Skip to main content

Full text of "Die entwicklung des naturgefühls bei den Griechen und Römern"

See other formats


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that 's often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

We also ask that you: 

+ Make non-commercial use of the file s We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
any where in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 

About Google Book Search 

Google's mission is to organize the world's Information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books white helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web 



at |http : //books . google . com/ 



<^^ 



^ 



PROPER TY OF 




ARTES SCIENTIA VERJTAS 




Google 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Die 



Entwicklung des Naturgeföhls 



bei den 



Griechen und Römern. 



Von 



Alfred Biese, 

Dr. phil. 



Erster Teil: 
Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Griechen. 



Kiel. 

Lipsius & Tischer. 

1882. 



Digitized by 



Google 



Die 



Entwicklung des Naturgefühls 



bei den 



G r i e c h e n. 



Von 



Alfred Biese, 

Dr. phiL 



Kiel. 

Lipsius & Tischer. 

1882. 



Digiti 



zedby Google 



551 



Digitized by 



Google 






Meinem Vater 

Professor Dr. Franz Biese 

» 

zum 80. Geburlslage 

in dankbarer Liebe dargebracht. 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google 



Vo r w^ o r t. 



In seinem Aufsatze über »die Söhne ^n der Laokoon- 
Gruppe« (Deutsche Rundschau, Nov. 1881, S. 206) sagt 
H. Brunn: »Es zeigt sich hier, wie gerade bei viel er- 
örterten Fragen wir uns häufig unbewusst unter dem Ein- 
flüsse gewisser, durch besondere Verhältnisse bedingter 
Vorstellungen oder Zeitströmungen befinden, und wie eine 
allgemeine Verständigung vielfach an der Schwierigkeit 
scheitert, solche Probleme auf ihre ersten, einfachsten und 
ursprünglichsten Elemente zurückzuführen und sie losgelöst 
von bisherigen Vorstellungen voraussetzungslos zu erörtern. 
Beruht ja doch der Fortschritt der Wissenschaft nicht 
zum kleinsten Teile einfach auf dem Ablegen von Vor- 
urteilen«. 

Diese trefflichen Worte finden ihre volle Bewahr- 
heitung auch bei dem Problem, welches vorliegende Schrift 
sich zum Gegenstande gemacht hat. Sie will ein Vorurteil, 
welches das Empfindungsleben der Alten in seinem innersten 
Wesen trifil, aber durch einseitige Voraussetzungen und 
unrichtige Fragestellung hervorgerufen ist, nicht bloss im 
engeren Kreise der Philologen, sondern auch in dem weiteren 
aller Gebildeten beseitigen und zugleich einen Beitrag zur 
Geschichte der Poesie oder der poetischen Motive liefern. 



Digitized by 



Google 



VIII 

Bei einer ebenso weit wie tief greifenden Frage war 
Beschränkung durchaus geboten ; ich suchte daher — wenn 
auch mit steter Berücksichtigung der wichtigsten kultur- 
historischen Momente — vornehmlich an der Entwicklung 
der Poesie und Prosa die Entstehungsgeschichte des Natur- 
gefühls bei den Griechen nachzuweisen. Den Fachgenossen 
und Kennern der antiken Sprachen glaubte ich den griechi- 
schen Text nicht ganz vorenthalten zu dürfen, da derselbe 
oft als Korrektiv der nur zu leicht moderne Gedanken 
hineintragenden Übersetzung dienen muss ; detailliertere 
Belege des Erörterten verwies ich in die Anmerkungen. 

Die Ungleiftiartigkeit in der Behandlung der einzelnen 
Epochen ergab sich von selbst durch die immer intensiver 
in dem griechischen Altertum hervortretende Bewegung 
nach dem Modernen hin, welche nachzuweisen mir be- 
sonders wichtig und interessant erschien. 

Somit wendet sich dies Buch an alle, die noch Sinn 
für Poesie in unserer prosaischen Zeit sich bewahrt haben 
und bei dem minutiösen Detailstudium unserer Tage die 
Wichtigkeit der Lösung auch allgemeinerer Fragen nicht 
verkennen, sondern überzeugt sind, dass das einzelne nur 
Wert hat im Lichte des allgemeinen. 

. Kiel, den 25. April 1882. 

Alfred Biese- 



Digiti 



zedby Google 



Einleitung. 



Wenn wir in unserer wissensstolzen Zeit auf die Re- 
sultate modernen Denkens und modernen Schaffens hin-' 
blicken und bewundernd auf allen Gebieten menschlichen 
Tichtens und Trachtens neue Ideeen walten und noch 
immer grossartige Umwälzungen sich vollziehen oder vor- 
bereiten sehen, so will es uns dünken, als ob eine ganze 
Welt uns trenne von der Vergangenheit früherer Jahr- 
hunderte, als ob unsere gesamte Anschauungsweise eine 
total umgewandelte sei, der nichts früher auch nur im 
entferntesten gleich gekommen. Und andererseits wieder 
ergreift uns mitten in der Gährung, Zerrissenheit und Un- 
ruhe modernen Lebens und Strebens das Gefühl der Weh- 
mut, als hätte die Vergangenheit doch ein Etwas besessen, 
das wir jetzt entbehren, als hätten wir Unwiederbringliches 
verloren ; und diese Sehnsucht webt dann ihren Zauber- 
schleier um eine Welt längst verklungener Tage, in denen 
das unbefriedigte Gemüt alles das verwirklicht zu finden 
wähnt, was es in der Gegenwart so schmerzlich vermisst. 
Diese beiden Empfindungen des Stolzes über die immensen 
Fortschritte modernen Denkens im Vergleich mit der Ver- 
gangenheit und des Schmerzes, dass eine selige, von der 
Harmonie des äusseren und inneren Lebens getragene Zeit 
längst dahingeschwunden ist, hindern nur zu leicht eine 
objektive Würdigung des klassischen Altertums Der 
Stempel einer so fernen Vergangenheit rückt alles in eine 
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 1 



Digiti 



zedby Google 



höhere, reinere Sphäre, und man vergisst so leicht, dass, 
so lange es Menschen gegeben, auch dieselben Leiden- 
schaften gewaltet haben, die nun einmal das Erbteil mensch- 
lichen Blutes sind, wie Liebe und Hass, Ehrgeiz und Hab- 
sucht, und dass vergangene Geschlechter ebenso in Lust 
und Schmerz gejubelt und geklagt, ebenso genossen und ge- 
litten haben wie wir, dajs sich die Intensität des Empfindens nur 
abstuft nach dem Grade der Bildung und nach der natio- 
nalen Charakteranlage eines Volkes. Immer und überall 
begegnen wir denselben treibenden Kräften, welche die 
Kultur teils auf eine immer höhere Stufe heben, teils auch 
wieder langsam untergraben. So darf auch kein Sehnsudits- 
wahn das hellenische Altertum, wenn es auch in seiner 
klassischen Periode das Blütenzeitalter der Menschheit war, 
mit seiner Jahrhunderte ausfüllenden Kulturentwicklung in 
eine so ganz exceptionelle Höhe hinaufrücken; denn gerade 
das Schönste, das Herrlichste auf Erden ist nur flüchtig, 
ist nur von kürzester Dauer; auch die heitere, griechische 
Welt Barg wie eine prangende Frucht in sich den Wurm 
der Vernichtung, der inneren Auflösung, der langsam das 
antike Wesen zernagte kraft der sich steigernden Bildung, 
der sophistischen Reflexion und des hellenistischen Kosmo- 
politentums. Trotzdem steht es geradezu wie ein Dogma 
fest, dass das naive Hellenentum von moderner Sentimen- 
talität niemals angekränkelt sei, dass also auch unser mo- 
dernes, wesentlich sentimentales Interesse an der Schönheit 
der Natur den Alten gänzlich fremd gewesen, dass unser 
heutiges Naturgefühl ein wesentliches Kennzeichen unseres 
eigensten Geisteslebens, eine Errungenschaft der letzten Hälfte 
des XVIII. Jahrh. sei, von der das Altertum ebenso wenig wie 
das Mittelalter oder die Renaissance etwas ahnte. Es ist 
aber eine häufige Erfahrungsthatsache in der Wissenschaft, 
dass zunächst bestechende, ja in ihrer systemartigen Allge- 
meinheit blendende Urteile, trotzdem sie, wie leicht erkenn- 
bar, aus nur unvollständigen Prämissen geschlossen sind, 
durch die Autorität eines grossen Namens gestützt und ge- 
heiligt, immer wieder nachgesprochen werden und fast un- 
ausrottbar erscheinen» Gewöhnlich trifft ein gerechter Vor- 



Digitized by 



Google 



Wurf itur die .'kritiklosen Nachbeter eines solche» wissen- 
schaftlichen Aber^latibens. Wenn Schiller^) durch 
die sc];iarfe Scheidung des Antik - Naiven , dessen Wesen 
auf der Harmonie von Geist und Natur, und des Modern- 
Sentimentalen, dessen Wesen auf der Sehnsucht nach 
einem verlorenen Paradiese beruhe, sich hinreissen Hess 
zu dem Bekenntnisse, es sei befremdend, dass man bei 
den ahen Griechen, deren Vorstellungsart so sehr viel 
näher der einfältigen Natur läge, so wenig Spuren von un- 
serem sentimentalischen Interesse an Naturscenen anträfe, 
dass sie zwar treu und genau dieselben schilderten, aber 
ohne vorzüglicheren Herzensantejl als bei Beschreibung 
eines Schildes, einer Rüstung, ohne Innigkeit, Empfindsam- 
keit und süsse Wehmut der Neueren: so ist dies sehr er- 
kJäriich aus dem Standpunkte der damaligen Wissenschaft 
und speziell aus Schillers' damaliger Kenntnis der griechi- 
schen Schriftsteller. Ihm gilt Homer als der Grieche xav^ 
i^oxijvi im selben Jahre 1795, in dem jener bahnbrechende 
.Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung in den 
Hören erschien, bittet er Wilh. von Humboldt, wie seine 
Briefe^) an diesen beweisen, um Anweisung zur Erlernung 
de* griechischen Sprache; und dabei denkt er vornehmlich 
an Homer und an Xenophon. Dass er aber zugleich in 
jenem Airfsatze^) bereits auf sentimentale Dichter der 
Alten, wie Euripides, Vergil und Horaz hinwies, dass er 
ferner in der Abhandlung über Matthisson^) es direkt aus- 
sprach, es lasse sich nicht annehmen, dass es dem Griechen, 
diesem Kenner und leidenschaftlichen Freunde alles Schönen, 
an Empfänglichkeit für die Reize der leblosen Natur gefehlt 
habe, und dass weiter das herrliche Gedicht »die Götter 
Griechenlands« mit seinem wehmütigen Rufe: 
Schöne Welt, wo bist du? — Kehre wieder, 

Holdes Blütenalter der Natur! 
Ach, nur in dem Feeenland der Lieder 

Lebt noch deine gold'ne Spur — 
in wärmster Begeisterung gerade das in der Mythologie 
der Griechen so tief und innig hervortretende Naturempfin- 
den preist: das alles ward nur zu oft übersehen; und so 

1* 



Digitized by 



Google 



heisst es denn beiGervinus^): » Das gaojse Altertum kennt 
keine Freude an, der Natur«; ähnlich bei Becker^) und bei 
Otfried Mueller"^). Der gemütvolle Jacobs'') widersprach 
zuerst. Bald aber machte sich eine vermittelnde Richtung 
geltend. Wie schon Jean Paul'*^) die griechisth-plastische 
Poesie mit ihrer Objektivität, ihrer idealen Einfachheit, 
ihrer heiteren Ruhe und sittlichen Grazie von der roman- 
tischen, wesentlich musikalischen Poesie des »zerfaserten 
Kulturmenschen« geschieden hatte, so wollte Sc hnaase^") 
dem plastischen Griechen innigste Empfänglichkeit für die 
Schönheit der Natur nicht absprechen, wohl aber das male- 
rische Prinzip; »von einem unbedingten Hineinfühlen in 
die Natur, von einer uneigennützigen Empfindung«, sagt er, 
»ist bei ihnen keine Spur.« Carriere^^) formuliert es kurz: 
»Die Alten empfanden plastisch, die christliche Welt 
empfindet malerisch; sie schildern weder in der Poesie noch . 
in der Malerei das Landschaftliche um seiner selbst willen 
und suchen nicht in der Natur nach Symbolen für das 
Unsagbare der leid- und freudvollen Seelenstimmung noch 
trachten sie, von dieser aus das Landschaftsbild zum Re- 
flex derselben zu gestalten.« Die auch schon von Schiller 
in der Abhandlung über Matthisson ^^) kurz angedeutete 
Ansicht, dass der Grieche eine Landschaftsdichtung als eine 
eigene Art von Poesie, in welcher man die unbeseelte 
Natur für sich selbst zur Heldin der Schilderung und den 
Menschen bloss zum Figuranten in derselben macht, mit 
seinen Begriffen von schöner Kunst für unvereinbar gefunden, 
führte Alex. v. Humboldt^^) in seinem berühmten und 
überall den weiten Blick des grossen Mannes verratenden 
Aufsatze über das Naturgefühl der verschiedenen Zeiten 
und Volksstämme weiter aus. Was nach seiner Ansicht 
dem Griechen fehlte, war das rege Bevvusstsein, das Ge- 
fühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren; wie 
auch Burckhardt^^) bezüglich derselben Frage erinnert, dass 
ein verhülltes Gefühl lange vorhanden sein könne, ehö es 
sich in Dichtung und Malerei verraten und damit seiner 
selbst bewusst werde. »Naturdichtung als abgeson- 
derter Zweig der Literatur«, sagt Humboldt, ^war den 



Digitized by 



Google 



Griechen völlig fremd, die Landschaft erscheint bei ihnen 
nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche 
Gestalten sich bewegen. a 

Nachdem so hervorragende Männer ihr Credo in 
dieser Frage abgegeben hatten, entstand im engeren Kreise 
der Philologen eine ganze Literatur von Einzel-Arbeiten^^); 
doch selbst die umfassende und von warmer Begeisterung 
für das interessante Problem durchglühte Schrift von Motz 
»über die Empfindung des Naturschönen bei den Alten «i^) 
fand keine durchgreifende Anerkennung, da ihr jede histo- 
rische Methode, jeder klare, leitende Gesichtspunkt fehlt und 
sich mit schwärmerischer Verherrlichung des naiven anti- 
ken Gefühlslebens eine heftige Polemik verbindet gegen die 
moderne Affektation, gegen den »enthousiasme oblige jener 
modernen Geistesherren, die so oft den Sisyphusstein wälzen, 
Indem sie sich abmühen, das Unsagbare in Worte zu fassen, 
die dunklen Empfindungen in das Bewusstsein und in die 
Darstellung zu zerren.^ 

Erst allmählich brach sich dann in kleineren Auf- 
sätzen^''), besonders aber in dem Rendsburger Programm von 
Hess*^) und in einer trefflichen Schrift von Wo ermann, ^^) 
der von rein künstlerischem Standpunkte aus »den land- 
schaftlichen NatOrsinn bei den Alten« als Vorstufe einer 
Landschaftsmalerei in lichtvoller Weise behandelte, die 
Überzeugung Bahn, dass die PVage nur durch genaue 
Untersuchung der einzelnen Schriftsteller, durch die Dar- 
legung des genetischen Entwicklungsganges, welchen das 
Naturgefühl in den einzelnen Kulturepochen genommen habe, 
ihrer Lösung entgegengeführt werden könne. — Zu den 
bereits kurz* gekennzeichneten Auffassungen des Problems 
fügte besonders Friedländer ^^) noch die hinzu, dass die 
Alten eigentlich nur Sinn für das Liebliche, Anmutige 
(amoenitas loci) gehabt hätten, und der Reiz des Roman- 
tischen einer wilden Landschaft z. B. des Gebirges ihnen 
sowohl wie dem Mittelalter fremd geblieben sei; vor- 
nehmlich wohl auf diesen Sätzen fussend sprach dann unter 
anderen Hehn^') wieder überhaupt den Griechen und 
Römern die Grundbedingung lyrischer Begabung, die Fähig- 



Digitized by 



Google 



6 



keit seelenvoller Natur betrachtung ab und fand den Grund 
dafür in der südlichen Landschaft selbst, welche zu senti- 
mentaler Auffassung keinen Anlass gäbe. »Da täuscht den 
Kranken nichts durch Mitempfindung, da klingt kein Echo 
unbeschreiblicher Seelenstimmung wicfer und der ganze 
gesunde Mensch blickt auf die umgebende Natur nur, in- 
sofern sie ihm nützlich oder schädlich, gegen ihn karg oder 
freigebig ist; die ihm am meisten Frucht liefert und ihn 
am wenigsten stört und beunruhigt, ist ihm die schönste. »Ähn- 
lich z. B. Brandes^^) y^d Du Bois-Reymond^^). Diesem 
erscheint Jean Jacques Rousseau als der erste moderne 
Mensch, als der incarnierte Genius einer ganz neuen Zeit; 
Naturgefühl, Natürlichkeit, Empfindsamkeit bilden die Tri- 
kolore der von Rousseau neu gestalteten Literatur. 

Fragen wir also nun selbst, nachdem wir den Ent- 
wicklungsgang der Frage skizziert haben , ob nicht schon 
im Altertum eine Bewegung zum Modernen hin sich nach- 
weisen lasse, ob nicht auch dort schon allmählich immer 
deutlichere Ansätze und Spuren eines stimmungsvolle», 
empfindsamen , romantischen Naturgefühls sich auffinden 
lassen. 



Digitized by 



Google 



Erstes Kapitel. 



Das naive Naturgefülil in Mythologie und bei Homer. 

JLyas Naturgefühl, das Empfinden und Geniessen des 
iNaturschönen, ist, wie alle Erkenntnis des Schönen, das 
Resultat komplizierter Kulturprozesse. Wird auch niemand 
leugnen wollen, dass der verschiedene Charakter der Land- 
schaft dem Sinne für Naturschönheit bei den einzelnen 
Völkern ein verschiedenes Gepräge geben wird, so darf 
man doch nicht a priori von der Schönheit des Landes auf 
ein tiefes Naturgefühl der Bewohner schliessen. Emphatisch 
hat man wohl ausgerufen: Ein Volk, welches, wie die Hellenen, 
hinelngesetzt war in ein Land, über dem ein ewig heiterer 
Himmel sich spannt, das so mannigfache Abwechslung dar- 
bietet mit seinen herrlichen Gestaden der blauen See, welche 
die malerischsten Inseln wie Kleinode umfasst, mit seinen 
weiten, flussdurchzogenen Ebenen und mit den starren Fels- 
gruppen zerklüfteter Gebirge — ein Volk sollte in dieser 
wunderbar gleichmässig zur Arbeit wie zum Genüsse ein- 
ladenden Landschaft unempfänglich gewesen sein für die 
Reize der Natur? Aber das Schöne, mag es nun in Kunst 
oder Natur dem Menschen entgegentreten, wirkt nur dann 
auf seine Sinne und sein Gemüt ein, wenn seine Geistes- 
und Herzensbildung einen gewissen Höhepunkt erreicht hat. 
Im rohen Naturzustande nimmt der Mensch nur die Schäd- 
lichkeit oder Nützlichkeit der Naturerscheinungen wahr. 
Wohl kann ferner das Naturgefühl bei einfachen Kultur- 



Digitized by 



Google 



8 



zuständen innig und zart erscheinea und den wunderbaren 
Zauber unbewusster Naivität haben,- aber erst die volle 
Entwicklung zum wahren Menschentum, das sich auf dem 
Fundamente boj^er Bildung aufbaut, macht empfänglich für> 
dje weiter bildende Kraft der Natur. »Sie hat nur nach- 
haltigen Reiz für das Auge, das an einem grossen Zusammen- 
hange, sei es wissenschaftlicher oder geselliger Interessen, 
geübt ist, oder für ein Gemüt, das nach solchen • Übungen 
allerdings in den Erscheinungen unzählige Gleichnisse seiner 
Lebenserfahrungen, anschauliche Lösungen seiner Zweifel, 
Widerlegungen seiner Vorurteile, Bestätigung seiner Hoff^ 
nungen und Anregungen zu neuen Fragen findet«^*^). Nur 
wer eine reiche Gedankenwelt zu der Welt der Natut^ 
erscheinungen in Beziehung zu setzen vermag, erkennt die 
wunderbaren Analogieen des menschlichen Geistes mit dem 
Leben und Weben in der Natur und findet in ihrer Betrach- 
tung Ruhe und Frieden, wenn sein Gemüt durch äussere 
und innere Erfahrungen in Schwingungen gerät. Erst auf 
einer hohen Kulturstufe sucht der Mensch die Natur 4m 
ihrer selbst willen und schwelgt bewusst im Genüsse ihrer 
mächtigen Eindrücke, die ihm ein Echo aller seiner Stirn* 
mungen und Empfindungen darzubieten scheinen. — Es ist 
somit klar, dass in den verschiedenen Kulturphasen auch 
das Naturgefühl ein verschiedenes Gepräge tragen und bei 
jedem Volk^ seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte 
haben wird. Wer den Spuren dieser nachgehen will, der 
wird in das innerste Weben der Menschenbrust hinabgeführt, 
und wie der Bergmann den feinen Goldadern nachspürt, die 
sich durch die verschiedenen Schichten hinziehen, so muss 
er die sich verflechtenden und verzweigenden Empfindungen 
durch die einzelnen Epochen hin verfolgen — denn im 
Leben des Geistes beruht alles auf Assimilation, in der sich 
wie in einem Krystallisatiönsprozess eins an das andere 
organisch anfügt. Die Gefühle, Stimmungen und Neigungen 
bedingen sich gegenseitig, stehen in engster Wechsel- 
beziehung zu einander; und in der Wandlung des einen 
Gefühls wird sich, wie die Sonne im Tautropfen, die ganze 
geistige Entwicklung eines Volkes widerspiegeln. 



Digitized by 



Google 



9 

Die Natur, in» ihrem steten Wechsel der Erscheinungen, 
die unaufhörlich den Sinnen des Menschen sich einprägt, 
ist unentfliehbar^ aber sie würde trotzdem für den Menschen 
ein Buch mit sieben Siegeln und ästhetisch völlig unzu- 
gänglich sein, wenn ihm nicht das wunderbare Vermögen 
innewohnte, seine eigene Form den Formen der Erscheinungs- 
welt zu leihen, die eigene Persönlichkeit ihnen zu unter- 
schieben und einzuverleiben, das Ich in das Nicht-Ich zu 
verzaubern. Kein Gebilde ist ja dem Menschen verständ- 
licher als der Mensch selbst in seinem Thun und Leiden, 
und so deutet besonders der primitive Mensch jeden Vor- 
gUiOg in der Natur nach Analogie seines eigenen Körpers 
uf\d seiner eigenen Seele. Die Metapher ist daher kein 
poetischer Tropus, sondern eine ursprüngliche, notwendige 
Anschauungsform des Denkens. Die Mythen bildende 
Phantasiö setzt alle Bewegung, die sie in der Natur wahr- 
nimmt, um in Handlungen lebensvoller, menschenähnlicher, 
ja übermenschlicher Wesen. Die Mythologie ist, wie Vischer 
sagt, das Augenaufschlagen über die grossen Wunder der 
Natur, und so i^t in der That auch die griechische Mythologie 
ein, glänzendes Zeugnis des mächtigen Eindrucks, den die 
ffetur auf den Griechen machte, des innigen Interesses, mit 
dem er die, Vorgänge in der Natur belauschte und 
menschlich deutete. Auch in der griechischen Mythologie 
bildet den Kern ein »dumpfes, ahnungsvolles Gefühl,« gegen- 
über den erhaltenden und zerstörenden Naturkräften, und 
die erregte Phantasie schafft die poesievollsten Gebilde. 
»Überall in seinen Wäldern und Grotten, seinen Bergen 
und Schluchten, seinen Quellen und Wellen empfing der 
Grieche den Eindruck eines Lebens, eines anrtiutigen, 
üppigen Lebens so lebendig, so innig, so hehr, dass sich 
ihm die empfundene Wirkung sogleich in göttliche Wirk- 
samkeit umsetzte«25). So beseelte er die ganze ihn um- 
gebende Natur und bevölkerte sie mit den anmutigsten 
Gestalten; und die Prägstätte, aus welcher diese Wunder- 
weit hervorging, war der plastische Sinn der Hellenen, der 
innere Trieb, den empfangenen Natureindruck in eine klare, 
fest umrissene, der Idee und Form nach harmonische, d. h. 



Digitized by 



Google 



10 _ 

schöne Gestalt auszuprägen. Alle diese dämonischen Wesen, 
wie sie in Wald und Feld, im Strom und im Meer ihr 
Wesen treiben, sind nichts anderes als »der plastisch- 
religiöse Ausdruck eines innigen Naturgefühls«. Doch nicht 
kann es hier unsere Aufgabe sein, dies an den zahllosen 
Mythen darzuthun, wie es Lehrs an einem Beispiel so 
trefflich in dem Aufsatze über die Nymphen, diese »gött- 
lichen Naturmädchen« , diese Wasser- und Waldfräulein, 
gethan hat Nichts ist ja vager und schlüpfriger, als 
Mythenforschung, nichts schwieriger, als die Fäden aus- 
einanderzulösen , die zu dem Gewebe eines Mythus die 
mannigfach angeregte Phantasie zusammengewoben hat. 
Doch im allgemeinen steht wohl fest, dass die allen Ariern 
als gemeinsam nachgewiesenen Mythen im letzten Grunde 
auf Naturanschauung zurückgehen. Durchsichtiger als die 
grossen, bald ethisch umgewandelten Gottheiten, zeigen 
dieselbe jene bescheidneren Dämonen, wie die zahllosen 
Meergottheiten, ein Nereus, ein Triton, Glaukos, Proteus, 
eine Phorkys und Keto, oder am Himmel Helios, Eos, 
Selene, oder wie Pan, dieser Repräsentant der mittäglichen 
Schwüle und der stillen Waldeinsamkeit, und ferner die 
poesievollen Naturmärchen vom Adonis, dem Bruder des 
nordischen Balder, vom Hyakinthos, diesem Abbilde der 
Pflanzen- und Blumenwelt^ die in prangender Entfaltung der 
Sonnengott des Südens mit seinen sengenden Strahlen ver- 
nichtet^^), von der Kalyke, Daphne, Boline, Britomartis und 
Psappha,^^) diesen Pflanzen- und Blumenkindern, die in Liebe 
sehnend sich nach dem Sonnengotte dehnen und in der 
Glut vergehen oder fliehend ereilt werden, vom Narkissos, 
dessen Mythus nichts weiter, als die Geschichte der Narzisse 
in ihrer spröden Schönheit widerspiegelt^^), vom Endymion^^), 
vom Hylas, den die Wasserfeeen ins kühle Grab des abge- 
schiedenen Waldseees hinabztehen, von Prokne und Philomele 
u. s. f. u. s. f. Alle diese Märchen verraten einen tief 
träumerischen Zug, ja Wehmut und ein inniges Gefühl für 
das anmutig Reizvolle, sowie auch für das Dämonische in 
der Natur. Doch für eine Entwicklungsgeschichte des Natur- 
gefühls sind sie im einzelnen wenig verwendbar, weil sie 



Digitized by 



Google 



11 

schwer, ja meist überhaupt nicht historisch zu fixieren sind; 
sie sind gar zu proteischer Natur und werden ihre sentimen- 
tale Auffassung wesentlich erst der hellenistischen Empfind- 
samkeit verdanken. — Immerhin aber bildet die griechische 
Mythologie mit ihrem geschlossenen Göttersystem, wie auch 
mit ihren loseren ätiologischen Sagen den Niederschlag 
einer sinnvollen Naturbetrachtung. Trotzdem war sie — so 
paradox es auch zunächst erscheinen mag — einer Weiterent- 
wicklung des Naturgefühls nicht günstig. >Der Gott sog 
die Landschaft in sich auf« ^^). Statt des Flusses sah der 
Grieche den Flüssgott, statt der Sonne den herrlichen 
Helios; statt des rieselnden Baches erblickte sein Auge die 
Umrisse schöner, nackter Weiber und vernahm ihr mut- 
williges Lachen im Wassergeriesel und im Aufspritzen des 
Schaumes gegen die Felswand u. s. f. Die Natur gewann 
in der Phantasie der Griechen ihre Selbstständigkeit und 
Selbstthätigkeit erst wieder, als die Naturgötter immer mehr 
in ethische Gewalten sich umsetzten und als die Reflexion 
den Glauben zersetzte. Diese ideale Götterwelt, welche 
sich über der realen aufgebaut hatte, musste in Trümmer 
gehen, damit die wirkliche Erscheinungswelt wieder voll in 
das Licht der Empfindung, des ästhetischen Geniessens 
gei*ückt würde. 

Es folgt hieraus mit Notwendigkeit, dass in dem naiven, 
mythologischen Zeitalter der Griechen sich das Natur- 
gefühl in einer gewissen Beschränkung zeigen inuss, dass 
also bei Homer die Natur vor den Göttern und den 
Menschen zurücktritt, dass sie ohne Selbstständigkeit ist, 
der Mensch sie nicht um ihrer selbst willen sucht, und dass 
die Naturschilderungen nur objektiv, als Beiwerk behandelt 
werden — wie dies zugleich im Wesen des Epos überhaupt 
liegt. Trotzdem ist jedes Epitheton, jede kurze Schilderung, 
jedes Gleichnis von einer wunderbaren Anschaulichkeit und 
zeugt von einem offenen, .regen Sinne für die schöne 
Aussenwelt, einer kindlichen Freude an den Vorgängen der 
Natur. Reiche Beobachtungsgabe für das Naturleben 
bekunden z. B. die Beiwörter des Meeres, die dasselbe in 
tosender Brandung (7toXvx^v(tTogj ^XV^^9^ noXvfpXötqßoc), 



Digitized by 



Google 



12 

in seiner Ode (dtQvyf-Tog), seiner Tiefe und Weite (ttoäi*- 
ßfvd^fjc, fieyax^Tfjg, dmCQwv), sowie auch in seinen Farben- 
schattierungen kennzeichnen, fjfQosidrcy noqtpvQeoq, /'Aarxoc, 
ölroip, TToXioCy fiajüccQfoCy lostdfjc- Gladstone, Geiger und 
Magnus haben den Alten den Farbensinn absprechen wollen ; 
die neuere Forschung auf diesem Gebiete ^^) hat gezeigt, 
dass die Unbestimmtheit des Ausdrucks in Farbenschil- 
derungen bei Völkern einer noch nicht hoch entwickelten 
Kultur nur auf den Mangel der Sprache und der Kenntnis 
der Farbstoffe zurückzuführen ist. Jedenfalls bezeugen jene 
Homerischen Beiwörter dämmerig, trüblich" rot, spiegelglatt, 
weinfarben, veilchenfarben das Bestreben, die Färbung des 
Meeres in seiner wechselnden Mannigfaltigkeit, die sich dem 
empfänglichen Auge einprägte, wiederzugeben. — Die 
Schilderungen von Ort und Zeit sind selten und kurz, sie 
sind nur Rahmen, nur Hintergrund; ausgeführtere finden 
sich nur in der Odyssee: Von der Grotte derKalypso 5, 55 ff., 
der elysischen Flur 4, 564, dem Phäakenlande 5, 279, dem 
lieblichen Pappelhain der Athene auf Scheria 6, 291, den 
Gärten des Alkinoos 7, 112, dem stillen Eilande, das nahe 
der Kyklopeninsel liegt 9, 116, dem Parnass 19, 431. Das 
Subjektive, die Reflexion über den Eindruck der Landschaft 
dringt nirgend hindurch — und gerade in dieser harmlosen 
Natürlichkeit, in dieser vollkommenen Einheit von Denken 
und Fühlen beruht ja der Zauber der Homerischen 
Dichtungen, der uns umstrickt und uns anheimelt, wie die 
Erinnerung an die eigene Kindheit, da wir auch noch 
»natürlich empfanden«. Das Naive gleicht dem krystall- 
klaren Quell, dessen Wellen bis auf den Grund die hellen 
Strahlen der Sonne widerspiegeln ; die Reflexion über die 
Empfindung — d. i. ja die Sentimentalität des modernen 
Menschen — trübt das Glück des Geniessens wie ein hinab- 
geschleuderter Stein die friedlich stille Wasserfläche in 
Wallung versetzt und unruhig schwankende Ringe verur- 
sacht. Der moderne Mensch achtet auf jedes Gekräusel 
seines Empfindens — den Eindruck einer schönen Land- 
schaft schildert Homer ganz objektiv mit den Worten — 
Dort mit Bewunderung stand der thätige Argostöter (5, 75), 



Digitized by 



Google 



13 _ 

vergl. 7i 112, oder vom Anblick des sternbesäeten Nacht- 
bimmels heisst es : und herzlich freut sich der Hirte 
Jl. VIII, 559. Immer spricht sich nur schlichtes, reines Wohl- 
gefallen an den Naturerscheinungen ohne jegliche Affekt ation 
aus; und nicht lässt sich leugnen, dass der nützliche Garten, 
das Land, das zur reichen Ansiedlung dienert kann, den 
Menschen, welche die Üppigkeit des Bodens zu nützen 
verstehen (vergl. Od. 9, 116), das Interesse des Dichters 
besonders fesselt. Aber Homer ist »reine, nicht rohe 
Natur«, es ist nicht bloss ein nüchterner Nützlichkeits- 
standpunkt, den- seine Naturschilderungen bezeichnen, son- 
d.^rn auch ein warmes, herzliches Gefühl für die Reize der 
Natur; ein frischer Hauch unverfälschter Naturanschauung 
durchweht besonders seine. Gleichnisse. Nichts ist charak- 
teristischei: für difese naive, epische Epoche des Natur- 
gefühls, als das Gleichnis. Mensch und Natur erscheinen 
al« nah verwandte Sphären, aber — im Gegensatz zur Bild 
und Sache verschmelzenden Metapher — tritt objektiv 
das landschaftliche Bild in ganzer Ausführlichkeit plastisch 
abgerundet der Handlung des Menschen gegenüber und 
»steht als ein kleines Ganzes in der Erzählung wie diese 
im Epos«, sei es nun um der Phantasie des Lesers Ruhe 
zu gönnen oder das Interesse durch Veranschaulichung des 
Erzählten zu steigern. 

Das ganze wechselreiche Naturleben, seien es nun 
elementare Gewalten, Himmel^erscheinungen oder sei es 
die Tier- und Pflanzenwelt, entrollt sich in den Gleichnissen . 
Ruhig und furchtlos stehen dem Feinde die Danaer gegenüber, 
dem Gewölk gleich, welches Kronion 

Stellt' in ruhiger Luft auf hochgescheitelten Bergen, 
Unbewegt, weil schlummert des Boreas Macht und der 

andern 
VoUandräftgenden Winde, die bald die schattigen Wolken 
Mit lautbrausendem Hauch fortwehn in zerstreuter Ver- 
wirrung 
V, 522, vgl. IV, 275 . Orkan V 368, 864, XIV, 398, Blitz XIII, 242, 
Schnee und Hagel XI, 305, Meteor IV, 75 dienen zu Ver- 
gleichen, doch besonders das Meer, bald wie es vom Frühwind 



Digitized by 



Google 



14 

bewegt nach der Windstille sich zu regen beginnt,* bald wie es 
brandend tobt, von Stürmen gepeitscht, und ein Schiflf in den 
Strudel reisst, vgl. II, 394; VII, 61, XI, 304, XII, 405, XIV, 384, 
394, 624 u, s. f. ; wie ein umbrandeter Fels hält Hector den 
feindlichen Scharen stand XIV 615; reissende Ströme IV, 
459, XI, 492 oder Regenmassen, die von Bergen Geröll und 
Bäume hinabstürzen und Felder verwüsten XIII, 137, XVII, 
747 veranschaulichen Thaten und Leiden der Helden; und alle 
diese Naturphänomene treten in der treuen und wahren Schil- 
derung mit vollendeter Anschaulichkeit entgegen. Aus dem 
Tierleben fesselt besonders der Löwe des Dichters Phantasie; 
die äussere gewaltige Erscheinung mit den funkelnden Augen, 
der brüllenden Stimme, dem Zorn verkündenden Stimrunzcln 
XVII, 133, wie sein stürmischer^ Mut wird zum GegenbiUbe 
menschlicher Thatkraft und Stärke, so XII, 299, XX 164, 
Od. 4, 791 ; ferner das Ross VI, 506, der Hirsch XXH, 
188, vgl. XI, 474, die Schlange XXIII, 93, Schlange und 
Adler XVI, 428-, Schwalben 22, 246, Möwen 5, 52, See- 
dohlen 12, 417, Kraniche III, 3, Falken XXII, 139; rührend 
anschaulich wird der Tod der vom Pfeil durchbohrten 
Taube XXII, 874 erzählt; seine unruhigen Nächte vergleicht 
Achilles der Sorge des Vogels, der seinen nackten Jimgen 
im Nest den gefundenen Bissen darbringt, wenn ihm auch 
selber nicjit wohl ist IX, 323; Fische XXI, 22, Bienei> und 
Wespen II, 87 Heuschrecken XI, 12, Cikaden III, 152, ja 
selbst die Fliegen XVII, 570, der Wurm XIII, 654 u. ä. 
finden ihre Würdigung. — Grandios ist das Bild des im 
Walde rasenden Feuers XI, 155, ferner vom blitzzer- 
schmetterten Eichbaum XIV, 414. vgl. XII, 132. Mit Innig- 
keit des Empfindens wird das Wachsen und frische Grünen 
• des Ölbaums und seine plötzliche Vernichtung zum Sinn- 
bild für den blühenden Jüngling, den die gewaltigen Streiche 
des Gegners niederstrecken XVII, 53: 

Dumpf hin kracht er im Fall . . . 

Gleich dem stattlichen Sprössling des Ölbaums, welchen 

ein Landmann 

Nährt am einsamen Ort, wo genug vorquillt des Gewässers ; 

Lieblich sprosst er empor, und sanft bewegt ihn die 

Kühlung 



Digitized by 



Google 



15 _ 

Allfer Wind' umher und schimmernde Blüte bedeckt ihn ; 

Aber ein Sturm, der sich plötzlich erhebt mit gewaltigen 

Wirbeln, 

Reisst aus der Grube den Stamm und streckt ihn lang 

auf die Erde: 

Also schlug den Euphorbos, den panthoidischen Kämpfer, 

Atreus' Sohn Menelaos und raubt* ihm die prangende 

Rüstung* 

Doch auch für das Einfache und Zarte, sowie für die 
Stille und Verborgenheit des Pflanzenlebens hat der Dichter 
ein Auge, für die im Winde wogenden Ähren II, 147, für 
die Tausende von Blättern und knospenden Blumen im 
Frühling, denen gleich die Achäer in grossen Scharen auf 
der blumigen Au des Skamanders stehen II, 467; besonders 
zart ist der Vergleich des vom Pfeile getroffen hinsinken- 
den Gorgythion mit dem Mohn, der von Wuchs und Regen- 
schauer belastet zur Seite das Haupt neigt; und von echt 
hellenischer Wehmut zeugt das berühmte Gleichnis von 
den Blättern im Walde, die knospen und welken wie die 
Geschlechter der Menschen VI, 146, vgK XXI, 464. 

Doch trotz ihrer sinnlichen Schönheit und trotz der 
tiefen Empfindung, die sie für das Leben und Weben in 
der Natur bekunden^ zeigen die Gleichnisse das Homerische 
Naturgefühl zugleich in seiner Beschränkung» 

Eine sympathetische Naturbetrachtung , welche die 
Natur mittrauern und mitjubeln und zum Spiegelbilde aller 
der Herzensregungen werden lässt, die eine Menschenbrust 
bewegen können, hat zur Vorbedingung die Symbolisierung 
innerer Gemütsbewegungen mit Vorgängen der äusseren 
Natur und die Beseelung der Naturerscheinungen. Beides 
ist bei Homer erst im schlummernden Keime, im leisen 
Ansätze vorhanden. Wohl vergleicht er die Ausdauer und 
den Mut der Helden mit dem Mute von Bienen und Wespen, 
wohl auch Sorgen und Klagen des Menschen mit denen 
der Vögel; aber es ist wesentlich nur der äussere Ausdruck 
der Empfindung, den der Dichter durch Gleichnisse aus 
der Tierwelt schildert. Für die inneren, tiefen Affekte 
greift er zu Analogieen aus menschlicher Sphäre V, 394, 



Digitized by 



Google 



16 

X, 415».^^'^^'^ entschiedenen Fortschritt bezeichnet schon 
das Bild der Penelope 19, 518, in dem sie ihre nächtlichen 
Sorgen mit der Sehnsuchtsklage der Nachtigall vergleicht, 
die ihren schönen Gesang im beginnenden Frühling erneuert 
und sitzend unter dem Laube der dichtumschattenden 
Bäume von Tönen zu Tönen rollt die melodische Stimme, 
ihren Itylos beklagend, und wenn es dann heisst: also 
wendet sich auch mein Geist bald hiehin, bald dorthin 

Wohl erregt Agamemnon II, 142 den Achäern das 
Herz &vfwv Ivl ari^^€(f(riv oqiviv, aber wenn der Dichter dann 
fortfährt: in Bewegung geriet die Versammlung wie schwel- 
lende Wogen des Meeres, wenn hoch sie der Ost- und der 
Südwind aufstürmt xtn^&ij S'dyoQa x. r. X., so ist doch 
nur das Widerspiel der inneren Erregung, nur der äussere 
Aufruhr das tertium comparationis; ebenso wenn Agamemnoh 
IX, 14, voll Thränen da steht, der finsteren Quelle ver- 
gleichbar, die aus jähem Geklipp ergiesst ihr dunkles Ge- 
wässer; und wenn XV, 629 die Unruhe der Achäer mit 
dem im Sturm hin- und hergeschleuderten Schiffe verglichen 
wird, so werden ausdrücklich die Schiffer erwähnt, denen 
das erschrockene Herz bebt, deren Angst also der Furcht 
der Achäer gleicht. Doch an einer einzigen Stelle — die 
Pazschke p. 26, Buchholz p. 4, Woermann p. 15 übersahen 
wird direkt Geistiges mit Natürlichem parallelisiert, IX, 4; 
Wie zweeen Wind' aufregen des Meeres fischwimmelnde 

Fluten, 
Nord und sausender West, die beid' aus Thrakia her- 

wehn, 
Kommend in schleuniger Wut \ und sogleich nun dunkele 

Wallung 
Hoch sich erhebt, und sie häufig ans Land ausschütten 

das Meergras. 
Also zerriss Unruhe das Herz der edlen Achäer. 
(Sq d' ävsfjboi ovo tvovcov oqCvsvov l%d'V08VTa . . 

Wie ferner bei Homer Bild und Idee verschmelzende 
Metaphern noch selten sind: äv&og ^'ßfjg die Blüte der 



Digitized by 



Google 



17 

Jugend XIII, 484, ^aov &dXog XXII 87, vgl. Od, 6, 157, 
xaXdfjh^ die Stoppel, übertragen der altersgraue Körper, 
v^^og Ttol^fjboio II. XVII, 243 oder ensa TtreqoevTa oder 
^ododdxTvXog u. Ä., so wird es nunmehr nicht Wunder 
nehmen, wenn Metaphern, die den geistigen Affekt mit der 
sinnlichen Naturerscheinung in prägnantester Form versinn- 
bildlichen, erst recht selten sind, wie vscfUri a^eoc Jl. XVII, 
591, Od. 24, 315, und nicht minder diejenigen Metaphern, 
welche eine Empfindung den leblosen Naturgegenständen 
leihen, also die Beseelungen. Es ist sehr charakteristisch, 
dass Homer Artefakten^ wie den Speeren, ein Leben leiht, 
die empor aus der Erde ragen, voll Gier im Fleische zu 
wühlen XI, 573, vgl. XX, 99, XXI,. 69, XV, 317, VIII in, 
oder dem Geschoss, das scharf gespitzt hinfliegt, in den 
Haufen zu dringen verlangend IV, 125. Die Natur jber 
selbst ist in den zahllosen Dämonen verkörpert, die Sonne 
ist ein herrlicher Jüngling, die Morgenröte ein rosenfingriges 
Mädchen u. s. f. Die mythologische Personifikation hat 
das Lebensvolle, das in den Naturerscheinungen hervortritt, 
zu persönlichen göttlichen Wesen hypostasiert, an die das 
fromme Gejuüt glaubt, und diese mit den Erscheinungs- 
formen verwechselt. Die poetische Beseelung unterscheidet 
sich von der mythologischen dadurch, dass sie bloss »freier, 
ästhetischer Schein« bleibt, und dass in ihr die Phantasie 
des Dichters das in die Erscheinung übertragene Ich mit 
dem Gegenstande selbst, die eigene Erregung mit der Er- 
regungsursache vertauscht ;^^) so fühlt er sich dem knistern- 
den Feuer ein, und es beginnt zu kichern, so fühlt er sich 
gleiten, fallen, umherwirbeln mit den schäumenden Wellen 
des Baches, und dieser scheint ihm sich jauchzend ins Thal 
hinabzustürzen ; oder der Wind scheint zu klagen, die Sonne 
zu lachen, der Himmel im Regen zu weinen u. s. f. So ist 
»kein Naturobjekt so spröde, in das hinein nicht unsere 
Phantasie sich mitlebend zu versetzen vermöchte «.^^) 
Anders bei Homer. Die Natur als Komplex von Erschei- 
nungen, als (pvCig, ist ihm fremd, und diese selbst sind ent- 
weder durch die mythische Personifikation völlig absorbiert 
oder nur dienende Elemente dem waltenden Gotte gegenüber 5 

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 2 



Digitized by 



Google 



_ JR 

ja die Natursphäre wird selbst durch das göttliche Wesen 
dtog oder laqog, wie die Erde, der FIuss, der Äther, die 
Salzflut, der Fisch u. s.. f. Alles geschieht in der Natur 
auf Geheiss eines Gottes; blutiger Tau fällt auf das Gebot 
des Zeus XV, 459; Nebel verbreiten Götter und Göttinnen 
um die Lieblingshelden; die Winde kommen auf Wunsch 
des göttlichen Achilles und schüren die Flammen des 
Scheiterhaufens XXIII, 194. Dem Impulse des Gottes folgend 
und zum Zeichen der Unterwürfigkeit trennt freudig sich 
die Woge, da Poseidon seinen Wagen über die Flut lenkt 
XIII, 27, oder sie giebt Raum der trauernden Thetis XVIII, 
6y; ähnlich ist auch die Schilderung des hqog yänog XIV, 
346" zu fassen: Zeus umarmte voll Inbrunst seine Gemahlip, 
unten die heilige Erd' erzeugt' aufgrünende Kräuter, LotQS 
mit% tauiger Blum' und Krokos, samt Hyakinthos, didit 
unä locker geschwellt, die empor vom Boden sie trugen. 

— Trotzdem aber bricht doch schon, wenn auch in leisen 
Anfängen, bei Homer die poetische Beseelung durch. Sie 
beginnt mit den Elementen, die ihm allerdings ja als dloc 
und leqog gelten. So lacht vom hellstrahlenden Erz ringsum 
das Erdreich Jl. XIX, 362, so kündet das Meer den Sturm 
voraus XIV, 16 oder — mit den allgemeinen Schallworten 

— brüllt es gewaltig iiiyaX la%h I, 481, 7tv(ia ßoaa XIV, 
394> vgl. XII, 265 ^lovsg fioocottir^ noraiiov xekdöovra XVIII, 
576. So rast endlich das Feuer XV, 606, XX, 490. — 

Die Natur wird sonst dem Menschen gegenüber ohne 
Teilnahme und Mitempfindung gedacht, vielmehr ist sie 
ein Bild der starren Empfindungslosigkeit wie die finstere 
Meerflut, der hochstarrende Felsen Jl XVI, 33. Der Home- 
rische Held hat kein persönliches Verhältnis, keine bewusste 
Hinneigung zur Natur. Es ist gewiss nicht ein auf modernen 
Effekt berechnetes Kunstmittel — wie Pazschke S. 29 
und Motz S. 56 annehmen, — aber auch nicht bloss An- 
gabe einer zufälligen und lediglich dem Gange der Hand- 
lung entsprechenden Lokalität — wie Woermann S. 17 
meint — , wenn Homer den grollenden Priester ans bran- 
dende Meer führt I, 34, oder wenn der Pelide vor Gram 
sich an den Strand flüchtet XXIII, 59, oder wenn Odysseus 



Digitized by 



Google 



19 

weihend am öden Meere sitzt 5, 156, vgl. XIV, 614; 12, 
44; sondern diese »Anpassung des Lokals« an die Stimmung 
des Helden ist einfach unbewusst, unreflectiert, instinctmässig 
und lässt uns im Keime ahnen, was eine spatere Zeit zur 
Blüte entfaltete, indem sie in voll bewusster Kunst die 
Naturumgebung in Harmonie oder Kontrast zur Seelen- 
stimmung setzte, wie letzterer ungesucht Od. 12, 44 bei 
der Schilderung der Sirenen hervortritt, die auf grüner 
Wiese sitzen, umgeben ringsum von menschlichen Gebeinen, 
»so dass ihr blühender Sitz den grellen Gegensatz zum 
Todesanger daneben abgiebt» (Nitzsch). — 

Auf gleichem Boden naiver, mythologischer Natur- 
betrachtung mit Ilias und Odyssee stehen die Hymnen. 
Manche Schilderungen sind von inniger Freude an der Natur 
durchweht, wie besonders in dem auf Pan (XIX, 16 — 18; 
24 — 26); von echt ionischer, sinnlicher Pracht sind sie 
im Hymnus auf Aphrodite IV, deren Schönheit verglichen 
wird mit dem leuchtenden Mondesglanz 0?^ öi (rel^nj 
(jTfjxh(tiv äfA(p^ änaXotaty lldfiTtero, ^avfia Id^a^ai (v. 90); 
v, 264—272 wird das Leben und Sterben der Dryaden in 
Tannen und hochwipfligen Eichen geschildert. Anmutig 
ist die Schilderung der üppig blühenden Wiese im Demeter- 
Hymnus, in dem in Homerischer Beseelung wieder die Erde 
lacht und die Flut des Meeres V, v. 13, xriwdsi d' oö^f] nag 
r'ovQUVog ivQvg VTtsqd-e yald t€ nci(f iy^Xaace xat aAfiVQor 
oldfjba d^aXdttafjg, vgl. auch Apoll, del. v* 118 u. 119. — 
Hesiod führt uns nicht weiter; die Beschreibung des 
Wfnters (op. et dies v. 502—561) ist recht frostig und 
vielleicht interpoliert. 



2* 

Google 



Digitized by 



Zweites Kapitel. 



Das sympathetische NatnrgefUhl in Lyrik und Drama. 

Jiin neues Zeitalter bricht an mit der Lyrik. Ihre 
Welt ist das subjektive Empfinden des en-egten Gemüts; 
in ihr vor allem kann sich ein lebhaftes Naturgefühl kund 
geben. Untersuchen wir kurz, in welcher Weise. Das 
lyrische Gedicht kann eine Naturscene nicht bloss als Rahmen 
und Randverzierung, als Hintergrund zu einer seelischen 
Regung verwerten, sie als harmonierendes oder kontrastieren- 
des Gegenbild der Gemütsstimmung gegenüberstellen, wie 
so oft im deutschen Volksliede, sondern auch Bild und Em- 
pfindung in eins wirken, das äussere Ereignis mit dem 
inneren zusammen rinnen lassen wie z. B. Göthe im Mai- 
lied, Herbstgefühl u. v. a. Eine Naturmalerei aber, eine 
Beschreibung der toten Natur ohne den Bezug auf die Welt 
des Geistes ist ein Zwitterdmg von Poesie und Prosa, eine 
Verirrung des modernen Geistes, welcher der Grieche in 
seinem ausgeprägten Stilgefühl stets fern bleiben musste. 
Haller und Brockes geben eine Botanik und Zoologie 
in Versen, aber diese sind duftlos. Wie das Landschafts- 
bild des Malers ohne jegliche Staffage, lediglich um der 
Landschaft willen entworfen, nur schön ist durch die Stim- 
mung, die es atmet, durch die Idee, welche hindurch- 
schimmert, so muss auch der Dichter »den leblos kalten 



Digitized by 



Google 



^1 

Stoff der Anschauung mit seiner Empfindung durchströmen,« 
Natürliches mit Geistigem durchdringen, wenn er das wahr- 
haft Schöne, das auf Ineinsbildung von Stoff* und Form 
beruht, schaffen will; blosse Anschauung, blosse Abzeich- 
nung des realen Objekts ohne Empfindungsinhalt ist ebenso 
tot, wie die kalte abstrakte Reflexion ohne konkrete An- 
schauung. Das Weitgehendste wird dasjenige Gedicht leisten, 
in welchem der Dichter selbst mit seiner eigenen Empfindung 
völlig zurücktritt und sein Gefühl nur durch ein Naturbild 
hindurchscheinen lässt; bei dieser tiefsinnigsten Beseelung, 
durch welche die feinsten Stimmungen des menschlichen 
Herzens in dem Natur bilde symbolisiert erscheinen, »verliert 
sich das Objekt ganz in das Subjekt, wie umgekehrt dieses 
ganz in die Natur aufgelöst wird« ^), wie in Heine's 
Fichtenbaum, Lotusblume oder in Göthe's Gleich und Gleich 
u. ä. ^^), Ob das Altertum überhaupt diese letzte Konsequeife 
der poetischen Darstellung des Landschaftlichen gezogen 
hat, diese Frage können wir erst, am Ziele unserer Wande- 
rung durch die Poesie der Griechen, beantworten. Aber 
auch jene Kunst, im lyrischen Liede Aussenwelt und Innen- 
welt in Harmonie oder Kontrast zu setzen, hat man be- 
sonders oft dem Altertum absprechen wollen ^^), man hat 
diese sympathetische Naturauffassung für das deutlichste 
Kennzeichen modernen Empfindens halten wollen, da das 
Naturgefühl der Alten nur plastisch gewesen, das unsrige 
aber malerisch, resp, musikalisch d. h. fähig sei, das land- 
schaftliche Bild stimmungsvoll zu deuten und die Analogieen 
zwischen Gemüt und Aussenwelt aufzuweisen. Nur der 
moderne Mensch soll jenes Gefühl kennen, welches »in 
der Natur ein mit den Saiten der menschlichen Brust 
gleichgestimmtes und, wenn sie erregt sind, mitklingendes 
Instrument erkennt.« Wie jedoch die Ansicht, dass die 
Griechen keine Landschaftsmalerei besessen haben, als ein 
verjährter Irrtum gelten darf, so muss es auch der Wahn, 
sie hätten keine Landschaftsdichtung gehabt; allerdings 
hat auch diese wie jene sich erst allmählich entwickelt, da 
der Grieche überhaupt erst nach und nach ein freieres, 
persönliches Verhältnis zur Natur gewonnen hat. — 



Digitized by 



Google 



22 

Es lässt sich nun in der Tbat gemäss der streng 
organischen Entwicklung des hellenischen Geistes jen^r 
Prozess deutlich verfolgen, der vom schlichten Vergleiche 
des Geistigen und Natürlichen zu der beides verschmelzenden 
Metapher, zur poetischen Beseelung und so zum ausge- 
führteren Stimmungsbilde führt^ in dem die Gemütsbewegung 
in Gegensatz oder in Einklang steht mit der Naturscenc, 
bis endlich — im Hellenismus — das Landschaftliche, um 
seiner selbst willen geschildert, den Menschen bloss zum 
»Figuranten in der Natur« herabdrückt. 

Die Elegie führt vom ruhigen, objektiven Epos hinüber 
zu dem von stürmischem Schwünge subjektiven Empfindens 
getragenen melischen Liede. Mannigfach durchziehen noch 
Homerische Bilder und Gleichnisse wie Goldfäden die Ge- 
webe der elegischen Dichtungen; so bei Tyrtaios fr. lO 
(j^oetae lyrici ed. Bergk II ^ Leipz. 66) v. 28 dais ar^og 
jjßfig, und wie Homer in der Form des Gleichnisses das 
Wogen des Meeres dem Drängen der Kriegerhaufen gegen- 
überstellte, bietet Tyrtaios die prägnante Metapher vom 
Gewoge der Schlacht xvfia fji>ccxv<^ f^- ^^f 22. Das wehmütige 
Gleichnis von den Blättern im Walde sagt besonders dem 
schwermutvollen Mimnermos zu, er klagt über die Flucht 
der Stunden, die Vergänglichkeit des Genusses, preist die 
goldene Zeit der Liebe und der blühenden Jugend fr. i : 
... die Jugend verwelkt rasch und die Blüte der Kraft 
Männern und Frau'n, und beschleichen uns erst die 

Gebrechen des Alters, 
Das unerbittlich den Mann, selber den schönsten, entstellt, 
Ach, da zehrt am Gemüt rastlos die vergebliche Sehnsucht, 
Und selbst Helios* Strahl mag uns das Herz nicht erfreu'n. 

Geibel. 
. . . £bi9-' f^ßijg avx^ea yCyvsTcci> dqnaXia 
dvöqäaiv ^di yvvai^Cv, inel 6' odvvriQov tTC^Xd-fj 
y^Qocg, T^aiaxQov ofAwg xal xccXov ccvöqa rC&siy 
aisl fjblv cpQ^vag dfACfl xaxal r€CQ0V(Si fj^Qifivai 
ovd' avydg nQoüoqwv z^gneTai fjeXiov x, x. X. 
Von der gleichen Stimmung ist fr. 2 erfüllt: »Wie die 
Blätter, die da grünen zur Zeit des blumenreichen Frühlings 



Digitized by 



Google 



23 

unter dem Strähl der wärmenden Sonne, freuen wir uns nur 
eine kurze Spanne Zeit der Blüten der Jugend . . kurz währt 
die Frucht der Jugend, so weit über die Erde das Licht 
ausstreut die Sonne, aber sobald die Blütenzeit vorüber 
eilt, ist zu sterben besser, als das Leben :« 

ijfjtstg J' oldrs fvXXa (pvei 7ioXvavxh^o(; &^ 

^aQOQj 6t' aty/ avyrjq, av^srai ^eXCov 

Toig ixe?.oi Ttrixviov Inl xqovov avd-saiv ijßtig 

rsQTto^e&a . * n^vvvd^a di yCyvtTat ^ßtjg 

xagnog, odov T^inC y^v x^dvarai ^^Xiog. 

avvccQ tji'^v drj tovto TiXog naQUiitCipevat oig^g 

avzCxa vedydfAevai ßiXTiop ij ßCoTog x. t. X. 
Vergl. fr. 5, v. 2 äpd^ogofjtijXixdjg Tiqnvov ofAwg xal xaXov. 
"^ Auch So Ion bietet das Bild l^arä ävd^fj fjßrjgi^- 25, 
V. I ; fr. 27,6 XQ^^V^ ävd^og ä(j,€i/3ofiivfjg. Aus der Wolke 
fällt Schnee und Hagel herab, heisst es fn 10, und der 
Donner folgt dem leuchtenden Blitz, und von gewaltigen 
Männern kommt Unheil dem Staat. Symbolisch für das 
Staatsleben ist auch fr. 12: »Winde rühren das Meer auf, 
wenn aber keiner es erregt, ist es ganz friedlicho ; trefflich 
ist auch fr. 13, v. 16 der Vergleich der das Unrecht 
sühnenden Macht des Zeus mit dem Sturm, der plötzlich 
hereinbricht über Meer und Land, verwüstend, aber die 
Wolken zerstreuend und die Luft reinigend, so dass her- 
nach wieder herrlich glänzt vom wolkenlosen Himmel die 
Sonne. Dem Archilochos sind fr. 56 die um den Felsen 
sich türmenden, Sturm drohenden Wolken ein Sinnbild 
des plötzlich hereinbrechenden Unglücks; schön ist die 
Personifikation des Meeres fr. 23: »umgarnt von Flutenarmen 
geht ihr Leben hin« ipvxoig ^x^vng xv^id^wv Ip dyxaXaig, 

In seinen Fragmenten spüren wir nichts mehr von der 
patriarchalischen Ruhe der Homerischen Welt ; Parteikampf, 
elementare Leidenschaftlichkeit , kraftvolles Selbstgefühl 
tritt uns entgegen, das im feindlichen Leben sich panzert mit 
grimmigem Hohn und beissendem Witz, dessen Vehikel die 
FabeP') wird, so fr. 86 vom Fuchs und Adler, fr. 100 von 
der Krähe, die vor Lust die Flügel schüttelt; fr. 18 nennt eine 
Hetäre eine Feige am Felsen, die viele Krähen erfreut, 



Digitized by 



Google 



24 

fn 105 vergleicht das zaghafte Mädchen einem scheuen 
Rebhuhn. 

Das! einzige Gedicht des Archilochos, in dem der 
Eindruck einer Naturerscheinung auf sein Gemüt sich aus- 
spricht, ist fr. ^6. Eine Sonnenfinsternis lässt den Dichter 
am Bestände aller Naturgesetze zweifeln: 

Nichts bedünkt mich jetzt unmöglich, nichts verschwör' 

ich fernerhin 
Oder acht' es als ein Wunder, seit der olympische 

Vater Zeus 
Um die Mittagsstunde plötzlich Nacht ergoss und Helios' 
Strahlend Licht in Dunkel hüllte ... 
Und es fass' euch kein Erstaunen, wenn ihr einst mit 

Augen seht, 
Wie das Wild im Forst zur Weide vom Delphin das 

Meer ertauscht 
Und der Woge dumpfes Brüllen besser seinem Sinn behagt, 
Als das Festland mit dem Bergen, drauf es einst so froh 
^ geschwärmt 

Geibel. 
Bei dem gnomenhaft-ethisch-politischen Charakter der 
Elegie des Theognis werden wir kaum Naturschilderungen 
vermuten; nur spärlich sind die Beziehungen zur Natur. 
Beim wiederkehrenden Frühling mahnt der die Saatzeit 
kündende Vogel sein schwermütiges Herz an die üppigen 
Fluren, die er einst besass und die jetzt andere bestellen 
V. 1197; anmutig verquickt er v. 1275 Liebes- und Früh- 
lingslust : »Lenz und Liebe brechen an ; wenn die Erde mit 
Frühlingsblumen sich schmückt, dann verlässt Eros das 
herrliche Cypern und wandelt zu den Menschen, den Samen 
über die Erde streuend«: 

avx>€(Stv daqtvotg S-dlkei ds^ofjbivfj, 
r^fjiiog ^'EQwg ngoXincov KvTtQov^ neqvxaXX^a v^aov^ 
siatp in dvx^QooTtovg üTtiq^ia f^gwv xwvd y^g* 
Stolz prophezeit er v. 237 ff. dem Kyrnos die 
Unsterblichkeit in seinem Liede: »Flügel dir hab' ich 
gegeben, mit denen du über das weite Meer wirst fliegen 



Digitized by 



Google 



25 

und dick tragen in jegliches Land« ; vergl. aiich das Bild 
von dem Vogel, der mit seinen Schwingen sich hebt aus 
dem tiefen See 1097: ijS^ xal 7tT€Qvy€(f(fiv iTtafgofiai &<tc€ 
nexeivov in i/fjtvrjg fjfeyccXtjg avdqa xccxop TtQOffi^ycov. AI km an 
aber knüpft in sinniger Weise an den rührenden Volks- 
glauben an, nach welchem die Alkyonen aus uneigen- 
nützigster, aufopferndster Freundschaft den Kerylos, wenn 
er alt geworden, auf die Flügel nehmen,^®) und wünscht 
— wie so oft der Liebende im deutschen Volksliede — 
sich verwandelt in die beschwingte Gestalt des Vogels, fr. 21 : 
Nimmer hinfort, ihr süssen und feierlich singenden 

Jungfraun, 
*• Tragen die Glieder mich noch; ach lasst mich ein 

Kerylos werden, 
Mit Eisvögeln über den Saum der Fluten zu fliegen, 
Mutig vertrauenden Sinns, meerpurpurner Vogel des 

Frühlings. 
ov fJb i'tt, nagd-evinal fjbeXiydgveg IfieQocpwvoij 
yvla (fiqeiv dvvarai* ßdXe dfj ßaXs nriQvXoq sifjv, 
og T inl xvfJiarog äv^og Sfi äXxv6ve(i(St> tvot^tcci 
Vfjleyig ^roQ ^x'^v, dXiTVoQ^vQog eTaqog ogvig. 
Doch vor allem spricht sich ein tiefes Naturgefühl in 
dem berühmten Nachtliede aus, das mit echt poetischer 
Beseelung beginnt^ fr. 53: 

Der Berge Häupter ruhn, es ruht das Thal, 

Die Blätter in den Wipfeln rings verstummen, 

Es schläft auch das Gewürm, das ohne Zahl 

Die Erde nährt, es schweigt der Bienen Summen; 

Es schläft der Vogel müde in den Zweigen, 

Das Wild im Waldesgrunde, 

Es ruhn in tiefem Schweigen 

Die Ungeheuer in des Meeres Schlünde. Brandes. 

€v8ov(Siv (J* 0Qi(ji)v xoqvfaC ts xal ^ccQayysg^ 

nqwovig tb xal xaqdÖQail 

(pvXXa xyiqnerd i^'oVcXa TQ^fti fiiXaiva yaZay 

d^^qag oQ€üxtpo^ T€ xat yivog ^eXiaüoiv 

xal xviiöaX' er ßsvd'^ai nog^VQiag dX6g> 

evSovitiv &ömv(Sv (pvXa TavvnT€Qvyayv- 



Digiti 



zedby Google 



26 

Doch dies Gedicht ist Fragment, es fehlt* ihm die 
lyrische Seele d. h. der Bezug zur Welt des Geistes — 
wie in dem unvergleichlichen Göthe'schen »Warte nur, 
balde Ruhest du auch! c ^9) Auch Stesichoros steht erst 
in den Vorhallen griechischer Lyrik, sein Genre ist der Mythus, 
so handelt fr. 8 von dem Himmel umwandelnden Helios, 
der in goldenem Becher über den Okeanos schiffend zu 
den Tiefen der heiligen finsteren Nacht zu gelangen sucht, 
zu der Mutter und der ehelichen Gattin und den holden 
Kindern, oder fr. 32 ff. von dem Gesang der schönlockigen 
Grazien, die beim Frühlingsnahen mit den Nachtigallen 
wetteifern. Doch das Allerheiligste hellenischer Melik er- 
schliesst sich uns erst bei den Äoliern. Hier pulsiert 
frischestes Leben, hier klopft in glühender Empfindung hefti- 
gen Hasses oder heisser Liebe ein leidenschaftliches Herz. 
Sturm und Drang atmen die Lieder des Alkaios, »die 
Leidenschaft altert am spätesten« fr. 116 o Svfiog eaxctrov 
yfjQd(Sx€t könnte das Motto für seine geharnischten Lieder 
sein. Der Parteikampf spiegelt sich in ihnen wider, wie 
er auf Lesbos im siebenten Jahrhundert wütete, da der 
Staat einem lecken, auf windgepeitschtem Meere dahin- 
t reibenden Schiffe glich fr» 18: 

Nicht mehr zu deuten weiss ich der Winde Stand, 
Denn bald von dorther wälzt sich die Wog' heran, 
Und bald von dort, und wir inmitten 
Treiben dahin, wie das Schiff uns fortreisst, 
Mühselig ringend wider des Sturms Gewalt. . . 

vergl fr. 19, 23. Geibel. 

Alkaios ist ein Mann der That , nicht der Über- 
legung, von starkem Hass und starker Liebe, dem es wohl 
thut, sich von der Brandung des Lebens schaukeln zu 
lassen und in ungestümen Zügen die Lust des Augenblicks 
zu schlürfen. ^<^) 

Ein Hauch stimmungsvollen Natiirgefühls weht durch 
seine Trinklieder; jede Jahreszeit mahnt ihn zum Humpen 
zu greifen , so der blumenumblühte Lenz fr. 45 , so der 
schwüle Sommer, wenn höher hinauf wandelt am Himmels- 
zelt die Sonne, die Luft drückend ist und die Welt 



Digitized by 



Google 



27 

schmachtet in SQEpiwrsglut, wenn aus den Blättern lieblich 
hervortönt/Grillengezirp, und desto schriller, je sengender 
die Brandpfeile der; Gott senkrecht vom Himmel zur Erde 
schiesst fr. 39 rfyye TtpevfAovag oVvco x. %\ A. oder: »wild 
strömt der Regen, hoch von dem Himmel bläst der Sturm, 
gefroren starrt der Gewässer Flut . . türm' auf dem Herde 
hoch das Feuer . ♦ mische den Wein« fr. 34: 

vtt^ fiiv o Zsvg ix d'oQava) fjtifyag \ %6(iJb(av^ nsTräyaaiv 

ö'vddvwv ^oa{. 

Mit duftenden Blumenkränzen schmückt sich gerne der 
Dichter fr. 36; auch für die Tierwelt hat er ein mitfühlendes 
Herz, so für die vorm Geier sich niederduckende Taube 
fr. 27 und für den. Hirsch, dem plötzlich vor Angst das 
Herz pocht in der Brust fr, 97; selbst die Meeresschnecke 
hat Interesse für ihn fr. 51. Von erhabenem mythologischen 
Naturgefühl muss der Hymnus auf Apollo durchdrungen 
gewesen sein, von dem uns Himerius or. 14, 10 eine Skizze^^) 
erhalten hat — »da singen beim Nahen des Gottes die 
Nachtigallen und die Schwalben und Cikadeii, doch nicht 
ihr eigenes Lied, sondern von Apollo begeistert; auch die 
Flüsse fühlen seine Nähe und die Kastalia strömt mit 
silbernen Strömungen und der Kephissos rauscht in höheren 
Wogen»« Eine tiefsinnige Fiktion enthält die Auffassung 
des Eros, als des Sohnes des Zephyros und der Iris fr, 13; 
die Liebe ist so schön, aber so kurzdauernd auch, wie 
Westwind und Regenbogen! 

Das Zarteste in griechischer Liebeslyrik bietet die 
»veilchenlockige« Sappho in ihren »unverwelklichen Rosen 
aus Pierien« (vgl. fr. 68); die Liebe aber ist auch jenes Gefühl, 
das am lebendigsten zur Natursymbolik treibt, so dass wir 
die eigenen Stimmungen »in der Landschaft, in Licht und 
Luft wiederfinden, uns mit ihrem Leben in eins fühlen«, so 
mit der Stille der Mondscheinnacht, mit dem Rasen der 
Frühlingsstürme, mit dem .Murmeln des Baches, dem 
Rauschen der Blätter, dem Branden des Meeres. Doch 
alles das lassen die Trümmer Sapphischer Lyrik uns nur 
ahnen, ihre Lieder sind nur Rosenblätter, aus sonnigen 
Tagen des goldenen Südens, voll Duft eines innigen Natur' 



Digitized by 



Google 



28 

gefühls, aber vom rauhen Winde der Zeit zerstreut, zer- 
stückelt nnd verweht. 

Ausserordentlich sinnig sind ihre Bilder aus dem 
Pflanzenleben, so in fr. 93, das an ein in lieblicher Jung- 
fräulichkeit prangendes Mädchen gerichtet ist: 
Du bist so hold, wie unerreichbar mir: 
Dem süssen Apfel muss ich dich vergleichen, 
Der, als des Apfelbaumes schönste Zier, 
Prangt rot an eines Zweiges höchster Spitze. 
Vergassen ihn auf seinem stolzen Sitze 
Die Pflücker ? 0, sie konnten nicht erreichen 
Die süsse Frucht. Brand es>^j 

olov t6 yXvxvfiakop iqevd^evat SxQcp in v<fSo) 
axQov iiif axQotaTCf Xekdd'ovro di fjaloÖQOTVfjeq ; 
ov fjbdv IxkeXdd-ow*, exXX' ovx idvvayt* in^x€<fx^at» 
Das des Beschützers entbehrende Mädchen gleicht 
einer Hyazinthe, die im Gebirge, nicht im sicher umhegten 
Garten wachsend, von den Hirten mit den Füssen getreten 
wird, so dass die purpurne Blume zu Boden sinkt, fr. 94 

— »wer erkennt darin nicht einen Vorklang dessen, was 
Göthe in den Liedern vom Veilchen und Haideröslein 
gesungen?« Und die Rose selbst war ihre LJeblingsblunie 

— ^ 2a7T^(o Tov ^odov Iqa xal (fvsfpavol avro ast tivi 
iyxcofi^o)^ Tccg xaXdg t£v Ttag&ivwv ixsCvo^ ofioiovtfa (fr. 146 
Philostr. Epist. 71). 

Von zartem Mitgefühl für die im Tode zuckenden 
Tauben, denen starr und kalt ward die zarte Seele und denen 
matt zur Erde die leichten Flügel sanken, zeugt fr, 16; 
die Nachtigall als ersehnte Prophetin des Frühlings ^gog 
ccyysXog l^sqofwvog ä^dmv grüsst fr. 39. 

Ein stimmungsvolles Naturgefühl, das in der umge- 
benden Landschaft einen Widerhall des eigenen Fühlens 
findet und den Natureindruck mit der seelischen Re- 
gung verwebt, lassen fr, 4 und 52 ahnen. Zum murmeln- 
den Bach führt uns das erstere, »ringsum rauscht die 
Kühle des Wassers durch der Quitten Gebüsch, aus dem 
Säuseln der Blätter fliesst der Schlummer herab« 



Digitized by 



Google 



_ 89 

dfjbfi <fi . (v&ioq) ipvx^ov xbXpUsi di' vcdu>v | fia^ptop, 
ald^v(S<SoiAiv(xiV ök^ ^vXXoDV I xwfjba xa%aq^el. 
Das Säuseln der Blätter im Winde, das Rauschen des 

Wassers wirkt besänftigend, einschläfernd auf die Sinne — 
Iv x)-iq€i d'vnvov \ di^dfji^^iTQ^Tog dvXCov nifinst nvoti 

heisst es bei Sophokles Philo kt. v. i8. 

Von unvergleichlich melodischem Wohlklang und von 
schlichter Innigkeit des Gefühls durchdrungen ist das Lied 
der Einsamen fr. 52: 

Schon sank zu des Meeres Grunde 

Der Mond. Der Sterne Schein 

VerbJasst und Stunde auf Stunde 

Verrinnt und ich bin allein*^), 

Sidvxe fiiv ä aeiAva \ xal nXfjt'adegf ji^(fai da \ vvxTsCy 

naQci <J' i'QxevwQa, iyw äi fjbova xa&bvdo). 
Enthalten diese Zeilen wirklich nur eine Zeitbestim- 
mung, wie Woermann S. 28 meint? Nun, dann sind 
reiz- und stimmungslos alle die deutschen Volkslieder mit 
den Rahmen bildenden Anfängen vom wonnigen Lenz, vom 
eisigen Winter, von der lachenden Sonne und den klar 
blinkenden Sternen! Nein, diese wenigen Sapphischen 
Zeilen müssen uns anheimeln wie ein Minnelied des Mittel- 
alters oder uns erinnern an das treffliche Lied von Mörike 
»Die Verlassene« : 

Früh, wenn die Hähne kräh'n, 

Eh' die Sternlein verschwinden, 

Muss ich am Herde stehn 

Und Feuer zünden u. s. f. 

Wohl nur zum Vergleich hoher Frauenschönheit , die 
jede anderein Schatten stellt, diente die prächtige Strophe fr.3. : 

Der gold'nen Sterne funkelnd Licht erbleicht. 

Sobald das Mondes silbern Strahlenbild 

In vollem Glänze sich am Himmel zeigt 

Und rings die Welt mit seinem Lichte füllt, 

ä<ft€Q€g /jbev diifpt xdXav asXdvav \ a\p dnoxQVTtToiai 
q)dtvvov eldog, | oTtnova nXiid-oiiSa fidXi&fa IdfiTitj \ yär 
. . . dqyvqCa, 



Digitized by 



Google 



80 

Ihr leidenschaftliches Herr ver<^leicht den Gott der 
Liebe mit dem Sturm, der am Berge die Eichen fällt, fr. 42 
^Egog S^cxvt* IrCvixitt' l]uo* qqivag \ avifjtog xav oqoc 
dqvatv ifjbTteüMV. 

Auch für Anakreon ist er der Gewaltige, Allbesie- 
gcnde fr. 48; noch den Greis peinigt die Liebe und in 
fr. 75 schilt er das spröde Mädchen aus Thracicn unter 
dem Bilde eines Füllen, das auf Auen in kindischen Sprün- 
gen weidet und den kundigen Reiter flieht; oder die 
Schüchterne erinnert ihn an das Rehkälbchen, das noch 
gesäugt wird und, wenn es im Walde von der hochhörnigen 
Mutter sich verlassen sieht, zusammenschrickt fr. 52; der 
Geschwätzigen ruft er zu, nicht zu plaudern wie die Wog;e 
des Meeres fr. 90; ein winterliches Trinklied ä la Alkaios 
wird fr. 6 gewesen sein. Die Anakreonteeen, dieses 
bunte Mosaik von Liedern, welche dem Teischen Sänger im 
Laufe der Jahrhunderte zugeschrieben wurden, gehören auch 
dem Kolorit ihres Naturgefühls nach einer späteren Epoche an. 

Heiterer Lebensgenuss und glühende Liebesleiden- 
schaft bilden auch bei Iby kos das Hauptmotiv seiner Lieder. 
Die Blumenwelt Myrthen, Veilchen, Goldringeln, Rosen 
und Lorbeer ist eine beliebte Dekoration, z. B. fr. 6; auf 
Rosen hat Kypris den Euryalos ernährt fr. 5; eine bunte 
Vogelgruppe wiegt sich fr. 8 auf den Spitzen der Zweige 
Doch von wirkungsvollstem Naturi^efühl ist das schöne 
Liebesgedicht fr. l durchdrungen: 

Frühling ward es und wieder blüht 

Vom sanft strömenden Bach getränkt 

Der Kydonische Apfelbaum, 

Wo jungfräulicher Nymphen Schar 

Tief im Dunkel des Haines spielt 

Und die Blüte der Rebe schwillt 

Unter schattendem Weinlaub. 

Doch nicht achtet der lieblichen Jahreszeit 

Eros und lässt mich ruh'n. 

Nein, wie thrakischer Wintersturm 

Widerleuchtend von Blitzesschein 

Fällt er, Kyprias wilder Sohn, 



Digitized by 



Google 



31 



Mit blind sengwder Wut mich an 
Und erschüttert gewaHsam mir 

Die Grundfesten des Herzens. G ei bei. 

fJQt' (jt€p ai're Kvdwviai | ^riXCdsq ägdo^ivai ^oav \ Ix 

TtorafioSv, tpcc naq^-iviav \ H^nog^ dxriQaToq, a%v olvavl>C- 

dsg I aviofjbsvai axuQolCiv v^^ eqvediv \ olvccq^oiq x)'a)J- 

d-otatv. ifioi d^iQog \ ovdeiiCav xarccxotTog oiqav^ S& vtto 

areQonccg (pk^yoav \ &Qijlxiog ßoq^ag \ aaawv nagd Kv- 

TTQidog d^ak^aig (jbavCa$air iq^^ivog dd-aiißiig j eyxQUTto^g 

naidoxihei^ (pv^dcati | fifiev^gag (pqivag. 

j Die Hauptbedingungen eines stimmungsvollen Liedes 

,sind hier erfüllt: auschaulich wird die äussere Situation ge- 

.^ßchildert, und diese giebt der Empfindung ihren Impuls. 

.per Nerv des Gedichtes ist die feinsinnige Gegenüberstel- 

^lung des Natürlichen und Geistigen, der Kontrast der Ruhe 

/des lachenden Frühlings im blumigen Hag am Bach und 

der elementaren Gewalt der Liebesleidenschaft in der Brust 

des Dichters. 

Von ähnlicher, ja noch gesteigerter Wirkung ist die 
berühmte Danae-Klage des Simonides v. Keos fr. 37, 
Im verschlossenen Kasten treibt des Akrisios unglückliche 
Tochter mit ihrem kleinen Persans auf sturmgepeitschtem 
Meer dahin und singt in ihrem Mutterschmerz dem arglos 
ruhenden Kinde das Schlummerlied ; 

Fühlst nicht, o Kind, die herbe Pein, 
Dich wiegte die kindliche Unschuld ein, 
In dem engen, erzbeschlagenen Haus, 
In der finstern Nacht, in der Dunkelheit Graus. 
Nicht vor der salzigen Woge dir graust, 
Die dir dein lockiges Köpfchen umbraust 
Das Rauschen des Windes, nicht macht es dir 
. , Schmerz, 

Schlummerst auf purpurnem Pfühle, mein Herz. 
Dich schreckt nicht der Schrecken der stürmischen 

Nacht, 
Hörst nicht die Mutter, die über dir wacht; 
Schlafe, mein Kind, o .schlafe du See, 
Schlafe mein unermessliches Weh! Bern dt. 



Digitized by 



Google 



32 

0T€ Xdqvaxi Iv 5ai8aXia \ Sv€fiog x/ /jiip nv^tav ripf^d-et- 

ad T€ kCiiva t öhC^aTi ^Qiner, ovt" äöidvTOKSi naQSiatgf \ 

dfig>^ t€ Ileqaii' ßdXkt tpCXav X^qcc, \ eln^ t' w v^xog^ olov 

^XW novov' 1 (SV S* dcoTStg^ yaXad-rivii tijtoqi xvcoadetg Ip 

diBQnsl I dovqari XaXxeoy 6 fj^ay \ ,vvhtI dkafjtJtsl xvaviw 

T€ dvotpw ataXs^g* \ aX/jbccv (T vtcsqO^s Tsdv xofjMV ßa- 

&sväv I nagiowog xvficcTog ovx dXiytig, \ ovS* dvi/jov 

fx^oyyoov, \ noQ^vq^a xtC^ASVog iv xXavCdi xaXov \ nqo- 

aoanov. I el 8i rot dsivov ro ys Öbivov ^Vj \ xaC X€V Ificov 

^fjfjifdrwv XsTiTov vnsXxsg övag* \ xiXofiat ^ svde ßg^fpog, 

evdirco d^ novrog, | avdiva) d^ ä(jb€TQop xaxov- 

Auch hier also bietet die äussere Situation den Spiegel 

zu der Gemüthsbewegung des Menschen dar; der brausende 

Wind und das tosende Meer kontrastieren mit dem harmlosen 

Schlummer des Kindes, und zugleich findet Danae in dem 

Aufruhr der Elemente ein Echo der eigenen Angst, der 

eigenen stürmischen Unruhe; Äusseres und Innei/es rinnen 

in eins, und so klingt das Lied ab mit dem echt lyrischen 

Empfindungstone einer doppelten Beseelung: o schlafe du 

See, schlafe mein unerm essliches Weh! 

Wenig lassen die übrigen Fragmente dieses univer- 
sellsten Geistes unter den griechischen Lyrikern erraten. 
Der Dithyrambus fr. 73 singt vom Lenz, von der gelb- 
halsigen, vielgeschwätzigen Nachtigall, fr. 74 von der dunkel- 
bläulichen Schwalbe, der Botin des süss duftenden Früh- 
lings, fr. 40 u. 41 von der Zauberkraft des Orphischen 
Liedes auf Vögel, Fische und Winde u. s. f. 

Bei Pindar drängt das Historisch Mythische und das 
Ethos der Apollinischen Religion ein subjektives Empfinden 
zurück; seine Phantasie liebt zu hohen Schwung, um in 
sinnige Natursymbolik sich versenken zu können. Thaten 
der Vorzeit und der Gegenwart besingt er in seinen Epini- 
kien und wiegt sie nach ihrem sittlichen Gehalt. Wuchtig 
ist auch seine Sprache, reich an grandiosen Schilderungen 
und Bildern, aber dieselben sind meist vom Mythus durch- 
tränkt. Delos, die gottgebaute Meerestochter, den Parnass 
mit seinen Schluchten und Thälern preist er als die Lieb- 
lingsorte des Apollo, das sonnen reiche Rhodos als den des 



Digitized by 



Google 



33 

Helios; von erhabener Schönheit ist die Schilderung des 
Ätna, unter deni der Tyhoeus gefesselt liegt Pyth, I, 19 
bis 24 (p. L ^ 78): /»Der Pfeiler des Himmels beengt ihn, 
das Schneehaupt Ätnas, der allzeitige Heger scharfen 
Frostes; Bäche sprudeln aus den Schlünden lauteren Feuers 
hervor allverzehrend , qualmende Rauchwirbel quellen auf 
in der Hölle des Tages, Funken sprühend, dann in dunklen 
Nächten wirft die rötliche Glut mit Geprassel Steine weit 
wälzend zum tief gründenden Spiegel der See« u. s. f, 
(Härtung). Mythisch gefärbt ist auch der Frühlingsdithy- 
rambus fr. 53 . . . »sobald sich aufthun die Thore der pur- 
purnen Hören und hervorspriessen die duftigen Blumen, 
dann verbreiten sich liebliche Veilchenblüten über das Land, 
Rosen flicht man sich ins Haar, und laut schallt das Flöten- 
getön zu Liedern und Reigen« 

oTtov' olxO^ivToq ^Qqccv &aXa^ov | tvodfAov inaivoaiv 
i'aq (fVTcc vexiagsa. \ lore ßdXXhTai \ tot* in'dfißQorav 
%iq(Sov IgaToi \ JW (joßai,, §6da ts xofiaKTi fj^ypriai 

X. T. X* 

Anmutig ist auch die Schilderung des Elysiums fr. 
106: »dort hinab scheint immer der Sonne goldenes Licht, 
voll schattiger, duftiger Weihrauchbäume mit goldenen 
Früchten pranget die Flur mit rosenroten Auen . . . und 
Flüsse durchrinnen die Landschaft wogenlos mit ruhigem 
Wasserspiegel.« 

ioX(Si Xdfj7T€i fi^v fj^rog ät)Jov tccp ivS^dds vvxxa xcctco 

(f'OivixoQodoig d^ ivl XeiiioavsGGt TXQodöTiov avTWp 

xal Xißdvw (Sxiaqov xal 'XQvaeoiq xaqnotc ßißqiO^oc . . . 

Vergl. Olymp. II, ant. 4. 
Wie auf Archilochos, macht auch auf ihn eine Sonnen- 
finsternis fr. 84 den Eindruck, als ob nun alles aus. den 
Fugen weiche oder IJrieg, Früchtevertilgung, Schneesturm, 
Sturmflut, Weltuntergang bevorstände ; von echter Humanität 
zeugen die Schlussworte: »wenn du (Zeus) neuer Menschen 
Stamm, ganz fortspülend das Erdreich, schaff'en willst, mit 
dem jammernden Volk will leiden ich selber auch« (Tycho 
Mommsen) Wahrhaft fisyakoTiQini^c ist Pindar in seinen 
Vergleichen und Metaphern. Heller als ein Stern soll sein 
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. o 



Digitized by 



Google 



34 

Lied strahlen; die Tugend ist für den Mann ern untrug^- 
liches Licht ; das Unglück ein früchtevcrnichtcndes Gestürm 
eisiger Winde, diese selbst ein Sinnbild des mannigfach 
schwankenden menschlichen Schicksals; doch auf Regen 
folgt Sonnenschein. ^^) Der Schrecken und das Morden des 
Krieges gleicht der drohenden dunklen Wolke ;^'') seine 
Rede gleitet dahin wie ein Schiff, das von günstigem Winde 
getrieben wird j^'') sehr beliebt sind Bilder von Steuermann;*^) 
»ein Meer vielgoldigen Reichtums befahren wir Menschen^ 
Is^hm. I, 36; doch besonders interessant ist die Über- 
tragung des Natürlichen auf das Geistige in der intensiven 
Metapher fr. 100, 3: »wer nicht vor Sehnsucht hin- und 
herwogt in seinem Herzen« og fjtrj no&w xvf^tafi'^tai, — 
schüchtern war der Ansatz bei Homer in Form des Gleich- 
nisses, hier verschmelzen Bild und Sache; ja sogar dife 
Katachrese scheut Pindar nicht Pyth. IV, 158 »die Blüte 
deiner Jugend braust noch in den Adern« aor cir&oc ijß^c 
ctQTi Tiv^aCvtv, Das Pflanzenleben bietet auch ihm in seinein 
Wachsen und Vergehen ein Bild des Menschlichen; einem 
Saaten tragenden, sich stets erneuernden Ackerlande gleicht 
das Geschlecht des Alkimadas Ncm. VI, 8, das der Kleony- 
miden, fftfTi Kriegsstürmen wieder aufblühend, dem Garten, 
der nach trübem Winter grünt und im Lenz voll Rosen 
steht Isthm. III, 18.^^) Unter den Vögeln begegnet uns 
bqjipnders der Adler. In vollem Selbstgefühl seines Kön- 
nens erhebt* der Dichter sÄn Lied hoch über die Versuche 
seiier^J^ebenbuhlerj i,§ein Ljed nimmt hohen Flug wie der 
Aar ^h ö«ipT5i«ftQJj^4ngtJ*lrMfa\mit.den Klauen seinen Fang 
packend, während ni^irigiSalUug führt die krächzende Krähe 
Nem. III; 80, vergl. Tyth. V, 112. Wie bei Homer und 
Theognis Himmel und Erde und MeA* ladi^ten, so führt 
Pindar die poetische Beseelung weiter im fr. TI3: »auch 
die Gestirne, die Bäche, die Wogen des Meeres beweinen 
Atm frühzeitiges Sterben« aW^a t€ xal Tcotaiiol xal xvfiata 
novtov ävöqCav rdv cdv äva^XaCei (Härtung für draxakei) 
Eine Welt liegt zwischen Homer und Pindar! Bricht 
auch bei dem Sänger von Theben wieder der Mythus voller 
und breiter hindurch, wie bei den übVigen Lyrikern, so besteht 



Digitized by 



Google 



.35 



doch ein, gro3?er Unterschied in der Auffassung desselben bei 
ihm und Honier. Bei diesem waltet der naive Götterglaube, 
bei jenem eine tjef ernste, sittliche Weltanschauung, die 
stets sich bestrebt, »das Mass, wonach alle Dinge zu messen, 
die Gesetze einer sittlichen Weltordnung, in dem eigenen 
Innern zu finden» (Otfr. Mueller). Bezüglich der Naturan- 
schauung hat sich also in dem Zeiträume von Homer bis 
zu den Perserkriegen eine Wandlung vollzogen, die an die 
Stelle des epischen, objektiven Gleichnisses die subjektive, 
lyrische Metapher, die poetische Beseelung und die sympathe- 
tische Deutung der Naturscene treten Hess. 



Die Tragiker ^^) spinnen die Fäden weiter. Die Muse 
<ies Erhabenen führt den Griffel des Ä s c h y 1 o s ; das 
Grossartige, Gewaltige in *der Natur fesselt seine orientalisch 
glühende, schrankenlose Phantasie; Bilder, Vergleiche und 
Schilderungen zeugen von imposanter Gestaltungskraft. 
So gleich in seinem Prometheus. »Am fernen Saum der 
Erde, an der Scythenstrasse, in menschenöder Wüstenei« 
schmieden B^a und Kgarog den Titanen an den Felsen; 
in- grauser Einsamkeit wendet sich der Gequälte an die 
Natur; an ihre Teilnahme appelliert er, da sollst kein 
mitleidiges Ohr ihn hört v. 88 (poet. scen. Dind ed. Vi: 

Heil'ger Äther, leicht beschwingte Lüfte, 

Stromesquellen lächelnd sanfte Flut, 

Die verhüllt des Meeres Schauergrüfte, 

Mutter Erde, und dich, Strahlenglut, 

Helios' Auge, das auf seiner Bahn 

Alles schaut, euch ruf ich flehend an. 

Seht, was ich von Göttern, selbst ein Gott, 

Dulden muss, wie ich in Schmach und Spott 

Hier gefesselt tragen muss mein Leid, 

Tragen muss durch alle Ewigkeit. Brandes. 

(ü ölog ald^^Q xal Taxvmegoi nvoal \ norafACOv re m^yal 

7iovji(av r€ xviAaTwv \ äv^qiOfiov y^XaCfia, napfi^roQ T€ 

Y^, I xat Tov navoTiTfjv xvxXov rlXCov xakw, \ l'dta^e 

fji' ofa . . naC'iiü x- r. X 

3* 



Digitized by 



Google 



36 

Die Oceaniden bejammern ihn, furchtbar umhüllt ihre 
Augen der dichte Nebel der Thränen, da sie ihn so leiden 
sehen v. 144. Prometheus erinnert an das Schicksal 
anderer Titanen, wie des Typhon, »den das schlaflose Ge- 
schoss des niederfahrenden, flammensprühenden Wetterstrahls 
traf« V. 358, »doch einst werden Feuerströme hereinbrechen, 
rings zerfleischen mit wildem Zahn die saatengrünen, sel'gcn 
Au'nSiciliens«, v. 367. Die Natur selbst zeigt Mitgefühl v. 431 : 
Klagend rauscht der weiten See Wogenschlag, die 

Tiefe seufzt, 
Fern nachhallt des Aides düsterer Abgrund, 
Der heiigen Ströme rieselnde Quell'n beweinen deine 

Trübsal 

Droysen. 

ßoa 8i TtomoQ xlvöo^v (iviinCtvoDV, &riv€i ßvd-og, \ x€Xai' 

vog ^'Ai'dog d^vnoßqi^^i f^vxoC yäg, \ nayai ^^dyvoQvzcDV 

Ttorafitöv (^TivovCiV äXyog oIxtqov. 

Der lo kündet Prometheus ihre Leidensfahrt zu den 
sternbenachbarten Schläfen des Kaukasus voraus, »nimmer 
werde rasten das stürm gepeitschte Meer grauenhafter Qual« 
— dvü%eC[jbtq6v ys niXayoq äifjQoig övfjg v. 746. Die Klagen 
der Wahnsinnigen »verhallen umsonst in des Unheils tosender 
Brandung« v. 885. Hermes naht, um den Trotzigen zum 
Nachgeben zu zwingen, doch derselbe antwortet lOOi : »Wie 
eine Welle belästigst du mich eitel mit deiner Worte 
Drängen« ; Hermes warnt IÜI4: »bedenke, welch ein Orkan, 
welcher Qualen Brandung dich fluchtlos zerschmettert« 
olog (S€ xtifio^v xal xaxäv XQixv^Ca €7iei& afvxvog- Doch 
vergebens. Mit der Glut und Erhabenheit der Phantasie 
eines Dante oder Shakespeare fordert Prometheus sein 
grauses Verhängnis heraus v. 1040: 

Wohlan, Zeus, falle dein züngelnder Blitz 

Zweizackig auf mich hernieder, 

Und es hall' aus gespaltener Wolken Schlitz 

Laut krachend der Donner wieder! 

Erfasst von der Windsbraut tobender Wut, 

Mag der Erdgrund brechen zusammen, 

Mag spritzen des Meeres schäumende Flut 



Digitized by 



Google 



37 



Bis hinauf, wo die Sterne flammen, 
Und mag stürzen mein Leib, wo der Tartarus klaftt, 
Von des Schicksals zwingendem Strudel entrafft, 
Zu der Frevler furchtbaren Nöten. 
(Ganz wirst du mich doch nicht töten!) 
Ha, schon wird es zur That, was Kronion gedroht. 
Schon erzittert im tiefsten Grunde die Erde. 
Des Blitzstrahls Flamme loht, 
Und der Donner hallt dumpf in der Runde; 
Vom Boden wirbelt der Staub empor, 
Wild stürzen, wie feindliche Heere, 
Auf einander die Stürme in grimmigem Chor, 
Und der Himmel vermählt sich dem Meere 
(SvPTSTCcQaxrai d^ai^^q novrco)- 
So brich denn herein, Kronions Gericht 1 
. O Mutter du, und du kreisendes Licht 
Des Äthers, o sehet mich beide, - 
Wie ich ungerecht, ungerecht leide 1 Brandes. 

Wie schon aus dieser Skizze des Prometheus ein- 
leuchtet, entlehnt Äschylos seine Bilder besonders dem 
Meere und webt in kühnen, gewaltigen Metaphern Natür- 
liches und Geistiges in eins. Auch die übrigen Stücke 
sind reich an solchen, so die Septem, wo es heisst: es 
rauscht heran die Welle des Landheeres; helmbuschwogend 
brandet um die Stadt der Feinde Meer, tosend und sturm- 
gepeitscht von Ares Zorn; in heitrer See schifft jetzt die 
Stadt, trotz allem Schlag der empörten Wogen hat sie 
kein gefährdend Leck; Fluten des Heeres, der Worte, des 
Unheils sind häufig.^*»^) An Simonides erinnert die Beseelung 
Agam 565: »wenn um Mittagszeit die See in wellenlos 
windstiller Ruh sich legend schlief« ^ ^dlTtog, €VT€ nowog 
iv fi€(ffjfißQiva7c I xofvatg dxvfjto^v vi]V^fJ>oig evdoi .nstSwV' 

Bild und Sache sind schön in einander verschmolzen 
Hik. 126: »O schwer enträtselt Wehgeschick 1 Welle, wohin 
noch treibst du?« /« dvadyxQitoi nopoi' no^Toöe xv(a^ dnd^ei; 
und V. 784: »dunkelwogend pocht das Herz in meiner Brust« 



■ Digiti 



zedby Google 



38 

Auch die Schilderungen des Meeres sind grossartig, 
so bei der Erzählung von der Salaminischen Schlacht, 
Pers» V, 386 ff.: »hell brach der Tag an, mit seines Wagens 
Lichtgespann beleuchtet sonnenhell er die Meeresbucht — 
doch am Abend treiben Wrack an Wrack und Leichen 
umher, Wehklage und Angstgeschrei erfüllt das weite Meer, 
bis dass dahin sie nahm der dunkle Blick der Nacht« 6(oq 

Ein grandioses Seeslück entrollt die Schilderung des 
Herolds Agam. v. 650: »die grimmsten Feinde verschworen 
sich, Meerflut und Feuer, . . es erhob zur Nachtzeit sich 
der empörten Fluten Sturz, an einander jagte die Schiffe 
wilder thrakischer Orkan« u. s. f« ^rdfiotfav yaQ opr^g £%- 
&i<SToi To TTQtv, TtvQ xat &d},aü(fa X. T. X. Zart ist das Bild 
Agam. 740 von der Helena, die wie »glanzheitre Meeres- 
stille, eine herzerschliesende Liebesblüte« ^Qovfjfia vt^r^fAov 
yaXi^vfig ♦ . dfj^Cx^vfiop eqwrog Svx^og nach Ilion kam. Am 
grossartigsten ist die Beseelung fr. 41, in welchem Aphrodite 
ihre allbezwingende Macht schildert: 

Es sehnt der keusche Himmel sich, zu umfahn die Erd', 
Sehnsucht ergreift die Erde, sich zu vermählen ihm; 
Vom schlummerstillen Himmel strömt des Regens Guss; 
Die Erd' empfanget und gebiert den Sterblichen 
Der Lämmer Grasung und Demeters milde Frucht ; 
Des Waldes blühenden Frühling lässt die regnende 
Brautnacht erwachen; alles das, es kommt von mir. 
i^a fjtiv dyvog ovgavog TQ(S(fai y(x)^6va \ Ijowc d^ yalav 
Xccfjbßdvsi ydfjbov tvx^f^v . . . devÖQcorig wqu d*ix voti- 
^ovTog ydfjbov \ xf-Xeiog i()Ti' twv d^^yoi nagaCnog; vergl 
Eurip. fr. 890. 

Hier paart sich die erhabenste Naturanschauung mit 
der Sinnenglut einer orientalischen Phantasie. Grandios ist 
auch die Durchführung des Gedankens, nichts gleiche der 
menschlichen Leidenschaft, der trotzfrechen Hofifahrt eines 
Mannes, nicht einmal die Ungeheuer, welche die Erde 
nährt, noch die Knäuel nienschengier'ger Scheusale in der 
Tiefe des Meeres u. s. f Choeph. 585. 



Digitized by 



Google 



39 



' Auch .in seinen Bildern aus dem Tierleben •'•") über- 
wiegt das Gewaltige: der Löwe, der Adler, der Drache, 
die tückische Schlange, der Wolf; lieblich sind die von der 
Nachtigall wie Agam. 1142; es berührt sich unmittelbar 
mit unserer Empfindungsweise, wenn Kassandra a, a. O. 
die tonreiche Nachtigall preist, da sie kein Menschenleid 
kenne, nur süsse, thränenlose Tage! ^^) Andererseits ist dem 
Dichter ihr schmelzendes Lied der Ausdruck tiefsten Seelen- 
schmerzes vergl. Hik. 160, Die Mutterliebe der Niobe 
gleicht der des brütenden Vogels fr. 149; die trauernden 
Kinder am Grabe des Vaters rufen Choeph^ 501 : »O Vater, 
sieh, deine Küchlein sitzen an deinem Grab«.^^) Doch auch 
das Pflanzenleben, der Ackerbau dient zu Vergleichen, 
So begrüsst Klytaemnestra Agam. 966 den heimkehrenden 
' Gatten heuchlerisch mit dem schönen Gleichnis : 
Lebt die Wurzel, so umgrünet Laub das Dach 
Und breitet Schatten vor dem heissen Sirius, 
Du kündest Frühlingswärme mir in Winterszeit; 
Und wenn in herber Traube Zeus den jungen Wein 
Lässt reifen, dann weht labend Kühlung durch das Haus, 
Grotesk, ja das Mass des ästhetisch Zulässigen über- 
schreitend, sind die Worte der Klytaemnestra Agam. 1389, 
in denen sie das Blut des' Erschlagenen den Tau nennt, 
der sie erquickt, gleichwie des Regenschauers sich freut 
die Saat, nach dem die Knospen sich erschliessen. ^^) 

So durchmisst der Geist des Äschylos in kühnem 
Fluge Meer und Himmel und Erde, Pflanzenleben und 
Tierwelt, um für seine Ideecn das adäquate Gegenbild 
zu finden, . 

Die Phantasie des Sophokles ist massvoller; er 
.sucht das Schöne nicht im Erhabenen, sondern in der har- 
monischen Ineinsbildung von Stoff und Form ; seine Sphäre 
ist das Zarte, Liebliche in Pflan;^en- und Tierwelt. 

Weinstock und Ölbaum preist er im öd. Col oder 
zieht sie zu Vergleichen heran wie Trach. 701, Antig* 712, 
und in durchscheinendem Bilde ^'^'^) sagt Aias v. 558 zu 
seinem kleinen Sohne: 



Digitized by 



Google 



4^ 

Indessen vveid' in leichter Luft und pflege dir 
Die junge Seele, deiner Mutter hier, zur Lust 
rfüdg d^ xovfotg 7tPfVfia(Uv ßodxov kvX* 
Unter den Tieren steht das Ross in erster Linie, 
Öd. Col. 699, 1063, Öd* tyr, 466, Antig. 477, El. 25, 
nur vereinzelt sind Vergleiche von wilden Tieren wie vom 
Drachen Antig. 126, Trach. 770. Seiner zart besaiteten 
Seele entspricht besonders das Reich der luftigen, leicht- 
beschwingten Vögel. »Ich erbebe vor Furcht wie das Auge 
des flatternden Täubchens«, sagt der Chor, Ai. 139; al- 
berne Männer tosen laut wie Vögel im Schwärm aus 
Furcht vor dem gewaltigen Geier v. 167; Gram und kla- 
gendes Sehnen erinnern an Philomele ^^), und die Eltern- 
liebe der jungen Brut soll den Menschen zur Nachahmung, 
dienen El. 1058, vergl. Antig. 424. 

Der Wunsch der Beflügelung^^), der uns zuerst bei 
Alkman begegnete, kehrt bei Sophokles in bedeutsamer 
Weiterbildung wieder. Schon bei Homer wünscht Helena 

II. VI, 345 : 

O hätte doch am Tage meiner Geburt 

Ungestüm ein Orkan mich entrafft auf ein ödes Ge- 
birg hin 

Oder hinab in die Woge des weitaufrauschenden Meeres, 

Dass mich die Woge verschlang', eh' solche Thaten 

geschehen ! 

Und bei Äschylos ruft in ähnlicher Stimmung der 
Danaidenchor Hik. 780: . . . wohin entfliehen ? 
Ein schwarzer Rauch möcht' ich fliehn 
Zeus Wolken nah von hinnen ziehn, 
Lautlos verschwinden, 
Möcht' ein leiser, leichter Staub 
Emporgeweht flügellos verfliegen! 

fiiXaq Y€vof(iav xanvoc vicfetti^ ysirovcSv Jtog' \ ro näv S* 
äcpavTog ccfjb nvoalc diipdg (Sg xovig axfq^e \ 7tTfQvyo)v 
oQo^fjbav. 

Mit solcher Verzweiflung paart sich zunächst auch 
das Verlangen, ein Vogel oder mit den Vögeln und mit 



Digitized by 



Google 



41 

dem Wehen des Windes in die Weite zu fliegen, bei So- 
phokles. So im Philoktet 1092: 

O dass hoch empor Vögel mit sausendem Schwung in 

die Lüfte mich entrafften! 

Nicht mehr ertrag* ich's! 

tld- did'^Qoq apw | mwxddeq o^vrovov dicc 7TVtvfiaTog \ 

i'Xcoai fA- ov yccQ fo^o). 
Trach. 953: 

Wenn eilende Lüfte doch 

Mit hellem Hauch von diesem Herd mich in weite 

Ferne trügen u. s. f. 
Doch auch andere Stimmungen als verzweiflungsvolle 
Sorge und Angst bilden das Motiv zu solchen Wünschen. 
Im Od. CoL wünscht der Chor, dem Siege der Attiker 
über dfe Entführer der Ödipus - Töchter zuschauen zu 
können, und ruft v. 1081: 

Könnt' ich sturmwindgleich, ein schnell fliegend Täubchen, 

Hoch zu des Äthers Gewölk entflohn, mit meinem. Auge 

Von dorther diese Kämpf erreichen! 

6*'o^' ah}XaCa Taxv^^coi^og nekeidg \ aWsqCa^ V€(p^Xccg 

xvQßa^fiv Tcovd* dycivcop I Icogi^ctada Tovfiov ofifjia. 

Nicht deutlich ist der Zusammenhang im fr. 423 (aus 
dem Onomaos, Schol. zu Aristoph. av. 1337): »Ich möcht 
ein hochhinschwebender Adler werden, damit ich mich 
höbe über des unfruchtbaren, blaurauschcnden Meeres 
Wogen« yevoffjbav aletog vipmixag | aJ$ av nozax^t^v vueq 
äzQvyiTov ykavxdg In oldfia ICiJbvag, Das ytvo^fiav wird 
formelhaft in diesen Wendungen; so kehrt es in anderer 
Bedeutung wieder in dem schönen, ein inniges Heimats- 
gefühl atmenden Liede Ai. 1217; 

O könnt ich hin, wo waldig des Berges Haupt, 

Von Meerwogen umspült, sich hebt, 

Unter Sunions hohem Fels, 

Heilige Stadt Athens, dir Grüsse zu senden 1 

YtvoCfjbCLVy iV vkdtv kneari Ttovxov \ nqoßhiik aXuXvfSxov 

X. IT. A. 

Doch vor allem ist auch bei Sophokles das Meer in 
seinen wechselnden Erscheinungen ein Abbild menschlichen 



Digitized by 



Google 



42 



Lebens und Leidens. Wie das avifgeschwoUetne Meer^ das 
vom Thrakersturm erregt machtvoll sich in die umdusterte 
Tiefe wälzt, den schwarzen Meersand aufwühlt und im 
stöhnenden Orkan an die Ufer tost, so wälzt sich der 
Fluch von Geschlecht zu Geschlecht Antig. 586. 

Wie man in Weiten des Meeres im Boreas-Sturm 
Wogen an Wogen sich drängend, kommend und gehend 
erblickt, so treibt den Sohn Thebes des Lebens vielfäl*- 
tige Not Trach. 114. Besonders imposant ist die Schil- 
derung des Chors Öd. Col. 1240: 

Wie nördlich einen Seestrand Wogenschlag und 

Winterorkan erschüttern ; 
Also stürmen auf dich auch 

Hochher Brandend in stetem Wutgrimme die Leiden 

und ruhen nimmer. 

Ebenso häufig sind die Metaphern, wie der Sturm 
wildrasenden Wahnsinns, der Strudel der die Bahn durch- 
wogenden Gespanne, das Meer der Todesflut, des 
Leidens ^^). 

Sinnreich sind auch die Bilder Trach. 129; »Freuden 
und Leid wechseln, wie über uns ewig am Himmel Arktos 
kreist«, vergl. fr. 713 und fr. 162 von der Liebe, die dem 
glänzenden Eisstückchen gleicht, das den Knaben erfreut, 
ihm aber in der Hand zerrinnt, vergl. anth. III., 154, 
Claudiani no. 4 und 5. 

An Grossartigkeit und Pracht der Bildersprache über- 
trifft Ächylos den Sophokles, aber dieser überragt weit 
den älteren Rivalen an Innigkeit jener Naturauff*assung, 
die ein Mitgefühl der Natur, beilegt und sje als einen 
trostreichen Freund betrachtet, von dem man sich schwer 
trennt. Zwar sucht der Mensch in den Dramen des So- 
phokles noch nicht die Natur um ihrer selbst willen auf, 
um in ihren grossartigen oder lieblichen Eindrücken zu 
schwelgen, aber in der Einsamkeit, in der hülflosen Not 
entdeckt er in der Natur ein ihm innerlich verwandtes 
Wesen und ahnt eine stille Sympathie derselben mit seiner 
eigenen Seelenqual Dann giesst der sanfte Lichtglanz des 



Digitized by 



Google 



43 



sonnigen Morgens Balsam in das wunde Menschenherz, 
oder der Gramgebeugte begrüsst klagend jeden neuen Tag 
des Leidens, wie im Anfang der Elektra. »Schon weckte 
ja der Sonne strahlenvoller Glanz«, heisst es v. 17, 
Der Vögel Morgenstimmen auf zu hellem Schall, 
Die düstre Nacht der Sterne schwand in's Dunkel hin — 
doch gramerfüllt tritt Elektra hinaus in den hellen Morgen 
und ruft Licht und Luft als die einzigen Zeugen ihres 
Wehes an, v, 86: 
O heil'ges Licht, 

O Luft, den Erdkreis rings umflutend, ' 
Wie oft, wie oft vernahmt ihr nicht. 
Zur Zeit, wo vor dem Tag die Nacht verschwand, 
Die Klage, die sich meiner Brust entwand. 
Der Brust, von selbstgeschlag'nen Wunden blutend ! . . 
Und niemals schweigt mein Jammerruf und meine Klage, 
So lang' am Himmel aufwärts steigt 
Der Sterne strahlend Heer in jeder Nacht, 
So lange noch der Sonne Licht erwacht^ 
Zu meiner Qual an jedem jungen Tage. 
Gleich wie die Nachtigall, der fortgetragen 
Die Jungen aus dem Neste, so will ich klagen. 

Brandes. 
ü) (fdog äyvov \ xal y^g iao^oi^ ^^jQj ^^ i"ö* | noXXdg 
fjbip x^Q'^vtöv cpddg \ noXXdg d^dwr^Qsig ijcfO^ov \ (^t^qvmv 
nXrjydg alfjbaC(To(A^(iov x- t. X. 

Mit grausem Kontrast nennt Aias Ai. v. 394 die 
Grabesnacht sein leuchtendes, rettendes Licht; er verzweifelt 
am Leben, glaubt sich von allen, selbst von der Natur, 
den troischen Ebenen (v. 459) gehasst und kündet (v« 412) 
den zum Meere rauschenden Strömen, den Grotten und 
Hainen, dem Skamandros, die so lange sein Leiden ge- 
sehen, seinen nahen Tod an. Nur vorübergehend ist der 
Entschluss, dass, »wie der schneeumhüllte Winter dem 
fruchtbela denen Sommer Raum giebt und der schauervolle 
Kreis der Nacht den weissen Rossen des Helios weicht, 
wie dem leisen Windeshauch das wilde, stöhnende Meer 
gehorcht und sich sänftigt«, er sich vor den gewaltigen 



Digitized by 



Google 



44 

Gegnern beugen will v. 669; am einsatnco Strande sinnt 
er auf Selbstmord, dem Helios trägt er die Trauerkmide 
für den greisen Vater auf und nimmt Abschied von der 
lichten Welt v. 859: 

O Licht, o Heimaterde, -dich geweihtes Land von 

Salan\is, 

O meines Vaterherdes Sitz, dich Burg Athenes, 

Ruch Flüsse hier und Quellen, euch die troischen 

Gefilde ruf ich, lebet wohl, ihr Pfleger mir! 

tf) ^fyyog, M y^g Iqov oheCaq nidov ^aXafbtvog 

%aCQeT^ (a rgocf^g ifjboC 

Auch im Öd. tyr. wird die Natur als mitempfindende 
Zeugin menschlichen Leidens betrachtet, wie in den rühren- 
den Worten des Ödipus v. 1398: 

Ihr dreigespaltnen Pfade, du verborgnes Thal, 

Du Wald, ihr engen Schluchten dort am Scheideweg, 

Die meines Vaters Blut ihr einst, das meine Hand 

Vergossen, tränket, denkt ihr noch, welch schwere That 

Ich dort vor euch verübte, was, hieher gelangt, 

Ich wiederum verbrochen? 

