
aus,  welche  sich  im  katholischen  Gymnasium  als  Schutzmittel  gegen 
die  Cholera  bewährt  zu  haben  schienen.  In  den  Sitzungen  der 
medic.  Section  der  Schles.  Gesellschaft,  deren  Protokolle  in  der 
Zeitung  im  Auszuge  mitgetheilt  werden,  liest  Goeppert  amtliche  Be- 
richte von  Collegen  ausserhalb  Breslaus  vor,  referirt  über  die  Literatur 
betreffend  die  Cholera,  spricht  über  die  Wirkung  von  Arsenik  ge- 
legentlich eines  von  einem  Apotheker  vorgelegten  Heilmittels  gegen 
Cholera  und  Arsenikvergiftungen  u.  s.  w.  In  zwei  vortrefflichen 
graphischen  Darstellungen  giebt  er,  auf  amtliche  Feststellungen  sich- 
stützend, uns  ein  anschauliches  Bild  von  der  Entwickelung  der 
Cholera  in  Breslau  und  von  dem  Sterblichkeitsverhältniss  der  Civil- 
personen  in  Breslau  von  Woche  zu  Woche  aus  den  Jahren  1830 
und  31,  mit  Berücksichtigung  des  Antheils  der  Epidemie;  es  sind 
dies  vielleicht  die  ersten  mit  ausserordentlich  instructiven  Curven 
versehenen  Tafeln.  Ueber  seine  Thätigkeit  als  Arzt  instruirt  uns 
der  von  ihm  und  Dr.  Seidel  erstattete,  ausführliche  und  gediegene 
Bericht*)  über  das  Cholera-Hospital  No.  III.  Der  reiche  Inhalt  zer- 
fällt in  eine  allgemeine  Bemerkungen  über  den  Ort,  die  Aerzte,  das 
Hilfspersonal  u.  s.  w.  enthaltende  Einleitung,  an  die  sich  eine  Dar- 
legung der  „pathognomischen  Zeichen  der  Cholera"  anschliesst. 
Dann  wird  der  Verlauf  der  Krankheit  geschildert  und,  nach  einer 
kurzen  Auslassung  über  die  prognostischen  Kennzeichen,  den  ätio- 
logischen Verhältnissen  in  den  einzelnen  Krankheitsfällen  eine    Be- 


')  No.   5   u.   7  der  Neuen  Folge  und  Nr.    I    der  Letzten  Folge  der  Zeitung. 


sprechung  gewidmet.  Den  Schluss  bildet  eine  gedrängte  Uebersicht 
über  die  angewandten  Heilmittel  und  die  damit  erzielten  Resultate: 
Eingestreut  sind  an  den  verschiedensten  Stellen  des  Hospital-Be- 
richtes tabellarische  Zusammenstellungen  über  die  Symptome  der 
Krankheit,  ihre  Dauer  und  das  Sterblichkeitsverhältniss  von  ver- 
schiedenen Gesichtspunkten  aus  u.  s.  vv.  —  Diese  bieten,  zusammen 
mit  den  übrigen  amtlichen  Breslau  er  Listen,  das  umfangreiche 
Material  zu  den  für  die  damaligen  Verhältnisse  ganz  ausgezeich- 
neten statistischen  Untersuchungen  des  jungen  Professors  über 
„die  Cholera  in  Breslau,"  welche  den  zusammenfassenden  Final- 
bericht der  Ch.-Zeitung,  den  i8.  Februar  1832,  bilden.  Die  Unter- 
suchungen erstrecken  sich  auf  das  Alter  der  Erkrankten,  ihren 
Stand,  ihr  Gewerbe  und  die  Verbreitung  der  Epidemie  in  den 
Strassen  und  einzelnen  Häusern;  der  Verfasser  schliesst  damit, 
dass  er  sich  auf  Grund  der  Untersuchungen  für  die  Contagiosität 
der  Krankheit  mit  einigen  Worten  ausspricht. 

Bedenken  wir,  dass  neben  der  Arbeit,  die  diese  Publicationen 
erforderten,  die  praktische  ärztliche  Thätigkeit  nebenherging  und 
das  Fundament  für  jene  bildete,  so  ist  das,  was  der  junge  Professor 
extraordinarius  (seit  183 1)  in  diesen  4  schweren  Monaten  (October  — 
Januar)  leistete,  in  der  That  Staunen  erregend,  und  die  medicinische 
Wissenschaft,  speciell  die  Breslauer  Facultät,  konnte  es  nur  schmerz- 
lich empfinden,  dass  Goeppert  später  diesen  unermüdlichen  Fleiss 
ausschliesslich  der  Botanik  zuwandte.  Der  Uebergang  geschah  all- 
mählich; im  Jahre  1830  war  er  zwar  schon  Secretär  der  naturwissen- 
schaftlichen Section  der  Schi.  Gesellschaft,  aber  seine  ein  Jahr  später 
erscheinende  Abhandlung :  ,,Ueber  die  Wichtigkeit  der  naturwissen- 
schaftlichen Studien  für  die  zukünftige  Ausbildung  des  Arztes" 
documentirt  doch  noch  seine  Zugehörigkeit  zur  medicinischen  Welt. 
Als  er  hingegen  im  Jahre  1832  auf  der  Naturforscherversammlung  zu 
Wien  mit  grossem  Beifall  einen  Vortrag  über  ein  Thema  aus  der 
Botanik  gehalten  hatte  und  1833  durch  Otto  aufgefordert  wurde^ 
die  fossile  Flora  Schlesiens  zu  bearbeiten,  war  die  künftige  Richtung 
seiner  wissenschaftlichen  Laufbahn,  die  ihn  von  der  Medicin  ab- 
führen musste,  ihm  klar  vorgezeichnet.  Der  medicinischen  Facultät 
gehörte  er,  seit  1841  als  Professor  Ordinarius,  noch  bis  zum  Jahre 
185 1  an,  obschon  er  in  der  Zwischenzeit  bereits  seine  bedeutenden 
Arbeiten  über  die  Coniferen,  die  fossilen  Farnkräuter,  die  Ent- 
stehung der  Steinkohlenlager,  den  Bernstein  u.  s.  w.  sowie  Ab- 
handlungen aus  dem  Gebiete  der  vergleichenden  Pflanzenkunde  ver- 
öffentlicht hatte.  Es  sind  nur  wenige  Erzeugnisse  seiner  literarischen 
Thätigkeit,  in  denen  uns  noch  der  Mediciner  Goeppert  entgegen- 
tritt.    In  dieser  Hinsicht  sind  von  gewissem  Interesse  die  1835  ver- 


112 

öffentlichte  Arbeit:  „Die  in  Schlesien  wildwachsenden  officin eilen 
Pflanzen"  und  ein  Werk  aus  dem  Jahre  1857;  „Die  officinellen  und 
technisch  wichtigen  Pflanzen  unserer  Gärten"  (Görlitz),  wenngleich 
auch  diese  beiden  Schriften  sich  in  ^erster  Reihe  an  die  Pharma- 
ceuten  wenden. 

Speciell  für  „Aerzte  und  Wundärzte"  verfasste  er  sein  Werk 
„Ueber  die  chemischen  Gegengifte",  welches  er  ursprünglich  nur 
für  seine  Zuhörer  an  der  medic.-chirurgischen  Lehranstalt  1842  be- 
stimmt hatte,  aber  wegen  der  günstigen  Aufnahme  desselben  im 
Jahre  1843  ^^  zweiter,  erweiterter  Auflage  nebst  einer  „tabellarischen 
Uebersicht  der  Gifte  und  ihrer  Gegengifte"  publicirte.  In  der  Vor- 
rede spricht  er  seinen  Wunsch  aus,  mit  diesem  Werke  „einiges  zur 
erspriesslichen  Anwendung  einer  Wissenschaft  beizutragen,  der  ich 
stets  grosse  Theilnahme  zuwandte,  obschon  ich  selbst,  jetzt  andere 
literarische  Richtungen  verfolgend,  mich  nicht  mehr,  wie  früher, 
mit  der  specielleren  Bearbeitung  derselben  zu  beschäftigen  im 
Stande  bin." 

Den  ärztlichen  Beruf  hat  Goeppert  bis  1848  am  Allerheiligen- 
Hospital  und  bis  184g  noch  am  katholischen  Gymnasium  ausgeübt, 
und  noch  im  vorletzten  Decennium  seines  Lebens  prakticirte  er  im 
engsten  Kreise,  wie  Ferdinand  Cohn  uns  erzählt. 

Im  Jahre  1851  trat  Goeppert  zur  philosophischen  Facultät  über,  in 
der  er  das  Ordinariat  für  Botanik  als  Nachfolger  Nees  v.  Esenbeck's, 
der  die  Demission  bekommen  hatte,  erhielt  und  die  Leitung  des 
botanischen  Gartens  übernahm,  der  ein  unvergängliches  Zeugniss 
für  das  Schaff"en  des  Mannes  und  eins  der  populärsten  existirenden 
Institute  geworden  ist.  Die  medicinische  Facultät  der  Universität  gab 
bei  seinem  Facultätswechsel  ihrem  Schmerz  über  den  Verlust  in 
ihrem  Facultätsalbum  beredten  Ausdruck. 

Noch  33  Jahre  war  es  Goeppert  vergönnt,  im  Dienste  seiner 
botanischen  Wissenschaft  als  Forscher  und  Lehrer  Bedeutendes  zu 
leisten  und  ein  Ruhmesblatt  dem  andern  hinzuzufügen,  bis  er  am 
18.  Mai  1884  diese  Welt  verliess.  Es  wäre  hier  unangebracht,  die 
Werke  alle  aufzuzählen,  die  ihn  zu  einem  der  grössten  Paläontologen 
und  seinen  Namen  in  so  vielen  praktischen  Zweigen  menschlicher 
Thätigkeit  zu  einem  der  populärsten  machten.  Keine  irgendwie 
bedeutende,  naturwissenschaftliche  Gesellschaft  hat  es  verabsäumt, 
ihm  den  schuldigen  Tribut  der  Anerkennung  darzubringen.  Medaillen 
wurden  ihm  als  dem  Würdigsten  verliehen,  Preise  wiederholt  ihm 
zugesprochen.  Wohl  selten  hat  ein  Mensch  so  viele  Verkünder 
seines  Ruhms  aus  den  verschiedensten  Schichten  des  Volkes  ge- 
funden, wie  Goeppert,  weil  er  mit  seinem  streng  wissenschaftlichen 
Geist  einen  eminent  praktischen  Sinn  verband.     Daher  fanden  seine 


Worte  lebhaften  Anklang  in  der  Seele  des  Forstmannes,  des  Gärtners 
und  des  Landwirths,  wie  bei  seinen  wissenschaftlichen  Fachgenossen. 
Daher  konnte  er  für  die  Entwickelung  der  heimatlichen  Provinz 
und  deren  Hauptstadt  ein  so  überaus  werkthätiges  Mitglied  werden, 
ohne  das  ein  gemeinnütziges  Unternehmen  gar  nicht  in's  Leben 
treten  zu  können  schien.  Wo  es  sich  um  A^erschönerung  der  Stadt, 
um  Hebung  ihres  Ansehens,  um  Besserung  der  Gesundheitsverhält- 
nisse handelte,  stand  er  in  der  vordersten  Reihe  der  Bewohner 
Breslaus,  dem  er  den  botanischen  Garten,  das  Museum  der  Künste 
und  der  Botanik,  die  Promenade  und  andere  werthvolle  Institute  schuf 
oder  schaffen  half.  Des  Lebens  ungemischte  Freude  ist,  nach  Menschen- 
loos,  auch  ihm  nicht  zu  Theil"  geworden;  trafen  ihn  doch  in  seinen 
letzten  Jahren  schwere  Verluste  in  seiner  eigenen  Familie,  durch  den 
Tod  seines  hochangesehenen  Sohnes  und  der  eignen  Gattin;  durch 
rastlose  Thätigkeit  suchte  er  den  Schmerz  zu  betäuben.  Goeppert 
gehört  zu  jenen  bedeutenden  JMännern,  die  „gelebt  haben  für  alle 
Zeiten,"  weil  sie  „den  Besten  ihrer  Zeit  genug  gethan."  Sein  Bildniss 
ziert  die  von  ihm  begründete  Promenade. 


Carl  Wilhelm  Klose. 


Wbwohl  Klose  der  neueren  Zeit  angehört,  in  welcher  bereits 
Sinn  und  Verständniss  für  Kunst  und  Wissenschaft  allgemeineres 
Eigenthum  geworden,  gehört  er  doch  gerade  in  die  Reihe  derjenigen, 
welche,  von  ihren  Zeitgenossen  unterschätzt,  in  der  Menge  ver- 
schwanden und  wohl  für  immer  der  Nachwelt  unbekannt  geblieben 
wären,  hätten  sie  nicht  schriftliche  Arbeiten  geschaffen,  denen  ein 
Jeder,  der  nur  einen  Blick  auf  sie  wirft,  unbedingt  Achtung  zollen 
muss. 

Der  Verfasser  würde  sich  glücklich  schätzen,  wenn  es  ihm  ge- 
länge, mit  nachfolgender  Vita  die  Bedeutung  dieses  so  gut  wie  ver- 
gessenen Arztes  in's  rechte  Licht  zu  stellen. 

Carl  Wilhelm  Klose*)  wurde  am  1 7.  Februar  1803  zu  Polnisch-  (jetzt 
Gross-)  Wartenberg  als  Sohn  mittelloser  Webersleute  geboren.  Er 
genoss  nur  den  nothdürftigsten  Unterricht,  zeigte  aber  von  Anfang 
an  hervorragende  geistige  Eigenschaften;  es  war  daher  natürlich, 
dass  er  nicht  mit  der  rechten  Lust  an  die  Barbirkunst,  für  die  er 
bestimmt  wurde,  heranging.  Schon  nach  sehr  kurzer  Zeit  verliess 
er  die  Barbirstube,  um  sich  nach  Breslau  zu  begeben,  und  daselbst 
seine  Wissbegierde  zu  befriedigen. 

Mit  geringen  Kenntnissen  in  der  lateinischen  Sprache  ausge- 
stattet, in  welcher  ihn  der  Geistliche  seines  Heimatsortes  unter- 
richtet hatte,  trat  er,  16  Jahre  alt,  in  die  Sexta  unseres  Matthias- 
gymnasiums ein.  Zwar  fand  er  Leute,  die  sich  seiner  annahmen  und 
ihn  unterstützten,  auch  ertheilte  er  kleineren  Kindern  Privatunter- 
richt, aber  der  Verdienst  war  so  gering,  dass  er  auch  nicht  den  be- 
scheidensten Bedürfnissen  gerecht  werden  konnte. 

1826  bestand  er    auf  das  Glänzendste  die  Abiturienten-Prüfung, 

*)  Nicht  zu  verwechseln  mit  Carl  Ludwig  Klose ,  wie  wir  es  leider  auch  in  den 
Acten  der  vaterländischen  schlesischen  Gesellschaft  finden.  Dieser  war  ein  Breslauer  Kind, 
Professor  Ordinarius  für  die  gerichtliche  Medicin  an  hiesiger  Universität  und  wurde  1863 
als  Regierungs-Medicinalrath  in  Königsberg  angestellt. 


115 

und  am  24.  October  desselben  Jahres  wurde  er  im  Alter  von 
24  Jahren  g"leichzeitig  in  der  katholisch -theologischen  und  medicini- 
schen  Facultät  der  Breslauer  Universität  immatriculirt,  wandte  sich 
jedoch  bald  darauf  ausschliesslich  dem  medicinischen  Studium  zu. 
Klose  kannte  die  Studentenzeit  nur  von  der  mühevollen,  beschwer- 
lichen Seite,  ihre  Annehmlichkeiten  und  Genüsse  waren  für  ihn  un- 
erreichbar; er  rieb  sich  förmlich  in  der  Arbeit  auf;  dazu  veranlasste 
ihn  einerseits  die  Sorge  um  seinen  Lebensunterhalt  und  andererseits 
das  hohe  Interesse,  das  ihn  für  seine  Wissenschaft  belebte;  wurden 
doch  viele  seiner  Arbeiten  preisgekrönt. 

Er  legte  eine  so  ausgezeichnete  Staatsprüfung  ab,  dass  ihm,  wie 
sonst  selten  geschah,  die  Approbation  als  praktischer  Arzt,  Geburts- 
helfer und  Wundarzt  ertheilt  wurde. 

Am  10.  October  1830  wurde  er  auf  Grund  seiner  Dissertation: 
„De  hernia  crurali''  zum  Dr.  med.  et  chirurgiae  promovirt.  Vier 
Jahre  arbeitete  er  dann  als  Assistent  in  der  chirurgischen  Klinik 
unter  Prof.  Benedikt,  eine  Zeit  lang  auch  in  der  Anatomie  unter  Otto 
und  Barkow  und  zeigte  sich  in  dieser  Zeit  sowohl  als  sehr  tüchtiger, 
wie  als  gewissenhafter  Arzt,  der  mit  Ernst  seinen  Beruf  erfasste  und 
die  Fortschritte  der  Wissenschaft  nie  ausser  Augen  Hess.  Das  Jahr 
1835  war  für  ihn  ein  wichtiger  Wendepunkt;  er  erhielt  in  dieser  Zeit 
nach  gut  bestandener  Prüfung  das  Qualificationszeugniss  zur  Be- 
kleidung einer  Physicats-Stelle  und  wurde  Privatdocent  an  der 
Breslauer  Universität  ,,für  die  Fächer  der  Interpretation  alter  Aerzte 
der  legalen  Medicin  und  ausgewählte  Capitel  der  Chirurgie." 

1846  wurde  ihm  die  Stelle  eines  dirigirenden  Arztes  am  Hospital 
der  Barmherzigen  Brüder  übertragen  und  damit  einer  seiner  Haupt- 
wünsche erfüllt.  Mit  ihm  begann  zweifellos  eine  neue  Aera  für  das 
Hospital. 

Während  dasselbe  bisher  gewissermassen  mehr  nur  Handwerker- 
dienste in  der  Medicin  geleistet,  wurde  ihm  jetzt  eine  Wissenschaft 
lichere  Grundlage  zu  Theil,  zumal  es  nächst  der  Krankenpflege  in 
gewisser  Hinsicht  auch  Lehrzwecken  diente ;  denn  in  der  L^'mgebung 
Kloses  befand  sich  stets  eine  Anzahl  jüngerer  Aerzte,  welche  sich 
glücklich  schätzten,  unter  seinen  Auspicien  am  Krankenbett  und 
Operationstische  Erfahrungen  zu  sammeln. 

Zwanzig  Jahre  hindurch  stand  Klose  zum  Segen  der  Kranken 
an  der  Spitze  dieses  Institutes;  nur  immer  mehr  zunehmende  Kränk- 
lichkeit konnte  ihn  bewegen,  dieses  ihm  so  äusserst  lieb  gewordene 
Amt  aufzugeben. 

1853  berief  man  ihn  in  die  ärztliche  Prüfungscommission,  entzog 
ihm  jedoch  bald  darauf  aus  bisher  unbekannten  Gründen  diese  Be. 
rechtigung. 


ii6 

1854  wurde  er  zum  Physikus  des  Landkreises  Breslau  ernannt, 
für  welches  Fach  er  namentlich  sehr  geeignet  war,  da  er  sich  mit 
grosser  Vorliebe  seither  dem  Studium  der  gerichtlichen  Medicin  ge- 
widmet hatte,  und  zwar  leistete  er  darin  so  Ausgezeichnetes,  dass 
man  in  den  schwierigsten  Fällen  sein  Gutachten  als  das  massgebende 
einzuholen  pflegte. 

Er  war  auch,  wie  mir  sein  College,  Dr.  Asch,  einer  seiner  ver- 
trautesten Freunde,  versichert,  Bahnbrecher  in  der  conservativen 
Chirurgie,  wie  er  auch  die  neue  Fortschrittszeit  durch  das  Mikro- 
skop und  die  Chemie  ahnte. 

1861  wurde  er  mit  dem  Titel  eines  Königlichen  Sanitätsrathes 
bedacht,  für  so  viele  Dienste  vielleicht  eine  zu  geringe,  jedenfalls 
eine  sehr  späte  Auszeichnung. 

Am  IG,  November  1865  schied  er,  62  Jahre  alt,  aus  seinem 
mühevollen  Leben  infolge  einer  Lungenentzündung,  die  er  sich  bei 
einer  Berufsreise  nach  Posen  zugezogen  hatte. 

Klose  war  als  Arzt  äusserst  gern  gesehen,  und  dieser  Beliebtheit 
entsprach  eine  umfangreiche  Praxis,  besonders  als  Geburtshelfer  und 
Augenarzt,  so  dass  ihm  nur  wenig  Zeit  für  wissenschaftliche  Arbeiten 
blieb.  Er  konnte  für  diese  eben  nur  die  Nächte  auf  Kosten  seiner 
Gesundheit  verwenden.  Dabei  sah  er  nicht  schlimm  aus,  sondern 
erfreute  sich  noch  einer  ziemlichen  Beleibtheit.  Er  hatte  ein 
sogenanntes  Kindergesicht  mit  klugen,  schönen  und  gutmüthigen 
Augen. 

Ein  Theil  seiner  Arbeiten,  die  sich  namentlich  auf  dem  Gebiete 
der  Chirurgie  und  zwar  der  von  ihm  angebahnten  conservativen 
Chirurgie  bewegten,  erschien  in  der  Günsburg'schen  Zeitschrift,  ein 
anderer  in  der  Prager  Vierteljahrschrift. 

Wir  lassen  hier  die  Titel  der  bedeutendsten  unter  ihnen  folgen: 

„Revision  der  Lehre  von  dem  Knochenbrande  und  dem  Knochen- 
wiederersatz vom  klinischen  Standpunkte  vorgenommen. 

„Die  Meningo-Osteophlebitis". 

,,Der  Idiotismus  in  Schlesien".  Eine  staatsarzneiwissenschaftliche 
Skizze, 

„Medicinische  Topographie  des  Breslauer  Landkreises". 

,,Der  porotische  Knochen  und  seine  Erkrankungen". 

„Das  Leben  im  venösen  Geschwür".     Ein  heikologischer  Beitrag. 

„Das  überwuchernde  Geschwür"  (Ulcus  prominens),  ein  fernerer  Bei- 
trag zur  Helkologie. 

„De  ossium  curvatorum  resectione  cuneiformi.  Gratulationsschrift  zur 
50  jährigen  Jubelfeier  des  Professors  der  Chirurgie  F.  G.  Benedikt." 


1^7 

An  letzter  Stelle  erwähnen  wir  hier  sein  bedeutendstes  Werk 
„Die  Epiphysentrennung,  eine  Krankheit  der  Entwickelungszeit", 
deren  Hauptgrundsätze  im  Ganzen  und  Grossen  noch  heute  mass- 
gebend sind. 

Der  Werth  dieser  Arbeit  geht  recht  klar  aus  der  technischen, 
hier  folgenden  Recension  hervor,  welche  Herr  Hospitalarzt  Dr. 
O.  Janicke  so  freundlich  war,  im  Interesse  dieser  Arbeit  anzufertigen: 

„Unter  voller  Berücksichtigung  zunächst  der  normalen  anatomi- 
schen Verhältnisse  des  jugendlichen  Röhrenknochens  entrollt  Klose 
im  Hinblick  auf  die  von  ihm  auf's  Sorgfältigste  beobachteten  patho- 
loQfisch-anatomischen  und  klinischen  Thatsachen  ein  Bild  von  der  heut 
als  „genuine  acute  infectiöse  Osteomyelitis''  bekannten  Krankheit, 
wie  es  abgesehen  von  Einigem  noch  jetzt  als  mustergültig  betrachtet 
werden  darf.  Ein  besonderes  Augenmerk  hat  er  dabei,  durch  zahl- 
reiche eigene  Erfahrungen  dazu  veranlasst,  auf  die  Epiphysen- 
trennungen  der  von  der  Krankheit  befallenen  Knochen  gerichtet. 
Die  hochgradige  Betheiligung  des  Knochenmarks  und  des  Periosts 
sowie  die  Beeinträchtigung  der  die  Ernährungsbrücke  zwischen  diesem 
und  für  den  Knochen  selbst  herstellenden  Gefässe  erklären  ihm  die 
verhängnissvolle  Wirkung  der  Krankheit  auf  die  Knochen  in  specie 
auf  den  Epiphysenknorpel  derselben  (membrana  pulposa  genannt) 
sowie  endhch  auf  den  betreffenden  Organismus  im  Allgemeinen;  die 
Eigenthümlichkeit  des  von  Klose  besonders  berücksichtigten  Processes 
der  Epiphysentrennung  bringt  ihn  dazu,  der  Krankheit  eine  Sonder- 
stellung einzuräumen  und  sie  von  der  mit  Totalnekrose  der  Diaphysen 
einhergehenden  Knochenmark-  oder  Periostentzündung  zu  trennen. 
Der  Verfasser  nimmt  damit  allerdings  einen  Standpunkt  ein,  der 
heute  nicht  mehr  Geltung  besitzt.  Aber  Klarheit  und  Einfachheit 
der  Darstellung  sind  offenbar  der  Ausfluss  genauer  Beobachtung  und 
der  daraus  resultirenden  Kenntnisse  der  Dinge.  Diese  gipfelt  denn 
auch  in  dem  noch  heute  zu  Tage  voUgiltigen  Rathe  für  die  Theraphie, 
das  Periost  so  zeitig  wie  möglich  rücksichtslos  zu  spalten,  um  so 
den  Knochen  und  das  Leben  bedrohenden  Noxen  den  Weg  nach 
aussen  frei  zu  machen." 

Ausserdem  sind  noch  viele  Manuscripte  von  Klose  erhalten, 
darunter:  Die  Eklampsien  als  Entwickelungskrankheiten,  Vorlesun- 
gen über  Aretaeus,  die  Lebensversicherung  vom  ärztlichen  Stand- 
punkte aus  und  Anderes. 

Ein  eigenes  Missgeschick  ereilte  Klose  mit  Bezug  auf  seine 
grösste  Arbeit  „Die  Geschichte  der  geographischen  Verbreitung  der 
Krankheiten",  an  welcher  er  20  Jahre  auf  das  Fleissigste  gearbeitet. 
Sein  Verleger  beging  nämlich  die  Unvorsichtigkeit,  das  Manuscript, 
das   sich  bereits  vollständig    in    seinen  Händen    befand,    unfreiwillig 


ii8 

einem  Bücherballen  beizufügen,  der  für  eine  andere  Bibliothek  be- 
stimmt war,  wobei  dasselbe  unwiederbringlich  verloren  ging.  Ehe 
Klose  die  Verstimmung  über  den  Verlust  überwand  und  die  ent- 
sprechende Zeit  fand,  von  Neuem  an  diese  mühevolle  Arbeit  zu 
gehen,  schrieb  Professor  Dr.  Hirsch  sein  Werk  über  dasselbe  Thema, 
so  dass  Klose  davon  abzustehen  sich  genöthigt  sah. 

Wenn  auch  Klose  nach  aussenhin  wenig  hervortrat  und  sich 
nicht  gerade  grosser  Gunstbezeugungen  zu  erfreuen  hatte,  so  wird 
man  doch,  wenn  man  unbefangen  urtheilt,  in  richtiger  Erkenntniss 
der  Sachlage,  Klose  den  Ruhm  eines  äusserst  gelehrten  und  praktisch 
ausgezeichneten  Arztes  nicht  vorenthalten  dürfen,  denn  es  gehörte 
der  durchdringende  Scharfsinn,  wie  er  ihn  eben  besass,  dazu,  zu 
einer  Zeit,  wo  die  Medicin  so  vieler,  jetzt  gar  nicht  mehr  zu  ent- 
behrender Hilfsmittel  bar  war,  neue  epochemachende  Theorien,  so- 
wie operative  Fortschritte  anzubahnen,  und  in  manchen  Dingen 
setzen  wir  heute  nur  fort,  was  er  begann. 


I  IQ 


Heinrieh  Neumann. 


Er  wurde  am  17.  Januar  18 14  zu  Breslau  geboren  und  entstammt 
einer  Gelehrten-Familie.  Sein  Vater  war  ein  ausgezeichneter  Orientalist, 
Braniss  und  der  Chemiker  Fischer  waren  ihm  verwandt.  Mit  treff- 
lichen Geistesgaben  ausgestattet,  durchlief  der  Jüngling  schnell  die 
üblichen  Studien,  und  wurde  schon  im  Alter  von  22  Jahren  zum 
Dr.  med.  promovirt.  Neben  dem  medicinischen  Fachstudium  betrieb 
er  mit  Liebe  und  Erfolge  englische  Literatur  und  Musik  und  erwarb 
sich  auf  beiden  Gebieten  den  Ruf  feinster  Kennerschaft. 

Mehrere  Jahre  war  er  Regiments-Chirurg  beim  ersten  schlesischen 
Kürassier  Regiment,  begleitete  einen  höheren  russischen  Militär  auf 
Reisen  und  wurde  nach  dem  Ableben  desselben  Assistent  an  der 
geburtshilflichen  Klinik  von  Prof.  Betschier,  die  er  eine  Zeit  lang  selbst 
leitete.  An  der  Universität  hatte  er  sich  für  innere  Medicin  habilirt, 
legte  aber  in  Folge  mannichfacher  Angriffe,  die  er  als  Vertreter  der 
Schönlein'schen  Richtung  zu  erdulden  hatte,  freiwillig  das  Amt  nieder 
und  nahm  1 846  eine  Stelle  als  Assistenzarzt  an  der  Provinzial-Irren- 
Heilanstalt  zu  Leubus  an. 

Jetzt  erst  hatte  Neumann  das  Gebiet  gefunden,  auf  dem  seine 
Thätigkeit  so  ausgezeichnete  Früchte  tragen  sollte.  Zwar  blieben 
auch  hier  die  Conflicte  nicht  aus.  Die  bureaukratische  Leitung  der 
Anstalt  und  das  frische  jugendliche  Streben  des  begabten  Arztes 
mussten  sie  herbeiführen. 

Er  verliess  Leubus  und  gründete  nach  einer  kurzen  Zwischen- 
zeit 1852  eine  Privat-Irren- Anstalt  in  Poepelwitz,  die  erste  derartige 
im  östlichen  Deutschland,  die  er  bis  kurz  vor  seinem  Tode  leitete, 
und  die  so  vielen  Kranken  Zuflucht,  angemessene  Behandlung  und 
Heilung  gebracht  hat.  Zugleich  habilitirte  er  sich  von  Neuem  für 
Psychiatrie,  wurde  1862  Professor  extraordinarius  und  1867  Primär- 
arzt der  neuen  selbständigen  Irren -Abtheilung  des  Allerheiligen- 
Hospitals,  welche  später  zugleich  unter  seiner  Leitung  Klinik  wurde. 
Sein    geistvoller    Vortrag,    seine    feinsinnigen    psychologischen    und 


I20 

physiologischen  Diag'nosen  haben  ganze  Generationen  von  Studenten 
gefesselt  und  ihn  zu  einem  der  beliebtesten  akademische*!!  Lehrer 
gemacht.  Sein  Hauptwerk  ist  das  „Lehrbuch  der  Psychiatrie"  (1859), 
von  dem  noch  fast  drei  Decennien  nach  dem  Erscheinen  sein  aus- 
gezeichneter Nachfolger  im  städischen  Irrenhause  und  in  der  Königl. 
Klinik  für  Irrenkranke,  Herr  Medicinalrath  Professor  Dr.  Wernicke, 
sagt,  dass  es  zu  den  besten  Büchern  über  diesen  Gegenstand  gehört, 
die  man  jüngeren  Fachgenossen  zum  Studium  empfehlen  kann*).  Kurz 
vor  seinem  Tode  hat  er  in  zwei  kürzeren  Büchern:  „Leitfaden  der 
Psychiatrie''  (1883)  und  „Katechismus  der  gerichtlichen  Psychiatrie'' 
(1884)  seine  Erfahrungen  niedergelegt.  Hochangesehen  waren  seine 
gerichtlichen  Gutachten,  die  gradezu  für  mustergiltig  gehalten  werden 
und  von  denen  eine  Reihe  veröffentlicht  ist.  Von  kleineren  Fach- 
schriften aus  früherer  Zeit  nennen  wir  noch:  „Der  Arzt  und  die 
Blödsinnigkeitserklärung"  (1847)  '^^^  „Theorie  und  Praxis  der  Blöd- 
sinnigkeitserklärung"  (i86o),  die  auch  in  juristischen  Kreisen  gebührend 
geschätzt  wurden. 

Von  den  Gaben  seines  reichen  Geistes  und  Wissens  Hess  Neu- 
mann  auch  einen  grösseren  Kreis  geniessen,  indem  er  einigemale 
populäre  wissenschaftliche  Vorträge  hielt,  die  die  allgemeinste  Theil- 
nahme  und  Bewunderung  fanden. 

"Gedruckt  wurde,  soviel  wir  wissen,  nur  einer  ,,über  Lear  und 
Ophelia"  (Breslau  1865  bei  Korn),  der  nach  Form  und  Inhalt  meister- 
haft gehalten  ist.  Seine  Shakespeare-Kenntniss  und  sein  psycho- 
logisches Wissen  und  Verständniss  vereinigten  sich  darin,  eine  muster- 
giltige  Analyse  der  beiden  Charaktere  zu  geben  und  die  volle  Grösse 
des  Dichters,  die  Lebenswahrheit  seiner  Gestalten,  die  Tiefe  seiner 
Seelenkunde  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Neumann  besass  neben  seinem  reichen  Geiste  auch  ein  fühlendes 
Herz  für  fremdes  Leid.  Wo  seine  Hilfe  nöthig  war,  brachte  er  sie  dar, 
dem  Einzelnen  wie  der  Gesammtheit.  Der  Typhus  der  50er  Jahre  führte 
ihn  nach  Oberschlesien,  1866  war  er  auf  den  Schlachtfeldern  Böhmens 
und    1870   in  den  Lazarethen  thätig. 

Hatte  Neumann  auch  in  den  letzten  Lebensjahren  manchen 
Kummer  zu  tragen,  so  fand  er  doch  in  seinem  glücklichen  Eheleben 
Trost  und  Freude.  Nach  längeren  Leiden,  denen  sein  starker  Geist 
muthig  widerstand,  starb  er  am  10.  October  1884,  nachdem  er  noch 
wenige  Wochen  vorher  die  Versammlung  der  Irrenärzte  Schlesiens 
und  Posens  geleitet  hatte.  Seine  letzte  Ruhestätte  fand  er  am  Orte 
seiner  Lebensthätigkeit  in  Pöpelwitz.  Aus  dem  Nachrufe  eines  seiner 
nächsten  Schüler  entnehmen  wir  zu  seiner  Charakteristik  die  folgen- 
den Worte: 


'')  Vor  Kurzem  ist  dieses  Werk,  in  3.  Auflage  erschienen. 


„Heinrich  Neumann  war  ein  genial  angelegter,  klar  denkender 
Kopf,  dessen  wissenschaftliche  Arbeiten  sich  durch  Präcision  des 
Ausdrucks  und  Originalität  der  Gedanken  auszeichnen.  Seiner  tiefen 
allgemeinen  Bildung,  seiner  formgewandten  fascinirenden  Beredtsam- 
keit  verdankt  er  seine  Erfolge  als  akademischer  Lehrer  und  populärer 
Vorleser.  Er  besass  trotz  mannigfachen  Kummers  ungetrübt  heitere 
Lebensanschauung,  welche  ihn  zum  liebenswürdigsten  Gesellschafter 
machte,  und  ein  edles,  für  Noth  und  Kummer  Anderer  warm  fühlendes 
Herz.  Seinen  Unterg^ebenen  war  er  ein  milder  Vorgesetzter  und  trotz 
seiner  schneidigen  Dialectik  ein  wohlwollender  Beurtheiler  seiner 
Mitmenschen." 


122 


Victor  Julius  Nega. 


Zjwei  Jahrzehnte  nur  war  es  dem  Manne,  dessen  Namen  wir  an 
dieser  Stelle  in  das  Gedächtniss  unsrer  Landsleute  zurückrufen  wollen, 
vergönnt,  in  seiner  Wissenschaft  praktisch  und  literarisch  thätig  zu 
sein.  Aber  diese  Spanne  Zeit  hat  er  redlich  ausgenutzt,  um  sich 
einen  geachteten  Namen  zu  schaffen,  so  dass  sein  Tod  für  die  medi- 
cinische  Wissenschaft,  zum  mindesten  in  unsrer  Provinz,  einen  Ver- 
lust bedeutete. 

In  einfachen  Verhältnissen  ist  Victor  Julius  Nega,  der  am  i  7.  Fe- 
bruar 1 8 1 6  zu  Turawa  bei  Poliwoda  in  Oberschlesien  geboren  wurde, 
aufgewachsen ;  einfach  auch  und  arbeitsvoll,  frei  von  jeder  Ruhmsucht, 
gestaltete  sich  sein  Leben.  Sein  Vater  war  Hütteninspector  auf  den 
von  Garnier'schen  Besitzungen  und  gab  den  Sohn  in  das  Gymnasium 
der  Regierungshauptstadt  Oppeln.  Im  Alter  von  etwa  18  Jahren 
verliess  Nega  die  Anstalt,  um  sich  ausschliesslich  in  Breslau  dem 
Studium  der  Medicin  zu  widmen.  Zu  seinen  Lehrern  g'ehörten  u.  a. 
Betschier,  Remer  und  Purkinje,  mit  dem  er  auch  später  in  freund- 
schaftlichem Verkehr  stand.  Unter  dem  Einflüsse  Betschlers  entstand 
Negas  Dissertation  aus  d.  J,  1838:  „De  congenitis  genitalium  femi- 
nearum  deformitatibus",  und  unmittelbar  nachher  absolvirte  er  auch 
seine  Staatsexamina.  Er  trat  zunächst  als  zweiter  Assistenzarzt  in 
die  geburtshilfliche  Poliklinik  unter  Leitung  Betschlers  ein  und 
fungirte  von  1841  an  als  klinischer  Secundärarzt  an  der  stabilen 
Klinik  für  Pädiatrik  und  Gynäkologie. 

Nega  war  für  seinen  Beruf  als  praktischer  x\rzt  und  Geburtshelfer 
wesentlich  in  den  Anschauungen  der  alten  medicinischen  Schule, 
besonders  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie,  vorgebildet  worden.  Aber 
es  war  ihm  bei  seiner  strebsamen  Natur  unmöglich,  dem  hellen 
Lichte,  das  die  Lehren  eines  Laennec  und  Skoda  in  der  Wissenschaft 
verbreiteten,  sein  geistiges  Auge  zu  verschliessen.  Nachdem  er  die 
Anfangsgründe  der  neuesten  Errungenschaften  der  Medicin  unter 
Leitung   des    eben    erst   aus    Paris    zurückkehrenden,    jetzigen    Geh. 


^25 

Sanitätsraths  Dr.  Krocker  in  dem  Elisabetinerinnen-Hospital  kennen 
gelernt  und  die  einschlägige  Literatur  auf  das  Eifrigste  studiert  hatte, 
wurde  er  selbst  einer  der  energischsten  Verfechter  der  Auscultation 
und  Percussion  und  wandte  sie  viel  bei  den  Kranken  der  Klinik  an. 
Die  Candidaten  der  Medicin,  welche  die  Klinik  besuchten,  wies  er 
nachdrücklich  auf  die  Lehren  Skodas  hin,  die  er  selbst  einer  ein- 
gehenden Prüfung  zu  unterwerfen  begann.  Doch  seine  angestrengte 
Thätigkeit  verhinderte  ihn  zunächst,  sich  über  seine  Erfahrungen  in 
Schriften  zu  äussern.  Er  musste  das  vorhandene  Material  einem 
jüngeren  Collegen  Rohovsky  überlassen,  der  es  in  seiner  Disserta- 
tion: „De  gravfdarum  et  parturientium  auscultatione"  1844  ver- 
werthete.  Später  nahm  Nega,  von  seinem  Freunde  Purkinje  angeregt^ 
seine  Untersuchungen  wieder  auf  und  veröffentlichte  seine  Kritik 
Skoda'scher  Lehrsätze  im  Jahre  1852  in  seiner  Habilitationsschrift. 
Er  hatte  sich  inzwischen  die  Anerkennung  der  grössten  Zierden 
seiner  Facultät  an  der  Breslauer  Universität  erworben,  eines  Purkinje 
und  Frerichs,  mit  denen  er  befreundet  war,  sowie  von  Siebolds,  der 
ihm  in  jeder  Hinsicht  ein  Gönner  war  und  seine  Arbeiten  im  physio- 
logischen Institute  förderte.  Diesem  Letztgenannten  widmete  Nega 
auch  seine  höchst  gediegene  Habilitationsschrift,  die  den  Titel  führt: 
„Beiträge  znr  Kenntniss  der  Function  der  Atrioventricular  -  Klappen 
des  Herzens,  der  Entstehung  der  Töne  und  Geräusche  in  demselben 
und  deren  Deutung."  Es  war  ein  Zeichen  der  Anerkennung,  dass 
es  ihm  von  der  Behörde  gestattet  wurde,  seine  Schrift  in  deutscher 
Sprache  drucken  zu  lassen,  nachdem  er  seine  Probevorlesung  über 
die  Bright'sche  Krankheit  in  lateinischer  Sprache  gehalten  hatte ;  die 
Wahl  dieses  Themas  ist  gewiss  durch  seinen  Freund  Frerichs  beein- 
flusst  worden. 

Fünf  Jahre  vorher  war  Nega  Secundärarzt  im  Allerheiligen- 
Hospital  geworden,  zu  dessen  Primärarzt  für  die  innere  Abtheilung- 
er  ebenfalls  im  Jahre  1852,  in  dem  er  sich  als  Docent  niederliess, 
aufrückte.  Sein  Ruf  als  praktischer  Arzt  war  ein  ausserordentlicher; 
Autoritäten  auf  dem  Gebiete  der  Gynäkologie  schätzten  ihn  besonders 
wegen  seiner  Tüchtigkeit  in  dieser  Richtung  hoch;  bis  zum  Jahre  1856 
bekleidete  er  die  Stelle  eines  Leibarztes  bei  dem  Breslauer  Fürst- 
bischof. Die  Regierung  verlieh  ihm  den  Charakter  als  Sanitätsraths 
und  die  Breslauer  Universität  erwies  ihm  im  Jahre  1856  die  bei  einem 
Sanitätsrath  gewiss  selten  vorkommende  Auszeichnung,  ihn  zum 
ausserordentlichen  Professor  der  medicinischen  Facultät  vorzuschlagen ; 
er  erhielt  die  Ernennung  mit  dem  Auftrage,  Arzneimittellehre  zu 
lesen.  Die  praktische  Beschäftigung  erlaubte  es  Nega  nicht,  schrift- 
stellerisch bedeutender  hervorzutreten.  In  der  Günsburg'schen  Zeit- 
schrift  für    klinische  Medicin   veröffentlichte    er  1850    eine    kleinere 


124 

Arbeit  über  iConiin,  dessen  Wirkungen  er  an  sich  und  Kranken  seit 
1845  erprobt  hatte  und  ihm  besonders  bei  Neuralgieen  günstig  er- 
schienen, und  einen  Aufsatz  über  Echinococcus  hominis.  Er  war  es 
auch,  der  zuerst  das  phosphorsaure  Eisenwasser  darstellte  und  es 
seinen  Kranken  gern  verabreichte.  Bei  der  chemischen  Bereitung 
dieses  weitverbreiteten  und  erprobten  Wassers  wurde  er  von  dem 
berühmten,  damals  an  unserer  Universität  lehrenden  Bunsen  unter- 
stützt. Seine  Absicht,  eine  grössere  Abhandlung  über  Lungen-  und 
Herzkrankheiten,  sowie  deren  Behandlung  zu  schreiben,  vereitelte 
sein  frühzeitiger  Tod.  Noch  nicht  auf  der  Höhe  seines  Ruhmes  be- 
findlich, entriss  ihn  ein  exanthematischer  Typhus  am  8.  Januar  1857 
seiner  segensreichen  Thätigkeit,  seinen  Freunden  und  Verehrern 
sowie  seinem  jungen  Weibe,  mit  dem  er  noch  nicht  das  erste  Jahr 
der  Ehe  zurückgelegt  hatte.   — 

Die  ehrenvollen  Nachrufe,  die  der  Rector  und  Senat  der  Uni- 
versität und  das  städtische  Hospital  erliessen,  kennzeichneten  den 
erlittenen  Verlust  eines  Mannes,  der  ein  ,,rüstig"er  Förderer  der  Wissen- 
schaft" und  ein  „Arzt  von  scharfem  Blick  und  umfassendem  Wissen" 
gewesen  war.  Die  Professoren  der  Universität  erwiesen  ihm  in 
corpore  die  letzte  Ehre. 


125 


Ludwig  Traube. 


Ludwig  Traube,  der  berühmte  Kliniker  und  Arzt,  gehörte  seiner 
Geburt  und  Erziehung  nach  der  Provinz  Schlesien  an,  wenn  auch 
die  Reichshauptstadt  später  der  Ort  seiner  praktischen  und  wissen- 
schaftlichen Thätigkeit  geworden  ist.  — 

In  Ratibor  wurde  er  am  12.  Januar  18 18  geboren  als  ältester 
Sohn  des  israelitischen  Grosskaufmanns  Wilhelm  Traube,  dessen 
Entschlossenheit  und  Energie  auch  auf  den  Erstgeborenen  überging. 
Ebenda  erhielt  er  in  einer  Privatschule  den  ersten  Unterricht  in  den 
einfachen  Elementen  des  Wissens  und  den  Anfangsgründen  der 
Gymnasialbildung,  bis  er  im  Jahre  1828  in  das  Gymnasium  seiner 
Vaterstadt,  das  unter  der  Leitung  des  Directors  Dr.  Hänisch  stand, 
eintrat.  Wie  befähigt  er  sich  auch  in  allen  Schulfächern  zeigte,  so 
waren  es  doch  vor  Allem  zwei  Gebiete,  die  sein  regstes  Interesse 
in  Anspruch  nahmen :  die  Naturwissenschaften  und  die  philosophische 
Propädeutik.  Als  er  Ostern  1835  das  Gymnasium  mit  dem  Zeugniss 
der  Reife  verliess,  nahm  er  als  köstlichste  Gabe  für  sein  späteres 
Leben  den  Sinn  für  Naturforschung  und  die  scharfe  Schulung  des 
Denkens  mit.  Dem  Wunsche  seines  Vaters  folgend ,  widmete  er 
sich  nunmehr  dem  Studium  der  Medicin  an  der  Universität  Breslau, 
die  ihm  jedoch  wenig  Anregung  für  ^ein  Fach  bot.  Der  Einfluss 
der  Schulzeit  machte  sich  geltend:  Die  Philosophie  eines  Spinoza 
und  Baco  fesselten  zunächst  den  jungen  Studenten,  so  dass  sich 
sogar  auf  seine  Anregung  ein  philosophisches  Kränzchen  unter  den 
Bekannten  bildete;  erst  die  Vorlesungen  Purkinje's  —  der  damaligen 
Zierde  der  Universität  —  über  Physiologie  führten  ihn  zu  seiner 
Wissenschaft  zurück.  Nachdem  er  vier  Semester  in  Breslau  zuge- 
bracht und,  neben  der  Physiologie,  besonders  Anatomie  unter  Otto 
getrieben  hatte,  bezog  er  die  Universität  Berlin,  an  der  ihm  bald 
dieselben  Uebelstände,  wie  in  Breslau,  hinsichtlich  der  medicinischen 
Collegien  begegneten;  nur  die  Vorlesungen  von  Johannes  Müller, 
wie  dessen  Persönlichkeit,  boten  ihm  einige  Entschädigung.  Aber  seine 


126 

Verstimmung  und  seine  Abneigung  gegen  das  medicinische  Studium 
nahmen  dermassen  zu,  dass  es  des  entschiedenen  Eingreifens  seines 
Vaters  bedurfte,  um  ihn  zum  ferneren  Studium  der  Medicin  anzu- 
eifern.  Er  besuchte  zwar  die  Kliniken  von  Wagner,  Wolff,  Rust, 
Dieffenbach,  Jüngken  u.  A.;  aber  bei  dem  damaligen  Zustande  dieser 
Institute  gab  er  sich  lieber  dem  Privatstudium  hin.  Dieses  erstreckte 
sich  zunächst  auf  Pflanzenphysiologie  und  Mikroskopie ;  dann  begann 
er  die  Werke  der  Franzosen  zu  lesen,  von  denen  vor  Allem  die 
Arbeiten  eines  Magendie  und  Laennec  seih  Wissen  bereicherten 
und  ihm  nachhaltige  Anregung  gaben.  Im  Freundeskreise  wurde 
das  Studium  der  Pathologie  besonders  eifrig  betrieben,  nachdem 
Traube  durch  einen  PYeund,  der  von  Zürich  nach  Berlin  kam,  in 
den  Besitz  eines  Heftes  der  Schönlein'schen  Vorlesungen  über  diesen 
Gegenstand  gelangt  war.  Als  nun  Schönlein  selbst,  trotz  aller 
Anfeindungen,  die  von  Berlin  ausgingen,  im  Jahre  1840  die  Berufung 
an  die  Berliner  Universität  von  Zürich  aus  annahm,  war  Traube  einer 
der  eifrigsten  Zuhörer  dieses  „Reformators  der  deutschen  Klinik", 
wie  Leyden  ihn  nennt.  Am  3.  Februar  desselben  Jahres  wurde 
Traube  auf  Grund  seiner  Arbeit  „Specimina  nonnulla  physiologica 
■et  pathologica"  promovirt. 

