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PROPER TY OF
ARTES SCIENTIA VERJTAS
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Die
Entwicklung des Naturgeföhls
bei den
Griechen und Römern.
Von
Alfred Biese,
Dr. phil.
Erster Teil:
Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Griechen.
Kiel.
Lipsius & Tischer.
1882.
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Die
Entwicklung des Naturgefühls
bei den
G r i e c h e n.
Von
Alfred Biese,
Dr. phiL
Kiel.
Lipsius & Tischer.
1882.
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Meinem Vater
Professor Dr. Franz Biese
»
zum 80. Geburlslage
in dankbarer Liebe dargebracht.
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Vo r w^ o r t.
In seinem Aufsatze über »die Söhne ^n der Laokoon-
Gruppe« (Deutsche Rundschau, Nov. 1881, S. 206) sagt
H. Brunn: »Es zeigt sich hier, wie gerade bei viel er-
örterten Fragen wir uns häufig unbewusst unter dem Ein-
flüsse gewisser, durch besondere Verhältnisse bedingter
Vorstellungen oder Zeitströmungen befinden, und wie eine
allgemeine Verständigung vielfach an der Schwierigkeit
scheitert, solche Probleme auf ihre ersten, einfachsten und
ursprünglichsten Elemente zurückzuführen und sie losgelöst
von bisherigen Vorstellungen voraussetzungslos zu erörtern.
Beruht ja doch der Fortschritt der Wissenschaft nicht
zum kleinsten Teile einfach auf dem Ablegen von Vor-
urteilen«.
Diese trefflichen Worte finden ihre volle Bewahr-
heitung auch bei dem Problem, welches vorliegende Schrift
sich zum Gegenstande gemacht hat. Sie will ein Vorurteil,
welches das Empfindungsleben der Alten in seinem innersten
Wesen trifil, aber durch einseitige Voraussetzungen und
unrichtige Fragestellung hervorgerufen ist, nicht bloss im
engeren Kreise der Philologen, sondern auch in dem weiteren
aller Gebildeten beseitigen und zugleich einen Beitrag zur
Geschichte der Poesie oder der poetischen Motive liefern.
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VIII
Bei einer ebenso weit wie tief greifenden Frage war
Beschränkung durchaus geboten ; ich suchte daher — wenn
auch mit steter Berücksichtigung der wichtigsten kultur-
historischen Momente — vornehmlich an der Entwicklung
der Poesie und Prosa die Entstehungsgeschichte des Natur-
gefühls bei den Griechen nachzuweisen. Den Fachgenossen
und Kennern der antiken Sprachen glaubte ich den griechi-
schen Text nicht ganz vorenthalten zu dürfen, da derselbe
oft als Korrektiv der nur zu leicht moderne Gedanken
hineintragenden Übersetzung dienen muss ; detailliertere
Belege des Erörterten verwies ich in die Anmerkungen.
Die Ungleiftiartigkeit in der Behandlung der einzelnen
Epochen ergab sich von selbst durch die immer intensiver
in dem griechischen Altertum hervortretende Bewegung
nach dem Modernen hin, welche nachzuweisen mir be-
sonders wichtig und interessant erschien.
Somit wendet sich dies Buch an alle, die noch Sinn
für Poesie in unserer prosaischen Zeit sich bewahrt haben
und bei dem minutiösen Detailstudium unserer Tage die
Wichtigkeit der Lösung auch allgemeinerer Fragen nicht
verkennen, sondern überzeugt sind, dass das einzelne nur
Wert hat im Lichte des allgemeinen.
. Kiel, den 25. April 1882.
Alfred Biese-
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Einleitung.
Wenn wir in unserer wissensstolzen Zeit auf die Re-
sultate modernen Denkens und modernen Schaffens hin-'
blicken und bewundernd auf allen Gebieten menschlichen
Tichtens und Trachtens neue Ideeen walten und noch
immer grossartige Umwälzungen sich vollziehen oder vor-
bereiten sehen, so will es uns dünken, als ob eine ganze
Welt uns trenne von der Vergangenheit früherer Jahr-
hunderte, als ob unsere gesamte Anschauungsweise eine
total umgewandelte sei, der nichts früher auch nur im
entferntesten gleich gekommen. Und andererseits wieder
ergreift uns mitten in der Gährung, Zerrissenheit und Un-
ruhe modernen Lebens und Strebens das Gefühl der Weh-
mut, als hätte die Vergangenheit doch ein Etwas besessen,
das wir jetzt entbehren, als hätten wir Unwiederbringliches
verloren ; und diese Sehnsucht webt dann ihren Zauber-
schleier um eine Welt längst verklungener Tage, in denen
das unbefriedigte Gemüt alles das verwirklicht zu finden
wähnt, was es in der Gegenwart so schmerzlich vermisst.
Diese beiden Empfindungen des Stolzes über die immensen
Fortschritte modernen Denkens im Vergleich mit der Ver-
gangenheit und des Schmerzes, dass eine selige, von der
Harmonie des äusseren und inneren Lebens getragene Zeit
längst dahingeschwunden ist, hindern nur zu leicht eine
objektive Würdigung des klassischen Altertums Der
Stempel einer so fernen Vergangenheit rückt alles in eine
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 1
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höhere, reinere Sphäre, und man vergisst so leicht, dass,
so lange es Menschen gegeben, auch dieselben Leiden-
schaften gewaltet haben, die nun einmal das Erbteil mensch-
lichen Blutes sind, wie Liebe und Hass, Ehrgeiz und Hab-
sucht, und dass vergangene Geschlechter ebenso in Lust
und Schmerz gejubelt und geklagt, ebenso genossen und ge-
litten haben wie wir, dajs sich die Intensität des Empfindens nur
abstuft nach dem Grade der Bildung und nach der natio-
nalen Charakteranlage eines Volkes. Immer und überall
begegnen wir denselben treibenden Kräften, welche die
Kultur teils auf eine immer höhere Stufe heben, teils auch
wieder langsam untergraben. So darf auch kein Sehnsudits-
wahn das hellenische Altertum, wenn es auch in seiner
klassischen Periode das Blütenzeitalter der Menschheit war,
mit seiner Jahrhunderte ausfüllenden Kulturentwicklung in
eine so ganz exceptionelle Höhe hinaufrücken; denn gerade
das Schönste, das Herrlichste auf Erden ist nur flüchtig,
ist nur von kürzester Dauer; auch die heitere, griechische
Welt Barg wie eine prangende Frucht in sich den Wurm
der Vernichtung, der inneren Auflösung, der langsam das
antike Wesen zernagte kraft der sich steigernden Bildung,
der sophistischen Reflexion und des hellenistischen Kosmo-
politentums. Trotzdem steht es geradezu wie ein Dogma
fest, dass das naive Hellenentum von moderner Sentimen-
talität niemals angekränkelt sei, dass also auch unser mo-
dernes, wesentlich sentimentales Interesse an der Schönheit
der Natur den Alten gänzlich fremd gewesen, dass unser
heutiges Naturgefühl ein wesentliches Kennzeichen unseres
eigensten Geisteslebens, eine Errungenschaft der letzten Hälfte
des XVIII. Jahrh. sei, von der das Altertum ebenso wenig wie
das Mittelalter oder die Renaissance etwas ahnte. Es ist
aber eine häufige Erfahrungsthatsache in der Wissenschaft,
dass zunächst bestechende, ja in ihrer systemartigen Allge-
meinheit blendende Urteile, trotzdem sie, wie leicht erkenn-
bar, aus nur unvollständigen Prämissen geschlossen sind,
durch die Autorität eines grossen Namens gestützt und ge-
heiligt, immer wieder nachgesprochen werden und fast un-
ausrottbar erscheinen» Gewöhnlich trifft ein gerechter Vor-
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Wurf itur die .'kritiklosen Nachbeter eines solche» wissen-
schaftlichen Aber^latibens. Wenn Schiller^) durch
die sc];iarfe Scheidung des Antik - Naiven , dessen Wesen
auf der Harmonie von Geist und Natur, und des Modern-
Sentimentalen, dessen Wesen auf der Sehnsucht nach
einem verlorenen Paradiese beruhe, sich hinreissen Hess
zu dem Bekenntnisse, es sei befremdend, dass man bei
den ahen Griechen, deren Vorstellungsart so sehr viel
näher der einfältigen Natur läge, so wenig Spuren von un-
serem sentimentalischen Interesse an Naturscenen anträfe,
dass sie zwar treu und genau dieselben schilderten, aber
ohne vorzüglicheren Herzensantejl als bei Beschreibung
eines Schildes, einer Rüstung, ohne Innigkeit, Empfindsam-
keit und süsse Wehmut der Neueren: so ist dies sehr er-
kJäriich aus dem Standpunkte der damaligen Wissenschaft
und speziell aus Schillers' damaliger Kenntnis der griechi-
schen Schriftsteller. Ihm gilt Homer als der Grieche xav^
i^oxijvi im selben Jahre 1795, in dem jener bahnbrechende
.Aufsatz über naive und sentimentalische Dichtung in den
Hören erschien, bittet er Wilh. von Humboldt, wie seine
Briefe^) an diesen beweisen, um Anweisung zur Erlernung
de* griechischen Sprache; und dabei denkt er vornehmlich
an Homer und an Xenophon. Dass er aber zugleich in
jenem Airfsatze^) bereits auf sentimentale Dichter der
Alten, wie Euripides, Vergil und Horaz hinwies, dass er
ferner in der Abhandlung über Matthisson^) es direkt aus-
sprach, es lasse sich nicht annehmen, dass es dem Griechen,
diesem Kenner und leidenschaftlichen Freunde alles Schönen,
an Empfänglichkeit für die Reize der leblosen Natur gefehlt
habe, und dass weiter das herrliche Gedicht »die Götter
Griechenlands« mit seinem wehmütigen Rufe:
Schöne Welt, wo bist du? — Kehre wieder,
Holdes Blütenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feeenland der Lieder
Lebt noch deine gold'ne Spur —
in wärmster Begeisterung gerade das in der Mythologie
der Griechen so tief und innig hervortretende Naturempfin-
den preist: das alles ward nur zu oft übersehen; und so
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heisst es denn beiGervinus^): » Das gaojse Altertum kennt
keine Freude an, der Natur«; ähnlich bei Becker^) und bei
Otfried Mueller"^). Der gemütvolle Jacobs'') widersprach
zuerst. Bald aber machte sich eine vermittelnde Richtung
geltend. Wie schon Jean Paul'*^) die griechisth-plastische
Poesie mit ihrer Objektivität, ihrer idealen Einfachheit,
ihrer heiteren Ruhe und sittlichen Grazie von der roman-
tischen, wesentlich musikalischen Poesie des »zerfaserten
Kulturmenschen« geschieden hatte, so wollte Sc hnaase^")
dem plastischen Griechen innigste Empfänglichkeit für die
Schönheit der Natur nicht absprechen, wohl aber das male-
rische Prinzip; »von einem unbedingten Hineinfühlen in
die Natur, von einer uneigennützigen Empfindung«, sagt er,
»ist bei ihnen keine Spur.« Carriere^^) formuliert es kurz:
»Die Alten empfanden plastisch, die christliche Welt
empfindet malerisch; sie schildern weder in der Poesie noch .
in der Malerei das Landschaftliche um seiner selbst willen
und suchen nicht in der Natur nach Symbolen für das
Unsagbare der leid- und freudvollen Seelenstimmung noch
trachten sie, von dieser aus das Landschaftsbild zum Re-
flex derselben zu gestalten.« Die auch schon von Schiller
in der Abhandlung über Matthisson ^^) kurz angedeutete
Ansicht, dass der Grieche eine Landschaftsdichtung als eine
eigene Art von Poesie, in welcher man die unbeseelte
Natur für sich selbst zur Heldin der Schilderung und den
Menschen bloss zum Figuranten in derselben macht, mit
seinen Begriffen von schöner Kunst für unvereinbar gefunden,
führte Alex. v. Humboldt^^) in seinem berühmten und
überall den weiten Blick des grossen Mannes verratenden
Aufsatze über das Naturgefühl der verschiedenen Zeiten
und Volksstämme weiter aus. Was nach seiner Ansicht
dem Griechen fehlte, war das rege Bevvusstsein, das Ge-
fühl des Naturschönen durch Worte zu offenbaren; wie
auch Burckhardt^^) bezüglich derselben Frage erinnert, dass
ein verhülltes Gefühl lange vorhanden sein könne, ehö es
sich in Dichtung und Malerei verraten und damit seiner
selbst bewusst werde. »Naturdichtung als abgeson-
derter Zweig der Literatur«, sagt Humboldt, ^war den
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Griechen völlig fremd, die Landschaft erscheint bei ihnen
nur als Hintergrund eines Gemäldes, vor dem menschliche
Gestalten sich bewegen. a
Nachdem so hervorragende Männer ihr Credo in
dieser Frage abgegeben hatten, entstand im engeren Kreise
der Philologen eine ganze Literatur von Einzel-Arbeiten^^);
doch selbst die umfassende und von warmer Begeisterung
für das interessante Problem durchglühte Schrift von Motz
»über die Empfindung des Naturschönen bei den Alten «i^)
fand keine durchgreifende Anerkennung, da ihr jede histo-
rische Methode, jeder klare, leitende Gesichtspunkt fehlt und
sich mit schwärmerischer Verherrlichung des naiven anti-
ken Gefühlslebens eine heftige Polemik verbindet gegen die
moderne Affektation, gegen den »enthousiasme oblige jener
modernen Geistesherren, die so oft den Sisyphusstein wälzen,
Indem sie sich abmühen, das Unsagbare in Worte zu fassen,
die dunklen Empfindungen in das Bewusstsein und in die
Darstellung zu zerren.^
Erst allmählich brach sich dann in kleineren Auf-
sätzen^''), besonders aber in dem Rendsburger Programm von
Hess*^) und in einer trefflichen Schrift von Wo ermann, ^^)
der von rein künstlerischem Standpunkte aus »den land-
schaftlichen NatOrsinn bei den Alten« als Vorstufe einer
Landschaftsmalerei in lichtvoller Weise behandelte, die
Überzeugung Bahn, dass die PVage nur durch genaue
Untersuchung der einzelnen Schriftsteller, durch die Dar-
legung des genetischen Entwicklungsganges, welchen das
Naturgefühl in den einzelnen Kulturepochen genommen habe,
ihrer Lösung entgegengeführt werden könne. — Zu den
bereits kurz* gekennzeichneten Auffassungen des Problems
fügte besonders Friedländer ^^) noch die hinzu, dass die
Alten eigentlich nur Sinn für das Liebliche, Anmutige
(amoenitas loci) gehabt hätten, und der Reiz des Roman-
tischen einer wilden Landschaft z. B. des Gebirges ihnen
sowohl wie dem Mittelalter fremd geblieben sei; vor-
nehmlich wohl auf diesen Sätzen fussend sprach dann unter
anderen Hehn^') wieder überhaupt den Griechen und
Römern die Grundbedingung lyrischer Begabung, die Fähig-
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keit seelenvoller Natur betrachtung ab und fand den Grund
dafür in der südlichen Landschaft selbst, welche zu senti-
mentaler Auffassung keinen Anlass gäbe. »Da täuscht den
Kranken nichts durch Mitempfindung, da klingt kein Echo
unbeschreiblicher Seelenstimmung wicfer und der ganze
gesunde Mensch blickt auf die umgebende Natur nur, in-
sofern sie ihm nützlich oder schädlich, gegen ihn karg oder
freigebig ist; die ihm am meisten Frucht liefert und ihn
am wenigsten stört und beunruhigt, ist ihm die schönste. »Ähn-
lich z. B. Brandes^^) y^d Du Bois-Reymond^^). Diesem
erscheint Jean Jacques Rousseau als der erste moderne
Mensch, als der incarnierte Genius einer ganz neuen Zeit;
Naturgefühl, Natürlichkeit, Empfindsamkeit bilden die Tri-
kolore der von Rousseau neu gestalteten Literatur.
Fragen wir also nun selbst, nachdem wir den Ent-
wicklungsgang der Frage skizziert haben , ob nicht schon
im Altertum eine Bewegung zum Modernen hin sich nach-
weisen lasse, ob nicht auch dort schon allmählich immer
deutlichere Ansätze und Spuren eines stimmungsvolle»,
empfindsamen , romantischen Naturgefühls sich auffinden
lassen.
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Erstes Kapitel.
Das naive Naturgefülil in Mythologie und bei Homer.
JLyas Naturgefühl, das Empfinden und Geniessen des
iNaturschönen, ist, wie alle Erkenntnis des Schönen, das
Resultat komplizierter Kulturprozesse. Wird auch niemand
leugnen wollen, dass der verschiedene Charakter der Land-
schaft dem Sinne für Naturschönheit bei den einzelnen
Völkern ein verschiedenes Gepräge geben wird, so darf
man doch nicht a priori von der Schönheit des Landes auf
ein tiefes Naturgefühl der Bewohner schliessen. Emphatisch
hat man wohl ausgerufen: Ein Volk, welches, wie die Hellenen,
hinelngesetzt war in ein Land, über dem ein ewig heiterer
Himmel sich spannt, das so mannigfache Abwechslung dar-
bietet mit seinen herrlichen Gestaden der blauen See, welche
die malerischsten Inseln wie Kleinode umfasst, mit seinen
weiten, flussdurchzogenen Ebenen und mit den starren Fels-
gruppen zerklüfteter Gebirge — ein Volk sollte in dieser
wunderbar gleichmässig zur Arbeit wie zum Genüsse ein-
ladenden Landschaft unempfänglich gewesen sein für die
Reize der Natur? Aber das Schöne, mag es nun in Kunst
oder Natur dem Menschen entgegentreten, wirkt nur dann
auf seine Sinne und sein Gemüt ein, wenn seine Geistes-
und Herzensbildung einen gewissen Höhepunkt erreicht hat.
Im rohen Naturzustande nimmt der Mensch nur die Schäd-
lichkeit oder Nützlichkeit der Naturerscheinungen wahr.
Wohl kann ferner das Naturgefühl bei einfachen Kultur-
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zuständen innig und zart erscheinea und den wunderbaren
Zauber unbewusster Naivität haben,- aber erst die volle
Entwicklung zum wahren Menschentum, das sich auf dem
Fundamente boj^er Bildung aufbaut, macht empfänglich für>
dje weiter bildende Kraft der Natur. »Sie hat nur nach-
haltigen Reiz für das Auge, das an einem grossen Zusammen-
hange, sei es wissenschaftlicher oder geselliger Interessen,
geübt ist, oder für ein Gemüt, das nach solchen • Übungen
allerdings in den Erscheinungen unzählige Gleichnisse seiner
Lebenserfahrungen, anschauliche Lösungen seiner Zweifel,
Widerlegungen seiner Vorurteile, Bestätigung seiner Hoff^
nungen und Anregungen zu neuen Fragen findet«^*^). Nur
wer eine reiche Gedankenwelt zu der Welt der Natut^
erscheinungen in Beziehung zu setzen vermag, erkennt die
wunderbaren Analogieen des menschlichen Geistes mit dem
Leben und Weben in der Natur und findet in ihrer Betrach-
tung Ruhe und Frieden, wenn sein Gemüt durch äussere
und innere Erfahrungen in Schwingungen gerät. Erst auf
einer hohen Kulturstufe sucht der Mensch die Natur 4m
ihrer selbst willen und schwelgt bewusst im Genüsse ihrer
mächtigen Eindrücke, die ihm ein Echo aller seiner Stirn*
mungen und Empfindungen darzubieten scheinen. — Es ist
somit klar, dass in den verschiedenen Kulturphasen auch
das Naturgefühl ein verschiedenes Gepräge tragen und bei
jedem Volk^ seine Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte
haben wird. Wer den Spuren dieser nachgehen will, der
wird in das innerste Weben der Menschenbrust hinabgeführt,
und wie der Bergmann den feinen Goldadern nachspürt, die
sich durch die verschiedenen Schichten hinziehen, so muss
er die sich verflechtenden und verzweigenden Empfindungen
durch die einzelnen Epochen hin verfolgen — denn im
Leben des Geistes beruht alles auf Assimilation, in der sich
wie in einem Krystallisatiönsprozess eins an das andere
organisch anfügt. Die Gefühle, Stimmungen und Neigungen
bedingen sich gegenseitig, stehen in engster Wechsel-
beziehung zu einander; und in der Wandlung des einen
Gefühls wird sich, wie die Sonne im Tautropfen, die ganze
geistige Entwicklung eines Volkes widerspiegeln.
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Die Natur, in» ihrem steten Wechsel der Erscheinungen,
die unaufhörlich den Sinnen des Menschen sich einprägt,
ist unentfliehbar^ aber sie würde trotzdem für den Menschen
ein Buch mit sieben Siegeln und ästhetisch völlig unzu-
gänglich sein, wenn ihm nicht das wunderbare Vermögen
innewohnte, seine eigene Form den Formen der Erscheinungs-
welt zu leihen, die eigene Persönlichkeit ihnen zu unter-
schieben und einzuverleiben, das Ich in das Nicht-Ich zu
verzaubern. Kein Gebilde ist ja dem Menschen verständ-
licher als der Mensch selbst in seinem Thun und Leiden,
und so deutet besonders der primitive Mensch jeden Vor-
gUiOg in der Natur nach Analogie seines eigenen Körpers
uf\d seiner eigenen Seele. Die Metapher ist daher kein
poetischer Tropus, sondern eine ursprüngliche, notwendige
Anschauungsform des Denkens. Die Mythen bildende
Phantasiö setzt alle Bewegung, die sie in der Natur wahr-
nimmt, um in Handlungen lebensvoller, menschenähnlicher,
ja übermenschlicher Wesen. Die Mythologie ist, wie Vischer
sagt, das Augenaufschlagen über die grossen Wunder der
Natur, und so i^t in der That auch die griechische Mythologie
ein, glänzendes Zeugnis des mächtigen Eindrucks, den die
ffetur auf den Griechen machte, des innigen Interesses, mit
dem er die, Vorgänge in der Natur belauschte und
menschlich deutete. Auch in der griechischen Mythologie
bildet den Kern ein »dumpfes, ahnungsvolles Gefühl,« gegen-
über den erhaltenden und zerstörenden Naturkräften, und
die erregte Phantasie schafft die poesievollsten Gebilde.
»Überall in seinen Wäldern und Grotten, seinen Bergen
und Schluchten, seinen Quellen und Wellen empfing der
Grieche den Eindruck eines Lebens, eines anrtiutigen,
üppigen Lebens so lebendig, so innig, so hehr, dass sich
ihm die empfundene Wirkung sogleich in göttliche Wirk-
samkeit umsetzte«25). So beseelte er die ganze ihn um-
gebende Natur und bevölkerte sie mit den anmutigsten
Gestalten; und die Prägstätte, aus welcher diese Wunder-
weit hervorging, war der plastische Sinn der Hellenen, der
innere Trieb, den empfangenen Natureindruck in eine klare,
fest umrissene, der Idee und Form nach harmonische, d. h.
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schöne Gestalt auszuprägen. Alle diese dämonischen Wesen,
wie sie in Wald und Feld, im Strom und im Meer ihr
Wesen treiben, sind nichts anderes als »der plastisch-
religiöse Ausdruck eines innigen Naturgefühls«. Doch nicht
kann es hier unsere Aufgabe sein, dies an den zahllosen
Mythen darzuthun, wie es Lehrs an einem Beispiel so
trefflich in dem Aufsatze über die Nymphen, diese »gött-
lichen Naturmädchen« , diese Wasser- und Waldfräulein,
gethan hat Nichts ist ja vager und schlüpfriger, als
Mythenforschung, nichts schwieriger, als die Fäden aus-
einanderzulösen , die zu dem Gewebe eines Mythus die
mannigfach angeregte Phantasie zusammengewoben hat.
Doch im allgemeinen steht wohl fest, dass die allen Ariern
als gemeinsam nachgewiesenen Mythen im letzten Grunde
auf Naturanschauung zurückgehen. Durchsichtiger als die
grossen, bald ethisch umgewandelten Gottheiten, zeigen
dieselbe jene bescheidneren Dämonen, wie die zahllosen
Meergottheiten, ein Nereus, ein Triton, Glaukos, Proteus,
eine Phorkys und Keto, oder am Himmel Helios, Eos,
Selene, oder wie Pan, dieser Repräsentant der mittäglichen
Schwüle und der stillen Waldeinsamkeit, und ferner die
poesievollen Naturmärchen vom Adonis, dem Bruder des
nordischen Balder, vom Hyakinthos, diesem Abbilde der
Pflanzen- und Blumenwelt^ die in prangender Entfaltung der
Sonnengott des Südens mit seinen sengenden Strahlen ver-
nichtet^^), von der Kalyke, Daphne, Boline, Britomartis und
Psappha,^^) diesen Pflanzen- und Blumenkindern, die in Liebe
sehnend sich nach dem Sonnengotte dehnen und in der
Glut vergehen oder fliehend ereilt werden, vom Narkissos,
dessen Mythus nichts weiter, als die Geschichte der Narzisse
in ihrer spröden Schönheit widerspiegelt^^), vom Endymion^^),
vom Hylas, den die Wasserfeeen ins kühle Grab des abge-
schiedenen Waldseees hinabztehen, von Prokne und Philomele
u. s. f. u. s. f. Alle diese Märchen verraten einen tief
träumerischen Zug, ja Wehmut und ein inniges Gefühl für
das anmutig Reizvolle, sowie auch für das Dämonische in
der Natur. Doch für eine Entwicklungsgeschichte des Natur-
gefühls sind sie im einzelnen wenig verwendbar, weil sie
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11
schwer, ja meist überhaupt nicht historisch zu fixieren sind;
sie sind gar zu proteischer Natur und werden ihre sentimen-
tale Auffassung wesentlich erst der hellenistischen Empfind-
samkeit verdanken. — Immerhin aber bildet die griechische
Mythologie mit ihrem geschlossenen Göttersystem, wie auch
mit ihren loseren ätiologischen Sagen den Niederschlag
einer sinnvollen Naturbetrachtung. Trotzdem war sie — so
paradox es auch zunächst erscheinen mag — einer Weiterent-
wicklung des Naturgefühls nicht günstig. >Der Gott sog
die Landschaft in sich auf« ^^). Statt des Flusses sah der
Grieche den Flüssgott, statt der Sonne den herrlichen
Helios; statt des rieselnden Baches erblickte sein Auge die
Umrisse schöner, nackter Weiber und vernahm ihr mut-
williges Lachen im Wassergeriesel und im Aufspritzen des
Schaumes gegen die Felswand u. s. f. Die Natur gewann
in der Phantasie der Griechen ihre Selbstständigkeit und
Selbstthätigkeit erst wieder, als die Naturgötter immer mehr
in ethische Gewalten sich umsetzten und als die Reflexion
den Glauben zersetzte. Diese ideale Götterwelt, welche
sich über der realen aufgebaut hatte, musste in Trümmer
gehen, damit die wirkliche Erscheinungswelt wieder voll in
das Licht der Empfindung, des ästhetischen Geniessens
gei*ückt würde.
Es folgt hieraus mit Notwendigkeit, dass in dem naiven,
mythologischen Zeitalter der Griechen sich das Natur-
gefühl in einer gewissen Beschränkung zeigen inuss, dass
also bei Homer die Natur vor den Göttern und den
Menschen zurücktritt, dass sie ohne Selbstständigkeit ist,
der Mensch sie nicht um ihrer selbst willen sucht, und dass
die Naturschilderungen nur objektiv, als Beiwerk behandelt
werden — wie dies zugleich im Wesen des Epos überhaupt
liegt. Trotzdem ist jedes Epitheton, jede kurze Schilderung,
jedes Gleichnis von einer wunderbaren Anschaulichkeit und
zeugt von einem offenen, .regen Sinne für die schöne
Aussenwelt, einer kindlichen Freude an den Vorgängen der
Natur. Reiche Beobachtungsgabe für das Naturleben
bekunden z. B. die Beiwörter des Meeres, die dasselbe in
tosender Brandung (7toXvx^v(tTogj ^XV^^9^ noXvfpXötqßoc),
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12
in seiner Ode (dtQvyf-Tog), seiner Tiefe und Weite (ttoäi*-
ßfvd^fjc, fieyax^Tfjg, dmCQwv), sowie auch in seinen Farben-
schattierungen kennzeichnen, fjfQosidrcy noqtpvQeoq, /'Aarxoc,
ölroip, TToXioCy fiajüccQfoCy lostdfjc- Gladstone, Geiger und
Magnus haben den Alten den Farbensinn absprechen wollen ;
die neuere Forschung auf diesem Gebiete ^^) hat gezeigt,
dass die Unbestimmtheit des Ausdrucks in Farbenschil-
derungen bei Völkern einer noch nicht hoch entwickelten
Kultur nur auf den Mangel der Sprache und der Kenntnis
der Farbstoffe zurückzuführen ist. Jedenfalls bezeugen jene
Homerischen Beiwörter dämmerig, trüblich" rot, spiegelglatt,
weinfarben, veilchenfarben das Bestreben, die Färbung des
Meeres in seiner wechselnden Mannigfaltigkeit, die sich dem
empfänglichen Auge einprägte, wiederzugeben. — Die
Schilderungen von Ort und Zeit sind selten und kurz, sie
sind nur Rahmen, nur Hintergrund; ausgeführtere finden
sich nur in der Odyssee: Von der Grotte derKalypso 5, 55 ff.,
der elysischen Flur 4, 564, dem Phäakenlande 5, 279, dem
lieblichen Pappelhain der Athene auf Scheria 6, 291, den
Gärten des Alkinoos 7, 112, dem stillen Eilande, das nahe
der Kyklopeninsel liegt 9, 116, dem Parnass 19, 431. Das
Subjektive, die Reflexion über den Eindruck der Landschaft
dringt nirgend hindurch — und gerade in dieser harmlosen
Natürlichkeit, in dieser vollkommenen Einheit von Denken
und Fühlen beruht ja der Zauber der Homerischen
Dichtungen, der uns umstrickt und uns anheimelt, wie die
Erinnerung an die eigene Kindheit, da wir auch noch
»natürlich empfanden«. Das Naive gleicht dem krystall-
klaren Quell, dessen Wellen bis auf den Grund die hellen
Strahlen der Sonne widerspiegeln ; die Reflexion über die
Empfindung — d. i. ja die Sentimentalität des modernen
Menschen — trübt das Glück des Geniessens wie ein hinab-
geschleuderter Stein die friedlich stille Wasserfläche in
Wallung versetzt und unruhig schwankende Ringe verur-
sacht. Der moderne Mensch achtet auf jedes Gekräusel
seines Empfindens — den Eindruck einer schönen Land-
schaft schildert Homer ganz objektiv mit den Worten —
Dort mit Bewunderung stand der thätige Argostöter (5, 75),
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13 _
vergl. 7i 112, oder vom Anblick des sternbesäeten Nacht-
bimmels heisst es : und herzlich freut sich der Hirte
Jl. VIII, 559. Immer spricht sich nur schlichtes, reines Wohl-
gefallen an den Naturerscheinungen ohne jegliche Affekt ation
aus; und nicht lässt sich leugnen, dass der nützliche Garten,
das Land, das zur reichen Ansiedlung dienert kann, den
Menschen, welche die Üppigkeit des Bodens zu nützen
verstehen (vergl. Od. 9, 116), das Interesse des Dichters
besonders fesselt. Aber Homer ist »reine, nicht rohe
Natur«, es ist nicht bloss ein nüchterner Nützlichkeits-
standpunkt, den- seine Naturschilderungen bezeichnen, son-
d.^rn auch ein warmes, herzliches Gefühl für die Reize der
Natur; ein frischer Hauch unverfälschter Naturanschauung
durchweht besonders seine. Gleichnisse. Nichts ist charak-
teristischei: für difese naive, epische Epoche des Natur-
gefühls, als das Gleichnis. Mensch und Natur erscheinen
al« nah verwandte Sphären, aber — im Gegensatz zur Bild
und Sache verschmelzenden Metapher — tritt objektiv
das landschaftliche Bild in ganzer Ausführlichkeit plastisch
abgerundet der Handlung des Menschen gegenüber und
»steht als ein kleines Ganzes in der Erzählung wie diese
im Epos«, sei es nun um der Phantasie des Lesers Ruhe
zu gönnen oder das Interesse durch Veranschaulichung des
Erzählten zu steigern.
Das ganze wechselreiche Naturleben, seien es nun
elementare Gewalten, Himmel^erscheinungen oder sei es
die Tier- und Pflanzenwelt, entrollt sich in den Gleichnissen .
Ruhig und furchtlos stehen dem Feinde die Danaer gegenüber,
dem Gewölk gleich, welches Kronion
Stellt' in ruhiger Luft auf hochgescheitelten Bergen,
Unbewegt, weil schlummert des Boreas Macht und der
andern
VoUandräftgenden Winde, die bald die schattigen Wolken
Mit lautbrausendem Hauch fortwehn in zerstreuter Ver-
wirrung
V, 522, vgl. IV, 275 . Orkan V 368, 864, XIV, 398, Blitz XIII, 242,
Schnee und Hagel XI, 305, Meteor IV, 75 dienen zu Ver-
gleichen, doch besonders das Meer, bald wie es vom Frühwind
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bewegt nach der Windstille sich zu regen beginnt,* bald wie es
brandend tobt, von Stürmen gepeitscht, und ein Schiflf in den
Strudel reisst, vgl. II, 394; VII, 61, XI, 304, XII, 405, XIV, 384,
394, 624 u, s. f. ; wie ein umbrandeter Fels hält Hector den
feindlichen Scharen stand XIV 615; reissende Ströme IV,
459, XI, 492 oder Regenmassen, die von Bergen Geröll und
Bäume hinabstürzen und Felder verwüsten XIII, 137, XVII,
747 veranschaulichen Thaten und Leiden der Helden; und alle
diese Naturphänomene treten in der treuen und wahren Schil-
derung mit vollendeter Anschaulichkeit entgegen. Aus dem
Tierleben fesselt besonders der Löwe des Dichters Phantasie;
die äussere gewaltige Erscheinung mit den funkelnden Augen,
der brüllenden Stimme, dem Zorn verkündenden Stimrunzcln
XVII, 133, wie sein stürmischer^ Mut wird zum GegenbiUbe
menschlicher Thatkraft und Stärke, so XII, 299, XX 164,
Od. 4, 791 ; ferner das Ross VI, 506, der Hirsch XXH,
188, vgl. XI, 474, die Schlange XXIII, 93, Schlange und
Adler XVI, 428-, Schwalben 22, 246, Möwen 5, 52, See-
dohlen 12, 417, Kraniche III, 3, Falken XXII, 139; rührend
anschaulich wird der Tod der vom Pfeil durchbohrten
Taube XXII, 874 erzählt; seine unruhigen Nächte vergleicht
Achilles der Sorge des Vogels, der seinen nackten Jimgen
im Nest den gefundenen Bissen darbringt, wenn ihm auch
selber nicjit wohl ist IX, 323; Fische XXI, 22, Bienei> und
Wespen II, 87 Heuschrecken XI, 12, Cikaden III, 152, ja
selbst die Fliegen XVII, 570, der Wurm XIII, 654 u. ä.
finden ihre Würdigung. — Grandios ist das Bild des im
Walde rasenden Feuers XI, 155, ferner vom blitzzer-
schmetterten Eichbaum XIV, 414. vgl. XII, 132. Mit Innig-
keit des Empfindens wird das Wachsen und frische Grünen
• des Ölbaums und seine plötzliche Vernichtung zum Sinn-
bild für den blühenden Jüngling, den die gewaltigen Streiche
des Gegners niederstrecken XVII, 53:
Dumpf hin kracht er im Fall . . .
Gleich dem stattlichen Sprössling des Ölbaums, welchen
ein Landmann
Nährt am einsamen Ort, wo genug vorquillt des Gewässers ;
Lieblich sprosst er empor, und sanft bewegt ihn die
Kühlung
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15 _
Allfer Wind' umher und schimmernde Blüte bedeckt ihn ;
Aber ein Sturm, der sich plötzlich erhebt mit gewaltigen
Wirbeln,
Reisst aus der Grube den Stamm und streckt ihn lang
auf die Erde:
Also schlug den Euphorbos, den panthoidischen Kämpfer,
Atreus' Sohn Menelaos und raubt* ihm die prangende
Rüstung*
Doch auch für das Einfache und Zarte, sowie für die
Stille und Verborgenheit des Pflanzenlebens hat der Dichter
ein Auge, für die im Winde wogenden Ähren II, 147, für
die Tausende von Blättern und knospenden Blumen im
Frühling, denen gleich die Achäer in grossen Scharen auf
der blumigen Au des Skamanders stehen II, 467; besonders
zart ist der Vergleich des vom Pfeile getroffen hinsinken-
den Gorgythion mit dem Mohn, der von Wuchs und Regen-
schauer belastet zur Seite das Haupt neigt; und von echt
hellenischer Wehmut zeugt das berühmte Gleichnis von
den Blättern im Walde, die knospen und welken wie die
Geschlechter der Menschen VI, 146, vgK XXI, 464.
Doch trotz ihrer sinnlichen Schönheit und trotz der
tiefen Empfindung, die sie für das Leben und Weben in
der Natur bekunden^ zeigen die Gleichnisse das Homerische
Naturgefühl zugleich in seiner Beschränkung»
Eine sympathetische Naturbetrachtung , welche die
Natur mittrauern und mitjubeln und zum Spiegelbilde aller
der Herzensregungen werden lässt, die eine Menschenbrust
bewegen können, hat zur Vorbedingung die Symbolisierung
innerer Gemütsbewegungen mit Vorgängen der äusseren
Natur und die Beseelung der Naturerscheinungen. Beides
ist bei Homer erst im schlummernden Keime, im leisen
Ansätze vorhanden. Wohl vergleicht er die Ausdauer und
den Mut der Helden mit dem Mute von Bienen und Wespen,
wohl auch Sorgen und Klagen des Menschen mit denen
der Vögel; aber es ist wesentlich nur der äussere Ausdruck
der Empfindung, den der Dichter durch Gleichnisse aus
der Tierwelt schildert. Für die inneren, tiefen Affekte
greift er zu Analogieen aus menschlicher Sphäre V, 394,
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X, 415».^^'^^'^ entschiedenen Fortschritt bezeichnet schon
das Bild der Penelope 19, 518, in dem sie ihre nächtlichen
Sorgen mit der Sehnsuchtsklage der Nachtigall vergleicht,
die ihren schönen Gesang im beginnenden Frühling erneuert
und sitzend unter dem Laube der dichtumschattenden
Bäume von Tönen zu Tönen rollt die melodische Stimme,
ihren Itylos beklagend, und wenn es dann heisst: also
wendet sich auch mein Geist bald hiehin, bald dorthin
Wohl erregt Agamemnon II, 142 den Achäern das
Herz &vfwv Ivl ari^^€(f(riv oqiviv, aber wenn der Dichter dann
fortfährt: in Bewegung geriet die Versammlung wie schwel-
lende Wogen des Meeres, wenn hoch sie der Ost- und der
Südwind aufstürmt xtn^&ij S'dyoQa x. r. X., so ist doch
nur das Widerspiel der inneren Erregung, nur der äussere
Aufruhr das tertium comparationis; ebenso wenn Agamemnoh
IX, 14, voll Thränen da steht, der finsteren Quelle ver-
gleichbar, die aus jähem Geklipp ergiesst ihr dunkles Ge-
wässer; und wenn XV, 629 die Unruhe der Achäer mit
dem im Sturm hin- und hergeschleuderten Schiffe verglichen
wird, so werden ausdrücklich die Schiffer erwähnt, denen
das erschrockene Herz bebt, deren Angst also der Furcht
der Achäer gleicht. Doch an einer einzigen Stelle — die
Pazschke p. 26, Buchholz p. 4, Woermann p. 15 übersahen
wird direkt Geistiges mit Natürlichem parallelisiert, IX, 4;
Wie zweeen Wind' aufregen des Meeres fischwimmelnde
Fluten,
Nord und sausender West, die beid' aus Thrakia her-
wehn,
Kommend in schleuniger Wut \ und sogleich nun dunkele
Wallung
Hoch sich erhebt, und sie häufig ans Land ausschütten
das Meergras.
Also zerriss Unruhe das Herz der edlen Achäer.
(Sq d' ävsfjboi ovo tvovcov oqCvsvov l%d'V08VTa . .
Wie ferner bei Homer Bild und Idee verschmelzende
Metaphern noch selten sind: äv&og ^'ßfjg die Blüte der
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Jugend XIII, 484, ^aov &dXog XXII 87, vgl. Od, 6, 157,
xaXdfjh^ die Stoppel, übertragen der altersgraue Körper,
v^^og Ttol^fjboio II. XVII, 243 oder ensa TtreqoevTa oder
^ododdxTvXog u. Ä., so wird es nunmehr nicht Wunder
nehmen, wenn Metaphern, die den geistigen Affekt mit der
sinnlichen Naturerscheinung in prägnantester Form versinn-
bildlichen, erst recht selten sind, wie vscfUri a^eoc Jl. XVII,
591, Od. 24, 315, und nicht minder diejenigen Metaphern,
welche eine Empfindung den leblosen Naturgegenständen
leihen, also die Beseelungen. Es ist sehr charakteristisch,
dass Homer Artefakten^ wie den Speeren, ein Leben leiht,
die empor aus der Erde ragen, voll Gier im Fleische zu
wühlen XI, 573, vgl. XX, 99, XXI,. 69, XV, 317, VIII in,
oder dem Geschoss, das scharf gespitzt hinfliegt, in den
Haufen zu dringen verlangend IV, 125. Die Natur jber
selbst ist in den zahllosen Dämonen verkörpert, die Sonne
ist ein herrlicher Jüngling, die Morgenröte ein rosenfingriges
Mädchen u. s. f. Die mythologische Personifikation hat
das Lebensvolle, das in den Naturerscheinungen hervortritt,
zu persönlichen göttlichen Wesen hypostasiert, an die das
fromme Gejuüt glaubt, und diese mit den Erscheinungs-
formen verwechselt. Die poetische Beseelung unterscheidet
sich von der mythologischen dadurch, dass sie bloss »freier,
ästhetischer Schein« bleibt, und dass in ihr die Phantasie
des Dichters das in die Erscheinung übertragene Ich mit
dem Gegenstande selbst, die eigene Erregung mit der Er-
regungsursache vertauscht ;^^) so fühlt er sich dem knistern-
den Feuer ein, und es beginnt zu kichern, so fühlt er sich
gleiten, fallen, umherwirbeln mit den schäumenden Wellen
des Baches, und dieser scheint ihm sich jauchzend ins Thal
hinabzustürzen ; oder der Wind scheint zu klagen, die Sonne
zu lachen, der Himmel im Regen zu weinen u. s. f. So ist
»kein Naturobjekt so spröde, in das hinein nicht unsere
Phantasie sich mitlebend zu versetzen vermöchte «.^^)
Anders bei Homer. Die Natur als Komplex von Erschei-
nungen, als (pvCig, ist ihm fremd, und diese selbst sind ent-
weder durch die mythische Personifikation völlig absorbiert
oder nur dienende Elemente dem waltenden Gotte gegenüber 5
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 2
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_ JR
ja die Natursphäre wird selbst durch das göttliche Wesen
dtog oder laqog, wie die Erde, der FIuss, der Äther, die
Salzflut, der Fisch u. s.. f. Alles geschieht in der Natur
auf Geheiss eines Gottes; blutiger Tau fällt auf das Gebot
des Zeus XV, 459; Nebel verbreiten Götter und Göttinnen
um die Lieblingshelden; die Winde kommen auf Wunsch
des göttlichen Achilles und schüren die Flammen des
Scheiterhaufens XXIII, 194. Dem Impulse des Gottes folgend
und zum Zeichen der Unterwürfigkeit trennt freudig sich
die Woge, da Poseidon seinen Wagen über die Flut lenkt
XIII, 27, oder sie giebt Raum der trauernden Thetis XVIII,
6y; ähnlich ist auch die Schilderung des hqog yänog XIV,
346" zu fassen: Zeus umarmte voll Inbrunst seine Gemahlip,
unten die heilige Erd' erzeugt' aufgrünende Kräuter, LotQS
mit% tauiger Blum' und Krokos, samt Hyakinthos, didit
unä locker geschwellt, die empor vom Boden sie trugen.
— Trotzdem aber bricht doch schon, wenn auch in leisen
Anfängen, bei Homer die poetische Beseelung durch. Sie
beginnt mit den Elementen, die ihm allerdings ja als dloc
und leqog gelten. So lacht vom hellstrahlenden Erz ringsum
das Erdreich Jl. XIX, 362, so kündet das Meer den Sturm
voraus XIV, 16 oder — mit den allgemeinen Schallworten
— brüllt es gewaltig iiiyaX la%h I, 481, 7tv(ia ßoaa XIV,
394> vgl. XII, 265 ^lovsg fioocottir^ noraiiov xekdöovra XVIII,
576. So rast endlich das Feuer XV, 606, XX, 490. —
Die Natur wird sonst dem Menschen gegenüber ohne
Teilnahme und Mitempfindung gedacht, vielmehr ist sie
ein Bild der starren Empfindungslosigkeit wie die finstere
Meerflut, der hochstarrende Felsen Jl XVI, 33. Der Home-
rische Held hat kein persönliches Verhältnis, keine bewusste
Hinneigung zur Natur. Es ist gewiss nicht ein auf modernen
Effekt berechnetes Kunstmittel — wie Pazschke S. 29
und Motz S. 56 annehmen, — aber auch nicht bloss An-
gabe einer zufälligen und lediglich dem Gange der Hand-
lung entsprechenden Lokalität — wie Woermann S. 17
meint — , wenn Homer den grollenden Priester ans bran-
dende Meer führt I, 34, oder wenn der Pelide vor Gram
sich an den Strand flüchtet XXIII, 59, oder wenn Odysseus
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weihend am öden Meere sitzt 5, 156, vgl. XIV, 614; 12,
44; sondern diese »Anpassung des Lokals« an die Stimmung
des Helden ist einfach unbewusst, unreflectiert, instinctmässig
und lässt uns im Keime ahnen, was eine spatere Zeit zur
Blüte entfaltete, indem sie in voll bewusster Kunst die
Naturumgebung in Harmonie oder Kontrast zur Seelen-
stimmung setzte, wie letzterer ungesucht Od. 12, 44 bei
der Schilderung der Sirenen hervortritt, die auf grüner
Wiese sitzen, umgeben ringsum von menschlichen Gebeinen,
»so dass ihr blühender Sitz den grellen Gegensatz zum
Todesanger daneben abgiebt» (Nitzsch). —
Auf gleichem Boden naiver, mythologischer Natur-
betrachtung mit Ilias und Odyssee stehen die Hymnen.
Manche Schilderungen sind von inniger Freude an der Natur
durchweht, wie besonders in dem auf Pan (XIX, 16 — 18;
24 — 26); von echt ionischer, sinnlicher Pracht sind sie
im Hymnus auf Aphrodite IV, deren Schönheit verglichen
wird mit dem leuchtenden Mondesglanz 0?^ öi (rel^nj
(jTfjxh(tiv äfA(p^ änaXotaty lldfiTtero, ^avfia Id^a^ai (v. 90);
v, 264—272 wird das Leben und Sterben der Dryaden in
Tannen und hochwipfligen Eichen geschildert. Anmutig
ist die Schilderung der üppig blühenden Wiese im Demeter-
Hymnus, in dem in Homerischer Beseelung wieder die Erde
lacht und die Flut des Meeres V, v. 13, xriwdsi d' oö^f] nag
r'ovQUVog ivQvg VTtsqd-e yald t€ nci(f iy^Xaace xat aAfiVQor
oldfjba d^aXdttafjg, vgl. auch Apoll, del. v* 118 u. 119. —
Hesiod führt uns nicht weiter; die Beschreibung des
Wfnters (op. et dies v. 502—561) ist recht frostig und
vielleicht interpoliert.
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Zweites Kapitel.
Das sympathetische NatnrgefUhl in Lyrik und Drama.
Jiin neues Zeitalter bricht an mit der Lyrik. Ihre
Welt ist das subjektive Empfinden des en-egten Gemüts;
in ihr vor allem kann sich ein lebhaftes Naturgefühl kund
geben. Untersuchen wir kurz, in welcher Weise. Das
lyrische Gedicht kann eine Naturscene nicht bloss als Rahmen
und Randverzierung, als Hintergrund zu einer seelischen
Regung verwerten, sie als harmonierendes oder kontrastieren-
des Gegenbild der Gemütsstimmung gegenüberstellen, wie
so oft im deutschen Volksliede, sondern auch Bild und Em-
pfindung in eins wirken, das äussere Ereignis mit dem
inneren zusammen rinnen lassen wie z. B. Göthe im Mai-
lied, Herbstgefühl u. v. a. Eine Naturmalerei aber, eine
Beschreibung der toten Natur ohne den Bezug auf die Welt
des Geistes ist ein Zwitterdmg von Poesie und Prosa, eine
Verirrung des modernen Geistes, welcher der Grieche in
seinem ausgeprägten Stilgefühl stets fern bleiben musste.
Haller und Brockes geben eine Botanik und Zoologie
in Versen, aber diese sind duftlos. Wie das Landschafts-
bild des Malers ohne jegliche Staffage, lediglich um der
Landschaft willen entworfen, nur schön ist durch die Stim-
mung, die es atmet, durch die Idee, welche hindurch-
schimmert, so muss auch der Dichter »den leblos kalten
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^1
Stoff der Anschauung mit seiner Empfindung durchströmen,«
Natürliches mit Geistigem durchdringen, wenn er das wahr-
haft Schöne, das auf Ineinsbildung von Stoff* und Form
beruht, schaffen will; blosse Anschauung, blosse Abzeich-
nung des realen Objekts ohne Empfindungsinhalt ist ebenso
tot, wie die kalte abstrakte Reflexion ohne konkrete An-
schauung. Das Weitgehendste wird dasjenige Gedicht leisten,
in welchem der Dichter selbst mit seiner eigenen Empfindung
völlig zurücktritt und sein Gefühl nur durch ein Naturbild
hindurchscheinen lässt; bei dieser tiefsinnigsten Beseelung,
durch welche die feinsten Stimmungen des menschlichen
Herzens in dem Natur bilde symbolisiert erscheinen, »verliert
sich das Objekt ganz in das Subjekt, wie umgekehrt dieses
ganz in die Natur aufgelöst wird« ^), wie in Heine's
Fichtenbaum, Lotusblume oder in Göthe's Gleich und Gleich
u. ä. ^^), Ob das Altertum überhaupt diese letzte Konsequeife
der poetischen Darstellung des Landschaftlichen gezogen
hat, diese Frage können wir erst, am Ziele unserer Wande-
rung durch die Poesie der Griechen, beantworten. Aber
auch jene Kunst, im lyrischen Liede Aussenwelt und Innen-
welt in Harmonie oder Kontrast zu setzen, hat man be-
sonders oft dem Altertum absprechen wollen ^^), man hat
diese sympathetische Naturauffassung für das deutlichste
Kennzeichen modernen Empfindens halten wollen, da das
Naturgefühl der Alten nur plastisch gewesen, das unsrige
aber malerisch, resp, musikalisch d. h. fähig sei, das land-
schaftliche Bild stimmungsvoll zu deuten und die Analogieen
zwischen Gemüt und Aussenwelt aufzuweisen. Nur der
moderne Mensch soll jenes Gefühl kennen, welches »in
der Natur ein mit den Saiten der menschlichen Brust
gleichgestimmtes und, wenn sie erregt sind, mitklingendes
Instrument erkennt.« Wie jedoch die Ansicht, dass die
Griechen keine Landschaftsmalerei besessen haben, als ein
verjährter Irrtum gelten darf, so muss es auch der Wahn,
sie hätten keine Landschaftsdichtung gehabt; allerdings
hat auch diese wie jene sich erst allmählich entwickelt, da
der Grieche überhaupt erst nach und nach ein freieres,
persönliches Verhältnis zur Natur gewonnen hat. —
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22
Es lässt sich nun in der Tbat gemäss der streng
organischen Entwicklung des hellenischen Geistes jen^r
Prozess deutlich verfolgen, der vom schlichten Vergleiche
des Geistigen und Natürlichen zu der beides verschmelzenden
Metapher, zur poetischen Beseelung und so zum ausge-
führteren Stimmungsbilde führt^ in dem die Gemütsbewegung
in Gegensatz oder in Einklang steht mit der Naturscenc,
bis endlich — im Hellenismus — das Landschaftliche, um
seiner selbst willen geschildert, den Menschen bloss zum
»Figuranten in der Natur« herabdrückt.
Die Elegie führt vom ruhigen, objektiven Epos hinüber
zu dem von stürmischem Schwünge subjektiven Empfindens
getragenen melischen Liede. Mannigfach durchziehen noch
Homerische Bilder und Gleichnisse wie Goldfäden die Ge-
webe der elegischen Dichtungen; so bei Tyrtaios fr. lO
(j^oetae lyrici ed. Bergk II ^ Leipz. 66) v. 28 dais ar^og
jjßfig, und wie Homer in der Form des Gleichnisses das
Wogen des Meeres dem Drängen der Kriegerhaufen gegen-
überstellte, bietet Tyrtaios die prägnante Metapher vom
Gewoge der Schlacht xvfia fji>ccxv<^ f^- ^^f 22. Das wehmütige
Gleichnis von den Blättern im Walde sagt besonders dem
schwermutvollen Mimnermos zu, er klagt über die Flucht
der Stunden, die Vergänglichkeit des Genusses, preist die
goldene Zeit der Liebe und der blühenden Jugend fr. i :
... die Jugend verwelkt rasch und die Blüte der Kraft
Männern und Frau'n, und beschleichen uns erst die
Gebrechen des Alters,
Das unerbittlich den Mann, selber den schönsten, entstellt,
Ach, da zehrt am Gemüt rastlos die vergebliche Sehnsucht,
Und selbst Helios* Strahl mag uns das Herz nicht erfreu'n.
Geibel.
. . . £bi9-' f^ßijg avx^ea yCyvsTcci> dqnaXia
dvöqäaiv ^di yvvai^Cv, inel 6' odvvriQov tTC^Xd-fj
y^Qocg, T^aiaxQov ofAwg xal xccXov ccvöqa rC&siy
aisl fjblv cpQ^vag dfACfl xaxal r€CQ0V(Si fj^Qifivai
ovd' avydg nQoüoqwv z^gneTai fjeXiov x, x. X.
Von der gleichen Stimmung ist fr. 2 erfüllt: »Wie die
Blätter, die da grünen zur Zeit des blumenreichen Frühlings
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23
unter dem Strähl der wärmenden Sonne, freuen wir uns nur
eine kurze Spanne Zeit der Blüten der Jugend . . kurz währt
die Frucht der Jugend, so weit über die Erde das Licht
ausstreut die Sonne, aber sobald die Blütenzeit vorüber
eilt, ist zu sterben besser, als das Leben :«
ijfjtstg J' oldrs fvXXa (pvei 7ioXvavxh^o(; &^
^aQOQj 6t' aty/ avyrjq, av^srai ^eXCov
Toig ixe?.oi Ttrixviov Inl xqovov avd-saiv ijßtig
rsQTto^e&a . * n^vvvd^a di yCyvtTat ^ßtjg
xagnog, odov T^inC y^v x^dvarai ^^Xiog.
avvccQ tji'^v drj tovto TiXog naQUiitCipevat oig^g
avzCxa vedydfAevai ßiXTiop ij ßCoTog x. t. X.
Vergl. fr. 5, v. 2 äpd^ogofjtijXixdjg Tiqnvov ofAwg xal xaXov.
"^ Auch So Ion bietet das Bild l^arä ävd^fj fjßrjgi^- 25,
V. I ; fr. 27,6 XQ^^V^ ävd^og ä(j,€i/3ofiivfjg. Aus der Wolke
fällt Schnee und Hagel herab, heisst es fn 10, und der
Donner folgt dem leuchtenden Blitz, und von gewaltigen
Männern kommt Unheil dem Staat. Symbolisch für das
Staatsleben ist auch fr. 12: »Winde rühren das Meer auf,
wenn aber keiner es erregt, ist es ganz friedlicho ; trefflich
ist auch fr. 13, v. 16 der Vergleich der das Unrecht
sühnenden Macht des Zeus mit dem Sturm, der plötzlich
hereinbricht über Meer und Land, verwüstend, aber die
Wolken zerstreuend und die Luft reinigend, so dass her-
nach wieder herrlich glänzt vom wolkenlosen Himmel die
Sonne. Dem Archilochos sind fr. 56 die um den Felsen
sich türmenden, Sturm drohenden Wolken ein Sinnbild
des plötzlich hereinbrechenden Unglücks; schön ist die
Personifikation des Meeres fr. 23: »umgarnt von Flutenarmen
geht ihr Leben hin« ipvxoig ^x^vng xv^id^wv Ip dyxaXaig,
In seinen Fragmenten spüren wir nichts mehr von der
patriarchalischen Ruhe der Homerischen Welt ; Parteikampf,
elementare Leidenschaftlichkeit , kraftvolles Selbstgefühl
tritt uns entgegen, das im feindlichen Leben sich panzert mit
grimmigem Hohn und beissendem Witz, dessen Vehikel die
FabeP') wird, so fr. 86 vom Fuchs und Adler, fr. 100 von
der Krähe, die vor Lust die Flügel schüttelt; fr. 18 nennt eine
Hetäre eine Feige am Felsen, die viele Krähen erfreut,
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24
fn 105 vergleicht das zaghafte Mädchen einem scheuen
Rebhuhn.
Das! einzige Gedicht des Archilochos, in dem der
Eindruck einer Naturerscheinung auf sein Gemüt sich aus-
spricht, ist fr. ^6. Eine Sonnenfinsternis lässt den Dichter
am Bestände aller Naturgesetze zweifeln:
Nichts bedünkt mich jetzt unmöglich, nichts verschwör'
ich fernerhin
Oder acht' es als ein Wunder, seit der olympische
Vater Zeus
Um die Mittagsstunde plötzlich Nacht ergoss und Helios'
Strahlend Licht in Dunkel hüllte ...
Und es fass' euch kein Erstaunen, wenn ihr einst mit
Augen seht,
Wie das Wild im Forst zur Weide vom Delphin das
Meer ertauscht
Und der Woge dumpfes Brüllen besser seinem Sinn behagt,
Als das Festland mit dem Bergen, drauf es einst so froh
^ geschwärmt
Geibel.
Bei dem gnomenhaft-ethisch-politischen Charakter der
Elegie des Theognis werden wir kaum Naturschilderungen
vermuten; nur spärlich sind die Beziehungen zur Natur.
Beim wiederkehrenden Frühling mahnt der die Saatzeit
kündende Vogel sein schwermütiges Herz an die üppigen
Fluren, die er einst besass und die jetzt andere bestellen
V. 1197; anmutig verquickt er v. 1275 Liebes- und Früh-
lingslust : »Lenz und Liebe brechen an ; wenn die Erde mit
Frühlingsblumen sich schmückt, dann verlässt Eros das
herrliche Cypern und wandelt zu den Menschen, den Samen
über die Erde streuend«:
avx>€(Stv daqtvotg S-dlkei ds^ofjbivfj,
r^fjiiog ^'EQwg ngoXincov KvTtQov^ neqvxaXX^a v^aov^
siatp in dvx^QooTtovg üTtiq^ia f^gwv xwvd y^g*
Stolz prophezeit er v. 237 ff. dem Kyrnos die
Unsterblichkeit in seinem Liede: »Flügel dir hab' ich
gegeben, mit denen du über das weite Meer wirst fliegen
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25
und dick tragen in jegliches Land« ; vergl. aiich das Bild
von dem Vogel, der mit seinen Schwingen sich hebt aus
dem tiefen See 1097: ijS^ xal 7tT€Qvy€(f(fiv iTtafgofiai &<tc€
nexeivov in i/fjtvrjg fjfeyccXtjg avdqa xccxop TtQOffi^ycov. AI km an
aber knüpft in sinniger Weise an den rührenden Volks-
glauben an, nach welchem die Alkyonen aus uneigen-
nützigster, aufopferndster Freundschaft den Kerylos, wenn
er alt geworden, auf die Flügel nehmen,^®) und wünscht
— wie so oft der Liebende im deutschen Volksliede —
sich verwandelt in die beschwingte Gestalt des Vogels, fr. 21 :
Nimmer hinfort, ihr süssen und feierlich singenden
Jungfraun,
*• Tragen die Glieder mich noch; ach lasst mich ein
Kerylos werden,
Mit Eisvögeln über den Saum der Fluten zu fliegen,
Mutig vertrauenden Sinns, meerpurpurner Vogel des
Frühlings.
ov fJb i'tt, nagd-evinal fjbeXiydgveg IfieQocpwvoij
yvla (fiqeiv dvvarai* ßdXe dfj ßaXs nriQvXoq sifjv,
og T inl xvfJiarog äv^og Sfi äXxv6ve(i(St> tvot^tcci
Vfjleyig ^roQ ^x'^v, dXiTVoQ^vQog eTaqog ogvig.
Doch vor allem spricht sich ein tiefes Naturgefühl in
dem berühmten Nachtliede aus, das mit echt poetischer
Beseelung beginnt^ fr. 53:
Der Berge Häupter ruhn, es ruht das Thal,
Die Blätter in den Wipfeln rings verstummen,
Es schläft auch das Gewürm, das ohne Zahl
Die Erde nährt, es schweigt der Bienen Summen;
Es schläft der Vogel müde in den Zweigen,
Das Wild im Waldesgrunde,
Es ruhn in tiefem Schweigen
Die Ungeheuer in des Meeres Schlünde. Brandes.
€v8ov(Siv (J* 0Qi(ji)v xoqvfaC ts xal ^ccQayysg^
nqwovig tb xal xaqdÖQail
(pvXXa xyiqnerd i^'oVcXa TQ^fti fiiXaiva yaZay
d^^qag oQ€üxtpo^ T€ xat yivog ^eXiaüoiv
xal xviiöaX' er ßsvd'^ai nog^VQiag dX6g>
evSovitiv &ömv(Sv (pvXa TavvnT€Qvyayv-
Digiti
zedby Google
26
Doch dies Gedicht ist Fragment, es fehlt* ihm die
lyrische Seele d. h. der Bezug zur Welt des Geistes —
wie in dem unvergleichlichen Göthe'schen »Warte nur,
balde Ruhest du auch! c ^9) Auch Stesichoros steht erst
in den Vorhallen griechischer Lyrik, sein Genre ist der Mythus,
so handelt fr. 8 von dem Himmel umwandelnden Helios,
der in goldenem Becher über den Okeanos schiffend zu
den Tiefen der heiligen finsteren Nacht zu gelangen sucht,
zu der Mutter und der ehelichen Gattin und den holden
Kindern, oder fr. 32 ff. von dem Gesang der schönlockigen
Grazien, die beim Frühlingsnahen mit den Nachtigallen
wetteifern. Doch das Allerheiligste hellenischer Melik er-
schliesst sich uns erst bei den Äoliern. Hier pulsiert
frischestes Leben, hier klopft in glühender Empfindung hefti-
gen Hasses oder heisser Liebe ein leidenschaftliches Herz.
Sturm und Drang atmen die Lieder des Alkaios, »die
Leidenschaft altert am spätesten« fr. 116 o Svfiog eaxctrov
yfjQd(Sx€t könnte das Motto für seine geharnischten Lieder
sein. Der Parteikampf spiegelt sich in ihnen wider, wie
er auf Lesbos im siebenten Jahrhundert wütete, da der
Staat einem lecken, auf windgepeitschtem Meere dahin-
t reibenden Schiffe glich fr» 18:
Nicht mehr zu deuten weiss ich der Winde Stand,
Denn bald von dorther wälzt sich die Wog' heran,
Und bald von dort, und wir inmitten
Treiben dahin, wie das Schiff uns fortreisst,
Mühselig ringend wider des Sturms Gewalt. . .
vergl fr. 19, 23. Geibel.
Alkaios ist ein Mann der That , nicht der Über-
legung, von starkem Hass und starker Liebe, dem es wohl
thut, sich von der Brandung des Lebens schaukeln zu
lassen und in ungestümen Zügen die Lust des Augenblicks
zu schlürfen. ^<^)
Ein Hauch stimmungsvollen Natiirgefühls weht durch
seine Trinklieder; jede Jahreszeit mahnt ihn zum Humpen
zu greifen , so der blumenumblühte Lenz fr. 45 , so der
schwüle Sommer, wenn höher hinauf wandelt am Himmels-
zelt die Sonne, die Luft drückend ist und die Welt
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27
schmachtet in SQEpiwrsglut, wenn aus den Blättern lieblich
hervortönt/Grillengezirp, und desto schriller, je sengender
die Brandpfeile der; Gott senkrecht vom Himmel zur Erde
schiesst fr. 39 rfyye TtpevfAovag oVvco x. %\ A. oder: »wild
strömt der Regen, hoch von dem Himmel bläst der Sturm,
gefroren starrt der Gewässer Flut . . türm' auf dem Herde
hoch das Feuer . ♦ mische den Wein« fr. 34:
vtt^ fiiv o Zsvg ix d'oQava) fjtifyag \ %6(iJb(av^ nsTräyaaiv
ö'vddvwv ^oa{.
Mit duftenden Blumenkränzen schmückt sich gerne der
Dichter fr. 36; auch für die Tierwelt hat er ein mitfühlendes
Herz, so für die vorm Geier sich niederduckende Taube
fr. 27 und für den. Hirsch, dem plötzlich vor Angst das
Herz pocht in der Brust fr, 97; selbst die Meeresschnecke
hat Interesse für ihn fr. 51. Von erhabenem mythologischen
Naturgefühl muss der Hymnus auf Apollo durchdrungen
gewesen sein, von dem uns Himerius or. 14, 10 eine Skizze^^)
erhalten hat — »da singen beim Nahen des Gottes die
Nachtigallen und die Schwalben und Cikadeii, doch nicht
ihr eigenes Lied, sondern von Apollo begeistert; auch die
Flüsse fühlen seine Nähe und die Kastalia strömt mit
silbernen Strömungen und der Kephissos rauscht in höheren
Wogen»« Eine tiefsinnige Fiktion enthält die Auffassung
des Eros, als des Sohnes des Zephyros und der Iris fr, 13;
die Liebe ist so schön, aber so kurzdauernd auch, wie
Westwind und Regenbogen!
Das Zarteste in griechischer Liebeslyrik bietet die
»veilchenlockige« Sappho in ihren »unverwelklichen Rosen
aus Pierien« (vgl. fr. 68); die Liebe aber ist auch jenes Gefühl,
das am lebendigsten zur Natursymbolik treibt, so dass wir
die eigenen Stimmungen »in der Landschaft, in Licht und
Luft wiederfinden, uns mit ihrem Leben in eins fühlen«, so
mit der Stille der Mondscheinnacht, mit dem Rasen der
Frühlingsstürme, mit dem .Murmeln des Baches, dem
Rauschen der Blätter, dem Branden des Meeres. Doch
alles das lassen die Trümmer Sapphischer Lyrik uns nur
ahnen, ihre Lieder sind nur Rosenblätter, aus sonnigen
Tagen des goldenen Südens, voll Duft eines innigen Natur'
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28
gefühls, aber vom rauhen Winde der Zeit zerstreut, zer-
stückelt nnd verweht.
Ausserordentlich sinnig sind ihre Bilder aus dem
Pflanzenleben, so in fr. 93, das an ein in lieblicher Jung-
fräulichkeit prangendes Mädchen gerichtet ist:
Du bist so hold, wie unerreichbar mir:
Dem süssen Apfel muss ich dich vergleichen,
Der, als des Apfelbaumes schönste Zier,
Prangt rot an eines Zweiges höchster Spitze.
Vergassen ihn auf seinem stolzen Sitze
Die Pflücker ? 0, sie konnten nicht erreichen
Die süsse Frucht. Brand es>^j
olov t6 yXvxvfiakop iqevd^evat SxQcp in v<fSo)
axQov iiif axQotaTCf Xekdd'ovro di fjaloÖQOTVfjeq ;
ov fjbdv IxkeXdd-ow*, exXX' ovx idvvayt* in^x€<fx^at»
Das des Beschützers entbehrende Mädchen gleicht
einer Hyazinthe, die im Gebirge, nicht im sicher umhegten
Garten wachsend, von den Hirten mit den Füssen getreten
wird, so dass die purpurne Blume zu Boden sinkt, fr. 94
— »wer erkennt darin nicht einen Vorklang dessen, was
Göthe in den Liedern vom Veilchen und Haideröslein
gesungen?« Und die Rose selbst war ihre LJeblingsblunie
— ^ 2a7T^(o Tov ^odov Iqa xal (fvsfpavol avro ast tivi
iyxcofi^o)^ Tccg xaXdg t£v Ttag&ivwv ixsCvo^ ofioiovtfa (fr. 146
Philostr. Epist. 71).
Von zartem Mitgefühl für die im Tode zuckenden
Tauben, denen starr und kalt ward die zarte Seele und denen
matt zur Erde die leichten Flügel sanken, zeugt fr, 16;
die Nachtigall als ersehnte Prophetin des Frühlings ^gog
ccyysXog l^sqofwvog ä^dmv grüsst fr. 39.
Ein stimmungsvolles Naturgefühl, das in der umge-
benden Landschaft einen Widerhall des eigenen Fühlens
findet und den Natureindruck mit der seelischen Re-
gung verwebt, lassen fr, 4 und 52 ahnen. Zum murmeln-
den Bach führt uns das erstere, »ringsum rauscht die
Kühle des Wassers durch der Quitten Gebüsch, aus dem
Säuseln der Blätter fliesst der Schlummer herab«
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_ 89
dfjbfi <fi . (v&ioq) ipvx^ov xbXpUsi di' vcdu>v | fia^ptop,
ald^v(S<SoiAiv(xiV ök^ ^vXXoDV I xwfjba xa%aq^el.
Das Säuseln der Blätter im Winde, das Rauschen des
Wassers wirkt besänftigend, einschläfernd auf die Sinne —
Iv x)-iq€i d'vnvov \ di^dfji^^iTQ^Tog dvXCov nifinst nvoti
heisst es bei Sophokles Philo kt. v. i8.
Von unvergleichlich melodischem Wohlklang und von
schlichter Innigkeit des Gefühls durchdrungen ist das Lied
der Einsamen fr. 52:
Schon sank zu des Meeres Grunde
Der Mond. Der Sterne Schein
VerbJasst und Stunde auf Stunde
Verrinnt und ich bin allein*^),
Sidvxe fiiv ä aeiAva \ xal nXfjt'adegf ji^(fai da \ vvxTsCy
naQci <J' i'QxevwQa, iyw äi fjbova xa&bvdo).
Enthalten diese Zeilen wirklich nur eine Zeitbestim-
mung, wie Woermann S. 28 meint? Nun, dann sind
reiz- und stimmungslos alle die deutschen Volkslieder mit
den Rahmen bildenden Anfängen vom wonnigen Lenz, vom
eisigen Winter, von der lachenden Sonne und den klar
blinkenden Sternen! Nein, diese wenigen Sapphischen
Zeilen müssen uns anheimeln wie ein Minnelied des Mittel-
alters oder uns erinnern an das treffliche Lied von Mörike
»Die Verlassene« :
Früh, wenn die Hähne kräh'n,
Eh' die Sternlein verschwinden,
Muss ich am Herde stehn
Und Feuer zünden u. s. f.
Wohl nur zum Vergleich hoher Frauenschönheit , die
jede anderein Schatten stellt, diente die prächtige Strophe fr.3. :
Der gold'nen Sterne funkelnd Licht erbleicht.
Sobald das Mondes silbern Strahlenbild
In vollem Glänze sich am Himmel zeigt
Und rings die Welt mit seinem Lichte füllt,
ä<ft€Q€g /jbev diifpt xdXav asXdvav \ a\p dnoxQVTtToiai
q)dtvvov eldog, | oTtnova nXiid-oiiSa fidXi&fa IdfiTitj \ yär
. . . dqyvqCa,
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80
Ihr leidenschaftliches Herr ver<^leicht den Gott der
Liebe mit dem Sturm, der am Berge die Eichen fällt, fr. 42
^Egog S^cxvt* IrCvixitt' l]uo* qqivag \ avifjtog xav oqoc
dqvatv ifjbTteüMV.
Auch für Anakreon ist er der Gewaltige, Allbesie-
gcnde fr. 48; noch den Greis peinigt die Liebe und in
fr. 75 schilt er das spröde Mädchen aus Thracicn unter
dem Bilde eines Füllen, das auf Auen in kindischen Sprün-
gen weidet und den kundigen Reiter flieht; oder die
Schüchterne erinnert ihn an das Rehkälbchen, das noch
gesäugt wird und, wenn es im Walde von der hochhörnigen
Mutter sich verlassen sieht, zusammenschrickt fr. 52; der
Geschwätzigen ruft er zu, nicht zu plaudern wie die Wog;e
des Meeres fr. 90; ein winterliches Trinklied ä la Alkaios
wird fr. 6 gewesen sein. Die Anakreonteeen, dieses
bunte Mosaik von Liedern, welche dem Teischen Sänger im
Laufe der Jahrhunderte zugeschrieben wurden, gehören auch
dem Kolorit ihres Naturgefühls nach einer späteren Epoche an.
Heiterer Lebensgenuss und glühende Liebesleiden-
schaft bilden auch bei Iby kos das Hauptmotiv seiner Lieder.
Die Blumenwelt Myrthen, Veilchen, Goldringeln, Rosen
und Lorbeer ist eine beliebte Dekoration, z. B. fr. 6; auf
Rosen hat Kypris den Euryalos ernährt fr. 5; eine bunte
Vogelgruppe wiegt sich fr. 8 auf den Spitzen der Zweige
Doch von wirkungsvollstem Naturi^efühl ist das schöne
Liebesgedicht fr. l durchdrungen:
Frühling ward es und wieder blüht
Vom sanft strömenden Bach getränkt
Der Kydonische Apfelbaum,
Wo jungfräulicher Nymphen Schar
Tief im Dunkel des Haines spielt
Und die Blüte der Rebe schwillt
Unter schattendem Weinlaub.
Doch nicht achtet der lieblichen Jahreszeit
Eros und lässt mich ruh'n.
Nein, wie thrakischer Wintersturm
Widerleuchtend von Blitzesschein
Fällt er, Kyprias wilder Sohn,
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31
Mit blind sengwder Wut mich an
Und erschüttert gewaHsam mir
Die Grundfesten des Herzens. G ei bei.
fJQt' (jt€p ai're Kvdwviai | ^riXCdsq ägdo^ivai ^oav \ Ix
TtorafioSv, tpcc naq^-iviav \ H^nog^ dxriQaToq, a%v olvavl>C-
dsg I aviofjbsvai axuQolCiv v^^ eqvediv \ olvccq^oiq x)'a)J-
d-otatv. ifioi d^iQog \ ovdeiiCav xarccxotTog oiqav^ S& vtto
areQonccg (pk^yoav \ &Qijlxiog ßoq^ag \ aaawv nagd Kv-
TTQidog d^ak^aig (jbavCa$air iq^^ivog dd-aiißiig j eyxQUTto^g
naidoxihei^ (pv^dcati | fifiev^gag (pqivag.
j Die Hauptbedingungen eines stimmungsvollen Liedes
,sind hier erfüllt: auschaulich wird die äussere Situation ge-
.^ßchildert, und diese giebt der Empfindung ihren Impuls.
.per Nerv des Gedichtes ist die feinsinnige Gegenüberstel-
^lung des Natürlichen und Geistigen, der Kontrast der Ruhe
/des lachenden Frühlings im blumigen Hag am Bach und
der elementaren Gewalt der Liebesleidenschaft in der Brust
des Dichters.
Von ähnlicher, ja noch gesteigerter Wirkung ist die
berühmte Danae-Klage des Simonides v. Keos fr. 37,
Im verschlossenen Kasten treibt des Akrisios unglückliche
Tochter mit ihrem kleinen Persans auf sturmgepeitschtem
Meer dahin und singt in ihrem Mutterschmerz dem arglos
ruhenden Kinde das Schlummerlied ;
Fühlst nicht, o Kind, die herbe Pein,
Dich wiegte die kindliche Unschuld ein,
In dem engen, erzbeschlagenen Haus,
In der finstern Nacht, in der Dunkelheit Graus.
Nicht vor der salzigen Woge dir graust,
Die dir dein lockiges Köpfchen umbraust
Das Rauschen des Windes, nicht macht es dir
. , Schmerz,
Schlummerst auf purpurnem Pfühle, mein Herz.
Dich schreckt nicht der Schrecken der stürmischen
Nacht,
Hörst nicht die Mutter, die über dir wacht;
Schlafe, mein Kind, o .schlafe du See,
Schlafe mein unermessliches Weh! Bern dt.
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32
0T€ Xdqvaxi Iv 5ai8aXia \ Sv€fiog x/ /jiip nv^tav ripf^d-et-
ad T€ kCiiva t öhC^aTi ^Qiner, ovt" äöidvTOKSi naQSiatgf \
dfig>^ t€ Ileqaii' ßdXkt tpCXav X^qcc, \ eln^ t' w v^xog^ olov
^XW novov' 1 (SV S* dcoTStg^ yaXad-rivii tijtoqi xvcoadetg Ip
diBQnsl I dovqari XaXxeoy 6 fj^ay \ ,vvhtI dkafjtJtsl xvaviw
T€ dvotpw ataXs^g* \ aX/jbccv (T vtcsqO^s Tsdv xofjMV ßa-
&sväv I nagiowog xvficcTog ovx dXiytig, \ ovS* dvi/jov
fx^oyyoov, \ noQ^vq^a xtC^ASVog iv xXavCdi xaXov \ nqo-
aoanov. I el 8i rot dsivov ro ys Öbivov ^Vj \ xaC X€V Ificov
^fjfjifdrwv XsTiTov vnsXxsg övag* \ xiXofiat ^ svde ßg^fpog,
evdirco d^ novrog, | avdiva) d^ ä(jb€TQop xaxov-
Auch hier also bietet die äussere Situation den Spiegel
zu der Gemüthsbewegung des Menschen dar; der brausende
Wind und das tosende Meer kontrastieren mit dem harmlosen
Schlummer des Kindes, und zugleich findet Danae in dem
Aufruhr der Elemente ein Echo der eigenen Angst, der
eigenen stürmischen Unruhe; Äusseres und Innei/es rinnen
in eins, und so klingt das Lied ab mit dem echt lyrischen
Empfindungstone einer doppelten Beseelung: o schlafe du
See, schlafe mein unerm essliches Weh!
Wenig lassen die übrigen Fragmente dieses univer-
sellsten Geistes unter den griechischen Lyrikern erraten.
Der Dithyrambus fr. 73 singt vom Lenz, von der gelb-
halsigen, vielgeschwätzigen Nachtigall, fr. 74 von der dunkel-
bläulichen Schwalbe, der Botin des süss duftenden Früh-
lings, fr. 40 u. 41 von der Zauberkraft des Orphischen
Liedes auf Vögel, Fische und Winde u. s. f.
Bei Pindar drängt das Historisch Mythische und das
Ethos der Apollinischen Religion ein subjektives Empfinden
zurück; seine Phantasie liebt zu hohen Schwung, um in
sinnige Natursymbolik sich versenken zu können. Thaten
der Vorzeit und der Gegenwart besingt er in seinen Epini-
kien und wiegt sie nach ihrem sittlichen Gehalt. Wuchtig
ist auch seine Sprache, reich an grandiosen Schilderungen
und Bildern, aber dieselben sind meist vom Mythus durch-
tränkt. Delos, die gottgebaute Meerestochter, den Parnass
mit seinen Schluchten und Thälern preist er als die Lieb-
lingsorte des Apollo, das sonnen reiche Rhodos als den des
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33
Helios; von erhabener Schönheit ist die Schilderung des
Ätna, unter deni der Tyhoeus gefesselt liegt Pyth, I, 19
bis 24 (p. L ^ 78): /»Der Pfeiler des Himmels beengt ihn,
das Schneehaupt Ätnas, der allzeitige Heger scharfen
Frostes; Bäche sprudeln aus den Schlünden lauteren Feuers
hervor allverzehrend , qualmende Rauchwirbel quellen auf
in der Hölle des Tages, Funken sprühend, dann in dunklen
Nächten wirft die rötliche Glut mit Geprassel Steine weit
wälzend zum tief gründenden Spiegel der See« u. s. f,
(Härtung). Mythisch gefärbt ist auch der Frühlingsdithy-
rambus fr. 53 . . . »sobald sich aufthun die Thore der pur-
purnen Hören und hervorspriessen die duftigen Blumen,
dann verbreiten sich liebliche Veilchenblüten über das Land,
Rosen flicht man sich ins Haar, und laut schallt das Flöten-
getön zu Liedern und Reigen«
oTtov' olxO^ivToq ^Qqccv &aXa^ov | tvodfAov inaivoaiv
i'aq (fVTcc vexiagsa. \ lore ßdXXhTai \ tot* in'dfißQorav
%iq(Sov IgaToi \ JW (joßai,, §6da ts xofiaKTi fj^ypriai
X. T. X*
Anmutig ist auch die Schilderung des Elysiums fr.
106: »dort hinab scheint immer der Sonne goldenes Licht,
voll schattiger, duftiger Weihrauchbäume mit goldenen
Früchten pranget die Flur mit rosenroten Auen . . . und
Flüsse durchrinnen die Landschaft wogenlos mit ruhigem
Wasserspiegel.«
ioX(Si Xdfj7T€i fi^v fj^rog ät)Jov tccp ivS^dds vvxxa xcctco
(f'OivixoQodoig d^ ivl XeiiioavsGGt TXQodöTiov avTWp
xal Xißdvw (Sxiaqov xal 'XQvaeoiq xaqnotc ßißqiO^oc . . .
Vergl. Olymp. II, ant. 4.
Wie auf Archilochos, macht auch auf ihn eine Sonnen-
finsternis fr. 84 den Eindruck, als ob nun alles aus. den
Fugen weiche oder IJrieg, Früchtevertilgung, Schneesturm,
Sturmflut, Weltuntergang bevorstände ; von echter Humanität
zeugen die Schlussworte: »wenn du (Zeus) neuer Menschen
Stamm, ganz fortspülend das Erdreich, schaff'en willst, mit
dem jammernden Volk will leiden ich selber auch« (Tycho
Mommsen) Wahrhaft fisyakoTiQini^c ist Pindar in seinen
Vergleichen und Metaphern. Heller als ein Stern soll sein
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. o
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34
Lied strahlen; die Tugend ist für den Mann ern untrug^-
liches Licht ; das Unglück ein früchtevcrnichtcndes Gestürm
eisiger Winde, diese selbst ein Sinnbild des mannigfach
schwankenden menschlichen Schicksals; doch auf Regen
folgt Sonnenschein. ^^) Der Schrecken und das Morden des
Krieges gleicht der drohenden dunklen Wolke ;^'') seine
Rede gleitet dahin wie ein Schiff, das von günstigem Winde
getrieben wird j^'') sehr beliebt sind Bilder von Steuermann;*^)
»ein Meer vielgoldigen Reichtums befahren wir Menschen^
Is^hm. I, 36; doch besonders interessant ist die Über-
tragung des Natürlichen auf das Geistige in der intensiven
Metapher fr. 100, 3: »wer nicht vor Sehnsucht hin- und
herwogt in seinem Herzen« og fjtrj no&w xvf^tafi'^tai, —
schüchtern war der Ansatz bei Homer in Form des Gleich-
nisses, hier verschmelzen Bild und Sache; ja sogar dife
Katachrese scheut Pindar nicht Pyth. IV, 158 »die Blüte
deiner Jugend braust noch in den Adern« aor cir&oc ijß^c
ctQTi Tiv^aCvtv, Das Pflanzenleben bietet auch ihm in seinein
Wachsen und Vergehen ein Bild des Menschlichen; einem
Saaten tragenden, sich stets erneuernden Ackerlande gleicht
das Geschlecht des Alkimadas Ncm. VI, 8, das der Kleony-
miden, fftfTi Kriegsstürmen wieder aufblühend, dem Garten,
der nach trübem Winter grünt und im Lenz voll Rosen
steht Isthm. III, 18.^^) Unter den Vögeln begegnet uns
bqjipnders der Adler. In vollem Selbstgefühl seines Kön-
nens erhebt* der Dichter sÄn Lied hoch über die Versuche
seiier^J^ebenbuhlerj i,§ein Ljed nimmt hohen Flug wie der
Aar ^h ö«ipT5i«ftQJj^4ngtJ*lrMfa\mit.den Klauen seinen Fang
packend, während ni^irigiSalUug führt die krächzende Krähe
Nem. III; 80, vergl. Tyth. V, 112. Wie bei Homer und
Theognis Himmel und Erde und MeA* ladi^ten, so führt
Pindar die poetische Beseelung weiter im fr. TI3: »auch
die Gestirne, die Bäche, die Wogen des Meeres beweinen
Atm frühzeitiges Sterben« aW^a t€ xal Tcotaiiol xal xvfiata
novtov ävöqCav rdv cdv äva^XaCei (Härtung für draxakei)
Eine Welt liegt zwischen Homer und Pindar! Bricht
auch bei dem Sänger von Theben wieder der Mythus voller
und breiter hindurch, wie bei den übVigen Lyrikern, so besteht
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.35
doch ein, gro3?er Unterschied in der Auffassung desselben bei
ihm und Honier. Bei diesem waltet der naive Götterglaube,
bei jenem eine tjef ernste, sittliche Weltanschauung, die
stets sich bestrebt, »das Mass, wonach alle Dinge zu messen,
die Gesetze einer sittlichen Weltordnung, in dem eigenen
Innern zu finden» (Otfr. Mueller). Bezüglich der Naturan-
schauung hat sich also in dem Zeiträume von Homer bis
zu den Perserkriegen eine Wandlung vollzogen, die an die
Stelle des epischen, objektiven Gleichnisses die subjektive,
lyrische Metapher, die poetische Beseelung und die sympathe-
tische Deutung der Naturscene treten Hess.
Die Tragiker ^^) spinnen die Fäden weiter. Die Muse
<ies Erhabenen führt den Griffel des Ä s c h y 1 o s ; das
Grossartige, Gewaltige in *der Natur fesselt seine orientalisch
glühende, schrankenlose Phantasie; Bilder, Vergleiche und
Schilderungen zeugen von imposanter Gestaltungskraft.
So gleich in seinem Prometheus. »Am fernen Saum der
Erde, an der Scythenstrasse, in menschenöder Wüstenei«
schmieden B^a und Kgarog den Titanen an den Felsen;
in- grauser Einsamkeit wendet sich der Gequälte an die
Natur; an ihre Teilnahme appelliert er, da sollst kein
mitleidiges Ohr ihn hört v. 88 (poet. scen. Dind ed. Vi:
Heil'ger Äther, leicht beschwingte Lüfte,
Stromesquellen lächelnd sanfte Flut,
Die verhüllt des Meeres Schauergrüfte,
Mutter Erde, und dich, Strahlenglut,
Helios' Auge, das auf seiner Bahn
Alles schaut, euch ruf ich flehend an.
Seht, was ich von Göttern, selbst ein Gott,
Dulden muss, wie ich in Schmach und Spott
Hier gefesselt tragen muss mein Leid,
Tragen muss durch alle Ewigkeit. Brandes.
(ü ölog ald^^Q xal Taxvmegoi nvoal \ norafACOv re m^yal
7iovji(av r€ xviAaTwv \ äv^qiOfiov y^XaCfia, napfi^roQ T€
Y^, I xat Tov navoTiTfjv xvxXov rlXCov xakw, \ l'dta^e
fji' ofa . . naC'iiü x- r. X
3*
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36
Die Oceaniden bejammern ihn, furchtbar umhüllt ihre
Augen der dichte Nebel der Thränen, da sie ihn so leiden
sehen v. 144. Prometheus erinnert an das Schicksal
anderer Titanen, wie des Typhon, »den das schlaflose Ge-
schoss des niederfahrenden, flammensprühenden Wetterstrahls
traf« V. 358, »doch einst werden Feuerströme hereinbrechen,
rings zerfleischen mit wildem Zahn die saatengrünen, sel'gcn
Au'nSiciliens«, v. 367. Die Natur selbst zeigt Mitgefühl v. 431 :
Klagend rauscht der weiten See Wogenschlag, die
Tiefe seufzt,
Fern nachhallt des Aides düsterer Abgrund,
Der heiigen Ströme rieselnde Quell'n beweinen deine
Trübsal
Droysen.
ßoa 8i TtomoQ xlvöo^v (iviinCtvoDV, &riv€i ßvd-og, \ x€Xai'
vog ^'Ai'dog d^vnoßqi^^i f^vxoC yäg, \ nayai ^^dyvoQvzcDV
Ttorafitöv (^TivovCiV äXyog oIxtqov.
Der lo kündet Prometheus ihre Leidensfahrt zu den
sternbenachbarten Schläfen des Kaukasus voraus, »nimmer
werde rasten das stürm gepeitschte Meer grauenhafter Qual«
— dvü%eC[jbtq6v ys niXayoq äifjQoig övfjg v. 746. Die Klagen
der Wahnsinnigen »verhallen umsonst in des Unheils tosender
Brandung« v. 885. Hermes naht, um den Trotzigen zum
Nachgeben zu zwingen, doch derselbe antwortet lOOi : »Wie
eine Welle belästigst du mich eitel mit deiner Worte
Drängen« ; Hermes warnt IÜI4: »bedenke, welch ein Orkan,
welcher Qualen Brandung dich fluchtlos zerschmettert«
olog (S€ xtifio^v xal xaxäv XQixv^Ca €7iei& afvxvog- Doch
vergebens. Mit der Glut und Erhabenheit der Phantasie
eines Dante oder Shakespeare fordert Prometheus sein
grauses Verhängnis heraus v. 1040:
Wohlan, Zeus, falle dein züngelnder Blitz
Zweizackig auf mich hernieder,
Und es hall' aus gespaltener Wolken Schlitz
Laut krachend der Donner wieder!
Erfasst von der Windsbraut tobender Wut,
Mag der Erdgrund brechen zusammen,
Mag spritzen des Meeres schäumende Flut
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Bis hinauf, wo die Sterne flammen,
Und mag stürzen mein Leib, wo der Tartarus klaftt,
Von des Schicksals zwingendem Strudel entrafft,
Zu der Frevler furchtbaren Nöten.
(Ganz wirst du mich doch nicht töten!)
Ha, schon wird es zur That, was Kronion gedroht.
Schon erzittert im tiefsten Grunde die Erde.
Des Blitzstrahls Flamme loht,
Und der Donner hallt dumpf in der Runde;
Vom Boden wirbelt der Staub empor,
Wild stürzen, wie feindliche Heere,
Auf einander die Stürme in grimmigem Chor,
Und der Himmel vermählt sich dem Meere
(SvPTSTCcQaxrai d^ai^^q novrco)-
So brich denn herein, Kronions Gericht 1
. O Mutter du, und du kreisendes Licht
Des Äthers, o sehet mich beide, -
Wie ich ungerecht, ungerecht leide 1 Brandes.
Wie schon aus dieser Skizze des Prometheus ein-
leuchtet, entlehnt Äschylos seine Bilder besonders dem
Meere und webt in kühnen, gewaltigen Metaphern Natür-
liches und Geistiges in eins. Auch die übrigen Stücke
sind reich an solchen, so die Septem, wo es heisst: es
rauscht heran die Welle des Landheeres; helmbuschwogend
brandet um die Stadt der Feinde Meer, tosend und sturm-
gepeitscht von Ares Zorn; in heitrer See schifft jetzt die
Stadt, trotz allem Schlag der empörten Wogen hat sie
kein gefährdend Leck; Fluten des Heeres, der Worte, des
Unheils sind häufig.^*»^) An Simonides erinnert die Beseelung
Agam 565: »wenn um Mittagszeit die See in wellenlos
windstiller Ruh sich legend schlief« ^ ^dlTtog, €VT€ nowog
iv fi€(ffjfißQiva7c I xofvatg dxvfjto^v vi]V^fJ>oig evdoi .nstSwV'
Bild und Sache sind schön in einander verschmolzen
Hik. 126: »O schwer enträtselt Wehgeschick 1 Welle, wohin
noch treibst du?« /« dvadyxQitoi nopoi' no^Toöe xv(a^ dnd^ei;
und V. 784: »dunkelwogend pocht das Herz in meiner Brust«
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Auch die Schilderungen des Meeres sind grossartig,
so bei der Erzählung von der Salaminischen Schlacht,
Pers» V, 386 ff.: »hell brach der Tag an, mit seines Wagens
Lichtgespann beleuchtet sonnenhell er die Meeresbucht —
doch am Abend treiben Wrack an Wrack und Leichen
umher, Wehklage und Angstgeschrei erfüllt das weite Meer,
bis dass dahin sie nahm der dunkle Blick der Nacht« 6(oq
Ein grandioses Seeslück entrollt die Schilderung des
Herolds Agam. v. 650: »die grimmsten Feinde verschworen
sich, Meerflut und Feuer, . . es erhob zur Nachtzeit sich
der empörten Fluten Sturz, an einander jagte die Schiffe
wilder thrakischer Orkan« u. s. f« ^rdfiotfav yaQ opr^g £%-
&i<SToi To TTQtv, TtvQ xat &d},aü(fa X. T. X. Zart ist das Bild
Agam. 740 von der Helena, die wie »glanzheitre Meeres-
stille, eine herzerschliesende Liebesblüte« ^Qovfjfia vt^r^fAov
yaXi^vfig ♦ . dfj^Cx^vfiop eqwrog Svx^og nach Ilion kam. Am
grossartigsten ist die Beseelung fr. 41, in welchem Aphrodite
ihre allbezwingende Macht schildert:
Es sehnt der keusche Himmel sich, zu umfahn die Erd',
Sehnsucht ergreift die Erde, sich zu vermählen ihm;
Vom schlummerstillen Himmel strömt des Regens Guss;
Die Erd' empfanget und gebiert den Sterblichen
Der Lämmer Grasung und Demeters milde Frucht ;
Des Waldes blühenden Frühling lässt die regnende
Brautnacht erwachen; alles das, es kommt von mir.
i^a fjtiv dyvog ovgavog TQ(S(fai y(x)^6va \ Ijowc d^ yalav
Xccfjbßdvsi ydfjbov tvx^f^v . . . devÖQcorig wqu d*ix voti-
^ovTog ydfjbov \ xf-Xeiog i()Ti' twv d^^yoi nagaCnog; vergl
Eurip. fr. 890.
Hier paart sich die erhabenste Naturanschauung mit
der Sinnenglut einer orientalischen Phantasie. Grandios ist
auch die Durchführung des Gedankens, nichts gleiche der
menschlichen Leidenschaft, der trotzfrechen Hofifahrt eines
Mannes, nicht einmal die Ungeheuer, welche die Erde
nährt, noch die Knäuel nienschengier'ger Scheusale in der
Tiefe des Meeres u. s. f Choeph. 585.
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39
' Auch .in seinen Bildern aus dem Tierleben •'•") über-
wiegt das Gewaltige: der Löwe, der Adler, der Drache,
die tückische Schlange, der Wolf; lieblich sind die von der
Nachtigall wie Agam. 1142; es berührt sich unmittelbar
mit unserer Empfindungsweise, wenn Kassandra a, a. O.
die tonreiche Nachtigall preist, da sie kein Menschenleid
kenne, nur süsse, thränenlose Tage! ^^) Andererseits ist dem
Dichter ihr schmelzendes Lied der Ausdruck tiefsten Seelen-
schmerzes vergl. Hik. 160, Die Mutterliebe der Niobe
gleicht der des brütenden Vogels fr. 149; die trauernden
Kinder am Grabe des Vaters rufen Choeph^ 501 : »O Vater,
sieh, deine Küchlein sitzen an deinem Grab«.^^) Doch auch
das Pflanzenleben, der Ackerbau dient zu Vergleichen,
So begrüsst Klytaemnestra Agam. 966 den heimkehrenden
' Gatten heuchlerisch mit dem schönen Gleichnis :
Lebt die Wurzel, so umgrünet Laub das Dach
Und breitet Schatten vor dem heissen Sirius,
Du kündest Frühlingswärme mir in Winterszeit;
Und wenn in herber Traube Zeus den jungen Wein
Lässt reifen, dann weht labend Kühlung durch das Haus,
Grotesk, ja das Mass des ästhetisch Zulässigen über-
schreitend, sind die Worte der Klytaemnestra Agam. 1389,
in denen sie das Blut des' Erschlagenen den Tau nennt,
der sie erquickt, gleichwie des Regenschauers sich freut
die Saat, nach dem die Knospen sich erschliessen. ^^)
So durchmisst der Geist des Äschylos in kühnem
Fluge Meer und Himmel und Erde, Pflanzenleben und
Tierwelt, um für seine Ideecn das adäquate Gegenbild
zu finden, .
Die Phantasie des Sophokles ist massvoller; er
.sucht das Schöne nicht im Erhabenen, sondern in der har-
monischen Ineinsbildung von Stoff und Form ; seine Sphäre
ist das Zarte, Liebliche in Pflan;^en- und Tierwelt.
Weinstock und Ölbaum preist er im öd. Col oder
zieht sie zu Vergleichen heran wie Trach. 701, Antig* 712,
und in durchscheinendem Bilde ^'^'^) sagt Aias v. 558 zu
seinem kleinen Sohne:
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4^
Indessen vveid' in leichter Luft und pflege dir
Die junge Seele, deiner Mutter hier, zur Lust
rfüdg d^ xovfotg 7tPfVfia(Uv ßodxov kvX*
Unter den Tieren steht das Ross in erster Linie,
Öd. Col. 699, 1063, Öd* tyr, 466, Antig. 477, El. 25,
nur vereinzelt sind Vergleiche von wilden Tieren wie vom
Drachen Antig. 126, Trach. 770. Seiner zart besaiteten
Seele entspricht besonders das Reich der luftigen, leicht-
beschwingten Vögel. »Ich erbebe vor Furcht wie das Auge
des flatternden Täubchens«, sagt der Chor, Ai. 139; al-
berne Männer tosen laut wie Vögel im Schwärm aus
Furcht vor dem gewaltigen Geier v. 167; Gram und kla-
gendes Sehnen erinnern an Philomele ^^), und die Eltern-
liebe der jungen Brut soll den Menschen zur Nachahmung,
dienen El. 1058, vergl. Antig. 424.
Der Wunsch der Beflügelung^^), der uns zuerst bei
Alkman begegnete, kehrt bei Sophokles in bedeutsamer
Weiterbildung wieder. Schon bei Homer wünscht Helena
II. VI, 345 :
O hätte doch am Tage meiner Geburt
Ungestüm ein Orkan mich entrafft auf ein ödes Ge-
birg hin
Oder hinab in die Woge des weitaufrauschenden Meeres,
Dass mich die Woge verschlang', eh' solche Thaten
geschehen !
Und bei Äschylos ruft in ähnlicher Stimmung der
Danaidenchor Hik. 780: . . . wohin entfliehen ?
Ein schwarzer Rauch möcht' ich fliehn
Zeus Wolken nah von hinnen ziehn,
Lautlos verschwinden,
Möcht' ein leiser, leichter Staub
Emporgeweht flügellos verfliegen!
fiiXaq Y€vof(iav xanvoc vicfetti^ ysirovcSv Jtog' \ ro näv S*
äcpavTog ccfjb nvoalc diipdg (Sg xovig axfq^e \ 7tTfQvyo)v
oQo^fjbav.
Mit solcher Verzweiflung paart sich zunächst auch
das Verlangen, ein Vogel oder mit den Vögeln und mit
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41
dem Wehen des Windes in die Weite zu fliegen, bei So-
phokles. So im Philoktet 1092:
O dass hoch empor Vögel mit sausendem Schwung in
die Lüfte mich entrafften!
Nicht mehr ertrag* ich's!
tld- did'^Qoq apw | mwxddeq o^vrovov dicc 7TVtvfiaTog \
i'Xcoai fA- ov yccQ fo^o).
Trach. 953:
Wenn eilende Lüfte doch
Mit hellem Hauch von diesem Herd mich in weite
Ferne trügen u. s. f.
Doch auch andere Stimmungen als verzweiflungsvolle
Sorge und Angst bilden das Motiv zu solchen Wünschen.
Im Od. CoL wünscht der Chor, dem Siege der Attiker
über dfe Entführer der Ödipus - Töchter zuschauen zu
können, und ruft v. 1081:
Könnt' ich sturmwindgleich, ein schnell fliegend Täubchen,
Hoch zu des Äthers Gewölk entflohn, mit meinem. Auge
Von dorther diese Kämpf erreichen!
6*'o^' ah}XaCa Taxv^^coi^og nekeidg \ aWsqCa^ V€(p^Xccg
xvQßa^fiv Tcovd* dycivcop I Icogi^ctada Tovfiov ofifjia.
Nicht deutlich ist der Zusammenhang im fr. 423 (aus
dem Onomaos, Schol. zu Aristoph. av. 1337): »Ich möcht
ein hochhinschwebender Adler werden, damit ich mich
höbe über des unfruchtbaren, blaurauschcnden Meeres
Wogen« yevoffjbav aletog vipmixag | aJ$ av nozax^t^v vueq
äzQvyiTov ykavxdg In oldfia ICiJbvag, Das ytvo^fiav wird
formelhaft in diesen Wendungen; so kehrt es in anderer
Bedeutung wieder in dem schönen, ein inniges Heimats-
gefühl atmenden Liede Ai. 1217;
O könnt ich hin, wo waldig des Berges Haupt,
Von Meerwogen umspült, sich hebt,
Unter Sunions hohem Fels,
Heilige Stadt Athens, dir Grüsse zu senden 1
YtvoCfjbCLVy iV vkdtv kneari Ttovxov \ nqoßhiik aXuXvfSxov
X. IT. A.
Doch vor allem ist auch bei Sophokles das Meer in
seinen wechselnden Erscheinungen ein Abbild menschlichen
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42
Lebens und Leidens. Wie das avifgeschwoUetne Meer^ das
vom Thrakersturm erregt machtvoll sich in die umdusterte
Tiefe wälzt, den schwarzen Meersand aufwühlt und im
stöhnenden Orkan an die Ufer tost, so wälzt sich der
Fluch von Geschlecht zu Geschlecht Antig. 586.
Wie man in Weiten des Meeres im Boreas-Sturm
Wogen an Wogen sich drängend, kommend und gehend
erblickt, so treibt den Sohn Thebes des Lebens vielfäl*-
tige Not Trach. 114. Besonders imposant ist die Schil-
derung des Chors Öd. Col. 1240:
Wie nördlich einen Seestrand Wogenschlag und
Winterorkan erschüttern ;
Also stürmen auf dich auch
Hochher Brandend in stetem Wutgrimme die Leiden
und ruhen nimmer.
Ebenso häufig sind die Metaphern, wie der Sturm
wildrasenden Wahnsinns, der Strudel der die Bahn durch-
wogenden Gespanne, das Meer der Todesflut, des
Leidens ^^).
Sinnreich sind auch die Bilder Trach. 129; »Freuden
und Leid wechseln, wie über uns ewig am Himmel Arktos
kreist«, vergl. fr. 713 und fr. 162 von der Liebe, die dem
glänzenden Eisstückchen gleicht, das den Knaben erfreut,
ihm aber in der Hand zerrinnt, vergl. anth. III., 154,
Claudiani no. 4 und 5.
An Grossartigkeit und Pracht der Bildersprache über-
trifft Ächylos den Sophokles, aber dieser überragt weit
den älteren Rivalen an Innigkeit jener Naturauff*assung,
die ein Mitgefühl der Natur, beilegt und sje als einen
trostreichen Freund betrachtet, von dem man sich schwer
trennt. Zwar sucht der Mensch in den Dramen des So-
phokles noch nicht die Natur um ihrer selbst willen auf,
um in ihren grossartigen oder lieblichen Eindrücken zu
schwelgen, aber in der Einsamkeit, in der hülflosen Not
entdeckt er in der Natur ein ihm innerlich verwandtes
Wesen und ahnt eine stille Sympathie derselben mit seiner
eigenen Seelenqual Dann giesst der sanfte Lichtglanz des
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43
sonnigen Morgens Balsam in das wunde Menschenherz,
oder der Gramgebeugte begrüsst klagend jeden neuen Tag
des Leidens, wie im Anfang der Elektra. »Schon weckte
ja der Sonne strahlenvoller Glanz«, heisst es v. 17,
Der Vögel Morgenstimmen auf zu hellem Schall,
Die düstre Nacht der Sterne schwand in's Dunkel hin —
doch gramerfüllt tritt Elektra hinaus in den hellen Morgen
und ruft Licht und Luft als die einzigen Zeugen ihres
Wehes an, v, 86:
O heil'ges Licht,
O Luft, den Erdkreis rings umflutend, '
Wie oft, wie oft vernahmt ihr nicht.
Zur Zeit, wo vor dem Tag die Nacht verschwand,
Die Klage, die sich meiner Brust entwand.
Der Brust, von selbstgeschlag'nen Wunden blutend ! . .
Und niemals schweigt mein Jammerruf und meine Klage,
So lang' am Himmel aufwärts steigt
Der Sterne strahlend Heer in jeder Nacht,
So lange noch der Sonne Licht erwacht^
Zu meiner Qual an jedem jungen Tage.
Gleich wie die Nachtigall, der fortgetragen
Die Jungen aus dem Neste, so will ich klagen.
Brandes.
ü) (fdog äyvov \ xal y^g iao^oi^ ^^jQj ^^ i"ö* | noXXdg
fjbip x^Q'^vtöv cpddg \ noXXdg d^dwr^Qsig ijcfO^ov \ (^t^qvmv
nXrjydg alfjbaC(To(A^(iov x- t. X.
Mit grausem Kontrast nennt Aias Ai. v. 394 die
Grabesnacht sein leuchtendes, rettendes Licht; er verzweifelt
am Leben, glaubt sich von allen, selbst von der Natur,
den troischen Ebenen (v. 459) gehasst und kündet (v« 412)
den zum Meere rauschenden Strömen, den Grotten und
Hainen, dem Skamandros, die so lange sein Leiden ge-
sehen, seinen nahen Tod an. Nur vorübergehend ist der
Entschluss, dass, »wie der schneeumhüllte Winter dem
fruchtbela denen Sommer Raum giebt und der schauervolle
Kreis der Nacht den weissen Rossen des Helios weicht,
wie dem leisen Windeshauch das wilde, stöhnende Meer
gehorcht und sich sänftigt«, er sich vor den gewaltigen
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44
Gegnern beugen will v. 669; am einsatnco Strande sinnt
er auf Selbstmord, dem Helios trägt er die Trauerkmide
für den greisen Vater auf und nimmt Abschied von der
lichten Welt v. 859:
O Licht, o Heimaterde, -dich geweihtes Land von
Salan\is,
O meines Vaterherdes Sitz, dich Burg Athenes,
Ruch Flüsse hier und Quellen, euch die troischen
Gefilde ruf ich, lebet wohl, ihr Pfleger mir!
tf) ^fyyog, M y^g Iqov oheCaq nidov ^aXafbtvog
%aCQeT^ (a rgocf^g ifjboC
Auch im Öd. tyr. wird die Natur als mitempfindende
Zeugin menschlichen Leidens betrachtet, wie in den rühren-
den Worten des Ödipus v. 1398:
Ihr dreigespaltnen Pfade, du verborgnes Thal,
Du Wald, ihr engen Schluchten dort am Scheideweg,
Die meines Vaters Blut ihr einst, das meine Hand
Vergossen, tränket, denkt ihr noch, welch schwere That
Ich dort vor euch verübte, was, hieher gelangt,
Ich wiederum verbrochen?