Im Öd. Col. wird die düstere Melancholie, welche in 
der gfinzen Tragödie waltet, gesteigert und gemildert zugleich 
durch die Schilderungen der Herrlichkeit des Landes: 

Wo im holden Lenze 

Von dem Klagelied der Nachtigallen 

Schatt'ge Gründe widerhallen; 

Wo der dunkelfarbige Epheu rankt, 

Jeder Strauch von tausend Früchten schwankt; 

Wo von Himmelstau befeuchtet 

Aus der Wiesen immer frischem Grün 

Des Narkissos Blütentraube leuchtet, 

Wo des Krokos gold'ne Kelche blühn; 

Wo in schlummerlosen Wogen 

Der Kephissos kommt daher gezogen, 

Dessen Quelle nie versiegen mag, 
^ Der in klarem Strome Tag für Tag 

Zieht befruchtend seines Segens Spur 

Durch der grünen Äcker breite Flur, 



Digitized by 



Google 



45 _ 

Wo der Chor der Musen laut erschallet. 
Und wo Kypriä oft vorüberwallet u. s. w. v. i6 u, v, 668» 

Brandes. 

Harmonisch stimmt die freudige Begrüssung des Mor- 
genlichtes zu dem frohen Siegesgefühl, das samt der 
Aussicht auf Frieden der junge Tag gebracht, in der Antig. 
V. i(X); denn der Feind, der »wie ein Aar kreischend auf 
das Land sich stürzte oder wie ein Untier die Stadt blut- 
lechzend umgähnte«, ist besiegt: 

äxzig aeXCoVy vo xdXh&vov iTTzanvXo) q>avkv \ Qrißcc tcSv 

TtqoTiQoav ^dog , \ icpdvO^fjg tvot', eo xQVöiag dfA^gag 

ßX^tpaqov X. r- X. 

Berühmt ist das Stasimon v. 332: Vieles Gewaltige, 
lebt, doch nichts ist gewaltiger, als der Mensch! 
Äschylos wusste nichts an Grausenhaftem in der Natur 
•dem Trotz und der wilden Leidenschaft des Menschen 
gegenüberzustellen, hier haben wir den Gedanken der Er- 
habenheit des Menschengeistes über die Natur, einen 
Hymnus auf die Thatkraft und die gewandte Klugheit des 
Menschen, der da das Meer bezwang, über die Flut hin- 
wandelnd und den ringsumtosten Pfad, und die Erde, den 
Pflug durch ihre Rinde ziehend jahraus jahrein, sowie 
die Tiere des Waldes, die wimmelnde Brut des Meeres, 
die mit netzgeflochtenen Garnen fängt der vielbegabte Men- 
sch! Von besonderer Zartheit sind wieder die Abschieds- 
worte der Antigone, die zum letzten Mal den Glanz der 
Sonne sieht v, 806; sie gedenkt der Niobe, um die gleich 
des Epheus schlingendem Grün sich der sprossende Fels 
rankt, während rastlos der Regen an ihr zehrt, der Schnee 
unter den thränenden Brau*n ewig den Busen ihr badet: 

Also bettet der Tod zur Ruh' auch mich . . 

O Stadt, und du Brunnquell Dirka's, 

Lusthain du der wagenberühmten Thebe! 

Euch alle beschwör' ich, seid Zeugen, 

Wie unbeweint von Freunden, kraft welches Spruchs 

Ich sterben muss! 

Die wärmsten Beziehungen zur Natur finden wir im 
Philoktet. Sie hat ihm in seinem Leiden ein fühlendes 



Digitized by 



Google 



46 

Menschenherz ersetzt, ihr hat er sein Leid geklagt in seiner 
grausen Abgeschiedenheit (v. 936, v. 1080) j klagend hat er 
die hochschwebenden Vögel angerufen, die Tiergeschlechter, 
die den Wehrlosen nicht fürchten (v» 1146). — Und als 
nun seine Erlösungsstunde schlägt, nimmt er einer Schiller- 
sehen Johanna gleich rührenden Abschied von seinem 
Felsennest 1452: 

Wohlauf denn, scheidend b:grüss' ich das Land! 
Leb wohl, mein Felsdach, das mich geschirmt, 
Ihr Nymphen der Bäche, der Au'n lebt wohl, 
Du, mächtig am Vorwerk brandendes Meer, 
Wo die Fluten, erregt von den Stössen des Süds, 
Oft netzten mein Haupt in dem Winkel der Kluft, 
Wo den klagenden Laut, wann wild auf mich 
Einstürmte der Schmerz, der hermäisclie Berg 
Im Rückhall oft mir herübergesandt! 
Ihr Brunnen umher und Apollons Quell, 
Ich verlass' euch nun^ ich scheide voi) euch, 
Der nie so Kühnes zu hoffen gewagt, 
O Lemnos, umflutet Land, leb wohll 
XOifQ w ^i^fu'ov nidov dfjbifCaXov. 

Sophokles bezeichnet in seiner gesamten Kunstrich 
tung den Höhepunkt des griechischen Geistes; seine Tra- 
gödieea sind ein treues Spiegelbild einer auf Humanität 
gegründeten^ harmonischen, tief sittlichen Weltanschauung; 
sein Naturgefühl trägt das Gepräge edler Einfachheit ; seine 
lebenswarmen Schilderungen bekunden ein inniges Wohl- 
gefallen an der Natur und eine tiefsinnige Symbolik des 
Geistigen und Natürlichen, sowie jene Sympathie, die in 
der landschaftlichen Umgebung einen Widerhall der eigenen 
Stimmung findet. 

Sophokles wurzelt fest in dem Perikleisch«n Blüte- 
zeitalter des hellenischen Wesens. Euripides steht an der 
Wende zweier Epochen; seine Tragödieen zeigen schon 
deutliche Symptome einer gährcnden, umwälzenden Periode, 
in der das Alte in allen Fugen zu wanken beginnt und der 
Mythenglaube, von dem Scheidewasser sophistischer Re 



Digitized by 



Google 



i1 

fl^xion-zers'etit;w5rd>'ürä ab kere Form dem atheistischen 
Didhter nur noch als Dekoration oder als Zielscheibe ver^ 
ßteckten parodierl^rideÄ WiUes zu dienen Nur ein dunkles 
Schicksal waltet, »des Menschen Lose, Weh und Wohl 
mscht ohne Wahl ein Gott verwirrend« (Hekuba v. 956). 
Von Zweifeln zerrissen und modernem Weltschmerz nicht 
ganz fern schwankt er in seinen rhetorischen Reflexionen 
hin und her, die bald den Stempel flacher Gesinnungs- 
losigkeit, bald edler, echt antiker und humaner Denkart 
tragen. Von rein hellenischem Gesichtspunkt bezeichnet 
Euripides einen Niedergang griechischer Kunst und griechi- 
schen- Geisteslebens ; trotzdem aber ist von weiterem, kultur- 
histoHschen Standpunkt aus ein gewaltiger Fortschritt bei 
ihm unverkennbar d. h. ein Fortschritt zum Modernen hin. 
Das yvcSS-i^ fSavrov ist zur Thatsache geworden, eine 
Innerlichkeit und Vertiefung des Denkens macht sich geltend, 
wie nie zuvor, und so löst das Drama die Aufgabe, »aus 
dem süssen Dämmerlicht poetischer Befangenheit in die 
volle Tageshelle des Bewusstseins, der Aufklärung, der sub- 
jektiven Freiheit hinüberzuführen« ^^). Immer mehr versenkt 
der Mensch sich in die Tiefe seiner Seele und entdeckt 
schaudernd — Abgründe. Das eigene Ich wird zum Phä- 
nomen, das Probleme stellt, deren Lösung psychologischer 
'Motivation bedarf. Der Mensch beginnt auf das leise Ge- 
f krause! seiner Empfindungen zu achten, sie absichtlich fest- 
'xuhalten, über sie zu reflectieren, und auf dieser Doppelt- 
setzung des Ichs , auf dieser Selbstbespiegelung beruht ja 
wesentlich das, was der moderne Mensch Sentimentalität nennt. 
Wie sentimental klingt der Wunsch des Hippolytos v. 1079: 
»o könnt' ich selbst mir gegenüber stehen und schauen, 
welch bittre Zähren mir entlockt mein trübes Los!« Euri- 
pedes ist der Romantiker unter den Tragikern , seine 
Empfindsamkeit tritt auch in den Äusserungen seines 
Naturgefühls hervor, das die nächste Vorstufe zu dem 
idyllischen Naturempfinden der hellenistischen Epoche bildet. 
Bernhardy^^) aber irrt, wenn er sagt: »die Vergleichung 
zwischen Natur und sittliche«! Leben ist dem Euripides 
ganz eigentümlich«, denn wir sahen, wie aus Keimen bei 



Digitized by 



Google 



48 

Homer allmählich eine immer intensivere Parrellisierung 
des Geistigen und Natürlichen sich ergab, und wenn fcr ferner 
von einem »Mangel an poetischen Bildern« bei Euripides 
spricht, so können wir vielmehr behaupten, dass Euripides sie 
aus allen Sphären in reicher Fülle darbietet. Wie des 
Baumes Spross liebreich gehegt wächst Polydoros auf 
Hek. V. 20 ; wie Epheu, der die Eiche umrankt, will Hekuba 
die Polyxena umschlingen Hek. v. 398, wie Fichtenthränen 
— Tievxivov daxQv — trofif durch des Giftes unsichtbare 
Wut das Fleisch vom Körper sich ablösend Med. 1200, 
vergl. Hik. 448, Hippol. 1252. Der Quellflut gleich, welche 
dem Felsen entströmt, rinnen die Thränen Androni. 116, 
533, und Hik. v. 79 ruft der Chor: »Der Wehklagw 
unselig unersättliche Wollust ergreift uns, wie von erhabenem 
Fels der Tropfen feucht dahin rinnt, unablässig in ewigen 
Klagen« 

änXrfiioq ade /i' i^dyei /a^^g y6<n>p \ noXvnovog, dg *^ 
ä?ußdTov Ti^TQag \ vyQcc ^iovda cfvayoov \ anavatvog yowv. 
Was ist moderner als die Wollust des Schmerzes^ 
diese xdqi^g yocov^ die dolendi voluptas eines Petrarca, die 
Wonne der Wehmut eines Göthe? Und wie raffiniert 
sentimental ist die Beseelung des in steter Klage rinnenden 
Wassers 1 Sophokles nennt die Q-iellen ruhelos Öd. Col. 
685, Euripides deutet ia seiner Empfindsamkeit das Murmeln 
der aufschlagenden Tropfen als ein unablässiges Klagen, 
wie Heine, Lertau von wimmernden Winden, »vom 
Bächlein, das die welken Blätter davonträgt mit halb er- 
sticktem Weinen/< und von Wolken reden, »die herüber- 
hauchen schwer in stürmischer Beklommenheit« , oder 
Platen: »es scheint ein langes, ew'ges Ach 1 zu wohnen 
in diesen Lüften, die sich leise regen« oder Byron vom 
cascate del marmore zuTerni: »drinnen im Abgrund heult 
und braust die Flut von ewger Qual- gehetzt« (Ch. Harold 
IV, 69). »Wenn alles Recht sich verkehrt, dann werden 
auch die Quellen rückwärts fliessen«, heisst es Med. 410, 
vergl.Hik. 520; die starre, unbeugsame Menschenbrust gleicht 
dem unempfindlichen Felsen oder der wogenden Meeres- 
flut Med. 28, 1279, Androm. 537, vom Alter Herk. für. 637. 



Digitized by 



Google 



_ 49 

Düstere Melatieholie liegt über Bildern von Wolken ^^) 
und Winden wie im HippoL 192: »was mehr wert als' dies 
Leben ist, hüllt umgebende Nacht in finsteres Gewölk« ; 
Hik. 961 : »einer irrenden Wolke gleich treiben uns des 
empörten Sturmes Hauche« :^^) 

ili(f(f6fjb€(f&' ix€t&€v ivx^dds dvtftvxCaiaiv \ svtvx^cag 

T€ ndXiv I iisd-CiSTwvai' di nvevfiaCi* 

Doch auch ihm ist besonders das Meer mit seinen 
Wellen und Stürmen ein Abbild des ewigem Wechsel 
unterworfenen menschlichen Daseins. Wie das wilde Meer 
tobt die Leidenschaft, oder wie Meeressturm packt der Zorn 
den Menschen/^) wie Wogendrang das Unglück, die Flut 
der Leiden^^) Dem Meerschiffe gleich wird der Mensch 
vom Sturm des Ungemachs umbraust, ®^) ruhig muss er 
sich von den Wellen treiben lassen, sein Lebensschiff lenkt 
das Schicksal Tro. 102: »in den Wechsel des Schick- 
sals füge dich still, schiff hin, wie der Gott, wie die Welle 
dich treibt und kehre den Bug nicht wider den Strom, 
denn du fährst mit dem Steuer des Schicksals« : 

TtXst xatd noQ&fjtov tiXbI xavd daC^ova \ fjtijdi nqo(SC<fifi 
TtQm^av ßfoTov \ nqog xv^ia n}.iov(Sa Tv%atai^v. 

Äschyleische Pracht mit Sophokleischer Zartheit 
vereinen die Euripideischen Bilder aus dem Tierleben. 
Löwe, Schlange, Waldeber/^) wie auch das Reh begegnen 
uns; mit liebevollster Kleinmalerei ist gerade das Gleich- 
nis vom letzteren in dem Chorliede Bakch. 862 ausgeführt: 

Werd' ich in nächtlichem Reigentanz einst heben den 

weissen Fuss, 

Aufjubelnd und frei den Hals hoch in tauige Lüfte 

werfend, 

Dem Reh gleich, das in der Auen grüner Lust sich 

spielend ergeht, 

Wann es schüchtern entfloh, geschreckt 

Über schön geflochtene Netz' ausserhalb des Geheges, 

Und der rufende Jäger zu raschem Lauf die Doggen 

treibt? 

Zitternd scheu, mit dem Flug des Sturmwinds eilt f" 

Fliegend es hii; zu dem Gefild' am Strom, 
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 4 



Digiti 



zedby Google 



50 

Freut sich, dass es nirgend Menschen sieht, 

Freut sich des dunkellaubigen Hains. 

. . w<; %'frßQO(; xXosQolq \ ffjrta^ovöa /^ffiaxoc dSoralc . • 

fiox^oic t' coxvÖQoiJLOic d€)JMg ! ^QO}(TX€t nsdCov I rraqu- 

TTordfiior^ äSofi^va \ ßgoräp IgijfjUaig | (TxtaQoxofAOio z 

iQveatv vXac* 

In solcher Schilderung haben wir den Ansatz zum 
hellenistischen Genrebild aus dem friedlichen Leben der 
Tiere. Unter den befiederten Wesen giebt der Schwan 
ein rührendes Bild der Kindesliebe Bakch. 1364: »was 
schlingst du, arme Tochter, deinen Arm um mich, wie 
seinen alten Vater kost der graue Schwan«, ebenso El. 151 
cf. Herk. 692. Jon. 160. 

Doch besonders teilt Euripides mit Sophokles das 
innige Interesse an dem Leben der leichtbeschwingten, 
flüchtigen Vögel der Luft, die so fröhlich zum Äther sich 
heben. Unter den unendlich häufigen Vergleichen^^) ist 
besonders charakteristisch Iphig. Taur. 1089:« Vogel, der du 
bei felsigen Meeranhöhen, o Halkyon, klagst in traurigem 
Liede, wohl verständlich Verständigen, da du den Gemahl 
im Gesänge stets rufest I Dir vergleichbar im Leid bin ich 
un geflügelter Vogel« ! 

. . €v^vv€tov ^vrsToTo ßodv (äsCdsic) ori ttmAv xeXaäfTc 

att fiolriatg \ lyco aoi TraQaßdkXofiai \ ^Q'^roiKf anvhQoc 

oQpig. 

Die Klagetöne des Vogels sind ein Echo der eigenen 
Stimmung; ein gleiches Weh fühlt Vogel- und Menschen- 
brust. So wird Hei. 1 107 die Nachtigall, die in liedervoller 
Grotte klagt, gebeten, aus falber Kehle die seufzenden 
Lieder hervorzuwirbeln, um in die Trauer des Chors einzu- 
stimmen, vergl. fr. 775, v, 20 0"., Phoen. 151 5. Kosmopo- 
litisch ist der Gedanke fr. 1034: »Den Schwingen des Adlers 
steht ofl*en zum Fluge der weite Himmel, die ganze Erde 
ist Vaterland dem edlen Mann« ! 

«TTOfc fiiv d^Q derw negdaifiog \ dnada d^ /^«V ye^vcUm 

tkxtqCq. 

Zur Manier wird bei Euripides der Wunsch, mit Fittigen 
der Vögel oder mit den Winden und Wolken durch die 



Digitized by 



Google 



51 _ 

Lüfte enteilen zu können. Doch nicht ist diese Sehnsucht 
»stets ein Zeichen der schmerzlichsten Verzweiflung« (Woer- 
mann S. 47), sondern in höchst bedeutsamer Weise ver- 
quickt Euripides auch andere Motive mit diesem Verlangen, 
wie bereits Sophokles es anbahnte. Schreckenvolle Angst 
giebt allerdings häufig einen solchen Wunsch ein wie in 
der Hekabe 1099: »wohin mich wenden? Soll ich auffliegen 
in des Äthers Höhen . ♦ oder entschwing* ich Unseliger 
mich zu des Hades düsterm Stand« ? 

not TQüCTtiofiai ; nol noQSD&co; \ dfji7tvafj,€voc ovQccvtov 

vipmsT^q ig fi^Xa&Qov x. r» A. 

Ebenso Or. 1375, vgl. 982, Med. 1296, Androm. 847, 
861 : »o dass ich ein Vöglein wäre« xvavomeQoc oqvic tvx}^'tl'riv, 
Jon 796, Herk. 11 58, Hik. 829. Von Heimweh eingegeben 
ist der Wunsch Iph, Taur. 1137, mit den Sonnenstrahlen 
heimwärts zu fliegen und über dem heimischen Dache der 
Flügel Schwung zu hemmen: 

Xa^nqov Innodqofiov ßaCrjVy ivd-* hvdXiQV Iq^sTai tivq, 

olx^Cwv d* VTC^Q x^aXccfjbODV iv vcSroig dfiotg Ttr^Qvyag 

Xfi^atfM x^od^ov(^a' 

Liebevolle Sehnsucht nach dem Bruder atmen die Worte 
der Antigene Phoen. 163: 

O flog' ich den Flug windschnellen Gewölks 

Mit den Füssen dahin durch die Lüfte zu 

Meinem Geliebten, ach dass ich die Arm' um ihn 

Schlang', um den Heben Hals des Unseligen, 

Lange verbannten! 

dp€fji(ox€og sid-e ÖQOfiop ve(piXag \ TToaiv i^apv(^atfu rf*' 

cUO-iqog j ngog Ifjbov ofAoyeviroQa . . 
Eteokles giebt v. 504 dem Gefühle Ausdruck, dass er 
sich nicht werde zu lassen wissen, wenn ihm die Tyrannis 
zu Teil werde, dann möchte er zum Sternenaufgang durch 
des Äthers Raum sich sch\yingen oder in die Erde 
tauchen u. s. f. 

äcTTQCOV dp lld^oifi aix^iqog nqog dvtoXdg \ xal y^g €r6Q&h 

X. T. L 

Vergl. frgm. ine. 903: 

ßddoiJbaC r'dg ai&fqa nokvv d€QOf^)g I Zrivi nqoafi^iav- 

4* 



Digiti 



zedby Google 



52 



Frohlockende Freude hebt die Brust der helleniöchien 
Frauen, als Troja gefallen ist und Menelaos sich zur Heim- 
kehr anschickt, und ihr Jubel bricht in die Worte . aus 
Hei 1478: 

»O schwebten wir hoch in den Lüften beschwingt, 
wie der schwärmende Zug, Libyscher Vögel Geschlecht, die, 
dem regnichten Herbst entflohen, weithin ziehen und des 
ältesten Lockpfeife folgen, des Führers, der zu den frucht- 
baren Auen, quellenlosem Gefild* herabschwebt in fröhlichem 
Jubel« 

dl d^Qog ei'd's noxavol \ Y€VoC[A€d'' ov^t öroXadsg | olwvol 

ACßvsq X. T. i. 

Neidisch blicken sie auf zu dem freien und geschwinden 
Fluge der Vögel und rufen ihnen zu, vorauszueilen, »eilen^ 
der Wolken Laufe zugesellt, mitten zu den Plejaden au 
fliegen, um Orions nächtliche Bahn zu schweben und am 
Eurotas-Strom den Flug zu hemmen und die Siegesbotschaft 
in Sparta zu verkünden!« Neben dem Hauptmotive Iwicht 
hier schon in der Ausmalung der einzelnen Züge der Ge- 
danke durch, dass auch der Vogelflug als solcher begehrens- 
wert ist. Die Wonne aber des freien Dahinschwebens über 
Länder und Meere d. h. also die Stimmung eines reinen, 
von Nebenmotiven geläuterten Naturgefühls, das die Beflüge- 
lung um ihrer selbst willen sich wünscht, spricht sich noch 
deutlicher aus in dem Chorliede Hippol. 732: 

Könnt' ich in die Tiefen der Bergschluchten eilen, wo 

Mit des Vogels raschem Fittig 

Zu beflügelten Heerscharen mich trüg' ein Gott! 

Dass ich könnte zu Adria's Meeresflut mich erheben, 

Hin zum Strom des Eridanos . . 

Flog' ich zum Strande der hesperidischen Jungfraun, 

Wo die goldenen Äpfel glühen u. s. f. 

fllißäroig vno xevd^fiooai yevoffiav, \ tva fjbs msqovaaav 
oQviv I B^eog h nravatg äyiXaKSiv S^slfj. | dq^eCriv S int 
TtovTiov I xvfia tag If^ÖQifjvag dxTccg x, t. A. 

Wer möchte in solchen Gefühlsäusserungen ein An- 
klingen an unsere moderne Empfindungsart verkennen, wie . 



Digitized by 



Google 



53 ^ 

sie keiner schöner als Göthe ausgedrückt hat mit den 
Worten des Faust: 

O dass kein Flügel mich vom Boden hebt! . . Doch 

ist es jedem eingeboren, 

Dass sein Gefühl hinauf- und vorwärts dringt, 

Wenn über uns im blauen Raum verloren, 

Ihr schmetternd Lied die Lerche singt, 

Wenn über schroffen Fichtenhöhen der Adler aus- 
gebreitet schwebt 

Und über Flächen, über Seeen der Kranich nach der 

Heimat strebt! — 
Doch noch in manchen anderen Zügen kündet sich 
bei Euripides eine Zeit sentimentalen Naturgefühls an. 

Die Lokalbeschreibungen werden immer ausführlicher 
und.individueller,vgl. die von Theben Phoen. 638, vom Kithairon 
Phoeti 801, vom Ida I. A. 1284, Tro. 1065, von Attika 
Hipp. 121, von Delos Jon 916 u. s. f., Götternamen dienen 
^r Ornamentik solcher Schilderungen und werden oft 
artgerufen, so die Selene Phoen. 175, Aphrodite Hipp. 447, 
Artemis )♦ A. 1570, im Or. 1496 sogar: »o Zeus und Erd' 
lUid Licht und Nacht!« El 886, Hik. 990. Alk. 249: 
»Hölios^ Glanz und des Tages Licht, eilende Wolken, die 
hoch in den Lüften kreisen«, aXi€ xat ^dog afi^gag \ ovqdvtaC 
T€ Stvai v€(f^Xac d^o^baCov; vergl. fr. 446 Hippol mit seiner 
ausgesprochenen Freude''^) am hellstrahlenden Sonnenlicht : 

w lafinQog alx^fJQ ^fiiQag x^^dyvov (pdog \ (Sg ^dv levddsn' 

Tolg T€ nqaaaovüiv xaX£g \ xat zoldi dv(Srv%ov(Uv, cop 

Tt^ywx' lydy 
und die herrliche Morgenschilderung Jon. 82, »da Helios am 
Himmel den strahlenden Wagen -emporlenkt, die Sterne 
fliehen in die heilige Nacht, die Höhen des Parnass im 
Lichte glühen und der Tag den Sterblichen wonnig leuchtet«, 
vergl. Rhesos v. 527 ff. Anrufe der Naturerscheinungen 
führen zu Beseelungen"^^), so Heraklid. 748, wo in raf- 
finierter Überschwenglichkeit Erde und Mond und die 
Strahlen des Helios zugleich aufgefordert werden, Kunde 
zu bringen und hell aufzujauchzen in den Himmel auf zu 
Zeus' Thron! Ebenso Herk. 790 soll Pythos waldiger Fels 



Digitized by 



Google 



54 

und der helikonische Musensitz hoch preisen in fröhlich 
hallendem Laut der Theber Stadt, vergK Hipp. 979, 1126, 
Herk. 368. 

In den Bakchen wird auch die Natur vom dionysischen 
Taumel ergriffen, das Land hebt sich wirbelnd im Tanze 
V. 114 

avT^xa yä Ttäaa xoq€V(S€i \ BQOfjbiog orup dyccyri O-idaovq, 
der Berg und das Wild stimmt ein in den Jubel, alles wogt 
in raschem Lauf v. 726. Im Jon. 1079 tanzt des Zeus 
gestirnter Himmel den Reigen, 

Jioq datfQooTtog I ävexoQsvdev aiO^TjQ» \ xoqsvav Sä ^sXdvcc 

X» T. X. 

~ vergl, Soph. Antig. 1146. 

Hass wird der Natur, wie schon im Aias des Sophokles^ 
beigelegt Jon. 919: :>dich hasst Delos, die Zweige des 
Lorbeers hassen: es hasst dich der Palmbaum, prangend 
in zartem Laub.« Die Gestade des Meeres jammern laut 
über den Fall Trojas Troad. 826 

Tlioveg 6' aXiai la^oiKf' olov d'vniQ oioDVoc Tsxtcov ßoa. 
Der Friede und die Stille in der Natur wird schön 
als Schweigen gedeutet Bakch. 1084: 
Stumm schwieg der Äther, 
Schweigend hielt das Wiesenthal die Blätter, 
Nirgend hörtest du des Wildes Laut: 
aCyrids d* ald-riQ, dtya S evXsifiog vdnri \ (fvXX* *?/*> ^^Q^v 
ö^ovx dv ^xov(fag ßotjv, 
ebenso Iph. Aul. v. 9: 

Weitum schallt kein Vogelgesang, 
Kein Meeresgeräusch, und die Winde verstummt 
Ruh n rings um den Strand des Euripos 
ovxovv y)x^6yyog y'ovT^ oQvCd-oav \ o\)ts x^aXdcfc^fjg' öiyat ö^ 
dpifio)v 1 Tovde xar^ Evqittop €xov(iiv. 
Mit dem Morgenfrieden in der Natur kontrastiert die 
Unruhe des Agamemnon, der voll Sorgen aus dem Gezelt 
hinausstürmt {j;C öi av cfxfjvijg ixrog diVifeig, l^ydfisfipop dpa^). 
Aber auch in dem persönlichen Verhalten des Menschen 
zur Natur bereitet sich bei Euripides eine Wandlung vor, 
die in der Alexandrinischen Zeit ihren Höhepunkt erreicht. 



Digitized by 



Google 



55 

Es erschliesst sich ihm die Vorbedingung einer bewussten Liebe 
zur Natur, der Reiz der Einsamkeit, und somit der Zauber, 
den die Nafur in ihrer Stille und erhabenen Schönheit auf 
denjenigen übt, welcher dem geräuschvollen Getriebe der 
Menschen entflieht. So berichtet der BCoq EvqiTc,, dass der 
Dichter, um dem Lärm der Stadt sich zu entziehen, eine 
Höhle auf Salamis sich hergerichtet habe, welche den Aus- 
blick auf das Meer hatte anrilaiov . . dvaTtvo^v e^ov ek 
Tfjp x^aXaiSaav oS^iv xal ix S'a?.d(f(ffjg lafißavsi tccc tiXsCovc 
vcov ofAoicoaecov. Bei Äschylos und Sophokles treibt das 
Gefühl des Verlassenseins, des Mangels an menschlicher 
Hülfe und menschlichem Trost zu einem innigen Appell an 
die Teilnahme der Natur, aber sie suchen sie noch nicht des- 
halb direkt auf; bei Euripides begegnen uns die ersten Spuren 
eines idyllischen Naturgefühls, Bakchantinnen und Satyrn 
träumen mit Wonne in den Bakch. (135, 657, 874) und im 
Kyklops 541, an der Fichte Haar oder auf Eichenblättern 
ihr Haupt wiegend , in der süssen Waldeinsamkeit ; aber 
»dafür sind sie auch Satyrn und vom bakchischen Taumel 
efgrififen« '^^) ; die Menschen treibt übergrosses Weh in die 
freie Natur hinaus, wie die Amme Med. 56 von Schmerz 
überwältigt hinauseilt, um das Los ihrer Herrin Erd' und 
Himmel kundzuthun^^); so hofft die im wilden Weh rasende 
Phaedra im Hippol. 208 Ruhe "zu finden, »wenn sie den 
lauteren Trank der erfrischenden Flut aus lebendem Quell 
schöpfen, von Schwarzpappeln umschattet auf blumiger 
Wiese gelagert ruhn oder im Walde das Wild jagen könnte«, 
aia$* I n£g av dQ0(T6Qag dno XQfjvidog \ xa&aQcov vöatcov 
TtdofA' äqvaaC^av \ vixo t alytCqoi^g €V rs xo^xri I ^^^(^(^^^ 
xXi^€l(f I ävanavdaCiiaV' 

Doch der antike Geist reagiert gleichsam gegen solche 
Sentimentalität einer krankhaft überreizten Seelenstimmung 
in den Worten der Amme: »Was quält Sehnsucht nach 
solchem dein Herz. Was schwatzest du sinnlos« ? . . u. s. f., 
und Phaedra selbst gesteht v. 239, dass sie raste. Doch 
nicht bloss orgiastischer Taumel oder wahnsinniges Weh 
giebt solche Empfindung ein, so dass Euripides selbst sie 
als unnatürlich hinstellen wollte, wie Woermann meint, ''^) 



Digitized by 



Google 



_ 56 _ 

sondern eine deutliche Vorstufe des idyllischen Natur- 
gefühls lässt sich in seiner sentimentalsten Tragödie, dem 
Hippolytos, erkennen* Dort paart sich in der Schilderung 
des stillen Hains v. 73 daä Gefühl für Einsamkeit oder der 
sentimentale Schillersche Gedanke: »die Welt ist vollkommen 
überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual«, 
mit einem herzlichen Wohlgefallen an den stillen Reizen 
eines tief versteckten Waldwinkels, einer jungfräulichen, 
»unentweihten Flur«, 

Wo nie der Hirt die Herde auf die Weide treibt, 
Noch nie das Eisen schaltet', und zur Lenzeszeit 
Die Biene nur durch unentweihte Fluren schwärmt; 
Da wohnt die Unschuld, tränkt das Land mit Quellentau ; 
Nur wer der Lehre nichts verdankt, nur wem Natur 
Zugleich für alle Werke weisen Sinn verlieh. 
Darf hier sich Kränze pflücken, doch der Böse nicht. 
Vergl. Bakch. 315. Solch Empfinden war nur möglich in 
einer Zeit, da sich der Bruch zwischen Geist und Natur zur 
unüberbrückbaren Kluft erweitert hatte, da der unbefriedigte 
Sinn sich sehnsüchtig abwandte von dem ruhelosen Getriebe 
der Menschen zu der still wirkenden, heiligen, keuschen 
Natur, zu dem unbetretenen, unentweihten Fleckchen Erde, 
wo die aldcog noch waltet, die aus dem menschlichen Leben 
gewichen war. 

Auf gleichem Boden der gesamten Geistesrichtung ist 
Aristophanes erwachsen. »Sein schmerzlich tolles Lachen 
und die tiefe Melancholie seines grossen Zeitgenossen Euri- 
pides sind Ausdruck derselben geistigen Zerrissenheit, der- 
selben Verzweiflung« '^^). Auch er steht an der Schwelle 
einer neuen Zeit, auch sein Naturgefühl verrät bereits 
idyllische Züge. Nicht bloss der Bauer sehnt sich nach dem 
Dorfe, nach dem Landleben zurück und verabscheut die 
Unruhe der Stadt, wie Dikaiopolis in den Acharnern v^ 33, 
sondern auch sonst bricht ein herzliches Verständnis für 
die kleinen ländlichen Freuden hindurch, ein aufrichtiges 
Wohlgefallen an dem Blühen und Fruchttragen der Reben 
und Feigen, die man als Bübchen gepflanzt (Pax 556); ja 



Digitized by 



Google 



57 

das behagliche Gefühl des glücklichen Besitzers, der stolz 
an seinen üppigen Gärten mit den Fruchtbaumreihen entlang 
schaut, »während im Felde holden Sang zirpt die Cikade« , 
findet seinen lebhaften Ausdruck v« 1158. In den Thes- 
mophoriazusen v. 43 begegnet uns eine anmutige Beseelung, 
indem der Diener des dem Dichten lÄühselig obliegenden 
Agathon auch der Natur ein favete unguis zuruft: 

Lass ruhn dein Wehn, windschlummernde Luft! 

Und brause du nicht, blau schimmernder See Schaumflut ! 

Ihr Gattungen all der Befiederten ruht! 

Lass ruhen, des Wildes waldlaufend Geschlecht, 

Unermüdlichen Fuss! 

Mit empfänglichen Sinn für die stillen Reize der Natur 
schildert der Dichter nub. 1006 den Hain Akademos': 

Dort wirst du im friedlichen Schatten des Ölbaums 

Lustwandeln, gekränzt mit dem Schilfe des Bachs 

An dem Arm des verständigen Freundes, 

In des Geisblatts Duft, in der Müsse Genuss, 

In der silbernen Pappeln Umlaubung, 

In des blühenden Frühlings Lust, 

\yenn sich still zuflüstert Platane und Ulme . . 

onoTav nXdxavoq Tvtsk^a xpv&vqC^ri 

Auf der grossartigsten Naturanschauung und echt 
poetischer Perzeption beruht die geniale Schilderung des 
Webens und Schwebens der Wolken, dieser hehren himrji- 
lischen Wesen und Segler der Lüfte, die ihr wundersam 
gewaltiges Lied anheben v. 275: 

Wolken ihr, Feuchte des Alls, 

Sichtbar lasset in luft'gen Gebilden uns leicht hin- 
• schwebend 

Fern von des Vaters Okeanos Wogen her 

Nach den bewaldeten Gipfeln der ragenden Berge ge- 
scharet ziehn, 

Wo von der Warte wir fernhin Schimmernden 

Heil'ge Gefilde, mit Saaten gesegnete, 

Heil'ge Bäche, so hell binrieselnde, 

Weissauf blitzendes Wogen des Meeres schau'n; 



Digitized by 



Google 



58 



Hellt doch das nimmer ermüdende Auge des Äthers 

rings 
Leuchtenden Blicks die Ferne! 
Auf denn, des regnichten Nebels enthüllen wir 
Unsre unsterblichen Leiber hinabzuschau'n 
Fernspähenden Auges zur Erde! 

d^vaoi vs^iXai, \ ag&cofisv ^aveqal SqotSeqäv (fvdtv tvd- 
yriToVj 1 TtavQog an ^Slxsavov ßaQvax^oq | vipfj^oor 
oqicov xoQV(pdg inl \ dsvdQoxofjbovg, Vva | Tf]X€(pav€lg 
axonidg d(poQ(afJb6&a \ xdqnovg x dQÖofi^pav legdv %d^ova, 
xai nota^mv ^a&ifjov xsXadri^ata \ xai novrov xsXd- 
dovra ßaQvßgofiov x* t. L Vergl. v. 336 ff. 
Mit dem Fittig des Vogels die Welt zu durchschweifen, 
wünschte Euripides; hier unternimmt die Phantasie des 
Dichters einen Flug auf Wolkenrossen und lässt von hoher 
Wolkenwarte herab den entzückten Blick in die weite. 
Ferne schweifen und ruhen auf den drunten liegenden 
sonnenbeschienenen Gefilden mit schimmernden Saaten 
und hellrieselnden Bächen. Wieder drängt sich die Gö- 
thesche Scene uns auf, da Faust den Geistesblick über die 
Erdenschranken hinweg der Sonnenbahn folgen lässt: 
Ich sah' im ewigen Abendstrahl 
Die stille Welt zu meinen Füssen, 
Entzündet alle Höh'n, beruhigt jedes Thal, 
Den Silberbach in gold'ne Ströme fliessen u. s. f. 
Das Reizendste in Bezug auf Scenerie und geistreiche 
Darstellung des Naturlebens, insonderheit der Vogelwelt, 
bieten die Vögel. Mit wie rührendem Verständnis und 
mit wie liebevoller Genauigkeit werden v. 228 ff. all die 
kleinen befiederten Wesen in ihren Eigentümlichkeiten 
charakterisirt, wie sie schwirrend, zwitscherrW, piepend und 
zirpend, naschend und haschend, trippeleilig in den Furchen 
umher hüpfen oder sich auf des Epheus schwankenden 
Ranken wiegen, wie sie in den Berberitzen schwelgen 
oder im Schleedorn und im Moor und Rohr brüten, 
schwärmen und lärmen, auf tauiger Wiese, im grünenden 
Klee, am rinnenden Bach. Doch der Frau Nachtigall wird 
am zartesten gehuldigt, wie in dem Liede 209: 



Digitized by 



Google 



59 



Süss Weibchen auf! auf! und verscheuche den Schlaf l 
Lass quellen den Born des geweihten Gesangs, 
Den so süss hinströmt dein seliger Mund, 
. . Von der säuselnden Linde Gezweig 
Steigt rein dein Schall zu dem Thron des Kroniden 

empor, 
Wo der goidumlockte Apoll dein lauscht u. s. f. 

und V. ^TT', 

Liebliche, du helle, liebste von allen mir, 

Waldessängerin Nachtigall, 

Waldeinsame Gespielin 1 . . auf, du flötende Meisterin, 

Frühlingsgrüssenden Tones froh führe die Festana- 
pästen, 
und V. 737 : 

Muse des Waldes, sangesreiche, mit der ich Tages 
In wiesigen Gründen, in waldigen Gipfeln, 
Wiegend mich hoch in gebreiteter Buche Gelaub 
Aus schmetternder Brust, weithallenden Schlages 

jauchze u. s. f. 

Nicht ohne Sentimentalität wird die Glückseligkeit 
der Vögel gepriesen io88: 

Wohl sind wir Vogelscharen i 

Glückselig trotz des Winters Frost, \ 

Bedürftig keines Kleides ; ; 

Auch brennt uns nicht der Sonne Glut, ' / 

Der Pfeil des schwülen Sommers; . 

Im Blumenwiesengrunde kühl, 

In Laubes Schoss, da schlaf ich, ,- 

Wenn im Kornfeld heimlich zirpend 
' Heimchen seinen bangen Ruf 
Vor des Mittags glüh'nder Stille 
Wie im Wahnsinn jammernd ruft. 
Zum Winter kehr' ich in Höhlen ein 
Und spiele mit den Nymphen, 
Speise rote Frühlingserdbeer'n, 
Mädchennaschwerk, weisse Myrrhen, 
Lauter Frucht aus dem Nymphengärtlein I ^»_ 



Digitized by 



Google 



- 60 

^vdaifiov ifvXov mfjvcov \ oi(ov(av • • (fvllwv Ir x6?,7Toig 

fisatjfißQn'oig "^Xio^aviig ßoa \ '^sifjbdl^fo d'iv xoCXoic 
arvQotg, \ NvfMpatg ovQtCccvg '^vfinaC^oav x. t. X. 

In dieser Kleinmalerei des harmlosen, genügsamen, 
glücklichen Daseins der kleinen Vogelwelt verrät sich ausser 
der Empfänglichkeit eines tief empfindenden Gemüts für 
das Stillleben in der Natur eine gewisse Wehmut, ein 
Sehnen nach der Einfalt und dem Frieden in der Natur» 



Aristophanes weist somit, wie auch Euripides, 
bereits in ein neues Zeitalter hinüber, in das der Alexan-^ 
driner, denn auch bei ihm haben wir einen Ansatz des Idylls 
EU erkennen. Ebenso bei dem grössten Prosaiker der vorheller 
nistischen Zeit, dem Dichter-Philosophen Piaton. Mit feiner 
Ironie legt er im Phädros p. 230 B und C gerade dem SokrateSy 
der in seiner Begriffsphilosophie sonst so wenig von dei: 
Natur wissen wilP^), den »Felder und Bäume nichts lehren 
wollen, sondern nur die Menschen in der Stadt« ^''), die 
idyllische Schilderung des lauschigen Plätzchens in den 
Mund, an dem das Gespräch sich abspielt, »wo die Platane 
ihr prächtiges Laub schattend ausbreitet, Gesträuche blühen 
und den Ort mit Wohlgerüchen erfüllen, wo die lieblichste 
Quelle mit kühlstem Wasser dahin fliesst, wo Nymphen 
wohnen, die Luft lieblich weht und sommerHch säuselt in 
den Chor der Cikaden, und das Gras am sanften Abhang 
einlädt zum Lagern.« 

Selbst Becker findet diese Schilderung »fast sentimental« 
und sieht in ihr ein ganz seltenes Beispiel dafür, »dass die 
Griechen eine wärmere Empfindung solcher Naturfreuden aus- 
drücken.« Allerdings wird man vergebens eine ähnliche Schil- 
derung in der vorplatonischen Prosa suchen, und sie blieb selbst 
bei den Alten wie Strabo, Plutarch, Lukian, Cicero, Ari- 
staenetus ein Gegenstand der höchsten Bewunderung und 
Nachahmung; ein solcher »Mangel« lässt einmal sich daraus 
erklären, dass sich eine kunstmässige Prosa immer erst sehr 



Digitized by 



Google 



61 

viel später als die Poesie entwickelt, und dass die Griechen 
der klassischen Zeit ein zu strenges Stitgefühl bei der 
Scheidung der Redeformen besassen, um poetische Schilde- 
rungen des Landschaftlichen in prosaischen Schriften histo- 
rischen und philosophischen Inhalts für zulässig zu halten. 
Aber Piaton war zugleich Dichter, obschon die Epigramme 
der Anthologie unter seinem Namen zum grossen Teile 
sicher unecht sind und einem weit späteren Dichter ange- 
hören. Piaton bietet das seltene Beispiel der Vereinigung 
von schroffster » Naturyerachtung « bezüglich des philoso- 
phischen Erkennens ''^) mit einer echt poetischen Auffassung 
der Natur, als eines Objektes unseres Empfindens. Das 
Gewebe seiner philosophischen Erörterungen ist einem 
bunten Teppich gleich von Bildern und Gleichnissen"^^) 
durchzogen ; doch vor allem in der obigen Schilderung von 
der Platane, dem Bach, dem Gras und den Cikaden haben 
wir in nuce eine hellenistische Naturschilderung. Auch jenes 
Motiv, auf den Flügeln der Vögel, des Windes oder der 
Wolken dahin zu schweben und die drunten liegende Welt 
zu bewundern, schimmert bei Piaton in einer farbenprächtigen 
Stelle des Phaedon p. 109 ET hindurch. »Wenn jemand«, 
sagt Sokrates, »zur Grenze der Luft gelangte oder Flügel 
bekäme und hinaufflöge . . ., so w(irde er den wahren Himmel, 
das wahre Licht und die wahre Erde erkennen ; verächtlich 
würde er herabsehen auf die verwitterte, zerklüftete und 
anstaunen die wunderbare Herrlichkeit der himmlischen, die 
da bald purpurrot, bald goldfarbig, bald alabasterweiss 
in glänzendstem Bunt schimmere, wo die herrlichsten Bäume 
und Blumen und Früchte und Steine in prächtigeren Farben, 
als Karneole, Jaspisse und Smaragden, prangen und ein 
reiner Äther glückliche mit den Göttern traulich verkehrende 
Menschen umfange.« Mit dieser grossartigen Schilderung 
einer »besseren Welt« ist die »sentimentale Idylle« von dem 
Idealstaate, die phantastische Fiktion des vordeukalionischen 
Athen und der Atlantis im Kritias VII p. 115 verwandt; 
auf dem glücklichen Boden der Insel entfaltet sich der 
grösste Reichtum, kostbare Metalle birgt der Schoss der Erde, 
dichte Waldungen umkränzen die Berge, warme und kalte 



Digitized by 



Google 



62 

Quellen durchrieseln die fruchtbaren Ebenen, überall herrscht 
reiche Pracht an Bäumen und Blumen, Harzen, Sträuchern, 
Früchten, Gräsern u. s f. Solche Schilderungen deuten schon 
das Nahen einer Zeit an, da das Träumen vom goldenen 
Weltalter zur Manier wurde, da die romantische Sehnsucht 
nach eineth verlorenen Paradiese jene »ethnographischen 
Utopieen« schuf und die von der Wirklichkeit Unbefriedigten 
den Blick 2>von der überreichen Fülle der vollentwickelten 
Blüte der Kultur zu deren in geschlossener Knospe das 
Herrlichste verheissenden Anfängen zurückwandtenc (Rohde). 
Wie Piaton so die Wunder einer idealen Erde in 
glühenden Farben malt, so preist Aristoteles in einer wunder- 
baren Stelle, die uns Cicero erhalten hat (de nat deor. 
II, 37), mit einer Innigkeit des religiösen Naturgefühls di^ 
Schönheit und Ordnung in der Natur, wie wohl kaum ein 
anderer Denker und Dichter des Altertums. »Wenn es 
Menschen gäbe«, sagt er, »die stets unter der Erde gewohnt 
hätten, in schönen und glänzenden, mit Statuen und Ge- 
mälden und allen übrigen zu einem glücklichen Leben er- 
forderlichen Dingen geschmückten Wohnungen, die aber nie- 
mals über die Erde gekommen wären und nur durch das 
Gerücht und von Hörensagen erfahren hätten, dass es eine 
göttliche Wesenheit und Macht gäbe, und wenn dann diese 
Menschen einmal durch die geöffneten Erdspalten aus ihren 
verborgenen Sitzen an die Orte kämen, welche wir bewohnen, 
wenn sie urplötzlich Erde und Meer und Himmel erblickten, 
die Grösse der Wolken und der Winde Kraft, die Sonne 
und ihre Grösse, Schönheit und Wirkungen, wie sie den 
Tag mache durch ihr über den ganzen Himmel ergossenes 
Licht, wenn sie ferner, sobald die Nacht die Erde über- 
schattete und den ganzen Himmel mit Sternen zeichnete 
und schmückte, den Wechsel des wachsenden und ab- 
nehmenden Mondlichts, den Aufgang und Niedergang 
aller Gestirne und ihren für alle Ewigkeit geordneten, 
unveränderlichen Lauf wahrnähmen : wenn sie dies alles 
sähen, wahrhaftig sie würden überzeugt sein, dass es 
Götter gäbe und dass alle diese Herrlichkeiten nur Werke 
der Götter seien«. 



Digitized by 



Google 



63 

Lefhrs (S. 138) fasst den Unterschied des antiken 
uhd modernen Naturgefühls mit Hinweis auf Klopstock's 
Strophe: 

O Anbh'ck der Glanznacht, Sternenheere ! 

Wie erhebt ihr, wie entzückst du, Anschauung. 

Der herrlichen Welt! Gott Schöpfer 1 

Wie erhaben bist du! Gott Schöpfer! 
dahin zusammen: »Dieses alttestam entliche und christliche 
Naturgefühl »die Natur lobt den Schöpfer« konnten die 
Alten nicht haben«. Wir sehen, dem Aristoteles war es 
nicht fremd; der Gedanke: »Die Herrlichkeit und die 
stete Ordnung der Natur weist über diese hinaus zu dem 
Schöpfer, der alles so weislich gemacht hat«, findet bei 
ihm den beredtesten Ausdruck, so dass wir an den Psalni 
104 oder an die Worte des Augustinus erinnert werden: 
interrogavi terram, riiare, coelum, solem, lunam, Stellas et 
responderunt »non sumus deus, quem quaeris« et excla-' 
maverunt voce magna: »ipse fecit nos^^ ! 



Digiti 



zedby Google 



Drittes Kapitel. 



Das sentimental-idyllisclie Naturgefühl des Hellenismus und 
der Kaiserzeit. 

l_Jer Hellenismus, wie Droysen das kosmopolitisch 
oder international gewordene Griechentum genannt hat, 
bezeichnet in politisch-sozialer, wie religiös-wissenschaftlicher 
und künstlerischer Beziehung eine Umwandlung der 
griechischen Weltanschauung, somit auch des Naturgefiihls. 
Empfindungsweisen^ die in der vorhellenistischen Zeit nur 
selten und verhüllt zum Ausdruck gelangten, werden in der 
alexandrin ischen Epoche zu allgemein herrschenden; was 
früher nur geahnt wurde, wird nun zu einem festen bewussten 
Besitz. Wie in einer musikalischen Komposition erst all- 
mählich verwandte Akkorde sich zur Melodie verbinden, 
diese erst leise anklingt und immer wieder von neuen Ton- 
wellen verschlungen wird, bis sie zu voller Klarheit durch- 
dringt und in breitem Tonschwall der mit einander ver- 
bundenen Motive sich ergiesst, so kündet sich auch in dem 
Kulturleben der Völker zuerst nur dunkel und leise eine 
Gefühlsweise, eine Stimmung an; bald aber krystallisieren 
sich andere verwandte an sie an und bringen sie so erst 
zum deutlichen Ausdruck und klaren Bewusstsein; und ist 
nun eine Epoche besonders reich an neuen äusseren und 
inneren Einwirkungen mannigfachster Art, so scheint sich 
eine totale Umgestaltung zu vollziehen, die vielleicht zum 
Teil nur ein Entfachen bereits lange unter der Asche 



Digitized by 



Google 



__ 65 

glimmender Funken war. Der Hellenismus bringt zur Blüte, 
was vordem im Keime geschlummert hatte, und erweckt 
zugleich durchaus neue Ideeen, Neigungen und Stimmungen. 
Durch die grossen Thaten und Pläne Alexanders fiel 
die Scheidewand zwischen Hellenen- und Barbarentum, fast 
ganz Asien erschloss sich dem griechischen Handel, und 
so erwuchs eine Mischkultur von hellenischen und asiatischen 
Elementen, die eine Nivellierung nicht nur der Stammes- 
und Standesunterschiede, sondern auch des Glaubens her- 
beiführte und so den Zersetzungsprozess des Mythus vollendete . 
Es ist aber eine bei vielen Völkern erkennbare Thatsache, 
dass wer die Götter entthront, die Na^tur an ihre Stelle 
set;zt und dass die pantheistische Weltanschauung den 
fruchtbarsten Boden bietet für eine tiefsinnige, erhabene 
Naturbetrachtung, wie z. B. im Hymnus des Kleanthes 
auf Ztiis, der die Natur nach ewigem Gesetz beherrsche 
und den Geist in ihr lenke, welcher, dem Grossen und 
Kleinen, eingepflanzt, sich mische in sämtliche Wesen und 
Körper. — Versetzen wir uns in jene Civilisationscentra, 
jene mächtig aufblühenden, volkreichen, mit allem nur 
erdenklichen Luxus ausgestatteten Residenzen der Attaliden, 
Seleuciden und Ptolemäer zu Pergamum, Seleucia und 
Alexandria. wo ailes zusammenfloss, was an geistigen und 
materiellen Genussmitteln die Länder am Mittelmeer bieten 
konnten, wo die hohe Kultur das Raffinement des Geniessens, 
des Empfindens steigerte und der einzelne nicht mehr im 
Interesse für das Ganze aufging, sondern nur im Streben 
nach individueller Befriedigung, nach Erwerb, nach Ruhm, 
so wird es begreiflich, dass jenes aus Übersättigung und 
Unlust an dem rastlosen Getriebe der Grossstadt resultierende 
Sehnen nach der freien Natur tiefere Gemüter mit der Ge- 
walt fast moderner Empfindsamkeit ergreifen konnte. Der 
Gegensatz von Stadt und Land, wie er schon bei Aristo- 
phanes und Euripides zum Ausdruck gelangte, ward schärfer 
denn je gefühlt, ^^) und erst jetzt entwickelte sich durch 
den Aufschwung der Naturwissenschaften, besonders der 
Botanik, und durch die Kenntnis asiatischer Sitte eine 
Garten- und Parkkultur Jn dem »bewussten Streben, den 

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 5 



Digitized by 



Google 



66 

Menschen mit der Natur in Beziehung zu setzen«, indem 
man grossartige, mit Wasserkünsten ausgestattete Prome- 
naden und künstliche Haine anlegte ^^); während die frühere 
Zeit nur Nutzgärten oder heilige Baumpflanzungen und 
Grabgärten kannte ^^). Auch die Lust zur Jagd, die vordem 
nur vereinzelt mit Nachdruck hervortritt, wie bei dem halb 
orientalischen Xenophon und bei den Macedoniern, ward 
jetzt eine allgemeine Leidenschaft, ein Sport, dem zu 
huldigen Mode wurde und der das Vergnügen bekundet,* 
das man am freien Umhertummeln in Wald und Feld »in 
reflektierender Weise« empfand ^^). — Alle diese Momente 
finden ihre Widerspiegelung in der Poesie. Aber die 
Dichter fühlten sich als Epigonen, im Bewusstsein der 
Schranken ihres Könnens suchten sie wenigstens im Kleineti 
Grosses zu leisten. Die Quelle der Poesie war nicht mehr 
die frei schaßende begeisterungsvolle, in der Anschauung 
schon dichtende Phantasie, sondern die grossen Vorbildern 
nachahmende Arbeit und die Reflexion, welche jede Regung 
der Seele belauscht, zerlegt und mit Bewusstsein fest hält, 
»eine Leidenschaft, welche in dem Sehnen, Sinnen und 
Hoffen, in all den widerspruchsvollen Regungen ihrer inneren 
Empfindung ihr eigentliches Leben hat, ein Leben, welches 
in der eigentümlichen Vereinigung eines blinden Triebes 
und eines grübelnden Bewusstseins sich zu jenem Selbst- 
genuss der Leidenschaft steigert, den man wohl eigentlich 
mit dem Namen der Sentimentalität bezeichnen will^^). 

Ein solcher »Übergang von der Poesie der That — 
der mächtigen, in ihrer eigenen Kraftfülle sich genügenden 
That zu der Poesie der Empfindung« tritt, wie Rohde weiter 
ausführt, mit einer gewissen Notwendigkeit bei einer Über- 
reife der Kultur in der literarischen Entwicklung eines 
Volkes einj und oft schon ist seit Burckhardts glänzender 
Darstellung der Renaissance diese mit dem Hellenismus 
bezüglich des Naturgefühls verglichen worden. Unter gleichen 
Bedingungen vollziehen sich eben immer auch gleiche Um- 
wandlungen im Leben der verschiedenen Völker und Zeiten. 
Der Hellenismus erzeugte eine Empfindsamkeit d. h. ein 
Schwelgen in den Gefühlen, das nur relativ verschieden 



Digitized by 



Google 



_67 

war von der »Gefühbphantastik« eines Petrarca und eines 
Rousseau. Der Hellenismus erscheint uns wie die Morgen- 
röte einer neuen Zeit, ja schon Euripides und Aristophanes 
gleichen den ersten die Eos ankündenden Strahlen. 

Die Brücke zwischen Hellenismus und Renaissance 
bildet die Kultur der Kaiserzeit; Petrarca ward in seinem 
ganzen Empfinden von den spätrömischen Dichtern, also 
mittelbar auch von den Alexandrinern beeinflusst Er ist 
daaa »der Ahnherr moderner Empfindsamkeit, des Welt- 
schmerzes, der modernen Zerrissenheit« geworden. So 
berührt sich die neue Zeit mit der alten. Das Individuali- 
tätsprinzip, das in seiner Innerlichkeit nur das Recht des 
D-enkens und Empfindens der eigenen Persönlichkeit aner- 
kennt, ist zwar in vollem Umfange erst in moderner Zeit 
aasgebildet worden, aber seit der Sophistik und dem Helle- 
nismus hat es auch das antike Wesen allmählich zersetzt 
un<J aufgelöst. 

Das Naturgefühl der alexandrinischen Epoche beruht 
nun auf allen hervorgehobenen kulturhistorischen Momenten, 
die eine Bewegung zum Modernen hin bezeichnen, und kann 
in der That daher nur noch graduell verschieden von dem 
unsrigen genannt werden. — 

Die Poetik eines Kallimachos gipfelt in dem Wort 
fifycc ßißXtüv fifya HttHoV' Nicht mehr schweifen die Dichter 
in ungemessener Kraftfülle ins Weite, sondern sie beschränken 
sich auf enger umgränzte Sphären und entdecken auch in 
der Natur den Reiz des Kleinen und Einfachen. 

Das Naturgefühl ist wesentlich sentimental idyllisch. 
In diese Empfindsamkeit für das Stille, Lauschige, Fried- 
liche .mischt sich zugleich ein sinnlich erotisches Moment. 
»Da alle poetischen Gottheiten aus dem Pandorafasse des 
Lebens entflogen sind, bietet sich der Empfindung einzig 
die Liebe dar, welche als die eigentliche Poesie des Privat- 
lebens allein zurück geblieben ist« ^^). 

Die Liebe wird zu einer Leidenschaft, die den Empfind- 
samen ohne Rast und Ruh umhertreibt, ihn in der Einsam- 
keit des Waldes, in dem stillen Leben und Weben der 
Pflanzen und Bäume den Reflex der eigenen Stimmung 

5* 



Digitized by 



Google 



68 



und zugleich ein teilnehmendes Mitgefühl wahrzunehmen 
wähnt. 

Eine vollständige kleine »Liebesnovelle« von reizen- 
der Anmut und einer Empfindsamkeit, die uns durchaus 
modern erscheinen muss, enthielt das dritte (?) Buch der 
ulvia des Kallimachos, die Dilthey aus den Fragmenten 
und den Nachbildungen des Aristaenetos und eines Pseudo- 
Ovidius bis ins Detail rekonstruiert hat ; es ist* die Liebes» 
geschichte des Akontios und der Kydippe®^). Als beim 
Feste auf Delos den Akontios die Liebe zur Kydippe 
ergreift und keine Hoffnung ihm zu winken scheint, irrt 
er einsam im Walde umher und klagt den tauben Winden 
xaxfccTQ fjaipavQaig frgm. 6j sein Leid; ihm genügt es nicht, 
den Namen der Geliebten in die Rinde der Bäume zu 
schneiden, — welche sentimentale Spielerei dem Altertum 
durchaus nicht fremd war — ^^), sondern er ruft: »O Bäume, 
warum ist euch nicht Verstand, nicht Stimme gegeben, auf 
dass ihr alle das eine riefet: »schön ist Kydippe«, o dass 
ihr auf jedem Blatt so viel Buchstaben eingegraben trüget, 
wie viele schön nennen Kydippe« : 

dlX' ivl df] (fvlkoiifi xexofAfjbii'a rodda g)^QotT€ 
yQccfj flava j KvdCnjtriv o(i<f IqiovCt xaXf^v- 

Und wie er so mit seinem einsamen Liebesgrübeln 
sich immer mehr mit den Bäumen befreundet, sich in ihr 
stilles Leben hineindenkt und es mit seiner eigenen Empfindung 
verwebt, da kommt ihm der Gedanke: »Kennt auch ihr 
etwa, meine Bäume, gegenseitiges Verlangen? Ist etwa die 
Fichte sterblich verliebt in die Cypresse?« Doch wie Göthe 
singt: »Euch bedaur' ich, unglückselige Sterne, denn ihr 
liebt nicht, kanntet nie die Liebe« ! so antwortet auch 
Akontios: «Ich glaube nicht« und raffiniert sentimental fügt 
er hinzu: »denn dann würdet ihr nicht nur die Blätter ver- 
lieren, und würde die Sehnsucht nicht nur eure Zweige des 
Haars und des Blütenglanzes berauben, sondern bis ins 
Mark des Stammes, bis in die Wurzeln hinab würde sie 
mit ilxreni verzehrenden Feuerbrande dringen« I — Diese 
Flucht in die Waldeinsamkeit, um Trost zu finden im engsten 



Digitized by 



Google 



69 

Verkehr mit der Natur, dies Sichhineinfühlen in das Sein 
der Bäume und diese phantastische Beseelung, mit welcher 
der Liebeentflammte seihe eigene Liebesglut auf die 
stummen Zeugen seines Sehnsuchtsschmerzes, auf die sich 
im Winde zu einander neigenden Bäume überträgt, sucht 
selbst in moderner Poesie ihresgleichen. 

Solche extreme Empfindsamkeiten und Überschweng- 
liehkeiten emes liebekranken Herzens begegnen uns in den 
Idyllen des Theokritos nicht; seine Helden sind meist 
gesund und kräftig fühlende Hirten, deren Thun und Treiben, 
Singen und Streiten, Lieben und Leiden uns in plastisch abge- 
rundeten, lebenswahren und lebenswarmen Bildern vorgeführt 
wird ;. und der Hintergrund, von dem sich diese meisterhaft 
gezeichneten Gestalten abheben, ist eine Landschaft, die 
nicht mehr Beiwerk, wie in den Homerischen Epen und in 
der vorhellenistischen Epoche, sondern ein wesentliches 
Ingredienz der Dichtung ist Diese reizenden »Genrebild- 
chen« sicilianischen Hirtenlebens konnten eben nur in einer 
Zeit entstehen, da der Städter ins Freie sich hinausgezogen 
fühlte, um sich zu laben an dem reinen, stillen Frieden, 
der durch eine liebliche Landschaft weht. Das Idyll ging 
direkt aus dem sentimental erotischen Naturgefühl, wie es 
der hellenistischen Zeit eigentumlich ist, hervor; es ist die 
duftigste Blume im Treibhause alexandrinischer Poesie. 
Mit Innigkeit wird die Natur geschildert, mit echtem Humor 
die Liebe, »indem der Dichter dem Sinnlichen das Ge 
mütliche, aem Schwermütigen das schalkhaft Heitere in 
Sehnsucht und Genuss gesellt«, Liebe und Gesang finden 
die schönsten Gleichnisse und Bilder aus der Natur, und 
wie Theokrit überhaupt nur selten nach Homerischem 
Muster mythische Umschreibungen für die einfache Wirk- 
lichkeit als Dekoration wählt (XIII, ii, XVIII, 26, VII, 54, 
XIII, 25, XVI, 5), so zeichnen sich auch seine Bilder durch 
Schlichtheit und konkrete Naturwahrheit im Verglekh 
mit der gespreizten Manier änderer Alexandriner aus. Zu- 
gleich sind sie individueller und realistischer, als die der 
früheren Perioden. Hochpoetisch ist sogleich der Eingang 
des Buches: 



Digitized by 



Google 



70 

Ist's doch was Liebliches um datJ Geflüster der Pinie, 

^ Geishirt, 

Welche melodisch am Quell dort rauscht; gar lieblich 

erklingt auch deine Syringe; 

und sein höflicher Genosse antwortet mit gleicher Grazie 
des Lottes: 

Lieblicher tönt, o Schäfer, dein Lied, als dort von dem 

Felsen 
Weithin rauschend der Bach in das Thal sich ergiesst 

aus der Höhe. 

Mit den Cikaden (I, 148, V, iio) und mit der Nach- 
tigall (VIIT, 38) wetteifert der liederkundige Sänger; die 
Musen sind ihm lieblicher denn der Schlummer oder der 
Lenz, oder wie die Blumen den Bienen (IX, 33); der Sieger 
freut sich wie das' Hirschkälbchen, das neben der Mutter 
umherspringt (VIII, Sy); doch der mittelmässige Sänger 
gleicht dem quakenden Frosch (VII, 41) oder der Wespe, 
die gegen die Cikade ihr Gesumme erhebt (V, 29). Wie 
ein gieriger Löwe, der von weitem hört des Hirschkalbs 
Schreien, schweift Herakles (VIII, 61) durch unwegsames 
Gestrüppe, voll Sehnsucht nach dem geliebten Hylas, den 
die Nymphen in das feuchte Grab hinabzogen, »jählings, 
wie wenn funkelnd ein Stern von dem Himmel herabsinkt« 
(v^ so). Das von ihrem eifersüchtigen Liebhaber derb 
angefahrene Mädchen eilt davon 

Sowie die Schwalbe, sobald sie die Nahriitig gebracht 

hat den Jungen 

Unter dem Dach, gar schnelle zurückfliegt, andre zu 

sammeln (XIV, 39); 

den unsteten Geliebten vergleicht das Mädchen mit dem 
Vogel, der bald auf dem einen, bald auf dem andern Ast 
sitzt und von diesem zu jenem hüpft. Das Erwachen 
der Liebe, wie es sich beim Anblick des Geliebten ankün- 
digt durch kaltes Schaudern, das den Körper durchrieselt, 
schildert Simaetha II, 106: »'s ward mir über und über noch 
kälter als Schnee ; von der Stirn strömte der Schweiss mir 
herunter dem tropfenden Taue vergleichbar«. Wie Schnee 



Digitized by 



Google 



71 

in den Thälern des mächtigen Hämos schwindet Daphnis 
hin vor Sehnsucht VII, *]6, vergl. Hom. Od. 19, 205. Heller 
als das Mondlicht glänzt die Brust des Geliebten II, 79, 
sein Bart ist wie die Ranke des goldigen Epheus 78. Für 
reifer als Birnen erklären die Mädchen den Philinos VII, 1 20 
und fügen hinzu : »Weh, es verwelkt dir, Philinos, die reizende 
Blüte der Schönheit«. Hyacinthen und Veilchen (X, 28), 
Anemonen und Rosen (V, 92) dienen zu Bildern der Schön- 
heit, aber auch d^r Vergänglichkeit (VII, 121, XXIII, 28); 
in der oaQiCtvg flüstert der Hirte (XXVII, 8): »schnelle 
vergeht wie ein Traum dir die Jugend« j und die Hirtin 
entgegnet: »trocken noch duftet die Rose, die Traube sie 
wird zur Rosine« ; ihr lieblicher Biisen erscheint ihm wie 
reifende Äpfel (49), mit denen sonst die Wangen verglichen 
werden XXVI, i; VII, 117. 

Wie von der Distel fliegt das trockene Haar, wenn 
der heitere Sommer es dörret, so flieht Galathea vor dem 
Polyphem VI, 15. Nicht besser ergeht es dem Liebhaber 
der Amarylliy III; vergebens fleht er sie an, aus der Grotte 
hervorzuschauen und ihn ihr Herzblatt zu nennen v* 12: 

Schaue dies Leid, so das Herz mir verzehrt! O war' 

ich doch jenes 

Summende Bienchen, so schlüpft* ich durchs Farrnkraut 

und durch den Epheu, 

Der dich verdeckt, und ich würde zu dir in die Grotte 

gelangen. 

a ßofjbßevifa fji^Xusaa xdi ig tsop Svtqov lxoC(jbav 
Tov xiddov diaSvg xcd tdv TCTiqiv a tv nvxdadfi. 

Dem Charakter des Naturgefühls dieser Epoche gemäss ' 
werden also die Verwandlungswünsche idyllisch-erotisch.* 
Auch der Liebeszauber ^^) des n^Xi^pikov (v. 28) misslingt 
dem umsonst Werbenden, 

Es versagte den Knall, als ich es anschlug, prüfend, 

ob lieb du mich hättest, 
Und es verwelkte mir ohne Erfolg an dem fleischigen 

Arme* 



Digitized by 



Google 



72 

Wie die Ziegen den Frühling lieben, so liebt Simichidas 
die Myrto VII, 96; ja, die reizende Nais sogar zieht die 
ganze Natur in den Bann ihrer Schönheit; »wo sie weilt, da 
ist allwärts Frühling und üppige Weide und allwärts füllen 
die Euter sich mit köstlicher Milch, trefflich gedeihet die 
Zucht ; . . doch scheidet sie wieder , welket der hütende 
Hirt, welken die Kühe dahui« VIII, 41. 

Theokrit bietet uns hiermit schon ein Motiv, wie es 
im deutschen Volksliede ^*'^) häufig ist; aus einem spanischen^*^) 
hebe ich hervor: . . 

Und taucht sie das Linnen ins Wasser hinein, 
Da halten mit Rinnen die Fluten schon einj 
Und der Stein, drauf sie wandelt, fängt hell an zu glühn, 
Und das Ufer wird grün 
Am Manzanares u. s. f. ; 
Wolff im Tanhäuser II p. 30 singt: 

Ich hab einmal ein Mägdlein gekannt, 
Die könnt' gar Rosen lachen, 
Wo immer sie ging, wo immer sie stan^, 
Sie wusste das Wunder zu machen. 
Sie lächelte nur, und Lenz und Thal 
Blühten voll Rosen mit einem Mal u. s. w. 
Und wie ein moderner Dichter sagt: »Ein Frühling 
scheint aus ihrem Blick zu dringen«, so heisst es XIII, 45: 
»Nycheia mit Blicken des Frühlings« l'aQ x^'oQocoaa Nvx^ia. 
Ein Gleichnis von ausserordentlicher Schönheit bietet 
XVIII, 26: »wie wenn ihr schönes Antlitz heraufiführend 
zeigt die hehre Nacht, da der Winter weicht dem leuch- 
tenden Frühling, so strahlt unter uns Mädchen der 
goldenen Helena Schönheit«. (Nach Buecheler): 
dlX' cög ävrdXoida xaXov öiiifavs nQoaianov 
noTvCa vvl^ xarcc ksvxov €aQ y(^€t.iiwvoq dvivroq 
(hde xal d %QVCiia '^EXepa ÖiafpaCvev Iv äfjbtv- 
Nach echt alexandrinischer Manier häuft Theokrit 
die Bilder, vergleicht in den folgenden Versen die Helena 
mit der reichen Saat, dem Schmuck des Ackers^ und der 
Cypresse, der Zierde des Gartens. Ähnliche Häufung findet 



Digiti 



zedby Google 



73 

sich XII, 3-*- 8^ wo nur der Schluss bemerkenswert ist mit 
dem idyllischen Bilde': »mich erfreute dein Kommen, mir 
war's wie dem Wanderer ^ der beini Brande der Sonne 
geeilt in den Schatten der Buche«. 

Es ist charakteristisch, dass die hellenistischen Dichter 
selten dem Meere ihre Bilder entlehnen, während sie in 
der voralexandrinischen Epoche bei weitem vorherrschten; 
und während diese besonders Sinn für die Bewegung und 
für das Gros^artige in der Natur hatte, lieben die Alexan- 
driner die Ruhe, den stillen Frieden in Wald und Flur, so 
auch auf dem Meer, das meist in seiner Regungslosigkeit 
gepriesen und vom Ufer aus bewundert wird, vergl. VIII, 55, 
XVI, 60, womit XXV, 85 zu vergleichen ist : »die Wellen 
und die Wolken sind nicht zu zählen!« Auch die Beseelun- 
gen sind bei Theokrit individueller und charakteristischer 
als bei den früheren Dichtern. Bäume, Sterne, Schluchten, 
Flüsse und Tiere werden oft als Zeugen angerufen oder 
wie mitempfindende Wesen begrüsst (I, 117, 132; II, 165; 
V, 124, VIII, 33—38, vergl. auch v. 60). Wie beim Aristo- 
phanes Platane und Rüster mit einander flüstern, so klingt 
dem Theokrit I, i das Säuseln der Pinienblätter wie ein 
Liebesgekose a nCtvq . . « ro xptx^vQi^cfgjba fieXCadetm ; matt ist 
die Nachahmung Mosch. V, 8 a ttCxvc, adei. An die Simo- 
nideeische Danaeklage erinnert die höchst stimmungsvolle 
Beseelung in den leidenschaftlichen Worten der unglücklich 
Hebenden Simaetha II, 37. Die stille Mondnacht umgiebt 
sie. »Schau, wie schweiget das Meer, wie schweigen nun 
alle die Winde« '^vCds (fiyfj filv novrogy (SiywvTi d' d^rm. 
Aber ihr von Eifersucht gequältes Herz bietet einen trau- 
rigen Kontrast zu dem nächtlichen Frieden in der Natur: 

»Aber es schweigt mir nicht in dem innersten Busen 

der Kummer, 

Sondern zu jenem vergeh' ich in Glut, der statt zu 

der Gattin 

Ach mich Arme zur Buhlin gemacht und die Blüte 

gebrochen. 



Digitized by 



Google 



74 



In ihrem Schmerze wühlend klagt sie der mild glän- 
zenden Selene ihr Leid und treibt beim magischen Monden- 
schein ihren unheimlichen Zauber, der den Geliebten in 
ihre Arme zurückführen soll. 

Bei der Trauer um Daphnis werden nicht nur Scha- 
kale, Wölfe und Löwen als mitfühlend I, 71 gedacht, son- 
dern auch die Eichen beweinen ihn VII, 74, ja nach 
seinem Tode muss sich alles in sein Gegentheil verkehren '^'^j 
V, 124; »Tragt nun Veilchen hinfort ihr Hecken und Dorn- 
gebüsche« u, s. f. Mit dem Frohen freut sich auch die 
Natur, selbst der Stein klingt freudig unter dem Tritte des 
Heimkehrenden VII, 26, und die Insel Kos jauchzt, als auf 
ihr Ptolemaeos geboren, und wiegt ihn mit segnenden 
Worten in ihren Armen XVII, 64-- 70; und gleich dem 
verschwiegenen Vöglein in dem reizenden Liede unseres 
Walther v. d. Vogelweide »Unter der Linde an der Haide«, 
sind in der Pseudo-Theokriteischen oaQKfrvg die Cypressen 
die einzigen Zeugen des Liebesbundes; »nur sie erzählen 
sich deine Vermählung« XXVII, 57 dl^Xaig XaXiovdt r^ov 
ydfiov al xvndqiaaoi. — Doch den Umschwung des Natur- 
gefühls kennzeichnen vor allem die Schilderungen der 
Landschaft, in der das Hirtenvölkchen singend und liebend 
sich bewegt, und die Gefühlsäusserungen der Hirten selbst, 
denen es gar lieblich ist, im Freien zu ruhn an der rieseln- 
den Quelle im Sommer« VIII, yd) ädv di %a x^iqeoq naq* 
vdcoQ ^^ov ccl&QioxoiT€lv, und die den lauschigsten Platz 
zum Wettsingen sich aussuchen V, 31. Der eine ruht 
immer noch köstlicher wie der andere. »Lieblicher singst 
du«, ruft Lakon dem Komatas zu, »wenn an dem Ölbaum 
dort in dem Hain du dich niedergelassen; kühl ist das 
Wasser, das dorten hinabströmt, dort ist ein Moossitz, 
üppiges Gras wächst dort und es schrillen geschwätzig die 
Heimchen«. Doch Komatas übertrumpft den Gefährten' 
mit dem Lobe seines Sitzes v. 45: 

. . . hier findest du Eichen und Galgant, 
Hier umschwärmen so lieblich die summenden Bienen 

die Körbe, 



Digitized by 



Google 



75 

Auch sind hier zwei kühlige Quellen, es zwitschern 

die Vögel 
Hier auf den Bäumen so schön, und der Schatten bei 

dir ist dem meinen 
Nicht zu vergleichen; es wirft auch die Pinie Zapfen 

herunter ; 
vergL VII, 7; IX, 9 ff.; XXII, 106. 

Mit dem sinnigsten Verständnis für das Lauschige 
eines dicht umwachsenen, tief verborgenen Waldseees wird 
ferner die Quelle im Bebrykerlande geschildert, welche 
Polydeukes und Kastor in den üppigen Wäldern der Wildnis 
schweifend finden XXII, 37: 

Einen lebendigen Quell ganz voll durchsichtigen Wassers 
Fanden sie unter dem glatten Gestein, und es glitzerten 

Kiesel 
Hell wie Krystall und Silber von unten herauf aus 

der Tiefe. 
Ganz in der Nähe derselben erhoben sich mächtige Kiefern, 
Pappeln, Platanen, Cypressen mit hochaufstrebenden 

Stämmen, 
Duftende Blumen dazu, rauhhaariger Bienen Ergötzung, 
Wie beim scheidenden Lenz empor aus den Wiesen 

sie sprossten; 
vergl. XIII, 40, ferner, die Schilderung des gesegneten Ge- 
bietes des Augias XXV, 14 ff., des Waldpfades daselbst 
V. 1 56, der Cyklopengrotte XI, 45 und des lieblichen Platzes, 
wo das Bild des Priapos steht Epigr. IV, 5. Doch nichts 
übertrifft an Wärme des Ausdrucks und an Innigkeit des 
Gefühls für die Reize der ländlichen Flur, die der Städter 
um ihrer selbst willen sucht, die treffliche Schilderung der 
Thalysien in der siebenten Idylle. Mit seinen Freunden 
Eukritos und Amyntas macht sich der Dichter auf zum 
Phrasidemos, der sie zum Erntefeste geladen. »Als wir dort 
angelangt«, erzählt er v. 181, »streckten wir freudig 

Uns auf schwellendes Lager von lieblich duftendem Mastix 
Und auf des Weinstocks eben geschnittene grünende 

Blätter. 



Digitized by 



Google 



76 _ 

Zahlreich schwankten uns über dem Haupte der Pappeln 

und Ulmen 
Luftige Wipfel, und uns ganz nah' aus der Grotte der 

Nymphen 
Floss in die Tiefe mit leisem Gemurmelein heiliges Wasser. 
Aber es mühten sich ab mit Gezirp in den schattigen 

Zweigen 
Lunkel gebräunte Cikaden; aus dornigen Hecken der 

Brombeer' 
. Flötet von ferne herüber mit klagendem Tone die Drossel; 
Lerchen- und Finkengesäng und der Turteltauben 

Gestöhne 
. Liess sich vernehmen; die gelblichen Bienen um- 
schwärmten die Quellen. 
Alles duftete Herbst und duftete fruchtbaren Sommer. 
Birnen zu unseren Füssen und Äpfel zu unseren Seiten 
Rollten in Fülle daher, tief senkten sich nieder zur Erde 
Die schwer belasteten Zweige. Eberz. 

Mit liebevollerer Detailmalerei kann doch kaum ein 
Bild des Spätsommers auf dem Lande entworfen werden. 
Hier haben wir alles beisammen, was den auf weichen 
Blättern Gebetteten in ein wonniges Behagen und ein süsses 
Träumen versetzen kann : das gleichmässige Gemurmel des 
Baches, das Gezirpe der Heimchen, das Gesumme der 
Bienen, der Gesang der Vögel und der angenehme Duft 
der Kräuter und des prangenden Obstes; nichts lenkt die 
Phantasie ab von dem Leben und Weben in der Natur, 
der Zauber des Lieblichen und des Friedens, der über Feld 
und Wald gebreitet liegt, wird mit allen Poren einer empfäng- 
lichen Seele eingesogen. 

Die Ruhe in der Natur, das friedlich umblaute, von 
sanftem West gekräuselte Meer und den traulichen Platz 
unter dem dichten Laube des Ahorns am einlullenden Ge- 
plätscher des Quells verherrlicht auch Moschos id. V: 

Wallet das blauliche Meer von dem kräuselnden Wehen 

des Westwinds, 
Regt sich mir süsse Begier in dem schüchternen 

Herzen ; das Festland 



Digitized by 



Google 



77 



Ist nicbt länger mir lieb; mehr lockt mich das heit're 

Gewässer, 
Aber sobald aufbrauset die dunkelnde Tief, und das 

Meer sich 
Schaum aufwerfend erhebt, und die tobenden Wogen 

sich strecken, 
Schau ich nach Ufer und Bäumen zurück und entfliehe 

der Salzflut. 
Lieb dann ist mir das Land, und die schattigen Wälder 

erfreun mich, 
Wo auch im Toben der Winde, melodisch die Pinie 

säuselt, 
Schlimm ist wahrlich des Fischers Geschick ! Sein Haus 

ist der Kahn ihm ; 
, Arbeit giebt ihm das Meer und der schweifenden 

Frische Berückung. 
Möge mich immer der Schlummer so süss in des 

Platanos Laubdach, 
Immer des Bergquells Rauschen erfreu'n in der Nähe 

des Lagers, 
Der süss murmelnd ergötzt, den Entschlummerten aber 

nicht aufschreckt. 

Jacobs. 

rdp aXa tccv ykavxäv oTotv oSvefjtoq ccTQ^fAa ßdlkrj, 
Tccv (f'Qiva TCCV dsikdv iqsd^Cl^ofiat . ♦ • , 
avtccQ i/jbol yXvxvg imvog vno TiXardvco ßadvfpvkkw 
xal naydg (pCV ffiol Tag iyyv^ep äxov dxovsiv, 
a T^qnti xpofpiotaa tov ayqioVj ovyil Taqdadst. 

Das einzig sichere Gedicht des dritten Bukolikers " 
Bion, der neueren Forschungen gemäss nach Moschos an- 
gesetzt werden muss, ist der Grabgesang auf Adonis. Von 
einzelnem ^^) abgesehen, ist die Beseelung der unbelebten 
Natur noch weiter gehend als bei Theokrit; v. 30 rufen 
die Berge ein Ach über das Unglück der Aphrodite und 
die Eichen : »ach o Adonis« ! Flüsse und Quellen weinen, in 
allen Waldschluchten, in jedem Haine klagt die jammernde 
Nachtigall: »tot ist der schöne Adonis!«: Tav Kvttqiv atal 



Digitized by 



Google 



78 

c^Qsa Ttdvta X^yovzi xal at d^veg ala% ^Ad<avtv 
xal TtoTafjtol xka(ov(ft xä nivx^ta tag ^^<pqo8Ci;aq 
Hat nayal . . daxQVopti 

ndvrag dpa xpafMog, dvd ftdv %*d7tog ohrqd dfjdcoj^ 
aid^si viov ohov ^Ttcikero xalog ^Adoavtg, 
ebenso weinen bei dem Tode Haiders nach altnordischer 
Sage Himmel und Erde^^). Eine spätere Nachahmung 
dieses Klageliedes ist der Epitaphios auf Bion. Über- 
treibende Rhetorik, Schwulst und Wortgeklingel wiegen 
vor und zeugen von einer hoch sentimentalen, krankhaft 
erregten Sympathie für die Natur, die in allen ihren 
Manifestationen in Mitleidenschaft gezogen wird: 

Gramvoll seufzet, ihr Thäler, und du, o dorische Welle, 
Und ihr Ströme, beweinet den Sehnsucht weckenden 

Bion, 
Thränen vergiesst mir, Kräuter, und klaget, o .schattige 

Haine ! 
Jetzt mit hängender Krone verhauchet den Odem, ö 

Blumen, 
Rosen, es werd' euch zur Trauer das Rot, und euch, 

Anemonen 1 
Nun, sprich aus, Hyakinthos, die Schrift, die du trägst,. 

und des Wehes 
Flüstere mehr mit den Blättern: dahin ist der lieb- 
liche Sänger I 

aiXivd fjtoi> aTopaxetTs vdnai xal Jwqiov v8ooq, 

xal TtoTafJbol xka(otT€ tov IfjbfQoevva B^oovaj 

PVP q>vTd fjboi fjtVQ€<rd'€ xal aXaea pvp yodoKf&e x. v. X. 

So werden auch die Nachtigallen aufgefordert, die Trauer- 
kunde in schmerzlichen Klagen im dichten Gebüsch aus- 
zutönen, und die Strymonischen Schwäne: 

Singet aus trauernden Kehlen die Melodieen der 

Schmerzen, 
Saget es an des Oiagros Töchtern und sagt es den 

Nymphen, 
Allen der thrakischen Flur: dahin ist der dorische 

Orpheus 1 u. s. f. 



Digitized by 



Google 



79 



In bewusstem Gegensatz zu der Kleinmalerei des 
Idylls schuf Apollonios Rhodios sein langatmiges Epos, die 
Argonautica, dies fi^ya xaxov nach dem Kallimacheischen 
Kunstprincip. Entbehrt es auch jeder kunstvollen Kompo- 
sition und ist es auch mit seiner zusammengerafften Ge- 
lehrsamkeit und der »Frostigkeit« der Darstellung nur ein 
recht matter Abglanz der Homerischen Epen, so bietet es 
doch in betreff der Weiterbildung des Reflektierten in dem 
Naturgefühl manches Bemerkenswerte. Sehr zahlreich sind 
seine Gleichnisse aus dem Naturleben, die zwar oft breit 
und gesucht sind im Vergleich zu den Homerischen, aber 
auch nicht ganz der Anmut und Neuheit des Gedankens 
entbehren, indem sie mit eindringenderer Beobachtung eine 
sentimentale Empfind ungs weise verbunden zeigen. 

Um vom Himmel mit seinen Gestirnen zu beginnen, 
so heben sich die Helden aus dem Volksgetümmel durch 
Gestalt und Rüstung heraus wie die Sterne, die durch 
dunkleg Gewölk leuchten I, 239, vergl II, 40; der Helm 
schimmert gleich der Sonne, die in der Frühe aus des 
Oceans Fluten emportaucht II,. 1 2. 29, oder die Rüstungen 
glänzen wie der Sterne Licht, das durch das Schnee- 
gestöber hindurchleuchtet, wenn der Sturm die Wolken 
zerteilt III, 1359. Jason stürmt unter die den Drachen- 
zähnen entsprossenen Riesen wie ein Meteor, das hochher 
vom Himmel sich schwinget, strahlenden Zugs die dunklen 
Lüfte durchschneidend III, 1376; das Vliess glänzt wie 
Gewölk im rosigen Frühlicht IV, 125, und schneller als 
die Strahlen der Morgensonne entschwebt über das Meer 
die Thetis IV, 846. 

Nicht gerade sehr sinnreich wird das Armstrecken 
der rudernden Helden mit dem Längerwerden der Tage 
im Frühlingsmonat verglichen IV, 960. Wie der Sturm 
den Mast aus dem Schiffe emporhebt, so entwurzelt die 
mächtige Kraft des Herakles die Riesentanne I, 1201, vergl 
IIL 1326J die Pferde eilen dahin wie Hauche des Windes 
IV, 221; sprichwörtlich ist seit Homer die Wendung: den 
Winden lass uns preisgeben den thörichten Zorn I, 1334, 
vergl III, II 19. Hagelschlossen II, 1085, Blitz III, 1264, 



Digitized by 



Google 



80 ' 

der lang gezogene Schwall der Meerflul III, 1370, der Fels 
im Meere III, 1293, die Wiese I, 545, Waldbrand I, 1027, 
IV, 138, Waldstrom IV, 460, Bäume 1, 1003, Pflanzen III, 1398, 
Fichten und Eichen III, 1374, die zahllosen Blätter, die der 
Herbststurm von den Bäumen schüttelt IV, 219, sowie die 
meisten Tiere ^^) werden zu Bildern verwandt. 

Am interessantesten, weil einen bis dahin kaum ver- 
nommenen Ton anschlagend, sind diejenigen Bilder, welche 
die sentimentalen Regungen einer liebenden Seele ver- 
anschaulichen sollen. Der magische Reiz 'des Sternea- 
himmels auf ein schwärmerisches Gemüt, das von Sehn- 
sucht nach dem Geliebten verzehrt wird, findet bei Gelegen- 
heit eines Vergleiches des Jason mit einem Sterne folgende 
Schilderung I, 774: 

. . . gleich dem glänzenden Stern, 
Den im neuen Gemache verschlossene Mägdlein erblicken,, 
Während er über die Wohnung empor hellfunkelnd 

heraufsteigt; 
Und in der bläulichen Luft mit holdanlächelndem 

Schimmer 
Ergötzt er ihnen die Augen 
xaC a^idt Tivavioio dt '^igog ofifiara &iXy€i> 

Auch freuet sich seiner die Jungfrau, 
Die nach dem Jüngling sich sehnt, der fern bei den 

Männern der Fremde 
. Weilet, und dem die verlobete Braut aufwahren die Eltern. 
IV, 167 enthüllt dem lieblichen Mondlicht das Mädchen 
ihre Reize: 

Sowie die Jungfrau gerne den silbernen Schimmer des 

Vollmonds, 
Der ihr von oben herab in das trauliche Schlummer- 
gemach scheint, 
Mit dem Gewanä' auffallet, dem seidenen; innen im Busen 
Lacht ihr das Herz ob des Glanzes Ergötzlichkeit. 

Well mann, 
(ßic S^ (tf-Xfjra^iv Styi^oiirivida TraQ^/^t^og aYyXriv 



Digitized by 



Google 



81 

Die Wirkung des Mondlichtes wird auch I, 1231 
hervorgehoben, wo das Anlitz des Hylas, das der glitzernde 
Schimmer des Vollmondes bescheint, das Herz der Nymphe 
Ephydatia in holde Liebesverwirrung versetzt. Doch das 
Signisikanteste bietet uns die Liebesepisode des Jason und 
der Medea im dritten Buche. Wenngleich die Liebe hier 
noch ihre Motivation durch den Mythus erhält und ein 
Werk der Kypris und des Eros ist (III, 1 14), und wenn . 
man auch eine konsequent durchgeführte Charakteristik der 
dämonisch liebenden und dämonisch hassenden Medea ver- 
gebens sucht, so bricht doch hin und wieder bei Schil- 
derung der einzelnen Phasen des Liebeslebens vom ersteh 
Erwachen der Neigung bis zum heftigsten Wogen der 
Leidenschaft eine Ahnung des psychologischen Momentes 
hindurch; namentlich in den Vergleichen des Seelischen 
mit dem Physischen. Als Medea zum ersten Mal von ihrem 
Palast den Jason erblickt, schmilzt ihr Herz in süsser Be 
drängnis, der Funke, der in ihre Brust sich gesenkt, wird 
zur verzehrenden Glut (v. 644, 772, 1018, IV, 16), die rosige 
Farbe entflieht ihren Wangen, und als sie zum ersten Mal 
ihn nahe geschaut, da lässt es ihr keine Ruhe mehr (445, 
616 fi), unduldsamer Gram umflutet schrecklich das Herz 
ihr 695: riiv d* alvwc atXrjTog In^xlvi^e x^vfj>6r äv^rj \ dsi^fjavi, 
und mit höchst charakteristischer Wendung eines in seiner 
Gesuchtheit fast beispiellosen Bildes heisst es v. 754 : 
»Leidenschaftlich stürmte dae Herz in der Brust, wie ein 
Lichtglanz der Sonne umspielt die Wand im Gemache, 
der von dem Wasser des Eimers oder des schimmernden 
Beckens widergestrahlt wird und vom Wogen der FJut.in 
schnellem Gezitter hin- und herhüpft , so auch schwankte 
von Zweifeln das Herz im Busen der Jungfrau« : 

Tivxvd öf ol xQccdifj dTTi^imv fvroüS^sv }'0^vi€v, 
i^fk^ov WC TIC Tfr ö6fji>oic iViTTcclXicai aVyXfj 
vdarog ^^aviovc^a, to d^ v^ov '^f kißriTh 
i^t nov Iv yavXcp x^yiVTai' ij d*fvü^a xal ivS^a 
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 6 



Digitized by 



Google 



82 

töX€i}] (HQoqdkiyyi Ttrcc(t<f€rat d^<Tov(fct^ 
(Sc di xal iv aTi^x^€(T(ri xiaq iXsXCl^sto xovgijg. 
Schon spielt sie mit Selbstmordgedanken und greift 
zu dem Gift hegenden Kästchen, als plötzlich wieder die Reize 
des Lebens sie lächelnd umschweben und die Todesgrübeleien 
verscheuchen — »traun, es erschien auch die Sonn'« ihr 
reizender jetzo dem Anblick als je zuvor, wenn im Geist 
sie am einzelnen prüfend verweilte 8io: diifpt d^ nadat 
d^vfjbfjdeiq ßioToio fielfjäoreg ivdaXXovTo^ 

. » xa^ Ti ol viiXioc yXvxCMV yiveT eidogaaü^ß^at 

^ TTccQoc, ei Itcov y€ voo) iTCSfJbaCsd-' exaava, 
vergl. die gewaltsame Umwandlung IV, 26. Die Liebe giebt 
ihrem Leben neuen Gehalt. Heimlich treffen die Liebender* 
sich 946 ff., Jason »dem Sirius gleich, der hellstrahlenden 
Anblicks aus dem Meere aufsteigt, aber Seuchen den 
Herden bringend — liebreizend kam der Held, doch es 
schuf ihr herbe Bekümmernis seine Erscheinung; neben 
einander standen sie hoch an Gestalt, wie Eichen und 
ragende Tannen, die gesellt auf Gebirgshöhe wurzelten 
ruhig in windstiller Luft; doch darauf von dem tobenden 
Sturm geschüttelt, regt sich das Laub mit Gebraus ins 
Unendliche; siehe, die beiden sollten genug auch flüstern 
(ifd^iyl^add-ai) bewegt vom Hauche des Eros«. Wie ab- 
sichtsvoll sind hier bis in die kleinsten Züge die einzelnen 
Vergleichungsglieder ausgesponnen und mit einander ver- 
woben I 

In holder Flamme blitzt Eros vom blondgelockten 
Haupte des Aisoniden und strömt ihr süsse Entflammung 
ins Herz 1018, ihr glühet innen die Seele, schmelzend so 
ganz, wie um Rosen der Tau vor der Morgensonne zer- 
fliesset: iaCvero di (pQ/-vac sVfftß 

Ttjxofj^Vfj, otov T€ nsql ^o6ifi(Siv iiqdi^ 

T^xetai ^(pot(f$v iaivofiivfj fpaisaaiv^ 
Und wie sie von ihm geschieden ist, merkt sie nicht 
der Umgebenden Nähe, denn ihr schwebt der Geist hoch 
über der Erd' in den Wolken 1150: 

(j.>vxri yäq v€^^€(t(ti fJtiraxQov^ nsjroTf^To- 



Digitized by 



Google 



83 

Sie entflieht mit Jason, schwankt zwischen Liebeswonne 
und banger Ahnung künftigen Betruges und Heimweh hin 
und her, »fern und verwaiset schweb' ich nun über das Meer 
mit den traurigen Halkyonen« IV, 362: TfjX6&i d'offj 

XvyQ^div xard tvovtov dfji' dXxvopsaai fOQhv^ai» 
Doch immer wieder zünden wie Blitze die Blicke des 
Jason in ihrem Busen 697, 728; aber »reines Glück wird 
nicht dem zu Leiden geborenen Menschengeschlechte« 1164. 
Mit dieser schwermütigen Sentenz klingt der Liebesroman 
ab. — Die Beseelungen der ^Natur sind bei Apollonios 
weniger charakteristisch; I, 880 lächelt die Wiese im Tau 
Xsifjbbav iQ(^rj€ig ydvvrai, IT, 729 wird der Wind vom Dunkel 
der Nacht zur Ruhe gebettet dv^fiow dtd xviifaq svvTid-evToc 
wie III, I195 Ttarfvxijlog yivtT al&^Q, HI, 12 17 zittern die 
Wiesen beim Nahen der Hekate und ihrer wilden Meute; 
IV, 1168 heisst es in einer anmutigen Morgenschilderung: 
»als Eos die Nacht mit ambrosischen Lichte verdrängte, 
lachte ringsum das Inselgestad' und auch fern die betauten 
Pfade -in dem Gefilde« : 

al 5* ly^Xccacav ^ioveg viqaoio ^al iqaritaaai anoad^tv 

atgamroi mdCiAV* 

Die Ortsschilderungen sind meist dürr geographisch; 
doch vergl. II, 728 der Acheron, III, 200 das Kirkäische Feld, 

III, 9*26 der Waldtempel, IV, 924 und 1696 das schauervolle 
Dunkel der Charybdis, IV, 1236 die Öde der Syrten. Die 
Schilderungen der Tages- und Jahreszeiten sind dem Homer 
nachgebildet z. B. I, 450 ^(loq dri(hoQ atad^eqov naqa^eCße- 
Tai ^fjbaQ X. T. L, aber weit ausgeführter und, wie auch bei den 
Vergleichen hervortrat, die Lichteffekte wirksam verwertend ; 
der Morgen: I, 519, 1273. 1280; II, 164; III, 827, 1222; 

IV, 1168; Nacht III, 744; IV, 1629 u s. f. Wie Euripides 
und Aristophanes auf den Flügeln der Vögel oder der 
Wolken über Erde und Meer schweben und den Blick an 
der darunter liegenden Welt weiden, so schildert Apollonios 
dirent das Panorama, das sich vom Dindymon aus den 
Helden darbietet: Thrakien, der Bosporos, Mysien, der 
Aisepos und die Nepeiaebene I, 1107 ff., oder vom Gipfel 
des Olympos aus die herrliche Fernsicht auf Land und 



H* 



Digitized by 



Google 



84 

Städte und Flüsse und Meer, über dem der Himmel sick, 
wölbt« IIT, 162 : 

. . . Soto) de noXoi dvixovift xaQrjya 
ovQ^MV riXißdtwv, xoQVfpal Xyß^ovoq, fi%C %d€Q\^e*Q 
ijtXtoq TTQoortjtftr fqeCdetai axTivstHttv- 
vfiod-i d^aXXore yaXa y^fgitfßiog adted rdvÖQedr 
ifaCvero xal noTaficSv IsQot ^ooi^ aXhne d'avti- 
axQuc, dfiqil 3^ ttowoc dv^ al&iqa noXXov 'tovti. 
ApoUonios wollte ein zweiter Homer sein; Aratos mit 
seinem Lehrgedicht über die Sterne ein zweiter Hesiodos^ 
Unleugbares Interesse bekundet er für den Wandel der 
Himmelserscheinungen, aber nur selten intensivere Wärme 
des Gefühls. Von dem das ganze All phantheistisch durdv- 
dringenden Zeus beginnen mit dem üblichen Anrufe der 
Musen die Phainomena und schildern die Stellung und Be- 
wegung der Gestirne, die in ihren Gruppen bald wie 
gewaltige Ungeheuer mit langem Schweif und mächtigem 
Kopf, bald wie ein Mann oder eine Jungfrau erscheinen. 
So wird mythisch die naQx>ivoQ als Dike gedeutet, die 
einst auf Erden wandelnd den Ackerbau unter den Menschen 
pflegte, die Geberin alles Guten — »da lag ihnen noch fern 
das garstige Meer und noch nicht schweiften ül^er die Flut 
die Schiffe, ja damals waltete noch das goldene Zeitalter«! 
So heisst es mit charakteristischem Seitenhieb auf das Meer 
(vergl. V. 291) und mit dem sentimentalen Hinweise auf 
das Zeitalter der Unschuld, »des Glückes vor aller Kultur 
und ausserhalb des Kampfes der Geschichte« ; denn als das 
eherne hereinbrach, entwich auch die Dike 134. An- 
mutiger schildert den Eindruck des sternbesäeten Himmels 
und besonders der Milchstrasse der Passus v. 469 ff., 
»wenn die wolkenlose Nacht alle herrlichen Sternbilder den 
Menschen vorführt und keines im Glänze geschwächt wird 
durch den Schimmer des Vollmonds, sondern sie alle scharf 
durch das Dunkel leuchten, dann befällt ein Staunen die 
Sinne — nfQi (pg^rag Vxero ^avficc — bei dem Anblick des 
durch den breiten Gürtel durchfurchten Himmels, traun, 
das glänzende Rund schimmert wie Milch« ydXa fiip xaliowuv* 
Wie unverhüllt bricht hier ein tiefes Naturgefühl hindurch 



Digitized by 



Google 



85 

und spricht sich in schlichten Worten aus I Auch die Diose- 
meia, der 2. Teil des Gedichtes, verraten ein wachsames 
Auge für die Vorgänge in der Luft und am Himmel, für 
den Wechsel der Witterung, die durch die Wolkenzüge 
bald heiter, bald düster gestimmt wird 832 (100) ff., auch 
V. 988 (256), 1013 (28); auf die über das Meer hinwandern- 
den und wiederkehrenden Vogelschwärme deuten v. 942 
(200), 1002 (269), 1021 (289) 1075 (343), 1098 (366); doch 
wesentlich wiegt trockene Didaktik vor. 



Die Tragödie der Zeit ist uns nur in geringen Frag- 
menten überliefert. Wie ApoUonios, malt die Lichteffekte 
in raffinierter und sinnlicher Weise Chairemon im Fragment 
14 p. 610 Nauck, in dem Öneus über Jungfrauen berichtet, 
die er malerisch gruppiert in Mondscheinbeleuchtung ge- 
sehen, nackt ruhend mit den schimmernden Gliedern, auf 
duftigem Blumenlager von Alant, Veilchen, Krokos und 
Majoran, Dass der Dichter ein grosser Blumenfreund ge- 
wesen ist, verraten auch die Fragm. 6 — 9, vergl. Theokr. 
XI, 26, Mosch., Europa 63 ff. 

• Das Monodrama Kassandra des Lykophron mit 
seiner ungeniessbaren Fülle mythologisch historischen und 
geographischen Stoffes, mit seiner pathetisch pomphaften, 
dunklen Sprache setzt die Beseelungen des überschwenglichen 
iniTcc^iog noch fort, vergLv. 877, wo die Meeresufer und 
Klippen wehklagen, und als die Seherin ihre Weissagung 
der Schicksale der Troer und heimkehrenden Griechen 
beendet, erinnert sie sich erst plötzlich v. 145 1, dass sie 
tauben Ohren gepredigt hat, dass die nixqai av^xooif dass 
das xvfia xqw^op: elg vanag dvtmXfjrtöaq | ßdi^nd xsvop ipdX- 
^Xovaa fidifvaxog xqotov. 

Die neuere Komödie wurzelt durchaus im bürgerlichen 
Kleinleben und behandelt vornehmlich Kollisionen, w^elche 
durch Hetärenliebschaften herbeigeführt werden; doch hat 
sie dem Euripides besonders das Sentenziöse abgelernt. 
Bilder sind selten. Philemon (Comic, gr. ed. maior Mein. 
IV, Beri. 1841) p. IG Ephebos fr. i vergleicht das x^*f*^' 



Digitized by 



Google 



86 

XfriSO^ai auf dem Meere mit dem des Lebens; vgl. fab. ine. 
fr. i p. 30; p. 23 Sardios fr. I, v. 7: »Zum Kummer ge- 
hören Thränen, wie zu dem Baume die Frucht« ^ Xvjtri 
6' 1/6*, wdnsQ To d^vdgov tovto xagnov, to daxqv£iv. 

P. 44 fr. XXVIII begründet den Satz »der herrlichste 
Besitz für die Menschen ist" ein Landgut« äixatoTarov 
xTtj^^ idTiV dvx^QooTrotg dy^oc, wie schon ähnlich das Land- 
leben gepriesen wurde in der mittleren Komödie von Am- 
phis III, 308 fr. I : eh^ ovy(l xQvaovv idrv n^dyiAa iQijfi(a] \ 
6 TtaTTjQ y€ Tov ^fjv €(^Tip dp&QWTroig dygog \ jitvCav T€ <fvy- 
xQvmeiv inCftvaTav fiorog' \ d&vv dl S-farQov drvx^ccg (^affovg 
y^fiov, Alexis III, 518 XXXII, Tiy$ aTQaxriyCaq riiv yewqyCuv 
TtQOTi^fjLcov. Auch Kalümachos pries das schlichte Bauern- 
leben mit seinem stillen Glück im Gegensatz zur Unruhe 
des städtischen Treibens, z. B in den ahm bei der Schil- 
derung der Einkehr des Herakles beim Molorchos, des 
Theseus bei der Hekale. 

Menanders dkutg fr. VIII p. y6 enthalten eine freudige 
Begrüssung der (p^Xfj y^, vgl. Naukleros fr. II, p. 175, auch 
er preist die Einsamkeit und das Landleben p. 207 fr. i 
der vÖQ^a^ wie p. 194 VII: 

UQ* idrlv dqeTfig xal ßCov diddoxaXog 

ilsv&^Qov ToTg ndaiv dv^Qwnoig dyqog^ 
p. 273: »es ist reich an Vergnügungen und tröstet durch 
Hoffnungen für das Schmerzliche« fr. 174: 

Tcov yemQycov ^dovfjv }%€tß(og \ ratg iXnCa^v rdXysivd 

7taQafiv^ovfi6vog vgl. p. 289 CCIV f/g* ti to mxqov 

t^g ysüoqyCag yXvxv* 

Auch p. 211 no. 2 in einem Fragment des vnoßokt- 
fjbalog stellt er das Glück, das in der Betrachtung der erha- 
benen, ewig sich gleich bleibenden Natur liegt, dem unru- 
higen, peinvollen städtischen Treiben gegenüber. 

Seine Vergleiche sind dem Meere entlehnt; p. 88, i : 
»die Ehe eine sturmbewegt« See«; p. 231 VII: »die Liebe 
packt schneller und grimmer als Wirbelwind und Wogen- 
gang« ; p. 347 (sent. 664) : »Meer und Weib gleichen sich an 
Leidenschaft«, v. 304 »eine schlimme Pflanze ist das Weib, 
doch ein notwendiges Übel«, v. 312 »Bildung ist der Hafen 



Digitized by 



Google 



87 

für alle Sterblichen«, v. 588 »der Welle des Meeres gleicht 
der Sinn der Mürrischen« ; v. 751 »auf Regen folgt Sonnen-: 
schein« xe^^mv fievaßdXXei ^ad^wg sig svöCav- Zart heisst es 
beim Sosikrates Philad, p. 591 : » ein feines , auf ge- 
kräuselten Wellen rauschendes Lüftchen, das Kind d^s 
Skeironischen Berges, führte zum ruhigen Segel mild und 
freundlich den Meerfisch« : 

Xsmri 3i xvQToZg tyyeXdiaa xv/jbaaiv 
avQu, xoQfj ^xs^Qüopog, ^yo^X? ^^^^ 
TtQoa^ye nqdwg xal xaXcog top xccv^agop. 



Der pathetische Schwung dieser Verse mag uns über- 
leiten zu der Lyrik der hellenistischen und nachhellenisti- 
schen Epoche, zum Epigramm der Anthologie. Auch 
darin zeigt sich Kallimachos als Stimmführer der alexandrini- 
schen Poesie, als Träger der literarischen Bewegung, dass 
er das Epigramm zum wesentlichsten Ausdrucksmittel der 
damaligen lyrischen Poesie an Stelle der Elegie erhobt 
Die Lyrik ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern der 
treueste Abdruck der Empfindungen und Stimmungen; in 
ihr pulsiert am vollsten das innerste Gemütsleben, und das 
kleinste Lied kann als eine Offenbarung des geheimsten 
Fühlens eine gesamte Zeitrichtung widerspiegeln. Auch 
ein schlichtes Epigramm der Anthologie vermag wie in 
einen Brennspiegel die Ahnungen früherer Epochen zu 
sammeln; und sind in diesem bunt zusammengewürfelten 
Mosaik auch manche Gedichte von massiger Technik und 
geringfügigem Inhalt neben anderen von geschickter Hand 
geformten, so kann doch auch das mittelmässige von 
kulturhistorischer Bedeutung sein, weil es den Prägstempel 
seiner Zeit trägt. 

Das Epigramm ward in der hellenistischen Epoche 
zum wahren »Gelegenheitsgedicht«, das der Stimmung des 
Momentes entquollen die Individualität des Dichters und 
zugleich den Zeitgeist verrät. Kaum könnte für das Natur- 
gefühl jener Zeit ein treffenderer Ausdruck gefunden werden, 
als in dem Epigramm, das zwar den ehrwürdigen Namen 



Digitized by 



Google 



des Äsopos führt, aber gewiss ein. recht spätes Produkt ist, 
.da es in ein »bewusstes« Naturempfinden eine pessimistische 
Idee verflicht Jac. anth. I p. 52: 

Leben, wo flieht man dich ohne den Tod ? Unsägliches 

Unheil 
Drückt dich, weder die Flucht, noch das Ertragen ist leicht. 
Schön ist, was die Natur dir verliehen, Mond, Himmel 

und Sonne, 
Länder und Stern' und das Meer, Quellen und Flüsse 

und Seeen. 
Leiden und Angst ist alles das übrige. Sendet das 

Glück auch 
Irgend ein Gut, alsbald folgt^ ihm die Nemesis nach. 

Jacobs. 
, . . i^d^a (jbiv yaQ aov tä ^pvoei xaXd, yaZa, ^ai^aaaa, 

äaiQcc^ aelfjvafrjg xvx?m xat fjeliov ' 
ralkcc d^ ndvja (foßot r« xal aXyecc . . . 
Vor allem ist auch der Epigrammen-Poesie der idylli- 
sche Charakter eigen. Immer und immer wieder wird das 
stille, behagliche Plätzchen auf schwellendem Rasen, unter 
schattigem Blätterdach, am rauschenden Bach gepriesen — 
xctXov To dfvdqov. \ d/tulccg (J' ¥(5tia€ x^fraq \ (jbakaxo)- 
taTO) x),ad^(rxcj). \ naqd (J' avrov IgfO^C^f^t | nfiyil ^iovaa 
Tr€it}^ovg' 1 1/^ «V ovv oqwv naq^Xd-oi \ xarccyoay^opTOiovro'y 
heisst es in Anakreonteum 18, v. 11 — • und diese Natur- 
eindrücke werden oft sinnig mit anderen Stimmungen ver- 
schmolzen oder bilden geradezu das Hauptthema, um das 
sich andere Empfindungen nur gruppieren» Zugleich wird 
das Interesse für das Zarte und Anmutige in der Natur, ja 
für das Kleinste in Tier- und Pflanzenwelt immer leben- 
diger; dem kleinsten Insekt schenkt der Dichter seine Teil- 
nahme, freut sich an seinem Stillleben und klagt über seinen 
Tod. Namentlich die Cikaden, Bienen und Ameisen werden 
in ihrem eingeschränkten Dasein, das dem sentimentalen 
Beobachter doch so viel Glück in sich zu bergen scheint, 
mit einer Wärme der Empfindung und mit einer Liebe und 
Innigkeit belauscht, wie es eben immer nur möglich ist bei 
einer überfeinerten, den Menschen übersättigenden Kultur. 



Digitized by 



Google 



89 

la diesen Ansclia^uungskreis gehört das Anakreonteuni »an 
die Cikade« fr. 32: 

Selig bist du, liebe Kleine, 

Die du auf der Bäume Zweigen, 

Von geringem Trank begeistert, 

Singend wie ein König lebst! 

Dir gehöret eigen alles, 

Was du auf den Feldern siehest, 

Alles, was die Stunden bringen; 

Lebest unter Ackersleuten, 

Ihre Freundin, unbeschädigt, 

Du dem Sterblichen Verehrte, 

Süssen Frühlings süsser Bote! 

Ja, dich lieben alle Musen, 

Phöbus selber muss dich lieben, 

Gaben dir die Silberstimme; 

Dich ergreifet nie das Alter, 

•Weise, zarte Dichterfreundin, 

Ohne ^Fleisch und Blut Geborne, 

Leidenlosc Erdentochter, 

Fast den Göttern zu vergleichen. Göthe. 

fianagC^ofiiv (f€, titv-il^^ \ ots öevdQ^wv in ccxqmp \ okvyrjv 

ÖQodov nentoxcog \ ßa(tiXtv(; oncog dtCdsiq x. r. A. . 
Wie zart giebt sich hier das Gefühl kund für den 
Reiz eines harmlosen, leicht befriedigten, in sich beschlossenen 
Niituriebens in seinem Gegensatze zu dem unruhigen, be- 
dürfnisreichen, menschlichen Dasein 1 Ähnlichen Genres sind 
zahlreiche Epigramme in der Authologie. So preist I. p. 169 
no. 60 die Grille der Flur, die ein Lied singt von dem 
schattigen Wipfel der Bäume herab, 

Wann heissbrennende Glut sie zu Gesängen entflammt. 

Fröhlich geleitend den wandernden Mann und sonder 

Belohnung 

Mit dem Gesang, vom Nass lieblichen Taues genährt ; 
denselben Gedanken spricht Meleager aus L p. 32 no. iii : 

rjxiietc xizvt^^ dqooi-Qoig (Trayopsifi^t iied-vdOeCg, 
dyqovofiov (JbiXnsic (lovaav iqfifAoXdXoq. 

axqa d' Itpt'Coiievoi neraXotc nqiovoySem xo)),oig 
al&{o7tt xld^€ig xqforl fi^hafia Xvqag x. t. L, 



Digitized by 



Google 



90 

in no. 112 bittet er die Muse des Feldes, in seinem Sehn- 
suchtsschmerz ihn zu trösten durch den lieblichen Gesang; 
äxQtg ifiwv dndTTjfjba nod^cop, naqafivd-iov vnvov, 

avio^vig fi^/üifjfjba IvQag, xq^xs pboC vi 7to&€tv6p . . 
Mg fi€ nopcov ^vaaio navayqvnvoio fi€Q^fivi]g . . 

vergl, II p, 141 no. 3, IV p. 207 no. 416 u. no. 419; und 
Mnasalkas I p.' 125 no. 10 klagt wehmütig über die tote 
Heuschrecke, die nicht mehr mit süsstönenden Flügeln in 
fruchtreicher Furche singen und ihn ergötzen kann, der 
unter schattigem Laubdach dem süssen Gezirpe so oft ge- 
lauscht habe, vergl. I p, 171 no. 65, p. 19a, 2; II 99, 29; 
236, 2. Die Anakreonteen fr. 9 und 25 begrüssen mit 
Freuden die Schwalbe: 

Du liebe Schwalbe kommest 

Im Sommer her und baust dir 

Ein Nest, im Winter aber 

Fliehst du zum warmen Süden. 