Von  der  Lehrmethode  Schönleins  wenig  angezogen,  beschloss 
er  jetzt,  nach  Wien  zu  gehen,  das  damals  von  allen  deutschen  Uni- 
versitäten allein  eine  bedeutende  medicinische  Schule  besass.  Da- 
selbst hörte  er  allgemeine  Pathologie  bei  Rokitansky  und  bildete 
sich  in  der  physikalischen  Diagnostik  bei  Skoda  aus,  nachdem  er 
sich  schon  früher,  durch  Laennec  angeregt,  mit  der  Auscultation 
und  Percussion  beschäftigt  hatte.  Wie  sehr  ihn,  den  nun  rastlos 
Thätigen,  der  Aufenthalt  an  diesem  Orte  befriedigte,  wie  frucht- 
bringend ihm  diese  drei  Vierteljahre  erschienen,  beweist  die  That- 
sache,  dass  er  im  Sommer  1843  zum  zweiten  Mal  eine  Studienreise 
nach  Wien  unternahm  unter  schwierigeren  Verhältnissen,  da  er 
seinen  Vater  nicht  um  die  Reisemittel  angehen  mochte.  Aus  Wien 
kehrte  er  mit  neuer  Unternehmungslust  zurück,  die  ihn  allerdings 
fast  zu  einem  verhängnissvollen  Schritt  getrieben  hätte,  zu  einem 
Angriff  nämlich  gegen  seinen  einflussreichen  früheren  Lehrer  Schön- 
lein. Gegen  die  im  Jahre  1842  von  Güterbock  herausgegebenen 
klinischen  Vorträge  des  grossen  Pathologen  sollte  sich  die  Schrift 
des  jungen  Traube  richten,  der  erst  ein  Jahr  vorher,  am  ig.  Mai  1841, 
nach  Ablegung  seines  letzten  Examens  approbirt  worden  war.  Auch 
in  diesem  kritischen  Moment  bewährte  sich  der  klare,  praktische 
Verstand  des  Vaters,  der  um  diese  Zeit,  Ostern  1842,  seinen  jüngsten 
Sohn,  Moritz,  nach  Berlin  zur  Universität  gebracht  hatte.  So  grossen 
Beifall  auch  des  Sohnes  Schrift  im  Freundeskreise  fand,   der  Vater 


i-7 

bewog  ihn,  dieselbe  nicht  zu  veröffentlichen,   und  die  Folgezeit  hat 
seinen  Eingriff  gerechtfertigt*). 

■Die  Zukunft  lag  völlig  verschleiert  vor  dem  jungen,  eben  fertigen 
Arzte.  Seine  Neigung  ging  dahin,  die  Resultate  seiner  Wiener 
Studien  zu  verwerthen,  eine  wissenschaftliche  Laufbahn  einzuschlagen, 
die  Nothwendigkeit  wies  ihn  auf  die  praktische  Ausübung  der 
Medicin  hin.  Kliniken  und  Krankenhäuser  —  in  Berlin  existirte  nur 
eins,  die  Charite  —  waren  ihm  als  Juden  verschlossen.  Einige  Haus- 
arztstellen hatte  er  bei  befreundeten  Familien  erhalten;  aber  das 
war  nicht  das  Ziel  seines  Strebens.  Durch  einen  günstigen  Zufall 
wurde  er  mit  Dr.  Natorp,  dem  Armenarzt  der  Rosenthaler  Vorstadt, 
des  damals  verrufensten  Stadttheils. Berlins,  bekannt  und  assistirte 
sowohl  diesem,  als  auch  seinem  Nachfolger  Dr.  Klein,  vertrat  sie 
auch  in  ihrer  Armenpraxis.  So  bot  sich  ihm  ein  günstiges  Feld 
für  neue  Beobachtungen  und  Studien  am  Krankenbette,  an  denen 
er  auch  einige  junge  Mediciner  theilnehmen  Hess.  Als  aber  im 
Jahre  1844  die  Armendirection  ihren  Aerzten  verbot,  sich  in  ihrer 
Praxis  vertreten  oder  assistiren  zu  lassen,  war  Traube  auch  diese 
ISIöglichkeit,  sein  Wissen  zu  bereichern,  genommen.  Das  war  ein  um 
so  härterer  Schlag  für  ihn,  als  er,  gestützt  auf  das  durch  die  Armen- 
praxis gelieferte  Material,  im  Jahre  1843  Kurse  in  den  neueren  Unter- 
suchungsmethoden, der  Auscultation  und  Percussion,  abzuhalten  be- 
gonnen hatte;  Kurse,  deren  Besuch  Romberg  seinen  Zuhörern  beson- 
ders empfahl,  an  denen  sich  als  die  ersten  Jos.  Meyer,  Rühle  und  der 
von  der  Studienzeit  her  mit  Traube  befreundete  Arnold  Mendelssohn**) 
betheiligten.  Verbittert,  aber  nicht  verzagend,  musste  er  einen  neuen 
Weg  für  seine  Forschungen  suchen,  und  diesen  fand  er  in  dem 
wissenschaftlichen  Experiment  an  Thieren.  Zunächst  wurden  diese 
Experimente  von  Traube  und  seinem  sehr  begabten  Freunde  Mendels- 
sohn gemeinsam  unter  Assistenz  von  Rühle  vorgenommen  in  der 
Behausung  Traubes,  bis  Gurlt,  der  Director  der  Thierarzneischule, 
ihnen  das  Experimentiren  an  Hunden  in  dieser  Anstalt  gestattete. 
Der  sehr  begabte  Mendelssohn  trennte  sich  bald  von  Traube  und 
gab  im  Jahre  1845  eine  Monographie  über  den  Mechanismus  der 
Respiration  und  Circulation  heraus.  Traube  dagegen  lieferte  als 
Frucht  seiner  Untersuchungen:  „Die  Ursachen  und  Beschaffenheit 
derjenigen    Veränderungen,      welche    das    Lungenparenchym    nach 


*)  Cf.  W.  A.  Freund:  Gedächtnissrede  auf  L.  Tr.  S.  9.  Leyden:  Gedächtniss- 
rede  S.  8. 

**)  Ueber  seine  Fähigkeiten  und  die  Erwartungen,  die  sich  an  ihn  knüpften,  spricht 
Virchow:  „Zur  Erinnerung  an  L.  Traube"  S.  3  u.  a.  „sein  Geschick  in  der  Zusammenfügung 
der  mechanischen  Elemente  des  Versuchs  war  unübertroffen".  Seine  Arbeit  würdigt  Leyden, 
Gedächtnissrede  auf  L.  Tr.  in  der  Anmerkung  14,  Seite  30. 


128 

Durchschneidung  der  nervi  vagi"  *)  erleidet,  mit  der  er  der  „Begründer 
der  experimentellen  Pathologie  in  Deutschland"  wurde.  Im  Jahre  1845 
wurde  er  mit  Reinhardt  und  Virchow  befreundet,  dessen  Sectionen 
im  Leichenhause  der  Charite  er  regelmässig  beiwohnte,  da  ihm  hier 
reiches  Material  für  seine  Forschungen  zu  Gebote  stand.  Im  Verein 
mit  diesen  beiden  Männern  u.  A.  gab  er  im  Jahre  1846  die  beiden 
Hefte  der  „Beiträge  zur  experimentellen  Pathologie"  heraus,  zu  denen 
er  selbst  die  Vorrede  lieferte;  das  weitere  Erscheinen  dieser  für 
die  Geschichte  der  Medicin  überaus  wichtigen  „Beiträge"  verhinderten 
hauptsächlich  buchhändlerische  Schwierigkeiten,  so  dass  Reinhardt 
und  Virchow  nunmehr  das  Archiv  für  pathologische  Anatomie,  Phy- 
siologie und  klinische  Medicin  begründeten.  Mehr  denn  je  vermisste 
Traube  in  dieser  Zeit  die  Praxis  im  Krankenhause  zur  Fortsetzung 
seiner  Arbeiten.  Vergebens  hatte  er  sich  an  die  Charite-Direction 
mit  der  Bitte  gewandt,  ihm  die  Vornahme  von  Untersuchungen  und 
Beobachtungen  bei  Kranken  verschiedener  Abtheilungen  zu  gestatten; 
am  6.  Mai  1847  wurde  sein  schriftliches  Gesuch  abschlägig  beschieden. 
In  demselben  Jahre  gründete  er  mit  einigen  Freunden  einen  phy- 
siologischen Cirkel,  in  dem  Referate  über  verschiedene  Capitel  der 
Physiologie  erstattet  wurden  und  Traube,  als  der  älteste,  ganz  be- 
sonders nachhaltig  auf  die  Uebrigen  durch  sein  strenges  Festhalten 
an  den  Principien  exacter  Forschung  einwirkte. 

Das  mit  so  vielem  Althergebrachten  aufräumende  Jahr  1848 
brachte  endlich  auch  einen  günstigen  Wechsel  seines  Geschickes. 
Er  betheiligte  sich  an  der  von  Leubusch  er  und  Virchow  begründeten 
,,Medicinischen  Reform^'  mit  einem  Artikel  über  Specialkliniken,  und 
fast  gleichzeitig  damit  brachte  es  eine  energische  Studentenbewegung**) 
an  der  Universität  dahin,  dass  das  Ministerium  für  Traube  in  der 
Charite,  dieser  Domäne  der  Militärärzte,  eine  Civil- Assistentenstelle 
an  der  Klinik  Schönleins  schuf.  Nachdem  Traube  sich  im  October 
1848  unter  dem  Decanat  Ehrenbergs  an  der  Universität  habilitirt 
hatte,  begann  er  am  25.  Januar  1849  als  Assistent  Schönleins  seine 
Thätigkeit  in  der  Charite,  mit  der  die  Aufgabe  verknüpft  war, 
Unterricht  in  der  Auscultation  und  Percussion  zu  ertheilen. 

Den  Eintritt  in  das  Krankenhaus  hat  Traube  selbst  später  als 
das  grösste  Glück  seines  Lebens  bezeichnet.  Sein  Leben  floss  jetzt 
verhältnissmässig  ruhig  dahin;  er  gründete  sich  in  dieser  Zeit  eine 
eigene  glückliche  Häuslichkeit  durch  seine  Vermählung  mit  Cora 
Markwald,  die  ihm  nach  27  Jahren   des  Zusammenlebens   durch   ein 


*)  Diese  Arbeit  erschien  im  I.  Heft  der  ,, Beiträge  zur  exper.  Pathologie"  1846.  — 
Gesammelte  Werke  Traubes.  Bd.  I. 

**)  Cf.  Virchow:  Zur  Erinnerung  an  L.  Traube  in  der  „Berliner  Klinischen 
Wochenschrift"   1876,  No.   16, 


129 

schweres  Leiden  entrissen  wurde.  Traube  war  nunmehr  die  Ge- 
legenheit gegeben,  seine  Geisteskräfte  ganz  zu  entfalten.  Seine 
Arbeitslust  und  sein  Schaffensdrang  zeigten  sich  schon  im  Beginn 
seiner  neuen  Laufbahn  in  den  zahlreichen  Publicationen  wissen- 
schaftlich bedeutender  Arbeiten,  die  zum  Theil  in  den  Charite- 
Annalen  erschienen.  Es  gehören  hierhin  die  Untersuchungen  über 
die  Digitalis  und  das  Fieber  aus  den  Jahren  1850 — 54.  Grundlegend 
sind  dafür  seine  beiden  Arbeiten  „Ueber  die  Veränderungen,  welche 
die  Spannung  des  Aortensystems  unter  dem  Einfluss  der  Digitalis  er- 
leidet"*) und  „Zur  Theorie  der  Digitalis  Wirkung"**).  Daran  schlössen 
sich  seine  Arbeiten  auf  dem  Gebiet  der  Lungen-,  Herz-  und  Nieren- 
krankheiten aus  den  Jahren  1856 — 60.  Seine  Bedeutung  als  Forscher 
und  Lehrer  fand  bald  die  verdiente  Anerkennung  bei  dem  bisher 
zurückhaltend  und  misstrauisch  ihm  gegenüberstehenden  Aerzte- 
publikum  und  den  Militärärzten.  Jene  konnten  sich  anfangs  mit 
seiner  peinlich  gründlichen  Untersuchung  der  Kranken  nicht  be- 
freunden und  unterschätzten  vielfach  seine  Leistungen;  diese,  unter 
denen  er  später  die  unbedingtesten  Anhänger  fand,  sahen  in  ihm 
einen  Eindringling.  Nicht  zum  wenigsten  dem  Einfluss  Schönleins 
und  seinem  Eintreten  für  ihn  verdankte  es  Traube,  dass  diese  Vor- 
urtheile  allmählich  zurückgedrängt  wurden.  Durch  denselben  Mann 
wurde  er  auch  nach  und  nach  der  bisher  von  ihm  gering  geachteten 
Therapeutik  wieder  näher  gebracht.  Im  Jahre  1851  erhielt  er  zum  ersten 
Mal  eine  Remuneration  von  400  Thalern  für  seine  Thätigkeit  als 
Lehrer  der  Auscultation  und  Percussion  und  Ostern  1853  wurde  er 
in  der  für  diese  Disciplinen  gegründeten  Krankenabtheilung  als 
dirigirender  Arzt  angestellt.  Die  öffentliche  Anerkennung  seiner 
bedeutenden  Lehrkraft  zeigte  sich  darin,  dass  ihm  im  Jahre  1855 
aus  dem  Friedrich-Wilhelm-Institut  20  Zöglinge  als  Zuhörer  officiell 
überwiesen  wurden. 

Nachdem  er  im  Jahre  1857  ^um  Professor  extraordinarius  mit 
einer  Gehaltszulage  ernannt  worden  war,  und  nachdem  die  zweite 
Klinik  mit  dem  Abgange  Wolffs  eingegangen  war,  wurde  seine  Ab- 
theilung zur  propädeutischen  Klinik  erhoben.  Einen  Ruf  nach 
Heidelberg  lehnte  er  ebenso,  wie  schon  vorher  den  nach  Breslau, 
ab;  denn  er  war  inzwischen  einer  der  „berühmtesten  und  beliebtesten 
Kliniker"  geworden,  der  von  „Aerzten  und  Studenten  der  Medicin, 
Einheimischen  und  Fremden"  aufgesucht  wurde***).  Im  November 
1862  wurde  er  als  ordentlicher  Professor  an  das  Friedrich-Wilhelm- 


*)  Gesammelte  Beiträge  I,  S.  252  fF, 

**)  Ges.  B.   I,  S.   276  fF. 

***)  Cf.  Leyden,  a.  a.  O.  S.   17. 


I3Q 

Institut  berufen,  dessen  Zöglinge  seit  1860  sämmtlich  officiell  die 
propädeutische  Klinik  besuchten. 

So  weit  war  Traube  gelangt,  als  der  Versuch  gemacht  wurde, 
ihn  durch  Intriguen  aller  Art  aus  seiner  angesehenen  Stellung  zu 
verdrängen.  Der  starke  Besuch  seiner  Klinik  wurde,  abgesehen 
von  seiner  persönlichen  Tüchtigkeit  und  Beliebtheit,  auch  dadurch 
veranlasst,  dass  die  an  derselben  verbrachten  Semester  für  die  zum 
Staatsexamen  verlangte  praktische  Thätigkeit  an  einer  medicinischen 
Klinik  in  Anrechnung  kamen.  Jetzt  wurde  durch  ein  Ministerial- 
rescript  die  Berechtigung  zur  Ausstellung  des  bezüglichen  Testats 
auf  die  ordentlichen  Universitätskliniken  beschränkt,  und  so  die 
Thätigkeit  Traubes  fast  brach  gelegt.  Eine  Eingabe  um  Rücknahme 
der  Verfügung  wurde  im  März  1862  abschlägig  beschieden,  so  dass 
Traube  nun,  im  Juni,  sein  Entlassungsgesuch  einreichte.  Er  hatte 
die  Genugthuung,  fast  die  gesammte  Aerztewelt  für  ihn  Partei 
nehmen  zu  sehen  und  besonders  an  von  Gräfe  einen  rührigen  Freund 
in  dieser  Angelegenheit  zu  finden.  Im  Ministerium  sah  man,  als 
Traube  überdies  eine  Berufung  nach  Zürich  an  Griesingers  Stelle 
erhielt,  wohl  ein,  welch  eine  Lehrkraft  man  in  ihm  verlieren  würde, 
und  milderte  die  Bestimmungen  des  Rescriptes  dahin,  dass  der 
Besuch  der  propädeutischen  Klinik  für  ein  Praktikantensemester 
zählen  sollte;  Traube  blieb. 

In  die  Zeit  dieser  Kränkungen,  1862 — 64,  fällt  auch  der  Tod 
seines  vierjährigen  Sohnes,  der  den  schon  kranken  Mann  auf's 
Tiefste  erschütterte.  Die  Rückwirkung  dieser  trüben  Zeit  auf  sein 
körperliches  Leiden  blieb  nicht  aus;  er  brachte,  dem  Rathe  guter 
Freunde  folgend,  den  Winter  1864 — 65  in  Nizza  zu,  von  wo  erzwar 
geistig  frisch,  aber  nicht  völlig  gesund,  zurückkehrte,  um  seine 
Thätigkeit  wieder  aufzunehmen.  Seine  weiteren  Arbeiten  wurden, 
wie  seine  schriftstellerische  Thätigkeit,  jetzt  häufig  durch  neue  An- 
fälle seiner  Krankheit  unterbrochen,  indem  er  öfter  zu  seiner  Er- 
holung Berlin  verlassen  musste,  besonders  in  den  Jahren  1866 — 70. 
Im  Jahre  1866  erhielt  er  den  Titel  eines  Geheimen  Medicinal- 
Rathes,  zum  ordentlichen  Professor  an  der  medicinischen  Facultät 
der  Universität  wurde  er  erst  am  24.  Februar  1872  ernannt. 

Im  Jahre  1867  hatte  er  den  Druck  seiner  Vorlesungen  über 
„Die  Symptome  der  Krankheiten  des  Respirations-  und  Circulations- 
apparates"  begonnen;  den  Manen  Schönleins,  der  1859  seine  Thätig- 
keit an  der  Charite  aufgegeben  hatte,  weihte  er  dieses  unvollendet 
gebliebene  Werk.  1871  erschienen  Traubes  „Gesammelte  Beiträge 
zur  Pathologie  und  Physiologie"  in  drei  Bänden,  und  bis  zum  Jahre 
1875  hatte  er  die  Herausgabe  seiner  „Gesammelten  Werke"  voll- 
endet.    Ein  Jahr  vorher,  am  25.  Januar,  feierte  die  Charit^-Direction 


das  Jubiläum  der  25jährigen  Thätigkeit  Traubes  an  der  Anstalt  durch 
ein  festliches  Diner,  an  dem  sich  seine  Freunde,  Collegen  und 
Schüler  betheiligten;  keine  Geringeren  als  Helmholtz,  der  ein  Schüler 
Traubes  war,  und  Virchow,  neben  Anderen,  priesen  dabei  seine  Ver- 
dienste als  Forscher,  Lehrer  und  Arzt,  An  diese  Feier  schloss  sich 
im  Februar  der  solenne  Commers  der  Studentenschaft  zu  Ehren  des 
berühmten  und  beliebten  Lehrers. 

Während  dieser  letzten  Jahre  hatte  jedoch  seine  Krankheit 
weitere  Fortschritte  gemacht;  er  selbst  war  über  die  Natur  seines 
Leidens  nicht  einen  Augenblick  im  Zweifel  und  beobachtete  sich 
selbst  mit  der  kaltblütigsten  Genauigkeit*).  Seine  Körperkräfte 
nahmen  infolge  heftiger  Gemüthsbewegungen  in  den  Jahren  1874 
und  1875  schnell  ab,  und  als  im  Januar  1876  seine  treue  Gattin  in  das 
Grab  sank,  brach  er  zusammen.  Seine  Thätigkeit  setzte  er  jedoch 
nur  aus,  wenn  heftige  Anfälle  sie  unmöglich  machten.  Am  i.  März 
erschien  er  zum  letzten  Male  in  der  Charite,  in  der  Mitte  dieses 
Monats  legte  er  sein  Amt  als  dürigir ender  Arzt  am  jüdischen  Kranken- 
hause nieder,  und  am  30.  März  gab  er  die  Direction  seiner  Klinik 
auf.  —  "Was  er  in  diesen  letzten  Jahren  an  schriftstellerischen  Arbeiten 
leistete,  erschien  in  der  Klinischen  Wochenschrift  und  den  Charite- 
Annalen.  Im  Anfang  April,  zur  Zeit  der  Universitätsferien,  genoss 
er  noch  die  grosse  Freude,  viele  seiner  Schüler,  die  fern  von  Berlin 
weilten,  an  seinem  Krankenbette  zu  sehen,  und  sich  mit  ihnen,  bei 
vollem  Bewusstsein,  unterhalten  zu  können.  Nachdem  er  am  8.  von 
den  Seinigen  Abschied  genommen  hatte,  begann  der  Verfall  der 
geistigen  Kräfte;  am  11.  April  1876  hatte  er  ausgerungen,  in  einem 
Alter  von  58  Jahren  und  3  Monaten.  Zwei  Tage  später  wurde  unter 
allgemeiner  Theilnahme  und  Trauer  sein  Leib  der  märkischen  Erde 
übergeben. 

Will  man  die  Wirkung  von  Traubes  Streben  und  Forschen  kurz 
kennzeichnen,  so  braucht  man  nur  die  Namen  einiger  seiner  Schüler 
zu  nennen,  wie  etwa  Rühle,  Munk,  Leyden,  Cohnheim,  Noth- 
nagel. Nur  derjenige,  der  neben  der  Productivität  auf  dem  Ge- 
biete seiner  Wissenschaft  ein  wirkliches  Lehrtalent  besitzt,  kann 
eine  Schule  begründen  und  solche  Schüler  hervorbringen.  Traube 
besass  bei  seiner  hervorragenden  Begabung  und  seiner  klaren  Denk- 
weise zwei  Eigenschaften,  die  ihm  in  hohem  Grade  den  nachhaltigen 
Einfluss  auf  seine  Schüler,  wenn  sie  nur  gut  beanlagt  waren,  ver- 
schafften. Es  waren  diese  einmal  seine  unerschütterliche  Gewissen- 
haftigkeit in  der  Erfüllung  der  Aufgaben,  die  an  ihn  gestellt  wurden 
oder  die  er  selbst    an  sich  stellte,    und   der   nimmer  rastende  Fleiss 


*)  Darüber  Leyden  in  der  Anmerkung  28  der  Gedächtnissrede  S.  34,  35. 


132 

der  ihn  immer  wieder  zu  neuen  Forschungen  antrieb,  selbstgefällige 
Genügsamkeit  in  dem  schon  erlangten  Ruf  und  Ruhm  verhinderte 
und  anregend  sowohl,  als  auch  achtunggebietend  auf  seine  Umgebung 
wirken  musste.  Ein  Mann,  wie  der  verstorbene  Cohnheim,  konnte 
sich  daher,  obwohl  ihm  seine  Laufbahn  durch  seine  Stellung  am 
pathologischen  Institut  unter  Virchows  glänzender  Leitung  vorge- 
zeichnet war,  doch  der  fesselnden  Persönlichkeit  Traubes  als  Lehrer 
nicht  entziehen.  Er  trat  in  nähere  Beziehungen  zu  ihm  und  „ein 
langer,  zu  Zeiten  fast  täglicher  Verkehr  mit  Traube  weihte  ihn," 
wie  uns  der  Freund  Cohnheims,  Kühne,  in  dem  von  ihm  entworfenen 
Lebensbild*)  erzählt,  „zuletzt  so  sehr  in  dessen  Denkweise  ein  und 
diese  schien  ihm  so  fruchtbar  zur  Aufklärung  der  krankhaften 
Processe,  die  ihn  besonders  interessirten,  dass  man  ausser  Virchow 
Traube  als  denjenigen  bezeichnen  muss,  der  für  die  Arbeiten  Cohn- 
hein;s  am  einflussreichsten  geworden  ist." 

Dass  Traube  auf  dem  Gebiete  der  Brustkrankheiten  als  dritter 
hinter  Laennec  und  Skoda  zu  stellen  ist,  sprechen  Virchow  (S.  i)  und 
Leyden  (S.  28)  übereinstimmend  aus.  „Traube  ist  aber,"  sagt  Leyden, 
,weiter  gegangen,  indem  er  die  Methoden  der  Physiologie  in  die 
Pathologie  hinüber  verpflanzte  und  einer  der  ersten  Begründer  der 
experimentellen  Pathologie  in  Deutschland  war," 

*)  Einleitung  der  „Gesammelten  Abhandlungen  Cohnheims"  ed.  Wagner  1885  S.  XV. 


Schriften  Traubes. 

Ausser  den  auf  den  Seiten  126 — 130  genannten  Arbeiten  heben 
wir  folgende  hervor: 

i)  „Die  Erstickungserscheinungen  am  Respirationsapparate".  Er- 
schienen 1846  im  2.  Heft  der  „Beiträge  zur  exper.  Pathologie", 
unvollendet.  —  Ges.  Beitr.  I,  S.   135  ff. 

2)  „De  motuum    inspirationis   et  normalium    causis",    Habilitations- 

schrift aus  dem  Jahre  1848. 

3)  „Ueber  den  Einfluss  der  kritischen  Tage  auf  die  Wirkung  der 
antifebrilen  Mittel".  Im  IL  Bande  der  Ges.  Beiträge,  Abt.  I, 
S.  689. 

4)  Zur  Lehre  von  der  alkalischen  Harngährung".  Ges.  Beitr.  IL  Bd., 
Abtheil.  2,  S.  664  ff. 

5)  „Ueber  Krisen  und  kritische  Tage".  Charite  -  Annalen  1851. 
Ges.  Beitr.  Bd.  II,  Abtheil,  i,  S.  258  ff. 


6)  ,, lieber    den  Zusammenhang    von  Herz-  und  Nierenkrankheiten" 

1856.     Ges.  Beitr.  IL  Bd.,  Abtheil,   i,  S.  304  ff. 

7)  „Laryngoskopischer  Befund  bei  Aneurysma  des  Aortenbogens" 
Ges.  Beitr.  IL  Bd,  Abtheil,   i,  S.  505  ff. 

8)  In    den    Ch.  -  Annalen    von     1876    die     letzten    Arbeiten    (über 

Wirkung  des  kalten  Trunkes,  Zugluft  u.  s.  w.). 
g)  ,, Versuche    über    die  Wirkung  der   Digitalis".     Charite-Annalen 
1851.     Ges.  Beitr.  I,  S.   190  ff. 

10)  „Zur    Physiologie    der    vitalen    Nerven  -  Centren".      Allg.  Med, 
Central-Zeitung  1863.     Ges.  Beitr.  I,  S.  321  ff. 

1 1)  ,,Ueber  die  Wirkung  des  Kohlenoxydgases  auf  den  Respirations- 
und Circulations- Apparat".     Ges.  Beitr.  I,  S,  392  ff. 

Quellen, 

i)  Leyden.  Gedächtnissrede  auf  L.  Tr.  Gehalten  bei  der  von  der 
Berliner  Gesellschaft  veranstalteten  Gedächtnissfeier.  Berlin, 
1877.     Hirschwald. 

2)  W.  A.  Freund.     Gedächtnissrede   auf  L.  Tr.     Gehalten   in   der 

medicin.  Section  der  Schles.  Ges.  für  vaterl.  Cultur.  Breslau  1876. 

3)  Virchow.  Zur  Erinnerung  an  L,  Tr.  Berliner  Klinische 
Wochenschrift  1876,  No.   16. 

4)  W.     Nachruf  in  derselben  Nummer  der  klin.  Wochenschr. 


134 


Rudolf  Leubuseher. 


Auch  in  der  Persönlichkeit,  deren  Leben  wir  hier  zu  schildern 
beabsichtigen,  haben  wir  einen  Förderer  der  modernen  Richtung  der 
Medicin  auf  dem  Gebiete  der  Pathologie  zu  sehen,  obschon  es  diesem 
Forscher  vom  Geschicke  nicht  vergönnt  war,  alle  Früchte  seines 
Geistes  zur  Reife  zu  bringen. 

Am  12.  December  1821  wurde  Rudolf 'Leubuscher  in  Breslau 
geboren,  wo  sein  Vater,  nachdem  er  als  Lieutenant  nach  den  Be- 
freiungskriegen aus  dem  Heere  geschieden  war,  die  Stelle  eines  königl. 
Lotterie-Ober-Einnehmers  erhalten  hatte.  Die  vortrefflichen  Anlagen 
des  Sohnes  zeigten  sich  schon  während  des  Schulbesuches,  der  im  Jahre 
1840  mit  dem  auf  dem  Magdalenen-Gymnasium  erlangten  Reifezeugniss 
seinen  Abschluss  fand.  Drei  Semester  hindurch  gehörte  Leubuscher  als 
Student  der  Medicin  der  Breslauer  Universität  an,  bis  er,  nach  abge- 
legtem Examen  philosophicum,  Michaelis  1841  nach  Berlin  zog  und, 
durch  das  überaus  rege  geistige  Leben  an  dieser  Alma  Mater  gefesselt, 
daselbst  seine  Studien  vollendete.  Seine  Dissertation  aus  dem  Jahre 
1844  kennzeichnete  schon  die  Richtung,  die  seine  spätere  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  fast  ausschliesslich  inne  hielt.  Sie  führte  den 
Titel :  „De  indole  hallucinationum  in  mania  religiosa"  und  zeugt  von 
dem  Einflüsse  Idelers,  des  Leiters  der  Irrenabtheilung  in  der  Charite, 
der  dem  jungen  Mediciner  sein  Krankenmaterial  gern  zur  Verfügung 
gestellt  hatte.  Leubuscher  verdankte  es  auch  den  Bemühungen  dieses 
Mannes,  dass  er,  nach  seinem  im  Jahr  1845  beendeten  Staatsexamen, 
als  zweiter  Arzt  unter  Damerows  Leitung  an  der  Provinzial-Irren- 
anstalt  zu  Halle  wirken  konnte.  Er  musste  allerdings  nach  1 J/2  Jahren 
diese  Stellung  aufgeben,  um  in  BerHn  seiner  Militärpflicht  zu  genügen. 

Aber  gerade  diese  Rückkehr  nach  Berlin  sollte  ausserordentlich 
bedeutungsvoll  für  ihn  werden,  da- sie  in  eine  Zeit  grundstürzender 
Umwälzungen    in    der    medicinischen    Wissenschaft,    hervorgerufen 


135 

durch  das  Zusammenwirken  Traubes,  Virchows  und  Reinhardts, 
fiel.  Leubuscher,  der  ja  von  früher  her  Beziehungen  zur  Charite  hatte, 
musste  mit  diesen  Männern  bald  bekannt  werden  und  durch  den 
Umgang  mit  ihnen  in  ihre  Ideenkreise  hineingerathen ;  binnen  Kurzem 
konnte  er  Virchow  und  Reinhardt  seine  Freunde  nennen.  Im  Jahre 
1848  gab  er  mit  Virchow  zusammen  die  „Medicinische  Reform"  her- 
aus, an  der  sich  auch  Traube  als  Mitarbeiter  betheiligte*),  und  seine 
Freundschaft  mit  dem  der  Wissenschaft  und  dem  Freundeskreise 
nur  zu  früh  entrissenen  Reinhardt  bethätigte  er,  als  er  dessen  „Patho- 
logisch-anatomische Untersuchungen"  zusammenstellte  und,  mit  einer 
Biographie  des  Verstorbenen  versehen,  1852  herausgab.  Leubuscher 
hatte  sich  inzwischen,  nachdem  er  sein  Jahr  als  Compagnie-Chirurg 
bei  der  Gardeartillerie  abgedient  hatte,  als  Privat-Docent  für  die 
Fächer  der  Psychiatrie  und  allgemeinen  Pathologie  niedergelassen  auf 
Grund  seiner  Habilitationsschrift:  „Bemerkungen  über  moral  insanity 
und  ähnliche  Krankheitszustände."  Während  Leubuscher  in  seinen 
ersten  Arbeiten,  zu  denen  vor  Allem  die  „Grundzüge  der  Pathologie 
der  psychischen  Krankheiten",  1848,  gehören,  den  philosophischen, 
rein  psychologischen  Standpunkt  einnimmt,  hat  er  später,  besonders 
in  dem  1854  erscheinenden  Werke  „Pathologie  und  Therapie  der 
Gehirnkrankheiten"  diese  Anschauungsweise  zu  Gunsten  einer 
von  der  Physiologie  ausgehenden  Betrachtung  aufgegeben.  Die 
schriftstellerische  Thätigkeit  Leubuschers  erstreckte  sich  übrigens 
beinahe  lediglich  auf  das  Gebiet  der  Psychiatrie;;  praktisch  ist  er 
jedoch  in  weiteren  Gebieten  thätig  gewesen.  —  Als  1848  die  Cholera- 
epidemie ausgebrochen  war,  wurde  er  mit  Reinhardt  Assistent  an 
dem  von  Schütz  geleiteten  Lazareth  und  veröffentlichte  seine  Er- 
fahrungen zusammen  mit  dem  Freunde  in  Virchows  „Archiv."  Zwei 
Jahre  danach  erhielt  er  die  Direction  dieses  Spitals  von  der  Sanitäts. 
behörde  und  übernahm  gleichzeitig  die  Gewerksarztstelle  bei  einem 
der  grössten  Arbeitervereine.  Durch  diese  Thätigkeit  lenkte  er  die 
Aufmerksamkeit  des  Berliner  Magistrats  auf  sich,  so  dass  dieser  ihn 
im  Jahre  1851  zum  dirigirenden  Arzte  am  Arbeitshause  und  an  der 
Siechenanstalt  ernannte.  Berichte  über  diese  Anstalten  sind  von 
ihm  in  der  „Deutschen  Klinik,  1852  und  53"  niedergelegt  worden. 
So  traurig  auch  —  ohne  absehbare  Aussicht  auf  Aenderung  —  die 
Zustände  an  diesen  Instituten  sein  mochten,  so  bot  sich  ihm  doch 
hier  die  Gelegenheit,  seine  pathologischen  Kenntnisse  durch  neue 
Beobachtungen  zu  erweitern  und  vor  Allem  als  Lehrer  zu  wirken, 
da  ihm  der  Magistrat  das  Halten  von  klinischen  Vorträgen  im 
Jahre    1853    gestattete.      Wohl    hatte    sich    bald    nach    Antritt    des 


*)   Cf.  S.  128  dieses  Werkes. 


136 

städtischen  Amtes  eine  glänzendere  Aussicht  auf  einen  ange- 
messeneren Beruf  ihm  eröffnet;  aber  die  Hoffnung  erwies  sich  im 
Laufe  der  Jahre  als  trügerisch.  Sein  Ruf  als  Psychiater  nämlich 
verschaffte  ihm  von  Seiten  der  westpreussischen  Provinzialstände  die 
Aufforderung,  ihnen  bei  der  Ausarbeitung  eines  Statuts  für  die  zu 
gründende  Provinzial-Irrenanstalt  behilflich  zu  sein,  und  den  Auftrag, 
in  ihrem  Interesse  ähnliche  Anstalten  an  anderen  Orten  Deutsch- 
lands zu  besuchen.  Aber  seine  damit  in  Verbindung  stehende  Er- 
wartung, an  die  zu  Schwetz  im  Jahre  1855  zu  eröffnende  Irrenan- 
stalt als  Director  berufen  zu    werden,    ging    nicht  in  Erfüllung. 

Es  musste  ihm  daher  als  ein  in  jeder  Beziehung  annehmbarer 
Ersatz  für  diese  getäuschte  Hoffnung  erscheinen,  als  er  im  Jahre  1856 
einem  Ruf  als  Director  der  medicinischen  Klinik  zu  Jena  und  Mit- 
director  der  Landesheilanstalten  Folge  leisten  konnte.  Damit  wurde 
er  zugleich  ordentlicher  Professor  an  der  Universität  und  konnte  nun 
seine  bedeutende  Lehrfähigkeit  entfalten.  Leubuscher  war  in  dieser 
Wirkungsphäre  bis  zum  Sommer-Semester  1859  thätig,  in  welchem 
er  sich  genöthigt  sah,  wegen  eines  beginnenden  Leberleidens  das 
Entlassungsgesuch  bei  der  Landesregierung  einzureichen.  Nun  wandte 
er  sich  von  Neuem,  als  grossherzoglich-sächsischer  Hof-  und  Medicinal- 
rath,  nach  Berlin,  um  die  ärztliche  Praxis  wieder  aufzunehmen.  In 
den  Lehrkörper  der  Berliner  medicin.  Facultät  trat  er  als  Professor 
ordin.  hon.  ein  und  wirkte  auch,  schon  schwer  leidend,  als  Mitglied 
der  Staatsprüfungscommission  für  Aerzte.  Er  hatte  sein  40.  Lebens? 
jähr  noch  nicht  vollendet,  als  er  seinem  Leiden  am  23.  October  1861 
zum  Opfer  fiel. 

Von  seinen  schriftstellerischen  Arbeiten,  die  fast  alle  die  Förderung 
der  Pathologie  und  Therapeutik  der  psychischen  Krankheiten  zur 
Aufgabe  haben  oder  die  sociale  Stellung  der  Irren  behandeln,  wollen 
wir  noch  mit  Uebergehung  seiner  Aufsätze  in  der  „Zeitschrift  für 
Psychiatrie"  folgende  nennen: 

„Der  Wahnsinn  in  den  letzten  4  Jahrhunderten"  (nach  dem  französi- 
schen Werke  von  Calmeil  gearbeitet). 

„Ueber  die  Wehrwölfe    und    Thierverwandlungen    im    Mittelalter. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Psychologie."     Berlin  1850. 

,,Ueber  die  Entstehung    der  Sinnestäuschungen.     Ein   Beitrag  zur 
Anthropologie"   1854. 

und  seine  gediegene  Leistung: 

„Die  Krankheiten  des  Nervensystems"  1860  (ursprünglich  ein  Theil 
der  „Medicin.  Klinik  1859 — 60"). 


137 


Quellen. 

Allgem.  Deutsche  Biographie.  Bd.  XVIII.  S.  472.  Hier  ist  auch 
eine  Würdigung  der  wissenschaftlichen  Bedeutung  L's.  gegeben. 

Biograph.  Lexicon  hervorragend.  Aerzte.  1886,  Bd.  III.  S.  685. 
Der  betreffende  Artikel  dieses  Werkes  weicht  in  einigen  An- 
gaben von  der  vorher  genannten  Quelle  ab. 

Dr.  J.  Günther:  Lebensskizzen  der  Professoren  der  Universität 
Jena  seit  1558  bis  1858.  S.  157  f.  Jena  1858.  Dieses  biographische 
Werk  erschien  zur  Feier  des  dreihundertjährigen  Bestehens  der 
Universität  Jena. 


138 


Hugo  Rühle. 


J  eder  ältere  Breslauer  Arzt  hat  es  noch  in  lebhafter  Erinnerung 
und  kann  davon  Zeugniss  ablegen,  welch'  mächtigen  Aufschwung 
an  der  Breslauer  Universität  die  medicinische  Wissenschaft,  speciell 
die  innere  Medicin  und  deren  klinischer  Unterricht  in  den  fünf- 
ziger Jahren  erfuhren,  welch'  bedeutende  Anziehung  unsere  Alma 
Mater  auf  alle  Studirenden  der  Medicin  ausübte ,  als  Fr.  Th.  von 
Frerichs  die  Leitung  der  medicinischen  Klinik  im  Jahre  1852 
übernahm  und  in  dieser  Stellung  7  Jahre  lang  mit  glänzendem  Er- 
folge wirkte.  Vollste  Wahrheit  enthält  daher  auch  die  von  berufenster 
Seite  erhobene  Behauptung,  dass  „die  Breslauer  Klinik  von  1852 — 59 
unter  Leitung  von  Frerichs  schwerlich  ihres  Gleichen  in  Deutschland 
hatte."  Derjenige,  der  dieses  Urtheil  fällte,  war  selbst  Zeuge  der 
Thätigkeit  Frerichs,  war  einer  seiner  eifrigsten  Schüler  und  selbst 
einer  der  trefflichsten  Kliniker  in  unserem  Vaterlande,  bis  ihn  der 
Tod  im  vergangenen  Jahr  von  seinem  irdischen  Wirken  abrief;  es 
war  Hugo  Rühle,  ein  Kind  unserer  Provinz,  der  er  mehr  als  ein 
Decennium  seiner  Thätigkeit  gewidmet  hat. 

In  Liegnitz,  wo  sein  Vater  als  Landrentmeister  lebte,  wurde 
Hugo  Rühle  am  12.  September  1824  geboren,  und  auf  dem  Gymnasium 
dieser  Stadt  erhielt  er  seine  Vorbildung,  die  er  Ostern  1842  im  Alter 
von  18  Jahren  abschloss.  Um  Medicin  zu  studiren,  wandte  er  sich 
nunmehr  nach  Berlin,  wo  damals  Joh.  Müller  durch  seine  Vorlesungen 
über  Physiologie  seine  Hörer  bezauberte  und  seit  Kurzem  Schönlein 
einen  neuen  Anziehungspunkt  bildete.  Doch  nicht  der  Einfluss  dieser 
beiden  Männer  war  es,  der  Rühle  seine  ganze  Studienzeit  hindurch  an 
die  Berliner  Hochschule  fesselte,  sondern  eine  liebgewordene,  rastlos 
thätige  und  anregende  Freundesschaar ,  deren  Zierden  L.  Traube, 
Vircho  w  und  Reinhardt  hiessen.  Ganz  besonders  wichtig  wurde  für 
ihn  der  Verkehr  mit  dem  6  Jahre  älteren  Traube,  an  dessen  Cursus  in 
der  Auscultation  und  Percussion  er  als  einer  der  ersten  Schüler 
Traubes  theilnahm,  und  dem  er  später  bei  seinen  ersten  Experimenten 


an  Thieren  assistirte*).  So  wurde  Riihle  in  die  einen  Umschwung 
der  medicinischen  Wissenschaft  bedeutenden  Bestrebungen  jener 
ebengenannten  Männer  hineingezogen,  welche  in  die  Forschung  auf 
dem  Gebiete  der  Medicin  die  Hilfsmittel  der  exacten  Naturwissen- 
schaften einführten  und  der  Medicin  selbst  eine  naturwissenschaftliche 
Basis  gaben,  um  in  derselben  zu  feststehenden  Resultaten,  zu  That- 
sachen  zu  gelangen;  unter  solchen  Zeichen  konnte  dann  die  moderne 
Medicin  von  Sieg  zu  Sieg  geführt  werden.  In  dieser  reformatorischen 
Aufgabe  fanden  die  jungen,  selbständig  denkenden  und  forschenden 
Berliner  JNIediciner  bald  einen  ganz  vortrefflichen  Mitarbeiter  in  dem 
damals  in  Göttingen  thätigen,  jugendlichen  Frerichs,  der  in  den 
exacten  Naturwissenschaften  ebenso,  wie  in  der  Medicin,  bewandert 
war  und,  als  der  zweite  bedeutende  Lehrer  Rühles,  unsern  Lands- 
mann in  einer  für  die  Zukunft  entscheidenden  Weise  für  den  Beruf 
des  Klinikers  einnahm. 

In  der  klassischen  Vorrede  der  „Beiträge  zur  experimentellen 
Pathologie"  aus  dem  Jahre  1846  hat  Traube  den  Standpunkt  dieser 
neuen  Schule  in  der  Medicin  scharf  gekennzeichnet.  „Wir  verlangen," 
sagt  er  im  Anfang,  ,,wie  in  den  anderen  Naturwissenschaften,  auch 
hier  den  Nachweis  des  wirklichen  Zusammenhanges  der  Er- 
scheinungen; denn  dieser  allein  ist  das  Wissenswerthe;  statt  dessen 
setzt  man  uns  weitläufig  auseinander,  wie  die  Dinge  möglicher- 
weise zusammenhängen.  Um  aus  diesem  Labyrinth  zu  kommen, 
das  täglich  grösser  wird  .  .  .  .  ,  sehen  wir  nur  einen  Ausweg,  ein 
Mittel,  welches  die  verwandten  Naturwissenschaften  aus  gleichem 
Zustand  befreit  hat.  Es  ist  das  zu  der  passiven  Beobachtung  hinzu- 
getretene Experiment,  welches  auch  die  Pathologie  zu  dem,  was 
sie  werden  soll,  zu  einer  exacten  Naturwissenschaft  machen  kann". 
Nach  diesem  Programm  lieferte  Kühle  seine  gediegene  Dissertation : 
„Ueber  den  Antheil  des  Magens  beim  Mechanismus  des  Erbrechens," 
welche  im  ersten  Heft  der  „Beiträge"  erschien.  Fünf  Jahre  später, 
1851,  veröffentlichte  Frerichs  von  Kiel  aus  seine  Monographie:  „Die 
Bright'sche  Nierenkrankheit  und  deren  Behandlung"  und  sprach  sich 
in  der  Vorrede  dazu,  durchaus  selbständig,  über  die  Reform  der 
medicinischen  Wissenschaft  dahin  aus,  „dass  für  die  Pathologie  nur 
dann  eine  bessere  Zukunft  blühe,  wenn  bei  ihrer  Bearbeitung  der- 
selbe Weg  nüchterner  Beobachtung  und  streng  logischer  Induction, 
welcher  die  exacten  Naturwissenschaften  zu  ihren  Erfolgen  führte, 
ängstlich  eingehalten  würde  ....  Die  Aufgabe  des  Klinikers  wird 
es  sein,    die  Materialien    nach    diesen  Grundsätzen    zu  verarbeiten." 


*)  Cf.  Leyden:   Gedächtnissrede  auf  L.Traube,   S.  11  — 14  Berlin,   1876  und  S.  127 
dieses  AVerkes. 


140 

In  welch  glänzender  Weise  Frerichs  diese  Anschauungen  bethätigte, 
hat  uns  Rühle  aus  der  Breslauer  Lehrthätigkeit  desselben  überHefert. 

Inzwischen  hatte  Rühle  sein  Staatsexamen  Anfang  1847  absol- 
virt  und  noch  ein  Jahr  den  medicinischen  Studien  in  Berlin  obge- 
legen. Das  Jahr  darauf  begann  seine  praktische  Thätigkeit  in  seiner 
Heimatprovinz  Schlesien.  Als  die  Typhusepidemie  in  Ober-Schlesien 
wüthete,  eilte  er  aus  freiem  Antriebe  dahin  und  widmete  sich  mit 
seiner  ganzen  Kraft  dem  ärztlichen  Berufe  in  dem  Masse,  dass  er 
zuletzt  selbst  von  der  Krankheit  ergriffen  wurde  und  sich  noch 
Monate  lang,  nachdem  er  ausser  aller.  Gefahr  war,  nicht  recht  von 
dem  Anfall  erholt  hatte.  Unmittelbar  darauf  war  er  schon  wieder, 
furchtlos  und  opferbereit,  in  einem  Choleralazareth  in  Breslau  thätig, 
bis  ihn  der  Magistrat  der  Stadt  zum  Bezirksarzt  der  Ohlauer  Vor- 
stadt auf  die  Petition  der  Bezirks-Armen  hin  wählte.  Doch  musste 
er  diese  Thätigkeit  unterbrechen,  um  im  Sommer  184g  und  Winter 
1850  seiner  Militärpflicht  zu  genügen.  Im  Sommer  1851  trat  er  in  die 
Stellung  eines  Assistenzarztes  an  der  inneren  Abtheilung  des  städtischen 
Allerheiligen-Hospitals  ein,  aus  der  er  bald  zu  der  eines  Secundär- 
arztes  aufrückte.  —  Die  vorzüglichste  Gelegenheit,  seine  Kenntnisse 
zu  bereichern  und  sich  in  allen  Zweigen  seiner  Wissenschaft  auf's 
gründlichste  auszubilden,  erhielt  Rühle  hier,  als  Frerichs  die  könig- 
lich medicinische  KHnik  in  Breslau  übernahm ,  die  Einverleibung 
derselben  in  das  städtische  Allerheiligen -Hospital  auf  Grund  eines 
Vertrages  zwischen  dem  Ministerium  und  der  Stadtverwaltung  durch- 
setzte und  Rühle  zum  Assistenzarzt  der   stationären  Klinik  machte. 

Das  neue  wissenschaftliche  Leben,  das  sich  nunmehr  unter  Frerichs 
erstaunlicher  Thätigkeit  hier  entfaltete,  hat  Rühle  selbst  in  warmen 
durchaus  zutreffenden  Worten  gelegentlich  des  Jubiläums  von  des 
Meisters  fünfundzwanzigjähriger  Thätigkeit  in  Berlin  charakterisirt. 
Die  besonderen,  bis  dahin  existirenden  klinischen  Institute  Breslaus 
waren  unbedeutend  und  litten  unter  den  mangelhaften  Einrichtungen, 
wenngleich  Krankenmaterial  genug  vorhanden  war.  Für  die  medi- 
cinische Klinik  änderte  sich  dieser  Zustand  mit  einem  Schlage  durch 
Frerichs  Energie,  Lehrtalent  -und  wissenschaftliche  Bedeutung.  Er 
hatte  die  unbeschränkte  Disposition  über  das  Krankenmaterial  der 
inneren  Station  des  Hospitals,  als  die  Klinik  daselbst  im  Sommer  1852 
eröffnet  wurde.  Er  machte  anfangs  selbst  alle  Sectionen,  bis  ihm 
Rühle  diese  Thätigkeit,  die  er  selbst  schon  im  Hospital,  später  als 
Prosector,  ausgeübt  hatte,  abnahm.  Das  reiche  Material  an  Kranken 
sowohl,  als  auch  an  Leichen  konnte  die  klinischen  Vorträge  Frerichs, 
sowie  die  Vorlesungen  über  specielle  Pathologie  und  Therapie  nur 
instructiver  und  anregender  gestalten.  Die  Bedeutung  seiner  Er- 
örterungen am  Krankenbette  wurde  gehoben  durch  seine  Redegabe, 


durch    das  Talent  schneller    und   sicherer  Beobachtung,    durch  seine 
umfassenden  Kenntnisse  in  der  Chemie,  Physiologie  und  pathologi- 
schen Anatomie,  —  Kenntnisse,  die  er  bei  seinem  vorzüglichen  Ge- 
dächtnisse jeder  Zeit  bereit  hatte.     Seine  Ausführungen  knüpften  an 
die    einfachsten  Krankheitserscheinungen    ebenso  eingehend  an,    wie 
an  die  schwierigeren  und  complicirteren.     Mit  der  Klinik  waren  ver- 
bunden ein  Auditorium,  einige  Zimmer  für  das  chemisch-mikroskopische 
Laboratorium  und  4  Krankensäle,  an  deren  Besuch  sich  unmittelbar 
eine  im  Auditorium  abgehaltene  Poliklinik  anschloss.     Die  Zuhörer- 
schaft setzte  sich  zusammen  aus  den  Studirenden,  den  Hospital-  und 
Assistenzärzten,    den    praktischen  Medicinern   der  Stadt;    oft  kamen 
berühmte,  auswärtige  Mediciner,  um  Frerichs  zu  hören  und  zu  sehen. 
Die  Richtigkeit   der  Rühleschen  Schilderung,  die    ich  hier  kurz 
skizzirt  habe,  kann  ich,  der  ich  als  älterer  Arzt  an  den  Vorlesungen 
Frerichs   und  seinem  klinischen  Unterricht,   so  oft  es  meine  Zeit  er- 
laubte,   theilnahm    und   mit  Frerichs    in  freundschaftlichem  Verkehr 
stand,  nur  vollinhaltlich  bestätigen.     Rühle  selbst,  bei  dem  ich  einen 
Privatcursiis    in    der   Auscultation    und  Percussion  nahm,    hatte  seit 
dem  Jahre  1853  die  Vorlesungen  in  den  Hilfsfächern,  wie  pathologische 
Anatomie,    physikalische  Diagnostik  u.  s.  w.  übernommen,  nachdem 
er  sich  1852  an  der  Universität  mit  einer  Arbeit;  ,,Ueber  die  Höhlen- 
bildung   in    tuberkulösen  Lungen"    als  Privatdocent    habilitirt  hatte. 
Fünf  Jahre    ist   er  unter  Frerichs  Leitung    an   der  Klinik  thätig  ge- 
wesen,   bis    er    im    Jahre  1857   Primärarzt    am  Hospital    wurde.     In 
demselben  Jahre  erhielt  er  an  der  Universität  eine  ausserordentliche 
Professur  mit  dem  Auftrage,  Materia  medica  zu  lesen.     Als  Frerichs 
1859   dem  Rufe    nach  Berlin  Folge  leistete,    bekam  Rühle  zunächst 
die  Stellvertretung  in  der  Klinik;  aber  die  Leitung  derselben  wurde 
bald   darauf  Lebert  übertragen,    während  Rühle  zum  Ordinariat  ge- 
langte und  zum  Director  der  von  der  medicinischen  Klinik  getrennten 
Poliklinik   ernannt  wurde.     Doch   schon  im  nächsten  Jahre  nahm  er 
einen   ehrenvollen  Ruf  an  die  Klinik  nach  Greifs wald  an^,    wo  er 
Niemeyer  ersetzen  sollte. 