Im Öd. Col. wird die düstere Melancholie, welche in
der gfinzen Tragödie waltet, gesteigert und gemildert zugleich
durch die Schilderungen der Herrlichkeit des Landes:
Wo im holden Lenze
Von dem Klagelied der Nachtigallen
Schatt'ge Gründe widerhallen;
Wo der dunkelfarbige Epheu rankt,
Jeder Strauch von tausend Früchten schwankt;
Wo von Himmelstau befeuchtet
Aus der Wiesen immer frischem Grün
Des Narkissos Blütentraube leuchtet,
Wo des Krokos gold'ne Kelche blühn;
Wo in schlummerlosen Wogen
Der Kephissos kommt daher gezogen,
Dessen Quelle nie versiegen mag,
^ Der in klarem Strome Tag für Tag
Zieht befruchtend seines Segens Spur
Durch der grünen Äcker breite Flur,
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45 _
Wo der Chor der Musen laut erschallet.
Und wo Kypriä oft vorüberwallet u. s. w. v. i6 u, v, 668»
Brandes.
Harmonisch stimmt die freudige Begrüssung des Mor-
genlichtes zu dem frohen Siegesgefühl, das samt der
Aussicht auf Frieden der junge Tag gebracht, in der Antig.
V. i(X); denn der Feind, der »wie ein Aar kreischend auf
das Land sich stürzte oder wie ein Untier die Stadt blut-
lechzend umgähnte«, ist besiegt:
äxzig aeXCoVy vo xdXh&vov iTTzanvXo) q>avkv \ Qrißcc tcSv
TtqoTiQoav ^dog , \ icpdvO^fjg tvot', eo xQVöiag dfA^gag
ßX^tpaqov X. r- X.
Berühmt ist das Stasimon v. 332: Vieles Gewaltige,
lebt, doch nichts ist gewaltiger, als der Mensch!
Äschylos wusste nichts an Grausenhaftem in der Natur
•dem Trotz und der wilden Leidenschaft des Menschen
gegenüberzustellen, hier haben wir den Gedanken der Er-
habenheit des Menschengeistes über die Natur, einen
Hymnus auf die Thatkraft und die gewandte Klugheit des
Menschen, der da das Meer bezwang, über die Flut hin-
wandelnd und den ringsumtosten Pfad, und die Erde, den
Pflug durch ihre Rinde ziehend jahraus jahrein, sowie
die Tiere des Waldes, die wimmelnde Brut des Meeres,
die mit netzgeflochtenen Garnen fängt der vielbegabte Men-
sch! Von besonderer Zartheit sind wieder die Abschieds-
worte der Antigone, die zum letzten Mal den Glanz der
Sonne sieht v, 806; sie gedenkt der Niobe, um die gleich
des Epheus schlingendem Grün sich der sprossende Fels
rankt, während rastlos der Regen an ihr zehrt, der Schnee
unter den thränenden Brau*n ewig den Busen ihr badet:
Also bettet der Tod zur Ruh' auch mich . .
O Stadt, und du Brunnquell Dirka's,
Lusthain du der wagenberühmten Thebe!
Euch alle beschwör' ich, seid Zeugen,
Wie unbeweint von Freunden, kraft welches Spruchs
Ich sterben muss!
Die wärmsten Beziehungen zur Natur finden wir im
Philoktet. Sie hat ihm in seinem Leiden ein fühlendes
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46
Menschenherz ersetzt, ihr hat er sein Leid geklagt in seiner
grausen Abgeschiedenheit (v. 936, v. 1080) j klagend hat er
die hochschwebenden Vögel angerufen, die Tiergeschlechter,
die den Wehrlosen nicht fürchten (v» 1146). — Und als
nun seine Erlösungsstunde schlägt, nimmt er einer Schiller-
sehen Johanna gleich rührenden Abschied von seinem
Felsennest 1452:
Wohlauf denn, scheidend b:grüss' ich das Land!
Leb wohl, mein Felsdach, das mich geschirmt,
Ihr Nymphen der Bäche, der Au'n lebt wohl,
Du, mächtig am Vorwerk brandendes Meer,
Wo die Fluten, erregt von den Stössen des Süds,
Oft netzten mein Haupt in dem Winkel der Kluft,
Wo den klagenden Laut, wann wild auf mich
Einstürmte der Schmerz, der hermäisclie Berg
Im Rückhall oft mir herübergesandt!
Ihr Brunnen umher und Apollons Quell,
Ich verlass' euch nun^ ich scheide voi) euch,
Der nie so Kühnes zu hoffen gewagt,
O Lemnos, umflutet Land, leb wohll
XOifQ w ^i^fu'ov nidov dfjbifCaXov.
Sophokles bezeichnet in seiner gesamten Kunstrich
tung den Höhepunkt des griechischen Geistes; seine Tra-
gödieea sind ein treues Spiegelbild einer auf Humanität
gegründeten^ harmonischen, tief sittlichen Weltanschauung;
sein Naturgefühl trägt das Gepräge edler Einfachheit ; seine
lebenswarmen Schilderungen bekunden ein inniges Wohl-
gefallen an der Natur und eine tiefsinnige Symbolik des
Geistigen und Natürlichen, sowie jene Sympathie, die in
der landschaftlichen Umgebung einen Widerhall der eigenen
Stimmung findet.
Sophokles wurzelt fest in dem Perikleisch«n Blüte-
zeitalter des hellenischen Wesens. Euripides steht an der
Wende zweier Epochen; seine Tragödieen zeigen schon
deutliche Symptome einer gährcnden, umwälzenden Periode,
in der das Alte in allen Fugen zu wanken beginnt und der
Mythenglaube, von dem Scheidewasser sophistischer Re
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fl^xion-zers'etit;w5rd>'ürä ab kere Form dem atheistischen
Didhter nur noch als Dekoration oder als Zielscheibe ver^
ßteckten parodierl^rideÄ WiUes zu dienen Nur ein dunkles
Schicksal waltet, »des Menschen Lose, Weh und Wohl
mscht ohne Wahl ein Gott verwirrend« (Hekuba v. 956).
Von Zweifeln zerrissen und modernem Weltschmerz nicht
ganz fern schwankt er in seinen rhetorischen Reflexionen
hin und her, die bald den Stempel flacher Gesinnungs-
losigkeit, bald edler, echt antiker und humaner Denkart
tragen. Von rein hellenischem Gesichtspunkt bezeichnet
Euripides einen Niedergang griechischer Kunst und griechi-
schen- Geisteslebens ; trotzdem aber ist von weiterem, kultur-
histoHschen Standpunkt aus ein gewaltiger Fortschritt bei
ihm unverkennbar d. h. ein Fortschritt zum Modernen hin.
Das yvcSS-i^ fSavrov ist zur Thatsache geworden, eine
Innerlichkeit und Vertiefung des Denkens macht sich geltend,
wie nie zuvor, und so löst das Drama die Aufgabe, »aus
dem süssen Dämmerlicht poetischer Befangenheit in die
volle Tageshelle des Bewusstseins, der Aufklärung, der sub-
jektiven Freiheit hinüberzuführen« ^^). Immer mehr versenkt
der Mensch sich in die Tiefe seiner Seele und entdeckt
schaudernd — Abgründe. Das eigene Ich wird zum Phä-
nomen, das Probleme stellt, deren Lösung psychologischer
'Motivation bedarf. Der Mensch beginnt auf das leise Ge-
f krause! seiner Empfindungen zu achten, sie absichtlich fest-
'xuhalten, über sie zu reflectieren, und auf dieser Doppelt-
setzung des Ichs , auf dieser Selbstbespiegelung beruht ja
wesentlich das, was der moderne Mensch Sentimentalität nennt.
Wie sentimental klingt der Wunsch des Hippolytos v. 1079:
»o könnt' ich selbst mir gegenüber stehen und schauen,
welch bittre Zähren mir entlockt mein trübes Los!« Euri-
pedes ist der Romantiker unter den Tragikern , seine
Empfindsamkeit tritt auch in den Äusserungen seines
Naturgefühls hervor, das die nächste Vorstufe zu dem
idyllischen Naturempfinden der hellenistischen Epoche bildet.
Bernhardy^^) aber irrt, wenn er sagt: »die Vergleichung
zwischen Natur und sittliche«! Leben ist dem Euripides
ganz eigentümlich«, denn wir sahen, wie aus Keimen bei
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Homer allmählich eine immer intensivere Parrellisierung
des Geistigen und Natürlichen sich ergab, und wenn fcr ferner
von einem »Mangel an poetischen Bildern« bei Euripides
spricht, so können wir vielmehr behaupten, dass Euripides sie
aus allen Sphären in reicher Fülle darbietet. Wie des
Baumes Spross liebreich gehegt wächst Polydoros auf
Hek. V. 20 ; wie Epheu, der die Eiche umrankt, will Hekuba
die Polyxena umschlingen Hek. v. 398, wie Fichtenthränen
— Tievxivov daxQv — trofif durch des Giftes unsichtbare
Wut das Fleisch vom Körper sich ablösend Med. 1200,
vergl. Hik. 448, Hippol. 1252. Der Quellflut gleich, welche
dem Felsen entströmt, rinnen die Thränen Androni. 116,
533, und Hik. v. 79 ruft der Chor: »Der Wehklagw
unselig unersättliche Wollust ergreift uns, wie von erhabenem
Fels der Tropfen feucht dahin rinnt, unablässig in ewigen
Klagen«
änXrfiioq ade /i' i^dyei /a^^g y6<n>p \ noXvnovog, dg *^
ä?ußdTov Ti^TQag \ vyQcc ^iovda cfvayoov \ anavatvog yowv.
Was ist moderner als die Wollust des Schmerzes^
diese xdqi^g yocov^ die dolendi voluptas eines Petrarca, die
Wonne der Wehmut eines Göthe? Und wie raffiniert
sentimental ist die Beseelung des in steter Klage rinnenden
Wassers 1 Sophokles nennt die Q-iellen ruhelos Öd. Col.
685, Euripides deutet ia seiner Empfindsamkeit das Murmeln
der aufschlagenden Tropfen als ein unablässiges Klagen,
wie Heine, Lertau von wimmernden Winden, »vom
Bächlein, das die welken Blätter davonträgt mit halb er-
sticktem Weinen/< und von Wolken reden, »die herüber-
hauchen schwer in stürmischer Beklommenheit« , oder
Platen: »es scheint ein langes, ew'ges Ach 1 zu wohnen
in diesen Lüften, die sich leise regen« oder Byron vom
cascate del marmore zuTerni: »drinnen im Abgrund heult
und braust die Flut von ewger Qual- gehetzt« (Ch. Harold
IV, 69). »Wenn alles Recht sich verkehrt, dann werden
auch die Quellen rückwärts fliessen«, heisst es Med. 410,
vergl.Hik. 520; die starre, unbeugsame Menschenbrust gleicht
dem unempfindlichen Felsen oder der wogenden Meeres-
flut Med. 28, 1279, Androm. 537, vom Alter Herk. für. 637.
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Düstere Melatieholie liegt über Bildern von Wolken ^^)
und Winden wie im HippoL 192: »was mehr wert als' dies
Leben ist, hüllt umgebende Nacht in finsteres Gewölk« ;
Hik. 961 : »einer irrenden Wolke gleich treiben uns des
empörten Sturmes Hauche« :^^)
ili(f(f6fjb€(f&' ix€t&€v ivx^dds dvtftvxCaiaiv \ svtvx^cag
T€ ndXiv I iisd-CiSTwvai' di nvevfiaCi*
Doch auch ihm ist besonders das Meer mit seinen
Wellen und Stürmen ein Abbild des ewigem Wechsel
unterworfenen menschlichen Daseins. Wie das wilde Meer
tobt die Leidenschaft, oder wie Meeressturm packt der Zorn
den Menschen/^) wie Wogendrang das Unglück, die Flut
der Leiden^^) Dem Meerschiffe gleich wird der Mensch
vom Sturm des Ungemachs umbraust, ®^) ruhig muss er
sich von den Wellen treiben lassen, sein Lebensschiff lenkt
das Schicksal Tro. 102: »in den Wechsel des Schick-
sals füge dich still, schiff hin, wie der Gott, wie die Welle
dich treibt und kehre den Bug nicht wider den Strom,
denn du fährst mit dem Steuer des Schicksals« :
TtXst xatd noQ&fjtov tiXbI xavd daC^ova \ fjtijdi nqo(SC<fifi
TtQm^av ßfoTov \ nqog xv^ia n}.iov(Sa Tv%atai^v.
Äschyleische Pracht mit Sophokleischer Zartheit
vereinen die Euripideischen Bilder aus dem Tierleben.
Löwe, Schlange, Waldeber/^) wie auch das Reh begegnen
uns; mit liebevollster Kleinmalerei ist gerade das Gleich-
nis vom letzteren in dem Chorliede Bakch. 862 ausgeführt:
Werd' ich in nächtlichem Reigentanz einst heben den
weissen Fuss,
Aufjubelnd und frei den Hals hoch in tauige Lüfte
werfend,
Dem Reh gleich, das in der Auen grüner Lust sich
spielend ergeht,
Wann es schüchtern entfloh, geschreckt
Über schön geflochtene Netz' ausserhalb des Geheges,
Und der rufende Jäger zu raschem Lauf die Doggen
treibt?
Zitternd scheu, mit dem Flug des Sturmwinds eilt f"
Fliegend es hii; zu dem Gefild' am Strom,
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 4
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50
Freut sich, dass es nirgend Menschen sieht,
Freut sich des dunkellaubigen Hains.
. . w<; %'frßQO(; xXosQolq \ ffjrta^ovöa /^ffiaxoc dSoralc . •
fiox^oic t' coxvÖQoiJLOic d€)JMg ! ^QO}(TX€t nsdCov I rraqu-
TTordfiior^ äSofi^va \ ßgoräp IgijfjUaig | (TxtaQoxofAOio z
iQveatv vXac*
In solcher Schilderung haben wir den Ansatz zum
hellenistischen Genrebild aus dem friedlichen Leben der
Tiere. Unter den befiederten Wesen giebt der Schwan
ein rührendes Bild der Kindesliebe Bakch. 1364: »was
schlingst du, arme Tochter, deinen Arm um mich, wie
seinen alten Vater kost der graue Schwan«, ebenso El. 151
cf. Herk. 692. Jon. 160.
Doch besonders teilt Euripides mit Sophokles das
innige Interesse an dem Leben der leichtbeschwingten,
flüchtigen Vögel der Luft, die so fröhlich zum Äther sich
heben. Unter den unendlich häufigen Vergleichen^^) ist
besonders charakteristisch Iphig. Taur. 1089:« Vogel, der du
bei felsigen Meeranhöhen, o Halkyon, klagst in traurigem
Liede, wohl verständlich Verständigen, da du den Gemahl
im Gesänge stets rufest I Dir vergleichbar im Leid bin ich
un geflügelter Vogel« !
. . €v^vv€tov ^vrsToTo ßodv (äsCdsic) ori ttmAv xeXaäfTc
att fiolriatg \ lyco aoi TraQaßdkXofiai \ ^Q'^roiKf anvhQoc
oQpig.
Die Klagetöne des Vogels sind ein Echo der eigenen
Stimmung; ein gleiches Weh fühlt Vogel- und Menschen-
brust. So wird Hei. 1 107 die Nachtigall, die in liedervoller
Grotte klagt, gebeten, aus falber Kehle die seufzenden
Lieder hervorzuwirbeln, um in die Trauer des Chors einzu-
stimmen, vergl. fr. 775, v, 20 0"., Phoen. 151 5. Kosmopo-
litisch ist der Gedanke fr. 1034: »Den Schwingen des Adlers
steht ofl*en zum Fluge der weite Himmel, die ganze Erde
ist Vaterland dem edlen Mann« !
«TTOfc fiiv d^Q derw negdaifiog \ dnada d^ /^«V ye^vcUm
tkxtqCq.
Zur Manier wird bei Euripides der Wunsch, mit Fittigen
der Vögel oder mit den Winden und Wolken durch die
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51 _
Lüfte enteilen zu können. Doch nicht ist diese Sehnsucht
»stets ein Zeichen der schmerzlichsten Verzweiflung« (Woer-
mann S. 47), sondern in höchst bedeutsamer Weise ver-
quickt Euripides auch andere Motive mit diesem Verlangen,
wie bereits Sophokles es anbahnte. Schreckenvolle Angst
giebt allerdings häufig einen solchen Wunsch ein wie in
der Hekabe 1099: »wohin mich wenden? Soll ich auffliegen
in des Äthers Höhen . ♦ oder entschwing* ich Unseliger
mich zu des Hades düsterm Stand« ?
not TQüCTtiofiai ; nol noQSD&co; \ dfji7tvafj,€voc ovQccvtov
vipmsT^q ig fi^Xa&Qov x. r» A.
Ebenso Or. 1375, vgl. 982, Med. 1296, Androm. 847,
861 : »o dass ich ein Vöglein wäre« xvavomeQoc oqvic tvx}^'tl'riv,
Jon 796, Herk. 11 58, Hik. 829. Von Heimweh eingegeben
ist der Wunsch Iph, Taur. 1137, mit den Sonnenstrahlen
heimwärts zu fliegen und über dem heimischen Dache der
Flügel Schwung zu hemmen:
Xa^nqov Innodqofiov ßaCrjVy ivd-* hvdXiQV Iq^sTai tivq,
olx^Cwv d* VTC^Q x^aXccfjbODV iv vcSroig dfiotg Ttr^Qvyag
Xfi^atfM x^od^ov(^a'
Liebevolle Sehnsucht nach dem Bruder atmen die Worte
der Antigene Phoen. 163:
O flog' ich den Flug windschnellen Gewölks
Mit den Füssen dahin durch die Lüfte zu
Meinem Geliebten, ach dass ich die Arm' um ihn
Schlang', um den Heben Hals des Unseligen,
Lange verbannten!
dp€fji(ox€og sid-e ÖQOfiop ve(piXag \ TToaiv i^apv(^atfu rf*'
cUO-iqog j ngog Ifjbov ofAoyeviroQa . .
Eteokles giebt v. 504 dem Gefühle Ausdruck, dass er
sich nicht werde zu lassen wissen, wenn ihm die Tyrannis
zu Teil werde, dann möchte er zum Sternenaufgang durch
des Äthers Raum sich sch\yingen oder in die Erde
tauchen u. s. f.
äcTTQCOV dp lld^oifi aix^iqog nqog dvtoXdg \ xal y^g €r6Q&h
X. T. L
Vergl. frgm. ine. 903:
ßddoiJbaC r'dg ai&fqa nokvv d€QOf^)g I Zrivi nqoafi^iav-
4*
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52
Frohlockende Freude hebt die Brust der helleniöchien
Frauen, als Troja gefallen ist und Menelaos sich zur Heim-
kehr anschickt, und ihr Jubel bricht in die Worte . aus
Hei 1478:
»O schwebten wir hoch in den Lüften beschwingt,
wie der schwärmende Zug, Libyscher Vögel Geschlecht, die,
dem regnichten Herbst entflohen, weithin ziehen und des
ältesten Lockpfeife folgen, des Führers, der zu den frucht-
baren Auen, quellenlosem Gefild* herabschwebt in fröhlichem
Jubel«
dl d^Qog ei'd's noxavol \ Y€VoC[A€d'' ov^t öroXadsg | olwvol
ACßvsq X. T. i.
Neidisch blicken sie auf zu dem freien und geschwinden
Fluge der Vögel und rufen ihnen zu, vorauszueilen, »eilen^
der Wolken Laufe zugesellt, mitten zu den Plejaden au
fliegen, um Orions nächtliche Bahn zu schweben und am
Eurotas-Strom den Flug zu hemmen und die Siegesbotschaft
in Sparta zu verkünden!« Neben dem Hauptmotive Iwicht
hier schon in der Ausmalung der einzelnen Züge der Ge-
danke durch, dass auch der Vogelflug als solcher begehrens-
wert ist. Die Wonne aber des freien Dahinschwebens über
Länder und Meere d. h. also die Stimmung eines reinen,
von Nebenmotiven geläuterten Naturgefühls, das die Beflüge-
lung um ihrer selbst willen sich wünscht, spricht sich noch
deutlicher aus in dem Chorliede Hippol. 732:
Könnt' ich in die Tiefen der Bergschluchten eilen, wo
Mit des Vogels raschem Fittig
Zu beflügelten Heerscharen mich trüg' ein Gott!
Dass ich könnte zu Adria's Meeresflut mich erheben,
Hin zum Strom des Eridanos . .
Flog' ich zum Strande der hesperidischen Jungfraun,
Wo die goldenen Äpfel glühen u. s. f.
fllißäroig vno xevd^fiooai yevoffiav, \ tva fjbs msqovaaav
oQviv I B^eog h nravatg äyiXaKSiv S^slfj. | dq^eCriv S int
TtovTiov I xvfia tag If^ÖQifjvag dxTccg x, t. A.
Wer möchte in solchen Gefühlsäusserungen ein An-
klingen an unsere moderne Empfindungsart verkennen, wie .
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53 ^
sie keiner schöner als Göthe ausgedrückt hat mit den
Worten des Faust:
O dass kein Flügel mich vom Boden hebt! . . Doch
ist es jedem eingeboren,
Dass sein Gefühl hinauf- und vorwärts dringt,
Wenn über uns im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über schroffen Fichtenhöhen der Adler aus-
gebreitet schwebt
Und über Flächen, über Seeen der Kranich nach der
Heimat strebt! —
Doch noch in manchen anderen Zügen kündet sich
bei Euripides eine Zeit sentimentalen Naturgefühls an.
Die Lokalbeschreibungen werden immer ausführlicher
und.individueller,vgl. die von Theben Phoen. 638, vom Kithairon
Phoeti 801, vom Ida I. A. 1284, Tro. 1065, von Attika
Hipp. 121, von Delos Jon 916 u. s. f., Götternamen dienen
^r Ornamentik solcher Schilderungen und werden oft
artgerufen, so die Selene Phoen. 175, Aphrodite Hipp. 447,
Artemis )♦ A. 1570, im Or. 1496 sogar: »o Zeus und Erd'
lUid Licht und Nacht!« El 886, Hik. 990. Alk. 249:
»Hölios^ Glanz und des Tages Licht, eilende Wolken, die
hoch in den Lüften kreisen«, aXi€ xat ^dog afi^gag \ ovqdvtaC
T€ Stvai v€(f^Xac d^o^baCov; vergl. fr. 446 Hippol mit seiner
ausgesprochenen Freude''^) am hellstrahlenden Sonnenlicht :
w lafinQog alx^fJQ ^fiiQag x^^dyvov (pdog \ (Sg ^dv levddsn'
Tolg T€ nqaaaovüiv xaX£g \ xat zoldi dv(Srv%ov(Uv, cop
Tt^ywx' lydy
und die herrliche Morgenschilderung Jon. 82, »da Helios am
Himmel den strahlenden Wagen -emporlenkt, die Sterne
fliehen in die heilige Nacht, die Höhen des Parnass im
Lichte glühen und der Tag den Sterblichen wonnig leuchtet«,
vergl. Rhesos v. 527 ff. Anrufe der Naturerscheinungen
führen zu Beseelungen"^^), so Heraklid. 748, wo in raf-
finierter Überschwenglichkeit Erde und Mond und die
Strahlen des Helios zugleich aufgefordert werden, Kunde
zu bringen und hell aufzujauchzen in den Himmel auf zu
Zeus' Thron! Ebenso Herk. 790 soll Pythos waldiger Fels
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54
und der helikonische Musensitz hoch preisen in fröhlich
hallendem Laut der Theber Stadt, vergK Hipp. 979, 1126,
Herk. 368.
In den Bakchen wird auch die Natur vom dionysischen
Taumel ergriffen, das Land hebt sich wirbelnd im Tanze
V. 114
avT^xa yä Ttäaa xoq€V(S€i \ BQOfjbiog orup dyccyri O-idaovq,
der Berg und das Wild stimmt ein in den Jubel, alles wogt
in raschem Lauf v. 726. Im Jon. 1079 tanzt des Zeus
gestirnter Himmel den Reigen,
Jioq datfQooTtog I ävexoQsvdev aiO^TjQ» \ xoqsvav Sä ^sXdvcc
X» T. X.
~ vergl, Soph. Antig. 1146.
Hass wird der Natur, wie schon im Aias des Sophokles^
beigelegt Jon. 919: :>dich hasst Delos, die Zweige des
Lorbeers hassen: es hasst dich der Palmbaum, prangend
in zartem Laub.« Die Gestade des Meeres jammern laut
über den Fall Trojas Troad. 826
Tlioveg 6' aXiai la^oiKf' olov d'vniQ oioDVoc Tsxtcov ßoa.
Der Friede und die Stille in der Natur wird schön
als Schweigen gedeutet Bakch. 1084:
Stumm schwieg der Äther,
Schweigend hielt das Wiesenthal die Blätter,
Nirgend hörtest du des Wildes Laut:
aCyrids d* ald-riQ, dtya S evXsifiog vdnri \ (fvXX* *?/*> ^^Q^v
ö^ovx dv ^xov(fag ßotjv,
ebenso Iph. Aul. v. 9:
Weitum schallt kein Vogelgesang,
Kein Meeresgeräusch, und die Winde verstummt
Ruh n rings um den Strand des Euripos
ovxovv y)x^6yyog y'ovT^ oQvCd-oav \ o\)ts x^aXdcfc^fjg' öiyat ö^
dpifio)v 1 Tovde xar^ Evqittop €xov(iiv.
Mit dem Morgenfrieden in der Natur kontrastiert die
Unruhe des Agamemnon, der voll Sorgen aus dem Gezelt
hinausstürmt {j;C öi av cfxfjvijg ixrog diVifeig, l^ydfisfipop dpa^).
Aber auch in dem persönlichen Verhalten des Menschen
zur Natur bereitet sich bei Euripides eine Wandlung vor,
die in der Alexandrinischen Zeit ihren Höhepunkt erreicht.
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55
Es erschliesst sich ihm die Vorbedingung einer bewussten Liebe
zur Natur, der Reiz der Einsamkeit, und somit der Zauber,
den die Nafur in ihrer Stille und erhabenen Schönheit auf
denjenigen übt, welcher dem geräuschvollen Getriebe der
Menschen entflieht. So berichtet der BCoq EvqiTc,, dass der
Dichter, um dem Lärm der Stadt sich zu entziehen, eine
Höhle auf Salamis sich hergerichtet habe, welche den Aus-
blick auf das Meer hatte anrilaiov . . dvaTtvo^v e^ov ek
Tfjp x^aXaiSaav oS^iv xal ix S'a?.d(f(ffjg lafißavsi tccc tiXsCovc
vcov ofAoicoaecov. Bei Äschylos und Sophokles treibt das
Gefühl des Verlassenseins, des Mangels an menschlicher
Hülfe und menschlichem Trost zu einem innigen Appell an
die Teilnahme der Natur, aber sie suchen sie noch nicht des-
halb direkt auf; bei Euripides begegnen uns die ersten Spuren
eines idyllischen Naturgefühls, Bakchantinnen und Satyrn
träumen mit Wonne in den Bakch. (135, 657, 874) und im
Kyklops 541, an der Fichte Haar oder auf Eichenblättern
ihr Haupt wiegend , in der süssen Waldeinsamkeit ; aber
»dafür sind sie auch Satyrn und vom bakchischen Taumel
efgrififen« '^^) ; die Menschen treibt übergrosses Weh in die
freie Natur hinaus, wie die Amme Med. 56 von Schmerz
überwältigt hinauseilt, um das Los ihrer Herrin Erd' und
Himmel kundzuthun^^); so hofft die im wilden Weh rasende
Phaedra im Hippol. 208 Ruhe "zu finden, »wenn sie den
lauteren Trank der erfrischenden Flut aus lebendem Quell
schöpfen, von Schwarzpappeln umschattet auf blumiger
Wiese gelagert ruhn oder im Walde das Wild jagen könnte«,
aia$* I n£g av dQ0(T6Qag dno XQfjvidog \ xa&aQcov vöatcov
TtdofA' äqvaaC^av \ vixo t alytCqoi^g €V rs xo^xri I ^^^(^(^^^
xXi^€l(f I ävanavdaCiiaV'
Doch der antike Geist reagiert gleichsam gegen solche
Sentimentalität einer krankhaft überreizten Seelenstimmung
in den Worten der Amme: »Was quält Sehnsucht nach
solchem dein Herz. Was schwatzest du sinnlos« ? . . u. s. f.,
und Phaedra selbst gesteht v. 239, dass sie raste. Doch
nicht bloss orgiastischer Taumel oder wahnsinniges Weh
giebt solche Empfindung ein, so dass Euripides selbst sie
als unnatürlich hinstellen wollte, wie Woermann meint, ''^)
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_ 56 _
sondern eine deutliche Vorstufe des idyllischen Natur-
gefühls lässt sich in seiner sentimentalsten Tragödie, dem
Hippolytos, erkennen* Dort paart sich in der Schilderung
des stillen Hains v. 73 daä Gefühl für Einsamkeit oder der
sentimentale Schillersche Gedanke: »die Welt ist vollkommen
überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual«,
mit einem herzlichen Wohlgefallen an den stillen Reizen
eines tief versteckten Waldwinkels, einer jungfräulichen,
»unentweihten Flur«,
Wo nie der Hirt die Herde auf die Weide treibt,
Noch nie das Eisen schaltet', und zur Lenzeszeit
Die Biene nur durch unentweihte Fluren schwärmt;
Da wohnt die Unschuld, tränkt das Land mit Quellentau ;
Nur wer der Lehre nichts verdankt, nur wem Natur
Zugleich für alle Werke weisen Sinn verlieh.
Darf hier sich Kränze pflücken, doch der Böse nicht.
Vergl. Bakch. 315. Solch Empfinden war nur möglich in
einer Zeit, da sich der Bruch zwischen Geist und Natur zur
unüberbrückbaren Kluft erweitert hatte, da der unbefriedigte
Sinn sich sehnsüchtig abwandte von dem ruhelosen Getriebe
der Menschen zu der still wirkenden, heiligen, keuschen
Natur, zu dem unbetretenen, unentweihten Fleckchen Erde,
wo die aldcog noch waltet, die aus dem menschlichen Leben
gewichen war.
Auf gleichem Boden der gesamten Geistesrichtung ist
Aristophanes erwachsen. »Sein schmerzlich tolles Lachen
und die tiefe Melancholie seines grossen Zeitgenossen Euri-
pides sind Ausdruck derselben geistigen Zerrissenheit, der-
selben Verzweiflung« '^^). Auch er steht an der Schwelle
einer neuen Zeit, auch sein Naturgefühl verrät bereits
idyllische Züge. Nicht bloss der Bauer sehnt sich nach dem
Dorfe, nach dem Landleben zurück und verabscheut die
Unruhe der Stadt, wie Dikaiopolis in den Acharnern v^ 33,
sondern auch sonst bricht ein herzliches Verständnis für
die kleinen ländlichen Freuden hindurch, ein aufrichtiges
Wohlgefallen an dem Blühen und Fruchttragen der Reben
und Feigen, die man als Bübchen gepflanzt (Pax 556); ja
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das behagliche Gefühl des glücklichen Besitzers, der stolz
an seinen üppigen Gärten mit den Fruchtbaumreihen entlang
schaut, »während im Felde holden Sang zirpt die Cikade« ,
findet seinen lebhaften Ausdruck v« 1158. In den Thes-
mophoriazusen v. 43 begegnet uns eine anmutige Beseelung,
indem der Diener des dem Dichten lÄühselig obliegenden
Agathon auch der Natur ein favete unguis zuruft:
Lass ruhn dein Wehn, windschlummernde Luft!
Und brause du nicht, blau schimmernder See Schaumflut !
Ihr Gattungen all der Befiederten ruht!
Lass ruhen, des Wildes waldlaufend Geschlecht,
Unermüdlichen Fuss!
Mit empfänglichen Sinn für die stillen Reize der Natur
schildert der Dichter nub. 1006 den Hain Akademos':
Dort wirst du im friedlichen Schatten des Ölbaums
Lustwandeln, gekränzt mit dem Schilfe des Bachs
An dem Arm des verständigen Freundes,
In des Geisblatts Duft, in der Müsse Genuss,
In der silbernen Pappeln Umlaubung,
In des blühenden Frühlings Lust,
\yenn sich still zuflüstert Platane und Ulme . .
onoTav nXdxavoq Tvtsk^a xpv&vqC^ri
Auf der grossartigsten Naturanschauung und echt
poetischer Perzeption beruht die geniale Schilderung des
Webens und Schwebens der Wolken, dieser hehren himrji-
lischen Wesen und Segler der Lüfte, die ihr wundersam
gewaltiges Lied anheben v. 275:
Wolken ihr, Feuchte des Alls,
Sichtbar lasset in luft'gen Gebilden uns leicht hin-
• schwebend
Fern von des Vaters Okeanos Wogen her
Nach den bewaldeten Gipfeln der ragenden Berge ge-
scharet ziehn,
Wo von der Warte wir fernhin Schimmernden
Heil'ge Gefilde, mit Saaten gesegnete,
Heil'ge Bäche, so hell binrieselnde,
Weissauf blitzendes Wogen des Meeres schau'n;
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58
Hellt doch das nimmer ermüdende Auge des Äthers
rings
Leuchtenden Blicks die Ferne!
Auf denn, des regnichten Nebels enthüllen wir
Unsre unsterblichen Leiber hinabzuschau'n
Fernspähenden Auges zur Erde!
d^vaoi vs^iXai, \ ag&cofisv ^aveqal SqotSeqäv (fvdtv tvd-
yriToVj 1 TtavQog an ^Slxsavov ßaQvax^oq | vipfj^oor
oqicov xoQV(pdg inl \ dsvdQoxofjbovg, Vva | Tf]X€(pav€lg
axonidg d(poQ(afJb6&a \ xdqnovg x dQÖofi^pav legdv %d^ova,
xai nota^mv ^a&ifjov xsXadri^ata \ xai novrov xsXd-
dovra ßaQvßgofiov x* t. L Vergl. v. 336 ff.
Mit dem Fittig des Vogels die Welt zu durchschweifen,
wünschte Euripides; hier unternimmt die Phantasie des
Dichters einen Flug auf Wolkenrossen und lässt von hoher
Wolkenwarte herab den entzückten Blick in die weite.
Ferne schweifen und ruhen auf den drunten liegenden
sonnenbeschienenen Gefilden mit schimmernden Saaten
und hellrieselnden Bächen. Wieder drängt sich die Gö-
thesche Scene uns auf, da Faust den Geistesblick über die
Erdenschranken hinweg der Sonnenbahn folgen lässt:
Ich sah' im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füssen,
Entzündet alle Höh'n, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in gold'ne Ströme fliessen u. s. f.
Das Reizendste in Bezug auf Scenerie und geistreiche
Darstellung des Naturlebens, insonderheit der Vogelwelt,
bieten die Vögel. Mit wie rührendem Verständnis und
mit wie liebevoller Genauigkeit werden v. 228 ff. all die
kleinen befiederten Wesen in ihren Eigentümlichkeiten
charakterisirt, wie sie schwirrend, zwitscherrW, piepend und
zirpend, naschend und haschend, trippeleilig in den Furchen
umher hüpfen oder sich auf des Epheus schwankenden
Ranken wiegen, wie sie in den Berberitzen schwelgen
oder im Schleedorn und im Moor und Rohr brüten,
schwärmen und lärmen, auf tauiger Wiese, im grünenden
Klee, am rinnenden Bach. Doch der Frau Nachtigall wird
am zartesten gehuldigt, wie in dem Liede 209:
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59
Süss Weibchen auf! auf! und verscheuche den Schlaf l
Lass quellen den Born des geweihten Gesangs,
Den so süss hinströmt dein seliger Mund,
. . Von der säuselnden Linde Gezweig
Steigt rein dein Schall zu dem Thron des Kroniden
empor,
Wo der goidumlockte Apoll dein lauscht u. s. f.
und V. ^TT',
Liebliche, du helle, liebste von allen mir,
Waldessängerin Nachtigall,
Waldeinsame Gespielin 1 . . auf, du flötende Meisterin,
Frühlingsgrüssenden Tones froh führe die Festana-
pästen,
und V. 737 :
Muse des Waldes, sangesreiche, mit der ich Tages
In wiesigen Gründen, in waldigen Gipfeln,
Wiegend mich hoch in gebreiteter Buche Gelaub
Aus schmetternder Brust, weithallenden Schlages
jauchze u. s. f.
Nicht ohne Sentimentalität wird die Glückseligkeit
der Vögel gepriesen io88:
Wohl sind wir Vogelscharen i
Glückselig trotz des Winters Frost, \
Bedürftig keines Kleides ; ;
Auch brennt uns nicht der Sonne Glut, ' /
Der Pfeil des schwülen Sommers; .
Im Blumenwiesengrunde kühl,
In Laubes Schoss, da schlaf ich, ,-
Wenn im Kornfeld heimlich zirpend
' Heimchen seinen bangen Ruf
Vor des Mittags glüh'nder Stille
Wie im Wahnsinn jammernd ruft.
Zum Winter kehr' ich in Höhlen ein
Und spiele mit den Nymphen,
Speise rote Frühlingserdbeer'n,
Mädchennaschwerk, weisse Myrrhen,
Lauter Frucht aus dem Nymphengärtlein I ^»_
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- 60
^vdaifiov ifvXov mfjvcov \ oi(ov(av • • (fvllwv Ir x6?,7Toig
fisatjfißQn'oig "^Xio^aviig ßoa \ '^sifjbdl^fo d'iv xoCXoic
arvQotg, \ NvfMpatg ovQtCccvg '^vfinaC^oav x. t. X.
In dieser Kleinmalerei des harmlosen, genügsamen,
glücklichen Daseins der kleinen Vogelwelt verrät sich ausser
der Empfänglichkeit eines tief empfindenden Gemüts für
das Stillleben in der Natur eine gewisse Wehmut, ein
Sehnen nach der Einfalt und dem Frieden in der Natur»
Aristophanes weist somit, wie auch Euripides,
bereits in ein neues Zeitalter hinüber, in das der Alexan-^
driner, denn auch bei ihm haben wir einen Ansatz des Idylls
EU erkennen. Ebenso bei dem grössten Prosaiker der vorheller
nistischen Zeit, dem Dichter-Philosophen Piaton. Mit feiner
Ironie legt er im Phädros p. 230 B und C gerade dem SokrateSy
der in seiner Begriffsphilosophie sonst so wenig von dei:
Natur wissen wilP^), den »Felder und Bäume nichts lehren
wollen, sondern nur die Menschen in der Stadt« ^''), die
idyllische Schilderung des lauschigen Plätzchens in den
Mund, an dem das Gespräch sich abspielt, »wo die Platane
ihr prächtiges Laub schattend ausbreitet, Gesträuche blühen
und den Ort mit Wohlgerüchen erfüllen, wo die lieblichste
Quelle mit kühlstem Wasser dahin fliesst, wo Nymphen
wohnen, die Luft lieblich weht und sommerHch säuselt in
den Chor der Cikaden, und das Gras am sanften Abhang
einlädt zum Lagern.«
Selbst Becker findet diese Schilderung »fast sentimental«
und sieht in ihr ein ganz seltenes Beispiel dafür, »dass die
Griechen eine wärmere Empfindung solcher Naturfreuden aus-
drücken.« Allerdings wird man vergebens eine ähnliche Schil-
derung in der vorplatonischen Prosa suchen, und sie blieb selbst
bei den Alten wie Strabo, Plutarch, Lukian, Cicero, Ari-
staenetus ein Gegenstand der höchsten Bewunderung und
Nachahmung; ein solcher »Mangel« lässt einmal sich daraus
erklären, dass sich eine kunstmässige Prosa immer erst sehr
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61
viel später als die Poesie entwickelt, und dass die Griechen
der klassischen Zeit ein zu strenges Stitgefühl bei der
Scheidung der Redeformen besassen, um poetische Schilde-
rungen des Landschaftlichen in prosaischen Schriften histo-
rischen und philosophischen Inhalts für zulässig zu halten.
Aber Piaton war zugleich Dichter, obschon die Epigramme
der Anthologie unter seinem Namen zum grossen Teile
sicher unecht sind und einem weit späteren Dichter ange-
hören. Piaton bietet das seltene Beispiel der Vereinigung
von schroffster » Naturyerachtung « bezüglich des philoso-
phischen Erkennens ''^) mit einer echt poetischen Auffassung
der Natur, als eines Objektes unseres Empfindens. Das
Gewebe seiner philosophischen Erörterungen ist einem
bunten Teppich gleich von Bildern und Gleichnissen"^^)
durchzogen ; doch vor allem in der obigen Schilderung von
der Platane, dem Bach, dem Gras und den Cikaden haben
wir in nuce eine hellenistische Naturschilderung. Auch jenes
Motiv, auf den Flügeln der Vögel, des Windes oder der
Wolken dahin zu schweben und die drunten liegende Welt
zu bewundern, schimmert bei Piaton in einer farbenprächtigen
Stelle des Phaedon p. 109 ET hindurch. »Wenn jemand«,
sagt Sokrates, »zur Grenze der Luft gelangte oder Flügel
bekäme und hinaufflöge . . ., so w(irde er den wahren Himmel,
das wahre Licht und die wahre Erde erkennen ; verächtlich
würde er herabsehen auf die verwitterte, zerklüftete und
anstaunen die wunderbare Herrlichkeit der himmlischen, die
da bald purpurrot, bald goldfarbig, bald alabasterweiss
in glänzendstem Bunt schimmere, wo die herrlichsten Bäume
und Blumen und Früchte und Steine in prächtigeren Farben,
als Karneole, Jaspisse und Smaragden, prangen und ein
reiner Äther glückliche mit den Göttern traulich verkehrende
Menschen umfange.« Mit dieser grossartigen Schilderung
einer »besseren Welt« ist die »sentimentale Idylle« von dem
Idealstaate, die phantastische Fiktion des vordeukalionischen
Athen und der Atlantis im Kritias VII p. 115 verwandt;
auf dem glücklichen Boden der Insel entfaltet sich der
grösste Reichtum, kostbare Metalle birgt der Schoss der Erde,
dichte Waldungen umkränzen die Berge, warme und kalte
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Quellen durchrieseln die fruchtbaren Ebenen, überall herrscht
reiche Pracht an Bäumen und Blumen, Harzen, Sträuchern,
Früchten, Gräsern u. s f. Solche Schilderungen deuten schon
das Nahen einer Zeit an, da das Träumen vom goldenen
Weltalter zur Manier wurde, da die romantische Sehnsucht
nach eineth verlorenen Paradiese jene »ethnographischen
Utopieen« schuf und die von der Wirklichkeit Unbefriedigten
den Blick 2>von der überreichen Fülle der vollentwickelten
Blüte der Kultur zu deren in geschlossener Knospe das
Herrlichste verheissenden Anfängen zurückwandtenc (Rohde).
Wie Piaton so die Wunder einer idealen Erde in
glühenden Farben malt, so preist Aristoteles in einer wunder-
baren Stelle, die uns Cicero erhalten hat (de nat deor.
II, 37), mit einer Innigkeit des religiösen Naturgefühls di^
Schönheit und Ordnung in der Natur, wie wohl kaum ein
anderer Denker und Dichter des Altertums. »Wenn es
Menschen gäbe«, sagt er, »die stets unter der Erde gewohnt
hätten, in schönen und glänzenden, mit Statuen und Ge-
mälden und allen übrigen zu einem glücklichen Leben er-
forderlichen Dingen geschmückten Wohnungen, die aber nie-
mals über die Erde gekommen wären und nur durch das
Gerücht und von Hörensagen erfahren hätten, dass es eine
göttliche Wesenheit und Macht gäbe, und wenn dann diese
Menschen einmal durch die geöffneten Erdspalten aus ihren
verborgenen Sitzen an die Orte kämen, welche wir bewohnen,
wenn sie urplötzlich Erde und Meer und Himmel erblickten,
die Grösse der Wolken und der Winde Kraft, die Sonne
und ihre Grösse, Schönheit und Wirkungen, wie sie den
Tag mache durch ihr über den ganzen Himmel ergossenes
Licht, wenn sie ferner, sobald die Nacht die Erde über-
schattete und den ganzen Himmel mit Sternen zeichnete
und schmückte, den Wechsel des wachsenden und ab-
nehmenden Mondlichts, den Aufgang und Niedergang
aller Gestirne und ihren für alle Ewigkeit geordneten,
unveränderlichen Lauf wahrnähmen : wenn sie dies alles
sähen, wahrhaftig sie würden überzeugt sein, dass es
Götter gäbe und dass alle diese Herrlichkeiten nur Werke
der Götter seien«.
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63
Lefhrs (S. 138) fasst den Unterschied des antiken
uhd modernen Naturgefühls mit Hinweis auf Klopstock's
Strophe:
O Anbh'ck der Glanznacht, Sternenheere !
Wie erhebt ihr, wie entzückst du, Anschauung.
Der herrlichen Welt! Gott Schöpfer 1
Wie erhaben bist du! Gott Schöpfer!
dahin zusammen: »Dieses alttestam entliche und christliche
Naturgefühl »die Natur lobt den Schöpfer« konnten die
Alten nicht haben«. Wir sehen, dem Aristoteles war es
nicht fremd; der Gedanke: »Die Herrlichkeit und die
stete Ordnung der Natur weist über diese hinaus zu dem
Schöpfer, der alles so weislich gemacht hat«, findet bei
ihm den beredtesten Ausdruck, so dass wir an den Psalni
104 oder an die Worte des Augustinus erinnert werden:
interrogavi terram, riiare, coelum, solem, lunam, Stellas et
responderunt »non sumus deus, quem quaeris« et excla-'
maverunt voce magna: »ipse fecit nos^^ !
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Drittes Kapitel.
Das sentimental-idyllisclie Naturgefühl des Hellenismus und
der Kaiserzeit.
l_Jer Hellenismus, wie Droysen das kosmopolitisch
oder international gewordene Griechentum genannt hat,
bezeichnet in politisch-sozialer, wie religiös-wissenschaftlicher
und künstlerischer Beziehung eine Umwandlung der
griechischen Weltanschauung, somit auch des Naturgefiihls.
Empfindungsweisen^ die in der vorhellenistischen Zeit nur
selten und verhüllt zum Ausdruck gelangten, werden in der
alexandrin ischen Epoche zu allgemein herrschenden; was
früher nur geahnt wurde, wird nun zu einem festen bewussten
Besitz. Wie in einer musikalischen Komposition erst all-
mählich verwandte Akkorde sich zur Melodie verbinden,
diese erst leise anklingt und immer wieder von neuen Ton-
wellen verschlungen wird, bis sie zu voller Klarheit durch-
dringt und in breitem Tonschwall der mit einander ver-
bundenen Motive sich ergiesst, so kündet sich auch in dem
Kulturleben der Völker zuerst nur dunkel und leise eine
Gefühlsweise, eine Stimmung an; bald aber krystallisieren
sich andere verwandte an sie an und bringen sie so erst
zum deutlichen Ausdruck und klaren Bewusstsein; und ist
nun eine Epoche besonders reich an neuen äusseren und
inneren Einwirkungen mannigfachster Art, so scheint sich
eine totale Umgestaltung zu vollziehen, die vielleicht zum
Teil nur ein Entfachen bereits lange unter der Asche
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glimmender Funken war. Der Hellenismus bringt zur Blüte,
was vordem im Keime geschlummert hatte, und erweckt
zugleich durchaus neue Ideeen, Neigungen und Stimmungen.
Durch die grossen Thaten und Pläne Alexanders fiel
die Scheidewand zwischen Hellenen- und Barbarentum, fast
ganz Asien erschloss sich dem griechischen Handel, und
so erwuchs eine Mischkultur von hellenischen und asiatischen
Elementen, die eine Nivellierung nicht nur der Stammes-
und Standesunterschiede, sondern auch des Glaubens her-
beiführte und so den Zersetzungsprozess des Mythus vollendete .
Es ist aber eine bei vielen Völkern erkennbare Thatsache,
dass wer die Götter entthront, die Na^tur an ihre Stelle
set;zt und dass die pantheistische Weltanschauung den
fruchtbarsten Boden bietet für eine tiefsinnige, erhabene
Naturbetrachtung, wie z. B. im Hymnus des Kleanthes
auf Ztiis, der die Natur nach ewigem Gesetz beherrsche
und den Geist in ihr lenke, welcher, dem Grossen und
Kleinen, eingepflanzt, sich mische in sämtliche Wesen und
Körper. — Versetzen wir uns in jene Civilisationscentra,
jene mächtig aufblühenden, volkreichen, mit allem nur
erdenklichen Luxus ausgestatteten Residenzen der Attaliden,
Seleuciden und Ptolemäer zu Pergamum, Seleucia und
Alexandria. wo ailes zusammenfloss, was an geistigen und
materiellen Genussmitteln die Länder am Mittelmeer bieten
konnten, wo die hohe Kultur das Raffinement des Geniessens,
des Empfindens steigerte und der einzelne nicht mehr im
Interesse für das Ganze aufging, sondern nur im Streben
nach individueller Befriedigung, nach Erwerb, nach Ruhm,
so wird es begreiflich, dass jenes aus Übersättigung und
Unlust an dem rastlosen Getriebe der Grossstadt resultierende
Sehnen nach der freien Natur tiefere Gemüter mit der Ge-
walt fast moderner Empfindsamkeit ergreifen konnte. Der
Gegensatz von Stadt und Land, wie er schon bei Aristo-
phanes und Euripides zum Ausdruck gelangte, ward schärfer
denn je gefühlt, ^^) und erst jetzt entwickelte sich durch
den Aufschwung der Naturwissenschaften, besonders der
Botanik, und durch die Kenntnis asiatischer Sitte eine
Garten- und Parkkultur Jn dem »bewussten Streben, den
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 5
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66
Menschen mit der Natur in Beziehung zu setzen«, indem
man grossartige, mit Wasserkünsten ausgestattete Prome-
naden und künstliche Haine anlegte ^^); während die frühere
Zeit nur Nutzgärten oder heilige Baumpflanzungen und
Grabgärten kannte ^^). Auch die Lust zur Jagd, die vordem
nur vereinzelt mit Nachdruck hervortritt, wie bei dem halb
orientalischen Xenophon und bei den Macedoniern, ward
jetzt eine allgemeine Leidenschaft, ein Sport, dem zu
huldigen Mode wurde und der das Vergnügen bekundet,*
das man am freien Umhertummeln in Wald und Feld »in
reflektierender Weise« empfand ^^). — Alle diese Momente
finden ihre Widerspiegelung in der Poesie. Aber die
Dichter fühlten sich als Epigonen, im Bewusstsein der
Schranken ihres Könnens suchten sie wenigstens im Kleineti
Grosses zu leisten. Die Quelle der Poesie war nicht mehr
die frei schaßende begeisterungsvolle, in der Anschauung
schon dichtende Phantasie, sondern die grossen Vorbildern
nachahmende Arbeit und die Reflexion, welche jede Regung
der Seele belauscht, zerlegt und mit Bewusstsein fest hält,
»eine Leidenschaft, welche in dem Sehnen, Sinnen und
Hoffen, in all den widerspruchsvollen Regungen ihrer inneren
Empfindung ihr eigentliches Leben hat, ein Leben, welches
in der eigentümlichen Vereinigung eines blinden Triebes
und eines grübelnden Bewusstseins sich zu jenem Selbst-
genuss der Leidenschaft steigert, den man wohl eigentlich
mit dem Namen der Sentimentalität bezeichnen will^^).
Ein solcher »Übergang von der Poesie der That —
der mächtigen, in ihrer eigenen Kraftfülle sich genügenden
That zu der Poesie der Empfindung« tritt, wie Rohde weiter
ausführt, mit einer gewissen Notwendigkeit bei einer Über-
reife der Kultur in der literarischen Entwicklung eines
Volkes einj und oft schon ist seit Burckhardts glänzender
Darstellung der Renaissance diese mit dem Hellenismus
bezüglich des Naturgefühls verglichen worden. Unter gleichen
Bedingungen vollziehen sich eben immer auch gleiche Um-
wandlungen im Leben der verschiedenen Völker und Zeiten.
Der Hellenismus erzeugte eine Empfindsamkeit d. h. ein
Schwelgen in den Gefühlen, das nur relativ verschieden
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_67
war von der »Gefühbphantastik« eines Petrarca und eines
Rousseau. Der Hellenismus erscheint uns wie die Morgen-
röte einer neuen Zeit, ja schon Euripides und Aristophanes
gleichen den ersten die Eos ankündenden Strahlen.
Die Brücke zwischen Hellenismus und Renaissance
bildet die Kultur der Kaiserzeit; Petrarca ward in seinem
ganzen Empfinden von den spätrömischen Dichtern, also
mittelbar auch von den Alexandrinern beeinflusst Er ist
daaa »der Ahnherr moderner Empfindsamkeit, des Welt-
schmerzes, der modernen Zerrissenheit« geworden. So
berührt sich die neue Zeit mit der alten. Das Individuali-
tätsprinzip, das in seiner Innerlichkeit nur das Recht des
D-enkens und Empfindens der eigenen Persönlichkeit aner-
kennt, ist zwar in vollem Umfange erst in moderner Zeit
aasgebildet worden, aber seit der Sophistik und dem Helle-
nismus hat es auch das antike Wesen allmählich zersetzt
un<J aufgelöst.
Das Naturgefühl der alexandrinischen Epoche beruht
nun auf allen hervorgehobenen kulturhistorischen Momenten,
die eine Bewegung zum Modernen hin bezeichnen, und kann
in der That daher nur noch graduell verschieden von dem
unsrigen genannt werden. —
Die Poetik eines Kallimachos gipfelt in dem Wort
fifycc ßißXtüv fifya HttHoV' Nicht mehr schweifen die Dichter
in ungemessener Kraftfülle ins Weite, sondern sie beschränken
sich auf enger umgränzte Sphären und entdecken auch in
der Natur den Reiz des Kleinen und Einfachen.
Das Naturgefühl ist wesentlich sentimental idyllisch.
In diese Empfindsamkeit für das Stille, Lauschige, Fried-
liche .mischt sich zugleich ein sinnlich erotisches Moment.
»Da alle poetischen Gottheiten aus dem Pandorafasse des
Lebens entflogen sind, bietet sich der Empfindung einzig
die Liebe dar, welche als die eigentliche Poesie des Privat-
lebens allein zurück geblieben ist« ^^).
Die Liebe wird zu einer Leidenschaft, die den Empfind-
samen ohne Rast und Ruh umhertreibt, ihn in der Einsam-
keit des Waldes, in dem stillen Leben und Weben der
Pflanzen und Bäume den Reflex der eigenen Stimmung
5*
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68
und zugleich ein teilnehmendes Mitgefühl wahrzunehmen
wähnt.
Eine vollständige kleine »Liebesnovelle« von reizen-
der Anmut und einer Empfindsamkeit, die uns durchaus
modern erscheinen muss, enthielt das dritte (?) Buch der
ulvia des Kallimachos, die Dilthey aus den Fragmenten
und den Nachbildungen des Aristaenetos und eines Pseudo-
Ovidius bis ins Detail rekonstruiert hat ; es ist* die Liebes»
geschichte des Akontios und der Kydippe®^). Als beim
Feste auf Delos den Akontios die Liebe zur Kydippe
ergreift und keine Hoffnung ihm zu winken scheint, irrt
er einsam im Walde umher und klagt den tauben Winden
xaxfccTQ fjaipavQaig frgm. 6j sein Leid; ihm genügt es nicht,
den Namen der Geliebten in die Rinde der Bäume zu
schneiden, — welche sentimentale Spielerei dem Altertum
durchaus nicht fremd war — ^^), sondern er ruft: »O Bäume,
warum ist euch nicht Verstand, nicht Stimme gegeben, auf
dass ihr alle das eine riefet: »schön ist Kydippe«, o dass
ihr auf jedem Blatt so viel Buchstaben eingegraben trüget,
wie viele schön nennen Kydippe« :
dlX' ivl df] (fvlkoiifi xexofAfjbii'a rodda g)^QotT€
yQccfj flava j KvdCnjtriv o(i<f IqiovCt xaXf^v-
Und wie er so mit seinem einsamen Liebesgrübeln
sich immer mehr mit den Bäumen befreundet, sich in ihr
stilles Leben hineindenkt und es mit seiner eigenen Empfindung
verwebt, da kommt ihm der Gedanke: »Kennt auch ihr
etwa, meine Bäume, gegenseitiges Verlangen? Ist etwa die
Fichte sterblich verliebt in die Cypresse?« Doch wie Göthe
singt: »Euch bedaur' ich, unglückselige Sterne, denn ihr
liebt nicht, kanntet nie die Liebe« ! so antwortet auch
Akontios: «Ich glaube nicht« und raffiniert sentimental fügt
er hinzu: »denn dann würdet ihr nicht nur die Blätter ver-
lieren, und würde die Sehnsucht nicht nur eure Zweige des
Haars und des Blütenglanzes berauben, sondern bis ins
Mark des Stammes, bis in die Wurzeln hinab würde sie
mit ilxreni verzehrenden Feuerbrande dringen« I — Diese
Flucht in die Waldeinsamkeit, um Trost zu finden im engsten
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69
Verkehr mit der Natur, dies Sichhineinfühlen in das Sein
der Bäume und diese phantastische Beseelung, mit welcher
der Liebeentflammte seihe eigene Liebesglut auf die
stummen Zeugen seines Sehnsuchtsschmerzes, auf die sich
im Winde zu einander neigenden Bäume überträgt, sucht
selbst in moderner Poesie ihresgleichen.
Solche extreme Empfindsamkeiten und Überschweng-
liehkeiten emes liebekranken Herzens begegnen uns in den
Idyllen des Theokritos nicht; seine Helden sind meist
gesund und kräftig fühlende Hirten, deren Thun und Treiben,
Singen und Streiten, Lieben und Leiden uns in plastisch abge-
rundeten, lebenswahren und lebenswarmen Bildern vorgeführt
wird ;. und der Hintergrund, von dem sich diese meisterhaft
gezeichneten Gestalten abheben, ist eine Landschaft, die
nicht mehr Beiwerk, wie in den Homerischen Epen und in
der vorhellenistischen Epoche, sondern ein wesentliches
Ingredienz der Dichtung ist Diese reizenden »Genrebild-
chen« sicilianischen Hirtenlebens konnten eben nur in einer
Zeit entstehen, da der Städter ins Freie sich hinausgezogen
fühlte, um sich zu laben an dem reinen, stillen Frieden,
der durch eine liebliche Landschaft weht. Das Idyll ging
direkt aus dem sentimental erotischen Naturgefühl, wie es
der hellenistischen Zeit eigentumlich ist, hervor; es ist die
duftigste Blume im Treibhause alexandrinischer Poesie.
Mit Innigkeit wird die Natur geschildert, mit echtem Humor
die Liebe, »indem der Dichter dem Sinnlichen das Ge
mütliche, aem Schwermütigen das schalkhaft Heitere in
Sehnsucht und Genuss gesellt«, Liebe und Gesang finden
die schönsten Gleichnisse und Bilder aus der Natur, und
wie Theokrit überhaupt nur selten nach Homerischem
Muster mythische Umschreibungen für die einfache Wirk-
lichkeit als Dekoration wählt (XIII, ii, XVIII, 26, VII, 54,
XIII, 25, XVI, 5), so zeichnen sich auch seine Bilder durch
Schlichtheit und konkrete Naturwahrheit im Verglekh
mit der gespreizten Manier änderer Alexandriner aus. Zu-
gleich sind sie individueller und realistischer, als die der
früheren Perioden. Hochpoetisch ist sogleich der Eingang
des Buches:
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70
Ist's doch was Liebliches um datJ Geflüster der Pinie,
^ Geishirt,
Welche melodisch am Quell dort rauscht; gar lieblich
erklingt auch deine Syringe;
und sein höflicher Genosse antwortet mit gleicher Grazie
des Lottes:
Lieblicher tönt, o Schäfer, dein Lied, als dort von dem
Felsen
Weithin rauschend der Bach in das Thal sich ergiesst
aus der Höhe.
Mit den Cikaden (I, 148, V, iio) und mit der Nach-
tigall (VIIT, 38) wetteifert der liederkundige Sänger; die
Musen sind ihm lieblicher denn der Schlummer oder der
Lenz, oder wie die Blumen den Bienen (IX, 33); der Sieger
freut sich wie das' Hirschkälbchen, das neben der Mutter
umherspringt (VIII, Sy); doch der mittelmässige Sänger
gleicht dem quakenden Frosch (VII, 41) oder der Wespe,
die gegen die Cikade ihr Gesumme erhebt (V, 29). Wie
ein gieriger Löwe, der von weitem hört des Hirschkalbs
Schreien, schweift Herakles (VIII, 61) durch unwegsames
Gestrüppe, voll Sehnsucht nach dem geliebten Hylas, den
die Nymphen in das feuchte Grab hinabzogen, »jählings,
wie wenn funkelnd ein Stern von dem Himmel herabsinkt«
(v^ so). Das von ihrem eifersüchtigen Liebhaber derb
angefahrene Mädchen eilt davon
Sowie die Schwalbe, sobald sie die Nahriitig gebracht
hat den Jungen
Unter dem Dach, gar schnelle zurückfliegt, andre zu
sammeln (XIV, 39);
den unsteten Geliebten vergleicht das Mädchen mit dem
Vogel, der bald auf dem einen, bald auf dem andern Ast
sitzt und von diesem zu jenem hüpft. Das Erwachen
der Liebe, wie es sich beim Anblick des Geliebten ankün-
digt durch kaltes Schaudern, das den Körper durchrieselt,
schildert Simaetha II, 106: »'s ward mir über und über noch
kälter als Schnee ; von der Stirn strömte der Schweiss mir
herunter dem tropfenden Taue vergleichbar«. Wie Schnee
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in den Thälern des mächtigen Hämos schwindet Daphnis
hin vor Sehnsucht VII, *]6, vergl. Hom. Od. 19, 205. Heller
als das Mondlicht glänzt die Brust des Geliebten II, 79,
sein Bart ist wie die Ranke des goldigen Epheus 78. Für
reifer als Birnen erklären die Mädchen den Philinos VII, 1 20
und fügen hinzu : »Weh, es verwelkt dir, Philinos, die reizende
Blüte der Schönheit«. Hyacinthen und Veilchen (X, 28),
Anemonen und Rosen (V, 92) dienen zu Bildern der Schön-
heit, aber auch d^r Vergänglichkeit (VII, 121, XXIII, 28);
in der oaQiCtvg flüstert der Hirte (XXVII, 8): »schnelle
vergeht wie ein Traum dir die Jugend« j und die Hirtin
entgegnet: »trocken noch duftet die Rose, die Traube sie
wird zur Rosine« ; ihr lieblicher Biisen erscheint ihm wie
reifende Äpfel (49), mit denen sonst die Wangen verglichen
werden XXVI, i; VII, 117.
Wie von der Distel fliegt das trockene Haar, wenn
der heitere Sommer es dörret, so flieht Galathea vor dem
Polyphem VI, 15. Nicht besser ergeht es dem Liebhaber
der Amarylliy III; vergebens fleht er sie an, aus der Grotte
hervorzuschauen und ihn ihr Herzblatt zu nennen v* 12:
Schaue dies Leid, so das Herz mir verzehrt! O war'
ich doch jenes
Summende Bienchen, so schlüpft* ich durchs Farrnkraut
und durch den Epheu,
Der dich verdeckt, und ich würde zu dir in die Grotte
gelangen.
a ßofjbßevifa fji^Xusaa xdi ig tsop Svtqov lxoC(jbav
Tov xiddov diaSvg xcd tdv TCTiqiv a tv nvxdadfi.
Dem Charakter des Naturgefühls dieser Epoche gemäss '
werden also die Verwandlungswünsche idyllisch-erotisch.*
Auch der Liebeszauber ^^) des n^Xi^pikov (v. 28) misslingt
dem umsonst Werbenden,
Es versagte den Knall, als ich es anschlug, prüfend,
ob lieb du mich hättest,
Und es verwelkte mir ohne Erfolg an dem fleischigen
Arme*
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72
Wie die Ziegen den Frühling lieben, so liebt Simichidas
die Myrto VII, 96; ja, die reizende Nais sogar zieht die
ganze Natur in den Bann ihrer Schönheit; »wo sie weilt, da
ist allwärts Frühling und üppige Weide und allwärts füllen
die Euter sich mit köstlicher Milch, trefflich gedeihet die
Zucht ; . . doch scheidet sie wieder , welket der hütende
Hirt, welken die Kühe dahui« VIII, 41.
Theokrit bietet uns hiermit schon ein Motiv, wie es
im deutschen Volksliede ^*'^) häufig ist; aus einem spanischen^*^)
hebe ich hervor: . .
Und taucht sie das Linnen ins Wasser hinein,
Da halten mit Rinnen die Fluten schon einj
Und der Stein, drauf sie wandelt, fängt hell an zu glühn,
Und das Ufer wird grün
Am Manzanares u. s. f. ;
Wolff im Tanhäuser II p. 30 singt:
Ich hab einmal ein Mägdlein gekannt,
Die könnt' gar Rosen lachen,
Wo immer sie ging, wo immer sie stan^,
Sie wusste das Wunder zu machen.
Sie lächelte nur, und Lenz und Thal
Blühten voll Rosen mit einem Mal u. s. w.
Und wie ein moderner Dichter sagt: »Ein Frühling
scheint aus ihrem Blick zu dringen«, so heisst es XIII, 45:
»Nycheia mit Blicken des Frühlings« l'aQ x^'oQocoaa Nvx^ia.
Ein Gleichnis von ausserordentlicher Schönheit bietet
XVIII, 26: »wie wenn ihr schönes Antlitz heraufiführend
zeigt die hehre Nacht, da der Winter weicht dem leuch-
tenden Frühling, so strahlt unter uns Mädchen der
goldenen Helena Schönheit«. (Nach Buecheler):
dlX' cög ävrdXoida xaXov öiiifavs nQoaianov
noTvCa vvl^ xarcc ksvxov €aQ y(^€t.iiwvoq dvivroq
(hde xal d %QVCiia '^EXepa ÖiafpaCvev Iv äfjbtv-
Nach echt alexandrinischer Manier häuft Theokrit
die Bilder, vergleicht in den folgenden Versen die Helena
mit der reichen Saat, dem Schmuck des Ackers^ und der
Cypresse, der Zierde des Gartens. Ähnliche Häufung findet
Digiti
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73
sich XII, 3-*- 8^ wo nur der Schluss bemerkenswert ist mit
dem idyllischen Bilde': »mich erfreute dein Kommen, mir
war's wie dem Wanderer ^ der beini Brande der Sonne
geeilt in den Schatten der Buche«.
Es ist charakteristisch, dass die hellenistischen Dichter
selten dem Meere ihre Bilder entlehnen, während sie in
der voralexandrinischen Epoche bei weitem vorherrschten;
und während diese besonders Sinn für die Bewegung und
für das Gros^artige in der Natur hatte, lieben die Alexan-
driner die Ruhe, den stillen Frieden in Wald und Flur, so
auch auf dem Meer, das meist in seiner Regungslosigkeit
gepriesen und vom Ufer aus bewundert wird, vergl. VIII, 55,
XVI, 60, womit XXV, 85 zu vergleichen ist : »die Wellen
und die Wolken sind nicht zu zählen!« Auch die Beseelun-
gen sind bei Theokrit individueller und charakteristischer
als bei den früheren Dichtern. Bäume, Sterne, Schluchten,
Flüsse und Tiere werden oft als Zeugen angerufen oder
wie mitempfindende Wesen begrüsst (I, 117, 132; II, 165;
V, 124, VIII, 33—38, vergl. auch v. 60). Wie beim Aristo-
phanes Platane und Rüster mit einander flüstern, so klingt
dem Theokrit I, i das Säuseln der Pinienblätter wie ein
Liebesgekose a nCtvq . . « ro xptx^vQi^cfgjba fieXCadetm ; matt ist
die Nachahmung Mosch. V, 8 a ttCxvc, adei. An die Simo-
nideeische Danaeklage erinnert die höchst stimmungsvolle
Beseelung in den leidenschaftlichen Worten der unglücklich
Hebenden Simaetha II, 37. Die stille Mondnacht umgiebt
sie. »Schau, wie schweiget das Meer, wie schweigen nun
alle die Winde« '^vCds (fiyfj filv novrogy (SiywvTi d' d^rm.
Aber ihr von Eifersucht gequältes Herz bietet einen trau-
rigen Kontrast zu dem nächtlichen Frieden in der Natur:
»Aber es schweigt mir nicht in dem innersten Busen
der Kummer,
Sondern zu jenem vergeh' ich in Glut, der statt zu
der Gattin
Ach mich Arme zur Buhlin gemacht und die Blüte
gebrochen.
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74
In ihrem Schmerze wühlend klagt sie der mild glän-
zenden Selene ihr Leid und treibt beim magischen Monden-
schein ihren unheimlichen Zauber, der den Geliebten in
ihre Arme zurückführen soll.
Bei der Trauer um Daphnis werden nicht nur Scha-
kale, Wölfe und Löwen als mitfühlend I, 71 gedacht, son-
dern auch die Eichen beweinen ihn VII, 74, ja nach
seinem Tode muss sich alles in sein Gegentheil verkehren '^'^j
V, 124; »Tragt nun Veilchen hinfort ihr Hecken und Dorn-
gebüsche« u, s. f. Mit dem Frohen freut sich auch die
Natur, selbst der Stein klingt freudig unter dem Tritte des
Heimkehrenden VII, 26, und die Insel Kos jauchzt, als auf
ihr Ptolemaeos geboren, und wiegt ihn mit segnenden
Worten in ihren Armen XVII, 64-- 70; und gleich dem
verschwiegenen Vöglein in dem reizenden Liede unseres
Walther v. d. Vogelweide »Unter der Linde an der Haide«,
sind in der Pseudo-Theokriteischen oaQKfrvg die Cypressen
die einzigen Zeugen des Liebesbundes; »nur sie erzählen
sich deine Vermählung« XXVII, 57 dl^Xaig XaXiovdt r^ov
ydfiov al xvndqiaaoi. — Doch den Umschwung des Natur-
gefühls kennzeichnen vor allem die Schilderungen der
Landschaft, in der das Hirtenvölkchen singend und liebend
sich bewegt, und die Gefühlsäusserungen der Hirten selbst,
denen es gar lieblich ist, im Freien zu ruhn an der rieseln-
den Quelle im Sommer« VIII, yd) ädv di %a x^iqeoq naq*
vdcoQ ^^ov ccl&QioxoiT€lv, und die den lauschigsten Platz
zum Wettsingen sich aussuchen V, 31. Der eine ruht
immer noch köstlicher wie der andere. »Lieblicher singst
du«, ruft Lakon dem Komatas zu, »wenn an dem Ölbaum
dort in dem Hain du dich niedergelassen; kühl ist das
Wasser, das dorten hinabströmt, dort ist ein Moossitz,
üppiges Gras wächst dort und es schrillen geschwätzig die
Heimchen«. Doch Komatas übertrumpft den Gefährten'
mit dem Lobe seines Sitzes v. 45:
. . . hier findest du Eichen und Galgant,
Hier umschwärmen so lieblich die summenden Bienen
die Körbe,
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75
Auch sind hier zwei kühlige Quellen, es zwitschern
die Vögel
Hier auf den Bäumen so schön, und der Schatten bei
dir ist dem meinen
Nicht zu vergleichen; es wirft auch die Pinie Zapfen
herunter ;
vergL VII, 7; IX, 9 ff.; XXII, 106.
Mit dem sinnigsten Verständnis für das Lauschige
eines dicht umwachsenen, tief verborgenen Waldseees wird
ferner die Quelle im Bebrykerlande geschildert, welche
Polydeukes und Kastor in den üppigen Wäldern der Wildnis
schweifend finden XXII, 37:
Einen lebendigen Quell ganz voll durchsichtigen Wassers
Fanden sie unter dem glatten Gestein, und es glitzerten
Kiesel
Hell wie Krystall und Silber von unten herauf aus
der Tiefe.
Ganz in der Nähe derselben erhoben sich mächtige Kiefern,
Pappeln, Platanen, Cypressen mit hochaufstrebenden
Stämmen,
Duftende Blumen dazu, rauhhaariger Bienen Ergötzung,
Wie beim scheidenden Lenz empor aus den Wiesen
sie sprossten;
vergl. XIII, 40, ferner, die Schilderung des gesegneten Ge-
bietes des Augias XXV, 14 ff., des Waldpfades daselbst
V. 1 56, der Cyklopengrotte XI, 45 und des lieblichen Platzes,
wo das Bild des Priapos steht Epigr. IV, 5. Doch nichts
übertrifft an Wärme des Ausdrucks und an Innigkeit des
Gefühls für die Reize der ländlichen Flur, die der Städter
um ihrer selbst willen sucht, die treffliche Schilderung der
Thalysien in der siebenten Idylle. Mit seinen Freunden
Eukritos und Amyntas macht sich der Dichter auf zum
Phrasidemos, der sie zum Erntefeste geladen. »Als wir dort
angelangt«, erzählt er v. 181, »streckten wir freudig
Uns auf schwellendes Lager von lieblich duftendem Mastix
Und auf des Weinstocks eben geschnittene grünende
Blätter.
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76 _
Zahlreich schwankten uns über dem Haupte der Pappeln
und Ulmen
Luftige Wipfel, und uns ganz nah' aus der Grotte der
Nymphen
Floss in die Tiefe mit leisem Gemurmelein heiliges Wasser.
Aber es mühten sich ab mit Gezirp in den schattigen
Zweigen
Lunkel gebräunte Cikaden; aus dornigen Hecken der
Brombeer'
. Flötet von ferne herüber mit klagendem Tone die Drossel;
Lerchen- und Finkengesäng und der Turteltauben
Gestöhne
. Liess sich vernehmen; die gelblichen Bienen um-
schwärmten die Quellen.
Alles duftete Herbst und duftete fruchtbaren Sommer.
Birnen zu unseren Füssen und Äpfel zu unseren Seiten
Rollten in Fülle daher, tief senkten sich nieder zur Erde
Die schwer belasteten Zweige. Eberz.
Mit liebevollerer Detailmalerei kann doch kaum ein
Bild des Spätsommers auf dem Lande entworfen werden.
Hier haben wir alles beisammen, was den auf weichen
Blättern Gebetteten in ein wonniges Behagen und ein süsses
Träumen versetzen kann : das gleichmässige Gemurmel des
Baches, das Gezirpe der Heimchen, das Gesumme der
Bienen, der Gesang der Vögel und der angenehme Duft
der Kräuter und des prangenden Obstes; nichts lenkt die
Phantasie ab von dem Leben und Weben in der Natur,
der Zauber des Lieblichen und des Friedens, der über Feld
und Wald gebreitet liegt, wird mit allen Poren einer empfäng-
lichen Seele eingesogen.
Die Ruhe in der Natur, das friedlich umblaute, von
sanftem West gekräuselte Meer und den traulichen Platz
unter dem dichten Laube des Ahorns am einlullenden Ge-
plätscher des Quells verherrlicht auch Moschos id. V:
Wallet das blauliche Meer von dem kräuselnden Wehen
des Westwinds,
Regt sich mir süsse Begier in dem schüchternen
Herzen ; das Festland
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Ist nicbt länger mir lieb; mehr lockt mich das heit're
Gewässer,
Aber sobald aufbrauset die dunkelnde Tief, und das
Meer sich
Schaum aufwerfend erhebt, und die tobenden Wogen
sich strecken,
Schau ich nach Ufer und Bäumen zurück und entfliehe
der Salzflut.
Lieb dann ist mir das Land, und die schattigen Wälder
erfreun mich,
Wo auch im Toben der Winde, melodisch die Pinie
säuselt,
Schlimm ist wahrlich des Fischers Geschick ! Sein Haus
ist der Kahn ihm ;
, Arbeit giebt ihm das Meer und der schweifenden
Frische Berückung.
Möge mich immer der Schlummer so süss in des
Platanos Laubdach,
Immer des Bergquells Rauschen erfreu'n in der Nähe
des Lagers,
Der süss murmelnd ergötzt, den Entschlummerten aber
nicht aufschreckt.
Jacobs.
rdp aXa tccv ykavxäv oTotv oSvefjtoq ccTQ^fAa ßdlkrj,
Tccv (f'Qiva TCCV dsikdv iqsd^Cl^ofiat . ♦ • ,
avtccQ i/jbol yXvxvg imvog vno TiXardvco ßadvfpvkkw
xal naydg (pCV ffiol Tag iyyv^ep äxov dxovsiv,
a T^qnti xpofpiotaa tov ayqioVj ovyil Taqdadst.
Das einzig sichere Gedicht des dritten Bukolikers "
Bion, der neueren Forschungen gemäss nach Moschos an-
gesetzt werden muss, ist der Grabgesang auf Adonis. Von
einzelnem ^^) abgesehen, ist die Beseelung der unbelebten
Natur noch weiter gehend als bei Theokrit; v. 30 rufen
die Berge ein Ach über das Unglück der Aphrodite und
die Eichen : »ach o Adonis« ! Flüsse und Quellen weinen, in
allen Waldschluchten, in jedem Haine klagt die jammernde
Nachtigall: »tot ist der schöne Adonis!«: Tav Kvttqiv atal
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c^Qsa Ttdvta X^yovzi xal at d^veg ala% ^Ad<avtv
xal TtoTafjtol xka(ov(ft xä nivx^ta tag ^^<pqo8Ci;aq
Hat nayal . . daxQVopti
ndvrag dpa xpafMog, dvd ftdv %*d7tog ohrqd dfjdcoj^
aid^si viov ohov ^Ttcikero xalog ^Adoavtg,
ebenso weinen bei dem Tode Haiders nach altnordischer
Sage Himmel und Erde^^). Eine spätere Nachahmung
dieses Klageliedes ist der Epitaphios auf Bion. Über-
treibende Rhetorik, Schwulst und Wortgeklingel wiegen
vor und zeugen von einer hoch sentimentalen, krankhaft
erregten Sympathie für die Natur, die in allen ihren
Manifestationen in Mitleidenschaft gezogen wird:
Gramvoll seufzet, ihr Thäler, und du, o dorische Welle,
Und ihr Ströme, beweinet den Sehnsucht weckenden
Bion,
Thränen vergiesst mir, Kräuter, und klaget, o .schattige
Haine !
Jetzt mit hängender Krone verhauchet den Odem, ö
Blumen,
Rosen, es werd' euch zur Trauer das Rot, und euch,
Anemonen 1
Nun, sprich aus, Hyakinthos, die Schrift, die du trägst,.
und des Wehes
Flüstere mehr mit den Blättern: dahin ist der lieb-
liche Sänger I
aiXivd fjtoi> aTopaxetTs vdnai xal Jwqiov v8ooq,
xal TtoTafJbol xka(otT€ tov IfjbfQoevva B^oovaj
PVP q>vTd fjboi fjtVQ€<rd'€ xal aXaea pvp yodoKf&e x. v. X.
So werden auch die Nachtigallen aufgefordert, die Trauer-
kunde in schmerzlichen Klagen im dichten Gebüsch aus-
zutönen, und die Strymonischen Schwäne:
Singet aus trauernden Kehlen die Melodieen der
Schmerzen,
Saget es an des Oiagros Töchtern und sagt es den
Nymphen,
Allen der thrakischen Flur: dahin ist der dorische
Orpheus 1 u. s. f.
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79
In bewusstem Gegensatz zu der Kleinmalerei des
Idylls schuf Apollonios Rhodios sein langatmiges Epos, die
Argonautica, dies fi^ya xaxov nach dem Kallimacheischen
Kunstprincip. Entbehrt es auch jeder kunstvollen Kompo-
sition und ist es auch mit seiner zusammengerafften Ge-
lehrsamkeit und der »Frostigkeit« der Darstellung nur ein
recht matter Abglanz der Homerischen Epen, so bietet es
doch in betreff der Weiterbildung des Reflektierten in dem
Naturgefühl manches Bemerkenswerte. Sehr zahlreich sind
seine Gleichnisse aus dem Naturleben, die zwar oft breit
und gesucht sind im Vergleich zu den Homerischen, aber
auch nicht ganz der Anmut und Neuheit des Gedankens
entbehren, indem sie mit eindringenderer Beobachtung eine
sentimentale Empfind ungs weise verbunden zeigen.
Um vom Himmel mit seinen Gestirnen zu beginnen,
so heben sich die Helden aus dem Volksgetümmel durch
Gestalt und Rüstung heraus wie die Sterne, die durch
dunkleg Gewölk leuchten I, 239, vergl II, 40; der Helm
schimmert gleich der Sonne, die in der Frühe aus des
Oceans Fluten emportaucht II,. 1 2. 29, oder die Rüstungen
glänzen wie der Sterne Licht, das durch das Schnee-
gestöber hindurchleuchtet, wenn der Sturm die Wolken
zerteilt III, 1359. Jason stürmt unter die den Drachen-
zähnen entsprossenen Riesen wie ein Meteor, das hochher
vom Himmel sich schwinget, strahlenden Zugs die dunklen
Lüfte durchschneidend III, 1376; das Vliess glänzt wie
Gewölk im rosigen Frühlicht IV, 125, und schneller als
die Strahlen der Morgensonne entschwebt über das Meer
die Thetis IV, 846.
Nicht gerade sehr sinnreich wird das Armstrecken
der rudernden Helden mit dem Längerwerden der Tage
im Frühlingsmonat verglichen IV, 960. Wie der Sturm
den Mast aus dem Schiffe emporhebt, so entwurzelt die
mächtige Kraft des Herakles die Riesentanne I, 1201, vergl
IIL 1326J die Pferde eilen dahin wie Hauche des Windes
IV, 221; sprichwörtlich ist seit Homer die Wendung: den
Winden lass uns preisgeben den thörichten Zorn I, 1334,
vergl III, II 19. Hagelschlossen II, 1085, Blitz III, 1264,
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80 '
der lang gezogene Schwall der Meerflul III, 1370, der Fels
im Meere III, 1293, die Wiese I, 545, Waldbrand I, 1027,
IV, 138, Waldstrom IV, 460, Bäume 1, 1003, Pflanzen III, 1398,
Fichten und Eichen III, 1374, die zahllosen Blätter, die der
Herbststurm von den Bäumen schüttelt IV, 219, sowie die
meisten Tiere ^^) werden zu Bildern verwandt.
Am interessantesten, weil einen bis dahin kaum ver-
nommenen Ton anschlagend, sind diejenigen Bilder, welche
die sentimentalen Regungen einer liebenden Seele ver-
anschaulichen sollen. Der magische Reiz 'des Sternea-
himmels auf ein schwärmerisches Gemüt, das von Sehn-
sucht nach dem Geliebten verzehrt wird, findet bei Gelegen-
heit eines Vergleiches des Jason mit einem Sterne folgende
Schilderung I, 774:
. . . gleich dem glänzenden Stern,
Den im neuen Gemache verschlossene Mägdlein erblicken,,
Während er über die Wohnung empor hellfunkelnd
heraufsteigt;
Und in der bläulichen Luft mit holdanlächelndem
Schimmer
Ergötzt er ihnen die Augen
xaC a^idt Tivavioio dt '^igog ofifiara &iXy€i>
Auch freuet sich seiner die Jungfrau,
Die nach dem Jüngling sich sehnt, der fern bei den
Männern der Fremde
. Weilet, und dem die verlobete Braut aufwahren die Eltern.
IV, 167 enthüllt dem lieblichen Mondlicht das Mädchen
ihre Reize:
Sowie die Jungfrau gerne den silbernen Schimmer des
Vollmonds,
Der ihr von oben herab in das trauliche Schlummer-
gemach scheint,
Mit dem Gewanä' auffallet, dem seidenen; innen im Busen
Lacht ihr das Herz ob des Glanzes Ergötzlichkeit.
Well mann,
(ßic S^ (tf-Xfjra^iv Styi^oiirivida TraQ^/^t^og aYyXriv
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81
Die Wirkung des Mondlichtes wird auch I, 1231
hervorgehoben, wo das Anlitz des Hylas, das der glitzernde
Schimmer des Vollmondes bescheint, das Herz der Nymphe
Ephydatia in holde Liebesverwirrung versetzt. Doch das
Signisikanteste bietet uns die Liebesepisode des Jason und
der Medea im dritten Buche. Wenngleich die Liebe hier
noch ihre Motivation durch den Mythus erhält und ein
Werk der Kypris und des Eros ist (III, 1 14), und wenn .
man auch eine konsequent durchgeführte Charakteristik der
dämonisch liebenden und dämonisch hassenden Medea ver-
gebens sucht, so bricht doch hin und wieder bei Schil-
derung der einzelnen Phasen des Liebeslebens vom ersteh
Erwachen der Neigung bis zum heftigsten Wogen der
Leidenschaft eine Ahnung des psychologischen Momentes
hindurch; namentlich in den Vergleichen des Seelischen
mit dem Physischen. Als Medea zum ersten Mal von ihrem
Palast den Jason erblickt, schmilzt ihr Herz in süsser Be
drängnis, der Funke, der in ihre Brust sich gesenkt, wird
zur verzehrenden Glut (v. 644, 772, 1018, IV, 16), die rosige
Farbe entflieht ihren Wangen, und als sie zum ersten Mal
ihn nahe geschaut, da lässt es ihr keine Ruhe mehr (445,
616 fi), unduldsamer Gram umflutet schrecklich das Herz
ihr 695: riiv d* alvwc atXrjTog In^xlvi^e x^vfj>6r äv^rj \ dsi^fjavi,
und mit höchst charakteristischer Wendung eines in seiner
Gesuchtheit fast beispiellosen Bildes heisst es v. 754 :
»Leidenschaftlich stürmte dae Herz in der Brust, wie ein
Lichtglanz der Sonne umspielt die Wand im Gemache,
der von dem Wasser des Eimers oder des schimmernden
Beckens widergestrahlt wird und vom Wogen der FJut.in
schnellem Gezitter hin- und herhüpft , so auch schwankte
von Zweifeln das Herz im Busen der Jungfrau« :
Tivxvd öf ol xQccdifj dTTi^imv fvroüS^sv }'0^vi€v,
i^fk^ov WC TIC Tfr ö6fji>oic iViTTcclXicai aVyXfj
vdarog ^^aviovc^a, to d^ v^ov '^f kißriTh
i^t nov Iv yavXcp x^yiVTai' ij d*fvü^a xal ivS^a
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 6
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82
töX€i}] (HQoqdkiyyi Ttrcc(t<f€rat d^<Tov(fct^
(Sc di xal iv aTi^x^€(T(ri xiaq iXsXCl^sto xovgijg.
Schon spielt sie mit Selbstmordgedanken und greift
zu dem Gift hegenden Kästchen, als plötzlich wieder die Reize
des Lebens sie lächelnd umschweben und die Todesgrübeleien
verscheuchen — »traun, es erschien auch die Sonn'« ihr
reizender jetzo dem Anblick als je zuvor, wenn im Geist
sie am einzelnen prüfend verweilte 8io: diifpt d^ nadat
d^vfjbfjdeiq ßioToio fielfjäoreg ivdaXXovTo^
. » xa^ Ti ol viiXioc yXvxCMV yiveT eidogaaü^ß^at
^ TTccQoc, ei Itcov y€ voo) iTCSfJbaCsd-' exaava,
vergl. die gewaltsame Umwandlung IV, 26. Die Liebe giebt
ihrem Leben neuen Gehalt. Heimlich treffen die Liebender*
sich 946 ff., Jason »dem Sirius gleich, der hellstrahlenden
Anblicks aus dem Meere aufsteigt, aber Seuchen den
Herden bringend — liebreizend kam der Held, doch es
schuf ihr herbe Bekümmernis seine Erscheinung; neben
einander standen sie hoch an Gestalt, wie Eichen und
ragende Tannen, die gesellt auf Gebirgshöhe wurzelten
ruhig in windstiller Luft; doch darauf von dem tobenden
Sturm geschüttelt, regt sich das Laub mit Gebraus ins
Unendliche; siehe, die beiden sollten genug auch flüstern
(ifd^iyl^add-ai) bewegt vom Hauche des Eros«. Wie ab-
sichtsvoll sind hier bis in die kleinsten Züge die einzelnen
Vergleichungsglieder ausgesponnen und mit einander ver-
woben I
In holder Flamme blitzt Eros vom blondgelockten
Haupte des Aisoniden und strömt ihr süsse Entflammung
ins Herz 1018, ihr glühet innen die Seele, schmelzend so
ganz, wie um Rosen der Tau vor der Morgensonne zer-
fliesset: iaCvero di (pQ/-vac sVfftß
Ttjxofj^Vfj, otov T€ nsql ^o6ifi(Siv iiqdi^
T^xetai ^(pot(f$v iaivofiivfj fpaisaaiv^
Und wie sie von ihm geschieden ist, merkt sie nicht
der Umgebenden Nähe, denn ihr schwebt der Geist hoch
über der Erd' in den Wolken 1150:
(j.>vxri yäq v€^^€(t(ti fJtiraxQov^ nsjroTf^To-
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83
Sie entflieht mit Jason, schwankt zwischen Liebeswonne
und banger Ahnung künftigen Betruges und Heimweh hin
und her, »fern und verwaiset schweb' ich nun über das Meer
mit den traurigen Halkyonen« IV, 362: TfjX6&i d'offj
XvyQ^div xard tvovtov dfji' dXxvopsaai fOQhv^ai»
Doch immer wieder zünden wie Blitze die Blicke des
Jason in ihrem Busen 697, 728; aber »reines Glück wird
nicht dem zu Leiden geborenen Menschengeschlechte« 1164.
Mit dieser schwermütigen Sentenz klingt der Liebesroman
ab. — Die Beseelungen der ^Natur sind bei Apollonios
weniger charakteristisch; I, 880 lächelt die Wiese im Tau
Xsifjbbav iQ(^rj€ig ydvvrai, IT, 729 wird der Wind vom Dunkel
der Nacht zur Ruhe gebettet dv^fiow dtd xviifaq svvTid-evToc
wie III, I195 Ttarfvxijlog yivtT al&^Q, HI, 12 17 zittern die
Wiesen beim Nahen der Hekate und ihrer wilden Meute;
IV, 1168 heisst es in einer anmutigen Morgenschilderung:
»als Eos die Nacht mit ambrosischen Lichte verdrängte,
lachte ringsum das Inselgestad' und auch fern die betauten
Pfade -in dem Gefilde« :
al 5* ly^Xccacav ^ioveg viqaoio ^al iqaritaaai anoad^tv
atgamroi mdCiAV*
Die Ortsschilderungen sind meist dürr geographisch;
doch vergl. II, 728 der Acheron, III, 200 das Kirkäische Feld,
III, 9*26 der Waldtempel, IV, 924 und 1696 das schauervolle
Dunkel der Charybdis, IV, 1236 die Öde der Syrten. Die
Schilderungen der Tages- und Jahreszeiten sind dem Homer
nachgebildet z. B. I, 450 ^(loq dri(hoQ atad^eqov naqa^eCße-
Tai ^fjbaQ X. T. L, aber weit ausgeführter und, wie auch bei den
Vergleichen hervortrat, die Lichteffekte wirksam verwertend ;
der Morgen: I, 519, 1273. 1280; II, 164; III, 827, 1222;
IV, 1168; Nacht III, 744; IV, 1629 u s. f. Wie Euripides
und Aristophanes auf den Flügeln der Vögel oder der
Wolken über Erde und Meer schweben und den Blick an
der darunter liegenden Welt weiden, so schildert Apollonios
dirent das Panorama, das sich vom Dindymon aus den
Helden darbietet: Thrakien, der Bosporos, Mysien, der
Aisepos und die Nepeiaebene I, 1107 ff., oder vom Gipfel
des Olympos aus die herrliche Fernsicht auf Land und
H*
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84
Städte und Flüsse und Meer, über dem der Himmel sick,
wölbt« IIT, 162 :
. . . Soto) de noXoi dvixovift xaQrjya
ovQ^MV riXißdtwv, xoQVfpal Xyß^ovoq, fi%C %d€Q\^e*Q
ijtXtoq TTQoortjtftr fqeCdetai axTivstHttv-
vfiod-i d^aXXore yaXa y^fgitfßiog adted rdvÖQedr
ifaCvero xal noTaficSv IsQot ^ooi^ aXhne d'avti-
axQuc, dfiqil 3^ ttowoc dv^ al&iqa noXXov 'tovti.
ApoUonios wollte ein zweiter Homer sein; Aratos mit
seinem Lehrgedicht über die Sterne ein zweiter Hesiodos^
Unleugbares Interesse bekundet er für den Wandel der
Himmelserscheinungen, aber nur selten intensivere Wärme
des Gefühls. Von dem das ganze All phantheistisch durdv-
dringenden Zeus beginnen mit dem üblichen Anrufe der
Musen die Phainomena und schildern die Stellung und Be-
wegung der Gestirne, die in ihren Gruppen bald wie
gewaltige Ungeheuer mit langem Schweif und mächtigem
Kopf, bald wie ein Mann oder eine Jungfrau erscheinen.
So wird mythisch die naQx>ivoQ als Dike gedeutet, die
einst auf Erden wandelnd den Ackerbau unter den Menschen
pflegte, die Geberin alles Guten — »da lag ihnen noch fern
das garstige Meer und noch nicht schweiften ül^er die Flut
die Schiffe, ja damals waltete noch das goldene Zeitalter«!
So heisst es mit charakteristischem Seitenhieb auf das Meer
(vergl. V. 291) und mit dem sentimentalen Hinweise auf
das Zeitalter der Unschuld, »des Glückes vor aller Kultur
und ausserhalb des Kampfes der Geschichte« ; denn als das
eherne hereinbrach, entwich auch die Dike 134. An-
mutiger schildert den Eindruck des sternbesäeten Himmels
und besonders der Milchstrasse der Passus v. 469 ff.,
»wenn die wolkenlose Nacht alle herrlichen Sternbilder den
Menschen vorführt und keines im Glänze geschwächt wird
durch den Schimmer des Vollmonds, sondern sie alle scharf
durch das Dunkel leuchten, dann befällt ein Staunen die
Sinne — nfQi (pg^rag Vxero ^avficc — bei dem Anblick des
durch den breiten Gürtel durchfurchten Himmels, traun,
das glänzende Rund schimmert wie Milch« ydXa fiip xaliowuv*
Wie unverhüllt bricht hier ein tiefes Naturgefühl hindurch
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85
und spricht sich in schlichten Worten aus I Auch die Diose-
meia, der 2. Teil des Gedichtes, verraten ein wachsames
Auge für die Vorgänge in der Luft und am Himmel, für
den Wechsel der Witterung, die durch die Wolkenzüge
bald heiter, bald düster gestimmt wird 832 (100) ff., auch
V. 988 (256), 1013 (28); auf die über das Meer hinwandern-
den und wiederkehrenden Vogelschwärme deuten v. 942
(200), 1002 (269), 1021 (289) 1075 (343), 1098 (366); doch
wesentlich wiegt trockene Didaktik vor.
Die Tragödie der Zeit ist uns nur in geringen Frag-
menten überliefert. Wie ApoUonios, malt die Lichteffekte
in raffinierter und sinnlicher Weise Chairemon im Fragment
14 p. 610 Nauck, in dem Öneus über Jungfrauen berichtet,
die er malerisch gruppiert in Mondscheinbeleuchtung ge-
sehen, nackt ruhend mit den schimmernden Gliedern, auf
duftigem Blumenlager von Alant, Veilchen, Krokos und
Majoran, Dass der Dichter ein grosser Blumenfreund ge-
wesen ist, verraten auch die Fragm. 6 — 9, vergl. Theokr.
XI, 26, Mosch., Europa 63 ff.
• Das Monodrama Kassandra des Lykophron mit
seiner ungeniessbaren Fülle mythologisch historischen und
geographischen Stoffes, mit seiner pathetisch pomphaften,
dunklen Sprache setzt die Beseelungen des überschwenglichen
iniTcc^iog noch fort, vergLv. 877, wo die Meeresufer und
Klippen wehklagen, und als die Seherin ihre Weissagung
der Schicksale der Troer und heimkehrenden Griechen
beendet, erinnert sie sich erst plötzlich v. 145 1, dass sie
tauben Ohren gepredigt hat, dass die nixqai av^xooif dass
das xvfia xqw^op: elg vanag dvtmXfjrtöaq | ßdi^nd xsvop ipdX-
^Xovaa fidifvaxog xqotov.
Die neuere Komödie wurzelt durchaus im bürgerlichen
Kleinleben und behandelt vornehmlich Kollisionen, w^elche
durch Hetärenliebschaften herbeigeführt werden; doch hat
sie dem Euripides besonders das Sentenziöse abgelernt.
Bilder sind selten. Philemon (Comic, gr. ed. maior Mein.
IV, Beri. 1841) p. IG Ephebos fr. i vergleicht das x^*f*^'
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86
XfriSO^ai auf dem Meere mit dem des Lebens; vgl. fab. ine.
fr. i p. 30; p. 23 Sardios fr. I, v. 7: »Zum Kummer ge-
hören Thränen, wie zu dem Baume die Frucht« ^ Xvjtri
6' 1/6*, wdnsQ To d^vdgov tovto xagnov, to daxqv£iv.
P. 44 fr. XXVIII begründet den Satz »der herrlichste
Besitz für die Menschen ist" ein Landgut« äixatoTarov
xTtj^^ idTiV dvx^QooTrotg dy^oc, wie schon ähnlich das Land-
leben gepriesen wurde in der mittleren Komödie von Am-
phis III, 308 fr. I : eh^ ovy(l xQvaovv idrv n^dyiAa iQijfi(a] \
6 TtaTTjQ y€ Tov ^fjv €(^Tip dp&QWTroig dygog \ jitvCav T€ <fvy-
xQvmeiv inCftvaTav fiorog' \ d&vv dl S-farQov drvx^ccg (^affovg
y^fiov, Alexis III, 518 XXXII, Tiy$ aTQaxriyCaq riiv yewqyCuv
TtQOTi^fjLcov. Auch Kalümachos pries das schlichte Bauern-
leben mit seinem stillen Glück im Gegensatz zur Unruhe
des städtischen Treibens, z. B in den ahm bei der Schil-
derung der Einkehr des Herakles beim Molorchos, des
Theseus bei der Hekale.
Menanders dkutg fr. VIII p. y6 enthalten eine freudige
Begrüssung der (p^Xfj y^, vgl. Naukleros fr. II, p. 175, auch
er preist die Einsamkeit und das Landleben p. 207 fr. i
der vÖQ^a^ wie p. 194 VII:
UQ* idrlv dqeTfig xal ßCov diddoxaXog
ilsv&^Qov ToTg ndaiv dv^Qwnoig dyqog^
p. 273: »es ist reich an Vergnügungen und tröstet durch
Hoffnungen für das Schmerzliche« fr. 174:
Tcov yemQycov ^dovfjv }%€tß(og \ ratg iXnCa^v rdXysivd
7taQafiv^ovfi6vog vgl. p. 289 CCIV f/g* ti to mxqov
t^g ysüoqyCag yXvxv*
Auch p. 211 no. 2 in einem Fragment des vnoßokt-
fjbalog stellt er das Glück, das in der Betrachtung der erha-
benen, ewig sich gleich bleibenden Natur liegt, dem unru-
higen, peinvollen städtischen Treiben gegenüber.
Seine Vergleiche sind dem Meere entlehnt; p. 88, i :
»die Ehe eine sturmbewegt« See«; p. 231 VII: »die Liebe
packt schneller und grimmer als Wirbelwind und Wogen-
gang« ; p. 347 (sent. 664) : »Meer und Weib gleichen sich an
Leidenschaft«, v. 304 »eine schlimme Pflanze ist das Weib,
doch ein notwendiges Übel«, v. 312 »Bildung ist der Hafen
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87
für alle Sterblichen«, v. 588 »der Welle des Meeres gleicht
der Sinn der Mürrischen« ; v. 751 »auf Regen folgt Sonnen-:
schein« xe^^mv fievaßdXXei ^ad^wg sig svöCav- Zart heisst es
beim Sosikrates Philad, p. 591 : » ein feines , auf ge-
kräuselten Wellen rauschendes Lüftchen, das Kind d^s
Skeironischen Berges, führte zum ruhigen Segel mild und
freundlich den Meerfisch« :
Xsmri 3i xvQToZg tyyeXdiaa xv/jbaaiv
avQu, xoQfj ^xs^Qüopog, ^yo^X? ^^^^
TtQoa^ye nqdwg xal xaXcog top xccv^agop.
Der pathetische Schwung dieser Verse mag uns über-
leiten zu der Lyrik der hellenistischen und nachhellenisti-
schen Epoche, zum Epigramm der Anthologie. Auch
darin zeigt sich Kallimachos als Stimmführer der alexandrini-
schen Poesie, als Träger der literarischen Bewegung, dass
er das Epigramm zum wesentlichsten Ausdrucksmittel der
damaligen lyrischen Poesie an Stelle der Elegie erhobt
Die Lyrik ist zu allen Zeiten und bei allen Völkern der
treueste Abdruck der Empfindungen und Stimmungen; in
ihr pulsiert am vollsten das innerste Gemütsleben, und das
kleinste Lied kann als eine Offenbarung des geheimsten
Fühlens eine gesamte Zeitrichtung widerspiegeln. Auch
ein schlichtes Epigramm der Anthologie vermag wie in
einen Brennspiegel die Ahnungen früherer Epochen zu
sammeln; und sind in diesem bunt zusammengewürfelten
Mosaik auch manche Gedichte von massiger Technik und
geringfügigem Inhalt neben anderen von geschickter Hand
geformten, so kann doch auch das mittelmässige von
kulturhistorischer Bedeutung sein, weil es den Prägstempel
seiner Zeit trägt.
Das Epigramm ward in der hellenistischen Epoche
zum wahren »Gelegenheitsgedicht«, das der Stimmung des
Momentes entquollen die Individualität des Dichters und
zugleich den Zeitgeist verrät. Kaum könnte für das Natur-
gefühl jener Zeit ein treffenderer Ausdruck gefunden werden,
als in dem Epigramm, das zwar den ehrwürdigen Namen
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des Äsopos führt, aber gewiss ein. recht spätes Produkt ist,
.da es in ein »bewusstes« Naturempfinden eine pessimistische
Idee verflicht Jac. anth. I p. 52:
Leben, wo flieht man dich ohne den Tod ? Unsägliches
Unheil
Drückt dich, weder die Flucht, noch das Ertragen ist leicht.
Schön ist, was die Natur dir verliehen, Mond, Himmel
und Sonne,
Länder und Stern' und das Meer, Quellen und Flüsse
und Seeen.
Leiden und Angst ist alles das übrige. Sendet das
Glück auch
Irgend ein Gut, alsbald folgt^ ihm die Nemesis nach.
Jacobs.
, . . i^d^a (jbiv yaQ aov tä ^pvoei xaXd, yaZa, ^ai^aaaa,
äaiQcc^ aelfjvafrjg xvx?m xat fjeliov '
ralkcc d^ ndvja (foßot r« xal aXyecc . . .
Vor allem ist auch der Epigrammen-Poesie der idylli-
sche Charakter eigen. Immer und immer wieder wird das
stille, behagliche Plätzchen auf schwellendem Rasen, unter
schattigem Blätterdach, am rauschenden Bach gepriesen —
xctXov To dfvdqov. \ d/tulccg (J' ¥(5tia€ x^fraq \ (jbakaxo)-
taTO) x),ad^(rxcj). \ naqd (J' avrov IgfO^C^f^t | nfiyil ^iovaa
Tr€it}^ovg' 1 1/^ «V ovv oqwv naq^Xd-oi \ xarccyoay^opTOiovro'y
heisst es in Anakreonteum 18, v. 11 — • und diese Natur-
eindrücke werden oft sinnig mit anderen Stimmungen ver-
schmolzen oder bilden geradezu das Hauptthema, um das
sich andere Empfindungen nur gruppieren» Zugleich wird
das Interesse für das Zarte und Anmutige in der Natur, ja
für das Kleinste in Tier- und Pflanzenwelt immer leben-
diger; dem kleinsten Insekt schenkt der Dichter seine Teil-
nahme, freut sich an seinem Stillleben und klagt über seinen
Tod. Namentlich die Cikaden, Bienen und Ameisen werden
in ihrem eingeschränkten Dasein, das dem sentimentalen
Beobachter doch so viel Glück in sich zu bergen scheint,
mit einer Wärme der Empfindung und mit einer Liebe und
Innigkeit belauscht, wie es eben immer nur möglich ist bei
einer überfeinerten, den Menschen übersättigenden Kultur.
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la diesen Ansclia^uungskreis gehört das Anakreonteuni »an
die Cikade« fr. 32:
Selig bist du, liebe Kleine,
Die du auf der Bäume Zweigen,
Von geringem Trank begeistert,
Singend wie ein König lebst!
Dir gehöret eigen alles,
Was du auf den Feldern siehest,
Alles, was die Stunden bringen;
Lebest unter Ackersleuten,
Ihre Freundin, unbeschädigt,
Du dem Sterblichen Verehrte,
Süssen Frühlings süsser Bote!
Ja, dich lieben alle Musen,
Phöbus selber muss dich lieben,
Gaben dir die Silberstimme;
Dich ergreifet nie das Alter,
•Weise, zarte Dichterfreundin,
Ohne ^Fleisch und Blut Geborne,
Leidenlosc Erdentochter,
Fast den Göttern zu vergleichen. Göthe.
fianagC^ofiiv (f€, titv-il^^ \ ots öevdQ^wv in ccxqmp \ okvyrjv
ÖQodov nentoxcog \ ßa(tiXtv(; oncog dtCdsiq x. r. A. .
Wie zart giebt sich hier das Gefühl kund für den
Reiz eines harmlosen, leicht befriedigten, in sich beschlossenen
Niituriebens in seinem Gegensatze zu dem unruhigen, be-
dürfnisreichen, menschlichen Dasein 1 Ähnlichen Genres sind
zahlreiche Epigramme in der Authologie. So preist I. p. 169
no. 60 die Grille der Flur, die ein Lied singt von dem
schattigen Wipfel der Bäume herab,
Wann heissbrennende Glut sie zu Gesängen entflammt.
Fröhlich geleitend den wandernden Mann und sonder
Belohnung
Mit dem Gesang, vom Nass lieblichen Taues genährt ;
denselben Gedanken spricht Meleager aus L p. 32 no. iii :
rjxiietc xizvt^^ dqooi-Qoig (Trayopsifi^t iied-vdOeCg,
dyqovofiov (JbiXnsic (lovaav iqfifAoXdXoq.
axqa d' Itpt'Coiievoi neraXotc nqiovoySem xo)),oig
al&{o7tt xld^€ig xqforl fi^hafia Xvqag x. t. L,
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in no. 112 bittet er die Muse des Feldes, in seinem Sehn-
suchtsschmerz ihn zu trösten durch den lieblichen Gesang;
äxQtg ifiwv dndTTjfjba nod^cop, naqafivd-iov vnvov,
avio^vig fi^/üifjfjba IvQag, xq^xs pboC vi 7to&€tv6p . .
Mg fi€ nopcov ^vaaio navayqvnvoio fi€Q^fivi]g . .
vergl, II p, 141 no. 3, IV p. 207 no. 416 u. no. 419; und
Mnasalkas I p.' 125 no. 10 klagt wehmütig über die tote
Heuschrecke, die nicht mehr mit süsstönenden Flügeln in
fruchtreicher Furche singen und ihn ergötzen kann, der
unter schattigem Laubdach dem süssen Gezirpe so oft ge-
lauscht habe, vergl. I p, 171 no. 65, p. 19a, 2; II 99, 29;
236, 2. Die Anakreonteen fr. 9 und 25 begrüssen mit
Freuden die Schwalbe:
Du liebe Schwalbe kommest
Im Sommer her und baust dir
Ein Nest, im Winter aber
Fliehst du zum warmen Süden.