Doch Eros hat sein Nestchen 

In meinem Herzen immer u. s. f. 

(tv fiiv ^CXfi xsXidov I itfjüf^ iioXovca \ d'iqei, nX^xsig xaXi^r. 
• X€iiJb(avi d*elg ä^arrog | ^ NslXov ^ 'nl Mi^itpiv x, t> i. 

Jn der Anthologie II p. 23 no. 63 wird die Schwalben- 
mutter, welche die zarte Brut sorgsam unter den Flügeln 
hütet, gepriesen und bedauert, als die tückische Natter die 
Jungen aus dem wärmenden Nest geraubt hat. Auch sonst 
spricht sich bei den Griechen die Wonne über die Wieder- 
kehr des Frühlings in herzlicher Begrüssung der Schwalben 
aus, wie in dem Rufe &qa via, xeXtdmv Aristoph. equ. 419, 
Simon, fragm. 74; und die Kinder in Rhodos zogen im Monat 
Boedromion mit einer nachgebildeten Schwalbe in der Hand 
vermummt von Haus zu Haus, um Gaben einzusammeln, 
und sangen das Schwalbenlied : 

Die Schwalbe, die Schwalbe ist wieder da! 

Willst du die Schwalbe erblicken? 

Sie ist weiss am Bauche und schwarz am Rücken. 

Bald ist auch die schöne Jahreszeit da: 

Die Schwalbe, die Schwalbe ist da! . . . 



Digitized by 



Google 



91 

'^Xd'' ijX&e xB^jb^iAv I xaJ.dg tSgag ayoviSa | aalovg 
ipiavTovgf \ sul yai^xii^a ktvKcc, \ Inl V(oca (jb^kaiva . . 
Bgk. m, S. 131 1. 

Sehr niedlich wird im anakreont. 14 die Taube als 
Liebesbotin und in ihrer Anhänglichkeit an den Dichter 
geschildert, dem sie lieber dienen will, als über Berge und 
Felder fliegen und auf den Bäumen sitzend nach wilden 
Früchten suchen. Auch in der Anthologie findet sich man- 
ches sinnige Liedchen über das Leben der Vögel und 
anderer Tiere : an die Amsel II p. 273 no. 28 : Nachtigall, 
^Q auf einem Delphin über das Meer reitet II, p. 204, 32 ; 
Rabe II, 85, 21; Möwe I p. 256, 2; Rebhuhn I p. I37,'4J 
Henne II, 118, 12; Hahn I, 132, 11; ferner an die Biene, 
die Verkündigerin süssblühenden Frühlings^ die sich mit 
taumelnder Lust unter den Blüten berauscht I p. 183, 7 ; 
^^> I09) 53; 144, IS; Ameise II p. 38, in, p. 216 no. 73; 
an den Frosch, den Aöden im feuchten Geröhr, I p. 194, 8; 
Polyp und Adler II p. 107 no. 44, Polyp und Hase II 
p. 141, 2; ferner an die Maus II, 160, 21 u. 22, II, 256, 9; 
Hirsche II, 122, 15, Hase IV, 206, 417; Löwe II, 176, 12. 
Unter den Blumen wird auch in den Anakreonteen 
besonders die Rose gefeiert, »als die Freundin der Fest- 
gelage, als der Frühlingsschmuck der Grazien , als der 
Musen Lieblingsblume und die Lust der Lieder, die ein 
Balsam dem Kranken ist und jedes Menschenherz mit ihrem 
Duft erfreut, da die Götter selbst das erste junge Reis köst- 
licher Rosen mit Tropfen von Nektar befeuchteten«, 

fr- 42, 53» 54 

In recht moderner Weise macht die Lokrerin Nossis 

I p. 127, I die Rose zum Symbol der Liebe: 
Nichts ist süsser als die Liebe, spricht 
Nossis; alles andVe muss ihr weichen. 
Kann sich selber doch der Honig nicht 
Mit der Lieb' an Süssigkeit vergleichen. 
Wem ein Kuss von Aphrodites Munde 
Nicht geweckt der Liebe süss Verlangen, 
O, der hat. gewiss noch nicht die Kunde 
Von der Rose süssen Duft empfangen. Brandes, 



Digitized by 



Google 



ädtov ovdkv fQ(OToq . . Tirvd 6* d KvTtQic ovx ^ff^Ckacfi^h 
ovx otSav T'^vaq av&Ba noXa ^oda* 

Unter den Bäumen wird mit grösstem Enthusiasnaus 
immer wieder die Platane gepriesen, »die mit ihrer üppigen 
Fülle immergrünen Laubes und der wohlgefälligen Form 
ihrer Blätter Anmut und Würde in edlem Gleichgewicht 
verschmilzt«. So ehrte selbst ein Xerxes eine Platane bei 
Sardes, indem er seine Scharen auf dem Kriegszuge nach 
Hellas drei Tage lang rasten Hess, ihr eine Ehrenwache aai 
den auserlesensten Kriegern stellte und beim Abzüge sie 
mit goldenem Schmucke beschenkte (Herod. VII, 31). Von 
einer anderen berühmten Platane auf Kreta berichtet Plirt. 
H. N. XII, 9 ff., die auch in der Anthologie gefeiert w?ird 
II p. 213 no. 64: vom Sturm geknickt wird sie mit Wein 
getränkt und so konserviert; sonst vgl. II p. 16, 38; p, 150> 
4, etc.; Eiche II p. 157, 12, Fichte IV p. 198, 383 u. 3^4i 
Epheu II p. 207, 45, Lorbeer II p. 106 no. 40, 

Alle diese Epigramme, in denen mit sinnigem Verstand- 
nis und mit lebhafter Empfindung das Grünen und Wachsen 
und Ranken der Bäume und Pflanzen eingehend geschildert 
wird, lassen uns erkennen, wie aus den früheren Gleich' 
nissen, die mehr oder weniger nebensächlicht; Ornamentik 
bildeten, sich selbstständige Genrebildchcn von idyllischem 
Kolorit entwickelten. Während jedoch diese Epigramme 
vielfach durch Monotonie ermüden, bieten andere gar manche 
charakteristische und interessante Empfindungsweisen, welche 
sich als weiter führende Glieder in die Kette früherer An- 
schauungen einfügen und noch näher zum Modernen uns 
hinieiten. Wir folgen der Reihenfolge der Dichter, wie sie 
Jacobs bietet. — Wie Theokrit und Moschos ihre Freude 
darin finden, vom Ufer auf das blaue Meer zu blicken, 
so singt auch Anyte I, 131, 5, Aphrodite freue sich, von 
dem Festlande über des Meeres strahlenden Spiegel zu 
schauen, günstige Fahrt den Schiffenden sendend, denn die 
Meerflut fürchte der Göttlichen Macht, aufblickend zu dem 
schönen Götterbilde — novrog \ dstiiaCvei,, Xmaqov de^xo- 
fisvog ^oavor, in no. 7 mahnt *die Dichterin mit anmutiger 
Beseelung des in den Blättern säuselnden Windes, den 



Digitized by 



Google 



93 



Fremdling, daselbst zu rasten unter dem schattenden Fels: 
»hier in dem grünen Gezweig plaudern die Lüfte so süss« 
dSv Ti iv %Xmi^04^ ftravfia &qo(i nsvdkoK;, und aus dem 
kühlen Quell das erquickende Wasser zu trinken. 

In solch idyllisches Behagen an traulichen Plätzchen 
mischt sich bei den meisten Epigrammen- Dichtern eine 
erotische Stimmung. Die mittlere und neuere Komödie 
geben uns ja ein deutliches Bild, wie üppige Wurzeln das 
Hetärfenwesen allmählich in Griechenland geschlagen hatte, 
wie wenig von der alten Einfachheit und Zucht der Sitten 
übrig, geblieben war ; aber bei dem gewaltigen Umschwung, 
den alle Verhältnisse des socialen Lebens im Hellenismus 
erfuhren, griff die Emancipation der Frauen immer mehr 
um sich, und obgleich wir von der Freiheit und der im 
gfiechischen Leben bis dahin unerhörten Selbstständigkeit 
intriganter und koketter Fürstinnen nicht zu weite Schlüsse 
ziehen dürfen für das einfache Bürgertum ^'^), so ward doch 
das Köurtisanenwesen zum Angelpunkt aller Vergnügungen 
der jeunesse doree. Die oft feine Bildung mit sinnlichem 
Reiz verbindende Hetäre ist der stete Gegenstand leiden- 
schaftlicher Liebe in den Epigrammen, ihr dient der Dichter 
liiit »frivoler Sentimentalität« in seinen galanten billets doux 
und preist ihre Reize und das Glück, das sie ihm gewährt, 
mit üppigster Phantasie und raffiniertester Sinnenglut. So 
besonders Asklepiades von Samos, der ein echtes dich- 
terisches Talent in seinen von wahrer Empfindung durch- 
glühten Gedichten verrät. Wohl sind sie nur leichte Ware, 
aber vom Momente eingegeben zeichnen sie sich durch 
Frische und Lebendigkeit aus. Wie ein Heine tändelt er 
mit dem Weltschmerz (no. 8), sucht den Volkston nicht 
ohne Glück in einem niedlichen Gedicht, das wir »die 
Verlassene« betiteln könnten, zu treffen (no. ii), doch am 
meisten regt ihn seine Liebesleidenschaft zum Dichten an, 
die er oft treffend mit der Stimmung in der Natur paral- 
lelisiert. Im Dunkel der Nacht stiehlt er sich zu seiner 
GeHebten* doch die Thür ist verschlossen, Regen und Nacht 
und die Liebessehnsucht, sind seine einzigen Genossen, 
ein kalter Boreas weht um seine liebe- und weinerhitzte 



Digiti 



zedby Google 



94' 

Stirn y>o Zeus, o lieber Zeus halt ein (iatfy'fl^ov) , hast dih 
doch selbst zu minnen verstanden« I p. 148 no. 19, vergl. 
no. 23; und mit prometheischen Trotz und Learschem 
Pathos ruft er no. 26:^^) 

Schleudre nur Hagel und Schnee und hülle den Himmel 

in Nachtgraus, 
Blitz' und senke den Schwall dunklen Gewölkes aufs 

Land. 
Wenn du mich tötest, o Zeus, so rast' ich dir, lässt 

du mich leben, 
Folg' ich der Liebe Beruf, wenn du auch heftiger tobst. 
vl^€, %aXa^oß6Xei, noCei (Txotoc, ald^€, xegaifvoi^ 
TtavTa TCc TtoQffVQoyr^ iv /-d-ovt vets vifpfi* 
Seine Devise gleichsam ist in no. 20 ausgespi^öchen : 
»Süss ist für den Dürstenden ein kühler Trunk zur heissen 
Sorximerszeit, süss ist's dem Schififer, wenn er nach dem 
Sturm heimkehrt, Frühlingskränze zu schauen; doch das 
Süsseste ist — heimliche, alles Verlangen stillende Liebe«. 
Höchst sentimental heftet er thränenbetaute Kränze an die 
Thür der Geliebten no. 4 und bittet die Blumen ^^), nicht? 
zu schnell zu verblühen — 

Doch tritt mein Liebchen uhter ihre Thür, 
Dann regnet nieder, Thrähen, für und für! 
Und trinkt ihr blondes Haar die Flut der Thränen, 
(So denkt sie wohl an meines Herzens Sehnen.) 

Brandes 
. . avä^a^^ vTieq x6(faX^g ifiov vevov (!), wc av Sfieivor 

«7 l^av&ri ys xofjLJj ddxQva räfid nttj. 
Das Meer ist auch ihm das 'rauhe, gewaltsame; no. 
38: »acht Ellen halt dich entfernt ,. unwirtliches Meer, und 
brülle, rausche, so viel du vermagst« xvfiaive ßoa S-'^k^xa 
aoi dvvafjbig . . vergl. I, p. 211 no. 4. — 

An das Idyll erinnert uns wieder Leonidas v. Taren t, 
der für Pyrrhos gedichtet haben soll; I, p. 164 no. 39 lädt 
er den Wanderer ein, auf der rinderbeweideten Höhe sich 
zu lagern unter der Fichte, dem Ruheplatze des Hirten, 
wo durch den Felsen der rauschende Bach sich ergiesst, 
kühler als der Schnee des Boreas fvQi^üeic xtXaQv^ov fv- 



Digitized by 



Google 



95 

3(0ijv0V did 7t^^^^ l'väfMJC, BoQiia^g ipvxQoraQov viffctdoc, 
vergl no. 58, 6O5 98 und Nikias no. 4, I p. 182; Xl^sv vn 
alysi^tiUVj iT^el xdfteg, ivO^dd' oötra, \ xal nie 4^aa<Sov Iwv 
nCdaxoq afjber^^ag x.t.X», Nikainet. no. 3, I p. 206: »Nicht 
in der Stadt, in Heras Hain zu schmausen, gelüstet mich. 
Des Westwinds Säusehi zieht ins Freie 'mich. Am h*ebsten 
mag ich hausen auf niedrer Streu, wenn rings der Frühling 
blüht« . . 

ovx id^^kwy 0iX6^fjQ€j xavd nrohv^ aXi! lii* aqovqric 

8aCvv(t&ai x. t. A. 
So singt auch Pseuda-Platon I p» 105, 13: 

In dieser Pinie Schatten setz' dich nieder 

Wo flüsternd weht ein leiser Hauch aus Westen! 
. .Und horchst du auf das Säuseln in den Ästen, . . 

Naht holder Schlummer deinen Augenliedern. 

vtpfxafjLov na^d Tccvds xa^t^eo (poov^saaav 

ffQC(Soov(Sav Ttvxivoiq xcofjbov vno ^eipvQoiQ, 
Vergl. IV p. 171 no. 259 u, 260 . • 

Von anmutigem, idyllischen Charakter ist auch das 
Pseudo-Platonische Epigramm no. 14 auf Pan: 

Schweigt, ihr Höhen, Wohnsitz der Dryaden, 

Springquell, lass dein wildes Rauschen sein! 

Denn des Gottes Flötentöne laden 

(Berg und Thal zur Ruhe ein). Brandes. 

aiyccTco Xd(^iop d^vddwv Xinag^ oll % dno n^Qag 

xQovvot xal ßXfjx"^ notdvfjbiyfjc Toxddcov . . « — 
Doch Leonidas weiss auch andere Töne anzuschlagen, 
als nach bukolischer Manier lauschige Waldplätze zu preisen, 
die den Wanderer zum süssen Träumen auffordern. Dem 
Himmel entlehnt er das hübsche Bild p. 166, no. 49 »An 
Homer« : 

Wenn auf feurigem Wagen die Sonn' an dem Himmel 

hinauffährt, 

Schwinden die Sterne dahin, und es erblasset der Mond, 

Also erloschen vor dir, Melesigenes, Scharen der 

Sänger, 

Als du das strahlende Licht himmlischer Musen erhobst. 

Jacobs. 



Digitized by 



Google 



90 

aotqa fiiv ^fiavQtö(f€ xal h^d xvxla (fsl^Vfig 

al^ova öiv^ffag f/jtnvQog ^Xiog. 
vfivoTTolovg ö'dyekfjdov dni^naXdxyytv ^'OiMfiqog^ 
XafATtQorarov Mov(s£v ^fyyog dvacxofievog. 
Ein reizendes Frühlingslied fordert auf, die Anker zu 
lichten, no. 57 p. 168: »Die Fahrt ist günstig! Die ge- 
schwätzige Schwalbe hat sich aufgemacht und der anmutige 
Zephyr; die Wiesen blühen, besänftigt hat sich das Meer, 
das im Wogenschlag, im Windesbrausen rauschte. Nun 
hebe die Anker! Nun löse die Ketten, o Schiffer«! 
nXoog (oqaTog' xal ydg Xalaysutta x^^*<J«^ 

fjöi] fjb^fAßXwxfv X(ß XCtQCeig ZiifVQog. 
XsifJbwvBg d'äv&evcfi, (tföfyfjxev df d-dXccCGa 
xv(Jba<n xal xQrjxel Jtvsvfiazi ßqaoöoiiipfi, 
dyxvqag dviXoio xal IxXvttaio yvaia \ %'av%(Xi . . 
Eine neue Form des sentimentalen Verwandlungs- 
wunsches bietet Rhianos v* Bena auf Kreta, der be- 
sonders die Knabenliebe zum Motiv seiner Gedichte macht. 
Als der geliebte Dexionikos unter der grünen Platane eine 
Drossel fängt, klagt seufzend der Dichter: »O Eros und 
ihr blühenden Charitinnen, wäre ich doch ein Kraramets- 
vogel oder eine Drossel, auf dass ich in seiner Hand sänge 
und weinte!« 

afrjy xal x^xXfj xal xoCifi^^og, dg av ixsCvov 
iv x^^Q^ ^«* (fv^oyy^v xai yXvxv ddxqv ßdXva, 
Noch sentimentaler wünscht Pseudo-Platon I p, 102 no. i : 
Schaust du zu den Sternen auf, mein Stern, (!) 
Wünsch' ich eins mir nur: ich möchte gern 
Selbst der Himmel sein» Ich sähe dann 
Dich mit vielen tausend Augen an. 
d(TT^Qag fl(tax^Q€£g darriQ Ifiog ' sl'&e y€Vo(fifjp 
ovQavog't cog noXXolg ofjtfjbaaiv slg (t€ ßXi7i<o\ 
Den Knaben Empedokles rühmt Rhianos als herrlicher 
denn alle seine Gespielen I p. 130 no. 3: »gleichwie unter 
den übrigen Frühlingsblumen die herrliche Rose erglänzt« 
^odcsov fr aXXoig ap&taip eiaQivolg xaXov i'Xafiiffe ^oöov. Das 
Genre des Asklepiades pflegt Sosipatros noch frivoler 
und kecker (I p. 255, i u. 2!); vom Meere oder von der 



Digitized by 



Google 



97 

Rose entnimmt er seine lasciven Bilder, oder »die Augen 
des Mädchens flammen zitternd auf, wie die Blätter im 
Winde« lytk« nvevfiaTv ^vXXa, oder es locken ihn in no. 3 
die rosigen Lippen des nektarischen Mundes, die blitzenden 
(äarqdmovaai) Augensterne und die blendende Brust xal 

TtvoTeQoi xdXvxeg* Antipatros v. Sidon, der nach dem 
Muster Piatons das literarhistorische Epigramm besonders 
kultiviert, kündet z. B. ewigen Ruhm der Erinna no. 47 
II p. 19, »die nimmer von dem schattenden Flügel dunkler 
. Nacht werde verhüllt werden«, d. h. nimmer ins Meer 
der Vergessenheit sinken — no. 98, v. 5 — _, denn »besser 
fürwahr als der Dohlen Gekrächz', das in Wolken des Früh- 
lings ausschallt, tönet des Schwans kurzer melodischer Sang«, 
vergl. no. 76 auf Anakreon, den Teischen Schwan, Sinnige 
Worte leiht er no. 38 der von Wein umrankten Platane: 
Meinen vertrockneten Stamm umranket des blühenden ^ 

Weinstock 
Laubwerk ; fremdes Gelock (odysCri . . xo^irf) schmücket 

des Platanos Haupt, 
Der ich in meinem Gezweig mostschwellende Trauben 

ernährte; 
Selbst nicht minder als er reichlich mit Laube geschmückt. 
Möchte doch solchen Genossen hinfort sich jeglicher 

aufziehn. 
Welcher den Toten soger Liebe mit Liebe vergilt 

Jacobs. 
Mitempfindende Klage legt er der Natur bei II p. 35 
no. 99, wenn er den Schmerz des Königs Rolemäos und 
seiner Gattin über den Tod des blühenden Sohnes also 
schildert; 

Schmerzerfüllt auch rauft sich das Haar die erhab'ne 

Aigyptos, 
Und Europens Gefild tönet von Klagen umher. 
Auch umdunkelt der Schmerz Selenens strahlendes 

Antlitz, 
Und von dem himmlischen Pfad fliehen die Sterne hinweg, 

Jacobs. 

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 7 



Digitized by 



Google 



98 

a fieyccXa- <J' Aiyvntog lav cokoipato iccCvav 

xal nXuTvq EvQomag i(tTovd%rfi€ öofioC' 
xat d' ccvrd did rt^pO-oq d(JbavQwd-€l(fa ^eXdra 
u(tvQa xal ovqavCaq d&VQaniTovg ^Xmev. 
Eins der schönsten Epigramme ist uns von dem 
Astronomen (?)Ptolemäos überliefert II p. 65 no. 2. Schon 
in früherer Zeit priesen die Dichter des Menschen Erhaben- 
heit über die Natur, wie Sophokles, oder ihre stets sich 
gleich bleibende, hehre Schönheit gegenüber dem rastloseii 
Treiben der Menschen, wie Menander, oder ihre Pracht 
und Ordnung, die auf ewige Mächte hinweise, wie Aristoteles, 
hier giebt der Dichter dem Gefühle Ausdruck, das uris 
beim Anblick des sternbesäeten Himmels andachtsvoll be- 
schleicht, jenem Gefühl des Erhobenwerdens über d?e 
irdischen Schranken! 

Staub nur bin ich — ich weiss es — ein Sterblicher, 

aber betracht' ich, 
Sterne, den kreisenden Lauf eurer verschlungenen Bahn, 
Dann o ! glaub' ich die Erde nicht mehr mit dem Fuss 

zu berühren, 
Sondern am Tische des Zeus nehm' ich ambrosische Kost. 

Jacobs* 
oW oTi Svaroq lyco xal i^dfiegog * dkX' orav aOtQwv 

fiaöt€Vco Ttvxivdg dfjb^iÖQOfjtovg iXi^xag, 
ovx €t' inixpavtß noal ya^fjg, dkkd naq^ avtco 

Zavl &€OTQofffig nC^nXaiiai diAßqoaCrig, 
Wird man nicht an Göthes »Gränzen der Menschheit« 
oder an seinen »Ganymed« erinnert? Ist es dann noch 
wahr, was Hess S. 29 sagt: »Kaum jemals findet man 
bei den Alten den in neuerer Dichtung so oft vor- 
kommenden Aufschwung von der Empfindung der Natur- 
schönheit zu der Empfindung der Liebe zur Gottheit, jenes 
innere Erzittern der ganzen Seele in dem Gedanken an das 
Ewige«, oder was Rohde S. 511 sagt: »Auch der späte 
Grieche weiss nichts von der gänzlichen Entrückung aus 
der Menschenwelt durch die Übermacht eines gewaltigeren 
Lebens in der nach eignen grossen Gesetzen wirkenden 
Natur« ! } Ptolemäos spricht hier in prägnanter Kürze aus, 



Digitized by 



Google 



99 

was ein moderner Naturforscher ^^<^) also ausdrückt: »Das 
Licht, womit die Sterne vom Himmel strahlen, wird uns 
doppelt bedeutungsvoll bei der Dunkelheit der Erde ; gerade 
dies, dass wir nichts von allen den Gegenständen sehen, 
die uns an die einengenden Verhältnisse des Alltaglebens 
und alles das Vergängliche erinnern, was sonst sich in un- 
serer Umgebung geltend macht, lässt die Seele sich erweitern 
und schärft den Sinn für das Licht aus einer höheren, 
grösseren, minder veränderlichen Welt* Unter dem klaren, 
milden, nie blendenden Sternenlichte . , haben wir ein Gefühl, 
als ob Licht und Leben und Glückseligkeit nur dort in der 
F^rne sei, aber Dunkelheit, Tod und Schrecken hienieden«. 
r— Eine sinnliche Mondscheinpoesiö* begegnet uns in den 
Epigrammen des Philodemos, wie II p. /£ no. 7, wo er 
die hellglänzende, nächtliche Selene auffordert, freundlich 
ins Fenster hinein ihr Licht zu senden und mit ihren gol- 
denen Strahlen die liebliche Kallistion zu übergiessen ; pikant 
ist Bild, und Idee verwoben in no. 15, das eine ganz junge 
.Schöne besingt: 

Noch zwar birgt von dem Kelche bedeckt sich die 

Blume der Jungfrau, 
.Unter dem Schatten gepflegt, färbt sich die Traube 

noch nicht; 
Amor wetzet indes die geflügelten Pfeil' auf dem 

Schleifstein, 
Und in dem Innersten glüht schweigend der wach- 
sende Brand. 
Fliehen wir Jünglinge ! . . . Gleich lodern die Flammen 

empor» 
ov7i(o (toi xalvxmv yvfivov x^^Qog ovdi fiela^rsi 
ßoTQvg Ttaq&svCovg nQiaroßoXcop yi^dq^Taq x. t X. 
Des Philodemos Landsmann und — vielleicht älterer — 
Zeitgenosse war der berühmte M e 1 e a g e r , der griechische 
Ovid. Ein echter Sohn seiner Zeit und speziell seiner 
Vaterstadt, führt er uns in anschaulichsten Zügen das üppige 
Leben von Tyros und Sidon vor Augen und zeigt uns, wie 
auch nach Phönizien die verfeinerte, komplizierte und blasiert 
sinnliche Kultur des alexandrinischen Hofes gedrungen 

7* 



Digitized by 



Google 



10 

war; zugleich ist er der interessanteste Repräsentatit des 
Entwicklungsstadiums, in dem sich gegen das Ende des 
ersten Jahrhunderts v. Chr. das Naturgefiihl befand. Seine 
Epigramme sind zierliche, lose, tändelnde Liedchen, doch 
von echt dichterischer Begabung und durchaus moderner 
Denkart zeugend. Gleich das Eingangsgedicht, mit dem 
er seine Anthologie eröffnete, Jac. I, i bekundet seine leichte, 
spielende Manier; einem reichen Blumenkranze vergleicht 
er seine Liedersammlung, in den Dichterinnen wie Sappho, 
Anyte und Meuro Rosen und Lilien geflochten, und in dem 
Narzissen mit Weinlaub, Krokos, Hyazinthe mit dunklem 
Lorbeer und Epheu und dem »Haare der Fichte, Platanen- 
zweige mit Nussbaumftrauch u. s. f. sich paaren. Eine 
gleiche Spielerei ist no. 2 mit dem »Kranz des Seelen- 
betruges« ifjvxccTtdTfjg miqtavoc, den Eros ihm in Gestalt 
von schönen Knaben gleich Lilien, Levkojen, Rosen, Wein- 
reben u. s. f. gewunden habe. I p. 5 no. 7 klagt der Ver- 
lassene, ein günstiger Fahrwind habe ihm sein halbes Leben, 
den Andragathos, geraubt: »dreimal selig preis' ich^^^) die 
Schiffe, dreimal selig die Wellen des Meeres, viermal selig 
aber den Wind, den knabenentführenden, o war' ich ein 
Delphin und könnt' ich ihn auf meinem Rücken über das 
Meer hintragen gen Rhodos, dem an holden Knaben so 
reichen« ! 

tld^ sYfiv dsX^Cq, Xv'i^oXq fiacPtaxTog In äfjiotg 

7rQ0x^fi€v&€tg laCdri rdv yi.vxv7taida "^Foöov* 
Sein Liebesleben dünkt ihm selbst eine Meerfahrt 
no. 49, bei der Aphrodite die Schiffspatronin und Eros der 
Lenker des Schiffs ist, mit den Händen haltend das Steuer- 
ruder seiner Seele; die Wellen erregt die gewaltig stürmende 
Sehnsucht, während der Dichter schwimmt im Meere der 
Knabenliebe : 

KvTtQic ifioi vavxXfjQoc, Eqodc d' ofaxa <pvXcc<ia€i' 
axQov f^Mp ipvx^Q iv x^Q^ Ttfjdakiov, 

xv^aCvsv d'o ßagv Ttvsvaag nod'og, ovvexa di^ vvv 

na^tpvXco naCdoav vtjxofJtcci iv nsXccysi. 
Dies sinnreiche Bild hat ihm selbst gefallen, es kehrt 
häufig wieder ; so treibt ihn no. 45 beim winterlichen Sturm 



Digitized by 



Google 



101 

di^ bittersüsse Liebe (ylvxvddxqvg fgcog) zum Myiskos, die 
Sehnsucht ist wieder der Sturm, der den Schiffer auf den 
hoch gehenden Wogen des Meeres der Kypris hin- und 
herwirft, und er bittet um Aufnahme in den rettenden Hafen : 
KVfkaCvsi di ßaqv TtvsvfSaq nod'oq' dXXa ^' iq oQfior 
S^^aif top vavvfiv Kvnqtdoq iv TtsXdyei. 
So ruft er auch no. 67 p. 21: 

Das Meer der Liebe hegt nur bittre Wogen, 
Der Sturm der Eifersucht braust fort und fort, 
Und schon kommt ein Orkan heraufgezogen, 
Das Schiff ist ohne Steuer, fern der Port. 
Und doch soll ich dem Meer der Liebe trauen? 
Werd' ich nochmals der Scylla Strudel schauen? 

Brandes. 

xvfia To TtiXQop iquaroq, dxoC^rjToC t€ Jtv^ovrsq 

^7JXoi>j xal xcofioov x^^f^^Q^^'^ niXayoq^ 
Ttol (piQOfiai; TvdvTfj da y)Q€V60V oVaxsg d^pslvrai, 
^ TtdXir Tfjv TQvtpsQfiv 2xvXXav inoipofjbs&a, 
vergl. das lascive no. yy p. 23. 

Nicht neu, aber originell im Ausdruck, ist das Bild 
no. 15 p. 13: »beim Eros! Zarte Knäbchen nährt Tyros, 
doch Myiskos hat als aufleuchtende Sonne alle die Sterne 
gelöscht« 

dßQovg val top ^EQcora rqifpBi TvQog, dXXd Mv'l'(fxog 

iGße(tev ixXdfjbtpag da^iqag ^^Xiog* 
An Theokrit erinnert no. 44, v. 6 : »wenn du, Myiskos, 
in Wolken hüllst deinen Blick, so ist's für mich Winter, 
wenn du jedoch freundlich blickst, so blühet lieblicher 
Frühling« : 

^v gMi avvvsipig o^fia ßdXrig nori, ^Bifia 8i8oQxa* 

fjv 8' IXaQov ßXixpfigy ^8v t^&tiXsv ^ag. 
In den auf die Mädchenliebe bezüglichen Epigrammen 
kehrt der Vergleich vom Liebesmeere wieder no. 69 p. 22 : 
»die vielgeliebte Asklepias ladet mit den hellblickenden 
Augen gleich der Meeresstille alle zur Liebesfahrt ein«, 

a^CXsQwg %aqo7toXg ^AdxXi^nidg ola yaX^pfjg 
o^fiaai 0VfmeCd'€i ndr^ag iQamoTtXottv- 



Digitized by 



Google 



102 



SeV ich dieser Augen blaue Tiefe, 
Treuer Liebe freundliche Gewähr, 
Ist's, als ob zur Fahrt mich Eros riefe 

Auf ein stilles, blaues Meer. Brandes. 

Die Epigramme auf Demo enthalten anmutige »Wächter- 
licder«, doch mit dem Unterschiede von den mittelalter- 
lichen, dass bei Meleager der Wächter der Hahn ist, der 
zu früh ihm und der Geliebten den Tag kündet no. 72, 
oder Helios, der sie mit seinem Morgenstrahl bescheint und 
den er bittet, seinen Lauf zu wenden und wieder zum Hes- 
peros zu werden no» 81^^^); in no. 82 schilt er ihn saum- 
selig, da er so langsam sich drehe, nun da die Demo einen 
andern genösse, während er sonst, als in seinen Armen sie 
ruhte, immer so plötzlich sein höhnendes, schadenfrohes (!) 
Licht auf sie geworfen habe — coq ßäXXwv In ifiol cpcog 
enL%ai>Q^xaxov ! 

Tändelnde naCyvia sind auch die Zenophila-Lieden 
Wie die Schiffe, die gen Kos fahren, no^ 80, macht er 
no. 90 die Mücke zur Liebesbotin, die Süsses dem schlafen- 
den Mädchen zuflüstern soll, aber warnt no. 93 die dreisten 
Tierchen, die den Schlummer Zenophila's stören und sich 
freuen an der wärmenden Nähe der zarten Gestalt des 
tqv^€q6v S^dXog no. 88. Ihre Schönheit überstrahlt die 
Blumen des Frühlings und die im freundlichen Grün lachen- 
den Wiesen no. 92: 

Sieh', die Levkoje blüht, im feuchten Moose 

Blüht die Narzisse und die Lilie blüht; 
Doch seit Zenophila, die üpp'ge Rose, 

Der Blumen Blume, duftend süss erglüht, 
Lockt mich umsonst die Flur im Blumenkranze, 
Mir lacht mein Lieb in hold'rem Schönheitsglanze. 

Brandes. 
ijd'T] Xevxov Top %)'dXX€v, ^dXXat. 8k (p^kofjtßQog 

vdqxiaaoQi ^dXket' SovQtddpotTa xqCva. 
fidri iy (filiqaatoc, Iv avd-cdiv wqi/jlov avS^oCj 

Zfjvo(f>(kay 7ihi>^ovq '^Sv T^x^-fjXe ^oöop. 
Xe^fidovsg, %C /jtdTaia xofiaig Im (paiögd yeXäre; 
d yaQ ncüg xQ^acoav dSvnpocop aTt^dpcap. 



Digitized by 



Google 



ao3 

Die schönsten ßliunen sendet er seiner Heliodora mit 
dem zierlichen Liedchen no. 105, in dem er sie auffordert, 
mit dem Kranze das liebliche Haupt zu schmücken : 

Wird er Heliodoras Haupt umwehen, 

Wird sie ganz in Duft und Blüten stehen. 
.; mg dp ^7j| XQOTci^oig (AVQoßozQVog "^HXioöooQag 

€V7iX6xafAov xaCxriv dvd'oßoXri (fT^^avog, 
Mit fein pointierter Antithese heisst es no. 104: 

Zwar vertrocknet ganz und gar 
. , Ist der Kranz in Heliodoras Haar, 

Doch sie strahlt- in ihrem eignen Glänze 
^^, . Und. dient selber so dem Kranz zum Kranze. 
; , . o dvifpavog tisqI xQarl (laqaCvtxai^ ^HXiodooQag' 

av€^ d'ixkd^jtei rov (Tr€(fdvov mifpavog^ 
Und als er nach durchschwärmter Nacht in sehn- 
süchtigem Gedenken an das ferne Mädchen den Kranz, 
dar ihr Haar geschmückt hat, erblickt, ruft er no. 98: 
, . Mische, wenn du wieder füllst den Becher, 

Heliodoras Namen mit hinein! 
,. Winde mir ums Haupt den Kranz, dem Zecher, 

Den sie gestern mir gereicht beim Wein! 

Doch die Ros' im Kranze scheint betaut, 

Wie von Thränen. O, sie hat Erbarmen, . 

Weinet, dass sie heut' in meinen Armen 

Nicht die süsse Heliodora schaut. Brandes. 

. . daxQvei ^iXiQaCrov Idov ^odoVj ovvexa xsCvav 

akkoS'i xov xoXnotg ^fjtev^Qoi^g icfoQa* 
In ihrer Reflektiertheit sucht diese sentimentale Beseelung^^^^) 
ihresgleichen; minder gesucht ist in no. 108 der Zorn des 
Eifersüchtigen auf die Biene, welche die Geliebte umschwärmt, 
als ob sie ihn darüber belehren wolle, wie die Süssigkeit 
der Liebe nicht ohne Stachel sei. Rührend klagt er in 
no. 109 um die Tote — »wehe, weh', wo blieb die junge 
Blüte?« — und bittet die Allmutter Erde: 

Hab' Erbarmen 

~ Allen Wesen bist du mild gesinnt — 
. Mild empfang' in deinen Mutterarmen 

Auch mein vielbeweintes, süsses Kind! 



Digitized by 



Google 



104 

ixXXd (Se yovvovfJkak^ /« nawqoqiSj tccp Tvavodvqvov. 
^Q^fia ao7g hoXtiok;, fjkmsQ^ iva/xaXuUx^ — 

Alle diese Epigramme geben mit ihrer pointierten 
Bildersprache, ihrer raffinierten Beseelung der leblosen Natur, 
der fein durchdachten Verflechtung des Sinnlichen und 
Geistigen, des Naturlebens mit dem Seelenleben einen 
deutlichen Einblick in das sentimental erotische Empfinden 
jener Zeit; aber damit auch das Idyllische nicht fehle, fügte 
Meleager seiner Sammlung ein siSviXiov »an den Frühling« 
ein, no. iio. Hatte er in seinen Liebesliedern nur gelegent- 
lich das lachende Wiesengrün, das zur Fahrt lockende 
Meeresblau und vor allem die schönen Lenzesblumen zum 
Symbol einer erotischen Idee gemacht, so entwirft er hier 
mit bewusster Kunst ein farbenprächtiges Bild von dem 
Leben und Weben .in dem Wonnemond des Frühlings. 
»Der Winter ist dahin, es lacht alles in Flur und Wald, 
überall ist Leben, Frische, Schönheit, Musik — drum will 
auch ich mein Liedlein singen«* Das ist der Grundgedanke 
der 23 Hexameter. 

Nun der umstürmte Winter hinweg von dem Äther 

gewichen, 
Strahlt süsslächelnd die purpurne Zeit holdblühenden 

Frühlings. 
Freundlich umkränzt mit der üppigen Saat sich die 

bräunliche Erde, 
Und schön schmückt sich der Baum mit dem Haar 

neugrünenden Laubes. 
Lieblich von schimmerndem Tau und der Pflanzen 

ernährenden Eos 
Lachet die Wiese getränkt, und die Ros' entfaltet die 

Brust schon. Jacobs. 

X^^fjtarog ^vffjtoevTog drc' aix^^Qog ol^o^iivoio 
TTOQffVQ^vj (jL€(dfj(t€ (psQav^iog sfaQoc &Qfj. 
yala d^ xvav^i] x^oeq^v i(ttiipaTo 7tofy]V 
xal (fvvd x>riXrjaavTa vioig ixo^j^f^ae Trer^loig, 
ol d^ccTraXfjp TcCvovrsg asl^itpvTov dqotSop ^ovg 
XeificÜvfg ysXocoaiv dvoiyo/j^voto ^odoio. 



Digitized by 



Google 



105 



»Der Hirte stimmt seine Schalmei auf der Syrinx an, 
auf der fetten Weide ergötzt sich die Herde, der Schiffer 
fährt beim säuselnden West durch die Meerflut, die Winzer 
jauchzen mit des Epheus Trauben umkränzet; die Bienen 
regen sich emsig, und ringsum lassen ertönen ihr Lied die 
hell^Ä^irbelnden • Vöglein, Halkyonen am Meer, am Dache 
die Schwalben, am Flusse der Schwan, im Hain die Nach- 
tigall — soll da nicht beglückt der Dichter singen« ?^^^) 
ndSg ov %Q'^ xal doidov iv eüaqi xaXov dstaai; Lehrs^^^) 
bemerkt zu diesem Idyll: »Man wird zu der Bemerkung 
geführt, wie grosse Zeit man jetzt für kurze Gedanken hatte, 
Piadar würde in wenigen wahrwiegenden Zeilen dieselben 
Gedanken ausgedrückt haben«. Wie seit Pindar eben das 
gesamte sociale Leben eine vollständige Umwandlung erfahren 
hatte und ein weit komplizierteres gewprden war, so hatten 
si^h auch mit dem zunächst unreflektierten Naturempfinden 
dii5 mannigfachsten psychischen Momente verflochten, die 
den Sinn auf das Stillleben in der Natur lenkten und für 
jeden Eindruck empfänglich machten, welchen Feld und 
Wald dem oflTenen Auge und dem lauschenden Ohre eines 
sentimentalen, die Stadt mit ihrem Lärm und ihrer Auf- 
regung fliehenden, in der freien Natur aufatmenden und 
zum Dichten begeisterten »Kulturmenschen« darbieten musste. 
Die Natur wird eben von der Zeit des Hellenismus an um 
ihrer selbst willen gesucht, und solche Meleagersche Idylle 
ist eine Landschaftsdichtung, in der die Landschaft Selbst- 
zweck und der Mensch — der Hirte, Winzer — nur Figurant 
ist, wie es uns bei Theokrit und in so manchen Epigrammen 
entgegentrat und wie es nicht minder in dem stimmungs- 
vollen, reizenden Frühlingsliede der Fall ist, das sich unter 
den Anakreonteen no. '44 findet: 

Wie bei Lenzeswehn, o schau nur, 

Die Chariten Rosen ausstreuen, 

Und so schau nur, wie die Meerflut 

In verklärter Stille daliegt! 

Wie die Ente taucht, o schau nur, 

Wie der Kranich durch die Luft zieht! 

Es erglänzet Titan heiter, 



Digitized by 



Google 



_ 106 

Und es fliegen Wolkenschatteo^ 

Und der Menschen Werke glänzen. 

Die Oliv* entstrebt der Hülle, 

Und den Bakchossaft umschmücket 

In Belaubung, in Gezweigen überall die milde Wärme. 

l'de 7T(Sg iagog (favivrog | xdqi^zBg ßqvovtsv ^oda' \ l'd^ 

Ttcog xvfia x^aXd(SCfiq \ dnaXvperai yak^Vfj' j Vde n(og 

v^a(Ta xoXvfjbßa* \ fde ncSg yfqavog odivei. x. t. L 

Je tiefer wir in das sinkende Altertum hinabgeführt 
werden, desto schärfer und greller klingt durch alles 
Empfinden der Misston einer trost- und glaubenslosen Welt- 
anschauung, einer dumpfen Furcht vor der unheimlichen, 
blind waltenden Macht der mit den Schicksalen des Men- 
schen spielenden, vernunftlosen Tyche, dieser launischen 
Schicksalsgöttin ^^^). Eine dem modernen Weltschmerz und 
Pessimismus verwandte Stimmung bemächtigt sich auch 
edlerer Gemüter, und die Klagen über die Nichtigkeit und 
Erbärmlichkeit des menschlichen Daseins kehren in den 
Epigrammen der Kaiserzeit immer wieder, » Sprich , o 
thörichtes Herz«, so ruft Krinagoras no. 33 II p. 136, 
»wie lange noch wirst du von eitler Hoffnung trunken empor- 
schweben zum kalten Gewölk Der Musen Greschenk 

erstrebe dir! Jener verworr'nen Bilder von Glück und Genuss 
mögen sich Thoren erfreu'n«. Ein ähnliches Bekenntnis 
legt. Lukianos III, p. 28 no. 36 ab: »Reichtum des Geistes 
ist allein der wahre Reichtum!« und A. Pal. X, 31 lautet 
in freier Übersetzung: 

Dauernd kann auf Erden nichts bestehen; 

Auch dein Leid verweht wie Windes Hauch 

Aber will dein Leiden nicht vergehen, 

Tröste dich! Bald gehst du auch Brandes. 

^vfjfcd vä T(Sv dyfjTcSv xal Ttd^xa naqiqxsTav ^fiäg. 

^v öi fi^f aXk' fjfiätg avrd naQSQxo/jtCx^a. 
Auch in das Naturempfinden mischt sich diese melan- 
cholische Trauer und erzeugt eine sentimentale Gräber- 
und Ruinenpoesie ^®^). 

Es ist eine in den Volksliedern vieler Nationen häufig 
wiederkehrende Vorstellung, dass aus den Gräbern Ver- 



Digitized by 



Google 



107 

storbener Blumen emporspriessen und die Seelen in diese 
übergehen und fortleben ^^^). Auf verwandte Ideeen 
werden die zahlreichen Verwandlungssagen zurückzuführen 
sein, welche die hellenistische Zeit besonders von liebenden 
und leidenden Mädchen, die in einen Baum, eine Blume, 
einen Bach, einen Stein u. s. f, verwandelt wurden, zu er- 
zählen weiss. So soll auch aus dem Blute des Aias oder 
des vom Apollo getöteten Hyakinthos eine Blume (ygantd 
vdxivS^og Theokr. X, 28) entsprossen sein, und in dem 
'inita(pioq Iddcovidog finden wir v. 64 von späterer Hand» 
eingefügt, dass die Thränen der Paphierin zu Anemonen 
und das Blut des Adonis zu Rosen: 

alfia ^68ov tCxtsi, rd di SdxQva rdv dpefioovav. 

~' Die Gräber mit Blumen und Epheu zu schmücken, 

hielten auch die Alten für Pflicht der Pietät gegen die 
Toten. Davon zeugen manche zart empfundene Epigramme, 
so das des Simmias auf das Grab des Sophokles I, p. 100 no. 2 : 
Leis' umklimme den Hügel des Sophokles, wuchern- 
der Epheu, 
Leis' und über den Stein webe das grüne Gelock, 
Rings auch blättre die Rose sich auf, und der schwel- 
lende Weinstock 
Träufle des feuchten Geranks üppige Thräne herab. 
Weil er in goldenem Wort durch der Grazien Huld 

und der Musen 
Hohe Belehrung so süss uns in die Seele geflösst. 

Geibel. 

flQili* VTviQ rvjjbßoio 2o^oxXtovg, riQ^iAct, xi>a<sij 
iQTtvioigj yXosQovg ix7tqo%i(AV nXoxd^ovg, 

xal nsTaXov ndvrri d-dXXoi, ^06 ov rj ts ^i^ko^^co^ 
SfiTtsXog, vygd niqi^ xUjfjbaTa x^vafi^Vfj^ 
vergl. I p. 252 no. 30, p. 254 no. 38: ßdXXex)^* vnkq TVfißov 
noXid xqCva x, r. X. ; IV, p. 269, adesp« no. 269: ccvx^ea 
noXXd yivoiTo v^odfjrjTO) inl rvfjtßw, \ ^ri ßdrog ccvxMQ''l^ 
fjtij xaxov alyCnvQov — vergl. II, p. 61 no. 2 — dXiC fa 
xal (jfdfiifJvxcc xdl vöarCvri rdgxicaoc, \ OvCßis xat neqC aov 
ndvva yit^oiro ^68a. 



Digitized by 



Google 



_ 108 

Eine ähnliche Inschrift aus der Zeit Domitians fand 
man bei Rom in einem sehr interessanten Grabe der Vigna 
Sassi, das mit einer Wanddekoration geschmückt ist, die 
eine vollständige Parklandschaft darstellt: 

Dornstrauch nicht, noch Stachelgewächse, umwuchern 

das Grab mir, 
Kein Nachtvogel umkreischt flatternd die Stätte der 

Ruh'. 
Nein! die lieblichsten Bäume und Büsche umspriessen 
t den Schrein mir: 

Herrlicher Früchte Gezweig schmückt ihn im Kreise 

herum. 
Aber die Nachtigall flattert darin: hell tönet ihr Wimmern, 
Und der Cikade entströmt süss von den Lippen das 

Lied. 
Klug auch zwitschert die Schwalbe dazwischen; uiid 

hell und melodisch 
Strömet der Grille Gesang süss aus der schwellenden 

Brust. 
Patron heiss' ich u. s. w. Wo ermann. 

ov ßdroij ov rqCßoXoi top ifiov Tce(pov d(jby)lg fxovfUVj 

ovd' oXoXvY(xCa rvxTsqig dfjbniTavai* 
dXXd (jb€ ndv d^vÖQog xagCsv nsql ^(dncov dviQTtei 

xvxXoxhev evxdqnoK; xXaxtlv dyaXXofiepov ' 
TtcoTccTai 8i niqi^ XiyvQfj fjuvvqCavQ di^dcov, 
xat T^TTi^ yXvx€Qotc %tCXf:($t ketga xlmv' 
xal (So^d rqavXC^ovda xehndovlq ^t€ liyvnvovg 
dxQig dno (Tr^O^ovg ^dv x^ovaa fji^Xog x.t.X. 
Wie zart und innig giebt sich gerade hier, an der 
Stätte des Todes — unter gemaltem Himmel, unter ge- 
malten Bäumen! — der träumerische Sinn für das Stille, 
Einsame, Friedliche in der Natur kundl 
1 Zugleich ist das Wandgemälde dieses Grabes ein 
interessanter Beleg für die Landschaftsmalerei, die analog 
der Entwicklung des Naturgefühls in der Poesie sich aus 
mehr oder weniger stimmungsvollen Hintergründen zu 
selbstständigen Landschaftsbildern entwickelte, wie die be- 
rühmten Odysseelandschaften des Esquilin mit ihrem idylli- 



Digitized by 



Google 



A09 

sehen uiid romantischen. Charakter, die grosse Garten- und 
Waldlandschaft in der Villa ad Gallinas mit ihrer natura- 
listischen Treue und besonders viele Bilder aus Pompeji 
und Herkulanum bekunden, die ganz deutlich das Bestreben 
zeigen, »den Verschluss der Wände illusorisch zu machen, 
die Natur durch Vermittelung der Kunst hereinzuholen in 
die engen Behausungen der Städte und den Einwohner 
glauben zu machen, er befände sich nicht in einem von 
Mauern umschlossenen Räume, sondern auf dem Lande « 
(Woermann d. L. in d. K. d» a. V. S. 354). 
• , In späteren Grabepigrammen der Anthologie wird mit 
wachsender Sentimentalität und in breiterer Ausführung 
der Kontrast des einst so üppig blühenden Lebens mit 
dßtn Häuflein Erde, das nun alle die frühere Herrlichkeit 
deckt, und mit da* Enge der Gruft geschildert, wie IV, p. 
273 no, 718: 

Es zerrann dein Leben, Nachtigall süssen Gesanges, 
Und dein freundliches Auge schloss sich, o Holde, 

dem Licht, 
Und dem Gespräch dein goldener Mund. Nichts bleibet 

zurück mehr, 
Weder der Schönheit Schmuck, noch der gebildete Sinn. 
Weicht, herzfressende Sorgen, entweicht! Wohlthätiger 

Hoffnung 
Wurden die Menschen beraubt; ohne Bestand ist das 

Glück ; 
oder von der Lais singt Agathias no. 80 IV, p. 23 : »Jetzt 
hast du die Anmut niedergelegt in die Gruft, wohnend in 
Lethes Gefilde und Antipatros v. Sidon II 29 no. 83: 

§ie, die vom Eros geliebt und umstrahlt von Gold und 

in Purpur 
Prangte vordem, . . . Lais decket das Grab . . . 
Krokos süssen Geruchs atmet vom Grabe noch jetzt. 
Und aus der Asche noch jetzt, von der duftenden 

Salbe befeuchtet, 
Und von dem glänzenden Haar wehet ambrosischer 

Hauch. 
^g xat tm evciöst tvfj^ßog oömde x^oxct) . . . 



Digitized by 



Google 



110 

Mit Wehmut betrauern die Dichter auch die gesun- 
kene Grösse und verfallene Herrlichkeit einst hochbe- 
rühmter Städte, die in Trümmern liegend nur noch den 
Hirten und Herden Ruheplätze bieten; so Alpheios der 
Mytilenäer II p* 117 no. 8: 

Wenige Sitze des Heldengeschlechts nur findet das 

Aug' noch; 

Aber dem Erdreich gleich liegen die andren im Staub. 

Also erschienst du mir jüngst auf der Wanderung, 

armes Mykenae, 

Öde wie Felsen am Meer oder wie Weiden des Viehs.« 

Hirten nur zeigen dich noch. »Hier hat sonst«, sagt 

der greise ^ 

Führer, cyklopischer Kunst goldene Veste gestrahlt, 
ebenso no. 9 — malles verlöschte die *Zeit« !, II p. 223:' 
»ein ödes Gefild für blökende Herden«, p. 224 no. i : 

Ich goldreiches Mykenae . . . 

Weidplatz bin ich anitzt, durchwandelt von Schafen 

und Rindern, 

Und von dem alten Besitz blieb mir der Name allein. 
Solche Klagen auf Troja finden sich IV, 25 no. 63, 

I p. 99 no. 14, auf Korinth II, i no. 2, auf das einst nimmer 
besiegte Lakedaimon, »wo wehklagend jetzt an dem 3od^ 
die Vöglein Nester erbauen und Herdengeblök hören die 
Wölfe«- IV p. 214 no. 452; auf Inseln, besonders Delos 

II p. 105 no. 37 mit hochpoetischem Eingang: 

Trümmer der Länder, ihr Inseln umher, unselig und öde. 
Die des ägäischen Meeres rauschender Gürtel umschlingt, 
Siphnos starrenden Fels, Pholegandros dürrem Gefilde 
Gleichet ihr. Arme; der Glanz voriger Jahre edosch. 
Delos ward euch Muster der Einsamkeit. Strahlend 

in Reichtum 
Vormals, fiel ihr zuerst dieses verödete Los. Jacobs. 
vijt^ot' iQTjfjiaiat, tqvfpea x&ovoc^ äg xeXadetvog 

^(xxtTijQ AlyaCov xvfjiarog Ivzog i'xsi ♦ ., vergl. no. 35. 
Im Gegensatz zu diesen in Staub gesunkenen, alt- 
ehrwürdigen Stätten, die nur noch traurige Denkmäler ver- 
gänglichen Ruhmes und hinfälliger Pracht sind, wird das 



Digitized by 



Google 



111 

gewaltige Rom gepriesen, vor dessen Scepter sich beugt 
das Land und das Meer; »nur zu dem Himmel hinauf 
bleibet noch übrig der Weg«, wie Alpheios no. 7 II p. 116 
es hochtrabend ausdrückt : 

ijdij yccQ xal novrog {mi^tv^tai ÖoqI ^PdiMjq 

xat xd^töv' ovQavCri d'olfjbog IV Itfr' aßaxoq. 
So auch Krinagoras mit grandiosen Bildern II p. 
135 no. 29: 

Gösse das Meer auch die unendliche Fülle der Flut aus, 

Tränke Gernianieris Schar alle Gewässer des Rheins, 

Nie doch bebten, so lang die gewaltige Rechte des 

•'' ' Kaisers, 

^ -m Ohne zu wanken, die Welt lenket, die Vesten von Rom. 

• Also stehen die Eichen des Zeus auf den mächtigsten 

Wurzeln, 
Nur das vertrocknete Laub stören die Winde herab. 

Jacobs. 
■ oid* riv ^S}x6avog nciaav nkf] (ifivQav iyeCqri . . 

ovroog xal tsQal Zfjvog ÖQVsg ffineda ^(^aig 

(&raaip, <pvlXwv d'ava xiov& avefiot. 
Vergl. IV, 65 no. 62; andere Orte werden ebenfalls 
gefeiert wie Rhodos IV, 166 no. 238, Ephesos II p. 20 no. 
'5^^, II p. 59 etc. — 

Unter den Weltschmerzlern der späteren Jahrhunderte 
nimmt Palladas, ein älterer Zeitgenosse des Achilles Tatios 
V. Alexandria, den ersten Platz ein III p. 135, 102: 
Weinend trat ich ein ins Leben; scheiden 
Werd' ich wieder weinend. Nichts als Leiden, 
Nichts als Thränen fand ich in der Welt, 
oder no. 103: 

Weijn ich nackt vordem zur Welt gekommen, 
Nackt ins Grab einst wieder heimwärts kehre, 
Kann mirs bei so nacktem Ende frommen, 
Dass ich drum in Mühen mich verzehre? 

Brandes. 
Solche Epigramme verraten die Grundstimmung des Dich- 
ters, welcher auch das düstere Lied von des Menschen Leben, . 
als einer stürmischen Meerfahrt, entsprungen ist, no. 104; 



Digitized by 



Google 



112 

Reise des Lebens! Wie voll von G^ahr! Voo den 

Stürmen ergriffen 
Scheitern wir kläglicher oft, als auf dem Meer der 

Pilot 
Tyche sitzet am Steuer und lenkt das zerbrechliche 

Fahrzeug; 
Wie durch Wellen des Meeres geht die bedenkliche 

Fahrt. 
Diesen begünstigt der Wind, dem stürmt er, aber zu- 
letzt nimmt 
Unter der Erde der Nacht Hafen die Schiffenden auf. 

Jacobs. 
Ttlovg (f^alsQog ro ^^v* x€i(i>atoiitvoi ydg iv avrtp 

noklcix& vctvfi^äv maCoiuv otxTorsQa x. t, X* 
Vergl. p. 136L no. 108. Das gleiche Bild wird in 
tändelnder Manier verwandt IV p. 124 no. 31 mit dem 
Gedanken: »Dem Frühlingswetter gleicht meine Liebe, 
bald Regen, bald Sonnenschein; wie ein Schiffbrüchiger 
im Wogenschwall treibe ich umher, blinde Wellen durch- 
messend ; wohlan setze ein Ziel der Freundschaft oder des 
Hasses, auf dass ich weiss, auf welcher Welle wir schwimmen c 
— Die meisten Dichter dieser späten Zeit heben sich über 
die Leere des Daseins mit dem leichtfertigen Grundsatz 
hinweg: 

Genuss heisst leben 1 

Jetzt erfreut mich noch der Saft der Reben, 
Heute rufen muntre Reigentänze, 
Heute locken frische Blumenkränze, 
Heute strahlt noch hell das Lebenslicht, 
Doch was niorgen kommt — ich weiss es nicht. 
So Rufinos III p. loi, IG; vergl. no. 16. Die Blumen 
dienen oft als Sinnbild der blühenden und ebenso sicher 
verwelkenden Schönheit, so no. 1 5 : »Wie dies Blumengeflecht 
blühst du und welkest dahin«; so auch IV p. 126 no. 39: 
Wenn jetzt die Rose noch in Blüten steht. 
So denke doch, wie bald ihr Duft verweht! 
Dann bleibt von all der Schönheit keine Spur, 
Du findest statt der Rose Dornen nur. Brandes. 



Digitized by 



Google 



113 

^fjffijiv €VQi^(fi^ ov ^odoVy äXkd ßdrov. 
Vergl. Rufinos III p. 107 no» 38, vom verschrumpfen- 
den Apfel Plato fr. 4. — 

Ein erotisches Bild von der Rose begegnet uns wieder 
in einem recht modern sentimentalen Verwandlungswunsch 
IV, 129 no. 58: 

Möcht* ich ein Westwind sein und du gingst in den 

Strahlen der Sonne, 
Und mit entschleierter Brust nähmst du den Hauchenden 

auf! 
Möcht' ich die Rose doch sein und du pflücktest mich 

dann mit der Hand ab, 
Und an der blendenden Brust liesst du die purpurne 

ruhn! Jacobs. 

^x)-' apffioq yavoCfif^v^ av 8i ys (STsC^oviSa naq* avydq 

qvrid^ta yvfjrco(^atg xaC fis nvtovTa Xctfioiq. 
ild^e ^odov ytvo^fjfjp vnonoqtpvqov , o(pQa (as x^Q^^^ 
(XQafji^Vfj /«^^öTy üTfi&eai /^oi^^o^c. 
Doch auch , der Sinn für das Idyllische im Walde, am 
Bach, für die Reize des Landlebens findet oft in Epi- 
grammen der Kaiserzeit einen anmutigen Ausdruck. So 
verquickt das Erotische mit dem Idyllischen Thallos II 
p. 150 no. 4: 

Sieh', die Platane deckt mit dichtem Laube 

Ein Liebespaar, von seFgem Rausch beglückt! 

Und um den grünen Baum schlingt sieh die Traube, 

Die, süssen Mostes voll, die Zweige schmückt. 

O möge dich mit seiner Blätter Fülle, 

Mit seinen Trauben schmücken stets der Wein, 

Platanenbaum! Du selber aber hülle 

Mit deinem Laub der Liebe Kosen ein. 

Brandes, 
Antiphilos II, 157 no. 12 begrüsst den schattigen Wald: 
Ihr luft'gen Äste, schattige Eichengipfel, 
Ihr grünen ziegeldichten Blätterwipfel, 
Darunter oft der Wandrer ruht; ihr Kronen, 

Biese, die Entwicklung des Naturgefiihls. 8 



Digitized by 



Google 



114 



D'rin wilde Tauben gern und Grillen wohnen, 
O nehmt auch mich, den Müden, der die Glut 
Der Sonne flieht, in eures Schattens Hwt. 

Brandes. 
xl(ov€g, äntjOQioi xava^q dqvoc, evtxxtov vipog 

dvÖQciüiv äxQfjTov xaiffia ffvkoa(Sofi(voK x. t. A. 
Sentimental deutet er in no. 12 das Versiegen einer 
Quelle als Folge der Trauer um den Tod Agrikola's: »Hin- 
schwanden wir«, antworten die Wellen auf die Frage des 
Dichters, »Thränen vergiessend; 

Alles das Wasser in uns schlürfte der durstende Staub«. 
Satyr ios preist mit unverhohlener Freude die Lieblichkeit 
eines lauschigen Plätzchens II p. 252 no. 3: . \ 

O wie lieblich ist der Lorbeerhain, 
Wo der Bach der Stämme Fuss umspület, 
Wo dich dunkle Schatten hüllen ein, 

Und der Westwind hold die Wangen kühlet, 
Schutz dem Wanderer bietend, wenn er ruht/ 
Vor Ermattung, Durst und Sonnenglut. Brandes; 
Tj xakop al ddipvatj xakov 6*vn6 nv^ftfitn vSooq 

Tnövsi, nvxivov S ä?Mog vJtoüxian, 
d-rike&dovy ^s^VQOLai^v iTt^dqofiop, SXxoq odfvaig 
dCipfjg xal xafjbdrov xai (pXoyog ^eXCov, 
Die Frühlingswonne findet ihren zarten Ausdruck in 
no. 5 : »schon nisten die Schwalben, schon schwellt über 
das Meer hinwehend die Segel der Zephyr, schon schmücken 
mit Blumen sich die Wiesen, und das rauhe Meer ist 
schweigend eingeschlafen«, xai zqrixvg (flya fi^fivx€ nogog. 
Man beachte die signifikante, individuelle Beseelung, die 
in dem fi.^^vx€ liegt, »es hat die Augen geschlossen, ist ein- 
genickt« ! In no. 6 lächelt das stille Meer, ungerührt von 
rauschenden Winden yaXfjvaCrj äi d^dXaOda (leididst xqvsomv 
äzQOfAog *J dp^fjboov^^^). Direkt an die Hirtenpoesie der 
Bukoliker streift der Wunsch des Kyros III, 159, i: »hätte 
mein Vater mich Ziegen zu weiden gelehrt, damit ich unter 
der Ulme oder am Felsen ruhend mit Syringblasen meinen 
Kummer vertriebe, lasst uns fliehen, o Musen die Stadt!« 



Digitized by 



Google 



115 

wg «w V7t6 TWsXifj^' xa^'^fisvoQy ij vno Ti^Qfjg 
(Sv^CisSfjdV xakdfjboimv ifiäg tiQntaxov dv(ac» 
üisQCdeg fsvf^eöfjUfV ivxrtfAivfjv noXiv ! 
Auch Julianos Ägyptios hebt lll p. 204, 43 die 
reine Freude hervor, die das Landleben im Gegensatze zur 
Stadt bietet, df^oq Tiqiptv äyei* 

Ein Schwelgen im Naturgehuss verrät die Detailschil- 
iderung all der lieblichen Schönheiten des Haines des Eros 
bbi Amasea am Iris in dem Idyll des Marianos, der schon 
ins Mittelalter hinüberweist III p. 2i2no. 2 undß (13 Distichen!); 
. da werden die stattlichen Bäume gepriesen, in deren zittern- 
i'dem Laubwerk der Westwind spielt, die tauige, blumen- 
strahlende Wiese mit kühlenden Strömen, Gärten mit 
reichlichen Trauben und goldenen Oliven, in denen Nach- 
tigallen singen und wetteifernd harmonisch das Lied feuriger 
Grillen zugleich ertönt; der Wanderer wird eingeladen, zu 
rasten am grünlichen Wasser unter dem Dach der Platane, 
wo feuchtduftende Veilchen und Rosen ihm entgegenlächeln, 
wo das Haar reichlockigen Epheus die Wiesen kränzet und 
still der zögernde Fluss durch buschiges Ufer gleitet — 
»Eros« Namen trägt der schöne Ort! 
Wo sich Reiz und Anmut hold verbinden, 
Passt so schön' kein andres Wort. 
Auch Agathias IV p. 23 no. 57 findet noch neue 
Wendungen zur Schilderung der Meeresstille: 

Ruhig erglänzet das purpurne Meer, und der Atem des 

Sturmwinds 
Treibet die Wellen nicht mehr schäumend im dunklen 

Gewühl. 
Nicht mehr stürzet die Flut, an den starrenden Klippen 

gebrochen, 
Jetzt zu den Wolken empört, jetzt zu der Tiefe gesenkt. 
Zephyros nur durchhauchet die Flur, und die zwitschernde 

Schwalbe 
Baut sich aus Stoppeln und fügt emsig das feste Ge- 
mach u. s. w. 
Wir sehen, die Fäden, welche die Dichter in den 
einzelnen Jahrhunderten allmählich angesponnen, werden zu 

8* 



Digiti 



zedby Google 



_116 

immer dichter verschlungenen Geweben verflochten, welche 
die kundige Hand des Dichters verraten, der mit Bewusstsein 
im Genüsse des Naturschönen schwelgt und mit herzlicher 
Hingabe die Natur um ihrer selbst willen aufsucht und 
schildert. Zum Schluss unseres Abschnittes über die Lyrik 
mögen nur noch die Worte des Arabios IV p. 80, no. 7 
ihre 'Stelle finden, die so ganz unverhüllt eine tiefe Liebe 
zur Natur widerspiegeln: 

Wasser und Gärten und Hain und die fröhliche Gabe 

des Bakchos 
Und das benachbarte Meer bietet mir Fülle der Lu3t. 
Freudige Gaben gelangen zu mir von dem Land und 

der Salzflut^ 
Welche der Landmann jetzt, jetzo der Fischer mir briiigjt« 
Weilest du, Wandrer, bei mir, so erfreuen dich Chöre 

der Vögel, 
Oder es tönt vom Meer fröhlicher Schiffer Gesang, 

Jacobs. 
väaai xat x^tiokTi xai äkceCi xai Jiovv<S<f 
xat novTov Ttk^^co yshovag tvfpQoavvfi- 
TiQTivd d'^fiol ya^g ts xat i^ dXog ükXoO'BV aXXog 

xccl YQi7i€vg oQiyti dcoga xal dyQovoiaog* 
Tovg ö'lv ifjbot fi^fjfVovrag rj oqv^S-cov ng dt(dmv 
fj ylvxv 7toQx^(i^oi)P q>d^iyficc TiaQtjyo^et. 



Hat uns das Epigramm bereits ins Mittelalter hinüber- 
geführt, so dürfen wir doch das Epos und den Roman 
der spätgriechischen Zeit nicht völlig übergehen. Der Haupt- 
repräsentant des ersteren ist der wundersam phantastische 
Ägypter N o n n o s aus Panopolis. Aber es würde ein wenig 
einladender und wenig lohnender Weg sein, der durch die 
48 Bücher der barock - bombastischen Dionysiaka zu einer 
Detailkenntnis seiner grotesken Bilder, Beseelungen und 
Naturschilderungen führen würde; es mag daher genügen, 
in Kürze einige Punkte herauszuheben. Ein buntscheckiger 
Wust von mythologischen und rhetorischen Floskeln und 
eine grelle Farbenkleckserei, mit der Nonnos alte Koulissen- 



Digitized by 



Google 



117 

9lü<3ke frisch überttialt, verdirbt allüberall jede ästhetische 
Wirkung. Aber durch die »fratzenhafte Schemen« dar- 
stellende Übermalung scheinen oft genug Motive hellenis- 
tischer Dichtung hindurch, welche nicht uninteressante Rück- 
schlüsse auf seine, allerdings durch den wildesten Pathos 
noch überbotenen Vorbilder gestatten. 

Akontios fragte die Bäume, ob auch sie die zehrende 
Glut der Liebe kennten, Nonnos schildert häufig — wie auch 
die Sophisten in den Prunkreden bei Hochzeitsfeiern — 
die Liebe der Pflanzen zu einander. So erregt III, 142 
der Palmbaum, seine männlichen Blätter schüttelnd, Sehn- 
sucht der weiblichen Genossin, und der Birnbaum flüstert 
in rauschenden Wipfeln mit der Gefährtin; Narzisse und 
Ao^Mone XXXII, 92, XLII, 302, Krokos und Taxus 
XXXII, S6 kosen mit einander, ja sogar eine Vermäh- 
lung wird XVI, 270 vom Weinstock und der tcsvxtj berichtet, 
vergl. XII, 133. Aus den märchenhaften Verwandlungs- 
sagen, welche bei allen Völkern auf den Glauben von 
einem Übergange naenschlicher Seelen in Pflanzen direkt 
hinweisen, gingen also sentimentale poetische Beseelungen 
der Pflanzen hervor, welche selbst dem Heine'schen Fichten- 
.baum das Vorrecht des »absolut Modernen« streitig machen. 
Bis ins Mässlose häuft Nonnos die Bilder, besonders 
bei Schilderungen erotischer Situationen. So schildert 
Aphrodite selbst in Gestalt der Peisinoe. um der Harmonia 
Liebe zum Kadmos einzuflössen, den herrlichen Helden, 
dem »die Natur Gaben des Frühlings verliehen« IV, 127, 
mit der rosenfingrigen Hand, den rosigen Wangen, den 
leuchtenden Flüssen, deren Zehen wie Schnee schimmern 
und die in der Mitte wie Purpur glänzen, mit den lilien- 
weissen Händen und den strahlenden Augen, die eine Selene 
beschämen u. s. f. Mit raffinierter Gefühlsschwelgerei wird 
im Weiteren das Glück, einem solchen Manne mit Leib 
und Seele zu gehören, geschildert. Ähnlich wie oben heisst 
es auch X, 189: »Die Glieder strahlen den Frühling wider«. 
ik fjbsXicor d'oko)v eiaQ ifa^vetOj und mit demselben Farben- 
kontrast wird die Schönheit der Nymphe Nikaia XV, 224 
beschrieben, die selbst die Reize der duftigsten, blumen- 
reichsten Wiese in Schatten stellt: ikevviaCvovTo öi fitiQol 



Digitized by 



Google 



118 

xat cf^VQa KfoivCaaovTo xal wc xqCvov, öSc avffjMorrj 
Xiov^a)V iiekimv ^odoftg ccvtffa{vsto XsifMor^ 
Vergl. XVI, 75, XXXIV, io6 ff. 

Lüstern wünscht der verliebte Hirte v. 257,. ein Ge- 
schoss, ein Netz, ein Köcher zu sein, um von ihren blossen 
Händen ergriffen und an den schneeigen Busen gedrückt 
zu werden (val dafidXfj val fioax^ aaotpQovog fxto^i fjt^vQtjcJ 
und zu gehauen die hochhalsige Jungfrau, wie sie Mittags- 
ruhe hält am sehnsuchterfüllten Queli (no&oßX'^Tüo naqd 
TtfjyrjX ohne das neidische Gewand (d^x^ (px^ov€Qoio ;f*rcöi/oc^. 
Andere Verwandlungswünsche lehnen sich an bekannte 
Metamorphosen an wie II, 126 ff., XVI, $6, XXXIV, 245, 
XL, 138, XLII, 121. Das in den Augen eines Nonnos 
natürlich höchst wirksame Kunstmittel der Beseelungen im 
Stile des Epitaphios auf Bion, lässt er sich selbstverständlich 
nicht entgehen ; XV, 398 ff. verfällt er ganz in diesen Ton, 
indem er die ganze Natur zur Klage auffordert: 

ßovTTjg xakoc (SXoXe * . /«/'i^fT^ fjboi oxoniaC rs xal ovqeaj 
XdCqere 7ti]yai . . xal afia dqveq . . 

Immer wieder erzählt er von Eichen, Felsen, Wäldern, 
Hügeln u. s. f., dass sie flüstern, brüllend erdröhnen, 
rufen, klagen, stöhnen, lachen, jauchzen u. s. f., vergl. III, 
68, V, 354, XV, 297, 374, XVI, 224, 270 — der Homerische 
Uqog ydfjbog in verdünntem Aufguss! — 291, 363, XXII, 
7, 12, XXIV, 154 u. s. f. — Breit und überladen sind auch 
die Beschreibungen sei es nun von Tag und Nacht (z. B. 
XVIII, 160 ff., II, 170 ff.) oder des Landschaftlichen, wie 
des undurchdringlichen .Dickichts XXI, 323 u. s. f. 

Eine liebliche Oase in der Wüste Nonnischer Schule 
ist des Musaios Dichtung von der Liebe der Hero 
und des Leander. Der Liebesleuchte gleich, die im 
Turm der Geliebten dem Jüngling in dem Dunkel der 
Nacht auf dem grausigen Meere entgegenstrahlte, glänzt 
sternenhell dies kleine Gedicht, als ob es noch das 
Licht althellenischer oder wenigstens hellenistischer Sonne 
widerspiegele. Wie Nebel legt es sich dem Leser des 
Nonnos auf die Brust ; beim Musaios atmen wir auf; durch 



Digitized by 



Google' 



119 



seine kJ^ine Epopöe weht ein frischer Hauch des rauschen- 
.den Meeres (129. 234. 242. 245. 270. 312), das den ver- 
hängnisvollen Hintergrund des mit feinem Geschick ent- 
worfenen Gemäldes bildet. In ihrer schlichten Form erinnert 
diese Strandidylle an die besten Zeiten der griechischen 
Poesie, die Schilderung der Liebesleidenschaft mit ihrer 
Gefühlsmalerei weist auf hellenistische Muster. Doch auch 
nicht ganz verleugnet Musaios den Lehrmeister Nonnos, 
wie die Beschreibung der Schönheit der Hero zeigt: 

Purpurn erglühte das äusserste Rand der schneeigen 

Wangen, 
. . Wie zweifarbig die Ros* aus dem Kelch' bricht. Wahr- 
lich, du sagtest, 
Rosengefild' entsprossten den blühenden Gliedern der 

Jungfrau: 
Licht umfloss die Gestalt, ein rosiges : wenfi sie daher- 

Schimmerten Rosen auch dann um der Weissumschleier- 

ten Fusstritt. 
Chariten viel' entströmten den Gliedern ihr. Aber der 

Alten 
Sag' ist Lug, drei seien nur .Chariten. Knospen aus 

einem 
Lächelnden Auge des Mädchens allein ja der Chariten 

hundert. Passow. 

axga di xiovitöv fpoivC(i(iero xvxXa naqsiwv 
cog ^oöov Ix xakvxwv dtdvfjtoxQoov' ^ tccxoc tpa^fjg 

. • . eig d^ Tic ^Hqovg 

ofS'akfAog yslocDV ixoctov x^f^^i^^ö'ö'* 'VB&riXei>. 
Vergl. auch v. 56 und besonders die Schilderung der 
Nacht V. HO und v. 232 mit Nonnos II, 164. Bukolisch 
ist die Beseelung des Strandes, der noch immer den Tod 
und die Liebe des Leandros beweint v. 26: 

. . • äXiijxia TTOQx^fjbor ^Aßvöov 

eia^zi 7t ov xXaCovta fioQov xal eqaaTa AedvSqov. 

'^Mit wirkungsvollem Kontrast wird die Brautnacht 
geschildert : 



Digiti 



zedby Google 



120 



Nicht Tanz und Gesang und Fackelschein weihten die 

Hochzeit — 
Schweigen bereitet das Lager, Finsternis schmückte dir 

Jungfrau, 
Nacht war dem Hebenden Paar Brautführerin; aber 

das Tagslicht 
Sah als Vermahlten nie auf befreundetem Pfühl den 

Leander. 
diyi] Ttaatop €7tfj^€P, ivvfJb^oxofjbfjae dofi^x^fj 
rv^ fi^v ffjv xcipoKTi yafjbO(rv6kog ovdinor* ^wc 
vviiifCov eldt A^avÖQov ägiyvcoToig Ivl XixTQoiq. 
In einer stürmischen Nacht erlischt die Lampe, »der 
brautführende Stern der Liebe« (v. lO. 212. 305): 

Nacht war's, wann sich zumeist dumpfbrausende Wetter- 
orkane, 
Schauriges Wintergestür m herschleudernde Wetter orkanc, 
Zu dem Gestade des Meeres in tummelnden Scharet) 

heranziehn. 
Woge auf Woge türmt sich, wild kämpfen die Stürme 

gegen einander, 
Äther vermengt mit dem Grund sich (314), rings um- 
peitscht 
Von der schwellenden Flut unbezwinglichem Andrang 

treibt Leander 
Daher — da erlöschte die trügende Lampe ein feind- 
licher Windstoss, 
Löschete Leben und Liebe dem jammervollen 

Leandros (329). 
»Auf dem' heulenden Strand, der noch immer beklagt 
die Lieb' und den Tod des Leandros«, vereint der Tod 
die Liebenden. — 

Der Roman, dies armselige Produkt einer greisenhaften 
Zeit, weist in seinen Stofifen allerdings auf erotische senti- 
mentale Erzählungen des Hellenismus und auf eine ethno- 
graphische Fabulistik einer eigenartigen Reisedichtung 
zurück, zeigt sich aber sonst durchaus als ein echtes Kind 
der phantastischen Rhetorik und Sophistik, wie sie sich 
unter den Antoninen entwickelte, und verrät in seiner Über- 



Digitized by 



Google 



121 

schwengltchkeit und Sentimentalität, »in der unbeschränkten 
Willkür individueller Phantasie auf das Deutlichste die Selbst- 
vernichtung • des eigensten Wesens der Antike« ^^^). Der 
mächtige Baum, an den die Sophistik zur Zeit eines Euripides 
zuerst die Axt der Negation, des Individualitätsprinzips 
gelegt hatte, sinkt nun altersgrau und morsch unter den 
Streichen der Sophistik der Kaiserzeit zusammen. Die 
stilistischen Übungen der Rhetorenschulen in der Beschrei- 
bung der Natur, im Preise der Jahreszeiten der Nachtigall, 
der Rose u. s. f. bekunden xden sehnsüchtigen Zug zur Ruhe 
der Natur, wie er einer immer müder werdenden Zeit natürlich 
war« ^^2) D^r Rhetor Libanios, von dem wir z.B. eine 
iX(fQa(Xig iaQoc, eine Beschreibung des Frühlings IV p. 105 1 — 53 
be^tzen, schliesst die Schilderung eines herrlichen Gartens 
IV, 1077 mit den bezeichnenden Worten: »und dieses alles 
war lieblich zu sehen, aber Zuhörern es zu schildern noch 
iieblicher«; und Älian spricht stolz bei der Beschreibung 
des thessalischen Tempe-Thales var. hist. III, i der ge- 
wandt schildernden Rede eine gleiche Kraft zu, wie ge- 
schickten Künstlerhänden, hebt aber als wesentlichsten 
Reiz dieser grossartigen thessalischen Landschaft hervor, 
dass »dieser Ort ein Werk der freischaffenden Natur, nicht 
der menschlichen Hand sei« : 

öiccT^ißcic d* f)[€i noiaCXac; xat navrodanäq 6 rortog ovtoc, 
ovx dv&QOJTi^vfjQ x^^Q^^ iqya dXXd (pvdewq avroiiata, ig 
xdllog t6t€ q>tloTifjbfi<Tafi^Vfic ot€ ikdfjißavi yivedtv o xcoQog. 
Auch Popularphilosophen, wie der Stoiker Musonios zur 
Zeit des Nero und Vespasian, empfanden bei der über- 
lebten Civilisation ihrer Zeit Sehnsucht nach der gesunden 
Natur, predigten mit Eifer, man müsse in allem zum Natur- 
zustande zurückkehren, und priesen als xaXop die Thätigkeit 
des Landmannes und Hirten mit ihrer Beschaulichkeit und 
Müsse (Stob., floril. 11,336 Mein.): diisCßerm yctg ^ yfj xdl- 
hisxa xat dixaiotara rovg inLfjbsXovfjifvovg avT^g - - ovrcog Sqcc 
xaXov xal evdaifiovixor xat x^eocfiXig ro ^ijv drco ysojQy^ccg iarC 
X. r. X. Doch das Gefühlvollste und Reizendste bietet die 
idyllische, novellistische Erzählung des Dio Chrysostomos 
»der Jäger« or. VII, die Jahn^^^) mit Recht »eine antike 



Digiti 



zedby Google 



122 

Dorfgeschichte« genannt hat und die uns als Vorläuferin 
des Hirtenromans des Longos gelten mag. Mit einem« 
warmen Gefühl für das Glück der bedürfnislosen, arbeits- 
frohen, ehrlichen Landleute im Gegensatze zu dem un- 
wahren, raffinierten Treiben in der Stadt schildert er das 
Hinterwäldlerleben auf der Insel Euboea, wohin ihn ein 
Sturm verschlagen hatte. An einer Schlucht, die ein kleiner, 
nicht reissender Fluss durchzieht, erheben sich sanft an- 
steigend waldige Höheo; unter hohen, einzeln stehenden 
Bäumen breiten sich viele prächtige, den ganzen Sommer 
Kräuter in Fülle tragende Wiesen aus. Dort wohnt, der 
Jäger, der dem Gestrandeten freundlich Obdach gewährt. 
In schmucklosester Weise lässt Dip ihn plaudern von den 
Eindrücken, die er bei seinem ersten Aufenthalt in dec 
Stadt empfing, wo er von einem frechen Redner des 
widerrechtlichen Besitzes von Staatsländereien beschuldigt, 
aber schliesslich mit Ehren entlassen wurde, da ein ed^l 
denkender Mann und ein Bürger, dem er einst gastKch 
seine Hütte geöffnet hatte, ihn warm verteidigten. Die 
Naivität und biedere Treuherzigkeit des Jägers, dem der 
Tumult im Theater fast eine Ohnmacht verursacht und d<r 
ausgelacht wird, als er gerührt dem wiedererkannten Ga?t 
um den Hals fällt und ihn küsst, kontrastiert mit der 
tobenden Volksmasse und der schnöden Gesinnung des tur- 
bulenten Sykophanten, Diö fühlt sich in der ländlichen, be- 
scheidenen Behausung und in dem schUchten, naturwüchsigen 
Kreise der Jägerleute wohler, als bei Königen und Kaisern. 
»Ich musste die Menschen glücklich preisen, ja sie schienen 
mir glücklicher zu leben, als wen ich sonst kannte«. 

Die gleiche Grundidee durchzieht den Roman des 
Longos, der allein von diesen dürftigen Machwerken einer 
senilen Zeit für unsere Frage von Interesse ist. 

Dieser Roman von Daphnis und Chloe ist gleichsam 
ein potenziertes hellenistisches Idyll. Die Erotik d. h. die 
gesucht naive, in Wahrheit aber auf raffinierter Affektation 
und geradezu widerlicher Lüsternheit ^^^) beruhende Schil- 
derung des Liebesglücks zweier unschuldiger Landkinder 
verbindet sich mit dem idyllischen Sinne für das Stillleben 



Digitized by 



Google 



123 

auf der ländlichen Flur, für die engumgränzte , in ihrer 
Beschränkung vollglückliche kleine Welt harmloser, mit 
der Natur in seliger Harmonie lebender Menschen »deren 
Erlebnisse fast nur wie eine letzte Steigerung des Lebens 
einer sympathischen Natur behandelt werden, aus weicher 
diese Menschen so notwendig bedingt emporwachsen, daBs 
ohne diesen Untergrund der Natur sie so wenig Leben und 
selbständigen Inhalt haben könnten, wie die Blüte ohne 
Wurzel und ohne nährenden Boden«, ^^^) All ihr Tichten 
und Trachten bewegt sich in der bäuerlichen Sphäre von 
Hirten, deren Phantasie im vertrautesten Verkehr mit Feld 
und Wald und den weidenden Tieren ihre einzige Nahrung 
findet. Die schlichten Bilder entspringen sämtlich diesem 
engen Anschauungskreise. Dorkon ist blond wie Sommersaat, 
die gemäht werden soll I, i6, des Daphnis Locken sind 
schöner wie Veilchen III, 20; sonst begegnen uns in den 
Vergleichen Hasen I, 22, das Feldhuhn II, 4, Nachtigall, 
Schwan, Schwalbe II, 5,. das Junge der Nachtigall II, 6, 
Stare und Elstern II, 17, ein Vogeljunges III, 20 und 
Eulen IV, 40. Besonders charakteristisch ist der durchaus 
rhetorisch in Antithesen zugespitzte Monolog derChloe, in 
deren Seele beim Anblick des badenden Daphnis sich zu- 
erst ein Grefühl zu regen beginnt, dem sie umsonst Worte 
zu geben sucht I, 14: »Krank bin ich gewiss, aber welche 
Krankheit es ist, das weiss ich nicht: ich habe Schmerz 
unrf doch keine Wunde: ich traure, und keines meiner 
Schafe kam mir um: ich glühe und sitze in so tiefem 
Schatten: so viel Dornen haben mich geritzt und ich 
weinte nicht: wie viel Bienen haben mich gestochen, aber 
ich ass doch. Das aber, was jetzt an meinem Herzen 
nagt, ist bitterer als jenes alles. Schön ist Daphnis, aber 
das sind ja die Blumen auch: schön tönt seine Syrinx, 
aber das Lied der Nachtigallen auch: und doch kümmere 
ich mich .um diese nicht. O, dass ich seine Syrinx würde,^*^) 
damit er mich anhauchte, dass ich seine Ziege würde, da- 
mit er mich weidete. O böses Wasser, allein den Daphnis 
hast du schön gemacht, ich badete mich vergebens. Ich 
sterbe, ihr lieben Nymphen . . , wer wird euch nach - mir 



Digitized by 



Google 



124 

kränzen? Wer die armen Lämmer aufziehen? Wer des 
geschwätzigen Heimchens warten, das ich vielbemüht end- 
lich erhaschte, damit es mich einschläferte tönend vor der 
Grotte? Aber jetzt bin ich schlaflos durch Daphnis, und 
es plaudert vergebens«. 

Eine ähnliche Umwandlung der Gemütsstimmung voll- 
zieht sich mit Daphnis, als er Chloe zum ersten Mal ge- 
küsst hat I, 17 fin. »Wortarm war jetzt, der vorher 
geschwätziger als die Heimchen, träge, der sonst beweg- 
licher als die Ziegen gewesen war; auch versäumte er die 
Herde, auch war die Syrinx weggeworfen; bleicher war 
sein Angesicht als dürres Gras des Sommers«. »Was hat 
mir Chloe's Kuss nur angethan?« ruft er aus, »zarter als 
Rosen sind doch ihre Lippen, und ihr Mund ist süsser als 
Honig, gleichwohl sticht ihr Kuss schärfer als der Biene 
Stachel« . . In rührenden Antithesen fährt er fort zu 
klagen: »Wie die Nachtigallen singen! Aber meine Syrinx 
schweigt. Wie die Böcklein hüpfen! Und ich liege hier. 
Wie die Blumen blühen I Und ich flechte sie nicht zu 
Kränzen! Die Veilchen blühen wohl und die Hyazinthen 
aber Daphnis welkt dahin!« 

Als er die Schlafende »mit unersättlichen Blicken« 
betrachtet, flüstert er I, 25: »Wie lieblich schlummern die 
Augen, wie süss atmet der Mund! Süsser als Herbst- 
früchte und Blütengebüsche ... O der geschwätzigen 
Cikaden ! Ihr lautes Geschwirr wird sie nicht . schlafen 
lassen«. 

Als die Liebenden nach langer Trennung (III, 5 fi".) 
während der Winterszeit sich doch endlich wiedersehen 
und hinaustreten unter das Epheudach und Vögel fangen 
und Küsse pflücken, denken sie sehnend der Zeit, da der 
Schnee geschmolzen sein wird. Und im selben Bilde, das 
Theokrit von Daphnis braucht, sagt der Liebende : »Aber, 
Chloe, der Schnee liegt noch tief und ich fürchte, dass 
ich selbst eher dahinschmelze«. »Sei frohen Mutes, Daphnis, 
die Sonne ist warm«. »Ich wollte, Chloe, sie wäre so heiss 
wie das Feuer, das mein Herz verzehrt« ^^^). Nicht minder 
lebensfrisch und anschaulich ist die Scene IH, 33, die dem 



Digitized by 



Google 



125 

bekannten Gleichnisse der Sappho ihre Entstehung verdankt. 
Ein besonders schöner Apfel ist auf einem kahlen Baume 
hängen geblieben, Daphnig klettert hinauf und bringt ihn 
Chloe mit den Worten: »O Jungfrau, diesen Apfel Hessen 
freundliche Hören entstehen, und ihn hegte ein schöner 
Stamm, während die Sonne ihn zeitigte und das Geschick 
ihn bewahrte« Und so lange ich Augen hatte, wollte ich 
ihn nicht im Stiche lassen, damit er nicht herabfiele und 
ihn entweder weidendes Vieh zerträte oder böses Gewürm 
hinzukriechend vergifte«. »Und er empfing einen Kuss, 
der ihm lieber war als ein goldener Apfel«. 

Bukolische Beseelungen bietet Longos mehrfach, aber 
die Sympathie der Hirten mit der Herde ist noch inniger, 
als bei Theokrit. Dorkon ist tot, und verwirrt rennt seine 
Herde durcheinander und erhebt ein trauerndes Brüllen 1,31 ; 
J2 lagern die Geisen und Schafe still, ohne zu weiden, wie 
es schien vor Sehnsucht nach Daphnis und Chloe, und als 
diese wiederkehren, tummeln sie sich mutwillig; IV, 8 
schwärmen die Bienen mit fortwährendem Gesumme im 
verwüsteten Garten, als klagten auch sie über die ruchlose 
Roheit, Doch besonders »romantisch« und ganz an Heiners 
» klingende Wälder « , » liebende Bäume und Blumen « , 
flachend den Berg hinabhüpfende Flüsse« erinnernd, ist 
die Schilderung I, 23: »Der Frühling war zu Ende. Der 
Sommer hatte begonnen und alles stand in reichster Blüte. 
Die Bäume waren mit Früchten, die Ebenen mit Saaten 
bedeckt. Lieblich war das Schwirren der Cikaden, erfreu- 
lich das Blöken der Herden, süss auch der Duft des 
Obstes. Schien es doch, als sängen die ruhig dahin- 
ziehenden Bäche, als flöteten die Lüfte, die in den Fichten 
rauschten, als senkten die Äpfel sich voll Liebe gegen die 
Erde, als enthüllte die Sonne, der Schönheit hold, alle 
Sterblichen. Daphnis, von alledem im Innersten durch- 
glüht, tauchte sich in die Flüsse«: 

^Qog flv ^öfj riXoQ xccl x^iqovg (xqxV ^of* ndvTa iv dx^' 
d^vöqa iv xccQnotgy nsdCa iv Xnjioiq' ^dela fi€V revrfyMv 
^X^* yXvx^ta di oTTooQog odfifj' r^gnv^ dt noifjßpüov 



Digitized by 



Google 



126 

ßkflXri* eXxafSsv äv tic xat tovc norafwvc adiiv ^gifia 
^lovta<; xal rovg dvifiovg (SVQCvütiv ralc nCvv^v ffinv^- 
ovtuq' xal rä fi^?.a igc^rta nCnv^iv xafMuC xai top ijXi&v 
(f'ikoxakov opva nccvrag dnodvHV* O fjtfv ovv Jatpvtc 
x^eknofievoc rot^oic anaaiv sie tovc noraijovc dv^ßaive 

Wer möchte hier den Fortschritt zum Modernen hin ver- 
kennen , wenn er diese Schilderung mit derjenigen der 
Thalysien bei Theokrit vergleicht? Nicht bloss finden alle 
Sinne ihre Befriedigung an dem herrlichen Sommertage, 
nicht mehr flüstern bloss die Blätter der Pinien wie bei 
Theokrit I, i, nein, viel individueller heisst es hier: es singen 
die Flüsse und flöten die Lüfte in den rauschenden Wipfeln! 
Und über der ganzen Schilderung liegt ein Hauch jener 
Stimmung, die Heine in den Reisebildern (1, 51) also ausdrückt: 
»Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erscheinungswelt 
mit unserer Gemütswelt zusammenrinnt, und grüne Bäume, 
Gedanken, Vogelgesang, Wehmut, Himmelsbläue, Erinnerung 
und Kräuterduft sich in süssen Arabesken verschlingen«. 
Und wie es ebendaselbst S. 49 heisst: »Wenn frohe Jugerfd 
und schöne Natur zusammenkommen, so freuen sie sich 
wechselseitig«, so »rinnt« auch bei Longos in der Schil- 
derung des Frühlings I, 9 die Freude, welche in der blühen- 
den, lachenden Natur herrscht, zusammen mit der Freude 
des jugendfrohen Hirtenpaares: »Da die schöne Jahreszeit 
alles erfreute, ahmten auch sie, die Jugendlichen, Reizenden 
jegliches nach, was sie hörten und sahen. Hörten sie der 
Vögel Gesänge, so sangen sie; sahen sie die Sprünge der 
Lämmer, so hüpften sie froh auf; und auch den Bienen 
es gleich thuend lasen sie Blumen, mit denen sie jetzt ihren 
eigenen Busen zierten, jetzt auch, sie zu Kränzen flechtend, 
die Nymphen schmückten. 

Die Lokalbeschreibungen sind ähnlich wie in den 
bukolischen Dichtungen: eine fruchtbare Landschaft, ntdia 
nvQOffoQa, y^Xofpoi xX^fACCTcav, vofjtai noiiivCwv, umkränzt von 
Wild hegenden Bergwäldern, ein xir^y^a xdXhmov; »und 
das Meer rauscht an das Gestade, welches sich mit weichem 
Sand dahinzieht« ; sonst vergl. I, 4 die Grotte der Chloe, 



Digitized by 



Google 



127 

20 .eine schöne , rings mit dichtem . Gestrüpp umrahmte 
Quelle, III, 5 die Laube von Myrthen und Epheu, in der 
die Wintervögel nisten; IV, 2 und 3 der Lustgarten ^^^) 
— wie in jener Zeit ihn zu beschreiben also auch wohl 
anzulegen epidemisch ward — , der alle Arten von Obst- 
bäumen und anderen Bäumen, genau abgeteilte Beete von 
Blumen, Rosengebüsche und Hyazinthen, Lilien, Veilchen, 
Narzissen u. s. f. in üppigster Fülle umschloss; vor allem 
wird aber die freie Aussicht ^^''^) von dem Garten auf die 
Ebene und auf das weite Meer gerühmt; »man gewahrte 
die Vorübersegelnden, so dass auch dies ein Teil der Reize, 
.des Lustgartens wurde«. 

ivxivd'sv tvomov fji>iv ^^v to ntdCov xal ^v oqav rovc 
v^liiovrag' evoTtvog di ^ x^dXavTa xal ^oaqm'To ol 
naqanXiovvsQ* «öT« xccl vavTa fjbigog iyCvtTo rric iv tm 
, , TtuQaöeCaw rgvcf^g. 

Also nicht bloss der liebliche, in sich abgeschlossene 
Raum erfüllte des Griechen Herz in dieser Zeit mit Freude, 
rwndern auch die Fernsicht auf die See mit den weissen 
Segehi der dahinfahrenden Schiffe! — 

Wir stehen am Ziele unserer Wanderung. Traten 
uns auch in einem Musaios und in einem Dio Chrysostomos 
.noch Männer entgegen von warmem ernsten Gefühl und 
edler Einfachheit, so dass sie in ihrer öden Zeit hervor- 
ragen wie einsame Bergkuppen, welche noch einmal die 
scheidende Sonne antiken Wesens mit freundlichem Scheine 
übergoss, so ist doch in den späten Erzeugnissen der 
griechischen Literatur, im Epigramm und besonders im 
Epos und Roman — ich möchte sagen — der haut goüt 
einer in Zersetzung und Fäulnis übergegangenen Kultur 
unverkennbar. In der Periode der Komnenen bricht für 
hellenische Kunst die Nacht voll und ganz herein, in deren 
düstrem »Grau in Grau« nicht mehr Gestalten in lebens- 
vollen Umrissen sich herausheben, sondern blutlose Schemen 
ihr unheimliches Wesen treiben. Wir wollen diese »Ge- 
spenster« nicht heraufbeschwören. 



Digitized by 



Google 



128 



Blicken wir zurück auf den Entwicklufigsgang, den 
das Naturgefühl bei den Griechen genommen hat, so fanden 
wir im Homerischen Zeitalter eine durchaus naive, 
mythologische Naturfreude, deren charakteristische Form 
das Gleichnis war, und nur in leisen Ansätzen bahnten sich 
die Vorbedingungen einer sympathetischen Naturauffassung 
an, nämlich die Symbolisierung des Geistigen durch das 
Natürliche, die Metapher und die Beseelung der Natur- 
erscheinungen. In dem eigentlich klassischen Zeitalter der 
Griechen gelangte dies sympathetische Naturgefühl zum 
Durchbruch; die Naturschilderungen, in denen noch viel- 
fach die Götter als Repräsentanten der Naturphänomene 
figurieren, sind gemäss dem strengen Stilgefühl, das dem 
Hellenen angeboren war, meist kurz gehalten, werden aber 
bereits zu stimmungsvollen Hintergründen verwertet und 
tragen den Schmelz echt lyrischen, in das Naturleben sich 
mit Innigkeit versenkenden Empfindens. Als Vorstufe zu 
einer unmittelbaren, persönlichen Hinneigung zu der Natur 
entwickelte sich bei Euripides die Liebe zur Einsamkeit, 
die den Menschen hinaustreibt aus dem hastigen Getümmel 
der Stadt ans Meer, in den Wald. Der Bruch von Geist 
und Natur vollzog sich allmählich und erzeugte jene »Sehn- 
sucht nach einem Ideal«, nach einem verlorenen Paradiese, 
die den Kernpunkt des sentimental idyllischen Naturgefühls 
im Hellenismus bildet, welches die Landschaft um ihrer 
selbst willen aufsucht und schildert. Nicht mehr schimmert 
die Freude an der Natur nur durch die Schilderungen hin- 
durch, wie in den früheren Epochen, sondern direkt bekennen 
die Dichter, wie gar liebliche Reize die Natur bietet, -und 
wie bewundernswert ihre erhabene, ewige Schönheit ist; 
und gerade in dieser Hinsicht vertiefte sich das Natür- 
gefühl in der späteren Zeit des Hellenentums im Gegen- 
sätze zu der klassischen Periode, so dass die Äusserungen 
desselben auch im Vergleich mit denen der modernen Zeit 
nicht »kalt, oberflächlich, nüchtern« (Woermann, L. in d. 
K. d. a. V. S. 415) genannt werden können. Denn auch eine 
träumerische, andachtsvolle und melancholische Natur- 
betrachtung sahen wir im Epigramm hervortreten, das überall 



Digitized by 



Google 



129 

ein innerlicheres, reflektierteres, sentimentaleres Gefühlsleben 
bekundete, als je zuvor möglich war. - Dass dieser Ent- 
wicklungsgang des Naturgefühls auch für eine Landschafts- 
malerei von höchster Bedeutung war, liegt auf der Hand. 
Mit Recht sagt Friederichs (die philostratischen Bilder 
S. i86): »Die Natur muss entseelt werden von Göttern, um 
durch die Empfindung des Künstlers neu beseelt zu werden ; 
dies ist die Voraussetzung der Landschaftsmalerei« ; aber 
^ er irrt, wenn er hinzufügt: »und diese Voraussetzung fehlte 
dem Altertum«. Wir sahen, wie die Beseelungen im Laufe 
der Jahrhunderte immer individueller, stimmungsvoller, male- 
rischer wurden, und so hat sich auch eine Landschafts- 
malerei entwickelt, die trotz der vielen technischen Mängel 
und trotzdem sie eigentlich nur handwerksmässige Wand- 
malerei blieb, die Keime unserer modernen Landschafts- 
malerei in sich trägt, wie Woermann in seinem trefflichen 
Buche dargethan hat. 

Es leuchtet daher ein , dass zwischen antikem und 
modernem Naturgefühl kein diametraler Gegensatz besteht, 
sondern nur graduelle Unterschiede. Um beiden gerecht 
zu wefden, müssten wir auch die Entstehungsgeschichte 
des Naturgefühls bei den Römern und bei den modernen 
Völkern überblicken, was wir späteren Untersuchungen vor- 
behalten. Hier mögen wenige Bemerkungen genügen. 

Unser modernes Naturgefühl ist erst sehr jungen Da- 
tums. Wie die griechische Mythologie zunächst die freie 
poetische Entfaltung des Naturgefühls hemmte, so juch bei 
den modernen Völkern mutatis mutandis das Christentum, das 
Abwendung von der Wirklichkeit, Weltflucht, Naturverach- 
tung predigte; »alle Erdengegenwart ward zur Himmels- 
zukunft verflüchtigt, und das Reich des Unendlichen blühte 
über der Brandstätte der Endlichkeit auf« (Jean Paul). 
Die deutsche Poesie des Mittelalters bietet wohl manche 
anmutige Naturschilderungen, aber selbst im Minneliede 
sind sie meist nur zierliche Arabesken und leiden an Mo- 
notonie mit ihrer steten Frühlingsfreude und Wintcrklage; 
im Volksliede durchdringen sich Gefühl und Naturfreude 

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 9 



Digitized by 



Google 



130 _ 

weit inniger. Erst Petrarca in Italien, Rousseau fn Frank- 
reich, Göthe in Deutschland, Byron und Shelley in Eng- 
land zeigen die höchsten Stufen modernen Naturgefühls. 
Und zu dem Empfinden dieser grössten Geister aller Zeiten 
verhält sich das antike wie die geschlossene Knospe zur 
vollen, prangenden Frucht. Ansätze und Ahnungen, ja 
recht deutliche Spuren modernen Empfindens traten in der 
griechischen Poesie immer stärker hervor, obgleich sie nie 
zu einem solchen Extrem deskriptiver Naturmalerei und 
überschwenglichster Naturschwärmerei gelangte, in das mo- 
derne Dichter nur zu oft verfielen. Das Stimmungsvolle, 
Idyllisch-Träumerische ward immer intensiver im antiketi 
Naturgefühl; dieses blieb daher nicht »stets, was es ur- 
sprünglich war, polytheistisch und plastisch« (Rohde S. 51 lö* 
Wenngleich der Grieche stets eine besondere Vorliebe 
bewahrte für die einfache, ländliche, idyllische Natur, so 
gaben sich uns doch auch unverkennbare Spuren eines 
Gefühls für das Romantische kund in den Äusserungen einer 
andachtsvollen über das Irdische hinausgehobenen Stim- 
mung beim Anblick des in ewigem Blau sich wölbenden 
Himmelsdomes und der nach ewigen Gesetzen wandelnden 
Gestirne oder in der Freude, den Blick über Berg und Thal, 
über Land und Meer ins Unermessene schweifen zu lassen, 
oder in Schilderungen eines einsamen, verborgenen Wald- 
winkels, eines lauschigen Bergseees oder »wilder Felsenthal- 
landschaften«, wie sie in antiken Waldgemälden sich finden 
(Woern^nn S. 406^. 

Aber ein so tief innerliches, pantheistisches Zusammen- 
weben von Geist und Natur, findet sich im Altertum noch 
nicht wie bei modernen Dichtern, die ihr gesamtes, kom- 
pliziertes Gemütsleben in allen seinen Nuancen auf die 
Aussenwelt übertragen, sich ganz eins fühlen mit der Natur 
und so die höchste Stufe der Landschaftsdichtung erreicht 
haben mit der Schöpfung eines objektiven und doch bis 
in den innersten Kern stimmungsvollen Landschaftsbildes 
mit durchscheinendem Bezug zu der geistig sittlichen Welt, 
in welchem »das Objekt ganz in das Subjekt sich verliert, 
wie dieses ganz in die Natur aufgelöst wird«. Diese letzte 



Digitized by 



Google 



131 

KojiSi^qu^nz des sympathetischen Naturgefühls blieb dem 
Zeitalter Göthe*s vorbehalten, der in seinen Naturliedern 
das Vollendetste geleistet hat. 

In der gesteigerten Innerlichkeit des Seelenlebens 
beruht ja besonders das Wesen des Modernen. Das Natur- 
gefühl eines Göthe, Heine und Byron ist in seiner Grund- 
stimmung universeller und individueller zugleich, als es je 
im Altertum sein konnte. Je reicher eben die. Ideeen weit, 
je tiefer die Weltanschauung ist, desto bedeutungsvoller ist 
auch die Natursymbolik, desto inniger und herzlicher ist 
jeae Liebe zur Natur, die in ihr stilles Leben und Weben 
j hineinblickt wie in das Herz eines Freundes und mit Byron 
ausruft in glühendem. Pantheismus : »Sind nicht die Berge, 
Wogen und die Himmel ein Teil von mir und meiner Seele 
. sowie ich von ihnen? Ist nicht die Liebe zu ihnen tief iij 
meinem Herzen mit frommer Leidenschaft?« Oder mit 
Geibel: 
..., Was da webet im Ringe, 

Was da blüht auf der Flur, 

Sinnbild ewiger Dinge 

Ist's dem Schauenden nur. 

Jede sprossende Pflanze, 

Die mit Düften sich füllt, 

Trägt im Kelche das ganze 

Weltgeheimnis verhüllt. 

Schweigend blickt's aus der Klippe, 

Spricht im Quellengebraus; 

Doch mit heiliger Lippe 

Deutet die Muse es aus. 



Digitized by 



9* 

Google 



Anmerkungen. 



*) Schiller, über Daive und sentimentalische Dichtung; die klassische 
Stelle lautet Bd. XII, S. 187 Cotta 1838: »Wena man sich der schönen 
Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab, wenn ; man nachdenkt, 
wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien 
Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Em- 
pfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen, und welch ein 
treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind, so muss die Bemerkung 
befremden, dass man so wenige Spuren von dem sentimentalischen Interesse, 
mit welchem wir Neueren an Naiursccnen und Naturcharakteren hangen 
können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade 
genau , treu , umständlich in Beschreibung derselben , aber doch gerade 
nicht mehr und mit keinem vorzüglicheren Herzensanteil, als er es auch 
in Beschreibung eines Anzuges, eines Schildes, einer Rüstung, eines Haus- 
gerätes oder irgend eines mechanischen Produktes ist. . . Die Natur scheint 
mehr seinen Verstand und seine Wissbegierde als sein moralisches Gefühl 
zu interessieren; er hängt nicht mit Innigkeit, mit Empfindsamkeit, mit 
süsser Wehmut an derselben, wie wir Neueren. . . Seine ungeduldige Phan- 
tasie führt ihn über sie hinweg zum Drama des menschlichen Lebens. 
Nur das Lebendige und Freie, nur Charaktere, Handlungen, Schicksale und 
Sitten befriedigen ihn. . . . Da der Grieche die Natur in der Menschheit 
nicht verloren hatte, so konnte er ausserhalb dieser auch nicht von ihr 
überrascht werden und kein so dringendes Bedürfniss nach Gegenständen 
haben, in denen es sie wieder fand, .Einig mit sich selbst und glücklich 
im Gefühl seiner Menschheit, musste er bei dieser als seinem Maximum 
stille stehen und alles andere derselben zu nähern bemüht sein . . Die 
Alten empfanden natürlich, wir das Natürliche.« 

2) Briefwechsel mit Wilh. v. Humboldt Cotta 1830, Brief vom 
9. Nov. 1795; auch Humb. (Br. vom 6. Nov. S. 282) will »als Quellen und 
Muster des griechischen Geistes eigentlich und im strengsten Verstände nur 
den Homer, Sophokles, Aristophanes und Pindar anerkennen; alle anderen 
zeigen ihn minder einfach und rein.« 



Digitized by 



Google 



133 

3) über n. u. s. Dichtung S. 191. 

*) Abhdlg, über Matthisson's Gedichte S. 383. 

^) Gervinus, d. Lit.-Gesch. I, 113; in der Aufl. 1871 lautet es ge- 
mildert: »das ganze Altertum kennt keine so innige Freude an der Natur, 
wie sie aus den Tierdichtungen der mittleren Zeiten spricht«. 

6) Becker, Charikles I, 219: »Es ist mir bei keinem Schriftsteller 
der besseren Zeit auch nur ein Versuch vorgekommen, ein landschaftliches 
Bild zu entwerfen . . . man kann noch weiter gehen: höchst selten nur 
spricht sich bei den Griechen die tiefe und warme Empfindung der Reize, 
welche die unbelebte Natur bietet, aus, deren Mangel bei uns, wo er sich 
findet, immer getadelt oder bemitleidet wird«. 

^) Otfr. Müller, Handbuch der Archäologie der Kunst ^ p. 468 i: 
»Der griechische Geist kennt nicht das sentimentale Verweilen bei der 
Natur im allgemeinen, die romantische Auffassung der Landschaft; er 
drängt ungeduldig zum Gipfel der körperlichen Bildung, zur menschlichen 
Gestalt«, p. 763: »Der ahndungsvolle Dämmerschein des Geistes, mit 
welchem die Landschaft uns anspricht, musste den Alten nach ihrer Geistes- 
richtung künstlerischer Ausbildung unfähig scheinen.« 

?) Jacobs, Vorr. p. VH Leben und Kunst der Alten I 1824: »Wer 
möchte wohl die Gemälde der Natur und ihrer Erscheinungen, welche Homer 
dem reichsten Gewebe seines Epos eingewirkt hat, den breiten Schilderungen 
nachsetzen, die ihren Fleiss.der Schilderung der Natur ausschliessend ge- 
widmet haben? Auch die Anthologie ist nicht arm an Gedichten, welche 
ihre Reize feiern und den Leser noch jetzt zu den Schatten säuselnder 
Platanen, an den Rand rauschender Bäche oder in kühle Gründe rufen«. 

ö) Jean Paul, Vorschule der Ästhetik 2. Aufl. Berl. 1827 (s. W. 
Bd., 41 — 43) S. 100 if.; S. 132: »Die plastische Sonne leuchtet einförmig 
wie das Wachen, der romantische Mond schimmert veränderlich wie das 
Träumen^; femer S* 170: »Die Landschaften der Alten sind mehr plastisch, 
der Neuem mehr musikalisch oder, was am besten ist, beides«. S. 172 
identificiert er »musikalisch« mit »durch Gemütsstimmung«, »plastisch« mit 
»optisch«. 

*<>) Schnaase, Gesch. der bildenden Künste II, 128— 140 (II^ p. 
88 ff,): »Gewiss hatten die Griechen die feinste Empfänglichkeit, die 
innigste Wärme für die Schönheit der Natur,, aber vielleicht nicht für alle 
Erscheinungen und namentlich nicht für die, welche dem malerischen Prinzipe 
entsprechen«. Trefflich ist die Charakteristik des griechischen (speziell 
Homerischen) Naturgefühls im Vergleich mit dem hebräischen. 

") Carriere, Hellas und Rom S. 361 ff. 

*2) Schiller, über Matthisson's Gedichte S. 382. 

'^^) Alex. V. Humboldt, Kosmos 2. Band, p. 7: »Indem helle- 
nischen Altertum, in dem Blütenalter der Menschheit, finden wir allerdings 
den zartesten Ausdruck liefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen 
menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Hand- 
lung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann 



Digitized by 



Google 



134 



nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleich- 
sam im Kreise der Menschheit bewegt« etc. ' 

^*) Burckhardt, die Kultur der Renaissance 11^ p. 14. 

^^) Eine zusammenhängende wertvolle Skizze bietet Julius Caesar 
in der Casseler Zeitschrift für Altertumswissenschaft VII no, 61 — 65, Jahrg. 
1849; Hei big, über die Homerische Naturanschauung, Darmstädter Ztschr. 
für Altertumsw. 1841 no. 82; Ed. Müller, über Sophokleische Natur- 
anschauung, Liegnitz Progr. 1842; Pazschke, über die Homerische Natur- 
anschauung, Stettin 1848, auf ihr basiert Buch holz, Erfurt 1870; Dr. Freih. 
V, Kittlitz, Naturbilder aus der griech. Lyrik, Liegnitz Progr. 1867; vergl. 
auch Teuffei, Studien und Charakteristiken, Leipzig 1871 Aufs. III »Zur 
Vergleichung antiker und moderner Lyrik« p. 75 — 97, besonders p. 79 — 83, 
dagegen wieder S. 489; Lübker, die Naluranschauung der Alten, Flensburg 
Progr, 1867; Schlüter, vestigia Graecorum, Hadamar 1870, Berndt, die 
Empfindung der Naturschönheit bei den Griechen, Herfort 1873. Die beiden 
etzteren Schriften haben keinen selbständigen Wert. 