Als  Rühle  nun  Breslau  verliess,  nahm  er  in  seine  neue  Stellung 
einen  reichen  Wissensschatz,  die  vortreffliche  Ausbildung  für  den 
klinischen  Beruf  und  die  Sympathien  Aller,  die  mit  ihm  in  Berührung 
gekommen  waren,  mit.  In  unserer  Stadt  hat  er  ferner  sein  häus- 
Hches  Glück  begründet,  das  zur  Entfaltung  seiner  geselligen  Talente 
und  seiner  persönlichen  Liebenswürdigkeit  so  viel  beitrug.  Am 
Krankenbette  ihres  Bruders,  der  im  Hospital  am  Typhus  schwer 
daniederlag  und  zu  dessen  Pflege  die  Schwester  aus  Schleswig  her- 
beigeeilt war,  lernte  er  seine  künftige  Lebensgefährtin  kennen.  Sie 
schuf  ihm   ein  beglückendes  Heim,    in  dem  er  vielleicht  ebenso  an- 


142 

regend,  wie  ausserhalb  desselben,  zu  wirken  Gelegenheit  hatte  und 
seinen  privaten  Neigungen,  vor  Allem  der  für  Musik,  nachgehen  konnte. 

Die  Stellung  in  Greifswald  hat  Rühle,  segensreich  wirkend,  vier 
Jahre  lang  bekleidet,  und  in  dieser  Zeit  (1861)  veröffentlichte  er  sein 
Werk  über  „Kehlkopfkrankheiten",  hinsichtlich  dessen  Leyden  ur- 
theilt,  dass  „es  zwar  durch  die  bald  darauf  folgende  Entdeckung  des 
Kehlkopfspiegels  überholt  wurde,  aber  doch  die  Grundlage  für  die 
specielle  und  selbständige  Behandlung  dieses  Capitels  der  Pathologie 
geworden  ist."  Im  Jahre  1864  siedelte  er,  dorthin  berufen,  an  die 
rheinische  Hochschule  Bonn  über,  der  er  all  sein  Können  als 
Kliniker  von  nun  an  widmete.  Die  umfassende  Thätigkeit,  die  er 
hier  erst  in  den  „alten,  einfachen  Räumen  des  Universitätsgebätides", 
seit  1882  in  dem  neu  errichteten  Institute  für  die  innere  Klinik  ent- 
wickelte, hat  ihm  den  Ruf  eines  der  trefflichsten  klinischen  Lehrer 
eingetragen.  In  seinem  Unterricht  war  er  von  ausserordentlicher 
Vielseitigkeit  nach  dem  Vorbilde  Frerichs;  er  verschloss  sich  gegen 
keinen  Fortschritt  der  neueren  Medicin,  sondern  Hess  jeder  neuen 
Errungenschaft  in  seinen  Vorträgen  den  gebührenden  Platz  und  den 
ihr  zukommenden  Werth.  Vermöge  seiner  persönlichen  Liebens- 
würdigkeit, gepaart  mit  der  Sicherheit  seines  Wesens  und  einem 
bedeutenden  Wissen,  erfreute  er  sich  der  gleichen  Beliebtheit  und 
des  gleichen  Ansehens  bei  den  Universitätscollegen,  bei  den  ihn  con- 
sultirenden  Aerzten  besonders  aus  den  Rheinlanden,  bei  den  Studenten 
und  dem  grösseren  Publikum.  An  allen  wissenschaftlichen  Be- 
strebungen der  medicinischen  Welt  nahm  er  regsten  Antheil;  auf 
den  Congressen  für  innere  Medicin,  die  er  wesentlich  mitgefördert 
hat,  war  er  eins  der  gerngesehensten  Mitglieder.  Ein  Ausdruck  für 
seine  Beliebtheit  an  der  Universität  war  die  einstimmig  erfolgende 
Wahl  zum  Rector  1881,  und  als  schwere  Erkrankung  ihn  in  den 
letzten  Jahren  zwang,  Heilung  im  Süden  zu  suchen,  wurde  ihm  bei 
seiner  Rückkehr  von  der  Riviera  im  Jahre  1886  durch  seine  Schüler, 
die  auch  früher  schon  häufig  von  ihrer  Verehrung  für  den  Lehrer 
Zeugniss  abgelegt  hatten,  ein  feierlicher  Empfang  bereitet.  Dass 
Rühle  in  dieser  Periode  auch  schriftstellerisch  thätig  war,  ist  bei 
einem  Kliniker  wohl  selbstverständlich.  Ein  grösseres,  sein  ge- 
diegenstes Werk  gehört  seiner  Bonner  Zeit  an:  „Die  Klinik  der 
Lungentuberkulose",  welches  einen  Theil  von  Ziemssens  Hand- 
buch bildet  und  1887  in  dritter  Auflage  erschien. 

In  eben  diesem  Jahre  konnten  ihn  die  Mitglieder  des  Congresses 
für  innere  Medicin,  an  dem  er  vorher  zwei  Mal  lebhaft  vermisst 
worden  war,  als  einen  anscheinend  Genesenen  begrüssen,  und  die 
Freude  über  seine  Frische  und  Lebhaftigkeit  war  allgemein,  da  sie 
noch    auf  eine   Reihe  von  Jahren  gemeinsamen  Wirkens   Hoffnung 


143 

erwecken  mussten.  Doch,  Allen  unvermuthet,  raffte  ihn  eine  wenige 
Wochen  währende  Krankheit  am  ii.  Juli  1888  dahin  und  riss  eine 
neue  Lücke  in  die  Reihen  der  beliebtesten  klinischen  Lehrer.  Resu- 
miren  wir  das,  was  wir  von  Rühle  genau  kennen,  so  war  er  das 
nicht,  was  man  gemeinhin  einen  gelehrten  Professor  nennt,  wohl 
aber  besass  er  eine  Lehrfähigkeit,  in  der  er  viele  seiner  Standes- 
collegen  übertraf,  besonders  im  Gebiete  der  Respirationskrankheiten. 


Quellen. 
Zeitschrift  für   klinische   Medicin.     Bd.  XV.  Heft    i  und  2. 
Leydens  Nekrolog  auf  Rühle. 

Münchener  Medicinische  Wochenschrift.   Nr.  35.   Nekrolog. 

Zeitschrift  für  klinische  Medicin.  Bd.  VIL  Supplement. 
Jubiläumsfestschrift  für  Frerichs.  1884.  Aufsatz  Rühles  über 
„Die  medicinische  Klinik  in  Breslau  unter  Leitung  des  Herrn 
Professor  Dr.  Fr.  Th.  Frerichs." 

Biograph.  Lexicon  hervorragender  Aerzte  Bd.  V.  S.  114.  „Rühle," 
von  Wernich  bearbeitet. 


144 


Albreeht  Theodor  Middeldorpf. 


IViit  dem  Namen  Middeldorpf  ist  die  fortschrittliche  Entwickelung 
der  Chirurgie  unseres  Jahrhunderts  unmittelbar  verknüpft.  Die 
grossartigsten  technischen  Erfindungen,  die  geradezu  erstaunlichen 
Operationsmethoden,  die  uns  bisher  fast  unüberwindliche  Schwierig- 
keiten mit  Leichtigkeit  überwinden  Hessen  — -  wir  nennen  vor  allem 
die  Galvanokaustik  —  sie  sind  ein  Werk  des  unvergesslichen  Middel- 
dorpf. Nur  ein  so  ingeniöser,  mit  den  herrlichsten  Gaben  ausge- 
statteter Kopf  wie  dieser  war  im  Stande,  aus  eigenster  Kraft,  auf 
Grund  tiefernsten  beharrlichen  Fleisses  und  nie  ermüdenden 
Forschungseifers  durchaus  neue  operative  Wege  zu  bahnen,  aus 
denen  für  die  leidende  Menschheit  unermesslicher  Segen  erwuchs, 
die  seine  Fachgenossen  zur  Begeisterung  veranlassten. 

Der  immerhin  enge  Rahmen  einer  Biographie,  die  uns  Middel- 
dorpf wiederum  vergegenwärtigen  soll,  schliesst  leider  die  Möglich- 
keit aus,  die  Periode  seines  Schaffens  in  ihrem  ganzen  Umfange 
vor  Augen  zu  führen.  Wir  sind  zufrieden,  wenn  es  uns  gelingt, 
wenigstens  in  den  Grundzügen  einen  Ueberblick  über  das  ereig-niss- 
reiche  Leben  dieses  wunderbaren  Mannes,  der  so  früh  schon  seiner 
Thätigkeit  entrissen  wurde,  zu  geben, 

Middeldorpf*)  verlebte  seine  Jugend  in  den  denkbar  günstigsten 
Verhältnissen.  Er  wurde  am  3.  Juli  1824  zu  Breslau  geboren  als 
Sohn  des  hochangesehenen  Oberconsistorialrathes  und  Professors 
an  der  Universität  zu  Breslau,  Dr.  theolog.  Heinrich  Middeldorpf, 
eines  durch  Geist  und  Charakter  gleich  ausgezeichneten  Gelehrten, 
welcher  mit  einer  glänzenden  Redegabe  ausgebreitete  Kenntnisse 
in  den  orientalischen  Sprachen  verband  und    in  Folge    dessen    als 


")  Die  ausführlichste  in  dem  Langenbeckschen  Archiv  für  klinische  Chirurgie  nieder- 
gelegte treffliche  Biographie  Middeldorpfs  stammt  aus  der  Feder  des  Geheimen  Medicinalraths 
Prof.  Dr.  Klopsch.  Auch  der  belcannte  Molierist  Dr.  med.  H.  Schweitzer,  mit  dem  Middel- 
dorpf innig  befreundet  war,  hat  sein  Leben,  wenn  auch  nur  für  einen  engeren  Kreis  in  einer 
sehr  eingehenden  Monographie  geschildert. 


wissenschaftliche  Capacität  galt.  Trotz  einer  zahlreichen  Familie, 
der  unser  Middeldorpf  als  vorletztes  Mitglied  angehörte,  machte  es 
sich  sein  Vater  unter  treuem  Beistande  seiner  hochgebildeten  Ehe- 
gattin, Middeldorpfs  Mutter,  einer  geborenen  Schiller,  zur  Lebens- 
aufgabe, jedem  einzelnen  seiner  Kinder  eine  standesgemässe  und 
würdige  Erziehung  angedeihen  zu  lassen.  Middeldorpf  hat  es  nie 
vergessen,  was  seine  Eltern  für  ihn  gethan;  er  kannte  kein  höheres 
Glück,  als  das  edle  Beispiel  seines  Vaters  nachzuahmen,  der  ihm 
stets  als  Ideal  in  seinem  Thun  und  Lassen  vorschwebte,  und  als 
dieser  das  Zeitliche  segnete,  fand  seine  unbegrenzte  kindliche  Liebe 
darin  ihren  Ausdruck,  dass  er  ein  goldenes  Armband  mit  dessen 
Locke  für  immer  bei  sich  führte. 

Mit  dem  8.  Lebensjahre  bezog  Albrecht  Middeldorpf  das  König- 
liche Friedrichs-Gymnasium  zu  Breslau.  Was  ihn  hier  insbesondere 
fesselte,  war  nicht  das  klassische  Alterthum  in  seinen  verschiedenen 
Zweigen,  weder  Geschichte,  noch  Literatur,  noch  Sprachen;  sein 
Interesse  nahmen  allein  naturwissenschaftliche  Studien  in  Anspruch. 
Schon  frühzeitig  betrat  er  das  Gebiet,  aus  dem  später  eine  so  unver- 
gleichlich wichtige  Entdeckung  hervorgehen  sollte.  Die  Beschäftigung 
mit  Botanik,  Zoologie,  Mineralogie,  Chemie,  Physik  gewährte  ihm 
unsägliches  Vergnügen,  weil  er  hier  auch  praktisch  thätig  sein  konnte, 
und  er  scheute  sich  in  der  That  nicht,  gewöhnliche  Werkstätten 
aufzusuchen,  um  sich  in  der  Kunst  der  Technik  zu  üben.  Zu  Ende 
des  Jahres  1842,  nach  wohl  bestandener  Reifeprüfung,  wurde  Middel- 
dorpf bei  ^er  medicinischen  Facultät  der  Universität  Breslau  imma- 
trikulirt.     Dieser  gehörte  er  drei  Jahre  hindurch  an. 

Seine  vorzügliche  Begabung  lehrte  ihn,  die  kurze  Studienzeit  in 
vollstem  Masse  auszunutzen;  wies  doch  gerade  Breslau  zu  dieser  Zeit 
hochbedeutende  Lehrkräfte  auf,  wie  Otto,  Purkinje,  Duflos,  Göppert, 
Nees  von  Esenbeck  u.  A.,  die  dem  strebsamen  Jüngling  hilfreich 
zur  Hand  waren  und  ihn  der  wissenschaftlichen  Laufbahn  entgegen- 
führten. 

Middeldorpf  wählte  zunächst  die  Physiologie  zu  seinem  Special- 
Studium.  Unter  der  kundigen  Leitung  des  geistreichen  Purkinje, 
jenes  grossen  Denkers,  dem  das  nicht  hoch  genug  zu  schätzende 
Verdienst  gebührt^  das  erste  physiologische  Institut  in  Deutschland 
gegründet  zu  haben,  gewann  er  einen  tieferen  Einblick  in  das  Wesen 
dieser  Wissenschaft  unter  Zugrundelegung  mikroskopischer  und 
physikalisch  chemischer  Untersuchungen,  und  er  empfand  eine  um 
so  innigere  Freude  an  dieser  Thätigkeit,  als  er  seine  bisher  ge- 
sammelten naturwissenschaftlichen  Erfahrungen  verwerthen    konnte. 

Diese  seine  Kenntnisse  glaubte  er  in  Berlin,  wo  medicinische 
Autoritäten    wie  Johannes    Müller    lebten    und    lehrten,    nach    ver- 


I4Ö 

schiedenen  Richtungen  vervollkommnen  zu  können.  Von  dem 
innigsten  Dankesgefühle  für  seinen  Lehrer  Purkinje,  der  ihn  so  sehr 
lieb  hatte,  beseelt,  wanderte  Middeldorpf  zu  Ende  des  Jahres  1845 
nach  Berlin.  Bevor  wir  ihm  dahin  folgen,  wollen  wir  hier  einer 
Episode  Erwähnung  thun,  die,  in  mannigfacher  Hinsicht  bemerkens- 
werth,  ihm  später  mancherlei  Auszeichnungen  und  Annehmlichkeiten 
eingetragen. 

Als  nämlich  1843  ein  vornehmer  Gast,  der  bedeutende  Orni- 
thologe  Charles  Bonaparte,  Prinz  von  Canino,  dem  Breslauer  zoologi- 
schen Museum  einen  Besuch  abstattete,  wandte  er  sich  an  den 
Vorsteher  desselben  mit  der  Bitte,  ihm,  da  er  mit  der  deutschen 
Sprache  nicht  vertraut  sei,  einen  sowohl  in  der  französichen  Sprache 
wie  in  der  Naturkunde  bewanderten  Führer  zu  überweisen,  der  ihm 
über  alle  Sehenswürdigkeiten  entsprechende  Aufklärung  geben  könnte. 
Dieses  Amt  übernahm  ein  blutjunger  Student,  unser  später  so  be- 
rühmter Middeldorpf.  Er  entledigte  sich  desselben  mit  einer  solchen 
Geschicklichkeit,  dass  der  Prinz  am  Schluss  der  Wanderung  äusserte: 

„Ganz  wie  ich  es  gewünscht!  Nun  lassen  sie  mich  die  Zeit, 
die  Sie  mir  eben  eingebracht,  auf's  Angenehmste  verwenden.  Es 
ist  gerade  Mittagszeit,  kommen  Sie  mit  mir  in's  Hotel  und  speisen 
Sie  mit  mir." 

]\Iiddeldorpf  lehnte  sein  freundliches  Anerbieten  ab  anlässlich 
des  Geburtstages  seines  Vaters  und  zeigte  ihm  als  Beweis  eine  von 
ihm  selbst  gedrechselte  Dose,  die  er  als  Geschenk  überreichen  wollte. 
Dies  erregte  von  Neuem  die  Bewunderung  des  Prinzen.  Schliesslich 
erkundigte  sich  dieser  unter  innigsten  Dankesbezeugungen  nach  dem 
Namen  seines  Cicerone  und  schrieb  in  sein  Notizbuch:  „Albrecht 
Middeldorpf,  ornithologue  d'  avenir  et  tourneur  en  bois  assez  habile." 

1856,  also  nach  13  Jahren,  fand  eine  zweite  Begegnung  zwischen 
Beiden  statt  und  zwar  in  Paris,  woselbst  Middeldorpf  einer  seitens 
des  Prinzen  an  ihn  ergangenen  Einladung  Folge  leistete. 

Dieses  Zusammentreffen  sowohl,  wie  überhaupt  Middeldorpfs 
Aufenthalt  in  Paris  soll  später  noch  Gegenstand  der  Darstellung 
werden.  Middeldorpf  verweilte  nur  ein  Jahr  in  Berlin,  doch  wurde 
er  in  vollstem  Masse  des  Lichtes  theilhaftig,  das  von  den  hell- 
leuchtendsten Sternen  ausging,  von  Johannes  Müller  und  Dieffenbach. 
Letzterem  mag  wohl  auch  ein  entscheidender  Einfluss  auf  jNIiddeldorpfs 
späteren  Beruf  zuzuschreiben  sein.  Die  Frucht  seiner  angestrengten 
Thätigkeit  war  die  Dissertation  „De  glandulis  Brunnianis",  durch 
welche  er  sich  den  Doctorgrad  von  der  Universität  erwarb.  Diese 
Arbeit  ist  deshalb  von  so  hohem  Werthe,  weil  sie  ein  bisher  unbe- 
kanntes Gebiet  behandelt,    die  Muskeln    der  Darmschleimhaut    von 


147 

Menschen  und  Thieren,  ihre  anatomische  Anordnung,  chemische 
Qualität  und  Betheiligung  am  Verdauungsacte  nebst  den  Erkran- 
kungen der  Darmdrüsen,  während  sie  andererseits  Middeldorpfs 
reifes  kritisches  Urtheil  in  wissenschaftlichen  Fragen  klar  und  deut- 
lich zu  Tage  treten  lässt. 

Bis  zum  Jahre  1847,  in  welcher  Zeit  er  das  medicinische  Staats- 
examen absolvirte,  fungirte  er  als  Assistent  in  Purkinjes  physiologi- 
schem Institut.  Wie  früher,  der  Sitte  gemäss,  jüngere  Gelehrte 
Italien  aufsuchten,  um  in  diesem  klassischen  Lande  unter  den  Aug-en 
der  grössten  Capacitäten  ihren  Specialstudien  zu  obliegen,  so  trat 
nun  auch  Middeldorpf,  zumal  er  in  recht  glücklichen  äusseren  Ver- 
hältnissen lebte,  die  Reise  nach  den  bedeutendsten  Universitäts- 
städten des  Auslandes  an,  er  besuchte  auf  seiner  Fahrt  Wien,  Paris 
und  London,  unermüdlich  im  Hören  und  Lernen,  und  kehrte  über 
Berlin,  das,  da  gerade  die  Revolution  ihren  Höhepunkt  erreicht 
hatte,  ihm  hinreichende  Gelegenheit  bot,  seine  chirurgische  Hand- 
fertigkeit zu  beweisen,  1848  nach  seiner  Heimatstadt  Breslau  zurück. 
Seine  Aufmerksamkeit  galt  jetzt  namentlich  der  Chirurgie.  Dafür 
war  gerade  Breslau,  wie  wenig  andere  Städte,  mit  seinem  ungeheuren 
sowohl  aus  der  Stadt  selbst,  wie  aus  der  Provinz  sich  rekrutirenden 
chirurgischen  Material  der  rechte  Ort.  Es  war  daher  für  Middel- 
dorpf bei  seiner  herrlichen  Begabung  ein  Leichtes,  durch  fleissigen 
Besuch  der  Hospitäler,  insbesondere  des  Klosters  der  barmherzigen 
Brüder,  der  Elisabethinerinnen  und  des  Allerheiligen-Hospitals,  in 
denen  so  vorzügliche  Aerzte  thätig  waren,  sich  auf  chirurgischem 
Gebiete  in  die  Höhe  zu  arbeiten.  Nebenbei  gründete  er  zusammen 
mit  Klose,  Paul  und  Günsburg  den  Verein  für  physiologische  Heil- 
kunde, als  dessen  Secretär  er  im  Günsburgschen  Journal  einen 
Commissionsbericht  über  den  „Namen  und  das  Wesen  der  Entzündung" 
veröffentlichte,  welcher  vermöge  seiner  ingeniösen  Ideen  allgemeines 
Aufsehen  erregte.  Seine  Thätigkeit  wurde  eine  noch  viel  umfassendere, 
als  bald  darauf  die  Cholera  in  furchtbar  verheerender  Weise  auf 
trat  und  Noth  und  Elend  über  seine  Heimatstadt  brachte.  Ob- 
wohl er  mit  bewunderungswürdiger  Energie  und  Ausdauer  in  dieser 
schweren  Zeit  seinem  Berufe  nachging,  fand  er  doch  noch  zu 
wissenschaftlichen  Untersuchungen  Zeit,  welche  sich  auf  die  Ver- 
minderung des  Wassergehaltes  der  Muskeln,  den  Eiweissgehalt  des 
Erbrochenen  und  der  Stühle,  des  Urins  u.  s.  w.  der  von  der  Cholera 
Befallenen  erstreckten  und  später  in  F.  Günsburgs  „Zeitschrift  für 
klinische  Medicin"  niedergelegt  wurden.  Es  darf  durchaus  nicht 
Wunder  nehmen,  dass  man  bestrebt  war,  einen  so  geistreichen  wie 
fleissigen  Arzt  an  Breslau  und  seine  Krankenhäuser  zu  fesseln.  So 
wurde   er   Assistenzarzt    an    der    unter  Professor  Remer    stehenden 

10* 


148 

chirurgischen  Abtheilung  des  AllerheiUgen  Hospitals,  und  die  Zeit, 
während  welcher  er  diesen  Posten  bekleidete,  war  für  das  Hospital 
sowohl  wie  für  die  chirurgische  Wissenschaft  überhaupt  eine  äusserst 
segensreiche.  Binnen  weniger  Zeit  erschienen  hinter  einander  eine 
Reihe  von  Publicationen  kleineren  und  grösseren  Umfangs:  erstere 
in  dem  von  B.  Langenbeck  herausgegebenen  Archiv  für  klinische 
Chirurgie  z.  B.  „über  die  umschlungene  Naht",  „über  am  Damm 
auszuführende  Steinoperationen"  „über  Luxationen"  „über  Enchon- 
drome'S  u.  a.  Von  den  grösseren  Arbeiten  ist  hervorzuheben  die 
Schrift:  „Ueber  die  Veränderung  der  Knochen  und  Knorpel  in 
der  Peritonealhöhle  lebender  Thiere"  und  sein  „Ueberblick  über 
die  Akidopeirastik ,  eine  neue  Untersuchungsmethode  mit  Hilfe 
spitziger  Werkzeuge"  in  Günsburg's  Zeitschrift  VIII.  Gerade  dieses 
Werkchen  war  wohl  geeignet ,  in  der  gesammten  chirurgischen 
Welt  ein  verdientes  Aufsehen  zu  erregen.  Middeldorpf  hatte  damit 
die  immer  noch  auf  schwachen  Füssen  befindlichen  diagnostischen 
Kenntnisse  wesentlich  bereichert,  indem  er  lehrte,  wie  man  mit 
Hilfe  feiner  Carlsbader  Insectennadeln ,  Explorativbohrern  und 
Troicarts  einerseits  über  tiefer  gelegene  pathologische  Zustände, 
mochten  sie  Weichtheile  oder  Knochen  betreffen,  durch  Tasten  und 
Fühlen  sich  orientiren,  und  wie  man  andererseits  durch  genaue 
mikroskopische  Untersuchungen  entnommener  Exsudattröpfchen  be- 
reits zur  Diagnose  übergehen  könnte,  und  zwar  alles  dies  ohne  Ge- 
fahr für  den  Patienten,  da  die  Instrumente  nur  kleine,  sich  augen- 
blicklich wieder  schliessende ,  mehr  subcutane  Wunden  erzeugten. 
Mit  der  Akidopeirastik  stand  auch  die  forensisch  nicht  unwichtige 
Acupunctur  des  Herzens  im  Zusammenhang,  welche  uns  mehr  als 
die  Auscultation  die  Gewissheit,  resp.  die  Diagnose  des  Todes 
nahe  legt. 

Das  zweite  grössere  Werk,  dem  wir  uns  zuwenden,  das  uns  einen 
klassischen  Beweis  seines  Scharfsinns,  seines  immensen  Fleisses  mit 
beredten  Worten  abgiebt,  handelt  über  „Fracturen".  Er  begann  das- 
selbe unter  Alter's  Leitung  und  führte  es  unter  dessen  Nachfolger,  dem 
vorher  erwähnten  Remer,  welcher  letztere  Stelle  seit  1850  inne  hatte^ 
zur  Vollendung.  Mit  dessen  erstem  Theile  habilitirte  er  sich  1862 
als  Privatdocent  für  Chirurgie  an  hiesiger  Universität.  Das  seinem 
Schwiegervater  dedicirte  Gesammtwerk  erschien  1853  unter  dem 
Titel:  „Beiträge  zur  Lehre  von  den  Knochenbrüchen."  Nachdem 
er  darin  im  allgemeinen  Theil  die  aetiologischen  Verhältnisse,  die 
verschiedenen  Formen  der  Knochenbrüche,  ihre  Symptome  und  Ver- 
laufsarten, die  Diagnose  und  Prognose  sowie  die  hauptsächlichsten 
therapeutischen  Principien  geschildert,  erörtert  er  im  speciellen  Theil 
jede  einzelne  Fractur  für  sich  in  allen  ihren  Beziehungen  und  Com- 


149 

plicationen  nebst  Behandlungsmethoden  auf  Grund  einer  grossen  An- 
zahl von  Beobachtungen,  welche  er  während  einer  mehrjährigen 
chirurgischen  Thätigkeit  zu  machen  Gelegenheit  hatte,  ein  wahrhafter 
Schatz  von  Lehren  und  Rathschlägen,  welche  auch  die  moderne 
Chirurgie  noch  nicht  ganz  zu  verdrängen  gewusst  hat. 

Inmitten  all  dieser  Aufgaben,  trotz  seiner  angestrengten  Berufs- 
pflicht, hielt  Middeldorpf  unentwegt  vornehmlich  seit  dem  Jahre  1851 
ein  Ziel  im  Auge,  das,  ausgehend  von  der  Absicht,  den  electrischen 
Strom  als  therapeutisches  Hilfsmittel  zu  allgemeinen  Zwecken  zu  be- 
nützen, gewissermassen  sein  ganzes  Leben  ausfüllte. 

Allerdings  hatte  bereits  früher  schon  1807  Humphry  Davy  ähn- 
liche Versuche  angestellt,  die  erwünschte  Wirkung  war  jedoch  aus- 
geblieben; die  Elektricität  hatte  in  Folge  dessen  bisher  eine  nur 
sehr  beschränkte  Anwendung  erfahren;  sie  vermochte  allein  auf  dem 
Gebiet  der  Zahnheilkunde  festere  Wurzeln  zu  fassen. 

Middeldorpf,  der  im  Besitze  vorzüglicher  technischer  Begabung 
seine  chirurgischen  Kenntnisse  mit  den  naturwissenschaftlichen  zu 
schönster  Harmonie  zu  verbinden  verstand,  war  es  vorbehalten,  die 
Wissenschaft  mit  einem  neuen  therapeutischen  Apparat  zu  bereichem, 
der  den  elektrischen  Strom  zur  Grundlage  hatte. 

Aber  es  galt  da  ungeheure  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  wenn 
auch  vielleicht  der  Plan  in  Umrissen  fertig  dastand,  was  waren  nicht 
für  Kenntnisse  auf  rein  technischem,  instrumentellem  Gebiete  nöthig, 
welche  Unzahl  von  experimentellen  Versuchen  war  erforderlich,  um 
die  Methode  in  ihren  verschiedentlichen  Wirkungen  zu  prüfen! 

Gelang  es,  so  lohnte  der  Erfolg  tausendfach  die  angewandte 
Mühe,  sollte  doch  ein  Operationsverfahren  entstehen,  das  sich  durch 
drei  Cardinaltugenden  auszeichnete,  einmal  durch  Schmerzlosigkeit 
und  Schnelligkeit,  das  andere  Mal  durch  Verwendbarkeit  an  Stellen, 
zu  denen  bisher  das  Messer  nicht  hatte  vordringen  können,  und 
schliesslich  durch  Verhinderung  von  Blutungen. 

Unter  Anleitung  der  berühmten  Physiker  Kirchhoff  und  Marbach 
vertiefte  er  sich  in  die  Wirkungen  der  galvanischen  Glühhitze,  übte 
sich  in  der  Construction  von  Batterien  und  Instrumenten,  welche  ihm 
gestatten  sollten,  von  allen  möglichen  Positionen  aus  und  an  den 
verschiedensten  Körperstellen  zu  operiren  und  prüfte  sein  Werk  an 
thierischen  Geweben,  wobei  ihm  seine  unter  Purkinje  und  Johannes 
ISIüller  gesammelten  physiologischen  Kenntnisse  sehr  zu  gute  kamen. 

So  ging  er  allmählich  seinem  Ziele  näher;  schon  1853,  nach 
zwei  Jahren  mühseligster  Arbeit,  konnte  er  es  wagen,  seine  wahr- 
haft grossartig  angelegte  Idee  praktisch  zu  verwerthen.  Die  „gal- 
vanokaustische Scheideschlinge",  die  so  eben  das  Licht  der  Welt 
erblickt,  sollte  nunmehr  Proben  ihrer  Leistungsfähigkeit  abgeben,  die 


I50 

ihr  den  Weg  in  die  OefFentlichkeit  zu  erleichtern  bestimmt  waren. 
Der  geschätzten  Freundschaft  seines  Collegen  Middeldorpf  hatte  es 
der  A'^erfasser  zu  danken,  dass  es  ihm  nebst  Frerichs  und  dem  noch 
lebenden  Geheim-Rath  Dr.  Valentiner,  Badearzt  in  Salzbrunn,  vergönnt 
war,  der  ersten  derartigen  an  dem  Pastor  Moese  aus  Langwaltersdorf 
ausgeführten  Operation  beiwohnen  zu  können.  Der  Eingriff  —  es 
handelte  sich  um  einen  Kehlkopfpolypen  —  war  ein  glücklicher, 
der  Erfolg  geradezu  frappant,  lebenrettend.  Der  Galvanokaustik 
waren  dadurch  Thür  und  Thor  geöffnet,  im  Fluge  hatte  sich  Mid- 
deldorpf die  vollste  Anerkennung  seiner  Fachgenossen  erworben. 
Die  seinem  neuen  Operationsverfahren  zu  Grunde  liegenden  Prin- 
cipien  sowie  die  im  Verlaufe  weniger  Monate  gemachten  Erfahrungen 
legte  Middeldorpf  in  dem  1854  erschienenen,  Bernhard  Langenbeck 
gewidmeten  grössern  AVerke  nieder,  welches  den  Titel  führt :  „Die 
Galvanokaustik,  ein  Beitrag  zur  operativen  Medicin." 

Wie  es  aber  jeder  Neuerung  zu  ergehen  pflegt,  auch  hier  fanden 
sich  Gegner,  die  mit  den  gesuchtesten  Einwänden  die  hohe  Be- 
deutung der  Middeldorpfschen  Entdeckung*)  in  den  Staub  zu  ziehen 
trachteten,  wohl  mehr  aus  Neid,  als  in  richtiger  Erkenntniss  des  Pro 
et  Contra.  Indess  die  Galvanokaustik  hatte  bereits  eine  Menge  der 
trefflichsten,  bisher  ganz  unmöglichen  Resultate  erzielt,  so  dass  eine 
energische  Vertheidigung  dieser  Methode  sich  als  überflüssig  erwies. 

Middeldorpf  stieg  nun  von  Stufe  zu  Stufe.  1854  erfolgte  seine 
Ernennung  zum  Professor  extraord.  der  Chirurgie  und  Augenheil- 
kunde und  zum  Director  der  chirurgisch  augenärztlichen  Poliklinik. 
1855  wurde  er  als  consultir ender  Chirurg  für  das  Fränkelsche 
Hospital  gewonnen  und  zum  Oberwundarzt  des  Allerheiligen-Hospitals 
gewählt.  1856  erhielt  er  die  ordentliche  Professur  für  Chirurgie  und 
Augenheilkunde  und  damit  die  Leitung  der  betrefi'enden  Klinik  und 
Poliklinik. 

Als  Habilitationsschrift  veröffentlichte  er:  Commentatio  depolypis 
oesophagi  atque  de  tumore  eius  generis  primo  prospere  exstirpato." 

Noch  in  demselben  Jahre  finden  wir  Middeldorpf  zum  zweiten 
Male  in  Paris,  vollauf  damit  beschäftigt,  die  französischen  Chirurgen 
des  Näheren  mit  seiner  Galvanokaustik  bekannt  zu  machen.  Gleich- 
zeitig benutzte  er  seinen  dortigen  Aufenthalt,  um,  einer  bereits  seit 
Langem  an  ihn  ergangenen  Einladung  Folge  leistend,  dem  Prinzen 
von  Canino,  Charles  Bonaparte,  dem  er  vor  13  Jahren  gelegentlich 
eines  Besuchs  im  Breslauer  Zoologischen  Museum  als  Cicerone  ge- 
fällig gewesen,  seine  Aufwartung  zu  machen. 

*)  Der  berühmte  Spiegelberg  pflegte  mit  besonderer  ^'orliebe  die  Galvanokaustik  bei 
den  Laparotomien  in  Anwendung  zu  bringen,  da  er  mit  keiner  andern  Methode  in  gleich 
schneller  Weise  Blutungen  zu  inhibiren  vermochte. 


151 

Middeldorpf  fand  überall  die  herzlichste  Aufnahme.  Ehren  und 
Auszeichnungen  häuften  sich  förmlich  auf  ihn ;  unter  der  Menge  seiner 
französischen  Collegen  herrschte  aber  auch  nur  eine  Stimme  über  die 
Vorzüglichkeit  seiner  Methode,  operirte  doch  Middeldorpf  in  den 
französischen  Hospitälern,  die  man  ihm  bereitwilligst  zur  Verfügung 
stellte,  mit  wunderbarem     Geschick  und  Glück. 

Zu  seinen  eifrigsten  Anhängern  und  Verehrern  zählte  Broca, 
Diesem  verdankte  er  auch  seine  Ernennung  zum  correspondirenden 
Mitgliede  der  Pariser  chirurgischen  Gesellschaft.  Selten  genoss  ein 
Deutscher  eine  so  hohe  Achtung  im  Auslande  wie  Middeldorpf;  denn 
nicht  genug,  dass  ihm  auf  Antrag  des  berühmten  Forschers  Roy  er 
der  Monthyon'sche  Preis,  der  nur  für  die  hervorragendsten  Leistungen 
gewährt  wird,  zuerkannt  wurde,  verlieh  ihm  noch  Napoleon  III. 
nächst  einer  Medaille  das  Kreuz  der  Ehrenlegion,  den  höchsten 
französischen  Orden;  Italien  ehrte  ihn  durch  Verleihung  des  St. 
Mauritius-  und  Lazarusordens.  In  seine  Heimatstadt  zurückgekehrt, 
wurde  er  im  Jahre  185g  zum  Medicinalrath  und  Mitglied  des  Medi- 
cinalcollegiums  der  Provinz  Schlesien  ernannt  und  mit  dem  rothen 
Adlerorden  IV.  Klasse  decorirt.  Nach  Ebers  Tode  übernahm  er  auf 
kurze  Zeit  die  interimistische  Direction  des  Allerheiligen-Hospitals. 
Die  folgenden  Jahre  waren  einer  rein  wissenschaftlichen  Thätigkeit 
gewidmet. 

Mehrere  vortreffliche  Arbeiten  gehören  in  diese  Periode,  wir 
nennen  hier  die  in  dem  Journal  „Clinique  europeenne"  mitgetheilten 
Schriften : 

,,Sur  une  nouvelle  forme  de  luxation  de  l'epaule:  luxation  en 
l'air",  ferner  seine  Abhandlung:  de  fistulis  ventriculi  externis  et 
chirurgica  earum  sanatione,  accedente  historia  fistulae  arte  chirurgorum 
plastica  prospere  curatae,"  welche  er  im  Auftrage  der  Breslauer 
medicinischen  Facultät  anlässlich  des  60  jährigen  Doctorjubiläums 
seines  greisen  Amtsvorgängers  T.  W.  S.  Benedict  schrieb,  sowie  den 
in  den  Abhandlungen  der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische 
Cultur  enthaltenen  Bericht  über  die  „percutane  Umstechung  der 
Arterien  in  der  Continuität." 

Als  1864  der  Krieg  gegen  Dänemark  ausbrach,  eilte  Middeldorpf, 
ohne  dass  ihn  besondere  Verpflichtung  dazu  gezwungen,  auf  den 
Kriegsschauplatz,  um  mit  seinen  chirurgischen  Erfahrungen  dem  un- 
geheuren Elend,  wie  es  die  Kämpfe  mit  sich  brachten,  nach  Kräften 
zu  steuern.  Als  Ausdruck  des  Dankes  für  die  in  den  Kriegshospitälern 
des  Johanniterordens  entfaltete  segensreiche  Thätigkeit,  empfing  er 
durch  König  Wilhelm  I.  den  rothen  Adlerorden  III.  Klasse  mit 
der  Schleife. 

Bald    darauf,    nachdem    er    inzwischen    bei   einem  Besuche  der 


152 

Wiener  Universität,  welche  ihr  500 jähriges  Jubiläum  feierte,  zum 
Ehrenmitglied e  der  Wiener  medicinischen  Facultät  ernannt  worden, 
rief  ihn  der  Krieg  des  Jahres  1866  von  Neuem  auf  die  Schlachtfelder. 
Bevor  er  dahin  abging,  wurde  ihm  der  Charakter  als  Generalarzt  der 
Armee  verliehen.  Drei  Monate  hindurch  hielt  sich  Middeldorpf  in 
den  böhmischen  Lazarethen  auf,  aufopferungsvoll  und  unermüdlich  in 
der  Ausübung  seines  so  schweren,  aber  edlen  Berufs.  Zu  den  alten 
Lorbeeren  fügte  er  neue  hinzu.  Das  Militär-Medicinal-Wesen ,  das 
heute  wie  immer  an  der  Spitze  des  Fortschritts  steht,  verdankt  auch 
Middeldorpf  ein  Guttheil  seiner  Reformen;  war  er  doch  immer  da, 
wo  es  sich  um  sanitäre  wohlthätige  Zwecke  handelte,  einer  der  aller- 
ersten, der  seine  Kräfte  dem  Allgemeinwohl  opferte.  War  Middel- 
dorpfs  Geist,  gewissermassen  über  das  rein  Menschliche  hinausgehend, 
immer  höheren  Idealen  zugewandt,  so  konnte  doch  sein  Körper  nicht 
gleichen  Schritt  damit  halten;  seit  dem  Jahre  1866  trat  eine  Pause, 
ein  Stillstand  ein,  er  war  nicht  mehr  der  Alte  zu  nennen;  seine 
Körperkräfte  schienen  im  Sinken  begriffen.  Zwar  raffte  er  sich  noch 
einmal  auf,  um  zusammen  mit  seinem  Collegen  und  Freunde  Haeser 
das  Wundarzneibuch  des  Deutsch-Ordensbruders  Heinrich  Pfolspeundt*) 
zu  veröffentlichen,  aber  es  war  dies  nur  mehr  ein  Aufleuchten,  ein 
gewaltsames  Aufrechtstehen.  Dem  raschen  Verfall  war  nicht  mehr 
entgegenzuarbeiten,  ihn  beförderte  noch  der  1866  eingetretene  Tod 
seiner  Mutter,  der  sein  Schmerzgefühl  auf  das  Höchste  steigerte. 
Noch  zwei  Jahre  waren  ihm  zu  leben  vergönnt,  allerdings  unter  den 
schwersten  Leiden. 

Gegen  Mitte  des  Jahres  1868  stellte  sich  eine  bei  ihm  zum  dritten 
Male  recidivirende  Bauchfell-Entzündung  ein,  der  eine  Darmper- 
foration folgte.  Am  2g.  Juli  legte  Middeldorpf,  erst  44  Jahre  alt, 
für  immer  sein  Haupt  zur  Ruhe,  tief  betrauert  von  seinen  Hinter- 
bliebenen und  Freunden,  ein  schmerzlicher  Verlust  für  die  Universität 
Breslau. 

Wer,  wie  der  Verfasser,  das  Glück  genossen,  diesen  so  hervor- 
ragenden Mann  zum  Freunde  zu  besitzen,  wer  ihn  mitten  in  seinem 
Wirken  und  Schaffen  gesehen,  wer  seinen  Charakter  in  seiner  ganzen 
Grösse  kennen  gelernt,  wird  Middeldorpf  einen  unvergänglichen  Platz 
in  seinem  Gedächtniss  anweisen,  für  den  wird  er  unvergesslich  bleiben. 
Hier  ist  der  Tod  nur  eine  Scheidewand  für  den  persönlichen  Verkehr. 


*)  Ueber  diesen  Xamen  „Pfolspeundt"  nicht  Pfolsprundt,  cf.  Biograph    Lex.  hervorr. 
Aerzte.     Bd.  IV,  S.  555. 


153 


Johann  Lange. 


Johann  Lange  war  in  Löwenberg  in  Schlesien  im  Jahre  1485 
geboren,  studirte  in  Leipzig  Philosophie,  ward  Magister  und  lehrte 
dort  unter  dem  Kurfürsten  Georg  von  Sachsen.  Mit  besonderer 
Vorliebe  beschäftigte  er  sich  mit  PUnius,  den  er  auch  später  noch 
sehr  hoch  hielt.  Sein  Schüler  war  der  nachher  so  berühmte  Joachim 
Camerarius.  Nachdem  er  noch  mit  dem  Studium  der  Philosophie 
resp.  der  Naturwissenschaften  das  der  Medicin  verbunden,  wandte 
er  sich  zur  Vervollkommnung  seiner  medicinischen  Kenntnisse  nach 
Italien,  zunächst  nach  Bologna,  wo  er  sich  gegen  2  Jahre  aufhielt, 
dann  nach  Rom,  wo  er  unter  Leitung  des  berühmten  Chirurgen 
Johann  de  Vigo  speciell  mit  Chirurgie  sich  beschäftigte,  studirte 
ferner  in  Ferrara,  wo  Nicolaus  Leonicenus  sein  Lehrer  war,  und  kam 
zuletzt  nach  Pisa,  wo  er  im  Jahre  1522  promovirte.  Er  versäumte 
es  auch  nicht,  durch  fleissige  Benützung  der  grossartigen  Bibliothek 
Picos  von  Mirandola  seine  Kenntnisse  zu  bereichern.  Nach  Deutsch- 
land zurückgekehrt,  Hess  er  sich  in  Heidelberg  nieder  und  zwar 
unter  den  günstigsten  Auspicien,  da  er  bald  darauf  zum  Leibarzt 
des  Kurfürsten  von  der  Pfalz  ernannt  wurde,  welche  Stellung  er 
unter  vier  derselben,  unter  Ludwig  V.,  Friedrich  IL,  Otto  Heinrich 
und  Friedrich  III.  über  vierzig  Jahre  lang  einnahm.  Besonders  mit 
Friedrich  IL  war  er  eng  befreundet  und  durchreiste  mit  demselben 
eine  lange  Reihe  von  Jahren  hindurch  Spanien,  Italien  und  Frank- 
reich, überhaupt  den  grössten  Theil  von  Europa,  begleitete  er  ihn  doch 
selbst  zweimal  in  den  Türkenkrieg  gegen  den  ihm  als  frommem  Christen 
verhassten  Sultan  Soliman.  1556  wurde  Lange  zum  Minister  und 
Geheimrath  ernannt.  Im  80.  Lebensjahre,  am  21.  Juni  1565,  schied 
er  aus  dem  Leben. 

Das  sehr  grosse  Vermögen,  welches  er  hinterliess,  kam  laut 
Testamentsbeschluss  in  den  Besitz  seines  gelehrten  Collegen  Wirth, 
der,  ebenfalls  ein  nicht  unberühmter  Schlesier,  zu  Löwenberg  geboren 


154 

wurde  und  die  Stelle  eines  Leibarztes  bei  Carl  V.  und  Philipp  II. 
bekleidete.  In  Löwenberg  wurden,  beiläufig  bemerkt,  verhältniss- 
mässig  sehr  viele  spätere  Aerzte  damals  geboren,  so  neben  den 
beiden  genannten,  Lange  und  Georg  Wirth,  noch  ein  zweiter  Wirth, 
der  1566  starb,  Franz  Mymer,  der  1532  ein  Regimen  schrieb,  Bartho- 
lomäus Reusner,  gestorben  im  Alter  von  41  Jahren,  Hieronymus 
Reusner,  gestorben  1608,  und  Caspar  Hoffmann,  geboren  152g,  Alle 
also  ungefähr  aus  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts. 

Was  nun  die  medicinischen  Anschauungen  unseres  Lange,  um 
wieder  zu  ihm  zurückzukehren,  betrifft,  so  versuchte  er  vor  Allem 
das  Studium  der  Alten  wieder  in  Aufschwung  zu  bringen,  den  Ara- 
bismus  aber  aus  der  Medicin  zu  entfernen.  Wie  er  selbst  und  seine 
Vorgänger  in  seiner  Familie  treue  Anhänger  des  Hippokrates  sind, 
so  verlangte  er  auch  von  Allen,  die  sich  wahre  Aerzte  nennen  wollen, 
die  Rückkehr  zum  Alten  und  zum  genauen  Studium  der  Natur. 
Seinem  Bruder,  der  einmal  in  anderem  Sinne  urtheilte,  schrieb  er 
darum  einen  sehr  heftigen  Brief:  ab  avita  nostra  stirpe  degenerare 
videris  quae  semper  medicos  suos  in  rationali  Hippocratis  curandi 
aegros  methodo  educavit  ac  fovit.  Er  forderte  zu  einem  gründlichen 
Studium  der  Botanik  auf,  um  die  Heilkräfte  der  Pflanzen  kennen 
zu  lernen;  er  betont,  dass  man  sich  erst  eine  richtige  Erkenntniss 
der  pathologischen  Erscheinungen  der  einzelnen  Krankheiten  ver-  \ 
schaffen  müsse ,  ehe  man  sich  einen  Arzt  nennen  dürfe.  Er  eifert ' 
gegen  die  Chirurgen  seiner  Zeit,  welche,  wenn  sie  einmal  beim  Oeffnen 
eines  geschlachteten  Kalbes  zugegen  gewesen,  schon  die  ganze  Ana- 
tomie erlernt  zu  haben  vermeinen  und  in  ihrer  vollständigen  Unkennt- 
niss  der  Organisation  des  Körpers  die  Kranken  durch  unnöthige 
Operationen,  die  sie  roher  wie  die  Henker  ausführen,  oft  auf  die 
scheusslichste  Art  und  Weise  quälen,  verstümmeln  und  hinmorden. 
Mit  seiner  vernünftigen  Methode  erzielte  Lange  freilich  andere  Resul- 
tate. So  erzählt  er  selbst,  welche  Kunst  er  habe  aufwenden  müssen, 
um  einen  jungen  Edelmann,  der  beim  Sturze  von  einem  hohen  Dache 
auf  eine  Mauerecke  aufschlug  und  sich  ausser  mehreren  Brüchen 
eine  schwere  Verletzung  der  Schädeldecke  zuzog,  zu  heilen.  Auch 
führte  er  die  in  Deutschland  fast  ausser  Gebrauch  gekommene  Tre- 
panation des  Schädels  wieder  ein,  sowie  das  schon  bei  Galen* 
erwähnte  aßaTrxtoTov.  In  Amberg  erhielt  er  durch  eine  mit  grossem 
Scharfsinn  angewandte  Cur  einem  Mann  ein  Auge,  welches  derselbe 
sich  mit  einem  Messer  sehr  schwer  verletzt  hatte,  wie  er  denn  über- 
haupt durch  noch  viele  andere,  ebenso  sinnreiche  als  glückliche  Curen 
sich  einen  wohlverdienten  Ruf  erwarb.  Bei  den  Kurfürsten  kam  er 
in  um  so  höheres  Ansehen,  seitdem  er  Otto  Heinrich  von  einer 
Gürtelrose    durch    einen  Aderlass   auf   galenische  Art  geheilt  hatte. 


155 

Kein  Wunder  daher,  dass  er  oft  genug  an  das  Krankenlager  fremder 
Fürsten  und  Bischöfe  berufen  ward. 