Doch Eros hat sein Nestchen
In meinem Herzen immer u. s. f.
(tv fiiv ^CXfi xsXidov I itfjüf^ iioXovca \ d'iqei, nX^xsig xaXi^r.
• X€iiJb(avi d*elg ä^arrog | ^ NslXov ^ 'nl Mi^itpiv x, t> i.
Jn der Anthologie II p. 23 no. 63 wird die Schwalben-
mutter, welche die zarte Brut sorgsam unter den Flügeln
hütet, gepriesen und bedauert, als die tückische Natter die
Jungen aus dem wärmenden Nest geraubt hat. Auch sonst
spricht sich bei den Griechen die Wonne über die Wieder-
kehr des Frühlings in herzlicher Begrüssung der Schwalben
aus, wie in dem Rufe &qa via, xeXtdmv Aristoph. equ. 419,
Simon, fragm. 74; und die Kinder in Rhodos zogen im Monat
Boedromion mit einer nachgebildeten Schwalbe in der Hand
vermummt von Haus zu Haus, um Gaben einzusammeln,
und sangen das Schwalbenlied :
Die Schwalbe, die Schwalbe ist wieder da!
Willst du die Schwalbe erblicken?
Sie ist weiss am Bauche und schwarz am Rücken.
Bald ist auch die schöne Jahreszeit da:
Die Schwalbe, die Schwalbe ist da! . . .
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91
'^Xd'' ijX&e xB^jb^iAv I xaJ.dg tSgag ayoviSa | aalovg
ipiavTovgf \ sul yai^xii^a ktvKcc, \ Inl V(oca (jb^kaiva . .
Bgk. m, S. 131 1.
Sehr niedlich wird im anakreont. 14 die Taube als
Liebesbotin und in ihrer Anhänglichkeit an den Dichter
geschildert, dem sie lieber dienen will, als über Berge und
Felder fliegen und auf den Bäumen sitzend nach wilden
Früchten suchen. Auch in der Anthologie findet sich man-
ches sinnige Liedchen über das Leben der Vögel und
anderer Tiere : an die Amsel II p. 273 no. 28 : Nachtigall,
^Q auf einem Delphin über das Meer reitet II, p. 204, 32 ;
Rabe II, 85, 21; Möwe I p. 256, 2; Rebhuhn I p. I37,'4J
Henne II, 118, 12; Hahn I, 132, 11; ferner an die Biene,
die Verkündigerin süssblühenden Frühlings^ die sich mit
taumelnder Lust unter den Blüten berauscht I p. 183, 7 ;
^^> I09) 53; 144, IS; Ameise II p. 38, in, p. 216 no. 73;
an den Frosch, den Aöden im feuchten Geröhr, I p. 194, 8;
Polyp und Adler II p. 107 no. 44, Polyp und Hase II
p. 141, 2; ferner an die Maus II, 160, 21 u. 22, II, 256, 9;
Hirsche II, 122, 15, Hase IV, 206, 417; Löwe II, 176, 12.
Unter den Blumen wird auch in den Anakreonteen
besonders die Rose gefeiert, »als die Freundin der Fest-
gelage, als der Frühlingsschmuck der Grazien , als der
Musen Lieblingsblume und die Lust der Lieder, die ein
Balsam dem Kranken ist und jedes Menschenherz mit ihrem
Duft erfreut, da die Götter selbst das erste junge Reis köst-
licher Rosen mit Tropfen von Nektar befeuchteten«,
fr- 42, 53» 54
In recht moderner Weise macht die Lokrerin Nossis
I p. 127, I die Rose zum Symbol der Liebe:
Nichts ist süsser als die Liebe, spricht
Nossis; alles andVe muss ihr weichen.
Kann sich selber doch der Honig nicht
Mit der Lieb' an Süssigkeit vergleichen.
Wem ein Kuss von Aphrodites Munde
Nicht geweckt der Liebe süss Verlangen,
O, der hat. gewiss noch nicht die Kunde
Von der Rose süssen Duft empfangen. Brandes,
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ädtov ovdkv fQ(OToq . . Tirvd 6* d KvTtQic ovx ^ff^Ckacfi^h
ovx otSav T'^vaq av&Ba noXa ^oda*
Unter den Bäumen wird mit grösstem Enthusiasnaus
immer wieder die Platane gepriesen, »die mit ihrer üppigen
Fülle immergrünen Laubes und der wohlgefälligen Form
ihrer Blätter Anmut und Würde in edlem Gleichgewicht
verschmilzt«. So ehrte selbst ein Xerxes eine Platane bei
Sardes, indem er seine Scharen auf dem Kriegszuge nach
Hellas drei Tage lang rasten Hess, ihr eine Ehrenwache aai
den auserlesensten Kriegern stellte und beim Abzüge sie
mit goldenem Schmucke beschenkte (Herod. VII, 31). Von
einer anderen berühmten Platane auf Kreta berichtet Plirt.
H. N. XII, 9 ff., die auch in der Anthologie gefeiert w?ird
II p. 213 no. 64: vom Sturm geknickt wird sie mit Wein
getränkt und so konserviert; sonst vgl. II p. 16, 38; p, 150>
4, etc.; Eiche II p. 157, 12, Fichte IV p. 198, 383 u. 3^4i
Epheu II p. 207, 45, Lorbeer II p. 106 no. 40,
Alle diese Epigramme, in denen mit sinnigem Verstand-
nis und mit lebhafter Empfindung das Grünen und Wachsen
und Ranken der Bäume und Pflanzen eingehend geschildert
wird, lassen uns erkennen, wie aus den früheren Gleich'
nissen, die mehr oder weniger nebensächlicht; Ornamentik
bildeten, sich selbstständige Genrebildchcn von idyllischem
Kolorit entwickelten. Während jedoch diese Epigramme
vielfach durch Monotonie ermüden, bieten andere gar manche
charakteristische und interessante Empfindungsweisen, welche
sich als weiter führende Glieder in die Kette früherer An-
schauungen einfügen und noch näher zum Modernen uns
hinieiten. Wir folgen der Reihenfolge der Dichter, wie sie
Jacobs bietet. — Wie Theokrit und Moschos ihre Freude
darin finden, vom Ufer auf das blaue Meer zu blicken,
so singt auch Anyte I, 131, 5, Aphrodite freue sich, von
dem Festlande über des Meeres strahlenden Spiegel zu
schauen, günstige Fahrt den Schiffenden sendend, denn die
Meerflut fürchte der Göttlichen Macht, aufblickend zu dem
schönen Götterbilde — novrog \ dstiiaCvei,, Xmaqov de^xo-
fisvog ^oavor, in no. 7 mahnt *die Dichterin mit anmutiger
Beseelung des in den Blättern säuselnden Windes, den
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93
Fremdling, daselbst zu rasten unter dem schattenden Fels:
»hier in dem grünen Gezweig plaudern die Lüfte so süss«
dSv Ti iv %Xmi^04^ ftravfia &qo(i nsvdkoK;, und aus dem
kühlen Quell das erquickende Wasser zu trinken.
In solch idyllisches Behagen an traulichen Plätzchen
mischt sich bei den meisten Epigrammen- Dichtern eine
erotische Stimmung. Die mittlere und neuere Komödie
geben uns ja ein deutliches Bild, wie üppige Wurzeln das
Hetärfenwesen allmählich in Griechenland geschlagen hatte,
wie wenig von der alten Einfachheit und Zucht der Sitten
übrig, geblieben war ; aber bei dem gewaltigen Umschwung,
den alle Verhältnisse des socialen Lebens im Hellenismus
erfuhren, griff die Emancipation der Frauen immer mehr
um sich, und obgleich wir von der Freiheit und der im
gfiechischen Leben bis dahin unerhörten Selbstständigkeit
intriganter und koketter Fürstinnen nicht zu weite Schlüsse
ziehen dürfen für das einfache Bürgertum ^'^), so ward doch
das Köurtisanenwesen zum Angelpunkt aller Vergnügungen
der jeunesse doree. Die oft feine Bildung mit sinnlichem
Reiz verbindende Hetäre ist der stete Gegenstand leiden-
schaftlicher Liebe in den Epigrammen, ihr dient der Dichter
liiit »frivoler Sentimentalität« in seinen galanten billets doux
und preist ihre Reize und das Glück, das sie ihm gewährt,
mit üppigster Phantasie und raffiniertester Sinnenglut. So
besonders Asklepiades von Samos, der ein echtes dich-
terisches Talent in seinen von wahrer Empfindung durch-
glühten Gedichten verrät. Wohl sind sie nur leichte Ware,
aber vom Momente eingegeben zeichnen sie sich durch
Frische und Lebendigkeit aus. Wie ein Heine tändelt er
mit dem Weltschmerz (no. 8), sucht den Volkston nicht
ohne Glück in einem niedlichen Gedicht, das wir »die
Verlassene« betiteln könnten, zu treffen (no. ii), doch am
meisten regt ihn seine Liebesleidenschaft zum Dichten an,
die er oft treffend mit der Stimmung in der Natur paral-
lelisiert. Im Dunkel der Nacht stiehlt er sich zu seiner
GeHebten* doch die Thür ist verschlossen, Regen und Nacht
und die Liebessehnsucht, sind seine einzigen Genossen,
ein kalter Boreas weht um seine liebe- und weinerhitzte
Digiti
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94'
Stirn y>o Zeus, o lieber Zeus halt ein (iatfy'fl^ov) , hast dih
doch selbst zu minnen verstanden« I p. 148 no. 19, vergl.
no. 23; und mit prometheischen Trotz und Learschem
Pathos ruft er no. 26:^^)
Schleudre nur Hagel und Schnee und hülle den Himmel
in Nachtgraus,
Blitz' und senke den Schwall dunklen Gewölkes aufs
Land.
Wenn du mich tötest, o Zeus, so rast' ich dir, lässt
du mich leben,
Folg' ich der Liebe Beruf, wenn du auch heftiger tobst.
vl^€, %aXa^oß6Xei, noCei (Txotoc, ald^€, xegaifvoi^
TtavTa TCc TtoQffVQoyr^ iv /-d-ovt vets vifpfi*
Seine Devise gleichsam ist in no. 20 ausgespi^öchen :
»Süss ist für den Dürstenden ein kühler Trunk zur heissen
Sorximerszeit, süss ist's dem Schififer, wenn er nach dem
Sturm heimkehrt, Frühlingskränze zu schauen; doch das
Süsseste ist — heimliche, alles Verlangen stillende Liebe«.
Höchst sentimental heftet er thränenbetaute Kränze an die
Thür der Geliebten no. 4 und bittet die Blumen ^^), nicht?
zu schnell zu verblühen —
Doch tritt mein Liebchen uhter ihre Thür,
Dann regnet nieder, Thrähen, für und für!
Und trinkt ihr blondes Haar die Flut der Thränen,
(So denkt sie wohl an meines Herzens Sehnen.)
Brandes
. . avä^a^^ vTieq x6(faX^g ifiov vevov (!), wc av Sfieivor
«7 l^av&ri ys xofjLJj ddxQva räfid nttj.
Das Meer ist auch ihm das 'rauhe, gewaltsame; no.
38: »acht Ellen halt dich entfernt ,. unwirtliches Meer, und
brülle, rausche, so viel du vermagst« xvfiaive ßoa S-'^k^xa
aoi dvvafjbig . . vergl. I, p. 211 no. 4. —
An das Idyll erinnert uns wieder Leonidas v. Taren t,
der für Pyrrhos gedichtet haben soll; I, p. 164 no. 39 lädt
er den Wanderer ein, auf der rinderbeweideten Höhe sich
zu lagern unter der Fichte, dem Ruheplatze des Hirten,
wo durch den Felsen der rauschende Bach sich ergiesst,
kühler als der Schnee des Boreas fvQi^üeic xtXaQv^ov fv-
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3(0ijv0V did 7t^^^^ l'väfMJC, BoQiia^g ipvxQoraQov viffctdoc,
vergl no. 58, 6O5 98 und Nikias no. 4, I p. 182; Xl^sv vn
alysi^tiUVj iT^el xdfteg, ivO^dd' oötra, \ xal nie 4^aa<Sov Iwv
nCdaxoq afjber^^ag x.t.X», Nikainet. no. 3, I p. 206: »Nicht
in der Stadt, in Heras Hain zu schmausen, gelüstet mich.
Des Westwinds Säusehi zieht ins Freie 'mich. Am h*ebsten
mag ich hausen auf niedrer Streu, wenn rings der Frühling
blüht« . .
ovx id^^kwy 0iX6^fjQ€j xavd nrohv^ aXi! lii* aqovqric
8aCvv(t&ai x. t. A.
So singt auch Pseuda-Platon I p» 105, 13:
In dieser Pinie Schatten setz' dich nieder
Wo flüsternd weht ein leiser Hauch aus Westen!
. .Und horchst du auf das Säuseln in den Ästen, . .
Naht holder Schlummer deinen Augenliedern.
vtpfxafjLov na^d Tccvds xa^t^eo (poov^saaav
ffQC(Soov(Sav Ttvxivoiq xcofjbov vno ^eipvQoiQ,
Vergl. IV p. 171 no. 259 u, 260 . •
Von anmutigem, idyllischen Charakter ist auch das
Pseudo-Platonische Epigramm no. 14 auf Pan:
Schweigt, ihr Höhen, Wohnsitz der Dryaden,
Springquell, lass dein wildes Rauschen sein!
Denn des Gottes Flötentöne laden
(Berg und Thal zur Ruhe ein). Brandes.
aiyccTco Xd(^iop d^vddwv Xinag^ oll % dno n^Qag
xQovvot xal ßXfjx"^ notdvfjbiyfjc Toxddcov . . « —
Doch Leonidas weiss auch andere Töne anzuschlagen,
als nach bukolischer Manier lauschige Waldplätze zu preisen,
die den Wanderer zum süssen Träumen auffordern. Dem
Himmel entlehnt er das hübsche Bild p. 166, no. 49 »An
Homer« :
Wenn auf feurigem Wagen die Sonn' an dem Himmel
hinauffährt,
Schwinden die Sterne dahin, und es erblasset der Mond,
Also erloschen vor dir, Melesigenes, Scharen der
Sänger,
Als du das strahlende Licht himmlischer Musen erhobst.
Jacobs.
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aotqa fiiv ^fiavQtö(f€ xal h^d xvxla (fsl^Vfig
al^ova öiv^ffag f/jtnvQog ^Xiog.
vfivoTTolovg ö'dyekfjdov dni^naXdxyytv ^'OiMfiqog^
XafATtQorarov Mov(s£v ^fyyog dvacxofievog.
Ein reizendes Frühlingslied fordert auf, die Anker zu
lichten, no. 57 p. 168: »Die Fahrt ist günstig! Die ge-
schwätzige Schwalbe hat sich aufgemacht und der anmutige
Zephyr; die Wiesen blühen, besänftigt hat sich das Meer,
das im Wogenschlag, im Windesbrausen rauschte. Nun
hebe die Anker! Nun löse die Ketten, o Schiffer«!
nXoog (oqaTog' xal ydg Xalaysutta x^^*<J«^
fjöi] fjb^fAßXwxfv X(ß XCtQCeig ZiifVQog.
XsifJbwvBg d'äv&evcfi, (tföfyfjxev df d-dXccCGa
xv(Jba<n xal xQrjxel Jtvsvfiazi ßqaoöoiiipfi,
dyxvqag dviXoio xal IxXvttaio yvaia \ %'av%(Xi . .
Eine neue Form des sentimentalen Verwandlungs-
wunsches bietet Rhianos v* Bena auf Kreta, der be-
sonders die Knabenliebe zum Motiv seiner Gedichte macht.
Als der geliebte Dexionikos unter der grünen Platane eine
Drossel fängt, klagt seufzend der Dichter: »O Eros und
ihr blühenden Charitinnen, wäre ich doch ein Kraramets-
vogel oder eine Drossel, auf dass ich in seiner Hand sänge
und weinte!«
afrjy xal x^xXfj xal xoCifi^^og, dg av ixsCvov
iv x^^Q^ ^«* (fv^oyy^v xai yXvxv ddxqv ßdXva,
Noch sentimentaler wünscht Pseudo-Platon I p, 102 no. i :
Schaust du zu den Sternen auf, mein Stern, (!)
Wünsch' ich eins mir nur: ich möchte gern
Selbst der Himmel sein» Ich sähe dann
Dich mit vielen tausend Augen an.
d(TT^Qag fl(tax^Q€£g darriQ Ifiog ' sl'&e y€Vo(fifjp
ovQavog't cog noXXolg ofjtfjbaaiv slg (t€ ßXi7i<o\
Den Knaben Empedokles rühmt Rhianos als herrlicher
denn alle seine Gespielen I p. 130 no. 3: »gleichwie unter
den übrigen Frühlingsblumen die herrliche Rose erglänzt«
^odcsov fr aXXoig ap&taip eiaQivolg xaXov i'Xafiiffe ^oöov. Das
Genre des Asklepiades pflegt Sosipatros noch frivoler
und kecker (I p. 255, i u. 2!); vom Meere oder von der
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Rose entnimmt er seine lasciven Bilder, oder »die Augen
des Mädchens flammen zitternd auf, wie die Blätter im
Winde« lytk« nvevfiaTv ^vXXa, oder es locken ihn in no. 3
die rosigen Lippen des nektarischen Mundes, die blitzenden
(äarqdmovaai) Augensterne und die blendende Brust xal
TtvoTeQoi xdXvxeg* Antipatros v. Sidon, der nach dem
Muster Piatons das literarhistorische Epigramm besonders
kultiviert, kündet z. B. ewigen Ruhm der Erinna no. 47
II p. 19, »die nimmer von dem schattenden Flügel dunkler
. Nacht werde verhüllt werden«, d. h. nimmer ins Meer
der Vergessenheit sinken — no. 98, v. 5 — _, denn »besser
fürwahr als der Dohlen Gekrächz', das in Wolken des Früh-
lings ausschallt, tönet des Schwans kurzer melodischer Sang«,
vergl. no. 76 auf Anakreon, den Teischen Schwan, Sinnige
Worte leiht er no. 38 der von Wein umrankten Platane:
Meinen vertrockneten Stamm umranket des blühenden ^
Weinstock
Laubwerk ; fremdes Gelock (odysCri . . xo^irf) schmücket
des Platanos Haupt,
Der ich in meinem Gezweig mostschwellende Trauben
ernährte;
Selbst nicht minder als er reichlich mit Laube geschmückt.
Möchte doch solchen Genossen hinfort sich jeglicher
aufziehn.
Welcher den Toten soger Liebe mit Liebe vergilt
Jacobs.
Mitempfindende Klage legt er der Natur bei II p. 35
no. 99, wenn er den Schmerz des Königs Rolemäos und
seiner Gattin über den Tod des blühenden Sohnes also
schildert;
Schmerzerfüllt auch rauft sich das Haar die erhab'ne
Aigyptos,
Und Europens Gefild tönet von Klagen umher.
Auch umdunkelt der Schmerz Selenens strahlendes
Antlitz,
Und von dem himmlischen Pfad fliehen die Sterne hinweg,
Jacobs.
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 7
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98
a fieyccXa- <J' Aiyvntog lav cokoipato iccCvav
xal nXuTvq EvQomag i(tTovd%rfi€ öofioC'
xat d' ccvrd did rt^pO-oq d(JbavQwd-€l(fa ^eXdra
u(tvQa xal ovqavCaq d&VQaniTovg ^Xmev.
Eins der schönsten Epigramme ist uns von dem
Astronomen (?)Ptolemäos überliefert II p. 65 no. 2. Schon
in früherer Zeit priesen die Dichter des Menschen Erhaben-
heit über die Natur, wie Sophokles, oder ihre stets sich
gleich bleibende, hehre Schönheit gegenüber dem rastloseii
Treiben der Menschen, wie Menander, oder ihre Pracht
und Ordnung, die auf ewige Mächte hinweise, wie Aristoteles,
hier giebt der Dichter dem Gefühle Ausdruck, das uris
beim Anblick des sternbesäeten Himmels andachtsvoll be-
schleicht, jenem Gefühl des Erhobenwerdens über d?e
irdischen Schranken!
Staub nur bin ich — ich weiss es — ein Sterblicher,
aber betracht' ich,
Sterne, den kreisenden Lauf eurer verschlungenen Bahn,
Dann o ! glaub' ich die Erde nicht mehr mit dem Fuss
zu berühren,
Sondern am Tische des Zeus nehm' ich ambrosische Kost.
Jacobs*
oW oTi Svaroq lyco xal i^dfiegog * dkX' orav aOtQwv
fiaöt€Vco Ttvxivdg dfjb^iÖQOfjtovg iXi^xag,
ovx €t' inixpavtß noal ya^fjg, dkkd naq^ avtco
Zavl &€OTQofffig nC^nXaiiai diAßqoaCrig,
Wird man nicht an Göthes »Gränzen der Menschheit«
oder an seinen »Ganymed« erinnert? Ist es dann noch
wahr, was Hess S. 29 sagt: »Kaum jemals findet man
bei den Alten den in neuerer Dichtung so oft vor-
kommenden Aufschwung von der Empfindung der Natur-
schönheit zu der Empfindung der Liebe zur Gottheit, jenes
innere Erzittern der ganzen Seele in dem Gedanken an das
Ewige«, oder was Rohde S. 511 sagt: »Auch der späte
Grieche weiss nichts von der gänzlichen Entrückung aus
der Menschenwelt durch die Übermacht eines gewaltigeren
Lebens in der nach eignen grossen Gesetzen wirkenden
Natur« ! } Ptolemäos spricht hier in prägnanter Kürze aus,
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was ein moderner Naturforscher ^^<^) also ausdrückt: »Das
Licht, womit die Sterne vom Himmel strahlen, wird uns
doppelt bedeutungsvoll bei der Dunkelheit der Erde ; gerade
dies, dass wir nichts von allen den Gegenständen sehen,
die uns an die einengenden Verhältnisse des Alltaglebens
und alles das Vergängliche erinnern, was sonst sich in un-
serer Umgebung geltend macht, lässt die Seele sich erweitern
und schärft den Sinn für das Licht aus einer höheren,
grösseren, minder veränderlichen Welt* Unter dem klaren,
milden, nie blendenden Sternenlichte . , haben wir ein Gefühl,
als ob Licht und Leben und Glückseligkeit nur dort in der
F^rne sei, aber Dunkelheit, Tod und Schrecken hienieden«.
r— Eine sinnliche Mondscheinpoesiö* begegnet uns in den
Epigrammen des Philodemos, wie II p. /£ no. 7, wo er
die hellglänzende, nächtliche Selene auffordert, freundlich
ins Fenster hinein ihr Licht zu senden und mit ihren gol-
denen Strahlen die liebliche Kallistion zu übergiessen ; pikant
ist Bild, und Idee verwoben in no. 15, das eine ganz junge
.Schöne besingt:
Noch zwar birgt von dem Kelche bedeckt sich die
Blume der Jungfrau,
.Unter dem Schatten gepflegt, färbt sich die Traube
noch nicht;
Amor wetzet indes die geflügelten Pfeil' auf dem
Schleifstein,
Und in dem Innersten glüht schweigend der wach-
sende Brand.
Fliehen wir Jünglinge ! . . . Gleich lodern die Flammen
empor»
ov7i(o (toi xalvxmv yvfivov x^^Qog ovdi fiela^rsi
ßoTQvg Ttaq&svCovg nQiaroßoXcop yi^dq^Taq x. t X.
Des Philodemos Landsmann und — vielleicht älterer —
Zeitgenosse war der berühmte M e 1 e a g e r , der griechische
Ovid. Ein echter Sohn seiner Zeit und speziell seiner
Vaterstadt, führt er uns in anschaulichsten Zügen das üppige
Leben von Tyros und Sidon vor Augen und zeigt uns, wie
auch nach Phönizien die verfeinerte, komplizierte und blasiert
sinnliche Kultur des alexandrinischen Hofes gedrungen
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war; zugleich ist er der interessanteste Repräsentatit des
Entwicklungsstadiums, in dem sich gegen das Ende des
ersten Jahrhunderts v. Chr. das Naturgefiihl befand. Seine
Epigramme sind zierliche, lose, tändelnde Liedchen, doch
von echt dichterischer Begabung und durchaus moderner
Denkart zeugend. Gleich das Eingangsgedicht, mit dem
er seine Anthologie eröffnete, Jac. I, i bekundet seine leichte,
spielende Manier; einem reichen Blumenkranze vergleicht
er seine Liedersammlung, in den Dichterinnen wie Sappho,
Anyte und Meuro Rosen und Lilien geflochten, und in dem
Narzissen mit Weinlaub, Krokos, Hyazinthe mit dunklem
Lorbeer und Epheu und dem »Haare der Fichte, Platanen-
zweige mit Nussbaumftrauch u. s. f. sich paaren. Eine
gleiche Spielerei ist no. 2 mit dem »Kranz des Seelen-
betruges« ifjvxccTtdTfjg miqtavoc, den Eros ihm in Gestalt
von schönen Knaben gleich Lilien, Levkojen, Rosen, Wein-
reben u. s. f. gewunden habe. I p. 5 no. 7 klagt der Ver-
lassene, ein günstiger Fahrwind habe ihm sein halbes Leben,
den Andragathos, geraubt: »dreimal selig preis' ich^^^) die
Schiffe, dreimal selig die Wellen des Meeres, viermal selig
aber den Wind, den knabenentführenden, o war' ich ein
Delphin und könnt' ich ihn auf meinem Rücken über das
Meer hintragen gen Rhodos, dem an holden Knaben so
reichen« !
tld^ sYfiv dsX^Cq, Xv'i^oXq fiacPtaxTog In äfjiotg
7rQ0x^fi€v&€tg laCdri rdv yi.vxv7taida "^Foöov*
Sein Liebesleben dünkt ihm selbst eine Meerfahrt
no. 49, bei der Aphrodite die Schiffspatronin und Eros der
Lenker des Schiffs ist, mit den Händen haltend das Steuer-
ruder seiner Seele; die Wellen erregt die gewaltig stürmende
Sehnsucht, während der Dichter schwimmt im Meere der
Knabenliebe :
KvTtQic ifioi vavxXfjQoc, Eqodc d' ofaxa <pvXcc<ia€i'
axQov f^Mp ipvx^Q iv x^Q^ Ttfjdakiov,
xv^aCvsv d'o ßagv Ttvsvaag nod'og, ovvexa di^ vvv
na^tpvXco naCdoav vtjxofJtcci iv nsXccysi.
Dies sinnreiche Bild hat ihm selbst gefallen, es kehrt
häufig wieder ; so treibt ihn no. 45 beim winterlichen Sturm
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di^ bittersüsse Liebe (ylvxvddxqvg fgcog) zum Myiskos, die
Sehnsucht ist wieder der Sturm, der den Schiffer auf den
hoch gehenden Wogen des Meeres der Kypris hin- und
herwirft, und er bittet um Aufnahme in den rettenden Hafen :
KVfkaCvsi di ßaqv TtvsvfSaq nod'oq' dXXa ^' iq oQfior
S^^aif top vavvfiv Kvnqtdoq iv TtsXdyei.
So ruft er auch no. 67 p. 21:
Das Meer der Liebe hegt nur bittre Wogen,
Der Sturm der Eifersucht braust fort und fort,
Und schon kommt ein Orkan heraufgezogen,
Das Schiff ist ohne Steuer, fern der Port.
Und doch soll ich dem Meer der Liebe trauen?
Werd' ich nochmals der Scylla Strudel schauen?
Brandes.
xvfia To TtiXQop iquaroq, dxoC^rjToC t€ Jtv^ovrsq
^7JXoi>j xal xcofioov x^^f^^Q^^'^ niXayoq^
Ttol (piQOfiai; TvdvTfj da y)Q€V60V oVaxsg d^pslvrai,
^ TtdXir Tfjv TQvtpsQfiv 2xvXXav inoipofjbs&a,
vergl. das lascive no. yy p. 23.
Nicht neu, aber originell im Ausdruck, ist das Bild
no. 15 p. 13: »beim Eros! Zarte Knäbchen nährt Tyros,
doch Myiskos hat als aufleuchtende Sonne alle die Sterne
gelöscht«
dßQovg val top ^EQcora rqifpBi TvQog, dXXd Mv'l'(fxog
iGße(tev ixXdfjbtpag da^iqag ^^Xiog*
An Theokrit erinnert no. 44, v. 6 : »wenn du, Myiskos,
in Wolken hüllst deinen Blick, so ist's für mich Winter,
wenn du jedoch freundlich blickst, so blühet lieblicher
Frühling« :
^v gMi avvvsipig o^fia ßdXrig nori, ^Bifia 8i8oQxa*
fjv 8' IXaQov ßXixpfigy ^8v t^&tiXsv ^ag.
In den auf die Mädchenliebe bezüglichen Epigrammen
kehrt der Vergleich vom Liebesmeere wieder no. 69 p. 22 :
»die vielgeliebte Asklepias ladet mit den hellblickenden
Augen gleich der Meeresstille alle zur Liebesfahrt ein«,
a^CXsQwg %aqo7toXg ^AdxXi^nidg ola yaX^pfjg
o^fiaai 0VfmeCd'€i ndr^ag iQamoTtXottv-
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102
SeV ich dieser Augen blaue Tiefe,
Treuer Liebe freundliche Gewähr,
Ist's, als ob zur Fahrt mich Eros riefe
Auf ein stilles, blaues Meer. Brandes.
Die Epigramme auf Demo enthalten anmutige »Wächter-
licder«, doch mit dem Unterschiede von den mittelalter-
lichen, dass bei Meleager der Wächter der Hahn ist, der
zu früh ihm und der Geliebten den Tag kündet no. 72,
oder Helios, der sie mit seinem Morgenstrahl bescheint und
den er bittet, seinen Lauf zu wenden und wieder zum Hes-
peros zu werden no» 81^^^); in no. 82 schilt er ihn saum-
selig, da er so langsam sich drehe, nun da die Demo einen
andern genösse, während er sonst, als in seinen Armen sie
ruhte, immer so plötzlich sein höhnendes, schadenfrohes (!)
Licht auf sie geworfen habe — coq ßäXXwv In ifiol cpcog
enL%ai>Q^xaxov !
Tändelnde naCyvia sind auch die Zenophila-Lieden
Wie die Schiffe, die gen Kos fahren, no^ 80, macht er
no. 90 die Mücke zur Liebesbotin, die Süsses dem schlafen-
den Mädchen zuflüstern soll, aber warnt no. 93 die dreisten
Tierchen, die den Schlummer Zenophila's stören und sich
freuen an der wärmenden Nähe der zarten Gestalt des
tqv^€q6v S^dXog no. 88. Ihre Schönheit überstrahlt die
Blumen des Frühlings und die im freundlichen Grün lachen-
den Wiesen no. 92:
Sieh', die Levkoje blüht, im feuchten Moose
Blüht die Narzisse und die Lilie blüht;
Doch seit Zenophila, die üpp'ge Rose,
Der Blumen Blume, duftend süss erglüht,
Lockt mich umsonst die Flur im Blumenkranze,
Mir lacht mein Lieb in hold'rem Schönheitsglanze.
Brandes.
ijd'T] Xevxov Top %)'dXX€v, ^dXXat. 8k (p^kofjtßQog
vdqxiaaoQi ^dXket' SovQtddpotTa xqCva.
fidri iy (filiqaatoc, Iv avd-cdiv wqi/jlov avS^oCj
Zfjvo(f>(kay 7ihi>^ovq '^Sv T^x^-fjXe ^oöop.
Xe^fidovsg, %C /jtdTaia xofiaig Im (paiögd yeXäre;
d yaQ ncüg xQ^acoav dSvnpocop aTt^dpcap.
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ao3
Die schönsten ßliunen sendet er seiner Heliodora mit
dem zierlichen Liedchen no. 105, in dem er sie auffordert,
mit dem Kranze das liebliche Haupt zu schmücken :
Wird er Heliodoras Haupt umwehen,
Wird sie ganz in Duft und Blüten stehen.
.; mg dp ^7j| XQOTci^oig (AVQoßozQVog "^HXioöooQag
€V7iX6xafAov xaCxriv dvd'oßoXri (fT^^avog,
Mit fein pointierter Antithese heisst es no. 104:
Zwar vertrocknet ganz und gar
. , Ist der Kranz in Heliodoras Haar,
Doch sie strahlt- in ihrem eignen Glänze
^^, . Und. dient selber so dem Kranz zum Kranze.
; , . o dvifpavog tisqI xQarl (laqaCvtxai^ ^HXiodooQag'
av€^ d'ixkd^jtei rov (Tr€(fdvov mifpavog^
Und als er nach durchschwärmter Nacht in sehn-
süchtigem Gedenken an das ferne Mädchen den Kranz,
dar ihr Haar geschmückt hat, erblickt, ruft er no. 98:
, . Mische, wenn du wieder füllst den Becher,
Heliodoras Namen mit hinein!
,. Winde mir ums Haupt den Kranz, dem Zecher,
Den sie gestern mir gereicht beim Wein!
Doch die Ros' im Kranze scheint betaut,
Wie von Thränen. O, sie hat Erbarmen, .
Weinet, dass sie heut' in meinen Armen
Nicht die süsse Heliodora schaut. Brandes.
. . daxQvei ^iXiQaCrov Idov ^odoVj ovvexa xsCvav
akkoS'i xov xoXnotg ^fjtev^Qoi^g icfoQa*
In ihrer Reflektiertheit sucht diese sentimentale Beseelung^^^^)
ihresgleichen; minder gesucht ist in no. 108 der Zorn des
Eifersüchtigen auf die Biene, welche die Geliebte umschwärmt,
als ob sie ihn darüber belehren wolle, wie die Süssigkeit
der Liebe nicht ohne Stachel sei. Rührend klagt er in
no. 109 um die Tote — »wehe, weh', wo blieb die junge
Blüte?« — und bittet die Allmutter Erde:
Hab' Erbarmen
~ Allen Wesen bist du mild gesinnt —
. Mild empfang' in deinen Mutterarmen
Auch mein vielbeweintes, süsses Kind!
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104
ixXXd (Se yovvovfJkak^ /« nawqoqiSj tccp Tvavodvqvov.
^Q^fia ao7g hoXtiok;, fjkmsQ^ iva/xaXuUx^ —
Alle diese Epigramme geben mit ihrer pointierten
Bildersprache, ihrer raffinierten Beseelung der leblosen Natur,
der fein durchdachten Verflechtung des Sinnlichen und
Geistigen, des Naturlebens mit dem Seelenleben einen
deutlichen Einblick in das sentimental erotische Empfinden
jener Zeit; aber damit auch das Idyllische nicht fehle, fügte
Meleager seiner Sammlung ein siSviXiov »an den Frühling«
ein, no. iio. Hatte er in seinen Liebesliedern nur gelegent-
lich das lachende Wiesengrün, das zur Fahrt lockende
Meeresblau und vor allem die schönen Lenzesblumen zum
Symbol einer erotischen Idee gemacht, so entwirft er hier
mit bewusster Kunst ein farbenprächtiges Bild von dem
Leben und Weben .in dem Wonnemond des Frühlings.
»Der Winter ist dahin, es lacht alles in Flur und Wald,
überall ist Leben, Frische, Schönheit, Musik — drum will
auch ich mein Liedlein singen«* Das ist der Grundgedanke
der 23 Hexameter.
Nun der umstürmte Winter hinweg von dem Äther
gewichen,
Strahlt süsslächelnd die purpurne Zeit holdblühenden
Frühlings.
Freundlich umkränzt mit der üppigen Saat sich die
bräunliche Erde,
Und schön schmückt sich der Baum mit dem Haar
neugrünenden Laubes.
Lieblich von schimmerndem Tau und der Pflanzen
ernährenden Eos
Lachet die Wiese getränkt, und die Ros' entfaltet die
Brust schon. Jacobs.
X^^fjtarog ^vffjtoevTog drc' aix^^Qog ol^o^iivoio
TTOQffVQ^vj (jL€(dfj(t€ (psQav^iog sfaQoc &Qfj.
yala d^ xvav^i] x^oeq^v i(ttiipaTo 7tofy]V
xal (fvvd x>riXrjaavTa vioig ixo^j^f^ae Trer^loig,
ol d^ccTraXfjp TcCvovrsg asl^itpvTov dqotSop ^ovg
XeificÜvfg ysXocoaiv dvoiyo/j^voto ^odoio.
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105
»Der Hirte stimmt seine Schalmei auf der Syrinx an,
auf der fetten Weide ergötzt sich die Herde, der Schiffer
fährt beim säuselnden West durch die Meerflut, die Winzer
jauchzen mit des Epheus Trauben umkränzet; die Bienen
regen sich emsig, und ringsum lassen ertönen ihr Lied die
hell^Ä^irbelnden • Vöglein, Halkyonen am Meer, am Dache
die Schwalben, am Flusse der Schwan, im Hain die Nach-
tigall — soll da nicht beglückt der Dichter singen« ?^^^)
ndSg ov %Q'^ xal doidov iv eüaqi xaXov dstaai; Lehrs^^^)
bemerkt zu diesem Idyll: »Man wird zu der Bemerkung
geführt, wie grosse Zeit man jetzt für kurze Gedanken hatte,
Piadar würde in wenigen wahrwiegenden Zeilen dieselben
Gedanken ausgedrückt haben«. Wie seit Pindar eben das
gesamte sociale Leben eine vollständige Umwandlung erfahren
hatte und ein weit komplizierteres gewprden war, so hatten
si^h auch mit dem zunächst unreflektierten Naturempfinden
dii5 mannigfachsten psychischen Momente verflochten, die
den Sinn auf das Stillleben in der Natur lenkten und für
jeden Eindruck empfänglich machten, welchen Feld und
Wald dem oflTenen Auge und dem lauschenden Ohre eines
sentimentalen, die Stadt mit ihrem Lärm und ihrer Auf-
regung fliehenden, in der freien Natur aufatmenden und
zum Dichten begeisterten »Kulturmenschen« darbieten musste.
Die Natur wird eben von der Zeit des Hellenismus an um
ihrer selbst willen gesucht, und solche Meleagersche Idylle
ist eine Landschaftsdichtung, in der die Landschaft Selbst-
zweck und der Mensch — der Hirte, Winzer — nur Figurant
ist, wie es uns bei Theokrit und in so manchen Epigrammen
entgegentrat und wie es nicht minder in dem stimmungs-
vollen, reizenden Frühlingsliede der Fall ist, das sich unter
den Anakreonteen no. '44 findet:
Wie bei Lenzeswehn, o schau nur,
Die Chariten Rosen ausstreuen,
Und so schau nur, wie die Meerflut
In verklärter Stille daliegt!
Wie die Ente taucht, o schau nur,
Wie der Kranich durch die Luft zieht!
Es erglänzet Titan heiter,
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_ 106
Und es fliegen Wolkenschatteo^
Und der Menschen Werke glänzen.
Die Oliv* entstrebt der Hülle,
Und den Bakchossaft umschmücket
In Belaubung, in Gezweigen überall die milde Wärme.
l'de 7T(Sg iagog (favivrog | xdqi^zBg ßqvovtsv ^oda' \ l'd^
Ttcog xvfia x^aXd(SCfiq \ dnaXvperai yak^Vfj' j Vde n(og
v^a(Ta xoXvfjbßa* \ fde ncSg yfqavog odivei. x. t. L
Je tiefer wir in das sinkende Altertum hinabgeführt
werden, desto schärfer und greller klingt durch alles
Empfinden der Misston einer trost- und glaubenslosen Welt-
anschauung, einer dumpfen Furcht vor der unheimlichen,
blind waltenden Macht der mit den Schicksalen des Men-
schen spielenden, vernunftlosen Tyche, dieser launischen
Schicksalsgöttin ^^^). Eine dem modernen Weltschmerz und
Pessimismus verwandte Stimmung bemächtigt sich auch
edlerer Gemüter, und die Klagen über die Nichtigkeit und
Erbärmlichkeit des menschlichen Daseins kehren in den
Epigrammen der Kaiserzeit immer wieder, » Sprich , o
thörichtes Herz«, so ruft Krinagoras no. 33 II p. 136,
»wie lange noch wirst du von eitler Hoffnung trunken empor-
schweben zum kalten Gewölk Der Musen Greschenk
erstrebe dir! Jener verworr'nen Bilder von Glück und Genuss
mögen sich Thoren erfreu'n«. Ein ähnliches Bekenntnis
legt. Lukianos III, p. 28 no. 36 ab: »Reichtum des Geistes
ist allein der wahre Reichtum!« und A. Pal. X, 31 lautet
in freier Übersetzung:
Dauernd kann auf Erden nichts bestehen;
Auch dein Leid verweht wie Windes Hauch
Aber will dein Leiden nicht vergehen,
Tröste dich! Bald gehst du auch Brandes.
^vfjfcd vä T(Sv dyfjTcSv xal Ttd^xa naqiqxsTav ^fiäg.
^v öi fi^f aXk' fjfiätg avrd naQSQxo/jtCx^a.
Auch in das Naturempfinden mischt sich diese melan-
cholische Trauer und erzeugt eine sentimentale Gräber-
und Ruinenpoesie ^®^).
Es ist eine in den Volksliedern vieler Nationen häufig
wiederkehrende Vorstellung, dass aus den Gräbern Ver-
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107
storbener Blumen emporspriessen und die Seelen in diese
übergehen und fortleben ^^^). Auf verwandte Ideeen
werden die zahlreichen Verwandlungssagen zurückzuführen
sein, welche die hellenistische Zeit besonders von liebenden
und leidenden Mädchen, die in einen Baum, eine Blume,
einen Bach, einen Stein u. s. f, verwandelt wurden, zu er-
zählen weiss. So soll auch aus dem Blute des Aias oder
des vom Apollo getöteten Hyakinthos eine Blume (ygantd
vdxivS^og Theokr. X, 28) entsprossen sein, und in dem
'inita(pioq Iddcovidog finden wir v. 64 von späterer Hand»
eingefügt, dass die Thränen der Paphierin zu Anemonen
und das Blut des Adonis zu Rosen:
alfia ^68ov tCxtsi, rd di SdxQva rdv dpefioovav.
~' Die Gräber mit Blumen und Epheu zu schmücken,
hielten auch die Alten für Pflicht der Pietät gegen die
Toten. Davon zeugen manche zart empfundene Epigramme,
so das des Simmias auf das Grab des Sophokles I, p. 100 no. 2 :
Leis' umklimme den Hügel des Sophokles, wuchern-
der Epheu,
Leis' und über den Stein webe das grüne Gelock,
Rings auch blättre die Rose sich auf, und der schwel-
lende Weinstock
Träufle des feuchten Geranks üppige Thräne herab.
Weil er in goldenem Wort durch der Grazien Huld
und der Musen
Hohe Belehrung so süss uns in die Seele geflösst.
Geibel.
flQili* VTviQ rvjjbßoio 2o^oxXtovg, riQ^iAct, xi>a<sij
iQTtvioigj yXosQovg ix7tqo%i(AV nXoxd^ovg,
xal nsTaXov ndvrri d-dXXoi, ^06 ov rj ts ^i^ko^^co^
SfiTtsXog, vygd niqi^ xUjfjbaTa x^vafi^Vfj^
vergl. I p. 252 no. 30, p. 254 no. 38: ßdXXex)^* vnkq TVfißov
noXid xqCva x, r. X. ; IV, p. 269, adesp« no. 269: ccvx^ea
noXXd yivoiTo v^odfjrjTO) inl rvfjtßw, \ ^ri ßdrog ccvxMQ''l^
fjtij xaxov alyCnvQov — vergl. II, p. 61 no. 2 — dXiC fa
xal (jfdfiifJvxcc xdl vöarCvri rdgxicaoc, \ OvCßis xat neqC aov
ndvva yit^oiro ^68a.
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_ 108
Eine ähnliche Inschrift aus der Zeit Domitians fand
man bei Rom in einem sehr interessanten Grabe der Vigna
Sassi, das mit einer Wanddekoration geschmückt ist, die
eine vollständige Parklandschaft darstellt:
Dornstrauch nicht, noch Stachelgewächse, umwuchern
das Grab mir,
Kein Nachtvogel umkreischt flatternd die Stätte der
Ruh'.
Nein! die lieblichsten Bäume und Büsche umspriessen
t den Schrein mir:
Herrlicher Früchte Gezweig schmückt ihn im Kreise
herum.
Aber die Nachtigall flattert darin: hell tönet ihr Wimmern,
Und der Cikade entströmt süss von den Lippen das
Lied.
Klug auch zwitschert die Schwalbe dazwischen; uiid
hell und melodisch
Strömet der Grille Gesang süss aus der schwellenden
Brust.
Patron heiss' ich u. s. w. Wo ermann.
ov ßdroij ov rqCßoXoi top ifiov Tce(pov d(jby)lg fxovfUVj
ovd' oXoXvY(xCa rvxTsqig dfjbniTavai*
dXXd (jb€ ndv d^vÖQog xagCsv nsql ^(dncov dviQTtei
xvxXoxhev evxdqnoK; xXaxtlv dyaXXofiepov '
TtcoTccTai 8i niqi^ XiyvQfj fjuvvqCavQ di^dcov,
xat T^TTi^ yXvx€Qotc %tCXf:($t ketga xlmv'
xal (So^d rqavXC^ovda xehndovlq ^t€ liyvnvovg
dxQig dno (Tr^O^ovg ^dv x^ovaa fji^Xog x.t.X.
Wie zart und innig giebt sich gerade hier, an der
Stätte des Todes — unter gemaltem Himmel, unter ge-
malten Bäumen! — der träumerische Sinn für das Stille,
Einsame, Friedliche in der Natur kundl
1 Zugleich ist das Wandgemälde dieses Grabes ein
interessanter Beleg für die Landschaftsmalerei, die analog
der Entwicklung des Naturgefühls in der Poesie sich aus
mehr oder weniger stimmungsvollen Hintergründen zu
selbstständigen Landschaftsbildern entwickelte, wie die be-
rühmten Odysseelandschaften des Esquilin mit ihrem idylli-
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A09
sehen uiid romantischen. Charakter, die grosse Garten- und
Waldlandschaft in der Villa ad Gallinas mit ihrer natura-
listischen Treue und besonders viele Bilder aus Pompeji
und Herkulanum bekunden, die ganz deutlich das Bestreben
zeigen, »den Verschluss der Wände illusorisch zu machen,
die Natur durch Vermittelung der Kunst hereinzuholen in
die engen Behausungen der Städte und den Einwohner
glauben zu machen, er befände sich nicht in einem von
Mauern umschlossenen Räume, sondern auf dem Lande «
(Woermann d. L. in d. K. d» a. V. S. 354).
• , In späteren Grabepigrammen der Anthologie wird mit
wachsender Sentimentalität und in breiterer Ausführung
der Kontrast des einst so üppig blühenden Lebens mit
dßtn Häuflein Erde, das nun alle die frühere Herrlichkeit
deckt, und mit da* Enge der Gruft geschildert, wie IV, p.
273 no, 718:
Es zerrann dein Leben, Nachtigall süssen Gesanges,
Und dein freundliches Auge schloss sich, o Holde,
dem Licht,
Und dem Gespräch dein goldener Mund. Nichts bleibet
zurück mehr,
Weder der Schönheit Schmuck, noch der gebildete Sinn.
Weicht, herzfressende Sorgen, entweicht! Wohlthätiger
Hoffnung
Wurden die Menschen beraubt; ohne Bestand ist das
Glück ;
oder von der Lais singt Agathias no. 80 IV, p. 23 : »Jetzt
hast du die Anmut niedergelegt in die Gruft, wohnend in
Lethes Gefilde und Antipatros v. Sidon II 29 no. 83:
§ie, die vom Eros geliebt und umstrahlt von Gold und
in Purpur
Prangte vordem, . . . Lais decket das Grab . . .
Krokos süssen Geruchs atmet vom Grabe noch jetzt.
Und aus der Asche noch jetzt, von der duftenden
Salbe befeuchtet,
Und von dem glänzenden Haar wehet ambrosischer
Hauch.
^g xat tm evciöst tvfj^ßog oömde x^oxct) . . .
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110
Mit Wehmut betrauern die Dichter auch die gesun-
kene Grösse und verfallene Herrlichkeit einst hochbe-
rühmter Städte, die in Trümmern liegend nur noch den
Hirten und Herden Ruheplätze bieten; so Alpheios der
Mytilenäer II p* 117 no. 8:
Wenige Sitze des Heldengeschlechts nur findet das
Aug' noch;
Aber dem Erdreich gleich liegen die andren im Staub.
Also erschienst du mir jüngst auf der Wanderung,
armes Mykenae,
Öde wie Felsen am Meer oder wie Weiden des Viehs.«
Hirten nur zeigen dich noch. »Hier hat sonst«, sagt
der greise ^
Führer, cyklopischer Kunst goldene Veste gestrahlt,
ebenso no. 9 — malles verlöschte die *Zeit« !, II p. 223:'
»ein ödes Gefild für blökende Herden«, p. 224 no. i :
Ich goldreiches Mykenae . . .
Weidplatz bin ich anitzt, durchwandelt von Schafen
und Rindern,
Und von dem alten Besitz blieb mir der Name allein.
Solche Klagen auf Troja finden sich IV, 25 no. 63,
I p. 99 no. 14, auf Korinth II, i no. 2, auf das einst nimmer
besiegte Lakedaimon, »wo wehklagend jetzt an dem 3od^
die Vöglein Nester erbauen und Herdengeblök hören die
Wölfe«- IV p. 214 no. 452; auf Inseln, besonders Delos
II p. 105 no. 37 mit hochpoetischem Eingang:
Trümmer der Länder, ihr Inseln umher, unselig und öde.
Die des ägäischen Meeres rauschender Gürtel umschlingt,
Siphnos starrenden Fels, Pholegandros dürrem Gefilde
Gleichet ihr. Arme; der Glanz voriger Jahre edosch.
Delos ward euch Muster der Einsamkeit. Strahlend
in Reichtum
Vormals, fiel ihr zuerst dieses verödete Los. Jacobs.
vijt^ot' iQTjfjiaiat, tqvfpea x&ovoc^ äg xeXadetvog
^(xxtTijQ AlyaCov xvfjiarog Ivzog i'xsi ♦ ., vergl. no. 35.
Im Gegensatz zu diesen in Staub gesunkenen, alt-
ehrwürdigen Stätten, die nur noch traurige Denkmäler ver-
gänglichen Ruhmes und hinfälliger Pracht sind, wird das
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111
gewaltige Rom gepriesen, vor dessen Scepter sich beugt
das Land und das Meer; »nur zu dem Himmel hinauf
bleibet noch übrig der Weg«, wie Alpheios no. 7 II p. 116
es hochtrabend ausdrückt :
ijdij yccQ xal novrog {mi^tv^tai ÖoqI ^PdiMjq
xat xd^töv' ovQavCri d'olfjbog IV Itfr' aßaxoq.
So auch Krinagoras mit grandiosen Bildern II p.
135 no. 29:
Gösse das Meer auch die unendliche Fülle der Flut aus,
Tränke Gernianieris Schar alle Gewässer des Rheins,
Nie doch bebten, so lang die gewaltige Rechte des
•'' ' Kaisers,
^ -m Ohne zu wanken, die Welt lenket, die Vesten von Rom.
• Also stehen die Eichen des Zeus auf den mächtigsten
Wurzeln,
Nur das vertrocknete Laub stören die Winde herab.
Jacobs.
■ oid* riv ^S}x6avog nciaav nkf] (ifivQav iyeCqri . .
ovroog xal tsQal Zfjvog ÖQVsg ffineda ^(^aig
(&raaip, <pvlXwv d'ava xiov& avefiot.
Vergl. IV, 65 no. 62; andere Orte werden ebenfalls
gefeiert wie Rhodos IV, 166 no. 238, Ephesos II p. 20 no.
'5^^, II p. 59 etc. —
Unter den Weltschmerzlern der späteren Jahrhunderte
nimmt Palladas, ein älterer Zeitgenosse des Achilles Tatios
V. Alexandria, den ersten Platz ein III p. 135, 102:
Weinend trat ich ein ins Leben; scheiden
Werd' ich wieder weinend. Nichts als Leiden,
Nichts als Thränen fand ich in der Welt,
oder no. 103:
Weijn ich nackt vordem zur Welt gekommen,
Nackt ins Grab einst wieder heimwärts kehre,
Kann mirs bei so nacktem Ende frommen,
Dass ich drum in Mühen mich verzehre?
Brandes.
Solche Epigramme verraten die Grundstimmung des Dich-
ters, welcher auch das düstere Lied von des Menschen Leben, .
als einer stürmischen Meerfahrt, entsprungen ist, no. 104;
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112
Reise des Lebens! Wie voll von G^ahr! Voo den
Stürmen ergriffen
Scheitern wir kläglicher oft, als auf dem Meer der
Pilot
Tyche sitzet am Steuer und lenkt das zerbrechliche
Fahrzeug;
Wie durch Wellen des Meeres geht die bedenkliche
Fahrt.
Diesen begünstigt der Wind, dem stürmt er, aber zu-
letzt nimmt
Unter der Erde der Nacht Hafen die Schiffenden auf.
Jacobs.
Ttlovg (f^alsQog ro ^^v* x€i(i>atoiitvoi ydg iv avrtp
noklcix& vctvfi^äv maCoiuv otxTorsQa x. t, X*
Vergl. p. 136L no. 108. Das gleiche Bild wird in
tändelnder Manier verwandt IV p. 124 no. 31 mit dem
Gedanken: »Dem Frühlingswetter gleicht meine Liebe,
bald Regen, bald Sonnenschein; wie ein Schiffbrüchiger
im Wogenschwall treibe ich umher, blinde Wellen durch-
messend ; wohlan setze ein Ziel der Freundschaft oder des
Hasses, auf dass ich weiss, auf welcher Welle wir schwimmen c
— Die meisten Dichter dieser späten Zeit heben sich über
die Leere des Daseins mit dem leichtfertigen Grundsatz
hinweg:
Genuss heisst leben 1
Jetzt erfreut mich noch der Saft der Reben,
Heute rufen muntre Reigentänze,
Heute locken frische Blumenkränze,
Heute strahlt noch hell das Lebenslicht,
Doch was niorgen kommt — ich weiss es nicht.
So Rufinos III p. loi, IG; vergl. no. 16. Die Blumen
dienen oft als Sinnbild der blühenden und ebenso sicher
verwelkenden Schönheit, so no. 1 5 : »Wie dies Blumengeflecht
blühst du und welkest dahin«; so auch IV p. 126 no. 39:
Wenn jetzt die Rose noch in Blüten steht.
So denke doch, wie bald ihr Duft verweht!
Dann bleibt von all der Schönheit keine Spur,
Du findest statt der Rose Dornen nur. Brandes.
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113
^fjffijiv €VQi^(fi^ ov ^odoVy äXkd ßdrov.
Vergl. Rufinos III p. 107 no» 38, vom verschrumpfen-
den Apfel Plato fr. 4. —
Ein erotisches Bild von der Rose begegnet uns wieder
in einem recht modern sentimentalen Verwandlungswunsch
IV, 129 no. 58:
Möcht* ich ein Westwind sein und du gingst in den
Strahlen der Sonne,
Und mit entschleierter Brust nähmst du den Hauchenden
auf!
Möcht' ich die Rose doch sein und du pflücktest mich
dann mit der Hand ab,
Und an der blendenden Brust liesst du die purpurne
ruhn! Jacobs.
^x)-' apffioq yavoCfif^v^ av 8i ys (STsC^oviSa naq* avydq
qvrid^ta yvfjrco(^atg xaC fis nvtovTa Xctfioiq.
ild^e ^odov ytvo^fjfjp vnonoqtpvqov , o(pQa (as x^Q^^^
(XQafji^Vfj /«^^öTy üTfi&eai /^oi^^o^c.
Doch auch , der Sinn für das Idyllische im Walde, am
Bach, für die Reize des Landlebens findet oft in Epi-
grammen der Kaiserzeit einen anmutigen Ausdruck. So
verquickt das Erotische mit dem Idyllischen Thallos II
p. 150 no. 4:
Sieh', die Platane deckt mit dichtem Laube
Ein Liebespaar, von seFgem Rausch beglückt!
Und um den grünen Baum schlingt sieh die Traube,
Die, süssen Mostes voll, die Zweige schmückt.
O möge dich mit seiner Blätter Fülle,
Mit seinen Trauben schmücken stets der Wein,
Platanenbaum! Du selber aber hülle
Mit deinem Laub der Liebe Kosen ein.
Brandes,
Antiphilos II, 157 no. 12 begrüsst den schattigen Wald:
Ihr luft'gen Äste, schattige Eichengipfel,
Ihr grünen ziegeldichten Blätterwipfel,
Darunter oft der Wandrer ruht; ihr Kronen,
Biese, die Entwicklung des Naturgefiihls. 8
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114
D'rin wilde Tauben gern und Grillen wohnen,
O nehmt auch mich, den Müden, der die Glut
Der Sonne flieht, in eures Schattens Hwt.
Brandes.
xl(ov€g, äntjOQioi xava^q dqvoc, evtxxtov vipog
dvÖQciüiv äxQfjTov xaiffia ffvkoa(Sofi(voK x. t. A.
Sentimental deutet er in no. 12 das Versiegen einer
Quelle als Folge der Trauer um den Tod Agrikola's: »Hin-
schwanden wir«, antworten die Wellen auf die Frage des
Dichters, »Thränen vergiessend;
Alles das Wasser in uns schlürfte der durstende Staub«.
Satyr ios preist mit unverhohlener Freude die Lieblichkeit
eines lauschigen Plätzchens II p. 252 no. 3: . \
O wie lieblich ist der Lorbeerhain,
Wo der Bach der Stämme Fuss umspület,
Wo dich dunkle Schatten hüllen ein,
Und der Westwind hold die Wangen kühlet,
Schutz dem Wanderer bietend, wenn er ruht/
Vor Ermattung, Durst und Sonnenglut. Brandes;
Tj xakop al ddipvatj xakov 6*vn6 nv^ftfitn vSooq
Tnövsi, nvxivov S ä?Mog vJtoüxian,
d-rike&dovy ^s^VQOLai^v iTt^dqofiop, SXxoq odfvaig
dCipfjg xal xafjbdrov xai (pXoyog ^eXCov,
Die Frühlingswonne findet ihren zarten Ausdruck in
no. 5 : »schon nisten die Schwalben, schon schwellt über
das Meer hinwehend die Segel der Zephyr, schon schmücken
mit Blumen sich die Wiesen, und das rauhe Meer ist
schweigend eingeschlafen«, xai zqrixvg (flya fi^fivx€ nogog.
Man beachte die signifikante, individuelle Beseelung, die
in dem fi.^^vx€ liegt, »es hat die Augen geschlossen, ist ein-
genickt« ! In no. 6 lächelt das stille Meer, ungerührt von
rauschenden Winden yaXfjvaCrj äi d^dXaOda (leididst xqvsomv
äzQOfAog *J dp^fjboov^^^). Direkt an die Hirtenpoesie der
Bukoliker streift der Wunsch des Kyros III, 159, i: »hätte
mein Vater mich Ziegen zu weiden gelehrt, damit ich unter
der Ulme oder am Felsen ruhend mit Syringblasen meinen
Kummer vertriebe, lasst uns fliehen, o Musen die Stadt!«
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wg «w V7t6 TWsXifj^' xa^'^fisvoQy ij vno Ti^Qfjg
(Sv^CisSfjdV xakdfjboimv ifiäg tiQntaxov dv(ac»
üisQCdeg fsvf^eöfjUfV ivxrtfAivfjv noXiv !
Auch Julianos Ägyptios hebt lll p. 204, 43 die
reine Freude hervor, die das Landleben im Gegensatze zur
Stadt bietet, df^oq Tiqiptv äyei*
Ein Schwelgen im Naturgehuss verrät die Detailschil-
iderung all der lieblichen Schönheiten des Haines des Eros
bbi Amasea am Iris in dem Idyll des Marianos, der schon
ins Mittelalter hinüberweist III p. 2i2no. 2 undß (13 Distichen!);
. da werden die stattlichen Bäume gepriesen, in deren zittern-
i'dem Laubwerk der Westwind spielt, die tauige, blumen-
strahlende Wiese mit kühlenden Strömen, Gärten mit
reichlichen Trauben und goldenen Oliven, in denen Nach-
tigallen singen und wetteifernd harmonisch das Lied feuriger
Grillen zugleich ertönt; der Wanderer wird eingeladen, zu
rasten am grünlichen Wasser unter dem Dach der Platane,
wo feuchtduftende Veilchen und Rosen ihm entgegenlächeln,
wo das Haar reichlockigen Epheus die Wiesen kränzet und
still der zögernde Fluss durch buschiges Ufer gleitet —
»Eros« Namen trägt der schöne Ort!
Wo sich Reiz und Anmut hold verbinden,
Passt so schön' kein andres Wort.
Auch Agathias IV p. 23 no. 57 findet noch neue
Wendungen zur Schilderung der Meeresstille:
Ruhig erglänzet das purpurne Meer, und der Atem des
Sturmwinds
Treibet die Wellen nicht mehr schäumend im dunklen
Gewühl.
Nicht mehr stürzet die Flut, an den starrenden Klippen
gebrochen,
Jetzt zu den Wolken empört, jetzt zu der Tiefe gesenkt.
Zephyros nur durchhauchet die Flur, und die zwitschernde
Schwalbe
Baut sich aus Stoppeln und fügt emsig das feste Ge-
mach u. s. w.
Wir sehen, die Fäden, welche die Dichter in den
einzelnen Jahrhunderten allmählich angesponnen, werden zu
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immer dichter verschlungenen Geweben verflochten, welche
die kundige Hand des Dichters verraten, der mit Bewusstsein
im Genüsse des Naturschönen schwelgt und mit herzlicher
Hingabe die Natur um ihrer selbst willen aufsucht und
schildert. Zum Schluss unseres Abschnittes über die Lyrik
mögen nur noch die Worte des Arabios IV p. 80, no. 7
ihre 'Stelle finden, die so ganz unverhüllt eine tiefe Liebe
zur Natur widerspiegeln:
Wasser und Gärten und Hain und die fröhliche Gabe
des Bakchos
Und das benachbarte Meer bietet mir Fülle der Lu3t.
Freudige Gaben gelangen zu mir von dem Land und
der Salzflut^
Welche der Landmann jetzt, jetzo der Fischer mir briiigjt«
Weilest du, Wandrer, bei mir, so erfreuen dich Chöre
der Vögel,
Oder es tönt vom Meer fröhlicher Schiffer Gesang,
Jacobs.
väaai xat x^tiokTi xai äkceCi xai Jiovv<S<f
xat novTov Ttk^^co yshovag tvfpQoavvfi-
TiQTivd d'^fiol ya^g ts xat i^ dXog ükXoO'BV aXXog
xccl YQi7i€vg oQiyti dcoga xal dyQovoiaog*
Tovg ö'lv ifjbot fi^fjfVovrag rj oqv^S-cov ng dt(dmv
fj ylvxv 7toQx^(i^oi)P q>d^iyficc TiaQtjyo^et.
Hat uns das Epigramm bereits ins Mittelalter hinüber-
geführt, so dürfen wir doch das Epos und den Roman
der spätgriechischen Zeit nicht völlig übergehen. Der Haupt-
repräsentant des ersteren ist der wundersam phantastische
Ägypter N o n n o s aus Panopolis. Aber es würde ein wenig
einladender und wenig lohnender Weg sein, der durch die
48 Bücher der barock - bombastischen Dionysiaka zu einer
Detailkenntnis seiner grotesken Bilder, Beseelungen und
Naturschilderungen führen würde; es mag daher genügen,
in Kürze einige Punkte herauszuheben. Ein buntscheckiger
Wust von mythologischen und rhetorischen Floskeln und
eine grelle Farbenkleckserei, mit der Nonnos alte Koulissen-
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9lü<3ke frisch überttialt, verdirbt allüberall jede ästhetische
Wirkung. Aber durch die »fratzenhafte Schemen« dar-
stellende Übermalung scheinen oft genug Motive hellenis-
tischer Dichtung hindurch, welche nicht uninteressante Rück-
schlüsse auf seine, allerdings durch den wildesten Pathos
noch überbotenen Vorbilder gestatten.
Akontios fragte die Bäume, ob auch sie die zehrende
Glut der Liebe kennten, Nonnos schildert häufig — wie auch
die Sophisten in den Prunkreden bei Hochzeitsfeiern —
die Liebe der Pflanzen zu einander. So erregt III, 142
der Palmbaum, seine männlichen Blätter schüttelnd, Sehn-
sucht der weiblichen Genossin, und der Birnbaum flüstert
in rauschenden Wipfeln mit der Gefährtin; Narzisse und
Ao^Mone XXXII, 92, XLII, 302, Krokos und Taxus
XXXII, S6 kosen mit einander, ja sogar eine Vermäh-
lung wird XVI, 270 vom Weinstock und der tcsvxtj berichtet,
vergl. XII, 133. Aus den märchenhaften Verwandlungs-
sagen, welche bei allen Völkern auf den Glauben von
einem Übergange naenschlicher Seelen in Pflanzen direkt
hinweisen, gingen also sentimentale poetische Beseelungen
der Pflanzen hervor, welche selbst dem Heine'schen Fichten-
.baum das Vorrecht des »absolut Modernen« streitig machen.
Bis ins Mässlose häuft Nonnos die Bilder, besonders
bei Schilderungen erotischer Situationen. So schildert
Aphrodite selbst in Gestalt der Peisinoe. um der Harmonia
Liebe zum Kadmos einzuflössen, den herrlichen Helden,
dem »die Natur Gaben des Frühlings verliehen« IV, 127,
mit der rosenfingrigen Hand, den rosigen Wangen, den
leuchtenden Flüssen, deren Zehen wie Schnee schimmern
und die in der Mitte wie Purpur glänzen, mit den lilien-
weissen Händen und den strahlenden Augen, die eine Selene
beschämen u. s. f. Mit raffinierter Gefühlsschwelgerei wird
im Weiteren das Glück, einem solchen Manne mit Leib
und Seele zu gehören, geschildert. Ähnlich wie oben heisst
es auch X, 189: »Die Glieder strahlen den Frühling wider«.
ik fjbsXicor d'oko)v eiaQ ifa^vetOj und mit demselben Farben-
kontrast wird die Schönheit der Nymphe Nikaia XV, 224
beschrieben, die selbst die Reize der duftigsten, blumen-
reichsten Wiese in Schatten stellt: ikevviaCvovTo öi fitiQol
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xat cf^VQa KfoivCaaovTo xal wc xqCvov, öSc avffjMorrj
Xiov^a)V iiekimv ^odoftg ccvtffa{vsto XsifMor^
Vergl. XVI, 75, XXXIV, io6 ff.
Lüstern wünscht der verliebte Hirte v. 257,. ein Ge-
schoss, ein Netz, ein Köcher zu sein, um von ihren blossen
Händen ergriffen und an den schneeigen Busen gedrückt
zu werden (val dafidXfj val fioax^ aaotpQovog fxto^i fjt^vQtjcJ
und zu gehauen die hochhalsige Jungfrau, wie sie Mittags-
ruhe hält am sehnsuchterfüllten Queli (no&oßX'^Tüo naqd
TtfjyrjX ohne das neidische Gewand (d^x^ (px^ov€Qoio ;f*rcöi/oc^.
Andere Verwandlungswünsche lehnen sich an bekannte
Metamorphosen an wie II, 126 ff., XVI, $6, XXXIV, 245,
XL, 138, XLII, 121. Das in den Augen eines Nonnos
natürlich höchst wirksame Kunstmittel der Beseelungen im
Stile des Epitaphios auf Bion, lässt er sich selbstverständlich
nicht entgehen ; XV, 398 ff. verfällt er ganz in diesen Ton,
indem er die ganze Natur zur Klage auffordert:
ßovTTjg xakoc (SXoXe * . /«/'i^fT^ fjboi oxoniaC rs xal ovqeaj
XdCqere 7ti]yai . . xal afia dqveq . .
Immer wieder erzählt er von Eichen, Felsen, Wäldern,
Hügeln u. s. f., dass sie flüstern, brüllend erdröhnen,
rufen, klagen, stöhnen, lachen, jauchzen u. s. f., vergl. III,
68, V, 354, XV, 297, 374, XVI, 224, 270 — der Homerische
Uqog ydfjbog in verdünntem Aufguss! — 291, 363, XXII,
7, 12, XXIV, 154 u. s. f. — Breit und überladen sind auch
die Beschreibungen sei es nun von Tag und Nacht (z. B.
XVIII, 160 ff., II, 170 ff.) oder des Landschaftlichen, wie
des undurchdringlichen .Dickichts XXI, 323 u. s. f.
Eine liebliche Oase in der Wüste Nonnischer Schule
ist des Musaios Dichtung von der Liebe der Hero
und des Leander. Der Liebesleuchte gleich, die im
Turm der Geliebten dem Jüngling in dem Dunkel der
Nacht auf dem grausigen Meere entgegenstrahlte, glänzt
sternenhell dies kleine Gedicht, als ob es noch das
Licht althellenischer oder wenigstens hellenistischer Sonne
widerspiegele. Wie Nebel legt es sich dem Leser des
Nonnos auf die Brust ; beim Musaios atmen wir auf; durch
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seine kJ^ine Epopöe weht ein frischer Hauch des rauschen-
.den Meeres (129. 234. 242. 245. 270. 312), das den ver-
hängnisvollen Hintergrund des mit feinem Geschick ent-
worfenen Gemäldes bildet. In ihrer schlichten Form erinnert
diese Strandidylle an die besten Zeiten der griechischen
Poesie, die Schilderung der Liebesleidenschaft mit ihrer
Gefühlsmalerei weist auf hellenistische Muster. Doch auch
nicht ganz verleugnet Musaios den Lehrmeister Nonnos,
wie die Beschreibung der Schönheit der Hero zeigt:
Purpurn erglühte das äusserste Rand der schneeigen
Wangen,
. . Wie zweifarbig die Ros* aus dem Kelch' bricht. Wahr-
lich, du sagtest,
Rosengefild' entsprossten den blühenden Gliedern der
Jungfrau:
Licht umfloss die Gestalt, ein rosiges : wenfi sie daher-
Schimmerten Rosen auch dann um der Weissumschleier-
ten Fusstritt.
Chariten viel' entströmten den Gliedern ihr. Aber der
Alten
Sag' ist Lug, drei seien nur .Chariten. Knospen aus
einem
Lächelnden Auge des Mädchens allein ja der Chariten
hundert. Passow.
axga di xiovitöv fpoivC(i(iero xvxXa naqsiwv
cog ^oöov Ix xakvxwv dtdvfjtoxQoov' ^ tccxoc tpa^fjg
. • . eig d^ Tic ^Hqovg
ofS'akfAog yslocDV ixoctov x^f^^i^^ö'ö'* 'VB&riXei>.
Vergl. auch v. 56 und besonders die Schilderung der
Nacht V. HO und v. 232 mit Nonnos II, 164. Bukolisch
ist die Beseelung des Strandes, der noch immer den Tod
und die Liebe des Leandros beweint v. 26:
. . • äXiijxia TTOQx^fjbor ^Aßvöov
eia^zi 7t ov xXaCovta fioQov xal eqaaTa AedvSqov.
'^Mit wirkungsvollem Kontrast wird die Brautnacht
geschildert :
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Nicht Tanz und Gesang und Fackelschein weihten die
Hochzeit —
Schweigen bereitet das Lager, Finsternis schmückte dir
Jungfrau,
Nacht war dem Hebenden Paar Brautführerin; aber
das Tagslicht
Sah als Vermahlten nie auf befreundetem Pfühl den
Leander.
diyi] Ttaatop €7tfj^€P, ivvfJb^oxofjbfjae dofi^x^fj
rv^ fi^v ffjv xcipoKTi yafjbO(rv6kog ovdinor* ^wc
vviiifCov eldt A^avÖQov ägiyvcoToig Ivl XixTQoiq.
In einer stürmischen Nacht erlischt die Lampe, »der
brautführende Stern der Liebe« (v. lO. 212. 305):
Nacht war's, wann sich zumeist dumpfbrausende Wetter-
orkane,
Schauriges Wintergestür m herschleudernde Wetter orkanc,
Zu dem Gestade des Meeres in tummelnden Scharet)
heranziehn.
Woge auf Woge türmt sich, wild kämpfen die Stürme
gegen einander,
Äther vermengt mit dem Grund sich (314), rings um-
peitscht
Von der schwellenden Flut unbezwinglichem Andrang
treibt Leander
Daher — da erlöschte die trügende Lampe ein feind-
licher Windstoss,
Löschete Leben und Liebe dem jammervollen
Leandros (329).
»Auf dem' heulenden Strand, der noch immer beklagt
die Lieb' und den Tod des Leandros«, vereint der Tod
die Liebenden. —
Der Roman, dies armselige Produkt einer greisenhaften
Zeit, weist in seinen Stofifen allerdings auf erotische senti-
mentale Erzählungen des Hellenismus und auf eine ethno-
graphische Fabulistik einer eigenartigen Reisedichtung
zurück, zeigt sich aber sonst durchaus als ein echtes Kind
der phantastischen Rhetorik und Sophistik, wie sie sich
unter den Antoninen entwickelte, und verrät in seiner Über-
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121
schwengltchkeit und Sentimentalität, »in der unbeschränkten
Willkür individueller Phantasie auf das Deutlichste die Selbst-
vernichtung • des eigensten Wesens der Antike« ^^^). Der
mächtige Baum, an den die Sophistik zur Zeit eines Euripides
zuerst die Axt der Negation, des Individualitätsprinzips
gelegt hatte, sinkt nun altersgrau und morsch unter den
Streichen der Sophistik der Kaiserzeit zusammen. Die
stilistischen Übungen der Rhetorenschulen in der Beschrei-
bung der Natur, im Preise der Jahreszeiten der Nachtigall,
der Rose u. s. f. bekunden xden sehnsüchtigen Zug zur Ruhe
der Natur, wie er einer immer müder werdenden Zeit natürlich
war« ^^2) D^r Rhetor Libanios, von dem wir z.B. eine
iX(fQa(Xig iaQoc, eine Beschreibung des Frühlings IV p. 105 1 — 53
be^tzen, schliesst die Schilderung eines herrlichen Gartens
IV, 1077 mit den bezeichnenden Worten: »und dieses alles
war lieblich zu sehen, aber Zuhörern es zu schildern noch
iieblicher«; und Älian spricht stolz bei der Beschreibung
des thessalischen Tempe-Thales var. hist. III, i der ge-
wandt schildernden Rede eine gleiche Kraft zu, wie ge-
schickten Künstlerhänden, hebt aber als wesentlichsten
Reiz dieser grossartigen thessalischen Landschaft hervor,
dass »dieser Ort ein Werk der freischaffenden Natur, nicht
der menschlichen Hand sei« :
öiccT^ißcic d* f)[€i noiaCXac; xat navrodanäq 6 rortog ovtoc,
ovx dv&QOJTi^vfjQ x^^Q^^ iqya dXXd (pvdewq avroiiata, ig
xdllog t6t€ q>tloTifjbfi<Tafi^Vfic ot€ ikdfjißavi yivedtv o xcoQog.
Auch Popularphilosophen, wie der Stoiker Musonios zur
Zeit des Nero und Vespasian, empfanden bei der über-
lebten Civilisation ihrer Zeit Sehnsucht nach der gesunden
Natur, predigten mit Eifer, man müsse in allem zum Natur-
zustande zurückkehren, und priesen als xaXop die Thätigkeit
des Landmannes und Hirten mit ihrer Beschaulichkeit und
Müsse (Stob., floril. 11,336 Mein.): diisCßerm yctg ^ yfj xdl-
hisxa xat dixaiotara rovg inLfjbsXovfjifvovg avT^g - - ovrcog Sqcc
xaXov xal evdaifiovixor xat x^eocfiXig ro ^ijv drco ysojQy^ccg iarC
X. r. X. Doch das Gefühlvollste und Reizendste bietet die
idyllische, novellistische Erzählung des Dio Chrysostomos
»der Jäger« or. VII, die Jahn^^^) mit Recht »eine antike
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122
Dorfgeschichte« genannt hat und die uns als Vorläuferin
des Hirtenromans des Longos gelten mag. Mit einem«
warmen Gefühl für das Glück der bedürfnislosen, arbeits-
frohen, ehrlichen Landleute im Gegensatze zu dem un-
wahren, raffinierten Treiben in der Stadt schildert er das
Hinterwäldlerleben auf der Insel Euboea, wohin ihn ein
Sturm verschlagen hatte. An einer Schlucht, die ein kleiner,
nicht reissender Fluss durchzieht, erheben sich sanft an-
steigend waldige Höheo; unter hohen, einzeln stehenden
Bäumen breiten sich viele prächtige, den ganzen Sommer
Kräuter in Fülle tragende Wiesen aus. Dort wohnt, der
Jäger, der dem Gestrandeten freundlich Obdach gewährt.
In schmucklosester Weise lässt Dip ihn plaudern von den
Eindrücken, die er bei seinem ersten Aufenthalt in dec
Stadt empfing, wo er von einem frechen Redner des
widerrechtlichen Besitzes von Staatsländereien beschuldigt,
aber schliesslich mit Ehren entlassen wurde, da ein ed^l
denkender Mann und ein Bürger, dem er einst gastKch
seine Hütte geöffnet hatte, ihn warm verteidigten. Die
Naivität und biedere Treuherzigkeit des Jägers, dem der
Tumult im Theater fast eine Ohnmacht verursacht und d<r
ausgelacht wird, als er gerührt dem wiedererkannten Ga?t
um den Hals fällt und ihn küsst, kontrastiert mit der
tobenden Volksmasse und der schnöden Gesinnung des tur-
bulenten Sykophanten, Diö fühlt sich in der ländlichen, be-
scheidenen Behausung und in dem schUchten, naturwüchsigen
Kreise der Jägerleute wohler, als bei Königen und Kaisern.
»Ich musste die Menschen glücklich preisen, ja sie schienen
mir glücklicher zu leben, als wen ich sonst kannte«.
Die gleiche Grundidee durchzieht den Roman des
Longos, der allein von diesen dürftigen Machwerken einer
senilen Zeit für unsere Frage von Interesse ist.
Dieser Roman von Daphnis und Chloe ist gleichsam
ein potenziertes hellenistisches Idyll. Die Erotik d. h. die
gesucht naive, in Wahrheit aber auf raffinierter Affektation
und geradezu widerlicher Lüsternheit ^^^) beruhende Schil-
derung des Liebesglücks zweier unschuldiger Landkinder
verbindet sich mit dem idyllischen Sinne für das Stillleben
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123
auf der ländlichen Flur, für die engumgränzte , in ihrer
Beschränkung vollglückliche kleine Welt harmloser, mit
der Natur in seliger Harmonie lebender Menschen »deren
Erlebnisse fast nur wie eine letzte Steigerung des Lebens
einer sympathischen Natur behandelt werden, aus weicher
diese Menschen so notwendig bedingt emporwachsen, daBs
ohne diesen Untergrund der Natur sie so wenig Leben und
selbständigen Inhalt haben könnten, wie die Blüte ohne
Wurzel und ohne nährenden Boden«, ^^^) All ihr Tichten
und Trachten bewegt sich in der bäuerlichen Sphäre von
Hirten, deren Phantasie im vertrautesten Verkehr mit Feld
und Wald und den weidenden Tieren ihre einzige Nahrung
findet. Die schlichten Bilder entspringen sämtlich diesem
engen Anschauungskreise. Dorkon ist blond wie Sommersaat,
die gemäht werden soll I, i6, des Daphnis Locken sind
schöner wie Veilchen III, 20; sonst begegnen uns in den
Vergleichen Hasen I, 22, das Feldhuhn II, 4, Nachtigall,
Schwan, Schwalbe II, 5,. das Junge der Nachtigall II, 6,
Stare und Elstern II, 17, ein Vogeljunges III, 20 und
Eulen IV, 40. Besonders charakteristisch ist der durchaus
rhetorisch in Antithesen zugespitzte Monolog derChloe, in
deren Seele beim Anblick des badenden Daphnis sich zu-
erst ein Grefühl zu regen beginnt, dem sie umsonst Worte
zu geben sucht I, 14: »Krank bin ich gewiss, aber welche
Krankheit es ist, das weiss ich nicht: ich habe Schmerz
unrf doch keine Wunde: ich traure, und keines meiner
Schafe kam mir um: ich glühe und sitze in so tiefem
Schatten: so viel Dornen haben mich geritzt und ich
weinte nicht: wie viel Bienen haben mich gestochen, aber
ich ass doch. Das aber, was jetzt an meinem Herzen
nagt, ist bitterer als jenes alles. Schön ist Daphnis, aber
das sind ja die Blumen auch: schön tönt seine Syrinx,
aber das Lied der Nachtigallen auch: und doch kümmere
ich mich .um diese nicht. O, dass ich seine Syrinx würde,^*^)
damit er mich anhauchte, dass ich seine Ziege würde, da-
mit er mich weidete. O böses Wasser, allein den Daphnis
hast du schön gemacht, ich badete mich vergebens. Ich
sterbe, ihr lieben Nymphen . . , wer wird euch nach - mir
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kränzen? Wer die armen Lämmer aufziehen? Wer des
geschwätzigen Heimchens warten, das ich vielbemüht end-
lich erhaschte, damit es mich einschläferte tönend vor der
Grotte? Aber jetzt bin ich schlaflos durch Daphnis, und
es plaudert vergebens«.
Eine ähnliche Umwandlung der Gemütsstimmung voll-
zieht sich mit Daphnis, als er Chloe zum ersten Mal ge-
küsst hat I, 17 fin. »Wortarm war jetzt, der vorher
geschwätziger als die Heimchen, träge, der sonst beweg-
licher als die Ziegen gewesen war; auch versäumte er die
Herde, auch war die Syrinx weggeworfen; bleicher war
sein Angesicht als dürres Gras des Sommers«. »Was hat
mir Chloe's Kuss nur angethan?« ruft er aus, »zarter als
Rosen sind doch ihre Lippen, und ihr Mund ist süsser als
Honig, gleichwohl sticht ihr Kuss schärfer als der Biene
Stachel« . . In rührenden Antithesen fährt er fort zu
klagen: »Wie die Nachtigallen singen! Aber meine Syrinx
schweigt. Wie die Böcklein hüpfen! Und ich liege hier.
Wie die Blumen blühen I Und ich flechte sie nicht zu
Kränzen! Die Veilchen blühen wohl und die Hyazinthen
aber Daphnis welkt dahin!«
Als er die Schlafende »mit unersättlichen Blicken«
betrachtet, flüstert er I, 25: »Wie lieblich schlummern die
Augen, wie süss atmet der Mund! Süsser als Herbst-
früchte und Blütengebüsche ... O der geschwätzigen
Cikaden ! Ihr lautes Geschwirr wird sie nicht . schlafen
lassen«.
Als die Liebenden nach langer Trennung (III, 5 fi".)
während der Winterszeit sich doch endlich wiedersehen
und hinaustreten unter das Epheudach und Vögel fangen
und Küsse pflücken, denken sie sehnend der Zeit, da der
Schnee geschmolzen sein wird. Und im selben Bilde, das
Theokrit von Daphnis braucht, sagt der Liebende : »Aber,
Chloe, der Schnee liegt noch tief und ich fürchte, dass
ich selbst eher dahinschmelze«. »Sei frohen Mutes, Daphnis,
die Sonne ist warm«. »Ich wollte, Chloe, sie wäre so heiss
wie das Feuer, das mein Herz verzehrt« ^^^). Nicht minder
lebensfrisch und anschaulich ist die Scene IH, 33, die dem
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bekannten Gleichnisse der Sappho ihre Entstehung verdankt.
Ein besonders schöner Apfel ist auf einem kahlen Baume
hängen geblieben, Daphnig klettert hinauf und bringt ihn
Chloe mit den Worten: »O Jungfrau, diesen Apfel Hessen
freundliche Hören entstehen, und ihn hegte ein schöner
Stamm, während die Sonne ihn zeitigte und das Geschick
ihn bewahrte« Und so lange ich Augen hatte, wollte ich
ihn nicht im Stiche lassen, damit er nicht herabfiele und
ihn entweder weidendes Vieh zerträte oder böses Gewürm
hinzukriechend vergifte«. »Und er empfing einen Kuss,
der ihm lieber war als ein goldener Apfel«.
Bukolische Beseelungen bietet Longos mehrfach, aber
die Sympathie der Hirten mit der Herde ist noch inniger,
als bei Theokrit. Dorkon ist tot, und verwirrt rennt seine
Herde durcheinander und erhebt ein trauerndes Brüllen 1,31 ;
J2 lagern die Geisen und Schafe still, ohne zu weiden, wie
es schien vor Sehnsucht nach Daphnis und Chloe, und als
diese wiederkehren, tummeln sie sich mutwillig; IV, 8
schwärmen die Bienen mit fortwährendem Gesumme im
verwüsteten Garten, als klagten auch sie über die ruchlose
Roheit, Doch besonders »romantisch« und ganz an Heiners
» klingende Wälder « , » liebende Bäume und Blumen « ,
flachend den Berg hinabhüpfende Flüsse« erinnernd, ist
die Schilderung I, 23: »Der Frühling war zu Ende. Der
Sommer hatte begonnen und alles stand in reichster Blüte.
Die Bäume waren mit Früchten, die Ebenen mit Saaten
bedeckt. Lieblich war das Schwirren der Cikaden, erfreu-
lich das Blöken der Herden, süss auch der Duft des
Obstes. Schien es doch, als sängen die ruhig dahin-
ziehenden Bäche, als flöteten die Lüfte, die in den Fichten
rauschten, als senkten die Äpfel sich voll Liebe gegen die
Erde, als enthüllte die Sonne, der Schönheit hold, alle
Sterblichen. Daphnis, von alledem im Innersten durch-
glüht, tauchte sich in die Flüsse«:
^Qog flv ^öfj riXoQ xccl x^iqovg (xqxV ^of* ndvTa iv dx^'
d^vöqa iv xccQnotgy nsdCa iv Xnjioiq' ^dela fi€V revrfyMv
^X^* yXvx^ta di oTTooQog odfifj' r^gnv^ dt noifjßpüov
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126
ßkflXri* eXxafSsv äv tic xat tovc norafwvc adiiv ^gifia
^lovta<; xal rovg dvifiovg (SVQCvütiv ralc nCvv^v ffinv^-
ovtuq' xal rä fi^?.a igc^rta nCnv^iv xafMuC xai top ijXi&v
(f'ikoxakov opva nccvrag dnodvHV* O fjtfv ovv Jatpvtc
x^eknofievoc rot^oic anaaiv sie tovc noraijovc dv^ßaive
Wer möchte hier den Fortschritt zum Modernen hin ver-
kennen , wenn er diese Schilderung mit derjenigen der
Thalysien bei Theokrit vergleicht? Nicht bloss finden alle
Sinne ihre Befriedigung an dem herrlichen Sommertage,
nicht mehr flüstern bloss die Blätter der Pinien wie bei
Theokrit I, i, nein, viel individueller heisst es hier: es singen
die Flüsse und flöten die Lüfte in den rauschenden Wipfeln!
Und über der ganzen Schilderung liegt ein Hauch jener
Stimmung, die Heine in den Reisebildern (1, 51) also ausdrückt:
»Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erscheinungswelt
mit unserer Gemütswelt zusammenrinnt, und grüne Bäume,
Gedanken, Vogelgesang, Wehmut, Himmelsbläue, Erinnerung
und Kräuterduft sich in süssen Arabesken verschlingen«.
Und wie es ebendaselbst S. 49 heisst: »Wenn frohe Jugerfd
und schöne Natur zusammenkommen, so freuen sie sich
wechselseitig«, so »rinnt« auch bei Longos in der Schil-
derung des Frühlings I, 9 die Freude, welche in der blühen-
den, lachenden Natur herrscht, zusammen mit der Freude
des jugendfrohen Hirtenpaares: »Da die schöne Jahreszeit
alles erfreute, ahmten auch sie, die Jugendlichen, Reizenden
jegliches nach, was sie hörten und sahen. Hörten sie der
Vögel Gesänge, so sangen sie; sahen sie die Sprünge der
Lämmer, so hüpften sie froh auf; und auch den Bienen
es gleich thuend lasen sie Blumen, mit denen sie jetzt ihren
eigenen Busen zierten, jetzt auch, sie zu Kränzen flechtend,
die Nymphen schmückten.
Die Lokalbeschreibungen sind ähnlich wie in den
bukolischen Dichtungen: eine fruchtbare Landschaft, ntdia
nvQOffoQa, y^Xofpoi xX^fACCTcav, vofjtai noiiivCwv, umkränzt von
Wild hegenden Bergwäldern, ein xir^y^a xdXhmov; »und
das Meer rauscht an das Gestade, welches sich mit weichem
Sand dahinzieht« ; sonst vergl. I, 4 die Grotte der Chloe,
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127
20 .eine schöne , rings mit dichtem . Gestrüpp umrahmte
Quelle, III, 5 die Laube von Myrthen und Epheu, in der
die Wintervögel nisten; IV, 2 und 3 der Lustgarten ^^^)
— wie in jener Zeit ihn zu beschreiben also auch wohl
anzulegen epidemisch ward — , der alle Arten von Obst-
bäumen und anderen Bäumen, genau abgeteilte Beete von
Blumen, Rosengebüsche und Hyazinthen, Lilien, Veilchen,
Narzissen u. s. f. in üppigster Fülle umschloss; vor allem
wird aber die freie Aussicht ^^''^) von dem Garten auf die
Ebene und auf das weite Meer gerühmt; »man gewahrte
die Vorübersegelnden, so dass auch dies ein Teil der Reize,
.des Lustgartens wurde«.
ivxivd'sv tvomov fji>iv ^^v to ntdCov xal ^v oqav rovc
v^liiovrag' evoTtvog di ^ x^dXavTa xal ^oaqm'To ol
naqanXiovvsQ* «öT« xccl vavTa fjbigog iyCvtTo rric iv tm
, , TtuQaöeCaw rgvcf^g.
Also nicht bloss der liebliche, in sich abgeschlossene
Raum erfüllte des Griechen Herz in dieser Zeit mit Freude,
rwndern auch die Fernsicht auf die See mit den weissen
Segehi der dahinfahrenden Schiffe! —
Wir stehen am Ziele unserer Wanderung. Traten
uns auch in einem Musaios und in einem Dio Chrysostomos
.noch Männer entgegen von warmem ernsten Gefühl und
edler Einfachheit, so dass sie in ihrer öden Zeit hervor-
ragen wie einsame Bergkuppen, welche noch einmal die
scheidende Sonne antiken Wesens mit freundlichem Scheine
übergoss, so ist doch in den späten Erzeugnissen der
griechischen Literatur, im Epigramm und besonders im
Epos und Roman — ich möchte sagen — der haut goüt
einer in Zersetzung und Fäulnis übergegangenen Kultur
unverkennbar. In der Periode der Komnenen bricht für
hellenische Kunst die Nacht voll und ganz herein, in deren
düstrem »Grau in Grau« nicht mehr Gestalten in lebens-
vollen Umrissen sich herausheben, sondern blutlose Schemen
ihr unheimliches Wesen treiben. Wir wollen diese »Ge-
spenster« nicht heraufbeschwören.
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128
Blicken wir zurück auf den Entwicklufigsgang, den
das Naturgefühl bei den Griechen genommen hat, so fanden
wir im Homerischen Zeitalter eine durchaus naive,
mythologische Naturfreude, deren charakteristische Form
das Gleichnis war, und nur in leisen Ansätzen bahnten sich
die Vorbedingungen einer sympathetischen Naturauffassung
an, nämlich die Symbolisierung des Geistigen durch das
Natürliche, die Metapher und die Beseelung der Natur-
erscheinungen. In dem eigentlich klassischen Zeitalter der
Griechen gelangte dies sympathetische Naturgefühl zum
Durchbruch; die Naturschilderungen, in denen noch viel-
fach die Götter als Repräsentanten der Naturphänomene
figurieren, sind gemäss dem strengen Stilgefühl, das dem
Hellenen angeboren war, meist kurz gehalten, werden aber
bereits zu stimmungsvollen Hintergründen verwertet und
tragen den Schmelz echt lyrischen, in das Naturleben sich
mit Innigkeit versenkenden Empfindens. Als Vorstufe zu
einer unmittelbaren, persönlichen Hinneigung zu der Natur
entwickelte sich bei Euripides die Liebe zur Einsamkeit,
die den Menschen hinaustreibt aus dem hastigen Getümmel
der Stadt ans Meer, in den Wald. Der Bruch von Geist
und Natur vollzog sich allmählich und erzeugte jene »Sehn-
sucht nach einem Ideal«, nach einem verlorenen Paradiese,
die den Kernpunkt des sentimental idyllischen Naturgefühls
im Hellenismus bildet, welches die Landschaft um ihrer
selbst willen aufsucht und schildert. Nicht mehr schimmert
die Freude an der Natur nur durch die Schilderungen hin-
durch, wie in den früheren Epochen, sondern direkt bekennen
die Dichter, wie gar liebliche Reize die Natur bietet, -und
wie bewundernswert ihre erhabene, ewige Schönheit ist;
und gerade in dieser Hinsicht vertiefte sich das Natür-
gefühl in der späteren Zeit des Hellenentums im Gegen-
sätze zu der klassischen Periode, so dass die Äusserungen
desselben auch im Vergleich mit denen der modernen Zeit
nicht »kalt, oberflächlich, nüchtern« (Woermann, L. in d.
K. d. a. V. S. 415) genannt werden können. Denn auch eine
träumerische, andachtsvolle und melancholische Natur-
betrachtung sahen wir im Epigramm hervortreten, das überall
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129
ein innerlicheres, reflektierteres, sentimentaleres Gefühlsleben
bekundete, als je zuvor möglich war. - Dass dieser Ent-
wicklungsgang des Naturgefühls auch für eine Landschafts-
malerei von höchster Bedeutung war, liegt auf der Hand.
Mit Recht sagt Friederichs (die philostratischen Bilder
S. i86): »Die Natur muss entseelt werden von Göttern, um
durch die Empfindung des Künstlers neu beseelt zu werden ;
dies ist die Voraussetzung der Landschaftsmalerei« ; aber
^ er irrt, wenn er hinzufügt: »und diese Voraussetzung fehlte
dem Altertum«. Wir sahen, wie die Beseelungen im Laufe
der Jahrhunderte immer individueller, stimmungsvoller, male-
rischer wurden, und so hat sich auch eine Landschafts-
malerei entwickelt, die trotz der vielen technischen Mängel
und trotzdem sie eigentlich nur handwerksmässige Wand-
malerei blieb, die Keime unserer modernen Landschafts-
malerei in sich trägt, wie Woermann in seinem trefflichen
Buche dargethan hat.
Es leuchtet daher ein , dass zwischen antikem und
modernem Naturgefühl kein diametraler Gegensatz besteht,
sondern nur graduelle Unterschiede. Um beiden gerecht
zu wefden, müssten wir auch die Entstehungsgeschichte
des Naturgefühls bei den Römern und bei den modernen
Völkern überblicken, was wir späteren Untersuchungen vor-
behalten. Hier mögen wenige Bemerkungen genügen.
Unser modernes Naturgefühl ist erst sehr jungen Da-
tums. Wie die griechische Mythologie zunächst die freie
poetische Entfaltung des Naturgefühls hemmte, so juch bei
den modernen Völkern mutatis mutandis das Christentum, das
Abwendung von der Wirklichkeit, Weltflucht, Naturverach-
tung predigte; »alle Erdengegenwart ward zur Himmels-
zukunft verflüchtigt, und das Reich des Unendlichen blühte
über der Brandstätte der Endlichkeit auf« (Jean Paul).
Die deutsche Poesie des Mittelalters bietet wohl manche
anmutige Naturschilderungen, aber selbst im Minneliede
sind sie meist nur zierliche Arabesken und leiden an Mo-
notonie mit ihrer steten Frühlingsfreude und Wintcrklage;
im Volksliede durchdringen sich Gefühl und Naturfreude
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls. 9
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130 _
weit inniger. Erst Petrarca in Italien, Rousseau fn Frank-
reich, Göthe in Deutschland, Byron und Shelley in Eng-
land zeigen die höchsten Stufen modernen Naturgefühls.
Und zu dem Empfinden dieser grössten Geister aller Zeiten
verhält sich das antike wie die geschlossene Knospe zur
vollen, prangenden Frucht. Ansätze und Ahnungen, ja
recht deutliche Spuren modernen Empfindens traten in der
griechischen Poesie immer stärker hervor, obgleich sie nie
zu einem solchen Extrem deskriptiver Naturmalerei und
überschwenglichster Naturschwärmerei gelangte, in das mo-
derne Dichter nur zu oft verfielen. Das Stimmungsvolle,
Idyllisch-Träumerische ward immer intensiver im antiketi
Naturgefühl; dieses blieb daher nicht »stets, was es ur-
sprünglich war, polytheistisch und plastisch« (Rohde S. 51 lö*
Wenngleich der Grieche stets eine besondere Vorliebe
bewahrte für die einfache, ländliche, idyllische Natur, so
gaben sich uns doch auch unverkennbare Spuren eines
Gefühls für das Romantische kund in den Äusserungen einer
andachtsvollen über das Irdische hinausgehobenen Stim-
mung beim Anblick des in ewigem Blau sich wölbenden
Himmelsdomes und der nach ewigen Gesetzen wandelnden
Gestirne oder in der Freude, den Blick über Berg und Thal,
über Land und Meer ins Unermessene schweifen zu lassen,
oder in Schilderungen eines einsamen, verborgenen Wald-
winkels, eines lauschigen Bergseees oder »wilder Felsenthal-
landschaften«, wie sie in antiken Waldgemälden sich finden
(Woern^nn S. 406^.
Aber ein so tief innerliches, pantheistisches Zusammen-
weben von Geist und Natur, findet sich im Altertum noch
nicht wie bei modernen Dichtern, die ihr gesamtes, kom-
pliziertes Gemütsleben in allen seinen Nuancen auf die
Aussenwelt übertragen, sich ganz eins fühlen mit der Natur
und so die höchste Stufe der Landschaftsdichtung erreicht
haben mit der Schöpfung eines objektiven und doch bis
in den innersten Kern stimmungsvollen Landschaftsbildes
mit durchscheinendem Bezug zu der geistig sittlichen Welt,
in welchem »das Objekt ganz in das Subjekt sich verliert,
wie dieses ganz in die Natur aufgelöst wird«. Diese letzte
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131
KojiSi^qu^nz des sympathetischen Naturgefühls blieb dem
Zeitalter Göthe*s vorbehalten, der in seinen Naturliedern
das Vollendetste geleistet hat.
In der gesteigerten Innerlichkeit des Seelenlebens
beruht ja besonders das Wesen des Modernen. Das Natur-
gefühl eines Göthe, Heine und Byron ist in seiner Grund-
stimmung universeller und individueller zugleich, als es je
im Altertum sein konnte. Je reicher eben die. Ideeen weit,
je tiefer die Weltanschauung ist, desto bedeutungsvoller ist
auch die Natursymbolik, desto inniger und herzlicher ist
jeae Liebe zur Natur, die in ihr stilles Leben und Weben
j hineinblickt wie in das Herz eines Freundes und mit Byron
ausruft in glühendem. Pantheismus : »Sind nicht die Berge,
Wogen und die Himmel ein Teil von mir und meiner Seele
. sowie ich von ihnen? Ist nicht die Liebe zu ihnen tief iij
meinem Herzen mit frommer Leidenschaft?« Oder mit
Geibel:
..., Was da webet im Ringe,
Was da blüht auf der Flur,
Sinnbild ewiger Dinge
Ist's dem Schauenden nur.
Jede sprossende Pflanze,
Die mit Düften sich füllt,
Trägt im Kelche das ganze
Weltgeheimnis verhüllt.
Schweigend blickt's aus der Klippe,
Spricht im Quellengebraus;
Doch mit heiliger Lippe
Deutet die Muse es aus.
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9*
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Anmerkungen.
*) Schiller, über Daive und sentimentalische Dichtung; die klassische
Stelle lautet Bd. XII, S. 187 Cotta 1838: »Wena man sich der schönen
Natur erinnert, welche die alten Griechen umgab, wenn ; man nachdenkt,
wie vertraut dieses Volk unter seinem glücklichen Himmel mit der freien
Natur leben konnte, wie sehr viel näher seine Vorstellungsart, seine Em-
pfindungsweise, seine Sitten der einfältigen Natur lagen, und welch ein
treuer Abdruck derselben seine Dichterwerke sind, so muss die Bemerkung
befremden, dass man so wenige Spuren von dem sentimentalischen Interesse,
mit welchem wir Neueren an Naiursccnen und Naturcharakteren hangen
können, bei denselben antrifft. Der Grieche ist zwar im höchsten Grade
genau , treu , umständlich in Beschreibung derselben , aber doch gerade
nicht mehr und mit keinem vorzüglicheren Herzensanteil, als er es auch
in Beschreibung eines Anzuges, eines Schildes, einer Rüstung, eines Haus-
gerätes oder irgend eines mechanischen Produktes ist. . . Die Natur scheint
mehr seinen Verstand und seine Wissbegierde als sein moralisches Gefühl
zu interessieren; er hängt nicht mit Innigkeit, mit Empfindsamkeit, mit
süsser Wehmut an derselben, wie wir Neueren. . . Seine ungeduldige Phan-
tasie führt ihn über sie hinweg zum Drama des menschlichen Lebens.
Nur das Lebendige und Freie, nur Charaktere, Handlungen, Schicksale und
Sitten befriedigen ihn. . . . Da der Grieche die Natur in der Menschheit
nicht verloren hatte, so konnte er ausserhalb dieser auch nicht von ihr
überrascht werden und kein so dringendes Bedürfniss nach Gegenständen
haben, in denen es sie wieder fand, .Einig mit sich selbst und glücklich
im Gefühl seiner Menschheit, musste er bei dieser als seinem Maximum
stille stehen und alles andere derselben zu nähern bemüht sein . . Die
Alten empfanden natürlich, wir das Natürliche.«
2) Briefwechsel mit Wilh. v. Humboldt Cotta 1830, Brief vom
9. Nov. 1795; auch Humb. (Br. vom 6. Nov. S. 282) will »als Quellen und
Muster des griechischen Geistes eigentlich und im strengsten Verstände nur
den Homer, Sophokles, Aristophanes und Pindar anerkennen; alle anderen
zeigen ihn minder einfach und rein.«
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133
3) über n. u. s. Dichtung S. 191.
*) Abhdlg, über Matthisson's Gedichte S. 383.
^) Gervinus, d. Lit.-Gesch. I, 113; in der Aufl. 1871 lautet es ge-
mildert: »das ganze Altertum kennt keine so innige Freude an der Natur,
wie sie aus den Tierdichtungen der mittleren Zeiten spricht«.
6) Becker, Charikles I, 219: »Es ist mir bei keinem Schriftsteller
der besseren Zeit auch nur ein Versuch vorgekommen, ein landschaftliches
Bild zu entwerfen . . . man kann noch weiter gehen: höchst selten nur
spricht sich bei den Griechen die tiefe und warme Empfindung der Reize,
welche die unbelebte Natur bietet, aus, deren Mangel bei uns, wo er sich
findet, immer getadelt oder bemitleidet wird«.
^) Otfr. Müller, Handbuch der Archäologie der Kunst ^ p. 468 i:
»Der griechische Geist kennt nicht das sentimentale Verweilen bei der
Natur im allgemeinen, die romantische Auffassung der Landschaft; er
drängt ungeduldig zum Gipfel der körperlichen Bildung, zur menschlichen
Gestalt«, p. 763: »Der ahndungsvolle Dämmerschein des Geistes, mit
welchem die Landschaft uns anspricht, musste den Alten nach ihrer Geistes-
richtung künstlerischer Ausbildung unfähig scheinen.«
?) Jacobs, Vorr. p. VH Leben und Kunst der Alten I 1824: »Wer
möchte wohl die Gemälde der Natur und ihrer Erscheinungen, welche Homer
dem reichsten Gewebe seines Epos eingewirkt hat, den breiten Schilderungen
nachsetzen, die ihren Fleiss.der Schilderung der Natur ausschliessend ge-
widmet haben? Auch die Anthologie ist nicht arm an Gedichten, welche
ihre Reize feiern und den Leser noch jetzt zu den Schatten säuselnder
Platanen, an den Rand rauschender Bäche oder in kühle Gründe rufen«.
ö) Jean Paul, Vorschule der Ästhetik 2. Aufl. Berl. 1827 (s. W.
Bd., 41 — 43) S. 100 if.; S. 132: »Die plastische Sonne leuchtet einförmig
wie das Wachen, der romantische Mond schimmert veränderlich wie das
Träumen^; femer S* 170: »Die Landschaften der Alten sind mehr plastisch,
der Neuem mehr musikalisch oder, was am besten ist, beides«. S. 172
identificiert er »musikalisch« mit »durch Gemütsstimmung«, »plastisch« mit
»optisch«.
*<>) Schnaase, Gesch. der bildenden Künste II, 128— 140 (II^ p.
88 ff,): »Gewiss hatten die Griechen die feinste Empfänglichkeit, die
innigste Wärme für die Schönheit der Natur,, aber vielleicht nicht für alle
Erscheinungen und namentlich nicht für die, welche dem malerischen Prinzipe
entsprechen«. Trefflich ist die Charakteristik des griechischen (speziell
Homerischen) Naturgefühls im Vergleich mit dem hebräischen.
") Carriere, Hellas und Rom S. 361 ff.
*2) Schiller, über Matthisson's Gedichte S. 382.
'^^) Alex. V. Humboldt, Kosmos 2. Band, p. 7: »Indem helle-
nischen Altertum, in dem Blütenalter der Menschheit, finden wir allerdings
den zartesten Ausdruck liefer Naturempfindung den dichterischen Darstellungen
menschlicher Leidenschaft, einer der Sagengeschichte entnommenen Hand-
lung beigemischt; aber das eigentlich Naturbeschreibende zeigt sich dann
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134
nur als ein Beiwerk, weil in der griechischen Kunstbildung sich alles gleich-
sam im Kreise der Menschheit bewegt« etc. '
^*) Burckhardt, die Kultur der Renaissance 11^ p. 14.
^^) Eine zusammenhängende wertvolle Skizze bietet Julius Caesar
in der Casseler Zeitschrift für Altertumswissenschaft VII no, 61 — 65, Jahrg.
1849; Hei big, über die Homerische Naturanschauung, Darmstädter Ztschr.
für Altertumsw. 1841 no. 82; Ed. Müller, über Sophokleische Natur-
anschauung, Liegnitz Progr. 1842; Pazschke, über die Homerische Natur-
anschauung, Stettin 1848, auf ihr basiert Buch holz, Erfurt 1870; Dr. Freih.
V, Kittlitz, Naturbilder aus der griech. Lyrik, Liegnitz Progr. 1867; vergl.
auch Teuffei, Studien und Charakteristiken, Leipzig 1871 Aufs. III »Zur
Vergleichung antiker und moderner Lyrik« p. 75 — 97, besonders p. 79 — 83,
dagegen wieder S. 489; Lübker, die Naluranschauung der Alten, Flensburg
Progr, 1867; Schlüter, vestigia Graecorum, Hadamar 1870, Berndt, die
Empfindung der Naturschönheit bei den Griechen, Herfort 1873. Die beiden
etzteren Schriften haben keinen selbständigen Wert.