'6) Motz, über die Em^ifindung der Naturschönheit bei den Alten 
Leipzig Hirzel 187$; die Frage wird nach allgemeinen Kategorieen ohne 
massgebenden historischen Gesichtspunkt behandelt; das eine reibt sich lose 
an das andere; Interesse an den Jahreszeiten, Friihlingswoune S. 13, 
Lessing'sches Gesetz S. 15, Farbengefühl 19, Gegensatz des Antiken und 
Modernen nach Schiller, Mythologie 41 ; Bestreben, Landschaft und Stimmung 
in Harmonie oder Kontrast zu setzen 55; Vorliebe für die Stille in der 
Natur 62, für Einsamkeit 75, Sympathie zwischen dem Menschen und der 
Natur 81, Vorstellung einer paradiesischen Vorzeit, einer idealen Natur 89, 
Behagen am Herde bei Unwetter 94, Wunsch der Beflügelung 95, Wehmut^^ 
beim Anblick von Ruinen 97, Freude am Licht 99, am Zitterglaoz des 
Mondes, am Nachtdunkel 104, an der Gestalt der Wolken 108, an den 
Erscheinungen des Meeres iio, des Gebirges 113, der Pflanzenwelt, des 
Waldes und der Tiere — alles das ist in feinen Zügen entworfen, doch ob 
das Gefühl häufig oder vereinzelt aufgetreten sei und in welcher Epoche, wird 
nicht erwähnt; üyid neben Homer, Ausonius neben Sophokles und Euripides, 
Piaton neben Horaz, Anthologie (späteste Zeit) neben Sappho und Alkman. 
Dies ist um so mehr zu beklagen, als es z B, S, 30 heisst, das Naturgefiihl 
der Alten selbst sei in einer Entwicklung begriffen gewesen, S. 65 manches 
Moderne fänden wir schon bei den Alten, nur verhüllter, dunkler; trotzdem 
bleibt es die Grundansicht, dass jener Dualismus von Geist und Natur dem 
Altertum »ganz fremd« geblieben und der Naturgenuss der Alten ungesucht 
und reflexionslos gewesen sei (S. 47 und 48). Das moderne Naturgefühl wird 
völlig verkannt, als eitle Afifektation, ekle Empfindung der Empfindung etc. 
geschildert, vergl. S. 11, 26, 32 ff. — 

Eins aber hätte nach dieser Schrift feststehen müssen, dass die Alten 
ein tiefes Naturgefühl besessen haben ; eine nichtige Reaktion bezeichnet der 
Aufsatz von Fritz Meisne r »das Naturgefühl der antiken und modernen Welt« 
im neuen schweizerischen Mus. 6. Jahrg. 1866 p. 100 flf. ; das Resultat der 



Digitized by 



Google 



135 



ganz oberflächlichen Schrift läuft darauf hinaus, dass die Welt der Griechen 
auf der vollständigen Harmoivie von Geist und Materie beruhte (S. 119) 
und dass der moderne Mensch ein vom antiken Menschen diametral ver- 
schiedenes Wesen sei (S, 123)» — 

Im selben Jahre erschien in 2. Ausg. Vict. deLaprade, le sentiment 
de la nature avant le Christi anisme, Paris Didier 1866; es behandelt den 
Orient bis S. 253, die griechische Welt, — eigentlich nur Homer — ganz 
unkritisch S. 253 — 374; der Standpunkt ist der eines gläubigen Katholiken. 
Vieles ist durchaus phantastisch. Das Werk beginnt z. B. mit Expektorationen 
über das Gefühl, das Adam bei der Namengebung im Garten Eden hatte, 
mit ganz nebelhaften Träumereien über Urgeschichte etc., treffend und 
geistvoll sind dagegen die Ausführungen über die Unterschiede von Plastik, 
Malerei und Musik in ihrem Verhältnis zum Antiken und Modernen und 
manches andere; immer aber bricht der moralisierende Katholik hindurch; das 
^nturgeflihl ist ihm lediglich identisch mit dem Suchen des persönlichen 
■<jöttes in der Schöpfung (S. 228. 238. 242 ff.), so tadelt er die Inder wegen 
der Unbestimmtheit ihres Pantheismus, — dessen Erneuerung in moderner 
Zeit er beklagt, — die Griechen wegen, des Mangels du sentiment de 
l'«nite et de l'infinit^; recht vage ist kap. II S. 281 de l'art grec en g^neral; 
kap. III S, 301 heisst es: le nom d'Hom^re personnifie la Grhce vgl. 301. 
307. 339 etc. ; wie immer, fragt er auch bei Homer S. 322: comment la nature 
a-t-elle parM de Dien au p^re de la poesie grecque? kurz gestreift werden 
'die Orphica 340, Hesiod 344, Pindar 348, Anakreon 349, Theokrit 351, 
Äschylos 353. Sophokles 354, Euripides 356; schliesslich eifert er gegen 
die griech. Mythologie, die in ihrem Abfall von dem einen Gott nicht weit 
abstände vom afrikanischen Fetischismus, S. 373: la mer! cette chose, qui 
confond l'esprit, ce Symbole visible de PÖernel inconnu! la mer a pris la 
forme et le caract^re humains ; eile devient Neptune, avide turbulent, robuste 
vindicatif, aveugle dans' sa force etc. — Die Römer werden S. 375 — 417 
behandelt. Der 2. Band le sentiment de la nature che/, les. Modernes 1870 
erörtert das Mittelalter, Renaissance und die neue Zeit bei Franzosen, Eng- 
länder und Deutschen. — 

Unbekannt blieb mir E. Gebhart, histoire du sentiment poetique de la 
nature dans l'antiquite grecque et romaine, Paris 1860, welche Schrift nach 
dem'Urteile Secretan's (du sentiment de la nature dans l'antiquite romaine, 
Lausanne 1866) ganz auf der Überfläche Sich hält; auf andere französische 
Werke, die unsere Fragen streifen, weist Bernhardy P S. 135 der griech, 
Lit.-Gesch hin, wie Md. de Stael de la litterature p. 23 und 46, femer 
Courier memoires I p. 79; Bernhardy selbst verhält sich auch S. 140 mehr 
referierend, weist aber besonders nur auf Euripides hin, welcher »Schilde- 
rungen einer schönen, innig empfundenen und warm ausgemalten Natur 
bietet und zuerst die Erscheinungen der Natur mit Analogieen des Geistes 
und der Sittenwelt vergleicht«. 

") Silb erschlag im deutschen Museum von Prutz und Frenzel 
1866 p. 430 — 35, und Ochmann in einer Festschrift zum Jubiläum des 



Digitized by 



Google 



136 



Dir. Stinner in Oppeln »einige Worte • zu der Frage nach dem Natur$inn 
der Alten« 1867, 

^^) Hess, Beiträge zur Untersuchung über das Naturgefiihl im klas- 
sischen Altertum Rendsb. 187 1, betont besonders die Wichtigkeit der Land- 
schaftsmalerei, insonderheit der kampanischen Wandgemälde, auf Grund 
der Untersuchungen von Heibig im Rhein. Mus. Bd. 24 u, 25; er unter- 
scheidet in der Wandlung des Naturgefühls der Alten fünf Hauptabschnitte, 
den epischen, lyrischen (bis Alexander), den idyllischen (die hellenistische 
Zeit), den elegischen (augusteische Zeit und silberne Latinität) und den des 
Ausganges des Altertums; ähnlich mit Vorausschickung der mythologischen 
Epoche W. Röscher in der knappen und ansprechenden Programmabhand- 
lung »das tiefe Naturgefühl der Griechen und Römer in seiner historischen 
Entwicklung« 18 S. mit Anm., Meissea 1875. 

^9) Karl Woermann, über den landschaftlichen Natursinn der 
Griechen und Römer, Vorstudien zu einer Archäologie der Landschafts- ' 
maierei München, Ackermann 130 S., 1871, sucht die Entwicklung des 
Natursinnes, wie er sich in einer malerischen Auffassung und Darstellung 
eines in sich abgeschlossenen Bildes der Erdoberfläche bekundet, nachzu- 
weisen, bietet aber auch im allgemeinen viel Interessantes, und danke ich 
ihr — obgleich meine Arbeit schon im Grundriss eher entworfen war, als 
ich auf sie aufmerksam wurde, — viel Anregung. Das grössere Werk »die 
Landschaft in der Kunst der alten Völker, eine Geschichte der Vorstufen 
und Anfänge der Landschaftsmalerei« München 1876 resümiert, was die 
Poesie der Griechen anlangt, im wesentlichen die Ergebnisse der ersten 
Schrift, ebenso auch Hei big in den Untersuchungen über die kampanische 
Wandmalerei, Leipzig 187;?, kap. XXIII das Naturgefühl (in hellenistischer 
Zeit), das besonders interessant ist im Zusammenhange mit den voraufgehenden 
Kapiteln XVIII die Gesellschaft, XIX das Interesse für die Wirklichkeit, 
XX Auffassung der Mythen, XXI die Sentimentalität, XXII der Sinnenreiz. 

20) Friedländer, Sittengeschichte d^r Römer II pag. 104 ff.; ferner 
auf gleicher Basis die kleine Schrift „über die Entstehung und Entwicklung 
^les Gefühls für das Romantische in d^r Natur«, Leipzig 1873, ^^^ ^^^ ^^^ 
Satze beginnt: »Dass die Ausdehnung des Begriffs der Naturschönheit auf 
das Rauhe, Düstre und Öde, das Phantastische und Wilde , endlich das 
furchtbar Erhabene dem Altertum und Mittelalter fremd gewesen ist; darf 
als erwiesen angenommen werden« I 

21) Hehn, Italien, Ansichten und Streiflichter, Berlin 2. Aufl» 1879, 
kap» V, die Landschaft p. 54 ff. und p. 249. 

22) Brandes, die Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh. 
II p. 176, p. 180. 

*3) Du Bois-Reymond, Friedrich II und Jean Jacques Rousseau, 
deutsche Rundschau Heft 8, Mai 1879 p. 257. »Vergeblich sucht man in 
der antiken, mittelalterlichen, neueren Literatur bis zum vorigen Jahrh. nach 
dem Ausdruck dessen, was wir Naturgefühl nennen ♦ . es fehlte der Mensch- 
heit die Fähigkeit, überhaupt die Natur auf sich wirken zu lassen, und 



Digitized by 



Google 



137 



durch deren verschiedene Ansicht verschieden gestimmt zu werden.« — 
Ähnlich Cohn, Göthe als Botaniker, deutsche Rundschau VII, Heft lo, 
Juli 1881, S. 28: »Bekanntlich ist die Sehnsucht, die uns so mächtig in 
Berge und Waldeinsamkeit zieht und vor allem die von der Kultur nicht 
berührte romantische Landschaft der Hochgebirge aufsuchen lässt, eine 
ganz moderne Empfindung« u. s w. 

2*) Lotze, Mikrokosmos II ^ p. 317; vergl. III p. 107 ff. 

ä°) Lehrs, populäre Aufsätze aus dem Altertum, Leipzig 1856 p. 91, 
2. Aufl. 1875, S. HO. 

26) Welcker, Götterlehre I, 474, 

27) Kock, Alkaios und Sappho p. 93 ff. 

28^ Wieseler, Narkissos, Göttingen i8$6 p» 81. 

29) Man lese die herrliche Deutung bei Welcker I, 557. 

30) Vischer, Ästhetik II p. 457, Hehn, a. a. O», Brandes 
I. p. 275 u. A. 

^*) Grant Allen, »der Farbensinn, sein Ursprung und seine Entwick- 
lung«, übers, und Vorwort von Ernst Krause Leipz., Günther 1880, vgl. 
auch des letzteren Aufsatz in der Gartenlaube no. 44, p. 718, 1880. — Zur 
Vereinfachnng citiere ich die Ilias mit römischen, die Odyssee mit arabischen 
Ziffern. 

38) Vergl. das interessante Schriftchen von Rob. Vischer, über das 
optische Formgefilhl, Stuttgart 1873, Seite 3, 22 ff., auch duPrel, Psycho- 
logie der Lyrik, Leipzig 1880, S. 94 ff. 

33) Lotze, Mikrokosmos IP, S. 199. 

»*) Vergl. du Prel, Schluss d. o. a. Schrift. 

36) Vergl. die treffliche Analyse von Göthe's » Herbstgefühl «f in dem 
Progr. Braunschweig 1878, von Corvinus, S. 8. 

3ö) So z. B. heisst es bei L a p r a d e S. $9 : les poetes grecs et leurs 
h^ros s'attardent rarement au sein de la nature pour la contempler et la' 
decrire; ils la dessinent en quelques traits sobres, rapides et sürs, et plus 
souvent pour expliquer une Situation que pour le plaisir des yeux. Ils 
d^crivent le roonde ext^rieur comme s'ils faisaient la topographie d'un champ 
de bataille de la volonte humaine, sans iamais donner le paysage pour com- 
plice, interlocuteur et conseiller ä l'dme du personnage . . sans marquer 
dans un paysage sa signification humaine et subjective, son rapport d'oppo- 
sition ou de similitude avec teile ou teile Situation de l'dme . . sans Inter- 
preter le paysage et lui donner une ame sympathique ä celle de l'homme 
u. so oft. Gott schall, Poetik Breslau 1858, S. 253: »Der Wechsel der 
Tages- und Jahreszeiten, die Beleuchtung, Färbung und Stimmung der Natur 
rufen im empfänglichen Gemüt eine verwandte Stimmung der Seele hervor, 
die sich im lyrischen Naturbild ausprägt. Doch ist diese landschaftliche 
Empfindung dem klassischen Altertum fremd, das wohl Sinn für die idyl- 
lische Beschränkung des Daseins, für die Thätigkeit und die Freuden des 
Landlebens hatte, aber den Zusammenklang der Natur und der Seele nicht 
mit jener Innigkeit empfand, welche zum vollströmenden Quell der Lieder- 
poesie wird«. 



Digitized by 



Google 



138 

^7) Die Äsopische Fabel, auf deren Bedeutung für unsere Frage 
Woermann S. 31 zuerst aufmerksam gemacht hat, würde mit ihrer Natur- 
beseehmg, ihrer träumerischen und innigen Betrachtung des Lebens der 
Tiere und Pflanzen für die äheste Zeit unerklärlich sein, wenn sie nicht als 
ein fremdes Reis vom Orient nach Hellas verpflanzt wäre (vgl. Keller , über 
die Geschichte der griechischen Fabel in Flcckeis. Jahrb. Suppl. Bd. IV 
p. 309—412). In dieser Fabelwelt denkt und handelt ja nicht bloss nach 
Menschenart das Tier, sondern auch die Pflanze ist mit Sprache und Ver- 
nunft begabt, so in no. 32 cekointil^ xni ßdrog Fuchs und Dornstrauch, so 
die Eichen in no. 122 u. 123, 123b wandelt das einfache ^(^^ sogar in i&Qiivfh 
okoXvCovffce um, in no. 124 verlacht der Ulivenbaum den Feigenbaum, in 125 
brüstet sich die Fichte vor dem Domstrauch; besonders sinnreich ist 179 
xdlufAOh xal dqvg das Röhricht und die Eiche, 179 b u. c, in 188 klagt 
der gemisshandelte Nussbaum, 306 Fledermaus, Domstrauch und Taucher, 
384 Rose und Amaranthe, 385 Granate, Apfelbaum und Domstrauch; ja 
sogar der Winter und der Frühling treten in 414 auf und preisen ihre Vor- 
züge; wie anmutig klingt das Eigenlob des Frühlings: »Trann von dir 
wären gerne befreit die Menschen, während allein mein Name schon ihnen 
schön erscheint, ja beim Zeus von allen der schönste; daher gedeokea sie 
meiner, wenn ich von ihnen ging, und jubeln vor Freude, wenn ich 
wiederkehre.« 

Immerhin aber bekundet die Äsopische Fabel, dass die auf Witides- 
flügeln der Volksüberlieferung von Indien, Ägypten, Persien über Phrygien 
nach Griechenland übertragenen Erzählungen auf einen empfänglichen Boden 
fielen und sehr bald heimisch in Griechenland wurden. 

^ Vergl. Leutsch im Philologus II, i p. 29. 

39j ^ie Härtung, griech. Lyriker Alkman p. 145 dies Gedicht, 
als »vom Winterschlafe der Natur« handelnd, interpretieren kann, ist mir 
unverständlich. Am nächsten klingt es hoch an den Anfang des Paul Ger- 
hard' sehen Liedes »Nun ruhen alle Wälder« an. 

^0) Kock, Alkaios und Sappho, Berl. Weidm. 1862, S. il. 

**) Vergl. Preller, griech. Mythologie I^ S. 191. 

*2) Aus Gustav Brandes, ein griechisches Liederbuch, Ver- 
deutschungen aus griech. Dichtern Hannover 1881 ; ich ziehe diese Übers, 
besonders des Reimes wegen anderen vor, kann aber in diesem Büchlein 
nicht gutheissen, dass die »Verdeutschungen« zugleich moderne Umbildungen 
mit oft ganz unantikem Stimmungsgehalt sind ; so setzt Br. dies Fragment fort: 
Doch wird es sicher glücken 
Dem kühnsten Burschen, 
Holde, dich zu pflücken. 

<3) Br. dichtet weiter: 
Die Sonne geht auf und verkündet 
Für mich nur die alte Pein, 
Und trostlos verrinnt und entschwindet 
Die Jugend, und ich bin allein. 



Digitized by 



Google 



139 



Und SO entfliehen die Stunden; 
Schon erbleicht der Hoffnung Schein, 
Und Jbald ist verronnen, entschwunden 
Das Leben — und ich bin allein. 
So sentimental war Sappho nun doch wohl nicht! 

•*^) Brandes übersetzt nicht schön und zu frei dies Gedicht z. B.: 
. . der Frühling nahte sacht und legte milde 
Und segnend seine Hand auf die Gefilde . . 
Ach, Eros schafft nur Not mir und Beschwerden 
Und lässt es niemals Frühling in mir werden. 

^°) Man vergj. Pyth. HI, 75, Olymp. II, 55, Pyth. V fin., Pyth. IIl, 104 
->- Olymp. VII, 95, Isthm. III, 23, Ol. XIII, 27 — , Pyth. V, 10, Isthm. 
h 40- VI, 37; Luebbert, de Pindari elocutione diss. Halle 1853, bes. p. 47 ff. 

^6) (foyov naQTiodtov v€(^ika Nem. IX, 38; Isthm. III, 35 TQa/etcc 
yt.ifag Jtokf/bioio, Isthm. VI, 27 : iy javn^i yftf€k{c ^dkct^ay aVfxatog a/uv- 
y^jat, Nem. X, 9: noke'fioio ye^og, wie schon in der Ilias. 

«) Nem. VI, 30, Ol. IX, 47, Pyth. IV, 3, X, 51. 

*») Pyth. I, 41, Ol. XII, 12, Isthm. I, 36. 

^9) Vergl. sonstige Metaphern nkoxot cekCvwy Ol. XIII, 45, äyS^og 
Pyth. IV, 58, &äXkHy Ol. IX, 16, Pyth. IV, 65, VII, 20, dy^tty Ol. X, 10, 
Xni, 23 etc. 

50) w^ie ^eit das Drama Äusserungen eines Naturgefühls überhaupt 
zulassen kann, das zeigt keines in höherem Grade als das indische , z. B. 
die Sakuntala des Kalidasa, welches eine Fülle von Vergleichen, Metaphern 
und Schilderungen, aber auch innigste Beziehungen des Menschen zur Natur, 
besonders zu den Pflanzen, darbietet, wie gleich im ersten Akt. 

^^) Sept. 64 ßo^ xüf4C4 /fQanioy crgaiov, v. 114 xv^a thqI ntohy 
do/iuokoffccy dyd^dHy j xa/kuCd nyoatg ^AQiog 6{}6fjifyoy, ferner 443, 758, 
795i 1076; Pers. 87 Qfv/ud r* r^WTWJ/412, 433 x«x(üj/ nikayog, $gg xkudaty 
xitxtäy, Choeph. 183 xkvdcSyi^oy /oA^?, 391 (^Qifjivg aijjai> xaq&Cag, v. 33, 
951; Agam. 819 ätvjg S^vfkkcu, 996 diyai'g xvxkov fxfyoy xiaq, Eum. 832 
xoCfjia xfkatyov xvfjiarog mxQoy /uiyog, Hik. 469: xaxdSiy d( nk^^og no- 
rafiog wg iniQ/eTcct, ärtjg d'äßvaaoy nikayog x. t. A. , das Leben eine 
Meerfahrt Agam. 1005, Wechsel von Licht und Finsternis Choeph 61, vgl. 
Eum. 552; der König ein Steuermann, der Staat ein Schiff Sept. 63, 208, 
652, 760 etc. 

^^) Sonst wird, wie die Sonne das Auge des Tages, der Mond das 
glänzende Auge der Nacht genannt, wie Sept. 350; zu unserer Stelle vgl. 
Eur. Iphig. Taur. no, Geibel: »Es schaut mich rings die Finsternis mit 
schwarzen Augen an«f, (Hense, poet. Personif. S. 24 ff., S. 36). 

^3) Löwe Agam. 717, 825, Sept. 54, Eum. 143, die Menschenlöwin 
Agam. 1258 etc., Adler Prom. 102 1, Adler und Schlange Choeph. 247. 
Drache Choeph. 527, 540, 928 etc. Sept. 290 Kampf mit der Taube; 
Eum. 181 der Pfeil die zischende, schnellbeschwingte Schlange, Löwin und 
Wolf Ag. 1258, 



Digitized by 



Google 



140 

^*) Ähnlich preist Aias bei Soph, Ai 552 seinen kleinen Sohn 
glücklich: »von Leiden kennst du noch nichts, unbewusst hinleben ist das 
Süsseste, bis dass du lernest, was der Schmerz, was Freude sei«, vergl. 
Trach. 144 flf. 

^^) Vergl. ferner von Tauben Hik. 223, Prom. 857, Rabe Hik. 757; 
Aschylus schliesst gewöhnlich das Bild mit tag oder dUtjy oder (Sgts an 
die zu veranschaulichende Sache an (Sept. 85, Ag. 1444, 1472, 1671 etc ), 
aber verwebt auch nicht minder oft beides in Form der Metapher, wie es 
von der Niobe heisst: i(fr]fx^yrj Tf'nfoy T^xyoig ^ncjCf '^oig T€S-pijx6a&y. 
Ebenso s. d. Folgende. 

^) Vgl. Sept. 593 : »aus tiefen Furchen seiner treuen Brust erntend, 
daraus hervorspriesst vorsichtiger Rat«; Pers, 821: »es setzt dei Hochmut 
aufgeblüht die Ähren an der Schuld, die bald zu thränenreicher Ernte reift«, 
ferner Ag 79, 252, Pers. 952, Hik. 637 etc., von der Jagd Eum, iii. 

*^) Immer reicher wird die prägnante Bildersprache, vergl. ^aiita 
Phil, 254, 420, Aniig. 697, 1164, amt^ia AL 984. El. 632, ffvnvüf Öd, 
tyr. 347, ßkaaidyo} Öd. Col. 617, Phil. 131 1, El. 238 etc., äyd-og Äsch. 
Pers. 252, Prom. 7, Agam, 743, ccyS-fTy Ag. 1009, Pers, 821 etc., onm^a 
Hik. 1015, aQOCJ vom Schiff Hik. 1007, Pers. 795 etc. 

*8) Vergl. Elektra 107, 147, 1076, Aias 629, Trach. 103, 963. 
Metaphorisch Öd. r. 486 mTOfxai> iknCaiy, El. 242 ta/ouan nrigvyag 
d^vroyioy yotov u. s. w. 

5^) Liebessehnsucht oder eine plötzliche Gefahr gibt den Wunsch, 
ein Vöglein zu werden, im deutschen Volksliede sehr häufig ein; vergl. 
Uhland Schriften zur D. u. S. III 109, 283 ff., ebenso in ungarischen, 
vgl. Gosche, Archiv S. 252, nicht minder in schottischen, italienischen, 
mährischen, böhmischen, litthauischen, russischen, slowackischen, wie leicht 
zu ersehen ist aus Wolffs Hausschatz der Volkspoesie Leipzig 1853. 

®°) Ai. 206 S-okfQip /fi>^ibjyi> XHua yoff^actg, vgl. 351 ; EL 733 »kvdeay* 
b(f>innoy iy fitaia xvxcj/^eyoy, vgl. Antig. 128; Öd. tyr. 22, 695, 1527, 
Ai, 1080, Antig. 162, 189, 541, 994; El. 899, Öd» Col. 663, 1746. 

^^) Droysen, des Aristophanes Werke übers. IP, S. 257. 

®3) Griech. Lit.-Gesch. 11^ 2 p. 367, p. 369 no. 4. 

ö3) Sehr häufig sind Wendungen wie '^EXkaycjy yiifog Hik. 907, 
yit^og aVTi/cTw»/ Phoen. 250, ^vy^ QHf ig n(}oG(t)noy Or. 957, aivyyoy 6(^>^viav 
y€(f/og Hippol. 172, yfifog ol/LKoy^g Med. 107, vgl. Phoen. 727, Troad. 543, 
ür. 468, Herk. 12 16, 1240. 

ö*) Vergl. Herk. 102, El. 1147, Iph. T. 1317, Or. 695, J. A. 69, 
fr. 152. Seit Homer (Od. 8, 409) ist es sprichwörtlich, den Winden eitle 
Worte und Wünsche preiszugeben, vgl. Sappho fr. 18, Äsch. Sept. 690, Sspph. 
Trach. 468, so auch bei Euripides Hek. 334, Tro. 419. Hei. 1236. 

^''^) Hipp. 304. Herk. 1091. 

^) Nichts ist häufiger als das xctxcSy niXayog Hippol. 8^22, Tro. 696 
Med. 362. Herk. 1087, Hik. 824. Jon 927; Ür. 341 ; Herk. 698 äxvfiov 
ßioToy, Alk. 91; /ufTcexviui'Og cciag; ynkfjyC^ny z. B. (f^eyce fr. ine. 1064, 
J. T., 345; Or. 727 etc. vergl. Alexidis com. Mein. 3, 477. 



Digitized by 



Google 



141 

/ 

67) Hek. loSi, Troad. 686, Jon. 966, Hik. 1269, Hipp. 315; vergl. 
die erschöpfende Dissertation von Elimar Schwartz, de metaphoris e mari et re 
navali petitis quaestiones Euripideae. KieU 1878. 

6S) Löwe: Phoen» 1573, Or. 1401, Med. 187, 1342, Hei, 379, 
J. T. 1142 etc.; Schlange Androm. 217, Or, 1406; Waldeber Phoen. 1380, 
Or. 1460 u. s. f. 

6«) Hek. 178, Hipp. 828, Hik. 1046, Bakch. 748. 957, 1090 etc. 

^ö) Immer wieder bricht die Freude am Licht hindurch, die mit der 
Freude am Leben identisch ist: Or. 1523, Hek. 168, 364, 435, Alk. 395, 
868, Iph. Anl. 12 18, 1250, 1509 etc. 

^*) Auch Beseelungen anderer Art zeigen hochgradige Sentimentalität , 
wie der Wunsch Hek. 836: »O dass in diesen Händen, diesem Arm ein 
Laut mir wohnt', im Haar des Hauptes und der Füsse Tritt — dass alle 
weinend deine Knie' umklammerten« u. s. f., vergl. Phoen. 1384, 1440. 

"^2) Woermann S. 47. 

^3) Schlichtere Wendungen s. El. 59, Androm 91, Iphig. T. 42. 

^*) Woermann S. 48 u. 49. 

75) Droysen a. a. O. IP S. 21. 

76) Vergl. Xenophon memorab. I, i, 12. Lelirs popul. Aufs. S. 135 
liest wohl zu viel in die Phädrosstelle hinein. 

77) Unberechtigte allgemeine Folgerungen zieht Lotze aus diesem 
Satze im Mikrok. III, S. 292. 

78) j^ur in diesem Sinne lässt sich von einer Naturverachtung bei 
den Alten, d. h. bei vielen Philosophen, also von einer Verachtung der 
Naturwissenschaft reden, — wie es Schultze gethan hat in seinem Auf- 
satze »über die Entstehungsgeschichte der Naturverachtung« Kosmos III. 
Jahrg. 1879, 4- Heft, Juli p. 245 ff., ohne aber Naturerkennen vom Natur- 
empfinden zu trennen, indem er eine »so hochgradige Naturverachtung« nach- 
weist, »die wir geschichtlich wohl zu erklären, nicht aber — und glück- 
licker Weise nicht gemütlich nachzuempfinden verstehen«. 

79) Vergl. bes. vom Meer und der Schifffahrt: Resp. III 3 p. 389 D, 
VI, 4, V p. 472 c. 17; Politic. p. 266, 302, Phaedr. p.264A, Phaedo 85 D, 
p. 99 D; Phileb. p. 29 B, Protag. p. 338/., Euthyd. p. 293, Laches p. 149 B, 
Phileb. p. 137, Legg. VII p, 803 etc., von der Jagd Soph. 226 — 241, Bienen 
Theaet. p. 163, Kratyl. 401, in ähnlichem Sinne von andrängenden Wogen 
resp. V. 4 p. 441, p. 453 etc. 

^) Vergl. Woermann, über den landschaftl. Natursinn S. 65 ff., 
die Landschaft in der Kunst der alten Völker, München 1876 S. 201 ff,, 
Heibig, Untersuchungen über die kampanische Wandmalerei, Leipzig 1873, 
kap. XXIII, S. 269 ff. Dass aber die Behauptung S. 271, es sei in der 
vorhellenistischen Zeit das Naturgefühl »vollständig naiv und ohne jegliche 
Beimischung von Sehnsucht« geblieben, einer Einschränkung bedarf, glaube 
ich erwiesen zu haben; vergl. über die Liebe zum Landleben im Gegensatz 
zur Stadt Thuk. II, 14, 16, 65, Isokr. areopog. § 52; Pausania? IV, 73 
(von den Eleern) ; Xen. ökon. 5. Stob. Floril. 56, Mein. II p. 334 ff. Hcr- 



Digitized by 



Google 



142 

\ 

mann, Lehrbuch der griech. Privalaltertümer, 2. Aufl. von Stark, Heidelberg 
1870, S. 99 Anno. 2, S. 100 Anm, 16. 

s») Heibig a, a. O. S. 272 ff, 

^■^) Vergl. Becker Charikles II, 403, Bo etlicher, Baumkurtus der 
Hellenen, S. 179 u. 278. 

83) Heibig a. a. O. S. 274 fi. 

8*) Roh de, der griechische Roman und seine Vorläufer, Leipzig 
1876, S. 119. 

«'') Roh de a. a. O. 

88) Dil t he y, de Callimachi Cydippa Lips, 1863, vergl. besonders 
p. 78 p. 129. 

*^) Becker, Ckarikles II, 405, 10. 

88) Becker, Charikles I, 326, Rohde S. 162, Anm. 3. 

89) Uhland, Sehr, zur d. Dichtg. u. S. Bd. 5, S. 130. 
*o) Spanisches Liederbuch von E. Geibel und P. Heyse. 

ö*) Die Macht des Eros unter dem Bilde des Feuers wird seit Euri- 
pides (z. B» Hippol. 525) immer häufiger; vergl. II, 26, 29, 131 — 133, VII, 
56, 102; III, 17, XI, 52; Mosch. "Egcjg dQaniTijg 22 ff. Sophokles schildert 
seine Herrschaft über Land und Meer in dem bekannten Chorliede Antig. 781. 

ö2) Ähnliches im deutschen Volksliede Uhland Sehr, zur d. D. 
u. S. III (Volksbl. II) p. 216 ff. 

93) V. 10 ^i^oviug ffctQxog, v. 1 1 x«l t6 ^6&ov ff'tvyn tu /(lUog, v. 25 
fidCoi /ioyfoi; v. 62 (fvkkdg igijfxa , v. 68 ßdkkf de viv (rr*<f aVowr* xm 
ävO^eci ndvra Gvv avTia, mg Trjvog riS^vaxt xcU avO-ea ttcvt* ifut^dr^f 
vergl. trag. fr. adesp. 480 Nauck p. 727 «nayjit S-dkkn xal ntck^y fia- 

QCCtVfTCei. 

9*) Vergl. Esai. Tegner , Frithjofs Sage, übersetzt von Leinburg, 
II. Aufl., no. 64 S. 165, im Anschluss an die jüngere Edda, übers, von 
Simrock, p. 282. 

9ß) Bienen I, 879, II, 130, Tauben und Habicht t, 1049, H? 934» 
IV, 485, Wolfl, 1243,11, 123, Stiere II, 88, 662, IV, 468; Bremse III, 276, 
Ross 1259, Eber 1351; Hindin IV, 12, Vögel 240, Herden 675, Delphin 933, 
Möwen 966, Schwäne 1299, Jagdhunde 1393, Ameisen 1452, Drachen 154I1 
1641 ; Naturwunder I, 1142, III, 223, IV, 1286, 1365; eine Verwandlung 
IV, 603, 1423. 

9ö) Naeke opuscula II p. 118 squ. 

97) Rohde a. a. O. S. 66. 

98) Eine Nachahmung scheint IV, p. 127 no. 47 adesp. zu sein. 

99) So bittet er auch no. 125 die Leuchte, die sonst sein Liebesglück 
beschienen, zu verlöschen, wenn die Ungetreue mit einem andern kose, 
ebenso Meleager I p. 30 no. 102. 

<oo) Oersted, der Geist in der Natur, 3. Aufl., Leipz. 1850 S. 65 ff. 
Sehr richtig fügt er der Gefiihlsschilderung hinzu: »Dem ganz Ungebildeten 
wird der Gegensatz zwischen dem lichten Himmelsgewölbe und der dunklen 
Erde, die Stille und die daraus entspringende Seelenruhe nicht fremd sein 



Digitized by 



Google 



143 



können . ., aber die von dem wissenschaftlichen Denken befruchtete Ein- 
bildungskraft sieht durch das Sternenlicht die Ewigkeit schimmern und wird 
fühlen, dass Grösse, Leben und Gedankenfülle des Daseins, kurz dessen 
mächtiger Gottheitsinhalt in seine Seele hineinstrahlen muss mit dem, Him- 
melslicht, dass sein Auge trifft • . ; es hat die Auffassung der Natur, bei der 
wir uns von ganzer Seele ihrem Genüsse hingeben, eine desto grössere Kraft 
und Fülle, je mehr wir die Bildung dazu mitbringen, welche nur durch das 
wissenschaftliche Denken oder doch durch dessen wohlverstandene, im Zu- 
sammenhang begriffene Ergebnisse erworben werden kann«. 

101) Vergl. das so recht modern gedachte no. 94, in dem er den 
Becher beneidet, den Zenophila zum Munde fuhrt: 
Dieser Becher bringt mir frohe Kunde, 
Sagt mir, dass er sel'ge Wonne spürt, 
Seit Zenophila mit süssem Munde 
Trinkend seinen Rand berührt. 
Sei du selig! 
Mir ist's nur genug, 

Wenn ich meinen Mund im Kuss vermähle 
Ihrem Munde, und sie meine Seele 
' ' Lipp' an Lippe trinkt in einem Zug. Brandes, 

Jacobs richtiger: Glücklicher! — Tränke die Seele sie mir so 
rdurstigeii Zuges Lippen an Lippen gefügt, ohne zu atmen, hinab! 

okßwv, «f^' vn'ifXQtg vvv ^iil-ta ^iiGa \ anvivCxl i/'w/«V t«V Iv 
ifi^i nqonCotf vergl» Agathias no. 16 IV p. 9. 
t«) Die Pointe verkennt Brandes S. 88. 
103) Im Tone des Epitaphs auf Bion : no. 124 p. 37, v. 3 
^ yaQ dtj Xttl nijQog dvicjfvfv , ävi^x' difotxoiv 
üktxfg oliJKay^ aov vixvv dxO-offOQSvy. 
. *04) Schön, aber doch zu frei ist die Übersetzung bei Brandes S. 92, 
z» B. im ersten Vers: 

Nun der Winter hat das Feld geräumt, 
Und die Frühlingssonne wieder lacht. 
Nun die Blumen, die so lang geträumt, 
Von der Vögel erstem Gruss erwacht. 
Nun die grüne Au 
Glänzt im frischen Tau, 
Wird die Rose auch des Lenzes Küssen 
Ihren Busen bald erschliessen. 

Oder im letzten: 

Da die Frühlingssonne wieder lacht, 
Da der Hirt auf neue Weisen sinnt, 
Da die Blume, aus dem Schlaf erwacht, 
Da die Nachtigall ihr Lied beginnt, 
Und von Wonne voll 
Ist die Welt, da soll 



Digiti 



zedby Google 



144 

Bei des Frühlings Rauschen, Blühen und Klingen 
Nicht beglückt der Dichter singen? 

*o&) Lehrs, populäre Aufsätze, 2. Auflage, S. 135. 

i'^ö) Roh de a. a. O. S. 278 ff. 

^07) Dass man auch dies »Hauptmerkmal modernster Sentimentalität« 
den Alten abgesprochen hat, bedarf eigentlich nicht der Erwähnung; es ist 
aber immerhin lehrreich zu sehen, zu welchen Ergebnissen apriorische Ab- 
straktionen, die jeder Basis entbehren, gelangen können. So heisst es ganz 
apodiktisch z. B. bei Fritz Meisner im neuen Schweizer. Mus., 6. Jahrg. 
1866 p. 117: »Den Alten fehlte ganz die Poesie der Ruinen, die Trauer 
des Herzens über vergangenes Glück, das melancholische Versenken in eine 
ideale Vergangenheit.« 

108) Vergl. Koberstein, über die in Sage und Dichtung gangbare 
Vorstellung von dem Fortleben abgeschiedener menschlicher Seelen in der 
Pflanzenwelt, Weimar. Jahrbuch I S. 73—100, Nachtr. von Koehler S. 479—83, 

io9j Woermann, die I^andschaft in der Kunst der alten Völker, 
S. 534- 

^10) Die Beseelungen vom Lachen, Schlafen und Schweigen kehren 
immer wieder, so z. B. im Hymnus des Dionysios II, 230 no. 2 auf ApoUon; 
es I-lingt an Aristophanes Thesmophor. an, wenn er beginnt tvfa/LtfiTM 
nag aid-i^q \ y^ xcä noviog xal nyouä, | ovQta, t^'^tt*«, aiyctTM | ^/o* 
(^d^oyyog T'oQvid-top x. t. k. 

»>) Rohde, S. 3. 

"2) Rohde, S. 508 

**3) Jahn, aus der Altertumswissenschaft, populäre Aufsätze Bonn 1868 
S. 53-74. 

^^^) Vergl. die Liebesexercitien I, 13, 32.; II, 11, 38; III 13 u. 14. 

"''^) Rohde, S. 511. 

^^^) Es ist ganz interessant , wie die byzantinischen Dichter . in 
sklavischer Nachahmung sich auch in diesem Wunschmotiv an ihre -Vor- 
bilder anschliessen, man vergl. Niketas Eugen II 332 (Hercher erot. Script. 
II p. 458) mit dem Anakreont. 22. In den Volkshedern des »Wunderhorn« 
III, S. 109 haben wir die wörtliche Übersetzung. Heisst es im Anakr. ^yo) 
d'taonTQoy fttjy \ onwg dfl ßUnrjg juf \ iyo) /iTMy yfvoi/utjy \ omag def 
(fOQ^g fit und bei Niketas: iyia d'^oonrQoy iVQfO^fCrjv^ Ziv ava\, \ omog 
(hl ßktnrig fj.€ av, Kukkiyovtj' \ /iT(6y yfyoi/mjy ^^vGonaGtog not'Xtkog, \ 
oncjg i'/M Gov &iyydyfiy tov üccqxCov, so lautet es im deutschen Liede: 
Wollt' Gott, war ich ein lauter Spiegelglas, 
Dass sich die allerschönste Frau 
All Morgen vor mir pflanzieret, 
Wollt' Gott, war' ich ein seiden liemdlein weiss, 
Das mich die allerschönste Frau 
An ihrem Leibe trüge. 
Übrigens begegnen auch sonst in den sogen. »Volksliedern« antike Reminis- 
cenzen wie die Göttinnen Diana, Echo, Aurora, und wie besonders Amor, 
vergl. das Lied 11 p 396; 



Digitized by 



Google 



145 

Als ich verwichen lag in sanfter Ruh, 
Da klopft's an meine Thür 
Und kommt auch zu mir 
Ein kleiner ßu* 
mit Anakreont. 31 ^iGovvxTiOkg nor' cSgaig . . ''Egcjg iTUGiad-tCg fitv \ 
^VQttay txoTTT* o/ijccg x. r. L 

*^') I, 23 sucht er die innere Glut durch kaltes Wasser zu löschen, 
vergl. Mus. Hero u. Leand. v. 211. 
"«) Rohde, S. 512. ^ 

119) Vergl. Libanios' Schilderung des Frühlings IV p. 1052: xcci 
Tig i(f vif'tjkov, ßk(n(ov ^utv dg tijp fjmiqoVy ßkintoy ds fig ^ttkarray, 
ovx ^Ti(o ccp T^v (vq^oavvfjy and TcwTtjg j/ ano Ttjg iqndqov xagntoffcuTo. 
ieyoiyvvTcei t6t€ xctl 37 d-ixkaaGcc rolg nltoTtjQffiy x. t. l. 



Biese, die Entwicklung des Naturgeftthls, 10 

Digitized by CjOOQ IC 



Digitized by 



Google 



Inhalts -Verzeichnis. 



Seite 

Einleitung i 

Erstes Kapitel, das naive Naturgefuhl in Mythologie und bei Homer 7 

Zweites Kapitel, das sympathetische Naturgefuhl in Lyrik und Drama 20 

Elegiker 22 

Lyriker 25 

Äschylos 35 

Sophokles 39 

Euripides 46 

Aristophanes 56 

Piaton 60 

Aristoteles ^62 

Drittes Kapitel, das sentimental-idyllische Naturgefühl des Hellenismus 

und der Kaiserzeit 64- 

Das Idyll 69 

Das Epos 79 

Das Drama 85 

. Das Epigramm 87 

Epos und Roman . . *. 116 

Rückblick 128 

Anmerkungen 132 



Digiti 



zedby Google 



Druck von Schmidt & Klaunig in Kiel. 



Digitized by 



Google 



Digiti 



zedby Google 



Die 



Entwicklung des Naturgefühls 



bei den 



Griechen und Römern. 



Von 

Alfred Biese, 

Dr. phil. 



Zweiter Teil: 
Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern. 



Eiel. 



Lipsius & Tisch er. 
1884. 



Digitized by 



Google 



Die 



Entwicklung des Naturgefühls 



bei den 



Römern. 



Von 

Alfred Biese, 

Dr. phil. 



-^9ei^-vH>v^ 



Kiel. 



Lipsius & Tischer. 
1884. 



Digitized by 



Google 



Digiti 



zedby Google 



Vorwort. 



Die freundliche Aufnahme, welche der erste Teil 
dieser Schrift, 'die Entwicklung des Naturgefühls bei 
den Griechen^ Kiel, Lipsius & Tischer 1882, seitens der 
fachwissenschaftlichen Kritik und auch mancher belle- 
tristischen Zeitschrift erfahren hat, war mir ein Sporn, 
auf dem betretenen Wege weiter zu schreiten, der 
schliesslich zu einer Entwicklungsgeschichte des modernen 
Naturgefühls führen möchte. Die Phasen der dem Mo- 
dernen zustrebenden Bewegung aufzuweisen, war auch hier 
neben einer objektiven Darstellung des römischen Natur- 
gefühls selbst meine Hauptaufgabe; allem und jedem unsere 
heutige Empfindungsweise gegenüberzustellen, durfte ich 
dem Leser überlassen ; ich beschränkte mich auch in den 
Schlussbetrachtungen auf das Wesentlichste, da ich sonst 
den späteren Untersuchungen hätte vorgreifen müssen. — 
Die Übersetzungen boten auch hier manche Schwierig- 
keiten, denn gerade bei solchen Arbeiten erkennt man 
so recht, wie es eigentlich eine Unmöglichkeit ist, wort- 
und sinngetreu, ohne Änderung des Kolorits, in eine 
fremde Sprache zu übertragen; ich zog oft die wört- 
lichere Übersetzung der eleganten vor; die metrischen 
entlehnte ich den bekannten Werken von v. Knebel 
(Seydel), Heyse, Eberz, Hertzberg, Voss (Geibel), Wolff, 
Wölffel, Bothe u. a. ; ich bemerke dies ausdrücklich, da 
manche Ausstellungen, die an den Übersetzungen des 
ersten Teils gemacht sind, mich selbst nur indirekt 



Digitized by 



Google 



VI 

treffen und eigentlich an die Adresse von Droysen, 
Donner u. a. zu richten waren. Den lateinischen Text 
gab ich nicht immer in extenso, sondern oft beschränkte 
ich mich, besonders bei den bekanntesten, jedem Fach- 
genossen geläufigen Schriftstellern, auf die signifikante- 
sten otellen, um das mir so wie so unter den Händen an- 
schwellende Buch nicht noch umfangreicher zu machen. 
So möge denn auch diese Schrift mit dem Wunsche 
in die Welt hinausgehen, dass sie unter den Fachge- 
nossen, soweit sie des Geschmackes an ästhetischen 
und kulturhistorischen Problemen des Altertums nicht 
entbehren und trotz der alles beherrschenden Klein- 
arbeit auch die allgemeinen Ziele nicht aus den Augen 
verlieren, sich Freunde erwerbe, die Gunst der liebens- 
würdigen Recensenten des ersten Teils sich erhalte und 
unter den Gebildeten weiterer Kreise, die noch Interesse 
für das klassische Altertum sowie für Poesie überhaupt 
besitzen, geneigte Beachtung finde*). 



*) Wie langsam aber neu erkannte Wahrheiten durch alte Vorurteile 
hindurchsickern, zeigen Ausführungen neuesten Datums, die noch immer 
dem Altertum jede moderne Empfindung für die Natur, sowie eine Land- 
schaftsmalerei und Landschaftsgärtnerei absprechen, wie z. B. Lessing, 
Welttheater Nationalztg. 17. Mai 1883; Biedermann beschränkt sich in 
seinem Aufsatze 'die Natur als Gegenstand poetischer Darstellung und 
Empfindung' (Nord und Süd Juli 1883) auf eine Gegenüberstellung der 
Odyssee und des Werther (!), um den Unterschied antiken und modernen 
Naturgefühls darzulegen. Winter (Progr. Harburg 1883) * Beiträge zur 
Geschichte des Naturgefühls' kennt nicht einmal die Arbeiten von Hess 
und Wörmann; Wert hat der Abriss über die Zeit von Opitz bis in die 
siebziger Jahre des vorigen Jahrhundert*s. Sittl, Gesch. d. griech. Lit, 
I, S. 3 citiert meine Schrift in einem Zusammenhange, der deutlich zeigt, 
dass er sie nicht gelesen hat. 

Kiel, im December 1883. 

Alfred Biese. 



Digitized by 



Google 



Erstes Kapitel. 



Das mythologische Naturgefiihl und die Poesie 
* im ersten Zeitalter der Republik. 

Die tiefere, verständnisvolle Erkenntnis alles Kunst- 
schönen beruht wesentlich auf einem inneren Nach- 
schaffen, auf einer Reproduktion; die Erkenntnis des 
Naturschönen bedingt eine nicht minder rege geistige 
Thätigkeit des Schauenden, denn die Natur wird nur 
schön durch das, was wir selbst von unserem Ich in 
sie hineintragen. Soll die schlichte Bewunderung zu 
einem tieferen Verständnisse, zu einem höheren Genüsse 
führen, so ist dies nur möglich bei einer nicht geringen 
Bildung des Geistes und des Herzens. Der Mensch 
versteht völlig und aus dem Grunde nur das, was er in 
sich selbst erlebt. Die tote landschaftliche Natur er- 
hält nur Leben durch Symbolisierung nach Form und 
Inhalt, d. h. durch Übertragung der eigenen Körper- 
formen und der eigenen seelischen Regungen auf die 
Erscheinungswelt, durch anthropomorphische oder an- 
thropopathische Deutung der Naturphänomene. 

Wie einst mit flehendem Verlangen Pygmalion den 

Stein umschloss, 

Bis in des Marmors kalte Wangen Empfindung 

glühend sich ergoss, 

So schlang ich mich mit Liebesarmen Um die Natur 

mit Jugendlust, 

Biese, die Entwicklung des NaturKefühls bei den Römern. l 



Digitized by 



Google 



Bis sie zu atmen, zu erwarmen Begann an meiner 

Dichterbrust, 
Und teilend meine Flammentriebe Die Stumme eine 

wSp räche fand, 
Mir wiedergab den Kuss der Liebe Und meines 

Herzens Klang verstand. 
Da lebte mir der Baum, die Rose, Mir sang der 

Quelle Silberfall ; 
Es fühlte selbst das Seelenlose Von meines Lebens 

Widerhall. 

Schiller, die Ideale. 
Der Zauber einer Landschaft besteht nur darin, 
dass sie uns wiederzustrahlen scheint, was wir selbst an 
Geist, Gemüt, Stimmung in sie hineingelegt haben. 
Sich selbst nur sieht der Mensch im Spiegel der Natur, 
Und was er sie befragt, das wiederholt sie nur. 

Rück er t. 
In der Art nun, wie ein Volk oder ein Mensch die 
Natur betrachtet, wie er Bezüge entdeckt zwischen der 
eigenen Seele und der im steten Wechsel doch ewig 
gleichen, immer schaffenden und immer zerstörenden 
Natur, verrät sich seine ganze Individualität. Bei den 
Griechen war die Entwicklung des Naturgefuhis den 
Wandlungen ihres Geisteslebens durchaus analog. Ein 
Gleiches werden wir auch bei den Römern erwarten 
müssen. Aber diese standen von vorneherein der Natur 
anders gegenüber als die Griechen, und das beruht 
eben auf der Grundverschiedenheit der Charakteranlag^ 
beider Völker. Den Griechen mit ihrem hellen Blick 
und ihrer Empfänglichkeit für alles Ideale war ein 
künstlerischer Zug und ein spekulativer Trieb ange- 
boren; sie sind ein Volk der Phantasie und des Ge* 
dankens, aber die Römer mit ihrer wesentlich praktischen 
Begabung, ihrem nüchternen Realismus sind ein Volk 
des Verstandes und des Handelns ; ihre genialen Leistun- 
gen liegen nicht auf dem Gebiete des Schönen, der 
Kunst, sondern sind der Staat und das Recht. Die 
Naivität im Sinne der heiteren griechischen Welt, eines 
seligen Homerischen Kindheitsalters blieb den Römern 



Digitized by 



Google 



stets fremd; in jeder Hinsicht ist ihr Geistesleben ein 
reflektierteres, subjektiveres. Man hat das Wesen des 
Antiken in dem Dunkel der Empfindung, in dem Um- 
schleierten des Gefühls, in dem völligen Zurücktreten 
der Persönlichkeit vor dem Objekt finden wollen im 
Gegensätze zu dem schwankenden, schillernden Halb- 
dunkel des modernen Empfindens und romantischer 
Gefühlsseligkeit — aber naiv blieb selbst das Hellenen- 
tum nur eine kurze Spanne Zeit ; hat es auch nie die 
wilden Schösslinge moderner Sentimentalität gezeitigt, die 
Keime zu jener liegen im Hellenismus und in der Kaiser- 
zeit deutlich vor; bei den Römern überwiegt von 
vorneherein die Reflexion, das Gedankenmässige die. 
Phantasie und das Gefühl; während bei den Griechen 
ein glücklicher 'genialer Instinkt* fast unbewusst die 
Götterwelt und die herrlichen Denkmäler der Kunst 
und Literatur schuf, ist bei den Römern alles abstrakter, 
bewusster, berechneter angelegt, scheint in der römischen 
Dichtung 'die subjektive Stimmung durch immer durch- 
sichtiger werdende Hüllen der Seele hindurch*; ist ihr 
Kunstwert auch ein viel geringerer, die Bewegung zum 
Modernen hin setzt sich fort; die Dichter der Glanzzeit 
römischer Kultur muten uns verwandter, weil moderner 
an als die des klassischen Griechenlands. — Die Religion 
der Römer ist nicht eine Schöpfung der im Glauben 
dichtenden und .im Dichten glaubenden Phantasie wie 
bei den Griechen, sondern das Produkt des reflektieren- 
den Verstandes, der das Verhältnis zu den Göttern 
wesentlich als ein Rechtsverhältnis betrachtet und das 
Sittliche mit dem Nützlichen und Zweckmässigen identi- 
ficiert. Der Römer Hess den Grundgedanken in seiner 
ursprünglichen nackten Starrheit stehen, hielt den Be- 
griff' fest und litt es nicht, dass die Form ihn ver- 
dunkelte ') , während der Grieche alle Anschauung in 
Handlungen lebensvoller idealer Wesen umsetzte. 'Schwer- 
blütiger und von beklommenerer Stimmung der Phantasie 
lassen sie sich weniger leicht — als die Griechen — 
an dem farbigen Abglanz des Lebens genügen, hinter 
dem schon ihr religiöser Glaube ein Netz dunkler Zu- 



Digitized by 



Google 



sammenhänge der Dinge sah, rätselhafter Beziehungen, 
die um so mehr auf das menschliche Dasein drückten, 
als kein lebensfroher Götterkreis, aus dessen nachfühle 
baren Gewohnheiten sie hätten verständlich werden 
können, der Welt einen Abschluss versöhnender Schön- 
heit gab'. ^) Während der Grieche durch die Anschauung 
der Naturphänomene zum dichterischen Gestalten ange- 
regt wurde und so die lieblichsten Märchen, die sinn- 
reichsten Mythen und zugleich vollendet schöne Götter- 
bilder schuf, überwog bei dem Römer die Scheu vor 
den übersinnlichen Mächten, die religio, die Thätigkeit 
der Einbildungskraft und zwang ihn zu einem Kultus, 
der eines feierlichen Ernstes, geheimnisvoller Ahnungen 
zwar nicht entbehrt, aber auch überreich ist an Blüten 
ängstlichen Aberglaubens, wie Zauberformeln, Ceremo- 
nien, Beschwörungen u. s. f., so dass die Religion 
immer mehr in einem peinlichen und kleinlichen Forma- 
lismus erstarrte. 'Überall sind die Wunder der Natur 
und des Lebens wohl ein Anlass zu Opfern und Weis- 
sagungen, in denen der Priester und Seher sie zum 
Frommen des Gemeinwesens technisch und praktisch 
ausbeutet, aber nirgends begegnet man jenem poetischen 
Drange des Herzens und der Einbildungskraft, welcher, 
in die Anschauung und das Gefühl für diese Wunder 
versenkt, Religion und Geschichte mit den idealen Ge- 
stalten der Dichtung belebt hätte^•^) Es war in dem 
Charakter der Römer begründet, dass sie den Über- 
gang von der dumpfen, ahnungsvollen Verehrung der 
Segen oder Vernichtung bringenden Naturgewalten zum 
Glauben an sittliche Mächte, an eine sittliche Weltord- 
nung viel rascher und intensiver vollzogen als die Grie- 
chen, wenngleich die ursprüngliche naive Naturreligion 
durch die tempellose Verehrung vieler Gottheiten in 
heiligen Hainen, auf Bergen, an Seen und Bäumen, als. 
den Stätten der göttlichen Wesen, und durch manchen 
Götterkult deutlich hindurchschimmert. Die konkreten 
Naturgottheiten des naiven Volksglaubens wurden früh 
zu sittlichen Abstraktionen, zu denen im Laufe der Jahr- 
hunderte immer mehr Personifikationen von toten All- 



Digitized by 



Google 



g-emeinbegrifFen , wunderliche Allegorieen hinzutraten. 
Vor allem aber wurden die latinisch-sabinischen Gottes- 
ideen immer mehr und mehr von fremden Kulten, wie 
denen der Griechen, Ägypter und Orientalen übersponnen, 
ja schliesslich fast gänzlich überwuchert. — 

Aus dem Himmelsvater Jupiter, dem Gebieter über 
Blitz und Donner, Wolken und Regen, wird der beste 
Vater der Menschen, der Schirmherr des Rechtes, der 
Treue und Wahrheit. 

Ihm zur Seite steht die weibliche Lichtgöttin, Juno, 
die Königin im Reiche der Frauen. 

Voll und ganz gehörte Mars ursprünglich dem 
Naturleben an als der Gott des männlichen Naturtriebes, 
des alle Knospen in Feld und Wald sprengenden Früh- 
lings ; Bäume waren ihm heilig, dann der Wolf und der 
Specht, der Vogel der Waldeinsamkeit, und aus dem 
picus Martius ward ein eigener Walddämon, ein länd- 
licher Schutzgott, der die Wellentochter Canens liebt, 
^die nichts weiter ist als eine Personifikation des Ge- 
sanges in seiner ältesten Wirkung und Bedeutung, wie 
er aus den Stimmen der Natur, aus Wäldern, Flüssen 
und Quellen in süssen und lockenden Klängen hervor- 
tönt als Gesang der Musen und Nymphen, als Orakel 
oder als Zauber — wofür die Römer immer ein aber- 
gläubisches Ohr hatten\*) — 

Echt italisch ist Faunus, der Holde, der gute Geist 
der Berge und Triften, den man im freien Felde oder 
in Höhlen und Hainen verehrte. Verliebt, ist er tückisch ; 
mit gewaltiger Stimme ruft er aus dem Walde, dass die 
Herzen erbeben, oder sendet auch allerlei dämonische 
Plage im Schlaf und im Traume; wie Rübezahl mit 
seinem Spuk bleibt aber auch er gutmütig. Neben ihm 
steht Frau Hulda, Fauna, die keusche Mutter Erde, die 
der Wald- und Berggeist im Frühling befruchtet und 
trunken macht, so dass die Quellen wieder strömen und 
die Blätter wieder rauschen und die ganze Natur vom 
Taumel der Liebe ergriffen wird. — Ein struppiger, 
neckischer, doch freundlicher Alter, der im Dickicht 
des Waldes haust, Fichten und Eichen und die An- 



Digitized by 



Google 



6 

Pflanzungen der Menschen hütet, ist Silvanus. Die 
sabinische Feronia, <Jie blumenbekränzte Jungfrau, ward 
zur Venus, zur Göttin des Frühlings und Gartens, aller 
Blüten, alles Naturreizes mit Inbegriff seiner Vergäng^ 
lichkeit: ein Bild der sprossenden und treibenden, ab- 
sterbenden und in neuer Pracht wieder erblühenden 
Vegetation. Zahlreich sind die Gottheiten der Agri- 
kultur, von der bona dea bis zu den Genien herab, 
die jede einzelne Thätigkeit des Ackermannes, das 
Pflügen, Eggen, Säen etc. begleiten. Ein Kultus der 
Quellen, deren Vater der Gott alles Ursprungs, Janus, ist^ 
ist altitalisch; aber der Zug zur See, zu den Wundern 
des Meeres fehlt; Fluss- und Meergottheiten sind grie- 
chisch oder etruskisch. 



Es ist eine in der Geschichte der Völker sich oft 
wiederholende Thajtsache, dass nicht bloss mit der sich 
erweiternden äusseren Macht und der sich hebenden 
geistigen Kultur die ursprüngliche Sittenreinheit und 
gediegene Einfachheit der Gewohnheiten schwindet^ 
sondern dass auch neu eindringende Bildungselemente^ 
für welche eine Zeit noch nicht reif ist, eine Gährung 
hervorrufen, welche eine organische Entwicklung des 
Nationalen zunächst benachteiligt und hemmt: erst 
allmählich kann sich ein erspriesslicher Amalgamations- 
prozess vollziehen. 

Die Kunst blieb in Rom immer etwas Fremdes^ 
'sie genoss niemals die Liebe, welche das Selbsterzeugte 
erhält'. Erst in der Zeit, wo der echt römische Cha- 
rakter zu wanken beginnt und das allgemeine sitt- 
liche Leben der Auflösung zu verfallen droht, erwächst 
eine Kunst, die wesentlich Nachahmung bleibt und 
selten zu freier, eigener Produktion sich erhebt. Gros^ 
sind die Römer, so lange sie sich fest in den Grenzen 
halten, die ihrem ganzen Wesen entsprechen, so lange 
sich das Individuum völlig dem Gemeinwesen unter- 
ordnet, ja aufopfert — aber ohne Individualität keine 



Digitized by 



Google 



Kunst ! Gross sind sie in der langen Reihe der Erobe- 
rungskriege, welche aiis der kleinen latinischen Gemeinde 
ein Centrum schufen, dessen Peripherie sich unaufhalt- 
sam -ausweitete, gross auf dem Wege zum Ruhm, zur 
Herrschaft über Italien, über die Mittelmeerländer. Erst 
der errungene Besitz leitet auch ihren Sinn auf eine 
schiefe Bahn, die zum Verfalle führen musste. Für die 
Kunst und Poesie war in den drangvollen ersten Jahr- 
hunderten keine Müsse; eine römische Literatur datiert 
erst von den Zeiten des zweiten punischen Krieges, be- 
fruchtet von hellei^ischem Geiste. — Das Naturgefühl 
der ältesten Zeit wird sich über den nüchternen Nütz- 
lichkeitsstandpunkt nicht erhoben haben ; der römische 
Bauer wird nur Freude über die ertragsfähigen Äcker, 
die fruchttragenden Bäume, die frisches, kühles Wasser 
führenden Quellen, die Schatten gebenden Laubkronen 
gehabt haben, ohne dass die Liebe zum Ackerbau sich 
zur Erkenntnis und zum Genuss des Naturschönen 
steigerte. Wie rein prosaisch nüchtern, wie gänzlich 
jedes gemütlichen, poetischen Hauches entbehrend ist 
die Schrift des M. Porcius Cato über die Landwirt- 
schaft mit ihren Rezepten, Ratschlägen und Beobach- 
tungen ! Aber der alte Cato, dieser Typus eines Römers 
von echtem Schrot und Korn, musste es schon erleben, 
dass das neue Wesen griechischer Bildung immer mehr 
um sich griff und den nationalen Boden unterminierte; 
er stemmte sich umsonst mit der ganzen Kraft seiner 
hartnäckigen, eisernen Natur gegen den Strom der Zeit ; 
charaktervoll — wenn auch beschränkt — hat er wacker 
gestritten sein Leben lang ; aber die Saat von Hellas ging 
doch auf und trug auch allmählich Frucht trotz all seines 
konservativen Eiferns und der Strenge seiner Censur. 

Es ist nun nicht ohne Interesse zu verfolgen, wie 
die ersten römischen Dichter Motive der Natur ent- 
lehnen, und wie sich nach und nach ein stereotyper 
Schatz an Bildern herausbildet, der die Sprache aus 
der rhetorischen Prosa allmählich zu annähernd poeti- 
tischem Schwimge emporhebt. Der Mangel an einer 
Mythologie im Sinne der Griechen schloss ein Volksepos 



Digitized by 



Google 



aus; da überhaupt die Poesie nicht aus einem inneren 
Dichtertriebe hervorging, sondern auf Nachbildung be» 
ruhte, war ihr nicht ein Entwicklungsgesetz immanent 
wie bei den Griechen, sondern die Willkür der Nach- 
ahmung ist das Bestimmende; erst seit dem Ende der 
Republik und in der augusteischen Zeit lässt sich, 
namentlich in der Elegie, ein genetisches Fortschreiten, 
eine Entwicklung aufweisen. — Womit die Griechen 
schlössen, beginnen die Römer. Von den wenigen 
uralten, steifen und nüchternen Liedern, die bei Festen 
gesungen wurden, abgesehen, ist das Drama das erste 
poetische Kunstprodukt. Auf einen empfanglichen Boden 
war der Same gefallen, denLivius Andronicus mit 
seinen Tragödien und Komödien ausgestreut hatte; schon 
N a e V i u s bekundet gegenüber den 'handwerksmässigen 
Leistungen' *) seines Vorgängers einen Fortschritt ; doch 
ist aus den geringen Bruchstücken wenig für unsere 
Frage zu gewinnen. Nur genannt, nicht geschildert 
werden von Livius hohe Berge, winterliche Gefilde, das 
grosse Meer und die Kastalia, die über Steingeklüft 
hingleitet, von Naevius ein dichter Wald, dessen Bäume 
frundiferi loci ingenio (i. e. natura, sua sponte) von selbst 
ungesäet dem Boden entsprossen sind, ein schneller 
Bach — im Gleichnis (42) — und der Strymon, an dem 
die Bakchen sich lagern fr. XVI (44); eine Schilde- 
rung der Mittagsschwüle, die den Glanz der Sonne trübte, 
enthält fr, XXII (51): Jam solis aestu candor cum lique- 
sceret. — Doch der erste, wirklich populäre 'classische' 
Dichter der Römer ist Ennius. Die Geschmeidigkeit 
und Anmut des Griechen paarte sich bei ihm mit *treu- 
herziger Kraft und Reinheit der Gesinnung'. Ein 
Freund der Scipionen, eines M. Fulvius Nobihor, der 
Fabii und Marcelli stand er mitten in der grossen be- 
wegten Zeit des zweiten punischen Krieges als der 
römische Homer, als der Epiker par excellence da. 
Seine annales waren durchglüht von Begeisterung für 
die welthistorische Bestimmung Roms. Und kräftig 
regt der junge Adler die Schwingen; die schwerfällige 
Form des lateinischen Ausdrucks unternimmt der kühne 



Digitized by 



Google 



Dichter in die fliessenden Rhythmen der Griechen zu 
fügen, er wird Bahnbrecher einer neuen Kunstrichtung, 
Gesetzgeber für Sprache und Vers und für kraftvolle, 
farbenreiche Schilderung. In der Tragödie ahmt er den 
grossen griechischen Meistern nach, unter denen aber 
besonders seiner Individualität der grübelnde, reflektie- 
rende Euripides zusagt. Seine Diktion ist schwungvoll, 
besonders in signifikanten Epithetis, die er den Sub- 
stantiven beilegt. Am häufigsten wird der Himmel er- 
wähnt, der 'ausgestattet ist mit blitzenden Sternen^ 
caelum stellis fulgentibus aptum (ann. 30. 162), cum in- 
gentibus signis (219); nicht unpoetisch variierend nennt 
^r ihn auch 'die bläulichen Himmelsräume' caeli caerula 
templa (50 und 66) oder 'die ungeheure Himmelspforte 
dröhnt vom Donner' CXXX . . quem super ingens Porta 
tonat caeli; er ist die Wohnung des 'weithin donnern- 
den Zeus^ LXX oder der Himmlischen, wie er trag. 227 
angerufen wird: O magna templa caelitum, conmixta 
stellis splendidis, (trag. 421) oder er wird mit Zeus 
identificiert trag. 40 : Siehe die glänzende Höhe, die alle 
als Zeus anrufen: Aspice hoc sublime candens, quem 
invocant omnes Jovem. 'Dichter Staub fliegt durch die 
Weite des Himmels' pervolat caeli fretum trag. 3 1 ; 
satur. 3 : 'Von dort sehe ich die klaren . . Ränder des 
Äthers' inde loci liquidas pilatasque aetheris oras Con- 
templor. Die Nacht wird geschildert als 'geschmückt 
oder umgürtet mit brennenden Sternen' ann. 343 : hinc 
nox processit stellis ardentibus apta und 416: Nox 
quando mediis signis praecincta volabit. Von dem 
sternfunkelnden Gespann ist in dem Liede der Andromeda 
trag. fr. I (131) die Rede, wo sie in ihrer Einsamkeit 
den Tag heran wünscht: quae cava caeli signitenentibus 
conficis bigis (wahrscheinlich ist mit Ribb. signitenentis 
zu schreiben), vgl. Eurip. fr. 114 (I Dind.) Angerufen 
wird sie in den Eumeniden II (183) als des Erebos dunkel- 
haarige Tochter: Erebo creata fuscis crinibus Nox, te 
invoco; 'die tiefe, totenstille Nacht' ann. 106: nox in- 
tempesta. Das Morgengrauen schildert ann. LXXXIV : 
'Darauf öffnete das glänzende Rad mit seinen Strahlen 



Digitized by 



Google 



10 

den Himmel' : Inde patefecit radiis rota Candida caelum ; 
den Tag 157: 'darauf leuchtete das glänzende Licht', 
tum Candida lumina lucent. Als Romulus und Remus 
den Vogelflug beobachten, sinkt die helle Sonne schon 
ins Dunkel der Nacht zurück, dann aber bricht sie 
golden heraus, als der Vogel zur Linken erscheint i 
ann. 92 : 

Interea sol albus recessit in infera noctis. 
Exin Candida se radiis dedit icta foras lux 
Et simul ex alto longe pulcherruma praepes 
Laeva volavit avis: simul aureus exoritur sol. 
Das Meer mit den felsenbrechenden Wellen, mare 
saxifragis undis, begegnet uns ann. C, mit den segel- 
flüchtigen Schiffen, navibus velivolis, 380 (velivolantibus 
fr. 89), als salzige graue Ebene com. 2 aequora salsa, 
aequora cana ann. 476; ann. 377 wird kühn das bläu- 
liche, vom Ruderschlag schäumende Meer von gelblichem 
Marmor genannt: 

Verrunt extemplo placidum mare marmore flavo; 
Caeruleum spumat sale conferta rate pulsum; 
auf die Schönheit des Ausdrucks macht Gellius (s. Ribb.)' 
aufmerksam, da er die Mischung von grün und weiss 
trefflich wiedergebe.^) 

Das Gewitter findet auch seine kühne, volltönige 
Schilderung ann. 417: . . interea fax Occidit oceanumque 
rubra tractim obruit aethra : inzwischen sank die Fackel 
herab und übergoss nach und nach mit rötlichem Hellblau 
das Meer; bei den 'hohen, feuchten Wolken' wird ge- 
schworen trag. 5 , aus denen der Regen mit wildem 
Ton und Hauch hervorbricht. Trocken ist die Schilde- 
rung des Waldes 193 und der Jahreszeiten 406. 

Ein ausführliches Gleichnis von dem Pferd, das der 
Fesseln ledig durch die blauen, blühenden Wiesen mit 
erhobener Brust, schnaubend und den Schweif schüttelnd, 
dahin läuft, entlehnt er ann. 507 dem Homer fast wört- 
lich II. Z 506, so auch ann. 423 von den Winden, die 
gegen einander stürmend die Fluten im weiten Meere 
aufzuregen wetteifern, vgl. etwa IL IX, 4; vielleicht auch 
vom Wogen der Schlacht heisst es trag. 30 : Ita magni 



Digitized by 



Google 



11 

fluctus eiciebantur 'so erhoben sich grosse Wogen\ Eisen 
und Stein sind auch ihm ein Bild der Gefühllosigkeit 
trag. loi: sed quasi ferrum aut lapis Durat, rarenter 
gemitum conatur trahens; vgl. trag. 174 lapideo corde 
Von steinernem Herzen'. Wirklich hochpoetisch ist die 
alliterierende Zeile trag. 332 : 

Lumine sie tremulo terra et cava caerula candent: 
So glänzen in zitterndem Licht die Erde und die bläu- 
lichen Himmelswölbungen. 
Doch der Zusatz ist rätselhaft. War es ein Preis 
der Schönheit der Natur? oder ein Vergleich: 'Ge- 
rechtigkeit oder Tugend durchleuchtet die sittliche Welt 
sowie das milde Licht des Mondes die Schöpfung!' 
(Ribbeck). Trag. 366 nennt Teucer die Gunst Tela- 
mons, des Aeacus und Zeus das glänzende Licht, das 
ihm leuchtet: atque hoc lumen candidum claret recti. 
Übertragungen, metaphorische Redewendungen und Be- 
seelungen sind nicht selten: ann. 144 wird *^bläuliche 
Wiesen', caerula prata, das Meer genannt; 257: mulserat 
huc navem compulsam fluctibus pontus 'schmeichlerisch 
sanft hatte das Meer mit seinen Wellen das Schiff hier- 
her getrieben'. Dem Buchsbaum wird ein bitterer 
Körper, ein amarum corpus, beigelegt 267. Die Heftig- 
keit des Kampfes wird 287 als ein Regen von Ge- 
schossen geschildert: fit ferreus imber. Wie trag. 226 das 
Meer wogend 'undans' genannt wird, heisst es bildlich 
Mie Beute wogt' praeda undat 520. x\n Äschylos, Pro- 
metheus looi ') erinnert trag. 293 : fluctus verborum aures 
aucupant 'einen Schwall von Worten vernehmen die 
Ohren'. 'Die breiten Gestade tönen vom Wellenschlag' 
382 litora lata sonunt, 'die blauen Fluten heulten' LV 
caerula salsa ululabant. Die Winde Vstöen': furentibus 
ventis CXVII; der heitere 'lachende' Himmel wird also 
geschildert 445: 

Juppiter hie risit tempestatesque screnae 

Riserunt omnes risu Jovis omnipotentis, 

'Jupiter .lachte, und heiter lachten alle Lüfte beimLachen deg 

allmächtigen Jupiter'. Starrer Schrecken ergreift selbst die 

Natur vor dem dämonischen Wüten des Peliden trag. 214: 



Digitized by 



Google 



12_ 

Der Scamander hört auf zu fliessen, die Bäume sind 
regungslos im Winde: Constitit, credo, Scamander: 

arbores vento vacant. 
Trefflich wird die Stille der Nacht geschildert im 
Scipio IV (lo): 

Schweigend breitet aus der weite Weltenraum des 

Himmels sich; 
Und Neptun, der wilde, gönnte rauhen Wellen 

Ruhe jetzt. 
Seinen Flügelrossen hemmte ihren Huf der Sonnen- 
gott; 
Flüsse hörten auf zu strömen, Bäume traf kein 

Windeshauch. 
Mundus caeli vastus constitit silentio. 
Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit; 
Sol equis iter repressit ungulis volantibus; 
Constitere amnes perennes, arbores vento vacant. 
Es leuchtet ein: die wirkungsvollsten Effekte sind 
den griechischen Tragikern entlehnt, wenn wir auch 
nicht alle Einzelheiten belegen können ; direkt übersetzt 
finden wir besonders Stellen aus der Medea des Euripi- 
des. ^) Das Schicksal der Medea drückt der Amme fast 
das Herz ab, sie kann es nicht länger tragen und eilt 
hinaus, es der Erde und dem Himmel kundzuthun 291: 
Cupido cepit miseram nunc me proloqui 
Caelo atque terrae Medeai miseras. 
Eurip. 57: äöÖ- 'ifj.aQüg fxovTtrjk^e yfj re -^ovQavot 

Die Anrufe der Götter, der Himmelserscheinungen 
wie der Örtlichkeiten ist echt Euripideisch ; so fr. XIX 
{318): O Sonne, die die glänzende Fackel am Himmel 

emporhebt, 
Sol qui candentem in caelo Sublimat facem. 
Vgl. Med. 764 und XXI (321): 'O Jupiter und du, 
erhabener Sol, der du alles schaust, der du Meer und 
Erde und Himmel mit deinem Licht umfassest, sieh' auf 
diese That, bevor sie geschieht: hemme das Ver- 
brechen^ ! 



Digitized by 



Google 



13 

Juppiter tuque adeo summe Sol, qui omnes res 

inspicis, 
Qui mare terram caelum contines tuo cum lumine, 
Jnspice hoc facinus priusquam fiat : prohibessis scelus. 
Halten wir das Original Med. 1251 dagegen: 

itü rä TS 'Kai Ttafifparjg 1 axrig ^AtUov, yiaTidsre )'8Ere räv \ 
okofdvav yvvarAa, ttqIv cpoivlav | ri'Avoig rtQoaßaXeiv xbq^ 

avTOY,T:6vov, 
so tritt die Vergröberung der lateinischen Version 
gegenüber der griechischen recht deutlich zu Tage:*) 
Medea vollbringt ihr blutiges Werk im Hause, der 
Chor wünscht, dass ein Strahl der Sonne, ein Blick der 
Erde das dämonische Weib treffen möge, ehe sie die 
mörderische Hand an die eigenen Kinder legt. — Als 
Zeugen werden einmal ann. 23 die * weiten afrikanischen 
Fluren^ angerufen: testes sunt Lati campi, quos gerit 
Africa terra politos; willkommen heisst die vom Leben 
Abschied nehmende Polyxena in der Andromache II (loi) 
die Acherusischen Wohnungen des Orcus, das dunkle 
Todesreich : Acherusia templa alta Orci . . salvete, infera 
Pallida leti, obnubila tenebris . . loca. 
Vgl. Eurip. Hec, 367 ff. und 435 ff. Schliesslich 
weist den Ennianischen Eumeniden Ribbeck noch das 
Frühlingslied des frgm. ine. ine. fab. LXXII (133) im 
Anschluss an Asch. 903 ff. zu: 

*Der Himmel strahlt, die Bäume hüllen sich in Grün^ 
die Freude weckenden Reben ranken und reifen, die 
Zweige krümmen sich von der Schwere der Beeren^ 
die Saaten geben reiche Frucht, alles blüht, die Quellen, 
sprudeln, die Wiesen schmücken sich mit Kräutern\ 
Caelum nitescere, arbores frondescere, 
Vites laetificae pampinis pubescere, 
Rami bacarum ubertate incurviscere, 
Segetes largiri fruges, florere omnia, 
Fontes scatere, herbis prata convestirier. 
Kann der lateinische Ausdruck auch etwas Frostiges 
nicht verleugnen, so macht die lyrische Naturschilde- 
rung doch dem Dichter der ersten Periode der römi- 



Digitized by 



Google 



14 

sehen Literatur schon alle Ehre. Aber schon aus der 
bisherigen Darstellung geht deutlich hervor, wie die 
scharfen Grenzen, die in der Entwicklung des Natur- 
gefühls bei den Griechen sich aufwiesen, z. B. der Über- 
gang vom epischen Gleichnis zur lyrischen Metapher, 
von der schlichten Gegenüberstellung des Geistigen und 
Natürlichen zu der beides verschmelzenden, stimmungs- 
vollen Beseelung, hier gleich bei Ennius verschwimmen 
und ineinander fliessen, da er bald aus Homer bald 
aus den Tragikern entlehnt. 

Trug nach dem Urteile des Cicero Ennius den Preis 
des Epikers der Republik davon, so giebt er die Palme als 
Tragiker dessen Schüler und Neffen Pacuvius. Dieser 
erlebte es, dass Rom unaufhaltsam zum Weltreich sich ent- 
faltete und dass griechische Bildung immer mehr und mehr 
in die Elite der römischen Gesellschaft eindrang. Auch 
seinem Naturell sagt unter den griechischen Tragikern am 
meisten Euripides zu; auch er liebt das Sentenziöse und 
trägt seine Maximen mit einer gewissen Fülle (ubertas und 
amplitudo) vor; so die Euripideische Phrase, dass im 
menschlichen Leben wie in der Natur der Wechsel wohl- 
thätig ist, in der Antiopa fr. VIII (12) : sol si perpetuo siet, 
• Flammeo vapore torrens terrae fetum exusserit: 

Nocti ni interveniat, fructus per pruinam obri- 

guerint. 
Selbst Anaxagoreische Weisheit trägt er vor im 
Chrysippos '^) fr. VI (86 ff.), wo er den allumfassenden 
Äther als den Vater und die Erde als die Mutter alles 
Geschaffenen schildert und wie alles Entstandene zu 
demselben Urquell wieder zurückkehrt, aus dem es ge- 
flossen : 

Quidquid est hoc (caelum), omnia animat format alit 

äuget creat 

Sepelit recipitque in sese omnia, omniumque idem 

est pater 

Indidemque eadem aeque oriuntur de integro atque 

eodem occidunt. 

Mater terrast: parcit haec corpus, animam autem 

aether adiugat: 



Digitized by 



Google 



15 

'Was auch immer er ist, er beseelt, gestaltet, nährt, 
mehrt, schafft alles, begräbt und nimmt in sich zurück 
alles, und von allem ist ebenderselbe Vater, ebendaher 
entsteht alles auf gleiche Weise, ebendahin geht alles 
unter; die Mutter ist die Erde, diese gebiert den Leib, 
die Seele aber fügt der Äther hinzu\ 

Das Vorbild war das Euripideische Fragm. 836 
Chrys. (fr. 17 Dind.), das allerdings 'an gelenkiger An-, 
mut und freiem Schwung' sein Abbild weit übertrifft. 
Wie schön drückt der Grieche den Gedanken aus, dass 
beim Kreislauf der Dinge nichts stirbt oder untergeht 
und nur ein Wechsel der Form stattfindet: . . x<'^^^ ^^ 
OTtldüj I Tcc fiiv 6x /Of/ac; cpvvr dg yaiav j rä ^UTt ai^BQ- 
iov ßhxarovTa yovfji; \ eig ovQaviov Ttcthv rjX&e ttoIov j 
^vijayi€i ö^ovdhv twv ycyvofuviov \ diay.Qiv6^i€vov S*ak'ko TtQog 
aD.ov I /LioQcpiiv higav iTtedei^ev, 

In den Naturschilderungen verrät sich der Maler; 
sie sind 'mit effektvoller Tonmalerei und breitem Pinsel"* 
entworfen, besonders die Seestücke. Die Meeresstille 
schildert fr: 76 Chrys. I: 'Inzwischen ermatten die Fluten, 
schweigen die Winde, besänftigt sich das Meer^ interea 
loci Flucti flacciscunt, silescunt venti, moUitur mare. 
Besonders farbenreich wird der Seesturm geschildert 
fr. ine. LXIV (411): 

Froh der Abfahrt schauen wir dem Spiel der muntern 

Fische zu; 
Unsere Augen können nicht an solchem Anblick 

satt sich sehn. — 
Doch indes, da schon die Sonn' am Himmel sank, 

geht hohl die See; 
Nacht und Nebel ziehen schwarz auf, breiten zwei- 
fach Dunkel aus. 
Blitze zucken zwischen Wolken, Donner rollet durch 

die Luft, 
Jäh herabstürzt dichter Hagel, untermischt mit 

Regenguss ; 
Alle Stürme sind entfesselt, drehen in grausen 

Wirbeln sich, 
Und es kocht und braust die See, — 



Digitized by 



Google 



\6 

Profectione laeti piscium lasciviam 
Intuemur nee tuendi satietas capier potest, 
Interea prope iam occidente sole intorrescit mare; 
Tenebrae conduplicantur , noctisque et nimbum ob- 

caecat nigror. 
Flamma inter nubes coruscat, caelum tonitru con- 

tremit, 
Grando mixta imbri largifico subito praecipitans 

cadit, 
Undique omnes venti erumpunt, saevi existunt 

turbines, 
Fervit aestu pelagus. 

Im Teucer XIV (333) werfen die Winde das Schiff 
in reissender Brandung hin und her, und die Wellen 
schleudern es aus ihrem Schoss: rapide retro citroque 
percito aestu praecipitem ratem, Reciprocare undaeque 
e gremiis subiectare adfligere. — 

Von Metaphern verzeichnen wir Atalanta XI fr. 58 
vultum quae caligat tristitas : die Traurigkeit umdunkelt 
das Antlitz; Medus V, 22^ brüllen vom Geschrei und 
Lärm die wiederhallenden Hügel : clamore et sonitu coUes 
resonantes bount. XXX ine. {393) heisst es : ^Nach Art 
des Eisvogels schweife ich auf dem Gestade umher"*! 
alcyonis ritu litus pervolgans feror. — Wie nüchtern 
im Vergleich mit Alkman u, a. ! — Eine hohe Fels- 
klippe wird im Chryses IX (95) wegen ihres weiten 
Rundblickes gerühmt : ineipio saxum temptans scandere 
Vortieem summusque in omnis partes prospeetum aucupo. 
— Während uns bei den Griechen solche Auslassungen 
über Femsichten wichtige Glieder in einer geschlossenen 
Kette darboten, lässt sich auch hier wieder nichts Be- 
sonderes schliessen, weil das Fragment weiter keinen 
Aufsehluss giebt und weil wir stets schwanken müssen, 
was der Nachahmung zuzuschreiben und was selbst- 
ständig gedacht ist. 

Immerhin zeigt Paeuvius bereits hohe Empfänglich- 
keit für poetische Natursehilderungen, die er mit Ferve 
und Pracht entwirft. 



Digitized by 



Google 



17 

50 Jahre jünger als Pacuvius ist der nicht minder 
bedeutende Tragiker Accius; er sah den greisen Cato 
in seiner reaktionären Thätigkeit und ging noch mit 
dem jungen Cicero um; und in dieser langen Reihe von 
Jahren ward seine Phantasie und seine Lebensanschauung 
durch die gewaltigsten politischen Eindrücke befruchtet 
und angeregt, und neben der staatlichen Entfaltung 
nahm jene geistige revolutionäre Bewegung immer 
weitere und tiefere Dimensionen an, welche die echt 
römische Denkart in den Strom hellenischer Bildung 
untertauchte. Während Accius in seiner Polyhistorie und 
in seinen grammatischen und antiquarischen Studien 
ein Schüler der Alexandriner war, behauptet in seinen 
Tragödien Sophokles ein gewisses Übergewicht. Schwung 
und Kraft, Erhabenheit und Anmut paaren sich in 
seinen phantasievollen Schilderungen. 

Finsternis bricht ein mit dem Sturm, der in der 
Clytaemnestra die Schiffe der heimkehrenden Griechen 
zerstreut fr. III (32): Deum regnator nocte caeca caelum 
e conspectu abstulit, 'der Götterherrscher hat mit dunkler 
Nacht den Himmel dem Anblick entrückt'; dann peit- 
schen die aufgeregten, 'mitleidlosen' Wellen die Schiffe 
und zerschellen sie an den Klippen fr. IV (33): Flucti 
inmisericordes iacere, taetra ad saxa adlidere. Im 
Atreus fr. XIII (223) 'tönen die trüben Flächen des 
Himmels plötzlich erschüttert von dem grimmen Donner' : 
Sed quid tonitru turbida torvo Concussa repente aequora 
caeli Sensimus sonere? 

Wie bei ApoUonios die Hirten beim Anblick der 
Argo, die sie für ein Meerungeheuer halten, die Flucht 
ergreifen, schildert bei Accius in der Medea fr. I (291) 
ein Hirt, der auch noch nie ein Schiff gesehen hat, den 
Eindruck dieser wunderbaren Erscheinung: 'Die ge- 
waltige Masse gleitet rauschend von der hohen See 
her mit gewaltigem Schall und Schnauben, wälzt vor 
sich die Wellen, erregt mit Gewalt hohe Kämme, stürzt 
vorgleitend, wirft und streut hinter sich das Meer 
(pelagus respargit, reflat); bisweilen möchte man glauben, 
ein Stück Sturmwolke wälze sich daher {ita dum inter- 

Biese, die Entwicklung des Naturgefütils bei den Römern. 2 



Digitized by 



Google 



_ JL8 

ruptum credas nimbum volvier), bisweilen dass ein hoher 
Fels von den Winden oder Stürmen abgerissen dahin- 
g*etrieben werde (dum quod sublime ventis expulsura 
rapi saxum aut procellis), oder dass kugelförmige 
Wasserwirbel entstehen durch den Zusammensturz der 
Wellen (vel globosos turbines i existere ictos undis 
concursantibus) , wenn nicht das Meer irgend welche 
Erdhaufen in Bewegung setzt oder etwa Triton mit 
dem Dreizack die Höhle vom Grunde aufwühlend im 
wogenden Meer die steinerne Masse aus der Tiefe zum 
Himmel emporhebt (nisi quas terrestris pontus strages 
conciet, | aut forte Triton fuscina evertens specus | supter 
radices penitus undante in freto, | molem ex profunde 
saxeam ad caelum erigit). — Die runde, anschauliche, 
volle Schilderung verrät eine reiche, lebhafte Phantasie. — 

Im Önomaus schildert Accius fr. I (493) den frühen 
Morgen kurz vor der Morgenröte, der Künderin glühen- 
der Strahlen, wenn die Bauern die Ochsen aus dem 
Schlafe rufen , dass sie mit dem Eisen die betaute 
rauchende Erde (rorulentas terra« fumidas) durchschnei- 
den und die Schollen aus dem weichen Boden heben. 

Die gelandeten Argonauten scheinen den Hafen zu 
besingen Phinid. I (569): 'Hier, wo am krummen Ufer 
Welle an Welle mit Gebell rauschend dahingleitet' ; der 
reiche Ausdruck malt hübsch: 

Hac ubi curvo litore latratu 
. Unda sub undis labunda sonit, 
sie freuen sich am neckischen Echo II: 'Zugleich auch 
kichert ringsum von den wiederhallenden Felsen das 
lieblich schallende Echo mit klingendem Klange*: 
Simul et circum magna sonantibus 
Excita saxis suavisona echo 
Crepitu clangente cachinnat. 

Vergleiche des Geistigen mit dem Natürlichen be- 
gegnen uns im Atreus fr. XX. (234), wo ein ähnlicher 
Gedanke des Euripides (Hec. 592) dahin gewandt wird, 
dass wie ein gemeines Saatfeld durch Pflege edle Früchte 
hervorbringen könne, ebenso auch eine edle Mutter von 
einem niedrig gesinnten Manne des Stammes unwürdige 



Digitized by 



Google 



19 

Nachkommen zu gebären pfieg-e : Probae etsi in segetem 
sunt deteriorem datae Fruges, tarnen ipsae suapte natura 
enitent; und im Önomaus fr. VII (504) sagt der König, 
Neid und heimliche Tücke unterwühle ihm den Boden, 
wie den gewaltigen Felßblock in der Brandung des 
Me^es die Flut allmahKch von unten benage, bis er 
zusammenstürze : Saxum id facit angiistitatem, et sub eo 
saxo exüberans, Scatebra fluviae radit rupem. 

PWloktet, der im Schmerze sich am liebsten in die 
salzigen Wogen vom hohen Fels herabstürzen möchte 
(fr. XIX), will fr. XX (566) lieber die grause Öde vom 
Nordpol ertragen, wo das schaurige Brausen des Nord- 
winds die eiskalten Schneemassen aufwirbelt, als sich 
mit den Griechen versöhnen: Sub axe posita ad Stellas 
Septem, unde horrifer Aquilonis Stridor gelidas mditur 
nires. Poetische Klangfarbe trägt die Anrufung des 
Sonnengottes Phon. I (581, vgl. Eurip. Phon, i): ^O 
Sol, der du auf glänzendem Wagen und mit schnellen 
Rossen die schimmernden Flammen in glühendem Glänze 
entfaltest, weshalb denn zeigst du unter so widrigen 
Vorzeichen Theben dein strahlendes Licht' — - 
Sol, qui micantem ' candido curru atque equis 
Flämmam citatis fervido ardore explicas, 
Quizmam tam adverso augurio et inimico omine 
Thebis radiatum lumen ostentas tuom — ? vgl. fr. 
ine. ine. fab. XCIX (183). 

Die Lokalschilderungen sind ohne Bedeutung; die 
fruchtbare Ebene von Amphissa Erigona I (49), der 
Parnass fr. ine. fab. VIII: Hinc colomen alte geminis 
aptum cornibus; der von grünen Büschen umlaubte Cithae- 
ron Bacch. VI (243), (frondet viridantibus fetis), den die 
silvicolae Fauni und die Bacchen durchschweifen, deren 
Brust vom Halse herab Guirlanden von herbstlich bunt 
gefärbtem Weinlaub umschlingen fr. XV (257). — 

Es liegt in dem Wesen der römischen Komödie, 
deren Gegenstand das gewöhnliche bürgerliche Leben 
mit seinen kleinen Intriguen und Verwicklungen und 
deren Sprache die vulgäre Umgangssprache ist, dass 
sie dem Landschaftlichen nur geringen Raum giebt. 



Digitized by 



Google 



20 

dass Bilder und Gleichnisse selten und nur von ge- 
ringem dichterischen Werte sind. Plautus und Terenz 
führen uns daher in keiner nennenswerten Weise über 
die Tragiker hinaus, mögen auch hie und da Meer und 
Strand wie im Rudens v* i u. i6iflF, ein Fluss — in 
den Bacch. 52 — , häufiger Nacht und Morgen geschildert 
werden — es geschieht mit durchaus nüchternen Worten;: 
oder mögen bildliche Wendungen sich finden, wie wenn 
der Liebhaber im Mil, glor. 669 verheisst: ^Sanfter 
werd' ich sein als das stille Meer, lispelnder als ein 
Zephyrwindchen immer nur zu wehen pflegt^ 
Leniorem dices quam mutumst mare 
Liquidiusculusque ero quam v.entus est favonius, 
oder wie der auf und nieder wogende Sinn Merc. V, 2, 49 
(animus fluctuat), oder das bildliche Terenzische Wort 
Andria v. 480: Ich schiffe im Hafen, d. h. ich bin im 
Hafen der glücklichen Ehe angelangt, (ego in portu 
navigo) u. ä. Den durchaus derb realistischen, echt 
römischen Menschen der Komödie liegt jede Sentimen- 
talität fern, das Leben auf dem Lande, wohin die Alten 
sich zeitweise zur Kräftigung der Gesundheit zurück- 
ziehen, wird im Gegensatz zum Stadtleben wohl oft er- 
wähnt, eine etwaige Neigung zu demselben spricht sich 
aber 'immer in trockenster und geschäftlichster Weise^ 
aus. ^^) — 



Digitized by 



Google 



Zweites Kapitel. 



Lucretius. Oioero. OatuUus. 

Die bedeutendste Dichterindividualität der sinken- 
den Republik, wenn nicht überhaupt des voraugusteischen 
Zeitalters ist Lucretius Carus mit seinem grossen 
Gedicht 'über das We.sen der Dinge*, de rerum 
natura. Es gehörte ein hohes Selbstgefühl und eine 
bewundernswerte Kraft zum Beginnen und Vollenden 
-eines solchen Werkes, das die materialistische Lehre 
der Griechen, die Atomistik eines Epicur und Empedokles 
in der schwerfälligen Form römischer Verse zu be- 
handeln wagte. Für unser Thema ist es von eminenter 
Bedeutung durch die Natur- und Weltanschauung des 
Dichters überhaupt wie auch durch die Reflexionen 
über Naturerscheinungen und die imposanten Schilde- 
rungen derselben. 

Ein glühender Enthusiasmus für die Wahrheit des 
Systems, das er entwirft, und ein heiliger, leidenschaft- 
licher Unwille gegen den Aberglauben seiner Zeit sind 
die Schwingen, die ihn über die Schwierigkeiten seines 
Unternehmens hinwegtragen ; denn trotz der Breite und 
Trockenheit vieler physiologischer Demonstrationen lässt 
der Ernst und die Kraft der Darstellung alle Mängel 
vergessen. Er entgöttert die Natur, indem er alle ihre 
Erscheinungen auf mechanische. Weise erklärt und die 



Digitized by 



Google 



22^ 

Gottheiten des Volksglaubens von der Welt trennt und 
in ein seliges passives Dasein verweist an ruhigen 
Sitzen, die nicht der Wind erschüttert und die feuchten 
Wolken nicht mit Regen bespritzen, noch bleicher Schnee,, 
vom Froste gehärtet, entstellt: ein nimmer bewölkter 
Äther lacht um sie her und breitet sich aus in Strömen 
des Lichtes (semperque innubilus aether | integit et 
large diffuso lumine rident) III, 21, vgl. II, 646. Epicur 
ist sein grosser Lehrmeister, der zuerst die leuchtende 
Fackel der Wahrheit in der Finsternis des religiösen 
Wahnes erhob, nicht den Donner und Blitz der Un- 
sterblichen fürchtend, 'der das Menschengeschlecht durch 
sein Genie überwand und alle in Schatten stellte, wie 
die aufgehende Sonne das Sternenlicht löscht^ : Qui genus 
humanum ingenip soperavit et onjnis Restinxit, Stellas 
exortus ut aetherius sol (III, 104 1). Doch wie soll mit 
dem Schwan wetteifern die Schwalbe? ruft der Dichter 
III, 6 (cf. IV, 179) in der drückenden Erkemntnis von 
der Schwierigkeit seiner Aufgabe; aber das Vorbild 
des Epicur, dessen hellem Auge die Natur sich von 
allen Seiten enthüllet und der aus grossen Fluten imd 
grossem Dunkel das Leben gerettet hat in den ruhigen 
Hafen (V, n), imd der Musen süsses Verlangen haben 
ihn angetrieben (I, 925), ungebahnte Pfade der Pieri- 
den zu wandeln, aus unberührten Quellen zu schöpfen, 
wie eine Biene auf blühender Aue (HI, 10) die goldene 
Weisheit aus den Schriften des Griechen zu sammedn 
imd so einen herrEchen Ruhmeskraaaz von neuen 
Blumen um sein Haupt sich zu winden. — Die Natur ist 
sein Gott, als Inbegriff jener geheimnisvollen Kräfte, 
die allüberall wirken, jener schöpferische Trieb, der die 
herrlichen Erscheinuaigen hervorruft; diesen personifiziert 
er mit dem Göttenoamen Venus, wenn er am Eingang 
seines Werkes in hochpoetischer Schilderung die Göttin 
des Frühlings, der Blumen und der Schönheit preist, 
die da schwebt über das schiffetragende Meer und die 
fruchtbringenden Länder: 

Wenn du, Göttin, erscheinst, entfliehen die Winde, 

die Wolken 



Digitized by 



Google 



23 

Weichen vor dir ; dir treibt die kunstreich gestaltende 

Erde 
Liebliche Blumen empor ; dir lachen die Flächen des 

Meeres, 
Und es zerfliesset in Glanz vor dir der beruhigte 

Himmel. 
Denn sobald sich die Schöne des Frühlingstages 

enthüllt hat, 
Und entfesselt der zeugende Hauch des Favonius 

auflebt, 
Künden die Vogel der Luft dich zuerst an, Göttin^ 

und deinen 
Eintritt; deine Gewalt durchschüttert ihnen die 

Herzen. 
Rüstige Herden springen alsdann durch fröhliche 

Matten, 
Setzen durch reissende Ströme , . 
So erregst du im Meer, auf Bergen, in reissenden 

Flüssen, 
Unter der Vögel belaubetem Haus, auf grünenden 

Auen 
Allen tief in der Brust die schmeichelnde Liebe, wo- 
durch sie 
Sich fortpflanzen mit brünstiger Lust in Art und 

Geschlechtern. 
I, 6: Te, dea, te fugiunt venti, te nubila caeli 

Adventumque tuum, tibi suavis daedala tellus 
Summittit flores, tibi rident aequora ponti 
Placatumque nitet diffuso lunüne caelum. 
Nam simul ac species patefactast vema diei 
Et reserata viget genitabilis aura favoni, 
Aeriae primum volucres te, diva, tuumque 
Significant initum perculsae corda tua vi u. s. f. 
Oder er feiert die alles Leben spendende Mutter Erde 
n, 589, die jene UrstofiFe in sich birgt, aus denen die 
kühlen Quellen das ungeheure Meer erneuern (unde mare 
immensum volventes frigora fontes adsidue renovent), 
oder aus denen das Feuer rasend dem Ätna entflammt 
oder aus denen hervorgehen die glänzenden Früchte, 



Digitized by 



Google 



24 

^die fröhlichen Büsche' (nitidas firuges arbustaque laeta), 
vgl. 992 ff, oder auch grünende Zweige und 'lustige 
Weiden' (pabula laeta); aber er protestiert gegen die 
Märchen von der idäischen Mutter, der Cybele, wie von 
Neptunus, Ceres und Bacchus. Wie Äschylos nennt er 
I, 250 den Regen und Segen spendenden Äther den 
Vater und die Erde die Mutter, die in ihrem Schoss 
birgt den Samen, so dass glänzende Saaten entstehen, 
die Äste grünen imd unter der Last der Früchte 
schwanken; vgl. II, 1066: In heftiger Umarmung hält 
der Äther die Welt (avido complexu quem tenet 
aether). 

Wie Pacuvius im Anschluss an Euripides, bekennt 
auch er, dass nichts in der Natur der Tod vernichtet 
n, 979, denn was aus der Erde entsprossen, wird wie- 
der zu Erde, und was vom Äther kam, steigt wieder 
aufwärts zu den Gewölben des Himmels (templa caeli); 
der Urgrund der Dinge bleibt unwandelbar, wenn auch 
die Formen ewig wechseln, vgl. V, 826: omnia migrant 
Omnia commutat natura et vertere cogit. 

Die Natur ist frei, ohne göttlichen Einfluss : das ist 
sein erstes und wichtigstes Dogma ; in ihr ist kein Raum 
für einen schaffenden Gott (II, 1090 ff), 'denn bei der 
Götter heiligem Sinn, die in friedlicher Ruhe ungestört 
gemessen ein ewig heiteres Leben, wer vermöchte dies 
All, das Unbegrenzte, zu lenken, gegenwärtig zu sein 
an allen Orten, zu allen Zeiten, damit er den Tag in 
Wolken hülle, des Himmels Auen mit Donner er- 
schüttere, (caelique serena Concutiat sonitu) dann Blitze 
schleudre, die eignen Tempel damit zu stürzen, darauf 
voll Grimm in die Wüste ziehend, noch da das Ge- 
schoss übe, das öfters den Unschuldigen trifft^!? Und 
weiter: die Natur ist kein ewiges, kein göttliches, son- 
dern ein mit Fehlem behaftetes Werk. V, 92: 'Wirf 
die Blicke auf Meer und Himmel und Erde, ein Tag 
wird sie zerstören ; das Weltengetriebe, das Jahrtausende 
hielt, zuletzt doch stürzt es zusammenM V, 116: ^ Wähne 
nicht, dass Erde, Himmel und Meer und Sonn' und 
Mond und die Sterne müssten sich ewig fort als gött- 



Digitized by 



Google 



25 

liehe Wesen bewegen; nicht darf man wähnen, das 
herrliche Weltgebäude sei um des Menschen willen ge- 
schaffen^ : hominum causa . . Praeclaram mundi naturam 
proptereaque Adlaudabile opus divom laudare decere 
V, 157; die Natur ist mit Mängeln behaftet: tanta stat 
praedita culpa 199; vieles in ihr ist nutzlos: die Gebirge, 
die tierbewohnten — vgl. V, 39 — Wälder, die Felsen, 
Moräste, das die Küsten trennende Weltmeer, die eisigen 
Pole, der heisse Äquator — wir sehen, das. Gefühl für die 
Romantik des Wilden, Grausen in der Natur ist dem Lucrez 
noch verbolzen! — Düster malt er das Bild des Men- 
schen inmitten der harten Natur, der er mit Mühe und 
Arbeit alles abringen muss — und wenn endlich die 
Felder grünen und alles blüht, versengt vielleicht die 
Sonnenglut oder vernichtet alles der Regen, der Frost 
oder der Wirbelsturm. Welch Übel wär*s, ruft er V, 
176 aus, für uns, wenn nie wir geschaffen? Nur der 
Geborene mag so lange sich wünschen zu leben, 
als die schmeichelnde Lust ihn hält: wer aber zuvor 
nie Liebe des Lebens genoss, nie stand in der lebenden 
Reihe, was verliert er dabei, wenn er niemals wurde 
geschaffen? Ist doch das neugeborene Knäblein (V. 
222) einem Schiffbrüchigen gleich, den die Wut der 
Wellen an den Strand warf, wenn es an die Küsten 
des Lichts (in luminis oras) geworfen, nackt daliegt, 
hülf loser als das junge Vieh! — Aber die Betrachtung 
der Naturzusammenhänge erhebt auch den Menschen; 
nicht soll er vom Abhängigkeitsgefühl niedergedrückt 
sich vor Göttern beugen (V, 1181 ff, 12 17; VI, 50 ff), 
sondern nur die freie Natur bewundernd forschen: das 
vertreibt alle Schrecken des Geistes, das Dunkel der 
Seele III, 86 ff. So ruft er von der Herrlichkeit der 
Natur entzückt aus — wie ein Aristoteles nach dem 
Zeugnisse Cicero's — II, 1030: 

Nimm das glänzende Blau und die reine Farbe des 

Himmels 
Und das strahlende Licht der irrenden Himmelsgestirne 
Und den Mond und den herrlichen Glanz der leuchten- 
den Sonne: 



Digiti 



zedby Google 



26 



Würde zum ersten Mal dies alles dem Auge des 

Menschen 
Dargestellet , als trat* es hervor nun eben am 

Schauplatz, 
Könnte was Wundernswerteres wol man nennen ? . . 
Nein, in der That so gross und so herrlich wäre 

der Anblick. 
Dennoch würdiget kaum, des Schauspiels müde,. 

nur einer 
Aufzuschlagen die Augen zum leuchtenden Tempel 

des Himmels :- 
Suspicito caeli darum purumque colorem 
Quaeque in se cohibet, palantia sidera passim, 
Lunamque et solis praeclara luce nitorem; 
Omnia quae nunc si primum mortalibus essent 
Ex inproviso visu subiecta repente, 
Ouid magis his rebus poterat mirabile dici? 
Nil ut opinor: ita haec species miranda fuisset. 
Hier kommt der begeisterte Dichter voll und ganz 
zu Wort, der so oft vor den nüchternen Demonstra- 
tionen des Naturforschers zurücktritt. — Von einer gross- 
artig-erhabenen Naturanschauung legt auch das Wort 
VI, 678 Zeugnis ab, in dem er ausruft, gross, ungeheuer 
scheine nur dem etwas, der eben noch nicht Grösseres 
sah : aber was ist dieses doch alles, 

Was ist Himmel und Erd' und Meer, mit allem dem 

Umfang, 
Gegen die Summe der Summe des unzuermessenden 

Ganzen? 
Cum tamen omnia cum caelo terraque marique 
Nil sint ad summam summai totius omnem, 
— so nennt er auch v. 614 alle die Wassermassen, 
welche die Ströme dem Meere zuführen, nur einen 
Tropfen im Vergleich zu diesem selbst ! — Einen Tropfen 
am Eimer nennt Klopstock die Erde. — So gross, so 
unendlich ist die Natur, und der Mensch so klein l Aber 
sie ist auch im Sinne des Lucrez die wahre Freundin, 
zu der er sich aus dem gottverlassenen Treiben der 
Zeit flüchtet; die Herbigkeit seiner Weltanschauung ist 



Digitized by 



Google 



27 

ein Wiederspiel der politischen Stürme; eine gewisse 
Schwermut, die dem Widerwillen an dem damaligen 
Zeitgetriebe ^entstammt, ist seinen Wort«ri aufgeprägt, 
II, i4fF, wo er das Glück des Weisen schildert, — 
den die Natur lehrt, von Schmerzen befreit des Geistes 
zu gemessen, frohen Gefühls, entferfit von Furcht und 
von Sorge — , und im Gegensatz zürn städtischen Luxus, 
zu Gold und Schätzen, die weder zum leiblichen noch 
seelisdien Wohl viel beitragen können, die Lust, wenn 
man sich lagert auf weichem Rasen 

Neben dem rinnenden Bach, im Schatten erhabener 

Bäume, 

Pfleget des Körpers froh, obwohl bei geringem Ver- 
mögen. . 

Sonderlich dann, wenn die Witterung lacht, wenn 

die fröhliche Jahrszeit 

Wieder die grünende Flur mit Blumen und Blüten 

bestreuet. 

n, 29 Cum tamen inter se prostrati in gramine molli 
Propter aqusue rivum sub ramis arboris altae 
Non magnis opibus iucunde corpora cu^ant, 
Praesertim cum tempestas adridet et anni 
Tempora conspergunt viridantis floribus herbas. 

Wie in diesen Versen ein der hellenistischen Em- 
pfindungsweise verwandtes Gefühl, ein idyllisches Be- 
hagen an den lieblichen Reizen der Natur sich aus- 
spricht, so ist auch der Preis der guten alten Zeit am 
Schlüsse des zweiten Buches, in der die Erde mehr gab 
und mehr Frömmigkeit herrschte und bei geringerem 
Besitz die Menschen gemächlicher lebten, sowie die 
Schilderung des Lebens der Naturmenschen V, 922 von 
sentimentaler Stimmung durchweht: kräftig und hart 
wie die Erde, der sie entsprossen, schweifen sie durch 
Wald und Feld; was sich freiwillig bietet, nehmen sie 
als Geschenk, Eichel und Früchte nähren sie, Quellen 
und Flüsse stillen den Durst, die Haine der Nymphen 
an feuchten Felsen mit grünendem Moos sind ihr Auf- 
enthalt, Büsche und Höhlen ihre Wohnungen ; nur gegen 



Digitized by 



Google 



28^ 

die Tiere verteidigen sie sich, sie kennen keinen Krieg* 
996, aber auch noch nicht die gefahrvolle Schiffahrt: 
Auch der gleissende Schein und das trügende Lächeln 

der Wogen 
Lockte noch keinen hinaus^ sich der tückischen Flut 

zu vertrauen: 
Nee poterat quemquam placidi pellacia ponti 
Subdola pellicere in fraudem ridentibus undis. ^'^) 
Mit dem Leben der Naturmenschen und der schlich- 
ten Kulturmenschen, die noch in innigem Verkehr mit 
der Natur stehen, im einsamen Hain, in Wäldern, auf 
Triften bei göttlicher Müsse (per otia dia) am Flötenspiel 
sich ergötzen V, 1384, sich lagern am Bach in der 
lachenden Jahreszeit, sich kränzen und tanzen (1390 ff), 
stellt er in Kontrast das Treiben der Gegenwart 142 1: 
damals kleideten Felle die Menschen, jetzt Gold und 
Purpur, aber die Unschuld wich, jetzt herrschen Sorge 
und Mühe und Schuld und Habsucht und Zwietracht. — 
So nüchtern didaktisch manche Naturschilderungen 
auch sind, die trockenste philosophische Prosa ent- 
haltend, so verraten andere doch dichterische Empfin- 
dung, welche mit Glück den spröden Stoff bemeistert. 
Lebendig wird I, 271 die Gewalt des Windes geschildert, 
der das Meer peitscht, Schiffe zerstört, die Wolken 
verstreut, die Felder durchtobt und mit gewaltigen 
Bäumen bestreut und die hohen Berge mit waldbrechen- 
dem Wehen heimsucht : so rast mit gewaltigem Brausen 
und wütet mit drohendem Sausen der Wind: 
Venti vis verberat incita pontum . . . 
Interdum rapido percurrens turbine campos 
Arboribus magnis sternit montisque supremos 
Silvifragis vexat flabris: ita perfurit acri 
Cum fremitu saevitque minaci murmure ventus. 
II, 76: Wenn gewaltige Winde das Meer erregen, 
Wandelt es sich in graue Fluten von schimmerndem 

Marmor : 
. . cum magni commorunt aequora venti, 
Vertitur (mare) in canos candenti marmore fluctus. 
Wir werden an des Ennius flavom marmor erinnert. 



Digitized by 



Google 



29 



Mit Vorliebe und besonderer Fülle des Ausdrucks malt 
er die Lichterscheinungen am Himmel, wenn Aurora 
die Lande mit jungem Licht überstreut (novo spargit 
lumine II, 144), während die Buntbefiederten mit hellen 
Stimmen die Orte füllen, und die hervorbrechende Sonne 
alles übergiessend mit Licht bekleidet (convestire sua 
perfundens omnia luce 148) und der heitere Glanz sich 
Bahn bricht durch die Luftwogen (lumen serenum . . 
aerias . . diverberet undas 152); v. 210 zerstreut von 
der Himmelshöhe die Sonne die Glut nach allen Seiten 
und besäet (consent) die Gefilde mit Licht, die Blitze 
durchschneiden die Wolke, und die flammende Kraft 
stürzt nieder zur Erde ; oder IV, 402 : 'Wenn die Natur 
das Purpurlicht mit zitterndem Feuer hoch zu heben 
und über die Berge zu tragen beginnt, scheint die 
Sonne selbst glühend auf ihnen zu stehen und sie mit 
ihrem Feuer zu berühren"*: 

lamque rubrum tremulis iubar ignibus erigere alte 
Cum coeptat natura supraque extollere montes . . . 

oder die Sonne ist V, 281 ein Quell flüssigen Lichtes^ 
(largus . . liquidi fons luminis) und beströmt (irrigat) den 
Himmelsraum fortwährend mit neuem Licht vgl. V, 593. 
Schön ist die Zeile V, 46 1 : 'Wenn der Morgensonne 
goldenes Licht rot schimmert auf den taubeperlten 
Kräutern' : Aurea cum primum gemmantis rore per her« 
bas Matutina rubent radiati lumina solis; mit rosiger 
Fackel trägt die Sonne das Licht über den Himmel 
V, 974 (rosea face sol inferret lumina caelo). — 

Lieblich idyllisch ist auch das Tierbild II, 317, wa 
der Dichter die weidende Herde schildert auf tauigem 
Grase, labend sich an den lieblichen Kräutern ; wie er denn 
auch V. 355 mit warmen Worten der rührenden Mutter* 
liebe unter den Tieren gedenkt. — Die drei letzten Bücher 
sind besonders reich an grossartigeren Schilderungen, 
wie der mannigfach wechselnden, in Riesengestalten, 
mit mächtigen Schatten über die Berge hinziehenden 
Wolken IV, 134 ff, oder des Chaos V, 432 ff, oder des 
Gewitters V, 1216: 



Digitized by 



Google 



30 

. . Wem fährt nicht der Schreck durch die Glieder, 

wenn zuckend ein Blitzstrahl 
Jäh mit entsetzlichem Schlag die vertrocknete Erde 

durchschüttert 
Und in der Höhe der Luft dumpfdrohend die Donner 

verrollen? 
. . cui non correpunt membra paVore 
Fulminis horribili cum plaga torrida tellus 
Contrenut et magnum percurrunt murmura caelum? 
VI, 2 50 ffheisst es, man glaube, dem Acberon seien die Nächte 
entstiegen, wenn der Wettersturm mit pechschwarzem Ge- 
wölk über das Meer sich senke, mit Blitzen und Winden 
geschwängert ; das Erdbeben wird geschildert V, 1234, VI, 
543, die Wasserhose (?) (Tt^ari^) VI, 423, die sich gleich 
einer hängenden Säule vom Himmel herablässt auf das 
Meer, dass ringsum kochet die Flut, erregt von den 
heftig brausenden Stürmen: Columna . . quam freta 
circum Fervescunt graviter spirantibus incita flabris; 
den Ätna betreifen VI, 639 und 690 ff. 