Um  so  verhasster  waren  ihm  aber  bei  seiner  eigenen  Tüchtig- 
keit diejenigen,  welche  den  von  ihm  so  hoch  g-ehaltenen  Namen  eines 
Arztes  sich  anmassten,  nur  um  betrügerische  oder  selbstsüchtige 
Zwecke  damit  zu  verbinden.  Mit  einem  wahren  Feuereifer  bekämpft 
er  daher  jene  Astrologen,  welche  diesen  oder  jenen  Tag  für  irgend 
eine  Krankheit  besonders  gefährlich  erklären  und  in  lächerlichster 
Weise  aus  den  Sternen  die  Menschen  belehren  wollen,  wann  sie 
neue  Kleider  anziehen  oder  sich  rasiren  dürfen,  gegen  die  Urinanten, 
welche  aus  dem  Urin  die  Natur  jeder  einzelnen  Krankheit  erkennen 
wollen,  sowie  gegen  die  Receptuarii,  welche  der  Ansicht  sind,  dass 
je  seltner  und  theurer  die  Heilmittel,  je  mehr  sie  die  Medicamente 
zusammensetzen,  diese  um  so  heilsamer  sind,  indem  sie  dabei  freilich 
auch  theils  Geld  zu  gewinnen,  theils  durch  ein  langes  Recept  sich 
den  Nimbus  grösserer  Gelehrsamkeit  zu  geben  beabsichtigen. 

In  seinem  Hauptwerk,  den  medicinischen  Briefen,  erklärt  er 
manche  sehr  schwierige  Stelle  des  Hippokrates,  wie  er  denn  selbst 
überhaupt  eine  ausserordentliche  Belesenheit  in  der  klassischen 
Literatur  zeigt,  die  ihm  auch  dazu  dient,  seine  Abhandlungen  in  ge- 
fälliger Weise  zu  würzen.  Eindringlich  warnt  er  vor  dem  Missbrauch, 
der  mit  Abführungs-  und  Brechmitteln  von  seinen  Zeitgenossen  ge- 
trieben wurde.  Gegen  fieberhafte  Krankheiten  empfiehlt  er  kühlende 
Mittel,  besonders  kalte  Getränke. 

Seinen  in  den  ,, Briefen"  ausgesprochenen  Grundsatz:  ,,Per- 
plexa  in  arte  medendi  theoremata  explicare  et  obscura  illustrare, 
fraudesque  aegyptiorum  detegere  et  amicorum  problematibus  per 
epistulas  respondere"  liess  er  nie  aus  den  Augen,  so  dass  wir 
in  Lange  einen  sehr  gelehrten,  wissenschaftlich  hochstehenden,  für 
Aufklärung  unerschrocken  eintretenden  Mann  kennen  lernen,  was 
in  einer  Zeit,  wo  seine  Ansichten  unerhörte,  ja  ketzerische  erschienen, 
sehr  anerkennenswerth  ist.  Eins  setzt  uns  aber  bei  dem  Manne, 
der  sonst  jeden  Aberglauben  als  läppisch  bezeichnet,  in  Verwunderung: 
sein  Dämonenglaube.  Er  glaubt  daran,  dass  es  magische  Kräfte 
gäbe,  welche  den  Menschen  krank  machen  oder  behexen,  und  erzählt 
selbst  in  überzeugtem  Tone  von  Fällen,  wo  Leute  Messer,  Nägel, 
Steine  u.  a.  ausgespieen  hätten. 

Seinem  Vorsatz,  Gesinnungsgenossen  durch  Briefwechsel  mit 
ihnen  zu  belehren,  kam  er  mit  allen  Kräften  nach,  wie  sein  reger 
schriftlicher  Verkehr  mit  PhiUpp  Melanchthon,  dem  berühmten  Johann 
Moibanus,  dem  Leipziger  Professor  Reuschius  und  Andern,  vor  Allem 
aber  mit  seinem  ehemaligen  Schüler  und  Landsmann  Georg  Wirth, 
Leibarzt  Carls  V.   und  Philipps  IL,    beweist.     Seinem  Streben  blieb 


auch  die  Anerkennung  der  Besten  nicht  versagt,  wofür  seine  Er- 
nennung zum  ]\Iinister  und  Geheimrath,  sowie  zahlreiche,  seine  An- 
sichten billigende  Schreiben  seiner  Zeitgenossen,  besonders  der  ge- 
sammten  medicinischen  und  philosophischen  Facultät  der  Universität 
Leipzig,  Zeugniss  ablegen. 

Den  Erfindungen  seiner  Zeit,  vor  allen  der  von  ihm  sehr  hoch- 
geschätzten Buchdruckerkunst,  sowie  den  freien  Künsten  überhaupt 
brachte  er  ein  lebhaftes  Interesse  entgegen. 

Im  Verkehr  war  er  angenehm  und  scherzhaft,  wovon  er  selbst 
viele  Züge  in  seinen  Werken  erzählt. 

Eine  merkwürdige  Vorliebe  besass  er  für  Käse,  der  bei  keiner 
ISIahlzeit  fehlen  durfte,  und  dessen  Vertheidigung  er  einen  ganzen 
Brief  des  zweiten  Buches,  sowie  ein  scherzhaftes  Gedicht  widmet. 

Seine  berühmtesten  Schriften  sind: 

Medicinalium  epistolarum  miscellanea  i.  Samlg.  Basel  1554 
4°  2.  Sammlung  1560.  Bedeutend  vermehrt.  Frankfurt  a.  M.  1589  8. 
De  scorbuto.  Wittenberg  1624.  8.  De  Syrmai'smo  et  ratione  purgandi 
per  vomitum  ex  Aegyptiorum  invento  et  formula.  Lutet.  1752.  8. 
Consilia  quaedam  et  experimenta.  Ulm  1676.  4. 

AVir  haben  auch  seiner  wissenschaftlichen  Seite  grössere  Be- 
achtung geschenkt,  weil  sich  gerade  in  den  in  seinen  Werken  nieder- 
gelegten Anschauungen  sowohl,  wie  in  dem,  was  er  mit  allen  Fasern 
seines  Seins  bekämpft,  der  Geist  seiner  Zeit  auf  das  Lebhafteste 
wiederspiegelt. 

Dass  diesem  Arzt,  obwohl  der  Werth  mancher  seiner  Leistungen 
nicht  zum  mindesten  nach  der  Priorität  seiner  Geburt  unter  den 
schlesischen  Aerzten  —  er  war  ja  lange  vor  Crato  geboren  —  be- 
urtheilt  werden  muss,  geringere  Hochachtung,  als  er  sie  verdiente, 
zu  Theil  wurde,  ist  wohl  hauptsächlich  darauf  zurückzuführen,  dass 
er  den  grössten  Theil  seines  Lebens  fern  von  Schlesien,  in  Heidel- 
berg, zubrachte. 


157 


Adam  Christian  Thebesius. 


Oeit  dem  Beginne  des  XVII.  Jahrhunderts  begegnet  uns  der 
Name  Thebesius  wiederholt  in  der  Geschichte  und  Literatur  Schlesiens. 
Die  Träger  dieses  Namens  waren  durchweg  in  engerem  oder  weiterem 
Kreise  angesehene  Männer,  die  als  Pastoren,  Rechtsgelehrte  oder 
Aerzte  an  den  verschiedensten  Orten  unserer  heimatlichen  Provinz 
ihre  Tüchtigkeit  bewährten.  Von  Allen  jedoch  hat  Keiner  dem 
Namen  zu  grösserem  Ruhme  und  höherer  Bedeutung  verhelfen  als 
Adam  Christian  Thebesius,  und  gerade  diesen  nennt  Jöchers  Ge- 
lehrten -  Lexikon  in  der  Reihe  der  Thebesii  merkwürdiger  Weise 
nicht.  — 

In  dem  kleinen  Dorfe  Sandenwalde*),  das  damals  zum  Herzog- 
thum  Wohlau  gehörte,  wurde  Adam  Christian  Thebesius  am 
12.  Januar  1686  als  Sohn  des  Pastors  Adam  Ludwig  Thebesius  ge- 
boren. In  sein  Knabenalter  fällt  die  Uebersiedlung  der  Familie 
nach  Liegnitz,  wo  der  Vater  später  als  Pastor  primarius  an  der 
Peter  Paul-Kirche  und  als  Schulvorstand  zu  wirken  berufen  war. 
Hier  empfing  Adam  Christian  den  ersten  gediegenen  Schulunterricht 
und  wurde  im  Jahre  1 700,  als  seine  Begabung  den  Eltern  und  Lehrern 
offenbar  geworden  war,  in  das  Elisabeth  -  Gymnasium  zu  Breslau 
gegeben,  wo  er  seine  wissenschaftliche  Vorbildung  unter  tüchtigen 
Pädagogen,  wie  Martin  Hanke,  Christian  Gryphius,  Gottfried  Pohl  u.  A. 
abschloss.  Ein  Liebling  seiner  Lehrer  und  ein  hochbeanlagter  Schüler, 
verliess  er  im  noch  nicht  vollendeten  18.  Lebensjahre  den  heimat- 
lichen Boden,  um  sich  dem  Studium  der  Medicin  zunächst  in  Leipzig 
zu  widmen.  Doch  begnügte  er  sich  hier  nicht,  die  Fachcollegien  der 
Professoren  Ettmüller,  Rivinus,  Schamberg  und  Anderer  zu  hören, 
sondern  er  bereicherte  auch  sein  allgemeines  Wissen  auf  dem  Ge- 
biete der  Philosophie,  Physik  und  Mathematik.  Der  Ruf  der  Leipziger 
Universität    wurde    in    dieser  Zeit    bei  Weitem    überholt    durch  die 


*')  Im  heutigen  Kreise  Guhrau  gelegen. 


^58 

wissenschaftliche  Bedeutung  Halles,  wo  ein  Friedrich  Hoffmann  u 
Georg  Ernst  Stahl  die  Koryphäen  deutscher  medicinischer  Wisse 
Schaft  und  Begründer  neuer  Richtungen  in  derselben  waren.  Die 
Alma  Mater  wurde  daher  das  nächste  Ziel  des  strebsamen  Thebesii 
der  auch  durch  den  Einfall  der  Schweden  in  Sachsen  unter  Karl  XII. 
im  Jahre   1706  zum  Verlassen  Leipzigs  mitbewogen  wurde. 

In  Halle  erwarb  er  sich  die  Achtung  der  genannten  Männer  in 
so  hohem  Masse,  seine  Kenntnisse  in  der  Anatomie  waren  schon 
damals  so  bedeutende,  dass  ihn  diese  beiden  Lehrer  aufforderten 
für  die  Studenten  der  Hochschule  Vorlesungen  auf  diesem  Gebiete 
mit  Demonstrationen  zu  halten.  Doch  mit  seinem  Wissen  in  diesem 
Fache  konnte  Thebesius  sein  Studium  noch  nicht  als  vollendet  be- 
trachten; er  suchte  noch  andere  deutsche  Akademien  auf,  bis  er  sich 
endlich,    1707,  in's  Ausland  nach  Holland  wandte. 

In  mächtiger,  voller  Blüthe  stand  hier  zu  Leyden  die  Medicin 
in  allen  ihren  Disciplinen;  die  medicinische  Facultät  dieser  Universität 
hatte  die  führende  Rolle  in  der  Wissenschaft  übernommen,  die  sie 
jMännern  wie  Ruysch,  Bidloo,  Rau,  dem  älteren  Albinus  und  Boer- 
haave  verdankte.  Wie  reiche  Früchte  musste  der  Verkehr  mit  solchen 
Leuchten  der  Wissenschaft  einem  aufstrebenden  Talente  verheissen! 
Thebesius  verstand  es,  sich  auch  unter  diesen  Männern  Anerkennung 
zu  verschaffen  und  ihre  Gunst  zu  erwerben,  so  dass  er  einen  Ge- 
lehrten wie  Ruysch  in  dessen  Lehramte  vertreten  durfte. 

Bei  Gelegenheit  seiner  Promotion  im  Jahre  1708  tritt  die  Achtung, 
die  er  errungen  hatte,  besonders  deutlich  hervor.  Seine  hierbei  ge- 
lieferte Dissertation  handelte  von  dem  Blutlauf  im  Herzen  und  führte 
den  Titel:  „De  circulo  sanguinis  in  corde".  Sie  machte  den 
Namen  des  Verfassers  als  den  eines  tüchtigen  Anatom  und  Physio- 
logen weithin  bekannt  und  erlebte  binnen  kurzer  Zeit,  1 7 1 6  und  nach 
dem  Tode  des  Autors  173g,  zwei  neue  Auflagen,  Die  Facultät 
überreichte  dem  neuen  Doctor  der  Medicin  und  Philosophie  ein  be- 
sonderes Empfehlungsschreiben  für  seine  künftige  Laufbahn  und 
versah  seinen  Namen  im  „Liber  academicus"  mit  einem  Stern,  zum 
Zeichen,  dass  mit  demselben  eine  hervorragende  Leistung  verknüpft 
sei.  Einer  der  Biographen,  J.  Ketzler,  nennt  diese  Dissertation,  welche 
Thebesius  „applaudente  inclyta  Facultate  medica"  schrieb,  „inventi 
novi  celebratissima".  Es  hängt  nämlich  mit  diesem  Werke  unseres 
Landsmannes  die  Entdeckung  zusammen,  welche  seinen  Namen  speciell 
in  der  Anatomie  zu  einem  unvergänglichen  machte:  wir  meinen  die 
Entdeckung  jener  ,, halbmondförmigen  Klappe"  an  der  Vena  coronaria 
(magna  cordis),  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  als  Valvula  Thebesii 
bekannt  ist;  er  fand  auch  bei  seinen  Untersuchungen  die  nach  ihm  be- 
nannten,   poren-ähnlichen   ,,Foramina"    an  verschiedenen  Stellen  des 


'59 

jrhofs".  —  Nach  beendeter  Promotion  gingen  Thebesius'  Absichten 
lin,  noch  anderer  Herren  Länder  kennen  zu  lernen,    mit  den  be- 
utenden Männern  in  denselben  in  Beziehungen  zu  treten  und  dadurch 
n  Umfang  seines  Wissens  noch  zu  erweitern,  bis  er  sich  —  das  war 
,iv;lleicht  sein  innigster  Wunsch  —  an  einer  bedeutenden  Universität 
als  Lehrer  niederlassen  könnte.     Da   machte  ein  trauriges  Ereigniss 
in  seiner  Heimat  alle  Pläne  des  erst  22jährigen  Gelehrten  zu  nichte 
und  erinnerte  ihn,   der   dem   heimischen  Boden  fast  entfremdet  war, 
wieder    an    den   Ort    seiner   Herkunft.     Durch   einen  Brief   aus    der 
Heimat  wurde  er  von  dem  Tode  seines  Vaters,   der  im  Jahre  1708, 
g  Jahre    nach    dem   Tode    der  Mutter,    erfolgt    war,    und    von    den 
drückenden  Verhältnissen  benachrichtigt,  in  denen  die  nunmehr  ver- 
waisten Geschwister  zurückgeblieben  waren. 

Die  Zeit  der  Wanderjahre  musste  damit  zu  Ende  gehen;  es  galt 
sich  eine  eigene  Existenz  zu  gründen. 

Im  Alter  von  23  Jahren  kehrte  Thebesius  schweren  Herzens, 
doch  von  der  Pflicht  getrieben,  in  die  Heimat  zurück  und  Hess  sich 
als  Arzt  in  Hirschberg  nieder,  das  er  nicht  mehr  verliess.  Es  ist 
nur  natürlich,  dass  ein  Mann  von  solch  gründlicher  und  umfassender 
Bildung  in  theoretischer  und  praktischer  Beziehung  schnell  eine  aus- 
gedehnte und  lohnende  Thätigkeit  finden  musste.  Er  erfreute  sich, 
nach  dem  Berichte  seiner  Biographen,  bald  einer  ausserordentlichen 
Beliebtheit  bei  allen  Laien  durch  seine  gediegenen  Kenntnisse,  seine 
vorsichtige  und  milde  Behandlung  der  Kranken  und  sein  ruhiges, 
sicheres  Auftreten;  von  seinen  Collegen  wurde  er  hochgeschätzt. 
Vier  Jahre  nach  seiner  Niederlassung,  1713,  erfolgte  seine  Aufnahme 
in  die  Academia  Naturae  Curiosorum  mit  dem  Beinamen  „Euriphon"  *) ; 
er  stattete  seinen  Dank  für  diese  Ehre  dadurch  ab,  dass  er  in  den 
,,Ephemeriden"  wiederholt  Aufsätze  über  normale  und  pathologische 
Anatomie  erscheinen  Hess. 

Im  Jahre  171 1  hatte  er  mit  Johanna  Regina  Glafey,  der  Tochter 
eines  hochangesehenen  Hirschberger  Grosskaufmanns,  den  ehelichen 
Bund  geschlossen,  der  nach  nur  siebenjährigem  glücklichen  Bestehen 
durch  den  Tod  der  Gattin  gelöst  wurde,  nachdem  sie  dem  Gatten 
eine  Tochter  und  vier  Söhne  geboren  hatte. 

Der  Hirschberger  Senat  zollte  seinem  berühmten  Mitbürger  den 
Tribut  der  Anerkennung  dadurch,  dass  er  ihn  17 14  zum  Physikus 
der  Stadt  und  „benachbarten  Bäder"  ernannte.  Trotz  seiner  an- 
strengenden Thätigkeit  blieb  dem  gelehrten  Manne  noch  die  Zeit, 
die   alten,    liebgewonnenen  Studien  zu    pflegen;    das    bezeugt    seine 


*)   Cf.  A.  E.   Biichner's    Academiae    L.-C.    Nat.     Cur.    Historia    S.  490:    No.  302. 
„D.  Ad.  Christianus  Thebesius,  Physicus  Hirschbergensis  et  Thermarum  vicinarum  etc." . 


literarische  Thätigkeit.  So  verfasste  er  eine  Abhandlung  über  „das 
Herz",  in  der  er  neue  Entdeckungen*)  bekannt  machte;  er  beschäftigte 
sich  speciell  mit  der  Anatomie  des  Holländers  Verheyen  und  gab 
dieselbe  als  „Anatomia  Verheyena  renovata"  heraus.  Er  lieferte 
ferner  eine  ausführliche  Beschreibung  des  Auges,  eine  „Ophthalmo- 
graphia",  und  schrieb  eine  Abhandlung  „de  successione  morborum". 
Daneben  beschäftigten  ihn  besonders  physikalisch  -  astronomische 
Studien,  für  die  er  sich  ein  eigenes  Observatorium  an  einem  günstigen 
Punkte  der  Umgebung  Hirschbergs  angelegt  hatte;  auch  auf  diesem 
Gebiete  trat  er  mit  einer  Arbeit  hervor,  betitelt:  „Nova  Theoria 
aestus  maris".  Sein  Biograph  Lindner  erzählt  uns,  dass  Thebesius 
auch  der  Muse  der  Dichtkunst  nicht  abhold  war  und  in  deutscher 
Sprache  dichtete,  dass  er  sogar  eine  Art  Gedenkblatt  zum  Siege  der 
Kaiserliche.i  unter  Prinz  Eugen  über  die  Türken  bei  Belgrad,  17 17, 
verfasste,  unter  dem  stolzen  Titel:  „Fama  victoriam  exercitus  Caesa- 
reani  a  Turcis  ad  Belgradum  reportatam  buccinans".  Kurz,  wir  er- 
fahren aus  allem  Angeführten,  wie  vielseitig  und  anregend  Thebesius . 
sein  Leben  zu  gestalten  wusste,  und  wie  viel  Erspriessliches  auch 
für  die  Wissenschaft  von  seiner  Thätigkeit  noch  zu  erwarten  war**)- 
Um  so  grösser  musste  der  Schmerz,  um  so  tiefer  das  Bedauern  sein, 
als  diesen  Mann,  der  schon  lange  kränkelte,  eine  Lungenentzündung 
auf  das  Krankenlager  warf  und  ihn  im  Alter  von  noch  nicht 
47  Jahren,  den  10.  November  1732,  den  Seinigen  und  der  Wissen- 
schaft entriss. 

Gar  mancher  der  Verehrer  des  Verstorbenen  gab  in  Prosa 
oder  Dichtung  dem  Verluste,  der  Alle  betroffen  hatte,  Ausdruck, 
keiner  aber  in  so  feierlicher  und,  der  damaligen  Zeit  entsprechend, 
so  pomphafter  Form  wie  der  Schwiegersohn  des  Todten,  der  Pastor 
an  der  Hirschberger  Kirche  Jeremias  Ketzler.  Das  vornehmste 
Denkmal  —  sehen  wir  ab  von  demjenigen,  welches  Thebesius  selbst 
in  seinen  Leistungen  sich  setzte  —  wurde  ihm  jedoch  von  der  Aca- 
demia  Leopoldino-Carolina  gesetzt,  als  deren  Präsident  Elias  Büchner 
einem  Mitgliede,  dem  Hirschberger  Arzt  Casp.  Theophil  Lindner,  den 
Auftrag  ertheilte,  die  Biographie  des  Verstorbenen  zu  schreiben. 

Von  den  Nachkommen  unseres  Landsmanns  verdient  es  einer  der 
Söhne,  Johann  Ehrenfried  Thebesius,  der  der  Wissenschaft  des 
Vaters  treu  blieb,  genannt  zu  werden;  er  wurde  ebenfalls Stadtphysikus 
zu  Hirschberg,  hatte  sich  besonders  unter  Fried  in  Strassburg  mit  Ge- 
burtshilfe beschäftigt  und  verfasste  im  Jahre  1757  ein  zu  seiner  Zeit 


*)  Welcher  Art  dieselben  waren,  wissen  wir  nicht 

**)  Lindner  erzählt,    dass  Th.  noch   manches  Andere    unter  der  Feder    hatte,    dessen 
Beendigung  der  Tod  unmöglich  machte.     S.  7. 


KM 

anerkanntes,  wiederholt  aufgelegtes  Werk  über  „die  Hebammen- 
kunst". Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  gleichnamigen,  aus 
Goldberg  stammenden  Medicus  Thebesius,  einem  Zeitgenossen  des 
Adam  Christian  Thebesius,  den  Jöcher  in  seinem  Gelehrten-Lexikon 
als  „Protophysicus  des  fürstlichen  Stifts  Leubus"  und  ,,kaiserlichen 
Hofarzt"  aufführt. 


Quellen. 


i)  Caspar  Theophil  Lindner:  „Memoria  Viri  Praeclarissimi  etc. 
Domini  Adami  Christian!  Thebesii'*.  Diese  Schrift  erschien 
einige  Jahre  nach  dem  Tode  des  Thebesius,  nicht  vor  1737,  da 
Lindner  erst  in  diesem  Jahre  in  die  Academie  aufgenommen 
wurde. 

2)  Jeremias  Ketzler  verfasste  zum  Andenken  seines  Schwieger- 
vaters ein  literarisches  „Monumentum"  in  der  Form  von  Grab  - 
Inschriften  in  lateinischer  Sprache ;  hinzugefügt  ist  eine  freiere, 
gekürzte  Uebersetzung  in's  Deutsche. 

3)  Biograph.  Lexicon  hervorrag.  Aerzte.     Bd.  V. 


102 


Gabriel  Gustav  Valentin. 


Wie  bei  Adam  Christian  Thebesius,  so  ist  es  auch  bei  dem 
berühmten  Physiologen,  den  ich  mit  Stolz  meinen  besten  Universitäts- 
freund nennen  darf,  auffallend,  in  wie  früher  Zeit  er  sich  schon  die 
ersten  wissenschaftlichen  Lorbeern  verdient  hatte.  Das  will  überdies 
im  XIX.  Jahrhundert  noch  mehr  bedeuten,  als  im  Beginne  des  XVIII, 
in  dem  die  Zahl  der  Forscher  in  den  einzelnen  Disciplinen  nicht 
in  dem  Maasse  zunahm,  wie  in  unserem  Säculum,  und  daher  auch 
die  Möglichkeit,  Hervorragendes,  zu  leisten,  eine  grössere  war.  Aber 
im  Gegensatze  zu  Thebesius  war  es  Valentin  vergönnt,  die  akade- 
mische Laufbahn  zu  betreten  und  in  ihr  fast  50  Jahre  hindurch  zum 
Segen  seiner  "Wissenschaft  zu  wirken. 

Gabriel  Gustav  Valentin  ist  in  einfachen,  kleinbürgerlichen  Ver- 
hältnissen zu  Breslau  aufgewachsen,  wo  der  Vater  das  Handwerk 
eines  Goldschmieds  betrieb,  und  dieser  Sohn  ihm  am  8.  Juli  1810 
geboren  wurde.  Sein  Eifer  und  seine  Begabung  machten  den 
Sprössling  während  der  Schulzeit,  die  er  im  Magdalenäum  absolvirte, 
zu  einem  der  tüchtigsten  Schüler,  so  dass  er  sich  der  ganz  besonderen 
Gunst  des  Directors  Manso  zu  erfreuen  hatte.  In  den  Sprachen 
und  den  nati]|jwissenschaftlichen  Fächern  gleich  befähigt,  verliess  er 
im  Jahre  182S  das  Gymnasium  mit  einem  vorzüglichen  Zeugnisse 
und  ergriff  nun  an  der  heimatlichen  Universität  das  Studium  der 
Medicin  und  Naturwissenschaften.  Keiner  von  allen  akademischen 
Lehrern  übte  hier  einen  so  nachhaltigen  Einfiuss  auf  ihn  aus,  zu 
keinem  trat  er  nach  vollendetem  Studium  in  so  nahe  Beziehungen, 
wie  zu  Joh.  Ev.  Purkinje,  dem  damals  wohl  bedeutendsten  Phy- 
siologen Deutschlands*)  neben  Johannes  Müller.     Als    Valentin    im 


*)  Es  ist  wohl  bekannt,  in  welcher  Weise  Purkinjes  Promotionsschrift  „Beiträge  zur 
Kenntniss  des  Sehens  in  subjectiver  Hinsicht,  auf  Goethe  wirkte ;  er  machte  sich  einen 
Auszug  davon  und  versah  sie  mit  Noten.  Er  forderte  den  Verfasser  auf,  ihn  in  Weimar 
zu    besuchen,    und    bemerkte    dazu    in   den  Annalen    von    1822:    „Herr    Purkinje    gewährt 


i63 

Jahre  1832  zum  Doctor  promovirt  worden  war  und  ein  Jahr  darauf 
sein  Staatsexamen  bestanden  hatte,  Hess  er  sich  zwar  als  praktischer 
Arzt  in  Breslau  nieder  und  fand  als  solcher  auch  Beschäftigung,  aber 
all  sein  Streben  ging  auf  die  Lösung  physiologischer  Fragen  hin.  In 
dem  von  Purkinje  gegründeten  physiologischen  Institute*),  dem  ersten 
Deutschlands  und  vielleicht  der  Welt,  stellte  er,  theils  allein  arbeitend, 
theils  mit  Purkinje  zusammen  thätig,  seine  Untersuchungen  auf  diesem 
Gebiete  an;  aus  diesem  Institute  gingen  die  gehaltvollen  Arbeiten 
hervor,  die  seinen  Namen  so  schnell  und  so  früh  bekannt  machten. 
Die  Resultate  seiner  Studien,  die  die  Entwicklungsgeschichte  der 
lebenden  Wesen  betrafen,  veröffentlichte  er  zunächst  in  den  Jahren 
1833  und  34  in  Zeitschriften,  wie  in  der  von  Ammon**)  und  in 
Heckers  Annalen.  Im  Jahre  1834  machte  er  die  wichtige  Entdeckung 
der  Flimmerbewegungen,  welche  auf  den  Schleimhäuten  höher 
organisirter  Wesen  durch  Wimperhaare  hervorgebracht  werden,  und 
publicirte  diese  Entdeckung  zusammen  mit  Purkinje  in  Joh.  Müllers 
Archiv.  (1834.  I.  Heft  5).  Hieran  schloss  sich  eine  Reihe  weiterer 
Untersuchungen,  die  in  dem  IL  Bande  des  Archivs  und,  nachdem 
Valentin  im  Jahre  1835  MitgUed  der  Academia  Leop.-Carolina  ge- 
worden war,  in  deren  Acta  zur  Besprechung  gelangten '^**)  oder  selbst- 
ständig erschienen ;  f)  er  erfreute  sich  bei  vielen  dieser  Arbeiten 
der  Unterstützung  und  Mitarbeiterschaft  seines  Meisters  Purkinje. 
Inzwischen  hatte  sich  Valentin  bereits  daran  gemacht,  eine  von  dem 
Institut  de  France  zu  Paris  im  Jahre  1833  gestellte  Preisaufgabe 
zu  lösen.  Es  handelte  sich  dabei  um  eine  Vergleichung  der  Ent- 
wicklung der  organischen  Gewebe  bei  Thieren  („developpement  des 
tissus  organiques  chez  les  animaux")  mit  derjenigen  der  Pflanzen 
(,,tissus  des  vegetaux").  Im  Februar  1835  reichte  Valentin  sein 
iioo  Seiten  umfassendes,  mit  42  Quarttafeln  versehenes  Manuscript 
ein,    und  am  Ende  desselben  Jahres   erhielt  er  den  „grand  prix  des 


einen  entschiedenen  Begriff  von  merkwürdiger  Persönliclikeit  und  un^^örter  Anstrengung 
und  Aufopferung".     (Bd.  XXXII  der  Goethe-Ausgabe   1830.) 

*)  Die  dazu  gehörigen,  roch  recht  dürftigen  Räume  dienten  später  zum  Theil  als 
Carcer.  —  In  einem  Briefe  an  Wagner  (Göttinger)  aus  dem  Jahre  1841  sagt  Purkinje: 
,.  .  .  Es  gelang  mir  so  mancher  glückliche  Fund,  namentlich  als  ich  mit  einem  so 
exquisiten  Talente,  als  das  Valentins,  mich  verbündete"  cf.  P.s  Biographie  von  Heiden- 
hain in  Bd.  XXVI  der  Allg.  deutschen  Biographie  S.   721. 

**)  „Zur  Anatomie  des  Fötus-Auges  der  Säugethiere" ;  in  den  Annalen:  „Ueber  das 
Ganglion  intercarolicum",  „Ueber  Form  und  Grösse  der  feinsten  Blutgefässnetze.-' 

***)  z.B.  „Ueber  die  Unabhängigkeit  der  Flimmerbewegungen  von  den  Centraltheilen 
des  Xervensystems"  (Archiv  II)  und  „De  motu  vibratorio  animalium  vertebratorum  obser- 
vationes"  (Acta  Nova  XVII). 

f)  „De  phaenomeno  generali  et  fundamentali  motus  vibratorii  continui  etc."  1835.  — 
„Ueber  den  Verlauf  und  die  letzten  Enden  der  Nerven."     Bonn   1836. 


1&4 

sciences  physiques"  für  seine  Leistung.  Unter  den  Berichterstattern 
über  die  Arbeit'''),  welche  den  Titel  ,,Histiogenia  comparata" 
führt,  befanden  sich  ein Brongniart,  MagendieundBlainville;  Alexander 
von  Humboldt  drückte  dem  Verfasser  in  ehrenden  Worten  seine 
Anerkennung'  aus.  Der  erhaltene  Preis  von  3000  Francs  ermög- 
lichte es  dem  erst  25  Jahre  alten  Gelehrten,  eine  wissenschaftliche 
Reise  zu  machen.  In  demselben  Jahre  noch  lieferte  Valentin  einen 
weiteren  Beweis  seines  Könnens,  indem  er  ein  grosses  „Handbuch 
der  Entwicklungsgeschichte  des  Menschen"  herausgab,  dessen  Ueber- 
setzung  in's  Englische  ein  Edinburgher  Gelehrter,  Barry,  unternahm. 
"Welches  Ansehen  er  durch  seine  wissenschaftlichen  Arbeiten  bereits 
erworben  hatte,  beweist  nichts  deutlicher,  als  die  Thatsache,  dass 
er  nun  fast  gleichzeitig  von  drei  geographisch  vollkommen  getrennten 
Universitäten  des  Auslandes  für  das  Fach  der  Physiologie  begehrt 
wurde,  nämlich  von  Lüttich,  Dorpat  und  Bern.  Wenn  auch  die 
Stellung  an  den  beiden  erstgenannten  Orten  eine  glänzendere 
gewesen  wäre,  so  zog  Valentin  als  Israelit  doch  die  Berufung  an 
die  Berner  Hochschule  vor,  weil  hier  kein  Religionswechsel  von 
ihm  verlangt  wurde.  Es  stellte  sich  bald  heraus,  dass  unser  Staat 
sich  nicht  nur  einen  bedeutenden  Forscher,  sondern  auch  einen  her- 
vorragenden Lehrer  für  seine  Universitäten  hatte  entgehen  lassen. 
Im  Herbst  des  Jahres  1836  begann  Valentin  als  Professor  der 
Physiologie  in  Bern  seine  ruhmreiche  und  bedeutsame  Thätigkeit, 
die  wir  an  dieser  Stelle,  den  Zweck  unseres  Werkes  festhaltend, 
nur  in  grossen  Zügen  charakterisiren  können.  Dem  praktischen 
Berufe  des  Mediziners  hatte  der  junge  Gelehrte  mit  dieser  Anstellung 
entsagt.  Das  Gebiet,  auf  dem  er  nun  45  Jahre  hindurch  forschend, 
lehrend  und  literarisch  wirkte,  war  in  erster  Reihe  die  Physiologie, 
daneben  die  Anatomie,  auf  die  sich  eine  Zeitlang  sogar  seine 
officielle  Thätigkeit  erstreckte,  und  die  Pathologie  nur  in  theoretischer 
Hinsicht,  insofern  als  er  im  Jahre  1864  seinen  „Versuch  einer  phy- 
siologischen Pathologie  der  Nerven"  und  in  demselben  Jahre  noch 
den  „Versuch  einer  physiologischen  Pathologie  des  Blutes  und  der 
übrigen  Körpersäfte"  der  Oeffentlichkeit  übergab.  Für  den  praktischen 
Arzt  direct  schrieb  Valentin  nur  sein  1863  erscheinendes  Werk: 
,,Der  Gebrauch  des  Spektroskops  zu  physiologischen  und  ärztlichen 
Zwecken".  Wie  Valentin  hier  sich  speciell  über  dieses  Hilfsmittel 
ausUess,  so  richtete  sich  im  Allgemeinen  sein  Bestreben  darauf,  zur 
Beobachtung  organischer  Vorgänge  die  Hilfsmittel  zu  vermehren 
oder  deren  Technik  zu  vervollkommenen;  in  dieser  Beziehung  er- 
wähnenswerth  ist  seine  „Untersuchung  der  Pflanzen-  und  Thierge- 


*)  cf.  Kowack:     Schlesiscli.   Schriltstellcr-Lexicon.     Ilefl   l.   S.    140. 


webe  bei  polarisirtem  Licht."  Seine  anatomischen  Forschungen 
gingen  zum  grossen  Theil  mit  den  physiologischen  Hand  in  Hand*), 
wie  seine  ,, Beiträge  zur  Anatomie  und  Physiologie  des  Nerven-  und 
Muskelsystems",  sein  in  lateinischer  Sprache  abgefasstes  Werk  in 
4  Büchern:  ,,De  functionibus  nervorum  cerebralium  et  nervi  sym- 
pathici"  beweisen.  Um  einen  Sammelpunkt  für  die  neuen  Ergebnisse 
eigner  und  fremder  Forschungen  zu  gewinnen,  begründete  er  im 
Jahre  1836  das  „Repertorium  für  Anatomie  und  Physiologie",  das 
bis  zum  Jahre  1843  bestand.  Von  seinen  Entdeckungen  in  der  Phy- 
siologie sei  hier  vor  Allem  diejenige  des  Jahres  1844  genannt,  welche 
die  ,. diastatische  Rolle  des  Bauchspeichels  bei  Verdauung  der  Kohle- 
hydrate"  erwies.'^*) 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollten  wir  hier  die  auf  alle  Theile 
seiner  Specialwissenschaft  sich  erstreckenden  Untersuchungen  auch 
nur  annähernd  skizziren.  Mochten  dieselben  sich  mit  dem  Blutum- 
lauf oder  mit  der  Athmung,  mit  den  Sinnesorganen  oder  mit  der 
Einwirkung  verschiedner  Gifte  auf  den  thierischen  Organismus  be- 
fassen, überall  wirkte  Valentin  zum  mindesten  anregend,  sehr  häufig 
.  Neues  schaffend  und  grundlegend.  Bei  einer  so  rastlos  thätigen 
Natur  konnte  es  daher  kein  Wunder  nehmen,  wenn  er  30  Jahre 
hindurch  auch  eine  ausserordentliche  schriftstellerische  Fruchtbarkeit 
entfaltete.  Als  Lehrer  zeichnete  ihn  derselbe  Pflichteifer,  dieselbe 
Gewissenhaftigkeit  wie  als  Forscher  aus;  sein  Vortrag,  den  er  mit 
Rücksicht  auf  einen  Theil  seiner  Zuhörer  oft  auch  in  französischer 
Sprache  hielt,  wurde  auf  das  AVirksamste  unterstützt  durch  seine 
an  das  Wunderbare  streifende  Gedächtnisskraft  und  die  Gabe,  das 
Schwierigste  fast  mühelos  vor  den  Hörern  zu  entwickeln.  Um  den 
Lehrzweck  zu  fördern,  gab  er  im  Jahre  1844  das  ,, Lehrbuch  der 
Physiologie  des  Menschen"  heraus  und  zwei  Jahre  später  den 
,,Grundriss  der  Physiologie  des  Menschen",  der  1854  in  vierter  Auf- 
lage erschien.  Sein  Ruhm  stieg  von  Jahr  zu  Jahr;  nur  wenige 
Physiologen  gab  es,  die  sich  neben  ihn  stellen  konnten;  sein  Name 
verhalf  der  medicinischen  Facultät  in  Bern  zu  hoher  Blüthe  und  zog 
immer  grössere  Schaaren  von  Studirenden  der  Medicin  an  die  Hoch- 
schule. 

An  Ehrenbezeugungen  der  verschiedensten  Art  konnte  es  bei 
dem  Weltruf  dieses  Gelehrten,  der  wiederholt  glänzende  Anerbietungen 
anderer  Hochschulen  zurückgewiesen  hatte,  nicht  fehlen.  Als  er 
im  Jahre  1876    das  Fest  seiner  40  jährigen  Amtsthätigkeit    begehen 


*)  Als  Specialarbeiten    sind  zu  nennen:    „Beitrag  zur  Anatomie  des  Zitteraals'",  Neuf- 
cMtel   1841  und  „Anatomie  du  genre  Echinus." 

**)  Cf.  Biographisches  Lexicon  hervor.  Aerzte.  Bd.  VI. 


i66 

konnte,  wurde  ihm  von  den  Collegen  an  der  Universität  und  Aerzten 
ein  Festgeschenk  überreicht,  und  die  philosophische  Facultät  ehrte 
sich  selbst,  indem  sie  ihm  die  Anerkennung  für  seine  Verdienste 
um  die  Naturwissenschaften  durch  die  Ertheilung  des  Doctortitels 
ausdrückte.  Bei  keiner  Gelegenheit  aber  zeigte  sich  die  allgemeine 
Verehrung,  die  dieser  seltene  Charakter  in  der  gesammten  wissen- 
schaftlichen Welt  genoss,  in  hellerem  Lichte,  als  bei  der  Feier 
seines  50  jährigen  Doctorjubiläums  im  Jahre  1883.  Damals  war 
Valentin  schon  von  schweren  Leiden  niedergedrückt ;  seit  zwei  Jahren 
hatte  er  bereits,  an  das  Krankenbett  gefesselt,  auf  seine  amtliche 
Thätigkeit  verzichten  müssen.  Doch  von  Nah  und  Fern  beeilte  man 
sich  wetteifernd,  ihm  durch  Festschriften  zu  seinem  Jubiläum,  durch 
kostbar  ausgestattete  Adressen,  unter  denen  sich  solche  fast  aller 
Universitäten  befanden,  und  durch  Decorationen,  wie  die  des  Königs 
von  Italien,  zu  huldigen.  Die  Erinnerung  an  diesen  schönen  Tag 
hat  den  Leidenden  nicht  mehr  lange  erfreut.  Es  gab  keine  Rettung 
gegen  sein  Siechthum,  das  durch  einen  Schlagfiuss  im  Jahre  1881, 
während  er  sich  auf  der  Rückkehr  von  einer  Erholungsreise  befand, 
und  durch  die  dabei  erfolgende  partielle  Lähmung  verursacht  war. 
Die  aufopfernde  Pflege  eines  treuen  Weibes*),  das  seit  40  Jahren 
(1843)  Freud  und  Leid  mit  ihm  getragen  hatte,  und  seiner  Kinder 
vermochten  nichts  gegen  diesen  Feind. 

In  ergreifenden  Worten  haben  zwei  der  Collegen  Valentins, 
Forster  und  Grützner,  die  Leidenszeit  des  Mannes  bei  fast  bis  zuletzt 
anhaltender  geistiger  Frische  und  Schaffenslust  uns  geschildert.  Am 
24.  Mai  1883  wurde  Valentin  von  seinen  Qualen  erlöst.  Forster 
sagt  von  ihm  am  Schlüsse  seiner  Gedächtnissrede:  ,,Er  war  ein 
echter  Ritter  vom  Geist,  ein  edler,  humaner,  milder  Charakter,  der 
es  verstanden  hat,  bei  aller  Wahrung  seiner  Selbständigkeit,  im 
Leben    zahllose  Freunde    und  keinen   einzigen  Feind    zu  erwerben." 


*)  Henriette  Samosch,  eine  Breslauerin  und  Verwandte  Valentins. 


Quellen, 
i)  Nowack:     Schlesisches  Schriftstellerlexicon.     Heft  i,   S.   148  ff. 

2)  Biographisches  Lexicon  hervorr.  Aerzte.  Bd.  VI. 

3)  Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  1883.  SS.   118— 121.    (Gedächtniss- 

reden von  Forster  und  Grützner.) 


i66a 


Oskar  Berger''). 


x\ls  Abschluss  der  einzelnen  Lebensbilder  lassen  wir  auf  die 
Biographie  Valentins  diejenige  des  so  jung  gestorbenen,  hervor- 
ragenden Neuropathologen  folgen.  — 

Wie  L.  Traube,  hat  auch  Oskar  Berger,  der  am  20.  November 
1844  in  Münsterberg  geboren  war  und  auf  dem  Gymnasium  zu  Glatz  zu 
den  vortrefflichsten  Schülern  der  Anstalt  gehörte,  seine  wissenschaft- 
liche medicinische  Vorbildung  zunächst  in  Breslau,  seit  1863,  erhalten; 
von  hier  begab  er  sich  nach  Berlin,  wo  vor  allem  Griesinger,  daneben 
Traube  und  Frerichs  den  bedeutendsten  Einfiuss  auf  den  jungen 
Studenten  ausübten.  Als  er  hier  im  Jahre  1867  promovirt  wurde,  hatte 
er  in  seiner  Dissertation  ein  Thema  aus  dem  Gebiete  der  Nervenkrank- 
heiten, die  von  da  an  sein  grösstes  Interesse  in  Anspruch  nahmen,  — 
die  Epilepsie  —  behandelt.  Der  Titel  lautet:  „Zur  Pathologie  der 
epileptoiden  Zustände"  (nach  25  Beobachtungen  der  königlichen 
Charite  zu  Berlin).  Entscheidend  für  die  Wahl  seines  Special- 
studiums war  nach  Absolvirung  des  Staatsexamens  in  Berlin  sein  Auf- 
enthalt in  Wien  bis  gegen  das  Jahr  i86g,  wo  die  grossartigen  klini- 
schen Einrichtungen,  ebenso  wie  die  meisterhaften  Vorträge  von 
Oppolzer,  Skoda,  Benedict  und  Meynert,  einen  nachhaltigen  Eindruck 
in  ihm  hinterliessen.  Den  grossen  Schatz  der  so  erworbenen  Kenntnisse 
beschloss  er  in  der  Hauptstadt  seiner  heimatlichen  Provinz  zu  ver- 
werthen,  indem  er  sich  in  Breslau  1869  als  erster  Arzt  für  Nerven- 
krankheiten niederliess.  Er  fand  bald  Anerkennung  bei  seinen 
Collegen  und  grosses  Vertrauen  im  Publikum.  In  den  Jahren  1870/71 
fungirte  er  als  leitender  Arzt  der  Abtheilung  für  Elektrotherapie  im 
königlichen  Garnison-Lazareth  zu  Breslau. 

Aber  sein  Streben  ging  auch  dahin,  als  Lehrer  in  seiner  Wissen- 
schaft zu  wirken  und  die  Forschungen  des  berühmten  Charcot, 
„welche  bis  dahin  in  Deutschland  zum  Theil  nicht  gekannt,  zum  Theil 
angezweifelt  waren,"  zu  verbreiten.    Er  habilitirte  sich  daher  1873  als 


*|  Durch  ein  Versehen    ist    es    uns  nicht  mehr    möglich   gewesen,    in  der    Chronolog. 
Uebersicht  S.   4  und  im  Rückblick  S.  171  Berg  er,  den  Uebrigen  entsprechend,    anzubringen. 


i66b 

Docent  der  Nervenheilkunde  an  der  Universität  mit  der  Schrift:  „Die 
Lähmung  des  Nervus  thoracicus  longus",  die  des  Verfassers  wissen- 
schaftliche Bedeutung  über  jeden  Zweifel  erhob.  Es  ist  diese  Arbeit 
übrigens,  so  viel  wir  wissen,  die  einzige  geblieben,  welche  Berger 
selbständig  erscheinen  Hess;  alle  übrigen  hervorragenden  literarischen 
Leistungen  von  ihm  sind  in  den  verschiedensten  medicinischen 
Wochenschriften,  Archiven,  Encyklopädien  u,  s.  w,  publicirt.  Das 
Krankenmaterial,  das  ihm  den  Stoff  für  seine  Vorlesungen  und  Vor- 
träge bot,  war  natürlich  in  der  ersten  Zeit  ein  immerhin  beschränktes 
da  er  ja  lediglich  auf  seine  Privatpraxis  und  seine  Poliklinik  für 
Nervenleiden  angewiesen  war.  Als  er  jedoch  im  Jahre  1877  zum 
dirigirenden  Arzte  des  städtischen  Armenhauses  gewählt  wurde,  war 
es  ihm  ermöglicht,  seine  Forschungen  und  seinen  klinischen  Unterricht 
an  ein  sehr  umfangreiches  Material  anzuknüpfen,  so  dass  die  Resultate 
seiner  Beobachtungen  an  Sicherheit  und  Zuverlässigkeit  gewinnen 
mussten.  "Wenn  seine  Vorlesungen  schon  vorher  eine  grosse  An- 
ziehungskraft auf  Studenten  und  praktische  Aerzte  ausübten,  so  lag 
der  Grund  dafür  in  Bergers  hervorragender  Lehrbefähigung.  Er 
besass  eine  scharfe  Beobachtungsgabe  und  einen  vorurtheilsfreien, 
kritischen  Blick,  der  es  ihm  leicht  machte,  dem  Gedankengange  eines 
fremden  Forschers  zu  folgen  und  dann  von  seinem  eigenen  Stand- 
punkte aus  ein  präcises  Urtheil  über  den  fremden  zu  fällen.  Dazu 
kam  der  Vorzug  einer  klaren,  auf  jeden  Wortprunk  verzichtenden 
und  durch  Demonstrationen  wirksam  unterstützten  Darstellung.  Wer 
ihn  nicht  selbst  gehört  hat,  der  kann  doch  alle  diese  Vorzüge  wieder 
finden  in  seinen  gediegenen  Abhandlungen,  so  in  der  Eulenburgschen 
Realencyklopädie,  in  der  er  die  vortrefflich  unterrichtenden  Artikel 
über  Beschäftigungsneurosen,  (IL  159 — 164),  Epilepsie  (IV,  696—728), 
Paralysis  (X,  315 — 338)  und  andere  schrieb,  in  der  Deutschen 
medicinischen  und  Breslauer  ärztlichen  Zeitschrift,  in  der  Berliner 
klinischen  Wochenschrift  und  dem  Archiv  für  Psychiatrie  und  Nerven- 
krankheiten. —  Die  einzelnen  interessanten  Krankheitsfälle  seiner 
ausgedehnten  Praxis  pflegte  Berger,  der  1878  die  ausserordentliche 
Professur  erhielt,  unter  Anderem  auch  in  der  medicinischen  Section 
der  Schlesischen  Gesellschaft  vorzutragen,  welcher  er  seit  dem  Jahre 
1870  als  Mitglied  und  seit  dem  Jahre  1881,  nach  Spiegelbergs  Tode, 
als  zweiter  Secretär  der  genannten  Abtheilung  angehörte.  Als  die 
sensationellen  Vorstellungen  auf  dem  Gebiete  des  Hypnotismus  in 
Breslau  die  Aufmerksamkeit  der  ärztlichen  Kreise  in  hohem  Maasse 
erregten,  unternahm  es  Berger,  fast  gleichzeitig  mit  Heidenhain,  den 
wissenschaftlichen  Werth,  der  etwa  denselben  beizumessen  war,  in 
einem  in  derselben  Gesellschaft  (1880)  gehaltenen  Vortrage:  ,,Ueber 
die    Erscheinungen    und    das  Wesen    des    thierischen  Magnetismus" 


i66c 

klarzulegen,  nachdem  er  eine  grosse  Reihe  von  Versuchen  zu  diesem 
Zwecke  angestellt  hatte,  und  veranlasste  durch  seine  Auseinander- 
setzungen eine  überaus  lebhafte  Discussion, 

Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  beschränkten  sich  überhaupt 
nicht  auf  die  Neurologie,  sondern  erstreckten  sich  auch  auf  andere 
Gebiete,  wie  die  der  Rückenmarks-  und  Gehirnleiden.  Was  die  Thera- 
peutik  in  seinem  Specialfache  anlangt,  ist  er  einer  der  Ersten  am 
hiesigen  Orte  gewesen,  welcher  die  verschiedenen  Arten  der  Elec- 
tricität  als  Heilmittel  einführte. 