'6) Motz, über die Em^ifindung der Naturschönheit bei den Alten
Leipzig Hirzel 187$; die Frage wird nach allgemeinen Kategorieen ohne
massgebenden historischen Gesichtspunkt behandelt; das eine reibt sich lose
an das andere; Interesse an den Jahreszeiten, Friihlingswoune S. 13,
Lessing'sches Gesetz S. 15, Farbengefühl 19, Gegensatz des Antiken und
Modernen nach Schiller, Mythologie 41 ; Bestreben, Landschaft und Stimmung
in Harmonie oder Kontrast zu setzen 55; Vorliebe für die Stille in der
Natur 62, für Einsamkeit 75, Sympathie zwischen dem Menschen und der
Natur 81, Vorstellung einer paradiesischen Vorzeit, einer idealen Natur 89,
Behagen am Herde bei Unwetter 94, Wunsch der Beflügelung 95, Wehmut^^
beim Anblick von Ruinen 97, Freude am Licht 99, am Zitterglaoz des
Mondes, am Nachtdunkel 104, an der Gestalt der Wolken 108, an den
Erscheinungen des Meeres iio, des Gebirges 113, der Pflanzenwelt, des
Waldes und der Tiere — alles das ist in feinen Zügen entworfen, doch ob
das Gefühl häufig oder vereinzelt aufgetreten sei und in welcher Epoche, wird
nicht erwähnt; üyid neben Homer, Ausonius neben Sophokles und Euripides,
Piaton neben Horaz, Anthologie (späteste Zeit) neben Sappho und Alkman.
Dies ist um so mehr zu beklagen, als es z B, S, 30 heisst, das Naturgefiihl
der Alten selbst sei in einer Entwicklung begriffen gewesen, S. 65 manches
Moderne fänden wir schon bei den Alten, nur verhüllter, dunkler; trotzdem
bleibt es die Grundansicht, dass jener Dualismus von Geist und Natur dem
Altertum »ganz fremd« geblieben und der Naturgenuss der Alten ungesucht
und reflexionslos gewesen sei (S. 47 und 48). Das moderne Naturgefühl wird
völlig verkannt, als eitle Afifektation, ekle Empfindung der Empfindung etc.
geschildert, vergl. S. 11, 26, 32 ff. —
Eins aber hätte nach dieser Schrift feststehen müssen, dass die Alten
ein tiefes Naturgefühl besessen haben ; eine nichtige Reaktion bezeichnet der
Aufsatz von Fritz Meisne r »das Naturgefühl der antiken und modernen Welt«
im neuen schweizerischen Mus. 6. Jahrg. 1866 p. 100 flf. ; das Resultat der
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135
ganz oberflächlichen Schrift läuft darauf hinaus, dass die Welt der Griechen
auf der vollständigen Harmoivie von Geist und Materie beruhte (S. 119)
und dass der moderne Mensch ein vom antiken Menschen diametral ver-
schiedenes Wesen sei (S, 123)» —
Im selben Jahre erschien in 2. Ausg. Vict. deLaprade, le sentiment
de la nature avant le Christi anisme, Paris Didier 1866; es behandelt den
Orient bis S. 253, die griechische Welt, — eigentlich nur Homer — ganz
unkritisch S. 253 — 374; der Standpunkt ist der eines gläubigen Katholiken.
Vieles ist durchaus phantastisch. Das Werk beginnt z. B. mit Expektorationen
über das Gefühl, das Adam bei der Namengebung im Garten Eden hatte,
mit ganz nebelhaften Träumereien über Urgeschichte etc., treffend und
geistvoll sind dagegen die Ausführungen über die Unterschiede von Plastik,
Malerei und Musik in ihrem Verhältnis zum Antiken und Modernen und
manches andere; immer aber bricht der moralisierende Katholik hindurch; das
^nturgeflihl ist ihm lediglich identisch mit dem Suchen des persönlichen
■<jöttes in der Schöpfung (S. 228. 238. 242 ff.), so tadelt er die Inder wegen
der Unbestimmtheit ihres Pantheismus, — dessen Erneuerung in moderner
Zeit er beklagt, — die Griechen wegen, des Mangels du sentiment de
l'«nite et de l'infinit^; recht vage ist kap. II S. 281 de l'art grec en g^neral;
kap. III S, 301 heisst es: le nom d'Hom^re personnifie la Grhce vgl. 301.
307. 339 etc. ; wie immer, fragt er auch bei Homer S. 322: comment la nature
a-t-elle parM de Dien au p^re de la poesie grecque? kurz gestreift werden
'die Orphica 340, Hesiod 344, Pindar 348, Anakreon 349, Theokrit 351,
Äschylos 353. Sophokles 354, Euripides 356; schliesslich eifert er gegen
die griech. Mythologie, die in ihrem Abfall von dem einen Gott nicht weit
abstände vom afrikanischen Fetischismus, S. 373: la mer! cette chose, qui
confond l'esprit, ce Symbole visible de PÖernel inconnu! la mer a pris la
forme et le caract^re humains ; eile devient Neptune, avide turbulent, robuste
vindicatif, aveugle dans' sa force etc. — Die Römer werden S. 375 — 417
behandelt. Der 2. Band le sentiment de la nature che/, les. Modernes 1870
erörtert das Mittelalter, Renaissance und die neue Zeit bei Franzosen, Eng-
länder und Deutschen. —
Unbekannt blieb mir E. Gebhart, histoire du sentiment poetique de la
nature dans l'antiquite grecque et romaine, Paris 1860, welche Schrift nach
dem'Urteile Secretan's (du sentiment de la nature dans l'antiquite romaine,
Lausanne 1866) ganz auf der Überfläche Sich hält; auf andere französische
Werke, die unsere Fragen streifen, weist Bernhardy P S. 135 der griech,
Lit.-Gesch hin, wie Md. de Stael de la litterature p. 23 und 46, femer
Courier memoires I p. 79; Bernhardy selbst verhält sich auch S. 140 mehr
referierend, weist aber besonders nur auf Euripides hin, welcher »Schilde-
rungen einer schönen, innig empfundenen und warm ausgemalten Natur
bietet und zuerst die Erscheinungen der Natur mit Analogieen des Geistes
und der Sittenwelt vergleicht«.
") Silb erschlag im deutschen Museum von Prutz und Frenzel
1866 p. 430 — 35, und Ochmann in einer Festschrift zum Jubiläum des
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Dir. Stinner in Oppeln »einige Worte • zu der Frage nach dem Natur$inn
der Alten« 1867,
^^) Hess, Beiträge zur Untersuchung über das Naturgefiihl im klas-
sischen Altertum Rendsb. 187 1, betont besonders die Wichtigkeit der Land-
schaftsmalerei, insonderheit der kampanischen Wandgemälde, auf Grund
der Untersuchungen von Heibig im Rhein. Mus. Bd. 24 u, 25; er unter-
scheidet in der Wandlung des Naturgefühls der Alten fünf Hauptabschnitte,
den epischen, lyrischen (bis Alexander), den idyllischen (die hellenistische
Zeit), den elegischen (augusteische Zeit und silberne Latinität) und den des
Ausganges des Altertums; ähnlich mit Vorausschickung der mythologischen
Epoche W. Röscher in der knappen und ansprechenden Programmabhand-
lung »das tiefe Naturgefühl der Griechen und Römer in seiner historischen
Entwicklung« 18 S. mit Anm., Meissea 1875.
^9) Karl Woermann, über den landschaftlichen Natursinn der
Griechen und Römer, Vorstudien zu einer Archäologie der Landschafts- '
maierei München, Ackermann 130 S., 1871, sucht die Entwicklung des
Natursinnes, wie er sich in einer malerischen Auffassung und Darstellung
eines in sich abgeschlossenen Bildes der Erdoberfläche bekundet, nachzu-
weisen, bietet aber auch im allgemeinen viel Interessantes, und danke ich
ihr — obgleich meine Arbeit schon im Grundriss eher entworfen war, als
ich auf sie aufmerksam wurde, — viel Anregung. Das grössere Werk »die
Landschaft in der Kunst der alten Völker, eine Geschichte der Vorstufen
und Anfänge der Landschaftsmalerei« München 1876 resümiert, was die
Poesie der Griechen anlangt, im wesentlichen die Ergebnisse der ersten
Schrift, ebenso auch Hei big in den Untersuchungen über die kampanische
Wandmalerei, Leipzig 187;?, kap. XXIII das Naturgefühl (in hellenistischer
Zeit), das besonders interessant ist im Zusammenhange mit den voraufgehenden
Kapiteln XVIII die Gesellschaft, XIX das Interesse für die Wirklichkeit,
XX Auffassung der Mythen, XXI die Sentimentalität, XXII der Sinnenreiz.
20) Friedländer, Sittengeschichte d^r Römer II pag. 104 ff.; ferner
auf gleicher Basis die kleine Schrift „über die Entstehung und Entwicklung
^les Gefühls für das Romantische in d^r Natur«, Leipzig 1873, ^^^ ^^^ ^^^
Satze beginnt: »Dass die Ausdehnung des Begriffs der Naturschönheit auf
das Rauhe, Düstre und Öde, das Phantastische und Wilde , endlich das
furchtbar Erhabene dem Altertum und Mittelalter fremd gewesen ist; darf
als erwiesen angenommen werden« I
21) Hehn, Italien, Ansichten und Streiflichter, Berlin 2. Aufl» 1879,
kap» V, die Landschaft p. 54 ff. und p. 249.
22) Brandes, die Hauptströmungen der Literatur des 19. Jahrh.
II p. 176, p. 180.
*3) Du Bois-Reymond, Friedrich II und Jean Jacques Rousseau,
deutsche Rundschau Heft 8, Mai 1879 p. 257. »Vergeblich sucht man in
der antiken, mittelalterlichen, neueren Literatur bis zum vorigen Jahrh. nach
dem Ausdruck dessen, was wir Naturgefühl nennen ♦ . es fehlte der Mensch-
heit die Fähigkeit, überhaupt die Natur auf sich wirken zu lassen, und
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durch deren verschiedene Ansicht verschieden gestimmt zu werden.« —
Ähnlich Cohn, Göthe als Botaniker, deutsche Rundschau VII, Heft lo,
Juli 1881, S. 28: »Bekanntlich ist die Sehnsucht, die uns so mächtig in
Berge und Waldeinsamkeit zieht und vor allem die von der Kultur nicht
berührte romantische Landschaft der Hochgebirge aufsuchen lässt, eine
ganz moderne Empfindung« u. s w.
2*) Lotze, Mikrokosmos II ^ p. 317; vergl. III p. 107 ff.
ä°) Lehrs, populäre Aufsätze aus dem Altertum, Leipzig 1856 p. 91,
2. Aufl. 1875, S. HO.
26) Welcker, Götterlehre I, 474,
27) Kock, Alkaios und Sappho p. 93 ff.
28^ Wieseler, Narkissos, Göttingen i8$6 p» 81.
29) Man lese die herrliche Deutung bei Welcker I, 557.
30) Vischer, Ästhetik II p. 457, Hehn, a. a. O», Brandes
I. p. 275 u. A.
^*) Grant Allen, »der Farbensinn, sein Ursprung und seine Entwick-
lung«, übers, und Vorwort von Ernst Krause Leipz., Günther 1880, vgl.
auch des letzteren Aufsatz in der Gartenlaube no. 44, p. 718, 1880. — Zur
Vereinfachnng citiere ich die Ilias mit römischen, die Odyssee mit arabischen
Ziffern.
38) Vergl. das interessante Schriftchen von Rob. Vischer, über das
optische Formgefilhl, Stuttgart 1873, Seite 3, 22 ff., auch duPrel, Psycho-
logie der Lyrik, Leipzig 1880, S. 94 ff.
33) Lotze, Mikrokosmos IP, S. 199.
»*) Vergl. du Prel, Schluss d. o. a. Schrift.
36) Vergl. die treffliche Analyse von Göthe's » Herbstgefühl «f in dem
Progr. Braunschweig 1878, von Corvinus, S. 8.
3ö) So z. B. heisst es bei L a p r a d e S. $9 : les poetes grecs et leurs
h^ros s'attardent rarement au sein de la nature pour la contempler et la'
decrire; ils la dessinent en quelques traits sobres, rapides et sürs, et plus
souvent pour expliquer une Situation que pour le plaisir des yeux. Ils
d^crivent le roonde ext^rieur comme s'ils faisaient la topographie d'un champ
de bataille de la volonte humaine, sans iamais donner le paysage pour com-
plice, interlocuteur et conseiller ä l'dme du personnage . . sans marquer
dans un paysage sa signification humaine et subjective, son rapport d'oppo-
sition ou de similitude avec teile ou teile Situation de l'dme . . sans Inter-
preter le paysage et lui donner une ame sympathique ä celle de l'homme
u. so oft. Gott schall, Poetik Breslau 1858, S. 253: »Der Wechsel der
Tages- und Jahreszeiten, die Beleuchtung, Färbung und Stimmung der Natur
rufen im empfänglichen Gemüt eine verwandte Stimmung der Seele hervor,
die sich im lyrischen Naturbild ausprägt. Doch ist diese landschaftliche
Empfindung dem klassischen Altertum fremd, das wohl Sinn für die idyl-
lische Beschränkung des Daseins, für die Thätigkeit und die Freuden des
Landlebens hatte, aber den Zusammenklang der Natur und der Seele nicht
mit jener Innigkeit empfand, welche zum vollströmenden Quell der Lieder-
poesie wird«.
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^7) Die Äsopische Fabel, auf deren Bedeutung für unsere Frage
Woermann S. 31 zuerst aufmerksam gemacht hat, würde mit ihrer Natur-
beseehmg, ihrer träumerischen und innigen Betrachtung des Lebens der
Tiere und Pflanzen für die äheste Zeit unerklärlich sein, wenn sie nicht als
ein fremdes Reis vom Orient nach Hellas verpflanzt wäre (vgl. Keller , über
die Geschichte der griechischen Fabel in Flcckeis. Jahrb. Suppl. Bd. IV
p. 309—412). In dieser Fabelwelt denkt und handelt ja nicht bloss nach
Menschenart das Tier, sondern auch die Pflanze ist mit Sprache und Ver-
nunft begabt, so in no. 32 cekointil^ xni ßdrog Fuchs und Dornstrauch, so
die Eichen in no. 122 u. 123, 123b wandelt das einfache ^(^^ sogar in i&Qiivfh
okoXvCovffce um, in no. 124 verlacht der Ulivenbaum den Feigenbaum, in 125
brüstet sich die Fichte vor dem Domstrauch; besonders sinnreich ist 179
xdlufAOh xal dqvg das Röhricht und die Eiche, 179 b u. c, in 188 klagt
der gemisshandelte Nussbaum, 306 Fledermaus, Domstrauch und Taucher,
384 Rose und Amaranthe, 385 Granate, Apfelbaum und Domstrauch; ja
sogar der Winter und der Frühling treten in 414 auf und preisen ihre Vor-
züge; wie anmutig klingt das Eigenlob des Frühlings: »Trann von dir
wären gerne befreit die Menschen, während allein mein Name schon ihnen
schön erscheint, ja beim Zeus von allen der schönste; daher gedeokea sie
meiner, wenn ich von ihnen ging, und jubeln vor Freude, wenn ich
wiederkehre.«
Immerhin aber bekundet die Äsopische Fabel, dass die auf Witides-
flügeln der Volksüberlieferung von Indien, Ägypten, Persien über Phrygien
nach Griechenland übertragenen Erzählungen auf einen empfänglichen Boden
fielen und sehr bald heimisch in Griechenland wurden.
^ Vergl. Leutsch im Philologus II, i p. 29.
39j ^ie Härtung, griech. Lyriker Alkman p. 145 dies Gedicht,
als »vom Winterschlafe der Natur« handelnd, interpretieren kann, ist mir
unverständlich. Am nächsten klingt es hoch an den Anfang des Paul Ger-
hard' sehen Liedes »Nun ruhen alle Wälder« an.
^0) Kock, Alkaios und Sappho, Berl. Weidm. 1862, S. il.
**) Vergl. Preller, griech. Mythologie I^ S. 191.
*2) Aus Gustav Brandes, ein griechisches Liederbuch, Ver-
deutschungen aus griech. Dichtern Hannover 1881 ; ich ziehe diese Übers,
besonders des Reimes wegen anderen vor, kann aber in diesem Büchlein
nicht gutheissen, dass die »Verdeutschungen« zugleich moderne Umbildungen
mit oft ganz unantikem Stimmungsgehalt sind ; so setzt Br. dies Fragment fort:
Doch wird es sicher glücken
Dem kühnsten Burschen,
Holde, dich zu pflücken.
<3) Br. dichtet weiter:
Die Sonne geht auf und verkündet
Für mich nur die alte Pein,
Und trostlos verrinnt und entschwindet
Die Jugend, und ich bin allein.
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139
Und SO entfliehen die Stunden;
Schon erbleicht der Hoffnung Schein,
Und Jbald ist verronnen, entschwunden
Das Leben — und ich bin allein.
So sentimental war Sappho nun doch wohl nicht!
•*^) Brandes übersetzt nicht schön und zu frei dies Gedicht z. B.:
. . der Frühling nahte sacht und legte milde
Und segnend seine Hand auf die Gefilde . .
Ach, Eros schafft nur Not mir und Beschwerden
Und lässt es niemals Frühling in mir werden.
^°) Man vergj. Pyth. HI, 75, Olymp. II, 55, Pyth. V fin., Pyth. IIl, 104
->- Olymp. VII, 95, Isthm. III, 23, Ol. XIII, 27 — , Pyth. V, 10, Isthm.
h 40- VI, 37; Luebbert, de Pindari elocutione diss. Halle 1853, bes. p. 47 ff.
^6) (foyov naQTiodtov v€(^ika Nem. IX, 38; Isthm. III, 35 TQa/etcc
yt.ifag Jtokf/bioio, Isthm. VI, 27 : iy javn^i yftf€k{c ^dkct^ay aVfxatog a/uv-
y^jat, Nem. X, 9: noke'fioio ye^og, wie schon in der Ilias.
«) Nem. VI, 30, Ol. IX, 47, Pyth. IV, 3, X, 51.
*») Pyth. I, 41, Ol. XII, 12, Isthm. I, 36.
^9) Vergl. sonstige Metaphern nkoxot cekCvwy Ol. XIII, 45, äyS^og
Pyth. IV, 58, &äXkHy Ol. IX, 16, Pyth. IV, 65, VII, 20, dy^tty Ol. X, 10,
Xni, 23 etc.
50) w^ie ^eit das Drama Äusserungen eines Naturgefühls überhaupt
zulassen kann, das zeigt keines in höherem Grade als das indische , z. B.
die Sakuntala des Kalidasa, welches eine Fülle von Vergleichen, Metaphern
und Schilderungen, aber auch innigste Beziehungen des Menschen zur Natur,
besonders zu den Pflanzen, darbietet, wie gleich im ersten Akt.
^^) Sept. 64 ßo^ xüf4C4 /fQanioy crgaiov, v. 114 xv^a thqI ntohy
do/iuokoffccy dyd^dHy j xa/kuCd nyoatg ^AQiog 6{}6fjifyoy, ferner 443, 758,
795i 1076; Pers. 87 Qfv/ud r* r^WTWJ/412, 433 x«x(üj/ nikayog, $gg xkudaty
xitxtäy, Choeph. 183 xkvdcSyi^oy /oA^?, 391 (^Qifjivg aijjai> xaq&Cag, v. 33,
951; Agam. 819 ätvjg S^vfkkcu, 996 diyai'g xvxkov fxfyoy xiaq, Eum. 832
xoCfjia xfkatyov xvfjiarog mxQoy /uiyog, Hik. 469: xaxdSiy d( nk^^og no-
rafiog wg iniQ/eTcct, ärtjg d'äßvaaoy nikayog x. t. A. , das Leben eine
Meerfahrt Agam. 1005, Wechsel von Licht und Finsternis Choeph 61, vgl.
Eum. 552; der König ein Steuermann, der Staat ein Schiff Sept. 63, 208,
652, 760 etc.
^^) Sonst wird, wie die Sonne das Auge des Tages, der Mond das
glänzende Auge der Nacht genannt, wie Sept. 350; zu unserer Stelle vgl.
Eur. Iphig. Taur. no, Geibel: »Es schaut mich rings die Finsternis mit
schwarzen Augen an«f, (Hense, poet. Personif. S. 24 ff., S. 36).
^3) Löwe Agam. 717, 825, Sept. 54, Eum. 143, die Menschenlöwin
Agam. 1258 etc., Adler Prom. 102 1, Adler und Schlange Choeph. 247.
Drache Choeph. 527, 540, 928 etc. Sept. 290 Kampf mit der Taube;
Eum. 181 der Pfeil die zischende, schnellbeschwingte Schlange, Löwin und
Wolf Ag. 1258,
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140
^*) Ähnlich preist Aias bei Soph, Ai 552 seinen kleinen Sohn
glücklich: »von Leiden kennst du noch nichts, unbewusst hinleben ist das
Süsseste, bis dass du lernest, was der Schmerz, was Freude sei«, vergl.
Trach. 144 flf.
^^) Vergl. ferner von Tauben Hik. 223, Prom. 857, Rabe Hik. 757;
Aschylus schliesst gewöhnlich das Bild mit tag oder dUtjy oder (Sgts an
die zu veranschaulichende Sache an (Sept. 85, Ag. 1444, 1472, 1671 etc ),
aber verwebt auch nicht minder oft beides in Form der Metapher, wie es
von der Niobe heisst: i(fr]fx^yrj Tf'nfoy T^xyoig ^ncjCf '^oig T€S-pijx6a&y.
Ebenso s. d. Folgende.
^) Vgl. Sept. 593 : »aus tiefen Furchen seiner treuen Brust erntend,
daraus hervorspriesst vorsichtiger Rat«; Pers, 821: »es setzt dei Hochmut
aufgeblüht die Ähren an der Schuld, die bald zu thränenreicher Ernte reift«,
ferner Ag 79, 252, Pers. 952, Hik. 637 etc., von der Jagd Eum, iii.
*^) Immer reicher wird die prägnante Bildersprache, vergl. ^aiita
Phil, 254, 420, Aniig. 697, 1164, amt^ia AL 984. El. 632, ffvnvüf Öd,
tyr. 347, ßkaaidyo} Öd. Col. 617, Phil. 131 1, El. 238 etc., äyd-og Äsch.
Pers. 252, Prom. 7, Agam, 743, ccyS-fTy Ag. 1009, Pers, 821 etc., onm^a
Hik. 1015, aQOCJ vom Schiff Hik. 1007, Pers. 795 etc.
*8) Vergl. Elektra 107, 147, 1076, Aias 629, Trach. 103, 963.
Metaphorisch Öd. r. 486 mTOfxai> iknCaiy, El. 242 ta/ouan nrigvyag
d^vroyioy yotov u. s. w.
5^) Liebessehnsucht oder eine plötzliche Gefahr gibt den Wunsch,
ein Vöglein zu werden, im deutschen Volksliede sehr häufig ein; vergl.
Uhland Schriften zur D. u. S. III 109, 283 ff., ebenso in ungarischen,
vgl. Gosche, Archiv S. 252, nicht minder in schottischen, italienischen,
mährischen, böhmischen, litthauischen, russischen, slowackischen, wie leicht
zu ersehen ist aus Wolffs Hausschatz der Volkspoesie Leipzig 1853.
®°) Ai. 206 S-okfQip /fi>^ibjyi> XHua yoff^actg, vgl. 351 ; EL 733 »kvdeay*
b(f>innoy iy fitaia xvxcj/^eyoy, vgl. Antig. 128; Öd. tyr. 22, 695, 1527,
Ai, 1080, Antig. 162, 189, 541, 994; El. 899, Öd» Col. 663, 1746.
^^) Droysen, des Aristophanes Werke übers. IP, S. 257.
®3) Griech. Lit.-Gesch. 11^ 2 p. 367, p. 369 no. 4.
ö3) Sehr häufig sind Wendungen wie '^EXkaycjy yiifog Hik. 907,
yit^og aVTi/cTw»/ Phoen. 250, ^vy^ QHf ig n(}oG(t)noy Or. 957, aivyyoy 6(^>^viav
y€(f/og Hippol. 172, yfifog ol/LKoy^g Med. 107, vgl. Phoen. 727, Troad. 543,
ür. 468, Herk. 12 16, 1240.
ö*) Vergl. Herk. 102, El. 1147, Iph. T. 1317, Or. 695, J. A. 69,
fr. 152. Seit Homer (Od. 8, 409) ist es sprichwörtlich, den Winden eitle
Worte und Wünsche preiszugeben, vgl. Sappho fr. 18, Äsch. Sept. 690, Sspph.
Trach. 468, so auch bei Euripides Hek. 334, Tro. 419. Hei. 1236.
^''^) Hipp. 304. Herk. 1091.
^) Nichts ist häufiger als das xctxcSy niXayog Hippol. 8^22, Tro. 696
Med. 362. Herk. 1087, Hik. 824. Jon 927; Ür. 341 ; Herk. 698 äxvfiov
ßioToy, Alk. 91; /ufTcexviui'Og cciag; ynkfjyC^ny z. B. (f^eyce fr. ine. 1064,
J. T., 345; Or. 727 etc. vergl. Alexidis com. Mein. 3, 477.
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/
67) Hek. loSi, Troad. 686, Jon. 966, Hik. 1269, Hipp. 315; vergl.
die erschöpfende Dissertation von Elimar Schwartz, de metaphoris e mari et re
navali petitis quaestiones Euripideae. KieU 1878.
6S) Löwe: Phoen» 1573, Or. 1401, Med. 187, 1342, Hei, 379,
J. T. 1142 etc.; Schlange Androm. 217, Or, 1406; Waldeber Phoen. 1380,
Or. 1460 u. s. f.
6«) Hek. 178, Hipp. 828, Hik. 1046, Bakch. 748. 957, 1090 etc.
^ö) Immer wieder bricht die Freude am Licht hindurch, die mit der
Freude am Leben identisch ist: Or. 1523, Hek. 168, 364, 435, Alk. 395,
868, Iph. Anl. 12 18, 1250, 1509 etc.
^*) Auch Beseelungen anderer Art zeigen hochgradige Sentimentalität ,
wie der Wunsch Hek. 836: »O dass in diesen Händen, diesem Arm ein
Laut mir wohnt', im Haar des Hauptes und der Füsse Tritt — dass alle
weinend deine Knie' umklammerten« u. s. f., vergl. Phoen. 1384, 1440.
"^2) Woermann S. 47.
^3) Schlichtere Wendungen s. El. 59, Androm 91, Iphig. T. 42.
^*) Woermann S. 48 u. 49.
75) Droysen a. a. O. IP S. 21.
76) Vergl. Xenophon memorab. I, i, 12. Lelirs popul. Aufs. S. 135
liest wohl zu viel in die Phädrosstelle hinein.
77) Unberechtigte allgemeine Folgerungen zieht Lotze aus diesem
Satze im Mikrok. III, S. 292.
78) j^ur in diesem Sinne lässt sich von einer Naturverachtung bei
den Alten, d. h. bei vielen Philosophen, also von einer Verachtung der
Naturwissenschaft reden, — wie es Schultze gethan hat in seinem Auf-
satze »über die Entstehungsgeschichte der Naturverachtung« Kosmos III.
Jahrg. 1879, 4- Heft, Juli p. 245 ff., ohne aber Naturerkennen vom Natur-
empfinden zu trennen, indem er eine »so hochgradige Naturverachtung« nach-
weist, »die wir geschichtlich wohl zu erklären, nicht aber — und glück-
licker Weise nicht gemütlich nachzuempfinden verstehen«.
79) Vergl. bes. vom Meer und der Schifffahrt: Resp. III 3 p. 389 D,
VI, 4, V p. 472 c. 17; Politic. p. 266, 302, Phaedr. p.264A, Phaedo 85 D,
p. 99 D; Phileb. p. 29 B, Protag. p. 338/., Euthyd. p. 293, Laches p. 149 B,
Phileb. p. 137, Legg. VII p, 803 etc., von der Jagd Soph. 226 — 241, Bienen
Theaet. p. 163, Kratyl. 401, in ähnlichem Sinne von andrängenden Wogen
resp. V. 4 p. 441, p. 453 etc.
^) Vergl. Woermann, über den landschaftl. Natursinn S. 65 ff.,
die Landschaft in der Kunst der alten Völker, München 1876 S. 201 ff,,
Heibig, Untersuchungen über die kampanische Wandmalerei, Leipzig 1873,
kap. XXIII, S. 269 ff. Dass aber die Behauptung S. 271, es sei in der
vorhellenistischen Zeit das Naturgefühl »vollständig naiv und ohne jegliche
Beimischung von Sehnsucht« geblieben, einer Einschränkung bedarf, glaube
ich erwiesen zu haben; vergl. über die Liebe zum Landleben im Gegensatz
zur Stadt Thuk. II, 14, 16, 65, Isokr. areopog. § 52; Pausania? IV, 73
(von den Eleern) ; Xen. ökon. 5. Stob. Floril. 56, Mein. II p. 334 ff. Hcr-
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\
mann, Lehrbuch der griech. Privalaltertümer, 2. Aufl. von Stark, Heidelberg
1870, S. 99 Anno. 2, S. 100 Anm, 16.
s») Heibig a, a. O. S. 272 ff,
^■^) Vergl. Becker Charikles II, 403, Bo etlicher, Baumkurtus der
Hellenen, S. 179 u. 278.
83) Heibig a. a. O. S. 274 fi.
8*) Roh de, der griechische Roman und seine Vorläufer, Leipzig
1876, S. 119.
«'') Roh de a. a. O.
88) Dil t he y, de Callimachi Cydippa Lips, 1863, vergl. besonders
p. 78 p. 129.
*^) Becker, Ckarikles II, 405, 10.
88) Becker, Charikles I, 326, Rohde S. 162, Anm. 3.
89) Uhland, Sehr, zur d. Dichtg. u. S. Bd. 5, S. 130.
*o) Spanisches Liederbuch von E. Geibel und P. Heyse.
ö*) Die Macht des Eros unter dem Bilde des Feuers wird seit Euri-
pides (z. B» Hippol. 525) immer häufiger; vergl. II, 26, 29, 131 — 133, VII,
56, 102; III, 17, XI, 52; Mosch. "Egcjg dQaniTijg 22 ff. Sophokles schildert
seine Herrschaft über Land und Meer in dem bekannten Chorliede Antig. 781.
ö2) Ähnliches im deutschen Volksliede Uhland Sehr, zur d. D.
u. S. III (Volksbl. II) p. 216 ff.
93) V. 10 ^i^oviug ffctQxog, v. 1 1 x«l t6 ^6&ov ff'tvyn tu /(lUog, v. 25
fidCoi /ioyfoi; v. 62 (fvkkdg igijfxa , v. 68 ßdkkf de viv (rr*<f aVowr* xm
ävO^eci ndvra Gvv avTia, mg Trjvog riS^vaxt xcU avO-ea ttcvt* ifut^dr^f
vergl. trag. fr. adesp. 480 Nauck p. 727 «nayjit S-dkkn xal ntck^y fia-
QCCtVfTCei.
9*) Vergl. Esai. Tegner , Frithjofs Sage, übersetzt von Leinburg,
II. Aufl., no. 64 S. 165, im Anschluss an die jüngere Edda, übers, von
Simrock, p. 282.
9ß) Bienen I, 879, II, 130, Tauben und Habicht t, 1049, H? 934»
IV, 485, Wolfl, 1243,11, 123, Stiere II, 88, 662, IV, 468; Bremse III, 276,
Ross 1259, Eber 1351; Hindin IV, 12, Vögel 240, Herden 675, Delphin 933,
Möwen 966, Schwäne 1299, Jagdhunde 1393, Ameisen 1452, Drachen 154I1
1641 ; Naturwunder I, 1142, III, 223, IV, 1286, 1365; eine Verwandlung
IV, 603, 1423.
9ö) Naeke opuscula II p. 118 squ.
97) Rohde a. a. O. S. 66.
98) Eine Nachahmung scheint IV, p. 127 no. 47 adesp. zu sein.
99) So bittet er auch no. 125 die Leuchte, die sonst sein Liebesglück
beschienen, zu verlöschen, wenn die Ungetreue mit einem andern kose,
ebenso Meleager I p. 30 no. 102.
<oo) Oersted, der Geist in der Natur, 3. Aufl., Leipz. 1850 S. 65 ff.
Sehr richtig fügt er der Gefiihlsschilderung hinzu: »Dem ganz Ungebildeten
wird der Gegensatz zwischen dem lichten Himmelsgewölbe und der dunklen
Erde, die Stille und die daraus entspringende Seelenruhe nicht fremd sein
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143
können . ., aber die von dem wissenschaftlichen Denken befruchtete Ein-
bildungskraft sieht durch das Sternenlicht die Ewigkeit schimmern und wird
fühlen, dass Grösse, Leben und Gedankenfülle des Daseins, kurz dessen
mächtiger Gottheitsinhalt in seine Seele hineinstrahlen muss mit dem, Him-
melslicht, dass sein Auge trifft • . ; es hat die Auffassung der Natur, bei der
wir uns von ganzer Seele ihrem Genüsse hingeben, eine desto grössere Kraft
und Fülle, je mehr wir die Bildung dazu mitbringen, welche nur durch das
wissenschaftliche Denken oder doch durch dessen wohlverstandene, im Zu-
sammenhang begriffene Ergebnisse erworben werden kann«.
101) Vergl. das so recht modern gedachte no. 94, in dem er den
Becher beneidet, den Zenophila zum Munde fuhrt:
Dieser Becher bringt mir frohe Kunde,
Sagt mir, dass er sel'ge Wonne spürt,
Seit Zenophila mit süssem Munde
Trinkend seinen Rand berührt.
Sei du selig!
Mir ist's nur genug,
Wenn ich meinen Mund im Kuss vermähle
Ihrem Munde, und sie meine Seele
' ' Lipp' an Lippe trinkt in einem Zug. Brandes,
Jacobs richtiger: Glücklicher! — Tränke die Seele sie mir so
rdurstigeii Zuges Lippen an Lippen gefügt, ohne zu atmen, hinab!
okßwv, «f^' vn'ifXQtg vvv ^iil-ta ^iiGa \ anvivCxl i/'w/«V t«V Iv
ifi^i nqonCotf vergl» Agathias no. 16 IV p. 9.
t«) Die Pointe verkennt Brandes S. 88.
103) Im Tone des Epitaphs auf Bion : no. 124 p. 37, v. 3
^ yaQ dtj Xttl nijQog dvicjfvfv , ävi^x' difotxoiv
üktxfg oliJKay^ aov vixvv dxO-offOQSvy.
. *04) Schön, aber doch zu frei ist die Übersetzung bei Brandes S. 92,
z» B. im ersten Vers:
Nun der Winter hat das Feld geräumt,
Und die Frühlingssonne wieder lacht.
Nun die Blumen, die so lang geträumt,
Von der Vögel erstem Gruss erwacht.
Nun die grüne Au
Glänzt im frischen Tau,
Wird die Rose auch des Lenzes Küssen
Ihren Busen bald erschliessen.
Oder im letzten:
Da die Frühlingssonne wieder lacht,
Da der Hirt auf neue Weisen sinnt,
Da die Blume, aus dem Schlaf erwacht,
Da die Nachtigall ihr Lied beginnt,
Und von Wonne voll
Ist die Welt, da soll
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144
Bei des Frühlings Rauschen, Blühen und Klingen
Nicht beglückt der Dichter singen?
*o&) Lehrs, populäre Aufsätze, 2. Auflage, S. 135.
i'^ö) Roh de a. a. O. S. 278 ff.
^07) Dass man auch dies »Hauptmerkmal modernster Sentimentalität«
den Alten abgesprochen hat, bedarf eigentlich nicht der Erwähnung; es ist
aber immerhin lehrreich zu sehen, zu welchen Ergebnissen apriorische Ab-
straktionen, die jeder Basis entbehren, gelangen können. So heisst es ganz
apodiktisch z. B. bei Fritz Meisner im neuen Schweizer. Mus., 6. Jahrg.
1866 p. 117: »Den Alten fehlte ganz die Poesie der Ruinen, die Trauer
des Herzens über vergangenes Glück, das melancholische Versenken in eine
ideale Vergangenheit.«
108) Vergl. Koberstein, über die in Sage und Dichtung gangbare
Vorstellung von dem Fortleben abgeschiedener menschlicher Seelen in der
Pflanzenwelt, Weimar. Jahrbuch I S. 73—100, Nachtr. von Koehler S. 479—83,
io9j Woermann, die I^andschaft in der Kunst der alten Völker,
S. 534-
^10) Die Beseelungen vom Lachen, Schlafen und Schweigen kehren
immer wieder, so z. B. im Hymnus des Dionysios II, 230 no. 2 auf ApoUon;
es I-lingt an Aristophanes Thesmophor. an, wenn er beginnt tvfa/LtfiTM
nag aid-i^q \ y^ xcä noviog xal nyouä, | ovQta, t^'^tt*«, aiyctTM | ^/o*
(^d^oyyog T'oQvid-top x. t. k.
»>) Rohde, S. 3.
"2) Rohde, S. 508
**3) Jahn, aus der Altertumswissenschaft, populäre Aufsätze Bonn 1868
S. 53-74.
^^^) Vergl. die Liebesexercitien I, 13, 32.; II, 11, 38; III 13 u. 14.
"''^) Rohde, S. 511.
^^^) Es ist ganz interessant , wie die byzantinischen Dichter . in
sklavischer Nachahmung sich auch in diesem Wunschmotiv an ihre -Vor-
bilder anschliessen, man vergl. Niketas Eugen II 332 (Hercher erot. Script.
II p. 458) mit dem Anakreont. 22. In den Volkshedern des »Wunderhorn«
III, S. 109 haben wir die wörtliche Übersetzung. Heisst es im Anakr. ^yo)
d'taonTQoy fttjy \ onwg dfl ßUnrjg juf \ iyo) /iTMy yfvoi/utjy \ omag def
(fOQ^g fit und bei Niketas: iyia d'^oonrQoy iVQfO^fCrjv^ Ziv ava\, \ omog
(hl ßktnrig fj.€ av, Kukkiyovtj' \ /iT(6y yfyoi/mjy ^^vGonaGtog not'Xtkog, \
oncjg i'/M Gov &iyydyfiy tov üccqxCov, so lautet es im deutschen Liede:
Wollt' Gott, war ich ein lauter Spiegelglas,
Dass sich die allerschönste Frau
All Morgen vor mir pflanzieret,
Wollt' Gott, war' ich ein seiden liemdlein weiss,
Das mich die allerschönste Frau
An ihrem Leibe trüge.
Übrigens begegnen auch sonst in den sogen. »Volksliedern« antike Reminis-
cenzen wie die Göttinnen Diana, Echo, Aurora, und wie besonders Amor,
vergl. das Lied 11 p 396;
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145
Als ich verwichen lag in sanfter Ruh,
Da klopft's an meine Thür
Und kommt auch zu mir
Ein kleiner ßu*
mit Anakreont. 31 ^iGovvxTiOkg nor' cSgaig . . ''Egcjg iTUGiad-tCg fitv \
^VQttay txoTTT* o/ijccg x. r. L
*^') I, 23 sucht er die innere Glut durch kaltes Wasser zu löschen,
vergl. Mus. Hero u. Leand. v. 211.
"«) Rohde, S. 512. ^
119) Vergl. Libanios' Schilderung des Frühlings IV p. 1052: xcci
Tig i(f vif'tjkov, ßk(n(ov ^utv dg tijp fjmiqoVy ßkintoy ds fig ^ttkarray,
ovx ^Ti(o ccp T^v (vq^oavvfjy and TcwTtjg j/ ano Ttjg iqndqov xagntoffcuTo.
ieyoiyvvTcei t6t€ xctl 37 d-ixkaaGcc rolg nltoTtjQffiy x. t. l.
Biese, die Entwicklung des Naturgeftthls, 10
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Inhalts -Verzeichnis.
Seite
Einleitung i
Erstes Kapitel, das naive Naturgefuhl in Mythologie und bei Homer 7
Zweites Kapitel, das sympathetische Naturgefuhl in Lyrik und Drama 20
Elegiker 22
Lyriker 25
Äschylos 35
Sophokles 39
Euripides 46
Aristophanes 56
Piaton 60
Aristoteles ^62
Drittes Kapitel, das sentimental-idyllische Naturgefühl des Hellenismus
und der Kaiserzeit 64-
Das Idyll 69
Das Epos 79
Das Drama 85
. Das Epigramm 87
Epos und Roman . . *. 116
Rückblick 128
Anmerkungen 132
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Druck von Schmidt & Klaunig in Kiel.
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Digiti
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Die
Entwicklung des Naturgefühls
bei den
Griechen und Römern.
Von
Alfred Biese,
Dr. phil.
Zweiter Teil:
Die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern.
Eiel.
Lipsius & Tisch er.
1884.
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Die
Entwicklung des Naturgefühls
bei den
Römern.
Von
Alfred Biese,
Dr. phil.
-^9ei^-vH>v^
Kiel.
Lipsius & Tischer.
1884.
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Vorwort.
Die freundliche Aufnahme, welche der erste Teil
dieser Schrift, 'die Entwicklung des Naturgefühls bei
den Griechen^ Kiel, Lipsius & Tischer 1882, seitens der
fachwissenschaftlichen Kritik und auch mancher belle-
tristischen Zeitschrift erfahren hat, war mir ein Sporn,
auf dem betretenen Wege weiter zu schreiten, der
schliesslich zu einer Entwicklungsgeschichte des modernen
Naturgefühls führen möchte. Die Phasen der dem Mo-
dernen zustrebenden Bewegung aufzuweisen, war auch hier
neben einer objektiven Darstellung des römischen Natur-
gefühls selbst meine Hauptaufgabe; allem und jedem unsere
heutige Empfindungsweise gegenüberzustellen, durfte ich
dem Leser überlassen ; ich beschränkte mich auch in den
Schlussbetrachtungen auf das Wesentlichste, da ich sonst
den späteren Untersuchungen hätte vorgreifen müssen. —
Die Übersetzungen boten auch hier manche Schwierig-
keiten, denn gerade bei solchen Arbeiten erkennt man
so recht, wie es eigentlich eine Unmöglichkeit ist, wort-
und sinngetreu, ohne Änderung des Kolorits, in eine
fremde Sprache zu übertragen; ich zog oft die wört-
lichere Übersetzung der eleganten vor; die metrischen
entlehnte ich den bekannten Werken von v. Knebel
(Seydel), Heyse, Eberz, Hertzberg, Voss (Geibel), Wolff,
Wölffel, Bothe u. a. ; ich bemerke dies ausdrücklich, da
manche Ausstellungen, die an den Übersetzungen des
ersten Teils gemacht sind, mich selbst nur indirekt
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treffen und eigentlich an die Adresse von Droysen,
Donner u. a. zu richten waren. Den lateinischen Text
gab ich nicht immer in extenso, sondern oft beschränkte
ich mich, besonders bei den bekanntesten, jedem Fach-
genossen geläufigen Schriftstellern, auf die signifikante-
sten otellen, um das mir so wie so unter den Händen an-
schwellende Buch nicht noch umfangreicher zu machen.
So möge denn auch diese Schrift mit dem Wunsche
in die Welt hinausgehen, dass sie unter den Fachge-
nossen, soweit sie des Geschmackes an ästhetischen
und kulturhistorischen Problemen des Altertums nicht
entbehren und trotz der alles beherrschenden Klein-
arbeit auch die allgemeinen Ziele nicht aus den Augen
verlieren, sich Freunde erwerbe, die Gunst der liebens-
würdigen Recensenten des ersten Teils sich erhalte und
unter den Gebildeten weiterer Kreise, die noch Interesse
für das klassische Altertum sowie für Poesie überhaupt
besitzen, geneigte Beachtung finde*).
*) Wie langsam aber neu erkannte Wahrheiten durch alte Vorurteile
hindurchsickern, zeigen Ausführungen neuesten Datums, die noch immer
dem Altertum jede moderne Empfindung für die Natur, sowie eine Land-
schaftsmalerei und Landschaftsgärtnerei absprechen, wie z. B. Lessing,
Welttheater Nationalztg. 17. Mai 1883; Biedermann beschränkt sich in
seinem Aufsatze 'die Natur als Gegenstand poetischer Darstellung und
Empfindung' (Nord und Süd Juli 1883) auf eine Gegenüberstellung der
Odyssee und des Werther (!), um den Unterschied antiken und modernen
Naturgefühls darzulegen. Winter (Progr. Harburg 1883) * Beiträge zur
Geschichte des Naturgefühls' kennt nicht einmal die Arbeiten von Hess
und Wörmann; Wert hat der Abriss über die Zeit von Opitz bis in die
siebziger Jahre des vorigen Jahrhundert*s. Sittl, Gesch. d. griech. Lit,
I, S. 3 citiert meine Schrift in einem Zusammenhange, der deutlich zeigt,
dass er sie nicht gelesen hat.
Kiel, im December 1883.
Alfred Biese.
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Erstes Kapitel.
Das mythologische Naturgefiihl und die Poesie
* im ersten Zeitalter der Republik.
Die tiefere, verständnisvolle Erkenntnis alles Kunst-
schönen beruht wesentlich auf einem inneren Nach-
schaffen, auf einer Reproduktion; die Erkenntnis des
Naturschönen bedingt eine nicht minder rege geistige
Thätigkeit des Schauenden, denn die Natur wird nur
schön durch das, was wir selbst von unserem Ich in
sie hineintragen. Soll die schlichte Bewunderung zu
einem tieferen Verständnisse, zu einem höheren Genüsse
führen, so ist dies nur möglich bei einer nicht geringen
Bildung des Geistes und des Herzens. Der Mensch
versteht völlig und aus dem Grunde nur das, was er in
sich selbst erlebt. Die tote landschaftliche Natur er-
hält nur Leben durch Symbolisierung nach Form und
Inhalt, d. h. durch Übertragung der eigenen Körper-
formen und der eigenen seelischen Regungen auf die
Erscheinungswelt, durch anthropomorphische oder an-
thropopathische Deutung der Naturphänomene.
Wie einst mit flehendem Verlangen Pygmalion den
Stein umschloss,
Bis in des Marmors kalte Wangen Empfindung
glühend sich ergoss,
So schlang ich mich mit Liebesarmen Um die Natur
mit Jugendlust,
Biese, die Entwicklung des NaturKefühls bei den Römern. l
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Bis sie zu atmen, zu erwarmen Begann an meiner
Dichterbrust,
Und teilend meine Flammentriebe Die Stumme eine
wSp räche fand,
Mir wiedergab den Kuss der Liebe Und meines
Herzens Klang verstand.
Da lebte mir der Baum, die Rose, Mir sang der
Quelle Silberfall ;
Es fühlte selbst das Seelenlose Von meines Lebens
Widerhall.
Schiller, die Ideale.
Der Zauber einer Landschaft besteht nur darin,
dass sie uns wiederzustrahlen scheint, was wir selbst an
Geist, Gemüt, Stimmung in sie hineingelegt haben.
Sich selbst nur sieht der Mensch im Spiegel der Natur,
Und was er sie befragt, das wiederholt sie nur.
Rück er t.
In der Art nun, wie ein Volk oder ein Mensch die
Natur betrachtet, wie er Bezüge entdeckt zwischen der
eigenen Seele und der im steten Wechsel doch ewig
gleichen, immer schaffenden und immer zerstörenden
Natur, verrät sich seine ganze Individualität. Bei den
Griechen war die Entwicklung des Naturgefuhis den
Wandlungen ihres Geisteslebens durchaus analog. Ein
Gleiches werden wir auch bei den Römern erwarten
müssen. Aber diese standen von vorneherein der Natur
anders gegenüber als die Griechen, und das beruht
eben auf der Grundverschiedenheit der Charakteranlag^
beider Völker. Den Griechen mit ihrem hellen Blick
und ihrer Empfänglichkeit für alles Ideale war ein
künstlerischer Zug und ein spekulativer Trieb ange-
boren; sie sind ein Volk der Phantasie und des Ge*
dankens, aber die Römer mit ihrer wesentlich praktischen
Begabung, ihrem nüchternen Realismus sind ein Volk
des Verstandes und des Handelns ; ihre genialen Leistun-
gen liegen nicht auf dem Gebiete des Schönen, der
Kunst, sondern sind der Staat und das Recht. Die
Naivität im Sinne der heiteren griechischen Welt, eines
seligen Homerischen Kindheitsalters blieb den Römern
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stets fremd; in jeder Hinsicht ist ihr Geistesleben ein
reflektierteres, subjektiveres. Man hat das Wesen des
Antiken in dem Dunkel der Empfindung, in dem Um-
schleierten des Gefühls, in dem völligen Zurücktreten
der Persönlichkeit vor dem Objekt finden wollen im
Gegensätze zu dem schwankenden, schillernden Halb-
dunkel des modernen Empfindens und romantischer
Gefühlsseligkeit — aber naiv blieb selbst das Hellenen-
tum nur eine kurze Spanne Zeit ; hat es auch nie die
wilden Schösslinge moderner Sentimentalität gezeitigt, die
Keime zu jener liegen im Hellenismus und in der Kaiser-
zeit deutlich vor; bei den Römern überwiegt von
vorneherein die Reflexion, das Gedankenmässige die.
Phantasie und das Gefühl; während bei den Griechen
ein glücklicher 'genialer Instinkt* fast unbewusst die
Götterwelt und die herrlichen Denkmäler der Kunst
und Literatur schuf, ist bei den Römern alles abstrakter,
bewusster, berechneter angelegt, scheint in der römischen
Dichtung 'die subjektive Stimmung durch immer durch-
sichtiger werdende Hüllen der Seele hindurch*; ist ihr
Kunstwert auch ein viel geringerer, die Bewegung zum
Modernen hin setzt sich fort; die Dichter der Glanzzeit
römischer Kultur muten uns verwandter, weil moderner
an als die des klassischen Griechenlands. — Die Religion
der Römer ist nicht eine Schöpfung der im Glauben
dichtenden und .im Dichten glaubenden Phantasie wie
bei den Griechen, sondern das Produkt des reflektieren-
den Verstandes, der das Verhältnis zu den Göttern
wesentlich als ein Rechtsverhältnis betrachtet und das
Sittliche mit dem Nützlichen und Zweckmässigen identi-
ficiert. Der Römer Hess den Grundgedanken in seiner
ursprünglichen nackten Starrheit stehen, hielt den Be-
griff' fest und litt es nicht, dass die Form ihn ver-
dunkelte ') , während der Grieche alle Anschauung in
Handlungen lebensvoller idealer Wesen umsetzte. 'Schwer-
blütiger und von beklommenerer Stimmung der Phantasie
lassen sie sich weniger leicht — als die Griechen —
an dem farbigen Abglanz des Lebens genügen, hinter
dem schon ihr religiöser Glaube ein Netz dunkler Zu-
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sammenhänge der Dinge sah, rätselhafter Beziehungen,
die um so mehr auf das menschliche Dasein drückten,
als kein lebensfroher Götterkreis, aus dessen nachfühle
baren Gewohnheiten sie hätten verständlich werden
können, der Welt einen Abschluss versöhnender Schön-
heit gab'. ^) Während der Grieche durch die Anschauung
der Naturphänomene zum dichterischen Gestalten ange-
regt wurde und so die lieblichsten Märchen, die sinn-
reichsten Mythen und zugleich vollendet schöne Götter-
bilder schuf, überwog bei dem Römer die Scheu vor
den übersinnlichen Mächten, die religio, die Thätigkeit
der Einbildungskraft und zwang ihn zu einem Kultus,
der eines feierlichen Ernstes, geheimnisvoller Ahnungen
zwar nicht entbehrt, aber auch überreich ist an Blüten
ängstlichen Aberglaubens, wie Zauberformeln, Ceremo-
nien, Beschwörungen u. s. f., so dass die Religion
immer mehr in einem peinlichen und kleinlichen Forma-
lismus erstarrte. 'Überall sind die Wunder der Natur
und des Lebens wohl ein Anlass zu Opfern und Weis-
sagungen, in denen der Priester und Seher sie zum
Frommen des Gemeinwesens technisch und praktisch
ausbeutet, aber nirgends begegnet man jenem poetischen
Drange des Herzens und der Einbildungskraft, welcher,
in die Anschauung und das Gefühl für diese Wunder
versenkt, Religion und Geschichte mit den idealen Ge-
stalten der Dichtung belebt hätte^•^) Es war in dem
Charakter der Römer begründet, dass sie den Über-
gang von der dumpfen, ahnungsvollen Verehrung der
Segen oder Vernichtung bringenden Naturgewalten zum
Glauben an sittliche Mächte, an eine sittliche Weltord-
nung viel rascher und intensiver vollzogen als die Grie-
chen, wenngleich die ursprüngliche naive Naturreligion
durch die tempellose Verehrung vieler Gottheiten in
heiligen Hainen, auf Bergen, an Seen und Bäumen, als.
den Stätten der göttlichen Wesen, und durch manchen
Götterkult deutlich hindurchschimmert. Die konkreten
Naturgottheiten des naiven Volksglaubens wurden früh
zu sittlichen Abstraktionen, zu denen im Laufe der Jahr-
hunderte immer mehr Personifikationen von toten All-
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g-emeinbegrifFen , wunderliche Allegorieen hinzutraten.
Vor allem aber wurden die latinisch-sabinischen Gottes-
ideen immer mehr und mehr von fremden Kulten, wie
denen der Griechen, Ägypter und Orientalen übersponnen,
ja schliesslich fast gänzlich überwuchert. —
Aus dem Himmelsvater Jupiter, dem Gebieter über
Blitz und Donner, Wolken und Regen, wird der beste
Vater der Menschen, der Schirmherr des Rechtes, der
Treue und Wahrheit.
Ihm zur Seite steht die weibliche Lichtgöttin, Juno,
die Königin im Reiche der Frauen.
Voll und ganz gehörte Mars ursprünglich dem
Naturleben an als der Gott des männlichen Naturtriebes,
des alle Knospen in Feld und Wald sprengenden Früh-
lings ; Bäume waren ihm heilig, dann der Wolf und der
Specht, der Vogel der Waldeinsamkeit, und aus dem
picus Martius ward ein eigener Walddämon, ein länd-
licher Schutzgott, der die Wellentochter Canens liebt,
^die nichts weiter ist als eine Personifikation des Ge-
sanges in seiner ältesten Wirkung und Bedeutung, wie
er aus den Stimmen der Natur, aus Wäldern, Flüssen
und Quellen in süssen und lockenden Klängen hervor-
tönt als Gesang der Musen und Nymphen, als Orakel
oder als Zauber — wofür die Römer immer ein aber-
gläubisches Ohr hatten\*) —
Echt italisch ist Faunus, der Holde, der gute Geist
der Berge und Triften, den man im freien Felde oder
in Höhlen und Hainen verehrte. Verliebt, ist er tückisch ;
mit gewaltiger Stimme ruft er aus dem Walde, dass die
Herzen erbeben, oder sendet auch allerlei dämonische
Plage im Schlaf und im Traume; wie Rübezahl mit
seinem Spuk bleibt aber auch er gutmütig. Neben ihm
steht Frau Hulda, Fauna, die keusche Mutter Erde, die
der Wald- und Berggeist im Frühling befruchtet und
trunken macht, so dass die Quellen wieder strömen und
die Blätter wieder rauschen und die ganze Natur vom
Taumel der Liebe ergriffen wird. — Ein struppiger,
neckischer, doch freundlicher Alter, der im Dickicht
des Waldes haust, Fichten und Eichen und die An-
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Pflanzungen der Menschen hütet, ist Silvanus. Die
sabinische Feronia, <Jie blumenbekränzte Jungfrau, ward
zur Venus, zur Göttin des Frühlings und Gartens, aller
Blüten, alles Naturreizes mit Inbegriff seiner Vergäng^
lichkeit: ein Bild der sprossenden und treibenden, ab-
sterbenden und in neuer Pracht wieder erblühenden
Vegetation. Zahlreich sind die Gottheiten der Agri-
kultur, von der bona dea bis zu den Genien herab,
die jede einzelne Thätigkeit des Ackermannes, das
Pflügen, Eggen, Säen etc. begleiten. Ein Kultus der
Quellen, deren Vater der Gott alles Ursprungs, Janus, ist^
ist altitalisch; aber der Zug zur See, zu den Wundern
des Meeres fehlt; Fluss- und Meergottheiten sind grie-
chisch oder etruskisch.
Es ist eine in der Geschichte der Völker sich oft
wiederholende Thajtsache, dass nicht bloss mit der sich
erweiternden äusseren Macht und der sich hebenden
geistigen Kultur die ursprüngliche Sittenreinheit und
gediegene Einfachheit der Gewohnheiten schwindet^
sondern dass auch neu eindringende Bildungselemente^
für welche eine Zeit noch nicht reif ist, eine Gährung
hervorrufen, welche eine organische Entwicklung des
Nationalen zunächst benachteiligt und hemmt: erst
allmählich kann sich ein erspriesslicher Amalgamations-
prozess vollziehen.
Die Kunst blieb in Rom immer etwas Fremdes^
'sie genoss niemals die Liebe, welche das Selbsterzeugte
erhält'. Erst in der Zeit, wo der echt römische Cha-
rakter zu wanken beginnt und das allgemeine sitt-
liche Leben der Auflösung zu verfallen droht, erwächst
eine Kunst, die wesentlich Nachahmung bleibt und
selten zu freier, eigener Produktion sich erhebt. Gros^
sind die Römer, so lange sie sich fest in den Grenzen
halten, die ihrem ganzen Wesen entsprechen, so lange
sich das Individuum völlig dem Gemeinwesen unter-
ordnet, ja aufopfert — aber ohne Individualität keine
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Kunst ! Gross sind sie in der langen Reihe der Erobe-
rungskriege, welche aiis der kleinen latinischen Gemeinde
ein Centrum schufen, dessen Peripherie sich unaufhalt-
sam -ausweitete, gross auf dem Wege zum Ruhm, zur
Herrschaft über Italien, über die Mittelmeerländer. Erst
der errungene Besitz leitet auch ihren Sinn auf eine
schiefe Bahn, die zum Verfalle führen musste. Für die
Kunst und Poesie war in den drangvollen ersten Jahr-
hunderten keine Müsse; eine römische Literatur datiert
erst von den Zeiten des zweiten punischen Krieges, be-
fruchtet von hellei^ischem Geiste. — Das Naturgefühl
der ältesten Zeit wird sich über den nüchternen Nütz-
lichkeitsstandpunkt nicht erhoben haben ; der römische
Bauer wird nur Freude über die ertragsfähigen Äcker,
die fruchttragenden Bäume, die frisches, kühles Wasser
führenden Quellen, die Schatten gebenden Laubkronen
gehabt haben, ohne dass die Liebe zum Ackerbau sich
zur Erkenntnis und zum Genuss des Naturschönen
steigerte. Wie rein prosaisch nüchtern, wie gänzlich
jedes gemütlichen, poetischen Hauches entbehrend ist
die Schrift des M. Porcius Cato über die Landwirt-
schaft mit ihren Rezepten, Ratschlägen und Beobach-
tungen ! Aber der alte Cato, dieser Typus eines Römers
von echtem Schrot und Korn, musste es schon erleben,
dass das neue Wesen griechischer Bildung immer mehr
um sich griff und den nationalen Boden unterminierte;
er stemmte sich umsonst mit der ganzen Kraft seiner
hartnäckigen, eisernen Natur gegen den Strom der Zeit ;
charaktervoll — wenn auch beschränkt — hat er wacker
gestritten sein Leben lang ; aber die Saat von Hellas ging
doch auf und trug auch allmählich Frucht trotz all seines
konservativen Eiferns und der Strenge seiner Censur.
Es ist nun nicht ohne Interesse zu verfolgen, wie
die ersten römischen Dichter Motive der Natur ent-
lehnen, und wie sich nach und nach ein stereotyper
Schatz an Bildern herausbildet, der die Sprache aus
der rhetorischen Prosa allmählich zu annähernd poeti-
tischem Schwimge emporhebt. Der Mangel an einer
Mythologie im Sinne der Griechen schloss ein Volksepos
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aus; da überhaupt die Poesie nicht aus einem inneren
Dichtertriebe hervorging, sondern auf Nachbildung be»
ruhte, war ihr nicht ein Entwicklungsgesetz immanent
wie bei den Griechen, sondern die Willkür der Nach-
ahmung ist das Bestimmende; erst seit dem Ende der
Republik und in der augusteischen Zeit lässt sich,
namentlich in der Elegie, ein genetisches Fortschreiten,
eine Entwicklung aufweisen. — Womit die Griechen
schlössen, beginnen die Römer. Von den wenigen
uralten, steifen und nüchternen Liedern, die bei Festen
gesungen wurden, abgesehen, ist das Drama das erste
poetische Kunstprodukt. Auf einen empfanglichen Boden
war der Same gefallen, denLivius Andronicus mit
seinen Tragödien und Komödien ausgestreut hatte; schon
N a e V i u s bekundet gegenüber den 'handwerksmässigen
Leistungen' *) seines Vorgängers einen Fortschritt ; doch
ist aus den geringen Bruchstücken wenig für unsere
Frage zu gewinnen. Nur genannt, nicht geschildert
werden von Livius hohe Berge, winterliche Gefilde, das
grosse Meer und die Kastalia, die über Steingeklüft
hingleitet, von Naevius ein dichter Wald, dessen Bäume
frundiferi loci ingenio (i. e. natura, sua sponte) von selbst
ungesäet dem Boden entsprossen sind, ein schneller
Bach — im Gleichnis (42) — und der Strymon, an dem
die Bakchen sich lagern fr. XVI (44); eine Schilde-
rung der Mittagsschwüle, die den Glanz der Sonne trübte,
enthält fr, XXII (51): Jam solis aestu candor cum lique-
sceret. — Doch der erste, wirklich populäre 'classische'
Dichter der Römer ist Ennius. Die Geschmeidigkeit
und Anmut des Griechen paarte sich bei ihm mit *treu-
herziger Kraft und Reinheit der Gesinnung'. Ein
Freund der Scipionen, eines M. Fulvius Nobihor, der
Fabii und Marcelli stand er mitten in der grossen be-
wegten Zeit des zweiten punischen Krieges als der
römische Homer, als der Epiker par excellence da.
Seine annales waren durchglüht von Begeisterung für
die welthistorische Bestimmung Roms. Und kräftig
regt der junge Adler die Schwingen; die schwerfällige
Form des lateinischen Ausdrucks unternimmt der kühne
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Dichter in die fliessenden Rhythmen der Griechen zu
fügen, er wird Bahnbrecher einer neuen Kunstrichtung,
Gesetzgeber für Sprache und Vers und für kraftvolle,
farbenreiche Schilderung. In der Tragödie ahmt er den
grossen griechischen Meistern nach, unter denen aber
besonders seiner Individualität der grübelnde, reflektie-
rende Euripides zusagt. Seine Diktion ist schwungvoll,
besonders in signifikanten Epithetis, die er den Sub-
stantiven beilegt. Am häufigsten wird der Himmel er-
wähnt, der 'ausgestattet ist mit blitzenden Sternen^
caelum stellis fulgentibus aptum (ann. 30. 162), cum in-
gentibus signis (219); nicht unpoetisch variierend nennt
^r ihn auch 'die bläulichen Himmelsräume' caeli caerula
templa (50 und 66) oder 'die ungeheure Himmelspforte
dröhnt vom Donner' CXXX . . quem super ingens Porta
tonat caeli; er ist die Wohnung des 'weithin donnern-
den Zeus^ LXX oder der Himmlischen, wie er trag. 227
angerufen wird: O magna templa caelitum, conmixta
stellis splendidis, (trag. 421) oder er wird mit Zeus
identificiert trag. 40 : Siehe die glänzende Höhe, die alle
als Zeus anrufen: Aspice hoc sublime candens, quem
invocant omnes Jovem. 'Dichter Staub fliegt durch die
Weite des Himmels' pervolat caeli fretum trag. 3 1 ;
satur. 3 : 'Von dort sehe ich die klaren . . Ränder des
Äthers' inde loci liquidas pilatasque aetheris oras Con-
templor. Die Nacht wird geschildert als 'geschmückt
oder umgürtet mit brennenden Sternen' ann. 343 : hinc
nox processit stellis ardentibus apta und 416: Nox
quando mediis signis praecincta volabit. Von dem
sternfunkelnden Gespann ist in dem Liede der Andromeda
trag. fr. I (131) die Rede, wo sie in ihrer Einsamkeit
den Tag heran wünscht: quae cava caeli signitenentibus
conficis bigis (wahrscheinlich ist mit Ribb. signitenentis
zu schreiben), vgl. Eurip. fr. 114 (I Dind.) Angerufen
wird sie in den Eumeniden II (183) als des Erebos dunkel-
haarige Tochter: Erebo creata fuscis crinibus Nox, te
invoco; 'die tiefe, totenstille Nacht' ann. 106: nox in-
tempesta. Das Morgengrauen schildert ann. LXXXIV :
'Darauf öffnete das glänzende Rad mit seinen Strahlen
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den Himmel' : Inde patefecit radiis rota Candida caelum ;
den Tag 157: 'darauf leuchtete das glänzende Licht',
tum Candida lumina lucent. Als Romulus und Remus
den Vogelflug beobachten, sinkt die helle Sonne schon
ins Dunkel der Nacht zurück, dann aber bricht sie
golden heraus, als der Vogel zur Linken erscheint i
ann. 92 :
Interea sol albus recessit in infera noctis.
Exin Candida se radiis dedit icta foras lux
Et simul ex alto longe pulcherruma praepes
Laeva volavit avis: simul aureus exoritur sol.
Das Meer mit den felsenbrechenden Wellen, mare
saxifragis undis, begegnet uns ann. C, mit den segel-
flüchtigen Schiffen, navibus velivolis, 380 (velivolantibus
fr. 89), als salzige graue Ebene com. 2 aequora salsa,
aequora cana ann. 476; ann. 377 wird kühn das bläu-
liche, vom Ruderschlag schäumende Meer von gelblichem
Marmor genannt:
Verrunt extemplo placidum mare marmore flavo;
Caeruleum spumat sale conferta rate pulsum;
auf die Schönheit des Ausdrucks macht Gellius (s. Ribb.)'
aufmerksam, da er die Mischung von grün und weiss
trefflich wiedergebe.^)
Das Gewitter findet auch seine kühne, volltönige
Schilderung ann. 417: . . interea fax Occidit oceanumque
rubra tractim obruit aethra : inzwischen sank die Fackel
herab und übergoss nach und nach mit rötlichem Hellblau
das Meer; bei den 'hohen, feuchten Wolken' wird ge-
schworen trag. 5 , aus denen der Regen mit wildem
Ton und Hauch hervorbricht. Trocken ist die Schilde-
rung des Waldes 193 und der Jahreszeiten 406.
Ein ausführliches Gleichnis von dem Pferd, das der
Fesseln ledig durch die blauen, blühenden Wiesen mit
erhobener Brust, schnaubend und den Schweif schüttelnd,
dahin läuft, entlehnt er ann. 507 dem Homer fast wört-
lich II. Z 506, so auch ann. 423 von den Winden, die
gegen einander stürmend die Fluten im weiten Meere
aufzuregen wetteifern, vgl. etwa IL IX, 4; vielleicht auch
vom Wogen der Schlacht heisst es trag. 30 : Ita magni
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fluctus eiciebantur 'so erhoben sich grosse Wogen\ Eisen
und Stein sind auch ihm ein Bild der Gefühllosigkeit
trag. loi: sed quasi ferrum aut lapis Durat, rarenter
gemitum conatur trahens; vgl. trag. 174 lapideo corde
Von steinernem Herzen'. Wirklich hochpoetisch ist die
alliterierende Zeile trag. 332 :
Lumine sie tremulo terra et cava caerula candent:
So glänzen in zitterndem Licht die Erde und die bläu-
lichen Himmelswölbungen.
Doch der Zusatz ist rätselhaft. War es ein Preis
der Schönheit der Natur? oder ein Vergleich: 'Ge-
rechtigkeit oder Tugend durchleuchtet die sittliche Welt
sowie das milde Licht des Mondes die Schöpfung!'
(Ribbeck). Trag. 366 nennt Teucer die Gunst Tela-
mons, des Aeacus und Zeus das glänzende Licht, das
ihm leuchtet: atque hoc lumen candidum claret recti.
Übertragungen, metaphorische Redewendungen und Be-
seelungen sind nicht selten: ann. 144 wird *^bläuliche
Wiesen', caerula prata, das Meer genannt; 257: mulserat
huc navem compulsam fluctibus pontus 'schmeichlerisch
sanft hatte das Meer mit seinen Wellen das Schiff hier-
her getrieben'. Dem Buchsbaum wird ein bitterer
Körper, ein amarum corpus, beigelegt 267. Die Heftig-
keit des Kampfes wird 287 als ein Regen von Ge-
schossen geschildert: fit ferreus imber. Wie trag. 226 das
Meer wogend 'undans' genannt wird, heisst es bildlich
Mie Beute wogt' praeda undat 520. x\n Äschylos, Pro-
metheus looi ') erinnert trag. 293 : fluctus verborum aures
aucupant 'einen Schwall von Worten vernehmen die
Ohren'. 'Die breiten Gestade tönen vom Wellenschlag'
382 litora lata sonunt, 'die blauen Fluten heulten' LV
caerula salsa ululabant. Die Winde Vstöen': furentibus
ventis CXVII; der heitere 'lachende' Himmel wird also
geschildert 445:
Juppiter hie risit tempestatesque screnae
Riserunt omnes risu Jovis omnipotentis,
'Jupiter .lachte, und heiter lachten alle Lüfte beimLachen deg
allmächtigen Jupiter'. Starrer Schrecken ergreift selbst die
Natur vor dem dämonischen Wüten des Peliden trag. 214:
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12_
Der Scamander hört auf zu fliessen, die Bäume sind
regungslos im Winde: Constitit, credo, Scamander:
arbores vento vacant.
Trefflich wird die Stille der Nacht geschildert im
Scipio IV (lo):
Schweigend breitet aus der weite Weltenraum des
Himmels sich;
Und Neptun, der wilde, gönnte rauhen Wellen
Ruhe jetzt.
Seinen Flügelrossen hemmte ihren Huf der Sonnen-
gott;
Flüsse hörten auf zu strömen, Bäume traf kein
Windeshauch.
Mundus caeli vastus constitit silentio.
Et Neptunus saevus undis asperis pausam dedit;
Sol equis iter repressit ungulis volantibus;
Constitere amnes perennes, arbores vento vacant.
Es leuchtet ein: die wirkungsvollsten Effekte sind
den griechischen Tragikern entlehnt, wenn wir auch
nicht alle Einzelheiten belegen können ; direkt übersetzt
finden wir besonders Stellen aus der Medea des Euripi-
des. ^) Das Schicksal der Medea drückt der Amme fast
das Herz ab, sie kann es nicht länger tragen und eilt
hinaus, es der Erde und dem Himmel kundzuthun 291:
Cupido cepit miseram nunc me proloqui
Caelo atque terrae Medeai miseras.
Eurip. 57: äöÖ- 'ifj.aQüg fxovTtrjk^e yfj re -^ovQavot
Die Anrufe der Götter, der Himmelserscheinungen
wie der Örtlichkeiten ist echt Euripideisch ; so fr. XIX
{318): O Sonne, die die glänzende Fackel am Himmel
emporhebt,
Sol qui candentem in caelo Sublimat facem.
Vgl. Med. 764 und XXI (321): 'O Jupiter und du,
erhabener Sol, der du alles schaust, der du Meer und
Erde und Himmel mit deinem Licht umfassest, sieh' auf
diese That, bevor sie geschieht: hemme das Ver-
brechen^ !
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13
Juppiter tuque adeo summe Sol, qui omnes res
inspicis,
Qui mare terram caelum contines tuo cum lumine,
Jnspice hoc facinus priusquam fiat : prohibessis scelus.
Halten wir das Original Med. 1251 dagegen:
itü rä TS 'Kai Ttafifparjg 1 axrig ^AtUov, yiaTidsre )'8Ere räv \
okofdvav yvvarAa, ttqIv cpoivlav | ri'Avoig rtQoaßaXeiv xbq^
avTOY,T:6vov,
so tritt die Vergröberung der lateinischen Version
gegenüber der griechischen recht deutlich zu Tage:*)
Medea vollbringt ihr blutiges Werk im Hause, der
Chor wünscht, dass ein Strahl der Sonne, ein Blick der
Erde das dämonische Weib treffen möge, ehe sie die
mörderische Hand an die eigenen Kinder legt. — Als
Zeugen werden einmal ann. 23 die * weiten afrikanischen
Fluren^ angerufen: testes sunt Lati campi, quos gerit
Africa terra politos; willkommen heisst die vom Leben
Abschied nehmende Polyxena in der Andromache II (loi)
die Acherusischen Wohnungen des Orcus, das dunkle
Todesreich : Acherusia templa alta Orci . . salvete, infera
Pallida leti, obnubila tenebris . . loca.
Vgl. Eurip. Hec, 367 ff. und 435 ff. Schliesslich
weist den Ennianischen Eumeniden Ribbeck noch das
Frühlingslied des frgm. ine. ine. fab. LXXII (133) im
Anschluss an Asch. 903 ff. zu:
*Der Himmel strahlt, die Bäume hüllen sich in Grün^
die Freude weckenden Reben ranken und reifen, die
Zweige krümmen sich von der Schwere der Beeren^
die Saaten geben reiche Frucht, alles blüht, die Quellen,
sprudeln, die Wiesen schmücken sich mit Kräutern\
Caelum nitescere, arbores frondescere,
Vites laetificae pampinis pubescere,
Rami bacarum ubertate incurviscere,
Segetes largiri fruges, florere omnia,
Fontes scatere, herbis prata convestirier.
Kann der lateinische Ausdruck auch etwas Frostiges
nicht verleugnen, so macht die lyrische Naturschilde-
rung doch dem Dichter der ersten Periode der römi-
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14
sehen Literatur schon alle Ehre. Aber schon aus der
bisherigen Darstellung geht deutlich hervor, wie die
scharfen Grenzen, die in der Entwicklung des Natur-
gefühls bei den Griechen sich aufwiesen, z. B. der Über-
gang vom epischen Gleichnis zur lyrischen Metapher,
von der schlichten Gegenüberstellung des Geistigen und
Natürlichen zu der beides verschmelzenden, stimmungs-
vollen Beseelung, hier gleich bei Ennius verschwimmen
und ineinander fliessen, da er bald aus Homer bald
aus den Tragikern entlehnt.
Trug nach dem Urteile des Cicero Ennius den Preis
des Epikers der Republik davon, so giebt er die Palme als
Tragiker dessen Schüler und Neffen Pacuvius. Dieser
erlebte es, dass Rom unaufhaltsam zum Weltreich sich ent-
faltete und dass griechische Bildung immer mehr und mehr
in die Elite der römischen Gesellschaft eindrang. Auch
seinem Naturell sagt unter den griechischen Tragikern am
meisten Euripides zu; auch er liebt das Sentenziöse und
trägt seine Maximen mit einer gewissen Fülle (ubertas und
amplitudo) vor; so die Euripideische Phrase, dass im
menschlichen Leben wie in der Natur der Wechsel wohl-
thätig ist, in der Antiopa fr. VIII (12) : sol si perpetuo siet,
• Flammeo vapore torrens terrae fetum exusserit:
Nocti ni interveniat, fructus per pruinam obri-
guerint.
Selbst Anaxagoreische Weisheit trägt er vor im
Chrysippos '^) fr. VI (86 ff.), wo er den allumfassenden
Äther als den Vater und die Erde als die Mutter alles
Geschaffenen schildert und wie alles Entstandene zu
demselben Urquell wieder zurückkehrt, aus dem es ge-
flossen :
Quidquid est hoc (caelum), omnia animat format alit
äuget creat
Sepelit recipitque in sese omnia, omniumque idem
est pater
Indidemque eadem aeque oriuntur de integro atque
eodem occidunt.
Mater terrast: parcit haec corpus, animam autem
aether adiugat:
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15
'Was auch immer er ist, er beseelt, gestaltet, nährt,
mehrt, schafft alles, begräbt und nimmt in sich zurück
alles, und von allem ist ebenderselbe Vater, ebendaher
entsteht alles auf gleiche Weise, ebendahin geht alles
unter; die Mutter ist die Erde, diese gebiert den Leib,
die Seele aber fügt der Äther hinzu\
Das Vorbild war das Euripideische Fragm. 836
Chrys. (fr. 17 Dind.), das allerdings 'an gelenkiger An-,
mut und freiem Schwung' sein Abbild weit übertrifft.
Wie schön drückt der Grieche den Gedanken aus, dass
beim Kreislauf der Dinge nichts stirbt oder untergeht
und nur ein Wechsel der Form stattfindet: . . x<'^^^ ^^
OTtldüj I Tcc fiiv 6x /Of/ac; cpvvr dg yaiav j rä ^UTt ai^BQ-
iov ßhxarovTa yovfji; \ eig ovQaviov Ttcthv rjX&e ttoIov j
^vijayi€i ö^ovdhv twv ycyvofuviov \ diay.Qiv6^i€vov S*ak'ko TtQog
aD.ov I /LioQcpiiv higav iTtedei^ev,
In den Naturschilderungen verrät sich der Maler;
sie sind 'mit effektvoller Tonmalerei und breitem Pinsel"*
entworfen, besonders die Seestücke. Die Meeresstille
schildert fr: 76 Chrys. I: 'Inzwischen ermatten die Fluten,
schweigen die Winde, besänftigt sich das Meer^ interea
loci Flucti flacciscunt, silescunt venti, moUitur mare.
Besonders farbenreich wird der Seesturm geschildert
fr. ine. LXIV (411):
Froh der Abfahrt schauen wir dem Spiel der muntern
Fische zu;
Unsere Augen können nicht an solchem Anblick
satt sich sehn. —
Doch indes, da schon die Sonn' am Himmel sank,
geht hohl die See;
Nacht und Nebel ziehen schwarz auf, breiten zwei-
fach Dunkel aus.
Blitze zucken zwischen Wolken, Donner rollet durch
die Luft,
Jäh herabstürzt dichter Hagel, untermischt mit
Regenguss ;
Alle Stürme sind entfesselt, drehen in grausen
Wirbeln sich,
Und es kocht und braust die See, —
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\6
Profectione laeti piscium lasciviam
Intuemur nee tuendi satietas capier potest,
Interea prope iam occidente sole intorrescit mare;
Tenebrae conduplicantur , noctisque et nimbum ob-
caecat nigror.
Flamma inter nubes coruscat, caelum tonitru con-
tremit,
Grando mixta imbri largifico subito praecipitans
cadit,
Undique omnes venti erumpunt, saevi existunt
turbines,
Fervit aestu pelagus.
Im Teucer XIV (333) werfen die Winde das Schiff
in reissender Brandung hin und her, und die Wellen
schleudern es aus ihrem Schoss: rapide retro citroque
percito aestu praecipitem ratem, Reciprocare undaeque
e gremiis subiectare adfligere. —
Von Metaphern verzeichnen wir Atalanta XI fr. 58
vultum quae caligat tristitas : die Traurigkeit umdunkelt
das Antlitz; Medus V, 22^ brüllen vom Geschrei und
Lärm die wiederhallenden Hügel : clamore et sonitu coUes
resonantes bount. XXX ine. {393) heisst es : ^Nach Art
des Eisvogels schweife ich auf dem Gestade umher"*!
alcyonis ritu litus pervolgans feror. — Wie nüchtern
im Vergleich mit Alkman u, a. ! — Eine hohe Fels-
klippe wird im Chryses IX (95) wegen ihres weiten
Rundblickes gerühmt : ineipio saxum temptans scandere
Vortieem summusque in omnis partes prospeetum aucupo.
— Während uns bei den Griechen solche Auslassungen
über Femsichten wichtige Glieder in einer geschlossenen
Kette darboten, lässt sich auch hier wieder nichts Be-
sonderes schliessen, weil das Fragment weiter keinen
Aufsehluss giebt und weil wir stets schwanken müssen,
was der Nachahmung zuzuschreiben und was selbst-
ständig gedacht ist.
Immerhin zeigt Paeuvius bereits hohe Empfänglich-
keit für poetische Natursehilderungen, die er mit Ferve
und Pracht entwirft.
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50 Jahre jünger als Pacuvius ist der nicht minder
bedeutende Tragiker Accius; er sah den greisen Cato
in seiner reaktionären Thätigkeit und ging noch mit
dem jungen Cicero um; und in dieser langen Reihe von
Jahren ward seine Phantasie und seine Lebensanschauung
durch die gewaltigsten politischen Eindrücke befruchtet
und angeregt, und neben der staatlichen Entfaltung
nahm jene geistige revolutionäre Bewegung immer
weitere und tiefere Dimensionen an, welche die echt
römische Denkart in den Strom hellenischer Bildung
untertauchte. Während Accius in seiner Polyhistorie und
in seinen grammatischen und antiquarischen Studien
ein Schüler der Alexandriner war, behauptet in seinen
Tragödien Sophokles ein gewisses Übergewicht. Schwung
und Kraft, Erhabenheit und Anmut paaren sich in
seinen phantasievollen Schilderungen.
Finsternis bricht ein mit dem Sturm, der in der
Clytaemnestra die Schiffe der heimkehrenden Griechen
zerstreut fr. III (32): Deum regnator nocte caeca caelum
e conspectu abstulit, 'der Götterherrscher hat mit dunkler
Nacht den Himmel dem Anblick entrückt'; dann peit-
schen die aufgeregten, 'mitleidlosen' Wellen die Schiffe
und zerschellen sie an den Klippen fr. IV (33): Flucti
inmisericordes iacere, taetra ad saxa adlidere. Im
Atreus fr. XIII (223) 'tönen die trüben Flächen des
Himmels plötzlich erschüttert von dem grimmen Donner' :
Sed quid tonitru turbida torvo Concussa repente aequora
caeli Sensimus sonere?
Wie bei ApoUonios die Hirten beim Anblick der
Argo, die sie für ein Meerungeheuer halten, die Flucht
ergreifen, schildert bei Accius in der Medea fr. I (291)
ein Hirt, der auch noch nie ein Schiff gesehen hat, den
Eindruck dieser wunderbaren Erscheinung: 'Die ge-
waltige Masse gleitet rauschend von der hohen See
her mit gewaltigem Schall und Schnauben, wälzt vor
sich die Wellen, erregt mit Gewalt hohe Kämme, stürzt
vorgleitend, wirft und streut hinter sich das Meer
(pelagus respargit, reflat); bisweilen möchte man glauben,
ein Stück Sturmwolke wälze sich daher {ita dum inter-
Biese, die Entwicklung des Naturgefütils bei den Römern. 2
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_ JL8
ruptum credas nimbum volvier), bisweilen dass ein hoher
Fels von den Winden oder Stürmen abgerissen dahin-
g*etrieben werde (dum quod sublime ventis expulsura
rapi saxum aut procellis), oder dass kugelförmige
Wasserwirbel entstehen durch den Zusammensturz der
Wellen (vel globosos turbines i existere ictos undis
concursantibus) , wenn nicht das Meer irgend welche
Erdhaufen in Bewegung setzt oder etwa Triton mit
dem Dreizack die Höhle vom Grunde aufwühlend im
wogenden Meer die steinerne Masse aus der Tiefe zum
Himmel emporhebt (nisi quas terrestris pontus strages
conciet, | aut forte Triton fuscina evertens specus | supter
radices penitus undante in freto, | molem ex profunde
saxeam ad caelum erigit). — Die runde, anschauliche,
volle Schilderung verrät eine reiche, lebhafte Phantasie. —
Im Önomaus schildert Accius fr. I (493) den frühen
Morgen kurz vor der Morgenröte, der Künderin glühen-
der Strahlen, wenn die Bauern die Ochsen aus dem
Schlafe rufen , dass sie mit dem Eisen die betaute
rauchende Erde (rorulentas terra« fumidas) durchschnei-
den und die Schollen aus dem weichen Boden heben.
Die gelandeten Argonauten scheinen den Hafen zu
besingen Phinid. I (569): 'Hier, wo am krummen Ufer
Welle an Welle mit Gebell rauschend dahingleitet' ; der
reiche Ausdruck malt hübsch:
Hac ubi curvo litore latratu
. Unda sub undis labunda sonit,
sie freuen sich am neckischen Echo II: 'Zugleich auch
kichert ringsum von den wiederhallenden Felsen das
lieblich schallende Echo mit klingendem Klange*:
Simul et circum magna sonantibus
Excita saxis suavisona echo
Crepitu clangente cachinnat.
Vergleiche des Geistigen mit dem Natürlichen be-
gegnen uns im Atreus fr. XX. (234), wo ein ähnlicher
Gedanke des Euripides (Hec. 592) dahin gewandt wird,
dass wie ein gemeines Saatfeld durch Pflege edle Früchte
hervorbringen könne, ebenso auch eine edle Mutter von
einem niedrig gesinnten Manne des Stammes unwürdige
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Nachkommen zu gebären pfieg-e : Probae etsi in segetem
sunt deteriorem datae Fruges, tarnen ipsae suapte natura
enitent; und im Önomaus fr. VII (504) sagt der König,
Neid und heimliche Tücke unterwühle ihm den Boden,
wie den gewaltigen Felßblock in der Brandung des
Me^es die Flut allmahKch von unten benage, bis er
zusammenstürze : Saxum id facit angiistitatem, et sub eo
saxo exüberans, Scatebra fluviae radit rupem.
PWloktet, der im Schmerze sich am liebsten in die
salzigen Wogen vom hohen Fels herabstürzen möchte
(fr. XIX), will fr. XX (566) lieber die grause Öde vom
Nordpol ertragen, wo das schaurige Brausen des Nord-
winds die eiskalten Schneemassen aufwirbelt, als sich
mit den Griechen versöhnen: Sub axe posita ad Stellas
Septem, unde horrifer Aquilonis Stridor gelidas mditur
nires. Poetische Klangfarbe trägt die Anrufung des
Sonnengottes Phon. I (581, vgl. Eurip. Phon, i): ^O
Sol, der du auf glänzendem Wagen und mit schnellen
Rossen die schimmernden Flammen in glühendem Glänze
entfaltest, weshalb denn zeigst du unter so widrigen
Vorzeichen Theben dein strahlendes Licht' — -
Sol, qui micantem ' candido curru atque equis
Flämmam citatis fervido ardore explicas,
Quizmam tam adverso augurio et inimico omine
Thebis radiatum lumen ostentas tuom — ? vgl. fr.
ine. ine. fab. XCIX (183).
Die Lokalschilderungen sind ohne Bedeutung; die
fruchtbare Ebene von Amphissa Erigona I (49), der
Parnass fr. ine. fab. VIII: Hinc colomen alte geminis
aptum cornibus; der von grünen Büschen umlaubte Cithae-
ron Bacch. VI (243), (frondet viridantibus fetis), den die
silvicolae Fauni und die Bacchen durchschweifen, deren
Brust vom Halse herab Guirlanden von herbstlich bunt
gefärbtem Weinlaub umschlingen fr. XV (257). —
Es liegt in dem Wesen der römischen Komödie,
deren Gegenstand das gewöhnliche bürgerliche Leben
mit seinen kleinen Intriguen und Verwicklungen und
deren Sprache die vulgäre Umgangssprache ist, dass
sie dem Landschaftlichen nur geringen Raum giebt.
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dass Bilder und Gleichnisse selten und nur von ge-
ringem dichterischen Werte sind. Plautus und Terenz
führen uns daher in keiner nennenswerten Weise über
die Tragiker hinaus, mögen auch hie und da Meer und
Strand wie im Rudens v* i u. i6iflF, ein Fluss — in
den Bacch. 52 — , häufiger Nacht und Morgen geschildert
werden — es geschieht mit durchaus nüchternen Worten;:
oder mögen bildliche Wendungen sich finden, wie wenn
der Liebhaber im Mil, glor. 669 verheisst: ^Sanfter
werd' ich sein als das stille Meer, lispelnder als ein
Zephyrwindchen immer nur zu wehen pflegt^
Leniorem dices quam mutumst mare
Liquidiusculusque ero quam v.entus est favonius,
oder wie der auf und nieder wogende Sinn Merc. V, 2, 49
(animus fluctuat), oder das bildliche Terenzische Wort
Andria v. 480: Ich schiffe im Hafen, d. h. ich bin im
Hafen der glücklichen Ehe angelangt, (ego in portu
navigo) u. ä. Den durchaus derb realistischen, echt
römischen Menschen der Komödie liegt jede Sentimen-
talität fern, das Leben auf dem Lande, wohin die Alten
sich zeitweise zur Kräftigung der Gesundheit zurück-
ziehen, wird im Gegensatz zum Stadtleben wohl oft er-
wähnt, eine etwaige Neigung zu demselben spricht sich
aber 'immer in trockenster und geschäftlichster Weise^
aus. ^^) —
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Zweites Kapitel.
Lucretius. Oioero. OatuUus.
Die bedeutendste Dichterindividualität der sinken-
den Republik, wenn nicht überhaupt des voraugusteischen
Zeitalters ist Lucretius Carus mit seinem grossen
Gedicht 'über das We.sen der Dinge*, de rerum
natura. Es gehörte ein hohes Selbstgefühl und eine
bewundernswerte Kraft zum Beginnen und Vollenden
-eines solchen Werkes, das die materialistische Lehre
der Griechen, die Atomistik eines Epicur und Empedokles
in der schwerfälligen Form römischer Verse zu be-
handeln wagte. Für unser Thema ist es von eminenter
Bedeutung durch die Natur- und Weltanschauung des
Dichters überhaupt wie auch durch die Reflexionen
über Naturerscheinungen und die imposanten Schilde-
rungen derselben.
Ein glühender Enthusiasmus für die Wahrheit des
Systems, das er entwirft, und ein heiliger, leidenschaft-
licher Unwille gegen den Aberglauben seiner Zeit sind
die Schwingen, die ihn über die Schwierigkeiten seines
Unternehmens hinwegtragen ; denn trotz der Breite und
Trockenheit vieler physiologischer Demonstrationen lässt
der Ernst und die Kraft der Darstellung alle Mängel
vergessen. Er entgöttert die Natur, indem er alle ihre
Erscheinungen auf mechanische. Weise erklärt und die
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22^
Gottheiten des Volksglaubens von der Welt trennt und
in ein seliges passives Dasein verweist an ruhigen
Sitzen, die nicht der Wind erschüttert und die feuchten
Wolken nicht mit Regen bespritzen, noch bleicher Schnee,,
vom Froste gehärtet, entstellt: ein nimmer bewölkter
Äther lacht um sie her und breitet sich aus in Strömen
des Lichtes (semperque innubilus aether | integit et
large diffuso lumine rident) III, 21, vgl. II, 646. Epicur
ist sein grosser Lehrmeister, der zuerst die leuchtende
Fackel der Wahrheit in der Finsternis des religiösen
Wahnes erhob, nicht den Donner und Blitz der Un-
sterblichen fürchtend, 'der das Menschengeschlecht durch
sein Genie überwand und alle in Schatten stellte, wie
die aufgehende Sonne das Sternenlicht löscht^ : Qui genus
humanum ingenip soperavit et onjnis Restinxit, Stellas
exortus ut aetherius sol (III, 104 1). Doch wie soll mit
dem Schwan wetteifern die Schwalbe? ruft der Dichter
III, 6 (cf. IV, 179) in der drückenden Erkemntnis von
der Schwierigkeit seiner Aufgabe; aber das Vorbild
des Epicur, dessen hellem Auge die Natur sich von
allen Seiten enthüllet und der aus grossen Fluten imd
grossem Dunkel das Leben gerettet hat in den ruhigen
Hafen (V, n), imd der Musen süsses Verlangen haben
ihn angetrieben (I, 925), ungebahnte Pfade der Pieri-
den zu wandeln, aus unberührten Quellen zu schöpfen,
wie eine Biene auf blühender Aue (HI, 10) die goldene
Weisheit aus den Schriften des Griechen zu sammedn
imd so einen herrEchen Ruhmeskraaaz von neuen
Blumen um sein Haupt sich zu winden. — Die Natur ist
sein Gott, als Inbegriff jener geheimnisvollen Kräfte,
die allüberall wirken, jener schöpferische Trieb, der die
herrlichen Erscheinuaigen hervorruft; diesen personifiziert
er mit dem Göttenoamen Venus, wenn er am Eingang
seines Werkes in hochpoetischer Schilderung die Göttin
des Frühlings, der Blumen und der Schönheit preist,
die da schwebt über das schiffetragende Meer und die
fruchtbringenden Länder:
Wenn du, Göttin, erscheinst, entfliehen die Winde,
die Wolken
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23
Weichen vor dir ; dir treibt die kunstreich gestaltende
Erde
Liebliche Blumen empor ; dir lachen die Flächen des
Meeres,
Und es zerfliesset in Glanz vor dir der beruhigte
Himmel.
Denn sobald sich die Schöne des Frühlingstages
enthüllt hat,
Und entfesselt der zeugende Hauch des Favonius
auflebt,
Künden die Vogel der Luft dich zuerst an, Göttin^
und deinen
Eintritt; deine Gewalt durchschüttert ihnen die
Herzen.
Rüstige Herden springen alsdann durch fröhliche
Matten,
Setzen durch reissende Ströme , .
So erregst du im Meer, auf Bergen, in reissenden
Flüssen,
Unter der Vögel belaubetem Haus, auf grünenden
Auen
Allen tief in der Brust die schmeichelnde Liebe, wo-
durch sie
Sich fortpflanzen mit brünstiger Lust in Art und
Geschlechtern.
I, 6: Te, dea, te fugiunt venti, te nubila caeli
Adventumque tuum, tibi suavis daedala tellus
Summittit flores, tibi rident aequora ponti
Placatumque nitet diffuso lunüne caelum.
Nam simul ac species patefactast vema diei
Et reserata viget genitabilis aura favoni,
Aeriae primum volucres te, diva, tuumque
Significant initum perculsae corda tua vi u. s. f.
Oder er feiert die alles Leben spendende Mutter Erde
n, 589, die jene UrstofiFe in sich birgt, aus denen die
kühlen Quellen das ungeheure Meer erneuern (unde mare
immensum volventes frigora fontes adsidue renovent),
oder aus denen das Feuer rasend dem Ätna entflammt
oder aus denen hervorgehen die glänzenden Früchte,
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^die fröhlichen Büsche' (nitidas firuges arbustaque laeta),
vgl. 992 ff, oder auch grünende Zweige und 'lustige
Weiden' (pabula laeta); aber er protestiert gegen die
Märchen von der idäischen Mutter, der Cybele, wie von
Neptunus, Ceres und Bacchus. Wie Äschylos nennt er
I, 250 den Regen und Segen spendenden Äther den
Vater und die Erde die Mutter, die in ihrem Schoss
birgt den Samen, so dass glänzende Saaten entstehen,
die Äste grünen imd unter der Last der Früchte
schwanken; vgl. II, 1066: In heftiger Umarmung hält
der Äther die Welt (avido complexu quem tenet
aether).
Wie Pacuvius im Anschluss an Euripides, bekennt
auch er, dass nichts in der Natur der Tod vernichtet
n, 979, denn was aus der Erde entsprossen, wird wie-
der zu Erde, und was vom Äther kam, steigt wieder
aufwärts zu den Gewölben des Himmels (templa caeli);
der Urgrund der Dinge bleibt unwandelbar, wenn auch
die Formen ewig wechseln, vgl. V, 826: omnia migrant
Omnia commutat natura et vertere cogit.
Die Natur ist frei, ohne göttlichen Einfluss : das ist
sein erstes und wichtigstes Dogma ; in ihr ist kein Raum
für einen schaffenden Gott (II, 1090 ff), 'denn bei der
Götter heiligem Sinn, die in friedlicher Ruhe ungestört
gemessen ein ewig heiteres Leben, wer vermöchte dies
All, das Unbegrenzte, zu lenken, gegenwärtig zu sein
an allen Orten, zu allen Zeiten, damit er den Tag in
Wolken hülle, des Himmels Auen mit Donner er-
schüttere, (caelique serena Concutiat sonitu) dann Blitze
schleudre, die eignen Tempel damit zu stürzen, darauf
voll Grimm in die Wüste ziehend, noch da das Ge-
schoss übe, das öfters den Unschuldigen trifft^!? Und
weiter: die Natur ist kein ewiges, kein göttliches, son-
dern ein mit Fehlem behaftetes Werk. V, 92: 'Wirf
die Blicke auf Meer und Himmel und Erde, ein Tag
wird sie zerstören ; das Weltengetriebe, das Jahrtausende
hielt, zuletzt doch stürzt es zusammenM V, 116: ^ Wähne
nicht, dass Erde, Himmel und Meer und Sonn' und
Mond und die Sterne müssten sich ewig fort als gött-
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25
liehe Wesen bewegen; nicht darf man wähnen, das
herrliche Weltgebäude sei um des Menschen willen ge-
schaffen^ : hominum causa . . Praeclaram mundi naturam
proptereaque Adlaudabile opus divom laudare decere
V, 157; die Natur ist mit Mängeln behaftet: tanta stat
praedita culpa 199; vieles in ihr ist nutzlos: die Gebirge,
die tierbewohnten — vgl. V, 39 — Wälder, die Felsen,
Moräste, das die Küsten trennende Weltmeer, die eisigen
Pole, der heisse Äquator — wir sehen, das. Gefühl für die
Romantik des Wilden, Grausen in der Natur ist dem Lucrez
noch verbolzen! — Düster malt er das Bild des Men-
schen inmitten der harten Natur, der er mit Mühe und
Arbeit alles abringen muss — und wenn endlich die
Felder grünen und alles blüht, versengt vielleicht die
Sonnenglut oder vernichtet alles der Regen, der Frost
oder der Wirbelsturm. Welch Übel wär*s, ruft er V,
176 aus, für uns, wenn nie wir geschaffen? Nur der
Geborene mag so lange sich wünschen zu leben,
als die schmeichelnde Lust ihn hält: wer aber zuvor
nie Liebe des Lebens genoss, nie stand in der lebenden
Reihe, was verliert er dabei, wenn er niemals wurde
geschaffen? Ist doch das neugeborene Knäblein (V.
222) einem Schiffbrüchigen gleich, den die Wut der
Wellen an den Strand warf, wenn es an die Küsten
des Lichts (in luminis oras) geworfen, nackt daliegt,
hülf loser als das junge Vieh! — Aber die Betrachtung
der Naturzusammenhänge erhebt auch den Menschen;
nicht soll er vom Abhängigkeitsgefühl niedergedrückt
sich vor Göttern beugen (V, 1181 ff, 12 17; VI, 50 ff),
sondern nur die freie Natur bewundernd forschen: das
vertreibt alle Schrecken des Geistes, das Dunkel der
Seele III, 86 ff. So ruft er von der Herrlichkeit der
Natur entzückt aus — wie ein Aristoteles nach dem
Zeugnisse Cicero's — II, 1030:
Nimm das glänzende Blau und die reine Farbe des
Himmels
Und das strahlende Licht der irrenden Himmelsgestirne
Und den Mond und den herrlichen Glanz der leuchten-
den Sonne:
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26
Würde zum ersten Mal dies alles dem Auge des
Menschen
Dargestellet , als trat* es hervor nun eben am
Schauplatz,
Könnte was Wundernswerteres wol man nennen ? . .
Nein, in der That so gross und so herrlich wäre
der Anblick.
Dennoch würdiget kaum, des Schauspiels müde,.
nur einer
Aufzuschlagen die Augen zum leuchtenden Tempel
des Himmels :-
Suspicito caeli darum purumque colorem
Quaeque in se cohibet, palantia sidera passim,
Lunamque et solis praeclara luce nitorem;
Omnia quae nunc si primum mortalibus essent
Ex inproviso visu subiecta repente,
Ouid magis his rebus poterat mirabile dici?
Nil ut opinor: ita haec species miranda fuisset.
Hier kommt der begeisterte Dichter voll und ganz
zu Wort, der so oft vor den nüchternen Demonstra-
tionen des Naturforschers zurücktritt. — Von einer gross-
artig-erhabenen Naturanschauung legt auch das Wort
VI, 678 Zeugnis ab, in dem er ausruft, gross, ungeheuer
scheine nur dem etwas, der eben noch nicht Grösseres
sah : aber was ist dieses doch alles,
Was ist Himmel und Erd' und Meer, mit allem dem
Umfang,
Gegen die Summe der Summe des unzuermessenden
Ganzen?
Cum tamen omnia cum caelo terraque marique
Nil sint ad summam summai totius omnem,
— so nennt er auch v. 614 alle die Wassermassen,
welche die Ströme dem Meere zuführen, nur einen
Tropfen im Vergleich zu diesem selbst ! — Einen Tropfen
am Eimer nennt Klopstock die Erde. — So gross, so
unendlich ist die Natur, und der Mensch so klein l Aber
sie ist auch im Sinne des Lucrez die wahre Freundin,
zu der er sich aus dem gottverlassenen Treiben der
Zeit flüchtet; die Herbigkeit seiner Weltanschauung ist
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27
ein Wiederspiel der politischen Stürme; eine gewisse
Schwermut, die dem Widerwillen an dem damaligen
Zeitgetriebe ^entstammt, ist seinen Wort«ri aufgeprägt,
II, i4fF, wo er das Glück des Weisen schildert, —
den die Natur lehrt, von Schmerzen befreit des Geistes
zu gemessen, frohen Gefühls, entferfit von Furcht und
von Sorge — , und im Gegensatz zürn städtischen Luxus,
zu Gold und Schätzen, die weder zum leiblichen noch
seelisdien Wohl viel beitragen können, die Lust, wenn
man sich lagert auf weichem Rasen
Neben dem rinnenden Bach, im Schatten erhabener
Bäume,
Pfleget des Körpers froh, obwohl bei geringem Ver-
mögen. .
Sonderlich dann, wenn die Witterung lacht, wenn
die fröhliche Jahrszeit
Wieder die grünende Flur mit Blumen und Blüten
bestreuet.
n, 29 Cum tamen inter se prostrati in gramine molli
Propter aqusue rivum sub ramis arboris altae
Non magnis opibus iucunde corpora cu^ant,
Praesertim cum tempestas adridet et anni
Tempora conspergunt viridantis floribus herbas.
Wie in diesen Versen ein der hellenistischen Em-
pfindungsweise verwandtes Gefühl, ein idyllisches Be-
hagen an den lieblichen Reizen der Natur sich aus-
spricht, so ist auch der Preis der guten alten Zeit am
Schlüsse des zweiten Buches, in der die Erde mehr gab
und mehr Frömmigkeit herrschte und bei geringerem
Besitz die Menschen gemächlicher lebten, sowie die
Schilderung des Lebens der Naturmenschen V, 922 von
sentimentaler Stimmung durchweht: kräftig und hart
wie die Erde, der sie entsprossen, schweifen sie durch
Wald und Feld; was sich freiwillig bietet, nehmen sie
als Geschenk, Eichel und Früchte nähren sie, Quellen
und Flüsse stillen den Durst, die Haine der Nymphen
an feuchten Felsen mit grünendem Moos sind ihr Auf-
enthalt, Büsche und Höhlen ihre Wohnungen ; nur gegen
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28^
die Tiere verteidigen sie sich, sie kennen keinen Krieg*
996, aber auch noch nicht die gefahrvolle Schiffahrt:
Auch der gleissende Schein und das trügende Lächeln
der Wogen
Lockte noch keinen hinaus^ sich der tückischen Flut
zu vertrauen:
Nee poterat quemquam placidi pellacia ponti
Subdola pellicere in fraudem ridentibus undis. ^'^)
Mit dem Leben der Naturmenschen und der schlich-
ten Kulturmenschen, die noch in innigem Verkehr mit
der Natur stehen, im einsamen Hain, in Wäldern, auf
Triften bei göttlicher Müsse (per otia dia) am Flötenspiel
sich ergötzen V, 1384, sich lagern am Bach in der
lachenden Jahreszeit, sich kränzen und tanzen (1390 ff),
stellt er in Kontrast das Treiben der Gegenwart 142 1:
damals kleideten Felle die Menschen, jetzt Gold und
Purpur, aber die Unschuld wich, jetzt herrschen Sorge
und Mühe und Schuld und Habsucht und Zwietracht. —
So nüchtern didaktisch manche Naturschilderungen
auch sind, die trockenste philosophische Prosa ent-
haltend, so verraten andere doch dichterische Empfin-
dung, welche mit Glück den spröden Stoff bemeistert.
Lebendig wird I, 271 die Gewalt des Windes geschildert,
der das Meer peitscht, Schiffe zerstört, die Wolken
verstreut, die Felder durchtobt und mit gewaltigen
Bäumen bestreut und die hohen Berge mit waldbrechen-
dem Wehen heimsucht : so rast mit gewaltigem Brausen
und wütet mit drohendem Sausen der Wind:
Venti vis verberat incita pontum . . .
Interdum rapido percurrens turbine campos
Arboribus magnis sternit montisque supremos
Silvifragis vexat flabris: ita perfurit acri
Cum fremitu saevitque minaci murmure ventus.
II, 76: Wenn gewaltige Winde das Meer erregen,
Wandelt es sich in graue Fluten von schimmerndem
Marmor :
. . cum magni commorunt aequora venti,
Vertitur (mare) in canos candenti marmore fluctus.
Wir werden an des Ennius flavom marmor erinnert.
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29
Mit Vorliebe und besonderer Fülle des Ausdrucks malt
er die Lichterscheinungen am Himmel, wenn Aurora
die Lande mit jungem Licht überstreut (novo spargit
lumine II, 144), während die Buntbefiederten mit hellen
Stimmen die Orte füllen, und die hervorbrechende Sonne
alles übergiessend mit Licht bekleidet (convestire sua
perfundens omnia luce 148) und der heitere Glanz sich
Bahn bricht durch die Luftwogen (lumen serenum . .
aerias . . diverberet undas 152); v. 210 zerstreut von
der Himmelshöhe die Sonne die Glut nach allen Seiten
und besäet (consent) die Gefilde mit Licht, die Blitze
durchschneiden die Wolke, und die flammende Kraft
stürzt nieder zur Erde ; oder IV, 402 : 'Wenn die Natur
das Purpurlicht mit zitterndem Feuer hoch zu heben
und über die Berge zu tragen beginnt, scheint die
Sonne selbst glühend auf ihnen zu stehen und sie mit
ihrem Feuer zu berühren"*:
lamque rubrum tremulis iubar ignibus erigere alte
Cum coeptat natura supraque extollere montes . . .
oder die Sonne ist V, 281 ein Quell flüssigen Lichtes^
(largus . . liquidi fons luminis) und beströmt (irrigat) den
Himmelsraum fortwährend mit neuem Licht vgl. V, 593.
Schön ist die Zeile V, 46 1 : 'Wenn der Morgensonne
goldenes Licht rot schimmert auf den taubeperlten
Kräutern' : Aurea cum primum gemmantis rore per her«
bas Matutina rubent radiati lumina solis; mit rosiger
Fackel trägt die Sonne das Licht über den Himmel
V, 974 (rosea face sol inferret lumina caelo). —
Lieblich idyllisch ist auch das Tierbild II, 317, wa
der Dichter die weidende Herde schildert auf tauigem
Grase, labend sich an den lieblichen Kräutern ; wie er denn
auch V. 355 mit warmen Worten der rührenden Mutter*
liebe unter den Tieren gedenkt. — Die drei letzten Bücher
sind besonders reich an grossartigeren Schilderungen,
wie der mannigfach wechselnden, in Riesengestalten,
mit mächtigen Schatten über die Berge hinziehenden
Wolken IV, 134 ff, oder des Chaos V, 432 ff, oder des
Gewitters V, 1216:
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30
. . Wem fährt nicht der Schreck durch die Glieder,
wenn zuckend ein Blitzstrahl
Jäh mit entsetzlichem Schlag die vertrocknete Erde
durchschüttert
Und in der Höhe der Luft dumpfdrohend die Donner
verrollen?