Ein auch bei den Griechen beliebtes Spiel mit 
Natururimöglichkeiten, dass also der Baum im Äther, 
in der Flut die Wolke, der Fisch auf den Feldern u. s. w. 
existieren könne, findet sich V, 128. — 

Auch manche Gleichnisse sind der Darstellung ein- 
gewoben; das geistige Forschen findet sein Gegenbild 
in dem Spüren der Hunde I, 404; das Gift wühlt im 
Körper wie die Winde des salzigen Meeres Fluten auf- 
rühren III, 49 1 ; wie die blaue Fläche des Wassers die 
strahlenden SternenKchter bei heitrem Himmel wider- 
spiegelt, so nehmen die Sinne des Menschen die Ein- 
drücke der Aussenwelt auf IV, 209* Das kurze Lied 
der Schwäne ist mehr wert als das ewige Gekrächze 
der Kraniche, darum will der Dichter in wenigen, lieblichen 
Versen reden IV, 179 und 907; in die Wolke fährt der 
Blitzstrahl und entzündet sie mit Geprassel, wie auf 
lorbeerbehaarten Berg^i (lauricomos per montis) vom 
Wirbel des Windes angefacht die Flamme lodert VI, 152. 
Wie in den grösseren Schilderungen, so werden 
wir auch in einzelnen Wendungen, Metaphern, Epitbetis 



Digitized by 



Google 



31 

<tn Eniaius häufig erinnert;, der zuerst nach dem Urteil 
des Lucrez I, ii8 von des Pindus lieblichen Höhen den 
Kranz von iramergrünendem Laube herniedergebracht 
hat. Wie bei Ennius der Himmel, so lachen bei Lucrez 
die Flächen des Meeres I, 8 : tibi rident aequora ponti, 
ja sogar die UrstofFe kichern von zitterndem Lachen 
geschüttelt: primordia rerum risu tremulo concussa 
cachinnant I, 919 und II, 975; wenn der Herbst mahnt 
(autumno su^ideiite I, 175), füllen sich die Reben mit 
Trauben; in lieblichem Zuge fiiesst über die Fluren die 
Quelle und trägt die Fluten in dem einmal mit flüssigem 
Fusse gebahnten Wege (qua via secta semel liquido 
pede detulit undas) V, 271, oder es nag^n die schaben- 
den Flusswellen an Felsen {ripas radentia flumina rodunt) 
V, 256, die verstummten Winde werden sepulti, be- 
graben, genannt VI, 193, die in Wolken geschlossenen 
Winde aber grollen und murren wie Tiere im Käfig: 
magno indignantur murmure clausi Nubibus, in caveis- 
que ferarum more minantur 197. Die gewaltige Wut 
des Leuen, der in der Brust den Zorn nicht bändigen 
kann und tief aufstöhnend brüllt, erinnert an das tobende 
Meer III,. 2 9 6 ; kurz fasst der Dichter das Bild in die prägnante 
Metapher zusammen von 'den Fluten des Zorns' irarum 
fluctus v. 298, wie V. 304 'die Fackel des Zorns' irai 
fax; gierig, avidum, nennt er das Meer, in das die reich- 
lichen Ströme fluten I, 1030; fröhlich oft die arbusta 
II, 594, die pabula 596, vineta II, 1157, laetantia loca 
undarum II, 344; eine hübsche Metapher nennt das 
Blumenstreuen II, 627, ein 'beschneien mit Rosen': nin- 
gunt rosarum floribus, umbrantes matrem; echt Ennianisch 
sind Beiwörter wie: das 'wellenbrechende' Gestade: flucti- 
frago in litore I, 305, — das hübsch der Vers 11, 375 malt: 
allda wo mit sanfterer Welle Schlaget das Meer den 
saugenden Sand des gekrümmeten Ufers: qua mollibus 
undis Litoris incurvi bibulum pavit aequor arenam — ; 'die 
leuchtenden Himmelsräume' : caeli lucida templa I, 1013; 
in ihnen (per caerula caeli) weidet die Flamme der Sonne 
(solis flammam pasci), zittert das Sternenlicht (aethera 
tremere sigpais) I, 689; Luftwellen (aeriae undae) II, 152, 



Digitized by 



Google 



32 

V, 276; die *nachtdurchsch weifenden Himmelsfackeln* r 
noctivagaeque faces caeli V, 1 189, wie das 'bergedurch- 
irrende Tiergeschlecht': montivagiim genus ferarum 11^ 
108 1 ; auch die 'flugbestrebten' Schiffe kehren wieder, von 
denen das Meer 'blüht' : mare velivolis florebat puppibus V, 
1440. — Wir sehen, im einzelnen wie im ganzen vermag 
der Dichter mit grossartigen Strichen zu malen — de 
donner aux Images une couleur, un relief, un contour^ 
qui les rendent indel^biles dans la memoire JLaprade). — 
Ein hoher, vorurteilsloser, kraftvoller Sinn '*) und ein 
deutlicher Ansatz eines melancholisch idyllischen Gefühls 
für die Schönheit der Natur, für ihre Stille und ihren Frieden 
im Gegensatz zu der ruhelosen. Glück suchenden und 
in der Unrast nie findenden Menschenwelt seiner Tage 
giebt sich in diesem Lehrgedicht des Lucrez zu er- 
kennen ; zugleich eine edle Begeisterung für die Wahr- 
heit, für das über alles Niedere hinweghebende Glück, 
das in dem Forschen nach ihr liegt; und daher rinnen 
in seinen Naturschilderungen so oft Fühlen und Denken, 
Naturgefühl und Naturerkennen ineinander, — doch dieses 
ist starker als jenes; Lucrece est un penseur avant 
d'etre un poete pittoresque (Laprade); er sucht mehr 
das Wahre als das Schone in der Natur; seine ganze 
Naturanschauung trägt den deutlichen Stempel seiner 
philosophischen Weltanschauung. — An Tiefe und Reich- 
tum der Ideen kann sich niemand seiner Zeitgenossen 
mit Lucrez messen, der sprachgewaltige Cicero er- 
reicht nur selten, gehoben von seinen griechischen 
Mustern, eine solche selbständige Höhe. Unter seinen 
philosophischen Schriften, die allein neben seinen Briefen 
uns Interessantes bieten können, ist für unsere Frage 
besonders wichtig die Schrift 'über das Wesen der 
Götter'. Immer wieder kommt er im II. Buch, wo er 
den Baibus die .stoische Lehre vom Wesen der Götter 
entwickeln lässt, auf den Satz cap. 4 fin. zurück, dass 
der Glaube an Götter den Menschen angeboren, ihrer 
Seele gleichsam eingemeisselt sei, und dass die Natur 
mit ihrem steten Einfluss auf den Menschen, ihrem 
Nutzen und Schaden und vornehmlich in ihrer Schönheit 



Digitized by 



Google 



33 

und Ordnung stets von dem Dasein derselben beredtes 
Zeugnis gebe: ^Quartam causam esse (Cleanthes dicit) 
eamque vel maximam aequabilitatem motus, conver- 
sionem caeli, solis, lunae siderumque omnium distinc- 
tionem , varietatem , pulcritudinem , ordinem, quarum 
rerum aspectus ipse satis ludicaret non esse ea fortuito^ 
IIi 5» 15; oder er beruft sich II, 6, 17 auf das Zeug- 
nis des Chrysippos, der für thöricht den erklärt, der 
eine solche Pracht der Welt, eine solche Mannigfaltig- 
keit und Schönheit der Dinge am Himmel, eine solche 
Masse und Ausdehnung der Meere und der Länder 
nicht für den Wohnsitz der unsterblichen Götter halte; 
oder auf jenen herrlichen Ausspruch des Aristoteles, 
den wir als wichtiges Zeugnis griechischer Empfindungs- 
weise bereits verwerteten '-) und den Cicero II, 38, 
96 weiter ausführt, indem er wie auch Lucr. II, 1030 
auf die Alltäglichkeit der Erscheinung und die träge 
Gewohnheit der Wahrnehmung hindeutet, die allein 
schuld wäre, wenn man nicht voll staunender Bewunde- 
rung die Herrlichkeit der Gestirne, die vemunft volle Ord- 
nung in ihrem Wandel beobachte : 'nimm dazu die Erde, 
bekleidet mit Blumen, Kräutern, Bäumen, Früchten, 
deren unglaubliche Menge durch eine Mannigfaltigkeit, 
an der man sich nicht ersättigen kann, sich auszeichnet 
(quorum omnium incredibilis multitudo insatiabili varie- 
tate distinguitur II, 39, 98), dazu der Quellen unversieg- 
baren kühlen Lauf, die durchsichtigen Gewässer der 
Flüsse, der Ufer Bekleidung mit dem herrlichsten Grün 
(riparum vestitus viridissimos) , der Grotten sich wöl- 
bende Höhlen, der Felsen rauhe Vorsprünge, der über- 
hängenden Berge hohe Gipfel, die unermesslichen Flächen 
der Ebenen' (speluncarum concavas altitudines, saxorum 
asperitates, impendentium montium altitudines immensi- 
tatesque camporum). — Also auch das Rauhe, Wilde, 
Weite, Immense fesselt den Blick! — So heisst es 
auch weiter: 'Wie gross ist die Schönheit des Meeres! 
Welche Herrlichkeit des Ganzen, welche Menge und 
Mannigfaltigkeit der Inseln, welche Lieblichkeit der Ufer 
und Gestade^ u. s. f. : At vero quanta maris est 

Bieg), di i Entwic'.ilunjj des Xaturgefühls bei dun Römern. ^ 3 



Digitized by 



Google 



34 

pulcritudo! Quae species universi, quae multitudo et 
varietas insularum, quae amoenitas orarum ac litorum I — 
Doch immer von neuem wird der sternenbesäete Himmel 
gepriesen wie II, 40, 104: 'Nichts kann bewundernswerter 
sein als dieses Schauspiel, nichts schöner^ (quo spectaculo 
nihil potest admirabilius esse, nihil pulorius). In den 
Tusc. V, 13 exemplificiert er die Tendenz der Natur, 
dass jedes Geschöpf zur vollkommenen Entfaltung seines 
eigentümlichen Wesens gelange, an den Pflanzen und 
Tieren; des geistbegabten Menschen Vollendung sei 
die Tugend, und somit mache allein diese ihn glücklich. 
Aber auch er hat, wie Lucrez,, warme begeisternde 
Worte für die innere Befriedigung, welche das wissen- 
schaftliche Forschen dem Menschen gewähre, wenn 
auch die Erkenntnis der Wahrheit, des Zusammenhanges 
der Naturerscheinungen und des Weltenursprungs in 
tiefem Dunkel liege und das geistige Auge des Men- 
schen nicht scharf genug sei, den Himmel zu durch- 
schauen und in die Erde einzudringen II, 39, 122 
(Latent ista omnia crassis occultata et circumfusa tene- 
bris, ut nulla acies humani ingenii tanta sit, quae pene- 
trare in caelum, terram intrare possit) ; aber das Streben 
nach der wahren Erkenntnis und die philosophische wie die 
ästhetische Naturbetrachtung bergen in sich einen wun- 
derbaren, erhebenden Zauber: 'Denn es ist in der An- 
schauung und Erforschung der Natur gleichsam ein 
gesunder Nahrungsstoff für Geist und Herz enthalten; 
wir werden dadurch erbaut und fühlen uns erhoben, 
wir lernen das Thun und Treiben der Menschen ver- 
achten und blicken, während unser Geist mit über- 
irdischen und himmlischen Dingen sich beschäftigt, 
auf dieses unser irdisches Sein als auf etwas Ärmljif hes 
und Kleinliches herab. Schon das Erforschen gross- 
artiger und verborgener Dinge hat an sit:h seinen Reiz ; 
kommt man aber dabei erst zu einem Resultate, das 
sich der Wahrheit zu nähern scheint, dann ist der 
Geist vom reinsten Selbstgefühl durchdrungen^ II, 41, 
127: Est enim animorum ingeniorumque naturale quod- 
dam quasi pabulum consideratio contemplatioque naturae. 



Digitized by 



Google 



35 

Erigimur, elatiores fieri videmur, humana despicimus, 
cogitantes supera atque caelestia baec nostra ut exigua 
et minima contemnimus. Indagatio ipsa rerum cum 
maximarum tum etiajn oceultissimarum habet oblecta- 
tionem. Si vero aliquid occurrit, quod veri simile videa- 
tur, humanissima completur animus voluptate. — So heisst 
es de finibus V, 19, 51: 'Fragen wir uns selbst, wie 
sehr die Bewegungen der Gestirne und die Betrachtung 
des Himmels, die mannigfache Erkenntnis alles dessen, 
was durch die Dunkelheit der Natur verborgen ist, uns 
stets ergreifen' : Ipsi enim quaeramus a nobis, stellarum 
motus contemplationesque rerum caelestium eorum- 
que omnium, quae naturae obscuritate occultantur, 
cognitiones quem ad modum nos moveant. — Und 
in den Tusculanen (V, 24, 69) ruft er aus: 'Mit 
welcher Freude muss das Gemüt des Weisen erfüllt 
werden, der mit diesen Forschungen Tag und Nacht 
zubringt, zumal wenn er die Bewegungen und Um* 
drehungen der ganzen Natur durchschaut und sieht, 
dass die zahllosen Gestirne, welche am Himmel hangen, 
mit dessen eig'ner Bewegung im Einklang stehen, 
gebunden an fest bestimmte Sitze! . . Der Anblick 
dieser war es zweifelsohne, der schon jene alten Weisen 
drängte und mahnte, nach mehrerem zu forschen\ 
Die Erkenntnis des {Naturzusammenhanges zeigt den 
menschlichen Geist in engster Verbindung mit dem 
göttlichen, und das Nachdenken über das Wesen der 
Götter weckt den Eifer, jenes Ewige nachzuahmen (25, 70). 
Die Betrachtung der Natur also, auch wenn sie nicht nur 
Sache des Gemütes, sondern des forschenden Verstan- 
des ist, hebt den Menschen über das Alltägliche hin- 
weg zum Ewigen empor, denn, wie im Timaeus cap. 
n ausgeführt wird, hat der Demiurg, der 'probus fabri- 
cator mundi pulcri', die Idee der Ewigkeit nachahmen 
wollen (profecto speciem aeternitatis imitari maluit), und 
ist also die Natur ein ewiges Abbild des Ewigen 
(mundum simulacrum aeternum esse alicuius aeterni). — 
Vergleiche und Metaphern aus dem Naturleben 
finden sich nur selten in den Reden und philosophischen 

3* 



Digitized by 



Google 



36 

Schriften Cicero's eingestreut. - Dem alten, nüchternen 
Cato, der jedenfalls nur Sinn für Natur hatte, soweit sie 
eben Nutzen und Gewinn bringend ist, legt er in Cato 
M. cap. 15 begeisterte Worte in den Mund, die jener 
wohl kaum über die Lippen gebracht hätte; eine 'un- 
glaubliche Freude will er an den Genüssen der Land- 
leute' (voluptates agricolarum) haben, nichts ist ihm er- 
freulicher und schöner für den Anblick (quid potest esse 
cum fructu tum aspectu pulcrius?) als der treibende 
Weinstock oder als die Gärten imd Blumen, 'doch 
freut mich nicht blos der Gewinn, sondern auch die 
schaffende Kraft der Erde selbst' 15, 51 (quamquam me 
quidem non fructus modo sed etiam ipsius terrae vis 
ac natura delectat). Die Schönheit neben dem Nutzen 
betont er, d. h. Cicero! auch in folgenden Worten: 
*Soll ich nun noch mehr von dem Grün der Wiesen^ 
von den Reihen* der Bäume oder der Schönheit der 
Weinberge und Ölgärten sprechen' ? 1 6 , 57 (quid de 
pratorum viriditate aut arborum ordinibus aut vinearum 
olivetorumque specie plura dicam)? Seiner Liebe fürs 
Landleben (Studium rerum rusticarum) entspricht der 
Vergleich 19, 70: 'Auch eine kurze Zeit ist lang genug, 
um gut und rechtschaffen zu leben : schreitest du länger 
vor, so hast du nicht mehr Ursach, dich zu beklagen, 
als sich der Landmann beklagt, wenn die Anmut der 
Frühlingszeit verflossen ist und nun der Sommer und 
der Herbst kommt; denn der Frühling deutet gleich- 
sam die Jugend an und lässt die künftigen Früchte er- 
warten : die übrigen Zeiten sind dem Einernten und dem 
Geniessen der Früchte angemessen; die Frucht des* 
Alters aber ist die Erinnerung und der Vorrat früher 
erworbener Güter'. — 

Doch die für unser Thema bei weitem interessanteste 
Stelle bietet der Anfang des zweiten Buches de legibus. 
Während die kurze Schilderung der Platane (de orat. I^ 
7, 28) nur eine farblose Nachahmung der Platonischen 
Phädrusstelle ist, enthält jene das offene Bekenntnis 
des Atticus: 'Ich für mein Teil kann mich, da ich ge- 
rade jetzt (im hohen Sommer) hierher (nach der kleinen 



Digitized by 



Google 



37 

Insel im Fibrenus) gekommen bin, nicht satt sehen. 
• Prächtige Landhäuser, marmorne Fussböden und ge- 
täfelte Decken sind nichts dagegen. Die Wasserleitun- 
gen aber gar, welche jene Leute einen Nil und einen 
Euripus nennen, wer muss sie nicht, wenn er dies hier 
sieht, verlachen': Equidem, qui nunc potissimum huc 
venerim, satiari non queo magnificasque villas et pavi- 
menta marmorea et laqueata tecta contemno: ductus 
vero aquarum, quos isti nilos et euripos vocant, quis 
non, cum haec videat, irriserit? 

Hiermit ist es klar und bündig ausgesprochen, dass 
die Geburtsstätte eines bewussten, gesteigerten Natur- 
gefühls die Sehnsucht, der städtischen Kultur zu 
entfliehen, und der Abscheu vor künstlicher Nachahmung 
der Natur ist — obgleich auch diese Nachahmung der 
Natur selbst mit ihren künstlichen Flüssen deutliche 
Kennzeichen einer sentimentalen Naturempfindung sind. 
Für den Atticus 'nimmt die Natur (die freie, unge- 
künstelte im ' Gegensatze zum städtischen Luxus) bei 
allen Dingen, die man zur Erholung und Erheiterung 
sucht, den ersten Platz ein': In his ipsis rebus, quae 
ad requietem animi delectationemque quaeruntur, natura 
dominatur. 

Sehr bezeichnend für die Empfindungsweise der 
Zeit ist es auch, wenn Atticus fortfalirt: 'Ich wunderte 
mich, denn hier dachte ich mir nichts als Felsen und 
Berge (nihil enim his in locis nisi saxa et montes 
cogitabam), wozu mich deine Erzählungen und Ge- 
dichte verleiteten, ich wunderte mich also, wie gesagt, 
wie du an diesem Orte recht Freude haben konntest; 
jetzt wundere ich mich vielmehr, wie du, wenn du von 
Rom abwesend bist, irgendwo lieber sein magst'. Für 
'Felsen und Berge' ist die Sympathie also nur gering! 
Cicero findet aber 'an der angenehmen und gesunden 
Gegend' noch besondere Freude, weil mit der Natur- 
freude das Heimatgefühl sich verbindet: 'Hier, wisse, 
bin ich geboren, deshalb habe ich ein verborgenes, un- 
erklärliches Gefühl für diesen Ort', und Atticus fügt im 
selben Sinne hinzu : 'Der Ort selbst, welcher die Spuren 



Digitized by 



Google 



38 

von denen, die wir lieben und bewundern, trägt, übt 
auf uns einen unerklärlichen Einfluss aus'. Indes sind sie 
auf ihrem Spaziergang zur Insel gekommen, und Atticus 
ruft entzückt aus : 'Nein, es kann nichts Schöneres geben' l 
(Sed ventum in insulam est. Hac vero nihil est amoenius). 
'Denn wie wird der Fibrenus gleichsam von einem Keile 
gespalten, bespült gleichmässig in zwei Teile sich trennend 
diese Ufer und fliesst dann in rascher Strömung schoell 
zusammen, nur so viel Land umfassend, als zu einem 
massigen Ringplatze hinreichend ist. Und als ob es 
blos sein Amt und seine Bestimmung gewesen, uns 
einen Platz zur Unterredung zu verschaffen, stürzt er 
sich, sobald er dies gethan, in den Liris und verliert, 
wie wenn er in eine patricische Familie gekommen 
wäre, seinen unbekannten Namen'. — Hier kommt also 
ein lebhafter Sinn für Naturschönheit zu einem be- 
wussten, warmen Ausdruck. — 

Wer jedoch nach solchen interessanten Äusserungen 
eines idyllischen Naturgefühls auf eine reiche Ausbeute 
in den Ciceronianischen Briefen hofft und lebhafte 
Schilderungen von landschaftlichen Eindrücken erwartet, 
die der geistvolle Staatsmann auf seinen mannigfach unter- 
nommenen Reisen oder auf seinen vielen Villen ge- 
wonnen, der wird sich mit arger Enttäuschung durch die 
vielen Bände hindurcharbeiten, die, so wertvoll sie als 
historisch-politische Dokumente sind, so wenig zu Gunsten 
ihres nichts weniger als charakterfesten Autors sprechen. 
Die persönliche Angst und Not des Gebannten und 
Flüchtigen drängt den ästhetischen Genuss der Reisen 
zurück. Meist handelt es sich um die Geschwindigkeit 
der Fahrt, die vom Meer, von Gunst oder Ungunst des 
Wetters und Windes abhängt. So heisst es ad Atticum 
V, 12 : 'Es ist ein langweiliges Geschäft (magnum nego- 
tium) um eine Seereise, zumal im Monat QuinctiUs; wir 
brachten sechs Tage mit der Fahrt von Athen nach Delos 
zu' u. s. w. Oder ad famil. XVI, 9: 'In Actium ward 
ich einen Tag vom stürmischen Wetter aufgehalten; 
als sich dieses aber gelegt hatte, kam ich am 8ten 
nach einer sehr angenehmen Fahrt (bellissime) zu Cor- 



Digitized by 



Google 



39 

cyra an. In Cassiope lichteten wir am 22sten die 
Anker bei heiterem Himmel und fuhren in derselben 
Nacht und am folgenden Tage mit einem äusserst ge- 
linden Ostwind, der uns spielend nach Italien hinüber- 
brachte' (ludibundi pervenimus). Auch die vielen Ver- 
handlungen über einen Garten, den er kaufen will (ad 
Attic. XII, 21, 22 ff), einen Hain oder besser einen 
freien Platz, auf dem er seiner Tullia ein Monument 
errichten will, bieten nichts. Berühmt ist seine grosse 
Liebe zu seinen Landsitzen, den Zierden (ocelli) Italiens. 
Die Arpinatische Villa nennt er seinithaca ; sein Tusculum 
vergleicht er mit den Inseln der Seligen. An Atticus 
schreibt er von seiner Villa bei Antium II, 6 : ^Ich finde 
ein so grosses Behagen am Müssiggehen, dass ich mich 
gar nicht davon losreissen kann. Ich vertreibe mir also 
die Zeit entweder mit den Büchern . . oder ich (sitze am 
Ufer und) zähle die Wellen (fluctus numero), denn zum 
Fischen geht die See zu stürmisch\ Wie bei Euripides 
sich unter anderen Vorboten des sentimentalen helleni- 
stischen Naturgefühls vor allem der Sinn für Einsam- 
keit kund that, so bietet auch Cicero bereits bemer- 
kenswerte Ansätze von Empfindungsweisen, die erst 
im augusteischen Zeitalter und später zu vollem Aus- 
druck gelangen. III, 7 heisst es: 'Ich hasse alle 
Orte, wo viele Leute ab- und zugehen, ich fliehe 
die Menschen und kann den Anblick des Lichts kaum 
ertragen\ 

XII, 9 schreibt er : 'Nichts könnte mir angenehmer 
sein als die Einsamkeit dieses Ortes (nihil hac solitudine 
— in Antiati — iucundius) wenn nicht der Sohn des 
Amyntas (d. h. ein Philippus) mich unterbrochen hätte. 
O der widerlichen Schwatzhaftigkeit ! Übrigens kann 
schwerlich etwas angenehmer sein als dieses Landgut, 
dieses Ufer, die Aussicht auf das Meer und alles andere 
(cetera noli putare amabiliora fieri posse villa, litore, 
prospectu maris, tum iis rebus omnibus). Doch, wie in 
Euripides' Medea die Amme die Sentimentalität der 
Phädra zurückweist, fügt Cicero die abdämpfenden 
Worte hinzu: 'Aber- auch dies ist keines längeren Briefes 



Digitized by 



Google 



40 

w.ert' (sed neque haec digna longioribus litteris). Eine 
schöne Aussicht rühmen ebenfalls die Worte Academ. II, 
25, 80: 'Das Cumanum des Catullus kann ich von hier 
aus sehen, das Pompeianum nicht, und doch liegt nichts 
dazwischen, wodurch es verdeckt wäre; allein weiter 
trägt einmal die Sehkraft nicht. Welch eine prächtige 
Aussicht! (O praeclarum prospectum)! Da vor uns 
liegt Puteoli'. Die Einsamkeit von Astura lindert seinen 
Schmerz um Tullia ad Attic. XII, 13. Häufig preist er 
die Anmut seiner zahlreichen Villen und die Stille und 
Schönheit kleiner Orte, die ihm in den Wechselfällen 
seines drangreichen politischen Lebens wohlthut. IV, 8 a 
ad Attic. schreibt er von Antium : 'Man kann sich keinen 
ruhigeren, anmutigeren Ort denken' (nihil quietius, nihil 
amoenius.) III, i ad Quin tum; 'Von der Hitze erholte ich 
mich wieder auf meiner Arpinatischen Villa, die der Fluss 
(Fibrenus) zu einem so kühlen und anmutigen Aufent- 
halt macht' (summa cum amoenitate tum salubritate 
fluminis) ; ebenda nennt er das Fufidianum den schatten- 
reichsten, kühlsten Ort, den Quintus sich zu einem 
äusserst anmutigen Landgute machen könnte, wenn er 
es noch mit einem Fischteiche, einer Palästra und einem 
Lustwäldchen verschönerte (§ 3) u. s. f. 

Auch von seinem Landhause auf der Insel Astum 
schreibt er ad Attic. XII, 19 : 'Du hast recht, der hiesige 
Ort ist anmutig und kann von den Vorgebirgen Antium 
und Circei zu beiden Seiten als ein Eiland im Meer ge- 
sehen werden' (est hie quidem locus amoenus et in mari 
ipso, qui et Antio et Circeiis aspici posset); ad famil. 
VII, 20 erwähnt er einen Lotusbaum, dessen Schönheit 
sogar die Wanderer an sich lockt (lotum, a quo etiam 
advenae teneri solent) und nennt Velia eine heimliche, 
heilsame, reizende Gegend (remoto, salubri, amoeno 
loco). — 

An dem Literaturhimmel der sinkenden Republik 
strahlt neben den beiden Sternen erster Grösse, neben 
Cicero und Varro, dem Aristoteles der Römer, -^ dessen 
hinterlassene Werke, wie das über die Landwirtschaft, 
für unser Thema leider nichts von Bedeutung bieten, — 



Digitized by 



Google 



41 

ein bescheidenerer, aber von nicht minder hellem Glänze 
— denn er bezeichnet den ersten, ja einzigen Lyriker der 
Römer — der Veroneser C. Valerius Catullus. Er hat 
manches, was an Heine erinnert. Er war ein Schüler der 
Alexandriner; seine grösseren Gedichte sind geschickte 
Nachahmungen ihrer Manier ; aber wie Heine sich lossagte 
von den Romantikern und durch die Leidenschaft einer 
unglücklichen Liebe zum Lyriker par excellence wurde, 
so hat auch den Catullus der Liebesdämon auf eigene 
Bahnen gewiesen und ihm Lieder eingegeben, wie sie vorher 
und nachher kein Römer gesungen ; der Liebesgott gab 
ihm die Kraft zu sagen, was er leide, in volltönenden 
Versen zu beichten, was das junge Herz in Freude und 
Schmerz bewegte. Der gefährlichen Kokette Clodia, 
die er als Lesbia vergötterte, verdanken wir es, dass Ca- 
tullus mehr ward als ein Verskünstler nach hellenisti- 
schen Vorbildern, als ein gewandter Schüler eines 
Valerius Cato, der da einen Catullus und Calvus und 
Cinna lehrte, wie man 'mit bienenmässiger Emsigkeit 
aus der ansehnlichen geographischen und mythologischen 
Gelehrsamkeit eines Apollonios von Rhodos, Kallimachos, 
Philetas, Aratos, Euphorion, als auch aus dem Bilder- 
vorrat und den sonstigen Figuren der Diktion Honig 
zusammentrage und aus diesem Extrakt des Extraktes 
an langsamer, dünner Spiritusflamme endlich einen poeti- 
schen Liqueur zu Stande bringe, der dann eben wieder, 
um geniessbar zu werden, dem Leser nicht ohne die 
klärende und verdünnende Brühe eines gelehrten Com- 
mentars theelöfFelweise eingegeben werden konnte^ 
(Ribbeck). Des Catullus ^Buch der Lieder' bedarf in 
seinen besten Teilen nur des Kommentars des Nach- 
empfindens; es enthält Perlen echtester Gelegenheits- 
dichtung; sind sie auch nur Kleinigkeiten, — denn 
CatuU ist wie Heine ein Talent, aber kein Genie und 
kein Charakter — so wiegen doch diese nugae schwer 
in der Wagschale einer an wahrer Lyrik so armen Lite- 
ratur, wie es die römische ist. In der Liebeslyrik aller 
Zeiten hat aber die landschaftliche Natur ihre bedeut- 
same Stelle, sie bietet für alle die wechselnden Stim- 



Digitized by 



Google 



42 

mungen die reichsten Reflexe. Dass nun in der Kunst, 
die Seelenstimmung in die landschaftliche zu tauchen, 
die Römer nicht so ganz hinter den Griechen zurück- 
stehen, das zeigen besonders ihre Elegiker; ja, des CatuUus 
Lieder können gleich als beachtenswerte Belege dienen, wie 
man nur zu leicht geneigt ist, voreilig moderne Empfin- 
dungsweisen als dem Altertum gänzlich fremd hinzustellen. 
Entsagen will CatuUus im c. 8 der unseligen Liebes- 
leidenschaft, sich losreissen von jener, die ihm Himmels- 
glück zu kosten gegeben und ihn dann zurückgestossen ; 
aber dieser Entschluss ruft einen harten Kampf in seiner 
Brust hervor, denn die Erinnerung an die genossene 
Seligkeit ist noch zu frisch: 

Hör' auf, CatuUus, deinen Wahn zu liebkosen. 
Und was verloren, lass verloren sein endlich. 
Dir glänzten ehemals sonnenhelle Glückstage, 
Als du gewandelt, wo das Mädchen dir winkte, 
Die wir geliebt, wie keine noch geliebt worden. 
Da war ein Spielen dies und das, ein viel süsses, 
Wie dir es lieb war und dem Mädchen nicht unlieb. 
Da glänzten wahrlich sonnenhelle Glückstage. 
Miser Catulle, desinas ineptire. 
Et quod vides perisse, perditum ducas, 
Fulsere quondam candidi tibi soles, . . . 
Die glücklichen Stunden stehen vor seiner Seele, er 
malt sie aus: Fulsere vere candidi tibi soles. 

Fürwahr, es leuchteten dir helle Sonnen! 
Ist dem gegenüber noch das Bedenken von Hess^*) 
berechtigt : 'Die Alten sprachen wol kaum von sonnigen 
Tagen des Glücks' oder das — wie immer — apodiktisch 
bestimmte Urteil Meisner's (S. 117 N. schweizer. Mus. 
Bd. VI) : *^Den Alten fehlt ganz die Trauer des Herzens 
über vergangenes GlückM? Und wer möchte leugnen, 
dass das einzig herrliche c 77 der Ausdruck eines von 
dieser Empfindung übervollen Herzens ist?! — 

In dem Jubellied gemessender Lebenslust c. 5: 
Xass uns leben, Geliebte, lass uns lieben' . . ruft er nüt 
sinniger Symbolik: 



Digitized by 



Google 



43 

Sonnen können niedergehn und wieder kommen, 
Doch wenn unser geringes Lichtlein einmal 
Sinkt, dann schlafen wir eine Nacht für ewig. 
Soles occidere et redire possunt, 
Nobis, cum semel occidit brevis lux, 
Nox est perpetua ima dormienda. 
Darum: 'Liebste, küsse mich tausendmal und hundert* 
u. s. f., wie er auch in c. 7 unersättlich seinem Liebchen 
erklärt: 

So viel libyscher Sand Cyrene's öde. 
Lasertragende Steppen überbreitet. 
Vom Orakel des sonnenheissen Ammon 
Bis zu Battus', des alten, heiligen Grabmal, 
So viel Sternelein als in stummer Nachtzeit 
Auf der Menschen geheime Liebe blicken: 
So viel Küsse von dir zu küssen wäre, 
G*nug und übergenug für meinen Wahnsinn. 
— Quam magnus numerus Libyssae arenae 
Laserpiciferis iacet Cyrenis, 
Oraclum Jovis inter aestuosi 
Et Batti veteris sacrum sepulcrum, 
Aut quam sidera multa, cum tacet nox, 
Furtivos hominum vident amores, 
Tam te basia multa basiare 
Vesano satis et super Catullost . . 
Schön ist besonders hier der zweite Vergleich von 
den unzählbaren Sternen in schweigender Nacht. Sym- 
pathetisch deutet der Dichter das Blitzen der Sterne ! — 
Häufig kehren bei CatuU dieselben Vergleiche und Bil- 
der wieder, so neimt er in c. 6 1, 205 die wonnigen Liebes- 
spiele der Neuvermählten zahllos wie der afrikanische Sand 
und wie die schimmernden Sterne ; vgl. c. 60 mit 64, 157. — 
Voll Reiz sind die Minnelieder c. 2 und 3 auf den 
Sperling seines Mädchens, den der Venus heiligen 
Vogel, mit dem sie tändelt, um die innere Glut zu ver- 
bergen, und um den sie ihre Augen rot weint, als der 
herzige, süsse (mellitus) Sperling starb ^und jenen düstren 
Weg nun wandert, den, sagen sie, keiner noch zurück- 
kam\ O miselle passer! 



Digitized by 



Google 



44 

Tua nunc opera meae puellae 
Flendo turgiduU nibent ocelli; 
anmutig ist auch c. 5 das stolze Selbstlob der Galeotte, 
die einst 'Behaarter Wald, der auf Cytorus* Bergeshöh' 
Die bunten Haare sausend oft im Wind geregt^ 
Comata silva: nam Cytorio in iugo 
Loquente saepe sibilum edidit coma; 
— vgl. das waldige, 'behaarte^ Gallien, comata Gallia, 29, 3 
und c. 61, 77: viden ut faces splendidas quatiunt comas? 
V. 94 : viden? faces aureas quatiunt comas — ; ein Fortschritt 
liegt besonders in der zur Metapher hinzukommenden, 
allerdings noch primitiven Beseelung ^Loquente saepe sibi- 
lum edidit coma' : Das im Winde säuselnde Laub flüstert ! 
Das Rauschen der ans Ufer schlagenden Wellen wird 
schlicht geschildert 11, 3: 'Zu entlegnen Indern, 
Wo den Strand antobt der Eoer Woge 
Brausende Brandung, 
Litus ut longe resonante Eoa Tunditur unda; 
vgl. 34, V. 9: 'Dass du würdest im Waldgebirg Herrin 
über den grünen Hain, Über buschige Felsenhöhn, Über 
rauschende Ströme' : Montium domina ut fores Silvarum- 
que virentium Saltuumque reconditorum Amniumque 
sonantum. 

Eine höchst stimmungsvolle, an Ennius erinnernde 
Beseelung bietet c. 31, in dem Natur- und Heimatge- 
fühl harmonisch zusammenklingen: 

Paene insularum, Sirmio, insularumque 
Ocelle, quascunque in liquentibus stagnis 
Marique vasto fert uterque Neptunus, 
Quam te libenter quamque laetus inviso . . 
Salve, o venusta Sirmio, atque ero gaude: 
Gaudete vosque, o Libuae lacus undae: 
Ridete, quidquid est domi cachinnorum. 
Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln 
Mein Augenstern, so viel' in klaren Landseen 
Und Meeres Weite rings der Wassergott hütet, 
Wie froh erblick' ich, wie zufrieden dich wieder ! . . 
Heil dir, o schönes Sirmio, sei dem Herrn freundlich ; 



Digitized by 



Google 



45 

Ihr alle freut euch, meine muntern Seewellen, 
Und was daheim vor Wonne lächeln mag, lächle! 
In c. 46 lockt die Frühlings- und Wanderlust ihn in die 
Weite : 

lam ver egelidos refert tepores, 
lam caeli furor aequinoctialis 
lucundis zephyri silescit auris. 
Linquantur Phrygii, CatuUe, campi . . 
Ad ciaras Asiae volemus urbes. 
lam mens praetrepidans vagari, 
lam laeti studio pedes vigescunt . . 
Schon bringt mildere Luft der Frühling wieder, 
Schon ermattet des winternächt^gen Himmels 
Wut, vor Zephyrus' liebem Hauch verstummend. 
Lass die Phryger Gefilde denn, Catullus! 
Auf! gen Asia's schöne Städte ruft es. 
Schon voraus in die Weite schwärmt der Geist mir^ 
Schon hebt fröhliche Wanderlust die Füsse . . 
Eine prächtige Morgenschilderung entrollt uns der 
Dichter in dem — auch metrisch höchst kunstvollen — 
c. 63 V. 39: 

Doch sobald den Strahlenblick Sol, der umgoldete^ 

in die Welt, 
In den Äther, auf das Meer und die starre Erde 

warf. 
Und der Nacht Gedüster wegtrieb mit dem rüstigeren 

Gespann, . . 
Sed ubi oris aurei Sol radiantibus oculis 
Lustravit aethera album, sola dura, mare ferum 
Pepulitque noctis umbras vegetis sonipedibus . . 
Da weicht der Schlummer von Attis ; die grause, im Wahn- 
sinntaumel verübte That der Entmannung tritt ihm vor die 
Seele , er stürzt von heisser Sehnsucht bewegt (animo 
aestuante) an die Flut, starrt mit thränendem Auge ins ufer- 
lose Meer (in maria vasta visens lacrimantibus oculis) — das 
wüste Meer harmoniert niit seiner *^auf und ab wallen- 
den' Seelenstimmung, — und bitteres Heimweh presst 
ihm die Worte aus : 'O Erzeugerin, o Heimatland . . O 
wo bist du geliebtes Land du? Wo begegnest du dem 



Digitized by 



Google 



46 

Blick? . . Das glückliche Leben daheim! und nun Soll 
ich, ein verstümmelt Halbgeschopf, Ich des grünen Ida 
Schneehaupt, das begletscherte, so umgehn ? Ein verödet 
Leben hinziehn an den Felsenhörnern hier. Wo die 
Hinde treibt im Dickicht, wo der Eber in dem Ge- 
büsch?' . , So fasst ihn der ganze Schrecken der wilden 
Gebirgseinsamkeit : 

Ego viridis algida Idae nive amicta loca colam? 
Ego vitam agam sub altis Phrygiae columinibus, 
Ubi cerva silvicultrix , ubi aper nemorivagus? . . 
vgl. V. 52. 

In ähnlicher verzweifelter Stimmung steht die am 
einsamen, wellenrauschenden (fluentisono) Meeresstrand 
von Theseus treulos verlassene Ariadne c. 64, v. 5 2 ff; 
wie die Wogen branden und das Gewand im Winde 
wallt (fluitantis amictus), wogt ihr eigenes Herz im 
Schwalle der Sorgen, 'magnis curarum fluctuat undis' 
V. 62. Dieselbe schöne, der Situation so fein angepasste 
Metapher begegnet wieder v. 97 : 'In welches Gewog 
stürztet ihr das liebeentflammte Mädchen' ! Qualibus 
incensam iactastis mente puellam Fluctibus. — Und 
Wogen des Wehes erschüttern sein Herz (Mens animi 
tantis fluctuat . . malis) c. 65, 3, da die Welle des 
Lethestrudels den bleichen Fuss des lieben Bruders be- 
netzt hat. ^®) Würdig reiht sich somit das Catullianische 
^fluctuare' dem Pindarischen ytvinalvea&ai jtox^ot an; und 
wie seit Homer es üblich geworden, nutzlose Worte, 
leere Schwüre den Winden und Wellen preiszugeben, 
so heisst es von Theseus c. 64, v. 59, dass er in der 'Winde 
Gebraus warf die nichts geltenden Schwüre' (inrita ven- 
tosae linquens promissa procellae), vgl. 19, 4; 64, in, 
142 ; c. 65, 17 : *^ Worte den schweifenden Winden vertraut', 
(dicta vagis nequiquam credita ventis). ^ ') — 'Das gab' 
ich den lustigen Winden, die trügen es lustig fort' 
singt Heine. — Eine hübsche Modifikation des Bildes 
enthält c. 64, v. 138: 'Dieses Gebot, das sonst Theseus 
in beständigem Herzen hütete, flog nunmehr, wie im 
Hauche der Wind' ein Gewölk lein über den schneeigen 
Wipfel des Berges entfliegt, in die Weite' (ceu pulsae 



Digitized by 



Google 



47 

ventorum flamme nubis | aerium nivei montis liquere 
cacumen). — Eine herrliche Meeresischilderung bietet das 
Gleichnis v. 269 dar: 

Jetzt wie des ruhigen Meeres Flutplan mit dem Atem 

der Frühe 
Zephyrus leichtanschauernd hinauslockt hüpfende 

Wellen, 
Wenn an der wandernden Sonne Gezelt Aurora 

emporsteigt, 
Die anfangs schlafträge, gedrängt vom säuselnden 

Luftzug, 
Seewärts gehn, leisrauschend, es hallt wie heimlich 

Gekicher ; 
Aber der Wind schwillt an, schon rollen sie höher 

und höher, 
Und bald fernhin sprühn die entschwimmenden unter 

dem Glührot: 
Also war's, dass jene, die räumigen Hallen verlassend, 
Heim auf hurtigen Füssen bewegt hie-zogen und 

dorthin : 
Hie qualis flatu placidum mare matutino 
Horrificans zephyrus proclivas incitat undas 
Aurora exoriente vagi sub limina solis, 
Quae tarde primum clementi flamine pulsae 
Procedunt (leni resonant plangore cachinni), 
Post vento crescente magis increbrescunt 
Purpureaque procul nantes a luce refulgent . . 
Catull führt hier — wol nach einem alexandrinischen 
Vorbilde — die Homerverse weiter aus IL VII, 61 : riov 
dt OTixeg uaxo TiwjvaL ^Aaniöi mc xogvx^eooi aal iyyßot 
^ecpqmvai. 0%ri de ZecpvQOio iy^varo Ttovrov btcl cpgl^ 
X^QVvf.i6voio viov, fxeXdvEi ö^ re ttovtov V7t avrrjg' Tolai . . 
Der von schwerem Schicksalsschlage Getroffene er- 
scheint dem Dichter c. 68, 5 : 'Gleich dem Gestrandeten, 
den Sturmflut an die Küste geworfen\ (naufragum ut 
eiectum spumantibus aequoris undis) ; die Thränenströme 
fliessen über die Wangen v. 57 'wie ein Gebirgsbach 
aus moosbraunem Gestein blinkend hervorstrudelt. 
Der kopfüber gewälzt durch neigende Thäler und Gründe 



Digitized by 



Google 



48 



Bis an den Heerweg fort zieht in des Volkes 

Verkehr, 
Köstliche Frischung bringend im Schweiss dem er- 
müdeten Wandrer, 
Wann ausdörrender Brand klaffend die Äcker zer- 

reisst : 
Qualis in aerii perlucens vertice montis 
Rivus muscoso prosilit e lapide, 
Qui cum de prona praeceps est valle volutus, 
Per medium sensim transit iter populi, 
Dulce viatori lasso in sudore levamen, 
Cum gravis exustos aestus hiulcat agros. 
Zart und sinnig sind auch die Bilder aus Blumen- und 
Pflanzenwelt, die zum Teil der Sappho abgelauscht sind. 
Das neu erwählte Mädchen nennt er von grünendster 
Jugendblüte c, 17, 15: viridissimo nupta flore puella, 
*wähliger als das zarteste Zickchen' (tenellulo deli- 
catior haedo), und darum 'ist es auch ängstlicher zu 
hüten als die dunkelste Traube' (asservanda nigerrimis 
diligentius uvis). Sein Juventius ist die Blüte der Ju- 
ventii: flosculus Juventiorum 24, i. 

Die hochzeitlich geschmückte Aurunculeia erinnert 
ihn an die Hyacinthe im bunten Beete des Gärtchens 
c. 61, 91 : Talis in vario solet Divitis domini hortulo Stare 
flos hyacinthinus ; in ihre Arme wird sich der Gatte 
schmiegen, *wie die Rebe um den Baum sich schlingt^ 
v. 106: Lenta quin velut adsitas Vitis inplicat arbores, 
Inplicabitur in tuum Complexum; die Gattin strahlt w 
192 'blühenden Antlitzes wie die weisse Lilie oder der 
rosige Mohn' (Ore floridulo nitens Alba parthenice velut 
Luteumve papaver) — ein ähnliches Farbenspiel wie bei 
Ennius ann. 355 : Et simul erubuit ceu lacte et purpure 
mixta; vgl. Cat. 64, 162: 

Candida permulcens liquidis vestigia lymphis 
Purpureave tuum consternens veste cubile. 
Direkt an Sappho erinnert der Vergleich der keuschen 
Jungfrau mit der unberührten Gartenblume c. 62, 39: 
Wie in umfriedetem Garten gehegt aufwachset ein 

Blümchen, 



Digitized by 



Google 



_j49 _ 

Fremd dem genäschigen Zahn, von der Pflugschar 

nimmer verwundet, 
Lüftlein kosen mit ihm, Tau tränkt und die Sonne 

belebt es, 
Viele Jünglinge begehren, der Mädchen suchen es 

viele ; 
Aber sobald es geknickt vom leisesten Finger ver- 

blühn muss, 
Nicht Jünglinge begehren und nicht mehr suchen es 

Mägdlein : 
Also die Jungfrau, keinem berührt, ist Wonne der 

Ihren u. s. f. 
Ut flos in saeptis secretus nascitur hortis, 
Ignotus pecori, nullo convolsus aratro, 
Quem mulcent aurae, firmat sol, educat imber etc. 
Und in nicht minder poetischem Bilde antwortet der 
Chor der Jünglinge: 

Wie auf blachem Gefild einsam die verlassene Rebe 
Nimmer empor sich hebt, nie schwellende Trauben 

heranreift. 
Sondern das schwanke Gewächs von der Wucht- 
kraft niedergezogen 
Nickt sie und rührt gar bald mit dem äussersten 

Spross an die Wurzel; 
Die nun achtet der Landmann nicht und der pflü- 
gende Stier nicht; 
Aber vereiniget je das Geschick sie dem gattenden 

Ulmbaum, 
Nimmt sie der Landmann willig in Acht und die 

pflügenden Stiere: 
Also die Jungfrau, keinem berührbar, altert verab- 
säumt ; 
Wenn sie in reifender Jugend gewann gleichartiges 

Ehband, 
Wird sie dem Mann erst lieber und mindere Last 

den Erzeugern. 
Ut vidua in nudo vitis quae nascitur arvo 
Numquam se extollit, numquam mitem educat 
uvam, 

Diese, die Entwicklung des Xaturgefühls bei den Krunern. 4 



Digiti 



zedby Google 



50 

Sed tenerum prono deflectens pondere corpus 
Jam iam contingit summum radice flagellum etc. 
In der mütterlichen Pflegne wuchs Ariadne heran 64, 89 : 
Wie an Eurotas' Wassern erwächst die bescheidene 

Myrte 
Oder der Frühlingshauch vielfarbiges Blühen heran- 
zieht, 
Quales Eurotae progignunt flumina myrtos 
Aurave distinctos educit verna colores. 
Im Parzenliede werden die Thaten des Achilles ge- 
priesen, deren Zeugen die troischen Mauern und die 
Wellen des Skamander sein werden. 

Denn wie im dichten Getreid Komährlein köpfend 

der Schnitter 
Sommerlich unter der Glut goldwogende Fluren da- 

hinmäht : 
Also mäht er die Leiber des Troergeschlechts mit 

dem Mordstahl, 
Namque velut densas praecerpens cultor aristas 
Sole sub ardenti flaventia demetit arva . . . 
Häufig sind metaphorische Beiwörter wie 'rosig' (roseis 
labellis 65, 74), 'schneeig' (niveos artus 64, 364); beide 
Epitheta begegnen in beliebtem Farbenkontrast 64, 309 
'rosige Binden auf schneeigem Scheitel' (At rosae niveo 
residebant vertice vittae); dazu gehört auch das Säen 
von dornigen Sorgen in die Brust der Ariadne 64, 72: 
Spinosas Erycina serens in pectore curas. 
Als ein junger Mann sank Catull ins Grab. Mit 
ihm schliesst die Periode der republikanischen Literatur. 
Auch in den Äusserungen seines Naturgefühls weist er 
schon in eine neu anbrechende Zeit, in die Zeit der 
augusteischen Dichter. Des Ennius , des Lucretius 
Werke waren die ersten kühnen und glücklichen Ver- 
suche, die starre, spröde Form der lateinischen Sprache 
für den weichen Stoff hellenischer Weisheit und helleni- 
scher Kunst gefügig zu machen. Catull löst sich aus 
den fremden Banden, aus dem Zwange sklavischer 
Nachahmung, bahnt neue Wege an und spricht in 
kunstvollen Versen seine eigenen, dem römischen L^ben 



Digitized by 



Google 



51 

durchaus entsprechenden Empfind\ingen aus. Wie viel 
reicher und feiner, weil individueller und subjektiver, 
ist er in seinen Vergleichen, Metaphern, Beseelungen 
und Schilderungen, als seine Vorgänger. Die auf Natur- 
anschauung beruhenden Vorstellungen werden eben 
immer geläufiger, das Auge wird immer geübter und 
der Sinn immer schärfer für die Reize und die Schönheit 
der landschaftlichen Natur. Bricht auch noch keine 
empfindsame Liebe zur Natur um ihrer selbst willen 
hindurch — wie bei dem Vorboten einer neuen griechi- 
schen Epoche, wie bei Euripides — , wird die Natur 
auch noch nicht zum alleinigen Gegenstande der Schilde- 
rung — wie in Griechenland zur Zeit des Hellenismus — , 
so ist doch ein grosser Fortschritt unverkennbar. Die 
Empfindungsweise wird wärmer, inniger; die Schilde- 
rung intensiver, individueller. 

Neben. Catull steht Cicero, der seine, im Gegen- 
satz zu dem Epikureer Lucrez wesentlich stoische 
Begeisterung für die Natur als Ganzes, als Ursprung 
aller Dinge, als Kosmos, den Griechen abgelauscht hat ; 
er bietet bedeutungsvolle Zeugnisse einer erhabenen 
Naturbetrachtung, aber zugleich verleugnet er auch nicht 
die ästhetische Bewunderung der Natur, den Genuss ihrer 
Schönheit und Pracht und seine Vorliebe für anmutige 
Gegenden, besonders für seine Villen, wenngleich alles das 
auch ihm noch nicht gerade längerer Erörterung wert 
dünkt. — Die übrigen Prosaiker bieten nichts von Belang ; 
durchaus knapp und nüchtern sind die Lokalschilderun- 
gen in den militärisch*politischen Werken Caesar's und 
Salhist's; mögen des letzteren prachtvolle Gärten auf 
dem Esquilin von einem hochgradigen Natursinne ge- 
zeugt haben — le luxe des jardins suppose toujours 
qu'on aime la natüre (Mad. de Stael) — , sein bellum 
Jugurthinum verrät uns davon nichts. Eine empfindungs- 
warme, poesiedurchwehte Prosa erblüht stets erst auf 
dem Gipfel der Literatur. — 



Digitized by 



Google 



Drittes Kapitel. 



Das elegisch -idyllische Naturgefühl im 
augusteischen Zeitalter. 

Die Zeit des Augustus bezeichnet einen Wendepunkt 
in dem römischen Kulturleben wie die Alexanders des 
Grossen in dem griechischen. Wie allen Übergangsperio- 
den ist auch ihr eine gewisse Unruhe und Unfertigkeit 
eigen, welche edle, das Alte ungern preisgebende 
Männer unbehaglich und wehmütig stimmt, so dass sie 
sich von der Gegenwart zurück flüchten in eine glück- 
lichere Vergangenheit, in der noch echt* römische Sitten- 
strenge und hingebende Vaterlandsliebe, aufopferungs- 
freudige Selbstlosigkeit im Interesse des Ganzen herrschte 
und noch nicht das Jagen und Ringen nach Erwerb, 
Genuss und Ruhm die Gemüter fieberhaft erregte und 
noch nicht ein unbeschränkter Trieb zur Geltendmachung 
der Individualität einen krankhaften Ehrgeiz, einen 
selbstsüchtigen Materialismus erzeugte oder ein Buhlen 
um die Gunst der Mächtigen an die Stelle freier politi- 
scher Arbeit trat. Der Zug der Zeit wird kosmopolitisch, 
international ; die Richtung der republikanischen Epoche 
war centripetal, die des augusteischen Zeitalters wird 
centrifugal. Das Kaiserreich bedeutete für Rom den 
Frieden, der die Wiege für Kunst und Wissenschaft 
ist. Augustus übte ein mildes Patronat der Geister, 
und die Poesie trat in den Dienst des Hofes; die Dichter 
wenden sich nicht ans Volk, sondern an die höchsten 



Digitized by 



Google 



. 53 

Gesellschaftsklassen, sie werden daher universeller ; aber 
auch die Poesie wird nicht als Gottesgabe weniger Er- 
wählter, sondern als ein Gemeingxit betrachtet, das 
jeder durch Ernst und Studium sich erwerben zu 
können wähnt. Das Streben nach umfassender, viel- 
seitiger Bildung erwachte mehr und mehr, und da Ruhe, 
Ordnung und Sicherheit nach den Stürmen der Bürger- 
kriege eintrat, ward der angeborenen Reise- und Wan- 
derlust ungehindert gehuldigt, und die Anschauung 
grossartiger und lieblicher Gegenden, sowie die Ver- 
tiefung geographischer und botanischer Kenntnisse 
waren auch für die Weiterentwicklung des Naturgefühls 
von Bedeutung. Das Homerische: 'Die Erde ist allen ge- 
meinsam^ war, wie Aristides in seinem Preislied auf Rom 
begeistert ausruft, zur Wirklichkeit geworden. Lichtvoll 
hat Friedländer, Sittengeschichte 11 S. 3— 122 dargethan, 
wie grossartige Strassensysteme, Wegekarten, Stationen- 
verzeichnisse die Reisen erleichterten, wie nicht blos 
Geschäfte, Amtspflichten, sondern auch Forschungstrieb 
iöid Kunstbedürfnis die Gebildeten über Land und Meer 
führte, wie aber auch mit allem Raffinement und Luxus 
der Zeit Erholungs- und Vergnügungsreisen an die 
schönsten Punkte Italiens und Siciliens unternommen 
wurden: nach Ostia, Astura oder Antium mit seinen 
prachtvollen, zum Teil ins Meer gebauten Palästen, wo 
noch jetzt Reste versunkener Herrlichkeit überall aus 
dem Meere ragen oder durch die durchsibhtige Flut vom 
Boden heraufschimmern (S. 46), oder in die Gebirgsorte 
wie Tibur, Praeneste, Tusculum, an die 'wildschönen Ufer 
des Anio', die rings mit Villen dicht besetzt waren, 
oder nach Neapel und Bajae, diesem ersten Luxusbad 
der Welt, wo sich Villen teils auf weitschauenden Höhen, 
teils unmittelbar am Rande des Meeres oder im Meere 
selbst erhoben. Griechenland lockte schon als Land 
der Vergangenheit, und 'in der Stille und Einsamkeit, die 
über Land und Städte gebreitet war, trat das Bild der 
grossen Vergangenheit nur um so überwältigender vor 
die Seele des Wanderers'. Aber auch in Ägypten 
konnte der Reisende sein historisch-ethnographisches 



Digiti 



zedby Google 



54 

Interesse und die romische Vorliebe an wunderbaren 
Phänomen befriedigen. Von dem lebhaft sich ent- 
faltenden Natursinne zeugt der Kultus, den man an 
zahllosen Grotten, Höhlen, Quellen, Hainen und Bäumen 
pflegte, zu denen man andachtsvoll, dcis geheimnisvoll 
waltende numen in der Natur verehrend, pilgerte, zeugen 
ferner die Trümmer der Villen und Paläste am Meeres- 
gestade oder an See- und Flussufern oder auf hoher 
Bergeswarte. — Gar mancher tiefer oder mit beschau- 
licher Denkweise Veranlagte flüchtete sich aus den 
Wirren des grofsstädtischen Lebens, aus der unerquick- 
lichen Sphäre eines verderbten Hofes, aus der Welt des 
Scheins und der Heuchelei in die ewig reine, ewig freie, 
grosse Natur, und siehe da, es ward das hellenistische, 
empfindsame, elegisch - idyllische Naturgefühl geboren, 
in das sich dann auch von selbst gar bald die Erotik als 
eff"ektvolles Bindeglied einfügte. 

Die Literatur und vor allem ihre höchste und 
glänzendste Erscheinung dieser Epoche, die Poesie, be- 
kundet einen deutlichen Niederschlag aller dieser kultur- 
historischen Momente. — 

P. Vergilius Maro ist eine der reinsten Erschei- 
nungen der römischen Literatur, eine kindlich harmlose Na- 
tur, eine anima Candida, die 'sich gern aus den Wirren der 
Gegenwart in idealisierte Naturzustände flüchtete, wo- 
durch seine Dichtung jenen sentimentalen Zug erhielt, 
der ihn einem folgenden Weltalter so wahlverwandt er- 
scheinen lässt^ (Carriere). Wohl bewundern wir die 
stolze, oft prächtige Diktion im Vergleich zu früheren 
Dichtern, aber vor einem Theokrit und gar vor einem 
Homer treten auch seine Dichtungen zurück, wie der 
Mond und die Sterne vor der flammenden Sonne 
weichen. ^ ^) 

Die Vergilischen Eklogen entbehren jener dramati- 
schen Ansphaulichkeit, die jede einzelne des Theokrit zu 
einem vollendeten Kabinetstück macht, aber sie verraten 
die Ideenverwandtschaft, die Homogenität der Zeitrich- 
tungen, welche Hellenismus und die römische Literatur 
unter den Kaisem verbindet. Wehmütige Sehnsucht nach 



Digitized by 



Google 



55 

der unverfälschten Natur, nach dem ländlichen Frieden im 
Gegensatz zu städtischer Hyperkultur , kurz ein idylli- 
sches Naturgefuhl ist der Untergrund dieser 'BiWchen' 
aus dem Leben der Hirten, die *unter dem Dache der 
breitastigen Buche' (I. i) odear in der rebenumrankten 
Grotte (V, 5) die Rahrpfeife um die Wette spielen, Wald 
und Thal wiederhallen lassen und um die spröden Schönen 
werben. Wie der verliebte Cyklop bei Theokr. XI, 42 
die liebliche Galatea angirrt, so rühmt ihr Möris Ekl. 
IX, 39 sein herrliches Dasein: 

Komm hierher, Galatea, was soll denn dein Spiel in 

den Wogen? 
Hier ist purpurner Lenz, bunt hier um die Borde 

der Bächlein 
Streute Blumen die Flur; hier ragt die silberne 

Pappel 
Über die Grott', und es flechten geschmeidige Reben 

ein Laubdach. 
Komm hierher, lass tobend zum Strand aufschlagen 

die Brandung. 
Glückselig wird der Greis gepriesen I, 46 ff, dem sein 
Landgut und somit der Genuss vielfältiger Freuden ge- 
blieben ist: 

O' glückseliger Greis, hier zwischen vertraulichen 

Buchen 
Und an heiligen Quellen erfrischt dich schattige 

Kühlung, 
Dort der Zaun, der hinab an benachbarter Grenze 

des Feldes 
Stets hybläische Bienen in Weidenblüte bewirtet, 
Tönt mit leisem Gesumme dich oft in gemächlichen 

Schlummer : 
Hier am hangenden Fels singt hoch der scherende 

Winzer, 
Während indes dein Liebling, die heisere Taube 

des Waldes, 
. Rastlos girrt, und die Turtel vom luftigen Wipfel 

der Ulme. 



Digitized by 



Google 



56 

Fortunate senex! hie inter flumina nota 
Et fontis sacros frigus captabiis opacum. 
Hinc tibi, quae semper, vicino ab limite saepes 
Hyblaeis apibus florem depasta saiicti 
Saepe levi somnum suadebit inire susurro. 
Hinc alta sub rupe canet frondator ad auras: 
Nee tarnen interea raucae tua cura palumbes 
Nee gemere aeria eessabit turtur ab ulmo. 
Vgl. die reizende Copa und im Culex die idyllische Schilde- 
rung der weidenden Herde, v. 69: „Wer kann glück- 
licher sein als wer mit reinem Sinn ferne von neid- 
erregenden Schätzen und traurigen Kriegen ein seliges 
Hirtenleben führt!" 

Wie in allen Pastoralien steht auch in den Eklogen 
die Herde und die leblose Natur dem schlichten Schäfer- 
völkchen innig vertraut, wie eine mitklagende und mit- 
lachende Freundin, gegenüber. Scheidet der Hirte von 
seinen Äckern, seinen Birnen, Reben und seinen Ziegen, 
so will ihm das Herz fast vor Weh zerspringen, I, 72 ; 
nach dem abwesenden Tityrus sehnen sich I, 38 die 
Pinien, selbst die Quellen, selbst die Gehölze (ipsae te, 
Tityre, pinus Ipsi te fontes, ipsa haec arbusta voca- 
bant); den vor Liebe vergehenden Gallus beweinten 
Lorbeer und Tamariske und der Fichten tragende 
Maenalus und die Felsen des kalten Lycaeus X, 13. 

Als Daphnis in den erbarmungslosen Tod sinkt, 
sind nicht nur die Haselgebüsche und die Bäche Zeugen 
der Trauer deV Nymphen V, 2ofF, und kostet vor 
Kummer keines der Tiere den Strom und berührt keines 
ein Hälmchen des Grases, sondern öde Berge und Wäl- 
der bezeugen es, dass selbst die punischen Löwen 
ihn beseufzten: 

Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones 
Interitum montesque feri silvaeque loquuntur. 
Mit der Pales und mit Apollo weicht nach dem Tode des 
herrlichen Hirten die Fruchtbarkeit von den Feldern 
V, 35, statt der Gerste sprosst unseliger Lolch, statt 
des liebliehen Veilchens und der purpurnen Narzisse 
steigt die Distel empor und scharfgenadelter Steehdorn. 



Digitized by 



Google 



57 

Und als Daphnis über die Schwelle des Olympus tritt 
<V, 56), unter sich Wolken und Sterne, da fasst Ent- 
zücken die frohen Wälder (alacris Silvas) und die Fluren, . . 
Selbst nun schwingen empor ihr Jubelgetön zu den 

Sternen 
Struppige Bergwildnisse, ja selbst lobsingein die 

Felshöhn, 
Selbst Weinbäumen entschallt: Gott, Gott ist jener, 

Menalcas ! 
Ipsi laetitia voces ad sidera iactant 
Intonsi montes; ipsae iam carmina rupes, 
Ipsa sonant arbusta: *^deus, deus ille, Menalca!^ 
Ja, die Fluren und Bäche spiegeln, wie bei Thepkrit, 
auch bei Vergil VII, 53 die Trauer über das Scheiden 
und die Freude über die Wiederkehr des Geliebten 
\weder: Ringsum liegen die Früchte, 

Alles umher nun lacht. Doch sobald mein schöner 

Alexis 
Unser Gebirge verliesse, du sähst auch die Bäche 

vertrocknet: 
Omnia nunc rident. At si forraosus Alexis 
Montibus his abeat, videas et flumina sicca. 
Und Thyrsis entgegnet: 

Dürr ist Acker und Flur, in der Glut krankt durstig 

das Kraut hin — 
Doch wann unsere Phyllis erscheint, grünt jegliche 

Waldung ; 
Jupiter auch stürzt reichlich in fröhlichem Regen 

herunter : 
Aret ager, vitio moriens sitit aeris herba . . 
Phyllidis adventu nostrae nemus omne virebit, 
Juppiter et laeto descendet plurimus imbri. — 
Ein sympathetisches Naturgefühl, wie es uns, die 
griechische Lyrik bot, klang leise in des Catullus Hei- 
matlied an; bei keinem anderen römischen Dichter 
bildet es einen so bedeutsamen Grundton wie bei Vergil. 
Es fand der Dichter von Mantua eine verwandte Saite 
seiner zarten, weiblich organisierten, träumerischen Seele 
durch die stimmungsvolle Naturmalerei des Theokritos, 



Digitized by 



Google 



58 • 

angeschlagen, der so meisterlich jene feinen Bezüge 
zwischen Geistigem und Natürlichem aufdeckt und beide 
Sphären in Harmonie oder Kontrast setzt. Lucrez 
malt wol die Natur in kraftvoUai Versen, Vergil vin- 
diziert ihr eine Seele, ein mitempfindendes Leben — les 
paysages d'Homere nous charment comme un.taUeau^ ceux 
de Virgile nous 6mouvent comme une melodie (Laprade). 
Auch der schöne Gesang der Hirten zieht 
die Natur in seinen Zauberbann; nicht blos horchen 
verwundert starr die junge Kuh und die Luchse, son- 
dern auch der Bergstrom wendet den Lauf und ruht 
aus Vni, 4 : Et mutata suos requierunt flumina cursus ; 
und der Maenalus hat tonreiches Gehölz (argutum nemus) 
und melodische Fichten (pinusque loquentes) v. iz, denn 
*stets hört er der liebenden Hirten Gesänge\ 

Der von Liebesleid Geplagte flüchtet sich dorthin, 
'wo dicht aufstreckt die schattigen Wipfel der Buchen- 
hain' II, 3 (inter densas umbrosa cacumina fagos Assi- 
due veniebat), und klagt dann einsam Bergen und 
Wäldern seine Not; ja, Gallus will X, 50 in die Ein- 
samkeit fliehen, wo nur das Wild in seiner Höhle sein 
Genosse ist, im Walde still leiden und seine Liebe den 
Bäumen vertrauen: aufwachsen werden die Bäume und 
die Naraenszüge der Geliebten! 

Certum est: in silvis, inter spelaea ferarum 
Malle pati tenerisque meos incidere amores 
Arboribus: crescent illae, crescetis amores. 
Doch solche sentimentale Regung, als Jäger mit Bäumen 
und Tieren nur zusammenzuleben, erscheint selbst dem 
Liebeskranken nur als eine medicina furoris, als etwas 
Ungesundes, Widernatürliches. ^^) 

Die Bilder und Gleichnisse entsprechen natürlich 
der Hirtensphäre. Will man Rom und Mantua ver- 
gleichen, so ist jenes eine hohe, kernfeste Cypresset 
dieses ein geschmeidiger Faulbaum: I, 25. An die Ver- 
gänglichkeit der schönen Gestalt mahnt den spröden 
Knaben das Wort II, 18: 'Weisser Liguster verwelkt, 
die dunkle Vaccinie pflückt manM Korydon folgt dem 
Alexis V. 63, 'wie die Löwin dem Wolfe, wie der Wolf der 



Digitized by 



Google 



69 

t ■ 

Ziege, wio das naschhafte Zicklein dem blühenden Cytir 
sus'j 'verhängnisvoll ist Hürden der Wolf, dem reifen 
Korn das Gewitter, fruchttragenden Bäumen der Wind, 
und unß dein Zorn, Amaryllis' heisst es IH, 80 u. s. f. 'Wie 
die Rebe den Bäumen zum Schmuck dient, wie der Rebe 
die Traube u. s. f., so du den Deinen' V, 3^. Der Ge- 
sang ist lieblicher als der Schlummer dem Müden im 
Gras oder der labende Trunk aus dem springenden 
Quell dem Durstigen am Mittag v. 45, vgl. Theokr. I^ 
7, VIII, 81. Galatea ist VII, 37 süsser denn hybläischer 
Thymian, weisser denn Schwäne und schöner als hellgrün 
rankender Epheu; Thyrsis will dem Korydon bitterer 
scheinen denn Sardos Kräuter, rauher als Mäusedorn und 
gewöhnlicher als ausgeworfenes Meergras; v. 45 malt 
Korydon eine Frühlingsscene am schattigen Quell und 
nennt das zum Lager ladende Gras weicher, sanfter als 
Schlaf (somno moUior herba). Schön findet Thyrsis v. 65 
die Esche im Walde, die Pinie in den Gärten, die Pappel 
am Bach und die Tanne auf luftigen Berghöhen, doch 
'wenn du öfter zu mir, holdseliger Lycidas, wandelst, 
müssen die Esche und Pinie nachstehen\ 

Mit Naturunmöglichkeiten spielt wie Theokr. I, 13a 
Vergil I, 59: 'Eher wird der Hirsch im Äther weiden, 
das entweichende Meer die Fische auf dem Trockenen 
lassen . ., als dass des Caesar Antlitz aus unserem 
Herzen weiche', vgl. VIII, 53. Die Schilderungen der 
Tages- und Jahreszeiten sind knapp, doch nicht ohne 
individuelle Färbung, wie am Schluss der ersten Ekloge : 

Schon auch steigt in der Ferne der Rauch aus 

ländlichen Giebeln, 

Und von den Höhn des Gebirgs erstrecken sich 

grössere Schatten, 
oder II, 8: * Jetzt auch suchen die Schafe den Schatten 
und Kühlung, jetzt verkriecht sich im Dom die grünliche 
Eidechse', vgl. Theokr. 84, 22 ; oder der Morgen wird ge- 
schildert VIII, 14: "^Kaum war vom Himmel gewichen der 
kühle Schatten der Nacht, wann noch lieblich der Herd' 
auf zartem Grase der Tau ist' ; oder der Frühling III, 56 : 
'Nun blüht jedes Gefild und jeglicher Baum von. Er- 



Digitized by 



Google 



60 

zexxgung, Nun ist laubig der Wald, nun üppige Schöne 
des Jahres' (Et nunc omnis ager, nunc ohmis parturit 
arbos, Nunc frondent silvae, nunc formosissimus annus). 
Die Stille in der Natur malt IX, 57 — vgl. Theokr. 
VII, 57, VI, II -: 

Und nun schweiget dir rings der gebreitete Spiegel, 

es ruhet, 
Siehe doch, jegliches Lüftchen des ungestümen Ge- 
räusches, 
Et nunc omne tibi Stratum silet aequor et omnes 
Adspice ventosi ceciderunt murmuris aquae. 
Catull hatte schon 64, 384 fF. nach alexandrinischer 
Manier die alte selige Vorzeit gepriesen im Gegensatz 
zur verderbten Gegenwart; Vergil prophezeit in der 
4ten Ekloge das Anbrechen eines neuen Weltenfrüh- 
lings, den der Entsündiger Apollo mit der Geburt des 
Sohnes des Consul Polio heraufführen wird: dann wird 
die Erde von selbst ihre Gaben spenden, Blumen und 
edle Pflanzen brechen hervor, gefahrlos weiden die 
Herden, ohne Furcht vor wilden Tieren; diese werden 
vergehen; sterben wird das Schlangengezücht und die 
giftige Pflanze; überall reichste Fülle, mühelos ohne 
Meerfahrt, ohne Krieg, ohne Arbeit — 

Schau mit gewölbeter Last das hochher schwankende 

Weltall, 
Länder rings und Räume des Meeres und Tiefen 

des Himmels! 
Schau wie alles sich freut des kommenden Urjahr- 

hunderts! — 
Sehen wir also auch Vergil im einzelnen vielfach 
mit Geschick den Theokrit nachahmen, so ist doch der 
Gesamteindruck dieser Eklogen nur der einer künstlichen 
Färbung des städtischen Lebens mit ländlichem Kolorit; 
aber gerade diese in sich verschwimmende Allegorie 
und Romantik, diese Verhüllung der städtischen Ver- 
hältnisse durch die Rustica und Pastoralia muss ihnen 
den Hauptreiz für seine Zeitgenossen verliehen haben. — 
Es war ein wirklich nationales und seinem eigenen 
Wesen äusserst homogenes Unternehmen, als Vergil 



Digitized by 



Google 



61 

seine Georgica begann und mit sorgsamstem Fleisse 
dies fein geglättete Werk über Acker- und Obstbau 
und Vieh- und Bienenzucht ausführte. Wie unendlich 
hat die Komposition sowohl wie die Form im einzelnen 
im Vergleich zu Lucrez gewonnen! Die Trockenheit 
des Stoffes wird durch glänzende Episoden abgeschwächt, 
die Einzelgemälde sind durch signifikante Epitheta und 
individuelle Ausdrucksweisen belebt, und das Ganze 
durchweht Liebe zur Sache, ein warmes Gefühl für 
die Natur und Begeisterung für Italien (II, 140-:- 17 6). 
Ohne jene Herbigkeit des Lucrez singt er ein Lob- 
lied dem Landleben gegenüber dem Prunk und dem 
falschen Schein des Stadtlebens II, 458: 

Wahrlich allzu beglückt, wenn eigenes Wohl er er- 
kennte, 
Wäre der ländliche Mann, dem, fern von Waffen 

der Zwietracht, 
Willig sein leichteres Mahl darbeut die gerechteste 

Erde! 
O fortunatos nimium, sua si bona norint, 
Agricolas! quibus ipsa procul discordibus armis 
Fundit humo facilem victum iustissima tellus. 
Kein Palast, von lästigen Besuchern gefüllt, keine Gier 
nach Schätzen, nach Schildpatt, golddurchwirkten Ge- 
wändern etc. stört ihn und trübt sein Glück, 

Doch sorglose Ruh', und ein harmlos gleitendes 

Leben, 
Reich an mancherlei Gut, doch Müsse in weiten 

Gefilden, 
Grotten und lebende See'n und Kühlungen tempi*- 

scher Thale, 
Rindergebrüir und im Wehen des Baums sanftruhen- 
der Schlummer 
Mangeln ihm nicht, Bergwälder sind dort und Lager 

des Wildes . . 
At secura quies et nescia fallere vita, 
Dives opum variarum, at latis otia fundis 
(Speluncae vivique lacus et frigida tempe 



Digitized by 



Google 



' 62 

Mugitusque boum mollesque sub arbore somtii) 
Non absunt ; ilUc saltus* ac lustra feranim — 
Er hat eine fröhliche Jugend bei gering'em Besitz, fromm 
ehrt er die Grötter; ehe sie schied, durch wallte zu- 
letzt die Ger€>chtigkeit — die Eutipideische aldwgl — 
diese Gefilde! 

Der Dichter selbst wünscht, wenn sein Können dem 
Wollen nicht entspreche, , wenn er nicht das Höchste 
in Darstellung der gewaltigen Naturerscheinungen 
zu leisten vermöge, so 'seien Felder mein Wunsch und 
wässernde Flüss' in den Thälern, Bäche erfreuen und 
Gefilde mich ruhmlos . . O wer mich höbe zu den kühlen 
Thälern des Haemus und mich decke mit dem Schatten 
der Zweige^ (48S); selig ist zwar, wer die letzten Gründe 
der Dinge furchtlos ermisst, 'doch beglückt auch jener, 
der ländliche Götter verehret, Pan und Silvanus, den 
Greis, und die Schwesterchöre der Nymphen; nicht fürst- 
licher Purpur beuget ihn oder empörender Zwist feind- 
seliger Brüder, noch Kriegsunruhen, nicht eisernes Recht 
oder tobender Markt, nicht führt Habsucht ihn übers 
tückische Meer oder zu den Höhen der Fürsten, dass 
er trink' aus Juwelen und schlaf auf sarranischem 
Purpur . . nein, er furcht mit gebogenem Pfluge das 
Erdrei'ch, stets geschäftig erntet er ein das Obst und 
die Gaben der Ceres . . , Unschuld übt sein sittsames 
Haus ; im Kreise der liebenden Kinder und Enkel ehrt er 
die Götter auf rasigem Anger am flammenden Opferfeuer 
— durch solche Tugenden erwuchs die Grösse Romas' ! 
Gar manches Treifende und Anmutige bieten einzelne 
knappe Schilderungen oder die weiter ausgesponnenen 
Episoden. So heisst es vom Anbrechen des Frühlings 
I, 43 : 'Früh im Lenz, wenn vom grauen Gebirg der Schnee, 
schmilzt und beim Westwind sich löst die lockere Scholle': . . 
Vere novo gelidus canis cum montibus umor 
Liquitur et zephyro putris se glaeba resolvit . . 
Er preist v. 105 den kundigen Mann, der die Felder 
berieselt, 

Der, wann in Glut der Acker mit sterbenden Pflanzen 

verschmachtet, 



Digitized by 



Google 



63 

Siehe, daher von der Stirne des hüglichten Pfades 

den Bergquell 

Lockt; sein Gesprudel ergiesst dumpfrauschend sich 

über die glatten 

Kiesel herab und tränkt die durstigen Felder mit 

Labsal. 

Et, cum exustus ager morientibus aestuat herbis, 
Ecce supercilio clivosi tramitis undam 
Elicit? illa cadens raucum per levia murmur 
Saxa ciet scatebrisque arentia temperat arva. 

Es lässt sich nur fühlen, nicht strikte im einzelnen 
immer darthun, wie viel feiner, abgeglätteter der Ausdruck 
bei Vergil als bei Lucrez ist ; des letzteren Verse sind noch 
ungefüge, eckige Blöcke, die unter des augusteischen 
Dichters gewandter Technik zu kleinen Kunstwerken treff- 
lichster Kleinmalerei zurecht gefeilt werden. So 'hüllt in 
Blumen sich der Mandelbaum und krümmt die wohlriechen- 
d^i Zweige' I, 187 (cum nux se . . Induet in florem et ramos 
curvabit olentis); 'am Pol schweigt unheimliche Nacht 
V. 247 (intempesta silet nox), und wenn zuerst der Mor- 
gen mit schnaubenden Rossen uns anhaucht, rötet sich 
dort aufglühend in spätem Lichte der Abend* (Ulis sera 
Tubens accendit lumina vesper). 'Der Morgenstern be- 
taut mit neuem Sonnenlicht die Lande' v. 288 (sole 
novo terras inrorat eous). Aber auch die Schilde- 
rung der gewaltigen Naturphänomene gelingt ihm wie 
v. 315 ff: 'Ich sah im wilden Kampf eilen die Winde 
und die schwangere Saat mit den tiefsten Wurzeln in 
die Höhe peitschen, oft auch wie eine unermessliche 
Schar von Wassern am Himmel sich sammeln, mit 
schwarzen Regengüssen die Wolken sich ballen; es 
stürzt der erhabene Äther, und der gewaltige Guss 
wäscht die üppigen Saaten und die Werke der Rinder 
auseinander; es brauset in stürmischen Sunden die 
Meerflut; der ewige Vater selbst, hervor aus des grausen 
Gewölks Nacht, schwingt hellleuchtende Strahlen; rings- 
um in Erschütterung bebet die Erde, es flieht das Wild, 
den Menschen entsinkt der Mut.' An das schöne Ca- 



Digitized by 



Google 



64 

tuUische Gleichnis von den im Winde aufschauemden 
Wellen erinnert die anmutige Schilderung der Anzeichen 
eines Sturmes v. 356: 'Sogleich wenn Winde sich er- 
heben, beginnt die Strömung des Meeres aufgerührt 
emporzuwallen, und man hört ein trockenes Geknack 
auf den hohen Bergen oder weithin hallet die Brandung 
an den Gestaden und anwächst der Haine Gebrause^ . . . 
(Continuo ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt 
agitata tumescere (vgl. An. VII, 528 Fluctus uti primo coepit 
cum albescere vento, Paulatim sese tollit mare et altius 
undas Erigit, inde imo cönsurgit ad aethera fundo) 
et aridus altis Montibus audiri fragor, aut resonantia 
longe Litora misceri et nemorum increbrescere murmur,) 
'oder die Taucher entflattern verschüchtert dem Meere, 
das Wasserhuhn spielt auf dem Trocknen, und hoch 
über das hohe Gewölk schwingt sich der Reiher empor ; 
oder Sterne sinken jäh vom Himmel herab, und hell 
schimmern durch den Schatten der Nacht die langen, 
flammenden Bahnen' (noctisque per umbram Flammarum 
longos a tergo albescere tractus). Auch an Catull er- 
innert es, wenn Vergil die Unzahl der verschiedenen Weiri- 
arten II , v. 1 05 am Sandgewühl der libyschen Ebene 
illustriert, das vom Weste gewälzt wird. 

Sinnig sagt er von dem veredelten Baum: 'Er 
streckt die 'glücklichen Zweige' zum Himmel empor 
und bewundert das neue Laub und die fremden Früchte' 
1, 80: 

Exilit ad caelum ramis felicibus arbos 
Miraturque novas frondes et non sua poma. 
Die gewaltige Eiche, der Jovisbaum, bleibt unbewegt 
und überdauert viele Geschlechter ; voll von Kraft, weit- 
hin die Arme gestreckt und der Äste Wölbungen, trägt 
in der Mitte sie selbst den unendlichen Schatten v. 293. 
Nach der Einlage vom Waldbrande (v. 303 ff) folgt ein 
anmutiges, farbenreiches Gemälde des Frühlings v. 323: 
'Frühling fördert das Grün der Haine und Wälder, 
Frühling schwellet die Erd' und zeugende Samen ver- 
langt sie, doch der allmächtige Vater mit fruchtbarem 
Regen, der Äther, 



Digitized by 



Google 



65 

Senkt in den Schoss sich herab der lüsternen Gattin 

und nähret 
Alles Geschlecht, der Grosse zum grossen Leibe 

gesellet ; 
Die pfadlosen Gebüsche hallen wieder vom hellen 

Liede der Vögel; 
Während der Acker gebiert und der Zephyre lauem 

Gesäusel 
Offnen die Felder den Schoss; es berauscht sich 

alles im Wachstum; 
Sicher auch wagen nunmehr der verjüngten Sonne 

die Knospen 
Sich zu vertrauen, nicht scheut aufsteigende Sude 

das Weinlaub, 
Noch vor gewaltigem Nord' ansausende Güsse des 

Regens : 
Ringsum drängt es die Keim' und grünt mit ent- 
falteten Blättern. 
. . Tum pater omnipotens fecundis imbribus aether 
Coniugis in gremium laetae descendit . . . 
Avia tum resonant avibus virgulta canoris . . 
Parturit almus ager, Zephyrique tepentibus auris 
Laxant arva sinus; superat teuer omnibus umor; 
Inque novos soles audent se germina tuto 
Credere, nee metuit surgentis pampinus austros 
Aut actum caelo magnis aquilonibus imbrem, 
Sed trudit gemmas et frondes explicat omnis. 
Sehr niedlich ist die Forderung v. 362, im sprossenden 
Jugendalter die zarte Rebe zu schonen, 'auch wenn sich 
fröhlich zur Luft aufschwinget das Reis, durch die Frei- 
heit geschnellt mit verhängetem Zügel (Et dum se laetus 
ad auras Palmes agit laxis per purum immissus habenis), 
aber wenn sie die Ulme mit rüstigen Stämmen um- 
windend hoch aufsteigt, dann scheer* ihr das Haar, dann 
stutze die Arme': tum stringe comas, tum bracchia tonde. 
Mit den Winden soll wetteifern das feurige Ross 
(in, 195), mit leiser Spur die Ebene berührend, 'wie 
wenn der Nordwind Scythiens Frost und trockene 
Wolken tummelt: siehe die Saaten des Thals und die 

Bieae, die Entwicklung des Natargefühls bei den liöniern. 5 



Digitized by 



Google 



66 

wallenden Felder schauem im lind anhauchenden Wehn^ 
und die Wipfel des Berg-walds rauschen zerwühlt^ 
und es rollt fernher zum Gestade die Meerftut^ : . , Tum 
segetes altae campique natantes Lenibus horrescunt 
flabris summaeque sonorem Dant silvae longique urgent 
ad litora fluctus. 

Wie Vergil schon in der zehnten Ekloge die Allge- 
walt der Liebe geschildert hat, so findet er hier v. 237 
für dieselbe das schöne Gleichnis: 'Wie wenn mitten 
im Meer sich erhebt in weiterer Ferne, Schäumend die 
Wog', aufbauscht in der Höh* und dann sich dahin 
wälzt Landwärts, dränget mit grausem Gebrüll durch 
Felsen und endlich Berghoch nieder sich stürzt, und es 
kochet das Wasser der Tiefe Auf in Wirbeln und es 
spült aus dem Grund den schwärzlichen Sand an: So 
sehr stürzet auf Erden der Menschen Geschlecht und 
des Wildes, Jegliche Art im Meer, das Vieh, die farbi- 
gen Vögel, Alles in Flammen und Wut: Gleich wirket 
in allen die Liebe"* : Fluctus uti, medio coepit cum albescere 
ponto, Longius ex altoque sinum trahit, utque volutus 
Ad terras immane sonat per saxa neque ipso Monte 
minor procumbit, at ima exaestuat unda Vorticibus 
nigramque alte subiectat harenam: Omne adeo genus 
. . In furias ignemque ruunt: Amor omnibus idem. — 

Anmutig verwebt der Dichter v. 32 2 ff. mit den 
.Vorschriften über die beste Führung der weidenden 
Herde im Laufe des Tages einige landschaftliche Mo- 
tive : 'Im fröhlichen Sommer rufen die Zephyre hinaus 
in die Waldgründe, in die kühlen Felder, wenn der 
Morgen noch jung und die Gräser noch blinken im Tau^ 
(dum mane novom, dum gramina canent); in der vierten 
Stunde des Himmels, wenn die klagenden Cicaden mit 
ihrem Gesang die Gehölze durchschwirren (et cantu 
querelae rumpent arbusta cicadae), führ* sie zum Wasser, 
in der Mittagsglut in ein schattiges Thal, wo mit 
stämmiger Kraft Zeus' uralt ragender Eichbaimi weit 
die gewaltigen Aste ausstreckt oder wo finster ein 
Steineichengehölz in heiligem Schatten sich senket^ 
(aut sicubi nigrum Ilicibus crebis sacra nemus accubet 



Digitized by 



Google 



67 

umbra); nach dem Scheiden der Sonne reinigt der er- 
frischende Abend die Luft und erquickt mit Tau die 
Gefilde der Mond, und die Gestade tönen wieder vom 
Rufe der Alkyonen und die Hecken' von dem des Gold- 
finken' (cum frigidus aera vesper Temperat et saltus reficit 
iam roscida luna, Litoraque alcyonem resonant, aca- 
lanthida dumi). 

Mit sinnigem, echt idyllischen Behagen, mit leb- 
haftem Sinn für das Kleine, Unscheinbare, Liebliche ver- 
senkt sich der Dichter im vierten Buch der Georgica in das 
Leben und Weben der Bienenwelt ; er will singen Von der 
Honigsüsse der Luft, dieser himmlischen Gabe' (aerii 
mellis caelestia dona exsequar) ! 'Ist auch kleinlich der 
Stoff, nicht kleinlich der Arbeit Ehre': In tenui labor; at 
tenuis non gloria. So schildert er v. 51 ff: 'Wenn den 
Winter die goldene Sonne unter die Erde scheucht und 
den Himmel mit sommerlichem Licht erschliesst, dann 
durchschweifen jene beständig Wald und Thal und 
ernten purpurne Blumen ; dann bauen sie kunstreich die 
Zellen aus Wachs und bilden den Honig ; wenn du nun 
zu den Sternen des Himmels die Schar, den Zellen ent- 
sandt, durch den klaren Sommer hinschwimmen (nare 
per aestatem liquidam) siehst und dich wunderst, wie 
das dunkle Gewölk hinzieht im Winde, dann . . treib 
sie zu duftigen Sitzen' . . Hier reizt es den Dichter, eine 
empfindungswarme, idyllische Episode einzuflechten. 

Wie nemlich Chrysostomos das stille Glück des ge- 
nügsamen Jägers mit herzlicher Sympathie in seiner Rede 7 
ausmalt, so hier Vergil v. 1 2 7 — 148 das des greisen Gärtners 
aus Corycus, der auf wenigen Morgen sein Gemüse, blen- 
dende Lilien, Verbenen und schwankenden Mohn baute — , 
Hielt sich' wie Könige reich im Herzen, belud er am 

Abend, 
Spät heimkehrend, den Tisch mit dem selbstge- 
zogenen Mahle. 
Rosen brach er zuerst im Frühling und Apfel im 

Herbste, 
Und wenn noch durch Frost der traurige Winter 

die Felsen 



Digitized by 



Google 



68 

Spaltet' und noch mit Eis anhielt den Lauf der 

Gewässer, 
Schnitt er von Hyacinthen sich schon zart duftende 

Blüten, 
Höhnend des Sommers Verzug und dass Zephyre 

säumten so lange. 
Drum auch hatt' er zuerst die Mutterbienen in Fülle, 
Hatte den reichlichsten Schwärm und presst' aus 

beschwereten Waben 
Schäumenden Honig, und Lind' und Pinie wuchsen 

ihm üppig. 
So viel Blüten im Lenz den Fruchtbaum hatten be- 
kleidet. 
So viel gab ihm der Herbst an Obst, das zur Reife 

gelangt war. 
Auch zu versetzen verstand er in Reihen erwachsene 

Ulmen, * 
Kräftige Birnenstämm' und Pflaumen tragenden 

Schlehdom, 
Endlich den Platanus selbst, der Trinkern schon 

Schatten gewährte — ; 
vgl. die ähnliche Gartenschilderung Culex 398 ff. und 
Moretum 6 1 ff. 

Die Bewunderung der Geselligkeit, des Fleisses und 
der Ordnung der Bienen, wie sie streben und schaffen 
im Dienst ihrer Königin sowie aus Liebe zu den Blumen 
und aus Stolz über die Erzeugung des Honigs (v. 205), 
führt den Dichter zu dem pantheistischen Gedanken, dass 
auch sie ein Teil des göttlichen Geistes, ein ätherischer 
Hauch seien (partem divinae mentis et haustus aetherios 
v. 220), der durch alle Lande und Meere dahingeht 
und durch den unendlichen Himmel; 

Tiere des Felds und Waldes und alle Geschlechter 

der Menschen 
Nehmen sich bei der Geburt von ihm das keimende 

Leben, 
Und so kehren zu ihm sie aufgelöset zurücke. 
Nie bleibt Raum für den Tod, entschwebt das 

Lebendige wieder 



Digitized by 



Google 



69 

Aufwärts unter die Sterne, zum Zelt des erhabenen 

Himmels ; 

vgl. An. VI, 724: (omnia) Spiritus alit. 'Aber auch den 

Bienen begegnet Leid und Krankheit {251), auch sie 

kennen traurige Leichenbegängnisse, Hunger und Frost ; 

Dann erschallt ein dumpfes Getön und gezogenes 

Surren : 
Wie wenn frostigen Hauchs durch Waldungen 

murmelt der Südwind, 
Wie unruhiges Meer anrauscht mit tosender Bran- 
dung, 
Wie ungezähmt aufbraust in verschlossenen Öfen 

das Feuer. 
Frigidus ut quondam silvis inmurmurat aüster, 
Ut mare soUicitum stridit refluentibus undis, 
Aestuat ut clausis rapidus fomacibus ignis. — 
Zum grossen epischen Kunstdichter erhob sich Ver- 
gil durch seine Äneis. Wie der Stoff nicht glücklicher 
gewählt werden konnte, so ist auch die Dichtung selbst 
eine geschickte Vermischung dreier verschiedener Ele- 
mente: der Homerischen Dichtungsart, der national- 
italischen Tradition und der hellenistischen Sentimentali- 
tät ; und so entsprach dies Werk wie kein anderes dem 
Geschmack seiner Zeit, dem Kanon der damaligen 
Ästhetik. Es war ein Werk der Erudition, des ange- 
strengtesten Studiums; mit Recht nennt Niebuhr den 
Vergil den poetischen Varro; aber die alte Kultur, in 
die er sich mühsam, künstlich zurückversetzt — im 
Gegensatz zu dem aus dem eigenen Leben schöpfenden 
Homer — , die graue Vorzeit einer Mythenwelt erzeugt 
in Verbindung mit der durchaus modernen Atmosphäre, 
welche über dem ganzen Epos ausgebreitet liegt, ein 
phantastisch-romantisches Zwielicht. Die grösste Kunst 
liegt in der Form. Vergil ist der kühnste Neuschöpfer 
von Wortgebilden im Anschluss an die alten grossen 
Meister Ennius und Lucretius. Auch in seinen Natur- 
schilderungen zeigt sich dies deutlich. Wohl tritt 
dem Epos gemäss das Landschaftliche zurück, aber es 
wird effektvoller ausgestattet als vordem ; die Gleichnisse 



Digitized by 



Google 



70 

sind fast sämtlich dem Corner abgelauscht; so die 
vom Löwen, der bald kampfeslustig (X, 454), bald jagend 
(X, 723), bald raubend (IX, 339), verfolgt und verwundet 
(IX, 792) dargestellt wird; vom Tiger, (IX, 730), Eber 
(X, 707), Wolf (II, 355, IX, 59. XI, 8 IG); ein Jagdbüd 
bietet das Gleichnis (IV, 69) von der Dido, die durch die 
Stadt irrt wie die vom Pfeile getroffene Hindin, die ein 
Hirt unvermutet in kretischen Wäldern mit dem be- 
schwingten Geschoss traf; jene durchrast die diktäischen 
Wälder und Schluchten; fest haftet das tödtliche Rohr 
in der Seite; vgl. IX, 551. 

Die Schnelligkeit versinnbildlichen nicht blos die 
Winde und der beflügelte Schlaf (II, 794, VI, 701, VIEL, 
223), sondern auch der Vogel (IV, 254), dem gleich sich 
Hermes entschwingt durch wirrende Nebel. Ein An- 
klingen an den verzweifelten Verwandlungs- und Be- 
flüg^lungswunsch o. ä., der bei den Griechen seit Alk- 
man in immer neuer Färbung hervortrat, finde ich nur 
IV, 24 — auf Homerischer Basis beruhend vgl. II. VI, 
345 — : 'Ich möchte, dass eher mich die Tiefe der Erde 
verschlänge oder der allmächtige Vater mich mit dem 
Blitze vertriebe zu den Schatten, zu den bleichen 
Schatten und der tiefen Nacht im Erebus^; und Aneas 
höhnt im Kampf ihm gegenüberstehend den Turnus 
Xn, 892 : 'Nun wünsche, mit Fittigen zu den hohen Sternen 
zu eilen oder dich zu bergen im Schosse der Erde*; 
vgl. X, 675 ; ein neidisches Aufblicken zu den luftigen 
Vögeln verraten die Verse Ciris 195: gaudete o celeres 
subnisae nubibus altis. — 'Zahllos wie die Schwärme d$r 
Vögel' heisst es An. VII, 699; Kraniche und Schwäne 
werden wegen ihres lauten Geschreis (X, 264, XI, 456) 
herangezogen; Schwäne, die sich der Heimat freuen (I, 
593); der Adler als Raubvogel (XI, 721 und 751); der 
Taucher (IV, 254), die Taube (V, 213), Habicht und Taube 
(XI, 721), die Schwalbe (XII, 493); ferner die Schlange 
{II, 471), der Delphin (V, 594) — alles nach Homerischen 
Muster ! Von vortrefflicher Kleinmalerei sind die Gleich- 
nisse aus der Insektenwelt, von den Bienen XU, 587 
zur Versinnbildlichung der Unruhe der Belagerten: 



Digitized by 



Google 



71 

Wie wenn verschlossene Bienen im vieldurchlöcherten 

Bimstein 

Ausgefunden ein Hirt und mit bitterem Rauche 

gefüllet; 

Jene, geregt inwendig von Angst durch das wächserne 

Lager 

Laufen umher und schärfen mit lauterem Summen 

den Unmut; 

Schwarzer Geruch durchwallet die Wohnungen, blin- 
des Gemurmel 

Tönt inwendig im Fels und empor zieht Dampf in 

die Lüfte. 
So wird ebenfalls die Rührigkeit der Städter I, 430 
ausgemalt : 

Sowie die Bienen im wonnigen Mai durch blumige 

Felder 
Emsigkeit unter der Sonn' umtreibtj die pflegen des 

Volkes 
Aufgewachsene Brut, dort andere häufen des Honigs 
Klarsten Seim und dehnen mit lauterem Nektar die 

Zellen 
Oder empfahn die Lasten der kommenden; oder in 

Heerschar 
Wehren sie ab die Drohnen, das träge Vieh, von 

den Krippen: 
Rastlos glüht das Gewerb' und von Thymian duftet 

der Honig. 
Nicht minder niedlich und von Beobachtung der lieben 
Kleinen im Haushalte der Natur zeugend ist das Gleich- 
nis von den Ameisen IV, 402 : 

Wandern sah man sie (die Teukrer) rings und rings 

aus den Mauern herabziehn: 

Wie wenn ein Schwärm Ameisen den mächtigen 

Haufen des Speltes 

Gierig zerrafFt, für den Winter besorgt, und ver- 
wahret im Obdach; 

Dunkel geht im Felde der Zug, und den Raub durch 

die Kräuter 



Digitized by 



Google 



72 

Führen auf schmalem Steig sie daher; theils drängt 

man des Kornes 
Grosse Last mit der Schulter gestemmt ; teils treibt 

man den Heerzug, 
Züchtigend Säumnis und Rast, rings glüht vom Ge- 
werbe der Fusspfad. 
Aus der Pflanzenwelt begegnen uns die zahllosen Blätter 
(VI, 305), die Eiche (IV, 441 und IX, 679), die Fichte (V^ 
448), die Esche (II, 626), die Mistel (VI, 205) ; Saaten- und 
Waldbrand (II, 304); Ähren (VII, 720); an Sappho-CatuU 
mahnt die Zeile IX, 435 : 'Er sinkt in den Staub zurück, 
wie die purpurne Blume zerschnitten vom Pfluge ster- 
bend hinwelkt' (Purpureus veluti cum flos succisus aratro 
Languescit moriens), und wieder nach Homerischem Vor- 
bild fährt er fort : 'Oder wie der Mohn vom schwanken 
Halse das Haupt senkt, wenn schwerer Regen ihn be- 
lastet', (lassove papavera coUo Demisere Caput, pluvia 
cum forte gravantur) ; ganz leise klingt auch wieder das 
Sappho-CatuUische Motiv durch die Verse XI, 67 : 
Hier auf ländlicher Streu wird hoch gebettet der 

Jüngling, 
Anmuts.voll wie die Blume, gepflückt vom Daume 

der Jungfrau, 
Eine sanfte VioF und die schmachtende Blum' Hya- 

cinthus. 
Der noch nicht die Gestalt und die glänzende Farbe 

dahinschwand ; 
Nicht mehr nährt sie das Muttergefild' und reichet 

Erquickung. 
Qualem virgineo demessum poUice florem 
Seu moUis violae seu langiientis hyacinthi, 
Cui neque fulgor adhuc nee dum sua forma recessit ; 
Non iam mater alit tellus viresque ministrat. 
Mit dem namentlich von hellenistischen Dichtem so 
raffiniert verwandten Farbenkontrast und mit ganz 
modern romantischer Anschauung schildert der Dichter 
XII, 65 die auf und niederwallende Liebesleidenschaft 
der Lavinia : 'Die brennenden Wangen übergiesst flam- 
mende Röte, wie wenn man indisches Elfenbein mit 



Digitized by 



Google 



73 

blutigem Purpur färbt (IL IV, 141) oder wie rötlich 
schimmern blendende Lilien inmitten v.on Rosen: so 
wechselt die Farben die Jungfrau': 

Indum sanguineo veluti violaverit ostro 
Slquis ebur aut mixta rubent ubi lilia multa 
Alba rosa: talis virgo dabat ore colores. 
Der Kampf wogt wie das von Stürmen aufgeregte Meer 
(XI, 624, VII, 528 und 718, XII, 365); wir finden ange- 
schwollene reissende Ströme (II, 496 und 305, IX, 30), 
unbewegliche Felsen im Meer (V, 124, XI, 297 und VII, 
586), inmitten der bellenden Wogen, die sie schäumend 
umrauschen (multis circum latrantibus undis . . scopuli 
nequiquam et spumea circum saxa fremunt). Berge und 
Felsen (XII, 701, X, 693, XII, 684), die vom Beben er- 
schütterte Erde (VIII, 243), ein Gemurmel wie Windes- 
wehen im Walde (X, 96), — sonst vgl. II, 416, X, 356 — , 
Hagelschauer (V, 458, X, 803), die Wasserhose (XII, 451). 
Vor allem aber sind die Lichterscheinungen am Himmel 
effektvoll und malerisch ausgestattet, nicht sowohl in 
den Homerischen Gleichnissen, — wie vom aufgehenden 
Morgenstern und dem Sirius (VIII, 589, X, 272), Stern- 
schnuppen (V, 527), blutigen Kometen (X, 2 7 2), Regenbogen 
(X, 803) — , als in den alexandrinischen Dichtern entlehnten. 
Romantisch wird das unsichere Mondlicht mit seinem 
trügerischen Schein im Walde zum Gleichnis verwandt 
(Quäle per incertam lunam sub luce maligna Est iter in 
silvis VI, 270); das durch Wolken brechende Mond- 
licht (VI, 452); das Meer, in zitterndem Mondlicht 
glitzernd, (VII, 9 splendet tremulo sub lumine pontus). So 
begegnet uns der reflektierte Vergleich des Apollonios 
VIII, 21: 

Und nun fliegt der Gedanke bald hierhin, bald 

dorthin . . 

Sowie der zitternde Schimmer der Flut aus ehernen 

Wannen, 

Welcher das Bild der Sonne zurückstrahlt oder des 

Vollmonds, 

Alles durchfliegt, umlaufend in Schnelligkeit, und 

zu den Lüften 



Digitized by 



Google 



74 

Hoch sich erhebt, des erhabenen Gemachs Prunk- 
decke beflimmemd, 
Sicut aquae tremulum labris ubi lumen aenis 
Sole repercusso aut radiantis imagine lunae 
Omnia pervolitat late loca iamque sub auras 
Erigitur summique ferit lacunaria tecti. 
Ja sogar das Schiflf des Äneas, da§ auf dem Tiber 
dahingleitet, durchschneidet die grünen Wälder in der 
spiegelklaren Flut: viridisque secant placido aequore 
Silvas VIII, 96. 

Recht modern ist auch das Gleichnis VIII, 387. 
Mit verführerischen Worten tritt Venus an den Vulkan 
heran und umschmiegt ihn, 'mit blendenden Armen Herzt 
sie in weicher Umschlingung den zaudernden, plötzlich 
entbrennt ihm Von der gewöhnlichen Flamme das Herz, 
und tief in das Mark ihm Stürmte die kundige Glut 
und durchlief die wankenden Glieder Gleich als wenn 
aus flammender Donnerwolke hervorbricht Schimmernd 
der feurige Blitz und in Glanz die Gewölke durch- 
schlängelt' : 

Dixerat et niveis hinc atque hinc diva lacertis 
Cunctantem amplexu molli fovet. ille repente 
Accepit solitam flammam notusque medullas 
Intravit calor et labefacta per ossa cucurrit: 

— vgl. Xn, 66 — 
Non secus atque olim tonitru cum rupta corusco 
Ignea rima micans percurrit lumine nimbos. 
Mit besonderer Kunst sucht der Dichter Abwechslung 
in die so häufigen Schilderungen der Tageszeiten zu 
bringen; so der Nacht, wenn es heisst: 'Die schwarze 
Nacht ruht auf dem Meere' (I, 89), 'die tauige Nacht eilt 
himmelab und es laden die sinkenden Sterne zum 
Schlummer* (iam nox umida caelo Praecipitat suadentque 
cadentia sidera somnos II, 7, IV, 8); oder sie stürzt vom 
Ocean her und hüllt in weiten Schatten Erde und Meer 
(v. 250, III, 508). 'Es war Nacht und in den Landen hielt 
der Schlaf die lebenden Wesen' (Nox erat et terris animalia 
samnu3 habebat) heisst es III, 147, VIII, 26; 'nicht schien 
ein klares Gestirn noch leuchtete funkelnd heitere Bläue 



Digitized by 



Google 



75 

des Pols, umwölkt war der dunkele Himmel, Und tief 
deckte den Mond der mitternächtliche Schauer'' (nox 
intempesta) III, 585 ; 'so oft mit tauigen Schatten (umen- 
tibus umbris) die Nacht die Lande bedecket, so oft er- 
heben sich strahlende Gestirne^ IV, 351. Ennianisch ist 
das 'caelum stellis ardentibus aptum' XI, 202. Doch vor 
allem wirkungsvoll wird mit feiner Beseelung und be- 
wusstem Kontrast zu der ruhelosen Liebesleidenschaft 
der Dido die friedliche Stille der Nacht geschildert 
IV, 522: 

Nacht war's und es genoss holdseligen Schlummer 

ermüdet 
Alles, was lebt auf Erden; Gehölz' auch und wilde 

Gewässer 
Ruheten, jetzt da zur Mitte die Stern' hinrollen den 

Umlauf, 
Da rings schweiget das Feld und Vieh und buntes 

Gevögel, 
Das teils lautere Seen weitum, teils Dickichte rauher 
Felsen bewohnt, zum Schlafe gesetzt in nächtlicher 

Stille: 
Sorglos labeten alle das Herz, ausruhend von Arbeit. 
Nox erat et placidum carpebant fessa soporem 
Corpora per terras silvaeque et saeva quierant 
Aequora, cum medio volvontur sidera lapsu. 
Cum tacet omnis ager pecudes pictaeque volucres 
Quaeque lacus late liquidos quaeque aspera dumis 
Rura tenent somno positae sub nocte silenti. 
Wer wird hier nicht gemahnt an das Alkmanische Nacht- 
lied &!)öov0iv al (paQayyeg x. r, L oder noch mehr an das 
Paul Gerhard'sche 'Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Men- 
schen, Stadt' und Felder, Es schläft die ganze Welt'? 
Mythisch wird die dunkle Nacht V, 721 und 835 
geschildert, mit dem Zwiegespann den Himmel be- 
fahrend. — Noch häufiger kündet der Dichter das Nahen 
des Morgens« Da erhebt sich auf den Bergen des Ida 
der Lichtbringer Lucifer und führt den Tag herauf (11, 
801), Titan (IV, 118); immer wieder verscheucht die 
Morgenröte die Sterne, erglüht rosig am Himmel (III, 



Digiti 



zedby Google 



76 

52 1), und zerstreut den tauigen Schatten (III, 588), ver- 
lassend den Ocean (IV, 129) oder das safFranfarbene 
Lager des Tithonus, mit Licht die Lande überstreuend 
(584, und IX, 459, XII, 113) oder mit der Fackel sie 
beleuchtend (IV, 6, VII, 148) und den Sterblichen das 
holde Licht bringend (V, 64, XI, 182), das den Frühge- 
sang der Vögel unter dem Dachfirst weckt (VIII, 455) ; die 
Aurora führen dahin die Rosse des Phaethon (V, 105), das 
rosige Viergespann (VI, 535), mit purpurnen Rädern (XII, 
76) und sprühen Licht aus erhobenen Nüstern (Solls equi 
lucemque elatis naribus efflant XII, 113); rosig strahlt 
das Meer, wenn am erhabenen Äther die goldgelbe 
Aurora im bunten Doppelgespanne erglänzt (VII, 25). 
Malerisch schildert der Dichter die Iris (IV, 700): 'Iris, 
mit Safranschwingen im tauigen Lauf durch den Himmel 
Gegen die Sonn' hinziehend den tausendfarbigen Bogen, 
Flieget hinab: Iris croceis per caelum roscida pennis 
Mille trahens varios adverso sole colores Devolat. — 

Wir wissen, dass die Römer dieser Zeit den Reiz 
der Fernsichten, der weiten Umschau sehr wohl empfan- 
den; so schildert auch Vergil wiederholt den Rundblick, 
der sich dem Jupiter darbietet, wenn er vom hohen 
Äther herabschaut auf das segelbefahrene Meer (mare 
velivolum) und die drunten liegenden Lande und 
Gestade (I, 222); zum Sternensitze (sideream in sedem) 
ruft der Vater der Götter und Menschen die Versamm- 
lung, 'wo hoch auf die Lande der Welt her und auf 
das Dardanerlager er schaut und das Volk der Latiner* 
(X, 3); auf der Wolke sitzend schaut aus ätherischen 
Höhen der gelockte Apollo auf die ausonischen Reihen 
und die Stadt IX, 638; vgl. I, 419, X, 460. 

Die unendliche Weite des Meeres : 'Ringsum Wasser 
und ringsum Himmel"* (nee iam amplius uUae Apparent 
terrae, caelum undique et undique pontus) schildert III, 
192 und V, 9; die Meeresstille, wenn die Fluten be- 
sänftigt der Wind und leise in hoher Luft rauscht der 
Auster III, 69. Grossartig werden die Schauer der 
Charybdis ausgemalt (III, 421 und 555), des Ätna (5730), 
des Atlas (IV, 246}; ein einsamer Fels im Meer (V, 124); 



Digitized by CjOOQIC 



77 

der Hain mit rauschenden Büschen und dem lethäischen 
Quell (VI, 703); ein Hafen (I, 159); die Felshöhle dQs 
Cacus (Vni, 190); eine Robinsonade ist die Schilderung 
des Lebens auf der Cyklopeninsel (III, 645). Mit Emphase 
berichtet der Dichter von den Inseln der Seligen, den 
Fluren der Wonne, den grünenden Lustauen, den Woh- 
nungen friedsamen Heils mit reinerem Äther, eigener 
Sonne und eigenen Sternen (VI, 637). 

Der Kreis der Metaphern und Beseelungen ist auch 
bei Vergil immerhin nur ein beschränkter, es sind nur 
Brosamen, die von der reichen Tafel der Griechen ihm zu- 
gefallen sind; oder er spinnt Motive seiner Vorgänger wie 
Ennius, Lucretius und Catullus weiter aus. Dahin ge- 
hört: das Ernten mit dem Schwerte (X, 513), die Wolke 
des Krieges (X, 809), ein Unwetter von Geschossen und 
ein eiserner Regen (XII, 284), die Blüte der Jugend- 
kraft, die das Kinn bekleidet (VIII, 160); Haare und 
Arme der Bäume (XII, 209 und 413), — vgl. Culex 140, 
wo Steineiche, Cypresse, Buche und Epheu ihre Äste 
(bracchia) ermahnen, dass nicht die Pappel über Stösse 
der Brüder klage (monent . . Bracchia, fraternos plangat 
ne populus ictus) — ; öfter 'irrigare', so von der sanften 
Ruhe, welche die Cyprierin über den Ascanius ausgiesst (I, 
«691); die windige Zunge (XI, 390, ventosa lingua); 'undare^ 
wogen, ist häufig: von den dichten Troerscharen (XII, 
2S0 vgl. XI, 382), vom Blut (X, 908), von der Flammen- 
säule, die zum Himmel steigt (XII, 672); weit wichtiger 
ist die Übertragung des 'fluctuare' auf das Geistige, die 
seit Plautus besonders CatuU effektvoll verwandte; in 
wörtlichem Anschluss an diesen begegnet sie VIII, 19: 
*imd er wogt in der Sorg' unbändigem Strudel' (magno 
curarum fluctuat aestu) ; X, 680 'im Geist wogt er hier- 
hin und dorthin' animo nunc huc nunc fluctuat illuc; 
vgl. XII, 486: vario nequiquam fluctuat aestu, 527 fluc- 
tuat ira intus *der Zorn wallt innen auf, XII, 831 'die 
Wogen des Zorns': irarum fluctus volvis sub pectore; 
so auch 'aestuare' , 'gewaltig braust im Herzen die Scham' 
X, 870: aestuat ingens in corde pudor, ebenso XII, 666 
etc. etc. Die Beseelungen stehen auf der Stufe der ersten 



Digitized by 



Google 



78 

Alexandriner, wie die 'zwieträchtigeh Winde^ (I, 53, X, 
357), die "^trügerischen Lüfte' (V, 848) — '■ vgl. die sprich- 
wörtliche Wendung von den Winden X, 69 und 652 — , 
die Vögel mit thränenreichen Stimmen (XI, 274); ja so- 
gar der Hain, die krystallene Welle und die klaren 
Seen beweinen den gefallenen Helden VII, 760 : Te nemus, 
. . vitrea te Fucinus unda Te liquidi flevere lacus ; oder es 
wundern sich der Hain und die Wellen (VIII, 91), es 
zittern vor Furcht die Stygi sehen Seen (VIII, 296); vor 
allem aber schweigen und ruhen Winde und Wellen 
und Wälder: Mas Gesäusel ruht . . und die Vögel wie- 
gen den Äther ein und die Lauben des Haines' VII, 27 ; 
sanft ist das Antlitz der Salzflut (salisque placidi voltum) 
V, 848 ; es beruhigen sich die hohen Wogen VII, 6 ; es 
schweigen die Gehölze IX, 392 (dumisque silentibus); es 
zögert der dumpf tosende wStrom (cunctatur et amnis 
rauca sonans) IX, 124 (vgl. VIII, 305 und 240); wenn 
Jupiter spricht, schweigt die hohe Götterbufg, erzittert 
die Erde und es schweigt der erhabene Äther, Zephyre 
atmen kaum, sanft ruhn die Gewässer des Meeres X, 100: 
. . eo dicente deum domus alta silescit Et tremefacta solo 
tellus, silet arduus aether Tum zephyri posuere, premit 
placida aequora pontus. 