Es  sei  noch  erwähnt,  dass  Berger  längere  Zeit  zu  den  Heraus- 
gebern des  Centralblattes  für  Nervenheilkunde  gehörte  und  sich  bis 
zuletzt  an  Mendels  „Neurologischem  Centralblatt"  mit  Aufsätzen  be- 
theiligte. Eine  seiner  letzten  Schriften,  welche  „Beiträ.ge  zur  Locali- 
sation  der  corticalen  Sehsphäre  beim  Menschen"  lieferte,  erschien 
1885  in  der  Breslauer  ärztlichen  Zeitschrift  und  zeugte  von  seiner 
wissenschaftlichen  Vielseitigkeit.  —  Aber  damals  trug  er,  der  Vierzig- 
jährige, bereits  den  Todeskeim  im  Innern,  da  ein  schon  früher  auf- 
tretendes Nierenleiden  sich  von  Jahr  zu  Jahr  verschlimmerte.  - 

Im  Juni  1885  trat  ein  Schlaganfall  hinzu,  von  dessen  Folgen  er 
sich  jedoch  zu  erholen  schien,  so  dass  er  sich  zur  Nachkur  nach 
Salzbrunn  begeben  konnte.  Hier  traf  ihn  am  19.  Juli  von  Neuem 
ein  Gehirnschlag,  der  binnen  wenigen  Stunden  der  medicinischen 
Welt  einen  grossen  Forscher,  dem  treuen  Weibe  den  verehrten 
Gatten  entriss.  In  der  Gedächtnissrede,  die  Professor  Dr.  Ponfick 
zu  Ehren  Bergers  in  der  Schlesischen  Gesellschaft  hielt,  hat  der  Ge- 
lehrte es  als  das  grösste  Verdienst  des  Verstorbenen  hingestellt, 
dass  „er  hier  (in  Breslau)  als  der  Erste  und  mit  der  vollen  jugend- 
lichen Begeisterung  des  Neuerers  die  Nervenkrankheiten  als  be- 
sonderes Fach  zu  lehren  unternommen  hat.  Fussend  auf  dem  festen 
Boden  der  Physiologie  und  der  pathologischen  Anatomie  trat  er  an 
die  zu  behandelnden  Probleme  mit  all  der  Schärfe  und  zugleich 
Nüchternheit  heran,  wodurch  auf  einem  so  schwierigen  Gebiete 
■allein  klare  Fragen  gestellt  und  bestimmte  Antworten  erzielt  zu 
"werden  vermögen." 

Da  nach  unserem  Wissen  die  Arbeiten  Bergers  nicht  gesammelt 
«rsqhienen  sind,    so  wollen  wir    hier    eine  Anzahl    der    wichtigeren 
soweit  sie  nicht  vorher  schon  genannt  sind,  zusammenstellen: 

In  der  Eulenburg'schen  Realencyklopädie  schrieb  er  ausser  den 
angeführten  noch  die  Artikel  über  „Athetose"  und  „Tetanie" 
(Bd.  XIII). 

Die  deutsche  Zeitschrift  für  praktische  Medicin  enthält  von  seiner 
Feder  die  drei  Arbeiten: 


i66d 

„Zur  Pathologie  und  Therapie   der  Rückenmarks- 
Krankheiten"     (Tabes  dorsaUs  spasmodica).   1877. 
Aus    der    Berliner    klinischen   Wochenschrift    nennen    wir:    ,,Ein 
Fall     von     halbseitiger    Lähmung    im    Verlaufe     des 
Darmtyphus".     1870. 

„Zur  Lehre  von  den  Gelenk-Neuralgien".     1873. 
„Ein  Beitrag    zu    der  Lehre    von    der    Encephalopathia 
saturnina".      1874. 

„Ueber  die  Hammond'sche  Athetosis".      1877. 
Virchows  Archiv  enthält  von  Berger: 

,,Zur  Pathogenese  der  Hemicranie".     1873. 
„Angeborener  Defect  der  Brustmuskeln".      1878. 
In  dem  Deutschen  Archiv  für  klinische  Medicin  schrieb  er:    „Zur 
Aetiologie  und  Pathologie   der  sogenannten  Muskel- 
hypertrophie".    Band  IX. 
Das  Archiv  für  Psychiatrie  weist  von  ihm  auf: 

„Die     Grübelsucht,      ein     psychopathisches     Symptom". 
Band  VI. 

„Grübelsucht  und  Zwangsvorstellungen".  Bd.  VIII. 
Aus  der  Breslauer  ärztlichen  Zeitschrift  erwähnen  wir:  „Ueber 
eine  eigenthümliche  Form  von  Parästhesie".  1879. 
„Par'alysis  glosso-labio-pharyngea  cerebralis".  1884. 
Ein  Aufsatz  „Zur  Pathologie  der  rheumatischen  Facialis- 
lähmung"  findet  sich  in  der  Deutsch,  medicin.  Wochenschrift 
1876,  ein  anderer:  ,,Drei  Fälle  von  partieller  Empfindungs- 
lähmung" in  der  Wiener  medicin.  Wochenschrift. 


Quellen. 
I.)     Breslauer   ärztliche  Zeitschrift,    1885,    Nr.   16:   „Dem  Andenken 

Oskar  Bergers"  von  Dr.  J.  Wolff. 
2.)     Jahresbericht    der    Schles.    Gesellschaft    über     das    Jahr    1885: 

Ponficks    Gedächtnissrede    auf   B.    S.    60,    61    und    Nekrolog 

S.  428,  429. 
3.)      Biographisch.  Lexicon  hervorr.  Aerzte.     Bd.  I.  u.  VI. 
4.)     Breslauer  Zeitung    vom    21.  Juli   1885    und  Schlesische  Zeitung 

von  demselben  Tage. 


I  67 


Rückblick. 


Vjrehen  wir  im  Geist  die  Reihe  der  dreissig,  von  uns  geschilderten 
PersönHchkeiten  durch,   so  bietet  sich  uns  in    diesem   Zeitraum  von 
vier    Jahrhunderten     ein     beinahe    lückenloses    Bild    dar,     welches 
uns    eine  Vorstellung    von    dem    geistigen  Leben    unserer    engeren 
Heimat    auf    dem    Gebiete    der    Medicin    und    theilweise    auch    der 
Naturwissenschaften,  besonders   in  der  Botanik,  giebt,  da  ja  in  dem 
XVI.    Jahrhundert    bis    in    das   XVIII.    hinein    jeder    Arzt    zugleich 
Naturforscher   war.     Die  "Wissenschaft  feierte  auch  bei  uns,  obwohl 
wir  ihr  keine  festgegründete  Stätte  als  ihr  Heim   anbieten  konnten, 
ein  Fest  der  Wiedergeburt,  deren  Keim  in   dem  durch  das  Zeitalter 
der    Reformation    hervorgerufenen,    wissenschaftlichen    Kampf   der 
Meinungen  lag.     Schlesien  hat  bei  dieser  Verjüngung  als  Mitarbeiter 
auf  dem   uns  hier  interessirenden  Gebiet  nicht  nur  Männer  hervor- 
gebracht, Avelche  schon  bekannte  Pfade  im  Reiche  des  Wissens  be- 
traten, sondern  auch  solche,  die  neue,  zu  einem  sicheren  Ziele  führende 
Wege  einschlugen;  wir  nennen  nur   Crato  v.  Krafftheim,  L.  Scholz, 
Casp.  Schwenckfeld,  Sennert,  Sachs  v.  Loewenheimb  und  Kundmann. 
Diese  Männer  hätten  aber  das  Ansehen  unserer  Provinz  durch  ihre 
wissenschaftliche  Bedeutung  allein  nicht  in  dem  hohen  Maasse,  wie 
es  geschehen  ist,  fördern  können,  wenn  sie  nicht  eine  geradezu  auf- 
fallende Anhänglichkeit  an  ihre  Heimat  bewiesen  hätten,   wenn  sie 
und  die  ausser  ihnen  von  uns   geschilderten  Gelehrten    nicht    einen 
mehr  oder  minder    grossen  Theil    ihrer   Thätigkeit    der  Heimat  ge- 
widmet und  durch    einen    ausgebreiteten  Verkehr    mit    fremden  Ge* 
lehrten  eine  anregende  Verbindung  zwischen  ihrer  Heimat  und  den 
anderen    Ländern    hergestellt    hätten.     Welche    Verdienste    sich    in 
dieser    Beziehung    gerade  Sachs    v.  Loewenheimb    als  Mitglied    der 
Academia  Naturae  Curiosorum  erwarb,  ist  in  unserem  diese  Akademie 
betreffenden  Aufsatze  auseinandergesetzt.    Die  eben  skizzirte  Blüthe- 
zeit  der  Medicin  und  Naturwissenschaften  in  unserer  Provinz  dehnte 
sich  von    der  Mitte    des  XVI.  Jahrhunderts  bis  in  den  Anfang  des 


1 68 

XA'III.  aus.  Das  XVIII.  Jahrhundert  selbst  hat  zwar  den  Geist  der 
vorangegangenen  Zeit  ebenfalls  gepflegt,  aber  nicht  so  hervorragende 
Verdienste  um  die  weitere  Verbreitung  des  wissenschaftlichen 
Ruhmes  unserer  Heimat  aufzuweisen.  Das  XVIII.  Säculum,  welches 
auf  dem  Gebiete  der  Medicin  eine  gründliche  Umwälzung  mit  sich 
brachte,  das  Studium  der  Medicin  individualisirte  und  in  dieser 
Hinsicht  die  Beschäftigung  mit  den  Naturwissenschaften  von  der- 
jenigen mit  der  praktischen  Medicin  trennte,  hat  dann,  als  Ange- 
hörige unseres  Schlesiens,  Avieder  Geistesheroen  wie  Traube  und 
Middeldorpf  hervorgebracht,  um  nur  diese  Beiden  als  die  erfolg- 
reichsten neben  den  sonst  von  uns  behandelten  Medicinern  aus 
diesem  Jahrhundert  zu  nennen. 

Wir  wollen  nun,  zur  Vervollständigung  dieser  Skizze  und  um  uns 
gleichsam  das  entworfene  Bild  näher  zu  rücken,  eine  kurze  Ueber- 
sicht  über  die  Verdienste  der  dreissig  Gelehrten  geben,  indem  wir 
die  fünf  am  schärfsten  hervortretenden,  für  die  Entwickelung  der 
Medicin  wichtigsten  Charakterköpfe:  Crato,  Schwenckfeld,  Sennert, 
Traube  und  Middeldorpf  zuerst  in's  Auge  fassen. 

1.  Crato  von  Crafftheim,  geb.   1519,  yiöSs. 

Durch  die  Priorität  der  Erklärung,  dass  die  Pest  zu  den  conta- 
giösen  Krankheiten  gehöre,  sowie  durch  die  in  seiner  „Pestord- 
nung" niedergelegten  Ansichten  über  das  Wesen  und  die  Ver- 
hütungen von  Pesterkrankungen  berühmt. 

2.  Caspar  Schwenckfeld,  geb.   1563,  -j-iöog. 

Durch  seine  grossartigen,  w^ahrhaft  erstaunenswerthen  Leistungen 
auf  naturwissenschaftlichem  Gebiete,  als  Physikus,  als  Botaniker, 
als  Baineolog  und  Mineraloge  gleichbedeutend. 

3.  Daniel  Sennert,  geb.   1572,  -1-1637. 

Durch  viele  sehr  gelehrte  Werke  und  besonders  die  erste  ge- 
naue Beschreibung  des  Scharlachs  hervorragend. 

4.  Ludwig  Traube,  geb.   1818,  -(-1876. 

Durch  wichtige  klinische  Untersuchungen  und  Entdeckungen^ 
namentlich  durch  Einführung  der  sogenannten  physikalischen 
Diagnostik  in  Berlin  von   dauernder  Bedeutung. 

5.  Albrecht  Middeldorpf,  geb.   1824, f  1868. 

Durch  Einführung  der  Galvanokaustik  in  die  chirurgische  Praxis 
rühmlichst  bekannt;  rangirt  durch  geschicktes  Operiren  etc.  neben 
Dieffenbach  und  Langenbeck. 

6.  Johann  Lange,  geb.    1485,  i-isös 

Hervorragend  als  Arzt  und  Schriftsteller,  bekämpfte  er  energisch 


I  6o 

den  medicinischen  Aberglauben  seiner  Zeit  (er  lebte  bis  zu 
seinem  Tode  in  Heidelberg). 

7.  Johann  Moibanus,  geb.   1527,  'i'1565 

war  in  den  Künsten  bewandert,  pflegte  mit  Vorliebe  Poesie 
und  Malerei,  berühmt  als  philologischer  und  ärztlicher  Schrift- 
steller. 

8.  Matthias  Auctus,  geb.   ?,  t^543 

ist  als  erster  Physikus    von  Breslau    bekannt    und    schrieb  eine 
auf  die  Pest  bezügliche  ausgezeichnete  Abhandlung. 
!i.  Joachim  Curaeus,  geb.   1532,  fi573 

wird  nach  dem  Urtheile  der  Fachmänner  als  der  Begründer  der 
schlesischen  Geschichtschreibung  angesehen,  zeichnete  sich  auch 
durch  grosse  medicinische  Gelehrsamkeit  aus.  Man  nannte  ihn 
auch  wegen  seines  Styls  den  Xenophon  Deutschlands. 

IG.  Laurentius  Scholz,  geb.    1552,  f  1599. 

Hervorragender  Botaniker;  für  unsere  schlesische  Heimat  insbe- 
sondere rühmenswerth  als  Begründer  des  ersten  grösseren 
botanischen  Gartens,  der  sich  durch  seltene  Gewächse,  wie  die 
Kartoffel,  und  durch  die  äusserst  grosse  Zahl  seiner  schön  ge- 
ordneten Pflanzen  auszeichnete. 

11.  Johann  Jessenius  von  Jessen,  geb.   1566,  -|-i62i 

galt  als  ausgezeichneter  Anatom,  geistvoller  freidenkender  Mann; 
sein  trauriges  Schicksal  hat  seinen  Namen  insbesondere  bekannt 
gemacht.*) 

12.  Philipp  Sachs  von  Löwenheimb,  geb.   1627,  -I-1672. 
Durch  Gründung  der  Ephemerides  Acädemiae  naturae  curiosorum, 
sowie   durch    seine  Vermittelung    am  Wiener  Hofe   zu  Gunsten 
der  Rechte  der  Academia  Leopoldina  Carolina  sehr  verdient. 

13.  Matthias  Gottfried  Purrman  n,  geb.   1646,  *fi7ii 

ist  der  erste  Oberwundarzt  des  Hospitals  Allerheiligen.  Be- 
deutender Chirurg  in  praktischer  Hinsicht  wie  in  theoretischer 
durch  seine  Schriften. 

14.  Johann  Christian  Kundmann,  geb.   1684,  -I-1751. 

Durch  Begründung  der  Medicinalstatistik  und  durch  bedeutende 

wissenschaftliche  Arbeiten  in  der  Pestfrage,  sowie  durch  das  ge- 

•^    naueste  Wissen  in  der  Münzkunde  und  als  Arzt  rühmhch  bekannt. 

15.  Adam  Christian  Thebesius,  geb.   1686,  ti732. 

war  ein  Gelehrter  von    hervorragendem  allgemeinen  Wissen  in 


*)  Das  am  Rossmarkt  gelegene  Durchgangsgebäude  zum  Riembergshof  ist  das  Wohn- 
haus der  Jessensky  in  Breslau ;  über  dem  Thorweg  befindet  sich  das  Familienwappen.  (Gütige 
Mittheilung  des  Herrn  Bibliothekars  Dr.  Frenzel.) 


lyo 

der    Medicin;    vortrefflicher    Anatom,    Entdecker    der    Valvula 
Thebesii     und     der    Foramina    Th.;    ausgezeichneter    Arzt    und 
Physikus  zu  Hirschberg,  Badearzt  zu  Warmbrunn. 
i6.  Johann  Sigismund  Hahn,  geb.   i6g6,  f  1773. 

Berühmt  durch  die  erste  gründhchewissenschafthche Beschreibung 
der  Kaltwasserkuren.  Als  der  erste  dieser  Kurorte  in  Deutsch- 
land galt  seine  Geburtsstadt  Schweidnitz. 

17.  Balthasar  Tralles,  geb.   1708  *|*i797 

war  ein  sehr  gesuchter  praktischer  Arzt  und  trat  sogar  in  nähere 
Beziehung  zum  König  Friedrich  IL,  dessen  schwer  erkrankten 
Bruder  Ferdinand  er  erfolgreich  behandelt  hatte.  Von  ihm  stammt 
die  Tralles'sche  Spirituswaage. 

18.  Michael  Morgenbesser,  geb.   1714,  *|"i782 

hat  sich  durch  Etablirung  des  ersten  anatomischen  Institutes  zu 
Breslau  verdient  gemacht. 

19.  Anton  Krocker,  geb.   1742,  -j-1823. 

Bedeutendster  Botaniker  Schlesiens  für  seine  Zeit;  zugleich  war 
er  ein  sehr  beliebter,  praktischer  Arzt. 

20.  Elias  Henschel,  geb.   1758,  i*i843 

gelangte  aus  kümmerlichen  Verhältnissen  durch  beharrlichen 
Fleiss  zur  Höhe  des  berühmtesten  Geburtshelfers  seiner  Zeit  in 
Breslau  und  Schlesien;  für  sein  Fach  hat  er  sich  auch  vielfach 
schriftstellerisch  bethätigt. 

21.  Georg  Philipp  Mogalla,  geb.   1766,  -|-i83i. 
Ausgezeichnet  als  Baineologe.     Begründer  der  Molkenanstalt  in 
Reinerz,    und  Verfasser    einer    guten  Schrift   über  das  Bad  Cu- 
dowa. 

22.  Johann  Wendt,  geb.   1777,  "1-1845. 

Hochbegabter  Arzt  und  Schriftsteller,  für  die  Nachwelt  aber 
weniger  wirksam,  weil  mit  ihm  zugleich  die  mittelalterliche 
Medicin  aus  dem  Leben  trat,  an  deren  Stelle  nunmehr  ein  neuer 
naturwissenschaftlicher  Geist  sich  der  Wissenschaft  insgesammt 
bemächtigte. 

2s.  August  Wilhelm  Henschel,  geb.   1790,  ti856. 

Geistreicher  Botaniker;  namentlichberühmtalsder  erste  schlesische 
Medicinalhistoriker  dieses  Jahrhunderts. 

24.  Heinrich  Robert  Goeppert,  geb.    1800,  -|-i884. 

Ein  tüchtiger  Arzt,  aber  weltberühmt  als  Botaniker  und  Paläon- 
tologe; ausgezeichneter  Schriftsteller,  langjähriger  Director  des 
botanischen  Gartens  und  Präses  der  vaterländisch-schlesischen 
Gesellschaft,  die  er  gewissermassen  in  eine  Akademie  für  Popu- 
larisirung  der  gelehrten  Fächer  umwandelte. 


25.  Carl  Wilhelm  Klose,  geb.   1803,  -|- 1865. 

Ganz  bedeutender,  auch  vielseitig  gelehrter  Arzt;  als  solcher 
wurde  er  dirigirender  Oberarzt  am  Barmherzigen-Brüderhospitale, 
wo  er  durch  zwanzig  Jahre  wirkte;  in  der  letzten  Zeit  Landkreis- 
Physicus,  sowie  Privat-Docent  und  Sanitätsrath. 

26.  Gabriel  Gustav  Valentin,  geb.   1810,  f  1883. 

Erst  praktischer  Arzt  in  Breslau;  durch  die  Freundschaft  mit 
Purkinje  für  die  Physiologie  eingenommen,  wurde  er  einer  der 
glänzendsten  Vertreter  dieses  Faches,  ebenso  angesehen  als 
Forscher  wie  als  Lehrer  und  Schriftsteller  in  seiner  Wissenschaft. 


27.  Heinrich  Neumann,  geb.   1814,  -|-i: 

Einer  der  geistreichsten  Psychiatriker,  dessen  Handbuch  der 
Psychiatrie  noch  jetzt,  30  Jahre  nach  dem  Erscheinen,  die  dritte 
Auflage  erlebt  hat. 

28.  Victor  Julius  Nega,  geb.   1816,  11857. 

Praktischer  Arzt  von  bedeutendem  Rufe  durch  gründliche  Kennt- 
nisse in  der  neueren  Medicin  und  deren  Untersuchungsmethoden; 
Primärarzt  des  Allerheiligen-Hospitals  zu  Breslau  und  zugleich 
Professor  extraordin.  für  materia  medica. 

2g.  Rudolf  Leubuscher,  geb.   1821,  f  1861. 

Scharfsinniger  Pathologe  und  Irrenarzt,  als  letzterer  auch 
literarisch  erfolgreich  hervortretend.  Mit  Virchow  Herausgeber 
der  „Medicin.  Reform"  (1848). 

30.  Hugo  Rühle,  geb.   1824,  f  1888. 

Vorzüglicher  klinischer  Lehrer  und  wohlbekannt  durch  seine 
Arbeiten  über  Lungentuberculose. 


Ausübende  Aerzte  Schlesiens,  welche  in 
unserer  Zeit    schriftstellerisch    hervorge- 
treten sind. 


Innerhalb  der  einzelnen  Biographieen  aus  dem  XVI.,  XVII.  und 
XVIII.  Jahrhundert  hat  sich  uns  wiederholt  die  Gelegenheit  geboten, 
auch  anderer  schlesischer  Aerzte,  die  sich  zu  ihrer  Zeit  eines  be- 
trächtlichen Ansehens  erfreuten,  zu  gedenken*).  Es  konnte  natür- 
lich nicht  unsere  Aufgabe  sein,  alle  diese  in  besonderen  Lebensbe- 
schreibungen dem  Leser  vorzuführen.  Wir  wollten  uns  vielmehr 
damit  begnügen,  diejenigen  Aerzte  aus  den  vergangenen  Zeiten 
herauszuheben,  welche  auf  dem  Gebiete  der  Medicin  und  der  mit 
ihr  so  eng  verschwisterten  Naturwissenschaften  entweder  Neues 
schufen  oder  in  irgend  einer  Beziehung  fördernd  und  anregend 
wirkten.  Dadurch  dass  wir  uns  mit  der  Darstellung  auf  solche  her- 
vorragende Gelehrte  beschränkten,  glauben  wir  auch,  uns  einem  bei 
dieser  Arbeit  vorschwebenden  Ziel  genähert  zu  haben.  Dieses  Ziel 
besteht  nämlich  darin,  für  die  drei  vergangenen  Jahrhunderte  einmal 
festzustellen,  welche  Stellung  Schlesien  im  Reiche  der  Wissenschaft 
eingenommen,  in  wie  weit  es  sich  an  der  fortschreitenden  Ent- 
wickelung  derselben  betheiligt  hat.  Und  wir  dürfen  im  Hinblick 
darauf  wohl  sagen,  dass  auch  unsere  Heimat  sich  auf  der  Höhe  der 
Zeit  zu  halten  wusste,  so  weit  es  die  uns  hier  angehenden  Fächer 
betrifft.  —  Wenden  wir  nun  den  Blick  unserem  Jahrhundert  zu,  so 
erscheint  uns  für  dasselbe  eine  derartige  Beschränkung  in  eben  dem 
Maasse  ungerechtfertigt,  wie  sie  sich  für  die  weiter  zurückliegende 
Zeit  rechtfertigen  Hess.  Das  was  in  unserer  Provinz,  wie  in  jeder 
anderen,  jetzt  in  der  Medicin  geleistet  wird,  ist  keineswegs  mit  den 
Leistungen  hervorragender  Universitätslehrer  erschöpft.  Um  für 
unsere  Zeit  zu  einer  richtigen  Würdigung  zu  gelangen,  müssen  noch 
andere,  durchaus  neue  Momente  berücksichtigt  werden. 


*)  Wir    verweisen    auf    die    Biographieen    Langes,    Cratos,    Schwenckfelds,     Sennerts, 
Thebesius'  und  Hahns. 


/o 


Zu  ihnen  gehört  vor  Allem  das  Eingreifen  der  Regierung  in 
die  Gesundheitsverhältnisse  und  in  die  Krankenpflege.  Der  Staat 
erlässt  jetzt  seine  Verordnungen  für  Scharlach-,  Typhus-,  Ruhrepi- 
demieen  u.  s.  w. :  er  sucht  den  Ausbruch  gewisser  Krankheiten  zu 
verhindern,  indem  er  z.  B.  seine  Unterthanen  zwingt ,  sich  der 
Impfung  zu  unterziehen.  Diese  Maassregeln  sind  aber  nicht  durch- 
zuführen ohne  die  Hilfe  praktischer  Aerzte,  und  so  werden  diese 
Beamte  ihres  Staates,  Physici  und  Medicinalräthe.  Jeder  von 
ihnen  nimmt  eine  ebenso  umfangreiche,  wie  verantwortungsvolle  Be- 
schäftigung auf  sich;  hierdurch  ist  dem  Arzte  eine  neue  jMöglichkeit 
gegeben,  Hervorragendes  nicht  nur  durch  die  That,  sondern  auch 
durch  das  Wort  zu  leisten.  Die  Fragen,  deren  Beantwortung  nun 
der  Staat  von  ihm  verlangt,  beschäftigen  weiterhin  auch  städtische 
Behörden  rücksichtlich  der  von  ihnen  für  das  AVohl  der  Bürger  ge- 
troffenen Einrichtungen  und  regen  selbst  Privatärzte  zu  schriftHcher 
Aeusserung  ihrer  Ansichten  an.  —  Ein  zweites  Moment  hegt  in  der 
gründlichen  Vorbildung  der  praktischen  Aerzte  für  ihren  Beruf,  die  es 
ihnen  ermöghcht,  unter  Anderem  selbst  als  Chirurgen  in  ihrer  Privat- 
praxis thätig  zu  sein;  ihre  Erfahrungen  in  dieser  Hinsicht  bieten 
ihnen  oft  die  Anregung  zu  schriftstellerischer  Thätigkeit.  —  AVir 
führen  drittens  an  die  Bedeutung,  welche  die  Bade-Kurorte  in  unserem 
Jahrhundert  erlangt  haben.  Eine  grosse  Zahl  praktischer  Aerzte 
wurde  dadurch  veranlasst,  sich  als  Badeärzte  an  denselben  nieder- 
zulassen, und  es  entwickelte  sich  so  ein  fast  ganz  neuer  Zweig 
medicinischer  Literatur. 

Halten  wir  jetzt,  von  diesen  Gesichtspunkten  ausgehend,  Um- 
schau nach  den  unserem  •  Jahrhundert  angehörigen,  verstorbenen 
Aerzten,  die  in  unserer  Heimat  lange  Zeit  wirkten,  so  erblicken  wir 
gar  Manchen,  der  sich  um  Schlesien  durch  seine  praktische  und 
schriftstellerische  Thätigkeit  —  innerhalb  der  drei  von  uns  aufgestellten 
Kategorien  —  anerkennenswerthe  A^erdienste  erworben  hat;  daneben 
stehen  diejenigen  verdienten  Aerzte,  deren  Wirkungskreis  zwar 
ausserhalb  der  erwähnten  Kateg-orien  fällt,  die  aber  als  medicinische 
Schriftsteller  Bedeutendes  geleistet  haben.  Wir  halten  es  daher  für 
eine  angenehme  Pflicht,  die  Erinnerung  an  diese  Aerzte  wieder 
aufzufrischen  und  ihr  Wesen  und  AVirken,  wenn  auch  in  engerem 
Rahmen,  zu  charakterisiren,  soweit  uns  das  Material  zu  Gebote 
steht*).  — 


*)  Abgesehen  von  den  jMittheilungen,  die  wir  durch  die  den  Geschilderten  nahestehen- 
den Persönlichkeiten  erhielten,  und  von  persönlichen  Erinnerungen,  schöpften  wir  aus  dem 
Biograph.  Lexicon  hervorrag.  Aerzte,  Nowack's  Schriftsteller-Lexicon,  Nadbyls  Chronik  und 
Statistik  der  Univers.  Breslau,  dem  Neuen  Nekrolog  der  Deutschen  und  den  Jahresberichten 
der  Schles.   Ges.   für  vaterl.   Cultur;  sonstige  Quellen  sind  besondeis  angegeben.  — 


•74 


I.  Höhere  Medicinalbeamte. 

Wir  stellen  hier  zwei  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts 
geborene  Männer  voran,  die  in  Folge  ihrer  Verdienste  um  die  Ein- 
führung der  Pockenimpfung  in  Schlesien  zu  Medicinalräthen  ernannt 
wurden,  Friese  und  Dietrich. 

Friedrich  Gotthilf  Friese 
(geb.   1763  zu  Münsterberg,  gest.  1827)  hatte  sich  zuerst  unter  Leitung 
seines  Vaters,  des  Stadtapothekers,  als  Pharmaceut  ausgebildet,  darauf 
in  Breslau  Anatomie  und  andere  medicinische  Studien  getrieben,  bis 
er    sich    nach    der  Universität  Halle   begab.     Hier  musste  er  jedoch 
in    absentia    1788    promovirt    werden,    da    er   durch  den  Tod  seines 
Vaters  zur  Rückkehr  in  die  Heimat  behufs  Uebernahme  der  Apotheke 
gezwungen    war.     Seine    vortreffliche  Kenntniss    fremder   Sprachen, 
besonders    des    Englischen ,    machte    ihn    mit    den    Untersuchungen 
Jenners    über    die  Vaccination    bekannt,    und  gegen  Ende  des  Jahr- 
hunderts suchte  er  bereits  in  Breslau,  wo  er  sich  1789  niedergelassen 
hatte,  dieses  Schutzmittel  einzuführen;  unterstützt  wurde  er  in  diesem 
Beginnen  ganz  besonders  von  E.Henschel*)  und  M.  Kruttge**).    Schrift- 
stellerisch   war    Friese    für    seine   Sache    ausserordentlich  thätig,    er 
übersetzte    englische  Werke    über    die  Impfung    in's  Deutsche    und 
verfasste    selbst    eine    „Kurzgefasste  Beschreibung    der  Kuhpocken 
und    ihrer  Impfung"  (1804),    welche,    in    zwei  Auflagen  erscheinend, 
auf  Kosten  der  Regierung  unter  der  schlesischen  Bevölkerung  ver- 
theilt    wurde.     In    demselben  Jahre  erschien  auch  seine  „Instruction 
für  die  zur  Impfung  der  Kuh-  und  Schutzpocken  in  dem  Breslauer 
Departement  berechtigten  Personen".     Nachdem  ihm  die  Regierung 
den  Charakter  eines  Medicinalrathes,  ebenfalls  1804,  verliehen  hatte, 
wurde    er    18 14   zum  Regierungs-  und  Medicinalrath  zu  Breslau  be- 
fördert und  sah  sich  durch  die  damit  verbundene,  anstrengende  amt- 
Hche  Thätigkeit    bald   genöthigt,    der   ärztlichen  Praxis  zu  entsagen. 
Von    seinen    schriftstellerischen  Arbeiten    erwähnen    wir  noch  seine 
„Antisyphilitische    Pharmacologie"    (1791)    und    seine    Uebersetzung 
des  Werkes  von  Rob.  Willan:   „Die  Hautkrankheiten  und  ihre  Be- 
handlung" (1799—1816).    Um  seine  deutschen  Collegen  mit  den  neuen 
enghschen  Forschungen  bekannt  zu  machen,  begründete  er  die  „An- 
nalen    der  neuesten  britischen  Arznei-  und  Wundarzneikunst''  (1801 


*)   Cf.  S.  95   dieses  Werkes  die  Abhandlung  E.  Henschels. 

**)  Job.  Fr.  Michael  Kruttge  (l 771  —  1843),  Medicinalrath,  ist  der  erste  gewesen, 
der  gegen  die  Wasserscheu  die  Merkurial  -  Inunctionskur  mit  Erfolg  anwandte,  und  lieferte 
eine  gute  Uebersetzung  von  Astley  Coopers  „Anatomie  und  chirurg.  Behandlung  der  Leisten- 
brüche und  der  angeborenen  Brüche"   1809. 


/  0 


bis  1802).  Zusammen  mit  einem  anderen,  trefflich  veranlagten  Arzte 
Zadig*),  einer  abenteuerlichen  Natur,  die  ihr  Talent  weder  praktisch 
noch  schriftstellerisch  in  angemessener  AVeise  zu  verwerthen  verstand, 
gab  er  das  „Archiv  der  praktischen  Heilkunde  für  Schlesien  und 
Südpreussen"  heraus.  In  Niederschlesien  fanden  die  Bemühungen 
Frieses  ausserhalb  Breslaus  ganz  besondere  Förderung  durch  den 
Glogauer  Arzt 

Gottl.  Siegfrid  Dietrich, 
der,  in  Löwenberg  1758  geboren,  in  Leipzig,  Berlin  und  Halle  seine 
wissenschaftliche  Ausbildung  erhalten  hatte.  Er  betheiligte  sich 
eifrig  mit  Arbeiten  am  Friese 'sehen  Archiv  und  lieferte  eine  selbst- 
ständige Schrift:  ,,Das  Wissenswürdigste  der  Kuhpockenimpfung" 
(1801).  Als  die  Regierung  ihm  den  Auftrag  ertheilte,  ein  Impf- 
institut in  Glogau  einzurichten,  wurde  er  Vorsteher  desselben  und 
zum  jMedicinalrath  ernannt.  Ihm  verdankt  die  Stadt  Glogau  auch 
die  Gründung  ihres  geschichtlichen  Vereins;  er  selbst  verfasste  ein 
ausführliches,  auch  die  Krankheiten  behandelndes  historisches  Werk: 
„Glogaus  Schicksale  von  1806 — 14".  Im  Jahre  1832  ehrte  ihn  die 
Regierung  gelegentlich  seines  Jubiläums  durch  die  Verleihung  des 
Charakters  eines  Geheimen  Medicinalrathes ;   1840  starb  er. 

Die  schriftstellerischen  Leistungen  dieser  beiden  Männer  werden 
in  den  Schatten  gestellt  durch  die  Arbeiten  einer  Reihe  anderer  als 
Staatsbeamte  wirkender  Aerzte,  denen  wir  uns  nun  zuwenden.  Der 
bedeutendste  unter  ihnen  ist  wohl  zweifellos 

Karl  Ignatz  Lorinser 
(1796  zu  Niemes  in  Böhmen  geb.,  gest.  1853).  Schon  im  Alter  von 
28  Jahren  wurde  er  Regierungs-  und  Medicinalrath  in  Cöslin,  das 
er  1825  verliess,  um  in  die  gleiche  Stellung  nach  Oppeln  überzu- 
siedeln. Da  er  während  seines  Berliner  Universitätsstudiums  sich 
auch  in  der  Veterinärmedicin  gute  Kenntnisse  erworben  hatte,  so 
ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  seine  Arbeiten  sich  ebenso  auf 
Thierseuchen,  wie  auf  Menschenepidemien  erstreckten.  Im  Jahre 
1824  veröffentlichte  er  bereits  seine  ,, Versuche  und  Beobachtungen 
über  die  AVirkung  des  IMutterkorns  auf  den  menschlichen  und  thieri- 
schen  Körper".  Im  Jahre  1831  erschienen  seine  werthvollen  „Unter- 
suchungen über  die  Rinderpest",  welche  zum  grossen  Theil  auf  Be- 
obachtung dieser  Seuche  in  Oberschlesien  (1827/28)  beruhen.     Zwei 


*)  Im  Jahre  1802  nalim  er,  nachdem  er  sich  hatte  taufen  lassen,  den  Namen  Zanth 
an;  er  starb  1836  zu  P.-Lissa,  wo  er  bis  dahin  prakticirt  hatte.  Er  publicirte  1797  einen 
„Plan,  nach  welchem  die  Einimpfung  der  Pocken  allgemein  eingeführt  werden  könnte". 
(Cf.  Biogr.  Lexicon  VI.) 


176 

Jahre  vorher  (1829)  sandte  ihn  die  Regierung  nach  den  unteren 
Donauländern,  die  damals  von  der  Pest  heimgesucht  wurden.  An 
die  hier  gemachten  Erfahrungen  knüpften  sich  weitere  historisch- 
kritische Studien,  deren  Ergebniss  im  Jahre  1837  die  gründliche  und 
bedeutende  Arbeit  ,,Die  Pest  des  Orients,  wie  sie  entsteht  und  ver- 
hütet wird"  war.  Dieser  beiden  zuletzt  genannten  Schriften  hat 
Göppert  im  Jahre  187g  in  einer  Sitzung  der  medicinischen  Section 
der  Schlesischen  Gesellschaft  rühmend  gedacht,  veranlasst  durch  die 
drohende  Pestgefahr  im  genannten  Jahre.  Doch  haben  diese  AVerke 
Lorinsers  seiner  Zeit  nicht  jenes  grosse  Aufsehen  erregt,  das  seine 
1836  erscheinende  kleine  Mahnschrift  „Zum  Schutz  der  Gesundheit 
der  Schüler"  hervorrief.  Es  entspann  sich  durch  sie  ein  überaus 
lebhafter,  oft  erbitterter  Kampf  der  IMeinungen  zwischen  Aerzten 
und  Schulmännern,  und  sie  machte  König  Friedrich  AVilhelm  III. 
auf  den  Verfasser  aufmerksam.  Im  Jahre  1835  wurde  Lorinser  auch 
die  Direction  der  Hebammen-Lehranstalt  zu  Oppeln  anvertraut.  Im 
Anfang  der  fünfziger  Jahre  zog  er  sich  von  seiner  amtlichen  Thätig- 
keit  zurück  nach  Patschkau,  wo  er  am  2.  October  1853  starb.  Wie 
Lorinser  ist  auch 

Karl  AA^ilh.  Ferdin.  Schlegel 

in  verhältnissmässig  jungen  Jahren  zu  einem  ähnlichen  verantwort- 
lichen Amte  berufen  worden.  Im  Alter  von  22  Jahren  —  er  war 
1793  zu  Egeln  im  Reg.-Bezirk  Magdeburg  geboren  —  wurde  Schlegel 
bereits  Physikus  des  Kreises  Breslau,  bis  er  1821  als  Regierungs- 
jSIedicinalrath  nach  Oppeln  versetzt  wurde.  Als  Lorinser  in  diese 
Stellung  berufen  ward,  erhielt  Schlegel  die  entsprechende  Berufung 
nach  Liegnitz.  Hier  wirkte  er  bis  in  sein  hohes  Alter  hinein  nicht 
nur  in  allgemein  sanitären  Verhältnissen,  sondern  auch  in  seiner 
Privatpraxis  überaus  segensreich,  da  er  sich  ausserordentlicher  Be- 
liebtheit erfreute.  Sein  Hauptaugenmerk  hatte  er  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Cholera  in  diesen  Gegenden,  die  ja  wiederholt  (1831, 
^2,  36.  37,  49,  51  und  52)  unter  dieser  furchtbaren  Geissei  der  Mensch- 
heit zu  leiden  hatten,  gerichtet  und  gab  im  Jahre  1856  eine  „An- 
leitung zur  sanitätspolizeilichen  Behandlung  der  Cholera"  heraus.  In 
Rusts  IVIagazin  (1840)  veröffentlichte  er  seine  „Beobachtungen  über 
Encephalitis  infantium  und  Hydrocephalus  acutus  inf.";  in  der  Medi- 
cinischen Zeitung  des  Vereins  für  Heilkunde  finden  sich  Aufsätze 
von  ihm  „Ueber  das  Verhältniss  der  Heilkunst  zum  Genesungs- 
process"  (1838)  und  ,, Ueber  die  asiatische  Cholera  und  das  Chlor" 
aus  dem  Jahre  1849,  i^i  welchem  er  Geheimer  Medicinalrath  wurde. 
Seine  geistige  Frische  und  körperliche  Rüstigkeit  hielten  bis  zu 
seinem  Tode,  Februar   1885,  an. 


177 

Durch    seine    bedeutende   chirurgische  Thätigkeit  in  Lazarethen 
und  Hospitälern  hat  sich  der  Medicinalrath 

Johann  Wenzel  Hancke 
grossen    Ruf   und    berechtigte  Anerkennung    verschafft.      Im    Jahre 
1770    im  Liegnitzer   Kreise  (Mertschitz)    geboren,    trat    er    1790    als 
Chirurg    in    die    preussische  Armee  ein;    1795 — 99    besuchte  er  zur 
weiteren  Ausbildung    in    der    Medicin    die  Pepiniere    in  Berlin    und 
wirkte    nach    abgelegter    Prüfung    als    Oberchirurg    in   Glogau    und 
Breslau.    An  letzterem  Orte  wurde  er,  nachdem  er  1807  in  Frankfurt 
promovirt  worden  war,  schnell  als  tüchtiger  Operateur  bekannt  und 
hielt  Vorlesungen  über  Chirurgie.     Ganz  Hervorragendes  leistete  er 
in    den  Jahren   181 3    und  18 14    in    dem    grossen  Kriegslazareth    auf 
dem  Bürgerwerder.     Bald    darauf   wurde  er  in  das  Provinzial-Medi- 
cinalcollegium  als  Assessor  berufen,  und  nicht  lange  nachher  wurde 
er    Medicinalrath.      Während    der    Choleraepidemie    im   Jahre    1831 
leitete  er  das  Lazareth  im  Kloster  der  barmherzigen  Brüder,  nachdem 
er  schon  seit  18 10  in  dem  dazu  gehörigen  Hospital  als  ordinirender 
Arzt  fungirt  hatte.     Zu  seinen  besten  literarischen  Schöpfungen  ge- 
hört  sein  Aufsatz  ,,Ueber  die  Kopfverletzungen"  in  Rusts  Magazin 
und  die  Arbeit  aus  dem  Jahre  1829:  ,,Ueber  die  Eröffnung  der  Eiter- 
geschwulst   nach    verschiedenen    Methoden".      Sein    umfangreichstes 
Werk    ist    die    Monographie:     „Ueber    das    Chlorzink    als  Heilmittel 
gegen  die  Syphilis  u.  s.  w."  aus  dem  Jahre  1841;  in  demselben  Jahre 
gab    er    sein  Lehramt    an    der    med.-chirurg.  Schule    auf.      Das  An- 
denken  an   diesen  Mann,   der  im  Juni  1849  starb,   ist  in  Breslau  für 
lange  Zeit  dadurch  gesichert,  dass  seine  edle  und  pietätvolle  Wittwe, 
Tochter    des  Generals    von  Krafft,    aus    dem  Nachlass    ihres  Gatten 
die  Mittel  zu  dem  jetzigen  Wenzel-Hancke'schen  Hospital,  in  einem 
bis  zu   der  Zeit  in  dieser  Beziehung  stiefmütterlich  behandelten  und 
doch    dessen    bedürftigen  Stadttheil  Breslaus,    hergab;    den  Rath  zu 
dieser  Verwendung  des  Geldes  gab  ihr  der  frühere  Breslauer  Bürger- 
meister Bartsch,    der    neben    seinen    sonstigen    grossen  Verdiensten 
auch  dadurch  die  Kommune  zu  dauerndem  Dank  verpflichtet  hat. 

Eine  interessante  schriftstellerische  Thätigkeit,  die  ein  Zeichen 
vielseitiger  Begabung  war,  entfaltete  der  Physikus  des  Trebnitzer 
Kreises 

E.  L.  Heinrich  Lebenheim 

(1787 — 1848),  ein  Breslauer  von  Geburt.  Nachdem  er  in  seiner 
Vaterstadt,  das  Studium  der  Philosophie  aufgebend,  das  Collegium 
medic,  sodann  die  Universitäten  Berlin  und  Erfurt  besucht  hatte, 
Hess    er    sich    nach    seinem    in  Berlin  absolvirten  Examen  zuerst  in 


17« 

Herrnstadt,  später  (1814 — 24)  in  Breslau  als  praktischer  Arzt  nieder  ; 
1824  erhielt  er  das  Physikat  im  Kreise  Trebnitz.  Sein  erstes  grosses 
AVerk  war  der  „Versuch  einer  Physiologie  des  Schlafes"  in  zwei 
Bänden  (Leipzig  1823.  1827).  Seine  amtlichen  Erfahrungen  theilte 
er  im  Jahre  1826  mit  in  Hufelands  Journal,  in  dem  Aufsatz:  „Ueber 
die  Pockenepidemie  zu  Deutschhammer";  in  grösserem  Maassstabe 
verwerthete  er  die  ihm  durch  sein  Amt  nahegelegten  Untersuchungen 
in  seiner  Schrift:  ,, Ueber  Volkskrankheiten  und  deren  Bekämpfung" 
1835;  nach  Dr.  Kuschberts  Angabe  schrieb  er  auch  eine  gute  Ab- 
handlung über  Salzbrunn.  Seine  letzte  Arbeit,  aus  dem  Jahre  1846, 
beschäftigte  sich  mit  der  „Medicinal-Verfassung-Preussens"  (Hamburg). 
Wir  lassen  auf  Lebenheim  einen  durch  verschiedenartige  schrift- 
stellerische Thätigkeit  in  der  Medicin  nennenswerthen  Physikus  des 
Breslauer  Landkreises  folgen,  den  ausserordentlichen  Professor 

Hermann  Friedberg 
(geb.  18 17  in  Rosenberg,  gest.  1884),  einen  Arzt  mit  grossen  Fähig- 
keiten. Er  hatte  einen  vorzüglichen  Studiengang  durchgemacht 
durch  den  Besuch  der  Universitäten  Breslau,  Berlin,  Prag,  Wien  und 
Paris.  Nachdem  er  seine  Vorbildung  abgeschlossen  hatte,  prakticirte 
er  kurze  Zeit  in  Brieg.  Von  hier  aus  begab  er  sich  wieder  nach 
Berlin,  wo  ihm  seine  tüchtigen  Kenntnisse  eine  Assistentenstelle  an 
der  chirurgischen  Universitätsklinik  unter  Langenbeck  verschafften 
im  Jahre  1849.  Als  er  dieselbe  1852  aufgab,  habilitirte  er  sich  an 
der  Berliner  Universität  für  Chirurgie  und  Staatsarzneikunde.  Er 
blieb  nun  in  Berlin,  wo  er  auch  einer  chirurgischen  und  augenärzt- 
lichen Privatklinik  vorstand,  bis  1866,  In  diesem  Jahre  siedelte  er 
nach  Breslau  über  und  wurde  hier  Physikus  des  Landkreises  und  seit  1869 
ausserordentlicher  Professor  an  der  Universität  für  Staatsarzneikunde. 
Von  seinen  zahlreichen  Werken  erwähnen  wir  das  fleissig  ge- 
arbeitete, gediegene  Werk:  „Pathologie  und  Therapie  der  Muskel- 
lähmung"; in  seine  Breslauer  Thätigkeit  fallen  seine  Werke  auf  dem 
Felde  der  gerichtlichen  Medicin,  z.  B.  „Die  Vergiftung  durch  Kohlen- 
dunst" und  die  „Gerichtärztliche Praxis:  vierzig  Gutachten" ;  inVirchows 
Archiv  lieferte  er  wiederholt  Aufsätze. 

Die  Reihe  der  Beamten  unter  den  Aerzten  wollen  wir  mit  den 
beiden  Kreis-Physicis,  Sanitätsrath  Born  und   Rosenthal,   schliessen. 

Marcus  Born 
(geb.  18 19  zu  P.-Lissa)  erhielt  seine  Ausbildung  als  Arzt  auf  der 
Berliner  Universität,  an  der  ihn  besonders  Joh.  Müller,  der  Anatom 
Schlemm  und  Schönlein  anzogen.  Seine  praktische  Thätigkeit  begann 
er  in  der  Provinz  Posen  zu  Kempen,  wo  er  sich  bald' gleicher  Be- 
liebtheit   bei    den  Bürgern    wie    bei    dem  polnischen  Adel   erfreute. 


Kaum  aber  hatte  er  sich  im  Jahre  184g  als  Vertreter  der  Deutschen 
in  den  Landtag  wählen  lassen,  so  zogen  sich  die  polnischen  Edel- 
leute  von  ihm  zurück.  Dies  hatte  zur  Folge,  dass  Born  seine  Praxis 
aufgeben  musste  und  im  Jahre  1852  nach  Görlitz  übersiedelte,  wo 
er  allmählich  der  geachtetste  Arzt  wurde.  Im  Jahre  1860  wurde  er 
zum  Kreisphysikus  ernannt  und  erwarb  sich  als  solcher  grosse  Ver- 
dienste um  die  Stadt  Görlitz,  welche  ihm  viele  ihrer  Einrichtungen 
auf  dem  Gebiete  der  Hygiene  verdankt.  Im  Interesse  dieser  Stadt 
veröffentlichte  er  1871  seine  , .Beiträge  zur  medicinischen  Statistik 
der  Stadt  Görlitz",  die  reich  an  trefflichen  Rathschlägen  für  die 
städtischen  Behörden  sind.  Als  er  im  Jahre  1S74  starb,  hinterliess 
er  bei  seinen  Mitbürgern  die  Erinnerung  an  einen  edlen  Menschen 
und  bewährten  Berather  und  Arzt. 