. . cui non correpunt membra paVore
Fulminis horribili cum plaga torrida tellus
Contrenut et magnum percurrunt murmura caelum?
VI, 2 50 ffheisst es, man glaube, dem Acberon seien die Nächte
entstiegen, wenn der Wettersturm mit pechschwarzem Ge-
wölk über das Meer sich senke, mit Blitzen und Winden
geschwängert ; das Erdbeben wird geschildert V, 1234, VI,
543, die Wasserhose (?) (Tt^ari^) VI, 423, die sich gleich
einer hängenden Säule vom Himmel herablässt auf das
Meer, dass ringsum kochet die Flut, erregt von den
heftig brausenden Stürmen: Columna . . quam freta
circum Fervescunt graviter spirantibus incita flabris;
den Ätna betreifen VI, 639 und 690 ff.
Ein auch bei den Griechen beliebtes Spiel mit
Natururimöglichkeiten, dass also der Baum im Äther,
in der Flut die Wolke, der Fisch auf den Feldern u. s. w.
existieren könne, findet sich V, 128. —
Auch manche Gleichnisse sind der Darstellung ein-
gewoben; das geistige Forschen findet sein Gegenbild
in dem Spüren der Hunde I, 404; das Gift wühlt im
Körper wie die Winde des salzigen Meeres Fluten auf-
rühren III, 49 1 ; wie die blaue Fläche des Wassers die
strahlenden SternenKchter bei heitrem Himmel wider-
spiegelt, so nehmen die Sinne des Menschen die Ein-
drücke der Aussenwelt auf IV, 209* Das kurze Lied
der Schwäne ist mehr wert als das ewige Gekrächze
der Kraniche, darum will der Dichter in wenigen, lieblichen
Versen reden IV, 179 und 907; in die Wolke fährt der
Blitzstrahl und entzündet sie mit Geprassel, wie auf
lorbeerbehaarten Berg^i (lauricomos per montis) vom
Wirbel des Windes angefacht die Flamme lodert VI, 152.
Wie in den grösseren Schilderungen, so werden
wir auch in einzelnen Wendungen, Metaphern, Epitbetis
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31
<tn Eniaius häufig erinnert;, der zuerst nach dem Urteil
des Lucrez I, ii8 von des Pindus lieblichen Höhen den
Kranz von iramergrünendem Laube herniedergebracht
hat. Wie bei Ennius der Himmel, so lachen bei Lucrez
die Flächen des Meeres I, 8 : tibi rident aequora ponti,
ja sogar die UrstofFe kichern von zitterndem Lachen
geschüttelt: primordia rerum risu tremulo concussa
cachinnant I, 919 und II, 975; wenn der Herbst mahnt
(autumno su^ideiite I, 175), füllen sich die Reben mit
Trauben; in lieblichem Zuge fiiesst über die Fluren die
Quelle und trägt die Fluten in dem einmal mit flüssigem
Fusse gebahnten Wege (qua via secta semel liquido
pede detulit undas) V, 271, oder es nag^n die schaben-
den Flusswellen an Felsen {ripas radentia flumina rodunt)
V, 256, die verstummten Winde werden sepulti, be-
graben, genannt VI, 193, die in Wolken geschlossenen
Winde aber grollen und murren wie Tiere im Käfig:
magno indignantur murmure clausi Nubibus, in caveis-
que ferarum more minantur 197. Die gewaltige Wut
des Leuen, der in der Brust den Zorn nicht bändigen
kann und tief aufstöhnend brüllt, erinnert an das tobende
Meer III,. 2 9 6 ; kurz fasst der Dichter das Bild in die prägnante
Metapher zusammen von 'den Fluten des Zorns' irarum
fluctus v. 298, wie V. 304 'die Fackel des Zorns' irai
fax; gierig, avidum, nennt er das Meer, in das die reich-
lichen Ströme fluten I, 1030; fröhlich oft die arbusta
II, 594, die pabula 596, vineta II, 1157, laetantia loca
undarum II, 344; eine hübsche Metapher nennt das
Blumenstreuen II, 627, ein 'beschneien mit Rosen': nin-
gunt rosarum floribus, umbrantes matrem; echt Ennianisch
sind Beiwörter wie: das 'wellenbrechende' Gestade: flucti-
frago in litore I, 305, — das hübsch der Vers 11, 375 malt:
allda wo mit sanfterer Welle Schlaget das Meer den
saugenden Sand des gekrümmeten Ufers: qua mollibus
undis Litoris incurvi bibulum pavit aequor arenam — ; 'die
leuchtenden Himmelsräume' : caeli lucida templa I, 1013;
in ihnen (per caerula caeli) weidet die Flamme der Sonne
(solis flammam pasci), zittert das Sternenlicht (aethera
tremere sigpais) I, 689; Luftwellen (aeriae undae) II, 152,
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V, 276; die *nachtdurchsch weifenden Himmelsfackeln* r
noctivagaeque faces caeli V, 1 189, wie das 'bergedurch-
irrende Tiergeschlecht': montivagiim genus ferarum 11^
108 1 ; auch die 'flugbestrebten' Schiffe kehren wieder, von
denen das Meer 'blüht' : mare velivolis florebat puppibus V,
1440. — Wir sehen, im einzelnen wie im ganzen vermag
der Dichter mit grossartigen Strichen zu malen — de
donner aux Images une couleur, un relief, un contour^
qui les rendent indel^biles dans la memoire JLaprade). —
Ein hoher, vorurteilsloser, kraftvoller Sinn '*) und ein
deutlicher Ansatz eines melancholisch idyllischen Gefühls
für die Schönheit der Natur, für ihre Stille und ihren Frieden
im Gegensatz zu der ruhelosen. Glück suchenden und
in der Unrast nie findenden Menschenwelt seiner Tage
giebt sich in diesem Lehrgedicht des Lucrez zu er-
kennen ; zugleich eine edle Begeisterung für die Wahr-
heit, für das über alles Niedere hinweghebende Glück,
das in dem Forschen nach ihr liegt; und daher rinnen
in seinen Naturschilderungen so oft Fühlen und Denken,
Naturgefühl und Naturerkennen ineinander, — doch dieses
ist starker als jenes; Lucrece est un penseur avant
d'etre un poete pittoresque (Laprade); er sucht mehr
das Wahre als das Schone in der Natur; seine ganze
Naturanschauung trägt den deutlichen Stempel seiner
philosophischen Weltanschauung. — An Tiefe und Reich-
tum der Ideen kann sich niemand seiner Zeitgenossen
mit Lucrez messen, der sprachgewaltige Cicero er-
reicht nur selten, gehoben von seinen griechischen
Mustern, eine solche selbständige Höhe. Unter seinen
philosophischen Schriften, die allein neben seinen Briefen
uns Interessantes bieten können, ist für unsere Frage
besonders wichtig die Schrift 'über das Wesen der
Götter'. Immer wieder kommt er im II. Buch, wo er
den Baibus die .stoische Lehre vom Wesen der Götter
entwickeln lässt, auf den Satz cap. 4 fin. zurück, dass
der Glaube an Götter den Menschen angeboren, ihrer
Seele gleichsam eingemeisselt sei, und dass die Natur
mit ihrem steten Einfluss auf den Menschen, ihrem
Nutzen und Schaden und vornehmlich in ihrer Schönheit
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und Ordnung stets von dem Dasein derselben beredtes
Zeugnis gebe: ^Quartam causam esse (Cleanthes dicit)
eamque vel maximam aequabilitatem motus, conver-
sionem caeli, solis, lunae siderumque omnium distinc-
tionem , varietatem , pulcritudinem , ordinem, quarum
rerum aspectus ipse satis ludicaret non esse ea fortuito^
IIi 5» 15; oder er beruft sich II, 6, 17 auf das Zeug-
nis des Chrysippos, der für thöricht den erklärt, der
eine solche Pracht der Welt, eine solche Mannigfaltig-
keit und Schönheit der Dinge am Himmel, eine solche
Masse und Ausdehnung der Meere und der Länder
nicht für den Wohnsitz der unsterblichen Götter halte;
oder auf jenen herrlichen Ausspruch des Aristoteles,
den wir als wichtiges Zeugnis griechischer Empfindungs-
weise bereits verwerteten '-) und den Cicero II, 38,
96 weiter ausführt, indem er wie auch Lucr. II, 1030
auf die Alltäglichkeit der Erscheinung und die träge
Gewohnheit der Wahrnehmung hindeutet, die allein
schuld wäre, wenn man nicht voll staunender Bewunde-
rung die Herrlichkeit der Gestirne, die vemunft volle Ord-
nung in ihrem Wandel beobachte : 'nimm dazu die Erde,
bekleidet mit Blumen, Kräutern, Bäumen, Früchten,
deren unglaubliche Menge durch eine Mannigfaltigkeit,
an der man sich nicht ersättigen kann, sich auszeichnet
(quorum omnium incredibilis multitudo insatiabili varie-
tate distinguitur II, 39, 98), dazu der Quellen unversieg-
baren kühlen Lauf, die durchsichtigen Gewässer der
Flüsse, der Ufer Bekleidung mit dem herrlichsten Grün
(riparum vestitus viridissimos) , der Grotten sich wöl-
bende Höhlen, der Felsen rauhe Vorsprünge, der über-
hängenden Berge hohe Gipfel, die unermesslichen Flächen
der Ebenen' (speluncarum concavas altitudines, saxorum
asperitates, impendentium montium altitudines immensi-
tatesque camporum). — Also auch das Rauhe, Wilde,
Weite, Immense fesselt den Blick! — So heisst es
auch weiter: 'Wie gross ist die Schönheit des Meeres!
Welche Herrlichkeit des Ganzen, welche Menge und
Mannigfaltigkeit der Inseln, welche Lieblichkeit der Ufer
und Gestade^ u. s. f. : At vero quanta maris est
Bieg), di i Entwic'.ilunjj des Xaturgefühls bei dun Römern. ^ 3
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pulcritudo! Quae species universi, quae multitudo et
varietas insularum, quae amoenitas orarum ac litorum I —
Doch immer von neuem wird der sternenbesäete Himmel
gepriesen wie II, 40, 104: 'Nichts kann bewundernswerter
sein als dieses Schauspiel, nichts schöner^ (quo spectaculo
nihil potest admirabilius esse, nihil pulorius). In den
Tusc. V, 13 exemplificiert er die Tendenz der Natur,
dass jedes Geschöpf zur vollkommenen Entfaltung seines
eigentümlichen Wesens gelange, an den Pflanzen und
Tieren; des geistbegabten Menschen Vollendung sei
die Tugend, und somit mache allein diese ihn glücklich.
Aber auch er hat, wie Lucrez,, warme begeisternde
Worte für die innere Befriedigung, welche das wissen-
schaftliche Forschen dem Menschen gewähre, wenn
auch die Erkenntnis der Wahrheit, des Zusammenhanges
der Naturerscheinungen und des Weltenursprungs in
tiefem Dunkel liege und das geistige Auge des Men-
schen nicht scharf genug sei, den Himmel zu durch-
schauen und in die Erde einzudringen II, 39, 122
(Latent ista omnia crassis occultata et circumfusa tene-
bris, ut nulla acies humani ingenii tanta sit, quae pene-
trare in caelum, terram intrare possit) ; aber das Streben
nach der wahren Erkenntnis und die philosophische wie die
ästhetische Naturbetrachtung bergen in sich einen wun-
derbaren, erhebenden Zauber: 'Denn es ist in der An-
schauung und Erforschung der Natur gleichsam ein
gesunder Nahrungsstoff für Geist und Herz enthalten;
wir werden dadurch erbaut und fühlen uns erhoben,
wir lernen das Thun und Treiben der Menschen ver-
achten und blicken, während unser Geist mit über-
irdischen und himmlischen Dingen sich beschäftigt,
auf dieses unser irdisches Sein als auf etwas Ärmljif hes
und Kleinliches herab. Schon das Erforschen gross-
artiger und verborgener Dinge hat an sit:h seinen Reiz ;
kommt man aber dabei erst zu einem Resultate, das
sich der Wahrheit zu nähern scheint, dann ist der
Geist vom reinsten Selbstgefühl durchdrungen^ II, 41,
127: Est enim animorum ingeniorumque naturale quod-
dam quasi pabulum consideratio contemplatioque naturae.
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Erigimur, elatiores fieri videmur, humana despicimus,
cogitantes supera atque caelestia baec nostra ut exigua
et minima contemnimus. Indagatio ipsa rerum cum
maximarum tum etiajn oceultissimarum habet oblecta-
tionem. Si vero aliquid occurrit, quod veri simile videa-
tur, humanissima completur animus voluptate. — So heisst
es de finibus V, 19, 51: 'Fragen wir uns selbst, wie
sehr die Bewegungen der Gestirne und die Betrachtung
des Himmels, die mannigfache Erkenntnis alles dessen,
was durch die Dunkelheit der Natur verborgen ist, uns
stets ergreifen' : Ipsi enim quaeramus a nobis, stellarum
motus contemplationesque rerum caelestium eorum-
que omnium, quae naturae obscuritate occultantur,
cognitiones quem ad modum nos moveant. — Und
in den Tusculanen (V, 24, 69) ruft er aus: 'Mit
welcher Freude muss das Gemüt des Weisen erfüllt
werden, der mit diesen Forschungen Tag und Nacht
zubringt, zumal wenn er die Bewegungen und Um*
drehungen der ganzen Natur durchschaut und sieht,
dass die zahllosen Gestirne, welche am Himmel hangen,
mit dessen eig'ner Bewegung im Einklang stehen,
gebunden an fest bestimmte Sitze! . . Der Anblick
dieser war es zweifelsohne, der schon jene alten Weisen
drängte und mahnte, nach mehrerem zu forschen\
Die Erkenntnis des {Naturzusammenhanges zeigt den
menschlichen Geist in engster Verbindung mit dem
göttlichen, und das Nachdenken über das Wesen der
Götter weckt den Eifer, jenes Ewige nachzuahmen (25, 70).
Die Betrachtung der Natur also, auch wenn sie nicht nur
Sache des Gemütes, sondern des forschenden Verstan-
des ist, hebt den Menschen über das Alltägliche hin-
weg zum Ewigen empor, denn, wie im Timaeus cap.
n ausgeführt wird, hat der Demiurg, der 'probus fabri-
cator mundi pulcri', die Idee der Ewigkeit nachahmen
wollen (profecto speciem aeternitatis imitari maluit), und
ist also die Natur ein ewiges Abbild des Ewigen
(mundum simulacrum aeternum esse alicuius aeterni). —
Vergleiche und Metaphern aus dem Naturleben
finden sich nur selten in den Reden und philosophischen
3*
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Schriften Cicero's eingestreut. - Dem alten, nüchternen
Cato, der jedenfalls nur Sinn für Natur hatte, soweit sie
eben Nutzen und Gewinn bringend ist, legt er in Cato
M. cap. 15 begeisterte Worte in den Mund, die jener
wohl kaum über die Lippen gebracht hätte; eine 'un-
glaubliche Freude will er an den Genüssen der Land-
leute' (voluptates agricolarum) haben, nichts ist ihm er-
freulicher und schöner für den Anblick (quid potest esse
cum fructu tum aspectu pulcrius?) als der treibende
Weinstock oder als die Gärten imd Blumen, 'doch
freut mich nicht blos der Gewinn, sondern auch die
schaffende Kraft der Erde selbst' 15, 51 (quamquam me
quidem non fructus modo sed etiam ipsius terrae vis
ac natura delectat). Die Schönheit neben dem Nutzen
betont er, d. h. Cicero! auch in folgenden Worten:
*Soll ich nun noch mehr von dem Grün der Wiesen^
von den Reihen* der Bäume oder der Schönheit der
Weinberge und Ölgärten sprechen' ? 1 6 , 57 (quid de
pratorum viriditate aut arborum ordinibus aut vinearum
olivetorumque specie plura dicam)? Seiner Liebe fürs
Landleben (Studium rerum rusticarum) entspricht der
Vergleich 19, 70: 'Auch eine kurze Zeit ist lang genug,
um gut und rechtschaffen zu leben : schreitest du länger
vor, so hast du nicht mehr Ursach, dich zu beklagen,
als sich der Landmann beklagt, wenn die Anmut der
Frühlingszeit verflossen ist und nun der Sommer und
der Herbst kommt; denn der Frühling deutet gleich-
sam die Jugend an und lässt die künftigen Früchte er-
warten : die übrigen Zeiten sind dem Einernten und dem
Geniessen der Früchte angemessen; die Frucht des*
Alters aber ist die Erinnerung und der Vorrat früher
erworbener Güter'. —
Doch die für unser Thema bei weitem interessanteste
Stelle bietet der Anfang des zweiten Buches de legibus.
Während die kurze Schilderung der Platane (de orat. I^
7, 28) nur eine farblose Nachahmung der Platonischen
Phädrusstelle ist, enthält jene das offene Bekenntnis
des Atticus: 'Ich für mein Teil kann mich, da ich ge-
rade jetzt (im hohen Sommer) hierher (nach der kleinen
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Insel im Fibrenus) gekommen bin, nicht satt sehen.
• Prächtige Landhäuser, marmorne Fussböden und ge-
täfelte Decken sind nichts dagegen. Die Wasserleitun-
gen aber gar, welche jene Leute einen Nil und einen
Euripus nennen, wer muss sie nicht, wenn er dies hier
sieht, verlachen': Equidem, qui nunc potissimum huc
venerim, satiari non queo magnificasque villas et pavi-
menta marmorea et laqueata tecta contemno: ductus
vero aquarum, quos isti nilos et euripos vocant, quis
non, cum haec videat, irriserit?
Hiermit ist es klar und bündig ausgesprochen, dass
die Geburtsstätte eines bewussten, gesteigerten Natur-
gefühls die Sehnsucht, der städtischen Kultur zu
entfliehen, und der Abscheu vor künstlicher Nachahmung
der Natur ist — obgleich auch diese Nachahmung der
Natur selbst mit ihren künstlichen Flüssen deutliche
Kennzeichen einer sentimentalen Naturempfindung sind.
Für den Atticus 'nimmt die Natur (die freie, unge-
künstelte im ' Gegensatze zum städtischen Luxus) bei
allen Dingen, die man zur Erholung und Erheiterung
sucht, den ersten Platz ein': In his ipsis rebus, quae
ad requietem animi delectationemque quaeruntur, natura
dominatur.
Sehr bezeichnend für die Empfindungsweise der
Zeit ist es auch, wenn Atticus fortfalirt: 'Ich wunderte
mich, denn hier dachte ich mir nichts als Felsen und
Berge (nihil enim his in locis nisi saxa et montes
cogitabam), wozu mich deine Erzählungen und Ge-
dichte verleiteten, ich wunderte mich also, wie gesagt,
wie du an diesem Orte recht Freude haben konntest;
jetzt wundere ich mich vielmehr, wie du, wenn du von
Rom abwesend bist, irgendwo lieber sein magst'. Für
'Felsen und Berge' ist die Sympathie also nur gering!
Cicero findet aber 'an der angenehmen und gesunden
Gegend' noch besondere Freude, weil mit der Natur-
freude das Heimatgefühl sich verbindet: 'Hier, wisse,
bin ich geboren, deshalb habe ich ein verborgenes, un-
erklärliches Gefühl für diesen Ort', und Atticus fügt im
selben Sinne hinzu : 'Der Ort selbst, welcher die Spuren
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von denen, die wir lieben und bewundern, trägt, übt
auf uns einen unerklärlichen Einfluss aus'. Indes sind sie
auf ihrem Spaziergang zur Insel gekommen, und Atticus
ruft entzückt aus : 'Nein, es kann nichts Schöneres geben' l
(Sed ventum in insulam est. Hac vero nihil est amoenius).
'Denn wie wird der Fibrenus gleichsam von einem Keile
gespalten, bespült gleichmässig in zwei Teile sich trennend
diese Ufer und fliesst dann in rascher Strömung schoell
zusammen, nur so viel Land umfassend, als zu einem
massigen Ringplatze hinreichend ist. Und als ob es
blos sein Amt und seine Bestimmung gewesen, uns
einen Platz zur Unterredung zu verschaffen, stürzt er
sich, sobald er dies gethan, in den Liris und verliert,
wie wenn er in eine patricische Familie gekommen
wäre, seinen unbekannten Namen'. — Hier kommt also
ein lebhafter Sinn für Naturschönheit zu einem be-
wussten, warmen Ausdruck. —
Wer jedoch nach solchen interessanten Äusserungen
eines idyllischen Naturgefühls auf eine reiche Ausbeute
in den Ciceronianischen Briefen hofft und lebhafte
Schilderungen von landschaftlichen Eindrücken erwartet,
die der geistvolle Staatsmann auf seinen mannigfach unter-
nommenen Reisen oder auf seinen vielen Villen ge-
wonnen, der wird sich mit arger Enttäuschung durch die
vielen Bände hindurcharbeiten, die, so wertvoll sie als
historisch-politische Dokumente sind, so wenig zu Gunsten
ihres nichts weniger als charakterfesten Autors sprechen.
Die persönliche Angst und Not des Gebannten und
Flüchtigen drängt den ästhetischen Genuss der Reisen
zurück. Meist handelt es sich um die Geschwindigkeit
der Fahrt, die vom Meer, von Gunst oder Ungunst des
Wetters und Windes abhängt. So heisst es ad Atticum
V, 12 : 'Es ist ein langweiliges Geschäft (magnum nego-
tium) um eine Seereise, zumal im Monat QuinctiUs; wir
brachten sechs Tage mit der Fahrt von Athen nach Delos
zu' u. s. w. Oder ad famil. XVI, 9: 'In Actium ward
ich einen Tag vom stürmischen Wetter aufgehalten;
als sich dieses aber gelegt hatte, kam ich am 8ten
nach einer sehr angenehmen Fahrt (bellissime) zu Cor-
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cyra an. In Cassiope lichteten wir am 22sten die
Anker bei heiterem Himmel und fuhren in derselben
Nacht und am folgenden Tage mit einem äusserst ge-
linden Ostwind, der uns spielend nach Italien hinüber-
brachte' (ludibundi pervenimus). Auch die vielen Ver-
handlungen über einen Garten, den er kaufen will (ad
Attic. XII, 21, 22 ff), einen Hain oder besser einen
freien Platz, auf dem er seiner Tullia ein Monument
errichten will, bieten nichts. Berühmt ist seine grosse
Liebe zu seinen Landsitzen, den Zierden (ocelli) Italiens.
Die Arpinatische Villa nennt er seinithaca ; sein Tusculum
vergleicht er mit den Inseln der Seligen. An Atticus
schreibt er von seiner Villa bei Antium II, 6 : ^Ich finde
ein so grosses Behagen am Müssiggehen, dass ich mich
gar nicht davon losreissen kann. Ich vertreibe mir also
die Zeit entweder mit den Büchern . . oder ich (sitze am
Ufer und) zähle die Wellen (fluctus numero), denn zum
Fischen geht die See zu stürmisch\ Wie bei Euripides
sich unter anderen Vorboten des sentimentalen helleni-
stischen Naturgefühls vor allem der Sinn für Einsam-
keit kund that, so bietet auch Cicero bereits bemer-
kenswerte Ansätze von Empfindungsweisen, die erst
im augusteischen Zeitalter und später zu vollem Aus-
druck gelangen. III, 7 heisst es: 'Ich hasse alle
Orte, wo viele Leute ab- und zugehen, ich fliehe
die Menschen und kann den Anblick des Lichts kaum
ertragen\
XII, 9 schreibt er : 'Nichts könnte mir angenehmer
sein als die Einsamkeit dieses Ortes (nihil hac solitudine
— in Antiati — iucundius) wenn nicht der Sohn des
Amyntas (d. h. ein Philippus) mich unterbrochen hätte.
O der widerlichen Schwatzhaftigkeit ! Übrigens kann
schwerlich etwas angenehmer sein als dieses Landgut,
dieses Ufer, die Aussicht auf das Meer und alles andere
(cetera noli putare amabiliora fieri posse villa, litore,
prospectu maris, tum iis rebus omnibus). Doch, wie in
Euripides' Medea die Amme die Sentimentalität der
Phädra zurückweist, fügt Cicero die abdämpfenden
Worte hinzu: 'Aber- auch dies ist keines längeren Briefes
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w.ert' (sed neque haec digna longioribus litteris). Eine
schöne Aussicht rühmen ebenfalls die Worte Academ. II,
25, 80: 'Das Cumanum des Catullus kann ich von hier
aus sehen, das Pompeianum nicht, und doch liegt nichts
dazwischen, wodurch es verdeckt wäre; allein weiter
trägt einmal die Sehkraft nicht. Welch eine prächtige
Aussicht! (O praeclarum prospectum)! Da vor uns
liegt Puteoli'. Die Einsamkeit von Astura lindert seinen
Schmerz um Tullia ad Attic. XII, 13. Häufig preist er
die Anmut seiner zahlreichen Villen und die Stille und
Schönheit kleiner Orte, die ihm in den Wechselfällen
seines drangreichen politischen Lebens wohlthut. IV, 8 a
ad Attic. schreibt er von Antium : 'Man kann sich keinen
ruhigeren, anmutigeren Ort denken' (nihil quietius, nihil
amoenius.) III, i ad Quin tum; 'Von der Hitze erholte ich
mich wieder auf meiner Arpinatischen Villa, die der Fluss
(Fibrenus) zu einem so kühlen und anmutigen Aufent-
halt macht' (summa cum amoenitate tum salubritate
fluminis) ; ebenda nennt er das Fufidianum den schatten-
reichsten, kühlsten Ort, den Quintus sich zu einem
äusserst anmutigen Landgute machen könnte, wenn er
es noch mit einem Fischteiche, einer Palästra und einem
Lustwäldchen verschönerte (§ 3) u. s. f.
Auch von seinem Landhause auf der Insel Astum
schreibt er ad Attic. XII, 19 : 'Du hast recht, der hiesige
Ort ist anmutig und kann von den Vorgebirgen Antium
und Circei zu beiden Seiten als ein Eiland im Meer ge-
sehen werden' (est hie quidem locus amoenus et in mari
ipso, qui et Antio et Circeiis aspici posset); ad famil.
VII, 20 erwähnt er einen Lotusbaum, dessen Schönheit
sogar die Wanderer an sich lockt (lotum, a quo etiam
advenae teneri solent) und nennt Velia eine heimliche,
heilsame, reizende Gegend (remoto, salubri, amoeno
loco). —
An dem Literaturhimmel der sinkenden Republik
strahlt neben den beiden Sternen erster Grösse, neben
Cicero und Varro, dem Aristoteles der Römer, -^ dessen
hinterlassene Werke, wie das über die Landwirtschaft,
für unser Thema leider nichts von Bedeutung bieten, —
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ein bescheidenerer, aber von nicht minder hellem Glänze
— denn er bezeichnet den ersten, ja einzigen Lyriker der
Römer — der Veroneser C. Valerius Catullus. Er hat
manches, was an Heine erinnert. Er war ein Schüler der
Alexandriner; seine grösseren Gedichte sind geschickte
Nachahmungen ihrer Manier ; aber wie Heine sich lossagte
von den Romantikern und durch die Leidenschaft einer
unglücklichen Liebe zum Lyriker par excellence wurde,
so hat auch den Catullus der Liebesdämon auf eigene
Bahnen gewiesen und ihm Lieder eingegeben, wie sie vorher
und nachher kein Römer gesungen ; der Liebesgott gab
ihm die Kraft zu sagen, was er leide, in volltönenden
Versen zu beichten, was das junge Herz in Freude und
Schmerz bewegte. Der gefährlichen Kokette Clodia,
die er als Lesbia vergötterte, verdanken wir es, dass Ca-
tullus mehr ward als ein Verskünstler nach hellenisti-
schen Vorbildern, als ein gewandter Schüler eines
Valerius Cato, der da einen Catullus und Calvus und
Cinna lehrte, wie man 'mit bienenmässiger Emsigkeit
aus der ansehnlichen geographischen und mythologischen
Gelehrsamkeit eines Apollonios von Rhodos, Kallimachos,
Philetas, Aratos, Euphorion, als auch aus dem Bilder-
vorrat und den sonstigen Figuren der Diktion Honig
zusammentrage und aus diesem Extrakt des Extraktes
an langsamer, dünner Spiritusflamme endlich einen poeti-
schen Liqueur zu Stande bringe, der dann eben wieder,
um geniessbar zu werden, dem Leser nicht ohne die
klärende und verdünnende Brühe eines gelehrten Com-
mentars theelöfFelweise eingegeben werden konnte^
(Ribbeck). Des Catullus ^Buch der Lieder' bedarf in
seinen besten Teilen nur des Kommentars des Nach-
empfindens; es enthält Perlen echtester Gelegenheits-
dichtung; sind sie auch nur Kleinigkeiten, — denn
CatuU ist wie Heine ein Talent, aber kein Genie und
kein Charakter — so wiegen doch diese nugae schwer
in der Wagschale einer an wahrer Lyrik so armen Lite-
ratur, wie es die römische ist. In der Liebeslyrik aller
Zeiten hat aber die landschaftliche Natur ihre bedeut-
same Stelle, sie bietet für alle die wechselnden Stim-
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mungen die reichsten Reflexe. Dass nun in der Kunst,
die Seelenstimmung in die landschaftliche zu tauchen,
die Römer nicht so ganz hinter den Griechen zurück-
stehen, das zeigen besonders ihre Elegiker; ja, des CatuUus
Lieder können gleich als beachtenswerte Belege dienen, wie
man nur zu leicht geneigt ist, voreilig moderne Empfin-
dungsweisen als dem Altertum gänzlich fremd hinzustellen.
Entsagen will CatuUus im c. 8 der unseligen Liebes-
leidenschaft, sich losreissen von jener, die ihm Himmels-
glück zu kosten gegeben und ihn dann zurückgestossen ;
aber dieser Entschluss ruft einen harten Kampf in seiner
Brust hervor, denn die Erinnerung an die genossene
Seligkeit ist noch zu frisch:
Hör' auf, CatuUus, deinen Wahn zu liebkosen.
Und was verloren, lass verloren sein endlich.
Dir glänzten ehemals sonnenhelle Glückstage,
Als du gewandelt, wo das Mädchen dir winkte,
Die wir geliebt, wie keine noch geliebt worden.
Da war ein Spielen dies und das, ein viel süsses,
Wie dir es lieb war und dem Mädchen nicht unlieb.
Da glänzten wahrlich sonnenhelle Glückstage.
Miser Catulle, desinas ineptire.
Et quod vides perisse, perditum ducas,
Fulsere quondam candidi tibi soles, . . .
Die glücklichen Stunden stehen vor seiner Seele, er
malt sie aus: Fulsere vere candidi tibi soles.
Fürwahr, es leuchteten dir helle Sonnen!
Ist dem gegenüber noch das Bedenken von Hess^*)
berechtigt : 'Die Alten sprachen wol kaum von sonnigen
Tagen des Glücks' oder das — wie immer — apodiktisch
bestimmte Urteil Meisner's (S. 117 N. schweizer. Mus.
Bd. VI) : *^Den Alten fehlt ganz die Trauer des Herzens
über vergangenes GlückM? Und wer möchte leugnen,
dass das einzig herrliche c 77 der Ausdruck eines von
dieser Empfindung übervollen Herzens ist?! —
In dem Jubellied gemessender Lebenslust c. 5:
Xass uns leben, Geliebte, lass uns lieben' . . ruft er nüt
sinniger Symbolik:
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Sonnen können niedergehn und wieder kommen,
Doch wenn unser geringes Lichtlein einmal
Sinkt, dann schlafen wir eine Nacht für ewig.
Soles occidere et redire possunt,
Nobis, cum semel occidit brevis lux,
Nox est perpetua ima dormienda.
Darum: 'Liebste, küsse mich tausendmal und hundert*
u. s. f., wie er auch in c. 7 unersättlich seinem Liebchen
erklärt:
So viel libyscher Sand Cyrene's öde.
Lasertragende Steppen überbreitet.
Vom Orakel des sonnenheissen Ammon
Bis zu Battus', des alten, heiligen Grabmal,
So viel Sternelein als in stummer Nachtzeit
Auf der Menschen geheime Liebe blicken:
So viel Küsse von dir zu küssen wäre,
G*nug und übergenug für meinen Wahnsinn.
— Quam magnus numerus Libyssae arenae
Laserpiciferis iacet Cyrenis,
Oraclum Jovis inter aestuosi
Et Batti veteris sacrum sepulcrum,
Aut quam sidera multa, cum tacet nox,
Furtivos hominum vident amores,
Tam te basia multa basiare
Vesano satis et super Catullost . .
Schön ist besonders hier der zweite Vergleich von
den unzählbaren Sternen in schweigender Nacht. Sym-
pathetisch deutet der Dichter das Blitzen der Sterne ! —
Häufig kehren bei CatuU dieselben Vergleiche und Bil-
der wieder, so neimt er in c. 6 1, 205 die wonnigen Liebes-
spiele der Neuvermählten zahllos wie der afrikanische Sand
und wie die schimmernden Sterne ; vgl. c. 60 mit 64, 157. —
Voll Reiz sind die Minnelieder c. 2 und 3 auf den
Sperling seines Mädchens, den der Venus heiligen
Vogel, mit dem sie tändelt, um die innere Glut zu ver-
bergen, und um den sie ihre Augen rot weint, als der
herzige, süsse (mellitus) Sperling starb ^und jenen düstren
Weg nun wandert, den, sagen sie, keiner noch zurück-
kam\ O miselle passer!
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Tua nunc opera meae puellae
Flendo turgiduU nibent ocelli;
anmutig ist auch c. 5 das stolze Selbstlob der Galeotte,
die einst 'Behaarter Wald, der auf Cytorus* Bergeshöh'
Die bunten Haare sausend oft im Wind geregt^
Comata silva: nam Cytorio in iugo
Loquente saepe sibilum edidit coma;
— vgl. das waldige, 'behaarte^ Gallien, comata Gallia, 29, 3
und c. 61, 77: viden ut faces splendidas quatiunt comas?
V. 94 : viden? faces aureas quatiunt comas — ; ein Fortschritt
liegt besonders in der zur Metapher hinzukommenden,
allerdings noch primitiven Beseelung ^Loquente saepe sibi-
lum edidit coma' : Das im Winde säuselnde Laub flüstert !
Das Rauschen der ans Ufer schlagenden Wellen wird
schlicht geschildert 11, 3: 'Zu entlegnen Indern,
Wo den Strand antobt der Eoer Woge
Brausende Brandung,
Litus ut longe resonante Eoa Tunditur unda;
vgl. 34, V. 9: 'Dass du würdest im Waldgebirg Herrin
über den grünen Hain, Über buschige Felsenhöhn, Über
rauschende Ströme' : Montium domina ut fores Silvarum-
que virentium Saltuumque reconditorum Amniumque
sonantum.
Eine höchst stimmungsvolle, an Ennius erinnernde
Beseelung bietet c. 31, in dem Natur- und Heimatge-
fühl harmonisch zusammenklingen:
Paene insularum, Sirmio, insularumque
Ocelle, quascunque in liquentibus stagnis
Marique vasto fert uterque Neptunus,
Quam te libenter quamque laetus inviso . .
Salve, o venusta Sirmio, atque ero gaude:
Gaudete vosque, o Libuae lacus undae:
Ridete, quidquid est domi cachinnorum.
Von allen Inseln, Sirmio, und Halbinseln
Mein Augenstern, so viel' in klaren Landseen
Und Meeres Weite rings der Wassergott hütet,
Wie froh erblick' ich, wie zufrieden dich wieder ! . .
Heil dir, o schönes Sirmio, sei dem Herrn freundlich ;
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Ihr alle freut euch, meine muntern Seewellen,
Und was daheim vor Wonne lächeln mag, lächle!
In c. 46 lockt die Frühlings- und Wanderlust ihn in die
Weite :
lam ver egelidos refert tepores,
lam caeli furor aequinoctialis
lucundis zephyri silescit auris.
Linquantur Phrygii, CatuUe, campi . .
Ad ciaras Asiae volemus urbes.
lam mens praetrepidans vagari,
lam laeti studio pedes vigescunt . .
Schon bringt mildere Luft der Frühling wieder,
Schon ermattet des winternächt^gen Himmels
Wut, vor Zephyrus' liebem Hauch verstummend.
Lass die Phryger Gefilde denn, Catullus!
Auf! gen Asia's schöne Städte ruft es.
Schon voraus in die Weite schwärmt der Geist mir^
Schon hebt fröhliche Wanderlust die Füsse . .
Eine prächtige Morgenschilderung entrollt uns der
Dichter in dem — auch metrisch höchst kunstvollen —
c. 63 V. 39:
Doch sobald den Strahlenblick Sol, der umgoldete^
in die Welt,
In den Äther, auf das Meer und die starre Erde
warf.
Und der Nacht Gedüster wegtrieb mit dem rüstigeren
Gespann, . .
Sed ubi oris aurei Sol radiantibus oculis
Lustravit aethera album, sola dura, mare ferum
Pepulitque noctis umbras vegetis sonipedibus . .
Da weicht der Schlummer von Attis ; die grause, im Wahn-
sinntaumel verübte That der Entmannung tritt ihm vor die
Seele , er stürzt von heisser Sehnsucht bewegt (animo
aestuante) an die Flut, starrt mit thränendem Auge ins ufer-
lose Meer (in maria vasta visens lacrimantibus oculis) — das
wüste Meer harmoniert niit seiner *^auf und ab wallen-
den' Seelenstimmung, — und bitteres Heimweh presst
ihm die Worte aus : 'O Erzeugerin, o Heimatland . . O
wo bist du geliebtes Land du? Wo begegnest du dem
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Blick? . . Das glückliche Leben daheim! und nun Soll
ich, ein verstümmelt Halbgeschopf, Ich des grünen Ida
Schneehaupt, das begletscherte, so umgehn ? Ein verödet
Leben hinziehn an den Felsenhörnern hier. Wo die
Hinde treibt im Dickicht, wo der Eber in dem Ge-
büsch?' . , So fasst ihn der ganze Schrecken der wilden
Gebirgseinsamkeit :
Ego viridis algida Idae nive amicta loca colam?
Ego vitam agam sub altis Phrygiae columinibus,
Ubi cerva silvicultrix , ubi aper nemorivagus? . .
vgl. V. 52.
In ähnlicher verzweifelter Stimmung steht die am
einsamen, wellenrauschenden (fluentisono) Meeresstrand
von Theseus treulos verlassene Ariadne c. 64, v. 5 2 ff;
wie die Wogen branden und das Gewand im Winde
wallt (fluitantis amictus), wogt ihr eigenes Herz im
Schwalle der Sorgen, 'magnis curarum fluctuat undis'
V. 62. Dieselbe schöne, der Situation so fein angepasste
Metapher begegnet wieder v. 97 : 'In welches Gewog
stürztet ihr das liebeentflammte Mädchen' ! Qualibus
incensam iactastis mente puellam Fluctibus. — Und
Wogen des Wehes erschüttern sein Herz (Mens animi
tantis fluctuat . . malis) c. 65, 3, da die Welle des
Lethestrudels den bleichen Fuss des lieben Bruders be-
netzt hat. ^®) Würdig reiht sich somit das Catullianische
^fluctuare' dem Pindarischen ytvinalvea&ai jtox^ot an; und
wie seit Homer es üblich geworden, nutzlose Worte,
leere Schwüre den Winden und Wellen preiszugeben,
so heisst es von Theseus c. 64, v. 59, dass er in der 'Winde
Gebraus warf die nichts geltenden Schwüre' (inrita ven-
tosae linquens promissa procellae), vgl. 19, 4; 64, in,
142 ; c. 65, 17 : *^ Worte den schweifenden Winden vertraut',
(dicta vagis nequiquam credita ventis). ^ ') — 'Das gab'
ich den lustigen Winden, die trügen es lustig fort'
singt Heine. — Eine hübsche Modifikation des Bildes
enthält c. 64, v. 138: 'Dieses Gebot, das sonst Theseus
in beständigem Herzen hütete, flog nunmehr, wie im
Hauche der Wind' ein Gewölk lein über den schneeigen
Wipfel des Berges entfliegt, in die Weite' (ceu pulsae
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ventorum flamme nubis | aerium nivei montis liquere
cacumen). — Eine herrliche Meeresischilderung bietet das
Gleichnis v. 269 dar:
Jetzt wie des ruhigen Meeres Flutplan mit dem Atem
der Frühe
Zephyrus leichtanschauernd hinauslockt hüpfende
Wellen,
Wenn an der wandernden Sonne Gezelt Aurora
emporsteigt,
Die anfangs schlafträge, gedrängt vom säuselnden
Luftzug,
Seewärts gehn, leisrauschend, es hallt wie heimlich
Gekicher ;
Aber der Wind schwillt an, schon rollen sie höher
und höher,
Und bald fernhin sprühn die entschwimmenden unter
dem Glührot:
Also war's, dass jene, die räumigen Hallen verlassend,
Heim auf hurtigen Füssen bewegt hie-zogen und
dorthin :
Hie qualis flatu placidum mare matutino
Horrificans zephyrus proclivas incitat undas
Aurora exoriente vagi sub limina solis,
Quae tarde primum clementi flamine pulsae
Procedunt (leni resonant plangore cachinni),
Post vento crescente magis increbrescunt
Purpureaque procul nantes a luce refulgent . .
Catull führt hier — wol nach einem alexandrinischen
Vorbilde — die Homerverse weiter aus IL VII, 61 : riov
dt OTixeg uaxo TiwjvaL ^Aaniöi mc xogvx^eooi aal iyyßot
^ecpqmvai. 0%ri de ZecpvQOio iy^varo Ttovrov btcl cpgl^
X^QVvf.i6voio viov, fxeXdvEi ö^ re ttovtov V7t avrrjg' Tolai . .
Der von schwerem Schicksalsschlage Getroffene er-
scheint dem Dichter c. 68, 5 : 'Gleich dem Gestrandeten,
den Sturmflut an die Küste geworfen\ (naufragum ut
eiectum spumantibus aequoris undis) ; die Thränenströme
fliessen über die Wangen v. 57 'wie ein Gebirgsbach
aus moosbraunem Gestein blinkend hervorstrudelt.
Der kopfüber gewälzt durch neigende Thäler und Gründe
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Bis an den Heerweg fort zieht in des Volkes
Verkehr,
Köstliche Frischung bringend im Schweiss dem er-
müdeten Wandrer,
Wann ausdörrender Brand klaffend die Äcker zer-
reisst :
Qualis in aerii perlucens vertice montis
Rivus muscoso prosilit e lapide,
Qui cum de prona praeceps est valle volutus,
Per medium sensim transit iter populi,
Dulce viatori lasso in sudore levamen,
Cum gravis exustos aestus hiulcat agros.
Zart und sinnig sind auch die Bilder aus Blumen- und
Pflanzenwelt, die zum Teil der Sappho abgelauscht sind.
Das neu erwählte Mädchen nennt er von grünendster
Jugendblüte c, 17, 15: viridissimo nupta flore puella,
*wähliger als das zarteste Zickchen' (tenellulo deli-
catior haedo), und darum 'ist es auch ängstlicher zu
hüten als die dunkelste Traube' (asservanda nigerrimis
diligentius uvis). Sein Juventius ist die Blüte der Ju-
ventii: flosculus Juventiorum 24, i.
Die hochzeitlich geschmückte Aurunculeia erinnert
ihn an die Hyacinthe im bunten Beete des Gärtchens
c. 61, 91 : Talis in vario solet Divitis domini hortulo Stare
flos hyacinthinus ; in ihre Arme wird sich der Gatte
schmiegen, *wie die Rebe um den Baum sich schlingt^
v. 106: Lenta quin velut adsitas Vitis inplicat arbores,
Inplicabitur in tuum Complexum; die Gattin strahlt w
192 'blühenden Antlitzes wie die weisse Lilie oder der
rosige Mohn' (Ore floridulo nitens Alba parthenice velut
Luteumve papaver) — ein ähnliches Farbenspiel wie bei
Ennius ann. 355 : Et simul erubuit ceu lacte et purpure
mixta; vgl. Cat. 64, 162:
Candida permulcens liquidis vestigia lymphis
Purpureave tuum consternens veste cubile.
Direkt an Sappho erinnert der Vergleich der keuschen
Jungfrau mit der unberührten Gartenblume c. 62, 39:
Wie in umfriedetem Garten gehegt aufwachset ein
Blümchen,
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_j49 _
Fremd dem genäschigen Zahn, von der Pflugschar
nimmer verwundet,
Lüftlein kosen mit ihm, Tau tränkt und die Sonne
belebt es,
Viele Jünglinge begehren, der Mädchen suchen es
viele ;
Aber sobald es geknickt vom leisesten Finger ver-
blühn muss,
Nicht Jünglinge begehren und nicht mehr suchen es
Mägdlein :
Also die Jungfrau, keinem berührt, ist Wonne der
Ihren u. s. f.
Ut flos in saeptis secretus nascitur hortis,
Ignotus pecori, nullo convolsus aratro,
Quem mulcent aurae, firmat sol, educat imber etc.
Und in nicht minder poetischem Bilde antwortet der
Chor der Jünglinge:
Wie auf blachem Gefild einsam die verlassene Rebe
Nimmer empor sich hebt, nie schwellende Trauben
heranreift.
Sondern das schwanke Gewächs von der Wucht-
kraft niedergezogen
Nickt sie und rührt gar bald mit dem äussersten
Spross an die Wurzel;
Die nun achtet der Landmann nicht und der pflü-
gende Stier nicht;
Aber vereiniget je das Geschick sie dem gattenden
Ulmbaum,
Nimmt sie der Landmann willig in Acht und die
pflügenden Stiere:
Also die Jungfrau, keinem berührbar, altert verab-
säumt ;
Wenn sie in reifender Jugend gewann gleichartiges
Ehband,
Wird sie dem Mann erst lieber und mindere Last
den Erzeugern.
Ut vidua in nudo vitis quae nascitur arvo
Numquam se extollit, numquam mitem educat
uvam,
Diese, die Entwicklung des Xaturgefühls bei den Krunern. 4
Digiti
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50
Sed tenerum prono deflectens pondere corpus
Jam iam contingit summum radice flagellum etc.
In der mütterlichen Pflegne wuchs Ariadne heran 64, 89 :
Wie an Eurotas' Wassern erwächst die bescheidene
Myrte
Oder der Frühlingshauch vielfarbiges Blühen heran-
zieht,
Quales Eurotae progignunt flumina myrtos
Aurave distinctos educit verna colores.
Im Parzenliede werden die Thaten des Achilles ge-
priesen, deren Zeugen die troischen Mauern und die
Wellen des Skamander sein werden.
Denn wie im dichten Getreid Komährlein köpfend
der Schnitter
Sommerlich unter der Glut goldwogende Fluren da-
hinmäht :
Also mäht er die Leiber des Troergeschlechts mit
dem Mordstahl,
Namque velut densas praecerpens cultor aristas
Sole sub ardenti flaventia demetit arva . . .
Häufig sind metaphorische Beiwörter wie 'rosig' (roseis
labellis 65, 74), 'schneeig' (niveos artus 64, 364); beide
Epitheta begegnen in beliebtem Farbenkontrast 64, 309
'rosige Binden auf schneeigem Scheitel' (At rosae niveo
residebant vertice vittae); dazu gehört auch das Säen
von dornigen Sorgen in die Brust der Ariadne 64, 72:
Spinosas Erycina serens in pectore curas.
Als ein junger Mann sank Catull ins Grab. Mit
ihm schliesst die Periode der republikanischen Literatur.
Auch in den Äusserungen seines Naturgefühls weist er
schon in eine neu anbrechende Zeit, in die Zeit der
augusteischen Dichter. Des Ennius , des Lucretius
Werke waren die ersten kühnen und glücklichen Ver-
suche, die starre, spröde Form der lateinischen Sprache
für den weichen Stoff hellenischer Weisheit und helleni-
scher Kunst gefügig zu machen. Catull löst sich aus
den fremden Banden, aus dem Zwange sklavischer
Nachahmung, bahnt neue Wege an und spricht in
kunstvollen Versen seine eigenen, dem römischen L^ben
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51
durchaus entsprechenden Empfind\ingen aus. Wie viel
reicher und feiner, weil individueller und subjektiver,
ist er in seinen Vergleichen, Metaphern, Beseelungen
und Schilderungen, als seine Vorgänger. Die auf Natur-
anschauung beruhenden Vorstellungen werden eben
immer geläufiger, das Auge wird immer geübter und
der Sinn immer schärfer für die Reize und die Schönheit
der landschaftlichen Natur. Bricht auch noch keine
empfindsame Liebe zur Natur um ihrer selbst willen
hindurch — wie bei dem Vorboten einer neuen griechi-
schen Epoche, wie bei Euripides — , wird die Natur
auch noch nicht zum alleinigen Gegenstande der Schilde-
rung — wie in Griechenland zur Zeit des Hellenismus — ,
so ist doch ein grosser Fortschritt unverkennbar. Die
Empfindungsweise wird wärmer, inniger; die Schilde-
rung intensiver, individueller.
Neben. Catull steht Cicero, der seine, im Gegen-
satz zu dem Epikureer Lucrez wesentlich stoische
Begeisterung für die Natur als Ganzes, als Ursprung
aller Dinge, als Kosmos, den Griechen abgelauscht hat ;
er bietet bedeutungsvolle Zeugnisse einer erhabenen
Naturbetrachtung, aber zugleich verleugnet er auch nicht
die ästhetische Bewunderung der Natur, den Genuss ihrer
Schönheit und Pracht und seine Vorliebe für anmutige
Gegenden, besonders für seine Villen, wenngleich alles das
auch ihm noch nicht gerade längerer Erörterung wert
dünkt. — Die übrigen Prosaiker bieten nichts von Belang ;
durchaus knapp und nüchtern sind die Lokalschilderun-
gen in den militärisch*politischen Werken Caesar's und
Salhist's; mögen des letzteren prachtvolle Gärten auf
dem Esquilin von einem hochgradigen Natursinne ge-
zeugt haben — le luxe des jardins suppose toujours
qu'on aime la natüre (Mad. de Stael) — , sein bellum
Jugurthinum verrät uns davon nichts. Eine empfindungs-
warme, poesiedurchwehte Prosa erblüht stets erst auf
dem Gipfel der Literatur. —
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Drittes Kapitel.
Das elegisch -idyllische Naturgefühl im
augusteischen Zeitalter.
Die Zeit des Augustus bezeichnet einen Wendepunkt
in dem römischen Kulturleben wie die Alexanders des
Grossen in dem griechischen. Wie allen Übergangsperio-
den ist auch ihr eine gewisse Unruhe und Unfertigkeit
eigen, welche edle, das Alte ungern preisgebende
Männer unbehaglich und wehmütig stimmt, so dass sie
sich von der Gegenwart zurück flüchten in eine glück-
lichere Vergangenheit, in der noch echt* römische Sitten-
strenge und hingebende Vaterlandsliebe, aufopferungs-
freudige Selbstlosigkeit im Interesse des Ganzen herrschte
und noch nicht das Jagen und Ringen nach Erwerb,
Genuss und Ruhm die Gemüter fieberhaft erregte und
noch nicht ein unbeschränkter Trieb zur Geltendmachung
der Individualität einen krankhaften Ehrgeiz, einen
selbstsüchtigen Materialismus erzeugte oder ein Buhlen
um die Gunst der Mächtigen an die Stelle freier politi-
scher Arbeit trat. Der Zug der Zeit wird kosmopolitisch,
international ; die Richtung der republikanischen Epoche
war centripetal, die des augusteischen Zeitalters wird
centrifugal. Das Kaiserreich bedeutete für Rom den
Frieden, der die Wiege für Kunst und Wissenschaft
ist. Augustus übte ein mildes Patronat der Geister,
und die Poesie trat in den Dienst des Hofes; die Dichter
wenden sich nicht ans Volk, sondern an die höchsten
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. 53
Gesellschaftsklassen, sie werden daher universeller ; aber
auch die Poesie wird nicht als Gottesgabe weniger Er-
wählter, sondern als ein Gemeingxit betrachtet, das
jeder durch Ernst und Studium sich erwerben zu
können wähnt. Das Streben nach umfassender, viel-
seitiger Bildung erwachte mehr und mehr, und da Ruhe,
Ordnung und Sicherheit nach den Stürmen der Bürger-
kriege eintrat, ward der angeborenen Reise- und Wan-
derlust ungehindert gehuldigt, und die Anschauung
grossartiger und lieblicher Gegenden, sowie die Ver-
tiefung geographischer und botanischer Kenntnisse
waren auch für die Weiterentwicklung des Naturgefühls
von Bedeutung. Das Homerische: 'Die Erde ist allen ge-
meinsam^ war, wie Aristides in seinem Preislied auf Rom
begeistert ausruft, zur Wirklichkeit geworden. Lichtvoll
hat Friedländer, Sittengeschichte 11 S. 3— 122 dargethan,
wie grossartige Strassensysteme, Wegekarten, Stationen-
verzeichnisse die Reisen erleichterten, wie nicht blos
Geschäfte, Amtspflichten, sondern auch Forschungstrieb
iöid Kunstbedürfnis die Gebildeten über Land und Meer
führte, wie aber auch mit allem Raffinement und Luxus
der Zeit Erholungs- und Vergnügungsreisen an die
schönsten Punkte Italiens und Siciliens unternommen
wurden: nach Ostia, Astura oder Antium mit seinen
prachtvollen, zum Teil ins Meer gebauten Palästen, wo
noch jetzt Reste versunkener Herrlichkeit überall aus
dem Meere ragen oder durch die durchsibhtige Flut vom
Boden heraufschimmern (S. 46), oder in die Gebirgsorte
wie Tibur, Praeneste, Tusculum, an die 'wildschönen Ufer
des Anio', die rings mit Villen dicht besetzt waren,
oder nach Neapel und Bajae, diesem ersten Luxusbad
der Welt, wo sich Villen teils auf weitschauenden Höhen,
teils unmittelbar am Rande des Meeres oder im Meere
selbst erhoben. Griechenland lockte schon als Land
der Vergangenheit, und 'in der Stille und Einsamkeit, die
über Land und Städte gebreitet war, trat das Bild der
grossen Vergangenheit nur um so überwältigender vor
die Seele des Wanderers'. Aber auch in Ägypten
konnte der Reisende sein historisch-ethnographisches
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54
Interesse und die romische Vorliebe an wunderbaren
Phänomen befriedigen. Von dem lebhaft sich ent-
faltenden Natursinne zeugt der Kultus, den man an
zahllosen Grotten, Höhlen, Quellen, Hainen und Bäumen
pflegte, zu denen man andachtsvoll, dcis geheimnisvoll
waltende numen in der Natur verehrend, pilgerte, zeugen
ferner die Trümmer der Villen und Paläste am Meeres-
gestade oder an See- und Flussufern oder auf hoher
Bergeswarte. — Gar mancher tiefer oder mit beschau-
licher Denkweise Veranlagte flüchtete sich aus den
Wirren des grofsstädtischen Lebens, aus der unerquick-
lichen Sphäre eines verderbten Hofes, aus der Welt des
Scheins und der Heuchelei in die ewig reine, ewig freie,
grosse Natur, und siehe da, es ward das hellenistische,
empfindsame, elegisch - idyllische Naturgefühl geboren,
in das sich dann auch von selbst gar bald die Erotik als
eff"ektvolles Bindeglied einfügte.
Die Literatur und vor allem ihre höchste und
glänzendste Erscheinung dieser Epoche, die Poesie, be-
kundet einen deutlichen Niederschlag aller dieser kultur-
historischen Momente. —
P. Vergilius Maro ist eine der reinsten Erschei-
nungen der römischen Literatur, eine kindlich harmlose Na-
tur, eine anima Candida, die 'sich gern aus den Wirren der
Gegenwart in idealisierte Naturzustände flüchtete, wo-
durch seine Dichtung jenen sentimentalen Zug erhielt,
der ihn einem folgenden Weltalter so wahlverwandt er-
scheinen lässt^ (Carriere). Wohl bewundern wir die
stolze, oft prächtige Diktion im Vergleich zu früheren
Dichtern, aber vor einem Theokrit und gar vor einem
Homer treten auch seine Dichtungen zurück, wie der
Mond und die Sterne vor der flammenden Sonne
weichen. ^ ^)
Die Vergilischen Eklogen entbehren jener dramati-
schen Ansphaulichkeit, die jede einzelne des Theokrit zu
einem vollendeten Kabinetstück macht, aber sie verraten
die Ideenverwandtschaft, die Homogenität der Zeitrich-
tungen, welche Hellenismus und die römische Literatur
unter den Kaisem verbindet. Wehmütige Sehnsucht nach
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55
der unverfälschten Natur, nach dem ländlichen Frieden im
Gegensatz zu städtischer Hyperkultur , kurz ein idylli-
sches Naturgefuhl ist der Untergrund dieser 'BiWchen'
aus dem Leben der Hirten, die *unter dem Dache der
breitastigen Buche' (I. i) odear in der rebenumrankten
Grotte (V, 5) die Rahrpfeife um die Wette spielen, Wald
und Thal wiederhallen lassen und um die spröden Schönen
werben. Wie der verliebte Cyklop bei Theokr. XI, 42
die liebliche Galatea angirrt, so rühmt ihr Möris Ekl.
IX, 39 sein herrliches Dasein:
Komm hierher, Galatea, was soll denn dein Spiel in
den Wogen?
Hier ist purpurner Lenz, bunt hier um die Borde
der Bächlein
Streute Blumen die Flur; hier ragt die silberne
Pappel
Über die Grott', und es flechten geschmeidige Reben
ein Laubdach.
Komm hierher, lass tobend zum Strand aufschlagen
die Brandung.
Glückselig wird der Greis gepriesen I, 46 ff, dem sein
Landgut und somit der Genuss vielfältiger Freuden ge-
blieben ist:
O' glückseliger Greis, hier zwischen vertraulichen
Buchen
Und an heiligen Quellen erfrischt dich schattige
Kühlung,
Dort der Zaun, der hinab an benachbarter Grenze
des Feldes
Stets hybläische Bienen in Weidenblüte bewirtet,
Tönt mit leisem Gesumme dich oft in gemächlichen
Schlummer :
Hier am hangenden Fels singt hoch der scherende
Winzer,
Während indes dein Liebling, die heisere Taube
des Waldes,
. Rastlos girrt, und die Turtel vom luftigen Wipfel
der Ulme.
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56
Fortunate senex! hie inter flumina nota
Et fontis sacros frigus captabiis opacum.
Hinc tibi, quae semper, vicino ab limite saepes
Hyblaeis apibus florem depasta saiicti
Saepe levi somnum suadebit inire susurro.
Hinc alta sub rupe canet frondator ad auras:
Nee tarnen interea raucae tua cura palumbes
Nee gemere aeria eessabit turtur ab ulmo.
Vgl. die reizende Copa und im Culex die idyllische Schilde-
rung der weidenden Herde, v. 69: „Wer kann glück-
licher sein als wer mit reinem Sinn ferne von neid-
erregenden Schätzen und traurigen Kriegen ein seliges
Hirtenleben führt!"
Wie in allen Pastoralien steht auch in den Eklogen
die Herde und die leblose Natur dem schlichten Schäfer-
völkchen innig vertraut, wie eine mitklagende und mit-
lachende Freundin, gegenüber. Scheidet der Hirte von
seinen Äckern, seinen Birnen, Reben und seinen Ziegen,
so will ihm das Herz fast vor Weh zerspringen, I, 72 ;
nach dem abwesenden Tityrus sehnen sich I, 38 die
Pinien, selbst die Quellen, selbst die Gehölze (ipsae te,
Tityre, pinus Ipsi te fontes, ipsa haec arbusta voca-
bant); den vor Liebe vergehenden Gallus beweinten
Lorbeer und Tamariske und der Fichten tragende
Maenalus und die Felsen des kalten Lycaeus X, 13.
Als Daphnis in den erbarmungslosen Tod sinkt,
sind nicht nur die Haselgebüsche und die Bäche Zeugen
der Trauer deV Nymphen V, 2ofF, und kostet vor
Kummer keines der Tiere den Strom und berührt keines
ein Hälmchen des Grases, sondern öde Berge und Wäl-
der bezeugen es, dass selbst die punischen Löwen
ihn beseufzten:
Daphni, tuum Poenos etiam ingemuisse leones
Interitum montesque feri silvaeque loquuntur.
Mit der Pales und mit Apollo weicht nach dem Tode des
herrlichen Hirten die Fruchtbarkeit von den Feldern
V, 35, statt der Gerste sprosst unseliger Lolch, statt
des liebliehen Veilchens und der purpurnen Narzisse
steigt die Distel empor und scharfgenadelter Steehdorn.
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57
Und als Daphnis über die Schwelle des Olympus tritt
<V, 56), unter sich Wolken und Sterne, da fasst Ent-
zücken die frohen Wälder (alacris Silvas) und die Fluren, . .
Selbst nun schwingen empor ihr Jubelgetön zu den
Sternen
Struppige Bergwildnisse, ja selbst lobsingein die
Felshöhn,
Selbst Weinbäumen entschallt: Gott, Gott ist jener,
Menalcas !
Ipsi laetitia voces ad sidera iactant
Intonsi montes; ipsae iam carmina rupes,
Ipsa sonant arbusta: *^deus, deus ille, Menalca!^
Ja, die Fluren und Bäche spiegeln, wie bei Thepkrit,
auch bei Vergil VII, 53 die Trauer über das Scheiden
und die Freude über die Wiederkehr des Geliebten
\weder: Ringsum liegen die Früchte,
Alles umher nun lacht. Doch sobald mein schöner
Alexis
Unser Gebirge verliesse, du sähst auch die Bäche
vertrocknet:
Omnia nunc rident. At si forraosus Alexis
Montibus his abeat, videas et flumina sicca.
Und Thyrsis entgegnet:
Dürr ist Acker und Flur, in der Glut krankt durstig
das Kraut hin —
Doch wann unsere Phyllis erscheint, grünt jegliche
Waldung ;
Jupiter auch stürzt reichlich in fröhlichem Regen
herunter :
Aret ager, vitio moriens sitit aeris herba . .
Phyllidis adventu nostrae nemus omne virebit,
Juppiter et laeto descendet plurimus imbri. —
Ein sympathetisches Naturgefühl, wie es uns, die
griechische Lyrik bot, klang leise in des Catullus Hei-
matlied an; bei keinem anderen römischen Dichter
bildet es einen so bedeutsamen Grundton wie bei Vergil.
Es fand der Dichter von Mantua eine verwandte Saite
seiner zarten, weiblich organisierten, träumerischen Seele
durch die stimmungsvolle Naturmalerei des Theokritos,
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58 •
angeschlagen, der so meisterlich jene feinen Bezüge
zwischen Geistigem und Natürlichem aufdeckt und beide
Sphären in Harmonie oder Kontrast setzt. Lucrez
malt wol die Natur in kraftvoUai Versen, Vergil vin-
diziert ihr eine Seele, ein mitempfindendes Leben — les
paysages d'Homere nous charment comme un.taUeau^ ceux
de Virgile nous 6mouvent comme une melodie (Laprade).
Auch der schöne Gesang der Hirten zieht
die Natur in seinen Zauberbann; nicht blos horchen
verwundert starr die junge Kuh und die Luchse, son-
dern auch der Bergstrom wendet den Lauf und ruht
aus Vni, 4 : Et mutata suos requierunt flumina cursus ;
und der Maenalus hat tonreiches Gehölz (argutum nemus)
und melodische Fichten (pinusque loquentes) v. iz, denn
*stets hört er der liebenden Hirten Gesänge\
Der von Liebesleid Geplagte flüchtet sich dorthin,
'wo dicht aufstreckt die schattigen Wipfel der Buchen-
hain' II, 3 (inter densas umbrosa cacumina fagos Assi-
due veniebat), und klagt dann einsam Bergen und
Wäldern seine Not; ja, Gallus will X, 50 in die Ein-
samkeit fliehen, wo nur das Wild in seiner Höhle sein
Genosse ist, im Walde still leiden und seine Liebe den
Bäumen vertrauen: aufwachsen werden die Bäume und
die Naraenszüge der Geliebten!
Certum est: in silvis, inter spelaea ferarum
Malle pati tenerisque meos incidere amores
Arboribus: crescent illae, crescetis amores.
Doch solche sentimentale Regung, als Jäger mit Bäumen
und Tieren nur zusammenzuleben, erscheint selbst dem
Liebeskranken nur als eine medicina furoris, als etwas
Ungesundes, Widernatürliches. ^^)
Die Bilder und Gleichnisse entsprechen natürlich
der Hirtensphäre. Will man Rom und Mantua ver-
gleichen, so ist jenes eine hohe, kernfeste Cypresset
dieses ein geschmeidiger Faulbaum: I, 25. An die Ver-
gänglichkeit der schönen Gestalt mahnt den spröden
Knaben das Wort II, 18: 'Weisser Liguster verwelkt,
die dunkle Vaccinie pflückt manM Korydon folgt dem
Alexis V. 63, 'wie die Löwin dem Wolfe, wie der Wolf der
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t ■
Ziege, wio das naschhafte Zicklein dem blühenden Cytir
sus'j 'verhängnisvoll ist Hürden der Wolf, dem reifen
Korn das Gewitter, fruchttragenden Bäumen der Wind,
und unß dein Zorn, Amaryllis' heisst es IH, 80 u. s. f. 'Wie
die Rebe den Bäumen zum Schmuck dient, wie der Rebe
die Traube u. s. f., so du den Deinen' V, 3^. Der Ge-
sang ist lieblicher als der Schlummer dem Müden im
Gras oder der labende Trunk aus dem springenden
Quell dem Durstigen am Mittag v. 45, vgl. Theokr. I^
7, VIII, 81. Galatea ist VII, 37 süsser denn hybläischer
Thymian, weisser denn Schwäne und schöner als hellgrün
rankender Epheu; Thyrsis will dem Korydon bitterer
scheinen denn Sardos Kräuter, rauher als Mäusedorn und
gewöhnlicher als ausgeworfenes Meergras; v. 45 malt
Korydon eine Frühlingsscene am schattigen Quell und
nennt das zum Lager ladende Gras weicher, sanfter als
Schlaf (somno moUior herba). Schön findet Thyrsis v. 65
die Esche im Walde, die Pinie in den Gärten, die Pappel
am Bach und die Tanne auf luftigen Berghöhen, doch
'wenn du öfter zu mir, holdseliger Lycidas, wandelst,
müssen die Esche und Pinie nachstehen\
Mit Naturunmöglichkeiten spielt wie Theokr. I, 13a
Vergil I, 59: 'Eher wird der Hirsch im Äther weiden,
das entweichende Meer die Fische auf dem Trockenen
lassen . ., als dass des Caesar Antlitz aus unserem
Herzen weiche', vgl. VIII, 53. Die Schilderungen der
Tages- und Jahreszeiten sind knapp, doch nicht ohne
individuelle Färbung, wie am Schluss der ersten Ekloge :
Schon auch steigt in der Ferne der Rauch aus
ländlichen Giebeln,
Und von den Höhn des Gebirgs erstrecken sich
grössere Schatten,
oder II, 8: * Jetzt auch suchen die Schafe den Schatten
und Kühlung, jetzt verkriecht sich im Dom die grünliche
Eidechse', vgl. Theokr. 84, 22 ; oder der Morgen wird ge-
schildert VIII, 14: "^Kaum war vom Himmel gewichen der
kühle Schatten der Nacht, wann noch lieblich der Herd'
auf zartem Grase der Tau ist' ; oder der Frühling III, 56 :
'Nun blüht jedes Gefild und jeglicher Baum von. Er-
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zexxgung, Nun ist laubig der Wald, nun üppige Schöne
des Jahres' (Et nunc omnis ager, nunc ohmis parturit
arbos, Nunc frondent silvae, nunc formosissimus annus).
Die Stille in der Natur malt IX, 57 — vgl. Theokr.
VII, 57, VI, II -:
Und nun schweiget dir rings der gebreitete Spiegel,
es ruhet,
Siehe doch, jegliches Lüftchen des ungestümen Ge-
räusches,
Et nunc omne tibi Stratum silet aequor et omnes
Adspice ventosi ceciderunt murmuris aquae.
Catull hatte schon 64, 384 fF. nach alexandrinischer
Manier die alte selige Vorzeit gepriesen im Gegensatz
zur verderbten Gegenwart; Vergil prophezeit in der
4ten Ekloge das Anbrechen eines neuen Weltenfrüh-
lings, den der Entsündiger Apollo mit der Geburt des
Sohnes des Consul Polio heraufführen wird: dann wird
die Erde von selbst ihre Gaben spenden, Blumen und
edle Pflanzen brechen hervor, gefahrlos weiden die
Herden, ohne Furcht vor wilden Tieren; diese werden
vergehen; sterben wird das Schlangengezücht und die
giftige Pflanze; überall reichste Fülle, mühelos ohne
Meerfahrt, ohne Krieg, ohne Arbeit —
Schau mit gewölbeter Last das hochher schwankende
Weltall,
Länder rings und Räume des Meeres und Tiefen
des Himmels!
Schau wie alles sich freut des kommenden Urjahr-
hunderts! —
Sehen wir also auch Vergil im einzelnen vielfach
mit Geschick den Theokrit nachahmen, so ist doch der
Gesamteindruck dieser Eklogen nur der einer künstlichen
Färbung des städtischen Lebens mit ländlichem Kolorit;
aber gerade diese in sich verschwimmende Allegorie
und Romantik, diese Verhüllung der städtischen Ver-
hältnisse durch die Rustica und Pastoralia muss ihnen
den Hauptreiz für seine Zeitgenossen verliehen haben. —
Es war ein wirklich nationales und seinem eigenen
Wesen äusserst homogenes Unternehmen, als Vergil
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seine Georgica begann und mit sorgsamstem Fleisse
dies fein geglättete Werk über Acker- und Obstbau
und Vieh- und Bienenzucht ausführte. Wie unendlich
hat die Komposition sowohl wie die Form im einzelnen
im Vergleich zu Lucrez gewonnen! Die Trockenheit
des Stoffes wird durch glänzende Episoden abgeschwächt,
die Einzelgemälde sind durch signifikante Epitheta und
individuelle Ausdrucksweisen belebt, und das Ganze
durchweht Liebe zur Sache, ein warmes Gefühl für
die Natur und Begeisterung für Italien (II, 140-:- 17 6).
Ohne jene Herbigkeit des Lucrez singt er ein Lob-
lied dem Landleben gegenüber dem Prunk und dem
falschen Schein des Stadtlebens II, 458:
Wahrlich allzu beglückt, wenn eigenes Wohl er er-
kennte,
Wäre der ländliche Mann, dem, fern von Waffen
der Zwietracht,
Willig sein leichteres Mahl darbeut die gerechteste
Erde!
O fortunatos nimium, sua si bona norint,
Agricolas! quibus ipsa procul discordibus armis
Fundit humo facilem victum iustissima tellus.
Kein Palast, von lästigen Besuchern gefüllt, keine Gier
nach Schätzen, nach Schildpatt, golddurchwirkten Ge-
wändern etc. stört ihn und trübt sein Glück,
Doch sorglose Ruh', und ein harmlos gleitendes
Leben,
Reich an mancherlei Gut, doch Müsse in weiten
Gefilden,
Grotten und lebende See'n und Kühlungen tempi*-
scher Thale,
Rindergebrüir und im Wehen des Baums sanftruhen-
der Schlummer
Mangeln ihm nicht, Bergwälder sind dort und Lager
des Wildes . .
At secura quies et nescia fallere vita,
Dives opum variarum, at latis otia fundis
(Speluncae vivique lacus et frigida tempe
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' 62
Mugitusque boum mollesque sub arbore somtii)
Non absunt ; ilUc saltus* ac lustra feranim —
Er hat eine fröhliche Jugend bei gering'em Besitz, fromm
ehrt er die Grötter; ehe sie schied, durch wallte zu-
letzt die Ger€>chtigkeit — die Eutipideische aldwgl —
diese Gefilde!
Der Dichter selbst wünscht, wenn sein Können dem
Wollen nicht entspreche, , wenn er nicht das Höchste
in Darstellung der gewaltigen Naturerscheinungen
zu leisten vermöge, so 'seien Felder mein Wunsch und
wässernde Flüss' in den Thälern, Bäche erfreuen und
Gefilde mich ruhmlos . . O wer mich höbe zu den kühlen
Thälern des Haemus und mich decke mit dem Schatten
der Zweige^ (48S); selig ist zwar, wer die letzten Gründe
der Dinge furchtlos ermisst, 'doch beglückt auch jener,
der ländliche Götter verehret, Pan und Silvanus, den
Greis, und die Schwesterchöre der Nymphen; nicht fürst-
licher Purpur beuget ihn oder empörender Zwist feind-
seliger Brüder, noch Kriegsunruhen, nicht eisernes Recht
oder tobender Markt, nicht führt Habsucht ihn übers
tückische Meer oder zu den Höhen der Fürsten, dass
er trink' aus Juwelen und schlaf auf sarranischem
Purpur . . nein, er furcht mit gebogenem Pfluge das
Erdrei'ch, stets geschäftig erntet er ein das Obst und
die Gaben der Ceres . . , Unschuld übt sein sittsames
Haus ; im Kreise der liebenden Kinder und Enkel ehrt er
die Götter auf rasigem Anger am flammenden Opferfeuer
— durch solche Tugenden erwuchs die Grösse Romas' !
Gar manches Treifende und Anmutige bieten einzelne
knappe Schilderungen oder die weiter ausgesponnenen
Episoden. So heisst es vom Anbrechen des Frühlings
I, 43 : 'Früh im Lenz, wenn vom grauen Gebirg der Schnee,
schmilzt und beim Westwind sich löst die lockere Scholle': . .
Vere novo gelidus canis cum montibus umor
Liquitur et zephyro putris se glaeba resolvit . .
Er preist v. 105 den kundigen Mann, der die Felder
berieselt,
Der, wann in Glut der Acker mit sterbenden Pflanzen
verschmachtet,
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Siehe, daher von der Stirne des hüglichten Pfades
den Bergquell
Lockt; sein Gesprudel ergiesst dumpfrauschend sich
über die glatten
Kiesel herab und tränkt die durstigen Felder mit
Labsal.
Et, cum exustus ager morientibus aestuat herbis,
Ecce supercilio clivosi tramitis undam
Elicit? illa cadens raucum per levia murmur
Saxa ciet scatebrisque arentia temperat arva.
Es lässt sich nur fühlen, nicht strikte im einzelnen
immer darthun, wie viel feiner, abgeglätteter der Ausdruck
bei Vergil als bei Lucrez ist ; des letzteren Verse sind noch
ungefüge, eckige Blöcke, die unter des augusteischen
Dichters gewandter Technik zu kleinen Kunstwerken treff-
lichster Kleinmalerei zurecht gefeilt werden. So 'hüllt in
Blumen sich der Mandelbaum und krümmt die wohlriechen-
d^i Zweige' I, 187 (cum nux se . . Induet in florem et ramos
curvabit olentis); 'am Pol schweigt unheimliche Nacht
V. 247 (intempesta silet nox), und wenn zuerst der Mor-
gen mit schnaubenden Rossen uns anhaucht, rötet sich
dort aufglühend in spätem Lichte der Abend* (Ulis sera
Tubens accendit lumina vesper). 'Der Morgenstern be-
taut mit neuem Sonnenlicht die Lande' v. 288 (sole
novo terras inrorat eous). Aber auch die Schilde-
rung der gewaltigen Naturphänomene gelingt ihm wie
v. 315 ff: 'Ich sah im wilden Kampf eilen die Winde
und die schwangere Saat mit den tiefsten Wurzeln in
die Höhe peitschen, oft auch wie eine unermessliche
Schar von Wassern am Himmel sich sammeln, mit
schwarzen Regengüssen die Wolken sich ballen; es
stürzt der erhabene Äther, und der gewaltige Guss
wäscht die üppigen Saaten und die Werke der Rinder
auseinander; es brauset in stürmischen Sunden die
Meerflut; der ewige Vater selbst, hervor aus des grausen
Gewölks Nacht, schwingt hellleuchtende Strahlen; rings-
um in Erschütterung bebet die Erde, es flieht das Wild,
den Menschen entsinkt der Mut.' An das schöne Ca-
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tuUische Gleichnis von den im Winde aufschauemden
Wellen erinnert die anmutige Schilderung der Anzeichen
eines Sturmes v. 356: 'Sogleich wenn Winde sich er-
heben, beginnt die Strömung des Meeres aufgerührt
emporzuwallen, und man hört ein trockenes Geknack
auf den hohen Bergen oder weithin hallet die Brandung
an den Gestaden und anwächst der Haine Gebrause^ . . .
(Continuo ventis surgentibus aut freta ponti incipiunt
agitata tumescere (vgl. An. VII, 528 Fluctus uti primo coepit
cum albescere vento, Paulatim sese tollit mare et altius
undas Erigit, inde imo cönsurgit ad aethera fundo)
et aridus altis Montibus audiri fragor, aut resonantia
longe Litora misceri et nemorum increbrescere murmur,)
'oder die Taucher entflattern verschüchtert dem Meere,
das Wasserhuhn spielt auf dem Trocknen, und hoch
über das hohe Gewölk schwingt sich der Reiher empor ;
oder Sterne sinken jäh vom Himmel herab, und hell
schimmern durch den Schatten der Nacht die langen,
flammenden Bahnen' (noctisque per umbram Flammarum
longos a tergo albescere tractus). Auch an Catull er-
innert es, wenn Vergil die Unzahl der verschiedenen Weiri-
arten II , v. 1 05 am Sandgewühl der libyschen Ebene
illustriert, das vom Weste gewälzt wird.
Sinnig sagt er von dem veredelten Baum: 'Er
streckt die 'glücklichen Zweige' zum Himmel empor
und bewundert das neue Laub und die fremden Früchte'
1, 80:
Exilit ad caelum ramis felicibus arbos
Miraturque novas frondes et non sua poma.
Die gewaltige Eiche, der Jovisbaum, bleibt unbewegt
und überdauert viele Geschlechter ; voll von Kraft, weit-
hin die Arme gestreckt und der Äste Wölbungen, trägt
in der Mitte sie selbst den unendlichen Schatten v. 293.
Nach der Einlage vom Waldbrande (v. 303 ff) folgt ein
anmutiges, farbenreiches Gemälde des Frühlings v. 323:
'Frühling fördert das Grün der Haine und Wälder,
Frühling schwellet die Erd' und zeugende Samen ver-
langt sie, doch der allmächtige Vater mit fruchtbarem
Regen, der Äther,
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Senkt in den Schoss sich herab der lüsternen Gattin
und nähret
Alles Geschlecht, der Grosse zum grossen Leibe
gesellet ;
Die pfadlosen Gebüsche hallen wieder vom hellen
Liede der Vögel;
Während der Acker gebiert und der Zephyre lauem
Gesäusel
Offnen die Felder den Schoss; es berauscht sich
alles im Wachstum;
Sicher auch wagen nunmehr der verjüngten Sonne
die Knospen
Sich zu vertrauen, nicht scheut aufsteigende Sude
das Weinlaub,
Noch vor gewaltigem Nord' ansausende Güsse des
Regens :
Ringsum drängt es die Keim' und grünt mit ent-
falteten Blättern.
. . Tum pater omnipotens fecundis imbribus aether
Coniugis in gremium laetae descendit . . .
Avia tum resonant avibus virgulta canoris . .
Parturit almus ager, Zephyrique tepentibus auris
Laxant arva sinus; superat teuer omnibus umor;
Inque novos soles audent se germina tuto
Credere, nee metuit surgentis pampinus austros
Aut actum caelo magnis aquilonibus imbrem,
Sed trudit gemmas et frondes explicat omnis.
Sehr niedlich ist die Forderung v. 362, im sprossenden
Jugendalter die zarte Rebe zu schonen, 'auch wenn sich
fröhlich zur Luft aufschwinget das Reis, durch die Frei-
heit geschnellt mit verhängetem Zügel (Et dum se laetus
ad auras Palmes agit laxis per purum immissus habenis),
aber wenn sie die Ulme mit rüstigen Stämmen um-
windend hoch aufsteigt, dann scheer* ihr das Haar, dann
stutze die Arme': tum stringe comas, tum bracchia tonde.
Mit den Winden soll wetteifern das feurige Ross
(in, 195), mit leiser Spur die Ebene berührend, 'wie
wenn der Nordwind Scythiens Frost und trockene
Wolken tummelt: siehe die Saaten des Thals und die
Bieae, die Entwicklung des Natargefühls bei den liöniern. 5
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wallenden Felder schauem im lind anhauchenden Wehn^
und die Wipfel des Berg-walds rauschen zerwühlt^
und es rollt fernher zum Gestade die Meerftut^ : . , Tum
segetes altae campique natantes Lenibus horrescunt
flabris summaeque sonorem Dant silvae longique urgent
ad litora fluctus.
Wie Vergil schon in der zehnten Ekloge die Allge-
walt der Liebe geschildert hat, so findet er hier v. 237
für dieselbe das schöne Gleichnis: 'Wie wenn mitten
im Meer sich erhebt in weiterer Ferne, Schäumend die
Wog', aufbauscht in der Höh* und dann sich dahin
wälzt Landwärts, dränget mit grausem Gebrüll durch
Felsen und endlich Berghoch nieder sich stürzt, und es
kochet das Wasser der Tiefe Auf in Wirbeln und es
spült aus dem Grund den schwärzlichen Sand an: So
sehr stürzet auf Erden der Menschen Geschlecht und
des Wildes, Jegliche Art im Meer, das Vieh, die farbi-
gen Vögel, Alles in Flammen und Wut: Gleich wirket
in allen die Liebe"* : Fluctus uti, medio coepit cum albescere
ponto, Longius ex altoque sinum trahit, utque volutus
Ad terras immane sonat per saxa neque ipso Monte
minor procumbit, at ima exaestuat unda Vorticibus
nigramque alte subiectat harenam: Omne adeo genus
. . In furias ignemque ruunt: Amor omnibus idem. —
Anmutig verwebt der Dichter v. 32 2 ff. mit den
.Vorschriften über die beste Führung der weidenden
Herde im Laufe des Tages einige landschaftliche Mo-
tive : 'Im fröhlichen Sommer rufen die Zephyre hinaus
in die Waldgründe, in die kühlen Felder, wenn der
Morgen noch jung und die Gräser noch blinken im Tau^
(dum mane novom, dum gramina canent); in der vierten
Stunde des Himmels, wenn die klagenden Cicaden mit
ihrem Gesang die Gehölze durchschwirren (et cantu
querelae rumpent arbusta cicadae), führ* sie zum Wasser,
in der Mittagsglut in ein schattiges Thal, wo mit
stämmiger Kraft Zeus' uralt ragender Eichbaimi weit
die gewaltigen Aste ausstreckt oder wo finster ein
Steineichengehölz in heiligem Schatten sich senket^
(aut sicubi nigrum Ilicibus crebis sacra nemus accubet
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umbra); nach dem Scheiden der Sonne reinigt der er-
frischende Abend die Luft und erquickt mit Tau die
Gefilde der Mond, und die Gestade tönen wieder vom
Rufe der Alkyonen und die Hecken' von dem des Gold-
finken' (cum frigidus aera vesper Temperat et saltus reficit
iam roscida luna, Litoraque alcyonem resonant, aca-
lanthida dumi).
Mit sinnigem, echt idyllischen Behagen, mit leb-
haftem Sinn für das Kleine, Unscheinbare, Liebliche ver-
senkt sich der Dichter im vierten Buch der Georgica in das
Leben und Weben der Bienenwelt ; er will singen Von der
Honigsüsse der Luft, dieser himmlischen Gabe' (aerii
mellis caelestia dona exsequar) ! 'Ist auch kleinlich der
Stoff, nicht kleinlich der Arbeit Ehre': In tenui labor; at
tenuis non gloria. So schildert er v. 51 ff: 'Wenn den
Winter die goldene Sonne unter die Erde scheucht und
den Himmel mit sommerlichem Licht erschliesst, dann
durchschweifen jene beständig Wald und Thal und
ernten purpurne Blumen ; dann bauen sie kunstreich die
Zellen aus Wachs und bilden den Honig ; wenn du nun
zu den Sternen des Himmels die Schar, den Zellen ent-
sandt, durch den klaren Sommer hinschwimmen (nare
per aestatem liquidam) siehst und dich wunderst, wie
das dunkle Gewölk hinzieht im Winde, dann . . treib
sie zu duftigen Sitzen' . . Hier reizt es den Dichter, eine
empfindungswarme, idyllische Episode einzuflechten.
Wie nemlich Chrysostomos das stille Glück des ge-
nügsamen Jägers mit herzlicher Sympathie in seiner Rede 7
ausmalt, so hier Vergil v. 1 2 7 — 148 das des greisen Gärtners
aus Corycus, der auf wenigen Morgen sein Gemüse, blen-
dende Lilien, Verbenen und schwankenden Mohn baute — ,
Hielt sich' wie Könige reich im Herzen, belud er am
Abend,
Spät heimkehrend, den Tisch mit dem selbstge-
zogenen Mahle.
Rosen brach er zuerst im Frühling und Apfel im
Herbste,
Und wenn noch durch Frost der traurige Winter
die Felsen
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Spaltet' und noch mit Eis anhielt den Lauf der
Gewässer,
Schnitt er von Hyacinthen sich schon zart duftende
Blüten,
Höhnend des Sommers Verzug und dass Zephyre
säumten so lange.
Drum auch hatt' er zuerst die Mutterbienen in Fülle,
Hatte den reichlichsten Schwärm und presst' aus
beschwereten Waben
Schäumenden Honig, und Lind' und Pinie wuchsen
ihm üppig.
So viel Blüten im Lenz den Fruchtbaum hatten be-
kleidet.
So viel gab ihm der Herbst an Obst, das zur Reife
gelangt war.
Auch zu versetzen verstand er in Reihen erwachsene
Ulmen, *
Kräftige Birnenstämm' und Pflaumen tragenden
Schlehdom,
Endlich den Platanus selbst, der Trinkern schon
Schatten gewährte — ;
vgl. die ähnliche Gartenschilderung Culex 398 ff. und
Moretum 6 1 ff.
Die Bewunderung der Geselligkeit, des Fleisses und
der Ordnung der Bienen, wie sie streben und schaffen
im Dienst ihrer Königin sowie aus Liebe zu den Blumen
und aus Stolz über die Erzeugung des Honigs (v. 205),
führt den Dichter zu dem pantheistischen Gedanken, dass
auch sie ein Teil des göttlichen Geistes, ein ätherischer
Hauch seien (partem divinae mentis et haustus aetherios
v. 220), der durch alle Lande und Meere dahingeht
und durch den unendlichen Himmel;
Tiere des Felds und Waldes und alle Geschlechter
der Menschen
Nehmen sich bei der Geburt von ihm das keimende
Leben,
Und so kehren zu ihm sie aufgelöset zurücke.
Nie bleibt Raum für den Tod, entschwebt das
Lebendige wieder
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Aufwärts unter die Sterne, zum Zelt des erhabenen
Himmels ;
vgl. An. VI, 724: (omnia) Spiritus alit. 'Aber auch den
Bienen begegnet Leid und Krankheit {251), auch sie
kennen traurige Leichenbegängnisse, Hunger und Frost ;
Dann erschallt ein dumpfes Getön und gezogenes
Surren :
Wie wenn frostigen Hauchs durch Waldungen
murmelt der Südwind,
Wie unruhiges Meer anrauscht mit tosender Bran-
dung,
Wie ungezähmt aufbraust in verschlossenen Öfen
das Feuer.
Frigidus ut quondam silvis inmurmurat aüster,
Ut mare soUicitum stridit refluentibus undis,
Aestuat ut clausis rapidus fomacibus ignis. —
Zum grossen epischen Kunstdichter erhob sich Ver-
gil durch seine Äneis. Wie der Stoff nicht glücklicher
gewählt werden konnte, so ist auch die Dichtung selbst
eine geschickte Vermischung dreier verschiedener Ele-
mente: der Homerischen Dichtungsart, der national-
italischen Tradition und der hellenistischen Sentimentali-
tät ; und so entsprach dies Werk wie kein anderes dem
Geschmack seiner Zeit, dem Kanon der damaligen
Ästhetik. Es war ein Werk der Erudition, des ange-
strengtesten Studiums; mit Recht nennt Niebuhr den
Vergil den poetischen Varro; aber die alte Kultur, in
die er sich mühsam, künstlich zurückversetzt — im
Gegensatz zu dem aus dem eigenen Leben schöpfenden
Homer — , die graue Vorzeit einer Mythenwelt erzeugt
in Verbindung mit der durchaus modernen Atmosphäre,
welche über dem ganzen Epos ausgebreitet liegt, ein
phantastisch-romantisches Zwielicht. Die grösste Kunst
liegt in der Form. Vergil ist der kühnste Neuschöpfer
von Wortgebilden im Anschluss an die alten grossen
Meister Ennius und Lucretius. Auch in seinen Natur-
schilderungen zeigt sich dies deutlich. Wohl tritt
dem Epos gemäss das Landschaftliche zurück, aber es
wird effektvoller ausgestattet als vordem ; die Gleichnisse
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sind fast sämtlich dem Corner abgelauscht; so die
vom Löwen, der bald kampfeslustig (X, 454), bald jagend
(X, 723), bald raubend (IX, 339), verfolgt und verwundet
(IX, 792) dargestellt wird; vom Tiger, (IX, 730), Eber
(X, 707), Wolf (II, 355, IX, 59. XI, 8 IG); ein Jagdbüd
bietet das Gleichnis (IV, 69) von der Dido, die durch die
Stadt irrt wie die vom Pfeile getroffene Hindin, die ein
Hirt unvermutet in kretischen Wäldern mit dem be-
schwingten Geschoss traf; jene durchrast die diktäischen
Wälder und Schluchten; fest haftet das tödtliche Rohr
in der Seite; vgl. IX, 551.
Die Schnelligkeit versinnbildlichen nicht blos die
Winde und der beflügelte Schlaf (II, 794, VI, 701, VIEL,
223), sondern auch der Vogel (IV, 254), dem gleich sich
Hermes entschwingt durch wirrende Nebel. Ein An-
klingen an den verzweifelten Verwandlungs- und Be-
flüg^lungswunsch o. ä., der bei den Griechen seit Alk-
man in immer neuer Färbung hervortrat, finde ich nur
IV, 24 — auf Homerischer Basis beruhend vgl. II. VI,
345 — : 'Ich möchte, dass eher mich die Tiefe der Erde
verschlänge oder der allmächtige Vater mich mit dem
Blitze vertriebe zu den Schatten, zu den bleichen
Schatten und der tiefen Nacht im Erebus^; und Aneas
höhnt im Kampf ihm gegenüberstehend den Turnus
Xn, 892 : 'Nun wünsche, mit Fittigen zu den hohen Sternen
zu eilen oder dich zu bergen im Schosse der Erde*;
vgl. X, 675 ; ein neidisches Aufblicken zu den luftigen
Vögeln verraten die Verse Ciris 195: gaudete o celeres
subnisae nubibus altis. — 'Zahllos wie die Schwärme d$r
Vögel' heisst es An. VII, 699; Kraniche und Schwäne
werden wegen ihres lauten Geschreis (X, 264, XI, 456)
herangezogen; Schwäne, die sich der Heimat freuen (I,
593); der Adler als Raubvogel (XI, 721 und 751); der
Taucher (IV, 254), die Taube (V, 213), Habicht und Taube
(XI, 721), die Schwalbe (XII, 493); ferner die Schlange
{II, 471), der Delphin (V, 594) — alles nach Homerischen
Muster ! Von vortrefflicher Kleinmalerei sind die Gleich-
nisse aus der Insektenwelt, von den Bienen XU, 587
zur Versinnbildlichung der Unruhe der Belagerten:
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Wie wenn verschlossene Bienen im vieldurchlöcherten
Bimstein
Ausgefunden ein Hirt und mit bitterem Rauche
gefüllet;
Jene, geregt inwendig von Angst durch das wächserne
Lager
Laufen umher und schärfen mit lauterem Summen
den Unmut;
Schwarzer Geruch durchwallet die Wohnungen, blin-
des Gemurmel
Tönt inwendig im Fels und empor zieht Dampf in
die Lüfte.
So wird ebenfalls die Rührigkeit der Städter I, 430
ausgemalt :
Sowie die Bienen im wonnigen Mai durch blumige
Felder
Emsigkeit unter der Sonn' umtreibtj die pflegen des
Volkes
Aufgewachsene Brut, dort andere häufen des Honigs
Klarsten Seim und dehnen mit lauterem Nektar die
Zellen
Oder empfahn die Lasten der kommenden; oder in
Heerschar
Wehren sie ab die Drohnen, das träge Vieh, von
den Krippen:
Rastlos glüht das Gewerb' und von Thymian duftet
der Honig.
Nicht minder niedlich und von Beobachtung der lieben
Kleinen im Haushalte der Natur zeugend ist das Gleich-
nis von den Ameisen IV, 402 :
Wandern sah man sie (die Teukrer) rings und rings
aus den Mauern herabziehn:
Wie wenn ein Schwärm Ameisen den mächtigen
Haufen des Speltes
Gierig zerrafFt, für den Winter besorgt, und ver-
wahret im Obdach;
Dunkel geht im Felde der Zug, und den Raub durch
die Kräuter
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Führen auf schmalem Steig sie daher; theils drängt
man des Kornes
Grosse Last mit der Schulter gestemmt ; teils treibt
man den Heerzug,
Züchtigend Säumnis und Rast, rings glüht vom Ge-
werbe der Fusspfad.
Aus der Pflanzenwelt begegnen uns die zahllosen Blätter
(VI, 305), die Eiche (IV, 441 und IX, 679), die Fichte (V^
448), die Esche (II, 626), die Mistel (VI, 205) ; Saaten- und
Waldbrand (II, 304); Ähren (VII, 720); an Sappho-CatuU
mahnt die Zeile IX, 435 : 'Er sinkt in den Staub zurück,
wie die purpurne Blume zerschnitten vom Pfluge ster-
bend hinwelkt' (Purpureus veluti cum flos succisus aratro
Languescit moriens), und wieder nach Homerischem Vor-
bild fährt er fort : 'Oder wie der Mohn vom schwanken
Halse das Haupt senkt, wenn schwerer Regen ihn be-
lastet', (lassove papavera coUo Demisere Caput, pluvia
cum forte gravantur) ; ganz leise klingt auch wieder das
Sappho-CatuUische Motiv durch die Verse XI, 67 :
Hier auf ländlicher Streu wird hoch gebettet der
Jüngling,
Anmuts.voll wie die Blume, gepflückt vom Daume
der Jungfrau,
Eine sanfte VioF und die schmachtende Blum' Hya-
cinthus.
Der noch nicht die Gestalt und die glänzende Farbe
dahinschwand ;
Nicht mehr nährt sie das Muttergefild' und reichet
Erquickung.
Qualem virgineo demessum poUice florem
Seu moUis violae seu langiientis hyacinthi,
Cui neque fulgor adhuc nee dum sua forma recessit ;
Non iam mater alit tellus viresque ministrat.
Mit dem namentlich von hellenistischen Dichtem so
raffiniert verwandten Farbenkontrast und mit ganz
modern romantischer Anschauung schildert der Dichter
XII, 65 die auf und niederwallende Liebesleidenschaft
der Lavinia : 'Die brennenden Wangen übergiesst flam-
mende Röte, wie wenn man indisches Elfenbein mit
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blutigem Purpur färbt (IL IV, 141) oder wie rötlich
schimmern blendende Lilien inmitten v.on Rosen: so
wechselt die Farben die Jungfrau':
Indum sanguineo veluti violaverit ostro
Slquis ebur aut mixta rubent ubi lilia multa
Alba rosa: talis virgo dabat ore colores.
Der Kampf wogt wie das von Stürmen aufgeregte Meer
(XI, 624, VII, 528 und 718, XII, 365); wir finden ange-
schwollene reissende Ströme (II, 496 und 305, IX, 30),
unbewegliche Felsen im Meer (V, 124, XI, 297 und VII,
586), inmitten der bellenden Wogen, die sie schäumend
umrauschen (multis circum latrantibus undis . . scopuli
nequiquam et spumea circum saxa fremunt). Berge und
Felsen (XII, 701, X, 693, XII, 684), die vom Beben er-
schütterte Erde (VIII, 243), ein Gemurmel wie Windes-
wehen im Walde (X, 96), — sonst vgl. II, 416, X, 356 — ,
Hagelschauer (V, 458, X, 803), die Wasserhose (XII, 451).
Vor allem aber sind die Lichterscheinungen am Himmel
effektvoll und malerisch ausgestattet, nicht sowohl in
den Homerischen Gleichnissen, — wie vom aufgehenden
Morgenstern und dem Sirius (VIII, 589, X, 272), Stern-
schnuppen (V, 527), blutigen Kometen (X, 2 7 2), Regenbogen
(X, 803) — , als in den alexandrinischen Dichtern entlehnten.
Romantisch wird das unsichere Mondlicht mit seinem
trügerischen Schein im Walde zum Gleichnis verwandt
(Quäle per incertam lunam sub luce maligna Est iter in
silvis VI, 270); das durch Wolken brechende Mond-
licht (VI, 452); das Meer, in zitterndem Mondlicht
glitzernd, (VII, 9 splendet tremulo sub lumine pontus). So
begegnet uns der reflektierte Vergleich des Apollonios
VIII, 21:
Und nun fliegt der Gedanke bald hierhin, bald
dorthin . .
Sowie der zitternde Schimmer der Flut aus ehernen
Wannen,
Welcher das Bild der Sonne zurückstrahlt oder des
Vollmonds,
Alles durchfliegt, umlaufend in Schnelligkeit, und
zu den Lüften
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Hoch sich erhebt, des erhabenen Gemachs Prunk-
decke beflimmemd,
Sicut aquae tremulum labris ubi lumen aenis
Sole repercusso aut radiantis imagine lunae
Omnia pervolitat late loca iamque sub auras
Erigitur summique ferit lacunaria tecti.
Ja sogar das Schiflf des Äneas, da§ auf dem Tiber
dahingleitet, durchschneidet die grünen Wälder in der
spiegelklaren Flut: viridisque secant placido aequore
Silvas VIII, 96.
Recht modern ist auch das Gleichnis VIII, 387.
Mit verführerischen Worten tritt Venus an den Vulkan
heran und umschmiegt ihn, 'mit blendenden Armen Herzt
sie in weicher Umschlingung den zaudernden, plötzlich
entbrennt ihm Von der gewöhnlichen Flamme das Herz,
und tief in das Mark ihm Stürmte die kundige Glut
und durchlief die wankenden Glieder Gleich als wenn
aus flammender Donnerwolke hervorbricht Schimmernd
der feurige Blitz und in Glanz die Gewölke durch-
schlängelt' :
Dixerat et niveis hinc atque hinc diva lacertis
Cunctantem amplexu molli fovet. ille repente
Accepit solitam flammam notusque medullas
Intravit calor et labefacta per ossa cucurrit:
— vgl. Xn, 66 —
Non secus atque olim tonitru cum rupta corusco
Ignea rima micans percurrit lumine nimbos.
Mit besonderer Kunst sucht der Dichter Abwechslung
in die so häufigen Schilderungen der Tageszeiten zu
bringen; so der Nacht, wenn es heisst: 'Die schwarze
Nacht ruht auf dem Meere' (I, 89), 'die tauige Nacht eilt
himmelab und es laden die sinkenden Sterne zum
Schlummer* (iam nox umida caelo Praecipitat suadentque
cadentia sidera somnos II, 7, IV, 8); oder sie stürzt vom
Ocean her und hüllt in weiten Schatten Erde und Meer
(v. 250, III, 508). 'Es war Nacht und in den Landen hielt
der Schlaf die lebenden Wesen' (Nox erat et terris animalia
samnu3 habebat) heisst es III, 147, VIII, 26; 'nicht schien
ein klares Gestirn noch leuchtete funkelnd heitere Bläue
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des Pols, umwölkt war der dunkele Himmel, Und tief
deckte den Mond der mitternächtliche Schauer'' (nox
intempesta) III, 585 ; 'so oft mit tauigen Schatten (umen-
tibus umbris) die Nacht die Lande bedecket, so oft er-
heben sich strahlende Gestirne^ IV, 351. Ennianisch ist
das 'caelum stellis ardentibus aptum' XI, 202. Doch vor
allem wirkungsvoll wird mit feiner Beseelung und be-
wusstem Kontrast zu der ruhelosen Liebesleidenschaft
der Dido die friedliche Stille der Nacht geschildert
IV, 522:
Nacht war's und es genoss holdseligen Schlummer
ermüdet
Alles, was lebt auf Erden; Gehölz' auch und wilde
Gewässer
Ruheten, jetzt da zur Mitte die Stern' hinrollen den
Umlauf,
Da rings schweiget das Feld und Vieh und buntes
Gevögel,
Das teils lautere Seen weitum, teils Dickichte rauher
Felsen bewohnt, zum Schlafe gesetzt in nächtlicher
Stille:
Sorglos labeten alle das Herz, ausruhend von Arbeit.
Nox erat et placidum carpebant fessa soporem
Corpora per terras silvaeque et saeva quierant
Aequora, cum medio volvontur sidera lapsu.
Cum tacet omnis ager pecudes pictaeque volucres
Quaeque lacus late liquidos quaeque aspera dumis
Rura tenent somno positae sub nocte silenti.
Wer wird hier nicht gemahnt an das Alkmanische Nacht-
lied &!)öov0iv al (paQayyeg x. r, L oder noch mehr an das
Paul Gerhard'sche 'Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Men-
schen, Stadt' und Felder, Es schläft die ganze Welt'?
Mythisch wird die dunkle Nacht V, 721 und 835
geschildert, mit dem Zwiegespann den Himmel be-
fahrend. — Noch häufiger kündet der Dichter das Nahen
des Morgens« Da erhebt sich auf den Bergen des Ida
der Lichtbringer Lucifer und führt den Tag herauf (11,
801), Titan (IV, 118); immer wieder verscheucht die
Morgenröte die Sterne, erglüht rosig am Himmel (III,
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52 1), und zerstreut den tauigen Schatten (III, 588), ver-
lassend den Ocean (IV, 129) oder das safFranfarbene
Lager des Tithonus, mit Licht die Lande überstreuend
(584, und IX, 459, XII, 113) oder mit der Fackel sie
beleuchtend (IV, 6, VII, 148) und den Sterblichen das
holde Licht bringend (V, 64, XI, 182), das den Frühge-
sang der Vögel unter dem Dachfirst weckt (VIII, 455) ; die
Aurora führen dahin die Rosse des Phaethon (V, 105), das
rosige Viergespann (VI, 535), mit purpurnen Rädern (XII,
76) und sprühen Licht aus erhobenen Nüstern (Solls equi
lucemque elatis naribus efflant XII, 113); rosig strahlt
das Meer, wenn am erhabenen Äther die goldgelbe
Aurora im bunten Doppelgespanne erglänzt (VII, 25).
Malerisch schildert der Dichter die Iris (IV, 700): 'Iris,
mit Safranschwingen im tauigen Lauf durch den Himmel
Gegen die Sonn' hinziehend den tausendfarbigen Bogen,
Flieget hinab: Iris croceis per caelum roscida pennis
Mille trahens varios adverso sole colores Devolat. —
Wir wissen, dass die Römer dieser Zeit den Reiz
der Fernsichten, der weiten Umschau sehr wohl empfan-
den; so schildert auch Vergil wiederholt den Rundblick,
der sich dem Jupiter darbietet, wenn er vom hohen
Äther herabschaut auf das segelbefahrene Meer (mare
velivolum) und die drunten liegenden Lande und
Gestade (I, 222); zum Sternensitze (sideream in sedem)
ruft der Vater der Götter und Menschen die Versamm-
lung, 'wo hoch auf die Lande der Welt her und auf
das Dardanerlager er schaut und das Volk der Latiner*
(X, 3); auf der Wolke sitzend schaut aus ätherischen
Höhen der gelockte Apollo auf die ausonischen Reihen
und die Stadt IX, 638; vgl. I, 419, X, 460.
Die unendliche Weite des Meeres : 'Ringsum Wasser
und ringsum Himmel"* (nee iam amplius uUae Apparent
terrae, caelum undique et undique pontus) schildert III,
192 und V, 9; die Meeresstille, wenn die Fluten be-
sänftigt der Wind und leise in hoher Luft rauscht der
Auster III, 69. Grossartig werden die Schauer der
Charybdis ausgemalt (III, 421 und 555), des Ätna (5730),
des Atlas (IV, 246}; ein einsamer Fels im Meer (V, 124);
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der Hain mit rauschenden Büschen und dem lethäischen
Quell (VI, 703); ein Hafen (I, 159); die Felshöhle dQs
Cacus (Vni, 190); eine Robinsonade ist die Schilderung
des Lebens auf der Cyklopeninsel (III, 645). Mit Emphase
berichtet der Dichter von den Inseln der Seligen, den
Fluren der Wonne, den grünenden Lustauen, den Woh-
nungen friedsamen Heils mit reinerem Äther, eigener
Sonne und eigenen Sternen (VI, 637).
Der Kreis der Metaphern und Beseelungen ist auch
bei Vergil immerhin nur ein beschränkter, es sind nur
Brosamen, die von der reichen Tafel der Griechen ihm zu-
gefallen sind; oder er spinnt Motive seiner Vorgänger wie
Ennius, Lucretius und Catullus weiter aus. Dahin ge-
hört: das Ernten mit dem Schwerte (X, 513), die Wolke
des Krieges (X, 809), ein Unwetter von Geschossen und
ein eiserner Regen (XII, 284), die Blüte der Jugend-
kraft, die das Kinn bekleidet (VIII, 160); Haare und
Arme der Bäume (XII, 209 und 413), — vgl. Culex 140,
wo Steineiche, Cypresse, Buche und Epheu ihre Äste
(bracchia) ermahnen, dass nicht die Pappel über Stösse
der Brüder klage (monent . . Bracchia, fraternos plangat
ne populus ictus) — ; öfter 'irrigare', so von der sanften
Ruhe, welche die Cyprierin über den Ascanius ausgiesst (I,
«691); die windige Zunge (XI, 390, ventosa lingua); 'undare^
wogen, ist häufig: von den dichten Troerscharen (XII,
2S0 vgl. XI, 382), vom Blut (X, 908), von der Flammen-
säule, die zum Himmel steigt (XII, 672); weit wichtiger
ist die Übertragung des 'fluctuare' auf das Geistige, die
seit Plautus besonders CatuU effektvoll verwandte; in
wörtlichem Anschluss an diesen begegnet sie VIII, 19:
*imd er wogt in der Sorg' unbändigem Strudel' (magno
curarum fluctuat aestu) ; X, 680 'im Geist wogt er hier-
hin und dorthin' animo nunc huc nunc fluctuat illuc;
vgl. XII, 486: vario nequiquam fluctuat aestu, 527 fluc-
tuat ira intus *der Zorn wallt innen auf, XII, 831 'die
Wogen des Zorns': irarum fluctus volvis sub pectore;
so auch 'aestuare' , 'gewaltig braust im Herzen die Scham'
X, 870: aestuat ingens in corde pudor, ebenso XII, 666
etc. etc. Die Beseelungen stehen auf der Stufe der ersten
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Alexandriner, wie die 'zwieträchtigeh Winde^ (I, 53, X,
357), die "^trügerischen Lüfte' (V, 848) — '■ vgl. die sprich-
wörtliche Wendung von den Winden X, 69 und 652 — ,
die Vögel mit thränenreichen Stimmen (XI, 274); ja so-
gar der Hain, die krystallene Welle und die klaren
Seen beweinen den gefallenen Helden VII, 760 : Te nemus,
. . vitrea te Fucinus unda Te liquidi flevere lacus ; oder es
wundern sich der Hain und die Wellen (VIII, 91), es
zittern vor Furcht die Stygi sehen Seen (VIII, 296); vor
allem aber schweigen und ruhen Winde und Wellen
und Wälder: Mas Gesäusel ruht . . und die Vögel wie-
gen den Äther ein und die Lauben des Haines' VII, 27 ;
sanft ist das Antlitz der Salzflut (salisque placidi voltum)
V, 848 ; es beruhigen sich die hohen Wogen VII, 6 ; es
schweigen die Gehölze IX, 392 (dumisque silentibus); es
zögert der dumpf tosende wStrom (cunctatur et amnis
rauca sonans) IX, 124 (vgl. VIII, 305 und 240); wenn
Jupiter spricht, schweigt die hohe Götterbufg, erzittert
die Erde und es schweigt der erhabene Äther, Zephyre
atmen kaum, sanft ruhn die Gewässer des Meeres X, 100:
. . eo dicente deum domus alta silescit Et tremefacta solo
tellus, silet arduus aether Tum zephyri posuere, premit
placida aequora pontus.