Wie bei Theokrit die Cypressen Mitwisser des 
Liebesbundes, '^) der daqtorvg, sind, gleich der Nachti- 
gall, dem verschwiegenen Vögelein, unseres Walther, so 
sind die flammenden Blitze und der Äther Zeugen der 
Minnestunde des Äneas und der Dido IV, 167: fulsere 
ignes et conscius aether Conubiis ; den Chor bilden die 
heulenden Nymphen (summoque ulularunt vertice nym- 
phae); denn 'jene Stunde war für Dido des Todes 
und der Leiden Ursache\ — 

Wir sehen somit, dass in allen Dichtungen des 
Vergil das Landschaftliche einen nicht unbedeutenden 
Raum einnimmt und mit hervorragender Kunst und 
nicht lediglich mit einem die Griechen nachbilden- 
den Verständnis gepflegt wird, sondern dass die 
Schilderungen der Natur, namentlich mit Homer ver- 
glichen , eine romantische, malerische, Färbung tragen. 



Digitized by 



Google 



79 

die teils hellenistisch, teils aber auch schon als original 
römisch anzusehen ist. Die Stimmung, aus der heraus 
seine Darstellungen des Landschaftlichen geflossen sind, 
ist die idyllische, jenes Wohlbehagen an dem Zarten 
und Lieblichen, jene aus Überdruss an städtischer Kultur 
herausgeborene, elegische Vorliebe für das Landleb^i; 
vor allem aber bekunden seine Dichtungen eine für einen 
Römer selten feine Beobachtungsgabe, einen offenen, 
empfanglichen Sinn und eine träumerische Sympathie 
für die Natur. ^^) Doch an Vielseitigkeit, Lebendigkeit und 
besonders an seelenvoller Ferve des Ausdrucks bleibt 
der Römer hinter den Griechen, z. .B. Theokrit, weit 
zurück ; wird die Sprache auch immer glätter und voller 
und kunstgerechter, etwas Frostiges klebt selbst dem 
erhabensten Ausdruck an ; jener undefinierbare Schmelz 
griechischer Dichtungsweise ist eben ein unübertrag- 
bares, unnachahmliches Göttergeschenk, das dem Römer 
versagt blieb. — 

H o r a z ist kein Lyriker von Gottesgnaden, wie Ca- 
tullus, ^für den jede Erregung des Gefühls sich unmittel- 
bar in dichterische Form und Farbe umsetzt, weil er 
so muss und gar nicht anders kann^ ; Horaz ist wesent- 
lich ein grosses Formtalent, keine schöpferische, son- 
dern eine receptiv-kritische Natur — wie Lessing — , 
begabt mit Geistesklarheit, Verstandesschärfe und ge- 
sundem ästhetischen Urteil. Kraft eines solchen zieht er 
auch in seinen lyrischen Dichtungen die Grenzen für 
die Schilderung des Landschaftlichen ziemlich eng (A. 
P. V. i6 — 19), auch da wo zu weiterer Ausführung ihn 
das griechische Original hätte auffordern können. Aber 
sein Sinn für das Landleben ist noch ausgeprägter und 
bewusster als bei Vergil '^'^) und gewinnt einen direkten, 
getreuen Ausdruck besonders in den seinem Geiste 
konformsten Dichtungsarten, der Satire und der Epistel. 
Doch auch in den Oden und Epoden findet sich gar 
manches Anmutige, das allerdings meist den Stempel der 
Nachahmung trägt. So ist die Allegorie des Staatsschiffes, 
das von den Wogen der Bürgerkriege hin und her geworfen 
wird Carm. I, 14, Alcäisch ^'^), wie auch die Aufforderung 



Digitized by 



Google 



80 

zum lustigen Trinkgelage Epod. 13, ^während schauriges 
Ungewitter den Himmel umschliesst und in Regen und 
Hagel Zeus herabstürzt, dass Meer und Wald im Sturme 
hallt^ ; ebenso Carm. I, 9, das mit dem individualisierten 
Hintergrunde der italischen Winterlandschaft uns den 
Horaz im traulich warmen Gemach zeigt mit dem Aus- 
blick auf den im Schnee schimmernden Soracte im 
Faliskerlande ; vgl. auch III, 10, 5. 

Dem Anakreon gehört das Genrebildchen aus dem 
Tierleben I, 23, in dem Horaz die spröde Chloe mit dem 
jungen Rehkalb vergleicht, das zaghaft im pfadlosen 
Gebirge die Mutter sucht, bangend in Furcht, wenn 
durch das Laub der Wind fahrt oder durch grüne 
Ranken die Eidechse huscht; vgl. II, 5. — Parallelen 
zwischen Natur und Menschenleben sind nicht selten, 
wie II, 9 : 'Nicht immer rauschen Regengüsse auf die 
rauhen Äcker nieder oder peitschen Stürme das kaspische 
Meer, nicht immer steht träge das Eis oder ächzen 
(laborant) unter dem Nordsturm die Eichenwälder des 
Garganus und werden die Eschen der Blätter beraubt 
(viduantur) ; drum höre auf, weichlich zu klagen"* 1 Oder 
II, II, 9: 'Nicht stets in gleicher Herrlichkeit blüht und 
prangt der Frühling, nicht mit einerlei Angesicht 
blinket Luna feurig' ; I, 12, 45: 'Wie geheim fortalternd 
der Baum emporwächst, so Marcellus' Ruhm; es 
schimmert das Julische Gestirn vor allen, wie Luna im 
Sternenheer^ Oder die Schulter der Geliebten ist glänzend- 
weiss, 'wie Luna silberrein im Nachtmeer strahlt': Ut 
pura nocturno renidet Luna mari II, 5, 18; und Lydia 
will mit dem Dichter leben, 'wenn auch der Neben- 
buhler schöner wie Sternenglanz und er selbst leichter denn 
Kork und unbändiger als Adrians wilde Flut sei' III, 9, 
2 1 ; 'enger als Epheuranken den erhabenen Eichstamm 
umschlingen', schmiegt sich Neaera in seinen Arm Epod. 
15, 5 — ^Nacht war's, und hell blickte der Mond am 
heiteren Himmel, den kleine Sterne umfunkelten'. — 
Weise empfiehlt der Dichter II, 10 die Mittelstrasse 
zwischen dem hohen Meer und dem falschen Strande. — 
^Öfter wankt vom Winde bewegt der Fichte Riesen- 



Digitized by 



Google 



81 

wuchs, viel schmetternder kracht hitranter hoher Thürme 
Einsturz, und es schläft des Berges Gipfel der Donner. — 
Gleich dem vom Berge herabrollenden Strome, den der 
Regen schwellt, braust ohne Maszen (immensus) einher 
aus getiefter Mündung strudelnd Pindaros (IV, 2, 5), 
oder es hebt (v. 25) ein I.uftschwall den Dircäerschwan 
zu den schwebenden Wolken, während er selbst einem 
bescheidenen Matinerbienlein gleiche, das in mühseliger 
Arbeit sich Kost aus Thymus nippend sucht. Dem 
Donner tragenden Adler des Zeus, den Frühlingswinde dem 
Neste vormals enthoben, vergleicht er den Drusus {IV, 
4, i); es zittern vor ihm die Vindelicier, wie das Reh 
vor dem Leu erschrickt (v. 13); vgl. vom Hirsch v. 50 
und I, 15, 29; und das römische Volk gleicht der Stein- 
eiche auf der Höhe des dunkellaubigen Algidus, die 
das Beil beschor und die. so vom Eisen selber Mut und 
Gewalt entlehnte. — Eine der wesentlichsten Grund- 
lagen seiner idyllischen Vorliebe für das Landleben ist 
die stoische Lebensweisheit, dass das Gluck nicht am 
äussern Besitze klebt, sondern unabhängig von Glanz 
und Pracht ist, jene mit wenigem sich bescheidende 
Genügsamkeit und der Widerwille über den übermässigen 
Luxus seiner Zeit. So geisselt er II, 15 die Prunk- 
und speziell die Bausucht der Römer, die kaum noch 
Raum für Ackerland lasse, grosse Teiche anlege und 
an der Stelle nützlicher Oliven Luxuspflauzen kultiviere — 
im Gegensatz zur sparsamen Vorzeit. Ein echt idylli- 
sches und elegisches Moment ist daher auch die 
Schilderung des Elysiums, der seligen Gefilde Epod. 
16, 41, 

Wo pfluglos der gesegnete Grund alljährliche Frucht 

bringt. 
Und unbeschnitten fort und fort die Rebe blüht. 
Wo stets lohnend der Spross ansetzt am Zweige 

des Ölbaums, 
Der Feige Purpur üppig stets im Laube prangt, 
Honig geborstenen Eichen entträuft und von den 

Gebirgshöhn 
Die Rieselquelle silberfüssig niedertanzt . . . 

Biege, die Entwicklung des Naturgefühls bei den Rennern. 6 



Digitized by 



Google 



82 

. . Melia Cava manant ex ilice, montibus altis 

Levis crepante lympha desilit pede. 
Immer wieder spricht Horaz es aus, dass auch der 
glücklich ist, der mit wenigem lebt, dem auf kleinem 
Tisch das vom Vater ererbte Salzfass steht (II, i6, 13, 
ni, I, 21; 16, 24; Epod. I, 2, 46; 12, 4); daher ist er 
so glücklich und zufrieden mit seinem Sabinum, ob- 
gleich weder Elfenbein noch goldenes Prunkgetäfel in 
seiner Wohnung blinkt (11, 18, vgl. IE, 16, 29, Epod. 

I, 25). Seinem ökonomischen Sinne genügt schlichte 
Hausmannskost (I, 31, Sat. II, 2) oder ein Trunk auf 
grünem Rasen unter schattendem Blätterdach 11, 3, 9,^ 

Wo ihr Gezweig hochstämmige Pinien 
Und Silberpappeln wirtlich zum Schattendach 
Zusammenwölben, und im Sturzbach 
Blinkend die flüchtige Welle herabschiesst: 
Quo pinus ingens albaque populus 
Umbram hospitalem consociare amant 
Ramis? Quid obliquo laborat 
Lympha fugax trepidare rivo ? vgl. I, i , 21; 

II, II, 13. So lädt er den Tyndaris I, 17 ein, mit ihm 
im schattigen Thale des Lesbiers rauschlosen Becher 
zu trinken; denn er, der fromme Sänger und Freund 
der ländlichen Fluren, stehe unter dem besonderen 
Schutze des Faunus, der oft zum anmutreichen Lucre- 
tilis wandere und Sommerglut und Regenwinde, Schlan- 
gen und Wölfe von seiner Herde fern halte, vgl. III, 
18, an Diana III, 22 und das fromme 'Integer vitae^ I, 
22, Doch vor allem gehört hierher der Epodus 2 : 'Glück- 
selig jener, der entfernt vom Weltgetrieb' . . (Beatus 
ille qui procul negotiis . .), dieser Hymnus auf die 
schlichten und doch so reichen Freuden des Landmannes, 
der, fern vom Markt, vom zornigen Meer und blutigen 
Krieg, der Reben Spross mit hoher Pappel vermählt; 
bald im entlegenen Thal schaut er brüllender Rinder 
schweifende Herden (Aut in reducta valle mugientium 
Prospectat errantes greges), bald pfropft er Reiser, 
sammelt Honig ein, bald erntet er des Herbstes Obst 
und spendet dankbar dem Priapus und Silvanus: 



Digitized by 



Google 



83 

Froh liegt er jetzt von alter Steineich' überwölbt 

Und jetzt auf derbem Graseswuchs. 

In hohen Ufern unterdess entschlüpft der Bach, 

Aus Wäldern girrt der Vögel Chor, 

Und rauschend stäubt der Quellen unversiegte Flut 

Und murmelt leichten Schlaf daher . . 

^Libet iacere modo sub antiqua ilice, Modo in tenaci 
igramine. Labuntur altis interim ripis aquae, Queruntur 
in silvis aves, Fontesque lymphis obstrepunt mananti- 
bus, Somnos quod invitet leves) ... In winter- 
licher Müsse vergnügt er sich an der Jagd, und 
»ein frommes Ehegemahl macht ihm die Hütte zum 
Palast! — 

Anmutig, wenngleich dem Landschaftlichen keinen 
breiten Raum gebend, sind auch die Frühlingslieder 
I, 4 : 'Es löst sich der scharfe Winter unter dem linden 
Hauch des Frühlings und des Favonius . ., dass es sich 
ziemt, ums Haupt die Myrte zu winden und Blumen, 
die das lockere Erdreich trägt, und im schattigen Haine 
dem Faunus zu opfern"* (Solvitur acris hiems grata vice 
veris et favoni . . ), und IV, 7 : Diffugere nives, redeunt 
iam gramina campis Arboribusque comae; Mutat terra 
-vices et decrescentia ripas Flumina praetereunt . . 

Ringsum taute der Schnee; schon grünt im Gefilde 

der Rasen, 

Grünt an den Bäumen das Laub; 

Wechselnd verjüngt sich die Flur, und beruhigt am 

hohen Gestade 

Wandeln die Ströme dahin. 

Mit den Nymphen versucht und den Zwillings- 
schwestern die nackte 

Grazie schüchtern den Tanz. 

HofF Unsterbliches nie! So mahnt dich das Jahr und 

die Stunde, 

Die den Genuss dir entführt. 

Tauwind löset den Frost, in den Frühling drängt 

sich der Sommer, 

Um zu enteilen, sobald 

6* 



Digiti 



zedby Google 



84 

Reich an Früchten der Herbst sein Hom aus- 
schüttet, und eh' du's 
Denkst, ist der Winter zurück. 
Wohl am Himmel erneut sich der Mond stets, wann 

er dahinschwand. 
Wir, zu den Vätern einmal. 
Zum Äneas entrückt, zu dem prächtigen Tuilus 

und Ancus, 
Sind nur Schatten und Staub . . . 
So mahnt in echt modernem Kontrast der Empfindun- 
gen das Grünen und Blühen des Frühlings, die Werde* 
lust in der neu erwachenden Natur an die Flucht der 
Zeiten, an die Vergänglichkeit. Lieblich ist der Anfang 
des c. 12 an Vergilius: 

Schon von Thracien her weht es wie Lenz, und 

sanft 
Auf beruhigtem Meer schwellen die Segel an, 
Nicht mehr starren die Au*n, brausen die Wasser hin^ 
Angeschwollen vom Winterschnee. 
Ihres Itys gedenk baut sich die Schwalbe jetzt 
Kläglich zwitschernd das Nest, sie, des Kekroper- 

stamms 
Unauslöschliche Schmach, weil sie des Königs 
Wilde Lüste zu wild gerächt. 
Am zartgrünenden Hang singen die Hirten dort 
Bei den Lämmern ihr Lied in der Schalmeien Ton, 
Jenem Gott zur Lust, welcher Arkadiens 
Schattengipfel und Herden liebt. 
Eine kleine Perle Horazischer Lyrik ist das niedliche 
Weihgedicht zum Fest der Fontanalien, an dem ein 
zarter Naturkultus die Quellen mit Blumen bestreute 
oder die Brunnen mit Kränzen umwand, III, 1 3 : 
O Bandusia's Quell, lichter als Bergkrystall, 
Süssen Weines und nie welkender Blumen wert. 
Morgen fällt dir ein Böcklein, 
Dem sein knospend Gehörn bereits 
Liebesfreuden verheisst, Kämpfe der Eifersucht, 
Ach, umsonst; der Gespiel lüsterner Zicklein soll 
Mir dein kühles Geriesel 



Digitized by 



Google 



85 

Festlich röten mit Opferblut. 
Niemals haftet auf dir schädlich des Sirius 
Flammenblick, du gewährst stets dem ermüdeten 

Pflugstier labende Frische, 

Stets der grasenden Lämmerschar. 
Dich auch zählt man, o Quell, zu den erlauchten einst, 
Denn in manchem Gesang pries ich die Eiche schon, 

Die den Felsen beschattet. 

Draus dein Sprudel geschwätzig hüpft. 

O fons Bandusiae, splendidior vitro, 
Dulci digne mero non sine Acribus 

Cras donaberis haedo . . 
Te flagrantis atrox hora Caniculae 
Nescit tangere, tu frigus amabile 

Fessis vomere tauris 

Praebes et pecori vago. 
Fies nobilium tu quoque fontium, 
Me dicente cavis inpositam ilicem 

Saxis, unde loquaces 

Lymphae desiliunt tuae. 

Fürwahr ein zartes Naturbild, Von einer unvermischten 
Reinheit^ der Motive, in welchem der Reiz des Land- 
schaftlichen, der Zauber der krystallhellen Quelle und 
der von ihr strömenden Kühlung mit warmem Interesse 
ausgemalt wirdl 

CatuU preist sein heimatliches Sirmio (c. 31), Vergil 
sein herrliches Italien (Georg. II, 173), auch Horaz rühmt 
mit warmen Worten, von patriotischem Heimatsgefühl 
durchdrungen, die Reize italienischer Landschaft, die 
Schönheit italischer Städte, die er allen hochberühmten 
Orten Griechenlands vorzieht. Andere preisen dir, ruft er 

I, 7, Rhodos, das herrliche, bald Mytilene, Ephesos, 
Korinth, Tempe, Athen und Argos . ., *^mir hat nie das 
strenge Sparta also die Seele gerührt noch die Flur 
Larissa's wie Albunea's rauschende Wohnung oder des 
Anio Sturz und Tibur's Hain, des Obstes Gärten, ge- 
tränkt von beweglichem Bächlein\ Dieses, wünscht er 

II, 6, 5 'sei der Sitz, o Seligkeit 1 für mein Alter, sei das 



Digitized by 



Google 



86 

Ziel, wo nach Irrfahrten und Krieg der müde Wanderer 
ausruhe', oder Tarent, dessen Erdenfleck ihm vor allen 
freundlich lacht (Ille terrarum mihi praeter omnes An-^ 
gulus ridet) — mit dem langen Lenz und dem lauen. 
Winter, mit Honig, Oliven und Reben! — 

Die persönliche Stellung des Horaz zur Natur, seine 
Vorliebe für das schlichte Stillleben auf dem Lande 
sprechen am unverhohlensten die Satiren und Episteln 
aus. Glückselig ist er, als Maecenas ihm das bescheidene 
Gütchen schenkt, Sat. II, 6: 

Dies war einst mein sehnlichster Wunsch: ein be- 
scheidenes Stücklein 
Ackers, ein Garten dabei und am Haus* ein lebendi-^ 

ger Brunnquell, 
Etwa dazu noch ein weniges Wald. Nun haben's. 

die Götter 
Reicher und besser gefügt; wohl mir! So fleh* ich 

denn eins nur, 
Dass du mir, Maja's Sohn, das Beschiedene gnädige 

erhaltest; — vgl. Epist. I^ 
i8 Schluss, — bewusst schildert er den Gegensatz der 
städtischen Unrast und der ländlichen Müsse, in der 
ihm die Muse auch naht; im Getriebe der Weltstadt 
seufzt er mit Sehnsucht v. 60: 

O mein Land (rus), wann werd' ich dich schau'n, wann 

wird mir vergönnt sein, * 
Nun aus Schriften der Alten und nun aus Träumen 

der Müsse 
Süsses Vergessen der Welt und ihrer Beschwerde 

zu saugen! 
Mit warmem Herzen gedenkt er der einfachen, aber 
drum auch so reinen Freuden im gemütlichen Heim, wo- 
auch Märchen vom Nachbarn Cervius aufgetischt wer- 
den, wie die Fabel von der Stadt- und Feldmaus, die 
ihm als niedliche Illustration des geschilderten Kontrastes 
zwischen Stadt und Land dient ; denn die Feldmaus spricht,, 
nachdem sie die Genüsse der Stadt , aber auch die Lei» 
den derselben gekostet, aus der Seele des Dichters: 
'Nein, Schwester, nach solchem Leben gelüstet mich 



Digitized by 



Google 



87 

nicht. Fahr wohl! Da sitz* ich doch lieber Draussen 
am Wald im sicheren Loch und knuspere Wicken\ 

Eine Apologie seiner Leidenschaft für das Land 
enthält auch Epist. I, lo: 

Dich, den Verehrer der Stadt, mein Fuscus, grüss" 

ich von Herzen 

Selbst ein Verehrer des Lands. Denn in dem einzigen 

Punkt ja 

Sind wir verschiedenen Geschmacks . . . 

Kennst du den Ort, der ein traulicher Heim als das 

Land dir gewährte? 

Weicht Mosaiken aus libyschem Stein gründuftiger 

Rasen? 

Oder ist reiner die Flut, die sich staut in der Stadt 

Bleiröhren, 

Als die murmelnden Lauts im Gefälle des Baches 

dahinschiesst ? . . 
Schon aus diesem Briefe, wie aus der Selbstironisie- 
rung Sat. II, 7, 28, geht hervor, dass Horaz noch nicht 
gar viele Gesinnungsgenossen in seiner Vorliebe fürs 
ländliche Idyll hatte, noch mehr aber aus dem i4ten, in 
dem er seinem Verwalter den Text liest, der es nicht 
begreifen konnte, was ein Mann, der es doch in der 
Hauptstadt so gut haben könnte, alle Tage mit grossen 
Herren schmausen etc. , an dem Aufenthalt in einem so 
abgelegenen, einsamen, leidigen Bauerngut für Ver- 
gnügen fände. Zugleich ist diese Epistel ein redendes 
Beispiel für die Thatsache, dass ein tieferes Verständnis 
für die Reize des Landaufenthaltes eine gewisse Tiefe der 
Geistes- und Herzensbildung voraussetzt und daher 
selten bei Bauern u. ä. getroffen wird. So sagt Horaz : 
*^Was du für rauhe, verödete Wildnis ansiehst, nennt an- 
mutig, wer mir beistimmet' . ., und so* fügte auch Ver- 
gil Georg. II, 458 bei dem Preise der Landleute mit Recht 
zu dem neidvollen Ausruf: O fortunatos agricolas! hinzu: 
Sua si bona norint Venn sie ihr Glück nur erkennten"* ! 
Dem Horaz ist dieses Tendre für das Landleben kein 
wechselndes, sondern ein stetiges : 'Ich bleib mir getreu, 
wie du weiss t (me constare mihi scis), und gehe traurig 



Digitized by 



Google 



88 

von hinnen, wenn mich verhasste Geschäfte nach Rom 
ziehn'; früher reizte auch ihn ein Trinkgela^; jetzt 
liebt er die kurze Mahlzeit und ein Mittagsschläfchen 
im hohen Grase am Bach; — wie sonst das Morali- 
sierende, spielt hier das Utilitaristische in sein idyllisches 
Empfinden hinein 1 — er macht sich nichts daraus, dass 
seine Nachbarn lachen, wenn er Steine und Schollen 
aus den Furchen stösst. — 

Wenn wir mit alledem die Beschreibung, welche 
Horaz von seiner Villa ep. i6 giebt, vergleichen, 'so 
muss uns\ sagt Wieland mit Recht, 'sicher klar werden, 
dass gerade soviel Gefühl für kunstlose Natur, soviel 
Liebe zur Ruhe und Freiheit, soviel Bescheidenheit 
und Genügsamkeit, kurz ein so philosophischer Kopf 
und ein so fröhliches Herz, als ihm zu teil geworden 
war, dazu gehörte, um soviel Freude an seinem Sabi- 
num zu haben wie er\ — 



Die Bekenntnisse, die Horaz in seinen Episteln in 
lockerer poetischer Form niedergelegt hat, finden wir 
von echt dichterischem Schwünge getragen in den 
Elegien des Albius TibuUus wieder, dessen Lieb- 
lingsbeiwort 'tener' ihn selbst vorzüglich charakte- 
risiert. Wie kein anderer Elegiker der Römer hielt' er 
sich frei von alexandrinischem Einfluss; seine ganze 
Empfindungsweise 'wurzelt im Boden seiner Nationali- 
tät' -^) ; echt römisch und echt menschlich, ist sein Em- 
pfinden von einer Weichheit und Zartheit, die etwas 
Frauenhaftes hat. Mit grosser Kunst malt er das Hin- 
undherwogen seiner Empfindungen, über denen ein 
Hauch von träumerischer Schwermut, von schwärmeri- 
scher Sehnsucht nach Frieden und Liebe, nach stiller 
Einsamkeit des Landlebens ruht; aber Beschreibungen 
der Natur nach Gesner*scher Manier wird man ver- 
gebens suchen; ein Abzeichnen des Landschaftlichen 
lediglich um seiner selbst willen bleibt auch ihm zum Vor- 
teil seiner Dichtungen noch fremd. Ein inniges idylli- 
sches, elegisches Naturgefühl, altrömische Religiosität und 



Digitized by 



Google 



89 

glühende Erotik verschlingen sich in den besten Elegien 
zu faxbenreichen Arabesken. — Gleich die erste giebt 
uns den Schlüssel zu dem Charakter Tibullischer Muse, 
Alle wesentlichen Momente derselben sind hier zusam- 
mengedrängt : 

Mag sich ein anderer häufen den Reichtum blinken- 
den Goldes, 
Mag er ein weites Gebiet bauen als eigenes Gut, 
Den der beständige Kampf in der Nähe des Fein- 
des erschrecket, 
Dem die Trompete des Kriegs schmetternd den 

Schlummer verscheucht. 
Mir soll dürftige Habe die Ruhe des Lebens er- 
halten, 
Leuchtet beständige Glut nur auf dem eigenen 

Herd. 
Selber als Landmann pflanz' ich zu richtiger Zeit 

mir die zarten 
Reben; mit fertiger Hand pfropf ich mir edleres 

Obst . . 
(Ipse seram teneras maturo tempore vites 
Rusticus et facili grandia poma manu). 
Täusche die Hoffnung nicht! Stets bringe sie Fülle 

der Früc*hte, 
Bringe von duftendem Most schäumende Kufen 

mir dar! 
Denn ist mit Kränzen geschmückt ein bewachsener 

Stein an dem Kreuzweg 
Oder ein Stamm in dem Feld, weil' ich verehrend 

daselbst. 
Und von dem sämtlichen Obst, so das wechselnde 

Jahr mir bescheret, 
Bring' ich dem ländlichen Gott freudig ein Opfer- 
geschenk .... 
. . im Schatten des Baums an der rieselnden Quelle 
gelagert (sub umbra Arboris ad rivos praeteruntis aquae . .) 
Meid' ich des Sirius Glut, wenn er im Sommer 

erscheint > . . 
Gerne will er selbst angreifen bei den ländlichen Ar- 



Digitized by 



Google 



90 

beiten, den Pflug führen und das Zicklein oder das 
Lamm nach Hause tragen, glückselig mit wenigem und 
reich durch die Liebe seiner Delia: 

Mir genüget ein kleines Feld, mir genüget ein 

Lager, 
Und auf gewohntem Pfühl streckend die Glieder zu 

ruh'n. 
O wie wohl thut's, ruhend die Winde sausen zu 

hören 
Und sein Liebchen im Arm dann > an den Busen zu 

ziehn. 
Oder geschützt, wenn draussen ergiesst Platzregen 

der Meerwind, 
Sich zu ergeben dem Schlaf, süss bei dem rauschen- 
den Guss: 
Parva seges satis est, satis est requiescere lecta 

Si licet et solito membra levare toro. 
Quam iuvat inmites ventos audire cubantem 

Et dominam tenero detinuisse sinu 
Aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit auster, 
Securum somnos imbre iuvante sequi. 
Würde mir dieses zu teil, gern gönnt' ich jenem 

den Reichtum, 
Welcher das %Vüten des Meers, Stürme zu dulden 

vermag. 
Doch 5, i^ klagt der Dichter: 'Wie dacht' ich mir glück- 
lich das Leben ! — mit Delia im kleinen Besitz auf dem 
Lande vgl. I, 2, 75, II, 3, 5 — nun führen die Hoff- 
nungen alle Eurus und Notus hinweg'. Voll Sehnsucht 
malt er sich das Glück des goldenen Zeitalters aus 3, 
35 : 'Unter Saturnus' Regierung, wie lebten die Men- 
schen so glücklich . . Damals wagten sich nicht in die 
bläulichen Wogen die Schiffe, Und nicht boten sie dar 
schwellende Segel dem Wind' . . — vgl. 9, 7, II, 3, 39 — 
und die Seligkeit im Elysium v. 59: 'Dort herrscht 
Reigen und Tanz, allüberall schallen der Vögel lieb- 
liche Lieder im Chor zart mit melodischem Ton . . in 
den Gefilden spriessen aus üppigem Grund duftende 
Rosen empor"* . . (Floret odoratis terra benigna rosis). 



Digitized by 



Google 



91 

Den Osiris preist er 7, 29, der zuerst den Acker- 
tau lehrte, verwünscht c. 10 den wilden Mann mit 
dem eisernen Herzen, der zuerst die entsetzlichen 
Schwerter erfunden, und rühmt die Segnungen des 
Friedens, deren der Landmann sich fromm erfreut v. 45 : 
Baue der Frieden indessen die Flur I Der beglückende 

Frieden 
War's, der Stiere zuerst beugte zum Pflügen ins 

Joch. 
Reben erzeugte der Frieden, er wahrte die Säfte 

der Trauben, 
Dass noch labe den Sohn Wein von dem Vater 

verwahrt . . 
Interea Fax arva colat. Fax Candida primum 

Duxit araturos sub iuga panda boves, 
Fax aluit vites et sucos condidit uvae 
Funderet ut nato testa paterna merum. 
Der Stadt wendet er gern den Rücken, und nicht blos 
die Sehnsucht nach der Geliebten beflügelt seinen 
Schritt, sondern auch die Liebe zum Lande 11, 3, 2: 
*Wer in der Stadt noch bleibet, wahrlich von Eisen 
ist der'! . . (Ferreus est heu, heu, quisquis in urbe 
manet). 'Könnt' ich nur die Gebieterin schaun, wie wollt' 
ich so rüstig Wenden das helle Gefild dort mit dem 
kräftigen Karst' . . Voll Unwillen wendet er sich ab 
von der Gewinnsucht der Städter, von dem Unglauben — 
'jetzt ist der Gott ein Gespött' — , von dem rastlosen 
Begehr nach den weiten Latifundien, nach unzähligem 
Vieh, ausländischen Steinen und mächtigen Säulen . . 
'Eichel sei wieder die Kost, Wasser das alte Getränk' ! 
So auch n, 4, 27: 'Sei mir verwünscht wer nur auf- 
sammelt die grünen Smaragde Oder das schneeige Schaf 
färbt mit dem tyrischen Saft'! . . Ein Meisterstück 
echt Tibullischer Konception ist 11, i , das voll von 
echter Einfalt und Religiosität eines latinischen Land- 
mannes das Frühlingsfest der Ambarvalia mit dem Ge- 
bet an die freundlichen Flurgötter einleitet: 

Schweiget in Ehrfurcht still: wir sühnen die Felder 

und Früchte, 



Digitized by 



Google 



92 

So wie von Ahnen auf uns erbte der heilte Brauch. 
Bacchus, o komm und lass von den Hörnern die 

saftige Traube. 
Hangen, es schmücke sich dir, Cwes, mit Ähren 

das Haupt. 
Lasset am heutigen Tage ausruhen das Feld und 

den Pflüger, 
Lasset die Pflugschar auch rasten vom schweren 

Geschäft. 
Löset die Riemen vom Joch; heut' sollen die Stiere 

der vollen 
Krippen sich freuen, das Haupt festlich mit Kränzen 

geschmückt. 
Einzig der Gottheit werde gedient . . 
Fluren besing ich und Götter der Flur. Sie lehrten 

die Menschen . . 
Spielt! Schon schirret die Nacht das Gespann, und 

dem Wagen der Mutter 
Folgen in munterem Chor Sterne mit goldenem Glanz. 
(Ludite : iam nox iungit equos currumque sequuntur 
Matris lascivo sidera fulva choro). 
Sonst drängt der Strom der Empfindung die eigent- 
liche Schilderung des Landschaftlichen, der Tages- und 
Jahreszeiten zurück ^^). Man braucht das Naturgefühl 
nicht mehr indirekt zu erschliessen, sondern die Dichter 
dieser Zeit sprechen selbst ihre Vorliebe für die Natur, 
speziell für das idyllische Landleben ganz bewusst aus. — 
Nur mit wenigen Strichen schildert er Zeit und Ort, wie I, 
3, 93 : 'Dies bitt' ich, dass diesen beglückenden Tag 
tms Führt mit dem Rosengespann heiter Aurora herauf^ : 
Hoc precor, hunc illum nobis aurora nitentem Lucife- 
rum roseis Candida portet equis! vgl. II, 5, 59 und 75; 
die Iris schildert I, 4, 43, den Cydnus 7, 13: 

Oder besing' ich dich, Cydnus, der sanft du mit 

ruhigen Wellen 
Schleichest in bläulicher Flut still in dem Bette dahin? 
Oder den eisigen Taurus, der hoch mit dem luftigen 

Scheitel 
Ragend in Wolken hinein, bärtige Kiliker nährt? 



Digitized by 



Google 



93 

An te, Cydne, canam, tactis qui leniter ulvis 

Caeruleus placidis per vada serpis aquis, 
Quantus et aetherio contingiens vertice nubes 
Frigidus intotisos Taurus alat CiKcas? 
Auch Bilder sind selten wie I, 4, i8: . . *Es verdriesse 
dich nicht . . Wilde Löwen machet die Zeit dem Men«^ 
sehen gehorsam, Und mit dem Tropfen höhlt starrende 
Felsen die Zeit. Uttd es reifet das Jahr auf sonnigen 
Hügeln die Trauben, Und in sicherem T^uf bringet die 
Sterne das Jahr' . . . (Longa dies homini docuit parere 
leones. Longa dies mölli saxa peredit aqua: Annas in 
apricis maturat coUibus uvas, Annus agit certa lucida 
Signa vice). V. 29: *Ach, wie schnell entschwinden die 
Purpurfarben der Erde, Ach, und wie schnell verweht, 
silberne Pappel, dein Laub' (Quam cito purpureos deperdit 
terra colores, Quam cito formosas populus alba comas.) 
I, 5, 76: 'Freu dich des Glücks, weil du noch darfst; 
dein Kahn schwimmt noch in heiterer Flut' (In liquida 
nat tibi Unter aqua). 

Lygdamus (Ps.-Tib. III) bietet wenig Originelles. 
C. 3 führt den Gedanken von II, 2 nur breiter aus: 
'Was nützt aller Prunk, was alle Schätze, Paläste, Säulen, 
Muscheln — Neid haftet an alledem. Bin icK mit dir 
nur vereint, wird süss mir die Armut'. Aber die Pointe 
fehlt, eben die zarte Empfindsamkeit TibuUischen Natur- 
gefühls. An Catull erinnert 4, 85 : 'Haben ja nicht dich 
€5rzeugt die gewaltigen Wogen der Meerflut . ., Scythiens 
barbarisches Land auch nicht und die schaurige Syrte'. — 
Auch er giebt voreilige Wünsche und Schwüre sowie 
die bösen Träume den lauen Winden und dem Ge- 
wölk in der Luft 4, 95; 6, 27 und 49. Mit üblichem 
Farbenkontrast malt der Vergleich 4, 29: 

Ihm entstrahlte ein Glanz gleich dem der Latoni- 

sehen Luna, 
Und auf schneeiger Haut zeigte sich purpurnes Rot . . 
Sowie die Mädchen zum Kranz Amaranth einflechten 

den weissen 
Lilien, wie sich mit Rot färben die Äpfel im 

Herbst: 



Digitized by 



Google 



94 

Candor erat qualem praefert Latonia Luna 
Et color in niveo corpore purpureus, . . 
Et cum contexunt amarantis alba puellae 
Lilia et autumno Candida mala rubent. 
Eine Schüler-Arbeit aus dem Kreise TibuU's ist das 
erste Gedicht des vierten Buches, während die übrigen 
zu dem Reizendsten und Lebensvollsten gehören, was 
die römische Poesie kennt; sie atmen eine seltene Glut 
der Empfindung und sind vollendet in der Feinheit der 
Komposition. Unter all den Geliebten der Elegiker 
und des Horaz haben doch nur- Lesbia und Sulpicia 
wirklich individuelles Leben ^^). Voll leidenschaftlicher 
Angst ist das liebende Mädchen Sulpicia um den Ge- 
liebten erfüllt, der auf die Eberjagd gegangen c. 3 : 
Schone meines Geliebten, o Eber, der du die 

Weiden 
Oder des waldigen Bergs finsteres Dickicht be- 
wohnst. 
, . Ginge zu Grund doch der Wald, stürben die 

Hunde doch all! 
Welch ein rasender Sinn, den verwachsenen Berg 

mit dem Fangnetz 
Zu umspannen und selbst sich zu verletzen die 

Hand . . . 
Und doch, wär's mir vergönnt, mit dir, o Cerinthus, 

zu schweifen, 
Gerne durch Berg und Thal trüg' ich die Netze dir 

nach. 
Selber forscht' ich der Spur des leichtgeschenkelten 

Hirsches 
Und entliesse den Hund gern von dem eisernen 

Ring. 
Dann gefiele mir Wald und Forst, und sie sollten 

mich schelten, 
Dass ich, Geliebter, mit dir neben den Netzen 

geruht: 
. . Sed tamen, ut tecum liceat, Cerinthe, vagari, 

Ipsa ego per montes retia torta feram, 
Ipsa ego velocis quaeram vestigia cervi 



Digitized by 



Google 



95 

Et demam celeri ferrea vincla cani. 
Tum mihi, tum placeant silvae, si, lux mea, tecujn 
Arguar ante ipsas concubuisse piagas . . 
Läuft dann auch der Eber ins Garn, schon wieder 

entkommt er, 
Stören soll er uns nicht feuriger Liebe Genuss. 
Ohne mich aber sei Venus dir fern, gefalle Dianen, 
Und mit züchtiger Hand stelle geschäftig das Netz. 
Und wenn irgend ein Mädchen sich drängt in imsere 

Liebe, 
Fallen möge sie mir unter das reissende Wild. 
Doch du lasse dem Vater die Lust, im Walde zu 

jagen, 
Hörst du! und kehre du selbst mir an den Busen 

zurück. 
Diese einer zärtlichen liebevollen Besorgnis entsprungene, 
reizende Epistel bekundet zugleich, dass die Römer dieser 
Zeit nicht völlig — wie häufig behauptet worden — der 'cura 
venandi' (v. 5) und des Venandi Studium' (v. 23) d. h. also 
der Liebhaberei für den Jagdsport bar gewesen sind, 
welche allerdings zunächst der republikanischen Zeit 
fremd war und erst allmählich unter dem Einflüsse der 
hellenisierenden Strömung Modesache bei der vornehmen 
Jugend wurde.-") — 

Mit rührender Innigkeit bittet der Dichter c. 4 
den Phöbus, die Krankheit von der lieblichen Maid zu 
nehmen, auf dass sich in Kummer Cerinth nicht ver- 
mehre : 

Und was Schlimmes es giebt, was Trauriges immer 

wir fürchten. 
Führ' es in reissendem Lauf hin zu dem Meere der 

Strom ! 
Et quodcumque malist et quidquid triste timemus, 
In pelagus rapidis avehat amnis equis. 
In eine andere HerzensafFaire führt uns IV, 13, das 
in vollendeter Schönheit von einer Kraft und Innig- 
keit des Gemütslebens und von einer alles überwinden- 
den Macht der Liebe zeugt, wie es bei einem römischen 
Dichter kaum zu erwarten ist: 



Digiti 



zedby Google 



96 

Nie soll irgend ein Mädchen mich deiner Umarmung' 
entfremden ! — beteuert er . . Aber o könntest du nur 
mir einzigem reizend erscheinen, Und missfielest du 
sonst. — würde gesichert ich sein. Neider, ich brauch' 
euch nicht! Fern sei mir der Ruhm bei dem Pöbel; 
Wer klug ist, der freut still sich im Innern der Brust. 
Also vermag ich beglückt in entlegenen Wäldern 

zu leben. 
Wo kein menschlicher Fuss wandelt betretenen Pfad. 
Du bist Trost mir im Leid, du bist in der dunkelen 

Nacht mein 
Licht, und an einsamem Ort giltst du für mich eine 

Welt. 
Mag nun der Himmel sogar dem Tibullus ein Lieb- 
chen entsenden, 
Wird umsonst es gesandt , Venus verlieret das 

Spiel . . 
Sic ego secretis possum bene vivere silvis, 

Qua nulla humano sit via trita pede. 
Tu mihi curarum requies, tu nocte vel atra 
Lumen et in solis tu mihi turba locis ... 
Fürwahr doch ein Bekenntnis unerschütterlicher, tief«: 
innerster Zuneigung, wie sich dessen kein Dichter unter 
uns Deutschen, dem Volke der Innerlichkeit und der 
Treue, zu schämen brauchte! Ausserdem wird die Ein- 
samkeit nicht mehr wie bei Vergil als Heilmittel für die 
Liebesleidenschaft gesucht, sondern ihr Reiz wird durch 
diese erhöht. — 



Von härterem Guss als Tibullus istPropertius, ein 
Elejgiker voll kräftigster Individualität und feurigster 
Leidenschaftlichkeit ; aber meist überwiegt der Verstand 
und die Reflexion die Phantasie, so dass er im Ver- 
gleich zu Tibullus nicht blos gelehrter, sondern auch 
reflektierter, sentimentaler erscheint. Aber wenn die 
geniale Frische einer momentanen Stimmung den mytho- 
logischen Apparat zurückdrängt, sprüht der Dichter von 
sinnlicher Lebensfülle und weiss einen vollen, männlich 



Digitized by 



Google 



97 

energischen Ton anzuschlagen. Das elegische Moment 
seiner Dichtungen beruht auf dem mit moderner Sentimen- 
talität empfundenen Gegensatz von Kultur und Natur 
und der elegischen Betrachtung einer verderbten Gegen- 
wart im Vergleich zu einer glücklicheren Vergangen- 
heit. So ruft er I, 2 : 'Was, mein Leben, frommt's, her- 
schreiten in prangendem Haarputz, Und in zierlichem 
Bausch tragen das koische Kleid^ . . 

Dass der Natur Liebreiz mit erhandeltem Prunk du 

entstellest, 
Dass du die Glieder nicht lässt strahlen in eigenem 

Glanz ? 
Blicke die Farben nur an, die der prangenden Flur 

sich entringen. 
Wie sich von selbst Epheu schöner und üppiger 

schlingt, 
Wie an einsamen Grotten der Hagbaum fröhlicher 

aufschiesst. 
Wie unlenksam der Quell selber die Wege sich bahnt. 
Wie sich die Ufer von selbst mit natürlichen Stein- 
chen bemalen, 
Süsser, als jegliche Kunst lehret, das Vögelein singt. 
Adspice quo submittat humus formosa colores 

Et veniant hederae sponte sua melius, 
Surgat et in solis formosius arbutus antris, 

Et sciat indociles currere lympha vias. 
Litora nativis conlucent picta lapillis. 
Et volucres nulla dulcius arte canunt. 
In dem Unbehagen an der verbildeten Kultur empfindet 
er den Reiz der unberührten jugendschönen Natur, wie 
sich aus der Schilderung des Waldquells ergiebt, in 
dem Hylas sein feuchtes Grab findet 20, 35 : 

Siehe ! darüber, wohin nie künstliche Pflege gedrungen, 
Hingen vom einsamen Baum tauige Äpfel herab; 
Lilien sprossten umher auf rings umwässerter Wiese, 
Schneeig; darunter gemischt sprosste der purpurne 

Mohn; 
Bald nach kindlicher Art mit zarteip Finger sie 
brechend 

Biese, die Eutwicklunt; des Naturgefülils bei den Kümern. 7 



Digiti 



zedby Google 



9S 

Dacht' an die Blumen er mehr, als den gi^wtenen 

Dienst- 
Bald auch bückt' er sich dann nichts ahnend zur 

iiebiich^i Welle, 
Und er vertändelt beim Trug schmeichelnder Bilder 

die Zeit. 
(Quam supra nullae pendebant debita curae Roseida 
desertis poma sub arboribus Et circum inriguo surge- 
bant lilia prato Candida purpureis mixta papaveribus). 
Im Reichtum, im Golde sieht er die Quelle des 
Verderbens: 'Ach wie wollt' ich, es wäre zu Rom kein 
Reicher, es könnte Selber der Feldherr noch wohnen 
in Hütten von Stroh'! IQ, i6, 19. Drum preist er das 
züchtige Land, auf dem kein Verräter weilt und wo 
Cynthia einsam die Berge beschauen, einsam des Land- 
manns Vieh und den spärlichen Ackerbesitz betrachten 
kann (III, 1 9), und ruft (IV, 1 3), nachdem er mit Abscheu 
die Mädchen getadelt, die durch Gold und Muscheln 
und Purpur zu erkaufen sind, v. 25 : 

O wie glücklich vordem des Landvolks friedliche 

Jugend ! 
Ernten von Feld und Wald waren ihr Schätze genug. 
(Felix agrestum quondam pacata iuventus, 
Divitiae quorum messis et arbor erant . . ) 
Damals schenkte man wol von dem Zweig' ent- 
schüttelte Quitten 
Oder ein Körblein mit purpurnen Beeren gefüllt. 
Veilchen auch pflückte die Hand, die gemischt mit 

der Lilie Schimmer 
Durch den geflochtenen Korb glänzten, zur Gabe 

gebracht. 
Trauben auch bot man dar in die eigenen Blätter 

gehüllet, 
Oder ein Vöglein buntscheckig mit schillerndem 

Flaum. 
Damals hat solch schmeichelnd Geschenk in der 

heimlichen Grotte 
Manchem ßewohner des Hains Küsse vom Mädchen 

erkauft. 



Digitized by 



Google 



99 

Und mit dem Felle vom . Reh hat das liebende Paar 

sich bedecket. 

Zum natürlichen Pfühl sprosste das schwellende Gras. 

Fröhlichen Schatten verlieh, die ringsum hangende 

Fichte . . . 
Oft schildert er idyllisch-erotisch das Glück solcher 
Grotten, so III, 30, 25 : 'Du Cynthia, weile gern in be- 
mooster Höhe tauigen Grotten mit mir' ! vgl. IV, 6, 71; 
V, 9, 29: 'Zierlich umgrünte das Haus die Pappel mit 
ragendem Laubdach, Und in dem Schatten versteckt 
sang-en die Vögel ihr Lied* ; V, 4, 3 : 'Üppig schloss 
sich ein Hain um die epheuumsponnene Grotte, Und 
dicht rauschte das Laub um den lebendigen Quell, Hier 
war das rankige Haus des Silvanus . . Da wo über die 
Welt man jetzt, die besiegte, Gericht hält, Stand der 
Sabiner Geschoss* — : ein beliebtes Motiv dieser Zeit, 
das sich an die Ruinenpoesie in der griechischen An- 
thologie anschliesst, vgl. V, i : 

Fremdling, was hier du siehst, wo Roma unendlich 

sich ausdehnt. 

Eh' Äneas kam, war es nur Hügel und Gras. 
In sein stolzes Bewusstsein von der Grösse Roms und 
in das begeisterte Lob der Schönheit Italiens {IV, 22} 
mischt sich mehr oder weniger deutlich der herbe elegische 
Gedanke vom ewigen Wechsel und der unaufhaltsamen 
Vergänglichkeit irdischer Dinge, sowie von der Gott- 
entfremdung seiner Zeit; so IV, 13, 47: 

Jetzt ist verlassen der Hain, es. trauern die heiligen 

Altäre, 
Gold nur allein wird verehrt, Frömmigkeit kennt 

man nicht mehr. — 

Die höchste Vollendung zeigen auch bei Properz die- 
jenigen Elegien , in ' welchen , mögliehst ungehemmt 
durch mythologische Floskeln, die Empfindung der lei- 
denschaftlichen Liebe zur Cynthia sich in freiem Strom 
ergiesst und mit einem tiefen , fa§t modernen Gefühl 
für das Stillleben und das Reizvolle in der Natur sich 
paart. Ein zartes Bild aus des Dichters .Liebesleben 



Digitized by 



Google 



100 

entrollt uns I, 3, wo er ans Lager der SchlunMnernden 
tritt, mit Kränzen das lockige Haar schmückt — 

Siehe da blickte der Mond durchs Fenster entgegen 

dem Lager, 

— Neidischer Mond, warum hast du nicht länger 

geweilt? — 

Und sein flüchtiger Glanz eröffnet die schlummern- 
den Augen. 

Donec diversas percurrens luna fenestras, 

Luna moraturis sedula luminibus, 
Conpositos levibus radiis patefecit ocellos. 

Mit 'entzückender Lust' denkt er in dem an Gallus ge- 
richteten Gedicht (c. 10) an die Nacht zurück, Ma dieser 
in Liebe entflammte im Arme des Mädchens — mitten 
am Himmelsgezelt glühete Luna*s Gespann' . . (et mediis 
caelo luna ruberet equis). — Voll eifersüchtiger Sorge 
weiss er die Geliebte in Bajae: 'Denkst in schweigen- 
der Nacht du sorgend denn wohl des Geliebten, Bleibt 
in dem Herzen dir wohl auch noch ein Plätzchen für 
mich? . . Wolltest du lieber dich doch dem geringeren 
Ruder vertrauend Schweben im niedlichen Kahn auf 
dem Lucrinischen See . . Als dass du liehest dein Ohr 
dem schmeichelnden Flüstern des andern, Sanft nach- 
lässig am Rand stillen Gestades gestreckt'! Vgl. c. 14- 
Zart wünscht er am Geburtstage der Geliebten IV, 10, 
dass selbst die Natur mitfeiere : 'Ohne Gewölk entfliehe 
der Tag; still ruhen die Stürme, Und sanft gleitend 
zum Strand lasse die Welle vom Dräu'n. Mög' ich 
am heutigen Tag der Trauernden keinen erblicken, Und 
selbst Niobe*s Fels halte die Thränen zurück; Möge 
vom Wehegeschrei ausruhend Alkyone rasten. Und um 
des Itys Tod jammern nicht, die ihn gebar': Transeat 
hie sine nube dies, Stent aere venti, Ponat et in sicco 
moUiter unda minas . . . Voll Anschaulichkeit und Wärme 
der Empfindung ist I, 17. Der Dichter fährt im Sturm 
auf dem Meer — 'wohlverdient, weil ich mein Mädchen 
verliess. Klag* ich den Vögeln der See jetzo verlassen 
mein Leid' . . . (Nunc ego desertas adloquor alcyonas), 



Digitized by 



Google 



101 

<ias Dräuen der Winde hält er für Strafe, die Cynthia 
ihm gesandt, der Sturm und Meer gehorchen, 'Wende 
doch du nur zur Milde die wütenden Klagen, Strafe ge- 
nug sei dir Nacht und ergrimmetes Meer . . Tod und Ver- 
derben dem Mann, der Kiel und Segel erfunden, . . Der 
auf der zürnenden See wagte zu reisen zuerstM 

Ah pereat, quicumque rates et vela paravit 
Primus et invito gurgite fecit iterl 
'Aber ihr Töchter der Flut, ihr Kinder der lieblichen 
Doris, . . Hat einst Amor im Flug auch euere Wogen be- 
rühret, Schont des Genossen und lasst ruhig die Ufer ihm 
sein^ — Verbittert durch die Treulosigkeit der Geliebten 
klagt der Einsartie dem stillen Walde sein Leid c. 1 8 : 
Hier, wo einsam der Ort dem Klagenden Schweigen 

verheisset, 
Hier, wo die Öde des Walds Zephyrus' Wehen be- 
herrscht. 
Hier mag jetzt straflos ich heimliche Schmerzen 

verkünden, 
Wenn der verlassene Fels Treue zu halten ver- 
steht : 
Haec certe deserta loca et taciturna querenti 

Et vacuum zephyri possidet aura nemus; 
Hie licet occultos proferre inpune dolores, 
Si modo sola queant saxa tenere fidem. 
In seinen Schmerz will er selbst der schweigenden 
Natur nicht mehr trauen. Und doch! Die Bäume und 
<iie zwitschernden Vögel sind Zeugen für die Wahrheit 
seiner Empfindung: 

Ihr sollt Zeugen mir sein, wenn einst je Bäume ge- 
liebet. 
Buch' und Fichte, geliebt von dem arkadischen Gott, 
Wie ihr aus schwankenden Schatten zurück mir 

töntet die Worte, 
Wie in den Rinden so oft Cynthia's Namen ich 

schrieb . . . 
Dafür, Götter des Quells, dafür sind eisige Felsen 
Und auf verwachsenem Pfad dorniges Bette mein 

Lohn; 



Digitized by 



Google 



102 

Und was immer ich mag in jammernden Klagen er- 
zählen, 
Einzig dem zwitschernden Chor darf ich*s der Vögel 

vertraun. 
Aber, wie du auch seist, stets, Cynthia! soll durch 

die Haine 
Tönen dein Nam', er soll schallen am einsamen 

Fels. 
. . Sed qualiscumque es, resonent mihi ^Cynthia* 

silvae 
Nee deserta tuo nomine saxa vacent. 
Wir sehen, Properz ist nicht weit von modemer 
Empfindsamkeit entfernt, ein gelehriger Schüler des 
Callimachos-Akontios ! — Rührend innig ist das Be- 
kenntnis II, 9, 41 : 

Stern', euch ruf ich zu Zeugen; dich, Reif in kühlen-^ 

der Frühe, . . 
Dass so lieb als Du mir nichts im Leben gewesen . . 
Einsam will ich sein, kann ich der Deine nicht sein. 
Sidera sunt testes et matutina pruina . . 
Te nihil in vita nobis acceptius umquam . . 
Solus ero, quoniam non licet esse tuum. 
Auch in der Einsamkeit, auch im Wald, wo er dem 
Wilde nachstellt, vergisst er ihrer nicht III, 19, 29: 
'So kann weder des Walds Einöde von dir mich ent- 
fernen, Weder der irrende Strom, moosigen Hügeln 
entstürzt\ In alle Fernen will er ihr folgen c. 26, 29: 
'Denkt mein Mädchen mir auch durch die fernesten 
Meere zu reisen, Ihr nur folg* ich, ein Wind trägt uns 
Getreue davon. Einerlei Küste wird uns, ein Baum 
uns schützen im Schlafe ; Oft aus einerlei Quell schöpfen 
wir durstig den Trunk\ 

Seu mare per longum mea cogitet ire puella, 

Hanc sequar et fidos una aget aura duos. 

Unum litus erit sopitis unaque tecto 

Arbor, et ex una saepe bibemus aqua. 

Auch als sie gestorben, lässt sie dem Dichter noch 

(vgl. V, 4, 35) keine Ruhe V, 7 : 'Manen sind etwas 

doch, nicht alles ist aus mit dem Tode . . Cynthia ist 



Digitized by 



Google 



103 

mir erschienen' . ., mystisch zaubert sie ihm das Glück 
verschwiegenen Bundes in die Erinnerung zurück und 
klagt : 'Es wurden die Worte des Truges Eitelen Stürmen 
des Süds, nimmer gehöret, zum Raub . . niemand 
schloss mir die ersterbenden Augen, Auch das war dir 
zu viel, Hyacinthen zu streuen, die nichts dir kosten ? . . 
Saubre von Epheu das Gfrab, der mir mit der zänki- 
schen Dolde dicht durchschlungenem Haar fesselt das 
zarte Gebein, Wo mit Früchten gekränzt der Anio 
schattige Fluren Netzt, . . Setz mir zu würdiger Inschrift : 
Cynthia ruht allhier, das goldene Mädchen von Tibur, 
Gott Anienus, dein Strand erntet von neuem ein Lob\ 
Er selbst wünscht für sich, wenn er gestorben (IV, i6, 
Schluss), einen waldigen Platz, fem vom Wege der pro- 
fanen Menge, und Kränze der Liebe; Dornen für das 
Grabmal der Kupplerin V, 5, i. — Ausserordentlich oft 
findet er für sein Liebesleben ein passendes Gegenbüd 
in der Natur, besonders in der Form wie I, 15, 29: 
. . 'Eh' soll kein Strom ins unendliche Meer sich ergiessen 
und des Jahres Lauf sich verkehren, als sich wendet 
die Liebe': Muta prius vasto labentur flumina ponto 
Annus et inversas duxerit ante vices. Quam tua sub 
nostro mutatur pectore cura. So III, 15, 31: 'Eher mit 
trügender Frucht wird höhnen den Pflüger der Acker, 
Eher mit dunkelm Gespann ziehen die Sonne daher, 
Eher die Flüsse zum Quell aufwärts die Fluten ergiessen 
Und auf trockenem Grund eher verdorren der Fisch, 
Als je anders wohin ich trage die Schmerzen der Liebe\ 
vgl. II, 3, 4 (Hör. Epod. 16, 31); III, 32, 49; 'Eher ja 
könntest du wol austrocknen die Strömung des Meeres 
Oder mit menschlicher Hand heben die Sterne herab, 
Als dass die Mädchen von Rom du hinderst am schänd- 
lichen Treiben', vgl. IV, 19, 5. Liebesschwüre trägt der 
Wind, tragen die Wellen dahin (III, zS, 8), oder er 
wünscht, dass die reichen Geschenke glücklicher Neben- 
buhler der rasende Sturm in die Lüfte entführe — 
'werd' es zu Staube dir doch, werd' es zu Wasser ge- 
macht' (III, 16, 43, vgl. V, 7, 21, 1, 16, 34). n, 5, II 

heisst es: 'Nicht von des Aquilo Wehen wird so die 



Digitized by 



Google 



104 

karpathische Meerflut, Nicht von dem wechselnden Süd 
schwarzes Gewölk so bedrängt, Als ein Wörtchen so 
leicht umwandelt des Liebenden Zürnen' und 9, 33: 
^Nicht • vom wechselnden Sturm wird also die Syrte ver- 
ändert. Noch vom tobenden Süd also geschüttelt das 
Laub Als ein zürnendes Weib!' Liebe und SchiiFfahrt 
werden parallelisiert II, 4, 19, III, 14, 29: 'Jetzt enteile, 
mein Schiff, zu dir, mein Licht, aus des Ufers Brandun- 
gen! Oder es soll mitten noch scheitern im Meer'? IV, 
24, 15: 'Siehe! mit Kränzen geschmückt hat den Hafen 
berühret mein Kiel nun. Glücklich den Syrten entfloh'n; 
schon ist der Anker gesenkt' ; Dichtung und Schifffahrt 
IV, 9, 3 und 35, vgl. 3, 22. — Der Nimmersatte bekennt 
m, Z2y 35 : ^Sieh, bald dienet der Mond, bald dienet 
dem Himmel die Sonne, So ist zu wenig für uns immer 
ein Mädchen allein'. 'Bald naht ewige Nacht', ruft er 
wie Catull III, 15, 24, 'nimmer dann kehret der Tag . . 
Drum so lang es noch tagt, von der Frucht des Lebens 
genossen 1 Wie die Blätter von den welkenden Kränzen 
gefallen, So kann uns Liebende . . Schon in des Todes 
Gemach schliessen der morgende Tag'. So mahnt Acan- 
this V, 5, 57: 'Weil noch Frühling im Blut (dum vernat 
sanguis), weil frei noch von Runzeln dein Alter, Nütze 
die Zeit, die vielleicht morgen den Reiz dir zerpflückt; 
Rosen, die länger zu blühen versprochen im duftigen 
Pästum, Sah' ich am Morgen vom Gluthauche des 
Südens verwelkt' : Vidi ego odorati victura rosaria Paesti 
Sub matutino cocta iacere noto; vgl. V, 2,- 45. — 

In alledem erkennen wir leicht den Schüler der 
griechischen Dichter hellenistischer Zeit, die nicht müde 
werden, mit Naturunmöglichkeiten zu spielen oder das 
Meer mit seinen Winden und Schiffen zum Symbol ihrer 
Liebe zu machen, sowie die Rosen und Kränze zum 
Sinnbild der Vergänglichkeit. Sinnlich raffiniert schildern 
sie die Schönheit des weiblichen Körpers, am liebsten 
im gleissenden Mondlicht oder im Farbenkontrast, wie 
auch Properz das Gesicht der Geliebten in der blenden- 
den Weisse malt II, 3, 10: 'Lilien glänzen nicht gleich 
meiner Gebieterin Haut', und dann fortfährt: 'Wie der 



Digitized by 



Google 



105 

mäotische Schnee mit hiberischem Mennig sich streitet, 

So wie ein Rosenblatt schwimmet auf lauterer Milch^: 

Lilia non domina sint magis alba mea; 

Ut Maeotica nix minie si certet Hibero 

ütque rosae pure lacte natant folia. — 

Oder er vergleicht ihren Teint dem. rosigen Frührot IV, 

24, 7 (color . . roseo collatus eoo), und ihre Augen 

sind Fackeln und Sterne (Oculi, geminae, sidera nostra, 

faces), wie auch Tib. IV, 2, 5 von der Sulpicia singt: 

Will der verzehrende Amor die Götter in Flammen 

versetzen, 
Steckt an den Augen von ihr doppelte Fackeln 

er an, 
lUius ex oculis, cum vult exurere divos, 
Accendit gpeminas lampadas acer amor. 
Aber wenn uns auch Properz und die römischen Elegiker 
überhaupt in vielen ihrer üblichsten Motive an die 
heUenistischen Dichter erinnern, wenn sie alle auch von 
ihnen ihre wirkungsvollsten Farbentöne entnonomen 
haben, wir finden letztere doch immer in .der Mischung 
mit durchaus individuellen, persönlichen Gemütszustän- 
den; und es wird deutlich, wie die römischen Dichter 
von Catuli an immer selbständiger ihren Vorbildern 
gegenüber werden und mit hervorragendem Talent in 
immer flüssigerer Form das Werk der Alexandriner 
geradezu fortsetzen, ja die Reproduktion nicht selten 
in höherem Masze zur echten Produktion umgestalten, 
als diese selbst. Der Farbenglanz, der über den Dich- 
tungen eines Tibull und Properz liegt, ist echt römisch. 
Die Kultur des Hellenismus ist ein Ferment der inner- 
lich verwandten römischen geworden und dient im allge- 
meinen Entwicklungsprozesse des menschlichen Geistes 
als ein zum spezifisch Modernen hintreibendes Moment. — 
Die römische Elegie gipfelt in Ovid, und bei 
wem tritt diese romantische Mischung von Hellenis- 
mus und Römertum, von antiken und modernen Ele- 
menten deutlicher hervor als bei diesem reichbegabten, 
geistsprühenden Kinde einer frivolen, sinnlichen, mate- 
rialistischen Zeit? Nach Art und Sitten, bekennt er 



Digitized by 



Google 



106 

A. am. (in, 12 2), passen wir: ich und die Zeit. 'Die 
Stärke seines Talentes liegt in der unvergleichlichen 
Leichtigkeit eines breiten und geistreich^i Pinsels, in 
der Beweglichkeit und unversieglich strömenden Fülle 
sicherer und sinnlich reicher Gestaltungskraft, welche 
in dem übermütigen Behagen ihres üppigen Phantasie- 
spieles vielleicht nur bei Ariosto ihres Gleichen findet' 
(Erwin Rohde). Die Elegie des Ovid bezeichnet in 
technisch-formaler Hinsicht zwar den Höhepunkt, aber 
die leichte Manier, der flüssige Stil, die eminente Vir- 
tuosität, neue Melodien aus Tönen neu und frappant 
zusammenzusetzen, die ihn als Reminiscenzen an seine 
Vorgänger und an seine eigenen Dichtungen umklingen, 
und ein deklamatorisches Pathos überwiegen doch die 
wahrhaft schöpferische Kraft. Nicht mehr ist die Gelegen- 
heit, ist der lebensvolle Moment die Mutter der Elegie, 
sondern die erfindende Phantasie, die nicht selten die 
Empfindung durch antithetisch pointierten Witz und durch 
Selbstironie vernichtet und die nackte Gemütlosigkeit 
an ihre Stelle setzt. Die Liebeselegien sind oft nur 
in Vers gesetzte Suasorien oder Kontroversen über 
fingierte Situationen eines fingierten Liebeslebens. Mag 
er aber auch oft nur mit krasseren Farben das Genre 
der Triumviri Amoris weiter ausmalen, manches Inter- 
essante und Originelle bietet er uns doch, so auch in 
den Naturschilderungen und Vergleichen, die er nach 
alexandrinischer Sitte zu häufen liebt — wie I, 7, 53: 

Leblos sah ich sie stehn; ich sah erbeben die 

Glieder, 

Wie wenn der Pappel Haar leise dürchsäuselt der 

Wind, 

Wie von Zephyr's milderem Hauch das schwächliche 

Rohr bebt, 

Wie wenn der lauliche Süd streift die gekräuselte 

Flut: 
. . Ut cum populeas Ventilat aura comas: Ut leni zephyro 
gracilis vibratur arundo, Summave cum tepido stringitur 
unda noto; vgl. Heroid. XI, 75, XIV, 37 ; A. am. I, 553. 
Der mit raschem Gefäll entgleitende Bach ist ihm ein 



Digitized by 



Google 



107 

Bild der flüchtigen Jugend (I, 8, 49), das von des Strotnes 
reissendem Wirbel erfasste Schiff — seiner eigenen 
Liebesschwäche (II, 4, 7); vgl. 9, 31 und 10, 9; der Ge- 
liebten Antlitz leuchtet wie der Mond oder wie Rosen 
mit schneeigen Lilien gemischt (11, 5, 37). Bildlich ruft 
er II, 14, 23: 'Raubst du die Traube noch grün von 
üppig beladener Rebe? Reisst du mit grausamer Hand 
sauer die Früchte vom Baum^? vgl. III; 7, 33. Auch 
er flucht dem betrüglichen Meer, das der Geizhals im 
Schiffbruch mit seinem verlogenen Mund trinken möge 
(II, 10, 33) — , 'hätte doch Argo scheiternd d^s Meeres 
bittere Wogen geschlürft' 11, 5; das Elysium schildert 
auch er in der dem CatuUischen 'Passer' nachgedichteten 
Klage über den Tod des Papageis II, 6, sowie die 
bessere Zeit des Saturn III, 8, 38 ff — vgl. die Schilde- 
rung der Freuden auf dem Lande Rem. am.^ 186 ff., der 
Jagd 199 ff ; bemerkenswert ist besonders v. 24 1 : . . centum 
solatia curae Et rus et comites et via longa dabit. — 

Seinen Geburtsort Sulmo im Pelignerlande, in den 
ihn Heimatliebe, sein landschaftlicher Natursinn und die 
Sehnsucht nach stiller Zurückgezogenheit und unge- 
störtem Zusammensein mit der Natur häufig zurück- 
führten ^*), preist er 11, 16, weil er gesund, von Ge- 
wässern umsäumt, kühl und fruchtbar sei (Pars me Sulmo 
tenet Peligni tertia ruris Parva, sed inriguis ora salu- 
bris aquis . .) Bäche durchgleiten das Gras, das sich 
beugt und wieder emporhebt, Um dem befeuchteten 
Grrund schattigen Rasen zu leih'n'; aber die liebliche 
Flur dünkt ihm wie Scythien und Kilikien, da seine 
Geliebte fern ist; wäre sie mit ihm; möchte er selbst 
die stürmischen Alpen (ventosas Alpes vgl. Hör. Ep. I, 
1 1) erklimmen oder die Syrten durchziehen 'Liebt doch 
die Ulme die Reb', und die Rebe verlässt nicht den 
ülmbaum : Weshalb werde so oft ich von der Herrin 
getrennt? Und doch schworst du zu bleiben . . Bei 
dem Augenpaar, meinem Gestirn , . Leichter als fallen- 
des Laub ist ein Wort von Mädchen gegeben. Wird 
von Wogen und Wind dahin und dorthin verstreut . . 
Schirre den Wagen! . . Bückt auf dem Weg, wo sie 



Digitized by 



Google 



i08 , 

naht, euch nieder, ihr schwellenden Hügel, Seid ihr, 
Pfad' in des Thaies Windungen, glatt und bequem! 
(. . At vos, qua veniet, tumidi subsidite montes, Et 
faciles curvis vallibus este viae). Wie geschickt und 
effektvoll verquickt hier Ovid die raffinierten Motive 
der Pflanzenliebe, der federleichten, windigen Liebes- 
schwüre und des Zaubers, den das Mädchen auch auf 
die tote Natur. übt I — III, 6 bittet der zur Geliebten 
eilende den Strom, die Fhit ein Weilchen zu hemmen, 
doch dieselbe wächst nur noch höher an ; und ärgerlich 
ruft der- Dichter : 'Dir wünsch' ich, wie du's verdienst, 
unlauterer Giessbach, dass dich die Sonne versengt, ja 
auch der Winter dich dörrt'. Im Hain, dem gottbe- 
wohnten — vgl. III, 13, 7, A. am. III, 687 — , den ein 
unbehauener Wald umschliesst, ein heiliger Quell durch- 
rieselt, umwölbt von hangendem Tufstein und durch- 
tönt vom süssen Gesang der Vögel (vgl. I, 13, i), nahen 
ihm die Musen der Tragödie und Elegie (III, i). Doch 
das Phantastischste ist die visionäre Allegorie in c. 5. 
Es ist Nacht; der Traum entführt den Dichter zum 
Walde schattiger Eichen, in deren Gezweig die Vögel 
zwitschern; des Waldes Dach dämpft nicht voll die 
Sonnenglut, welcher der Dichter entfliehen will; siehe, 
da steht im Grase, das bunt mit Blumen gemischt 
ist , ein Rind von blendendstem Weiss; ein Stier 
streckt sich neben ihm auf rasigem Grund; plötzlich 
senkt sich eine Krähe herab und bohrt der schneeigen 
Kuh den Schnabel in die Brust und fliegt mit dem 
glänzenden Haare davon ; die Kuh entweicht , aber 
es haftet ihr schwärzlich ein Fleck an der Brust. — 
Und des Traumbilds Lösung? Die unentfliehbare Glut 
ist die liebe, die Kuh die Geliebte, der Stier der 
Dichter selbst, die Krähe ein kupplerisch Weib, 
das ihn trennt von der Geliebten, aber des Treu- 
bruchs Schmach hat dieser die Brust befleckt. — 
*Also sprach der Erklärer. Mir floh das Blut aus 
erstarrtem Antlitz, und dunkele Nacht stieg vor dem 
Blick mir empor' (Et ante oculos nox stetit alta 
meos). Mit reflektierter Kunst, die ja die ganze Elegie 



Digitized by 



Google 



109 

nicht verleugnet, klingt der Schluss zuruckdeutend an 
den Anfang an: Nox erat! — 

Auf derselben Basis rhetorischer Deklamation und 
berechneter Stimmungsmalerei wie die Elegien stehen 
auch die Episteln, die Herolden. Nur das Markanteste 
der ersten sechzehn mag hier Platz haben. Önone ruft 
dem Paris Herold. V ihr Liebesglück ins Gedächtnis zurück, 
wie sie im Schatten geruht zwischen den Herden auf 
dem Blätterlager oder auf schwellendem Heu unter dem 
niedrigen Dach, wie sie zusammen gejagt (vgl. IV, 
36 ff), wie er den Namen Önone in den Stamm der 
Buche geschnitten — 'Neben dem Rande des Stroms . . 
sieht man die Pappel Stehen, in welcher die Schrift 
unserer Liebe gedenkt; Pappel, o grüne du fort, die 
hart an dem Ufer du wurzelst Und auf runzligem Bast 
tragest den folgenden Vers: 

Kann, wenn Paris Önone verliess, er zu atmen er- 
tragen. 
Möge sodann rückwärts Xanthus ergiessen die Flut. 
Er ward treulos . ., und es fing der veränderten Liebe 
eisiger Winter mir an: Pessima mutati coepit amoris 
biemps. Anmutig ist die kurze Morgenschilderung X, 
7 : 'Frührot war's, wo eben das Feld ein krystallener 
Reif deckt Und in der Büsche Versteck Zwitschern der 
Vögel beginnt', 

Tempus erat, Vitrea quo primum terra pruina 
Spargitur et tectae fronde queruntur aves. 
An TibuU erinnert das zarte Bekenntnis XIII, 103 : 
Ob sich Phoebus verbirgt, ob hoch er die Länder 

beleuchtet, 
Stets bist du mein Schmerz während des Tags und 

der Nacht. 
Sive latet Phoebus, seu terris altlor exstat, 
Tu mihi luce dolor, tu mihi nocte venis. 
Doch am sentimentalsten und selbst für Ovidische 
Denkart extrem gebärdet sich Sappho in der wahr- 
scheinlich unechten Herold. XV, v. 1 37. Wenn der Morgen 
sie aus süssem Traume weckt und das Gefühl der Ver- 
lassenheit ihr doppelt schwer auf die Seele wälzt, eilt 



Digitized by 



Google 



110 

sie hinaus: 'Grotten besuch' ich und Wald, als könnten 
sie mir helfen, die Zeugen des einst genossenen Glücks 
(Antra nemusque peto, tamquam nemus antraque prosint, 
Conscia deliciis illa fuere meis). Wiederum find' ich den 
Wald, der oft uns beiden ein Lager Darbot, über uns 
her breitend das schattige Laub . . Ärmlich erscheint 
mir der Ort, welchen nur Er so verschönt; 

An dem zerbogenen Gras den befreundeten Rasen 

erkenn* ich, 
Unserer Körper Gewicht hatte die Halme gekrümmt. 
Drauf hinsinkend berühre den Platz ich, wo du ge- 
legen ; 
Jetzt saugt Thränen zuvor wonnig erschienenes 

Kraut. 
Ja, auch scheint das Gezweig laublos an den Bäumen 

zu trauern, 
Nirgends von Vöglein tönt liebliches Zwitschern 

hervor. 
Nur die Nachtigall klagt ob des Sohnes Geschick . . 
Cognovi pressas noti mihi caespitis herbas: 

De nostro curvum pondere gramen erat. 
Incubui tetigique locum, qua parte fuisti, 

Grata prius lacrimas combibit herba meas. 
Quin etiam rami positis lugere videntur 
Frondibus et nullae dulce queruntur aves. 
Das Empfindsame, Reflektierte dieses Ergusses tritt so 
recht deutlich hervor, wenn wir ihm das rührend naive 
Lied unseres Walther entgegenhalten : Under der linden 
an der beide, da unser zweier bette was, da muget ir 
vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras; 
vor dem walde in einem tal, tandaradei! schone sanc 
diu nahtegal! Die Mitempfindung der Natur aber er- 
innert uns an die bukolische Poesie der Griechen, an 
Nonnos und Musaios; vgl. Ps. Verg. Lydia i6ff"'^®). 

In Wahrheit con amore hat der Dichter seine 'Kunst 
zu lieben' entworfen, eine Galerie poetischer Bilder, von 
denen jedes ein kleines Kunstwerk ist und von feiner, 
psychologischer Beobachtung durchaus konkreter, er- 
lebter Vorgänge des damaligen Roms zeugt. In eigen- 



Digitized by 



Google 



111 

tümlichem Effekt kontrastiert der pathetische, pomp- 
hafte Lehrton, die überall eingestreute Gelehrsamkeit 
aus Sage und Mythenwelt mit dem frivolen Gegenstande, 
mit den lediglich auf sinnlichen Genuss zielenden Liebes- 
künsten. Wie überhaupt das Detail mit elegantester 
Zeichnung, in flüssigstem Stil dargeboten wird, so sind 
auch die eingewobenen Gleichnisse und Metaphern aus 
dem Naturleben vortrefflich und erreichen sogar bis- 
weilen einen höheren, edleren Ideenschwung, als dem 
Ovid sonst eigen ist. 

Reizende Mädchen giebt es in Rom wie Saat um 
Gargara, wie Trauben um Methymna, wie Fische im 
Meer, wie Vögel im Walde, wie Sterne am Himmel (I, 55, 
vgl. II, 51. 7); wie Ameisen oder Bienen wimmeln die 
Frauen im Theater (93) ; Gelegenheit, um mit ihnen an- 
zuknüpfen, giebt es wie Sand am Meer (254); und eher 
ja schweigen die Vögel im Lenz, im Sommer die 
Grillen . ., eh' ein Weib sich sträubt, wenn der Jüng- 
ling ihr schmeichelnd nachstellt (2, 71); gleich dem zer- 
brechlichen Eis schmilzt im Verzuge der Zorn (371); 475 : 
'Was ist härter als Fels, was ist so weich wie die 
Welle ? Weiches Gewässer durchhöhlt dennoch das harte 
Gestein'; nur mit Nachgiebigkeit durchschwimmst du 
den Fluss (II, 181), nicht weht immer der Wind günstig 
■dem schwankenden Kiel (III, 10 1), '^^): 'Pflegst gut du die 
Trauben, sprudelt der Wein, hoch spriesst, pflegst du 
den Acker, die Saat;'*') pflücke die Blume! Pflückst 
du sie nicht, so fällt schmählich von selber sie ab' (III, 
79); die Farben der Gewänder gleichen der wolkenlosen 
Luft oder der Flut, dem Krokos, den Myrthen und 
Rosen . . (173); und Procris erbleicht wie das herbstliche 
Laub erbleicht an dem Weinstock, wenn er, der Trau- 
ben beraubt, welkt bei beginnendem Frost (703), vgl. 
162; so grimmig ist nicht der Eber oder die Löwin 
oder die Viper wie ein betrogenes Weib (II, 373). Eine 
auffallend edle Gesinnung ist aber der schönen Stelle 
II, 1 1 3 aufgeprägt : 

Schönheit ist nur ein gebrechliches Gut ; wie die Jahre 

sich mehren, 



Digiti 



zedby Google 



112 

Schwindet sie hin und es zehrt eigene Dauer sie 

auf. 
Blühen die Veilchen ja nicht, noch blüh'n Hyacinthen 

beständig-, 
Und nach der Rose Verlust starret entblättert der 

Dom. 
Dir auch werden sich bald, o Schönster, die Haare 

verfärben, 
Dich auch werden den Leib furchend die Runzeln 

durchziehn. 
Stärke den Geist deshalb, dass er dauert; verbünd*" 

ihn mit Schönheit, 
Denn er bleibt dir allein bis zu dem Leichengerüst. 
Achte die Sorge nicht klein, dass mit edelen Künsten 

das Herz du 
Bildest l (Forma bonum fragile est . . Nee violae semperve 
hyacinthina liliaflorent, Et riget amissa spina relicta rosa) . . 
Verwandt ist III, 62 : 

Es gehen die Jahre nach Art des fliessendea 

Wassers, 
Eilet die Welle dahin, so rufst du nimmer sie 

• wieder ; 

Eilet die Stunde dahin, kehrt sie dir nimmer zurück. 
Die Zeit flieht . . Und die da folgt, ist nie gut wie 

die frühere war. 
Hier das fahle Gesträuch, ich sah es als blühende 

Veilchen, 
Hier an dem struppigen Dom pflückt' ich mir Rosen 

zum Kranz. 
(. . eunt anni more fluentis aquae . . Hös ego, qui 
canent, frutices violaria vidi: Hac mihi de spina grata 
Corona data est). — 

Vor seinem Exil noch verfasste Ovid die Metamor- 
phosen, dies bunte Mosaik mythologischer Erzählungen 
l3ald heiterer, bald düsterer Art, von einer bewun- 
dernswerten Mannigfaltigkeit, indem üppige Liebesge- 
schichten, phantastische Märchen, humoristische Fabeln 
mit 'gemütvollen Stillleben^ . und pomphaften Schilde- 
rungen von Schlössern, Tempeln, Hainen, Thälern und 



Digitized by 



Google 



113 

Wäldern abwechseln. Es war eine beliebte Manier bei 
den Alexandrinern, erotische Erzählungen in Verwand- 
lungssagen einzukleiden, Menen die schliessliche Ver- 
wandlung der Hauptperson in irgend einen Baum, eine 
Blume, ein fliessendes Wasser, einen Stein oder gar 
ihre Versetzung unter die Sterne einen gar nicht unan- 
genehmen Anflug eines immer sinnreichen, durch ein 
tiefes Mitfühlen heimlichen Naturlebens beseelten, mär- 
chenhaften Phantasiespieles verleiht^, das auf 'poetische 
Deutung auffallender Eigenheiten bestimmter Tiere, 
Pflanzen und sonstiger Naturgegenstände hinauslieft 
(Rohde). Es entsprach durchaus dem empfindsamen 
Naturgefühl des Hellenismus, leidenschaftliche Affekte 
auch den wechselvollen Naturerscheinungen zu vindi- 
zieren oder eine überwallende Empfindung, wie z. B. 
die höchste Verzweiflung oder ein Leid, das in der 
Menschenbrust keinen Raum mehr finden kann, in die 
tote Natur zu tauchen, im öden Gebirge, im kalten 
Felsen erstarren oder in der ruhelosen Welle fortgleiten, 
im ewig klagenden Vogel und im ächzenden Rohr aus- 
klingen zu lassen. Auch in den Metamorphosen des 
Ovid, der den hellenistischen Dichtem so seelenver- 
wandt, aber manchem an sprudelndem Witz, an Phantasie 
und Geist weit überlegen ist, wird die Welt der Götter- 
und Heroensage von 'jener eigentümlichen Atmosphäre 
einer anmutigen, idyllischen, galanten, sentimentalen, 
auch wohl sinnlich begehrlichen Empfindung* überzogen. 
Das Kolorit ist echt römisch, echt Ovidisch, die Form 
elegant, anmutig, die Darstellung, besonders der Ge- 
mütsbewegungen, fesselnd, wenn auch oft rhetorisch 
dieselben ins Breite malend und verwaschend. 

Zahllos sind die Gleichnisse und Metaphern aus der 
Natur; immer wieder begegnen Vergleiche wie: schneller 
als der Wind, als ein Sturzbach, als ein Meteor u. ä. ; der 
galante Cyklop häuft die verliebten Komplimente XIII, 
789: 'Weisser bist du, Galathea, als Blüthenschnee des 
Liguster, frischer als Blumenauen, schlanker als die 
Erle, blendender als Krystall, mutwilliger als ein Böck- 
lein, weicher als Schwanenflaum . ., doch wilder als 

Jiiese, die Entwicklung des Xaturgeftihls bei den Römern. 8 



Digitized by 



Google 



114 

der Giessbach, trugvoller als Glatteis^ u. s. f. ; hinschmelzen 
in Angst wie Eis im flüchtigen Sonnenstrahl oder ent- 
brennen, wie wenn Glut in die Kräuter gelegt wird, be- 
gegnet II, 808 ; zomrot wie die rosige Morgenwolke ist 
Diana III, 183, VI, 58; Thisbe schaudert zusammen wie 
die Meerflut unter dem Windhauch IV, 135; wie beim 
Nahen des linde wehenden Favonius in der Sonne die 
in Eis erstarrte Welle zerfliesst, so verwandelt sich 
Byblis von Thränen verzehrt in eine Quelle IX, 66 1 ; 
Hyacinthus sinkt, wie wenn einer Violen und Mohn 
oder Lilien im Garten knickt X, 190; wie aus dichtem 
Gewölk das strahlende Bild der Sonne siegend hervor 
sich drängt, verwandelt sich aus einem Greise der jugend- 
frische Vertumnus und umarmt die Pomona XIV, 768. 
Der umflechtende Epheu, die ins Meer mündenden 
Flüsse, die wasserreiche Wolke, der Blitz, Felsen und 
Eisen, Ähren und Laub und Sand am Meer, vor dem 
Habicht fliehende Tauben etc. werden zum Gegenbild 
menschlichen Handelns und Leidens; auch Beseelungen 
sind häufig, wie der Zorn des Meeres, das Schweigen der 
Nacht, die im Rohr klagenden Winde, die schmeicheln- 
den Wogen, die verstummenden Wellen (conticuere 
undae V, 574); vor allem ist schön die Schilderung VII, 
184: 'Sobald im vollesten Glänze der Vollmond auf die 
Erde herabschaute, wandelte Medea durch die mitter- 
nächtliche Stille (mediae per muta silentia noctis), Men- 
schen und Vögel und Tiere hatte tiefe Ruhe befallen: 
rings schweigt die Hecke geräuschlos, rings das unbe- 
wegte Laub, es schweigt die tauige Luft, nur die Sterne 
blinken"* (homines volucresque ferasque Solverat alta 
quies: nuUo cum murmure saepes, Inmotaeque silent 
frondes, silet umidus aer: Sidera sola micant, vgl. XI, 
5, 92 ff); niederknieend ruft sie die Nacht an, die Ver- 
traute der Geheimnisse (arcanis fidissima), die Gestirne 
und den goldenen Mond, Winde und Berge ... — 
Zum Orpheus nahen Eiche, Linde, Buche und Lor- 
beer etc. . ., 'auch du kommst, krummfüssiger Epheu, 
und du, weinlaubige Rebe, und von ihr umschlungen, 
o Ulme' X, 86. Den erschlagenen beweinen die 



Digitized by 



Google 



115 

Vögel, die wilden Tiere, die starren Felsen, die Wälder, 
die vor Trauer das Laub abwerfenden Bäume XI, 4»4. 
Es kämpfen die zwieträchtigen Winde und rühren das 
unwillige Meer auf v. 49 1 ; im Meersturm zerbricht die 
Welle den Mastbaum und schaut, über die Beute stolz, 
sieh bäumend als Siegerin herab auf die Wogen (spoliis- 
que animosa superstes Unda velut victrix sinuataque de- 
spicit undas v. 522). Die mythischen Personifikationen figu- 
rieren mit grossem Pomp, so I, 264 der Nötus mit dem 
scheusäligen Haupt pechschwarzen Dunkels : den greisen 
Haaren entströmt die Flut, Nebel lagern auf seiner 
Stirn u. s. f., vgl. VI, 690 ; ein lieblicheres Bild bietet der 
Timkränzte Frühling mit den Jahreszeiten am Throne des 
Phöbus II, 64. — Farbenreich sind auch sonst Natur- 
schilderungen wie die der Schöpfung, der Überflutung, der 
weiten Flächen, die Phaethon überschaut, des Seesturms 
X[, 481 u.' s. f. 

Manche idyllische Momente sind wirkungsvoll ver- 
wandt, wie in der Schilderung des goldenen Zeitalters, 
in dem noch nicht die behauene Fichte in die flüssige 
Woge tauchte, in dem die Erde alles freiwillig hergab — : 
ewig waltete Lenz, und sanft mit lauem Gesäusel fäcbelten 
Zephyrus' Hauche die saatlos keimenden Blumen (I, 89) ; 
prächtig anschaulich wird das Tempe-Thal geschildert, 
durch das der Peneos vom Pindus herabstür2;,end mit 
schäumenden Wogen einherrollt, ^ 'in gewaltigem Fall 
von flüchtigen Dämpfen umwallte Wolken zusammen- 
ziehend, die hohen Wälder mit Gischt übertauend und 
weithin mit Getöse alles übertönend' (summisque asper- 
gine silvis Inpluit et sonitu plus quam vicina fatigat I, 568) ; 
das Thal Gargaphie III, 155, heilig der Diana, bietet 
eine waldige Grotte, 'durch keine Kunst geschaffen : die 
Natur hatte mit eigener Schöpferkraft die Kunst nach- 
geahmt ^-) (arte laboratum nulla : simulaverat artem In- 
genio natura suo), denn sie hatte aus lebendem Bimstein 
und leichtem Tuf den natürlichen (nativum) Bogen ge- 
wölbet, rechts murmelt ein Quell, von grasreichem Borde 
umgürtet' ; v. 407 wird wieder ein silberheller Quell mit 
blinkenden Wellen gepriesen, den nie ein Hirte oder 



Digitized by 



Google 



116 

eine Herde, ein Vogel oder ein Tier oder ein vom Baume 
herabgefallener Ast berührt hat; ringsum ist Rasen 
und dichter, keinen Sonnenstrahl hindurchlassender Wald 
— vgl. den waldbeschatteten See Pergus V, 385 und 
XI, 235 und den Lethestrom v. 603 ff. — ; dorthin lockt 
die Schönheit des Ortes den Narcissus (faciemque loci 
fontemque secutus). Im schimmernden Spiegel des 
Wassers schaut er mit unersättlichem Blick den trügen* 
den Reiz seines eigenen Bildes und fragt die Wälder, 
ob je einer unglücklicher geliebt, den sie in heimlichen 
Lauben geborgen; in echt rhetorischer Deklamation 
und mit sentimentalem Pathos wühlt er in seinen Em- 
pfindungen, zerschlägt sich die Brust — weissrot wie ein 
Apfel ! und schwindet hin von innerer Glut verzehrt wie 
der Frühreif unter den Strahlen der Sonne (ut intabes- 
cere . . matutinae pruinae Sole tepente solent 488) 1 Mit 
mehr oder weniger Raffinement der Erotik und der Affekt- 
malerei entwirft er das Schicksal der Daphne (I, 452 
bis 567), der Syrinx (689 — 712), des Aktäon (III, 138 ff.), 
des Daphnis (IV, 276), von Arethusa und Alpheus (V, 573), 
Prokne und Philomele (VI, 424 — 674), Boreas und Ori- 
thyia (VI, 679 — 721), Byblis (IX, 454), des Cyparissus (X, 
106 — 142), Hyacinthus (X, 162 — 219), Ceyx und Alcyone 
(XI, 410—572), Glaucus und Scylla (XIII, 900 bis XIV, 
74); Picus und Canens (XIV, 370), Pomona und Vertum- 
nus (XIV, 609). In all diesen reizenden Märchen schim- 
mert eine sinnreiche Natursymbolik durch das romantische 
Erzählungskolorit hindurch. — Wie idyllisch empfind- 
sam ist die Liebe des Cephalus zur Waldeskühle, der 
vom Jagen ermüdet im Schatten sich ausstreckend ruft : 
* Kühlendes Lüftchen, komm (aura veni VII, 813), komm, 
liebliche Freundin, Trösterin, spiele mir hold um den 
offenen Busen, o meine Wonne (tu mihi magna volup- 
tas); du machst, dass ich den Wald liebe und die Ein- 
samkeit (tu facis, ut Silvas, ut amem loca sola); o 
lass mich deinen Hauch mit lechzendem Mund ein- 
atmen, du Süsser Im eifersüchtigen Wahn, der Gatte 
mache einer Nymphe diese Liebeserklärung, entleibt 
sich . Procris. — Berühmt ist das Idyll von Philemon 



Digitized by 



Google 



1 17 

und Baucis (VIII, 6ii — 724), diesen frommen Landleuten, 
die ihr arbeitsames, fried- und glückvolles Leben zu« 
gleich beschliessen, indem unter Abschiedsgrüssen sie zu 
Bäumen werden. Ein lockendes Bild von dem herrlichen 
Leben in schattigen, stets kühlen Grotten, in Obst- und 
Weingärten und erdbeerreichen Wäldern, im Besitz von 
Schafen und Zicklein, von Gemsen und Hasen, entwirft der 
verliebte Polyphem der spröden Meernymphe XIII, 808. — 
Wie der Dichter die Metamorphosen mit der Ver- 
götterung der Äneaden und der Verherrlichung des Au- 
gustus beschliesst, so sind auch ein durchaus patriotisches 
Werk die Fasti, dieser für die Sacralaltertümer hoch- 
wichtige Kalender von Festen und Himmelserscheinungen, 
der jedoch für eine Untersuchung über das Naturgefühl 
dieser Epoche nur wenig Interessantes bietet, wie die 
idyllischen Schilderungen heiliger Haine, in denen das 
numen der Gottheit wohnt (III, 295, VI, 9), von Grotten 
aus lebendem Bimstein an geschwätzig murmelndem Quell 
{III, 17, IV, 427, II, 315), eines heiligen See's in der 
Waldschlucht (III, 263) oder besonders des einfachen 
Lebens der Naturvölker (II, 291 ff.) und der guten alten 
Zeit, da Saturnus noch regierte, noch eine kleine 
Hütte den Mars entsprossenen Quirinus barg, noch im 
engen Tempel Jupiter mit dem thönernen Blitze stand, 
das Kapitol im Laub der Bäume, nicht in Edelsteinen 
prangte und der Senator selbst seine Schafe weidete 
{I, 195). — Die hellenistischen Dichter klagen im Hin- 
blick auf die Trümmer einer grossen Vergangenheit 
über die Hinfälligkeit alles menschlichen Werkes ; hier bei 
Ovid begegnen wir — wie schon bei Properz — der elegi- 
schen Stimmung: 'Einstmals, da an der Stelle der stolzen 
Roma noch unbehauener Wald grünte, noch ein Weide- 
platz für wenig Rinder oder feuchte Sümpfe sich hin- 
zogen, waltete noch die Gerechtigkeit und Scham (pudor) 
und Friede im kleinen Volke"* (I, 242, II, 391, III, 179, 
VI, 261, 401 ff.) Neben der Ruinenpoesie pflegten die 
Alexandriner auch eine Gräberpoesie; Ovid bekennt II, 
533 : 'Ehre den Gräbern !^ (est honor et tumulis); die wahre 
Pietät gegen die Verstorbenen adelt auch geringe Gaben 



Digitized by 



Google 



118 

wie Kränze, Früchte, Salzkörner — (Parva petunt manes^ 
pietas pro divite grata est Munere). — 

Die Tristien, die lediglich Stimmungsbilder des ver- 
bannten, trostlosen Dichters enthalten, sind ein interessan- 
tes Dokument seiner hochgradigen Innerlichkeit, seiner 
modernen Empfindungsweise. Wohl sind sie monoton und 
variieren immer wieder das gleiche Thema der Klage und 
schwemmen nicht selten durch mythologische Deklama- 
tionen die wahre Empfindung des Heimwehs, der 
glühenden Sehnsucht nach Rom, nach den Freunden, 
nach der Gattin (III, 2, 21: 4, 56, IV, 7, 45 etc.) hin- 
weg, aber die Tiefe des Innenlebens und die sinnige 
Parallelisierung des Geistigen und Natürlichen hat in der 
römischen Literatur kaum ihres Gleichen. So interessiert 
uns mehr als die allerdings in lebendiger Anschaulichkeit 
entworfene Schilderung des Sturms auf hoher See (I, 2) 
und auch als der rührende Abschied von den Seinen 
in der letzten Nacht — mit den knappen, aber vortreff- 
lichen Zeilen I, 3, 27: ^Jeglicher Laut war jetzt ent- 
schlummert von Menschen und Hunden Und von der 
Höhe gebot Luna den Rossen der Nacht^ — die dem 
Meere abgelauschte schöne Metapher, die stimmungs- 
volle Verquickung von Geist und Natur I, 11, 9 : 

Wunder mich selbst nun nimmt's, dass unter des 

Herzens und Meeres 
Wogengetümmel doch nie geistige Kraft mir ent- 
sank: 
Ipse ego nunc miror, tantis animique marisque 
Fluctibus ingenium non cecidisse meum; 
ja sein Herz tobt noch wilder als die von dem Sturm 
gepeitschte See v, 33: Cumque sit hibernis agitatum 
fluctibus aequor Pectora sunt ipso turbidiora mari- 
Die geistige Kraft hält ihn allein noch aufrecht, sie 
allein hat er gerettet, als sein Lebensglück in Trümmer 
ging : 'Alles an uns ist sterblich, einzige Ausnahme sind 
Güter des Herzens und Geistes; siehe, beraubt wie 
ich bin der Heimat, eurer, des Hauses, da man ent- 
rissen mir hat, was sich entziehen mir Hess: Hab* 



Digitized by 



/Google 



119 

ich in mir doch den eigenen Geist zum Geleit und 
Genuss noch^ III, 7, 43: 

. . . Nil non mortale tenemus 
Pectoris exceptis ingeniique bonis, 

En ego, cum patria caream vobisque domoque 
Raptaque sint, adimi quae potuere mihi, 

Ingenio tamen ipse meo comitorque fruorque. 
Doch diese Seelenstärke versagt ihm oft; unablässig 
klagt er über die Öde des Ortes, über das schlimme 
Klima, das ihn krank macht, und wünscht sich den 
Tod; immer wieder vergleicht er die Unzahl seiner 
Leiden, die seinen Geist gebrochen (III, 14, 33), mit den 
Sternen, den Büschen im Walde, den Gräsern des 
Marsfeldes, den Muscheln, den Blüten, Mohnkörnern, 
Fischen, Vögeln u. s. w. ; **) auch sein Leib welkt, wie 
das Laub im Herbst sich entfärbt (III, 8, 30). In dem 
Lande des ewigen Winters, wo Frost und Nordsturm 
keine Trauben reifen, ja nicht Baum und Strauch auf 
kahlen Gefilden gedeihen lassen (III, 10), malt er sich voll 
rührender Sehnsucht den Frühling Italiens aus (c. 12), 
wo nun, da das Eis vor dem Westwind verging, die 
Knaben und Mädchen Veilchen zu suchen gehn, die 
Wiesen bunt sich färben, die Vögel zwitschern, die Reben 
treiben : 

Frigora iam zephyri minuunt . . 

lam violas puerique legunt hilaresque puellae, 
Rustica quas nullo terra serente vehit 

Prataque rubescunt variorum flore colorum: 
Indocilique loquax gutture vernat avis. 
*Ich kenne nur Schnee, den die Frühlingssonne ge- 
schmolzen, Fluten nur, die nicht mehr brechen im 
starrenden Teich^ Keine Anregung, keine Einsamkeit 
tröstet ihn (nee quo secedam locus est III, 14, 41) 
— denn ewige Angst herrscht zu Tomi vor den wilden 
Nachbarvölkern — , sondern nur die Muse; sie bietet 
stärkende Labung, sie bringt die Sorge zur Ruhe (IV, 
fin. : tu curae requies); er wühlt in seinem Schmerz: 
^Weinen ist eine gewisse Lust^ (est quaedam flere volup- 
tas IV, 3, 37). Wenn nur Augustus ein Tropf lein nehme 



Digitized by 



Google 



120 

von der Fülle der Schmerzenssee ! wünscht er V, 2, 20; 
die Zeit scheint ihm stille zu stehen c. 10 — 

Traun in dem Weltlauf herrscht ein seltsam neuer 

Naturbrauch, 

Der mit dem Gram im Bimd alles so lange mir 

macht. — 
Noch monotoner als die Tristien wirken die Briefe Ex 
Ponto, da sie, an verschiedene Freimde gerichtet, stets 
das Gleiche wiederholen ; zugleich mischt sich in wahres 
Gefühl (I, 3, 35; 4, 49) die kriechende Schmeichelei 
(z. B. I, 9, 33 ; n, I ; m, 3, 99 !) und ein Gewinsel um die 
Gnade des Gottes Augiistus! Unablässiger Gram zehrt 
an seinem Innern, das wie das Bächlein zertaut, welches 
dem Schnee entrinnt I, i, 67: mens mea tabida facta 

De nive manantis more liquescit aquae. ^*) 
Möchte mir doch das Glück werden, ruft er resigniert 
I, 8, 49, dass ich hier ein Fleckchen bebaun dürfte: 
Selber am Felshang gern, wenn ich dürfte nur, kletternde 
Ziegen Würd' ich am Stabe gelehnt weiden und Schafe 
so gern — dass ewigem Gram nicht ganz hingebe 
mein Herz sich. — Er ist ein Schiffbrüchiger, kein 
rettender Hafen winkt ihm (II, 2, 30),^^^) vergebens fleht 
er die Freunde an, dass sie der Anker seien des zer- 
schlagenen Nachens (III, 2, 6); sein Genius ist vom 
Schlamme der Leiden verderbt (IV, i, 19 limo vitiata 
malorum); sein letzter Trost ist 111,-2, 31: 

Während der I-eib entseelt anheimfällt düsterer Urne, 

Flüchten sich Ehre und Ruhm über die Flammen 

hinaus. — 
In Ovid hat die romische Poesie ihren Höhepunkt 
erreicht. Die Sonne, die allerdings Licht und Wärme 
wesentlich von einer grösseren — der griechischen — 
borgte, steht im Zenith und sinkt nun langsam hinab. 
Neben Ovid strahlen gleichzeitig noch kleinere Geister, 
die auch an Lehrgedichten ihre Kraft erprobten; doch 
während des Gratius Faliscus' Cynegetica ein durchaus 
trockenes, langweiliges Machwerk sind, erhebt sich 
Manilius in seinen Astronomicon libri V bisweilen zu 
hohem Schwünge einer erhabenen Naturanschauung; 



Digitized by 



Google 



121 

eine Lust ist es 'ihm, da der glückliche Frieden es 
vergönnt (I, 13), sich aufzuschwingen zu den unendlichen 
Himmelsräumen, wo der Gott sich am herrlichsten zeigt, 
zu den Schicksal bestimmenden Sternen (v. 37); keine 
grössere Wonne giebt es, als tief in des Weltalls 
innersten Kern zu dringen und die Natur im geheimsten 
Verschluss zu belauschen (v. i8 und 95): 'Nichts im ge- 
waltigen Kreise des Alls ist mehr zu bewundern, als 
dass alles dem Zweck sich fügt und bestimmtem Ge* 
setze (v. 475 : Nee quicquam in tanta magis est mira- 
bile mole Quam ratio et certis quod legibus omnia 
parent); hieraus strahlt mir der klarste Beweis, dass 
göttlicher Machtwink Lenk' und regiere das All, und 
dass selber ein Gott sei, Dass nicht danke die Welt ihr 
Bestehen dem schaffenden Zufall"*; vgl. v. 527. Begeistert 
preist der Epilog des vierten Buches die Würde und 
geistige Kraft des Menschen, der die Welt erforscht 
und, ein Teil des göttlichen Vaters (des Himmels), ihn 
selbst erkannt hat. 'Oder ist es zweifelhaft, dass ein 
Gott in unserer Brust wohne, und dass die Seelen zum 
Himmel zurückkehren, von dem sie gekommen (886); 
unterworfen hat sich der Mensch Erde und Meer, und 
als Sieger schlägt er die Sternenaugen zu den Sternen 
empor' (victorque ad sidera mittit .Sidereosque oculos), 
'durchforscht den Himmel und erkennt: alles lenkt, 
durchdringt und bewältigt die Vernunft' (ratio omnia 
vincit 932) vgl. II, 60 ff, 106 ff. Mit rhetorischem Pomp 
schmückt er Episoden aus wie die vielgerühmte von 
Andromeda (V, 538 — 607), deren Jammergeschick nicht 
blos die Alkyonen, sondern auch das Meer und der 
durch Felsen wehklagenden Tons rauschende Wind 
betrauern; doch der Retter naht; entflammt von Liebe 
beneidet Perseus die Klippen, an denen die Schöne 
hängt, und preist glücklich die fest um die Glieder sich 
schmiegenden Ketten! — 

In der Prosa der augusteischen Zeit übernimmt die 
Geschichtsschreibung die Führung. Man hat Livius 
den Vergil der Geschichte genannt, und in der That 
verhüllt die grossen Mängel der Forschung ein zarter 



Digitized by 



Google 



122 

Schleier persönlicher Liebenswürdigkeit und dichteri- 
scher Wärme der Empfindung, aber ein poetischer 
Landschaftsmaler wie Vergil ist Livius nicht gewesen; 
wenig besagen die paar Schilderungen von Schlachten- 
orten, Flüssen, Meeren oder Gegenden wie des Tempe- 
Thaies (44, 6), dessen steile, hohe Wände kaum einen 
schwindelfreien Anblick gestatten (sine vertagine qua- 
dam simul oculorum animique), 'auch schreckt der Schall 
und die Tiefe des mitten durchs Thal fliessenden Peneus^ . . 
Wie Vergil (Georg. I, 463fF.)^die Natur in Mitleidenschaft 
zieht, als der grosse Caesar gestorben, so dass die 
Sonne hinter rötlichem Dunst erbleicht u. s. f., liebt es 
Livius, die Ereignisse durch die abstrusesten Prodigien, 
durch schauervolle Naturvorgänge vorzubereiten und 
sympathetisch zu illustrieren; brennende Himmel und 
Meere, Blitze aus heiterer Luft, Doppelsonnen, Erd- 
Spaltungen bilden gar häufig den unheimlichen Hinter- 
grund der Thatsachen, besonders jedoch die dämoni- 
schen Laute in dem Dunkel der schweigenden Haine. 
Der romantische Zauber der Alpenwelt ist aber über- 
haupt der Zeit noch nicht aufgegangen (vgl. Hör. Epod. 
I, 11; Ov. Am. n, 16); Livius lässt den Hannibal (XXI, 
30) seine Soldaten damit trösten» dass die Alpen Gebirge 
wären wie die Pyrenäen, also wohl übersteigbar, da 
keine Länderstrecken den Himmel erreichen; doch der 
nahe Anblick der hohen Berge, die Schneemassen, die 
sich fast mit dem Himmel x^mischen, die formlosen 
Häuser oben auf den Felsen u. s. f. erneuern den 
Schrecken (c. 32 tamen ex propinquo visa montium 
altitudo nivesque caelo prope immixtae, tecta informia 
imposita rupibus . . terrorem renovarunt); c, 34, 8 
zeigt Hannibal auf einem Gipfel, von dem weit und 
breit eine Rundschau sich bot (unde longe ac late pro- 
spectus erat), seinen Soldaten Italien, die am Fusse der 
Alpen liegende Poebene mit der Erklärung, nun stände 
der Weg nach Rom ihnen offen (cetera plana, proclivia 
fore); doch mit unsäglicher Mühe marschieren die 
Truppen auf den schlüpfrigen Gletschern, auf den steilen 
Pfaden, über nackte Gipfel, bis sonnige Hügel und 



Digitized by 



Google 



123 

Thäler mit Wäldern und Bächen sie aufnehmen (37, 5). 
Aber mit keinem Wort wird weiter dieses Kontrastes 
und der Stimmung der Truppen gedacht. — 

Die augusteische Zeit war das goldene Zeitalter 
der römischen Poesie, aber sie bezeichnet auch zugleich 
eine neue Epoche in der bildenden Kunst. Erhob sich 
die Malerei auch nie über eine handwerksmässige de- 
korative Wandmalerei, so lassen doch die in Rom und 
Umgegend sowie die in Pompeji und Herculanum ge- 
fundenen Landschaftsbilder den der Entwicklung der 
Poesie analogen Charakter einer sentimental-idyllischen 
Naturbetrachtung erkennen, da auch sie wesentlich auf 
hellenistischer Nachahmung beruhen. Sie füllen somit, 
wie die Elegiker in der hellenistischen Poesie, eine 
empfindliche Lücke in der griechischen Kunst aus — 
wie auch die Gemäldebeschreibungen des älteren Phi- 
lostratos, — die man wol kaum mit Friederichs als abstruse 
Erfindungen des Rhetors ansehen kann — , deren Originale 
einen eminenten landschaftlichen Sinn müssen verraten 
haben ; ich will hier nur an die 'Sümpfe' (I, 9) erinnern : 
*Es ist ein stiller, abgeschlossener Raum, der von 
menschlicher Kultur noch nicht berührt worden ist. 
Selbst die Brücke über den Fluss ist von der Natur 
gebildet. Nur Tiere, Eroten und Hirten beleben das 
Ganze. Alles hat etwas Heimliches, Verstecktes, von 
der weiten Welt Abgelegenes; es ist ein idyllischer 
Winkel; es ist ein Bild, das in poetischer Auffassung 
keiner neueren Landschaft nachsteht' (Brunn). — 

Unter den römischen müssen besonders die es- 
quilinischen Odysseelandschaften in ihrer Gesamtheit 
einen prachtvollen Schmuck gebildet haben, da in 
ihnen selbst das Kolorit, die Farbenperspektive von 
guter Beobachtung zeugen; ich hebe hier nur die 
Schilderung des 7ten Bildes aus der trefflichen Dar- 
stellung von Wörmann'^®) kurz heraus: Ein kolossales 
Felsenthor zeigt den Eingang in die Unterwelt, die in 
tiefem Schatten liegt; ein breiter Lichtstreif fällt auf 
den reichlich vom gespensterhaften Riesenschilfe um- 
sprossenen Plan am Strande des Acheron und beleuchtet 



Digitized by 



Google 



124 

das Widderopfer des Odysseus mit einem geheimnis- 
vollen LichtefFekt, wie er unter den erhaltenen antiken 
Gemälden nicht zuna zweiten Male vorkommt; der am 
Horizonte hellweisse Himmel nimmt an Dunkelheit zu, 
wie er sich vom Meer zu den Felsen herüberspannt; 
aus dem Schatten drängen die Schatten. 'In der That 
haben wir eine grandios und einfach komponierte und 
höchst effektvoll beleuchtete, wirkliche Landschaft vor 
uns, in welcher der figürliche Bestandteil nur als Staffage 
wirkt und zugleich durch seine Beleuchtung und die 
Farbe der Gewänder die landschaftliche Stimmung 
fördert ; in der That kann man hier von einer bedeuten- 
den landschaftlichen Stimmung reden, die höchst talent- 
voll mit der dekorativen Stimmung identificiert ist\ 
Wie diese Odysseelandschaften ein Beispiel zu den von 
Vitruv VII, 5 genannten 'Ulixis errationes per topia' 
sind, so liegt ein treffliches Beispiel zu den von Plinius 
Nat-Hist. XXXV, ii6 — 117 dem Ludius zugeschriebenen 
'Gartenanlagen^ (topiaria opera) in der Villa ad Gallinas 
der Livia in Prima Porta bei Rom vor. Hier hat das 
sentimentale Naturgefühl des in engen Mauern einge- 
schlossenen Städters durch kunstreiche Dekoration 'mit 
naturalistischer Treue^ einen geräumigen Saal in eine 
durch allerlei graziös sich schaukelnde oder zwischen 
den Zweigen flatternde oder im Blau des Himmels 
schwebende Finken, Ammern und Drosseln belebte 
Parklandschaft ohne Staffagefiguren umgewandelt; 'die 
in dem Zimmer weilenden Personen waren gewisser- 
massen die lebendige Staffage der sie umgebenden 
Baumgruppen^ ^'), die in anmutigsten Wald- und Park- 
baumarten aus reichem Blumenflor sich erheben. Ähn- 
liche Dekorationen begegnen auch unter den zahlreichen 
Landschaften der kampanischen Wandmalerei^^). Der 
idyllische Charakter herrscht auch in den mythologi- 
schen Kompositionen vor, und mit feinem Verständnis 
ist oft der innige Wechselbezug der Handlung und der 
umgebenden Natur zur Darstellung gebracht; andere 
sind durch irgend welche Zeichen menschlichen Wir- 
kens belebt oder dem Kultus geweiht, mit heiligen . 



Digitized by 



Google 



125 

Bäumen, Sacellen u. dgl., von den einfachsten bis zu 
'grossen idyllischen landschaftlichen Kompositionen auf- 
steigend, die zu den schönsten unter den kanxpani- 
sehen Landschaftsbildem gehören und 'den ahnungs- 
vollen Dämmerschein des Geistes^ den man der antiken 
Landschaft oft abgesprochen hat, umgewandelt zeigen in 
eine sonnenklare, bewusste und konkrete Beseelung der 
Landschaft mit dem Geiste der Gottheit, deren Heilig- 
tum die Einsamkeit schmückt^®). Häufig wird 'das 
ländlich idyllische Dorf lebend dessen Mittelpunkt ein 
sacellum ist, noch durch Ruinen gesteigert; also auch 
der Kunst war dies elegische Moment ebenso wenig fremd 
wie der Poesie. Strandbilder*"), Villen-, Garten-, Tem- 
pel-, Inselländschaften, ägyptisierende Landschaften*^); 
Tierstücke und Stillleben*'-) erzielen oft mit wenigen 
Strichen 'ein Ganzes von romantisch ansprechendem 
Eindruck'; auch grandios wilde Landschaften sind häufig. 
Besonders interessant ist, wie einige Hausbesitzer Pom- 
peji's ihren hervorragenden Sinn für die Natur durch 
die Fülle von Landschaftsbildern verraten, die fast 
sämtliche Wände der einzelnen Zimmer bedecken, wie 
in der casa della picola fontana*'^). — 

Jedenfalls bekundet die Landschaftsmalerei der vom 
Hellenismus beeinflussten Römer, trotz der technischen 
Mängel in der Perspektive und in der charakteristi- 
schen Individualisierung sowie in der Abtönung der 
FarKenreflexe, durchaus markante Ansätze und Keime 
unserer modernen Malerei, die um so bewundernswerter 
sind, als das rein handwerksmässig Dekorative — wie 
in unserer Tapetenmalerei — das leitende Motiv blieb. — 
Auch die Mosaikdekorationen auf Fussböden, wie sie 
teils um Rom, teils in Kampanien gefunden worden, 
zeigen landschaftliche Bilder von 'abgeschlossener und 
packender Wirkung^; ja der spätere Zopfstil brachte 
selbst in plastischer Dekorationsarbeit kleine Land- 
schaften hervor, wie die Brunnengruppe in der Villa 
Borghese und zahlreiche Marmorreliefs idyllischen Genres 
aus dem Wald-, Hirten- und Tierleben. — 



Digiti 



zedby Google 



Viertes Kapitel. 