Der  Name  des  Kreisphysikus  zu  Rosenberg  (in  Schlesien) 

Josef  Ferdinand  Rosenthal 
(geb.  zu  Leutersdorf  bei  Oppeln  181 7,  gest.  1887)  ist  vor  Allem  durch 
zwei  Schriften  in  der  Aerztewelt  allgemeiner  bekannt  geworden. 
Die  eine  der  Arbeiten  ist  seine  unter  Leitung  Purkinjes  angefertigte, 
aus  dem  physiologischen  Institut  zu  Breslau  hervorgehende  Disserta- 
tion :  „De  formatione  granulosa  in  nervis  aliisque  partibus  organismi 
animalis"  (1839);  von  ihr  sagt  Heidenhain  (Allgem.  Deutsche  Biogr. 
XXVI.,  S.  729),  dass  sie  eine  „neue,  noch  heute  maassgebende,  wenn 
auch  in  mancherlei  Punkten  erweiterte  Beschreibung  der  Xer\-en- 
primitivfasern"  enthält;  Purkinje  selbst  entwarf  die  Zeichnungen  auf 
der  zu  der  Arbeit  gehörenden  Tafel,  die  unten  die  Worte  trägt". 
„Purkinje  delineavit".  Ferner  lieferte  Rosenthal  als  praktischer  Arzt 
eine  höchst  gediegene  Abhandlung:  ,,Der  Oberschlesische  Typhus 
des  Jahres  1847"  in  Caspers  Wochenschrift  für  die  gesammte  Heil- 
kunde (1849,  ^o-  37 — 40-  El*  zeigte  sich  hier  als  ein  IMann  von 
weitem  und  scharfem  Blick,  im  Ausdruck  präcis  und  kernig.  Der 
Schluss  enthält  werthvoUe  Bemerkungen  darüber,  auf  welche  AVeise 
allein  die  für  das  Entstehen  einer  Epidemie  geradezu  günstigen 
Verhältnisse  unter  der  ländlichen  Bevölkerung  umgestaltet  werden 
können.  Wir  erwähnen  noch,  um  Rosenthals  Berechtigung  zur 
Abfassung  einer  solchen  Arbeit  zu  beweisen,  dass  er  während  der 
Epidemie  11 00  Typhuskranke  behandelt  hatte  und  dass  Casper  be- 
dauerte, die  Arbeit  bei  ihrem  Werthe  nicht  in  extenso  aufnehmen  zu 
können;  als  praktischer  Arzt  erfreute  er  sich  mit  Recht  eines  aus- 
gezeichneten Rufes. 


l8o 


II.  Chirurgen, 

"Wie  Rosenthal,  hat  auch  der  Arzt,  über  den  wir  hier  zunächst 
Einiges  anführen  wollen,  seine  ganze  Studienzeit  in  Breslau  verlebt, 

B.  G.  Anton  Hanuschke 
(geb.  1812  zu  Maifritzdorf  bei  Reichenstein,  gest.  1879).  Auch  seine 
Dissertation  ist  zum  Theil  unter  Anleitung  Purkinjes  entstanden» 
welcher,  wie  Hanuschke  sagt,  ihm  ,,rei  investigandae  viam  mon- 
stravit";  sie  führt  den  Titel:  ,,De  genitalium  evolutione  in  embryone 
femineo  observata"  (1837).  Unter  seinen  Opponenten  befand  sich 
Julius  Xega;  Hanuschke  selbst  führte  die  instructiven,  guten  Zeich- 
nungen für  seine  Arbeit  aus.  Schon  während  seiner  Studienzeit 
hatte  sich  Hanuschke  mit  Vorliebe  der  Geburtshilfe  und  Chirurgie 
beflissen  und  in  dieser  Beziehung  sich  als  Arzt  in  Ottmachau  einen 
bedeutenden  Ruf  und  Wirkungskreis  verschafft.  Im  Jahre  1864 
Hess  er  in  Leipzig  sein  verdienstrolles,  umfangreiches  Werk:  ..Chirur- 
gisch-operative Erfahrungen  einer  fünfundzwanzigjährigen  wundärzt- 
lichen Beschäftigung"  (mit  10  Tafeln  versehen)  erscheinen.  Ueber 
den  Werth  desselben  führen  wir  das  competente  Urtheil  des  Hospi- 
talarztes Dr.  O.  Janicke  an: 

„Das  grosse  Interesse,  welches  der  Autor  allem  Anschein 
nach  seinen  Kranken  widmete,  dürfte  denselben  nicht  selten  zu 
einer  grösseren  Breite  in  der  Darstellung  verleitet  haben.  Die 
letztere  hindert  jedoch  nicht,  zu  erkennen,  wie  Hanuschke  trotz  der 
misslichen  Verhältnisse,  unter  denen  er  in  einer  kleinen  Landstadt 
thätig  zu  sein  gezwungen  war,  sein  Material  technisch  und  wissen- 
schaftlich gut,  ja  vortrefflich  zu  verarbeiten  und  zu  verwerthen  im 
Stande  war.  Sein  operatives  Handeln  ist  weniger  durch  Originalität, 
als  durch  gewissenhaftes  und  von  einer  gesunden  Kritik  geleitetes 
Anschliessen  an  die  Lehren  berühmter  Meister  seines  Faches  aus- 
gezeichnet. Auch  sein  vorliegendes  Werk  hat,  wie  er  selbst  in 
dem  Motto  allzubescheiden  bemerkt,  nicht  den  Zweck,  zu  belehren 
und  Menschen  zu  bekehren,  sondern  nur  den,  zu  sagen,  was  er 
machte  und  sich  dabei  dachte.  Eine  Anzahl  von  seiner  Hand 
herrührender,  guter  Zeichnungen  ergänzen  den  Text  und  beweisen, 
dass  Hanuschke  auch  auf  diesem  Gebiet  mehr  als  Gewöhnliches 
leistete." 

In  seinem  Hause  in  Ottmachau  richtete  Hanuschke  sich  eine 
eigene  Klinik  ein  und  fungirte  ausserdem  als  dirigirender  Arzt  an 
dem  im  Ort  befindlichen  Fürstbischöfl.  Hospital.  Er  starb,  als 
Sanitätsrath,  im  Jahre   1879. 


Ein  nicht  minder  anerkannter  Chirurg,  literarisch  jedoch  frucht- 
barer als  Hanuschke,  war 

Heinr.  Bruno  Schindler 

(geb.  1797  in  Lauban,  gest.  1859).  Er  war  der  Sohn  des  durch  seine 
kühnen  Operationen  damals  sehr  bekannten  Kreischirurgen  zu 
Lauban,  Heinrich  Traugott  Schindler,  und  erhielt  seine  Ausbildung 
in  der  Medicin  auf  der  medic.-chirurgischen  Akademie  zu  Dresden, 
dann  in  Breslau,  wo  er  kurze  Zeit  Assistent  an  der  chirurgischen 
Universitätsklinik  war  und  auch  promovirte  (18 18).  Nachdem  er 
sich  eine  Zeitlang  in  Berlin  aufgehalten  hatte,  Hess  er  sich  zuletzt 
als  praktischer  Arzt  in  Greiffenberg  (in  Schlesien)  nieder.  Er  wurde 
als  Chirurg  und  Augenarzt  gleichmässig  hochgeschätzt  und  hat 
durch  selbständige,  auf  seine  Erfahrungen  gegründete  ophthal- 
mologische und  chirurgische  Werke  literarischen  Ruf  erlangt.  So 
erschien  von  ihm  1829  eine  Arbeit  über  „Die  idiopathische  chronische 
Schlafsucht".  Seine  Kenntnisse  auf  dem  Gebiete  der  Augenkrank- 
heiten veranlassten  ein  zweites,  grösseres  Werk:  „Die  Entzündungs- 
formen der  menschlichen  Hornhaut"  1838,  während  er  als  Chirurg 
mit  den  ,, Lehren  von  den  unblutigen  Operationen,  Ahaematurgia" 
(in  2  Bänden,  1844)  hervortrat.  Ausserdem  schrieb  er  für  viele 
wissenschaftliche  Blätter,  so  für  Gräfes  Journal,  in  dessen  Spalten 
seine  „Reminiscenzen  aus  der  Praxis  der  Augenkrankheiten"  1832 
erschienen.  In  Anerkennung  seiner  Verdienste  erhielt  er  den  Titel 
Sanitätsrath ;  die  Gesellschaft  der  Aerzte  Schlesiens  und  der  Lausitz 
wählte  ihn  zu  ihrem  Präsidenten. 

Im  Vergleich  zu  den   beiden  bisher  genannten  Chirurgen  war 
es  einem  Dritten,  über  den  wir  noch  zu  sprechen  haben, 

Joh.  Karl  Christian  Kuh, 
(geb.  1804  in  Breslau^  gest.  1872)  vergönnt,  ein  grösseres  Feld  für 
sein  Wirken  zu  finden.  Nachdem  er  in  Breslau  und  Berlin  dem 
Studium  der  Medicin  und  daneben  dem  der  Naturwissenschaften 
obgelegen  hatte,  liess  er  sich  zunächst  als  praktischer  Arzt  in 
Ratibor  nieder.  Wenn  er  diesen  Ort  auch  bald,  von  seiner  Thätig- 
keit  unbefriedigt,  verliess,  so  bewies  er  ihm  doch  seine  dauernde 
Anhänglichkeit  später  dadurch,  dass  er  daselbst  eine  Taubstummen- 
anstalt begründete  und  sich  für  die  Verkehrshebung  in  dieser 
Gegend  um  die  Anlage  einer  Eisenbahn  bemühte.  Seinen  Auf- 
enthalt nahm  er  nun  für  lange  Zeit  in  Breslau,  und  hier  erhielt  er 
1837  die  Professur  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde  an  der  chirur- 
gischen Klinik  der  med.-chirurgischen  Lehranstalt.  Die  inter- 
essanten Fälle  seiner  Praxis  pflegte  er   jetzt  in  der  medicinischen 


l82 

Section  der  Schlesischen  Gesellschaft  vorzutragen;  auch  in  Rusts 
Magazin  veröffentlichte  er  Aufsätze.  Im  Jahre  183g  erschien  sein 
Werk:  „Die  Heilung  der  Blutadererweiterung  durch  Acupunktur". 
Eine  zweite,  lateinisch  geschriebene  Arbeit:  „De  inflammatione 
auris  mediae"  Pars  I.  fällt  in  den  Anfang  seiner  Docentencarriere 
an  der  Universität  (1842).  Im  Jahre  1841  nämlich  habilitirte  er-  sich 
als  Privatdocent  für  Chirurgie  an  der  Universität  .Breslau  und  blieb 
bis  1857  in  diesem  Lehramte.  Danach  widmete  er  sich  der  Be- 
wirthschaftung  seines  Gutes  Woinowitz,  wie  überhaupt  mehr  prakti- 
schen Angelegenheiten,  da  er  u.  a.  auch  Grubenbesitzer  in  Ober- 
schlesien war;  nur  durch  Menschenliebe  veranlasst,  prakticirte  er 
noch  hie  und  da.  —  Aehnlich  dem  eben  genannten,  haben  auch  drei 
andere  Aerzte,  deren  Lebenskizzen  wir  hier  folgen  lassen  wollen, 
eine  mehr  oder  minder  lange  Zeit  als 


III.  Privatdocenten 

an  der  hiesigen  Universität,  neben  ihrer  umfangreichen  praktischen 
Thätigkeit,  gewirkt.     Wir  nennen  hier  zuerst  den  Sanitätsrath 

Samuel  Simon  Guttentag, 
(geb.  1786  in  Breslau,  gest.  1850)  einen  Mann  von  vielseitiger 
Bildung,  einen  geistvollen,  gelehrten  Arzt,  der  sich  bei  allen  seinen 
Patienten,  Hoch  und  Niedrig,  eines  ausserordentlichen  Vertrauens 
erfreute.  Im  Jahre  1815  begann  er  an  der  Universität  Breslau  Vor- 
lesungen über  Kinderkrankheiten  und  Krankheiten  der  Gehörorgane 
zu  halten,  gab  sie  aber  nach  acht  Jahren  1823  auf.  Seine  Habili- 
tationsschrift „De  iridis  motu"  (18 15)  zeugte,  abgesehen  von  ihrem 
wissenschaftlichen  Wert,  von  seinem  vorzüglichen,  lateinischen  Stil, 
dem  der  Schwiegersohn  Guttentags,  der  berühmte  Philologe  Ritschi, 
oftmals  später  seine  Bewunderung  zollte.  Von  seinen  sonstigen 
Schriften  erregte  die  Abhandlung  über  „Die  Pest  in  Marseille"  be- 
rechtigtes Aufsehen.  Dieselbe  Gewandtheit  des  Ausdrucks  und 
Wärme  der  Darstellung,  wie  in  dieser  Arbeit,  finden  wir  auch  in 
seinem  durch  mehrere  Nummern  gehenden  Aufsatze:  ,,Ueber  die 
geographische  Verbreitung  der  Cholera"  in  der  Schlesischen  Cholera- 
Zeitung  von  1831.  Er  entfaltete  in  dieser  schweren  Zeit,  neben 
Wendt,  Ebers,  Krocker,  Henschel  jr.,  Göppert  u.  A.  einen  rührigen 
Eifer  als  Mitglied  des  ärztlichen  Cholera-Comites  für  Schlesien  und 
veröffentlichte  in  diesem  Jahre  seine  „Diätetischen  Regeln  beim  Aus- 
bruche der  Cholera".  Nach  dem  Tode  E.  Henschels,  vom  Jahre 
1839   bis  zu  seinem   Tode   1850,,  war  er  alleiniger  dirigirender  Arzt 


i8^ 

des  Fränkel'schen  Hospitals.  Innig  befreundet  war  er  mit  dem  Consi- 
storialrath  Prof.  Dr.  Middeldorpf  und  dem  Kreisphysikus  Lebenheim, 
den  er  oft  besuchte.  Bei  seiner  grossen  Erfahrung*)  wurden 
sein  Rath  und  seine  Ansicht  von  den  Collegen  gern  gehört,  wenn 
er  auch  bei  manchem  derselben  durch  seinen  Sarkasmus  Anstoss 
erregte.  —  Im  Gegensatz  zu  ihm,  war  der  Hofrath 

Johann  August   Burchard 

(geb.  1800  zu  Kopanice  in  Posen,  gest.  1866)  bei  allen  seinen  Fach- 
genossen ebenso  gern  gesehen,  wie  bei  den  seiner  Behandlung  unter- 
worfenen Patienten.  Als  im  Jahre  1828  die  Poliklinik  für  Gebärende, 
für  Frauen-  und  Kinderkrankheiten  in  Breslau  eingerichtet  wurde, 
erhielt  Dr.  Burchard  mit  einem  kleinen  Gehalt  die  Stelle  des  Secundär- 
arztes  an  derselben.  Nach  den  Worten  des  Professor  Betschier,  des 
Directors  dieser  Poliklinik  und  des  geburtshilflichen  klinischen  In- 
stituts an  der  Universität**)  verdankt  die  Anstalt  ihre  Blüthe  ,,ganz 
besonders  der  unermüdlichen,  aufopfernden  Thätigkeit  und  der 
praktischen  Gewandtheit  Burchards",  der  sich  die  Zuneigung  des 
Publikums  im  höchsten  Maasse  zu  erwerben  verstand;  seine  Geschick- 
lichkeit bei  Entbindungen,  sowie  bei  allen  geburtshilflichen  Opera- 
tionen ist  in  der  That  Staunen  erregend  gewesen.  Er  blieb  an 
diesem  Institute  ^3  Jahre,  zuletzt  als  erster  Assistenzarzt,  thätig  und 
habilitirte  sich  inzwischen  1835  für  das  Fach  der  Geburtshilfe.  Als 
der  ältere  Henschel  im  Jahre  1837  sein  fünfzigjähriges  Doctor- 
jubiläum  feierte,  publicirte  Burchard  seine  gediegene  Gratulations- 
schrift: ,,De  tumore  cranii  recensnatorum  sanguineo  symbolae". 
Im  Jahre  1841  kam  er  an  das  schlesische  Provinzial-Hebammen- 
Institut  als  erster  Lehrer  und  übernahm  damit  dessen  Leitung. 
Ausser  der  schon  genannten  Arbeit  ist  von  Burchard  auch  eine  Ueber- 
setzung  von  Astley  Coopers  „Theoretisch-praktischen  Vorlesungen 
über  Chirurgie"  (1844/45)  vorhanden,  und  unter  seinen  Aufsätzen  er- 
wähnen wir  den  in  den  Abhandlungen  der  Akademie  der  Natur- 
forscher befindlichen  aus  dem  Jahre  1854:  ,, Beobachtungen  und  Er^ 
fahrungen  aus  dem  Gebiete  der  Gynäkologie  und  Pädiatrik". 

Durch  seine  Forschungen  in  der  medicinischen  Wissenschaft  und 
die  sich  daran  knüpfenden  literarischen  Schöpfungen  machte  sich 
einen  weithin  bekannten  Namen  der  in  der  Blüthe  der  Jahre  dahin- 
geraffte 


*)  In  einem  Aufsatze  über    die  „Choleraepidemie"    in  Günsburgs  Zeitschrift  II  185^ 
spricht  Ebers  von  der  oft  zutreffenden  Wahrheit  einer  Ansicht  des  ,, jüngst  hier  verstorbenen 
sehr  erfahrenen"  Arztes  Dr.  Guttentag:    ,,Die  Cholera  sei  eine  Krankheit,  die  mit  dem  Sterben 
beginne  und  mit  dem  Tode  endige." 
**)  Cf.  Nadbyl,  Seite  85. 


Friedrich  Günsburg, 
ein  vielversprechendes  Talent,  eine  rastlos  strebende  Natur.  Geboren 
in  Breslau  im  Jahre  1820,  widmete  er  sich  an  der  hiesigen  Universität 
dem  Studium  der  Medicin.  Nachdem  er  daselbst  sein  Examen  ab- 
gelegt und  die  Doctorwürde  erlangt  hatte,  begab  er  sich,  um  die 
neuen  Richtungen  in  der  Medicin  kennen  zu  lernen,  1V2  Jahre  lang 
in's  Ausland,  nach  Wien,  Paris  und  London. 

Als  er  dann  nach  seiner  Rückkehr  in  die  Vaterstadt,  1843,  Assistenz- 
arzt am  Allerheiligen  -  Hospitale  wurde,  erwarb  er  sich  zweifellos 
das  Verdienst  um  diese  Anstalt,  die  neuen  wissenschaftUchen  Metho- 
den der  Medicin  (physikalische  Diagnostik,  Mikroskopie  u.  a.)  für  die 
Kenntniss  und  Behandlung  der  Krankheiten  nutzbringend  und  all- 
gemeiner bekannt  gemacht  zu  haben.  Dennoch  gelang  es  ihm  in- 
folge widriger  Umstände  nicht,  in  seiner  Carriere  als  Hospitalarzt 
vorwärts  zu  kommen,  und  ebenso  wenig  erreichte  er  die  Zulassung  als 
Privatdocent  an  der  Universität.  Mit  grösseren**,  schriftstellerischen 
Arbeiten  war  er  damals  auf  dem  Gebiete  der  Histologie  und  Patho- 
logie hervorgetreten.  Es  seien  hier  erwähnt  seine  ,,Pathologische 
Gewebelehre"  (2  Bde.  1855,  58)  und  sein  „Grundriss  der  pathol. 
Entwicklungsgeschichte"  (1848).  Gleichzeitig  erschienen  auch  seine 
„Mittheilungen  über  die  gegenwärtige  Epidemie  der  asiatischen 
Cholera.'*  Im  Jahre  1850  schied  Günsburg  aus  dem  Hospital  aus 
und  beschränkte  sich  auf  seine  Privatpraxis,  in  der  er  schnell 
ein  gesuchter  und  beliebter  Arzt  wurde.  Es  begann  nun  eine 
überaus  fruchtbare,  wissenschaftliche  Arbeitszeit,  deren  erste 
That  die  Gründung  der  gut  redigirten  und  geachteten  ,, Zeit- 
schrift für  klinische  Medicin"  (1851 — 59)  war.  Er  eröffnete  seine 
Zeitschrift  mit  einem  orientirenden  Aufsatze  „Ueber  die  klinische 
Richtung  in  der  Medicin",  schrieb  eine  grosse  Zahl  von  Abhand- 
lungen, Kritiken  und  Referate  für  dieselbe  und  konnte  die  besten 
heimischen  Kräfte  unter  den  Medicinern  der  neuen  Schule  —  Middel- 
dorpf,  Nega,  Rühle,  Klose,  Ebers,  Kirschner  u.s.  w. —  seine  Mitarbeiter 
nennen.  In  verschiedenen  anderen  wissenschaftlichen  Blättern  schrieb 
er  z.  B.  über  Lungentuberkulose  (Caspers  Wochenschrift),  über  den 
Scharlach  (Deutsche  Klinik)  und  über  die  „Epithelialgewebe  des 
menschlichen  Körpers"  (Verhandlungen  der  Akademie  der  Natur- 
forscher XVI   1854)*). 

Die  umfangreichste,  selbständig  erscheinende  Arbeit  von  ihm  war 
in  dieser  Zeit  die  „Klinik  der  Kreislaufs-  und  Athmungsorgane"  1856 
(als  ein  Theil  des  geplanten  Handbuchs  der  Pathologie  und  Therapie). 


*)  Ein  Jahr  vorher,   1853,  ^'^^^  ^'^j  '^^i^  auch  Burchard,  in  die  Akademie  aufgenommen 
■worden. 


Im  Jahre  1859  endlich  ging  sein  sehnUchster  Wunsch,  Privatdocent 
zu  werden,  in  Erfüllung;  doch  noch  nicht  ein  Semester  lang  war  es 
ihm  vom  Schicksal  vergönnt,  als  Lehrer  zu  wirken.  Denn  im  Juli 
desselben  Jahres  —  er  hatte  inzwischen  das  Ehrenamt  eines  Stadt- 
verordneten durch  seine  Mitbürger  erhalten  —  ereilte  ihn  der  Tod- 
Noch  könnten  wir  in  der  Reihe  der  Privatdocenten  eines  prak- 
tischen Arztes  gedenken,  der  elf  Jahre  hindurch  an  unserer  Alma 
Mater  docirte;  aber  seine  Schriften  rechtfertigen  es  mehr,  wenn 
wir  ihn  unter  die  nun  zu  besprechenden 

IV.  Badeärzte 

stellen;  wir  meinen 

Karl  Friedrich  Hemprich 
(geb.  1798  in  Glatz,  gest.  1844).  Er  war  von  seinem  Vater,  dem 
Kreischirurgus  in  Glatz,  für  die  Chirurgie  bestimmt  worden  und  trat 
auch,  ohne  seine  Gymnasialbildung  vollendet  zu  haben,  im  Jahre 
18 13  als  Compagnie  -  Chirurgus  bei  der  Artillerie  ein.  Doch  nahm 
er  ein  Jahr  später  die  Weiterbildung  in  dem  Gymnasium  der  Vater- 
stadt wieder  auf  und  studirte,  mit  dem  Reifezeugniss  versehen,  seit 
181 7  in  Breslau  Medicin.  Nachdem  er  hier  promovirt  war,  begab 
er  sich  nach  Berlin,  wo  er  die  Staatsprüfung  bestand.  Nun  Hess 
er  sich  in  Breslau  als  praktischer  Arzt  nieder  und  habilitirte  sich 
ausserdem  im  Jahre  1826  an  der  Universität  für  Physiologie  und 
allgemeine  Pathologie.  Seit  dem  Jahre  1830  hielt  er  seine  Vor- 
lesungen nur  im  Wintersemester,  da  er  von  da  an  während  des 
Sommersemesters  sich  stets  in  Cudowa  als  Brunnenarzt  aufhielt;  im 
Jahre   1837  gab  er  seine  Privatdocentur  ganz  auf. 

Als  Badearzt  von  Cudowa  hat  er  sich  in  Wort  und  Schrift,  so- 
wie durch  die  That  um  die  Hebung  des  damals  den  Grafen  von 
Götz  gehörigen  Kurortes  grosse  Verdienste  erworben.  In  Caspers 
Wochenschrift,  in  Hufelands  Journal  und  in  dem  Jahrbuch  für  Deutsch- 
lands Heilquellen  trat  er  für  dieses  Bad  ein  und  veröffentlichte  1839 
eine  grössere,  von  seinem  gründlichen  medicinischen  Wissen  zeugende 
Monographie  unter  dem  Titel:  „Die  Eisenquellen  zu  Cudowa  in  der 
Grafschaft  Glatz,  in  physikalischer  und  medicinischer  Hinsicht  dar- 
gestellt." —  Wie  Cudowa  in  jeder  Beziehung  diesem  Manne  zu 
Dank  verpflichtet  ist,  so  verdankt  das  gräflich  Hochberg'sche  Salz- 
brunn seine  günstige  Entwickelung  dem  Hofrath 

August  Zemplin 
(1784  geb.  in  Jauer,  gest.   1867).     Er    hatte  zuerst  die  Theologie  zu 
seinem  Studium  gemacht  und   bereits  Hauslehrerstellen  in  Waiden- 


i86 

bürg  bekleidet,  als  er  sich  1809  entschloss,  zum  Studium  der  Medicin 
überzugehen,  welcher  er  nun  in  Leipzig  und  Breslau  oblag.  Nach- 
dem er  noch  eine  tüchtige  praktische  Vorbildung  durch  seine  Thätig- 
keit  in  schlesischen  Lazarethen,  sowie  durch  Curse  in  Berlin  ge- 
nossen hatte,  Hess  er  sich  18 15  in  Waidenburg  als  Arzt  nieder,  aber 
nur  um  alle  seine  Sorge  auf  das  Gedeihen  des  nahen  Ober-Salzbrunn 
zu  richten*).  Und  dieser  Curort  erlebte  in  der  That  von  der  Zeit  an 
auf  lange  hinaus  eine  sich  stets  steigernde  Frequenz;  über  diese, 
sowie  über  die  Wirkung  der  von  ihm  begründeten  Molkenanstalt 
und  des  Brunnens  stattete  Zemplin  fast  Jahr  für  Jahr  (1832 — 47) 
Bericht  ab  in  der  medicinischen  Section  der  Schlesischen  Gesell- 
schaft f.  vat.  Cultur.  Neben  kleineren  balneologischen  Schriften, 
die  von  den  schlesischen  und  rheinischen  Mineralquellen  handelten, 
lieferte  er  eine  umfangreiche  Arbeit  über„Salzbrunn  und  seine  Mineral- 
quellen" 1822,  der  er  einen  Excurs  „Fürstenstein  in  der  Gegenwart 
und  Vergangenheit"  beifügte,  ferner  eine  theils  für  die  Brunnen- 
gäste, theils  für  Aerzte  bestimmte  Schrift:  „Die  Brunnen-  und 
Molkenanstalt  zu  S."  (183 1,  37).  Eine  gewisse  Liebhaberei  von  ihm 
war  es,  kleine,  schlesische  Orte  betreffende  Abhandlungen  historischen 
Inhalts  zu  verfassen,  so  über  die  Burg  Kynsberg  (1828),  über  einen 
Lehnbrief  des  Janko  von  Kotiemicz  über  die  Zeiskenburg  (cfr. 
Jahresbericht  der  Schles.  Ges.  1820)  und  andere.  Nachdem  er  schon 
182 1  vom  preussischen  Könige  zum  Hofrath  ernannt  worden  war, 
erhielt  er  1836  als  Anerkennung  den  Charakter  eines  Geheimen 
Hofraths.  — 

Unter    den  Aerzten,    die    später  in  Salzbrunn  prakticirten ,    ge- 
hörte der  frühere  Bataillonsarzt 

C.  W.  Julius  Kirschner 

(geb.  1802  in  Friedland,  Kr.  Waidenburg,  gest.  1860)  zu  den 
tüchtigsten  und  erfahrensten.  Bevor  er  in  Salzbrunn  im  J.  1836 
seine  ärztliche  Thätigkeit  entfaltete,  war  er  Bataillonsarzt  und  von 
182g — 31  Assistent  an  der  chirurgisch.-augenärztlichen  Klinik  unter 
Professor  Benedikt  gewesen.  Gestützt  auf  seine  Erfahrungen  als 
Badearzt  im  Verlauf  von  13  Jahren,  veröffentlichte  er  1850  einen 
Aufsatz:  „Einiges  über  Ober-Salzbrunn"  in  Günsburgs  Zeitschrift  I. 
Er  war  der  erste  unter  den  dortigen  Aerzten,  welcher  den  Mühl- 
brunnen, chemisch  umgewandelt,  zu  einer  Art  Carlsbader  Cur  ver- 
wandte. Kirschner  muss  auch,  abgesehen  von  seinem  trefflichen 
medicinischen  Wissen,  tüchtige  Kenntnisse   in  der  Veterinär-Medicin 


*)  Cf.  in  der  Vita  Schwenckfelds  von  Ferdin.  Cohn,  S.  40,  was  dieser  über  Schwenckfelds 
Bedeutung  für  Salzbrunn  berichtet. 


\>ij 

besessen  haben,  wenn  er  in  der  genannten  Zeitschrift  (IV,  1853) 
ein  so  erschöpfendes  Referat  überCreutzers  ,,Grundriss  der  gesammten 
Veter.-Mei."  liefern  konnte.  Als  Kritiker  und  Referent  begegnet  er 
uns  in  den  Spalten  dieser  Zeitschrift  noch  einmal  1856  (S.  313)  bei 
Besprechung  des  von  einem  Aachener  Arzte  Lersch  verfassten 
Werkes:  ,, Einleitung  in  die  Mineralquellenlehre.  Ein  Handbuch 
für  Chemiker  und  Aerzte.'-  Noch  im  kräftigsten  Mannesalter  stehend, 
starb  er  1860  in  Breslau.  —  lieber  denselben  Badeort,  an  dem 
Zemplin  und  Kirschner  wirkten,  besitzen  wir  eine  gut  geschriebene 
Abhandlung  von  einem  Arzte,  der  von  Beruf  nicht  Badearzt  war, 
sondern  zu  einer  neuen  nunmehr  zu  betrachtenden  Kategorie  von 
Aerzten,  die  wir  bezeichnen  wollen  als 


V.  Praktische  Privatärzte. 

Der  Verfasser   der    eben    erwähnten  Arbeit   ist    der    in  Oppeln 
seiner  Zeit  prakticirende  Sanitätsrath 

Heinrich  Freund 

(geb.  1801  in  Brieg,  gest.  1865).  Seine  Schrift  ist  betitelt:  „Salzbrunn 
in  Schlesien  gegen  die  wichtigsten  Krankheiten  der  Athmungsorgane. 
Ein  balneologischer  Beitrag''  1851  und  erfuhr  von  Günsburg  im 
II.  Jahrgange  der  Zeitschrift  (S.  314)  eine  anerkennende  Kritik,  in 
deren  Schluss  er  das  Werkchen  „immerhin  als  einen  der  besseren 
Versuche"  empfiehlt,  „die  Wirkungen  der  Gesundbrunnen  pathologisch 
aufzufassen."  Freund  hat  eine  trübe  Jugendzeit  in  Brieg  und  Breslau 
verlebt,  wohin  die  gesammte  Familie,  infolge  schwerer  Erkrankung 
des  Vaters,  eines  Handwerkmeisters,  brotlos,  übersiedelte;  die  Energie 
der  iSIutter  verschaffte  den  Ihrigen  den  nothwendigsten  Lebensunter- 
halt. Nicht  minder  entb ehr ungs voll  gestaltete  sich  die  Studienzeit 
Freunds  in  Berlin.  Dem  ärztlichen  Berufe  lag  er  kurze  Zeit  in  Breslau, 
dann  in  Krappitz  mit  Eifer  und  Gewissenhaftigkeit  ob.  Erst  mit  der 
Verlegung  seiner  Thätigkeit  nach  Oppeln  war  es  ihm  möglich,  seinem 
Geiste  auch  wissenschaftliche  Anregung  zu  verschaffen  und  besonders 
seiner  Neigung  für  Musik  nachzugehen.  Zur  Zeit  der  Cholera- 
Epidemie  1831  betheiligte  er  sich  an  der  zu  Breslau  begründeten 
Cholerazeitung  mit  einem  Aufsatz:  „Ueber  die  Entstehung  und  den 
Verlauf  der  Cholera  epidemica  in  Krappitz."  —  In  Rusts  Magazin 
schrieb  er  über  Eclampsia  parturientium,  und  in  die  Berliner  klinische 
Wochenschrift  lieferte  er  eine  Arbeit  über  die  Behandlung  der 
Lungenschwindsucht  durch  Inhalation.  Seinem  eigenen  Leben  setzte 
ein  schweres  Lungenleiden    in    Breslau    ein    Ziel,    als    er    nach    der 


Consultation  eines  Dresdener  Collegen  sich  eben  auf  der  Rückkehr 
nach  seinem  Berufsorte  befand.  — 

Wir  schHessen  an  Freund  drei  andere  schlesische  Aerzte  an, 
die  ihre  wissenschaftliche  Vorbildung,  wie  die  schon  vorher  ge- 
schilderten Mediciner  Valentin,  J.  F.  Rosenthal  und  Hanuschke,  zum 
Theil  ein  und  derselben  Quelle  verdankten,  der  Thätigkeit  nämlich 
im  physiologischen  Institut  zu  Breslau  unter  Führung  Purkinjes.  In 
seinem  Brief  an  R.  Wagner  (Göttingen)  aus  dem  Jahre  1841  sagt  der 
grosse  Physiologe,  nachdem  er  seiner  Freude  über  die  Anschaffung  des 
Plössl'schen  Mikroskops  für  sein  Institut  Ausdruck  gegeben  und  von 
der  Theilnahme  jüngerer  Kräfte  an  den  Untersuchungen  gesprochen 
hat,  Folgendes :  „Auch  wollte  ich  die  gegebene  Gelegenheit  benutzen, 
öffentlich  und  durch  lebendiges  Beispiel  zu  zeigen,  in  welcher  Art 
ein  physiologisches  Institut  durch  Gewinnung  neuer  Bearbeiter  der 
Wissenschaft  wirksam  und  gemeinnützig  werden  kann."*)  Zu  diesen 
,, neuen  Bearbeitern"  gehören  neben  den  schon  genannten  Männern 
noch  M.  Pappenheim,  J.  Raschkow  und  A.  Rosenthal.  — 

Glänzend  waren  die  Anfänge  und  tragisch  das  Ende  des  Ersten 
von  ihnen. 

Samuel  Moritz  Pappenheim 
(geb.  181 1  in  Breslau,  gest.  1882)  studierte  anfangs  in  Berlin,  dann 
in  Breslau  Medicin,  wo  er  auch  mit  der  Arbeit  ,,De  caloris  capacitate 
rudimenta"  1835  den  Doctortitei  errang.  Er  Hess  sich  dann  als 
praktischer  Arzt  in  Breslau  nieder,  wandte  aber  seine  ganze  Musse- 
zeit  dem  Studium  der  Physiologie  und  Histologie  zu.  Die  Ergebnisse 
seiner  Untersuchungen  sind  in  drei  bemerkenswerthen  Arbeiten 
niedergelegt:  1)  „Zur  Kenntniss  der  Verdauung  im  gesunden  und 
kranken  Zustand.  Ein  physiologischer  Versuch."  183g.  2).  „Die 
specielle  Gewebelehre  des  Gehörorgans"  aus  dem  Jahre  1840  und 
3)  ,,Die  specielle  Gewebelehre  des  Auges"  1842.  In  Anerkennung 
des  erworbenen  literarischen  Rufes,  wurde  er  1843  ^um  Mitglied 
der  Akademie  der  Naturforscher  gewählt,  und  in  demselben  Jahre 
erhielt  er  die  neugeschaffene  Assistentenstelle  bei  Purkinje  im  ph3''sio- 
logischen  Institut.  Doch  schon  im  nächsten  Jahre  musste  er,  infolge 
geistiger  Ueberanstrengung  nervenleidend,  die  Stätte  seines  Wirkens 
verlassen.  Einige  Zeit  später  begab  er  sich  nach  Paris,  wo  er  sich 
durch  seine  vorzüglichen  Anlagen  und  Kenntnisse  die  Gunst  be- 
deutender Gelehrter,  wie  Flourens,  dem  er  bei  seinen  Forschungen 
assistirte,  zu  erwerben  wusste  und  für  die  ausgezeichnete  Lösung 
einer  Preisaufgabe  —  betreffend  die  Zeugungsorgane  der  5  Klassen 
von    Wirbelthieren    —    1847    den    grand    prix    der    „Academie    des 

*)  Ci.  AUgem.  Deutsche  Biographie  XXVI.     S.  721. 


i8q 

sciences"  erhielt.  Doch  verstand  Pappenheim  es  nicht,  sich  die 
Gunst  der  französischen  Gelehrten  auf  die  Dauer  zu  sichern.  Diese 
zogen  sich  von  ihm  zurück.  Seit  dem  Jahre  1849  war  das  Leben 
dieses  talentvollen  Mannes  ein  verfehltes  zu  nennen.  Er  fand  nirgends 
mehr  einen  festen  Halt,  weder  jenseits  des  Oceans  in  Amerika,  wo 
er  während  zehn  Jahre  verschollen  war  und  schliesslich  schwerkrank 
von  Deutschen  in  der  Havanna  aufgefunden  wurde,  noch  nachher  in 
Berlin,  wohin  er  1861  nach  kurzem  Aufenthalt  in  Breslau  übersiedelte. 
Keine  Beschäftigung  mehr  führte  zu  einem  Erfolge,  da  er,  allzu 
ruhelos,  seine  geistigen  Kräfte  nicht  mehr  zu  sammeln  vermochte. 
Er  bildete  sich  vollkommen  zum  Sonderling  aus  und  ist  endlich  — 
wenige  wussten  etwas  von  seinen  früheren  Leistungen  —  in  einem 
Berliner  Krankenhause  gestorben.  —  Von 

Isaac  Raschkow 
(geboren  181 1  in  Breslau,  gest.  1872),  einem  im  Vergleich  zu  Pappen- 
heim in  sich  gefestigten,  vollendeten  Charakter,  ist  uns  nur  bekannt 
seine  physiologische  Dissertation  aus  dem  Jahre  1835:  „Meletemata 
circa  mammalium  dentium  evolutionem",  eine  der  besten  Arbeiten  aus 
Purkinjes  Schule,  welche  für  die  Entwickelung  der  Zähne  eine  Reihe 
neuer  Entdeckungen,  betreffend  das  Schmelzorgan,  die  Zusammen- 
setzung der  Pulpa  und  das  Wesen  der  Schmelzmembrane,  brachte 
und  durch  die  beigefügten  Zeichnungen  mikroskopischer  Präparate 
noch  an  Werth  gewann  (cf,  Allg.  Deutsch.  Biographie.  XXVI.  S.  727). 
Raschkow,  der  sich  nachher  zuerst  in  Loslau  Praxis  zu  erwerben 
suchte,  gehörte  später  zu  den  geachtetsten  und  gesuchtesten  Aerzten 
Ratibors,  Ein  älterer  Bruder  von  ihm,  Josef  Raschkow  (1804 — 1862), 
der  wie  der  jüngere  in  Berlin  und  Breslau  Medicin  studirte,  war 
als  Arzt  in  Nicolai,  Grünberg  und  zuletzt  lange  Jahre  —  bis  an 
sein  Lebensende  —  in  Glogau  thättg,  wo  er  wegen  seiner  edlen 
Eigenschaften  und  seiner,  sich  stets  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft 
haltenden,  medicinischen  Kenntnisse  allgemein  verehrt  und  angesehen 
war.  Von  literarischen  Schöpfungen  dieses  Arztes  wissen  wir  nichts.  — 
Dagegen  erstreckte  sich  die  schriftstellerische  Productivität  von 

David  August  Rosenthal 
(geb.  1821  in  Neisse,  gest.  1875)  auf  die  verschiedensten  Gebiete. 
Seine  Dissertation  „De  numero  atque  mensura  microscopica  fibrillarum 
elementarium  systematis  cerebro-spinalis  symbolae"  1845  ist  die  letzte 
gewesen,  welche  unter  Purkinjes  Anregung  in  dem  physiologischen 
Institut  verfasst  wurde.  Ein  Jahr  danach  veröffentlichte  er  mit  Klein 
zusammen  eine  Arbeit  über  ,,Die  Lage  der  Eingeweide  in  den 
drei  Haupthöhlen  des  menschlichen  Körpers,  systematisch  geordnet" 
(De  situ  viscerum).     Nachdem  er  vier  Jahre,  von  1846 — 50,  in  Lands- 


igo 

berg  (Oberschlesien)  den  Beruf  des  Arztes  ausgeübt  hatte,  schlug  er 
seinen  Wohnsitz  in  Ohlau  auf,  und  von  hier  aus  machte  er  seine 
Beobachtungen  ,,Ueber  die  Ruhrepidemieen,  welche  in  den  Jahren 
1847/48  im  Rosenberger  Kreise  geherrscht  haben",  in  Günsburgs 
Zeitschrift  (i  851)  bekannt.  In  demselben  Jahre  trat  er,  eine  roman- 
tisch angelegte,  etwas  deni  Mysticismus  zuneigende  Natur,  zur 
katholischen  Kirche  über  und  hat  sich  als  katholisch -theologischer 
Prosaist  und  Poet  grossen  Ruf  verschafft,  besonders  durch  seine 
„Convertitenbilder  aus  dem  XIX.  Jahrhundert"  (2.  Bde),  durch  die 
Herausgabe  der  Gedichte  des  Angelus  Silesius  (Joh.  Scheffler)  und 
die  Bearbeitung  des  dem  Spanischen  entlehnten  Stoffes  „Die  Sängerin 
des  Montserrat."  Jedoch  hatte  er  darum  die  Beschäftigung  mit  den 
"Wissenschaften  keineswegs  aufgegeben,  vielmehr  gerade  in  Breslau, 
wohin  er  1855  gezogen  war,  medicinische  Forschungen  auf  dem 
Specialgebiet  der  Ohrenheilkunde  begonnen,  so  dass  er  im  Jahre  1856 
in  der  medicinischen  Section  der  Schles.  Gesellschaft  einen  Vortrag 
über  die  Geschichte  und  den  g'egenwärtigen  Stand  der  Ohrenheil- 
kunde halten  konnte.  Aber  sein  ganzes  wissenschaftliches  Interesse 
wurde  in  der  letzten  Zeit  von  der  Botanik  ausgefüllt,  in  der  er  1862 
mit  einem^  reichhaltigen,  wichtigen  Sammelwerk  über  die  Heil-,  Xutz- 
und  Giftpflanzen:  „Synopsis  plantarum  diaphoricarum"  hervortrat. 
Seine  praktische  Thätigkeit  in  den  letzten  Jahren  bestand  haupt- 
sächlich in  seinem  Wirken  als  Armenarzt.  Seine  Verdienste  um 
die  Botanik  veranlassten  Ferdinand  Cohn  in  einer  Sitzung  der 
botanischen  Section  der  Schles.  Ges.  im  J.  1875  des  eben  erst  Ver- 
storbenen ehrend  zu  gedenken.  —  Bevor  wir  jetzt  zu  der  Biographie 
eines  anderen  Breslauer  Arztes,  Julius  Bürkner,  übergehen,  dessen 
gediegene  literarische  Leistungen  von  seiner  vielfachen,  gemein- 
nützigen Thätigkeit  übertroffen  werden,  wollen  wir  noch  dem  Glogauer 
Arzte 

Ludwig  Lilienhain 

(geb.  1799  in  Glogau,  gest.  1866)  einige  Zeilen  widmen.  Seine 
Studienzeit  (18  r8 — 22)  verlebte  er  ausschliesslich  in  Berlin,  wo  er 
im  Jahre  1821  mit  einer  chemisch-pathologischen  Arbeit  über  das  Blei 
und  die  durch  dasselbe  hervorgerufenen  Krankheiten  seinen  Doctor 
machte.  In  seiner  Vaterstadt  begann  er  dann  seine  ärztliche  Praxis, 
die  er  hier  bis  an  sein  Lebensende  ausübte,  ein  angesehener  Bürger 
der  Stadt.  Im  Jahre  1834  erschien  eine  kleinere  Schrift  von  ihm: 
,,Ein  auf  homöopathische  Heilversuche  begründetes  Urtheil  über 
Homöopathie,  für  Aerzte  und  Nichtärzte."  In  der  medicinischen 
Schriftstellerwelt  wurde  er  in  weiteren  Kreisen  bekannt  durch  seine 
Ausgabe  der  Werke  des  Hippokrates  in  der  deutschen  Uebersetzung 


des  Geh.  Hofrathes  und  Koburg-Gotha'schen  Leibarztes  J.  Fr.  Karl 
Grimm  (1737 — 1821).  Lilienhain  unterzog  diese  Uebersetzung-  einer 
Revision  vom  Standpunkte  der  neueren  Medicin  aus  und  ver- 
sah sie  mit  zahlreichen  erläuternden  Bemerkungen  (1837—39;  cf. 
Jahresber.  d.  Schles.  Ges.  1839.  S.  105).  Kleinere  Abhandlungen 
von  ihm  (über  spastische  Aphonia,  über  die  Krankheiten  des  Pancreas) 
finden  sich  in  Hufelands  Journal. 

Die  Erinnerung  an  den  zu  früh  verstorbenen  Arzt 

Julius  Bürkner 
(geb.   1809  in  Breslau,  gest.   1850)  kann  für  die  schlesische  Hauptstadt 
eine  in  jeder  Beziehung  segensreiche  genannt  werden.    Es  begegnen 
selten  Persönlichkeiten  mit  einem  so  ausgeprägten  Streben,  der  All- 
gemeinheit zu  nützen,  wie  wir  dieses  bei  Bürkner  finden.     Er  hatte 
noch  nicht  seine  medicinischen  Studien  auf  der  hiesigen  Universität 
beendet,  als  er  sich  bereits,  während  der  Choleraepidemie    1831,   in 
den  Dienst  des   Hospitals,    an    dem  Pulst    und    der    jüngere  Remer 
wirkten,  stellte.     Im  Jahre  1833  beendete  er  sein  Studium  und  Hess 
noch    in    demselben  Jahre    eine  belehrende  Abhandlung    über    ,,Die 
Grippe"  erscheinen.     Eine  Zeit  lang  fungirte   er  als  Armenarzt  und 
auch  als  Impfarzt,   1837—39,  in  einer  Filiale  des   königlichen  Impfin- 
stituts.    Er    war    damals    schon    dem    Breslauer  Gewerbeverein    als 
MitgHed  beigetreten,    in    dem  er    nun  drei  Jahre  hindurch  populäre 
Vorträge  über  technische  Chemie  hielt  und  bis  an   sein  Lebensende 
die  Stelle  des  Secretärs  bekleidete.   Die  Vorträge  wurden,  in  einem 
stattlichen  Bande  gesammelt,  veröffentlicht  unter  dem  Titel:  „Popu- 
läre Chemie  und  ihre  Anwendung  auf  Gewerbe"  (1838).      Ungefähr 
um  dieselbe  Zeit  brachte  ihn  das  Elend,  das  er  in  seiner  bisherigen 
Praxis  unter  der  ärmeren  Bevölkerung  angetroffen  hatte  und  welches  be- 
sonders die  Entwickelung  der  Kinder  durch  Erzeugung  der  schwersten 
Krankheiten  hemmen  musste,  auf  den  Gedanken,  für  kranke  Kinder 
armer  Eltern  ein  Hospital  zu  gründen.    Den  Plan  zu  der  Heilanstalt 
entwarf  er  im  Jahre   1837,  schon  1838  begann  er,  von  privater  Wohl- 
thätigkeit  unterstützt,  mit  Erlaubniss  der  Regierung  die  Einrichtung 
derselben  und  erlebte  die  Freude,   die  Anstalt  von  Jahr  zu  Jahr  an 
Ansehen  und  Umfang  wachsen  zu  sehen.     So    ist  Bürkner    der  Be- 
gründer  unseres  Augusta-Hospitals  geworden,    das   heute  unter   der 
bewährten  Leitung  des  Kinderarztes  Prof.  Soltmann  steht.  Es  wird  jetzt 
geplant,  die  Anstalt  durch  Ankauf  dergestalt  zu  erweitern,  dass  die 
an  contagiösen  Krankheiten  leidenden  Kinder  von  den  übrigen  isolirt 
werden  können.  —  Schon  ein  Jahr  nach  dieser  Leistung  beschäftigte 
eine  neue  Aufgabe  unseren  Bürkner,  zu  der  er  durch  die  Thätigkeit 
von  Vincenz   Priesznitz   und   durch  öfteren  Besuch   von   Gräfenberg 


IQ2 

angeregt  wurde:  Die  Gründung  einer  Kaltwasserheilanstalt,  welche 
auch,  als  die  erste  in  Breslau.  183g  in  Alt-Scheitnig  entstand,  aber 
später  verkauft  wurde.*)  Auch  auf  dem  Gebiete  der  Balneologie 
ist  er  literarisch  thätig  gewesen,  indem  er  eine  Schrift  über  „Schlesiens 
Wasserheilanstalten  und  Priesznitz'  Heilmethode"  1841  und  eine 
Abhandlung  ,;Der  Waldenburger  Kreis  und  seine  Heilquellen,  Alt- 
wasser, Charlottenbrunn  und  Salzbrunn"  publicirte.  Gegen  ein 
heftig  auftretendes  Leberleiden  kämpfte  er  bereits  Jahrelang  vergebens 
an,  u.  a.  durch  den  Gebrauch  der  Gräfenberger  Wasserkur;  als  er  sich 
eben  zu  einer  Reise  nach  Karlsbad  rüstete,  brachte  ihm  ein  neuer 
Anfall  den  Tod,  im  Alter  von  41  Jahren. 

Wir  schliessen  diesen  Theil  unseres  Werkes  mit  einigen  Notizen 
über  den  in  Breslau  geborenen  und  hier  längere  Zeit  wirkenden  Arzt 

Hermann  Wollheim 
(geb.  181 7  in  Breslau,  gest.  1855).  Ursprünglich  zum  Philologen  bestimmt, 
wandte  er  sich  später,  von  der  Aussichtslosigkeit  für  die  Zukunft  über- 
zeugt, der  ]\Iedicin  zu  und  prakticirte,  nachdem  er  seine  Examina  absol- 
virt  hatte,  zuerst  inDyhemfurt,  dann  inBreslau,  Im  Jahre  1844  erschien 
sein  gediegenes,  medicinalstatistisches  Werk:  „Versuch  einer  medici- 
nischen  Topographie  und  Statistik  von  Berlin,"  zu  der  Casper  selbst 
das  Vorwort  schrieb.  Seinen  Aufenthalt  in  Berlin  als  Deputirter  zur 
preussischen  Nationalversammlung  benutzte  er  zur  Abfassung  der  sehr 
nützlichen  Schrift:  „Lehrbuch  für  Heildiener,  ein  Leitfaden  für  die 
Krankenpflege"  1853,  der  ersten  guten  Schrift  in  dieser  Hinsicht,  ß^' 
neben  hat  sich  Wollheim  auch  als  Dichter  mit  Erfolg  versucht,  weniger 
in  seinem  ,, Tannhäuser",  als  in  seinen  trefflichen  Studentenliedern,  von 
denen  eins  .,Sind  wir  nicht  zur  Herrlichkeit  geboren"  zu  den  besten 
unserer  Commersbücher  und  daher  zu  den  beliebtesten  gehört.  Der 
Dichter  wurde  im  Jahre  1855  im  kräftigsten  Alter  ein  Opfer  der  Cholera.— 
Wir  sind  uns  wohl  bewusst,  dass  uns  vielleicht  mancher  Name 
entgangen  ist  oder  wir  manch  einen  Namen  noch  hätten  nennen  können, 
dessen  verstorbener  Träger  sich  als  medicinischer  Schriftsteller  be- 
währt hat.  Aber  es  erschien  uns  erstens  unnöthig,  Namen  auf  Namen 
zu  häufen,  weil  der  Leser  schon  aus  dem  Leben  der  Genannten  die 
Ueberzeugung  gewonnen  haben  wird,  dass  in  unserer  Heimatprovinz, 
abgesehen  von  den  mitten  im  akademischen  Leben  stehenden  Medi- 
cinern,  auch  andere  Aerzte  literarischen  Ruf  erlangt  haben;  zweitens 
wäre  es  auch  für  den  Leser  ermüdend,  so  viele  kurzgefasste  Lebens- 
skizzen zu  durchlaufen,  welche  an  vielen  Stellen  Uebereinstimmendes 
oder  Aehnliches  aufzuweisen  haben. 


*)  Eine  zweite,  von  ihm  am  Ketzerberg  gegründete  Heilanstalt  ging   1847  ein.    Cf.  im 
Rechenschafts-Bericht  des  Breslauer  Gewerbe-Vereins  1849/50  den  Nekrolog  aufBürkner  S.  28-3  i. 


1^3 


Das  Krankenhospital  zu  Allerheiligen. 

(Kurze  geschichtliche  Uebersicht.) 