Wie bei Theokrit die Cypressen Mitwisser des
Liebesbundes, '^) der daqtorvg, sind, gleich der Nachti-
gall, dem verschwiegenen Vögelein, unseres Walther, so
sind die flammenden Blitze und der Äther Zeugen der
Minnestunde des Äneas und der Dido IV, 167: fulsere
ignes et conscius aether Conubiis ; den Chor bilden die
heulenden Nymphen (summoque ulularunt vertice nym-
phae); denn 'jene Stunde war für Dido des Todes
und der Leiden Ursache\ —
Wir sehen somit, dass in allen Dichtungen des
Vergil das Landschaftliche einen nicht unbedeutenden
Raum einnimmt und mit hervorragender Kunst und
nicht lediglich mit einem die Griechen nachbilden-
den Verständnis gepflegt wird, sondern dass die
Schilderungen der Natur, namentlich mit Homer ver-
glichen , eine romantische, malerische, Färbung tragen.
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die teils hellenistisch, teils aber auch schon als original
römisch anzusehen ist. Die Stimmung, aus der heraus
seine Darstellungen des Landschaftlichen geflossen sind,
ist die idyllische, jenes Wohlbehagen an dem Zarten
und Lieblichen, jene aus Überdruss an städtischer Kultur
herausgeborene, elegische Vorliebe für das Landleb^i;
vor allem aber bekunden seine Dichtungen eine für einen
Römer selten feine Beobachtungsgabe, einen offenen,
empfanglichen Sinn und eine träumerische Sympathie
für die Natur. ^^) Doch an Vielseitigkeit, Lebendigkeit und
besonders an seelenvoller Ferve des Ausdrucks bleibt
der Römer hinter den Griechen, z. .B. Theokrit, weit
zurück ; wird die Sprache auch immer glätter und voller
und kunstgerechter, etwas Frostiges klebt selbst dem
erhabensten Ausdruck an ; jener undefinierbare Schmelz
griechischer Dichtungsweise ist eben ein unübertrag-
bares, unnachahmliches Göttergeschenk, das dem Römer
versagt blieb. —
H o r a z ist kein Lyriker von Gottesgnaden, wie Ca-
tullus, ^für den jede Erregung des Gefühls sich unmittel-
bar in dichterische Form und Farbe umsetzt, weil er
so muss und gar nicht anders kann^ ; Horaz ist wesent-
lich ein grosses Formtalent, keine schöpferische, son-
dern eine receptiv-kritische Natur — wie Lessing — ,
begabt mit Geistesklarheit, Verstandesschärfe und ge-
sundem ästhetischen Urteil. Kraft eines solchen zieht er
auch in seinen lyrischen Dichtungen die Grenzen für
die Schilderung des Landschaftlichen ziemlich eng (A.
P. V. i6 — 19), auch da wo zu weiterer Ausführung ihn
das griechische Original hätte auffordern können. Aber
sein Sinn für das Landleben ist noch ausgeprägter und
bewusster als bei Vergil '^'^) und gewinnt einen direkten,
getreuen Ausdruck besonders in den seinem Geiste
konformsten Dichtungsarten, der Satire und der Epistel.
Doch auch in den Oden und Epoden findet sich gar
manches Anmutige, das allerdings meist den Stempel der
Nachahmung trägt. So ist die Allegorie des Staatsschiffes,
das von den Wogen der Bürgerkriege hin und her geworfen
wird Carm. I, 14, Alcäisch ^'^), wie auch die Aufforderung
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zum lustigen Trinkgelage Epod. 13, ^während schauriges
Ungewitter den Himmel umschliesst und in Regen und
Hagel Zeus herabstürzt, dass Meer und Wald im Sturme
hallt^ ; ebenso Carm. I, 9, das mit dem individualisierten
Hintergrunde der italischen Winterlandschaft uns den
Horaz im traulich warmen Gemach zeigt mit dem Aus-
blick auf den im Schnee schimmernden Soracte im
Faliskerlande ; vgl. auch III, 10, 5.
Dem Anakreon gehört das Genrebildchen aus dem
Tierleben I, 23, in dem Horaz die spröde Chloe mit dem
jungen Rehkalb vergleicht, das zaghaft im pfadlosen
Gebirge die Mutter sucht, bangend in Furcht, wenn
durch das Laub der Wind fahrt oder durch grüne
Ranken die Eidechse huscht; vgl. II, 5. — Parallelen
zwischen Natur und Menschenleben sind nicht selten,
wie II, 9 : 'Nicht immer rauschen Regengüsse auf die
rauhen Äcker nieder oder peitschen Stürme das kaspische
Meer, nicht immer steht träge das Eis oder ächzen
(laborant) unter dem Nordsturm die Eichenwälder des
Garganus und werden die Eschen der Blätter beraubt
(viduantur) ; drum höre auf, weichlich zu klagen"* 1 Oder
II, II, 9: 'Nicht stets in gleicher Herrlichkeit blüht und
prangt der Frühling, nicht mit einerlei Angesicht
blinket Luna feurig' ; I, 12, 45: 'Wie geheim fortalternd
der Baum emporwächst, so Marcellus' Ruhm; es
schimmert das Julische Gestirn vor allen, wie Luna im
Sternenheer^ Oder die Schulter der Geliebten ist glänzend-
weiss, 'wie Luna silberrein im Nachtmeer strahlt': Ut
pura nocturno renidet Luna mari II, 5, 18; und Lydia
will mit dem Dichter leben, 'wenn auch der Neben-
buhler schöner wie Sternenglanz und er selbst leichter denn
Kork und unbändiger als Adrians wilde Flut sei' III, 9,
2 1 ; 'enger als Epheuranken den erhabenen Eichstamm
umschlingen', schmiegt sich Neaera in seinen Arm Epod.
15, 5 — ^Nacht war's, und hell blickte der Mond am
heiteren Himmel, den kleine Sterne umfunkelten'. —
Weise empfiehlt der Dichter II, 10 die Mittelstrasse
zwischen dem hohen Meer und dem falschen Strande. —
^Öfter wankt vom Winde bewegt der Fichte Riesen-
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wuchs, viel schmetternder kracht hitranter hoher Thürme
Einsturz, und es schläft des Berges Gipfel der Donner. —
Gleich dem vom Berge herabrollenden Strome, den der
Regen schwellt, braust ohne Maszen (immensus) einher
aus getiefter Mündung strudelnd Pindaros (IV, 2, 5),
oder es hebt (v. 25) ein I.uftschwall den Dircäerschwan
zu den schwebenden Wolken, während er selbst einem
bescheidenen Matinerbienlein gleiche, das in mühseliger
Arbeit sich Kost aus Thymus nippend sucht. Dem
Donner tragenden Adler des Zeus, den Frühlingswinde dem
Neste vormals enthoben, vergleicht er den Drusus {IV,
4, i); es zittern vor ihm die Vindelicier, wie das Reh
vor dem Leu erschrickt (v. 13); vgl. vom Hirsch v. 50
und I, 15, 29; und das römische Volk gleicht der Stein-
eiche auf der Höhe des dunkellaubigen Algidus, die
das Beil beschor und die. so vom Eisen selber Mut und
Gewalt entlehnte. — Eine der wesentlichsten Grund-
lagen seiner idyllischen Vorliebe für das Landleben ist
die stoische Lebensweisheit, dass das Gluck nicht am
äussern Besitze klebt, sondern unabhängig von Glanz
und Pracht ist, jene mit wenigem sich bescheidende
Genügsamkeit und der Widerwille über den übermässigen
Luxus seiner Zeit. So geisselt er II, 15 die Prunk-
und speziell die Bausucht der Römer, die kaum noch
Raum für Ackerland lasse, grosse Teiche anlege und
an der Stelle nützlicher Oliven Luxuspflauzen kultiviere —
im Gegensatz zur sparsamen Vorzeit. Ein echt idylli-
sches und elegisches Moment ist daher auch die
Schilderung des Elysiums, der seligen Gefilde Epod.
16, 41,
Wo pfluglos der gesegnete Grund alljährliche Frucht
bringt.
Und unbeschnitten fort und fort die Rebe blüht.
Wo stets lohnend der Spross ansetzt am Zweige
des Ölbaums,
Der Feige Purpur üppig stets im Laube prangt,
Honig geborstenen Eichen entträuft und von den
Gebirgshöhn
Die Rieselquelle silberfüssig niedertanzt . . .
Biege, die Entwicklung des Naturgefühls bei den Rennern. 6
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. . Melia Cava manant ex ilice, montibus altis
Levis crepante lympha desilit pede.
Immer wieder spricht Horaz es aus, dass auch der
glücklich ist, der mit wenigem lebt, dem auf kleinem
Tisch das vom Vater ererbte Salzfass steht (II, i6, 13,
ni, I, 21; 16, 24; Epod. I, 2, 46; 12, 4); daher ist er
so glücklich und zufrieden mit seinem Sabinum, ob-
gleich weder Elfenbein noch goldenes Prunkgetäfel in
seiner Wohnung blinkt (11, 18, vgl. IE, 16, 29, Epod.
I, 25). Seinem ökonomischen Sinne genügt schlichte
Hausmannskost (I, 31, Sat. II, 2) oder ein Trunk auf
grünem Rasen unter schattendem Blätterdach 11, 3, 9,^
Wo ihr Gezweig hochstämmige Pinien
Und Silberpappeln wirtlich zum Schattendach
Zusammenwölben, und im Sturzbach
Blinkend die flüchtige Welle herabschiesst:
Quo pinus ingens albaque populus
Umbram hospitalem consociare amant
Ramis? Quid obliquo laborat
Lympha fugax trepidare rivo ? vgl. I, i , 21;
II, II, 13. So lädt er den Tyndaris I, 17 ein, mit ihm
im schattigen Thale des Lesbiers rauschlosen Becher
zu trinken; denn er, der fromme Sänger und Freund
der ländlichen Fluren, stehe unter dem besonderen
Schutze des Faunus, der oft zum anmutreichen Lucre-
tilis wandere und Sommerglut und Regenwinde, Schlan-
gen und Wölfe von seiner Herde fern halte, vgl. III,
18, an Diana III, 22 und das fromme 'Integer vitae^ I,
22, Doch vor allem gehört hierher der Epodus 2 : 'Glück-
selig jener, der entfernt vom Weltgetrieb' . . (Beatus
ille qui procul negotiis . .), dieser Hymnus auf die
schlichten und doch so reichen Freuden des Landmannes,
der, fern vom Markt, vom zornigen Meer und blutigen
Krieg, der Reben Spross mit hoher Pappel vermählt;
bald im entlegenen Thal schaut er brüllender Rinder
schweifende Herden (Aut in reducta valle mugientium
Prospectat errantes greges), bald pfropft er Reiser,
sammelt Honig ein, bald erntet er des Herbstes Obst
und spendet dankbar dem Priapus und Silvanus:
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Froh liegt er jetzt von alter Steineich' überwölbt
Und jetzt auf derbem Graseswuchs.
In hohen Ufern unterdess entschlüpft der Bach,
Aus Wäldern girrt der Vögel Chor,
Und rauschend stäubt der Quellen unversiegte Flut
Und murmelt leichten Schlaf daher . .
^Libet iacere modo sub antiqua ilice, Modo in tenaci
igramine. Labuntur altis interim ripis aquae, Queruntur
in silvis aves, Fontesque lymphis obstrepunt mananti-
bus, Somnos quod invitet leves) ... In winter-
licher Müsse vergnügt er sich an der Jagd, und
»ein frommes Ehegemahl macht ihm die Hütte zum
Palast! —
Anmutig, wenngleich dem Landschaftlichen keinen
breiten Raum gebend, sind auch die Frühlingslieder
I, 4 : 'Es löst sich der scharfe Winter unter dem linden
Hauch des Frühlings und des Favonius . ., dass es sich
ziemt, ums Haupt die Myrte zu winden und Blumen,
die das lockere Erdreich trägt, und im schattigen Haine
dem Faunus zu opfern"* (Solvitur acris hiems grata vice
veris et favoni . . ), und IV, 7 : Diffugere nives, redeunt
iam gramina campis Arboribusque comae; Mutat terra
-vices et decrescentia ripas Flumina praetereunt . .
Ringsum taute der Schnee; schon grünt im Gefilde
der Rasen,
Grünt an den Bäumen das Laub;
Wechselnd verjüngt sich die Flur, und beruhigt am
hohen Gestade
Wandeln die Ströme dahin.
Mit den Nymphen versucht und den Zwillings-
schwestern die nackte
Grazie schüchtern den Tanz.
HofF Unsterbliches nie! So mahnt dich das Jahr und
die Stunde,
Die den Genuss dir entführt.
Tauwind löset den Frost, in den Frühling drängt
sich der Sommer,
Um zu enteilen, sobald
6*
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Reich an Früchten der Herbst sein Hom aus-
schüttet, und eh' du's
Denkst, ist der Winter zurück.
Wohl am Himmel erneut sich der Mond stets, wann
er dahinschwand.
Wir, zu den Vätern einmal.
Zum Äneas entrückt, zu dem prächtigen Tuilus
und Ancus,
Sind nur Schatten und Staub . . .
So mahnt in echt modernem Kontrast der Empfindun-
gen das Grünen und Blühen des Frühlings, die Werde*
lust in der neu erwachenden Natur an die Flucht der
Zeiten, an die Vergänglichkeit. Lieblich ist der Anfang
des c. 12 an Vergilius:
Schon von Thracien her weht es wie Lenz, und
sanft
Auf beruhigtem Meer schwellen die Segel an,
Nicht mehr starren die Au*n, brausen die Wasser hin^
Angeschwollen vom Winterschnee.
Ihres Itys gedenk baut sich die Schwalbe jetzt
Kläglich zwitschernd das Nest, sie, des Kekroper-
stamms
Unauslöschliche Schmach, weil sie des Königs
Wilde Lüste zu wild gerächt.
Am zartgrünenden Hang singen die Hirten dort
Bei den Lämmern ihr Lied in der Schalmeien Ton,
Jenem Gott zur Lust, welcher Arkadiens
Schattengipfel und Herden liebt.
Eine kleine Perle Horazischer Lyrik ist das niedliche
Weihgedicht zum Fest der Fontanalien, an dem ein
zarter Naturkultus die Quellen mit Blumen bestreute
oder die Brunnen mit Kränzen umwand, III, 1 3 :
O Bandusia's Quell, lichter als Bergkrystall,
Süssen Weines und nie welkender Blumen wert.
Morgen fällt dir ein Böcklein,
Dem sein knospend Gehörn bereits
Liebesfreuden verheisst, Kämpfe der Eifersucht,
Ach, umsonst; der Gespiel lüsterner Zicklein soll
Mir dein kühles Geriesel
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Festlich röten mit Opferblut.
Niemals haftet auf dir schädlich des Sirius
Flammenblick, du gewährst stets dem ermüdeten
Pflugstier labende Frische,
Stets der grasenden Lämmerschar.
Dich auch zählt man, o Quell, zu den erlauchten einst,
Denn in manchem Gesang pries ich die Eiche schon,
Die den Felsen beschattet.
Draus dein Sprudel geschwätzig hüpft.
O fons Bandusiae, splendidior vitro,
Dulci digne mero non sine Acribus
Cras donaberis haedo . .
Te flagrantis atrox hora Caniculae
Nescit tangere, tu frigus amabile
Fessis vomere tauris
Praebes et pecori vago.
Fies nobilium tu quoque fontium,
Me dicente cavis inpositam ilicem
Saxis, unde loquaces
Lymphae desiliunt tuae.
Fürwahr ein zartes Naturbild, Von einer unvermischten
Reinheit^ der Motive, in welchem der Reiz des Land-
schaftlichen, der Zauber der krystallhellen Quelle und
der von ihr strömenden Kühlung mit warmem Interesse
ausgemalt wirdl
CatuU preist sein heimatliches Sirmio (c. 31), Vergil
sein herrliches Italien (Georg. II, 173), auch Horaz rühmt
mit warmen Worten, von patriotischem Heimatsgefühl
durchdrungen, die Reize italienischer Landschaft, die
Schönheit italischer Städte, die er allen hochberühmten
Orten Griechenlands vorzieht. Andere preisen dir, ruft er
I, 7, Rhodos, das herrliche, bald Mytilene, Ephesos,
Korinth, Tempe, Athen und Argos . ., *^mir hat nie das
strenge Sparta also die Seele gerührt noch die Flur
Larissa's wie Albunea's rauschende Wohnung oder des
Anio Sturz und Tibur's Hain, des Obstes Gärten, ge-
tränkt von beweglichem Bächlein\ Dieses, wünscht er
II, 6, 5 'sei der Sitz, o Seligkeit 1 für mein Alter, sei das
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Ziel, wo nach Irrfahrten und Krieg der müde Wanderer
ausruhe', oder Tarent, dessen Erdenfleck ihm vor allen
freundlich lacht (Ille terrarum mihi praeter omnes An-^
gulus ridet) — mit dem langen Lenz und dem lauen.
Winter, mit Honig, Oliven und Reben! —
Die persönliche Stellung des Horaz zur Natur, seine
Vorliebe für das schlichte Stillleben auf dem Lande
sprechen am unverhohlensten die Satiren und Episteln
aus. Glückselig ist er, als Maecenas ihm das bescheidene
Gütchen schenkt, Sat. II, 6:
Dies war einst mein sehnlichster Wunsch: ein be-
scheidenes Stücklein
Ackers, ein Garten dabei und am Haus* ein lebendi-^
ger Brunnquell,
Etwa dazu noch ein weniges Wald. Nun haben's.
die Götter
Reicher und besser gefügt; wohl mir! So fleh* ich
denn eins nur,
Dass du mir, Maja's Sohn, das Beschiedene gnädige
erhaltest; — vgl. Epist. I^
i8 Schluss, — bewusst schildert er den Gegensatz der
städtischen Unrast und der ländlichen Müsse, in der
ihm die Muse auch naht; im Getriebe der Weltstadt
seufzt er mit Sehnsucht v. 60:
O mein Land (rus), wann werd' ich dich schau'n, wann
wird mir vergönnt sein, *
Nun aus Schriften der Alten und nun aus Träumen
der Müsse
Süsses Vergessen der Welt und ihrer Beschwerde
zu saugen!
Mit warmem Herzen gedenkt er der einfachen, aber
drum auch so reinen Freuden im gemütlichen Heim, wo-
auch Märchen vom Nachbarn Cervius aufgetischt wer-
den, wie die Fabel von der Stadt- und Feldmaus, die
ihm als niedliche Illustration des geschilderten Kontrastes
zwischen Stadt und Land dient ; denn die Feldmaus spricht,,
nachdem sie die Genüsse der Stadt , aber auch die Lei»
den derselben gekostet, aus der Seele des Dichters:
'Nein, Schwester, nach solchem Leben gelüstet mich
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nicht. Fahr wohl! Da sitz* ich doch lieber Draussen
am Wald im sicheren Loch und knuspere Wicken\
Eine Apologie seiner Leidenschaft für das Land
enthält auch Epist. I, lo:
Dich, den Verehrer der Stadt, mein Fuscus, grüss"
ich von Herzen
Selbst ein Verehrer des Lands. Denn in dem einzigen
Punkt ja
Sind wir verschiedenen Geschmacks . . .
Kennst du den Ort, der ein traulicher Heim als das
Land dir gewährte?
Weicht Mosaiken aus libyschem Stein gründuftiger
Rasen?
Oder ist reiner die Flut, die sich staut in der Stadt
Bleiröhren,
Als die murmelnden Lauts im Gefälle des Baches
dahinschiesst ? . .
Schon aus diesem Briefe, wie aus der Selbstironisie-
rung Sat. II, 7, 28, geht hervor, dass Horaz noch nicht
gar viele Gesinnungsgenossen in seiner Vorliebe fürs
ländliche Idyll hatte, noch mehr aber aus dem i4ten, in
dem er seinem Verwalter den Text liest, der es nicht
begreifen konnte, was ein Mann, der es doch in der
Hauptstadt so gut haben könnte, alle Tage mit grossen
Herren schmausen etc. , an dem Aufenthalt in einem so
abgelegenen, einsamen, leidigen Bauerngut für Ver-
gnügen fände. Zugleich ist diese Epistel ein redendes
Beispiel für die Thatsache, dass ein tieferes Verständnis
für die Reize des Landaufenthaltes eine gewisse Tiefe der
Geistes- und Herzensbildung voraussetzt und daher
selten bei Bauern u. ä. getroffen wird. So sagt Horaz :
*^Was du für rauhe, verödete Wildnis ansiehst, nennt an-
mutig, wer mir beistimmet' . ., und so* fügte auch Ver-
gil Georg. II, 458 bei dem Preise der Landleute mit Recht
zu dem neidvollen Ausruf: O fortunatos agricolas! hinzu:
Sua si bona norint Venn sie ihr Glück nur erkennten"* !
Dem Horaz ist dieses Tendre für das Landleben kein
wechselndes, sondern ein stetiges : 'Ich bleib mir getreu,
wie du weiss t (me constare mihi scis), und gehe traurig
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88
von hinnen, wenn mich verhasste Geschäfte nach Rom
ziehn'; früher reizte auch ihn ein Trinkgela^; jetzt
liebt er die kurze Mahlzeit und ein Mittagsschläfchen
im hohen Grase am Bach; — wie sonst das Morali-
sierende, spielt hier das Utilitaristische in sein idyllisches
Empfinden hinein 1 — er macht sich nichts daraus, dass
seine Nachbarn lachen, wenn er Steine und Schollen
aus den Furchen stösst. —
Wenn wir mit alledem die Beschreibung, welche
Horaz von seiner Villa ep. i6 giebt, vergleichen, 'so
muss uns\ sagt Wieland mit Recht, 'sicher klar werden,
dass gerade soviel Gefühl für kunstlose Natur, soviel
Liebe zur Ruhe und Freiheit, soviel Bescheidenheit
und Genügsamkeit, kurz ein so philosophischer Kopf
und ein so fröhliches Herz, als ihm zu teil geworden
war, dazu gehörte, um soviel Freude an seinem Sabi-
num zu haben wie er\ —
Die Bekenntnisse, die Horaz in seinen Episteln in
lockerer poetischer Form niedergelegt hat, finden wir
von echt dichterischem Schwünge getragen in den
Elegien des Albius TibuUus wieder, dessen Lieb-
lingsbeiwort 'tener' ihn selbst vorzüglich charakte-
risiert. Wie kein anderer Elegiker der Römer hielt' er
sich frei von alexandrinischem Einfluss; seine ganze
Empfindungsweise 'wurzelt im Boden seiner Nationali-
tät' -^) ; echt römisch und echt menschlich, ist sein Em-
pfinden von einer Weichheit und Zartheit, die etwas
Frauenhaftes hat. Mit grosser Kunst malt er das Hin-
undherwogen seiner Empfindungen, über denen ein
Hauch von träumerischer Schwermut, von schwärmeri-
scher Sehnsucht nach Frieden und Liebe, nach stiller
Einsamkeit des Landlebens ruht; aber Beschreibungen
der Natur nach Gesner*scher Manier wird man ver-
gebens suchen; ein Abzeichnen des Landschaftlichen
lediglich um seiner selbst willen bleibt auch ihm zum Vor-
teil seiner Dichtungen noch fremd. Ein inniges idylli-
sches, elegisches Naturgefühl, altrömische Religiosität und
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glühende Erotik verschlingen sich in den besten Elegien
zu faxbenreichen Arabesken. — Gleich die erste giebt
uns den Schlüssel zu dem Charakter Tibullischer Muse,
Alle wesentlichen Momente derselben sind hier zusam-
mengedrängt :
Mag sich ein anderer häufen den Reichtum blinken-
den Goldes,
Mag er ein weites Gebiet bauen als eigenes Gut,
Den der beständige Kampf in der Nähe des Fein-
des erschrecket,
Dem die Trompete des Kriegs schmetternd den
Schlummer verscheucht.
Mir soll dürftige Habe die Ruhe des Lebens er-
halten,
Leuchtet beständige Glut nur auf dem eigenen
Herd.
Selber als Landmann pflanz' ich zu richtiger Zeit
mir die zarten
Reben; mit fertiger Hand pfropf ich mir edleres
Obst . .
(Ipse seram teneras maturo tempore vites
Rusticus et facili grandia poma manu).
Täusche die Hoffnung nicht! Stets bringe sie Fülle
der Früc*hte,
Bringe von duftendem Most schäumende Kufen
mir dar!
Denn ist mit Kränzen geschmückt ein bewachsener
Stein an dem Kreuzweg
Oder ein Stamm in dem Feld, weil' ich verehrend
daselbst.
Und von dem sämtlichen Obst, so das wechselnde
Jahr mir bescheret,
Bring' ich dem ländlichen Gott freudig ein Opfer-
geschenk ....
. . im Schatten des Baums an der rieselnden Quelle
gelagert (sub umbra Arboris ad rivos praeteruntis aquae . .)
Meid' ich des Sirius Glut, wenn er im Sommer
erscheint > . .
Gerne will er selbst angreifen bei den ländlichen Ar-
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beiten, den Pflug führen und das Zicklein oder das
Lamm nach Hause tragen, glückselig mit wenigem und
reich durch die Liebe seiner Delia:
Mir genüget ein kleines Feld, mir genüget ein
Lager,
Und auf gewohntem Pfühl streckend die Glieder zu
ruh'n.
O wie wohl thut's, ruhend die Winde sausen zu
hören
Und sein Liebchen im Arm dann > an den Busen zu
ziehn.
Oder geschützt, wenn draussen ergiesst Platzregen
der Meerwind,
Sich zu ergeben dem Schlaf, süss bei dem rauschen-
den Guss:
Parva seges satis est, satis est requiescere lecta
Si licet et solito membra levare toro.
Quam iuvat inmites ventos audire cubantem
Et dominam tenero detinuisse sinu
Aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit auster,
Securum somnos imbre iuvante sequi.
Würde mir dieses zu teil, gern gönnt' ich jenem
den Reichtum,
Welcher das %Vüten des Meers, Stürme zu dulden
vermag.
Doch 5, i^ klagt der Dichter: 'Wie dacht' ich mir glück-
lich das Leben ! — mit Delia im kleinen Besitz auf dem
Lande vgl. I, 2, 75, II, 3, 5 — nun führen die Hoff-
nungen alle Eurus und Notus hinweg'. Voll Sehnsucht
malt er sich das Glück des goldenen Zeitalters aus 3,
35 : 'Unter Saturnus' Regierung, wie lebten die Men-
schen so glücklich . . Damals wagten sich nicht in die
bläulichen Wogen die Schiffe, Und nicht boten sie dar
schwellende Segel dem Wind' . . — vgl. 9, 7, II, 3, 39 —
und die Seligkeit im Elysium v. 59: 'Dort herrscht
Reigen und Tanz, allüberall schallen der Vögel lieb-
liche Lieder im Chor zart mit melodischem Ton . . in
den Gefilden spriessen aus üppigem Grund duftende
Rosen empor"* . . (Floret odoratis terra benigna rosis).
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91
Den Osiris preist er 7, 29, der zuerst den Acker-
tau lehrte, verwünscht c. 10 den wilden Mann mit
dem eisernen Herzen, der zuerst die entsetzlichen
Schwerter erfunden, und rühmt die Segnungen des
Friedens, deren der Landmann sich fromm erfreut v. 45 :
Baue der Frieden indessen die Flur I Der beglückende
Frieden
War's, der Stiere zuerst beugte zum Pflügen ins
Joch.
Reben erzeugte der Frieden, er wahrte die Säfte
der Trauben,
Dass noch labe den Sohn Wein von dem Vater
verwahrt . .
Interea Fax arva colat. Fax Candida primum
Duxit araturos sub iuga panda boves,
Fax aluit vites et sucos condidit uvae
Funderet ut nato testa paterna merum.
Der Stadt wendet er gern den Rücken, und nicht blos
die Sehnsucht nach der Geliebten beflügelt seinen
Schritt, sondern auch die Liebe zum Lande 11, 3, 2:
*Wer in der Stadt noch bleibet, wahrlich von Eisen
ist der'! . . (Ferreus est heu, heu, quisquis in urbe
manet). 'Könnt' ich nur die Gebieterin schaun, wie wollt'
ich so rüstig Wenden das helle Gefild dort mit dem
kräftigen Karst' . . Voll Unwillen wendet er sich ab
von der Gewinnsucht der Städter, von dem Unglauben —
'jetzt ist der Gott ein Gespött' — , von dem rastlosen
Begehr nach den weiten Latifundien, nach unzähligem
Vieh, ausländischen Steinen und mächtigen Säulen . .
'Eichel sei wieder die Kost, Wasser das alte Getränk' !
So auch n, 4, 27: 'Sei mir verwünscht wer nur auf-
sammelt die grünen Smaragde Oder das schneeige Schaf
färbt mit dem tyrischen Saft'! . . Ein Meisterstück
echt Tibullischer Konception ist 11, i , das voll von
echter Einfalt und Religiosität eines latinischen Land-
mannes das Frühlingsfest der Ambarvalia mit dem Ge-
bet an die freundlichen Flurgötter einleitet:
Schweiget in Ehrfurcht still: wir sühnen die Felder
und Früchte,
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So wie von Ahnen auf uns erbte der heilte Brauch.
Bacchus, o komm und lass von den Hörnern die
saftige Traube.
Hangen, es schmücke sich dir, Cwes, mit Ähren
das Haupt.
Lasset am heutigen Tage ausruhen das Feld und
den Pflüger,
Lasset die Pflugschar auch rasten vom schweren
Geschäft.
Löset die Riemen vom Joch; heut' sollen die Stiere
der vollen
Krippen sich freuen, das Haupt festlich mit Kränzen
geschmückt.
Einzig der Gottheit werde gedient . .
Fluren besing ich und Götter der Flur. Sie lehrten
die Menschen . .
Spielt! Schon schirret die Nacht das Gespann, und
dem Wagen der Mutter
Folgen in munterem Chor Sterne mit goldenem Glanz.
(Ludite : iam nox iungit equos currumque sequuntur
Matris lascivo sidera fulva choro).
Sonst drängt der Strom der Empfindung die eigent-
liche Schilderung des Landschaftlichen, der Tages- und
Jahreszeiten zurück ^^). Man braucht das Naturgefühl
nicht mehr indirekt zu erschliessen, sondern die Dichter
dieser Zeit sprechen selbst ihre Vorliebe für die Natur,
speziell für das idyllische Landleben ganz bewusst aus. —
Nur mit wenigen Strichen schildert er Zeit und Ort, wie I,
3, 93 : 'Dies bitt' ich, dass diesen beglückenden Tag
tms Führt mit dem Rosengespann heiter Aurora herauf^ :
Hoc precor, hunc illum nobis aurora nitentem Lucife-
rum roseis Candida portet equis! vgl. II, 5, 59 und 75;
die Iris schildert I, 4, 43, den Cydnus 7, 13:
Oder besing' ich dich, Cydnus, der sanft du mit
ruhigen Wellen
Schleichest in bläulicher Flut still in dem Bette dahin?
Oder den eisigen Taurus, der hoch mit dem luftigen
Scheitel
Ragend in Wolken hinein, bärtige Kiliker nährt?
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An te, Cydne, canam, tactis qui leniter ulvis
Caeruleus placidis per vada serpis aquis,
Quantus et aetherio contingiens vertice nubes
Frigidus intotisos Taurus alat CiKcas?
Auch Bilder sind selten wie I, 4, i8: . . *Es verdriesse
dich nicht . . Wilde Löwen machet die Zeit dem Men«^
sehen gehorsam, Und mit dem Tropfen höhlt starrende
Felsen die Zeit. Uttd es reifet das Jahr auf sonnigen
Hügeln die Trauben, Und in sicherem T^uf bringet die
Sterne das Jahr' . . . (Longa dies homini docuit parere
leones. Longa dies mölli saxa peredit aqua: Annas in
apricis maturat coUibus uvas, Annus agit certa lucida
Signa vice). V. 29: *Ach, wie schnell entschwinden die
Purpurfarben der Erde, Ach, und wie schnell verweht,
silberne Pappel, dein Laub' (Quam cito purpureos deperdit
terra colores, Quam cito formosas populus alba comas.)
I, 5, 76: 'Freu dich des Glücks, weil du noch darfst;
dein Kahn schwimmt noch in heiterer Flut' (In liquida
nat tibi Unter aqua).
Lygdamus (Ps.-Tib. III) bietet wenig Originelles.
C. 3 führt den Gedanken von II, 2 nur breiter aus:
'Was nützt aller Prunk, was alle Schätze, Paläste, Säulen,
Muscheln — Neid haftet an alledem. Bin icK mit dir
nur vereint, wird süss mir die Armut'. Aber die Pointe
fehlt, eben die zarte Empfindsamkeit TibuUischen Natur-
gefühls. An Catull erinnert 4, 85 : 'Haben ja nicht dich
€5rzeugt die gewaltigen Wogen der Meerflut . ., Scythiens
barbarisches Land auch nicht und die schaurige Syrte'. —
Auch er giebt voreilige Wünsche und Schwüre sowie
die bösen Träume den lauen Winden und dem Ge-
wölk in der Luft 4, 95; 6, 27 und 49. Mit üblichem
Farbenkontrast malt der Vergleich 4, 29:
Ihm entstrahlte ein Glanz gleich dem der Latoni-
sehen Luna,
Und auf schneeiger Haut zeigte sich purpurnes Rot . .
Sowie die Mädchen zum Kranz Amaranth einflechten
den weissen
Lilien, wie sich mit Rot färben die Äpfel im
Herbst:
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94
Candor erat qualem praefert Latonia Luna
Et color in niveo corpore purpureus, . .
Et cum contexunt amarantis alba puellae
Lilia et autumno Candida mala rubent.
Eine Schüler-Arbeit aus dem Kreise TibuU's ist das
erste Gedicht des vierten Buches, während die übrigen
zu dem Reizendsten und Lebensvollsten gehören, was
die römische Poesie kennt; sie atmen eine seltene Glut
der Empfindung und sind vollendet in der Feinheit der
Komposition. Unter all den Geliebten der Elegiker
und des Horaz haben doch nur- Lesbia und Sulpicia
wirklich individuelles Leben ^^). Voll leidenschaftlicher
Angst ist das liebende Mädchen Sulpicia um den Ge-
liebten erfüllt, der auf die Eberjagd gegangen c. 3 :
Schone meines Geliebten, o Eber, der du die
Weiden
Oder des waldigen Bergs finsteres Dickicht be-
wohnst.
, . Ginge zu Grund doch der Wald, stürben die
Hunde doch all!
Welch ein rasender Sinn, den verwachsenen Berg
mit dem Fangnetz
Zu umspannen und selbst sich zu verletzen die
Hand . . .
Und doch, wär's mir vergönnt, mit dir, o Cerinthus,
zu schweifen,
Gerne durch Berg und Thal trüg' ich die Netze dir
nach.
Selber forscht' ich der Spur des leichtgeschenkelten
Hirsches
Und entliesse den Hund gern von dem eisernen
Ring.
Dann gefiele mir Wald und Forst, und sie sollten
mich schelten,
Dass ich, Geliebter, mit dir neben den Netzen
geruht:
. . Sed tamen, ut tecum liceat, Cerinthe, vagari,
Ipsa ego per montes retia torta feram,
Ipsa ego velocis quaeram vestigia cervi
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Et demam celeri ferrea vincla cani.
Tum mihi, tum placeant silvae, si, lux mea, tecujn
Arguar ante ipsas concubuisse piagas . .
Läuft dann auch der Eber ins Garn, schon wieder
entkommt er,
Stören soll er uns nicht feuriger Liebe Genuss.
Ohne mich aber sei Venus dir fern, gefalle Dianen,
Und mit züchtiger Hand stelle geschäftig das Netz.
Und wenn irgend ein Mädchen sich drängt in imsere
Liebe,
Fallen möge sie mir unter das reissende Wild.
Doch du lasse dem Vater die Lust, im Walde zu
jagen,
Hörst du! und kehre du selbst mir an den Busen
zurück.
Diese einer zärtlichen liebevollen Besorgnis entsprungene,
reizende Epistel bekundet zugleich, dass die Römer dieser
Zeit nicht völlig — wie häufig behauptet worden — der 'cura
venandi' (v. 5) und des Venandi Studium' (v. 23) d. h. also
der Liebhaberei für den Jagdsport bar gewesen sind,
welche allerdings zunächst der republikanischen Zeit
fremd war und erst allmählich unter dem Einflüsse der
hellenisierenden Strömung Modesache bei der vornehmen
Jugend wurde.-") —
Mit rührender Innigkeit bittet der Dichter c. 4
den Phöbus, die Krankheit von der lieblichen Maid zu
nehmen, auf dass sich in Kummer Cerinth nicht ver-
mehre :
Und was Schlimmes es giebt, was Trauriges immer
wir fürchten.
Führ' es in reissendem Lauf hin zu dem Meere der
Strom !
Et quodcumque malist et quidquid triste timemus,
In pelagus rapidis avehat amnis equis.
In eine andere HerzensafFaire führt uns IV, 13, das
in vollendeter Schönheit von einer Kraft und Innig-
keit des Gemütslebens und von einer alles überwinden-
den Macht der Liebe zeugt, wie es bei einem römischen
Dichter kaum zu erwarten ist:
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Nie soll irgend ein Mädchen mich deiner Umarmung'
entfremden ! — beteuert er . . Aber o könntest du nur
mir einzigem reizend erscheinen, Und missfielest du
sonst. — würde gesichert ich sein. Neider, ich brauch'
euch nicht! Fern sei mir der Ruhm bei dem Pöbel;
Wer klug ist, der freut still sich im Innern der Brust.
Also vermag ich beglückt in entlegenen Wäldern
zu leben.
Wo kein menschlicher Fuss wandelt betretenen Pfad.
Du bist Trost mir im Leid, du bist in der dunkelen
Nacht mein
Licht, und an einsamem Ort giltst du für mich eine
Welt.
Mag nun der Himmel sogar dem Tibullus ein Lieb-
chen entsenden,
Wird umsonst es gesandt , Venus verlieret das
Spiel . .
Sic ego secretis possum bene vivere silvis,
Qua nulla humano sit via trita pede.
Tu mihi curarum requies, tu nocte vel atra
Lumen et in solis tu mihi turba locis ...
Fürwahr doch ein Bekenntnis unerschütterlicher, tief«:
innerster Zuneigung, wie sich dessen kein Dichter unter
uns Deutschen, dem Volke der Innerlichkeit und der
Treue, zu schämen brauchte! Ausserdem wird die Ein-
samkeit nicht mehr wie bei Vergil als Heilmittel für die
Liebesleidenschaft gesucht, sondern ihr Reiz wird durch
diese erhöht. —
Von härterem Guss als Tibullus istPropertius, ein
Elejgiker voll kräftigster Individualität und feurigster
Leidenschaftlichkeit ; aber meist überwiegt der Verstand
und die Reflexion die Phantasie, so dass er im Ver-
gleich zu Tibullus nicht blos gelehrter, sondern auch
reflektierter, sentimentaler erscheint. Aber wenn die
geniale Frische einer momentanen Stimmung den mytho-
logischen Apparat zurückdrängt, sprüht der Dichter von
sinnlicher Lebensfülle und weiss einen vollen, männlich
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energischen Ton anzuschlagen. Das elegische Moment
seiner Dichtungen beruht auf dem mit moderner Sentimen-
talität empfundenen Gegensatz von Kultur und Natur
und der elegischen Betrachtung einer verderbten Gegen-
wart im Vergleich zu einer glücklicheren Vergangen-
heit. So ruft er I, 2 : 'Was, mein Leben, frommt's, her-
schreiten in prangendem Haarputz, Und in zierlichem
Bausch tragen das koische Kleid^ . .
Dass der Natur Liebreiz mit erhandeltem Prunk du
entstellest,
Dass du die Glieder nicht lässt strahlen in eigenem
Glanz ?
Blicke die Farben nur an, die der prangenden Flur
sich entringen.
Wie sich von selbst Epheu schöner und üppiger
schlingt,
Wie an einsamen Grotten der Hagbaum fröhlicher
aufschiesst.
Wie unlenksam der Quell selber die Wege sich bahnt.
Wie sich die Ufer von selbst mit natürlichen Stein-
chen bemalen,
Süsser, als jegliche Kunst lehret, das Vögelein singt.
Adspice quo submittat humus formosa colores
Et veniant hederae sponte sua melius,
Surgat et in solis formosius arbutus antris,
Et sciat indociles currere lympha vias.
Litora nativis conlucent picta lapillis.
Et volucres nulla dulcius arte canunt.
In dem Unbehagen an der verbildeten Kultur empfindet
er den Reiz der unberührten jugendschönen Natur, wie
sich aus der Schilderung des Waldquells ergiebt, in
dem Hylas sein feuchtes Grab findet 20, 35 :
Siehe ! darüber, wohin nie künstliche Pflege gedrungen,
Hingen vom einsamen Baum tauige Äpfel herab;
Lilien sprossten umher auf rings umwässerter Wiese,
Schneeig; darunter gemischt sprosste der purpurne
Mohn;
Bald nach kindlicher Art mit zarteip Finger sie
brechend
Biese, die Eutwicklunt; des Naturgefülils bei den Kümern. 7
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9S
Dacht' an die Blumen er mehr, als den gi^wtenen
Dienst-
Bald auch bückt' er sich dann nichts ahnend zur
iiebiich^i Welle,
Und er vertändelt beim Trug schmeichelnder Bilder
die Zeit.
(Quam supra nullae pendebant debita curae Roseida
desertis poma sub arboribus Et circum inriguo surge-
bant lilia prato Candida purpureis mixta papaveribus).
Im Reichtum, im Golde sieht er die Quelle des
Verderbens: 'Ach wie wollt' ich, es wäre zu Rom kein
Reicher, es könnte Selber der Feldherr noch wohnen
in Hütten von Stroh'! IQ, i6, 19. Drum preist er das
züchtige Land, auf dem kein Verräter weilt und wo
Cynthia einsam die Berge beschauen, einsam des Land-
manns Vieh und den spärlichen Ackerbesitz betrachten
kann (III, 1 9), und ruft (IV, 1 3), nachdem er mit Abscheu
die Mädchen getadelt, die durch Gold und Muscheln
und Purpur zu erkaufen sind, v. 25 :
O wie glücklich vordem des Landvolks friedliche
Jugend !
Ernten von Feld und Wald waren ihr Schätze genug.
(Felix agrestum quondam pacata iuventus,
Divitiae quorum messis et arbor erant . . )
Damals schenkte man wol von dem Zweig' ent-
schüttelte Quitten
Oder ein Körblein mit purpurnen Beeren gefüllt.
Veilchen auch pflückte die Hand, die gemischt mit
der Lilie Schimmer
Durch den geflochtenen Korb glänzten, zur Gabe
gebracht.
Trauben auch bot man dar in die eigenen Blätter
gehüllet,
Oder ein Vöglein buntscheckig mit schillerndem
Flaum.
Damals hat solch schmeichelnd Geschenk in der
heimlichen Grotte
Manchem ßewohner des Hains Küsse vom Mädchen
erkauft.
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Und mit dem Felle vom . Reh hat das liebende Paar
sich bedecket.
Zum natürlichen Pfühl sprosste das schwellende Gras.
Fröhlichen Schatten verlieh, die ringsum hangende
Fichte . . .
Oft schildert er idyllisch-erotisch das Glück solcher
Grotten, so III, 30, 25 : 'Du Cynthia, weile gern in be-
mooster Höhe tauigen Grotten mit mir' ! vgl. IV, 6, 71;
V, 9, 29: 'Zierlich umgrünte das Haus die Pappel mit
ragendem Laubdach, Und in dem Schatten versteckt
sang-en die Vögel ihr Lied* ; V, 4, 3 : 'Üppig schloss
sich ein Hain um die epheuumsponnene Grotte, Und
dicht rauschte das Laub um den lebendigen Quell, Hier
war das rankige Haus des Silvanus . . Da wo über die
Welt man jetzt, die besiegte, Gericht hält, Stand der
Sabiner Geschoss* — : ein beliebtes Motiv dieser Zeit,
das sich an die Ruinenpoesie in der griechischen An-
thologie anschliesst, vgl. V, i :
Fremdling, was hier du siehst, wo Roma unendlich
sich ausdehnt.
Eh' Äneas kam, war es nur Hügel und Gras.
In sein stolzes Bewusstsein von der Grösse Roms und
in das begeisterte Lob der Schönheit Italiens {IV, 22}
mischt sich mehr oder weniger deutlich der herbe elegische
Gedanke vom ewigen Wechsel und der unaufhaltsamen
Vergänglichkeit irdischer Dinge, sowie von der Gott-
entfremdung seiner Zeit; so IV, 13, 47:
Jetzt ist verlassen der Hain, es. trauern die heiligen
Altäre,
Gold nur allein wird verehrt, Frömmigkeit kennt
man nicht mehr. —
Die höchste Vollendung zeigen auch bei Properz die-
jenigen Elegien , in ' welchen , mögliehst ungehemmt
durch mythologische Floskeln, die Empfindung der lei-
denschaftlichen Liebe zur Cynthia sich in freiem Strom
ergiesst und mit einem tiefen , fa§t modernen Gefühl
für das Stillleben und das Reizvolle in der Natur sich
paart. Ein zartes Bild aus des Dichters .Liebesleben
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entrollt uns I, 3, wo er ans Lager der SchlunMnernden
tritt, mit Kränzen das lockige Haar schmückt —
Siehe da blickte der Mond durchs Fenster entgegen
dem Lager,
— Neidischer Mond, warum hast du nicht länger
geweilt? —
Und sein flüchtiger Glanz eröffnet die schlummern-
den Augen.
Donec diversas percurrens luna fenestras,
Luna moraturis sedula luminibus,
Conpositos levibus radiis patefecit ocellos.
Mit 'entzückender Lust' denkt er in dem an Gallus ge-
richteten Gedicht (c. 10) an die Nacht zurück, Ma dieser
in Liebe entflammte im Arme des Mädchens — mitten
am Himmelsgezelt glühete Luna*s Gespann' . . (et mediis
caelo luna ruberet equis). — Voll eifersüchtiger Sorge
weiss er die Geliebte in Bajae: 'Denkst in schweigen-
der Nacht du sorgend denn wohl des Geliebten, Bleibt
in dem Herzen dir wohl auch noch ein Plätzchen für
mich? . . Wolltest du lieber dich doch dem geringeren
Ruder vertrauend Schweben im niedlichen Kahn auf
dem Lucrinischen See . . Als dass du liehest dein Ohr
dem schmeichelnden Flüstern des andern, Sanft nach-
lässig am Rand stillen Gestades gestreckt'! Vgl. c. 14-
Zart wünscht er am Geburtstage der Geliebten IV, 10,
dass selbst die Natur mitfeiere : 'Ohne Gewölk entfliehe
der Tag; still ruhen die Stürme, Und sanft gleitend
zum Strand lasse die Welle vom Dräu'n. Mög' ich
am heutigen Tag der Trauernden keinen erblicken, Und
selbst Niobe*s Fels halte die Thränen zurück; Möge
vom Wehegeschrei ausruhend Alkyone rasten. Und um
des Itys Tod jammern nicht, die ihn gebar': Transeat
hie sine nube dies, Stent aere venti, Ponat et in sicco
moUiter unda minas . . . Voll Anschaulichkeit und Wärme
der Empfindung ist I, 17. Der Dichter fährt im Sturm
auf dem Meer — 'wohlverdient, weil ich mein Mädchen
verliess. Klag* ich den Vögeln der See jetzo verlassen
mein Leid' . . . (Nunc ego desertas adloquor alcyonas),
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<ias Dräuen der Winde hält er für Strafe, die Cynthia
ihm gesandt, der Sturm und Meer gehorchen, 'Wende
doch du nur zur Milde die wütenden Klagen, Strafe ge-
nug sei dir Nacht und ergrimmetes Meer . . Tod und Ver-
derben dem Mann, der Kiel und Segel erfunden, . . Der
auf der zürnenden See wagte zu reisen zuerstM
Ah pereat, quicumque rates et vela paravit
Primus et invito gurgite fecit iterl
'Aber ihr Töchter der Flut, ihr Kinder der lieblichen
Doris, . . Hat einst Amor im Flug auch euere Wogen be-
rühret, Schont des Genossen und lasst ruhig die Ufer ihm
sein^ — Verbittert durch die Treulosigkeit der Geliebten
klagt der Einsartie dem stillen Walde sein Leid c. 1 8 :
Hier, wo einsam der Ort dem Klagenden Schweigen
verheisset,
Hier, wo die Öde des Walds Zephyrus' Wehen be-
herrscht.
Hier mag jetzt straflos ich heimliche Schmerzen
verkünden,
Wenn der verlassene Fels Treue zu halten ver-
steht :
Haec certe deserta loca et taciturna querenti
Et vacuum zephyri possidet aura nemus;
Hie licet occultos proferre inpune dolores,
Si modo sola queant saxa tenere fidem.
In seinen Schmerz will er selbst der schweigenden
Natur nicht mehr trauen. Und doch! Die Bäume und
<iie zwitschernden Vögel sind Zeugen für die Wahrheit
seiner Empfindung:
Ihr sollt Zeugen mir sein, wenn einst je Bäume ge-
liebet.
Buch' und Fichte, geliebt von dem arkadischen Gott,
Wie ihr aus schwankenden Schatten zurück mir
töntet die Worte,
Wie in den Rinden so oft Cynthia's Namen ich
schrieb . . .
Dafür, Götter des Quells, dafür sind eisige Felsen
Und auf verwachsenem Pfad dorniges Bette mein
Lohn;
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Und was immer ich mag in jammernden Klagen er-
zählen,
Einzig dem zwitschernden Chor darf ich*s der Vögel
vertraun.
Aber, wie du auch seist, stets, Cynthia! soll durch
die Haine
Tönen dein Nam', er soll schallen am einsamen
Fels.
. . Sed qualiscumque es, resonent mihi ^Cynthia*
silvae
Nee deserta tuo nomine saxa vacent.
Wir sehen, Properz ist nicht weit von modemer
Empfindsamkeit entfernt, ein gelehriger Schüler des
Callimachos-Akontios ! — Rührend innig ist das Be-
kenntnis II, 9, 41 :
Stern', euch ruf ich zu Zeugen; dich, Reif in kühlen-^
der Frühe, . .
Dass so lieb als Du mir nichts im Leben gewesen . .
Einsam will ich sein, kann ich der Deine nicht sein.
Sidera sunt testes et matutina pruina . .
Te nihil in vita nobis acceptius umquam . .
Solus ero, quoniam non licet esse tuum.
Auch in der Einsamkeit, auch im Wald, wo er dem
Wilde nachstellt, vergisst er ihrer nicht III, 19, 29:
'So kann weder des Walds Einöde von dir mich ent-
fernen, Weder der irrende Strom, moosigen Hügeln
entstürzt\ In alle Fernen will er ihr folgen c. 26, 29:
'Denkt mein Mädchen mir auch durch die fernesten
Meere zu reisen, Ihr nur folg* ich, ein Wind trägt uns
Getreue davon. Einerlei Küste wird uns, ein Baum
uns schützen im Schlafe ; Oft aus einerlei Quell schöpfen
wir durstig den Trunk\
Seu mare per longum mea cogitet ire puella,
Hanc sequar et fidos una aget aura duos.
Unum litus erit sopitis unaque tecto
Arbor, et ex una saepe bibemus aqua.
Auch als sie gestorben, lässt sie dem Dichter noch
(vgl. V, 4, 35) keine Ruhe V, 7 : 'Manen sind etwas
doch, nicht alles ist aus mit dem Tode . . Cynthia ist
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mir erschienen' . ., mystisch zaubert sie ihm das Glück
verschwiegenen Bundes in die Erinnerung zurück und
klagt : 'Es wurden die Worte des Truges Eitelen Stürmen
des Süds, nimmer gehöret, zum Raub . . niemand
schloss mir die ersterbenden Augen, Auch das war dir
zu viel, Hyacinthen zu streuen, die nichts dir kosten ? . .
Saubre von Epheu das Gfrab, der mir mit der zänki-
schen Dolde dicht durchschlungenem Haar fesselt das
zarte Gebein, Wo mit Früchten gekränzt der Anio
schattige Fluren Netzt, . . Setz mir zu würdiger Inschrift :
Cynthia ruht allhier, das goldene Mädchen von Tibur,
Gott Anienus, dein Strand erntet von neuem ein Lob\
Er selbst wünscht für sich, wenn er gestorben (IV, i6,
Schluss), einen waldigen Platz, fem vom Wege der pro-
fanen Menge, und Kränze der Liebe; Dornen für das
Grabmal der Kupplerin V, 5, i. — Ausserordentlich oft
findet er für sein Liebesleben ein passendes Gegenbüd
in der Natur, besonders in der Form wie I, 15, 29:
. . 'Eh' soll kein Strom ins unendliche Meer sich ergiessen
und des Jahres Lauf sich verkehren, als sich wendet
die Liebe': Muta prius vasto labentur flumina ponto
Annus et inversas duxerit ante vices. Quam tua sub
nostro mutatur pectore cura. So III, 15, 31: 'Eher mit
trügender Frucht wird höhnen den Pflüger der Acker,
Eher mit dunkelm Gespann ziehen die Sonne daher,
Eher die Flüsse zum Quell aufwärts die Fluten ergiessen
Und auf trockenem Grund eher verdorren der Fisch,
Als je anders wohin ich trage die Schmerzen der Liebe\
vgl. II, 3, 4 (Hör. Epod. 16, 31); III, 32, 49; 'Eher ja
könntest du wol austrocknen die Strömung des Meeres
Oder mit menschlicher Hand heben die Sterne herab,
Als dass die Mädchen von Rom du hinderst am schänd-
lichen Treiben', vgl. IV, 19, 5. Liebesschwüre trägt der
Wind, tragen die Wellen dahin (III, zS, 8), oder er
wünscht, dass die reichen Geschenke glücklicher Neben-
buhler der rasende Sturm in die Lüfte entführe —
'werd' es zu Staube dir doch, werd' es zu Wasser ge-
macht' (III, 16, 43, vgl. V, 7, 21, 1, 16, 34). n, 5, II
heisst es: 'Nicht von des Aquilo Wehen wird so die
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karpathische Meerflut, Nicht von dem wechselnden Süd
schwarzes Gewölk so bedrängt, Als ein Wörtchen so
leicht umwandelt des Liebenden Zürnen' und 9, 33:
^Nicht • vom wechselnden Sturm wird also die Syrte ver-
ändert. Noch vom tobenden Süd also geschüttelt das
Laub Als ein zürnendes Weib!' Liebe und SchiiFfahrt
werden parallelisiert II, 4, 19, III, 14, 29: 'Jetzt enteile,
mein Schiff, zu dir, mein Licht, aus des Ufers Brandun-
gen! Oder es soll mitten noch scheitern im Meer'? IV,
24, 15: 'Siehe! mit Kränzen geschmückt hat den Hafen
berühret mein Kiel nun. Glücklich den Syrten entfloh'n;
schon ist der Anker gesenkt' ; Dichtung und Schifffahrt
IV, 9, 3 und 35, vgl. 3, 22. — Der Nimmersatte bekennt
m, Z2y 35 : ^Sieh, bald dienet der Mond, bald dienet
dem Himmel die Sonne, So ist zu wenig für uns immer
ein Mädchen allein'. 'Bald naht ewige Nacht', ruft er
wie Catull III, 15, 24, 'nimmer dann kehret der Tag . .
Drum so lang es noch tagt, von der Frucht des Lebens
genossen 1 Wie die Blätter von den welkenden Kränzen
gefallen, So kann uns Liebende . . Schon in des Todes
Gemach schliessen der morgende Tag'. So mahnt Acan-
this V, 5, 57: 'Weil noch Frühling im Blut (dum vernat
sanguis), weil frei noch von Runzeln dein Alter, Nütze
die Zeit, die vielleicht morgen den Reiz dir zerpflückt;
Rosen, die länger zu blühen versprochen im duftigen
Pästum, Sah' ich am Morgen vom Gluthauche des
Südens verwelkt' : Vidi ego odorati victura rosaria Paesti
Sub matutino cocta iacere noto; vgl. V, 2,- 45. —
In alledem erkennen wir leicht den Schüler der
griechischen Dichter hellenistischer Zeit, die nicht müde
werden, mit Naturunmöglichkeiten zu spielen oder das
Meer mit seinen Winden und Schiffen zum Symbol ihrer
Liebe zu machen, sowie die Rosen und Kränze zum
Sinnbild der Vergänglichkeit. Sinnlich raffiniert schildern
sie die Schönheit des weiblichen Körpers, am liebsten
im gleissenden Mondlicht oder im Farbenkontrast, wie
auch Properz das Gesicht der Geliebten in der blenden-
den Weisse malt II, 3, 10: 'Lilien glänzen nicht gleich
meiner Gebieterin Haut', und dann fortfährt: 'Wie der
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mäotische Schnee mit hiberischem Mennig sich streitet,
So wie ein Rosenblatt schwimmet auf lauterer Milch^:
Lilia non domina sint magis alba mea;
Ut Maeotica nix minie si certet Hibero
ütque rosae pure lacte natant folia. —
Oder er vergleicht ihren Teint dem. rosigen Frührot IV,
24, 7 (color . . roseo collatus eoo), und ihre Augen
sind Fackeln und Sterne (Oculi, geminae, sidera nostra,
faces), wie auch Tib. IV, 2, 5 von der Sulpicia singt:
Will der verzehrende Amor die Götter in Flammen
versetzen,
Steckt an den Augen von ihr doppelte Fackeln
er an,
lUius ex oculis, cum vult exurere divos,
Accendit gpeminas lampadas acer amor.
Aber wenn uns auch Properz und die römischen Elegiker
überhaupt in vielen ihrer üblichsten Motive an die
heUenistischen Dichter erinnern, wenn sie alle auch von
ihnen ihre wirkungsvollsten Farbentöne entnonomen
haben, wir finden letztere doch immer in .der Mischung
mit durchaus individuellen, persönlichen Gemütszustän-
den; und es wird deutlich, wie die römischen Dichter
von Catuli an immer selbständiger ihren Vorbildern
gegenüber werden und mit hervorragendem Talent in
immer flüssigerer Form das Werk der Alexandriner
geradezu fortsetzen, ja die Reproduktion nicht selten
in höherem Masze zur echten Produktion umgestalten,
als diese selbst. Der Farbenglanz, der über den Dich-
tungen eines Tibull und Properz liegt, ist echt römisch.
Die Kultur des Hellenismus ist ein Ferment der inner-
lich verwandten römischen geworden und dient im allge-
meinen Entwicklungsprozesse des menschlichen Geistes
als ein zum spezifisch Modernen hintreibendes Moment. —
Die römische Elegie gipfelt in Ovid, und bei
wem tritt diese romantische Mischung von Hellenis-
mus und Römertum, von antiken und modernen Ele-
menten deutlicher hervor als bei diesem reichbegabten,
geistsprühenden Kinde einer frivolen, sinnlichen, mate-
rialistischen Zeit? Nach Art und Sitten, bekennt er
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A. am. (in, 12 2), passen wir: ich und die Zeit. 'Die
Stärke seines Talentes liegt in der unvergleichlichen
Leichtigkeit eines breiten und geistreich^i Pinsels, in
der Beweglichkeit und unversieglich strömenden Fülle
sicherer und sinnlich reicher Gestaltungskraft, welche
in dem übermütigen Behagen ihres üppigen Phantasie-
spieles vielleicht nur bei Ariosto ihres Gleichen findet'
(Erwin Rohde). Die Elegie des Ovid bezeichnet in
technisch-formaler Hinsicht zwar den Höhepunkt, aber
die leichte Manier, der flüssige Stil, die eminente Vir-
tuosität, neue Melodien aus Tönen neu und frappant
zusammenzusetzen, die ihn als Reminiscenzen an seine
Vorgänger und an seine eigenen Dichtungen umklingen,
und ein deklamatorisches Pathos überwiegen doch die
wahrhaft schöpferische Kraft. Nicht mehr ist die Gelegen-
heit, ist der lebensvolle Moment die Mutter der Elegie,
sondern die erfindende Phantasie, die nicht selten die
Empfindung durch antithetisch pointierten Witz und durch
Selbstironie vernichtet und die nackte Gemütlosigkeit
an ihre Stelle setzt. Die Liebeselegien sind oft nur
in Vers gesetzte Suasorien oder Kontroversen über
fingierte Situationen eines fingierten Liebeslebens. Mag
er aber auch oft nur mit krasseren Farben das Genre
der Triumviri Amoris weiter ausmalen, manches Inter-
essante und Originelle bietet er uns doch, so auch in
den Naturschilderungen und Vergleichen, die er nach
alexandrinischer Sitte zu häufen liebt — wie I, 7, 53:
Leblos sah ich sie stehn; ich sah erbeben die
Glieder,
Wie wenn der Pappel Haar leise dürchsäuselt der
Wind,
Wie von Zephyr's milderem Hauch das schwächliche
Rohr bebt,
Wie wenn der lauliche Süd streift die gekräuselte
Flut:
. . Ut cum populeas Ventilat aura comas: Ut leni zephyro
gracilis vibratur arundo, Summave cum tepido stringitur
unda noto; vgl. Heroid. XI, 75, XIV, 37 ; A. am. I, 553.
Der mit raschem Gefäll entgleitende Bach ist ihm ein
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Bild der flüchtigen Jugend (I, 8, 49), das von des Strotnes
reissendem Wirbel erfasste Schiff — seiner eigenen
Liebesschwäche (II, 4, 7); vgl. 9, 31 und 10, 9; der Ge-
liebten Antlitz leuchtet wie der Mond oder wie Rosen
mit schneeigen Lilien gemischt (11, 5, 37). Bildlich ruft
er II, 14, 23: 'Raubst du die Traube noch grün von
üppig beladener Rebe? Reisst du mit grausamer Hand
sauer die Früchte vom Baum^? vgl. III; 7, 33. Auch
er flucht dem betrüglichen Meer, das der Geizhals im
Schiffbruch mit seinem verlogenen Mund trinken möge
(II, 10, 33) — , 'hätte doch Argo scheiternd d^s Meeres
bittere Wogen geschlürft' 11, 5; das Elysium schildert
auch er in der dem CatuUischen 'Passer' nachgedichteten
Klage über den Tod des Papageis II, 6, sowie die
bessere Zeit des Saturn III, 8, 38 ff — vgl. die Schilde-
rung der Freuden auf dem Lande Rem. am.^ 186 ff., der
Jagd 199 ff ; bemerkenswert ist besonders v. 24 1 : . . centum
solatia curae Et rus et comites et via longa dabit. —
Seinen Geburtsort Sulmo im Pelignerlande, in den
ihn Heimatliebe, sein landschaftlicher Natursinn und die
Sehnsucht nach stiller Zurückgezogenheit und unge-
störtem Zusammensein mit der Natur häufig zurück-
führten ^*), preist er 11, 16, weil er gesund, von Ge-
wässern umsäumt, kühl und fruchtbar sei (Pars me Sulmo
tenet Peligni tertia ruris Parva, sed inriguis ora salu-
bris aquis . .) Bäche durchgleiten das Gras, das sich
beugt und wieder emporhebt, Um dem befeuchteten
Grrund schattigen Rasen zu leih'n'; aber die liebliche
Flur dünkt ihm wie Scythien und Kilikien, da seine
Geliebte fern ist; wäre sie mit ihm; möchte er selbst
die stürmischen Alpen (ventosas Alpes vgl. Hör. Ep. I,
1 1) erklimmen oder die Syrten durchziehen 'Liebt doch
die Ulme die Reb', und die Rebe verlässt nicht den
ülmbaum : Weshalb werde so oft ich von der Herrin
getrennt? Und doch schworst du zu bleiben . . Bei
dem Augenpaar, meinem Gestirn , . Leichter als fallen-
des Laub ist ein Wort von Mädchen gegeben. Wird
von Wogen und Wind dahin und dorthin verstreut . .
Schirre den Wagen! . . Bückt auf dem Weg, wo sie
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naht, euch nieder, ihr schwellenden Hügel, Seid ihr,
Pfad' in des Thaies Windungen, glatt und bequem!
(. . At vos, qua veniet, tumidi subsidite montes, Et
faciles curvis vallibus este viae). Wie geschickt und
effektvoll verquickt hier Ovid die raffinierten Motive
der Pflanzenliebe, der federleichten, windigen Liebes-
schwüre und des Zaubers, den das Mädchen auch auf
die tote Natur. übt I — III, 6 bittet der zur Geliebten
eilende den Strom, die Fhit ein Weilchen zu hemmen,
doch dieselbe wächst nur noch höher an ; und ärgerlich
ruft der- Dichter : 'Dir wünsch' ich, wie du's verdienst,
unlauterer Giessbach, dass dich die Sonne versengt, ja
auch der Winter dich dörrt'. Im Hain, dem gottbe-
wohnten — vgl. III, 13, 7, A. am. III, 687 — , den ein
unbehauener Wald umschliesst, ein heiliger Quell durch-
rieselt, umwölbt von hangendem Tufstein und durch-
tönt vom süssen Gesang der Vögel (vgl. I, 13, i), nahen
ihm die Musen der Tragödie und Elegie (III, i). Doch
das Phantastischste ist die visionäre Allegorie in c. 5.
Es ist Nacht; der Traum entführt den Dichter zum
Walde schattiger Eichen, in deren Gezweig die Vögel
zwitschern; des Waldes Dach dämpft nicht voll die
Sonnenglut, welcher der Dichter entfliehen will; siehe,
da steht im Grase, das bunt mit Blumen gemischt
ist , ein Rind von blendendstem Weiss; ein Stier
streckt sich neben ihm auf rasigem Grund; plötzlich
senkt sich eine Krähe herab und bohrt der schneeigen
Kuh den Schnabel in die Brust und fliegt mit dem
glänzenden Haare davon ; die Kuh entweicht , aber
es haftet ihr schwärzlich ein Fleck an der Brust. —
Und des Traumbilds Lösung? Die unentfliehbare Glut
ist die liebe, die Kuh die Geliebte, der Stier der
Dichter selbst, die Krähe ein kupplerisch Weib,
das ihn trennt von der Geliebten, aber des Treu-
bruchs Schmach hat dieser die Brust befleckt. —
*Also sprach der Erklärer. Mir floh das Blut aus
erstarrtem Antlitz, und dunkele Nacht stieg vor dem
Blick mir empor' (Et ante oculos nox stetit alta
meos). Mit reflektierter Kunst, die ja die ganze Elegie
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nicht verleugnet, klingt der Schluss zuruckdeutend an
den Anfang an: Nox erat! —
Auf derselben Basis rhetorischer Deklamation und
berechneter Stimmungsmalerei wie die Elegien stehen
auch die Episteln, die Herolden. Nur das Markanteste
der ersten sechzehn mag hier Platz haben. Önone ruft
dem Paris Herold. V ihr Liebesglück ins Gedächtnis zurück,
wie sie im Schatten geruht zwischen den Herden auf
dem Blätterlager oder auf schwellendem Heu unter dem
niedrigen Dach, wie sie zusammen gejagt (vgl. IV,
36 ff), wie er den Namen Önone in den Stamm der
Buche geschnitten — 'Neben dem Rande des Stroms . .
sieht man die Pappel Stehen, in welcher die Schrift
unserer Liebe gedenkt; Pappel, o grüne du fort, die
hart an dem Ufer du wurzelst Und auf runzligem Bast
tragest den folgenden Vers:
Kann, wenn Paris Önone verliess, er zu atmen er-
tragen.
Möge sodann rückwärts Xanthus ergiessen die Flut.
Er ward treulos . ., und es fing der veränderten Liebe
eisiger Winter mir an: Pessima mutati coepit amoris
biemps. Anmutig ist die kurze Morgenschilderung X,
7 : 'Frührot war's, wo eben das Feld ein krystallener
Reif deckt Und in der Büsche Versteck Zwitschern der
Vögel beginnt',
Tempus erat, Vitrea quo primum terra pruina
Spargitur et tectae fronde queruntur aves.
An TibuU erinnert das zarte Bekenntnis XIII, 103 :
Ob sich Phoebus verbirgt, ob hoch er die Länder
beleuchtet,
Stets bist du mein Schmerz während des Tags und
der Nacht.
Sive latet Phoebus, seu terris altlor exstat,
Tu mihi luce dolor, tu mihi nocte venis.
Doch am sentimentalsten und selbst für Ovidische
Denkart extrem gebärdet sich Sappho in der wahr-
scheinlich unechten Herold. XV, v. 1 37. Wenn der Morgen
sie aus süssem Traume weckt und das Gefühl der Ver-
lassenheit ihr doppelt schwer auf die Seele wälzt, eilt
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sie hinaus: 'Grotten besuch' ich und Wald, als könnten
sie mir helfen, die Zeugen des einst genossenen Glücks
(Antra nemusque peto, tamquam nemus antraque prosint,
Conscia deliciis illa fuere meis). Wiederum find' ich den
Wald, der oft uns beiden ein Lager Darbot, über uns
her breitend das schattige Laub . . Ärmlich erscheint
mir der Ort, welchen nur Er so verschönt;
An dem zerbogenen Gras den befreundeten Rasen
erkenn* ich,
Unserer Körper Gewicht hatte die Halme gekrümmt.
Drauf hinsinkend berühre den Platz ich, wo du ge-
legen ;
Jetzt saugt Thränen zuvor wonnig erschienenes
Kraut.
Ja, auch scheint das Gezweig laublos an den Bäumen
zu trauern,
Nirgends von Vöglein tönt liebliches Zwitschern
hervor.
Nur die Nachtigall klagt ob des Sohnes Geschick . .
Cognovi pressas noti mihi caespitis herbas:
De nostro curvum pondere gramen erat.
Incubui tetigique locum, qua parte fuisti,
Grata prius lacrimas combibit herba meas.
Quin etiam rami positis lugere videntur
Frondibus et nullae dulce queruntur aves.
Das Empfindsame, Reflektierte dieses Ergusses tritt so
recht deutlich hervor, wenn wir ihm das rührend naive
Lied unseres Walther entgegenhalten : Under der linden
an der beide, da unser zweier bette was, da muget ir
vinden schone beide gebrochen bluomen unde gras;
vor dem walde in einem tal, tandaradei! schone sanc
diu nahtegal! Die Mitempfindung der Natur aber er-
innert uns an die bukolische Poesie der Griechen, an
Nonnos und Musaios; vgl. Ps. Verg. Lydia i6ff"'^®).
In Wahrheit con amore hat der Dichter seine 'Kunst
zu lieben' entworfen, eine Galerie poetischer Bilder, von
denen jedes ein kleines Kunstwerk ist und von feiner,
psychologischer Beobachtung durchaus konkreter, er-
lebter Vorgänge des damaligen Roms zeugt. In eigen-
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tümlichem Effekt kontrastiert der pathetische, pomp-
hafte Lehrton, die überall eingestreute Gelehrsamkeit
aus Sage und Mythenwelt mit dem frivolen Gegenstande,
mit den lediglich auf sinnlichen Genuss zielenden Liebes-
künsten. Wie überhaupt das Detail mit elegantester
Zeichnung, in flüssigstem Stil dargeboten wird, so sind
auch die eingewobenen Gleichnisse und Metaphern aus
dem Naturleben vortrefflich und erreichen sogar bis-
weilen einen höheren, edleren Ideenschwung, als dem
Ovid sonst eigen ist.
Reizende Mädchen giebt es in Rom wie Saat um
Gargara, wie Trauben um Methymna, wie Fische im
Meer, wie Vögel im Walde, wie Sterne am Himmel (I, 55,
vgl. II, 51. 7); wie Ameisen oder Bienen wimmeln die
Frauen im Theater (93) ; Gelegenheit, um mit ihnen an-
zuknüpfen, giebt es wie Sand am Meer (254); und eher
ja schweigen die Vögel im Lenz, im Sommer die
Grillen . ., eh' ein Weib sich sträubt, wenn der Jüng-
ling ihr schmeichelnd nachstellt (2, 71); gleich dem zer-
brechlichen Eis schmilzt im Verzuge der Zorn (371); 475 :
'Was ist härter als Fels, was ist so weich wie die
Welle ? Weiches Gewässer durchhöhlt dennoch das harte
Gestein'; nur mit Nachgiebigkeit durchschwimmst du
den Fluss (II, 181), nicht weht immer der Wind günstig
■dem schwankenden Kiel (III, 10 1), '^^): 'Pflegst gut du die
Trauben, sprudelt der Wein, hoch spriesst, pflegst du
den Acker, die Saat;'*') pflücke die Blume! Pflückst
du sie nicht, so fällt schmählich von selber sie ab' (III,
79); die Farben der Gewänder gleichen der wolkenlosen
Luft oder der Flut, dem Krokos, den Myrthen und
Rosen . . (173); und Procris erbleicht wie das herbstliche
Laub erbleicht an dem Weinstock, wenn er, der Trau-
ben beraubt, welkt bei beginnendem Frost (703), vgl.
162; so grimmig ist nicht der Eber oder die Löwin
oder die Viper wie ein betrogenes Weib (II, 373). Eine
auffallend edle Gesinnung ist aber der schönen Stelle
II, 1 1 3 aufgeprägt :
Schönheit ist nur ein gebrechliches Gut ; wie die Jahre
sich mehren,
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Schwindet sie hin und es zehrt eigene Dauer sie
auf.
Blühen die Veilchen ja nicht, noch blüh'n Hyacinthen
beständig-,
Und nach der Rose Verlust starret entblättert der
Dom.
Dir auch werden sich bald, o Schönster, die Haare
verfärben,
Dich auch werden den Leib furchend die Runzeln
durchziehn.
Stärke den Geist deshalb, dass er dauert; verbünd*"
ihn mit Schönheit,
Denn er bleibt dir allein bis zu dem Leichengerüst.
Achte die Sorge nicht klein, dass mit edelen Künsten
das Herz du
Bildest l (Forma bonum fragile est . . Nee violae semperve
hyacinthina liliaflorent, Et riget amissa spina relicta rosa) . .
Verwandt ist III, 62 :
Es gehen die Jahre nach Art des fliessendea
Wassers,
Eilet die Welle dahin, so rufst du nimmer sie
• wieder ;
Eilet die Stunde dahin, kehrt sie dir nimmer zurück.
Die Zeit flieht . . Und die da folgt, ist nie gut wie
die frühere war.
Hier das fahle Gesträuch, ich sah es als blühende
Veilchen,
Hier an dem struppigen Dom pflückt' ich mir Rosen
zum Kranz.
(. . eunt anni more fluentis aquae . . Hös ego, qui
canent, frutices violaria vidi: Hac mihi de spina grata
Corona data est). —
Vor seinem Exil noch verfasste Ovid die Metamor-
phosen, dies bunte Mosaik mythologischer Erzählungen
l3ald heiterer, bald düsterer Art, von einer bewun-
dernswerten Mannigfaltigkeit, indem üppige Liebesge-
schichten, phantastische Märchen, humoristische Fabeln
mit 'gemütvollen Stillleben^ . und pomphaften Schilde-
rungen von Schlössern, Tempeln, Hainen, Thälern und
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113
Wäldern abwechseln. Es war eine beliebte Manier bei
den Alexandrinern, erotische Erzählungen in Verwand-
lungssagen einzukleiden, Menen die schliessliche Ver-
wandlung der Hauptperson in irgend einen Baum, eine
Blume, ein fliessendes Wasser, einen Stein oder gar
ihre Versetzung unter die Sterne einen gar nicht unan-
genehmen Anflug eines immer sinnreichen, durch ein
tiefes Mitfühlen heimlichen Naturlebens beseelten, mär-
chenhaften Phantasiespieles verleiht^, das auf 'poetische
Deutung auffallender Eigenheiten bestimmter Tiere,
Pflanzen und sonstiger Naturgegenstände hinauslieft
(Rohde). Es entsprach durchaus dem empfindsamen
Naturgefühl des Hellenismus, leidenschaftliche Affekte
auch den wechselvollen Naturerscheinungen zu vindi-
zieren oder eine überwallende Empfindung, wie z. B.
die höchste Verzweiflung oder ein Leid, das in der
Menschenbrust keinen Raum mehr finden kann, in die
tote Natur zu tauchen, im öden Gebirge, im kalten
Felsen erstarren oder in der ruhelosen Welle fortgleiten,
im ewig klagenden Vogel und im ächzenden Rohr aus-
klingen zu lassen. Auch in den Metamorphosen des
Ovid, der den hellenistischen Dichtem so seelenver-
wandt, aber manchem an sprudelndem Witz, an Phantasie
und Geist weit überlegen ist, wird die Welt der Götter-
und Heroensage von 'jener eigentümlichen Atmosphäre
einer anmutigen, idyllischen, galanten, sentimentalen,
auch wohl sinnlich begehrlichen Empfindung* überzogen.
Das Kolorit ist echt römisch, echt Ovidisch, die Form
elegant, anmutig, die Darstellung, besonders der Ge-
mütsbewegungen, fesselnd, wenn auch oft rhetorisch
dieselben ins Breite malend und verwaschend.
Zahllos sind die Gleichnisse und Metaphern aus der
Natur; immer wieder begegnen Vergleiche wie: schneller
als der Wind, als ein Sturzbach, als ein Meteor u. ä. ; der
galante Cyklop häuft die verliebten Komplimente XIII,
789: 'Weisser bist du, Galathea, als Blüthenschnee des
Liguster, frischer als Blumenauen, schlanker als die
Erle, blendender als Krystall, mutwilliger als ein Böck-
lein, weicher als Schwanenflaum . ., doch wilder als
Jiiese, die Entwicklung des Xaturgeftihls bei den Römern. 8
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der Giessbach, trugvoller als Glatteis^ u. s. f. ; hinschmelzen
in Angst wie Eis im flüchtigen Sonnenstrahl oder ent-
brennen, wie wenn Glut in die Kräuter gelegt wird, be-
gegnet II, 808 ; zomrot wie die rosige Morgenwolke ist
Diana III, 183, VI, 58; Thisbe schaudert zusammen wie
die Meerflut unter dem Windhauch IV, 135; wie beim
Nahen des linde wehenden Favonius in der Sonne die
in Eis erstarrte Welle zerfliesst, so verwandelt sich
Byblis von Thränen verzehrt in eine Quelle IX, 66 1 ;
Hyacinthus sinkt, wie wenn einer Violen und Mohn
oder Lilien im Garten knickt X, 190; wie aus dichtem
Gewölk das strahlende Bild der Sonne siegend hervor
sich drängt, verwandelt sich aus einem Greise der jugend-
frische Vertumnus und umarmt die Pomona XIV, 768.
Der umflechtende Epheu, die ins Meer mündenden
Flüsse, die wasserreiche Wolke, der Blitz, Felsen und
Eisen, Ähren und Laub und Sand am Meer, vor dem
Habicht fliehende Tauben etc. werden zum Gegenbild
menschlichen Handelns und Leidens; auch Beseelungen
sind häufig, wie der Zorn des Meeres, das Schweigen der
Nacht, die im Rohr klagenden Winde, die schmeicheln-
den Wogen, die verstummenden Wellen (conticuere
undae V, 574); vor allem ist schön die Schilderung VII,
184: 'Sobald im vollesten Glänze der Vollmond auf die
Erde herabschaute, wandelte Medea durch die mitter-
nächtliche Stille (mediae per muta silentia noctis), Men-
schen und Vögel und Tiere hatte tiefe Ruhe befallen:
rings schweigt die Hecke geräuschlos, rings das unbe-
wegte Laub, es schweigt die tauige Luft, nur die Sterne
blinken"* (homines volucresque ferasque Solverat alta
quies: nuUo cum murmure saepes, Inmotaeque silent
frondes, silet umidus aer: Sidera sola micant, vgl. XI,
5, 92 ff); niederknieend ruft sie die Nacht an, die Ver-
traute der Geheimnisse (arcanis fidissima), die Gestirne
und den goldenen Mond, Winde und Berge ... —
Zum Orpheus nahen Eiche, Linde, Buche und Lor-
beer etc. . ., 'auch du kommst, krummfüssiger Epheu,
und du, weinlaubige Rebe, und von ihr umschlungen,
o Ulme' X, 86. Den erschlagenen beweinen die
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Vögel, die wilden Tiere, die starren Felsen, die Wälder,
die vor Trauer das Laub abwerfenden Bäume XI, 4»4.
Es kämpfen die zwieträchtigen Winde und rühren das
unwillige Meer auf v. 49 1 ; im Meersturm zerbricht die
Welle den Mastbaum und schaut, über die Beute stolz,
sieh bäumend als Siegerin herab auf die Wogen (spoliis-
que animosa superstes Unda velut victrix sinuataque de-
spicit undas v. 522). Die mythischen Personifikationen figu-
rieren mit grossem Pomp, so I, 264 der Nötus mit dem
scheusäligen Haupt pechschwarzen Dunkels : den greisen
Haaren entströmt die Flut, Nebel lagern auf seiner
Stirn u. s. f., vgl. VI, 690 ; ein lieblicheres Bild bietet der
Timkränzte Frühling mit den Jahreszeiten am Throne des
Phöbus II, 64. — Farbenreich sind auch sonst Natur-
schilderungen wie die der Schöpfung, der Überflutung, der
weiten Flächen, die Phaethon überschaut, des Seesturms
X[, 481 u.' s. f.
Manche idyllische Momente sind wirkungsvoll ver-
wandt, wie in der Schilderung des goldenen Zeitalters,
in dem noch nicht die behauene Fichte in die flüssige
Woge tauchte, in dem die Erde alles freiwillig hergab — :
ewig waltete Lenz, und sanft mit lauem Gesäusel fäcbelten
Zephyrus' Hauche die saatlos keimenden Blumen (I, 89) ;
prächtig anschaulich wird das Tempe-Thal geschildert,
durch das der Peneos vom Pindus herabstür2;,end mit
schäumenden Wogen einherrollt, ^ 'in gewaltigem Fall
von flüchtigen Dämpfen umwallte Wolken zusammen-
ziehend, die hohen Wälder mit Gischt übertauend und
weithin mit Getöse alles übertönend' (summisque asper-
gine silvis Inpluit et sonitu plus quam vicina fatigat I, 568) ;
das Thal Gargaphie III, 155, heilig der Diana, bietet
eine waldige Grotte, 'durch keine Kunst geschaffen : die
Natur hatte mit eigener Schöpferkraft die Kunst nach-
geahmt ^-) (arte laboratum nulla : simulaverat artem In-
genio natura suo), denn sie hatte aus lebendem Bimstein
und leichtem Tuf den natürlichen (nativum) Bogen ge-
wölbet, rechts murmelt ein Quell, von grasreichem Borde
umgürtet' ; v. 407 wird wieder ein silberheller Quell mit
blinkenden Wellen gepriesen, den nie ein Hirte oder
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eine Herde, ein Vogel oder ein Tier oder ein vom Baume
herabgefallener Ast berührt hat; ringsum ist Rasen
und dichter, keinen Sonnenstrahl hindurchlassender Wald
— vgl. den waldbeschatteten See Pergus V, 385 und
XI, 235 und den Lethestrom v. 603 ff. — ; dorthin lockt
die Schönheit des Ortes den Narcissus (faciemque loci
fontemque secutus). Im schimmernden Spiegel des
Wassers schaut er mit unersättlichem Blick den trügen*
den Reiz seines eigenen Bildes und fragt die Wälder,
ob je einer unglücklicher geliebt, den sie in heimlichen
Lauben geborgen; in echt rhetorischer Deklamation
und mit sentimentalem Pathos wühlt er in seinen Em-
pfindungen, zerschlägt sich die Brust — weissrot wie ein
Apfel ! und schwindet hin von innerer Glut verzehrt wie
der Frühreif unter den Strahlen der Sonne (ut intabes-
cere . . matutinae pruinae Sole tepente solent 488) 1 Mit
mehr oder weniger Raffinement der Erotik und der Affekt-
malerei entwirft er das Schicksal der Daphne (I, 452
bis 567), der Syrinx (689 — 712), des Aktäon (III, 138 ff.),
des Daphnis (IV, 276), von Arethusa und Alpheus (V, 573),
Prokne und Philomele (VI, 424 — 674), Boreas und Ori-
thyia (VI, 679 — 721), Byblis (IX, 454), des Cyparissus (X,
106 — 142), Hyacinthus (X, 162 — 219), Ceyx und Alcyone
(XI, 410—572), Glaucus und Scylla (XIII, 900 bis XIV,
74); Picus und Canens (XIV, 370), Pomona und Vertum-
nus (XIV, 609). In all diesen reizenden Märchen schim-
mert eine sinnreiche Natursymbolik durch das romantische
Erzählungskolorit hindurch. — Wie idyllisch empfind-
sam ist die Liebe des Cephalus zur Waldeskühle, der
vom Jagen ermüdet im Schatten sich ausstreckend ruft :
* Kühlendes Lüftchen, komm (aura veni VII, 813), komm,
liebliche Freundin, Trösterin, spiele mir hold um den
offenen Busen, o meine Wonne (tu mihi magna volup-
tas); du machst, dass ich den Wald liebe und die Ein-
samkeit (tu facis, ut Silvas, ut amem loca sola); o
lass mich deinen Hauch mit lechzendem Mund ein-
atmen, du Süsser Im eifersüchtigen Wahn, der Gatte
mache einer Nymphe diese Liebeserklärung, entleibt
sich . Procris. — Berühmt ist das Idyll von Philemon
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1 17
und Baucis (VIII, 6ii — 724), diesen frommen Landleuten,
die ihr arbeitsames, fried- und glückvolles Leben zu«
gleich beschliessen, indem unter Abschiedsgrüssen sie zu
Bäumen werden. Ein lockendes Bild von dem herrlichen
Leben in schattigen, stets kühlen Grotten, in Obst- und
Weingärten und erdbeerreichen Wäldern, im Besitz von
Schafen und Zicklein, von Gemsen und Hasen, entwirft der
verliebte Polyphem der spröden Meernymphe XIII, 808. —
Wie der Dichter die Metamorphosen mit der Ver-
götterung der Äneaden und der Verherrlichung des Au-
gustus beschliesst, so sind auch ein durchaus patriotisches
Werk die Fasti, dieser für die Sacralaltertümer hoch-
wichtige Kalender von Festen und Himmelserscheinungen,
der jedoch für eine Untersuchung über das Naturgefühl
dieser Epoche nur wenig Interessantes bietet, wie die
idyllischen Schilderungen heiliger Haine, in denen das
numen der Gottheit wohnt (III, 295, VI, 9), von Grotten
aus lebendem Bimstein an geschwätzig murmelndem Quell
{III, 17, IV, 427, II, 315), eines heiligen See's in der
Waldschlucht (III, 263) oder besonders des einfachen
Lebens der Naturvölker (II, 291 ff.) und der guten alten
Zeit, da Saturnus noch regierte, noch eine kleine
Hütte den Mars entsprossenen Quirinus barg, noch im
engen Tempel Jupiter mit dem thönernen Blitze stand,
das Kapitol im Laub der Bäume, nicht in Edelsteinen
prangte und der Senator selbst seine Schafe weidete
{I, 195). — Die hellenistischen Dichter klagen im Hin-
blick auf die Trümmer einer grossen Vergangenheit
über die Hinfälligkeit alles menschlichen Werkes ; hier bei
Ovid begegnen wir — wie schon bei Properz — der elegi-
schen Stimmung: 'Einstmals, da an der Stelle der stolzen
Roma noch unbehauener Wald grünte, noch ein Weide-
platz für wenig Rinder oder feuchte Sümpfe sich hin-
zogen, waltete noch die Gerechtigkeit und Scham (pudor)
und Friede im kleinen Volke"* (I, 242, II, 391, III, 179,
VI, 261, 401 ff.) Neben der Ruinenpoesie pflegten die
Alexandriner auch eine Gräberpoesie; Ovid bekennt II,
533 : 'Ehre den Gräbern !^ (est honor et tumulis); die wahre
Pietät gegen die Verstorbenen adelt auch geringe Gaben
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wie Kränze, Früchte, Salzkörner — (Parva petunt manes^
pietas pro divite grata est Munere). —
Die Tristien, die lediglich Stimmungsbilder des ver-
bannten, trostlosen Dichters enthalten, sind ein interessan-
tes Dokument seiner hochgradigen Innerlichkeit, seiner
modernen Empfindungsweise. Wohl sind sie monoton und
variieren immer wieder das gleiche Thema der Klage und
schwemmen nicht selten durch mythologische Deklama-
tionen die wahre Empfindung des Heimwehs, der
glühenden Sehnsucht nach Rom, nach den Freunden,
nach der Gattin (III, 2, 21: 4, 56, IV, 7, 45 etc.) hin-
weg, aber die Tiefe des Innenlebens und die sinnige
Parallelisierung des Geistigen und Natürlichen hat in der
römischen Literatur kaum ihres Gleichen. So interessiert
uns mehr als die allerdings in lebendiger Anschaulichkeit
entworfene Schilderung des Sturms auf hoher See (I, 2)
und auch als der rührende Abschied von den Seinen
in der letzten Nacht — mit den knappen, aber vortreff-
lichen Zeilen I, 3, 27: ^Jeglicher Laut war jetzt ent-
schlummert von Menschen und Hunden Und von der
Höhe gebot Luna den Rossen der Nacht^ — die dem
Meere abgelauschte schöne Metapher, die stimmungs-
volle Verquickung von Geist und Natur I, 11, 9 :
Wunder mich selbst nun nimmt's, dass unter des
Herzens und Meeres
Wogengetümmel doch nie geistige Kraft mir ent-
sank:
Ipse ego nunc miror, tantis animique marisque
Fluctibus ingenium non cecidisse meum;
ja sein Herz tobt noch wilder als die von dem Sturm
gepeitschte See v, 33: Cumque sit hibernis agitatum
fluctibus aequor Pectora sunt ipso turbidiora mari-
Die geistige Kraft hält ihn allein noch aufrecht, sie
allein hat er gerettet, als sein Lebensglück in Trümmer
ging : 'Alles an uns ist sterblich, einzige Ausnahme sind
Güter des Herzens und Geistes; siehe, beraubt wie
ich bin der Heimat, eurer, des Hauses, da man ent-
rissen mir hat, was sich entziehen mir Hess: Hab*
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ich in mir doch den eigenen Geist zum Geleit und
Genuss noch^ III, 7, 43:
. . . Nil non mortale tenemus
Pectoris exceptis ingeniique bonis,
En ego, cum patria caream vobisque domoque
Raptaque sint, adimi quae potuere mihi,
Ingenio tamen ipse meo comitorque fruorque.
Doch diese Seelenstärke versagt ihm oft; unablässig
klagt er über die Öde des Ortes, über das schlimme
Klima, das ihn krank macht, und wünscht sich den
Tod; immer wieder vergleicht er die Unzahl seiner
Leiden, die seinen Geist gebrochen (III, 14, 33), mit den
Sternen, den Büschen im Walde, den Gräsern des
Marsfeldes, den Muscheln, den Blüten, Mohnkörnern,
Fischen, Vögeln u. s. w. ; **) auch sein Leib welkt, wie
das Laub im Herbst sich entfärbt (III, 8, 30). In dem
Lande des ewigen Winters, wo Frost und Nordsturm
keine Trauben reifen, ja nicht Baum und Strauch auf
kahlen Gefilden gedeihen lassen (III, 10), malt er sich voll
rührender Sehnsucht den Frühling Italiens aus (c. 12),
wo nun, da das Eis vor dem Westwind verging, die
Knaben und Mädchen Veilchen zu suchen gehn, die
Wiesen bunt sich färben, die Vögel zwitschern, die Reben
treiben :
Frigora iam zephyri minuunt . .
lam violas puerique legunt hilaresque puellae,
Rustica quas nullo terra serente vehit
Prataque rubescunt variorum flore colorum:
Indocilique loquax gutture vernat avis.
*Ich kenne nur Schnee, den die Frühlingssonne ge-
schmolzen, Fluten nur, die nicht mehr brechen im
starrenden Teich^ Keine Anregung, keine Einsamkeit
tröstet ihn (nee quo secedam locus est III, 14, 41)
— denn ewige Angst herrscht zu Tomi vor den wilden
Nachbarvölkern — , sondern nur die Muse; sie bietet
stärkende Labung, sie bringt die Sorge zur Ruhe (IV,
fin. : tu curae requies); er wühlt in seinem Schmerz:
^Weinen ist eine gewisse Lust^ (est quaedam flere volup-
tas IV, 3, 37). Wenn nur Augustus ein Tropf lein nehme
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von der Fülle der Schmerzenssee ! wünscht er V, 2, 20;
die Zeit scheint ihm stille zu stehen c. 10 —
Traun in dem Weltlauf herrscht ein seltsam neuer
Naturbrauch,
Der mit dem Gram im Bimd alles so lange mir
macht. —
Noch monotoner als die Tristien wirken die Briefe Ex
Ponto, da sie, an verschiedene Freimde gerichtet, stets
das Gleiche wiederholen ; zugleich mischt sich in wahres
Gefühl (I, 3, 35; 4, 49) die kriechende Schmeichelei
(z. B. I, 9, 33 ; n, I ; m, 3, 99 !) und ein Gewinsel um die
Gnade des Gottes Augiistus! Unablässiger Gram zehrt
an seinem Innern, das wie das Bächlein zertaut, welches
dem Schnee entrinnt I, i, 67: mens mea tabida facta
De nive manantis more liquescit aquae. ^*)
Möchte mir doch das Glück werden, ruft er resigniert
I, 8, 49, dass ich hier ein Fleckchen bebaun dürfte:
Selber am Felshang gern, wenn ich dürfte nur, kletternde
Ziegen Würd' ich am Stabe gelehnt weiden und Schafe
so gern — dass ewigem Gram nicht ganz hingebe
mein Herz sich. — Er ist ein Schiffbrüchiger, kein
rettender Hafen winkt ihm (II, 2, 30),^^^) vergebens fleht
er die Freunde an, dass sie der Anker seien des zer-
schlagenen Nachens (III, 2, 6); sein Genius ist vom
Schlamme der Leiden verderbt (IV, i, 19 limo vitiata
malorum); sein letzter Trost ist 111,-2, 31:
Während der I-eib entseelt anheimfällt düsterer Urne,
Flüchten sich Ehre und Ruhm über die Flammen
hinaus. —
In Ovid hat die romische Poesie ihren Höhepunkt
erreicht. Die Sonne, die allerdings Licht und Wärme
wesentlich von einer grösseren — der griechischen —
borgte, steht im Zenith und sinkt nun langsam hinab.
Neben Ovid strahlen gleichzeitig noch kleinere Geister,
die auch an Lehrgedichten ihre Kraft erprobten; doch
während des Gratius Faliscus' Cynegetica ein durchaus
trockenes, langweiliges Machwerk sind, erhebt sich
Manilius in seinen Astronomicon libri V bisweilen zu
hohem Schwünge einer erhabenen Naturanschauung;
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eine Lust ist es 'ihm, da der glückliche Frieden es
vergönnt (I, 13), sich aufzuschwingen zu den unendlichen
Himmelsräumen, wo der Gott sich am herrlichsten zeigt,
zu den Schicksal bestimmenden Sternen (v. 37); keine
grössere Wonne giebt es, als tief in des Weltalls
innersten Kern zu dringen und die Natur im geheimsten
Verschluss zu belauschen (v. i8 und 95): 'Nichts im ge-
waltigen Kreise des Alls ist mehr zu bewundern, als
dass alles dem Zweck sich fügt und bestimmtem Ge*
setze (v. 475 : Nee quicquam in tanta magis est mira-
bile mole Quam ratio et certis quod legibus omnia
parent); hieraus strahlt mir der klarste Beweis, dass
göttlicher Machtwink Lenk' und regiere das All, und
dass selber ein Gott sei, Dass nicht danke die Welt ihr
Bestehen dem schaffenden Zufall"*; vgl. v. 527. Begeistert
preist der Epilog des vierten Buches die Würde und
geistige Kraft des Menschen, der die Welt erforscht
und, ein Teil des göttlichen Vaters (des Himmels), ihn
selbst erkannt hat. 'Oder ist es zweifelhaft, dass ein
Gott in unserer Brust wohne, und dass die Seelen zum
Himmel zurückkehren, von dem sie gekommen (886);
unterworfen hat sich der Mensch Erde und Meer, und
als Sieger schlägt er die Sternenaugen zu den Sternen
empor' (victorque ad sidera mittit .Sidereosque oculos),
'durchforscht den Himmel und erkennt: alles lenkt,
durchdringt und bewältigt die Vernunft' (ratio omnia
vincit 932) vgl. II, 60 ff, 106 ff. Mit rhetorischem Pomp
schmückt er Episoden aus wie die vielgerühmte von
Andromeda (V, 538 — 607), deren Jammergeschick nicht
blos die Alkyonen, sondern auch das Meer und der
durch Felsen wehklagenden Tons rauschende Wind
betrauern; doch der Retter naht; entflammt von Liebe
beneidet Perseus die Klippen, an denen die Schöne
hängt, und preist glücklich die fest um die Glieder sich
schmiegenden Ketten! —
In der Prosa der augusteischen Zeit übernimmt die
Geschichtsschreibung die Führung. Man hat Livius
den Vergil der Geschichte genannt, und in der That
verhüllt die grossen Mängel der Forschung ein zarter
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Schleier persönlicher Liebenswürdigkeit und dichteri-
scher Wärme der Empfindung, aber ein poetischer
Landschaftsmaler wie Vergil ist Livius nicht gewesen;
wenig besagen die paar Schilderungen von Schlachten-
orten, Flüssen, Meeren oder Gegenden wie des Tempe-
Thaies (44, 6), dessen steile, hohe Wände kaum einen
schwindelfreien Anblick gestatten (sine vertagine qua-
dam simul oculorum animique), 'auch schreckt der Schall
und die Tiefe des mitten durchs Thal fliessenden Peneus^ . .
Wie Vergil (Georg. I, 463fF.)^die Natur in Mitleidenschaft
zieht, als der grosse Caesar gestorben, so dass die
Sonne hinter rötlichem Dunst erbleicht u. s. f., liebt es
Livius, die Ereignisse durch die abstrusesten Prodigien,
durch schauervolle Naturvorgänge vorzubereiten und
sympathetisch zu illustrieren; brennende Himmel und
Meere, Blitze aus heiterer Luft, Doppelsonnen, Erd-
Spaltungen bilden gar häufig den unheimlichen Hinter-
grund der Thatsachen, besonders jedoch die dämoni-
schen Laute in dem Dunkel der schweigenden Haine.
Der romantische Zauber der Alpenwelt ist aber über-
haupt der Zeit noch nicht aufgegangen (vgl. Hör. Epod.
I, 11; Ov. Am. n, 16); Livius lässt den Hannibal (XXI,
30) seine Soldaten damit trösten» dass die Alpen Gebirge
wären wie die Pyrenäen, also wohl übersteigbar, da
keine Länderstrecken den Himmel erreichen; doch der
nahe Anblick der hohen Berge, die Schneemassen, die
sich fast mit dem Himmel x^mischen, die formlosen
Häuser oben auf den Felsen u. s. f. erneuern den
Schrecken (c. 32 tamen ex propinquo visa montium
altitudo nivesque caelo prope immixtae, tecta informia
imposita rupibus . . terrorem renovarunt); c, 34, 8
zeigt Hannibal auf einem Gipfel, von dem weit und
breit eine Rundschau sich bot (unde longe ac late pro-
spectus erat), seinen Soldaten Italien, die am Fusse der
Alpen liegende Poebene mit der Erklärung, nun stände
der Weg nach Rom ihnen offen (cetera plana, proclivia
fore); doch mit unsäglicher Mühe marschieren die
Truppen auf den schlüpfrigen Gletschern, auf den steilen
Pfaden, über nackte Gipfel, bis sonnige Hügel und
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Thäler mit Wäldern und Bächen sie aufnehmen (37, 5).
Aber mit keinem Wort wird weiter dieses Kontrastes
und der Stimmung der Truppen gedacht. —
Die augusteische Zeit war das goldene Zeitalter
der römischen Poesie, aber sie bezeichnet auch zugleich
eine neue Epoche in der bildenden Kunst. Erhob sich
die Malerei auch nie über eine handwerksmässige de-
korative Wandmalerei, so lassen doch die in Rom und
Umgegend sowie die in Pompeji und Herculanum ge-
fundenen Landschaftsbilder den der Entwicklung der
Poesie analogen Charakter einer sentimental-idyllischen
Naturbetrachtung erkennen, da auch sie wesentlich auf
hellenistischer Nachahmung beruhen. Sie füllen somit,
wie die Elegiker in der hellenistischen Poesie, eine
empfindliche Lücke in der griechischen Kunst aus —
wie auch die Gemäldebeschreibungen des älteren Phi-
lostratos, — die man wol kaum mit Friederichs als abstruse
Erfindungen des Rhetors ansehen kann — , deren Originale
einen eminenten landschaftlichen Sinn müssen verraten
haben ; ich will hier nur an die 'Sümpfe' (I, 9) erinnern :
*Es ist ein stiller, abgeschlossener Raum, der von
menschlicher Kultur noch nicht berührt worden ist.
Selbst die Brücke über den Fluss ist von der Natur
gebildet. Nur Tiere, Eroten und Hirten beleben das
Ganze. Alles hat etwas Heimliches, Verstecktes, von
der weiten Welt Abgelegenes; es ist ein idyllischer
Winkel; es ist ein Bild, das in poetischer Auffassung
keiner neueren Landschaft nachsteht' (Brunn). —
Unter den römischen müssen besonders die es-
quilinischen Odysseelandschaften in ihrer Gesamtheit
einen prachtvollen Schmuck gebildet haben, da in
ihnen selbst das Kolorit, die Farbenperspektive von
guter Beobachtung zeugen; ich hebe hier nur die
Schilderung des 7ten Bildes aus der trefflichen Dar-
stellung von Wörmann'^®) kurz heraus: Ein kolossales
Felsenthor zeigt den Eingang in die Unterwelt, die in
tiefem Schatten liegt; ein breiter Lichtstreif fällt auf
den reichlich vom gespensterhaften Riesenschilfe um-
sprossenen Plan am Strande des Acheron und beleuchtet
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das Widderopfer des Odysseus mit einem geheimnis-
vollen LichtefFekt, wie er unter den erhaltenen antiken
Gemälden nicht zuna zweiten Male vorkommt; der am
Horizonte hellweisse Himmel nimmt an Dunkelheit zu,
wie er sich vom Meer zu den Felsen herüberspannt;
aus dem Schatten drängen die Schatten. 'In der That
haben wir eine grandios und einfach komponierte und
höchst effektvoll beleuchtete, wirkliche Landschaft vor
uns, in welcher der figürliche Bestandteil nur als Staffage
wirkt und zugleich durch seine Beleuchtung und die
Farbe der Gewänder die landschaftliche Stimmung
fördert ; in der That kann man hier von einer bedeuten-
den landschaftlichen Stimmung reden, die höchst talent-
voll mit der dekorativen Stimmung identificiert ist\
Wie diese Odysseelandschaften ein Beispiel zu den von
Vitruv VII, 5 genannten 'Ulixis errationes per topia'
sind, so liegt ein treffliches Beispiel zu den von Plinius
Nat-Hist. XXXV, ii6 — 117 dem Ludius zugeschriebenen
'Gartenanlagen^ (topiaria opera) in der Villa ad Gallinas
der Livia in Prima Porta bei Rom vor. Hier hat das
sentimentale Naturgefühl des in engen Mauern einge-
schlossenen Städters durch kunstreiche Dekoration 'mit
naturalistischer Treue^ einen geräumigen Saal in eine
durch allerlei graziös sich schaukelnde oder zwischen
den Zweigen flatternde oder im Blau des Himmels
schwebende Finken, Ammern und Drosseln belebte
Parklandschaft ohne Staffagefiguren umgewandelt; 'die
in dem Zimmer weilenden Personen waren gewisser-
massen die lebendige Staffage der sie umgebenden
Baumgruppen^ ^'), die in anmutigsten Wald- und Park-
baumarten aus reichem Blumenflor sich erheben. Ähn-
liche Dekorationen begegnen auch unter den zahlreichen
Landschaften der kampanischen Wandmalerei^^). Der
idyllische Charakter herrscht auch in den mythologi-
schen Kompositionen vor, und mit feinem Verständnis
ist oft der innige Wechselbezug der Handlung und der
umgebenden Natur zur Darstellung gebracht; andere
sind durch irgend welche Zeichen menschlichen Wir-
kens belebt oder dem Kultus geweiht, mit heiligen .
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Bäumen, Sacellen u. dgl., von den einfachsten bis zu
'grossen idyllischen landschaftlichen Kompositionen auf-
steigend, die zu den schönsten unter den kanxpani-
sehen Landschaftsbildem gehören und 'den ahnungs-
vollen Dämmerschein des Geistes^ den man der antiken
Landschaft oft abgesprochen hat, umgewandelt zeigen in
eine sonnenklare, bewusste und konkrete Beseelung der
Landschaft mit dem Geiste der Gottheit, deren Heilig-
tum die Einsamkeit schmückt^®). Häufig wird 'das
ländlich idyllische Dorf lebend dessen Mittelpunkt ein
sacellum ist, noch durch Ruinen gesteigert; also auch
der Kunst war dies elegische Moment ebenso wenig fremd
wie der Poesie. Strandbilder*"), Villen-, Garten-, Tem-
pel-, Inselländschaften, ägyptisierende Landschaften*^);
Tierstücke und Stillleben*'-) erzielen oft mit wenigen
Strichen 'ein Ganzes von romantisch ansprechendem
Eindruck'; auch grandios wilde Landschaften sind häufig.
Besonders interessant ist, wie einige Hausbesitzer Pom-
peji's ihren hervorragenden Sinn für die Natur durch
die Fülle von Landschaftsbildern verraten, die fast
sämtliche Wände der einzelnen Zimmer bedecken, wie
in der casa della picola fontana*'^). —
Jedenfalls bekundet die Landschaftsmalerei der vom
Hellenismus beeinflussten Römer, trotz der technischen
Mängel in der Perspektive und in der charakteristi-
schen Individualisierung sowie in der Abtönung der
FarKenreflexe, durchaus markante Ansätze und Keime
unserer modernen Malerei, die um so bewundernswerter
sind, als das rein handwerksmässig Dekorative — wie
in unserer Tapetenmalerei — das leitende Motiv blieb. —
Auch die Mosaikdekorationen auf Fussböden, wie sie
teils um Rom, teils in Kampanien gefunden worden,
zeigen landschaftliche Bilder von 'abgeschlossener und
packender Wirkung^; ja der spätere Zopfstil brachte
selbst in plastischer Dekorationsarbeit kleine Land-
schaften hervor, wie die Brunnengruppe in der Villa
Borghese und zahlreiche Marmorreliefs idyllischen Genres
aus dem Wald-, Hirten- und Tierleben. —
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Viertes Kapitel.