Die gesteigerte Sentimentalität der Kaiserzeit. 

Die augusteische Epoche ist die Wende vom freien 
Republikanertum zum tyrannischen Despotismus. Die 
Kaiserzeit trägt in ihren literarischen Erscheinungen 
mehr oder weniger den Stempel des Servilismus; jedes 
selbständige geistige Leben wird systematisch ertötet. 
Die schöne flüssige Form der augusteischen Poesie 
dauert noch fort, aber der Gedankengehalt ist entweder 
einem lediglich rhetorischen, künstlichen Pathos oder 
der moralischen Entrüstung über die Gebrechen der 
Zeit entsprungen. Tiefere Gemüter werden in ihr Inneres 
zurückgedrängt; aber mit dieser gesteigerten Innerlich- 
keit und Sentimentalität verbinden sich nur zu oft 
kriechende Heuchelei und Affektation, die besonders 
im Prosastil durch Manieriertheit, Verkünstelung und 
gesuchte Pikanterie sich bekundet. Mit der immer 
tiefer eindringenden Empfindsamkeit wächst auch das 
Gefühl und das Verständnis für die Natur. Das Leben 
in ländlicher Stille, auf den Villen wird eine notwendige 
Ergänzung des städtischen Lebens, ein Heilmittel für 
so viele Übel, welche eine überreife Kultur mit sich 
brachte; die landschaftliche Schönheit wird voll und 
ganz entdeckt und die unverfälschte Natur wird bewusst 
aufgesucht und besungen im Kontrast zur Unruhe und 
Unwahrheit des politischen und socialen Lebens und als er- 
frischende Abwechslung nach dem Nerven erregenden und 
zerrüttenden Genussleben. Die erhöhte wissenschaftliche 



Digitized by 



Google 



127 

Bildung steigert das Interesse an der Natur. — Auch in 
dieser Hinsicht ist der Philosoph Seneca der interes- 
santeste und geistvollste Repräsentant seiner Zeit. In 
wunderbarer Weise paaren sich in ihm ein eminenter 
Verstand, vielseitiges Wissen, lebhafte Phantasie und 
ein idealer Sinn für alles Edle und Hohe, für alles Gute, 
Wahre und Schöne mit herzloser Eitelkeit, kühler 
Rhetorik und sittlichen Mängeln des Charakters J Kein 
zweiter Römer zeigt wie er die Selbstzersetzung des 
Römertums. Der Most einer fast modernen Weltan- 
schauung, einer fast christlichen Moral zersprengt die 
alten verbrauchten Schläuche antiker Denkart. Neben- 
einander her laufen echt christliche Anschauungen von 
-einem allweisen, allgütigen Schöpfer und die stoisch- 
pantheistischen von einer unkörperlichen, in gewaltigen 
Werken schöpferischen Vernunft und einem göttlichen, 
alles Grosse und Kleine in gleichmässiger Wirksamkeit 
durchströmenden Hauche. Und so identificiert er Natur 
und Gott. Man wird an die Bekenntnisworte des 
Göthe'schen Faust erinnert, wenn man de benef. IV, 8 
liest: 'Nenne es Natur, Schicksal, Geschick, alles sind 
doch nur Namen für denselben Gott, der bald so, bald 
so seine Macht äussert\ — Eine hochgradige Innerlich- 
keit des Gemütslebens ist allen Darlegungen Seneca's 
aufgeprägt. Wie schon Ovid, bekennt auch er (ad Helviam 
cap. 8, 4), dass das Beste dem Menschen kein Kaiser, 
keine Verbannung rauben kann: 'nämlich diese Welt, 
das Grösste, das Schönste, was die Natur hervorge- 
bracht hat, und diesen die Welt betrachtenden und 
bewundernden Geist, der das Herrlichste ausmacht, was 
in ihr ist, uns eigen und unverlierbar"* (quicquid Opti- 
mum homini est, id extra humanam potentiam iacet, 
nee dari nee eripi potest; mundus hie, quo nihil neque 
maius neque ornatius rerum natura genuit, animus con- 
templator admiratorque mundi, pars eius magnificen- 
tissima, propria nobis et perpetua et tamdiu nobiscum 
mansura sunt, quamdiu ipsi manebimus). Wohin auch 
den Menschen die angeborene Lust, den Ort zu wechseln, 
zu wandern, selbst in unwirtliche Gegenden (vgl. c. 6), 



Digitized by 



Google 



128 

oder der Wille anderer treibt: zwei herrliche Dinge 
gehen immer mit uns: die Natur, die überall ist, und 
die Tugend, die uns eigen ist. ^Sp lange meinen Augen 
der Anblick des Himmels, dessen sie nicht satt wer- 
den, nicht entzogen wird . ., so lange ich den Mond 
und die Sonne und das nächtliche Stemenheer schauen 
darf . ., so lange ich mich, soweit es Menschen ver- 
gönnt ist, in himmlische Sphären schwingen, so lange 
ich den Geist, der nach dem Schauen verwandter Na- 
turen strebt, immer über der Erde halten kann: was 
liegt mir dann daran, worauf mein Fuss trete?' Den 
Polybius tröstet er in seinem Kummer mit dem Ge- 
danken (c. I, 20), dass alles ausser den unabänder- 
lichen Naturgesetzen dem Wechsel unterworfen und 
das Leben einzelner im Hinblick auf das Ganze wert- 
los sei — denn, führt er ad Marciam fin. aus, es 
wird einst nichts stehen bleiben, wie es jetzt steht; 
die Zeit wird alles darnieder werfen, und mit s^ich fort- 
raifen ... 

Wie einen Aristoteles und Cicero, weist auch ihn 
das regelmässige Aufunduntergehen der Gestirne auf 
eine göttliche Ursache hin ; aber diese ist christlich ge- 
fasst als die Vorsehung eines Einzelwesens, die Provi- 
dentia (vgl. de provid. Einl.) eines liebenden Gottes, einer 
vernunftvollen Natur. Pflicht des Weisen ist es (vgl. de 
otio c. 32), mit sinniger Betrachtung sich in die Natur zu 
versenken; 'ihrer Kunst und Schönheit gemäss hat sie 
uns zu Betrachtern des grossen Weltschauspiels be- 
stimmt, denn sie hätte den Genuss von sich verloren 
gegeben, wenn sie all das Grosse, so Herrliche, so fein 
Geordnete, so Liebliche und mannigfach Schöne einer 
menschenleeren Einöde dargeboten hätte^ (curiosum 
nobis natura Ingenium dedit et artis sibi ac pulchritu- 
dinis suae conscia spectatores nos tantis rerum specta- 
culis genuit, perditura fructum sui, si tam magna, tam 
clara, tam subtiliter ducta, tam nitida et non uno genere 
formosa solitudini ostenderet) . . In ihre Mitte hat sie 
uns gestellt uild uns den Umblick nach allen Seiten 
gegeben . ., aber den Menschen drängt es, das Dunkle 



Digitized by 



Google 



129 

der Ursachen alles Seins zu erforschen, und 'unser Ge- 
danke durchbricht die Festen des Himmels und be- 
gnügt sich nicht zu wissen, was sich darstellt, sondern 
strebt dem nach, was über die Welt hinausliegt\ — 
Schon aus diesen Aussprüchen geht hervor, wie auch 
bei Seneca es sich bewahrheitet, dass ein lebhaftes, 
intensives Verständnis für die Schönheit der Natur aus 
der wissenschaftlichen Betrachtung und Erkenntnis der 
Naturerscheinungen erwächst, dass ein so bewusst 
empfundenes und. so direkt ausgesprochenes Gefühl für 
die Reize der umgebenden Welt eine hohe Bildung des 
Geistes und des Herzens bedingen; und weiter: dass, 
wer die Qötter in ihrer Vielheit entthront, sich den 
Einen als den höchsten Künstler und Schöpfer aus den 
Wunderwerken der Natur erschliesst oder ihn sich 
dieser immanent als die höchste Vernunft vorstellt. — 
Der Grundgedanke der philosophisch-religiösen oder 
moralischen Naturbetrachtung Seneca's ist immer wie- 
der der, dass die Erforschung der unabänderlichen 
Naturgesetze und das bewundernde Anschauen der 
einzelnen erhabenen und lieblichen Erscheinungen, be- 
sonders des ewigen, sternbesäeten Himmels den Men- 
schen über sich selbst, über die Schranken des Irdischen 
hinweghebt und zur Selbstüberwindung, zur Tugend 
führt. Es liegt eine gewisse 'Fauststimmung^* über der 
prächtigen Einleitung seiner ' Natur b etrachtungen^ : 'Zu 
ahnen, dass es etwas Höheres noch giebt als das Sicht- 
bare, und dem nachzuforschen, führt über die Dunkel- 
heit, in der wir wallen, hinaus dahin, von wo die Klar- 
heit kommt. Das Leben ist mehr als sich nähren und 
den kränklichen Leib erhalten'. — Wer gedenkt nicht 
jenes berühmten Monologs Hamlet's ? — 'O welch' ärm- 
liches Geschöpf ist der Mensch, wenn er sich nicht 
über das Menschliche erhebt! . . Das ist vollkommenes 
Glück, wenn der Mensch alles Übel unter seine Füsse 
tritt und sich emporschwingt und in die innere Tiefe 
der Natur eindrängt. Dann ist es ihm Wonne, unter 
den Sternen wandelnd den prächtigen Fussboden der 
Reichen zu verlachen und die ganze Erde mit ihrem 

Biese, die Entwicklunff de» Xaturgefühls bei den Römern. 9 



Digitized by 



Google 



130 

Gold, 'die Säulenhallen, die geschorenen Laubgang'e und 
die in die Häuser geleiteten Flüsse . . Wenn er so auf 
die Erde herabschaut, spricht er bei sich selbst: Das 
ist das Pünktlein, um das sich so viele Nationen mit 
Feuer und Schwert reissen? . . Das ist nichts anderes 
als ein Hinundherlaufen von Ameisen, die auf ihrem 
engen Plätzlein arbeiten . . Ein Pünktlein ist es, auf 
dem ihr schiffet, auf dem ihr krieget, auf dem ihr 
Königreiche abgrenzet . . Droben sind die ungeheueren 
Räume, in die, als seine eigentliche Heimat, der Geist, 
wenn er alles Unreine von sich abwischt, sich empor- 
schwingt . . Ruhig schaut er der Gestirne Auf- und 
Niedergang und bei ihrer Harmonie die Verschieden- 
heit ihrer Bahnen . . Da lernt er die Gottheit erkennen, 
die Seele des x\lls, kraft seines edleren Teiles, des 
Geistes ; an der Gottheit aber ist nichts als Geist, nichts 
als Vernunft^ — : Fürwahr ein edles, hohes Glaubens- 
bekenntnis von Erhabenheit und Tiefe der Naturan- 
schauung! — Was war' ein Gott, der nur von aussen 
stiesse? ruft Göthe. Seneca sagt: 'Erst dann wird der 
Gottheit ihre ganze Grösse zuerkannt, wenn sie allein 
alles ist, wenn sie ihr Werk von aussen und innen be- 
herrscht; und die Natur, die das Allerschön ste. Geord- 
netste und Planmässigste ist, zu betrachten, unablässig 
zu erforschen, heisst über seine sterbliche Natur hinaus- 
gehen und lehrt, dass alles beschränkt ist, wenn man 
die Gottheit zum Maszstab genommen hat'. — 

So also erhebt und demütigt zugleich die Natur 
den Menschen! Dieser echt moderne Gedanke ist der 
Faden, an dem er seine einzelnen Untersuchungen auf- 
reiht; derselbe durchbricht immer wieder die sonst 
nüchterne Darstellung und die stoischen Weisheitslehren. 
Auch schwungvolle Schilderungen begegnen uns, wie 
die des Weltuntergangs (III, 30) und des ausgezeichneten 
Naturschauspiels der Nilkatarakte (IV, 2). In allen pul- 
siert ein warmes Herz voll Bewunderung für die Er- 
habenheit und Schönheit der allgewaltigen Natur, die 
in allen ihren Manifestationen, sowohl den ungewöhn- 
Kchen — für welche die grosse Menge meist nur Sinn 



Digitized by 



Google 



131 

hat VIT, c. I — als auch den alltäglichen, so deutliches 
Zeugnis für die göttliche Vernunft ablegt. — Auch die 
Briefe bergen manches geistreiche, signifikante Wort, 
das uns bei einem Manne des Altertums frappiert ; aber 
Seneca ist eben ein moderner Mensch ! Es ist empfind- 
sam oder zeugt von einer ausgeprägten Innerlichkeit, 
wenn er (ep. 12) durch die Baufälligkeit seines Land- 
hauses, das einst unter seinen Augen entstanden ist, 
und durch die verschrumpften, laublosen Platanen, die er 
selbst gepflegt und deren erste Blätter er gesehen hat, 
an sein eigenes hohes Alter gemahnt wird. — Reisen 
nützt nichts, führt er ep. 28 aus, wenn der Mensch 
seine Fehler nicht ablegt, nicht zur Selbsterkenntnis 
und zur Tugend gelangt; denn sich kann er nicht ent- 
fliehen, schiff"e er auch über weite Meere oder wechsle 
er den Himmelsstrich; 'aber legst du deinen Trübsinn 
ab, so wird dir jeder Ort angenehm sein, denn nicht 
für einen Winkel sind wir geboren, unser Vaterland 
ist diese ganze Welt'. — Hier möge sich eine der 
interessantesten Stellen des Seneca über das Reisen 
anreihen, da sie in ihrer Bedeutsamkeit nicht genügend 
bisher gewürdigt worden ist. Es ist ein seit Hum- 
boldt's und besonders seit Friedländer's Ausführungen 
allgemein gültiges Dogma geworden, dass den Alten 
der Sinn für das Abgeschiedene, Wilde, kurz für die 
Romantik einer Gebirgslandschaft völlig fremd ge- 
blieben sei. Aber wie sich so manches andere empfind- 
same und romantische Gefühl bei den Griechen und 
Römern wenigstens anbahnte und im Keime vorliegt, 
so auch dieses. De tranquill, an. 2, 13 schildert Seneca 
es als eine Eigentümlichkeit des Kranken, nichts lange 
zu dulden und die Veränderung als Heilmittel zu ge- 
brauchen. 'Daher werden weite Reisen unternommen 
und die Gestade durchstreift, und bald versucht sich 
der immer dem Gegenwärtigen feindliche Wankelmut 
zu Meere, bald zu Lande. Jetzt wollen wir Kampanien 
besuchen! — Schon habe ich die lieblichen Gegenden 
zum Überdruss; die Wildnis möchte ich sehen; lasst 
uns das Waldgebirge Bruttiens und Lucaniens durch- 



Digitized by 



Google 



132 

streifen! Irgend etwas Anmutiges wird sich doch in 
den Einöden finden lassen, wobei die verwöhnten Augen, 
von der ewigen Rauhheit schauderhafter Gegenden sich 
erholen! — Auf nach Tarent! Wir wollen seinen ge- 
priesenen Hafen besuchen^ u. s. f.: Nunc Campanianx 
petamus. iam delicata fastidio sunt, inculta videantur: 
Bruttios et Lucaniae saltus persequamur. aliquid tarnen 
inter deserta amoeni requiratur, in quo luxuriosi oculi 
longo locorum horrentium squalore relevantur: Taren- 
tum petatur laudatusque portus et hibema coeli mitioris 
regio ... Es leuchtet hieraus jedem Unbefangenen 
ein, dass es den Römern der damaligen Zeit nicht 
völlig fremd war, die wilde Gebirgslandschaft zur Ab- 
wechslung aufzusuchen als Kontrast zu der anmutigen, 
und auch in ihr einen gewissen Reiz zu finden ! — Ge- 
wiss haben wir hier nur einen schwachen Ansatz 
unserer modernen Empfindungs weise zu konstatieren — 
aber dieser ist doch unleugbar da ! Das von lieblichen 
Eindrücken verwöhnte und ermüdete Auge wandte sich 
auch dem Schaurigen, Wilden, Öden zu**). Aber 
gemäss der Grundanschauüng , die im Einklang mit 
Dichtern und Prosaikern Quintilian in der viel citierten 
Stelle (III, 4, 27) dahin formuliert, dass die Schönheit 
(species) den ebenen, den anmutigen, den am Meere 
gelegenen Gegenden (planis, amoenis, maritimis,) zuzu- 
erkennen sei, blieb dieser Zug zur Wildnis ein be- 
schränkter, ja er wird — wie auch sonst bei den Alten 
die zuerst auftauchende Empfindsamkeit schrankenloser 
Nati^rschwärmerei — von Seneca selbst als ein krank- 
haftes Symptom hingestellt. — Bajae meidet Seneca 
trotz aller Gaben, die dem Ort von der Natur ver- 
liehen sind, weil die Üppigkeit ihn zu ihrem Tununel- 
platz gemacht hatte (ep. 51) und 'eine allzu anmutige 
Gegend das Gemüt weibisch macht . ., während die stren- 
gere Lebensart in einer rauheren Gegend den Geist stärkt 
und ihn für grosse Unternehmungen tüchtig macht r 
Marius, Pompejus und Caesar bauten zwar Landhäuser 
in der Gegend von Bajae, aber sie setzten dieselben 
auf die höchsten Gipfel der Berge; es däuchte ihnen 



Digitized by 



Google 



133 

kriegerischer, von hoher Warte auf die zu ihren Füssen 
liegende weite Landschaft niederzuschauen' (ex edito 
speculari late longeque subiecta). Seneca erzählt ep. 55, 
Mvie auf der Spazierfahrt die Reize des Ufers ihn an- 
lockten, das sich zwischen Cumae und der Villa des 
Vatia in einer Bucht hinzieht und zwischen dem Meere 
auf der einen und dem acherusischen See auf der an- 
deren Seite gleichsam eine schmale Strasse bildet. 
*Vatia war, dünkt mich, kein Thor, dass er diesen Ort 
sich wählte, um hier die Müsse eines thatenlosen Greises 
zu verleben\ Einmal, ep. 67, beginnt er sogar wie 
moderne Briefschreiber : *Der Frühling — um mit einem 
alltäglichen Gegenstande zu beginnen 1 — hat ange- 
fangen, sich aufzuthun, allein da er schon daran war, 
in den Sommer überzugehen, wo er heiss werden sollte, 
ist er wieder kühler geworden' — , doch hält auch er der- 
gleichen noch nicht einer längeren Rede wert. Geistvoll 
ist der ausgeführte Vergleich des Lebens mit einer 
Meerfahrt ep, 70: ^Während wir auf dem reissenden 
Strome der Zeit hinschifften, entzog sich zuerst die Kind- 
heit unseren Blicken ; es folgte die Jugendzeit . ., und nun 
beginnt Zuletzt das gemeinsame Ziel der Menschheit 
sich zu zeigen: es sei eine Klippe, glauben wir in 
unserer Thorheit! ein Hafen ist's; . . . den einen hält 
die Unthätigkeit der Winde mit neckendem Eigensinn 
hin, mit dem Verdruss einer langweiligen Stille; einen 
andern trägt ein andauerndes Wehen aufs schnellste 
ans Zier. — Wie schon bei der Beschreibung der Villa 
des Vatia der Moralist hervorhob, dass nur das Gemüt 
einen Ort verschönere, dass es Traurige in dem reizend- 
sten Landhause und Heitere in der 'Einöde gäbe, so 
vergleicht er ep. 86 die Einfachheit einer Scipionischen 
Villa mit dem Luxus der Gegenwart ; aus Quadersteinen 
gebaut, an einem kleinen Walde, von einer Mauer um- 
schlossen, mit Thürmen, einem Garten und Wasserbehälter 
für ein ganzes Kriegsheer; das Badegemach eng und 
klein : das ist das Villenbild aus der guten alten Zeit — 
jetzt müssen sich an den Hallen Gemälde hinziehen; 
herrlich verziert sind die Decken; überall sind Statuen, 



Digilized by 



Google 



134 

Säulen, sprudelnde Wasser, weite Fenster, damit man 
von der Wanne die Aussicht über Fluren und Meere 
hat! Doch vor allem in ep. 89, 21 geisselt er die Un- 
ersättlichkeit seiner Zeit, die Latifundien auszudehnen, 
mit weiten Parken Meere zu umgürten : "^SoU es keinen 
See mehr geben, über welchen nicht die Giebel eurer 
Landhäuser hereinragen, keinen Strom, dessen Ufer ihr 
nicht mit euren Bauwerken einfasset ? Wo irgend das 
Meeresgestade in eine Bucht sich hineinzieht, alsbald 
legt ihr dort die Fundamente eines Baues; allerwärts 
sollen eure Paläste strahlen, bald auf hohe Berge ge- 
baut, zu unermesslicher Aussicht über Land und Meer, 
bald auf der Ebene zu Bergeshöhe aufgeführt' . . : 
Quousque nullus erit lacus, cui non villarum vestrarum 
fastigia inmineant, nullum flumen, cuius non ripas aedi- 
ficia vestra praetexant? Ubicumque in aliquem sinum 
litus curvabitur, vos protinus fundamenta facietis nee 
contenti solo, nisi quod manu feceritis, mare agetis 
introrsus. Omnibus licet locis tecta vestra resplendeant 
aliubi inposita montibus in vastum terrarum marisque 
prospectum, aliubi ex piano in altitudinem montium 
educta . . 

Wie glücklich dagegen jene kulturlosen Völker 1 
ruft er ep. 90 ^^) ; ^die Mutter Natur nährte sie . . der 
Wald schützte sie . . ; über ihnen hing kein kostbares 
Getäfel mit Schnitzwerk ; sie lagen im Freien ; aber die 
Gestirne zogen über ihnen hin und das prachtvolle 
Schauspiel der Nächte; das Firmament vollbrachte das 
grosse Werk seines Umschwungs im Stillen; bei Tage 
wie bei Nacht öifnete sich ihnen der Anblick dieses 
herrlichen Wohnhauses': Non inpendebant caelata 
laquearia, sed in aperto iacentes sidera superlabebantur 
et insigne spectaculum noctium. Mundus in praeceps 
agebatur silentio tantum opus ducens. Tam interdiu 
illis quam nocte patebant prospectus huius pulcherrimae 
domus. — 

Ein echt religiöses Naturgefühl findet den erhaben- 
sten Ausdruck in ep. 41: 'Gott ist dir nahe, er ist bei 
dir, er ist in dir . . es wohnt in uns ein heiliger Geist . . 



Digitized by 



Google 



135 

wenn du einen Wald voll uralter, ungewöhnlich hoher 
Bäume findest, welcher mit seinen dichten, übereinan- 
der gewachsenen Ästen und Zweigen dir den Anblick 
des Himmels entzieht, so weckt die Erhabenheit dieses 
Haines, die stille Abgeschiedenheit, die wunderbaren 
Schatten dieses freien und doch so dichten Gewölbes 
(illa proceritas silvae et secretum loci et admiratio um* 
brae in aperto tarn densae atque continuae) in dir den 
Glauben an eine Gottheit; ebenso erregen eine tiefe, 
nicht von Menschenhand gemachte, sondern von Natur- 
kräften ausgehöhlte Grotte und die Quellen grosser 
Flüsse in des Menschen Herz religiöse Ahnungen; 
ebenso ein Mann, der furchtlos und leidenschaftslos, 
von den Stürmen des Lebens unberührt blieb ; auch ihn 
belebt eine himmlische Macht; wie der Sonne Licht 
zwar auf die Erde trifft, aber dort ist, von wo es aus- 
strahlt, so ist eine grosse und heilige, zu unserer näheren 
Erkenntnis des Göttlichen gesandte Seele zwar im Ver- 
kehr mit uns, aber unzertrennlich von ihrer Heimat: 
dorthin ist ihr Blick und ihr Streben gerichtet'. Genug! 
Jede Zeile ist hier bezeichnend. Der Zauber des Ab- 
geschiedenen, auch des Heimlichen, den das Laubge- 
wölbe auf empfindsame Gemüter ausübt, der Gegensatz 
von Natur und Kunst, und endlich das fein pointierte 
Gleichnis : alles das sind Symptome einer tiefen Innerlich- 
keit. Ineinander ranken pantheistische Anschauungen, 
die im romantischen Schauer des Walddunkels und der 
Felsschlucht ebenso wie im Menschlichen, wo es sich 
wahrhaft edel, gross und selbstlos zeigt, einen Hauch 
des Göttlichen erkennen, und wunderbare Ahnungen 
von dem Kommen einer ganz dem Lichte zugewandten, 
gottgesandten Seele! — 

Die Tragödien des Seneca, welche nur Zerrbilder 
der griechischen Muster genannt werden können, sind 
Zeugnisse einer zügellosen Phantasie, die in Aufwendung 
eines rhetorischen Pathos, schillernden Witzes, blenden- 
der Effekthascherei erstaunliche Geschmacklosigkeiten 
und Ungereimtheiten zu Tage fördert. Die Natur- 
schilderungen sind in grellen und düsteren Farben ge- 



Digitized by 



Google 



136 

klext, ohne Wärme der Empfindung, ohne Wahrheit 
und individuelles Kolorit, die Grenzen der Poesie und 
der Malerei im Sinne Lessing's über alles Mass über- 
schreitend; der Hinweis auf folgende Stellen mag ge- 
nügen: Herc. 125 ff. (Nacht: iam rara micant sidera, 
vgl. Thu. 794), 666 ff. und 838 (Eingang in die Unter- 
welt), Thuesta 650 (Hain, vgl. Öd. 543), Öd. fr. 12 
(Cithaeron), Phon. 240, Phädra 10 ff. (Attika), 1016 
(Meeressturm), Öd. 37 ff. (Dürre). Zahlreich sind die 
Vergleiche und Metaphern nach Euripideischem Muster 
(Thu. 455, 491, 577, Phädra 772, Öd. 940), die Anrufung 
von Gottheiten und ihrer Natursphäre (Herc. 596, Thu. 
776, 1072, Phädra 417, 967: o magna parens natura 
deum) ; auch sentimentale Beseelungen sind sehr häufig, 
Herc. 1059: die Natur soll mittrauern! lugeat aether . .; 
beim Nahen der Furie erbleicht der Baum, sinkt vom 
Zweig der Apfel etc. (Thu. 1 10) ; die schauerlichsten Na- 
turwunder bilden immer wieder die geheimnisvolle Folie 
zu den Ereignissen. — 

Wer von der reich besetzten, in der Fülle einer 
übersprudelnden Phantasie und eines pikanten Witzes 
glänzenden Tafel des Ovidius herkommt und Seneca's 
Tragödien, sowie seines Neffen Lucanus Pharsalia 
liest, der wird den Unterschied zwischen einem poeti- 
schen Talent, das sich allerdings zuweilen mehr als 
wünschenswert in pathetischen Deklamationen ergeht, 
und der reinen nackten Rhetorik erkennen, die jenes 
göttlichen Funkens dichterischer Begabung fast gänz- 
lich bar ist. Lucan ist Redner, aber kein Poet. Wohl 
hat er Vergil, auch Ovid studiert, aber der Hauch 
echter Sympathie mit der Natur, der durch die Gleich- 
nisse und Schilderungen des ersteren weht, ist in den 
seinigen nicht zu spüren ; sie sind frostig, nüchtern, ge- 
lehrt-geographisch und mitunter mit stoischen Betrach- 
tungen durchflochten. Wenig individuell sind die 
meisten Vergleiche ^^). Erträglich sind folgende : ^Besser 
in friedlicher Müsse lebst du allein die Tage dahin, 
gleichwie unerschüttert Himmelssterne sich ewig in 
ihren Kreisen bewegen^ (sicut coelestia semper Incon- 



Digitized by 



Google 



137 

cussa suo volvuntur sidera lapsu 11, 267) ; 111,362 : 'Windes 
Gewalt erschlafft, ins Leere der Lüfte verwehend, wenn 
nicht wider ihn kämpft mit gedrängten Stämmen die 
Waldung; und hochflammendes Feuer erlischt, dem 
nichts in den Weg tritt; so ist Mangel an Feinden 
verderblich mir*; oder V, 336 mit gelehrtem Anstrich: 
*Meint ihr, dass Cäsars Lauf, weil ihr entflieht, zu ge- 
fährden möglich sei? So mochten die sämtlichen Ströme 
der Erde drohen, dem Meere die Quellen, die sie ihm 
gebracht, zu entziehen: dennoch würde die See darum 
nicht sinken, so wenig als sie jetzt durch die Wasser 
sich hebt\ — Geschmacklos heisst es IV, 217: 'Wie 
das wogende Meer, wenn Boreas' Hauche verweht 
sind, heiser stöhnt, so erleichtem die Seherin häufige 
Seufzer'!! — Auch die Schilderungen sowohl der Ört- 
iichkeiten *®) als auch der Tages- und Jahreszeiten sind 
wenig poetisch, z. B. II, 719: 'Schon kündete Phöbus' 
Nahen veränderte Farbe der Luft ; noch rötet der weisse 
Schein sich nicht, noch entreisst er das Licht den 
nächsten Gestirnen ; doch erlischt die Pleias bereits' . . : 
lam Phoebum urgere monebat Non idem Eoi color 
aetheris, cdbaque mundum Lux rubet et flammeas pro- 
pioribus eripit astris^ Et iam Pleias hebet . . Die Licht- 
reflexe der aufgehenden Sonne auf dem Meer finden 
III, 521 Erwähnung: 'Als nun die Morgenstrahlen der 
Sonne im Meere sich brachen', . . Ut matutinos spar- 
gens super aequora Phoebus Fregit aquis radios . . . 
Für das Schaurige hat der Dichter eine gewisse Vor- 
liebe, die besonders in der berühmten Schilderung des 
Druidenhains hervortritt (III, 399), Velcher die dunkelnde 
Luft umzieht mit verschlungenen Zweigen und, vor- 
bauend der Sonne, die kühlen Schatten umherwirft 
(Obscurum cingens connexis aera ramis Et gelidas alte 
submotis solibus umbras) . . . Scheu tragen die Vögel, 
auf diesem Gezweige zu ruhen. Und zu lagern darunter 
Getier; nicht Windesgewalt beugt Hier Waldwipfel, 
noch Wetterstrahl aus schwarzen Gewölken, Und da 
den Lüften sogar der Bäume keiner das Laub beut, 
Stehn sie in ihrem Schauer umher (non uUis frondem 



Digitized by 



Google 



138 

praebentibus auris Arboribus suus horror inest); aus 
Felsengewölben Sprudeln dunkele Quellen, und ernste 
Göttergebilde Ragen da unförmlich und kunstlos* . . . 
So malt der Dichter wirkungsvoll die Verenda maiestas' 
des Ortes. Forciert und im Grausen wühlend sind die 
Schilderungen der Überschwemmung (IV, 99 — 120), der 
schaurigen Höhle der Zauberin Erichtho (VI, 642), der 
Syrten (IX, 304, 382 fif.), der Wüste mit ihren vier Dä- 
monen: serpens, sitis, ardor, arenae (IX, 402 463 ff.) 
Nicht ungeschickt gelangt das Unheimliche der Meeres- 
stille zum Ausdruck V, 424 ff. : 'Phöbus war versunken 
ins Meer, die ersten Gestirne Stiegen empor, und der 
Mond warf seine Schatten . . Still liegt ringsum das 
Meer (aequora lenta iacent*') von tiefem Erstarren ge- 
fesselt . ., grausig ist des Oceans Ruhe, ringsum träge, 
in düsterer Tiefe liegt die Flut; als ob die Natur er- 
starrt sei, Rastet die öde Fläche, und das Meer, ver- 
gessend der alten Ordnung, strömt nicht wechselnd zu 
Land und zurück in sich selber. Bebt nicht schaudernd 
empor, blitzt nicht vom Bilde der Sonne . . . nirgend 
Gewölk, nirgend der Wellen Drohen^: 

Saeva quies pelagi, maestoque ignava profundo 
Stagna iacentis aquae: velutiAieserta rigente 
Aequora natura cessant pontusque vetustas 
Oblitus servare vices non commeat aestu, 
Non horrore tremit, non solis imagine vibrat . . . 
Nubila nusquam undarumque minae. 
Der Sturm bricht los 541 ff., 597—649, bei welchem 
Cäsar, dem Aufruhr der Elemente Trotz bietend, auf 
schwanker Barke sich aufs Meer wagt mit den kecken, 
historischen Worten : 'Brich mitten hinein in die Stürme . . 
in Gefahr ist das Meer und der Himmel, aber nicht 
das Schiff, das den Cäsar trägt . ., verborgen ist dir so 
unendlichen Wütens Grund, es reicht durch Flutenge- 
wog' und des Himmels Empörung hülfreich mir Fortuna 
die Hand"* (quaerit pelagi caelique tumultu Quid praestet 
fortuna mihi). — Im Blute schwelgt die Darstellung der 
grausen Schlachtenscenen VII, 789 ff., modern aber ist 
der stoische Gedanke v. 810^*): 'In den ruhigen Schoss 



Digitized by 



Google 



139 

nimmt alles auf die Natur"* (placido natura receptat 
Cuncta sinu) und pantheistisch das Bekenntnis des Cato 
IX, 578: 'Was ist des Göttlichen Sitz als Erd' und 
Meer und der Luftkreis, Himmelsstern' und die Tugend? 
was suchen wir weiter die Götter! Jupiter ist, was 
immer du siehst und wo du dich regest^; gemäss X, 
208 besitzt die fruchtbare Venus die Samen aller Dinge 
(fecunda Venus cunctarum semina rerum Possidet); das 
Dasein von Göttern beweist inmitten libyscher Öde der 
grünende Wald IX, v. 522 (esse locis superos testatur 
Silva, per omnem Sola virens Libyen). — Des Dichters Ab- 
gott ist Pompejus ; ihn begleitet sein Lied (IX, Anf.) zu den 
Gefilden der Seligen, schwingt sich — wie Seneca — 
mit ihm auf zu des Donnerers Himmelsgewölbe, . . 
dort erquickt er sein Herz an dem reinen Licht, be- 
wundert die Wandelsterne und die ruhigen Feuer, 
Sieht der Sterblichen Tag, wie dunkele Nacht ihn da- 
nieder drückt ... 

Wir fanden bei den Griechen einen Ansatz von 
romantischem Naturgefühl in' den Wunschliedern, die in 
Vogelgestalt zu den Himmelshöhen zu entschweben und 
von hoher Warte herali auf die sonnenbeglänzten Fluren 
herabzuschauen begehrten; bei den Römern begegnet 
in anderer Form uns also Ahnliches ; ich rechne zu den 
Vorstufen des Romantischen bei Lucan auch die Vor- 
liebe für das Wilde, Einsame, majestätisch Schauervolle 
in der Natur — wenngleich er die Alpen nur als kalte^ 
schauervolle bezeichnet I, 183, 302 — , ferner seine Skizzen 
der Lichtreflexe auf den glitzernden Wellen und dem 
das Bild der Sonne zitternd wiederspiegelnden Meer 
sowie der dichten Laubkronen, durch welche die 
Strahlen sich mühsam hindurchbrechen, und der ausge- 
höhlten, über dem Meer hangenden Felsen, die stets 
herabzustürzen drohen und mit ihren Wäldern die Flut 
überschatten IV, 455 : 

Impendent cava saxa mari: ruituraque semper, 
Stat (mirum) moles: et silvis aequor inumbrat. 
In den Nilkatarakten erblickt er die Zornausbrüche des 
Stroms über die seinen Lauf hemmenden Felsmassen 



Digiti 



zedby Google 



140 

X, 315* 'Wüsten durchschneidest du in sanft gleitendem 
Fall. Wer hielte dich dann so gewaltigen Zornes fähig, 
o Nil? Und doch, wann felsiger Abhang Deine Ge- 
wässer empfing und stürzenden Laufs Katarakte, Und, 
sonst nirgend gehemmt bisher, entgegnender Felsen 
Widerstand dich entrüstet: zum Himmel spritzest du 
Schaum dann; alles erbebt von den Wellen; der Berg 
heult laut, und bestürmend Deckt sich mit grauem 
Schaum die überwundene Stromflut': . . Quis te, tarn 
lene fluentem Moturum tantas violenti gurgitis iras Nile 
putat ? Sed cum lapsus abrupta viarum Excepere tuos . . 
Indignaris aquis: spuma tunc astra lacessis: Cuncta 
fremunt undis: ac multo murmure montis Spumeus in- 
victis canescit fluctibus amnis. — 

Vergil ist der nach allen Richtungen nachgebildete, 
vergötterte Heros der Literatur dieser Zeit; auch seine 
Liebe zum Landleben findet einen begeisterten Nach- 
hall. Durch ihn, sowie durch den Vorgang eines Cato 
und Varro angeregt, schrieb Columella seine Bücher 
de re rustica,. ein gründliches, erschöpfendes Lehrge- 
bäude vom Feld- und Weinbau, Baumzucht und Garten- 
anlage etc. aufführend ; Liebe zur Natur und ein warmes 
Gefühl für die hohen Vorzüge des Landlebens beleben 
die Darstellung ; auch er stellt gerne (praefF. I, X, XII) 
die einfachen Zustände der Vorzeit der Unnatur der 
Gegenwart gegenüber, wie eine Rückkehr zur Natur 
die stoischen Popularphilosophen (z. B. Musonius)^®) in 
dieser Epoche und als das höchste Glück den Frieden 
auf dem Lande im Verkehr mit der freien Natur, mit 
den Tieren des Feldes und Waldes predigen. Auch 
das Genre der Idylle wird zur Zeit des Nero gepflegt. 
Es ist eine interessante Stufenfolge : Theokritos — - Ver- 
gilius — Calpurnius und Nemesianus. Es ist lehrreich, 
aus verschiedenen Literaturen und Zeiten verwandte 
Geister oder Dichtwerke gleicher Gattung zusammen- 
zustellen. Der verschiedene Charakter verschiedener 
Kulturen off'enbart sich so auch im Kleinen. 

Während die griechische Literatur von Anfang an 
einem Waldquell gleicht, der aus dunklen Gründen frisch 



Digitized by 



Google 



141 

und krystallklar hervorquillt und immer neue Nahrung 
aus heimischem Boden saugend zu mächtigem Strome, 
anschwillt und in breitem Bette sich ergiesst, ist die 
römische von Anbeginn ein in mühsamer Kunst mit 
fremdem Wasser gespeister Springquell — aber im. 
Verfall ähneln sich beide Literaturen: die Epigonen 
suchen Stoff und Kraft bei den Dichtem der Blüten 
periode; jedoch bei den Römern wird somit das, was 
selbst nur Nachbild war, zu einem angestaunten 
und nachgeahmten Vorbild. Dieser Prozess vollzieht; 
sich in stetig absteigender Linie bis ins Mittelalter 
hinein; was an Geist fehlt, sucht man durch die tech- 
nisch vervollkommnete Form zu ersetzen ; aber der Ger_ 
halt wird immer von neuem wieder verdünnt, ver-^ 
wässert; die Nachahmung wird zur Karikatur. So. 
sind auch die Idyllen des Calpurnius bizarre Über-, 
malungen seiner Vorbilder, — doch singen die Hirten 
im Schatten der Bäume am kühlen Quell nicht blos. 
von Faunus oder ihrer Liebe, sondern sie sind zugleich 
treue Dolmetscher der höfischen Gesinnung des Dichters. 
Es wirkt komisch, die früher mit Geschmack ausge- 
führten Motive in Calpurnianischer Verkünstelung wie- 
der zu treffen. Wie einst beim Orpheus, sammeln sich 
beim Wettgesang des Idas und Astacus (II, lo, ed. 
Bährens poet. lat. m. III) 'jede Art von Kleinvieh, jede Art 
von wilden Tieren, alles, was an Vögeln mit schweifen-r. 
den Fittigen die Luft schlägt, alle Hirten, Faunus selbst 
und die Satyrn; aber auch Dryaden mit trockenem (!) 
und Najaden mit feuchtem (!) Fusse'; natürlich halten, 
die eilenden Flüsse im Laufe inne, und die Winde lassen 
ab, im zitternden Laube zu wühlen, und Schweigen 
breitet sich über die ganzen Berge: 

. . Desistunt tremulis incurrere frondibus euri 
Altaque per totos fecere silentia montes. 
Und was ist ferner aus der zarten Liebeserklärung ge-. 
worden , welche die Natur in den Zauberbann der 
Schönheit stellte! Der verliebte Jollas, der natürlich 
die Worte der Geliebten in die Rinde schneidet (v. 43 . . 
nam cerasi tua cortice verba notabo Et decisa feran> 



Digitized by 



Google 



142 

rutilanti carmina libro), seufzt III, 5 1 : 'Ohne dich er- 
scheinen, wehe mir Unglücklichem! schwarz die Lilien, 
und nicht schmecken die Quellen, und sauer ist der 
Wein dem Trinkenden, aber wenn du kommst, werden 
auch wieder weiss die Lilien, werden die Quellen 
schmecken und die süssen Weine getrunken werden'. 
'Wenn man den Namen des Cäsar nennt, ruft er IV, 97, 
sieh, wie die Wälder schweigen; obwohl der Wind drängt, 
ruhen unbewegt die Zweige' . . (Aspicis ut virides audito 
Caesare silvae Conticeant ? memini, quamvis urgente pro- 
cella Sic nemus inmotis subito requiescere ramis) . . 'ja 
seit er herrscht, sind kräftig die Lämmer, voll die 
Euter, reichlich die Wolle und die Gräser^ ! . . Auch im 
einzelnen wird der gerade, einfache Ausdruck möglichst 
gemieden, das Barocke tritt an seine Stelle. Wie ge- 
ziert sind Stellen wie 11, 57: 'Wo der perlende Quell 
die grünen Wellten treibt und mit zitterndem Bach an 
Lilien vorübereilt' (virides qua gemmeus undas Föns 
agit et tremulo percurrit lilia rivo) vgl. IV, 2 ; erträg- 
lich ist die Frühlingsschilderung V , 16: 'Wenn im 
jungen Lenz die Vögel zu tirilieren beginnen und die 
zurückkehrende Schwalbe ihre Nester baut . ., dann 
sprosst auch der Wald mit sich verjüngenden Knospen' : 
Vere novo cum iam tinnire volucres Incipient nidosque 
reversa lutabit hirundo . . vernanti germine silva 
PuUat . ., oder die Morgenschilderung v. 55 : 'Und es 
leuchten im Grase die Perlen des Frühtau's' : Matutinae 
lucent in gramine guttae. — Wie Calpurnius es als er- 
freulich schildert (Anf. IV), unter der Platane am ge- 
schwätzigen Bach in der Kühle zu ruhen, so lädt nach 
den Worten des carm. bucol. I, 3 der Einsiedler Handschr. 
{Bährens poet. lat. min. HI, 60) die heimliche Lust des 
keuschen Hains zum Singen ein (et casti nemoris 
secreta voluptas Invitat calamos), oder zum Lagern die 
mit zitterndem Schatten deckende Ulme und das Gras 
der Wiese II, 12 (quae spargit ramos, tremula nos 
vestiet umbra Ulmus). 

Den Calpurnius plündert und übertrumpft zwei 
Jahrhunderte später der geschwätzige Nemesianus (Bäh- 



Digitized by 



Google 



143 

rens III, 176 fF.); da begegnet wieder fast mit denselben 
Worten die Kirschbaumrinde (I, 29), der weit und breit 
schweigende Hain (v. 32). Zart (!) ruft er: ^Die friedlichen 
Stiere, siehe, wie sie fern die Gräser abrupfen!' Und 
dies idyllische Bild begeistert ihn zum Anrufe des All- 
vaters Äther, des Wassers, der Erde und der Litft . . 
Von seinem Preise des Meliböus säuselt die Platane 
und die Pinie (v. 72); die Wälder antworten, alle Ge- 
büsche reden von ihm (silvestris te nunc platanus, Me- 
liboee, susurrat . . te nostra arbusta locuntur); ja — 
mit recht abgedroschener Phrase — schwört er; *^Ehe 
werden die Robben auf trockenem Gefilde weiden und 
der Löwe im Meer leben, die Taxusbäume süssen Honig 
schwitzen, der traurige Winter Ernte, der Sommer 
Oliven, der Herbst Blumen, der Frühling Trauben 
bringen, — man sieht, er weiss auch mit eigenen Mitteln 
zu variieren ! — als je meine Flöte schweigt vom Lobe 
des Meliboeus\ — 

Auch das Erotische kommt zu seinem Recht. Als 
die schöne Donace von ihren harten Eltern eingesperrt 
ist, klagen die verliebten Knaben Idas und Alcon um 
die Wette. 'Wo find' ich, ruft der erstere, die mit rosi- 
gen Händen Lilien pflückende?' . . (roseis stringentem 
lilia palmis?) (II, 24.) Die Herde zeigt rührende Sym- 
pathie mit den Leiden der Hirten! Seine Kühe haben 
schon drei Tage keinen Grashalm berührt, aus keinem 
Strom getrunken, die Kälber stehen leckend an den 
trockenen Eutern ihrer Mütter und erfüllen den Äther 
mit zartem Gebrüll . . Bleicher als Buxus, ganz ähnlich 
dem Veilchen irrt er umher; schwarz erscheinen ihm 
die Lilien, bleich die Rosen . . 'aber wenn du kommst' 
u. s. f. ruft er nach der Manier des Calpurnius. Alcon 
preist auch umsonst v. 80 seine Reize, die einst Donace 
selbst gelobt, mit efifektvoUem Farbenkontrast (!): die 
purpurnen Wangen und den milchweissen Nacken ! u. s. f. 
In unglücklicher Liebesleidenschaft durchirren auch Lyci- 
das und Mopsus c. IV die Wälder und flüchten sich 
in die Einsamkeit; v. 12 heisst es modern sentimental: 
*Ia einsamem Walde entblössten sie ihre Wunden und 



Digitized by 



Google 



144 

sangen in die Wette ihre süssen Klagen': Sic sua de* 
sertis nudarunt vulnera silvis Inque vicem dulces cantu 
dixere querellas. — Lycidas warnt den spröden, harten 
Jollas V. 20: 'Nicht wirst du immer so schön sein, auch 
die Gräser verlieren die Blumen, der Dom die Rosen,, 
nnd «nicht immer leuchten die Lilien, und nicht lange 
behält ihr Haar die Rebe und den Schatten die Pappel !' 
Seine schöne Meroe bittet er v. 38: 'Komm hierher^ 
die Sonnenglut ruft in den Schatten . ., schon singt 
kein Vogel mehr mit sangreicher Kehle, keine schuppen- 
reiche Schlange zeichnet mit gewundenem Zuge den. 
Boden : allein singe ich, es widerhallt von mir der ganze 
Wald, und nicht stehe ich nach im Gesang den sommer- 
lichen Cicaden' (solus cano. me sonat omnis Silva, nee 
aestivis cantu concedo cicadis) u. s. f. — 

Der Ne^onischen Zeit und zwar wahrscheinlich dem 
Lucilius Junior, einem jüngeren Freunde des Seneca, 
gehört das Gedicht Ätna an (Bährens II, p. 88 iF.); 
der matte, didaktische Tenor wird zuweilen durch warme, 
begeisterte Episoden unterbrochen, so besonders v. 
224 ff., wo er im Sinne von Lucrez, Cicero und Seneca 
die über alles Kleinliche hin weghebende Lust der Na- 
turbetrachtung preist und ausführt: nicht solle man 
blos nach Art der Tiere mit den Augen die Wunder 
schauen, sondern menschenwürdig sei es, die Ursachen 
der Dinge auszuforschen, den Geist zu weihen, das. 
Haupt zum Himmel zu erheben, zu wissen, was die 
Welt im Innersten zusammenhält (v. 276 scire quid 
occulto terrae natura cohercet, vgl. v. 228). Den ver- 
borgenen Mirakeln in der Natur nachzuspüren, das ist 
nach seiner Ansicht ein göttlicher und wohlthuender 
Genuss des Geistes (251 divina est animi ac iucunda 
voluptas), ein Genuss, der uns zu den Göttern empor- 
hebt, die wir in Kleinem unselig uns quälen und von 
Mühe aufgerieben werden (torquemur miseri in parvis 
terimurque labore). Mit vielen Worten beschreibt er 
den Ätna, 'das ungeheure Werk der Künstlerin Natur' 
(691), in seinem Zürnen, donnerähnlichen Rollen, im 
fürchterlichen Flammen- und Lavaspeien . ., doch immer 



Digitized by 



Google 



145 

wieder drängt das Doktrinäre, die Bekämpfuiig thoricih- 
ter Vorurteile, sich vor; mit dem Grauenvollen eines Gre- 
witters und der Angst einer plotzKcfh vom Feinde 
Überfallenen Stadt malt er am Schluss die Schrecken 
eines Ausbruchs, bei dessen Not und Gefahr einst- 
mals so schön sich die menschlichste Tugend, die 
Pietät gegen die Eltern, gezeigt habe, als zwei Brüder 
ihre greisen Eltern aus der brennenden Heimat trugen 
und zum Lohn allein gerettet wurden (606 ff.). — 

Das kolossale Werk des älteren Plinius, die 
naturalis historia , ist mit dem immensen Fleiss des 
unermüdlichen Kompilators ein redender Beweis für 
die Worte des Lucilius, dass es eine Lust sei, zu 
forschen nach den Gesetzen der Natur. 'Eine wahre, 
aus dem Innern quellende Begeisterung kann nicht ver- 
kannt werden, wo die Anschauung auf ein grossartiges 
Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, auf den wohl- 
geordneten Kosmos (naturae maiestas)» gerichtet ist* 
(Humboldt). In dem Umfange war in Rom das Studium 
der Natur noch neu *^) ; nur warme Zuneigung konnte zu 
eineni so riesenhaften Unternehmen führen. Auch 
Plinius ist in seiner Weltanschauung wesentlich Stoiker; 
die Gottheit ist ihm eins mit der ewigen Welt; die gött- 
liche Weltseele hat ihren erhabensten Ausdruck in den 
Gestirnen, namentlich in der Sonne, aber auch in der 
mütterlichen Erde erlangt ; an dem harmlosen und wohl- 
thätigen Wirken der Natur und an dem geschäftigen 
Treiben der Tiere hat er sein inniges Wohlgefallen, 
aber dieses wird getrübt durch den dunklen Hinter- 
grund einer düsteren Lebensansicht von dem verdorbenen, 
unglücklichen Menschengeschlecht, über dessen Abfall 
von der Natur er häufig klagt ; so schildert er auch mit 
tiefem Schmerz den gesunkenen Ackerbau. Die Be- 
handlungsart des einzelnen ist dürre, trockene Nomen- 
klatur oder Beschreibung; nur in den Einleitungen 
kommt bisweilen ein energisches, schwungvolles Pathos 
und ein sittlicher Ernst zu erhabenem Ausdruck. — 

Die Poesie ist im Zeitalter der Flavier wesentlich 
die epische, ein Nachhall der Vergilischen Äneis. Weit- 

Biese, die Eutwicklung des Naturgefühls bei den Böinern. 10 



Digitized by 



Google 



146 

schichtig in der Anlage, geziert, verkünstelt, oft hart 
und dunkel im Ausdruck, sind des Valerius Flaccus 
Argonautica ein recht abgeblasstes, mattes Abbild jenes 
römischen Nationalepos; Gleichnisse (iii an der Zahl), 
Bilder, Schilderungen lassen sich meist als dem augustei- 
schen Dichter entlehnt belegen, aber trotz alledem ist das 
Kolorit doch effektvoller, sentimentaler, moderner; auch 
die Komposition des dem ApoUonios entnommenen Stoffes 
verrät bisweilen feinere Striche, ja die Charakteristik 
strebt eine psychologische Motivierung an. — Der Stil 
ist barock ; Bilder und Beseelungen sind oft kühn, doch 
selten mit neuen Gedanken. Den dunklen Schatten 
der Cypresse nennt er 'die Nacht' (veteris sub nocte 
cupressi I, 774); das 'aufwallen', 'wogen' (fluctuare) im 
Zorn begegnet häufig, wie III, 637; der unruhig in 
Sorgen wogende Geist des Äsoniden schwankt unsicher 
in den mannigfachen Aufwallungen hin und her V, 
302*^): Aesoniden varios incerta per aestus Mens rapit 
undantem curis; die den Schmerz fortführenden Wellen 
kehren wieder (II, 143 prius unda dolores obruat). 
Sympathetisch 'seufzen der Rhodope hohe Haine' (I, 
728), 'zittert schaudernd der Wald' (II, 412), da die lemni- 
schen Weiber über die Trennung von den Helden 
trauern ; vor der Stimme der Venus beben in Angst der 
Athos, das Meer und das ungeheure Thracien (II, 201). 
Als Herkules endlich, von seinem Rasen erschöpft, ruht, 
'wird auch den müden Wäldern der Friede zurückge- 
geben' (IV, 20 fessis pax reddita silvis) ; mit der weinen- 
den Amymone weinen die Wellen der thessalischen 
Quelle Messeis (v. 374 flevit Amymone, flerunt Messei- 
des undae) u. s. f. '^*) Nächtliche, sonnenlose Stille 
herrscht am dunklen Styx : 'schweigend steht das Laub, 
und regungslos starrt der Frühlingswald auf der Berges- 
höhe' (III, 402 Stant tacitae frondes inmotaque silva 
comanti Horret vema iugo). — Als den Blicken der 
davonfahrenden Argonauten die Berge Thessaliens ent- 
schwinden, alles ihren Augen entrückt wird und Finster- 
nis auf dem weiten, unbekannten Meere sich um sie 
breitet, da ergreift sie der Schauer der Einsamkeit: 



Digitized by 



Google 



147 

*die Stille der Dinge und das Schweigen der. Welt 
schrecken sie, und die Gestirne und der mit wallenden 
Schweifen bestirnte Äther^ II, 41 : 

Ipsa quies rerum mundique silentia terrent 
Astraque et effusis stellatus crinibus aether; 
•*wie wenn ein in fremder Gegend verirrter Mann, der 
den nächtlichen Pfad sucht (noctivagum carpit iter), 
nicht ruht mit Ohr und Augen, während der Nacht 
Schrecknisse das ringsum dunkle Feld mehrt und der 
4n grösseren Schatten entgegenstarrende Baum (noctis- 
que metus niger äuget utrimque Campus et occurrens um- 
TdHs maioribus arbor) : nicht anders bangten die Männer\ 
Mögen des Valerius Flaccus Gleichnisse ***) nur selten 
neu und meist recht farblos sein, bei diesem lässt sich 
die individualisierende Zeichnung, das Trefferide des Ge- 
dankens und Ausdrucks nicht verkennen, sondern das 
Beängstigende, Geheimnisvolle der stillen, dunkten Nacht, 
in welcher die Bäume dem Zagenden und Tastenden 
wie Gespenster erscheinen, ist nicht ungeschickt wie- 
dergegeben. — Können wir nicht auch dies als einen 
leisen Anklang an das Romantische bezeichnen, wenn 
auch die Schilderung desselben von dem direkten, be- 
wussten Aufsuchen noch himmelweit entfernt ist!? — 
Geistiges und Natürliches wird oft miteinander ver- 
glichen, wie z. B. III, 465 : 'Wie plötzlich Meer und 
Felsen erglänzen und strahlend sich der Äther öffnet, 
wenn Jupiter die dunkelnde Wolke verscheucht: so 
kehrte der Mut den Männern zurück\ — Zart sind Be- 
seelung und Vergleich der Situation angepasst II, 45 1 ; 
als der Aleide und Telamon 'das in schmeichelnder 
Windung sich krümmende Gestade aufsuchen, triflft ein 
weinerlicher Laut ihr Ohr, wie wenn die an Felsen sich 
brechende Welle murmelt': dum litora blando Anfractu 
sinuosa legunt, vox attigit aures Flebilis, ut scopulis 
cum fracta remurmurat unda. — Die Zeitschilderungen 
sind Vergilisch; der anbrechende Tag streut sein Licht 
über Land und Meer aus, oder Tithonia vertreibt d\e 
kühlen Schatten (HI, i, 257) u. s. f., oder es heisst 
III, 32 : 'Nacht war es^ und es sangen die Wellen im 

10* 



Digitized by 



Google 



148 

sanften Einschnitt des Schiffes, und schon streuten die 
ersten Sterne leichten Schlaf aus': 

Nox erat et leni canebant aequora sulco, 
Et iam prima leves sparg-ebant sidera somnos. 
Auch dies sind Zeilen, die an das beste Können der 
augusteischen Dichter erinnern. — ApoUonios wird be- 
sonders in der Ausmalung der Liebe zwischen Jason 
und Medea nachgeahmt, aber dieselbe wird von Valerius 
weit natürlicher motiviert und nicht ohne dramatisches 
Leben in ihren einzelnen Phasen geschildert. — Ruhe- 
los wälzt sich Medea auf ihrem Lager (VII Anf.); die 
Nacht sank herab, aber ^nicht tröstlich für die Liebende* 
(non mitis amanti) ; ihr Geist glüht, trotz des um sie her 
herrschenden Dunkels ; des Geliebten Bild umschwebt sie 
beständig; die Schlaflose erquickt der Anbruch des Mor- 
gens, 'wie wenn^ die schlaffen Halme ein sanfter Regen 
aufrichtet und willkommener Wind sich erhebt, wenn 
die Ruder schon ermüdeten' (v. 23) . . Als die Lieben- 
den sich in dem mitternächtlichen Dunkel des Hains 
treffen, stehen sie 'angedonnert^ still (404), wie sprach- 
lose Schatten der Unterwelt, 'schweigenden Tannen oder 
unbeweglichen Cypressen gleich, welche noch nicht der 
rauhe Südwind geschüttelt' (abietibus tacitis aut inmotis 
cyparissis Adsimiles, rabidus nondum quas miscuit 
auster). ^*) Wie er sie in Thränen bebend und ihre in 
Scham brennenden Wangen sieht, bricht Jason das 
Schweigen: 'Bringst du irgend welche Hoffnung auf 
Rettung (spem lucis)?' . . Mit der Liebe zieht auch die 
Angst in ihre Seele, dass er sie verlassen könne ; schon 
sieht sie ihn im Geist ohne sie über die weite Meeres- 
fiäche dahin fahren und die Minyer ihre Segel aufhissen 
(473); mit rührenden Worten beschwört sie ihn daher: 
'O bleibe meiner eingedenk, ich selbst werde nie dich 
vergessen' . . 'Bei den Sternen droben' schwört er ihr 
Treue (499). — Mit lebendigen Farben werden die 
folgenden Ereignisse geschildert; von warmer Empfin- 
dung zeugen die Abschiedsworte der Medea (Anf. VIII) ; 
mit schwerem Herzen entbehrt sie die Küsse ihres 
Vaters; 'nicht lieber ist mir jener, dem ich folge; o 



Digitized by 



Google 



149 

dass ich mit ihm von brausenden Wellen verschlungen 
würder (tumidis utinam simul obruar undis!) — Sie 
entflieht. Bald steigen die Schatten des Argwohns auf. 
*Die Gestade des sarmatischen Meeres betrauern sie . . 
kein Sumpf, kein Strom Scythiens lässt unbeklagt die 
Scheidende' 207 : lUam Sarmatici miserantur litora 
ponti . . Nulla palus, nuUus Scythiae non maeret eun- 
tem Amnis. — 

Siliusltalicus schrieb, wie Plinius sagt, mit mehr 
Sorgfalt als Geist. Seine Punica sind der in Vergilische 
Form gegossene und zugleich verwässerte Livius. ^^) 
Der ganze epische Apparat des Homer und des Vergil 
wird mühsam in Bewegung gesetzt. Aus wenigen 
Worten des Livius und aus ein paar Hexametern der 
Äneis werden lange Schilderungen, sei es nun von 
Schlachten , Kriegszügen oder Gegenden und Natur- 
phänomenen. Selten schimmert einmal Individuelles hin- 
durch, wie z. B. II, 663 : die Tempel Sagunts brennen, 
*die Flut erglänzt von dem Abbild der Flammen, und 
im zitternden Meer zucken die Brände\' Ardent tecta 
döum, resplendet imagine flammae Aequor et in tremulo 
vibrant incendia ponto. ^*) Mit tippiger Fülle stattet er 
seine Schilderungen aus; pomphafte Personifikationen, 
frostige mythische Gestalten treten in stolzer Breite 
auf; der Tonfall seiner Verse ist immer so voll und 
schwer wie möglich ; an Accius' reiche Wortmalerei er- 
innert III, 46, wo Hannibal die Flut des Meeres be- 
wundert, wie es in gewaltigen Massen sich aus der 
Tiefe erhebt, an die Lande sich werfend^') . . ., 'los- 
brechend wallt das Meer über und die versteckten 
Quellen; entfesselt stürzt sich der Ocean mit brausen- 
den Wellen; da suchen die Tiefen, wie vom grausen 
Dreizack im Grunde erschüttert, dem Lande den ange- 
schwollenen Pontus aufzudrängen^: Proruptum exundat 
pelagus, caecosque relaxans Oceanus fontes torrentibus 
ingruit undis; Tum vada, ceu saevo penitus permota 
tridenti, Luctantur terris tumefactum imponere pon- 
tum. — Man staune ob des Schwelgens in stolzen 
Worten! — So malt er auch mit grosser luxuries die 



Digitized by 



Google 



150 

Schrecken der Alpen weit (III,. 477 fF.), mit ihren wüsten 
Schneemassen, ihrer in die Wolken sich verlierenden 
Höhe; im Eis starren die Gipfel, das kein Sonnenstrahl 
schmilzt; dort giebt es keinen Frühling, keine Ehren- 
gaben des Sommers (nuUique aestatis honores); dort 
hausen nur Winter und Winde (ventique furentia regna 
Alpina posuere domo). Mit Grausen erklimmen die 
Karthager die Gipfel, mit Grausen schauen sie in die 
Tiefe; aber Dunkel umfängt sie, Schneegestöber und 
Hagelschauer heminen den Blick, dann starren sie ins. 
Leere wie der Schiffer auf weitem Meere, der nichts 
als Wassermassen und den Himmel erblickt (v. 535 
medio sie navita ponto. Cum dulces Hquit terras . » 
Inmensas prospectat aquas ; ac victa profundis Aequori- 
bus fessus renovat sua lumina caelo). — 

Das Grausige fesselt überhaupt seine Phantasie 
oder giebt ihm besonders Gelegenheit, sich in breitem 
Strome reichen Wortschwalles zu ergehen. Erzählt z. B. 
Livius XXII, 5, bei der Schlacht am Trasimenischen 
See sei der Eifer der Kämpfenden so gross gewesen» 
dass sie das Erdbeben, das viele Städte Italiens teil- 
weise zerstörte, nicht spürten, so macht Silius daraus 
einen Excurs von mehr denn einem Dutzend Versen 
V, 611: 'Ein Krachen (fragor) ^*) geht durch die Klüfte» 
o schrecklich ! die Hügel erbeben, die Gipfel zittern, es 
schwanken auf den pinientragenden Höhen die Wälder» 
geborsten stürzen die Felsen, es stöhnt in den tief 
innerst zerrissenen Höhlen die gespaltene Erde' u. s. f. 
u. s. f. 

Ebenso überladen ist die Schilderung des dunklen» 
lichtlosen Hains (VI, 146 ff.), wo eine riesige Schlange 
haust und schweigender Schauder die Eintretenden er- 
fasst, so dass in heimlichem Frost die Glieder erstarren 
und die Nymphen und das Numen des unbekannten 
Schlundes mit bebender Lippe angerufen werden^ 
vgl. v. 283. Episoden reihen sich an Episoden, meist 
schon viel behandelte — wie Orpheus XI, 462 ff. — ; 
in den letzten Büchern haspelt er eilig die Ereig- 
nisse ab. — 



Digitized by 



Google 



151 

Mit gleichem Behagen, aber mit mehr Witz und 
Begabung schrieb Papinius Statius. Doch auch 
er konnte sich nicht besonnen beschränken, sondern 
der Ehrgeiz trieb ihn, ein gross angelegtes, weit- 
schweifiges, episodenreiches und recht wenig geniess- 
bares Epos zu schreiben — die Thebais. Rhetorisches 
Pathos und der Schwulst mythischer Gelehrsamkeit 
lassen nur selten das vorhandene Talent und die von 
der Dichtung der glänzenden Vorzeit gesättigte Phan- 
tasie rein und voll durchbrechen. Die Naturschilde- 
rungen sind mit Liebe, aber auch mit ermüdender Breite 
ausgemalt. Vergilische Farbentöne schimmern auch hier 
durch. So zeichnet er den Anbruch der Nacht I, 336: 
'Und schon hatte in Phöbus', des müden, Gebiet sich 
erhebend, Titanis, über die schweigende Welt sich ver- 
breitend. Mit dem tauigen Wagen verdünnt den er- 
kalteten Luftraum — wie physikalisch-poetisch! — 
(Titanis late mundo subvecta Rorifera gelidum tenuave- 
rat aera biga) ; Vieh und Vögel schon deckte die Ruh', 
die geizigen Sotgen Löste der Schlummer schon, . . 
Vergessenheit bringend dem mühevollen Leben . . 
Schwarz, nicht erhellt vom mindesten Lichtstrahl, deckte 
die Pole die Nacht ; vom Boden sich hebend . . heiseren 
Mundes drohte der kommende Sturm . ., die Winde 
brachen los . . es zuckten die Blitze . ., jeglicher Hain 
zerbrach, es rissen die Stürme die alten Zweige der 
Bäume dahin, und geöffnet standen Lykäus* nie von 
der Sonne zuvor noch gesehene Lager des Wildes', — 
und so geht es fort im wüsten Ritt einer zügellosen, 
deskriptiven Phantasie ; eine ähnliche ausgesponnene 
Morgenschilderung begegnet II, 134 ff. Ein schauer- 
voller Hain mit der Farbengebung Lucan's findet sich 
IV, 419, ein pomphaftes Meersturmbild V, 363; das 
Pelionschiff V, 335 erinnert wieder an Accius u. s. f. ^^) 
Besonders häufig sind Beseelungen in Anrufen und 
Schilderungen, von den mythologischen ganz abgesehen, 
die ausserordentlich oft zur Dekoration verwandt wer- 
den. Wie die römischen Dichter weit ärmer an echten 
und zarten Beseelungen sind als z. B. die Alexandriner, 



Digitized by 



Google 



152 

das geht ganz besonders aus der recht emtönigen Skala 
bei diesen späten Dichtern hervor*^). Als Hermes 
durch die Unterwelt schreitet, ^gewahren ihn staunend 
die unfruchtbaren Haine . . und der dunkelfarbige Wald ; 
mit Verwunderung sah sich zur Rückkehr Tellus geöff- 
net^ (II, 13 Tum steriles lud possessaque manibus arva 
Et ferragineum nemus adstupet, ipsaque tellus Miratur 
patuisse retro). — Als Jupiter redet, halten die 
anderen Götter 'Gedanken und Worte zurück, anders 
nicht, als wenn bei längerem Schweigen der Winde 
die Meerflut erschlafft und in sanftem Schlummer die 
Ufer ruh'n; die schwülige Luft umfächelt die laubigen 
Bäume und mit unmerklichem Hauche die Wolken ; dann 
nehmen die Sümpfe ab und die klangreichen Seen, und 
es schweigen versiegend die Ströme^ (III, 255 Non 
secus ac longa ventorum pace solutum Aequor et in- 
belli recubant ubi litora somno, Silvarumque comas et 
abacto flamine nubes Mulcet iners aestas: tunc stagna 
lacusque sonori Detumuere, tacent exhausti solibus 
amnes). Das schaurige Totenopfer des alten Sehers im 
lichtlosen Hain der Latonia 'beseufzt Dirke; Kithäron 
betrauert's, und die geräuschvollen Thäler befremdet 
das seltsame Schweigen^ (IV, 447 ingemuit Dirce moestus- 
que Cithaeron, Et nova clamosae stupuere silentia 
valles^^). Erschöpft ruhen die Winde (V, 420); beim 
Nahen der Götter 'machen Ströme und Berge Bahn; 
die Erde frohlocket (superbit) bei ihrem Schritt, und 
leicht aufatmet der himmeltragende Atlas^ (V, 429); es 
seufzt der Wald u. s. f. Staunen, schaudern, klagen, 
schlafen, schweigen — das ist die dürftige Tonleiter 
dieser Beseelungen, die in ihrer Abtönung zu denen eines 
Vergil, Ovid etc. sich ähnlich verhalten wie die des Nonnos 
und Lykophron zu denen der hellenistischen Dichter. — 
Nur wenige Gleichnisse ^^) sind individuell und zart 
wie V, 599 von der Vogelmutter, 'der eine Schlange 
ihr Nest samt Jungen auf schattiger Eiche verheerte: 
vom Schweigen der sonst so geräuschvollen Wohnung 
befremdet, hält sie schwebend darüber; vor Schrecken 
fällt ihr das Futter aus dem traurigen Schnabel, da sie 



Digitized by 



Google 



153 

nur Blut an dem teuem Baum und im Nest umher ver- 
streute Federn gewahr wird\ oder VT, 854 von der 
^stolzen Cypresse auf Alpenhöhn, die vor des Austers 
Gewalt den Wipfel neigt, um wieder emporzuschnellen\ 
Recht sinnig, empfindsam heisst es VII, 222: 'J^^^^ 
vernahm's, und es kehrte die Freude zurück auf sein 
Antlitz: so kehrt Rosengebüschen, die Sonnenglut und 
der trübe Notus entstellte, wenn sich der Himmel er- 
heitert und Zephyrs Hauch die Luft erfrischt, ihr 
Prangen wieder: die Knospen blicken hervor und im 
Vollesten Schmuck stehen wieder die Zweige' (Ut cum 
sole malo tristique rosaria pallent Usta Noto, si clara 
dies Zephyrique refecit Aura polum, redit omnis bonos, 
emissaque lucent Germina et informes ornat sua gloria 
virgas). Von besonders feiner Beobachtung zeugen die 
Schilderungen der Lichtreflexe 11, 531 : 'Er sah von der 
Höhe des Hügels Schimmern die Schilde der Männer 
und ihre umflatterten Helme, Da, wo durch lichtere 
Stellen des Walds, und den Schatten durchbrechend. 
Zitternd der Schein des Monds auf den ehernen Rüstun- 
gen spielte' (Qua laxant rami nemus adversaque sub 
umbra Flammeus aeratis lunae tremor errat in armis). Hier- 
zu gehört das Gleichnis von den glänzenden Helden VI, 578: 
'So, wenn auf ruhiger See die Sterne des Himmels sich 
spiegeln Und sich ihr zitterndes Bild auf der weit sich 
dehnenden Flut malt, Schimmert alles im Licht' (Sic 
ubi tranquillo pellucent sidera ponto Vibraturque fretis 
caeli stellantis imago, Omnia clara nitent). Es ist der 
Wirklichkeit fein abgelauscht, wenn es in dem Gleich- 
nisse von den übers Meer ziehenden Kranichen V, 14 
heisst: 'Der enteilende Schatten fällt auf Wogen und 
Fluren' (Umbra fretis arvisque volant). — Doch von der 
vorteilhaftesten Seite zeigt sich uns Statius in seinem 
Silvae. Es sind mit fliegendem Griifel hingeworfene 
Impromptus ; aber daher atmen sie auch die lebensvolle 
Frische des Moments, der augenblicklichen Eingebung, 
nicht die Geschraubtheit mühevoller Gelehrsamkeit. Be- 
geistert schildert er (I, 3) die herrliche Villa seines Freim- 
des Manlius Vopiscus bei Tibur, die mit aller erdenk- 



Digitized by 



Google 



154 

liehen Pracht der Kunst ausgestattet — Voluptas machte 
den Plan, und Venus salbte die Schwelle — und von 
der malerischsten Natur umgeben war: 'Tag, der lange 
mir wird im Gedächtnis bleiben! Im Geiste Trag' ich 
der Freuden so viele mit heim, von der Menge der 
Wunder, Die ich gesehen, gesättigt. Wie mild die 
Gegend! Wie hat die Glücklichen Örter geschmückt 
die Natur! (Ingenium quam mite solo! quae forma 
beatis Arte manus concessa locis! Non largius usquam 
Indulsit natura sibi). Es kränzen die eilenden Wasser 
Ragende Haine ; das Laub giebt treu sich im täuschen- 
den Bilde Wieder; dahin mit den Wellen entflieht sein 
ähnlicher Schatten. Über Gestein stürzt hin sich der 
Anien oben und unten; Hier nur — ein Wunder, doch 
wahr — hält ein er mit schäumendem Brausen, Wütendem 
Schwall, als scheut* er zu stören des sanften Vopiscus 
Musengeweihete Tag' und Dichtungen schaffende Nächte^ 

Nemora alta citatis 
Incubuere vadis; fallax responsat imago 
Frondibus, et longas eadem fugit unda per umbras* 
Ipse Anien — miranda fides — infraque superque 
Saxeus, hie tumidam rabiem spumosaque ponit 
Murmura, ceu placidi veritus turbare Vopisci 
Pieriosque dies et habentes carmina somnos. — 
Wahrlich doch ein empfindungswarmes Lob und eine 
liebenswürdige Deutung des in der Nähe der Villa 
sanfter dahingleitenden Stromes; Natur und Kunst 
findet er in harmonischem Bunde; die dahinziehen- 
den Wasser tragen das treue Abbild des Laubes. 
An beiden Ufern des Flusses stehen die Paläste; hier 
ist 'ewige Ruhe\ Schutz vor Stürmen und angenehme 
Kühlung, auch wenn der Sirius herabbrennt; Marmor 
und Gold, Mosaiken und Elfenbein schmücken die Ge- 
mächer, die mit Wasserleitungen versehen sind (emissas 
per cuncta cubilia nymphas); von den verschiedenen 
Zimmern schweift der Blick auf uralte Haine oder auf 
den gleitenden Strom oder auf schweigende Wälder; 
überall völlige Stille; hier schweigt geräuschlos die 
Nacht, und das Wellengemurmel wiegt in Schlaf (. . tota 



Digitized by 



Google 



155 

quies, ofFensaque turbine nullo Nox silet et nigros i«ii- 
tantia murmura somnos). Der Obstgarten übertrifft den 
des Alkinoos und der Circe — kurz, der herrliche Be- 
sitz ist ein Eldorado, in dem der Dichter dem Freunde 
ein Alter des Nestor zu verleben wünscht. — 

Von ausgesuchter Pracht, aber auch mit den anmutig- 
sten Reizen der landschaftlichen Natur ausgestattet war die 
Villa des PoUius Felix bei Sorrent, von der uns Statius 
eine lebhafte Schilderung entwirft (II, 2); er preist 'die 
wunderbare Ruhe des Meeres^ ; — 'hier legen ermüdet die 
Wellen ihre Wut ab und hauchen milder die Südwinde 
(v. 25); hier wagt weniger der jähe Winter; und wo 
früher staubiger Sandweg war, ist es jetzt ein Ver- 
gnügen, zu wandeln' ; die Natur beugte sich dem Willen 
des Menschen: 'wo du jetzt eine Ebene siehst, war 'ein 
Berg, wo du unter Dach wandelst, eine Wildnis, wo 
du hohe Bäume siehst, war nicht einmal Erde — selbst 
die Klippen im Meer wurden zu Weinbergen, auf denen 
in nächtlichem Schatten die Nereide die süssen Trauben 
pflückt' (100 ff.) Einige Gemächer der Villa hallen wie- 
der vom Rauschen des Meeres (v. 56), andere wissen 
nichts von brandenden Wogen und ziehen die Stille des 
Landes vor (haec tecta sonoros Ignorant fluctus terrae- 
que silentia malunt). Die prachtvollsten Gemälde und 
Skulpturen zieren die Zimmer, und diese bieten die 
mannichfachsten Ausblicke auf die See und die Inseln; 
vor allem war eins luxuriös, vom kostbarsten Marmor, 
mit dem Blick auf Neapel (83 ff.) Glückselig nennt der 
Dichter den Felix, der auf diesem herrlichen Stückchen 
Erde, 'fern vom Forum, vom beweglichen Haufen (vgl. 
III, 5, 85) und über jedes Niedere erhaben, von der 
hohen Warte des Geistes auf die Irrenden herabschaue 
und die menschlichen Freuden verlache' (131). — 

Den Preis einer herrlichen Platane auf dem Gute 
des Atedius Melior kleidet er in ein niedliches Märchen 
von Pan, der eine Nymphe verfolgt, die im See Zu- 
flucht findet ; am Rande desselben pflanzt er eben jenen 
Baum mit dem sentimentalen Weihspruch: 'Leb* du 
lang' als Pfand und Denkmal unseres Wunsches, Baum, 



Digitized by 



Google 



166 

dass wenigstens du das heimliche Lager der harten 
Nymphe mit Liebe bewachst; dein Laubdach drücke 
die Welle; Hat es doch diese verdient; doch bitt' ich 
dich, wehre den Gluten Himmlischen Feuers und lass 
sie nicht treiFen des Hagels Geschosse ; Plätschern allein 
mit den Blättern im Wasser und trüben es darfst du; 
Dann sollst du und die freundliche Herrin des Ortes 
mir lange Lieb sein; beide beschütz' ich und halt* 
euch frisch bis ins Alter' (. . sed ne, precor, igne 
superno Aestuet aut dura feriatur grandine, tantum 
Spargere tu laticem et foliis turbare memento . .). 

Wie Statius dem CatuUischen Passer-Liede seinen 
Psittacus (II, 4) nachgepfifFen (vgl. femer III, 4 mit 
Cat. c. 68), so ist III, 2 ein Propempticon nach dem Vor- 
bilde des Horaz (I, 3), wo er alle die Nereiden und 
Meergottheiten bittet, seines Freundes Schiff sanft zu 
geleiten ; und gleich dem Horaz zufrieden mit seinem be- 
scheidenen Gütlein, beginnt er den Frühlingsgruss, den er 
seinem Septimius von seinem Albanergute sendet, mit 
den Worten (IV, 5): 'Parvi beatus ruris honoribus' und 
schildert gleich dem Horazischen 'Solvitur acris hiems*, 
wie nunmehr vor den Sonnenstrahlen der Winter ge- 
wichen und das Meer und die Erde glänzen und der 
Aquilo von Zephyrn gebrochen (lam pontus ac tellus 
renident, lam Zephyris Aquilo refractus) ; 'jetzt schmückt 
sich (crinitur) der Baum mit dem Laube des Frühlings; 
jetzt stimmen neue Lieder die Vögel an' u. s. f. An 
Alkman resp. Vergil erinnert V, 4 'An den Schlaf, 
v. 3 : 'Es schweigt jedes Vieh und die Vögel und die 
wilden Tiere, und die gewölbten Gipfel heucheln müden 
Schlaf; nicht mehr rauschen- die wilden Ströme; es 
schwand die Wildheit des Meeres; und die Wellen 
ruhen, an die Lande sich lehnend': 

. . Tacet omne pecus volucresque feraeque 
Et Simulant fessos curvata cacumina somnos, 
Nee trucibus fluviis idem sotius, occidit horror 
Aequoris et terris maria acclinata quiescunt. 
Wir sehen: Statius versteht mit kräftigen Strichen zu 
schildern ; seine Liebe zum bescheidenen Landleben, die 



Digitized by 



Google 



157 

Bewunderung der freien wie auch der durch die Kunst 
gemeisterten Natur, ein fein beobachtendes Auge für 
Spiegelung oder im Laube spielende Lichter oder 
die Schatten, welche auf Meer und Feld dem darüber 
hinziehenden Kranichschwarm nachhuschen: alles das 
zeugt von einer gesteigerten Innerlichkeit des Empfin* 
dens. Seine Skizzen gewähren uns einen Einblick in die 
Gefühlsweise der damaligen gebildeten Welt und ent-» 
rollen uns durch die Villenbeschreibungen ein interessantes 
Kulturbild. — 

Wie die bewusste, empfindsame Liebe zur Natur in 
das Allgemeinleben der römischen Nation aufgegangen ist 
und sich mit der Anschauungsweise der Zeit völlig ver- 
woben hat, das zeigen sogar die Epigramme des M a r - 
t i a 1 , trotzdem er — dem Charakter nach noch serviler 
als Statius — sich vor allem den Schmutz der socialen 
Zustände zum Gegenstande gewählt^ hat. Ein eifriger 
Schüler des Ovid, hat er diesem manches Bild, manchen 
Vergleich aus dem Naturleben abgelauscht, z. B. II, 46 : 
'Wie mit wechselndem Bunt sich der blühende Hybla 
bemalet. Wenn die Bienen des Bergs plündern den 
flüchtigen Lenz'; oft häuft er sie wie III, 65: Wie, 
wenn ein Mägdlein zart in den Apfel beisset, es duftet . ., 
Wie das Gras . ., die Scholle, vom Sommerregen be- 
sprenget . .: Also duftet dein Kuss, Diadumenus,' vgl. 
XI, 8; oder IV, 13: . . 'Schöner vereinen sich nicht mit 
den schlanken Reben die Ulmen, Mehr nicht lieben die 
Flut Lotos, und Myrten den Strand' (Nee melius tene- 
ris iunguntur vitibus ulmi Nee plus lotos aquas, litora 
myrtus amat) u. s. f. Manches Loblied singt der Dichter 
der schönen Natur, dem reizvollen Strand, dem locken- 
den Fluss, den Rebenhügeln, den lauschigen Thälem 
und den bescheidenen, aber behaglichen Landsitzen. — 
Altinum's Gestade, an Reiz gleich Bajischen Villen, 
und der über den Tod Phaethons trauernde Wald 
sollen die Ruhe und Zuflucht seines Alters- werden (IV, 25). 
Ihn fesselt 'die verlockende Flut des muntren Lucrinus 
und Grotten, worin warm es entquillet dem Tuff (IV, 
57 blanda tenent lascivi stagna Lucrini). Von Tibur 



Digitized by 



Google 



158 

sucht er den Freund Faustinus dorthin zu locken (V, 71)* 
Vo bewässert und kühl sich Trebula's Thäler herab- 
ziehn Und frisch grünet die Flur', nie von Hitze ver- 
sengt, 'und des äolischen Süd immer befreundetes Haus\ 
Der laue Strand von Formiae ist dem aus der Stadt 
fliehenden Apollinaris lieber als Tibur, Antium oder 
Praeneste, als der Liris und die Lucriner Bäder: 'Hier 
zügelt sanfter Wind der Thetis Aufwogen, doch stockt 
die See nicht, sondern stilles Meerregen Trägt hin den 
bunten Nachen mit der Luft Hilfe, Wie wenn ein Mäd- 
chen, das des Sommers Glut abwehrt, Sich mit dem 
Purpur frische Kühlung zufächelt' X, 30, 11: 
Hie summa leni stringitur Thetis vento; 
Nee languet aequor, viva sed quies ponti 
Pictam phaselon adiuvante fert aura, 
Sicut puellae non amantis aestatem 
Mota salubre purpura venit frigus. 
Berülmit ist das Landschaftsbild vom Vesuv IV, 44 : 
Eben noch grünten die Höhn des Vesuvs von dem 

Laube der Reben, 
Und in die Kufen ergoss voll sich der herrliche Saft. 
Lieber als Nysa's Hügel besucht ihn der segnende 

Weingott ; 
Satyrn schwingen sich da fröhlich im tanzenden 

Chor; 
Hier weilt Venus so gern, Lacedämons Fluren ver- 
schmähend ; 
Auch durch Herkules' Fuss waren die Höhen ge- 
weiht — 
Jetzt ist alles verkohlt, schwarz starret die Erde 

von Asche; 
Selbst die Unsterblichen sehn trauernd ihr grausi- 
ges Werk. — 
Die Götter bilden hier die Staffage, den Stimmungs- 
hintergrund, oder, so zu sagen, den Chor der Land- 
schaft ; fein ist der Kontrast der Anfangs- und Schluss- 
verse : 

Hie est pampineis viridis modo Vesvius umbris, 
Presserat hie madidos nobilis uva lacus — 



Digitized by 



Google 



159 

Cuncta iacent flammis et tristi mersa favilla: 
Nee superi vellent hoc licuisse sibi. 
Wie Horaz, preist Martial — man weiss nur nicht, ob 
in wahrem Ernst — ein schlichtes Bauerngut (III, 58), 
das 'nicht regelmässige Myrtenhaine, nutzlose, ledige 
Platanen und geschorene Buxhecken auf unergiebigen 
Flächen weiter Fluren' birgt, sondern der Besitzer 'freut 
sich wahren bäuerlichen Fruchtfeldes', sowie (VI, 43) 
die Müsse seines eigenen Nomentanischen Gütchens 
und Hüttchens, *das nicht die Gefilde drückt': 'Das ist 
Bajische Sonne für mich und der Lucrinus, Das, mein 
Castricus, sind eure Schätze für mich' (Me Nomentani 
confirmant otia ruris Et casa iugeribus non onerosa 
suis; Hoc mihi Baiani soles mollisque Lucrinus, Hoc 
mihi sunt vestrae, Castrice, divitiae); vgl. X, 96, und 
besonders XII, 3 1 heisst es : 'Dieser Hain und der Quell 
und der dicht verflochtenen Reben Schatten, der tränken- 
den Flut künstlich geleiteter Strom, Auen und Rosen so 
schön, wie im zweimal tragenden Pästum' 

Hoc nemus, hi fontes, haec textilis umbra supini 
Palmitis, hoc riguae ductile flumen aquae, 

Prataque nee bifero cessura rosaria Paesto, 
— ernüchternd fügt der ökonomische Römer hinzu : 'Kohl, 
der im Janusmond, sicher vor Frösten, mir grünt. Und 
der häusliche Aal' u. s. f. : alles das ist seiner Herrin 
Geschenk, und er möchte nicht mit Alkinoos tauschen! 
Anmutig schildert er auch (IV, 64) seines Julius Martialis 
Gütchen, 'dem die Gärten der Hesperiden weichen, an 
des Janusberges Rücken gelehnt' ; von den Giebeln der 
zu den klaren Sternen sich schön und freundlich er- 
hebenden Villa schweift der Blick über die Siebenhügel- 
stadt und die Tuskuler und Albaner Hügel, auf Fidenae 
und die von Wagen und Menschen wimmelnden 
Strassen! — Gegen den sinnlosen Villenluxus mit Bä- 
dern, Säulen und Prunkgemächern u. s. f., der eine 
Behaglichkeit nicht aufkommen lässt, wendet er sich 
XII, 50. Interessant ist es, wie man sich auf den 
Villen die Zeit durch allerhand Sport zu vertreiben 
suchte; so huldigte man nach X, 30, 17 dem Angeln, 



Digitized by 



Google 



160 

indem man aus dem Zimmer vom Ruhebette aus die 
Schnur auswarf, bis man den Fisch den Faden herab- 
ziehen sah (Sed « cubiclo lectuloque iactatam Spectatus 
alte lineam trahit piscis). Die leidenschaftliche Vorliebe 
zur Jagd, die den Spaniern besonders eigentümlich 
war ^'^), tritt uns auch bei Martial in manchem hübschen 
Jagdbild entgegen; vgl. I, 22, 48, 51, 60; IV, 35. So 
beneidet er den Licinian, der zum hohen BilbUis, zum 
schneebedeckten Gajus, zum süssen Hain Boterdun's 
wandern will (I, 49): 'Am goldnen Tagus wird der Bäume 
Schatten dich Beschirmen vor der Sonne Glut (Aestus 
serenos aureo franges Tago Obscurus umbris arborum) ; 
Der frische Bach Dercenna stillt den heissen Durst — 
Doch wenn im grauen Winter und Decembermond 
Ohnmächtig heult der heis're Nord, dann kehrst du 
heim zum sonn'gen Strande Tarraco's — Dort fängst 
du Rehe, welche weiches Garn verstrickt, Und einge- 
borne Keiler ab Und holst auf mut'gem Ross den 
schlauen Hasen ein. Die Hirsche sind des Meiers 
Jagd'. — 

Die tändelnde Liebespoesie im Genre der griechischen 
Anthologie ist nur selten so zart und fein wie diese; 
wenigstens übertrifft Martial auch die lascivesten jener 
Sammlung. Höchpoetisch ist der Vergleich von dem 
durchsichtigen Stein, der die Traube bedeckt, aber doch 
nicht verbirgt VIII, 68: 'Durch ein Seidengewand 
scheint so der weibliche Körper, Jeglichen Stein lässt 
so zählen der blinkende Bach' (Calculus in nitida sie 
numeratur aqua).' Die niedlichen hellenistischen 'Wäch- 
terlieder' werden bei Martial zum kriechenden Schmeichel- 
lied VIII, 2 1 : 'Phosphorus, bringe den Tag : was ver- 
zögerst du unsere Freude? Wir erwarten den Herrn, 
Phosphorus, bringe den Tag' u. s. f.. Wenig sagen die 
Begleitschreiben von Kränzen und Blumen, die er dem 
geliebten Knaben sendet und die er glücklich preist, 
weil sie das Haupt desselben umwinden (VII, 89 : *^Geh, 
du glückliche Rose' u. s. f. ; vgl. IX, 60) und die Früh- 
Kngsschilderung X, 51. Nicht poesielos ist das Lob 
des Namens Eiarinos, der, 'ein Bruder der Rosen und 



Digitized by 



Google 



161 

Violen, Den lieblichsten Teil des Jahres benennet, Der 
nach attischen Blumen und dem Hybla Und dem Neste 
des stolzen Vogels (Phönix) duftet . .,* süsser als Nektar* 
u. s. f. (IX, 1 1). Echt idyllisch-erotisch ist die Aufforderung 
IX. 90: 'Auf den blumigen Rasen hinge&trecket. Wo 
geschlängelte Bäche hier und dort sich Funkelnd über 
die glatten Kiesel stürzen (Sic in gramine floreo reclinis, 
Qua gemmantibus hinc et inde rivis Curva calculus 
excitatur unda), Mögest du, allen Beschwerden weit 
entrücket, Eis im dunklen Römer schmelzen, mit Rosen 
dich kränzen . ., Mög' ein Knabe von dir allein um- 
armt sein, Und das keuscheste Mädchen dein be- 
gehren' u. s. f. 

Wenn sich auch Martial und Statins und Flaccus in 
vielem an die augusteischen Dichter anschliessen , so 
sind sie doch unverkennbar in der Färbung des ein/einen 
um eine nicht unbedeutende Nuance modemer als jene. 
Sind sie auch weit geringere Künstler: mit den ge- 
steigerten Kultur Verhältnissen, mit dem grösseren Raffine- 
ment des Empfindens und des Geniessens ist auch die 
Sentimentalität gestiegen; das in sich selbst sich 
immer mehr vertiefende Innenleben verrät sich oft 
nicht blos in einer Zeile, in einem flüchtigen Gedanken, 
sondern auch in den ausgedehnteren, nicht selten 
auf guter, sinniger Beobachtung beruhenden Schilde- 
rungen. — 

Aber auch die Prosa dieser Zeit trägt denselben 
Stempel der Kulturentv^icklung. Spann der Philosoph 
Seneca die Fäden der Beobachtungsweise Cicero's 
weiter nach dem Modernen hin, so erblüht jetzt in der 
That eine poesiedurchwehte, mit dichterischer Anschauung 
schildernde Prosa. 

Der grosse Geschichtsschreiber Tacitus ist zu 
gross als Charakterzeichner und Moralist, als dass er 
für die Schilderung der Natur Raum behalte, selbst dsi, 
wo man es erwarten könnte, wie ann. IV, 67, als der 
greise Tiberius sich auf das lachende Eiland Capri 
zurückzieht, *das schöne Theater seiner Lüste^ ; — aber 
mit keiner Silbe erwähnt Tacitus den Kontrast ^entre ce 

Biese, die fintwicklunt; des Katurgefühls bei den Kömcrii. 11 



Digitized by 



Google 



paradis de la nature et cet enfer humain' *^). Aber 
über der Darstellung der Germania liegt es wie ein 
Hauch idyllisch-sentimentaler Betrachtungsweise, die — 
allerdings auf d9s Menschliche sich beschränkend — 
die schlichte, kulturlose Natürlichkeit der Germanen den 
Zeitgenossen als Gegenbild vorhält, wie die Elegiker 
die Glückseligkeit eines goldenen Zeitalters oder des 
Elysiums und Horaz die Scythen und Geten gegenüber 
der Verderbnis Roms in ein ideales Licht rückte., — 

Ein lebhaftes Interesse für die Natur bekundet uns 
Quintilian, der Hauptvertreter der römischen 'Re- 
naissance'**^), in den zahlreichen Vergleichen ••) aus 
Natur und Landwirtschaft, doch vor allem der schwär- 
merische, ja etwas weichlich veranlagte und in seiner 
ganzen Denkart recht moderne Plinius der Jüngere. 
Die Gestalt des Plinius hebt sich lichtvoll und erfreu- 
lich von dem düsteren Untergrunde einer traurigen 
Zeit ab. Von Charakter rein und harmlos, zeigt er ein 
feinfühliges Verständnis für die Reize der Natur; ja, 
er bekennt es selbst direkt, dass er an nichts so grosses 
Vergnügen finde, wie an den Werken der Natur (nam 
te quoque, ut me, nihil aeque ac naturae opera delec- 
tant VIII, 20 fin.). Gemäss seiner zarten Gemütsart 
hat er ein besonderes Tendre für die Einsamkeit; er 
liebt die Zurückgezogenheit, das ungestörte Zusammen- 
sein mit der Natur und mit seinen Studien. Er fordert 
seinen Freund Caninius auf, sich der tiefen und ruhigen 
Abgeschiedenheit der Wisseni^haft zu widmen und zu 
schaffen, was ewig sein Eigentum bleibe (I, 3, 3); oder 
er fragt ihn II, Si 'Studierst du? Fischest du? Oder 
jagest du? Oder thust du alles zusammen? Denn alles 
das kann man an unserm Larischen See. Der See giebt 
die Fische, die ihn bekränzenden Wälder das Wild und 
die tiefe Einsamkeit die Studien (. . lacus piscem, feras 
silvae, quibus lacus cingitur, studia altissimus iste 
secessus adfatim suggerunt). So bekennt er dem Taci- 
tus I, 6: ^Ringsum der Wald, die Einsamkeit und die 
Stille der Jagd selbst — als sonderbarer Nimrod nem- 
lich zieht er mit der Schreibtafel auf die Jagd und 



Digitized by CjOOQIC 



168 

fängt, während eir seine Gedank^i fixiert, in Netzen 
drei Schweine! — , alles das reizt mächtig zum Nach- 
denken', vgl. Tac. diaL de orat. c. 9 und 12. Mit 
wärmster Begeisterung meldet er dem Minucius Fun- 
danus von der Stille seines Landsitzes I, 9, 6 : 'O reines 
und naturgemässes Leben ! O süsse und reizende Müsse, 
fast schöner als jedes Geschäft! O Meer! O Gestade! 
Du wahrhafter und heimlicher Musensitz! Wie viel 
dichtet und schafft ihr mir! (O mare! O litus, verum 
secretumque fiovaelov, quam multa invenitis, quam multa 
dictatis!) Verlass auch du jenes Getöse, jenes nutzlose 
Hinundherrennen, jene abgeschmackte Geschäftigkeit 
und ergfieb dich der Wissenschaft und der Muse!' — 
Sein träumerischer Sinn schwelgt in dem Gefühle der 
einsamen Stille ; auf seiner Villa flieht er bald in ein 
lauschiges Gemach, wo er nur die weichen Wogen mit 
leisem Rauschen am Gemäuer branden hört (II, 17, 5), 
bald in ein anderes, wo es ganz lautlos und heimlich 
ist und er weder der Sklaven Lärmen noch das Meer 
noch den Wind hört, hoch das Leuchten der Blitze 
sieht {II, 17, 22), Ein Schlafzimmer ist von dem Schatten 
einer Platane ganz grün, kein Getöse dringt hinein ; die 
Wände schmücken Malereien, Bäume und auf den 
Zweigen sich wiegende Vögel darstellend (V, 6, 22), 
Wie ein modernster, sentimentaler Träumer' beginnt 
er den Tag auf seinem Villenidyll, wie er dem Fuscus 
schreibt (IX, 36); wenn er früh um sechs erwacht» 
bleiben die Fensterläden noch geschlossen, denn 'aus- 
nehmend wird der Geist durch die Stille und die Finster- 
nis genährt' u. s. f. Mit einem so empfindsamen Ge- 
fühl für Ruhe und Einsamkeit paart sich seine Neigung, 
zu jagen, zu fischen (IX, 7, 4) und zu rudern (VIII, 8, 3). 
An allem und jedem, was den Reiz des Landaufent- 
haltes erhöht, hat er Interesse. 'Was macht Comum, 
dein jmd mein Entzücken?^ schreibt er an'Caninius I, 
3, 'was das reizende Landhaus bei der Stadt? was 
jener Säulengang mit seinem ewigen Frühling? der 
schattige Platanenhain? der grüne und spiegelhelle 
Kanal? der See? der Spaziergang?' So mahnt er den 

II* 



Digitized by 



Google 



164 

Arrianus II, i : ^Schreibe mir vom Lande, was deine 
Bäumchen, deine Weinberge, deine Saaten, deine 
zarten Schäfchen machen!' Doch vor allem mit wie 
liebevoller Hinneigfung schildert er selbst! Cicero und 
Seneca verschmähten es, länger bei dem Landschaft- 
lichen zu verweilen. Plinius widmet demselben ganze, 
lange Briefe. Und diese sind nicht farblose, tote Ab- 
zeichnungen der Natur oder nüchterne Berichte, son- 
dern von der innigen Sympathie für die Natur und von 
jenem träumerischen Sinne für Stille und Einsamkeit 
durchweht*'). So entwirft er uns in erster Linie an- 
schauliche Bilder von seinen Villen. Dichter und Pro- 
saiker seit Cicero teilen die Liebe zum Landleben, zu 
den idyllischen und luxuriösen Landsitzen. Dieselben waren 
eben das notwendige Supplement des städtischen Lebens 
geworden ; auf ihnfen suchte nian Genesung von all den 
Nerven und Geist überreizenden und zerreibenden An- 
forderungen und Abspannungen einer raffinierten Kul- 
tur; dort träumte man weltverloren am wellenrauschen- 
den Meer oder im Schatten der Parkanlagen am 
sprudelnden Quell oder im blumendurchdufteten, auf 
Wald und See die prächtigsten Femblicke bietenden 
Gemache. Ein trefflicher Führer durch solche maleri- 
schen Landsitze ist Plinius. Mit liebevollster Anschau- 
lichkeit schildert er dem Freunde Gallus sein Lauren- 
tinum II, 17 : 'Du wunderst dich, dass ich eine so grosse 
Freude an meinem Laurentinum habe. Du wirst dich 
nicht mehr wundern, wenn du dieses Landhaus, die 
vortreffliche Lage des Ortes, die Ausdehnung des Ufers 
kennst'. Es liegt nahe der Stadt und an zw^ Strassen* 
Selbst der Weg zur Villa ist reich an landschaftlichen 
Reizen: *bald engt er sich durch Waldungen ein, bald 
dehnt er sich offen durch weite Wiesengründe aus*. 
Für jede Jahreszeit bietet sie passende, geräumige 
Zimmer, ohne besonderen Luxus, doch freundlich; der 
^Speisesaal ist ans Meer gebaut; mittels Flügelthüren 
und ebenso grosser Fenster hat man nach vorn und 
den beiden Seiten gleichsam die Aussicht auf drei 
Meere, im Rücken liegt der Wald und die fernen Berge 



Digitized by 



Google 



165 

(§ 5); in einem anderen spiegelt sich der Glanz der 
Sonne und des Meeres (§ lo plurimo sole, plurimo mari 
lucet). Selbst die im Baderaum Schwimmenden haben 
den Blick aufs Meer (12), und von den Turmzimmern 
schweift das Auge über das weite Meer, das lang sich 
hinstreckende Gestade und die anmutigsten Landhäuser 
(latissimum mare, longissimum litus, villas amoenissimas 
prospicit). Von einem zweiten Turm kann man die 
Sonne auf- und niedergehen sehen. Eine Avenue 
(gestatio) zieht sich um den Garten herum, mit Buchs 
oder Rosmarin eingefasst, und eine junge, schattige 
Rebenpflanzung. Der Garten ®®) ist mit Maulbeer- und 
Feigenbäumen bepflanzt; auch hier ist wieder ein Saal 
mit geschlossener Halle, windstill und heiter, mit einer 
Veilchenterrasse (xystus), an die sich wieder Gebäude 
mit lauschigen Gemächern anschliessen. . 'Du bist ein 
ausgemachter Städter', endet Plinius seinen Brief, ^wenn 
du mein Landhäuschen mit allen seinen Herrlichkeiten 
nicht aufsuchst'. — Im Thale des Tiber, am Abhänge 
des Apennin lag in nicht minder reizvoller Umgebung 
die tuscische Villa. * Stelle dir', schreibt er dem Apol- 
linaris (V, 6, 7), 'ein ungeheures Amphitheater vor, 
wie nur die Natur es schaffen kann' (Regionis forma 
pulcherrima. Imaginäre amphitheatrum aliquod inmen- 
sum et quäle sola rerum natura possit effingere): 'eine 
weite ausgedehnte Gegend wird von Bergen umschlossen ; 
die Berge tragen auf ihrem höchsten Rücken alte und 
hohe Wälder. Reich und mannigfaltig ist daselbst die Jagd. 
An dem Gebirge herunter ziehen sich Schlaghölzer, zwi- 
schen ihnen erheben sich Hügel mit urbarem und fettem 
Boden — nicht leicht stösst man auf Felsen, auch wenn 
man sie sucht — , die auch dem ebensten Felde an Frucht- 
barkeit nichts nachgeben. Unter ihnen dehnen sich Wein- 
berge aus, die weit und breit ein harmonisches Bild 
gewähren und unten mit einer Einfassung von Gebüschen 
versehen sind. Dann kommen Wiesen und Felder . ., 
die Wiesen prangen von Blumen und sind wie mit 
Edelsteinen bess^et und bringen den Klee und andere 
Graspflanzen stets zart und saftig hervor; der Tiber 



Digitized by 



Google 



166 

fliesst mitten durch die Fluren^ . . Ein malerischer, 
romantischer Natursinn, der sich auf das landschaftliche 
Ganze richtet, bricht deutlich in den folgenden Worten 
hindurch: 'Diese Landschaft vom Gebirge herab zu 
sehen, würde dir grossen Genuss gewähren. Du würdest 
keine wirkliche, sondern eine idealisch schön gemalte 
Gegend zu sehen glauben : so sehr wird das Auge, wo- 
hin es sich wendet, durch Abwechslung und Gruppie- 
rung ergötzt': Magnam capies voluptatem, si hunc re- 
gionis situm ex monte prospexeris; neque enim terras 
tibi sed formam aliquam ad eximiam pulchritudinem 
pictam videberis cernere: ea varietate, ea descriptione, 
quocumque inciderint oculi, reficientur. 'Mein Land- 
haus liegt am Fusse eines Hügels, und doch hat es die 
Aussicht wie von der Höhe: so sanft und allmählich, 
fast unmerklich erhebt sich der Hügel, worauf es steht ; 
hinter demselben aber, in ziemlicher Ferne liegt der 
Apennin ; von ihm weht bei heiterem und stillem Wetter 
ein frischer Wind, doch nicht scharf und schneidend, 
sondern durch die Entfernung gebrochen und gemildert'. 
Aber auch die Geschmacksverirrung modernen Natur- 
sinnes, die Vergewaltigung der Natur durch die Pflanzen 
und Bäume zu Figuren zurecht stutzende Scheere, 
finden wir bereits in der tuscischen Parkanlage, wenn 
sie auch noch nicht in so abstrusem Masse hervortritt 
wie im folgenden Jahrhundert und in der Epoche des 
französischen Rococo ••). Man glaubt nach Versailles 
zur Zeit Le Notre's versetzt zu sein ''®) , wenn Plinius 
(§ i6) uns von einer Terrasse meldet, deren Bäume in 
verschiedene Gestalten geschnitten waren: 'Unter der- 
selben ist ein abhängiges Rasenstück, an dessen Fusse auf 
beiden Seiten des Wegs verschiedene Tiergestalten in 
Buchs einander gegenüberstehen . . . Ringsum zieht 
sich ein Heckengang mit dichtem und mannigfach ge- 
schnittenem Gebüsch ; um denselben eine Allee in Form 
eines Circus mit verschieden gestaltetem Buchs und 
niederen, zurückgeschnittenen Bäumchen. Das Ganze 
ist mit einer Mauer umgeben, welche treppenweise ge- 
zogener Buchs versteckt und dem Auge entzieht. Dann 



Digitized by 



Google 



167 

kommt ein Wiesenplatz, durch die Natur ebenso schon als 
die eben beschriebene Anlage durch die Kunst, endlich 
Felder, Wiesen und Gehölze\ Von den stattlichen Gebäu- 
den hat man die Aussicht auf die Terrasse, die Waldpartie 
wie die Baumwipfel des Hippodroms. Dieser enthält 
eine breite Reitallee mit einer prächtigen Platanen- 
colonnade und mannigfachen Wegen. An den Stämmen 
der Platanen klettert üppiger Epheu empor und rankt 
sich guirlandenartig von Baum zu Baum ; die Zwischen- 
räume derselben sind mit einer Hecke von Buchs be- 
pflanzt; an der äusseren Peripherie läuft als Grenz- 
pflanzung ein schattiges Lorbeergebüsch. Dort, wo 
sich der Hippodrom halbzirkelförmig wendet, stehen 
Cypressen, die mit ihrem schwarzen, dunklen Schatten 
zu der leuchtenden Rosenpflanzung im Innern des Halb- 
kreises einen wirkungsvollen Kontrast bilden. Auch hier 
wieder trägt der Buchs tausend Formen (§ 35), Namens- 
züge u. s. f. Auch sonst bietet der Park kühle, 
schattige Plätze, Bänke von Marmor, von Wein um- 
rankt, daneben rauschen Springbrunnen und BächeT — 
Wer möchte es dem Plinius bei einem so reizvollen Be- 
sitz nicht nachempfinden, wenn er mit den Worten 
schliesst: 'Hier fühle ich mich an Leib und Seele am 
wohlsten\ — Mag der römische Garten, wie er sich 
von der Zeit des Lucullus bis auf Plinius entfaltet 
hat''), auch wesentlich im architektonischen Prinzip 
befangen geblieben sein, so dass er nur geringe 
Spuren von dem landschaftlichen Prinzip der englischen 
Anlage zeigt, welche, der Mauer entbehrend, ins freie 
Feld ausmündet '-), mag er auch nur die gewöhnlich- 
sten Bäume, Pflanzen und Blumen enthalten haben '^) : 
auch er ist, wie die mit Rücksicht auf die Femblicke 
gebaute Villa 'ein wertvolles Zeugfnis für ein bereits 
intensiv entwickeltes Naturgefühl' (Woksch). — 

Eine gleiche Anschaulichkeit wie die Villenschilde- 
rungen zeichnet auch andere Briefe des Plinius aus, 
welche von Naturphänomenen berichten. Am bekannte- 
sten ist die naturwahre Beschreibung des Vesuvaus- 
bruches, bei welchem sein Oheim den Wissensdurst mit 



Digitized by 



Google 



168 

dem Leben bezahlte: VI, i6; er verglicht die aus dem 
Berge aufsteigende Wolke mit einer Pinie, 'die in 
einem sehr langen Stanmie in die Höhe zu steigen und 
sich in einige Zweige auszudehnen schien . ., inzwischen 
leuchteten aus dem Vesuv an mehreren Stellen breite 
Flammen und hohe Feuersäulen hervor, deren Glanz, 
und Helle durch die Finsternis erhöht wurde'. 'Es war', 
fährt er ep. 20, 9 fort, 'als ob das Meer sich selbst 
verschlinge . und durch die Erderschütterung gleichsam 
auf sich zurückgeworfen werde (mare in se resorberi 
et tremore terrae quasi repelli videlaamus) ; eine schreck- 
liche Wolke zerplatzte, schleuderte schlangenförmige 
Feuermassen umher und entlud sich in länglichen 
Flammenbündeln, die wie Blitze aussahen, aber grösser 
waren' . . 

Sehr zierlich spricht sich der Sinn des Plinius für 
die stillen Reize der Natur in der Schilderung der wun- 
derbaren Quelle aus, die in den Larischen See mündet 
und deren Wasser in regelmässigem Wechsel steigt 
und fällt (IV, 30), sowie des Sees Vadimo (VIII, 20) 
mit seinem cirkelrunden, buchtlosen Umriss, seiner zwi- 
schen blau und grün schwankenden Farbe und den mit 
der jeweiligen Strömung dahintreibenden Pflanzeninseln ; 
sowie besonders der Quelle Clitumnus (VIII, 8): 'Am 
Fusse eines massigen, mit einem alten Cypressenhain 
bewachsenen und beschatteten Hügels entspringt sie; 
in mehreren Adern hervorsprudelnd bildet sie, sobald 
sie sich hervorgearbeitet hat, ein Becken, dessen weiter 
Schoss so rein und spiegelklar ist, dass man die hinein- 
geworfenen Münzen und die heraufschimmernden Kiesel 
zählen kann (lato gremio patescit purus et vitreus, ut 
numerare iactas stipes et relucentis calculos possis) . . . 
die Ufer sind mit einer Menge Eschen und Pappeln 
bekleidet, welche man in dem durchsichtigen Strome, 
wie versenkt in seinen grünen Wasserspiegel, nach- 
zählen kann' (§ 4: ripae fraxino multa, multa populo 
vestiuntur, quas perspicuus amnis ut mersas viridi ima- 
gine adnumerat). Tempel liegen umher, Orakel ver- 
künden die Nähe des Gottes; auch Landhäuser baut 



Digitized by 



Google 



169 

man hier, durch die Schönheit des Ortes angezogen. 
*Mit einem Worte, du findest nichts, was dir nicht Ver- 
gnügen macht'. — Wir sehen: auch in der Prosa ist, 
wie in der Poesie, der Sinn für den verborgenen Reiz 
des Landschaftlichen, für den geheimnisvollen Zauber, 
mit dem die Natur in aller Stille Wald und Wasser 
umwebt, in bedeutsamer, modemer Weise aufge- 
gangen. — 



Hadrian ist der Typus des Rococo in der römi- 
schen Kulturgeschichte. Während Quintilian und Plinius 
Einfachheit und Zierlichkeit in Form und Inhalt an- 
strebten, indem ihnen Cicero als unerreichbares Vor- 
bild vorschwebte, verrät sich in der Zeit Hadrian's das 
Greisenalter der Literatur durch die VorMfebe für das 
Entlegene und Seltsame ; Homer ward dem Antimachos, 
Vergil dem Ennius nachgestellt. Ein hochgradiges In- 
teresse für alles Auffallende, Sonderbare, gemischt mit 
eitler Ruhmsucht und sentimentaler Empfindungsweise, 
trieb diesen grillenhaften Dilettanten und archäologischen 
Schwärmer auf dem Throne der Cäsaren von Land zu 
Land, so dass man ihn 'den ersten Romantiker unter 
den Reisenden im Altertum genannt hat'. ^^) Er wollte 
alle Naturgenüsse, gegen die römische Feldherren sonst 
so gleichgültig zu sein pflegten , selbst kosten , alle 
Merkwürdigkeiten der Geschichte mit eigenen Augen 
sehen. Doch ist es schwer zu sagen, ob blos Wissens- 
drang oder die Modesucht, denselben zu heucheln, oder 
aufrichtiger Natursinn ihn trieb, den Ätna zu besteigen 
und von da den Sonnenaufgang zu gemessen oder vom 
Berge Casius an der syrischen Nordküste, wo man nach 
der Angabe des Plinius (V, 22) die Sonne drei Stunden 
vor ihrem Aufgange im Thal sollte sehen können. 
Rastlos pilgerte er in seinem weiten Reiche umher, 
bald nach der Oase der syrischen Wüste, bald nach 
dem salomonischen Palmyra, bald nach der berühmten 



Digitized by 



Google 



170 

Memnonsäule, nach Trapezunt, wo einst die Zehntausend 
Thalatta jauchzten u. s. f. — Tiberius fand sein Capri, 
der weltmüde Hadrian sein Tivoli, dieses non plus ultra 
einer Villenanlage, die nicht blos Parks, Tiergärten^ 
Seen, ein Tempethal en miniature, sondern auch mit 
den herrlichsten Skulpturen ein Prytaneum, Lyceum, eine 
Akademie u. s. f. enthielt. Das todesmatte, überreizte, 
überlebte Altertum hat in Hadrian PersönKchl^it ge- 
wonnen; und als Sinnbild der Zeit kann der Kopf des 
Antinoos dienen, mit der antiken Grazie und der töd- 
lichen Schwermut in den schönen Zügen. — 

Die 'barockeste, mit wunderlichen Arabesken ver- 
quickte Spezies des Rococo' Hadrianischer Zeit stellt 
sich in dem Afrikaner Apulejus dar. Die Romantik 
phantastischer Wundersucht liegt über seinem Roman 
Vom goldenen Esel'. Mit idyllischen Effekten stattet 
er seine Gartenschilderungen (IV, 2 und V, i) aus; 
doch romantisch ist besonders, wie der magische Zauber 
des Mondlichts in die Stimmung des Helden hineinspielt 
(XI, Anf.), der erwachend den Vollmond aus den 
Meeresfluten heraufsteigen sieht und von dem Schauer 
der Einsamkeit der stillen Nacht ergriffen (nanctus 
opacae noctis silentiosa secreta) die Himmelskönigin als 
den Urquell alles Seins mit pomphaften Phrasen preist, 
durch welche allerdings der Schalk Humor hindurch- 
guckt '*). In voller Herrlichkeit göttlicher Hoheit er- 
scheint die Angerufene mit tröstenden Worten. Diese 
machen einen so erhebenden Eindruck auf ihn, dass er 
wie neugeboren am Morgen vom Lager ersteht (c. 7); 
die Natur strahlt ihm seine gehobene Stimmung wieder: 
die schwarzen Schatten der Nacht verscheucht die 
golden heraufsteigende Sonne, Volksschwärme füllen 
die Strassen; alles scheint in ausgelassener Heiterkeit 
zu frohlocken, 'ja selbst das Vieh jeder Art und die 
Häuser und der Tag selbst mit heiterem Antlitz sich 
zu freuen' (ut pecua etiam cuiusque modi et totas domos 
et ipsum diem serena facie gaudere sentirem) ; den Reif 
hat der lichte Tag vertrieben, 'so dass auch die sang- 
reichen Vögelchen, von der Frühlingswärme hervorge- 



Digitized by 



Google 



171 

lockt, ihr liebliches Konzert anstimmen und mit schmei^- 
chelndem Grusse die Mutter der Gestirne ergötzen\- ut 
c^norae etiam aviculae prolectatae verno vapore con- 
centus suaves adsonarent matrem siderum blando mul* 
centes adfamine; 'auch die Bäume säuseln, in sanftem 
Regen der Arme lieblich rauschend ; der Sturm hat sich 
gelegt, das Meer besänftigt die Wellen zur Ruhe . ., der 
Himmel aber strahlet in dem reinen, hellen Glänze 
des eigenen Lichtes^: arboris . . clementi motu brachio- 
rum dulces strepitus obsibilabant magnoque procellarum 
sedato fragore ac turbido fluctuum tumore posito mare 
quietas adluvies temperabat, caelum autem nubilosa ca« 
ligine disiecta nudo sudoque luminis proprii splendore 
candebat. 