Im  Anschluss  an  die  Besprechung-  der  hervorragendsten  Aerzte 
unserer  Stadt  und  Provinz  erschien  es  uns  als  wünschenswerth, 
wenigstens  eines  unter  den  vielen  im  Interesse  der  Krankenpflege 
gestifteten  Instituten  mit  besonderer  Betonung  seiner  geschichtlichen 
Entwickelung  Erwähnung  zu  thun;  ist  es  doch  interessant  für  Aerzte 
und  Laien,  zu  sehen,  wie  vor  Jahrhunderten  die  Ab  Wartung  und 
Behandlung  der  Kranken ,  namentlich  der  ärmeren ,  gehandhabt 
wurde,  in  welcher  Weise  und  in  welchen  Zeiträumen  sich  Fort- 
schritte bemerkbar  machten,  und  welch'  ungeheuere  Mühe  es  er- 
forderte, diesen  Verwaltungszweig  in  eine  solch  musterhafte  Form 
zu  bringen,  dass  heute  im  Vergleich  zu  früheren  Leistungen  nicht 
zu  viel  zu  thun  übrig  bleibt.  Ohne  Frage  muss  sich  unsere  Auf- 
merksamkeit, da  wir  uns  speciell  auf  Schlesien  beschränken,  dem 
Breslauer  Krankenhospitale  zu  Allerheiligen  zuwenden ,  jenem 
mächtigen,  an  der  Barbarakirche  gelegenen  Häusercomplexe,  den 
wir  mit  Stolz,  aber  auch  mit  vollstem  Rechte,  zu  den  grössten  und 
besteingerichtetsten  Krankenanstalten*)  Deutschlands  rechnen. 

Es  sei  uns  gestattet,  dasselbe  in  den  einzelnen  Phasen  seines 
Werdens  und  Entstehens  dem  Leser  vorzuführen. 

Eine  geordnete  Armen-  und  Krankenpflege  existirt  in  Breslau 
seit  dem  Jahre  1525.  Bis  dahin  mussten  äusserst  traurige  Zustände 
geherrscht  haben;  denn  die  Schilderungen,  die  wir  den  Chroniken 
entnehmen,  sind  voll  von  Klagen  über  die  unsagbar  schlechten  Ver- 
hältnisse, über  die  corrumpirten  Sitten  und  Gebräuche,  an  denen  das 
Proletariat  zu  jener  Zeit  laborirte.  Die  immer  und  immer  wieder- 
kehrende Pest,  sowie  die  Syphilis,  die  man  nicht  zu  bekämpfen 
vermochte,  haben  dies  Chaos  natürlich  nur  noch  vergrössern  helfen. 

Durchaus  eingreifende  Veränderungen  führte  der  damalige  erste 

*)  Es  wurden  in  den  letzten  Jahren  durchschnittlich  etwas  über  8000  Kranke  jährlich 
verpflegt;  es  kostete  jeder  Kranke  pro  Tag  etwas  über   1.50  Mk. 


194 

evangelische  Pfarrer  in  Breslau,  Dr.  Johann  Hess,  herbei,  der  auch 
die   Erbauung    des  Krankenhospitales    zu  Allerheiligen    veranlasste. 

Dr.  Hess  —  erzählt  Pohl*)  —  vermahnte  oft  die  Obrigkeit  durch 
Predigten,  „das  Armuth"  zu  versorgen,  damit  es  nicht  also  auf  den 
Gassen  läge.  Weil  die  Obrigkeit  hierinnen  säumig,  unterliess  Dr. 
Hessus  etlichemal  am  Sonntag  das  Predigen.  Da  ihn  ein  Ehrbarer 
Rath  durch  seine  Geschickten  fragen  liess,  warum  er  nicht  predigen 
wollte?  gab  er  zur  Antwort,  „sein  lieber  Herr  Jesus  Christus  läge 
vor  der  Kirchenthür,  er  möchte  nicht  über  ihn  schreiten;  wolle  man 
ihn  nicht  wegräumen,  so  wollte  er  auch  nicht  predigen." 

Diese  energische,  bisher  noch  nicht  gehörte  Sprache  hatte  einen 
gewaltigen  Umschwung  auf  dem  Gebiete  des  Armen-  und  Kranken- 
wesens zur  Folge.  Schon  im  Jahre  1526,  nachdem  sich  noch  vorher 
ein  Comite  gebildet  hatte,  welches  sich  mit  Geldsammlungen  für  die 
Armen  und  Kranken  befasste,  schritt  man  zum  Bau  des  oben  ge- 
nannten Hospitals.  Als  Bauplatz  diente  ,,die  alte  Ziehlstatt  aufm 
Bürgerwall  an  der  Oder".  Die  Arbeit  schritt  so  rüstig  fort,  da  man 
von  allen  Seiten  den  edlen  Zweck  zu  fördern  sich  bemühte,  dass 
„der  Bau  innerhalb  zehn  Wochen  in  allen  vier  Mauern  stand  und 
in  Jahresfrist  vollbracht  und  gut  eingerichtet  war.  Das  Hospital 
ist  genannt:  Ein  Haus  aller  Heiligen,  darinnen  aus  dem  gemeinen 
Almos  zu  Breslau  viel  einheimische  und  fremde  arme  nothdürftige 
Leute  mit  Speise  und  Trank,  mit  guter  Pflege  und  Wartung  und 
mit  einem  besonderen  Wundarzt  versorget  seyn,  andern  Städten  zu 
gutem  Exempel".  Die  Kirchen-Gotteskasten  wurden  in  der  ersten 
Zeit  zur  Deckung  der  Kosten  herangezogen,  später  wurden  dem 
Hospitale  mancherlei  Stiftungen  und  Legate,  unter  denen  das  Cull- 
mann'sche  das  grösste  gewesen  zu  sein  scheint,  zugewiesen,  so  dass 
es  sich  zum  Theil  aus  eigenen  Mitteln  erhalten  konnte. 

Die  beiden  ersten  grösseren  Spital-Instructionen,  die  au£  eine 
schon  für  jene  Zeiten  ganz  treffliche  Hausordnung  hinweisen,  stammen 
aus  den  Jahren  1581  — 1585.  Ein  von  dem  Stadtphysikus  vereideter 
Wundarzt  versah  daselbst  die  ärztliche  Pflege  der  Kranken.  Sehr 
bald  reichte  jedoch  das  Hospital  nicht  mehr  aus  zur  Aufnahme  der 
übergrossen  Menge  von  Pestkranken  und  Syphilitischen.  Man  brachte 
daher  die  ersteren  in  dem  neu  erbauten  Krankenhause  auf  der  so- 
genannten „Lazarethwiese  an  der  Oder"  unter  und  verwandte  für 
letztere  das  in  der  Nähe  des  Bernhardiner  Klosters  gelegene  Ge- 
bäude, das  spätere  Hospital  zu  St.  Hiob,  welches  im  Jahre  1635, 
als  die  Syphilis  mehr  und  mehr  von  ihrer  Ansteckungsfähigkeit  ver- 


*)  Nie,  Pohl    schrieb   Jahrbücher  Breslaus    (bis   1625),    herausgegeben    von    Büsching 
und  Kunisch  1813 — 24. 


195 

loren,  mit  allen  Einkünften  in  den  Hospitalkörper  zu  Allerheiligen 
überging.  Es  wurden  darin  auch  für  die  fernere  Zeit  Hautkranke 
und  Syphilitische  verpflegt. 

Der  Gottesdienst  wurde  in  einer  von  Dr.  Hess  1527  gegründeten 
kleinen  Kapelle  abgehalten,  welche  zugleich  mit  der  Vergrösserung 
des  Hospitals  Umänderungen  erfuhr  und  später  den  Namen  einer 
Hospitalkirche  erhielt.  In  derselben  befindet  sich  noch  jetzt  ein  gut 
erhaltenes  Bildniss  des  Dr.  Hess.  Die  geistlichen  Functionen  übten 
daselbst  bis  zum  Jahre  1606  die  Diaconen  zu  Marie  Magdalene  und 
St.  Elisabeth  aus.  Erst  zu  dieser  Zeit  wurden  für  das  Hospital 
eigene  Geistliche  angestellt. 

Bezüglich  der  Aufnahme  der  Kranken  waren  ganz  bestimmte 
Principien  massgebend.  Mit  den  verschiedenen  Gilden,  Zünften, 
Innungen  u.  s.  w.  wurden  Vereinbarungen  getroffen  und  eine  ge- 
naue Controle  sorgte  für  die  Innehaltung  der  Statuten.  Ganz  aus- 
geschlossen waren  unheilbare  Krankheiten,  ohne  Rücksicht  auf  die 
Art  des  Leidens. 

Während  des  siebzehnten  Jahrhunderts  hat  das  Allerheiligen- 
hospital, abgesehen  von  einigen  Revisionen  und  Veränderungen 
der  Hausordnung ,  namentlich  vom  Jahre  1 6 1 1 ,  im  Allgemeinen 
nur  geringfügige  Umgestaltungen  aufzuweisen,  weil  die  Zeitverhält- 
nisse —  wir  erinnern  nur  an  den  dreissigjährigen  Krieg  —  keines- 
wegs günstige  zu  nennen  waren. 

Der  gewaltige  Druck,  unter  dem  das  Land  seufzte,  musste  natür- 
lich jede  Anregung  zu  fortschreitender  Thätigkeit  im  Keime  ersticken. 
In  desto  höherem  Grade  machte  sich  diese  dagegen  unter  der  segens- 
reichen Regierung  Friedrichs  des  Grossen  geltend,  indem  mehrfach 
Neuerungen,  Aenderungen  und  Verbesserungen  getroffen  und  dem 
Hospital  dadurch  ein  festeres  Gefüge  verliehen  wurde.  Unter  diesen 
ist  namentlich  eine  ausgezeichnete  Instruction  für  die  bereits  seit 
dem  Jahre  161 3  dem  Hospitale  verpflichteten  Pestärzte  zu  erwähnen*). 

Das  bisher  so  winzige  und  wenig  beachtete  Allerheiligen-Hospital 
begann  nunmehr  mit  Beginn  des  18.  Jahrhunderts,  eine  etwas  grössere 
Rolle  zu  spielen.  Mit  der  Vermehrung  der  Einwohnerschaft  und 
der  daraus  hervorgehenden  grösseren  Krankenzahl,  erwies  sich  da,s 
Hospital  als  viel  zu  klein,  als  dass  man  auch  nur  einen  Theil  der 
Kranken,  die  zu  versorgen  waren,  hätte  unterbringen  können,  ganz 
zu  schweigen  von   den  hygienischen   Zuständen.     Eine  Reihe  edler 


*)  Es  wäre  hier  gewiss  angezeigt,  auf  die  ärztlichen  Organisationsverhältnisse  Breslaus 
in  ihren  verschiedenen  Entwickelungsstadien  einzugehen,  indess  haben  diese  durch  Herrn 
Stadtarchivar  Professor  Dr.  Markgraf  bereits  eine  so  eingehende  und  vorzügliche  Berück- 
sichtigung erfahren  (cfr.  ,, Daniel  Gohl  und  Christian  Kundmann'',  .von  Dr.  J.  Graetzer. 
Breslau  1884.     S.  S.  83  — 109),    dass    wir   wohl  deshalb  nur  darauf  zu  verweisen  brauchen. 


ig6 

Männer,  deren  Xamen  für  immer  mit  der  Geschichte  des  Allerheiligen- 
Hospitals  verknüpft  sein  werden,  machte  es  sich  zur  lohnenden 
Aufgabe,  diesen  Missständen  energisch  entgegenzutreten  und  die 
Bürgerschaft  aus  ihrer  Gleichgiltigkeit  aufzurütteln:  Es  erschienen 
nämlich  1793  mehrere  Schriften,  welche  eine  Schilderung  der  Hospital- 
verhältnisse in  den  schwärzesten  Farben  enthielten  und  grosses  Auf- 
sehen erregten.  Es  sind  dies  die  Broschüre  des  Predigers  am  Aller- 
heiligen -  Hospital  J,  C.  Müller:  ,,Das  heutige  Krankenhospital  in 
Breslau"  und  der  ,, Briefwechsel  zwischen  dem  Prorector  Schummel 
und  dem  Prediger  Müller",  sowie  das  Memoriale  der  Aerzte  Morgen- 
besser^  Kruttge  und  Hauptmann.  Dies  letztere  war  namentlich  von 
entscheidendem  Einflüsse.  Die  städtischen  Behörden  entschlossen 
sich  jetzt,  das  alte  Hospitalgebäude,  welches  270  Jahre  hindurch 
seinen  Zwecken  dienlich  gewesen,  abzubrechen  und  nach  dem  Plane 
des  Bauinspectors  Geissler  einen  Neubau  aufzuführen,  dessen  Ein- 
weihung am  13.  November  1801  vollzogen  wurde.  Ihm  reihten  sich 
bald  andere  Baulichkeiten  an;  auch  wurde  jetzt  auf  Grund  einer 
milden  Stiftung  des  Kaufmanns  Andreas  Krischke  eine  eigene 
Apotheke  für  das  Hospital  in's  Leben  gerufen,  der  ein  Betriebs- 
capital  von  6000  Thalern  zu  Grunde  lag,  mit  dem  Privilegium  vom 
II.  Februar  1799.  Der  Begründer  erlebte  die  Ausführung  seiner 
edlen  Absicht  nicht  mehr.  Sein  Neffe  und  Erbe  Friedrich  Gottlieb 
Krischke  führte  das  Werk  ganz  im  Sinne  seines  Verwandten  zu 
Ende. 

An  Stelle  des  St.  Hiobsgebäudes  trat  ein  stattliches  neues 
Krankenhaus,  und  das  Hickert'sche  Nebengebäude  erfuhr  eine  voll- 
ständige Umgestaltung,  so  dass  daraus  freundlichere  Räume  ent- 
standen, als  bis  dahin. 

Im  ersten  Jahrzehnt  des  19.  Jahrhunderts,  schon  unter  dem  Ein- 
fluss  der  neuen  Städteordnung,  wurde  das  Hospital  in  ein  allgemeines 
städtisches  Krankenhaus  mit  eigener  Direction  umgewandelt.  Der 
Krankenpflege  standen  jetzt  vor:  ein  ärztlicher  Director,  ein  Ober- 
wundarzt und  mehrere  Hilfswundärzte.  Der  erste  Director  des 
Hospitals  war  der  Geheime  Medicinalrath  Dr.  Ebers,  welcher  am 
I.Januar  18 10  sein  Amt  als  Oberarzt  antrat,  später  dirigir ender 
Arzt  wurde.  Die  Verdienste,  die  derselbe  sich  um  das  Allerheiligen- 
Hospital  durch  dessen  zweckmässige  Einrichtung  und  sonstige  Leitung 
erworben,  sind  so  gross,  dass,  in  Anerkennung  für  dieselben,  die 
Einschaltung  folgender  biographischer  Mittheilungen  wohl  allseitig 
mit  Freuden  begrüsst  werden  Avird. 

Dr.  Johann  Jacob  Friedrich  Ebers  ist  geboren  zu  Flensburg  in 
Schleswig  am  18.  April  1781.    Seine  Bildung  erhielt  er  auf  den  An- 


^97 

stalten  der  evangelischen  Brüdergemeinde  zu  Christiansfeld  und  zu 
Niesky;  hierauf  studirte  er  auf  der  damaligen  chirurgisch-medicini- 
schen  Akademie  in  Berlin,  wo  er  im  Hause  von  Friedrich  von  Gentz, 
der  bekanntlich  ein  Breslauer  von  Geburt  war,  Aufnahme  fand. 
Er  lebte  dann,  ärztlich  beschäftigt,  in  Kleincelle  bei  Bautzen  ohne 
bestimmte  Anstellung-  (1803 — 1804)  und  promovirte  2  Jahre  später, 
1806,  nachdem  er  in  dieser  Zeit  in  Breslau  wissenschaftlichen  Studien 
obgelegen,  in  Frankfurt  a.  O.  zum  Dr.  med. 

Seit  letzterem  Jahre,  in  welchem  er  seine  Staatsprüfung  für 
Preussen  ablegte,  wurde  er  praktischer  Arzt  in  Breslau.  Ebers  stieg 
sehr  schnell  zu  hohem  Ansehen;  schon  1807  forderte  ihn  der  Breslauer 
Magistrat  auf,  an  dem  neu  etablirten  französischen  Feldspitale  thätig 
zu  sein  in  der  Eigenschaft  eines  Assistenzarztes.  1810  wurde  er  als 
Oberarzt  für  die  innere  Abtheilung  und  181 1  schon  als  dirigirender 
Arzt  angestellt.  Während  der  Kriegsjahre  18 13  und  18 14  übernahm 
er  als  dirigirender  Arzt  das  preussische  Barbaralazareth.  1826  wurde 
er  Mitglied  der  delegirten  Oberexaminations-Commission,  1829  Medi- 
cinalrath  und  Mitglied  des  MedicinalcoUegiums ,  1846  Geheimer 
Medicinalrath  und  1856  Ritter  des  rothen  Adlerordens  II.  Classe. 
Zu  nämlicher  Zeit  beging  er  sein  fünfzigjähriges  Doctorjubiläum,  das 
in  schöner  Weise  gefeiert  wurde. 

Ebers'  Bedeutung  lag  nicht  allein  in  seiner  Thätigkeit  als  Arzt 
und  ärztlicher  Reformator  des  Hospitals;  er  interessirte  sich  auch 
für  Alles,  was  die  Kunst  Schönes  und  Veredelndes  darbot,  er  war 
ein  Kunstliebhaber  ersten  Ranges.  Die  schlesische  vaterländische 
Gesellschaft  ehrte  ihn  durch  Ernennung  zum  Secretär  der  medicini- 
schen  Section  (18 10).  1829,  nach  Büschings  Tode,  wurde  er  Secretär 
der  Section  für  Kunst  und  Alterthum,  sowie  Director  der  Kunst- 
ausstellung der  Schlesischen  Gesellschaft,  als  deren  Präses  er  auch 
einige  Jahre  fungirte.  Gleichzeitig  trat  er  in  die  Direction  des  unter 
der  Leitung  des  Cantors  Siegert  stehenden  „Kirchlichen  Singvereins'' 
ein.  Zudem  war  er  ein  fieissiger  Sammler;  so  befand  er  sich  im 
Besitze  einer  guten  Bildergalerie  und  einer  noch  besseren  Kupfer- 
stichsammlung. 

Ebers  erfreute  sich  neben  seiner  sehr  allseitigen  Bildung  einer 
grossen  Arbeitskraft  und  Arbeitslust.  Dies  beweist  die  grosse  Zahl 
seiner  Schriften,  vornehmlich  der  ärztlichen,  die  ein  helles  Streiflicht 
auf  den  reichen  Schatz  seiner  medicinischen  Erfahrungen  fallen  lassen. 
Ganz  besondere  Erwähnung  verdient  unter  anderm  seine  Schrift: 
„Ueber  die  Breslauer  Armenpflege  1828"*),  die  er  nach  gründlichem 

*)  Der  Titel  lautet:  „Das  Armenwesen  der  Stadt  Breslau  nach  seiner  früheren  und 
gegenwärtigen  Verfassung  dargestellt;  nebst  einem  Versuch  über  den  Zustand  der  Sittlich- 
keit der  Stadt,  in  alter  und  neuer  Zeit." 


Quellenstudium  bearbeitete,  und  die  so  vielen  Beifall  fand,  dass  sie 
in's  Englische  übersetzt  wurde.  Unter  den  medicinischen  Arbeiten 
Avaren  die  Beobachtung  und  Beschreibung  eines  seltenen  Falles  von 
Haemathydrose  und  des  exanthematischen  Typhus,  den  er  von  den 
Kriegsjahren  her  so  genau  kannte,  in  Fr.  Grünsburgs  Zeitschrift 
1854,  sehr  verdienstvolle  Leistungen,  um  so  mehr,  als  sie  bereits 
in  hohem  Alter  verfasst  wurden*). 

Wohl  konnte  Ebers  mit  Stolz  und  Freude  an  seinem  fünfzig- 
jährigen Jubiläumstage  (zwei  Jahre  vor  seinem  Tode)  auf  sein  bisher 
zurückgelegtes  Leben  blicken,  genoss  er  doch,  ausgezeichnet  durch 
die  herrlichsten  Gaben  und  in  glücklichen  Verhältnissen  befindlich, 
in  hohem  Maasse  die  Freundschaft  der  Musen,  die  Verehrung  seiner 
Mitbürger  und  das  reinste  Familienglück. 

Nach  dem  Tode  Ebers  1858  blieb  dies  Amt  des  Directors  für 
mehrere  Jahre  unbesetzt.  Von  1863  — 1874  bekleidete  dasselbe  der 
Geheime  Sanitätsrath  Dr.  von  Pastau.  Für  die  folgende  Zeit  stand 
man  von  der  Wahl  eines  Directors  ab,  wählte  dafür  je  einen.  Primär- 
arzt für  die  innere  und  äussere  Station.  Mit  der  Verlegung  der  Uni- 
versität zu  Frankfurt  a.  O.  nach  Breslau,  welche  in  der  Mitte  unseres 
Jahrhunderts  —  im  Jahre  1851  —  eine  engere  Verbindung  der 
Königlichen  Kliniken  mit  dem  Allerheiligen-Hospital  zur  Folge  hatte, 
brach  auch  selbstverständlich  für  das  Hospital  eine  Zeit  ernstlicheren 
wissenschaftlichen  Strebens  herein,  da  die  neuesten  Erungenschaften 
der  Medicin  nun  wohl  in  erster  Reihe  diesem  grossen  Kranken- 
hause zu  Gute  kamen,  während  andererseits  viele  Hospitalärzte  als 
Docenten  der  Universität  recht  Tüchtiges  leisteten. 

Eine  Universität,  an  der  Männer  wie  Frerichs,  Cohnheim, 
Middeldorpf,  Spiegelberg  und  andere  lehrten  und  jetzt  noch  be- 
deutende Kliniker  und  Pathologen  wirken,  musste  das  medicinische 
Leben  Breslaus  neu  umgestalten  und  in  eine  höhere  Sphäre  geleiten, 
Getragen  von  echt  wissenschaftlichem  Geiste,  zogen  diese  Koryphäen 
der  Medicin  weithin  ihre  Kreise  und  schufen  eine  Schule  jüngerer 
Aerzte,  die  in  ihrem  Sinne  segenbringend  für  Stadt  und  Provinz 
und  Staat  zu  wirken  suchten.  Wir  erinnern  nur  an  Ebstein,  Förster, 
Lichtheim**),    Maas,    Rühle,   Wernicke  und    Carl  Weigert***),    die 


*)  Ueber  seine  vielseitigen  Schriften  siehe  Nowack  „Schlesisches  Schriftstellerlexioon" 
I.  Band,  Seine  Schrift  ,,über  die  Erfordernisse  einer  zweckmässigen  Hospital-Verfassung" 
Breslau  i8lO  bei  Korn,  ist  heut  noch  lesenswerth.  Als  Wundarzt  stand  ihm  Bernhard  Firiedr. 
Böhm  zur  Seite.  Des  letzteren  Nachfolger  in  der  Chirurgie  sind  Alter,  Carl  Julius  Remerjun., 
Middeldorpf  und  Hodann. 

**)  L.  war  auch  6  Semester  Assistent  unseres  Biermer. 
***)  Professor    der    pathologischen   Anatomie    am  Senkenberg'schen  Museum    in  Frank- 
furt a.  M.,  geb.  in  Münsterberg. 


190 

als  höchst  bedeutende  KUniker  und  Pathologen  bekannt  sind.  Unser 
Allerheiligen-Hospital,  die  engere  Wirkungsstätte,  gewann  dadurch 
mehr  als  je  an  Ansehen. 

Während  das  Allerheiligen -Hospital  im  vorigen  Jahrhundert 
Purrmann  als  den  glänzendsten  Vertreter  der  Chirurgie  mit  Recht 
aufzuweisen  hat,  ist  die  Zahl  der  bedeutenderen  Chirurgen  in  diesem 
Jahrhundert  schon  eine  ziemlich  grosse. 

Bis  zum  Jcihre  1850  wirkte  im  Hospital  als  tüchtiger  Oberwund- 
arzt der  schon  erwähnte  Alter. 

Ihm  folgte  als  Oberwundarzt,  resp.  Primärarzt  für  die  chirurgische 
Abtheilung-  von  1850 — 1855  Carl  Julius  Rem  er  junior.  Er  warder 
Sohn  des  sehr  gelehrten  Geh.  Medicinal-Rathes  Wilhelm  H.  G.  Remer, 
welcher  im  Jahre  18 15  als  Professor  der  Medicin  nach  Breslau  kam  und 
Director  der  klinischen  Lehranstalt  für  innere  Heilkunde  wurde.  Nach- 
dem der  Sohn,  geboren  1802,  seine  Studienzeit  an  der  Breslauer  Univer- 
sität 1820 — 25  verlebt  und  auf  einer  Reise  nach  Paris  1827  sein  Wissen 
bereichert  hatte,  liess  er  sich  1828  als  Privatdocent  in  Breslau  nieder. 
Er  war  bald  ein  gesuchter,  weil  tüchtiger  Arzt  und  zugleich  ausser- 
ordentlich brauchbar  in  der  Medicinalverwaltung.  Daher  wurde  er 
von  der  Regierung  zu  Anfang  1831  nach  Warschau  geschickt,  um  hier 
die  Cholera-Epidemie  kennen  zu  lernen  und  darüber  Bericht  zu  er- 
statten. Das  Resultat  dieser  Reise  waren  seine  ,, Beobachtungen 
über  die  epidemische  Cholera",  ein  Werk,  das  noch  in  demselben 
Jahre  die  IH.  x\uflage  erlebte.  Seine  Erfahrungen  konnte  er  bei  der 
Epidemie  in  Breslau  selbst  (1831/32)  als  Arzt  an  dem  im  „Birnbaum" 
errichteten  Krankenhause  trefflich  verwerthen.  Im  Jahre  1837  er- 
hielt er  die  ausserordentliche  Professur  in  der  medicin.  Facultät, 
Er  veröffentlichte  noch  als  Lehrer  an  der  damaligen  chirurg.-medic. 
Lehranstalt  1845:  ,, Erinnerungen  an  die  gefeiertsten  Chirurgen  der 
neueren  Zeit"  und  1848  mit  Dr.  Neugebauer  zusammen:  „Die 
asiatische  Cholera  und  ihre  Behandlung".  Am  21,  September  1855 
starb  er;  wie  schon  erwähnt,  gehörte  er  zuletzt  dem  Allerheiligen- 
Hospital  als  Primärarzt  für  die  chirurgische  Abtheilung  an.  —  Von 
1855  bis  1856  stand  ihr  Middeldorpf  vor,  der  bereits  seit  184g  unter 
Alter  und  Remer  als  Volontär-Assistenzwundarzt  am  Allerheiligen- 
Hospital  sehr  thätig  gewesen.  Von  1855  ab  wurde  er  auch  Ober- 
wundarzt, bis  er  1856  als  Professor  zum  Director  der  Königlichen  chirur- 
gischen Klinik  ernannt  wurde.  Nach  seinem  Abgange  im  Jahre  1861 
wurde  Paul  als  Oberwundarzt  angestellt.  Derselbe  ist  durch  kleine 
wissenschaftliche  Arbeiten,  namentlich  aber  durch  seine  grössere 
verdienstvolle  Schrift:  „Conservative  Chirurgie",  bekannt  geworden. 
1865  löste  ihn  Ho  dann  ab,  der  bereits  seit  1845  am  Hospital 
als  chirurgischer  Lehrling    und  später    als  Assistenzarzt    beschäftigt 


20O 


war.  Als  solcher  hatte  er  bei  vielseitiger  nicht  unbedeutender  Be- 
gabung mehrere  brauchbare  Abhandlungen  geschrieben,  aus  dem 
reichen  Schatze  seiner  mehr  als  30jährigen  Beobachtung.  Ich  er- 
wähne hierbei  um  so  lieber  den  Primär -Wundarzt  Hodann,  da 
er,  ohne  Universitätsstudien  gemacht  zu  haben,  durch  vielseitige 
Leistungen  als  Botaniker,  Gelegenheitsdichter*),  Wundarzt  und  Mensch 
einen  guten  Namen  hinterliess. 

In  Breslau  als  der  Sohn  eines  Oberlandes-Gerichts-Secretärs 
181 7  geboren,  besuchte  er  das  katholische  Gymnasium  zu  St.  Matthias 
unter  Absolvirung  der  Secunda,  später  die  damals  noch  bestehende 
chirurgische  Schule  und  zeigte  sich  in  der  Anatomie  so  geschickt, 
dass  ihn  der  Professor  derselben,  Medicinalrath  Dr.  Barkow,  zum 
Präparator  für  die  Vorlesungen  auserwählte. 

Hierauf  entschloss  er  sich,  Chirurg  zu  werden,  und  nahm  die 
Stelle   als  Lehrling  im  Allerheiligen-Hospitale  an. 

Nach  des  Dr.  Pauls  Abgange  war  er  Primärarzt  der  chirur- 
gischen Abtheilung,  nachdem  er  bereits  sein  Staats-Examen  gemacht 
hatte  und  Doctor  und  Sanitätsräth  geworden,  bis  zu  seinem  Tode 
1880;  er  war  also  35  Jahre  an  dieser  Anstalt  thätig.  Unter  seinen 
vielen  kleinen  Schriften**)  waren  es  vorzüglich  chirurgische  Aufsätze 
und  besonders  die  über  die  pathologische  Anatomie,  die  es  verdienen 
hervorgehoben  zu  werden,  und  zwar: 

1.  über  einen  Kranken,  der  von  einem  aus  Cystin  bestehenden 
Stein  durch  einen  von  ihm  ausgeführten  Steinschnitt  befreit 
worden,  und  von  einem  zweiten  derartigen  Falle. 

2.  Ueber  den  Harnsäuren -Infar et  in  den  Nieren  neugeborener 
Kinder. 

3.  Tinctura  Jodi,  als  äusseres  Heilmittel.  (Günsburgs  Zeitschrift 
Band  I). 

Hodanns  Carriere  gewährt  ein  Beispiel,  wie  sehr  Begabung  und 
Fleiss  auch    einen  Autodidacten  zu  fördern   vermögen. 

Bezüglich  der  Station  für  innere  Krankheiten  ist  Folgendes  zu 
erwähnen.  Der  erste  Director  des  Hospitals,  zugleich  Oberarzt  dieser 
Station  war  Ebers  von  18 10 — 1858;  der  zweite  und  zugleich  letzte 
ärztliche  Director  war  von  Pastau  von  1863 — 1874. 


*)  „Der  Traum  des  Mediciners",  Fastnachtsspiel  von  Dr.  Hodann  und  Dr.  S.  Meyer; 
es  wurde  bei  dem  ersten  Stiftungsfeste  des  Vereins  Breslaaer  Aerzte  aufgeführt  (es  erschien 
1862  im  Druck  bei  Trewendt  in  Breslau),  und  auf  der  letzten  Naturforscher- Versammlung 
in  Breslau  wurde  die  Aufführung  wiederholt, 

**)  Verzeichniss  in  den  Schriften  der  vaterländischen  Gesellschaft  von  1804 — 1863 
Seite  60. 


Es  wirkten  ferner  als  Primärärzte: 

Professor  Dr.  Nega  von  1852 — 1857;  vorher  als  Assistenzarzt  seit 
1845   bereits  thätig. 
•  Professor  Dr.  Rühle    von   1857 — 1860,    vorher    als  Assistenz-    und 
Secundärarzt  seit   1850  thätig. 

Dr.  Schneider  von  1857 — 1863,  seit  1849  als  Assistenzarzt  thätig, 
machte  lange  Zeit  die  Leichensectionen  bis  zur  Ernennung 
eines  amtlichen  Prosectors. 

Dr.  Bernhard  Cohn,  von  1859 — 1865,  vorher  als  Assistenzarzt 
seit  1852  thätig,  bekannt  durch  die  erste  Beschreibung  der 
«mbolischen  Krankheiten*). 

Geheimer  Rath  Benedict  als  Director  der  am  i.  October  1855  in 
das  Allerheiligen-Hospital  aufgenommenen  königlichen  chirur- 
gischen Klinik;  er  wirkte  hier  nur  ein  halbes  Jahr  und  nahm 
seine  Demission.  Sein  Nachfolger  war  bekanntlich  Professor 
Dr.  Middeldorpf. 

Professor  Dr.  Lebert,  Director  der  medicinischen  Klinik  vom 
I.  October  1859  t>is  Juni  1874,  Nachfolger  Frerichs. 

Sanitätsrath  Victor  Friedländer,  von  1863  bis  i.  Januar  1875 
Assistenzarzt  und  von  da  ab  bis  1887  Primärarzt  der  medicini- 
schen  Hospital-Abtheilung,  ein  sehr  begabter  tüchtiger  Medicus 
besonders  als  Hospitalarzt,  und  edel  als  Mensch,  was  auch 
seine  Stiftung  des  Reconvalescenten-Heims  beweist. 

Professor  Dr.  Neumann,  ein  sehr  geistreicher  Psychiatriker,  als 
Primärarzt    der  Irrenabtheilung  von    1867 — il 


Bevor  wir  das  Hospital  verlassen,  wollen  wir  die  Räumlich- 
keiten in  ihrer  jetzigen  Gestaltung  kurz  erörtern. 

"Wir  gelangen,  vom  Burgfeld  ausgehend,  zunächst  durch  das 
grosse  Thor  zur  Leichenhalle  und  dem  pathologischen  Institut 
unter  Prof.  Dr.  Ponficks  Leitung,  welches  nur  durch  eine  eiserne 
Gitterthür  von  der  von  Professor  Dr.  Neisser  geleiteten  Klinik  für 
Hautkrankheiten  und  Syphilis  getrennt  ist.  Dieselbe  führt  den 
Namen  „Das  retablirte  Haus",  weil  das  Gebäude  nach  dem  Brande 
von  1832  von  Grund  aus  wieder  neu  hergestellt  worden  ist.  Daran 
schliesst  sich  die  im  Jahre  1835  erbaute  jetzige  medicinische  Klinik, 
von  Prof.  Dr.  Biermer  geleitet,  oder  die  Lösch'sche  Abtheilung, 
an  welche  sich  dann  die  aus  den  siebziger  Jahren  stammende 
chirurgische  Klinik  unter  Prof.  Dr.  Fischers  Direction  oder  das 
Riess-Pulvermacher'sche  Haus  mit  dem  neu  hergestellten  Operations- 


*)  Er  erhielt   für  diese  Arbeit    1862  von  der  Pariser  Aakdemie  einen  Monthyon-Preis, 
cf.  Biogr.  Lexic.  hervorrag.  Aerzte.     VI,  S.  636. 


20  2 


saale  anreiht.  Links,  vom  Garten  aus  betrachtet,  liegen  die  Hickert- 
schen  Irrenzellen  mit  einem  in  Stein  gehauenen  Kopf,  dessen  Ur- 
sprung dem   15.  Jahrhundert  angehört. 

Darauf  folgt  das  Stadtrath  Knorr'sche  Uhrgebäude,  welches 
aber  nach  der  Entfernung  der  Irren  in  die  neue  städtische  Irren- 
Anstalt  bauliche  Veränderungen  erfahren  soll. 

Rechts  vom  Hauptportale,  die  Barbaragasse  entlang,  finden  wir 
die  zu  einem  Krankenhause  umgestaltete  ehemalige  Barbarakaserne, 
welche  vis-ä-vis  der  Barbarakirche  mit  der  Küche  und  den  Beamten- 
wohnungen abschliesst.  Diesem  Gebäude  gegenüber  liegt  das  Ab- 
sonderungs-  und  Contagienhaus  mit  einem  kleinen  Räume  für 
Pockenkranke.  Indess  dienen  für  plötzliche  Epidemien  die  im 
Wenzel-Hancke'schen  Krankenhause  befindlichen  Baracken. 

AVerden  jetzt  nach  Verlegung  der  Irrenkranken  in  die  neue  unter 
!Medicinalrath  Professor  Dr.  AVernicke  stehende  Irrenanstalt,  die  wir 
der  überzeugenden  Anregung  und  Consequenz  des  Oberbürgermeisters 
Eriedensburg  nach  den  von  ihm  vorgenommenen  Hospitalrevisionen 
verdanken,  die  beabsichtigten  Umbauten  im  sogenannten  Uhrgebäude 
und  aus  der  Agath-Friebe'schen  Stiftung  noch  andere  Bauten  aus- 
geführt, so  dürfte  die  Commune  für  20  und  mehr  Jahre  hinaus  hin- 
reichend Raum  zur  Unterbringung  ihrer  Kranken  gewinnen,  zumal 
die  neuen  klinischen  Anstalten  der  Universität  noch  Hilfe  in  dem 
Scheitniger  Bezirke  bringen  werden  und  das  neue  Armenhaus  eine 
Herabminderung  von  440  Betten  im  Oderthorbezirk  schaffen  soll. 

Die  Schöpfung  dieser  Xeu-  und  Umbauten  sind  ein  wesent- 
liches A'erdienst  des  trefflichen  Vorsitzenden  der  Hospital-Direction, 
Bürgermeister  Dickhuth,  der  jedem  Fortschritt  im  Krankenwesen 
geneigt  ist,  aber  auch  den  Seckel  der  Stadt  dabei  zu  schonen  versteht. 


2or. 


Die  Gründung  der  K.  Leopoldinisch-Caro- 

linischen  Akaderaie  der  Naturforscher 

und  Schlesien 

(nebst  einem  Verzeichniss  der  schlesischen  Mitglieder 
der   Akademie). 


JL  ür  die  Geschichte  der  wissenschafthchen  Bestrebungen  und  des 
geistigen  Lebens  in  Schlesien  ist  die  Gründung  der  Academia 
Naturae  Curiosorum  im  Jahre  1652,  welche  der  glänzenden  Idee 
des  Arztes  und  Physikus  zu  Schweinfurt  in  Franken,  Dr.  Joh.  Lorenz 
Bausch,  verdankt  wird,  von  einschneidender  Bedeutung  geworden*). 
In  ihr  und  durch  sie  fanden  alle  Geisteskräfte  unserer  Heimat  einen 
Mittelpunkt  und  segensreiche  Anregung  von  dem  Augenblicke  an, 
da  Sachs  von  Löwenheim^  der  Breslauer  Arzt  und  Physikus,  seine 
fruchtbare  Thätigkeit  im  Interesse  der  Akademie  begann  und, 
gleichsam  in  Anerkennung  seiner  Verdienste,  Breslau  zum  Sammel- 
ort für  alle  die  Medicin  und  Naturwissenschaften  betreffenden  Mit- 
theilungen und  Beobachtungen  der  Mitglieder  und  auch  fremder  Ge- 
lehrten und  für  grössere  literarische  Leistungen  der  ersteren  ge- 
wählt wurde.  Sachs  von  Löwenheim  hat  sich  den  Ruhm  erworben, 
der  jungen  Schöpfung  gradezu  aus  den  Kinderschuhen  herausge- 
holfen zu  haben,  in  denen  sie  beinahe  stecken  geblieben  wäre.  Die 
Schuld  daran  lag  einmal  in  den  strengen,  für  gelehrte  Männer  lästigen, 
statutenmässigen    Bedingungen,    welche    besonders    die  Anfertigung 


*)  Unsere  Darstellung  beruht  vornehmlich  auf  Andr.  E,  Büchners  Historia  Academiae 
N.  C.  Halle,  1755,  S.  I  — 103,  "welche  überaus  reich  an  actenmässigea  Belegen  ist.  Da- 
neben ist  benutzt  Nees  v.  Esenbeck:  „Vergangenheit  und  Zukunft  der  Akademie  der 
Naturf."   1851.  S.   Ii— 18. 


204 

wissenschaftlicher  Arbeiten  betrafen**),  theils  daran,  dass  Bausch  in 
dem  von  ihm  verfassten  Programme  ohne  Widerspruch  von  Seiten 
der  Mitbegründer,  der  praktischen  Aerzte  zu  Schweinfurt:  Fehr, 
Metzg'er  und  Wohlfarth,  die  Erklärung  abgab:  Die  zu  gründende 
Akademie  solle  nicht  sein  „publica  et  talis,  qualem  Viri  Principes 
aliique  Status  Imperii  Romani  in  usum  discentium  erexerunt,  sed 
privata  vel  Sodalitium  quoddam."  (Cf.  Büchner  S.  20.)  Für  die 
Genossenschaft  der  Naturae  Curiosorum  zu  Schweinfurt,  wo  nicht 
einmal  eine  Universität  vorhanden  war  und  der  wissenschaftliche 
Verkehr  mit  auswärtigen  Gelehrten  schon  deshalb  auf  Schwierig- 
keiten stossen  musste,  hiess  das  nichts  anderes,  als  selbstverschuldete 
Beschränkung  der  Lebensfähigkeit.  Als  nun  Sachs  von  Löwenheim 
im  Jahre  1658  in  diese  Akademie  aufgenommen  wurde,  erschien  er 
im   wahren  Sinne  des  "Wortes  als  Lebensretter  derselben.  — 

Er  drang  bei  dem  Präsidenten  und  dessen  Adjunkten  darauf, 
dass  die  Akademie  mit  allen  ihren  Zielen  und  Leistungen  in  die 
O  effentlichkeit  trete  und  dieselben  weit  und  breit  bekannt  mache. 
Sachs  nahm  alle  die  alten  Beziehungen  aus  seiner  Studienzeit  zum 
Besten  des  Instituts  wieder  auf.  Er  correspondirte  mit  einem 
Lyoner  Arzte  und  Freunde  über  den  Zweck  der  Gründung,  um  die- 
selbe in  Frankreich  bekannt  zu  machen  (cf.  B.  S.  58.  Anm.  60);  er 
liess  sich  über  die  Akademie  in  Briefen  an  einen  befreundeten 
Professor  der  Anatomie  in  Kopenhagen,  Bartholinus,  aus  und  stand 
in  überaus  lebhaftem  Gedankenaustausch  mit  einem  Londoner  Freunde 
Oldenburg,  der  als  Secretär  der  um  dieselbe  Zeit  entstandenen  Royal" 
Society  in  London  ihm  werthvolle  Winke  für  die  Entwickelung  des 
deutschen  Instituts  geben  konnte,  während  Sachs  seinen  Mitarbeitern 
in  der  Akademie  immer  wieder  die  englische  Gesellschaft  als  Muster 
vor  Augen  hielt.  Vor  allen  Dingen  aber  suchte  er  schon  in  dieser 
Zeit  (1660 — 70)  die  Protection  hochangesehener  Fürsten  und  des 
Kaisers  selbst  dem  jungen  Unternehmen  zu  verschaffen.  Da  Kaiser 
Leopolds  Unterstützung  während  der  Kriegsereignisse  in  Ungarn  und 
der  Türkei  nicht  zu  erwarten  war,  wandte  er  sich  an  den  kaiser- 
lichen Bevollmächtigten  auf  dem  Regensburger  Reichstage,  den 
Fürstbischof  von  Salzburg,  und  gewann  dessen  Gönnerschaft  für  die 
Akademie  und  Fürsprache  bei  dem  Kaiser  nach  Ueberreichung  eines 
seiner  Werke,  während  ein  anderes  Mitglied,  durch  Sachs'  Beispiel 
angefeuert,  den  Fürstbischof  von  Mainz  um  seine  Gunst  anging.  Bei 
dieser  Reorganisation  der  Akademie  fand  Sachs,  der  im  Jahre  1661 
Adjunkt  geworden  war,  einen  vortrefflichen  Mitarbeiter  in  dem 
Nachfolger  von  Bausch  im  Präsidium,    dem  schon  genannten  Fehr, 


**)  Cf.  Büchner.  S.   21  —  33.  (H'  V— VIII,  X). 


^  ^05 

der  mit  unserem  Landsmanne  die  Aenderung  der  Statuten  vornahm 
und  die  Anlegung  eines  Geldfonds  durch  regelmässige  Beiträge  der 
Mitglieder  anregte. 

Wie  bedeutend  aber  auch  alle  diese,  dem  Ansehen  Schlesiens 
auch  zu  Gute  kommenden,  Leistungen  unseres  Sachs  von  Löwen- 
heim für  die  Organisation  und  äussere  Blüthe  der  Akademie  sein 
mochten,  übertroffen  wurden  dieselben  durch  seine  Thätigkeit  für 
den  wissenschaftlichen  Ruf  der  Akademie,  —  eine  Thätigkeit,  welche 
für  unsere  Provinz  ausserordentliche  Vortheile  mit  sich  brachte. 
Im  Jahre  1661  veröffentlichte  er*)  seine  „Ampelographia,"  als  Bei- 
spiel zugleich  und  „Vorläufer"  für  die  Publicationen  der  Mitglieder, 
und  sprach  sich  über  das  Wesen  der  Akademie  in  der  Praefatio  zu 
diesem  Werke  eingehender  aus.  Er  ermahnte  den  Präsidenten  und 
den  zweiten  Adjunkten,  nur  dafür  zu  sorgen,  dass  die  Beendigung 
von  Arbeiten  anderer  Mitglieder  nicht  zu  lange  sich  hinziehe,  damit 
die  Akademie  durch  Zahl  und  Werth  ihrer  Leistungen  an  Ansehen 
gewinnt**).  Es  war  zuletzt  nur  natürlich,  dass  die  Akademie  diesen 
Mann  zu  ihrem  literarischen  Leiter  und,  dem  entsprechend,  seine 
Vaterstadt  und  den  Ort  seines  ärztlichen  Wirkens,  Breslau,  zum 
Redactionsort  erhob.  Büchner  hat  in  seiner  „Historia"  klar  die  für 
die  Wahl  dieser  Stadt  bestimmenden  Gründe  auseinandergesetzt.  Hier 
war  in  Folge  des  grossen  Handelsverkehrs  die  günstige  Gelegenheit 
zum  Empfang  und  zur  Beförderung  von  Briefen  und  anderen  Mit- 
theilungen gegeben;  an  diesem  Orte  ferner  wohnten  mehrere  Mit- 
glieder der  Akademie,  vor  Allem  der  zuverlässige,  eifrige  und  alle 
an  Gewandtheit  übertreffende  Sachs  selbst,  dem  die  übrigen  Breslauer 
Aerzte  in  seiner  Aufgabe  behilflich  sein  konnten.  Als  im  Jahre  1670 
das  erste  Heft  der  Mittheilungen,  „Ephemerides"  genannt,  von  der 
Akademie  herausgegeben  wurde,  hatte  dieses  Ereigniss  zur  P'olge, 
dass  Männer  wie  Boerhaave  und  im  Anschluss  an  ihn  später  Haller***) 
dieses  Jahr  für  das  der  Gründung  der  Akademie  hielten  (cf.  B.  S.  25. 
Note  24). 

Neben  der  anstrengenden  Thätigkeit  für  die  Veröffentlichungen 
der  Akademie  beschäftigte  Sachs  nichts  so  sehr,  wie  die  !^ufgabe,| 
seinem  Schosskinde  die  Anerkennung  und  das  Protectorat  desW^aiser^ 
zu  verschaffen.     Zu  diesem  Zwecke  hatte  er  sich  in  dieser  Zeit  mit 


*)  Cf.  über  seine  Werke  und  sein  Leben  unsere  Biographie  auf  S.  60  u.  61,  wir 
nennen  noch  von  seinen  Werken  die  ,,Gammarologia''   1665. 

*^)  Abgesehen  von  den  Werken,  deren  Verfasser  Sachs  zweifellos  ist,  hält  ihn  Büchner 
entschieden  für  den  Autor  der  „Historia  succincta  brevisque  ortus  et  progressas  Academiae 
N.   C."  Cf.  S.  60. 

***)  lieber  das  Interesse  Hallers  für  die  Akademie  vgl.  S.  61  unserer  Biographie  von 
Sachs  von  Löwenheim. 


2o6 

den  kaiserlichen  Leibärzten  Lucas  Erbenius  und  Czaschelius  in  Ver- 
bindung gesetzt;  diese  Angelegenheit  hatte  er  dem  böhmischen 
Kanzler,  Grafen  Nostiz,  dringend  an's  Herz  gelegt,  als  derselbe  bei 
seinem  Aufenthalt  in  Breslau  ihn  consultirte,  und  für  diese  Sache 
hatte  er  auch  den  kaiserlichen  Vicekanzler,  Grafen  Königseck,  zu 
gewinnen  gesucht.  Sachs  war  von  den  Aussichten,  die  er  für  die 
Akademie  erlangt  hatte,  durchaus  befriedigt,  wie  aus  seinen  Briefen 
hervorgeht  (cf.  B,  S.  99.  Note  121),  Aber  die  Erfüllung  derselben 
erlebte  er  nicht  mehr,  da  er  schon  im  Jahre  1672,  kurz  vorher  vom 
Kaiser  mit  einer  goldenen  Halskette  beschenkt,  im  kräftigen  Mannes- 
alter —  ein  schwerer  Verlust  für  die  Akademie  —  starb  und  die 
Akademie  erst  im  Jahre  1677  die  Bestätigung  der  erweiterten  Statuten 
und  den  Titel:  ,,Sacri  Romani  Imperii  Academia  N.  C."  von  Kaiser 
Leopold  I.  erhielt.  Auf  seinem  Sterbebette  noch  empfahl  Sachs 
von  Löwenheim  seinen  treuen  Landsleuten,  den  Breslauer  Aerzten 
Vollgnad  und  Jänisch,  welche  Mitglieder  der  Akademie  waren,  die 
Sorge  für  die  weitere  Herausgabe  der  Ephemeriden. 

Aus  allen  unseren  Ausführungen  geht  das  als  sicher  hervor,  dass 
der  Schwerpunkt  aller  Bestrebungen  der  Akademie  in  diesen  ersten 
Jahrzehnten  in  Schlesien,  speciell  in  Breslau  lag.  Wenn  nun  die 
Aeusserung  von  Nees  v.  Esenbeck,  dem  Präsidenten  dieser  Akademie 
in  der  ersten  Hälfte  dieses  Jahrhunderts,  wahr  ist,  dass,  ,,was  zeitge- 
mäss  entspringt,  sich  schnell  entwickelt,  weil  es  in  den  Zeitgenossen 
Anklang  findet,"  so  darf  es  uns  nicht  wundern,  dass  bei  der  er- 
staunlichen Thätigkeit  Sachs  von  Löwenheims  so  viele  seiner  Zeitge- 
nossen gerade  aus  Schlesien  in  der  Mitgliederzahl  der  Akademie 
sich  befinden.  Der  häufige  Beitritt  von  schlesischen  Gelehrten  auch 
in  den  nächsten  Jahrzehnten  findet  aber  auch  seine  natürliche  Er- 
klärung darin,  dass  die  Akademie,  da  Breslau  keine  Universität  be- 
sass  und  eine  solche  erst  im  Beginn  des  XIX.  Jahrhunderts  erhielt, 
für  das  geistige  Leben  unserer  Provinz  bis  zu  dieser  Zeit  fast  den 
einzigen  Stützpunkt  bildete  und  beinahe  allein  einen  Zusammenhang 
zwischen  den  heimischen  wissenschaftlichen  Bestrebungen  und  denen 
aller  andern  Länder  herstellte. 