Die gesteigerte Sentimentalität der Kaiserzeit.
Die augusteische Epoche ist die Wende vom freien
Republikanertum zum tyrannischen Despotismus. Die
Kaiserzeit trägt in ihren literarischen Erscheinungen
mehr oder weniger den Stempel des Servilismus; jedes
selbständige geistige Leben wird systematisch ertötet.
Die schöne flüssige Form der augusteischen Poesie
dauert noch fort, aber der Gedankengehalt ist entweder
einem lediglich rhetorischen, künstlichen Pathos oder
der moralischen Entrüstung über die Gebrechen der
Zeit entsprungen. Tiefere Gemüter werden in ihr Inneres
zurückgedrängt; aber mit dieser gesteigerten Innerlich-
keit und Sentimentalität verbinden sich nur zu oft
kriechende Heuchelei und Affektation, die besonders
im Prosastil durch Manieriertheit, Verkünstelung und
gesuchte Pikanterie sich bekundet. Mit der immer
tiefer eindringenden Empfindsamkeit wächst auch das
Gefühl und das Verständnis für die Natur. Das Leben
in ländlicher Stille, auf den Villen wird eine notwendige
Ergänzung des städtischen Lebens, ein Heilmittel für
so viele Übel, welche eine überreife Kultur mit sich
brachte; die landschaftliche Schönheit wird voll und
ganz entdeckt und die unverfälschte Natur wird bewusst
aufgesucht und besungen im Kontrast zur Unruhe und
Unwahrheit des politischen und socialen Lebens und als er-
frischende Abwechslung nach dem Nerven erregenden und
zerrüttenden Genussleben. Die erhöhte wissenschaftliche
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Bildung steigert das Interesse an der Natur. — Auch in
dieser Hinsicht ist der Philosoph Seneca der interes-
santeste und geistvollste Repräsentant seiner Zeit. In
wunderbarer Weise paaren sich in ihm ein eminenter
Verstand, vielseitiges Wissen, lebhafte Phantasie und
ein idealer Sinn für alles Edle und Hohe, für alles Gute,
Wahre und Schöne mit herzloser Eitelkeit, kühler
Rhetorik und sittlichen Mängeln des Charakters J Kein
zweiter Römer zeigt wie er die Selbstzersetzung des
Römertums. Der Most einer fast modernen Weltan-
schauung, einer fast christlichen Moral zersprengt die
alten verbrauchten Schläuche antiker Denkart. Neben-
einander her laufen echt christliche Anschauungen von
-einem allweisen, allgütigen Schöpfer und die stoisch-
pantheistischen von einer unkörperlichen, in gewaltigen
Werken schöpferischen Vernunft und einem göttlichen,
alles Grosse und Kleine in gleichmässiger Wirksamkeit
durchströmenden Hauche. Und so identificiert er Natur
und Gott. Man wird an die Bekenntnisworte des
Göthe'schen Faust erinnert, wenn man de benef. IV, 8
liest: 'Nenne es Natur, Schicksal, Geschick, alles sind
doch nur Namen für denselben Gott, der bald so, bald
so seine Macht äussert\ — Eine hochgradige Innerlich-
keit des Gemütslebens ist allen Darlegungen Seneca's
aufgeprägt. Wie schon Ovid, bekennt auch er (ad Helviam
cap. 8, 4), dass das Beste dem Menschen kein Kaiser,
keine Verbannung rauben kann: 'nämlich diese Welt,
das Grösste, das Schönste, was die Natur hervorge-
bracht hat, und diesen die Welt betrachtenden und
bewundernden Geist, der das Herrlichste ausmacht, was
in ihr ist, uns eigen und unverlierbar"* (quicquid Opti-
mum homini est, id extra humanam potentiam iacet,
nee dari nee eripi potest; mundus hie, quo nihil neque
maius neque ornatius rerum natura genuit, animus con-
templator admiratorque mundi, pars eius magnificen-
tissima, propria nobis et perpetua et tamdiu nobiscum
mansura sunt, quamdiu ipsi manebimus). Wohin auch
den Menschen die angeborene Lust, den Ort zu wechseln,
zu wandern, selbst in unwirtliche Gegenden (vgl. c. 6),
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oder der Wille anderer treibt: zwei herrliche Dinge
gehen immer mit uns: die Natur, die überall ist, und
die Tugend, die uns eigen ist. ^Sp lange meinen Augen
der Anblick des Himmels, dessen sie nicht satt wer-
den, nicht entzogen wird . ., so lange ich den Mond
und die Sonne und das nächtliche Stemenheer schauen
darf . ., so lange ich mich, soweit es Menschen ver-
gönnt ist, in himmlische Sphären schwingen, so lange
ich den Geist, der nach dem Schauen verwandter Na-
turen strebt, immer über der Erde halten kann: was
liegt mir dann daran, worauf mein Fuss trete?' Den
Polybius tröstet er in seinem Kummer mit dem Ge-
danken (c. I, 20), dass alles ausser den unabänder-
lichen Naturgesetzen dem Wechsel unterworfen und
das Leben einzelner im Hinblick auf das Ganze wert-
los sei — denn, führt er ad Marciam fin. aus, es
wird einst nichts stehen bleiben, wie es jetzt steht;
die Zeit wird alles darnieder werfen, und mit s^ich fort-
raifen ...
Wie einen Aristoteles und Cicero, weist auch ihn
das regelmässige Aufunduntergehen der Gestirne auf
eine göttliche Ursache hin ; aber diese ist christlich ge-
fasst als die Vorsehung eines Einzelwesens, die Provi-
dentia (vgl. de provid. Einl.) eines liebenden Gottes, einer
vernunftvollen Natur. Pflicht des Weisen ist es (vgl. de
otio c. 32), mit sinniger Betrachtung sich in die Natur zu
versenken; 'ihrer Kunst und Schönheit gemäss hat sie
uns zu Betrachtern des grossen Weltschauspiels be-
stimmt, denn sie hätte den Genuss von sich verloren
gegeben, wenn sie all das Grosse, so Herrliche, so fein
Geordnete, so Liebliche und mannigfach Schöne einer
menschenleeren Einöde dargeboten hätte^ (curiosum
nobis natura Ingenium dedit et artis sibi ac pulchritu-
dinis suae conscia spectatores nos tantis rerum specta-
culis genuit, perditura fructum sui, si tam magna, tam
clara, tam subtiliter ducta, tam nitida et non uno genere
formosa solitudini ostenderet) . . In ihre Mitte hat sie
uns gestellt uild uns den Umblick nach allen Seiten
gegeben . ., aber den Menschen drängt es, das Dunkle
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der Ursachen alles Seins zu erforschen, und 'unser Ge-
danke durchbricht die Festen des Himmels und be-
gnügt sich nicht zu wissen, was sich darstellt, sondern
strebt dem nach, was über die Welt hinausliegt\ —
Schon aus diesen Aussprüchen geht hervor, wie auch
bei Seneca es sich bewahrheitet, dass ein lebhaftes,
intensives Verständnis für die Schönheit der Natur aus
der wissenschaftlichen Betrachtung und Erkenntnis der
Naturerscheinungen erwächst, dass ein so bewusst
empfundenes und. so direkt ausgesprochenes Gefühl für
die Reize der umgebenden Welt eine hohe Bildung des
Geistes und des Herzens bedingen; und weiter: dass,
wer die Qötter in ihrer Vielheit entthront, sich den
Einen als den höchsten Künstler und Schöpfer aus den
Wunderwerken der Natur erschliesst oder ihn sich
dieser immanent als die höchste Vernunft vorstellt. —
Der Grundgedanke der philosophisch-religiösen oder
moralischen Naturbetrachtung Seneca's ist immer wie-
der der, dass die Erforschung der unabänderlichen
Naturgesetze und das bewundernde Anschauen der
einzelnen erhabenen und lieblichen Erscheinungen, be-
sonders des ewigen, sternbesäeten Himmels den Men-
schen über sich selbst, über die Schranken des Irdischen
hinweghebt und zur Selbstüberwindung, zur Tugend
führt. Es liegt eine gewisse 'Fauststimmung^* über der
prächtigen Einleitung seiner ' Natur b etrachtungen^ : 'Zu
ahnen, dass es etwas Höheres noch giebt als das Sicht-
bare, und dem nachzuforschen, führt über die Dunkel-
heit, in der wir wallen, hinaus dahin, von wo die Klar-
heit kommt. Das Leben ist mehr als sich nähren und
den kränklichen Leib erhalten'. — Wer gedenkt nicht
jenes berühmten Monologs Hamlet's ? — 'O welch' ärm-
liches Geschöpf ist der Mensch, wenn er sich nicht
über das Menschliche erhebt! . . Das ist vollkommenes
Glück, wenn der Mensch alles Übel unter seine Füsse
tritt und sich emporschwingt und in die innere Tiefe
der Natur eindrängt. Dann ist es ihm Wonne, unter
den Sternen wandelnd den prächtigen Fussboden der
Reichen zu verlachen und die ganze Erde mit ihrem
Biese, die Entwicklunff de» Xaturgefühls bei den Römern. 9
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Gold, 'die Säulenhallen, die geschorenen Laubgang'e und
die in die Häuser geleiteten Flüsse . . Wenn er so auf
die Erde herabschaut, spricht er bei sich selbst: Das
ist das Pünktlein, um das sich so viele Nationen mit
Feuer und Schwert reissen? . . Das ist nichts anderes
als ein Hinundherlaufen von Ameisen, die auf ihrem
engen Plätzlein arbeiten . . Ein Pünktlein ist es, auf
dem ihr schiffet, auf dem ihr krieget, auf dem ihr
Königreiche abgrenzet . . Droben sind die ungeheueren
Räume, in die, als seine eigentliche Heimat, der Geist,
wenn er alles Unreine von sich abwischt, sich empor-
schwingt . . Ruhig schaut er der Gestirne Auf- und
Niedergang und bei ihrer Harmonie die Verschieden-
heit ihrer Bahnen . . Da lernt er die Gottheit erkennen,
die Seele des x\lls, kraft seines edleren Teiles, des
Geistes ; an der Gottheit aber ist nichts als Geist, nichts
als Vernunft^ — : Fürwahr ein edles, hohes Glaubens-
bekenntnis von Erhabenheit und Tiefe der Naturan-
schauung! — Was war' ein Gott, der nur von aussen
stiesse? ruft Göthe. Seneca sagt: 'Erst dann wird der
Gottheit ihre ganze Grösse zuerkannt, wenn sie allein
alles ist, wenn sie ihr Werk von aussen und innen be-
herrscht; und die Natur, die das Allerschön ste. Geord-
netste und Planmässigste ist, zu betrachten, unablässig
zu erforschen, heisst über seine sterbliche Natur hinaus-
gehen und lehrt, dass alles beschränkt ist, wenn man
die Gottheit zum Maszstab genommen hat'. —
So also erhebt und demütigt zugleich die Natur
den Menschen! Dieser echt moderne Gedanke ist der
Faden, an dem er seine einzelnen Untersuchungen auf-
reiht; derselbe durchbricht immer wieder die sonst
nüchterne Darstellung und die stoischen Weisheitslehren.
Auch schwungvolle Schilderungen begegnen uns, wie
die des Weltuntergangs (III, 30) und des ausgezeichneten
Naturschauspiels der Nilkatarakte (IV, 2). In allen pul-
siert ein warmes Herz voll Bewunderung für die Er-
habenheit und Schönheit der allgewaltigen Natur, die
in allen ihren Manifestationen, sowohl den ungewöhn-
Kchen — für welche die grosse Menge meist nur Sinn
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hat VIT, c. I — als auch den alltäglichen, so deutliches
Zeugnis für die göttliche Vernunft ablegt. — Auch die
Briefe bergen manches geistreiche, signifikante Wort,
das uns bei einem Manne des Altertums frappiert ; aber
Seneca ist eben ein moderner Mensch ! Es ist empfind-
sam oder zeugt von einer ausgeprägten Innerlichkeit,
wenn er (ep. 12) durch die Baufälligkeit seines Land-
hauses, das einst unter seinen Augen entstanden ist,
und durch die verschrumpften, laublosen Platanen, die er
selbst gepflegt und deren erste Blätter er gesehen hat,
an sein eigenes hohes Alter gemahnt wird. — Reisen
nützt nichts, führt er ep. 28 aus, wenn der Mensch
seine Fehler nicht ablegt, nicht zur Selbsterkenntnis
und zur Tugend gelangt; denn sich kann er nicht ent-
fliehen, schiff"e er auch über weite Meere oder wechsle
er den Himmelsstrich; 'aber legst du deinen Trübsinn
ab, so wird dir jeder Ort angenehm sein, denn nicht
für einen Winkel sind wir geboren, unser Vaterland
ist diese ganze Welt'. — Hier möge sich eine der
interessantesten Stellen des Seneca über das Reisen
anreihen, da sie in ihrer Bedeutsamkeit nicht genügend
bisher gewürdigt worden ist. Es ist ein seit Hum-
boldt's und besonders seit Friedländer's Ausführungen
allgemein gültiges Dogma geworden, dass den Alten
der Sinn für das Abgeschiedene, Wilde, kurz für die
Romantik einer Gebirgslandschaft völlig fremd ge-
blieben sei. Aber wie sich so manches andere empfind-
same und romantische Gefühl bei den Griechen und
Römern wenigstens anbahnte und im Keime vorliegt,
so auch dieses. De tranquill, an. 2, 13 schildert Seneca
es als eine Eigentümlichkeit des Kranken, nichts lange
zu dulden und die Veränderung als Heilmittel zu ge-
brauchen. 'Daher werden weite Reisen unternommen
und die Gestade durchstreift, und bald versucht sich
der immer dem Gegenwärtigen feindliche Wankelmut
zu Meere, bald zu Lande. Jetzt wollen wir Kampanien
besuchen! — Schon habe ich die lieblichen Gegenden
zum Überdruss; die Wildnis möchte ich sehen; lasst
uns das Waldgebirge Bruttiens und Lucaniens durch-
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streifen! Irgend etwas Anmutiges wird sich doch in
den Einöden finden lassen, wobei die verwöhnten Augen,
von der ewigen Rauhheit schauderhafter Gegenden sich
erholen! — Auf nach Tarent! Wir wollen seinen ge-
priesenen Hafen besuchen^ u. s. f.: Nunc Campanianx
petamus. iam delicata fastidio sunt, inculta videantur:
Bruttios et Lucaniae saltus persequamur. aliquid tarnen
inter deserta amoeni requiratur, in quo luxuriosi oculi
longo locorum horrentium squalore relevantur: Taren-
tum petatur laudatusque portus et hibema coeli mitioris
regio ... Es leuchtet hieraus jedem Unbefangenen
ein, dass es den Römern der damaligen Zeit nicht
völlig fremd war, die wilde Gebirgslandschaft zur Ab-
wechslung aufzusuchen als Kontrast zu der anmutigen,
und auch in ihr einen gewissen Reiz zu finden ! — Ge-
wiss haben wir hier nur einen schwachen Ansatz
unserer modernen Empfindungs weise zu konstatieren —
aber dieser ist doch unleugbar da ! Das von lieblichen
Eindrücken verwöhnte und ermüdete Auge wandte sich
auch dem Schaurigen, Wilden, Öden zu**). Aber
gemäss der Grundanschauüng , die im Einklang mit
Dichtern und Prosaikern Quintilian in der viel citierten
Stelle (III, 4, 27) dahin formuliert, dass die Schönheit
(species) den ebenen, den anmutigen, den am Meere
gelegenen Gegenden (planis, amoenis, maritimis,) zuzu-
erkennen sei, blieb dieser Zug zur Wildnis ein be-
schränkter, ja er wird — wie auch sonst bei den Alten
die zuerst auftauchende Empfindsamkeit schrankenloser
Nati^rschwärmerei — von Seneca selbst als ein krank-
haftes Symptom hingestellt. — Bajae meidet Seneca
trotz aller Gaben, die dem Ort von der Natur ver-
liehen sind, weil die Üppigkeit ihn zu ihrem Tununel-
platz gemacht hatte (ep. 51) und 'eine allzu anmutige
Gegend das Gemüt weibisch macht . ., während die stren-
gere Lebensart in einer rauheren Gegend den Geist stärkt
und ihn für grosse Unternehmungen tüchtig macht r
Marius, Pompejus und Caesar bauten zwar Landhäuser
in der Gegend von Bajae, aber sie setzten dieselben
auf die höchsten Gipfel der Berge; es däuchte ihnen
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kriegerischer, von hoher Warte auf die zu ihren Füssen
liegende weite Landschaft niederzuschauen' (ex edito
speculari late longeque subiecta). Seneca erzählt ep. 55,
Mvie auf der Spazierfahrt die Reize des Ufers ihn an-
lockten, das sich zwischen Cumae und der Villa des
Vatia in einer Bucht hinzieht und zwischen dem Meere
auf der einen und dem acherusischen See auf der an-
deren Seite gleichsam eine schmale Strasse bildet.
*Vatia war, dünkt mich, kein Thor, dass er diesen Ort
sich wählte, um hier die Müsse eines thatenlosen Greises
zu verleben\ Einmal, ep. 67, beginnt er sogar wie
moderne Briefschreiber : *Der Frühling — um mit einem
alltäglichen Gegenstande zu beginnen 1 — hat ange-
fangen, sich aufzuthun, allein da er schon daran war,
in den Sommer überzugehen, wo er heiss werden sollte,
ist er wieder kühler geworden' — , doch hält auch er der-
gleichen noch nicht einer längeren Rede wert. Geistvoll
ist der ausgeführte Vergleich des Lebens mit einer
Meerfahrt ep, 70: ^Während wir auf dem reissenden
Strome der Zeit hinschifften, entzog sich zuerst die Kind-
heit unseren Blicken ; es folgte die Jugendzeit . ., und nun
beginnt Zuletzt das gemeinsame Ziel der Menschheit
sich zu zeigen: es sei eine Klippe, glauben wir in
unserer Thorheit! ein Hafen ist's; . . . den einen hält
die Unthätigkeit der Winde mit neckendem Eigensinn
hin, mit dem Verdruss einer langweiligen Stille; einen
andern trägt ein andauerndes Wehen aufs schnellste
ans Zier. — Wie schon bei der Beschreibung der Villa
des Vatia der Moralist hervorhob, dass nur das Gemüt
einen Ort verschönere, dass es Traurige in dem reizend-
sten Landhause und Heitere in der 'Einöde gäbe, so
vergleicht er ep. 86 die Einfachheit einer Scipionischen
Villa mit dem Luxus der Gegenwart ; aus Quadersteinen
gebaut, an einem kleinen Walde, von einer Mauer um-
schlossen, mit Thürmen, einem Garten und Wasserbehälter
für ein ganzes Kriegsheer; das Badegemach eng und
klein : das ist das Villenbild aus der guten alten Zeit —
jetzt müssen sich an den Hallen Gemälde hinziehen;
herrlich verziert sind die Decken; überall sind Statuen,
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Säulen, sprudelnde Wasser, weite Fenster, damit man
von der Wanne die Aussicht über Fluren und Meere
hat! Doch vor allem in ep. 89, 21 geisselt er die Un-
ersättlichkeit seiner Zeit, die Latifundien auszudehnen,
mit weiten Parken Meere zu umgürten : "^SoU es keinen
See mehr geben, über welchen nicht die Giebel eurer
Landhäuser hereinragen, keinen Strom, dessen Ufer ihr
nicht mit euren Bauwerken einfasset ? Wo irgend das
Meeresgestade in eine Bucht sich hineinzieht, alsbald
legt ihr dort die Fundamente eines Baues; allerwärts
sollen eure Paläste strahlen, bald auf hohe Berge ge-
baut, zu unermesslicher Aussicht über Land und Meer,
bald auf der Ebene zu Bergeshöhe aufgeführt' . . :
Quousque nullus erit lacus, cui non villarum vestrarum
fastigia inmineant, nullum flumen, cuius non ripas aedi-
ficia vestra praetexant? Ubicumque in aliquem sinum
litus curvabitur, vos protinus fundamenta facietis nee
contenti solo, nisi quod manu feceritis, mare agetis
introrsus. Omnibus licet locis tecta vestra resplendeant
aliubi inposita montibus in vastum terrarum marisque
prospectum, aliubi ex piano in altitudinem montium
educta . .
Wie glücklich dagegen jene kulturlosen Völker 1
ruft er ep. 90 ^^) ; ^die Mutter Natur nährte sie . . der
Wald schützte sie . . ; über ihnen hing kein kostbares
Getäfel mit Schnitzwerk ; sie lagen im Freien ; aber die
Gestirne zogen über ihnen hin und das prachtvolle
Schauspiel der Nächte; das Firmament vollbrachte das
grosse Werk seines Umschwungs im Stillen; bei Tage
wie bei Nacht öifnete sich ihnen der Anblick dieses
herrlichen Wohnhauses': Non inpendebant caelata
laquearia, sed in aperto iacentes sidera superlabebantur
et insigne spectaculum noctium. Mundus in praeceps
agebatur silentio tantum opus ducens. Tam interdiu
illis quam nocte patebant prospectus huius pulcherrimae
domus. —
Ein echt religiöses Naturgefühl findet den erhaben-
sten Ausdruck in ep. 41: 'Gott ist dir nahe, er ist bei
dir, er ist in dir . . es wohnt in uns ein heiliger Geist . .
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wenn du einen Wald voll uralter, ungewöhnlich hoher
Bäume findest, welcher mit seinen dichten, übereinan-
der gewachsenen Ästen und Zweigen dir den Anblick
des Himmels entzieht, so weckt die Erhabenheit dieses
Haines, die stille Abgeschiedenheit, die wunderbaren
Schatten dieses freien und doch so dichten Gewölbes
(illa proceritas silvae et secretum loci et admiratio um*
brae in aperto tarn densae atque continuae) in dir den
Glauben an eine Gottheit; ebenso erregen eine tiefe,
nicht von Menschenhand gemachte, sondern von Natur-
kräften ausgehöhlte Grotte und die Quellen grosser
Flüsse in des Menschen Herz religiöse Ahnungen;
ebenso ein Mann, der furchtlos und leidenschaftslos,
von den Stürmen des Lebens unberührt blieb ; auch ihn
belebt eine himmlische Macht; wie der Sonne Licht
zwar auf die Erde trifft, aber dort ist, von wo es aus-
strahlt, so ist eine grosse und heilige, zu unserer näheren
Erkenntnis des Göttlichen gesandte Seele zwar im Ver-
kehr mit uns, aber unzertrennlich von ihrer Heimat:
dorthin ist ihr Blick und ihr Streben gerichtet'. Genug!
Jede Zeile ist hier bezeichnend. Der Zauber des Ab-
geschiedenen, auch des Heimlichen, den das Laubge-
wölbe auf empfindsame Gemüter ausübt, der Gegensatz
von Natur und Kunst, und endlich das fein pointierte
Gleichnis : alles das sind Symptome einer tiefen Innerlich-
keit. Ineinander ranken pantheistische Anschauungen,
die im romantischen Schauer des Walddunkels und der
Felsschlucht ebenso wie im Menschlichen, wo es sich
wahrhaft edel, gross und selbstlos zeigt, einen Hauch
des Göttlichen erkennen, und wunderbare Ahnungen
von dem Kommen einer ganz dem Lichte zugewandten,
gottgesandten Seele! —
Die Tragödien des Seneca, welche nur Zerrbilder
der griechischen Muster genannt werden können, sind
Zeugnisse einer zügellosen Phantasie, die in Aufwendung
eines rhetorischen Pathos, schillernden Witzes, blenden-
der Effekthascherei erstaunliche Geschmacklosigkeiten
und Ungereimtheiten zu Tage fördert. Die Natur-
schilderungen sind in grellen und düsteren Farben ge-
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klext, ohne Wärme der Empfindung, ohne Wahrheit
und individuelles Kolorit, die Grenzen der Poesie und
der Malerei im Sinne Lessing's über alles Mass über-
schreitend; der Hinweis auf folgende Stellen mag ge-
nügen: Herc. 125 ff. (Nacht: iam rara micant sidera,
vgl. Thu. 794), 666 ff. und 838 (Eingang in die Unter-
welt), Thuesta 650 (Hain, vgl. Öd. 543), Öd. fr. 12
(Cithaeron), Phon. 240, Phädra 10 ff. (Attika), 1016
(Meeressturm), Öd. 37 ff. (Dürre). Zahlreich sind die
Vergleiche und Metaphern nach Euripideischem Muster
(Thu. 455, 491, 577, Phädra 772, Öd. 940), die Anrufung
von Gottheiten und ihrer Natursphäre (Herc. 596, Thu.
776, 1072, Phädra 417, 967: o magna parens natura
deum) ; auch sentimentale Beseelungen sind sehr häufig,
Herc. 1059: die Natur soll mittrauern! lugeat aether . .;
beim Nahen der Furie erbleicht der Baum, sinkt vom
Zweig der Apfel etc. (Thu. 1 10) ; die schauerlichsten Na-
turwunder bilden immer wieder die geheimnisvolle Folie
zu den Ereignissen. —
Wer von der reich besetzten, in der Fülle einer
übersprudelnden Phantasie und eines pikanten Witzes
glänzenden Tafel des Ovidius herkommt und Seneca's
Tragödien, sowie seines Neffen Lucanus Pharsalia
liest, der wird den Unterschied zwischen einem poeti-
schen Talent, das sich allerdings zuweilen mehr als
wünschenswert in pathetischen Deklamationen ergeht,
und der reinen nackten Rhetorik erkennen, die jenes
göttlichen Funkens dichterischer Begabung fast gänz-
lich bar ist. Lucan ist Redner, aber kein Poet. Wohl
hat er Vergil, auch Ovid studiert, aber der Hauch
echter Sympathie mit der Natur, der durch die Gleich-
nisse und Schilderungen des ersteren weht, ist in den
seinigen nicht zu spüren ; sie sind frostig, nüchtern, ge-
lehrt-geographisch und mitunter mit stoischen Betrach-
tungen durchflochten. Wenig individuell sind die
meisten Vergleiche ^^). Erträglich sind folgende : ^Besser
in friedlicher Müsse lebst du allein die Tage dahin,
gleichwie unerschüttert Himmelssterne sich ewig in
ihren Kreisen bewegen^ (sicut coelestia semper Incon-
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cussa suo volvuntur sidera lapsu 11, 267) ; 111,362 : 'Windes
Gewalt erschlafft, ins Leere der Lüfte verwehend, wenn
nicht wider ihn kämpft mit gedrängten Stämmen die
Waldung; und hochflammendes Feuer erlischt, dem
nichts in den Weg tritt; so ist Mangel an Feinden
verderblich mir*; oder V, 336 mit gelehrtem Anstrich:
*Meint ihr, dass Cäsars Lauf, weil ihr entflieht, zu ge-
fährden möglich sei? So mochten die sämtlichen Ströme
der Erde drohen, dem Meere die Quellen, die sie ihm
gebracht, zu entziehen: dennoch würde die See darum
nicht sinken, so wenig als sie jetzt durch die Wasser
sich hebt\ — Geschmacklos heisst es IV, 217: 'Wie
das wogende Meer, wenn Boreas' Hauche verweht
sind, heiser stöhnt, so erleichtem die Seherin häufige
Seufzer'!! — Auch die Schilderungen sowohl der Ört-
iichkeiten *®) als auch der Tages- und Jahreszeiten sind
wenig poetisch, z. B. II, 719: 'Schon kündete Phöbus'
Nahen veränderte Farbe der Luft ; noch rötet der weisse
Schein sich nicht, noch entreisst er das Licht den
nächsten Gestirnen ; doch erlischt die Pleias bereits' . . :
lam Phoebum urgere monebat Non idem Eoi color
aetheris, cdbaque mundum Lux rubet et flammeas pro-
pioribus eripit astris^ Et iam Pleias hebet . . Die Licht-
reflexe der aufgehenden Sonne auf dem Meer finden
III, 521 Erwähnung: 'Als nun die Morgenstrahlen der
Sonne im Meere sich brachen', . . Ut matutinos spar-
gens super aequora Phoebus Fregit aquis radios . . .
Für das Schaurige hat der Dichter eine gewisse Vor-
liebe, die besonders in der berühmten Schilderung des
Druidenhains hervortritt (III, 399), Velcher die dunkelnde
Luft umzieht mit verschlungenen Zweigen und, vor-
bauend der Sonne, die kühlen Schatten umherwirft
(Obscurum cingens connexis aera ramis Et gelidas alte
submotis solibus umbras) . . . Scheu tragen die Vögel,
auf diesem Gezweige zu ruhen. Und zu lagern darunter
Getier; nicht Windesgewalt beugt Hier Waldwipfel,
noch Wetterstrahl aus schwarzen Gewölken, Und da
den Lüften sogar der Bäume keiner das Laub beut,
Stehn sie in ihrem Schauer umher (non uUis frondem
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praebentibus auris Arboribus suus horror inest); aus
Felsengewölben Sprudeln dunkele Quellen, und ernste
Göttergebilde Ragen da unförmlich und kunstlos* . . .
So malt der Dichter wirkungsvoll die Verenda maiestas'
des Ortes. Forciert und im Grausen wühlend sind die
Schilderungen der Überschwemmung (IV, 99 — 120), der
schaurigen Höhle der Zauberin Erichtho (VI, 642), der
Syrten (IX, 304, 382 fif.), der Wüste mit ihren vier Dä-
monen: serpens, sitis, ardor, arenae (IX, 402 463 ff.)
Nicht ungeschickt gelangt das Unheimliche der Meeres-
stille zum Ausdruck V, 424 ff. : 'Phöbus war versunken
ins Meer, die ersten Gestirne Stiegen empor, und der
Mond warf seine Schatten . . Still liegt ringsum das
Meer (aequora lenta iacent*') von tiefem Erstarren ge-
fesselt . ., grausig ist des Oceans Ruhe, ringsum träge,
in düsterer Tiefe liegt die Flut; als ob die Natur er-
starrt sei, Rastet die öde Fläche, und das Meer, ver-
gessend der alten Ordnung, strömt nicht wechselnd zu
Land und zurück in sich selber. Bebt nicht schaudernd
empor, blitzt nicht vom Bilde der Sonne . . . nirgend
Gewölk, nirgend der Wellen Drohen^:
Saeva quies pelagi, maestoque ignava profundo
Stagna iacentis aquae: velutiAieserta rigente
Aequora natura cessant pontusque vetustas
Oblitus servare vices non commeat aestu,
Non horrore tremit, non solis imagine vibrat . . .
Nubila nusquam undarumque minae.
Der Sturm bricht los 541 ff., 597—649, bei welchem
Cäsar, dem Aufruhr der Elemente Trotz bietend, auf
schwanker Barke sich aufs Meer wagt mit den kecken,
historischen Worten : 'Brich mitten hinein in die Stürme . .
in Gefahr ist das Meer und der Himmel, aber nicht
das Schiff, das den Cäsar trägt . ., verborgen ist dir so
unendlichen Wütens Grund, es reicht durch Flutenge-
wog' und des Himmels Empörung hülfreich mir Fortuna
die Hand"* (quaerit pelagi caelique tumultu Quid praestet
fortuna mihi). — Im Blute schwelgt die Darstellung der
grausen Schlachtenscenen VII, 789 ff., modern aber ist
der stoische Gedanke v. 810^*): 'In den ruhigen Schoss
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nimmt alles auf die Natur"* (placido natura receptat
Cuncta sinu) und pantheistisch das Bekenntnis des Cato
IX, 578: 'Was ist des Göttlichen Sitz als Erd' und
Meer und der Luftkreis, Himmelsstern' und die Tugend?
was suchen wir weiter die Götter! Jupiter ist, was
immer du siehst und wo du dich regest^; gemäss X,
208 besitzt die fruchtbare Venus die Samen aller Dinge
(fecunda Venus cunctarum semina rerum Possidet); das
Dasein von Göttern beweist inmitten libyscher Öde der
grünende Wald IX, v. 522 (esse locis superos testatur
Silva, per omnem Sola virens Libyen). — Des Dichters Ab-
gott ist Pompejus ; ihn begleitet sein Lied (IX, Anf.) zu den
Gefilden der Seligen, schwingt sich — wie Seneca —
mit ihm auf zu des Donnerers Himmelsgewölbe, . .
dort erquickt er sein Herz an dem reinen Licht, be-
wundert die Wandelsterne und die ruhigen Feuer,
Sieht der Sterblichen Tag, wie dunkele Nacht ihn da-
nieder drückt ...
Wir fanden bei den Griechen einen Ansatz von
romantischem Naturgefühl in' den Wunschliedern, die in
Vogelgestalt zu den Himmelshöhen zu entschweben und
von hoher Warte herali auf die sonnenbeglänzten Fluren
herabzuschauen begehrten; bei den Römern begegnet
in anderer Form uns also Ahnliches ; ich rechne zu den
Vorstufen des Romantischen bei Lucan auch die Vor-
liebe für das Wilde, Einsame, majestätisch Schauervolle
in der Natur — wenngleich er die Alpen nur als kalte^
schauervolle bezeichnet I, 183, 302 — , ferner seine Skizzen
der Lichtreflexe auf den glitzernden Wellen und dem
das Bild der Sonne zitternd wiederspiegelnden Meer
sowie der dichten Laubkronen, durch welche die
Strahlen sich mühsam hindurchbrechen, und der ausge-
höhlten, über dem Meer hangenden Felsen, die stets
herabzustürzen drohen und mit ihren Wäldern die Flut
überschatten IV, 455 :
Impendent cava saxa mari: ruituraque semper,
Stat (mirum) moles: et silvis aequor inumbrat.
In den Nilkatarakten erblickt er die Zornausbrüche des
Stroms über die seinen Lauf hemmenden Felsmassen
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X, 315* 'Wüsten durchschneidest du in sanft gleitendem
Fall. Wer hielte dich dann so gewaltigen Zornes fähig,
o Nil? Und doch, wann felsiger Abhang Deine Ge-
wässer empfing und stürzenden Laufs Katarakte, Und,
sonst nirgend gehemmt bisher, entgegnender Felsen
Widerstand dich entrüstet: zum Himmel spritzest du
Schaum dann; alles erbebt von den Wellen; der Berg
heult laut, und bestürmend Deckt sich mit grauem
Schaum die überwundene Stromflut': . . Quis te, tarn
lene fluentem Moturum tantas violenti gurgitis iras Nile
putat ? Sed cum lapsus abrupta viarum Excepere tuos . .
Indignaris aquis: spuma tunc astra lacessis: Cuncta
fremunt undis: ac multo murmure montis Spumeus in-
victis canescit fluctibus amnis. —
Vergil ist der nach allen Richtungen nachgebildete,
vergötterte Heros der Literatur dieser Zeit; auch seine
Liebe zum Landleben findet einen begeisterten Nach-
hall. Durch ihn, sowie durch den Vorgang eines Cato
und Varro angeregt, schrieb Columella seine Bücher
de re rustica,. ein gründliches, erschöpfendes Lehrge-
bäude vom Feld- und Weinbau, Baumzucht und Garten-
anlage etc. aufführend ; Liebe zur Natur und ein warmes
Gefühl für die hohen Vorzüge des Landlebens beleben
die Darstellung ; auch er stellt gerne (praefF. I, X, XII)
die einfachen Zustände der Vorzeit der Unnatur der
Gegenwart gegenüber, wie eine Rückkehr zur Natur
die stoischen Popularphilosophen (z. B. Musonius)^®) in
dieser Epoche und als das höchste Glück den Frieden
auf dem Lande im Verkehr mit der freien Natur, mit
den Tieren des Feldes und Waldes predigen. Auch
das Genre der Idylle wird zur Zeit des Nero gepflegt.
Es ist eine interessante Stufenfolge : Theokritos — - Ver-
gilius — Calpurnius und Nemesianus. Es ist lehrreich,
aus verschiedenen Literaturen und Zeiten verwandte
Geister oder Dichtwerke gleicher Gattung zusammen-
zustellen. Der verschiedene Charakter verschiedener
Kulturen off'enbart sich so auch im Kleinen.
Während die griechische Literatur von Anfang an
einem Waldquell gleicht, der aus dunklen Gründen frisch
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und krystallklar hervorquillt und immer neue Nahrung
aus heimischem Boden saugend zu mächtigem Strome,
anschwillt und in breitem Bette sich ergiesst, ist die
römische von Anbeginn ein in mühsamer Kunst mit
fremdem Wasser gespeister Springquell — aber im.
Verfall ähneln sich beide Literaturen: die Epigonen
suchen Stoff und Kraft bei den Dichtem der Blüten
periode; jedoch bei den Römern wird somit das, was
selbst nur Nachbild war, zu einem angestaunten
und nachgeahmten Vorbild. Dieser Prozess vollzieht;
sich in stetig absteigender Linie bis ins Mittelalter
hinein; was an Geist fehlt, sucht man durch die tech-
nisch vervollkommnete Form zu ersetzen ; aber der Ger_
halt wird immer von neuem wieder verdünnt, ver-^
wässert; die Nachahmung wird zur Karikatur. So.
sind auch die Idyllen des Calpurnius bizarre Über-,
malungen seiner Vorbilder, — doch singen die Hirten
im Schatten der Bäume am kühlen Quell nicht blos.
von Faunus oder ihrer Liebe, sondern sie sind zugleich
treue Dolmetscher der höfischen Gesinnung des Dichters.
Es wirkt komisch, die früher mit Geschmack ausge-
führten Motive in Calpurnianischer Verkünstelung wie-
der zu treffen. Wie einst beim Orpheus, sammeln sich
beim Wettgesang des Idas und Astacus (II, lo, ed.
Bährens poet. lat. m. III) 'jede Art von Kleinvieh, jede Art
von wilden Tieren, alles, was an Vögeln mit schweifen-r.
den Fittigen die Luft schlägt, alle Hirten, Faunus selbst
und die Satyrn; aber auch Dryaden mit trockenem (!)
und Najaden mit feuchtem (!) Fusse'; natürlich halten,
die eilenden Flüsse im Laufe inne, und die Winde lassen
ab, im zitternden Laube zu wühlen, und Schweigen
breitet sich über die ganzen Berge:
. . Desistunt tremulis incurrere frondibus euri
Altaque per totos fecere silentia montes.
Und was ist ferner aus der zarten Liebeserklärung ge-.
worden , welche die Natur in den Zauberbann der
Schönheit stellte! Der verliebte Jollas, der natürlich
die Worte der Geliebten in die Rinde schneidet (v. 43 . .
nam cerasi tua cortice verba notabo Et decisa feran>
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rutilanti carmina libro), seufzt III, 5 1 : 'Ohne dich er-
scheinen, wehe mir Unglücklichem! schwarz die Lilien,
und nicht schmecken die Quellen, und sauer ist der
Wein dem Trinkenden, aber wenn du kommst, werden
auch wieder weiss die Lilien, werden die Quellen
schmecken und die süssen Weine getrunken werden'.
'Wenn man den Namen des Cäsar nennt, ruft er IV, 97,
sieh, wie die Wälder schweigen; obwohl der Wind drängt,
ruhen unbewegt die Zweige' . . (Aspicis ut virides audito
Caesare silvae Conticeant ? memini, quamvis urgente pro-
cella Sic nemus inmotis subito requiescere ramis) . . 'ja
seit er herrscht, sind kräftig die Lämmer, voll die
Euter, reichlich die Wolle und die Gräser^ ! . . Auch im
einzelnen wird der gerade, einfache Ausdruck möglichst
gemieden, das Barocke tritt an seine Stelle. Wie ge-
ziert sind Stellen wie 11, 57: 'Wo der perlende Quell
die grünen Wellten treibt und mit zitterndem Bach an
Lilien vorübereilt' (virides qua gemmeus undas Föns
agit et tremulo percurrit lilia rivo) vgl. IV, 2 ; erträg-
lich ist die Frühlingsschilderung V , 16: 'Wenn im
jungen Lenz die Vögel zu tirilieren beginnen und die
zurückkehrende Schwalbe ihre Nester baut . ., dann
sprosst auch der Wald mit sich verjüngenden Knospen' :
Vere novo cum iam tinnire volucres Incipient nidosque
reversa lutabit hirundo . . vernanti germine silva
PuUat . ., oder die Morgenschilderung v. 55 : 'Und es
leuchten im Grase die Perlen des Frühtau's' : Matutinae
lucent in gramine guttae. — Wie Calpurnius es als er-
freulich schildert (Anf. IV), unter der Platane am ge-
schwätzigen Bach in der Kühle zu ruhen, so lädt nach
den Worten des carm. bucol. I, 3 der Einsiedler Handschr.
{Bährens poet. lat. min. HI, 60) die heimliche Lust des
keuschen Hains zum Singen ein (et casti nemoris
secreta voluptas Invitat calamos), oder zum Lagern die
mit zitterndem Schatten deckende Ulme und das Gras
der Wiese II, 12 (quae spargit ramos, tremula nos
vestiet umbra Ulmus).
Den Calpurnius plündert und übertrumpft zwei
Jahrhunderte später der geschwätzige Nemesianus (Bäh-
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rens III, 176 fF.); da begegnet wieder fast mit denselben
Worten die Kirschbaumrinde (I, 29), der weit und breit
schweigende Hain (v. 32). Zart (!) ruft er: ^Die friedlichen
Stiere, siehe, wie sie fern die Gräser abrupfen!' Und
dies idyllische Bild begeistert ihn zum Anrufe des All-
vaters Äther, des Wassers, der Erde und der Litft . .
Von seinem Preise des Meliböus säuselt die Platane
und die Pinie (v. 72); die Wälder antworten, alle Ge-
büsche reden von ihm (silvestris te nunc platanus, Me-
liboee, susurrat . . te nostra arbusta locuntur); ja —
mit recht abgedroschener Phrase — schwört er; *^Ehe
werden die Robben auf trockenem Gefilde weiden und
der Löwe im Meer leben, die Taxusbäume süssen Honig
schwitzen, der traurige Winter Ernte, der Sommer
Oliven, der Herbst Blumen, der Frühling Trauben
bringen, — man sieht, er weiss auch mit eigenen Mitteln
zu variieren ! — als je meine Flöte schweigt vom Lobe
des Meliboeus\ —
Auch das Erotische kommt zu seinem Recht. Als
die schöne Donace von ihren harten Eltern eingesperrt
ist, klagen die verliebten Knaben Idas und Alcon um
die Wette. 'Wo find' ich, ruft der erstere, die mit rosi-
gen Händen Lilien pflückende?' . . (roseis stringentem
lilia palmis?) (II, 24.) Die Herde zeigt rührende Sym-
pathie mit den Leiden der Hirten! Seine Kühe haben
schon drei Tage keinen Grashalm berührt, aus keinem
Strom getrunken, die Kälber stehen leckend an den
trockenen Eutern ihrer Mütter und erfüllen den Äther
mit zartem Gebrüll . . Bleicher als Buxus, ganz ähnlich
dem Veilchen irrt er umher; schwarz erscheinen ihm
die Lilien, bleich die Rosen . . 'aber wenn du kommst'
u. s. f. ruft er nach der Manier des Calpurnius. Alcon
preist auch umsonst v. 80 seine Reize, die einst Donace
selbst gelobt, mit efifektvoUem Farbenkontrast (!): die
purpurnen Wangen und den milchweissen Nacken ! u. s. f.
In unglücklicher Liebesleidenschaft durchirren auch Lyci-
das und Mopsus c. IV die Wälder und flüchten sich
in die Einsamkeit; v. 12 heisst es modern sentimental:
*Ia einsamem Walde entblössten sie ihre Wunden und
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sangen in die Wette ihre süssen Klagen': Sic sua de*
sertis nudarunt vulnera silvis Inque vicem dulces cantu
dixere querellas. — Lycidas warnt den spröden, harten
Jollas V. 20: 'Nicht wirst du immer so schön sein, auch
die Gräser verlieren die Blumen, der Dom die Rosen,,
nnd «nicht immer leuchten die Lilien, und nicht lange
behält ihr Haar die Rebe und den Schatten die Pappel !'
Seine schöne Meroe bittet er v. 38: 'Komm hierher^
die Sonnenglut ruft in den Schatten . ., schon singt
kein Vogel mehr mit sangreicher Kehle, keine schuppen-
reiche Schlange zeichnet mit gewundenem Zuge den.
Boden : allein singe ich, es widerhallt von mir der ganze
Wald, und nicht stehe ich nach im Gesang den sommer-
lichen Cicaden' (solus cano. me sonat omnis Silva, nee
aestivis cantu concedo cicadis) u. s. f. —
Der Ne^onischen Zeit und zwar wahrscheinlich dem
Lucilius Junior, einem jüngeren Freunde des Seneca,
gehört das Gedicht Ätna an (Bährens II, p. 88 iF.);
der matte, didaktische Tenor wird zuweilen durch warme,
begeisterte Episoden unterbrochen, so besonders v.
224 ff., wo er im Sinne von Lucrez, Cicero und Seneca
die über alles Kleinliche hin weghebende Lust der Na-
turbetrachtung preist und ausführt: nicht solle man
blos nach Art der Tiere mit den Augen die Wunder
schauen, sondern menschenwürdig sei es, die Ursachen
der Dinge auszuforschen, den Geist zu weihen, das.
Haupt zum Himmel zu erheben, zu wissen, was die
Welt im Innersten zusammenhält (v. 276 scire quid
occulto terrae natura cohercet, vgl. v. 228). Den ver-
borgenen Mirakeln in der Natur nachzuspüren, das ist
nach seiner Ansicht ein göttlicher und wohlthuender
Genuss des Geistes (251 divina est animi ac iucunda
voluptas), ein Genuss, der uns zu den Göttern empor-
hebt, die wir in Kleinem unselig uns quälen und von
Mühe aufgerieben werden (torquemur miseri in parvis
terimurque labore). Mit vielen Worten beschreibt er
den Ätna, 'das ungeheure Werk der Künstlerin Natur'
(691), in seinem Zürnen, donnerähnlichen Rollen, im
fürchterlichen Flammen- und Lavaspeien . ., doch immer
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wieder drängt das Doktrinäre, die Bekämpfuiig thoricih-
ter Vorurteile, sich vor; mit dem Grauenvollen eines Gre-
witters und der Angst einer plotzKcfh vom Feinde
Überfallenen Stadt malt er am Schluss die Schrecken
eines Ausbruchs, bei dessen Not und Gefahr einst-
mals so schön sich die menschlichste Tugend, die
Pietät gegen die Eltern, gezeigt habe, als zwei Brüder
ihre greisen Eltern aus der brennenden Heimat trugen
und zum Lohn allein gerettet wurden (606 ff.). —
Das kolossale Werk des älteren Plinius, die
naturalis historia , ist mit dem immensen Fleiss des
unermüdlichen Kompilators ein redender Beweis für
die Worte des Lucilius, dass es eine Lust sei, zu
forschen nach den Gesetzen der Natur. 'Eine wahre,
aus dem Innern quellende Begeisterung kann nicht ver-
kannt werden, wo die Anschauung auf ein grossartiges
Zusammenwirken der Kräfte im Weltall, auf den wohl-
geordneten Kosmos (naturae maiestas)» gerichtet ist*
(Humboldt). In dem Umfange war in Rom das Studium
der Natur noch neu *^) ; nur warme Zuneigung konnte zu
eineni so riesenhaften Unternehmen führen. Auch
Plinius ist in seiner Weltanschauung wesentlich Stoiker;
die Gottheit ist ihm eins mit der ewigen Welt; die gött-
liche Weltseele hat ihren erhabensten Ausdruck in den
Gestirnen, namentlich in der Sonne, aber auch in der
mütterlichen Erde erlangt ; an dem harmlosen und wohl-
thätigen Wirken der Natur und an dem geschäftigen
Treiben der Tiere hat er sein inniges Wohlgefallen,
aber dieses wird getrübt durch den dunklen Hinter-
grund einer düsteren Lebensansicht von dem verdorbenen,
unglücklichen Menschengeschlecht, über dessen Abfall
von der Natur er häufig klagt ; so schildert er auch mit
tiefem Schmerz den gesunkenen Ackerbau. Die Be-
handlungsart des einzelnen ist dürre, trockene Nomen-
klatur oder Beschreibung; nur in den Einleitungen
kommt bisweilen ein energisches, schwungvolles Pathos
und ein sittlicher Ernst zu erhabenem Ausdruck. —
Die Poesie ist im Zeitalter der Flavier wesentlich
die epische, ein Nachhall der Vergilischen Äneis. Weit-
Biese, die Eutwicklung des Naturgefühls bei den Böinern. 10
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schichtig in der Anlage, geziert, verkünstelt, oft hart
und dunkel im Ausdruck, sind des Valerius Flaccus
Argonautica ein recht abgeblasstes, mattes Abbild jenes
römischen Nationalepos; Gleichnisse (iii an der Zahl),
Bilder, Schilderungen lassen sich meist als dem augustei-
schen Dichter entlehnt belegen, aber trotz alledem ist das
Kolorit doch effektvoller, sentimentaler, moderner; auch
die Komposition des dem ApoUonios entnommenen Stoffes
verrät bisweilen feinere Striche, ja die Charakteristik
strebt eine psychologische Motivierung an. — Der Stil
ist barock ; Bilder und Beseelungen sind oft kühn, doch
selten mit neuen Gedanken. Den dunklen Schatten
der Cypresse nennt er 'die Nacht' (veteris sub nocte
cupressi I, 774); das 'aufwallen', 'wogen' (fluctuare) im
Zorn begegnet häufig, wie III, 637; der unruhig in
Sorgen wogende Geist des Äsoniden schwankt unsicher
in den mannigfachen Aufwallungen hin und her V,
302*^): Aesoniden varios incerta per aestus Mens rapit
undantem curis; die den Schmerz fortführenden Wellen
kehren wieder (II, 143 prius unda dolores obruat).
Sympathetisch 'seufzen der Rhodope hohe Haine' (I,
728), 'zittert schaudernd der Wald' (II, 412), da die lemni-
schen Weiber über die Trennung von den Helden
trauern ; vor der Stimme der Venus beben in Angst der
Athos, das Meer und das ungeheure Thracien (II, 201).
Als Herkules endlich, von seinem Rasen erschöpft, ruht,
'wird auch den müden Wäldern der Friede zurückge-
geben' (IV, 20 fessis pax reddita silvis) ; mit der weinen-
den Amymone weinen die Wellen der thessalischen
Quelle Messeis (v. 374 flevit Amymone, flerunt Messei-
des undae) u. s. f. '^*) Nächtliche, sonnenlose Stille
herrscht am dunklen Styx : 'schweigend steht das Laub,
und regungslos starrt der Frühlingswald auf der Berges-
höhe' (III, 402 Stant tacitae frondes inmotaque silva
comanti Horret vema iugo). — Als den Blicken der
davonfahrenden Argonauten die Berge Thessaliens ent-
schwinden, alles ihren Augen entrückt wird und Finster-
nis auf dem weiten, unbekannten Meere sich um sie
breitet, da ergreift sie der Schauer der Einsamkeit:
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*die Stille der Dinge und das Schweigen der. Welt
schrecken sie, und die Gestirne und der mit wallenden
Schweifen bestirnte Äther^ II, 41 :
Ipsa quies rerum mundique silentia terrent
Astraque et effusis stellatus crinibus aether;
•*wie wenn ein in fremder Gegend verirrter Mann, der
den nächtlichen Pfad sucht (noctivagum carpit iter),
nicht ruht mit Ohr und Augen, während der Nacht
Schrecknisse das ringsum dunkle Feld mehrt und der
4n grösseren Schatten entgegenstarrende Baum (noctis-
que metus niger äuget utrimque Campus et occurrens um-
TdHs maioribus arbor) : nicht anders bangten die Männer\
Mögen des Valerius Flaccus Gleichnisse ***) nur selten
neu und meist recht farblos sein, bei diesem lässt sich
die individualisierende Zeichnung, das Trefferide des Ge-
dankens und Ausdrucks nicht verkennen, sondern das
Beängstigende, Geheimnisvolle der stillen, dunkten Nacht,
in welcher die Bäume dem Zagenden und Tastenden
wie Gespenster erscheinen, ist nicht ungeschickt wie-
dergegeben. — Können wir nicht auch dies als einen
leisen Anklang an das Romantische bezeichnen, wenn
auch die Schilderung desselben von dem direkten, be-
wussten Aufsuchen noch himmelweit entfernt ist!? —
Geistiges und Natürliches wird oft miteinander ver-
glichen, wie z. B. III, 465 : 'Wie plötzlich Meer und
Felsen erglänzen und strahlend sich der Äther öffnet,
wenn Jupiter die dunkelnde Wolke verscheucht: so
kehrte der Mut den Männern zurück\ — Zart sind Be-
seelung und Vergleich der Situation angepasst II, 45 1 ;
als der Aleide und Telamon 'das in schmeichelnder
Windung sich krümmende Gestade aufsuchen, triflft ein
weinerlicher Laut ihr Ohr, wie wenn die an Felsen sich
brechende Welle murmelt': dum litora blando Anfractu
sinuosa legunt, vox attigit aures Flebilis, ut scopulis
cum fracta remurmurat unda. — Die Zeitschilderungen
sind Vergilisch; der anbrechende Tag streut sein Licht
über Land und Meer aus, oder Tithonia vertreibt d\e
kühlen Schatten (HI, i, 257) u. s. f., oder es heisst
III, 32 : 'Nacht war es^ und es sangen die Wellen im
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sanften Einschnitt des Schiffes, und schon streuten die
ersten Sterne leichten Schlaf aus':
Nox erat et leni canebant aequora sulco,
Et iam prima leves sparg-ebant sidera somnos.
Auch dies sind Zeilen, die an das beste Können der
augusteischen Dichter erinnern. — ApoUonios wird be-
sonders in der Ausmalung der Liebe zwischen Jason
und Medea nachgeahmt, aber dieselbe wird von Valerius
weit natürlicher motiviert und nicht ohne dramatisches
Leben in ihren einzelnen Phasen geschildert. — Ruhe-
los wälzt sich Medea auf ihrem Lager (VII Anf.); die
Nacht sank herab, aber ^nicht tröstlich für die Liebende*
(non mitis amanti) ; ihr Geist glüht, trotz des um sie her
herrschenden Dunkels ; des Geliebten Bild umschwebt sie
beständig; die Schlaflose erquickt der Anbruch des Mor-
gens, 'wie wenn^ die schlaffen Halme ein sanfter Regen
aufrichtet und willkommener Wind sich erhebt, wenn
die Ruder schon ermüdeten' (v. 23) . . Als die Lieben-
den sich in dem mitternächtlichen Dunkel des Hains
treffen, stehen sie 'angedonnert^ still (404), wie sprach-
lose Schatten der Unterwelt, 'schweigenden Tannen oder
unbeweglichen Cypressen gleich, welche noch nicht der
rauhe Südwind geschüttelt' (abietibus tacitis aut inmotis
cyparissis Adsimiles, rabidus nondum quas miscuit
auster). ^*) Wie er sie in Thränen bebend und ihre in
Scham brennenden Wangen sieht, bricht Jason das
Schweigen: 'Bringst du irgend welche Hoffnung auf
Rettung (spem lucis)?' . . Mit der Liebe zieht auch die
Angst in ihre Seele, dass er sie verlassen könne ; schon
sieht sie ihn im Geist ohne sie über die weite Meeres-
fiäche dahin fahren und die Minyer ihre Segel aufhissen
(473); mit rührenden Worten beschwört sie ihn daher:
'O bleibe meiner eingedenk, ich selbst werde nie dich
vergessen' . . 'Bei den Sternen droben' schwört er ihr
Treue (499). — Mit lebendigen Farben werden die
folgenden Ereignisse geschildert; von warmer Empfin-
dung zeugen die Abschiedsworte der Medea (Anf. VIII) ;
mit schwerem Herzen entbehrt sie die Küsse ihres
Vaters; 'nicht lieber ist mir jener, dem ich folge; o
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dass ich mit ihm von brausenden Wellen verschlungen
würder (tumidis utinam simul obruar undis!) — Sie
entflieht. Bald steigen die Schatten des Argwohns auf.
*Die Gestade des sarmatischen Meeres betrauern sie . .
kein Sumpf, kein Strom Scythiens lässt unbeklagt die
Scheidende' 207 : lUam Sarmatici miserantur litora
ponti . . Nulla palus, nuUus Scythiae non maeret eun-
tem Amnis. —
Siliusltalicus schrieb, wie Plinius sagt, mit mehr
Sorgfalt als Geist. Seine Punica sind der in Vergilische
Form gegossene und zugleich verwässerte Livius. ^^)
Der ganze epische Apparat des Homer und des Vergil
wird mühsam in Bewegung gesetzt. Aus wenigen
Worten des Livius und aus ein paar Hexametern der
Äneis werden lange Schilderungen, sei es nun von
Schlachten , Kriegszügen oder Gegenden und Natur-
phänomenen. Selten schimmert einmal Individuelles hin-
durch, wie z. B. II, 663 : die Tempel Sagunts brennen,
*die Flut erglänzt von dem Abbild der Flammen, und
im zitternden Meer zucken die Brände\' Ardent tecta
döum, resplendet imagine flammae Aequor et in tremulo
vibrant incendia ponto. ^*) Mit tippiger Fülle stattet er
seine Schilderungen aus; pomphafte Personifikationen,
frostige mythische Gestalten treten in stolzer Breite
auf; der Tonfall seiner Verse ist immer so voll und
schwer wie möglich ; an Accius' reiche Wortmalerei er-
innert III, 46, wo Hannibal die Flut des Meeres be-
wundert, wie es in gewaltigen Massen sich aus der
Tiefe erhebt, an die Lande sich werfend^') . . ., 'los-
brechend wallt das Meer über und die versteckten
Quellen; entfesselt stürzt sich der Ocean mit brausen-
den Wellen; da suchen die Tiefen, wie vom grausen
Dreizack im Grunde erschüttert, dem Lande den ange-
schwollenen Pontus aufzudrängen^: Proruptum exundat
pelagus, caecosque relaxans Oceanus fontes torrentibus
ingruit undis; Tum vada, ceu saevo penitus permota
tridenti, Luctantur terris tumefactum imponere pon-
tum. — Man staune ob des Schwelgens in stolzen
Worten! — So malt er auch mit grosser luxuries die
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Schrecken der Alpen weit (III,. 477 fF.), mit ihren wüsten
Schneemassen, ihrer in die Wolken sich verlierenden
Höhe; im Eis starren die Gipfel, das kein Sonnenstrahl
schmilzt; dort giebt es keinen Frühling, keine Ehren-
gaben des Sommers (nuUique aestatis honores); dort
hausen nur Winter und Winde (ventique furentia regna
Alpina posuere domo). Mit Grausen erklimmen die
Karthager die Gipfel, mit Grausen schauen sie in die
Tiefe; aber Dunkel umfängt sie, Schneegestöber und
Hagelschauer heminen den Blick, dann starren sie ins.
Leere wie der Schiffer auf weitem Meere, der nichts
als Wassermassen und den Himmel erblickt (v. 535
medio sie navita ponto. Cum dulces Hquit terras . »
Inmensas prospectat aquas ; ac victa profundis Aequori-
bus fessus renovat sua lumina caelo). —
Das Grausige fesselt überhaupt seine Phantasie
oder giebt ihm besonders Gelegenheit, sich in breitem
Strome reichen Wortschwalles zu ergehen. Erzählt z. B.
Livius XXII, 5, bei der Schlacht am Trasimenischen
See sei der Eifer der Kämpfenden so gross gewesen»
dass sie das Erdbeben, das viele Städte Italiens teil-
weise zerstörte, nicht spürten, so macht Silius daraus
einen Excurs von mehr denn einem Dutzend Versen
V, 611: 'Ein Krachen (fragor) ^*) geht durch die Klüfte»
o schrecklich ! die Hügel erbeben, die Gipfel zittern, es
schwanken auf den pinientragenden Höhen die Wälder»
geborsten stürzen die Felsen, es stöhnt in den tief
innerst zerrissenen Höhlen die gespaltene Erde' u. s. f.
u. s. f.
Ebenso überladen ist die Schilderung des dunklen»
lichtlosen Hains (VI, 146 ff.), wo eine riesige Schlange
haust und schweigender Schauder die Eintretenden er-
fasst, so dass in heimlichem Frost die Glieder erstarren
und die Nymphen und das Numen des unbekannten
Schlundes mit bebender Lippe angerufen werden^
vgl. v. 283. Episoden reihen sich an Episoden, meist
schon viel behandelte — wie Orpheus XI, 462 ff. — ;
in den letzten Büchern haspelt er eilig die Ereig-
nisse ab. —
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Mit gleichem Behagen, aber mit mehr Witz und
Begabung schrieb Papinius Statius. Doch auch
er konnte sich nicht besonnen beschränken, sondern
der Ehrgeiz trieb ihn, ein gross angelegtes, weit-
schweifiges, episodenreiches und recht wenig geniess-
bares Epos zu schreiben — die Thebais. Rhetorisches
Pathos und der Schwulst mythischer Gelehrsamkeit
lassen nur selten das vorhandene Talent und die von
der Dichtung der glänzenden Vorzeit gesättigte Phan-
tasie rein und voll durchbrechen. Die Naturschilde-
rungen sind mit Liebe, aber auch mit ermüdender Breite
ausgemalt. Vergilische Farbentöne schimmern auch hier
durch. So zeichnet er den Anbruch der Nacht I, 336:
'Und schon hatte in Phöbus', des müden, Gebiet sich
erhebend, Titanis, über die schweigende Welt sich ver-
breitend. Mit dem tauigen Wagen verdünnt den er-
kalteten Luftraum — wie physikalisch-poetisch! —
(Titanis late mundo subvecta Rorifera gelidum tenuave-
rat aera biga) ; Vieh und Vögel schon deckte die Ruh',
die geizigen Sotgen Löste der Schlummer schon, . .
Vergessenheit bringend dem mühevollen Leben . .
Schwarz, nicht erhellt vom mindesten Lichtstrahl, deckte
die Pole die Nacht ; vom Boden sich hebend . . heiseren
Mundes drohte der kommende Sturm . ., die Winde
brachen los . . es zuckten die Blitze . ., jeglicher Hain
zerbrach, es rissen die Stürme die alten Zweige der
Bäume dahin, und geöffnet standen Lykäus* nie von
der Sonne zuvor noch gesehene Lager des Wildes', —
und so geht es fort im wüsten Ritt einer zügellosen,
deskriptiven Phantasie ; eine ähnliche ausgesponnene
Morgenschilderung begegnet II, 134 ff. Ein schauer-
voller Hain mit der Farbengebung Lucan's findet sich
IV, 419, ein pomphaftes Meersturmbild V, 363; das
Pelionschiff V, 335 erinnert wieder an Accius u. s. f. ^^)
Besonders häufig sind Beseelungen in Anrufen und
Schilderungen, von den mythologischen ganz abgesehen,
die ausserordentlich oft zur Dekoration verwandt wer-
den. Wie die römischen Dichter weit ärmer an echten
und zarten Beseelungen sind als z. B. die Alexandriner,
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das geht ganz besonders aus der recht emtönigen Skala
bei diesen späten Dichtern hervor*^). Als Hermes
durch die Unterwelt schreitet, ^gewahren ihn staunend
die unfruchtbaren Haine . . und der dunkelfarbige Wald ;
mit Verwunderung sah sich zur Rückkehr Tellus geöff-
net^ (II, 13 Tum steriles lud possessaque manibus arva
Et ferragineum nemus adstupet, ipsaque tellus Miratur
patuisse retro). — Als Jupiter redet, halten die
anderen Götter 'Gedanken und Worte zurück, anders
nicht, als wenn bei längerem Schweigen der Winde
die Meerflut erschlafft und in sanftem Schlummer die
Ufer ruh'n; die schwülige Luft umfächelt die laubigen
Bäume und mit unmerklichem Hauche die Wolken ; dann
nehmen die Sümpfe ab und die klangreichen Seen, und
es schweigen versiegend die Ströme^ (III, 255 Non
secus ac longa ventorum pace solutum Aequor et in-
belli recubant ubi litora somno, Silvarumque comas et
abacto flamine nubes Mulcet iners aestas: tunc stagna
lacusque sonori Detumuere, tacent exhausti solibus
amnes). Das schaurige Totenopfer des alten Sehers im
lichtlosen Hain der Latonia 'beseufzt Dirke; Kithäron
betrauert's, und die geräuschvollen Thäler befremdet
das seltsame Schweigen^ (IV, 447 ingemuit Dirce moestus-
que Cithaeron, Et nova clamosae stupuere silentia
valles^^). Erschöpft ruhen die Winde (V, 420); beim
Nahen der Götter 'machen Ströme und Berge Bahn;
die Erde frohlocket (superbit) bei ihrem Schritt, und
leicht aufatmet der himmeltragende Atlas^ (V, 429); es
seufzt der Wald u. s. f. Staunen, schaudern, klagen,
schlafen, schweigen — das ist die dürftige Tonleiter
dieser Beseelungen, die in ihrer Abtönung zu denen eines
Vergil, Ovid etc. sich ähnlich verhalten wie die des Nonnos
und Lykophron zu denen der hellenistischen Dichter. —
Nur wenige Gleichnisse ^^) sind individuell und zart
wie V, 599 von der Vogelmutter, 'der eine Schlange
ihr Nest samt Jungen auf schattiger Eiche verheerte:
vom Schweigen der sonst so geräuschvollen Wohnung
befremdet, hält sie schwebend darüber; vor Schrecken
fällt ihr das Futter aus dem traurigen Schnabel, da sie
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nur Blut an dem teuem Baum und im Nest umher ver-
streute Federn gewahr wird\ oder VT, 854 von der
^stolzen Cypresse auf Alpenhöhn, die vor des Austers
Gewalt den Wipfel neigt, um wieder emporzuschnellen\
Recht sinnig, empfindsam heisst es VII, 222: 'J^^^^
vernahm's, und es kehrte die Freude zurück auf sein
Antlitz: so kehrt Rosengebüschen, die Sonnenglut und
der trübe Notus entstellte, wenn sich der Himmel er-
heitert und Zephyrs Hauch die Luft erfrischt, ihr
Prangen wieder: die Knospen blicken hervor und im
Vollesten Schmuck stehen wieder die Zweige' (Ut cum
sole malo tristique rosaria pallent Usta Noto, si clara
dies Zephyrique refecit Aura polum, redit omnis bonos,
emissaque lucent Germina et informes ornat sua gloria
virgas). Von besonders feiner Beobachtung zeugen die
Schilderungen der Lichtreflexe 11, 531 : 'Er sah von der
Höhe des Hügels Schimmern die Schilde der Männer
und ihre umflatterten Helme, Da, wo durch lichtere
Stellen des Walds, und den Schatten durchbrechend.
Zitternd der Schein des Monds auf den ehernen Rüstun-
gen spielte' (Qua laxant rami nemus adversaque sub
umbra Flammeus aeratis lunae tremor errat in armis). Hier-
zu gehört das Gleichnis von den glänzenden Helden VI, 578:
'So, wenn auf ruhiger See die Sterne des Himmels sich
spiegeln Und sich ihr zitterndes Bild auf der weit sich
dehnenden Flut malt, Schimmert alles im Licht' (Sic
ubi tranquillo pellucent sidera ponto Vibraturque fretis
caeli stellantis imago, Omnia clara nitent). Es ist der
Wirklichkeit fein abgelauscht, wenn es in dem Gleich-
nisse von den übers Meer ziehenden Kranichen V, 14
heisst: 'Der enteilende Schatten fällt auf Wogen und
Fluren' (Umbra fretis arvisque volant). — Doch von der
vorteilhaftesten Seite zeigt sich uns Statius in seinem
Silvae. Es sind mit fliegendem Griifel hingeworfene
Impromptus ; aber daher atmen sie auch die lebensvolle
Frische des Moments, der augenblicklichen Eingebung,
nicht die Geschraubtheit mühevoller Gelehrsamkeit. Be-
geistert schildert er (I, 3) die herrliche Villa seines Freim-
des Manlius Vopiscus bei Tibur, die mit aller erdenk-
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liehen Pracht der Kunst ausgestattet — Voluptas machte
den Plan, und Venus salbte die Schwelle — und von
der malerischsten Natur umgeben war: 'Tag, der lange
mir wird im Gedächtnis bleiben! Im Geiste Trag' ich
der Freuden so viele mit heim, von der Menge der
Wunder, Die ich gesehen, gesättigt. Wie mild die
Gegend! Wie hat die Glücklichen Örter geschmückt
die Natur! (Ingenium quam mite solo! quae forma
beatis Arte manus concessa locis! Non largius usquam
Indulsit natura sibi). Es kränzen die eilenden Wasser
Ragende Haine ; das Laub giebt treu sich im täuschen-
den Bilde Wieder; dahin mit den Wellen entflieht sein
ähnlicher Schatten. Über Gestein stürzt hin sich der
Anien oben und unten; Hier nur — ein Wunder, doch
wahr — hält ein er mit schäumendem Brausen, Wütendem
Schwall, als scheut* er zu stören des sanften Vopiscus
Musengeweihete Tag' und Dichtungen schaffende Nächte^
Nemora alta citatis
Incubuere vadis; fallax responsat imago
Frondibus, et longas eadem fugit unda per umbras*
Ipse Anien — miranda fides — infraque superque
Saxeus, hie tumidam rabiem spumosaque ponit
Murmura, ceu placidi veritus turbare Vopisci
Pieriosque dies et habentes carmina somnos. —
Wahrlich doch ein empfindungswarmes Lob und eine
liebenswürdige Deutung des in der Nähe der Villa
sanfter dahingleitenden Stromes; Natur und Kunst
findet er in harmonischem Bunde; die dahinziehen-
den Wasser tragen das treue Abbild des Laubes.
An beiden Ufern des Flusses stehen die Paläste; hier
ist 'ewige Ruhe\ Schutz vor Stürmen und angenehme
Kühlung, auch wenn der Sirius herabbrennt; Marmor
und Gold, Mosaiken und Elfenbein schmücken die Ge-
mächer, die mit Wasserleitungen versehen sind (emissas
per cuncta cubilia nymphas); von den verschiedenen
Zimmern schweift der Blick auf uralte Haine oder auf
den gleitenden Strom oder auf schweigende Wälder;
überall völlige Stille; hier schweigt geräuschlos die
Nacht, und das Wellengemurmel wiegt in Schlaf (. . tota
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quies, ofFensaque turbine nullo Nox silet et nigros i«ii-
tantia murmura somnos). Der Obstgarten übertrifft den
des Alkinoos und der Circe — kurz, der herrliche Be-
sitz ist ein Eldorado, in dem der Dichter dem Freunde
ein Alter des Nestor zu verleben wünscht. —
Von ausgesuchter Pracht, aber auch mit den anmutig-
sten Reizen der landschaftlichen Natur ausgestattet war die
Villa des PoUius Felix bei Sorrent, von der uns Statius
eine lebhafte Schilderung entwirft (II, 2); er preist 'die
wunderbare Ruhe des Meeres^ ; — 'hier legen ermüdet die
Wellen ihre Wut ab und hauchen milder die Südwinde
(v. 25); hier wagt weniger der jähe Winter; und wo
früher staubiger Sandweg war, ist es jetzt ein Ver-
gnügen, zu wandeln' ; die Natur beugte sich dem Willen
des Menschen: 'wo du jetzt eine Ebene siehst, war 'ein
Berg, wo du unter Dach wandelst, eine Wildnis, wo
du hohe Bäume siehst, war nicht einmal Erde — selbst
die Klippen im Meer wurden zu Weinbergen, auf denen
in nächtlichem Schatten die Nereide die süssen Trauben
pflückt' (100 ff.) Einige Gemächer der Villa hallen wie-
der vom Rauschen des Meeres (v. 56), andere wissen
nichts von brandenden Wogen und ziehen die Stille des
Landes vor (haec tecta sonoros Ignorant fluctus terrae-
que silentia malunt). Die prachtvollsten Gemälde und
Skulpturen zieren die Zimmer, und diese bieten die
mannichfachsten Ausblicke auf die See und die Inseln;
vor allem war eins luxuriös, vom kostbarsten Marmor,
mit dem Blick auf Neapel (83 ff.) Glückselig nennt der
Dichter den Felix, der auf diesem herrlichen Stückchen
Erde, 'fern vom Forum, vom beweglichen Haufen (vgl.
III, 5, 85) und über jedes Niedere erhaben, von der
hohen Warte des Geistes auf die Irrenden herabschaue
und die menschlichen Freuden verlache' (131). —
Den Preis einer herrlichen Platane auf dem Gute
des Atedius Melior kleidet er in ein niedliches Märchen
von Pan, der eine Nymphe verfolgt, die im See Zu-
flucht findet ; am Rande desselben pflanzt er eben jenen
Baum mit dem sentimentalen Weihspruch: 'Leb* du
lang' als Pfand und Denkmal unseres Wunsches, Baum,
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dass wenigstens du das heimliche Lager der harten
Nymphe mit Liebe bewachst; dein Laubdach drücke
die Welle; Hat es doch diese verdient; doch bitt' ich
dich, wehre den Gluten Himmlischen Feuers und lass
sie nicht treiFen des Hagels Geschosse ; Plätschern allein
mit den Blättern im Wasser und trüben es darfst du;
Dann sollst du und die freundliche Herrin des Ortes
mir lange Lieb sein; beide beschütz' ich und halt*
euch frisch bis ins Alter' (. . sed ne, precor, igne
superno Aestuet aut dura feriatur grandine, tantum
Spargere tu laticem et foliis turbare memento . .).
Wie Statius dem CatuUischen Passer-Liede seinen
Psittacus (II, 4) nachgepfifFen (vgl. femer III, 4 mit
Cat. c. 68), so ist III, 2 ein Propempticon nach dem Vor-
bilde des Horaz (I, 3), wo er alle die Nereiden und
Meergottheiten bittet, seines Freundes Schiff sanft zu
geleiten ; und gleich dem Horaz zufrieden mit seinem be-
scheidenen Gütlein, beginnt er den Frühlingsgruss, den er
seinem Septimius von seinem Albanergute sendet, mit
den Worten (IV, 5): 'Parvi beatus ruris honoribus' und
schildert gleich dem Horazischen 'Solvitur acris hiems*,
wie nunmehr vor den Sonnenstrahlen der Winter ge-
wichen und das Meer und die Erde glänzen und der
Aquilo von Zephyrn gebrochen (lam pontus ac tellus
renident, lam Zephyris Aquilo refractus) ; 'jetzt schmückt
sich (crinitur) der Baum mit dem Laube des Frühlings;
jetzt stimmen neue Lieder die Vögel an' u. s. f. An
Alkman resp. Vergil erinnert V, 4 'An den Schlaf,
v. 3 : 'Es schweigt jedes Vieh und die Vögel und die
wilden Tiere, und die gewölbten Gipfel heucheln müden
Schlaf; nicht mehr rauschen- die wilden Ströme; es
schwand die Wildheit des Meeres; und die Wellen
ruhen, an die Lande sich lehnend':
. . Tacet omne pecus volucresque feraeque
Et Simulant fessos curvata cacumina somnos,
Nee trucibus fluviis idem sotius, occidit horror
Aequoris et terris maria acclinata quiescunt.
Wir sehen: Statius versteht mit kräftigen Strichen zu
schildern ; seine Liebe zum bescheidenen Landleben, die
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Bewunderung der freien wie auch der durch die Kunst
gemeisterten Natur, ein fein beobachtendes Auge für
Spiegelung oder im Laube spielende Lichter oder
die Schatten, welche auf Meer und Feld dem darüber
hinziehenden Kranichschwarm nachhuschen: alles das
zeugt von einer gesteigerten Innerlichkeit des Empfin*
dens. Seine Skizzen gewähren uns einen Einblick in die
Gefühlsweise der damaligen gebildeten Welt und ent-»
rollen uns durch die Villenbeschreibungen ein interessantes
Kulturbild. —
Wie die bewusste, empfindsame Liebe zur Natur in
das Allgemeinleben der römischen Nation aufgegangen ist
und sich mit der Anschauungsweise der Zeit völlig ver-
woben hat, das zeigen sogar die Epigramme des M a r -
t i a 1 , trotzdem er — dem Charakter nach noch serviler
als Statius — sich vor allem den Schmutz der socialen
Zustände zum Gegenstande gewählt^ hat. Ein eifriger
Schüler des Ovid, hat er diesem manches Bild, manchen
Vergleich aus dem Naturleben abgelauscht, z. B. II, 46 :
'Wie mit wechselndem Bunt sich der blühende Hybla
bemalet. Wenn die Bienen des Bergs plündern den
flüchtigen Lenz'; oft häuft er sie wie III, 65: Wie,
wenn ein Mägdlein zart in den Apfel beisset, es duftet . .,
Wie das Gras . ., die Scholle, vom Sommerregen be-
sprenget . .: Also duftet dein Kuss, Diadumenus,' vgl.
XI, 8; oder IV, 13: . . 'Schöner vereinen sich nicht mit
den schlanken Reben die Ulmen, Mehr nicht lieben die
Flut Lotos, und Myrten den Strand' (Nee melius tene-
ris iunguntur vitibus ulmi Nee plus lotos aquas, litora
myrtus amat) u. s. f. Manches Loblied singt der Dichter
der schönen Natur, dem reizvollen Strand, dem locken-
den Fluss, den Rebenhügeln, den lauschigen Thälem
und den bescheidenen, aber behaglichen Landsitzen. —
Altinum's Gestade, an Reiz gleich Bajischen Villen,
und der über den Tod Phaethons trauernde Wald
sollen die Ruhe und Zuflucht seines Alters- werden (IV, 25).
Ihn fesselt 'die verlockende Flut des muntren Lucrinus
und Grotten, worin warm es entquillet dem Tuff (IV,
57 blanda tenent lascivi stagna Lucrini). Von Tibur
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sucht er den Freund Faustinus dorthin zu locken (V, 71)*
Vo bewässert und kühl sich Trebula's Thäler herab-
ziehn Und frisch grünet die Flur', nie von Hitze ver-
sengt, 'und des äolischen Süd immer befreundetes Haus\
Der laue Strand von Formiae ist dem aus der Stadt
fliehenden Apollinaris lieber als Tibur, Antium oder
Praeneste, als der Liris und die Lucriner Bäder: 'Hier
zügelt sanfter Wind der Thetis Aufwogen, doch stockt
die See nicht, sondern stilles Meerregen Trägt hin den
bunten Nachen mit der Luft Hilfe, Wie wenn ein Mäd-
chen, das des Sommers Glut abwehrt, Sich mit dem
Purpur frische Kühlung zufächelt' X, 30, 11:
Hie summa leni stringitur Thetis vento;
Nee languet aequor, viva sed quies ponti
Pictam phaselon adiuvante fert aura,
Sicut puellae non amantis aestatem
Mota salubre purpura venit frigus.
Berülmit ist das Landschaftsbild vom Vesuv IV, 44 :
Eben noch grünten die Höhn des Vesuvs von dem
Laube der Reben,
Und in die Kufen ergoss voll sich der herrliche Saft.
Lieber als Nysa's Hügel besucht ihn der segnende
Weingott ;
Satyrn schwingen sich da fröhlich im tanzenden
Chor;
Hier weilt Venus so gern, Lacedämons Fluren ver-
schmähend ;
Auch durch Herkules' Fuss waren die Höhen ge-
weiht —
Jetzt ist alles verkohlt, schwarz starret die Erde
von Asche;
Selbst die Unsterblichen sehn trauernd ihr grausi-
ges Werk. —
Die Götter bilden hier die Staffage, den Stimmungs-
hintergrund, oder, so zu sagen, den Chor der Land-
schaft ; fein ist der Kontrast der Anfangs- und Schluss-
verse :
Hie est pampineis viridis modo Vesvius umbris,
Presserat hie madidos nobilis uva lacus —
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Cuncta iacent flammis et tristi mersa favilla:
Nee superi vellent hoc licuisse sibi.
Wie Horaz, preist Martial — man weiss nur nicht, ob
in wahrem Ernst — ein schlichtes Bauerngut (III, 58),
das 'nicht regelmässige Myrtenhaine, nutzlose, ledige
Platanen und geschorene Buxhecken auf unergiebigen
Flächen weiter Fluren' birgt, sondern der Besitzer 'freut
sich wahren bäuerlichen Fruchtfeldes', sowie (VI, 43)
die Müsse seines eigenen Nomentanischen Gütchens
und Hüttchens, *das nicht die Gefilde drückt': 'Das ist
Bajische Sonne für mich und der Lucrinus, Das, mein
Castricus, sind eure Schätze für mich' (Me Nomentani
confirmant otia ruris Et casa iugeribus non onerosa
suis; Hoc mihi Baiani soles mollisque Lucrinus, Hoc
mihi sunt vestrae, Castrice, divitiae); vgl. X, 96, und
besonders XII, 3 1 heisst es : 'Dieser Hain und der Quell
und der dicht verflochtenen Reben Schatten, der tränken-
den Flut künstlich geleiteter Strom, Auen und Rosen so
schön, wie im zweimal tragenden Pästum'
Hoc nemus, hi fontes, haec textilis umbra supini
Palmitis, hoc riguae ductile flumen aquae,
Prataque nee bifero cessura rosaria Paesto,
— ernüchternd fügt der ökonomische Römer hinzu : 'Kohl,
der im Janusmond, sicher vor Frösten, mir grünt. Und
der häusliche Aal' u. s. f. : alles das ist seiner Herrin
Geschenk, und er möchte nicht mit Alkinoos tauschen!
Anmutig schildert er auch (IV, 64) seines Julius Martialis
Gütchen, 'dem die Gärten der Hesperiden weichen, an
des Janusberges Rücken gelehnt' ; von den Giebeln der
zu den klaren Sternen sich schön und freundlich er-
hebenden Villa schweift der Blick über die Siebenhügel-
stadt und die Tuskuler und Albaner Hügel, auf Fidenae
und die von Wagen und Menschen wimmelnden
Strassen! — Gegen den sinnlosen Villenluxus mit Bä-
dern, Säulen und Prunkgemächern u. s. f., der eine
Behaglichkeit nicht aufkommen lässt, wendet er sich
XII, 50. Interessant ist es, wie man sich auf den
Villen die Zeit durch allerhand Sport zu vertreiben
suchte; so huldigte man nach X, 30, 17 dem Angeln,
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indem man aus dem Zimmer vom Ruhebette aus die
Schnur auswarf, bis man den Fisch den Faden herab-
ziehen sah (Sed « cubiclo lectuloque iactatam Spectatus
alte lineam trahit piscis). Die leidenschaftliche Vorliebe
zur Jagd, die den Spaniern besonders eigentümlich
war ^'^), tritt uns auch bei Martial in manchem hübschen
Jagdbild entgegen; vgl. I, 22, 48, 51, 60; IV, 35. So
beneidet er den Licinian, der zum hohen BilbUis, zum
schneebedeckten Gajus, zum süssen Hain Boterdun's
wandern will (I, 49): 'Am goldnen Tagus wird der Bäume
Schatten dich Beschirmen vor der Sonne Glut (Aestus
serenos aureo franges Tago Obscurus umbris arborum) ;
Der frische Bach Dercenna stillt den heissen Durst —
Doch wenn im grauen Winter und Decembermond
Ohnmächtig heult der heis're Nord, dann kehrst du
heim zum sonn'gen Strande Tarraco's — Dort fängst
du Rehe, welche weiches Garn verstrickt, Und einge-
borne Keiler ab Und holst auf mut'gem Ross den
schlauen Hasen ein. Die Hirsche sind des Meiers
Jagd'. —
Die tändelnde Liebespoesie im Genre der griechischen
Anthologie ist nur selten so zart und fein wie diese;
wenigstens übertrifft Martial auch die lascivesten jener
Sammlung. Höchpoetisch ist der Vergleich von dem
durchsichtigen Stein, der die Traube bedeckt, aber doch
nicht verbirgt VIII, 68: 'Durch ein Seidengewand
scheint so der weibliche Körper, Jeglichen Stein lässt
so zählen der blinkende Bach' (Calculus in nitida sie
numeratur aqua).' Die niedlichen hellenistischen 'Wäch-
terlieder' werden bei Martial zum kriechenden Schmeichel-
lied VIII, 2 1 : 'Phosphorus, bringe den Tag : was ver-
zögerst du unsere Freude? Wir erwarten den Herrn,
Phosphorus, bringe den Tag' u. s. f.. Wenig sagen die
Begleitschreiben von Kränzen und Blumen, die er dem
geliebten Knaben sendet und die er glücklich preist,
weil sie das Haupt desselben umwinden (VII, 89 : *^Geh,
du glückliche Rose' u. s. f. ; vgl. IX, 60) und die Früh-
Kngsschilderung X, 51. Nicht poesielos ist das Lob
des Namens Eiarinos, der, 'ein Bruder der Rosen und
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Violen, Den lieblichsten Teil des Jahres benennet, Der
nach attischen Blumen und dem Hybla Und dem Neste
des stolzen Vogels (Phönix) duftet . .,* süsser als Nektar*
u. s. f. (IX, 1 1). Echt idyllisch-erotisch ist die Aufforderung
IX. 90: 'Auf den blumigen Rasen hinge&trecket. Wo
geschlängelte Bäche hier und dort sich Funkelnd über
die glatten Kiesel stürzen (Sic in gramine floreo reclinis,
Qua gemmantibus hinc et inde rivis Curva calculus
excitatur unda), Mögest du, allen Beschwerden weit
entrücket, Eis im dunklen Römer schmelzen, mit Rosen
dich kränzen . ., Mög' ein Knabe von dir allein um-
armt sein, Und das keuscheste Mädchen dein be-
gehren' u. s. f.
Wenn sich auch Martial und Statins und Flaccus in
vielem an die augusteischen Dichter anschliessen , so
sind sie doch unverkennbar in der Färbung des ein/einen
um eine nicht unbedeutende Nuance modemer als jene.
Sind sie auch weit geringere Künstler: mit den ge-
steigerten Kultur Verhältnissen, mit dem grösseren Raffine-
ment des Empfindens und des Geniessens ist auch die
Sentimentalität gestiegen; das in sich selbst sich
immer mehr vertiefende Innenleben verrät sich oft
nicht blos in einer Zeile, in einem flüchtigen Gedanken,
sondern auch in den ausgedehnteren, nicht selten
auf guter, sinniger Beobachtung beruhenden Schilde-
rungen. —
Aber auch die Prosa dieser Zeit trägt denselben
Stempel der Kulturentv^icklung. Spann der Philosoph
Seneca die Fäden der Beobachtungsweise Cicero's
weiter nach dem Modernen hin, so erblüht jetzt in der
That eine poesiedurchwehte, mit dichterischer Anschauung
schildernde Prosa.
Der grosse Geschichtsschreiber Tacitus ist zu
gross als Charakterzeichner und Moralist, als dass er
für die Schilderung der Natur Raum behalte, selbst dsi,
wo man es erwarten könnte, wie ann. IV, 67, als der
greise Tiberius sich auf das lachende Eiland Capri
zurückzieht, *das schöne Theater seiner Lüste^ ; — aber
mit keiner Silbe erwähnt Tacitus den Kontrast ^entre ce
Biese, die fintwicklunt; des Katurgefühls bei den Kömcrii. 11
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paradis de la nature et cet enfer humain' *^). Aber
über der Darstellung der Germania liegt es wie ein
Hauch idyllisch-sentimentaler Betrachtungsweise, die —
allerdings auf d9s Menschliche sich beschränkend —
die schlichte, kulturlose Natürlichkeit der Germanen den
Zeitgenossen als Gegenbild vorhält, wie die Elegiker
die Glückseligkeit eines goldenen Zeitalters oder des
Elysiums und Horaz die Scythen und Geten gegenüber
der Verderbnis Roms in ein ideales Licht rückte., —
Ein lebhaftes Interesse für die Natur bekundet uns
Quintilian, der Hauptvertreter der römischen 'Re-
naissance'**^), in den zahlreichen Vergleichen ••) aus
Natur und Landwirtschaft, doch vor allem der schwär-
merische, ja etwas weichlich veranlagte und in seiner
ganzen Denkart recht moderne Plinius der Jüngere.
Die Gestalt des Plinius hebt sich lichtvoll und erfreu-
lich von dem düsteren Untergrunde einer traurigen
Zeit ab. Von Charakter rein und harmlos, zeigt er ein
feinfühliges Verständnis für die Reize der Natur; ja,
er bekennt es selbst direkt, dass er an nichts so grosses
Vergnügen finde, wie an den Werken der Natur (nam
te quoque, ut me, nihil aeque ac naturae opera delec-
tant VIII, 20 fin.). Gemäss seiner zarten Gemütsart
hat er ein besonderes Tendre für die Einsamkeit; er
liebt die Zurückgezogenheit, das ungestörte Zusammen-
sein mit der Natur und mit seinen Studien. Er fordert
seinen Freund Caninius auf, sich der tiefen und ruhigen
Abgeschiedenheit der Wisseni^haft zu widmen und zu
schaffen, was ewig sein Eigentum bleibe (I, 3, 3); oder
er fragt ihn II, Si 'Studierst du? Fischest du? Oder
jagest du? Oder thust du alles zusammen? Denn alles
das kann man an unserm Larischen See. Der See giebt
die Fische, die ihn bekränzenden Wälder das Wild und
die tiefe Einsamkeit die Studien (. . lacus piscem, feras
silvae, quibus lacus cingitur, studia altissimus iste
secessus adfatim suggerunt). So bekennt er dem Taci-
tus I, 6: ^Ringsum der Wald, die Einsamkeit und die
Stille der Jagd selbst — als sonderbarer Nimrod nem-
lich zieht er mit der Schreibtafel auf die Jagd und
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168
fängt, während eir seine Gedank^i fixiert, in Netzen
drei Schweine! — , alles das reizt mächtig zum Nach-
denken', vgl. Tac. diaL de orat. c. 9 und 12. Mit
wärmster Begeisterung meldet er dem Minucius Fun-
danus von der Stille seines Landsitzes I, 9, 6 : 'O reines
und naturgemässes Leben ! O süsse und reizende Müsse,
fast schöner als jedes Geschäft! O Meer! O Gestade!
Du wahrhafter und heimlicher Musensitz! Wie viel
dichtet und schafft ihr mir! (O mare! O litus, verum
secretumque fiovaelov, quam multa invenitis, quam multa
dictatis!) Verlass auch du jenes Getöse, jenes nutzlose
Hinundherrennen, jene abgeschmackte Geschäftigkeit
und ergfieb dich der Wissenschaft und der Muse!' —
Sein träumerischer Sinn schwelgt in dem Gefühle der
einsamen Stille ; auf seiner Villa flieht er bald in ein
lauschiges Gemach, wo er nur die weichen Wogen mit
leisem Rauschen am Gemäuer branden hört (II, 17, 5),
bald in ein anderes, wo es ganz lautlos und heimlich
ist und er weder der Sklaven Lärmen noch das Meer
noch den Wind hört, hoch das Leuchten der Blitze
sieht {II, 17, 22), Ein Schlafzimmer ist von dem Schatten
einer Platane ganz grün, kein Getöse dringt hinein ; die
Wände schmücken Malereien, Bäume und auf den
Zweigen sich wiegende Vögel darstellend (V, 6, 22),
Wie ein modernster, sentimentaler Träumer' beginnt
er den Tag auf seinem Villenidyll, wie er dem Fuscus
schreibt (IX, 36); wenn er früh um sechs erwacht»
bleiben die Fensterläden noch geschlossen, denn 'aus-
nehmend wird der Geist durch die Stille und die Finster-
nis genährt' u. s. f. Mit einem so empfindsamen Ge-
fühl für Ruhe und Einsamkeit paart sich seine Neigung,
zu jagen, zu fischen (IX, 7, 4) und zu rudern (VIII, 8, 3).
An allem und jedem, was den Reiz des Landaufent-
haltes erhöht, hat er Interesse. 'Was macht Comum,
dein jmd mein Entzücken?^ schreibt er an'Caninius I,
3, 'was das reizende Landhaus bei der Stadt? was
jener Säulengang mit seinem ewigen Frühling? der
schattige Platanenhain? der grüne und spiegelhelle
Kanal? der See? der Spaziergang?' So mahnt er den
II*
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Arrianus II, i : ^Schreibe mir vom Lande, was deine
Bäumchen, deine Weinberge, deine Saaten, deine
zarten Schäfchen machen!' Doch vor allem mit wie
liebevoller Hinneigfung schildert er selbst! Cicero und
Seneca verschmähten es, länger bei dem Landschaft-
lichen zu verweilen. Plinius widmet demselben ganze,
lange Briefe. Und diese sind nicht farblose, tote Ab-
zeichnungen der Natur oder nüchterne Berichte, son-
dern von der innigen Sympathie für die Natur und von
jenem träumerischen Sinne für Stille und Einsamkeit
durchweht*'). So entwirft er uns in erster Linie an-
schauliche Bilder von seinen Villen. Dichter und Pro-
saiker seit Cicero teilen die Liebe zum Landleben, zu
den idyllischen und luxuriösen Landsitzen. Dieselben waren
eben das notwendige Supplement des städtischen Lebens
geworden ; auf ihnfen suchte nian Genesung von all den
Nerven und Geist überreizenden und zerreibenden An-
forderungen und Abspannungen einer raffinierten Kul-
tur; dort träumte man weltverloren am wellenrauschen-
den Meer oder im Schatten der Parkanlagen am
sprudelnden Quell oder im blumendurchdufteten, auf
Wald und See die prächtigsten Femblicke bietenden
Gemache. Ein trefflicher Führer durch solche maleri-
schen Landsitze ist Plinius. Mit liebevollster Anschau-
lichkeit schildert er dem Freunde Gallus sein Lauren-
tinum II, 17 : 'Du wunderst dich, dass ich eine so grosse
Freude an meinem Laurentinum habe. Du wirst dich
nicht mehr wundern, wenn du dieses Landhaus, die
vortreffliche Lage des Ortes, die Ausdehnung des Ufers
kennst'. Es liegt nahe der Stadt und an zw^ Strassen*
Selbst der Weg zur Villa ist reich an landschaftlichen
Reizen: *bald engt er sich durch Waldungen ein, bald
dehnt er sich offen durch weite Wiesengründe aus*.
Für jede Jahreszeit bietet sie passende, geräumige
Zimmer, ohne besonderen Luxus, doch freundlich; der
^Speisesaal ist ans Meer gebaut; mittels Flügelthüren
und ebenso grosser Fenster hat man nach vorn und
den beiden Seiten gleichsam die Aussicht auf drei
Meere, im Rücken liegt der Wald und die fernen Berge
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(§ 5); in einem anderen spiegelt sich der Glanz der
Sonne und des Meeres (§ lo plurimo sole, plurimo mari
lucet). Selbst die im Baderaum Schwimmenden haben
den Blick aufs Meer (12), und von den Turmzimmern
schweift das Auge über das weite Meer, das lang sich
hinstreckende Gestade und die anmutigsten Landhäuser
(latissimum mare, longissimum litus, villas amoenissimas
prospicit). Von einem zweiten Turm kann man die
Sonne auf- und niedergehen sehen. Eine Avenue
(gestatio) zieht sich um den Garten herum, mit Buchs
oder Rosmarin eingefasst, und eine junge, schattige
Rebenpflanzung. Der Garten ®®) ist mit Maulbeer- und
Feigenbäumen bepflanzt; auch hier ist wieder ein Saal
mit geschlossener Halle, windstill und heiter, mit einer
Veilchenterrasse (xystus), an die sich wieder Gebäude
mit lauschigen Gemächern anschliessen. . 'Du bist ein
ausgemachter Städter', endet Plinius seinen Brief, ^wenn
du mein Landhäuschen mit allen seinen Herrlichkeiten
nicht aufsuchst'. — Im Thale des Tiber, am Abhänge
des Apennin lag in nicht minder reizvoller Umgebung
die tuscische Villa. * Stelle dir', schreibt er dem Apol-
linaris (V, 6, 7), 'ein ungeheures Amphitheater vor,
wie nur die Natur es schaffen kann' (Regionis forma
pulcherrima. Imaginäre amphitheatrum aliquod inmen-
sum et quäle sola rerum natura possit effingere): 'eine
weite ausgedehnte Gegend wird von Bergen umschlossen ;
die Berge tragen auf ihrem höchsten Rücken alte und
hohe Wälder. Reich und mannigfaltig ist daselbst die Jagd.
An dem Gebirge herunter ziehen sich Schlaghölzer, zwi-
schen ihnen erheben sich Hügel mit urbarem und fettem
Boden — nicht leicht stösst man auf Felsen, auch wenn
man sie sucht — , die auch dem ebensten Felde an Frucht-
barkeit nichts nachgeben. Unter ihnen dehnen sich Wein-
berge aus, die weit und breit ein harmonisches Bild
gewähren und unten mit einer Einfassung von Gebüschen
versehen sind. Dann kommen Wiesen und Felder . .,
die Wiesen prangen von Blumen und sind wie mit
Edelsteinen bess^et und bringen den Klee und andere
Graspflanzen stets zart und saftig hervor; der Tiber
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fliesst mitten durch die Fluren^ . . Ein malerischer,
romantischer Natursinn, der sich auf das landschaftliche
Ganze richtet, bricht deutlich in den folgenden Worten
hindurch: 'Diese Landschaft vom Gebirge herab zu
sehen, würde dir grossen Genuss gewähren. Du würdest
keine wirkliche, sondern eine idealisch schön gemalte
Gegend zu sehen glauben : so sehr wird das Auge, wo-
hin es sich wendet, durch Abwechslung und Gruppie-
rung ergötzt': Magnam capies voluptatem, si hunc re-
gionis situm ex monte prospexeris; neque enim terras
tibi sed formam aliquam ad eximiam pulchritudinem
pictam videberis cernere: ea varietate, ea descriptione,
quocumque inciderint oculi, reficientur. 'Mein Land-
haus liegt am Fusse eines Hügels, und doch hat es die
Aussicht wie von der Höhe: so sanft und allmählich,
fast unmerklich erhebt sich der Hügel, worauf es steht ;
hinter demselben aber, in ziemlicher Ferne liegt der
Apennin ; von ihm weht bei heiterem und stillem Wetter
ein frischer Wind, doch nicht scharf und schneidend,
sondern durch die Entfernung gebrochen und gemildert'.
Aber auch die Geschmacksverirrung modernen Natur-
sinnes, die Vergewaltigung der Natur durch die Pflanzen
und Bäume zu Figuren zurecht stutzende Scheere,
finden wir bereits in der tuscischen Parkanlage, wenn
sie auch noch nicht in so abstrusem Masse hervortritt
wie im folgenden Jahrhundert und in der Epoche des
französischen Rococo ••). Man glaubt nach Versailles
zur Zeit Le Notre's versetzt zu sein ''®) , wenn Plinius
(§ i6) uns von einer Terrasse meldet, deren Bäume in
verschiedene Gestalten geschnitten waren: 'Unter der-
selben ist ein abhängiges Rasenstück, an dessen Fusse auf
beiden Seiten des Wegs verschiedene Tiergestalten in
Buchs einander gegenüberstehen . . . Ringsum zieht
sich ein Heckengang mit dichtem und mannigfach ge-
schnittenem Gebüsch ; um denselben eine Allee in Form
eines Circus mit verschieden gestaltetem Buchs und
niederen, zurückgeschnittenen Bäumchen. Das Ganze
ist mit einer Mauer umgeben, welche treppenweise ge-
zogener Buchs versteckt und dem Auge entzieht. Dann
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kommt ein Wiesenplatz, durch die Natur ebenso schon als
die eben beschriebene Anlage durch die Kunst, endlich
Felder, Wiesen und Gehölze\ Von den stattlichen Gebäu-
den hat man die Aussicht auf die Terrasse, die Waldpartie
wie die Baumwipfel des Hippodroms. Dieser enthält
eine breite Reitallee mit einer prächtigen Platanen-
colonnade und mannigfachen Wegen. An den Stämmen
der Platanen klettert üppiger Epheu empor und rankt
sich guirlandenartig von Baum zu Baum ; die Zwischen-
räume derselben sind mit einer Hecke von Buchs be-
pflanzt; an der äusseren Peripherie läuft als Grenz-
pflanzung ein schattiges Lorbeergebüsch. Dort, wo
sich der Hippodrom halbzirkelförmig wendet, stehen
Cypressen, die mit ihrem schwarzen, dunklen Schatten
zu der leuchtenden Rosenpflanzung im Innern des Halb-
kreises einen wirkungsvollen Kontrast bilden. Auch hier
wieder trägt der Buchs tausend Formen (§ 35), Namens-
züge u. s. f. Auch sonst bietet der Park kühle,
schattige Plätze, Bänke von Marmor, von Wein um-
rankt, daneben rauschen Springbrunnen und BächeT —
Wer möchte es dem Plinius bei einem so reizvollen Be-
sitz nicht nachempfinden, wenn er mit den Worten
schliesst: 'Hier fühle ich mich an Leib und Seele am
wohlsten\ — Mag der römische Garten, wie er sich
von der Zeit des Lucullus bis auf Plinius entfaltet
hat''), auch wesentlich im architektonischen Prinzip
befangen geblieben sein, so dass er nur geringe
Spuren von dem landschaftlichen Prinzip der englischen
Anlage zeigt, welche, der Mauer entbehrend, ins freie
Feld ausmündet '-), mag er auch nur die gewöhnlich-
sten Bäume, Pflanzen und Blumen enthalten haben '^) :
auch er ist, wie die mit Rücksicht auf die Femblicke
gebaute Villa 'ein wertvolles Zeugfnis für ein bereits
intensiv entwickeltes Naturgefühl' (Woksch). —
Eine gleiche Anschaulichkeit wie die Villenschilde-
rungen zeichnet auch andere Briefe des Plinius aus,
welche von Naturphänomenen berichten. Am bekannte-
sten ist die naturwahre Beschreibung des Vesuvaus-
bruches, bei welchem sein Oheim den Wissensdurst mit
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dem Leben bezahlte: VI, i6; er verglicht die aus dem
Berge aufsteigende Wolke mit einer Pinie, 'die in
einem sehr langen Stanmie in die Höhe zu steigen und
sich in einige Zweige auszudehnen schien . ., inzwischen
leuchteten aus dem Vesuv an mehreren Stellen breite
Flammen und hohe Feuersäulen hervor, deren Glanz,
und Helle durch die Finsternis erhöht wurde'. 'Es war',
fährt er ep. 20, 9 fort, 'als ob das Meer sich selbst
verschlinge . und durch die Erderschütterung gleichsam
auf sich zurückgeworfen werde (mare in se resorberi
et tremore terrae quasi repelli videlaamus) ; eine schreck-
liche Wolke zerplatzte, schleuderte schlangenförmige
Feuermassen umher und entlud sich in länglichen
Flammenbündeln, die wie Blitze aussahen, aber grösser
waren' . .
Sehr zierlich spricht sich der Sinn des Plinius für
die stillen Reize der Natur in der Schilderung der wun-
derbaren Quelle aus, die in den Larischen See mündet
und deren Wasser in regelmässigem Wechsel steigt
und fällt (IV, 30), sowie des Sees Vadimo (VIII, 20)
mit seinem cirkelrunden, buchtlosen Umriss, seiner zwi-
schen blau und grün schwankenden Farbe und den mit
der jeweiligen Strömung dahintreibenden Pflanzeninseln ;
sowie besonders der Quelle Clitumnus (VIII, 8): 'Am
Fusse eines massigen, mit einem alten Cypressenhain
bewachsenen und beschatteten Hügels entspringt sie;
in mehreren Adern hervorsprudelnd bildet sie, sobald
sie sich hervorgearbeitet hat, ein Becken, dessen weiter
Schoss so rein und spiegelklar ist, dass man die hinein-
geworfenen Münzen und die heraufschimmernden Kiesel
zählen kann (lato gremio patescit purus et vitreus, ut
numerare iactas stipes et relucentis calculos possis) . . .
die Ufer sind mit einer Menge Eschen und Pappeln
bekleidet, welche man in dem durchsichtigen Strome,
wie versenkt in seinen grünen Wasserspiegel, nach-
zählen kann' (§ 4: ripae fraxino multa, multa populo
vestiuntur, quas perspicuus amnis ut mersas viridi ima-
gine adnumerat). Tempel liegen umher, Orakel ver-
künden die Nähe des Gottes; auch Landhäuser baut
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man hier, durch die Schönheit des Ortes angezogen.
*Mit einem Worte, du findest nichts, was dir nicht Ver-
gnügen macht'. — Wir sehen: auch in der Prosa ist,
wie in der Poesie, der Sinn für den verborgenen Reiz
des Landschaftlichen, für den geheimnisvollen Zauber,
mit dem die Natur in aller Stille Wald und Wasser
umwebt, in bedeutsamer, modemer Weise aufge-
gangen. —
Hadrian ist der Typus des Rococo in der römi-
schen Kulturgeschichte. Während Quintilian und Plinius
Einfachheit und Zierlichkeit in Form und Inhalt an-
strebten, indem ihnen Cicero als unerreichbares Vor-
bild vorschwebte, verrät sich in der Zeit Hadrian's das
Greisenalter der Literatur durch die VorMfebe für das
Entlegene und Seltsame ; Homer ward dem Antimachos,
Vergil dem Ennius nachgestellt. Ein hochgradiges In-
teresse für alles Auffallende, Sonderbare, gemischt mit
eitler Ruhmsucht und sentimentaler Empfindungsweise,
trieb diesen grillenhaften Dilettanten und archäologischen
Schwärmer auf dem Throne der Cäsaren von Land zu
Land, so dass man ihn 'den ersten Romantiker unter
den Reisenden im Altertum genannt hat'. ^^) Er wollte
alle Naturgenüsse, gegen die römische Feldherren sonst
so gleichgültig zu sein pflegten , selbst kosten , alle
Merkwürdigkeiten der Geschichte mit eigenen Augen
sehen. Doch ist es schwer zu sagen, ob blos Wissens-
drang oder die Modesucht, denselben zu heucheln, oder
aufrichtiger Natursinn ihn trieb, den Ätna zu besteigen
und von da den Sonnenaufgang zu gemessen oder vom
Berge Casius an der syrischen Nordküste, wo man nach
der Angabe des Plinius (V, 22) die Sonne drei Stunden
vor ihrem Aufgange im Thal sollte sehen können.