Wer möchte in dieser Schilderung die völlig moderne 
Empfindungsart einer sentimental-sympathetischen Na«- 
turanschauung verkennen? Welt und Gemüt, Natur- 
und Seelenstimmung klingen harmonisch zusammen. Und 
fragen wir, was den Untergrund eines solchen Aussen- 
und Innenwelt verwebenden Naturgefühls bildet, so ist 
es auch bei Apulejus wieder der stoische Pantheismus^ 
wie er in seiner Schrift de mundo sich manifestiert. — 

Namhafte Poeten hat die Zeit nicht aufzuweisen; 
ein Ann i an US besang die Freuden des Landlebens (Fa- 
lisca); das bedeutsamste noch ist das PervigiliumVene- 
ris, (ed. Bücheier Lips. 1859), eine rhetorisch affektierte 
Lenz- und Liebesfeier. Anmutig ist der Anfang: *Der 
Frühling kam wieder, der klangreiche Frühling : im Früh- 
ling ist Jupiter geboren : im Frühling knüpfen sich Liebes- 
bande; im Frühling vermählen sich die Vögel und löst 
der Hain sein Laubhaar unter dem fruchtbaren Regen' : 
Ver novum: ver iam canorum: vere natus est Jovis: 
Vere concordant amores: vere nubunt alites Et nemus 
comam resolvit de maritis imbribus. In etwas gezierter 
Weise wird die Vermählung des Äthers und der Erde 
im knospenden Lenz mit der Geburt der Dione ver- 
bunden, die in der ganzen, weiten Natur das treibende 
Leben weckt (16 ff.) — wie Venus bei Lucrez — ; 'die 
Lande befruchtet die Lust (rura fecundat voluptas), dia 



Digitized by 



Google 



172 

Lande spüren die Venus; sie malt purpurn das Jahr 
mit blühenden Knospen (v. 33) . ., die lichten Tau- 
tropfen schimmern als zitternde Thränen (En micant 
lacrimae trementes v. 38) . . . die Göttliche gebietet 
den gesangreichen Vögeln 'nicht zu schweigen' ; die ge- 
schwätzigen Schwäne durchlärmen die Fluten mit heiserer 
Stimme; dazu klagt die Tochter des Tereus unter dem 
Schatten der Pappel. — Melancholisch schliesst der Dichter: 
*Jene singt, wir schweigen; wann konunt mein Frühling? 
Wann werde ich wie die Nachtigall werden und aufhören 
zu schweigen?': lUa cantat, nos tacemus. quando ver venit 
meum? Quanto fiam uti chelidon et tacere desinam? . . 
Cras amet qui nunquam amavit, quique amavit, cras amet. — 
Die lyrisch-epigrammatische Poesie dieser 
späten Jahrhunderte (poet, lat. m. IV ed. Bährens) entbehrt 
durchaus nicht des dichterischen Schwunges ; die Motive 
früherer Zeiten kehren in gesteigerter Sentimentalität 
wieder, indem Verwandtes miteinander verflochten 
wird. Auch hier, wie in der griechischen Anthologie, 
rinnen idyllische und erotische Empfindsamkeit zu- 
sammen. Gar manche dieser kleinen Dichtungen bietet 
uns ein landschaftliches Naturbild, bei dem das Mensch- 
liche in den Hintergrund tritt; andere verschmelzen 
nicht ohne stimmungsvollen Reiz das Physische und 
das Pathetische, Geistiges und Natürliches. Der Wechsel 
der Jahreszeiten giebt vor allen Dingen die Anregung; 
so der Herbst (no. 75), 'da die Schatten kühler werden 
und die Platane ihr Laub abwirft (comas iactare) und 
der Weinstock seine Trauben spendet* ; 'nach berühmten 
Mustern' könnten wir die dem Ovid nachgebildeten 
lediglich schildernden Tetrasticha über die vier Jahres- 
zeiten benennen (no. 138) — vgl. das 'Lob aller Monate' 
no. 305 — , über die Morgenröte und die Sonne (139). Ich 
hebe die Zeilen des Hilasius heraus: 'Gelblich erglänzt 
Aurora im Schmucke der rosigen Haare, Wenn in der 
Frühe der Tau labend die Erde benetzt: Dann aus 
Thetis' beweglicher Flut erhebet sich Titan, der mit 
dem flanunenden Strahl seines Gesichtes mich traf: 
Lutea fulgebat roseis aurora capillis Et matutino rore 



Digitized by 



Google 



173 

madebat humus. Tethyos undivago tum prosilit aequore 
Titan, Flammiferus vultüs ore micante greges. — Euphor- 
bus singt : * Aus dem Ocean taucht goldstrahlend die flam- 
mende Sonne: Vor ihr weichen des Alls flammende 
Sterne zurück ; Nacht und Finsternis räumen dem Grotte 
das Feld, und das holde Licht giebt Farben und Schmelz 
wieder den Dingen zurück/ 

Von Rosen tändeln no. 272 ff., am niedlichsten Florus 
in no. 275, das man 'Bald verwelkt' betiteln kann'®): 
'Dank dem belebenden Hauche des Frühlings kommen 
die Rosen : Ein Tag zeigte zuerst nur knospende Spitz- 
chen; der zweite Liess schon stärker die kleinen Ge- 
häuse sich schwellen ; am dritten Blühten sie schon, und 
am vierten entfalteten voll sich die Blumen; Pflückt 
man sie frühe sich nicht, so müssen sie heut noch ver- 
gehen': Venerunt aliquando rosae per veris amoeni 
Ingenium : una dies ostendit spicula florum, Altera pyra- 
midas nodo maiore tumentes, Tertia iam.calathos; totum 
lux quarta peregit Floris opus, pereunt hodie, nisi mane 
leguntur. — Luxorius reicht den Preis unter den Blumen 
der rosa centumfolia, die der goldene Sol gefärbt habe ; 
oder sie ist selbst ein Sonnenstrahl, oder die Venus er- 
goss sich in sie mit allem ihrem Blut ; sie ist der Stern 
unter den Blumen u. s. f. (no. 520). Von sinnigem 
Naturgefühl zeugen die kleinen Epigramme vom Tau^ 
der kry stallen auf den Gräsern funkelt (411), und die 
Rätsel des Symphosius (440) von Nebel, Eis, Schnee^ 
Blumen und Tieren. Den Regenbogen schildert eine 
ganze Reihe von Tristichen (no. 136); so der Pompi- 
lianus : 'Bricht ein plötzlicher Strahl aus Phöbus' leuchten- 
den Augen Sich im Regengewölk, dann erscheint uns 
Iris am Himmel, Hold im bunten Gewand und mit 
tausendfarbigen Flügeln"*: Luce repentina cum sol im- 
plevit aquosas Ad versus nubes, effulget protinus Iris, 
Picta veste decens et multicoloribus alis. — Sechzig Hexa- 
meter singen das Lob der Sonne (no. 543), die der 
Ursprung alles Lebens, alles Seins ist, was Himmel und 
Erde und Meer bergen; durchbricht sie das Dunkel,, 
leuchten die Wälder, Felder und Blumenauen; 'dann 



Digitized by 



Google 



174 

liegt in friedlicher Ruhe das weite Meer und die Ströme 
mit sich verjüngenden Weilen; durch die zitternden 
Fluten läuft das goldene Licht' (Tunc placidum iacet 
omne maure et vernantibus undis Flumina: per tremulos 
currit lux aurea fluctus). — Man beachte hier die 
Schilderung" des LichtefFektes , der über das Wasser 
hin spielenden Sonnenstrahlen! — Dreissig Anaphern 
mit Sol, der mit Purpurlicht die Lande überströmt, der 
da bunt färbt die im fruchtbaren Rasen grünenden 
Wiesen (Sol cui picta virent fecundo gramine prata) 
u. s. f., schliessen das Gedicht. — In zweiundzwanzig 
versus echoici feiert Pentadius nach Art des Meleager 
die Ankunft des Frühlings (409): 'Ich merk*s, der 
Winter weicht, schon beleben Zephyre den Erdkreis 
und weht der Südwind mit lauen Güssen: ich merk's, 
der Winter flieht' (Sentio, fugit hiems; Zephyris ani- 
mantibus orbem lam tepet Eurus aquis: sentio, fugit 
hiems) ; das Land fühlt die Wärme, mit jungen Keimen 
sprosst das Feld; fröhlich schwillt das Grün, mit Laub 
kleidet sich der Baum im sonnigen Thal; schon seufzt 
melodisch Philomele; rauschend eilt das Wasser vom 
widerhallenden Berge herab ; mit zahllosen Blumen malt 
den Boden der Hauch des Eons ; an dem hohlen Felsen 
hin hallet das Echo vom Gebrüll der Herden ; der Most 
vom Weinstock schwillt an der nachbarlichen Ulme im 
vermählten Laube (fronde maritata vitea musta tument) ; 
die trauten Dächer besudelt die Schwalbe, ihr Nest 
bauend; unter der grünen Platane erfreut der Schlaf 
im Schatten und werden Kränze gewunden (Sub pla- 
tano viridi iucundat somnus in umbra, Sertaque texun- 
tur s. p. V.) Weltschmerzlich klingt dies Frühlingslied 
ab: 'Dann auch ist es süss zu sterben, dann lauft ab 
an der Spindel, ihr Fäden; dann auch ist es süss in 
Umarmung zu sterben^ (Tunc quoque dulce mori, tunc 
fila recurrite fusis, Inter et amplexus t. q. d. m.) Über 
die Nichtigkeit und Hinfälligkeit alles dem Wechsel 
unterworfenen Seins klagt Seneca (no. i): 'Alles ver- 
zehrt und verschlinget die Zeit mit gierigem Rachen, 
Alles erschüttert sie, nichts lässt sie für immer bestehn. 



Digitized by 



Google 



175 

Flüsse versiegen, die Meere versanden und fliehen die 
Küsten, Berge versinken, es wankt krachend der Fels 
und zerbricht ; (Flumina deficiunt, profugtim mare litora 
siccant, Subsidunt montes et iuga celsa ruunt). Doch 
was red' ich von Kleinem? Des Wdtalls herrlicher 
Bau wird Einst in Feuer und Glut stehen und plötzHch 
vergehen. Alles fordert der Tod* . . Ebenso resigniert 
klagt Sulpicius (no. ii8): 'Alles, was Mutter Natur ge- 
schaffen, schwindet, war es auch noch so fest, (Omne 
quod Natura parens creavit, Quamlibet firnium videas, 
labascit :) die Zeit löst alles, dass es zerbrechlich und 
hinfällig wird'. — 

Der idyllische Sinn für die kleinen, schlichten Freu- 
den des Landlebens kommt mitunter ganz ansprechend 
zum Durchbruch; so namentlich beim Petron, der nach 
Art des Corycischen Gärtners bei Vergil den winzigen, 
aber friedlichen Besitz preist (no. 8i), wo die saftreiche 
Traube von der Ulme herabhängt, die Obstbäume 
Kirschen und rosige Äpfel darreichen und der palladische 
(Oliven-) Hain sich hinzieht . .; im Garten erhebt sich 
Corycischer Kohl und Malven und sorglosen Schlummer 
bringender Mohn; bald ergötzt es, den Vögeln 
Netze zu stellen (contexere fraudem) oder Hirsche zu 
umzingeln oder den schüchternen Fisch mit der Angel 
zu locken. 'Solche Listen allein kennt mein geringer 
Landsitz (Hos tantum movere dolos mea sordida rura) ; 
wohlan, verkaufe die Zeiten des fliehenden Lebens für 
reiche Speisen! Ich bitte, dass ich hier den Rest 
meiner Jahre verbringe und dass hier mein Ende mich 
£nde\ Heimkehrend begrüsst er jubelnd Land und 
Meer (no. 84): 'O Gestade, mir lieber als das Leben, 
o Meer ! Glücklich, der zu deinen Landen zurückkehren 
darf! O herrlicher Tag! . . Hier ist der traute Zu- 
fluchtsort für stille Leidenschaften' (O litus vita mihi 
dulcius, o mare! felix, Cui licet ad terras ire subinde 
tuas! O formosa dies! . . Haec statio et tacitis fida 
cupidinibus). Vor dem wilden Meer warnt er (no. 88) 
und rät, am sicheren Gestade zu wandeln, an das 
die Wellen Sarid und Muscheln treiben, und dies 



Digitized by 



Google 



176 

allein für Meer zu halten (in litore tuto Ludat et hoc 
solum iudicet esse mare). Das Vergnügliche des Land- 
aufenthaltes schildert — wie Plinius — Martialis (no. 
128), wie er früh morgens zu den Göttern bete, die 
Felder durchstreife, dann studiere, den Phöbus rufe und 
die Muse locke, dann den Körper öle und in der Pa- 
lästra übe; schliesslich läuft es auf die recht materielle 
Zeile hinaus : Prandeo poto cano ludo lavo ceno quiesco. 
— Ein behagliches Lob singt auch Asmenius seinem 
Gärtchen (no. 151), in dem sich das Angenehme mit 
dem Nützlichen verbindet (Non defit hortis et voluptas 
maxima Multisque mixta commodis iucunditas): mit dem 
rinnenden Bach, den schimmernden Blumen, den sum- 
menden Bienen, den fruchtbaren Reben, den schattigen 
Bäumen, den sangreichen Vögeln; *es ergötzt ein 
Garten und nimmt dem Geist die drückende Sorge, 
giebt Kraft den Gliedern und erteilt dem Besitzer viel- 
fältige Freude' (Tribuit colenti multiforme gaudium); 
vgl. des Luxorius no. 486. — Mit idyllischen Effekten 
sind auch die mythologischen Märchen ausgestattet, wie 
z. B. Narcissus (199), Procne und Philomele (no. 203), 
des Lactantius 'Vogel Phönix' (p. I. III p. 253), ferner 
'die Bitte an die Mutter Erde' (anth. lat. ed. Riese I, 18) 
und 'an alle Kräuter' (ebenda S. 19), sowie der an Äsop 
erinnernde 'Streit des Frühlings und Winters' (anth. lat. 
II, 145) mit seinem etwas trockenen Dialog, aber doch 
warmen Lob der Vorzüge des Lenzes. — 

Das sinnliche Moment einer raffiniert gesteigerten 
Erotik ist einer überreifen Kultur stets eigen, wie 
ausser den bildenden Künsten namentlich die lyrische 
Poesie bekundet. So treibt auch manche kecke Blüte 
lüsterner Frivolität der Spälherbstgarten der Anthologie ; 
in zahlreichen Epigrammen wird die alles übertreffende 
Süssigkeit des Liebesgenusses in nächtlicher Stille ge- 
priesen und zum Geniessen begeistert, so lange, noch 
das Jugendfeuer glüht (vgl. no. 100). Eine recht 
romantische, mit Empfindsamkeit ausgeschmückte Situa- 
tion führt uns Petron no. 107 vor: 'Mich griff eben mit 
schimmerndem Schnee Julia an; ich meinte, der Glut 



Digitized by 



Google 



177 

entbehre der Schnee : doch der Schnee war Glut ! Was 
ist kälter als Schnee? Doch konnte der deinen Händen 
entsandte Schnee, o Julia, meine Brust in Flammen 
setzen. Wo ist noch Sicherheit gegen die Nachstellun- 
gen der Liebe, wenn selbst im ^gefrorenen Nass die 
Glut verborgen ist? Julia, du allein kannst meine Flamme 
loschen: nicht mit Schnee, nicht mit Eis, sondern du 
kannst es nur mit gleicher Glut^: 

Julia, sola potes nostras exstinguere flammas: 
Non nive, non glacie, sed potes igne pari. 
Eine glühende, Liebe sprühende Epistel schreibt ^der 
Liebende der Liebenden^ (no. 396): 'Glänzend glühen 
mit Sternenhaften Flammen deine Augen (Candida side- 
reis ardescunt lumina flammis); dein Hals übertrifft die 
Rosen, und dein Haar das Gold ; der schwellende Mund 
entnimmt dem Purpur die Röte; das wallende Blut 
hebt den milchweissen Busen; in der Schönheit von 
Göttinnen strahlst du, mit deinem himmlischen Körper 
stellst du die Venus in Schatten . . . ; wenn über Lilien 
du die Schritte lenkst, wirst keine Blume du knicken 
mit deinem leichten Gewicht; mit Geschmeide mögen 
sich andere behängen, du kannst auch entkleidet ge- 
fallen"* u. s. f. Schliesslich haucht er sein Minnege- 
ständnis in dem asyndetischen Stoszseufzer aus: Lan- 
gueo deficio marcesco punior uror Aestuo suspiro pereo 
debellor anhelo!"). — Sentimental klagt Florus (415): 
'Einst setzte ich junge Bäumchen und schnitt in die 
Rinde den Namen ^meiner Flamme* (ardoris mei); doch 
ich gewann nicht damit ein Ende oder Ruhe der Lei- 
denschaft: es wächst der Baum; immer stärker wird 
die Glut; Empfindung belebt die Buchstaben* (Crescit 
arbor, gliscit ardor: animus implet litteras), — Lüsternes 
Raffinement paart sich mit idyllischer Sentimentalität 
in des Reposianus Epopöe Vom Liebeslager des 
Mars und der Venus* (no. 420); der Hain ist wie ge- 
schaffen zur Liebe; Lotos, Lorbeer, Myrten geben 
Schatten, auch durch das Laub leuchtende Apfel fehlen 
nicht; dicht ist der Rasen; glänzendweisse Lilien kon- 
trastieren malerisch mit purpurnen Blumen (Pingunt pur- 

Biese, die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern. 12 



Digitized by 



Google 



178 

pureös candentla liHa flcwres v. 38) ; Rosen duften nebeui 
Veilchen und Hyacinthen ; 'ein Ort wii«i^ der Liebe;, 
doch nicht glänzt Gold oder Purpur m Hainen ; Blumen 
bilden das Lager, Blumen die Taue des Bettes, Blumen 
die Polster: den Woonan der Venus diBat die reiche 
Natur* (Flos lectus, flos vincla tori, »ubstramina flores: 
Deliciis Veneris dives natura laborat). In diesem 
Liebeshain legt Mars seine Kriegsrüstung ab ; statt der 
Geschosse führt er Blumen, statt des Schildes Myrten- 
gewinde, statt des Schwertes die Rose (v. 93) u. s. f. 
Mit Ovidischer Lascivitat '*) malt der Dichter das Schäfer- 
stündchen aus und den Reiz der ruhend^i Schönen mit 
den schneeigen Armen und dem wie Sterne blinkenden 
Busen '^). Bei solchem Anblick hält Phöbus seine Rosse 
an; 'o du neidisches, die Frev^that belauschendes 
Licht!' (pro conscia facti Invida lux!); ertappt stehen 
die Liebenden vor solchem Richter, ^als die Sonnen- 
lichter durch die Zweige zitternd gleiten' (ramis cum in- 
serta tremescunt Lumina). — Würdig reihen sich somit 
diese verräterischen, durch das Laubdach sich stehlen- 
den Strahlen den flammenden Blitzen an, die bei Vergil 
Zeugen des Liebesbundes der Dido und des Äneas waren ; 
und der Römer schilt hier auf die 'invida lux' wie 
Meleager®^) auf das höhnende, schadenfrohe Licht, 
{fipaig «TTt^a/f «xaxov), das ihm den Morgen und somit das 
Ende des Minneglücks ankündigt. — Auf schlimme Er- 
fahrungen im Dienste der Venus deutet die Warnung 
des Pentadius (no. 425): 'Vertraue d^i Winden den 
Nachen, doch nicht dein Herz den Mädchen; denn die 
Welle ist zuverlässiger als Weibertreue': 

Crede ratem ventis, animum ne crede puellis; 
Namque est feminea tutior unda fide, — 

Das dritte und vierte Jahrhundert tra^^i in er- 
schreckender Weise den Stempel des Verfalls römischer 
Sitte, römischen Geistes, römischer Kultur. Die alte 
Welt kämpft den Todeskampf gegen die beiden immer 
gewfiltiger in sie eindringenden, immer sicherer sie zer- 
bröckelnden und untergrabenden Elemente, weiche allein 
die verrottete Menschheit verjüngen komiten, gegen 



Digitized by 



Google 



179 

Germanentum und Christentum. Das letzte Rinigen wird 
durch das wuchernde Unkraut heidnischen Wahnglaubens, 
wundertbät^er Zauberei und Sterndeuterei gekennzeich- 
net ; oder der pantheistische Zug, der auch den tieferen 
Gemütern der Zeit eigen ist, symbolisiert das höchste, 
alles durchdringende Wesen mit der ägyptischen Göttin 
Isis; sie wird 'die Eine, die alles ist', die Allmutter 
Natur; oder es wird Sol auf den Jovisthron erhoben, 
als Herr der Welten , der Anfang und das Ende. 
Aus der Literatur ist der schöpferische Geist geflohen ; 
beschreibende Lehrgedichte über Astrologie, Geogra- 
phie, Jagd und Fisch- und Vogelfang werden fabriziert ; 
kein poetischer Hauch durchweht diese Machwerke, 
mag die Technik der Form oft noch so gewandt sein. 
Aber wie in der Nacht der lebenslos^i Schemen ab- 
sterbender griechischer Literatur einzelne Sterne blinken, 
deren Glanz noch den Schein einer grossen Vergangen- 
heit wiederstrahlt, so bietet auch diese trostlose Epoche 
römischer Kulturgeschichte noch Männer, deren Herz 
der Vorzeit und dem Glauben der Väter gehört, der Rom 
einst gross gemacht hat. Zu diesen gehört das Ge- 
schlecht der Symmachi, besonders der Q. Aurelius, 
dessen zierlich glatte, höfliche Episteln an die des 
Plinius erinnern; sie geben uns ein deutliches Bild von 
dem etwas weichlich-schwächlichen Charakter ihres Ver- 
fassers, der, reichbegütert, bald in seiner Villa bei 
Rom, bald in denen bei- Ostia, im kühlen Tibur, in 
Samnium und Apulien, ja in Mauretanien weilt ; in einer 
solchen Zeit musste man noch mehr als je, — wenn 
überhaupt noch Genussfahigkeit vorhanden war — den 
Reiz der ländlichen Stille oder der entzückenden Land- 
schaft z. B. am Golf von Bajae empfinden. 'Vom Arverni- 
schen See auf buntbemalter Barke hinauszufahren in 
das Meer nach Puteoli, galt noch immer als wonnevolle 
Lustpartie ; über die ruhige Flut tönte von allen Schiffen 
Gesang, aus den ins Meer gebauten Villen das Geräusch 
froher Gelage, und weit draussen das Plätschern mut- 
williger Schwimmer' ^^). Hier suchte man Ruhe und 
Einsamkeit ^^ odar man gab sich mit grossen Eifer dem 

12* 



Digitized by 



Google 



180 

Jagdsport hin®*), bei dem man sich nicht mehr auf ein- 
heimische Tiere beschränkte, sondern sich die wildesten 
Tiere der Provinzen verschrieb, die zu beschaffen dem 
Stadtpräfekten Symmachus oft Schwierigkeiten genug 
machte; selbst Kaiser stiegen in die Arena hinab, die, 
in einen Wald verwandelt, das mannigfachste Wild ent- 
hielt. — 

Unter den Dichtem glänzen Ausonius und C 1 a u - 
dian ^ervor. Dieser ist der letzte Repräsentant römi- 
scher Poesie nach den grossen Mustern Vergil und 
Ovid; obwohl später als Ausonius, gravitiert er weit 
mehr nach dem Altertum hin ; 'ein letztes Auflodern 
des alten Römergeistes hat seine Seele begeistert', 
während Ausonius in seinem prächtigen Idyll gleich- 
sam den poetischen Gruss des Altertums unserem ger- 
manischen Vaterlande zusingt®*). Er ist viel modemer 
als Claudian, ja er spinnt die Fäden empjändsamer 
Regungen, die uns in früheren Epochen begegneten, in 
ein anmutiges Gewebe zusammen, mag der poetische 
Wert auch mehr im einzelnen, als im ganzen liegen. — 
Claudian ist ein überaus gewandter Improvisator, 'in 
einer ästhetisch verkommenen Zeit strahlend im Farben- 
glanz fast Ovidischer Phantasie und Ausführung' ^% Die 
Diktion dieses eminenten Formtalentes bewegt sich 
auf einem hohen Kothurn stolzer, rhetorischer Phrase, 
die von der Kleinlichkeit des Gegenstandes oft seltsam 
absticht. Er weiss sich nicht zu zähmen, und so zer- 
rinnt das Poetische in gespreizte, aufgebauschte Affek- 
tation; das Gesuchte mythologischer Gelehrsamkeit 
überwuchert allenthalben die Darstellung. Mit effekt- 
vollem Pomp werden die wohlbekannten Motive ausge- 
stattet ; Gleichnisse ®*) werden zu Schilderungen, diese 
zu Beschreibungen. An die Stelle der poetischen Be- 
seelung tritt nur zu oft die frostige Allegorie, die tote 
Abstraktion. Als der siegreiche Held sich lagert, 
kränzt die Erde freudig ihren Herrn, und es heben sich 
die Kräuter (I, 1 1 5), Roma selbst steigt aus den Lüften 
zu ihm nieder; mitwissend tönt der Fels und schauert 
der dunkle Hain vor der Majestät der Erscheinung 



Digitized by 



Google 



181 

(Conscia tunc sonuit rupes et inhorruit atrum Maiestate 
nemus I, 125). Die Insel Delos leckt der Latona freund- 
schaftlich die Füsse, es lacht de» Ägäus und bezeugt 
seine Freude mit sanftem Geplätscher: insula Lambit 
amica pedes ridetque Aegaeus . . et blande testatur 
gaudia fluctu 1, 189®'). Die ganze Natur wird in Mit- 
leidenschaft gezogen®^); selbst die Alpen schmücken 
sich mit Rosen *•) ; die Winde und Wellen singen, lachen 
und trauern, aber meist in allegorischen Personifika- 
tionen, denen der Reiz des naturwahren Mythus fehlt. 
Mit allen Hebeln alexandrinischer Weisheit wird der 
alte mythologische Apparat in Bewegung gesetzt •^); 
es sind aber tote Koulissenfiguren, wie der Tiberinus 
(I, 216): undurchdringliches Röhricht trägt sein Scheitel, 
von den Stierhörnem rieseln murmelnde Bäche, von 
der Stirn tropft der Regen, der Bart löst sich auf in 
Wellen u. s, f., oder wie die Nacht, die in ihrem tiefen 
Schosse alle menschlichen Mühen einschläfert, und der 
Schlaf, der seine schwarzen Fittige^ ausbreitet (V, 324), 
oder wie die grausen Töchter der Nacht: Zwietracht, 
Hunger, Alter, Krankheit etc. (III, 26). 

Mit romantischem Zauber umwebt er das Liebes- 
paradies der Venus auf Cypem (X, 49flf.); es ist ein 
schattiger, von keinem menschlichen Fusse betretener 
Hain, den nicht Regen noch Hagel noch Wind zu ver- 
letzen wagen; kein Vogel wird ohne Prüfung seitens 
der Göttin zugelassen; alles lebt nur der Liebe, selbst 
das Laub auf den Zweigen und die Bäume sind be- 
glückt durch gegenseitige Minne (Vivunt in Venerem 
frondes omnisque vicissim Felix arbor amat) ; die Palmen 
nicken zärtlich einander zu; es kosen und flüstern die 
Pappeln, die Platanen, die Erlen; vermählt rinnen die 
Quellen, und tausend Amoren spielen umher; aber dort 
luiusen auch Licentia, Irae, Excubiae, Lacrimae, Pallor, 
Audacia, Voluptas, Periuria . ., <üese Genossen stürmi- 
scher und treuloser Liebeslust; fernab liegen herrliche 
Lauben, ein Zauberschloss und ein Wundergarten mit 
Amomum» Zimmet, Cinnamum und Balsam. Wenn Venus 
über das Meer fahrt im Schwärme der Nymphen, 



Digitized by 



Google 



182 

weichen die Nebel, erglänzen auch die Alpen (v. 184) 
u. s. f. — Ein ähnliches farbenreiches, mit Lüsternheit 
ausgemaltes Bild von dem Reiche der Frau Venus 
findet sich XXXI. — Von imposanter Anschauung 
zeugt die Höhle der Ewigkeit (XXII, 424): den Men- 
schen unerreichbar, ja selbst den Göttern kaum zu* 
gänglich, entlässt sie aus ihrem ungeheuren Schosse die 
Zeiten und ruft sie wieder zurück ; eine gewaltige 
Schlange umgiebt die Höhle; als Wächterin sitzt am 
Vestibül die uralte Natur mit stattlich schönem Antlitz 
(vultu longaeva decoro . . Natura), an allen Gliedern 
hangen flatternde Seelen herab . . . Dorthin kommt Sol; 
Natura öffnet, und da sieht er sitzen von verschiedenem 
Metall die Jahrhunderte, die Schar der vergangenen 
und zukünftigen Jahre. 

Mit Naturunmöglichkeiten und Naturwundern spielt 
Claudian gern*') und häufig vindiziert er der Natur in 
bukolischer Art sympathetische Regungen **) ; am zarte- 
sten und modernsten in dem Preise der Serena (XXIX)^ 
welche die Hören nährten und die Grazie sprechen 
lehrte: 'wohin du auch kröchest, ergossen sich Rosen 
und sprossten Lilien^ (89 Quacumque per herbam Rep- 
tares, fluxere rosae : candentia nasci Lilia) ®*), und wenn 
sie in sanften Schlummer gesunken, erhebt sich der 
Purpur des Veilchens als weiches Blumenlager. 

Glänzend sind besonders die Schilderungen im 'Raub 
der Proserpina%* die Beschreibungen sind kleine Kabi- 
netstückefür sich, wie die des Ätna PCXXIII, i6ofF.), des 
Grewebes, in das die liebevolle Tochter für die heim- 
kehrende Mutter Luft und Erde und Meer und Sterne 
hineinstickt (245 (F.), und vor allem der reizvollen, blumen- 
reichen Waldwiese von Henna (XXXV, 72), nicht fem 
vom kry stallklaren Pergus-See (101 ff.); hier wird alles 
zusammengehäuft, was irgend nur zur Schönheit der 
Landschaft beitragen kann: der fruchtbare Hybla, das 
weihrauchtragende Panchaia und der duftige Hydaspes 
werden hier übertroffen; da rieseln Quellen nrit flinken 
Bächen durch tauige Gräser; der schattenkühle Wald 
mildert die dörrende Sonne; hier wachsen alle Baum- 



Digitized by 



Google 



18S 

und BliMnenarten ü. s. f. Noch viel herrlichere Wieis^e» 
und Blumen verheisst der glückliche Räuber der troet** 
losen Jungfrau (286 fF.). Als Brautföhrerin steht die 
stemenblitzende Nacht (stellantes nox picta sinus) im 
Gemach und segnet das Ehelager. — Wie kalt und nüch- 
tern aber ist diese Personifikation im Vergleich mit der 
ähnlichen bei Musaios •*), wo Schweigen das Lager der 
Liebenden bereitet, Finsternis die Jungfrau schmückt 
Uöd die Nacht des Brautfestes Rüsterin ist. Der Römer 
schafft eine leibhaftige, aber leblose Figur, ein Phan- 
tom, bei dem Griechen Weibt die Beseelung freier, ästheti* 
scher, schöner Schein! — 

Das Deskriptive, Naturbeschreibende überwiegt in 
den kleineren Dichtungen des Claudian vom Vogel 
Phönix, vom Igel, vom Zitterrochen, von den Schwefel- 
quellen bei Patavium, vom Nil, vom Smymäer Hafen, 
vom Magnet u. s. f. — In allmn zeigt sich jedoch ein 
Talent, das einer besseren Zeit würdig gewesen wäre. — 

Doch unter den besicdireibenden Dichtungen der 
sinkenden Literatur gebührt der Preis der Mosella des 
Ausonius. Sie ist ein landschaftliches Eidyllion, ein 
mit Wärme und Liebe entworfenes Bild von den schönen 
Ufern und Rebenhügeln des malerischen deutschen 
Stromes, zu dem zu wandern den Dichter nicht die Scheu 
vor pfadlosen Wäldern zurückhielt, die noch keine Spur 
menschlichen Fleisses verraten (v. 5). — So schwerfallig oft 
der Ausdruck ist, so dürr und trocken die didaktischen 
Aufzählungen der Moselfische (85 — 149), die Belehrung 
über den Fischfang (240 ff.) und die Nebenflüsse (351 ff.), 
so erquickend sind die poesie- und empfindungdurch- 
drungenen Intermezzi^von den Reizen der Flussufer. 

Den nebligen Strom der reissenden Nava hat er 
überschritten, Nivomagus verlassen, wo die Luft so rein 
imd das Licht so heiter ist, ^nicht mehr durch das Ge- 
gitter von dichtversehhingenen Zweigen' (consertis per 
mutua vitiGula ramäs) gehemmt; da erblickt er die an- 
mutige Strömung der in murmelndem Lauf (tacito ru- 
more) gemach hingleiteßden Mosel. 'Sei mir gegrüsset, 
o Strom (Salve amnis!), . . Strom, dessen Hügel umher 



Digitized by 



Google 



184 

bepflanzt mit duftigem Bacchus, Strom mit dem grünen- 
den Saum der mattenreichen Gestade' : 

Anmis odorifero iuga vitea consite Baccho, 
Consite gramineas amnis viridissime ripas. 

Mit selten feinem, träumerisch sich versenkendem 
Verständnis für die im Kleinen, ja fast im Verborgenen so 
zart sich offenbarende Zauberhand der Natur beobachtet 
der Dichter die geheimnisvolle und doch so krystall- 
klare, nichts verhehlende Flut (Spectaris vitreo per levia 
terga profundo Secreti nihil amnis habens v. 55), deren 
Wellen ebensowenig, wie die spielenden Lüftchen den 
Auf blick zum heiteren Himmel hindern, es wehren, in 
die heimliche Tiefe zu schauen : Sic demersa procul, du- 
rante per intima visu, Cemimus arcanique patet pene- 
trale fluenti; er beobachtet die in bläulichem Schein 
hellflimmemden Ge3taltungen (caerulea dispersas luce 
figTiras), die feinen Zeichnungen der sanft rinnenden 
Welle im Ufersand und das Nicken und Zittern der 
Gräser in der grünenden Tiefe, das Flimmern und 
Blitzen der Steinchen im Moose des Grundes, 

. . Wie sich kräuselt der Sand, durchfurcht von 

leiser Bewegung, 

Wie die Gräser gebeugt auf grünlichem Grunde er- 
zittern : 

Und wie nickende Hälmchen in nicht erkünsteltem 

Quelle 

Dulden das sanft sie rüttelnde Nass ; es glänzet und 

blinket 

Der Kiesel im grünenden Moose . . " . 

Quod sulcata levi crispatur arena meatu, 
Inclinata tremunt viridi quod gramina fundo; 
Utque sub ingenuis ag^tatae fontibus herbae 
Vibrantes patiuntur aquas, lucetque latetque 
Calculus et viridem distinguit glarea niuscum; 
ebenso v. 72: . . Unter der freudigen Flut der stillen 

Moseila 
Zeigt hingestreuete Steinchen das nicht einfarbige 

Flussgras : 



Digitized by 



Google 



185 

. . placidae subter vada laeta Mosellae 
Detegit admixtos non concolor herba lapillos. 
Für das Wellenspiel und die Reflexe der Flut hat der 
Dichter weit mehr Interesse als für die Werke eitler 
Kunst — ^geh nun, täfle mit Phrygergestein geglättete 
Böden . . ., ich will dein Werk bewundern, Natur^ (48 f.). 
Die Rebengelände (naturale theatrum) mahnen ihn an 
die seiner Heimat, welche die blonde Garonne zieren 
(160); vom Winzerlied hallt der Fels imd der bebende 
Wald und rings die wogende Strömung (adstrepit illis 
Et rupes et silva tremens et concavus amnis); doch 
nicht Menschen allein ergötzt die prangende Landschaft, 
Satyrn und Nymphen, Oreaden und Faune treiben am 
Ufer und im Strome ihr ausgelassenes Spiel — sie bil- 
den den Stimmungshintergrund zu dem Landschafts- 
bilde! — Der romantische Sinn des Dichters für das 
geheim-Ehrwürdige, das in der dunklen Tiefe verborgen 
ruht, für das Malerische der im Strome sich spiegeln- 
den Ufer, der im krystallklaren Wasser traumhaft nicken- 
den Reben, deren Bild in der Mitte des Flusses ver- 
schwimmt, und der Abendbeleuchtung verrät sich v. 189: 
Frei zu gemessen die Pracht ist vergönnt, wenn den 

schattigen Hügel 
Spiegelt der bläuliche Fluss, von Belaubung. scheinen 

zu grünen 
Rieselnde Wellen und rebenbepflanzt die lautere 

Strömung. 
Welche Farbe der Flut, wenn dämmernde Schatten 

herbeiführt 
Hesperus und er begiesst mit dem grünenden Berg 

die Mosella! 
Anhöhn schwimmen in rinnender Welle , es zittert 

die ferne 
Rank', und schwellend erscheint die Traube in blinken- 
der Tiefe, 
. . inmitten des Flusses das Bild des Hügels ver- 

schwinmiet, 
. . wo im Strom sich vereinen nachbarlich die 

Schatten: 



Digitized by 



Google 



186 

lUa fruenda palam species, cum glaucus opaco 
Respondet colli fluvius, frondere videntur 
Flunrinei latices et palmite consitus arnnis. 
Quis color ille vadis, seras cum protulit nmbras 
Hesperus et viridi perfundit monte Mosellam! 
Tota natant crispis iuga montibus et tremit absens 
Pampinus et vitreis vindemia turget in undis . . 
Per medium, qua sese amni confundit imag^ 
Collis et umbrarum confinia consent amnis. 
Dieses feine Gefühl für Spiegelung und LichtefFekte bricht 
auch V. 2 19 in dem Gleichnis von dem Seekampf hindurch, 
den die dunkle Meerflut in grünlichem Bilde reflektiert 
(Caeruleus viridi reparat sub imagine pontus), und von den 
rudernden Knaben, die sich ergötzen, wenn die eigenen 
Formen und die buntbemalten Barken, von der Glut 
Hyperions übergössen, die krystallene Tiefe täuschend 
abspiegelt: Ipsa suo gaudet simulamina nautica pubes» 
Fallaces fluvio mirata redire figuras**). Dem Strand 
von Sestos, Chalcedon und Ephesos, ja selbst von 
Bajae vergleicht Ausonius die Reize der Mosel- 
ufer, wo Villen mit ragendem Giebel sich erheben, an 
Felsen hangend (283), die Zier des Flusses (fluvii deco- 
ramina 320), von denen der Blick über Bebautes und 
Rauhes (per culta, per aspera 325) weit in die Lande 
hinausschweift. 

Zusammenfassend bekennt er : 'So prangende Schön- 
heit und Anmut Locket — und dennoch erzeugt der 
G^nuss nicht üppigen Aufwand' (tantus cultus nitorque 
AUicit et nuUum parit oblectatio luxum). — Von dem 
Strom, den er dem Bruder Rhein empfiehlt (430), 
scheidet er mit dem Gelöbnis: 

Dich wiH bläulichen Seen, dich laut hinrauschenden 

Strömen 
Ich anpreisen, dich ihr, der meeresgleichen Ga- 

rumna. — 

Wir sehen, der schöne deutsche Strom hat es dem 

römischen Dichter aus Burdigala angethan; mit der 

Zartheit und träumerischen Beobachtung germanischen 

Naturempfindens, — ab ob der deutsche Strom es ihm 



Digitized by 



Google 



187 

eingegeben — , entwirft er die malerischen Reize der 
rebenumgürteten, villenbekränzten , sonnenumflossenen, 
in der krystallenen Flut sich wiederspiegelnden Fluss- 
ufer. — Ein allemannisches Mädchen, eine schone 
Sklavin, wird seines Herzens Herrin. Wie er der Mo- 
sella Gestade dem Strande von Bajae vorzog, so nun 
auch die blonden Haare und die blauen Augen eines 
deutschen Mädchens jeder römischen Schönheit; um 
das Bild seiner Bissula zu malen, mahnt er den Künstler, 
müsse er Rosen und Lilien mischen: Ergo age, pictor, 
Püniceas confunde rosas et lilia misce. 

Germanenland und Germanenminne haben dem Au- 
sonius das Herz gestohlen. — So weist er aus dem 
sinkenden, absterbenden Altertum in die neu erstehende, 
auf Trümmern erblühende germanische Welt hin- 
über! — 



Eine ganze Welt Hegt zwischen EnnitiÄr und Auso- 
nius. Das Kulturleben eines gewaltigen, den Erdkreis be- 
herrschenden Volkes hat sich zwischen diesen beiden 
Polen der Literatur abgespielt. Wie mannigfache Em- 
pfindungstöne mussten angeschlagen werden, sich mit- 
einander vermischen und verweben, um so melodiöse 
Stimmungsbilder hervorzuzaubern, wie sie in des Auso- 
nius Mosella uns umklingen ! Die ganze Skala des G^* 
mütslebens einer reifenden, an geistiger Bildung wachsen- 
den, sich vertiefenden und verinneriichenden Valksseele 
findet ihren Wiederhall in diesem Entwicklungsprozess, 
der von den trockenen oder ganz rhetorischen, mühsam 
den griechischen Originalen nachgedichteten Schilde- 
rungen der Tragiker zu dieser interessanten Refeebe- 
schreibung und ihren malerischen Einlagen anmutigster 
Landschaftsdichtung hinaufleitet* Es ist ein weiter 
Weg, den wir durchmessen haben und jetzt noch ein- 
mal überschauen wollen, ein Weg, der zwar durch nicht 
so poesiedurchduftete Gefilde wie bei den phantasie» 



Digitized by 



Google 



188 

vollen Griechen führt, — auch fügte sich nicht wie bri 
diesen in so genetischer Folge ein Glied an das andere 
in der Kette des Werdens und des künstlerischen 
Schaffens — : aber trotzdem lassen sich die Phasen des 
gesamten Entwicklungsganges sowie das Fortschreiten 
der einzelnen Anschauungen und Gefühlsweisen deut- 
lich aufzeigen. 

Die römische Mythologie wurzelt zu sehr im Ver- 
standesmässigen, manifestiert sich zu sehr im Kultus, 
in praktischen Ceremonien, als dass sie mehr verraten 
konnte als das geheimnisvolle Ahnen höherer Mächte 
in den Regungen des Naturlebens, als das ehrfurchts- 
volle Bangen vor Dämonen, die im Waldesdunkel lauem 
oder in Naturstimmen zu den Menschen vernehmlich 
reden. Der junge römische Dichtergeist schöpft alle 
Kraft aus dem reichen Born hellenischer resp. helleni- 
stischer Poesie; die Bestrebungen der Dramatiker sind 
gleichsam die ersten Gehversuche der römischen Muse ; 
wohl finden sich nicht ganz wirkungslose Schilderungen 
des Landschaftlichen, Gleichnisse und Metaphern aus 
dem Naturleben, — doch der Reiz des Naturschönen 
selbst ist noch nicht aufgegangen; auch das Landleben 
wird nur vom rein ökonomischen Standpunkte aus be- 
trachtet. Der geniale Lucrez weist andere Bahnen. 
In seinem grossen Werke Vom Wesen der Dinge' 
liegen gar manche Keime, die eine spätere Zeit erst 
zur Blüte brachte. Er legt den Grund zur Naturer- 
kenntnis, die ein so wichtiger Pfeiler auch des ästheti- 
schen Naturgenusses ist; er zeigt schon die ersten 
Spuren einer idyllischen Empfindungsweise; aber es ist 
nicht Sympathie für die Natur selbst, die ihn hinaus- 
treibt in den lachenden Frühling, sondern seine herbe, 
melancholische Weltanschauung, die ihn den Göttern 
entfremdet und das Getriebe der Groszstadt fliehen 
lässt ; er weiss zuerst in lebenswahren Strichen die Na- 
turphänomene, besonders die erhabenen, grossartigen, 
überwältigenden, kraftvoll und markig zu entwerfen, 
Bewimderung des Ganzen wie des Einzelnen führt ihm 
den Griflfel bei der Zeichnung der farbenreichen Illu- 



Digitized by 



Google 



189 

strationen zu den didaktischen Erörterungen. Cicero 
schreitet fort auf dem Weg-e wissenschaftlicher und 
ästhetischer Naturbeobachtung; nannte Lucrez Berge 
und Felsen und Wildnis unnütze Schöpfungen der Na- 
tur, so zählt Cicero schon zu den bewundernswerten 
Erscheinungen neben dem Lieblichen auch das Rauhe, 
Wilde, Weite und die Herrlichkeit des unendlichen 
Meeres und preist und schildert die Anmut seiner hei- 
matlichen Landschaft, doch vor allem den Reiz der Ein- 
samkeit und Stille auf seinen Landsitzen. Catull ist 
der erste Lyriker der Römer ; bei ihm wird das lyrisch- 
S3rmpathetische Naturgefühl geboren; hier und da be- 
gegnen zarte Vergleiche, stimmungsvolle Beseelungen, 
und das Landschaftliche liefert den harmonisierenden 
Rahmen für die Gemütsregnng oder wird mit ihr sinnvoll 
verwoben. Sympathie für die Natur und Liebe zum 
Landleben bilden einen der Hauptreize Vergilischer 
Dichtung; mit hoher Kunst und feinem Sinn lässt er 
die landschaftlichen Arabesken in reicher Ausmalung 
sich um seine bukolischen wie epischen und didakti- 
schen Gebilde schlingen; ja bisweilen erscheinen Natur 
und Gemüt als zwei gleichgestimmte Saiten, aus denen 
harmonische Töne herüber- und hinübertönen. Auch 
klingt schon das elegische Moment hindurch, das dann 
bei Horaz und den Triumvim der römischen Elegie 
zu einem leitenden, immer wieder hindurchbrechen- 
den Motiv wird, — im Verein mit dem Idyllischen 
und Erotischen. Des Horaz Dichtung ist wesentlich 
Gedankenlyrik, so auch in seiner Naturpoesie ; das Social- 
Ethisch- Ökonomische tritt am vollständigsten in dem 
krystallhellen, freundlichen Quellbilde der Bandusia zu- 
rück. Seine aufrichtige Leidenschaft für das Stillleben 
auf dem Lande setzt gleichsam in die Musik wohl- 
lautender Distichen der liebenswürdige TibuU mit dem 
weichen, träumerischen Poetengemüt. Das empfindsam- 
Modernste bieten in sympathetischer Naturauffassung 
sowie in dem Zusammenspiel von Liebe und Landschaft 
Properz und Ovid. Der Wald mit seinen Bäumen und 
Vögeln wird der Trost in der Einsamkeit des Ver* 



Digitized by 



Google 



190 

A , lassenen, oder die Sterne und der Frühtau werden zu Zeu- 
gen für die Wahrheit des Empfindens ; ja die Bäume selbst 
IcÄnnen, was Liebe ist und wie verlorene Liebe sclunerzt; 
die Rinde trägt den Namen der Geliebten; Hügel müssen 
sich vor ihr neigen, Ströme im Laufe inne halten ; oder 
gar das Laub soll trauernd sinken, dort, wo das ge- 
knickte Gras noch von der süssen Liebesstuiide kündet 
und wo nun die Einsame weint. Vergleiche und Metaphern 
werden reflektierter, bedeutsamer und sentimentaler; 
die dahineil^aden Jahre gleichen den gleitenden WeUen 
— Eilet die Welle dahin, so rufst du nimmer sie wie- 
der — . 'Es schwinden, es fallen Die leidenden Menschen 
Blindlings von einer Stunde zur andern Wie Wasser 
von Klippe Zu Klippe geworfen Jahrlang ins Ungewisse 
hinab^ — so zieht Hölderlin die moderne Konsequenz 
des Ovidischen Gedankens. — Die Unendlichkeit des 
Ichs, die Selbstherrlichkeit des Geistes ist aufg^angen ; 
das eigene Herz wird als das höchste, allein unverUer- 
bare Besitztum erkannt. Selbst die Landschaftsmalerei 
zeigt diesen 'ahnui^svoUen Dämmerschein des Geistes^ 
und stellt sich stimmungsverwandt mit der Empfindungs- 
weise der Dichter dar. — Mit den in jeder Hinsicht 
gesteigerten Kulturverhältnissen der Kaiserzeit wächst 
auch die Empfindsamkeit des Naturgefühls ; je unerfreu- 
licher die Umgebung ist, desto tiefer versenkt sich der 
Mensch in sich selbst ; die Naturbetrachtung, die wissen- 
schaftliche Erkenntnis der Naturphänomene übt ihren 
Reiz aus und hebt über alles Niedere der Erdenwelt 
hinweg: im Anblick der ewigen Himmelsräume, wo die 
lichten Sterne in steter Harmonie dahin wandeln, und 
des vom Schauer des göttlichen Numen durchzitterten 
Hains findet das von der Gegenwart unbefriedigte Ge- 
müt Frieden und Freude. Seneca ist durch und durch 
Pantheist. Auch Lucan hat eine hohe Vorliebe für 
jene Stätten und Erscheinungen in der Natur, die ge- 
heimnisvoll, majestätisch, wild und erhaben sind. 

Wie das Vergilische Idyll durch ungeschickte Dilet- 
tanten übermalt und karikiert wird, so leuchtet sein 
Epos allen Dichtern der Folgezeit als Muster vor ; aber 



Digitized by 



Google 



191 

selbst ein Flaccus bietet modernere Farbentöne; doch 
mit grösserem Talente Statins. Glänzend schildert er 
den Reiz prachtvoller Villen, und manche feinen Striche 
verraten ein sinniges Verständnis für die verborgenen 
Schönheiten der Natur, Auch Martial bietet manch 
anmutiges Landschaftsgedicht; (loch der interessanteste 
Repräsentant der damaligen Zeit ist der jüngere Plinius 
mit seiner weichen, schwämaerischen Leidenschaft für 
die Einsamkeit, für das Träumen im schattig kühlen 
Gemach, an das die Wogen mit leisem Gemurmel 
plätschern, oder im Wald und am Bach, mit seinem 
offenen Auge für das Ganze der Landschaft, für die 
weiten Fernen sowie für das geheime Weben der 
grossen Künstlerin Natur an Seen und Waldquellen. 
Mit Hadrian und Apulejus eröffnet sich das Rococo 
römischer Literatur; überraschend wirkt die modern 
gesteigerte Sympathie, welche zwischen dem Helden 
des goldenen Esels und dem Mondschein und der ganzen 
lachenden Frühlingsnatur besteht. Römischer Geist 
klingt noch durch manches Gedicht der Anthologie, das 
Motive der Vergangenheit verschmilzt und umprägt; 
das letzte Zusammenraffen des grossen geistigen Erbes 
verrät das grosse Improvisatortalent Claudian's, während 
Ausonius auch in der Tiefe und Zartheit seines Natur- 
empfindens zu den Germanen und somit in eine neue 
Welt hinüberzeig^. 

Wer wollte auch im Verfolg der einzelnen Motive 
eine zum Modernen aufsteigende Stufenleiter der Em- 
pfindungsweisen verkennen ? Nüchterne, aus dem Griechi- 
schen übersetzte Schilderungen werden allmählich zu 
immer feiner mit der Handlung in Beziehung gesetzten 
Hintergründen und endlich zu reinen Landschaftsbildern 
imd Beschreibungen. Das Naturerkennen spielt immer 
bedeutungsvoller in die Gefühlsweise hinein von Lucrez 
und Cicero bis zu Manilius und Seneca. Das Sympa- 
thetische erfährt eine deutliche Steigerung von CatuU 
und Vergil bis zu Ovid und — Apulejus. Die Wild- 
nis ist dem Lucrez ein Greuel ; später wird das Schaurige 
zum beliebten Gegenstand der Schilderung, bis es zur 



Digiti 



zedby Google 



192 

Zeit Seneca's sogar direkt aufgesucht wird, wenn auch 
nur des Kontrastes und der Abwechslung willen. Jene 
stillen, aber so intensiv malerischen Reize des Natur- 
lebens, wie sie in Lichtreflexen sei es auf dem Wasser- 
spiegel oder in den Waldschatten sich verraten, werden 
mit wachsendem Interesse und Verständnis belauscht von 
Vergil bis Statins, Plinius und Ausonius. Wie viel empfind- 
samer wird die Liebe zum Landleben, zuerst im Gegen- 
satze zur Stadt, dann um seiner selbst willen ! Die Natur 
wird eben schliesslich nicht mehr aus ausser ihr liegen- 
den Gründen gesucht und geliebt, sondern lediglich um 
ihrer eigenen, erhabenen Schönheit und um ihres stillen, 
wunderbaren, geheimnisvollen Zaubers willen. — 

Aber auch unsere Untersuchungen haben wieder 
klar gelegt, wie sehr die romische Literatur ein Nach- 
hall der griechischen ist; und wer möchte leugnen, 
dass die grössere Wärme und Ferve des Ausdrucks, 
die intensivere Innigkeit und die reichere Abwechslung 
der Empfindungsweisen sich in den Dichtungen der 
Griechen findet, dass der Farbenschmelz ein ungleich 
zarterer, duftigerer bei den Hellenen ist? Mag der 
Römer in seinem angeborenen architektonischen Sinn 
^landschaftlich besser komponieren'*®), nur selten ge- 
lingen ihm die rein lyrischen Motive in der Feinheit 
der griechischen Poesie. Stellen wir z. B. nur die 
Reihen der Beseelungen, der Vergleiche des Geistigen 
und Natürlichen u. ä. in beiden Literaturen einander 
gegenüber, wie viel stimmungsvoller, seelenvoller ver- 
schmelzen die Griechen die Regung des Herzens mit 
dem Landschaftlichen, wie viel beziehungsreichere Ana- 
logien weisen sie auf und welche mannigfaltige Fülle 
der die Natur belebenden Metaphern! Gerade hierin 
bieten dagegen die Römer eine ärmlich monotone Skala ; 
das Abstrakte liegt zu sehr in ihrem Blut, an Stelle 
poesievoller Beseelungen tritt zu oft die tote Alle- 
gorie. — Aber eins ist auch hinwiederum, hoffe ich,, 
evident geworden : trotz der geringeren Innigkeit des Ko- 
lorits füllt die römische Dichtung, besonders die Elegie, nicht 
nur eine Lücke der griechischen Literatur: aus, so dass 



Digitized by 



Google 



- 193 

uns durch sie erst das völlig Empfindsame des Natur- 
gefuhls der hellenistischen Zeit recht deutlich wird, son- 
dern sie haben auch auf dieser von den Alexandrinern ihnen 
gewiesenen Bahn manchen bedeutsamen Schritt nach dem 
Modernen hin fortschreitend gethan •''). Die augusteische 
Poesie sowohl wie Prosa und Dichtung der Kaiserzeit 
zeigen manche Empfindungsweisen, die bei den Griechen 
erst leise anklangen; sie schwingen nun weiter fort und 
nähern sich unserer heutigen Gefühlsart; so der Sinn 
für das landschaftliche Ganze und für die weite Ferne so- 
wie für den heimlichen Reiz, der um Wald und Wasser 
webt, für die Lichtreflexe und für das Dunkel des schatti- 
gen, schaurigen Hains ; so die Lust, zu rudern, zu fischen, 
zu jagen, zu träumen und die Leidenschaft, zu reisen, 
die sogar zu der allerdings noch für krankhaft geltenden 
Neigung führte, selbst wilde, öde Gegenden aufzusuchen, 
um grossartig grausige Eindrücke mit lieblichen abwechseln 
zu lassen. — Kann bei alledem noch das Urteil Friedlän- 
der's **) bestehen, d^s auf Grund des — vermeintlichen — 
Mangels an einer Landschaftsmalerei dahin formuliert wird : 
*Vor allem fehlt ganz und gar — und dies ist der wesent- 
lichste Unterschied zwischen der heutigen und der antiken 
Naturbeschreibung — die Hervorhebung der Wirkungen 
des Lichts und ihrer Modifikationen durch das Medium 
der Luft. Nicht dass bei Naturbeschreibungen der Alten 
klarer Sonnenschein, trüber Wolkenhimmel, Mond- und 
Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigen- 
tümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Teile 
durch die Beleuchtung erhalten, ist nirgend die Rede, 
nirgend von den verschiedenen Wirkungen der Nähen 
und Fernen^!? Gewiss blieb äem Altertum das Gefühl 
für ^all die Abstufungen, die zwischen einem kalten 
Mondlicht und der Glut der Abendsonne liegen, für die 
wundervollen Farben, in die sich im Süden morgens 
und abends der Horizont und ferne Berge tauchen und 
die vom zartesten Rosa durch alle Grade zum tiefsten 
Blau gehen' — , in der modernen Vertiefung und Zartheit 
noch verborgen ; aber wer möchte in den betreffenden 
Schilderungen von Vergil bis Ausonius wenigstens An- 

Biege, die Entwicklung des NaturgefüMs bei den Römern. 13 



Digitized by 



Google 



194 

satze und Keime unseres modernen, malerischen und 
romantischen Natursinnes verkennen ? — Erst eine lange 
Entwicklungskette führt von dem sinkenden Altertum 
durch die Renaissance hinüber zu einem Naturgefühl, 
wie es das Ende des i8ten Jahrhunderts geboren und wie 
es seine Vertreter in Rousseau und Gothe gefunden hat. 
Was bei den Alten in der Hülle der Knospe schlummerte, 
erwacht dann zur vollen, üppig duftenden, ja manche mit 
ihrem Duft berauschenden Blume. Nicht fremd ist dem 
Altertum jene ^subjektive Betrachtung, die in den un- 
endlich mannigfaltigen Erscheinungen der Sinnenwelt 
Spiegelbilder der eigenen wechselnden Zustände er- 
blickt^ — wie Friedländer meint •^ — ; aber erst mit der 
Neuen Heloise und mit Werther ist die ganze, volle, 
moderne Subjektivität auf den Thron des Fühlens und 
Denkens erhoben worden; erst von da ab blüht und 
glüht und duftet die Dichtung von einem Naturgefühl, 
das entweder in religiöser Andacht in jedem geringsten 
Teile der Schöpfung eine Offenbarung der Allmacht 
Gottes preist oder mit schmerzlicher Sehnsucht und 
mit süssem Träumen in die stille Poesie des Pflanzen- 
lebens, der Wolken, des Schnees und des Reifs, der 
Dämmerung und des Abendsonnengoldes, der blauen 
Femen mit den schimmernden Gletschern, des weiten 
Oceans oder der smaragdenen Seen am Fusse der 
Bergesriesen sich versenkt, das in allem und jedem einen 
Teil der eigenen Seele oder die Hülle eines göttlichen 
Gedankens erblickt, wie Klopstock singt: 

Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, 
Auf die Fluren verstreut; schöner ein froh Gesicht, 
Das den grossen Gedanken 
Deiner Schöpfung noch einmal denkt. 
Doch wie ein so tief innerliches und erhabenes, ein so 
subjektives und andachtsvolles Näturgefühl entstanden, 
welche Brücke sich vom Altertum zu dem Zeitalter 
Göthe's, Byron's und Shelley's herüberspannt, das dar- 
zulegen, ^®^) möge — wenn die Götter günstig sind und 
die Kräfte reichen — späteren Untersuchungen vorbe- 
halten sein. 



Digiti 



zedby Google 



Anmerkungen. 



^) Vgl. Mommsen, römische Geschichte® S. 27. 

*) Lotze', Mikrokosmos III*, 304. 

*) Prell er, römische Mythologie^ S. 5. 

*) Preller a. a. O. S. 334; wenn er aber S. 95 im eigentümlichen 
Gegensatze zu den Urteilen und Vorurteilen früherer Forscher über das 
Naturgefühl der Alten behauptet: * Überhaupt hatten die Alten zwar nicht 
den landschaftlichen Natursinn, der bei uns durch Kunst und Poesie so 
weit ausgebildet ist; wohl aber hatten sie weit mehr Sinn für das 
Dämonische in der Natur, wie es sich in der Stille des Waldes, zwischen 
ragenden Bergen und murmelnden Quellen offenbart und auf jedes em- 
pfängliche Gemüt mächtig wirkt' : so ist der erste Teil dieser Behauptung 
dahin zu berichtigen, dass der landschaftliche Natursinn der Alten nur 
graduell von dem unsrigen verschieden ist, und der zweite dahin, dass 
ein abergläubisches, dumpfes Ahnen des Göttlichen in der Natur noch 
gar weit entfernt ist von dem modern-romantischen Naturgefühl, das in 
dem Wilden, Einsamen und Schrecklichen der Naturerscheinungen ein 
Dämonisches entdeckt und mit schauervollem Entzücken sich an den ge- 
waltigen Eindrücken weidet. Bei den Griechen sahen wir, wie die Blüte 
der hellenistischen Sentimentalität an die moderne Romantik heranstreifte; 
im Laufe dieser Erörterungen wird es sich erst ergeben, ob bei den Rö- 
mern der Begriff des Naturschöuen sich nur auf das Liebliche, Heitere, 
auf das amoenum beschränkte, wie Friedländer, Darstellungen aus der 
Sittengeschichte Roms II, S. 113 ausführt. 

^) Ribbeck, die römische Tragödie im Zeitalter der Republik. 
Leipzig 1875. 

•) Cum Sit flavus color viridi et albo mixtus, pulcherrime prorsus 
spumas virentis maris flavom marmor appellavit. 

') Vergl. Entw. des Naturgef.*s d. Gr. S. 36. 

») Vergl. E. d. N. d. Gr. S. 46fr., speziell S. 55. 

*) Vergl. Ribbeck a. a. O. S. 157; wie widersinnig, hölzern und 
abstrakt sind besonders die Worte: * siehe auf diese That, ehe sie geschieht' ! 

*<*) So nach Ribbeck a. a. O. S. 257, nicht Chryses. 

13* 



Digitized by 



Google 



196 

^') Vergl. Wörmann, über den landschaftl. Natursinn S. 85 nnd 
86; er beginnt seine Ausfüllrungen über die Römer S. 81 mit einer Be- 
trachtung des Kunstsinnes und der Mythologie der Römer, wendet sich 
S. 84 zu der Naturanschauung Cicero's, woran er kurze Erörterungen über 
Plautus und Terenz anschliesst ; auch das übrige behandelt er nur summarisch ; 
Secretan hebt zwar einige Stellen aus den Fragmenten heraus, schliesst aber 
cap. I mit der Phrase S. 37 : 'Le sentiment de la nature, s*il est permis de s'ex- 
primer ainsi, 6tait encore condens6 dans la religion, il n*avait pas encore im- 
pr6gn6 la litt^rature de son bienfaisant parfum'. Im darauffolgenden 2ten Ab- 
schnitt verkennt er völlig S. 38 ff. das Wesen des griechischen Naturgefühls ; 
man vergleiche mit unseren früheren Ausführungen Sätze wie folgende S. 39 : 
'Pour sympathiser avec la öature, pr6cisement parce qu*elle est la nature, 
il faut s*en sentir plus s6par6s que ne T^taient les Grecs' ... — vergl. 
S. 119 'II faut se rösigner ä en convenir, la principale raison de cette 
absence de paysage (der Landschaftsmalerei), c'est le manque d*int6rgt 
pour la nature en elle-m^me, en Gr^ce plus encore (!) qu'ä Rome : la nature 
ne trouve gräce pour ainsi dire qu*4 condition de se personnifier dans la pein- 
ture*. Auf die — überall des Korrektivs bedürftige — Betrachtung des 
griechischen Naturgefühls folgen S. 43 ff. schon diese Überschriften: in- 
fluence d'Auguste; grand nombre de villas; localites en vogue; voyages 
nombreux; rapidit6 relative; auberges; voyages d'affaires, d'^ducation, de 
sant6; intin^raire restreint des touristes romains etc., S. 51 Lucr^ce, 
Virgile, Horace. — Im Übrigen ist es nicht meine Absicht, die Resultate 
der eigenen Untersuchungen mit denen des nicht sehr tief ein- 
dringenden Franzosen zu messen, der vor allem in der Verschiebung der 
einzelnen Epochen gefehlt hat. — Alex. v. Humboldt findet bei den 
Römern noch spärlicher als bei den Griechen die Äusserungen eines 
landschaftlichen und poetischen Natursinnes ; 'die mehr praktisch nüchterne 
Anlj^e, die Sprache mit einer mehr realistischen Tendenz und der 
entfremdende Hang, griechischen Vorbildern nachzustreben, waren dem 
entgegen; aber von Vaterlandsliebe getragen wussten kräftige Geister 
durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen wie durch 
zarte Anmut der Darstellung jene Hindemisse zu überwinden Kosmos 
II p. 16. — Die sonst landläufige Ansicht über das Naturgefühl der 
Römer spricht am drastischsten H e h n (vergl. m. Sehr. Naturgef. der Gr. S. 6) 
aus, Italien® S. 55: 'Die Römer betrachteten die Natur immer nur unter 
dem Gesichtspunkte des Kulturzweckes. Wenn sie freiwillig oder ge- 
zwungen den Aufenthalt in der Stadt mit dem auf dem Lande vertau- 
schen, da jammern die einen über den Verlust alles dessen, was der Auf- 
merksamkeit des Menschen würdig ist, die anderen freuen sich der Ein- 
samkeit, in der die Laster und die Geschäfte der Hauptstadt nicht unbe- 
quem werden. Die Alpen, die sie so oft zu übersteigen hatten, erscheinen 
ihnen nicht gross und herrlich, sondern hassenswert, weil unwegsam und 
gefahrlich (Humb. a. a. O. 24); das Meer ergreift sie nicht durch Er- 
habenheit, sie verabscheuen es als todbringend ; vor der Tiefe des Waldes 
schaudern sie und denken sich dort den Sitz der schrecklichen Göttin, 
die mit Menschenopfern besänftigt wird . . . Auf ihren Villen suchten 
und fanden die Römer nicht Umgang mit der Natur, sondern in Gärten 



Digitized by 



Google 



197 

und Gebäuden und unter Sklaven den Genuss gesteigerten Luxus und 
ungestörter Selbstherrschaft' vergl. S. 249, 258 fr. 

Laprade, Le sentiment de la nature avant le christianisme ' Paris 
1866 behandelt I, S. 375 — 416 die Römer in seiner in N. d. Gr. Einl. 
charakterisierten Weise; ich hebe aus den allgemeinen Erörterungen 
Folgendes heraus: 'II ne fut pas donn^ aux Latins de contempler la na- 
ture dans les splendeurs du monde vierge; Rome ne la connut et ne 
l'adora qu'en des images venues d*ailleurs' ; er sucht stets nach *r61ement 
religieux, mervcilleux, sumaturel, Tintervention de Tinvisible, la prisence 
«t Vaction de Dieu ou des dieux . . . Les rapports etemels du coeur 
avec la nature, les hannonies de nos passions, de nos diverses situations 
morales avec les phenomines, avec les sites de Vunivers, demeurent, il 
«st vrai, enti&res et toujours Vivantes, et avec elles mille ressources de 
profunde po6sie. Mais cet ordre de sentiments, presque toujours m^lan- 
coliqnes, se montre fort peu dans Vantiquit^ latine' etc., er behandelt be- 
sonders Lucrez, Vergil bis S. 407, Horaz 408, Elegiker 410, Ovid 412, 
Lucan 415. 

Hinsichtlich der sonstigen Literatur über unsere Frage verweise ich 
auf die Einleitung zum ersten Teil über *die Entw. des N. bei d. Grr.' — 

»«) N. d. Gr. S. 62. 

'*) Vergl. n, 557: Infidi njaris insidias virisqne dolumque . . Subdola 
cum ridet pladdi pellacia ponti. Lucrez teilt somit die Abneigung gegen 
die Seefahrt mit den attischen Komikern und manchem Alexandriner; 
▼ergl. auch Plaut. Menaechn. II, v. i u. Ter. Hec. 416. 

") Treffend sagt Laprade a. a. O. S. 379: 'Lucrice est par-dessus 
tout un puissant icrivais; la force lui appartient comme la gräce appar- 
tient ä Virgile; il a le plus grand style entre tous les poetes latins' — 
aber auch: 'le poeme de Lucröce ne peut itre lu sans une Enorme fati- 
gue' trotz der 'passages admirables, des Eclairs de sentiments yrais, des 
«xpressions aussi pittoresques qne la pens6e est fluide et fugitive'. Das 
Endurteil ist wie immer: 'Dieu et Tdme sont absents de ce poeme . . . 
Supprimer le divin dans la nature et Tidie de Timmortalit^ dans Thomme,' 
voiik le dessein de Lucrice'. 

*'^) Programm Rendsburg 1871, S. 28. 

*•) Vergl. XXV, 12: insolenter aestues velut minuta magna Deprensa 
navis in mari vesaniente vento. 

*') Vergl. 70, 4 *sed mulier cupido quod dicit amanti. In vento et 
rapida scribere oportet aqua' mit dem sprichwörtlichen iv vSari y^d^atv 
Plat. Phaedr. p. 276. 

^^) Wol nicht viele werden Laprade a. a. O. S. 392 beistimmen: 
• . mais lequel des deux Temporte par la couleur et la grftce pittoresque ? 
La question peut rester indicise. Mais combien plus de grflce intime et 
de vie morale chez le poete latin ! — Wer möchte wol die reflektierende 
Kunstdichtung Vergirs über die in unbewnsster Naturfrische völlig naive 
Schöpfung Homer*s stellen!? — Auch das ist eine Hyperbel, wenn 
Laprade — der hellenistischen Dichter vergessend — S. 402 sagt: 
Virgile est le seul des anciens, ä qui Ton puisse appliquer, daas le sens 



Digitized by 



Google 



198 

noble et religieux du mot, l'dpithÄte de rßveur etc. Des Pudels Kern 
ist bei dem eifrigen Katholiken immer die Frage nach einer Ahnung 
christlicher Ideen bei den alten Schriftstellern. 

^®) Vergl. Vergil's Eklogen von Kolster, Leipzig 1882, S. 22 u 
Die Stelle ist also ganz ähnlich wie in dem Euripideischen Hippolytos 
V. 208 fF., wo auch der gesunde antike Sinn in den Worten der Amme 
gegen die Überspanntheit der Phaedra reagiert; vgl. Naturgef. d. Gr. S. 55* 

20) N. d. Gr. S. 74. 

**) Se er et an a. a. O. p. 57: La note vraiment fundamentale dans 
Virgile c'est cette Sympathie pour ainsi dire moderne pour tout ce .qui 
fait partie du monde inanim^ jusqu*au brin d*herbe brüU par le soleil; 
c*est cette tendresse virgilienne etc. 

**) Es ist nicht verwunderlich, wenn Horaz im Urteile Laprade*s 
weit weniger gilt als Vergil. Le soleil, le printemps, sagt er S. 411, les 
fleurs, tout le paysage ne sont rien pour lui que d*aimables auxiliaires d«- 
la volupt6. / Auch das Verhältnis der augusteischen Dichter zum Land- 
leben ist nicht richtig charakterisiert S. 4 1 1 : . . la decoration est splen- 
dide, mais les acteurs ne perdent pas leur temps ä la contempler comme 
nous le ferions peut-ßtre. Ils sont lä pour vivre et non pour r^ver. Ils 
y cherchent la campagne et non pas la nature teile que nous l'entendons ; 
car la nature n*existe po^tiquement qu*ä.la condition d'ßtre divinis^e (!) 
ou du moins traversee par Tid^e de Dieu et dou6e d*une äme qui nous 
parle et qui nous entende. 

*') Aber was bei Alltaios ganz realistisch empfunden ist, hat in der 
Nachdichtung einen Stich ins Symbolische erhalten . . was bei jenem aus 
lebendiger Erinnerung an die selbst durchlebte Not schwerer Stunden 
hervorquillt, ist bei Horaz zur kühlen Reflexion des am Ufer stehenden 
Zuschauers geworden (Kiessling, Philol. Untersuchungen, Heft 2 S. 48 ff.). 

**) In feinen Strichen zeichnet Leo im 2. Hefte der Philolog. Unter- 
suchungen V. Kiessling u. v. Wilamowitz-Moellendorff die Eigenart des 
Tibullus. *Eine Elegie muss durch eine einheitliche Stimmung zusammen- 
gehalten sein und dieselbe im Hörer erzeugen; die Linien des Grund- 
risses müssen durch das verschlungene Spiel der Empfindung halbver- 
deckt, die Fugen durch modulierende Übergänge gefüllt sein. Der Hörer 
wird nicht zum Nachdenken aufgefordert, sondern gleichsam auf den 
Wogen der Töne hingetragen. Tibull ist hierin Meister ... Es ist ihm 
eigentümlich, 'träumerisch einem Gedanken, einer Empfindung nachzu- 
hängen und nun wie willenlos von der Phantasie getragen weiter zu 
dichten bis zum plötzlichen Erwachen oder allmählichen Verfliegen der 
Traumbilder ... S. 45 : 'Es verlohnt sich, den Bildern und Wendungen 
die Beobachtungskunst, den feinen Natursinn abzulauschen, mit dem sie 
angeschaut und verwebt sind. An diesem Bedürfnis, die Welt ausserhalb 
poetisch zu verarbeiten, erkennt man ja vor allem den wahren Dichter 
und unterscheidet ihn von dem Gefühlsreimer, der uns in seinem Herzen 
spazieren führt' u. s. f. 

**) Bernhardy, Rom. Literaturgesch. * S. 485: 'Kein Römer hat 
mit gleicher Wärme die Empfindungen eines reinen Herzens ausgesprochen» 



Digitized by 



Google 



199 

mit grösserer Gemütlichkeit und Milde die Seligkeit eines Stilllebens in 
ländlicher Natur . . gepriesen, ohne doch zu malen und durch rhetorische 
Züge zu verschönern. Ganz irrig ist aber die Behauptung S. 515: *Mit 
Ausnahme TibuUs fühlten die Römer selbst in den schlimmen Zeiten der 
Monarchie weder Trieb noch Bedürfnis, die Bande des städtischen Lebens 
zu zerreissen, und indem sie in stiller Wehmut einen Gegensatz zur Ge- 
sellschaft versucht hätten, mit Sehnsucht die verlorene Seligkeit und Un- 
schuld, wenn nicht in der Einsamkeit der Natur, doch in Bildern der 
Dichtung und Phantasie zurückzurufen. Italien hatte stets einen Mangel 
an ländlichen Sympathien'. 

^*) Vergl. Leo a. a. O. Die Dellen, Cynthien, Lydien, Corinnen etc. 
sind nur die Folie für die Leidenschaft des Dichters, Reflex oder Er- 
gänzung seines eigenen Wesens. 

*') Die Lust zur Jagd als Sport war auch bei den Griechen nicht 
national, sondern ward bei ihnen erst unter orientalischem Einfluss hei- 
misch, vgl. N. d. Gr. S. 66 u. Anm. Selten sind Gleichnisse von der 
Jagd in der alten römischen Literatur und stets auf griechische Vorbilder 
zurückführend, so Enn. 344, Acdus im Pentheus XVII (259) wo es von 
der Agaue heisst : quanta in venando affecta est laetitudine, vergl. Meleagei 
n (441). Interessant ist, — wie Kiessling N. Schw. Mus. V, 327 ff. 
nachgewiesen hat — , dass der alte Varro in seinen Satiren gegen das 
neumodische, unrömische Vergnügen Front macht und die 'Nimrode', die 
Meleagri, durchhechelt: quaero utrum fructuis an delectatlonis causa? 
fructuis, ut vendatis — sin autem delectatlonis causa venamlni, quanto 
satius est salvls cruribus in circo spectare quam eis descobinatis in silva 
currere; ähnlich spottet Horaz Ep. I, 6, 58 — 6i über den Garglllus. — 
Polyblus XXXII, 15 berichtet uns, wie der Ämilius Paullus — ein 
Hauptvertreter des Hellenismus — dem Jagdsport gehuldigt und seinem 
Sohne die Gehege des macedonlschen Königs geöffnet KaXXiorijv vno- 
kafißavcDv xal rrjv aaxrjaiv xal rtjv tffvxaymylav vTta^x^^'^ '^^^^ viois 
TTJv Tie^l ra xvvrjyiaia» Cicero empfiehlt ebenfalls seinem Sohne die 
Jagd de off. I, 29, 104. Und so schildert auch Horaz Ep. I, 18, 44 ff. 
die Jagd als ein Vergnügen — das zu pflegen bei der fashionablen Jugend 
immer allgemeiner geworden sein mag, obgleich selbst Tacitus noch ann. 
II, 56 das venari als einen Brauch der Barbaren hinstellt. — 

^^) Wunderbar stimmt zu dem Charakter des Dichters die Landschaft 
des reizenden Thals von Sulmona, das — nach der Schilderung eines 
Modernen, Nationalztg. vom 19. Mal 1883 — mitten zwischen den Schreck- 
nissen von Schluchten und Abgründen und Bergen (Majella im W., Gran 
Sasso im S.) wie ein ringsum abgeschlossener Paradiesesgarten liegt. 
Schwüle Luft fächelt hier zum ersten Mal wieder die Schläfe, nirgends in 
Italien erscheint das Grün so üppig, die Fruchtbarkeit so strotzend wie 
hier, denn das Auge hat im rauhen Gebirge lange diesen tropischen An- 
blick entbehrt. Körper und Geist erliegen beinahe unter dem über- 
schwänglichen Eindruck dieser Natur. Aller Feldbau wird hier zur 
Gärtnerei, zwischen den Weinlauben und den dunklen Pappeln ragen die 
Malsstauden empor; ganze Feldstrecken sind mit blühendem Krokus be- 



Digiti 



zedby Google 



200 

deckt, denn seit dem Altertum liefert Sulmona als HandelspfUnze den 
Saifran. Diese Fruchtbarkeit hat das Ländchen seinem unerschöpflichen 
Wasserreichtum zu danken. Aus den Seen und Thalem des höheren 
Gebirges ergiesst sich überallher das belebende Nass. — Eine Quelle heisst 
fönte d*amore, und das Volk erzählt von dem Zauberer lo Viddio, der 
noch jetzt im goldenen Wagen nächtlich durch die Luft fährt, bald 
gnädig, bald Unheil bringend. Nächtlich klingen Gesänge durch das 
Thal mit dem Refrain: 

Sulmona beUa, ove Vidio nacque, 
Circondata di monti e copiosa d*aqne. 

'*) Vergl. deutsche Volkslieder, Uhland Sehr. III, 44$ und 543; 
Brwin Rohde, der griech. Roman S. 160, i. 

»0) Vergl. I, 371, II, 9. 337. 

") Vergl. I, 360. 757. n, 649. 668. 

'*) Kant sagt einmal: Die Natur gefällt, wenn sie wie Kunst er- 
scheint, die Kunst, wenn sie wie Natur erscheint. 

") I. 5, 47; IV, I, 55; V, I, 31; 6, 37; ex Ponto II, 7, 25. 

'^) I, 3, 13 de gurgite curae, II, i, 5: curarum nube. 

") Vergl. V. 129; 3, 27; 7, 8. ^ 

'*) Die Landschaft in der Kunst der alten Völker, München 1876, 
S. 328. 

»"O Hei big, Wandgemälde S. 387. 

•®) Heibig, Untersuchungen über die kampanische Wandmalerei 
cap. XII und XXIV, Wandgemälde p. 389—397, no. 1555— 1582, 
Wörmann p. 354 ff. 

■») Wörmann, S. 369. 

*<>) Siehe Tafel VI bei Wörmann, und besonders schön ist Hel- 
big no.- 567. 

**) Heibig, I538ff., Wörmann p. 379: 

*«) Heibig, cap. XXV. 

*•) Wörmann, S. 382. 

**) Friedländer, der die obige Stelle nicht übersehen hat (II, S. 
44 und S. 115 Anm. 7), konstatiert selbst: *Es ist gewiss möglich, dass 
•einzelne auch im Altertum diese Richtung des Naturgefühls gehabt haben', 
trotzdem er sonst immer *die Ausdehnung des Begriffs der Naturschönheit 
auf das Rauhe, Düstere und Öde, das Phantastische und Wil4e, endlich 
das furchtbar Erhabene als dem Altertum und Mittelalter fremd* hin- 
stellt. — GöU (Kulturbilder aus Hellas und Rom I* S. 76) übertreibt 
«in wenig, wenn er sagt: 'Auch die Reisemanie blasierter Noblesse, das 
Jagen nach dem Pittoresken, Romantischen und Gefahrlichen, nur um den 
Kitzel der Abwechslung des Kontrastes zu gemessen, findejt in der da- 
maligen Zeit würdige Vertreter, und man bedauert es fast, dass noch die 
stabilen Gestalten grämlicher Lords und prüder Ladies fehlen mussten . — 

*'^) Eichbaum I, 136; Blitz v. 151, Löwen 205, Tiger 326, Stier 
II, 601, Blut leckende Raubtiere IV, 237, pharische Nattern 724, Meer- 
sturm I, 498 und II, 464; Felsen H, 267 und 469; vom Po VI, 272, 
Ätna 293, femer vergl. VII, 134, VIII, 489, IX, 182, 284 (Bienen). — 



Digitized by 



Google 



201 

*«) Z. B. II, 396 ff., Parnass V, 71; Ossa VI, 333, Nil X, 200. 

*') Vergl. I, 260 : Rura silent mediiisqae tacet sine murmure pontus. 

") Veiigl. IV, 373, V, 527. 

*•) Vergl. Entw. des Natürgefühls bei den Griechen S. I2l. 

^) Vergl. Urlichs, Chrestomathia Pliniana p. XVII flF. 

**) Vergl. Vn, 294 und 581. 

^') VI, 158: gaadet Avema palus; 168: gemit ager tremibiindaque 
piilsii Nntat hnmus, 

*•) Eine ganze Reihe derselben wird vorgeführt z. B. III, 10 1 (F., 
ni, 577 ff., IV, 261, VI, 607 etc. 

»*) Vergl. N. der Gr., S. 82. 

**) Man vergl. z. B. Liv. XII, 4, 6 : qui . . decncurrerunt, eo magis 
Romanis subita atque improvisa res fiiit, quod orta ex lacu nebula campo 
quam montibus densior sederat — und Sil. V, 34 : Tum super ipse lacus, 
densam caligine caeca Exhalans nebulam, late corruperat omnem Pro- 
spectum miseris atque atrae noctis amictu Squalebat pressum picea inter 
nubila Collum. 

*•) Doch auch hier sind die einzelnen Farbentöne nicht ganz origi- 
nell; vergl. An. II, 312: Sigea igni freta lata relucent und VII, 9; Val. 
nacc. II, 583: unda sacris ignibus vibrat; Lucan V, 446: pontus non 
solis imagine vibrat. 

*') Vergl. mit dieser Stelle die knappen Zeilen bei Vergil An. II, 
418; Gleichnisse z. B. Ge. I, 428 — Sü. V, 384; An. VII, 462 — Sil. 
V, 603; An. VIII, 20 (resp. ApoUon. III, 154) — Sil. VIII, 141 (die 
Seelenunruhe wird mit den im Wasser reflektierten schwankenden Sonnen- 
strahlen verglichen!) u. s. f. . . Das kleinste Vergilische Samenkorn 
wuchert auf Silianischem Boden zum üppigsten Unkraut empor. — Doch 
ist manchmal die Technik recht sauber (auch hinsichtlich der Wortstel- 
lung) wie z. B. vom Liris IV, 352: Perstringit tacitas gemmanti gurgite 
ripas; v. 349: Vitiferi sacro generatus vertice montis oder VII, 258 : Tum, 
sensim infusa tranquilla per aequora pace, Languentes tacito lucent in 
litore fluctus; VIII, 429: Tam creber fractis albescit fluctus in undis. — 
Die Zeitschilderungen sind auch ganz nach dem Muster der augusteischen 
Dichter gefertigt; vergl. IV, 482, V, 24; schwungvoll ist der Anfang 
von XII. — 

**) Dies sonst seltene Wort liebt die Zeit ganz besonders; so kehrt 
es bei Valerius Flaccus wieder I, 819; II, 359. 501; III, 473. 579; IV, 
659. 665. 675 u. s. f. 

'*) V, 335; Ecce autem aureata dispellens aequora prora Pelias in- 
tacti late subit hospita ponti Pinus; agunt Minyae, geminus fragor (!) 
ardua canet Per latera, abruptam credas radicibus ire Ortygian aut fractum 
pelago decurrere montem. Ast ubi suspensis siluerunt aequora tonsis, 
Mitior et senibus cygnis et pectine Phoebi Vox media de puppe 
venit etc. 

*<*) Dagegen hebt Gerber, Naturpersonifikation in Poesie und Kunst 
der Alten, 13 Supplem. Bd. der Jahrb. für klass. Philol. Leipzig 1883, 
S. 241 — 317, die mythischen Personifikationen und die oft so frostigen 



Digitized by 



Google 



Allegorien der spateren Dichter (z. B. einer Hispania mit golddnrch- 
wirktem Gewände und Ölblättem im Haar, einer Gallia mit blondem Haar etc. 
bei Claudian) auf eine durch nichts zu rechtfertigende Höhe der Kunst- 
leistung, durch welche diese Epigonen sich weit über den Standpunkt der 
griechischen Dichter sollen erhoben haben. Da lesen wir denn S. 251, 
268, 301 : *Eine Personificierung (menschliche Beseelung und Verkörpe- 
rung) oder Personifikation (menschliche Beseelung ohne Verkörperung) 
von Erde, Ländern, Meer, Flüssen und Quellen, Bergen als teilnehmen- 
der Landschaft finden wir weder in griechischer noch in hellenistischer 
Poesie und Kunst'. Bei den Römern soll sich erst eine anthropomor- 
phische Naturanschauung herausgebildet haben und der Natur persön- 
licher Anteil an den menschlichen Geschicken gelegt werden, 'erst bei 
den Römern überall die eigentliche poetische Personificierung stattfinden 
(306). Fast jede Seite des ersten Teils dieser Schrift widerlegt diese 
in ästhetischer wie in historischer Hinsicht gleich abenteuerlichen An- 
schauungen und irrigen Resultate. — Wie viel zarter und sinnvoller, wie 
viel reicher und vielseitiger sind die Beseelungen in griechischer Dichtung 
als in der römischen, die auch in dieser Hinsicht nur ein Nachhall jener 
ist, wol aber in reflektierten, abstrakten Allegorien und Personifikationen 
wie der Hitze, des Verbrechens, des Zorns, der Furcht u. a. (Stat. VII, 
48 ff., VIII, 24 etc.) über jene hinausgeht. — Im einzelnen vergleiche meine 
demnächstige Anzeige der gen. G.'schen Schrift im Philol. Anzeiger. — 

«0 Vergl. II, 185; V, 525? VI, iio; VII, 404. 426, VIII, 17; 
IX, 228. 347. 412. 456. 

•*) Sonst vergl. I, 478 : 'so sinken die windgepeitschten Wogen zu- 
sammen; Stier II, 323, III, 331; Schlange H, 411, IV, 25, 'die beim 
schmeichelnden Wehn der Frühlingslüfte vom Boden sich erhebt und be- 
freit von der schuppigen Hülle aus lachenden Kräutern hervorblickt' ; 
häufig: 'schneller als ein fallender Stern, ungestümer als tosende Ströme, 
als Blitze (VI, 410), ungeduldiger als das winterlich stürmende Meer 
(VI, 306), eiliger als der Wind, stürmisch, wie die hoch sich türmenden 
Wellen an Klippen zerbersten* ; erbittert wie der allmählich aufbrausende 
Wind (VII, 624) u. s. f. — 

«•) Vergl. Kiessling, N. Schweiz. Mus. V, 327 fF., über das Massen- 
morden bei Tierhetzen und dergl. vergl. GöU, Kulturbilder II* S. 
403 ff. 

•*) S e c r e t a n a. a. O. S. 1 43. Vergl. die treffliche Schilderung 'die Insel 
Capri, Idylle vom Mittelmeer' von Ferd. Gregorovius S. 10 ff. Nur ein 
modemer Historiker konnte die Zeilen schreiben wie Greg.: 'Es lieget 
hier Fürchterliches und Liebliches in einem Kontrast. Das lachende 
grüne Thal stösst hart an schroffe Felsenwände, welche das heitere 
Pflanzenleben zerreissen und nackt und gigantisch in die Wolken ragen; 
und wiederum findet das tägliche Bild einfacher Naturmenschen, welche 
Armut und Frömmigkeit verschönert und die Arbeit veredelt, seinen 
grellsten Gegensatz an der inmier wieder sich aufdrängenden Vorstellung 
des Tiberius, des Menschen der absoluten Unnatur u. s. f. 



Digitized by 



Google 



203 

^^) Siehe die geistreiche Skizze 'Renaissance und Rococo in der 
römischen Literatur von Martin Hertz Berl. 1865. 

®*) Vei^l. I, 2, 14 (die Sonne als Quell des Lichts und der Wärme); 
II, 6, 7 (Vogeleltem, die die Kleinen ernähren und fliegen lehren; 
. . paulum egredi nidis et circumvolare sedem illam praecedentes ipsae 
docent, tum expertas vires libero caelo suaeque ipsorum fiduciae permit- 
tunt), 10, 6 (quadrupedes) ; 16, i3fF. (animalia) XII, 10, 76; II, 19, 2 
(Fruchtbarkeit der Erde) vergl. VIII, 5, 26; X, 3, 2. 7, 28; XII, i, 7. 
10, 19; T e u f f e 1 , Literaturgesch. *' S. 715. 

*') Secretan sagt mit Unrecht S. 140: 'Ses descriptions reUvent 
avec beaucoup d'art le pittoresque et les nuances de la nature, mais elles 
ne vont pas au delä. Pline n*y m6le aucun des sentiments humains que 
la vraie po^sie associe ä la nature, ou plutdt qu*elle en d^gage, car ils y 
sont contenus: ni Tamour, ni la röverie (!) etc. — 

*®) Eine ansprechende Skizze enthält die Schrift 'der römische Lustgarten, 
ein Beitrag zur .Untersuchung über den Natursinn der Römer' von K. 
Woksch, vergl. meine Anzeige d. Sehr. Philol. Rundsch. III. Jahrg., 
3, 19. Verwertet sind: Lenz, Botanik der Gr. und R. Gotha 1859; 
"Wüstemann, über die Kunstgärtnerei der alten Römer Gotha 1846; 
Becker, Gallus I, S. 283 if., Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere 
Berlin 1877; Petzold, die Landschaftsgärtnerei Leipzig 1 862 ; Meyer, 
Lehrbuch der schönen Gartenkunst Berlin 1862; Jak. v. Falke, der 
Garten und F. Bodenstedt, Kunst und Leben, I. 

•®) Vergl. den interessanten Aufsatz von Cohn, die Gärten in alter 
und neuer Zeit, D. Rundschau XVIII, S. 259. 

'0) Cohn a. a. O. S. 257. 

'^) Woksch a. a. O. S. 6 ff. Ursprünglich war der römische Gar- 
ten ein Nutzgarten; LucuUus soll den ersten Park angelegt haben. Über 
den grossen Luxus der Gärten und Parkanlagen klagt schon Horaz und 
besonders Seneca. Der ärmere Stadtbewohner suchte wenigstens ein 
Stückdhen Natur sich durch ein zierliches viridarium im Peristyl seines 
Hauses zu schaffen oder setzte ein Blumenstöckchen ans Fenster, während 
die Inhaber prunkvoller Paläste Balkone und Dächer mit Sträuchem und 
Blumen schmückten. — Julius Caesar öffnete seine grossen Parkanlagen 
dem Publikum, Suet Caes. 83. Tac. ann. 2, 41. 

'■) Vei^l. über die einzelnen Teile des Gartens : xystus, ambulatio, 
gestatio Woksch S. 11. Oft schlössen sich an den Hippodrom Tier- 
gärten (leporaria), Fischbassins (vivaria piscium), Volieren (aviaria); auch 
Gewächshäuser gab es (Becker, Gallus S. 289). Was das Prinzip der 
Anlage betrifft, sagt Woksch S. 14 treffend: 'Der römische Garten ist 
nicht ein Stück idealisierter Landschaft, sondern eine Nachahmung der im 
westlichen Asien blühenden Gartenkunst, ein Stück Natur, das der Kunst, 
d, h. der Architektur unterworfen ist'; vergl. Car ri er e, Hdllas und Rom 
S. 508. 

'•) Besonders Maulbeer-, Feigenbäume, Platanen, Myrten und Cy- 
pressen; Buchs, Rosmarin, Akanthus, Rosen, Veilchen, Lilien, Krokus, 
Narcissen, Gladiolen, Amaranthen u. dgl.; vergL Woksch S. 15, Becker 



Digitized by 



Google 



204 

S. 89; Jak. V. Falke Hellas und Rom S. 238; Friedländer a. a. O. 
in, S. 78 und 121. 

^^) Kock, die Engelsburg und Kaiser Hadrian, N. Schweiz. Mus. 
V, 131. 

'*) Secretan a. O. S. 153. 

'•) S. Bruch, Roma, Lyrische Dichtungen aus dem römischen Alter- 
tum, Minden 1884. 

^^ Dies letztere, das anhelare, scheint das höchste Stadium der Liebes- 
wut zu bezeichnen; vergl. Reposiani de concubitu Martis et Veneris 
<(no. 420) V. 117: Et Venerem totis pulmonibus ardor anhelat! vergl. v. 
138: Viderat effusis Gradivum Phoebus habenis In gremio Paphiae spi- 
rantem incendia amoris. 

^^) 102 . . nee tota latet nee totum nudat amorenu Hle inter flores 
furtivo lumine tectam Spectat hians Venerem motoque ardore tremescit 
. « . . Quam bene consertis haeserunt artibus artus! 

^^) y. 118: Ipsa Venus tunc calidis succensa venenis Uritur ardes- 
cens, nee somnia parta quieta. O species quam blanda! o quam bene 
presserat artus Nudos forte sopor! niveis sufTulta lacertis Colla nitent 
pectus gemino quasi sidere fiilget. 

«ö) S. TeU I, S. 102. 

^')Burckhardt, die Zeit Konstantins des Grossen, Basel 1853, 
S. 495. 

®') Symmach. ep. I, 8. 

«») Ibid. III, 33. 

®*) Carriere a. a. O, S. 615. 

*») Burckhardt a. a. O. S. 315. 

^•) Z. B. I, 22 (ed. Jeep): haud secus ac tacitam Luna regnante per 
arcem Sidereae cedunt acies, cum fratre recusso Aemulus adversis flagra- 
verit ignibus orbis: Tunc jubar Arcturi languet etc. VIII, 104 ff., zart 
ist XXXIV, 141 der Vergleich der jammernden Ceres mit der armen 
Vogelmutter und v, 165 mit dem Hirten, der seine Herde überfallen sieht. 

^^) Vergl. Vn, 122: Submissus adorat Eridanus blandosque iubet 
mitescere fluctus. 

88) Vergl. VII, 96 fr. 

8*) xn, 4 : Omne nemus cum fluviis, Omne canat profundum. Ligures 
favete campi, Veneti favete montes Subitisque se rosetis Vestiat Alplnus 
apex Et rubeant pniinae . . und so geht es mit klingendem Spiel der 
Schmeicheleien fort. 

^) Fluss- und Meergötter, Nymphen, Faune, Dryaden sind besonders 
der übliche Zierrat, der dekorative Hintergrund der Landschaft; sie wer- 
den zur Mitfeier oder zur Mitklage citiert, auf dass sie, wie der Chor in 
der Tragödie (Gerber a. a. O. S. 284) die Stimmung in der Natur 
gleichsam verkörpern; vergl. XXXV, 68 ff., 136; XXVIH, 194 ff., 
XXXVI, Anf., 76 ff., 381 ff.; XXXVH, 117 etc.. 

•*) Germanien und die Wälder des Kaukasus geraten in Furcht und 
Schrecken, als Honorius geboren wird VII, Il8; vergl. Vm, 127; 
XXIV, 61 etc. 



Digitized by 



Google 



205 

^^ I, 169, 250: mella ferant silvae etc., vergl. XXI, 89 ff., III, 383 r 
XXVI, 230 ff. Wirkung Orphischen Gesanges XXXTV. 

»») Vergl. Entw. d. N. der Gr. S. 72. 

^^) Ebendaselbst S. 120. 

•') Vergl. V. 238: Talis ad umbrarum ludibria nautica pubes Ambi- 
gois fmitur veri falsiqne iigiiris. 

••) Wörmann, Über den landschaftl. Natursinn S. 98 und S. 113. 

•') Wörmann behauptet freilich S. 98: *Dass die Römer . , weiter 
gegangen seien als die Alexandriner, konnten wir nicht behaupten . Es 
sollte mich freuen, wenn Wörmann nunmehr seine Ansicht modificierte. 

•*) Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms II, S. 119. E» 
würde mir zu grosser Genugthuung gereichen, wenn ich diesen vortreff- 
lichen Meister antiker Kulturforschung wenigstens in manchen Einzel- 
heiten sollte überzeugt haben. 

ö») A. a. O. S. 118. 

^^^) Friedländer sagt mit Recht S. Ii6 Anm. 2: 'Eine Ge- 
schichte des Naturgefühls im Mittelalter und in der neueren Zeit bis zur 
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wäre wol eine ebenso dankbare als 
schwierige Aufgabe'. — * 



Digitized by 



Google 



Inhalts- Verzeichnis. 



Seite 
Erstes Kapitel: Das mythologische Naturgefühl und die Poesie im 

ersten Zeitalter der Republik 1 

Zweites Kapitel: Lucretius. Cicero. Catullus 21 

Drittes Kapitel: Das elegisch-idyllische Naturgefühl im augusteischen 

Zeitalter . 52 

P. Vergilius Maro 54 

Q..Horatius Flaccus 79 

Albius TibuUus 88 

Sextus Propertius 96 

P. Ovidius Naso 105 

Manilius 120 

Livius 121 

Die Landschaftsmalerei 123 

Viertes Kapitel: Die gesteigerte Sentimentalität der Kaiserzeit . . 126 

Seneca 127 

Lucanus 136 

Calpurnius und Nemesianus 141 

Lucilius Junior und Plinius d. A 144 

" Valerius Flaccus und Silius Italicus 146 

Papinius Statius und Martialis 151 

Tacitus, Quintilian und Plinius d. J. 161 

Apulejus 170 

Lyrisch-epigrammatische Poesie . - 172 

Claudian und Ausonius 180 

Rückblick und Schluss 187 

Anmerkungen 195 



Digiti 



zedby Google 



Register. 

(II bedeutet Entw. des Naturgef.'s d. Römer.) 



Accius II, 17. 

Adonis 10. 77. 

Aschylos 35 ff. 

Ätna 33. 182. II, 144 f. 169. 

Agathias 115. 

Alkman 25. 

Alkyonen 25. 50. 83. II, 16. 

Alpen II, 122. 139. 150. 181. 182. 

Anakreon 30. 

Anakreonteen 88. 

Angeln, das II, 159. 162. 

Annianus II, 171. 

Antipatros v. Sidon 97. 

Antiphilos 113. 

Anyte 92. 

ApoUonios v. Rhodos 79. 

Arohilochos 23. 

Aristophanes 56. 

Aristoteles 62. 

Asklepiades v. Samos 93. 

Ausonius 11, 183 f. 

•Baumrinde, Trägerin des geliebten 

Namens 68. II, 58. 101. 177. 
Bäume, Liebe der 68. n, 107. 181. 

Gleichn. 14. 22. 80. 82. (ausf. B. 92) 

II, 72. 106. 119. 148. 167. 
Bcflügelungswunsch 26. 40 f. 60 f. 

61. 
Beseelung 17 fr. 32. 34. 37. 44. 53 f. 

67. 68. 73 f. 77. 78. 83. 92. 96. 108. 

114fr. 118f. 126. n, 11. 44. 77. 

114. 136. 146. 149. 161 f. 180f. 
Bion 77. 



Blumen- u. Pflanzenwelt (Gleichnisse) 
15. 28. 34. 71. 80. 92. 100. 123. 
II, 48 f. 58 f. 

Blumen u. Schönheit resp. Ver- 
gänglichkeit 71. 102 f. 112. II, 
48f. 72. 93. 104. Ulf. 113. 144. 

Calpurnius II, 141 f. 

Cato II, 7. 36. 

Catullus IT, 41 f. 

Chairemon 85. 

Cicaden 14. 70. 88. 89. 124. 126. 

II, 66. 
Cicero II, 32 f. 
Claudian II, 180 ff. 
Coluraella II, 140. 

Dio Chrysostomos 121. 
Dryaden 19. 

Einsamkeit, Sinn für 55. 86. II, 39. 58. 

96. 101 f. 110. 119. 143. 146. 162 ff. 
Elysium 12. 33. II, 77. 81. 90. 107. 
Ennius II, 8. 
Erhabenheit über die Natur 46. (s. 

Naturbetr.) 
Erotisches 38. 68. 78 ff. 81 f. 91 f. 

100 f. 113. 118. 122. n, 74. 90. 

160 f. 176 f. 
Euripides 46 ff. 

Fabel 23. 

Farbensinn 12. 

Farbenspiel II, 48. 50. 72. 93. 105. 

177. 187. 
Faunus II, 6. 



Digitized by 



Google 



208 



Femsicht 83. 127. n, 16. 39f. 76. 

134. 164f. 167. 
Frühling 33. 44. 67. (Büd 72. 112. 

117.) 96. 104 f. 114. 121. n, 13. 

45. 69. 62. 64. 83 f. 119. 156. 

171. 174. 
Carten 12. 66. 115. 116. 127. n, 

61. 68. 169. 165. 167. 170. 176. 
Gräberpoesie 106. U, 102 f. 117. 

Hadrian U» 169. 

Heimatgefühl 44. 45. 51. 62. n, 37. 
44 f. 85. 118. 

Hesiod 19. 

Himmelserscheinüngen 13. 23. 42. 
49. 63. 70. 79. 82. 85. 95. n, 
9. 17. ^9 f. 73. 137 f. 173. 

Homer ilflf. 

Horaz II, 79 ff. 

Hyakinthos 10. II, 116. 

Hylas 10. 81. 

Jagd 66. II, 70. 94. 160. 
Jahreszeiten, Preis der 121. II, 172. 
Insektenwelt 14. 70. 91. n, 67. 

68f. 71ff. 111. 
Ibykos 30. 
Idyllisches 55. 60. 74. 88. 94 ff. 

115. n, 27. 55 ft. 67 ff. 89. 99. 

115. 140 f. 161. 176, 177 f. 
Insel der Seligen 61. 
Julianos Agyptios 115. 

Kallimachos 67 ff. 

Kleanthes 65. 

Kontrast 19. 30. 31. 43. 73. 119. 

Undleben 56. 75. 86. II, 36. 56 f. 

61 f. 86 f. 91. 98. 107. 171. 
Landschaftsmalerei 21. 129. II, 123 f. 
Latifundien II, 134. 
Lenz und Liebe 24. 30. 112. 
Liebe und Mondschein 80. 81. 99. 

II, 100. 
Leonidas v. Tarent, 94. 
Libanios 121. 
Lichteffekte 63. 79.81. 83. 86. H, 11. 

29. 75. 137. 163. 174. 184. 185. 

186. 
Livius Andronicns II, 8. 



Livins n, 121. 
Longos 122 f. 
Lucanus H, 136 f. 
Lncilius Junior n, 144. 
Lucretius II, 21 ff. 
LukUnos 106. 
Lygdamus 93. 
L^ophron 85. 

Manilius H, 120. 

Marianos 115. 

Mars n, 5, 

Martial H, 157 f. 

Meer, Beiwörter 11.0, 10. 46. Gleich- 
nisse 14. 16.23.42.49.79.86.11,10. 
47. 63. 64. 66. 73. 114 f. 118. 139. 
147. Metaphern : xvfuUvea&ai 34. 
Ttekayos, %B€fAiov etc. 36 ff. 42. 61. 
(141). 81. 86. 101. aestuare, fluc 
tuare etc. II, 11. 20. 31. 46. 70. 
77. 118. 146; Schönheit d. M. 
n, 33. 163. 175. MeeresstiUe 73. 
76. 115. II, 15. 138. 156. sonstige 
Stellung zum M. resp. Schiffahrt 
18. 58. 73. 76. 84. 94. H, 28. 90. 
101. 107. 

Meer und Liebe 100 f. H, 104. 

Melancholie 49. 106. 108. H, 32. 172. 

Meleager 99 ff. 

Menander 86. 

Mimnermos 22. 

Mnesalkas 90. 

Mondscheinbeleuchtung 19. 29. 71. 
80. 81. 85. 99. n, 73. 83. 

Morgen 43. 45. 63. 83. H, 18, 76. 
109. 147. 172. 

Morgenfrieden 54. 

Moschos 76. 

Musaios 118. 

Musoniös 121. 

Nacht 25. 29. 39. 58. 119. 120. H, 12. 
59. 75. 114. 118. 147 f. 151. 166. 
Naevius II, 8. 
Naivität, Wesen der 12. 
NauUeros 86.^ 
Narkissos 10. II, 116. 



Digitized by 



Google 



209 



Naturbetrachtung, erhebt resp. de- 
mütigt den M. 62. II, 25. 34 f. 

86. 114. 121. 127 ff. 130. 144. 
Naturunmöglichkeiten, Spiel mit 48. 

74. II, 30. 59. 103. 143. 189. 
Naturvölker, glücklich gepriesen II, 

27. 117. 134. 162. 
Natur, die im Banne der Schönheit 

72. 101. II, 57. 107. 141. 
Natur und Kunst 121. II, 37. 97. 

115. 135. 154 f. 184. 185.. 
Natur, verkünstelte II, 166. 
Nemesianus II, 142 f. 
Nonnos 11 6 ff. 
Nossis 91. 

Numen, göttl. II, 54. 117. 135. 
Nymphen 10. 
Ordnung in der Natur 62. II, 83. 

121. 128. 
Ovid 105 ff. 
Pacuvius II, 14. 
Pan 10. 
Pantheistisches 65. II, 68. 127. 135. 

145. 179. 182. 183. 
Personification 17. 53. 69. II, 4. 

115. 149. 180 f. 
Philodemos 99. 
Philomele 10. 40. (16. 28. 32. 70) 

II, 110. 
Pindaros 32 f. 

Platane 60. 92. 97. II, 36. 135. 
Piaton 60. 

Plinius, d. Ä. II, 145; d. J. II, 162 f. 
Pflanzenliebe 117. II, 107, siehe 

Liebe der Bäume. 
Propertius II, 96 ff. 
Ptolemaios 99. 
Quelle (Bach) 16. 48. 75. 95. 114. II, 

47. 84. 89. 106. 111. 115. 120. 133. 
Quintilian II, 162. 
Reisen II, 38. 53. 131. 169. 
Rhianos v. Bena 96. 
Rose 28. 71. 96. 103.112.119. 11,173. 
Romantisches — im engeren Sinne 
Gef. f. d. Öde u. Wilde II, 33. 
37. 101 f. 131 f. 138. — sonst 80. 

130. II, 135. 147. 184. 185. 



Ru6nos 112. 

Ruinenpoesie 106 ff. II, 117. 

Sappho 27. 

Satyrios 114. 

Schwalbenlied 90. 

Sentimentalität, Wesen der 12. 47 f. 

56. 66. 68. 78. 87. 93. 103. 114. 

117. II, 58. 101 ff. 109 f. 118. 

126 f. 177 f. 
Silius Italicus II, 149 f. 
Silvanus II, 6. 
Simonides v. Keos 31 ff. 
Sokrates 60. 
Solon 22. 

Sommer 26. 125. II, 66. 
Sonnenßnsternis 24. 33. 
Sophokles 39 ff. 
Sosikrates 87. 
Spiegelung 81. II, 80. 73. 137. 139. 

149. 153. 168. 174. 184. 185. 
Statins II, 151 f. 
Sternenhimmel 84. 96. II, 34. 121. 

128. 130. 
Stesichoros 26. 
Stille in der Natur 54. 57. 73. II, 60. 

(s. Nacht). 
Strom (Bach, Wellen) und Leben 

II, 106. 112. 133. 
Symmachus 11, 179. 
Sympathetisches 15. 19. 21. 27. 36. 

42 f. 46. 73. 78. 97. 125. II, 43. 

57 f. 78. 118 f. 122. 170. 181. 182. 

Tacitus II, 161. 

TaUos 113. 

Tempethal 121. U, 151. 

Theognis 69. 

TibuUus 88 f. 

Tierleben, Gleichnisse 14. 27. 28. 

34. 39. 40. 49. 50. 70. 80. 123. 

II, 29. 58 f. 70. ausgef. Bilder 91. 
Tyrtaios 22. 

Valerius Flaccus II, 146. 
Venus II, 22. 171. 
Vergilius II, 54 ff. 
Verwandlungssagen 10. 107. 117. 
II, 113 f. 116. 



Bieso, die Kutwicklung des XaturgefQhls bei den Bömorn. 



14 



Digitized by 



Google 



210 



Verwandlungswünsche 71. 96. 100. 

113. 118. 123.11, 70. s. Beftüge- 

lungswünsche. 
Vesuv II, 158. 167. 
Villen II, 89. 53. 132 f. 153 f. 159. 

164 f. 186. 
Vogelwelt, Gleichnisse 14. 16. 32. 

84. 39. 50. 123. II, 70. 152. 

ausgef. Bilder 58 f. 91. 
Wächterlieder 16?. II, 160. 



Waldeinsamkeit 55. 56. 68. (s. Ein- 
samkeit.) 

Weltschmerz 88. 93. 106. 111. II, 
174. 

Weltuntergang 36. n, 128. 175. 

Winde, Wellen und Liebesschwüre 
u. dgl. 68. 79. II, 46. 73. 90. 93. 
95. 103. 146. 

Wolkenpoesie 57 f. 

Wonne der Wehmut 48. II, 119. 



Berichtigungen zum ersten Teil. 

S. 48 Z. 1 V. o. lies Parallelisierung. 

S. 71 Z. 4 V. o. lies blonder wie die Rainblume. 

S. 76 Z. 8 V. o. „ Dunkel. 

S. 89 Z. 12 V. u. „ Anthologie. 

S. 95 Z. 15 V. o. „ Augenlidern. 

S. 100 Z. 10 V. o. „ Moiro. 

S. 101 Z. 2 V. u. „ a fike^(oe. 

S. 107 Z. 12 V. o. „ zu Rosen v^urden. 

S. 108 Z. 18 V. u. „ ov, 

S. 117 Z. 5 V. o. „ das wildeste. 

S. 119 Z. 10 V. o. „ der äusserste. 

S. 130 Z. 13 V. u. „ Wandgemälden. 



Druck von A. Hopf er in Burg. 



Digiti 



zedby Google 



Digitized by 



Google 



Digitized by 



Google