Wir  wollen  nunmehr  eine  Liste  von  den  der  Akademie  ange- 
hörigen  schlesischen  Medicinern  und  Naturforschern  geben  und  be- 
merken noch  dazu,  dass  wir  für  das  XIX.  Jahrhundert  uns  auf  die  in 
Schlesien  Geborenen  beschränkt  haben,  während  für  die  früheren 
Jahrhunderte  auch  solche  aufgenommen  sind,  welche  zwar  nicht  in 
unserer  Provinz  geboren  sind,  aber  lange  in  derselben  gewirkt  haben. 
Wir  verdanken   die  Liste  bis  auf  Weniges   der  Bereitwilligkeit  des 


207 


derzeitigen  Präsidenten  der  Akademie,  Herrn  Geheimrath  Prof. 
Dr.  Knoblauch  in  Halle,  der  uns  einen  Auszug  aus  den  Akten,  ver- 
sehen mit  der  Nummer  der  Eintragung  in  das  Mitglieder-Album  und 
dem  Aufnahme-Datum,  anfertigen  liess. 


No.  17.  30.  December  1658:  Dr.  Philipp  Jacob  Sachs  von 
Lewenhaimb  (Löwenheim),  cogn.  Phosphorus  I,  Phy- 
sikus  in  der  freien  Stadt  Breslau,  geboren  daselbst  am 
26.  August  1627,  gestorben  am  7.  Januar  1672.  Begr.  der 
Acad.  nat.  curiosor. 

No.  28.  Im  J.  1664:  Paul  Ammann,  cogn.  Dryander  I,  Pro- 
fessor der  Physiologie  und  Botanik  zu  Leipzig;  geboren 
in  Breslau  den  3.  Aug.   1634,  gest.  4.  Febr.  i6go. 

No.  29.  14.  Mai  1664:  Dr.  Joh.  Daniel  Maior,  cogn.  Hes- 
perus  I,  Pestarzt  in  Hamburg,  dann  Prof.  der  Anatomie 
und  Botanik  in  Kiel,  Leibarzt  des  Bischofs  von  Lübeck, 
geboren  in  Breslau  den  16.  August  1634;  gestorben  den 
3.  August  1693. 

No.  ^^.  20.  October  1669:  Dr.  Heinrich  VoUgnad,  cogn. 
Sirius  I.,  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst  den 
8.  Mai   1634,  gestorben  den  3,  Januar   1682. 

No.  34.  20.  October  1669:  Dr.  Johannes  Jänisius,  cogn.  Arc- 
turus,  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst  den  31.  Octo- 
ber 1636,  gestorben  den  7,  December  1707. 

No.  43.  15.  August  1672:  Dr.  Melchior  Friebe,  cogn.  Oleander, 
praktischer  Arzt  zu  Landshut  in  Schlesien,  später  in 
Zittau,  endlich  Physikus  zu  Hayna,  Kreis  Meissen,  ge- 
boren den  24.  November  1629  in  Schles.  -  Friedland,  ge- 
storben 1690. 

No.  47.  19.  September  1672:  Dr.  Joachim  Georg  Eisner, 
Stadtarzt  in  Breslau,  geboren  daselbst  den  4.  Juni  1642, 
gestorben  den  3.  Mai  1676. 

No.  48.  15.  August  1673:  Dr.  Gottfried  Schubart,  Physikus 
zu  Hirschberg,  dann  Stadtarzt  in  Brieg,  geboren  zu 
Breslau  den  30.  Juni  1634,  gestorben  den  14.  October  1691, 

No.  49.  15.  August  1673:  Gottfr.  Christ.  Winckler,  Rath 
und  Leibarzt  des  Kurfürsten  von  Brandenburg,  Physikus 
in  Brieg,  geboren  daselbst  den  19.  September  1635,  ge- 
storben den  4.  Juli   1684. 

No,  52.  24.  Mai  1674:  Dr.  Salomon  Reisel,  cogn.  Amphion, 
Physikus    in  Buchsweiler,    dann    in  Hanau    und  Worms, 


2o8 

zuletzt  Rath  und  Leibarzt  des  Herzogs  von  Würtemberg, 
geboren  in  Hirschberg  den  14.  October  1625,  gestorben 
21.  Xov.  1701. 

No.  55.  24.  JNIai  1674:  Dr.  Ehrenfried  Hagendorn,  cogn. 
Pegasus  III;  kurfürstl.  sächsischer  Leibarzt  und  prakti- 
scher Arzt  in  Görhtz,  geboren  zu  Wohlau  den  22.  Januar 
1640,  gestorben  den  27.  Februar   1692. 

No,  63.  Im  JuU  1676:  Dr.  Gottfr.  Schulz,  cogn.  Aegineta  I; 
Stadtarzt  der  freien  Stadt  Breslau,  geboren  daselbst  den 

20.  April  1643,  gestorben  den  4.  Mai  i6g8. 

No.  70.     22.  Januar  1677:    Dr.    Johann    Burg,      cogn.   Mesue  I; 
Arzt    der    freien    Stadt    Breslau,    geboren    daselbst    den 
13.  Juni  1652,  gestorben  den  25.  August  i6go. 
No.  71.     22.  Januar    1677:     Dr.    Gottfried    Samuel    Polisius, 
cogn.    Homer    I;    Arzt    zu    Steinau,    dann    Physikus    zu 
Züllichau,    zuletzt    zu  Frankfurt  a.  O.,    geboren    daselbst 
den  II.  April   1636,  gestorben   1700^ 
No.  83.     4.  März  167g:    Dr.    Tobias    Czaschel,    cogn.    Aescula- 
pius    I;    kaiserl.    Leibarzt,    geboren    zu    Lauban    in    der 
Lausitz,  gestorben  den  25.  December  1682. 
No.  85.     4.  März  167g:   Johann  Christian  Tralles,  cogn.  Aven- 
zoar:    kaiserl.    Hofarzt    und    Physikus    der    freien    Stadt 
Breslau,  später  königl.  polnischer  Regimentsarzt,  geboren 
zu  Strehlen  in  Schlesien,  gestorben   i6g8. 

No.  102  6.  Mai  1682:  Dr.  Joh.  Adam  Limprecht,  cogn.  Fabius; 
zuerst  Stadtarzt  zu  Breslau,  darauf  Physikus  zu  Anger- 
münde und  endlich  zu  Fürstenwalde,  Rath  und  Leibarzt 
des  Herzogs  von  Würtemberg  zu  Oels  und  Bernstadt 
in  Schlesien  und  Mitglied  des  ärztlichen  Collegiums  zu 
Berlin,  geboren  zu  Breslau  den  2.  December  1651,  ge- 
storben den  27.  Juni   1735. 

No.  log.  6.  November  1682:  Dr.  Karl  Oehmb,  cogn.  Sirius  II; 
Physikus  der  freien  Stadt  Breslau,  geboren  daselbst  1653, 
gestorben  den  g.  April  1706. 

No.  127.  I.  November  1684:  Dr.  Samuel  Ledelius,  cogn.  The- 
seus  II;  praktischer  Arzt  zu  Sagan  in  Schlesien,  dann 
Kreisphysikus  zu  Grünberg,  geboren  zu  Sorau   1644. 

No  148.  3.Febr.i686:  Dr.  Joseph  Ignatz  Myschel-Moschau, 
cogn.  Erasistratus,  Physikus  in  Glatz.  (Geburtszeit  und 
Tod  unbekannt). 

No.  151.  31.  März  1686:  Dr.  Johann  Acoluthus,  cogn.  Cassius, 
Jatrosophista;  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst  den 

21.  August   1658,  gestorben  den  17.  October  i6g6. 


209 

No.  175.  2.  Mai  1690:  Dr.  David  Reich,  Edler  von  Ehrenberg 
auf  Reichenhoff,  cogn.  Herkules  III ;  kaiserl.  Leibarzt, 
Canonicus  zu  Merseburg  und  Stadtarzt  von  Breslau,  ge- 
boren daselbst  den  22.  März   1652. 

No,  185.  24.  Januar  i6gi:  Dr.  Ernst  Sigismund  Grass,  cogn. 
Chiron  II;  Physikus  zu  Jauer  in  Schlesien,  das.  geboren. 

No  204.  31.  Januar  1694:  Dr.  Samuel  Grass  senior,  cogn. 
Mesuell;  erster  Physikus  zu  Breslau,  geboren  daselbst 
den    II.  Juli  1653,    gestorben  daselbst  den  29.  Juni  1730. 

No.  205.  31.  Januar  1694:  Dr.  Michael  Pauli,  cogn.  Asterion  I  ; 
Stadtarzt  zu  Breslau,  geb.  zu  Lüben  den  8.  October  1652. 

No.  215.  25.  Juni  1695:  Dr.  Christian  v.  Helwich,  cogn.  Em- 
pedokles;  Rath  und  Leibarzt  mehrerer  Herzöge  von 
vSchlesien,  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  den  6.  Januar 
1666,  gestorben  den  20.  September  1740. 

No.  218.  6.  October  1695:  Dr.  Maximilian  Preuss,  cogn.  Japis  I; 
Physikus  der  königl.  Stadt  Fraustadt  in  Polen  (Provinz 
Posen),  dann  Oberphysikus  zu  Breslau,  geboren  daselbst 
den  10.  März  1652,  gestorben  den  6.  September  1721. 

No.  239.  3.  November  1699:  Dr.  Gottlieb  Budäus,  cogn.  Meno- 
dotus;  Provinzialphysikus  der  Unterlausitz  und  Stadt- 
arzt zu  Lüben,  dann  Leibarzt  des  Herzogs  von  Sachsen 
zu  Merseburg  und  Stadtarzt  zu  Spremberg,  endlich 
Provinzialphysikus  der  oberen  Lausitz  und  Stadtarzt  zu 
Bautzen,  geboren  den  15.  Juli  1664  zu  Rehfeld  bei 
Herzberg,  gestorben  1734. 

No.  -241.  3.  Juni  1700:  Dr.  Jonas  Friedrich  Ortlob,  cogn. 
Democedes.  Professor  der  Anatomie  und  Physiologie  zu 
Leipzig,  zuletzt  kurfürstl.  sächsischer  Leibarzt,  geboren 
zu  Oels  den  2.  August  1661,  gestorben  im  December  1700. 

No.  244.  18.  August  1700:  Dr.  Philipp  Freiherr  von  Hulden, 
cogn.  Praxagoras,-  Arzt  in  Schweden,  dann  in  Polen, 
Leibarzt  des  Bischofs  von  Cujavien,  darauf  Hofrath  und 
Leibarzt  des  Herzogs  von  Würtemberg-Oels  und  endlich 
Senator  und  ordentlicher  Physikus  der  Stadt-^Ceumarkt 
in  Schlesien,  geboren  den  28.  September  1646. 

No.  268.  15.  November  1706:  Dr.  Gottfried  Klaunig,  cogn.  Eu- 
bulus;  erst  pfälzischer  Hofarzt,  dann  Sr.  Majestät  des 
Kaisers  Leib-  und  Hofarzt,  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren 
daselbst  1676,  gestorben  daselbst  17.  Januar  1731. 

No.  270.  3.  März  1707:  Dr.  Ulrich  Sigismund  Nimptsch,  cogn. 
Theon;  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  zu  Bernstadt  den 
14.  October  1672,  gestorben  den  16.  December  1726. 

14 


2IO 


Xo,  271.  3.  März  1707:  Dr.  Gottfried  David  Mayer,  cogn. 
Menemachus,  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  den  9,  Novem- 
ber 1659  zu  Breslau,  gestorben  daselbst  den  28.  Novem- 
ber 171g. 

No.  273.  25.  April  1707:  Dr.  Gottlieb  v.  Albrecht  und  Bau- 
mann, cogn.  Diagoras:  erst  Stadtarzt  zu  Breslau,  dann 
kaiserl.  Rath,  geboren  daselbst  den  7.  März   167 1. 

No.  277.  3.  Mai  1708:  Dr.  Friedrich  Kaltschmidt,  cogn.  Pro- 
tarchus  I;  Stadtarzt  zu  Rawicz  (in  der  Provinz  Posen),  dann 
zu  Breslau,  endlich  Leib-  und  Hofarzt  des  Kaisers,  ge- 
boren das.  den  6.  Juli   1643,  gestorben  den  21.  Juli  1717. 

No.  285.  16.  Februar  1709:  Dr.  Johann  Ernst  Waltsgott,  cogn. 
Glauco  I;  erst  Stadtarzt  zu  Breslau,  dann  Phj^sikus  zu 
Beuthen,  dann  praktischer  Arzt  zu  Ratibor  und  endlich 
Physikus  der  Herzogthümer  Schweidnitz  und  Jauer,  kaiserl. 
Leib-  und  Hofarzt,    geboren  zu  Oels  den  S.Januar  1671. 

No.  286.  16.  Februar  1709:  Dr.  Johann  Gottlieb  Nüssler  von 
Nüssler,  cogn.  Ctesias  I;  kaiserl.  Pfalzgraf*),  Rath  und 
Leibarzt  des  Herzogs  von  Sagan  und  des  Fürsten  von 
Lobkowitz,  Physikus  des  genannten  Herzogthums  und 
der  Stadt  Sagan.  geboren  zu  Lauban  den  16.  Juli  1664, 
gestorben  den   16.  August  1711. 

No.  288.  24.  Juni  1711.-  Dr.  Joh.  Heinrich  Helger,  cogn.  Hiero- 
theus;  Stadtarzt  zu  Schweidnitz,  dann  zu  Breslau,  geboren 
den  9.  Mai  1672  zu  Oels,  gestorben  den  30.  October  1729 
zu  Breslau. 

No.  296.  13.  Februar  1713:  Dr.  Immanuel  Weissmann,  cogn. 
ApoUophanes.  Physikus  in  Löwenberg,  dann  in  Breslau, 
geboren  den  24.  September  1683  in  Waiblingen  (Würtem- 
berg). 

No.  298.  1.  März  17 13:  Dr.  Christian  Michael  Adqlphi,  cogn. 
Aetius  n,  Herzogl.  sächsischer  Leibarzt,  Senior  der  Leip- 
ziger Medic.  Facultät,  geboren  zu  Hirschberg,  den  15.  Aug. 
1676,  gestorben  den  3,  October   1753. 

No.  302.  21.  October  1713:  Dr.  Adam  Christian  Thebesius, 
cogn.  Euriphon  I;  Physikus  zu  Hirschberg  und  den  be- 
nachbarten Bädern,  geboren  den  1 2. Januar  1686  zu  Sanden- 
walde  (im  Herzogthum  Wohlau).  gestorben  den  10.  No- 
vember 1732. 

No.  303.     7.  April  1714:    Dr.  Joh.  Michael  v.  Kozamero,  cogn. 


*)  Zu  den  Ehrentiteln  und  Würden,  welche  den  Akademikern  verliehen  werden  konnten, 
gehörten  der  Titel:  „Aichiater"  und  die  Würde  eines  Comes  Palatinus. 


2  I  I 


Stratonicus ;    aas    Bayern    gebürtig,    fürstl.    Physikus    zu 
Teschen  in  Oesterreich-Schlesien  (damals  Oberschlesien). 

No.  304.     26.  April    1714:    Dr.  Gottfr.  Benjamin  Preuss,    cogn. 
Japis  II;    Stadtarzt    zu  Breslau,    geboren  den   18.  August 
1684  zu  Fraustadt  (in  der  Provinz  Posen),   gestorben  den 
I  2.  Juni   I  719. 

No.  305.  27.  April  1714:  Dr.  Samuel  Grass  jun.,  cogn.  Mesue  HI; 
Oberarzt  der  freien  Stadt  Breslau,  geboren  daselbst  den 
14.  December  1684,  gestorben  den  28.  November  1745 
(nach  einer  anderen  Notiz:  geboren  in  Breslau  den 
14.  December  1653,  gestorben  daselbst  1730). 

No.  311.  3.  December  1714:  Dr.  Gottfried  Held  v.  Hagels- 
heim, cogn.  Eusebius;  erst  Leib-  und  Militärarzt  zu 
Bayreuth  und  des  ganzen  fränkischen  Kreises,  dann  Rath 
und  Leibarzt  des  Herzogs  von  Eisenach,  endlich  Hofrath 
und  Oberarzt  zu  Bayreuth,  geboren  den  18.  September 
1670  zu  Herrnstadt  bei  Wohlau  in  Schlesien,  gestorben 
den  30.  September  1724  zu  Bayreuth. 

No.  317.  20.  September  1 715;  Dr.  Christian  Gottlieb  Reusner, 
cogn.  Dorotheus  I;  Stadtarzt  zu  Jauer  in  Schlesien,  ge- 
boren zu  Liegnitz  im  Januar  1682. 

No.  342.  6.  December  171g:  Dr.  Joh.  Kanold,  cogn,  Dexippus; 
Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst  den  15.  December 
167g,  gestorben  den   15.  November   172g. 

No.  344.  14.  Februar  1720:  Dr.  Tobias  Ferdin.  Paulli,  cogn- 
Alcimion;    Stadtarzt    zu  Breslau,  geboren  daselbst   1688. 

No.  355.  II.  September  1721:  Johann  Georg  Kulmus,  cogn. 
Philotes,  königl.  polnisch,  und  herzogl.  sächsischer  Leibarzt 
und  praktischer  Arzt  in  Danzig,  geboren  in  Breslau  den 
26.  März   1680,  gestorben  1731. 

No.  356.  II.  September  172 1 :  Dr.  Johann  Adam  Kulmus,  cogn. 
Philomenis  I;  Professor  und  Physikus  in  Danzig,  Mit- 
glied der  königl.  wissenschaftl.  Gesellschaft  zu  Berlin, 
geboren  in  Breslau  den  18.  März  i68g,  gestorben  den 
2g.  März   1745. 

No.  36g.  7.  Juni  1724:  Licent.  Conrad  Michael  Valentini, 
cogn.  Thessalus  III;  Physikus  der  Stadt  Grünberg. 

No.  3g5.  30.  Januar  1727:  Dr.  Johann  Georg  Brunschwitz, 
cogn.  Zeno  I;  Stadtarzt  zu  Breslau,  gestorben  den 
2.  October  1734. 

No.  3g6.  2.  Februar  1727:  Dr.  Joh.  Christ.  Kundmann,  cogn. 
Epimenides;  Stadtarzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst  den 
26.  October  1684,  gestorben  den   11.  Mai  1751. 

14* 


Xo.  402.  14.  Mai  1728:  Dr.  Gottfr.  Michael  Kortum,  cogn. 
Sosimenes;  praktischer  Arzt  zu  iBielitz  in  Oesterreich- 
Schlesien  (damals  Oberschlesien),  geboren  i6g8  zu  Qued- 
linburg. 

Xo.  424,  I.  Mai  1731:  Dr.  Joh.  Gottfried  v.  Hahn,  cogn, 
Dexius  I ;  Hofrath  des  Königs  von  Preussen  und  Decan 
des  ärztlichen  und  Gesundheitscollegiums  in  Breslau,  ge- 
boren  1694   in  Schweidnitz,  gestorben  den  i.   Mai  1753. 

Xo.  436.  7.  März  1732:  Dr.  Joh.  Peter  Wahrendorff,  cogn. 
Polyidas;  Stadtarzt  zu  Liegnitz  in  Schlesien,  geboren 
daselbst  den  16.  Januar  1683,  gestorben  den  5.  Dcbr.  1738. 

Xo.  461.  S.Juni  1736:  Dr.  Johann  Christophorus  Pohl;  cogn. 
Philadelphus  II,  Prof.  extraord.  der  Medicin  an  der  Uni- 
versität Leipzig  und  Assessor  der  Facultät,  geboren  zu 
Dobendan  bei  Liegnitz  den  22.  Juni  1705,  gestorben  den 
26.  August  1780. 

Xo.  468.  18.  Februar  1737:  Dr.  Caspar  Theophil  Lindner, 
cogn.  Leonides  II;  praktischer  Arzt  zu  Hirschberg,  ge- 
boren zu  Liegnitz  den  g.  Januar   i  705. 

Xo.  502.  25.  Juni  1740:  Dr.  Joh.  Jacob  Ritter,  cogn.  Mundi- 
nus  II;  erst  Anatomiker  zu  Bern,  dann  Leibarzt  des 
Landgrafen  von  Hessen-Homburg  und  Physikus  daselbst, 
ferner  Physikus  der  Stadt  Lauterbach,  dann  Professor  der 
Medicin  und  Anatomie  an  der  Universität  Franeker,  dann 
praktischer  Arzt  zu  Peilau  in  Schlesien,  geboren  den 
15.  Juli  1714  zu  Bern,  gestorben  den  23.  Xovember  1784. 

Xo.  511.  13.  März  1741:  Dr.  Tobias  Heinrich  Hähne,  cogn. 
Hygienus  II;  Physikus  zu  Löwenberg. 

Xo.  539.  12.  Juni  1745.  Dr.  Karl  Friedrich  Kaltschmied, 
cogn.  Protarchus  II;  Hofrath  und  Leibarzt  des  Mark- 
grafen von  Brandenburg-Culmbach,  Leibarzt  des  Herzogs 
von  Sachsen-Weimar-Eisenach,  Physikus,  Pfalzgraf  und 
Professor  der  Medicin  zu  Jena,  geboren  den  21.  Mai 
1706  zu  Breslau,  gestorben  den  6.  Xovember  1769  zu 
Jena. 

Xo.  567.  8.  Juni  1750:  Dr.  Joh.  Ernst  Stieff,  cogn.  Solon  II; 
Arzt  zu  Breslau,  geboren  den  22.  Mai  171 7  zu  Breslau, 
gestorben  daselbst  den  4.  Januar  1793. 

X'o,  587.  20.  Februar  1754:  Dr.  Michael  Morgen  besser,  cogn. 
Dexius  II;  Oberphysikus  der  freien  Stadt  Breslau  und 
Assessor  des  medicinischen  Collegiums,  geboren  daselbst 
den  24.  Juli  171 4. 

Xo.  595.     25.  Juni  1755:    Dr.  Karl  Wilhelm  Sachs,  cogn.  Phos- 


2t3 

phorus  IV;  Stadtarzt  zu  Breslau  und  Assessor  des 
königl.  medicinischen  und  Sanitätscollegiums  daselbst, 
geboren  daselbst  den  ii.  September  1709,  gestorben  1763- 

No.  598.  5  September  1755:  Dr.  Balthasar  Ludwig  Tralles, 
cogn.  Avenzoar  II;  Arzt  zu  Breslau,  geboren  daselbst 
den   I.  März  1708,  gestorben  daselbst  den  7.  Februar  1797. 

No.  609.  12.  März  1756:  Dr.  Gottfried  Heinrich  Burghart, 
cogn.  Zosimus  III;  praktischer  Arzt  zu  Brieg,  erster 
Professor  am  dortig-en  königl.  Collegium,  geboren  den 
5.  Juli  1705  zu  Reichenbach  in  Schlesien,  g^estorben  1776 
zu  Brieg". 

No.  677.  4.  Juni  1765:  Dr.  Karl  Gottlieb  Pauli,  cogn.  Phila- 
grius  IV;  Adjunct  des  medicinischen  und  Sanitätscolle- 
giums in  Breslau,  Physikus  und  Arzt  des  öffentlichen 
Krankenhauses  daselbst,  Vorsitzender  der  übrigen  Bres- 
lauer Collegien. 

No.  811.  6.  Februar  1776:  Dr.  Christ.  Gottfr.  Grüner,  cogn. 
Dioscorides  VI;  herzogl.  Sachsen- weimarischer  Hofrath, 
ordentlicher  Professor  der  Botanik  und  Medicin  und 
Assessor  der  medicinischen  Facultät  zu  Jena,  geboren 
den  8.  November  1744  zu  Sagan  in  Schlesien,  gestorben 
den  4.  December  181 5. 

No.  963.  6.  Februar  1793  :  Dr.  Karl  August  AVilhelm  Berend  s, 
cog'n.  Polydorus  I;  Geheimer  INIedicinalrath  und  Director 
der  wissenschaftlichen  Deputation  für  das  Medicinal- 
wesen,  ordentlicher  Professor  der  Medicin  an  der  Uni- 
versität zu  Frankfurt  an  der  Oder,  dann  zu  Breslau 
181 1  — 15,  Hospitalarzt  und  Stadt-  und  Kreisphysikus  zu 
Lebus,  geboren  am  19.  April  1759  zu  Anclam,  gestorben 
den  I.  December  1826. 

No.  977.  23.  Juni  1794:  Dr.  Joh.  Joseph  Kausch,  cogn.  Dosi- 
theus  I;  preussischer  Regierungs-  und  Medicinalrath  zu 
Glogau,  geboren  den  16.  November  1751  zu  Löwenberg 
in  Schlesien,  gestorben  den  10.  März  1825. 
No.  1049.  9.  Juli  1814;  Dr.  Johann  Wendt,  cogn.  Praxagoras 
III;  preuss.  Geheimer  Medicinalrath  und  Professor  der 
Medicin  an  der  Universität  in  Breslau,  Director  der 
königlichen  medicinisch-chirurgischen  Lehranstalt  und  der 
Prüfungscommission  für  Medicinalpersonen,  geboren  den 
26.  October  1777  zu  Tost  in  Oberschlesien,  gestorben 
den  13.  April  1845. 
No.  1166.  7.  Februar  1820:  Dr.  Ad.  Wilhelm^  Otto,  cogn.  Poli: 
Geheimer  Medicinalrath    und  Professor  der  Medicin  und 


214 


Chirurgie  an  der  Universität  und  chirurgischen  Lehran- 
stalt zu  Breslau,  geboren  zu  Greifs wald  den  3.  August  1786, 
gestorben  den  14,  Januar  1845. 

Xo.  1223.  28.  November  1821:  Dr.  Jeremias  Rudolph  Lichten- 
staedt,  cogn.  Maxwell;  praktischer  Arzt  und  ausser- 
ordentlicher Professor  der  Medicin  an  der  Universität 
Breslau,  später  in  Petersburg,  geboren  zu  Gross-Glogau 
den  26.  Mai  1792,  gestorben  den  4.  December  184g. 

No.  1339.  10.  Juni  1829:  Dr.  Johannes  Evangelist  Purkinje, 
cogn.  Darwin  I;  ordentlicher  Professor  der  Physiologie 
und  Pathologie  an  der  Universität  in  Prag,  vorher  Pro- 
fessor zu  Breslau,  geboren  den  17.  December  1787,  ge- 
storben den  28.  Juli  1869. 

Xo.  1349.  24.  Mai  1830:  Dr.  Heinrich  Robert  Goeppert,  cogn. 
du  Hamel;  Adjunct  der  Akademie;  Geheimer  Medicinal- 
rath,  ordentl.  Professor  der  Medicin  und  Botanik,  Director 
des  botanischen  Gartens  an  der  Universität  zu  Breslau, 
geboren  zu  Sprottau  in  Niederschlesien  den  25  Juli  1800, 
gestorben  den  18.  Mai  1884  zu  Breslau. 
3.  August  1833:  Dr.  Johann  Christian  Günther, 
Apothekenbesitzer  und  Assessor  im  königl.  schlesischen 
Provinziai  -  Medicinalcollegium  zu  Breslau,  geboren  zu 
Jauer  den  10.  October  1769,  gestorben  den  18.  Juni  1833. 
,3.  August  1835:  Dr.  Gabriel  Gustav  Valentin,  cogn. 
Steinbuch;  prakt.  Arzt  und  ordentl.  Prof.  der  Physiologie 
zu  Bern,  geboren  8.  Juli  18 10  zu  Breslau,  gestorbenden 
24.  Mai   1883. 

Xo.  1500.     15.     October     1841:    Dr.    Johann    Eduard    Heinrich 
Schultz,  cogn.  d' Argen ville;  praktischer  Arzt  in  Breslau, 
geboren   daselbst   den   4.    Februar    181 2,   gestorben    den 
26.  October  1859. 

No.  1503.  yf^.  October  1842:  Dr.  August  Wilhelm  Eduard 
Theodor  Henschel,  cogn.  Conring;  ordentl.  Professor 
der  Heilkunde  und  der  Naturwissenschaften  an  der  Uni- 
versität zu  Breslau,  geboren  den  20.  December  1790, 
gestorben  den  24.  Juli   1856. 

Xo.  1519.  15.  October  1843:  Dr.  Ernst  Luchs,  cogn.  Stoll;  Bade- 
arzt zu  Warmbrunn  in  Schlesien,  gestorben  den  3.  Januar 
1886  daselbst. 

Xo.   1521.^^^5.   October    1843:    Dr.    Samuel    Pappenheim,    cogn. 


No.   1372. 


1420. 


Duvernoy  II;  prakt.  Arzt, 
geboren  den  3.  April  181 1 
IG.  Februar  1882  in  Berlin. 


Privatgelehrter    in   Breslau, 
in    Breslau,     gestorben    den 


215 


No.  1578.  15.  October  1847:  Dr.  Karl  Wilhelm  Klose,  cogn. 
Schnurrer;  Kreisphysikus,  prakt.  Arzt,  sowie  Oberarzt 
der  Krankenanstalt  im  Kloster  der  barmherzigen  Brüder, 
Mitglied  der  delegirten  Oberexaminations-Commission  und 
Privatdocent  der  Medicin  an  der  Universität  zu  Breslau, 
geboren  zu  Polnisch- Wartenberg  den  17,  Februar  18,03, 
gestorben  den  10,  »November  1865. 

Mai  1853:  Dr.  Friedrich  Günsburg,  cogn.  Willis; 
praktischer  und  Assistenzarzt  des  allgemeinen  Kranken- 
hauses zu  Allerheiligen  in  Breslau,  geboren  daselbt  den 
13.  Juli   1820,  gestorben  den  zß-.-Juli  1859.    ' 

No.  1676.  15.  August  1853:  Dr.  Gustav  Adolf  Robert  Her- 
mann Brehmer,  cogn.  Priessnitz;  praktischer  Arzt  zu 
Görbersdorf  in  Schlesien,  geboren  zu  Kurtsch  bei  Strehlen 
in  Schlesien^  den  14.  August  1826. 

No,  1733.  I.Mai  1855:  Dr.  Hermann  Julius  Paul,  cogn.  Roux; 
Privatdocent  der  Medicin  an  der  Universität,  sowie  Arzt 
der  königl.  Gefangenenanstalt  und  des  Augusten-Kinder- 
hospitals  und  jetzt  der  barmherzigen  Brüder  in  Breslau,  ge- 
boren daselbst  den  S.Juni  1824,  gestorben  den  3.  Juni  1877. 
Mai  1855:  Dr.  Isidor  Pinoff,  cogn.  Soranus  III; 
Director  der  Wasserheilanstalt  in  Breslau,  geboren  den 
3.  Februar   18 14. 

März  1856:  Dr.  Jonas  Brück,  cogn.  Carabelli;  Zahn- 
arzt zu  Breslau,  gestorben  den  5.  April  1883. 
8.  October  1857:  Karl  Christ.  Beinert,  cogn.  Volk- 
mann II;  Brunneninspector  und  Apotheker  zu  Charlotten- 
brunn in  Schlesien,  geboren  den  15.  Januar  1793  zu  Waits- 
dorf  bei  Bernstadt  (Schles.). 

No.  1843.  I.  November  1857:  Dr.  Joh.  Gustav  Schweikert,  cogn. 
Hahnemann;  Arzt  zu  Breslau. 

r.  Ferdinand  Julius  Cohn,  Geh.  Regierungsrath, 
Professor  der  Botanik  an  der  Universität  Breslau;  Ad- 
junct  der  Akademie  seit  October  1884,  geb.  zu  Breslau 
den  24.  Januar   1828. 

S.Februar  1881:  Dr.  Leopold  Auerbach,  Professor 
der  Medicin  an  der  Universität  in  Breslau,  geboren  den 
27.  April  1828  zu  Breslau. 

Juni  1883:  Dr.  Max  J äffe,  .Professor  in  der  medicini- 
schen  Facultät,  ausserordentl.  Mitglied  des  Reichsgesund- 
heitsamtes in  Königsberg,  geboren  den  25.  Juli  1841  zu 
Grünberg  in  Schlesien. 

No.  2421.     ^.  December    1883:    Dr.    Wilhelm    Ebstein,    Professor 


No. 


No. 


2122. 


2409.^4 
^^      he 


y 


2  l6 


No.  2477,     21 


No.  26 


No.  2604 


No.  2641, 


13.  Octob( 


der  Medicin  an  der  Universität  Göttingen,    geboren  den 
27.  November   1836  zu  Jauer. 

August  1884:  Dr.  Paul  Friedrich  Ferdinand 
Grützner,  Privatdocent  in  Breslau,  Professor  der  Physio- 
logie an  den  Universitäten  Bonn  und  Tübingen,  geboren 
den  30.  April  1847  zu  Festenberg  in  Schlesien. 

2  Februar  1885:  Dr.  phil.  et  med.  Moritz  Traube  in 
Breslau,  g'eboren  den   12.  Februar   1826  zu  Ratibor. 

4.  Juli  1886:  Dr.  Albert  Ludwig  Siegmund  Neisser, 
Professor,  Director  der  dermatologischen  Klinik  und 
Poliklinik  in  Breslau,  geboren  den  22.  Januar  1855  zu 
Schweidnitz. 

7.  Juli  1886:  Dr.  Jonas  Graetzer,  Geheimer  Sanitätsrath 
in  Breslau,  geboren  den  19.  October  1806  zu  Tost  in  Ober- 
schlesien, Medicinal- Statistiker  und  Medicinal- Historiker. 
TS.  Juli  1886:  Dr.  Ludwig  Laqueur,  Professor  und 
Director  der  ophthalmologischen  Klinik  an  der  Univer- 
sität in  Strassburg,  geboren  den  25.  Juli  183g  zu  Festen- 
berg in  Schlesien. 

Juli  1886:  Dr.  Oskar  Langendorff,  Professor, 
Assistent  am  physiologischen  Institut  in  Königsberg, 
geboren  den  i.  Februar  1853  zu  Breslau. 
23.  October  1887:  Dr.  Carl  Wilhelm  Ernst  Joachim 
Schönborn,  königl.  preussischer  Geheimer  Medicinal- 
rath,  königl.  bayerischer  Hofrath,  Professor  der  Chirur- 
gie, Oberwundarzt  am  Juliusspitale,  Generalarzt  II.  Classe 
ä  la  suite  des  Sanitätscorps  in  Würzburg,  geboren  den 
8.  Mai  1840  in  Breslau. 

Dr.   Piermann   Cohn,    Professor  für  Augenheil" 
künde,  geboren  den  4.  Juni   1838  in  Breslau. 


/ 


4-^  \ 


Verzeichniss 


der  Reetoren  der  Universität  Breslau, 

sowie  der   ■ 

Decaue    und    Professoren    der    medicinischen    Facultät 

von  ihrem  Stiftungsjahre  1811/12  ab  bis  1888/89. 


JDis  in  das  XIX.  Jahrhundert  hinein  hat  es  unserer  heimatlichen 
Provinz  an  einem  Centrum  für  alle  geistigen  Bestrebungen  gemangelt. 
Die  Academia  Leop.-Carolina  hatte  zwar  bis  dahin,  wie  in  dem 
vorangehenden  Aufsatze  ausgeführt  wurde,  dem  geistigen  Leben  in 
unsrer  Provinz  einen  gewissen  Rückhalt  gegeben  und  zu  Lebzeiten 
Sachs  von  Löwenheims  sogar  ihren  literarischen  Mittelpunkt  in 
Breslau  gefunden.  Aber  der  Umstand,  dass  späterhin  der  Schwer- 
punkt dieser  Akademie  naturgemäss  in  dem  jedesmaligen  Aufent- 
haltsorte ihres  Präsidenten  lag  und  dass  unserer  Hauptstadt  diese 
Ehre  bis  in  dieses  Jahrhundert  hinein  nicht  zu  Theil  wurde,  verhinderte 
es,  dass  irgend  ein  Ort  unserer  Heimat  die  Führung  der  in  ihr 
wirkenden  Geister  übernehmen  konnte.  Das  musste  sich  im  Anfang 
unseres  Jahrhunderts  mit  einem  Schlage  ändern,  als  nach  Verlegung 
der  Universität  Frankfurt  a/O.  im  Jahre  181 1  die  Breslauer  Hoch- 
schule ihre  Erbschaft  antrat  und  die  ihr  gestellte  Aufgabe,  ein 
Sammelpunkt  der  geistigen  Kräfte  Schlesiens  zu  werden,  in  glänzen- 
der Weise  erfüllte.  Das  Bestehen  und  Gedeihen  eines  Vereines,  wie 
der  Schlesischen  Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur,  erscheint  uns, 
obwohl  sie  vor  der  Universität  in's  Leben  trat,  ohne  die  Existenz 
unserer  Alma  Mater  geradezu  undenkbar;  ein  Blick  in  irgend  einen 
der  Jahresberichte  dieser  Gesellschaft  spricht  für  die  Richtigkeit 
unserer  Ansicht  besser,  als  jede  weitere  Ausführung^;  wir  wollen  nur 
noch  an  die  Verdienste  Göpperts  um  dieselbe  erinnern,  indem  wir 
auf  Heidenhains  Gedächtnissrede*)  auf  Göppert  hinweisen.  Was  für 
Vortheile  auf  dem  Gebiete  des  Krankenwesens  und  der  Hygiene 
durch  die  medicinische  Facultät  unserer  Hochschule  speciell  für  Breslau 
erwuchsen,  ist  schon  an  verschiedenen  Stellen  dieses  Werkes  hervor- 
gehoben worden.  Ein  Gefühl  der  Dankbarkeit  muss  gewissermassen 
in  Anbetracht    dessen  Jeden,    der  nicht    in  unmittelbarer  Beziehung 


^)  Cf.  Jahresbericht  der  Schles.  Ges.  für  vaterl.  Cultur.   li 


2l8 


zur  Hochschule  steht,  ebenso  wie  den  Verfasser  erfüllen.  Und  dieses 
Gefühl  war  für  uns  der  Antrieb,  hier  als  Schluss  des  Werkes  ein 
Verzeichniss  aller  der  Männer  zu  geben,  die  als  Rectoren  der 
Universität,  als  Decane  und  Professoren  der  medicinischen  Facultät 
unserer  Heimat  zur  Zierde  gereichten  und  gereichen  bis  auf  den 
heutigen  Tag. 


I.   Rectoren*)  und  Decane  der  medicinischen  Facultät. 


Jahr 

Rector 

! 

i        Facultät 

Decan 

1811/12 

*Berends 

med. 

Berends 

1812/13 

Augusti 

ev.  theol. 

Link 

1813/14 

Augusti 

ev.  theol. 

Bartels 

1814/15 

*Link 

med. 

Berends 

1815/16 

Jungnitz 

phil. 

Bartels 

18 16/17 

^Bartels 

med. 

Benedikt 

1817/18 

Madihn 

jur. 

Remer 

1818/19 

V.  Raumer 

phil. 

Andre  e 

1819/20 

D eres er 

kath.  theol. 

Otto 

1820/21 

Unterholzner 

jur. 

Wendt 

1821/22 

Steffens 

phil. 

Treviranus 

1822/23 

Middeldorpf 

ev.  theol. 

Remer 

1823/24 

*Wendt 

med. 

Benedikt 

1824/25 

Förster 

jur. 

Andree 

1825/26 

Weber 

phil. 

Otto 

1826/27 

Schulz 

ev.  theol. 

Wendt 

1827/28 

*Treviranus 

med. 

Purkinje 

1828/29 

Gravenhorst 

phil. 

Benedikt 

1829/30 

Steffens 

do. 

Benedikt 

1830/31 

AVachler 

do. 

Otto 

1831/32 

Huschke 

jur. 

Wendt 

1832/33 

Schulz 

ev.  theol. 

Purkinje 

1833/34 

Schneider 

phil. 

Benedikt 

1834/35 

Unterholzner 

jur. 

Otto 

1835/36 

•    Ritter 

kath.  theol. 

H«nsehel 

1836/37 

Bernstein 

phil. 

Betschier 

1837/38 

Ab  egg 

jur. 

Otto 

1838/39 

*Otto 

med. 

Purkinje 

1839/40 

Hahn 

ev.  theol. 

HSrtScKeh 

1 840/4 1 

Gaupp 

jur. 

Betschier 

1841/42 

Elvenich 

phil. 

Barkow 

1842/43 

i       ^Benedikt 

med. 

Purkinje 

*)  Die  Mediciner  unter  den  Rectoren,   17  an  der  Zahl,  sind  mit  einem  Sternchen  be- 
zeichnet. 


219 


Jahr 


Facultät 


Decan 


1 843/44 
1844/45 
1845/46 
1846/47 
1847/48 
1848/49 
1849/50 

1850/51 
1851/52 
1852/53 
1853/54 
1854/55 
1855/56 
1856/57 
1857/58 

1858/59 

1859/60 

1860/61 

1861/62 

1862/63 

1863/64 

1864/65 

1865/66 

1866/67 

1867/68 

1868/69 

1869/70 

1870/71 

1871/72 

1872/73 

1873/74 

1874/75 

1875/76 

1876/77 

1877/78 

1878/79 
1879/80 
1880/81 
1881/82 
1882/83 
1883/84 
1884/85 
1885/86 
1886/87 
1887/88 


Regenbrecht 

Pohl 

Huschke 

*Göppert 

Schneider 

Kummer 

Ambrosch 

*Barkow 

Baltzer 

Abegg 

Braniss 

*Betschler 

Löwig 

Elvenich 

Haase 

Friedlieb 

Braniss 

Semisch 

Stenzler 

Grube 

Römer 

Reinkens 

Rossbach 

Roepell 

Raebiger 

Stobbe 

Stobbe 

*Haeser 

*Heidenhain 

Schulze 

Schroeter 

Galle 

Hertz 

V.  Bar 

*Spiegelberg 

Weinhold 

Schwänert 

*Biernier 

Gierke 

Roepell 

*Förster 

Seuffert 

Schneider 

*Fritsch 

Poleck 


jur. 

Göppert 

phil. 

Benedikt 

jur. 

Purkinje 

med. 

Herisch  el" 

phil. 

Barkow 

do. 

Göppert 

do. 

Benedikt 

med.                 1 

Henschel 

kath.  theol. 

Betschier 

med. 

Barkow 

jur. 

Benedikt 

phil. 

Henschel 

med. 

Frerichs 

phil. 

Betschier 

do. 

Barkow 

do. 

Benedikt 

kath.  theol. 

Betschier 

phil. 

Barkow 

ev.  theol. 

Middeldorpf 

phil. 

Heidenhain 

do. 

Betschier 

do. 

Barkow 

kath.  theol 

Haeser 

phil. 

Heidenhain 

do. 

Spiegelberg 

ev.  theol. 

Haeser 

jur. 

Heidenhain 

do. 

Spiegelberg 

med. 

Waldeyer 

do. 

Fischer 

jur. 

Haeser 

phil. 

Heidenhain 

do. 

Spiegelberg 

do. 

Fischer 

jur. 

Haeser 

med. 

Foerster 

phil 

Hasse 

jur. 

Haeser 

med. 

Heidenhain 

jur. 

Biermer 

phil. 

Fischer 

med. 

Hasse 

jur. 

Ponfick 

phil. 

Fritsch 

med. 

Heidenhain 

phii. 

Biermer 

220 


II.  Ordentliche  Professoren  der  medicinischen  Facultät. 

Dr.  Carl  Aug-ust  Wilhelm  Berends,  am  4.  August  1815  an  die 

Universität  Berlin  versetzt. 
Dr.  H.  F.  Link,  am  4.  August  1815  als  ordentlicher  Professor  und 

Director    des  botanischen  Gartens  nach  Berlin  berufen. 
Dr.  J.  F.  Hagen  starb  am  6.  Juli  1818. 
^^J^r.  Moritz  Heinrich  Mendel  starb  im  December  1813  am  Typhus 

contag-iosus. 
Dr.  Ernst  Daniel  August  Bartels  schied  am   i.  October  1821  in 

Folge  eines  Rufes  nach  Marburg  aus. 
JS^^'  Traugott  Wilhelm  Gustav  Benedict,  feierte  am  22.   Sep- 
^  tember    1859    das     50jährige     Doctor-Jubiläum,     starb     am 

II.  Mai  1862. 
Dr.  Adolf  Wilhelm  Otto,  starb  am  14.  Januar  1845. 
Dr.  Carl  Maximilian   Andree  starb  am   i.  November  1827. 
Dr.  Johannes  Wendt  starb  am   13.  April   1845. 
Dr.  Wilhelm  Hermann  Georg  Remer  starb  in  einem  Alter  von 

76  Jahren  am  31.  December   1850. 
Dr.  Ludolf    Christian   Treviranus,    wurde    im  Jahre    182g   nach 

Bonn  versetzt. 
Dr.   Carl     Ludwig     Klose,     schied     am    Schlüsse     des    Sommer- 
Semesters   1853  aus. 
Dr.  Johannes  Evang.   Purkinje,    seit    1824    hier,    wurde    am    17. 

December  1787  zu  Libochowitz  in  Mähren  geboren  und  auf 

sein  Ansuchen  am    16.  Januar  1850    aus    dem    preussischen 

Staatsdienst   entlassen;    cf.  Heidenhains   Rede  in   der   vater- 

ländisch-schlesischen    Gesellschaft    über    Purkinje    vom     17, 

December   1887. 
Dr.  Julius  Wilhelm  Betschier  starb  am   17.  Februar  1865. 
Dr.  Heinrich  Robert  Göppert.     Am  31.  Juli  1852  wurde  ihm  die 

Professur  der  Botanik  in  der  philosophischen  Facultät  und  die 

Direction  des  botanischen  Gartens  hierselbst  übertragen.     Er 

starb  am  18.  Mai   1884. 
Dr.  August  Wilhelm  Eduard  Henschel    starb  am  24.  Juli  1856, 

66  Jahre  alt. 
Dr.  Hans  Carl  Leopold  Barkow   starb  am  22.  Juli   1873. 
Dr.  Carl  Theodor  v.  Siebold,    wurde  auf  sein  Ansuchen  am  23. 

Februar  1850  aus    dem   preussischen  Staatsdienst    entlassen. 
Dr.  Friedrich  Theodor  Frerichs,  wurde  am   11.  Januar  1859  als 

Professor  an  die  Universität  zu  Berlin  und  als  vortragender 

Rath  im  Cultus- Ministerium  versetzt. 


Dr.  Carl  Bogislaus  Reichert,  wurde  am   i8.  Januar  1858  an  die 

Universität  Berlin  versetzt. 
Dr.  Albert  Theodor  Middeldorpf  starb  am  2g.  Juli   1868. 
Dr.  Rudolf  Peter  Heinr.' Heidenhain  seit  14.  März   185g. 
Dr.  Hermann  Lebert,  docirte  bis    1874. 
Dr.  August  Ernst  Heinrich    Rühle,    wurde    am    2g.  März   1860 

nach  Greifswald  versetzt. 
Dr.  Heinrich  Haeser  starb  am   13.  September  1885. 
Dr.  Otto  Spiegelberg  starb  am  g.  August   1881. 
Dr.  Heinrich  Wilhelm  Gottfried  Waldeyer,  vom  October  1867 

bis  October   1872. 
Dr.  Hermann  Fischer  seit  10.  September   1868. 
Dr.  Julius  Cohnheim  vom   i.  October  1872  bis  21.  Januar   1878. 
Dr,  Richard  Foerster  vom  2g.  April   1873. 
Dr.  Carl  Hasse  vom  6.  August   1873  ab. 
Dr.  Anton  Biermer  seit   10.  Juli   1874. 
Dr.  Emil  Ponfick  seit  6.  Juli   1878. 
Dr.  H.  Fritsch  vom  22.  Februar  1882  ab. 


^^-  Wilhelm  Filehne  seit  25.  Januar  i 
Dr.  Carl  Flügge  seit  i.  April  1887. 


/i-^i' 


III.  Ausserordentliche  Professoren  der  medicinischen 

Facultät. 

Dr.  Ferdin.  Immanuel  Meyer,  starb  im  Jahre  1814. 

Dr.  Nicolaus  Wolfgang  Fischer,  starb  am  ig.  August  1850. 

Dr.  J.  R.  Lichtenstädt,  wurde  im  Mai  1830,  wo  er  nach  Peters- 
burg ging,  aus  dem  preussischen  Staatsdienst  entlassen. 

Dr.  Wilhelm  Seerig,  im  August  1835  nach  Königsberg  versetzt. 

Dr.  Carl  Jul.  Wilh.  P.  Remer,  starb  am  21.  September  1855. 

Dr.  Wilh.  Heinr.  Carl  Grosser  von  1858  bis  1875. 

Dr.  Victor  Julius  Nega,  starb  am  8.  Januar  1857. 

Dr.  Heinrich  Neumann,  starb  am  10.  October   1884. 

Dr.  Hermann  Rudolf  Aubert,  vom  10.  Februar  1862  bis  6,  Juli 
1865. 

Dr.  Immanuel  Klopsch,  seit  23.  April  1866. 

Dr.  Rudolf  Voltolini,  seit  26.  October  1868. 

Dr.  Hermann  Friedberg,  starb  im  Jahre  1884. 

^r.  Felix  Auerbach,  seit  4.  Juni   1872. 

Dr.  Heinrich   Köbner,    vom   23.    November    1872    bis    1876. 


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r.    Wilhelm    Freund,  vom    4.    October    1873    ab   bis    14.  Januar 
1879. 

r.  Hermann  Cohn,  seit   15.  Januar  1874. 
Dr.  Richard  Gscheidlen,  seit  S.April  1875,  gestorben  1889, 
Dr.  Hermann  ]\Iaas,  vom   14.  Januar   1876  bis   1877. 
Dr.  Emil  Richter  seit   19.  Januar   1876. 
Dr.  Ludwig  Hirt,  seit  2-^.  December  1877. 
Dr.  Julius  Sommerbrodt,  seit  11.  April  1878. 

r.   Oscar  Berger,  starb  am    19.  Juli  1885. 
Dr.  Oscar  Simon,  gestorben  am   2.  März   1882. 
Dr.  Paul  Grützner,  vom  23.  Mai  1881   ab  bis   11.  November  18S1. 
Dr.  Johannes  Gierke,  starb  im  Mai  1886. 
Dr.  Albert  Xeisser,  seit  13.  April  1882. 
Dr.  Otto  Soltmann,  seit  17.  Juni  1883. 
Dr.  Hugo  Magnus  seit  29.  Februar   1884. 

r.  Gustav  Born,  seit  3.  Mai   1884. 
Dr.  Carl  Wernicke,  seit  25.  Juli  1885. 
Dr.  Wilhelm  Roux,  seit  24.  Juni  1886. 

r.  Max  Wiener,  seit  11.  Februar   1887. 

r.  Adolf  Lesser,  seit  12.  Februar   1887. 
.  Ottomar  Rosenbach,  seit  i: 


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