Rastlos pilgerte er in seinem weiten Reiche umher,
bald nach der Oase der syrischen Wüste, bald nach
dem salomonischen Palmyra, bald nach der berühmten
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Memnonsäule, nach Trapezunt, wo einst die Zehntausend
Thalatta jauchzten u. s. f. — Tiberius fand sein Capri,
der weltmüde Hadrian sein Tivoli, dieses non plus ultra
einer Villenanlage, die nicht blos Parks, Tiergärten^
Seen, ein Tempethal en miniature, sondern auch mit
den herrlichsten Skulpturen ein Prytaneum, Lyceum, eine
Akademie u. s. f. enthielt. Das todesmatte, überreizte,
überlebte Altertum hat in Hadrian PersönKchl^it ge-
wonnen; und als Sinnbild der Zeit kann der Kopf des
Antinoos dienen, mit der antiken Grazie und der töd-
lichen Schwermut in den schönen Zügen. —
Die 'barockeste, mit wunderlichen Arabesken ver-
quickte Spezies des Rococo' Hadrianischer Zeit stellt
sich in dem Afrikaner Apulejus dar. Die Romantik
phantastischer Wundersucht liegt über seinem Roman
Vom goldenen Esel'. Mit idyllischen Effekten stattet
er seine Gartenschilderungen (IV, 2 und V, i) aus;
doch romantisch ist besonders, wie der magische Zauber
des Mondlichts in die Stimmung des Helden hineinspielt
(XI, Anf.), der erwachend den Vollmond aus den
Meeresfluten heraufsteigen sieht und von dem Schauer
der Einsamkeit der stillen Nacht ergriffen (nanctus
opacae noctis silentiosa secreta) die Himmelskönigin als
den Urquell alles Seins mit pomphaften Phrasen preist,
durch welche allerdings der Schalk Humor hindurch-
guckt '*). In voller Herrlichkeit göttlicher Hoheit er-
scheint die Angerufene mit tröstenden Worten. Diese
machen einen so erhebenden Eindruck auf ihn, dass er
wie neugeboren am Morgen vom Lager ersteht (c. 7);
die Natur strahlt ihm seine gehobene Stimmung wieder:
die schwarzen Schatten der Nacht verscheucht die
golden heraufsteigende Sonne, Volksschwärme füllen
die Strassen; alles scheint in ausgelassener Heiterkeit
zu frohlocken, 'ja selbst das Vieh jeder Art und die
Häuser und der Tag selbst mit heiterem Antlitz sich
zu freuen' (ut pecua etiam cuiusque modi et totas domos
et ipsum diem serena facie gaudere sentirem) ; den Reif
hat der lichte Tag vertrieben, 'so dass auch die sang-
reichen Vögelchen, von der Frühlingswärme hervorge-
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lockt, ihr liebliches Konzert anstimmen und mit schmei^-
chelndem Grusse die Mutter der Gestirne ergötzen\- ut
c^norae etiam aviculae prolectatae verno vapore con-
centus suaves adsonarent matrem siderum blando mul*
centes adfamine; 'auch die Bäume säuseln, in sanftem
Regen der Arme lieblich rauschend ; der Sturm hat sich
gelegt, das Meer besänftigt die Wellen zur Ruhe . ., der
Himmel aber strahlet in dem reinen, hellen Glänze
des eigenen Lichtes^: arboris . . clementi motu brachio-
rum dulces strepitus obsibilabant magnoque procellarum
sedato fragore ac turbido fluctuum tumore posito mare
quietas adluvies temperabat, caelum autem nubilosa ca«
ligine disiecta nudo sudoque luminis proprii splendore
candebat.
Wer möchte in dieser Schilderung die völlig moderne
Empfindungsart einer sentimental-sympathetischen Na«-
turanschauung verkennen? Welt und Gemüt, Natur-
und Seelenstimmung klingen harmonisch zusammen. Und
fragen wir, was den Untergrund eines solchen Aussen-
und Innenwelt verwebenden Naturgefühls bildet, so ist
es auch bei Apulejus wieder der stoische Pantheismus^
wie er in seiner Schrift de mundo sich manifestiert. —
Namhafte Poeten hat die Zeit nicht aufzuweisen;
ein Ann i an US besang die Freuden des Landlebens (Fa-
lisca); das bedeutsamste noch ist das PervigiliumVene-
ris, (ed. Bücheier Lips. 1859), eine rhetorisch affektierte
Lenz- und Liebesfeier. Anmutig ist der Anfang: *Der
Frühling kam wieder, der klangreiche Frühling : im Früh-
ling ist Jupiter geboren : im Frühling knüpfen sich Liebes-
bande; im Frühling vermählen sich die Vögel und löst
der Hain sein Laubhaar unter dem fruchtbaren Regen' :
Ver novum: ver iam canorum: vere natus est Jovis:
Vere concordant amores: vere nubunt alites Et nemus
comam resolvit de maritis imbribus. In etwas gezierter
Weise wird die Vermählung des Äthers und der Erde
im knospenden Lenz mit der Geburt der Dione ver-
bunden, die in der ganzen, weiten Natur das treibende
Leben weckt (16 ff.) — wie Venus bei Lucrez — ; 'die
Lande befruchtet die Lust (rura fecundat voluptas), dia
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Lande spüren die Venus; sie malt purpurn das Jahr
mit blühenden Knospen (v. 33) . ., die lichten Tau-
tropfen schimmern als zitternde Thränen (En micant
lacrimae trementes v. 38) . . . die Göttliche gebietet
den gesangreichen Vögeln 'nicht zu schweigen' ; die ge-
schwätzigen Schwäne durchlärmen die Fluten mit heiserer
Stimme; dazu klagt die Tochter des Tereus unter dem
Schatten der Pappel. — Melancholisch schliesst der Dichter:
*Jene singt, wir schweigen; wann konunt mein Frühling?
Wann werde ich wie die Nachtigall werden und aufhören
zu schweigen?': lUa cantat, nos tacemus. quando ver venit
meum? Quanto fiam uti chelidon et tacere desinam? . .
Cras amet qui nunquam amavit, quique amavit, cras amet. —
Die lyrisch-epigrammatische Poesie dieser
späten Jahrhunderte (poet, lat. m. IV ed. Bährens) entbehrt
durchaus nicht des dichterischen Schwunges ; die Motive
früherer Zeiten kehren in gesteigerter Sentimentalität
wieder, indem Verwandtes miteinander verflochten
wird. Auch hier, wie in der griechischen Anthologie,
rinnen idyllische und erotische Empfindsamkeit zu-
sammen. Gar manche dieser kleinen Dichtungen bietet
uns ein landschaftliches Naturbild, bei dem das Mensch-
liche in den Hintergrund tritt; andere verschmelzen
nicht ohne stimmungsvollen Reiz das Physische und
das Pathetische, Geistiges und Natürliches. Der Wechsel
der Jahreszeiten giebt vor allen Dingen die Anregung;
so der Herbst (no. 75), 'da die Schatten kühler werden
und die Platane ihr Laub abwirft (comas iactare) und
der Weinstock seine Trauben spendet* ; 'nach berühmten
Mustern' könnten wir die dem Ovid nachgebildeten
lediglich schildernden Tetrasticha über die vier Jahres-
zeiten benennen (no. 138) — vgl. das 'Lob aller Monate'
no. 305 — , über die Morgenröte und die Sonne (139). Ich
hebe die Zeilen des Hilasius heraus: 'Gelblich erglänzt
Aurora im Schmucke der rosigen Haare, Wenn in der
Frühe der Tau labend die Erde benetzt: Dann aus
Thetis' beweglicher Flut erhebet sich Titan, der mit
dem flanunenden Strahl seines Gesichtes mich traf:
Lutea fulgebat roseis aurora capillis Et matutino rore
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madebat humus. Tethyos undivago tum prosilit aequore
Titan, Flammiferus vultüs ore micante greges. — Euphor-
bus singt : * Aus dem Ocean taucht goldstrahlend die flam-
mende Sonne: Vor ihr weichen des Alls flammende
Sterne zurück ; Nacht und Finsternis räumen dem Grotte
das Feld, und das holde Licht giebt Farben und Schmelz
wieder den Dingen zurück/
Von Rosen tändeln no. 272 ff., am niedlichsten Florus
in no. 275, das man 'Bald verwelkt' betiteln kann'®):
'Dank dem belebenden Hauche des Frühlings kommen
die Rosen : Ein Tag zeigte zuerst nur knospende Spitz-
chen; der zweite Liess schon stärker die kleinen Ge-
häuse sich schwellen ; am dritten Blühten sie schon, und
am vierten entfalteten voll sich die Blumen; Pflückt
man sie frühe sich nicht, so müssen sie heut noch ver-
gehen': Venerunt aliquando rosae per veris amoeni
Ingenium : una dies ostendit spicula florum, Altera pyra-
midas nodo maiore tumentes, Tertia iam.calathos; totum
lux quarta peregit Floris opus, pereunt hodie, nisi mane
leguntur. — Luxorius reicht den Preis unter den Blumen
der rosa centumfolia, die der goldene Sol gefärbt habe ;
oder sie ist selbst ein Sonnenstrahl, oder die Venus er-
goss sich in sie mit allem ihrem Blut ; sie ist der Stern
unter den Blumen u. s. f. (no. 520). Von sinnigem
Naturgefühl zeugen die kleinen Epigramme vom Tau^
der kry stallen auf den Gräsern funkelt (411), und die
Rätsel des Symphosius (440) von Nebel, Eis, Schnee^
Blumen und Tieren. Den Regenbogen schildert eine
ganze Reihe von Tristichen (no. 136); so der Pompi-
lianus : 'Bricht ein plötzlicher Strahl aus Phöbus' leuchten-
den Augen Sich im Regengewölk, dann erscheint uns
Iris am Himmel, Hold im bunten Gewand und mit
tausendfarbigen Flügeln"*: Luce repentina cum sol im-
plevit aquosas Ad versus nubes, effulget protinus Iris,
Picta veste decens et multicoloribus alis. — Sechzig Hexa-
meter singen das Lob der Sonne (no. 543), die der
Ursprung alles Lebens, alles Seins ist, was Himmel und
Erde und Meer bergen; durchbricht sie das Dunkel,,
leuchten die Wälder, Felder und Blumenauen; 'dann
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liegt in friedlicher Ruhe das weite Meer und die Ströme
mit sich verjüngenden Weilen; durch die zitternden
Fluten läuft das goldene Licht' (Tunc placidum iacet
omne maure et vernantibus undis Flumina: per tremulos
currit lux aurea fluctus). — Man beachte hier die
Schilderung" des LichtefFektes , der über das Wasser
hin spielenden Sonnenstrahlen! — Dreissig Anaphern
mit Sol, der mit Purpurlicht die Lande überströmt, der
da bunt färbt die im fruchtbaren Rasen grünenden
Wiesen (Sol cui picta virent fecundo gramine prata)
u. s. f., schliessen das Gedicht. — In zweiundzwanzig
versus echoici feiert Pentadius nach Art des Meleager
die Ankunft des Frühlings (409): 'Ich merk*s, der
Winter weicht, schon beleben Zephyre den Erdkreis
und weht der Südwind mit lauen Güssen: ich merk's,
der Winter flieht' (Sentio, fugit hiems; Zephyris ani-
mantibus orbem lam tepet Eurus aquis: sentio, fugit
hiems) ; das Land fühlt die Wärme, mit jungen Keimen
sprosst das Feld; fröhlich schwillt das Grün, mit Laub
kleidet sich der Baum im sonnigen Thal; schon seufzt
melodisch Philomele; rauschend eilt das Wasser vom
widerhallenden Berge herab ; mit zahllosen Blumen malt
den Boden der Hauch des Eons ; an dem hohlen Felsen
hin hallet das Echo vom Gebrüll der Herden ; der Most
vom Weinstock schwillt an der nachbarlichen Ulme im
vermählten Laube (fronde maritata vitea musta tument) ;
die trauten Dächer besudelt die Schwalbe, ihr Nest
bauend; unter der grünen Platane erfreut der Schlaf
im Schatten und werden Kränze gewunden (Sub pla-
tano viridi iucundat somnus in umbra, Sertaque texun-
tur s. p. V.) Weltschmerzlich klingt dies Frühlingslied
ab: 'Dann auch ist es süss zu sterben, dann lauft ab
an der Spindel, ihr Fäden; dann auch ist es süss in
Umarmung zu sterben^ (Tunc quoque dulce mori, tunc
fila recurrite fusis, Inter et amplexus t. q. d. m.) Über
die Nichtigkeit und Hinfälligkeit alles dem Wechsel
unterworfenen Seins klagt Seneca (no. i): 'Alles ver-
zehrt und verschlinget die Zeit mit gierigem Rachen,
Alles erschüttert sie, nichts lässt sie für immer bestehn.
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Flüsse versiegen, die Meere versanden und fliehen die
Küsten, Berge versinken, es wankt krachend der Fels
und zerbricht ; (Flumina deficiunt, profugtim mare litora
siccant, Subsidunt montes et iuga celsa ruunt). Doch
was red' ich von Kleinem? Des Wdtalls herrlicher
Bau wird Einst in Feuer und Glut stehen und plötzHch
vergehen. Alles fordert der Tod* . . Ebenso resigniert
klagt Sulpicius (no. ii8): 'Alles, was Mutter Natur ge-
schaffen, schwindet, war es auch noch so fest, (Omne
quod Natura parens creavit, Quamlibet firnium videas,
labascit :) die Zeit löst alles, dass es zerbrechlich und
hinfällig wird'. —
Der idyllische Sinn für die kleinen, schlichten Freu-
den des Landlebens kommt mitunter ganz ansprechend
zum Durchbruch; so namentlich beim Petron, der nach
Art des Corycischen Gärtners bei Vergil den winzigen,
aber friedlichen Besitz preist (no. 8i), wo die saftreiche
Traube von der Ulme herabhängt, die Obstbäume
Kirschen und rosige Äpfel darreichen und der palladische
(Oliven-) Hain sich hinzieht . .; im Garten erhebt sich
Corycischer Kohl und Malven und sorglosen Schlummer
bringender Mohn; bald ergötzt es, den Vögeln
Netze zu stellen (contexere fraudem) oder Hirsche zu
umzingeln oder den schüchternen Fisch mit der Angel
zu locken. 'Solche Listen allein kennt mein geringer
Landsitz (Hos tantum movere dolos mea sordida rura) ;
wohlan, verkaufe die Zeiten des fliehenden Lebens für
reiche Speisen! Ich bitte, dass ich hier den Rest
meiner Jahre verbringe und dass hier mein Ende mich
£nde\ Heimkehrend begrüsst er jubelnd Land und
Meer (no. 84): 'O Gestade, mir lieber als das Leben,
o Meer ! Glücklich, der zu deinen Landen zurückkehren
darf! O herrlicher Tag! . . Hier ist der traute Zu-
fluchtsort für stille Leidenschaften' (O litus vita mihi
dulcius, o mare! felix, Cui licet ad terras ire subinde
tuas! O formosa dies! . . Haec statio et tacitis fida
cupidinibus). Vor dem wilden Meer warnt er (no. 88)
und rät, am sicheren Gestade zu wandeln, an das
die Wellen Sarid und Muscheln treiben, und dies
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allein für Meer zu halten (in litore tuto Ludat et hoc
solum iudicet esse mare). Das Vergnügliche des Land-
aufenthaltes schildert — wie Plinius — Martialis (no.
128), wie er früh morgens zu den Göttern bete, die
Felder durchstreife, dann studiere, den Phöbus rufe und
die Muse locke, dann den Körper öle und in der Pa-
lästra übe; schliesslich läuft es auf die recht materielle
Zeile hinaus : Prandeo poto cano ludo lavo ceno quiesco.
— Ein behagliches Lob singt auch Asmenius seinem
Gärtchen (no. 151), in dem sich das Angenehme mit
dem Nützlichen verbindet (Non defit hortis et voluptas
maxima Multisque mixta commodis iucunditas): mit dem
rinnenden Bach, den schimmernden Blumen, den sum-
menden Bienen, den fruchtbaren Reben, den schattigen
Bäumen, den sangreichen Vögeln; *es ergötzt ein
Garten und nimmt dem Geist die drückende Sorge,
giebt Kraft den Gliedern und erteilt dem Besitzer viel-
fältige Freude' (Tribuit colenti multiforme gaudium);
vgl. des Luxorius no. 486. — Mit idyllischen Effekten
sind auch die mythologischen Märchen ausgestattet, wie
z. B. Narcissus (199), Procne und Philomele (no. 203),
des Lactantius 'Vogel Phönix' (p. I. III p. 253), ferner
'die Bitte an die Mutter Erde' (anth. lat. ed. Riese I, 18)
und 'an alle Kräuter' (ebenda S. 19), sowie der an Äsop
erinnernde 'Streit des Frühlings und Winters' (anth. lat.
II, 145) mit seinem etwas trockenen Dialog, aber doch
warmen Lob der Vorzüge des Lenzes. —
Das sinnliche Moment einer raffiniert gesteigerten
Erotik ist einer überreifen Kultur stets eigen, wie
ausser den bildenden Künsten namentlich die lyrische
Poesie bekundet. So treibt auch manche kecke Blüte
lüsterner Frivolität der Spälherbstgarten der Anthologie ;
in zahlreichen Epigrammen wird die alles übertreffende
Süssigkeit des Liebesgenusses in nächtlicher Stille ge-
priesen und zum Geniessen begeistert, so lange, noch
das Jugendfeuer glüht (vgl. no. 100). Eine recht
romantische, mit Empfindsamkeit ausgeschmückte Situa-
tion führt uns Petron no. 107 vor: 'Mich griff eben mit
schimmerndem Schnee Julia an; ich meinte, der Glut
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entbehre der Schnee : doch der Schnee war Glut ! Was
ist kälter als Schnee? Doch konnte der deinen Händen
entsandte Schnee, o Julia, meine Brust in Flammen
setzen. Wo ist noch Sicherheit gegen die Nachstellun-
gen der Liebe, wenn selbst im ^gefrorenen Nass die
Glut verborgen ist? Julia, du allein kannst meine Flamme
loschen: nicht mit Schnee, nicht mit Eis, sondern du
kannst es nur mit gleicher Glut^:
Julia, sola potes nostras exstinguere flammas:
Non nive, non glacie, sed potes igne pari.
Eine glühende, Liebe sprühende Epistel schreibt ^der
Liebende der Liebenden^ (no. 396): 'Glänzend glühen
mit Sternenhaften Flammen deine Augen (Candida side-
reis ardescunt lumina flammis); dein Hals übertrifft die
Rosen, und dein Haar das Gold ; der schwellende Mund
entnimmt dem Purpur die Röte; das wallende Blut
hebt den milchweissen Busen; in der Schönheit von
Göttinnen strahlst du, mit deinem himmlischen Körper
stellst du die Venus in Schatten . . . ; wenn über Lilien
du die Schritte lenkst, wirst keine Blume du knicken
mit deinem leichten Gewicht; mit Geschmeide mögen
sich andere behängen, du kannst auch entkleidet ge-
fallen"* u. s. f. Schliesslich haucht er sein Minnege-
ständnis in dem asyndetischen Stoszseufzer aus: Lan-
gueo deficio marcesco punior uror Aestuo suspiro pereo
debellor anhelo!"). — Sentimental klagt Florus (415):
'Einst setzte ich junge Bäumchen und schnitt in die
Rinde den Namen ^meiner Flamme* (ardoris mei); doch
ich gewann nicht damit ein Ende oder Ruhe der Lei-
denschaft: es wächst der Baum; immer stärker wird
die Glut; Empfindung belebt die Buchstaben* (Crescit
arbor, gliscit ardor: animus implet litteras), — Lüsternes
Raffinement paart sich mit idyllischer Sentimentalität
in des Reposianus Epopöe Vom Liebeslager des
Mars und der Venus* (no. 420); der Hain ist wie ge-
schaffen zur Liebe; Lotos, Lorbeer, Myrten geben
Schatten, auch durch das Laub leuchtende Apfel fehlen
nicht; dicht ist der Rasen; glänzendweisse Lilien kon-
trastieren malerisch mit purpurnen Blumen (Pingunt pur-
Biese, die Entwicklung des Naturgefühls bei den Römern. 12
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178
pureös candentla liHa flcwres v. 38) ; Rosen duften nebeui
Veilchen und Hyacinthen ; 'ein Ort wii«i^ der Liebe;,
doch nicht glänzt Gold oder Purpur m Hainen ; Blumen
bilden das Lager, Blumen die Taue des Bettes, Blumen
die Polster: den Woonan der Venus diBat die reiche
Natur* (Flos lectus, flos vincla tori, »ubstramina flores:
Deliciis Veneris dives natura laborat). In diesem
Liebeshain legt Mars seine Kriegsrüstung ab ; statt der
Geschosse führt er Blumen, statt des Schildes Myrten-
gewinde, statt des Schwertes die Rose (v. 93) u. s. f.
Mit Ovidischer Lascivitat '*) malt der Dichter das Schäfer-
stündchen aus und den Reiz der ruhend^i Schönen mit
den schneeigen Armen und dem wie Sterne blinkenden
Busen '^). Bei solchem Anblick hält Phöbus seine Rosse
an; 'o du neidisches, die Frev^that belauschendes
Licht!' (pro conscia facti Invida lux!); ertappt stehen
die Liebenden vor solchem Richter, ^als die Sonnen-
lichter durch die Zweige zitternd gleiten' (ramis cum in-
serta tremescunt Lumina). — Würdig reihen sich somit
diese verräterischen, durch das Laubdach sich stehlen-
den Strahlen den flammenden Blitzen an, die bei Vergil
Zeugen des Liebesbundes der Dido und des Äneas waren ;
und der Römer schilt hier auf die 'invida lux' wie
Meleager®^) auf das höhnende, schadenfrohe Licht,
{fipaig «TTt^a/f «xaxov), das ihm den Morgen und somit das
Ende des Minneglücks ankündigt. — Auf schlimme Er-
fahrungen im Dienste der Venus deutet die Warnung
des Pentadius (no. 425): 'Vertraue d^i Winden den
Nachen, doch nicht dein Herz den Mädchen; denn die
Welle ist zuverlässiger als Weibertreue':
Crede ratem ventis, animum ne crede puellis;
Namque est feminea tutior unda fide, —
Das dritte und vierte Jahrhundert tra^^i in er-
schreckender Weise den Stempel des Verfalls römischer
Sitte, römischen Geistes, römischer Kultur. Die alte
Welt kämpft den Todeskampf gegen die beiden immer
gewfiltiger in sie eindringenden, immer sicherer sie zer-
bröckelnden und untergrabenden Elemente, weiche allein
die verrottete Menschheit verjüngen komiten, gegen
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Germanentum und Christentum. Das letzte Rinigen wird
durch das wuchernde Unkraut heidnischen Wahnglaubens,
wundertbät^er Zauberei und Sterndeuterei gekennzeich-
net ; oder der pantheistische Zug, der auch den tieferen
Gemütern der Zeit eigen ist, symbolisiert das höchste,
alles durchdringende Wesen mit der ägyptischen Göttin
Isis; sie wird 'die Eine, die alles ist', die Allmutter
Natur; oder es wird Sol auf den Jovisthron erhoben,
als Herr der Welten , der Anfang und das Ende.
Aus der Literatur ist der schöpferische Geist geflohen ;
beschreibende Lehrgedichte über Astrologie, Geogra-
phie, Jagd und Fisch- und Vogelfang werden fabriziert ;
kein poetischer Hauch durchweht diese Machwerke,
mag die Technik der Form oft noch so gewandt sein.
Aber wie in der Nacht der lebenslos^i Schemen ab-
sterbender griechischer Literatur einzelne Sterne blinken,
deren Glanz noch den Schein einer grossen Vergangen-
heit wiederstrahlt, so bietet auch diese trostlose Epoche
römischer Kulturgeschichte noch Männer, deren Herz
der Vorzeit und dem Glauben der Väter gehört, der Rom
einst gross gemacht hat. Zu diesen gehört das Ge-
schlecht der Symmachi, besonders der Q. Aurelius,
dessen zierlich glatte, höfliche Episteln an die des
Plinius erinnern; sie geben uns ein deutliches Bild von
dem etwas weichlich-schwächlichen Charakter ihres Ver-
fassers, der, reichbegütert, bald in seiner Villa bei
Rom, bald in denen bei- Ostia, im kühlen Tibur, in
Samnium und Apulien, ja in Mauretanien weilt ; in einer
solchen Zeit musste man noch mehr als je, — wenn
überhaupt noch Genussfahigkeit vorhanden war — den
Reiz der ländlichen Stille oder der entzückenden Land-
schaft z. B. am Golf von Bajae empfinden. 'Vom Arverni-
schen See auf buntbemalter Barke hinauszufahren in
das Meer nach Puteoli, galt noch immer als wonnevolle
Lustpartie ; über die ruhige Flut tönte von allen Schiffen
Gesang, aus den ins Meer gebauten Villen das Geräusch
froher Gelage, und weit draussen das Plätschern mut-
williger Schwimmer' ^^). Hier suchte man Ruhe und
Einsamkeit ^^ odar man gab sich mit grossen Eifer dem
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180
Jagdsport hin®*), bei dem man sich nicht mehr auf ein-
heimische Tiere beschränkte, sondern sich die wildesten
Tiere der Provinzen verschrieb, die zu beschaffen dem
Stadtpräfekten Symmachus oft Schwierigkeiten genug
machte; selbst Kaiser stiegen in die Arena hinab, die,
in einen Wald verwandelt, das mannigfachste Wild ent-
hielt. —
Unter den Dichtem glänzen Ausonius und C 1 a u -
dian ^ervor. Dieser ist der letzte Repräsentant römi-
scher Poesie nach den grossen Mustern Vergil und
Ovid; obwohl später als Ausonius, gravitiert er weit
mehr nach dem Altertum hin ; 'ein letztes Auflodern
des alten Römergeistes hat seine Seele begeistert',
während Ausonius in seinem prächtigen Idyll gleich-
sam den poetischen Gruss des Altertums unserem ger-
manischen Vaterlande zusingt®*). Er ist viel modemer
als Claudian, ja er spinnt die Fäden empjändsamer
Regungen, die uns in früheren Epochen begegneten, in
ein anmutiges Gewebe zusammen, mag der poetische
Wert auch mehr im einzelnen, als im ganzen liegen. —
Claudian ist ein überaus gewandter Improvisator, 'in
einer ästhetisch verkommenen Zeit strahlend im Farben-
glanz fast Ovidischer Phantasie und Ausführung' ^% Die
Diktion dieses eminenten Formtalentes bewegt sich
auf einem hohen Kothurn stolzer, rhetorischer Phrase,
die von der Kleinlichkeit des Gegenstandes oft seltsam
absticht. Er weiss sich nicht zu zähmen, und so zer-
rinnt das Poetische in gespreizte, aufgebauschte Affek-
tation; das Gesuchte mythologischer Gelehrsamkeit
überwuchert allenthalben die Darstellung. Mit effekt-
vollem Pomp werden die wohlbekannten Motive ausge-
stattet ; Gleichnisse ®*) werden zu Schilderungen, diese
zu Beschreibungen. An die Stelle der poetischen Be-
seelung tritt nur zu oft die frostige Allegorie, die tote
Abstraktion. Als der siegreiche Held sich lagert,
kränzt die Erde freudig ihren Herrn, und es heben sich
die Kräuter (I, 1 1 5), Roma selbst steigt aus den Lüften
zu ihm nieder; mitwissend tönt der Fels und schauert
der dunkle Hain vor der Majestät der Erscheinung
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181
(Conscia tunc sonuit rupes et inhorruit atrum Maiestate
nemus I, 125). Die Insel Delos leckt der Latona freund-
schaftlich die Füsse, es lacht de» Ägäus und bezeugt
seine Freude mit sanftem Geplätscher: insula Lambit
amica pedes ridetque Aegaeus . . et blande testatur
gaudia fluctu 1, 189®'). Die ganze Natur wird in Mit-
leidenschaft gezogen®^); selbst die Alpen schmücken
sich mit Rosen *•) ; die Winde und Wellen singen, lachen
und trauern, aber meist in allegorischen Personifika-
tionen, denen der Reiz des naturwahren Mythus fehlt.
Mit allen Hebeln alexandrinischer Weisheit wird der
alte mythologische Apparat in Bewegung gesetzt •^);
es sind aber tote Koulissenfiguren, wie der Tiberinus
(I, 216): undurchdringliches Röhricht trägt sein Scheitel,
von den Stierhörnem rieseln murmelnde Bäche, von
der Stirn tropft der Regen, der Bart löst sich auf in
Wellen u. s, f., oder wie die Nacht, die in ihrem tiefen
Schosse alle menschlichen Mühen einschläfert, und der
Schlaf, der seine schwarzen Fittige^ ausbreitet (V, 324),
oder wie die grausen Töchter der Nacht: Zwietracht,
Hunger, Alter, Krankheit etc. (III, 26).
Mit romantischem Zauber umwebt er das Liebes-
paradies der Venus auf Cypem (X, 49flf.); es ist ein
schattiger, von keinem menschlichen Fusse betretener
Hain, den nicht Regen noch Hagel noch Wind zu ver-
letzen wagen; kein Vogel wird ohne Prüfung seitens
der Göttin zugelassen; alles lebt nur der Liebe, selbst
das Laub auf den Zweigen und die Bäume sind be-
glückt durch gegenseitige Minne (Vivunt in Venerem
frondes omnisque vicissim Felix arbor amat) ; die Palmen
nicken zärtlich einander zu; es kosen und flüstern die
Pappeln, die Platanen, die Erlen; vermählt rinnen die
Quellen, und tausend Amoren spielen umher; aber dort
luiusen auch Licentia, Irae, Excubiae, Lacrimae, Pallor,
Audacia, Voluptas, Periuria . ., <üese Genossen stürmi-
scher und treuloser Liebeslust; fernab liegen herrliche
Lauben, ein Zauberschloss und ein Wundergarten mit
Amomum» Zimmet, Cinnamum und Balsam. Wenn Venus
über das Meer fahrt im Schwärme der Nymphen,
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weichen die Nebel, erglänzen auch die Alpen (v. 184)
u. s. f. — Ein ähnliches farbenreiches, mit Lüsternheit
ausgemaltes Bild von dem Reiche der Frau Venus
findet sich XXXI. — Von imposanter Anschauung
zeugt die Höhle der Ewigkeit (XXII, 424): den Men-
schen unerreichbar, ja selbst den Göttern kaum zu*
gänglich, entlässt sie aus ihrem ungeheuren Schosse die
Zeiten und ruft sie wieder zurück ; eine gewaltige
Schlange umgiebt die Höhle; als Wächterin sitzt am
Vestibül die uralte Natur mit stattlich schönem Antlitz
(vultu longaeva decoro . . Natura), an allen Gliedern
hangen flatternde Seelen herab . . . Dorthin kommt Sol;
Natura öffnet, und da sieht er sitzen von verschiedenem
Metall die Jahrhunderte, die Schar der vergangenen
und zukünftigen Jahre.
Mit Naturunmöglichkeiten und Naturwundern spielt
Claudian gern*') und häufig vindiziert er der Natur in
bukolischer Art sympathetische Regungen **) ; am zarte-
sten und modernsten in dem Preise der Serena (XXIX)^
welche die Hören nährten und die Grazie sprechen
lehrte: 'wohin du auch kröchest, ergossen sich Rosen
und sprossten Lilien^ (89 Quacumque per herbam Rep-
tares, fluxere rosae : candentia nasci Lilia) ®*), und wenn
sie in sanften Schlummer gesunken, erhebt sich der
Purpur des Veilchens als weiches Blumenlager.
Glänzend sind besonders die Schilderungen im 'Raub
der Proserpina%* die Beschreibungen sind kleine Kabi-
netstückefür sich, wie die des Ätna PCXXIII, i6ofF.), des
Grewebes, in das die liebevolle Tochter für die heim-
kehrende Mutter Luft und Erde und Meer und Sterne
hineinstickt (245 (F.), und vor allem der reizvollen, blumen-
reichen Waldwiese von Henna (XXXV, 72), nicht fem
vom kry stallklaren Pergus-See (101 ff.); hier wird alles
zusammengehäuft, was irgend nur zur Schönheit der
Landschaft beitragen kann: der fruchtbare Hybla, das
weihrauchtragende Panchaia und der duftige Hydaspes
werden hier übertroffen; da rieseln Quellen nrit flinken
Bächen durch tauige Gräser; der schattenkühle Wald
mildert die dörrende Sonne; hier wachsen alle Baum-
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18S
und BliMnenarten ü. s. f. Noch viel herrlichere Wieis^e»
und Blumen verheisst der glückliche Räuber der troet**
losen Jungfrau (286 fF.). Als Brautföhrerin steht die
stemenblitzende Nacht (stellantes nox picta sinus) im
Gemach und segnet das Ehelager. — Wie kalt und nüch-
tern aber ist diese Personifikation im Vergleich mit der
ähnlichen bei Musaios •*), wo Schweigen das Lager der
Liebenden bereitet, Finsternis die Jungfrau schmückt
Uöd die Nacht des Brautfestes Rüsterin ist. Der Römer
schafft eine leibhaftige, aber leblose Figur, ein Phan-
tom, bei dem Griechen Weibt die Beseelung freier, ästheti*
scher, schöner Schein! —
Das Deskriptive, Naturbeschreibende überwiegt in
den kleineren Dichtungen des Claudian vom Vogel
Phönix, vom Igel, vom Zitterrochen, von den Schwefel-
quellen bei Patavium, vom Nil, vom Smymäer Hafen,
vom Magnet u. s. f. — In allmn zeigt sich jedoch ein
Talent, das einer besseren Zeit würdig gewesen wäre. —
Doch unter den besicdireibenden Dichtungen der
sinkenden Literatur gebührt der Preis der Mosella des
Ausonius. Sie ist ein landschaftliches Eidyllion, ein
mit Wärme und Liebe entworfenes Bild von den schönen
Ufern und Rebenhügeln des malerischen deutschen
Stromes, zu dem zu wandern den Dichter nicht die Scheu
vor pfadlosen Wäldern zurückhielt, die noch keine Spur
menschlichen Fleisses verraten (v. 5). — So schwerfallig oft
der Ausdruck ist, so dürr und trocken die didaktischen
Aufzählungen der Moselfische (85 — 149), die Belehrung
über den Fischfang (240 ff.) und die Nebenflüsse (351 ff.),
so erquickend sind die poesie- und empfindungdurch-
drungenen Intermezzi^von den Reizen der Flussufer.
Den nebligen Strom der reissenden Nava hat er
überschritten, Nivomagus verlassen, wo die Luft so rein
imd das Licht so heiter ist, ^nicht mehr durch das Ge-
gitter von dichtversehhingenen Zweigen' (consertis per
mutua vitiGula ramäs) gehemmt; da erblickt er die an-
mutige Strömung der in murmelndem Lauf (tacito ru-
more) gemach hingleiteßden Mosel. 'Sei mir gegrüsset,
o Strom (Salve amnis!), . . Strom, dessen Hügel umher
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184
bepflanzt mit duftigem Bacchus, Strom mit dem grünen-
den Saum der mattenreichen Gestade' :
Anmis odorifero iuga vitea consite Baccho,
Consite gramineas amnis viridissime ripas.
Mit selten feinem, träumerisch sich versenkendem
Verständnis für die im Kleinen, ja fast im Verborgenen so
zart sich offenbarende Zauberhand der Natur beobachtet
der Dichter die geheimnisvolle und doch so krystall-
klare, nichts verhehlende Flut (Spectaris vitreo per levia
terga profundo Secreti nihil amnis habens v. 55), deren
Wellen ebensowenig, wie die spielenden Lüftchen den
Auf blick zum heiteren Himmel hindern, es wehren, in
die heimliche Tiefe zu schauen : Sic demersa procul, du-
rante per intima visu, Cemimus arcanique patet pene-
trale fluenti; er beobachtet die in bläulichem Schein
hellflimmemden Ge3taltungen (caerulea dispersas luce
figTiras), die feinen Zeichnungen der sanft rinnenden
Welle im Ufersand und das Nicken und Zittern der
Gräser in der grünenden Tiefe, das Flimmern und
Blitzen der Steinchen im Moose des Grundes,
. . Wie sich kräuselt der Sand, durchfurcht von
leiser Bewegung,
Wie die Gräser gebeugt auf grünlichem Grunde er-
zittern :
Und wie nickende Hälmchen in nicht erkünsteltem
Quelle
Dulden das sanft sie rüttelnde Nass ; es glänzet und
blinket
Der Kiesel im grünenden Moose . . " .
Quod sulcata levi crispatur arena meatu,
Inclinata tremunt viridi quod gramina fundo;
Utque sub ingenuis ag^tatae fontibus herbae
Vibrantes patiuntur aquas, lucetque latetque
Calculus et viridem distinguit glarea niuscum;
ebenso v. 72: . . Unter der freudigen Flut der stillen
Moseila
Zeigt hingestreuete Steinchen das nicht einfarbige
Flussgras :
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. . placidae subter vada laeta Mosellae
Detegit admixtos non concolor herba lapillos.
Für das Wellenspiel und die Reflexe der Flut hat der
Dichter weit mehr Interesse als für die Werke eitler
Kunst — ^geh nun, täfle mit Phrygergestein geglättete
Böden . . ., ich will dein Werk bewundern, Natur^ (48 f.).
Die Rebengelände (naturale theatrum) mahnen ihn an
die seiner Heimat, welche die blonde Garonne zieren
(160); vom Winzerlied hallt der Fels imd der bebende
Wald und rings die wogende Strömung (adstrepit illis
Et rupes et silva tremens et concavus amnis); doch
nicht Menschen allein ergötzt die prangende Landschaft,
Satyrn und Nymphen, Oreaden und Faune treiben am
Ufer und im Strome ihr ausgelassenes Spiel — sie bil-
den den Stimmungshintergrund zu dem Landschafts-
bilde! — Der romantische Sinn des Dichters für das
geheim-Ehrwürdige, das in der dunklen Tiefe verborgen
ruht, für das Malerische der im Strome sich spiegeln-
den Ufer, der im krystallklaren Wasser traumhaft nicken-
den Reben, deren Bild in der Mitte des Flusses ver-
schwimmt, und der Abendbeleuchtung verrät sich v. 189:
Frei zu gemessen die Pracht ist vergönnt, wenn den
schattigen Hügel
Spiegelt der bläuliche Fluss, von Belaubung. scheinen
zu grünen
Rieselnde Wellen und rebenbepflanzt die lautere
Strömung.
Welche Farbe der Flut, wenn dämmernde Schatten
herbeiführt
Hesperus und er begiesst mit dem grünenden Berg
die Mosella!
Anhöhn schwimmen in rinnender Welle , es zittert
die ferne
Rank', und schwellend erscheint die Traube in blinken-
der Tiefe,
. . inmitten des Flusses das Bild des Hügels ver-
schwinmiet,
. . wo im Strom sich vereinen nachbarlich die
Schatten:
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lUa fruenda palam species, cum glaucus opaco
Respondet colli fluvius, frondere videntur
Flunrinei latices et palmite consitus arnnis.
Quis color ille vadis, seras cum protulit nmbras
Hesperus et viridi perfundit monte Mosellam!
Tota natant crispis iuga montibus et tremit absens
Pampinus et vitreis vindemia turget in undis . .
Per medium, qua sese amni confundit imag^
Collis et umbrarum confinia consent amnis.
Dieses feine Gefühl für Spiegelung und LichtefFekte bricht
auch V. 2 19 in dem Gleichnis von dem Seekampf hindurch,
den die dunkle Meerflut in grünlichem Bilde reflektiert
(Caeruleus viridi reparat sub imagine pontus), und von den
rudernden Knaben, die sich ergötzen, wenn die eigenen
Formen und die buntbemalten Barken, von der Glut
Hyperions übergössen, die krystallene Tiefe täuschend
abspiegelt: Ipsa suo gaudet simulamina nautica pubes»
Fallaces fluvio mirata redire figuras**). Dem Strand
von Sestos, Chalcedon und Ephesos, ja selbst von
Bajae vergleicht Ausonius die Reize der Mosel-
ufer, wo Villen mit ragendem Giebel sich erheben, an
Felsen hangend (283), die Zier des Flusses (fluvii deco-
ramina 320), von denen der Blick über Bebautes und
Rauhes (per culta, per aspera 325) weit in die Lande
hinausschweift.
Zusammenfassend bekennt er : 'So prangende Schön-
heit und Anmut Locket — und dennoch erzeugt der
G^nuss nicht üppigen Aufwand' (tantus cultus nitorque
AUicit et nuUum parit oblectatio luxum). — Von dem
Strom, den er dem Bruder Rhein empfiehlt (430),
scheidet er mit dem Gelöbnis:
Dich wiH bläulichen Seen, dich laut hinrauschenden
Strömen
Ich anpreisen, dich ihr, der meeresgleichen Ga-
rumna. —
Wir sehen, der schöne deutsche Strom hat es dem
römischen Dichter aus Burdigala angethan; mit der
Zartheit und träumerischen Beobachtung germanischen
Naturempfindens, — ab ob der deutsche Strom es ihm
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eingegeben — , entwirft er die malerischen Reize der
rebenumgürteten, villenbekränzten , sonnenumflossenen,
in der krystallenen Flut sich wiederspiegelnden Fluss-
ufer. — Ein allemannisches Mädchen, eine schone
Sklavin, wird seines Herzens Herrin. Wie er der Mo-
sella Gestade dem Strande von Bajae vorzog, so nun
auch die blonden Haare und die blauen Augen eines
deutschen Mädchens jeder römischen Schönheit; um
das Bild seiner Bissula zu malen, mahnt er den Künstler,
müsse er Rosen und Lilien mischen: Ergo age, pictor,
Püniceas confunde rosas et lilia misce.
Germanenland und Germanenminne haben dem Au-
sonius das Herz gestohlen. — So weist er aus dem
sinkenden, absterbenden Altertum in die neu erstehende,
auf Trümmern erblühende germanische Welt hin-
über! —
Eine ganze Welt Hegt zwischen EnnitiÄr und Auso-
nius. Das Kulturleben eines gewaltigen, den Erdkreis be-
herrschenden Volkes hat sich zwischen diesen beiden
Polen der Literatur abgespielt. Wie mannigfache Em-
pfindungstöne mussten angeschlagen werden, sich mit-
einander vermischen und verweben, um so melodiöse
Stimmungsbilder hervorzuzaubern, wie sie in des Auso-
nius Mosella uns umklingen ! Die ganze Skala des G^*
mütslebens einer reifenden, an geistiger Bildung wachsen-
den, sich vertiefenden und verinneriichenden Valksseele
findet ihren Wiederhall in diesem Entwicklungsprozess,
der von den trockenen oder ganz rhetorischen, mühsam
den griechischen Originalen nachgedichteten Schilde-
rungen der Tragiker zu dieser interessanten Refeebe-
schreibung und ihren malerischen Einlagen anmutigster
Landschaftsdichtung hinaufleitet* Es ist ein weiter
Weg, den wir durchmessen haben und jetzt noch ein-
mal überschauen wollen, ein Weg, der zwar durch nicht
so poesiedurchduftete Gefilde wie bei den phantasie»
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188
vollen Griechen führt, — auch fügte sich nicht wie bri
diesen in so genetischer Folge ein Glied an das andere
in der Kette des Werdens und des künstlerischen
Schaffens — : aber trotzdem lassen sich die Phasen des
gesamten Entwicklungsganges sowie das Fortschreiten
der einzelnen Anschauungen und Gefühlsweisen deut-
lich aufzeigen.
Die römische Mythologie wurzelt zu sehr im Ver-
standesmässigen, manifestiert sich zu sehr im Kultus,
in praktischen Ceremonien, als dass sie mehr verraten
konnte als das geheimnisvolle Ahnen höherer Mächte
in den Regungen des Naturlebens, als das ehrfurchts-
volle Bangen vor Dämonen, die im Waldesdunkel lauem
oder in Naturstimmen zu den Menschen vernehmlich
reden. Der junge römische Dichtergeist schöpft alle
Kraft aus dem reichen Born hellenischer resp. helleni-
stischer Poesie; die Bestrebungen der Dramatiker sind
gleichsam die ersten Gehversuche der römischen Muse ;
wohl finden sich nicht ganz wirkungslose Schilderungen
des Landschaftlichen, Gleichnisse und Metaphern aus
dem Naturleben, — doch der Reiz des Naturschönen
selbst ist noch nicht aufgegangen; auch das Landleben
wird nur vom rein ökonomischen Standpunkte aus be-
trachtet. Der geniale Lucrez weist andere Bahnen.
In seinem grossen Werke Vom Wesen der Dinge'
liegen gar manche Keime, die eine spätere Zeit erst
zur Blüte brachte. Er legt den Grund zur Naturer-
kenntnis, die ein so wichtiger Pfeiler auch des ästheti-
schen Naturgenusses ist; er zeigt schon die ersten
Spuren einer idyllischen Empfindungsweise; aber es ist
nicht Sympathie für die Natur selbst, die ihn hinaus-
treibt in den lachenden Frühling, sondern seine herbe,
melancholische Weltanschauung, die ihn den Göttern
entfremdet und das Getriebe der Groszstadt fliehen
lässt ; er weiss zuerst in lebenswahren Strichen die Na-
turphänomene, besonders die erhabenen, grossartigen,
überwältigenden, kraftvoll und markig zu entwerfen,
Bewimderung des Ganzen wie des Einzelnen führt ihm
den Griflfel bei der Zeichnung der farbenreichen Illu-
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189
strationen zu den didaktischen Erörterungen. Cicero
schreitet fort auf dem Weg-e wissenschaftlicher und
ästhetischer Naturbeobachtung; nannte Lucrez Berge
und Felsen und Wildnis unnütze Schöpfungen der Na-
tur, so zählt Cicero schon zu den bewundernswerten
Erscheinungen neben dem Lieblichen auch das Rauhe,
Wilde, Weite und die Herrlichkeit des unendlichen
Meeres und preist und schildert die Anmut seiner hei-
matlichen Landschaft, doch vor allem den Reiz der Ein-
samkeit und Stille auf seinen Landsitzen. Catull ist
der erste Lyriker der Römer ; bei ihm wird das lyrisch-
S3rmpathetische Naturgefühl geboren; hier und da be-
gegnen zarte Vergleiche, stimmungsvolle Beseelungen,
und das Landschaftliche liefert den harmonisierenden
Rahmen für die Gemütsregnng oder wird mit ihr sinnvoll
verwoben. Sympathie für die Natur und Liebe zum
Landleben bilden einen der Hauptreize Vergilischer
Dichtung; mit hoher Kunst und feinem Sinn lässt er
die landschaftlichen Arabesken in reicher Ausmalung
sich um seine bukolischen wie epischen und didakti-
schen Gebilde schlingen; ja bisweilen erscheinen Natur
und Gemüt als zwei gleichgestimmte Saiten, aus denen
harmonische Töne herüber- und hinübertönen. Auch
klingt schon das elegische Moment hindurch, das dann
bei Horaz und den Triumvim der römischen Elegie
zu einem leitenden, immer wieder hindurchbrechen-
den Motiv wird, — im Verein mit dem Idyllischen
und Erotischen. Des Horaz Dichtung ist wesentlich
Gedankenlyrik, so auch in seiner Naturpoesie ; das Social-
Ethisch- Ökonomische tritt am vollständigsten in dem
krystallhellen, freundlichen Quellbilde der Bandusia zu-
rück. Seine aufrichtige Leidenschaft für das Stillleben
auf dem Lande setzt gleichsam in die Musik wohl-
lautender Distichen der liebenswürdige TibuU mit dem
weichen, träumerischen Poetengemüt. Das empfindsam-
Modernste bieten in sympathetischer Naturauffassung
sowie in dem Zusammenspiel von Liebe und Landschaft
Properz und Ovid. Der Wald mit seinen Bäumen und
Vögeln wird der Trost in der Einsamkeit des Ver*
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190
A , lassenen, oder die Sterne und der Frühtau werden zu Zeu-
gen für die Wahrheit des Empfindens ; ja die Bäume selbst
IcÄnnen, was Liebe ist und wie verlorene Liebe sclunerzt;
die Rinde trägt den Namen der Geliebten; Hügel müssen
sich vor ihr neigen, Ströme im Laufe inne halten ; oder
gar das Laub soll trauernd sinken, dort, wo das ge-
knickte Gras noch von der süssen Liebesstuiide kündet
und wo nun die Einsame weint. Vergleiche und Metaphern
werden reflektierter, bedeutsamer und sentimentaler;
die dahineil^aden Jahre gleichen den gleitenden WeUen
— Eilet die Welle dahin, so rufst du nimmer sie wie-
der — . 'Es schwinden, es fallen Die leidenden Menschen
Blindlings von einer Stunde zur andern Wie Wasser
von Klippe Zu Klippe geworfen Jahrlang ins Ungewisse
hinab^ — so zieht Hölderlin die moderne Konsequenz
des Ovidischen Gedankens. — Die Unendlichkeit des
Ichs, die Selbstherrlichkeit des Geistes ist aufg^angen ;
das eigene Herz wird als das höchste, allein unverUer-
bare Besitztum erkannt. Selbst die Landschaftsmalerei
zeigt diesen 'ahnui^svoUen Dämmerschein des Geistes^
und stellt sich stimmungsverwandt mit der Empfindungs-
weise der Dichter dar. — Mit den in jeder Hinsicht
gesteigerten Kulturverhältnissen der Kaiserzeit wächst
auch die Empfindsamkeit des Naturgefühls ; je unerfreu-
licher die Umgebung ist, desto tiefer versenkt sich der
Mensch in sich selbst ; die Naturbetrachtung, die wissen-
schaftliche Erkenntnis der Naturphänomene übt ihren
Reiz aus und hebt über alles Niedere der Erdenwelt
hinweg: im Anblick der ewigen Himmelsräume, wo die
lichten Sterne in steter Harmonie dahin wandeln, und
des vom Schauer des göttlichen Numen durchzitterten
Hains findet das von der Gegenwart unbefriedigte Ge-
müt Frieden und Freude. Seneca ist durch und durch
Pantheist. Auch Lucan hat eine hohe Vorliebe für
jene Stätten und Erscheinungen in der Natur, die ge-
heimnisvoll, majestätisch, wild und erhaben sind.
Wie das Vergilische Idyll durch ungeschickte Dilet-
tanten übermalt und karikiert wird, so leuchtet sein
Epos allen Dichtern der Folgezeit als Muster vor ; aber
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191
selbst ein Flaccus bietet modernere Farbentöne; doch
mit grösserem Talente Statins. Glänzend schildert er
den Reiz prachtvoller Villen, und manche feinen Striche
verraten ein sinniges Verständnis für die verborgenen
Schönheiten der Natur, Auch Martial bietet manch
anmutiges Landschaftsgedicht; (loch der interessanteste
Repräsentant der damaligen Zeit ist der jüngere Plinius
mit seiner weichen, schwämaerischen Leidenschaft für
die Einsamkeit, für das Träumen im schattig kühlen
Gemach, an das die Wogen mit leisem Gemurmel
plätschern, oder im Wald und am Bach, mit seinem
offenen Auge für das Ganze der Landschaft, für die
weiten Fernen sowie für das geheime Weben der
grossen Künstlerin Natur an Seen und Waldquellen.
Mit Hadrian und Apulejus eröffnet sich das Rococo
römischer Literatur; überraschend wirkt die modern
gesteigerte Sympathie, welche zwischen dem Helden
des goldenen Esels und dem Mondschein und der ganzen
lachenden Frühlingsnatur besteht. Römischer Geist
klingt noch durch manches Gedicht der Anthologie, das
Motive der Vergangenheit verschmilzt und umprägt;
das letzte Zusammenraffen des grossen geistigen Erbes
verrät das grosse Improvisatortalent Claudian's, während
Ausonius auch in der Tiefe und Zartheit seines Natur-
empfindens zu den Germanen und somit in eine neue
Welt hinüberzeig^.
Wer wollte auch im Verfolg der einzelnen Motive
eine zum Modernen aufsteigende Stufenleiter der Em-
pfindungsweisen verkennen ? Nüchterne, aus dem Griechi-
schen übersetzte Schilderungen werden allmählich zu
immer feiner mit der Handlung in Beziehung gesetzten
Hintergründen und endlich zu reinen Landschaftsbildern
imd Beschreibungen. Das Naturerkennen spielt immer
bedeutungsvoller in die Gefühlsweise hinein von Lucrez
und Cicero bis zu Manilius und Seneca. Das Sympa-
thetische erfährt eine deutliche Steigerung von CatuU
und Vergil bis zu Ovid und — Apulejus. Die Wild-
nis ist dem Lucrez ein Greuel ; später wird das Schaurige
zum beliebten Gegenstand der Schilderung, bis es zur
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192
Zeit Seneca's sogar direkt aufgesucht wird, wenn auch
nur des Kontrastes und der Abwechslung willen. Jene
stillen, aber so intensiv malerischen Reize des Natur-
lebens, wie sie in Lichtreflexen sei es auf dem Wasser-
spiegel oder in den Waldschatten sich verraten, werden
mit wachsendem Interesse und Verständnis belauscht von
Vergil bis Statins, Plinius und Ausonius. Wie viel empfind-
samer wird die Liebe zum Landleben, zuerst im Gegen-
satze zur Stadt, dann um seiner selbst willen ! Die Natur
wird eben schliesslich nicht mehr aus ausser ihr liegen-
den Gründen gesucht und geliebt, sondern lediglich um
ihrer eigenen, erhabenen Schönheit und um ihres stillen,
wunderbaren, geheimnisvollen Zaubers willen. —
Aber auch unsere Untersuchungen haben wieder
klar gelegt, wie sehr die romische Literatur ein Nach-
hall der griechischen ist; und wer möchte leugnen,
dass die grössere Wärme und Ferve des Ausdrucks,
die intensivere Innigkeit und die reichere Abwechslung
der Empfindungsweisen sich in den Dichtungen der
Griechen findet, dass der Farbenschmelz ein ungleich
zarterer, duftigerer bei den Hellenen ist? Mag der
Römer in seinem angeborenen architektonischen Sinn
^landschaftlich besser komponieren'*®), nur selten ge-
lingen ihm die rein lyrischen Motive in der Feinheit
der griechischen Poesie. Stellen wir z. B. nur die
Reihen der Beseelungen, der Vergleiche des Geistigen
und Natürlichen u. ä. in beiden Literaturen einander
gegenüber, wie viel stimmungsvoller, seelenvoller ver-
schmelzen die Griechen die Regung des Herzens mit
dem Landschaftlichen, wie viel beziehungsreichere Ana-
logien weisen sie auf und welche mannigfaltige Fülle
der die Natur belebenden Metaphern! Gerade hierin
bieten dagegen die Römer eine ärmlich monotone Skala ;
das Abstrakte liegt zu sehr in ihrem Blut, an Stelle
poesievoller Beseelungen tritt zu oft die tote Alle-
gorie. — Aber eins ist auch hinwiederum, hoffe ich,,
evident geworden : trotz der geringeren Innigkeit des Ko-
lorits füllt die römische Dichtung, besonders die Elegie, nicht
nur eine Lücke der griechischen Literatur: aus, so dass
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uns durch sie erst das völlig Empfindsame des Natur-
gefuhls der hellenistischen Zeit recht deutlich wird, son-
dern sie haben auch auf dieser von den Alexandrinern ihnen
gewiesenen Bahn manchen bedeutsamen Schritt nach dem
Modernen hin fortschreitend gethan •''). Die augusteische
Poesie sowohl wie Prosa und Dichtung der Kaiserzeit
zeigen manche Empfindungsweisen, die bei den Griechen
erst leise anklangen; sie schwingen nun weiter fort und
nähern sich unserer heutigen Gefühlsart; so der Sinn
für das landschaftliche Ganze und für die weite Ferne so-
wie für den heimlichen Reiz, der um Wald und Wasser
webt, für die Lichtreflexe und für das Dunkel des schatti-
gen, schaurigen Hains ; so die Lust, zu rudern, zu fischen,
zu jagen, zu träumen und die Leidenschaft, zu reisen,
die sogar zu der allerdings noch für krankhaft geltenden
Neigung führte, selbst wilde, öde Gegenden aufzusuchen,
um grossartig grausige Eindrücke mit lieblichen abwechseln
zu lassen. — Kann bei alledem noch das Urteil Friedlän-
der's **) bestehen, d^s auf Grund des — vermeintlichen —
Mangels an einer Landschaftsmalerei dahin formuliert wird :
*Vor allem fehlt ganz und gar — und dies ist der wesent-
lichste Unterschied zwischen der heutigen und der antiken
Naturbeschreibung — die Hervorhebung der Wirkungen
des Lichts und ihrer Modifikationen durch das Medium
der Luft. Nicht dass bei Naturbeschreibungen der Alten
klarer Sonnenschein, trüber Wolkenhimmel, Mond- und
Sternenlicht unerwähnt bleiben. Aber von dem eigen-
tümlichen Charakter, den die Landschaft und ihre Teile
durch die Beleuchtung erhalten, ist nirgend die Rede,
nirgend von den verschiedenen Wirkungen der Nähen
und Fernen^!? Gewiss blieb äem Altertum das Gefühl
für ^all die Abstufungen, die zwischen einem kalten
Mondlicht und der Glut der Abendsonne liegen, für die
wundervollen Farben, in die sich im Süden morgens
und abends der Horizont und ferne Berge tauchen und
die vom zartesten Rosa durch alle Grade zum tiefsten
Blau gehen' — , in der modernen Vertiefung und Zartheit
noch verborgen ; aber wer möchte in den betreffenden
Schilderungen von Vergil bis Ausonius wenigstens An-
Biege, die Entwicklung des NaturgefüMs bei den Römern. 13
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satze und Keime unseres modernen, malerischen und
romantischen Natursinnes verkennen ? — Erst eine lange
Entwicklungskette führt von dem sinkenden Altertum
durch die Renaissance hinüber zu einem Naturgefühl,
wie es das Ende des i8ten Jahrhunderts geboren und wie
es seine Vertreter in Rousseau und Gothe gefunden hat.
Was bei den Alten in der Hülle der Knospe schlummerte,
erwacht dann zur vollen, üppig duftenden, ja manche mit
ihrem Duft berauschenden Blume. Nicht fremd ist dem
Altertum jene ^subjektive Betrachtung, die in den un-
endlich mannigfaltigen Erscheinungen der Sinnenwelt
Spiegelbilder der eigenen wechselnden Zustände er-
blickt^ — wie Friedländer meint •^ — ; aber erst mit der
Neuen Heloise und mit Werther ist die ganze, volle,
moderne Subjektivität auf den Thron des Fühlens und
Denkens erhoben worden; erst von da ab blüht und
glüht und duftet die Dichtung von einem Naturgefühl,
das entweder in religiöser Andacht in jedem geringsten
Teile der Schöpfung eine Offenbarung der Allmacht
Gottes preist oder mit schmerzlicher Sehnsucht und
mit süssem Träumen in die stille Poesie des Pflanzen-
lebens, der Wolken, des Schnees und des Reifs, der
Dämmerung und des Abendsonnengoldes, der blauen
Femen mit den schimmernden Gletschern, des weiten
Oceans oder der smaragdenen Seen am Fusse der
Bergesriesen sich versenkt, das in allem und jedem einen
Teil der eigenen Seele oder die Hülle eines göttlichen
Gedankens erblickt, wie Klopstock singt:
Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht,
Auf die Fluren verstreut; schöner ein froh Gesicht,
Das den grossen Gedanken
Deiner Schöpfung noch einmal denkt.
Doch wie ein so tief innerliches und erhabenes, ein so
subjektives und andachtsvolles Näturgefühl entstanden,
welche Brücke sich vom Altertum zu dem Zeitalter
Göthe's, Byron's und Shelley's herüberspannt, das dar-
zulegen, ^®^) möge — wenn die Götter günstig sind und
die Kräfte reichen — späteren Untersuchungen vorbe-
halten sein.
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Anmerkungen.
^) Vgl. Mommsen, römische Geschichte® S. 27.
*) Lotze', Mikrokosmos III*, 304.
*) Prell er, römische Mythologie^ S. 5.
*) Preller a. a. O. S. 334; wenn er aber S. 95 im eigentümlichen
Gegensatze zu den Urteilen und Vorurteilen früherer Forscher über das
Naturgefühl der Alten behauptet: * Überhaupt hatten die Alten zwar nicht
den landschaftlichen Natursinn, der bei uns durch Kunst und Poesie so
weit ausgebildet ist; wohl aber hatten sie weit mehr Sinn für das
Dämonische in der Natur, wie es sich in der Stille des Waldes, zwischen
ragenden Bergen und murmelnden Quellen offenbart und auf jedes em-
pfängliche Gemüt mächtig wirkt' : so ist der erste Teil dieser Behauptung
dahin zu berichtigen, dass der landschaftliche Natursinn der Alten nur
graduell von dem unsrigen verschieden ist, und der zweite dahin, dass
ein abergläubisches, dumpfes Ahnen des Göttlichen in der Natur noch
gar weit entfernt ist von dem modern-romantischen Naturgefühl, das in
dem Wilden, Einsamen und Schrecklichen der Naturerscheinungen ein
Dämonisches entdeckt und mit schauervollem Entzücken sich an den ge-
waltigen Eindrücken weidet. Bei den Griechen sahen wir, wie die Blüte
der hellenistischen Sentimentalität an die moderne Romantik heranstreifte;
im Laufe dieser Erörterungen wird es sich erst ergeben, ob bei den Rö-
mern der Begriff des Naturschöuen sich nur auf das Liebliche, Heitere,
auf das amoenum beschränkte, wie Friedländer, Darstellungen aus der
Sittengeschichte Roms II, S. 113 ausführt.
^) Ribbeck, die römische Tragödie im Zeitalter der Republik.
Leipzig 1875.
•) Cum Sit flavus color viridi et albo mixtus, pulcherrime prorsus
spumas virentis maris flavom marmor appellavit.
') Vergl. Entw. des Naturgef.*s d. Gr. S. 36.
») Vergl. E. d. N. d. Gr. S. 46fr., speziell S. 55.
*) Vergl. Ribbeck a. a. O. S. 157; wie widersinnig, hölzern und
abstrakt sind besonders die Worte: * siehe auf diese That, ehe sie geschieht' !
*<*) So nach Ribbeck a. a. O. S. 257, nicht Chryses.
13*
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196
^') Vergl. Wörmann, über den landschaftl. Natursinn S. 85 nnd
86; er beginnt seine Ausfüllrungen über die Römer S. 81 mit einer Be-
trachtung des Kunstsinnes und der Mythologie der Römer, wendet sich
S. 84 zu der Naturanschauung Cicero's, woran er kurze Erörterungen über
Plautus und Terenz anschliesst ; auch das übrige behandelt er nur summarisch ;
Secretan hebt zwar einige Stellen aus den Fragmenten heraus, schliesst aber
cap. I mit der Phrase S. 37 : 'Le sentiment de la nature, s*il est permis de s'ex-
primer ainsi, 6tait encore condens6 dans la religion, il n*avait pas encore im-
pr6gn6 la litt^rature de son bienfaisant parfum'. Im darauffolgenden 2ten Ab-
schnitt verkennt er völlig S. 38 ff. das Wesen des griechischen Naturgefühls ;
man vergleiche mit unseren früheren Ausführungen Sätze wie folgende S. 39 :
'Pour sympathiser avec la öature, pr6cisement parce qu*elle est la nature,
il faut s*en sentir plus s6par6s que ne T^taient les Grecs' ... — vergl.
S. 119 'II faut se rösigner ä en convenir, la principale raison de cette
absence de paysage (der Landschaftsmalerei), c'est le manque d*int6rgt
pour la nature en elle-m^me, en Gr^ce plus encore (!) qu'ä Rome : la nature
ne trouve gräce pour ainsi dire qu*4 condition de se personnifier dans la pein-
ture*. Auf die — überall des Korrektivs bedürftige — Betrachtung des
griechischen Naturgefühls folgen S. 43 ff. schon diese Überschriften: in-
fluence d'Auguste; grand nombre de villas; localites en vogue; voyages
nombreux; rapidit6 relative; auberges; voyages d'affaires, d'^ducation, de
sant6; intin^raire restreint des touristes romains etc., S. 51 Lucr^ce,
Virgile, Horace. — Im Übrigen ist es nicht meine Absicht, die Resultate
der eigenen Untersuchungen mit denen des nicht sehr tief ein-
dringenden Franzosen zu messen, der vor allem in der Verschiebung der
einzelnen Epochen gefehlt hat. — Alex. v. Humboldt findet bei den
Römern noch spärlicher als bei den Griechen die Äusserungen eines
landschaftlichen und poetischen Natursinnes ; 'die mehr praktisch nüchterne
Anlj^e, die Sprache mit einer mehr realistischen Tendenz und der
entfremdende Hang, griechischen Vorbildern nachzustreben, waren dem
entgegen; aber von Vaterlandsliebe getragen wussten kräftige Geister
durch schöpferische Individualität, durch Erhabenheit der Ideen wie durch
zarte Anmut der Darstellung jene Hindemisse zu überwinden Kosmos
II p. 16. — Die sonst landläufige Ansicht über das Naturgefühl der
Römer spricht am drastischsten H e h n (vergl. m. Sehr. Naturgef. der Gr. S. 6)
aus, Italien® S. 55: 'Die Römer betrachteten die Natur immer nur unter
dem Gesichtspunkte des Kulturzweckes. Wenn sie freiwillig oder ge-
zwungen den Aufenthalt in der Stadt mit dem auf dem Lande vertau-
schen, da jammern die einen über den Verlust alles dessen, was der Auf-
merksamkeit des Menschen würdig ist, die anderen freuen sich der Ein-
samkeit, in der die Laster und die Geschäfte der Hauptstadt nicht unbe-
quem werden. Die Alpen, die sie so oft zu übersteigen hatten, erscheinen
ihnen nicht gross und herrlich, sondern hassenswert, weil unwegsam und
gefahrlich (Humb. a. a. O. 24); das Meer ergreift sie nicht durch Er-
habenheit, sie verabscheuen es als todbringend ; vor der Tiefe des Waldes
schaudern sie und denken sich dort den Sitz der schrecklichen Göttin,
die mit Menschenopfern besänftigt wird . . . Auf ihren Villen suchten
und fanden die Römer nicht Umgang mit der Natur, sondern in Gärten
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197
und Gebäuden und unter Sklaven den Genuss gesteigerten Luxus und
ungestörter Selbstherrschaft' vergl. S. 249, 258 fr.
Laprade, Le sentiment de la nature avant le christianisme ' Paris
1866 behandelt I, S. 375 — 416 die Römer in seiner in N. d. Gr. Einl.
charakterisierten Weise; ich hebe aus den allgemeinen Erörterungen
Folgendes heraus: 'II ne fut pas donn^ aux Latins de contempler la na-
ture dans les splendeurs du monde vierge; Rome ne la connut et ne
l'adora qu'en des images venues d*ailleurs' ; er sucht stets nach *r61ement
religieux, mervcilleux, sumaturel, Tintervention de Tinvisible, la prisence
«t Vaction de Dieu ou des dieux . . . Les rapports etemels du coeur
avec la nature, les hannonies de nos passions, de nos diverses situations
morales avec les phenomines, avec les sites de Vunivers, demeurent, il
«st vrai, enti&res et toujours Vivantes, et avec elles mille ressources de
profunde po6sie. Mais cet ordre de sentiments, presque toujours m^lan-
coliqnes, se montre fort peu dans Vantiquit^ latine' etc., er behandelt be-
sonders Lucrez, Vergil bis S. 407, Horaz 408, Elegiker 410, Ovid 412,
Lucan 415.
Hinsichtlich der sonstigen Literatur über unsere Frage verweise ich
auf die Einleitung zum ersten Teil über *die Entw. des N. bei d. Grr.' —
»«) N. d. Gr. S. 62.
'*) Vergl. n, 557: Infidi njaris insidias virisqne dolumque . . Subdola
cum ridet pladdi pellacia ponti. Lucrez teilt somit die Abneigung gegen
die Seefahrt mit den attischen Komikern und manchem Alexandriner;
▼ergl. auch Plaut. Menaechn. II, v. i u. Ter. Hec. 416.
") Treffend sagt Laprade a. a. O. S. 379: 'Lucrice est par-dessus
tout un puissant icrivais; la force lui appartient comme la gräce appar-
tient ä Virgile; il a le plus grand style entre tous les poetes latins' —
aber auch: 'le poeme de Lucröce ne peut itre lu sans une Enorme fati-
gue' trotz der 'passages admirables, des Eclairs de sentiments yrais, des
«xpressions aussi pittoresques qne la pens6e est fluide et fugitive'. Das
Endurteil ist wie immer: 'Dieu et Tdme sont absents de ce poeme . . .
Supprimer le divin dans la nature et Tidie de Timmortalit^ dans Thomme,'
voiik le dessein de Lucrice'.
*'^) Programm Rendsburg 1871, S. 28.
*•) Vergl. XXV, 12: insolenter aestues velut minuta magna Deprensa
navis in mari vesaniente vento.
*') Vergl. 70, 4 *sed mulier cupido quod dicit amanti. In vento et
rapida scribere oportet aqua' mit dem sprichwörtlichen iv vSari y^d^atv
Plat. Phaedr. p. 276.
^^) Wol nicht viele werden Laprade a. a. O. S. 392 beistimmen:
• . mais lequel des deux Temporte par la couleur et la grftce pittoresque ?
La question peut rester indicise. Mais combien plus de grflce intime et
de vie morale chez le poete latin ! — Wer möchte wol die reflektierende
Kunstdichtung Vergirs über die in unbewnsster Naturfrische völlig naive
Schöpfung Homer*s stellen!? — Auch das ist eine Hyperbel, wenn
Laprade — der hellenistischen Dichter vergessend — S. 402 sagt:
Virgile est le seul des anciens, ä qui Ton puisse appliquer, daas le sens
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noble et religieux du mot, l'dpithÄte de rßveur etc. Des Pudels Kern
ist bei dem eifrigen Katholiken immer die Frage nach einer Ahnung
christlicher Ideen bei den alten Schriftstellern.
^®) Vergl. Vergil's Eklogen von Kolster, Leipzig 1882, S. 22 u
Die Stelle ist also ganz ähnlich wie in dem Euripideischen Hippolytos
V. 208 fF., wo auch der gesunde antike Sinn in den Worten der Amme
gegen die Überspanntheit der Phaedra reagiert; vgl. Naturgef. d. Gr. S. 55*
20) N. d. Gr. S. 74.
**) Se er et an a. a. O. p. 57: La note vraiment fundamentale dans
Virgile c'est cette Sympathie pour ainsi dire moderne pour tout ce .qui
fait partie du monde inanim^ jusqu*au brin d*herbe brüU par le soleil;
c*est cette tendresse virgilienne etc.
**) Es ist nicht verwunderlich, wenn Horaz im Urteile Laprade*s
weit weniger gilt als Vergil. Le soleil, le printemps, sagt er S. 411, les
fleurs, tout le paysage ne sont rien pour lui que d*aimables auxiliaires d«-
la volupt6. / Auch das Verhältnis der augusteischen Dichter zum Land-
leben ist nicht richtig charakterisiert S. 4 1 1 : . . la decoration est splen-
dide, mais les acteurs ne perdent pas leur temps ä la contempler comme
nous le ferions peut-ßtre. Ils sont lä pour vivre et non pour r^ver. Ils
y cherchent la campagne et non pas la nature teile que nous l'entendons ;
car la nature n*existe po^tiquement qu*ä.la condition d'ßtre divinis^e (!)
ou du moins traversee par Tid^e de Dieu et dou6e d*une äme qui nous
parle et qui nous entende.
*') Aber was bei Alltaios ganz realistisch empfunden ist, hat in der
Nachdichtung einen Stich ins Symbolische erhalten . . was bei jenem aus
lebendiger Erinnerung an die selbst durchlebte Not schwerer Stunden
hervorquillt, ist bei Horaz zur kühlen Reflexion des am Ufer stehenden
Zuschauers geworden (Kiessling, Philol. Untersuchungen, Heft 2 S. 48 ff.).
**) In feinen Strichen zeichnet Leo im 2. Hefte der Philolog. Unter-
suchungen V. Kiessling u. v. Wilamowitz-Moellendorff die Eigenart des
Tibullus. *Eine Elegie muss durch eine einheitliche Stimmung zusammen-
gehalten sein und dieselbe im Hörer erzeugen; die Linien des Grund-
risses müssen durch das verschlungene Spiel der Empfindung halbver-
deckt, die Fugen durch modulierende Übergänge gefüllt sein. Der Hörer
wird nicht zum Nachdenken aufgefordert, sondern gleichsam auf den
Wogen der Töne hingetragen. Tibull ist hierin Meister ... Es ist ihm
eigentümlich, 'träumerisch einem Gedanken, einer Empfindung nachzu-
hängen und nun wie willenlos von der Phantasie getragen weiter zu
dichten bis zum plötzlichen Erwachen oder allmählichen Verfliegen der
Traumbilder ... S. 45 : 'Es verlohnt sich, den Bildern und Wendungen
die Beobachtungskunst, den feinen Natursinn abzulauschen, mit dem sie
angeschaut und verwebt sind. An diesem Bedürfnis, die Welt ausserhalb
poetisch zu verarbeiten, erkennt man ja vor allem den wahren Dichter
und unterscheidet ihn von dem Gefühlsreimer, der uns in seinem Herzen
spazieren führt' u. s. f.
**) Bernhardy, Rom. Literaturgesch. * S. 485: 'Kein Römer hat
mit gleicher Wärme die Empfindungen eines reinen Herzens ausgesprochen»
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mit grösserer Gemütlichkeit und Milde die Seligkeit eines Stilllebens in
ländlicher Natur . . gepriesen, ohne doch zu malen und durch rhetorische
Züge zu verschönern. Ganz irrig ist aber die Behauptung S. 515: *Mit
Ausnahme TibuUs fühlten die Römer selbst in den schlimmen Zeiten der
Monarchie weder Trieb noch Bedürfnis, die Bande des städtischen Lebens
zu zerreissen, und indem sie in stiller Wehmut einen Gegensatz zur Ge-
sellschaft versucht hätten, mit Sehnsucht die verlorene Seligkeit und Un-
schuld, wenn nicht in der Einsamkeit der Natur, doch in Bildern der
Dichtung und Phantasie zurückzurufen. Italien hatte stets einen Mangel
an ländlichen Sympathien'.
^*) Vergl. Leo a. a. O. Die Dellen, Cynthien, Lydien, Corinnen etc.
sind nur die Folie für die Leidenschaft des Dichters, Reflex oder Er-
gänzung seines eigenen Wesens.
*') Die Lust zur Jagd als Sport war auch bei den Griechen nicht
national, sondern ward bei ihnen erst unter orientalischem Einfluss hei-
misch, vgl. N. d. Gr. S. 66 u. Anm. Selten sind Gleichnisse von der
Jagd in der alten römischen Literatur und stets auf griechische Vorbilder
zurückführend, so Enn. 344, Acdus im Pentheus XVII (259) wo es von
der Agaue heisst : quanta in venando affecta est laetitudine, vergl. Meleagei
n (441). Interessant ist, — wie Kiessling N. Schw. Mus. V, 327 ff.
nachgewiesen hat — , dass der alte Varro in seinen Satiren gegen das
neumodische, unrömische Vergnügen Front macht und die 'Nimrode', die
Meleagri, durchhechelt: quaero utrum fructuis an delectatlonis causa?
fructuis, ut vendatis — sin autem delectatlonis causa venamlni, quanto
satius est salvls cruribus in circo spectare quam eis descobinatis in silva
currere; ähnlich spottet Horaz Ep. I, 6, 58 — 6i über den Garglllus. —
Polyblus XXXII, 15 berichtet uns, wie der Ämilius Paullus — ein
Hauptvertreter des Hellenismus — dem Jagdsport gehuldigt und seinem
Sohne die Gehege des macedonlschen Königs geöffnet KaXXiorijv vno-
kafißavcDv xal rrjv aaxrjaiv xal rtjv tffvxaymylav vTta^x^^'^ '^^^^ viois
TTJv Tie^l ra xvvrjyiaia» Cicero empfiehlt ebenfalls seinem Sohne die
Jagd de off. I, 29, 104. Und so schildert auch Horaz Ep. I, 18, 44 ff.
die Jagd als ein Vergnügen — das zu pflegen bei der fashionablen Jugend
immer allgemeiner geworden sein mag, obgleich selbst Tacitus noch ann.
II, 56 das venari als einen Brauch der Barbaren hinstellt. —
^^) Wunderbar stimmt zu dem Charakter des Dichters die Landschaft
des reizenden Thals von Sulmona, das — nach der Schilderung eines
Modernen, Nationalztg. vom 19. Mal 1883 — mitten zwischen den Schreck-
nissen von Schluchten und Abgründen und Bergen (Majella im W., Gran
Sasso im S.) wie ein ringsum abgeschlossener Paradiesesgarten liegt.
Schwüle Luft fächelt hier zum ersten Mal wieder die Schläfe, nirgends in
Italien erscheint das Grün so üppig, die Fruchtbarkeit so strotzend wie
hier, denn das Auge hat im rauhen Gebirge lange diesen tropischen An-
blick entbehrt. Körper und Geist erliegen beinahe unter dem über-
schwänglichen Eindruck dieser Natur. Aller Feldbau wird hier zur
Gärtnerei, zwischen den Weinlauben und den dunklen Pappeln ragen die
Malsstauden empor; ganze Feldstrecken sind mit blühendem Krokus be-
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deckt, denn seit dem Altertum liefert Sulmona als HandelspfUnze den
Saifran. Diese Fruchtbarkeit hat das Ländchen seinem unerschöpflichen
Wasserreichtum zu danken. Aus den Seen und Thalem des höheren
Gebirges ergiesst sich überallher das belebende Nass. — Eine Quelle heisst
fönte d*amore, und das Volk erzählt von dem Zauberer lo Viddio, der
noch jetzt im goldenen Wagen nächtlich durch die Luft fährt, bald
gnädig, bald Unheil bringend. Nächtlich klingen Gesänge durch das
Thal mit dem Refrain:
Sulmona beUa, ove Vidio nacque,
Circondata di monti e copiosa d*aqne.
'*) Vergl. deutsche Volkslieder, Uhland Sehr. III, 44$ und 543;
Brwin Rohde, der griech. Roman S. 160, i.
»0) Vergl. I, 371, II, 9. 337.
") Vergl. I, 360. 757. n, 649. 668.
'*) Kant sagt einmal: Die Natur gefällt, wenn sie wie Kunst er-
scheint, die Kunst, wenn sie wie Natur erscheint.
") I. 5, 47; IV, I, 55; V, I, 31; 6, 37; ex Ponto II, 7, 25.
'^) I, 3, 13 de gurgite curae, II, i, 5: curarum nube.
") Vergl. V. 129; 3, 27; 7, 8. ^
'*) Die Landschaft in der Kunst der alten Völker, München 1876,
S. 328.
»"O Hei big, Wandgemälde S. 387.
•®) Heibig, Untersuchungen über die kampanische Wandmalerei
cap. XII und XXIV, Wandgemälde p. 389—397, no. 1555— 1582,
Wörmann p. 354 ff.
■») Wörmann, S. 369.
*<>) Siehe Tafel VI bei Wörmann, und besonders schön ist Hel-
big no.- 567.
**) Heibig, I538ff., Wörmann p. 379:
*«) Heibig, cap. XXV.
*•) Wörmann, S. 382.
**) Friedländer, der die obige Stelle nicht übersehen hat (II, S.
44 und S. 115 Anm. 7), konstatiert selbst: *Es ist gewiss möglich, dass
•einzelne auch im Altertum diese Richtung des Naturgefühls gehabt haben',
trotzdem er sonst immer *die Ausdehnung des Begriffs der Naturschönheit
auf das Rauhe, Düstere und Öde, das Phantastische und Wil4e, endlich
das furchtbar Erhabene als dem Altertum und Mittelalter fremd* hin-
stellt. — GöU (Kulturbilder aus Hellas und Rom I* S. 76) übertreibt
«in wenig, wenn er sagt: 'Auch die Reisemanie blasierter Noblesse, das
Jagen nach dem Pittoresken, Romantischen und Gefahrlichen, nur um den
Kitzel der Abwechslung des Kontrastes zu gemessen, findejt in der da-
maligen Zeit würdige Vertreter, und man bedauert es fast, dass noch die
stabilen Gestalten grämlicher Lords und prüder Ladies fehlen mussten . —
*'^) Eichbaum I, 136; Blitz v. 151, Löwen 205, Tiger 326, Stier
II, 601, Blut leckende Raubtiere IV, 237, pharische Nattern 724, Meer-
sturm I, 498 und II, 464; Felsen H, 267 und 469; vom Po VI, 272,
Ätna 293, femer vergl. VII, 134, VIII, 489, IX, 182, 284 (Bienen). —
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*«) Z. B. II, 396 ff., Parnass V, 71; Ossa VI, 333, Nil X, 200.
*') Vergl. I, 260 : Rura silent mediiisqae tacet sine murmure pontus.
") Veiigl. IV, 373, V, 527.
*•) Vergl. Entw. des Natürgefühls bei den Griechen S. I2l.
^) Vergl. Urlichs, Chrestomathia Pliniana p. XVII flF.
**) Vergl. Vn, 294 und 581.
^') VI, 158: gaadet Avema palus; 168: gemit ager tremibiindaque
piilsii Nntat hnmus,
*•) Eine ganze Reihe derselben wird vorgeführt z. B. III, 10 1 (F.,
ni, 577 ff., IV, 261, VI, 607 etc.
»*) Vergl. N. der Gr., S. 82.
**) Man vergl. z. B. Liv. XII, 4, 6 : qui . . decncurrerunt, eo magis
Romanis subita atque improvisa res fiiit, quod orta ex lacu nebula campo
quam montibus densior sederat — und Sil. V, 34 : Tum super ipse lacus,
densam caligine caeca Exhalans nebulam, late corruperat omnem Pro-
spectum miseris atque atrae noctis amictu Squalebat pressum picea inter
nubila Collum.
*•) Doch auch hier sind die einzelnen Farbentöne nicht ganz origi-
nell; vergl. An. II, 312: Sigea igni freta lata relucent und VII, 9; Val.
nacc. II, 583: unda sacris ignibus vibrat; Lucan V, 446: pontus non
solis imagine vibrat.
*') Vergl. mit dieser Stelle die knappen Zeilen bei Vergil An. II,
418; Gleichnisse z. B. Ge. I, 428 — Sü. V, 384; An. VII, 462 — Sil.
V, 603; An. VIII, 20 (resp. ApoUon. III, 154) — Sil. VIII, 141 (die
Seelenunruhe wird mit den im Wasser reflektierten schwankenden Sonnen-
strahlen verglichen!) u. s. f. . . Das kleinste Vergilische Samenkorn
wuchert auf Silianischem Boden zum üppigsten Unkraut empor. — Doch
ist manchmal die Technik recht sauber (auch hinsichtlich der Wortstel-
lung) wie z. B. vom Liris IV, 352: Perstringit tacitas gemmanti gurgite
ripas; v. 349: Vitiferi sacro generatus vertice montis oder VII, 258 : Tum,
sensim infusa tranquilla per aequora pace, Languentes tacito lucent in
litore fluctus; VIII, 429: Tam creber fractis albescit fluctus in undis. —
Die Zeitschilderungen sind auch ganz nach dem Muster der augusteischen
Dichter gefertigt; vergl. IV, 482, V, 24; schwungvoll ist der Anfang
von XII. —
**) Dies sonst seltene Wort liebt die Zeit ganz besonders; so kehrt
es bei Valerius Flaccus wieder I, 819; II, 359. 501; III, 473. 579; IV,
659. 665. 675 u. s. f.
'*) V, 335; Ecce autem aureata dispellens aequora prora Pelias in-
tacti late subit hospita ponti Pinus; agunt Minyae, geminus fragor (!)
ardua canet Per latera, abruptam credas radicibus ire Ortygian aut fractum
pelago decurrere montem. Ast ubi suspensis siluerunt aequora tonsis,
Mitior et senibus cygnis et pectine Phoebi Vox media de puppe
venit etc.
*<*) Dagegen hebt Gerber, Naturpersonifikation in Poesie und Kunst
der Alten, 13 Supplem. Bd. der Jahrb. für klass. Philol. Leipzig 1883,
S. 241 — 317, die mythischen Personifikationen und die oft so frostigen
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Allegorien der spateren Dichter (z. B. einer Hispania mit golddnrch-
wirktem Gewände und Ölblättem im Haar, einer Gallia mit blondem Haar etc.
bei Claudian) auf eine durch nichts zu rechtfertigende Höhe der Kunst-
leistung, durch welche diese Epigonen sich weit über den Standpunkt der
griechischen Dichter sollen erhoben haben. Da lesen wir denn S. 251,
268, 301 : *Eine Personificierung (menschliche Beseelung und Verkörpe-
rung) oder Personifikation (menschliche Beseelung ohne Verkörperung)
von Erde, Ländern, Meer, Flüssen und Quellen, Bergen als teilnehmen-
der Landschaft finden wir weder in griechischer noch in hellenistischer
Poesie und Kunst'. Bei den Römern soll sich erst eine anthropomor-
phische Naturanschauung herausgebildet haben und der Natur persön-
licher Anteil an den menschlichen Geschicken gelegt werden, 'erst bei
den Römern überall die eigentliche poetische Personificierung stattfinden
(306). Fast jede Seite des ersten Teils dieser Schrift widerlegt diese
in ästhetischer wie in historischer Hinsicht gleich abenteuerlichen An-
schauungen und irrigen Resultate. — Wie viel zarter und sinnvoller, wie
viel reicher und vielseitiger sind die Beseelungen in griechischer Dichtung
als in der römischen, die auch in dieser Hinsicht nur ein Nachhall jener
ist, wol aber in reflektierten, abstrakten Allegorien und Personifikationen
wie der Hitze, des Verbrechens, des Zorns, der Furcht u. a. (Stat. VII,
48 ff., VIII, 24 etc.) über jene hinausgeht. — Im einzelnen vergleiche meine
demnächstige Anzeige der gen. G.'schen Schrift im Philol. Anzeiger. —
«0 Vergl. II, 185; V, 525? VI, iio; VII, 404. 426, VIII, 17;
IX, 228. 347. 412. 456.
•*) Sonst vergl. I, 478 : 'so sinken die windgepeitschten Wogen zu-
sammen; Stier II, 323, III, 331; Schlange H, 411, IV, 25, 'die beim
schmeichelnden Wehn der Frühlingslüfte vom Boden sich erhebt und be-
freit von der schuppigen Hülle aus lachenden Kräutern hervorblickt' ;
häufig: 'schneller als ein fallender Stern, ungestümer als tosende Ströme,
als Blitze (VI, 410), ungeduldiger als das winterlich stürmende Meer
(VI, 306), eiliger als der Wind, stürmisch, wie die hoch sich türmenden
Wellen an Klippen zerbersten* ; erbittert wie der allmählich aufbrausende
Wind (VII, 624) u. s. f. —
«•) Vergl. Kiessling, N. Schweiz. Mus. V, 327 fF., über das Massen-
morden bei Tierhetzen und dergl. vergl. GöU, Kulturbilder II* S.
403 ff.
•*) S e c r e t a n a. a. O. S. 1 43. Vergl. die treffliche Schilderung 'die Insel
Capri, Idylle vom Mittelmeer' von Ferd. Gregorovius S. 10 ff. Nur ein
modemer Historiker konnte die Zeilen schreiben wie Greg.: 'Es lieget
hier Fürchterliches und Liebliches in einem Kontrast. Das lachende
grüne Thal stösst hart an schroffe Felsenwände, welche das heitere
Pflanzenleben zerreissen und nackt und gigantisch in die Wolken ragen;
und wiederum findet das tägliche Bild einfacher Naturmenschen, welche
Armut und Frömmigkeit verschönert und die Arbeit veredelt, seinen
grellsten Gegensatz an der inmier wieder sich aufdrängenden Vorstellung
des Tiberius, des Menschen der absoluten Unnatur u. s. f.
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^^) Siehe die geistreiche Skizze 'Renaissance und Rococo in der
römischen Literatur von Martin Hertz Berl. 1865.
®*) Vei^l. I, 2, 14 (die Sonne als Quell des Lichts und der Wärme);
II, 6, 7 (Vogeleltem, die die Kleinen ernähren und fliegen lehren;
. . paulum egredi nidis et circumvolare sedem illam praecedentes ipsae
docent, tum expertas vires libero caelo suaeque ipsorum fiduciae permit-
tunt), 10, 6 (quadrupedes) ; 16, i3fF. (animalia) XII, 10, 76; II, 19, 2
(Fruchtbarkeit der Erde) vergl. VIII, 5, 26; X, 3, 2. 7, 28; XII, i, 7.
10, 19; T e u f f e 1 , Literaturgesch. *' S. 715.
*') Secretan sagt mit Unrecht S. 140: 'Ses descriptions reUvent
avec beaucoup d'art le pittoresque et les nuances de la nature, mais elles
ne vont pas au delä. Pline n*y m6le aucun des sentiments humains que
la vraie po^sie associe ä la nature, ou plutdt qu*elle en d^gage, car ils y
sont contenus: ni Tamour, ni la röverie (!) etc. —
*®) Eine ansprechende Skizze enthält die Schrift 'der römische Lustgarten,
ein Beitrag zur .Untersuchung über den Natursinn der Römer' von K.
Woksch, vergl. meine Anzeige d. Sehr. Philol. Rundsch. III. Jahrg.,
3, 19. Verwertet sind: Lenz, Botanik der Gr. und R. Gotha 1859;
"Wüstemann, über die Kunstgärtnerei der alten Römer Gotha 1846;
Becker, Gallus I, S. 283 if., Hehn, Kulturpflanzen und Haustiere
Berlin 1877; Petzold, die Landschaftsgärtnerei Leipzig 1 862 ; Meyer,
Lehrbuch der schönen Gartenkunst Berlin 1862; Jak. v. Falke, der
Garten und F. Bodenstedt, Kunst und Leben, I.
•®) Vergl. den interessanten Aufsatz von Cohn, die Gärten in alter
und neuer Zeit, D. Rundschau XVIII, S. 259.
'0) Cohn a. a. O. S. 257.
'^) Woksch a. a. O. S. 6 ff. Ursprünglich war der römische Gar-
ten ein Nutzgarten; LucuUus soll den ersten Park angelegt haben. Über
den grossen Luxus der Gärten und Parkanlagen klagt schon Horaz und
besonders Seneca. Der ärmere Stadtbewohner suchte wenigstens ein
Stückdhen Natur sich durch ein zierliches viridarium im Peristyl seines
Hauses zu schaffen oder setzte ein Blumenstöckchen ans Fenster, während
die Inhaber prunkvoller Paläste Balkone und Dächer mit Sträuchem und
Blumen schmückten. — Julius Caesar öffnete seine grossen Parkanlagen
dem Publikum, Suet Caes. 83. Tac. ann. 2, 41.
'■) Vei^l. über die einzelnen Teile des Gartens : xystus, ambulatio,
gestatio Woksch S. 11. Oft schlössen sich an den Hippodrom Tier-
gärten (leporaria), Fischbassins (vivaria piscium), Volieren (aviaria); auch
Gewächshäuser gab es (Becker, Gallus S. 289). Was das Prinzip der
Anlage betrifft, sagt Woksch S. 14 treffend: 'Der römische Garten ist
nicht ein Stück idealisierter Landschaft, sondern eine Nachahmung der im
westlichen Asien blühenden Gartenkunst, ein Stück Natur, das der Kunst,
d, h. der Architektur unterworfen ist'; vergl. Car ri er e, Hdllas und Rom
S. 508.
'•) Besonders Maulbeer-, Feigenbäume, Platanen, Myrten und Cy-
pressen; Buchs, Rosmarin, Akanthus, Rosen, Veilchen, Lilien, Krokus,
Narcissen, Gladiolen, Amaranthen u. dgl.; vergL Woksch S. 15, Becker
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S. 89; Jak. V. Falke Hellas und Rom S. 238; Friedländer a. a. O.
in, S. 78 und 121.
^^) Kock, die Engelsburg und Kaiser Hadrian, N. Schweiz. Mus.
V, 131.
'*) Secretan a. O. S. 153.
'•) S. Bruch, Roma, Lyrische Dichtungen aus dem römischen Alter-
tum, Minden 1884.
^^ Dies letztere, das anhelare, scheint das höchste Stadium der Liebes-
wut zu bezeichnen; vergl. Reposiani de concubitu Martis et Veneris
<(no. 420) V. 117: Et Venerem totis pulmonibus ardor anhelat! vergl. v.
138: Viderat effusis Gradivum Phoebus habenis In gremio Paphiae spi-
rantem incendia amoris.
^^) 102 . . nee tota latet nee totum nudat amorenu Hle inter flores
furtivo lumine tectam Spectat hians Venerem motoque ardore tremescit
. « . . Quam bene consertis haeserunt artibus artus!
^^) y. 118: Ipsa Venus tunc calidis succensa venenis Uritur ardes-
cens, nee somnia parta quieta. O species quam blanda! o quam bene
presserat artus Nudos forte sopor! niveis sufTulta lacertis Colla nitent
pectus gemino quasi sidere fiilget.
«ö) S. TeU I, S. 102.
^')Burckhardt, die Zeit Konstantins des Grossen, Basel 1853,
S. 495.
®') Symmach. ep. I, 8.
«») Ibid. III, 33.
®*) Carriere a. a. O, S. 615.
*») Burckhardt a. a. O. S. 315.
^•) Z. B. I, 22 (ed. Jeep): haud secus ac tacitam Luna regnante per
arcem Sidereae cedunt acies, cum fratre recusso Aemulus adversis flagra-
verit ignibus orbis: Tunc jubar Arcturi languet etc. VIII, 104 ff., zart
ist XXXIV, 141 der Vergleich der jammernden Ceres mit der armen
Vogelmutter und v, 165 mit dem Hirten, der seine Herde überfallen sieht.
^^) Vergl. Vn, 122: Submissus adorat Eridanus blandosque iubet
mitescere fluctus.
88) Vergl. VII, 96 fr.
8*) xn, 4 : Omne nemus cum fluviis, Omne canat profundum. Ligures
favete campi, Veneti favete montes Subitisque se rosetis Vestiat Alplnus
apex Et rubeant pniinae . . und so geht es mit klingendem Spiel der
Schmeicheleien fort.
^) Fluss- und Meergötter, Nymphen, Faune, Dryaden sind besonders
der übliche Zierrat, der dekorative Hintergrund der Landschaft; sie wer-
den zur Mitfeier oder zur Mitklage citiert, auf dass sie, wie der Chor in
der Tragödie (Gerber a. a. O. S. 284) die Stimmung in der Natur
gleichsam verkörpern; vergl. XXXV, 68 ff., 136; XXVIH, 194 ff.,
XXXVI, Anf., 76 ff., 381 ff.; XXXVH, 117 etc..
•*) Germanien und die Wälder des Kaukasus geraten in Furcht und
Schrecken, als Honorius geboren wird VII, Il8; vergl. Vm, 127;
XXIV, 61 etc.
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^^ I, 169, 250: mella ferant silvae etc., vergl. XXI, 89 ff., III, 383 r
XXVI, 230 ff. Wirkung Orphischen Gesanges XXXTV.
»») Vergl. Entw. d. N. der Gr. S. 72.
^^) Ebendaselbst S. 120.
•') Vergl. V. 238: Talis ad umbrarum ludibria nautica pubes Ambi-
gois fmitur veri falsiqne iigiiris.
••) Wörmann, Über den landschaftl. Natursinn S. 98 und S. 113.
•') Wörmann behauptet freilich S. 98: *Dass die Römer . , weiter
gegangen seien als die Alexandriner, konnten wir nicht behaupten . Es
sollte mich freuen, wenn Wörmann nunmehr seine Ansicht modificierte.
•*) Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms II, S. 119. E»
würde mir zu grosser Genugthuung gereichen, wenn ich diesen vortreff-
lichen Meister antiker Kulturforschung wenigstens in manchen Einzel-
heiten sollte überzeugt haben.
ö») A. a. O. S. 118.
^^^) Friedländer sagt mit Recht S. Ii6 Anm. 2: 'Eine Ge-
schichte des Naturgefühls im Mittelalter und in der neueren Zeit bis zur
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wäre wol eine ebenso dankbare als
schwierige Aufgabe'. — *
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Inhalts- Verzeichnis.
Seite
Erstes Kapitel: Das mythologische Naturgefühl und die Poesie im
ersten Zeitalter der Republik 1
Zweites Kapitel: Lucretius. Cicero. Catullus 21
Drittes Kapitel: Das elegisch-idyllische Naturgefühl im augusteischen
Zeitalter . 52
P. Vergilius Maro 54
Q..Horatius Flaccus 79
Albius TibuUus 88
Sextus Propertius 96
P. Ovidius Naso 105
Manilius 120
Livius 121
Die Landschaftsmalerei 123
Viertes Kapitel: Die gesteigerte Sentimentalität der Kaiserzeit . . 126
Seneca 127
Lucanus 136
Calpurnius und Nemesianus 141
Lucilius Junior und Plinius d. A 144
" Valerius Flaccus und Silius Italicus 146
Papinius Statius und Martialis 151
Tacitus, Quintilian und Plinius d. J. 161
Apulejus 170
Lyrisch-epigrammatische Poesie . - 172
Claudian und Ausonius 180
Rückblick und Schluss 187
Anmerkungen 195
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Register.
(II bedeutet Entw. des Naturgef.'s d. Römer.)
Accius II, 17.
Adonis 10. 77.
Aschylos 35 ff.
Ätna 33. 182. II, 144 f. 169.
Agathias 115.
Alkman 25.
Alkyonen 25. 50. 83. II, 16.
Alpen II, 122. 139. 150. 181. 182.
Anakreon 30.
Anakreonteen 88.
Angeln, das II, 159. 162.
Annianus II, 171.
Antipatros v. Sidon 97.
Antiphilos 113.
Anyte 92.
ApoUonios v. Rhodos 79.
Arohilochos 23.
Aristophanes 56.
Aristoteles 62.
Asklepiades v. Samos 93.
Ausonius 11, 183 f.
•Baumrinde, Trägerin des geliebten
Namens 68. II, 58. 101. 177.
Bäume, Liebe der 68. n, 107. 181.
Gleichn. 14. 22. 80. 82. (ausf. B. 92)
II, 72. 106. 119. 148. 167.
Bcflügelungswunsch 26. 40 f. 60 f.
61.
Beseelung 17 fr. 32. 34. 37. 44. 53 f.
67. 68. 73 f. 77. 78. 83. 92. 96. 108.
114fr. 118f. 126. n, 11. 44. 77.
114. 136. 146. 149. 161 f. 180f.
Bion 77.
Blumen- u. Pflanzenwelt (Gleichnisse)
15. 28. 34. 71. 80. 92. 100. 123.
II, 48 f. 58 f.
Blumen u. Schönheit resp. Ver-
gänglichkeit 71. 102 f. 112. II,
48f. 72. 93. 104. Ulf. 113. 144.
Calpurnius II, 141 f.
Cato II, 7. 36.
Catullus IT, 41 f.
Chairemon 85.
Cicaden 14. 70. 88. 89. 124. 126.
II, 66.
Cicero II, 32 f.
Claudian II, 180 ff.
Coluraella II, 140.
Dio Chrysostomos 121.
Dryaden 19.
Einsamkeit, Sinn für 55. 86. II, 39. 58.
96. 101 f. 110. 119. 143. 146. 162 ff.
Elysium 12. 33. II, 77. 81. 90. 107.
Ennius II, 8.
Erhabenheit über die Natur 46. (s.
Naturbetr.)
Erotisches 38. 68. 78 ff. 81 f. 91 f.
100 f. 113. 118. 122. n, 74. 90.
160 f. 176 f.
Euripides 46 ff.
Fabel 23.
Farbensinn 12.
Farbenspiel II, 48. 50. 72. 93. 105.
177. 187.
Faunus II, 6.
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208
Femsicht 83. 127. n, 16. 39f. 76.
134. 164f. 167.
Frühling 33. 44. 67. (Büd 72. 112.
117.) 96. 104 f. 114. 121. n, 13.
45. 69. 62. 64. 83 f. 119. 156.
171. 174.
Carten 12. 66. 115. 116. 127. n,
61. 68. 169. 165. 167. 170. 176.
Gräberpoesie 106. U, 102 f. 117.
Hadrian U» 169.
Heimatgefühl 44. 45. 51. 62. n, 37.
44 f. 85. 118.
Hesiod 19.
Himmelserscheinüngen 13. 23. 42.
49. 63. 70. 79. 82. 85. 95. n,
9. 17. ^9 f. 73. 137 f. 173.
Homer ilflf.
Horaz II, 79 ff.
Hyakinthos 10. II, 116.
Hylas 10. 81.
Jagd 66. II, 70. 94. 160.
Jahreszeiten, Preis der 121. II, 172.
Insektenwelt 14. 70. 91. n, 67.
68f. 71ff. 111.
Ibykos 30.
Idyllisches 55. 60. 74. 88. 94 ff.
115. n, 27. 55 ft. 67 ff. 89. 99.
115. 140 f. 161. 176, 177 f.
Insel der Seligen 61.
Julianos Agyptios 115.
Kallimachos 67 ff.
Kleanthes 65.
Kontrast 19. 30. 31. 43. 73. 119.
Undleben 56. 75. 86. II, 36. 56 f.
61 f. 86 f. 91. 98. 107. 171.
Landschaftsmalerei 21. 129. II, 123 f.
Latifundien II, 134.
Lenz und Liebe 24. 30. 112.
Liebe und Mondschein 80. 81. 99.
II, 100.
Leonidas v. Tarent, 94.
Libanios 121.
Lichteffekte 63. 79.81. 83. 86. H, 11.
29. 75. 137. 163. 174. 184. 185.
186.
Livius Andronicns II, 8.
Livins n, 121.
Longos 122 f.
Lucanus H, 136 f.
Lncilius Junior n, 144.
Lucretius II, 21 ff.
LukUnos 106.
Lygdamus 93.
L^ophron 85.
Manilius H, 120.
Marianos 115.
Mars n, 5,
Martial H, 157 f.
Meer, Beiwörter 11.0, 10. 46. Gleich-
nisse 14. 16.23.42.49.79.86.11,10.
47. 63. 64. 66. 73. 114 f. 118. 139.
147. Metaphern : xvfuUvea&ai 34.
Ttekayos, %B€fAiov etc. 36 ff. 42. 61.
(141). 81. 86. 101. aestuare, fluc
tuare etc. II, 11. 20. 31. 46. 70.
77. 118. 146; Schönheit d. M.
n, 33. 163. 175. MeeresstiUe 73.
76. 115. II, 15. 138. 156. sonstige
Stellung zum M. resp. Schiffahrt
18. 58. 73. 76. 84. 94. H, 28. 90.
101. 107.
Meer und Liebe 100 f. H, 104.
Melancholie 49. 106. 108. H, 32. 172.
Meleager 99 ff.
Menander 86.
Mimnermos 22.
Mnesalkas 90.
Mondscheinbeleuchtung 19. 29. 71.
80. 81. 85. 99. n, 73. 83.
Morgen 43. 45. 63. 83. H, 18, 76.
109. 147. 172.
Morgenfrieden 54.
Moschos 76.
Musaios 118.
Musoniös 121.
Nacht 25. 29. 39. 58. 119. 120. H, 12.
59. 75. 114. 118. 147 f. 151. 166.
Naevius II, 8.
Naivität, Wesen der 12.
NauUeros 86.^
Narkissos 10. II, 116.
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Naturbetrachtung, erhebt resp. de-
mütigt den M. 62. II, 25. 34 f.
86. 114. 121. 127 ff. 130. 144.
Naturunmöglichkeiten, Spiel mit 48.
74. II, 30. 59. 103. 143. 189.
Naturvölker, glücklich gepriesen II,
27. 117. 134. 162.
Natur, die im Banne der Schönheit
72. 101. II, 57. 107. 141.
Natur und Kunst 121. II, 37. 97.
115. 135. 154 f. 184. 185..
Natur, verkünstelte II, 166.
Nemesianus II, 142 f.
Nonnos 11 6 ff.
Nossis 91.
Numen, göttl. II, 54. 117. 135.
Nymphen 10.
Ordnung in der Natur 62. II, 83.
121. 128.
Ovid 105 ff.
Pacuvius II, 14.
Pan 10.
Pantheistisches 65. II, 68. 127. 135.
145. 179. 182. 183.
Personification 17. 53. 69. II, 4.
115. 149. 180 f.
Philodemos 99.
Philomele 10. 40. (16. 28. 32. 70)
II, 110.
Pindaros 32 f.
Platane 60. 92. 97. II, 36. 135.
Piaton 60.
Plinius, d. Ä. II, 145; d. J. II, 162 f.
Pflanzenliebe 117. II, 107, siehe
Liebe der Bäume.
Propertius II, 96 ff.
Ptolemaios 99.
Quelle (Bach) 16. 48. 75. 95. 114. II,
47. 84. 89. 106. 111. 115. 120. 133.
Quintilian II, 162.
Reisen II, 38. 53. 131. 169.
Rhianos v. Bena 96.
Rose 28. 71. 96. 103.112.119. 11,173.
Romantisches — im engeren Sinne
Gef. f. d. Öde u. Wilde II, 33.
37. 101 f. 131 f. 138. — sonst 80.
130. II, 135. 147. 184. 185.
Ru6nos 112.
Ruinenpoesie 106 ff. II, 117.
Sappho 27.
Satyrios 114.
Schwalbenlied 90.
Sentimentalität, Wesen der 12. 47 f.
56. 66. 68. 78. 87. 93. 103. 114.
117. II, 58. 101 ff. 109 f. 118.
126 f. 177 f.
Silius Italicus II, 149 f.
Silvanus II, 6.
Simonides v. Keos 31 ff.
Sokrates 60.
Solon 22.
Sommer 26. 125. II, 66.
Sonnenßnsternis 24. 33.
Sophokles 39 ff.
Sosikrates 87.
Spiegelung 81. II, 80. 73. 137. 139.
149. 153. 168. 174. 184. 185.
Statins II, 151 f.
Sternenhimmel 84. 96. II, 34. 121.
128. 130.
Stesichoros 26.
Stille in der Natur 54. 57. 73. II, 60.
(s. Nacht).
Strom (Bach, Wellen) und Leben
II, 106. 112. 133.
Symmachus 11, 179.
Sympathetisches 15. 19. 21. 27. 36.
42 f. 46. 73. 78. 97. 125. II, 43.
57 f. 78. 118 f. 122. 170. 181. 182.
Tacitus II, 161.
TaUos 113.
Tempethal 121. U, 151.
Theognis 69.
TibuUus 88 f.
Tierleben, Gleichnisse 14. 27. 28.
34. 39. 40. 49. 50. 70. 80. 123.
II, 29. 58 f. 70. ausgef. Bilder 91.
Tyrtaios 22.
Valerius Flaccus II, 146.
Venus II, 22. 171.
Vergilius II, 54 ff.
Verwandlungssagen 10. 107. 117.
II, 113 f. 116.
Bieso, die Kutwicklung des XaturgefQhls bei den Bömorn.
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Verwandlungswünsche 71. 96. 100.
113. 118. 123.11, 70. s. Beftüge-
lungswünsche.
Vesuv II, 158. 167.
Villen II, 89. 53. 132 f. 153 f. 159.
164 f. 186.
Vogelwelt, Gleichnisse 14. 16. 32.
84. 39. 50. 123. II, 70. 152.
ausgef. Bilder 58 f. 91.
Wächterlieder 16?. II, 160.
Waldeinsamkeit 55. 56. 68. (s. Ein-
samkeit.)
Weltschmerz 88. 93. 106. 111. II,
174.
Weltuntergang 36. n, 128. 175.
Winde, Wellen und Liebesschwüre
u. dgl. 68. 79. II, 46. 73. 90. 93.
95. 103. 146.
Wolkenpoesie 57 f.
Wonne der Wehmut 48. II, 119.
Berichtigungen zum ersten Teil.
S. 48 Z. 1 V. o. lies Parallelisierung.
S. 71 Z. 4 V. o. lies blonder wie die Rainblume.
S. 76 Z. 8 V. o. „ Dunkel.
S. 89 Z. 12 V. u. „ Anthologie.
S. 95 Z. 15 V. o. „ Augenlidern.
S. 100 Z. 10 V. o. „ Moiro.
S. 101 Z. 2 V. u. „ a fike^(oe.
S. 107 Z. 12 V. o. „ zu Rosen v^urden.
S. 108 Z. 18 V. u. „ ov,
S. 117 Z. 5 V. o. „ das wildeste.
S. 119 Z. 10 V. o. „ der äusserste.
S. 130 Z. 13 V. u. „ Wandgemälden.
Druck von A. Hopf er in Burg.
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